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Kreativität und Hermeneutik in der Translation

0717
2017
978-3-8233-9074-9
978-3-8233-8074-0
Gunter Narr Verlag 
Larisa Cercel
Marco Agnetta
María Teresa Amido Lozano

Die Kreativität nimmt gegenwärtig eine zentrale Position in der Translationsprozessforschung ein. Die Erkenntnis, dass Kreativität nicht nur beim Übersetzen literarischer Werke benötigt wird, bildet die Grundlage für die Entwicklung neuer Modelle der translatorischen Kompetenz. Zu dieser grundlagentheoretischen Ebene gehört die Betrachtung der übersetzerischen Kreativität in Verbindung mit den (eminent hermeneutischen) Begriffen des Verstehens und Interpretierens: Die Textvorlage verstehen, sie auslegen, um sie dann angemessen kreativ in der Zielsprache wiedergeben zu können, ist ein translatorisches Grundverhalten. Der Band fokussiert den Nexus Kreativität-Verstehen-Interpretieren im Übersetzen und beleuchtet ihn aus den unterschiedlichen Perspektiven der Rhetorik, Literatur, Hermeneutik, Philosophie, Linguistik und Translatologie.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-8233-8074-0 Die Kreativität nimmt gegenwärtig eine zentrale Position in der Translationsprozessforschung ein. Die Erkenntnis, dass Kreativität nicht nur beim Übersetzen literarischer Werke benötigt wird, bildet die Grundlage für die Entwicklung neuer Modelle der translatorischen Kompetenz. Zu dieser grundlagentheoretischen Ebene gehört die Betrachtung der übersetzerischen Kreativität in Verbindung mit den (eminent hermeneutischen) Begriffen des Verstehens und Interpretierens: Die Textvorlage verstehen, sie auslegen, um sie dann angemessen kreativ in der Zielsprache wiedergeben zu können, ist ein translatorisches Grundverhalten. Der Band fokussiert den Nexus Kreativität-Verstehen-Interpretieren im Übersetzen und beleuchtet ihn aus den unterschiedlichen Perspektiven der Rhetorik, Literatur, Hermeneutik, Philosophie, Linguistik und Translatologie. TW 12 Cercel, Agnetta, Amido Lozano (Hrsg.) KREATIVITÄT UND HERMENEUTIK TRANSLATIONSWISSENSCHAFT BAND 12 KREATIVITÄT UND HERMENEUTIK IN DER TRANSLATION Larisa Cercel, Marco Agnetta, María Teresa Amido Lozano (Hrsg.) <?page no="1"?> Kreativität und Hermeneutik in der Translation <?page no="2"?> TRANSLATIONSWISSENSCHAFT · BAND 1 herausgegeben von Klaus Kaindl und Franz Pöchhacker (Universität Wien) Gyde Hansen (Kopenhagen) Christiane Nord (Magdeburg) Erich Prun (Graz) Hanna Risku (Graz) Christina Schäffner (Birmingham) obin Setton (Paris) 2 <?page no="3"?> Larisa Cercel / Marco Agnetta / María Teresa Amido Lozano (Hrsg.) Kreativität und Hermeneutik in der Translation <?page no="4"?> Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von: Landeshauptstadt Saarbrücken Amicale 4.6 Lehrstuhl Prof. Dr. Erich Steiner Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb. de abrufbar. © 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Printed in Germany Satz: pagina GmbH, Tübingen ISBN 978-3-8233-8074-0 <?page no="5"?> Professor Alberto Gil zugeeignet <?page no="7"?> Inhalt 7 Inhalt Larisa Cercel / Marco Agnetta / María Teresa Amido Lozano (Saarbrücken) Kreativität - Verstehen - Interpretation. Multiperspektivische Annäherungen an einen translatorischen Nexus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Rhetorik und Literatur Jörn Albrecht (Heidelberg) Interpretatio - imitatio - aemulatio: Die Stellung der Übersetzung (im engeren und weiteren Sinn) im Lehrgebäude der klassischen Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Rainer Kohlmayer (Mainz-Germersheim) Kreativität beim Literaturübersetzen. Eine Bestimmung auf rhetorischer Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Jean Boase-Beier (Norwich) Interpretation and Creativity in the Translation of Paul Celan . . . . . . 59 Wolfgang Pöckl (Innsbruck) Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur . . . . . . . . . . . . . 77 Angela Sanmann (Lausanne) Unendliche Vervielfachung. Raymond Queneaus Exercices de style und ihre deutschen Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Irene Weber Henking (Lausanne) Gustave Roud, „Hinweg, hinweg - Vite, passe le pont“ . . . . . . . . . . 113 Ursula Wienen (Köln) « Mesdames, messieurs, la Cour. » La traduction du langage juridique dans la littérature criminelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Marcelo Tápia (S-o Paulo) Haroldo de Campos: Transcriaç-o como plagiotropia . . . . . . . . . . . . 149 Christoph Kugelmeier (Saarbrücken) Translatio - traditio - veritas: Zur Spannung zwischen Texttreue und Kreativität in den antiken Übersetzungen ‚heiliger‘ Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 <?page no="8"?> 8 Inhalt Marco Agnetta / Larisa Cercel (Saarbrücken) Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? . . . 185 II. Hermeneutik und Philosophie Mathilde Fontanet (Genf) The Translation Process and its Creative Facets in a Hermeneutic Perspective . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Ioana Bǎlǎcescu (Craiova) / Bernd Stefanink (Florianôpolis) Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Radegundis Stolze (Darmstadt) Quellen der Kreativität beim Übersetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Douglas Robinson (Hong Kong) Beyond das Gefühl des fremden “the Feeling of the Foreign”: The Hermeneutical Creativity of das Gefühl des fremden “the Feeling of the Alien” and das Gefühl des fremden “the Feeling of the Strange” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Jean-René Ladmiral (Paris) Les apories de la créativité . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Paulo Oliveira (Campinas) Aspekt & Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 John Wrae Stanley (Köln) „Tanzen ohne Ketten“. Sprachspiele als Rahmen für die übersetzerische Kreativität . . . . . . . 333 III. Angewandte Sprachwissenschaft und Übersetzungspraxis Michael Schreiber (Mainz-Germersheim) Kreativität in Translation und Translationswissenschaft: Zwei Fallbeispiele und ein Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Erich Steiner (Saarbrücken) The Role of Understanding in Linguistic Perspectives on Translation. Some Thoughts on a Philosophical Debate about Belief and Knowledge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 <?page no="9"?> Inhalt 9 Vahram Atayan (Heidelberg) Übersetzung (fast) ex nihilo : eine Spielart der translatorischen Kreativität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 José Manuel Martínez Martínez / Elke Teich (Saarbrücken) Modeling Routine in Translation with Entropy and Surprisal: A Comparison of Learner and Professional Translations . . . . . . . . . . 403 Gerrit Bayer-Hohenwarter (Graz) Denken in Analogien - kreatives Lösen von Verstehensproblemen im Übersetzungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Hanna Risku / Jelena Milošević / Regina Rogl (Graz) Creativity in the Translation Workplace . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 <?page no="11"?> Kreativität-- Verstehen-- Interpretation 11 Kreativität- - Verstehen- - Interpretation. Multiperspektivische Annäherungen an einen translatorischen Nexus Larisa Cercel / Marco Agnetta / María Teresa Amido Lozano (Saarbrücken) Die Kreativität ist in der Übersetzungswissenschaft zu einem erstrangigen Konzept avanciert. Nach den Forschungen der 1990er Jahre, die den Wert der Kreativität in der Translation aufarbeiteten und für die stellvertretend Paul Kußmauls Kreatives Übersetzen (2000) zu nennen ist, nimmt sie gegenwärtig eine zentrale Position in der Translationsprozessforschung ein. Als Schlüsselbegriff der translatorischen Kompetenz wird sie in ihr eigens gewidmeten Abhandlungen wie Gerrit Bayer-Hohenwarters Translatorische Kreativität (2012) verstärkt systematisch analysiert und empirisch gestützt. Vor dem Hintergrund einer systemischen Sichtweise und interdisziplinären Orientierung wird die Erarbeitung eines Kreativitätskonzepts angestrebt, das ein breites Spektrum kreativer übersetzerischer Leistungen erfasst. Die Erkenntnis, dass Kreativität nicht nur beim Übersetzen literarischer Werke benötigt wird, bildet die Grundlage für die Entwicklung neuer Modelle der translatorischen Kompetenz. Zu dieser grundlagentheoretischen Ebene gehört die Betrachtung der übersetzerischen Kreativität in Verbindung mit den (eminent hermeneutischen) Begriffen des Verstehens und Interpretierens: Die Textvorlage verstehen, sie auslegen, um sie dann angemessen kreativ in der Zielsprache wiedergeben zu können, ist ein translatorisches Grundverhalten. Prägend für dieses Verhalten ist die ambivalente Bindung des Übersetzers an das Original: Sie hemmt und fordert zugleich heraus, mahnt zur Zurückhaltung und lädt zum Wagnis ein. Der vorliegende Sammelband erkundet den kreativ-interpretativen Spielraum des Übersetzers im Rahmen dieser gespannt-spannenden Beziehung und beleuchtet ihn aus den unterschiedlichen Perspektiven der Rhetorik, Literatur, Hermeneutik, Philosophie, Linguistik und Translationswissenschaft. Abgerundet wird der Band durch einen Blick auf den Berufsalltag der Übersetzer, deren Kreativität über textuelle Aspekte hinaus auch bei der Gestaltung der eigenen Tätigkeit in verschiedenen translatorischen Arbeitskontexten gefordert wird. Die Beiträge bieten Zugänge zu unterschiedlichen Dimensionen der translatorischen Kreativität: Sie setzen sich mit begrifflichen Aspekten (Michael Schreiber, Marcelo Tápia, Marco Agnetta / Larisa Cercel) bzw. mit der Über- <?page no="12"?> 12 Larisa Cercel / Marco Agnetta / María Teresa Amido Lozano setzung von Begriffen (Douglas Robinson) auseinander, eruieren Quellen der translatorischen Kreativität (Radegundis Stolze, Vahram Atayan) und Methoden ihrer Förderung ( John Wrae Stanley), beleuchten Mechanismen ihrer Entstehung (Gerrit Bayer-Hohenwarter, Paulo Oliveira) und ihren grundlegend aporetischen Charakter ( Jean-René Ladmiral), schlagen neue Modelle für deren wissenschaftliche Erfassung (Mathilde Fontanet) sowie von routiniertem Verhalten ( José Manuel Martínez Martínez / Elke Teich) vor und sorgen für die empirische Belegung theoretischer Grundsätze (Ioana Bălăcescu / Bernd Stefanink). Der fokussierte Blick auf die Literatur (Rainer Kohlmayer, Jean Boase- Beier, Wolfgang Pöckl, Irene Weber Henking, Angela Sanmann, Ursula Wienen) und die Bibel (Christoph Kugelmeier) als die Orte par excellence , in denen sich das unerschöpfliche Potential der translatorischen Kreativität am deutlichsten zeigt, sucht ebenfalls den weiteren Horizont einer disziplinären ( Jörn Albrecht), gesellschaftlichen (Erich Steiner) und beruflichen (Hanna Risku / Jelena Milošević / Regina Rogl) Einbettung. In dieser multiperspektivischen Schau, die im Nexus Kreativität-Verstehen-Interpretation ihre gemeinsame Grundlage hat, wird der Facettenreichtum des Phänomens der Kreativität in der Translation offenkundig. Der Band ist Prof. Dr. Alberto Gil, Inhaber des Lehrstuhls für Romanische Übersetzungswissenschaft sowie Gründer und Leiter des Forschungszentrums Hermeneutik und Kreativität an der Universität des Saarlandes, zum Anlass seines 65. Geburtstags zugeeignet. Innerhalb der Themenbereiche Sprache-Rhetorik-Translation, die die wichtigsten Wirkungsfelder von Prof. Gil in Forschung und Lehre bilden (vgl. Atayan / Wienen 2012), hat sich in den letzten Jahren die Übersetzungshermeneutik deutlich als Schwerpunkt seiner Forschungen (Gil 2007, 2009, 2012, 2014, 2015, im Druck) profiliert. Die genannten Arbeitsfelder definieren die Markenzeichen seines übersetzungshermeneutischen Programms: solide sprachwissenschaftliche Untermauerung hermeneutischer Verstehens- und Interpretationsprozesse, feines Sensorium für rhetorisch-stilistische Individualität im Original und Translat - beides vereint in einer grundlegend anthropologischen Perspektive, die das Humanum in der Translation würdigt. Dem Phänomen der übersetzerischen Kreativität bringt Alberto Gil in seinen Studien zur Translation eine besondere Aufmerksamkeit entgegen. Aus seinen Reflexionen und den mit Feingespür durchgeführten translatologischen Analysen greifen wir einen Gedanken heraus, der das anskizzierte Bild der unterschiedlichen Zugänge zu dem hier zur Diskussion stehenden Phänomen um einen weiteren Aspekt bereichert: Kreativität als zentrale Größe in der Definierung des Verhältnisses von Original und Übersetzung. Die Beschäftigung mit dem Problem der Kreativität schärft zunächst einmal den Blick auf das Translat: <?page no="13"?> Kreativität-- Verstehen-- Interpretation 13 Ein Übersetzer, der das Wagnis des Kreativseins eingeht, schafft in der Zielsprache ein gleichwertiges Werk, dem u. U. eine „Eigenidentität” (Gil 2015: 146) zugesprochen werden kann. Zugleich schärft die Kreativität der Übersetzung den Blick auf das Original, denn im kreativen Akt des Übersetzens können „tiefere Schichten des Originals freigelegt werden, die sonst nur im Bereich der Ausdruckspotentialität geblieben wären” (Gil 2015: 152). Die Bidirektionalität dieses Verhältnisses wertet beide Texte auf und zeichnet zugleich ein ausdifferenziertes Bild von der Translation ab. Der Titel des Bandes, der zu einer chiastischen Betrachtung des Verhältnisses von Hermeneutik und Kreativität im Übersetzen einlädt, greift diesen Gedanken des Jubilars auf und gibt ihn an die wissenschaftliche Community zur Reflexion weiter. Bibliographie Atayan, Vahram / Wienen, Ursula (Hrsg.) (2012): Sprache - Rhetorik - Translation. Festschrift für Alberto Gil zu seinem 60. Geburtstag . Frankfurt a. M.: Peter Lang. Gil, Alberto (2007): „Hermeneutik und Übersetzungskritik. Zu Jorge Luis Borges’ Pierre Menard, autor del ‚Quijote’ ”. In: Gil, Alberto / Wienen, Ursula (Hrsg.): Multiperspektivische Fragestellungen der Translation in der Romania . Frankfurt a. M.: Peter Lang, 313-330. Gil, Alberto (2009): „Hermeneutik der Angemessenheit. Translatorische Dimensionen des Rhetorikbegriffs decorum ”. In: Cercel, Larisa (Hrsg.): Übersetzung und Hermeneutik - Traduction et herméneutique . Bukarest: Zetabooks, 317-330. Gil, Alberto (2012): „Mimesis als rhetorisch-translatorische Größe. Ein Beitrag zur hermeneutisch orientierten Übersetzungstheorie“. In: Cercel, Larisa / Stanley, John (Hrsg.): Unterwegs zu einer hermeneutischen Übersetzungswissenschaft. Radegundis Stolze zu ihrem 60. Geburtstag . Tübingen: Narr, 153-168. Gil, Alberto (2014): „Kreativität und Problemlöseverfahren als translatologische Größen, am Beispiel der spanischen Übersetzung von Herta Müllers Atemschaukel ”. In: Kunz, Kerstin / Teich, Elke / Hansen-Schirra, Silvia / Neumann, Stella / Daut, Peggy (Hrsg.): Caught in the Middle - Language Use and Translation. A Festschrift for Erich Steiner on the Occasion of his 60th Birthday . Saarbrücken: universaar, 129-145. Gil, Alberto (2015): „Translatologisch relevante Beziehungen zwischen Hermeneutik und Kreativität am Beispiel der Übertragungskunst von Rainer Maria Rilke”. In: Gil, Alberto / Kirstein, Robert (Hrsg.): Wissenstransfer und Translation. Zur Breite und Tiefe des Übersetzungsbegriffs . St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag, 143-162. Gil, Alberto (im Druck): „Übersetzen als multifunktionale Texttransformation. Ein Grundsatzreferat aus der Perspektive der Übersetzungshermeneutik”. In: Klees, Christian / Kugelmeier, Christoph (Hrsg.): Von der Erzählung zum dramatischen Spiel. Wandlungen von Sprache und Gattung von Vergil bis in die Moderne . Saarbrücken: Alma Mater. <?page no="15"?> Kreativität-- Verstehen-- Interpretation 15 I. Rhetorik und Literatur <?page no="17"?> Interpretatio-- imitatio-- aemulatio 17 Interpretatio- - imitatio- - aemulatio: Die Stellung der Übersetzung (im engeren und weiteren Sinn) im Lehrgebäude der klassischen Rhetorik Jörn Albrecht (Heidelberg) Abstract: In the course of history, rhetoric has undergone a mutation from an art of discourse that aims to improve the capability of speakers to persuade an audience to an art of literary discourse that aims to improve the capability of writers to produce aesthetically perfect texts . The article examines the role of translation in this process, especially as an auxiliary discipline in the context of the trivium , the three medieval arts of the ‘humanities’: grammar, dialectic (logic) and rhetoric. Emphasis is laid on two traditional forms of ‘free’ translation in antiquity: imitatio , an author’s conscious use of features and characteristics of an earlier work, and aemulatio , a form of translation which might surpass the original in artistic value. The first one is illustrated with the example of a poem by Giacomo Leopardi, inspired by a French model; the latter one is exemplified comparing the episode of the “three drops of blood in the snow” in Perceval by Chrétien de Troyes and Parzival by Wolfram von Eschenbach. Keywords: Rhetoric, poetics, trivium, imitatio, aemulatio. In einem neueren französischen Roman, der sich wie ein Kriminalroman gibt, ohne wirklich einer zu sein, spielen Personen bulgarischer Staatsangehörigkeit oder Herkunft eine herausragende Rolle. Neben bewusst klischeehaft gezeichneten schnauzbärtigen Agenten, die vor nichts zurückzuschrecken scheinen, und dem Fahrer eines Lieferwagens, der mit starkem slawischen Akzent seine Unschuld an einem bedauernswerten Unfall beteuert, obwohl er den berühmten Semiologen Roland Barthes in der rue des Écoles wohl nicht rein zufällig überfahren hat, tritt auch Julia Kristeva auf den Plan. Von Intertextualität oder Polyphonie ist dabei nicht die Rede; Kristeva wird als vorbildliche Hausfrau präsentiert, die ihrem geckenhaften Gatten Philippe Sollers einen sauté de veau vorsetzt. Julenka, wie ihr Vater sie zärtlich nennt, scheint, wie einige andere auch, etwas über ein nach dem Unfall Roland Barthes’ verschwundenes Dokument zu wissen, das, wenngleich es von einer bisher selbst von Roman <?page no="18"?> 18 Jörn Albrecht Jakobson noch nicht entdeckten Sprachfunktion handelt, darüber hinaus von einiger politischer Brisanz zu sein scheint. Selbst Giscard d’Estaing zeigt sich beunruhigt. Leider kann dieser Erzählstrang hier nicht weiter verfolgt werden, denn nun tritt eine weitere Persönlichkeit bulgarischer Herkunft in Erscheinung, die uns - gerade noch rechtzeitig - dem im Titel angekündigten Thema näher bringt. Kein Geringerer als Tzvetan Todorov äußert seine Ansichten zur Rhetorik. Diese sei, so der „maigrichon à lunettes affublées d’une grosse touffe de cheveux frisés“, in ihrem Ursprung in eine lebendige Demokratie eingebettet gewesen und habe ausschließlich dazu gedient, die anderen zu überzeugen (gelegentlich auch zu überreden) und Mehrheiten für die eigene Position zu gewinnen. Das habe sich zur römischen Kaiserzeit und im europäischen Feudalismus grundlegend geändert: On n’attendait plus du discours qu’il soit efficace mais simplement qu’il soit beau. Aux enjeux politiques se sont substitués des enjeux purement esthétiques. En d’autres termes, la rhétorique est devenue poétique. (C’est ce qu’on a appelé la seconde rhétorique .) (Binet 2015: 185 f.) Es ist schwer zu entscheiden, ob die hier erkennbare Verengung des Begriffs der Rhetorik auf die elocutio dem ‚wirklichen‘ Todorov oder nicht eher dem Autor geschuldet ist, der ihm diese Äußerung in den Mund legt. Wie dem auch sei, um diese ‚zweite‘ Rhetorik, die sich stark auf die Produktion von Texten und weit weniger auf deren Wirkung konzentriert, wird es auch hier gehen; von Pathos oder Ethos wird kaum die Rede sein. In dem Moment, in dem die Übersetzung als Hilfsdisziplin der Rhetorik auftritt, weist diese bereits eine starke Affinität zum Medium der Schrift auf; der nach allen Regeln der Kunst ausgestaltete Text ist mehr und mehr für Leser anstatt für Hörer bestimmt (vgl. Albrecht 2014: 426). In den folgenden beiden Abschnitten muss der Übersichtlichkeit halber zunächst an einige wohlbekannte Fakten erinnert werden, bevor dann im dritten Abschnitt der Versuch unternommen werden soll, auf die freieren Formen der Übersetzung innerhalb des Lehrgebäudes der Rhetorik einzugehen. 1 Rhetorik und Übersetzung in der Antike Für den mit diesem kurzen Aufsatz verfolgten Zweck genügt es, mit der gebotenen Knappheit auf zwei römische Autoren einzugehen, die sich zu Fragen der Übersetzung mit ausdrücklichem Bezug zur Rhetorik geäußert haben, auf Cicero und Quintilian. <?page no="19"?> Interpretatio-- imitatio-- aemulatio 19 1.1 Marcus Tullius Cicero Es gibt kaum einen Abriss der Übersetzungsgeschichte, und sei er noch so knapp, in dem nicht Ciceros Abhandlung De optimo genere oratorum (Cicero 1976 [46 v. Chr.]) Erwähnung finden würde. Neuesten Forschungen zufolge stammt dieser Text möglicherweise gar nicht von ihm (vgl. Albrecht 2014: 426 Anm. 2). Cicero legt dort Rechenschaft ab über zwei (leider nicht überlieferte) Übersetzungen, die er von Reden des Aischines und des Demosthenes angefertigt habe, um zu zeigen, wie rhetorisch ansprechende Reden in lateinischer Sprache gestaltet werden könnten. Da Cicero bei der Schilderung seines Vorgehens versichert, er sei bei seiner Übertragung nicht wie ein Übersetzer, sondern wie ein Redner verfahren, i.e. er habe seine Vorlage mit eigenen Worten frei nachgebildet, wurden seine Ausführungen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - als ein Plädoyer für die „freie Übersetzung“ generell (miss)verstanden. Es ist hier nicht der Ort, auf diese Fehldeutung einzugehen (vgl. Albrecht 2010). Hier interessiert nur, dass der Meister der „goldenen Latinität“ zumindest indirekt den freien Umgang mit fremdsprachlichen Texten (vgl. infra 3) zur Förderung der eigenen Ausdrucksfähigkeit empfiehlt. 1.2 Marcus Fabius Quintilianus Bei Quintilian geschieht dies in expliziterer Form, wenn dabei auch nicht die freie Übersetzung ins Spiel kommt, zumindest nicht ausdrücklich. Durch ihn wird die Eingliederung der Übersetzung in das System der septem artes liberales , genauer gesagt in das sog. Trivium vorbereitet (vgl. Albrecht 2009: 875 und infra Abschnitt 2). Im zehnten Buch seiner Institutio oratoria weist er darauf hin, dass schon die alten römischen Redner ( veteres nostri oratores ) das Übersetzen aus dem Griechischen ( vertere Graeca in Latinum ) für eine ausgezeichnete Übung zur Schulung der eigenen Ausdruckfähigkeit erachtet hätten (Quintilian 1988: Buch X, 5, 1-4). Die Inanspruchnahme der Übersetzung in die Muttersprache zur Schulung der eigenen Ausdrucksfähigkeit (später auch zur Bereicherung der Zielsprache) sollte später zu einem Topos werden, der sich in zahlreichen Rhetoriken, Poetiken und Grammatiken findet (vgl. Albrecht 1998, Kap. 4.3). Leider ist diese frühe und über Jahrhunderte hindurch überlieferte Erkenntnis in der modernen Sprachdidaktik weitgehend verloren gegangen (vgl. Albrecht 2009: 884). <?page no="20"?> 20 Jörn Albrecht 2 Die Stellung der Übersetzung im Kreis der freien Künste Übersetzungstheoretische Traktate erscheinen nicht selten als Teile umfangreicherer Arbeiten, die eine der Disziplinen des Triviums im System der freien, d. h. eines freien Mannes würdigen (vgl. Moos 2009: 800), Künste behandeln. Der katalanische Humanist Juan Luis Vives veröffentlichte seine Abhandlung „Versiones seu interpretationes“, auf die zurückzukommen sein wird, als Schlusskapitel seiner Rhetorik De ratione dicendi (Vives 1993 [1532]). Johann Christoph Gottsched, einer der letzten der deutschen Gelehrten, die sich der klassischen Rhetorik verbunden fühlte, bringt seine übersetzungstheoretischen Überlegungen ebenfalls in einem Kapitel seiner Rhetorik, der Ausführlichen Redekunst unter (Gottsched 1975 [1736]). Justus Georg Schottel[ius] behandelt jedoch die Übersetzung als Teil der Grammatik. In seiner Ausführliche[n] Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache ist ein Kapitel mit „Wie man recht verteutschen sol“ überschrieben (Schottelius 1967 [1663]). Es empfiehlt sich also, das Verhältnis zwischen der Grammatik, der Rhetorik und nicht zuletzt der Poetik, die einen Sonderstatus einnimmt, etwas genauer in den Blick zu nehmen. Das ‚Untergeschoss‘ der sieben freien Künste, das zur Blütezeit dieses Bildungssystems keineswegs als „trivial“ angesehene Trivium, besteht aus Grammatik, Dialektik (statt Dialektik gelegentlich auch Logik) und Rhetorik. Zwar lassen sich diese Disziplinen inhaltlich nicht klar trennen, jedoch besteht zwischen ihnen eine Reihenfolgebeziehung. Ernst Robert Curtius zitiert in diesem Zusammenhang einen mittelalterlichen Merkvers, der den Aufbau des gesamten Gebäudes der freien Künste betrifft: Gram. loquitur; Dia. vera docet; Rhe. verba ministrat; Mus. canit; Ar. numerat; Geo. ponderat; As. colit astra. (Zit. n. Curtius 2 1954: 47) Dabei wird die Reihenfolge nicht selten als eine Rangordnung interpretiert, die sich den jeweils verfolgten Zwecken unterordnen lässt: Im Hinblick auf dignitas steht die Rhetorik, im Hinblick auf necessitas jedoch die Grammatik an oberster Stelle (vgl. Albrecht 2009: 876). Im praktischen Lehrbetrieb entwickelt sich eine Tradition, die sich - in späteren Jahrhunderten völlig losgelöst von ihren Ursprüngen im Trivium - in der Sprachdidaktik bis ins 20. Jahrhundert behauptet hat: Die Übersetzung in die Fremdsprache (frz. thème ) steht im Dienst der Grammatik, der ars recte loquendi ; die Übersetzung in die ‚eigene‘ Sprache (frz. version ) in dem der Rhetorik, der ars bene dicendi (vgl. Albrecht 2014: 428 f.), die schon früh zu einer ars copiose et ornate scribendi geworden war (Albrecht 2007: 1080). Dabei spielen, wie noch zu zeigen sein wird, neben der interpretatio <?page no="21"?> Interpretatio-- imitatio-- aemulatio 21 im engeren Sinn freiere Formen wie die imitatio und die aemulatio eine große Rolle. 2.1 Die Rhetorik als Lehrmeisterin der Übersetzung: Texttypologie und Übersetzungsstrategie Die Überzeugung, dass die beim Übersetzen anzuwendende Strategie vom Typ des zu übersetzenden Textes abhängt, gilt gemeinhin als Erkenntnis der neueren Übersetzungswissenschaft; sie gehörte jedoch bereits in der Antike zum festen Inventar rhetorischer Lehrmeinungen. Zugrunde lag eine nicht ganz leicht nachzuvollziehende Unterscheidung von res und verba , die sich in derjenigen zwischen figurae elocutionis und figurae sententiae widerspiegelt (vgl. Lausberg 1963: 81-154). Die einen sind dem Bereich der elocutio , die anderen dem der inventio zuzuordnen, doch müssen auch die „Gedankenfiguren“ im Rahmen der elocutio behandelt werden, da sie ebenfalls durch Wörter ausgedrückt werden. Der Unterscheidung zwischen res und verba entspricht derjenigen von unterschiedlichen Texttypen ( materiae oder auctores ), die besonders klar von Pierre- Daniel Huet (1630-1721) ausgearbeitet wurde. Er korreliert die auctores mit den drei ersten Produktionsstadien der Rede: Die historici berichten über tatsächlich vorgefallene Ereignisse, bei ihnen hat der Übersetzer die inventio und die dispositio zu bewahren, bei der elocutio hat er freie Hand. Bei den rhetores und den poetae geht es in erster Linie um den sprachlichen Ausdruck; er muss im Rahmen der elocutio unter Beachtung der Angemessenheit ( aptum ) besonders sorgfältig übertragen werden (vgl. Rener 1989: 182-257; Schneiders 1995: 55). Ein gutes Jahrhundert früher hatte Juan Luis Vives eine auf den gleichen Prinzipien beruhende, jedoch subtilere Typologie vorgeschlagen. Er unterscheidet (im Hinblick auf die Übersetzung): • Texte, bei denen es nur auf den allgemeinen Inhalt ankommt ([ ubi ] solus spectatur sensus ); • Texte, bei denen es vor allem auf die Formulierung ankommt ( sola phrasis et dictio ); • Texte, bei denen es auf beides ankommt ( ubi res et verba ponderantur ). (Vgl. Vives 1993 [1532]: 232; Coseriu 1971: 573). Selbstverständlich spielt die „Dreistillehre“ ( genera elocutionis oder dicendi ) auch bei der Behandlung der Übersetzung innerhalb der Rhetorik eine Rolle. Der Übersetzer hatte darauf zu achten, in welchem genus ( humile , medium oder sublime ) sein Text abgefasst war und dementsprechend zu verfahren. Dabei wurde manchmal die Grenze der Einzelsprachen überschritten: Im Zeitalter des „vertikalen“ Übersetzens wurde ein descensus , z. B. eine Übersetzung vom <?page no="22"?> 22 Jörn Albrecht Lateinischen ins Deutsche, als Gattungswechsel betrachtet; der deutsche Text gehörte notwendigerweise dem genus humile an (vgl. Albrecht 2011: 2596). 2.2 Rhetorik und Poetik Für Aristoteles war die Poetik im Gegensatz zur Rhetorik eine ausschließlich den sprachlichen Ausdruck betreffende Disziplin. Wo immer Denkinhalte innerhalb der Poetik berührt wurden, galt die Rhetorik als zuständig: Über alles andere ist damit gehandelt, es bleibt nur noch zu reden über Sprache und Denkweise. Die Denkweise soll in den Büchern über die Redekunst niedergelegt sein, da sie ihrem Verfahren viel näher liegt. (Aristoteles 1959: 85 = Poetik 19 1456a) Nun hat sich, wie wir in der Einführung aus dem Munde des fiktiven Tzvetan Todorov erfahren haben, in der Geschichte der Rhetorik der Schwerpunkt des Interesses von den res (oder besser rebus ) auf die verba verlagert. Rem tene , verba sequentur soll Cato gesagt haben, wie der Verfasser einer Rhetorik aus dem 4. Jahrhundert berichtet. Zu dieser Zeit fand eine solche Devise noch uneingeschränkte Zustimmung. Mit der Annäherung der Rhetorik an die Poetik, an die „seconde rhétorique“, wie sie unser Pseudo-Todorov nennt, gerät sie zumindest außerhalb der schöngeistigen Milieus zunehmend in Misskredit, wie der abschätzige Ausdruck „reine Rhetorik“ bezeugt. Andererseits entwickelt sich die Übersetzung im Zuge dieser Entwicklung von einem wenig geschätzten Handwerk (Cicero spricht immer einmal wieder abschätzig von den interpretes indiserti ) zu einer Kunstform. Nicht nur die Übersetzung im engeren Sinn, die interpretatio , sondern auch die freieren Formen wie imitatio und aemulatio geraten in den Umkreis jener „zweiten Rhetorik“: Dichten wird als gelehrte Auseinandersetzung ( imitatio / aemulatio ) mit den Texten vorbildhafter Dichter (vor allem der Antike) verstanden. Im Ideal des poeta doctus vereinigen sich umfassende Kenntnis der Sachen (Wissenschaften) und der poetischen und rhetorischen Theorie, wie es die römischen Rhetoriker auch vom Redner fordern (Till 2005: 145; vgl. ebenfalls Till 2003: 1305 f.). 3 Der freie Umgang mit fremdsprachlichen Texten: imitatio und aemulatio Bei dem freien Umgang mit Textvorlagen, von denen nun die Rede sein soll, ist es im Grunde unerheblich, ob damit ein Sprachwechsel verbunden ist oder nicht. Gérard Genette, der in dem Roman, der uns in unser Thema eingeführt hat, beim Begräbnis von Roland Barthes als vergleichsweise seriöser Gelehrter an der <?page no="23"?> Interpretatio-- imitatio-- aemulatio 23 Seite Todorovs in Erscheinung tritt, spricht in diesem Fall von Transtextualität (Genette 1982: 7). Alle drei Formen des Umgangs mit fremdsprachlichen Texten kommen auch ohne Sprachwechsel vor: die interpretatio als „Interpretation“ im modernen Verständnis bzw. als intralinguale Übersetzung im Sinne Roman Jakobsons (1959); die imitatio als „Nachdichtung“ oder „Bearbeitung“ im herkömmlichen Sinn, die aemulatio als „augmentative Bearbeitung“, mit der die Vorlage übertroffen werden soll (vgl. Schreiber 1993: 263 ff.). In den folgenden Abschnitten sollen die beiden freien, mit Sprachwechsel verbundenen Formen des Umgangs mit einer Textvorlage jeweils anhand eines einzigen Beispiels illustriert und kommentiert werden. 3.1 Giacomo Leopardi Das folgende Gedicht figuriert seit der Werkausgabe von 1835 als Nummer XXXV in Leopardis Canti : Imitazione Lungi dal proprio ramo, povera foglia frale, dove vai tu? - Dal faggio là dov’io nacqui, mi divise il vento. Esso, tornando, a volo dal bosco alla campagna, dalla valle mi porta alla montagna. Seco perpetuamente vo pellegrina, e tutto l’altro ignoro. Vo dove ogni altra cosa, Dove naturalmente Va la foglia di rosa, E la foglia d’alloro. Es handelt sich um die Nachdichtung - als poeta doctus hat Leopardi den Titel Imitazione sicher bewusst gewählt - einer „Fabel“ des heute fast völlig vergessenen Lyrikers, Dramatikers und (vor allem) Politikers Antoine-Vincent Arnault (1766-1834): La Feuille De la tige détachée, pauvre feuille desséchée, où vas-tu ? - Je n’en sais rien. <?page no="24"?> 24 Jörn Albrecht L’orage a brisé le chêne qui seul était mon soutien. De son inconstante haleine, le zéphir ou l’aquilon depuis ce jour me promène de la forêt à la plaine, de la montagne au vallon ; je vais où le vent me mène sans me plaindre ou m’effrayer ; je vais où va toute chose, où va la feuille de rose et la feuille de laurier. Leopardi soll diesen Text im Jahre 1818 in einer Zeitschrift gelesen und angeblich nichts über den Verfasser gewusst haben. So geriet er gar nicht erst in Versuchung, die für zeitgenössische französische Leser unmittelbar zu entschlüsselnden biographischen Anspielungen auch in seiner Nachdichtung erkennbar zu machen: Bei der geborstenen Eiche handelt es sich um Napoleon, nach dessen Sturz sich der Dichter für einige Zeit ins Exil begeben musste. Ein gewissenhafter Vergleich der beiden Texte ist im Rahmen eines kurzen Aufsatzes nicht möglich; einige generische Hinweise müssen genügen: Einer metrisch relativ strengen Vorlage mit einem ziemlich komplizierten Reimschema, bei dem die Alternanzen zwischen männlichem und weiblichem Reim viel zur Wirkung beitragen, steht eine um zwei Verse verkürzte ‚freie‘ Strophe gegenüber, in die sich endecasillabi (Verse 4, 7, 9) ähnlich wie unregelmäßig auftretende Reime gewissermaßen ‚beiläufig einschleichen‘. Der Wechsel von der martialischen Eiche zu der mit weniger Konnotationen behafteten Buche trägt mit dazu bei, der imitatio einen im Vergleich zur Vorlage nüchterneren und intimeren Charakter zu verleihen. Das muss zur Charakterisierung genügen. Wichtiger sind in dem Zusammenhang, um den es hier geht, die äußeren Umstände. In der Literatur zu Leopardi wird der Titel imitazione öfter mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Warum hat er nicht einfach von ‚Übersetzung‘ gesprochen? Das scheint darauf hinzudeuten, dass zumindest den späteren Kritikern der rhetorisch-poetische Fachausdruck nicht mehr geläufig war. Hätte Leopardi sein Gedicht unter dem Titel traduzione in die Ausgabe seiner Canti aufnehmen können? Wohl kaum. Es musste schon im Titel darauf hingewiesen werden, dass es sich um einen Text handelt, der als eigenständiges Werk des Verfassers gelten darf. Noch heute gibt es in der Rechtsprechung eine klar ausgeprägte Tendenz, nur ‚freie‘ Übersetzungen als schutzwürdiges geistiges Eigentum anzuerkennen (vgl. Körkel 2016). <?page no="25"?> Interpretatio-- imitatio-- aemulatio 25 In einer Ausgabe ausgewählter Werke von Leopardi in deutscher Übersetzung findet sich auch die Imitazione unter dem Titel Nachahmung (Leopardi 1978: unpaginiert = 262-263). Die französische Vorlage wurde immerhin mit abgedruckt. Hätte die „Übersetzung einer Übersetzung“ dort Platz finden können? 3.2 Wolfram von Eschenbach und die drei Blutstropfen im Schnee Bei den Nachdichtungen französischer romans courtois durch deutsche Autoren im Mittelalter hat man davon auszugehen, dass ein großer Teil des Publikums, das dem mündlichen Vortrag der Versromane lauschte, die französischen Vorlagen kannte. Stieß der deutsche Dichter auf einen Passus, der in der französischen Vorlage besonders gut gelungen schien, begnügte er sich oft mit einer knappen Zusammenfassung. Sein ganzer Ehrgeiz galt den Passagen, die in der Vorlage nur wenig ausgearbeitet waren. Hier konnte er den kundigen Zuhörern zeigen, wozu er selbst im Stande war. Huby spricht in diesem Zusammenhang von einer règle de compétition (vgl. Huby 1968: 205; Werdermann 1998: 99). Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für diese Form der aemulatio hat Wolfram von Eschenbach mit seiner Ausarbeitung der Episode von den drei Blutstropfen im Schnee geliefert. Bei Chrétien handelt es sich um einen schlichten, nur von knappen Kommentaren durchsetzten Bericht, der vor allem dadurch authentisch wirkt, dass er den Eindruck erweckt, man müsse so etwas selbst erlebt haben, dergleichen könne man sich nicht ausdenken: Eines Morgens fand sich der umherirrende Perceval auf einer Wiese am Rand eines Waldes wieder. Es lag Schnee, denn er befand sich in einem kalten Landstrich ( Que froide estoit molt la contrée ; V. 4097). Er sieht eine Schar von Wildgänsen, vom Schnee geblendet, die von einem Falken verfolgt wurden. Dieser stürzte sich auf eine der Gänse, die sich ein wenig von den anderen entfernt hatte und schlug sie zu Boden, ließ jedoch gleich wieder von ihr ab. Sie war am Hals verletzt und verlor drei Tropfen Blut, die in den Schnee fielen ( la gente fu navree el col / Si saigna III goutes de sang / Qui espandirent sor lo blanc,/ Si senbla naturel color ; V. 4120-4123). Die Gans war jedoch nicht ernsthaft verletzt und konnte weiterfliegen. Erst jetzt tritt der allwissende Erzähler in Erscheinung, der weiß, was in seinem Helden vorgeht. Perceval betrachtet auf seine Lanze gestützt die Blutstropfen im Schnee und wird durch das Farbenspiel an seine ferne Geliebte erinnert (V. 4141-4144). Bei Wolfram wird aus dieser Episode ein um etwa zwanzig Verse vermehrtes raffiniertes Gemisch aus Bericht und Kommentaren des Erzählers. Schon der Schnee wird nicht knapp auf das rauhe Klima der Gegend zurückgeführt, sondern als ungewöhnliches Ereignis dargestellt. Dabei bringt der Autor die bei Chrétien nie in Frage gestellte Authentizitätsfiktion ins Wanken, indem er sich <?page no="26"?> 26 Jörn Albrecht selbst als Erzähler ins Spiel bringt ( ez enwas iedoch niht snêwes zît, istz als ichz vernomen hân ; 281, 14 f.), und er lässt seine Hörer / Leser auch nicht darüber im Zweifel, dass es sich hier nicht um einen nüchternen Bericht, sondern um eine ziemlich absonderliche Geschichte handelt ( diz mǣre ist hie vast undersniten / ez pariert sich [„mischt sich“] mit snêwes siten ; 281, 21 f.). Und auch mit der schlichten Erwähnung eines Falken gibt sich Wolfram nicht zufrieden. Bei ihm gehört der Falke zu König Artus’ und seinen Rittern, die sich in der Nähe aufhielten (was Parzival nicht weiß) und war abends nicht heimgekehrt, weil er zu viel zu fressen bekommen hatte ( von überkrüphe daz geschah ; 281, 29). Hier wendet sich ein in der Falknerei bewanderter Erzähler augenzwinkernd an ein fachkundiges Publikum. Die wenigen Verse, mit denen Chrétien schildert, wie die roten Farbflecke im weißen Schnee für Perceval das Bild seiner Geliebten evozieren, wird schließlich bei Wolfram zu einer längeren ‚polyphonen‘ Meditation ausgestaltet, bei der die Stimme des Erzählers mit der seines Protagonisten verschmilzt. Wolfram folgt an dieser Stelle, sicherlich ohne es zu wissen, einer Aufforderung, die Horaz in seiner sog. ars poetica (Epistula ad Pisones) an die Dichter gerichtet hat. Es handelt sich dabei nicht, wie bis heute immer wieder irrtümlich behauptet wird, um ein Plädoyer für die ‚freie Übersetzung‘, sondern um eine Ermunterung zur aemulatio : Publica materies privati iuris erit, si Non circa vilem patulumque moraberis orbem Nec verbum verbo curabis fidus Interpres nec desilies imitator in artum, unde pedem proferre pudor vetet aut operis lex… (Horaz 1967: 238) In freier Paraphrase unter Berücksichtigung des hier nicht wiedergegebenen Kontexts: Für den Dichter, der das Publikum von seinen Fähigkeiten überzeugen will, ist es oft wirkungsvoller, sich nicht mit einem selbst erfundenen, sondern mit einem allgemein bekannten Stoff vorzustellen. Dabei darf er sich allerdings nicht genau an seine Vorlage halten, wie ein gewissenhafter Übersetzer, und auch als Nachahmer darf er keine Scheu vor eigenwilligen Abweichungen zeigen. 4 Rückblick und Ausblick Kehren wir nochmals zu Todorovs seconde rhétorique zurück, die eng mit dem Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit verbunden ist. Unser Jubilar hat sich Gedanken dazu gemacht. Er stellt einen Bezug zur Übersetzung her, der bisher noch nicht behandelt wurde: <?page no="27"?> Interpretatio-- imitatio-- aemulatio 27 Die rhetorische Leistung der öffentlichen Rede erfährt durch ihre schriftliche Ausformulierung eine weitere künstlerische Verarbeitung, der die Intention zugrunde liegen dürfte, mit den Mitteln der Schrift die mündliche Wirkung zu evozieren und sogar zu erhöhen. Diese doppelte Steigerung des Künstlerischen stellt den translatorischen Prozess vor besondere Zwänge, die vornehmlich mit der Wiedergabe ausgefeilter rhetorischer Mittel in einer anderen Sprachkultur zu tun haben. Insbesondere interessiert also die Frage, welche sprachlichen Kunstgriffe sich eher übertragen lassen, weil sie als allgemein rhetorisch einzustufen sind, und welche translatorische Barrieren bilden, die es zu überwinden gilt. (Gil 2012: 153 f.) Hier geht es weder um die Übersetzung im Dienste der Rhetorik noch um die Rhetorik als Lehrmeisterin der Übersetzung, sondern um den rhetorisch ausgefeilten Text als Gegenstand der Übersetzung, als Übersetzungsproblem. Alberto Gil interessiert sich weniger für die Fälle, in denen aufgrund einer langen gemeinsamen Tradition unter dem Dach der Latinität zumindest in den meisten europäischen Sprachen Äquivalente gewissermaßen gebrauchsfertig zur Hand sind, sondern für diejenigen, in denen „translatorische Barrieren“ auf einer höheren Ebene der Äquivalenz als der rein sprachlich-textlichen zu überwinden sind. Dieser Frage kann hier nicht weiter nachgegangen werden; sie gibt jedoch Anlass, zum Beginn dieses kurzen Beitrags zurückzufinden. In dem Moment, in dem die Rhetorik Gegenstand der Übersetzung wird, ist sie endgültig in der Poetik aufgegangen und zur Stilistik mutiert. Der Verfasser des Romans, der die Einleitung ins Thema geliefert hat, trägt diesem Umstand spielerisch Rechnung, vermutlich ohne damit eine gezielte Absicht zu verfolgen. Die „erste Rhetorik“, bei der es tatsächlich um etwas geht, bei der die Rede in erster Linie überzeugend zu sein hat, spielt dort eine große Rolle, aber nur noch als eine Art von Spiel, genauer, eine Art von sadistischem Gesellschaftsspiel. In einem geheimnisvollen Logos Club, der ähnlich wie die Freimaurerlogen über ganz Europa verteilt ist, disputieren zwei Kontrahenten über ein vorgegebenes Thema. Dabei geht es unter anderem auch, im Rahmen von Platons Schriftkritik, um Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit (cf. Binet 2015: 195-200). Der Gewinner erntet Ruhm und Ansehen, der Unterlegene verliert augenblicklich coram publico einen Finger. Nur dem, der es wagt, gegen den Grand Protagoras anzutreten, hinter dessen venezianischer Maske sich kein Geringerer als Umberto Eco verbirgt, und der dabei den Kürzeren zieht, nur dem widerfährt Schlimmeres: „Alors là, c’est plus cher“ bemerkt ein Eingeweihter sarkastisch (cf. Binet 2015: 439). Alberto Gil hätte im Logos Club sicherlich eine glänzende Figur abgegeben und wäre mühelos als Nachfolger Ecos in den Rang des Grand Protagoras aufgestiegen; doch dürfen wir alle froh darüber sein, dass er sich längst von der <?page no="28"?> 28 Jörn Albrecht agonalen Kunst der Überredung ab- und der friedlichen Kunst des Verstehens zugewandt hat. Wer in seinen zahlreichen Arbeiten blättert wird feststellen, dass es da noch viel weiterzuführen und auszuarbeiten gibt. Bibliographie Albrecht, Jörn (1998): Literarische Übersetzung. Geschichte - Theorie - Kulturelle Wirkung . Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Albrecht, Jörn (2007): „Sprachgebrauch“. In: Ueding, Gert (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik . Bd. 8. Tübingen: Niemeyer, 1073-1088. Albrecht, Jörn (2009): „Übersetzung“. In: Ueding, Gert (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik . Bd. 9. Tübingen: Niemeyer, 870-886. 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Rhetorically speaking, the translator’s task starts only at the third stage of text production (elocutio) whereas fully-fledged creative writers start out with finding a plot (inventio) and deciding on its structure (dispositio). On the other hand, the stage of elocutio (or style as it is called most of the time) may be considered to be the creative synthesis of any literary work, integrating not only the two preceding stages but also predetermining, or, at least, trying to influence the way a text is to be read aloud or performed silently in the future reader’s mind (pronuntiatio / actio). The German poet-philosopher Novalis (Friedrich von Hardenberg), a close friend of Friedrich and August Wilhelm Schlegel, considered style to be the rhetorical declamation inscribed into the text (“die schriftliche Stimme”), thus linking the traditional rhetorical approach with the modern age of anonymous readers. In the mainstream German tradition, starting with Herder, literary translators have consistently tried to imitate the “voice” of a text, combining a considerable amount of philological research with the creative art of coherent mental mimicry. The practical side of this approach is illustrated by examples taken from the well-known German translator Hans Wollschläger (1935-2007). Unfortunately, this great rhetorical tradition of literary translation has been ignored by most schools of modern translation theory, whether they were of structuralist, functionalist, or cognitivist origins. Small wonder, then, that literary translators often deny the usefulness of theory. There are, however, clear signs of a new and mutual learning process. Keywords: Literary translation, creativity, rhetoric, written voice, mimesis. <?page no="32"?> 32 Rainer Kohlmayer 1 Ist translatorische Kreativität ein punktuelles Phänomen? Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Gegenwart Kreativität angeboten und nachgefragt wird, hat etwas Diffuses, denn schließlich erlangte der Begriff erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ausgehend von den USA , seine unwiderstehliche Popularität. 1 Unter dem Stichwort ‚Kreativität‘ findet man im Historischen Wörterbuch der Philosophie von 1976 noch folgende Merkmalbeschreibung: Relative Übereinstimmung besteht, daß folgenreiche Produkte, die bezüglich des Erwartungssystems der sie auswertenden Gruppe neu sind und dieses Erwartungssystem modifizieren, Anspruch auf den Titel „kreativ“ haben. (Ritter / Gründer 1976, Bd. 4: 1194 f.) Aus der anspruchsvollen Merkmalliste - folgenreich , neu , systemverändernd - ist im heutigen Alltagsverständnis nur noch das Merkmal neu erforderlich, und zwar im Sinne einer Fähigkeit oder eines Produkts, auf einem x-beliebigen Gebiet Neues bzw. Innovatives zu bieten. Die schöpferische Kraft, die seit der Renaissance das ‚Genie‘ der großen Künstler und genialen Erfinder auszeichnete (und bis heute im nichtssagenden Klischee der ‚kongenialen‘ Übersetzung weiterlebt), ist - in kleiner Münze - zu einem festen Bestandteil unseres demokratischen Menschenbildes in der kapitalistischen Marktwirtschaft geworden. Habe den Mut, kreativ zu sein ist auch in der jungen Übersetzungswissenschaft zum Motto der Ausbilder geworden. Die bisherigen Wertmaßstäbe (Treue, Äquivalenz, Adäquatheit, Kompetenz usw.) wurden inzwischen vom pfiffigeren Leitbegriff Kreativität überholt. Hätte man in der obigen Merkmalbeschreibung von 1976 an Stelle von ‚Produkte‘ das Wort ‚Übersetzungen‘ eingefügt, wären höchstens ein Dutzend großer deutscher Übersetzungsleistungen in den Genuss des Prädikats ‚kreativ‘ gekommen, aber sicher keine schlauen Lösungen von Übersetzungsproblemen in Zeitungs- oder Fachübersetzungen, wie das heute (mit einem gewissen Recht) reklamiert wird. In seinem beliebten Ratgeberbuch Kreatives Übersetzen schreibt Kußmaul, die übersetzerische Kreativität, die er als besonderes Qualitätsmerkmal (und als Gegenbegriff zur bloßen Routine ) versteht, zeige sich bereits dort, wo aufgrund der Sprachverschiedenheiten eine nicht-wörtliche Wiedergabe gewählt würde (Kußmaul 2 2007: 13); folglich sei das Übersetzen eine „höchst kreative Tätigkeit“ (Kußmaul 2 2007: 16). Kußmaul hat jedoch eine ausgesprochen punktuelle Vorstellung von übersetzerischer 1 Floßdorf spricht bereits 1978 vom „Chaos der Kreativitätsforschung“ (Floßdorf 1978: 48). Seine höchst kritische Darstellung der Kreativitätsdefinitionen und -messungen aus Sicht der Frankfurter Schule ist bis heute nicht überholt (vgl. Fußnote 35). <?page no="33"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 33 Kreativität. 2 So zitiert er August Wilhelm Schlegels Übersetzung jener Stelle des Hamlet-Monologs, wo „sicklied o’er“ mit der Wortschöpfung „angekränkelt“ wiedergegeben wird, was ihm besonders kreativ vorkommt und den „Kern“ seiner Vorstellung von einer „kreativen Übersetzung“ betreffe (Kußmaul 2 2007: 30 f.). Aber hat Schlegel gerade hier nicht besonders wörtlich übersetzt? 3 Wie Shakespeare die Wortbildungsmöglichkeiten des Englischen ausreizt, so beutet Schlegel die Wortbildungsmittel des Deutschen aus und kreiert analog zum Wortbildungsmuster von angegilbt , angeglichen , angegraut , angeheitert , angewärmt usw. sein „von des Gedankens Blässe angekränkelt“. Wird aber wirklich der „Kern“ der literatur-übersetzerischen Kreativität erfasst, wenn der Übersetzer punktuell eine analoge Wortbildung wählt? Hätte Schlegel eine andere lexikalische Lösung gewählt oder kreiert ( infiziert , angesteckt , angeschminkt , angebleicht , angeschwächelt usw.), wäre dann seine Hamlet-Übersetzung weniger kreativ? Die Literaturübersetzer gehen mit dem positiven Prädikat ‚kreativ‘ (bisher) etwas zurückhaltender um. Symptomatisch ist da vielleicht der untertreibende Buchtitel Gutes Übersetzen. Neue Perspektiven für Theorie und Praxis des Literaturübersetzens , hrsg. von Albrecht Buschmann (2015). 4 Dass gutes / kreatives Übersetzen von Literatur keinesfalls nur mit einzelnen schwierigen Stellen und 2 Das gilt ebenso für die Grazer Dissertation von Bayer-Hohenwarter (2012). Da die Autorin keine literarischen Texte bespricht, brauche ich hier nicht weiter auf ihre Messergebnisse einzugehen. Übrigens bestreite ich nicht, dass sie (ebenso wie Kußmaul) eine punktuelle translatorische Kreativität sehr präzise erfasst hat. Und ihre Schlussfolgerung, dass die Kreativität kompetenzabhängig sei (Bayer-Hohenwarter 2012: 299-302), ist überzeugend und legt den Gedanken nahe, dass zur erwartbaren Übersetzungs-Kompetenz eben auch eine gewisse sprachliche Flexibilität und Kreativität gehört. (Aber wer hat das eigentlich bezweifelt? ) 3 Frank Günther ist mit „überkränkelt“ noch einen Hauch näher am Original. Shakespeares „And thus the native hue of resolution / Is sicklied o’er with the pale cast of thought“ wird bei Günther zu: „So wird die angeborne Farbe der Entschlußkraft / Siech überkränkelt von Gedankens Blässe“ (Shakespeare 1995: 135 f.). 4 In dem Sammelband befasst sich nur der Aufsatz von Andris Breitling explizit mit übersetzerischer „Kreativität“, wobei er sich besonders auf Ricœurs Hermeneutik stützt. Er sieht den Literaturübersetzer als „Diener zweier Herren“ (89), der auf der Ebene der Phonetik, der Syntax, des Lexikons immer wieder „Vergleichbares“ (99) konstruieren müsse; Innovationen setzten eine Ethik der „sprachlichen Gastfreundschaft“ (106) voraus. Annette Kopetzki berichtet über „Übersetzen als Interpretieren“, „Übersetzen als ästhetische Praxis“ und „Übersetzung als Mimesis“ (74-81) auf eine Art, die zeigt, dass ihre theoretischen Überlegungen und ihre künstlerische Praxis (über 100 übersetzte Romane, Gedichte, Essays und Sachbücher) aus einem Guss sind. Auch die Aufsätze von Dorota Stroiṅska („Sinn und Sinnlichkeit. Warum literarisches Übersetzen eine Kunst ist“), Frank Heibert („Wortspiele übersetzen. Wie die Theorie der Praxis helfen kann“) sowie das Plädoyer Buschmanns „für eine praxisnahe Theorie des Übersetzens“ (177-190) liefern solide Bausteine für eine zeitgemäße Poetik des Literaturübersetzens. <?page no="34"?> 34 Rainer Kohlmayer punktuellen Lösungen , wie Kußmaul sie in unermüdlicher Genauigkeit bespricht und Bayer-Hohenwarter sie in aufwendigen Verfahren misst und sortiert, gleichzusetzen ist, kommt mir als Literaturübersetzer und Übersetzungstheoretiker offensichtlich vor. Kreatives Literaturübersetzen hat auch mit lebendiger Mündlichkeit, mit Performanz, mit Einfühlungsvermögen, mit ästhetischer Kompetenz, mit Mimesis, mit Kunst zu tun, mit Gesichtspunkten jedenfalls, die bei Kußmaul und Bayer-Hohenwarter, die sich ja auf die Auswertung von Think-aloud-Protokollen ihrer Studierenden beschränkten, gar nicht vorkommen können . 5 Im Folgenden soll daher über die kreativen Spielräume beim Literaturübersetzen weniger punktuell nachgedacht werden, wobei wir uns von der Rhetorik leiten lassen. Dass Rhetorik und Übersetzen seit Ciceros „ut orator“ enge Verwandte sind, ist allgemein bekannt; 6 aber der Begriff ‚Kreativität‘ oder ‚Originalität‘ spielt in der Rhetorik keine Rolle; das Stichwort fehlt daher auch im zwölfbändigen Historischen Wörterbuch der Rhetorik . In der deutschen Literatur der Neuzeit wurde die Rhetorik niemals mit Originalität und Innovation assoziiert, eher mit dem Gegenteil, also mit klischeehaften und einengenden Vorschriften, die man bei der Herstellung einer Rede oder eines Textes zu beachten hätte. Die Schubladen und Schemata der rhetorischen Mittel und Techniken schienen die kreativen Einfälle eher abzuschrecken als aufzuwecken. Man braucht nur an die Rebellion des Sturm-und-Drang zu denken, als in einer antirhetorischen Kulturrevolution der traditionelle lateinische Rhetorikunterricht kulturpatriotisch abgewertet wurde, und zwar unter Berufung auf Natürlichkeit und Originalität (wie man dies in der gefälschten Ursprünglichkeit des Ossian zu erkennen glaubte). Dass der damals als naturwüchsiger Barde gepriesene Shakespeare schon bald als Rhetorikexperte entdeckt wurde, zeigt jedoch, dass Rhetorik und Originalität keine Gegenbegriffe sind. Die kurze antirhetorische Rebellion des 18. Jahrhunderts beruhte auf einem gravierenden Missverständnis. Man deutete das rhetorische System als einengendes System von Vorschriften , woran in vielen Fällen die Drill-Methoden des damaligen lateinischen Rhetorikunterrichts schuld gewesen sein könnten. Fragen wir also, wo im Rahmen der gegenwärtigen Rhetorik die damals geforderte ‚Originalität‘ bzw. die heute erforderliche ‚Kreativität‘ angesiedelt sein könnte, wobei es uns letztlich um die spezifische 5 Die Gadamer- und Paepcke-Schülerin Radegundis Stolze stellt wesentliche Besonderheiten literarischer Texte aus hermeneutischer Sicht übersichtlich dar und grenzt sie ab von den primär zweckbestimmten Texten (Stolze 1992: 219-243). 6 Vgl. Albrecht (1998: 54). Das Standardwerk (und eine wahre Fundgrube für die historischen Beziehungen zwischen Rhetorik und Übersetzung) stammt von Rener (1989). <?page no="35"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 35 Kreativität beim Literaturübersetzen geht. Wo liegen die Möglichkeiten der Übersetzer‚ ‚Innovatives‘, ‚Neues‘, ‚Kreatives‘ zu produzieren? 7 2 Rhetorische Textproduktion und Kreativität Die Rhetorik ist vor allem ein System von Textproduktions- Möglichkeiten . Dass die Rhetorik Türe und Wege nicht verschließt, sondern Spielräume öffnet und offeriert, sieht man am leichtesten bei der Lehre von den fünf Stufen der Redeherstellung: inventio, dispositio, elocutio, memoria, actio / pronuntiatio. Auf jeder Stufe sind spezifische Möglichkeiten für Kreativität (im Sinne der Herstellung von ‚Neuem‘) gegeben. Freilich ist zu beachten, dass diese ‚Stufen‘ keineswegs dem zeitlichen Verlauf des Textproduktionsprozesses entsprechen müssen. Es sind vielmehr didaktisch-analytische Abstraktionen , die das ‚Bauen‘ eines Textes als räumliches Modell darstellen, das für den Textproduzenten in jedem Augenblick die Gleichzeitigkeit eines flexiblen Bauplans hat. Die tatsächliche zeitliche Ausarbeitung wird dem räumlichen Nacheinander niemals genau entsprechen, wie jeder erlebt, der einen wissenschaftlichen oder literarischen Text produziert. Selbst bei der Herstellung von Kriminalromanen weiß der Autor oft erst nach dem Schreiben mehrerer Kapitel, wem er das Verbrechen letzten Endes anlasten soll. 8 Obwohl Vorüberlegungen über das Speichermedium und die geplante Performanz (Stufen 4 und 5) schon auf den ersten drei Stufen der Produktion eine enorme Rolle spielen können (z. B. bei Fragen wie: Vers oder Prosa, episch oder dramatisch, mono- oder dialogisch usw.), gehe ich bei der Suche nach den Spielräumen der Kreativität jetzt nur die ersten drei Stufen etwas genauer durch. 2.1 Inventio Bei der ‚kreativen‘ (Er-)Findung des Stoffes entsteht ein neuer Plot mit neuen Figuren und neuen Situationen. Die Suchformeln der Rhetorik können als Aufforderungen zur kreativen Erfindung benutzt werden. Denn man braucht ja die 7 Joachim Knapes Reclam-Buch Was ist Rhetorik? (2000) ist eine konzentrierte Darstellung des Potentials der Rhetorik und eines der anregendsten Bücher für eine moderne Theorie der Literaturübersetzung überhaupt (Kohlmayer 2012: 130 ff.). Mit Knapes Thesen zur „Rhetorik der Künste“ (Knape 2008) setzte ich mich kritisch auseinander (Kohlmayer 2012: 138-140). 8 So gesteht (um ein zufälliges aktuelles Beispiel zu nehmen) der schottische Krimi-Autor Ian Rankin in einem Interview: „When I’m writing […] I won’t know whodunnit until maybe two-thirds of the way through. Until then I know as little as my detective. I just make it up as I go along. It’s nerve-wracking, actually. You’ll be half through and not know your conclusion” (Colin Drury: “Under Cover of the Tartan Noir”. In: The Guardian Weekly , 12.-18. Februar 2016: 37). <?page no="36"?> 36 Rainer Kohlmayer Fragen „quis“ oder „quid“ usw. nur auf die eigene Person oder Gegenwart oder auf eine Zeitungsmeldung zu beziehen 9 - und schon hat man den ersten Schritt zur Erfindung nie zuvor literarisierter Personen und Ereignisse getan. Beispiele für besonders neue und folgenreiche Plots sind etwa Goethes Werther oder Wedekinds Frühlings Erwachen . Dass sich Werther aus Liebe ausgerechnet an Weihnachten (dem Fest der Liebe) selbst tötet, war eine ungeheure literarische Tat - etwas radikal Neues, wozu Goethe anscheinend durch den Selbstmord eines juristischen Kollegen und seine eigene Liebe zu Lotte, deren Namen er sogar unverschlüsselt stehenließ, angeregt wurde. Wedekinds Frühlings Erwachen präsentierte sexuell erwachende Kinder als Opfer einer verknöcherten Gesellschaft, was als schockierend empfunden wurde; auch Wedekind verarbeitete unter anderem einen Selbstmord aus seiner Schulzeit. Die (Er-)Findung einer Geschichte, von Figuren und Situationen gehört zweifellos zum kreativen Kerngeschäft der Schriftsteller. Wer Literatur produzieren will, muss in einem ganz einfachen Sinn etwas Neues zu bieten haben, auch wenn das Muster der Fabel (Ödipus, Odyssee usw.) als Palimpsest mehr oder weniger deutlich erkennbar ist. 10 Dass dabei selbst in der radikalsten Innovation immer auch Konventionelles und Traditionelles beibehalten und weitergegeben wird, ist selbstverständlich. Nicht alles kann neu sein, sondern nur bestimmte Züge des Werkes. Goethes Werther bleibt im konventionellen Rahmen des Briefromans; ebenso bleibt Wedekinds Kinder-Tragödie in mancherlei Hinsicht ein konventionell gebautes Drama. Man darf behaupten, dass man vom typischen Schriftsteller Innovatives auf der Ebene der inventio (Thematik, Plot, Raum, Zeit, Personen) erwartet. Vom typischen Übersetzer dagegen nicht. Das unterscheidet ihn vom Schriftsteller und vom Bearbeiter. Der Übersetzer braucht auch - trotz aller Empathie - nicht die Konflikte und Strapazen zu erleiden, die den biografischen Hinter- oder Untergrund vieler literarischer Werke bilden. 9 Auch dafür ein zufällig aufgegriffenes aktuelles Beispiel: “Ich beziehe manchmal Ideen für ganze Geschichten aus Tageszeitungen” (Doris Dörrie in einem Interview im Frankfurter Allgemeine Magazin vom März 2016: 82). 10 Unter der Schlagzeile „Liefern, was der Kunde will. Was bedeutet Leserdaten-Auswertung für die Literatur? “ weist Fridtjof Kücheman in der Frankfurter Allgemeine vom 19. 3. 2016 kritisch darauf hin, dass die statistisch unterfütterten Marketing-Methoden bereits einen großen Teil der Trivial -Literatur beherrschen: „Die Hauptfigur einer Mystery-Reihe sollte über besondere Kräfte verfügen? Kein Problem. Der Autor liefert, der Leser bekommt, was er wünscht.“ Relativ autonome Kunst und Literatur ‚funktionieren‘ dagegen in der Regel nicht wie Wunschkataloge, sondern produzieren neues Bewusstsein. Man kann die Beziehung zwischen Kunst und Adressaten nur als paradoxe Herausforderung formulieren: das Kunstpublikum ‚erwartet‘ das ‚Unerwartete‘; die Kunst ‚liefert‘ das ‚Unvorhergesehene‘. Die vielen „Paradoxien“ der Kunst sind in Luhmanns Die Kunst der Gesellschaft (1995) eines der häufigsten Themen. ‚Funktionalisten‘ haben hier einen blinden Fleck. <?page no="37"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 37 Der Autor ‚übersetzt‘ Erlebtes und Erfundenes in Sprache, der Übersetzer übersetzt Gelesenes einfühlsam in eine andere Sprache. 2.2 Dispositio Als kreativ würde man hier die Innovation der üblichen Gliederung / Struktur / Reihenfolge bezeichnen. Die erwartbare zeitliche Abfolge eines Genres oder eines Texttyps wird vom ‚kreativen‘ Innovator nicht befolgt, sondern die Reihenfolge wird auf überraschende Weise neu gestaltet. Ein gutes Beispiel für dispositorische Innovation ist Laurence Sternes Tristram Shandy . Der Ich-Erzähler ist als sympathischer, exzentrisch zerstreuter Plauderer angelegt, der die Reihenfolge der Zeit willkürlich und unwillkürlich durcheinanderwirbelt. Er schreibt angeblich eine Autobiografie, die aber nicht einmal über die früheste Kindheit des Helden hinauskommt. Oder Goethes Roman Wahlverwandtschaften : eine chemische Formel, über die am Anfang gesprochen wird, wird zum geheimen Bauplan der Schicksale der beteiligten Personen. Man kann auch hier getrost verallgemeinern: zur typischen literarischen Kreativität kann auch ein gewisses Maß an Innovation auf der Ebene der dispositio gehören. Vom typischen Übersetzer dagegen erwartet man die lineare Einhaltung der Reihenfolge des Originals. Auch darin unterscheidet er sich vom Schriftsteller und vom Bearbeiter . 2.3 Elocutio Kreativität wird hier gesehen als Innovation der Sprech- oder Erzählweise. Dies ist wohl die wichtigste Baustelle der schriftstellerischen Kreativität. Erst durch die stilistisch gute oder innovative Schreibweise wird der Plot und seine jeweilige Struktur zu einem starken Text. Der eigene, womöglich unverwechselbare Stil ist nicht nur eine der Besonderheiten der großen Schriftsteller, sondern auch das Wunschziel aller literarisch Schreibenden. Dieser eigene Ton des Erzählers oder die präzise herausgearbeiteten Stimmen der Roman- oder Dramen-Figuren sind die Synthese des gesamten kreativen Schreibprozesses, weil hier auch schon die letzte Stufe des rhetorischen Produktionsprozesses - die actio und pronuntiatio des Lesens - möglichst vorauskalkuliert wird. 11 Auf dieser Stufe der Ausarbeitung wird die eigentliche literarische Arbeit geleistet. Ein Plot ist 11 Vgl. Kohlmayer (2012: 144-146). Jörn Albrecht, der mich 1987 als Gast an einem äußerst lehrreichen Seminar über die literarische Übersetzung teilnehmen ließ, unterscheidet sich hier wesentlich von meiner synthetischen Sicht der elocutio: „Nur die ersten drei Arbeitsschritte sind auch für die Ausarbeitung schriftlicher Texte von Bedeutung. Bei den zuletzt genannten geht es ausschließlich um den mündlichen Vortrag; sie sind daher nur für das Dolmetschen, nicht für das Übersetzen relevant“ (Albrecht 1998: 89). In anderen <?page no="38"?> 38 Rainer Kohlmayer relativ leicht zu finden; kann doch bereits ein aufwühlendes Ereignis oder eine Zeitungsnachricht die wichtigsten Anhaltspunkte liefern (wie oben bei Goethe, Wedekind, Dörrie angemerkt). Die Innovation der genretypischen Gliederung kommt vermutlich seltener vor, da die Gattungen hier oft recht starre Muster vorschreiben. Am schwersten ist es sicher, auf der synthetischen Stufe der elocutio den Erzähler oder die Figuren lebendig und unverwechselbar, d. h. auf dem literarischen Markt als neu erscheinen zu lassen, wie man aus Stoßseufzern von Schriftstellern weiß (siehe z. B. „nerve-wracking“ in Fußnote 8). Die Mühsal des Formulierens ist die Stufe, wo sich der eigentliche kreative Anspruch des Schriftstellers bewähren muss. Und hier ist auch die Stufe erreicht, wo man von übersetzerischer Kreativität sprechen kann, darf oder gar muss . Dagegen lassen sich mindestens zwei Einwände erheben. Einmal ist jede Übersetzung in einem trivial-materiellen Sinn ein neues Produkt, und absolut jeder Übersetzungsvorgang ist ein Beweis für die sprachliche Kreativität des Menschen. 12 Ich bezweifle aber, dass man schon für jede sprachliche Transferleistung den Begriff ‚kreativ’ als positives Qualitätsmerkmal (als Werturteil im Sinne von gut / originell usw.) verwenden sollte, weil der Begriff damit auch auf banalste Routineformeln zuträfe, z. B. auf die Ersetzung von „Bonjour“ durch „Guten Tag“. Es gibt sogar literarische Übersetzungen, die so weit hinter dem ästhetischen Anspruch des Originals zurückbleiben, dass man ihnen keine Kreativität zuerkennen sollte, auch wenn darin einzelne Übersetzungsprobleme durchaus kreativ gelöst wurden; wie es umgekehrt vorkommt, dass eine Übersetzung insgesamt ästhetisch gelungen ist, auch wenn sie einzelne Fehler und Mängel enthält. Hier liegt einer der Stolpersteine einer relevanten literarischen Übersetzungskritik. 13 Kurzgesagt: Es kommt beim Literaturübersetzen gerade nicht Punkten, z. B. in der Zurückweisung des Funktionalismus als ‚Theorie‘ der Literaturübersetzung, teile ich Albrechts Urteil voll und ganz (Albrecht 1998: 258-260; 2005: 45-49). 12 „Als Grund der Möglichkeit des Übersetzens erscheint damit letztlich die sprachliche Kreativität , die in der zwischensprachlichen Übersetzung ebenso am Werk ist wie in der ‚innersprachlichen‘ im Sinne Roman Jakobsons […]“ (Breitling 2015: 88). 13 Dieses positive Vor-Urteil zugunsten des Ganzen unterscheidet die Beurteilung literarischer Texte und literarischer Übersetzungen von der von Fachtexten. In einer Fachtextübersetzung (Technik, Gebrauchsanweisung, Bankbericht, Beipackzettel, Gerichtsurteil usw.) müssen gerade die Details stimmen, da sie erhebliche Schäden in der realen Welt verursachen können. Fachübersetzer brauchen einen guten Versicherungsschutz. Die sprichwörtlichen Ausrutscher literarischer Größen („Hier irrte Goethe! “) oder die Schnitzer der Bibel- oder Goetheübersetzung werden von der Nachwelt gnädig verziehen, sofern das Ganze Respekt einflößt. In der relativ autonomen Spielwelt der Kunst können bekanntlich sogar die Naturgesetze und die Regeln der Logik außer Kraft gesetzt werden. Die Kunst ist jedenfalls ein ‚eigener‘ gesellschaftlicher Bereich (im Luhmannschen Sinn ein eigenes ‚System‘ der Gesellschaft; vgl. Luhmann 1995); und Literatur und Literaturübersetzung gehören zur Kunst. Sachübersetzungen gehören in andere Systemkontexte. <?page no="39"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 39 nur auf die Lösung punktueller Schwierigkeiten an, sondern auf das Konzept des Ganzen. Literaturübersetzen ist, auch wenn es anscheinend nur die lineare Abfolge der elocutio-Stufe betrifft, eine synthetisch-ganzheitliche Tätigkeit. Der zweite Einwand könnte von Fachübersetzern vorgebracht werden: Die Arbeit der Sach- und Dokumenten-Übersetzer beginnt nicht erst auf der Stufe der elocutio. Führerscheine, Gebrauchsanweisungen, Geschäftsbriefe, Zeugnisse, Kochrezepte usw. haben oft in der Ausgangs- und in der Zielsprache ein unterschiedliches Format. Sie sind bereits auf der Ebene der dispositio, womöglich auch schon auf der der Fakten (Topik) anders zu übersetzen, als der Blick auf das Originaldokument suggeriert. Hier liegen oft fach- oder kulturspezifische Text- Muster vor, die zu erfüllen sind. Aber diese unterschiedlichen Textsortenerfordernisse (Änderungen des Briefkopfes, der Reihenfolge der Informationen usw.) würde ich auch nicht als kreative Herausforderung bezeichnen, da es ja nur um die intelligente Erfüllung normativer Textmuster geht. Wenn der Zweck oder die Angemessenheitskriterien routinemäßig vorgegeben sind, bleibt meines Erachtens nur genau jener punktuelle Spielraum für kreative Lösungen, wie Kußmaul und Bayer-Hohenwarter sie aus ihren Ton-Dokumenten herausdestillieren und analysieren. Die literarischen Übersetzer erfinden keine neuen Geschichten, keine neuen Figuren, Situationen oder Gliederungen: Sie übernehmen die fertigen Texte samt ihrer Gliederung als Übersetzungsauftrag. Ihre kreative Arbeit beginnt und endet in der Regel (also abgesehen von präzisen Änderungswünschen des Verlags) auf der Ebene der elocutio. 14 Gregory Rabassa formuliert das etwas drastischer: The translator, we should know, is a writer too. As a matter of fact he could be called the ideal writer because all he has to do is write; plot, theme, character, and all the other essentials have already been provided, so he can just sit down and write his ass off. (Hier zitiert nach Wright 2016: 53) Jeder Literaturübersetzer weiß jedoch, dass der tatsächliche Übersetzungsprozess weder mit dem Drauflosschreiben beginnt noch darin besteht. Auch in der Ausbeutung Luhmanns für die Übersetzungswissenschaft begegnet man haarsträubenden Verwechslungen. 14 Rener stellt historisch die zwiespältigen Konsequenzen dar, die sich aus der reduzierten Produktionsfreiheit für das Ansehen der Übersetzer ergaben: „Seen from this perspective, translation is only partially creative, since the translator must not alter any part of the material or its disposition, but only change the verbal habitus , to use an image often found in the primary sources. Translation is thus a literary activity in a class by itself, a fact which is used in the sources about translation for two diametrically opposite purposes. Some resort to this singular situation for denigrating translation, others for praising it” (Rener 1989: 92). <?page no="40"?> 40 Rainer Kohlmayer 3 Die „schriftliche Stimme“ (Novalis) als kreative Herausforderung Die spezifische Kreativität des Literaturübersetzens erstreckt sich auf die Stufe der elocutio, was aber - auch wenn man ‚Stil‘ dafür sagt - immer noch eine ziemlich abstrakte, tautologische Beschreibung wäre. Die Vorstellung, dass Literaturübersetzen lediglich im Lösen punktueller stilistischer Text-Schwierigkeiten (wie bei Metaphern, Wortspielen, Stilebenen) besteht, was natürlich auch zur Arbeit der Literaturübersetzung gehört, greift zu kurz und deckt sich nicht mit den Erfahrungsberichten von gestandenen LiteraturübersetzerInnen (Kohlmayer 2002). Oben wurden bereits einige holistische Konzepte wie Mimesis, Performanz, Empathie, Mündlichkeit, Haltung usw. aufgezählt, die in den Selbstaussagen von Literaturübersetzern eine wichtige Rolle spielen. Lassen sich diese holistischen Perspektiven praxisrelevant bündeln und theoretisch auf einen synthetischen Begriff bringen? Genauer gefragt: wie lässt sich auf der Stufe der elocutio das Kernproblem des Literaturübersetzens so formulieren, • dass es nicht zur Reihenfolge kreativer Lösungen stilistischer Einzelprobleme schrumpft; • dass es mit den holistischen Selbstaussagen von Literaturübersetzern kompatibel ist; • dass es nicht zu abstrakten Prinzipien verdunstet, die mit der Praxis der literarischen Übersetzung „wenig zu tun“ haben (Kopetzki 2015: 77). 15 15 Zu solchen textfernen Abstraktionen, die dem Literaturübersetzer wenig nützen, gehören Rezepte wie die Orientierung am (zwangsläufig unbekannten! ) Publikum des literarischen Textes oder am Zweck . Funktionalisten - „a close-knit group of self-citing theorists“, wie ein Kritiker sie ironisch kennzeichnet (Pym 2007: 36) - wiederholen seit Jahren (Walter Benjamin und alle kritischen Einwände ignorierend), auch literarische Texte entstünden kunden - und zweckorientiert , selbst wenn den TheoretikerInnen die eigene literarische Erfahrung fehlt (Nord 2011: 7 f.). „Jeder rechtliche Autor schreibt für niemand oder für alle. Wer schreibt, damit ihn diese und jene lesen mögen, verdient, daß er nicht gelesen werde“ (Friedrich Schlegel 1980: 178). Die im 18. Jahrhundert entstandene Anonymität des Publikums ist der Grund, weshalb Autoren und Übersetzer durch rhetorische Mittel die jeweilige individuelle Art des Schreibens zu betonen und die des Lesens zu steuern versuchen. Vermeer hat nach meiner Polemik gegen seine zweck reduzierten Literaturdeutungen und den kausalistischen Wirkungsbegriff (Kohlmayer 1988: 151-153) seinen ursprünglich prokrustischen „Skopos“ liberalisiert und pluralisiert (Vermeer 3 1992: 94 f.); ein schweigendes Eingeständnis, dass die (z. B. meine? ) „unseriösen Anwürfe“ (Vermeer 3 1992: 85) keinesfalls auf einem „Mißverständnis“ (Vermeer 1992: 94) beruhten? Die Vermehrung der Skopoi ermöglicht literarischen Texten einen eigenen Status in Vermeers Theoriekonstruktion, bringt aber keinerlei Erkenntnisgewinn für Theorie und Praxis des Literaturübersetzens. <?page no="41"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 41 Die Antwort auf diese Frage besteht darin, dass die elocutio als vorweggenommene Performanz betrachtet wird: der literarische Textproduzent ist gleichzeitig der kritische Leser seines eigenen Textes, der seinen Text stilistisch bearbeitet, damit er die Art der Lektüre und des Verstehens in seinem Sinne optimal zu steuern oder zumindest zu beeinflussen hoffen darf. Er versucht, im lauten oder leisen oder imaginierten Ausprobieren des Geschriebenen die Stufe der actio und pronuntiatio seines Textes möglichst mit zu bestimmen (wer immer die Leser sein mögen! ). Und für das Resultat dieser rhetorisch-hermeneutischen Textarbeit hat Novalis, der ja mit den Brüdern Schlegel jahrelang befreundet und mit deren Übersetzungstheorie und -praxis eng vertraut war, Anfang 1799 den ausgezeichneten Begriff „die schriftliche Stimme“ geprägt. Wie die Stimme mannichfaltige Modificationen in Ansehung des Umfangs - der Geschmeidigkeit - der Stärke - der Art (Mannichfaltigkeit) - des Wolklangs - der Schnelligkeit - der Praecision oder Schärfe hat - so ist auch die schriftliche Stimme oder der Styl auf eine ähnliche Weise unter mannichfachen Gesichtspunkten zu beurtheilen. Die Stylistik hat ungemein viel Aehnlichkeit mit der Declamationslehre - oder der Redekunst im strengern Sinne. Rhetorik ist schon ein Theil der angewandten Rede und Schreibekunst. Außerdem gebraucht sie die angewandte geistige, oder psychologische Dynamik - und die angewandte , specielle Menschenlehre überhaupt mit in sich. (Novalis 1976: 64; Hervorhebungen im Original) 16 Novalis verdichtet die rhetorische Vorstellung, dass die elocutio eine bestimmte akustische Performanz suggeriert, in dem hybriden Ausdruck „die schriftliche Stimme“. Dieses Oxymoron, das eigentlich eine logische Unmöglichkeit bezeichnet, ähnlich wie ein „mündliches Buch“, wie Novalis anderswo schreibt (Novalis 1957: 340), hat die Wirkung jedes guten Oxymorons: Es zwingt den Leser zur Reflexion und zu dem Gedanken, dass die Zeichen auf dem Papier die Spuren einer lebendigen menschlichen Stimme sind, die zum Leser sprechen und gehört werden kann. 16 Nach Helmut Schanze hat Novalis das deutsche Wort Stilistik „im wahrsten Sinn erfunden“; festzuhalten sei jedoch, „dass ein kohärenter Forschungszusammenhang von Schlegel und Novalis bis Nietzsche im Bereich Rhetorik und Stilistik gegenwärtig noch nicht erreicht“ sei, weshalb die Romantik zu Unrecht immer noch „pauschal als rhetorikfern eingestuft“ werde (Schanze 2008: 135 f.). Erstaunlich modern klingt auch Novalis’ Bemerkung über die angewandte psychologische Dynamik und angewandte Menschenlehre, womit ja wohl die psychische Beeinflussbarkeit der Menschen durch die rhetorischen Mittel der schriftlichen Stimme oder des Stils gemeint ist. Novalis spricht daher auch von der „acustische[n] Natur der Seele“ (Novalis 1976: 125), was natürlich Herdersche Tradition ist. <?page no="42"?> 42 Rainer Kohlmayer Dies entspricht August Wilhelm Schlegels eigener Vorstellung davon, was beim literarischen Text zu übersetzen bzw. dem Leser zu vermitteln sei: der einfühlsame Leser wiederholt und erneuert beim Lesen die vermutete (! ) rhetorische Textarbeit des Autors oder auch des Übersetzers: „Sobald aber diese Zeichen wieder durch die Stimme belebt werden sollen, so muß der Leser den Ausdruck hinzubringen, mit welchem er vermuten kann, daß der Urheber eines Gedankens ihn ausgesprochen hätte“ (Schlegel 1962: 153). 17 Wie actio und pronuntiatio den Übergang von der Schrift zur Körperlichkeit der Orator-Präsenz bezeichnen, so verbürgt die „schriftliche Stimme“ dem Lesenden die Präsenz eines menschlichen Textproduzenten. Novalis und Schlegel sehen das Vermitteln von Literatur - ob direkt oder per Übersetzung - als imaginierte akustische Leser-Beeinflussung. Es lohnt sich, über die analytischen Implikationen von Novalis’ wahrhaft genialer Formulierung „die schriftliche Stimme“ etwas ausführlicher nachzudenken: 1. Die literarische Schriftlichkeit wird von Novalis (und Schlegel) als intendierte Mündlichkeit verstanden, was bereits Herder betont hatte. 18 2. Es handelt sich nach Novalis (und Schlegel) um eine lebendige menschliche Stimme. Bei toten Sprachen hat der Übersetzer naturgemäß größere Freiheit bei der hypothetischen Stimmgebung. 19 3. Der literarische Text wird nach Novalis (und Schlegel) als Hör-Erlebnis produziert und gelesen. Novalis (und Schlegel) sprechen von „Stimme“, wodurch das Lesen individualisiert und körperlich an die jeweilige Person gebunden wird. 20 17 Heinrich Bosse und Ursula Renner beschreiben diese hermeneutische Leseraktivität in heutiger Sprache so: „Lesend versprachlichen wir Schrift und vernehmen zugleich, was wir getan haben. So sind wir Sender und Empfänger in Personalunion, indem wir den Text eines anderen, vertretungsweise, in ein Eigenprodukt verwandeln. Und dies erst recht, wenn wir verstehen (wollen), wovon der Text handelt, indem wir uns, persönlich und vertretungsweise, die Textwelt bauen“ („Den einsamen Leser gibt es nicht“, in: Frankfurter Allgemeine, Beilage Natur und Wissenschaft , 23. März 2016: 4). 18 Herders Ideal ist bekanntlich „zu schreiben, als ob man spräche […], als ob zu jedem Buch ein Vorleser, wie sein Genius gehörte“ (Herder 1796: 43; Hervorhebung im Original). Dies ist im Grunde Mainstream-Rhetorik seit der Antike bis heute. 19 Vgl. etwa Schleiermachers interlinearen mit Shelleys poetischem Platon (Kohlmayer 2015b: 118-123). Schlegel wies darauf hin, dass wir bei toten Sprachen, „deren lebendigen Vortrag wir gar nicht kennen, […] wie der Blinde von der Farbe reden“ (Schlegel 1962: 183). 20 Einen ähnlichen Gedanken formulierte Leonardo Bruni auf Lateinisch zu Beginn des 15. Jahrhunderts, als er dem Übersetzer auftrug, auf die Wiedergabe von Klang, Rhythmus und individuellem Stil zu achten. Autoren wie Cicero, Sallust, Livius hätten ihren je eigenen Stil („singularem figuram dicendi“), der in einer guten Übersetzung erhalten werden müsse: „Bonus quidem interpres in singulis traducendis ita se confirmabit, ut <?page no="43"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 43 4. Der literarische Text ist für Novalis (und Schlegel) keine Abfolge punktueller Stilfiguren, sondern erhält seine Kohärenz durch die Ähnlichkeit der Stimme, die durchgehend aus dem Text herauszuhören ist. Wörtliches wie nichtwörtliches Übersetzen orientiert sich immer an der Stimmführung. Die Kohärenz der Übersetzung besteht in der Kontinuität der Orator-Stimme. 21 5. Die „schriftliche Stimme“ ist die Synthese aus dem jeweiligen hermeneutischen Verstandenhaben des Textes und aus dem rhetorischen Nachvollzug im leisen oder lauten oder innerlichen Lesen. Einfacher gesagt: die Art des Lesens ist der Beweis für die Art, wie die Stimme im Text vom lesenden Subjekt verstanden wurde. Ein Übersetzungsvergleich sollte vom Vergleich der Stimme des Originals mit der Stimme der Übersetzung ausgehen. (In der Gegenwart ermöglichen die Hörbücher der verschiedenen Sprachen neue und womöglich triftigere Methoden der literarischen Übersetzungskritik.) Auch wenn ein Übersetzer die Sprechweise des Originals gut kennt und versteht, hat er bei der Übersetzung durchaus die Wahl der Stimmgebung. Ohne die Ebene der elocutio zu verlassen, können zum Beispiel ältere Werke neu ‚gestimmt‘ werden (vgl. dazu Kohlmayer 2016). 6. Novalis (und Schlegel) sprechen von „der“ Stimme im Singular . Ein Text hat also - und sei er noch so unterschiedlich, vielfältig, in sich zerstückelt und collagiert (wie z. B. Jelineks Texte) - für den einfühlsamen Leser (oder Übersetzer, Hörbuchsprecher) immer eine privilegierte Art des Lesens, weil man eben nicht gleichzeitig zwei- oder mehrstimmig lesen kann . Über die optimale Lektüre kann man streiten, aber man muss stimmlich immer eine Wahl treffen. Für Literaturübersetzer gibt es keine neutrale, interpretationssingulorum figuram assequatur (Rener 1989: 87) [„Der wirklich gute Übersetzer wird sich bei der jeweiligen Übersetzung dadurch beweisen, dass er dem stilistischen Porträt des Schriftstellers nacheifert“; Übers. von R. K.]. Und Rener erläutert anschließend: „The word ‚figura‘, meaning shape or appearance, should probably be interpreted as the author’s bodily appearance, his full-size portrait, as it were” (Rener 1989: 194). Brunis rhetorisch-translatorische Orientierung an der aus dem Stil herauslesbaren quasi-körperlichen Anwesenheit des Autors blieb ein theoretischer Einzelfall, der eigentlich erst von Novalis und Schlegel - und zwar ebenfalls aus der rhetorischen Tradition heraus - eingeholt wurde. Novalis markiert den Übergang von der lateinischen zur muttersprachlichen Rhetorik. Die neue, ‚romantische‘ Übersetzungstheorie beruht auf der rhetorischen Nähe zum Original, gerade weil die Einzelsprachen als lexikalisch und grammatisch (philologisch und ‚philosophisch‘! ) inkompatibel erkannt worden waren. 21 Theo Hermans’ Ausführungen über „The Translator’s Voice in Translated Narrative“ (1996: 23-48) halte ich für eine theoretische Spitzfindigkeit, weil „voice“ dabei nur als punktuell feststellbare Interferenz des Übersetzers verstanden wird. Im Original spricht der Autor , im übersetzten Text spricht von Anfang bis Ende immer nur der Übersetzer, der aber versucht, die Stimme des Autors möglichst nachzuahmen (vgl. Kohlmayer 2010b); er spricht „vertretungsweise“ (vgl. Fußnote 17). <?page no="44"?> 44 Rainer Kohlmayer freie Lektüre. Das bedeutet, dass man extrem hermetischen, meditierenden Texten oder Passagen, die ja einen wichtigen Teil der (post-)modernen Literatur ausmachen, nur stumm-hermeneutisch, aber niemals rhetorisch-performativ gerecht werden kann. Viele moderne Gedichte erschließen sich nicht beim lauten Lesen, sondern höchstens beim nachdenklichen Enträtseln und Konstruieren. 22 Hier stößt man bei der Suche nach der „schriftlichen Stimme“ - und der (ent-)sprechenden Übersetzung - an eine Grenze der Sprech- und Übersetzbarkeit: Es ist oft unmöglich, Mehrdeutigkeit mehrdeutig zu übersetzen. Manche Texte sind daher auch für Hörbücher wenig geeignet. Wenn rätselhafte Gedichte oder hermetische Texte bei Dichterlesungen laut vorgetragen werden, geschieht es meistens in einer ‚entrückt-pathetischen‘ Monotonie, die an Gebete oder Psalmen erinnert: Das deklamierende Subjekt verzichtet auf rhetorisch-psychologische Mündlichkeit und nimmt sich als verstehendes und denkendes Individuum völlig zurück. Meist enthalten solche Texte aber auffällige musikalische Strukturen (Assonanzen, Konsonanzen, Alliterationen usw.), die als akustisch-musikalische Kohärenzstifter funktionieren (Kohlmayer 2015a: 250-255). 7. Zu dem Problem von Text und Stimme ist gerade in den letzten Jahrzehnten viel Literatur erschienen, die aber weder Herder noch Novalis berücksichtigt. Typisch ist Theo Hermans 1996 (vgl. Fußnote 21) oder das Buch von Michael Eggers (2003) mit dem vielversprechenden Untertitel Theorien der Stimme . Während Novalis (wie Schlegel) „Stimme“ konkret versteht im Sinne der tatsächlichen rhetorischen Programmierung des Lesens durch die Schrift bzw. des Heraushörens der deklamierenden Stimme aus der Schrift, ist für Eggers (und die literaturwissenschaftlichen Theoretiker) „Stimme“ zu einer Metapher des Subjekts oder Ichs geworden (Eggers 2003: 131). In der Antike sei „immer mit der Stimme, also laut gelesen“ worden (Eggers 2003: 61); im 18. Jahrhundert sei das Lesen „zunehmend lautlos“ geworden (Eggers 2003: 68), und gleichzeitig habe sich ein rapider Bedeutungsverlust der Rhetorik vollzogen (Eggers 2003: 153). Novalis’ „schriftliche Stimme“ scheint mir (im Gefolge Herders) quer zu dieser rein literaturwissenschaftlichen Deutung zu stehen und die Brücke zwischen der Schwächung der traditionellen Rhetorik und dem stummen Lesen seit dem 18. Jahrhundert zu schlagen: Die Lektüre soll zum inneren Heraushören der Verfasser- oder Übersetzerstimme werden. 22 Luhmann spricht von einer „Textkunst“, die „dem Leser ein ‚rewriting‘, eine Neukonstruktion des Textes zumutet“. In einer Fußnote fügt er hinzu: „Daß es explizit unlesbar gemachte Texte gibt, wird jeder Kenner der modernen Literatur wissen“ (Luhmann 1995: 46). In Kohlmayer (2014: 36-38) bespreche ich als Beispiel für die Übersetzungsprobleme solcher Textkunst ein Gedicht von Hendrik Rost. <?page no="45"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 45 Eggers liefert den germanistischen Beweis für das, was Helmut Schanze als rhetorisches Forschungsdefizit formulierte (vgl. Fußnote 16). Die in Schrift gebannte Stimme ist der Dreh- und Angelpunkt der Vermittlung zwischen Autor und Leser und kann dem Übersetzer folglich als subjektiver Navigator und als tertium comparationis dienen. Dieses tertium comparationis liegt natürlich nicht fest wie eine vereinbarte Industrienorm; außerdem kann ohnehin kein Autor einem Leser irgendetwas aufzwingen, weder semantisch noch akustisch. Sprache ist, ob rhetorisch-persuasiv oder poetisch-verfremdend eingesetzt, immer ein Beeinflussungs- Versuch . Aber die selbstverständliche Varianz und Relativität der individuellen Rezeption und Interpretation, die Rezipientenabhängigkeit der Sinn- und Stimmgebung, sollte nicht dazu führen, dass die Existenz der „schriftlichen Stimme“ überhört oder ignoriert wird. Es wird niemals ein objektives tertium comparationis geben, wohl aber immer ein nicht-beliebiges subjektives Hörverstehen des geschriebenen Textes . Der Spielraum des übersetzerischen Verstehens und Reproduzierens ist begrenzt. Die Art, wie ‚man‘ (d. h. hier: das lesende und übersetzende Individuum) den Text liest (‚agiert‘, ‚intoniert‘, ‚mimt‘, ‚verkörpert‘, ‚interpretiert‘ usw.), prägt die Art, wie ‚man‘ übersetzt. Die rhetorisch-akustische Verkörperung des literarischen Textes ist in Deutschland seit Johann Gottfried Herder, Carl Gustav Jochmann, 23 Friedrich Nietzsche, 24 Karl Kraus 25 (um nur die Koryphäen zu nennen) und bis in die Gegenwart im Bewusstsein der Autoren und literarischen Übersetzer eine nie bezweifelte ästhetische Realität, von der in den Theorieentwürfen der neu entstandenen akademischen Übersetzungswissenschaft der letzten fünfzig Jahre wenig zu bemerken war. Um auf Schlegels „angekränkelt“ zurückzukommen: Schlegel ahmt nicht nur punktuell-kreativ die Wortbildung des englischen Textes nach, sondern „die schriftliche Stimme“ Hamlets und die der anderen Figuren, er folgt ihrem Sprechduktus (nicht der englischen Grammatik oder Lexik); er folgt als „philologischer Mime“ 26 möglichst eng der linearen Spur des Sprechens, der Pausen, des Atemholens, der Emphase, wie man schon an den Satzzeichen erkennen 23 „Ein gutes Buch muß in des Ausdruckes buchstäblichem Sinne sich hören lassen“, wird Jochmann von Schiewe (1998: 170) zitiert. 24 Vgl. ausführlich dazu Kohlmayer (1996: 75-86). 25 Zu Karl Kraus’ Muttersprachenideologie und ihrem Zusammenhang mit seiner Vorstellung von Nachdichtung, die z. B. Shakespeares Sonetten „die sprechende Stimme“ (Wolfgang Clemen) gibt, vgl. die Kritik von Kohlmayer (2011: 29-32). 26 „Übersetzungen [sind] philologische Mimen“ (Friedrich Schlegel 1980: 176). In dieser Hinsicht fällt Schleiermacher in Theorie und Praxis weit zurück (vgl. Kohlmayer 2015b). <?page no="46"?> 46 Rainer Kohlmayer kann. Schlegel übersetzt keinen ‚stummen‘ Text , sondern Rollen und Stimmen. 27 Literarisches Übersetzen ist der Versuch, die Sprechweise des Autors oder seiner Figuren im Deutschen nachzuahmen - oder nachzudichten, wie man dazu auch sagen könnte. Genau das meint wohl Novalis, wenn er am 30. 11. 1797 an A. W. Schlegel schreibt: „Übersetzen ist so gut dichten, als eigne Wercke zu stande bringen - und schwerer, seltner“ (Novalis 1976: 182). Die akustische Nachahmung setzt viel sprachliches und kulturelles Wissen und viel sprachkünstlerisches Können voraus. Wer die Fremdsprache nur aus Texten gelernt hat, stößt hier zwangsläufig an eine Grenze des Könnens. Ich will diesen Prozess der Stimmenimitation an einem kurzen Beispiel erläutern. In Oscar Wildes Komödie An Ideal Husband steht folgender Dialog zwischen zwei jungen Damen: MRS MARCHMONT : Olivia, I have a curious feeling of absolute faintness. I think I should like some supper very much. I know I should like some supper. LADY BASILDON : I am positively dying for supper, Margaret! (Wilde 1983: 154) Im Englischen haben wir eine lexikalisch einfache Sprache, die aber durch den dazugehörenden und dazu zu hörenden Tonfall (Kohlmayer 1997: 62-64) erheblich an Musikalität, sozialem Hintergrund und an Komik gewinnt. Jeder, der dergleichen Party-Talk in exaltiertem upper class-Englisch einmal gehört hat (ob auf Partys oder im Theater oder Kino), dürfte vermuten, dass bei dem Wort „dying“ fast ein Oktavsprung mit entsprechender Mimik zu erwarten ist. Wollschläger übersetzt mit dem entsprechenden phonetischen Wissen und reproduktiven Können: MRS MARCHMONT : Olivia, ich fühle mich auf einmal ganz komisch flau. Ich glaube, ein kleines Souper würde nichts schaden. Ja, ein kleines Souper würde mir gar nicht schaden. LADY BASILDON : Souper! Ich vergehe regelrecht vor Hunger, Margaret! (Wilde 1986: 31) Wollschläger produziert im Deutschen eine moderne, snobistische Schickeriasprache, die sehr gut die soziale Nuance und akustische Theatralität des Originals reproduziert. Er kompensiert dabei das Fehlen einer sozial gehobenen Aussprache und Intonation im Deutschen dadurch, dass er den Text lexikalisch 27 Das reklamiert neuerdings auch der Shakespeare-Übersetzer Frank Günther für sich; er habe „in allen Shakespearestücken schon alle Rollen gespielt […], nämlich am Schreibtisch. […] Also ich spiele alle Rollen am Schreibtisch durch“ - und kokett fügte er hinzu: „ich bin ausgezeichnet als Ophelia“ (3sat-Sendung „Leipziger Buchnacht“ am 19. März 2016, 22.30 bis 24 Uhr, moderiert von Denis Scheck). Link (3. 5. 2016): http: / / www.mdr.de/ buchmesse/ audios-und-videos/ video-5920_zc-2c3e7081_zs-1b8122e8.html. <?page no="47"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 47 erhöht und preziöser macht und so dem (einfühlsamen) Leser oder Schauspieler ein vergleichbares Hörerlebnis suggeriert, wie es die Stimmen (die pronuntiatio) im englischen Original nahelegen. Worin besteht also die Kreativ-Kompetenz Wollschlägers? In der Übersetzung / Ersetzung der gehobenen Aussprache durch eine gehobene Lexik ? In der kreativen Wiedergabe der Alliteration von „feeling“ und „faintness“ durch „fühle“ und „flau“? In den snobistischen Untertreibungen von „kleines Souper“ und „würde nichts schaden“? In der Hinzufügung von Lady Basildons gestischem Ausruf des nobel klingenden französischen „Souper! “, was ungefähr die Emphase des engl. „dying“ erreicht? In der deutschen Redewendung „vor Hunger vergehen“, die die Situation der jungen Snobs ebenso komisch überdramatisiert wie das „dying for supper“? Die Antwort lautet wohl: diese (und die sonstigen) geschickten kleinen Änderungen sind Mittel, die schriftlichen Stimmen im Deutschen möglichst ähnlich nachzubilden. Die eigentliche Kreativität des Übersetzers Wollschläger besteht in der kohärenten schriftlichen Schauspielerei - in der gekonnten „geistigen Mimik“ (Novalis 1976: 115). 28 Die Übersetzung bleibt im Rahmen der elocutio, führt aber in diesem Rahmen (! ) eine Reihe von Änderungen durch, die Wollschlägers intimes Verständnis der sprechenden Figuren beweisen. Eine Notiz Novalis’ von Ende 1797 könnte als hermeneutischrhetorisches Motto guten / kreativen Literaturübersetzens von Schlegel bis heute gelten: „Nur dann zeig ich, daß ich einen Schriftsteller verstanden habe, wenn ich in seinem Geiste handeln kann, wenn ich ihn, ohne seine Individualitaet zu schmälern, übersetzen, und mannichfach verändern kann“ (Novalis 1976: 189). 29 28 Anfang 1798 notiert Novalis: „Der Mimus [„d. h. der mimische, nachahmende Künstler“, merkt der Herausgeber an] vivificiert in sich das Princip einer bestimmten Individualitaet willkührlich . Es giebt eine symptomatische und eine genetische Nachahmung. Die letzte ist allein lebendig. Sie sezt die innigste Vereinigung der Einbildungskraft, und des Verstandes voraus. Dieses Vermögen eine fremde Individualitaet wahrhaft in sich zu erwecken - nicht blos durch eine oberflächliche Nachahmung zu täuschen - ist noch gänzlich unbekannt - und beruht auf einer höchst wunderbaren Penetration und geistigen Mimik. Der Künstler macht sich zu allem, was er sieht und seyn will“ (Novalis 1976: 114 f.). Novalis stößt auf das Phänomen des Einfühlungsvermögens, das auch durch die Entdeckung der Spiegelneuronen nicht erklärt ist. Die Frage bleibt: Was verhindert/ fördert/ steuert die Empathie? 29 Holger Siever glaubt aus der Notiz eine funktionalistische Zweck -Orientierung heraushören zu dürfen (Siever 2015: 165, 170). Novalis und Funktionalismus ziehen aber nicht am selben Zweck -Strang. „Jeder bestimmte Zweck ist ein […] gehemmter Zweck“, kritisierte Novalis die Orientierung am ‚Nützlichen‘; und den „Zweck der Zwecke“ der Poesie und Literatur sah er in „der Erhebung des Menschen über sich selbst“ (Novalis 1976: 125; 115). Novalis wird (in übersetzungstheoretischer Sicht) von Siever auch sehr zu Unrecht als „Schleiermacherfreund“ (Siever 2015: 165) vereinnahmt; er starb 1801, hatte also mit Schleiermachers Platon (ab 1804) und Übersetzungstheorie (1813) nicht das Geringste zu <?page no="48"?> 48 Rainer Kohlmayer 4 Nachahmung als hermeneutischer Zwang zu rhetorischer Kreativität Inwiefern kann man im relativ engen Spielraum der elocutio bzw. der „schriftlichen Stimme“ von übersetzerischer Kreativität sprechen? Der Übersetzer hat zum einen nur das Spielfeld der elocutio, zum andern ist er aber gezwungen, in seiner eigenen Sprache eine performative Ähnlichkeit zu erzeugen. Rhetorische Ähnlichkeit bedeutet, dass man versucht, die dem Text suggestiv eingeschriebene Performanz in der anderen Sprache erneut zum Leben zu erwecken. Der berufliche Zwang zur approximativen rhetorischen Ähnlichkeit ist gleichzeitig ein Zwang zur sprachlichen Kreativität, weil die Sprachen, Kulturen, Figuren, Räume und Zeiten nun einmal weit auseinanderklaffen, worüber endlos räsoniert werden könnte. Um die zahlreichen Widerstände (Kohlmayer 2010a: 149 f.; 2012: 131-138, 143 f.) optimal zu überwinden, muss man sich sehr viel einfallen lassen. Literaturübersetzen ist ein ständiges Ausprobieren von Möglichkeiten im Rahmen von erzähler- oder figurensprachlichen Grenzen und Gegebenheiten. Der Übersetzer muss zunächst einmal die performative Gestaltung des Originals - „die schriftliche Stimme“ - erkennen , was ihm nur gelingt, wenn er den Hintergrund der Sprechweise möglichst deutlich durchschaut. Dies ist eine genuin hermeneutische Aufgabe; und die nötige Recherche bzw. das daraus resultierende Verständnis geht weit über das Spielfeld der elocutio hinaus und betrifft nicht nur den Bereich des Plots und der Figuren und ihrer Beziehungen, sondern den gesamten zeitlichen, sozialen und psychologischen Hintergrund des literarischen Textes. Es kommt zu Verstehens-Fragen wie: welche historische Gegebenheit, welcher soziale Status, welche Mentalität, welche Ideologie, welche Intelligenz, welche charakterliche Haltung, welches Selbstbild, welche Gefühlsregung, welche Einstellung zum Partner oder Leser usw. steckt hinter dieser Sprechweise? Mit diesen hermeneutischen Fragen, die das genaue Verständnis eines Wortes oder einer Passage mit der ganzen Welt eines Romans oder Dramas verknüpfen, begibt sich der Literaturübersetzer als recherchierender Leser eventuell auf einen sehr weiten Weg des Verständnisses. Frank Günthers ausführliche Kommentare zu seinen Shakespeare-Übersetzungen, Elisabeth Edls Kommentare zu ihrer Madame Bovary -Übersetzung (Hanser-Verlag 2012) zeigen die enorme Verstehensarbeit von literarischen Spitzenkräften, was aber von vielen weniger prominenten Literaturübersetzern ebenfalls geleistet wird, aber oft unerwähnt bleibt oder zu einem kurzen Nachwort zusammenschnurren muss. Für Literaturübersetzer gibt es im Grunde keine Grenze des Verstehens. Ein inhärentes ‚Problem‘ der Hermeneutik besteht nun einmal darin, dass hinter schaffen, auch wenn er 1799 für Schleiermachers Religionsdeutung große Sympathie bekundete (Novalis 1976: 60; vgl. Kohlmayer 2015b: 115-117). <?page no="49"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 49 jedem Aha-Erlebnis neue Fragen und Hinterfragungen lauern. Wenn man beim Lesen einmal mit dem Befragen und Hinterfragen des Originals begonnen hat, wo soll man mit der Recherche aufhören? Das immer tiefere philologische oder gar philosophische Eintauchen in die Welt des Originals kann geradezu verhindern, dass eine literarische oder philosophische Übersetzung tatsächlich am Sprachufer gegenwärtiger Verständlichkeit landet, wie man bei Wilhelm von Humboldt und Schleiermacher oft genug sehen und hören kann (Kohlmayer 2015b: 119-121). Ich vermute, dass sowohl das Fehlen des mimetischen (künstlerischen) Einfühlungsvermögens, von dem Novalis spricht (siehe Fußnote 28), als auch der Überschuss des rein philosophisch-philologisch motivierten hermeneutischen Interesses zu einer erheblichen übersetzerisch-rhetorischen Lähmung und zu frustrierenden Unübersetzbarkeitserfahrungen führen kann. Dennoch würde ich den hermeneutischen Explorationen von Schleiermachers Vorworten bis zu Frank Günthers Kommentaren keine spezifische Kreativiät (‚originell / kreativ recherchiert‘? ) zubilligen. Die intelligente Suche nach Quellen und Dokumenten und nach hintergründigen Zusammenhängen ist, im Gegensatz zu den Suchbewegungen der Naturwissenschaft, weniger abhängig von technisch-kreativem Erfindungsgeist und raffinierten Entdeckungs-Methoden: Es ist normale Routineforschung, auch wenn das eigene Denken dadurch schöpferisch angeregt werden kann, wie etwa Derrida durch seine Husserl-Übersetzung. Man kann beim Verstehenwollen Bedeutungen und Zusammenhänge entdecken , aber man kreiert sie nicht. Ich bin mir aber bewusst, dass man darüber streiten kann. 30 In jedem Fall gibt aber das hermeneutisch recherchierte Wissen ein Niveau vor, das dann beim Übersetzen in die Muttersprache nicht leichtfertig unterschritten werden kann. Das ausgangssprachlich angesammelte Wissen ist eine Art hermeneutisches Gewissen des Übersetzers. Noch genauer auf den Punkt gebracht: die Hermeneutik übt einen permanenten Druck aus, beim Übersetzen kreative rhetorische Lösungen zu finden, weil das hermeneutische Wissen das rhetorische Können herausfordert. Die eigentlich kreative Arbeit des literarischen Übersetzers beginnt (meiner Meinung nach) erst bei der zielsprachlichen Neuformulierung - also bei der neuerlichen Stimmgebung. Und hier empfiehlt die rhetorische Tradition als 30 So sieht Jiří Levý in der Tiefe des Verständnisses den „Hauptunterschied zwischen dem schöpferischen und dem mechanischen Übersetzer“; weil jener „über den Text hinaus zu den Gestalten, Situationen und Ideen vordringt, während der unschöpferische Übersetzer den Text nur mechanisch aufnimmt und lediglich Wörter übersetzt“ (Levý 1969: 44). Richtig gesehen ist sicher, dass der gute Literaturübersetzer nicht „Wörter“ übersetzt, also nicht ‚punktuell‘ vorgeht, sondern holistisch. Auch Levýs Vergleich des Übersetzers mit dem Schauspieler ist nachvollziehbar (Levý 1969: 46, 66). Aber Novalis’ „schriftliche Stimme“ scheint mir die ‚schöpferische‘ Imagination und das Ziel der Mimesis viel genauer auf das Wesentliche zu fokussieren. <?page no="50"?> 50 Rainer Kohlmayer Maßstab, Spielraum und Grenze der Kreativität seit Herder die Nachahmung der poetischen oder rhetorischen Form der Vorlage . Literarische Übersetzer haben dafür verschiedene Metaphern gewählt, die aber meistens dieselbe Art des mimetischen Engagements bezeichnen. 31 Die Suche nach der mimetischen Entsprechung hat gewisse Ähnlichkeiten mit der Arbeit des Schauspielers, wenn er nach einer Möglichkeit sucht, einen Text stimmlich, gestisch, kinetisch optimal lebendig werden zu lassen. 32 Das kontrollierende laute Lesen ist für den Übersetzer der ultimative Test, ob die neue „Stimme“ die angestrebte Originalnähe und ästhetische Qualität erreicht. Wenn auch die subjektiv vernommene und reproduzierte „schriftliche Stimme“ als Kompassnadel oder Navigationsgerät des literarischen Übersetzers gelten kann, so bleibt die ständige Suche nach Aufhebung der sprachlichen und kulturellen Unterschiede dennoch eine außerordentlich vielfältige und schwierige Aufgabe. Die Übertragung von Wortspielen (vgl. Heibert 2015), von Dialekten (vgl. Kopetzki 2015: 81-84) und Soziolekten, von fremdsprachlichen Einsprengseln (vgl. Wright 2016: 136-156), von Komik (vgl. Kohlmayer 1996) usw. usf. gehören zu den vielen kreativen Routineaufgaben (! ) von Literaturübersetzern, die immer nur in Kohärenz mit den schriftlichen Stimmprofilen der Erzähler- oder Figurensprache gelöst werden können. Eine zukünftige Poetik des Literaturübersetzens hätte u. a. die Aufgabe, die guten Lösungen bedeutender Übersetzer zu sammeln und zu analysieren. Ich will hier keinen Versuch einer solchen gewaltigen und höchst nützlichen Arbeit unternehmen, sondern zum Schluss nur noch ein weiteres praktisches Beispiel vorlegen, um zu zeigen, wie ein sprachmimischer Künstler ein schwieriges soziolektales Übersetzungsproblem kohärent gelöst hat. Robert Gover veröffentlichte 1961 den Roman One Hundred Dollar Misunderstanding , der 1965 von Hans Wollschläger als Ein Hundertdollar Missverständnis ins Deutsche übersetzt wurde. In Govers Roman sprechen ein neunzehnjähriger amerikanischer College-Student aus bestem Haus und eine vierzehnjährige schwarze Prostituierte monologisch über das Missverständnis ihres Zusammentreffens, und zwar kapitelweise abwechselnd, sodass der Leser das pikante 31 Der Übersetzer Maurice-André Coindreau formulierte das mimetische Können des Literaturübersetzers noch so selbstironisch, wie das in der digitalisierten Akademikerwelt der Übersetzungswissenschaft heute kaum noch durchginge: „J’ai toujours comparé le traducteur à un singe: il doit faire les mêmes grimaces“ ( Le Monde , 4. 10. 1974). 32 Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Arbeit des Schauspielers geht (vor allem im ‚Regietheater‘) in der Regel weit über die lineare Umsetzung von Text, auf die der gute literarische Übersetzer festgelegt ist, hinaus. Die mimetische Begabung und Kreativität des Übersetzers bleibt enger an die Vorlage gefesselt als der Schauspieler, der oft gerade durch den mimetischen Widerspruch zum Text kreativ sein darf. <?page no="51"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 51 Ereignis zeitlupenhaft und aus doppelter sprachlicher Perspektive zu hören bekommt. Die Herausforderung für den deutschen Übersetzer bestand in der kohärenten Wiedergabe der kontrastierenden Stimmen und gegensätzlichen Welten des Romans. Der reichlich weltfremde Schnösel, ein Muster an sozialer Arroganz, beginnt das erste Kapitel so: Immediately, right off the bat, without further ado, here and now, I wish to say that much of what happened to me that fateful weekend is completely unprintable, since it happened with a lady (colored) of ill repute. So all pornography-seekers are warned to seek elsewhere. I wish to make that point quite clear before proceeding further. (Gover 2005: 23) Dieser Sprachduktus setzt einer analogen Wiedergabe im Deutschen keinen besonderen Widerstand entgegen; er ist gekennzeichnet durch elaborierte, tautologische Sprache, durch Bildungs- und Oberschichtwortschatz, durch emphatische Zurückweisung jeder Kritik an der eigenen Person und puritanischsnobistische Distanzierung von der Welt der schwarzen Prostituierten, die ja am anderen, nämlich unteren Ende der Gesellschaft lebt. Wollschläger setzt die entsprechenden soziolingualen und rhetorischen Signale: Bevor ich unverzüglich zur Sache komme, klipp und klar heraus, hier und jetzt und ohne weitere Umstände, möchte ich darauf hinweisen, daß die Ereignisse, die mir an jenem verhängnisvollen Wochenende widerfuhren, zum großen Teil im Druck ganz unmöglich wiederzugeben sind, weil sie mit einer (farbigen! ) Dame von übler Reputation in Zusammenhang stehen. Somit kann ich nur all denjenigen, welche auf Pornographie kapriziert sind, von diesbezüglicher Suche abraten; sie wäre vergeblich. Ich wünsche diesen Punkt völlig klargestellt zu sehen, bevor ich des weiteren zu berichten fortfahre. (Gover 1965: 7) Vielleicht übertreibt Wollschläger den umständlich-hochtrabenden Ton des jungen Mannes, wodurch der deutsche Text über ein Drittel länger und erheblich elaborierter wird als das Original, aber das akustische Profil ist insgesamt gut nachgeahmt bzw. im Deutschen neu geschaffen. Die größere sprachliche Herausforderung ist der Jargon der 14jährigen schwarzen Prostituierten, die in Aussprache, im deftigen Wortschatz, in der reduzierten Grammatik eine extreme Gegenstimme zu dem ehrpusseligen jungen Mann darstellt. Es war vor allem wohl die deftige Mündlichkeit dieser Figur, die das Buch zu einem Kultbuch machte. 33 Ihr Erzählbeginn im 2. Kapitel lautet folgendermaßen: 33 Auf dem Rückendeckel der Neuausgabe von 2005 wird ein Satz aus der Los Angeles Times zitiert: „Gover writes like a Salinger with guts.“ Der Vergleich mit Salinger wertet das Buch jedoch viel zu sehr auf. <?page no="52"?> 52 Rainer Kohlmayer Here goes me, I’m in the big chair. In come this trick by hiss-eff. College Joe. I kin tell them anywhere. She-it! This one walk like he ain got no toes. Jittery? Kee-ryess is he jittery. Jackie an Carmie upstairs wiff two tricks jes come in a minit fore this one. On’y hiyellas leff is Flow an Francine, so I spect this mothah gonna go up wiff Flow. (Gover 2005: 36) Für den Slang der schwarzen Prostituierten bietet sich im Deutschen kein vorhandener Jargon an. Also kreiert Wollschläger eine defiziente Sprechweise, die es im Deutschen gar nicht gibt, die er aber in allen zehn Kapiteln konsequent beibehält, so dass das rhetorische Gegeneinander der Stimmen und Milieus für den deutschen Leser zum kohärenten Hörerlebnis werden kann. Da bin ich also, sitz in dem großn Sessel, und rein komm dieser Kunde ganz von alleine. Is n Kollitsch-Heini. Die erkenn ich auf Anstich. So n Scheiß! Der wakkel da lang wie ohne Zehen. Bibberich? Kührijeminee, is der bibberich! Jackie un Carmie sind obn mit swei annern Kundn, wo grad ne Minute vor dem da gekomm. Sin jetz bloß noch swei da von den Halbbluts, Flow un Francine, un denk mir, der Sack da geht wohl mit Flow rauf. (Gover 1965: 23) Auch hier könnte man sicher das eine oder andere kritisieren, z. B. dass Wollschläger die Sprachbrocken kohärenter 34 und rhythmisch flacher macht, oder dass er die doppelte Verneinung („ain got no toes“) wegkorrigiert (warum nicht: „wie mit ohne Zehen“? ). Aber die angedeuteten Aussprachemängel oder -schlampereien („swei“, „annern“), die dilettantischen Schreibungen („Kollitsch“, „Kührijeminee“), die abweichende („komm“, „wakkel“, „gekomm“, „Halbbluts“) oder auch umgangssprachliche Grammatik („Kundn, wo“), das Vulgärdeutsch („Sack“), die gut erfundenen Redewendungen („auf Anstich“), die dialektnahe Lexik („bibberich“) folgen insgesamt dem Konzept, die Slang-Mündlichkeit der Figur lebendig nachzuahmen. Der Übersetzer hat die zwei Kontrast-Stimmen aus dem Deutschen heraus neu kreiert, was bei dem ‚akademischen‘ Sprecher sicher einfacher war als bei der Neu-Erfindung der Stimme vom unteren Rand der Gesellschaft. Entscheidend für die Kreativität des Literaturübersetzers ist also offensichtlich nicht die Häufigkeit von einzelnen ‚kreativen‘ Einfällen, sondern das Verstehen und kohärente Neuerfinden der schriftlichen Stimmen, was bei jedem literarischen Text eine neue und individuelle Herausforderung darstellt. Die Kreativität beim Literaturübersetzen ist prinzipiell nichts Punktuelles, sondern 34 Durch Hinzufügung der Kohärenzsignale „also“, „und“, „Is n“, „So n“, „sind“(! ), „sin“. <?page no="53"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 53 etwas Konzeptuelles. Sie setzt voraus, dass man die ästhetische Struktur und Qualität der Vorlage durchschaut und sprachliche Mittel findet, diese in der Übersetzung möglichst zu erhalten. Dabei dient die schriftliche Stimme - von Herder über Schlegel bis heute - als kohärentes tertium comparationis . 5 Zusammenfassung und weiterführende Gedanken 5.1 Eine kontinuierliche Tradition des Literaturübersetzens von Cicero über Bruni, Herder und Schlegel bis in die Gegenwart besteht in der rhetorischen Tradition, den literarischen Text als synthetische Einheit aus elocutio und darin suggerierter actio / pronuntiatio zu lesen. Dieser psychophysische Textbegriff (Kohlmayer 1997), der in Novalis’ „schriftlicher Stimme“ (Novalis 1976: 64) am prägnantesten formuliert wurde, ist in der jungen Übersetzungswissenschaft des 20. Jahrhunderts durch den Zerebralismus der vorherrschenden Theorien (Strukturalismus, Funktionalismus, Kognitivismus) verlorengegangen, gehört aber nach wie vor zum impliziten Wissen der Schriftsteller und guten Literaturübersetzer (vgl. Kohlmayer 2002). Eine realitätsnahe Theorie des Literaturübersetzens sollte für die Arbeitsweise der guten Literaturübersetzer empfänglich und relevant sein und kann vermutlich nur aus der Zusammenarbeit von Forschenden und Literatur-Übersetzenden entstehen (Buschmann 2015: 181 f.). 5.2 Die in der jungen Übersetzungswissenschaft derzeit propagierte und registrierte Kreativität hat mit der mimetischen Kreativität des Literaturübersetzens wenig gemeinsam, da jene nur als punktuelles Textproblem identifiziert wird, während beim Literaturübersetzen die kreative Aufgabe in der ästhetischen Neugestaltung der gesamten elocutio samt actio / pronuntiatio besteht. Die translatorische Mimesis ist ein permanenter Zwang zur Kreativität; sie ist die Kunst der „geistigen Mimik“ (Novalis 1976: 115), und zwar eine gelehrte Kunst , da sehr viel sprachliches, ästhetisches und kulturelles Wissen dazu gehört (vgl. Kohlmayer / Pöckl 2004a). 5.3 Die „Angemessenheit“ oder „Akzeptabilität“ des kreativen Einfalls, die bei punktuellen Untersuchungen von Kreativität neben der „Neuheit“ als zweitwichtigstes Merkmal der Kreativität gilt (Kußmaul 2007: 17; Bayer-Hohenwarter 2012: 12), 35 richtet sich bei der Übersetzung eines literarischen Textes nach 35 Das Angemessenheitskriterium wird von Floßdorf sehr kritisch und ausführlich diskutiert (1978: 122-146), z. B. durch die Frage, wer die Macht hat, Etikettierungen wie ‚kreativ‘ oder ‚abweichend‘ vorzunehmen. An der Uni sind die Machtverhältnisse zwischen Dozent und Student von vornherein klar. Wer die studentischen Protokolle des lauten Denkens auswertet, um die ‚kreativen Stellen‘ zu etikettieren, bestimmt damit auch die Art und den Spielraum der ‚Kreativität‘. <?page no="54"?> 54 Rainer Kohlmayer der mimetischen Nähe zum Original . Wenn eine Übersetzerin eines literarischen Werkes sich auf ihre Verantwortung gegenüber irgendeiner Autorität außerhalb des Textes stützt (Religion, Ideologie, Politik, Publikum, Usus usw.), um ‚kritische‘ Passagen stillschweigend zu unterschlagen oder abzuschwächen, so führt diese Manipulation, wenn sie entdeckt wird, früher oder später unweigerlich zur Kritik durch die weltliterarische Öffentlichkeit, die unter dem Qualitätstitel ‚Übersetzung‘ immer die möglichst ehrliche Übermittlung der Originalstimme, nicht aber Bevormundung oder selbstständige Autorschaft erwartet. 36 Die literarische Übersetzungskritik ist eine Aufgabe weniger der Übersetzungswissenschaft als der Literaturübersetzer selbst oder der mehrsprachigen Schriftsteller. Der gelehrten Kunst des Literaturübersetzens kann nur eine gelehrte Kunstkritik gerecht werden (vgl. Luhmann 1995: 462 ff.). 5.4 Literaturübersetzer brauchen erhebliche sprachliche und literarische Kenntnisse. Dennoch lernt man das mimetische oder kreative Übersetzen, musische Begabung vorausgesetzt, (bisher) am sichersten durch das Vorbild guter Literaturübersetzer. Das macht die Selbstaussagen von Literaturübersetzern und das Studium ihrer Arbeitsweise so wertvoll. Die Ausbildung literarischer Übersetzer sollte gelehrten Könnern anvertraut werden, von denen natürlich auch die ‚normale‘ Übersetzerausbildung punktuell profitieren könnte, da Stil im Sinne der Rhetorik auch in nicht-literarischen Texten eine wichtige Rolle spielen kann. 5.5 Die Frage nach der Art, wie ein Text laut gelesen werden sollte („die schriftliche Stimme“), führt in den Kern der Frage, wie ein literarischer Text übersetzt werden sollte. Sprach- und kulturspezifische Hinweise auf die dem Text eingeschriebene Performanz ergeben sich einmal aus den Satzzeichen, die als rhetorische Markierungen zu verstehen sind, und aus den unterschiedlichen akustisch-semantischen Signalen, angefangen von den Grad- und Abtönungspartikeln bis zu den feinsten lexikalischen Nuancierungen (vgl. Kohlmayer 2004b). Es geht beim Lesen um Spuren-Lesen . Bei literarischen Texten gilt: Sag mir, wie du liest, und ich sage dir, wie du verstehst und übersetzt. Literatur ist der Versuch, mit allen Mitteln der Schriftlichkeit interessante menschliche Stimmen hörbar zu machen, auch über Jahrhunderte hinweg. Jedes literarische Buch ist ein „mündliches Buch“ (Novalis 1957: 340) und sollte in der Übersetzung ein Hör -Buch bleiben. Die individuelle akustische Form soll in der anderen Sprache „vivifiziert“ werden (Vgl. Fußnote 28). 36 Auf die Offenlegung von absichtlichen oder ‚erzwungenen‘ Änderungen in den zahlreichen Rechtfertigungsschriften und Kommentaren der Übersetzer kann ich hier nicht eingehen. Transparenz ist in jedem Fall das vernünftigere und ehrlichere Verfahren. <?page no="55"?> Kreativität beim Literaturübersetzen 55 5.6 Um die schriftliche Stimme aus einem Text herauszuhören, braucht der Leser laut Nietzsche, dem großen Meister und Theoretiker der Rhetorik, das „dritte Ohr“: Welche Marter sind deutsch geschriebene Bücher für den, der das dritte Ohr hat! Wie unwillig steht er neben dem langsam sich drehenden Sumpfe von Klängen ohne Klang, von Rhythmen ohne Tanz, welcher bei Deutschen ein „Buch“ genannt wird! Und gar der Deutsche, der Bücher liest ! Wie faul, wie widerwillig, wie schlecht liest er! Wie viele Deutsche wissen es und fordern es von sich zu wissen, daß Kunst in jedem guten Satze steckt - Kunst, die erraten sein will, sofern der Satz verstanden sein will! […] Man hat zuletzt eben „das Ohr nicht dafür“: und so werden die stärksten Gegensätze des Stils nicht gehört, und die feinste Künstlerschaft ist wie vor Tauben verschwendet . (Nietzsche 1958: 713; vgl. dazu Kohlmayer 1996: 75 f.) Vielleicht wird dieses innere Ohr für die Stimme im Text am effizientesten durch gut gelesene und bewusst gehörte Hörbücher geschult? Offensichtlich sind die universitären Hör -Säle bisher wenig auf lebendige Rhetorik eingestellt. Und die wachsende Digitalisierung scheint auch eher dem Zerebralismus zu huldigen, als die mündliche und schriftliche Stimme zu pflegen. Wenn die Übersetzungswissenschaft für das Literaturübersetzen fruchtbar werden will, muss sie noch viel von der Rhetorik lernen. Bibliographie Albrecht, Jörn (1998): Literarische Übersetzung. Geschichte - Theorie - Kulturelle Wirkung . Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Albrecht, Jörn (2005): Übersetzung und Linguistik . Tübingen: Gunter Narr. 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Especially his later poetry expresses the state of mind of a speaker who is traumatised by events, and suffers feelings of guilt and inertia. The poem “Mit Äxten spielend” is one such poem. I show that, by examining its style, including particular uses of repetition and ambiguity, and of the etymological connections between words (in German and beyond) the translator can get a sense of the poetics driving the poem, and can imaginatively reconstruct the state of mind of its speaker. Translation that thus creatively engages with the original poem and the poetics behind it can hope to give the new readers not only a sense of the poetics of the original but also the possibility of creative engagement with the translated poem. Keywords: Paul Celan, Holocaust poetry, translation, poetics, creative reading. 1 The Role of Interpretation and Creativity When we consider translation, “interpretation” and “creativity” might intuitively seem almost to be opposites. Surely, when we interpret what a text says, we are trying to get as close as possible to what was meant? And when we write a new text based on our interpretation, accuracy, not creativity, is what is needed, we might think. <?page no="60"?> 60 Jean Boase-Beier What I intend to argue in this contribution is that, in the translation of literary texts, and especially of poetry, it is never simply a question of accuracy, but rather that accuracy and creativity go hand-in-hand, both in the reading of the original text and in the writing of the translation. This is so because poetry, even more than other literary forms, works by engaging its readers and encouraging them to think, to reflect, to re-think and to change their view of the world. There have been many studies that emphasise this aspect of our reading (see e. g. Richards 1960: 43; Oatley 2011), and I have argued elsewhere (Boase-Beier 2015: 71-72; and see also Attridge 2004: 79-83) that these reading processes are themselves creative. It has also been noted by many translation scholars working on or within the hermeneutic approach (cf. Venuti 2012: 485) that is often traced back to Schleiermacher’s famous 1813 talk “Ueber die verschiedenen Methoden des Übersetzens” (On the different methods of translating) (see Schleiermacher 2012), that “the problem of translation is the problem of understanding” (Hermans 2007: 135), and that understanding involves individuals and their own context and background, especially in literary translation (see, for example, Stolze 1994: 181-212; 2011: 9; 2015). According to Siever, Schleiermacher, whose concern with creativity needs to be understood as part of the early Romantic tradition in German writing (Siever 2015: 154-156), was the first theorist to emphasise the creativity of literary translation. But translating poetry does not only involve creative reading of the source text and creative re-writing to produce a target text. It also involves understanding and reconstructing the creative processes of the poet that have resulted in a work with which readers can fully engage. These poetic creative processes stem from what we might call the “poetics” of a particular writer, that is, the particular way of creating poetry peculiar to that writer, manifested in the style we see in the poems in question. The reader (whether a translator or not) has no direct access to a poet’s mind or the poetics that arises from that mind, but reading a text in order to translate it could be said to involve an imaginative reconstruction of these mental states and processes which has its basis in close, analytical reading (see Boase-Beier 2015: 14-15). Reading for translation involves paying particular attention to what has been referred to as mind-style (see Fowler 1977: 103), that is, the way the style of a text reflects the state of mind that informed it. Especially in the case of a poet like Celan, whose background was multilingual (see Boase-Beier 2015: 91 f.), we would expect the translator to go beyond the non-translating reader, and also beyond the critic who is not considering translation, in that an inevitable part of the way a translator reads is to consider what might happen to linguistic, stylistic and poetic forms, such as metaphors, images, ambiguities and repetitions, when they cross a language boundary. In fact, as Siever (2015: 168) points out, Schleiermacher noted that part of the in- <?page no="61"?> Interpretation and Creativity in the Translation of Paul Celan 61 terpretation (and therefore also the translator’s interpretation) of a text involves exactly this consideration of the prospective new text, and its potential effects on the language it will become part of (see Schleiermacher 2012: 54). The translator’s reading is thus a particularly engaged type of reading (see Boase-Beier 2015: 87-101), and, it could be argued, a type of reading especially appropriate to Celan’s poetry, which, according to Derrida, embodies an awareness of German as a language “to struggle with” (Derrida 2005: 100). This awareness in part arose from Celan’s knowledge of the fatal consequences of striving for linguistic purity in Nazi Germany (see, for example, Klemperer 2015). Derrida argues that Celan’s poetics already contains a sort of translation from standard German to “a kind of new idiom” (Derrida 2005: 100). Though Derrida mistakenly assumes that German was not Celan’s native language, he was right to recognise the multilingual context of Celan’s poetics. In fact, Celan wrote in the immediate aftermath of the war in both Romanian and German (see Cassian 2015). For Celan’s translators, it is first and foremost necessary to understand the sources of his creative engagement with the German language: his poetics. Translation also involves reflecting something of these creative processes and the poetics that gave rise to them in the translated poem, and this is only likely to be possible if translation itself is seen by the translator as a creative process. The end result, if one considers poetic translation in this way, is a translated poem which can do far more than accurately reflect the original. It has its own poetics, so it allows its new readers to engage creatively with it. That is, it allows readers to think, to reflect, to re-think, to change their views of the world, just as the original poem did. If I read a Celan poem translated by Michael Hamburger, for example, I can only engage with it fully if I know it is a poem written by Hamburger that translates a poem written by Celan. The reading process is different because not only is the work different but so is the reading context, and the background knowledge against which it is read, that is, the cognitive context of the reader. The reader needs to be aware of this difference. If translation is the type of writing that ensures the survival of the text, because a text, as Walter Benjamin said, has an inherent characteristic of “translatability” (Benjamin 2012: 76), then such survival is only possible if new readers can engage fully with the translated text, thus allowing the original text “to exceed its own limitations” (Brodzki 2007: 2). 2 Holocaust Poetics Particularly when we are translating poetry that has its origins in clearly identifiable historical events, we might expect accuracy to be our main concern. The poetry of Paul Celan is often referred to as “Holocaust poetry” (cf. e. g. Schlant <?page no="62"?> 62 Jean Boase-Beier 1999: 9). “Holocaust poetry” can be defined narrowly as poetry written at the time of the Holocaust or more broadly, as poetry influenced by, or bearing a clear relationship to, the events of the Holocaust (cf. Rowland 2005: 3). However one defines it, all definitions have in common that they refer to poetry that is a response to real and extremely traumatic events. But it is a poetic response, and it is important to consider what that means. When Holocaust scholars speak of Holocaust poetry as “testimony” (Rowland 2014: 1), or as poetry that has the role of “keeping memory alive” (Rich 1993: 141), those terms express only part of what characterises Holocaust poetry (however broadly or narrowly defined). When translating it or discussing its translation we need to know what is peculiar to poetry as a type of writing, and what these characteristics of poetry mean for the translator. As Gubar (2003: 255) notes, Holocaust poetry is memorable in part because poetry is memorable by nature. Poetry is a particularly appropriate form to express emotion and suffering (see Boase-Beier 2015: 4 f.). And, according to cognitive poetics, the poetic way of thinking is the most basic and innate, because the mind is inherently literary (see Turner 1996). Most importantly, poems in particular work by having cognitive effects on their readers, so the creative engagement of the reader is potentially greater when reading a poem (Boase-Beier 2015: 6-8). If we assume that all poetry embodies a particular poetics and that the translation of poetry involves the translation of poetics (see Boase-Beier 2015: 14-16), then reading a Holocaust poem for translation depends upon an ability to engage with Holocaust poetics. If we fail to consider Holocaust poetry as poetry, there is a danger that we will treat it as though it provided documentary accounts. With translated Holocaust poetry, such a view leads inevitably to a narrow concern with questions of accuracy, inadequacy and loss. Thus Lawrence Langer in his Holocaust anthology, Art from the Ashes , says that reading translated Holocaust poetry is “frustrating” because “verse usually resits” the “close approximations to the original” that he seems to think are the essence of literary translation (Langer 1995: 553). For Langer, this perceived lack of “close approximations” to the original text prevents the reader from grasping “the dense cluster of associations emerging from a particular verbal and historical culture” (Langer 1995: 553). Such statements beg many questions. Can we assume that the readers of the original would have had access to these associations? Does the language of poetry, when not translated, allow such access? What are “close approximations to the original”? In fact, there is no reason to assume that Holocaust poets wrote only or primarily to communicate facts, and especially not to those who already know them. And most Holocaust poets were also translators. So there is no reason to assume that they were resistant to the idea that poetry could be translated. A critic who takes seriously the fact that Holocaust poetry <?page no="63"?> Interpretation and Creativity in the Translation of Paul Celan 63 is poetry will need to consider the ways in which the translator has engaged with its poetics. As I noted in the previous section, when we read for translation we compare the source text in front of us with the target text it is to become and the source language with the target language into which it is to cross. Style is the result of choice (see Short 1996: 68-71; Verdonk 2002: 5 f.), which may be conscious or unconscious, and we see in the stylistic features of the text a mind-style, from which we try to reconstruct the poetics that led the poet to make particular stylistic choices. So we need to understand as much as possible of the poet’s background and context, and what might be inferred, from the poem together with this background, of the poet’s concerns and state of mind. This is important to the translator because, while we could argue that there is such a thing as Holocaust poetics, we are always dealing also with the individual poetics of the poet in question. Many scholars have noted that there are some common characteristics of Holocaust poetry, which are sometimes described under labels such as “awkward poetics” (Rowland 2005) or “traumatic realism” (Rothberg 2000). They include the use of breaks in narrative thread, or in syntax (Hamburger 2007: 29), the use of prosopopoeia, or speaking for others (Gubar 2003: 178; Martin 2011: 98), “obscurity or ambiguity” (Felstiner 1995: xvii) and many other stylistic features, such as repetition or fragmentation of words that are typical of representations of trauma (Felman 1992: 29). Particularly in Holocaust poetry written in the years after the Holocaust, we would expect to find more reflection on the process of writing poetically about Holocaust events and effects, so we might expect more fragmentation, repetition, ambiguity and other such stylistic features. Holocaust (including post-Holocaust) poetry, then, is not documentation. It is based on factual events but, apart from poetry written in ghettos or in those concentration camps where small clandestine acts of creative activity were possible, such as Buchenwald (e. g. Kirsten / Seeman 2012), it rarely recounts facts. More often, especially when written in the years after the Holocaust, it expresses a traumatised state of mind, a concern with language and the way it was manipulated, and a focus on representation itself, which is possible in poetry because of what Jakobson called its “focus on the message for its own sake”, rather than for what it means or conveys ( Jakobson 1960: 356). Translating Holocaust poetry is only possible if that poetic context is understood in the way it is realised in the poetics of a particular poet. But, more than this, if we try to translate Celan’s poetics, we can hope that the new reader will not only be able to engage with the translated poem, but also to get a sense of <?page no="64"?> 64 Jean Boase-Beier Celan’s poetics when doing so, as embodied in the style of the new poem (cf. Schleiermacher 2012: 54 f.). 3 Translating the Poetics of Paul Celan Paul Celan was born Paul Antschel in 1920. His family were German-speaking Jews, living in the then Romanian town of Czernowitz, in Bukovina. As a child, besides speaking German and Romanian, he learned Hebrew, French, Latin, and Greek, and later English and Russian. His multilingual background was partly the result of the changing fortunes of Czernowitz, with its many occupations, partly the result of good schooling, partly a reflection of the life of educated Jews in Central Europe before the Second World War, and partly a reflection of Celan’s developing interest in language and languages (see Boase-Beier 2015: 91 f.). His experience of the Holocaust came at first hand. He had been forced to return home from his study of medicine in Tours on the outbreak of war. 3 years later, when Celan was 22, his parents were deported to a labour camp in Transnistria, in Ukraine, where his father died and his mother was murdered. Celan himself committed suicide in Paris in 1970. The sudden loss of his parents, his particular grief for his beloved mother, and his feelings of guilt because he had survived, were crucial for the direction that his poetry, which he had begun writing as a teenager (Chalfen 1979: 58), was to take in future. Celan’s poetry, like that of many other poets who survived the Holocaust but were severely traumatised by it (e. g. Rose Ausländer, Nelly Sachs), developed over time to become less explicit, dealing less with actual or imagined events, and more with the poet’s reactions to them. In Celan’s case, his later poems, especially those written in the last few years of his life, and while he was undergoing treatment for psychiatric illness, display what his translator Ian Fairley calls “synaptic denseness” (Fairley 2007: xv). No doubt influenced by his reading of Benjamin (see Felstiner 1995: 96), he often thematises Benjamin’s view that there was a creative spark in language, left there since it was originally used by God to create the world (see e. g. Benjamin 1992). But Celan emphasises the non-instrumental character of language, casting doubt on its ability to call anything into being through poetry, or speech or communication (cf. Hamacher 1994: 237). As is the case with Sachs, Celan is most famous among readers for his earlier post-war poetry. His pre-war poetry (like Sachs’s) is less well-known to readers, though it has been the subject of several critical studies (see Patrut 2006: 34), and a few of his earliest poems have been translated by John Felstiner (2001: 2-15). <?page no="65"?> Interpretation and Creativity in the Translation of Paul Celan 65 His later poetry, though it has attracted much critical attention (see, for example, the studies in Fioretos 1994), is often seen as complex, and as difficult to translate (see Hamburger 2007: 24). His most anthologised poem in English, according to Granger’s 1997 and 2007 index to poetry in anthologies (Frankovich 1997; Kale 2007), is “Todesfuge” (Death Fugue) (Celan 1952: 37 ff.). One poem which is not listed at all by Granger is “Mit Äxten spielend” (Playing with Axes), first published in 1955 in Von Schwelle zu Schwelle (From Threshold to Threshold) (Celan 1982). It seems only to have been translated into English by one or two translators, for example by David Young (2010), though it has appeared in many other languages, for example, Ukrainian (Rykhlo 2014) and Japanese (Iiyoshi 1990). I begin with my translation of the poem, to make things easier for readers who do not speak German. Playing with Axes 1 Seven hours of the night, seven years of waking: 2 playing with axes, 3 you lie in the shadow of righted corpses 4 - oh, the trees that you cannot fell! - 5 crown of the unsaid at their heads, 6 at their feet the pickings of words, 7 you lie and you play with the axes - 8 in the end you will glint just like they do. The poem suggests a traumatised state of mind, that toys with ideas of revenge, regret, and helplessness. If it was originally conceived or composed around 1950, soon after Celan had gone to live in Paris, the seven years could refer to the time since he learned of his parents’ deaths. Seven is also an important number in Jewish mythology: there are seven working hours of the day, seven days of the week, seven branches of the menorah, seven species that symbolise the fertility of Israel (see Frankel and Teutsch 1995). For the reader of the above English poem, as of any poem, interpretation is important: we want to make sense of the poem. At the same time, there are many aspects to the poem which defy straightforward interpretation: what are righted corpses? What are the pickings of words? Is the “you” of the poem the poet or some imagined reader? Thinking about these ambiguities in particular can lead us to consider the state of mind the poet was expressing, as conveyed by the translator. Because mind-style, as described above, is a reflection in the style of a text of the state of mind informing it, it is crucial that a translator pays attention to mind-style, and that a reader of the translation trusts the translator to have done so. We would expect to find the poet’s mind-style especially in <?page no="66"?> 66 Jean Boase-Beier such stylistic figures as ambiguity, repetition of structures and sounds, and metaphors. A reader who reads the poem “Playing with Axes” in English translation must be able to engage with the poem in this way, and also to experience cognitive effects, and the possibility of re-thinking the way the world is understood. That is to say, the poem must allow the English reader to read creatively (irrespective of whether she or he actually chooses or is able to do so), to go beyond the sort of simple reading for pleasure and mild cognitive effects such as sadness, empathy or anger that could be termed everyday or non-analytical reading (see also Stockwell 2013: 264). Creative reading is always potentially analytical, open to the possibilities of the language of a poem, considering its poetic make-up, reflecting on one’s own ways of thinking and how they might change in response to the poem. In reading the poem above creatively, the reader’s awareness that it is a translation, that it is an attempt to communicate in other words and in another language something said by another person, is crucial, a point to which I return in Section 4. This is because the images of inertia and the suggestion that words are substituted for action gain a different context when it is a translator speaking, and an English-speaking audience in the early years of the 21 st century listening, from that which they had for a Holocaust survivor speaking and a German audience listening more than 60 years ago. It is to be hoped that the reader will understand the translator is telling someone else’s story and yet will still be able to get at least some sense of Celan’s poetics. Since the above poem is my own translation, I am able here to consider in more detail the process of creative reading of the original for translation which preceded my English version. Here is the original poem “Mit Äxten spielend”, in German, with a gloss in English. Mit Äxten spielend with axes playing 1 Sieben Stunden der Nacht, sieben Jahre des Wachens: seven hours of-the night seven years of-the waking 2 mit Äxten spielend, with axes playing 3 liegst du im Schatten aufgerichteter Leichen lie you in-the shade of-up-righted corpses 4 - o Bäume, die du nicht fällst! -, o trees which you not fell <?page no="67"?> Interpretation and Creativity in the Translation of Paul Celan 67 5 zu Häupten den Prunk des Verschwiegenen, at heads the showiness of-the silenced 6 den Bettel der Worte zu Füßen, the beggar’s-loot of-the words to feet 7 liegst du und spielst mit den Äxten - lie you and play with the axes 8 und endlich blinkst du wie sie. and at-last blink you like they There are many points in this short poem at which an analytical and creative reading for translation involves a consideration of the poetics that resulted in these particular forms. I shall mention just 5 such points here. (1) The title, repeated in line 2, recalls idioms such as “mit dem Feuer spielen” (“to play with fire”) and especially the phrase in Celan’s most famous poem, “Todesfuge” (Death Fugue) (Celan 1952: 37-39), “er spielt mit den Schlangen”, literally “he is playing with (the) snakes”. The reader thus has the sense of a character tempting fate, but not actually taking action. Furthermore, we might link this near-idiom with another such instance in the poem: “den Bettel der Worte zu Füßen” (the pickings of words at their feet). This phrase recalls the idiom “jemandem den ganzen Bettel vor die Füße werfen”, literally “to throw the whole pile of junk at someone’s feet”, which means that you throw everything (e. g. your work) down in front of someone and say you have had enough. The phrase also recalls, and contrasts with, “die Axt an etwas legen” (to take an axe to something), that is, to get rid of something that causes trouble or shame, a phrase that originates from John the Baptist, according to Luke 3: 9 (Holy Bible 2011: 935) (“The axe is laid unto the root of the tree”). Near-idioms in the poem carry both the connotations of the particular idiom they suggest and also the connotations of idiomatic language per se . These may include the sense that the deepest insights into language and behaviour are to be found in the simplest, most everyday language, a view in which Celan was likely to have been influenced by Brecht and especially by Benjamin’s discussion of Brecht’s use of the notion of “crude thinking”, or “plumpes Denken” (see Benjamin 1971: 59-60) in Dreigroschenroman (Threepenny Novel) (Brecht 1991), a novel which revolves around the life of beggars, as do other works by Brecht. Benjamin notes that “a thought must be crude, in order to be realised in action” (my translation; see Benjamin 1971: 60). The fact that idioms are altered suggests also the poet’s concern with the manipulation possible when language <?page no="68"?> 68 Jean Boase-Beier is not questioned, a concern implicit in Derrida’s comment, quoted above, about Celan’s strong sense of German as a language not to taken at face value. (2) The poem works on the basis of the conceptual metaphor PEOPLE ARE PLANTS . Conceptual metaphors (written in capitals to indicate mental rather than textual entities) are metaphors assumed to underlie all our thinking (see Lakoff/ Johnson 1980) and to play an important role in literary texts (see Lakoff/ Turner 1989: 67). Many of our common idioms and models of thought, especially to do with living and dying, are based on this conceptual metaphor: death as the grim reaper is a particularly potent one (see Fauconnier and Turner 2002: 291 ff.). Celan’s great interest in plants is well-known (see Kraft 1986: 6), and in many of his poems, people are represented as flowers. In a striking earlier poem “Espenbaum” (Aspen Tree) (Celan 1952: 15) his mother is presented in contrast to a tree: the tree has a natural, and renewable, life-span, but his mother does not. In fact Celan never knew where his mother died exactly, and he had no grave to visit, so the loss, as is often the case in circumstances of war or disaster, was compounded by the psychological problems that the lack of knowledge of a grave can cause (see Fauconnier and Turner 2002: 204 ff. on the importance of graves; cf. also Hamacher 1994: 221). In this poem, the corpses that have been placed upright are specifically addressed as trees. Here the image of the axe suggests the cutting down of corpses, perhaps of those hanged, and especially the intention to do so (“playing with axes”), and also the cutting down of those who are not actually corpses but the dead who have been made to act as the living, an interpretation suggested by the link between “aufrichten” (to put upright) and “richten” (to judge); see point 5 below. (3) Reading the poem we are aware that a traumatised post-Holocaust mindstyle is being represented. We see this suggested by patterns of semantic and phonetic repetition. For example, “Axt … Prunk … blinkst” are connected by sound, and “Prunk” and “blinkst” also etymologically and semantically because “Prunk” is a derivation from “prangen” (to shine), which means the same as “blinken”, from which comes the second person verb “blinkst”. There are many other instances of sound repetition, such as “Sieben … Stunden; Nacht … wachen … Schatten; sieben … spielen … liegst”. “Obsessional, compulsive repetition” in Celan’s poems, according to Felman (1992: 29), suggests a way of evoking traumatic experience indirectly, rather than through simple linear narrative. (4) Pursuing connections of words that go beyond the surface of the text (as in the case of “Prunk” and “blinkst”) leads the translator as reader into the sort of thought processes that may be assumed to have informed the writing of the <?page no="69"?> Interpretation and Creativity in the Translation of Paul Celan 69 poem. We cannot, of course, know what these were, but we can see some of what preoccupied the poet, thus gaining insight into his particular concerns, aided by what we know, or can discover, from research into his background and the context in which he was writing. Studying linguistics in Paris in 1948 and 1949, Celan would have got to know the important work of Ferdinand de Saussure, published in 1916 (Saussure 1916) as well as Roman Jakobson’s work, especially that from the 1920s and 30s on linguistics and poetics (see Jakobson 1990: 541-552). Jakobson said that, contrary to the distinction Saussure made between synchrony (the present state of language) and diachrony (its history and future), in fact a language’s history interacts with its present state, just as possible choices interact with and reflect the one made, and existing words can exhibit parallelism with non-existent ones (Rudy 1997: xiii). Here, for example, we might note that “blinkst” in the final line of the poem is related to the English words “black”, “blank” and “blink”, to the German words “blau” (blue) and “Blei” (lead) - another word of great importance in “Todesfuge”, where it is juxtaposed with “blau” - and to the French word “blanc” (white). All these words have their origin in Indogermanic “*bhel” (shine), as Celan, with his great interest in etymology, would have known. We see that, etymologically, white and black are the same, a fact that cannot have escaped Celan’s notice. Etymology was important for Celan in part because he was interested in words, their origins, and the ways they naturally change or can be unnaturally made to change. But there is often a sense of obsessiveness about the etymological connections, as though knowing history can help us escape it, which gives an insight into a traumatised mind. (5) Etymology is only one way in which words can be linked, and meanings, especially to the traumatised mind, can be seen to be contaminated by connotations. There are thus links of other types that lurk behind the poem. The word “aufgerichtet” in “aufgerichteter Leichen” (of corpses placed upright) is a word that triggers many such connections, especially because it is foregrounded in the poem, that is, it draws attention to itself by being an unexpected word (see Wales 2001: 157). One might expect “auferstanden” (resurrected), but why would corpses be placed upright rather than being raised? One reason might be because they are hanged, a common practice during the Holocaust, both inside concentration camps and in towns and cities. But the word “aufgerichtet” suggests “richten” (to judge), “hinrichten” (to execute) and “Richtbeil” (executioner’s axe), especially given the image of axes in the poem. Though the word “hinrichten” (to execute) does not actually occur in the poem, we read it because of the connotations of the image of hanging, the connotations of judging, the use of the word “axe” and the word “fällst” in the following line, from <?page no="70"?> 70 Jean Boase-Beier “fällen”, which means both “to fell”, as in “to fell a tree”, or, in keeping with the conceptual metaphor, “to cut down a person”, and also “to pass” as in “to pass judgement” (ein Urteil fällen). The word “Fallbeil”, a guillotine, is also brought to mind. But the corpses in this poem seem less those of the unavenged dead and more those of their oppressors, who are morally dead, but are given an important role in society. This is a reading which seems natural if we know of Celan’s fear that the problems of the past were hidden, that the oppressors had not been brought to justice, and that, specifically, he could be and was subject to “betrayal” (Hamburger 2007: 412) by publishers who published the work of those who had been complicit. In his late poem, “Wolfsbohne” (Wolf ’s Bean), he speaks of those who “permit vileness to slander me” (in Hamburger’s translation 2007: 403) and expresses the fear of having shaken hands with those who had committed evil (Hamburger 2007: 401). Having taken these 5 points, and many others, into account in my reading of Celan’s poem for translation, I have built up a picture of a poetic mind-style that reflects a mind obsessed with guilt and punishment, with inaction, with the dead and their ambivalence, and with language itself. Many of the thoughts and considerations that the language of the poem gives rise to lead beyond the text itself. Re-creating the poem in a translation involves allowing these thoughts and considerations to be possible for new readers. That is, creative reading must be possible for them, too. 4 The Creative Reading of the Translated Poem If a process of creative reading for translation has informed the writing of the translated poem, there is hope its readers will be able to engage in a similar way with the poem before them. Furthermore, creative reading of the translated text means that the reader is aware there was an original that gave rise to it. To make such awareness more likely, background for the original poem needs to be supplied so that the new readers’ cognitive context contains at least some elements that were likely to have formed part of the cognitive context of the original readers. I can only indicate here one or two such places in the translated poem where considerations of the creative engagement possible for new readers have been particularly important. There are of course instances, in the translation, of sound repetition and ambiguity that attempt to convey some of the obsessiveness and slipperiness of the original. Words such as “waking … playing”, “lie … righted”, “unsaid … heads” are in part chosen with a view to repeated sound. But much more important are the points of ambiguity in the poem that might lead to explorations of language itself. The words “righted”, “crown”, “pickings” and <?page no="71"?> Interpretation and Creativity in the Translation of Paul Celan 71 “glint” will serve to illustrate some of this ambiguity and the creatively engaged reading to which it is hoped they can give rise. “Righted” in line 3 was chosen because the word needs to express the result of an action that has placed the corpses upright. “To right” is normally “to restore to an upright position”, as in “he righted the vase that had fallen over”. But “to right” also means “to put right”, and thus “righted” has connotations of being morally upright, which perhaps they were not, but which they were assumed by the rest of society to be, or had been placed so as to appear to be, and which in the speaker’s mind they may appear to be in contrast to his own inability to act. “Crown” was chosen for “Prunk” in line 5, because, as noted under point (3) above, “Prunk” is something ostentatious, suggesting embellishment, and the word is etymologically related to verbs meaning “to shine”. But a crown is also the top of a tree in German (Baumkrone), and the corpses are explicitly addressed as trees in line 4. There are further connotations of the crown of thorns, especially given the contrast to “Bettel” (that which a beggar has collected). The crown is an extremely potent image in Judaism, where, in the Kabbalistic symbolism that exerted great influence on Celan (cf. Felstiner 1995: 235-241), it is at the top of the tree that symbolises the sefirot , or manifestations of God (Scholem 1971: 44; 70). Thorns are symbols of uncultured land, as well as of trial and difficulty, in both Jewish and Christian traditions (see Gheerbrandt et al. 1996: 262, 991) and the image of the crown of thorns drew on both these symbols. In Celan’s other poetry, images of a crown, and of thorns, often in juxtaposition with images of blood, are common. “Prunk” is related to “Pranger”, a pillory, a pillar or stocks, or whipping post, used for public humiliation of criminals. “Prunk” thus suggests in German not only the embellishments of office but also (though this etymological connection would not be known to most German readers) the need for public acknowledgement of crimes, and is thus, in the original poem, linked by its connotations both to “die Axt an etwas legen”, literally “to take an axe to something”, and to “aufgerichtet”, a connotation possibly stronger in the English “righted”. “Pickings” was used in line 6 for “Bettel”, literally, “that which a beggar has collected”. In conjunction with axes, it may for the English reader have the connotations of picks as working tools, as “Äxten” certainly would have had for Celan, not least because his parents were made to work as stone quarriers in the slave-labour camp in the Ukraine where they died. “Glint” is used in the final line for “blinken”. Originally meaning “to look askance, let one’s glance slide off”, it is related to “glance” and “glide” in English, and to similar words in French and Dutch. Like “blinken”, it picks up the sense of “prangen” (to shine) that linguistically lies behind “Prunk”, and is semanti- <?page no="72"?> 72 Jean Boase-Beier cally (though not of course etymologically) connected to “crown”. There is an ambiguity about “glint”, especially because of its original meaning, “to let one’s glance slide off” something, as suggested by an etymology which links it to “blink” in English (see Onions et al. 1966: 401), the closest obvious equivalent of “blinken” in German, a word that appears in the final line. That connotation of a sliding glance is still present in our knowledge of words such as “glisser”, “to slip” in French, the root of many technical terms in sports such as skiing and climbing. “Glint” may thus suggest, as many of Celan’s poems do, the need to look at things indirectly, to let our glance slide off them. Another example is “Auge der Zeit” (Time’s Eye) from the same collection (Celan 1982: 51). In this poem, though, indirect looking is not just a way of preserving one’s sanity in the face of traumatic events. It is also a source of guilt: if we do not look at things directly we are merely “playing” with axes but not actually setting to work with them. “Glint” in English probably has connotations of gleaming, of embellishment, or of a sudden hint or suggestion, more than of “glance”. However, many words hold connotations in their sound (cf. Andersen 1998), a fact which may or may not be related to their etymology. “Glint” is part of a series of words “hint”, “squint”, “tint” that all suggest something fleeting and subtle. The English translation, it is hoped, will allow engaged reading that considers the links between words in the poem and words suggested, and the ambiguities of thought to which particular words such as “righted” give rise, as well as the force of the poetic images. But the translation should also allow the reader to be aware of the original poem that lies behind it. This might simply be an awareness that it exists, that the English poem is a re-telling, or it may go beyond this to consider links between English and German that were already in the original, such as some of those mentioned above. The degree of awareness of the original poem does not depend on the reader’s knowledge of the source language, but much more on such things as the presentation of the translated poem (monolingually or bilingually, for example), or discussion of translation in the book in which the poem appears, for example in a Translator’s Preface. 5 Conclusion The examples I have examined here from Celan’s original poem and my translation suggest that part of the way such poems have cognitive effects is in giving rise to creative, engaged reading. This is reading that is not afraid to analyse the original, or the translation, and to work out how words and structures achieve these effects. But it is also not afraid to attempt a reconstruction of a particular state of mind that gave rise to the poem and is reflected in its mind-style. Here <?page no="73"?> Interpretation and Creativity in the Translation of Paul Celan 73 that particular state of mind in the case of the original poem is traumatised, obsessive and filled with feelings of guilt. A translator is by nature an interpreter, as is every reader. When we read anything we interpret it, giving it a meaning that we assume is a combination of what the writer meant and what it means to us. Translating poetry in particular involves, I have argued here, an understanding of translation as recreation that is accurate in that it allows access to the poetics that inform the poem. Reading for translation also involves a consideration of what it means when texts cross language-boundaries and it leads to a deeper understanding of the connection between languages, something that is particularly important to Holocaust poetry with its Central European origins and the multilingual background of so many of its writers. It involves imagining what the text will become in a new language and a new context, and how the new language and context will be affected. The intellectual and emotional engagement the translator expends upon the original is thus by nature creative. It is no use, for example, to see equivalences at surface level with no thought for connotation, etymology, or the claims of semantics that link a particular word or phrase with other elements of language or the poet’s work or the work of others. But it is also no use being constrained by a superficial understanding of the original text. Creative engagement with the original text leads to analysis and research. If there seems, for example, a connotation of the crown of thorns in the poem, we cannot simply discard this because the poet was Jewish. No poet is influenced only by their own immediate cultural background. But, more than this, research will show the pre-Christian and extra-Christian origins of this image, which are always potentially available to any reader, whether or not they formed part of the cognitive context of the original poet. Etymology, similarly, is not only a way to dig deeper into our own language, but a means to explore the common origins of languages and a way to uncover the uncertainty of meaning. It thus leads to an understanding of the multicultural origins of language. It is to be hoped that, if the translation of poetry is in essence the translation of poetics, the translated poem will have its own poetics, its own system that informs the way the poem is put together. Then it can be hoped that some of the creative possibilities in reading the original which were available to the translator will also be available to the new readers of the translated poem. References Andersen, Earl (1998): A Grammar of Iconism . London: Associated University Presses. <?page no="74"?> 74 Jean Boase-Beier Attridge, Derek (2004): The Singularity of Literature . London: Routledge. Benjamin, Walter (1971): Versuche über Brecht . Frankfurt am Main: Suhrkamp. Benjamin, Walter (1992): „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen”. In: Tiedemann, Rolf (ed.): Walter Benjamin. Sprache und Geschichte . Stuttgart: Reclam, 30-49. Benjamin, Walter (2012): “The Translator’s Task”. Tr. by Steven Rendall. In: Venuti (ed.), 75-83. Boase-Beier, Jean (2015): Translating the Poetry of the Holocaust. Translation, Style and the Reader . London: Bloomsbury. Brecht, Bertolt (1991): Dreigroschenroman . Frankfurt am Main: Suhrkamp. Brodzki, Bella (2007): Can These Bones Live? 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C.: Marick Press. <?page no="77"?> Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur 77 Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur Wolfgang Pöckl (Innsbruck) Abstract: Translation of children’s literature is generally considered, often even by the translators themselves, a relatively undemanding and hence low prestige activity. Therefore it usually does not play a role in translator training. Young German-speaking readers often notice, however, that children in the books they read do not speak “their” language. This can be due to the fact that the translator does not have the experience of how children of a certain age speak in everyday life. But German translators have to keep in mind that German is a pluricentric language. This means that the translation will not be satisfactory for all children of the German speech community. The magic formula could be intralingual translation but this is not only an economic question. Translators are not at all used to translating from one standard into another and have to appeal to their linguistic instinct. This is a constantly creative activity as long as they lack routine in this form of translation. Keywords: Children’s literature, pluricentric languages, empathy, intralingual translation, linguistic instinct (Sprachgefühl). 1 Das Kinderbuch- - ungeliebtes Kind der Übersetzer? Mehrmals und in verschiedenen Ländern wurde ich in den vergangenen Jahren Ohrenzeuge von Gesprächen zwischen Übersetzerinnen, die sich ihren Lebensunterhalt vor allem als Freiberuflerinnen verdienen, über die jeweilige Auftragslage. Dabei ist mir aufgefallen, dass oft berichtet wurde, man sei gerade mit einem Kinderbuch beschäftigt, was an sich nicht verwunderlich ist, da die Übersetzungstätigkeit auf diesem Sektor außerordentlich intensiv ist. Was mich dagegen überrascht hat, war, dass diese Auskünfte praktisch immer von einem resignativen Unterton begleitet waren: Die Auftraggeber hätten im Moment leider nichts Interessanteres, aber ein Kinderbuch sei besser als nichts, und so füge man sich wohl oder übel in sein Übersetzerschicksal. Doch welche Gründe <?page no="78"?> 78 Wolfgang Pöckl kann es geben, dass das Übersetzen von Literatur für Kinder als dermaßen unattraktiv empfunden wird? Zunächst muss man natürlich bedenken, dass solche Aufträge selten umfangreich sind. Kinderbücher haben weniger Text als Romane für Erwachsene. Üblicherweise hat man sich auch noch an Illustrationen zu orientieren, die ja nur in den seltensten Fällen für fremdsprachige Ausgaben modifiziert oder gar ersetzt werden (dürfen). Solche zusätzlichen Erschwernisse kann man aber selten in Rechnung stellen, so dass die Verdienstmöglichkeiten bei einem einzelnen Titel naturgemäß beschränkt sind. Ein weiteres Motiv für den geringen Enthusiasmus ist die weit verbreitete - und anscheinend auch von ÜbersetzerInnen selbst vielfach geteilte - Auffassung, das Übersetzen von Kinderbüchern sei wenig anspruchsvoll. Selbst Kultbücher wie Der kleine Prinz , seit kurzem gemeinfrei, werden von Übersetzern offenbar als ‚Kinderspiel‘ betrachtet. So beschrieb Hans Magnus Enzensberger seine Neuübersetzung des französischen Klassikers als „eine Sache für die linke Hand“. Einen großen Kulturauftrag scheint er nicht empfunden zu haben: „Das wirft man den Leuten mit Kindern jetzt mal hin, und dann können die damit machen, was sie wollen“ (Felicitas von Lovenberg, online). 1 Aus Übersetzungen für die linke Hand ist wenig Prestige abzuleiten. Im Curriculum von ÜbersetzerInnen nehmen solche Publikationen demnach keinen bedeutenden Rang ein. Gegenteilige Lippenbekenntnisse bleiben Randbemerkungen der Fachliteratur. So schrieb Hans Joachim Störig im Vorwort zur ersten deutschen Anthologie übersetzungstheoretischer Äußerungen: Im Bereich der literarischen Übersetzung […] gibt es Zweige, die ihre eigenen Probleme haben und hier insoweit nicht behandelt werden. Dazu gehören die Probleme der Filmsynchronisation. Dazu gehören Kinderbücher: Es gibt nur noch eines, das schwerer ist als ein gutes, zum Klassiker bestimmtes Kinderbuch zu schreiben - so ist gesagt worden -, nämlich ein gutes Kinderbuch gut zu übersetzen. (Störig 1963: XVI f.) 2 Kategorien von Kinderliteratur Der Ausdruck Kinderliteratur ist in zweifacher Hinsicht mehrdeutig. Er ist einerseits unscharf als Gegenbegriff zur „richtigen“, zur Erwachsenenliteratur. Heute differenziert man - sinnvollerweise - gelegentlich zwischen Kinder- und Jugendliteratur, ohne dass die Grenze zwischen diesen beiden Kategorien scharf gezogen werden könnte. Als logische Konsequenz werden Kinder- und Jugend- 1 http: / / www.faz.net/ aktuell/ feuilleton/ buecher/ der-kleine-prinz-gemeinfrei-die-traenender-ruehrung-sind-getrocknet-13 395 970.html <?page no="79"?> Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur 79 literatur denn auch wieder fast immer in einem Atemzug genannt und wissenschaftlich behandelt (vgl. z. B. das deutsche Referenzwerk von Wild 1990). Neben der Einteilung, die primär auf das Alter abzielt, ist noch eine andere Kategorisierung zu berücksichtigen. Es gibt das idealtypische Kinderbuch, von Erwachsenen für Kinder geschrieben und illustriert, in dem etwa lebensweltliche Bereiche thematisiert werden (Stadt, Baustelle, Bauernhof; Lebensformen in fremden Ländern etc.). Nicht selten aber findet man auf dem Buchmarkt Publikationen mit intendierter Doppeladressierung. Damit meine ich nicht - was unter diesem Terminus auch manchmal verstanden wird - die unleugbare Tatsache, dass im Verlagswesen Kinderbücher oft durch die Brille von Erwachsenen beurteilt werden, weil sie es ja sind, die die Bücher kaufen und daher ihren Geschmack bedient sehen wollen. Als doppelt (bzw. mehrfach) adressiert bezeichne ich hier - in Übereinstimmung mit der üblichen Verwendung des Ausdrucks - solche Produkte, die sich vorgeblich (ausschließlich) an Kinder richten, aber auch von älteren Leserinnen und Lesern - Jugendlichen oder Erwachsenen - auf einer anderen Ebene mit Vergnügen und Gewinn gelesen werden können. Das weltweit verbreitetste und in die größte Zahl an Sprachen bzw. Varietäten übersetzte Beispiel dieser Art ist der schon erwähnte Kleine Prinz , in dem sich der Erzähler ja explizit an Kinder wendet und z. B. die Phantasielosigkeit der „grandes personnes“ (ein kindersprachlicher Ausdruck für „adultes“, ‚Erwachsene‘) tadelt. Die Mehrfachadressiertheit ist zweifellos auch das Erfolgsrezept der Petit- Nicolas -Serie des französischen Autors René Goscinny und seines Illustrators Jean-Jacques Sempé (in deutscher Übersetzung: Der kleine Nick ): Ecrites sous forme de courts récits dans lesquels se mêlent l’humour et la tendresse de l’enfance, les aventures du Petit Nicolas mettent en scène un petit garçon dans un environnement urbain pendant les années 1960. Le personnage y livre ses pensées intimes grâce à un langage enfantin créé par Goscinny et les thèmes sont avant tout ceux de l’enfance (la camaraderie, les disputes, les rapports avec la maîtresse d’école, les premières amourettes,…) mais Goscinny y décrypte également le monde complexe des adultes : l’éducation, les disputes familiales, les rapports entre voisins, la relation du père avec son patron, etc. 2 Das spanische Pendant Manolito , auf das ich noch zu sprechen kommen werde, funktioniert ganz analog, hatte aber aus kulturideologischen Gründen nicht denselben Erfolg, wird jedoch gleichwohl als Schullektüre für den Fremdsprachenunterricht im Reclam-Verlag angeboten (Lindo 2010; 2013). Damit ist klar, dass Nicolas und Manolito zunächst für gleichaltrige Leserinnen und (wohl vor 2 https: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Le_Petit_Nicolas <?page no="80"?> 80 Wolfgang Pöckl allem) Leser als Identifikationsfiguren wirken (zumindest insofern, als sie die Probleme des Protagonisten kennen und teilen); als fremdsprachliche Schullektüre lösen die Texte beim postpubertären Lesepublikum aber vermutlich eher ein Gefühl der Überlegenheit aus („ja, so war ich auch einmal; vieles erinnert mich an meine kleinen Geschwister“ etc.); Erwachsene könnte die Lektüre dagegen zum Überdenken und zu einer Relativierung ihrer Erziehungsprinzipien, wo nicht generell ihrer Einstellung zum Alltagsleben anregen. Eine dritte, zahlenmäßig (besonders unter translatorischem Gesichtspunkt) sehr kleine als Kinderliteratur bezeichnete Klasse konstituiert sich aus Texten, die von Kindern geschrieben wurden. Ich erwähne sie hier der Vollständigkeit halber, gehe aber in der Folge nicht weiter auf sie ein. Eltern und PädagogInnen wissen natürlich, dass es Kinder gibt, die bereits im Grundschulalter umfangreiche Geschichten verfassen; deren Distribution beschränkt sich aber gewöhnlich auf den Verwandtenkreis, sofern sie nicht überhaupt nur ins Familienarchiv wandern. Doch es sind auch schon einzelne Kinder, vorwiegend Mädchen, in die Literaturgeschichte eingegangen. Ihre Werke repräsentieren in etwa das, was man in der Kunst als „art brut“ bezeichnet. Ein berühmter Fall sei immerhin erwähnt, zumal der namhafte Schriftsteller H. C. Artmann als Übersetzer seine Hand im Spiel hatte. 3 Angeregt durch die Lektüre zahlreicher konventioneller Beziehungsromane, verfasste die neunjährige Daisy Ashford, die bezeugtermaßen unbeschränkten Zugang zum elterlichen Bücherbestand hatte, Ende des 19. Jahrhunderts Geschichten, deren orthographische Unbekümmertheit noch mehr zum Charme ihrer Werke beiträgt als die altklugen Kommentare der auktorialen Erzählerin. Was die Adressierung betrifft, so kehren sich hier die üblichen Verhältnisse um, denn das literarisch frühreife Mädchen hat handlungsmäßig herkömmliche Liebesromane geschrieben, die wohl für Erwachsene gedacht waren, da sich gleichaltrige Kinder für solche Themen ja noch nicht begeistern. 3 Übersetzungstheoretisches Man kann, wie Walter Benjamin in seinem berühmten Aufsatz über „Die Aufgabe des Übersetzers“ (1923 / 1963), die Auffassung vertreten, dass Kunstwerke nicht im Hinblick auf Rezipienten entstehen - „kein Gedicht gilt dem Leser, kein Bild dem Beschauer, keine Symphonie der Hörerschaft“ (Benjamin 1963: 182) - und dass dasselbe analog auch für die Übersetzung gilt: „Wäre sie […] für den Leser bestimmt, so müßte es auch das Original sein“ (Benjamin 1963: 3 Die deutsche, im Insel-Verlag erschienene Übersetzung ist genauer analysiert in Pöckl (2011). Die Hauptschwierigkeit für den Übersetzer war dabei natürlich die (glaubhafte! ) Nachbildung von Rechtschreibfehlern und Verstößen gegen die Grammatik. <?page no="81"?> Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur 81 183). Die meisten modernen Literatur- und Übersetzungstheoretiker folgen ihm darin allerdings nicht, und am wenigsten wohl diejenigen, die sich mit Kinderliteratur beschäftigen. Es ist nicht abwegig sich vorzustellen, dass ein Mensch seinen Liebeskummer in ein Gedicht gießt, das er der Öffentlichkeit vorenthält, aber es wäre wohl eine sehr ungewöhnliche Reaktion, sich mit dem Verfassen eines Kinderbuchs über die Enttäuschung hinwegzutrösten. Dabei muss man freilich nicht von der Idee einer unüberschaubaren Leserschaft ausgehen; nicht wenige Bucherfolge in diesem Sektor sind, den Berichten ihrer AutorInnen zufolge, zunächst für ein einziges ganz bestimmtes Kind, in der Regel natürlich ein eigenes, entstanden, aber ganz ohne den Gedanken an ein Publikum - und sei es zahlenmäßig noch so beschränkt - wird man sich Kinderbücher nicht entstanden denken dürfen. Wie generell mit Übersetzungen literarischer Texte umgegangen wird, hängt - sehr verallgemeinernd gesprochen - von der Translationskultur des jeweiligen Landes ab. In den - ohnedies nicht sonderlich übersetzungsfreudigen - anglophonen Sprachgemeinschaften dominiert die Einbürgerung, domestication, covert translation ; im deutschen Sprachraum genießt dagegen seit den kanonisierten Übersetzungen der Sturm-und-Drang-Zeit und der Frühromantik die Verfremdung, foreignization, overt translation , mehr Kredit; Frankreich hat nach dem Zweiten Weltkrieg seine Orientierung an den Idealen der Belles Infidèles schrittweise aufgegeben und bisweilen dem entgegengesetzten Extrem gehuldigt. Für Kinderliteratur aber scheint europaweit zu gelten, dass die Anpassung an die Zielkultur das unhinterfragbare Mittel der Wahl ist, um die jungen LeserInnen nicht zu irritieren oder zu verunsichern. Dabei sind allerdings weniger rein sprachliche Aspekte als im weitesten Sinn kulturelle Faktoren im Fokus. Die Untersuchung von Juliane House (2004) - übrigens das einzige mir bekannte repräsentative Forschungsprojekt - hat an zahlreichen aus dem Englischen ins Deutsche übersetzten Kinderbüchern zeigen können, wie in den zielsprachlichen Versionen kulturelle Filter unterschiedlichster Art eingezogen werden. Es wäre zweifellos aufschlussreich, kulturbedingte Übersetzungsprobleme auch für andere Sprachenpaare auf so breiter Basis zu untersuchen. Bekannt und oft nacherzählt: die Auseinandersetzung Astrid Lindgrens mit ihrem französischen Verleger, der Pippi Langstrumpf im Namen des gesunden Menschenverstands französischer Kinder verwehren wollte, ein Pferd zu stemmen; ein Pony sei das äußerste Zugeständnis (Blume 2001: 102 ff., bes. Fußnote 175), was die Autorin zu einer sarkastischen Replik veranlasste. Nicht allgemein bekannt dürfte der Grund dafür sein, warum der Hamburger Klopp-Verlag die Übersetzungen der in Spanien (und weit darüber hinaus) außerordentlich erfolgreichen Manolito -Bände von Elvira Lindo aus dem Programm genommen hat. Auf Anfrage einer Innsbrucker Dozentin (zum Anlass vgl. infra <?page no="82"?> 82 Wolfgang Pöckl 4.2) antwortete die Vertreterin des Verlags: „Leider konnte trotz intensivster Bemühungen kein TB -Verlag gewonnen werden. Deren Ablehnungen gipfelten in dem unguten Gefühl, dass die häusliche Gewalt in diesen Geschichten für den deutschen Markt nicht erfolgversprechend sei.“ 4 Es ist nachvollziehbar, dass im Zusammenhang mit Kinderliteratur viel von kulturellen Unterschieden und dem zweckmäßigen oder faktischen Umgang mit ihnen die Rede ist. Es sind die Phänomene, die am deutlichsten auffallen und sich bei wissenschaftlichen Untersuchungen am ehesten aufdrängen. Ob sie in Zeiten der Globalisierung das Privileg nahezu exklusiver Aufmerksamkeit verdienen, ist eine andere Frage. Über kulturelle Unterschiede wissen Kinder heute als Mitglieder von Patchworkfamilien, aus Urlauben oder durch Klassenkameraden mit fremdkulturellem Hintergrund oft gut Bescheid, so dass das Eliminieren solcher Diskrepanzen wie eine Verbeugung vor der Skopostheorie erscheint, wenn man nicht überhaupt von einem Akt der Zensur sprechen will. Was mich als Leser (bzw. hauptsächlich als Vorleser) von Kinderbüchern dagegen immer verwundert hat, ist die Seltenheit von Kommentaren hinsichtlich der Sprache. Diesbezüglich werden Kinder, die viel lesen (oder vorgelesen bekommen), vermutlich weit öfter mit irritierenden Erlebnissen konfrontiert. Die heutigen deutschsprachigen Kinder werden durch die Medien zwar an die Existenz unterschiedlicher Varietäten sehr viel früher gewöhnt als noch ihre Großeltern, aber besonders wenn es um Geschichten aus dem täglichen Leben geht, stellen Kinder mit einer altersgemäß entwickelten sprachlichen Sensibilität fest, dass Figuren in ihren Büchern häufig nicht „ihre“ Sprache sprechen. Eine deutsche Kollegin aus Rheinland-Pfalz hat mir vor Jahren berichtet, ihre Tochter verschlinge die Geschichten von Christine Nöstlinger, aber eines Tages habe sie gefragt: „Warum reden die in diesen Büchern so komisch? “ 4 Sprachgefühl 4.1 Annäherung an einen umstrittenen Begriff Mit dieser Frage der jungen Leserin kommen wir nun zum zentralen Punkt unserer Überlegungen. Wissen Verfasserinnen und Verfasser von Kinderliteratur, wie ihre Heldinnen und Helden „in Wirklichkeit“ reden? Findet sich eine achtjährige Grundschülerin in der gleichaltrigen Hauptfigur wieder? Das gilt 4 Ich danke Frau Mag. Sabine Haider für die Möglichkeit, in ihre Korrespondenz mit dem Verlag Einsicht nehmen zu dürfen. - Das vorgebrachte Argument erinnert an die Beobachtungen von Juliane House, dass pädagogische Prinzipien im Übersetzungsbetrieb eine wesentliche Rolle spielen. House hat mehrfach ideologisch motivierte Eingriffe in Übersetzungen feststellen können. <?page no="83"?> Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur 83 natürlich in gleichem Maß für Originale wie für übersetzte Werke, denn wir haben es ja mit Texten zu tun, bei denen die „performative Unauffälligkeit“ (Heller 2013) zur elementaren Rezeptionsbedingung gehört; das heißt, das Translat wird nicht als Translat wahrgenommen und schon gar nicht als solches reflektiert. Wenn Radegundis Stolze in ihrem Einführungswerk in den hermeneutischen Ansatz demonstrieren will, was für „vielfältiges sprachliches Wissen“ (Stolze 1992: 272) zum Handwerkszeug des kompetenten Übersetzers gehört, ruft sie als Theoretiker Mario Wandruszka und dessen Konzept der muttersprachlichen Mehrsprachigkeit (Wandruszka 1979: 13 ff.) auf und bemüht als Praktiker den renommierten Übersetzer Curt Meyer-Clason, der die ganze Bandbreite dieser innersprachlichen Mehrsprachigkeit durch Aufzählung von VertreterInnen diatopischer und diastratischer Varietäten eindrucksvoll (und wohl auch ein wenig großsprecherisch) vorführt: Im Kopf muß das vorhanden sein, womit der Übersetzer arbeitet: vor allem seine Sprache, die Sprache von Vater und Mutter, seiner Geschwister, die Sprache vieler Menschen und Gesellschaftsklassen, seines Landes, seiner engeren Heimat mit ihrem Tonfall, Dialekt, Jargon, Slang. Der Übersetzer muß also im Ohr gespeichert haben, wie ein Handwerker, ein Hilfsarbeiter, ein Bürger der Vorkriegs- und Nachkriegszeit spricht, ein Beamter, ein Landedelmann aus dem Bayerisch-Österreichischen etwa, wie ein Hochschullehrer, ein Schulmann, wie ein Griechenschwärmer oder ein Atomkraftgegner redet, er muß die Suada der Medienarbeiter kennen, aber auch den Tonfall der Toilettenfrau in den Residenzstuben. (Zit. nach Stolze 1992: 272) Und da Meyer-Clason offenbar bemüht war, nichts auszulassen, was je an Anforderungen an ihn gestellt wurde oder hätte gestellt werden können, fragt man sich, ob denn niemals in den vielen Werken, die er übersetzt hat, ein sprechendes Kind vorgekommen ist, dessen Tonfall im Ohr zu haben nötig gewesen wäre, um seine Äußerungen glaubwürdig wiederzugeben. Niemand unter den deutschsprachigen Übersetzungswissenschaftlern hat nachdrücklicher als Rainer Kohlmayer betont, dass der Übersetzer sich in seine Figuren einfühlen müsse: „Das Einfühlungsvermögen ist die unhintergehbare Voraussetzung des Verstehens“ (Kohlmayer 2004: 23). Er hat als Theaterübersetzer und Theaterpraktiker naturgemäß primär Bühnenfiguren vor seinem geistigen Auge, aber viele seiner Forderungen lassen sich getrost verallgemeinern und sind auch so gemeint: Die Originalfiguren haben als ästhetische Schöpfungen des Autors ein Recht auf ihre möglichst authentische Stimme und Sprache. Der Literaturübersetzer übersetzt nicht ‚Text‘, sondern Menschen und menschliche Stimmen. (Kohlmayer 2004: 19) <?page no="84"?> 84 Wolfgang Pöckl Dabei gesteht Kohlmayer dem Übersetzer zu, dass ihm die Empathie, die Einfühlung nicht die gesamte Figur in all ihren Facetten erschließt. Deswegen müsse die Fantasie, die er als „ Fähigkeit zur emotionalen Hypothesenbildung “ (Kohlmayer 2004: 25; Kursivsetzung im Original) versteht, einspringen und weiterhelfen. Da solche Hypothesen in Bezug auf literarische Figuren nie auf ausreichend abgesicherte Indizien gestützt werden können, also im Stadium der Abduktion bleiben, wird vom Übersetzer Kreativität gefordert: „Der Begriff der ‚Kreativität‘ in der Übersetzungswissenschaft, wenn er nicht auf der Ebene eines Modebegriffs bleiben soll, müsste folglich als abduktive Kompetenz beschrieben werden“ (Kohlmayer 2004: 25; Kursivsetzung im Original). Kohlmayer, der „der emotionalen Blindheit zerebraler Translationstheorien“ (Kohlmayer 2004: 25) das Einfühlungsvermögen entgegensetzt, fordert hier etwas, was in der translationsdidaktischen Fachliteratur wenig thematisiert wird, um es vorsichtig auszudrücken. Das bedeutet nun allerdings - ich kann das aus eigener Erfahrung behaupten - keineswegs, dass in praktischen Übungen, wenn es um ästhetisch geformte bzw. fiktionale Texte geht, das Hineindenken in Handeln und Sprechen von Figuren eine untergeordnete Rolle spielen würde. Im Gegenteil: Gerade wenn es um direkte Rede geht, sind die Studierenden oft recht unterschiedlicher Meinung darüber, wie denn nun die authentischste Äußerung einer Figur in einer bestimmten Situation lauten müsse. Nach längeren und manchmal ergebnislosen Diskussionen werden auch verschiedentlich Stimmen laut, die nach Anleitungen verlangen. Es müsse doch wissenschaftliche Literatur geben, aus der man lernen könne, was man bislang offenbar nicht richtig beherrsche. Andererseits verhärten sich die Positionen auch im Zug der Diskussion, wobei die Berufung auf das eigene Sprachgefühl eine zentrale Rolle zu spielen pflegt. Solche Auseinandersetzungen, die nicht mit einem Kompromiss enden, auf den sich schließlich und endlich - und nicht vollends überzeugt - alle einigen, gehören zu den Glücksmomenten der Didaktik. Es genügt meistens, die Studierenden selbst zu der Einsicht kommen zu lassen, dass sich ihr eigenes Sprachgefühl in unterschiedlichen Regionen, in unterschiedlichen Milieus, durch unterschiedliche Lektüreerfahrungen und - was man leicht vergisst - durch unterschiedliche Nutzung der sozialen Medien herausgebildet hat. Dennoch sollten sich Gelegenheiten ergeben und wahrgenommen werden, über das Sprachgefühl und seine Bedeutung für ÜbersetzerInnen nachzudenken. Sowohl in der Sprachals auch in der Übersetzungswissenschaft begegnet man dem Begriff selten. Das Sprachgefühl hatte einen kurzen öffentlichen Auftritt, nachdem im Jahr 1980 die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung die Preisfrage gestellt hatte: „Ist Berufung auf das ‚Sprachgefühl‘ berechtigt? “ Rufen wir uns in Erinnerung, warum wir überhaupt auf das Problem des Sprachgefühls gestoßen sind. Es ging darum, für Äußerungen (insbesondere <?page no="85"?> Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur 85 in direkter Rede) einen möglichst lebensnahen, glaubwürdigen Ausdruck zu finden. Und entsprechend unserem Thema wollen wir uns im Besonderen die diesbezügliche Aufgabe einer Übersetzerin oder eines Übersetzers von Kinderbüchern vergegenwärtigen. Sind die von der Akademie publizierten Antworten (Gauger et al. 1982) der Autoren (es sind sämtlich Männer) hilfreich, speziell im Hinblick auf unsere Thematik? Die preisgekrönte Schrift (Gauger / Oesterreicher 1982) verengt den Horizont von Anfang an auf die transregionale Norm und auf die Dichotomie ‚richtig‘ vs. ‚falsch‘: „Die Berufung auf Sprachgefühl kann ja, offensichtlich, nur berechtigt sein, wenn es Gründe gibt, im Sprachgefühl einen verläßlichen Zeugen für Sprachrichtigkeit zu erblicken“ (Gauger / Oesterreicher 1982: 14). Soll das heißen, dass es in Bezug auf Dialekte oder sprachlichen Substandard kein Sprachgefühl - oder um ganz fair zu bleiben - keine berechtigte Berufung auf das Sprachgefühl gibt? So ist es, sagt Gauger, denn Dialekte sind nicht normiert, also fehlt der Maßstab für die Beurteilung der Richtigkeit. Die Antwort von Helmut Henne wird ÜbersetzerInnen mehr Zustimmung entlocken. Henne bringt das Konzept der innersprachlichen Mehrsprachigkeit (ohne speziell auf Wandruszka zu verweisen) ins Spiel und sieht ganz realistisch, dass man rückfragen müsse: „Sprachgefühl in welcher Sprache? Wird nicht die Mehrzahl der Deutschsprachigen mehrere Varietäten teilweise sprechen und teilweise verstehen? “ (Henne 1982: 104), um danach zu schildern, wie sich Studierende an der Universität nach und nach die Praktiken des akademischen Diskurses aneignen müssen. 5 In Übersetzungen steht man viel öfter als vor einem Urteil über ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ vor der Frage, ob eine Formulierung ‚angemessen‘ ist oder nicht. Angemessen für welche Person, für welche Situation? Hier haben ÜbersetzerInnen von Kinder- und Jugendbüchern vielfach ständig Entscheidungen jenseits übersetzerischer Routinen zu treffen. 4.2 Beispiele Kommen wir nun zurück zu unserem Ausgangspunkt für das Kapitel über das Sprachgefühl: Es war die Frage der jungen Leserin aus der Südpfalz, warum die Figuren in Christine Nöstlingers Geschichten „so komisch“ reden. Nun weiß man, wenn man sich für Kinderliteratur interessiert, dass ein falscher Zungen- 5 Aus der Perspektive der Lehrenden, die studentische Arbeiten korrigieren und beurteilen müssen, stellt sich das so dar, dass man mit einiger Erfahrung relativ leicht erkennt, wann in studentischen Texten Passagen enthalten sind, die über den sprachlichen Fähigkeiten der VerfasserInnen liegen (und folglich plagiatsverdächtig sind). <?page no="86"?> 86 Wolfgang Pöckl schlag ihrer Heldinnen und Helden der geringste Vorwurf ist, den man der österreichischen Schriftstellerin machen kann. Die Lebensnähe der von ihr geschaffenen Gestalten und ihrer Konflikte ist Anlass für viele einschlägige Preise und für ihr hohes Ansehen in der Branche. Die Antwort liegt auf der Hand. Während sich LeserInnen etwa in Frankreich, um sich ein Urteil über die sprachliche Authentizität eines jungen Protagonisten zu bilden, fragen würden: Wie alt ist das Kind und in welchem sozialen Milieu bewegt es sich? , muss im deutschen Sprachraum die erste Frage der regionalen Herkunft gelten. Kinder aus Berlin sprechen anders als Kinder in München oder in Wien, auch wenn sie derselben sozialen Schicht angehören. So wie es im deutschen Sprachraum keinen überregionalen Substandard gibt, existiert auch keine gesamtdeutsche Kinder- und Jugendsprache, auch wenn TV - Serien für die Verbreitung einer Reihe von sprachlichen Innovationen sorgen, die von Kindern leicht aufgenommen und oft auch schnell von Erwachsenen in ihren Sprachschatz integriert werden. Die Verschränkung von Diatopik und Diastratik im deutschen Sprachraum ist ÜbersetzerInnen als Problem wohlvertraut (und gut beschrieben, z. B. bei Albrecht 2005: 243 ff.). Dagegen muss man sich bei Übersetzungen aus dem Deutschen in der Regel keine Gedanken über Helvetismen oder Austriazismen machen. Wenn Nöstlingers Kinder über die Schule reden und von ihren Fünfern oder vom Sitzenbleiben erzählen, ist das für italienische oder französische ÜbersetzerInnen kein Anlass, sich irgendwelche Normabweichungen auszudenken. 6 Die sprachliche Irritation ist eine rein innerdeutsche. Es scheint, als sollte es zur leichteren Verbreitung österreichischer Kinderliteratur intralinguale Übersetzungen geben. Wir werden gleich sehen, dass die Idee nicht so skurril ist, wie sie auf den ersten Blick anmuten könnte. Die Tatsache, dass das Deutsche eine plurizentrische Sprache ist, wurde bei der Buchproduktion lange Zeit ignoriert. Was richtiges Deutsch ist, wurde mit demographisch-statistischen Argumenten geklärt. Seit einigen Jahrzehnten wehren sich viele Sprecher jedoch gegen die traditionelle Ansicht, ihr Deutsch sei eine - mit welchen wohlwollenden Adjektiven auch immer belegte - Abweichung von der einzig gültigen Norm. Organisierter (friedlicher) Widerstand hat bei den ‚Minderheiten‘ sowohl zu größerer sprachlicher Sensibilität als auch zur Stärkung des Selbstbewusstseins geführt und im Bereich der für Kinder produzierten Lesestoffe für Initiativen gesorgt, die dem Sprachgefühl Qualitäten 6 Insofern macht sich etwa Beatrice Wilke (2015) mehr Gedanken über die adäquate Übersetzung von Austriazismen als nötig. In der Mehrzahl der Fälle kann man sie schlicht ignorieren, weil sie eben den österreichischen Standard repräsentieren und also nicht markiert sind. <?page no="87"?> Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur 87 abverlangen, die bislang wenig gefragt und noch weniger trainiert wurden. Dazu im Anschluss drei unterschiedlich gelagerte Fälle. a) Wenn deutsches Lesematerial an österreichischen Schulen verwendet werden soll, kommt es neuerdings relativ häufig vor, dass es an den österreichischen Sprachgebrauch angepasst wird. Eine Mitarbeiterin des Innsbrucker Instituts für Translationswissenschaft etwa bearbeitet die von einem im Rheinland beheimateten Verlag herausgegebenen Lies mal -Hefte für österreichische SchülerInnen, indem sie Lexik, Idiomatik und Syntax an den Sprachgebrauch des Zielpublikums anpasst (z. B. also Schnürsenkel zubinden durch Schuhbänder binden , ausmalen durch anmalen , Grundschule durch Volksschule ersetzt). Diese Art der intralingualen Übersetzung hat in Österreich wenig Tradition und erfordert daher, da die Routine fehlt, sehr viel Konzentration und Fingerspitzengefühl, natürlich auch sprachliches Wissen. Manchmal, aber längst nicht immer, kann man sich heute im Variantenwörterbuch des Deutschen (Ammon et al. 2004) Rat oder Rückendeckung holen. Das Verständnis des deutschen Verlegers für die Bearbeitung kommt in einer bemerkenswerten Formulierung zum Ausdruck: Er ersucht die Bearbeiterin, „besonders auf die Unterschiede in unseren Sprachen[! ] zu achten“. 7 b) Das zweite Beispiel wurde bereits unter Punkt 3 angesprochen. Es handelt sich um die Manolito -Reihe. Bevor die Innsbrucker Studierenden die Übersetzung eines weiteren Manolito -Bandes in Angriff genommen haben, wurde eine genaue Übersetzungsanalyse eines schon publizierten Buchs erstellt. Neben vielen übersetzerischen Defiziten wurde auch die unüberhörbare sprachliche Verortung im norddeutschen Raum bemängelt. Die eigene Übersetzung der Studierenden ( Manolitos geheimstes Geheimnis , 2004) ist nun sehr bewusst von Austriazismen freigehalten. Dennoch ist die sprachliche Identität Manolitos, der ja als Ich-Erzähler den Büchern seine Stimme verleiht, eine völlig andere als in den Übersetzungen von Sabine Müller- Nordhoff. Wäre die Version der österreichischen Studentinnen vom Hamburger Verlag übernommen worden, hätte die Manolito-Lesergemeinde sie sicherlich herb kritisiert, weil der Protagonist ein neues sprachliches Profil - diesmal ein eher süddeutsches - bekommen hat. Die Aufgabe, die sich die Übersetzerinnen gestellt hatten, war schlicht nicht lösbar, weil die Varietäten-Architektur der deutschen Sprache hier eine unüberwindbare Hürde errichtet. c) Eine überaus innovative Konstellation stellt die französische Buchreihe Les P’tites Poules mit ihren Übersetzungen dar. Der Autor Christian Jolibois und der Illustrator Christian Heinrich zeichnen für eine Reihe von Büchern verant- 7 Ich danke Frau Mag. Martina Mayer sowie Herrn Peter Wachendorf vom jandorfverlag, dass ich noch unpubliziertes Material einsehen konnte und aus ihm zitieren darf. <?page no="88"?> 88 Wolfgang Pöckl wortlich, die sowohl zum Vorlesen als auch zum Selberlesen gedacht sind. Die Protagonisten sind Hühner, die mehr oder weniger aufregende Abenteuer - vom Familienzuwachs ( Jolibois / Heinrich 2002) bis zur Atlantiküberquerung ( Jolibois / Heinrich 2000) - erleben. Die Übersetzungen erscheinen beim Wiener Ringelspiel 8 -Verlag in zwei Versionen: in einer österreichischen Übersetzung von Martina Ebmer und in einer - laut Homepage - „deutschlandtauglichen“ Fassung von Heike Kriston. In gewisser Weise handelt es sich um experimentelle, also überaus kreative Übersetzungen, denn für die Sprachenpaare Französisch-Österreichisch und Österreichisch-Bundesdeutsch wird man nirgends ausgebildet. Auf der Homepage des Ringelspiel-Verlags wird natürlich begründet, warum die Bücher immer paarweise erscheinen: Ökonomisch ist Vereinheitlichung immer die günstigere Variante. Und das Große schluckt mit der Zeit das Kleine. Im Kulturbereich führen solche Entwicklungen zu einer langweiligen Verarmung. Deshalb geht es dem Ringelspiel Verlag um die Erhaltung von Artenvielfalt. Und um die Erhaltung von jeder Menge Spaß in der Kommunikation zwischen deutschsprachigen Menschen aus Österreich und Deutschland. 9 Wie die Versionen der P’tites Poules -Serie aussehen, sei an einigen wenigen Beispielen vorgeführt. Die österreichische Varietät manifestiert sich hier (und in anderen Büchern) schon im Titel: Frz.: La petite poule qui voulait voir la mer Ö.-dt.: Ein kleines Henderl will das Meer sehen Dt.: Ein kleines Hühnchen will das Meer sehen Die Henne Carméla ist des eintönigen Lebens auf dem Hühnerhof überdrüssig. Sie lässt sich lieber von dem weitgereisten Kormoran Pédro Geschichten erzählen, auch wenn nicht alle seine Berichte absolut vertrauenswürdig sind: Frz. Pédro a beaucoup voyagé! Et même s’il est un peu menteur, la petite poule adore les histoires merveilleuses qu’il raconte. (6) 10 Ö.-dt. Pedro ist nämlich weit gereist! Er ist zwar manchmal ein Schmähtandler, aber das kleine Henderl liebt seine wunderbaren Geschichten. Dt. Pedro ist nämlich weit gereist! Er ist zwar manchmal ein Aufschneider, aber das kleine Hühnchen liebt seine wunderbaren Geschichten. 8 Ringelspiel ist der österreichische Ausdruck für Karussell . 9 http: / / ringelspielverlag.com/ ueber-uns/ wozu-mehrere-deutsch-versionen.html. In der Präsentation des Verlags wird außerdem angemerkt, dass schweizerdeutsche Fassungen ein Zukunftsprojekt sind. <?page no="89"?> Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur 89 Und dann macht sich Carméla selbst auf den Weg, eine ganze Nacht lang, bis sie ihre Beine nicht mehr spürt: Frz. Mais, au matin, ses efforts sont récompensés. Arrivée au sommet d’une dune, elle aperçoit enfin … / … la mer ! (16 / 18) Ö.-dt. Aber am nächsten Tag in der Früh wird sie für alle Anstrengungen belohnt […] Dt. Aber am nächsten Morgen wird sie für alle Anstrengungen belohnt. Schließlich landet Carméla mit der Flotte des Kolumbus in Amerika und wird dort von einer Hühnerfamilie willkommen geheißen. Der kleine rote Hahn Pitikok nimmt sich ihrer an und lässt Carméla eine Menge neuer kultureller Erfahrungen machen: Frz. - Pitikok? Je voudrais te demander … Pourquoi les poules de chez vous ont-elles le derrière tout nu ? - C’est la coutume. Les Indiens utilisent nos plus jolies plumes pour se faire beaux ! Suis-moi dans ma cachette secrète, Carméla, on sera plus tranquilles ! - Chouette ! Dis ? Je peux reprendre de ces bonbons jaunes ? - C’est pas des bonbons, c’est du maïs ! (35) Ö.-dt. - Du, Pitikok ? Ich habe eine Frage … warum haben die großen Hendln bei euch eigentlich alle einen nackerten Popsch? - Das ist bei uns so Brauch. Die Indianer verwenden unsere schönsten Federn, um sich damit zu schmücken! Komm mit in mein Geheimversteck, Carmela! Da haben wir mehr Ruhe. - Ja, gute Idee! Sag, darf ich noch ein paar von diesen gelben Zuckerln haben? - Sicher. Aber das sind keine Zuckerln, sondern Kukuruzkörner! Dt. - Ähm, Pitikok? Ich habe da mal eine Frage … warum haben die großen Hühner bei euch eigentlich alle einen nackten Popo? - Das ist bei uns so Brauch. Die Indianer verwenden unsere schönsten Federn, um sich damit zu schmücken! Komm mit in mein Geheimversteck, Carmela! Da haben wir mehr Ruhe! - Ja, gute Idee! Sag mal, kann ich noch von diesen gelben Bonbons haben? - Klar. Aber das sind keine Bonbons, das sind Maiskörner! 10 Die Seitenzahlen gelten für alle Ausgaben, da die Bilder ja identisch bleiben. <?page no="90"?> 90 Wolfgang Pöckl Auch wenn an mehreren Stellen klar ersichtlich ist, dass die (bundes-)deutsche Fassung auf der österreichischen und nicht auf der französischen beruht, also eine intralinguale und keine interlinguale Version darstellt, sind die Unterschiede beachtlich. Da österreichische Kinder im Allgemeinen Bücher lesen, die für den gesamtdeutschen Markt bestimmt sind, kann man ermessen, wie weit die deutschen Fassungen gewöhnlich von ihren alltagssprachlichen Erfahrungen entfernt sind. Für die beiden Übersetzerinnen stellte der Übersetzungsauftrag sicher eine große Herausforderung an ihr sprachliches Einfühlungsvermögen dar, da österreichische ÜbersetzerInnen nicht gewohnt sind, in Übersetzungen auf die Ressourcen ihrer Varietät zurückgreifen zu dürfen (sondern ihnen im Gegenteil während der Ausbildung alles, was aus bundesdeutscher Sicht diatopisch markiert ist, konsequent „abtrainiert“ zu werden pflegt), und bundesdeutsche TranslatorInnen kaum je in die Situation kommen, Texte aus einer anderen deutschen Varietät ins „Hochdeutsche“ zu bringen. 5 Fazit und Ausblick Das Übersetzen von Kinderliteratur hat bisher wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, auch innerhalb des hermeneutischen Paradigmas, was etwas verwundert. In ihrer umfassenden Darstellung von Geschichte und Leistung dieses Ansatzes hebt Larisa Cercel (2013: 126) die besondere Breite des Blickwinkels bei der namhaftesten Vertreterin hermeneutischen Übersetzungsdenkens im deutschen Sprachraum, Radegundis Stolze, hervor: „Sie demonstriert den hermeneutischen Ansatz an den diversesten Textsorten, reichend von technischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen bis hin zur Bibelübersetzung und Übersetzung von Dichtung.“ Von Texten für Kinder ist in den einschlägigen Monographien, soweit ich sehe, jedoch nur ein einziges Mal die Rede, und zwar ganz en passant in einem Zitat, dessen Aussage noch dazu dringend korrekturbedürftig ist. Reiß / Vermeer dekretieren bezüglich der Funktion des Translats (wobei es hier mehr um textsortenadäquaten Stil als um die Funktion geht): „So soll z. B. ein Fachtext für Fachleute sachlich und klar informieren […]; Kinder erwarten Kindersprache; Geschäftsbriefe sind sachlich und höflich […]“ (zit. in Stolze 1992: 195). Kinder erwarten Kindersprache nicht grundsätzlich, sondern nur dort, wo tatsächlich Kinder sprechen; ansonsten lassen sie sich von ‚erwachsenen‘ Erzählern sehr wohl in sprachliche Regionen entführen, die ihnen (noch) weniger vertraut sind; das ist ja eines der ‚Geheimnisse‘ des Bildungswerts von Lektüre. Von Texten abgesehen, die man auf mehreren Ebenen lesen kann und deren Faszination nicht zuletzt auf der Mehrfachadressierung beruht, sind Kinder- <?page no="91"?> Sprachgefühl und das Übersetzen von Kinderliteratur 91 bücher im Allgemeinen aus der Sicht erwachsener Leser inhaltlich nicht in der gleichen Weise deutungsbedürftig wie höhenkammliterarische Texte, denen das Merkmal der Polyinterpretabilität eignet. Daraus abzuleiten, dass das Übersetzen von Kinderliteratur deshalb anspruchslos sei, ist ein Fehlschluss, der zu jenem Prestigedefizit führt, von dem in der Einleitung die Rede war. Ob es treffend ist, das Übersetzen als solches in Anlehnung an Wittgenstein eine „exakte Kunst“ zu nennen (vgl. Cercel 2013: 60, Ausdruck im Zitat von George Steiner), sei dahingestellt; mir scheint die Charakterisierung als „gelehrte Kunst“ (Kohlmayer / Pöckl 2004) besser zu passen, auch im Sinn der hermeneutischen Lehre, die verlangt, dass ein Übersetzer die Adäquatheit seiner Vorschläge reflektieren und begründen können muss: „Auch wenn seine Übersetzungslösungen im ersten Impuls intuitiv-kreativ erfolgen, muss er in der Lage sein, sie im Nachhinein anhand linguistischer Kriterien zu begründen“ (Stolze 2008: 228). 11 In unserem Zusammenhang würde also eine wesentliche Frage lauten: Reden Kinder tatsächlich so, wie ich sie reden lasse? In Bezug auf den deutschen Sprachraum - das sollte aus den vorangegangenen Ausführungen klar hervorgegangen sein - ist die Frage präziser zu stellen: Wo, sollte sich die Übersetzerin, der Übersetzer fragen, siedle ich die Kinder meiner Geschichte an? Gebe ich ihnen (bewusst) eine regionale sprachliche Identität? Dagegen stehen meist ökonomische Überlegungen; oft ist auch die Logik der Geschichte nicht kompatibel mit der Wahl einer bestimmten deutschen Sprachlandschaft (z. B. wenn die Handlung in einem anderen Land spielt). Die Strategie des Ringelspiel-Verlags ist bisher ein Ausnahmefall, sie dürfte aber in absehbarer Zeit Nachahmer finden. Die gelegentlich gewählte Alternative besteht in der Situierung im sprachlichen Niemandsland, in einer weitgehend neutralisierten Sprache, in der sich Kinder allerdings nicht wiederfinden. Eine neue Orientierungsgröße, die den Medien zu verdanken ist, scheint das TV - Synchronisationsdeutsch von Kinderserien darzustellen. Es dürfte seitens der AdressatInnen auf relativ wenig Ablehnung stoßen, da es vielen Kindern vertraut ist; als Mittel zum Ausbau der Sprachkompetenz und der sprachlichen Sensibilität taugt es freilich wenig. Bleibt als Erkenntnis, dass das Übersetzen von Kinderbüchern doch keine langweilige und leichte, sondern gerade im deutschen Sprachraum fast immer eine heikle, ja unmögliche Aufgabe ist. Ein deutschsprachiger Kinderbuch-Übersetzer wird sich gelegentlich an den guten Utopisten von José Ortega y Gasset 11 So war es gewiss eine spontan-intuitive Reaktion der österreichischen Übersetzerin, in der Frage Carmelas die Abtönungspartikel eigentlich einzufügen, die in der französischen Vorlage kein materielles Pendant hat. Aber man sollte erwarten, dass sie auch weiß, warum sie das getan hat; dass sie also über die Asymmetrie des Partikelgebrauchs im Französischen und Deutschen Bescheid weiß. <?page no="92"?> 92 Wolfgang Pöckl (1937 / 1963) erinnert fühlen, und das ist eine Assoziation, die ihn einerseits vor Routine und andererseits vor Resignation bewahrt. Bibliographie Primärtexte Jolibois, Christian / Heinrich, Christian (2000): La petite poule qui voulait voir la mer . Paris: PKJ . Dies. (2012): Ein kleines Henderl will das Meer sehen . Übersetzung: Martina Ebmer. Wien: Ringelspiel. Dies. (2012): Ein kleines Hühnchen will das Meer sehen . Lektorat: Heike Kriston und Christian Suppan. Wien: Ringelspiel. Dies. (2002): Le jour où mon frère viendra . Paris: PKJ . Dies. (2012): Wenn mein kleiner Bruder auf die Welt kommt . Übersetzung: Martina Ebmer. Wien: Ringelspiel. Dies. (2012): Der Tag, an dem mein Brüderchen schlüpft . Lektorat: Heike Kriston und Christian Suppan. Wien: Ringelspiel. Lindo, Elvira (2000): Manolito. Deutsch von Sabine Müller-Nordhoff. Mit Illustrationen von Oliver Wenniges. Hamburg: Klopp. Lindo, Elvira ( 5 2003): Manolito tiene un secreto . Ilustraciones de Emilio Urberuaga. Madrid u. a.: Alfaguara. Lindo, Elvira (2004): Manolitos geheimstes Geheimnis . Übersetzung von Studierenden der Universität Innsbruck. Axams bei Innsbruck: Steiger (Selbstverlag). Lindo, Elvira (2010): Manolito Gafotas . Mit Zeichnungen von Emilio Urberuaga. Hg. von Klaus Amann. Stuttgart: Reclam (= RUB 19 785). Lindo, Elvira (2013): Pobre Manolito . Mit Zeichnungen von Emilio Urberuaga. Hg. von Klaus Amann und Ana López Toribio. Stuttgart: Reclam (= RUB 19 857). Sekundärliteratur Albrecht, Jörn (2005): Übersetzung und Linguistik . Tübingen: Narr. Ammon, Ulrich et al. (2004): Varietätenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol . Berlin / New York: de Gruyter. 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Raymond Queneaus Exercices de style und ihre deutschen Übersetzer Angela Sanmann (Lausanne) Abstract: Raymond Queneau’s Exercices de style was first translated into German by Ludwig Harig and Eugen Helmlé in 1961, and retranslated by Frank Heibert and Hinrich Schmidt-Henkel in a new, extended version in 2016. By confronting and analyzing the different versions of Queneau’s Exercices Maladroit , Métaphoriquement , Olfactif and Paréchèses , my essay shows how the French author’s formal strategies and self-imposed constraints in each “exercise”, far from resulting in untranslatability, in fact activate (and even enhance) the creative potential of the translational act. Necessarily, every translator of the Exercices becomes, to a certain extent, a writer in his or her own right. Moreover, I argue that the fundamental principle of Queneau’s œuvre, namely, the “infinite proliferation” of a banal everyday scene, is best realized through translation and its inevitable proliferation of meaning(s) and variations. In this neverending process, every (re-)translation is tied up to its predecessor(s), deliberately or not, in a differential fashion. In my contrastive analysis of the German versions of Queneau’s Exercices de style , I distinguish between (I) retranslation as continuation and ( II ) retranslation as updating, not only of aesthetics, but also of the social reality represented in Queneau’s texts. Keywords: Raymond Queneau, Exercices de style , creativity, (re-)translation, infinite proliferation. 40 Jahre nach Raymond Queneaus Tod und 55 Jahre nach Erscheinen der ersten deutschen Exercices de style -Fassung von Ludwig Harig und Eugen Helmlé haben Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel eine erweiterte Neuübersetzung vorgelegt. Der folgende Beitrag stellt ausgewählte Stilübungen in beiden Versionen vergleichend nebeneinander und analysiert sie im Rückgriff auf die von ihren Verfassern formulierten Zielsetzungen. Dabei soll zweierlei gezeigt werden: Erstens, dass sprachliche Kreativität durch die Vorgabe bestimmter Regeln und Koordinaten, wie sie formbewussten (lyrischen) Texten zugrunde liegen, nicht eingeschränkt, sondern im Gegenteil gerade herausgefordert <?page no="96"?> 96 Angela Sanmann wird - und zwar im Ausgangswie auch im übersetzten Text. Zweitens, dass die Grundidee von Queneaus Exercices , die „prolifération infinie“ 1 , die unendliche Vervielfachung eines banal-alltäglichen Themas, sich ihrer Anlage nach überhaupt erst im unabschließbaren Prozess des (Neu-)Übersetzens realisieren lässt. Seit Barbara Wright 1958 die erste Exercices -Übersetzung verfasst hat, haben insgesamt mehr als 32 Übersetzungen diese „prolifération“ der ursprünglich 99 Varianten von Queneaus Autobusgeschichte fortgeführt. Bereits im Vorwort zu ihrer englischsprachigen Fassung Exercises in Style reflektiert Wright die Spannung zwischen der Sprache als System und der Eigenlogik der Einzelsprachen, wie sie von Queneau-Übersetzern bis heute fruchtbar gemacht wird - allen Zweifeln an der Übersetzbarkeit der Exercices zum Trotz: I thought that [ Exercices de style ] was an experiment with the French language as such, and therefore as untranslatable as the smell of garlic in the Paris metro. But I was wrong. In the same way as the story as such doesn’t matter, the particular language it is written in doesn’t matter as such. Perhaps the book is an exercise in communication patterns, whatever their linguistic sounds. And it seems to me that Queneau’s attitude of enquiry and examination can, and perhaps should? - be applied to every language […]. (Wright 1958 / 2009: 16) Queneaus Exercices , so lässt sich folgern, verlangen also geradezu danach, übersetzt zu werden, denn in jeder neuen Fassung verschieben sich, entsprechend der inneren Logik der jeweiligen Zielsprache, die im Ausgangstext angelegten Bedeutungsvektoren und generieren - ganz im Sinne Queneaus - ihrerseits neue Bedeutungen. Auf diese Weise inszenieren Queneau, und nach ihm seine Übersetzerinnen und Übersetzer, die von Wilhelm von Humboldt formulierte Einsicht, dass „die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unbekannte zu entdecken.“ Denn, so Humboldt weiter, die Verschiedenheit der Sprachen „ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst. Hierin ist der Grund, und der letzte Zweck aller Sprachuntersuchung enthalten“ (Humboldt 1820: 27). Queneaus Exercices lassen sich als eine poetisch umgesetzte „Sprachuntersuchung“ im Sinne Humboldts verstehen, die im Vorgang des Übersetztwerdens unendlich potenziert wird - worin sich überhaupt erst ihre Verfasstheit als „prolifération infinie “ manifestiert. 1 Vgl. Arbex, Márcia (2010): „C’est toutefois la musique qui se trouve à l’origine des Exercices de style . Selon l’auteur, en sortant d’un concert où il a assisté en compagnie de Michel Leiris à l’ Art de la fugue , de Bach, ils se seraient dit ‹qu’il serait bien intéressant de faire quelque chose de ce genre sur le plan littéraire›, de construire ‹une œuvre au moyen de variations proliférant presque à l’infini autour d’un thème assez mince› [cf. Jean-Pierre Renard (1995): Dossier . In: Raymond Queneau: Exercices de style . Gallimard 1947, 171].“ <?page no="97"?> Unendliche Vervielfachung 97 Die besondere Komplexität von Queneaus „Sprachuntersuchung“ liegt nun darin, dass die sprachliche Virtuosität des OuLiPo-Autors sich nicht im Aufstellen bzw. (Über-)Erfüllen oder Unterwandern der selbstauferlegten Regeln erschöpft. Tatsächlich generieren seine poetischen Verfahrensweisen ihrerseits Überschüsse, die sich selbst nicht mehr aus diesen Regeln ableiten lassen: Klangketten, Motivreihen oder doppelte Lesarten - die „Nebenprodukte“ von Queneaus verdichtenden poetischen Prozessen sind so unterschiedlich wie die ursprünglich 99 Stilübungen selbst. Und wiederum ist die Übersetzung der prädestinierte Ort, an dem sich die poetischen Strukturen der Exercices vervielfachen, in jeder zielsprachlichen Fassung neu. 1 Neuübersetzung als Fortschreibung Besonders gut nachvollziehen lässt sich der Prozess der poetischen Vervielfachung in der vergleichenden Analyse zweier Übersetzungen in die gleiche Sprache. Mal variiert die Neuübersetzung die in der Erstübersetzung gefundenen Lösungen (1), mal entwickelt sie diese weiter und spinnt sie fort (2). (1.) Ein sprechendes Beispiel für die Neuübersetzung als Variation bietet die Analyse der deutschen Übersetzungen von Queneaus Stilübung Botanique , in der es vom Protagonisten heißt: „Mais, des dattes ! fuyant une récolte de châtaignes et de marrons, il alla se planter en terrain vierge“ (Queneau 2012: 142). 2 Harig und Helmlé finden für jede der von Queneau verwendeten Redensarten samt ihres botanischen Kontextes eine Entsprechung in der deutschen Sprache: „Aber Pusteblume, um keine Knallschoten zu ernten, schlug er sich in die Büsche und verpflanzte sich dann in Brachland“ (Harig / Helmlé 1961: 135). Die hier gewählte Herangehensweise steht im Einklang mit der von Harig beschriebenen Strategie der „Naturalisierungen“ oder „Umsetzungen“, bei der „an Stelle der scharfen Deckung des Wortmaterials Äquivalenz“ angestrebt werde (Harig 1961: 284). Ähnlich gehen auch Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel vor, die in ihrer Neuübersetzung (ob bewusst oder unbewusst) einzelne Elemente der Erstübersetzung übernehmen und andere variieren oder ganz ersetzen: „Aber, Pusteblume! Da flüchtet er lieber, bevor er Nüsse und Feigen erntet, und pflanzt sich in jungfräuliche Erde“ (Heibert / Schmidt-Henkel 2016a: 104). (2.) Dass eine Neuübersetzung in Bezug auf die Erstübersetzung aber auch eine Weiterentwicklung darstellen kann, zeigt der Vergleich der deutschen Fassungen 2 Hier und im Folgenden wird nach der 2012 erschienenen Ausgabe von Queneaus Exercies de style zitiert. Im Falle von bestehenden Abweichungen zur Erstausgabe von 1947, auf die sich Ludwig Harig und Eugen Helmlé bezogen haben, wird dies eigens angezeigt. <?page no="98"?> 98 Angela Sanmann der Stilübung Maladroit . In dieser Exercice klagt ein schriftstellerisch ambitionierter Ich-Erzähler über die Mühe, die es ihm bereitet, seine Erlebnisse auf der Plattform des Autobusses niederzuschreiben. In seiner Not versucht er, sich mit Hilfe eines abgewandelten französischen Sprichworts Mut zu machen: „C’est en écrivant qu’on devient écriveron“ (Queneau 2012: 98), heißt es in Anlehnung an die Redewendung „C’est en forgeant qu’on devient forgeron” (dt.: „Nur durchs Schmieden wird man zum Schmied“). In ihrer Fassung von 1961 konzentrieren sich Ludwig Harig und Eugen Helmlé bei der Übertragung des Sprichworts auf das Stilmittel der Wiederholung: „Nur schreibend wird man Schreibender“ (Harig / Helmlé 1961/ 2007: 80). Ausgespart bleibt in dieser Lesart die Dimension der spielerischen Transformation: Während Queneau nach dem Vorbild „forgeron“ das Kunstwort „écriveron“ (in Anlehnung an „écrivain“) bildet, beschränken sich Harig und Helmlé auf eine relativ wörtliche Übertragung ohne Wortbildungsambitionen. In ihrer Neuübersetzung lösen Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel sich offenbar stärker vom Original als ihre Vorgänger es getan haben und erschließen sich damit einen Spielraum, der eine kreative Umsetzung des französischen Sprichworts begünstigt. Das Ergebnis ist ein Neologismus, der Queneaus eigener Wortneuschöpfung strukturell verwandt ist: „Übung macht den Schreibster“ (Heibert / Schmidt-Henkel 2016a: 62). „Meister“ und „Schreibster“ stehen in einem ähnlichen Verhältnis zueinander wie „forgeron“ und „écriveron“. Darüber hinaus weckt das Wort „Schreibster“ Assoziationen an aktuell im deutschen Sprachraum geläufige Wendungen wie „Hipster“ oder „Flinkster“ und markiert die Fassung offensiv als eine Re-Inszenierung in der Zielsprache Deutsch. Queneaus poetische Verfahren werden als solche im Deutschen fortgeführt - ein Vorgehen, das mit Hinrich Schmidt-Henkels Aussage korrespondiert, Übersetzen sei für ihn „Schreiben wie der Autor - mit den Mitteln der anderen Sprache“ (Heibert / Schmidt-Henkel 2016c: 18). Dass Übersetzen aber nicht nur ein „Schreiben wie der Autor“, also nicht nur ein Nach schreiben, sondern in bestimmten Fällen auch ein Fort schreiben des Ausgangstextes sein kann, das die Bedeutungsdimensionen der jeweiligen Stilübung in der Zielsprache noch einmal potenziert, lässt sich beispielhaft an den Übersetzungen der Stilübung Métaphoriquement aufzeigen . In dieser Variante der Autobus-Szenerie greift Queneau auf eine Reihe bildlicher Ausdrücke aus dem Tierreich zurück: Métaphoriquement Au centre du jour, jeté dans le tas des sardines voyageuses d’un coléoptère à l’abdomen blanchâtre, 3 un poulet au grand cou déplumé harangua soudain <?page no="99"?> Unendliche Vervielfachung 99 l’une, paisible, d’entre elles et son langage se déploya dans les airs, humide d’une protestation. Puis attiré par un vide, l’oisillon s’y précipita. 3 Dans un morne désert urbain, je le revis le jour même se faisant moucher l’arrogance pour un quelconque bouton. (Queneau 2012: 33) Die Passagiere als ein Haufen dicht zusammengedrängter Sardinen, der Autobus als weißer Käfer und der Protagonist selbst als Huhn mit kahlgerupftem Hals - diese Verkettung von Bildspendern aus der Tierwelt bildet nur eine Dimension der vorliegenden Exercice. Zusätzlich lässt sich eine konsonantische Klangkette aus p- und k-Lauten ausmachen, die den gesamten ersten Teil des Textes strukturiert: „coléoptère“ - „carapace“ - „poulet“ - „cou“ - „déplumé“ - „paisible“ - „déploya“ - „protestation“ - („puis“) - („par“) - „précipita“. Allein anhand der lautlich miteinander verbundenen Substantive und Verbformen ließe sich der Ablauf von Queneaus Kürzestgeschichte rekonstruieren. Mit welchen Strategien reagieren Queneaus deutsche Übersetzer auf diese Verknüpfung aus Motiv- und Klangverkettung? Die Fassungen von 1961 bzw. 2016 lauten: Metaphorisch Im Zentrum des Tages, auf den Haufen reisender Sardinen eines Käfers mit dickem, weißem Rückenschild geworfen, kanzelte mit einem Male ein Hähnchen, mit großem, gerupftem Halse eine von ihnen, die friedliebende, ab, und seine Rede breitete sich, feucht von Einspruch, in den Lüften aus. Dann, von einer Leere angezogen, stürzte sich das Vögelchen hinein. In einer düsteren Häuserwüste sah ich es am selben Tage wieder, als es sich den Dünkel wegen irgendeines Knopfes aus der Nase ziehen ließ. (Harig / Helmlé 1961/ 2007: 11) Metaphorisch Im Zenit des Tages predigte in einem Käfer mit weißlichem Unterleib, der als Dose für reisende Sardinen diente, ein Hähnchen mit gerupftem Langhals überfallartig einer friedlichen unter ihnen, und seine Worte entfalteten sich klagefeucht in den Lüften. Dann stürzte sich der Jungvogel in eine lockende Leere. Am selben Tage erblickte ich ihn in einer trüben städtischen Wüstenei, als er sich gerade wegen irgendeines Knopfes auf die Hühneraugen steigen ließ. (Heibert / Schmidt-Henkel 2016a: 10) 3 In der Exercices -Ausgabe von 1947, die Harig und Helmlé als Grundlage für ihre Übersetzung gedient hat, heißt es nicht „à l’abdomen blanchâtre“ sondern „à grosse carapace blanche“ (Queneau 1947: 12), wodurch sich bei Harig/ Helmlé und Heibert/ Schmidt-Henkel an dieser Stelle abweichende Übersetzungen ergeben. <?page no="100"?> 100 Angela Sanmann Während sich die Erstübersetzung von Ludwig Harig und Eugen Helmlé auf die Bildung einer ü-Klangkette fokussiert („Lüften“ - „stürzte“ - „düsteren“ - Häuserwüste“ - „Dünkel“), greifen Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel Queneaus klangakrobatische Verfahren auf und erfinden sie im Deutschen neu. Entsprechend wird die gesamte Stilübung klanglich durchformt: Neben einer ü- Assonanz, die sich teilweise mit derjenigen aus Harigs / Helmlés Fassung deckt („überfallartig“ - „Lüften“ - „stürzte“ - „trüben“ - „Wüstenei“ - „Hühneraugen“), stehen Echoeffekte („Sardinen“ - „diente“) und Alliterationen („lockende Leere“). Diese Lautspiele bereiten jedoch nur den Rahmen für ein ungleich komplexeres Klanggebilde, mit dem sich die Übersetzer vom Original emanzipieren und es mit den Mitteln der deutschen Sprache fortschreiben. Dazu lassen Heibert und Schmidt-Henkel metaphorische, lautliche und idiomatische Elemente interagieren. Den Ausgangspunkt bildet das bei Queneau angelegte Vogelmotiv („poulet“/ „l’oisillon“), das in der Übersetzung auf zweierlei Weise weitergesponnen wird: 1. Aus dem Doppelvokal „ei“ legen die Übersetzer eine Klangkette durch den gesamten Text und spielen damit immer wieder auf das dem Vogelmotiv zuzuordnende „Ei“ an („weißlichem Unterleib“/ „reisende“, Anm. A. S.). Auf der Klangebene geht das „Ei“ damit dem Huhn bzw. Hähnchen voraus und findet sich im letzten Satz - entgegen aller Regeln der Etymologie - noch einmal in der „Wüstenei“ wieder. 2. Das bei Queneau angelegte Vogelmotiv („Huhn“/ „Jungvogel“) wird in der deutschen Fassung darüber hinaus auch insofern intensiviert, als die Übersetzer für die französische Redewendung „se faire moucher l’arrogance“ (bei Harig / Helmlé: „sich den Dünkel aus der Nase ziehen lassen“) ein das Vogelmotiv fortführendes deutsches Sprichwort einsetzen - wenn es vom Protagonisten dieser Exercice heißt, er ließe sich „wegen irgendeines Knopfes auf die Hühneraugen steigen“. Offenbar haben sich die (Klang-)Motive von „Ei“ und „Huhn“ in der Übersetzung von Heibert und Schmidt-Henkel soweit verselbständigt, dass sie das konventionelle Verständnis von Metaphorik unterlaufen: Denn wenn das Huhn noch insofern mit dem „Hühnerauge“ verknüpft ist, als eine gewisse visuelle Ähnlichkeit zwischen einer Hornhautschwiele und einem Vogelauge besteht, so hat das „Vogelei“ selbstverständlich keinerlei Bezug zur „Wüstenei“. Die poetische Assoziationskraft lässt die Wörter „Ei“ und „Wüstenei“ jedoch auf phonetisch-graphischer Ebene wie selbstverständlich zusammenrücken. Das Hühneraugen-Sprichwort generiert also eine Querverbindung zum Vogelmotiv, die in dieser Form nur im Rahmen des deutschen Wortschatzes möglich ist, während die französische Wendung „se faire moucher l’arrogance“ keinen auch noch so entfernten Bezug zur Welt der Vögel hat. Auch hier erweist sich das Übersetzen als ein ‚Über das Original hinaus-Schreiben‘ mit den im Original angelegten Techniken, ganz im Sinne von Queneaus Idee der „prolifération infinie“. <?page no="101"?> Unendliche Vervielfachung 101 Die Stilübung Olfactif ist vielleicht das sprechendste Beispiel dafür, dass die sprachliche Virtuosität von Queneaus Exercices gerade nicht auf das jeweilige titelgebende Verfahren beschränkt bleibt, sondern sich darüber hinaus auf einer zweiten oder dritten Bedeutungsebene niederschlägt, die sich bei der Lektüre womöglich erst nach und nach erschließt. Im ersten Teil der Olfactif -Stilübung erzeugt die Aufzählung der im Bus präsenten Gerüche klanglich die Buchstabenfolge des ABC : Olfactif Dans cet S méridien il y avait en dehors de l’odeur habituelle, odeur d’abbés, de décédés, d’œufs, de geais, de haches, de ci-gîts, de cas, d’ailes, d’aime haine au pet de culs, d’airs détestés, de nus vers, de doubles vés cés, de hies que scient aides grecs, il y avait une certaine senteur de long cou juvénile, une certaine perspiration de galon tressé, une certaine âcreté de rogne, une certaine puanteur lâche et constipée tellement marquées que lorsque deux heures plus tard je passai devant la gare Saint-Lazare je les reconnus et les identifiai dans le parfum cosmétique, fashionable et tailoresque qui émanait d’un bouton mal placé. (Queneau 2012: 104) Die Vielschichtigkeit von Queneaus Exercice , die in der Simultaneität von olfaktorischer Autobus-Variation und homophonem Alphabet besteht, ist eng mit der französischen Sprache und ihrer Vielzahl gleichklingender Worte verbunden. Im Anmerkungsapparat zu ihrer Übersetzung haben Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel Queneaus Alphabet aufgeschlüsselt: „abbés (A, B), décédés (C, D), œuf (E, F), geais (G), haches (H), ci-gîts (I, J), cas (K), ailes (L), aime haine au pet de culs (M, N, O, P, Q), hies que scient aides grecs (X, Y, Z - das Z nur sehr verschlüsselt)“ (Heibert / Schmidt-Henkel 2016b: 182). Wie der Vergleich zwischen den beiden deutschen Olfactif -Fassungen zeigt, realisiert die Neuübersetzung von Heibert / Schmidt-Henkel erstmals dieses homophone ABC . Harig und Helmlé haben ihrerseits eine relativ wörtliche Umsetzung vorgelegt, in der das Klang- ABC nicht hörbar wird: Geruchlich In diesem mittägigen S gab es außer dem gewöhnlichen Geruch: Geruch nach Äbten, nach Gestorbenen, nach Eiern, nach Eichelhähern, nach Äxten, nach Verblichenen, nach Kot, nach Flügeln, nach Haßliebe mit Arschfürzen, nach abscheulichen Gasen, nach nackten Maden, nach doppelten WC ’s, nach alten Jungfern, es gab den gewissen Duft eines langen, jugendlichen Halses, die gewisse unmerkliche Ausdünstung einer geflochtenen Kordel, die gewisse Herbe schlechter Laune, den gewissen flauen und verstopften Gestank, der so stark <?page no="102"?> 102 Angela Sanmann war, daß ich ihn, als ich zwei Stunden später vor der Gare Saint-Lazare vorbeikam, sofort wiedererkannte und ihn am kosmetischen, fashionablen und tailoresken Parfum, das von einem falschplatzierten Knopf ausging, identifizierte. (Harig / Helmlé 1961/ 2007: 88) Olfaktorisch In diesem mittäglichen S wehte einen der übliche Geruch - mal Ah! , mal Bäh! , nach Zeh, nach Deo, nach Äffchen, ach geh! Ha! Ihh! Jottojott! Ka-ka! , nach Elli, Emmi und Enno, nach Pest, Kuh, Ähren, Essen, Tee, Uhu, Pfau, o weh, hicks, üpsel - an, dazu so ein Aroma von langem Junghals, so ein Hauch von geflochtener Borte, so ein beißender Stinkwutgestank, so ein feiger, verklemmter Mief, derart ausgeprägt, dass ich ihn, als ich zwei Stunden später an der Gare Saint-Lazare vorbeikam, wiedererkannte und sogar aus dem kosmetischen, fashionablen Schneiderduft, den ein falsch platzierter Knopf verströmte, noch herausroch. (Heibert / Schmidt-Henkel 2016a: 69) Das ‚Verschweigen’ des homophonen ABC in der Erstübersetzung sollte jedoch nicht vorschnell mit einem mangelnden Verständnis seitens der Übersetzer erklärt werden. Ein Blick in Ludwigs Harigs Artikel Raymond Queneau - übersetzt im Saarland. Die Stilübungen und ihre Schwierigkeiten vom 13. Mai 1961 zeigt, dass ihm die klanglich-semantische Komplexität der vorliegenden Stilübung offenbar nicht entgangen ist. Seine vorläufige „Leseart der alphabetischen Laute“ (Harig 1961: 85) heißt: AB C D E F G Abbé Zeh De(gen) E(sel) Äff(chen) Ge(n) HIJ KLM N OPR Q S Hj. Kah lem En(te) Oper Kuh Ess(en) T U V W X Z Tee U(hu) (P)fau Weh (W)ichs Zett(el) Offen bleibt die Frage, zu welchem Zeitpunkt dieses ABC -Gerüst, dem lediglich das Y fehlt, entstanden ist, ob noch vor oder erst nach der Drucklegung des Übersetzungsmanuskripts. Das Erscheinen der ersten Rezensionen zu den Stilübungen Autobus S . Ende Juni 1961 4 legt die Annahme nahe, dass die Übersetzung selbst in den vorausgehenden Wochen publiziert sein worden muss, also 4 Vgl. u. a. folgende Rezensionen: Wolfgang Weyrauch: „Zauberschloß der Sprache. Neunundneunzig Variationen eines banalen Themas“. In: Die Zeit , 30. Juni 1961; o. V.: „Wörterbus“. Spiegel , 28. Juni 1961. <?page no="103"?> Unendliche Vervielfachung 103 in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Harigs Beitrag in der Saarbrücker Zeitung . Insofern ist es nicht auszuschließen, dass Eugen Helmlé und Ludwig Harig erst auf das homophone Alphabet aufmerksam geworden sind, als der Druckprozess schon im Gange und eine weitere Fahnenkorrektur ausgeschlossen war. In diesem Fall wäre es denkbar, dass der Beitrag aus der Saarbrücker Zeitung möglichen Kritikern zuvorkommen sollte. Möglich ist aber auch, dass die beiden Übersetzer mit ihren bis dato erarbeiteten deutschsprachigen Lösungen unzufrieden gewesen sind und deshalb darauf verzichtet haben, das homophone Alphabet in die Buchfassung aufzunehmen. Denn was dem Klang- ABC im vorliegenden Stadium in der Tat noch fehlt, ist die Bindung der mit den einzelnen Buchstaben verknüpften Wörter an das Motto „mögliche Gerüche in einem Autobus“. Dazu fehlt mehreren der gewählten Wörter die klanglich-semantische Doppelfunktion: Während Begriffe wie „Zeh“, „Esel“ und „Äffchen“ oder auch „Essen“, „Tee“ und „Uhu“ beim Leser recht klare Geruchsassoziationen wecken, lassen sich andere Motive wie z. B. „Degen“ oder „Zettel“ entweder allenfalls vage geruchlich zuordnen (Degen - metallischer Geruch; Zettel - muffiger Geruch alter Papiere) oder auch gar nicht, wie im Fall des Worts „Gen“. Andere Begriffe wie z. B. „Oper“ lassen sich zwar unter Umständen mit bestimmten Gerüchen wie z. B. einem aufdringlichen Parfüm in Verbindung bringen, sind aber im Kontext eines mittäglichen Autobusses wenig plausibel. Zwei Aspekte seien hier festgehalten: Zum einen ist offensichtlich, dass Ludwig Harig sich während der gemeinsamen Übersetzungsarbeit mit Eugen Helmlé bzw. bald nach Drucklegung des Manuskripts im Sommer 1961 intensiv mit Queneaus olfaktorischem Alphabet auseinandergesetzt und ein erstes ABC - Klanggerüst im Deutschen erarbeitet hat - auch wenn sich der genaue Zeitpunkt, an dem der oder die Übersetzer das Alphabet bemerkt haben, nicht mehr rekonstruieren lässt. Zum anderen wäre es mit Blick auf die zitierten Ausführungen Ludwig Harigs zur komplexen Struktur von Queneaus Exercice sicherlich falsch zu sagen, es habe ihm an übersetzerischer Selbstreflexion gemangelt - ein Vorwurf, der bei Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel anklingt. In ihrem Nachwort zur Neuübersetzung versuchen sie sich auch gerade dadurch von ihren Vorgängern abzugrenzen, dass sie für sich und ihre heutigen ÜbersetzerkollegInnen ein gewandeltes Rollenverständnis geltend machen: „In der Literaturübersetzung herrscht ein ganz anderes Selbstverständnis als seinerzeit, auch ein sehr viel ausgeprägteres Selbstbewusstsein im Sinne von Selbstreflexion“ (Heibert / Schmidt-Henkel 2016b: 201). Ohne eine allgemeine Aussage über ‚die‘ LiteraturübersetzerInnen der sechziger Jahre und ihren Grad an Selbstreflexion wagen zu wollen, muss jedoch betont werden, dass Ludwig Harig selbst wiederholt ein hohes Maß an Selbstreflexion unter Beweis gestellt <?page no="104"?> 104 Angela Sanmann und über seine Übersetzungsstrategien Auskunft gegeben hat. Neben seinem oben zitierten Beitrag aus der Saarbrücker Zeitung , der auch Eingang in die Werkausgabe gefunden hat, liegt von ihm noch mindestens ein weiterer Beitrag mit Bezug zur Queneau-Übersetzung vor: Spiel mit dem Stil: Zur Übersetzung von Texten Raymond Queneaus (Harig 1971). Nicht zu vergessen das Nachwort zur Neuauflage der Exercices -Übersetzung (Harig 1990 / 2007: 161-168) mit dem Titel Auf dem pataphysischen Hochseil. Zur Übersetzung der Stilübungen von Raymond Queneau , ein Text, der jedoch in größerem zeitlichen Abstand zur Erstpublikation der Übersetzung entstanden ist. Auch wenn Queneaus homophones ABC in der deutschen Erstübersetzung von Olfactif nicht aus einem Mangel an übersetzerischem Problembewusstsein unterschlagen wurde, bleibt die Tatsache bestehen, dass der Übersetzung von Ludwig Harig und Eugen Helmlé ein wichtiges, wenn nicht das entscheidende Element fehlt. Eine kreative Über- und Umsetzung der Exercice bestünde nämlich, kurz gefasst, darin, die vielschichtige Textstruktur, die sich als Simultaneität von Geruchsassoziation, Autobus-Szenerie und homophonem ABC artikuliert, mit den Mitteln der Zielsprache neu zu inszenieren. Diese Form der „Erhaltung von Komplexität“ (Reichert 1976: 70), erfordert in einem ersten Schritt ein Verständnis für das „Ensemble von Schichten“ (Reichert 1976: 67), das im Ausgangstext vorliegt, und in einem zweiten Schritt die nötige Kreativität im Umgang mit der Zielsprache, in der eine solche Vielschichtigkeit erneut entstehen soll. Dass sich im Hinblick auf das homophone ABC Heiberts und Schmidt-Henkels Suchbewegungen und -ergebnisse teilweise mit denen ihrer Vorgänger überschneiden, vermag kaum zu überraschen, bedenkt man die geringe Zahl an gleichklingenden Worten im deutschen Wortschatz. So finden sich in ihrer deutschen Neuübersetzung (ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt) sieben der von Harig in seinem Zeitungsbeitrag vorgeschlagenen Begriffe: „Zeh“, „Kuh“, „Essen“, „Tee“, „Uhu“, „Pfau“, „Weh“. Und doch unterscheidet sich die der Neufassung zugrundliegende Übersetzungsstrategie deutlich von der Herangehensweise der Erstfassung, wie sich anhand des letztgenannten Wortes „weh“, dem der Ausruf „o“ vorangestellt wird, exemplarisch zeigen lässt: Hatten sich Ludwig Harig und Eugen Helmlé in enger Anlehnung an das Original ausschließlich auf die Verwendung von Substantiven konzentriert, so erweitern Frank Heibert und Hinrich Schmidt- Henkel ihre Gestaltungsmöglichkeiten durch den Einbezug von Interjektionen wie z. B. „o weh“ und tragen damit der Tatsache Rechnung, dass es im Deutschen, anders als im Französischen, kaum gleichklingende Substantive gibt, die für die Inszenierung des olfaktorischen ABC s in Frage kämen. Um diese sprachsystematische Asymmetrie zwischen dem Französischen und dem <?page no="105"?> Unendliche Vervielfachung 105 Deutschen zu kompensieren, schöpfen die beiden Übersetzer aus dem breiten Fundus umgangssprachlicher Ausrufe, den der deutsche Wortschatz bereithält („mal Ah! , mal Bäh, […] ach geh! Ha! Ihh! Jottojott! Ka-ka! “), und steigern damit gleichzeitig den Grad an Mündlichkeit und Unmittelbarkeit von Queneaus Stilübung. Dieses übersetzerische Vorgehen erweist sich insofern als besonders gelungen, als es in der Zielsprache neue Motive generiert, ohne dabei den Eindruck willkürlicher Transformation zu erwecken. Heibert und Schmidt-Henkel emanzipieren sich also einerseits merklich von Queneaus Text, orientieren sich aber andererseits an dessen poetischen Verfahrensweisen. Dazu heißt es im Vorwort der beiden Übersetzer: Die Exercices de Style und ihr Spiel mit der Sprache scheinen zwar untrennbar eng an das Französische und seine Spezifika gebunden zu sein, an Aussprache, Schreibweise und Redeweisen. Aber am übersetzerischen Umgang mit diesen Texten zeigt sich, was das Literaturübersetzen eigentlich ist […]: Es gilt, in der Zielsprache mit ihren Spezifika den geeigneten Spiel-Raum zu finden und zu nutzen (Heibert / Schmidt- Henkel 2016b: 203 f.). Der von der Neuübersetzung in der Zielsprache eröffnete „Spiel-Raum“ besteht nun darin, dass die verschiedenen im Autobus präsenten Gerüche nicht nur aufgezählt, sondern teilweise durch positiv oder negativ konnotierte Ausrufe evoziert werden. Offenbar hat Queneaus sprachspielerischer Übermut die Übersetzer zur Schaffung einer nach eigenen Regeln gebildeten Assoziationskette angeregt, die mit der des Originals korrespondiert, ohne Deckungsgleichheit anzustreben. So komplettieren Heibert / Schmidt-Henkel das homophone Alphabet im Deutschen mithilfe des bei Harig / Helmlé unübersetzt gebliebenen Buchstaben Ypsilon: Das Wort üpsel gibt nicht nur den Klang der ersten beiden Silben des Buchstabens Ypsilon lautmalerisch wieder, sondern enthält, versteckt in einer (im Original nicht angelegten) anagrammatischen Spielerei, gleichzeitig den Verweis auf den (R)ülpse(r), der sich in das Motivfeld „Gerüche“ integriert. An dieser Lösung für den Buchstaben Ypsilon lässt sich der Grad der schriftstellerischen Emanzipation ablesen, den die Übersetzer im kreativen Umgang mit der Zielsprache erlangt haben und den der griechische Queneau-Übersetzer Achilleas Kyriakidis aus seiner eigenen Erfahrung heraus als „translation des inventions“ beschreibt: Quand on parle d’une traduction des Exercices de Style , on parle d’une translation des inventions, on parle […] d’une fouille pénible mais aussi excitante dans les mines profondes de notre propre langue. Queneau nous conduit jusqu’à un point. Puis, il nous laisse seuls dans les galeries obscures du labyrinthe. On entend son rire. (Assises de la traduction littéraire 1986: 107) <?page no="106"?> 106 Angela Sanmann Dass Exercices de style -Übersetzer sich also nicht allein darauf beschränken, Queneaus Ideen in der Zielsprache umzuformen, sondern selbst zu autonom agierenden Erfindern werden (müssen), zeigt der Fortgang der Olfactif -Übersetzung von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel: Für die Wendung „une certaine âcreté de rogne“ (dt.: „ein bestimmter scharfer Geruch der Wut“) setzen sie im Deutschen die sprichwörtliche „Stinkwut“ ein bzw. erweitern diese spielerisch zu „so ein[em] beißende[n] Stinkwutgestank“, ein Wortungetüm, das humorvoll auf den Hang der deutschen Sprache zu Komposita anspielt. Kreativ übersetzen heißt also ausloten und gestalten des zielsprachlichen „Spiel-Raums“ (Heibert / Schmidt-Henkel 2016b: 202), der den Übersetzern zur Verfügung steht bzw. den sie sich im Vorgang des Sprachwechsels überhaupt erst erschließen und der den Bedeutungsschichten des Originals neue hinzufügt. Umso verwunderlicher, dass die beiden Übersetzer sich dennoch dazu entschlossen haben, den doppelten Boden des Textes, das mitklingende Alphabet, in ihrem (äußerst umfangreichen und höchst informativen) Anmerkungsapparat aufzudecken: Queneau baut hier zusätzlich zu den geruchsrelevanten Wörtern ein homophones ABC ein: abbés (A, B), décédés (C, D), œuf (E, F) geais (G), haches (H), ci-gîts (I, J), cas (K), ailes (L), aime haine au pet de culs (M, N, O, P, Q), hies que scient aides grecs (X, Y, Z - das Z nur sehr verschlüsselt). Die Übersetzung tut dasselbe mit den Mitteln des Deutschen. (Heibert / Schmidt-Henkel 2016b: 184) 5 Warum diese Anmerkung? Wie oben gezeigt, sprechen alle Beobachtungen dafür, dass die Neuübersetzung von Olfactif den deutschsprachigen Leser auf ganz ähnliche Weise heraus- und zum Rätsellösen auffordert, wie Queneau es in seiner französischen Exercice tut. Über die Gründe für den erklärenden Gestus, der mit der Anmerkung einhergeht, lässt sich allenfalls spekulieren: Haben die Übersetzer ihrer eigenen sprachlichen Performance dann doch nicht bis ins Letzte vertraut? Oder haben sie sich im Gegenteil ganz von der Freude über die Vielzahl ihrer originellen Funde leiten lassen und wollten sicherstellen, dass die LeserInnen ihre sprachakrobatische Leistung auch bestimmt nicht übersehen? Wie dem auch sei, ein gewisses Spoiling lässt sich an dieser Stelle nicht leugnen. Denn dem deutschsprachigen Leser wird durch die Anmerkung die Gelegenheit genommen, die Geruchskulisse in Queneaus Exercice selbstständig zu erkunden und dabei irgendwann auf das homophone Alphabet aufmerksam zu werden, sei es nach zwei, drei oder mehr Lektüredurchgängen. Das Entdecken verborgener Bedeutungsschichten ist integraler Bestandteil von Queneaus poetischer 5 In dieser Aufstellung unerwähnt bleiben die Elemente „d’airs détestés“ (R, S, T), „de nus vers“ (U, V) und „doublés vés cés“ (W). <?page no="107"?> Unendliche Vervielfachung 107 „Sprachuntersuchung“, einhergehend mit einer impliziten Aufforderung zum intensiven und wiederholten Lesen, wie die Queneau-Übersetzerin Barbara Wright betont: „The more I go into each variation, the more I see in it“ (Wright 1958 / 2009: 15). Entsprechend hat Queneau selbst über mehrere Neueditionen der Exercices hinweg konsequent auf jede Art von erläuternder Anmerkung verzichtet, ja „nicht im Traum daran gedacht, sich selbst zu kommentieren“ (Enzensberger 1961: unpag.). Und auch die Übersetzer Heibert und Schmidt- Henkel hätten an dieser Stelle auf einen Kommentar verzichten können: Darf der Leser nicht auch selbst bemerken, welche heimliche Regel neben der „olfaktorischen“ sich noch in dieser Stilübung verbirgt? Bei der wievielten Lektüre auch immer. 2 Neuübersetzung als Aktualisierung Ein zentrales Movens von Neuübersetzungen liegt neben dem oben diskutierten Fortschreiben des Ausgangstexts darin, einen literarischen Klassiker für die zielsprachliche Leserschaft neu zu erschließen und eine individuell konturierte Lesart anzubieten, die - auch im Rückgriff auf die literaturwissenschaftliche Forschung der vergangenen Jahre - bislang verborgen gebliebene Bedeutungsschichten des Originals freilegt. Dementsprechend grenzen sich Neuübersetzungen meist dezidiert von früheren Fassungen ab und gehen im besten Fall über sie hinaus. Neben der Umsetzung eines erweiterten und vertieften Textverständnisses bieten Neuübersetzungen aber auch die Gelegenheit zu Aktualisierung und Modernisierung im Hinblick auf gesellschaftliche Verhältnisse, die sich in der sprachlichen Gestaltung von Übersetzungen spiegeln. Übersetzerentscheidungen fallen nie im luftleeren Raum, sondern sind stets das Ergebnis einer Interaktion der ÜbersetzerInnen sowohl mit dem Ausgangstext, mit eigenen Lektüreerfahrungen, als auch mit dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem sie sich bewegen. Im Fall der beiden vorliegenden Exercices -Übersetzungen liegen die Entstehungskontexte über fünfzig Jahre auseinander, entsprechend groß ist an einigen Stellen auch die Kluft, die sich in der Wortwahl, in der Atmosphäre und in der Bewertung einzelner Motive und Elemente auftut. 6 Ein frappierendes Beispiel dafür, dass es nicht nur ästhetische, sondern auch handfeste ethische und politische Gründe für Neuübersetzungen geben kann, bietet Queneaus Stilübung Sonnet . In der zweiten Strophe werden die Passagiere auf der Plattform des Autobusses S beschrieben: 6 Andreas Puff-Trojan (2016) betont in seiner Stilübungen -Rezension, Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel hätten den französischen Text „behutsam in ein zeitgemäßes Deutsch gebracht“. <?page no="108"?> 108 Angela Sanmann L’un vint, c’était un dix ou bien peut-être un S. La plate-forme, hochet adjoint au véhicule, Trimbalait une foule en son sein minuscule Où des richards pervers allumaient des londrès. (Queneau 2012: 103) Bei Harig und Helmlé heißt es: Schon war ein zehn, ein S vielleicht, zur Stelle. Die Plattform, Spielzeug des Vehikels, trug die Menschenmeng in ihrem winzgen Bug und rauchend reiche Homosexuelle. (Harig / Helmlé 1961/ 2007: 87) Offenbar ist es bei Erscheinen der Übersetzung Anfang der sechziger Jahre nicht als problematisch empfunden worden, dass Queneaus Zigarre rauchende „richards pervers“ (dt.: „reiche Perverslinge“) im Deutschen als „reiche Homosexuelle“ auftreten. Spätestens die Neuauflagen der Stilübungen von 1990 / 2007 hätten jedoch dem Verlag und den Übersetzern die Gelegenheit geboten, diese homophobe Formulierung zu revidieren. So war es nun an Frank Heibert und Schmidt-Henkel, eine neue kreative Lösung für den umarmenden Reim der Sonettstrophe zu finden: Dann kam einer, war es ein 10er, ein S? , die Plattform hing wie eine Rassel daran, ein kleines Geviert, rappelvoller Altan, mit Reichen in krassem Zigarren-Exzess. (Heibert / Schmidt-Henkel 2016a: 68) Ein weiteres Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Atmosphäre gesellschaftlicher Szenerien in Übersetzungen gezeichnet wird, bietet die Stilübung Paréchèses , in der ähnlich oder gleich klingende Wörter - bereits existierende oder neu kreierte - miteinander kombiniert werden, ausgehend von der Silbe „bu“ wie „Bus“ (vgl. Heibert / Schmidt-Henkel 2016b: 181). Paréchèses Sur la tribune bustérieure d’un bus qui transhabutait vers un but peu bucolique des bureaucrates abutis, un burlesque funambule à la buccule loin du buste et au gibus sans buran, fit brusquement du grabuge contre un burgrave qui le bousculait : « Butor ! y a de l’abus ! » S’attribuant un taburet, il s’y culbuta tel un obus dans une cambuse. Bultérieurement, en un conciliabule, il butinait cette stibulation : « Buse ! ce globuleux buton buche mal ton burnous ! » (Queneau 2012: 90) <?page no="109"?> Unendliche Vervielfachung 109 Passend zum spielerisch-improvisatorischen Gestus seiner Stilübung kontrastiert Queneau das Motiv des burlesken Seiltänzers („burlesque funambule“) mit dem der Bürokraten („bureaucrates“), die auf der Plattform des Autobusses S aufeinandertreffen. In der Erstübersetzung von 1961 liest sich die Stilübung wie folgt: Parechesis Auf dem bunten Bug eines Busses, der bucklige Bürokraten zu ihren Bunkern bugsierte, burrte ein wenig bukolischer Bursche mit burleskem Schlund und Bund um die Butterblume, und buirschikos bullerte er einen Bourgeois an, der ihm die Buxe verbumfiedelte: „Bursche, meine Buletten! “ Er buchtete zwischen die Bullen und bumste auf seine vier Buchstaben. Stunden später auf einem Bummel buhlte sein Busenfreund mit Burnus und befummelte seinen Busen: „Bubi, dein Bukett ist verbummelt.“ (Harig / Helmlé 1961/ 2007: 72) Bei Harig und Helmlé tritt der Seiltänzer als solcher gar nicht auf, wodurch die Opposition zwischen Zirkus- und Arbeitswelt abgeschwächt wird. Charakteristisch für die Erstübersetzung sind vielmehr diejenigen Motivelemente, die - abgesehen vielleicht vom Bourgeois -, die Autobus-Szenerie in der deutschsprachigen Kultur verankern: „Butterblume“ - „Buxe“ - „Buletten“ - „vier Buchstaben“ - „Bubi“. 7 Ganz anders die Ausrichtung der Neuübersetzung: Sie entwirft das Panorama des multi-ethnischen Paris von heute: Parechesen Im burückgesetzten Bureich eines Busses, der für eine Butterfahrt in unbukolische Buzirke gebucht war, rabulierte ein wenig erbulicher Bube, ein bulimischer Buffo, Buckel weit vom Busen und burleske Kopfbudeckung, burschikos gegen einen anderen Burger, der ihn offenbar buständig anbummerte: „Du Buffel! Buck dich weg! Bun ich Buddha? “ Ausgebufft buhlte er sodann erbulgreich um einen Butzplatz und buendete augenbulklich seinen Budenzauber. Am selbun Abend buriet er sich mit einem Bukannten, einem Buhnenkunstler, sie bummelten nicht weit vom Buhnhof. Der bupfte nicht lange auf den Busch und burstete ihn bukleidungstechnisch ab: „Das Bukolleté ist verburkst. Der oburste Bubelknopf rambuniert dir deine Burka! “ (Heibert / Schmidt-Henkel 2016a: 57) 7 Auch hier zeigt sich das Verfahren der „Naturalisierung“, das Harig als zentrale Übersetzungsstrategie identifiziert hat (Harig 1961: 284). <?page no="110"?> 110 Angela Sanmann Zunächst schicken Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel ihren Autobus zwar auch auf die aus dem deutschsprachigen Kulturraum wohlbekannte „Butterfahrt“; an Bord statt Queneaus Seiltänzer jedoch ein dem Figurenrepertoire der italienischen Oper entsprungener „buffo“, der in seinen verbalen Schlagabtausch mit dem „Burger“ Anspielungen auf fernöstliche Religionen einflicht: „Bun ich Buddha? “ Die von Queneau evozierte Zirkuswelt tritt im zweiten Teil der Stilübung am „Buhnhof “ Saint-Lazare in Gestalt des „Buhnenkunstlers“ noch einmal hervor, und statt des Überziehers wird die im Islam verbreitete „Burka“ - hochaktuell - zum „bukleidungstechnischen“ Gesprächsthema. Verweise auf verschiedenste kulturelle und religiöse Kontexte existieren in dieser Autobus-Szenerie wie selbstverständlich nebeneinander und spiegeln die Zusammensetzung der heutigen Pariser Bevölkerung. Die Modernisierung geht einher mit einer Emanzipation der Übersetzer gegenüber dem Ausgangstext. Sie nehmen sich Queneaus Motiv des „burlesque funambule“ zum Vorbild und führen die Sprachkunststücke fast noch ostentativer auf als die französische Exercice : Mit 100 Wörtern ist die Neuübersetzung nicht nur deutlich umfangreicher als die Erstübersetzung (72 Wörter), sondern auch als Queneaus eigener Text (82 Wörter). Mit David Bellos lässt sich der hier zu beobachtende fließende Übergang zwischen Übersetzungs- und Schreibprozess als Ergebnis der kreativen Auseinandersetzung deuten, die mit der Übertragung komplexer sprachlicher Gebilde einhergeht: „[F]aced with a paradoxical, strenuous linguistic challenge, the translator, by dint of trying, and then of letting go, actually learns to write and to become himself or herself, from the very process of learning to translate a given text.“ (Bellos 2013: 73) Im Prozess der Aneignung und kreativen Reproduktion von Queneaus poetischen Verfahrensweisen generieren die ‚zur Freiheit gezwungenen’ Übersetzer (Frank 1986: 1) neue Bilderwelten und werden selbst zu Schriftstellern. Mit Blick auf das Gesagte lässt sich resümierend festhalten, dass jede Exercices de style -Übersetzung durch das kreative Fortspinnen von Motiven und das Verschieben von Bedeutungsvektoren in der jeweiligen Zielsprache Anteil hat am unabschließbaren Prozess der poetischen „prolifération infinie“, wie sie von Queneau angestrebt wurde. Erst in ihren Übersetzungen, die immer auch individuelle, historisch markierte Fortschreibungen sind, entfalten die Stilübungen ihr eigentliches Potential zur unendlichen Vervielfachung. Der Vergleich der beiden deutschsprachigen Übersetzungen hat darüber hinaus gezeigt, dass sich zwischen den verschiedenen Exercices -Fassungen in einer Zielsprache ein komplexes Netz an Bezügen herausbildet: Mal wird die Erstübersetzung bzw. werden einzelne ihrer Aspekte von der Neuübersetzung intensiviert oder überboten ( Maladroit, Métaphoriquement ), mal übernimmt ein <?page no="111"?> Unendliche Vervielfachung 111 Übersetzer (bewusst oder unbewusst) Elemente seines Vorgängers und schreibt sie fort ( Olfactif ), mal wird die frühere Fassung durch die neue Lesart teilweise oder sogar vollständig revidiert ( Sonnet ), mal präsentiert sich eine Neuübersetzung als dezidierte Aktualisierung und Modernisierung ( Paréchèses ). Eine Analyse der im vorliegenden Beitrag nicht in den Blick genommenen Exercices - Übersetzungen von Ludwig Harig und Eugen Helmlé bzw. Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel würde diese Liste sicherlich um weitere Elemente ergänzen - und mit jede / r weitere / n ÜbersetzerIn würde der poetische Prozess unendlicher Vervielfachung fortgeführt. Bibliographie Verwendete Ausgaben von Raymond Queneaus Exercices de style und ihrer deutschen Übersetzungen Queneau, Raymond (1947): Exercices de style . Paris: Gallimard. Queneau, Raymond (2012): Exercices de style . Édition à tirage limité établie et présentée par Emmanuël Souchier. Paris: Gallimard. Harig, Ludwig / Helmlé, Eugen (1961/ 2007): Raymond Queneau: Stilübungen . Aus dem Französischen von Ludwig Harig und Eugen Helmlé. Mit einem Nachwort von Ludwig Harig. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Heibert, Frank / Schmidt-Henkel, Hinrich (2016a): Raymond Queneau: Stilübungen . Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin: Suhrkamp. 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Frank, Armin Paul (1986): „Wo Übersetzen Erfinden heißt: Vom Zwang zur übersetzerischen Freiheit“. In: Mitteilungsblatt für Dolmetscher und Übersetzer 3, 1-8. <?page no="112"?> 112 Angela Sanmann Harig, Ludwig (1961): „Raymond Queneau - übersetzt im Saarland. Die Stilübungen und ihre Schwierigkeiten“. In: Saarbrücker Zeitung, Nr. 110, 13. Mai. Wieder aufgenommen in: Ludwig Harig: Wer schreibt, der bleibt. Aufsätze und Reden ( = Gesammelte Werke , Bd. 8). Hrsg. von Werner Jung. München 2004, 281-287. Harig, Ludwig (1971): „Spiel mit dem Stil: Zur Übersetzung von Texten Raymond Queneaus“. In: Saarheimat. Zeitschrift für Kultur, Landschaft, Volkstum , Nr. 15 / 1971, 222-226. Harig, Ludwig (1990 / 2007): „Auf dem pataphysischen Hochseil. Zur Übersetzung der Stilübungen von Raymond Queneau“ [Erstmals veröffentlicht in der Neuausgabe von 1990, wieder aufgenommen in die Ausgabe von 2007]. In: Raymond Queneau: Stilübungen . Aus dem Französischen von Ludwig Harig und Eugen Helmlé. 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This will enable me to confront some concepts derived from the theoretical framework of creative translation research in Translation Studies with the statements of the poet-translator and his own textual practice as a translator. The discrepancy between the dominant model of translation and the translator’s own understanding of his task as a quest for fidelity / equivalence on the one hand, and his actual translation practice as documented by the various versions of his translation on the other, brings to the fore the creative dimension of the translation process and sheds light on Roud’s translation of Müller’s poem as a continuation of the source text (Fortschrift). This example confirms the relevance of the “creative turn” in Translation Studies, and the urgent need to acknowledge the creativity of translation today. Keywords: Translation Studies, genetic criticism, creative turn, author as translator, Gustave Roud. Gustave Roud ist dem deutschsprachigen Publikum des 21. Jahrhunderts wohl kaum mehr ein Begriff. Doch zu seinen Lebzeiten (1897-1976) gehörte der Westschweizer zu den bedeutendsten Lyrikern und Übersetzern des französischsprachigen Raumes: Seine Übertragungen von Hölderlin, Poëmes de Hölderlin (1942), von Rilke, Lettres à un jeune poëte, précédées d’Orphée et suivies de deux essais sur la poésie (1947), von Novalis, Les Disciples à Saïs, Hymnes à la nuit, Journal (1948) und schließlich von Georg Trakl, Vingt-quatre poèmes (1978) wurden im frankophonen Raum rege rezipiert und mehrfach aufgelegt. Seit der Herausgabe seines Tagebuches Journal (Roud 2004) kann man nun auch nachvollziehen, welch zentrale Stellung das Übersetzen seit 1930, dem Jahr der ersten Übersetzungen von Gedichten von Novalis, in Rouds Leben eingenommen hat. Und 1982 publizierte der Lyriker und Freund Philippe Jaccottet in der Reihe Cahiers Gustave Roud eine schmale Anthologie bis dahin unbekannter Überset- <?page no="114"?> 114 Irene Weber Henking zungen, „introuvables, […] inconnues, [voire] tout à fait inédits“ 1 unter dem Titel Traductions éparses (Roud 1982b: 6). Jaccottet publiziert in diesem Band Rouds Übersetzungen von 14 Autoren, hauptsächlich aus der Romantik ( Johann Wolfgang von Goethe, Clemens Brentano, Joseph von Eichendorff, Wilhelm Müller, August von Platen und Heinrich Heine), aber auch einzelne Gedichte von Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Franz Werfel und Werner Bergengrün. Ebenfalls entdeckte dieser Band zum ersten Mal Rouds Arbeit aus dem Italienischen und gab dem Leser Zugang zu zwei Übersetzungen zweier Gedichte von Eugenio Montale, „Les Citrons“ und „L’Arche“. Im Archiv des Centre de recherche sur les lettres romandes der Universität Lausanne 2 befindet sich der Fonds Gustave Roud mit zahlreichen, weiterhin unbekannten und nicht erfassten Dokumenten zu seiner Übersetzungsarbeit. Von den ersten bis zu den letzten Schritten kann hier die Entstehung der Übersetzungen verfolgt werden, angefangen mit den leicht annotierten Bänden aus seiner Privatbibliothek, über kleine, blaue Hefte mit deutsch-französischen Wortschatzlisten und seitenlangen Abschriften von Auszügen aus der Sekundärliteratur, bis hin zu den zahlreichen Typoskripten mit Handkorrekturen und der Korrespondenz mit Verlegern und Schriftstellerkollegen zu einzelnen Übersetzungsfragen. Bei der Durchsicht dieses äußerst reichhaltigen Archivbestandes zeigt sich, dass Roud neben seinen zahlreichen Übersetzungen deutscher Romantiker, viele Gedichte von italienischsprachigen Autoren übersetzte, wie z. B. von Bruno Barilli (1880-1952), Vincenzo Cardarelli (1887-1959) und Carlo Coccioli (1920-2003), aber auch von Gabriele d’Annunzio und einzelne Sonette von Michelangelo. Und aus dem Vergleich der verschiedenen Stadien seiner Übersetzungen zeichnet sich eine Übersetzungspoetik ab, die sich einerseits durch eine Annäherung an die Sprachform des Originals auszeichnet und sich andererseits die sinnliche Sprachlichkeit des Zieltextes zum Fluchtpunkt macht. Wie diese Arbeit mit den seit Ende des 20. Jahrhunderts in Europa erarbeiteten Theorien der Kreativität im literarischen Übersetzen in Zusammenhang gebracht werden kann, sollen die folgenden Überlegungen und Übersetzungsbeispiele zeigen. „Translations are derivative and uncreative“ (Brown 2012: 184) und als solche jedem Original unterlegen und unterstellt. Dies gilt zumindest seit der Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst von 1886 und bis zum ‚creative turn‘ der 1990er Jahre. Übersetzungen werden in der Schweiz auch heute noch als sog. „Werke zweiter Hand“ bezeichnet und unterliegen 1 „unauffindbar, […] unbekannt oder gar gänzlich unveröffentlicht“. 2 Siehe dazu https: / / www.unil.ch/ crlr/ home/ menuinst/ fonds-darchives/ gustaveroud-1897-1976.html [letzter Abruf am 06. 07. 2016]. <?page no="115"?> Gustave Roud, „Hinweg, hinweg-- Vite, passe le pont“ 115 nicht denselben Gesetzen wie die „Werke“, d. h. die „geistige[n] Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben“. 3 Denn, so heißt es bei ProLitteris , der Schweizerischen Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst: Schwieriger wird der Entscheid [über die Anwendung des Urhebergesetzes] bei kunsthandwerklichen Produkten, bei Kochrezepten, statistischen Aufstellungen, Möbeln usw. Bearbeitungen (Werke zweiter Hand) wie etwa Übersetzungen, Verfilmungen von literarischen Werken etc. können urheberrechtlich ebenfalls geschützt sein, sofern die Bearbeitung die gesetzlichen Voraussetzungen des individuellen Charakters erfüllt. 4 Dass die Übersetzungen im 21. Jahrhundert endlich als „geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter“ wahrgenommen werden, ist auch auf die Forschung und Diskussion um die immer schwieriger zu handhabende Dichotomie zwischen Autor und Übersetzer und Original und Übersetzung zurückzuführen. Schreiben und Übersetzen verlangen nach einem kreativen Umgang mit Sprachmaterial. Und die Tatsache, dass der Übersetzer von einem ersten, vorgeformten Text ausgeht, erleichtert oder verringert die kreativ innovative Arbeit keineswegs. Ganz im Gegenteil, wie dies Eugenia Loffredo und Manuela Perthegella in der Einleitung zum Sammelband Translation and Creativity pointiert formulieren: […] the exercise of one’s creativity turns out to be directly proportional to the constraints to which one is subject; in other words, the more one is constrained, the more one is creative. (Loffredo / Perthegella 2006: 6) Überblickt man die übersetzungswissenschaftlichen Publikationen zum Thema der Kreativität, so gibt es sowohl im deutschsprachigen als auch angelsächsischen Raum erste Ansätze, die in die 1990er Jahre zurückgehen: Insbesondere die Arbeiten von Paul Kußmaul (1993, 1995, 1999, 2000a, 2000b) und André Lefevere (1992), später auch von Susan Bassnett / Peter Busch (2008) und Loffredo / Perteghella (2006) haben den creative turn auch in der Übersetzungswissenschaft vollzogen. 5 Auch im französischen Kulturraum finden sich Ansätze zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema, die sogar noch etwas weiter zurückliegen und mit 3 Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte https: / / www.admin. ch/ opc/ de/ classified-compilation/ 19 920 251/ index.html [letzter Abruf am 13. 06. 2016]. 4 Siehe dazu http: / / prolitteris.ch/ grundlagen/ urheberrecht-bewilligung-und-aufsicht [letzter Abruf am 13. 06. 2016]. 5 Einen sehr guten Überblick zur Frage geben Larisa Cercel (2013: 259-283) und Mathilde Fontanet (2005: 432-447). <?page no="116"?> 116 Irene Weber Henking dem Gedankengut der deutschen Romantik und dessen hermeneutischer Tradition im Dialog stehen. 6 Dabei kann insbesondere auf die Arbeiten von Antoine Berman und Henri Meschonnic verwiesen werden. Beide Autoren scheinen primär dem Übersetzungsprinzip der Formtreue verhaftet zu sein. Doch ist die Bermansche und Meschonnicsche Form einerseits nicht mit der Form des strukturalistischen Zeichens zu verwechseln und andererseits darf deren Treue nicht vorschnell mit dem Prinzip der Äquivalenz verbunden werden. Berman basiert seine Ausführungen zur eingeforderten Formtreue der Übersetzungen auf den Essay „Die Aufgabe des Übersetzers“ von Walter Benjamin (1923: 9-21) und dessen zentrales Axiom „Übersetzung ist eine Form“ (1923: 9). Benjamin versucht, wie viele andere vor und nach ihm, 7 aus der unmittelbaren Erfahrung der Übersetzungspraxis auf einer metatextlichen Ebene das Problem der Übersetzbarkeit und die Frage nach der Autorschaft von Original und Übersetzung zu formulieren. Benjamin erwartet von der Übersetzung keine Mitteilungen, weil sie nur das Unwesentliche der sprachlichen Äußerungen betreffen, sondern verlangt von der Übersetzung die Wiedergabe des Wesentlichen und des Wesens eines Originals: die Form. Diese Einsicht wiederum spricht gegen das die gesamte Übersetzungstheorie strukturalistischer Faktur beherrschende Prinzip der Äquivalenz. Was Benjamin und in seiner Folge Berman und Meschonnic in Frankreich als Ideal der Übersetzung postulieren, ist die Übersetzung als wörtliche Entfaltung der Sprache des Originals, welche dieses nicht ersetzt oder tilgt, sondern kreativ fortschreibt. Antoine Berman beschreibt in seinem 1985 erschienen Buch La traduction et la lettre ou l’auberge du lointain ein Übersetzungsmodell, das er, in Anlehnung an Benjamins Formprinzip, als „littéralisante“ bezeichnet: [La traduction] est manifestation d’un original , d’un texte qui n’est pas seulement premier par rapport à ses dérivés translinguistiques, mais premier dans son propre espace de langue. […] La visée éthique, poétique et philosophique de la traduction consiste à manifester dans sa langue cette pure nouveauté en préservant son visage de nouveauté. […] Si la forme de la visée est la fidélité, il faut dire qu’il n’y a de fidélité - dans tous les domaines - qu’à la lettre. […] Fidélité et exactitude se rapportent à la littéralité charnelle du texte. En tant que visée éthique, la fin de la traduction est d’accueillir dans la langue maternelle cette littéralité. Car c’est en elle que l’oeuvre déploie sa parlance, sa Sprachlichkeit et accomplit sa manifestation du monde. (Berman 1999: 76-78) 6 Zur Verbindung zwischen dem creative turn und der deutschen Hermeneutik siehe Cercel (2013: 262 ff.). 7 Eines der sprechendsten Beispiele hierzu ist sicherlich die Novelle „Pierre Menard, Autor des Quijote“ von Jorge Luis Borges (2004). <?page no="117"?> So die Auslegung der idealen Übersetzung von Berman: Die „visée ‚ultime’ de la traduction“ (Berman 1999: 73), das Fernziel der Übersetzung, ist dem französischen Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler zufolge ein ethisches, das darin besteht, „à reconnaître et à recevoir l’Autre en tant qu’Autre“ (Berman 1999: 74), d. h. das Andere als das Andere zu erkennen und aufzunehmen, in seiner auch in der französischen Sprache eigenartig klingenden „parlance“ und der absolute fremden „Sprachlichkeit“. Die Übersetzung muss, so Berman, „accueillir l’Etranger dans sa corporéité charnelle, [et] s’attacher à la lettre de l’œuvre“ (Berman 1999: 77), die Übersetzung muss das Fremde in seiner sinnlichen Körperlichkeit empfangen und sich um die Buchstäblichkeit des Werkes bemühen. Benjamins „Aufgabe des Übersetzers“ klingt hier deutlich an und seine Metaphern der Übersetzung als „Entfaltung“ (bei Berman im Verb „déployer“ wiedergegeben) und als „Arkade“ der Wörtlichkeit („littéralité“), welche das Original „durchscheinen“ lassen, bilden die sichtbare Folie zu Bermans eigenem Text. Was die Bermansche und Benjaminsche Formel der Übersetzung als Entfaltung der Sprache und „[déploiement de la] parlance“ machbar macht, ist die Überzeugung, welche die beiden teilen: Weder Aussage noch Mitteilung gilt es zu übertragen, sondern das Wesen und Wesentliche der Dichtung, d. h. „das Unfaßbare, Geheimnisvolle, ‚Dichterische‘“ (Benjamin 1923: 9), das sich in der Form und seiner Sprache manifestiert. Dabei soll, wie Berman es formuliert, das Antlitz des Neuen in der Übersetzung offen gelegt werden, „manifester dans sa langue cette pure nouveauté en préservant son visage de nouveauté“ (Berman 1999: 76). Auch Henri Meschonnic, Übersetzer, Schriftsteller und Linguist, der zusammen mit Antoine Berman das Gedankengut der deutschen Romantik und Hermeneutik in die französische, linguistisch-strukturalistisch geprägte Übersetzungswissenschaft gebracht hat, wendet sich von der Übersetzung als simplem Sinntransfer ab. Doch während Berman die „littéralité“ und „Sprachlichkeit“ des Originals als Fluchtpunkt jeder Übersetzung setzt, sieht Meschonnic im Rhythmus das leitende Prinzip jeder Übersetzung. Traduire selon le poème dans le discours, c’est traduire le récitatif, le récit de la signifiance, la sémantique prosodique et rythmique, non le stupide mot à mot […] Parce que le mode de signifier, beaucoup plus que le sens des mots, est dans le rythme […] C’est pourquoi traduire passe par une écoute du continu. (Meschonnic 1999: 28-29) Sowohl Meschonnic als auch Berman dürfen jedoch nicht als sourciers verkannt werden und ihre Theorie auf das Niveau einer eingeforderten ‚Originaltreue‘ reduziert werden. Ganz im Gegenteil verlangen sie beide von der Übersetzung eine kreative Bearbeitung und Umformung: Gustave Roud, „Hinweg, hinweg-- Vite, passe le pont“ 117 <?page no="118"?> 118 Irene Weber Henking Ainsi le grand transformateur du traduire n’est pas le sens, les différences dans le sens, l’herméneutique. C’est le rythme. Pas le rythme au sens traditionnel, d’alternance formelle du même et du différent, ordonnance, mesure, proportion. Mais le rythme tel que la poétique l’a transformé, organisation d’un discours par un sujet, et mouvement de la parole dans l’écriture, prosodie personnelle, sémantique du continu. (Meschonnic 1999: 165) Die Texte von Berman und Meschonnic zeigen, dass das Prinzip der Formtreue keineswegs im Gegensatz zu dem ein gutes Jahrzehnt später entwickelten Konzept der übersetzerischen Kreativität steht, sondern aufgrund seiner eigenen romantischen Vorgeschichte an einem in mehrfacher Hinsicht produktiven Übersetzungsmodell anknüpft. Gustave Roud, Übersetzer der wichtigsten Dichter der deutschen Romantik ins Französische, zeigt mit seinen Ausführungen zum Übersetzen und in den verschiedenen erhaltenen Stufen seiner Arbeiten den Weg und die Spannung zwischen der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Wissenschaft und Leserschaft eingeforderten Originaltreue und dem von den romantischen Originalautoren getragenen Gedanken der absolut produktiv und kreativ gedachten ‚Universalpoesie‘. Trotz des unmittelbaren Erfolgs seiner Übersetzungen zeigt sich Roud von Zweifeln geplagt und unzufrieden mit seiner Arbeit: Er spricht vom „Schiffbruch“ seines Versuchs, einen Gotthelf-Roman zu übersetzen, der „Pleite“ seiner Trakl-Übertragungen 8 und seinen zahlreichen Problemen mit den Hölderlin-Übersetzungen, von denen er mit (gespielter) Bescheidenheit behauptet, sogar ein Schüler könnte sie lösen, „un petit collégien [les] résoudrait sans peine“. 9 Und immer wieder hebt er in seinem Tagebuch das quälende Gefühl des Ungenügens und die stumpfe Pflicht seiner Übersetzerarbeit im Allgemeinen hervor: […] toujours plus intolérable et paralysant, de ne jamais plus pouvoir remonter, désormais, jusqu’au ‘seuil’ […] à partir duquel la création poétique redevient possible, et d’être à jamais incapable de liquider l’amoncellement d’arriéré qui engage mon Futur et lui bouche l’horizon. (Roud 2004: 409) 8 Tagebucheintrag vom 20. November 1961: „Je viens de relire quelques poèmes de Penna, l’envie me prend de les traduire […] Mais n’est-ce pas, par avance, l’échec certain? Mon naufrage d’ Uli - il me reste une infime espérance de vaincre. […] lettres à Beidler pour le ratage du Trakl“ (Roud 2004: 231). Von der Übersetzung des Romans Uli der Knecht von Jeremias Gotthelf sind 1955 lediglich 2 Seiten in einer Zeitschrift ( Bulletin de la Guilde du Livre ) erschienen und sie belastet Roud noch während Jahren. 9 Fonds Gustave Roud im Centre de recherche sur les lettres romandes. Sieben maschinengeschriebene Seiten mit Übersetzungsfragen von Gustave Roud (wahrscheinlich) an Albert Béguin, mit den ebenfalls maschinengeschriebenen Antworten von Béguin direkt im Typoskript von Roud. <?page no="119"?> Roud sieht in seiner Übersetzungsarbeit keine kreative Tätigkeit und stellt sie ganz bewusst der „création poétique“, jenem poetischen Schaffen gegenüber, das vom Übersetzen selbst, dem ‚lästigen Pflichtpensum‘, lediglich verhindert wird. Doch Roud ist kein Kopist und das Übersetzen ist ein (uneingestandener) Teil seines poetischen Schaffens. Diese Spannung zwischen kreativem, ‚originalem‘ Schaffen und der übersetzerischen Wiedergabe wird auch in diesem Zitat aus einer Radiosendung von 1943 sichtbar, da der Sprecher auf die zwölf Lebensjahre verweist, die der Dichter Gustave Roud auf die Übersetzung der Gedichte von Hölderlin verwendet hat: Monsieur Gustave Roud, l’un de nos meilleurs poètes, l’auteur de trop rares et beaux poèmes, de quelques pages lyriques d’une grande beauté, a consacré douze années de sa vie à traduire les poèmes d’Hölderlin. Nous regrettons de n’avoir pas d’autre mot que celui de traduction - ce mot qui sert à tant de besognes médiocres - pour essayer de définir l’émouvant et grave travail accompli par Monsieur Roud […]. 10 1943 haftete dem Wort und der Tätigkeit des Übersetzens nicht viel Gutes und noch weniger Kreatives an, und der Sprecher entschuldigte sich dafür, dass die doch geradezu „ergreifend würdevolle Arbeit“ („l’émouvant et grave travail“) mit keiner anderen Bezeichnung als „traduction“ umschrieben werden könne. Dass die Übersetzungsarbeit trotz aller Klagen des Autors und aller Einwände der damaligen Kritik zu Rouds Werk gehört, zeigt die Übersetzung eines Liedtextes von Wilhelm Müller, der Gustave Rouds Schaffen während 40 Jahren begleitet und geprägt hat. 11 1935, Gustave Roud steckt mitten in seinen Hölderlin-Übersetzungen, die ein erstes Mal 1942 (Verlag Mermod, Lausanne) und schließlich 1967 (Pléiade, Paris) in verschiedenen Fassungen herauskommen, übersetzt der Zeitgenosse von Charles Ferdinand Ramuz die Lieder von Wilhelm Müller, „le parolier de Schubert“ (Pétermann 2009: 138). In der sehr umfangreichen Korrespondenz mit Georges Nicole, dem Literaturkritiker und Übersetzer von Petrarca, scheint Roud - einmal mehr - an seinen Übersetzungstalenten zu zweifeln und schreibt im Oktober 1935: „J’ai fait des tentatives désespérées pour transposer des lieds de Müller et de Heine. Echec complet“ (Pétermann 2009: 258-259). Auch in seinem Tagebuch finden sich, verstreut zwischen Landschaftsbeschreibungen vereinzelte Hinweise auf diese Übersetzungsarbeit und zeugen von der inten- 10 Fonds Gustave Roud CRLR, MS 62/ I : Hölderlin - « Un écrivain au micro », Radio Lausanne, 1943, p. 2. 11 Vgl. dazu die ausführlichere, französische Studie zur Entstehung dieser Übersetzung bei Weber Henking (2014). Gustave Roud, „Hinweg, hinweg-- Vite, passe le pont“ 119 <?page no="120"?> 120 Irene Weber Henking siven Beschäftigung mit den Liedtexten. 12 Ein Beispiel dieser Arbeit mit Vorstufen und Varianten, welches die kreative Arbeit von Roud im Umgang mit den deutschen Originaltexten beweist, ist seine Übersetzung des Gedichtes „Des Baches Wiegenlied“ aus dem Zyklus Die schöne Müllerin , 13 bekannt durch die Vertonungen von Franz Schubert aus dem Jahre 1823. Des Baches Wiegenlied Gute Ruh’, gute Ruh’! Thu’ die Augen zu! Wandrer, du müder, du bist zu Haus. Die Treu’ ist hier, Sollst liegen bei mir, Bis das Meer will trinken die Bächlein aus. Will betten dich kühl, Auf weichem Pfühl, In dem blauen krystallenen Kämmerlein. Heran, heran, Was wiegen kann, Woget und wieget den Knaben mir ein! Wenn ein Jagdhorn schallt Aus dem grünen Wald, Will ich sausen und brausen wohl um dich her. Blickt nicht herein, Blaue Blümelein! Ihr macht meinem Schläfer die Träume so schwer. Hinweg, hinweg Von dem Mühlensteg, Böses Mägdlein, daß ihn dein Schatten nicht weckt! Wirf mir herein Dein Tüchlein fein, 12 „Lundi 4 novembre matin, s. le b. du v. m. de V. [sur le banc du vieux moulin de Vulliens] […] en descendant au bois des Combes (un brouillard se retire et chatoie doucement à mesure que j’avance) quelques élans, et ma version de la « berceuse » me revenant en mémoire avec insistance, je songe à reprendre mes tentatives - sinon de traduction intégrale de la B. M. [La Belle Meunière], au moins des chants des plus beaux“ (Roud 1982a : 28 f.). 13 Zum ersten Mal erschienen unter dem Titel Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten, herausgegeben von Wilhelm Müller Band 1, Ackermann, Dessau, 1821. <?page no="121"?> Daß ich die Augen ihm halte bedeckt! Gute Nacht, gute Nacht! Bis Alles wacht, Schlaf ’ aus deine Freude, schlaf ’ aus dein Leid! Der Vollmond steigt, Der Nebel weicht, Und der Himmel da oben, wie ist er so weit! (Müller 1906: 21-22) Die französische Übersetzung von Gustave Roud wird das erste Mal 1982, sechs Jahre nach seinem Tod, von seinem Freund und Herausgeber Philippe Jaccottet im Band Traductions éparses mit folgendem Begleittext veröffentlicht: Dans les papiers de Roud, une page de titre soigneusement dactylographiée : Lieds de Wilhelm Müller, témoigne encore de ce projet [einer Gesamtübersetzung der Schönen Müllerin ] dont il ne nous reste que la dite Berceuse, inédite, […]. (Roud 1982b: 44) Und Philippe Jaccottet beendet seine einleitenden Worte zum Archivfund mit einem Satz, der unbewusst die Kreativitätstheorie, wie sie sich einige Jahre später auch im Bereich der Übersetzungswissenschaft entwickeln wird, aufnimmt: „On peut juger qu’à cent ans de distance, Roud, en imagination, ajoutait à la poésie de Müller presque autant que ce que Schubert lui a donné par la musique, en la sauvant de l’oubli“ (Roud 1982b: 44). Roud hat den Text von Müller ganz nach dem griffig von Kußmaul formulierten Prinzip „neu“ und „nützlich“ (Kußmaul 2000b: 12) 14 übersetzt, oder wie Jaccottet es formuliert, dem Text von Müller fast soviel wie die Musik von Schubert hinzugefügt und ihn damit vor dem Vergessen bewahrt. Die von Jaccottet herausgegebene Version folgt dem letzten handkorrigierten Typoskript, das im Archiv aufbewahrt wird: Berceuse du ruisseau Repose toi, repose Ferme les yeux … Las voyageur, voici ta maison qui t’accueille ! Je te serai fidèle Il faut t’étendre ici Jusqu’au jour où la mer aura bu les ruisseaux. J’arrangerai pour toi Le lit frais, l’oreiller tendre 14 Siehe dazu Kußmaul (2000b: 12): „Ein kreatives Produkt, so die Kreativitätsforscher, ist sowohl neu als auch sinnvoll, realitätsangepasst oder nützlich, und was sinnvoll usw. ist, wird in einem sozialen System entschieden.“ Gustave Roud, „Hinweg, hinweg-- Vite, passe le pont“ 121 <?page no="122"?> 122 Irene Weber Henking Au cœur du cristal bleu de mon étroite chambre. Vienne à moi, vienne à moi Tout ce qui peut bercer ! Bercez jusqu’au sommeil, bercez-moi mon enfant ! Quand le cor sonnera Hors des vertes ramures Je saurai t’entourer de rires, de murmures. Détournez vos yeux bleus, Vous les fleurs de la berge ! Vous peuplez mon dormeur de songes douloureux. Vite, passe le pont O pars, enfant cruelle ! Il ne faut pas que ton ombre l’éveille. Dénoue et jette-moi Ton beau fichu de soie Pour lui couvrir à tout jamais les yeux. Bonne nuit, mon dormeur Un jour tout va revivre … Epuise en ton sommeil ta joie et ta douleur ! Voici mourir la brume Voici monter la lune Et le ciel tout là-haut qui s’ouvre à l’infini ! (Roud 1982b: 46) Doch entgegen der Behauptung des Herausgebers ist diese Version 1982 bereits kein eigentliches Inédit mehr, ein unveröffentlichtes Werk, sondern Spuren und einzelne Verse davon können ab 1935 gefunden werden. 15 Im Archiv sind vier Versionen des Gedichtes „Des Baches Wiegenlied“ erhalten und die vergleichende Lektüre dieser Fassungen erlaubt es, das übersetzerische Projekt von Gustave Roud und dessen kreativen Mehrwert näher zu bestimmen. Wie bei (fast) allen seinen Übersetzungen beginnt Roud mit einer ausgedehnten Recherchearbeit zum Autor und zum Text und einer sorgfältigsten Listung des 15 1935 publiziert Gustave Roud in der Zeitschrift Schweizer Annalen/ Annales suisses ein erstes Mal eine Widmung/ Dédicace , die mit der ersten Zeile seiner Berceuse du ruisseau endet: „repose-toi, repose…“. 1945 wird diese erste Zeile und die folgenden im Rahmen seines Bandes Air de la Solitude wieder aufgenommen: „Repose-toi, repose… / Ferme les yeux ! / Las voyageur, voici ta maison qui t’accueille… / J’ai préparé pour toi / Le lit frais, l’oreiller tendre / Au cœur du cristal bleu de ma petite chambre. / Vienne à moi, vienne à moi / Ce qui berce et balance ! / Bercez jusqu’au sommeil, bercez-moi mon enfant…“ (Roud 1945: 25). <?page no="123"?> Wortschatzes in zwei Kolonnen: links die deutschen Wörter in Sütterlin-Schrift unterstrichen und rechts davon die französischen, semantischen Äquivalente in seiner Schreibschrift. Die erste Version seines Wiegenliedes ist denn auch durch eine große „littéralité“, eine Buchstabentreue im Sinne von Berman, geprägt: Die „Blümelein“ sind „petites fleurs“ und das „böse Mägdlein“ ist ein „méchante enfant“. Auch auf der syntaktischen Ebene hält sich Roud an die Originalstruktur und nimmt die zahlreichen Wiederholungen einzelner Syntagmata, die das Wiegenlied auch als Gattung charakterisieren, auf und verstärkt sie sogar noch mit einer zusätzlichen Reprise von „jette-moi“ in der vorletzten Strophe. Dieser ersten Version A folgen zwei weitere B und C, auf der Rückseite des gleichen Blattes notiert. An den zwei letzten Strophen kann der Weg zur vierten und letzten, oben zitierten, Fassung nachgelesen werden 16 : Roud arbeitet in den drei Arbeitsversionen auf drei verschiedenen Ebenen, um in der vierten Version einen langen Prozess abzuschließen: Er beginnt mit einer wörtlichen Übertragung, welche dem Original möglichst bis in die Wortstellung nahe bleibt. Die Voranstellung des Adjektivs („méchante enfant“), die 16 In Kursiva sind die zwischen die Zeilen hinzugefügten Veränderungen angemerkt. Leserliche Streichungen werden als solche markiert. Unleserliche Streichungen werden mit durchgestrichenen Schrägstrichen angegeben. Gustave Roud, „Hinweg, hinweg-- Vite, passe le pont“ 123 <?page no="124"?> 124 Irene Weber Henking Position der Negationspartikel („que ton ombre ne le réveille“) und die Wiederholungen ganzer Syntagma („Va-t-en donc, va-t’en“ / „Bonne nuit, bonne nuit“) wird respektiert und sogar noch überzeichnet mit der zusätzlichen Repetition von „Jette-moi, jette-moi“ und „Voici monter la lune / Voici céder la brume“. In der zweiten Version B findet ein sehr komplexer Arbeitsgang statt, welcher den Autor dazu führt, seine Übertragung dem Stil der französischen Literatursprache einzuschreiben und die Blickführung des Originals zu klären. Nun werden die neu eingefügten und in der französischen Literatur wenig beliebten Wortwiederholungen wieder rückgängig gemacht und durch semantische Variationen ersetzt („quitte le pont, va-t-en“, „donne-moi, jette-moi“), die Wortstellung der Norm angeglichen und der Wortschatz literarisiert und stilistisch angehoben (aus dem einfachen „méchante“ ein „cruelle“ und dem „réveille“ ein „éveille“, aus den wörtlichen Übertragungen „fin mouchoir“ wird ein „fichu de soie“, dem „dors toute la douleur“ ein „épuise en ton sommeil“ und aus dem „le ciel […] s’ouvre“ ein poetisches „le ciel […] s’éploie“). Die zweite Version B ist eine sehr hybride Zwischenfassung, die aufgrund der zahlreichen Korrekturen im Text, den Übergang von der Originalform und dessen „Sprachlichkeit“ zur „parlance“ des Zieltextes sichtbar macht. Im Übergang von der zweiten und dritten Version zur letzten Version wird schließlich der von Meschonnic eingeforderte Rhythmus hörbar, der nicht mit der Metrik gleichzustellen ist, sondern jene „organisation d’un discours par un sujet, et mouvement de la parole dans l’écriture, prosodie personnelle, sémantique du continu“ (Meschonnic 1999: 165) umschreibt. Tatsächlich zeichnet sich die Version C bereits durch ein sehr regelmäßiges und klassisches metrisches Versschema aus, das die bis ins 16. Jahrhundert dominierenden Zehnsilber mit den Alexandrinern (die Halbverse teilweise auf zwei Zeilen verteilt) alternierend gebraucht. Erst in der letzten Version wird jedoch der von Meschonnic definierte Rhythmus des Sprechers und Autors Gustave Roud als kreative Neuformung des Originals in den subtilen Umstellungen im Vergleich zur Version C sichtbar. Die erklärende und semantisch verdoppelte Formulierung „quitte le pont, va-t’en“ macht dem gestischen Sprechen „vite, passe le pont“ Platz und gibt dem Ausruf jene Intensität zurück, welche in der deutschen Sprache von der Wiederholung des „hinweg, hinweg“ geschaffen wird. Auch die im Vergleich zur Version C leicht verschobenen End- und Binnenreime tragen nun das Gedicht in seiner Endfassung jener Interpretation zu, die immer deutlicher vom Original abweicht und das eigentliche poetische Projekt von Gustave Roud umschreibt: Während im deutschen Text von Wilhelm Müller der Tod des Wanderers aus der Perspektive des Baches besungen wird, inszeniert Roud einen Dialog zwischen dem Dichter-Ich und dem müden Reisenden, der von einem hoffnungsvollen Ende und einer Wiedergeburt spricht: <?page no="125"?> Bonne nuit, mon dormeur Un jour tout va revivre … Epuise en ton sommeil ta joie et ta douleur ! Voici mourir la brume Voici monter la lune Et le ciel tout là-haut qui s’ouvre à l’infini ! (Roud 1982b: 46) Die stumpfe Wiederholung aus der Version C „bonne nuit, calme nuit“ ersetzt Roud in der letzten Fassung mit der Zeile „bonne nuit, mon dormeur“ und nimmt so einerseits den „Schläfer“/ “dormeur“ der dritten Strophe wieder auf, und setzt ihn andererseits in die klangliche (Reim-)Nähe der „douleur“ der dritten Zeile dieser letzten Strophe, um so die interne Kohärenz zu steigern. Zugleich dreht er die Abfolge der letzten Zeilen um und inszeniert so den Blick des Dichters, der vom Schläfer-Wanderer ausgehend, über den Nebel hinweg die Augen zum Mond und dem unendlichen Himmel hin zuwendet. Während Müller in zwei Knittelversen den Tod und den Himmel einander gegenüberstellt, scheint Roud das Leben und den Schmerz in der Unendlichkeit des Himmels aufzulösen, welche auch die Vertonung von Schubert anklingen lässt. Gustave Roud hat seine kreative Fortschrift ausgewählter Gedichte der deutschen Lyrik nie als genügend empfunden. In einem seiner zahlreichen blauen Notizhefte findet man folgende Aussage: „Traduction: L’on est condamné à choisir entre le calque et le reflet. L’un mort, l’autre brouillé et diffus jusqu’à la paraphrase“. 17 Und doch beweisen die wenigen Beispiele, wie Roud sich von der stumpfen Nachahmung, dem blassen Abbild und der ungenauen Paraphrase löst, mit dem Resultat einer kreativen, neuen und notwendigen Sprachformung, welche die ‚parlance‘ von Berman und den Rhythmus von Meschonnic in seiner Übersetzung realisiert. Roud schreibt mit seiner Übersetzung Wilhem Müllers Wiegenlied nicht „hinweg“, sondern führt es über die (Sprach-)Brücke in die romantische Unendlichkeit seiner eigenen Poetik: „Vite, passe le pont […] qui s’ouvre à l’infini“. Bibliographie Bassnett, Susan / Bush, Peter (Hrsg.) (2008): The Translator as Writer . London: Continuum. Benjamin, Walter (1923 / 1972): Die Aufgabe des Übersetzers . In: Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, IV .I, Charles Baudelaire, Tableaux parisiens. Deutsche Übertragung 17 Fonds Gustave Roud, Centre de recherche sur les lettres romandes, H. 1941. Gustave Roud, „Hinweg, hinweg-- Vite, passe le pont“ 125 <?page no="126"?> 126 Irene Weber Henking mit einem Vorwort über die Aufgabe des Übersetzers . Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 9-21. Berman, Antoine (1985 / 1999): La traduction et la lettre ou l’auberge du lointain . Paris: Seuil (Erstausgabe Trans-Europ-Repress, Mauvezin, 1985) Borges, Jorge Luis (2004): „Pierre Menard, Autor des Quijote“. In: Jorge Luis Borges: Fiktionen. Erzählungen . Übersetzt von Karl August Horst, Wolfgang Luchting und Gisbert Haefs. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag, 35-45. Brown, Hilary (2012): Luise Gottsched the Translator . Rochester / New York: Camden House. Cercel, Larisa (2013): Übersetzungshermeneutik. Historische und systematische Grundlegung . 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Following a description of the legal language elements and their function in a literary text, selected examples are discussed in the translation studies analysis. The classical categories of borrowing, substitution, omission and addition are applied in an attempt to illustrate the challenges that this complex topic poses for Translation Studies. Keywords: LSP / Language for Special Purposes, legal language and legal translation, literary translation, crime literature, translation procedures. 1 Introduction Inspiré par le travail d’Alberto Gil sur les relations entre herméneutique et créativité (cf. p. ex. Gil 2015), cet article se propose de décrire les défis traductologiques susceptibles de surgir lors de la traduction d’une langue spécialisée dans un texte littéraire. L’étude se concentrera dans ce cas sur le langage juridique et policier tel qu’il se présente dans trois romans de Dominique Manotti et dans leurs traductions vers l’allemand. 1 La question la plus importante sera non seulement de savoir comment les éléments langagiers spécifiques du droit français intégrés dans les romans sont traduits vers une langue étrangère et un système juridique différent, mais surtout de vérifier les effets des différentes stratégies de traduction sur le plan littéraire et esthétique. Du point de vue traductologique, 1 Elle est fondée sur plusieurs études précédentes, notamment Wienen (2011), Schmid/ Wienen (2014) et Girard de Pindray/ Schröpf/ Wienen (2015). Une étude plus vaste qui abordera la langue de l’océanographie biologique dans Frank Schätzing, Der Schwarm (fr. Abysses ) est en préparation. Dans ce contexte, je tiens à remercier chaleureusement Alberto Gil de ses précieuses observations qui ont accompagné l’ensemble de mes recherches au cours des dernières années. <?page no="130"?> 130 Ursula Wienen il s’agit donc de souligner le conflit, mais aussi la symbiose entre la précision de la traduction spécialisée et la liberté et le potentiel herméneutiques de la traduction littéraire. Pour entrer dans les détails de cette question, nous procéderons comme suit : Dans un premier temps, nous présenterons brièvement l’écrivain, le corpus des textes et la méthode d’analyse proposée (2). Ensuite, nous relèverons les différents éléments de la langue juridique dans les romans pour en discuter par la suite les fonctions dans l’action fictive (3). L’analyse traductologique proprement dite présentera les exemples répartis selon les catégories emprunt , substitution , omission et ajout (4). Le dernier paragraphe résumera brièvement les résultats et les perspectives de l’analyse (5). 2 Présentation de l’écrivain, du corpus et de la méthode d’analyse Dominique Manotti (nom de plume utilisé par Marie-Noëlle Thibault) naît à Paris en 1942 (cf. Müller / Ruoff 2007: 96). Historienne et enseignante en histoire économique contemporaine, elle ne publie son premier roman qu’en 1995 ( Sombre sentier ). 2 Il s’en suit toute une série de romans profondément inspirés par sa désillusion après de nombreuses années d’engagement politique (cf. Müller / Ruoff 2007: 98). Par là même, ses polars dressent un portrait noir de la politique et de la police françaises, notamment des années post-soixante-huitardes (cf. Müller / Ruoff 2007: 96ss.). Ils se distinguent par une action criminelle complexe et un réalisme soutenu mis en scène par une stratégie de description sophistiquée : l’indication exacte de la date et du lieu des scènes, un style journalistique dense (cf. Müller / Ruoff 2007: 98) accompagné de phrases courtes, voire elliptiques et l’emploi de différents niveaux langagiers. Les romans rassemblent donc les caractéristiques typiques d’un thriller (cf. Nusser 4 2009: 50-68) aux fins sociocritiques. Le corpus de cette étude se compose des trois romans suivants : 1. Nos fantastiques années fric (242 p., par la suite AF ) : ce roman a paru en 2001 et a été récompensé par le Prix Mystère de la Critique 2002 et le Prix du roman noir du Festival de Cognac 2002 . 3 Il décrit la première intervention de la jeune enquêtrice de police Noria Ghozali. L’action criminelle, une intrigue politique, se déroule à l’époque de François Mitterrand (cf. Müller / Ruoff 2007: 101). 2 Cf. p. ex. le texte présentant l’écrivain dans BC. 3 Cf. http: / / www.dominiquemanotti.com/ 2001/ 09/ nos-fantastiques-annees-fric_29.html (consulté le 23. 05. 2016). <?page no="131"?> «-Mesdames, messieurs, la Cour.-» 131 Traduite par Andrea Stephani, la version allemande, Roter Glamour ( RG ) (2011), a obtenu le titre du polar de l’année 2011 ( Krimi ZEIT Bestenliste ). 4 La traduction est précédée d’une note qui explique aux « lecteurs assidus » l’organisation de la police française et la situation politique des années 1985 / 86 (en indiquant même des adresses internet pour approfondir la lecture). Comme l’on verra plus tard (4), ce glossaire n’est pas sans intérêt pour l’appréciation de certaines stratégies de traduction. L’écrivain signale pourtant explicitement que la lecture de ces trois pages n’est pas obligatoire pour les lecteurs qui préfèrent tout simplement s’adonner au plaisir de lire un roman. 2. Le deuxième roman, Bien connu des services de police (238 p. ; BC ), a paru en 2010 et a été récompensé par le Trophée 813 pour le meilleur roman noir francophone 2010. 5 L’action se déroule à Paris en 2005 et décrit la lutte de Noria Ghozali, « bientôt commissaire » (BC 56) auprès de la Direction des Renseignements Généraux de la Préfecture de Police, contre l’ambitieuse commissaire Le Muir et la corruption au sein de la police. La version allemande, Einschlägig bekannt ( EB ), également traduite par Stephani, paraît en 2011 ; elle contient un petit glossaire d’une page expliquant des abréviations et les grades hiérarchiques de la police ; de plus, l’on y renvoie à des articles de presse allemands rapportant les scénarios réels qui sont à l’origine du roman. 3. Le troisième roman, L’honorable société (384 p. ; HS ), dont le co-auteur est DOA (Dead on Arrival), 6 a paru en 2011 et a été récompensé par le Grand Prix de littérature policière 2011 . L’action se situe dans les années 2010 et relate le complot d’un groupe de jeunes militants écologistes contre la politique nucléaire, complot lié à des intrigues autour des élections présidentielles. La traduction, Die ehrenwerte Gesellschaft ( EG ) (2012), a été effectuée par Barbara Heber-Schärer. Dans ce cas, les explications sont insérées dans des notes en bas de page qui, bien que plutôt rares, semblent parfois déranger la lecture du polar. 7 4 Cf. http: / / www.zeit.de/ kultur/ literatur/ 2011-12/ beste-krimis-2011 (consulté le 30. 05. 2016). 5 http: / / www.gallimard.fr/ Catalogue/ GALLIMARD/ Folio/ Folio-policier/ Bien-connu-desservices-de-police (consulté le 30. 05. 2016). 6 Cf. les informations sur DOA au début du roman : « DOA (Dead On Arrival) est romancier et scénariste. Il est l’auteur à [sic] la Série Noire de Citoyens clandestins (Grand Prix de littérature policière 2007), du Serpent aux mille coupures paru en 2009, et, en 2011, de L’honorable société écrit avec Dominique Manotti […]. » 7 Cf. p. ex. la critique suivante: « Was das Lesen etwas erschwert - und das ist das einzige Manko an diesem von Barbara Heber-Schärer offenbar auch glänzend übersetzten Buch: Abkürzungen wie PRG, EDF, CEA, DCRG oder DAPN werden nur in Fußnoten erklärt. Da wäre ein kleiner Apparat sinnvoller gewesen. […] » (Matthias Kühn, mars 2013 ; http: / / www.krimi-couch.de/ krimis/ dominique-manotti-doa-die-ehrenwerte-gesellschaft.html ; consulté le 08. 03. 2016). <?page no="132"?> 132 Ursula Wienen Quant à la méthode de l’analyse, nous voudrions préciser l’approche suivante : sous l’expression « langue spécialisée » ou « langue de spécialité » sont regroupés ici tous les éléments langagiers employés dans un domaine spécialisé pour garantir la communication des personnes travaillant dans ce domaine (cf. Hoffmann 2 1985: 53). Pour vérifier si un élément terminologique fait effectivement partie de la langue spécialisée, l’on a recours à une « approche lexicaliste » (cf. Morgenroth 1994: 49ss.), c.-à.-d. que les éléments terminologiques relevés dans Manotti ont été vérifiés dans le dictionnaire juridique Doucet / Fleck ( 7 2014, cité D / F) ; les expressions non-terminologiques (p. ex. phrases toutes faites) ont été vérifiées sur Internet (pages juridiques). Dans une dernière étape, les éléments en question ont été comparés avec leurs traductions allemandes. Les observations résultant de cette analyse seront présentées dans la section 4. 3 Les formes et fonctions du langage juridique dans les romans L’on parlera ici de « langage juridique » tout en tenant compte du fait qu’il s’agit en réalité d’une langue de spécialité tout à fait hétérogène qui englobe la terminologie et le discours des différents domaines du droit, des institutions (cf. p. ex. Grass 1999: 20ss.) et des nombreux types de textes (cf. Busse 2000) - parfois appartenant à différents systèmes juridiques. Étant donné qu’il est, en plus, étroitement lié à la langue générale (cf. Schmidt-König 2005: 5ss.), il s’avère d’une grande complexité, non seulement pour la traduction spécialisée, mais aussi, dans une plus grande mesure, pour la traduction littéraire ; c’est ici, en fait, que ses effets peuvent se manifester à plusieurs niveaux narratifs. Dans les romans de Manotti, le langage juridique est intégré, soit dans le récit du narrateur, soit dans le dialogue des personnages. Parfois, il se manifeste également dans un texte intercalé, comme un article de journal ( AF 12-15) ou le carnet personnel d’une juge ( AF 157). Il se présente sous différentes formes : Au niveau terminologique, il comprend notamment des substantifs ou des abréviations désignant • les institutions / services et les lieux : tribunal correctionnel (BC 172) ; BAC (BC 57 ; = brigade anticriminalité ) ; Palais ( AF 117) • les (groupes de) personnes et les professions : suspects ( BC 229) ; procureur de la République ( HS 144) ; magistrats ( FR 169) ; greffière ( AF 169) • les événements / interventions : interrogatoire ( BC 167) ; perquisition ( HS 88), procédure de dessaisissement ( AF 133), mise en cause ( AF 157) • les objets appartenant à la fonction de la justice, surtout les documents : robe (du juge) ( BC 175) ; PV d’audition ( HS 302 ; PV = procès-verbal ) ; fiches aux Mœurs ( AF 125) <?page no="133"?> «-Mesdames, messieurs, la Cour.-» 133 • les infractions : meurtre ( HS 310) ; racket ( AF 17) ; kidnapping ( HS 234), cambriolage ( BC 38), non-assistance à personne en danger ( HS 302) • les sanctions : garde à vue ( HS 313) ; détention préventive ( BC 220) Parmi les substantifs, l’on trouve aussi certains éléments du jargon spécialisé, utilisé de manière détachée dans la conversation quotidienne, p. ex. dans un commissariat, ou mettant en scène les pensées d’un agent de police : flic ( BC 41) ou fliquette 8 ( FR 87), proc’ 9 ( HS 256 ; = procureur ), Stups ( AF 184 ; = brigade des stupéfiants ), indic ( AF 126 ; = indicateur ), taule ( AF 188) etc. D’autres catégories de mots sont plus rares : les verbes, qui désignent les activités, soit de la part des criminelles ( assassiner ( AF 242), racketter ( BC 82)), soit de la part de la justice ( inculper ( AF 238)), ou les adjectifs précisant p. ex. un crime ( attentat meurtrier ( AF 13)). À un niveau langagier plus complexe, l’on observe des expressions verbales comme faire chanter ( FR 189), prendre […] en filature ( FR 189) ou porter plainte ( BC 219). De temps en temps, Manotti se sert d’une expression toute faite du langage de la Cour ( Mesdames, Messieurs, la Cour 10 ( BC 175)) ou d’une phrase latine ( Dura lex sed lex 11 (HS 256)). De même, certains constructions syntaxiques font penser au style d’un document officiel, p. ex. Sont présents 12 […] (v. ex. 1) à un procès-verbal. 13 Quant aux fonctions de ces éléments juridiques dans l’action fictive, l’on peut signaler notamment la constitution de l’arrière-plan narratif et la création, pour le lecteur, d’une impression de réalisme prononcée et / ou la caractérisation des personnages et de leur vie professionnelle : 14 (1) Énième audition de la jeune femme [Saffron Jones-Saber], dans le bureau du groupe Pâris. Sont présents Pâris, le magistrat et Estelle Rouyer, qui tape le PV . 15 ( HS 299) 8 Cette forme ne figure pas dans le D / F (cf. flic ). 9 Cette abréviation ne figure pas dans le D / F (cf. procureur ). 10 Cf. p. ex. « Le déroulement d’une audience correctionnelle » (http: / / www.ca-aixenprovence.justice.fr/ index.php? rubrique=177&article=14 431 ; consulté le 23. 05. 2016). 11 « [L]a loi est dure, mais c’est la loi » (http: / / www.droitjuridique.fr/ lexique/ #d; consulté le 23. 05. 2016). 12 Cf. p. ex. http: / / www.metiers.justice.gouv.fr/ art_pix/ Annales A1 2015.pdf (consulté le 01. 06. 2016). 13 Cf. König (2011), qui décrit Manotti de « beste Protokollantin, die man sich […] wünschen kann ». 14 Dans tous les exemples, la mise en caractères gras a été opérée par nos soins. 15 L’abréviation ne figure pas dans le D / F (v. procès-verbal ). <?page no="134"?> 134 Ursula Wienen (2) L’huissier annonce : « Mesdames, messieurs, la Cour. » Toute la salle se lève, les juges en robe entrent, le moment est solennel. La Justice. ( BC 175) (3) Il [Paturel] décroche le micro : « BAC 16 Panteuil, voiture 7. On prend la rue des Lions. On est sur place dans deux minutes. » ( BC 21) Manotti se sert également du langage juridique afin de créer des effets d’humour. Ainsi, à la question du commissaire s’il n’est pas un peu jaloux des copains de sa fille, le père d’une jeune écoactiviste dans HS répond : Je plaide coupable ( HS 336). À un autre endroit, c’est un changement de perspective qui s’exprime à travers une expression déformée par un jeu de mots. C’est ainsi que dans BC , le bureau des plaintes ( BC 32) - où l’on ne prend pas très au sérieux les plaintes des personnes qui s’y présentent - devient un peu plus tard le « terme » quotidien des employés, à savoir le bureau des pleurs ( BC 38). En résumé, l’on peut dire que la composition langagière caractéristique des romans crée une poésie de mise en scène spéciale, un style qui résulte du sentiment de la langue et du don d’observation de l’écrivain (cf. König 2011). C’est, d’une part, ce style (dans ce cas les termes du droit) et, d’autre part, les fonctions de ces éléments dans le texte littéraire qui jouent un rôle pour la traduction. 4 Analyse traductologique Les problèmes surgissant lors de la traduction juridique ont été étudiés en détail ; 17 plusieurs études ont également relevé certains enjeux de la traduction spécialisée dans les textes littéraires. 18 Pour relier les deux thèmes et mettre en relief un éventail d’aspects qui peuvent jouer un rôle dans la traduction de la littérature criminelle, nous allons étudier par la suite des exemples du langage juridique selon les catégories classiques emprunt , substitution , omission et ajout . Force est de constater que les phénomènes soulignés dans ces catégories peuvent varier considérablement d’une langue spécialisée à l’autre. Dans le cadre de cette analyse, nous essaierons surtout de montrer les effets de la traduction sur le contexte immédiat, ne pouvant pas toujours généraliser la description ou apprécier le texte complet. Nous poserons d’ailleurs plus de questions que nous proposerons de réponses. Cependant, nous pensons que chaque traduction est le résultat d’un processus herméneutique personnel qui a donc sa propre identité et sa propre poéticité. 19 16 BAC = brigade anticriminalité . 17 Cf. p. ex. Grass (1999), Pommer (2006) ou Schmidt-König (2005). 18 Cf. p. ex. les études citées dans la note 1. 19 Cf. les explications détaillées dans Gil (2015). <?page no="135"?> «-Mesdames, messieurs, la Cour.-» 135 4.1 La Criminelle débarque-: les effets des emprunts Les emprunts terminologiques dans les romans concernent surtout les désignations de services ou d’institutions ainsi que de professions juridiques ou policières. Souvent donc des désignations de « réalias », ils servent à rendre compte, dans le texte cible, de la réalité française dans ses moindres détails. 20 Ils situent le lecteur allemand dans un milieu souvent inconnu et entraînent de la sorte une distanciation dans le sens de Schleiermacher (1973 ; cf. également Kujamäki 2004: 921). C’est pour cette raison qu’il faut se demander a) dans quelle mesure emprunter des mots, et b) dans quelle mesure et comment expliquer ces emprunts dans un texte littéraire - car : ces explications ne détruisent-elles pas la fiction ? Quant à la question partielle sous a), l’on peut se demander si un emprunt est vraiment toujours nécessaire pour produire l’effet de ladite réalité narrative. Ainsi, dans les romans, l’on trouve parfois des emprunts où l’on se serait normalement attendu à un équivalent allemand, c.-à.-d. où un équivalent allemand aurait été même très facile à trouver, comme p. ex. all. Inspektor 21 pour « inspecteur » dans 4 ou Kommissarin pour « commissaire » dans 5. Le lecteur allemand bute un peu sur ces passages : (4) Die beiden Zivilpolizisten treten näher. Noria Ghozali, klein, in einen billigen schwarzen Anorak gemummt, hält sich ein Stück hinter Inspecteur Bonfils, einem jungen Polizeireferendar, mit dem sie zum ersten Mal zu tun hat. ( RG 69) (5) Commissaire Le Muir kommt aus der Präfektur von Bobigny, eine gutaussehende befehlsgewohnte Blonde, groß und kräftig, beigefarbener Hosenanzug, wildlederne Aktentasche in der Hand. ( EB 32) La traduction de ces deux mots varie pourtant au cours des romans. Est-ce donc la variation stylistique qui l’emporte ? Ou bien le fait que le texte deviendrait trop difficile à assimiler ? Quant à la question sous b), l’on peut constater tout d’abord qu’un emprunt présuppose soit que le lecteur connaisse la langue et la culture étrangère, soit qu’il dispose d’une explication, soit qu’il ait une certaine tolérance envers ce qui lui est présenté (cf. Kujamäki 2004: 921). Considérons quelques exemples : 20 Pour la traduction des réalias, cf. p. ex. Kujamäki (2004) ou Wurm (2013). 21 Cf. aussi la différence entre « Inspektor » et « Inspekteur » en allemand, p. ex. http: / / www.spiegel.de/ kultur/ zwiebelfisch/ zwiebelfisch-abc-inspektor-inspekteur-a-327 183. html (consulté le 30. 05. 2016). <?page no="136"?> 136 Ursula Wienen L’extrait 6a (AF) relate l’arrivée de la Criminelle après l’assassinat d’une jeune femme ; l’expression est empruntée au texte cible et complétée par Brigade . 22 (6a) Et l’équipe de la Criminelle débarque. En costume-cravate, pardessus, élégantes chaussures de cuir. Polis, distants, affairés, et compétents. (AF 69s.) (6b) Das Team der Brigade Criminelle rückt an. In Anzug und Krawatte, Mantel, eleganten Lederschuhen. Höflich, distanziert, geschäftig, kompetent. ( RG 72) Or, le petit commentaire précédant le roman avait expliqué ce terme, le lecteur « assidu » devrait donc être au courant de la terminologie. Le commentaire avait même offert un équivalent allemand, à savoir Morddezernat : […] Aber in Paris, und ausschließlich in Paris, gibt es innerhalb der Kriminalpolizei die sogenannten « grandes brigades » (≈ große Dezernate), die am Quai des Orfèvres Nr. 36 beheimatet sind, dort, wo Maigret sein Büro hatte: die Brigade Criminelle (abgekürzt als Crim oder BC ; Morddezernat), das Rauschgiftdezernat (les Stupéfiants), das Sittendezernat (les Mœurs), […] Die Mitglieder der Crim gelten als die Intellektuellen der Polizei. ( RG , « Vorbemerkung der Autorin zur deutschen Ausgabe », s.p. ; caractères gras dans l’original ; pour « Morddezernat « c’est nous qui soulignons) Pourquoi donc ne pas traduire par Morddezernat dans le texte ? Dans l’exemple cité ci-dessus du moins, cette solution - comme probablement toutes les solutions allemandes 23 - donnerait la difficulté d’expliquer les circonstances contextuelles, à savoir pourquoi les gens du Morddezernat arrivent en « costume-cravate, pardessus, élégantes chaussures de cuir » etc. Cette solution entraînerait donc certainement d’autres modifications. L’on voit ici que la méthode d’insérer un petit commentaire ou glossaire au début du roman est un moyen pratique permettant de conserver les désignations dans le texte - mais qui porte en soi le danger d’un effet de distanciation. D’autres procédés, en revanche, comme l’ajout d’explications dans le texte même ou l’ajout de notes en bas de page influent plutôt sur la légèreté du style ou la cohésion du texte (cf. 4.4). Si l’on considère le sujet d’une autre perspective, c’est la « tolérance » - ou plutôt : la capacité d’inférer du lecteur - qui entre en jeu. Dans la traduction de 22 L’on observe d’ailleurs que les emprunts ne sont pas marqués (p. ex. en italiques). - Le marquage peut provoquer des effets divers : intégré dans une énonciation d’un personnage, p. ex., un tel marquage pourrait signaler que ce personnage ne connaît pas le mot etc. 23 Le dictionnaire offre « Sonderdezernat für Schwerverbrechensbekämpfung » (D / F). <?page no="137"?> «-Mesdames, messieurs, la Cour.-» 137 HS p. ex., le lecteur allemand n’est pas familiarisé avec les activités de la Brigade criminelle , expression mise d’ailleurs en italiques dans l’extrait 7b. Cependant, tandis que cette expression est plutôt facile à inférer (cf. all. Kriminal(polizei) ou Brigade ), il n’en est pas de même pour le terme Quai des Orfèvres , métonyme pour la police judiciaire de Paris. 24 Malgré le contexte, la signification de l’expression reste plutôt obscure dans le passage suivant : (7a) Quatre heures du matin et le jeune OPJ * à la mine grise qui accueille les hommes de la Brigade criminelle fait la tronche. Il était de permanence de nuit dans son commissariat du dix-septième arrondissement quand l’appel est arrivé. Pour une fois, il avait quelque chose d’intéressant à se mettre sous la dent. Mais il y a d’autres permanences dans Paris, au Parquet et au Quai des Orfèvres. ( HS 28) * Officier de police judiciaire. (7b) Vier Uhr morgens, der graugesichtige junge Polizeioffizier, der die Männer von der Brigade criminelle empfängt, sieht sauer aus. Er hatte im Kommissariat des 17. Arrondissements Bereitschaftsdienst, als der Anruf kam. Endlich mal was Interessantes. Aber es gibt noch weitere Bereitschaften in Paris, bei der Staatsanwaltschaft und am Quai des Orfèvres. ( EG 17) L’expression ne s’explique qu’à la page suivante, où l’on donne l’adresse exacte - le numéro 36 du Quai des Orfèvres - et où ce numéro est expliqué dans une note en bas de page (cf. exemple 14b). 4.2 L’on devient pédant-: les effets de la substitution Dans cette catégorie, la substitution par un équivalent allemand, les cas suivants peuvent être énumérés : 1. L’élément de la langue spécialisée conserve son « degré » de spécialisation. 25 L’effet littéraire reste donc le même que dans le texte de départ (sauf, bien sûr, s’il y a des modifications dans le contexte). Ainsi, l’exemple 8, qui rapporte une « joyeuse bousculade » ( BC 75) dans le commissariat après une intervention plutôt agitée, met en scène les différentes voix des policiers. Il montre a) la sub- 24 Cf. D / F : « Hauptsitz der Pariser Kriminalpolizei; Pariser Kriminalpolizei ». 25 Parler de « degrés » suppose qu’il y a souvent plusieurs termes pour le même phénomène, p. ex. en zoologie ou botanique la nomenclature latine, des formes mixtes, l’expression française courante, des formes dialectales (cf. pour la médecine Girard de Pindray/ Schröpf/ Wienen 2015). <?page no="138"?> 138 Ursula Wienen stitution de l’abréviation IDAP 26 par SgV - abréviation probablement inventée, 27 b) la substitution de son explication entre parenthèses dans le texte - explication qui semble pourtant bizarre de prime abord, mais qui pourrait être la réponse à une question (d’un nouveau ? ) et finalement c) la substitution de trois expressions désignant des infractions ( Outrages , rébellions , violences ) : (8a) Les flics décompressent, s’interpellent, racontent la prise de la dalle par la face nord. […] La fin d’après-midi a été excitante et, en plus, là, on fait du chiffre pour la semaine. Du chiffre de quoi, au fait ? Eh bien, des IDAP (infractions à personnes dépositaires de l’autorité publique) en pagaille. Outrages, rébellions, violences en réunion, toute la gamme y est. Il y a bien des blessés chez les forces de l’ordre, non ? ( BC 75) (8b) Die Polizisten lassen Dampf ab, fallen sich gegenseitig ins Wort, berichten, wie sie den Vorplatz von der Nordseite her gestürmt haben. […] Das war mal ein aufregender Nachmittag, und obendrein hat man hiermit die Zahlen für die ganze Woche eingefahren. Was für Zahlen denn? Na, haufenweise SgV (Straftaten gegen Vollstreckungsbeamte). Beamtenbeleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, gemeinschaftlich begangene Gewalttaten, die ganze Palette. Es gibt auf Seiten der Ordnungskräfte einen Haufen Verletzte, oder etwa nicht? ( EB 76) L’effet polyphonique caractérisé par la dialogicité (question - réponse) et par les différents niveaux de langue utilisés (langue familière, langue de spécialité) se reproduit donc ici sans problème dans le texte cible. 2. La seconde catégorie est plus difficile à cerner. Elle regroupe des cas de diminution du degré de spécialisation ou bien la traduction d’un élément spécialisée par un élément de la langue courante. L’effet de ce procédé, qui semble quand même assez fréquent dans les traductions, est la diminution ou la disparition dans le texte cible d’une des fonctions de la langue spécialisée. Les raisons d’une telle démarche sont assez diverses ; elles sont liées soit à la structure des deux langues en question, soit aux circonstances « extérieures » de la traduction (instructions de la maison d’édition, intention de faciliter la lecture, manque de temps etc.). 26 Cf. http: / / www.afmjf.fr/ IMG/ pdf_juges_ont-ils_demissionne.pdf (consulté le 30. 05. 2016). Également : IPDAP (cf. http: / / www2.cnrs.fr/ sites/ communique/ fichier/ 05fjobardbp.pdf, consulté le 30. 05. 2016). 27 L’abréviation ne figure pas dans le dictionnaire ni sur internet. L’expression de la loi serait : « Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte », code pénal allemand § 113 (cf. https: / / www.gesetze-im-internet.de/ stgb/ __113.html, consulté le 30. 05. 2016). <?page no="139"?> «-Mesdames, messieurs, la Cour.-» 139 Dans l’extrait 9, c’est la polysémie d’un mot français ( procédurier ) qui déclenche une modification de sens pourtant étonnante dans le texte cible. Cette polysémie 28 est due à l’emploi de l’expression dans la langue de spécialité d’une part et à un emploi « métaphorisé » (mais lexicalisé et donc assez fréquent) dans la langue courante d’autre part. Dans le premier cas, l’expression indique une personne qui exerce une activité déterminée au sein de la brigade criminelle. Dans ce sens, un procédurier est un « personnage clé des enquêtes de la Crime », il est « chasseur d’indices », « [c]hargé de recueillir les traces sur la scène de crime et de la décrire » (Tourancheau 1999) ; en plus, il « assistera […] à l’autopsie du corps de la victime […]. » (Police Nationale). Dans le deuxième cas, en revanche, le mot désigne quelqu’un « qui aime la chicane », en allemand un « Prozesshansel » ou « Querulant », pour citer l’entrée du D / F (actuel ! ) qui, curieusement, ne mentionne pas la signification spécialisée. En tout cas, la traductrice devra choisir selon le contexte - l’exemple est un extrait de HS : (9a) Une heure plus tard, les gars du dix-sept sont presque tous partis. Pâris aussi, rentré au Quai des Orfèvres. Pereira est encore là. Avec lui, Ange Ballester, le procédurier, bonne trentaine athlétique - c’est un coureur de fond -, propre sur lui, arrivé entre-temps pour superviser le travail des mecs de l’ IJ . […] Également sur site, Estelle Rouyer et Claude Mesplède, deux des trois brigadiers du groupe, […]. ( HS 31s.) (9b) Eine Stunde später sind die Jungs vom Siebzehnten fast alle verschwunden. Auch Pâris ist zum Quai des Orfèvres zurückgekehrt. Pereira ist noch da. Mit ihm Ange Ballester, der Pedant, ein athletischer Mittdreißiger - er ist Langstreckenläufer -, sehr gepflegt, der inzwischen angekommen ist, um die Arbeit der Techniker zu überwachen. […] Ebenfalls vor Ort Estelle Rouyer und Claude Mesplède, zwei der drei Beamten, […]. ( EG 19) L’on voit ici que le passage introduit plusieurs personnages en précisant leurs fonctions dans le groupe : « Ange Ballester, le procédurier » et un peu plus tard « deux des trois brigadiers du groupe ». C’est pour cette raison que la solution « Pedant » ne convient pas : même si Ballester apparaît plusieurs fois dans le roman, notamment dans le contexte de « rapports d’expertise » ( HS 111) ou d’une perquisition ( HS 173), 29 ce trait de caractère n’est pas approfondi dans le texte. 28 La polysémie est une caractéristique courante de la langue du droit (cf. p. ex. Grass 1999: 24). 29 « Ange Ballester kommt ins Büro, einen Stoß Papiere in der Hand. […] Der Pedant schüttelt den Kopf. » (EG 79); « Vor der Tür der Nr. 18 stolpert er über den Pedanten des Teams, Ange Ballester, […] » (EG 125). <?page no="140"?> 140 Ursula Wienen Le lecteur se demande donc a) pourquoi Ballester est affublé d’un tel qualificatif, b) quelle est sa fonction professionnelle dans l’équipe et c), en plus, pourquoi l’article déterminé - « der Pedant » (le formaliste de la brigade ? ). Le lecteur qui étudiera de plus près les deux versions découvrira également l’extrait suivant - l’interrogatoire d’une jeune femme. Ici, c’est un pronom possessif qui précède le mot spécialisé (« son procédurier ») : (10a) Derrière elle [Saffron Jones-Saber], qui la poussent, Ballester et Thomas. Ils ont tous les deux l’air agacé et le premier réflexe de Ballester, lorsqu’il aperçoit son chef de groupe [Pâris] est de secouer la tête. Pâris se lève, dépasse la jeune femme sans lui adresser un regard et va s’entretenir à voix basse avec son procédurier. ( HS 221) (10b) Ballester und Thomas hinter ihr stoßen sie vorwärts. Sie sehen gereizt aus, und als Ballester seinen Chef erblickt, schüttelt er den Kopf. Pâris steht auf, geht an der jungen Frau vorbei, ohne sie anzuschauen, und redet leise mit ihm. ( EG 159) Or, la solution dans 10b semble plutôt évasive (« mit ihm ») - une traduction comme « und bespricht sich leise mit seinem Pedanten » aurait été assez étrange. L’on proposera donc ici « Prozessbeauftragter » ou « Experte für Strafverfahren », (ce qui correspondrait à peu près à la version italienne « l’esperto di procedura penale » ( OS 24)). Tandis que cet exemple est assez spécial, l’on peut néanmoins essayer de décrire les effets d’une diminution du degré de spécialisation de manière plus générale : au niveau langagier, c’est la perte d’un mot spécialisé. Quand ce procédé de traduction devient méthode, le texte peut paraître moins scientifique et, en même temps, plus accessible. Avec la spécialisation disparaissent aussi les effets - et si ce n’est que la perte d’un brin de réalisme quand la profession n’est pas indiquée. 3. Une troisième catégorie semble beaucoup plus rare : les cas d’augmentation du degré de spécialisation dans le texte cible. 30 Dans notre corpus, l’on ne les trouve qu’exceptionnellement, p. ex. quand un mot du jargon (« proc’ ») se transforme en langue spécialisée courante (« Staatsanwalt ») : (11a) Pâris sourit en regardant la Seine. Très vert, le petit proc’. Trop. Ça lui passera. Avec le temps, ça leur passe toujours. Ou pas. À moi, ça ne 30 Pour rendre compte de la totalité de ces cas dans un roman, l’on devrait pourtant travailler inversement et vérifier tous les éléments de la langue spécialisée dans le texte cible pour les comparer ensuite à la version originale. <?page no="141"?> «-Mesdames, messieurs, la Cour.-» 141 m’est pas passé. Pas encore. Mais je commence à me faire vieux. ( HS 256) (11b) Pâris betrachtet lächelnd die Seine. Noch ganz grün, der kleine Staatsanwalt. Zu grün. Das wird ihm vergehen. Mit der Zeit vergeht es immer. Oder nicht. Mir ist es nicht vergangen. Noch nicht. Aber ich werde langsam alt. ( EG 185) L’emploi du mot apocopé ( proc’ ) est dû ici au fait que ce sont les pensées du commissaire qui sont soulignées. La traductrice n’a pas le choix ; il n’y a pas moyen d’imiter cette nuance de style en allemand. - L’on peut facilement imaginer cependant l’effet qu’aurait une augmentation généralisée du degré de spécialité dans un texte : la traduction deviendrait plus scientifique et plus difficile à lire - pour ne pas parler de l’intention de l’auteur qui serait probablement modifiée etc. 4.3 Les suspects disparaissent-: les effets de l’omission Les cas d’omission sont divers : parfois, l’on a l’impression que les traducteurs négligent l’utilisation de la langue spécialisée dans les textes littéraires ; dans d’autres cas, en revanche, la langue de spécialité est omise avec une certaine intention, comme p. ex. un objectif de vulgarisation. Quelquefois, il ne s’agit que d’un petit mot, parfois l’on saute des passages ou même des pages entières (cf. Wienen 2011: 823ss.). L’effet est clair : comme pour la substitution diminuant le degré de spécialisation, la traduction paraît plus simple, plus facile à lire - et les fonctions liées à la langue spécialisée - les effets poétiques inclus - disparaissent. Pourquoi ces omissions s’il n’y a pas de motif de vulgarisation ? En matière de droit, la difficulté réside évidemment souvent dans la complexité de la comparaison, c.-à.-d. la nécessité du rapprochement des termes dans leurs définitions et des systèmes juridiques. Ainsi, l’exemple 12 relate la perspective (pourtant frappante) d’un substitut qui, en rentrant au Palais, retrouve son chef, le procureur de la République ; il présente un cas assez fréquent d’omission : l’énumération du texte de départ se transforme en un seul mot dans le texte cible, ou, pour être plus précis, les trois expressions du droit pénal et de la procédure pénale se « résument » dans l’un des hyponymes possibles : (12a) Nicolas Fourcade ne peut cacher sa surprise quand il entre dans son bureau, au Palais. Le procureur de la République, son patron, est là qui l’attend, assis à l’endroit où les suspects, mis en examen ou prévenus prennent habituellement place. Première visite de ce genre et, à vrai dire, probablement unique. ( HS 94) <?page no="142"?> 142 Ursula Wienen (12b) Als Nicolas Fourcade in sein Büro im Palais de Justice kommt, kann er seine Überraschung nicht verbergen. Der Oberstaatsanwalt, sein Chef, ist da und wartet auf ihn, er sitzt da, wo gewöhnlich die Beschuldigten Platz nehmen. Der erste Besuch dieser Art, und, offen gesagt, wahrscheinlich der einzige. ( EG 66) Pour évaluer la traduction, il faudrait comparer plus en détail les champs lexicaux dans leurs systèmes de droit respectifs, c.-à.-d. en y ajoutant p. ex. aussi, pour le système français, les notions « personne mise en cause » ou « accusé », ce que nous ne pouvons pas faire dans le cadre de cette étude. Commençons donc par les suspects : ils disparaissent dans le texte cible ; pourtant l’on aurait pu mettre die Tatverdächtigen (D / F) ou simplement die Verdächtigen . Par une mise en examen d’autre part, « le juge d’instruction soumet une personne sur laquelle pèsent des indices suffisants à une instruction préparatoire » (D / F). La solution la plus proche serait probablement Beschuldigter ; cependant, la définition dans le dictionnaire allemand / français montre qu’on a recours à trois concepts du système français pour expliquer le terme ( personne mise en cause , suspect , prévenu ) : « (StProzR: […] - Person, gegen die ein Strafverfahren betrieben wird) / personne mise en cause, personne suspectée (d’avoir commis une infraction), prévenu contre lequel une procédure pénale est ouverte (au stade de l’enquête de police) » (D / F : s. v. : « Beschuldigte(r) ») Le prévenu enfin est une « personne contre laquelle est exercée l’action publique devant le tribunal correctionnel » (D / F) ; une solution pourrait être « Angeschuldigte(r) », donc un « […] prévenu […] contre lequel le Parquet a établi un acte d’accusation, personne mise en cause faisant l’objet d’un réquisitoire du procureur de la République. » (D / F : s. v. : « Angeschuldigte(r) ») Cette parallélisation des deux systèmes n’insinue pas du tout que les termes soient « équivalents », elle suggère seulement qu’une omission n’aurait pas été nécessaire. L’omission a ici pour effet que la perspective du substitut devient plus faible, le passage devient pour ainsi dire plus lisse, le lecteur n’étant plus surpris du détail juridique comme dans le texte de départ. 31 31 Il y a d’autres cas de « lissage » dans la catégorie de l’omission que l’on ne peut discuter en détail. Quelquefois p. ex. une note en bas de page du texte français disparaît dans le texte cible parce que l’explication est intégrée dans le texte. Ainsi « IJ » avec la note « Identité judiciaire » (HS 30) devient « Spurensicherung » (EG 18) dans le texte allemand. Cf. aussi exemple 7 « OPJ ». <?page no="143"?> «-Mesdames, messieurs, la Cour.-» 143 4.4 Et, en plus, un jugement-: les effets de l’ajout Dans le présent corpus, les ajouts sont relativement rares. Néanmoins, l’on peut distinguer les cas suivants : 1. L’ajout p. ex. d’un mot spécialisé, d’un synonyme ou d’une explication concerne l’intérieur du texte cible. Ce type d’ajout peut avoir pour effet un alourdissement du style (p. ex. « IGS » en français ( BC 159) devient « Dienstaufsichtsbehörde IGS » ( EB 169) en allemand). Quelquefois pourtant, c’est plutôt la cohésion textuelle qui est en jeu. Ainsi, l’extrait 13 décrit les événements dans les localités des Renseignements Généraux au début de l’action proprement dite dans AF / RG . 32 Le lecteur allemand se voit confronté à trois éléments : a) l’expression moitié empruntée, moitié traduite ( Renseignements Généraux der Polizeipräfektur von Paris ) - que le lecteur ne comprendra pas d’emblée (s’il ne parle pas français), b) l’abréviation RGPP - celle-ci pourtant facilement associable et c) en plus, une paraphrase (intégrée dans une subordonnée) qui présuppose l’existence de l’institution ( der Zentrale Nachrichtendienst ) - ici, le lecteur butera de nouveau parce qu’il devra après coup inférer l’identité des deux concepts : (13a) Dehors, temps ensoleillé, on est presque en été, mais les bureaux des Renseignements généraux de la Préfecture de Police de Paris restent tristes et sombres, peinture beige, linoléum gris au sol, meubles métalliques, et petites fenêtres orientées plein nord sur une cour intérieure. Dans le bureau de Macquart, trois fauteuils, velours confortables, lampes halogènes allumées en permanence, un journal est étalé sur une table, ouvert en page deux, rubrique « Libres opinions ». Trois hommes, la cinquantaine, en costume sombre, les patrons des RGPP , sont penchés dessus. ( AF 11s.) (13b) Draußen sonniges Wetter, es ist Sommer [sic], aber die Büros der Renseignements Généraux der Polizeipräfektur von Paris sind wie immer düster und trist, hellbraun gestrichene Wände, Linoleumboden, Metallmöbel und kleine Fenster, die genau nach Norden auf einen Innenhof gehen. In Macquarts Büro drei bequeme Velourssessel, Halogenlampen, die immer an sind, auf dem Tisch eine Zeitung, aufgeschlagen auf Seite zwei, Rubrik „Freie Meinung“. Darüber gebeugt drei Männer um die fünfzig in dunklen Anzügen, die Chefs der RGPP , wie der Zentrale Nachrichtendienst kurz genannt wird. ( RG 14) 32 Ici, c’est le lecteur « non-assidu » seulement qui sera concerné. <?page no="144"?> 144 Ursula Wienen 2. L’ajout ne se fait pas à l’intérieur, mais à l’extérieur du texte. Ici, l’on trouve p. ex. l’ajout d’une explication par une note en bas de page (là où l’on n’a pas de note dans le texte de départ) : (14a) Au moment où les quatre hommes débouchent sur le palier de Soubise, le dernier type du 36, 33 qui n’a pas encore ouvert la bouche jusquelà, […], prend la parole. […] ( HS 29) (14b) Als die vier Männer Soubises Stockwerk erreichen, sagt der letzte Typ von der 36*, der bis dahin noch nicht den Mund aufgemacht hat, […] : ( EG 18) * 36 ist die Nummer des Hauses am Quai des Orfèvres, in dem die Kriminalpolizei residiert. Quelquefois, en revanche, l’explication dépasse la note en bas de page de l’original en y ajoutant un jugement : (15a) - […] Avec la DCRG *, tout est possible. * Direction centrale des renseignements généraux. ( HS 46) (15b) « […] Bei der DCRG * ist alles möglich . » * Direction centrale des renseignements généraux (Zentraler Nachrichtendienst), meist abgekürzt zu RG : berühmt-berüchtigte Polizeieinheit, die oft verdächtigt wurde, eine politische (Geheim-) Polizei zu sein, und in viele Skandale verwickelt war. […]. ( EG 31) Comme l’on voit ici, c’est seulement à l’aide de l’explication que le lecteur comprendra l’énonciation « tout est possible » dans cet extrait d’un dialogue au commissariat. 5 Révision et appel La traduction d’éléments d’une langue de spécialité dans un texte littéraire met à l’épreuve d’une manière particulière les connaissances et la créativité du traducteur : les possibilités d’intégrer ces éléments dans un genre littéraire ainsi que leurs fonctions sont nombreuses et varient selon le genre, les caractéristiques de la langue spécialisée, le style de l’auteur, la construction du récit, des dialogues etc. Cette étude avait pour objectif de mettre en relief les questions qui peuvent surgir lors de l’intégration du langage juridique et policier dans la littérature criminelle. L’analyse des trois romans de Manotti a montré que l’emploi de la langue spécialisée sert notamment à constituer l’arrière-plan narratif, à décrire les personnages et leur vie professionnelle et donc à créer un effet de réalisme 33 Ce numéro n’est pas mentionné dans le dictionnaire (cf. D / F : Quai des Orfèvres ). <?page no="145"?> «-Mesdames, messieurs, la Cour.-» 145 nécessaire pour les objectifs sociocritiques de l’écrivain. Les quatre catégories de traduction distinguées dans l’analyse ont montré certains effets dans les textes cible qui entraînent des questions traductologiques : ainsi, l’emprunt pose la question de la réalité fictive, des connaissances du lecteur, de la distanciation et de la lisibilité du texte, la substitution celle de la notion d’équivalent et / ou du degré de spécialisation, parfois de l’adaptation du contexte, l’omission celle de la légitimité de ce procédé dans un texte littéraire, l’ajout enfin celle de la nécessité ou de la manière d’intégrer un détail, une explication dans le texte. Toutes ces questions devraient être discutées plus en détail dans le cadre d’un corpus plus grand de romans criminels et / ou d’autres genres littéraires incorporant le langage juridique. Bibliographie Textes français AF = Manotti, Dominique (2003 [2001]) : Nos fantastiques années fric. Paris : Éditions Payot & Rivages. BC = Manotti, Dominique (2010) : Bien connu des services de police . 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Dizia eu, no referido artigo: Admitida toda a coerência que tal proposiç-o pode encerrar, creio ser pertinente, contudo, a reflex-o sobre a escolha de se priorizar a ideia da Antropofagia como foco para apresentaç-o e representaç-o da teoria tradutória haroldiana. Ou seja: apesar de toda a importância que a fundamentaç-o da proposta antropofágica de Oswald [de Andrade] adquire no exercício teórico de Haroldo e na própria teorizaç-o da poesia concreta e do que dela advém, vale questionar seu uso “ilimitado”, ou, de certo modo, além dos próprios limites em que o propositor da transcriaç-o dele se utiliza […]. (Tápia 2013: 222) Ao embrenhar-me no assunto, recorri a diversas fontes a fim de buscar sustentaç-o para a ideia de que a Antropofagia n-o se bastaria como “rótulo” para a teoria da transcriaç-o; talvez tenha logrado algum resultado nesse sentido. Em lugar dessa identificaç-o - que se projetou, por meio de trabalhos altamente meritórios a ela dedicados, entre estudiosos da traduç-o fora do Brasil (cf. Vieira 1994: 38; 1999 1 ; Gentzler 2008) - da contribuiç-o teórico-tradutória de Haroldo, distingui um conceito formulado pelo autor como o potencial definidor da transcriaç-o, por seu caráter diferenciador e fundador: o de plagiotropia , ligado 1 O artigo concentra reflexões desenvolvidas por Vieira (1992) em sua tese de doutorado. <?page no="150"?> 150 Marcelo Tápia à ideia da traduç-o como referência central para a teorizaç-o da literatura. Antes de o focalizar, no entanto, considero oportuno reiterar algo registrado no final do referido posfácio, e sugerir, pela própria via do pensamento considerado “antropofágico”, que seria chegada a hora, há tempo, de se “digerir”, dentro e fora do Brasil, o pensamento haroldiano, e, n-o, apresentá-lo por meio da “redigest-o” diacrônica de uma proposta surgida nas primeiras décadas do século XX, por mais relevante que seja ela para a própria história da cultura e da literatura brasileiras. A projeç-o internacional que a contribuiç-o ensaística do autor tem alcançado deve-se à sua consistência - como também, claro, ao empenho e à competência dos pesquisadores a ela dedicados -, e, creio, tanto mais seu papel se mostrará relevante no contexto geral da teoria da traduç-o e da própria teoria literária quanto emergirem, para consolidaç-o de sua identidade, formulações que lhe sejam intrínsecas e diferenciadas, n-o apenas por meio do contexto sociocultural e artístico brasileiro ao qual se pode vinculá-lo. Isso posto, voltemos, ent-o, à plagiotropia: sob essa vis-o, a traduç-o se relacionaria com o próprio “processo literário”, cuja natureza seria eminentemente derivativa: A plagiotropia (do gr. plágios , oblíquo; que n-o é em linha reta; transversal; de lado) […] se resolve em traduç-o da tradiç-o, num sentido n-o necessariamente retilíneo. Encerra uma tentativa de descriç-o semiótica do processo literário como produto do revezamento contínuo de interpretantes, de uma “semiose ilimitada” ou “infinita” (Peirce; Eco), que se desenrola no espaço cultural. Tem a ver, obviamente, com a ideia de paródia como “canto paralelo”, generalizando-a para designar o movimento n-o- -linear de transformaç-o dos textos ao longo da história, por derivaç-o nem sempre imediata. Conjuga-se com minha concepç-o da operaç-o tradutora como o capítulo por excelência de toda possível teoria literária (e toda literatura comparada nela fundada). (Campos 1981: 75s.) A “transformaç-o dos textos ao longo da história” associar-se-ia, portanto, à ideia de paródia, entendida, sob o ponto de vista etimológico, como “canto paralelo”, modo pelo qual Haroldo de Campos postula a natureza da traduç-o (vejase o artigo “Traduç-o, ideologia e história”, Campos 1993 / 2013), cuja natureza dialógica foi por ele proposta desde seu primeiro artigo substancial acerca do assunto, “Da traduç-o como criaç-o e como crítica”. O modo de ver a traduç-o e a criaç-o literárias como operações intrinsecamente ligadas é identificável na produç-o haroldiana como um todo: em sua própria poesia, em suas transcriações e em sua escrita ensaística. Sobre esta, diga-se que apresenta, como uma possível marca em sua elaboraç-o, ao longo dos anos, a especial característica de revelar sua busca incessante de fundamentaç-o e estabelecimento de relações entre fontes de reflex-o a fim de consubstanciar e <?page no="151"?> Transcriaç-o como plagiotropia 151 consolidar um projeto que se demonstra coerente desde o princípio: seu objetivo de “apropriar-se da tradiç-o” para reinventá-la perpassa todo o seu propósito de releitura do legado poético universal, desde as formulações da poesia concreta e da programática revis-o crítica de autores sob um ponto de vista diverso do “cânone”, até a sua poesia construída explicitamente como reescritura, caso do emblemático poema “Finismundo: a última viagem”, que será objeto de nosso interesse mais adiante, neste texto. É notável o desenvolvimento do constructo teórico de Haroldo de Campos acerca da traduç-o, cujas postulações iniciais de mostram coerentemente associadas ao pensamento exposto nas fases posteriores de sua ensaística; segundo ele próprio, em suas “sucessivas abordagens do problema, o próprio conceito de traduç-o poética foi sendo submetido a uma progressiva reelaboraç-o neológica” (do texto “Da transcriaç-o: poética e semiótica da operaç-o tradutora”, Campos 2013: 77-104). Se, inicialmente, buscou apoio nas concepções de “sentença absoluta”, de Albrecht Fabri, e de “informaç-o estética”, de Max Bense, para, mais tarde, adotar as formulações de Roman Jakobson (uma “física da traduç-o”) como referência central de seu entendimento da linguagem e da traduç-o poéticas, e, também notadamente, as ideias apresentadas por Walter Benjamin em seu famoso ensaio “A tarefa do tradutor” (uma “metafísica da traduç-o”), além das reflexões de Henri Meschonnic, entre outros, a sucessiva expans-o de suas fontes conceptivas revela-se um contínuo harmoniosamente integrado a partir do fio condutor de seu próprio pensamento, capaz de realizar leituras operacionalizadoras que também ampliam o próprio alcance das obras a que se refere. Algo especialmente digno de nota, porque - acredito - menos notado na evoluç-o das reflexões do autor, é sua escolha de valer-se de conceitos de Wolfgang Iser para explicitar aspectos de sua própria obra poético-tradutória, em dois artigos: “Traduç-o, ideologia e história” (1993 / 2013), e “Da traduç-o à transficcionalidade” (1989 / 2013, depois denominado “Traduç-o e reconfiguraç-o: o tradutor como transfingidor”). Seu ponto de partida se dará segundo um dos “conceitos-chave” que, para Iser, “constituem os conceitos de orientaç-o central na análise da literatura”: um modo de abordagem do texto baseado em sua estrutura, modo este correspondente ao primeiro entre outros dois identificados por Iser. O segundo é voltado à funç-o do texto, um conceito que permite compreender a “relaç-o do texto com seu contexto” (Iser 2 1983: 371), e, portanto, atenta para sua historicidade - este ponto de vista, centrado no conceito de funç-o, privilegia a origem, a “ gênese do texto”, enquanto aquele visto primeiramente, ao considerar a estrutura do texto e sua inserç-o em outro tempo e lugar, ressalta a “ validade do texto” (ou seja, sua “vida” após as condições his- <?page no="152"?> 152 Marcelo Tápia tóricas em que nasceu), que prevê “um modelo de interaç-o entre texto e leitor ”: 2 tal interaç-o diz respeito ao terceiro modo referido, voltado à comunicaç-o . A abordagem de Campos, que considera ser na estrutura do texto que “atua por excelência” a transcriaç-o, aponta também para esse terceiro conceito: enfatizar a estrutura do texto e sua interaç-o com o leitor permitirá um desapego da ideia de reconstruir um mundo passado (uma vez que este se modifica pelo mundo presente no ato da leitura e da recriaç-o), indo ao encontro do conceito “ make it new ” (tornar novo, renovar) do poeta norte-americano Ezra Pound (1885-1972). Concentrando-se na linguagem e nas “necessidades do presente da criaç-o”, será possível a um criador ou tradutor optar por outros parâmetros formais que considere adequados (com base em seus próprios conceitos estéticos) à produç-o do poema em seu novo contexto. Tal explicitaç-o operacional consolida uma óptica presente em todo o percurso reflexivo de Haroldo de Campos, manifestada, sinteticamente, no texto “Da transcriaç-o: poética e semiótica da operaç-o tradutora”: Pedagogicamente, o procedimento do poeta-tradutor (ou tradutor-poeta) seria o seguinte: descobrir (desocultar) […] o código de “formas significantes” [pelo qual] o poema representa a mensagem […] (qual a equaç-o de equivalência, de comparaç-o e / ou contraste de constituintes, levada a efeito pelo poeta para construir o seu sintagma); em seguida reequacionar os constituintes assim identificados, de acordo com critérios de relevância estabelecidos “in casu”, e regidos, em princípio, por um isoformismo icônico, que produza o mesmo sob a espécie da diferença na língua do tradutor ( paramorfismo , com a ideia de paralelismo […] seria um termo mais preciso […]. (Campos 2013: 93) Como um possível exemplo ilustrador dos procedimentos e resultados da transcriaç-o haroldiana, veja-se sua traduç-o da última estrofe do poema “The Raven”, de Edgar Allan Poe, apresentada em artigo seu 3 no qual analisa o poema (baseado na análise que dele fizera Jakobson) e diversas traduções dele ao português; sobre seu trabalho, diz Haroldo: Tendo lido e meditado a análise de Jakobson, procurei fazer, por meu turno, uma vers-o da estrofe em destaque […]. Trata-se de uma tentativa de, conscientemente, reproduzir, quanto possível, no âmbito de nossa língua, os principais efeitos fônicos e mesmo a escrita regressiva do autor de “The Raven”: 2 Campos, no referido artigo “Traduç-o e reconfiguraç-o: o tradutor como transfingidor”, cita Iser, para quem “o modelo da interaç-o entre texto e leitor é fundamental para o conceito de comunicaç-o” (Iser 2 1983: 365). 3 Cf. “O texto-espelho (Poe, engenheiro de avessos)” (Campos 1976: 23-41). <?page no="153"?> Transcriaç-o como plagiotropia 153 E o corvo, sem revoo, para e pousa, para e pousa No pálido busto de Palas, justo sobre meus umbrais; E os olhos têm o fogo de um demônio que repousa, E o lampi-o no soalho faz, torvo, a sombra onde ele jaz; E minha alma dos refolhos dessa sombra onde ele jaz Ergue o voo - nunca mais! (Campos 1976: 30) Acerca de sua própria traduç-o, Haroldo explicita, no referido artigo, a procura de correspondência rítmico-métrica com o original, assim como de “replicar ao original” com “efeitos” por ele obtidos, assinalados em itens. Em seu modo de operar, o tradutor, - assim digo eu - após desvendar (do ponto de vista de uma leitura que re-conhece n-o apenas o plano de conteúdo, mas sua inseparabilidade do plano da express-o) a configuraç-o das relações entre som e sentido do poema, passa a re-configurá-la, valendo-se também de suas próprias referências e escolhas, de modo (como é evidente) a que o texto represente e substitua o original na língua para a qual este foi traduzido. Mas abordemos em seguida, a fim de demonstrar o procedimento plagiotrópico orientador da obra haroldiana como um todo, o poema seu a que já me referi, emblemático da reescritura do autor dedicada à traduç-o da tradiç-o, de modo a reinventá-la. Confronto com o impossível 4 A última viagem do herói grego Odisseu é também a viagem que, de meu ponto de vista, Haroldo de Campos realiza mais plenamente até o porto transitório do enfrentamento do impossível, propulsor de sua própria criaç-o poética. Refirome ao poema “Finismundo: a última viagem”, originalmente publicado como livro em 1990, e posteriormente incluído no volume Sobre “Finismundo: a última viagem ”, de 1997, 5 e na coletânea de poemas Crisantempo, de 1998. Odisseu-Ulisses é o símbolo que reúne sua leitura da tradiç-o por um viés do novo, do inusitado; por uma traduç-o da tradiç-o que implica a apropriaç-o 4 O trecho do presente artigo sob este título incorpora, com alterações, fragmentos de texto homônimo de minha autoria, publicado na revista on-line Circuladô 2016/ 5, veiculada no site do museu Casa das Rosas - Espaço Haroldo de Campos de Poesia e Literatura, S-o Paulo, Brasil. 5 Cf. Campos (1997a). O volume contém a transcriç-o de uma palestra ministrada pelo autor como encerramento do Seminário sobre o Manuscrito, organizado pelo setor de Filologia da Fundaç-o Casa de Rui Barbosa, no Rio de Janeiro, em 1990. <?page no="154"?> 154 Marcelo Tápia de sua historicidade para que seja recriada. 6 Incitado por seu desejo de desafio constante, em busca de contribuir para a explicitaç-o da gênese da poesia e da renovaç-o de sua própria poética, Haroldo ilumina a evidência de que o poema se constrói por movimento derivativo de reinvenç-o, associando as ideias, as palavras, a sensibilidade estética e a consciência da linguagem: […] no final do ano passado [1989], que foi quando comecei a escrever Finismundo […] eu estava fazendo um balanço desses [meus] 40 anos de produç-o poética. E o problema que se colocava, àquela altura, que, de resto, se tem colocado através de toda a minha carreira poética, é aquele problema que está quase na raiz de meu trabalho: o enfrentamento constante que o poeta acaba tendo com o fazer poético. (Campos 1997a: 13) […] há uma constante tentativa de se […] colocar novamente diante da quest-o do enfrentamento com a dificuldade de fazer o novo. (Campos 1997a: 15) A dificuldade de fazer o novo aponta para a dificuldade de realizar o impossível, tal como teria intentado Odisseu em sua última viagem, relatada por Dante no canto XXVI do Inferno, em que busca ultrapassar a fronteira do permitido aos homens. Nas palavras de Haroldo: No canto XI da Odisseia, quando Tirésias se pronuncia sobre o fim de Ulisses, a frase do vaticínio […], no texto grego, se presta a mais de uma interpretaç-o. Pode-se entender thánatos eks halós como uma morte para longe doo mar salino, ou como uma morte que procede do mar salino. Ent-o n-o estava claro na tradiç-o se Ulisses morreria por causa do mar, ou seja, no mar, num naufrágio, ou se Ulisses acabaria morrendo em paz, em Ítaca, longe do mar salino. (Campos 1997a: 17) “Finismundo” se gera, segundo o autor, a partir da leitura de um ensaio: […] o embri-o que me permitiu concretar, realizar o texto do Finismundo foi, curiosamente, […] um estudo [do crítico D’Arco Silvio Avalle] intitulado “L’ultimo viaggio d’Ulisse”, onde esse autor italiano se detém sobre o canto XXVI do Inferno, canto no qual Dante propõe a soluç-o para um enigma que vinha da tradiç-o clássica, o enigma do fim de Ulisses. (Campos 1997a: 17) […] Dante está propondo um fim para Ulisses, na carência do fim homérico […] O ultrapassar, a travessia das fronteiras permitidas do mundo, que eram as colunas de Hércules. A busca de alguma coisa que estivesse mais além, busca que correspondia a um af- de curiosidade, um desejo de conhecimento, àquilo que em grego se chama 6 Diz Haroldo, em seu artigo “Traduç-o, ideologia e história”, acerca da traduç-o criativa: “no caso do que eu chamo ‘transcriaç-o’, a apropriaç-o da historicidade do texto-fonte pensada como construç-o de uma tradiç-o viva é um ato até certo ponto usurpatório, que se rege pelas necessidades do presente da criaç-o” (Campos 1993/ 2013: 39). <?page no="155"?> Transcriaç-o como plagiotropia 155 húbris : essa desmesura orgulhosa com que o ser humano intenta, de certa maneira, confrontar-se com o impossível, no caso de Ulisses colorida pelo tema da velhice, porque é o velho Ulisses que vai fazer essa viagem. (Campos 1997a: 18) Curiosa mas muito coerentemente, os limites do novo s-o buscados, por Haroldo, na recriaç-o da tradiç-o, 7 tomada como origem, gênese de seu poema; neste caso, a viagem refazedora recai sobre o naufrágio do herói grego, cuja gesta ultrapassou e ultrapassa os limites das gerações: O risco da criaç-o pensado como um problema de viagem e como um problema de enfrentamento com o impossível, uma empresa que, se por um lado é punida com um naufrágio, por outro é recompensada com os destroços do naufrágio que constituem o próprio poema. (Campos 1997a: 15) Relembre-se o trecho final da primeira parte de “Finismundo”: Ele foi - Odisseu. N-o conta a lenda antiga do Polúmetis o fado demasiado. Ou se conta desvaira variando: infinda o fim. Odisseu foi. Perdeu os companheiros. À beira-vista da ínsula ansiada - vendo já o alcançável Éden ao quase toque da m-o: os deuses conspiraram. O céu suscita os escarcéus do arcano. A nave repelida abisma-se soprada de destino. Odisseu n-o aporta. 7 O enfrentamento do desafio da poesia e do impossível certamente poderá ser visto como uma húbris (ou hýbris ) do poeta, consubstanciada na apropriaç-o e na recriaç-o da tradiç-o, à semelhança daquela proposta por Haroldo relativamente à tarefa do “tradutortranspoetizador”: “Transformar, por um átimo, o original na traduç-o de sua traduç-o; reencenar a origem e a originalidade através da ‘plagiotropia’” (“O que é mais importante: a escrita ou o escrito? Teoria da linguagem em Walter Benjamin”, Campos 2013: 154). Ousadia (re)criadora, desmedida visando ao enfrentamento pleno da tarefa. <?page no="156"?> 156 Marcelo Tápia Efêmeros sinais no torvelinho acusam-lhe o naufrágio - instam mas declinam soçobrados no instante. Água só. Rasuras. E o fado esfaimando. Última Thánatos eks halos morte que provém do mar salino húbris. Odisseu senescente da glória recusou a pompa fúnebre. Só um sulco cicatriza no peito de Poséidon. Clausurou-se o ponto. O redondo oceano ressona taciturno. Serena agora o canto convulsivo o doceamargo pranto das sereias ( ultrassom incaptado a ouvido humano ), Finismundo é, penso, um texto referencial da produç-o poética haroldiana em si mesma, como o é relativamente a suas produções ensaística e tradutória. Quanto à própria poesia do autor, o poema encarna conceitos que permeiam sua trajetória criadora, como: a síntese (levada ao “minimalismo”, no dizer de Haroldo, na fase da poesia concreta, nos anos 1950 e 1960); a estruturaç-o inventiva; a riqueza, a precis-o e a criaç-o vocabulares; a espécie de mescla - única e marcante - de construtivismo e certo barroquismo peculiar; a utilizaç-o de recursos incorporados ao verso e seu sentido, como a espacializaç-o das linhas; e, ainda, entre outras características notórias, a inserç-o absolutamente realizada de sua poesia no contexto da - por ele proposta - “pluralizaç-o das poéticas possíveis”, característica da “poesia pós-utópica”, porque posterior a toda utopia e toda possibilidade desta, que era própria das vanguardas (em que todos os criadores se <?page no="157"?> Transcriaç-o como plagiotropia 157 engajam num propósito comum), 8 caso do movimento da poesia concreta. Isso, n-o só pela múltipla face semiótico-poética do texto - marcada pelo emprego do verso num espaço amplo de significaç-o, no qual os elementos de associaç-o paradigmática se configuram ao mesmo tempo livre e exatamente, evocando toda a história da poeticidade -, mas também pela apropriaç-o de aspectos da dicç-o de Manuel Odorico Mendes (revivido pelo autor como revalorizaç-o de procedimentos que lhe eram característicos), 9 bem como de citações e referências, e da própria mítica do herói grego, cujo fim é mencionado em Homero e recontado em Dante: no próprio poema, portanto, espelha-se o plano pós-utópico da pluralidade linguística e literária, que abrange a formaç-o vária nos planos formal e semântico, incorporando-se a temática de um ensaio alheio voltado à herança da poesia ocidental. Em “Finismundo”, duas partes, dois tempos - um mítico, outro secular - dialetizam a sincronicidade. 10 Diz Haroldo: […] na primeira parte do meu trabalho, esta situaç-o do herói homérico, eu a trato em modo sério-estético, ou seja, trabalhando sobretudo com determinadas estruturas de linguagem que retomam um certo teor épico, utilizando a visualidade do texto, uma herança da poesia concreta, para marcar como que o movimento das ondas, o balanço do poema […] E na segunda parte, isso é posto em quest-o de um modo derrisório […] O polúmetis, o poliardiloso, o Odisseu que tem tantos engenhos, vira Ulisses, um factótum, aquele que faz tudo, uma palavra do latim usada pejorativamente no jarg-o forense […] O poema s-o os salvados no naufrágio. Isto n-o é dito, mas isto está 8 Refiro-me às proposições apresentadas por Haroldo de Campos em seu artigo “Poesia e modernidade: da morte da arte à constelaç-o. O poema pós-utópico” (Campos 1997b: 243-273). Nesse texto, afirma Haroldo: “Em seu ensaio de totalizaç-o, a vanguarda rasura provisoriamente a diferença, à busca da identidade utópica. Aliena a singularidade de cada poeta ao mesmo de uma poética perseguida em comum […] Sem a perspectiva utópica, o movimento de vanguarda perde o seu sentido. Nessa acepç-o, a poesia viável do presente é uma poesia de pós-vanguarda, n-o porque seja moderna ou antimoderna, mas porque é pós-utópica. Ao projeto totalizador da vanguarda […] sucede a pluralizaç-o das poéticas possíveis.” A “poesia da presentidade” - conceito afinado com a conceituaç-o de Octavio Paz de uma poesia do “agora” - envolveria “a admiss-o de uma ‘história plural’” que incitaria “à apropriaç-o crítica de uma ‘pluralidade de passados’” (Campos 1997b: 266-269). 9 “Eu queria, na primeira parte do poema, fazer uma homenagem a uma certa tradiç-o […]: a notável contribuiç-o tradutória do poeta maranhense Odorico Mendes” (Campos 1997a: 19). 10 O conceito de “sincronicidade” permeia a proposta (plagiotrópica) do autor relativa a suas obras criativa, tradutória e ensaística. No dizer de Márcio Seligmann-Silva, “Haroldo de Campos construiu a sua concepç-o n-o-linear da história, da traduç-o como corte sincrônico e criador de nexos históricos, com base num modelo intertextual tanto da literatura como da história” (Seligmann-Silva 2005: 200). <?page no="158"?> 158 Marcelo Tápia exposto no estar-aqui do poema, na sua existência e subsistência. […] Esses salvados do naufrágio entre um passado onde, por exemplo, foi possível um gesto épico, e um presente onde as sereias viraram sirenes e os escolhos, que amedrontavam os nautas homéricos no seu desafio ao mar aberto, viraram acidentes de tráfego […]. (Campos 1997a: 22) Segue-se o trecho final da segunda parte do poema, em que a grandeza heroica se apequena e banaliza no dia-a-dia de uma metrópole contemporânea: Capitula ( cabeça fria ) tua húbris. Nem sinal de sereias. Penúltima - é o máximo a que aspira tua penúria de última Tule. Um postal do Éden: com isso te contentas. Açuladas sirenes cortam teu coraç-o cotidiano. (Campos 1997a: 44) Diferentes tratamentos poéticos presentificam, em relaç-o complementar que configura um conjunto construído de modo intemporal (porque feito de camadas sobrepostas de tempo e de texto, convertido este em índice sintético de um itinerário poético), o jogo de refeitura do eterno episódio odisseico-ulissíaco, que deverá sobreviver às possíveis novas releituras e recriações da morte do herói engenhoso. Tal poema do autor representa modelarmente o processo de apropriaç-o recriadora e revivificadora da tradiç-o poética, que assume “o risco da criaç-o pensado como um problema de viagem e como um enfrentamento do impossível” (Campos 1997a: 15). Ao tomar o “movimento plagiotrópico” como seu modo de entender e produzir literatura, Haroldo de Campos instaura, com a aura da plagiotropia, um conceito cujo alcance se estende à universalidade e à intemporalidade da (re) criaç-o literária. <?page no="159"?> Transcriaç-o como plagiotropia 159 Bibliografia Campos, Haroldo de (1976): A operaç-o do texto . S-o Paulo: Perspectiva. Campos, Haroldo de (1981): “A escritura mefistofélica”. In: Campos, Haroldo de: Deus e o diabo no Fausto de Goethe . S-o Paulo: Perspectiva, 71-118. Campos, Haroldo de (1990): Finismundo: a última viagem . Ouro Preto: Tipografia do Fundo de Ouro Preto. Campos, Haroldo de (1997a): Sobre “Finismundo: a última viagem” . Rio de Janeiro: Sette Letras. Campos, Haroldo de (1997b): O arco-íris branco . S-o Paulo / Rio de Janeiro: Imago. Campos, Haroldo de (1989 / 2013): “Traduç-o e reconfiguraç-o: o tradutor como transfingidor”. In: Tápia / Nóbrega (org.), 118-124. 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Belo Horizonte: UFMG . Vieira, Else Ribeiro (1994): “A Postmodern Translation Aesthetics in Brazil”. In: Snell- Hornby, Mary / Pöchhacker, Franz / Kaindl, Klaus (eds.): Translation Studies - An Interdiscipline: Selected Papers from the Translation Studies Congress, Vienna, 1992. Amsterdam: John Benjamins, 65-72. Vieira, Else Ribeiro (1999): “Liberating Calibans: Readings of Antropofagia and Haroldo de Campos’ Poetics of Transcreation”. In: Bassnett, Susan / Trivedi, Harish (eds.): Post-Colonial Translation: Theory and Practice . London / New York: Routledge, 95-113. <?page no="161"?> Translatio-- traditio-- veritas 161 Translatio- - traditio- - veritas: Zur Spannung zwischen Texttreue und Kreativität in den antiken Übersetzungen ‚heiliger‘ Texte Christoph Kugelmeier (Saarbrücken) Abstract: In translations of Biblical texts in antiquity, the potentials of the target languages (Greek as well as Latin) are exploited sometimes to the utmost of their possibilities, even if that means the semantics and structures of Greek and Latin are stretched almost to unintelligibility. Nevertheless, in this translation method some creative solutions can be found which in some cases lead to the coining of theological and even liturgical terminology and thereby to the enrichment of the target languages as well as (in a further process) of the modern languages into which the Bible and the emerging exegetical literature are translated in their turn. Keywords: Creativity, literalism, idiomatic, adressee orientation, terminology. Wir schreiben das Jahr 403 n. Chr. Der Kirchenvater Hieronymus, vom Papst mit einer neuen Übertragung der Bibel ins Lateinische beauftragt, steht vor einem Übersetzungsproblem: Lat.: dum interpretationis κακοζηλίαν sequimur, omnem decorem translationis amittimus, et hanc esse regulam boni interpretis, ut ἰδιώματα linguae alterius suae linguae exprimat proprietate. ( Ep . 106,3, Ad Sunniam et Fretelam) Dt.: wenn wir es übertreiben mit der Genauigkeit in der Übersetzung, dann geht die kunstvolle sprachliche Gestaltung gänzlich über Bord; und das ist die Regel eines guten Übersetzers, dass er die einer [Ausgangs-]Sprache eigentümlichen Begriffe mit der Eigentümlichkeit seiner eigenen Sprache ausdrückt. 1 1 Zur κακοζηλία vgl. Quintilian, Inst . VIII 3,56; s. Lausberg ( 4 2008: § 1073); Marti (1974: 81-83); Bartelink (1980: 58 f.). Zum decor Lausberg ( 4 2008: § 538); ausführlich Marti (1974: 86-93); zuletzt grundlegend Gil (2009). Zu den ἰδιώματα/ proprietates vgl. Quintilian, Inst . VIII 2,1-11: Lausberg ( 4 2008: § 533); eine ausführliche Erörterung bei Marti (1974: 113-120). <?page no="162"?> 162 Christoph Kugelmeier Sunnia und Fretela, zwei gotische Geistliche, erhalten also von Hieronymus den offenbar erbetenen Aufschluss über die Kriterien, die den bedeutendsten Bibelübersetzer seiner Zeit bei seinem Werk leiteten. 2 Bei der Übertragung des ‚heiligsten Textes‘ schlechthin, der Bibel, steht für den Übersetzer viel auf dem Spiel; er muss zwar danach streben, den Text, immerhin Gottes Wort, so getreulich wie möglich in seiner jeweiligen Muttersprache wiederzugeben, darf dabei jedoch nicht in den Fehler verfallen, den Wortlaut des Ausgangstextes übergenau oder gar mechanisch, gewissermaßen mit einem Lexikon in der Hand, zu dokumentieren und dabei das, was der Zielsprache in Semantik und Struktur eigentümlich ist, zu vergewaltigen (man denkt an das berüchtigte ‚Übersetzungsdeutsch‘, das Produkt überängstlicher Texttreue in Schüler- und Lehrerübersetzungen). Wie diese immer vorhandene Spannung in der Übertragung der biblischen ‚heiligen Texte‘ den Anlaß zu mancher kreativen Lösung bot, um das hermeneutische Ziel zu erreichen, soll im Folgenden grundsätzlich und an Beispielen dargestellt werden. Damit möchte dieser Beitrag eine kleine Festgabe sein an den Jubilar, dem ‚Hermeneutik‘ und ‚Kreativität‘ in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit so sehr am Herzen liegen und dem der Verfasser für sein eigenes Berufsleben und auch sonst so viel verdankt. In der gesamten Antike bestand das Bedürfnis nach Übersetzungen. Die ältesten Zeugnisse hierfür treffen wir bereits im Zweistromland des 3. Jahrtausends v. Chr. an. 3 Sehr häufig begegnet dabei ein aufstrebender ‚Neuankömmling‘ auf der Völkerbühne einer bereits selbstgewissen Zivilisation, zumeist auf dem Wege einer kulturellen und zivilisatorischen Adaption, oft auch in einer Wechselwirkung aus teilweise kriegerischer Abgrenzung und friedlicher Übernahme zivilisatorischer Elemente. Was die sprachliche Kommunikation betrifft, werden dabei stets ähnliche Prozesse in Gang gesetzt. Elementar wichtig im Verkehr zwischen Völkern und ihren Beherrschern ist es, dass gerade in juristischen Dokumenten gedankliche Konzepte und sachliche Fakten einen möglichst exakten semantischen Ausdruck finden. In einer Übersetzung muss daher jeweils eine zielsprachliche Terminologie gefunden, ja erarbeitet werden, die mehrere Kriterien erfüllt: 1. den jeweiligen ausgangssprachlichen Begriff in seinem spezifischen semantischen Feld, unter möglichst großer Berücksichtigung all seiner Denotate, zu erfassen 2 Eine umfassende Darstellung zu diesem Brief bei Allgeier (1930). 3 Vermeer (1992: 43-67); ein allgemeiner historischer Überblick bei Albrecht (2009: 26-36); zum Amarna-Archiv s. Bryce (2003) und Cohen / Westbrook (2000); zum Hethitischen: Haas (2006). <?page no="163"?> Translatio-- traditio-- veritas 163 2. ihm in der Zielsprache eine begriffliche Form zu geben, die eine möglichst große Überschneidung mit diesem semantischen Feld bietet; dies kann dazu führen, dass Begriffe neu gebildet werden müssen, wo in der Zielsprache eine solche Überschneidung oder gar Übereinstimmung mit einem analogen Begriff noch nicht gegeben ist; notfalls muss man zu Umschreibungen greifen; diese Notwendigkeit ergibt sich insbesondere dann, wenn die Zielsprache bestimmte Bereiche der im sprachlichen Ausdruck zu erfassenden Wirklichkeit noch gar nicht ausgebildet hatte, weil sie in der betreffenden Kultur noch keine Rolle spielen; notfalls muss der ausgangssprachliche Begriff als Fremdwort in die Zielsprache übernommen werden 3. Neubildungen an die von der Zielsprache vorgegebene Struktur anzupassen. 4 Ästhetische, insbesondere stilistische Fragen, wie Hieronymus sie in seinem Brief aufwirft, bleiben hierbei noch ohne Berücksichtigung; sie sind - in aller Regel in einem späteren Stadium - wichtig für die Literatursprache im engeren Sinne, nicht jedoch für die im Kulturkontakt zunächst entstehende Notwendigkeit einer Kommunikation, die eine möglichst exakte Übereinstimmung gedanklicher Konzepte zum Ziel hat. Wie gesagt, gewinnt dieser Aspekt eine elementar wichtige Bedeutung im Falle von Textdokumenten, die den Zusammenhalt einer mehrsprachigen Zivilisation (Mesopotamien) oder die Kommunikation zwischen zwei verschiedensprachigen politischen Einheiten (Ägypter- und Hethiterreich) regeln sollen, also bei Gesetzestexten und Verträgen. Eine wichtige Komponente im durch Übersetzung vollzogenen sprachlichen Kommunikationsprozess verbindet sich ebenfalls engstens mit der beschriebenen Asymmetrie der jeweiligen Kulturen: Schon im Mesopotamien des 3. Jahrtausends v. Chr. war das Sumerische nicht mehr Alltagssprache eines Großteils der Bevölkerung, und zwar des aufnehmenden, schon lange vor der semitischen Zuwanderung ansässigen Teils, der bereits eine komplexe Kultur geschaffen hatte und dieser Komplexität in einem begrifflich differenzierten Idiom bereits Ausdruck verliehen hatte (Edzard 2004: 31 f., 109). Ein bedeutsames Element dieser kulturellen Komplexität waren die mythologischen und religiösen Vorstellungen, die ihren Niederschlag in Texten wie dem Gilgamesch-Epos gefunden hatten. Es diente wie vergleichbare ‚heilige Texte‘ als Fundament der religiösen Dimension des mesopotamischen Geisteslebens. 5 Eben aus diesem Grunde genoss das Sumerische auch schon zur Zeit der semitischen Einwanderung ein 4 Zu den damit verbundenen Problemen s. Koller ( 8 2011: 168-172 und 240-247). 5 Zum Konzept des „heiligen Textes“ s. in Kürze Heyden / Manuwald; Albrecht (2009: 30 f.) zur extremen Wörtlichkeit bei der Übertragung sowie Albrecht (2009: 34-36) zum Zusammenhang zwischen dokumentarischer „Übersetzungstreue‟ und der Entwicklung der Schrift; dazu auch Vermeer (1992: 45-55). <?page no="164"?> 164 Christoph Kugelmeier Prestige, das es bei der Akkulturation der Einwanderer zum Maßstab für die Formung der akkadischen Sprache machte (Edzard 2004: 131 f., 135). Vergleichbare Konstellationen finden wir bekanntlich auch zwischen den beiden ‚klassischen‘ Sprachen des antiken Mittelmeerraumes. Graecia capta ferum victorem cepit , so umschreibt Horaz ( Ep. 2,1,156 f.) den Umstand, dass das aufstrebende Rom in fast jeder kulturellen und zivilisatorischen Hinsicht der Empfänger Griechenlands war. Dies schlägt sich auch darin nieder, dass literarische Übersetzungen zwischen beiden Sprachen fast ausschließlich in eine Richtung vollzogen werden, vom Griechischen ins Lateinische (vgl. Horrocks 2016: 78). 6 Interessante Beispiele für die Gegenrichtung finden sich in der Verwaltungssprache, bedingt durch die Nowendigkeit, nach der römischen Übernahme der Herrschaft in Gebieten mit Sprechern der Kultur- und Prestigesprache Griechisch Edikte und Gesetzestexte der großen Zahl an neuen Einwohnern des römischen Herrschaftsgebiets zugänglich zu machen. Die Griechen dachten nämlich nicht daran, die Sprache der von ihnen kulturell nicht als gleichrangig betrachteten Eroberer zu erlernen - in der Geschichte von Eroberungen ein eher seltener Vorgang (immerhin bezeugt ein Brief Ciceros an seinen Bruder die Wertschätzung, die gebildete Angehörige der römischen Elite für die griechischen Provinzialen empfinden konnten, Quint . fratr. 1,1,27). Inschriften mit derartigen Verwaltungsdokumenten haben sich in großer Zahl erhalten und vermitteln einen Eindruck davon, wie (manchmal im eigentlichen Sinne) peinlich sich das zielsprachliche Ergebnis an der Ausgangssprache orientiert, zuweilen bis hin zum Schwerverständlichen, ja Sprachwidrigen (vgl. Viereck 1888: 55-70; Sherk 1993: 7, 13-19). Seine Ursache hat dies nicht (wie man aus Viereck 1888: 75 und Sherk 1993: 208 f. herauslesen könnte) in mangelhafter Sprachkompetenz der römischen Beamten, sondern in einem Phänomen, das mit den erörterten Kriterien für die antike zwischensprachliche Kommunikation zu tun hat und bei den Übertragungen ‚heiliger‘ Texte besonders in Erscheinung tritt: Die Übersetzung will bewusst darauf verweisen, dass sie eben nichts anderes ist als Übersetzung; römische Provinzialbeamte präsentieren sich nicht als an griechischer Kultur interessierte Schöngeister, sondern als Amtswalter der römischen Herrschaft. Der ‚genaue‘ Wortlaut des lateinischen Originals soll so weit irgend möglich seine Abbildung in der Zielsprache finden, er ist und bleibt Orientierungspunkt des intendierten Leseverständnisses, in gewisser Hinsicht fast selbst ein ‚heiliger‘ Text (vgl. Sherk 1993: 198 f., 209: „The form and the language are Greek. The 6 Prestel (2016: 43 f.) unterscheidet dies als „vertikale Übersetzung […] konstitutiv für die Ausbildung der römischen Literatursprache und Literatur wie auch später für die der modernen Nationalsprachen und -literaturen“ von der aemulatio , der „einbürgernden bzw. erobernden Übersetzung“; s. dazu Schreiber (1993: 73-76); Albrecht (2009: 28 f., 143, 147); Gil (2009: 318). <?page no="165"?> Translatio-- traditio-- veritas 165 spirit and the contents are Roman“). Der lesende Grieche wird in diesem Fall gewissermaßen selbst zum Lateiner oder doch jedenfalls gezwungen, typisch lateinisches Denken, so wie es sich in dieser lateinisch überformten griechischen Fachsprache darstellt, mitzuvollziehen (vgl. die Erörterungen bei Gil 2009: 318). Albrecht bemerkt dazu treffend: Erst auf dem Boden einer Schriftkultur kann ein ‚Übersetzungsliteralismus‘, ein ängstliches Kleben am Wortlaut bis hin zu groben Verletzungen der Regeln der Zielsprache gedeihen. Diese Erscheinung wird in besonders ausgeprägter Form auftreten, wenn die Elite einer jungen, noch kaum literalisierten Kultur mit den Texten einer reifen Schriftkultur konfrontiert wird (Albrecht 2009: 36). 7 Anders als im Falle der orientalischen Hochkulturen finden sich einige Zeugnisse, in denen lateinische Übersetzer über ihre Prinzipien reflektieren (s. dazu die Darstellungen von Hiltbrunner 1938, Widmann 1968, Hartung 1970, Marti 1974, Brock 1979, Kaimio 1979, Seele 1995, Fögen 2000, Neuhausen 2004, Kopeczky 2005, Nicolas 2005 und McElduff 2013). Cicero teilt in großer Offenheit mit, welche Schwierigkeiten ihm, einem souveränen Kenner der griechischen Sprache, die adäquate Umsetzung der griechischen philosophischen Terminologie bereitet, auf einem Gebiet also, das von den Römern ohnehin als griechische Domäne betrachtet wurde (vgl. v. a. Fin . 3,3-5, insb. 4: ars est enim philosophia vitae, de qua disserens arripere verba de foro non potest [philosophus] ; Att . 13,21, 3 zu den skeptisch-akademischen Begriffen ἐπέχειν und ἐποχή; Acad . 1,24 f. zu qualitas für ποιότης). Besonders aufschlussreich zeigt jedoch eine Stelle bei Lukrez, dass diese Probleme nicht allein inhaltlicher Natur waren (etwa in dem Sinne, dass römische Intellektuelle nicht in der Lage gewesen wären, die speziellen Denotate griechischer philosophischer Konzepte adäquat abzubilden): Lat.: nunc et Anaxagorae scrutemur homoeomerian, / quam Grai memorant nec nostra dicere lingua / concedit nobis patrii sermonis egestas Dt.: jetzt wollen wir Anaxagoras’ Homoiomerie noch prüfen, die die Griechen so nennen und die in unserer Sprache zu bezeichnen die Dürftigkeit der Vatersprache nicht erlaubt ( Rer . nat . I 830-832, vgl. I 136-139 und III 260). Beide Völker waren in einer eng verwandten Lebenswelt mit großer Ähnlichkeit der materiellen, institutionellen und ideellen Verhältnisse beheimatet, beide Sprachen sind Verwandte aus der indogermanischen Sprachgruppe, und doch 7 S. auch - speziell zur Bibel - Albrecht (2009: 116 f.) und - zum Übergang vom Sumerischen zum Akkadischen - Vermeer (1992: 45 f. und 52). Zur wachsenden grundsätzlichen Skepsis gegen die Übersetzung ‚heiliger Texte‘ s. Albrecht (2009: 113). <?page no="166"?> 166 Christoph Kugelmeier scheitert die Nachbildung eines Kompositums wie ὁμοιομερία ganz banal an der unterschiedlichen Struktur, die beide Sprachen zu dieser Zeit bereits herausgebildet hatten. 8 Das Phänomen lässt sich sehr gut mit im Saarbrücker Grenzraum alltäglichen Erlebnissen vergleichen, wenn sich etwa auf einem zweisprachigen Schild zusammen mit dem deutschen „Eisenbahngesellschaft“ das französische „société de chemin de fer“ findet - das gleiche Denotat bezeichnend, aber eben, bedingt durch die zur Gewohnheit ( consuetudo , s. u. S. 170) gewordenen Strukturen der Wortbildung, völlig anders geformt (s. dazu letzthin Weber 2015; zum Lateinischen s. Palmer 2 2000: 112 f.). In der späteren Antike (und damit schlagen wir den Bogen zum Brief des Hieronymus an die beiden gotischen Geistlichen zurück) stellte sich die Problematik der ‚Übersetzbarkeit‘ in neuer Brisanz. Durch den Siegeszug des Christentums ergab sich nämlich verstärkt die Notwendigkeit einer adäquaten Übersetzung des ‚heiligen Textes‘ par excellence , der Bibel. Sie wirkte in viel intensiverer Weise in die Lebenswelt breiterer Volksschichten hinein, als dies bei philosophischer Literatur der Fall gewesen war, von der eine intellektuelle Führungselite für ihresgleichen Übertragungen vorgenommen hatte, oder bei der Umsetzung von Verwaltungsdokumenten, die ebenfalls nur ein spezifisches soziales Segment betraf. Biblische Texte hatten von Anfang an einen weitaus präsenteren ‚Sitz im Leben‘; ihr Vortrag in der christlichen Liturgie rührte existenziell an das Selbstverständnis des die Messe mitfeiernden Gläubigen und prägte noch darüber hinaus seine häuslichen Gebete. Hinzu kam, dass diese Entwicklung nicht mehr allein die bisherigen ‚Prestigesprachen‘ Latein und Griechisch anging, dass sich vielmehr allenthalben im Römischen Reich und seinen Nachbarregionen durch die Übertragungen der Bibel wie auch des sie deutenden theologischen Schrifttums nationale Literaturen herausbildeten und bisherige ‚Barbarensprachen‘ zu selbstbewussten Idiomen heranwuchsen, die unter dem Einfluss der prestigeträchtigen Ausgangssprachen in die Lage versetzt wurden, eine komplexe theologische und philosophische Begrifflichkeit weitgehend mit eigenen Mitteln nachzubilden. 9 Das Gotische ist hierfür ein hervorragendes Beispiel: Durch die Übertragung der Bibel (bzw. großer Teile), die der gotische Missionsbischof Wulfila in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. vornahm, 10 wurde ein Dialekt der von den Römern stets als ‚kulturlose Barbaren‘ verachteten germanischen Völker erstmals zu einer Literatursprache, ein Vorgang, der sich später auf dem 8 Vgl. Marouzeau (1947), Kaimio (1979: 262 f.); Fögen (2000: 61-76). 9 Zuletzt dazu Karrer (2016); zum letztlich bis in die heutige Zeit andauernden Prozess der translatio studii , der im Falle der christlichen Basistexte als translatio religionis noch einmal besondere Brisanz gewann, jetzt Poppe (2015: 23 f.). 10 Maßgebliche Ausgabe: Streitberg, Wilhelm (2000): Die Gotische Bibel. 7. Aufl. Heidelberg: Winter. <?page no="167"?> Translatio-- traditio-- veritas 167 Wege der christlichen Mission im nördlichen Europa öfters wiederholte und letztlich z. B. überhaupt erst zur Herausbildung einer ‚deutschen‘ (d. h. ‚volkssprachlichen‘) Nation führte (vgl. Frings 1949; Schulze 2 1993: 12; Sonderegger 3 2003: 27 f., 164-243). Für die gotischen Priester hing also sehr viel von ihrer Nachfrage bei Hieronymus ab. Einige Jahrhunderte zuvor hatte sich die im ägyptischen Alexandreia, dem großen Zentrum des Hellenismus, ansässige jüdische Diasporagemeinde beeilt, einen ähnlichen Vorgang sprachlicher wie kultureller Translation eines ‚heiligen Textes‘ mit einer Legende zu versehen, die den heiklen Vorgang sanktionieren sollte. Der sogenannte Aristeas-Brief (v. a. § 32) erzählt von der gemeinsamen Übersetzungsarbeit, die 72 jüdische Gelehrte auf Einladung des Königs Ptolemaios II . (282-246 v. Chr.) an der hebräischen Bibel geleistet hätten. Hierdurch sei eine göttlich inspirierte und daher gleichfalls als ‚heiliger Text‘ verbindliche Version des Alten Testaments entstanden, nach dem legendenhaften Entstehungsprozess ‚Septuaginta‘ genannt. Schon im antiken Judentum rückte man von derart erbaulichen Ideen über die direkte göttliche Herkunft auch der griechischen Bibel bald ab (s. u. S. 168); aber selbst von der Vorstellung einer durchgängigen chronologischen Priorität eines hebräischen ‚Originaltexts‘ gegenüber den griechischen ‚Übersetzungen‘ hat sich die Forschung weitgehend verabschiedet, da auch der hebräische Text im Laufe der antiken Überlieferungsgeschichte mannigfachen Revisionen unterworfen war und die Septuaginta und andere griechische Übersetzungsversionen für uns sogar bisweilen Zeugen eines älteren Textverständnisses sind als der erst in späteren Jahrhunderten festgelegte sogenannte ‚masoretische‘ (mit Vokalzeichen versehene) hebräische Text des Alten Testaments, der seine Gestalt teilweise Interpretationen verdankt, mit denen die jüdischen Gemeinden auf außerjüdische Deutungen reagierten (Tov 2010: 3: „the text of the original translations was constantly revised towards an ever-changing text of the Hebrew Bible by known and anonymous revisers“; ausführlich und mit reichen Literaturangaben vgl. ders. 1997: 136-148). Schon die griechischsprachigen Gemeinden der jüdischen Diaspora (insbesondere Ägyptens) standen vor dem grundsätzlichen Dilemma des ‚heiligen Textes‘, dass nämlich die Entscheidung, bei der Übersetzung so eng wie möglich an den Strukturen der Ausgangssprache zu bleiben, große zielsprachliche Schwierigkeiten bereiten kann. Das Prestige des ‚geheiligten‘ hebräischen Originals ließ eine Übersetzung von vornherein als heikles Unterfangen erscheinen; vgl. den Prolog zum Buch Sirach, 15-21 (Prestel 2016: 40-42): Gr.: παρακέκλησθε οὖν μετ᾽ εὐνοίας καὶ προσοχῆς τὴν ἀνάγνωσιν ποιεῖσθαι καὶ συγγνώμην ἔχειν, ἐφ᾽ οἷς ἂν δοκῶμεν τῶν κατὰ τὴν ἑρμηνείαν πεφιλοπονημένων τισὶν <?page no="168"?> 168 Christoph Kugelmeier τῶν λέξεων ἀδυναμεῖν· οὐ γὰρ ἰσοδυναμεῖ αὐτὰ ἐν ἑαυτοῖς Εβραϊστὶ λεγόμενα καὶ ὅταν μεταχθῇ εἰς ἑτέραν γλῶσσαν. Dt.: Lasst euch also ermahnen, mit Wohlwollen und Aufmerksamkeit die Lektüre zu betreiben und Nachsicht zu haben, wo wir versagt zu haben scheinen, obwohl wir uns gemäß der Übersetzungskunst um (bestimmte) Redewendungen emsig bemüht haben. Denn dasselbe ist in sich nicht gleichbedeutend, wenn es auf Hebräisch gesagt ist und wenn es in eine andere Sprache übertragen wird. Anders als dies moderne Praxis vielleicht nahelegen würde, führte die Unzufriedenheit gerade mit der von manchen immer noch als unzureichend empfundenen ἰσοδυναμία bzw. Dokumentarizität der Septuaginta wie auch das Bestreben, sich gegen die christliche Exegese abzusetzen, dazu, dass noch weit wörtlichere, sich konkordant an das Hebräische anschließende Versionen wie die sogenannte „καίγε-Rezension“ erstellt wurden (mit den Hauptvertretern Theodotion, Symmachos und Aquila). 11 Aquila wird von Hieronymus wegen seiner etymologisierend wörtlichen κακοζηλία kritisiert: Lat.: proselytus et contentiosus interpres, qui non solum verba, sed etymologias quoque verborum transferre conatus est, iure proicitur a nobis Dt.: der Proselyt und sklavische Übersetzer, der nicht nur die Worte, sondern auch die Etymologien der Wörter zu übertragen suchte, wird mit Recht von uns abgelehnt ( Ep . 57,11). 12 Die von Hieronymus und anderen monierten Merkwürdigkeiten, die sich durch den engen Anschluss an die Struktur des hebräischen Originals bei dieser Art von ‚Übersetzungs-Griechisch‘ ergeben, finden durchaus Parallelen in der latei- 11 Vgl. Brock (1979: 77 f.); Tov (1987: 171-179; 1997: 119 ff.); Kreuzer (2011: 26-35); Gentry (2016); Prestel (2016: 53): „Aquila, der eine fast absolute Stabilität von Wortgleichungen zwischen dem Hebräischen und dem Griechischen befolgt“. Die bis heute maßgebliche Ausgabe ist die von Field (1875). Unter einer „konkordanten“ Übertragung versteht Albrecht (2009: 135, Anm. 53) das Prinzip, „jeder Wortstamm, jedes Wort dürfe durch den ganzen Text hindurch nur durch einen einzigen Wortstamm, durch ein einziges Wort der Zielsprache wiedergegeben werden“; als Beispiel nennt er die Bibelübersetzung von Buber und Rosenzweig. 12 Vgl. Courcelle ( 2 1948: 43 f.), Anm. 8 und 9; Albrecht (2009: 63, 134 f.), mit einem Vergleich mit der Bibelübersetzung von Buber und Rosenzweig: „daß Form und Inhalt des biblischen Textes eine unauflösbare Einheit bilden, daß man in der ‚Form‘ keine ornamentale Zutat zu einem vorgegebenen Inhalt sehen dürfe“; Prestel (2016: 52): „Der Grund für diese auffällige Entwicklung liegt in der allmählichen Herausbildung eines protomasoretischen Textes aus der Perspektive frühjüdisch-rabbinischer Hermeneutik und deren Interpretationstendenzen als hebräischer Standardtext“; zum etymologisierenden Übersetzen zuletzt Ausloos / Lemmelijn (2016). <?page no="169"?> Translatio-- traditio-- veritas 169 nischen Translationspraxis. Kritik erregen bisweilen scheinbare Unmöglichkeiten wie z. B. die pluralische Verwendung von sanguis , die sich ihrerseits schon aus dem entsprechenden ungriechischen Gebrauch von αἷμα im Plural herleitet (Courcelle 2 1948: 147, Anm. 3; Schreiber 1993: 198 f.): ῥῦσαί με ἐξ αἱμάτων (hebräisch dāmîm, Plural von dām „Blut“), ὁ θεός libera me de sanguinibus, Deus (Ps 50,16). Mit Hinblick auf den Originaltext könnte man solche Erscheinungen als Hebraismen auffassen. Freilich sind derartige Plurale in poetischer Sprache auch im Griechischen und Lateinischen überaus häufig (s. Kühner / Stegmann 5 1962: 83 f.: „Bezeichnungen des Stoffs und der Masse“ und „Körperteile“), werden jedoch nichtdestoweniger als Fremdkörper empfunden. Servius merkt zu Vergil, Aen . IV 687: atros siccabat veste cruores („sie versuchte das dunkle Blut mit ihrem Gewand zu stillen“) an: Lat.: ‚ cruores‘ usurpavit: nam nec ‚sanguines‘ dicimus numero plurali, nec ‚cruores‘ Dt.: ‚geronnene Blute’ hat er verwendet; denn wir reden weder von ‚den Bluten’ im Plural noch von den ‚geronnenen Bluten‘. Bisweilen genügen freilich schon die Unterschiede in Semantik und Wortstruktur zwischen Griechisch und Latein, um eine dokumentarische Wiedergabe als Absurdität erscheinen zu lassen. Um einen berühmten Fall wie den von Ps 121 (122),3 anzuführen (weiteres bei Prestel 2016: 50): Welcher native speaker des Griechischen oder des Lateinischen hätte je einen Sinn aus den folgenden Übertragungen herauslesen können: Hebr.: jǝrûšālajim habǝnûjāh kǝ‘îr, šæḥubbǝrah-lāh jaḥǝddāw Gr.: Ιερουσαλημ οἰκοδομουμένη ὡς πόλις, ἧς ἡ μετοχὴ αὐτῆς ἐπὶ τὸ αὐτό Lat.: Hierusalem, quae aedificaris ut civitas, cuius participatio eius simul (Iuxta Hebr.); Hierusalem, quae aedificatur ut civitas, cuius participatio eius in id ipsum (Iuxta LXX ) Dt.: Jerusalem ist gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll (Luther 1984); Jerusalem, du herrliche Stadt, von festen Mauern geschützt! (Gute Nachricht); Jerusalem, du wiedererbaute als eine Stadt, die fest in sich geschlossen (Menge). Die Übersetzung kann und will in diesem Fall gar keine besondere Kreativität beanspruchen; sie verweist in ihrer Schwerverständlichkeit auf die durch die Heiligkeit des Textes ‚sanktionierte‘ schwere Zugänglichkeit der Bibel selbst und gibt so bewusst Anlaß zu umso intensiveren theologischen Interpretationen des schwer verständlichen Textes, die bis zum heutigen Tag in großer Zahl vorgebracht werden. <?page no="170"?> 170 Christoph Kugelmeier Die lateinischen Kirchenväter sind sich der Spannung vollauf bewusst, die entsteht, wenn ein heiliger Text auf dem Wege der Übersetzung nicht nur eine andere Form erhält, sondern sich durch eine philologisch reflektierte Orientierung an der Ausgangssprache ( Hebraica veritas , Ep. 57,74, s. Bartelink 1980: 78-80) auch gewohnte Bedeutungen verändern, die ihren „Sitz im Leben“ (in der Liturgie, im täglichen Gebet) bereits fest eingenommen haben. Hieronymus teilt den gotischen Geistlichen denn auch mit ( Ep. 106,12): Lat.: et nos emendantes olim psalterium, ubicumque sensus idem est, veterum interpretum consuetudinem mutare noluimus, ne nimia novitate lectoris studium terreremus Dt.: als ich den Psalter emendierte, wollte ich immer da, wo der Sinn derselbe ist, nicht die alte Gewohnheit der Übersetzer ändern, um nicht durch allzu große Neuartigkeit den Eifer des Lesers abzuschrecken. Er weiß, dass eine allzu stark empfundene Neuartigkeit ( novitas ) der Wiedergabe contra consuetudinem geradezu kontraproduktiv auf das ‚Bemühen‘ ( studium ) der Gläubigen um ihr geistliches Leben wirken kann (zum Begriff consuetudo / συνήθεια vgl. Lausberg 4 2008: § 469: „der übereinstimmende Sprachgebrauch der Gebildeten“, vgl. Quintilian, Inst . I 6,45 consuetudinem sermonis vocabo consensum eruditorum, sicut vivendi consensum bonorum : „als das in der Sprache Gebräuchliche werde ich die Übereinstimmung der Gebildeten bezeichnen, so wie im Leben die Übereinstimmung der Guten“). Wir befinden uns hier bei weitem noch nicht in der Phase des Mittelalters und der Neuzeit bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, in der eine ‚heilige Sprache‘ (wie das Lateinische) gewissermaßen einen von theologischen Fachleuten kontrollierten Damm gegen ein etwaiges falsches, häretisches Textverständnis bilden sollte. 13 Im Gegenteil lässt sich aus der zitierten Stelle erkennen, wie sehr dem Übersetzer die kommunikative, den Originaltext vermittelnde Funktion der Übersetzung am Herzen liegt. Für die Mission von Völkern wie den Goten, die erst kürzlich an das Christentum herangeführt worden waren, bedeutete diese Vermittlung durch Übersetzung besonders viel. Hieronymus ist sogar bereit, für dieses kommunikative Ziel die Ausrichtung auf die philologische „Wahrheit“ zurückzustellen; vgl. Praef. in IV Evangelia , 30-32: 13 So noch Papst Pius XII. (1947): Enzyklika Mediator Dei 1,5: Latinae linguae usus, ut apud magnam Ecclesiae partem viget, perspicuum est venustumque unitatis signum ac remedium efficax adversus quaslibet germanae doctrinae corruptelas (dt.: Der Gebrauch der lateinischen Sprache, wie er in einem großen Teil der Kirche Geltung hat, ist ein allen erkennbares und schönes Zeichen der Einheit und eine mächtiges Hilfsmittel gegen jegliche Verderbnis der wahren Lehre). <?page no="171"?> Translatio-- traditio-- veritas 171 Lat.: quae ne multum a lectionis Latinae consuetudine discreparent, ita calamo temperavimus, ut his tantum, quae sensum videbantur mutare, correctis reliqua manere pateremur, ut fuerant Dt.: damit es nicht sehr vom Wortgebrauch der lateinischen Lesung abweicht, habe ich meine Feder so im Zaum gehalten, daß ich nur das korrigiert habe, was den Sinn zu verändern schien; das Übrige habe ich stehengelassen. In diesem Sinne instruiert er auch Sunnia und Fretela ( Ep . 106,55; s. dazu insgesamt Courcelle 2 1948: 44 mit Anm. 2 und 45): Lat.: eadem igitur interpretandi sequenda est regula, quam saepe diximus, ut, ubi non sit damnum in sensu linguae, in quam transferimus, εὐφωνία et proprietas conservetur Dt.: also ist dieselbe Regel des Übersetzens zu befolgen, von der ich oft gesprochen habe, dass nämlich dort der Wohlklang und die Idiomatik bewahrt werden soll, wo dies dem Sinn der Sprache, in die wir übertragen, keinen Abbruch tut. Sein Zeitgenosse Augustinus, der anders als Hieronymus weder über Kenntnisse des Hebräischen noch über sichere Kompetenzen im Griechischen verfügte (vgl. Marti 1974: 21), 14 mahnt in seinem programmatischen Werk De doctrina Christiana zu großer Vorsicht beim diesbezüglichen Umgang mit Übersetzungen der Heiligen Schrift: Lat.: quam legentes nihil aliud appetunt quam cogitationes voluntatemque illorum, a quibus conscripta est, invenire et per illas voluntatem Dei, secundum quam tales homines locutos credimus Dt.: wenn sie von diesem [Heil] lesen, erstreben sie nichts anderes, als die Überlegungen und die Absicht seiner Autoren und dadurch den Willen Gottes zu ergründen, unter dessen Inspiration - wie wir glauben - solche Menschen gesprochen haben ( Doctr. chr. 2,5,6). 15 Zu ähnlichen Kontroversen kommt es bei der Frage, ob die lateinische Übertragung des ‚heiligen Textes‘ wie traditionell nach der Septuaginta oder nach der Hebraica veritas erfolgen solle; wie wir aus der Auseinandersetzung zwi- 14 Zu Hieronymus’ Hebräischkenntnissen vgl. Prol. Iob 20-23, wo er zugibt, sich einen jüdischen Lehrer genommen zu haben, und 40 Hebraeum sermonem ex parte didicimus . Zur Einschätzung seiner Sprachkenntnisse vgl. jetzt Newman (2009), gegen ältere skeptische Auffassungen wie die von Nautin (1986: bes. 309, Z. 37): „Allerdings läßt es sich beweisen, daß er diese Sprache praktisch kaum kannte“. 15 Vgl. Marti (1974: 19) und Koller ( 8 2011: 108) - zu den sich gegenseitig bedingenden „Erwartungsnormen des Empfängers“ und „Schreibnormen des Autors“ - und Fürst (2011: 371), der die ‚pastoralen‘ Motive hinter Augustinus’ Bedenken gegen Hieronymus’ Orientierung an der Hebraica veritas hervorhebt. <?page no="172"?> 172 Christoph Kugelmeier schen Hieronymus und Augustinus erfahren, löste die Einführung der letzteren ‚modernen‘ Version den berühmten Kirchenstreit von Oea aus, bei dem der dortige Bischof beinahe sein Amt verloren hätte. Der Streit entzündete sich an der Weigerung der Gläubigen dieser nordafrikanischen Stadt, Hieronymus’ neue Übersetzung hedera („Efeu“) anstelle des aus der Septuaginta eingebürgerten cucurbita („Kürbis“, κολοκύνθη) zu akzeptieren; er verschärfte sich weiter durch das grundsätzliche, theologisch motivierte Unbehagen an Hieronymus’ Methode, in solchen Fragen auch jüdische Sachverständige hinzuzuziehen. 16 Treffend bemerkt Albrecht: Die Bibel ist zusammen mit einigen wenigen anderen Texten der Weltliteratur für das Phänomen der ‚Kanonisierung‘ […] besonders anfällig. Wem eine bestimmte Fassung eines Textes in ihrem Klang, ihren Metaphern oder altertümlichen Satzkonstruktionen […] von Kindheit an vertraut war, der steht textkritischen Verbesserungen ebenso ablehnend gegenüber wie der Kulturkonservative einer allgemeinen Orthographiereform (Albrecht 2009: 114). Man denkt in solchen Fällen an die Satire über die Bewahrung des falschen mumpsimus bei Erasmus ( Opus epistolarum Des. Erasmi Roterdami , hrsg. von Percy S. Allen, Oxford 1910, T. 2, Ep . 456, 68-72); der in Rede stehende Gebetstext lautet vollständig: quod ore sumpsimus, Domine, pura mente capiamus („was wir mit dem Mund empfangen haben, Herr, wollen wir mit reinem Sinn aufnehmen“). Im Grunde illustriert der Vorgang von Oea das Diktum von Coseriu: Die ‚beste Übersetzung‘ schlechthin für einen bestimmten Text gibt es […] nicht: Es gibt nur die beste Übersetzung dieses Textes für bestimmte Adressaten, zu einem bestimmten Zweck und in einer bestimmten geschichtlichen Situation (Coseriu 1978: 32). Ergänzend hierzu spielt gerade bei ‚heiligen Texten‘ auch die Anforderung an ein ‚kommunikatives decorum ‘ an die Übersetzer eine Rolle, die ihre Adressaten nicht damit überfordern sollen, dass sie ihre eigenen Ansichten dem Text allzu stark aufprägen (vgl. Gil 2009: 326). Zuweilen hat sich nach den Aussagen der Kirchenväter bereits eine eigene volkstheologische und volksetymologische Auslegung zu durch den liturgischen Gebrauch ‚liebgewordenen‘ fremden Fachwörtern verbreitet, die wenigstens gelehrter Kontrolle, unter Umständen auch Korrektur bedarf (vgl. Courcelle 2 1948: 150, Anm. 3 zu verkehrten Herleitungen von ‚Pascha‘ aus πάσχειν; ähnliche Phänomene bei Lundström 1955: 93: „etymologisierende Missdeutung“). 16 Vgl. Augustinus, Ep. 71,5 und die Reaktion des Hieronymus, Ep. 112,19; s. Prinzivalli (1997); demnächst dazu Kugelmeier (in Vorbereitung) . <?page no="173"?> Translatio-- traditio-- veritas 173 Schließlich ergibt sich wie in allen Interaktionen zwischen Ausgangs- und Zielsprache die Notwendigkeit, auf bereits in einem bestimmten semantischen Bereich als Fachsprache eingebürgerte Terminologie Rücksicht nehmen zu müssen. Wörter wie ἄγγελος, διάκονος, μάρτυς und ἀπόστολος durch die Entsprechungen nuntius , minister , testis und missus zu ersetzen wäre in der christlichen Terminologie als künstlicher Purismus empfunden worden, vgl. Augustinus’ Bemerkungen zur lateinischen Übersetzung von Joh 12,26 ὅπου εἰμὶ ἐγώ, ἐκεῖ καὶ ὁ διάκονος ὁ ἐμὸς ἔσται ( Serm. 319,3): Lat.: ‚Ubi ego sum, illic et minister meus‘. Graecum codicem legite, et ‚diaconum‘ invenietis. Quod enim interpretatus est Latinus; ‚minister‘ Graecus habet […] Sed iam consuevimus nominibus Graecis uti pro Latinis. Dt.: ‚Wo ich bin, da ist auch mein Diener‘. Lest den griechischen Schrifttext, und ihr werdet ‚Diakon‘ finden. So gibt es der Lateiner wieder; der Grieche hat [= versteht darunter] ‚Diener‘ […] Doch wir pflegen bereits griechische Wörter anstelle der lateinischen zu verwenden. Hieronymus’ gegenüber den beiden Goten geäußertes Postulat, die zielsprachlichen Eigentümlichkeiten seien gegenüber einer ‚dokumentarischen‘ Wiedergabe der Ausgangssprache vorzuziehen (der eingangs zitierte Satz hanc esse regulam boni interpretis, ut ἰδιώματα linguae alterius suae linguae exprimat proprietate - „und das ist die Regel eines guten Übersetzers, dass er die einer [Ausgangs-] Sprache eigentümlichen Begriffe mit der Eigentümlichkeit seiner eigenen Sprache ausdrückt“), bringt ihn selbst schon aus den genannten Gründen an nicht wenigen Stellen erkennbar in eine Zwickmühle. Unsicher sind sich die lateinischen Übersetzer in der genauen Abgrenzung des semantischen Feldes insbesondere bei griechischen Wörtern, die (gerade durch ihren selbstverständlichen Gebrauch) im Laufe ihrer Wortgeschichte eine große Bandbreite an Konnotationen angenommen haben. Augustinus erörtert eine ganze Palette möglicher Wiedergaben des Begriffs ἁρμονία: Lat.: haec enim congruentia sive convenientia vel concinentia vel consonantia vel si quid commodius dicitur, quod unum est ad duo, in omni compaginatione vel, si melius dicitur, coaptatione creaturae valet plurimum. Hanc enim coaptationem , sicut nunc mihi occurrit dicere, dicere volui, quam Graeci ἁρμονίαν vocant. Dt.: Dieses Übereinstimmen oder Zusammentreffen oder Zusammenstimmen oder Zusammenklingen, oder wie man sonst sagen will, wenn eins zu zweien paßt, ist in jedem Gefüge, oder, besser gesagt, in jedem einheitlichen Ganzen von größter Bedeutung. Ich will mit diesen Bezeichnungen, die mir eben einfallen, das ausdrücken, was die Griechen Harmonie nennen ( Trin . 4,2,4). <?page no="174"?> 174 Christoph Kugelmeier Für die Neubildung coaptatio entscheidet er sich auch Civ . 22,24, p. II 614 Dombart-Kalb (über die harmonische Fügung der Körperteile); s. Courcelle 2 1948: 147 f. mit Anm. 6. In diesen Fällen sind sich die Kirchenväter durchaus bewusst, nur aus dem jeweiligen Zusammenhang im Griechischen das gewünschte semantische Feld erschließen zu können. Das Lateinische muss zudem mit seiner oben beschriebenen egestas fertigwerden, die sich insbesondere bei der Nachbildung vieler Komposita zeigt, wie z. B. 1 Kor 7,35: Gr.: τοῦτο δὲ πρὸς τὸ ὑμῶν αὐτῶν σύμφορον λέγω, οὐχ ἵνα βρόχον ὑμῖν ἐπιβάλω, ἀλλὰ πρὸς τὸ εὔσχημον καὶ εὐπάρεδρον τῷ κυρίῳ ἀπερισπάστως Dt.: diesen Rat gebe ich euch aber zu eurem eigenen Besten, nicht um euch eine Schlinge um den Hals zu legen, sondern damit ihr ein anständiges Leben führen und beharrlich und ungehindert dem Herrn dienen könnt. Hieronymus ächzt denn auch über die Schwierigkeiten der Übertragung dieser Stelle: Lat.: proprietatem Graecam Latinus sermo non explicat; quibus enim verbis quis possit edicere : πρὸς τὸ εὔσχημον κτλ.? unde et in Latinis codicibus, ob translationis difficultatem, hoc penitus non invenitur Dt.: die lateinische Sprache gibt die Idiomatik des Griechischen nicht wieder; mit welchen Worten ließe sich denn ausdrücken: […] Daher findet sich dies auch überhaupt nicht in den lateinischen Schrifttexten, wegen der Schwierigkeit der Übersetzung ( Jov . 1,13) und greift in der Vulgata zu echt lateinischen Umschreibungen: porro hoc ad utilitatem vestram dico non ut laqueum vobis iniciam sed ad id, quod honestum est et quod facultatem praebeat sine inpedimento Dominum observandi. In der theologischen Interpretation der Heiligen Schriften verwenden die Kirchenväter die philosophische Terminologie ihrer Zeit und müssen sich dabei mit der Schwierigkeit auseinandersetzen, dass viele griechische philosophische Begriffe in die lateinische Sprache entweder nur als Fremdwörter übernommen werden können oder eben der Umschreibung bedürfen (zu derartigen Erscheinungen Schreiber 1993: 215-217). Augustinus erörtert an mehreren Stellen derartige Übersetzungsfragen; die wichtigen stoischen Termini ἀπάθεια und προπάθεια erfahren dabei Wiedergabeversuche mit den neuartigen, sonst nicht belegten Wendungen impassibilitas (Augustinus, Civ . 14,9, p. II 23,20 f. Dombart-Kalb ἀπάθεια […] quae, si Latine posset, impassibilitas dicitur und Hieronymus, Ep . 133,3, mit der gleichfalls neologistischen Alternative imperturbatio ; Courcelle 2 1948: 147, Anm. 5) bzw. antepassio (Hieronymus, Ep . 79,9; Courcelle <?page no="175"?> Translatio-- traditio-- veritas 175 2 1948: 41, Anm. 7). Derartige Versuche sprengen die Grenzen der lateinischen Semantik ebenso wie etwa consubstantialis für das griechische ὁμοούσιος (statt eines korrekteren unius / eiusdem substantiae ), das später in die lateinischen Versionen des Glaubensbekenntnisses eingeht und das wir seit Tertullian, Herm . 44,3 finden (s. Stead 1994; ebenfalls bezeugt ist eine Wortbildung consubstantivus bereits bei Tertullian, Val . 12,18, s. Rönsch 1875/ 2 1979: 228). Zu den Problemen für die exakte philosophisch-theologische Interpretation, die durch die eingeschränkten Möglichkeiten der lateinischen Übersetzung erst entstehen, äußern sich griechische Kirchenväter, die maßgeblich an der Herausarbeitung der trinitarischen Begrifflichkeit mitgewirkt hatten (vgl. Basileios, Ep . 214,4 und Gregor von Nazianz, Or . Athan . 1124 D - 1125 A). Ein Beispiel für die Methode sowohl der griechischen als auch der lateinischen Übersetzer, mit den geschilderten Problemen und der bei ihrer Wiedergabe eines ‚heiligen Textes‘ besonders virulenten Spannung zwischen Texttreue und Kreativität fertigzuwerden, soll abschließend erörtert werden. Vielbesprochen, doch letztlich immer noch rätselhaft ist die griechische Wiedergabe von Gen 1,2 in der Septuaginta: Hebr.: wɘhā’āræṣ hājɘtāh tohû wābohû Gr.: ἡ δὲ γῆ ἦν ἀόρατος καὶ ἀκατασκεύαστος Lat.: terra autem erat inanis et vacua ; Vetus Latina (die lateinischen Übertragungen vor der Vulgata): invisibilis et incomposita (v.ll. informis; incompta; rudis [! ]) Dt.: und die Erde war wüst und ohne Ordnung. Die zugrundeliegenden hebräischen Wörter tohû wābohû , deren etymologische Herleitung unklar ist, haben unterschiedliche Deutungen erfahren. In einem der maßgeblichen Kommentare findet sich dazu: die (grauenhafte, unheimliche) öde Wüste […] als Gegenbegriff zu Schöpfung gebraucht […] [nach Hinweis auf die griechischen Chaos-Vorstellungen: ] In der Richtung dieser Abwandlung eines älteren, elementareren Chaos-Begriffes scheint auch die Wiedergabe […] in der Septuaginta zu liegen (Westermann 5 1993: 143 f.). Die biblischen Parallelen, aus deren Zusammenhang die Bedeutung von tohû zu erschließen wäre, ergeben kein völlig einheitliches Bild. Freilich überwiegen die Stellen, an denen das Wort eher auf das ‚Ungeordnete‘ geht als auf ein absolutes ‚Nichts‘ bzw. ‚Nicht-Sein‘. Deut 32,10, Jes 24,10 und 34,11 erscheint in der Septuaginta jeweils eine Ableitung aus dem Lexem ἐρημ - ‚wüst, leer‘, allerdings nicht im Sinne einer absoluten ‚Leere‘, sondern des ‚Ungestalteten‘, den ja auch unser ‚wüst‘ wiedergibt (schon Herodot, Hist . II 32,3 bezeichnet mit τὰ <?page no="176"?> 176 Christoph Kugelmeier ἔρημα τῆς Λιβύης, „die Wüsten Libyens“). Auch Job 6,18, wo die Septuaginta das Wort nicht übersetzt, ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, ebenso (Girardet 1952: 21; Dines 1995: 441 f.) Jes 45,18, wo die Übersetzung zwar εἰς κενόν lautet, aus dem Zusammenhang aber klar hervorgeht, dass die Abwesenheit von zivilisierter Ordnung gemeint ist: Gr.: οὐκ εἰς κενὸν ἐποίησεν αὐτήν [τὴν γῆν], ἀλλὰ κατοικεῖσθαι Dt.: nicht zu einer Einöde hat er sie [die Erde] geschaffen, sondern um bewohnt zu werden. Dasselbe gilt für einen anderen prophetischen Text, Jer 4,23, wo die Erde ein οὐθέν heißt; denn in Vers 27 will Gott die Erde zwar ‚wüst‘ machen (ἔρημος ἔσται πᾶσα ἡ γῆ), aber eben nicht völlig vernichten (συντέλειαν δὲ οὐ μὴ ποιήσω). Sonst erscheint οὐδέν nur noch an zwei Stellen, Job 26,7, das sachlich ein Reflex der Genesis-Stelle ist und sich sprachlich wohl vor allem an den anderen Beleg anschließt, 1 Sam 12,21: τῶν μηθὲν ὄντων […] ὅτι οὐθέν εἰσιν. Dort wird Bezug auf den Götzendienst genommen, und daher haben wir es auch hier nicht mit der Konnotation eines absoluten Nichts zu tun, sondern mit der des ‚aus sich heraus Ohnmächtigen‘, gewissermaßen einer semantischen Brücke zwischen dem ‚Nichts‘ und dem ‚Ungeordneten / Unansehnlichen‘ (entsprechend die Wiedergaben mit ‚vergeblich, nutzlos‘, μάτην Jes 41,29 und μάταιοι Jes 44,9, die sich mithin auf diesen Prophetentext beschränken). Hervorzuheben ist, dass sich in keiner der genannten Partien die Übersetzung ἀόρατον wiederholt. An den beiden einzigen weiteren Stellen, wo das Wort vorkommt, Jes 45,3 und 2 Macc 9,5, hat es die übliche konkrete Bedeutung ‚unsichtbar‘. Zum Gebrauch des hebräischen Wortes resümiert Dines (1995: 442): „At any rate the implications are likely to be fairly concrete, of something uninhabitable, perhaps even menacing […] rather than of something empty or void“ (ebenso Girardet 1952: 21). Was die griechische Übersetzung betrifft, wird seit langem (will man nicht zu der von Josephus, Ant. I 27 vertretenen Ausdeutung seine Zuflucht nehmen, ‚unsichtbar‘ heiße, dass der Abgrund den Blicken durch die Dunkelheit entzogen sei; allerdings geht es hier ja um die Erde) eine Beeinflussung durch die platonische Weltentstehungsphilosophie erwogen. Bereits Philon von Alexandreia bringt dies ins Spiel: Gr.: πρῶτον οὖν ὁ ποιῶν ἐποίησεν οὐρανὸν ἀσώματον καὶ γῆν ἀόρατον καὶ ἀέρος ἰδέαν καὶ κενοῦ Dt.: zuerst also erschuf der Schöpfer einen unkörperlichen Himmel, eine der sichtbaren Wahrnehmung unzugängliche Erde sowie die Idee der Luft und der Leere ( Opif. 29). <?page no="177"?> Translatio-- traditio-- veritas 177 Dabei nimmt er Bezug auf seine in Opif . 25 voraufgehende Bemerkung über den κόσμος, der νοητός sei, also in gut platonischer Deutung nur dem Geist - νοῦς - und nicht den Sinnen zugänglich. Interpretationen dieser Art vermögen jedoch schon auf den ersten Blick nicht zu befriedigen. Es kommt ja hier offensichtlich nicht auf eine außerordentliche ‚Kleinheit‘ der zu schaffenden Materie an, wodurch sie ‚unsichtbar‘, nicht sinnlich wahrnehmbar wäre, sondern auf das noch Ungeordnete, Chaotische unmittelbar nach der Schöpfung, aber vor dem gestaltenden Eingreifen Gottes. Immerhin gibt es schon etwas, das nicht Nichts ist, nämlich die Wasser (vgl. denselben Vers). Zuletzt betrachtet Usener die griechische Wiedergabe als durchaus keine äquivoke Übersetzung von ‏וּה ֹ ב ָ ו‏וּה ֹ ת‏[tohû wābohû], sondern möglicherweise vom platonischen Schöpfungsmythos (bes. Tim. 36e) beeinflusst, wo die dem Körperlichen zugrundeliegende und in der Schöpfung vorausgehende Seele als ‚unsichtbar‘ qualifiziert wird. Ob und wie sich platonischer Einfluss, der hier sehr speziell wäre, einstellen konnte, ist eine interessante Frage, die noch nicht geklärt ist (Usener 2016: 125). 17 Die bei Usener spürbare Vorsicht erscheint in der Tat angebracht; denn in Platons Timaios geht es in der Tat um etwas anderes, nämlich um die Entstehung der Dualität von Geist / Seele und Materie (ebenso wie bei den übrigen platonischen Parallelstellen für das Wort, Soph . 246a und Theaet. 155e); beide gemeinsam bilden freilich laut Platon ein durchaus harmonisches Ganzes, keineswegs ein ἀκατασκεύαστον; vgl. das Bild von der ‚vollkommenen Kugel‘ Tim . 31b-34a sowie seine Bemerkung Phaed . 85e über die (musikalische) ἁρμονία, die ἀόρατον καὶ ἀσώματον καὶ πάγκαλον sei, „etwas Unsichtbares und Unkörperliches und gar Schönes“. Dies geht deutlich schon aus Tim . 36e hervor: Gr.: καὶ τὸ μὲν δὴ σῶμα ὁρατὸν οὐρανοῦ γέγονεν, αὐτὴ δὲ ἀόρατος μέν, λογισμοῦ δὲ μετέχουσα καὶ ἁρμονίας ψυχή, τῶν νοητῶν ἀεί τε ὄντων ὑπὸ τοῦ ἀρίστου ἀρίστη γενομένη τῶν γεννηθέντων Dt.: und so entstand sowohl der sichtbare Leib des Himmels als auch die Seele, die unsichtbar ist, aber teilhat am Denken und an der Harmonie, sie, die das beste von allen vernunftbegabten und ewigen Dingen ist, die der beste Schöpfer geschaffen hat. Im Wortlaut näher kommt der Genesis-Stelle Tim . 51a: 17 Ähnlich Kraus et al. ( 2 2010: 157): „wahrscheinlich von platonischem Gedankengut beeinflusst, demzufolge zu Beginn der Schöpfung nur die unsichtbare Vorstellung des zu Schaffenden und der ungeformte Stoff existierten“ und die ausführliche Studie von Rösel (1994: bes. 82 f.); s. ferner Schwabl (1962: 1498, 1539); vgl. Schmitt (1974: 150 f.). <?page no="178"?> 178 Christoph Kugelmeier Gr.: ἀνόρατον εἶδός τι καὶ ἄμορφον, πανδεχές, μεταλαμβάνον δὲ ἀπορώτατά πῃ τοῦ νοητοῦ καὶ δυσαλωτότατον Dt.: eine unsichtbare [= den Sinnen nicht zugängliche] und gestaltlose Wesensart, die alles aufnimmt und auf irgendeine sehr schwierige Weise am nur Denkbaren teilnimmt und daher sehr schwer fassbar ist. 18 Hier geht es um die ‚den Sinnen nicht zugängliche und ungeprägte‘ (noch nicht ‚mit einem Abdruck [ἐκτύπωμα] der Ideen versehene‘ [ἐκτυπούμενον]) Urmaterie (50c); Gr.: τὴν τοῦ γεγονότος ὁρατοῦ καὶ πάντως αἰσθητοῦ μητέρα Dt.: die Mutter alles dessen, was als Sichtbares und überhaupt Wahrnehmbares geworden ist. Das ‚Sichtbare‘ wird also als Untergenus unter das ‚Wahrnehmbare‘, das Sinnenfällige subsumiert, das in platonischer Vorstellung gerade nicht das Geordnete und Harmonische ist, sondern einen ontologischen Abstieg aus der nicht sinnlich, sondern allein noetisch erfassbaren Welt der Ideen bedeutet. Diese ‚prägen‘ die Welt des Materiellen nur insoweit, als ihre Spuren (‚Abdrücke‘) dem Verstand den Weg zu weisen vermögen zur Erkenntnis ihrer selbst und damit des wahrhaft Seienden (von Platon bekanntlich am detalliertesten erörtert im ‚Liniengleichnis‘, Resp . 509d-511e). Entsprechend formuliert Platon weiter im oben genannten Passus 50 d: Gr.: νοῆσαί τε ὡς οὐκ ἂν ἄλλως, ἐκτυπώματος ἔσεσθαι μέλλοντος ἰδεῖν ποικίλου πάσας ποικιλίας, τοῦτ᾽ αὐτό, ἐν ᾧ ἐκτυπούμενον ἐνίσταται, γένοιτ᾽ ἂν παρεσκευασμένον εὖ, πλὴν ἄμορφον ὂν ἐκείνων ἁπασῶν τῶν ἰδεῶν, ὅσας μέλλοι δέχεσθαί ποθεν Dt.: und wir müssen doch folgendes überlegen: Da an dem Gepräge auf mannigfache Weise alle verschiedenen Formen zu sehen sein sollen, so wird wohl eben die Masse, in der sich der Abdruck befinden soll, nur dann wohlvorbereitet sein, wenn sie keine von allen jenen Formen schon aufweist, die sie von irgendwoher aufnehmen wird. Hieraus ergibt sich also ein gerade umgekehrtes Verhältnis in der begrifflichen Junktur: Um die Terminologie von Gen 1,2 zu gebrauchen, wäre ein ἀόρατον gerade das, was eben nicht ἀκατασκεύαστον, sondern im Gegenteil εὖ παρεσκευασμένον ist. Das auch in der Bibel nur ein einziges Mal, eben an dieser Stelle, bezeugte ἀκατασκεύαστον erörtert zuletzt Dines (1995: 444): Am 18 Vgl. biblisch Sap 11,17 ἡ παντοδύναμός σου χεὶρ καὶ κτίσασα τὸν κόσμον ἐξ ἀμόρφου ὕλης (deine allmächtige Hand, welche die Welt aus ungeformtem Stoff geschaffen hat). Über den besonders ausgeprägt ‚griechischen‘ Charakter dieses um die Zeitenwende auf Griechisch verfassten apokryphen Buches s. zuletzt Mazzinghi (2016). <?page no="179"?> Translatio-- traditio-- veritas 179 nächsten kommen Ähnlichkeiten wie die Bemerkung über das ‚altertümliche und unzivilisierte Leben‘ (τὸν ἀρχαῖον καὶ ἀκατάσκευον βίον) der Ligurer bei Diodor, Bibl . V 39. In der Tat fragt man sich, wieso der Übersetzer der Genesis, hätte er wirklich Tim . 51 a nachahmen wollen, statt des gängigen ἄμορφον das komplizierte Hapax selbst gebildet haben sollte. Sinnvoller erscheint, die Gründe für seine spezifische Wortwahl anderswo zu suchen. Viel eher als an den platonischen Timaios denkt man bei der biblischen Schilderung an die rudis indigestaque moles und die non bene iunctarum discordia semina rerum des Chaos zu Anfang der ovidischen Metamorphosen (Ovid, Metam. I 7 und 9; Schwabl 1962: 1544 f.). Die καίγε-Rezension (s. o. S. 168) schlägt verschiedene Richtungen ein: Aquila hat κένωμα καὶ οὐθέν, was eine Vereinheitlichung mit den speziell in den Prophetentexten zu findenden Wiedergaben bedeutet; Symmachos dagegen betont mit ἀργὸν καὶ ἀδιάκριτον (v. l. ἀδιαίρετον) gegenüber dieser Vorstellung vom ‚Leeren, Nichtigen‘ den Aspekt des ‚Ungeordneten‘. Eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des ἀόρατον könnte sich in zwei Varianten der Sacra Parallela zu Sir 11,2 zeigen, wo sich eine analoge Ausdehnung der semantischen Grenzen am abgeleiteten Substantiv offenbart: Gr.: μὴ αἰνέσῃς ἄνδρα ἐν κάλλει αὐτοῦ καὶ μὴ βδελύξῃ ἄνθρωπον ἐν ὁράσει (vll. ἀορασίᾳ und ἀοράσει) αὐτοῦ (als Übersetzung eines hebräischen marǝ’e, eines von rā’āh ‚sehen‘ abgeleiteten Substantivs) Lat.: non laudes virum in specie sua neque spernas hominem in visu suo Dt.: Lobe nicht einen Mann seiner Schönheit wegen und verabscheue nicht einen Menschen seines Aussehens wegen. Für beide Wörter (von denen ἀόρασις sonst nicht einmal belegt ist) nimmt man in diesem Zusammenhang fast automatisch eine Bedeutung wie ‚Unansehnlichkeit‘ an. Das Wort heißt aber ausschließlich ‚Unfähigkeit zu sehen, Blindheit‘ (Michaelis 1954: 369, 20 f.); vgl. Gr.: τοὺς δὲ ἄνδρας τοὺς ὄντας ἐπὶ τῆς θύρας τοῦ οἴκου ἐπάταξαν ἀορασίᾳ (hier als Übersetzung für den euphemistischen Ausdruck sanǝwerîm , ‚Blindheit‘, eigentlich ‚Erhellung‘) ἀπὸ μικροῦ ἕως μεγάλου, καὶ παρελύθησαν ζητοῦντες τὴν θύραν Lat.: et eos, qui erant foris, percusserunt caecitate a minimo usque ad maximum, ita ut ostium invenire non possent Dt.: dann schlugen sie die Männer vor dem Eingang des Hauses mit Blindheit, klein und groß, so dass sie sich vergebens bemühten, den Eingang zu finden (Gen 19,11) <?page no="180"?> 180 Christoph Kugelmeier und außerbiblisch Gr.: ὃ δὴ συμβαίνει μάλιστα Τιμαίῳ διὰ τὴν ἀορασίαν Dt.: dies [Fehler aufgrund mangelnder eigener Erfahrung] passiert Timaios sehr häufig wegen seines Mangels an [lebendiger] Anschauung (Polybios, Hist. XII 25 g 4 über einen von ihm kritisierten Historiker). An der Sirach-Stelle ergäbe diese Bedeutung keinen Sinn; am sinnvollsten ist wie für ἀόρατος die der ‚Unansehnlichkeit‘ anzunehmen. Allein diese Auffassung passt zudem zum hier wie so häufig verwendeten stilistischen Strukturelement des antithetischen Parallelismus (‚lobe niemanden, weil er schön ist‘ ↔ ‚verabscheue niemanden, weil er unansehnlich ist‘). Die wahrscheinlichste Erklärung für den unidiomatischen Wortgebrauch lautet wohl so: Der Übersetzer wollte sich zwar dokumentarisch (konkordant) an das Bedeutungsfeld seiner hebräischen Vorlage halten, zugleich aber nicht bei der Semantik des einfachen Substantivs ὅρασις bleiben, die zur positiven wie zur negativen Konnotation hin offen ist (Michaelis 1954: 371, 18 f.; vgl. Jes 66,24, wo das Wort speziell einen ‚schlimmen Anblick‘ meint); er wünschte vielmehr das Negative stärker herauszubringen. Parallel dazu würde die Annahme dieser Bedeutung auch die Verständnisschwierigkeit für ἀόρατος in Gen 1,2 erleichtern. Nachzutragen bleibt, dass auch die lateinischen Übersetzer versuchen, mit der Mehrdeutigkeit sowohl der Semantik als auch der Diathese von ὅρασις fertigzuwerden. So wird das deverbative Substantiv visus , das ähnliche Probleme bereitet, in einer Textvariante durch ein in dieser Hinsicht eindeutiges statura ersetzt. Hier kann man sicherlich nicht von einer ‚treuen‘ Wiedergabe sprechen, eher von einer ausdeutenden Übersetzung, die anders als die griechischen Versionen Missverständnisse vermeidet. Sie ist weit eher im Sinne des ‚mimetischen‘ Übersetzungsbegriffs zu verstehen, den Gil (2012: 155-157) erörtert. Offen bleiben muss, ob unter Umständen auch im invisibilis der Vetus Latina in Gen 1,2 eine negative Konnotation mitschwingt, nämlich der Gedanke an invisa ‚verhasst‘. Immerhin erweist sich die semantische Grenze bisweilen als durchlässig, vgl. Vergil, Aen. II 574 abdiderat sese atque aris invisa sedebat , „sie (Helena) hatte sich verborgen und saß ungesehen / verhasst am Altar“. Wenigstens der Servius auctus zu Aen. II 601 interpretiert das Wort tatsächlich in diesem Sinne: Lat.: adserunt enim ad Troiam Helenam non venisse, id est non visam a Troianis Dt.: man behauptet nämlich, Helena sei nicht nach Troja gekommen; also sei sie von den Trojanern ‚nicht gesehen‘ worden“. Dies bezieht sich auf die sogenannte ‚Palinodie‘, mit der der Dichter Stesichoros Helena in einem freundlicheren Licht habe erscheinen lassen wollen (fr. 192 Da- <?page no="181"?> Translatio-- traditio-- veritas 181 vies), und erscheint als Deutung des vergilischen Wortgebrauchs reichlich weit hergeholt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Beispiel zeigt, wie die Möglichkeiten der Zielsprache ausgedehnt (aber nicht überdehnt) werden, um in ihr möglichst viele Aspekte des originalsprachlichen Texts aufscheinen zu lassen. Wir haben es mit dem von Gil beschriebenen Schadewaldtschen „scheinbaren Paradoxon“ zu tun: „Das Original wird wiederholt, ohne identisch sein zu müssen“ (Gil 2009: 323). Ähnliches gilt für die epochemachenden Erweiterungen der philosophisch-theologischen Terminologie, die zumal das Lateinische um zuvor völlig unbekannte Begriffe bereichern, wobei auch in diesem Falle die Zielsprache bis an die Grenzen ihrer Semantik und ihrer Struktur geführt wird. Wie sich in der Geschichte der Bibelübersetzungen und der aus ihr resultierenden theologischen Literatur zeigt, haben kreative Lösungen dieser Art durchaus ein sprachprägendes Potential. Bibliographie Albrecht, Jörn (2009): Literarische Übersetzung. Geschichte - Theorie - Kulturelle Wirkung . Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Allgeier, Arthur (1930): „Der Brief an Sunnia und Fretela und seine Bedeutung für die Textherstellung der Vulgata“. In: Biblica 11, 86-107. Ausloos, Hans / Lemmelijn, Bénédicte (2016): „Etymological Translation in the Septuagint“. In: Bons / Joosten (Hrsg.), 193-201. Bartelink, Gerhardus J. M. (1980): Hieronymus, Liber De optimo genere interpretandi (Epistula 57). 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As a first step, a distinction will be drawn between three notions of the so-called ‘text tone’: the literal meaning, the metaphoric meaning and what we propose to designate as ‘identitary’ meaning (which combines the previous ones). As a second step, relevant statements of translators and translation scholars are examined on this issue. The examination shows that the notion of text tone is not only part of a takeover of musical terminology but also the symptom of an older intuition that texts have a musical dimension that are should not only be preserved in the target text but that is also the result of the (musical) interpretation of the translator himself. In order to answer the question of what is meant by reaching the (right) tone in translation, this article draws on findings from the field of musicology, semiotics and hermeneutics. Keywords: Tone, literary translation, ear, music metaphor, musical interpretation, hermeneutics. 1 Einleitung In vielen Werkstattberichten von Übersetzern findet sich die Beobachtung, es sei eine besondere Herausforderung, ja „das Schwierigste überhaupt“ (Rakusa 1991: 67) in ihrer Tätigkeit, den Ton des Originals zu treffen und ihn in der Übersetzung nachzuschöpfen. Diese Aufgabe ließe sich auch nicht umgehen, denn: „Der ‚besondere‘ Ton eines Textes, darauf scheint es anzukommen“ (Kopetzki 2015: 79). Die Übersetzung „tönt“ nicht, melden nicht selten Kritiker (Reichert 1992: 284), „le ton n’y était pas“ (Solares 2001); und wenn der Ton im Translat nicht entstehen kann, dann ist der Text „verloren“ (Schmidt-Henkel 2003: 668). Was genau beschreibt aber diese Größe, die einen wesentlichen Bestandteil der Qualität einer Übersetzung auszumachen scheint und die sowohl in der Überset- <?page no="186"?> 186 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel zungskritik als auch in Übersetzer-Paratexten einen dermaßen hohen Stellenwert genießt? Was heißt es, in der und durch die Übersetzung „den richtigen Ton“ (Rakusa 1991: 67) zu treffen? Diese Fragestellung erweist sich als komplex und vielschichtig, sodass zu ihrer Beantwortung mehr Seiten veranschlagt werden müssen als der Rahmen eines einzelnen Artikels es zulässt. Aus diesem Grund sollen hier nur einige Implikationen der Frage selbst beleuchtet sowie einige Annäherungen zu ihrer Beantwortung geboten werden. Der für die genannte Fragestellung zentrale Begriff des ‚Tons‘ stammt ursprünglich aus dem musikalischen Bereich und soll in der vorliegenden Studie zu seinen Ursprüngen zurückgeführt werden. Durch diese musikwissenschaftliche Fundierung können die Bedingungen und Vorzüge, vielleicht sogar auch die Gefahren der hier interessierenden Begriffsübernahme im übersetzungswissenschaftlichen Kontext deutlicher nachgezeichnet werden. Eine musikwissenschaftlich begründete Herangehensweise kann der Übersetzungsforschung neue Dimensionen erschließen. Dies hat jüngst auch Marc Charron im Kontext des gegenwärtigen translatologischen Diskurses über die „Stimme“ des Autors bzw. des Übersetzers als Desiderat formuliert: [L]a traductologie doit sonder ailleurs pour trouver certains éléments de réponse, sans doute aller écouter ailleurs, depuis un champ disciplinaire autre, soit la musicologie, qui se préoccupe par définition de la ‚voix‘, et qui peut éventuellement être en mesure de contribuer à une compréhension plus circonstancée et assurément moins impressioniste et intimiste de la dimension vocale des textes. (Charron 2015: 70) Vier Jahrzehnte vor Charron lässt George Steiner eine ähnliche Einstellung durchscheinen, wenn er, ebenso einen Brückenschlag zwischen musikalischer Terminologie und übersetzungsphilosophischem Gedankengut vollziehend, seine bekannte Monographie After Babel nicht nur Philologen und Übersetzungstheoretikern, sondern ausdrücklich auch Musikforschern und -liebhabern zueignet (Steiner 1975 / 1992: xviii). Jean-René Ladmiral bekennt seinerseits „l’importance capitale du paradigme musical“ (Ladmiral 2015: 374) für sein Projekt einer Übersetzungsästhetik. Weitere wesentliche Beobachtungen zu den verstärkt in der Translationspraxis, selten aber in der Translatologie berücksichtigten musikalisch-theatralischen Dimensionen des Textes stammen von Rainer Kohlmayer (2004, 2015a, 2015b). Es scheint also Reflexions- und Erkenntnispotential in der Erkundung jener musikalischen Terminologie zu liegen, die im aktuellen translationsorientierten Diskurs eher intuitiv als systematisch angewendet wird. Um dieses Potential im Rahmen der vorliegenden Studie anzudeuten, sollen einige Übersetzeraussagen sowie unterschiedliche Beiträge aus der translatologischen Forschung auf die Rede vom ‚Textton‘ hin untersucht und mit musikwissenschaftlichen Erkennt- <?page no="187"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 187 nissen ins Gespräch gebracht werden. Dieses Unterfangen mag kommenden Beiträgen zu den musikalischen Dimensionen in Texten und deren Übersetzungsrelevanz eine theoretische Diskussionsgrundlage bieten. 2 Drei Redeweisen vom Textton Die Leitfrage der vorliegenden Untersuchung setzt voraus, dass der Begriff des ‚Tons‘ in seiner Bedeutung umgrenzt und definiert ist: Wenn man weiß, was der Ton eines Textes bzw. Autors überhaupt ist, kann man einschätzen, ob man ihn getroffen hat oder nicht, bzw. kann man dessen Beachtung im Übersetzungsprozess einfordern. Diesen Begriff zu umreißen, stellt für die Übersetzungsforschung jedoch eine noch offene Aufgabe dar. Offensichtlich handelt es sich beim ‚Textton‘ um ein überaus komplexes Phänomen, weswegen hier lediglich einige Anhaltspunkte geboten werden können. Aus den Erfahrungsberichten und translatologischen Beiträgen, die uns als Grundlage für die vorliegende Studie dienten, lassen sich unterschiedliche Bedeutungsrichtungen dieses Begriffs herauslesen. Ausdifferenzieren kann man in einem ersten Anlauf drei Redeweisen: Anzuführen ist zunächst die wörtliche Redeweise vom Textton, die dort vorzufinden ist, wo die konkrete klangliche Dimension eines Textes (Original oder Translat) in den Fokus rückt. Diese Klangmaterialität des Textes spielt sowohl beim Produktionsals auch beim Rezeptionsakt eine gleich wichtige Rolle, weswegen auch vom Übersetzer, der beim Transferprozess einen rezeptiven wie auch produktiven Part ausübt, eine besondere Kompetenz im Klänge-Hören und Klänge-Disponieren abverlangt wird. In besonderer Weise geschieht dies bei der Übertragung von Schriftstellern wie etwa Ferdinand Céline oder Paul Valéry, die das Musikalische zum bestimmenden Gestaltungsprinzip ihres Werkes erheben und den Übersetzer dadurch vor bestimmte, unten näher erläuterte Herausforderungen stellen. Die zweite, metaphorische Redeweise vom Textton rückt nicht so sehr die Form des Textes bzw. seine Eigenschaften als konkretes Klangereignis in den Vordergrund. Sie resultiert vielmehr aus der Funktion des literarischen Textes als Ansatzpunkt für verschiedene Leseweisen. Die aus dem musikalischen Bereich hinlänglich bekannte Möglichkeit zur Mehrstimmigkeit wird im genuin literatur- und übersetzungswissenschaftlichen Kontext übernommen, um auf die Pluralität der Sinndimensionen hinzuweisen, die der eine Text in seinen vielfältigen Leseweisen auffächert. Eine dritte, identitäre Redeweise vom Textton weist auf eine Dimension des Begriffs hin, welche die beiden vorhergehenden Redeweisen miteinander kombiniert. Der Ton ist nicht nur eine Qualität von Texten, sondern zugleich das Kennzeichen der unverwechselbaren Identität eines Autors: „Jeder Schriftstel- <?page no="188"?> 188 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel ler - sofern er sich so nennen darf - hat seinen Tonfall“ (Meyer-Clason 1994: 12), durch die Bücher eines Autors geht ein „Grundton“ (Rakusa 1991: 67), der jedes seiner Werke unverkennbar als (nur) zu ihm gehörend erkennen lässt. Man spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls vom „Sound“ eines Schriftstellers (Rakusa 1991: 67), der die wesenseigenen Merkmale seines Diskurses in sich vereint. Den Ton eines Textes aufzuspüren heißt in diesem Zusammenhang, Zugang zu der intimen Textur eines Werks, womöglich sogar zur Identität seines Autors zu finden. Die drei erwähnten Redeweisen können zu heuristischen Zwecken klar unterschieden werden, manifestieren aber ihr Potenzial für die Hermeneutik und Translatologie gerade in den Fällen, in denen die Grenzen zwischen den hier umrissenen Konzepten fließend werden. In der vorliegenden Untersuchung setzen wir uns vor allem mit der wörtlichen und metaphorischen Redeweise auseinander. Die dritte, identitäre Redeweise kann hier wegen ihrer Komplexität nicht näher erörtert werden. Gleichwohl wird auf sie verwiesen. Begründen lassen sich die wörtliche und metaphorische Redeweise vom ‚Textton‘ anhand einer grundlegenden Arbeitshypothese aus der (linguistischen) Semiotik, die sich damit als nützliche Hilfestellung zur Kategorisierung der für unsere Fragestellung einschlägigen Theoreme erweist. Sie besteht in der zweckdienlichen Aufspaltung des sprachlichen Zeichens - und folgerichtig auch von Texten - in drei Zeichenelemente: • das Signifikat (mit Bezug auf das Wort ist bzw. sind das seine Bedeutung / en, im Hinblick auf den Text der ihm rezipientenseitig zugewiesene Sinn), • den Signifikanten (die Lautvorstellung eines Wortes bzw. der virtuelle, aber materiell aktualisier bare Text) und • den in der traditionell sich auf Saussure berufenden strukturalistischen Linguistik bewusst vernachlässigten Zeichenträger (als physisch real vorliegendes, aktualisier tes Exemplar des jeweiligen Wortes bzw. Texts bzw. Werkes) (vgl. dazu Agnetta 2017 i. V.). Auf dieser Aufteilung aufbauend kann Translation aufgefasst werden als die Ersetzung der ausgangssprachlichen Signifikanten durch neue, zielsprachliche Signifikanten (und Zeichenträger), die kraft der in der Zielkultur herrschenden Konventionen auf eine Signifikatstruktur schließen lassen, die ihrerseits jener des Ausgangstextes bis ins Detail ähneln kann, aber immer auch Dimensionen aufweist, die erst durch die Übersetzung ins Bewusstsein von Übersetzer und zweisprachigem ZT -Rezipienten gelangen. Das literarische Übersetzen ist im Vergleich zur Translation von Gebrauchstexten als grundlegend verschiedene (vgl. Greiner 2004: 16) und meistens des- <?page no="189"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 189 wegen komplexere Tätigkeit (vgl. Steiner 1975 / 2004: 269; Kohlmayer 2004: 465) verstanden worden, da hier die Signifikanten nicht nur auf die sonst in arbiträrer Weise mit ihnen verknüpften Signifikate weisen, sondern durch ihre strukturellen Eigenarten zusätzliche und zum Werkganzen passende Sinndimensionen eröffnen. Form und Inhalt - wenn man sie denn als Synonyme zu Signifikant und Signifikat erachten will - einer Aussage sind mannigfach miteinander verquickt und es lässt sich in einem ästhetischen Werk selten eine Form finden, die nicht selbst den Inhalt bedingt. Es ist daher in vielen Beiträgen zur literarischen Übersetzung zu Recht immer wieder betont worden, dass neben den Signifikaten auch die strukturellen Eigenschaften der Signifikanten in der Zielsprache wiederzugeben sind. Die in der Musik natürliche, ja selbstverständliche Möglichkeit zur Mehrstimmigkeit stellt für literarische Texte eine adäquate Vergleichsgröße dar. In linguistisch-strukturalistischen Kontexten sind Sprachelemente nur als einstimmige Okkurrenz überhaupt wahrnehmbar, verstehbar, effizient und nutzerfreundlich. Die Tendenz zur Einstimmigkeit von Sprache findet man aber lediglich in ihren strikt instrumentellen Verwendungen, etwa in der Fach- und in bestimmten Fällen der Alltagskommunikation. In diesen Verwendungsweisen folgt der jeweilige Sprechakt der Griceschen Maxime, nicht mehrdeutig zu sein (vgl. Grice 1975 / 1979: 250). Bei vielen anderen Verwendungen der Alltagssprache und dann v. a. in literarischen Texten, in denen Effizienz und Nutzerfreundlichkeit im erwähnten Sinne nun nicht immer die wichtigsten Produktions- und Rezeptionskriterien darstellen, wird die einer jeden Sprachverwendung inhärente Möglichkeit, Inhalt und Ausdruck gleichzeitig zu gestalten, dazu ausgeschöpft, um Sinnvielfalt zu erzeugen - und zwar entweder dadurch, dass die Gestaltung der Signifikanten zusätzliche Sinndimensionen eröffnen (wie in der Lyrik), oder dadurch, dass die Inhalte sich im Rezeptionsakt auffächern (wie im Roman, s. u.). ‚Mehrstimmigkeit‘ ist dann neben „Mannigfaltigkeit der Ansichten“ (Iser 1971: 14), „Unbestimmtheit“ (Iser 1971: 33), „Mehrdeutigkeit“ (Eco 1972: 40, 260), „Polyfunktionalität“ (Pfister 1977/ 11 2001: 30), „Polyvalenz“ (Beaugrande / Dressler 1981: 39, 127) eines der vielen Synonyme, die erdacht wurden, um das mehrdimensionale Wesen künstlerischer Texte treffend zu charakterisieren. Sich von einem literarischen Text ergreifen zu lassen, setzt die Fähigkeit und Bereitschaft voraus, seine Aufmerksamkeit auf die verschiedensten Textebenen zu richten und dies erfordert gewissermaßen ein „literary multitasking“ (de Jager 2013: 113). Dieser kurze semiotische Exkurs soll als Grundlage für die folgenden Gleichungen dienen: Bezieht sich der Verfasser einer Studie zum Textton vornehmlich auf die Signifikanten und Zeichenträger eines Textes, überwiegt die wörtliche Redeweise vom Text als Klangereignis, der seinen Sinn in erheblichem Maße <?page no="190"?> 190 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel auch von der akustischen Seite seiner Konstituenten erhält (vgl. 2.1). Bezieht er sich dagegen primär auf den Text als polyphone Struktur von Sinndimensionen, lässt er also die konkrete physisch-akustische Gestalt der Wörter zunächst in den Hintergrund treten, herrscht die o. e. metaphorische Redeweise (vgl. 2.2) vor. Die beiden Herangehensweisen beleuchten auf unterschiedliche Art die Rezeption von und - in einem weiteren Schritt - den translatorischen Umgang mit (ästhetischen) Texten. Sie sind in dieser Hinsicht also unterschiedliche, aber sich ergänzende Blickwinkel auf den gleichen Gegenstand, die auch hier nur zum Zwecke der Klassifizierung getrennt angeführt werden. 2.1 Der Text als Klangereignis Wenn ein Übersetzer mit seinem Tun ‚den richtigen Ton treffen‘ soll, so ist zunächst zu fragen, was am Text (als Transferendum und späteren Translat) letztlich überhaupt tönt. Dazu fassen wir die Rede vom Textton wörtlich auf und sehen den Text als tatsächliches Klangereignis, das zu theoretischen Aussagen zu den vier unten näher zu beschreibenden Klangdimensionen (Melos, Rhythmus, Harmonie und Tonintensität) befähigt. Zunächst erscheint es wichtig, noch einmal auf die oben eingeführte und semiotisch grundlegende Unterscheidung vom virtuellen Signifikant ( signifiant ) und dem materiellen bzw. physischen Zeichenträger zurückzukommen. Denn streng genommen können aus physikalischer Sicht nur die aktualisierten Zeichenträger einen Klang haben, d. h. jene auf akustischem Wege geäußerten Strukturen, die kraft einer sozialen Konvention und je nach Befähigung des Interpreten erst nach der Perzeption als Signifikanten gedeutet werden und mit denen dieser bestimmte Bedeutungen verknüpft. Strukturalisten in der Nachfolge Saussures abstrahieren von dieser konkreten Materialität und beschreiben Sprachelemente als sinnhafte Verknüpfung virtueller Klangelemente (Phonemstrukturen). Die Signifikanten werden als „Lautbild[er]“ (Wunderli 2013: 77) bzw. „Lautvorstellungen“ (Albrecht 3 2007: 28) aufgefasst, die von den materiell gegebenen Objekten, d. h. von den geschriebenen oder gesprochenen Wörtern, zu unterscheiden sind. In gar nicht so moderner Terminologie ausgedrückt: Es geht ihnen nicht um die einzelnen Token eines Zeichens, sondern um den Type (vgl. Peirce 1906: 216) und dessen Stellung im ebenso virtuellen Sprachsystem ( langue ). Für die Systemlinguistik ist die Klanggestalt der Phoneme daher primär eine Qualität diskreter Sprachelemente, die v. a. im Hinblick auf ihre Unterscheidungsfunktion von Belang ist. Der Unterschied zwischen dem stimmlosen glottalen Frikativ [h] und dem stimmhaften lateralen alveolaren Approximanten [l] interessiert auf der langue -Ebene v. a. insofern er z. B. in Bezug auf das Oppositionspaar Haut - Laut ([haʊ̯t] - [laʊ̯t]) für semiotische Distinguierbarkeit <?page no="191"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 191 sorgt. Kurz: Es geht in der Systemlinguistik - um eine Dichotomie Eggebrechts (1999: 10) aufzugreifen - um das „Lauten“ der Sprachelemente, nicht um deren „Tönen“. Diese langue -Ebene bleibt auch für den Übersetzer nicht ohne Konsequenzen, der die „réalité phonétique et articulatoire des langues concernées“ (Ladmiral 2015: 377) berücksichtigen muss. Je nach Sprache „nous sommes portés à adopter des postures vocales différentes, touchant le timbre, l’intonation, le rythme“ (Ladmiral 2015: 376). Wenn wir die Sprache wechseln, „nous plaçons notre voix plus haut (pour l’anglais) ou plus bas (pour l’allemand), nous déplaçons notre ‚base articulatoire‘ vers l’avant (pour l’italien) ou vers l’arrière (pour l’espagnol), etc. Qu’on pense à la tonalité tout à fait particulière que confère la langue turque au timbre de la voix de ceux qui la parlent“ (Ladmiral 2015: 376). In diesem engen wörtlichen Sinne verstanden, stellt sich die Frage, ob der ‚Ton‘ eines Textes aufgrund dieser fundamentalen „idioglossie différentielle“ (Ladmiral 2015: 376) überhaupt in einer anderen Sprache wiedergegeben werden kann. 1 Textinterpreten, wie auch der Übersetzer einer ist, haben es aber prinzipiell mit Sprachkonfigurationen auf der parole -Ebene zu tun (vgl. Paepcke 1979 / 1986: 107), d. h. letztlich mit den zu einem kohärenten und kohäsiven Ganzen verbundenen Wort-Token. Und obwohl Texte in sprachsemiotischer Hinsicht auch als virtuelle Signifikantenkonglomerate beschrieben werden können und nach ihrer ersten materiellen Fixierung zunächst als solche im kollektiven Bewusstsein zu verorten sind (vgl. Fricke 2000: 20), streben diese aufeinander abgestimmten Zeichenkonfigurationen immer zu ihrer (erneuten) materiellen Aktualisierung, wenn sie zu einem gegebenen Zeitpunkt ‚wirklich‘ werden und neu ins Bewusstsein der jeweils miteinander Kommunizierenden gelangen wollen. Aus dem Text als „potentielles akustisches […] Ereignis“ (auf der Signifikanten-Ebene) wird dann die von der Rhetorik stets im Auge behaltene „actio“, d. h. der konkrete Textvortrag (auf der Ebene der Zeichenträger) (Kohlmayer 2015a: 238). Nicht nur mündlich wiedergegebene Sprachäußerungen klingen; auch jeder schriftsprachliche Text, ob Original oder Translat, besitzt eine inhärente, in den Signifikanten eingeschlossene Klanggestalt, die beim (Vor-)Lesen automatisch aktiviert wird (vgl. Iser 1971: 6, 12; Kohlmayer 2004: 474). Dies veranlasst Literaturwissenschaftler, Semiotiker, Texthermeneutiker, Übersetzer und Translatologen zu Recht dazu, Parallelen zu einem Musikstück zu ziehen. Denn auch dessen Niederschrift ‚klingt‘ an sich nicht, beinhaltet aber die nötigen Informationen zur klanglichen Entfaltung in der Aufführung bzw. musikalischen Interpretation. Insofern enthält der Text in der Interpunktion z. B. selbst die 1 Für das Sprachenpaar Deutsch-Französisch s. das Kapitel „Le corps entre deux langues“ in Ladmiral/ Lipiansky (1989: 85 ff.). Vgl. dort ebenfalls 98 ff. und 297 ff. <?page no="192"?> 192 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel Spuren der vom Urheber angewandten Vortragsweise und fungiert in diesem Sinne auch als „Sprech-Partitur“ (Kohlmayer 2004: 477). Der (Vor-)Lesende ist dann ein Aufführender, ein Interpret der Textmusik, die er zum Erklingen und damit von der virtuellen Welt in die reale und wahrnehmbare überführt. Durch seine Tätigkeit wird der Text für ihn und andere erlebbar. Die Vorstellung vom Rezipienten und dann v. a. vom Übersetzer als Textaufführender berührt eine im translatorisch-translatologischen Diskurs prominente Metapher vom Übersetzer als musikalischer Interpret, die hier nicht weiter erörtert werden kann, die aber Meyer-Clason (1994: 11), Wechsler (1998) und Gil (2015: 149 f.) in ihren Ausführungen berücksichtigt haben. Die Aktualisierung eines Textes, sein (Vor-)Lesen, seine Verlautbarung ist dabei bereits eine hermeneutische Größe, denn an ihr lässt sich ablesen, ob und wie der Interpret des Textes diesen verstanden hat (vgl. Gadamer 1981: 267 ff.; 1989: 284). „Das ‚optimal‘ Gesprochene ist die Materialisierung des Sinns, die Verkörperung der Interpretation“, schreibt auch Kohlmayer (2015a: 247). Für eine gewisse Art von Mehrstimmigkeit ist die „physikalische Gestalt“ eines Textes - Kelletat (1994: 153) meint damit dessen Form - dennoch verantwortlich: Durch seine Formung auf der Signifikantenebene gewinnt der Text zusätzliche Sinndimensionen. Zur reinen Wort- und Satzsemantik gesellt sich die Semantik der Ähnlichkeiten, Kontraste und Rekurrenzen auf der Ebene der Signifikanten hinzu: die Suprasegmentalia. Der Text fängt in gewisser Weise an, mehrstimmig bzw. polyphon zu werden. Diese Polyphonie ist im Gegensatz zu einer weiteren, unten erwähnten Spielart der Polyphonie eine, die sowohl auf die Signifikatals auch der Signifikantenstruktur des Textes zurückgeführt werden kann. Wir sprechen hier von struktureller Polyphonie . Wenn man also die Rede vom Textton wörtlich nimmt und den Text als Klangereignis auffasst, dann hat man die alte und vor allem literarische Werke betreffende Frage nach der Form-Inhalts-Passung in einem Werk im Blick: Inwiefern beinhaltet die Klangstruktur der Signifikanten selbst Informationen, die zu deren Signifikaten hinzutreten und die es - in unserem Kontext von erhöhter Relevanz - auch bei einer Übersetzung zu erhalten gilt? Auf die ebenso traditionsreichen Antworten, die nicht selten das Postulat der Unübersetzbarkeit von sowohl auf der Inhaltswie auch auf der Formseite Invarianzforderungen geltend machende Texte erheben, soll im Folgenden nicht eingegangen werden. Hier interessiert in concreto die Frage, in welchen Fällen die Funktion der Form nicht im bloßen Verweis auf den Inhalt liegt, sondern die Form selbst Inhalte vermittelt oder die bestehenden verändert. Die Literatur ist dafür bekannt, sich von den stets perfektionierten Mechanismen der Sprache in ihrer instrumentellen Verwendung zu entfernen. Dies bekundet sich u. a. in ihrer Tendenz, Bildhaftem und Musikalischem Eingang in <?page no="193"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 193 die Textstruktur zu gewähren bzw. das arbiträre Verhältnis von Signifikant und Signifikat zugunsten der lautlichen Abbildung bzw. Nachahmung preiszugeben. In vielen Fällen beinhaltet also die literarische Gestaltung eine „Musikalisierung der Sprache“ (Stolze 2003: 261), die ihrerseits auf einer schon immer gegebenen Affinität der Sprache zur Musik (und umgekehrt) aufbauen kann. Aus diesem Grund kann die musikwissenschaftliche Perspektive auf literarische Texte aufschlussreich wirken. Sie ermöglicht es, vier Grundparameter zu unterscheiden, die dem Ton in einem Musikstück - und womöglich auch dem Ton in einem Text - seinen Stellenwert geben: die Tonhöhe, die Tondauer, die Tonintensität (= Lautstärke) und das Verhältnis zu seinen Nachbartönen. Da nun die meisten Äußerungen in Sprache und Musik nicht einen, sondern mehrere Laute bzw. Töne verwenden, können diese Parameter auch in Bezug auf die Ton folge und das Ton gefüge beschrieben werden. Dann ist die Rede vom Melos, Rhythmus, Lautstärken- und Harmonieverlauf. Bevor auf diese Klangdimensionen stärker eingegangen wird, ist in knapper Form auf die (nicht nur) in der Musik prominente Dichotomie absolut vs. relativ einzugehen. Absolute Tonhöhen z. B. sind physikalisch genau bestimmbare Größen. Sie interessieren die Musik zwar in höherem Maße als die Sprache, theoretisch aber ist jedes Musikstück transponierbar, indem zwar die absoluten Tonhöhen verändert, die Relationen zwischen den Tönen aber allesamt beibehalten werden. Ähnliches gilt ebenfalls für die Tondauern, denn auch das Tempo eines Stückes kann verändert werden. Dieses Zueinander-in-Beziehung-Stehen der Töne, d. h. die relativen Tonhöhen und Tondauern, macht bzw. machen aus einem Musikstück eine auch in anderen Tonlagen und Tempi erkennbare Klanggestalt. Zum Melos: Gadamer spürt der Tonhöhendimension in Sprache und Musik nach und beobachtet einen wesentlichen Unterschied zwischen Wort bzw. Text und musikalischer Tonfolge: Die Sprachlaute sind Sprachlaute, ohne auch nur von ferne die Präzision des Lautcharakters zu besitzen, den die Töne der Musik im System der Töne für sich beanspruchen. Sie haben einen weiten Spielraum variabler Beliebigkeit. (Gadamer 1981: 259) Wenn nun Gadamer bemerkt, dass musikalische Töne eine präzise definierte, d. h. absolute Tonhöhe aufweisen, Sprachlaute aber darin einen vergleichsweise „weiten Spielraum variabler Beliebigkeit haben“, so liegt dies in der Ontologie, aber auch in der primären Funktion der beiden Klangerscheinungen begründet. In vielen älteren, stellenweise esoterisch anmutenden Theorien führen kontrastive Semiotiker Sprache und Musik auf einen gemeinsamen Ursprung zurück (vgl. dazu Sachs 1962: 33 ff.), bemerken aber auch, dass sie sich über die <?page no="194"?> 194 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel Jahrhunderte unterschiedlich entwickelt haben. Sprache wird dann aufgefasst als das vornehmlich alltäglichen Bedürfnissen beikommende Kommunikationsinstrument. Seine Alltagseffizienz beweist es z. B. gerade dadurch, dass die Äußerung seiner Elemente nicht einer absoluten und deswegen aufwendigen Lautproduktion bedürfen, um geäußert und verstanden werden zu können. Man denke sich nur aus, was es bedeuten würde, wenn ein Wort immer auf einer absoluten Tonhöhe produziert werden müsste, wie dies (die Grundstimmung des Einzelinstruments erst einmal unberücksichtigt) bei Musikstücken die Regel ist. Die Musik, zusammengesetzt aus manipulierten Klängen, hingegen ist eine vom Menschen dominierte Naturerscheinung. Seine Fähigkeit, sich die Klanggesetze der Natur gefügig zu machen und ein geplantes Klangereignis zu produzieren, ist ein wesentliches Moment der Musik als genuin künstlerisches System, wie auch Fricke ausführt: Ein rein gestimmter, also: anhaltend und wiederkehrend in gleichbleibender Schwingungsfrequenz vernehmlicher Ton - das ist schon an und für sich eine Abweichung von der Natur. Ohne Eingriff des gezielt darauf hinarbeitenden Menschen gibt es dergleichen nicht in unserer Welt der unregelmäßigen Schwingungen (vulgo: Geräusche). (Fricke 2000: 15) Absolute oder zumindest festgelegte Tonhöhen sind für die Sprache als alltägliches Kommunikationsinstrument eher hinderlich, was allerdings nicht bedeutet, dass der literarische, d. h. u. a. musikalisierte Text nicht auch auf der Ebene der rudimentär gegebenen Sprachmelodie gestaltet sein kann. Zum Rhythmus: Der von Gadamer beobachtete Unterschied zwischen der eindeutig notierten musikalischen und der zwar auch irgendwie geregelten, aber vergleichsweise freien Sprachmelodik gilt analog auch für den Grundparameter Rhythmus (Gil 2007) und später ebenfalls für die Tonintensität. Wie jedes Musikstück hat ein Text seinen spezifischen rhythmischen Fingerabdruck, der in der Signifikantenabfolge festgeschrieben ist und beim aktualisierenden Textvortrag zu einem absoluten (d. h. eindeutig fixierten und mit geeigneten Instrumenten auch physikalisch messbaren) Rhythmus wird. Jedes Wort, jedes Syntagma hat eine bestimmte Verteilung von Längen und Kürzen, die zwar nicht so stringent wie in der Musik festgelegt sind, aber dennoch in einem bestimmten Maße sprachstrukturell gegeben sind. Wie jeder musikalische Interpret kann der Leser eines Textes in seinem Leseakt agogisch tätig werden, d. h. das Tempo seines Vortrags verändern, indem er dieses punktuell anzieht oder aber ruhiger werden lässt. Hierbei werden aber die relativen ‚Tondauern‘ der Wörter und Syntagmen weitgehend beibehalten. <?page no="195"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 195 Manchmal steht der Rhythmus-Parameter metonymisch für alle musikalischen Dimensionen eines Textes ein, etwa in der Übersetzungstheorie Meschonnics (1999). Darüber hinaus wird der Rhythmus eines Textes (vornehmlich bei Gedichtanalysen) auch mit dem Metrum oder Versmaß verwechselt, das nicht die reale Tondauerverteilung von Silben, Wörtern und Syntagmen (auf der parole -Ebene) bezeichnet, sondern vielmehr von dieser abstrahiert und ein Schema von Längen und Kürzen, Betonung und Nichtbetonung bereitstellt. Man könnte im Sinne Coserius (1952 / 1975) in diesem Kontext von einer Norm -Ebene sprechen oder einem regelmäßigen Puls, von welchem der im Text vorfindliche Rhythmus aber auch abweichen kann. Auch wenn beispielsweise in einem Drama der französischen Klassik alle Figuren in Alexandrinern sprechen, bedarf jede von ihnen eines eigenen Deklamationsstils (vgl. Kohlmayer 2015a: 242), und das bedeutet mitunter: einen eigenen Rhythmus. Zur Lautstärke: Betonungen im Text entstehen nicht nur durch Modulation der Tondauer, sondern auch der Tonintensität (bzw. Lautstärke). Insofern die Lautstärke Teil des Betonungschemas von Wörtern und Syntagmen darstellt, ist auch sie - nicht in absoluter, sondern relativer Ausformung - sprachnormativ gegeben. Aber auch in diesem Falle kommt es darauf an, was der Vortragende als Interpret ‚daraus macht‘. Es gibt dabei verschiedene Arten des Lesens: Rezitieren, Vorlesen, lautes und stilles Lesen. Und alle wirken sich auf die Wahrnehmung des ‚Texttons‘ durch den Rezipienten aus (vgl. Gadamer 1981: 256 ff.). Kohlmayer (2004: 474; vgl. auch 2015a: 243) weist darauf hin, dass selbst der Texturheber, der im Prinzip auch schon sein erster Rezipient ist, bereits auf den unmittelbar (nach-)gestaltenden mündlichen Vortrag des von ihm Geschriebenen angewiesen ist, dass er „laut (oder sogar sehr laut wie Flaubert) oder halblaut (wie Grass: vor sich hin ‚brabbelnd‘)“ schreibt. Die Frage ist nun: Welche Art von Verlautbarung ist für Übersetzer geeignet? Hängt dies in erster Linie von der zu übersetzenden Textsorte ab, ja muss man sogar innerhalb einer Gattung weitere Differenzierungen vornehmen? Gadamer meint beispielsweise, es gibt Dichtungen und Dichter, die durchaus laut rezitierbar sind wie George, andere wie Rilke, Trakl, Hölderlin verlangen eine andere Art der Verlautbarung, nämlich eher „ein stilles Vorsichhinsprechen“ (Gadamer 1981: 267). Zu fragen ist hier, ob „das Kopftheater“, also die imaginative theatralische Inszenierung am Schreibtisch, die Kohlmayer (2015a: 242) den Übersetzern ans Herz legt, um gut übersetzen zu können, womöglich einer weiteren Ausdifferenzierung mit Blick auf die Spezifik des zu übersetzenden Textes bedarf. Rilke lässt sich unter Umständen schwierig theatralisch inszenieren. Zur Harmonik: Im wörtlichen Verständnis vom Text als Klangereignis kann vom Gadamerschen Diktum der „variablen Beliebigkeit“ des Sprechtons aus- <?page no="196"?> 196 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel gehend nicht von exakten Tonhöhenverhältnissen die Rede sein. Aussagen zur Harmonie eines Textes auf der konkreten klanglichen Ebene sind daher schwer zu treffen. Ein harmonisches Verhältnis kann nur im Hinblick auf definierbare absolute oder relative Tonhöhen beschrieben werden, und zwar nicht nur bei der Sukzession von Tönen, sondern vor allem bei deren gleichzeitigem Erklingen. In der Sprache aber ist, anders als in der Musik, die Gleichzeitigkeit mehrerer konkreter Stimmen unerwünscht. Ein gleichzeitiges Sprechen ist in der Regel ein Zeichen für Unhöflichkeit und Desinteresse an der Aussage des Gegenübers. Das Idealbild der mündlichen Kommunikation bleibt dem Saussureschen Grundprinzip der „ligne“ (Saussure 1916 / 2013: 174), der „chaîne parlée“ (Saussure 1916 / 2013: 74), d. h. eines Nacheinanders gesprochener Äußerungen, verhaftet. Eminent wichtig wird dieses Konzept der Harmonik allerdings für die metaphorische Redeweise vom Textton (vgl. 2.2). Fassen wir zusammen: Den Ton eines Textes zu treffen, bedeutet - gemäß einem wörtlichen Verständnis vom Textton - im Akt der Textrezeption (und womöglich der mündlichen Textvermittlung) eine geeignete musikalische Interpretation für den Text zu finden. Die musikalischen Dimensionen des Textes, die sich als Melos, Rhythmus, Lautstärken- und Harmonieverlauf getrennt beschreiben lassen, sind dabei dem (schrift-)sprachlichen Text in einer rudimentären, eben den Sprechern einer Sprache geläufigen Form eingeschrieben und werden erst im Rezeptions- und Artikulationsakt zu fest umrissenen Größen. Jeder Lese- oder Artikulationsakt gestaltet sich anders, kann unterschiedliche Sinndimensionen des Textes hervorheben oder in den Hintergrund treten lassen. Darin besteht das hermeneutische Potential der musikalischen Textstruktur. Sie ist nicht nur Anzeichen für das Textverständnis des Vortragenden, sondern generiert auch neue Perspektiven auf einen gegebenen Text. 2.2 Das Textverstehen als Hörakt Die Grenzen von der wörtlichen zur metaphorischen Rede vom Textton sind fließend. Die Schwelle zur metaphorischen Rede ist dann überschritten, wenn das Textverstehen zwar als Hörakt beschrieben wird, aber die akustische Struktur des zu Verstehenden bzw. die Konsequenzen der auditiven Aufnahme durch den Rezipienten keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. In diesem Kontext ist die Doppeldeutigkeit des Wortes ‚Interpretation‘, das im musikalisch-theatralischen Sinne die Ausführung und Aktualisierung einer notierten Vorlage meint, aber auch die kognitive Aneignung und individuelle Deutung eines jeden Kommunikats durch einen Rezipienten beschreibt, von Relevanz. <?page no="197"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 197 Eine metaphorische Interpretation vom ‚Ton des Textes‘ liefert Bachtin, der nicht so sehr die von Lyrik und Dramatik bevorzugte Signifikantenbzw. Zeichenträgerdisposition im Blick hat als vielmehr die Polyphonie der Sinndimensionen, die der Rezipient im hermeneutischen Prozess innerlich zum Klingen bringt. Er stützt sich, wie im Übrigen auch - so darf vorweggenommen werden - die später genannten Übersetzer, die sich zum Textton äußern, auf die Gattung des Romans. Bachtin macht mit besonderer Emphase auf den Umstand aufmerksam, dass Texte (in seinem Fall eben Romane) auch dann als künstlerisch eingestuft werden können, wenn sie die oben beschriebene, für lyrische und dramatische Texte charakteristische Formung auf der Signifikantenebene entbehren (vgl. Bachtin 1934 f./ 1979: 155, 162 f.). Der literarische Wert des Romans liegt seiner Meinung nach in seiner eigenen Art, ästhetische Mehrdeutigkeit bzw. Polyvalenz zu generieren, nämlich durch seine Fähigkeit zur gleichzeitigen Evokation von unterschiedlichen Sinndimensionen. Das Wort 2 bzw. das Zeichen, wie es von der zeitgenössischen strukturalen Linguistik und Stilistik als konstante 1: 1-Verknüpfung von Signifikant und Signifikat beschrieben wird, ist für Bachtin nichts als ein „histologische[s] Präparat“ (Bachtin 1934 f./ 1979: 154). Aus seinem Kontext - oder besser: sein en Kontext en - gerissen hat es nichts Organisches mehr an sich, es ist tot, es ‚klingt nicht‘ (vgl. Bachtin 1934 f./ 1979: 171). Nur das „lebendige Wort“ (Bachtin 1934 f./ 1979: 169) ‚klingt‘, indem es, einmal gehört bzw. gelesen, beim Rezipienten die vielen verschiedenen Bedeutungen aktiviert, in denen es bereits Verwendung gefunden hat, seien diese auch noch so widersprüchlich. Verbunden ist die jeweils vorliegende Äußerung (im strukturalistischen Verständnis) nicht mit nur ihrem eigenen Signifikat, sondern bezieht sich auf einen Gegenstand, der immer schon sozusagen besprochen, umstritten, bewertet vor[liegt] und von einem ihn verschleiernden Dunst umgeben oder umgekehrt vom Licht über ihn bereits gesagter, fremder Wörter erhellt. Der Gegenstand ist umgeben und durchdrungen von allgemeinen Gedanken, Standpunkten, fremden Wertungen und Akzenten. Das auf seinen Gegenstand gerichtete Wort geht in diese dialogisch erregte und gespannte Sphäre der fremden Wörter, Wertungen und Akzente ein, verflicht sich in ihre komplexen Wechselbeziehungen, verschmilzt mit den einen, stößt sich von den anderen ab, überschneidet sich mit dritten; und all das kann das Wort wesentlich formen, sich in allen seinen Bedeutungsschichten ablagern, seine Expression komplizieren, auf das gesamte stilistische Erscheinungsbild einwirken. (Bachtin 1934 f./ 1979: 169 f.) 2 Wenn Bachtin vom ‚Wort‘ spricht, so ist damit nicht das Lexem im sprachwissenschaftlichen Sinne gemeint, sondern eine kohärente Äußerung oder ein Thema im Roman. Die Ausführungen hierzu lassen sich aber auch auf den gesamten (Roman-)Text projizieren. <?page no="198"?> 198 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel An dieser Stelle lässt sich der aus dem musikalischen Bereich stammende und in der Texthermeneutik nicht hinlänglich definierte Begriff der Polyphonie einbringen, der hier zunächst nur als Kopräsenz unterschiedlicher und eigenständiger Stimmen verstanden wird. Der adjektivische Zusatz ‚eigenständig‘ ist wichtig, um das Konzept der Polyphonie von dem der Mehrstimmigkeit zu unterscheiden, die beide Eingang in außermusikwissenschaftliche Diskurse gefunden haben. Obwohl Polyphonie und Mehrstimmigkeit hier oft synonym verwendet werden, sind diese Konzepte auf unterschiedlichen Niveaus anzusiedeln: ‚Mehrstimmigkeit‘ fungiert als ein Hyperonym zu den Begriffen ‚Homophonie‘, d. h. der Kopräsenz mehrerer ähnlicher Stimmen bzw. Stimmen vorwiegend gleichen Rhythmus. 3 ‚Polyphonie‘ hingegen bezeichnet die Kopräsenz mehrerer eigenständiger, rhythmisch divergierender, sich ergänzender Stimmen, die kontrapunktisch aufeinander Bezug nehmen. Über der Basis eines konkreten Wortes, d. h. einer im Text vorfindlichen Äußerung, entspinnt sich eine reiche, aber virtuelle (weil vom Rezipienten imaginierte) Polyphonie von Sinndimensionen. Auch in diesem Kontext ist der Text ein polyphoner, denn hier lässt sich die Kopräsenz mehrerer unterschiedlicher, sich ergänzender, womöglich aber auch sich widersprechender Stimmen beobachten. Im Gegensatz zur oben erwähnten strukturellen Polyphonie, die aus der Inbezugsetzung von Signifikanten und Signifikaten hervorgeht, resultiert diese Spielart der Polyphonie aus der vornehmlich inhaltlichen Beschäftigung des Rezipienten mit dem Text. Es ist eine Polyphonie der reinen und vom Rezipienten nach seinen Möglichkeiten ergänzten Signifikate. Der Verstehensakt besteht hier in der Relationierung einer gerade gelesenen bzw. gehörten Äußerung mit thematisch verwandten, vom Rezipienten sowohl textintern als auch textextern bereits vernommenen Äußerungen. Wir bezeichnen das vorliegende Phänomen als diskursive Polyphonie . Diese Polyphonie der Signifikate sieht Bachtin, wenngleich auch in anderen poetischen Gattungen zu beobachten, vor allem im Roman verwirklicht, der durch die Vielfalt unterschiedlicher Stile und Stimmen 4 eine im Vergleich zu anderen literarischen Gattungen größere Vielfalt der Sinndimensionen zu generieren imstande ist. In diesem Kontext kann auf die oben vorgestellten Grundparameter des Tons bzw. der Tonzusammenhänge und insbesondere auf die noch ausstehende Beschreibung der harmonischen Dimension des Textes zurückgekommen werden. Veranschaulichen lässt sich die Sicht auf den Text als diskursiv polyphones 3 Hier herrscht eine von der linguistischen Begriffsbestimmung abweichende Bedeutung vor. 4 Diese Stimmen vergleicht Bachtin mit Orchesterinstrumenten, die ein Thema (das Romanthema) in immer unterschiedlicher Form zu Gehör bringen (vgl. Bachtin 1934 f./ 1979: 157, 168). <?page no="199"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 199 Gewebe durch eine Analogie aus dem musikalischen Bereich (zu der Bachtin selbst veranlasst) und genauer anhand grundlegender Erkenntnisse von Jean Baptiste Joseph Fourier (1768-1830) zu Tonschwingung und Gehörphysiologie. Der französische Physiker und Mathematiker hat nachgewiesen, dass der Ton abweichend von seiner Alltagsdefinition als Schallereignis mit bestimmter Tonhöhe, keine singuläre, sondern vielmehr eine komplexe und zusammengesetzte Schwingung darstellt. Zwar wird ein Ton als einheitliches Gebilde gehört, er kann allerdings in mehrere Partialtöne bzw. Partialschwingungen unterteilt werden: Abb. 1: Obertonreihe über dem Grundton C Ein Ton besteht aus Partialtönen: dem Grundton und den Obertönen. Letztgenannte ordnen sich zu einer Obertonreihe, die zum Grundton in einem bestimmten Verhältnis stehen und die vom Musiker zwar oft nur bis zu einem bestimmten Ausmaße willentlich erzeugt, vom Rezipienten allerdings als Teilfrequenzen mitgehört werden. Metaphorische Übertragung in den literaturwissenschaftlichen Diskurs erfährt somit das bei der wörtlichen Redeweise vom Textton nicht unterzubringende Konzept des Tons in seiner harmonischen Einbindung. Die Harmonik ist hier allerdings zunächst nicht als eine Qualität des Tongefüges gefasst, sondern gilt als Merkmal eines jeden nicht-künstlich produzierten Tones. Bachtin verwendet diese Analogie zwischen Partialtönen und Sinnvielfalt im Werk nicht systematisch zur Beschreibung seiner Theorie vom dialogischen Wort. Er gibt allerdings wesentliche Impulse zum Vergleich von Tongestalt bzw. Hörphysiologie und der hermeneutischen Leistung eines Textrezipienten. Wenn er einmal explizit von Obertönen spricht, dann mit hörbarer Kritik an der zeitgenössischen Stilistik, die bei der Besprechung von Romanen lediglich die tendenziösen, manipulativen „Obertöne“ herausgreift (Bachtin 1934 f./ 1979: 154), ohne das polyphone Prinzip zum Kernmerkmal der Romanprosa zu erheben, wie er <?page no="200"?> 200 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel selbst dies als angemessen erachtet. Nicht unüblich ist andernorts (aber im gleichen Kontext) die Rede vom ‚Unterton‘. 5 Entstehen kann eine Konsonanz bzw. Dissonanz im musikalischen Sinne nur zwischen zwei oder mehreren, manchmal sukzessiv, meistens aber gleichzeitig erklingenden Tönen. Im sprachsemiotischen Sinne können sich Konsonanzen und Dissonanzen ebenso nur in einem ‚mehrstimmigen‘ Text ergeben, in einer Wortwahl also, die andere Äußerungen evoziert, auf die sie konsonierend oder dissonierend Bezug nehmen kann. Es liegt dabei in der sprachstrukturellen Verschiedenheit, aber auch der Identität des übersetzenden Subjekts begründet, dass der Grundton nicht eins zu eins in der Zielsprache übernommen werden kann. Das „Unisono“ oder die komplette „Harmonie“ (Steiner 1975 / 2004: 68) von Original und Translat entlarvt deswegen nicht zuletzt Steiner als Utopie, denn sie sind „das letzte, nie erreichbare Ziel des hermeneutischen Aktes“ (Steiner 1975 / 2004: 322). Seinen Gegenpart findet das „paradiesische Unisono“ (Steiner 1975 / 2004: 245, 323) in der mythologischen Sprachverwirrung, die in After Babel eine so prominente Stellung genießt und Steiner als gegenwärtigen Zustand der „Kakophonie“ (Steiner 1975 / 2004: VII ), des „tausendfache[n] Tönen[s]“ (Steiner 1975 / 2004: VII ) bzw. der „Polyphonie“ (Steiner 1975 / 2004: 245) beschreibt. Sich von den pejorativen Implikationen der Bezeichnung ‚Kakophonie‘ entfernend, kann man festhalten, dass der Grundton eines jeden Textes somit in einer bestimmten und individuellen Weise erkenntnisfördernd wirkt. Und dies bedeutet für die Übersetzung, dass sie gewollt oder ungewollt immer auch eine eigene Obertonreihe ermöglicht, eine eigene Polyphonie der Sinndimensionen lostritt. Auch diese ist eine wesentliche Parallele zwischen den Rezipienten, den Übersetzern und musikalischen Interpreten: Jeder Rezeptions-, Übersetzungs- und Aufführungsakt aktiviert andere Obertöne über dem im jeweiligen Werk gegebenen Grundton. Diese Feststellung braucht allerdings nicht negativ aufgefasst zu werden, denn für den Übersetzer ist das Verhältnis zwischen Original und Translat eine Potenzierung des Bachtinschen Polyphonie-Prinzips. Dies bemerkt im Übrigen auch Steiner, der das Verhältnis zwischen Hermann Broch und seinem englischen Übersetzer Jean Starr Untermeyer als symbiotisch bezeichnet und zum Ergebnis kommt: „In mancher Hinsicht ist das Original auf den englischen Text geradezu angewiesen. Deutsche und englische Fassung zusammen ergeben eine Kontrapunktik, die das Werk zugleich erhellt und bekräftigt“ 5 Außerdem zieht Bachtin zur Erklärung seiner Theorie von der Stimmenvielfalt im Roman eine weitere, in bemerkenswerter Weise der Rede von Grundton und Partialtönen entsprechende Metapher aus dem optischen Bereich heran, nämlich die Brechung eines zunächst einheitlich perzipierten Lichtstrahls in zahlreiche Farbfacetten (vgl. Bachtin 1934 f./ 1979: 170). <?page no="201"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 201 (Steiner 1975 / 2004: 325). Deutsche Formulierung und englische Übersetzung fungieren gegenseitig als Kontrapunkt: Sie kommentieren, ergänzen einander, konsonieren und dissonieren zuweilen auch miteinander. Selbst wenn der gewöhnliche Zieltextrezipient diese beispielsweise für Steiners Person konstitutive Eigenschaft der Mehrsprachigkeit i. d. R. nicht besitzt, so ist doch diese Draufsicht auf den Übersetzungsprozess und eine mögliche Schlussfolgerung - nämlich dass jedem Original und jedem Translat eine eigene, jeweils gültige Identität zugesprochen werden kann (vgl. Gil 2015: 146), die aber dialogisch aufeinander bezogen sind - eine in der Übersetzungswissenschaft noch weiter zu verfolgende Fährte, die bisher vor allem in musikalischen Umschreibungen vorliegt. Der Textton ist im metaphorischen Verständnis der textuelle Ankerpunkt (der ‚Grundton‘) für seine vielfältigen Deutungen (die ‚Obertöne‘). Diese Redeweise bekräftigt die hermeneutische Vorstellung von der Pluralität der Sinndimensionen eines (literarischen) Textes, impliziert im Umkehrschluss aber auch, dass sich alle Deutungen auf diesen Grundton beziehen müssen. Wie ein bestimmter Grundton nicht alle - aber durchaus auch mit ihm dissonierende - Obertöne als Partialschwingungen beinhaltet, so gibt es auch für bestimmte Textstellen mehr oder weniger naheliegende Deutungen und damit auch Übersetzungen. 3 Der translatorische Umgang mit dem Textton Als Kenner vieler Erfahrungsberichte von Literaturübersetzern hat v. a. Rainer Kohlmayer darauf hingewiesen, dass sich diese häufig bei ihrem Tun „an einer akustischen Hypothese über die jeweilige Art des Sprechens “ (Kohlmayer 2015a: 237) orientieren. Es lässt sich „bei guten Literatur-Übersetzern dutzendweis belegen, dass sie auf den Ton achten“ (Kohlmayer 2004: 474). Diese allgemeine Vorstellung wird im Folgenden an der vom Übersetzer geforderten Hörfähigkeit (vgl. 3.1) und am konkreten Umgang mit musikalisch anmutenden, translatorischen Herausforderungen (3.2) festgemacht. 3.1 Der hörende Übersetzer Mit den bisher angedeuteten und auch folgenden Äußerungen reden Translatoren und Translatologen einer für den Übersetzer unabdingbaren Grunddisposition eines hörenden Wesens ( interpres audiens ) das Wort. Ein geschärftes „ Bewusstsein […] für die körperliche und stimmliche Dimension von Texten“ (Kohlmayer 2004: 475) ist die Voraussetzung dafür, dass dieser später mit seiner Tätigkeit als Zieltextproduzent ‚den richtigen Ton trifft‘. Der Übersetzer <?page no="202"?> 202 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel ist dabei in mehrfacher Hinsicht und zu verschiedenen Zeitpunkten zunächst ein Hörender: Nicht nur entspinnt sich über den jeweiligen zu übertragenden Text ein Kreislauf des Vernehmens und Verstehens und Wiedervernehmens und Besserverstehens durch dessen (laute) Lektüre (exemplarisch dazu Kohlmayer 2004); der Übersetzer geht allgemein hörend (und sehend) durch seinen Alltag. Begierig saugt er Sprechweisen auf, wohl wissend, dass bestimmte Sprachstrukturen lediglich einen Blick auf einen Gegenstand ermöglichen, der sowohl intraals auch interlingual stets der Ergänzung bedarf: Es war eine spannende Zeit, diese Neuentdeckung meiner Muttersprache. Ich lebte in Angst um Wörter. Die, welche ich in Südamerika unbewusst gesprochen hatte, die Sprache der Straße, der Salons, der Warenlager; jetzt, in München, sammelte ich sie bewusst, begierig ein von Straßenplakaten, von Mündern, von Buchseiten. Alle klangen neu , keines erwies sich als verlässlicher Besitz. (Meyer-Clason 1994: 10 f.; eigene Herv.) Der Übersetzer hört seine Umwelt anders, bewusster als der gängige Sprachverwender und begnügt sich vorsätzlich nicht mit den konventionellen Grenzen einzelner Sprachen und Sprachvarietäten. Sein bewusst oder unbewusst verfolgtes Ziel ist dabei der Aufbau einer auditiven Kompetenz, die auf Erfahrung („aural experience“, Rabassa 1971: 83) und Anwendungswissen („acute and remembering ear“, Rabassa 1971: 83) beruht. Der Übersetzer soll hören, ja vorher noch: er soll seine Ohren schulen bzw. ‚spitzen‘, wie man umgangssprachlich zu sagen pflegt. Das Schlimmste, was dem Übersetzer passieren kann, sind nach Rabassas Urteil die Momente, in denen das Ohr des Übersetzers „was evidently turned off when he should have been absorbing the true equivalent“ (Rabassa 1971: 83). Oder wenn er in der Übersetzung klangliche Transformationen vornimmt, die den ‚O-Ton‘ verfälschen: „Die schlimmsten Fehler“ seien im Übersetzen „die musikalischen“ (Rakusa 2008). Warum ist es wohl so, dass erfahrene Übersetzer dem Hören einen dermaßen hohen Stellenwert bzw. eine Vorrangigkeit vor dem Sehen einräumen, wo wir offensichtlich in einer von hauptsächlich visuellen Reizen überfluteten Welt (vgl. Espinet 2013) leben? Eine mögliche Erklärung dafür könnte der Umstand sein, dass die Leistungsfähigkeit eines optischen Systems sich vorzüglich an seiner Fähigkeit zur Trennung bzw. ‚Auflösung‘ messen lässt. Schon Aristoteles fasst am Anfang seiner Metaphysik das Sehen als einen Sinn auf, der „viele Unterschiede aufdeckt“ (Aristoteles 1989: 3), also Differenzierungen präsentiert, und steht deswegen „unter allen Sinnen dem Erkennen, also dem Unterscheiden, am nächsten“ (Gadamer 1984: 272). Die Aufgabe des Gehörsinns ist es hingegen, Umweltreize in umfassend verbindender Weise aufzunehmen. Zwar existieren bekanntermaßen auch die Phänomene des selektiven Hörens und der <?page no="203"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 203 Synopsis, doch es ist gerade die im Grunde ungeheure Fähigkeit des Gehörsinns, gleichzeitig Erklingendes als Einheit zu perzipieren (Berendt 1983/ 3 2012: 17 ff. et passim). Hören auf den Ton des Textes heißt also, diesen holistisch wahrzunehmen. Die Parallele zwischen dem umfassenden Hören und der hermeneutischen Grundannahme des intuitiven, d. h. ganzheitlichen Textverstehens ist hier nicht zu verkennen und wird auch von Alberto Gil in einem Artikel zur „intuitiven Rhythmuserfassung“ und deren Auswirkungen auf den Übersetzungsprozess (Gil 2007) implizit aufgenommen. Die Aufgabe des hörenden Übersetzers erschöpft sich aber nicht darin, den Ausgangstext zu rezipieren. Das Gehörte soll auch in der und durch die Zielsprache wirken. Übersetzen ist eine auf beide Seiten hin gerichtete „Hörkunst“ („a listening art“, de Jager 2013), die vom Übersetzer ein genaues Hinhören auf das Original und zugleich dessen Fähigkeit abverlangt, dem Originalautor bei der Rezipientenschaft Gehör zu verschaffen (de Jager 2013: 111). Ladmiral spricht in diesem Zusammenhang von der écoute im musikalischen und ästhetischen Sinne: „au sens […] ‚acoustique‘ de cette modalité sensorielle que constitue l’audition, l’ouïe, et à laquelle s’adresse la musique“ bzw. „au sens esthétique de l’attention portée au ressenti langagier du message, à ses effets“ (Ladmiral 2015: 379). Der Übersetzer ist ein aktiv Hörender, der um die Schaffung von Präsenz für seinen Zieltext in der neuen Sprache und Kultur bemüht ist. Seine Hörfähigkeit stellt er insofern nach beiden Seiten hin unter Beweis: „the translator listens closely to the text and then listens even more closely to what he has written himself“ (Rabassa 1971: 85). Wir halten also fest: Die conditio sine qua non dafür, dass der Ton eines Textes getroffen wird, ist die Hörfähigkeit des Übersetzers. Das Ohr scheint das Übersetzer-Organ par excellence zu sein: „the ear might well be the most important factor in the whole process“ (Rabassa 1971: 83), weil es „really lies at the base of all good writing“ (Rabassa 1971: 82). Übersetzen ist also zugleich rezeptive und produktive Hörkunst, sein Protagonist ein interpres audiens . 3.2 Der Textton als translatorische Invariante In etlichen übersetzungstheoretischen Para- und Epitexten wird eindeutig Bezug auf die Musikalität eines Originals und seiner Übersetzungen genommen und ihr Erhalt im Zieltext als erste Priorität beschrieben (vgl. Rabassa 1971: 85; Kohlmayer 2015a: 243). Die „unendlich vielfältigen Stimmen im Text“ und die „Stimme des Textes“ (Kopetzki 2015: 79) sollen in ihrer Eigenart - in ihrem jeweiligen Ton - auch im Translat hörbar sein. Kohlmayer nennt das Ergebnis eines solchen empfehlenswerten Vorhabens in Anlehnung an Herder eine „tonbewahrende Übersetzung“ (Kohlmayer 2015a: 239). Der Übersetzer ist dabei <?page no="204"?> 204 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel zugleich derjenige, der den Überblick über die strukturelle und diskursive Polyphonie des Originaltextes hat und für den Erhalt dieser Mehrstimmigkeit in der Zielsprache sorgt. Die These von der Sinnpolyphonie, d. h. die metaphorische Redeweise vom Textton, ist in den Ausführungen der Übersetzer vertreten. Zwar behält Charron Recht, wenn er im Hinblick auf ein von uns im Folgenden herangezogenes Interview von Martin Solares mit Gabriel Iaculli, dem Neuübersetzer von Juan Rulfos El llano en llamas (1953), behauptet, der Redeweise vom Textton sei eine gewisse künstlerische Vagheit eigen („nimbé d’un certain flou … artistique“, Charron 2015: 69). Und doch liefert der interviewte Übersetzer mit seinen Antworten selbst wertvolle Indizien, die es unter Miteinbezug der oben vorgeschlagenen Systematik erlauben, seine eigene Rede vom Textton in konkrete Invarianzforderungen zu ‚übersetzen‘. Auf Solares’ Frage, inwiefern eine Neuübersetzung von Rulfos Sammlung von Kurzgeschichten El llano en llamas zu legitimieren sei, antwortet Iaculli: Surtout parce que dans la traduction précédente […] le ton n’y était pas. L’autre version était juste, je ne peux pas dire qu’elle était inexacte, mais il manquait un travail de réécriture qui donne vie aux histoires. C’était une traduction assez plate dont le problème était la perte de la couleur originale. Par exemple, la traduction en français de la langue savoureuse et imagée des “campesinos” créait un ton qui ne correspondait absolument pas au milieu social dans lequel les histoires se développent. (Solares 2001) Iaculli kann von der bestehenden Übersetzung (gemeint ist Le Llano en flammes , übers. von Michelle Lévi-Provençal, Paris: Denoël) nicht behaupten, dass sie nicht korrekt wäre, und doch verpasst es seiner Ansicht nach die Übersetzerin, den Ton des Originals wiederzugeben („le ton n’y était pas“). Nur eine „réécriture“ hätte dem Werk seine ursprüngliche Lebendigkeit („vie“) erhalten. Stattdessen soll Lévi-Provençal eine platte Übersetzung geliefert haben („traduction assez plate“), in der das Kolorit des Originals als unwiederbringlich verloren gilt („perte de la couleur originale“). Der nach dem Urteil Iacullis in dieser Version nicht vorfindliche ‚Ton‘ hat also etwas mit Leben bzw. Lebendigkeit zu tun und lässt den Vergleich mit der Färbung bzw. dem Originalkolorit zu, der durch die von ihm kritisierte Fassung ebenso verloren gegangen sein soll. Iaculli muss die Ausführungen Bachtins zum „lebendigen Wort“ (Bachtin 1934 f./ 1979: 169) und dessen Vergleich mit einem breiten Farbspektrum (vgl. Bachtin 1934 f./ 1979: 170) nicht zwangsläufig gekannt haben, um das gleiche Bild des russischen Literaturwissenschaftlers vom Facettenreichtum sprachlicher Äußerungen zu nähren. Seine Allusionen auf den Ton oder die Tonalität, auf den bzw. die es eben im Original wie in der Übersetzung ankommt, können unterdessen mit den Ausführungen Bachtins in Einklang gebracht werden, ob- <?page no="205"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 205 wohl es sich hier um Kurzgeschichten und nicht wie bei jenem um Romane handelt. Das Beispiel, das Iaculli nennt, um den erhaltenswerten Ton in Rulfos Kurzgeschichten zu beschreiben, nämlich die „deftig-schmackhafte und bildreiche Sprache“ der Campesinos , die nicht zum sie umgebenden sozialen Milieu passen wollen, deckt sich mit der Bachtinschen Vorstellung der Textpolyphonie. Es geht hier nicht so sehr um die lautliche Form ihrer Sprache, sondern eher um den Bildgehalt und die Inadäquatheit der von den Campesinos verwendeten diatopisch-diastratischen Sprachvarietät. Diese Dissonanz zwischen der Sprache der Campesinos und Sprache und Habitus ihres Milieus empfindet Iaculli als das Wesentliche am Rulfoschen Werk und somit als eine hoch anzusiedelnde übersetzerische Invariante. Für ihn als Übersetzer bedeutet dies konkret, dass er sich eine genaue Vorstellung von dem sozialen Hintergrund eines jeden Charakters machen muss (vgl. Solares 2001), um eben durch seine Wortwahl jenen Ton zu treffen, den seine Vorgängerin scheinbar überhört hat („le point faible de la traduction antérieure“, Solares 2001). Dementsprechend unterstreicht auch der Übersetzer Gregory Rabassa die Wichtigkeit des Gehörs für eine der ersten translatorischen Herausforderungen, die da in der Wiedergabe der Figurenrede besteht. Mit Bezug auf seine englische Übersetzung von Cortázars Rayuela empfiehlt er, den individuellen Hintergrund des sprechenden Charakters stets mitzuberücksichtigen, wenn man auch in der Übersetzung ein adäquates und kohärentes sprachliches Gebaren nachbilden will (vgl. Rabassa 1971: 83). Dafür muss der Übersetzer in die Haut der Originalcharaktere schlüpfen und deren Mündlichkeit wie in einem „Hörbuch“ (Kohlmayer 2004: 473; 2015a: 236, 242) inszenieren. Der Übersetzer soll also eine Wortwahl, d. h. einen (Grund-)Ton treffen, auf deren bzw. dessen Grundlage sich der im Original stattfindende Dialog zwischen den unterschiedlichen und eigenständigen Stimmen, zwischen textlicher Äußerung und möglichen, imaginierten Repliken, aufbauen kann. Das semantische Potenzial einer ihm in den Sinn kommenden zielsprachlichen Formulierung, d. h. die Vielfalt der sich über ihr türmenden Obertöne, ist dabei abhängig von seiner Einschätzung, ob diese die gleichen Qualitäten als Grundton wie ihr ausgangssprachliches Pendant aufzuweisen imstande ist. Manchmal stellt sich bei der Übersetzung der Fall ein, dass man den im Text vorfindlichen Grundton, wie man in der musikalischen Praxis sagt, ‚verstärken‘ muss, damit er seinen Klang entfaltet. Ähnlich bezeichnet Iaculli es als eine seiner schwierigsten translatorischen Aufgaben, „de traduire en français des choses qui sont implicites en espagnol“ (Solares 2001). Dem allgemein beobachtbaren Hang zur Explizierung darf aber deswegen nicht immer nachgegeben werden, weil diese Übersetzungsmethode in gewissen Fällen den Blick auf bestimmte Facetten auch verstellen, die Intensität bestimmter Obertöne, die bezo- <?page no="206"?> 206 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel gen auf einem ursprünglich allgemeineren Grundton noch präsenter waren, abschwächen kann. Diese Bedeutungsfülle, diese „orchestration qui accompagne la parole“ (Solares 2011), gilt es nach Iaculli zu bewahren. Zu erinnern ist an dieser Stelle an eine ähnlich lautende Äußerung von Bachtin, der zur auf Einzelerscheinungen im Roman gerichteten Auslegetätigkeit der von ihm kritisierten Stilistiker folgende Worte findet: „Der Gelehrte, der so verfährt, verfehlt die grundlegende Besonderheit der Romangattung. […] Er transponiert das symphonische (orchestrierte) Thema in einen Klavierauszug“ (Bachtin 1934 f./ 1979: 158). Die gemeinsame Rekurrenz auf dieses Bild unterstreicht noch einmal die Wesensverwandtschaft von Interpretation und Übersetzung. Aus den genannten Gründen lehnt es Iaculli auch strikt ab, Regionalismen des Originals durch französische Regionalismen zu übersetzen, denn mit ihnen sei die ursprüngliche „tonalité“ nicht wiederzugeben. Dass hier die Rede von der ‚Tonalität‘ (und nicht vom Ton) ist, lässt darauf schließen, dass Iaculli das unterschiedliche Obertonspektrum im Sinn hat, das sich dem französischen Rezipienten bietet, wenn der Übersetzer einen ihm bekannten französischen Regionalismus oder aber eine nicht in gleicher Weise markierte Wortwahl vorsetzt. Im einen Fall werden andere Leseweisen, Obertöne aktiviert als im anderen, von Iaculli bevorzugten Fall. Eine Veränderung des Regionalbezugs kommt für ihn nicht in Frage und ist schlicht undenkbar („inconcevable“). Zur Lösung dieses Problems schlägt Iaculli den Gebrauch eines „vocabulaire simple“ vor, der sich auch mit der Ausdrucksweise der meist nicht hochgebildeten Charaktere in Rulfos Kurzgeschichten deckt, aber gleichzeitig auch die komplexe Welt von Autor und Erzähler nachbildet: Le défi était de traduire cette forme d’appartenance à la terre avec simplicité, en utilisant du vocabulaire simple, mais tout en transmettant la complexité de la pensée de Rulfo et en récréant l’univers du narrateur. C’est pour cela que j’ai évité d’utiliser un langage intellectuel ou analytique et que j’ai voulu les faire parler d’une manière simple, avec un ton populaire mais sans concessions […]. (Solares 2001) Aufzufassen sind Rulfos Kurzgeschichten nach Überzeugung Iacullis also gewissermaßen als ‚Stücke im Volkston‘ - wie übrigens auch ein im 18. und 19. Jahrhundert beliebter Zusatz zu musikalischen Gattungsbezeichnungen lautet -, die in ihrer Einfachheit dennoch eine ungeheure Ausdruckstiefe besitzen: Il [sc. Rulfo] possède, à la fois, l’austérité et une grande expressivité. À chaque instant, il suggère une profondeur cachée avec tant de simplicité, que c’est comme la partie cachée de l’iceberg qui correspond à tout un continent invisible. (Solares 2001) Mit seiner Allusion auf einen Eisberg fügt Iaculli derweil der Liste von Metaphern, die Bachtin für den Text als vielschichtiges Gebilde prägte, ein weiteres <?page no="207"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 207 Element hinzu. Den Metaphern vom Grundton, vom Farbspektrum und Eisberg ist die Idee einer auf den ersten Blick verborgenen Dimension gemeinsam, die dem Text (als Bildempfänger) Vielfalt und Tiefe attestiert. Nun hat Bachtin seine Kritik an der zeitgenössischen Stilistik genau bezüglich des Punkts geäußert, dass sie den Stil - man könnte auch sagen: den Ton - eines Romanautors festschreiben wollte, ohne zu berücksichtigen, dass sich der Stil des Romans nur aus der Polyphonie der Stile ergibt, die in ihn wie Partialtöne in den Klang eines zu vernehmenden Tons eingehen (vgl. Bachtin 1934 f./ 1979: 157). Dem Ton eines Romans nachzuspüren heißt aber in hermeneutischer Sicht nicht, diesen festhalten und einem „histologischen Präparat“ (Bachtin 1934 f./ 1979: 154) gleich konservieren zu wollen, sondern ihn immer wieder aufführend am Leben zu erhalten. 6 „The tone lingers and can bring influence to bear on circumstances even though the body has died“, schreibt auch Rabassa (1971: 85) mit Bezug auf den Ausspruch einer Figur aus dem Roman Los ojos de los enterrados des guatemaltekischen Romanautors Miguel Ángel Asturias. Den Ton eines Autors immer wieder in Vibration zu versetzen, heißt, das Wirkungspotential seiner Aussagen für eine jeweilige, z. B. durch die Übersetzung erst erreichte Rezipientenschaft erfahrbar zu machen - und zwar nicht etwa, indem sie auf einzelne ausgewählte Elemente zurückgeführt werden, sondern indem der Übersetzer den Versuch unternimmt, diese Aussagen in ihrem vollen Klangspektrum, das Konsonanzen wie auch Dissonanzen zulässt, zum Schwingen zu bringen. Die herausragende Bedeutung des hörenden ( interpres audiens ) und schließlich musikalisch interpretierenden Übersetzers ( interpres canens ) darf hier - auch in Bezug auf die im translatologischen Diskurs bewährte Zweiteilung des Übersetzungsprozesses in Verstehens- und Reverbalisierungsakt - nicht verkannt werden. Wenn erfahrene Übersetzer eingestehen, dass der Klang der Texte ihnen wichtiger als deren Inhalt ist (Meyer-Clason 1994: 12), oder dass sie die Wortwahl dem Gehör unterordnen (Schmidt-Henkel 2003: 669), dann beziehen sie sich u. E. auf die erste, wörtliche Redeweise vom Textton. Dies tut z. B. auch Rakusa, wenn sie schreibt: Der sogenannte Ton spielt naturgemäß eine eminente Rolle in der poetischen Prosa. Struktur, Rhythmus, Musikalität der Sätze machen ihn aus. Zwetajewas elliptische Satzkonstruktionen mit ihren harten Staccato-Rhythmen unterscheiden sich wesentlich vom Duras-Sound, der dem Ohr schmeichelt. (Rakusa 1991: 67) 6 Auch de Jager schreibt, der Übersetzer müsse den Zieltext so gestalten, „that the original remains alive while at the same time making the rewritten text sound authentic and thus connecting with the reader“ (de Jager 2013: 112). <?page no="208"?> 208 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel Auf den Rhythmus der Aussagen in Original und Übersetzung kommt es auch de Jager an, der dem Übersetzer nahelegt, nicht nur auf die Klanggestalt der Wörter, sondern darüber hinaus auch auf die Pausen zu achten (vgl. de Jager 2013: 113). Die Klangmaterialität des Textes, die in der Lyrik, dem Drama und der wörtlichen Rede im Roman haftet, ist nach Aussagen Kohlmayers im bisherigen translatologischen Diskurs vernachlässigt worden: Ich tendiere […] dazu, das Materielle, das Biologische zu betonen, das Körpersprachliche, den Ton, die Stimme im Text, die Performanz, das laute Lesen, das Empathische und Rhetorische. Ich hebe also eigentlich nur das hervor, was ich in der gegenwärtigen Diskussion für vernachlässigt halte. In Wirklichkeit geht es mir in der Übersetzungswissenschaft um eine Synthese , um Holismus , um eine psychophysische Sicht des Übersetzens. (Kohlmayer 2004: 469) Der konkreten klanglichen Dimension des Textes sollte nach Kohlmayer auch in der translatologischen Forschung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn „[w]er beim Übersetzen nur auf das Inhaltliche oder das Metatextuelle achtet, läuft Gefahr, den Ton des Textes und die Stimme des Autors (oder Erzählers oder der Figur) zu löschen oder zu übertönen“ (Kohlmayer 2004: 482). Den Ton zu treffen bedeutet für den Übersetzer, einen im Text bereits gegebenen Tonfall anzunehmen und ihn - durchaus auch interpretierend - neu zu vergegenwärtigen. Als Hintergrund dient hier stets die Erkenntnis, dass die Form nicht nur die conditio sine qua non des Inhalts ist, sondern den Gesamtsinn in entscheidendem Maße beeinflusst (vgl. Meschonnic 1999: 122 ff.; Kohlmayer 2015a: 246 f.). In diesem Kontext ist es allerdings zentral zu spezifizieren, ob es sich bei der ‚Form‘ um die Signifikanten oder die Zeichenträger handelt, denn die Signifikantenkonfiguration stellt die vom Texturheber notierte Textpartitur dar, die Zeichenträgerfolge dagegen den vom Übersetzer-Interpreten in bestimmter Weise aufgeführten und in dieser Aufführung noch einmal veränderten Text. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt: Der Übersetzungsprozess und die musikalische Interpretation (als intersemiotische Übersetzung) sind vergleichbar. Die Metapher vom Übersetzer als musikalischem Interpreten, die sich sowohl auf die wörtliche wie auf die metaphorische Redeweise vom Textton beziehen kann, ist selbst anfällig für unterschiedliche Interpretationen. Mit ihrer Verwendung können nämlich wiederum zwei Umstände hervorgehoben werden: zum einen die Aufgabe des Übersetzers, dem Originaltext in einer Zielkultur eine neue materielle Präsenz zu verschaffen, zum anderen die jedem mündigen Übersetzer qua musikalischem Interpreten offen stehende Möglichkeit, die nur rudimentär notierte Textpartitur mit seiner Tätigkeit neu zu gestalten. Die Metapher des musikalischen Interpreten macht also keine Aussage über <?page no="209"?> Was heißt es, den (richtigen) Ton in der Übersetzung zu treffen? 209 das Ausmaß des übersetzerischen Bearbeitungswillens, sondern akzentuiert je nach theoretischem Kontext, in dem sie geäußert wird, entweder die Treue zum Original oder die Möglichkeit des Übersetzers zur eigenständigen, aber auf das Original bezogenen Gestaltung. Wie es also viele Redeweisen vom Textton gibt, so gibt es auch unterschiedliche Redeweisen vom Textton als invariant zu haltender Größe. So gilt es, die Behauptung Rakusas (1991: 67), es ginge im Übersetzen um den „richtigen“ Ton, zu relativieren. Den einen , ‚richtigen‘ und zu erhaltenden Textton gibt es nicht. 4 Fazit Der vorliegende Beitrag hat sich der Frage gewidmet, was es bedeutet, wenn in Übersetzer-Paratexten und translatologischen Aufsätzen die Rede vom Textton ist, den es auch in der zielsprachlichen Version zu erhalten gilt. Es ging darum, einige der unterschiedlichen Weisen zu beschreiben, auf welchen der Übersetzer bei seinem Tun sein Gehör bemühen kann (vgl. Rabassa 1971: 83, 85). Aufgestellt wurde zunächst ein semiotisch fundiertes Schema, das es ermöglicht, die Aussagen zum ‚Textton‘ in systematischer Weise auf den translatologischen Untersuchungsgegenstand zu beziehen. Unterschieden wurden drei Redeweisen vom Textton: eine wörtliche, eine metaphorische und eine identitäre. Auf die letztgenannte konnte im Rahmen des vorliegenden Artikels allerdings nicht eingegangen werden. Eine musikwissenschaftliche Perspektive hat sich dabei sowohl in Bezug auf die wörtliche, als auch die metaphorische Redeweise vom Textton als gewinnbringend herausgestellt: Bei der Beschreibung der Klangmaterialität eines Textes konnten in Anlehnung an die Musik Melos, Rhythmus und Tonintensität als die drei Dimensionen unterschieden werden, die durch die Deklamation eines (Vor-)Lesenden und Übersetzers von einem bloßen Potential in eine konkrete Performance überführt und damit materiell konkretisiert werden. Auch das aus der Akustik und Harmonielehre bekannte Phänomen des Tones als Gefüge von mehreren Partialtönen hat sich bei der Aufdröselung der aus dem literaturwissenschaftlichen Diskurs stammenden Metapher der semantischen Polyphonie als dienlich erwiesen. Ein Text präsentiert sich in musikalischer Terminologie und mit Blick auf die unterschiedlichen Redeweisen vom Ton als ein vielschichtiges Ganzes. Wörtliche, metaphorische und identitäre Redeweise gehen nahtlos ineinander über. Für den Verwender dieser musikalischen Terminologie eröffnet sich hiermit ein breites, u. U. metaphorisches Feld, mit dessen Hilfe er auszudrücken sucht, was ihm am Transferendum erhaltenswert erscheint. Obwohl der Fokus des vorliegenden Beitrags auf der Unterscheidung der Redeweisen lag, ist dennoch ein holistischer Ansatz zu empfehlen, der Klangmaterialität und die Sinnpolyphonie <?page no="210"?> 210 Marco Agnetta-/ Larisa Cercel eines Textes gleichermaßen berücksichtigt und aufeinander bezieht. Denn faktisch determinieren Sinn und Materie einander im Text (vgl. Kohlmayer 2015a: 247). „Form und Inhalt sind im Wort vereint […] - von der lautlichen Gestalt bis hin zu den abstraktesten Schichten seiner Bedeutung“ (Bachtin 1934 f./ 1979: 154). Sie finden beide im Textinterpreten - verstanden im hermeneutischen und musikalischen Sinn - ihre Aktualisation. 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Keywords: Hermeneutic circle, translation process, self-observation in translation, creativity, hermeneutics. 1 Introduction This chapter seeks to encourage further reflexion on the translation process in a hermeneutic perspective. 1 On the basis of self-observation, I will propose an exploratory non-linear model, suggesting that there is permeability between the translator’s attempts to understand the original and to produce the translation, and, more generally, that the various phases are partly concomitant. The first part will focus on the translation process in general, and the second on the role of creativity. In both parts, I will refer to concrete examples of texts I have translated and will discuss how my own experience contrasts with some of the seminal models proposed so far. 1 I would like to thank Lance Hewson for his helpful suggestions and comments. <?page no="218"?> 218 Mathilde Fontanet 2 The Translation Process In this part, I look at some of the major models that describe the translation process. Then, by using retrospection and self-observation, I describe how I approach a working unit of translation. 2 On the basis of this description, I will suggest my own model. 2.1 Some major translation models Since the 1980s, many researchers have given serious thought to the translation process, focussing on the cognitive processes at work in the translator’s mind that they could infer from their observations. 3 The first translation models contain two phases: 4 1) the decoding of the source text segment in order to establish its meaning and 2) the encoding of this meaning in the target language. More recently, the translation process has generally been described as a three-stage model, including a transfer phase as well. Figure 1: Eugene Nida’s model of the translation process (cf. Nida 1975: 80) Nida’s model presents translation as a linear process in which the source text is analysed before the translator transfers it into the target language, where it is restructured: The translator first analyzes the message of the SOURCE language into its simplest and structurally clearest forms, transfers it at this level, and then restructures it to the 2 I distinguish between the unit of translation (the portion of text which needs considering while translating a text) and the working unit (the portion of text which is actually processed while translating). 3 An excellent and detailed presentation of the various models is given in Göpferich (2008: 127-142). 4 Wolfram Wilss states: “it is advisable to define translation as a two-phase operation, with a ST-analytic and a TT-synthetic phase […] (with the additional dimension of feedback between the two phases)” (Wills 1996: 155). Levý noted that “translators decode the message contained in the text of the original author and reformulate (encode) it in their own language” (Levý 1963/ 2011: 23). <?page no="219"?> The Translation Process and its Creative Facets 219 level of the RECEPTOR language which is most appropriate for the audience which he intends to reach. (Nida 1975: 79 f.) This model, which is compatible with Lederer and Seleskovitch’s Interpretative Theory of Translation, implies that the translator analyses the text in the source language before the transfer, without calling on the target language, which seems surprising in view of the fact that translators do not necessarily have a particularly good command of the source language. Besides, the model gives no clue as to the nature of the transfer. The process seems purely sequential (with no way back), logical, well focused, and devoid of noise . Other models focus on problems and strategies to solve them, implying that the translation is purely automatic whenever there is no problem. Wolfgang Lörscher makes the following distinction: the translation process contains both strategic phases, which are directed towards solving translational problems, and non-strategic phases, which aim at accomplishing tasks. The former phases range from the realization of a translational problem to its solution or to the realization of its insolubility at a given point in time. The latter phases start with the extraction of a unit of translation and terminate when it has been (preliminarily) rendered into [target language] or when a translational problem arises. (Lörscher 2005: 601) Lörscher seems to imply that when there is no translational problem, nothing worth mentioning is going on in the translator’s mind. An interesting aspect is that he does not consider the process as purely one-way nor the translation as necessarily final (he mentions a preliminary rendering). According to him, “the subjects often produce several translation versions” (Lörscher 2005: 601). However, he thinks that a second version is only produced if the first one is not satisfactory. Hans Krings (1986) has put forward interesting models that describe strategies applied to deal with problems, while proposing that working units that do not pose any problems are translated directly, in an automatic way. What is clearly missing here is a model explaining non-complex translation. 5 Hans Hönig has designed a model, the “ idealtypische Modellierung ” (1995: 51) including intuition, association and both a controlled and a not controlled processing area ( gezielte Intuition , Assoziationskompetenz , kontrollierter Arbeitsraum and nicht kontrollierter Arbeitsraum ) which is convincing, but whose nature is necessarily prescriptive. 5 About these two authors, Brigitta Dimitrova states that “[a] limitation of these models is that they are based on an analysis of problem-solving and strategic processing only” (Dimitrova 2005: 19). <?page no="220"?> 220 Mathilde Fontanet In her Text Analysis in Translation: Theory, Methodology, and Didactic Application of a Model for Translation-Oriented Text Analysis, Christiane Nord briefly describes and comments on a few models (Nord 2005: 34-38) before presenting her own “looping” model. Reacting against “the assumption that translating is a code-switching operation” (Nord 2005: 35), she underlines that the two-phase model “wrongly suggests that a receptive proficiency in the source language and a productive command of the target language are all a translator needs” (Nord 2005: 35). According to her, translation is not a linear, progressive process leading from a starting point S ( ST ) to a target point T ( TT ), but a circular, basically recursive process comprising an indefinite number of feedback loops, in which it is possible and even advisable to return to earlier stages of the analysis. (Nord 2005: 34) Nord’s model is perfectly symmetrical: Figure 2: Christiane Nord’s Translation process (cf. Nord 2005: 39) According to Nord, a translation model must take account of the translation brief 6 formulated by the initiator (possibly in cooperation with the translator). The brief is the only means of checking the results of the translator’s ST reception and subordinating them to a higher criterion. (Nord 2005: 36) 6 Nord explains that depending on context, one could use here the terms translation assignment or translation instructions (Nord 2005: 10, footnote 4). <?page no="221"?> The Translation Process and its Creative Facets 221 Her looping model (Nord 2005: 36-39) allocates a great importance to the skopos of the text: the target text’s function is the decisive factor in the process. However, the more complex and precise a model is, the more difficult it is to decipher. Even though the idea of looping is an interesting one, the model presupposes that translators always act in rational and predictable ways - which experience shows is not the case. It corresponds more to a didactic model of the translation operation rather than an account of what actually happens when translators work. Moreover, the heavy weighting given to the function of the target text reduces the importance of other factors, such as the target reader, the type of text, the medium and the context in which the translation will be received. Don Kiraly has published a very detailed and convincing model (cf. Fig. 3). Kiraly accounts for the subjective perception of the source text, a circular movement and a partly unconscious processing of the working unit. Moreover, he explains that even though the working unit does not change, in some sense it is dynamic because the mental representation of the text in the translator’s mind can be altered by rereading, and new triggers for invoking knowledge frames in long-term memory may be encountered. (Kiraly 1995: 103) His model provides an excellent description of the extreme complexity of the way in which a translator processes a text. Kiraly underlines that the source text is processed simultaneously “as a social interaction structure, as a propositional structure, and as a complex index to socially shared knowledge” (Kiraly 1995: 104), so that it carries with it “all of the elements of the source context of situation” (Kiraly 1995: 104), as “textual references, or as part of an inferred pragmatic bundle” (Kiraly 1995: 104). He notes that these references activate “the translation-relevant segments of the long-term memory” (Kiraly 1995: 104). Kiraly acknowledges that there is an indistinct phase during which the translator gropes around among mental products emerging from his cognitive and emotional resources: Two kinds of products emerge from the workspace: tentative translation elements and translation problems. Tentative translation elements are (at least initially) untested, unmonitored products of spontaneous associations made in the workspace level. Spontaneous associations may occur purely at a formal level as the result of learning or acquisition, or they may be functional equivalents established through an intuitive assessment of textual and situational information in the workspace. (Kiraly 1995: 105) He describes a “relatively controlled processing center” in which the tentative translation elements are evaluated (to check their form and content). All the moves are bidirectional, which accounts for the many changes a translator may <?page no="222"?> 222 Mathilde Fontanet Figure 3: Kiraly’s psycholinguistic model of the translation processes (cf. Kiraly 1995: 101) <?page no="223"?> The Translation Process and its Creative Facets 223 make to each sentence. The only reservation one could have about this model is its complexity. It is clear that prescriptive models (e. g. Nida 1975 or Hönig 1995) cannot be considered as reflecting what happens in the translator’s mind. However, leaving aside the models put forward by Kiraly and, to a lesser extent, Nord, most of the descriptive ones fail to show how circular, rich and partly uncontrolled the process is. 2.2 The importance of the hermeneutic circle Commenting on her own model, Christiane Nord writes that “the interpretation of translation as a circular process can […] be regarded as an analogy to a modern hermeneutic concept” (Nord 2005: 39). 7 How far can hermeneutics be used to describe the translation process? As Pol Vandevelde explains, Friedrich Ast is usually recognized as the first to introduce the notion of a hermeneutic circle in terms of whole and parts. We can only know the whole by knowing the parts, which are its sum, but we can only recognize the parts as parts of a specific whole if we already know the whole. (Vandevelde 2012: 67) Ast set out both fundamental principles of the hermeneutic circle. First he expressed the idea that the interpretation of a text relies on a dialectical move between the reader’s personal experience and knowledge, and the text itself. So ist das Verstehen und Erklären eines Werkes ein wahrhaftes Reproduzieren oder Nachbilden des schon Gebildeten. Denn alle Bildung beginnt mit einem mythischen, noch in sich verhüllten Anfangspunkte, aus dem sich die Elemente des Lebens, als die Faktoren der Bildung, entwickeln. Diese sind das eigentlich Bildende, sich wechselseitig Beschränkende und in der endlichen Wechseldurchdringung zu einem Produkte sich Vermählende. (Ast 1808: 187-188) He also put forward the idea that the reader must navigate between the micro and the macro perspectives in order both to understand each part and the whole work: Nicht nur das Ganze eines Werkes, sondern auch die besonderen Teile, ja einzelne Stellen können folglich nur so verstanden und erklärt werden, dass man mit der ersten Besonderheit auch den Geist und die Idee des Ganzen ahndend erfasst, dann die einzelnen Glieder und Elemente darlegt, um eine Einsicht in das individuelle Wesen des Ganzen zu erlangen, und nach der Erkenntnis aller Einzelheiten das Ganze zur 7 She refers here to Hans-Georg Gadamer (1972: 250 ff.). <?page no="224"?> 224 Mathilde Fontanet Einheit zusammenfasst, die, nach der Erkenntnis der Elemente, eine klare, bewusste und in allen ihren Besonderheiten lebendig ist. 8 (Ast 1808: 188) Following the same line of enquiry, Schleiermacher (1826: 169-170) explained that understanding a text requires a dynamic conjunction of an intuitive approach ( Divination ) and a more analytical one ( Komparation ). He saw the interpretation of a text as resulting from the mutually correcting effects of these two perspectives. Vandevelde clearly exposes the subtle perspective of Schleiermacher who, like Friedrich Schlegel, was aware that full understanding is merely a theoretical concept: Schleiermacher famously says that the starting point of understanding is precisely the non-understanding and Schlegel provocatively wrote an essay “on Incomprehensibility” (Schlegel 2003). 9 In accordance with their thought pattern of avoiding dichotomy and instead thinking the terms in opposition from within the relation, like subject and object or spirit and matter, non-understanding and understanding are not two stages that are well delineated and can be occupied, but two poles of a tension that is dynamic. This dynamism has sometimes been called the hermeneutic circle. (Vandevelde 2012: 67) Radegundis Stolze (2009: 30) mentions however that although no distinction is made in English, the term hermeneutic circle refers in German only to the interaction between the preliminary cognition of the reader and his or her progressive apprehension of the text, the relationship between the part and the whole being called “Zirkel des Verstehens” (the understanding circle). Concerning comprehension, Gadamer stresses that Die Vorurteile und Vormeinungen, die das Bewußtsein des Interpreten besetzt halten, sind ihm als solche nicht zu freier Verfügung. Er ist nicht imstande, von sich aus vorgängig die produktiven Vorurteile, die das Verstehen ermöglichen, von denjenigen Vorurteilen zu scheiden, die das Verstehen verhindern und zu Mißverständnissen führen. Diese Scheidung muß vielmehr im Verstehen selbst geschehen und daher muß die Hermeneutik fragen, wie das geschieht. (Gadamer 1990: 301) In order to integrate the hermeneutic circle and the understanding circle in a translation model, it is important to account for an oscillatory movement both between an objective and a subjective element and between partial and integral comprehension. 8 I have changed the spelling so that it corresponds more to the present usage. 9 Cf. Friedrich Schlegel (1800/ 1967), “Über die Unverständlichkeit”. <?page no="225"?> The Translation Process and its Creative Facets 225 2.3 Personal experience It may seem presumptuous to develop a model of the translation process starting from one’s own experience. It is, however, so difficult to observe what is going on in a translator’s mind that a researcher feels lucky to have direct access to a translator’s mind. Lörscher has expressed the view that models should not be built on theories. He states: […] none of the models of the translation process can account for the psychological reality of translating. […] The components of the translation process and their assumed interplay, as outlined in the models, have been construed rationalistically, by logical deduction, not by empirical induction. Thus, the translation process appears to be completely rational, which, however, it is only in ideality, but not in reality. (Lörscher 1989: 64) Several researchers have based their models on empirical observation, generally using Think-Aloud Protocols ( TAP ), sometimes associated with eye-tracking or retrospection. Lörscher, for instance, considers that it can be assumed that thinking-aloud in combination with retrospective probing represents a useful instrument to formulate hypotheses on mental processes in general and about translation processes in particular. (Lörscher 2005: 599) The necessary subjectivity of my approach may thus be compensated by the fact that it relies on direct observation and more than twenty years of experience. Moreover, in view of the subtlety and simultaneity of the mental operations involved in the translating process, TAP s may interfere with their object of observation: they constitute yet another task for the translators, who are obliged to verbalize what they observe in themselves while pretending to work “as usual”. There is a high risk that TAP s will influence the way they work. General comments First of all - and contrary to what I recommend to my students - I generally start translating a text before I have completely read it. The translating process sometimes even starts before I have finished reading the first sentence. However, I never start a translation without a preliminary notion of what the text will be, based on whatever I know or presuppose about the client, the author, the target reader and any intermediary who might read the text I will produce. My approach to the text may vary depending on my mood (I may be more daring if I feel optimistic and more cautious if unsecure), my physical state (if I am tired, hungry or unwell) or my sympathy for the subject-matter or for the author (I will probably exert myself more for an author or a cause close to my heart). <?page no="226"?> 226 Mathilde Fontanet If the text which I am assigned is of a specific genre, my preconceptions about it will induce a spontaneous parametrization in my mind before I read the first word: depending on the situation, I anticipate the most probable level of specialisation, register and stylistic form. This parametrization will condition my reading, but as soon as I start translating, I tend to modify the parameters if they do not apply for the text. At the same time, as my interest in the subject matter grows, I am able to attain a high level of concentration and plunge so deeply into the text that I grow less influenced by my mood or physical state. When I start reading a sentence, the first word triggers pictures, memories, sometimes emotions and spontaneously associated words in the source or the target language. For example, if I read “apple”, I simultaneously see a prototype apple and access the French word I associate with it ( pomme ). The French word “is there” even though I may not use it in the end. Each source language segment gives rise to a burst of interacting elements, which are potential fragmentary solutions. I may encounter no difficulty while translating the text, but I hardly ever produce the target version in an automatic way: I never choose a wording (even if there is a set term or a standard translation) without considering, be it during a microsecond, a few other possibilities. When there are problems, I generally produce a series of different solutions at the same time. Some words, which I call my “trauma words”, paralyse me: even though I always end up finding a way of translating them, my first reaction is to panic. Words such as record , challenge , control , liabilities or expressions like ‘ be satisfied with ’ slow the translation process, because they are associated with a difficulty. My impression is that during the translation process there is always a phase - sometimes a very brief one - when there is no clear difference between the source segment and its emerging projection in the target language. The whole of the source-text segment is present in my mind, but the image I have of it is fuzzy and uncertain. This is the result of the fusion of words and associations belonging to both languages, and it is from this state of fusion that possible translations, and in particular syntactic structures, begin to emerge. As a translation starts to take shape, the fuzziness and uncertainty gradually disappear. Put another way, it is in fact thanks to the act of translating that I can fully enter into the original. I explore, rewrite and explore again until a solution that is fully compatible with my intuitive apprehension of the original comes into my mind - and that is the moment when I feel I have understood. I will now describe how I translated two passages, one from a technical text and one from a literary one. <?page no="227"?> The Translation Process and its Creative Facets 227 Example No 1 The following sentence is an extract from the Guide to Meteorological Instruments and Methods of Observation , published by the World Meteorological Organisation. In earlier years, upper winds were generally processed manually or with a small calculator, and it was impractical to produce detailed reports of the vertical wind structure. 10 Par le passé, les données relatives aux vents en altitude étaient en général traitées manuellement ou à l’aide d’une petite calculatrice et il n’était guère possible de fournir des rapports détaillés sur la structure verticale du vent. I start producing the translation while reading the sentence. Thus, I write “par le passé” before reading “upper winds”. While translating “In earlier years”, I wonder how many years are meant (one or two, five, ten? ) and different options come to my mind, such as précédemment , auparavant , dans les années précédentes (or au cours des années précédentes ) and par le passé before deciding on one - but without conviction. I detect that “upper wind” is a term in this document. I remember that its standard translation is “ vent en altitude ”. If I were in a doubting mood, I would either look it up in a glossary or a previous text to see how it needs be translated or I would leave a blank not to waste time at this stage. When seeing a passive form, I consider using the active voice, then give up the idea because this would have require finding a grammatical subject. At this stage, I stop translating and read the sentence until the end. I am uneasy at the idea that winds might be “processed” and decide to be more explicit in French. I write les données relatives aux vents en altitude ( upper wind data instead of upper winds ). The word “generally” triggers immediately a standard translation ( en règle générale ) which I find a little too formal in this context. The word calculator puzzles me, but I see in the Multitrans translation memory that it is translated by calculatrice in this context. I know the term “vertical wind structure”, but check its translation. On the whole the word impractical is the one which I find the most difficult to translate, because it doesn’t seem logical to me. While translating, I have the picture of a balloon in my mind, because the measures are taken using a balloon, and I wonder who sends these reports. In the end, after having re-read the original sentence, concentrating on its general meaning but focusing on “impractical”, I decide, among different options ( impossible , peu commode , peu pratique , difficile ), to use “ guère possible ”, because I do not want to exclude the possibility that detailed reports are actually sent. 10 WMO, CIMO-guide, Measurement of upper wind , 2014. <?page no="228"?> 228 Mathilde Fontanet Coming across “with”, the French word “ avec ” comes to my mind, together with the notion that it is often a bad translation for with ; I choose “ à l’aide de ”. I read the original again, then my translation, and move to the next sentence. Reading the original sentence and producing the target-language sentence are not sequential operations. To a certain point, target-language words come to my mind while reading the original before I really understand the sentence. Similarly, while producing the target-language words, source-language words or expressions still cling to them. It is only when I feel optimistic enough about the appropriateness of a segment in the target language that I endeavour to consider it in isolation. If my feeling is confirmed, I can adopt the tentative segment. The process can be very quick, but I cannot consider my translation final before a last check. I tend to change my translations a lot while revising them. The revision process is different: to compare my production to the original (sentence by sentence, paragraph by paragraph or as a whole), I memorize the original working unit and keep it in the background while reading the text I have produced. Because the original is “cognitively and emotionally loaded” in my mind, I can easily measure what is missing, different or superfluous in my own production while checking its linguistic consistency. During the whole process, the source and the emerging target text interact in my mind and I have a double role: on one hand, I set parameters to guide my search and filter the solutions I come up with, and on the other hand I tend to expand the field of possibilities, trying to come with as many solutions as possible within the framework that has been defined. Two simultaneous processes are at work, involving two antagonistic moves: a part of my mind opens the floodgates to new ideas while another one filters and selects them, and, for that purpose, I stay strictly focussed on everything I perceive in the source-language segment, while remaining as open and flexible as possible on the target-language front so as not to hinder inspiration. Example No 2 Okparanta’s short story Runs Girl portrays a Nigerian girl whose mother is very ill, and who ends up accepting to work as an escort girl one evening to pay for an operation. Her so-called friend Njideka does not tell her that the man with whom she plans to go to a restaurant is expecting her to sleep with him. The man arrived in a BMW - a Be My Wife, Njideka teased. (Okparanta 2013: 79) L’homme arrive dans une Mercedes - une Merci Déesse, me charrie Njideka. (Okparanta 2014: 98) <?page no="229"?> The Translation Process and its Creative Facets 229 I start translating the sentence literally, though using the present tense - a choice I have made for the whole short story, because the past tense options in French would either be very clumsy or too polished compared with the rather oral and dynamic tone of the original. I stumble against the pun ( BMW - Be My Wife ) and doubt very much that a similar pun will be possible in French. I imagine the scene, leave the pun open and go on. The word tease triggers another hesitation: I first choose the verb taquiner , expressing harmless playfulness, and move on. When I come back to the sentence, having finished reading the whole text, I know that Njideka has betrayed her friend and taken advantage of her credulity. The verb taquiner seems too inoffensive and I choose “charrier” instead, even though it is familiar, because it fits better in the syntax. I decide to look for a solution for the pun. I concentrate and start defining what I need to find. I could actually reduce the problem to a set of equations with two unknown factors: • X = the name of a luxury car, whose pronunciation must be very similar to Y. • Y = a standard courtship sentence. 11 I set about trying to remember names of cars (a field in which I am particularly ignorant) and associating them with stereotyped wooing messages. I try with BMW , Porsche and Rolls Royce - in vain. The names of the car reverberate in my head while I try to find appropriate associations connected with them. Whilst I am thinking “freely”, what seems to be another part of my brain is examining the product of my imagination, rejecting one solution after another. After a while, I think of Mercedes and think of Merci déesse (which could be translated by Thank you goddess ). Such an idea can pop into one’s mind after a few seconds, a few minutes, a few days or can never come at all - in which case another solution must be found. 2.4 A tentative simplified non-linear model of the translation process The model I would like to propose (cf. Fig. 4) is simplified: it contains few parts, each including several undifferentiated elements. The Resource Pool (RP) While reading a working unit of the source text, the translator processes whatever he or she finds there through his or her “resource pool” ( RP ), which corresponds to all of his or her cognitive and emotional resources (words of the source or target languages, emotions, notions, encyclopaedic knowledge…). 11 This is important because the man will actually rape her. <?page no="230"?> 230 Mathilde Fontanet These resources are normally latent, but reading the text activates some of them (words of various languages, emotions, associations and related memories) and transfers them towards the Activated Resources area. If the RP is not sufficient, the translator will look for extra elements - mainly through terminological and documentary research. It is important to note that the RP is not stable, but can be enriched by every new experience, by every new piece of information gleaned and, of course, by engaging in translation. The Hermeneutic Filter (HF) All the different elements that are triggered by reading the source text pass through the Hermeneutic Filter ( HF ) into the Activated Resources area ( ARA ). Those which cannot be exploited in the particular context are filtered out. Figure 5: The role of the HF in the translation process The HF functions as a regulatory mechanism enabling the translator to increase or decrease the number of elements processed in the ARA , depending on their Figure 4: The translating process from a hermeneutic perspective <?page no="231"?> The Translation Process and its Creative Facets 231 relevance for the translation, and with a view to finding the best solution. When the original is non-problematic for the translator, the HF works in a spontaneous, mechanical way, but if, for example, there is a difficulty, then the translator can consciously exploit the filter and use a translation technique or apply a strategy. The filter thus has a double role. It controls what flows into the ARA , but also contains a certain number of well-tested paths that the translator is able, if necessary, to go down. It would be wrong to think that the ARA is empty before the actual translation process begins. For example, if a translator accepts to translate a short story written by a young feminist author who has lived in Norway, he or she will spontaneously feed in preliminary elements concerning the genre “short story”, the author (if known), feminism and Norway, all of which will help to parametrize the filter. The HF determines what is worth injecting in the ARA and what should be filtered out because it is not relevant (for example the personal associations that rush into the translator’s mind), leaving only the best input which is then used to produce the working unit in the target language. Potential ideas can remain in the filter for later use, without interfering with the process taking place in the ARA . The HF remains active throughout the process. First, it rejects all the elements from the resource pool that could interfere and produce unwanted associations. Later on, it is used again to select the definitive target version of the working unit. As soon as solutions emerge, it removes less promising elements, until there only remain a few solutions. The best of these is then checked on the basis of various criteria, and retained by the translator, while the rejected solutions are either eliminated or stored in the HF , depending on their (perceived) potential value for the following working unit. The HF is either consciously driven when selecting the best possible translation, or, when the translator is well trained and has interiorized the criteria to be applied, the filter operates by itself. The HF can continually switch between these two modes of operation. Since the source-language segment is retained in the memory, its meaning, effects and associations can be used as a yardstick to measure the meaning, effects and associations of the potential translation candidates, until there only remains the translation which resonates the best with the original. The workings of the HF , whether to filter in new matter (if there are not enough elements to find a solution) or to filter out content in order to isolate the translated fragment, can last anything between a few seconds, a number of minutes, some hours or even weeks. <?page no="232"?> 232 Mathilde Fontanet The Activated Resources area (ARA) Understanding and production take place in the Activated Resources area. At first, the ARA contains a rich mixture of more or less disorganised elements: all the preconceptions about the text and its author and all the elements that are triggered and filtered through as a result of reading. When the filtering is completed, the ARA contains both conscious and unconscious elements: words of different languages, their primary meanings, associations, diffuse emotions, elements of cognition, reminiscences, feelings, questions, doubts, echoes of sounds and tastes, and fragments of sentences in the source and target languages. All these elements rub together, collide and produce derivatives, new associations and new chains of words. After a while, fragments of comprehension and translation appear. Throughout the process, the ARA stores all the source-text elements and all the data about the context and the target readers that could be relevant. For one and the same working unit, all translators may filter common elements into the ARA : dictionary meaning, evocation of common cultural elements, and general human emotions naturally aroused by the text. However, many elements will differ from one translator to the next, such as associations based on personal life and experience (linked with personality, friends and activities). A distracted translator who hasn’t read the sentence properly may miss something and fail to allow important elements to filter into the ARA . On the contrary, if the translator projects himself or herself too much into the text, some elements in the core will be superfluous or not really compatible with the text and may interfere with the translation process. What happens in the ARA corresponds to what Albrecht Neubert describes: Even during the production of the target text, fragmentary recollections of the source text, which translators or interpreters cannot escape the influence of, continue to influence target text production. (Neubert 1997: 7) At the end of the process, when the various fragments have produced a segment in the target language which seems sufficiently compatible with the original one, the working unit is considered translated. The model does not differentiate between the phases of understanding and production, as they are partially concomitant. As noted above, the rendering in the target language often starts before the entire working unit has been understood. In the same way that some of the rejected solutions are stored in the HF for later use, the original working unit (according to how it has been understood <?page no="233"?> The Translation Process and its Creative Facets 233 and interpreted) is stored in the ARA , along with the solution retained as a translation, the preliminary data about the whole text (which have been partly corrected on the basis of what the translator has understood so far) and the echoes of the intense activity that has taken place. Segmentation Contrary to many models, this one only reflects the translating process associated with one working unit. Indeed, the translator does not translate the text in one go but by segments (generally sentence after sentence). It is useful to consider what happens when the translator moves onto the next working unit. Figure 6: Traces of previous working units in the processing of a new one <?page no="234"?> 234 Mathilde Fontanet Figure 6 shows that when translating a working unit, the intense activity in the ARA includes the previous working units (in both languages) which have been stored and which contribute to the general activity. Thus, all the translated segments stay as “activated resources” in the core. Every new batch of working units and associated elements can interact with them. Revision Figure 7: The self-revising process As shown in Figure 7, the self-revision process looks very much like the translation process. However, the source text is no longer the input element here. The translator has assimilated it so fully, with all its complexity, that it has become a cognitive and emotional load stored in the ARA , and can be used as a yardstick to test translated segments. If the revision is based on a comparison with the original, the translator concentrates on the text unit he or she has produced while comparing it with the memorized unit. The HF filters in corrections if necessary. Whereas the segment produced during the translation process is mostly considered in its relation to the source text segment, during the revision phase it is mostly assessed in relation to the whole target-language text. 3 Creativity After referring to some of the literature on creativity, I will analyse a concrete example drawn from my own experience, and then discuss where creativity fits into my model. <?page no="235"?> The Translation Process and its Creative Facets 235 3.1 Current research on creativity There has been a long debate about the presence or absence of creativity on the part of the translator, and this debate is certainly not yet over. Hewson explains that [w]e can, broadly speaking, identify two contrasting ways of looking at the process of translating. The first is a global approach that sees the translating process as creative per se ; the second considers creativity as being potentially part of the translating process (Hewson 2006: 54). Most theorists consider that the translator is an author with a special status, and thus acknowledge that there is indeed creativity in translation. 12 According to Susan Bassnett, [b]oth original and translation are now viewed as equal products of the creativity of writer and translator, though as Paz pointed out, the task of these two is different. It is up to the writer to fix words in an ideal, unchangeable form and it is the task of the translator to liberate those words from the confines of their source language and allow them to live again in the language into which they are translated. (Bassnett 1980: 5) However, one should define which perspective to adopt. As Hewson underlines, creativity is generally considered in terms of product. 13 [w]hen examining instances of creativity, we are necessarily looking at the product rather than the process. In a sense this obscures our judgement, as we look at published translations using a whole series of criteria. This can easily lead to one researcher seeing evidence of a creative process, where others see a banal target text. (Hewson 2006: 56) In 1995, Kussmaul, referring to Wilss (1988: 127) and Alexieva (1990: 5), noted that “[a] creative product must be novel and must contain an element of surprise, it must be singular or at least unusual, but at the same time it must, of course, fulfil certain needs and fit in with reality” (Kussmaul 1995: 39). 14 However, he thinks that instead of focussing on the creative product, it would be interesting to establish how creative solutions are achieved. I consider that there is creativity, in its broadest sense, in every human translation, but only a few translation products are creative, because the creativity 12 Lance Hewson (forthcoming, 2017) offers an interesting discussion on this question in the literary field in Les paradoxes de la créativité en traduction littéraire . 13 In his forthcoming article, he points out that it seems absurd to describe the process leading to the creative product since the latter is so hard to define. 14 Kussmaul refers here to Preiser (1976: 48). <?page no="236"?> 236 Mathilde Fontanet of the product depends on its relationship both to the original and the current textual production of the target culture. In my opinion, the creativity of the translator can in complex situations be of the same amplitude and the same importance as that of the author when it comes to finding the proper form, but it is of another nature: it is functional. Whereas authors have an urge to create and write to transcend their feelings or to express what they can no longer come to grips with when not writing, the translator is (normally) not driven by a creative impulse. This makes the task of the translators more difficult: they must produce something that is predetermined - just as meaningful, emotional, beautiful and efficient, but do not have the personal motivation nor freedom the author has. Alberto Gil underlines that when translators’ motivation is creativity, it interferes with whatever they are supposed to convey: “Je bemerkbarer sich der Translator in seiner Kreativität machen will, desto undurchsichtiger wird die Mitteilung, da er sich dann als Blende zwischen Leser und Translat aufstellt“ (Gil 2009: 326). Normally, creativity is purely a means and not a goal in translation. Gerrit Bayer-Hohenwarter considers that true translational creativity must “refer to a quality that can only be found when comparing texts (source text and target text) or to qualities of the transfer process” (Bayer-Hohenwarter 2009: 85). According to her, non-literalness and cognitive shifts often signal creative translation, provided they are not random, and translators must possess the following qualities. Figure 8: Creativity dimensions selected for assessment procedure (cf. Bayer-Hohenwarter 2009: 86) Acceptability is a fundamental criterion correcting the three others, which, if they do not serve a rigorous purpose, might lead to everything but a translation. Much of the discussion about creativity in translation has revolved around problem solving. 15 Most researchers agree that the creative process (conceived as problem solving) comprises the four stages first described by Graham Wallas: “if we examine a single achievement of thought we can distinguish four stages - 15 This was actually my own perspective in a paper published in 2005 (cf. Fontanet 2005). <?page no="237"?> The Translation Process and its Creative Facets 237 Preparation, Incubation, Illumination (and its accompaniments), and Verification” (Wallas 1906: 10; details: 79-81). However, many claim that these phases overlap. Kussmaul, in particular, stresses that these stages are just a model, are not well delimited, and do not follow each other chronologically. Sometimes the translator goes through the same stage many times. Die Phasen gehen in der Wirklichkeit des kreativen Prozesses ineinander über. In der Kreativitätsforschung wird, wie schon gesagt, darauf aufmerksam gemacht, dass man generell damit rechnen muss, dass die einzelnen Phasen nicht streng chronologisch ablaufen, sondern dass es Vor- und Rückgriffe gibt, sozusagen gedankliche Schleifen, und dass manche Phasen mehrfach durchlaufen werden. (Kussmaul 2000: 76) Besides, Kussmaul (1995: 41) suggests that creativity is part and parcel of creative comprehension and that one “might try to apply Guilford’s notion of divergent thinking […] to the comprehension process” (Kussmaul 1995: 41): “understanding is not merely a receptive but also a productive process” (Kussmaul 1995: 41). He considers fluency to be the main quality a translator must possess to be creative because it enables divergent production to provide many ideas, associations and new thoughts in a little time. He underlines that the creative process “as most mental activities, is not only governed by intellect but also by emotion” (Kussmaul 1995: 48). In a paper on Fritz Paepcke, Larisa Cercel underlines that because translators are looking for the words or expression, they are creative: Übersetzen ist immer ein Suchprozess, und der Übersetzer ein Suchender. Die Suche nach dem treffenden Wort beim Übersetzen ist bei Paepcke 16 ein kreativer Vorgang schlechthin. […] Kreatives Denken als hermeneutischer Entwurf lässt sich aber nicht in strengen Entwurfsmodellen einfangen und steuern. (Cercel 2009: 348) These various points of view show that theorists have linked creativity with four competencies: acceptability, flexibility, novelty and fluency. Many consider that the four stages of Wallas’ model are present in the process but overlap. And, from a general point of view, creativity is linked with the fact that translation is an irrepressible, transcendental attempt to grasp and express something which stays elusive. 3.2 Personal experience Before showing the part creativity plays in my model, I will give an example of a rather straightforward situation. 16 Cf. Paepcke (1985: 161). <?page no="238"?> 238 Mathilde Fontanet Example No 3 Okparanta’s short story America describes the difficult path followed by a Nigerian woman in love with another woman. Her father is sympathetic, but her mother, though loving, cannot accept lesbian love. The inability to accept it comes to light through the inability to find words to describe it. We became something - an item, Papa says - in February, months after Gloria’s visit to the school. (Okparanta 2013: 88) En février, plusieurs mois après la visite de Gloria à l’école, nous sommes devenues quelque chose - un tandem, dit papa. (Okparanta 2014: 107) I started translating the text literally and became stuck with item , which I understood to mean “a couple” and to refer to a lesbian relationship in this context. I wondered if it was a particular use of the term or a meaning I did not know. I looked it up and found the following definition in The Oxford English Dictionary : “ colloq . (orig. U. S. ). A pair of lovers, a couple; to be an item: (of a couple) to be involved in an established romantic or sexual relationship, esp. a socially acknowledged one”. I was not able to find spontaneously a convincing translation, but thought of paire , couple or duo . At a low ebb of inspiration, I used paire : “Nous sommes devenues quelque chose - une paire, comme dit papa - en février, des mois après la visite de Gloria à l’école.” Reading the sentence again, I was dissatisfied, because the I-narrator would never express herself in such a manner. It would be much more natural to start with the time indication. Besides, the expression “des mois après” sounds hyperbolic in French. I changed the sentence to: “En février, plusieurs mois après la visite de Gloria à l’école, nous sommes devenues quelque chose - une paire, comme dit papa.” A few pages later, I saw that the mother uses the word thing to refer to the same relationship: “that sort of things” (Okparanta 2013: 92), “that silly thing” (Okparanta 2013: 92) and “that thing between you two” (Okparanta 2013: 93). This under-determined word is derogatory and reflects her inability to rely on her language to fully acknowledge lesbian love. I feel that the choice of words is not random: the father, who is more open-minded, uses the word item , the mother uses thing and the I-narrator, who has no name for the relationship, uses something , revealing a degree of helplessness. I was uneasy, feeling that it would be important to understand not only the meaning, but the register and the connotation of the word, because the nature of the expression indicates the status of female homosexuality in the eyes of the father. After having read the whole story, I decided to let myself be guided by my general perception of the father (a benevolent man, slightly singular, tolerant and enjoying figurative speech, who is not oversensitive to people’s opinion and <?page no="239"?> The Translation Process and its Creative Facets 239 can respect love between two women), because I thought I knew what he would say in such a situation. Therefore, without remembering precisely all the details, I relied on my feelings to choose the words he will use. The word tandem 17 came to mind, because it is more interesting and has a more positive connotation than paire . Finally, I dropped comme and left only “dit papa” because I felt that this gave the matter more emphasis. I can summarize what was going on in my mind as follows: I was looking for a word, which I will call the unknown factor (X), which had to meet the following criteria: • X contrasts with the word I use to translate thing . • X is not derogatory. • X belongs to the standard language. • X can refer to a couple, but should have other meanings. • X is used by a non-conformist benevolent Nigerian father living in Nigeria, who is never crude and uses figurative language. I see two creative dimensions of my translation: first, the fact that I could produce a consistent vision of the father implies a re-creation of the character; then, my ability to rely on this vision to “let the character speak his own language”, basing myself no longer on the words of the original but on my interiorized notion of the character. 3.3 The place of creativity in the model Translators, like readers or listeners, are creative in their attempts to understand. People never express themselves perfectly and it takes creativity to compensate for their imprecision. Any sincere attempt to understand a person or a text requires both making the most of one’s personal resources and a move to stand back from one’s own subjectivity in order to access what is really meant. This corresponds to Schleiermacher’s oscillatory movement between an intuitive ( Divination ) and a more analytical ( Komparation ) approach. Similarly, translators are creative in their attempts to choose the proper expression: they hover between the words, phrases or sentences from the original and those from their first, tentative versions until they find one which triggers something close to or compatible with the former. Three hermeneutic oscillatory processes, which operate partly simultaneously, can be identified: 17 The solution I retained does not perfectly reflect the original one, because the word “tandem”, in French, refers more immediately to the notion of a group of two people working together in a complementary way, unlike the word item in English. <?page no="240"?> 240 Mathilde Fontanet Figure 9: Three oscillatory processes in translation Figure 9 shows the oscillations of the process, symbolised by sinusoidal lines, which can be considered as another representation of the hermeneutic circle. Part A represents the oscillation between the source text elements and the Resource Pool: the text resonates with the translator’s cognitive and emotional resources, but the HF filters out part of the attracted elements to prevent them from entering the ARA . Whatever seems of potential relevance or use is filtered into the core. The rest is left in the pool. The creativity criteria of fluency and acceptability can already be measured here: the more fluent the translators and the more resources available, the better they can activate them by filtering them into the core; the more watchful they are, the better they select productive resources and reject the useless ones. The so-called “preparation phase” of the creativity models corresponds to the initial flow of information into the ARA , based on whatever the translator associates with the text before reading it, and to the filtering of resources into it for further reflexion (or incubation). Part B represents the oscillation of the activated fragments in the core, which collide, split, interact and recompose. This oscillation enables an interaction or mixing between antagonistic elements of the subjective / objective, emotional / rational and visual / abstract poles. Translators who are well focused can slow down or accelerate the process by acting on the HF . If there is no hurry, they can step back and let diverging or associate reflection take over. Their creativity may be assessed by the number of flashes of inspiration (corresponding to the illumination phase of the creative models) they get out of a working unit. The more segments there are and the smaller these segments are, the more chances there are that they might collide and recombine to produce something interesting. Thus, the translation is all the more creative if the original text triggers more associations and if the more elements remain from previous working units. This explains the loss of creativity linked with the use of translation memory software: translators get predefined segments the size of a sentence <?page no="241"?> The Translation Process and its Creative Facets 241 and do not play around with them. To enrich the text, they must be creative revisers. Part C represents the oscillations between fragments of potential solutions and the HF. The candidates (potential translations) are compared with the memorized original segment or analysed by defined criteria. Whether the translator is fully concentrated or focussing on something else, the HF detects any interesting productions (symbolized by little sparks). As long as the whole text has not been translated, the selected candidates remain memorized in the core, where they may interact with segments of the following working units. 4 Conclusion The simplified model presented here has been designed to stimulate reflection on the translation process and its creativity. To introduce the problematic of the hermeneutic circle, a model of the translation process should provide for some permeability and an oscillatory move between germs of solutions and a regulatory agent. Moreover, in order to show that the production of solutions runs in parallel with the understanding process and that the various phases are partly concomitant, it is helpful to avoid a linear representation. Besides, the model should show that the product emerges from an interaction between different factors, which are indiscriminately distributed and can be linguistic, emotional, rational or associative. The model should show that there is creativity both in understanding and in a restitution that relies on the exteriorization of the original, transcending its words. Besides, in order to account for creativity, a model of the translation process should show two things: that the more resources are used to find the solution, the more chances there are of finding a good solution, and the more selective the evaluation function is, the more appropriate the solution will be. References Alexieva, Bistra (1990): “Creativity in Simultaneous Interpretation”. In: Babel 36 / 1, 1-6. Alvstad, Cecilia / Hild, Adelina / Tiselius, Elisabet (eds.) (2011): Methods and Strategies of Process Research . Amsterdam: John Benjamins. Ast, Friedrich (1808): Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik . 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Amsterdam: John Benjamins. <?page no="245"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 245 Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik Ioana Bǎlǎcescu (Craiova)-/ Bernd Stefanink (Florianôpolis) Abstract: In the first summa of translational hermeneutics Cercel (2013) comes to the conclusion that there is still much to do in order to overcome the scepticism of many translatologists with regard to the hermeneutical approach in translation studies. She attributes it to the somehow too abstract statements of some hermeneuts. This can be considered as an appeal for more concreteness. We have tried to answer this challenge convincingly by illustrating some fundamentals of translational hermeneutics, hoping to evidence the pertinence of the hermeneutic approach as being the closest to translational reality. Our methodology is ethnomethodological conversation analysis, as developed in Stefanink (1995), which has proved to allow an insight into the translation process. Keywords: Translation process, hermeneutics, ethnomethodology, semantics, language games. 1 Ziel und Methode In der ersten der Übersetzungshermeneutik gewidmeten Publikation, die eine ausgezeichnete Summa dieses übersetzungswissenschaftlichen Ansatzes darstellt, beklagt Cercel (2013: 363-364) die mangelnde Überzeugungskraft des hermeneutischen Ansatzes in der Übersetzungswissenschaft. Sie führt dies nicht zuletzt auf ‚plakative Aussagen‘ zurück, die nicht überzeugen, weil ihnen offenbar eine konkrete Basis fehlt. Wir wollen versuchen, mit Hilfe der von Stefanink (1995) zur Erforschung des Übersetzungsprozesses eingeführten ethnomethodologischen Gesprächsanalyse beispielhaft aufzuzeigen, wie sich die Pertinenz einiger grundlegender Thesen dieses Ansatzes empirisch nachweisen lässt. Die ethnomethodologische Gesprächsanalyse wurde in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts von amerikanischen Soziologen (Garfinkel 1984) erfunden, um den Alltagsdiskurs des Durschnittsbürgers auf seine naiven Repräsentationen hin zu studieren und zu hinterfragen. So gab es z. B. eine „Ethnomedecine“, die den Alltagsdiskurs auf die naiven Vorstellungen hin interpretierte, die sich <?page no="246"?> 246 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink die Versuchspersonen von den „Männern und Frauen im weißen Kittel“ machten. Entsprechend wird in der ‚Ethnotranslatologie‘ der Translationsprozess untersucht. Zwei bis vier Personen haben die Aufgabe, eine gemeinsame zielsprachliche Fassung eines zu übersetzenden Textes ‚auszuhandeln‘. Der Dialog wird aufgenommen, transkribiert und ‚analysiert‘. Es ist eine intrinsisch hermeneutische Methode, die sich auf den Gadamerschen Dialog beruft und dessen Ziel es ist, den Versuchspersonen, bei der Aushandlung der gemeinsamen zielsprachlichen Fassung, die ihre übersetzerischen Entscheidungen bestimmenden - bis zu diesem Zeitpunkt häufig noch unbewussten - Vorstellungen zu offenbaren. Diese Vorstellungen sind ‚Vorurteile‘ im Gadamerschen Sinn. Das Ziel des Dialogs ist das Erreichen einer ‚konsensuellen Wahrheit‘ im Sinne von Habermas. Das Ziel der Analyse des dialogischen Korpus ist die Bewusstmachung des übersetzerischen Verhaltens der Versuchspersonen. 2 Textgrundlage und Versuchspersonen Der im vorliegenden Versuch zu übersetzende Text ist ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 1994 ( Newsweek, February 28, 1994), der die Lage in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung schildert, so wie sie von den (ehemaligen) ‚Ostdeutschen‘ wahrgenommen wird. Sleek new cars speed along straightened and repaved autobahns. Shiny service stations come equipped with well-stocked convenience stores and gleaming self-service restaurants. Enormous supermarkets, furniture stores and shopping emporiums dot the east German landscape, and giant cranes stand tall against the sky. Every seat is filled at Dresden’s magnificent neo-classical opera house: comfortable burghers sip French champagne during the intermissions. Even in grimy Bitterfeld, a mining and chemicals centre notorious for its pollution, well-dressed women from a nearby retirement home gather for creamy coffee and gigantic pastries at a Swiss-owned coffee shop. ( Newsweek , February 28, 1994: 14) Die Versuchspersonen sind Studenten der Anglistik an der Universität Bukarest. Sie verfügen über keinerlei übersetzungswissenschaftliche Vorkenntnisse und entsprechen somit den Erfordernissen der Ethnoscience -Forschung, bei der es sich um wissenschaftlich naive Versuchspersonen handelt. Es soll untersucht werden, wie diese unvoreingenommenen Versuchspersonen methodisch an die Übersetzung herangehen. Das Ergebnis ihrer Bemühungen soll evaluiert werden. Wir wollen zunächst die einzelnen Vorschläge der Reihe nach erläutern, so wie sie in unserem Datenkorpus auftreten. In einem zweiten Schritt soll versucht werden, Transparenz insofern herzustellen als zurückverfolgt werden soll, wie derartige Vorschläge zustande gekommen sein könnten. <?page no="247"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 247 3 Das Datenkorpus Nachdem sie den Text solange wie nötig gelesen haben, um zu einer ersten „compréhension naïve“, im Sinne von Ricœurs (1986: 156) Darstellung des „arc herméneutique“ zu gelangen, beginnen die Versuchspersonen mit einem spontanen Brainstorming, im Laufe dessen sie alle Worte artikulieren, die ihnen in den Sinn kommen. Bei diesen Worten handelt es sich um das, was Krings (1986) tentative Übersetzungäquivalente ( TÜÄ ) nennt. Das Datenkorpus zeigt, dass die TÜÄ im Laufe der dialogischen Aushandlung der Übersetzung von den Versuchspersonen nach unterschiedlichen Kriterien evaluiert werden, die als „Übersetzungsmaximen“ im Sinne von Krings (1986) fungieren, d. h. als vorgefasste, unreflektierte Vorstellungen, die mit ihrer Translationsaktivität allgemein zu tun haben und nicht mit dem Text, den sie zu übersetzen haben. Diese Translationsmaximen spielen bei der Entscheidungsfindung unbewusst eine maßgebende Rolle wie beispielsweise in unserem Datenkorpus: „ trebui un cuvânt sǎ le recupereze pe toate “ (24) [wir brauchen ein Wort, das alles wiedergibt], wobei „toate“ [alles], in ihrer (! ) Vorstellung, linguistisch formuliert, die Gesamtheit der distinktiven Merkmale des ausgangssprachlichen Wortes ist. 4 Die einzelnen tentativen Übersetzungsäquivalente (TÜÄ) Şmecher Bei „sleek“ denkt man als Naheliegendstes an das Fell einer Katze, das sich angenehm streicheln lässt, weil es glatt ist. Unsere Versuchspersonen (VP) kommen zuerst auf das Wort „şmecher“. In unserem Kontext kommen dafür zwei Bedeutungen in Frage: 1. ein Beschreibungsmerkmal, das sich auf die Autos bezieht und die Bedeutung wäre etwas, das „angeberisch“ bzw. „beeindruckend“ wirkt; 2. oder es könnte so etwas wie „tückisch“ bedeuten: ein tückisches Wort, das schwer zu übersetzen ist. Die erste Bedeutung wird durch die Tatsache bestätigt, dass es in der Zeile 44 nochmals eindeutig als Übersetzung für „sleek“ vorgeschlagen wird: „Maşini şmechere“ (= angeberische, beeindruckende Autos). Elegant Bei „elegant“ handelt es sich ebenfalls um eine automatische Assoziation und es ist auch eine der Übersetzungen, die das Wörterbuch liefert. Im Kontext mit „design“ wird das Wort im Rumänischen sowie im Französischen mit „elegant“ bzw. „élégant“ wiedergegeben. Maschinell wird im Google-Wörterbuch englisch-rumänisch „sleek new cars“ mit maşini elegante noi (google translate) wiedergegeben. <?page no="248"?> Dies ist eine Lösung, mit der sich viele Menschen zufrieden geben würden. Die Frage, die sich uns aufdrängt ist: Warum fragt dann VP 3 seine Kollegen: „Was haltet ihr davon? “ (16) „Ist es nicht mehr als elegant? “ (17), womit er VP 1 verunsichert und zur Antwort zwingt: „Ich weiß es nicht…, aber es ist ein formaler Begriff“ (17-18). Strǎlucitoare & lucios Was VP 1 mit „formal“ meint, erfahren wir aus der Reaktion von VP 2. Offenbar meint VP 2, dass VP 1 die Wiedergabe durch „elegant“ als zu farblos empfindet und schlägt „ strǎlucitoare “ [strahlend] (17) und „ lucios “ [glänzend] (18) vor, zwei Adjektive, die in ihren Augen die vorbeiflitzenden Wagen wohl besser beschreiben. Moderne, confortabile, scumpe Dies bringt VP 3 dazu, nochmals das Originalwort „sleek“ aufzugreifen und auf den ersten Eindruck zurückzukommen, dass das Wort „sleek“ mehr bedeutet als einfach „ elegant “; er bringt als neues TÜÄ das Adjektiv „ moderne “ (21), worauf VP 2 „ confortabile “ (22) [bequem] vorschlägt, was bei VP 3 zum TÜÄ „ scumpe “ (23) [teure] führt. Es ist an der Zeit eine Weile innezuhalten und uns zu fragen, wie die VP auf diese verschiedenen Vorschläge kommen, die in keiner Weise das Ergebnis eines logisch strukturierten Denkens ist, das etwa auf eine stringente Semanalyse des ausgangssprachlichen Wortes aufbauen würde. Die Tatsache, dass VP 3 (21) auf das Originalwort „sleek“ zurückkommt und es in einem Atemzug mit dem rumänischen „ moderne “ - „ sleek şi moderne “ - nennt, scheint auf sein Bedürfnis zurückzuführen zu sein, eine neue semantische Energie zu schöpfen, indem er eine semantische Wolke schafft, die ihn mitreißt - ein Prozess, den die Kreativitätsforscher als „Flüssigkeit des Denkens“ charakterisieren und mit dem Terminus „ flow “ bezeichnen. Man wird an Gadamers Vorstellung vom Spiel erinnert, in das der Spieler sich begibt, um dann mehr und mehr vom Spiel ergriffen und ‚gespielt‘ zu werden. In diesem Prozess wird der Weg für neue Assoziationen intuitiver Art wie „ confortabile “ und „ scumpe “ frei gemacht, die allerdings ebensowenig mit der Semantik von „sleek“ zu tun haben, sondern, wie wir sehen werden, das Ergebnis einer assoziativen Verkettung unter dem Druck der Text-„Atmosphäre“ (wie sie die Versuchspersonen in Z. 60 nennen) bzw. der Text-Isotopien (wie man linguistisch formulieren würde) ist. Aber nicht nur die Versuchspersonenen untereinander befinden sich bei der Aushandlung des Sinns im Gadamerschen Dialog. Die Berufung auf die Textatmosphäre als Evaluationskriterium entspricht auch Gadamers Auffassung von der Sinnkonstruktion im ‚Dialog‘ mit dem Text. Desgleichen findet hier auch 248 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="249"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 249 der epistemologische Wert vom Spiel mit den Worten bei der Sinnkonstruktion seine Bestätigung. Es erinnert an Paepcke / Forgets (1981) Vergleich mit dem Fußballspiel, bei dem der Ball so lange vor dem gegnerischen Tor hin und her zugespielt wird, bis sich eine offene Schusslinie ergibt. Extravagante vs. confortabile Dieses „Mitgerissen werden“ führt leicht zu Übertreibungen, wie Stendhal in De l’amour feststellt, wenn er über den Kristallisationsprozess spricht, der den Liebhaber dazu bringen kann, der Geliebten in übertriebenem Maße Qualitäten zu verleihen, die sie nicht hat. Genau dies ist der Fall in dem Beziehungsspiel, das unsere Versuchspersonen mit dem Text eingegangen sind. Vom Kontext mitgerissen - „gespielt“, wie man es in Anlehnung an Gadamer formulieren könnte - schlägt VP 2 „ extravagante “ (25) vor, wird aber sofort von VP 1 zurechtgewiesen, die davor warnt, den Aspekt der Bequemlichkeit unbeachtet zu lassen, an dem sie zu hängen scheint - cf. „ confortabile “ (22) und „ confortabil “ (27) -, wenn es vermeintlich um die Semantik von „sleek“ geht: „ nu recupereazǎ ideea asta de confort “ [es gibt nicht den Aspekt der Bequemlichkeit wieder] (26). Textlinguistisch gesehen geht es den Versuchspersonen also um das Kriterium der Textkohärenz und der Kompatibilität mit ähnlichen TÜÄ en für „sleek“. Vǎcsuite Nachdem VP 3 den Vorschlag „ extravagante “ von VP 2 als „ prea mult “ [zu viel] (25) ausgeschlossen hat, kommt VP 3 auf die Vorstellung von etwas Glänzendem zurück und schlägt „ vǎcsuite “ [poliert] (28) vor. Auch dies ist allerdings eine „extravagante“ kreative Problemlösung. In den gängigen zweisprachigen Wörterbüchern kommt „ vǎcsuite “ nicht vor. Der DEX (Dicţionar Explicativ Român, 2009) definiert „ vǎcsuite “ mit: „ uns cu vacs “ [mit Wachs poliert]. Dass VP 3, die dieses TÜÄ eingebracht hat, sofort danach einen Rückzieher macht und fragt, ob es das Wort überhaupt im Rumänischen gibt - „ Se zice în română văcsuite? aţi auzit? [Sagt man das auf Rumänisch? Habt ihr das schon gehört? “ - bestätigt Stolzes (2003) Vorstellung vom „Überwältigsein“ des Übersetzers durch das Wahrheitsgeschehen des Textes. Der kreative Vorschlag kommt intuitiv (nicht durch ein logisches bewusstes Analysieren), ein Prozess, der bei VP3 eine gewisse Unsicherheit auslöst, die, wie unsere übersetzungshermeneutischen Korpora zeigen, oft zum Verzicht auf gute kreative Problemlösungen führen kann. Unser Korpus zeigt, wie dieses etwas kreative, ausgefallene TÜÄ - „ vǎcsuite “ auch insofern etwas exotisch Anregendes hat, weil es vom deutschen Wort ‚Wachs‘ abgeleitet ist - dann zu weiteren kreativen Momenten führt, die fundamentale Charakteristika kreativer Problemlösungsverfahren aufweisen: Visualisierung gelebter Szenen (Fillmores scenes-and-frames-semantics ) und assoziative Verkettungen (Lakoffs chainings ). <?page no="250"?> Ghetele vǎcsuite Die erste Visualisierung führt bei VP1 zu einer unliebsamen Erinnerung („ amintesc “ (32) [ich erinnere mich] ist, was man in der Kreativitätsforschung einen ‚starken Indikator‘ für einen Visualisierungsprozess nennt) an eine für ihn emblematische Szene aus seiner Zeit des Militärdienstes, bei dem die „ ghetele “ [Stiefel] übertrieben poliert werden mussten: „es hat eine eher negative Konnotation für mich, ich erinnere mich nur an den Militärdienst mit den polierten Stiefeln“ (32-33). Bei VP 3 führt das Bild von den polierten Stiefeln dann allerdings zu einer kreativen Problemlösung. Nach diesem Ausflug in persönliche Erinnerungen kehren unsere Versuchspersonen wieder zu ihrer alten Liebe zurück, nämlich die Übersetzung durch „ elegante “ (36), die einer neuen Evaluation unterzogen wird und von VP 1 als „ prea sec “ [zu trocken] (37) befunden wird, welche damit semantisch präzisiert, was sie weiter oben gemeint hat, als sie „ elegant “ als ein „ termen formal “ (18) bezeichnet hat, was dann ja zu einer Reihe von Vorschlägen geführt hat, die mehr an die Sinne appellierten. VP3 greift dieses Urteil wieder auf - „ prea sec “ (37) - und erläutert: „ prea puţin faţǎ de cuvântul englezesc “ (37-38) [zu wenig in Bezug auf das englische Wort]. Hier wird explizit deutlich, was wir bereits oben vermutet haben: Wenn VP 3 sagt „ ne-ar trebui un cuvânt care să le recupereze pe toate “ (23-24) [wir bräuchten ein Wort, das alles wiedergibt] oder, weiter unten, „ un cuvânt care să exprime cât de cât ceva “ (35) [ein Wort, das von allem ein bisschen ausdrückt], dann ist mit dem Wort ‚allem‘ bei den Versuchspersonen, die Gesamtheit der pertinenten Merkmale des Wortes „sleek“ gemeint. In Wirklichkeit stehen sie aber in ihrer Leibhaftigkeit unter dem Einfluss der Sinneseindrücke, die den gesamten Text durchwirken. Und wenn sie den Übersetzungsvorschlag „ elegante “ als „ prea sec “ [zu nüchtern] bzw. als „ prea puţin “ [zu wenig] empfinden, dann muss man sich fragen: ‚zu nüchtern‘ oder ‚zu wenig‘ in Bezug worauf ? Die Antwort wird in Zeile 60 unseres Korpus gegeben, wenn „ atmosfera aia de lux “ [diese Luxusatmosphäre] als Selektionskriterum für die Aufnahme eines TÜÄ als Lösungsvorschlag angeführt wird. Ca scoase din cutie Und VP 3 ist auch diejenige, die die kreative Lösung findet: „ ca scoase din cutie “ (41), was man wohl am besten mit [wie frisch aus dem Ei gepellt] übersetzen könnte. Es handelt sich um eine Redewendung, die auf die makellose Erscheinung von Personen aufmerksam macht und häufig beim Auftreten von Showbizz-Divas benutzt wird. Diese Problemlösung veranschaulicht mehrere kognitive Prozesse, die zum hermeneutischen Gedankengut gehören. Zunächst bestätigt sie Heideggers 250 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="251"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 251 Aussage: „Den Bedeutungen wachsen Worte zu“. Aus dem Datenkorpus ist ersichtlich, wie die Bedeutung, die es wiederzugeben gilt - nämlich der im Rahmen der ersten „naiven Lektüre“ (Ricœurs „arc herméneutique“) konstituierte Sinn -, sich allmählich zu präzisieren beginnt und durch eine Aufzählung der einzelnen Merkmale, die in den aufgezählen TÜÄ jeweils aktiviert werden, allmählich durch diese zusammenfassende Lösung wiedergegeben wird. Man könnte sagen, dass wir es mit einer „ Scene “ im Fillmorschen Sinn zu tun haben (nämlich die Inszenierung der neuen Opulenz in den neuen Bundesländern), die sich auf Grund der ausgangsprachlichen Textmerkmale im Mentalen des Übersetzers konstituiert hat, die aber noch nicht aktualisiert, demnach unausgesprochen ist und nun nach Worten ringt. Bei diesem Ringen um Worte wird die Szene in einzelne Merkmale zerlegt, die auf dem Weg zur zielsprachlichen Problemlösung als sprachliche Stütze fungieren. Ein den Kreativitätsforschern bekannter Problemlösungsprozess im Sinne von Guilfords (1975) Konzeption einer Kreativität als „Problem solving activity“: Die „flüssige“ Aufzählung von Szenenelementen führt assoziativ zu kreativen Problemlösungen. Und zwar ist es das Werk der kreativen VP 3, die sich im Dialog mit den anderen Versuchspersonen allmählich an die „allesumfassende“ metaphorische Problemlösung heranarbeitet. Zunächst steht für VP 3 die Zielvorstellung fest: „Wir brauchen ein Wort, das alles wiedergibt“ (24), in Zeile 35 wird dies nochmals bekräftigt: „ein Wort, das von allem etwas wiedergibt“. Zwischendurch werden einzelne Merkmale der in ihrem Kopf konstituierten Szene aufgezählt, die dann in der Endformulierung zusammengefasst werden: vǎcsuite (28), ultraspǎlate şi ultraaranjate (31) und schließlich „ ca scoase din cutie “ (41). Solche brainstormartige Aufzählungen von Elementen einer visualisierten Szene, die letztlich zu einer metapherartigen die einzelnen Elemente vereinenden Gesamtvision zusammengefügt werden, ist ein gängiger Kreativitätsprozess, der in unserem „Übersetzungshermeneutikkorpus“ (cf. Cercel 2013: 143) wiederholt belegt ist. Einen ähnlichen Problemlösungsprozess finden wir auch bei Kußmaul (2000: 155). Im vorliegenden Fall wagen wir auch noch, an einen Assoziationsprozess im Sinne von Lakoff (1987) und seinen „ chainings “ zu denken. Saubere Stiefel stellt man sich als Geschenk in einer „ cutie “, also einer Schuhschachtel, vor. Auch die unmittelbare syntagmatische Nähe von „new“ mag zu einem semantischen Assimilationsprozess geführt haben, so wie wir ihn phonetisch von der Assimilation in der Lautkette her kennen. Darauf folgt ein Evaluationsprozess, der in einen Konsolidierungsprozess mündet. Zunächst wird Konsens hergestellt. Sowohl VP 1 (57) als auch VP 2 (47) machen diese kreative Lösung zur eigenen Sache, indem sie sie explizit wiederholen. VP1 stellt fest, dass das Ziel, einen Ausdruck zu finden, der möglichst viel <?page no="252"?> des vermeintlichen ausgangssprachlichen „Wortes“ wiedergibt, erreicht wurde: „ recuperează multe chestii “ (42) [gibt viele Elemente wieder]. Selbstkritisch und gewissenhaft gibt VP 3 jedoch zu bedenken, dass vielleicht auch einiges verlorengeht: „ Dar şi pierde altele? “. Aus seiner Bemerkung, dass man ja wohl nicht mit „ şmechere “ (44) übersetzen kann - „ maşina nu e şmecherǎ “ (44-45), da das zu umgangssprachlich wäre („ prea colocvial “, 44-45), wie ihm VP1 beipflichtet - kann man schließen, dass dies wohl ein semantisches Element wäre, das seine gefundene Lösung nicht berücksichtigen konnte. Doch seine Gesprächspartner räumen diese Zweifel aus: VP2, indem sie die kreative Lösung bekräftigend wiederholt (47), und VP 1, indem sie auf wichtige Sinnelemente aufmerksam macht, die diese Lösung beinhaltet, wie den Charakter des Neuen („ noi-nouţe “, 49) bzw. des Perfekten, des Makellosen („ ireproşabile “, 50). Und schließlich wiederholt auch VP 1 (57) bekräftigend die kreative Endlösung, nachdem ein weiteres TÜÄ als „ nu e prezentă în text “ [nicht im Text stehend] (56) ausgeschlossen wurde. 1 Coup de théâtre! VP 4, die kein einziges Mal in die Diskussion eingegriffen hat, sagt autoritär: „ maşini elegante e suficient să creeze atmosfera aia de lux “ (59-60) [elegante Autos reicht aus, um diese Luxusatmosphäre zu schaffen]. Sie war auch diejenige, die als erste ein TÜÄ geliefert hat, und zwar genau dieses - „ maşini noi şi elegante “ (15) - zu dem dann die gesamte Gruppe zurückkehrt, nachdem VP 3 sie quasi als Gruppensprecher bestätigend endgültig aufgenommen hat: „ maşini noi şi elegante “ (65-66). Die gesamte Gruppe? Nein, so einfach ging das nicht. Bei der Abstimmung hält sich VP 1 mit ihrer Stimme zurück, und VP 2 ist kritisch. Und was ist mit VP 3? Zwar meint VP 3, dass sie mit dem Vorschlag von VP 4 „leben kann“, aber warum greift sie zum englischen „ I can live with that “ (61), um dies mitzuteilen? Offenbar ist sie nicht so ganz überzeugt. Der Leser erinnert sich an das sprachliche Verhalten des Priesters in Hemingways A Farewell to Arms , als er Henry nach seinem Glauben fragt: Er benutzt die Fremdsprache und fragt auf Französisch im englischen Text: „ Are you croyant “, weil es um eine Frage geht, die in die Intimität des Gesprächspartners eindringt. Desgleichen verrät der Gebrauch der Fremdsprache in unserem Korpus, dass VP 3 betroffen ist und ihre Intimität 1 Wobei das Kriterium „nicht im Text stehend“, mit dem dieses TÜÄ ausgeschlossen wird, natürlich umgekehrt beweist, dass die anderen von den Versuchspersonen vorgeschlagenen TÜÄ als im Text stehend betrachtet werden müssen, was wiederum impliziert, dass für diese Versuchspersonen unter „Text“ auch das zu verstehen ist, was „zwischen den Zeilen“ steht. Dies steht in eklatantem Widerspruch zu analytischen Ansätzen, die plakativ behaupten: „Wir können daher z. B. die Verzweiflung in Georg Büchners Lenz nicht übersetzen (es sei denn, sie kommt als konkreter Ausdruck vor), sondern wir brauchen zum Übersetzen eine Manifestation der Verzweiflung als konkretem Ausdruck, den wir ‚transportieren‘ können. Nur den Ausdruck können wir jeweils ‚über‘-setzen“ (Gerzymisch 2013: 73-74). Dazu ausführlicher Bǎlǎcescu/ Stefanink (2014). 252 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="253"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 253 nicht ausliefern will: Sie hat ihre Auseinandersetzung mit dem Text „gelebt“ und nachdem sie sich so weit emotional mit ihren Vorschlägen vorgewagt hat, fühlt sie sich nun plötzlich durch die Nüchternheit von VP 4 zurückgestaucht. 5 Evaluation der übersetzerischen Leistung Woher dieser Unterschied im Textverständnis? Und wer hat Recht? Oder kann man beide Vorschläge akzeptieren? Folgt man Gadamers Auffassung vom Übersetzen als Dialog mit dem Text, so hat VP 4 eigentlich gar nicht übersetzt. Er hat sich gar nicht auf das Spiel mit dem Text eingelassen. 2 Die drei anderen dagegen haben es getan und sind immer tiefer, ‚mit Leib und Seele‘, in das Textverständnis eingedrungen, haben sich von den Sinneseindrücken überwältigen lassen und haben diese Sinneseindrücke auch wiedergegeben. Sie waren im Stande, im Sinne von Schleiermacher, „aus ihrer eigenen Gesinnung herauszugehen in die des Schriftstellers […] um die Luft [des Textes] […] zu verstehen“. Was Schleiermacher die „Luft“ nennt, ist die „Atmosphäre“ bei unseren Versuchspersonen. Wer hat am besten das Gemeinte im Gesagten (Stolze 2003) wiedergegeben? U. E. war die kreative metaphorische Lösung, die einen Gesamteindruck vermittelt, die adäquatere Lösung. Der gesamte Text ist nämlich von Sinneseindrücken geprägt, mit denen es dem Autor gelingt, pertinent die Atmophäre des neuen Deutschland wiederzugeben. Der Leser erlebt den Text mit all seinen Sinnen; eine Übersetzung, die an die Sinne appelliert, ist somit der Textintention angemessener. Die drei an der Problemlösung aktiv beteiligten Versuchspersonen sind von der „Stimmigkeit“ 3 ihrer Lösung überzeugt: „ recuperează multe chestii “ (42) mit den „Nuancen“ (42). Diese Lösung ist eine holistische metaphernhafte Antwort auf einen holistisch erfassten die Sinne ansprechenden Textsinn. Es ist die Kristallisierung eines den Text durchwirkenden Sinns in einer aussagekräftigen Metapher. Sucht man im Internet über Google nach „ elegant “ und „ ca scoase din cutie “ so findet man zahlreiche Textstellen, 4 in denen sie quasi als Synonyme benutzt 2 Er verhält sich so wie es Mavrodin (2001: 121) in Bezug auf den Übersetzungskritiker beschreibt, er hat nicht die nötige Empathie mit dem Text, „er lässt vom Flugzeug aus grüßen“, anstatt mit dem Text zu „verschmelzen“ und zu einer „quasi-materiellen Intimität mit dem Text zu gelangen“. Und Irina Mavrodin, die für die Qualität ihrer Übersetzungen vom französichen Kultusministerium ausgezeichnet wurde und ihre „Pratico-Théorie“ aus der übersetzerischen Praxis heraus entwickelt hat, weiß, wovon sie spricht. 3 Über den Begriff der „Stimmigkeit“ als Evaluationskriterium s. Bǎlǎcescu/ Stefanink (2012). 4 Hier nur zwei kurze Beispiele: 1) http: / / www.click.ro/ vedete/ romanesti/ exclusiv-reginamodei-de-3-ani-acelasi-pulover-la-azil10 Mai 2016: „… de lux pe bandă rulantă, iar ea era mereu ca scoasă din cutie. … Ţinutele ei elegante şi variate, pălăriile sale şic, pantofii <?page no="254"?> werden. Von der Kernsemantik her könnten somit beide passen, doch angesichts der Sinnlichkeit, die in diesem Text vorherrscht, kann man sehr wohl verstehen, dass die drei Versuchspersonen, die den Text gelebt und gefühlt haben, die metaphorische Lösung, auf die sie gekommen sind, für angemessener halten. 6 Nihil ex nihilo! Vertraut man der ehrlichen Absicht unserer Versuchspersonen, den Text zu übersetzen, so darf man ihre Übersetzungsvorschläge nicht unbeachtet lassen. Hirngespinste, die einfach aus dem Nichts heraus entstanden wären? Man muss jedem einzelnen TÜÄ nachgehen und versuchen nachzuvollziehen, welche Textmerkmale bei den Textrezipienten zu den verschiedenen Vorschlägen Anlass gegeben haben könnten, etwa im Sinne von Coserius Auffassung von Textlinguistik, deren Aufgabe darin besteht, den verstandenen Sinn zu rechtfertigen, indem man den Text auf die Textelemente hin untersucht, die ihn provoziert haben könnten: Das bedeutet dementsprechend, den bereits verstandenen Inhalt auf einen bestimmten Ausdruck zurückzuführen, zu zeigen, dass dem signifié des Makrozeichens im Text ein spezifischer Ausdruck entspricht. In der Hinsicht ist also die hier behandelte Textlinguistik Interpretation, Hermeneutik. (Coseriu 1980: 151) Um eine möglichst natürliche Sinnkonstruktion zu gewährleisten, wurden für die vorliegende Übersetzung Versuchspersonen ohne übersetzungstheoretische Vorkenntnisse ausgesucht, die auch nicht in die Zwangsjacke eines „schrittweisen Vorgehens“ 5 gezwungen wurden. Sie unterscheiden sich vom normalen Leser lediglich durch die Tatsache, dass sie den Sinn explizitieren müssen, um ihn übersetzen zu können. Ihre TÜÄ sind die Meilensteine, zu denen sich der zwischen den Isotopien schwebende Sinn auf dem Weg zur Habermasschen „konsensuellen Wahrheit“ kristallisiert. Diese Isotopien sind laut Greimas (1966) die strukturelle Grundlage jeglichen Textverständnisses. Sie sind textkonstitutiv, indem sie Kohärenz herstellen. Die Grundlage dieser Kohärenz sind gemeinsame Sinnlemente, durch die die verschiedenen Isotopieglieder miteinander verbunden werden. Diese Verbindung wird aber erst durch das Einwirken des Lesers hergestellt. Genau genommen ist der Sinn also nicht zwischen den Zeilen, wie es Schleiermacher de firmă par a fi … “; 2) http: / / www.tomatacuscufita.com/ 2014/ 10/ 02/ lista-realizari/ 2 Oct 2014: „[…] Mi-ar plăcea să mă învârt în cercurile sau în mediile în care să fiu mereu la 4 ace, elegantă, pe tocuri, fardată ș i să arăt ca scoasă din cutie.“ 5 Wie z. B. von Gerzymisch (2013: 28) präkonisiert. 254 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="255"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 255 formuliert bzw. hinter den Worten (Gadamer), sondern im „Orient des Textes“, wie es Ricœur (1986: 156) metaphorisch darstellt: Der Sinn ist virtuell da, wird aber erst durch die Interpretation aktualisiert. Grondin (2013: 96) spricht bei Ricœur vom „monde du texte qui se lève dans l’interprétation“. Man könnte die Metapher 6 weiter spinnen und den Sinn mit einem Nebel vergleichen, der sich zwischen den Isotopiesträngen erhebt, um dann - wie die Tropfen, zu denen der Nebel schließlich kondensiert und herabfällt - zu Worten zu kristallisieren, die die jeweiligen Aktualisierungen von Szenenelementen der virtuellen mentalen Sinnvorstellung des Übersetzers darstellen. 7 Der semantische Druck der Isotopien bei der Sinnkonstitution Unser Datenkorpus zeigt, dass die Übersetzungsvorschläge zur Übersetzung von „sleek“ auf den Druck der den Text durchwirkenden Isotopien zurückzuführen sind. Der gesamte Text wird von einer Isotopie sinnlicher Opulenz beherrscht, die sehr pertinent die vom kapitalistischen Reichtum des Westens überwältigten Gefühle der ostdeutschen Bürger verkörpert. Stilistisch wird diese Isotopie der Opulenz durch die Zahl der Adjektive im Text unterstützt. Diese alles beherrrschende Isotopie wird von einer Reihe von Sub-isotopien getragen: Die Sub-isotopie Glanz und Glitter: Übersetzungsvorschläge wie „ strǎlucitoare “ (17) [strahlend], „ lucios “ (18, 30) [glänzend], „ lucioase “ (30) [glänzend], „ uns “ (30) [geölt], „ vǎcsuite “ (28, 34), „ vǎcsuit “ (31) [poliert] können auf Adjektive im Originaltext wie „shiny“ (service stations), „gleaming“ (self-service restaurants), „magnificent“, zurückgeführt werden. Sie bilden die Sub-isotopie von „Glanz und Glitter“. Die Sub-isotopie Komfort und Reichtum: Eng verbunden mit dieser Subisotopie „Glanz und Glitter“ ist die Sub-isotopie „Komfort“, die explizit durch das Wort „ comfortable “ (burghers) repräsentiert ist, sowie durch eine Reihe anderer Wörter, die mit der Szene „Komfort“ verbunden sind. So schwingt z. B. im Wort „ burghers “ eine Konnotation von Komfort mit, im Gegensatz zu „ citizens “, das der Autor im paradigmatischen Bereich der Einwohner von Dresden ebenfalls 6 Wir haben bewusst diesen Vergleich angestellt, da wir mit Kognitionsforschern wie Lakoff/ Johnson (1980) vom epistemologischen Wert von Metaphern überzeugt sind, auch auf die Gefahr hin, von Skeptikern wie Durieux belächelet zu werden, die über einen „Sinn, der zwischen zwei Sprachen schwebt“, ironisiert; da das ja „zwischen zwei Stühlen sitzen“ hieße: „Toutefois, cette approche herméneutique de la saisie du sens remet en cause la notion de déverbalisation. De fait, qu’est-ce qu’une pensée nue sans support verbal ? L’affirmation de l’existence d’une phase de déverbalisation s’intercalant entre compréhension et réexpression n’est guère tenable, le sens déverbalisé flottant entre deux langues un peu comme on peut être assis entre deux chaises“ (Durieux 2009: 354). <?page no="256"?> hätte auswählen können. Die gleiche Konnotation von Komfort wird auch durch das Bild der „well-dressed women […] who gather for creamy coffee and gigantic pastries“ gefördert. Das ganze Szenario wird vom „French champagne“ gekrönt, an dem die komfortablen Bürger nur vornehm „nippen“ anstatt ihn banal zu trinken; und Champagner ist nun mal ein Erfolgssymbol. Dies sind die Szenen, die dazu führen, die Idee von „ confort “ (26) in das Wort „sleek“ hineinprojizieren zu wollen und Vorschläge wie „ confortabile “ (22) [komfortabel] und „ scumpe “ (23) [teuer] auslösen, wobei der letzte Vorschlag sicher auf das Bild der „well-stocked“ convenience stores zurückgeht. Die Sub-isotopie Neuheit und Makellosigkeit: Die Isotopie der Neuheit der Autos wird gleich zu Texteingang explizit ausgedrückt. Sie wird mit den Autobahnen fortgesetzt, die nicht einfach gerade und gepflastert sind, sondern „begradigt“ [straightened] und „neu gepflastert“ [repaved], was auf einen allgemeinen Prozess der Erneuerung schließen lässt. Aber die Idee der Neuheit und Makellosigkeit beschränkt sich nicht nur auf diese expliziten Worte. Sie ist auch im Bild der „well-dressed women“ oder des „magnificent neo-classical opera house“ impliziert - umso mehr, wenn man weiß, dass die Stadt Dresden im zweiten Weltkrieg zu 80 % zerstört worden war und wieder aufgebaut wurde, wobei dem berühmten Opernhaus besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das ist die Art von Informationen, die der Übersetzer zu sammeln hat, um zu einem wissensbasierten Textverständnis zu gelangen („grounded understanding“ bei Stolze 2011: 68). Diese Isotopie spiegelt sich in unserem Korpus in einer Reihe TÜÄ wie „ noi-nouţe “ (49) [brandneu], ireproşabile (50) [makellos], „ ultramoderne “ (54, 55), „ ultraspǎlate “ (31) [ultra-gewaschen], „ ultraaranjate “ (31) [ultra-ordentlich]. Die Sub-isotopie Gigantismus und Antropomorphismus = Dynamik: Aber selbst, wenn die VPn schließlich zu extremen Übersetzungsvorschlägen wie „ extravagante “ (25) kommen, oder wenn Informant 1 feststellt, dass der metaphorische kreative Vorschlag „ ca scoase din cutie […] eine Nuance von Extravaganz beinhaltet, die nicht wirklich im Text steht“ [ o nuanţǎ de extravaganţǎ […] care nu e prezentǎ în text neapǎrat ] (55-56) muss es im Ausgangstext Textelemente geben, die dafür verantwortlich sind. Wer anfangs der neunziger Jahre mit der Eisenbahn von Bielefeld über Berlin in Richtung Polen durch das ehemalige No Mans’s land zwischen Ost- und West- Berlin gefahren ist, wird für immer das beeindruckende Gewirr von Baukränen, die bedrohlich hoch gegen den Abendhimmel ragen, im Gedächtnis haben. Dies ist genau, was wir in unserem Ausgangstext vorfinden. Es ist dem Autor in prägnanter Weise gelungen, diese Atmosphäre von Gigantismus wiederzugeben, mit den Elementen, die sie charakterisieren: „enormous supermarkets“, „shopping emporiums“, „giant cranes“ etc. 256 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="257"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 257 Aber das ist nicht alles. Eingebettet in diese Atmosphäre des Gigantismus haben wir eine Isotopie des Anthropomorphismus. Die riesigen Kräne „stehen“ nicht einfach da. Sie „ragen hoch gegen“ den Himmel [ stand tall against the sky]. Sie sind irgendwie in Aktivität und versuchen, den Himmel wie Wolkenkratzer zu „kratzen“. Und die Einkaufszentren sind nicht nur einfach da, sondern sie „ dot the landscape“, sie schießen wie Pilze aus dem Boden nach dem Regen. Die service stations sind nicht einfach „equipped with well-stocked convenience stores“, nein, sie bewegen sich, sie „ come equipped with“. Die Autos sind nicht statisch beschrieben, sondern sie sind in Bewegung, sie rasen („ speed “) mit Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn. All diese Elemente tragen dazu bei, dass eine Art von Dynamik und Aggressivität in der dargestellten Szene herrscht. Jemand, der die notwendige Empathie mit dem Text hat und „vom Spiel gespielt wird“ (Gadamer) fühlt sich in einen mysteriösen erschreckenden Wald versetzt, mit den Zweigen der Bäume im Wind, die wie Arme wahrgenommen werden, die nach ihm greifen. Das ist die Atmosphäre der Übernatürlichkeit, die in dem Wort „ extravagante “ (25) kristallisiert, auch wenn dies sicher eine extreme, subjektive Wahrnehmung ist - und wahrscheinlich eher im Sinn von „ausgefallene, auffallende“ (Autos), im Vergleich mit dem, was man in Ostdeutschland gewohnt war, zu verstehen ist -, die dann auch sofort zurückgenommen wird (26-27). Die Tatsache, dass aber dieser Vorschlag der VP 2 aus der Zeile 25 nochmals in Zeile 55 wieder aufgegriffen wird, und zwar von VP 1, um die Übersetzung durch „ ca scoasǎ din cutie “ nochmals zu untertstützen, lässt vermuten, dass diese „ nuanţǎ “ (42) bei mehr als einer Person diffus im Raum vorhanden ist, wenn nicht direkt dann eben als „Nuance“. 8 Die Kristallisation des zwischen den Isotopien virtuell „schwebenden“ Sinns In seinem Essay De l’amour beschreibt der französische Schriftsteller Henry Beyle, alias Stendhal, das Phänomen der „Kristallisation“ als einen Prozess, bei dem ein begeisterter Liebhaber der geliebten Frau durch Übertreibung Merkmale zuschreibt, die sie in Wirklichkeit nicht hat. Mag sein, dass dies mit dem TÜÄ „ extravagante “ geschieht und die genannten beiden Versuchspersonen ähnlich übertrieben reagiert haben, wie Stendhals Liebhaber. Tatsache bleibt, dass diese Versuchspersonen in einem Spielprozess involviert sind, so wie Gadamers Tennisspieler, der auf den Ball des Gegners reagieren muss und in das Spiel hineingezogen wird, oder wie die Tänzerin, die sich von der Musik tragen lässt, auf die sie reagiert: Je mehr der Übersetzer in den Text involviert ist, bis hin zur Horizontverschmelzung, desto mehr wird er auch „vom Text gesprochen“ und desto mehr wird der von ihm gefühlte Sinn, im Sinne von Stendhals Kristallationsprozess, <?page no="258"?> zu Worten „kristallisiert“: „Den Bedeutungen wachsen Worte zu“ (Heidegger 11 1967: 160). Unser Datenkorpus zeigt, dass diese übertriebenen Kristallisationen sofort einer Bewertung unterzogen werden: „Das ist zu viel“ [ prea mult ] (25), sagt VP 3, in einem Atemzug mit VP 1 (26). Das Bewertungskriterium ist die interne Kohärenz des Zieltextes. „Extravagant“ ist nicht kompatibel mit der Vorstellung von Komfort: „ nu e tocmai confortabil “ (27), die für VP 1 prioritär bei der Textkohärenz zu berücksichtigen ist, wie das von VP 1 angeführte Ausschlusskriterium offenbart: „ nu recupereazǎ ideea asta de confort “ (26). 9 Was haben wir aus diesem Experiment gelernt? Welche Erkenntnisse hat uns unser Datenkorpus vermittelt? 1. „Aucune tête de traducteur n’est vierge de théories! “ (Bǎlǎcescu / Stefanink 2003), wie aus unseren Datenkorpora eindeutig hervorgeht. Unsere Versuchspersonen haben „Übersetzungsmaximen“ (Krings 1986) theoretischer Art im Kopf, denen sie zu gehorchen vermeinen: Sie wollen das Wort „sleek“ übersetzen, indem sie die signifikanten Merkmale dieses Wortes wiederzugeben versuchen. 2. In der Praxis erweist sich, dass sie so stark vom Gesamteindruck, den der Text auf sie ausgeübt hat, „überwältigt“ sind, dass sie die „Atmosphäre“ des Textes in dieses Wort hineininterpretieren und hineinprojizieren. 3. Dieser Gesamteindruck wird durch starke Sinneseindrücke geprägt, die an die Leibhaftigkeit des Übersetzers appellieren. Die Versuchspersonen haben diese Sinneseindrücke bei der ersten „naiven“ holistischen Gesamtlektüre des Textes - im Sinne von Ricœurs erstem Schritt im Rahmen des „arc herméneutique“ - erfahren und versuchen, sie durch Tentative Übersetzungsäquivalente (TÜÄ) wiederzugeben. Dies auf der Basis einer intimen „Horizontverschmelzung“ im Sinne von Gadamer. 4. Erzeugt wird dieser Gesamteindruck durch die den Text durchwirkenden Isotopien. Sie sind sinnkonstitutiv. Der Sinn entsteht in der Textrezeption durch den Empfänger, der im Rezeptionsprozess Verbindungen zwischen den einzelnen Gliedern einer Isotopiekette, sowie zwischen den Isotopieketten untereinander herstellt. Dieser Prozess verläuft unbewusst assoziativ. „Le sens se lève à l’horizon du texte“, im Sinne von Ricœur (1986 : 155). 5. Die von den Versuchspersonen bei der Evaluierung der TÜÄ angeführten Auswahlkriterien sind holistischer Natur, wie Text-„Atmosphäre“, Textkohärenz usw. 258 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="259"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 259 Die Daten unseres Dialogkorpus weisen unmissverständliche Charakteristika eines hermeneutischen Vorgehens auf. Dies ist bezeichnend und sollte als empirischer Beweis für die Realitätsnähe und somit für die Pertinenz des hermeneutischen Ansatzes in der Übersetzungswissenschaft gewertet werden, da die Versuchspersonen ohne übersetzungstheoretische Vorkenntnisse spontan im Sinne dieses Ansatzes vorgegangen sind und zu einem stimmigen Ergebnis gelangt sind. Auf einer höheren allgemeineren Ebene liefert uns dieses übersetzungshermeneutische Datenkorpus zwei Erkennnsisse epistemologischer Art: zwei fundamentale Erkenntnisse des hermeneutischen Ansatzes, die hier empirisch belegt werden, die sicher nicht zu den von Cercel (2013) wegen ihres „plakativen“ Charakters gerügten „Aussagen“ gehören, da sie ja theoretisch begründet wurden, die jedoch in unserem Datenkorpus empirisch nachvollziehbar gemacht werden. Es handelt sich, zum einen, um Stolzes Auffassung des von der Textwahrheit „überwältigten“ Übersetzers (2003: 111) und, zum anderen, um Heideggers ( 11 1967: 160) Aussage: „Den Bedeutungen wachsen Worte zu“. Wenn es bei Stolze heißt, „[d]ie Hermeneutik hat dies mit der Vorstellung des Überwältigtwerdens von der Wahrheit philosophisch behauptet“ (Stolze 2003: 111), so bietet das vorliegende übersetzungshermeneutische Datenkorpus den empirischen Beleg für diese philosophische Behauptung: Die Absicht unserer Versuchspersonen ist ja nicht, das Wahrheitsgeschehen des gesamten Textes wiederzugeben, sondern sie wollen schlicht und einfach das Wort „sleek“ übersetzen. Sie werden jedoch so vom Wahrheitsgeschehen im Gesamttext überwältigt, dass sie wider ihren Willen dieses den ganzen Text durchwirkende Wahrheitsgeschehen Stück für Stück wiedergeben. Das Mitteilungsgeschehen des Textes ist nämlich die von den ostdeutschen Bürgern wahrgenommene und übernommene „Opulenz“ des kapitalistischen Westens. Dies ist das Rhema dieses Textes, das sie schließlich in einer griffigen Metapher zusammenfassen. Dieses schrittweise Sich-Herantasten an die „stimmige“ zusammenfassende Lösung illlustriert auch treffend Heideggers Aussage von der Bedeutung, der die Worte „zuwachsen“. Die Bedeutung ist nämlich da, sie besteht in der mentalen Vorstellung vom Sinn des Ausgangstextes, der sich im Mentalen des Übersetzers festgesetzt hat. Diese Bedeutung ist vor (! ) den Worten da, da es sich um die deverbalisierte Bedeutung des Ausgangstextes handelt. Sie ist das Verbum interius 7 des Übersetzers, das nach zielsprachlichen Worten ringt, bis eine (vorläufige) 7 Grondin ( 3 2012: 9) schildert eine Begegnung mit Gadamer, bei der er diesen gefragt hat, worin denn die Legitimation des Universalitätsanspruchs der Hermeneutik bestünde. Gadamers Antwort war, in Anlehnung an Augustinus, im „ verbum interius “. <?page no="260"?> Stimmigkeit erreicht ist. Es ist mit dem „Ringen um Sprache“ (Grondin 2013: 10) vergleichbar, das das verbum interius definiert: Das Festhalten an der Aussage und ihrer Verfügbarkeit verbirgt das Ringen um Sprache, das das verbum interius, das hermeneutische Wort, ausmacht. […] Die geäußerte Sprache ist das Depositum eines Ringens, das als solches zu hören ist. ( Grondin 2013: 10 ) Unser Datenkorpus ist die perfekte Illustration eines solches Ringens um Sprache. 10 Der wissenschaftliche Charakter des hermeneutischen Ansatzes Das vorliegende Datenkorpus räumt auch mit dem häufig gemachten Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit des hermeneutischen Ansatzes auf. Er ist im Gegenteil wissenschaftlicher als Ansätze, die unter dem Vorwand der mangelnden Systematisierbarkeit von Intuition und Kreativität diese beiden zum Alltag des Übersetzers gehörenden Faktoren aus ihren Betrachtungen als unwissenschaftlich ausschließen, wie dies z. B. bei Gerzymisch-Arbogast / Mudersbach (1998: 16) geschieht. Karl Popper (1935: 7-8) erklärt die Erfindung des Erfinders als wissenschaftlich, soweit er den Weg, der zu dieser ‚trouvaille‘ geführt hat, intersubjektiv nachvollziehbar darstellen kann. Unser Datenkorpus zeigt diese Nachvollziehbarkeit, auch wenn sie dem hermeneutischen Ansatz abgesprochen werden will (wie bei Gerzymisch 2013: 71 der Fall). Wir haben es somit bei der Übersetzungshermeneutik mit einem der natürlichen Alltagspraxis des Übersetzers angemessenen Ansatz zu tun, der auch wissenschaftlich legitimiert ist, ja wissenschaftlich sogar integrer ist, insofern als er von vornherein Intuition und Kreativität in seine Überlegungen mit einbezieht. Diese Integration von Intuition und Kreativität in die übersetzungstheoretischen Überlegungen sollte ein Prüfstein für jegliche übersetzungswissenschaftlichen Ansätze sein. Unser Datenkorpus offenbart eindeutig, dass die Sinnkonstitution holistischer Natur ist. Die Versuchspersonen ( VP ) haben den Text eingehend gelesen 8 und sind von dem Gesamteindruck so überwältigt, dass sie beim Versuch, das erste Wort dieses Textes zu übersetzen, völlig unter dem Gesamteindruck dieses Textes stehen und diesen Gesamteindruck in das erste zu übersetzende Wort hineinprojizieren. Unbewusst fühlen sie sich der „Übersetzungsmaxime“ verpflichtet, möglichst viele pertinente Züge des ausgangssprachlichen Wortes wiederzuge- 8 Im Sinne von Ricœurs (1986: 156) „compréhension naïve“, als erster Schritt in seinem dreiteiligen „arc de l’interprétation“. 260 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="261"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 261 ben, geben aber in Wirklichkeit Aspekte der Gesamtatmosphäre wieder, welche als Kriterium bei der Aufnahme der verschiedenen Übersetzungsvorschläge in den Kontext fungiert. So schließt VP 4 explizit einen Vorschlag aus, weil er s. E. nicht in die „Atmosphäre“ des Textes passt. Ein zweiter fundamentaler Aspekt des hermeneutischen Ansatzes ist die Rolle der Leibhaftigkeit des Übersetzers bei der Sinnkonstitution. Unser Datenkorpus ist in außerordentlichem Maße von visuellen Eindrücken geprägt. Diese Fülle von sinnlichen Eindrücken ist es schließlich, die zur Wiedergabe durch eine Metapher führt, in der sich diese Vielfalt kristallisiert. 9 11 Fazit Die Analyse des vorliegenden Datenkorpus unterstützt die Legitimität des hermeneutischen Ansatzes: Er ist realitätsnah. Die von „strategischen“ Vorgaben unbelasteten Versuchspersonen lassen sich bei der Sinnfindung, so wie ein normaler Leser, für den ja der Text geschrieben wurde, holistisch vom Text tragen und in ein Spiel mit dem Worten hineinziehen. Im Unterschied zum normalen Leser müssen sie diesen Sinn jedoch explizitieren, um ihn übersetzen zu können. Es zeigt sich, dass bei diesem Prozess der Sinnfindung die den Text charakterisierende Vielfalt der sinnlichen Eindrücke zu einer kreativen Lösung führt, die u. a. die Bedeutung der Leibhaftigkeit des Übersetzers bestätigt. Wahrscheinlich übersetzten die Versuchspersonen damit die Intention des Autors - der ja den Text mit diesen charakteristischen Merkmalen sprachlich ausgestattet hat - im Sinne von Schleiermacher. Ebenfalls im Sinne von Schleiermacher könnte man behaupten, dass die Versuchspersonen den Text vielleicht besser verstanden haben als der Autor und die Übersetzung den Text durch diese kreative Lösung „optimiert“ im Sinne von Kußmaul (2000: 155). Die Versuchspersonen gelangen 9 Lasst uns mit den Worten Douglas Robinsons schließen, die jeder Übersetzer beherzigen sollte: „Sense ist not cognition but sensation […]. Good translators choose words and phrases by reference […] to ‘messages’ or impulses sent by the body: a given word or phrase feels right. Intuitively, […] they know that they are doing the best job they can; but intuitive certainty cracks easily under the unslaught of carefully reasoned theoretical argument” (Robinson 1991: XII). „Instead of controlling the body, explore it. Instead of hiding away, dive down into it and bring what you find to consciousness. Explore the somatic complexity of real translation. Do not assume that the translator’s ‘natural’ impulses will be wrong and that education and regulation is therefore in order, learn to feel what you do when you translate. The chances are that your body has a fairly good idea of what kind of translation is appropriate in given circumstances; by ignoring your body, by allowing translation theorists and translation teachers to direct your attention away from your own somatic sense of appropriateness into the abstract realm of rules and structures, you are alienating yourself from the best tool you have” (Robinson 1991: 34). <?page no="262"?> zu einer stimmigen kreativen Problemlösung, die der Autorintention gemäß ist, indem sie spontan übersetzungshermeneutischen Prinzipien folgen. 10 Bibliographie Bǎlǎcescu, Ioana / Stefanink, Bernd (2003): „Une approche théorique pour la traduction“. 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Chicago: Aldine, 37-59. 10 Auf VP4 trifft zu, was Risku von „laienhaften Methoden“ beim Übersetzen schreibt, nämlich: „Deshalb können sie leicht als Kreativitätshemmer fungieren: Einfälle werden nicht akzeptiert, auch wenn die Zielkommunikation gerade innovative Lösungen bräuchte und die Eigenkreation das Kommunikationsziel ideal träfe“ (Risku 1998: 220). Allerdings war VP4 gar nicht wirklich in den Translationsprozess involviert. 262 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="263"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 263 Heidegger, Martin (1927/ 11 1967): Sein und Zeit . Tübingen: Niemeyer. Ionescu, Tudor (1998): „Le traducteur herméneute“. In: Ionescu, Marina Mureşanu (Hrsg.): Actes. Journées de la francophonie. IV ème edition. Iaşi: Editura Universităţii „Alexandru Ioan Cuza“, 111-114. Ionescu, Tudor (2003): Ştiința sau / şi arta traducerii [ La science ou / et l’art de la traduction ]. Cluj-Napoca: Editura Limes. 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Se zice în român ă v ă csuite? activity; it is more tangible and thus triggers the subsequent 29--------------------------------------------------------------------chaining visualizations that lead to the creative solution. 1: se zice, da eu am auzit, dar m ă duce cu gândul We are fully involved in what Robinson calls the 3: a ţ i auzit? «somatics» of translation. 30--------------------------------------------------------------------gândul [thought] and amintesc [I remember] are indicators 1: la ceva uns, lucios of top down activity which together with the bottom-up 3: p ă i da, în sensul c ă sunt lucioase coming from the text form a fusion of horizons which gives 31--------------------------------------------------------------------birth to the creative solution through the visualization of a 1: dar v ă csuit, nu ş tiu, scene taken from his long time memory: vǎcsuite reminds 3: ş i ultrasp ă late ş i ultraaranjate him of his military service where he had to wax his boots 32--------------------------------------------------------------------in an exagerated way, hence the associations ultraspǎlate ţ 264 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="265"?> Empirische Fundierung einiger fundamentaler Aussagen der Übersetzungshermeneutik 265 1: are o conotaţie uşor negativă eu nu-mi amintesc [ultrawashed] and ultraaranjate [ultraarranged], which 33--------------------------------------------------------------------are lexical creations due to the fusion of his personal 1: decât din texte de-astea, cazone, de la aia cu remembrances (top down) and the isotopies of tidyness and 34--------------------------------------------------------------------neatness in the text (bottom up) 1: ghetele v ă csuite 3: problema e c ă trebuie s ă folose ş ti 35--------------------------------------------------------------------always the same «translation maxime»: find a word that ex- 3: un cuvânt care să exprime cât de cât ceva adic ă , presses a « bit of everything». They think it is a bit of the 36-------------------------------------features of the source word, according to their translation 1: da, sau moderne, într-adevar maxime, but it is the whole «atmosphere» of the text that 3: dac ă zicem elegante they are trying to capture in one word. This is why they 37--------------------------------------------------------------------consider “elegante” as being too “sec” [sober] and too 1: e prea sec “puţin” [poor] “compared with the English word” (which 3: ş tii, parc ă , da, exact, e prea sec, spune prea clearly proves that they think that they are looking for the 38--------------------------------------------------------------------pertinent features of sleek, but the solutions they find are clearly dictated by the « atmosphere», as they call it, of the 3: puţin faţă de cuvântul englezesc nu sunt text as a whole, based on the isotopy of opulence and 39--------------------------------------------------------------------brilliancy. 3: convins ă s-ar putea ca sleek ă sta s ă fie chiar 40--------------------------------------------------------------------- 1: da, a ş a sun ă ca scoase din cutie [like popped out of the box] is a current 3: americanism, dar nu ş tiu sigur idiomatic expression to describe something that looks like 41--------------------------------------------------------------------new without a flaw, irreproachable, for instance well- 1: prea mult merge dressed actresses on the scene to receive the rewards for 3: ca scoase din cutie? their good performance. Compared with a word, a 4: sic metaphor has rather fuzzy edges, which gives them the 42--------------------------------------------------------------------impression that it «renders many things» [recupereazǎ 1: a ş a, ca nuan ţă , cred c ă recuperează multe chestii multe chestii]. However these « things» are not, as 43--------------------------------------------------------------------they assume the pertinent features of the source word, but 3: dar ş i pierde altele? adic ă nu po ţ i s ă zici ma ş ini the atmosphere of the text which they desperatly try to 44--------------------------------------------------------------------capture in a word. 1: nu, în nici un caz, c ă e prea 3: ş mechere, nu ? maşina nu e 45--------------------------------------------------------------------- 1: colocvial da, dar nu po ţ i s ă spui apoi ş i noi ş i evaluation with regard to „world knowledge“ and 3: ş mecher ă stylistics 46--------------------------------------------------------------------- 1: ca scoase din cutie deci, probabil, pentru 3: da, exact 47--------------------------------------------------------------------- 1: ambele s ă folosim 2: da, dar ca scoase din cutie nu 48--------------------------------------------------------------------evaluation with regard to world knowledge 1: mie asta-mi it is through this world knowledge that they come to „noi“ 2: înseamn ă neap ă rat c ă sunt noi, nu? as a caracteristic of sth. in a gift box and then to the 3: ş i mie solution « noi-nouţe » 49--------------------------------------------------------------------- 1: spune, c ă sunt noi-nou ţ e ş i c ă sunt ceva care e 3: 50--------------------------------------------------------------------- 1: scos din cutie e irepro ş abile 1: ca la cadou, dac ă l-ai scos 51------------------------------------------------------------------ 1: din cutie, teoretic, trebuie s ă fie nou, cadoul evaluation from world knowledge 52--------------------------------------------------------------------- 1: nu, deci chiar nu 3: dac ă ave ţ i voi alt ă propunere? 53--------------------------------------------------------------------- [ I don’t see one word which renders all] 1: văd un singur cuvânt care să redea tot translation maxime: looking for a word that renders «all» 3: dac ă zici <?page no="266"?> 54--------------------------------------------------------------------- 1: ş i-asta cf.l. 31: “ultraspǎlate”, ”ultraaranjate” the isotopy 3: ultramoderne? Vi se pare c ă -i mai bun? of extremes induces him to create words to express them 55--------------------------------------------------------------------- 1: are o nuan ţă de extravagan ţă , totu ş i ultramodern 56--------------------------------------------------------------------back to the translation maxime: the word is rejected 1: care nu e prezentă în text neap ă rat deci cred c ă because not explicitely present in the text, not «tangible» 57--------------------------------------------------------------------as Durieux or Gerzymisch would say 1: putem s ă r ă mânem la ma ş ini ca scoase din cutie 58--------------------------------------------------------------------- 1: accelereaz ă , ş i a ş a mai departe 3: voi cum zice ţ i? Final solution: they return to their first proposal 59--------------------------------------------------------------------- «elegant», after a brilliant fire work in the course of 3: vox populi which they had come to a creative solution. It is 4: ma ş ini elegante e suficient s ă creeze important to remark that this return has been triggered 60--------------------------------------------------------------------by informant nr. 4, who had not really «entered» into the 3: ma ş ini elegante, zici tu? debate, which reminds us of the attitude of the publishing 4: atmosfera aia de lux editor who often «corrects» creative problem solving 61--------------------------------------------------------------------because he does not have the same empathy with the text 1: Raluca that the translator has. He imposes his solution with an 3: I can live with that voi ce zice ţ i? argument, which in fact proves the contrary: ”elegant is 62--------------------------------------------------------------------enough to create this atmosphere of luxury», appealing 2: elegant nu înseamn ă neap ă rat c ă to the atmosphere of the text. 3: Raluca se abţine switching over to a foreign language proves his lack of con- 63--------------------------------------------------------------------viction: he is convinced that inf. 4 is wrong, but has no 2: e nou «arms» to defend his position 3: p ă i putem s ă zicem ma ş ini noi ş i elegante, Raluca is not convinced either she witholds her opinion: 64--------------------------------------------------------------------- «se abţine». Hermeneutics would have helped them both. 1: dac ă asta e problema 2: a, da Conclusion: The fact that inf. 4 succeeds in imposing his 3: dac ă asta e da, ideea proposal, not only without any argumentation, but with a 65------------------------------------------------------------------counter-productive element shows the importance of theory 3: e s ă le exprim ă m cumva pe amândou ă ma ş ini noi and especially hermeneutics in the training of translators. 66------------------------------------------------------------------- 1: eu a ş zice accelereaz ă 2: da 3: ŞI ELEGANTE SPEED ALONG , FINAL INSERTION IN THE TEXT Das Isotopiennetz Sleek new cars speed along straightened and repaved autobahns. Shiny service stations come equipped with wellstocked convenience stores and gleaming selfservice restaurants. Enormous furniture stores and shopping supermarkets, emporiums dot the east German landscape, and giant cranes stand tall against the sky. Every seat magnificent neo-classical opera is filled at Dresden’s house: comfortable burghers sip French champagne during the intermissions. Even in grimy Bitterfeld, a mining and chemicals centre notorious well-dressed women from a for its pollution, nearby retirement home gather for creamy coffee and gigantic pastries at a Swiss-owned coffee shop. (Newsweek, February 28) 266 Ioana Bǎlǎcescu-/ Bernd Stefanink <?page no="267"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 267 Quellen der Kreativität beim Übersetzen Radegundis Stolze (Darmstadt) Abstract: This article describes the sources and bases of creativity in translation. Research sees creativity as a problem solving activity in order to create new and useful objects. The translation is a social service for understanding and translators do their job individually based on understanding the text and strategically applying their language knowledge. The subjectivity of translators as persons includes cognitive, existential and individual aspects, all working together in the hermeneutical translation competence. Understanding a text as preparation for the translation is a reenactment in empathy, trying to become aware of the text’s original message as a whole. Thus, understanding is a semiosis, and not a deduction from text analysis. The basis for creativity in writing a translation is one’s feeling for the language that includes both grammar knowledge and awareness of stylistic norms. Linguistic creativity is enhanced by intuition and reflection, whereas a definite formulation is a problem of coordinating the various individual expressions. Orientation in dealing with texts, such as observing the situational background, the discourse field, the meaning dimension and the predicative mode for understanding are presented, and strategies in view of coherence, media, stylistics, function and content are discussed with some examples. Keywords: Creativity, subjectivity, empathy, understanding, Sprachgefühl , intuition, precision. Übersetzen soll gesellschaftlich der Verständigung dienen, indem ein schriftlicher Text durch den Übersetzer oder die Übersetzerin in einer anderen Sprache neu formuliert wird. Die „Übersetzungshermeneutik“ (Cercel 2013) geht nun von dem Grundgedanken aus, dass eine übersetzende Person den vorgelegten Text zuerst verstehen muss, und dann immer nur das übersetzen wird, was er oder sie davon verstanden hat. Diese Problematik wird in ihren Implikationen durchleuchtet. Es gehört dabei zur „hermeneutischen Übersetzungskompetenz“ (Stolze 2015), kreativ formulieren zu können. Solches Formulieren orientiert sich an der Rhetorik, wozu Alberto Gil Wesentliches ausgesagt hat. <?page no="268"?> 268 Radegundis Stolze Dass Kreativität beim Übersetzen wichtig sei, wird seit jeher betont. George Steiner ( 2 2004: 319) sieht darin die Möglichkeit, dem durch den verstehenden Leser und Übersetzer verletzten Textsinn eine neue Identität zu verleihen und das alte Gleichgewicht wiederherzustellen. Sog. „kreative Fehlübersetzungen“ (Prunč 2007: 296) wurden beobachtet und auf eine politisch-ethische Haltung der übersetzenden Personen zurückgeführt. Literarische Übersetzungen aus der Kolonialzeit wurden untersucht, was zur Entdeckung vielfacher „Manipulationen“ führte (Hermans 1985). Übersetzungskreativität ist jedenfalls etwas anderes als wörtlicher Transfer. Fragt man sich jedoch, was denn genau kreatives Übersetzen eigentlich sei, dann zeigt sich die Lage schon etwas unübersichtlicher. Im Blick auf das Übersetzen ist die Wissenschaftsperspektive entscheidend: Es geht nicht um sprachlichen Transfer, um konditionierende Faktoren, operationalisierbare Methoden, sondern um das reflektierte Handeln eines Translators. In der psycholinguistischen Forschung wird Kreativität als ein wesentliches Merkmal menschlichen Handelns in der Gesellschaft gesehen. 1 Der Begriff Kreativität Der Begriff „Kreativität“ gilt trotz einer Jahrzehnte währenden Kreativitätsforschung (Guilford 1975) als sehr schwierig und als „definitorisch und methodisch schwer faßbar“ (Wilss 1988: ix). Allerdings haben sich schon bestimmte Schwerpunkte herausgebildet. Während es als ausgemacht gilt, dass man „Kreative“ möglichst in Ruhe lassen sollte, damit sie sich entfalten können, erscheint der Imperativ, man „solle kreativ werden“ durchaus als ein Leistungszwang. In der Alltagssprache wird Kreativität als das künstlerische Streben nach Ausdruck gesehen. Innere Gefühle eines Subjekts gewinnen Gestalt in innovatorischer Form in der Malerei, der Skulptur oder der Musik, auch in der Literatur. Es ist aber keine Schöpfung aus dem Nichts. Etwas nüchterner wird die Sache im Bereich der Psychologie gesehen, wo die Werbung bekanntlich kreativ sein soll, um neue Käufer zu binden, es gibt den Berufsstand der „Kreativen“. Deren Arbeit besteht vornehmlich darin, die in einer Kultur vorhandenen Metaphern oder Bilder in einer neuen, bislang nicht gekannten, ungewöhnlich wirkenden Kombination neu zusammenzustellen, um eine Werbeaussage zu formulieren. Hier wird das Verfahren der Kombinatorik angewendet, und Teamarbeit sowie Brain Storming oder Design Thinking sind übliche Techniken. Im Team können unterschiedliche einander befruchtende Wissensinhalte zusammengeführt werden. Dem Verhältnis zwischen Individuum und Team entspricht in der Organisationsforschung dasjenige zwischen einer Organisation und einem Netzwerk oder Cluster. Auch solche Einheiten können „kreativ“ sein. <?page no="269"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 269 In der neueren Kreativitätsforschung wird dagegen zunächst versucht, den Begriff zu definieren: Ein kreatives Produkt sei sowohl neu , als auch sinnvoll , realitätsangepasst oder nützlich , und was sinnvoll ist, wird in einem sozialen System entschieden und konstruiert (vgl. Preiser 1976: 1-7; Carlsen et al. 2012). Nicht alles, was neu ist, ist auch nützlich und nicht jedes Handeln ist kreativ. Dahinter steht der Gedanke der Problemlösung: Kreativität gilt als ein Problemlöseverfahren. Ohne den Treiber eines Problems gibt es keinen Anlass für Kreativität: Bestehende Prozesse in der Wirtschaft müssen, solange sie funktionieren, nicht ohne Zwang verändert werden. Es ist also zu unterscheiden zwischen der Ideengenerierung und der Implementierung von Innovation, und eine solche Innovation wäre auch eine Übersetzung, welche neu auf dem Markt erscheint und Lesern den Zugang zu neuen Welten eröffnet. Beim Prozess der Kreativität als Problemlösung kommt vielfach das Verfahren der Schemaübertragung zur Anwendung: Ein bestimmtes technisches Verfahren wird auf einen anderen Bereich übertragen, wo es zu völlig neuen Lösungen führen kann, wie z. B. die Erfindung eines Planetengetriebes anstelle des herkömmlichen Zahnradgetriebes. Um solche Erfindungen zu ermöglichen, muss also eine Problemstellung vorliegen und es müssen Freiräume und günstige Bedingungen für die Erfinder geschaffen werden. Der Schematransfer ist die Applizierung bestimmter Regeln in einem anderen Feld, ohne die es nicht geht. Diese letztere Vorstellung von Kreativität hat auch Eingang gefunden in die Translationsforschung, Umberto Eco spricht z. B. von „kreativer Abduktion“ (Eco 1987: 46). Wolfram Wilss (1988) widmet dem ein ganzes Kapitel. Entsprechende „Problemlösungsoperationen“ dienen dazu, die Widerstände, die einem der Text aufgibt, zu überwinden, indem der Übersetzer unter möglichen Alternativen abwägt und Entscheidungen trifft, die „von verschiedenen subjektiven Faktoren abhängig sind“ (Wilss 1988: 57). Die Problemlösungsverfahren sollen dann zu mikrostrukturellen „Entscheidungsprozessen“ führen, indem wörtlich oder nichtwörtlich formuliert wird (Wilss 1988: 106). Nietzsche (2014: Nr. 140) hat in solchem wissenschaftlichen Zusammenhang des Problemlösens von einem „Tanzen in Ketten“ gesprochen. Über die Poeten schrieb er 1886: Bei jedem griechischen Künstler, Dichter und Schriftsteller ist zu fragen: welches ist der neue Zwang , den er sich auferlegt und den er seinen Zeitgenossen reizvoll macht (sodass er Nachahmer findet)? Denn was man ‚Erfindung‘ (im Metrischen zum Beispiel) nennt, ist immer eine solche selbstgelegte Fessel. ‚In Ketten Tanzen‘, es sich schwer machen und dann die Täuschung der Leichtigkeit darüber breiten, - das ist das Kunststück, welches sie uns zeigen wollen. ( Der Wanderer , § 140) <?page no="270"?> 270 Radegundis Stolze Dieser Gedanke wurde später als Bild für das literarische Übersetzen diskutiert (Leupold / Raabe 2008). Die genannten Ketten können dabei Zwänge durch das aufgetretene Problem oder auch selbst auferlegte Zwänge sein, um eben das kreative Denken als Suchprozess in eine bestimmte Richtung zu lenken. Zwänge beim Übersetzen als Sprachhandlung treten als sprachenpaarspezifische Unterschiede, in den verschiedenen Kulturen, als unbekannte fachliche Welten auf, in welchen ein zu übersetzender Text eingebettet ist. Reiß / Vermeer (1984: 148) haben ein „Faktorenmodell der Translation“ vorgestellt mit dem Versuch, möglichst viele der das Übersetzen beeinflussenden Aspekte zu nennen. Allerdings finden diese Einzelfaktoren nur ihren Sinn in der Zusammenführung im Translator als Person. Mit seiner Intuition überwindet er die Vielfalt der Phänomene und richtet sein Denken strategisch auf die übersetzerische Aufgabe aus. 2 Übersetzen als Handeln eines Subjekts Es ist ja erstaunlich, dass immer noch die „Subjektivität“ einer übersetzenden Person in der Translationswissenschaft als ein Defekt angesehen wird. Im Blick auf die Bewertung von Übersetzungen wird gefordert: „Es wäre aber anzustreben, diese Subjektivität so gut es geht zu eliminieren, denn Übersetzer leiden oft darunter“ (Pavlova 2014: 269). Subjektives Verstehen gilt als „beliebig“, und man möchte sich an „objektiven Kriterien“ festhalten können. Es heißt, in der Hermeneutik werde „grundsätzlich ein solipsistischer Standpunkt“ (Siever 2010: 103) vertreten. Es wird auf die „grundsätzlichen wissenschaftstheoretischen Schwierigkeiten mit der Methode des Verstehens“ hingewiesen (Koller 4 1992: 209), wobei letzteres keine Methode sondern eine Erfahrung ist. Man kritisiert „idealistische Ansätze“ mit einer „subjektiven Wertung“ (Kade 1968: 18). Und so wurde es, um alles „Zufällige“ zu eliminieren, als Aufgabe der Übersetzungswissenschaft definiert, nach den objektiven Faktoren mit „gesetzmäßigem Charakter“ zu suchen. Mit einer Subjekt-Objekt-Spaltung wird allerdings das translatorische Handeln nicht eingeholt, denn Übersetzer sind keine Maschinen, die nach regelhaften Verfahren vorgehen würden, und „das Expertenhandeln läßt sich nicht in Regelwerke pressen“ (Risku 1998: 11). Die Subjektivität eines Translators ist eine humane Grundgegebenheit, und sie umfasst kognitive, existenziale und individuelle Aspekte (Stolze 2015: 25f). Zum kognitiven Subjekt kann man die Erkenntnisweise von Phänomenen erforschen. Man fragt, wie Übersetzer denken, wie sie mit den Werkzeugen arbeiten, was sie recherchieren. Zum existenzialen Subjekt gibt es Forschungsarbeiten, welche den konkreten Umgang mit Sprachformen untersuchen: Paralleltextanalysen, Textsorten, Stilformen, interkulturelle Semantik, Metaphorik, Terminolo- <?page no="271"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 271 gieforschung usw. Zum individuellen Subjekt untersucht die Rezeptionsästhetik die Reaktion auf Texte sowie Spuren der Übersetzungen in einem fremden literarischen System. Beim Übersetzen wirken diese diversen Aspekte aber alle zusammen und so ist es richtig, wenn man zu dem Schluss kommt: „Übersetzer müssen alle erdenklichen Mittel einsetzen und sich als ganzer Mensch beteiligen, um kompetenter handeln zu können“ (Risku 1998: 17). Fritz Paepcke hat hierzu den Begriff der „Leibhaftigkeit“ geprägt (Paepcke 1981: 125), was besagen soll, dass Übersetzer nicht nur als denkende Wesen, sondern mit all ihren Erfahrungen, Gefühlen, Einstellungen usw., eben als Subjekte, am Übersetzungsprozess beteiligt sind. Selbst erfahrene Einsichten wurzeln tiefer als nur erlernte. In diesem Sinne kann man von „Leibhaftigkeit“ (embodiment) des Translators sprechen. Damit ist die ganzheitliche Existenz des in sich ruhenden Menschen mit seiner Identität des Ich gemeint, der nicht allein als ein kognitives, sondern eben auch als ein soziales und emotionales Wesen gesehen wird. Dann gibt es gar kein „translatorisches Verhalten von Texten“ (Reiß / Vermeer 1984: 204), sondern es sind übersetzende Personen, die bestimmte Texte formulieren. Dieses ist eine prospektive Aufgabenstellung unter rhetorischen Qualitätskriterien. Der Translator in seiner Vermittlerrolle wird stets versuchen, den verstandenen Inhalt des Textes präzise und sprachlich angemessen für Leser in einer anderen Sprache neu zu formulieren. Jegliche Übersetzungskritik kann nur zu einem erneuten Entwurf führen, der wiederum in der Verantwortung des Translators liegt. Andere Personen werden eine andere Übersetzung vorlegen, da sie über ein anderes Vorwissen zum Fachbereich oder zur Kultur des Textes sowie eigene Erfahrungen verfügen. Teamarbeit ist daher fruchtbar, weil mehr Wissen zusammenfließt. Das Verstehensproblem gilt für Fachtexte und literarische Texte gleichermaßen, die als solche jeweils für den Translator fremd sind und mit deren Hintergrund und Diskursfeld er oder sie sich erst befassen muss. Dem Individuum, einem Betrachter, einem Leser, einem Translator erscheinen die Phänomene dann nur vor dem Hintergrund seines gegebenen Vorwissens, im hermeneutischen Zirkel seiner Lebenswelt, „im Licht“ seiner Überzeugung werden beobachtete Phänomene interpretiert. 3 Vergegenwärtigung in Empathie Wichtig für das translationsadäquate Textverstehen ist daher nicht eine Textanalyse, sondern ein ausreichendes fachbezogenes und ausgangskulturelles Vorwissen im Translator. Dieses Wissen wird man an den Übersetzungstext herantragen und diesen auf der Basis jenes Wissens verstehen und übersetzen. Und ein solches phänomenologisch determiniertes, fachspezifisches Verstehen <?page no="272"?> 272 Radegundis Stolze ist auch bei Lesern von Fachübersetzungen zu erwarten, denn auch hier ist ein „subjektives“, beim Fachmann eben fachgebundenes Verstehen anzunehmen. Und kulturspezifische Textaussagen müssen nicht zielkulturell usurpiert werden, wenn das nötige Vorwissen gegeben ist. Ein bestimmtes Verständnis kann niemals erzwungen werden. Für literarische Texte ist dies von jeher ein Topos. Der Bezugspunkt der Übersetzung ist daher nicht die äußere Sprachgestalt des Ausgangstextes, sondern die inhaltliche Formulierungsabsicht des Translators, dessen mentale Präsenz der Textmitteilung. Wie ein Koautor versucht er diese zielsprachlich in einer für mögliche Leser verständlichen Weise auszuformulieren, nachdem er sie sich, soweit er sie verstanden hat, „in Empathie“ angeeignet hat (Stolze 2015: 158). Empathie ist ein zentraler Ausdruck im Bereich der Sozialphilosophie und Phänomenologie und bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen. Das gilt auch für Textmeinungen. In der übersetzungswissenschaftlichen Literatur ist das gelegentlich als eine moralische Kategorie missverstanden worden (Koller 4 1992: 210), doch gemeint ist keineswegs eine inhaltliche Identifikation mit der Textaussage, sondern vielmehr deren deutende Vergegenwärtigung. Beim Übersetzen hat man es vorrangig mit sich selbst, mit dem eigenen Verstehenshintergrund zu tun und der Frage, wie man eine Mitteilung unter Menschen überzeugend präsentieren könnte. Grundlage der Empathie ist die Selbstwahrnehmung. Nur wenn ich meinen eigenen Wissensstand kenne, kann ich das Fremde wahrnehmen. Diese Vorstellung einer vermittelnden Vergegenwärtigung des Verstandenen durch Nacherzählen oder Übersetzen ist im Zusammenhang mit der Rhetorik seit der Antike unter dem Begriff „Mimesis“ als „Nachschöpfung“ verhandelt worden (Gil 2012: 154), und dies bedeutet eine funktional angemessene Rede, unabhängig von den Sprachstrukturen im Ausgangstext. Alberto Gil bringt es auf den Punkt: „Sowohl in der antiken als auch in der religiösen Rhetorik werden an die moralische Integrität des Redners in und außerhalb der Rede sowie an seine Reflexionsfähigkeit hohe Anforderungen gestellt. Die von Reich-Ranicki als ‚edler Wunschtraum‘ bezeichnete Verbindung von Rhetorik und Moral wird in der Person des Redners Realität, wenn seine Absicht nicht die Suche nach Eigenglanz, sondern der Dienst an der Sache und an den Interaktionspartnern ist“ (Gil 2005: 1). 4 Kognition ist Verstehen als Semiose Anstelle einer dichotomischen Struktur der Relation zwischen Vorlage und Übersetzung ist eine triadische Struktur der Relation zwischen Vorlage, verstandener Mitteilung und auszuformulierender Übersetzung anzunehmen. Das <?page no="273"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 273 Verstehen ist eine Semiose, indem die konkreten Sprachstrukturen losgelassen werden und sich so kognitiv eine Vorstellung von dem fachlich Mitgeteilten bildet, welches dann in die zielsprachliche Form übergeht. Unter Verweis auf die Vorstellung von Charles S. Peirce hat Lothar Černý dies erläutert: „Peirce fragt nach nichts Einfacherem als danach, wie das Denken funktioniert“ (Černý 2012: 242). Es geht „um die Frage, wie und was ich verstehe, wenn ich etwas, das ich als Zeichen auffasse, wahrnehme“ (Černý 2012: 242). Ein Zeichen ist ein Interpretant und steht somit als Idee für ein Objekt. „Denken bedeutet also eine zeichenhafte Beziehung zu Objekten, die sich im Verstehen der Idee des jeweiligen Objektes manifestiert und diesem Verstehen erneut einen Zeichencharakter verleiht“ (Černý 2012: 243). Was Pierce „abstractive observation“ nennt, bezeichnet Černý als „semio-hermeneutical approach“ (Černý 2013: 64). Ein „Zeichen” mit seinem Interpretanten ist eben nicht nur ein einzelnes Wort, sondern der ganze Sinn des Textes, den es zu erfassen gilt. Damit kann aber die verstandene Bedeutung nicht auf die ausgangssprachliche Zeichenstruktur als solche reduziert werden, denn diese regt nur das Denken an. Und dieses Denken bringt formal unterschiedliche Aussagen hervor. Auch Fachleute ein und desselben Fachbereichs formulieren unterschiedlich, und dass literarische Texte, die in einer Kultur mit jeweils verschiedener Geschichte verortet sind, spezifische Merkmale aufweisen, ist anerkannt in der Literaturwissenschaft. Um dies wahrzunehmen, benötigt der Translator Sprachgefühl. 5 Das Sprachgefühl als Basis für Kreativität Ein Element des fürs Verstehen und Formulieren notwendigen Sprachbesitzes als Kenntnis einer Muttersprache ist das Sprachgefühl, worin der individuelle Aspekt im Sprachlichen stärker zum Tragen kommt, und dies gehört auch zur translatorischen Kompetenz. Das Sprachgefühl bezieht sich zunächst auf die Beurteilung der grammatischen und syntaktischen Korrektheit von Sätzen, wo es um die Sprachrichtigkeit geht. Doch Sprachgefühl ist noch mehr. Mario Wandruszka (1979: 14) spricht von der „Mehrsprachigkeit der Muttersprache“ und meint damit die Uneinheitlichkeit von Sprachen und des Sprachbesitzes von Individuen aufgrund des historisch gewachsenen, sozialen Charakters der Sprache. Die umgebende Gesellschaft ist niemals homogen, es gibt einzelne soziale Sprechergruppen in ihren Lebenswelten als Diskursfelder, regionale Abweichungen, historische Differenzierungen und fachliche Besonderheiten, wie sie linguistisch als Sprachsubsysteme objektiviert werden. Das existenziale Subjekt kann sich hier einfühlen und vieles erlernen. So ist es für den Translator überaus wichtig, sich seinen eigenen sprachlichen und gesell- <?page no="274"?> 274 Radegundis Stolze schaftlichen Standort bewusst zu machen und von dem in den Übersetzungstexten etwa vorgefundenen zu unterscheiden. Hier greift das Sprachgefühl regulativ ein, womit die Norm als privilegierter Sprachgebrauch wichtig wird. Die Uneinheitlichkeit einer Sprache ist ja regional, soziokulturell und fachlich außerordentlich komplex. Aber alle diese Varianten sind letztlich einer Norm, der Standardsprache zugeordnet, d. h. im Bewusstsein der Sprechenden und Schreibenden ist diesen Varianten eine Hochsprache vorgeordnet. Der Begriff der sprachlichen Norm impliziert auch die Möglichkeit der Regelabweichung, denn die Norm ist das konventionell Übliche im Vergleich zu dem vom System her durchaus Möglichen (Coseriu 1988: 297). Damit ist Sprache nicht bloß ein Kode, sondern Ausdruck menschlichen Verhaltens, Teil einer Kultur mit all ihren Zwängen. Die Sprachnormen sind dabei ständig im Wandel begriffen. In der pragmatischen Perspektive des Sprachgebrauchs handelt es sich hier um Präferenzen im Sinne von Gewohnheiten. Wie bei der Grammatik wird nicht bewusst ein Regelsystem „angewendet“. Zwar werden aus Beobachtungen der parole (Sprachgebrauch) sprachwissenschaftlich gewisse „Regeln“ auf der Ebene der langue (Sprachsystem) deduziert, doch die Anwendung der Regeln kennt nach Friedrich Schleiermacher keine Regel, weil eben „die Auslegungsregeln (selbst) kein Rezept für ihre Anwendung enthalten“ (Schleiermacher 1838 / 1977: 283); Fritz Paepcke spricht vom „Übersetzen zwischen Regel und Spiel“ (Paepcke 1981: 121). Im Blick auf die Geschichtsgebundenheit des Sprachlichen finden sich in allen Texten immer wieder auch idiolektale Abweichungen vom Standard. Dem entspricht nun genau die Rede vom Sprachgefühl. „Wenn jemand über eine bestimmte Äußerung sagt: ‚dies verletzt mein Sprachgefühl‘, so heißt dies einmal, daß er sich in seinem negativen Urteil auf eine Norm bezieht, zum anderen, daß er sie als solche anerkennt“ (Gauger / Oesterreicher 1982: 37). Während das Sprachsystem ( langue ) theoretisch alle potentiell realisierbaren Bildungsmöglichkeiten einer Einzelsprache beinhaltet, umfasst die Sprachnorm denjenigen Teil davon, der sich durch Konvention herausgebildet hat und nunmehr in der Sprachgemeinschaft als allgemein verbindlich gilt. Als konventionalisierte Ausdrucks-, Stil- und Textsortennorm ist die Norm jeweils an bestimmte Kommunikationssituationen gebunden und bestimmt Sprechen und Schreiben mit. Situationsbezogene Registerformen stehen als Augenblicksnorm ( situated cognition, Risku 2000: 81) jeweils der überindividuellen sozialen Norm gegenüber. „Sprachgefühl“ ergibt sich nun für den Sprecher aus dem Abstand zwischen dem in seiner Umgebung faktisch Geäußerten, der Sprachwirklichkeit in der Rede, und der Norm, der er sich subjektiv, zumindest in bestimmten Situationen, verpflichtet fühlt. Sprachgefühl ist bildbar, und es ist wandelbar, es hat dyna- <?page no="275"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 275 mischen Charakter, womit gesagt ist, dass bestimmte Formulierungen für das Sprachgefühl der Menschen nicht zu allen Zeiten unverändert gültig bleiben. Und es ist auch nicht intersubjektiv identisch, jedes individuelle Sprachgefühl realisiert das System auf je verschiedene Weise. Die Tatsache, dass das Sprachgefühl kein objektiv fixierter Maßstab sondern ein wandelbarer Begriff ist, deutet auch darauf hin, dass alle Übersetzungsentwürfe in Bezug auf ihre historische Gebundenheit relativ sein müssen. Sprachgefühl und linguistische Kenntnisse, grammatische Korrektheit und idiomatische Sicherheit, Intuition und kritische Untersuchung, Erfahrung und Methodik wirken in der translatorischen Kompetenz als persönliche Fähigkeit (Stolze 2015: 341) zusammen. Verschiedene Wissensaspekte sind beim Translator vielfältig vernetzt und „dieses Prinzip der Vernetzung hat die Hermeneutik mit der kognitiven Psychologie gemeinsam“ (Risku 1998: 98). Sprachgefühl ist nun jenes Ahnungsvermögen, das aus der umfassenden Leibhaftigkeit des Menschen heraus fortgesetzt neue Versuche und Einfälle produziert, kreative Verhaltensweisen, die immerfort neu überraschen, und „exakte Phantasie in der Gleichförmigkeit der Regel“ (Paepcke 1981: 125). Dazu gehört auch ein grundlegendes Sprachvertrauen, das auf allerletzte dingliche Beweise, wie operationalisierte Transferregeln, verzichten kann. Sprachliche Kreativität wird also als unbehinderte Kompetenz im Formulieren gesehen, wo die eigenen Gedanken, zum Beispiel der verstandene Ausgangstext, wieder so versprachlicht werden als wenn es ein Original wäre. 6 Sprachliche Kreativität und Intuition Kreativität im Sprachlichen heißt, die Fülle der Sprache zu kennen, mit der Sprache schöpferisch umgehen zu können, die Worte zu finden, die dem nahe kommen, was man sagen möchte. Das gilt im Fachlichen genauso wie im Literarischen. Ob dies dann „wörtlich“ übersetzt ist oder nicht, ist unwichtig. Es geht um inhaltliche Präzision und sprachliche Angemessenheit: Bei literarischen Texten soll die Stilebene stimmen, bei fachlichen Texten entfaltet sich der Denkstil in bestimmten funktionalstilistischen Formulierungen. Kreativität als Fähigkeit zur innovatorischen Kombination von bislang unverbundenen Ideen und Sachverhalten ist nicht mit einer ziellosen, frei schwebenden Originalität gleichzusetzen, sie ist vielmehr zielgerichtet, wertorientiert und somit stets wissens- und erfahrungsbasiert. Was sinnvoll ist, wird in einem sozialen System entschieden und was sprachlich angemessen ist, entscheidet das Sprachgefühl im Blick auf die Norm. Kreativität als Fähigkeit zur Schöpfung solch neuer und sinnvoller Produkte, wie zum Beispiel Übersetzungen, kann sich nur in Freiheit entfalten, die ja <?page no="276"?> 276 Radegundis Stolze als wesentlicher Aspekt zum Verhalten des Individuums gehört. Sprachliche Kreativität ist ein Teil des Sprachbewusstseins und des Sprachgefühls, denn das Kreative des schöpferisch freien Redens wurzelt in einem sensiblen und umfassenden Sprachwissen durch Ausbildung. Es gehört dazu die sichere Kenntnis der Sprache mit ihren Regeln, Normen und stilistischen Möglichkeiten als Wissensbasis, das Verständnis für situative Gegebenheiten um intentionsadäquat reden zu können, und die Fähigkeit zu immer neuen Aussagen, neben dem Wissen um assoziative Verbindungen. Kreativität ist wie Intuition ein genereller psychologischer Faktor im menschlichen Verhalten, der auch im Sprachverhalten und Übersetzen zum Ausdruck kommt. Paul Kußmaul (2000: 58) hat es sich nun vorgenommen „solche Mystifizierungen“ zu überwinden, um den kreativen Prozess durch eine Darstellung der spezifischen Denkprozesse, die in der Inkubations- und Illuminationsphase ablaufen, zu erhellen. Doch die Tatsache, dass der kreative Einfall unwillkürlich kommt, ist nicht ausgeräumt. Es geht hier um die Wahrnehmung von Texten aufgrund relevanten Vorwissens, und die kognitionspsychologische Forschung hat gezeigt, dass es da einen kontrollierten Arbeitsraum der bewussten Recherche und einen unkontrollierten Arbeitsraum der intuitiven Erfassung gibt, um Hans Hönig (1995: 40) zu zitieren. Intuition ist damit kein wissenschaftlicher Störfaktor, sondern schlicht ein komplementärer Aspekt des Denkens, mit dem eine Person, etwa ein Translator, seine Umwelt wahrnimmt, ja vielleicht sogar versteht. Intuition ist auch kein „unscharfer Begriff“ (Siever 2010: 105). Intuition ist die kognitive Bewegung, die etwas oder jemanden auf den ersten Blick erkennt, bevor das Geschaute dann reflektiert wird. Intuition führt zur Evidenz, bevor die Erkenntnis bewusst ist. Erst wenn Intuitionen, die unbewusst und parallel verlaufen, an ihre Grenze gelangt sind, setzt bewusstes Suchen ein. Dieser kognitive Verarbeitungsprozess läuft tendenziell langsam und seriell ab. Wird aber die schweifende Suche durch Reflexion geändert, können plötzlich (wiederum intuitiv) neue Lösungen aufscheinen, die bis dahin unvorstellbar waren. Intuitionen fließen leichter, wenn sie mit mehr Material spielen können, weshalb die Hermeneutik stets die Notwendigkeit des Vorwissens betont. Die Intuition beim Übersetzen wirkt spontan und geht daher den methodischen Suchstrategien und Begründungen stets voraus. Der Ausdruck „Illumination“ im Rahmen der Kreativitätsforschung besagt unmittelbar, dass dies kein bewusst steuerbarer Vorgang ist, er geschieht vielmehr als Erfahrung, als plötzlich evident werdende „Erleuchtung“. Der hermeneutisch Verstehende wird irgendwann von der Wahrheit „ergriffen“, die sich ihm erschließt, wenn er das rechte Wort gefunden hat. „Die Ergebnisse aller Phasen müssen gleichzeitig präsent bleiben. Was wir als unser Verstehen verbalisiert haben, kann bereits <?page no="277"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 277 die Übersetzung sein, und ob sie es wirklich ist, erkennen wir durch die sofort einsetzende Evaluation“ (Kußmaul 2000: 78). Die sprachliche Kreativität der Menschen ist also den Fixierungen der Linguistik immer voraus. Wenn mit empirischen Studien bestimmte Normen beobachtet werden, so wird damit nur das Faktische nachgezeichnet und als Regelhaftigkeit extrahiert (vgl. Toury 1995: 259). Es können daraus umgekehrt aber schwerlich bindende Handlungsanweisungen gezogen werden, weil sich das Denken nicht einfangen und steuern lässt. Aufgrund des unaufhebbaren Abstands zwischen dem Selbst und dem Ich führt die genaue Beschreibung von Regeln nicht unmittelbar zwingend zur Orientierung im Verhalten. Auch wenn das Gute, Wahre und Richtige sehr genau dargestellt werden, sind abweichende Überzeugungen und ein anderes Verhalten von Menschen nie auszuschließen, und von daher wird Verantwortung wichtig. So bleibt nur der Appell an die Offenheit, das Unerwartete zu akzeptieren und im leibhaften Sprachvertrauen einen Entwurf zu wagen. Im spielerischen Herausströmenlassen von Formulierungen entfaltet sich die sprachliche Kreativität. „Präzise Unschärfe“ nennt man es in der Baugeschichte, wenn ein Neubau die Erinnerung an ein zerstörtes Bauwerk wachrufen soll, ohne dass es eine Rekonstruktion ist. „Unspezifische Genauigkeit“ nennt es Hilde Domin (1968/ 2 1975: 140), wenn sie eine Formulierung gefunden hat, die ein Gefühl besonders gelungen zum Ausdruck bringt. „Exakte Phantasie“ nennt Fritz Paepcke (1981: 125) das Denken, wenn es zu befriedigenden Kreationen fähig ist. Alle diese Bezeichnungen bringen etwas vorgeblich Unvereinbares zusammen. Dies funktioniert jeweils in der subjektiven Semiose einer Sinnbildung im Einzelnen, aber kognitive Vorstellungen sind im Rahmen einer Kulturgemeinschaft durchaus ähnlich und daher auch intersubjektiv nachvollziehbar. Die Wortformen des Originals verschwinden bei der Übersetzungsarbeit zunächst nicht komplett, sie werden bestenfalls undeutlich. Vergessen kann man sie erst eine Weile später, aber ihre Spuren bleiben in den evozierten Bildern, Konzepten und Wörtern zurück. Vielleicht bearbeitet unser Gehirn bei der Übersetzung immer auch eine Gleichzeitigkeit von Wortformen, die dann allmählich ausgesondert werden. Übersetzungskompetenz ist ein wissensbasiertes Handeln mit Intuition. 7 Formulieren als Koordinierungsproblem Im Verstehen eines Textes als Vorbereitung für das Übersetzen wird man also zunächst ganzheitlich an einen Text herangehen und nach den Orientierungsfeldern Kontext , Diskursfeld , Begrifflichkeit und Aussageform Fragen stellen und ein Vorverständnis erarbeiten (Stolze 2015: 160). Auf dessen Basis kann dann ein <?page no="278"?> 278 Radegundis Stolze erster Übersetzungsentwurf angefertigt werden, der sodann zu revidieren ist. Da die Mitteilung, mit welcher ein Text uns anredet, tatsächlich symbolisch in den Textzeichen enthalten ist, kann der Übersetzungsentwurf in einem ersten Impuls durchaus entlang dem Text als mehr oder weniger wörtliches Translat erfolgen. Das Übersetzen als verantwortliches Mitteilen ist dann ein Koordinierungsproblem, wie die Schreibforschung festgestellt hat. Jede Änderung an einer Stelle zieht eine nachfolgende Änderung an anderer Stelle nach sich. Das Koordinierungsproblem spiegelt sich auch in der translatorischen Aufgabe, die spezifische Schwierigkeit des Textes priorisieren zu können, denn nicht alle Texte sind gleich. Wir werden Textsorten als „kognitive Formulierungsschemata“ zu beachten haben, denn „die Rolle des ‚Textmusterwissens‘ beim Formulieren spielt eine bislang unterschätzte Rolle in der Textproduktion“ (Antos 1989: 31), ebenso jedoch die semantische Kompatibilität zur Herstellung von Textkohärenz, und das Finden prägnanter Ausdrücke für einen besseren Stil. „Ein zentraler Parameter der Ausdrucksfähigkeit ist das vom Textproduzenten zu aktivierende Lexikon“ (Antos 1989: 22). Im translatorischen Schreiben ist die holistische Zusammenschau und kreative Koordination aller Einzelprobleme dann die eigentliche Aufgabenstellung, und problematisch ist ihre Komplexität. In zyklischen Bewegungen von Schreiben und Lesen wird die Übersetzung allmählich herausgearbeitet. Neuübersetzungen können sogar eine Überlagerung verschiedener Lesarten ein- und desselben Lesers sein (vgl. Gil 2007: 320). Es ist ja ein altbekanntes hermeneutisches Phänomen, dass man im Zeitablauf seinen Horizont verändert, und dann erscheinen einem die textlichen Phänomene „in einem neuen Licht“ und finden zu einer neuen Übersetzung. Je klarer die Übersetzungsaufgabe dann wird, desto mehr erfahre ich meine eigene Unzulänglichkeit und desto mehr Zwänge entstehen im einzelnen, und zwar im Handeln bei jeder übersetzenden Person anders. Das Formulieren einer Übersetzung oder das Überarbeiten eines ersten Entwurfs erfolgt dabei nach rhetorischen Qualitätskriterien. So wie das Verstehen durch Sprachzeichen induziert wird, so müssen Übersetzungslösungen auch durch Strukturen auf der Textebene nachweisbar sein, um intersubjektiv nachvollzogen werden zu können. Translatorisches Schreiben als Problemlöseprozess führt damit zu einer „Rehabilitierung der sprachlichen ‚Oberfläche‘“ (Antos 1989: 13). Die Rhetorik als Lehre und Kunst der wirksamen Rede bietet Orientierungsfelder fürs Formulieren, mit denen kommunikative Widerstände durch Inkulturation überwunden werden sollen (Knape 2000: 58), nämlich inventio, dispositio, elocutio, memoria und actio als Maximen für die Gestaltung der Rede. In der <?page no="279"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 279 Übersetzungsrevision wird holistisch im Sinne der anzustrebenden actio geprüft, ob zielsprachlich eine wirksame Kohärenz des Textes mit einer klaren Botschaft erzielt wurde, dann wird im Sinne der memoria geprüft, ob die Übersetzung der gewünschten Medialität entspricht. Im Sinne der elocutio ist die Stilistik ein sehr wichtiger Bereich, und mit Blick auf die dispositio haben wir die Textfunktion zu beachten, bis hin zur Prüfung, ob die inventio als besonderer Inhalt mit Darstellung der ausgangssprachlichen Kultur- oder Fachspezifik in der Übersetzung befriedigend gelungen ist. „Während jedoch die Dialektik das der Wahrheit Ähnliche (ὃμοιον) sucht, verfolgt die Rhetorik das Ziel, das Wahre selbst (ἀληθέ) zu erkennen und zu vermitteln. Dieses mächtige Instrument in rechter Weise, d. h. in der richtigen Absicht, zu gebrauchen bedeutet für den Redner eine große Verantwortung“ (Gil 2005: 2). Der Erfolg der intendierten Kommunikation ist freilich nicht garantiert, aber auch nicht unmöglich. Die Subjektivität in der Übersetzung zeigt sich in den Formulierungsstrategien, die je nach Translator aufgrund dessen Kompetenz verschieden sind. 8 Strategien im Umgang mit Texten In der Übersetzungspraxis, aber auch im Unterricht stellt sich immer wieder neu die Frage, wie man denn nun an einen Text herangehen sollte. Lernende fragen nach gewissen „Übersetzungstechniken“. Hier können die eben genannten Orientierungsfelder der rhetorischen Textproduktion (Stolze 2015: 240), wie Kohärenz , Medialität , Stilistik , Textfunktion und Inhaltsspezifik Anwendung finden, wobei jeder individuelle Text ein spezifisches Problem aufweist, das im Ganzen prioritär erkennbar ist. Es werden im Lesen Fragen an den Text gestellt als Verständnishypothese, die allmählich in Interaktion mit der vorhandenen und gezielt erweiterten Wissensbasis zu einem relevanten Vorwissen führen, das in eine Rohübersetzung mündet. Sodann wird der Übersetzungsentwurf überarbeitet, was durchaus mit linguistischen Mitteln auf Wort, Satz-, Text- und Kulturebene beschrieben werden kann. Die Strategien sind dynamischer Natur, es geht um den aktiven Umgang mit und die Arbeit am Text als Ganzheit: Wie mache ich es bei diesem Text? Die Entscheidung wird je nach Text und bei jedem Translator anders ausfallen. Entscheidend ist aber die subjektive Vernetzung der sichtbar werdenden vielfältigen Einzelaspekte, jedoch können sie theoretisch nur strukturell dargestellt werden. Die Fragen an den Text richten sich nach dessen zeitlicher und kultureller oder fachlicher Einordnung, also danach, wer in dem Text redet und wie und wovon. Nach den Fragen an den Text gibt es bestimmte Verfahren im Umgang mit Problemen auf der Wortebene, wie Termini, Lakunen, Hyponyme, Poly- <?page no="280"?> 280 Radegundis Stolze semien, Wortkompositionen, Kollokationen oder Metaphern. Die Rolle dieser Phänomene ist extensiv in der Sprachwissenschaft diskutiert worden und die gewonnenen Ergebnisse finden beim Übersetzen Anwendung. Die Äquivalenz von Termini im Rahmen ihres Systems oder der geisteswissenschaftlichen Denkschule ist zu prüfen, Wortnetze als Isotopieebenen in einem Text dienen der semantischen Kohärenz und sollten daher beachtet werden. Auf der Satzebene gibt es Probleme bei Fokussierung, Deixis, Formeln und Wortspielen. Der sachliche Stil dient der Spezifizierung, Sprachökonomie und Anonymisierung der Aussagen (Stolze 2015: 287). Dies ist bei der Fachübersetzung wichtig und sollte nicht durch Überlegungen zur „Schönheit der Rede“ konterkariert werden. Die Bedeutung der Verbzeiten ist nicht zu vernachlässigen, da sie der Handlungsdarstellung - ob affirmativ oder andeutend - dienen. Andererseits stehen bei literarischen Übersetzungen gerade die sprachspielerischen Formen, die ja nicht nur Verzierung sondern bedeutungstragend sind, im Vordergrund. Auf der Textebene sind, besonders in der Fachkommunikation, die Textsorten als Sprachmuster und die Sprechakte der performativen Verben als Funktion der jeweiligen Textsorte zu beachten, um den Inhalt der Aussage nicht zu verfälschen. Dabei sind entsprechende Textsortenbausteine zwischen Einzelsprachen nicht immer identisch, was anhand von Paralleltextanalysen eruiert werden kann. Auch formelhafte Ausdrucksweise als Indiz für bestimmte wiederkehrende Handlungen gehört hierher, sowie das Passiv zur Anonymisierung der Aussage. Bei literarischen Texten ist jeweils die Sprecherperspektive entscheidend, Register und Idiolekte, Ironie, Intertextualität, Zitate usw. spielen eine Rolle. Auf der Kulturebene zu beachten sind interkulturelle Differenzen in der Textkonstitution, da z. B. englische Fachtexte mehr in der Oberflächenstruktur angelegte Gliederungssignale zur Sicherung des Rezeptionsprozesses aufweisen als deutsche. Die englischsprachige Fachkommunikation ist durch „writer responsibility“ gekennzeichnet, während im Deutschen eher an das Wissen appelliert wird und vieles implizit bleiben kann. Hier gibt es unterschiedliche Erwartungen an die Kommunikation, „die einem spezifischen Kulturwertsystem zuzuschreiben sind“ (Clyne 1993: 3). Bei einer formal ähnlichen Übersetzung vom Deutschen mit weniger expliziten Ausformulierungen ins Englische fragen dann wiederum Leser oft: „what are you saying here? “, während man in umgekehrter Richtung die überdeutlichen und häufigen Verdoppelungen, die langen attributiven Satzkonstruktionen und akkumulierten Adjektive als störend empfindet. Entsprechende sprachliche Veränderungen können so begründet werden. Nur wenn der Übersetzer Verantwortung übernimmt, wird der Leser die Übersetzung auch als einen gültigen Text akzeptieren. Und da geht es nicht um <?page no="281"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 281 äußerlichen rhetorischen Glanz: „Inbezug auf den Zusammenhang zwischen Demut und Wahrheit läßt sich darüber hinaus feststellen, daß der bewußte Verzicht auf Eigenglanz den Glanz der Wahrheit ermöglicht, insofern der Redner sich stärker auf die Sache und auf den Kommunikationspartner konzentriert. Dadurch ist es leichter, das Wesentliche an der Sache zu erkennen und sichtbar zu machen. Die praktische rhetorische Folge dieser Tugend besteht darin, zugunsten der Verständlichkeit auf Redestoff verzichten zu können“ (Gil 2005: 7). Präzisere Formulierungen entstehen oft durch Kondensierung der Aussage, anstatt durch extensive Erklärung in Nebensätzen. Ein Satz von Albert Camus ( L’homme révolté , 1951: 707) lautet: La vraie générosité envers l’avenir consiste à tout donner au présent. Übersetzungsversuche: (1) Die wahre Großzügigkeit der Zukunft gegenüber besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben ( Der Mensch in der Revolte , Rowohlt Verlag, 1953). (2) Der Zukunft leben heißt volle Hingabe an die Gegenwart. (3) Das Ja zur Zukunft heißt volle Hingabe an die Gegenwart. (4) Der Zukunft lebt allein, wer der Gegenwart wirklich alles gibt. (5) Der Zukunft zugewandt leben heißt, sich ganz der Gegenwart hinzugeben. (6) Offensein für die Zukunft heißt, ganz im Heute zu leben. (7) Für die Zukunft offen ist, wer ganz in der Gegenwart aufgeht. (8) Leben im Hier und Jetzt heißt auch Zukunftsorientiertheit. Die Entscheidung für eine bestimmte Formulierung hängt dann auch vom Kontext ab. Nur treffende Formulierungen sind geeignet, bei Lesern wirklich gedanklich eine szenische Vorstellung zu evozieren. Zum treffenden Ausdruck gehören auch präzise Fachausdrücke, wenn entsprechende Objekte im Text angesprochen sind. Beispiel: „Lo splendore avvolto nella nube“ (Angelo G. Roncalli zu einem Heiligenbild). Schrittweise wird der Übersetzungsentwurf verdichtet: (1) Der Glanz, der in eine Wolke gehüllt ist; (2) Der von einer Wolke umhüllte Glanz; (3) ein wolkenverhangenes Leuchten. Die Verdichtungsstrategien tragen zur Ausdrucksprägnanz bei. Wie findet man aber die Balance? Hier ein Versuch aus der Übersetzerwerkstatt: The mark on the wall → Der Fleck an der Wand (Register zu niedrig, banal) → Das Mal an der Wand (Register zu hoch, wirkt gestelzt) → Das Zeichen (geheimnisvoll). <?page no="282"?> 282 Radegundis Stolze Zu viele Nebensätze sind problematisch. In einem Artikel von Alain Ehrenberg über die aktuelle Malaise Frankreichs ( DIE ZEIT Nr. 25, 9. Juni 2016, S. 44) heißt es: Die vielen Essays, die in den letzten Jahren über dieses „Unbehagen“ veröffentlicht wurden, umkreisen die Vorstellung, dass „wir keine Gesellschaft mehr bilden“, denn unsere politischen Ideale (der Gleichheit und Solidarität, ohne die die Freiheit nur ein eitles Wort ist) seien angesichts der liberalen oder neoliberalen Welle, die einen Individualismus hervorgebracht habe, der künftig die sozialen Bindungen zerstören werde, ohnmächtig geworden. (…) Düstere Formulierungen bezeichnen ein Übel, das die Gesellschaft und das Individuum betrifft, dessen Antrieb die Autonomie darstellt. In ihr bündeln sich alle liberalen Ideen, denen das Zusammenleben zum Opfer fällt. (…) Dieser aus dem Französischen übersetzte Text ist mit seinen vielen Nebensätzen schwer verständlich und muss mehrmals gelesen werden. Vielleicht könnte man konziser formulieren: Die zahlreichen Essays der letzten Jahre über dieses „Unbehagen“ kreisen um die Vorstellung „wir seien keine Gesellschaft mehr“, denn unsere politischen Ideale (der Gleichheit und der Brüderlichkeit, ohne die Freiheit nur ein leeres Wort ist) seien ohnmächtig angesichts der liberalen oder neoliberalen Welle eines Individualismus, der die sozialen Bindungen bedroht. (…) Düstere Formulierungen benennen ein Übel in der Gesellschaft und des autonomen Individuums. Die Autonomie ist ein Inbegriff für all jene liberalen Ideen, die das Zusammenleben zerstören. 9 Formulierungsziele des Übersetzers Die formallinguistischen Beschreibungen dienen der Verwirklichung der Formulierungsziele des Übersetzers, welche durchaus rhetorisch begründbare Abweichungen von der ausgangstextlichen Form beinhalten können. Solche Ziele können sein: Kohärenz der Darstellung, klare Gliederung, Verständlichkeit für Laien, Wissenschaftlichkeit in fachlicher Richtigkeit, bei literarischen Texten eine angemessene Stilebene, gute Idiomatik, spannende Erzählung und kulturelle Transparenz. Wörtliche Übersetzungen sind oft praktikabel, dann jedoch nicht, wenn sie den zielsprachlichen Lesererwartungen nicht entsprechen, obwohl sie inhaltlich korrekt wären. Ziel ist insgesamt eine prägnante Ausdrucksweise, um Vertrauen zu wecken und überzeugend zu wirken. Solche Ziele werden nur mit der Empathie zur Mitteilung erreicht. Die angeführten strategischen Vorschläge sind freilich nicht präskriptiv, sondern es handelt sich um jeweils individuell gesetzte Formulierungsziele für die Übersetzung. Dabei gilt, dass bestimmte Formulierungen, die einmal gefunden wurden, so nicht <?page no="283"?> Quellen der Kreativität beim Übersetzen 283 unbedingt in anderem Zusammenhang wieder funktionieren. Es ist jeweils ein erneuter übersetzerischer Entwurf gefordert, der kreativ ausformuliert wird. Es wurde gezeigt, dass jegliches translatorisches Handeln im sozialen Raum „subjektiv“ ist, insofern es von kulturell und sozial verwurzelten Personen durchgeführt wird. Diese übernehmen selbst Verantwortung und setzen sich dabei bestimmte holistische Handlungsziele, basierend auf einem vorgängigen Verständnis der Textvorlage. Da die Elemente der Übersetzungskompetenz personale Qualitäten sind, kann die Translation nicht durch die Beschreibung bestimmter „Faktoren“ oder gar operationalisierter Regeln eingeholt werden. Die Priorisierung spezifischer Übersetzungsprobleme bleibt in der Verantwortung des Translators selbst, denn Wissen und Sprachfähigkeit sind individuell verschieden. Kreativität beim Übersetzen beruht auf Sprachvertrauen, fachlichem und kulturellem Wissen, sowie textlinguistischen und rhetorischen Kenntnissen. Sie ist nur in Freiheit möglich. 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Tübingen: Niemeyer. <?page no="287"?> Beyond das Gefühl des fremden “the Feeling of the Foreign”: The Hermeneutical Creativity of das Gefühl des fremden “the Feeling of the Alien” and das Gefühl des fremden “the Feeling of the Strange” Douglas Robinson (Hong Kong) Abstract: Friedrich Schleiermacher’s famous call to translators to simulate das Gefühl des fremden / the Feeling of the Foreign in their translations is often experienced as a limitation on or constriction of translatorial freedom; after all, the structure of the Academy address “Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens”/ “On the Different Methods of Translating” is a series of binary gates, the closing of each of which shuts off one-half of the translator’s options. Schleiermacher also portrays his preferred methods as an unattractive kind of self-limitation, the siring of Blendlinge / mongrels, where any sensible man would obviously prefer to sire purebred children in his own image. This chapter argues that Schleiermacher’s argument can be recast in terms of hermeneutical creativity by translating “fremd” expansively into English, not just as “foreign” but as “strange” and “alien” as well. The possibility that the translator might seek to retain not only das Gefühl des fremden / the Feeling of the Foreign in the translation but das Gefühl des fremden / the Feeling of the Strange opens his preferred method up to the creativity of the German Romantic tradition of Befremdung / Entfremdung / Verfremdung / estrangement, especially as retheorized for modernism by Viktor Shklovsky as ostranenie / estrangement. And the possibility that the translator might seek to retain das Gefühl des fremden / the Feeling of the Alien opens the full range of nonsense poetry, whether that means translating nonsense poetry (like Russian zaum poetry, one of Shklovsky’s inspirations) into TL nonsense poetry, or undertaking homophonic translations that render sense-making poetry nonsensical. Keywords: Schleiermacher, translation, das fremde , foreign, foreignization, strange, estrangement, alien, nonsense poetry. <?page no="288"?> 288 Douglas Robinson 1 Introduction In his 1813 address to the Royal Academy of the Sciences in Berlin, “Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens”/ “On the Different Methods of Translating,” Friedrich Schleiermacher famously analogizes three titrations of foreignness and familiarity on four different levels: [a] foreign-language learning, [b] reading foreign literary texts, [c] writing original literary texts, and [d] translating literary texts. By “titrations” I mean mixtures between what he calls das Gefühl des fremden “the Feeling of the Foreign” and what I want to call, building a parallel construction out of his own word geläufig “familiar,” das Gefühl des Geläufigen “the Feeling of the Familiar.” Something like this (holding off on *d) translation for the nonce): a. High Feeling of the Foreign, Low Feeling of the Familiar : the beginning foreign-language learner, who “sich noch mühsam und fast ekelhaft durch das einzelne hindurchstümpert, und deshalb noch nirgend zu einem klaren Ueberschauen des Ganzen, zu einem lebendigen Festhalten des Zusammenhanges gedeiht” (Schleiermacher 1813 / 2002: 76)/ “blunders through the details of a text with great labor and loathing, never succeeding in rising above individual words and phrase to a clear view of the whole, never gaining a vivid sense of its cohesiveness” (Robinson 1997/ 2 2002: 230). This type of (1a) foreign-language learner cannot (1b) read foreign literature in the original, and it is so obvious that s / he cannot (1c) write original literary works in the foreign language either that Schleiermacher doesn’t even bother to mention it. b. Medium Feeling of the Foreign, Medium Feeling of the Familiar : the educated person “dem die fremde Sprache geläufig ist, aber doch immer fremde bleibt, der nicht mehr wie die Schüler sich erst das einzelne wieder in der Muttersprache denken muß, ehe er das Ganze fassen kann, der aber doch auch da wo er am ungestörtesten sich der Schönheiten eines Werkes erfreut, sich immer der Verschiedenheit der Sprache von seiner Muttersprache bewußt bleibt” (Schleiermacher 1813 / 2002: 78)/ “for whom the foreign language is familiar but forever foreign, who needs no longer, like beginning students of the language, translate every word and phrase into his native language before gaining a sense of the whole, but who remains constantly aware, even in its most tranquil enjoyment of its beauties, of its differences from his own native language” (Robinson 1997/ 2 2002: 231). This person is actually no longer (2a) a foreign-language learner: s / he has learned the foreign language well enough to “run” in it (the root of geläufig is laufen “to run”), to get by well enough. S / he (2b) reads foreign literature pretty well, but could never (2c) write original works in it. <?page no="289"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 289 c. Low Feeling of the Foreign, High Feeling of the Familiar : polyglots who learn foreign languages so easily and so fluently that they hardly even notice what language they’re speaking, “die solche eigenthümliche Verwandtschaft fühlen zu einem fremden Dasein, daß sie sich in eine fremde Sprache und deren Erzeugnisse ganz hinein leben und denken, und indem sie sich ganz mit einer ausländischen Welt beschäftigen, sich die heimische Welt und heimische Sprache ganz fremd werden lassen” (Schleiermacher 1813 / 2002: 76)/ “who feel so singularly drawn and akin to a foreign culture that they have utterly given themselves over to living and thinking in its language and its texts; and who, at least while caught up body and soul in that foreign world, allow their native language and whole native world to become alien” (Robinson 1997/ 2 2002: 230). These “freaks of nature” (as Schleiermacher characterizes them) are no longer (3a) learning the foreign language, except in the sense that we are always learning our native tongues; they (3b) not only read literary texts in the foreign language easily but (3c) may even be able to write original works in it. Schleiermacher’s (2d) ideal translation is one that mimics (2b): creates for and in the target reader a mimetic approximation of that medium Feeling of the Foreign and medium Feeling of the Familiar felt by educated readers who, no matter how fluently or familiarly they can “run” in the foreign literary text (“wie geläufig sie eine fremde Sprache auch lesen”), in reading it always feel the Feeling of the Foreign (“behalten doch immer dabei das Gefühl des fremden”). The task of the “true” translator, for Schleiermacher, is to “simulate” (“nachahmen”) that feeling in or “transplant” (“fortpflanzen”) that feeling into the target reader of the translation - the reader who is reading in his or her native language as if it were a foreign one. The burden of that previous paragraph has been the launching-pad for the more recent work of two well-known translation scholars, Antoine Berman (1984 / 1992) in French and Lawrence Venuti (1995, 1998, etc.) in English. Each adds his own political and ethical spin to Schleiermacher’s basic model; that doesn’t concern me here. I have elsewhere (Robinson 2013: 148-65) noted just how nationalistic Schleiermacher’s basic preference for (2d) is - it is important that readers always feel the foreignness of the translated works they read, so that they never fail to notice and respect the superiority of works originally written in German; 1 that doesn’t concern me here either. The third issue that 1 As Schleiermacher writes: „Denn so wahr das auch bleibt in mancher Hinsicht, daß erst durch das Verständiß mehrerer Sprachen der Mensch in gewissem Sinne gebildet wird, und ein Weltbürger: so müssen wir doch gestehen, so wie wir die Weltbürgerschaft nicht für die ächte halten, die in wichtigen Momenten die Vaterlandsliebe unterdrükkt, so ist <?page no="290"?> 290 Douglas Robinson does not concern me here, which I have illustrated at even greater length elsewhere, is the scary moralism and appalling logic that he mobilizes in support of his nationalistic agenda: his sick “joke” (reviewed in Robinson 1996, 176-181) that trying to write well in a foreign language would be “eine frevelhafte und magische Kunst […], wie das Doppeltgehen, womit der Mensch nicht nur der Geseze der Natur zu spotten, sondern auch andere zu verwirren gedächte“ (Schleiermacher 1813 / 2002: 88)/ “a wicked and magical art akin to going doubled, an attempt at once to flout the laws of nature and to perplex others” (Robinson 1997/ 2 2002: 236); and the mind-boggling absurdity of his claim (reviewed in Robinson 2013, ch. 2) that because no one can write well in a foreign language, and therefore also no one can translate well into a foreign language, it is also impossible to simulate in the target reader the feeling that s / he is reading well in a foreign language (1c+2c+3c>3d). 2 auch in Bezug auf die Sprachen eine solche allgemeine Liebe nicht die rechte und wahrhaft bildende, welche für den lebendigen und höheren Gebrauch irgend eine Sprache, gleichviel ob alte oder neue, der vaterländischen gleich stellen will. Wie Einem Lande, so auch Einer Sprache oder der andern, muß der Mensch sich entschließen anzugehören, oder er schwebt haltungslos in unerfreulicher Mitte“ (Schleiermacher 1813/ 2002: 87)/ “For true as it remains in many ways that one cannot be considered educated and cosmopolitan without a knowledge of several languages, we must also admit that cosmopolitanism does not seem authentic to us if at critical moments it suppresses patriotism; and the same thing is true of languages. That highly generalized love of language that cares little what language (the native one or some other, old or new) is used for a variety is not the best kind of love for improving the mind or the culture. One Country, One Language - or else another: a person has to make up his mind to belong somewhere, or else hang disoriented in the unpleasant middle” (Robinson 1997/ 2 2002: 235). 2 Most likely the only reason Schleiermacher even raised the issue of whether it is possible to write original literature in a foreign language was that he knew his foreignizing argument was vulnerable to the standard argument that a translation should read as if the source author originally wrote the text in the target language. His problem was not only that this dictum was widely accepted in his day - it was, after all, the “modern” dogma, cobbled together out of the anti-medieval sentiments espoused by Reformation Bible translators and Renaissance literary translators - but also that it was quite common then, as it is now, for writers to write well in foreign languages. If Leibniz and Grotius wrote well in Latin, though their first languages were German and Dutch, respectively - Schleiermacher’s own tentative counterexample to his rule - why was it unthinkable that their works written originally in German and Dutch might be translated into Latin in the same way, to give the target readership the impression that they originally wrote them in Latin? Given his strong desire to foreclose on that approach, Schleiermacher cast about for knock-down arguments against it, and apparently couldn’t think of any, so he made up absurd claims that he didn’t realize were absurd, such as: (1) no one can write original literature or scholarship well in a foreign language (which he knew to be false), but (2) if anyone did he would condemn it as a magical art akin to going doubled like a ghost (when in doubt, indulge in moralistic fear-mongering), and (3) the impossibility of writing well in a foreign language means that it is impossible to give readers the <?page no="291"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 291 As is probably evident from my rhetoric of incredulity there, Schleiermacher’s bad argumentation still exercises me quite a bit; but I do want to turn my attention in a different direction this time. Specifically, I want to suggest that “the Feeling of the Foreign” is a narrow and limiting translation for “das Gefühl des fremden“, indeed a translation that forecloses in disturbing ways on the creative hermeneutics of translation; and that two alternative translations, “the Feeling of the Alien” and “the Feeling of the Strange,” might open up important new directions for the hermeneutics of translational creativity. The fact that German uses the same adjective - fremd - for “foreign,” “strange,” and “alien” is not surprising, since foreign things are usually (even normatively) experienced as strange and alien; but once one begins familiarizing oneself with the Foreign, it remains endlessly fascinating that a residual Feeling of the Foreign not only can blend and even make common cause with an emergent Feeling of the Familiar (this being the mixture Schleiermacher identified as his ideal) but will sometimes devolve into complete, baffling incomprehension, a feeling of no connection at all (a Feeling of the Alien), or into an intriguing or disturbing feeling of twistedness, oddity (a Feeling of the Strange). impression that the source author wrote the work in the target language (pile absurdity upon absurdity); as a result, (4) readers reading such an attempt get confused, frustrated, offended, and even traumatized: “Will nun aber gar die Uebersezung einen Schauspieldichter reden lassen, als hätte er ursprünglich in ihrer Sprache gedichtet: so kann sie ihn ja vieles gar nicht vorbringen lassen, weil es in diesem Volk nicht einheimisch ist und also auch in der Sprache kein Zeichen hat. Der Uebersezer muß also hier entweder ganz wegschneiden, und so die Kraft und die Form des Ganzen zerstören, oder er muß anderes an die Stelle sezen. Auf diesem Gebiet also führt die Formel vollständig befolgt offenbar auf bloße Nachbildung oder auf ein noch widerlicher auffallendes und verwirrendes Gemisch von Uebersezung und Nachbildung, welches den Leser wie einen Ball zwischen seiner und der fremden Welt, zwischen des Verfassers und des Uebersezers Erfindung und Wiz, unbarmherzig hin und her wirft, wovon er keinen reinen Genuß haben kann, zulezt aber Schwindel und Ermattung gewiß genug davon trägt“ (Schleiermacher 1813/ 2002: 90)/ “Does the translator want to let a playwright speak as if he had originally written in the target language? Then there will be much he will not be able to say, much that is not native to the target culture and thus has no representation in its language. The translator is then faced with the choice between cutting those passages entirely (and thus undoing the power and form of the original whole) and putting something else in their place. Clearly, then, the blanket application of this formula to translations leads either to mere imitation or to an even more strikingly offensive and bewildering hodgepodge of translation and imitation that tosses the reader mercilessly to and fro like a ball, between his world and the foreign one, between the author’s and the translator’s invention and wit. Nor is there any pure pleasure for him in all that, only exhaustion and a spinning head” (Robinson 1997/ 2 2002: 237). <?page no="292"?> 292 Douglas Robinson 2 The Loss of Familiarity: The Feeling of the Alien If Schleiermacher’s Feeling of the Foreign is basically a medium titration of the Feeling of the Familiar and the Feeling of the Alien, what happens when the Feeling of the Familiar is suddenly vaporized out of the dosage? This is not a possibility Schleiermacher ponders: the Feeling of the Alien for him (though that is not his phrase for it) is experienced only by schoolboys who are forced to learn a foreign language and hate every moment of it, because nothing makes sense to them. The various Gefühle are for him more or less stable dispositions or traits; what if they can also be passing states? What happens when in a given situation the phenomenological sedimentation of many years of experience and training in a language seems to dissipate into the air, leaving nothing behind? What happens when you expect the Feeling of the Familiar, or even the Feeling of the Foreign, and get instead the Feeling of the Alien? For example, what happens when someone learns that you (by which in fact I mean myself) speak Finnish, and, far from any Finnish context, says “Say something in Finnish”? What invariably happens to me is that I go blank. Not only can I not think of a single word in Finnish; I can’t even convince myself that I speak Finnish. The Feeling of the Familiar vanishes completely. I tend to panic a little, then: where did it go, that proficiency in Finnish that has stood me in such good stead since I first began to feel at home in Finnish, at age 17? That experience reminds me of the opening of Otto Friedrich’s book Going Crazy , where he remembers walking to work through Times Square in the early seventies, when he was working at Time magazine, and “going crazy”: Then, as I was about to cross 45 th Street, the strange thing happened: I couldn’t figure out how to cross the street. I stood there at the curb in a state of bewilderment, unable at first even to realize what it was that I couldn’t figure out. I carefully told myself that it would be all right to cross the street whenever the traffic stopped, but as I watched the trucks and taxis flowing south along Broadway, I couldn’t determine which part of the traffic was supposed to stop, or which street I was trying to cross. Then I thought, as one always does at moments of crisis, “This can’t be happening.” Then I felt a touch, just a touch, of fear - panic. Even while I kept reassuring myself that this couldn’t be happening, I also saw myself standing utterly helpless in the middle of Times Square - intellectually incapable of finding out how to cross the street, but repeatedly warning myself that if I made a mistake, the oncoming traffic would kill me. (Friedrich 1975 / 1977: 3 f.) What I have typically done whenever that Feeling of the (Finnish) Alien has come over me is to ask my interlocutor to say something in English for me to translate into Finnish. That always works. Then some translation automatism kicks in, <?page no="293"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 293 and the Feeling of the Familiar spurts forth into an easy Finnish equivalent. Like Friedrich in this next passage, I then realize that the problem is one of context: it’s not that I can’t speak Finnish, but that I have nothing to say, and no speech context to say it in. If I have to satisfy an abstract request like “say something in Finnish” - Friedrich’s counterpart might be something like “explain what it means to cross a street” - I need a prompt, a kick-start. As Friedrich continues: The scene lasted no more than ten seconds, perhaps only five, perhaps only one or a fraction of one. Then something clicked, some gear shifted, and I realized what had happened. It was my custom, daydreaming, only half awake, to walk to the office as though on automatic pilot. That is, I didn’t really pay much attention to where I was going but somnambulistically crossed streets whenever some half-functioning message system told me that the light was green. What had happened on 45 th Street was that the traffic light had broken, so my automatic system didn’t work, and it took me a moment or two to realize it. (Friedrich 1975 / 1977: 4) When I’m in conversation with Finns, especially in Finland, my “automatic system” generates plenty of things to “say in Finnish”; when the context that activates that automatic system is absent or fractured in some way, it takes me too a “a moment or two to realize it,” and correct for it, by asking for a source text that I can translate. What’s interesting about Friedrich’s example, though, is that he spins it as “going crazy” - as the opening anecdote for his book by that title: During that moment or two, I think, I was standing on the border of what we call insanity. The main symptoms were all there: a breakdown in the machinery of perception, or a breakdown in the rational mind’s ability to receive and combine perceptions and to make judgments from them. And a sense of helplessness, together with a perfectly clear vision of one’s own helplessness. And panic. It was, in retrospect, like experiencing some sort of time warp, like catching a glimpse of another century or another civilization. Yet that world where the mad live is not so remote. Most of us come near it at one time or another, sometimes only for a moment, sometimes for days or even for months. “In all of us,” Herman Melville once wrote, “lodges the same fuel to light the same fire. And he who has never felt, momentarily, what madness is, has but a mouthful of brains.” We have felt it, if nowhere else, in the chaotic world that we inhabit in our dreams, that world of half-forgotten messages and half-remembered images. There, night after night, we all go mad. (Friedrich 1975 / 1977: 4) Okay, fine: but what practical or theoretical significance does any of this have for hermeneutically creative translation? Theoretically it seems to me useful to have a phenomenological boundary or limit for the Feeling of the Familiar that we would normally take to be a sine qua non for the very possibility of transla- <?page no="294"?> 294 Douglas Robinson tion. If there is nothing familiar about a text, obviously it cannot be translated. But then how much unfamiliarity - how much foreignization, to put that another way - can we tolerate and still manage to translate a text? That “we” is undoubtedly variable: to someone accustomed to translating texts written clearly and coherently in ordinary language, the threshold to untranslatability may be quite low; someone accustomed to translating modern or postmodern poetry may have far more tolerance for disruptions in the flow of conventionalized meaning-making. But is there a theoretical limit to that tolerance? Practically, we could look for extreme examples of transrational poetry, like this early exemplar of заумь zaum’ (“beyond reason”) poetry by the Russian Futurist poet Алексeй Елисеeвич Кручeных (Aleksey Eliseyevich Kruchyonykh, 3 1886-1968) from 1913, quoted in Harte (2009: 80): Дыр бул щыл Убешщур скум вы со бу р л эз Or, romanized: Dyr bul shhyl Ubeshshhur skum vy so bu r l ez This is what is commonly known as “nonsense” poetry - here reframed as “transrational” poetry. As Tim Harte comments: 3 In the discussion that follows, my romanization differs slightly from the American Library Association/ Library of Congress romanization Harte (2009) uses. In ALA/ LC, ё is romanized “e” and щ is romanized “shch”: thus Кручeных is Kruchenykh, щыл is “shchyl,” and Убешщур is “Ubeshshchur.” In Russian ё is pronounced not [e] but [jo: ] and щ is pronounced not a voiceless palato-alveolar sibilant fricative [ʃ]/ sh followed by a voiceless palato-alveolar sibilant affricate [tʃ]/ ch but a voiceless alveolo-palatal fricative [ɕ]/ shh. As a result of the ALA/ LC romanizations, English-speakers pronounce the surname of the Soviet Premier from 1958 to 1964, Хрущёв, as CROOSH-chev; in Russian his name is pronounced hru-SHOAF. To avoid that kind of mispronunciation, I prefer to use the GOST 7.79 (2002) romanization system, which renders ё as “yo” and щ as “shh.” Thus Кручeных is Kruchyonykh, щыл is “shhyl,” and Убешщур is “Ubeshshhur.” The extended fricative in that last should be pronounced like the sound of the air being let out of a tire, with a deep mouth-pursed sh gradually modulating into a high mouth-wide sh. <?page no="295"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 295 Transrational poetry, “Dyr bul shchyl” suggests, constituted a bold statement of contemporaneity, despite all its primordial, grunt like sounds. As Kruchenykh explained in “New Ways of the Word (the language of the future, death to Symbolism)” (“Novye puti slova [iazyk budushchego smert’ simvolizmu]”), one of the major theoretical discussions of zaum’ , “We loosened up grammar and syntax; we recognised that in order to depict our dizzy contemporary life and the even more impetuous future, we must combine words in a new way, and the more disorder we introduce into the sentence structure the better.” Non-grammatical word constructions and their indeterminacy of meaning indeed fostered a lexical simulation of modernity’s “dizzying contemporary life” and its alteration of visual reality. Zaum’ , it could therefore be argued, introduced linguistic “disorder” into poetry in a manner comparable to the way speed distorts our surroundings to the point of non objectivity. In fact, Kruchenykh went on to explain in “New Ways of the Word” how “the irregular structuring of a sentence (in terms of logic and word formation) generates movement and a new perception of the world and conversely, that movement and psychological variation generate strange ‘nonsensical’ combinations of words and letters.” For Kruchenykh, movement, a new abstract “perception of the world,” and “nonsensical” transrational word creations had merged, as his irregular verse gave rise to an abstract impression of speed, and vice versa. Constituting a non-representational form of verse, zaum’ altered phenomenal reality and anticipated, in Kruchenykh’s words, the “impetuous future.” (Harte 2009: 81) One slight clarification there: when Harte writes that “Transrational poetry, ‘Dyr bul shchyl’ suggests, constituted a bold statement of contemporaneity, despite all its primordial, grunt like sounds,” that “despite” is predicated on his association of the poem’s “grunt like sounds” with primordiality, which is to say, the distant past. That seems to me a problematic temporal prejudice: the narrow-minded assumption that “grunting” is something only our distant ancestors, perhaps even our prehuman ancestors did, and we don’t do. As I read Harte’s account, however, that prejudice is actually not his: he is anticipating and tacitly correcting readers ’ prejudices, in order to second Kruchyonykh’s insistence on this version of contemporaneity, in which our Enlightenment ideal of the imposition of rational order on reality is increasingly fatally disrupted. We should not, I suggest, have far to look for the practical implications of the disruptive irruption of the Feeling of the Alien in the midst of expected familiarity: I would argue that both the “domesticators” and the “foreignizers” would consider Kruchyonykh’s poem untranslatable - or, perhaps, more moderately, not in need of translation. It doesn’t have enough coherent rational “meaning” to lend itself to domesticated translation, and it doesn’t generate a sufficient Feeling of the Familiar to make foreignization - the simulation of a Feeling of <?page no="296"?> 296 Douglas Robinson the Foreign - possible. And in any case if it was written as nonsense in Russian, it is equally nonsensical in English, so all we need to do is romanize it. But the poem is not just “nonsense in Russian”; it is Russian nonsense. It is nonsense that, to the extent that it gives the impression of hovering just beyond the reach of rational sense, it hovers beyond the reach of Russian rational sense. The Feeling of the Alien that it invokes, in other words, stands in a transgressive relation to a culturally-specific Feeling of the Familiar. The rational sense that it seeks to transgress is not universal. It invokes a Feeling of the Russian Alien: a Feeling of the Almost-Familiar to Russians; a Feeling of the Slightly-Less-Familiar / Slightly-More-Alien to non-Russians like me with some knowledge of Russian. Дыр Dyr , for example, is almost but not quite a дыра / дырка dyra / dyrka “hole.” Бул bul is almost but not quite a булка bulka “bun” or “small white loaf of bread.” Щыл shhyl is almost but not quite a щи shhi “cabbage soup” that has been oddly inflected with the verbal past tense ending -л/ -l. Убешщур Ubeshshhur seems to be stitched together from убежать ubezhat’ “to run away,” бешенный beshennyi “rabid,” and щуриться shhurit’sya “squint”: a mad dog that ran away squinting? Скум skum looks more like English scum than any Russian word, but would be pronounced skoom . С s is “with” and кум kum is “godfather,” so that с кумом s kumom would be “with godfather”; and a mackerel is скумбрия skumbriya (also called scomber in English). Вы vy is actually an existing Russian word, the polite / plural form of “you.” Со so looks in Cyrillic script like roman “co,” and to our surprise is actually used the same way, as a sight-borrowing from Latin: a соавтор soavtor is a coauthor. Бу bu is the beginning of several hundred Russian words, including quite a few borrowed from the same foreign terms as their English equivalents (and some even from English), such as будуар buduar “boudoir,” буйвол buyvol “buffalo,” букет buket “bouquet,” бульвар bul’var “boulevard,” бульдог bul’dog “bulldog,” and бумеранг bumerang “boomerang.” In my dictionary alone I count three dozen such shared Russian бу-loanwords; is that enough to make “bu” a good nonsense translation of бу? Well, no, because boo means things in English (what a ghost or girlfriend says) that no буword in Russian even hints at; and the shared loanwords make up only a small portion of the бу-words in Russian, most of which are Slavic in origin. In fact in Russian бу! / bu ! on its own is a colloquial interjection indicating unhappiness with what’s going on. (“Не бубукай! ”/ “ ne bubukay ”/ “don’t bu,” as my wife might say, in the sense of “stop whining.” Бубунить bubunit’ is a similar verb, meaning to drone on and on in a monotonous mumble, the implication being that mumbling on and on about boring things is like saying бу, бу, бу/ bu, bu, bu - or hearing that in someone else’s mumbling.) But perhaps running “vy so <?page no="297"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 297 bu” on a line between “skum” and “r l ez” vitiates those objections? Perhaps. But perhaps even then “skum / vy so bu” also looks in English as if it could be read as “[you] scum, why so boo? ” in a Russian accent. That impulse to make nonsense make sense reminds us that “nonsense” is not a thing in itself, not a stable absence of sense: it is an audience effect, a phenomenology. Or, to put it in the terms I’m adapting from Schleiermacher, it’s not an alienness or an alienation but a Feeling of the Alien. When I feel I can’t say anything in Finnish or Otto Friedrich feels he can’t cross 45th Street at Broadway, that emphatically does not mean that we lack the ability to do those things; it means rather that we feel temporarily alienated from that ability. And just as for Schleiermacher foreignizing translation involves simulating the Feeling of the Foreign felt by an educated reader reading a foreign text in a language s / he doesn’t know particularly well, so, too, I suggest, might “alienating translation” involve simulating the Feeling of the Alien felt by a competent speaker / reader of the source language who suddenly, mysteriously, loses that expected Feeling of the Familiar. So what might an alienating translation of “Дыр бул щыл”/ “Dyr bul shhyl” look like? The simplest and most conventional way to create one, it seems to me, would be to apply a Modified Nida (dive down from source-textual surface structure to deep structure, then resurface in the target language): Hol bre sou Erabruns mack ye so bu r l ez There “hol” is the beginning of “hole,” “bre” is the beginning of “bread,” “sou” is the beginning of “soup,” “Erabruns” runs an Updikean “rabid run” together and tacks on a Latin “e-“ prefix to signify “out or away” and an “-s” suffix to hint at “squint,” “mack” is the beginning of mackerel, “ye” is the archaic plural “you,” and “so” on (boo). But that’s not only kind of boring; it seems to me to tame the process out of the realm of the Feeling of the Alien. No, that’s not quite right: the Feeling of the Alien is not a realm, doesn’t have boundaries, doesn’t have an inside and an outside. What I suppose I mean is actually that I don’t just want the product of my translational work to have an alienating effect on the target reader; I want the translation process to feel alienating, to give me, as the translator, the Feeling of the Alien. And that Modified Nida just doesn’t do it for me. So let’s take a different tack, and try a Modified Zukovsky (play with the sounds, as in the famous Catullus translation from 1969): <?page no="298"?> 298 Douglas Robinson Drr bool shll Oobshhhsoor mux boosovyy r l □ z That’s better, isn’t it? At least it feels more alienating to me, as I drop vowels, add extra letters to “Oobshhhsoor” and “boosovyy,” and reverse the order of “skum” to make “muks”>“mux” and “vyy so boo” to make “boosovyy.” The repetition of “oo” in three lines seems to promise order, too, and thus meaning, and even an echoic do-wah-diddy scat - but then strategically reneges on its promise. Or, as that эmpty box before the “z” suggests, we could play a little more with typography: I like that one a lot - so much, in fact, that I grow suspicious. Isn’t that sort of play clichéd by now, in our postmodern era? For that matter, is it even possible to simulate the Feeling of the Alien in a translation of this poem, more than a century after the source text was first published? Isn’t the “contemporaneity” of this sort of alienating translation always already old hat? (In fact what occurs to me there is that the Zukovskys’ Catullus is itself an alienating translation. That is an entirely apt characterization of their project. If this section has no other practical value, it has at least given us a name for one of the most famous weird translations of the twentieth century. And of course its “weirdness” strikes us today, a half century later, as rather tame and quaint.) 3 The Distortion of Familiarity: The Feeling of the Strange If das Gefühl des fremden “the Feeling of the Foreign” can modulate into the inexplicability of das Gefühl des fremden “the Feeling of the Alien,” it can also modulate into the incongruity of das Gefühl des fremden “the Feeling of the Strange.” This is ground I have covered in a variety of ways before: <?page no="299"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 299 Translation and the Problem of Sway : In Chapter 4 of Robinson (2011), as if in direct confirmation of the temporal dynamic traced in those last paragraphs of the previous section, I noted that the Feeling of the Foreign is a phenomenology “that tends to wane with time” (Robinson 2011: 113), and has to be revivified through new estrangements: A “foreignized” text may feel foreign at first, but with time it may (and in fact will typically) come to seem more and more familiar, until its “foreignism” or “foreignization,” to the extent that it is remembered or noticed at all, comes to feel like a structural trace or vestige of the original phenomenology of foreignness or strangeness. Any structuralist or poststructuralist attempt to theorize foreignism in stable ways, then, without taking this “phenomenological fade” into account - and I suggest that this is very much the mode in which Venuti discusses foreignism - will tend to focus on those abstract structural traces and bracket the actual historicity of the feeling-foreign. (Robinson 2011: 114) Then, drawing on David Bohm’s (1992 / 1994: 204) notion of “the proprioception of the body politic,” I explored the possibility that the “foreignness” of a translation is mobilized and managed through a collectivized proprioception, a sociosomatic regulation of the Feelings of the Familiar and the Foreign. I moved from there into a discussion of Viktor Shklovsky’s theorization of остранение ostranenie “estrangement,” with special attention to the model he borrows from Broder Christiansen (1909: 118-19), based on tiny felt deviations from what Christiansen calls the geltender Kanon “canon in force / effect” in a language, which I would here call the Feeling of the Familiar. Those felt deviations, or what Christiansen calls those Differenzimpressionen “differential impressions,” summon forth the Feeling of the Foreign-as-Strange, which as Shklovsky insists increases the «трудность и долготу восприятия»/ trudnost’ i dolgotu vospriyatiya / “laboriousness and duration of perception,” so as to «дать ощущение вещи, как видение, а не как узнавание»/ dat’ oshhushheniye veshhi, kak videniye, a ne kak uznavaniye / “give us the sensation of a thing as seeing rather than as recognizing”; this complex he calls the «прием „остранения“ вещей»/ priyom “ostraneniya” veshhey / “device of the ‘estrangement’ of things” (Russian text Shklovsky 1925 / 1929: 12; English translation Robinson 2011: 123). In that sense, I concluded, a foreignizing translation would entail “some sort of strategic deviation from what readers will feel as ‘canonical’ target-cultural conventions, so that the translation feels new and dissonant and strange” (Robinson 2011: 129). Schleiermacher’s Icoses : In Chapter 4 of Robinson (2013) I explore Schleiermacher’s own theory of the Feeling of the Foreign in four steps: (section 4.2) “the power of conventionalization to numb our perceptions”; (section 4.3) “the importance of giving the reader a feeling of an impediment to perception, so <?page no="300"?> 300 Douglas Robinson as to goad him or her to shake off the sleep of convention”; (section 4.4) “the importance of reminding the target reader that what s / he is reading is a translation, and so denaturalizing the illusion of non-translation”; and (section 4.5) “the possibility that Brecht’s estrangement effect on stage might offer a different and more viable way of thinking Schleiermacher on foreignization than the analogical literalism discussed in Chapter 2” (Robinson 2013: 197). My method is to map Shklovsky’s argument in «Искусство как прием»/ “ Iskusstvo kak priyom ”/ “Art as Device” onto Schleiermacher’s argument in “Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens”/ “On the Different Methods of Translating,” quoting and discussing the specific passages where Schleiermacher implicitly invokes something like the Romantic theory of estrangement, in order to highlight argumentative possibilities that Schleiermacher himself adumbrated but failed to stress - missed opportunities, in other words. I show, for example, how Schleiermacher fails to “articulate a rationale for leaving the ‚Spuren der Mühe’/ ‘traces of labor’ in the target text” - what Shklovsky calls the «затруднение»/ zatrudnenie / “belaboring” (making-laborious) of the perceptual process, which he also identifies as a «заторможение»/ zatormozheniye / “impeding” of that process. “The connection between the Traces of Labor [and the ‘Intuition of an Impediment’] and the Feeling of the Foreign for Schleiermacher is that the translator, like the ideal source reader whose response to the source text he advises the translator to simulate for the target reader, just is a foreigner to the source text, and therefore just does read it with effort. Schleiermacher doesn’t even advise the translator to leave traces of that effort there; he just says that the target text just is ‚aufgedrückt’/ ‘imprinted’ with them. He implies that this is a desirable eventuality, but doesn’t even spell that much out, let alone indicating why it is desirable” (Robinson 2013: 214-215). Shklovsky, by contrast, has worked it all out; and in his version of Shklovsky’s theory for the epic theater, Bertolt Brecht politicizes it, which one might have thought would have been perfect for Venuti’s Marxist theorizations. I conclude: In this light, perhaps the most generous (though not necessarily the most Schleiermacherian) way to think the distinction between domesticating and foreignizing translation would be through twentieth-century acting styles: domestication as pretending that the source author originally wrote in the target language as Stanislavskian Method Acting, aimed at convincing the “theatergoer” (target reader) that the action on stage is really happening in the real world ; foreignization as pretending that the target reader is reading the source text as Brechtian epic theater, aimed at breaking the theatergoer’s illusion of reality through “estranging” or “distancing” (“quoting” or “third-person”) acting styles. To put that differently, Schleiermacher’s case in this dramatistic frame would be not that domesticating translation is bad because unre- <?page no="301"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 301 alistic / illusory and that foreignizing translation is equally unrealistic / illusory but nevertheless good, but that domesticating translation is bad because it encourages unthinking immersion in the illusion, and foreignizing translation is good because it exposes and denaturalizes the illusion. This is a far subtler distinction than Schleiermacher himself was able to make, because he hadn’t lived through the modernist articulation of Romantic aesthetics, and so had no access to Shklovsky or (especially) Brecht. (Robinson 2013: 233-234) Critical Translation Studies : In the first series of Critical Theses in Robinson (2017a) I draw on Sakai Naoki’s (1997) theory of the regime of homolingual address, “a regime in which each language is ideally isolated from every other, with the speakers of each able to communicate easily and freely, and indeed automatically, with each other, and utterly unable to communicate with the ‘foreigners’ that have been relegated in advance to other isolated languages” ( CT 1.10). That idealized conception of communication, which Sakai builds out of Jean-Luc Nancy’s (1986 / 2004; Connor 1991) Heideggerean ruminations on the mythologization of community as “communion,” at once definitively forecloses and depends on translation for its proper functioning: obviously the only way any given homolingual regime could ever communicate with another would be through translation, but the model excludes in advance the very possibility of anyone ever being able to mediate between homolingual regimes. Such mediation relies, Sakai underscores, on what he calls “heterolingual address” - the real-world phenomenology in which we all constantly translate thoughts into words and words into interpretations, in which we are all foreigners to each other and therefore translators of each others’ words - but in order to recover that germ of heterolinguality for the regime of homolingual address one must “erase” the translator’s mediation from awareness, which is to say, one must instrumentalize and invisibilize the translator. And I conclude: The idea remains in the “homolingual” representation of translation that the written or spoken text can be understood by its audience because it is essentially homolingual - because the “foreign” author somehow magically wrote or spoke it in the “local” language of its (monolingual) audience. I suggest, in fact, that this is the theoretical critique of “bringing the author to the reader” toward which Friedrich Schleiermacher was so haplessly groping in his 1813 address to the Academy, and that his followers among the foreignizers have so far been unable to formulate more effectively for him: “The assumption that one can make oneself understood without perceptible hindrance, as long as one belongs in the same linguistic community, survives intact here” (Robinson 2013: 10). (See Robinson 2013: ch. 2 for analysis of the “haplessness.”) The difference between domestication and foreignization for Schleiermacher and his many followers should have been - as Sakai would see it - not that the former takes <?page no="302"?> 302 Douglas Robinson the author to the reader and the latter takes the reader to the author, and not that the former is immoral and unpatriotic and the latter is the only “true” form of translation (as Schleiermacher insists), and not that the former makes the target culture complicit with capitalism and the latter makes the target culture dissident (as Venuti insists), but that the former is conditioned by the regime of the homolingual address and the latter is an embrace of the attitude of the heterolingual address. (Robinson 2013: 11) What I notice about all that, however, rereading and summarizing it now, is that in those discussions the Feeling of the Foreign, the Feeling of the Strange, and the Feeling of the Alien all tend to blur together into a single smeary Feeling of the Unfamiliar. But then, as I showed in Robinson (2008), the tradition has tended to blur them as well: • the -fremdung terms that run through the German Idealist / Romantic / modernist tradition (and its materialist inversion by Marx) include, as precursors to Brecht’s Verfremdung , Novalis’s Befremdung “estrangement” and Hegel’s and Marx’s Entfremdung “alienation”; • Shklovsky and his friends, after Russian Formalism was officially banned in the Soviet Union, began referring not to остранение ostranenie “estrangement” but to отчуждение otchuzhdenie “alienation”; and • Lemon and Reis (1965) first translated Shklovsky’s остранение ostranenie as “defamiliarization,” and Willett (1964 / 1992) first translated Brecht’s Verfremdung as “alienation,” neither even hinting at the Feeling of the Strange. Clearly there is historical warrant for treating foreignization, estrangement, and alienation as wrapped up in the same phenomenology of felt deviation from norms. And as I noted in both Translation and the Problem of Sway and Schleiermacher’s Icoses , it is striking that not one of the three major foreignizers - Schleiermacher, Berman, or Venuti - has ever explored the connections between the Romantic theory of das Gefühl des fremden “the Feeling of the Foreign” and the Romantic theory of das Gefühl des fremden “the Feeling of the Strange” ( Befremdung / Entfremdung and its modernist revisions as остранение ostranenie / Verfremdung “estrangement”). But now I want to advance the project broached in the previous section on the Feeling of the Alien by isolating a unique phenomenology called the Feeling of the Strange. Yes, there is a high degree of overlap among the Feelings of the Foreign, Alien, and Strange; yes, the foreign hegemonically feels alien and strange; yes, as I mentioned above, the convergence of alienation and estrangement with the Feeling of the Foreign is normative, specifically in what Sakai calls the regime of the homolingual address; yes, even in Sakai’s heterolingual address there is a sense in which we are all foreigners to each other, and precisely for <?page no="303"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 303 that reason aliens and strangers to each other (and ourselves) as well. But just as there are moments in heterolingual communication that feel shockingly alien - existentially and disturbingly inexplicable, incoherent - so too, I’m suggesting, are there moments that feel strikingly and even absurdly strange. For example, once my high school German teacher took all of his German students on a weekend trip from our town south of Seattle to a camp on the Olympic Peninsula; the requirement was that we speak only German from the moment we got on the bus in the school parking lot Saturday morning till we got off the bus in that same parking lot Sunday afternoon. While three or four classmates and I were walking about the ferry across Puget Sound, speaking German, we passed two crew members sitting at a table drinking coffee, and distinctly heard one of them mutter to the other, “Goddamn foreigners.” American teenagers speaking German as foreigners: for me a defining moment of the Feeling of the Strange. 4 Yes, that is garden-variety heterolinguality heard through a normative homolingual ear, a normative clash between ideological regimes; but I submit that it is a normative clash raised to an absurd power, or to the power of absurdity. It’s not just a clash: it’s a meta-clash, a self-recursive / self-reflexive clash. Its absurdity derives from its power to engender a sudden disturbing awareness of the normative clash between homolinguality (all Americans speak only English, therefore anyone who speaks non-English is a foreigner) and heterolinguality (we are all foreigners to each other). A tentative formulation: the vague, inchoate sense we have that the regime of the homolingual address is an ideological illusion, that we actually communicate heterolingually, is the Feeling of the Foreign; the glorious irruption of the absurd in stray moments of clarity about that clash is the Feeling of the Strange. Or, to shift terms slightly: the reason that the purveyors of “foreignization” from Schleiermacher to Venuti have tended to mystify “the foreign,” and have failed to engage with the Romantic / modernist tradition of estrangement, is that estrangement requires a conscious awareness of the slippage between norms and deviations, between conventions and innovations, between the old and the new - and the Feeling of the Foreign, close as it is to the Feeling of the Strange, can’t quite muster that level of self-aware absurdity. So again, what consequences do these ruminations have for the study and activity of translation? Take a passage from Aleksis Kivi’s brilliant 1870 Finnish novel Seitsemän veljestä , where a wolf has fallen into the Jukola brothers’ wolf pit, and Timo - the dumbest of the brothers - goes to bang it on the head, but 4 Of course only the situation was strange; the German language for us awakened the Feeling of the Foreign-as-Familiar, for the crew members the Feeling of the Foreign-as-Alien. <?page no="304"?> 304 Douglas Robinson keeps missing, so he runs to get his brothers, forgetting to pull the ladder up out of the pit: Siitä, hetken päästä läksivät veljekset, varustettuna seipäillä, köysillä ja kuristimilla, saavuttamaan saalistansa. Mutta tyhjä oli kuoppa heidän ehdittyänsä esiin. Pitkin tikapuita, jotka Timo oli jättänyt jälkeensä kuoppaan, oli heidän sutensa koreasti astunut ylös ja vilkaisnut tiehensä, kiittäen onneansa. (Kivi 1870 / 1984: 134) Richard Impola (1991: 114) translated that in what Schleiermacher would call the author-to-reader mode, or what Sakai Naoki would call the regime of the homolingual address, as if Kivi had originally written the novel in English: The brothers soon left the house, equipped with clubs, ropes, and nooses to catch their prey. But when they reached the pit, it was empty. The wolf had climbed neatly up the ladder left behind by Timo and scooted away, thanking its lucky stars. In the first full published English translation of the novel, Alex Matson (1929 / 1962: 125) rendered the passage slightly more foreignizingly: The brothers soon emerged, furnished with staves, ropes, and nooses, to seize their prey. But when they reached the pit, it was empty. Along the ladder, which Timo had left behind him in the pit, their wolf had climbed to safety and swiftly departed, thanking his lucky stars. Obviously Impola took a lot of that over unchanged; but “along the ladder” is a more literal translation of pitkin tikapuita than “up the ladder,” and the subordinate clause “which Timo had left behind him in the pit” is an exact syntactic copy of Kivi’s jotka Timo oli jättänyt jälkeensä kuoppaan . Ironically, Impola’s “scooted away” is also a more literal translation of Kivi’s vilkaisnut tiehensä (lit. “scampered / scurried into his road / path”) than Matson’s “swiftly departed”; and Matson’s “climbed to safety” is a periphrastic unpacking of Kivi’s astunut ylös (lit. “stepped up”). And we could continue that series, moving in an increasingly foreignizing direction, with a slightly more literal rendition like this: From thence, a moment later left the brothers, equipped with poles, ropes and chokers, to apprehend their prey. But empty was the pit when they hove into view. Along the ladder, which Timo had left behind him in the pit, had their wolf prettily stepped up and scurried away, thanking its luck. That teems with the Feeling of the Foreign, don’t you think? It’s not quite literal; for example, I can’t think of a strictly literal rendition of ehdittyänsä esiin , which Matson and Impola both render “reached.” Esiin is “into view,” implying a wolf ’seye perspective on their arrival: the ground above the pit is like a stage on which <?page no="305"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 305 the brothers make their appearance, like actors entering a scene. But ehtiä is “to have time, to arrive in time”: ehdittyänsä esiin would be literally something like “having had time [to come] into view.” The implication is that they’re rushing to get to the pit in time to kill the wolf: there is a kind of deadline, which in fact they miss. When they get to the pit the wolf has already decamped. So they don’t come in time, which makes the literal translation misleading. The Finnish verb is looser than its literal translation: it can mean just arriving in a rush, even if not in time. The thing about that foreignizing translation, though, is that it is slightly awkward - deliberately so, of course. It is intended, in accordance with Schleiermacher’s proposal to the Royal Academy, to give the target reader the Feeling of the Foreign, the feeling that s / he is reading the Finnish original with mediocre Finnish - with enough of a Feeling of the Familiar to understand the words, but without Impola’s kind of easy casual familiarity that might gulp the text down without impediment. The subtle awkwardness impedes easy apprehension. For Schleiermacher that impediment serves nationalistic purposes, to remind the target reader that s / he is reading a foreign text, not an original German one. The problem with all that, however, is not just that that sort of nationalism is difficult for us to appreciate these days, nor even just that there are better reasons to advocate for an impediment to easy understanding (denaturalization, etc.) than some kind of nationalistic purity fetish - the problems on which my critique mostly focused in Schleiermacher’s Icoses. The big problem, however, it occurs to me now, is that it’s not clear how the impediment serves the nationalistic purpose - or even, for that matter, the denaturalizing purpose. Precisely how does an awkwardly written text remind the target reader that it is a translation, rather than, say, an awkwardly written original? Why is the awkwardness experienced by a half-competent reader of a foreign text the best denaturalizing feeling for the translator to simulate? These are questions that Berman and Venuti never ask about the Schleiermacherian translation strategy that they espouse. As a result, all three foreignizers mystify the method. All three argue vaguely for a strategy that they themselves don’t quite grasp. Hence in fact my suggestion that Schleiermacher’s Feeling of the Foreign is the vague, inchoate sense we have that the regime of the homolingual address is an illusion unconsciously undergirded by heterolingual address - and that it takes the Feeling of the Strange, Novalis’s Befremdung , Shklovsky’s остранение ostranenie , Brecht’s Verfremdung , to open our eyes and ears to the imposture. We need to be aware of the absurdity - and Schleiermacher’s Feeling of the Foreign, I’m suggesting, can’t get us there. The semicompetent reader’s prevailing experience of a foreign text - the experience that the foreignizing translator is to simulate in the target language - is one of <?page no="306"?> 306 Douglas Robinson groping and grasping for some vague sense of the text. The most Schleiermacher expects such a reader to bring back from his or her encounter with the foreign text is a sense of its foreignness - the Feeling of the Foreign. It requires a far subtler sensitivity to the turbulences in the textual current to come back with a Feeling of the Strange. Two turbulences that the reader with only minimally competent Finnish might miss in Kivi’s novel are his archaism and his playfulness - and especially the playfulness of his archaisms, the fact that he doesn’t just use archaic Finnish but uses it for humorous effect. The result does often feel strange - so strange, in fact, that the most significant critical response to the novel early on was a vituperous series of attacks on it (two in Swedish, the first after it had been released to a hundred-plus subscribers in 1870, the second in 1873, a third in Finnish in 1874) by August Ahlqvist (1826-1889) for its indecency, its utter lack of realism, its “bad Finnish,” and so on. The committee behind its publication at the Finnish Literature Society, panicking at the intensity of this attack - from a man who was not just the only Professor of Finnish in what was then an autonomous Grand Duchy of Russia, but the (publicly acknowledged) bastard son of the most powerful man in the Grand Duchy, Baron Johan Mauritz Nordenstam (1802-1882) - withheld the novel from publication pending further study, and Kivi, who had devoted ten years of his life to writing it, and knew it was great, went crazy and died (in 1872, at the age of 38) before its eventual release to bookstores three years later. Within a decade of his death Kivi was recognized as a great Finnish writer, but fear of Ahlqvist’s retaliation checked public expressions of admiration for his novel until after Ahlqvist had died in 1889; support for it grew apace in the last decade of the century, and by 1915 it had been canonized as the greatest work of Finnish literature - a status that it not only retains today, but, according to Finnish literature mavens, is unlikely ever to lose. The novel, in short, gives off a Feeling of the Strange - but a playful, brilliant, disturbingly wonderful Feeling of the Strange. It was for Finns an acquired taste - one that has now been acquired and assimilated and canonized by the culture as a whole, but still has to be acquired by each new reader of the novel. Since it is considered Finland’s greatest novel, it is regularly assigned to Finnish schoolchildren to read, and many of them hate it, because it’s strange, and difficult to read (all those unfamiliar words! ), and because to appreciate its humor you probably need to be an adult - indeed an adult with a certain twisted sense of humor, a love of the absurd, the grotesque, and the carnivalesque. And so to translate that, you’re going to imitate someone who can’t read the Finnish very well, and so squints at it through coke-bottle lenses, making out only the blurriest outlines? Do we really have a (Hobson’s) choice between <?page no="307"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 307 Impola-style “domestication” and Matson-style “foreignization”? This is what I do with that passage: In a trice birr’d the boys to the pit, arm’d to the teeth with their stangs and their ropes and their noose wands to seize their spoils. But whenas they ‘d hove into view of the pit, la, ‘twas empty. Featly ‘d debouch’d de loop up de stee delaps’d by de man in de pit and dash’d to freedom, thanking his loopy luck. (Robinson 2017b: 157) The archaisms there are Shakespearean: to birr is to run fast, a stang is a pole, featly means nimbly or neatly, and a stee is a ladder. Kivi loved Shakespeare, read him (in Swedish translation) obsessively, and had memorized several whole plays - and, as one might expect, used numerous Shakespearean phrases and allusions in his own writing. The archaism in my translation is more intense than Kivi’s own; my translation is in fact stranger than Kivi’s original. (Is it a character flaw that I consider that a good thing? ) What I’m happiest about in that translation, though, is the running gag built around “de”: “debouch’d de loop up de stee delaps’d by de man in de pit.” Inspired by the Frenchy archaism “debouch’d,” the series picks up on the French for wolf ( loup ), which is then reprised in “loopy luck,” and also along the way gestures gently toward Paul de Man and the loop-de-loop on a roller coaster. There was a punny Latinate line that I loved as a child, too, which probably worked on me as well: “Defeat of deduct went over defense before detail.” The (uncomfortable? ) fact is that there is no textual warrant for this gag in the Finnish line it renders. I made it up myself. I would like to claim that it was inspired not just by “debouch’d” and “defeat of deduct” but by Kivi’s love of such running gags, but that may just be my projection. The inescapable fact is that it was inspired by the delight (of defray) that I take in the Feeling of the Strange I get while reading the novel in Finnish. But then what is the impact of my estranging translation on the target reader? That is not for me to say, of course; but I designed it to feel strange, humorously strange, and to channel that Feeling of the Strange into epistemological interrogations of homolinguality. It’s not just the French loopiness or the Latinate deductivity that comes a-creepin’ into that passage; it’s also the slave dialect of Negro Spirituals: Place one foot upon de dry land Fare you well, fare you well Place de other on de sea Fare you well, fare you well Den you’ll see de coffin bustin’ Fare you well, fare you well <?page no="308"?> 308 Douglas Robinson See de dry bones come a-creepin’ Fare you well, fare you well Like the wolf, the enslaved African-Americans in the antebellum South imagine themselves “climbin’ Jacob’s ladder” - “every round goes higher and higher” - and escaping into freedom. But what are those black slaves doing in a Finnish novel ? And why are they playing with the French word for “wolf ” ? It makes no sense at all. Sure, the novel is set in the 1840s, the time also of American slavery; and yes, Kivi’s seven brothers are illiterate farmers whose social status is not much higher than slaves. But they are free - Finland never had any form of slavery or serfdom - and even if they weren’t, there is a significant cultural gap and difference between 1840s conditions in the American South and 1840s conditions in the Finnish South. Even “the South” means very different things in the two lands - though August Ahlqvist, who came from Eastern Finland, sneered of the southern dialect stylized in the novel that Kivi “oli syntynyt milt’ei huonoimpaan murteeseen, mitä Suomen kielen alalla on” (Ahlqvist 1874 / 1989: 176)/ “was born into what must be nearly the worst dialect in the entire scope of the Finnish language,” an attitude that many New England Brahmins would also have held even about Southern white aristocratic English in those days, and a fortiori about slave dialect. In other words, the clash of cultures in my translation is designed not to reveal some deeper truth about Finns or Americans, peasants or slaves, but simply or complexly to elicit the Feeling of the Strange. Why? Because I take that to be Kivi’s project in the novel: not just to portray Finnish peasants of his parents’ generation with some kind of ethnographic realism, but to estrange that ethnographic scene, and to estrange it playfully. There was a concerted attempt, especially as realism took hold in Finnish literature in the waning decades of the nineteenth century, to defend the realism of Kivi’s novel against Ahlqvist’s attacks; I would suggest that one way of understanding Kivi’s realism is that it is an estranging heterolingual realism, a realism that estranges in part by building heterolinguality into the emerging national literature of Finland, and so, to paraphrase Deleuze and Guattari (1975 / 1986) on Kafka, to minoritize its future majority. 4 Conclusion Isn’t it about time to consign the tired old Hobson’s choice between “domesticating” and “foreignizing” translation to the dung heap of TS history? Both translation strategies require considerable creativity, of course - all translation does - but it is, I would argue, in both cases a crabbed and timid kind of crea- <?page no="309"?> Beyond “das Gefühl des fremden” “the Feeling of the Foreign” 309 tivity, a creativity saturated in the repressive fear of being revealed as creativity, as re-creative artistry. Fear, repressive and otherwise, is bounded by the conformist Feeling of the Familiar, in which the Feeling of the Foreign too remains definitively diffused: beyond that feeling there be dragons. For a hermeneutical creativity that revels in dragons, we need a Feeling of the Alien or a Feeling of the Strange. References Ahlqvist, August (1874 / 1989): “Seitsemän veljestä. Kertomus, tehnyt A. Kivi” (“Seven Brothers: A Tale, by A. Kivi”). Reprinted as “Liite: Kolmas «Seitsemän veljeksen» arvostelu” (“Appendix: The Third Review of SV ”). 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London: Turret. <?page no="311"?> Les apories de la créativité 311 Les apories de la créativité Jean-René Ladmiral (Paris) Abstract: Creativity is an aporetic concept in the sense that if consists in “making something out of nothing” and, as a consequence, it is basically unpredictable. The study of translation is a case in point, that is from the perspective of a targeteer’s point of view as opposed to the illusion of literalism held by sourcerers. Hence, productive translation studies aims at anticipating translations to come and not just describing translations that have already been done. It may be possible to resort to various adjuvants to desinhibate and to overcome obsessions that can hinder the creative process in translation. Generally speaking, what is at stake in this instance is the relationship between theory and practice . In order to explain creativity, some look towards psychoanalysis, Marxism or other theories; however, to explain creativity is a contradiction in terms. In philosophical terms, the aporias of creativity fall within the scope of a dialectic that occurs between the creative point of ars inveniendi and the critical moment of via judicandi . Keywords: Creativity, translation theory, lingusitics, psychoanalysis. À l’orée de ce qui devait être une réflexion sur la créativité en traduction, il m’apparaît que je dois en rester à l’évocation, pour ainsi dire « sténographique », de quelques aperçus qui ne constitueront qu’une note programmatique. Au reste, cette obligation de brièveté correspond à la nature des choses, c’est-àdire à la matière même dont il s’agit de traiter. 1. De fait, il est tout à fait paradoxal de discourir sur la créativité dans la mesure où il y a là une contradictio in terminis . Si en effet la création consiste bien à « faire quelque chose de rien », comme dit Racine, alors elle est à proprement parler imprévisible et indéterminable. L’objet de la créativité étant l’avènement du nouveau, s’il est possible d’anticiper, de prévoir le nouveau, alors ce n’est pas du nouveau ! À moins que la dite créativité s’en tienne à faire advenir ce qui était virtuellement déjà là ; mais alors ce n’est pas vraiment de la créativité, ou du moins ce n’est qu’une créativité toute relative. En ce sens, la créativité est une idée foncièrement aporétique . <?page no="312"?> 312 Jean-René Ladmiral Outre cette contradiction principale qui constitue en soi l’aporie de la créativité, il y a aussi une « contradiction secondaire », comme disaient nos maoïstes d’antan. S’agissant de la traduction, je critique le gros de ce qui se publie sur la question, que je subsume dans la catégorie de la traductologie descriptive . J’y objecte que cette dernière s’en tient à une mise en regard évaluative ou même seulement descriptive d’un texte-source (To) et de sa traduction (Tt), voire de ses traductions (Tt, Tt’, Tt’’, Tt’’’…) déjà faites . À l’opposé, comme je me plais à le répéter : ce qui m’intéresse, ce n’est pas comment un autre a traduit hier, mais comment moi, je vais traduire aujourd’hui. L’intérêt principal que présente la traductologie est de faciliter le travail du traducteur. C’est pourquoi je plaide pour ce que j’ai appelé une traductologie productive , qui entend anticiper la traduction à faire ou, comme on se plaît maintenant à le dire, « le traduire ». 1 Il s’agit d’une créativité au petit pied. À ce titre, elle prête le flanc aux mêmes critiques qui viennent d’être formulées : sur le plan théorique, ma traductologie productive est donc elle-même contradictoire ; et cette « contradiction secondaire » fait écho à l’aporie fondamentale inhérente à l’idée de créativité. En fait, ce qui est en cause, c’est le problème de la pratique : c’est la spécificité de toute pratique, avec sa complexité, sa dimension aléatoire et sa part d’opacité. Pour illustrer mon propos, je reprendrai un apologue classique : est-ce qu’il faut apprendre à nager avant d’aller dans la piscine ? ou est-ce qu’on doit plonger dans la piscine pour apprendre à nager ? Si on en reste aux termes de cette disjonction formelle, on risque fort de se noyer, dans les deux cas. D’une façon générale, le problème posé est celui de la dialectique opposant théorie et pratique ; et là, on a une échéance aporétique sans doute encore plus fondamentale que celles qui viennent d’être évoquées. 2. Pour en sortir concrètement, par « en bas », j’ai proposé divers adjuvants . Je n’en rappellerai que deux, qui constituent des dispositifs de désinhibition de l’écriture traduisante. Et encore devrai-je me limiter à ne faire que les mentionner de façon programmatique. D’une part : les conceptualisations du discours traductologique, tel que je l’entends, et le travail de verbalisation qu’il permet me semblent constituer un moyen de lever les blocages de l’écriture-cible que peut induire une traduction difficile. Ce que je résume dans la formule suivante : en amour, il faut causer - en 1 Je distingue quatre Âges de la traductologie : une traductologie normative ou prescriptive, une traductologie descriptive, une traductologie productive et une traductologie scientifique ou inductive. J’en ai traité en plusieurs occasions, notamment dans un texte d’hommage à André Clas (cf. Ladmiral 2010). <?page no="313"?> Les apories de la créativité 313 traduction, aussi ! (Cf. Ladmiral 1987: 194) 2 D’autre part, et comme à l’opposé : le traitement de texte ( TDT ) nous donne la possibilité de désobsessionnaliser le travail du traducteur. 3 Ces procédés vont dans le sens de l’approche cibliste dans la mesure où ils sont de nature à favoriser la dissimilation de formulations-cible qui soient tout à fait dégagées de la littéralité du texte-source. 4 Mais il est vrai que je m’en suis tenu à indiquer là l’orientation pratique de quelques pistes de travail ; cependant, pour ce qui est des apories auxquelles nous nous trouvons confrontés, le problème théorique reste entier. 3. Pour tenter d’éclairer la problématique de la créativité, sans prétendre pour autant dépasser l’aporie initiale qui nous occupe, je hasarderai quelques esquisses d’explication hypothétiques. D’abord, bien sûr, il n’est pas illégitime d’aller chercher les arcanes de la créativité dans les profondeurs de l’inconscient que s’attache à débusquer la psychanalyse. Mais la psychanalyse ne fait là que ramener à une autre aporie fondamentale, qui est celle de l’ inconscient - lequel, rappelons-le, est par définition de l’ordre du caché, c’est-à-dire des contenus latents qui font l’objet de censure et de refoulement. On pourra aussi être porté à « marxouiller » et à imaginer que la créativité est une forme de superstructure culturelle en devenir déterminée en dernière instance par le mode de production historique de la société au sein de laquelle elle se manifeste. Enfin, dans un esprit objectiviste , on voudra peut-être ramener la créativité à une logique immanente à la réalité elle-même qu’on explore et à ce que le fait de l’explorer fait spontanément émerger de nouveau. Sans doute d’autres tentatives d’explication peuvent-elles être envisagées. Mais les unes comme les autres, elles sont partielles et conjecturales ; et si certaines se recoupent entre elles, d’autres seront inconciliables. Surtout : ces difféentes « explications » sont, par construction, réductrices et tendent à evacuer l’idée même de créativité. 2 Cela dit, il est bien clair qu’il ne suffit pas de causer ! En amour, il convient d’ « amourer »… et en traduction, il faudra bien traduire. 3 Je ne peux guère développer ici ce dont j’ai traité dans plusieurs publications (voir notamment Ladmiral 1994: 11-19). Quant au néologisme de la « désobsessionnalisation » que je propose, il correspond à une extension de sens métaphorisant au profit de la traductologie le concept d’ obsessionnel que j’emprunte à la séméiologie psychanalytique. 4 Le théorème de dissimilation est à mes yeux essentiel en méthodologie de la traduction (voir Ladmiral 2010: 57, 190, 218, etc.). La dissimilation est un concept foncièrement cibliste, qui prend concrètement le contre-pied du littéralisme sourcier (cf. Ladmiral 2015: 95-96, 197-199 et passim ). <?page no="314"?> 314 Jean-René Ladmiral 4. Il est constant que l’idée de créativité est fuyante et insaisissable en ellemême. Cela est vrai tant aux plus hauts niveaux de l’esprit qu’au niveau plus modeste du travail du traducteur. Cela dit, pour tenter de sortir de cette aporie, je propose de penser la créativité dans le cadre du couple d’opposition inventio et judicium , qui constituent deux moments liés l’un à l’autre. Le premier moment sera celui d’une invention débridée d’où sortira un peu n’importe quoi, le meilleur comme le pire. Descartes ne recommandait-il pas dans un premier temps de laisser aller l’imagination, cette « folle du logis », avant de la ramener aux exigences de l’entendement ? En des termes excessivement différents, Céline nous appelle à « déconner », à « principalement déconner » ! Le second moment sera celui du jugement critique opérant une sélection, une épuration au sein de ce foisonnement incontrôlé. En invoquant ce binôme conceptuel, je m’inscris dans l’héritage de toute une tradition qui remonte à Cicéron et aux stoïciens, où la rhétorique rejoint la philosophie. 5 En somme, la créativité ne serait pleinement elle-même, elle ne serait un véritable ars inveniendi que dans cette coalescence avec la via judicandi du jugement sélectif de la critique. Ainsi, en raison de la part de créativité qui lui est inhérente, le travail du traducteur prend-il toute sa place au sein d’une dialectique de la tension entre hasard et nécessité qui fait la grandeur et la misère de la condition humaine. Bibliographie Ladmiral, Jean-René (1979 / 2010): Traduire: théorèmes pour la traduction . Paris: Gallimard. Ladmiral, Jean-René (1987): „Technique et esthétique de la traduction“. In: Encrages 17, 190-197. Ladmiral, Jean-René (1989): „Critique et métacritique: de Koenigsberg à Francfort“. In: Jacob, André (dir.): Encyclopédie philosophique universelle . Vol. I: L’Univers philosophique . 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Il y a là une problématique qui n’a rien perdu de son actualité et trouve à s’illustrer aussi bien en épistémologie que dans le domaine de la création littéraire et artistique. <?page no="315"?> Aspekt & Kreativität 315 Aspekt & Kreativität Paulo Oliveira (Campinas) Abstract: Wittgenstein’s late Philosophy offers us a set of concepts still to be fully explored in Translation Studies, some of which are undoubtably relevant to Hermeneutics. Among them are the notions of aspect perception and the differences between the seeing (as a state / reaction) and the seeing as (a process that mobilizes the will). These notions are here explored in their connections with the very ideas of translating and understanding , under the aegis of the role of creativity. As a preparation to address these topics, I depart from the assumption that analogy lies at the heart of human creativity and is very akin to what we actually do when we translate. A further step is the differentiation of the empirical and the symbolic dimensions of human language(s) and modes of expression - a topic here dealt with recurring to a contrast analysis of translation and art forgery . I conclude, among others, that creativity plays a structural role not only in the act oft translating itself but also already in the process of understanding - of various kinds. Keywords: Analogy, creativity, translating and understanding, art forgery, Wittgenstein, hermeneutics. Meine Art des Philosophierens ist mir selbst immer noch, & immer wieder, neu, & daher muß ich mich so oft wiederholen (…) - Diese Methode ist im Wesentlichen der Übergang von der Frage nach der Wahrheit zur Frage nach dem Sinn . (Wittgenstein, CV : 3) Unsere klaren und einfachen Sprachspiele sind nicht Vorstudien zu einer künftigen Reglementierung der Sprache (…). Vielmehr stehen die Sprachspiele da als Vergleichsobjekte , die durch Ähnlichkeit und Unähnlichkeit ein Licht in die Verhältnisse unsrer Sprache werfen sollten. (Wittgenstein, PU : 130) Jedes Sehen von Ähnlichkeit ist ein Aspektsehen. (Bezzel 2013: 116) <?page no="316"?> 316 Paulo Oliveira 1 Zur Einführung: Analogie als Quelle der Kreativität Was gehört überhaupt zur menschlichen Kreativität? Wie wirkt sich das beim Translationsprozess aus? Schon vor 200 Jahren wies Schleiermacher im Kontext der Deutschen Romantik darauf hin, dass unsere Beziehung zur Sprache auf zwei Beinen steht: Auf der einen Seite liefert uns die Sprache die Mittel und Modelle, mit denen wir denken, uns verständigen und ausdrücken können. Auf der anderen Seite ändern wir ständig die uns gelieferten Modelle und führen neue Mittel ein, wodurch der kreative Moment im Sprachgebrauch deutlich in Erscheinung tritt. Im linguistic turn des 20. Jahrhunderts kam Wittgenstein auf anderen Wegen zu ähnlichen Ergebnissen, als er die Sprache ins Zentrum der philosophischen Reflektion rückte. Einige der wichtigsten Begriffe seines Spätwerks, wie Grammatik, Sprachspiel, Familienähnlichkeit, Vergleichsobjekt und Aspekt lassen sich in der theoretischen Debatte zur Translation mit großem Gewinn mobilisieren, weswegen ich seit einiger Zeit auf die im Fach noch wenig bekannte partielle Konvergenz zwischen Hermeneutik und der sog. therapeutischen Sprachphilosophie aufmerksam mache und versuche, das Thema in systematischer Form darzustellen. Dieser Weg soll hier wieder begangen werden, mit Rückgriff auf einige bündige Gedanken aus verschiedenen Gebieten. Als Einstieg bietet sich der Begriff Analogie an, dessen Verwandtschaft zu dem, was wir als Translation und seine Varianten, wie mündliches Dolmetschen und schriftliches Übersetzen, bezeichnen, auf der Hand liegt. Hofstadter & Sander (2013) vertreten die These, die Analogie stehe im Zentrum der menschlichen Kreativität überhaupt, und liefern sehr überzeugende Beispiele dafür, die von Lichtblicken und Einfällen im Privatleben bis zu den brillantesten, bahnbrechenden wissenschaftlichen Erneuerungen gehen. In Aletria e hermenêutica , dem ersten der insgesamt vier Vorworte zu den Kurzerzählungen von Tutaméia , spannt auch der als geschickter Sprachkünstler gefeierte brasilianische Schriftsteller Jo-o Guimar-es Rosa (1968) einen großen Bogen, in diesem Fall zwischen dem Volksmund und dem Gelehrten, in einer bunten Sammlung von Aporien und Perplexitäten. Dem Autor zufolge handelt es sich dabei um „Anekdoten der Abstraktion“, die helfen sollten, über die bloße Oberfläche der Dinge hinauszusehen. Zwei von ihnen können dazu dienen, uns den grundlegenden Mechanismus des Vergleichs in vielleicht unerwarteter Weise vor Augen zu führen. In beiden Fällen handelt es sich um äußerst kurze, humorvolle Erklärungsversuche zu Objekten, die im Universum des Gesprächspartners entweder neu oder fremd sind, und zwar Artefakte. Der Kontext ist das weitgelegene Hinterland im Sert-o des Bundeslandes Minas Gerais in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. <?page no="317"?> Aspekt & Kreativität 317 Im ersten Fall will jemand wissen, was denn ein Grammophon sei. So geht die Erklärung: „Weißt du, was eine Nähmaschine ist? So. Ein Grammophon ist was ganz anderes“ (Rosa 1968: 10). 1 Damit ist auf den ersten Blick noch nichts erklärt, doch taucht schon der Versuch auf, eine Analogie herzustellen, denn es handelt sich um zwei Geräte, wobei das eine bekannt ist und das andere nicht. Es liegt also etwas Ähnliches vor, wie im Fall des Übersetzungsproblems, bei dem etwas in einer Kultur auszudrücken ist, was noch nicht vorhanden ist. Da muss man zu allererst eine Analogie finden, die es erlaubt, eine Brücke zu schlagen. Mit Wittgenstein ausgedrückt heißt das: Man braucht ein Vergleichsobjekt, das es ermöglicht, einen passenden Rahmen zu bilden, um daraufhin feinere Ähnlichkeiten und Unterschiede herausarbeiten zu können. Unter Umständen kann man auch die anfängliche Analogie am Ende des Prozesses fallen lassen, wie im Vergleich des vorletzten Absatzes des Tractatus : Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er ihr hinaufgestiegen ist.) (Wittgenstein 1989: 85 [T: 6.54]) 2 So gesehen ist der Prozess ähnlich dem Kochen der Steinsuppe im Märchen von Johannes Merkel, aber ohne die Hinterlist, mit der die eigentlichen Zutaten herbeigeschafft werden. Wichtig ist: Der Stein / die Analogie startet den Prozess, an dessen Ende ist er / sie aber nicht mehr so wichtig oder gar unabdingbar, denn anstelle des Steins bzw. der Analogie hat man nun etwas Passenderes. Die zweite unserer Anekdoten aus Tutaméia handelt vom drahtlosen Telegraphen. So geht das Gespräch: Denk dir einen Basset Hund, so lang gewachsen, dass der Kopf in Rio und die Schwanzspitze in Minas ist. Kneift man seine Schwanzspitze in Minas, da fängt der Kopf in Rio zu bellen an… - Und ist das der drahtlose Telegraph? - Nein, das ist der Drahttelegraph. Der drahtlose Telegraph ist das Gleiche… aber ohne den Körper vom Hund. (Rosa 1968: 5) Hier wird wieder einmal nichts wirklich erklärt, und wieder kommt das Staunen über die Schwierigkeit, eine passende Erklärung zu geben, zum Ausdruck. Die Grundlage ist erneut eine Analogie, doch jetzt taucht ein weiteres Element 1 Soweit nicht in den bibliographischen Hinweisen mit Autor angegeben, sind alle Übersetzungen meine eigenen. 2 Bei Zitaten lasse ich Interpunktion und Rechtschreibung wie im Original. In der Sekundärliteratur zu Wittgenstein wird in der Regel auf den jeweiligen Absatz samt Werkabkürzung verwiesen, was die Überprüfung in unterschiedlichen Sprachen und Ausgaben erleichtert. Das tue ich hier auch, in Ergänzung zum Zitiermodus dieser Publikation. <?page no="318"?> 318 Paulo Oliveira auf, das für unsere Diskussion wichtig ist: die empirische Grundlage. Denn die Translation geschieht mit den Mitteln der Sprache und Kultur, doch die empirische Grundlage ändert sich auf dem Weg vom Ausgangszum Zieltext. Im Drahttelegraphen ist die empirische Grundlage gut zu sehen, im drahtlosen nicht, und es bedarf der Abstraktionskraft der Wissenschaft um zu erkennen, welche empirische Grundlage da überhaupt eine Rolle spielt. Damit kommen wir zu einer anderen Analogie, die unsere weiteren Erörterungen leiten kann. In der Kunst im Allgemein spielt die Einmaligkeit des Objektes eine außerordentlich wichtige Rolle. Fälschungen versuchen, die empirischen Eigenschaften und inneren Relationen des Objektes so gut wie möglich nachzuahmen, um sich als echt ausgeben zu können. Darum bestehen die üblichsten Methoden zur Echtheitsprüfung auf der einen Seite aus empirischen Materialanalysen, auf der anderen Seite bedient man sich der Urteile von Experten, die mit dem sonstigen Werk des Künstlers äußerst vertraut sind. Im letzteren Fall sind die inneren Relationen das Ausschlaggebende. 3 Bei der Translation ist die Lage in ganz entscheidenden Aspekten völlig anders. Als Erstes ist klar, dass die materielle Grundlage sich geändert hat, sei es die Sprache und Kultur, sei sie das semiotische System, wie etwa bei der Literaturverfilmung, die im weitgefassten Sinne als intersemiotische Übersetzung verstanden wird - um bei der durch Roman Jakobson berühmt gewordenen Bezeichnung zu bleiben. Und man weiß auch, dass der Zieltext von einem anderen Autor bzw. Autorenteam verfasst wurde, doch heißt es, man lese einen Text vom Autor des Originals, wenn auch in einer abgeänderten Form. 4 Was da 3 Eine wichtige Diskussion bei Wittgenstein ist der Unterschied zwischen Ursache und Grund. Ersteres hat mit sog. externen Relationen zu tun, es geht um empirische Prozesse und letzten Endes auch um die Frage nach der - überprüfbaren - Wahrheit. Zweiteres ist mit sinnkonstituierenden Prozessen verbunden und spielt sich in der Domäne des Symbolischen ab, darum werden solche Relationen als intern bezeichnet. Letzteres übernimmt in der Spätphilosophie die Hauptrolle. 4 Da bei stark funktional auf den Zielkontext ausgerichteten Translaten der vermeintliche Autor des Originals bekanntlich keine wesentliche Rolle spielt, geht es hier um die Translation, bei der es darauf ankommt, den Autor des Originals zu verstehen bzw. zu würdigen, wie etwa bei der sog. dokumentalen oder scholastischen Übersetzung im Sinne der Skopos-Theorie. Das Verhältnis zwischen der Form von Übersetzung und Original steht im Mittelpunkt der gefeierten Erzählung Pierre Menard, autor del Quixote , von Jorge Luis Borges. Darin versucht ein Übersetzer, nicht nur den Text des Quixote wortwörtlich zu wiederholen, sondern auch sozusagen der Autor selbst zu sein. Doch wird seine Version anders gelesen als die von Cervantes - trotz aller formal-materiellen Identität. Daraus folgert die Dekonstruktion, man lese den Text anders, wenn darunter ein anderer Name als Autor [Übersetzer] steht, wie u. a. Rosemary Arrojo (1997) mit Nachdruck argumentiert hat. In seiner Diskussion zur Kreativität in der Übersetzung weist Alberto Gil (2015) demselben Borges-Text eine radikale Position im Sinne der notwendigen Erfindung beim dichterischen Übersetzen zu. Unter anderen Faktoren habe diese dem Prozess intrin- <?page no="319"?> Aspekt & Kreativität 319 die entscheidende Rolle spielt, sind jene Eigenschaften und inneren Relationen, die auch der Kunstfälscher zu emulieren versucht, also im gewissen Sinne das Nicht-Materielle; oder die Effekte, die eine andere empirische Konfiguration hervorbringen kann, so dass sie erfolgreich mit der originalen Konfiguration in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen ist. Matthias Kroß spricht hier von der paradoxen Figur des Sich-Durchstreichens - die Übersetzung wird im Translat unsichtbar. Die Übersetzung, obgleich ohne die Anwesenheit (Tätigkeit) des Übersetzers undenkbar, streicht diese Präsenz zugleich wieder durch; der übersetzte Text erklärt den Übersetzer für abwesend . Die Präsenz des Mediums verhüllt die wesentliche Voraussetzung seines Bestehens. (Kroß 2012: 49) Trotz aller Diskussion um die Sichtbarkeit des Übersetzers, die von Autoren wie Lawrence Venuti und Antoine Berman in der Folge von Schleiermacher thematisiert wurde, bleibt das von Matthias Kroß angesprochene Paradox ein wesentliches Merkmal übersetzter Texte. Und das auch wenn „das Übersetzen immer stärker als ‚kreationeller‘ Akt eigener Dichte erkennbar [wird] und sich als eine generische Tätigkeit von eigener Valenz [versteht]“ (Kroß 2012: 49 f.). 2 Kunstfälschung vs. Translation Über 40 Jahre lang (1970-2010) hat der deutsche Fälscher Wolfgang Beltracchi die Spezialisten des Kunstmarkts auf höchster Ebene ausgetrickst, seine Fälschungen erlangten äußerst hohe Summen, wurden von führenden Auktionshäusern verkauft und sowohl von Privatsammlern als auch von öffentlichen Museen erstanden, bis man endlich ihn entlarven konnte. Seine Laufbahn wurde im Film Beltracchi - Die Kunst der Fälschung (Birkenstock 2014) dargestellt. Darin sind einige Szenen, die wichtige Punkte unserer Diskussion sehr gut illustrieren können. Verweilen wir ein wenig dabei, um die Ähnlichkeiten und Differenzen herauszuarbeiten, die zwischen den Tätigkeiten und vor allem dem Status des Übersetzers und dem des Kunstfälschers bestehen. Vom ersten wird erwartet, dass er im Endprodukt aufgeht, sodass der Autor zum Vorschein kommt - auch wenn man sich dessen völlig bewusst ist, dass das vorliegende Werk in seiner aktuellen Form nicht direkt ein „Original“ im tradierten Sinne sische Kreativität dazu geführt, „dass der Übersetzer-Interpret in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Analyse rückt und damit sein sprachliches Tun, seine Rhetorik“ (Gil 2015: 147 f.). Hiermit lässt sich m. E. eine Brücke von der Hermeneutik (und der Dekonstruktion) zu Wittgensteins pragmatischer Philosophie schlagen, auch wenn der Wiener Denker einen weniger subjekt-bezogenen Ansatz hat - bei dem auch die Tat bzw. der Gebrauch im Mittelpunkt steht (vgl. u. a. Oliveira 2015: 151, 161-162). <?page no="320"?> 320 Paulo Oliveira ist. Letzterer gibt vor, das von ihm erschaffene Werk sei das eines Anderen, denn nur so wird es als echte Kunst gewürdigt. 5 Er muss die Technik so gut wie der von ihm imitierte Künstler beherrschen, sonst erreicht die Emulation ihr Ziel nicht. Doch wie viel Kreativität sind wir bereit ihm zuzuweisen? Warum ist das nicht wirklich Kunst, was er macht? Wäre er auch in der Lage, echte Kunst in seinem eigenen Stil hervorzubringen? So eine Frage stellt sich beim Übersetzer gar nicht, denn seine Arbeit wird erst als gut erachtet, wenn er das Original gut emulieren kann - bei allen sog. Freiheiten, die namhafte ÜbersetzerInnen sich erlauben dürfen, v. a. wenn sie schon als AutorInnen schon einen gewissen Ruhm erlangt haben. Der deutsch-niederländische Maler und Graphiker Heinrich Campendonk, Mitglied der Künstler-Gruppe Blauer Reiter , war das Modell einiger von Beltracchis Meisterstücken der Fälschung. Eines dieser Gemälde wurde von dem belgischen Privatsammler-Ehepaar Ommeslaghe gekauft und später, nach der Aufdeckung der Fälschung, gegen Erstattung eines Schadenersatzes zurückgegeben. Die ehemaligen Besitzer vermerken dazu: [Sie] Wenn ich dieses Bild behalten hätte, hätte ich es irgendwann womöglich in meinem Zimmer oder in meinem begehbaren Kleiderschrank aufgehängt, an einem Platz, wo es viele Fotos und solche Dinge gibt. Denn es ist nicht mehr wahrhaftig die Wirklichkeit, nicht mehr ein authentisches Kunstwerk. [Er] Das ist ein Dekorationsobjekt. [Sie, fast gleichzeitig] Das ist ein Objekt, das ist Dekoration. [Er] Ja. (Birkenstock 2014: 0: 28: 07-0: 28: 46. Meine Übersetzung. Filmzitate mit Zeitangaben in der Form h: m: s. Kommentare und verfügbare Medien sind u. a. der Wikipedia zu entnehmen.) Kurz davor hatte die ehemalige Besitzerin betont, wie sehr sie dieses Gemälde mochte, und dass es „viel schöner“ sei als jenes von Magritte, das nun am gleichen Platz in ihrer Privatsammlung hängt. So sehr die plastischen Eigenschaften des Objektes auch überzeugen können, allein reichen sie nicht aus, um dem Werk den symbolischen Wert echter Kunst zuzuweisen. Dazu spielt unsere Haltung gegenüber dem Kunstwerk eine wohl entscheidende Rolle, wie aus einer weiteren, vielsagenden Stelle im gleichen Film zu entnehmen ist. Sofia Komarova, Leiterin der Schweizerischen Kunstgalerie Artvera’s erzählt, wie man auf die Idee kam, die Authentizität eines anderen Gemäldes (vermeintlich auch von Campendonk) im Labor untersuchen zu lassen (Birkenstock 2014: 1: 17: 02 ff.). In der Folge erfahren wir, wie die Fälschung auf chemischem Weg enttarnt wurde, aber auch die Perplexität der Experten kommt zum Aus- 5 Man denke hier aber auch an die angenommenen oder die Pseudo-Übersetzungen, die Gideon Toury (2012: 26-31, 47-59) zufolge wie echte Übersetzungen zu behandeln sind, denn was wirklich zähle, sei unsere Haltung ihnen gegenüber. <?page no="321"?> Aspekt & Kreativität 321 druck. Ich fasse einige der relevantesten Aussagen in einem etwas längeren Zitat zusammen: [Komarova: ] „Erste Eindrücke: Ein außerordentliches Stück, von außerordentlicher Seltenheit, das die hervorragendsten Eigenschaften von Campendonk vereinte. Im Katalog gab es keine Illustration, keine technischen Details, es gab nur einen - sehr langen - Titel: Rotes Bild mit Pferden . Nichts mehr.“ [Henrik Hanstein, Auktionator im Haus Lampertz : ] „Kurz danach traf ich noch einen Museumsdirektor, der mir sagte: ‚Na endlich einmal ein hervorragender Campendonk‘. Also, ich glaube schon, dass dieses Bild sein Meisterstück gewesen ist, er hat nicht einfach Bilder gefälscht, sondern er hat in Lücken der Literatur hineingemalt. Der Trick ist jetzt nicht so unbedingt neu.“ (Birkenstock 2014: 1: 17: 51-1: 18: 58) [… Hanstein: ] „Wenn das Bild wirklich falsch ist…; das kann ja gar nicht sein.“ (Birkenstock 2014: 1: 21: 31-1: 22: 26) [… Komarova: ] „Es gibt hinter jedem Bild, vor allem jenen, die Anfang des letzten Jahrhunderts produziert wurden - es gibt ein ganzes Universum dahinter. Was passiert in Deutschland, in Europa, kurz vor 1914? Die Maler, wie natürlich Campendonk, ahnten die kommende Tragödie. Das ist nicht bloß eine schöne Darstellung von Pferden, es gibt eine ganze Tragödie dahinter. Und das ist auch die ganze Kühnheit des Malers, das vorauszuahnen, das durch sich selbst geschehen zu lassen, es zu erleben und zu malen. Und wenn man entdeckt, dass das nicht dahinter ist, dann gibt es nur eine schöne Darstellung ‚im Stil von‘, [dann] gibt es keine Tragödie, keine Tränen, nicht den ganzen historischen Kontext…, der jedes Bild begleitet, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts. (Birkenstock 2014: 1: 22: 33-1: 23: 58) Die Rede von der Tragödie hinter der Darstellung illustriert in gedrängter Form, wie wir uns selbst hermeneutisch ein Bild des ganzen Kontexts des Werkes und seines möglichen Sinnes machen, wobei der dem Künstler zugewiesene Stil (die internen Relationen seines Werkes) eine entscheidende Rolle spielt. Darum gehört zur Fälschungsstrategie „in Lücken der Literatur hinein“ zu malen. 6 Ähnliches gilt auch für die Aufgabe der Übersetzung, wie schon Schleiermacher vor 200 Jahren verlangte und eine ganze hermeneutische Tradition es seither auch erwartet: Man soll sich mit dem Gesamtwerk und seinem Entstehungskontext vertraut machen, um u. U. den Autor bzw. die Autorin sogar besser zu verstehen als er / sie sich selbst. Auf dem Kunstmarkt galt Beltracchis „Campendonk“ mit Pferden über 20 Jahre als der beste Campendonk überhaupt - eine 6 Beltracchi selbst sagt dazu: „Also, es gibt dann diese zwei Möglichkeiten: Die erste wäre ein verschollenes Bild; die zweite wäre eine imaginäre Lücke im Werk, also eine Lücke, die man sich nur vorstellt. Wir haben natürlich sowohl das Eine als auch das Andere gemacht. (…) Also braucht man eigentlich nur eine schöne Geschichte, die jeder Kunsthistoriker (…) recherchieren kann. (…) Wir haben denen immer schöne Spuren gelegt. Die sollen ja selbst was finden, ne? “ (Birkenstock 2014: 0: 52: 13-0: 52: 30). <?page no="322"?> 322 Paulo Oliveira Haltung, die auch vom Fälschungsmaler bis dato entschieden vertreten wird (vgl. Birkenstock 2014: 0: 20: 20 f., 1: 15: 55 f.). 7 Und doch wurde das Gemälde aufgrund chemischer Untersuchungen als Fälschung enttarnt (vgl. Birkenstock 2014: 1: 20: 42-1: 21: 50). 8 Anders als beim Gemälde gibt es im Fall der Translation keine „Echtheitsprüfung“ auf der Basis der (kausalen) empirischen Grundlage, denn diese ist ja bekanntlich eine ganz andere als jene des Originals. Das wissen wir sehr wohl und sind dennoch bereit, davon zu abstrahieren bzw. es zu „vergessen“, im Sinne der von Kroß (2012) charakterisierten „paradoxen Figur des Sich-Durchstreichens“ in der Übersetzung. Was uns bleibt, sind innere (Sinn-)Relationen bzw. unwägbare Evidenzen wie jene, auf die die Kunst-Experten bei der Echtheitsprüfung zurückgreifen können. Und genauso geartete Relationen bilden auch einen großen Teil des Rahmens, auf den der oder die ÜbersetzerIn seine / ihre Arbeit stützen kann, sowohl in der Phase der Rezeption des Quelltexts als auch in der Produktion eines Zieltexts. Doch erwarten wir irgendwie vom Zieltext, v. a. im Fall der quell-gerichteten Translation, sei sie nun im wissenschaftlichen oder im künstlich-literarischen Bereich, dass er einen ähnlichen Effekt hervorruft, wie den, der verloren geht, wenn ein Kunstobjekt als Fälschung entlarvt wird. Ein Translat mit so einer (quell-gerichteten) Funktion gilt als gut, wenn es „eine gute Darstellung ‚im Stil von‘ ist“ - gerade das, was Sofia Komarova im obigen Zitat bezüglich der Kunstfälschung zu Recht als das Verschwinden dessen charakterisiert, was das Kunstwerk an sich zu bewirken vermag. 9 So 7 Ähnliches sagt Beltracchi zu Max Ernst: „Wenn Max Ernst der Erste war, und er war ja der Erste, sagen wir mal jetzt, ich habe es nachempfunden, aber ich habe es vielleicht dann sogar besser nachempfunden. Mein Wald ist ja eventuell sogar schöner, besser, wenn man es bewerten will. Weil ich eben auf seinen aufbaue“ (Birkenstock 2014: 1: 06: 50 ff.). 8 Die chemische Untersuchung wird im Film allerdings anhand eines anderen Bildes mit viel Weiß illustriert. Vgl. dazu: „Die Frage ist: Was leistet die unwägbare Evidenz? / Denk, es gäbe unwägbare Evidenz für die chemische Struktur (das Innere) eines Stoffes, so müßte sich doch nun durch gewisse wägbare Folgen die Evidenz erweisen. / (Unwägbare Evidenz könnte Einen davon überzeugen, dies Bild sein ein echter… Aber dies kann sich auch dokumentarisch als richtig [bzw. falsch] erweisen.) [Philosophie der Psychologie - ein Fragment = PPF 359] / Zur unwägbaren Evidenz gehören die Feinheiten des Blicks, der Gebärde, des Tons [PPF 360]“ (Wittgenstein 4 2009: 240). Dokumentarische Evidenz bildet die Grundlage vieler Änderungen in der letzten englischen Fassung in der bilingualen Ausgabe der Philosophischen Untersuchungen (Wittgenstein 4 2009: 244 ff. [ Endnotes ]). 9 Wenn es nur bzw. in erster Linie um eine solche Darstellung geht, wo bleibt dann „der Kern“ bzw. „die Essenz“ eines zu übersetzenden Texts? Ob es so etwas überhaupt gibt, lässt sich mit Hilfe des Begriffs Familienähnlichkeiten (Wittgenstein 4 2009: 35-44 [PU 64-85]) abstreiten. Gideon Tourys Unterscheidung ‘ Translation of literary texts ’ vs. ‘ literary translations ’ (Toury 2012: 197-211) liefert uns ein sehr gutes Beispiel dafür, wie bei jeder Übersetzung unterschiedliche Aspekte des Originals deutlicher in Erscheinung <?page no="323"?> Aspekt & Kreativität 323 gesehen ist ein Translat gerade das Gegenteil eines verfälschten Kunstobjekts. Was vom Einen verlangt wird, ist beim Anderen geradezu seine Enttarnung. Im Fall Beltracchi gibt es allerdings überhaupt keinen Zweifel über sein technisches Können, und Ähnliches lässt sich sagen über seinen Einfallsreichtum bezüglich der Lösungen, die seinem Zweck dienen sollten. Jedoch reicht das wohl nicht, um hier von echter Kunst zu reden. Im Film wird mehr als einmal betont, dass die Erneuerung ein wesentliches Merkmal moderner Kunst sei, und das liege im Fall Beltracchi nicht vor (vgl. Aussagen von James Roundell, von der Society of London Art Dealers ; Birkenstock 2014: 01: 36 f., 1: 08: 40-1: 09: 33). Daraus ist nicht zu schließen, dass der Status der Autorschaft mit der Aufgabe der Translation inkompatibel sei, denn ohne translatorische Kreativität lässt sich das eigentliche Übersetzen letzten Endes gar nicht machen - wie die zeitgenössische Forschung es schon zur Genüge demonstriert hat. Festzuhalten ist: Gut nachahmen zu können gehört zum Prädikat im Prozess der Translation, wobei die Veränderung der empirischen bzw. symbolischen Grundlage eine strukturelle Komponente darstellt. In der Kunstfälschung zeugt dagegen die Beherrschung der Technik nicht automatisch von Kreativität im Sinne echter Kunst, wie am Ende des Films nahegelegt wird. Beltracchis Haltung hierzu ist zwiespältig. Er streitet z. B. Max Ernst die Genialität ab und behauptet sogar, etwas Neues hervorzubringen sei in der [zeitgenössischen] Kunst nicht unabdingbar (Birkenstock 2014: 1: 05: 10-1: 06-15). Wenn aber der Kunsthistoriker Henry Keazor ihn mit der Aussage konfrontiert, das Publikum werde sich eher für die Ernst-Beltracchials für die Beltracchi-Solo-Gemälde interessieren, stimmt er etwas verlegen zu (vgl. Birkenstock 2014: 1: 31: 10-1: 33: 00). Doch am Anfang des Films hatte er enthusiastisch darüber geredet, wie die Fauvisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwas ganz Neues erfanden, und dass er gern bei so etwas mitgemacht hätte (vgl. Birkenstock 2014: 0: 07: 40 f.). Also schätzt er die künstlerische Erneuerung doch als etwas Positives ein, so emotional distanziert zum eigenen Schaffen er sich am Ende des Films auch ausdrücken mag. Wir können uns nun zur sprachphilosophischen Diskussion im engeren Sinne, die am Horizont unserer Erörterungen steht, zuwenden. Die als internen Relationen verstandenen Aspekte sind das Untersuchungsobjekt einiger der für uns relevantesten Ausführungen in Wittgensteins Spätwerk. Anders als die Gestaltpsychologie, die in diesem Sachverhalt der klare und direkte Gesprächspartner des Wiener Philosophen ist, betrachtet Wittgenstein jene Aspekte nicht treten, wobei am Ende einer historischen Kette etwas ganz anderes als im Quelltext bzw. seinen ersten Übertragungen stehen kann. Siehe Oliveira (2010: 219-223) für eine Anwendung von Tourys Ansatz auf den brasilianischen Kontext, auch mit dem Vergleich verschiedener Übersetzungen eines einzigen japanischen Hai-Kus im Laufe mehrerer Dekaden. <?page no="324"?> 324 Paulo Oliveira als inhärente Eigenschaften der jeweiligen Objekte, sondern als Produkt der Vergleiche mit anderen Objekten, wodurch u. U. völlig neue Einsichten entstehen können. Das Thema wird v. a. im sog. Teil II von Philosophische Untersuchungen behandelt, der in der letzten bilingualen Ausgabe Deutsch-Englisch in Philosophie der Psychologie - Ein Fragment umbenannt wurde (Wittgenstein 4 2009: 203-225 [ PPF : 11-261]). Chris Bezzel (2013) hat mit seinem Buch zum Thema Aspektwechsel der Philosophie diese Thematik in einen größeren Rahmen gestellt und viele Punkte angesprochen, die auch für die Translationstheorie relevant sind. In der Folge wird versucht, diese möglichen Beziehungen in gedrängter Form und unter Berücksichtigung der Frage nach der Kreativität darzustellen. 3 Aspekt-Wahrnehmen & Kreativität Unter den Begriffen, die mittels Familienähnlichkeit strukturiert sind, zählt Wittgenstein das für die Hermeneutik zentrale Verstehen (Wittgenstein 4 2009: 152 [ PU : 531-532]). Aber auch die Übersetzung lässt sich so charakterisieren. In der vorigen Sektion war vom Unterschied zwischen dem Empirischen und dem Symbolischen die Rede, nun sei daran erinnert, dass man sowohl in den verschiedenen Bereichen als auch an ihrer Schnittstelle von Übersetzung redet. Vor Kurzem hat Lawrence Krauss versucht, mittels eines Vergleiches den Nicht-Experten verständlich zu machen, wie die Existenz der Gravitationswellen experimentell bestätigt wurde. Es ging darum, die Größenordnung von weniger als 0,01 % der Größe eines Protons vorstellbar zu machen. Das sei „das Äquivalent dazu, die Entfernung zwischen der Erde und dem nächsten Stern mit der Präzision der Breite eines einzigen Haares zu messen“ (Krauss 2016: 7). Die Analogie vermittelt zwischen dem äußert abstrakten Sprachspiel der Physik und dem berechtigen Wunsch der Laien, die dahinterstehende Theorie (wenn auch nur ansatzweise) zu verstehen. Kosmische Wellen (Empirie) werden durch Messungen in Zahlen (Symbole) übersetzt, danach wird diese Symbolisierung mittels Analogie verdeutlicht. 10 In seiner Diskussion zur künstlichen Intelligenz liefert uns Kai Schlieter weitere Beispiele: In Berlin forschen Wissenschaftler des Programms „Berlin Brain-Computer Interface“ daran, wie Computer mit Gedanken, also neuronalen Mustern, zu steuern sind. Hirn- 10 Im Text sind noch andere Analogien zu finden: „Allzu oft fragt man sich, was der Nutzen einer solchen Wissenschaft sei, wenn sie keine schnelleren Autos oder bessere Toaster produziert. Aber man stellt sich selten die gleiche Frage zu einem Picasso-Gemälde oder einer Mozart-Symphonie. Solche Spitzenleistungen der menschlichen Kreativität verändern unsere Sicht auf unseren Platz im Universum“ (Krauss 2016: 7). <?page no="325"?> Aspekt & Kreativität 325 aktivität erzeugt Daten. Diese lassen sich mit intelligenten Algorithmen übersetzen. In Schweden haben Forscher eine Armprothese entwickelt, bei der über eine neuronale Schnittstelle Steuerungsinformationen des Gehirns mit intelligenten Algorithmen übersetzt werden, um eine künstliche Hand zu bewegen. (Schlieter 2015: 232) Hier kommen Übersetzungen sowohl zwischen dem Empirischen und dem Logisch-Symbolischen als auch umgekehrt vor, so dass am Ende empirisches Verhalten im Gehirn durch Doppelübersetzung zu empirischen Bewegungen in der künstlichen Hand führt. Beim Übersetzen im engen, tradierten Sinne geht es seinerseits darum, wie unterschiedliche empirische / symbolische 11 Arrangements zu vergleichbaren, im vermeintlichen Idealfall „äquivalenten“ Effekten führen können. Anders als in der Wissenschaft kommt der Maßstab jedoch erst im Nachhinein zum Vorschein, denn der Prozess lässt sich zwar beschreiben und a parte poste begründen, nicht aber im Sinne eines feststehenden Algorithmus automatisieren. Hier wird der symbolischen Fundierung ein höheres Gewicht beigemessen, und wenn die Empirie dabei eine Rolle spielen soll, dann schon als Symbol (vgl. Fußnote 11). Dabei spielt das Wahrnehmen von Aspekten im Sinne Wittgensteins eine zentrale Rolle. Nirgends im ganzen Werk kommt Wittgenstein einer eigentlichen Definition von Übersetzung näher als in einigen Passagen der Sektionen 3 und 4 des Tractatus wie: Die Grammofonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift, die Schallwellen, stehen alle in jener abbildenden internen Beziehung zu einander, die zwischen Sprache und Welt besteht. Ihnen allen ist der logische Bau gemeinsam (…). [T: 4.014] Dass es eine allgemeine Regel gibt, durch die der Musiker aus der Partitur die Symphonie entnehmen kann, durch welche man aus der Linie auf der Grammofonplatte die Symphonie und nach der ersten Regel wieder die Partitur ableiten kann, darin besteht eben die innere Ähnlichkeit dieser scheinbar so ganz verschiedenen Gebilde. Und jene Regel ist das Gesetz der Projektion, welches die Symphonie in die Notensprache projiziert. Sie ist die Regel der Übersetzung der Notensprache in die Sprache der Grammofonplatte. [T: 4.0141] Die Möglichkeit aller Gleichnisse, der ganzen Bildhaftigkeit unserer Ausdrucksweise, ruht in der Logik der Abbildung. [T: 4.015] (Wittgenstein 1989: 27) Die Kommentatoren, besonders in der heute dominanten analytischen Tradition, tendieren dazu, diese Stelle v. a. in Bezug auf die Relation zwischen Empirie 11 Wo verläuft die Grenze zwischen diesen Dimensionen? Arley Moreno, einer der eminentesten Kommentatoren von Wittgenstein in Brasilien, erinnert immer wieder daran, dass die Empirie als Zeichen in die Sprache integriert wird. Darum ist es so schwer, beide Dimensionen sauber voneinander zu trennen. <?page no="326"?> 326 Paulo Oliveira und Symbolismus zu analysieren, und zwar ganz im Sinne der für die frühere Philosophie zentralen Abbildtheorie. Uns in den Translationsstudien ist diese „vertikale“ Relation weniger wichtig als die „horizontale“ Relation zwischen den verschiedenen Formen des Symbolismus und der damit verbundenen Sprachspielen und Lebensformen, welche die Grundlage jeglicher Translation bilden. Während einige Autoren auf die Wichtigkeit der verschiedenen Sprachauffassungen von Früh- und Spätwerk für einen auf Wittgenstein basierenden Translationsbegriff hinweisen (Kroß 2012, Oliveira 2012), betont Chris Bezzel (2013) die oft diskutierte Kontinuität von Früh- und Spätwerk. Trotz dieser Divergenz in der Akzentuierung lassen sich viele Punkte aus Bezzels detaillierter Studie mit großem Gewinn für unsere Diskussion mobilisieren. Ich beschränke mich hier darauf, ein paar wichtigen Gedanken in verkürzter Form darzustellen und auf deren Implikationen für die Translation hinzuweisen. Bezzel (2013) geht es nicht um einen reinen Kommentar, sondern darum, die im Gesamtwerk nicht leicht überschaubaren Diskussionen auf ein System hinzuarbeiten, das eigentlich über das hinausgeht, was Wittgenstein selbst mit seiner Sprachkritik bzw. -therapie beabsichtigt hat. Zwei Elemente aus Bezzels Überlegungen scheinen mir besonders wichtig. Zum einen handelt es sich um die Entwicklung einer regelrechten Theorie der Wahrnehmung mit epistemischen Implikationen. Daraus werden zum anderen Konsequenzen für eine Aspekt bezogene Kunsttheorie gezogen. Ersteres wird wie folgt zusammengefasst: In kürzester Übersicht läßt sich Wittgensteins Auffassung von Wahrnehmung so umreißen: 1. Wahrnehmung ist Handeln. Als Handeln ist es eine erste Reaktion auf die Welt. 2. Handeln auf der Basis von Wahrnehmungshandeln ist eine neue Reaktion. Sie kann instinktiv sein. Sie führt zum Sprachspiel. Zu analysieren, was zwischen beiden „Reaktionen“ liegt, ist Aufgabe einer Wahrnehmungstheorie. Sie führt zu unendlichen Differenzierungen, zu Familienähnlichkeiten. (Bezzel 2013: 96) Ein wichtiger Unterschied besteht zwischen dem automatischen „Sehen“ (bzw. „Hören“ usw.), das eine so gut wie instinktive Reaktion auf die Welt ist und z. T. mit früheren Erfahrungen zu tun hat, und dem „Aspekt-Sehen“ bzw. dem „Sehen-Als“, bei denen der Wille mobilisiert wird. Erstes sei ein Zustand, letztere hätten einen prozesshaften Charakter. Wenn man das auf unsere Untersuchungsobjekte überträgt, lässt sich sagen: Das automatische Verstehen eines Textes mit vertrauten Eigenschaften in Sinn und Form ist dem Sehen verwandt, während das aktive Deuten das Aspekt-Sehen und u. U. auch das Sehen-Als mobilisiert. So verstanden ist schon in der Deutung Kreativität mit im Spiel. <?page no="327"?> Aspekt & Kreativität 327 Das Wahrnehmen von Aspekten variiert je nach dem zu betrachtenden Objekt. Sein berühmtestes Beispiel entlieh Wittgenstein dem Psychologen Jastrow und nannte es den „H-E-Kopf “ (Abb. 1; Wittgenstein 4 2009: 204 [ PPF : 118]). Damit zu vergleichen, im Sinne der nötigen Differenzierung, ist sein eigenes „Doppelkreuz“ (Abb. 2; Wittgenstein 4 2009: 218 [ PPF : 212]): Abb. 1: H-E-Kopf Abb. 2: Doppelkreuz Das Doppelkreuz lässt sich ohne Rekurs auf andere Objekte beschreiben, und zwar als ein schwarzes Kreuz auf einem weißen Hintergrund oder umgekehrt (sog. „Aspekt A“). Dass man es auch als einen Sonnenschirm - von oben gesehen - betrachten kann, spielt erst einmal keine Rolle, denn diese Betrachtungsweise kommt in der Regel erst dann vor, wenn man schon ähnliche Figuren beobachtet hat und in dieses Vergleich-Spiel hineingekommen ist. Anders verhält es sich im Fall des H-E-Kopfs, denn da wird man die Figur entweder als Hase oder als Ente erkennen, aber nur wenn man mit den jeweiligen Referenzen vertraut ist. Man muss schon die Begriffe „Hase“ und „Ente“ haben. Der Aspekt- Wechsel spielt also keine bildinterne Rolle wie im Fall des Doppelkreuzes. Da liegt also ein Unterschied, auch wenn man erkennt, dass der Begriff „Kreuz“ genauso Vorbedingung zur Bezeichnung „Doppelkreuz“ ist. Solche und weitere Differenzierungen gehören zu Wittgensteins Methode insbesondere in der Diskussion der sog. psychologischen Begriffe, aber auch in anderen Bereichen spielen feine Unterschiede eine wesentliche Rolle. Das Verstehen und Übersetzen von Texten steht dem Wahrnehmen des H-E-Kopfes näher. Wir verstehen und deuten Texte auf der Grundlage unserer Vertrautheit mit deren sinn-konstituierenden Mechanismen, das haben wir gelernt. Ohne diese Erfahrung wären Texte etwa nur Tintenstriche auf einem weißen Hintergrund, ähnlich wie in der Frage: „Ist ein Stück weißes Papier mit schwarzen Strichen drauf einem menschlichen Körper ähnlich? “ (Wittgenstein 4 2009: 122 [ PU : 364]). Wie wichtig der Vertrautheitsbzw. konventionelle Charakter ist, geht aus einer anderen Bemerkung hervor: „Alles kann ein Bild von allem sein“ (zit. nach Bezzel 2013: 130 [W 4: 163]). Zusammenfassend lässt sich sagen: „Das Aspektsehen (…) setzt das Sehen voraus, übersteigt es aber in vieler und verwirrender Hinsicht. (…) X als Y sehen ist die formale Struktur des Aspektsehens“ (Bezzel 2013: 123). Bei <?page no="328"?> 328 Paulo Oliveira der Herstellung eines Zieltextes geht es dann darum, ein passendes Vergleichsobjekt herzustellen, wobei das Erfahrungshorizont des Zielpublikums mit zu berücksichtigen ist, auch wenn es um Erneuerungen geht. Hier sei an die anfangs erwähnten Analogien aus Tutaméia erinnert: Man braucht zunächst einen Basisvergleich, um daraufhin feinere Unterscheidungen erarbeiten zu können. Es gibt auch einen entscheidenden Unterschied der Übersetzung in der „horizontalen“ gegenüber der „vertikalen“ Beziehung - zwischen Symbolismus und Empirie, im Sinne der oben zitierten Grammophon-Symphonie Metapher des Tractatus . Dort heißt es auch: „Definitionen sind Regeln der Übersetzung von einer Sprache in eine andere. Jede richtige Zeichensprache muß sich in jede andere nach solchen Regeln übersetzen lassen: Dies ist, was sie alle gemeinsam haben“ (Wittgenstein 1989: 24 [T: 3.343]). Genau das geschieht in den Übersetzungsmechanismen der oben gegebenen Beispiele aus der Wissenschaft (Schallwellen in Messungen / Zahlen) und künstlichen Intelligenz (Hirnaktivität führt zu Bewegungen einer künstlichen Hand). Aber mit der sog. „horizontalen“ Übersetzung verhält es sich anders, v. a. wenn wir sie vom Standpunkt der Spätphilosophie Wittgensteins unter dem Zeichen des Aspekt-Sehens betrachten. Denn das Bemerken eines Aspektes wird geradezu im Akt selbst konstruiert: Wer den Ernst einer Melodie empfindet, was nimmt der wahr? - Nichts, was sich durch Wiedergabe des Gehörten mitteilen ließe. [ PPF : 233] Von einem beliebigen Schriftzeichen - diesem etwa - kann ich mir vorstellen, es sei ein streng korrekt geschriebener Buchstabe irgendeines fremden Alphabets. Oder aber, es sei ein fehlerhaft geschriebener. (…) - Und je nach Erdichtung, mit der ich es umgebe, kann ich es in verschiedenen Aspekten sehen. Und hier besteht enge Verwandtschaft mit dem ‚Erleben der Bedeutung eines Wortes‘. [ PPF : 234] (Wittgenstein 4 2009: 221) Dabei gilt das schon erwähnte Prinzip des a parte poste : „Wir sprechen, machen Äußerungen, und erst später erhalten wir ein Bild von ihrem Leben“ (Wittgenstein 4 2009: 220 [ PPF : 224]). Das soll nicht heißen, dass Definitionen keine Rolle mehr spielen, sondern nur, dass sie nicht alles im Vorhinein bestimmen können: Die Beschreibung des Gebrauchs zeigt, dass (…) die Bedeutung (…) nicht auf eine a priori Definition des Sinnes zu reduzieren ist, sie betrifft stattdessen die Gesamtheit ihrer Anwendungen. (…) Die Definition einer Sinn-Regel ist nicht in der Lage, alle Fälle ihrer Anwendung durch den reinen Gedanken vorgreifend zu bestimmen, und genauso wenig untersagt sie Anwendungen, die andere Kriterien ausdrücken. In der analytischen Relation drückt sich also der Sinn-Gedanke in der Anwendung - und nicht in vitro - aus. Dabei ist gegeben, dass der Sinn nicht unabhängig von der konkreten Anwendung ist. (Moreno 2012: 64-65) <?page no="329"?> Aspekt & Kreativität 329 Eine mögliche Änderung im Betrachten einer bestimmten Konfiguration gehört zur Struktur des Aspekt-Sehens, sei es nun durch den Aspekt-Wechsel (ich sehe etwas mal so, mal anders) oder durch das zielgerichtete Sehen-Als - das übrigens auch zur Struktur der Übersetzung selbst gehört, wie hier schon mittels verschiedener Beispiele angedeutet wurde. Wir kommen dann zum zweiten hervorzuhebenden Element in Bezzels Erörterungen, in einer sehr kurzen Formel: „Wittgensteins Zettel 208 zeigt, daß man Kunstwerke als permanente Aufforderung zum Aspektsehen beschreiben kann“ (Bezzel 2013: 118). Hier nähern sich Kunst und Philosophie: Der Philosoph wie der Künstler fordern uns in durchaus analoger Weise auf: „Siehe die Dinge so an! “ ( VB : 535). Kunst als Praxis des Aspektwechsels führt uns als Betrachter zum eigenen geistigen Aspektwechsel, zu einer mit Genuß vermittelten Erkenntnis. (Bezzel 2013: 131) In der vorigen Sektion habe ich nahegelegt, dass Kunst-Fälschung und Übersetzung in vielerlei Hinsicht vergleichbar sind, wobei es sowohl Ähnlichkeiten als auch viele wichtige Unterschiede gibt. Es wurde auch zwischen den Dimensionen des Empirischen und des Symbolischen unterschieden, wobei man an verschiedenen Schnittstellen von Übersetzung redet. Will man aber konsequent bei Wittgensteins Spätphilosophie bleiben und den Gedanken des Aspekts in seinen vollen Implikationen für die Translation wahrnehmen, insbesondere bei der Übersetzung im rein symbolischen Sinne, bei dem es nicht ums Empirische geht, dann muss man sich von manchen traditionellen Verständnissen freimachen. Eines davon ist die Vorstellung der Unübersetzbarkeit, die so viele Autoren trotz wichtiger Einsichten über die Autonomie der Sprache gegenüber der Welt und der Unabschließbarkeit des Sinnes nicht bereit sind preiszugeben. So spricht auch Bezzel (2013: 156) von der „essenzielle[n] Unübersetzbarkeit von Gedichten“ und reduziert das Übersetzbare auf die semantische Ebene (vgl. Bezzel 2013: 162). Wenn dem so wäre, so könnten wir zwischen radikal verschiedenen Kulturen kaum übersetzen, denn auch semantisch sind die verschiedenen Lebensformen voneinander zu unterscheiden. Und doch übersetzen wir Sach- und literarische Werke von einer Kultur in die andere (vgl. Oliveira 2015). So sehr Verstehen und Übersetzen miteinander verschränkt sind, scheint es sinnvoll zu sein, feinere Unterschiede herauszuarbeiten. Dafür können wir bereits Erwähntes zu Hilfe nehmen: Wir reden vom Verstehen eines Satzes in dem Sinne, in welchen er durch einen anderen ersetzt werden kann, der das Gleiche sagt; aber auch in dem Sinne, in welchem er durch keinen andern ersetzt werden kann. (So wenig, wie ein musikalisches Thema durch ein anderes). / Im einen Fall ist der Gedanke des Satzes, was verschiedenen <?page no="330"?> 330 Paulo Oliveira Sätzen gemeinsam ist; im anderen, etwas, was nur diese Worte, in diesen Stellungen, ausdrücken. (Verstehen eines Gedichts.) (Wittgenstein 4 2009: 152 [ PU : 531]) Bei der Rede von Unübersetzbarkeit eines Gedichts tut man so, als wären Verstehen und Übersetzen ein und dasselbe. Doch wenn es in der Grammophon- Metapher im Tractatus steht, dass „der Musiker aus der Partitur die Symphonie entnehmen kann“ (Wittgenstein 1989: 27 [T: 4.0141]), so heißt es nicht, dass alle musikalische Darbietungen des gleichen Werkes gleich sind. Und man kann ein Musikstück auch für verschiedene Besetzungen und Instrumente umschreiben. Dabei handelt es sich um „die gleiche“ Musik. Die Übersetzung ist eher so einer Musiktranskription verwandt. Ähnlich ist es mit dem Gedicht bzw. mit literarischen Texten überhaupt: Es geht um Sehen-Als, wobei bei den verschiedenen Übersetzungen jeweils andere Aspekte in den Vordergrund treten werden (wie in den schon erwähnten Beispielen von westlichen Übersetzungen japanischer Haikus). Darum sollte man erkennen, dass die Übersetzung in vielerlei Hinsicht mit dem Aufbau des Vergleichbaren zu tun hat, wie Paul Ricœur (2011: 68) es in einem äußerst unterschätzten Beitrag schon formulierte. In diesem Sinne sind die Grenzen jeglicher essentialistischen Sprachkonzeption aufzugeben, sodass wir dazu übergehen können, das zu beschreiben, was wir im Akt des Übersetzens eigentlich tun, um erst im Nachhinein zu sagen, welche Aspekte im jeweiligen Fall die Hauptrolle gespielt haben. Und wenn die Analogie bzw. der Vergleich zum Kern der menschlichen Kreativität gehört, so ist jedes Übersetzen eine Form des Sehen-Als und fordert von uns Kreativität sowohl beim Verstehen als beim Herstellen möglicher, in der Zielkultur annehmbarer Vergleichsobjekte. So gesehen gehört das Staunen über die Welt - die Kunst, die Sprache, die Kreativität - nicht nur zur Haltung des Philosophen, sondern auch zur Aufgabe der Forschung im Bereich der hermeneutisch ausgerichteten Translationsstudien. Wenn wir dabei ein Auge für die grammatisch-therapeutische Philosophie Wittgensteins offenhalten, werden wir vielleicht den einen oder anderen wichtigen Aspekt klarer wahrnehmen können. Bibliographie Arrojo, Rosemary (1997): „Pierre Menard und eine neue Definition des ‚Originals‘“. In Wolf, Michaela (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft in Brasilien. Beiträge zum Status von „Original“ und Übersetzung . Tübingen: Stauffenburg, 25-34. Bezzel, Chris (2013): Aspektwechsel der Philosophie. 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Sprachspiele als Rahmen für die übersetzerische Kreativität John Wrae Stanley (Köln) Abstract: The Philosophical Hermeneutics as introduced by Martin Heidegger and developed especially by Hans-Georg Gadamer served as the theoretical backdrop for much of Fritz Paepcke’s reflections on translation. Paepcke in turn is one of the key scholars that those currently working in the field of Translational Hermeneutics draw upon. However, on German terrain there is a historical fissure between the philosophical tradition underlying Philosophical Hermeneutics and conceptual foundation of Translational Hermeneutics, a fissure which is detrimental to the effective history (Wirkungsgeschichte) . This fissure is most prevalent regarding the ontology of Translational Hermeneutics. One primary purpose of essay is to begin the process of closing this fissure drawing the ontological dimension into the discourse. By narrowing the historical gap, we can grasp the relevance of Gadamer’s claim that it is “language games” (sprachliche Spiele) that serve as the “real subjectum ” (das eigentliche subjectum) , i.e., foundation, for understanding. When viewed as real subjectum of understanding, cognition and with it translational creativity have to be embedded in language games. This has far reaching methodological consequences for the translator, which are briefly discussed. Keywords: Hermeneutics, translation studies, creativity, pedagogy, language games. 1 Fritz Paepcke und die Hermeneutik in der Übersetzungswissenschaft Auch wenn diverse Strömungen in die Unterdisziplin der Übersetzungswissenschaft münden, die sich mittlerweile die „Übersetzungshermeneutik“ (Cercel 2013) nennt, war es insbesondere Fritz Paepcke, der in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Hermeneutik in der deutschsprachigen Übersetzungswissenschaft eingeführt hat. Zweifelsohne dienten die Denkanstöße, die von <?page no="334"?> 334 John Wrae Stanley Paepcke ausgingen, auch anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie Mary Snell-Hornby, Radegundis Stolze und Philippe Forget, die heute in der Übersetzungswissenschaft eine bedeutende Rolle spielen, als Inspiration. 1 Es ist dennoch bemerkenswert, dass der ‚Vater‘ der hermeneutischen Bewegung in der gegenwärtigen Übersetzungswissenschaft selbst nicht von Hause aus Hermeneutiker war. Wie in Gesprächen mit Philippe Forget und in einer E- Mail-Korrespondenz mit Radegundis Stolze deutlich wurde, war der Anlass für die Beschäftigung Paepckes mit der Hermeneutik seine Begegnung mit Hans- Georg Gadamer in Heidelberg: „Es ist sicher richtig, dass sich Paepcke der Hermeneutik nach der Lektüre von Gadamer (1960) zugewandt hat“ (aus einer E-Mail von Radegundis Stolze vom 24. Jan. 2017). Da Paepcke sich erst im Alter von 54 Jahren mit der Hermeneutik beschäftigte, liegt die Vermutung nahe, dass ihm eventuell wesentliche Vorkenntnisse fehlten, die für den Aufbau einer hermeneutischen Übersetzungswissenschaft hilfreich gewesen wären. Cercel machte die Bemerkung, dass die „Lektüre der Aufsätze Paepckes […] den anspruchsvollen Leser enttäuschen“ könnte, weil man „keine systematische Entwicklung hermeneutischer Gedanken in ihrer Anwendung auf übersetzerische Fragestellungen“ (Cercel 2013: 106) in seinen Aufsätzen vorfindet. Leider mangelt es aber nicht nur an der systematischen Entwicklung einer anwendungsorientierten Hermeneutik, sondern auch an einer exegetischen Einbettung des Ansatzes von Paepcke in der bisherigen hermeneutischen Tradition. Man findet zwar Hinweise, dass Paepcke wichtige Impulse von Gadamer empfangen und in sein Gedankengerüst aufgenommen hat. Dies ist z. B. auffällig in Paepckes Argumenten, dass das „Vorverständnis“ und der „Mitvollzug“ „konstitutiv“ für das Verstehen sind (Paepcke 1986: 105, vgl. 91). Dies gilt offensichtlich auch für seine Aufforderung, die Subjekt-Objekt-Spaltung zu überwinden (Paepcke 1986: 88-89, vgl. 57-58). Aber Paepckes Erläuterungen und Rechtfertigungen dieser Gedankengänge sind selbst für Kenner der gadamerschen Hermeneutik zu oberflächlich, um ein adäquates Verstehen zu ermöglichen, und für diejenigen ohne fundiertes Vorverständnis ist ein angemessener „Mitvollzug“ kaum möglich. Denn die Erwähnung der cartesianischen Unterscheidung zwischen res cogitans und res extensa oder die zweizeilige Anführung der Metaphern voyeur und acteur werden kaum genügen, um den Bezug zwischen dem Vorverständnis und dem Verstehensakt zu erläutern (vgl. Paepcke 1986: 105). Ebenfalls ist der Gebrauch der Metapher des Speerwurfs (vgl. Paepcke 1986: 87-88) oder die Nennung der „Quantentheorie“ als „Schlüsselbegriff des 1 Während es selbstverständlich ist, dass Paepcke einen Einfluss auf seine Studenten Stolze und Forget ausübte, mag es nicht so ersichtlich sein, dass das auch im Falle von Snell- Hornby geschah. Dies aber bestätigt sie an mehreren Stellen (wie zum Beispiel in Snell- Hornby 2006: 32). <?page no="335"?> „Tanzen ohne Ketten“ 335 Übersetzens“ (Paepcke 1986: 57) kaum ausreichend, um den äußerst komplexen Sachverhalt der „Subjekt-Objekt-Spaltung“ annähernd zu erklären. Da Paepcke seinen eigenen Ansatz nicht in die hermeneutische Tradition eingebettet hat, fällt es den folgenden Generationen schwer, eine von Paepcke herrührende Übersetzungshermeneutik systematisch aufzubauen. Vor diesem Hintergrund ist eine Behauptung Stolzes, die sie in einer E-Mail vom 4. Januar 2017 machte, sehr plausibel: „Paepcke hat zwar immer von ‚Hermeneutik‘ geredet und gefordert, man solle dies anstelle der Linguistik setzen, hat aber nicht erklärt, was das ist. Das war dann meine Aufgabe.“ Und tatsächlich ist Stolze die Hauptverfechterin der Übersetzungshermeneutik in Deutschland und ihre Leistung verdient große Anerkennung. Andererseits ist es aber kein Geheimnis, dass ich ihren Ansatz in einem Punkt kritisiert habe: In meinen Augen hat sie den Bemühungen der neuzeitlichen Hermeneutik (Heidegger und Gadamer), die Subjekt-Objekt-Spaltung zu überwinden, keine Rechenschaft getragen. 2 Die Auseinandersetzung über die Gewichtung des Subjekts in der Stolzeschen Theorie ist nicht das Thema dieses Aufsatzes, wohl aber deren Bedeutung für die übersetzerische Kreativität, wenn man anstelle des Subjekts das „Sprachspiel“ zum eigentlichen „ Subjektum“ - d. h. Fundament - der Übersetzungshermeneutik macht. Im Folgenden möchte ich also eine kurze Exegese der gadamerschen Hermeneutik anbieten, in der die Rolle des Sprachspiels hervorgehoben wird. Dann möchte ich kurz erläutern, wie die Annahme, dass das Sprachspiel das Fundament der Übersetzungshermeneutik bilde, sich auf die Methode beim Übersetzen (Übersetzungsmethodik) auswirkt. Anschließend verdeutliche ich diese leichte methodische Verschiebung mit einem Beispiel aus meinem Unterricht an der Technischen Hochschule in Köln. Das Beispiel soll veranschaulichen, wie die Annahme, dass das Sprachspiel das Fundament der Übersetzungshermeneutik bilde, in vielen Fällen zu einer Befreiung des Übersetzers von seinen „Ketten“ führen kann. 2 Gadamer und die „sprachlichen Spiele“ Angesichts der Tatsache, dass es sich hier um übersetzerische Kreativität handelt, ist es wichtig daran zu erinnern, dass Gadamers Leitfrage in Wahrheit und Methode ästhetischer Natur war: Ihm ging es um die „Wahrheitsfrage an der Erfahrung der Kunst“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 7). Ebenso interessant ist es 2 Diesen Aspekt der Stolzeschen Übersetzungshermeneutik habe ich in dem Aufsatz „Das Dilemma der Subjektivität in der Hermeneutik“ (Stanley 2011b) thematisiert. Stolze hat später Anregungen, die ich in diesem Aufsatz gab, aufgegriffen und in ihr Buch Hermeneutische Übersetzungskompetenz integriert (vgl. Stolze 2015: 25-31). <?page no="336"?> 336 John Wrae Stanley zu vergegenwärtigen, dass gerade die „Subjektivierung der Ästhetik“, die in seinen Augen durch den kantischen Geniebegriff eingeleitet worden ist, zu einer Gefährdung der Kunsterfahrung selbst geführt hatte - denn die starke Subjektivierung der Ästhetik führte laut Gadamer dazu, dass die Kunst ihren Wahrheitsanspruch verloren hat (Gadamer 1960/ 6 1990: 48-106). Gadamer baute eben deshalb solche „subjekt-übergreifende“ Strukturen wie den Spielbegriff, das Sprachspiel, gemeinsame Vorurteile oder die Tradition in seine Hermeneutik als Instanzen gegen subjektivierende Tendenzen ein - Instanzen aber, die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit „Objektivität“ stehen. Da diese für unsere Besprechung der im Folgenden umrissenen Methode relevant ist, möchte ich kurz auf Kants Kritik der Urteilskraft und seinen Geniebegriff eingehen. 2.1 Das kantische Genie und das freie Spiel der Erkenntniskräfte Die Kritik der Urteilskraft ist das letzte von Kants kritischen Werken. Kants Zielsetzung in seiner dritten Kritik war es, ein Bindeglied zwischen dem erkenntnistheoretischen Gebiet seiner ersten Kritik und dem moralisch-praktischen Gebiet seiner zweiten Kritik zu schaffen (vgl. Kant 6 1924: 12-15). Ein weiteres Interesse Kants war es vermutlich, ein theoretisches Gerüst zu erzeugen, das eine - wohl schwache - Schnittstelle zu einem übermächtigen Schöpfer bildet. Denn in der Erfahrung der Naturschönheit gibt es nach Kant „einen Wink“, die Natur „enthalte in sich irgendeinen Grund, eine gesetzmäßige Übereinstimmung ihrer Produkte zu unserem […] Wohlgefallen“ (Kant 6 1924: 152) anzunehmen: Der „Wink“ zeigt also letzten Endes auf „den höchsten Punkt in der Reihe der Ursachen“ (Kant 6 1924: 254). So liegt in der kantischen Ästhetik eine fundamentale Struktur der Überantwortung - eine ‚Verweisstruktur‘. Diese ‚Verweisstruktur‘ ist dadurch gekennzeichnet, dass Menschen beim Betrachten des Schönen Hinweise bekommen, welche auf eine Grundlage oder eine Ursache außerhalb ihrer möglichen Erfahrungswelt hindeuten. Diese Struktur schlägt sich in der dritten Kritik im Begriff der Zweckmäßigkeit nieder. Für unser Anliegen ist der Begriff der Zweckmäßigkeit deshalb wichtig, weil auf ihm der kantische Begriff des Schönen und folglich die kantische Ästhetik insgesamt darauf basiert. Es ist die „bloße Form der Zweckmäßigkeit (ohne Zweck - J. S.) in der Vorstellung“ (Kant 6 1924: 60), die das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“ (Kant 6 1924: 56) veranlasst. Bei der Betrachtung eines schönen Kunstwerks befinden sich die Erkenntniskräfte deshalb in einem freien Spiel, da „kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt“ (Kant 6 1924: 55). In dieser Erfahrung wird erkannt, dass Schönheit nicht von einem Begriff und auch nicht von einem bestimmten Gegenstand <?page no="337"?> „Tanzen ohne Ketten“ 337 hergeleitet werden kann. Es ist folglich das „subjektive“ Gefühl der „Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen“ (Kant 6 1924: 56), welche als Bestimmungsgrund für das kantische ästhetische Urteil dient (vgl. Kant 6 1924: 59) - ein Urteil aber, das „auf Gründen a priori“ beruht (Kant 6 1924: 60) und deshalb eine „ subjektive Allgemeingültigkeit “ genießt (Kant 6 1924: 52). Es ist an dieser Stelle evident, dass in diesem Kontext der kantische Geniebegriff relevant wird. Denn für Kant ist es unabdingbar, dass schöne Kunst die Gemütskräfte belebt und in ein freies Spiel bringt. Das Belebende an der schönen Kunst liegt letzten Endes an der „Darstellung ästhetischer Ideen “ (Kant 6 1924: 167), welche weder durch die Sprache noch mittels Begriffen erfasst werden können. Es ist aber nur das Genie, das dazu fähig ist, ein Kunstwerk so zu beleben, dass es als schön gilt: „Schöne Kunst ist Kunst des Genies“ (Kant 6 1924: 160). Allein das Genie besitzt nach Kant die Fähigkeit, durch die Einschränkungen des Geschmacks hindurch ein Kunstwerk mit „ästhetischen Ideen“ zu versehen: „Genie ist die angeborene Gemütsanlage ( ingenium ), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt“ (Kant 6 1924: 160). Kants Beschreibung des Genies als „ein Günstling der Natur“ (Kant 6 1924: 173) bringt uns nun zurück zum Begriff der Zweckmäßigkeit und gleichzeitig zu Gadamers Kritikpunkt. Das kantische Genie dient im Grunde als ein Medium, durch welches die Natur oder eine höhere, schöpferische Kraft Unverständliches in die menschliche Erfahrungswelt überführt. Aufgrund der relativ homogenen Strukturen der Erkenntniskräfte, der einschränkenden Wirkung des Geschmacks und der Verwandtschaft der ästhetischen Ideen mit der moralischen Veranlagung des Menschen behält das Kunstwerk nach Kant seine „Wahrheit“ - seine „ subjektive Allgemeingültigkeit “. Wie Gadamer aber hervorhebt, erfuhr das kantische Gedankengut im Zug des deutschen Idealismus eine wesentliche Verschiebung: „Wenn der metaphysische Hintergrund, der den Vorzug des Naturschönen bei Kant begründete und den Geniebegriff an die Natur zurückband, nicht mehr besteht, stellt sich in einem neuen Sinne das Problem der Kunst“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 61). Diese Verschiebung führte dazu, dass das Genie den Status des ultimativen Schöpfers der Kunst gewann, und diese als eine „bewußtlos geniale Produktion“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 61) angesehen wurde. So bahnte sich der Weg zu einer radikalen Subjektivierung der Ästhetik an, welche für Gadamer symptomatisch für die Diskreditierung der Geisteswissenschaften ist. Die Subjektivierung der Ästhetik ging nämlich Hand in Hand mit dem Aufstieg des neuzeitlichen „Wahrheitsbegriffs der Wissenschaft“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 3). Dieser lässt nicht zu, dass es eine andere „Erkenntnisweise“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 41) gibt, die nicht auf Objektivität und der naturwissenschaftlichen Methode basiert. <?page no="338"?> 338 John Wrae Stanley 2.2 Gadamers Antwort auf die Subjektivierung der Ästhetik-- die Verstreuung des Subjekts in das geschichtliche Sprachspiel Gadamer lag viel daran, die Wertschätzung der Geisteswissenschaften wiederherzustellen. Dafür musste aber eine neue Ontologie her - eine, die jenseits von der Subjekt-Objekt-Spaltung liegt und dadurch das herkömmlich gewordene Begriffspaar „subjektiv“ (willkürlich) versus „objektiv“ (wahr) in Frage stellt. Gadamer folgt hier dem Beispiel seines Lehrers Heidegger und verstreut das „Subjekt“ in sein historisches, „physikalisches“, kulturelles und sprachliches Umfeld. 3 Indem Gadamer zeigt, dass das Denken, die Wahrnehmung und das Empfinden eines Individuums mithilfe von „Subjekt“-übergreifenden Strukturen mit einer größeren Gemeinschaft zutiefst verwurzelt und vernetzt ist, kann er argumentieren, dass die Erkenntnisse eines Individuums - zumindest, wenn es sich durch Maßnahmen der Gemeinschaft bilden ließ - auf Allgemeinheit beruhen. Aufgrund der Annahme einer solchen Allgemeinheit kann man eine andere Definition von Wahrheit gelten lassen, nämlich die von Husserl: „durch wechselseitige Kritik geläuterte und jeder Kritik standhaltende Resultate“ (Husserl 1969/ 2 1977: 7). Wie würde aber eine solche „Verstreuung des Subjekts“ konkret aussehen? Gadamer setzt mit der Ontologie des Kunstwerks an. 4 In diesem Zusammenhang geht er auf den Begriff des „Spiels“ ein, da er es für nötig hält, diesen Begriff „von der subjektiven Bedeutung abzulösen, die er bei Kant und Schiller hat und die gesamte neuere Ästhetik und Anthropologie beherrscht“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 107). Wie wir sahen, findet das Spiel bei Kant innerhalb des Subjekts statt. Die Erkenntniskräfte bilden den Schauplatz der Bewegung: Begriffe, die Einbildungskraft, Gefühle und Empfindungen eines Subjekts werden „mit einer solchen Mannigfaltigkeit von Teilvorstellungen“ ins Spiel gebracht, „daß für sie kein Ausdruck […] gefunden werden kann“ (Kant 6 1924: 171). Gadamer dagegen stellt dieses Bild auf den Kopf: Es ist das Kunstwerk, das die „Subjekte“, die Gadamer nun die „Spielenden“ nennt, in Bewegung bringt. Als Folge 3 Der Versuch, diesen äußerst komplexen Vorgang des „Verstreuens des Subjekts“ adäquat zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen. Ich weise aber auf das Buch Die gebrochene Tradition: Zur Genese der philosophischen Hermeneutik Hans-Georg Gadamers (Stanley 2005) hin, in dem dieser Vorgang beschrieben worden ist. Hinsichtlich Heidegger und des Begriffs „Dasein“ s. Stanley (2005: 195-270). Für eine Erläuterung der Hermeneutik Gadamers siehe Stanley (2005: 271-360). 4 Gadamer gibt dem Übergang von der geschichtlichen Analyse zu seinen eigenen systematischen Überlegungen, in denen es um die Ontologie des Kunstwerks und die Bedeutung derselben für seine Hermeneutik geht, den Titel: „Spiel als Leitfaden der ontologischen Explikation“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 107). Dies unterstreicht die Bedeutung des Spielbegriffs für sein gesamtes Unterfangen. <?page no="339"?> „Tanzen ohne Ketten“ 339 der Teilhabe der Spielenden am Kunstgeschehen entsteht eine das Individuum „übertreffende Wirklichkeit“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 115), die die Erfahrungswelt des Individuums prägt. Es ist laut Gadamer der Spielcharakter eines jeden Kunstwerkes, welcher ihm diese gestaltende, subjektübergreifende Fähigkeit verleiht. Das Kunstwerk ist „kein Gegenstand, der dem für sich seienden Subjekte gegenübersteht“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 108), sondern es ist in erster Linie die Spielbewegung selbst, welche „durch die Spielenden lediglich zur Darstellung kommt“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 108). Der Kern der gadamerschen Argumentation ist, dass das Spiel ein „Ordnungsgefüge“ schafft, das „gegenüber dem Bewußtsein des Spielenden“ das grundsätzliche Primat hat (Gadamer 1960/ 6 1990: 110). Es erzeugt eine quasi „in sich geschlossene Welt“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 115), welche ein „Sinnganzes“ darstellt (Gadamer 1960/ 6 1990: 114). 5 Diese ontologische Auffassung Gadamers mag zunächst auf Uneingeweihte recht fremd wirken, aber wenn man über die eigene Erfahrung mit Kunstwerken reflektiert, gewinnt sie an Plausibilität. Ob ein Konzert, ein Theaterstück, ein Gemälde oder eine Tanzaufführung: Diese Erlebnisse sind gerade deshalb sehr einnehmend, weil sie die Aufmerksamkeit der teilhabenden Individuen kollektiv steuern. Da entsteht tatsächlich ein „Sinnganzes“, das Wie und was die Teilnehmer wahrnehmen - und zur Sprache bringen - stark beeinflusst. Vor diesem ontologischen Hintergrund erscheinen die kantische Beschreibung des Spielbegriffs und die Rolle des Subjekts im ästhetischen Bereich doch etwas einseitig. Interessant wird dieser Spielbegriff besonders dann, wenn man - wie Gadamer - ihn zur Grundlage aller Verstehensprozesse überhaupt und damit der Hermeneutik macht. Und dieser Schritt Gadamers ist nicht so abwegig, wie er vielleicht erstmal erscheint: Diese Art ‚Spielstruktur‘ finden wir nicht nur in der Erfahrung der Kunst, sondern auch in Sportereignissen und in wichtigen politischen und kulturellen Begebenheiten - Gadamers Argument ist ja, dass sie sämtlichen gesellschaftlichen Ereignissen zugrunde liegt. Dadurch liegt die Spielstruktur der menschlichen Geschichte zugrunde und bildet dadurch letzten Endes das subjektum unserer Geschichtlichkeit selbst. Gadamer fügt dieser Spielstruktur noch ein Element zu, das für unsere methodischen Überlegungen sehr relevant ist: die Sprachlichkeit unserer Erfahrung. Für Gadamer spielt die Sprache eine wesentliche Rolle im Verstehensprozess. Es gehört zu der „spekulative[n] Struktur der Sprache“, dass die Sprache - wenn etwas „zur Sprache“ kommt - den Prozess, in dem „als was sich etwas darstellt“, steuert (Gadamer 1960/ 6 1990: 479). Verstehen ist für Gadamer im Wesen ein 5 Für eine ausführliche Behandlung der Beziehung zwischen Kultur und dem Spielbegriff siehe Huizinga ( 21 2009). Vgl. auch Stanley (2011a). <?page no="340"?> 340 John Wrae Stanley sprachgebundener Prozess: „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 478). Und Gadamer betont, dass diese Sprachgebundenheit nicht sekundär ist: Es ist nicht der Fall, „daß ein Verständnis nachträglich auch in Worte gefasst wird“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 384), sondern die Sprache ist „das universale Medium, in dem sich das Verstehen selber vollzieht“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 392). Es folgt daraus, dass die Spielstruktur und spekulative Struktur der Sprache miteinander in der Gadamerschen Hermeneutik verschmolzen werden. Es sind also „sprachliche Spiele“, in denen wir uns als Lernende […] zum Verständnis der Welt erheben (Gadamer 1960/ 6 1990: 493). 6 Es gilt nun jetzt, diese ontologische Annahme für die übersetzerische Praxis fruchtbar zu machen. 3 Fritz Paepcke und die hermeneutischen Ketten In dem Aufsatz „Verstehen und Übersetzen“ (Paepcke 1986: 56-71) benutzt Paepcke die Metapher einer „Partitur“ im Zusammenhang mit Übersetzen. Diese Metapher soll die Rolle des Ausgangstextes beim Übersetzen beschreiben. Paepcke beschreibt da das Übersetzen selbst als das „Einbringen“ des „Verstandenen in die Strukturen der Zielsprache“. Paepcke behauptet, dass ein Übersetzer nur das übersetzen kann, „was er verstanden hat und mit den Mitteln der Zielsprache neu zu formulieren vermag“ (Paepcke 1986: 56). Das „Neu-Formulieren“ ist sehr ernst zu nehmen: Für Paepcke „zerbricht“ das „wörtliche Übersetzen an der Wirklichkeit der Sprache“ (Paepcke 1986: 57). Das Übersetzen sei also keine „Abschrift dieses Originaltextes“, sondern immer „etwas Neuartiges auf der Grundlage des Originals im Medium der Zielsprache“ (Paepcke 1986: 56). 6 Bevor wir zu unseren methodischen Überlegungen fortschreiten, möchte ich kurz anmerken, dass Gadamers Annahme, dass es kaum Platz für außersprachliches Verstehen gibt, recht problematisch ist. Stolze weist auf das Thema des „inneren Gesprächs“ (Stolze 2003: 79) hin, welches Gadamer in Wahrheit und Methode als Beleg dafür einführt, dass die „Sprachvergessenheit des abendländischen Denkens keine vollständige“ (Gadamer 1960/ 6 1990: 422) ist. Die damit verbundene Auslegung der augustinischen Auffassung vom Verhältnis zwischen Sprache und Denken ist äußert problematisch in exegetischer Hinsicht, sofern Gadamer Augustinus so auslegt, als wäre dieses „innere Gespräch“ im modernen Sinne sprachlich (vgl. Stanley 2005: 282-291; Kany 2007: 265). Aber nicht nur das: Die Annahme, dass das Denken - das innere Gespräch - nur im Medium der Sprache geschehen kann, macht phänomenologische Untersuchungen im eigentlichen Sinne unmöglich. Und für die Arbeit eines Übersetzers ist diese Annahme nicht unproblematisch. Schon Humboldt hat darauf hingewiesen, dass die Verschiedenheit der Sprachen schon „die Verschiedenheiten der Weltansichten selbst“ impliziert (Humboldt 1930: 20). Wenn ein Mensch nie in der Lage sein kann, außersprachlich zu denken, wie ist es möglich, das Gedankengut eines Textes, das in einer Sprache fixiert worden ist, in eine andere zu übertragen? Denn in dem Prozess muss der Übersetzer zumindest einige sprachungebundene Schritte vollziehen. Dieses Problem und die damit verbundenen Fragen klammern wir aber in diesem Aufsatz aus. <?page no="341"?> „Tanzen ohne Ketten“ 341 Kreativität ist also in einem hohen Maße für den übersetzerischen Prozess erforderlich. Diese „Partitur“-Struktur steuert die Tätigkeit des Übersetzers. Im eigentlichen Sinne gibt eine Partitur konkrete Anweisungen für Musiker an, die ihre Produktion von Klängen und Tönen vorschreibt: Sie schreibt also ein zeitliches Ordnungsgefüge vor und gibt die einzelnen Tonhöhen und jeweilige Tondauer an. Paepcke benutzt das Wort Partitur hinsichtlich des Übersetzungsprozesses in einem übertragenen Sinne und meint damit einen „Entwurf von Möglichkeiten“ (Paepcke 1986: 56) hinsichtlich der Produktion des Zieltextes. Beim Übersetzen allerdings ist das Verhältnis zwischen dem Ausgangstext und dem Zieltext nicht so eng wie zwischen einer Partitur und der Aufführung eines Musikstückes. Bei der Übersetzung von manchen Texten, in denen die Form wichtig ist, können diese Möglichkeiten zwar struktureller Natur sein: In einem Rechtstext muss oft die Syntax des Ausgangtextes in dem Zieltext erkennbar bleiben; bei Gedichten muss man oft die Reimformen und Versstruktur - manchmal sogar die phonetischen Strukturen - berücksichtigen; oft muss bei der Übersetzung von Power-Point-Präsentationen sogar das Gesamtbild des Ausgangstextes beachtet werden. Aber meistens enthält dieser „Entwurf von Möglichkeiten“ (Paepcke 1986: 56) hauptsächlich inhaltliche Anforderungen: Es gibt eine Serie von Segmenten im Ausgangstext, die durch ihre jeweilige Bedeutungseinheit definiert werden, und die Segmente müssen in einer losen Entsprechung in den Zieltext übertragen werden. In beiden Fällen ist die Kreativität des Übersetzers gefordert. Selbst in Übersetzungen, in denen es ‚nur‘ um den Inhalt geht, engen Kollokationsprobleme, Unterschiede im Register, fehlende Ausdrücke in der Zielsprache etc. die Handlungsmöglichkeiten des Übersetzers oft so stark ein, dass Lösungen nur durch kreative, oft unerwartete semantische Bezüge und syntaktische Strukturen zu schaffen sind. So legt die „Partitur“ des Ausgangstextes dem Übersetzer enge Ketten an. Sie fordert seine Kreativität dadurch heraus, dass sie seinen Handlungsfreiraum sehr einengt und dennoch genau definierte Ergebnisse im Zieltext verlangt. Viele heranwachsende Übersetzer empfinden diese „Partitur“ des Ausgangtextes tatsächlich als enge, schwere Ketten. In meiner Erfahrung als Lehrkraft ist es keine Seltenheit, dass Studierende manchmal sogar den Versuch verweigern, den Ausgangstext zu verstehen, ehe sie ihn übersetzen, da sie die damit verbundene Belastung und Verantwortung vermeiden möchten. Erst wenn ihre Noten beweisen, dass eine solche „Wort für Wort“-Übersetzung „an der Wirklichkeit der Sprache“ (Paepcke 1986: 57) zerbricht, fangen sie an, sich ernsthaft mit dem Ausgangstext auseinanderzusetzen, um ihn zu verstehen. Aber oft ist es so, dass sie erst wirklich verstehen, warum sie im Vorfeld diesen Verstehensprozess intuitiv umgehen wollten, nachdem sie den Ausgangstext verstanden haben: Die <?page no="342"?> 342 John Wrae Stanley aus dem Verständnis resultierende Partitur belastet sie so sehr psychologisch, dass konstruktives, kreatives Handeln kaum noch möglich ist. Nachdem sie die Übersetzung angefertigt haben, nehmen sie wohl wahr, dass ihr Zieltext syntaktisch so sehr dem Ausgangstext ähnelt, dass er nicht verständlich ist. Ebenfalls gibt es oft erhebliche Probleme mit der Terminologie, meistens weil die semantischen Bezüge im Zieltext inadäquat sind. Wenn dann auch Probleme mit zu übersetzenden Metaphern aufkommen, ist die Kapitulation abzusehen. Es gibt aber eine Methode, die ich durch die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Sprachspiels entwickelt habe, die gerade dann eine große Hilfe und Entlastung zu bieten scheint, wenn die Studierenden mit Metaphern zu kämpfen haben. 4 Metaphern und der methodische Zugang zu den „Sprachspielen“ Auch wenn Nietzsche Recht mit seiner Behauptung haben mag, dass die Sprache ihrem Wesen nach metaphorisch ist, 7 lässt sich der ‚normale‘ Sprachgebrauch vom Gebrauch von Metaphern unterscheiden. Mit ‚Metapher‘ ist hier die Anwendung eines Wortes (und des damit bezeichneten Begriffs) als Bezeichnung für einen Gegenstand oder Sachverhalt gemeint, der eigentlich außerhalb des denotativen Intensionsbereiches des Wortes liegt. Oft wird vom ‚bildlichen Ausdruck‘ gesprochen. Das heißt, dass eine Reihe von Eigenschaften in einer festgelegten, oft leicht veranschaulichenden Struktur auf einen fremden Sachverhalt übertragen wird. Diese Übertragung ermöglicht einen Vergleich zwischen dem Bedeutungszusammenhang, der mit dem eigentlichen Gebrauch normalerweise gemeint ist, und dem fremden, ‚uneigentlichen‘ Bedeutungszusammenhang. Mit ‚bildlich‘ ist gemeint, dass oft ein konkreter, greifbarer Bedeutungszusammenhang auf einen abstrakten Sachverhalt übertragen wird. Die Übertragung fördert den Verstehensprozess dadurch, dass der Vergleich zwischen dem bekannten, leicht greifbaren Bedeutungsgefüge und dem schwer erfassbaren Gedankenkomplex die Struktur und die inneren Zusammenhänge der letzteren verdeutlicht. Natürlich werden meinen Studierenden keine „Ketten“ angelegt, wenn sie die Aufgabe bekommen, einen schweren Text zu übersetzen. Dennoch verstehen wir mittels der Metapher, dass sie das Gefühl haben, sehr in ihrer geistigen Bewegungsfreiheit eingeengt zu werden und deswegen dazu tendieren, leicht deprimiert zu werden. Ebenfalls ist der Ausgangstext keine „Partitur“, aber die Metapher hilft bei der Veranschaulichung des recht 7 Siehe seine Ausführungen über dieses Thema in „Über Wahrheit und Lüge in außermoralischem Sinne“ (Nietzsche 2005). <?page no="343"?> „Tanzen ohne Ketten“ 343 abstrakten Verhältnisses zwischen den Anforderungen, die der Ausgangstext an den Übersetzer stellt, und der Anfertigung des Zieltextes. Die Übersetzung von Metaphern bedeutet oft eine große Herausforderung. Wie Humboldt deutlich machte, hat jede Sprache ihre eigene „Weltansicht“ (Humboldt 1930: 20) und diese ist nicht immer mit den Weltansichten von anderen Sprachen vergleichbar. Nicht nur sind die Begrifflichkeiten und entsprechenden semantischen Bezüge oft divergent, sondern es sind in vielen Fällen auch die syntaktischen Strukturen und Kollokationen nur der einen Sprache eigen. Innerhalb der gleichen Weltansicht einer Sprache mag die Übertragung eines bildlichen Ausdrucks auf einen fremden Sachverhalt möglich sein, da die Sprachstrukturen, Kollokationen und semantischen Bezüge dies zulassen. Aber eine entsprechende Übertragung eines ähnlichen bildlichen Ausdrucks auf einen fremden Sachverhalt in einer anderen Sprache mit ihrer - doch etwas anderen - Weltansicht funktioniert des Öfteren nicht. Die Übersetzung ist erwartungsgemäß schwierig. Sie wird durch zweierlei erschwert: 1) Sie setzt sehr detaillierte und sehr umfassende Kenntnisse der Zielsprache und der Zielweltansicht voraus; 2) es gibt recht wenig Hilfsmittel wie z. B. Nachschlagewerke, die sich für diese Aufgabe eignen. Denn meistens werden hauptsächlich die eigentlichen Bedeutungen in Nachschlagewerken angegeben und nur die geläufigsten metaphorischen Anwendungen werden behandelt. Wenn ein unerfahrener Übersetzer versucht, eine Metapher nachzuschlagen, führt das meistens zu Misserfolg und Frustration. Meistens verharren die Studierenden bei einer einzigen Methode: Nachdem sie die eigentliche Bedeutung der einzelnen Wörter im Ausgangstext eruiert haben, bleibt es dabei, eine Übersetzung dieses Wortes mit dieser - eigentlichen - Bedeutung zu finden. Wenn die Übersetzung nicht funktioniert, kehren die Studierenden zurück zu den ihnen vertrauten Hilfsmitteln und versuchen, die gleiche Suchmethode anzuwenden, dieses Mal mit einem etwas erweiterten Suchfeld. Die Methode bringt selten Erfolg, aber sie wird mit wachsender Verbissenheit bis zur geistigen Kapitulation verfolgt. Der Frustration muss spielerisch begegnet werden. Der erste Schritt besteht darin, ihre eigene geistige und psychologische Verfassung zu entspannen; der Zustand, den sie erreichen sollen, soll in etwa der eines kantischen „Subjekts“ bei der Betrachtung eines schönen Kunstwerkes entsprechen. Aber das langfristige Ziel ist es, sie dazu zu leiten, als ‚Mitspieler‘ an den Sprachspielen, in denen die betreffenden Metaphern vorkommen, aktiv teilzunehmen. Als Erstes bitte ich sie darum, die Wörterbücher zu schließen und die digitalen Geräte mit den Suchmaschinen auszuschalten. Sie müssen im Gespräch erstmal dazu geleitet werden zu überlegen, wie die Wörter gebraucht werden. Nachdem sie erkannt haben, dass sie als Metapher benutzt werden, kann angefangen werden, die <?page no="344"?> 344 John Wrae Stanley Bedeutung in dem konkreten Zusammenhang festzustellen. Dabei müssen sie sich von der eigentlichen Zielsetzung befreien: Wie man das Wort übersetzen wird, ist erstmal irrelevant. Erstmal muss festgestellt werden, wie die Metapher in diesem Fall funktioniert. Dabei ist es äußerst wichtig, ihren ‚Erkenntniskräften‘, aber auch ihren Gefühlen, Sinneswahrnehmungen und ihrer Phantasie (Einbildungskraft) freien Lauf zu gestatten. Was bezweckte der Autor mit dieser Metapher? Möchte sie etwas verkaufen? Will sie vielleicht den Leser von etwas überzeugen? Warum will sie diese Gefühle im Spiel haben? Wie beeinflusst das Bedeutungsgefüge der Metapher unser Verständnis von dem ‚fremden Sachverhalt‘, den sie veranschaulichen soll? Mit dieser Reihe von Fragen haben wir schon längst das kantische Gebiet verlassen und sind im Bereich des Sprachspiels. Die Verbissenheit ist meistens weitgehend verschwunden. Durch das Hin und Her des Gesprächs wird ein Spielraum geschaffen, der die Kreativität fördert. Nun können wir anfangen, uns mit der Vielfalt von Sprachspielen auseinanderzusetzen, die sich auf dieses Wort und seine ‚eigentliche‘ Bedeutung beziehen. Welche Übertragungen sind in der Ausgangssprache üblich, welche sind möglich? Die Verspieltheit des Gesprächs ermöglicht es, eine Reihe von semantischen und syntaktischen Beispielen aus dem vorhandenen, kollektiven Gedächtnis der Gruppe zu schöpfen. Das Ordnungsgefüge der Sprachspiele, das dem Gebrauch von Metaphern zugrunde liegt, liegt latent im Gedächtnis der Gesellschaft. Die Studierenden hatten eigentlich schon immer einen Zugang dazu, aber sie haben den Weg dazu unzugänglich gemacht, indem sie sich mit der eigentlichen Bedeutung des Wortes und mit diversen Hilfsmitteln beschäftigen. Es wird nicht explizit angesprochen, aber der Übergang zum Übersetzungsprozess folgt einer Anregung von Wittgenstein. Bei der Übersetzung von Metaphern ist es vielversprechend, seinen Begriff von „Familienverwandtschaften“ einzusetzen. Ganz konkret folgen wir seiner Devise: „denk nicht, sondern schau! “ (Wittgenstein 1984: 277/ § 66) Das ‚Schauen‘ wird hier dadurch verwirklicht, indem wir „Sprachspiele“ in der Zielsprache hervorrufen, die möglicherweise der Metapher in der Ausgangssprache entsprechen. Die Studierenden werden aufgefordert, im Stil von ‚Brainstorming‘ Beispiele aus der Zielsprache zu nennen, wo Sprüche oder Metaphern, die einen ähnlichen Bedeutungskomplex aufzuweisen scheinen, gebraucht werden. In diesem - meistens recht chaotischen - Prozess benutzen wir die Bedeutung oder die Bedeutungen, die wir hinsichtlich der Metapher in dem Ausgangstext festgestellt haben, als Partitur oder „Entwurf von Möglichkeiten“ (Paepcke 1986: 56). Erst nachdem wir meinen, adäquate Übersetzungen mithilfe unseres vorhandenen Verständnisses der Zielsprache gefunden zu haben, schalten wir die digitalen Geräte an und kontrollieren unsere Übersetzungen via Vergleiche mit Paralleltexten. <?page no="345"?> „Tanzen ohne Ketten“ 345 Hier nur ein Beispiel: In meinem Kurs „Übersetzen allgemeiner, schwieriger Texte“ vom Sommersemester 2016 haben wir einen Text übersetzt, der diesen Satz enthielt: „Nun ziehen Samsung und LG offenbar die Reißleine“. 8 Probleme bereitete den Studierenden das Wort „Reißleine“, das offensichtlich als Metapher benutzt wurde. Viele Studierende haben diesen Satz in dem Zieltext ausgelassen; andere versuchten, das Englische „ripcord“ als Übersetzung zu benutzen. Erst nachdem sie sich ausführlich über die Bedeutung der Metapher „die Reißleine ziehen“ in allen möglichen Varianten in der deutschen Sprache unterhalten haben, kamen sie auf die Bedeutung, die die Metapher hier hat: Ein Unterfangen beenden, da es für das Unternehmen nicht rentabel ist und langfristig sogar eine Gefährdung bedeuten könnte. Diese Bedeutung ist nicht eine der Konnotationen, die man mit „parachuting“ oder „pulling the ripcord“ assoziiert. Unsere Suche nach verwandten Metaphern und Sprachspielen auf Englisch brachte uns letztlich auf die Metapher „to throw in the towel“ - eine Metapher aus einem völlig anderen Bereich (Boxing), aber mit der passenden Bedeutung. 5 Abschließende Bemerkungen Die eben dargestellte Methode ist ein Arbeitsabschnitt in einer längeren Methode, die eine hermeneutische Vorgehensweise verkörpert und in dem Aufsatz “Verstehend Übersetzen: Hermeneutical Methods, the Pragmatics of Translation and Specialized Texts” (Stanley 2017 i. V.) präsentiert wird. Die Darstellung dieses Methodenausschnittes ist für unsere Zwecke deshalb wichtig, weil sie zeigt, wie man die ontologische Neuorientierung Gadamers in die Praxis umsetzen kann. Der Versuch, das „Sprachspiel“ als das neue „ Subjektum “ anzusehen, bedeutet in diesem Fall methodologisch, dass die Studierenden sich aus ihren isolierten, selbstbezogenen Erfahrungshorizonten hinausbewegen und zumindest zeitweise aufhören, gesicherte Übersetzungsmöglichkeiten von anerkannten Quellen wie Lexika und Nachschlagewerken zu suchen. Stattdessen „verstreuen“ sie sich in ihr aktuelles, sprachliches Umfeld und nehmen aktiv an - zwar künstlich produzierten - Sprachspielen teil, die den aktuellen, in der Wirklichkeit existierenden ähneln. Der spielerische Umgang mit den Sprachen - mit der Ausgangsprache und mit der Zielsprache - fördert die Kreativität. Die Studierenden gewinnen auch Selbstvertrauen, denn sie stellen fest, dass jeder - zwar in unterschiedlichen Maßen - an dem gadamerschen „ Subjektum “ des Sprachspiels teilhat, und das ist eigentlich das Tragende im Übersetzungsprozess. 8 Der Satz ist aus dem Artikel „3D-Fernseher gescheitert: LG und Samsung geben auf “. In: http: / / www.chip.de/ news/ LG-und-Samsung-geben-auf-Dieser-Zukunftstrend-ist-gescheitert_89 466 805.html (zuletzt besucht am 14. 6. 2016). <?page no="346"?> 346 John Wrae Stanley Bibliographie Cercel, Larisa (2013): Übersetzungshermeneutik. Historische und systematische Grundlegung (= Hermeneutik und Kreativität , Bd. 1). St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag. Gadamer, Hans-Georg (1960/ 6 1990): Wahrheit und Methode . Tübingen: Mohr Siebeck. Huizinga, Johan ( 21 2009): Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel . Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Humboldt, Wilhelm v. (1930): Über das vergleichende Sprachstudium . Leipzig: Felix Meiner. Husserl, Edmund (1969/ 2 1977): Cartesianische Meditationen . Hamburg: Felix Meiner. Kant, Immanuel ( 6 1924): Kritik der Urteilskraft . Hrsg. von Karl Vorländer. Hamburg: Felix Meiner. Kany, Roland (2007): Augustins Trinitätsdenken: Bilanz, Kritik und Weiterführung der modernen Forschung zu „De trinitate“ . Tübingen: Mohr Siebeck. Paepcke, Fritz (1986): Im Übersetzen leben: Übersetzen und Textvergleich . Hrsg. von Klaus Berger und Hans-Michael Speier. Tübingen: Gunter Narr. Nietzsche, Friedrich (2005): „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“. In: Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden . Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 7. Berlin: de Gruyter, 873-890. Snell-Hornby, Mary (2006): The Turns of Translation Studies . Amsterdam / Philadelphia: John Benjamins. Stanley, John (2005): Die gebrochene Tradition: Zur Genese der philosophischen Hermeneutik Hans-Georg Gadamers . Würzburg: Königshausen & Neumann. Stanley, John (2011a): „Translational Hermeneutics and the Notion of Language Games. A New Paradigm for Synthesizing the Pragmatic and Cultural Turns in Translation Studies? “ In: Schmitt, Peter A. / Herold, Susann / Weilandt, Annette (Hrsg): Translationsforschung. Tagungsberichte der LICTRA 2010 . Bd. 2. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 815-827. Stanley, John (2011b): „Das Dilemma der Subjektivität in der Hermeneutik“. In: Cercel, Larisa / Stanley, John (Hrsg): Unterwegs zu einer hermeneutischen Übersetzungswissenschaft. Festschrift für Radegundis Stolze zu ihrem 60. Geburtstag . Tübingen: Gunter Narr, 246-273. Stanley, John (2017 i. V.): „Verstehend Übersetzen: Hermeneutical Methods, the Pragmatics of Translation and Specialized Texts”. In: Translational Hermeneutics. Philosophy and Practice . Bukarest: Zetabooks. Stolze, Radegundis (2003): Hermeneutik und Translation . Tübingen: Gunter Narr. Stolze, Radegundis (2015): Hermeneutische Übersetzungskompetenz . Berlin: Frank & Timme. Wittgenstein, Ludwig (1984): Philosophische Untersuchungen . Frankfurt a. M.: Suhrkamp. <?page no="347"?> III. Angewandte Sprachwissenschaft und Übersetzungspraxis <?page no="349"?> Kreativität in Translation und Translationswissenschaft: Zwei Fallbeispiele und ein Vorschlag Michael Schreiber (Mainz-Germersheim) Abstract: This paper focuses on the notion of creativity in translation and translation studies. Two case studies are discussed: Paul Kußmaul’s notion of creative translation (cf. Kußmaul 1991 and 2000) and the emerging concept of transcreation , which is mostly applied to texts in the field of marketing (cf. Sattler-Hovdar 2016). It is shown that the two authors in question base their argumentation on completely different premises. While Kußmaul, a translation scholar, sees creativity as an inherent feature of the translation process, Sattler-Hovdar, a practitioner, excludes ‘translation’ from the domain of creative rewriting. While for Kußmaul, a creative translation is necessary in the case of structural differences between the source and the target language, Sattler-Hovdar focuses on the role of the text types involved. At the end of the paper, a proposal for the formulation of a new premise is formulated, based on the lack of a standard solution for a specific translation problem. Keywords: Creativity, creative translation, obligatory shifts, transcreation, marketing texts. 1 Einleitung In meinem Beitrag möchte ich den Begriff der übersetzerischen Kreativität, wie er in Translationswissenschaft und Übersetzungspraxis verwendet wird, kritisch unter die Lupe nehmen. Meine Ausführungen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, 1 sondern beschränken sich auf zwei Fallbeispiele, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen und mit unterschiedlichen Kreativitätsbegriffen arbeiten: Paul Kußmauls Konzept des kreativen Übersetzens (Kußmaul 2000) sowie den Begriff der Transkreation (von engl. transcreation ), der in jüngster Zeit vor allem für die Produktion bestimmter Textsorten (z. B. im 1 Zu einem Forschungsbericht vgl. O’Sullivan (2013). <?page no="350"?> 350 Michael Schreiber Bereich der Werbung) verwendet wird (vgl. Sattler-Hovdar 2016). Diese beiden Fallbeispiele wurden ausgewählt, da sie auf völlig unterschiedlichen Konzepten translatorischer Kreativität beruhen. Am Schluss werde ich die Unterschiede beider Ansätze zusammenfassen und einen eigenen Vorschlag präsentieren. 2 Kreatives Übersetzen (Kußmaul) Nachdem Paul Kußmaul bereits 1991 einen ersten Aufsatz zur empirischen Untersuchung übersetzerischer Kreativität vorgelegt hatte, veröffentlichte er im Jahr 2000 mit der Publikation Kreatives Übersetzen die meines Wissens erste Monographie zu dieser Thematik. Das Werk wurde überwiegend positiv aufgenommen (vgl. z. B. Bräsel 2002; Kautz 2002; Kiraly 2003) und entwickelte sich bald zu einem Standardwerk. 2 Wie bereits in Kußmaul (1991) geht Kußmaul in seiner Monographie übersetzerischen Prozessen, die er als kreativ einstuft, empirisch mit der Methode des so genannten ‚lauten Denkens‘ nach, genauer gesagt mit „Dialogprotokollen“ (Kußmaul 2000: 56). Dabei übersetzen zwei fortgeschrittene Studierende gemeinsam einen Text und verbalisieren ihre Überlegungen zu den aufgetretenen Übersetzungsproblemen und deren Lösungen. Kußmauls Untersuchungsmethode soll uns allerdings im Folgenden nicht näher beschäftigen, sondern vor allem sein Begriff der (übersetzerischen) Kreativität. Bereits im Vorwort betont Kußmaul, dass kreatives Übersetzen nach seinem Verständnis keinesfalls einen exotischen Sonderfall darstellt, sondern dem Übersetzungsprozess inhärent ist: 3 „In Kreatives Übersetzen […] werden Denkprozesse beschrieben, die zu professionellem Übersetzen führen, und zwar dann, wenn es um Problemlösen geht, und dies funktioniert nicht ohne Kreativität“ (Kußmaul 2000: 7). In der Einleitung bekräftigt Kußmaul nochmals die zentrale Bedeutung der Kreativität für das Übersetzen: Das Gesamtziel meines Buches besteht darin, uns allen bewußt zu machen, daß Übersetzen eine höchst kreative Tätigkeit ist und daß sich kreatives Übersetzen erforschen und beschreiben und damit ins Licht des Bewußtseins rücken läßt. (Kußmaul 2000: 16) Für seine Konzeption des Kreativitätsbegriffs stützt sich Kußmaul auf verschiedene Vorarbeiten zur Kreativitätsforschung, insbesondere im Rahmen der Kognitionswissenschaft. Dass es bei der Kreativität um Schaffung von etwas 2 Im Jahr 2007 erschien ein unveränderter Nachdruck der Monographie. 3 Vom „kreativen Akt des Übersetzens“ sprechen auch Gil und Kirstein (2015: 7). <?page no="351"?> Kreativität in Translation und Translationswissenschaft 351 Neuem geht, setzt er voraus. In der Kreativitätsforschung werde jedoch nicht jede Neuigkeit als kreativ angesehen, sondern nur solche Innovationen, die in einer bestimmten Kultur als angemessen gelten und daher akzeptiert werden: In der Kreativitätsforschung wird daher bezüglich der kreativen Leistung außer der Neuigkeit auch das Merkmal der Angemessenheit (im Sinne einer Übereinstimmung mit bestimmten Vorgaben und Maßstäben) und der Akzeptanz (im Sinne einer Übereinstimmung mit bestimmten Erwartungen, Werten und Einstellungen einer Gruppe) hervorgehoben. (Kußmaul 2000: 17) Ich halte es für problematisch, Kreativität schon von vornherein an Vorgaben und Erwartungen zu binden und daher grundsätzlich von der Rezeption abhängig zu machen. Im Bereich der Kunst, den Kußmaul selbst als Beispiel anführt, gibt es genügend Beispiele für Künstler, die zu Lebzeiten zunächst „verkannt“ waren und erst später Anerkennung fanden. Sind ihre Werke also erst durch ihre Anerkennung „kreativ“ geworden, oder waren sie das nicht schon vorher? In seiner Definition der kreativen Übersetzung relativiert Kußmaul den Aspekt der Angemessenheit ebenso wie den der Neuigkeit, da beide seines Erachtens graduierbare Begriffe sind (vgl. Kußmaul 2000: 28). Er bringt aber einen anderen Aspekt ins Spiel, der ebenfalls nicht unproblematisch ist, den der „obligatorischen Veränderung“: Eine kreative Übersetzung entsteht aufgrund einer obligatorischen Veränderung des Ausgangstexts, und sie stellt etwas mehr oder weniger Neues dar, das zu einer bestimmten Zeit und in einer (Sub-)Kultur von Experten (= von Vertretern eines Paradigmas) im Hinblick auf eine bestimmten Verwendungszweck als mehr oder weniger angemessen akzeptiert wird . (Kußmaul 2000: 31; kursiv im Original) Kautz stellt in seiner Rezension den Faktor der „obligatorischen Veränderung“ in Frage: „Can the more or less obligatory changes made by the translator because of differences between the systems of the two languages really be ‚creative‘? “ (Kautz 2002: 380). Es liegt auf der Hand, dass das Vorliegen einer Inkongruenz zwischen Ausgangs- und Zielsprache kein hinreichendes Kriterium für die Entstehung einer kreativen Übersetzung sein kann. Hierzu ein relativ banales Beispiel: Die italienische Sprache verfügt bekanntlich nicht über ein Indefinitpronomen für nicht näher bestimmte Personen, wie dt. man oder fr. on . Stattdessen kann man im Italienischen (ähnlich wie z. B. auch im Spanischen) eine Reflexivkonstruktion verwenden (vgl. Albrecht 1997), wobei das Indefinitpronomen man dem Reflexivpronomen si entspricht, z. B. im folgenden Beispiel für ein so genanntes si passivante : <?page no="352"?> 352 Michael Schreiber In Italia si parlano molti dialetti. In Italien spricht man viele Dialekte. (Reumuth / Winkelmann 2 1990: 230) An der pluralischen Verbform im Italienischen kann man erkennen, dass es sich bei dieser Reflexivkonstruktion syntaktisch um eine andere Struktur handelt als im Deutschen. Eine strukturgleiche Übersetzung wäre in diesem Fall ungrammatisch (*In Italien sprechen sich viele Dialekte), d. h. der Strukturwechsel ist obligatorisch. Dennoch wird man bei dem oben zitierten Beispiel kaum von einer kreativen Übersetzung sprechen können, denn Reflexivkonstruktionen diesen Typs zählen zu den klassischen Themen des Italienischunterrichts für deutsche Lernende, ebenso wie die Wiedergabe von si durch man (oder umgekehrt). Ein deutschsprachiger Übersetzer, der so vorgeht, wendet also Dinge an, die er im Grammatikunterricht gelernt hat. Für das Vorliegen einer kreativen Übersetzung fehlt also der Aspekt, dass die Übersetzung etwas „mehr oder weniger Neues dar[stellt]“, wie in Kußmauls oben zitierter Definition postuliert. Wenn also das Vorliegen einer „obligatorischen Veränderung“ keine hinreichende Bedingung für eine kreative Übersetzung ist, ist es dann eine notwendige Bedingung? Schauen wir uns auch dazu ein Beispiel an, dieses Mal aus dem Bereich der Lexik: In den 1960er Jahren hat man im Französischen den Terminus octet in die Informatik eingeführt, um eine Informationseinheit aus acht Zeichen zu benennen. Im Englischen wird diese Informationseinheit bekanntlich als byte bezeichnet, ein Fachausdruck, der ins Deutsche und zahlreiche andere (auch romanische) Sprachen entlehnt wurde. Der Rückgriff auf den Terminus octet im Französischen war also keineswegs das Ergebnis einer „obligatorischen Veränderung“. Im Vergleich zu der einfachen Übernahme des ausgangssprachlichen Terminus byte könnte man die Verwendung des Ausdrucks octet dennoch durchaus als kreativ bezeichnen, auch wenn sie dem Kriterium der „obligatorischen Veränderung“ nicht entspricht. 4 Entscheidend für das Vorliegen einer kreativen Übersetzung ist daher m. E. nicht die Frage, ob eine obligatorische Veränderung stattgefunden hat, sondern ob es bereits eine etablierte Standardentsprechung gab, denn wenn eine solche Entsprechung existiert, ist Kreativität nicht mehr vonnöten: Heute kann jeder Übersetzer, wenn nötig, die lexikalisierte Entsprechung byte - octet in einem zweisprachigen Wörterbuch nachschlagen. 4 Übrigens handelt es sich auch bei octet ursprünglich um eine Entlehnung aus dem Englischen (was Sprachpuristen nicht erfreuen wird): Nach Rey (1998, s. v. octet ) war der Ausdruck octet bereits in den 1920er Jahren in einer anderen Bedeutung („ensemble stable de huit électrons“) aus dem Englischen entlehnt worden. <?page no="353"?> Die von Kußmaul vorgeschlagene Definition erscheint also angreifbar, da das dort genannte Kriterium der „obligatorischen Veränderung“ weder hinreichend noch notwendig für das Vorliegen einer kreativen Übersetzung zu scheint. Zu Kußmauls ‚Ehrenrettung‘ sei jedoch betont, dass die Beispielanalysen, die er in seinem Buch zitiert (vgl. Kußmaul 2000: 150 ff.), aus meiner Sicht überzeugend sind und keinen Zweifel an der Tatsache aufkommen lassen, dass es kreatives Übersetzen gibt, auch wenn dieses definitorisch nicht immer leicht zu bestimmen ist. Als ein Beispiel unter vielen sei hier die Übersetzung der Personennamen in den englischen und deutschen Übersetzungen der Astérix-Comics genannt. Hierzu ein Zitat, in dem es um holistisches Übersetzen der Namen anhand eines übergreifenden Szenarios geht: Die Verknüpfung über ein Gesamtszenario wird vielleicht noch deutlicher bei den Namen für den Fischhändler der Asterix-Serien. Im französischen Original heißt er Odralfabétix . Sein Name ist von frz. ordre alphabétique abgeleitet und bezieht sich wohl darauf, daß er seine Fische immer in Reihen ordnet. Sein englischer Name, Unhygienix , ist eine Anspielung auf den stinkenden Fisch, den er verkauft. Sein deutscher Name Verleihnix läßt sich interpretieren als Anspielung auf seine Geschäftstüchtigkeit. Die Zusammenhänge sind erst erkennbar, wenn man die Geschichten gelesen hat und die Figur kennt […]. (Kußmaul 2000: 170) Nach Kußmauls Darstellung liegt hier ein „Szenenwechsel“ vor, da die gleiche Person in den verschiedenen Fassungen jeweils in unterschiedlichen Szenen betrachtet wird. Die Notwendigkeit einer kreativen Übersetzung lässt sich im Übrigen auch strukturell begründen: Bei den Namen der Astérix-Figuren handelt es sich um Ad-hoc-Komposita, die nicht lexikalisiert sind und für die es daher per definitionem keine lexikalisierten Entsprechungen gibt (vgl. Weber 2016). Dies gilt allerdings nur für die Erstübersetzung des jeweiligen Namens. Bei allen weiteren Übersetzungen kann der Übersetzer auf die Erstübersetzung zurückgreifen, d. h. er muss dann nicht mehr kreativ werden. 3 Transkreation Der englische Ausdruck transcreation - eine Kontamination aus translation und creation - wird seit einigen Jahren vor allem für Übersetzungen und kreative Neuschöpfungen von Werbetexten und Internetauftritten verwendet. Hierzu eine Definition aus dem Jahr 2014: When a text is transcreated, both verbal and non-verbal content such as design and imagery are taken account of and adapted linguistically and culturally to the target audience. Transcreation is used primarily for marketing material, brochures and Kreativität in Translation und Translationswissenschaft 353 <?page no="354"?> 354 Michael Schreiber websites. The concept of transcreation borders on localization, which means adapting a text to a particular audience or local market, but localization is mainly used for software, manuals, user instructions, etc., and is not associated with the idea of creativity in the way that transcreation is. (Rike 2014: 8) Nach dem Vorbild von engl. transcreation spricht man inzwischen auch im Deutschen von Transkreation . Eine erste, praktisch ausgerichtete Monographie zu dieser Thematik hat Nina Sattler-Hovdar 2016 im Fachverlag des BDÜ veröffentlicht. Die Verfasserin schlägt die folgende Definition vor: Meiner persönlichen Definition zufolge ist Transkreation immer dann erforderlich, wenn der übertragene Text für das Image (und dadurch mittelbar oder unmittelbar für den Umsatz) des Auftraggebers wichtig ist. Transkreation betrifft also Texte, die „in das Markenkonto einzahlen“, wie die Profis sagen. Gemeint sind damit Texte, die das Image einer Marke wesentlich fördern (bzw. bei Nichterfüllung nachhaltig schädigen) können. (Sattler-Hovdar 2016: 20) Von zentraler Bedeutung ist also hier die Zugehörigkeit zu bestimmten Textsorten. Sattler-Hovdar gibt dazu die folgende, nicht exhaustive Liste von Textsorten, die sie dem Oberbegriff Marketingtexte zuordnet: - Pressemitteilungen zu neuen Produkt-/ Serviceangeboten - Unternehmensbroschüren - Kundenzeitschriften - Internetauftritte / Webseiten - Fest-, Jubiläumsschriften - Kommunikation von Unternehmen in sozialen Medien - Werbebriefe / Mailings - Interne Kommunikation / Newsletter für Mitarbeiter - Zeitschriftenbeiträge - Stellenanzeigen, Lebensläufe - Marketingteile in Sach-/ Fachtexten - Produktkataloge (außer reine Teilelisten) - Plakate, Poster - Vorträge, Reden - … (Sattler-Hovdar 2016: 21) Der Begriff der Transkreation wird im Folgenden dem Übersetzen gegenübergestellt. Textsorten, die einem herkömmlichen Übersetzungsprozess unterliegen, sind nach Sattler-Hovdar (2016: 23) z. B. juristische und technische Fachtexte. Auf dem Markt habe der Begriff der Übersetzung inzwischen häufig eine negative Konnotation: <?page no="355"?> Die Formulierung „mein Vorschlag für die deutsche Fassung“ ist bewusst gewählt. Sie bringt zum Ausdruck, dass ich nicht bloß „übersetzt“ habe, so wie „Übersetzen“ meist verstanden wird, nämlich als mehr oder weniger roboterhafte Reproduktion des vorgegebenen Textes. „Übersetzung“ hat in vielen Kreisen einen mittlerweile so niedrigen Stellenwert erlangt, dass ich es aufgegeben habe, darüber aufzuklären. (Sattler-Hovdar 2016: 126) Gegenüber dem vorwiegend reproduktiven Übersetzen sei bei der Transkreation ein zusätzlicher Aufwand zu erbringen, was sich auch im Honorar niederschlagen müsse: Am besten veranschaulichen Sie dies [dem Auftraggeber], im dem Sie erklären, dass Transkreation einen zweifachen Aufwand darstellt, nämlich zum einen die Arbeit des Übersetzers und zum zweiten zusätzlich noch die Arbeit eines Texters. Dies schlägt sich auch in den Kosten nieder - es muss der Aufwand des Übersetzens und der Aufwand des Textens - bzw. des kreativen (Nach-)Schöpfungsprozesses - berücksichtigt werden. (Sattler-Hovdar 2016: 25; Hervorhebungen im Original) Im Unterschied zu Kußmauls Begriff des kreativen Übersetzens werden hier also die kreativen Anteile aus dem Übersetzungsbegriff quasi herausgefiltert und dem neu gebildeten Konzept der Transkreation zugeschlagen. Diese Einengung des Übersetzungsbegriffs ist nicht zuletzt auch betriebswirtschaftlich bedingt. Deutlich wird dies besonders in dem folgenden Zitat, das sich auf die Arbeit mit Werbeagenturen bezieht: Eine Ausnahme stellen Fälle dar, in denen die Agentur tatsächlich „nur“ eine Übersetzung haben möchte, die von den eigenen Kreativen weiter bearbeitet wird. Klären Sie also unbedingt im Vorfeld, ob die Agentur eine fertige Copy benötigt (Zeitaufwandshonorar) oder eine nah am Original gehaltene Übersetzung zur Weiterbearbeitung durch ihre eigenen Kreativen (normales Übersetzungshonorar). In letzterem Fall ist es nicht notwendig, sich über clevere Wortspiele, kulturelle Anspielungen oder besondere Realien den Kopf zu zerbrechen, sondern man erklärt ganz einfach, worin das Wortspiel, die Anspielung oder die kulturelle Besonderheit besteht. (Sattler-Hovdar 2016: 36) Am anderen Ende der Skala grenzt Sattler-Hovdar (2016: 42) die Transkreation von der Neukonzeption ab, z. B. im Rahmen einer neu konzipierten Werbekampagne. Als Beispiel für Neukonzeptionen nennt sie neu formulierte Slogans ohne erkennbaren Bezug zum ausgangssprachlichen Slogan, wie in den folgenden Beispielen: - American Express: Don’t leave home with it. Deutsch: Bezahlen Sie einfach mit Ihrem guten Namen. - BMW : Freude am Fahren. Englisch: The ultimate driving machine. Kreativität in Translation und Translationswissenschaft 355 <?page no="356"?> 356 Michael Schreiber - Audi: Vorsprung durch Technik. Englisch: Truth in Engineering. (Sattler-Hovdar 2016: 101) Hinzufügen könnte man, dass die Zuordnung zur Textsorte „Slogan“ keineswegs immer zu einer Neukonzeption oder einer Transkreation führt, da Slogans zuweilen ganz unübersetzt bleiben. In den 1990er Jahren warb Microsoft z. B. weltweit mit dem englischen Slogan: Where do you want to go today? 5 Des Weiteren präsentiert Sattler-Hovdar einige Textbeispiele für „Transkreationen“. Bei einer Transkreation ist im Unterschied zur Neukonzeption der Bezug zum Ausgangstext noch erkennbar, wenn auch nicht - wie in einer Übersetzung - alle Elemente des Ausgangstextes vollständig wiedergeben werden, wie in folgendem Beispiel aus einem Werbetext für eine neue Kaffeespezialität: A childhood favourite receives an epicurean twist as ice-cold raspberry swathes the rich taste of espresso in a celebration of flavour. Ein Kindheitstraum wird erwachsen: Gefrorene Himbeeren verleihen dem vielschichtigen Geschmack des Espresso eine erfrischend kühle, fruchtige Mitte. (Sattler-Hovdar 2016: 87) In dieser Transkreation seien „alle wichtigen Wörter sinngemäß erhalten geblieben“ und die „für deutsche Verhältnisse schwierig zu transponierenden Formulierungen (‚celebration of flavour‘, ‚epicurean‘) kulturell adaptiert bzw. neu getextet“ worden, da eine „wörtliche Übersetzung mehr geschadet als genutzt [hätte]“ (Sattler-Hovdar 2016: 87). Der Begriff der Übersetzung wird hier offenbar mit formaler Wörtlichkeit assoziiert (z. B. epicurean - epikureisch ). Ein Blick in ein zweisprachiges Wörterbuch zeigt jedoch bereits, dass der hier unübersetzt gebliebene englische Ausdruck epicurean nicht mit dem philosophischen Fachausdruck epikureisch im Deutschen gleichgesetzt werden kann, denn im PONS Großwörterbuch Englisch (2007, s. v. epicurean ) finden sich daneben auch Entsprechungen wie das Adjektiv superb oder Komposita mit Gourmet- oder Genuss- . Hier haben Lexikographen also bereits kreative Vorarbeit geleistet, auf der Übersetzer aufbauen können. 4 Schlussbemerkungen Die beiden oben referierten Fallbeispiele offenbaren einen sehr unterschiedlichen Umgang mit dem Begriff der Kreativität im Bereich der Translation. Unterschiede zeigen sich auf zwei Ebenen: 5 In Frankreich musste allerdings aufgrund der französischen Sprachgesetzgebung eine französische Übersetzung hinzugeführt werden: Jusqu’où irez-vous? (Guidère 2000: 139) <?page no="357"?> 1. In Bezug auf den Übersetzungsbegriff: Während Kreativität für Kußmaul (2000) ein inhärentes Merkmal des Übersetzungsprozesses ist, schließt Sattler- Hovdar (2016) alles Kreative aus dem Übersetzungsprozess aus und bezeichnet kreativ entstandene Zieltexte nicht als Übersetzungen, sondern als Transkreationen. Dieser Unterschied geht vor allem darauf zurück, dass Kußmaul die Thematik von einer translationswissenschaftlichen Perspektive aus angeht und Sattler-Hovdar eine berufspraktische Sichtweise einnimmt. Dies entspricht der generellen Tendenz, dass der Übersetzungsbegriff in der Wissenschaft stetig ausgeweitet wurde (vgl. z. B. den Begriff der kulturellen Übersetzung ), während er in der Praxis eingeengt und durch andere Ausdrücke (wie Lokalisierung oder Transkreation ) ersetzt wurde (vgl. Schreiber 2017). Wenn sich diese gegenläufigen Tendenzen fortsetzen, sehe ich die Gefahr gravierender Kommunikationsprobleme zwischen Translationswissenschaftlern und Praktikern. 2. In Bezug auf den Begriff der Kreativität: Während für Kußmaul (2000) die obligatorische Veränderung (z. B. aufgrund struktureller Unterschiede zwischen Ausgangs- und Zielsprache) eine notwendige Voraussetzung für das Entstehen einer kreativen Übersetzung ist, macht Sattler-Hovdar (2016) die Notwendigkeit zur Produktion einer „Transkreation“ von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Textsorten (Marketing-Texte) abhängig. Beide Kriterien greifen m. E. zu kurz, denn es gibt sowohl obligatorische Veränderungen, die keine Kreativität erfordern als auch Beispiele für Marketing-Texte, die nicht kreativ übertragen werden (z. B. unübersetzte Werbeslogans). Ich schlage daher vor, statt dessen das Vorliegen einer Standardentsprechung, eines konventionalisierten Übersetzungsverfahrens oder einer wieder verwendbaren Erstübersetzung als Kriterium ex negativo heranzuziehen: Wenn Nachschlagewerke (Wörterbucher, Grammatiken, Lehrwerke usw.) eine Standardentsprechung oder ein anwendbares Lösungsverfahren bereit stellen oder wenn eine brauchbare Erstübersetzung vorliegt (die ggf. bereits in einem Translation Memory gespeichert ist), muss der Übersetzer nicht kreativ werden. Die Notwendigkeit zur Kreativität ergibt sich also dann, wenn eine Lücke vorliegt, die in der anzufertigenden Übersetzung zum ersten Mal geschlossen werden muss, indem eine neue Lösung geschaffen wird. Taucht das gleiche Übersetzungsproblem in einem späteren Text erneut auf, kann der Übersetzer sich auf die Vorarbeiten von Übersetzern, Lexikographen oder Translationswissenschaftlern stützen und muss - bei entsprechender Qualität der Vorarbeiten - selbst nicht mehr kreativ werden. Kreativität in Translation und Translationswissenschaft 357 <?page no="358"?> 358 Michael Schreiber Bibliographie Albrecht, Jörn (1997): „Reflexivkonstruktionen in einigen romanischen und germanischen Sprachen“. In: Wotjak, Gerd (Hrsg.): Studien zum romanisch-deutschen und innerromanischen Sprachvergleich . Frankfurt a. M.: Lang, 453-468. Bräsel, Sylvia (2002): Rezension zu Kußmaul (2000). In: Informationen Deutsch als Fremdsprache 29, 215-218. Gil, Alberto / Kirstein, Robert (2015): „Vorwort“. In: Gil, Aberto / Kirstein, Robert (Hrsg.): Wissenstransfer und Translation. Zur Breite und Tiefe des Übersetzungsbegriffs . St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag, 7-13. 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Some Thoughts on a Philosophical Debate about Belief and Knowledge Erich Steiner (Saarbrücken) Abstract: Linguistic perspectives on textuality and translation have usually emphasized what is textually encoded rather than what must be supplied through inferencing in the reading of texts. While linguistics-based translation studies may thus have backgrounded the active role of speaker/ hearer to some extent, both micro-levels and macro-levels of textuality have been linked to an active interpreting role of a human producer and/ or addressee. None of these phenomena can be modelled on the basis of encoded meaning alone. Hermeneutic perspectives on translation have located translation between explicating and interpreting (Stolze 2003, Cercel 2013), they have discussed hermeneutics and creativity (Gil 2015), and specifically the intervention of the translator in the translation of literature (Venuti 1995). Their focus is on textual macro-structure and its interaction with cultural context, yet often combined with either an ad-hoc reliance on traditional rhetoric and stylistics, on modern textlinguistic methods, or, in the worst case with a neglect of detailed textual evidence. At the same time, non-technical notions of ‘translation’ are frequently used both in everyday discourse and in academic debates about ‘understanding’. A contribution to such culturally important debates is Habermas’ view that the often claimed conflict between Glauben und Wissen (Belief and Knowledge, Fides et Ratio) can be resolved by a process of translation between religious discours-es and (post-)secular discourses. The question here is whether the implied notion of ‘translation’ is more than a (albeit useful) metaphor of philosophical language use, and if so, whether linguistically-oriented translation studies can make a serious contribution to the debate. Keywords: Translation, understanding, belief and knowledge, religious and secular discourses. <?page no="360"?> 360 Erich Steiner 1 Understanding and Encoding in Linguistic Perspectives Most linguistic models, and particularly models with an impact on translation studies, have given some place to human interpretation and understanding beyond the mere de-coding of linguistically encoded structure. Even on the micro-structural level (resolution of co-reference , ambiguity , and focus ), interpretation beyond decoding is essential for understanding. Moving on to macro-level phenomena of textuality, notions such as script or frame have been evoked to explain how we see meaning in text. While linguistic models thus do have a place for human interpretation and understanding, the question is whether this place is prominent enough, and sufficiently theorized and specified, to make significant contributions to debates about translation and understanding in neighboring disciplines and in society at large. Linguistics has sometimes been caricatured as adopting a simplistic ‘transcoding perspective’, one within which structured chains of symbols from some source text would simply have to be transcoded into symbolic chains of the target text, pouring some ‘unchanged content’ from the source text into the target text (for critical characterizations cf. Koller (1997: 133 ff., 148 ff.); Matthiessen (2001: 41 ff.)). Even if this ever was the perspective of any linguist, it has always run counter to many linguistic models of language, textuality and translation. Linguistics has usually been fairly clear about the fact that meaning cannot simply be read-off from linguistic encoding. Even on a micro-level of text production and understanding, human interpretation is essential. Reference resolution, ambiguity resolution, focus assignment and focus interpretation are instances of this even within core linguistics (cf. Relevance Theory underlying Gutt 1991, or Systemic Functional Linguistics underlying Steiner and Yallop 2001). And on macro-levels of textuality, the context of situation (Halliday et al. 1964), scripts and frames (Schank and Abelson 1977, Minsky 1975) and the context of culture (Halliday and Hasan 1989) have their important roles to play (cf. Hatim and Mason 1991, House 1997/ 2 2015). Meaning arises out of the interaction between encoding and context under the interpreting presence of the human agent - at least in most but the most stubbornly structuralist models of the 1960s or the most statistics-based information-theoretic models of the present (cf. Danescu-Niculescu-Mizil et al. 2013; Niculae et al. 2015). 1.1 Micro-level Phenomena Human interpretation of the signals textually encoded in messages is an essential part of any process of creating coherence between a text, its contexts of situation and contexts of culture. Coherence does not reside in the text, it <?page no="361"?> The Role of Understanding 361 is created by authors and addressees of messages. The importance of linguistic encoding - texture - does not lie in fully specified meanings of a text-in-context, but rather in the quantity and quality of encoding cues provided, and in the efficiency with which the encoding allows interpretation. This has long been acknowledged in linguistics and in linguistically grounded translation studies. Key phenomena illustrating this even as micro-level phenomena are co-reference , ambiguity , and focus . Let me illustrate the processes involved with a short example (for a discussion cf. Steiner 2015): (1) And he answered them courteously that they should speak on, for he had not come so far and so wearily simply in order to turn back. Moreover he was charged by his father with a mission, which he might not reveal in that place. ‘It is known to us already,’ said the three damsels. (2) Und er erwiderte ihnen artig, daß sie weitersprechen sollten, denn er habe die Mühsal und Beschwerden des weiten Weges nicht auf sich genommen, um nun kehrtzumachen. Und zudem habe sein Vater ihn mit einer Aufgabe betraut, die er an diesem Ort zu enthüllen nicht gesonnen sei. ‚Dies ist uns bekannt’, sagten die drei Jungfrauen. (Byatt 1991: 152, translated by Melanie Walz 1994) In the English Example (1), there is substantial ambiguity about the intended antecedent of It . If the relative clause in the preceding sentence really is a non-restrictive one, as (wrongly? ) indicated by the comma, then the antecedent of It may be mission , but the relative clause may not even be (indirect) speech, but rather part of the narrative and not known to the damsels . If, however, the agent at this place in the narrative did explicitly talk about a mission which he might not reveal in that place (restrictive relative clause), then this complex entity is a plausible antecedent of It , yet not the one encoded in the German translation. The use of Dies [‘this’] in German translation (2) necessarily picks up an event (the whole of the previous sentence, or just possibly one of the clauses), rather than any entity, such as Aufgabe [‘mission’], which would have been referred to by a feminine pronoun die / sie . The German translation also unambiguously marks the entire preceding sentence as part of the indirect speech through the use of the Konjunktiv (Subjunctive) verb mood ( habe , sei ). And finally, the German rules out the possibility of the relative clause in the antecedent structure being a sentential (appositive) relative clause, because in that case it would have to be translated as was er … [‘which he …’]. So, very clearly, the English discourse in (1) tolerates more local co-referential ambiguity / vagueness than the German in (2). But any human translator must make decisions regarding these ambiguities, because not all of them can be mirrored in the same way in the target language German. And this is what the translator did, with very plausible results in this case. The translator’s encoding also leaves ambiguities and <?page no="362"?> 362 Erich Steiner thus space for interpretation for the reader - inevitably. This active role of the human author and addressee - and the translator is in both roles - has usually been acknowledged by linguists. But there is also interpretative work to be done as far as the phenomenon of focus is concerned: The marked German sequence zu enthüllen nicht gesonnen [‘not disposed to reveal’] weakly suggests the word gesonnen (‘disposed’) as an antecedent, an encoding link absent from the English version. The translator here decided - whether consciously or not - to use a marked structure in German. This could function as an encoding helping to reduce ambiguity once more, or else it might simply have come in as a registerial / stylistic device indicating a literary narrative texts. In any case, we have here an encoding decision by the translator and a resulting textual cue for interpretation for the final reader. Doherty (2002: 160 ff.) maintains that processing ease in identifying focus structures and resolving ambiguities emerges as the dominating aspect for deciding on “good” translations, together with general ease of parsing. These parametrized processing conditions explain the data we actually find in (good) English-German translations. So, even for local micro-level phenomena, such as co-reference resolution, ambiguity, and focus assignment, linguistics-based approaches attempt to show how specific the textual cues are which the translator and / or final addressee of a text are receiving through the encoding in the text. Linguistics does not claim that the process of interpretation and then translation are simply a trans-coding process without human interpretative intervention. 1.2 Macro-level Phenomena “Macro-level phenomena” refers to interactions between texts, their contexts of situation and their context of culture. Both of these contexts are essential for constraining the numerous readings that could be made consistent with the necessarily underspecified structure of texts (cf. Halliday and Hasan 1989). In the examples following below, I shall use the notion of a “script”, being evoked as a cultural context for constraining and fully specifying the meaning of a text. Example Script “Restaurant”: 1 Saturday night, we were a bit undecided about what we should do. But, as we were starting to get hungry around 8, we decided to go and visit our favourite Thai restaurant. That night, though, they didn’t sell the right kind of wall paper, so we left the place pretty dissatisfied. 1 For the original version of this script cf. Schank and Abelson (1977). <?page no="363"?> The Role of Understanding 363 The text above is grammatically correct and is also fully cohesive in the sense of Halliday / Hasan (1976). And yet, there is something unusual about it: informally, this is the fact that you do not expect to buy wall paper in a restaurant and therefore you would not be disappointed not to find it there. This kind of world knowledge or background knowledge is sometimes modelled as a script. A script is a structured and standardized set of participants, events, localities and logico-semantic coherence relations, such as cause and effect, which people supposedly bring to bear on the task of interpretation and production of texts. The restaurant-script, for example, which would be brought to bear on the example text above, contains information such as who will go to a restaurant for what reason, as well as what the default standard sequence of events in the restaurant will be etc. etc. If in the process of text understanding the analysis of some text evoking the restaurant script yields results which are in conflict with your script, then this is one reason to assume that somehow the text is not coherent - or that you have to spend extra effort on making it coherent, for example by demanding additional explanation from the speaker. Notions similar to script are frame , schema , situation , different in detail, but having the same function in models of text processing. The mental construct of the restaurant script is used by an addressee to determine whether a given text is coherent with a restaurant-type standard context of situation. This mapping of context and text onto each other and resulting decisions about coherence are an essential part of what in hermeneutics-based approaches would be called ‘explication’ and ‘interpretation’, and these are - not necessarily conscious - processes engaged in by language users (for application to translation cf. e.g. Vannerem and Snell-Hornby (1986)). Another example for the importance of scripts and frames for coherence is the following: 2 (a) Rocky slowly got up from the mat, planning his escape. He hesitated a moment and thought. Things were not going well. What bothered him most was being held, especially since the charge against him had been weak. He considered his present situation. The lock that held him was strong, but he thought he could break it. (Toury 1995: 269 f.) Kurt Kohn, formerly Professor in Heidelberg, had this passage translated in a translation seminar and obtained, among others, the following translations: (b) Rocky gelang es, langsam von der Matte wieder hochzukommen. Er versuchte, sich zu befreien. Einen Augenblick lang zögerte er und überlegte. Es stand nicht gerade 2 For the English original cf. Anderson et al. (1977). For a)-c) cf. Toury (1995: 269 f.) citing from a talk by Kurt Kohn. My own discussion is presented in Steiner (2005a). <?page no="364"?> 364 Erich Steiner gut. Am meisten ärgerte ihn, dass er sich in einem festen Griff befand; dabei war der Angriff eher schwach gewesen. Rocky konzentrierte sich auf seine Situation. Der Griff, mit dem er gehalten wurde, war zwar stark, aber er war überzeugt, dass er ihn würde brechen können. (c) Langsam stand Rocky von seiner Pritsche (Matratze) auf. Er plante seinen Ausbruch. Für einen Moment zögerte er noch und dachte nach. Die Dinge hatten sich nicht gerade gut entwickelt. Das Schlimmste war, dass er jetzt im Gefängnis saß; dabei war die Anklage eher schwach gewesen. Er konzentrierte sich auf seine augenblickliche Lage. Das Schloss war zwar stark, aber er war überzeugt, dass er es würde knacken können. It is clear that of the two students, the first interpreted the text against the script of a boxing fight, whereas the second chose an imprisonment-scenario. More co-text would, of course, disambiguate, but for the passage given here, there are at least two different scripts or scenarios compatible with a coherent reading of the text. And depending on whichever script is chosen for the interpretation, decisions about lexical choice, disambiguation, grammar and cohesion of the target text have to be made. And, once more, hardly any linguistic approach would deny this, although they might foreground the encoding side of textuality, rather than its interaction with the context - but this depends on the type of linguistic model. Notions such as ‘script’ illustrate the importance of mental default models of contexts of situation for the processes of producing and of interpreting texts, more specifically for translating them. We have illustrated (Steiner 2004, 2005a) how such notions, together with notions of ‘register’ and ‘rhetorical relations’, are essential for translating, and how they presuppose the notion of the choosing human agent. Yet, ‘scripts’ or whatever equivalent we are using for modeling aspects of the relevant context of situation for some discourse need specifications as to what fillers go into the slots they posit, and at which level of granularity. Are scripts like arbitrary photos of a (generalized) context of situation, and at which level of detail? Here it is important remember an influential programmatic statement by Halliday and Hasan: The term SITUATION , meaning the ‘context of situation’ in which a text is embedded, refers to all those extra-linguistic factors which have some bearing on the text itself. A word of caution is needed about this concept. At the moment, as the text of this Introduction is being composed, it is a typical English October day in Palo Alto, California; a green hillside is visible outside the window, the sky is grey, and it is pouring with rain. This might seem part of the ‘situation’ of this text; but it is not, because it has <?page no="365"?> The Role of Understanding 365 no relevance to the meanings expressed, or to the words or grammatical patterns that are used to express them. The question is, what are the external factors affecting the linguistic choices that the speaker or writer makes. These are likely to be the nature of the audience, the medium, the purpose of the communication and so on. There are types of discourse in which the state of the weather would form part of the context of situation, for example, language-in-action in mountaineering or sailing; but writing a book about language is not one of them. (Halliday and Hasan 1976: 21) This view on a linguistically-based notion of context of situation helps us to constrain it in a way that makes it useful for linguistic analysis, rather than an un-theorized notion of ‘context’. The overall meaning of texts has sometimes been discussed in terms of the ‘Iceberg’-Metaphor (Linke / Nussbaumer 2000: 435 ff.), which captures well the intuition that only part of texture, the ‘encoding’, is visible to the eye of the analyzing addressee (or translator, or linguist), whereas the entire remainder of ‘meaning’ are interpretations, intuitions ranging from local and logical inferences to implicature and other pragmatically guided processes. All of these must be embedded in a constrained notion of ‘context’, otherwise the number of possible inferences becomes uncontrollable. While linguistic models thus do have a place for human interpretation and understanding, the question is whether this place is prominent enough, and well-enough theorized and specified, to make such models a plausible candidate for wider debates about translation and understanding in neighboring disciplines, and in society at large. 2 Understanding and Translation in a Hermeneutic Perspective Hermeneutic approaches have usually privileged notions such as interpretation , understanding , explication , the implicit reader / author , translator intervention , i. e. notions shifting the focus of models away from textual encoding and onto the author (including the translator) and / or addressee of texts. Textual encoding does not disappear from the field of interest, but it becomes just one factor among many. The question in the context of section 3 will then be whether this complementary perspective to linguistics is necessary in translation studies, or whether a semiotic enrichment of linguistic perspectives could not take the important notions of hermeneutics on board, thus uniting encoding and hermeneutic perspectives. Hermeneutic perspectives have made the process of understanding the focus of their theorizing. Textual encoding comes in only as evidence for some of the phenomena at issue, and usually not in discussions of large quantities of <?page no="366"?> 366 Erich Steiner text, but rather in engagement with the culturally significant individual work. Translation (overt vs. covert) in its position between source-text-oriented and target-text-oriented text production is then located between explicating and interpreting the text in a different language and in different cultural contexts. For Cercel (2013: 219 ff., following Stolze 2003), hermeneutic approaches rely on, and should differentiate between, explicating ( Auslegung ) and interpreting in the context of translation . Explication is the text-based analysis of the source text plus inferring the intention of the author. The translator’s proper role is that of re-contextualizing the explicated meaning in the target context. Interpretation is oriented towards the reading of the addressee, in traditional hermeneutic approaches also of the translator, which may happen against a different ideological background from that of the author. In the explication-oriented approach, the role of the translator is one of restraint from interpretation and one of solidarity with the source text and its author. His / her role is one of enabling interpretation by the reader, not one of supplying this interpretation - to the extent that this is possible, given the necessarily subjective nature of all processes of reading. A supporting concept here is that of exegesis, a focused and reasoned explication. This view of hermeneutics is different from the linguistically-based view in section 1 in that it shifts the focus from the textual encoding to the role of the reading, writing and translating subject. Both views share a commitment to the source text and an aversion to arbitrarily wide interpretation by the translator in the process of translation proper. However, there are more ‘interventionist’ approaches to translation, which should at least be briefly mentioned here (for an overview cf. Munday 2001: chapters 8 and 9). In debates on narrative stereotypes and on the positioning of the implicit reader vs. the implicit author 3 , and particularly the implicit translator, especially in the translation of childrens’ literature, constellations are discussed of broadly 4 types: a. No hierarchy b. Superiority of author c. Superiority of reader d. „Novice“-status equally for author and reader The hierarchies assumed here may be in terms of different dimensions (authority, expertise, education). Is there / should there be any manipulation of this constellation in translation, and if so, on what grounds does the translator 3 Cf. Lypp 1984, O’Sullivan 2003, also Venuti’s 1995 notion of the “(in)visibility of the translator”, earlier in narratology Iser 1979. <?page no="367"?> The Role of Understanding 367 make his / her decision? In debates, we find the following frequent arguments in favor of intervention: • Adaptation to the assumed stage of language development of (implicit) reader (grammatical metaphoricity, rhythm, sound…) • Pedagogically motivated interference with properties of the original because of perceived negative meanings in the original („political correctness“) • Assumed multiple readership (adults, children) on the side of the implicit reader Any intervention leads to a deliberate change of the of agentive roles and social hierarchies from register theory (cf. section 3 below), something pragmatically possible in processes of translation, yet also something violating a focused notion of what translation is. Such interventionist views in my view represent a less careful notion of hermeneutics than the one represented by Cercel (2013). The translator not only engages in ‘understanding’ as a precondition for translation, but rather guides the reader’s interpretation, assuming (partial) authorship. But even if we insist with linguistically-based approaches on the often unrecognized wealth of cues to meaning in textual encoding, and if we additionally insist with the first variant of a hermeneutic approach that translation should be the re-contextualizion of the meaning of the source text (and author? ) in the target context after careful explication by the translator, we need to allow for creativity in translation - not only in the case of literary texts (cf. Gil 2015), but quite generally because of the creative task of re-contextualization. The task of re-contextualizing the meanings of some source text in a potentially fairly different culture demands creativity - not only in fully and carefully understanding the source text, but also in making it understandable in ways which may well be marked, marginal and possibly previously non-existing in the target culture. And it is this sense of ‘creativity’ which needs to find a careful definition and operationalization in processes of translation - both in linguistic and in more hermeneutic perspectives, but also in order to explore the potential of concepts of understanding such as we shall discuss them in section 3 below. 3 The Challenge: ‘Übersetzung-/ Translation’ between Religious and (Post-)Secular Discourses in Habermas The German philosopher Jürgen Habermas has elaborated the view that the often claimed conflict between Glauben und Wissen ( Belief and Knowledge , Fides et Ratio ) can - at least in principle - be resolved by a process of translation <?page no="368"?> 368 Erich Steiner between religious discourses and (post-)secular discourses (Habermas 2001: 12 f.). Is such a notion of ‘translation’ more than a (albeit useful) metaphor of philosophical language, and if it is a ‘translation’ in a more theoretically-motivated sense, can linguistically-based translation studies make a serious contribution? We shall start from the notion of “Herrschaftsfreier Diskurs” (non-hierarchical discourse) as a source of ethical principles, a core component of Habermas’ version of “critical theory” of the past decades (3.1). This notion did not, originally, entail an organized discourse with religion, but saw itself as a secular way of deriving common ethical principles for a society from a non-hierarchical discourse between its members. From roughly the 1990s onwards, and particularly in various public debates with the Roman Catholic Church since 2004, Habermas has been arguing that both the secular and the religious side in the debate between belief and knowledge may gain from taking their opponent in the debate seriously, thus gaining access to otherwise inaccessible sources of ethics, and to their common roots in the genesis of both belief and knowledge in classical Greek thinking. The need for gaining this access to the respective other side’s source of ‘ethics’ arises, as Habermas says, in view of the double onslaught on humanism in our times by the dialectically opposed poles of an overstated sceptical view of ‘enlightenment’ as embodied in extreme forms of ‘postmodernism’, and by a reductionist naturalism / scientism on the other. A dialogue between (post-)secular philosophy and religion would presuppose translation in at least two senses. In one sense - and this will not be in our focus here - it would require a translation of the common roots in Greek philosophy both of Christian ‘belief ’ and of philosophical ‘reason’. The second sense will be one of translation between religious theology, scripture and secular philosophy, as well as between all of these and practical reasoning. We shall outline the possible contributions of (linguistic) models of translation to this notion of ‘translation’ which would not only be an everyday metaphor, but would be enriched by some insights of current translation theory (3.2). 3.1 Non-hierarchical Discourse and Translation as Sources of Ethical Principles 4 Jürgen Habermas (1981) in his „Herrschaftsfreier Diskurs“, a “non-hierarchical discourse” in terms of register theory (see below), elaborates the idea of deriving ethical principles from a discourse characterized by rational, responsible and solidarity-driven participation in a community. This discourse would not need and not even accept the authority of any religious governing body. This 4 For earlier reflections on some of these thoughts cf. Steiner (forthcoming), Section 5. <?page no="369"?> The Role of Understanding 369 view is variously referred to as ‘neo-Marxism’ or ‘Critical Theory’, continuing essential ideas of Habermas’ teachers Horckheimer and Adorno. Importantly, this non-hierarchical discourse is not some kind of a-historic ‘boot-strapping’ within which an ethics and the associated values would spontaneously arise. It is conceived of as a process within which historical roots of relevant value systems play a crucial, yet not determining, role. From around 2000 onwards, Habermas, who describes himself as “religiously rather non-musical” (Habermas and Ratzinger 2005: 35) ( religiös eher unmusikalisch ) enters into a debate with the (catholic) church, notably the later Pope Benedikt (cf. Habermas and Ratzinger 2005, Habermas 2008a, 2008b) on the relationship of Belief and Knowledge and the Dialectics of Secularization . Both parties in this debate saw the notion of the responsibly, rationally and ethically choosing human subject endangered from at least two sides: One side is occupied by the postmodern(-ist) assumption of an ‘end of the subject’, elaborated in Foucault (1966) and elsewhere. Taken to its more extreme conclusions, this family of positions denies the possibility of principled decisions between different sets of values and activities, following from its inherent fundamental relativism and hence arbitrariness. Habermas refers to this as an extreme overstatement of skepticism towards rational enlightenment. The other side is located at the opposite end of the idealist-to-reductionist spectrum, involving the totalitarian claim by a reductionist naturalism / scientism that ultimately human behavior and especially the so-called “mind” can be fully explained causally bottom-up from physical processes in our neuro-physiological system (cf. Habermas 2008a: chapter 6 on “freedom and determinism”). In the background of this philosophical position, there looms the negative pole of the “dialectics of enlightenment”: the human subject, freed from all “metaphysical constraints”, acts - or should we say “behaves” - in any way which optimizes outcomes in support of local self-interest and which is enabled through scientific-technological progress. Fellow human beings are treated as an object, rather than as a subject, of action. Both extreme postmodernist skepticism of rational enlightenment and extreme ‘naturalism / scientism’, usually coupled with an uncritical belief in the positive mechanisms of the universal market place, make the ideas of human responsible and ethically-driven activities, and of free will, impossible, or at best an illusion. Still, the question arises as to why contemporary (post-metaphysical) secular philosophy, one variant of which is ‘Critical Theory’ in the form represented by Habermas, should enter into a discourse with (metaphysical) religion, one of its philosophical counterpositions (Habermas 2008b: 30 ff.)? Superficially, this need arises in a context of <?page no="370"?> 370 Erich Steiner a. a postmodernist over-statement of Adorno’s dialectics of enlightenment and thus a built-in suspicion of “reason” and “reliable knowledge” raising the issue of non-contingent and non-arbitrary ethical values, while b. an uncritically naturalist-scientist belief system positing the causal scientific explanation of everything including the “mind”, reducing all notions of humanity, free will, ethics to postulated neurophysically-based causal explanations. Both a) and b) are incompatible with the assumption of a shared set of ethical values, of free will and responsible choice. Positions a) and b) could arguably be overcome on the basis of a purely post-metaphysical rational philosophy and a socio-culturally practiced Herrschaftsfreier Diskurs of Habermas’ ‘Critical theory’ based on the assumption that non-arbitrary and ‘humanistically-inspired’ ethics can be derived from certain forms of practical experience and discourse in a community. Historically, ‘correct human consciousness’, as the counterpart to what Marx called ‘false consciousness’, might conceivably provide that kind of solution - if we could rely on its emergence at the right time before the chances to act are historically missed. There is a more serious problem, though: so-called ‘practical / everyday reason’ seems to have no necessary motivation or maybe not even the ability to create wide-spread awareness of current world-wide attacks on ‘solidarity’ and humanitarian values out of everyday experience. The chances that everyday practical experience and the discourse which is anchored in it may transcend the dominant logic of the market-place and individual competition are not as high as sometimes assumed in optimistic variants of secularism and Marxism. The cultural contexts of a de-railed modernity work against humanitarian values, these values do not ‘spontaneously’ emerge from our everyday experience, definitely not on the individual level, and in the worst-case-scenario not on a social level either. And there is no obvious help from ‘outside’: practical reason, so decisively dominant in the workings of the universal market-place, is not necessarily reached by a highly-developed philosophical argumentation as developed within Critical Theory. Lines of communication between practical reason and philosophical argumentation may be too weak, or even non-existent. Post-metaphysical philosophy may need forms of discourse, of narratives, as embodied in religious and generally mythological practices to re-establish these lines. On the other hand, why should contemporary (roman-catholic) theology need to enter into a discourse with post-metaphysical philosophy, its counterposition at least since enlightenment (Habermas 2008b: 35 ff.)? <?page no="371"?> The Role of Understanding 371 The religious believer, and the church, have to accept that secular societies do not allow any particular religion to directly make their statements of faith into law. Some religions have taken this lesson - a pre-condition for any society in which believers of different religions and agnostic or atheists can interact freely and on equal terms - many have not, and even the Roman Catholic Church has accepted this lesson only in the course of the 20 th century. Hence, the religious believer must have an interest in translating his / her belief into secular ethics and other norms of behavior. Another reason is more historical: Pope Benedikt claimed that catholic theology overcame the threat of a schism between reason and belief through Augustinus’ (4 th / 5 th cent) up to Thomas Aquinus’ (13 th cent) synthesis of Greek metaphysics and catholic belief (Benedikt XVI 2006). That schism, however, remained deeply ingrained in the cultural history of Europe, leading through writers such as Dons Scotus, Kant, various forms of “historicism” to the rational and scientific mindset of modernity in acute contradiction to catholic dogma. In Habermas’ view, catholic theology, at least as expressed in Benedict XVI (2006), still has not acknowledged and dealt with the fact that in reality, it did often not promote a synthesis between belief and reason, but rather attempted to stifle the latter through the former. To the extent that religious belief has a motivation towards mutual understanding with a more secular philosophy, it has a vested interest in acknowledging and even emphasizing the common roots of secular philosophy and religion in classical Greek thought. Hence the necessity of a dialogue from their side, at least as Habermas sees it. It would be a precondition that both parties in the dialogue accept each other as partners-in-dialogue in the strict sense, a non-hierarchical relationship in tenor of discourse, and not assuming a-priori higher expertise or other authority for their own sides in the debate. These are preconditions for the dialogue, not yet a solution to the problems identified above (cf. Steiner 2005a, 2005b for some characteristics of such a dialogue). This dialogue requires ‘translations’ in at least two senses: In the first sense, the historically common origin of ( Judaeo-Christian) belief and of human secular reason in Greek philosophy must be properly understood. Both the discourse of belief - as scripture text and as theological commentary - , and the discourse of reason - both as secular philosophy and as non-religious practical reason - have roots in pre-Christian Greek philosophy diachronically. These roots have to be uncovered and made accessible to the parties in the debate through a form of ‘back-translation’. We will not have the space to engage with this first historical angle on translation here. In the second sense, the two partners in dialogue need to accept the other side, at least initially, in its own terms. The religious believer must be allowed to <?page no="372"?> 372 Erich Steiner use his / her religious discourse, and the secular non-metaphysical partner must be allowed to use his / her secular philosophical discourse. Yet this permission for both sides means they need to translate the other side’s discourse into their own as a precondition for “understanding” synchronically. This may involve translation of the abstract discourses of theology and philosophy into each other on the one hand, or the more concrete discourses of the scriptures and more secular versions of ethical narratives on the other. And, of course, translation is also possible within both sides between the abstract and the concrete. Translations of this kind could act as medium of communication between religious and post-metaphysical discourses, thus paving the way towards mutually understood and possibly shared sets of ethical values on which to base human agency in a multi-cultural society. But above all, these ethical value systems arising in translated discourses would provide an alternative to ethical arbitrariness (over-stated postmodernism) on the one hand, and an alternative to seeing ethics as a mere epiphenomenon, arising out of the combined impulses of our nervous systems (e.g. the “selfish gene” of current over-stated naturalism). This second sense of translation is the one we shall be focusing on (cf. Figure 1). Figure 1: “Translation” within and between religious and secular discourses Let us look at an example of such a translation, given by Habermas in his speech of acceptance for being awarded the Friedenspreis des Deutschen Buchhandels under the title “Glauben und Wissen” (Habermas 2001: 14 ff.). Habermas ‘translates’ a key passage from the book of Moses / Genesis 1,27 as a possible contribution to a debate about genetic engineering (for a discussion cf. Ricken 2008: 69 f.): <?page no="373"?> The Role of Understanding 373 So God created mankind in His own image, in the image of God He created them; male and female he created them. 5 What could this be translated as in the context of debates for and against stemcell research, reproductive cloning, germline engineering etc.? Trying to paraphrase Habermas, two claims are made here in direct religious terms: • Human beings are like god, • and s / he is a creature of god. In philosophical translation, the former implies that s / he is endowed with freedom and even has an obligation of freedom. And this applies to all human beings without exception, which makes them equal(ly free). If all human beings are by nature equally free, then anyone attempting to shape any (physical, neurologial, genetic, …? ) aspect of a human being violates this basic freedom. The concept of ‘freedom’, for example, is directly related to the potential of becoming ‘guilty’ - and what the experience of ‘guilt’ means is illustrated in narratives of religion(s). Without these narratives, phenomena like guilt , but also like justice or (lack of) solidarity may not be grasped by practical reason. The latter claim in Genesis 1,27 implies that the reason why and the way how a human being exists is never due to any fellow human being. ‘Coming into existence’ is due to factors beyond our control. Whoever attempts to determine the if and how of any individual existence transgresses the borderline between what we can / shall control and what is beyond us. For the religious believer, such transgressions would imply the sin of elevating the human subject to god-like status, whereas for the non-metaphysic, they imply the non-recognition of the inability to control the resulting effects (unintended and invisible consequences) of human actions. And even if control were achieved, as an element of “progress”, controlling the if and how of the existence of a fellow human being would mean treating him/ her as an object, violating his/ her fundamental freedom. The synchronic translation from religious discourse from the scriptures into post-metaphysical philosophy (or into academic theology) leads to an increase in abstractness of the message, whereas the perspective backwards into the texts of the scriptures (or other forms of ‘spiritual’ and culturally embedded significant narratives) leads us back to directly experienced contexts of everyday life in an anthropological sense. By translating, we are thus ‘ (un)doing ’ these 5 Habermas cites from the German „Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“, adding an extended commmentary. „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau“ in 2017 Version of Luther-Bible. <?page no="374"?> 374 Erich Steiner abstractions . The more directly touching phenomena of everyday experience encoded in early metaphysical and religious texts confront us, irrespective of whether or not we are theorizing them in more abstract systems of thought. This is, in extremely short terms and with strong simplification, the notion of translation which Habermas develops in his dialogue with religion. His philosophical discourse has far more depth than is reflected in my simplifying summary here, but his sense of translation strikes me as fairly non-technical, a useful and intuitively plausible metaphor of everyday (and philosophical? ) language. What he performs as a ‘translation’ here is less one in the sense of linguistically-based translation theory, but one more like an abstract re-contextualization (explication) and possibly even interpretation in the sense of hermeneutics. This is insightful as it stands, and possibly the best we can do at this stage. However - could a somewhat more theorized notion of ‘translation’ shed additional light on what Habermas is trying to achieve, could it give more depth to the notion of ‘translation’? 3.2 Potential Contributions of Models of Translation In what sense can we speak of a ‘translation’ here, and what could a conceivable contribution of linguistics and translation studies mean? Meaningful contributions would have to encompass something different from the micro-structure considerations of the type addressed in 1.1, valid as these are in themselves. Context of situation and context of culture, as addressed in 1.2, are useful in modeling relevant contexts of situation, but they need further specification to be turned into a tool for translation. In the following, a sketch will be attempted of what an application of ‘register-theory’ (Halliday et al. 1964, Halliday and Hasan 1989, for translation House 1997/ 2 2015, Steiner 2004) could tell us about the processes involved in communication and understanding for the Habermas-type scenario, highlighting some properties which remain out of sight of the non-technical notion of translation. We shall additionally use the notion of “grammatical metaphor” (Halliday 1985: 586 ff.) to explore moves in abstraction and in explicitness for translations. Next we shall take up some notions from hermeneutic approaches, including ‘creativity’, in order to explore their place within a register-based approach. Figure 2 gives an overview of the dimensions of register variation (cf. Steiner 2004: 14, similar to House 1997/ 2 2015): <?page no="375"?> The Role of Understanding 375 Figure 2: Contextual configuration From the point of view of register theory, Habermas (and Ratzinger) are conceptualizing communication along the ideational dimension predominantly, focusing on key concepts such as creation , freedom , guilt , grace , solidarity , compassion , love etc. And, indeed, translation is importantly concerned with mapping such concepts between cultures, languages and texts, and mapping the logico-semantic relations between them. For example, “So God created mankind in His own image, in the image of God He created them; male and female he created them” has ideational concepts such as ‘God, create, image’ which need to find their translational counterparts in secular thought. In a register-based analysis of religious and philosophical discourses and their mutual ‘translations’, we are considering interpersonal and textual dimensions in addition to purely ideational ones. ‘Register’ comes in as a crucial link between contextual configuration in terms of field , tenor , and mode of discourse, and their lexicogrammatical-phonological-cohesive realization into ‘text types’. So, a translation in this register-based sense would have to deal not only with <?page no="376"?> 376 Erich Steiner the message delivered, but also with who is speaking to whom, and finally how - all of this in terms of semiotic, rather than individual personalized categories. Register theory as a theory of linguistic variation is a theoretically motivated view of contexts of situation and what systematic relationships there are to the lexicogrammar and cohesion of natural languages. In a more precise way (e.g. Matthiessen 1993: 236 ff.), a context of situation is analyzed as a contextual configuration in terms of field , tenor , and mode , whereas the register is the lexicogrammatical and cohesive realization of this configuration. The three major dimensions of contextual variation have a few sub-dimensions each: experiential domain , goal orientation and social activity under field, agentive roles , social roles , social distance , and affect under tenor, and finally language role , channel and medium under mode of discourse. Using this framework as a backbone to structure our ‘translation’ exercise in a translation from the Bible into secular philosophical discourses (or into theological treatises) in terms of the field, tenor and mode variables, we are shifting a. between different experiential domains (less so in the theological case), hence different ontological systems; god, create, image become life-existence, freedom, equality, solidarity, (un)intended effects - if participants agree on these being re-instantiations (cf. Martin and Rose 2003: 269 f.) of each other in their respective field (‘equivalent’). b. from largely narrative (and sometimes expressive or instructive) texts to predominantly expository-argumentative ones with resulting explication of logico-semantic relations and backgrounding of individualized agency. c. from delivering an authoritative message to the potential believer to discursively arguing with believers and non-believers about ethical foundations. d. from narrator-audience (and sometimes poet-audience, instructor-receiver) to discussant-discussant. Importantly, the narrator is no longer a god-inspired voice, but his / her place is taken by the humanistic secular philosopher. e. from authority/ missionary-listener to participant-participant in dialogue f. from expert-layperson to expert-expert (or layperson-layperson); increased grammatical metaphoricity in translations of scripture to philosophical discourse g. from high affect to low affect h. from constitutive language to constitutive language i. from paper channel to paper channel j. from (heightened) spoken language to written language. Remember that we are not discussing bible-translation itself here (on which cf. Stolze 2005), but rather the ‘translation’ of biblical texts into the secular dis- <?page no="377"?> The Role of Understanding 377 course of philosophy. So, we are moving between different registers and genres, which leads to changes as in several categories a.-j. above. This process comes close to intra-/ interlingual variation (Steiner 2001: 161 ff.), where one or more of the register sub-variables are kept constant ( tertium comparationis ), but not all of them. Such variations come close to a “paraphrase” on all or some aspect of the message. They might additionally contain commentaries as a sort of meta-text. They are like a multi-functional exegesis plus re-contextualization / explication and partly interpretation in the sense of section 2 above. Let us comment on some of the implications: If we re-express So God created mankind in His own image, in the image of God He created them; male and female he created them. as • human beings are like god, • and s / he is a creature of god we have changed the narrative passage of the source, a paratactic clause-complex, into an exposition with two relational clauses. Habermas’ interpretative commentary I paraphrased towards the end of section 3.1 is substantially different in terms of ‘grammatical metaphor’ and information density compared to the wording from genesis. We obtain a transition from a more contextually-bound, individuated narrative into more abstract expository discourse synchronically . Such changes in metaphoricity and abstractness affect the tenor of discourse, and they may well affect the mode. They express ideational meaning on a different level of abstractness, they generalize relative to the “source text”. Translations from Bible texts to philosophical discourses may even express meanings experientially which in the original were encoded through tenor and mode - but they should not substantially change them. From this perspective, the discourse of philosophy (and probably of theology as well) is an explicitation of, and a variation on, the biblical wording. This entails the possibility that the biblical and the philosophical discourse turn out to be in disagreement - the instantiation relationship between a given philosophy and the Bible may in fact not obtain. And this is, indeed, one of the possible outcomes of “translations” between biblical discourse and philosophical discourse - but an outcome, which is the product of serious attempts at communication, rather than an effect of non-communication. In cases of proper instantiation, biblical and philosophical (and theological) discourses would be ideational (i.e. experiential plus logical) variations of each other - but on different levels of generality. <?page no="378"?> 378 Erich Steiner Returning now to some questions raised in hermeneutic approaches in section 2, we have to remember that in the kind of ‘translations’ discussed here, we are varying registers and genres considerably. 1. If a ‘translation’ is undertaken along the lines suggested above, where does it stand between ‘exegesis, explication’ and ‘interpretation’? As far as the ideational (i.e. experiential and logical meaning) is concerned, we are talking about different instantiations of (potentially) ‘the same message’. In the case of genesis, we have individualized personae ( God , Man in general , later individuated as Adam and Eve , the act of creation , a polar ascription of gender ). In the philosophical translation / commentary, we have concepts such as transcendental freedom , violating freedom , guilt , gender-neutrality , the causes of human existence and the effects of human action when treating other humans as objects . The text of genesis is regarded as an extended metaphor of the philosophical text. And while interpretations of metaphors are not in a deterministic one-to-one relationship between source and target, they are not arbitrary, being like a generalized frame that can be instantiated by a constrained set of fillers/ interpretations. In this sense, we are on the ‘explicating / exegesis’-side. And because this is so, the foreign-ness of that message on the side of the target culture will become apparent, if there are local incompatibilities between the messages and the target context. Some of the other dimensions of register (b-j above) will also change, and these changes may be explicated in the bible-to-philosophy direction. In the ideal case, nothing will be lost from the original messages and nothing will be added which is incompatible with the source text. As a consequence, the message will not necessarily be uncontroversial in all receiver philosophies. It is something to argue about, not something to be accepted without reflection. Considered as a whole, Habermas’ “translation” is an interpretation, though one that needs to be checked against other explications and against existing exegeses. 2. Do we want to change the semiotic roles of author and reader in terms of authority, expertise or social distance, and if so in which sense? In the biblical text at issue here, we have a god-inspired narrator (and missionary? ) delivering to an audience of potential believers the messages of a superior being. In the philosophical text, we have the voice of an expository and argumentative discussant speaking to other participants in the discussion, which includes the expectation of a contribution by the listener as well. We thus translate from the voice of a high-authority narrator, speaking to a listening addressee into the voice of a knowledgeable partner in debate, speaking to another partner in dialogue. We thus also translate from an expert-layperson tenor into one of expert-expert, or layperson-layperson. And finally, in terms of affect, we <?page no="379"?> The Role of Understanding 379 are translating from the personalized and often high-affect biblical narrative into the low affect discourse of philosophy. There is the option of making these changes explicit, in a translational commentary, if we find it necessary to do so. 3. Should the translator take on an active role and interfere with the ideational meaning? The implied readerships definitely change between the biblical text and the target philosophical text. The latter, in particular, has among its readership not only, and not even mainly, the believer, but specifically the non-believer (agnostic, atheist, materialist), and importantly the believer of other religions - all of which form the cultural community within which consensus needs to be found about the ethical values upon which cultural life is based. So, our translator here certainly changes the role of the addressee by writing accordingly - however, s / he does not interfere with the (generalized) ideational meaning. Interference would not lead to increased understanding, but rather to hiding and suppressing the meaning of the source. But note that “understanding” here does not necessarily mean “accepting” - in fact, understanding the meaning of the biblical source might result in disagreeing with the message. Quite likely, though, and given a significant amount of long-term shared history of fides et ratio , irreconcilable contradictions should not be unavoidable, even if in historical practice, they have often been. And the overall rhetorical goal of the speaker, even if s / he is not religious, remains persuasion. 4. What about ‘creativity’ in such a ‘translation’ process? Creativity in this process resides in several aspects: The first of these is the willingness and ability to listen to and understand a message which is removed as generalization from instantiation, and possibly a long way. It also resides in the willingness to listen and understand, even if there is disagreement initially or even long-term, with the perceived message. And substantial creativity is needed to re-express the biblical message in the context of a non-metaphysical philosophy, which is not a religious context. But note that, typical for the new ‘post-secular’ context, being ‘not religious’ does not mean ‘being a-religious’. ‘Translation’ in the opposite direction e.g. translation of philosophical texts into texts of theology or even texts of religious belief will also need substantial creativity and the willingness of giving both sides in the debate an equal hearing - and, above all, granting them good-will and co-operativeness as partners in dialogue. For both sides in the exercise, a final and important act of creativity may reside in creating discourses, ways of thinking, which are initially foreign and new, but which can be integrated in the existing discourses and act as agents of change and mutual understanding. <?page no="380"?> 380 Erich Steiner 4 Conclusion At the beginning of section 3 we asked: “Is such a notion of translation more than a (albeit useful) metaphor of philosophical language, and if it is a translation in a more theoretically-motivated sense, can linguistically-based translation studies make a serious contribution? ” A theoretically-motivated approach to translation requires clarification, what your source-text is and which is the intended target-context. In the Habermas-Ratzinger debate, sources are variously entire discourses, and in one case a specific passage from the Bible (Habermas 2001). Targets are extended texts embedded in a secular philosophy. Most of what happens in the Habermas-Ratzinger debate is explication and/ or interpretation between theological and philosophical discourses (Habermas and Ratzinger 2005, Habermas 2008b), and this should be kept conceptually separate from ‘translation’ in the stricter sense, important as they both are. One would hope that translation studies and discourse-oriented linguistics can make contributions to both in principle, yet contributions of different kinds. Linguistic approaches to translation have a built-in role for understanding, both on macroand micro-levels. Yet, because linguistics is the (general) study of language, this role tends to be a generalized one, and usually the focus of linguistically-based studies is on textual encoding as a guide to processes of understanding, not these processes themselves. A significant input from a linguistics-based perspective can be seen in the fact that encoding is not restricted to experiential meaning, but to interpersonal and textual meaning as well. A translation covers not only field variables, as the non-technical metaphor has it, but tenor and mode as well - and this would seem to be important for Habermas’ project (cf. 3.2 above). Hermeneutics-based models of translation, on the other hand, also operate with sets of general concepts, such explication , interpretation , understanding , implied reader , yet much of the time their focus is on whatever the applications of their concepts yields to the individual texts that are being discussed. Often these texts are assigned high values in their source and target cultures, and debates about the texts and their reception are considered more important than the methodology applied. In our discussion of the notion of ‘Übersetzung / Translation’ between religious and (post-)secular discourses in Habermas, we are asking what a specific contribution might be of translation studies with a more linguistic grounding. The micro-level processes of understanding are not at issue here - they play a role in every act of language processing, but just because of this generality, they do not address the issues at stake, which are by nature macro-level issues. <?page no="381"?> The Role of Understanding 381 The linguistic macro-level phenomena, such as scripts or frames, are directly relevant, but they need to provide bridges between linguistic structure on the one hand, and structure in contexts of situation and culture on the other. Scripts have stages, a “generic structure” (Halliday and Hasan 1989), which, like a script, provides choice points at which different contextual choices in the sense of our ‘register’ are made. And this context of situation in terms of field, tenor and mode, was then used in an exploratory way to look at a generalized context for the type of translation required by Habermas’ ‘Übersetzung / Translation’ between religious and (post-)secular discourses. It is within such a framework that we locate important concepts of hermeneutic translation studies, such as evoked in section 2. It is not obvious to me at this stage how important a contribution by translation studies would be to debates such as the one triggered in Habermas’ dialogue with religion. In order to assess this importance (or otherwise), translation studies would have to engage with this debate, bring its methods to bear on it, and show what kinds of insights result from this. It would be potentially important for that debate, but at the very least, it would help us as translation scholars and linguists to assess strengths and weaknesses of our analytical instruments - and participation in culturally significant debates such as the one referred to here would be a prime motivation for such an assessment. References Anderson, Richard C. / Reynolds, Ralph E., Schallert, Diane L. / Goetz, Ernest T. (1977): “Frameworks for Comprehending Discourse”. In: American Educational Research Journal 14 (4), 367-381. Benedict XVI (2006): Glaube und Vernunft. Die Regensburger Vorlesung . Vollständige Ausgabe. Freiburg: Herder. Byatt, Antonia Susan (1991): Possession . London: Vintage Books. Translated by Melanie Walz. 1994. Besessen . Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg. Cercel, Larisa (2013): Übersetzungshermeneutik. Historische und systematische Grundlegung . St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag. 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Keywords: Addition, adverbs of immediate posteriority, explicitation, argumentation, cultural filtering. 1 Einleitung Ziel dieses Beitrags ist es, das Phänomen der Hinzufügung von sprachlichen Elementen in der Übersetzung ohne einen unmittelbar identifizierbaren Auslöser im Original zu untersuchen, was wir hier als ‚Übersetzung (fast) ex nihilo ‘ bezeichnen. Diese Erscheinung wird am Beispiel deutscher, französischer und italienischer Adverbien unmittelbarer Nachzeitigkeit in Übersetzungen des Europarl -Korpus diskutiert. Dabei werden zunächst einige Vorüberlegungen zum Konzept der Kreativität und der Übersetzung ex nihilo präsentiert, sodann wird die Klasse der Adverbien unmittelbarer Nachzeitigkeit besprochen. Bei der Analyse einer Belegsammlung zu verschiedenen Übersetzungsrichtungen werden schließlich drei Arten der kreativen Übersetzung ex nihilo durch Hinzufügung dieser Zeitadverbien ermittelt, die auf verschiedene Faktoren sprachlicher, kommunikativer und translatorischer Prägung zurückzuführen sind. <?page no="386"?> 386 Vahram Atayan 2 Kreativität und Übersetzung ex nihilo: einige Vorüberlegungen Einer der jüngeren Beiträge von Alberto Gil trägt den Titel „Kreativität und Problemlöseverfahren als translatologische Größen“ (Gil 2014). In diesem Aufsatz liefert er am Beispiel von Übersetzungen von Herta Müllers Atemschaukel tiefe Einsichten in die Frage, wie die sprachliche Kreativität einerseits als Quelle für Übersetzungsprobleme auftreten, aber gleichzeitig Lösungen dafür ermöglichen kann. Kreativität gehört zu den - in den Geisteswissenschaften nicht seltenen - Konzepten, bei denen sich die klare intuitive Zugänglichkeit mit kaum gänzlich überwindbaren Definitionsschwierigkeiten kombiniert. Dies führt dazu, dass ihre Erforschung großes produktives Potential besitzt, jedoch auch Gefahren der terminologischen Unschärfe und Verwirrung birgt. Im vorliegenden Beitrag ist es nicht möglich, eine breite Diskussion möglicher Definitionsansätze zu präsentieren (dazu sei auf eine aktuelle Arbeit aus dem akademischen Umfeld Alberto Gils, Weber 2016, verwiesen). Eher pragmatisch möchte ich für diese Studie auch keine Definition übernehmen, die die Kreativität zu einer universellen und allgegenwärtigen Eigenschaft der Sprache erklärt (wie z. B. Chomsky 5 1978: 11) oder auch zur Normalität in der Translation (Kußmaul 2007: 124). Dies nicht etwa, weil ich diese Ansichten nicht teilen könnte, sondern weil solche Definitionen die Kreativität als Phänomen der Sprache und Translation in der Extension aufwerten, sie aber als wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand gerade dadurch indirekt entwerten, denn tout wird allzu leicht zu n’importe quoi : Wenn das Sprechen an sich zum kreativen Einsatz von Regeln erklärt wird, um vorher nicht Dagewesenes zu produzieren (Chomsky 3 2009: 75, in Anlehnung an W. von Humboldt), dann braucht sie nicht mehr als eigenständiges Phänomen in der Sprache untersucht zu werden. Interessanter erscheint daher die ‚regelverändernde‘ Kreativität (Chomsky 3 2009: 75), wobei die Regelveränderung zunächst einmal eine Regelverletzung voraussetzt, die aber hinreichend attraktiv ist, um akzeptiert zu werden, sich mit der Zeit vielleicht durchzusetzen und zur neuen Regel zu werden. Es handelt sich also bei der Kreativität gewissermaßen um eine noch hinreichend normale Anomalie, etwas, was der Gebrauchsnorm i. e. S. zwar widerspricht, dabei aber durch eine Regel oder einen Vorteil höherer Ebene ausreichend gerechtfertigt ist, um akzeptabel oder sogar vorteilhaft zu sein. ‚Höhere Ebene‘ fällt dabei in der Sprache oft mit abstrakteren, stärker funktionalen Bereichen zusammen: Plakativ gesprochen ‚sticht‘ z. B. die Semantik die Morphosyntax und die Pragmatik beide, wodurch wahrscheinlich so unterschiedliche Phänomene wie accord sémantique , Wortspiele oder Ironie überhaupt erst möglich werden. Hat man diese Sicht der ‚hinreichend normalen Anomalie‘ erst einmal akzeptiert, stellt sich gleich die nächste Frage: Wie wäre denn nach dieser Definition <?page no="387"?> Übersetzung (fast) “ex nihilo” 387 (oder vielmehr groben Orientierungsvorgabe) die Kreativität in der Translation zu interpretieren, m. a. W., was ist überhaupt die Norm in der Translation, die noch ‚hinreichend normal‘ verletzt werden kann, um eben die Kreativität zu generieren? Eine recht einfache Lösung wäre hier, die Tendenz zur Wörtlichkeit der Übersetzung als Norm anzunehmen, wie sehr das einem Übersetzer und Dolmetscher mit einer gewissen Erfahrung oder einem Übersetzungswissenschaftler auch widerstreben mag, bedient diese Idee doch die klischee- und laienhafte Vorstellung, welche man, zumal als Verhandlungs-, Behörden- oder Gerichtsdolmetscher, oft genug von den Auftraggebern vorgetragen bekommt: „Sie brauchen jetzt nicht lange zuzuhören und selbst zu interpretieren, übersetzen sie mir einfach wörtlich, was gesagt wird.“ Diese gewissermaßen berufspolitischen Bedenken sind aber nicht das eigentliche Problem, sondern die kaum überwindbare Schwierigkeit, Wörtlichkeit sauber zu definieren. Vielversprechender erscheint hier daher eine etwas abstraktere Formulierung unter Rückgriff auf das hochproduktive Konzept der Invarianz (Schreiber 1993: 23), nämlich, dass im Normalfall der Übersetzung eine Art Invarianzmaximierung auf verschiedenen Ebenen der Sprache (von formseitigen bis zu hochgradig funktionalen) angestrebt wird. Die Wörtlichkeit wäre dementsprechend durchaus ein Normalfall der Übersetzung, sofern keine höheren Invarianzebenen (z. B. die pragmatische oder die textfunktionale) dadurch beeinträchtigt werden. So ist, glaube ich, auch oft der Begriff des Übersetzungsproblems (zumindest implizit) definiert, denn diese entstehen häufig dort, wo z. B. Sprachsystem-, Textkonventions- oder sonstige Unterschiede die zeit- und kognitionsleistungssparende Vorgehensweise einer tendenziell wörtlichen Übertragung blockieren. Ein einleuchtendes Beispiel hierfür ist die von Gil im bereits zitierten Beitrag aufgezeigte Schwierigkeit, (kreative) Komposita des Deutschen in das kompositionsarme Spanische zu übertragen (Gil 2014: 133). Kreativität in der Translation wird dabei zum zentralen Verfahren der Problemlösung. Wo keine leicht auffindbare hochgradig invariante Übertragungsoption existiert, entsteht die ‚Anomalie‘ der nichtmaximalen Invarianz fast automatisch. Wird sie dabei als Ergebnis einer höherwertigen Norm angesehen (z. B. bei pragmatischer Invarianz bei syntaktischer oder semantischer Varianz), so ist auch unserer (zugegebenermaßen sehr rudimentären) Definition Genüge getan. Die letzte Frage, die in diesen recht umfassenden Vorüberlegungen noch zu stellen ist, ist nun die nach der Perspektive, unter der die Kreativität in der Translation zu untersuchen ist. Betrachtet man die Vorgehensweise in Gil (2014), so ist die Logik einer grundsätzlich theoriegeleiteten Vorgehensweise klar erkennbar: Unser Wissen von Sprachen - und Sprachenunterschieden -, von Textsorten und Genres und von individuellen Texten ermöglicht im Grundsatz eine auf der Textanalyse basierende Vorhersage, dass bestimmte Textstellen <?page no="388"?> 388 Vahram Atayan Übersetzungsprobleme darstellen könnten. Dieses Vorgehen ist dabei ausgangstextbasiert, die Kreativität wird als Problemlösungsverfahren greifbar. Das Wissen über Sprache und Text, Sprach- und Textunterschiede erlaubt uns dadurch, mehr über die Translation zu erfahren. Eine systematische Untersuchung dieser Kreativitätsart ist natürlich auch für die Translationsdidaktik von unschätzbarer Bedeutung, sofern systematisch relevante Phänomenbereiche erfasst werden (wie z. B. in Weber 2016). In dieser Studie möchte ich allerdings den umgekehrten Versuch unternehmen, nämlich zieltextbasiert vorzugehen und datengeleitet darüber nachzudenken, was die Kreativität in der Translation über Sprachen und Texte aussagen kann. Die Vorgehensweise ist dabei - nicht nur aufgrund der Platzzwänge, sondern auch durchaus aufgrund der Schwierigkeit, Ausprägungen dieses Phänomens nach einem gegebenen Muster in hinreichen Mengen zu finden, - notwendigerweise exemplarisch. Es wird hier nicht darum gehen, überprüfbare und falsifizierbare Aussagen zu formulieren, sondern durch z. T. auch recht impressionistische Beobachtungen einige (hoffentlich plausible) Behauptungen zu illustrieren, die erst danach bei geeigneter - und v. a. im Vergleich zur vorliegenden wesentlich besserer - Korpuslage zum Gegenstand einer strengen wissenschaftlichen Prüfung werden können. Hierfür soll an einem konkreten Beispiel das Phänomen der Übersetzung (fast) ex nihilo diskutiert werden. Schon die Bezeichnung des Phänomens belegt die Begründung der Vorgehensweise in der Perspektive aus dem Zieltext heraus, es wird nicht der Frage nachgegangen, wie etwas übersetzt wird (wie eben bei Gil 2014), sondern, inwiefern ein sprachliches Phänomen in einem Zieltext erkennbar durch etwas bedingt ist, was im Ausgangstext vorliegt - oder eben nicht (Weber 2016 berücksichtigt beide Richtungen, sowohl die Übersetzung kreativer Komposita, als auch deren Entstehung durch die Übersetzung). 1 Die Kreativität in der übersetzungsbasierten Perspektive lässt sich direkt definieren: Liegt im Ausgangstext das zieltextuelle Phänomen nicht vor, so erscheint eine Verletzung der Norm der Invarianzmaximierung wahrscheinlich, wobei die Situation zwei Teilausprägungen aufweisen kann: Entweder liegt im Ausgangstext gleichzeitig etwas vor, das im Zieltext fehlt, oder eben nicht. Solche Situationen sind in der Translationswissenschaft mit unterschiedlichen terminologischen Varianten oft diskutiert worden, fast bei jedem potentiellen Übersetzungsproblem (Realia, Wortspiele, Metaphern, Phraseologismen) werden als potentielle Lösungen Modifikationen (Kompensation, Analogie usw.) oder informationelle Erweiterungen (Hinzufügung, Explikation, Explizitation) erwähnt. Im vorliegenden Beitrag 1 Zur Wichtigkeit der Betrachtung von sprachlichen Phänomenen nicht nur in der Übersetzung, sondern auch als Ergebnis von Übersetzungen vgl. Métrich/ Faucher in Zusammenarbeit mit Albrecht (2009: 24). <?page no="389"?> soll die Kreativität in diesem Sinne allerdings anhand eines auf den ersten Blick viel ‚harmloseren‘ Phänomens betrachtet werden, nämlich anhand einiger Zeitadverbien der unmittelbaren Nachzeitigkeit im Deutschen, Französischen und Italienischen. Mittels ausgewählter Beispiele aus dem Europarl -Korpus (Koehn 2005) wird dabei zu klären sein, ob in den Fällen, in denen die fraglichen Adverbien in einem Zieltext erscheinen, ohne dass im Ausgangstext die vergleichbare zeitsemantische Information verbalisiert worden wäre, eine Systematik und eine Abhängigkeit von weiteren semantischen und pragmatischen Faktoren - m. a. W. der Auslöser der Kreativität - erkennbar ist. 3 Unmittelbare Nachzeitigkeit: eine kurze Bestandsaufnahme Die Möglichkeit, durch die menschliche Sprache Sachverhalte nicht nur zu beschreiben, sondern auch in Relation zu anderen Sachverhalten zu setzen, gehört zu ihren wichtigsten Eigenschaften. Die im Vergleich zum Raum insgesamt höhere Homogenität der Zeit erlaubt die Herausbildung von stark generalisierten Verbalisierungsmitteln, die eine große Bandbreite an mehr oder weniger komplexen zeitlichen Relationen abdecken können. Auch die mittlerweile klassischen linguistischen Modelle wie das von Reichenbach (1947) spiegeln diese Komplexität wider. Während dabei der Bereich der Vergangenheitsdarstellung besonders gut untersucht ist (bedingt durch vielfältigere Tempussysteme in der Vergangenheit in den meisten Sprachen), scheint die Strukturierung des Zukünftigen etwas weniger im Mittelpunkt linguistischen Interesses zu stehen, zumal wenn onomasiologisch nach den Verbalisierungsstrategien und nicht semasiologisch nach der Funktion einzelner Tempora oder weiterer sprachlicher Zeichen gefragt wird. Die Sprachen zeichnen sich in diesem Bereich durch eine große Bandbreite an geeigneten Mitteln aus. Die uns interessierenden Verbalisierungsstrategien, um unmittelbar Nachzeitiges darzustellen, sind formal wie semantisch äußerst vielfältig. 2 Sie reichen von lexikalischen Mitteln wie Adverbien, Adverbialausdrücken oder Adjektiven ( immediatamente , tout de suite , sofortig ) über Verbalperiphrasen ( stare per + Inf.) bis hin zu grammatikalisierten Verfahren wie komplexen Tempora ( aller + Inf.) und Konjunktionen ( sobald ). Auch semantisch hängen mit der unmittelbaren Nachzeitigkeit zahlreiche weitere Bedeutungsmerkmale zusammen. Diachron können solche Marker durch viele semantische Merkmale entstanden sein: kurzer Zeitabstand ( bientôt ), nächstes Element in der Folge ( sofort ), Fehlen von Zwischenereignissen ( immé- 2 Eine ausführliche Darstellung dieser Marker und der bisherigen Forschung ist in Atayan (2016 a, b) und Atayan / Fetzer / Gast / Möller / Ronalter (i. D.) zu finden, wobei es sich hauptsächlich um Studien zu einzelnen Markern oder Aspekten handelt. Die einzige Untersuchung der Gesamtklasse hat Panova (2000) für das Russische vorgelegt. Übersetzung (fast) “ex nihilo” 389 <?page no="390"?> 390 Vahram Atayan diatement ) oder der zeitlichen Verzögerung ( unverzüglich ), räumliche Kontiguität ( auf der Stelle ) sowie durch ursprünglich situationsspezifische, aber im Laufe der Sprachentwicklung generalisierte Metaphorik ( postwendend ). Synchron kann die mehr oder weniger unmittelbare Nachzeitigkeit auch durch Lexeme mit abweichender Kernsemantik wie Gleichzeitigkeit ( jetzt ) oder Schnelligkeit ( vite ) impliziert werden (vgl. auch Blass 1960). Semantisch und pragmatisch lassen sich diese Marker weiter unterklassifizieren zunächst nach ihrer Fähigkeit, den Bezugspunkt, von dem aus die unmittelbare Nachzeitigkeit konstruiert wird, deiktisch aus dem Redekontext ( Peter kommt gleich ) oder anaphorisch aus dem Kotext zu beziehen ( Ich habe mit Peter gesprochen und anschließend mit Maria ), wobei einige Marker, wie anschließend , sich auf die anaphorische Lesart spezialisieren, andere, wie jetzt , auf die deiktische, die restlichen schließlich mit beiden Lesarten kompatibel sind, wie sofort . Auch die genaue Situierung in der Nachzeitigkeit, die durch einzelne Marker bewirkt wird, erlaubt eine Subklassifikation der Marker. So lässt sich nach Ehrich (1992) oder Hoffmann (1997) der Nachzeitigkeitsraum in einen proximalen ( sofort / gleich / bald ) und einen distalen ( später / nachher ) Bereich einteilen, der proximale wiederum in einen unmittelbaren ( sofort / gleich ) vs. nicht-unmittelbaren ( bald ) und der unmittelbare seinerseits in einen kontigen ( sofort ) vs. nichtkontigen ( gleich ) (zu den sprachlichen Tests, die diese Einteilung begründen, vgl. Atayan 2016b). Informationsstrukturell weisen diese Marker ebenfalls unterschiedliche Eigenschaften auf, so sind zumindest in der deiktischen Verwendung Marker der kontigen Unmittelbarkeit ( immédiatement, immediatamente, subito, sofort ) nicht mit der thematischen Position oder der Rahmenbildungsfunktion kompatibel. Semantisch tendieren sie im deiktischen Fall zu intentionalen Prädikaten, während Marker wie gleich durchaus mit nicht-intentionalen Sachverhalten kompatibel sind (vgl. Pass auf, du stolperst gleich/ *sofort! ). Die bisher durchgeführten Korpusanalysen anhand eher schriftsprachlicher Europarl - Texte sowie mündlicher Belege aus dem OpenSubtitles -Korpus haben auch die Affinität bestimmter Marker wie immédiatement , immediatamente und sofort zu Aufforderungs- und Wunschsprechakten belegt, während Adverbien wie gleich eher zu Versprechens-, Drohungs- und Warnungskontexten tendieren und subito und tout de suite mit beiden pragmatischen Kontexten kompatibel sind. <?page no="391"?> 4 Übersetzungen ex nihilo im Europarl-Korpus 4.1 Zum Korpus Das Europarl -Korpus beinhaltet die Mitschriften der Plenardebatten des Europäischen Parlaments mit Übersetzungen in die Amtssprachen der EU . Im Rahmen einer Vorgängerstudie (Atayan / Gast / Fetzer / Möller / Ronalter 2016) wurden deutsche und französische Originalbelege mit Markern der unmittelbaren Nachzeitigkeit und deren Übersetzungen in die jeweils andere Sprache sowie ins Englische, Italienische und Spanische einer Mehrparameterannotation mit morphosyntaktischen und semantisch-pragmatischen Variablen unterzogen. Als Kriterium der Korpuszusammenstellung diente dabei das Vorkommen der deutschen Adverbien gleich bzw. sofort im deutschen Text (Original oder Übersetzung aus dem Französischen) 3 . Dabei war auch das Phänomen der Übersetzung ex nihilo , wie es in diesem Beitrag betrachtet wird, aufgefallen. Insbesondere konnte festgestellt werden, dass bei dem deutschen Adverb gleich einerseits oft in der Übersetzung ein explizites zeitliches Signal fehlt, andererseits aber auch, dass bei der Übersetzung ins Deutsche gleich oft an Stellen erscheint, an denen im Original kein unmittelbarer Auslöser erkennbar ist. Für die vorliegende Studie wurde die Belegsammlung folgendermaßen zusammengestellt: 1. Übersetzungsrichtung Französisch-Deutsch: jeweils 30 Beispiele für gleich und sofort im Deutschen. 2. Übersetzungsrichtung Deutsch-Französisch: 30 Beispiele für immédiatement und 16 Beispiele für tout de suite im Französischen. 3. Übersetzungsrichtung Deutsch-Italienisch: 30 Beispiele für immediatamente und 30 Beispiele für subito im Italienischen. 4 Somit wird die Struktur der Übersetzungsrichtungen der Vorgängerstudie nachgebildet, allerdings ohne die Übersetzungsrichtung Französisch-Italienisch, da zumindest in der Vorgängerstudie in diesem Fall nur wenige Übersetzungen ex nihilo vorlagen. Ob die relative Seltenheit dieses Phänomens bei der Über- 3 Z. Zt. wird in einer weiteren Studie das komplementäre Korpus auf Grundlage der französischen Adverbien immédiatement und tout de suite untersucht. 4 Zwei Hinweise zum Korpus sind an dieser Stelle noch nötig: Es ist bei einigen Beispielen zumindest im Grundsatz nicht gänzlich ausgeschlossen, dass die Übersetzung über eine dritte Sprache (typischerweise das Englische) erfolgt ist, auch wenn dies bei den ‚großen‘ Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch unwahrscheinlich erscheint. Zum anderen kann schwerlich der Einfluss der maschinengestützten Übersetzung ( translation memories ) auf die Übertragung genau eingeschätzt werden. Nun werden aber die Übersetzungen als solche präsentiert und ggf. rezipiert, daher erscheint auch ihre Behandlung als solche im Rahmen dieser Studie als legitim. Übersetzung (fast) “ex nihilo” 391 <?page no="392"?> 392 Vahram Atayan tragung zwischen den beiden romanischen Sprachen allgemein vorliegt, wäre allerdings noch zu prüfen. Für die vorliegende Analyse ist dies jedoch sekundär, da sie eher als allgemeine semantisch-pragmatische Betrachtung und nicht als einzelsprachliche Detailstudie angelegt ist. 4.2 Zeitadverbien und Übersetzung ex nihilo -- Belegklassen und Einflussfaktoren 4.2.1 Übersetzung ex nihilo als Explizitation Bei der Betrachtung der Korpusbelege fällt zunächst einmal auf, dass in zahlreichen Beispielen die Nachzeitigkeitsmarker in Kontexten vorkommen, in denen die Semantik der Nachzeitigkeit im Original bereits präsent ist und die Unmittelbarkeit der Abfolge von Sachverhalten situativ plausibel erscheint, aber nicht verbalisiert ist. Dies ist der Fall in Bsp. 1, in dem sich der Einleitungssatz eines Redebeitrags auf den Vorgängerredner bezieht. Auch in Bsp. 2 dürfte die zeitliche Situierung im Original genauso eindeutig sein wie in der Übersetzung mit einer immédiatement -Hinzufügung. Bsp. 1: Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Ratspräsident! Es war schon immer mein Traum, nach einem de Gaulle zu reden, aber nicht nach einem, der solche Reden hält. Signor Presidente, signor Commissario, signor Presidente in carica del Consiglio, è sempre stato il mio sogno parlare subito dopo de Gaulle, ma non dopo un discorso come quello che abbiamo appena udito. Bsp. 2: Deswegen bitte ich darum, daß eine Entschließung an die mündliche Anfrage angeschlossen wird. Je demande donc que des propositions de résolution puissent être déposées immédiatement après la question orale. An diesen Stellen scheint die Hinzufügung des Unmittelbarkeitsmarkers keinen semantischen oder pragmatischen Mehrwert zu erzeugen. Es gibt auch keine belastbaren Anhaltspunkte, um über die Gründe dieser weitgehenden Redundanz zu spekulieren, auch wenn sie wohl unter das übersetzungswissenschaftliche Konzept der Explizitation subsumierbar sein dürfte. 4.2.2 Rededeiktische Funktion Interessanter erscheinen zwei weitere Ausprägungen der Kreativität, die rededeiktische und die rhetorisch-argumentative. Die erste dürfte durch die spezifischen Kommunikationsbedingungen einer Versammlungsrede bedingt sein. <?page no="393"?> Die Konzeptualisierung des Textes als Raum, durch den sich der Rezipient mit der Lesezeit bewegt, ist ein universelles Phänomen. Im Redekontext wird die zeitliche Dimension noch relevanter, da sie nicht metaphorisch interpretiert werden kann: Ein später im Text besagt so viel wie an einer anderen Stelle im Text , während ein später in der Rede tatsächlich auch einen späteren Zeitpunkt meint. Im Europarl -Korpus finden sich zahlreiche Beispiele für die deiktische Steuerung der Rede durch Marker der unmittelbaren Nachzeitigkeit. Bei der Übertragung ins Deutsche ist ein spezifisches Muster der Übersetzung ex nihilo dieser Art erkennbar. Formulierungen im Französischen, die durch lexikalische Beschreibungen (Bsp. 3, la première chose que je tenais à dire ), phraseologische Formulierungen (Bsp. 4, d’entrée de jeu ) oder auch stärker konventionalisierte und frequente Adverbien (Bsp. 5 und 6, d’emblée ) auf die initiale Position der Äußerung in der Rede verweisen, werden im Deutschen mit einer Kombination aus gleich + einer Entsprechung des französischen Markers wiedergegeben (wobei eingangs eine der präferierten Lösungen zu sein scheint): Bsp. 3: C’est la première chose que je tenais à dire , parce que le travail de la Commission européenne sur place est extraordinaire. Diese Anmerkung wollte ich gleich zu Beginn machen, denn die Arbeit der Europäischen Kommission vor Ort ist wirklich außergewöhnlich. Bsp. 4: J’évoquerai d’entrée de jeu des chiffres éloquents. Ich möchte gleich eingangs einige bezeichnende Zahlen nennen. Bsp. 5: Il en résulte, je préfère le dire d’emblée , que… Daraus schlussfolgert - und das möchte ich gleich eingangs sagen -, dass… Bsp. 6: Je veux d’emblée remercier tous les collègues qui y ont pris part par le dépôt de nombreux amendements… Gleich eingangs möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen danken, die dazu beigetragen haben, indem sie zahlreiche Änderungsanträge einreichten… Die gleich -Hinzufügung scheint an den prominenten Stellen der Reden und insbesondere am Anfang häufig, selbst dann, wenn der Redekommentar keinen expliziten Bezug auf eine spezifische Stelle nimmt, wie in den Beispielen 7 und 8. Hier scheint eine Vorgehensweise vorzuliegen, die nicht auf das Bestreben zurückzuführen ist, eine fehlende oder nicht nachvollziehbare Information zu verbalisieren, sondern vielmehr auf die Bemühung, eine mit den Konventionen der Textsorte in der Zielsprache konforme Formulierung zu liefern, im Sinne eines kulturellen Filters nach House (1997). Übersetzung (fast) “ex nihilo” 393 <?page no="394"?> 394 Vahram Atayan Bsp. 7: Monsieur le Président, Monsieur le Commissaire, mes chers collègues, les secondes m’étant comptées, j’irai à l’essentiel. Herr Präsident, Herr Kommissar Barnier, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mir nur sehr wenig Zeit zur Verfügung steht, komme ich gleich zur Sache . Bsp. 8: […] je n’ai que deux minutes de temps de parole, j’irai donc droit au but et vous le comprendrez. Ich habe nur zwei Minuten Redezeit und werde daher gleich zur Sache kommen , wie Sie verstehen werden, Herr Fischler. Die Konventionalisierung solcher Formulierungsmuster in den Redesituationen ist wohl im Bewusstsein der Übersetzer so fest verankert, dass diese auch in Bezug auf in den Reden beschriebene Textabläufe zum Einsatz kommen. So wird in Bsp. 9 im Französischen der Beginn einer Deklaration neutral mit dem Verb commencer beschrieben, in der deutschen Fassung wird jedoch wieder die gängige Formulierung gleich eingangs eingesetzt. 5 Bsp. 9: La déclaration solennelle du premier sommet Afrique-Europe, au Caire, commence par faire référence, je cite : aux „liens qui existent entre l’Afrique et l’Europe“… Die feierliche Erklärung des ersten Gipfeltreffens Afrika-Europa in Kairo enthält gleich eingangs einen Verweis auf, ich zitiere, „die seit Jahrhunderten bestehenden Verbindungen zwischen Afrika und Europa“… 4.2.3 Funktionskombinationen Während gleich auf rededeiktische Steuerung ohne eine besondere semantischpragmatische Gewichtsverschiebung spezialisiert zu sein scheint, 6 wird bei einigen anderen Markern die Signalisierung der Rededeixis mit der rhetorischargumentativen Funktion kombiniert. So wird in Bsp. 10 das eher konzessive zunächst durch das rededeiktische tout de suite umgesetzt. Hierbei spielen zwei wichtige Merkmale einer konzedierenden Äußerung eine Rolle: Zum einen ist 5 Einen zusätzlichen Einflussfaktor könnte hier der Versuch darstellen, einen kulturellen Filter einzusetzen, indem die französische Formulierung mit höherer Aktivität durch eine statischere deutsche Variante wiedergegeben wird (vgl. hierzu Blumenthal 2 1997: 17 f.; Atayan 2010: 44). 6 Dies dürfte mit der semantischen Breite dieses Lexems zusammenhängen, das damit auch ein relativ schwaches Nachzeitigkeitssignal darstellt. <?page no="395"?> Konzession ein in seiner Wirksamkeit vorübergehender Sprechakt, der textuell durch die nachfolgende Äußerung aufgehoben wird (hier durch aber signalisiert). Diese Vorläufigkeit ist im deutschen Original durch zunächst explizit realisiert. Eine zweite wichtige Eigenschaft der Konzession ist aber auf der rhetorisch-pragmatischen Ebene zu sehen, nämlich in der Ethoswirkung der Einräumung, die der positiven Darstellung des Redners als offen und kooperativ dient (Ducrot 2004). Dieser Effekt lässt sich auf der argumentativen Ebene durch den Verweis auf die Schnelligkeit bzw. Unmittelbarkeit der Einräumungshandlung noch verstärken, da die Schnelligkeit generell der Verstärkung der argumentativen Wirksamkeit dienen kann (Ducrot 1995: 159; Bruxelles 2002: 35 ff.; Atayan 2006: 321 f.). Allgemein ist die argumentative Verstärkung im Sinne Ducrots als Erhöhung des Potentials einzelner Lexeme zu verstehen, die mit diesen assoziierten typischen Schlussfolgerungen zu rechtfertigen. Sprachlich können solche Verstärker ( modificateurs réalisants nach Ducrot 1995) u. a. durch die Integrationsfähigkeit in sogar -Kontexte identifiziert werden ( Il a dit X, et même tout de suite ). Bsp. 10: Die praktische Handhabung der Überwachung des Kartellverbots ist von der Kommission als unbefriedigend empfunden worden; dem ist zunächst auch zuzustimmen. Aber im Hinblick auf die Lösung gehen die Meinungen auseinander. La Commission a estimé que la mise en œuvre pratique du contrôle de cette interdiction était insatisfaisante : disons tout de suite que nous approuvons. Mais les avis divergent quant à la solution. Auch in Bsp. 11 wird die redekommentierende Handlung mit einer argumentativen kombiniert. Schon erfüllt im Original in der festen Wendung ich muss schon sagen nach Métrich / Faucher in Zusammenarbeit mit Albrecht (2009: 754) eine Einräumungsfunktion, die aber auch oft ironisch gemeint sein kann und damit eher, wie auch in diesem Beispiel, eine Kritik-Handlung realisieren dürfte. Das italienische subito setzt diese Wirkung anders um, nämlich durch Verbalisierung der durch den Zeitmarker verstärkten Dringlichkeit der kritischen Äußerung. Bsp. 11: Frau Präsidentin, ich muß schon sagen, wir haben heute dem Verbraucherschutz einen Bärendienst erwiesen. Signora Presidente, devo dire subito che oggi abbiamo reso un cattivo servizio alla tutela dei consumatori. In den Beispielen 12 und 13 wird schließlich die Verstärkung im Original durch die spezifischen Kollokatoren ausdrücklich bzw. deutlich der Sprachhandlungs- Übersetzung (fast) “ex nihilo” 395 <?page no="396"?> 396 Vahram Atayan verben würdigen bzw. sagen realisiert, in der Übersetzung wird wieder auf den Zeitmarker subito zurückgegriffen. Bsp. 12: Herr Ratspräsident! Angesichts früherer Erfahrungen möchte ich ausdrücklich die Bereitschaft der Ratspräsidentschaft würdigen, ganz intensiv in das Gespräch mit dem Europäischen Parlament einzutreten. Signor Presidente del Consiglio, in considerazione delle precedenti esperienze desidero manifestare subito l’apprezzamento per la disponibilità della Presidenza del consiglio a dialogare in profondità con il Parlamento europeo. Bsp. 13: Wir werden nicht die Lösung des Problems schaffen - das will ich hier deutlich sagen -, aber dieser Fahrplan muss auch die Richtung deutlich machen. Wir werden mit allem Elan daran arbeiten. Vorrei sottolineare subito che non troveremo una soluzione al problema, ma che questa tabella di marcia dovrà indicare la direzione da prendere. 4.2.4 Exklusiv rhetorisch-argumentative Funktion Auch außerhalb rededeiktischer Kontexte bestätigt eine ganze Reihe von Beispielen den Zusammenhang zwischen der Hinzufügung von Markern argumentativer Nachzeitigkeit und der argumentativen Verstärkung. Diese Belege illustrieren somit die rhetorisch-argumentative Spielart der Kreativität in Reinform. In Atayan (2006: Kap. 5) und Atayan / Moretti (2013: 140 ff.) werden verschiedene semantische Faktoren besprochen, die argumentative Verstärkung (bzw. Abschwächung) bedingen können. Mehrere dieser Mechanismen finden sich als Auslöser der Übersetzung ex nihilo im hier untersuchten Korpus wieder. In Bsp. 14 wird in einer Vergleichsstruktur die Intensität des zweiten Elements als besonders hoch markiert ( erst recht ), in der Übersetzung wird dies jedoch durch die zeitliche Unmittelbarkeit der Sachverhaltssituierung umgesetzt (wobei hier Zweifel an der Entscheidung des Übersetzers denkbar wären). Ähnlich ist das Verfahren in Bsp. 15 mit sehr wohl als Intensitätsmarker im Original, wobei eine Verschiebung der Verstärkungsfunktion vom eingebetteten Prädikat auf das einbettende erfolgt und semantisch die Intensität des Sachverhalts durch Evidenz der Wahrnehmung ersetzt wird. Bsp. 14: Frau Präsidentin! Die Grenzregionen zu den zukünftigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union brauchen unsere ganze Aufmerksamkeit, jetzt und erst recht nach der Erweiterung. <?page no="397"?> Madame la Présidente, les régions frontalières jouxtant les futurs États membres de l’Union européenne méritent toute notre attention, tout de suite mais aussi immédiatement après l’élargissement. Bsp. 15: Zigarettenschmuggel, Schmuggel von Gemüse, von Vieh, von Fleisch ist an der Tagesordnung, und wenn man annimmt, daß ein Container Zigaretten einen Ertrag von 1 Million ECU , ein Container Alkohol 400.000 ECU […], dann sieht man, daß sich der Schmuggel sehr wohl rechnet. Contrabbando di sigarette, contrabbando di verdure, bestiame, carne: sono fatti all’ordine del giorno, e se calcoliamo che un container di sigarette rende 1 milione di ECU , un container di alcool rende 400.000 ECU […] capiamo subito che il contrabbando è remunerativo. Spontaneität wird in Atayan (2006: 391) als ein argumentationsverstärkendes semantisches Merkmal identifiziert. Auch hierfür finden sich Beispiele im aktuellen Korpus (Bsp. 16), wobei das französische assez spontanément als Auslöser von sofort in der deutschen Übersetzung fungiert. Bsp. 16: Comme un problème se présente, on se tourne assez spontanément vers le fétiche de la maison, je veux parler de la concurrence, à qui, je pense, il faudra un jour ériger une statue. Sobald ein Problem auftaucht, wendet man sich sofort dem Fetisch des Hauses zu - dem Wettbewerb, dem man eines Tages wohl ein Denkmal setzen wird. Klarheit fungiert in einigen Beispielen als Verstärker des argumentativen Potentials in der Kommunikation i. w. S. (vgl. auch oben Bsp. 13). In Bsp. 17 wird das Syntagma klar verständlich im Italienischen wieder durch das verstärkende immediatamete comprensibile realisiert. Bsp. 17: Geben Sie ein mutiges, aber auch ein klar verständliches Signal, das auch die Verantwortung in diesen Ländern weckt! Che il vostro segnale sia audace, immediatamente comprensibile e tale da risvegliare in questi paesi un senso di responsabilità. Schließlich werden Zeitmarker als Argumentationsverstärker auch in Einheiten mit dem Wert einer Konklusion, insbesondere in direktiven Sprechakten mit Dringlichkeitswert wie in den Beispielen 18 und 19, eingesetzt (wobei sich hierfür, wie schon in Atayan / Fetzer / Gast/ Möller / Ronalter 2016 festgestellt, besonders immédiatement und immediatamente eignen). Übersetzung (fast) “ex nihilo” 397 <?page no="398"?> 398 Vahram Atayan Bsp. 18: Ja, unsere Mitgliedsländer haben die Konvention ratifiziert, allerdings einige mit Vorbehalten, und die sollten jetzt dringendst aufgehoben werden. Nos États membres ont tous ratifié cette Convention même si quelques-uns l’ont fait avec certaines réserves, réserves qu’il conviendrait à présent de lever immédiatement. Bsp. 19: Es muß dringend klargestellt werden, daß hier über das abgestimmt wird, was der Ausschuß auch in deutscher Originalfassung angenommen hat. Va chiarito immediatamente che si deve porre in votazione il testo approvato in sede di commissione nella versione originale tedesca. Auch das Merkmal der Rechtzeitigkeit einer Handlung in direktiven Sprechakten wird in einigen Fällen durch unmittelbare Nachzeitigkeit ersetzt: Bsp. 20: Drittens sollte all dies auch rechtzeitig berechenbar sein. In terzo luogo, tutto questo dovrebbe anche essere immediatamente calcolabile. Den letzten hier zu analysierenden Fall stellen schließlich die Belege dar, in denen die argumentative Verstärkung durch Zeitmarker in der Übersetzung als eine Hinzufügung zu sehen ist, ohne dass ein argumentationsverstärkendes Merkmal im Original überhaupt vorhanden wäre. So wird die Prominenz eines Zeitpunkts nach der Fragestunde der Kommission durch die Zusatzangabe von immédiatement noch einmal fokussiert (Bsp. 21), in Bsp. 22 wird die Kritik an den Beschuldigungen in einem Dokument durch den Hinweis auf deren frühe Platzierung im Text verstärkt und in Bsp. 23 wird die Konklusion des Redners in Form eines direktiven Sprechakts durch die Setzung eines engen Zeitrahmens der unmittelbaren Nachzeitigkeit weiter intensiviert. Bsp. 21: Aber ich bitte Sie, Herr Vorsitzender, diskutieren wir im September dann nicht um Mitternacht über dieses Thema, sondern nach der Fragestunde mit der Kommission, also an einer ganz prominenten Stelle. Mais je vous en prie, Monsieur le Président, que ce débat n’ait pas lieu à minuit, mais qu’il figure en bonne place à l’ordre du jour, c’est-à-dire immédiatement après la communication de la Commission sur les questions politiques urgentes. Bsp. 22: D’ailleurs, pour nous culpabiliser un peu plus, il est rappelé dans le considérant A que „le concept de fondamentalisme trouve son origine dans les États-Unis des années vingt et visait principalement la foi chrétienne“. <?page no="399"?> Um unsere Schuldgefühle zu vergrößern, wird gleich im Erwägungsgrund A darauf verwiesen, ‚dass der Begriff Fundamentalismus in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA geprägt wurde, wo er zunächst eine bestimmte christliche Glaubensrichtung bezeichnete‘. Bsp. 23: Das ist nicht hinnehmbar, und wir fordern die Kommission auf, diese Finanzkürzung zurückzunehmen und die grenzüberschreitende Hilfe für burmesische Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Consideriamo inaccettabili queste riduzioni e invitiamo la commissione a revocarle e a cominciare immediatamente a finanziare gli aiuti transfrontalieri ai rifugiati birmani. In solchen Fällen scheint vor allem die allgemeinstrategische Überlegung, dass die Argumentationsverstärkung grundsätzlich vorteilhaft für die Umsetzung der kommunikativen Funktion sein dürfte, eine Rolle zu spielen. Allgemeiner bestätigt diese rhetorisch-argumentative Art der Kreativität aus linguistischer Sicht den universellen Charakter der Argumentation als linguistische Kategorie im Sinne von Ducrot, die durch sehr unterschiedliche semantische Kategorien umgesetzt werden kann, wobei die Schnelligkeit bzw. die zeitliche Unmittelbarkeit ein universeller Argumentationsverstärker für Handlungsprädikate zu sein scheint. 5 Fazit Die vorangegangenen Überlegungen kann man an der einen oder anderen Stelle mit Recht als impressionistisch bezeichnen - hierfür gibt es zwei Gründe. Einen weniger guten: Es sind nämlich keine Ergebnisse einer umfangreichen Studie, sondern lediglich eines Versuchs, exemplarisch einige interessante Phänomene zu diskutieren. Der bessere Grund besteht darin, dass die Analyse des Feinzusammenhangs zwischen hochabstrakten Phänomenen wie unmittelbarer Nachzeitigkeit, Redesteuerung und Argumentation ohne diese impressionistische (intuitive? Oder neutraler: ‚verstehensbasierte / interpretative‘? Oder - das wird sicher die Zustimmung Alberto Gils finden - noch einmal viel nobler ‚hermeneutische‘? ) Vorgehensweise schlicht nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun doch einige vorsichtige Schlussfolgerungen ziehen: Es scheinen in unserem Korpus drei grundsätzliche Fälle der Übersetzung (fast) ex nihilo vorzuliegen. Bei den rein explizierenden Belegen ist die Vermutung plausibel, dass der allgemeine Übersetzungsprozess eine Rolle spielt. Bei den rededeiktischen Verwendungen ist der Einfluss der Textsorte zentral. Bei den vielfältigen argumentationsverstärkenden Beispielen geht es um das rhetorische Vertextungsmuster und die inhärente Argumentativität der Sprache, in der Übersetzung (fast) “ex nihilo” 399 <?page no="400"?> 400 Vahram Atayan zeitliche Nähe und Geschwindigkeit als universelle Mittel der Argumentationsverstärkung fungieren und deshalb die recht unterschiedlichen semantischen Merkmale der Originaltexte gut umsetzen können. Somit dürfte die zugrunde gelegte Definition der Kreativität als eine noch normale Anomalie tatsächlich greifen, denn die Anomalie der nicht-maximalen Invarianzeinhaltung (durch lexikalische Hinzufügung oder semantische Verschiebung) wird durch Faktoren höherer Funktionalitätsebene wie Einhaltung der Textsortenkonventionen oder Argumentationsverstärkung (auch miteinander kombiniert) bedingt. So kann tentativ eine wichtige Erkenntnis - und damit auch eine kleine Ergänzung zu den Analysen Alberto Gils - formuliert werden: Anscheinend finden wir in den Übersetzungen auch eine Art von Kreativität, die nicht als Deus ex machina für die Problemlösung eingesetzt wird; vielmehr trifft hier das überaus komplexe semiotische und funktionale Potential der Sprache auf die Kreativität der Übersetzer und wird, ex nihilo , zur Realität. Bibliographie Atayan, Vahram (2006): Makrostrukturen der Argumentation im Deutschen, Französischen und Italienischen . Mit einem Vorwort von Oswald Ducrot. Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang. Atayan, Vahram (2010): Methoden der Übersetzungskritik: ein theorie- und anwendungsbasierter Vergleich . Saarbrücken: VDM -Verlag. Atayan, Vahram (2016a): „Temporalità e soggettività: alcune osservazioni sulla semantica avverbiale“. 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We consider translation as the uncertainty about a target language expression given a particular source language expression ( entropy ), on the one hand, and the (un)expectedness of a particular target language expression to occur in the target language text given a source language expression