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Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen

1212
2016
978-3-8233-9079-4
Gunter Narr Verlag 
Jana Gamper

Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie Kinder mit unterschiedlichen Herkunftssprachen (Russisch, Niederländisch) im Vergleich zu einsprachig aufwachsenden deutschsprachigen Kindern semantische Rollenrelationen im Satz bestimmen. Im Fokus steht die Frage, welchen Stellenwert die Abfolge nominaler Konstituenten, einzelne Kasusmarker sowie die Belebtheit für die Bestimmung semantischer Rollen einnehmen. Die ermittelten Interpretationsstrategien werden im Sinne eines sprachentwicklungssequentiellen Ansatzes diskutiert.

<?page no="0"?> Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie Kinder mit unterschiedlichen Herkunftssprachen (Russisch, Niederländisch) im Vergleich zu einsprachig aufwachsenden deutschsprachigen Kindern semantische Rollenrelationen im Satz bestimmen. Im Fokus steht die Frage, welchen Stellenwert die Abfolge nominaler Konstituenten, einzelne Kasusmarker sowie die Belebtheit als cues für die Bestimmung semantischer Rollen einnehmen. Die ermittelten Interpretationsstrategien werden im Sinne eines sprachentwicklungssequentiellen Ansatzes diskutiert. 37 37 LD 37 Language Development ISBN 978-3-8233-8079-5 Gamper Satzinterpretationsstrategien Jana Gamper Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen Language Development <?page no="1"?> Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen <?page no="2"?> Language Development Herausgegeben von Cristina Flores (Braga), Tanja Kupisch (Konstanz), Jürgen M. Meisel (Hamburg / Calgary), Esther Rinke (Frankfurt am Main) Band 37 <?page no="3"?> Jana Gamper Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio‐ nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72 070 Tübingen www.narr.de · info@narr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ver‐ lages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISBN 978-3-8233-8079-5 <?page no="5"?> 1 16 1.1 19 1.2 21 2 23 2.1 23 2.2 36 2.3 57 2.4 72 2.5 79 3 82 3.1 83 3.2 102 3.3 113 3.4 124 4 133 4.1 142 4.2 147 4.3 152 5 155 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele und Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen - eine kontrastive Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionalistische Ansätze: Theoretische Prämissen . . . . . . . Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synkretismen im Kasusparadigma - Zur besonderen Rolle der Belebtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung Funktionen in Formen - das Competition Model . . . . . . . . . . Cue-Transfer in mehrsprachigen Bedingungen . . . . . . . . . . . . Belebtheit, Satzschema und Kasusmarker im Erwerb - Mehr- und einsprachige Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emergente mapping-Systeme: Zusammenfassung und Implikationen für die Satzverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern - Vorannahmen und empirisches Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experimentelles Testdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 5.1 157 5.2 162 5.2.1 167 5.2.2 171 5.3 175 5.3.1 176 5.3.2 199 5.3.3 205 5.4 207 5.5 229 6 232 6.1 232 6.2 241 6.3 243 6.4 249 7 255 257 281 Haupteffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Satzschema zur Kasusmorphologie: Indikatoren für eine cue-Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Belebtheitskontrast als cue? . . . . . . . . . . . . . . . Zur Rolle einzelner Artikelformen bei der Verarbeitung kanonischer Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle der Erstsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle des Sprachstands im Deutschen . . . . . . . . . . Auf dem Weg zur morphologischen Strategie - ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individuelle Verarbeitungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebniszusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik . . . . . Was wissen mehr- und einsprachige Kinder über Formen und Funktionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sukzessive cue strength-Modifikation: Parallelen zwischen Rezeption und Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Rolle der Erstsprache bei mehrsprachigen Kindern . . . . . Verarbeitungsstrategien der monolingual deutschen Kinder - Versuch einer Methodenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="7"?> Dank Die Anfertigung und Fertigstellung meiner Dissertation wäre ohne die Unter‐ stützung von zahlreichen Personen kaum denkbar gewesen. Einigen von ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Meinen beiden Betreuern Prof. Dr. Klaus-Michael Köpcke und Dr. Andreas Bittner gilt mein ganz besonderer Dank. Die Zeit, Energie und Geduld, die sie in die Besprechungen und Diskussionen meiner Dissertation investiert haben, haben entscheidend zu ihrer Entstehung beigetragen. Ich habe durch die inten‐ sive Betreuung ungeheuer viel gelernt und danke den beiden, dass sie mir meinen Weg in die Sprachwissenschaft auf ihre ganz eigene Weise geebnet haben. Ebenso danke ich meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Brian MacWhinney für die Möglichkeit, einen Teil der Arbeit an der Carnegie Mellon University schreiben zu dürfen sowie für seinen wertvollen Input und seine Ideen. Den an der empirischen Erhebung beteiligten Schulleiterinnen und Schullei‐ tern, Lehrerinnen und Lehrern, den Eltern und ganz besonders den Kindern danke ich sehr für ihre Teilnahme. Ich hatte das große Glück, Mitglied des Promotionskollegs Empirical and Applied Linguistics der Universität Münster zu sein. Der Austausch mit den Lehrenden sowie den anderen Promovierenden, ihre kritischen Nachfragen sowie ihr Feed‐ back haben meine Arbeit stets ein Stück vorangebracht. Ich habe sehr von meiner Mitgliedschaft im Kolleg profitiert und möchte die fünf Jahre nicht missen. Besonders meine Mitpromovenden Verena Wecker, Anja Binanzer, Elisa Franz, Marc Schutzeichel und Valentina Cristante haben mich stets unterstützt - dafür danke ich ihnen. Prof. Dr. Jens Bölte danke ich für die Unterstützung in statistischen Fragen. Katrin Thelen möchte ich für die vielen Stunden in der Bibliothek, endlose Gespräche über die Welt der cues und allen voran die Freundschaft, die aus all dem entstanden ist, danken. Die vier gemeinsamen Bürojahre während der Dissertationsphase und die vielen erhellenden Gespräche, die mich mit Sabina De Carlo auch außerhalb der Bürowände verbinden, haben mich in vielerlei Hinsicht geprägt. Danke dafür. Kathrin Weber danke ich fürs Zuhören, Diskutieren, Unterstützen und Mo‐ tivieren innerhalb und außerhalb unserer Dissertationswelten. <?page no="8"?> Mein besonderer Dank gilt Alisa Blachut, die mit kritischem Blick und viel Geduld und Akribie die Arbeit Korrektur gelesen und es stets geschafft hat, mir mit freundschaftlichem Rat und einem offenen Ohr zur Seite zu stehen. Ebenso möchte ich meiner Familie, vor allem meiner Mutter, meinem Stief‐ vater und meinen Großeltern dafür danken, dass sie mich immer motiviert haben und immer hinter mir stehen. Mein größter Dank gilt Dir, Stefan. Danke fürs an meiner Seite sein. <?page no="9"?> Abkürzungsverzeichnis AG Agens AKK Akkusativ CM Competition Model DAT Dativ DET Determinierer FEM Femininum L1 Erstsprache L1 NL Erstsprache Niederländisch L1 R Erstsprache Russisch L2 Zweitsprache MASK Maskulinum monolingual D monolingual Deutsch N+ maximale Nominalphrase N>N zwei aufeinanderfolgende nominale Konstituenten N1 erste nominale Konstituente N1-Strategie Strategie, die erste von zwei nominalen Konstituenten als Agens auszuwählen N2 zweite nominale Konstituente NEUT Neutrum NOM Nominativ NP Nominalphrase NVN nominale Konstituente - Verb nominale Konstituente OS-Satz Satz, in dem das Objekt vor dem Subjekt realisiert wird PAT Patiens REZ Rezipiens <?page no="10"?> S>O Abfolge Subjekt vor Objekt SO-Satz Satz, in dem das Subjekt vor dem Objekt realisiert wird SpSt Sprachstand SVO Subjekt - Verb - Objekt <?page no="11"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Interdependenz von Kasusmarkern und Wortstellungsvarianz (kontrastiv)  55 Abbildung 2: Semantische und formale Prototypikalität von Agens und Patiens  69 Abbildung 3: Semantische und formale Prototypikalität von Agens und Patiens im Deutschen  76 Abbildung 4: Prototypische cue coalition für das Subjekt (Year 2003: 9)  97 Abbildung 5: Ineinandergreifen von syntaktischer Ent‐ wicklung und einzelnen Kasusformen 125 Abbildung 6a: Hypothetische gruppenspezifische Verar‐ beitungsstrategien in OS-Sätzen mit in‐ transparenter N1-Form (der, die oder das) 140 Abbildung 6b: Hypothetische gruppenspezifische Verar‐ beitungsstrategien in OS-Sätzen mit transparenter N1-Form (den oder dem) 140 Abbildung 7: Einfluss von L1, Sprachstand und satzini‐ tialer N1-Form auf N1-Anteile in Sätzen mit Satzschema als einzigem cue 164 Abbildung 8: N1-Anteile in SO- und OS-Sätzen (nach L1) 166 Abbildung 9: Einfluss des Belebtheitskontrasts-cues auf N1-Anteile in morphologisch ambigen Sätzen 169 Abbildung 10: Formabhängige N1-Anteile in SO-Sätzen 173 Abbildung 11: Gruppenspezifische N1-Anteile in SO- und OS-Sätzen (between-group) 178 Abbildung 12: L1-spezifische N1-Anteile bei intranspa‐ renten und transparenten satzinitialen Formen in OS-Sätzen 181 Abbildung 13: L1 Russisch - Von morphologischen und semantischen cues abhängige N1-Anteile in OS-Sätzen 188 <?page no="12"?> Abbildung 14: L1 Niederländisch - Von morphologi‐ schen und semantischen cues abhängige N1-Anteile in OS-Sätzen 190 Abbildung 15: Monolingual Deutsch - Von morphologi‐ schen und semantischen cues abhängige N1-Anteile in OS-Sätzen 194 Abbildung 16: Zwischen syntaktischer und morphologi‐ scher Strategie: L1-spezifische Charakte‐ ristika 197 Abbildung 17: L1 Russisch - N1-Anteile (OS-Sätze) in Abhängigkeit von Sprachstand, morpho‐ logischen und semantischen cues 202 Abbildung 18: L1 Niederländisch - N1-Anteile (OS-Sätze) in Abhängigkeit von Sprach‐ stand, morphologischen und semanti‐ schen cues 203 Abbildung 19: Monolingual deutsche Kinder - N1-An‐ teile (OS-Sätze) in Abhängigkeit von Sprachstand, morphologischen und se‐ mantischen cues 204 Abbildung 20: Typenspezifische und formabhängige N1-Anteile in OS-Sätzen - L1 Russisch 211 Abbildung 21: Von der N1-Strategie zur Morphologie - Typenspezifische cue strength-Modifika‐ tion bei russischsprachigen Kindern 213 Abbildung 22: Typenspezifische und formabhängige N1-Anteile in OS-Sätzen - L1 Niederlän‐ disch 216 Abbildung 23: Typenspezifische N1-Anteile bei der- und das- / die-markierten SO-Sätzen (L1 Nie‐ derländisch) 218 Abbildung 24: Von der N1-Strategie zur Morphologie - Typenspezifische Schritte bei niederländ‐ ischsprachigen Kindern 220 Abbildung 25: Typenspezifische und formabhängige N1-Anteile in OS-Sätzen - Monolingual deutsche Kinder 224 Abbildung 26: Von der N1-Strategie zur Morphologie - Typenspezifische Schritte bei monolin‐ gual deutschen Kindern 226 Abbildung 27: Variierende cue strength-Verknüpfungen bei der Verarbeitung von OS-Sätzen 234 <?page no="13"?> Abbildung 28: Beschaffenheit phrasaler nicht-agentivi‐ scher Konstruktionen 237 Abbildung 29: Von der syntaktischen Konstruktion zum Morphem - Entwicklung von Verabrei‐ tungsstrategien als Reduktionsprozess 239 Abbildung 30: L1-spezifische mental repräsentierte map‐ pings 248 <?page no="14"?> Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Kennzeichnung semantischer Relationen im Niederländischen und Deutschen  41 Tabelle 2: Kasussystem des Deutschen (Singular)  43 Tabelle 3: Akkusativ- und Dativformen in OVS-Sätzen  45 Tabelle 4: Kasussystem des Russischen (Singular)  47 Tabelle 5: Bedingungen und Variablenkombinati‐ onen im Testdesign 143 Tabelle 6: Übersicht über die verwendeten Items in den Testsätzen 145 Tabelle 7: Anzahl Probanden nach L1 und Sprach‐ stand im Deutschen 150 Tabelle 8: Haupteffekte und Interaktionen bei Kin‐ dern (abhängige Variable: Antwortwahl) 158 Tabelle 9: Haupteffekte und Interaktionen bei Er‐ wachsenen (abhängige Variablen: Ant‐ wortwahl, Lesezeit Testsatz, Entschei‐ dungszeit) 159 Tabelle 10: Effekte und durchschnittliche N1-Anteile in Sätzen mit Wortstellung als einzigem cue 163 Tabelle 11: Einfluss der satzinitialen morphologi‐ schen Form auf N1-Anteile in SO-Sätzen 172 Tabelle 12: Effekte von Wortstellungsvarianzen (SO vs. OS) bei Kindern und Erwachsenen (within-group) 177 Tabelle 13: Effekte transparenter und intransparenter Marker in OS-Sätzen (between-group) 180 Tabelle 14: Gruppeninterne Effekte (within-group Kinder) transparenter und intranspa‐ renter satzinitialer Formen mit und ohne Interaktion mit der Belebtheit der N1 in OS-Sätzen 187 <?page no="15"?> Tabelle 15: Gruppeninterne Effekte (within-group Er‐ wachsene) transparenter und intranspa‐ renter Formen mit und ohne Interaktion mit Belebtheit in OS-Sätzen - Erwachsene 196 Tabelle 16: Gruppeninterne Effekte des Sprachstands sowie der Interaktion zwischen Sprach‐ stand, Belebtheit der N1 und funktionaler Transparenz auf N1-Anteile in OS-Sätzen 201 Tabelle 17: Typisierung der russischsprachigen Pro‐ banden anhand von N1-Anteilen in OS-Sätzen 208 Tabelle 18: Typenspezifische Effekte in OS-Sätzen - L1 Russisch 209 Tabelle 19: Typisierung der niederländischspra‐ chigen Probanden anhand von N1-An‐ teilen in OS-Sätzen 214 Tabelle 20: Typenspezifische Effekte in OS-Sätzen - L1 Niederländisch 215 Tabelle 21: Typisierung der monolingual deutschen Kinder anhand von N1-Anteilen in OS-Sätzen 222 Tabelle 22: Typenspezifische Effekte in OS-Sätzen - Monolingual deutsche Kinder 223 <?page no="16"?> 1 http: / / www.kreiskurier-lh.de/ files/ images/ ausgaben/ 2011/ 46-KK-Sonntag-2011.pdf [Zuletzt geprüft: 24. 04. 2015]. 2 Im Folgenden werden unter den Begriffen Lerner sowie Sprecher sowohl weibliche als auch männliche Personen zusammengefasst. 3 Gesehen in den Westfälischen Nachrichten. 4 Aus dem Anzeigenblatt Illertisser Extra, gesehen im „Hohlspiegel“ (Spiegel 39 / 2001: 154). 1 Einleitung „Die Esel wollten natürlich alle Kinder streicheln“ - am 20. 11. 2011 druckte der Lüdinghausener Kreiskurier  1 diese ungewöhnlich anmutende Meldung ab. Auf den ersten Blick scheint es, als würden die Kinder von den Eseln gestreichelt werden. Beim nochmaligen Lesen wird diese erste Interpretation des Satzes je‐ doch vermutlich von den meisten Sprechern 2 des Deutschen revidiert, sodass die Esel zu den Gestreichelten und die Kinder zu den Streichelnden werden. Obwohl diese Reinterpretation ohne weiteres vorgenommen werden kann, stellt sich die Frage, wodurch die anfängliche Ambiguität überhaupt entsteht und wie sie schließlich aufgelöst werden kann. Die erste Lesart des Satzes kann zustande kommen, weil Sprecher annehmen, dass das erstgenannte Argument des Verbs streicheln der Handlungsträger (Agens) und das zweitgenannte das Objekt (Pa‐ tiens) sei. Man kann sich bei der Satzinterpretation also auf die Reihenfolge der Konstituenten und damit auf die Wortstellung stützen. Untermauert wird diese Satzinterpretation durch die Tatsache, dass beide Nominalphrasen im Plural re‐ alisiert werden und die Verbform in Hinblick auf Kongruenzrelationen keine der beiden Phrasen eindeutig als agentivisch favorisiert. Syntaktische Ambiguitäten kommen im täglichen Sprachgebrauch in unzäh‐ ligen Ausprägungen vor. Neben den ‚streichelnden Eseln‘ finden sich zum Bei‐ spiel Meldungen wie Zwei Autos beschädigten Unbekannte in der Nacht von Samstag auf Sonntag 3 oder Elterngeld: Nur jedes fünfte Kind wickelt Papa. 4 Jeder dieser Sätze ist uneindeutig und ermöglicht bei der Bestimmung des Subjekts zwei Lesarten. Während die streichelnden Esel und das wickelnde Kind ver‐ mutlich aufgrund des Weltwissens, dass Esel nicht streicheln können und Kinder ihre Eltern eher nicht wickeln, als Agens entfallen, ist es im zweiten Beispiel die Unbelebtheit der Autos, die diese als Aktanten ausschließt. Die Beispiele zeigen, dass Sprecher Sätze nach komplexen Prinzipien analysieren müssen, wenn sie <?page no="17"?> bestimmen wollen, wer Handlungsträger und wer nur von der Handlung be‐ troffen ist. Nicht umsonst nennt Kako (2006: 1) Sätze „miniature plays“, die stets die Information enthalten, wer was tut und mit wem was geschieht. Die sprachliche Oberfläche dient uns neben dem Weltwissen dabei als Orientierungspunkt, um zu erfassen, wer die Aktanten innerhalb der Satzszene sind und in welcher Re‐ lation sie zueinander stehen, das heißt welche Rolle sie im Stück spielen. Un‐ terschiedliche Formen werden dabei dazu verwendet, die Rollen der beteiligten Handlungsaktanten anzuzeigen. Formal-grammatische Mittel haben folglich eine Kodierungsfunktion. Aufgabe der Sprecher ist es, den oberflächensprach‐ lichen Kode zu entschlüsseln, um an den Inhalt, im vorliegenden Fall die se‐ mantischen Relationen, zu gelangen. Der Handlungs- und Satzrahmen wird dabei von der Verbbedeutung bestimmt; den an der Handlung beteiligten Ak‐ tanten müssen in einem zweiten Schritt spezifische Rollen zugewiesen werden. So wäre bei der Kombination der Lexeme schenken, Mädchen, Junge und Blume zunächst nur klar, dass auf die Handlung des Schenkens sowie auf drei an der Handlung beteiligte Aktanten (Mädchen, Junge, Blume) referiert wird. Wer je‐ doch welche Rolle spielt, wird erst durch die Hinzunahme grammatischer Mittel deutlich. So kann beispielsweise entweder das Mädchen (Das Mädchen schenkt dem Jungen eine Blume) oder der Junge (Dem Mädchen schenkt der Junge eine Blume) zum Schenkenden werden. Im Deutschen lässt sich anhand der Kasusmarkierung am Artikel meist ein‐ deutig erkennen, wer welche Rolle in einer Handlung einnimmt. Wie die obigen Beispiele jedoch deutlich machen, sind Kasusmarker nicht immer eindeutig (zum Beispiel im Plural) oder nicht immer verfügbar, sodass der Sprecher andere Informationen hinzuziehen muss, mittels derer semantische Relationen im Satz determiniert werden können. Für den Fall, dass keine morphologischen Marker verfügbar sind, ist besonders die syntaktische Position der Aktanten relevant - diese grammatische Information ist nämlich in jedem Fall verfügbar. Weitere grammatische Mittel können die Subjekt-Verb-Kongruenz sein (zum Beispiel Die Kinder sieht der Mann) sowie besonders die Prosodie und der Kontext. Auf semantischer und damit nicht-grammatischer Ebene spielt auch die Belebtheit der Aktanten eine Rolle. Kasusmarker, Abfolge im Satz, Belebtheitskontraste, Prosodie und Kongruenzrealtionen fungieren damit als potentielle cues für se‐ mantische Relationen. Die grammatischen und semantischen Indikatoren sind hierarchisch zunächst gleich gewichtet. Wen der Sprecher in einem Satz wie Die Esel wollten natürlich alle Kinder streicheln als Agens auswählt, hängt schließlich von der sprecherspezifischen Gewichtung dieser cues, der sogenannten cue strength ab. Das Spezifikum des Deutschen besteht dabei darin, dass unter‐ 1 Einleitung 17 <?page no="18"?> schiedliche cues ein und dieselbe Funktion erfüllen können. Allein der Sprecher entscheidet darüber, welche Kodierungsform die ausschlaggebende ist. Aus den bisherigen Überlegungen lässt sich folgern, dass sprachliche Mittel mehr oder weniger eindeutige Funktionen erfüllen, mithilfe derer Sprachver‐ ständnis überhaupt ermöglicht und so die primäre Funktion von Sprache - nämlich die Kommunikation - gesichert werden kann. Diese funktionale Sicht auf grammatische und semantische Mittel wirft im Kontext eines auf sprachliche Entwicklung bezogenen Zugangs die Frage auf, wie Kinder Wissen über Formen und ihre Funktionen erlangen. Aus einer kognitiv-funktionalen und gebrauchs‐ basierten Perspektive, die den Grundstein dieser Arbeit bildet, heißt das, dass Kinder im Zuge ihrer sprachlichen Entwicklung vor der Aufgabe stehen, Form-Funktions-Paare zu finden, diese zu systematisieren, zu verstehen und letztlich selbst zu gebrauchen. Konkret bedeutet das, dass sie mittels spezifischer kognitiver Fertigkeiten den sprachlichen Input in Hinblick auf cues durchsu‐ chen, um adäquate formalsprachliche Kodierungsmöglichkeiten aufzufinden, die eine Satzinterpretation und -produktion sicherstellen. Besonders bei der Satzverarbeitung dienen diese cues als Anhaltspunkte, mit deren Hilfe seman‐ tische Relationen identifiziert werden. Das Ziel im Sinne einer erfolgreichen, auf automatisierte Satzverarbeitung hin ausgerichteten sprachlichen Entwick‐ lung besteht darin, mappings zwischen Formen und ihren Funktionen aufzu‐ bauen und so zu validen Form-Funktions-Paaren zu gelangen. Dies ist im Deut‐ schen besonders deshalb eine potentielle Hürde, da eben keine Eins-zu-Eins-, sondern eine Viele-zu-Eins-Relation besteht (das heißt viele cues für eine Funk‐ tion). Kombiniert mit der These, dass die Gewichtung der einzelnen cues spre‐ cherspezifisch variieren kann, schließt sich in Bezug auf sprachliche Entwick‐ lungsprozesse die Frage an, ob Kinder zu unterschiedlichen Zeitpunkten spezifische Kodierungsmöglichkeiten als Indikatoren für semantische Rollen präferieren und ob sich die Präferenz im Laufe ihrer Entwicklung verändert sowie wovon diese Veränderung abhängig sein kann. Sprachentwicklung wird im Rahmen dieser Arbeit folglich als emergenter, im kontinuierlichen Wandel befindlicher Prozess einer Umgewichtung der cue strength verstanden, der von unterschiedlichen sprachspezifischen sowie lernerbedingten Faktoren abhängig sein kann. Die lernerbedingten Faktoren, die im Zuge dieser Arbeit im Fokus stehen sollen, beziehen neben der sprachlichen Entwicklung vor allem die Mehr- und Einsprachigkeit von Sprechern ein. So müssen Kinder, die neben dem Deutschen eine weitere Sprache sprechen, in mehreren Systemen valide Form-Funk‐ tions-Relationen ausbilden. Eine innersprachliche Varianz wird damit um eine sprachkontrastive Varianz ergänzt. Während beispielsweise das Deutsche über 1 Einleitung 18 <?page no="19"?> 1.1 Kasusmarker verfügt, haben andere germanische Sprachen wie das Niederlän‐ dische einen starken Flexionsabbau erfahren. Da morphologische Marker als Indikatoren für semantische Rollen kaum verfügbar sind, lässt sich im Nieder‐ ländischen die Rolle der Aktanten ausschließlich an der Abfolge der Konstitu‐ enten bestimmen. Andere indogermanische, insbesondere slawische Sprachen wie das Russische sind vom Flexionsabbau weniger betroffen, sodass Kasus‐ marker in fast allen Satzkontexten zuverlässige Indikatoren für semantische Relationen sind. Auf formal-sprachlicher Ebene stehen sich also die Wortstel‐ lung und die Kasusmarkierung als zwei maximal unterschiedliche Kodierungs‐ möglichkeiten dichotom gegenüber, die im Niederländischen respektive Russi‐ schen jeweils hochvalide cues für semantische Relationen im transitiven Satz darstellen. Im Gegensatz zum Deutschen dominieren hierbei also zwar maximal unterschiedliche, jedoch eindeutige cues die Kodiereung semantischer Relati‐ onen. In Bezug auf mehrsprachige Sprecher (Russisch-Deutsch sowie Nieder‐ ländisch-Deutsch) stellt sich somit die Frgae, ob die validen cues der jeweiligen Ausgangssprachen (L1) den Verarbeitungs- und Interpretationprozess in der Zielsprache Deutsch (L2) beeinflussen. Unterschiedliche Ausgangssprachen, so die übergeordnete Hypothese der Arbeit, führen zu unterschiedlichen Gewich‐ tungen von cues und somit zu divergierenden Interpretationsstrategien in der L2 Deutsch. Ziele und Fragestellungen Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen vier Fragestellungen. Erstens soll ge‐ klärt werden, welche grammatischen und semantischen cues (Wortstellung, Ka‐ susmarker, Belebtheit) mehrsowie einsprachige Kinder des Deutschen im Grundschulalter nutzen, um semantische Relationen in transitiven Sätzen zu determinieren. Geklärt werden soll dabei auch, ob und in welche Relation die genannten Mittel zueinander gesetzt werden und welche unterschiedlichen Strategien Kinder nutzen, um Sätze zu interpretieren. Zweitens soll ermittelt werden, ob sich die Gewichtung dieser Mittel verändert und wovon eine po‐ tentielle cue strength-Modifikation abhängig ist. Drittens - und dies ist zugleich auch die wichtigste Fragestellung - soll geklärt werden, ob typologisch diver‐ gierende Ausgangssprachen die Gewichtung von cues in der L2 beeinflussen beziehungsweise determinieren. Ein weiteres zentrales Ziel der Arbeit ist es, zu überprüfen, ob und welche spezifischen Artikelformen des Deutschen mit spe‐ zifischen Informationen verknüpft werden. Die Annahme hierbei ist, dass ein‐ zelne Artikelformen prototypische Funktionen erfüllen. Die Modifikation der 1.1 Ziele und Fragestellungen 19 <?page no="20"?> cue strength könnte dabei ein Resultat dieser auf einzelne Artikelformen im Ka‐ susparadigma bezogenen Form-Funktions-Relationen sein. Die Beantwortung der Fragen erfolgt auf der Basis eines empirischen expe‐ rimentellen Designs, in dem grammatische (Wortstellung, Kasusmarker) und semantische (Belebtheit) cues koalieren und konkurrieren. Methodisch orien‐ tiert sich das Testdesign an den Prinzipien des Competition Models ( CM ), was deshalb ausgewählt wurde, weil es neben grundlegenden funktionalsprachli‐ chen Prinzipien auch kognitive Mechanismen bei der Sprachverarbeitung und der sprachlichen Entwicklung berücksichtigt und darüber hinaus ermöglicht, einzelne cues und ihre Relevanz für Satzverarbeitungsstrategien systematisch zu überprüfen. Das Modell umfasst die These, dass sprachliche Formen um die Kennzeichnung semantischer Relationen konkurrieren können. Das entwi‐ ckelte Testdesign orientiert sich an dieser Konkurrenzthese und schafft Satz‐ kontexte, in denen die drei Variablen Wortstellung, Kasusmarker und Belebtheit sowohl zugunsten einer spezifischen semantischen Rolle in transitiven Bedin‐ gungen koalieren als auch konkurrieren. Die systematische Korrelation dieser Bedingungen ermöglicht es, gruppen- und sprecherspezifische cue strengths zu erfassen. Das Testdesign ist als forced choice-Aufgabe konzipiert, bei der die Probanden in transitiven Sätzen ein Agens auswählen mussten. Zu den Probanden gehörten Kinder im Alter von durchschnittlich 9; 6 Jahren, die sich in Hinblick auf ihr sprachliches Profil unterschieden. Zwei Gruppen waren mehrsprachig, wobei bei einer die Ausgangssprache Niederländisch und bei der anderen Russisch war. Die dritte Gruppe bildeten gleichaltrige monolingual deutschsprachige Kinder. Hinzu kam eine vierte monolinguale Gruppe, die aus erwachsenen Sprechern des Deutschen bestand. Die beiden monolingualen Testgruppen dienten als Kontrollgruppen. Um auch potentielle entwicklungsbedingte Effekte abzude‐ cken, wurden die drei Kindergruppen in Hinblick auf den Sprachstand im Deut‐ schen gematcht. Bei der Auswertung der Testergebnisse wurden damit neben grammatischen und semantischen auch unterschiedliche lernerspezifische Va‐ riablen berücksichtigt. Theoretisch ist die Arbeit in der kognitiv-funktionalen und gebrauchsba‐ sierten Linguistik sowie einer konstruktivistisch-empirischen Sprachentwick‐ lungssperspektive verankert. Die aufgeworfenen Fragestellungen werden des‐ halb vor dem Hintergrund der Grundannahmen verhandelt, dass sprachliches Wissen im Allgemeinen und cue strength im Besonderen im Sinne eines emer‐ genzorientierten Ansatzes kontinuierlich modifiziert wird. Die Gewichtung von cues bildet dabei eine lernerspezifische kognitive Repräsentation der jeweiligen 1 Einleitung 20 <?page no="21"?> 5 Hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang, dass die Arbeit keine Aussagen darüber treffen will, wie gut oder schlecht mehr- und einsprachige Sprecher das Kasussystem oder spezifische Wortstellungsvarianten des Deutschen beherrschen. Im Fokus steht ausschließlich die Isolation und Modellierung einer sprecherspezifischen cue strength, die im Kontext von mehrsprachigen Sprachentwicklungsbedingungen verhandelt wird. Ob es hierbei eine direkte Korrelation zwischen satzinterpretativen Entscheidungsst‐ rategien bei der rezeptiven Agenswahl und dem produktiven Gebrauch der hier unter‐ suchten grammatischen Variablen gibt, kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden. 1.2 Form-Funktions-Relationen ab. Die Arbeit setzt deshalb an der Schnittstelle zwischen Satzverarbeitungsstrategien und sprachlicher Emergenz an. 5 Die empirische Aufarbeitung form-funktionsspezifischen Wissens im Deut‐ schen möchte somit eine relativ große Forschungslücke in Bezug auf mehrspra‐ chige sowie insbesondere kindliche Sprecher schließen. Die bisherigen Erkennt‐ nisse zu cue strength bei der Satzinterpretation beziehen sich nämlich vor allem auf einsprachige Sprecher und zeigen, dass die Gewichtung von cues einem kontinuierlichen Modifikationsprozess unterliegt. Mehrsprachig aufwachsende Kinder sowie damit einhergehende potentielle mapping-Transferphänomene im Deutschen standen bisher nicht im Fokus. Damit soll erfasst werden, welche Strategien Kinder mit unterschiedlichen sprachlichen Profilen bei der Satzin‐ terpretation im Deutschen gebrauchen. Aufbau Die Arbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. In ersterem werden zunächst in Kapitel 2 die beiden im Fokus stehenden gram‐ matischen Mittel Wortstellung und Kasusmarker in Hinblick auf ihr Vor‐ kommen und ihre Funktion als Kodierungsformen für semantische Relationen in den drei relevanten Sprachen (Deutsch, Russisch und Niederländisch) erläu‐ tert. Eingebettet ist die Diskussion der grammatischen Formen in eine funktio‐ nalistische Sicht auf Sprachgebrauch und -entwicklung. Dieser grundlegenden Gegenstandsanalyse folgt in Kapitel 3 die Darstellung der cue strength von Wortstellung, Kasusmarkern und Belebtheit bei der Satzverarbeitung bei ein- und mehrsprachigen Sprechern. Im Zuge dieses Forschungsüberblicks wird auch das Competition Model erläutert und eingeordnet. Ergänzt ist der Überblick um Erkenntnisse zum Erwerb transitiver Satzschemata und Kasusmarker im Deutschen. Die theoretische und methodische Beleuchtung sprachentwicklungsrele‐ vanter Fragestellungen mündet schließlich in den zweiten Teil der Arbeit, der 1.2 Aufbau 21 <?page no="22"?> die Empirie umfasst. Dazu werden zunächst in Kapitel 4 die Fragestellungen, das experimentelle Testdesign sowie die der Arbeit zugrundeliegenden Hypo‐ thesen vorgestellt. Kapitel 5 enthält schließlich die Ergebnisdarstellung und -analyse. Die Arbeit schließt mit einer Ergebnisdiskussion (Kapitel 6) sowie einem Ausblick (Kapitel 7). 1 Einleitung 22 <?page no="23"?> 2 2.1 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen - eine kontrastive Perspektive Sprachen bedienen sich unterschiedlicher Kodierungsmechanismen zum ‚Ver‐ packen‘ (mapping) semantischer Relationen. Für mehr- und einsprachige Spre‐ cher bedeutet dies, dass sie die einzelsprachlichen Kodes identifizieren und lernen müssen. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob mehrsprachige Kinder L1-spezifische Kodes (oder cues, s. Kapitel 3) auf die Satzverarbeitung in der L2 Deutsch übertragen. Bevor also erläutert werden kann, welche cues für welche Lerner im Deutschen wann besonders wichtig sind und ob tatsächlich die Exis‐ tenz eines mapping-Transfers plausibel ist, muss geklärt werden, über welche Kodierungsformen die für die vorliegende Untersuchung relevanten Sprachen überhaupt verfügen. Im Folgenden wird deshalb skizziert, welche Gemeinsam‐ keiten und Unterschiede das Deutsche, das Niederländische und das Russiche hinsichtlich der Kodierung semantischer Relationen aufweisen. Die Gegen‐ standsbeschreibung erfolgt hierbei im Sinne des funktionalen Prinzips. Zum besseren Verständnis geht der Gegenstandsbeschreibung zunächst die Erläute‐ rung von Grundannahmen der funktionalen Linguistik voran. Funktionalistische Ansätze: Theoretische Prämissen Die Annahme, dass Formen und Funktionen in einer interdependenten Bezie‐ hung zueinander stehen und dass formale Strukturen funktional motiviert sind, bildet die Basis funktional-linguistischer Ansätze. Die funktionale Linguistik geht davon aus, dass „Sprache nicht isoliert, sondern nur in Beziehung zu ihrer Rolle in der zwischenmenschlichen Kommunikation erforscht werden kann“ (Smirnova / Mortelmans 2010: 13, vgl. auch Bischoff / Jany 2013). Die Analyse sprachlicher Strukturen erfolgt dabei stets in Hinblick auf die Funktionen, die sprachliche Mittel und Formen kommunikativ und kognitiv erfüllen. Die Be‐ trachtung sprachlicher Systematiken als Abbildung kommunikativer Absichten sowie semantischer Konzepte ist der Ausgangspunkt jeglicher funktional mo‐ tivierter Beschreibungskonventionen. Die Grundidee der funktionalen Linguistik geht auf die Prager Schule der 20er Jahre zurück. Das funktionalistische Credo - „functions are embodied in <?page no="24"?> structures“ (Tomasello 1998: xvi) - impliziert, dass Sprecher in Kommunikati‐ onssituationen vor der Herausforderung stehen, komplexe kommunikative Ein‐ heiten in ein lineares sprachliches System zu ‚verpacken‘. Grammatische Struk‐ turen dienen also dieser ‚Verpackung‘ (vgl. Daneš 1987) und strukturieren die verbale Interaktion zwischen Sprecher und Hörer. Langacker (1998: 1) fasst die Funktionen sprachlicher Systeme mit den Begriffen semiological function und interactive function zusammen. Einerseits können durch den Gebrauch sprach‐ licher Mittel Gedanken und Konzepte symbolisiert werden, andererseits stellen diese Mittel Kommunikation überhaupt erst sicher. Die daraus resultierende Abbildung von Form auf Inhalt und Inhalt auf Form wird im Rahmen funktio‐ nalistischer Ansätze und Modelle als mapping (auch direct mapping beziehungs‐ weise form-function mapping) bezeichnet. Die Verknüpfung zwischen sprachli‐ cher Form und außersprachlichem Inhalt ist dabei genuin symbolisch. Die konkrete äußere Form ist Bates / MacWhinney (1989: 18) zufolge zwar arbiträr, ihre funktionale Motivation ist von dieser rein formalen Arbitrarität jedoch nicht betroffen. Sprachgebrauch, -verarbeitung und -lernen muss deshalb als ein kontinuierliches Ent- und Verpacken beziehungsweise Denotieren und Konno‐ tieren von Formen und Funktionen verstanden werden. Problematisch bei einer funktionalistischen Betrachtung von Sprache ist zu‐ nächst die fehlende theoretische Basis. Es existiert keine einheitliche zugrunde liegende funktionalistische Theorie, vielmehr stehen unterschiedliche Ansätze mehr oder weniger lose nebeneinander, die funktionalistische Annahmen teilen. Ausgehend von einer grundlegenden funktionalen Perspektive auf Sprachge‐ brauch können unterschiedliche theoretische Positionen ausgemacht werden, die den Funktionsbegriff auf unterschiedliche sprachliche Ebenen anwenden. Eine dieser Positionen ist die Funktionale Grammatik von Dik (Dik 2 1997). Das primäre Ziel Diks ist es, grammatische Regularitäten auf semantischer, phono‐ logischer, morphologischer und syntaktischer Ebene mit pragmatischen Regu‐ laritäten im Sprachgebrauch zu verknüpfen. Diks Grundannahme ist dabei, dass die Pragmatik die hierarchiehöchste Ebene sei: „the basic requirement of the functional paradigm is that linguistic expressions should be described and ex‐ plained in terms of the general framework provided by the pragmatic system of verbal interaction“ (Dik 2 1997: 4). Das grammatische Regelsystem ist vor dem Hintergrund dieser Prämisse deshalb auch ein Resultat beziehungsweise eine Abbildung pragmatischer Faktoren. Bezogen auf die Struktur von Sätzen folgert Dik unter anderem, dass Konstituentenabfolgen ein Mittel für den Ausdruck spezifischer Relationen seien (vgl. ebd.: 392 f.). Eine Veränderung der Konstitu‐ entenfolge ist deshalb auch Resultat eines kontextuell und pragmatisch gebun‐ denen Relationsausdrucks. Wenn es also darum gehen soll, den Sprecher und 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 24 <?page no="25"?> sein Sprachverhalten zu untersuchen, müsse das primäre Ziel zunächst die Ana‐ lyse pragmatischer Faktoren und erst danach die systematische Betrachtung der sprachlichen Oberfläche sein (vgl. auch Smirnova / Mortelmans 2010: 18). Wäh‐ rend Diks Ansatz als umfassender Versuch betrachtet werden kann, alle sprach‐ lichen Ebenen zu integrieren, beziehen sich andere Ansätze auf spezifische Sprachbereiche. Tyler (2010) differenziert dazu zwischen systemisch-funktio‐ nalen Ansätzen, zu denen vor allem Halliday / Matthiesen ( 3 2004) zu zählen sind, dem Diskursfunktionalismus (vor allem Givón 1995) und kognitiven Ansätzen, zu denen neben der Kognitiven Grammatik (Langacker 1987, 1991, 2008) vor allem die Konstruktionsgrammatik (Croft 2001, Fillmore / Kay / O’Connor 1988, Goldberg 1995) gehört. Trotz ihres gemeinsamen funktionalen Blicks auf Sprache, wenden die jeweiligen theoretischen Ansätze den Terminus der Funk‐ tion auf unterschiedliche Aspekte von Sprache an. So steht im von Halliday geprägten systemisch-funktionalen Ansatz die situationsbedingte Kommuni‐ kationsabsicht und auf analytischer Ebene die Systematisierung kontextspezi‐ fischer sprachlicher Mittel im Fokus. Bekannt geworden ist dieser Zugang durch die Register- und Stilforschung. Betrachtet werden dabei zum Beispiel situati‐ onsbedingte soziale Relationen zwischen Gesprächspartnern, deren Strukturen sich jeweils auch an der sprachlichen Oberfläche abbilden. Tyler (2010) zufolge ist auch der von Givón geprägte diskursanalytische Funktionalismus eng an das Ziel angelehnt, Sprachgebrauch aus einer situati‐ onsspezifischen Perspektive auszuleuchten. Givóns Erweiterung im Vergleich zu Halliday bestehe jedoch darin, kognitive Prozesse und mental repräsentierte Konzepte in die Analyse sprachlicher Strukturen einzubeziehen (ebd.). Während beispielsweise der Halliday’sche Ansatz untersucht, an welchen Stellen im Dis‐ kurs welche syntaktischen Thema-Rhema-Strukturen vorkommen, versucht der Givón’sche Ansatz zu beantworten, wie spezifische syntaktische Strukturen an‐ hand kognitiver Prinzipien erklärt werden können. Zentral ist in diesem Zu‐ sammenhang der von Givón gebrauchte Begriff der Ikonizität beziehungsweise Meta-Ikonizität (Givón 1995: 58 f.). Gemeint ist damit, dass sich zum Beispiel spezifische Handlungsabläufe in einer entsprechenden syntaktischen Struktur abbilden. Givón nimmt eine natürliche, jedoch nicht zwingende Korrelation zwischen Inhalt und Ausdruck an und geht dabei von einer Isomorphie zwischen Form und Inhalt aus. Im Zentrum seiner Untersuchungen stehen transitive syn‐ taktische Strukturen, die er als Abbildung eines kausal-linearen Handlungsver‐ laufs betrachtet (s. auch Kapitel 2.3). Im Blick steht ein kanonisches Handlungs‐ muster, in dem ein belebtes Individuum auf ein Gegenüber oder ein Objekt einwirkt. Die kausale Relation, die so entsteht, bildet sich schließlich syntaktisch so ab, dass der Handlungsträger in der linearen Satzstruktur zuerst und der von 2.1 Funktionalistische Ansätze: Theoretische Prämissen 25 <?page no="26"?> der Handlung Betroffene darauffolgend genannt wird. Eine kausale Handlungs‐ kette des Typs ‚Handlungsträger → von der Handlung Betroffener‘ mündet schließlich in einem Satz des Typs Nomen - Verb - Nomen ( NVN ) oder Nomen - Nomen - Verb ( NNV ). Die syntaktische Struktur ist somit die ikonische Abbil‐ dung abstrahierter Handlungsmuster, die wiederum kognitiv abstrakt reprä‐ sentiert sind. Givóns Analysen zu syntaktischen Mustern sowie zu Thema-Rhema-Struk‐ turen bilden unter anderem die Grundlage für kognitiv basierte funktionale Ansätze. Eine der zentralen Grammatiktheorien, die die Givón’schen Überle‐ gungen systematisch weiterentwickelt, ist die Konstruktionsgrammatik (Fill‐ more 1988, Fillmore / Kay / O’Connor 1988, Goldberg 1995). Konstruktionen sind dabei Form-Inhalts-Paare, deren Gesamtdeutung nicht auf der Basis einzelner Komponenten abgeleitet werden kann (vgl. Goldberg 1995: 4). Die syntaktischen Muster, auf die sich die Analysen von Fillmore sowie Goldberg beziehen, zeichnen sich durch einzelsprachlich konventionalisierte interne und externe Eigenschaften (vgl. Fillmore 1988: 36) aus. Das erwähnte syntaktische Muster ( NVN ) wäre solch ein Form-Inhalts-Paar mit spezifischen externen und internen Merkmalen, das als transitive Konstruktion eingestuft wird. Diese transitive Konstruktion zeichnet sich im Deutschen durch eine kontextuell bedingte Kon‐ stituentenabfolge aus und kann dabei zwischen NVN , NNV oder VNN variieren. In kanonischen Bedingungen verweist die erste NP (N1) auf den Handlungs‐ träger und die zweite (N2) auf einen von der Handlung betroffenen Aktanten. Die syntaktische Struktur kodiert damit unabhängig vom ‚Füllmaterial‘, das heißt von spezifischen Lexemen, einen spezifischen Handlungsrahmen. Die Konstruktionsgrammtik legt damit wie auch andere Ansätze den Fokus auf den Zusammenhang spezifischer semantischer Relationen und ihrer ‚Sichtbarkeit‘ in syntaktischen sowie morphologischen und phonologischen Mustern und be‐ trachtet diese Muster als Kernbestandteil einzelsprachlicher Grammatiken. Die Konstruktionsgrammatik orientiert sich insofern an Prinzipien der Kog‐ nitiven Grammatik, als sie annimmt, dass Sprecher über spezifische kognitive Fähigkeiten verfügen, die es ihnen ermöglichen, Sprache als System zu erlernen, zu gebrauchen und zu verändern. Insbesondere für den Spracherwerb gilt dabei, dass mithilfe dieser Fähigkeiten der sprachliche Input gewissermaßen nach wiederkehrenden bedeutungstragenden Mustern analysiert wird. Das Finden und Verwenden dieser Muster bildet dann auch die Basis für die sprachliche Entwicklung. Zu diesen Fähigkeiten gehören vor allem die Kategorienbildung, Klassifikation, Analogiebildung und Abstraktion (vgl. Langacker 2000a), die do‐ mänenübergreifend arbeiten und in jedem Bereich des Wissenserwerbs und damit auch - jedoch nicht nur - beim Sprachlernen und Sprachverwenden zum 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 26 <?page no="27"?> Einsatz kommen. Regularitäten (und damit auch Konstruktionen) im gramma‐ tischen System wären im Sinne der Kognitiven Grammatik das Resultat von Kategorisierungs- und Analogisierungsverfahren. Die kognitive Kategorienbil‐ dung bildet sich entsprechend an der sprachlichen Oberfläche und damit im Sprachgebrauch ab. Das Vorhandensein abstrakter Einheiten wie der oben be‐ schriebenen Konstruktionen ist Resultat dieser Kategorien- und Analogiebil‐ dung und mündet in abstrakte Muster, die nicht nur Sprachverarbeitung und -produktion, sondern sprachliche Entwicklungsprozesse steuern. Linguistische Analysen verfolgen im Kontext der Kognitiven Grammatik damit das Ziel, Muster aufzufinden und davon ausgehend Rückschlüsse auf kognitive Struk‐ turen und Mechanismen zu ziehen. Funktionalistische Ansätze teilen weiterhin die Annahme, dass grammati‐ sche Charakteristika von Sprache auf Interaktion, also dem Sprachgebrauch, fußen und rücken somit den Sprecher und seinen Umgang mit sprachlichen Strukturen ins Zentrum ihrer Analyse. Die empirisch basierte Hinwendung zum Sprecher mündet schließlich in die sogenannten usage-based models (vgl. Barlow / Kemmer 2000, Bybee / Hopper 2001), die auf der Basis einer sprachge‐ brauchsbasierten Analyse Aussagen zu unterschiedlichen Untersuchungsfel‐ dern der Linguistik (zum Beispiel Spracherwerb oder Sprachwandel) machen wollen. Die gebrauchsbasierte Komponente ist im Kontext der funktionalen Linguistik essentiell, wobei die zum Einsatz kommende Methode zur Identifi‐ kation gebrauchsspezifischer Effekte auf das sprachliche System und auf sprach‐ liches Wissen vom konkreten funktionalistischen Ansatz abhängig sein kann. So liegt es zum Beispiel nahe, Registervarianz und im Register verwendete sprachliche Mittel auf der Basis natürlicher Interaktion zu analysieren. Geht es hingegen um die Frage, wie spezifische grammatische Muster kognitiv reprä‐ sentiert sind, eignen sich Elizitationsverfahren oder experimentelle Methoden, die zum Beispiel Aufschluss darüber geben, mit welchen Inhalten einzelne grammatische Formen verknüpft werden. Funktionalistische Ansätze bringen folglich drei primäre Komponenten mit sich. Sie verbinden formalsprachliche Charakteristika mit kommunikativen und kognitiven Funktionen, sie sind spre‐ cher- und damit gebrauchsorientiert und sie haben den Anspruch, ihre Erkennt‐ nisse empirisch zu fundieren. Der Begriff Funktion ist insgesamt relativ ambig und nicht klar definiert. Daneš (1987: 4) führt diesen Umstand auf das Versäumnis zurück, im Laufe der Be‐ gründung des funktionalistischen Prinzips Funktion als Terminus klar abzu‐ grenzen. Dies führte schließlich dazu, dass unterschiedliche sprachliche Ebenen funktional motiviert sein können. So kann der Gebrauch bestimmter Lexeme 2.1 Funktionalistische Ansätze: Theoretische Prämissen 27 <?page no="28"?> 1 Die Formvarianten sind Resultat des Prinzips der Vokalharmonie und deshalb als Al‐ lomorphe zu klassifizieren. oder syntaktischer Muster funktional in einer spezifischen Interaktionssituation sein. Ein Sprecher würde zum Beispiel in einer informellen Interaktionssituation mit Freunden andere sprachliche Mittel gebrauchen als in einem öffentlich-for‐ mellen oder institutionellen Gespräch (zum Beispiel bei einem Vortrag vor einem Fachpublikum). Gleichzeitig haben die Hinweise zu konstruktionsgram‐ matischen Ansätzen gezeigt, dass sprachliche Einheiten für sich, das heißt los‐ gelöst von jeglicher situations- und interaktionsbedingter Kontextgebunden‐ heit, funktional sein können. Hierbei ist also nicht eine vermeintliche kommunikative Absicht, sondern die Funktion der grammatischen Struktur als Indikator für einen spezifischen Inhalt ausschlaggebend. Mehrgan (2012: 39) differenziert deshalb zwischen einer strukturellen und einer pragmatischen Funktion. Nichols (1984: 98) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass allen funktionalistischen Ansätzen die Prämisse zugrunde liegt, eine Brücke zwischen formalen Beschreibungsebenen und der Kommunikation zu schlagen: „It aims at closing the gap between the study of language and the study of com‐ munication, […]. It tries to give grammar a direct material grounding in the communicative situation.“ Da diese Verknüpfung wiederum unterschiedlichen Zugängen unterliegt, findet man divergierende Auffassungen zum Funktions‐ begriff. Generell wird angenommen, dass kommunikative Funktionen und Absichten universal sein können, die konkrete formale Realisierung sich jedoch von Sprache zu Sprache unterscheidet. In Bezug auf die Gegenstände dieser Arbeit bedeutet das, dass semantische Relationen für jede Sprache relevant sind. Wenn Handlungen verbalisiert werden, enthalten sie unabhängig von der Einzel‐ sprache Rollen wie Agens, Patiens, Thema, Rezipiens oder Instrument. Die ein‐ zelsprachliche Kodierung der Funktion kann jedoch divergieren. Die formalen Realisierungsoptionen schöpfen dabei aus dem der Einzelsprache zugrunde lie‐ genden Formeninventar, wodurch einzelsprachlich konventionalisierte Form-Funktions-Paare entstehen. Charakteristisch ist dabei in den meisten Fällen das mapping problem. Nur in wenigen Sprachen kann einer Form genau eine Funktion zugeordnet werden. So ist zum Beispiel die Verfügbarkeit von genau einer Kasusform zur Markierung von exakt einer semantischen Rolle in agglutinierenden Sprachen wie dem Türkischen zu finden (zum Beispiel -a / -e im Dativ, -da / -de im Lokativ). 1 Ein ähnlich striktes Muster findet sich in flexi‐ onsfreien und damit isolierenden Sprachen, die semantische Relationen im Satz ausschließlich durch die Abfolge der Konstituenten kennzeichnen. Liegt solch 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 28 <?page no="29"?> 2 Zu den Merkmalen formal-funktionaler Multifunktion vgl. Andersen (1990). eine Eins-zu-Eins-Relation vor, spricht man vom one-to-one mapping. In den meisten flektierenden Sprachen wird hingegen eine Form zur Markierung meh‐ rerer Funktionen gebraucht. So ist im Deutschen der Artikel die nicht nur Genus- und Kasusmarker im Femininum, sondern wird sowohl im Nominativ als auch im Akkusativ gebraucht (Die N O M Frau sieht den Mann vs. Den Mann sieht die A K K Frau). Hinzu kommt, dass die in allen Genera im Nominativ und Akkusativ Plural verwendet wird (Die N O M Männer / Kinder / Frauen sehen den Mann vs. Der Mann sieht die A K K Männer / Frauen / Kinder). Aus funktionaler Perspektive heißt das, dass die Artikelform die multifunktional ist, da sie sowohl Singularität als auch Pluralität anzeigt und darüber hinaus verschiedene Kasus und damit semanti‐ sche Rollen kennzeichnen kann. Da der Idealfall des one-to-one mappings sehr selten oder sprachenspezifisch auftritt, sind one-to-many mappings (das heißt eine Form erfüllt mehrere Funktionen) oder many-to-one mappings (unter‐ schiedliche nebeneinander stehende Formen können jeweils dieselbe Funktion erfüllen) in vielen Sprachen gängig. 2 Bates / MacWhinney erklären dieses map‐ ping problem mit der Tatsache, dass es eine Vielzahl außersprachlicher pragma‐ tischer und semantischer Funktionen gibt, diesen aber nur ein begrenzter Pool sprachlicher Formen gegenübersteht. Sie folgern deshalb: „[W]e can view the mapping problem as a competition for channel access among these diverse pragmatic and semantic functions” (1987a: 215). Der Terminus channel access entspricht in diesem Zusammenhang der Annahme, dass Sprecher komplexe und multidimensionale Inhalte in ein relativ striktes lineares sprachliches System bringen müssen. Der Sprecher hat somit die Aufgabe, die Funktionsva‐ rianz zu erkennen und zu entscheiden, welche Funktion die Form im spezifi‐ schen Gebrauchsmoment erfüllt. Kommunikationsprozesse zwingen den Spre‐ cher dabei stets dazu, Funktionen in ‚geeignete‘ Formen zu verpacken („mapping of function onto form“), während Hörer diese Formen wiederum dekodieren müssen, um den Inhalt herauszufiltern („mapping of form onto function“; Bates / MacWhinney 1989: 51). Sprachliche Entwicklung (insbesondere die kindliche) wird im Sinne eines funk‐ tionalistischen Ansatzes als Erwerb von form-function mappings betrachtet. Funktionalistische Ansätze nehmen an - basierend auf einer gebrauchsorien‐ tierten Grundhypothese -, dass die von Sprechern (oder allgemeiner: von In‐ teraktionspartnern) verwendeten Kodierungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle im kindlichen Erwerbsprozess spielen (vgl. Tomlin 1990: 160 f.). Spracherwerb ist in diesem Sinne dann erfolgreich, wenn Lerner die einzelsprachlichen 2.1 Funktionalistische Ansätze: Theoretische Prämissen 29 <?page no="30"?> Form-Funktions-Paare mühelos en- und dekodieren können. Lerner stehen vor der Aufgabe, passende Formen zum Ausdruck konkreter Inhalte und Konzepte aus dem Input zu filtern und sie in angemessener Weise, das heißt für den Kom‐ munikationspartner verständlich zu gebrauchen. Kommunikative Funktionen und semantische Konzepte bestimmen dabei in Abhängigkeit von der kogni‐ tiven Entwicklung des Lerners den Erwerbsprozess und die Erwerbsverläufe, sodass Erwerbsprozesse zunächst „meaning-driven“ sind: [C]ommunicative functions can drive the learner in a rather special way, by directing attention to regularities in the linguistic environment. The child is scanning the input for ways to convey interests and needs, trying to extract information that will help in predicting the behavior and attitudes of other people. (Bates / MacWhinney 1989: 31) Kindliche Lerner mit einer uneingeschränkten physiologischen Entwicklung sind nicht nur in der Lage, sprachliche Laute als Möglichkeit der Kommunika‐ tion zu erkennen. Sie können (baiserend auf dem Ausbau semantischer Konzepte und kommunikativer Funktionen) in einem nächsten Schritt mittels konkreter kognitiver Fertigkeiten (Kategorisierung, Klassifizierung, Analogiebildung, Abstraktion) den sprachlichen Input analysieren und systematisieren. Lerner können in einer bestimmten Erwerbsphase spezifische Lexeme einzelnen Ob‐ jekten zuordnen und im weiteren Erwerbsverlauf auch grammatische Struk‐ turen als Ausdrucksmöglichkeiten für komplexere Konzepte nutzen. Funktio‐ nalistische Ansätze nehmen dabei an, dass das Suchen nach Formen eng mit der kognitiven Ausbildung dieser Konzepte verknüpft ist, was als zentrale Vorläu‐ ferfertigkeit betrachtet werden muss. Erst wenn ein Kind beispielsweise ver‐ standen hat, dass belebte, meist menschliche Wesen in der Lage sind, unbelebte Objekte zu bewegen und ihren Zustand zu verändern, entsteht ein Konzept von Transitivität. Wenn dieses Grundverständnis kognitiv verankert ist, kann der Lerner den sprachlichen Input nach passenden Verpackungsmöglichkeiten durchsuchen und das Konzept verbalisieren (vgl. Mandler 1992, 2012). Im Rahmen des funktionalen Spracherwerbs wird diese Voraussetzung als functi‐ onal readiness bezeichnet (vgl. Bates / MacWhinney 1987b, MacWhinney 1987b, 1988). Das Konzept der functional readiness ist stark angelehnt an die Annahme, dass Funktionen sprachungebunden und damit quasi funktional-semantische Universalien seien. Tomlin zufolge (1990: 165) ist es deshalb notwendig, diese zunächst systematisch zu erfassen, bevor untersucht werden könne, wie sie den Erwerb passender sprachlicher Kodierungsmöglichkeiten steuern. Der Zugang über die functional readiness fragt danach, welche Konzepte aus‐ gebildet sein müssen, damit sprachliche Mittel zur Realisierung dieser Konzepte überhaupt erst gebraucht werden können. Der Zugang über die Form fragt hin‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 30 <?page no="31"?> gegen danach, mit welchen semantischen Konzepten spezifische sprachliche Formen verknüpft werden. Eine Fragestellung wäre in diesem Zusammenhang zum Beispiel, ob Kinder eine NVN -Konstruktion mit einer kausalen semanti‐ schen Relation zwischen zwei Aktanten verbinden. Ebenso kann danach gefragt werden, mit welchen semantischen Rollen Sprecher eine morphologische Arti‐ kelform wie die oder dem verknüpfen. Beide Zugänge gehen von der kognitiven Repräsentation von Form-Funktions-Relationen aus. Die Zielrichtung ist im ersten Fall das mapping von Form auf semantische Konzepte, im zweiten hin‐ gegen das mapping von semantischen Konzepten auf Form(en). Letzteres steht im Fokus dieser Arbeit. Dass Lerner nicht nur über funktionales Wissen verfügen müssen, um sprach‐ liche Mittel zu entdecken und zu gebrauchen, sondern dass die sprachliche Form an sich, das heißt losgelöst von kommunikativen Absichten und semantischen Konzepten, den Erwerbsprozess beeinflussen kann, ist wahrscheinlich. So kann davon ausgegangen werden, dass Lerner Strukturen und Konstruktionen wahr‐ nehmen und abspeichern, ohne diese in Hinblick auf ihre Funktion zu analy‐ sieren. Denkbar wäre dazu folgendes Szenario: Ein Lerner könnte im Input ein Lexem wie Mann in unterschiedlichen syntaktischen Kontexten in NP s wie der Mann, aber auch dem Mann oder den Mann antreffen. Je häufiger das Item Mann also in unterschiedlichen Rollen und damit mit unterschiedlichen Kasusmarkern gebraucht wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass ein Lerner ein Flexions‐ paradigma für dieses spezifische Lexem ausbildet. In diesem Paradigma würden die Artikelformen der, den und dem als potentiell zugehörige Bestandteile des Lexems Mann gespeichert, ohne dass dem Lerner klar sein muss, dass die je‐ weiligen Artikelformen als Indikatoren für divergierende Rollen verwendet werden. Das mapping zwischen den identifizierten Formen und ihrer Funktion als Marker für semantische Rollen könnte dann in einem nächsten Schritt er‐ folgen. Wenn Lerner also versuchen, Sprache in Hinblick auf ihren funktionalen Gehalt zu analysieren, so müssten auch identifizierte formale Regelmäßigkeiten und paradigmatische Charakteristika hinsichtlich ihrer Funktion ‚abgeklopft‘ werden, ohne dass das zugehörige Konzept vollständig ausgebildet sein muss. Bates / MacWhinney (1989: 31) fassen die Interdependenz zwischen funktio‐ nalen Voraussetzungen und formal-grammatischem Wissen so zusammen, dass beide Ebenen das Erlernen von mappings steuern: „[T]he important issue is not whether learning is driven by form or by function. The answer to this question is that it is driven in both ways“. Genau diese Interdependenz formaler und funktionaler Prinzipien ist in der These, Spracherwerb sei Erwerb von form-function mappings repräsentiert. 2.1 Funktionalistische Ansätze: Theoretische Prämissen 31 <?page no="32"?> Das Nebeneinander funktionaler und formaler Prinzipien ist sowohl für einals auch für mehrsprachige Erwerbsbedingungen relevant. In beiden Kontexten ist das primäre Ziel die Beherrschung eines grammatischen Systems als Not‐ wendigkeit für eine erfolgreiche Kommunikation. Dieser grundsätzliche Ansatz ermöglicht es, auch im L2-Erwerb ermergente Lernerstrukturen vor dem Hin‐ tergrund einer kommunikativen Notwendigkeit zu erklären. Tomlin (1990: 172) folgert, dass „the interplay between functional linguistic codings and more ge‐ neral communicative principles“ unabhängig von der Erwerbsbedingung sys‐ tematisch erfasst werden könne. Auch Mehrgan (2012: 39) stellt heraus, dass funktionalistisch ausgerichtete Erwerbsforschung im Bereich des L2-Erwerbs daran interessiert sei herauszuarbeiten, inwiefern „meaning-making efforts on the part of learners are a driving force in an ongoing second language develop‐ ment, which interact with the development of formal grammatical systems“. Auch im L2-Erwerb ist deshalb die Frage essentiell, wie form-function mappings entstehen. L2-Studien müssen sich deshalb damit befassen, welche Funktionen Lerner mit welchen Formen verknüpfen und wie sie formal realisiert werden (vgl. Mehrgan 2012). Letzteres bezeichnet Bardovi-Harlig ( 2 2015: 55) als „con‐ cept-oriented approach“, was heißt, dass das zu versprachlichende Konzept (zum Beispiel semantische Relationen) als Anstoß zum Erwerb formalsprachlicher Formen dient. Ein entscheidender Unterschied zwischen L1- und L2-Erwerbs‐ prozessen ist hierbei die Rolle der functional readiness. Während Kinder im L1-Erwerb zunächst basale funktionale Kategorien ausbilden müssen, sind diese im später einsetzenden L2-Erwerb bereits vorhanden. Die Erwerbsaufgabe be‐ steht dann ‚nur‘ noch darin, neue Kodierungsmöglichkeiten zum Ausdruck be‐ reits ausgebildeter semantischer Konzepte zu finden. Während im L1-Erwerb überhaupt erst Form-Funktions-Paare ausgebildet werden müssen, gilt es im L2-Erwerb neue Paare zu etablieren (vgl. dazu auch Bardovi-Harlig 2 2015, Mehrgan 2012, Saville-Troike / McClure / Fritz 1984). Funktional ausgerichtete erwerbstheoretische Fragestellungen orientieren sich nicht nur an den Prinzipien des form-function mappings, sondern greifen auch die aus der funktionalen Linguistik hervorgegangenen gebrauchsbasierten An‐ sätze und kognitiven Prinzipien auf. Beides findet sich im Konzept der emergent language. Der Terminus der emergent grammar geht auf Hopper (1987: 142) zu‐ rück, der das Emergenzprinzip folgendermaßen definiert: [S]tructure, or regularity, comes out of discourse and is shaped by discourse as much as it shapes discourse in an on-going process. Grammar is hence not to be understood as a pre-requisite for discourse, a prior possession attributable in identical form to both speaker and hearer. Its forms are not fixed templates but are negotiable in 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 32 <?page no="33"?> face-to-face interaction in ways that reflect the individual speaker’s past experience of these forms, and their assessment of the present context, including especially their interlocutors, whose experiences and assessments may be quite different. Aus der Definition geht vor allem hervor, dass Regularitäten im grammatischen System nicht ‚voreingestellt‘ sind, sondern regelrecht verhandelt werden können. Die Nutzung spezifischer Muster ist entsprechend davon abhängig, in welchem Kontext diese gebraucht werden und welches Wissen der Sprachbe‐ nutzer mit ihnen verknüpft. Hoppers zunächst vage erscheinende Definition fasst grundlegende funktionalistische Vorannahmen zusammen. So ist die Emer‐ genzthese keinesfalls so zu verstehen, dass Sprecher in spezifischen Interakti‐ onssituationen die lineare grammatische Struktur immer wieder neu aushan‐ deln müssten. Vielmehr geht aus dem Zitat hervor, dass die Verwendung einzelner Strukturen kontextgebunden sein muss und die an der Interaktion Beteiligten spezifisches Wissen über die Funktionen der gebrauchten Strukturen mitbringen müssen, um Inhalte kommunizierbar und verstehbar zu machen. Grammatik entsteht also in und durch Interaktion und ist damit quasi doppelt gebrauchsbasiert. Für den Spracherwerb ist hier besonders der Aufbau grammatischen Wissens aus dem Gebrauch heraus entscheidend. Erwerbstheoretische Ansätze gehen zwar davon aus, dass Erwerbsprozesse systematisch, jedoch nicht linear ver‐ laufen (vgl. Ellis / Larsen-Freeman 2006: 562). Die fehlende Linearität und daraus resultierende Variabilität im Erwerbsverlauf ist wiederum eine direkte Abbil‐ dung eines emergenten, das heißt schrittweisen Aufbaus eines lernerspezifi‐ schen grammatischen Wissens. Vorausgesetzt wird hierbei, dass die ausgebil‐ dete Systematik auf interaktionalen Erfahrungen und damit auf einem spezifischen sprachlichen Input basiert. Die gebrauchsbasierte Orientierung ge‐ paart mit kognitiven Fertigkeiten, die Erwerb überhaupt erst ermöglichen, fasst Tomasello (2005: 41) folgendermaßen zusammen: In this process [i. e. the grammatical development, JG] children do two things simultaneously. First, they extract from utterances and expressions such small things as words, morphemes, and phrases by identifying the communicative job these elements are doing in the utterance or expression as a whole. Second, they see patterns across utterances, or parts of utterances, with “similar” structure and function, which enables them to create more or less abstract categories and constructions. These are the two faces of grammar: smaller elements and larger patterns. Tomasello stellt hier drei zentrale Komponenten heraus: Spracherwerb ist zu‐ nächst als Grammatikerwerb zu verstehen, der wiederum funktional motiviert ist. Welche grammatischen Muster und Strukturen wiederum welche Bedeu‐ 2.1 Funktionalistische Ansätze: Theoretische Prämissen 33 <?page no="34"?> tungen transportieren, wird aus der Interaktion mit unterschiedlichen Ge‐ sprächspartnern abgeleitet. Die Extraktion von Form-Funktions-Relationen ist, so lässt sich folgern, gebunden an Gebrauch. Damit überhaupt etwas aus dem die Lerner umgebenden Sprachgebrauch extrahiert werden kann, werden Äu‐ ßerungen nach spezifischen Kriterien systematisch analysiert. Lerner sind dabei auf der Suche nach Mustern (patterns) und Regelmäßigkeiten, die sie wiederum nur auffinden können, indem sie einzelne Strukturen zu größeren Einheiten bündeln (das heißt Kategorien bilden) und diese Einheiten letztlich zu größeren, bedeutungstragenden Mustern beziehungsweise Schemata abstrahieren. Dabei muss ergänzt werden, dass Lernern nicht nur die erwähnten kognitiven Fertig‐ keiten der Kategorisierung, Analogiebildung und Abstrahierung zum Auffinden von Mustern zur Verfügung stehen, sondern dass diese durch implizites statis‐ tisches Lernen determiniert werden. Kidd (2012: 172) definiert dieses „as the largely or wholly unconscious process of inducing structure from input follo‐ wing exposure to repeated exemplars“. Dass Lerner also überhaupt Muster ent‐ decken können, wird durch die grundlegende kognitive Fertigkeit der statisti‐ schen Analyse von Input ermöglicht. In Bezug auf die Ausbildung von Form-Funktions-Paaren heißt das, dass Lerner analysieren, wie oft eine spezi‐ fische grammatische Struktur als zuverlässiger Indikator für den Ausdruck spe‐ zifischer Inhalte verwendet wird. Frequenz und Reliabilität von Mustern spielen deshalb eine zentrale Rolle im Erwerb. Spracherwerb im Sinne eines emergenten Prozesses würde in diesem Zusammenhang bedeuten, dass Lerner Schritt für Schritt ein grammatisches System aufbauen. Diese Annahme ist zugleich das Credo einer konstruktivistischen Sicht auf Spracherwerb: „Language struc‐ ture […] is constructed by the child, either in the context of pragmatically ela‐ borate communicative contexts […] or as an extension of conceptual under‐ standing, which is the logical precursor to language“ (Hollich et al. 2000: 149). Aus konstruktivistischer Perspektive ist dieser Gedanke so zu verstehen, dass Lerner sich auf zweierlei Art und Weise entwickeln. Ihre kommunikativen Kon‐ texte und damit Bedürfnisse werden genauso stetig ausgebaut wie ihr konzep‐ tuell-semantisches Wissen, das wiederum den Ausbau des sprachlichen Reper‐ toires erfordert. Vereinfacht lässt sich sagen: Entwickelt sich ein Lerner, entwickelt sich auch seine Sprache. Entwicklung heißt wiederum Veränderung, sodass Spracherwerb im Sinne der Emergenzthese eine kontinuierliche und sys‐ tematische Weiterentwicklung formal-funktionaler mappings bedeutet. Zusammenfassend lässt sich folgern, dass ein funktional motivierter Blick auf Grammatik stets ein Zusammenspiel zwischen pragmatischen und semanti‐ schen Faktoren und ihrer Abbildung auf formalsprachliche Strukturen an‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 34 <?page no="35"?> nimmt. Erweitert um die kognitive Sicht sind dabei sowohl semantische Kon‐ zepte als auch die jeweilige sprachliche Struktur mental repräsentierte er Einheiten, die in einem symbolischen Verhältnis stehen. Die Beherrschung ein‐ zelsprachlicher Form-Funktions-Paare ist aus einer Erwerbsperspektive das pri‐ märe Erwerbsziel. Aufbauend auf spezifischen kognitiven Mechanismen wie Kategorien- und abstrakter Musterbildung sowie implizit-statistischem Lernen wird Sprechern das Auffinden grammatischer Muster ermöglicht. Im Erwerbs‐ prozess verändern sich mit dem Ausbau kommunikativer Bedürfnisse und se‐ mantischer Konzepte (die wiederum vor allem im L1-Erwerb von der kognitiven Entwicklung abhängig sind) die Verknüpfungen zwischen Formen und Funkti‐ onen. Je mehr Informationen ein Lerner erhält, desto höher ist die Wahrschein‐ lichkeit, dass bestehende Verknüpfungen zwischen grammatischen Formen und ihren jeweiligen Funktionen modifiziert und erweitert werden. Die Fragestellungen der Arbeit lassen sich vor dem Hintergrund dieser Grundannahmen nun weiter spezifizieren. In erster Linie soll es darum gehen, Form-Funktions-Paare bei Lernern mit unterschiedlichen sprachlichen Vorer‐ fahrungen und damit mit variierenden mappings zu identifizieren. Mit Blick auf den Givón’schen Ikonizitätsbegriff soll ermittelt werden, ob Lerner syntaktische Muster sowie andere formalsprachliche Mittel (hier: Kasusmarker) mit kon‐ kreten semantischen Konzepten verbinden. Die Existenz mehrerer Kodierungs‐ möglichkeiten für eine Funktion ist Resultat des many-to-one-mappings, wo‐ durch eine potentielle Konkurrenz zwischen syntaktischem Muster und Kasusform hervorgerufen wird. Mit Blick auf die Annahmen der emergenten Grammatik, die davon ausgeht, dass Lerner im Zuge ihrer sprachlichen Ent‐ wicklung ein grammatisches System schrittweise und systematisch konstru‐ ieren, sollte dieser Umstand dazu führen, dass sich die Verknüpfung zwischen Formen und ihren potentiellen Funktionen sukzessive verändert. Ziel der Arbeit ist es deshalb herauszufinden, welche mappings mehrsprachige Sprecher in der L2 Deutsch aufbauen und inwiefern sich diese mappings (insbesondere unter dem Einfluss der jeweiligen Ausgangssprache) von denen einsprachiger Spre‐ cher unterscheiden. Weiterhin soll geklärt werden, ob und wie sich diese Form-Funktions-Paare im Kontext der Emergenzthese verändern. Die Verände‐ rung, so die übergeordnete These, bildet letztlich den Weg zum Erwerbsziel ab, der (unabhängig von der Einrespektive Mehrsprachigkeit von Sprechern) darin besteht, Kasusmarker im Deutschen als zuverlässige Indikatoren für semanti‐ sche Relationen in transitiven Sätzen zu nutzen. 2.1 Funktionalistische Ansätze: Theoretische Prämissen 35 <?page no="36"?> 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen Um herausarbeiten zu können, welche sprachlichen Mittel in den hier unter‐ suchten Sprachen als Indikatoren für semantische Relationen fungieren, werden im Folgenden die dem Deutschen, Niederländischen und Russischen zugrunde‐ liegenden Kodierungsprinzipien skizziert. Die Gegenstandsbeschreibung be‐ zieht sich dabei ausschließlich auf aktivische transitive Aussagesätze, bestehend aus zwei Nominalphrasen sowie einem finiten Verb. Vorausgesetzt wird hierbei, dass solche Strukturen eine kausale Relation zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens umfassen (vgl. Givón 1995). Bevor die Relation zwischen Inhalt und Form genauer betrachtet wird, steht zunächst die oberflächensprachliche Struktur im Fokus. In der Einleitung wurde bereits erwähnt, dass das Niederländische und Rus‐ sische von zwei maximal unterschiedlichen Möglichkeiten zur Kennzeichnung semantischer Relationen im Satz Gebrauch machen, nämlich der Wortstellung und den Kasusmarkern. Im Deutschen finden sich aus unterschiedlichen Gründen beide Kodierungsformen. Was die drei Sprachen verbindet, ist eine einheitliche Basiswortstellung. Die in der Greenberg’schen (1963) Tradition stehenden Bemühungen, Er‐ kenntnisse zu Wortstellungsvariabilitäten und -regularitäten systematisch wei‐ terzuentwickeln, mündeten in die Diskussion, warum spezifische Wortstel‐ lungsmuster häufiger vorkommen als andere. Van Everbroeck (2003) zeigt in diesem Zusammenhang, dass sich in den meisten (bekannten) Sprachen spezi‐ fische Basiswortstellungsmuster ausmachen lassen, die letztlich auf drei domi‐ nante Strukturen eingrenzbar sind. So haben 51 % der untersuchten Sprachen der Welt die Basisabfolge Subjekt-Objekt-Verb ( SOV ), 23 % SVO und 11 % VSO . VOS kommt in nur 8 % der Sprachen vor, die übrigen Varianten ( OSV , VOS ) liegen bei unter 1 % und sind damit als Einzelfälle einzustufen. Auch Hawkins (1983) und Tomlin (1986) verweisen darauf, dass die meisten Sprachen auf die Abfolge SOV , SVO und VSO einzugrenzen sind, wobei Tomlin die Muster SOV und SVO als äquivalent betrachtet. Lässt man die Position des Verbs außen vor, zeigt sich, dass in der überwiegenden Mehrheit der Sprachen der Welt die Ba‐ siswortstellung Subjekt vor Objekt (S>O) dominiert. Dryer (2013) zufolge ist diese Abfolge die dominanteste Struktur in den meisten bisher untersuchten Sprachen (über 80 %). Die Abfolge von S>O stellt letztlich eine sprachübergrei‐ fende universelle Tendenz dar. Der umgekehrte Fall (O>S) ist zumindest in der Basiswortstellung deutlich seltener anzutreffen. 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 36 <?page no="37"?> 3 Dieser Umstand wird je nach theoretischer Grundausrichtung unterschiedlich inter‐ pretiert; vgl. dazu für eine Gegenüberstellung generativer und funktionaler Zugänge Haspelmath (2008). Die Frage ist, nach welchen Kriterien einer Sprache ein Basiswortstellungstyp zugewiesen wird. Zu den wichtigsten Kriterien, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, gehören die Vorkommenshäufigkeit (Dryer 1995, Hawkins 1983, Tomlin 1986), die pragmatische Neutralität (Pullum 1977; vgl. für einen Überblick auch Mithun 1992) sowie die Interaktion zwischen Satzstruktur und Satzprosodie (Höhle 1982) und besonders auch die Diskussion um Thema-Rhemabeziehungsweise Fokus-Topik-Relationen (Reis 1993). Pragma‐ tische Neutralität meint in Pullums Sinn den Gebrauch einer Struktur, deren Auftreten in einem kontextfreien Rahmen, also diskursinitial wahrscheinlich ist (vgl. Pullum 1977: 266). Ohne an dieser Stelle im Detail auf die diesen Kriterien anhaftenden Diskussionen eingehen zu wollen, lässt sich Basiswortstellung als eine in einer Einzelsprache am häufigsten vorkommende pragmatisch sowie prosodisch unmarkierte (oder ‚neutrale‘) Struktur definieren. Dass Vorkom‐ menshäufigkeit überhaupt als definitorisches Kriterium angewendet wird, weist zugleich darauf hin, dass der Gebrauch anderer Strukturen möglich, jedoch be‐ sonders deshalb selten ist, weil er an kontextuelle Faktoren gebunden ist. Die funktionale Sicht auf die sprachübergreifende Tendenz, S vor O zu rea‐ lisieren, 3 umfasst unterschiedliche Erklärungen. Die Kognitive Grammatik ar‐ gumentiert dabei im Sinne des Givón’schen Ikonizitätsprinzipis und nimmt an, dass ein (meist belebtes) Agens in der Regel als Handlungsausführender auf ein (meist unbelebtes) Patiens einwirkt. Diese kausale Relation (A G E N S → P A‐ TI E N S ) bildet aus einer kognitiv-funktionalen Perspektive eine kanonische Hand‐ lungsstruktur ab (Funktion), die auf der sprachlichen Oberfläche in eine spezi‐ fische syntaktische Struktur übergeht (Form). Das Subjekt / Agens (N1 im SO -Satz) wird im Satz zuerst realisiert, das Objekt / Patiens (N2 im SO -Satz) da‐ nach. Eine kausale Handlungsstruktur (A G E N S → P ATI E N S ) mündet also in eine spezifische Abfolge nominaler Konstituenten (S → O; vgl. dazu Comrie 1981, Croft 1991, Langacker 1991, s. auch Kapitel 2.3). Aus funktionaler Perspektive hätte die syntaktische Position der beiden Aktanten also die Funktion, ihre se‐ mantische und kausale Relation abzubilden. Losgelöst von ihren grammatischen Funktionen als Subjekt und Objekt, lässt sich schließen, dass eine neutrale Ab‐ folge zweier nominaler Konstituenten (N>N) an sich bedeutungstragend ist. Die Abkürzung N>N wird im Folgenden deshalb als abstrahierte Form einer kano‐ nischen Satzstruktur mit einer neutralen Abfolge von A G EN S > N ICHT -A G EN S und damit als kanonischer SO -Satz verstanden. 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 37 <?page no="38"?> 4 ‚Morphologisch markiert‘ heißt im Zusammenhang dieser Arbeit immer, dass es sich um eine overte oblique Kasusmarkierung handelt. 5 Diese Dichotomie gilt ausschließlich für Akkusativsprachen. In Ergativsprachen ist das Subjekt morphologisch markiert, während die übrigen, in der Regel nicht-agentivischen Konstituenten unmarkiert sind. Croft (1988: 173) zufolge haben neben der Konstituentenabfolge auch Kasus- oder Kongruenzmarker die primäre Funktion, „a relation between two entities“ auszudrücken. Daraus folgt, dass analog zum syntaktischen Muster auch bei den Kasusmarkern spezifische Verknüpfungen zwischen der Form (Kasusmarkie‐ rung) und dem Inhalt (semantische Rolle) hergestellt werden können. Ein Agens ist in der Regel morphologisch unmarkiert, ein Patiens oder Rezipiens hingegen markiert. 4 Sowohl im Russischen als auch im Deutschen wird der Nominativ zur Kennzeichnung des Agens, der Akkusativ zur Kennzeichnung des Patiens und der Dativ als Marker für ein Rezipiens gebraucht (s. zum Beispiel Abraham 3 2013 sowie Zifonun / Hoffman / Strecker 1997 für das Deutsche). Demnach lässt sich eine Dichotomie zwischen dem morphologisch unmarkierten Agens und allen anderen nicht-agentivischen, jedoch morphologisch markierten Rollen ziehen (neben dem Patiens und dem Rezipiens wären hier auch das Instrument, der Locus und weitere nicht-agentivische Aktanten zu nennen). 5 Die semantische Dichotomie zwischen Agens und Nicht-Agens mündet so in die formale Dicho‐ tomie [+ / - MO R PHOLO GI S CH MAR KI E R T ]. Croft (1988: 174) folgert daraus: Case marking is a complement of the strategy of simple juxtaposition of the related constituents, in which the hearer must infer the relation that holds between the two. Simple juxtaposition is only possible when the relation between the two terms is obvious enough for the hearer to easily infer it. Otherwise, the relation must be more explicitly represented in the utterance, and case marking is the strategy for doing so. Kasusmarker dienen also dem Hörer dazu, die semantischen Relationen zwi‐ schen unterschiedlichen Aktanten zu determinieren und sind somit nichts an‐ deres als eine formale Explizitmachung semantischer Relationen. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Verben. Im Sinne eines valenzgrammatischen und framesemantischen Ansatzes (vgl. Busse 2012, Fill‐ more 1968, 1977) übernehmen Verben in Sätzen die Rolle des Regisseurs. Oder um Kakos (2006) Sicht auf Sätze als „miniature plays“ nochmals aufzugreifen: Sätze umfassen spezifische Handlungsrahmen, in denen unterschiedliche Mit‐ spieler verschiedene Rollen einnehmen. Das Verb legt dabei fest, welche Rollen zu vergeben sind. Ein von Fillmore häufig gebrauchtes Beispiel ist das der kom‐ merziellen Transaktion. So würde das Verb kaufen unterschiedliche an der Kaufhandlung beteiligte Aktanten umfassen, nämlich den Käufer, den Ver‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 38 <?page no="39"?> 6 Zum Begriff des Schemas s. Kapitel 2.4. 7 Durch die Formulierung dieser Kann-Bedingungen wird im Prinzip auch erfasst, warum ein Verb unterschiedliche Wertigkeiten haben kann. Da es im Folgenden jedoch vor allem um die formale Kennzeichnung von Aktanten und nicht um die Rolle des Verbs gehen soll, wird an dieser Stelle auf Ausführungen zur Wertigkeit und anderen valenz‐ grammatischen Prinzipien verzichtet. käufer, die Ware sowie zum Kauf der Ware benötigte Mittel (vgl. Fillmore 1977). Folgt man Fillmores Überlegungen, würde das Verb kaufen diese Hand‐ lung und an ihr teilnehmende Mitspieler kognitiv evozieren, weil der Sprecher über verstehens- und wissensrelevante Schemata 6 (Frames) verfügt, das heißt auf der Basis seiner Erfahrungen weiß, wie eine Kaufsituation abläuft und wer daran beteiligt ist. Die Verbbedeutung bestimmt, wer im satzinternen Miniatur‐ stück mitspielen darf. Das Verb eröffnet ein Spektrum an Leerstellen (slots), die gefüllt werden können, jedoch nicht müssen. 7 Ein Verb wie kaufen enthält zum Beispiel die Leerstellen [K ÄU F E R ] und [G E KAU F TE S ]. In der Valenzgrammatik ist das Prinzip der Leerstelle vergleichbar mit der Wertigkeit des Verbs, das heißt mit der Anzahl der Bindungsstellen, die ein Verb mitbringt. Die slots müssen vom Sprecher mit auf die spezifische Handlung angepassten fillern ausgefüllt werden. Die Mitspieler müssen also konkret benannt werden (zum Beispiel Der Mann kauft eine Hose). Im Prinzip lässt sich unter Berücksichtigung map‐ ping-bezogener und valenzgrammatischer Prinzipien ein zweiphasiger Prozess bei der Konstruktion von Sätzen annehmen. Die Nutzung eines spezifischen Verbs macht es erforderlich, an der Handlung beteiligte Aktanten überhaupt zu benennen. Mithilfe der grammatischen Mittel Wortstellung und Kasusmarker wird in einem weiteren Schritt spezifiziert, welcher Aktant welche Rolle im Handlungsrahmen einnimmt. So sind für die Leerstellen des Verbs kaufen die filler ‚Mann‘, ‚Hose‘ und ‚Tochter‘ denkbar. Innerhalb des Handlungsrahmens kaufen muss mithilfe formaler Mittel deutlich werden, in welchem Verhältnis Mann, Tochter und Hose stehen und wer von ihnen agentivisch ist (Der Mann kauft der Tochter eine Hose vs. Die Tochter kauft dem Mann eine Hose). Im Kontext eines vom Verb evozierten Handlungsrahmens sind Wortstellung und Kasusmarker als zwei Möglichkeiten zu betrachten, um ein und dieselbe Funktion sprachlich abzubilden. Im Deutschen, Russischen und Niederländi‐ schen haben sie eine jeweils unterschiedlich hohe Validität, was bedeutet, dass sie in transitiven Sätzen kontextunabhängig als zuverlässige Indikatoren für semantische Relationen fungieren. So wäre die Wortfolge dann ein valider In‐ dikator, wenn anhand der linearen Abfolge der nominalen Konstitutenten im Großteil der Fälle die vom Verb regierten Rollen ermittelt werden können. Ka‐ susmarker sind wiederum dann valide Indikatoren, wenn unabhängig von der 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 39 <?page no="40"?> 8 Lediglich der Genitiv als Possessivmarker ist als nominale Kasusmarkierung erhalten geblieben, spielt aber als Objektkasus keine Rolle mehr. Zwar können im pronominalen Bereich noch formal unterschiedliche Kasusmarker gefunden werden (zum Beispiel hem für ihm und haar für ihr), jedoch ist die Untersuchung des pronominalen Kasus‐ systems nicht Bestandteil der vorliegenden Studie. syntaktischen Position der Konstituenten anhand der morphologischen Mar‐ kierung auf ihre semantische Rolle im Satz geschlossen werden kann. So ist es im Deutschen mehr als unwahrscheinlich, dass eine NP des Typs dem Kind ein Agens kennzeichnet, da die Artikelform dem ein valider Indikator für Nicht-Agentivität und so in Hinblick auf diese Funktion transparent ist. Da‐ neben finden sich im Deutschen Formen wie die Frau. Die Artikelform die ist uneindeutig, weil sie sowohl als Agensals auch als Patiensmarker fungiert (zum Beispiel Die Frau A G sieht den Mann vs. Der Mann sieht die Frau P A T ). Ohne die Einbettung in einen syntaktischen Zusammenhang ist es auf der Basis der iso‐ lierten NP nicht möglich, diese in Hinblick auf ihr Agentivitätspotential einzu‐ stufen, sodass die Artikelform die funktional intransparent ist. Was für die Bei‐ spiele dem und die im Speziellen gilt, lässt sich für ein gesamtes Kasussystem verallgemeinern. Ist die Anzahl intransparenter Formen des Typs die im Ge‐ samtsystem hoch, so sind Kasusmarker prinzipiell unzuverlässige Indikatoren für semantische Relationen. Je höher hingegen der Anteil transparenter Formen des Typs dem, desto höher ist schließlich auch die Validität von Kasusmarkern an sich. Das Vorhandensein transparenter Kasusmarker wirkt sich in der Regel auf die Wortstellungsvarianz innerhalb einer Sprache aus. Dabei gilt: Je höher die Validität von Kasusmarkern, desto höher ist in der Regel auch die Wortstel‐ lungsvarianz innerhalb von transitiven Satzkonstruktionen. Eine geringe Trans‐ parenz von Kasusmarkern führt entsprechend zu einer geringeren Wortstel‐ lungsvarianz. In einer Sprache wie dem Niederländischen, das - ähnlich wie das Englische - einen Großteil seiner nominalen Kasusmarkierungen verloren hat, kann es im Prinzip keine Wechselbeziehung zwischen Wortstellungsmustern und Kasus‐ markern geben. Morphologische Marker finden sich weder am Artikel noch am Substantiv. 8 Die Differenzierung zwischen Agens und Nicht-Agens erfolgt im Niederländischen mittels der Abfolge der NP s im Satz (N > N = A G E N S > N ICHT -A G E N S ). Verändert man die Position der NP s im Satz, so verändern sich auch die semantischen Relationen. Im Deutschen hingegen kennzeichnen spe‐ zifische Kasusmarker die Relation zwischen Agens und Nicht-Agens, sodass die Position der beiden NP s im Satz vertauscht werden kann, ohne dass damit eine Bedeutungsveränderung einherginge (s. Tabelle 1). 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 40 <?page no="41"?> 9 ‚AG‘ steht für ‚Agens‘, ‚PAT‘ für ‚Patiens‘ und ‚REZ‘ für ‚Rezipiens‘. Tabelle 1: Kennzeichnung semantischer Relationen im Niederländischen und Deut‐ schen 9 Obwohl das Niederländische wie das Deutsche über Artikel verfügt, bleiben die genusspezifischen Formen de (M A S K / F EM ) und het (N E UT ) kontextübergreifend unverändert. Die Position der nominalen Konstituenten ist damit der einzige verlässliche Indikator für semantische Relationen und hat damit eine besonders hohe Validität. Tabelle 1 enthält mit Blick auf das Deutsche Sätze des Typs SVO (Beispiele 1, 3, 5 und 7) und OVS (Beispiele 2, 4, 6 und 8). Beide Varianten sind im Gebrauch möglich, jedoch erfüllt nur eine davon die Kriterien, um als Basiswortstellung eingestuft werden zu können. In Hinblick auf die Frage, welche Wortfolge im Deutschen als neutral einzustufen ist, bewegt sich die Diskussion besonders um die Position des Verbs und dabei vor allem um die Kontroverse, ob Deutsch als SOV - (vgl. zum Beispiel Hawkins 1983, Müller 2015) oder SVO -Sprache (vgl. zum Beispiel Greenberg 1963, Dryer 2013) einzustufen ist. Jenseits des Disputs um die Position des Verbs, findet sich in beiden Ansätzen eine zentrale Gemein‐ samkeit: Die Realisierung des Subjekts vor dem Objekt wird in beiden Fällen quasi vorausgesetzt. Die Umkehrung der SO -Abfolge zu einer OS -Struktur wird hingegen von pragmatischen Faktoren sowie Dialogstrukturen abhängig ge‐ macht (vgl. zum Beispiel Machate / Hoepelmann 1992). Sätze wie Den Bruder sieht die Frau sind zwar möglich, müssen jedoch als Abweichung vom neutralen Fall gewertet werden. Am stärksten diskutiert wird der Grund für Wortstel‐ lungsvarianzen dieser Art (S>O vs. O>S) im Kontext der Funktionalen Satzper‐ 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 41 <?page no="42"?> 10 Berücksichtigt wurden ausschließlich Sätze mit vollen nominalen NPs. spektive. Faktoren wie Thema / Rhema, Figur / Grund, Topik / Fokus spielen für die Wahl der jeweiligen Konstituentenabfolge eine entscheidende Rolle. In der Regel wird im Deutschen das Topik im Vorfeld realisiert; die satzinitiale Subjektpositionierung kann damit als Prototyp sowie als „universelle Tendenz“ bezeichnet werden (Musan 2010: 35). Wortstellungsvarianz im Rahmen eines transitiven Satzes ist damit ein Mittel der Informationsorganisation im Ge‐ spräch. Ein zusätzliches Merkmal in Hinblick auf die potentielle Fokussierung, die durch die Wortabfolgevarianz einhergehen kann, ist die Intonation. Ohne an dieser Stelle auf die einzelnen Möglichkeiten der Hervorhebung und Fokus‐ sierung einzugehen (vgl. für einen Überblick Abraham 3 2013, Dürscheid 6 2012 sowie Welke 2002), bleibt festzuhalten, dass in Bezug auf die Abfolge nominaler Konstituenten im Deutschen S>O als kanonisches beziehungsweise unmar‐ kiertes, O>S hingegen als nicht-kanonisches beziehungsweise markiertes Muster einzustufen ist (vgl. auch Haider 2010, Lenerz 1977, Zubin / Köpcke 1985). Die Unterschiede der beiden Varianten spiegeln sich auch in einer ungleichen Verteilung von SO - und OS -Sätzen im Deutschen wider. Anhand einer exempla‐ rischen Korpusanalyse von Schlesewsky et al. (2000: 67 f.), die mithilfe von ge‐ sprochenen Sprach-, nicht-fiktionalen sowie fiktionalen Korpora (Analyse von 2826 Sätzen) durchgeführt wurde, lässt sich folgende Tendenz nachzeichnen: 10 OS -Sätze kommen prinzipiell in allen Gesprächs- und Textgattungen signifikant seltener vor als SO -Sätze. In der gesprochenen Sprache ist der Anteil von OS -Strukturen mit ca. 10 % am höchsten, danach folgen fiktionale (ca. 8 %) und zuletzt nicht-fiktionale Texte (5 %). Zu ähnlichen Werten für schriftsprachliche Texte kommen Hoberg (1981) sowie Kempen / Harbusch (2005). Etwas höher liegt der Gesamtanteil der OS -Sätze bei Weber / Müller (2004) sowie Bader / Häussler (2010), die auf einen Anteil von 18,5 % beziehungsweise 17,5 % kommen. Bader / Häussler (2010) führen ihre vergleichsweise hohen Werte auf die Tatsache zurück, dass ausschließlich den- NP s im Akkusativ Singular und Dativ Plural berücksichtigt wurden und dadurch keine Querschnittsanalyse von OS -Sätzen im Allgemeinen abgebildet wird. Alle vier Korpusstudien kommen zu dem Schluss, dass in nicht-kanonischen Bedingungen das topikalisierte Ob‐ jekt deutlich häufiger akkusativals dativmarkiert ist. Bei Schlesewsky et al. (2002) machen innerhalb der OS -Sätze in allen drei Korpustypen dativmarkierte Objekte jeweils nur ca. 15 % der Vorkommen aus, wobei in absoluten Zahlen der Anteil mit zwei (nicht-fiktionale Texte), fünf (fiktionale Texte) und fünfzehn (gesprochene Sprache) Treffern fast verschwindend gering ist. Zu einem sehr 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 42 <?page no="43"?> ähnlichen Fazit kommen Bader / Häussler (2010). Auch in ihrer Korpusanalyse, die jedoch ausschließlich Zeitungstexte umfasst und nur Sätze berücksichtigt, die eine den- NP (Akkusativ Singular und Dativ Plural) enthalten, sind topikali‐ sierte Objekte in gut 70 % akkusativmarkiert. Dativmarkierte Objekte, die vor dem Subjekt realisiert werden, finden sich hingegen vor allem im Mittelfeld, also zum Beispiel in Form von …, dass dem Opa der Witz gefallen hat oder …, dass dem Opa ein Malheur passiert (ebd.: 734). Die Beispiele illustrieren weiterhin einen zentralen Befund von Bader / Häussler: OS -Abfolgen im Mittelfeld sind gebunden an spezifische Verben und sind somit ein Resultat lexiko-semantischer und nicht syntaktischer Faktoren. Ebenso ist für genau diese verbgebundenen O D A T S-Abfolgen im Mittelfeld das Vorhandensein eines belebten Objekts und eines unbelebten Subjekts typisch. Insbesondere in O A K K S-Sätzen mit topikali‐ siertem Objekt im Vorfeld dominiert hingegen die Opposition S [+ B E L E B T ] vs. O [- B E L E B T ] (vgl. ebd: 731) Es lässt sich also folgern, dass das Deutsche trotz der syntaktische Möglich‐ keit, OS -Sätze zu verwenden, nur selten davon Gebrauch macht. Problematisch bei dem Befund, dass OS -Sätze meist akkusativmarkierte Objekte enthalten, ist die Tatsache, dass im Deutschen der Akkusativ nur im Maskulinum lokal, das heißt auf Basis des einzelnen Markers identifizierbar ist. Lediglich das Masku‐ linum verfügt über ein maximal ausdifferenziertes Kasusparadigma; im Neutrum und Femininum finden sich diverse Synkretismen (s. Tabelle 2). Tabelle 2: Kasussystem des Deutschen (Singular) Aus Tabelle 2 geht zunächst hervor, dass Kasusmarker im Deutschen überwie‐ gend am Artikel zu finden sind. Das Substantiv wird nur im Genitiv Maskulinum und Neutrum Singular (Mann-es, Kind-es) sowie im Dativ Plural in allen Genera (den Männer-n / Frau-en / Kinder-n) zusätzlich flektiert. Hinzu kommt im Deut‐ schen eine schwache Deklinationsklasse, die Maskulina umfasst, die in beiden Numeri mit dem Flexionsmorphem -n markiert werden (zum Beispiel den / dem / des Junge-n). Insgesamt ist die formale Kasusinformation jedoch in der Regel ausgelagert und zeigt sich am Determinierer sowie in komplexen Nomi‐ nalphrasen am Adjektiv, sofern dieses stark flektiert wird (zum Beispiel ein 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 43 <?page no="44"?> 11 Berücksichtigt man die Kasusformen im Plural, so erhöht sich die Zellenanzahl auf 24. Der Formenbestand bleibt dabei konstant bei sechs. groß-es N O M / A K K Kind). Tabelle 2 zeigt weiterhin, dass der Artikel den der einzige transparente, das heißt nicht multifunktionale Marker im Singular ist. Alle üb‐ rigen Formen decken mehrere Funktionen ab. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Formen einen Kasus abdecken und in zwei Genera formidentisch sind, oder ob eine Form in verschiedenen Kasus auftritt. So ist dem ausschließlich Dativ- und damit Rezipiensmarker, wird jedoch sowohl im maskulinen als auch neutralen Paradigma verwendet. Selbiges gilt für des als Genitivmarker. Die Form das im Neutrum wird hingegen nicht nur im Nominativ, sondern auch im Akkusativ verwendet. Die zentralen semantischen Rollen Agens und Patiens sind folglich im Neutrum formal nicht differenzierbar. Selbiger Synkretismus findet sich im Femininum (die). Nur durch die Opposition zu einer zweiten NP können die intransparenten Marker das und die disambiguiert werden. Disambiguierung heißt wiederum, dass ihnen eine spezifische Funktion zugeordnet werden kann. Auch der ist eine multifunktionale Form. Sie kann entweder den Nominativ im Maskulinum oder den Dativ beziehungsweise Genitiv im Femininum kenn‐ zeichnen. Der Artikel allein kann also keinen eindeutigen Hinweis auf die se‐ mantische Rolle liefern, sodass bei der Satzverarbeitung nicht nur das Genus der NP , sondern weitere Merkmale (hier besonders die morphologische Opposition zur zweiten NP ) mitberücksichtigt werden müssen, damit eine Rollenzuweisung vorgenommen werden kann. Es lässt sich damit zwischen funktional transpa‐ renten (den, dem), halb-transparenten (der) und intransparenten (das, die) Formen differenzieren. Bei ersteren verweist die Form eindeutig auf Nicht-Agentivität, letztere können sowohl auf eine agentivische als auch eine nicht-agentivische Rolle verweisen und sind damit maximal ambig. Die als halb-transparent klassifizierte Form der kann hinsichtlich ihrer Funktion nur unter Hinzunahme des lexemspezifischen Genus disambiguiert werden. Sofern dieses berücksichtigt wird, ist die Zuordnung zu agentivisch beziehungsweise nicht-agentivisch eindeutig. Wird das Genus (bei der Verarbeitung) außen vor gelassen, ist die Form ambig. Ebenso macht ein Blick auf Tabelle 2 deutlich, dass es im Deutschen zwar eindeutige nicht-agentivische Marker (den, dem), jedoch keine eindeutigen agentivischen Formen gibt. Jede Nominativmarkierung (der, das und die) kommt auch in den obliquen Kasuskontexten vor. Die Übersicht zeigt, dass das Deutsche zwar Kasusmarker enthält, diese je‐ doch nur selten auf eindeutige Form-Funktionsbeziehungen verweisen. Auf ins‐ gesamt zwölf Zellen im Singular kommen lediglich sechs unterschiedliche Formen, sodass die Zahl der Synkretismen vergleichsweise hoch ist. 11 Für die 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 44 <?page no="45"?> Satzverarbeitung bedeutet dies konkret, dass Kasusmarker vor allem in Sätzen mit akkusativregierendem Verb nur bedingt valide sind. Kempe / MacWhinney (1998) errechnen für Kasusmarker im Deutschen einen Validitätswert von gut 50 %. Der niedrigere Wert geht darauf zurück, dass in Sätzen mit einem akku‐ sativregierenden Verb und zwei Feminina, zwei Neutra oder einem Femininum und einem Neutrum disambiguierende Mittel nicht verfügbar sind und die Wortstellung als einzige Interpretationsgrundlage übrig bleibt (s. Bsp. 11 und 12 in Tabelle 3). Eine Disambiguierung kann nur bei Verfügbarkeit einer masku‐ linen NP erfolgen (Bsp. 9 und 10). Steht diese nicht zur Verfügung, muss die satzinitiale NP als agentivisch eingestuft werden (Bsp. 11 und 12). Tabelle 3: Akkusativ- und Dativformen in OVS-Sätzen Aufgrund des vollständigen Formenzusammenfalls zwischen NOM und AKK im Neutrum und Femininum fungieren das und die in den Beispielen 11 und 12 nur noch als Genus- und Numerusmarker, nicht mehr als Kasusformen. Das Deutsche verhält sich damit in entsprechenden Fällen wie das Niederländische und zeigt semantische Relationen nur noch mithilfe der Konstituentenabfolge an. Eine höhere formale Eindeutigkeit und damit die Möglichkeit, eine N>N-Struktur als O>S-Satz zu identifizieren, besteht in Sätzen mit dativregier‐ enden Verben (Bsp. 13-16). Da sowohl im Neutrum als auch im Femininum die formale Abgrenzung zwischen Nominativ / Akkusativ versus Dativ besteht, können Sprecher in entsprechenden Fällen auf die Kasusinformation zurück‐ greifen. Eine potentielle Schwierigkeit für Lerner besteht lediglich bei der Ein‐ ordnung des Markers der D A T . Ist ihnen das Genus der NP nicht bekannt oder sind sie in der Genuszuweisung unsicher, kann die Form der D A T in den Beispielen 14 und 16 auch als morphologisch unmarkierte maskuline NP und damit als Agensmarker verarbeitet werden. Die Gegenüberstellung des Niederländischen und Deutschen zeigt, dass Wortfolge und Kasusmarker als Indikatoren für semantische Relationen in un‐ terschiedlichem Umfang verfügbar sind. Im Niederländischen verweist die Ab‐ 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 45 <?page no="46"?> 12 Die beiden letztgenannten Kasus sind im Deutschen keine selbstständigen Formen, sondern werden mittels Präpositionalphrasen realisiert. 13 Die Flexive im Nominativ stellen de facto Genusmarker dar, die eigentlich nicht als Kasusmarkierung abtrennbar sind. In dieser Übersicht werden sie jedoch als Flexions‐ elemente verschriftet, damit deutlicher wird, an welcher Stelle Formüberschneidungen zu finden sind. folge N>N immer auf S>O, morphologische Marker spielen keine Rolle. Das Deutsche verfügt zwar über Kasusmarker, jedoch sind sie je nach Genus häufig intransparent. Die Konstituentenabfolge gewinnt damit an funktionaler Vali‐ dität. Im Vergleich zum Niederländischen ist die Wortstellung als Indikator für semantische Relationen im Deutschen zwar deutlich weniger valide, aber trotzdem relevant. Anders als das Deutsche, ist das Russische eine morphologisch ausdifferenzierte Sprache, die in nur geringem Ausmaß einen Formenabbau erfahren hat. Das Russische verfügt über insgesamt sechs Kasus, die sich am Substantiv sowie bei Verfügbarkeit auch am attributiven Adjektiv zeigen: Nominativ, Akkusativ, Dativ, Genitiv, Instrumental und Präpositional. 12 Parallelen zum Deutschen gibt es im Bereich der Formenbildung. In beiden Sprachen ist die Kasusform jeweils vom Genus und Numerus des Substantivs abhängig, sodass die entsprechenden Funktionsträger (im Deutschen die Artikel, im Russischen das Flexionsmor‐ phem am Substantiv) jeweils unterschiedliche grammatische und semantische Kategorien kennzeichnen. Einen Überblick über das russische Kasussystem (Singular) bietet Tabelle 4. 13 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 46 <?page no="47"?> Tabelle 4: Kasussystem des Russischen (Singular) 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 47 <?page no="48"?> 14 Im Russischen lauten Neutra üblicherweise auf -e oder -o aus. 15 In dieser Klasse finden sich auch einige auf -a auslautende Maskulina, die sich dann hinsichtlich ihrer Deklinationseigenschaften wie Feminina verhalten. 16 Außer dem in der Tabelle aufgeführten Beispiel doč’ sind mat’ (Mutter) und mysh’ (Maus) in dieser Deklinationsklasse die einzigen weiteren Vertreter mit dem Merkmal [+ B E L E B T ]. Das Deklinationsparadigma ist im Russischen nicht nur vom Genus und damit von der phonologischen Wortstruktur, sondern auch von der Belebtheit ab‐ hängig. Maskulina, die auf einen Konsonanten auslauten, und alle Neutra 14 können in einer Deklinationsklasse zusammengefasst werden. Charakteristisch für diese Klasse ist der Formenzusammenfall zwischen NOM und AKK bei un‐ belebten Substantiven. Bei belebten Konstituenten werden Nominativ und Ak‐ kusativ morphologisch unterschieden; stattdessen entspricht in dieser Klasse der Akkusativ dem Genitiv. Diese Differenzierung ist besonders für die Masku‐ lina relevant, da es bei den Neutra nur zwei belebte Lexeme gibt (neben dem in Tabelle 4 aufgeführten Lexem životnoe nur dit’jo (Kind), dessen Gebrauch im Singular sehr selten ist und das tendenziell durch das Synonym rebjonok M A S K ersetzt wird). Tendenziell sind also im Russischen alle Neutra unbelebt und da‐ durch im NOM und AKK formidentisch. Einen Sonderfall bilden die Feminina, die aufgrund zweier unterschiedlicher phonologischer Strukturen in zwei Klassen unterteilt werden. Differenziert wird zwischen Feminina auf -a 15 (Feminina I) und Feminina, die auf einem palatali‐ sierten alveolaren Frikativ ([s j ], [z j ]) oder einer postalveolaren Affrikate ([dž j ], [tʃ j ]) auslauten (Feminina II ). Letztere Gruppe zeichnet sich wie die unbelebten Maskulina und Neutra durch einen Formenzusammenfall im NOM und AKK aus und enthält überwiegend unbelebte Lexeme. 16 Die größere Gruppe der Fe‐ minina auf -a, die sowohl belebte als auch unbelebte Lexeme umfasst, differen‐ ziert hingegen zwischen diesen beiden Kasus. Dadurch, dass Feminina der Klasse II mehrheitlich unbelebt sind, äußern sich die Differenzen in der phono‐ logischen Struktur der beiden Femininagruppen tendenziell auch in einer Be‐ lebtheitsunterscheidung, die sich wiederum auf das Formenspektrum der Ka‐ susformen auswirkt. Wie im Deutschen gibt es dadurch auch im Russischen in bestimmten Kontexten multifunktionale Formen zwischen NOM und AKK . Während jedoch im Deutschen der Zusammenfall auf bestimmte Genera (Neutra und Feminina) eingegrenzt ist, ist im Russischen sowohl die Genusdif‐ ferenzierung (Maskulina vs. Neutra) als auch die Belebtheit und damit auch die phonotaktische Wortstruktur für eine potentielle Formidentität ausschlagge‐ bend. 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 48 <?page no="49"?> Weitere Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und dem russischen Ka‐ sussystem finden sich in der Verwendung eines Flexionsmarkers für unter‐ schiedliche Kasus in unterschiedlichen Genera. So wird zum Beispiel die Flexi‐ onsendung -u sowohl als Dativmarker bei Maskulina und Neutra als auch als Akkusativmarker bei Feminina des Typs I verwendet. Solche Formzusammen‐ fälle sind jedoch im Gegensatz zum Deutschen seltener. Ebenso selten kommt der Fall vor, dass innerhalb einer Deklinationsklasse ein Flexiv mehrere Kasus abdeckt. Dies ist insbesondere für Feminina des Typs II der Fall, bei denen die Endung -i sowohl im Dativ als auch im Genitiv gebraucht wird. In den übrigen Genera finden sich solche Formzusammenfälle - mit Ausnahme des NOM - AKK -Zusammenfalls bei unbelebten Substantiven - kaum. Auch wenn das Russische also keine 1: 1-Korrespondenz zwischen Kasusmarker und Funk‐ tion aufweist, ist der Anteil der Synkretismen deutlich niedriger als im Deut‐ schen und die Validität morphologischer Marker entsprechend höher. Weiterhin gibt es anders als im Deutschen keine Formidentität zwischen einem Dativ- und einem Nominativmarker. Eine Endung wie -u oder -i ist stets als oblique Form deutbar und kann nie im Nominativ auftreten. Somit gibt es zwar zentrale Parallelen zwischen dem deutschen und dem rus‐ sischen Kasussystem, jedoch auch zentrale Unterschiede. In beiden Sprachen ist die Kasusform vom Genus und Numerus des Substantivs abhängig. In beiden sind Kasusmarker nicht eindeutig, sondern multifunktional. Jedoch ist im Rus‐ sischen das Kasusparadigma innerhalb der einzelnen Deklinationsklassen und damit der einzelnen Genera formal ausdifferenzierter als im Deutschen. Die pa‐ radigmatische Ausdifferenziertheit der Kasusflexive führt schließlich dazu, dass in den meisten Fällen eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem Nominativ und den obliquen Kasus stattfinden kann. Geht man auch für das Russische davon aus, dass der Nominativ überwiegend zur Markierung des Agens genutzt wird, so verweist die formale Differenzierung [+ / - MO R PHOLO GI S CH MAR KI E R T ] auf die Unterscheidung [+ / -A G E N S ]. Dass diese grundlegende Unterscheidung auch für den Erwerb von Kasusflexiven relevant zu sein scheint, erschließt sich aus einer Studie von Gagarina / Voeikova (2009). Sie können zeigen, dass die von ihnen untersuchten einsprachig russischen Kinder zunächst in den produktiven Deklinationsklassen I und II spezifische Kasusoppositionen (unmarkiert für Nominativ sowie markiert für fast alle an‐ deren Kasus) aufbauen. Sobald ihr Gebrauch einsetzt (als „mini-paradigms“ (ebd.: 197) bezeichnet), durchlaufen die Lerner eine Art „morphological spurt“ (ebd.: 193). Dabei kommt eine Reihe neuer Lemmata hinzu, die sowohl mor‐ phologisch markiert als auch unmarkiert gebraucht werden. Die obliquen Formen werden dabei zunächst unsystematisch verwendet, sodass im L1-Er‐ 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 49 <?page no="50"?> 17 Die Auszählung entsprechender Kontexte bezieht sich bei Kempe / MacWhinney (1999) ausschließlich auf transitive Sätze mit akkusativregierenden Verben. Da in beiden Spra‐ chen der Dativ morphologisch immer eindeutig markiert ist, sollte davon ausgegangen werden, dass N DAT - V - N NOM -Strukturen nie ambig sind, sodass die Validität des cues Kasusmarker in beiden Sprachen in entsprechenden Bedingungen bei 100 % liegen sollte. Die allgemeine Validität von Kasusmarkern würde so im Deutschen steigen, läge jedoch noch immer unter dem sehr hohen Validitätswert der Kasusmarker im Russi‐ schen. 18 Eine zweite Bedingung mit einer ambigen Lesart des Satzes ist bei Kombination zweier belebter Aktanten aus der Deklinationsklasse Feminina I (zum Beispiel Mat´AG vidit doč´ PAT [Die Mutter AG sieht die Tochter PAT ]) denkbar. Analog zum Niederländischen wäre in entsprechenden Fällen die Konstituentenabfolge die einzige Interpretations‐ grundlage. werb zuerst die Dichotomie [- MAR KI E R T ] vs. [+ MAR KI E R T ] zur Differenzierung von Agens und Nicht-Agens etabliert wird. In einem zweiten Schritt werden dann die nicht-agentivischen obliquen Marker systematisch differenziert. Im Deutschen ist eine analoge Formeindeutigkeit in Hinblick auf die Unter‐ scheidung zwischen Agens und nicht-agentivischen Rollen paradigmatisch nur im Maskulinum gegeben. Dies führt laut Kempe / MacWhinney (1999) dazu, dass der Anteil von Sätzen, die keine eindeutige Kasusmarkierung haben, im Deut‐ schen höher ist als im Russischen. Zurückzuführen ist dies auf einen höheren Anteil neutralisierter Formen im Akkusativparadigma im Deutschen (s. Tabelle 3, Beispiele 11 und 12). 17 Die Abhängigkeit vom Maskulinum als disambiguie‐ rende Form schränkt die Verfügbarkeit morphologisch eindeutiger Formen ein, wodurch die Validität von Kasusmarkern als Indikatoren für semantische Rela‐ tionen im Deutschen geringer ist (ca. 50 %) als im Russischen (ca. 90 %; vgl. Kempe / MacWhinney 1998). Zurückzuführen ist dies wiederum auf die Be‐ lebtheit im Russischen. Sobald ein belebtes Substantiv gebraucht wird, ist eine ambige Lesart des Satzes ausgeschlossen. So wäre in einem Satz wie stol-ø M A S K / A K K vidit brat-ø M A S K / N O M (Tisch A K K sieht Bruder N O M ) trotz einer fehlenden mor‐ phologischen Markierung der präverbalen NP die einzige in Frage kommende Lesart hier OVS . Wäre nämlich brat hier nicht Agens, sondern Patiens, müsste aufgrund des Merkmals [+ B E L E BT ] das Akkusativflexiv -a realisiert werden. Der Satz wäre also nur dann ambig und würde die Wortstellung als einzigen Indi‐ kator zulassen, wenn beide Konstituenten unbelebt wären, was wiederum sehr selten ist. 18 Insgesamt sind die Bedingungen, in denen die Konstituentenabfolge der einzige Indikator für semantische Relationen wäre, im Russischen auf sehr spezifische Kontexte eingegrenzt. Funktional transparente Kasusmarker sind meistens verfügbar und limitieren den Validitätsstatus der Konstituentenab‐ folge. 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 50 <?page no="51"?> Kempe / MacWhinney (1999) können anhand eines Reaktionszeitexperiments zeigen, dass sich die hohe Validität der Kasusmarker im Russischen auch auf Satzverarbeitungsstrategien auswirkt. Russischsprachige Probanden wählen bei OVS -Sätzen mit transparenter Kasusmarkierung schneller N2 als Agens als deutsche Sprecher. Das heißt, dass deutsche Sprecher bei einem Satz wie Den Teller sucht die Mutter länger für die Agenswahl benötigen als russische Sprecher bei äquivalent konstruierten russischen Sätzen (Tarelku A K K iščet mat´ N O M ). Wei‐ terhin können Kempe / MacWhinney belegen, dass russischsprachige Erwach‐ sene semantische Informationen wie Belebtheit ignorieren, während deutsche Probanden sie mitberücksichtigen. So benötigen deutsche Sprecher für die Ver‐ arbeitung von Sätzen wie Die Blume sucht den Mann länger als russische Spre‐ cher in äquivalenten Kontexten. Die Verarbeitungsdauer bleibt bei ihnen unab‐ hängig von der Belebtheitsinformation unbeeinträchtigt. Kempe / MacWhinney folgern daraus (ebd.: 151), dass der generelle Validitätsstatus morphologischer Kasusmarker innerhalb der untersuchten Sprachen Deutsch und Russisch einen Einfluss darauf hat, wie gut die Sprecher den formalsprachlichen Markern ‚trauen‘. Die grundsätzlich geringere Verfügbarkeit eindeutiger transparenter Kasusmarker im Deutschen führt offensichtlich dazu, dass Sprecher andere In‐ formationen im Satz (hier die Belebtheit) mitverarbeiten. Die deutlich höhere Validität von Kasusmarkern im Russischen hat zur Folge, dass sich Sprecher bei der Satzverarbeitung ausschließlich auf morphologische Informationen stützen. Die Ergebnisse von Kempe / MacWhinney zeigen neben der unterschiedli‐ chen Gewichtung unterschiedlicher Kodierungsmechanismen als Resultat ty‐ pologischer Varianz auch, dass für Sprecher die Informationen der satzinitialen NP entscheidend sind. MacWhinney (1977) sowie Langacker (1998) verweisen in diesem Zusammenhang auf das starting point-Prinzip, das den Verarbeitungs‐ prozess zu lenken scheint. So determiniert die semantische und morphologische Information innerhalb der satzinitialen NP , ob eine N>N-Struktur als S>O- oder O>S-Satz interpretiert wird. Je später dabei eine disambiguierende Form im Satz auftritt, desto unwahrscheinlicher wird es, dass diese überhaupt Berücksichti‐ gung findet. Entscheidend für die Satzinterpretation sind besonders Informati‐ onen, die früh auftauchen (vgl. hierzu besonders Choi / Trueswell 2010). Beson‐ ders mit Blick auf das Deutsche hat dies Auswirkungen darauf, unter welchen Bedingungen eine N>N-Struktur als S>O- oder S>O-Satz interpretiert wird. Die hohe formale Ausdifferenziertheit im russischen Kasussystem und die Ver‐ fügbarkeit synthetischer Marker führen dazu, dass die Abfolge der nominalen Konstituenten als Indikator für semantische Relationen kaum in Frage kommt. 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 51 <?page no="52"?> 19 Beispiel 19 im Deutschen ist typisch für subordinierende Nebensätze, Beispiel 21 ist ein Vertreter für einen Satz mit Subjekt-Verb-Inversion. Dies äußert sich in einer relativ variablen Wortstellung, die charakteristisch für das Russische ist. Die Übersicht bezieht sich auf einfache Aussagesätze sowie ihre einzelsprach‐ lichen Realisierungsmöglichkeiten. 19 Die Beispiele 17 bis 22 zeigen, dass im Rus‐ sischen dafür sechs verschiedene Wortstellungsmöglichkeiten in Betracht kommen. Jede Variante ist dabei zwar abhängig von pragmatischen Faktoren, allerdings führt keine zu einer Veränderung der semantischen Rollen oder des Satztyps (vgl. Bailyn 1995, 2012 sowie Neidle 1988). Im Deutschen ist die Wort‐ stellungsvarianz deutlich eingeschränkter, was nicht unmittelbar auf eine ge‐ ringere Validität der Kasusflexive, sondern auf den Stellenwert der Verbposition, 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 52 <?page no="53"?> 20 Die Frage, nach welchen Prinzipien die Realisierung der Reihenfolge der Satzglieder im Mittelfeld erfolgt, ist Gegenstand umfassender Analysen (vgl. für einen Überblick Dür‐ scheid 6 2012 sowie Turgay 2014). Dass Varianzen jedoch auch hier funktionalen Prin‐ zipien folgen, ist wahrscheinlich (vgl. für einen umfassenden Überblick Frey 2015). 21 Bei zwei Objekten im Mittelfeld ist McFadden (2003) und Bouma (2008) zufolge eine Wortstellungsvarianz in Form von ‚direktes Objekt > indirektes Objekt‘ und ‚indirektes Objekt > direktes Objekt‘ im Niederländischen möglich. Auch bei Verbzweitsätzen kann bei Pronomen eine O>S-Abfolge hypothetisch realisiert werden, kommt jedoch McDo‐ nald (1987b) zufolge sehr selten vor. 22 Dryer (2013) verweist zudem darauf, dass aufgrund der häufigen Verbletztstellung in deutschen und niederländischen Nebensätzen auch SOV zu den häufigsten Strukturen gehört und neben SVO den zweiten dominanten Wortstellungstyp bildet. An dem Grundsatz, dass das Subjekt in beiden Sprachen jedoch fast durchgehend vor dem Ob‐ jekt realisiert wird, ändert die Koexistenz dieser Varianten hingegen nichts. die wiederum mit spezifischen Satztypen korreliert, zurückzuführen ist. Lässt man die Position des Verbs außen vor und legt den Fokus auf die Abfolge von Subjekt und Objekt, zeigt sich mit Blick auf die Beispiele 19-22, dass die Rei‐ henfolge der Konstituenten nur bedingt variabel ist. In den Sätzen 20 und 22 ist zwar die Position des Verbs veränderbar, eine O>S-Abfolge jedoch fragwürdig, wenn nicht sogar unmöglich, sofern es sich um nominale Konstituenten han‐ delt. 20 Während also die Verbposition im Deutschen relativ flexibel (beziehungs‐ weise grammatikalisiert) ist, ist der Positionswechsel von Subjekt und Objekt stark eingeschränkt. Die Abfolge O > S ist dabei vor allem in Sätzen mit Verbzweitposition akzeptabel, bei Verberst- und Verbletztsätzen hingegen stark eingeschränkt. Ähnlichkeiten zwischen dem Deutschen und Niederländischen finden sich in Hinblick auf die Grammatikalisierung der Verbposition. Bei der Abfolge der Konstituenten gibt es jedoch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Wäh‐ rend die Realisierung des Objekts vor dem Subjekt im Deutschen zumindest in NVN -Sätzen gängig ist, ist sie im Niederländischen schlicht nicht möglich, so‐ dass die Wortstellungsvarianten OVS , OSV sowie VOS im Niederländischen bei Kombination zweier nominaler Konstituten nicht vorhanden sind. 21 Während also im Russischen die Abfolge zweier nominaler NP s sowohl auf eine SO als auch eine OS -Struktur verweisen kann, ist die OS -Lesart im Deutschen auf spe‐ zifische Satztypen beschränkt und im Niederländischen nicht vorhanden. Trotz der einzelsprachspezifischen Wortstellungsvarianten teilen sich die drei Sprachen eine zentrale Gemeinsamkeit. In allen Sprachen ist die kanonische Konstituentenfolge S>O (Bsp. 17) die neutrale Struktur für aktivische Haupt‐ sätze (vgl. Bailyn 1995, Divjak / Janda 2008, Hawkins 1983 und Tomlin 1986 für das Russische, Musan 2010 für das Deutsche und Bouma 2008 für das Nieder‐ ländische). 22 In allen drei Sprachen wird also das Agens in der Regel satzinitial 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 53 <?page no="54"?> realisiert und ist morphologisch nicht markiert. Die Abfolge der Konstituenten interagiert mit dem Merkmal der morphologischen Markierung in Hinblick auf die Kennzeichnung semantischer Relationen. Eine weitere Gemeinsamkeit der drei Sprachen ist die Belebtheitsopposition, die als semantische und damit nicht-grammatische Information gewertet werden muss (s. Bsp. 23 und 24). Während in Beispiel 23 Konstituentenabfolge und Belebtheitskontrast in einem prototypischen Verhältnis stehen, führt die Belebtheitsopposition in Satz 24 dazu, dass die NP s die Nacht / noč´ / nacht als Patiens und die Mutter / mat´ / moeder als Agens interpretierbar sind, obwohl die Konstituentenabfolge für eine S>O-Lesart sprechen würde. Die Belebtheitsopposition kann also potentiell die kanonische Konstituentenabfolge als Hinweis auf satzinterne Rollenrelationen aushebeln, die hier aufgrund der fehlenden eindeutigen morphologischen Markierungen als einzige Interpretationsgrundlage aktiviert werden müsste. Die Belebtheit hat folglich das Potential, als zur Konstituentenabfolge konkur‐ rierende Information aufzutreten. Welche Option (Belebtheitsopposition oder Konstituentenabfolge) als Interpretationsgrundlage gewählt wird, hängt ver‐ mutlich mit ihrer einzelsprachspezifischen Validität zusammen, sodass es wahr‐ scheinlich ist, dass sich niederländische Sprecher eher auf die Konstituentenab‐ folge stützen als russische. Die Konstituentenabfolge hat für die Kodierung semantischer Relationen je nach Sprache einen unterschiedlich hohen Stellenwert. Im Niederländischen ist sie der hierarchiehöchste, im Russischen der hierarchieniedrigste Indikator. Das Deutsche lässt zwar Wortstellungsvarianz zu, die Relevanz der Konstituentenab‐ folge für die Interpretation semantischer Relationen steigt jedoch im Gegensatz zum Russischen durch die hohe Anzahl der Synkretismen im Akkusativ. Stellt man einzelsprachliche Wortstellungsvarianzen und Kasussysteme in Relation zueinander, lässt sich folgende Tendenz beschreiben: Je ausdifferenzierter das Kasussystem und je höher damit die Validität morphologischer Kasusformen, 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 54 <?page no="55"?> 23 Das Zusammenspiel von Wortstellung und Kasusmarkern als Varianten ein und der‐ selben Funktion ist aus diachroner Perspektive besonders für das Englische intensiv dokumentiert. Hier hat ein starker Flexionsabbau potentiell zu einer Wortstellungsfes‐ tigung geführt (vgl. Allen 2006). OS-Strukturen - deren Verwendung besonders im Altenglischen noch üblich war (vgl. Pintzuk / Taylor 2006) - wurden durch SO-Sätze quasi verdrängt. Eine ähnliche Entwicklung kann auch für das Niederländische ange‐ nommen werden. desto variabler ist entsprechend die Wortstellung (vgl. dazu auch McFadden 2003; s. Abbildung 1). 23 Abbildung 1: Interdependenz von Kasusmarkern und Wortstellungsvarianz (kontrastiv) Abbildung 1 verdeutlicht das Zusammenspiel zwischen morphologischen Ka‐ susmarkern und Wortstellungsvariationen in den drei untersuchten Sprachen. Das Niederländische ist am linken Pol angesiedelt, da es im nominalen Bereich nur über rudimentäre morphologische Kasusflexive verfügt und gleichzeitig keine Wortstellungsvarianz zulässt. Das Russische ist dem gegenüberliegenden Pol zugeordnet, da die ausdifferenzierte Kasusmorphologie (in Kombination mit einer fehlenden festen Verbstellung) eine große Anzahl variierender Wortstel‐ lungstypen zulässt. Das Deutsche bewegt sich zwischen den beiden Polen, wo‐ durch seine typologische Besonderheit deutlich wird (vgl. auch Gladrow 1998: 204). Es ist eine Art Mischtyp. Die sprachspezifischen Unterschiede haben Folgen für Verarbeitungsstrategien und -mechanismen. Kempe / MacWhinney (1999) sowie MacWhinney / Bates / Kliegl (1984) belegen für Sprecher des Deutschen, dass die Verfügbarkeit und die Transparenz von Kasusmarkern die Interpretation semantischer Relationen determiniert. Erwartungsgemäß sind in Sätzen wie Den Mann sieht die Frau zwar die Reaktionszeiten höher als bei kanonischen Sätzen, jedoch wird Frau stets als Agens eingestuft. Fehlt hingegen eine eindeutige morphologische Markierung (zum Beispiel in Max gefällt Inge), so wird die Relation zwischen den beiden Aktanten auf der Basis der Wortstellung bestimmt und Max als Agens ausge‐ wählt (vgl. auch Draye 2002). Im Gegensatz zu russischen Sprechern ist jedoch 2.2 Form-Funktions-Relationen im Deutschen, Niederländischen und Russischen 55 <?page no="56"?> 24 De facto ist die Verbstellung jedoch ‚nur‘ stärker grammatikalisiert als im Englischen. die Verarbeitung von OS -Sätzen für deutsche Sprecher offenbar aufwändiger (vgl. Kempe / MacWhinney 1999). Kilborn / Cooreman (1987) können wiederum für das Niederländische und das Englische zeigen, dass die Wortstellung beson‐ ders ausschlaggebend für die Agenswahl ist. Sie stützen damit die Ergebnisse von Bates et al. (1982) für das Englische, was aufgrund seiner zahlreichen Pa‐ rallelen gut auf das Niederländische übertragbar ist. Um die Relevanz der Kon‐ stituentenfolge im Niederländischen zu verdeutlich, soll die Studie von Kil‐ born / Cooreman (1987) an dieser Stelle kurz diskutiert werden. Kilborn / Cooreman stellen anhand von mono- und bilingualen niederländischen und englischen Sprechern gruppenspezifisch variierende Satzinterpretationsstrate‐ gien hinsichtlich der Nutzung von Merkmalen wie Belebtheitsopposition, Kon‐ stituentenabfolge und Subjekt-Verb-Kongruenz zur Determination semanti‐ scher Relationen heraus. Es wurde unter anderem geprüft, welche Konstituente die Probanden in Sätzen des Typs NVN (De giraffen bijten de vork [Die Giraffen beißen die Gabel]), NNV (De cigaret de kat kust [Die Zigarette die Katze küsst]) und VNN (Bekijt de muis de zeug [Sieht die Maus den Schnee]) als Agens wählen. Während die niederländischen Probanden in allen Satztypen die jeweils erste der beiden NP s zu ca. 60 % als Agens auswählen, entscheiden sich die englischen Probanden vor allem in der VNN -Bedingung häufiger für die zweite NP als Agens. Die Folgerung der Autoren, dass die Wortstellung für die englischen Sprecher ein dominanterer Indikator für semantische Rollen sei, ist dabei nicht ganz nachvollziehbar. Bezogen auf die Abfolge der Konstituenten ist nämlich das Gegenteil der Fall. Kilborn / Cooreman stellen die These auf, dass sich das Niederländische trotz vieler Gemeinsamkeiten durch eine ausdifferenziertere Verbmorphologie vom Englischen abgrenzt. So seien im Niederländischen zum Beispiel auch VSO -Strukturen bei Fragesätzen möglich, wobei nicht darauf ver‐ wiesen wird, dass dies auch im Englischen für Fragesätze des Typs Does he love her? gilt. Dem Niederländischen wird also eine größere Wortstellungsvarianz zugesprochen als dem Englischen. 24 Jenseits dieser Verbstellungsvarianzen do‐ miniert im Niederländischen jedoch die Abfolge S>O. So verweisen die Autoren darauf, dass es im Englischen auch VOS - und OSV -Strukturen gibt, die im Nie‐ derländischen als VSO sowie SOV -Sätze realisiert werden. Somit hätte Englisch ein höheres Varianzspektrum, weil hier sowohl SO als auch OS -Strukturen möglich sind, das Niederländische hingegen fast ausschließlich von SO -Stel‐ lungen Gebrauch macht. Die Validität der Konstituentenfolge N>N als Indikator für S>O ist im Niederländischen deshalb besonders hoch. In den Ergebnissen spiegelt sich genau das wider: Unabhängig von der Testbedingung ( NVN , NNV 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 56 <?page no="57"?> 2.3 und VNN ) wählen niederländische Probanden N1 sogar häufiger als Agens als englischsprachige Sprecher. Zusammenfassend lässt sich folgern, dass aus funktionaler Perspektive sowohl die Konstituentenfolge N>N als auch Kasusmarker der Abbildung kausaler Re‐ lationen zwischen Agens und Nicht-Agens dienen können. Im Niederländischen wird die semantische Rollenrelation fast ausschließlich anhand der Konstitu‐ entenabfolge, im Russischen anhand der Kasusmorphologie und im Deutschen anhand von beiden Verfahren kenntlich gemacht. Typologisch gesehen ist Deutsch im Vergleich zum Niederländischen und Russischen als eine Art Mischtyp zu betrachten. Gemeinsam ist den drei Sprachen die kanonische Ab‐ folge S>O. Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Validität von Konstitu‐ entenabfolge und Kasusmarkern als Indikatoren für semantische Rollenrelati‐ onen. Im Folgenden wird basierend auf diesen Feststellungen einerseits diskutiert, wodurch die Gemeinsamkeiten zustande kommen und andererseits ausgeführt, wie die Unterschiede divergierende Satzverarbeitungsstrategien be‐ wirken (s. Kapitel 3). Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht Der Vergleich von Form-Funktions-Relationen hat gezeigt, dass es typologisch bedingte Unterschiede, aber auch zentrale Gemeinsamkeiten zwischen dem Deutschen, Niederländischen und Russischen gibt. Diese zunächst deskriptive Betrachtung typologisch variierender Form-Funktions-Paare soll im nächsten Schritt vertieft werden, indem im Kontext der Kognitiven Grammatik diskutiert wird, warum es spezifische Realisierungsmöglichkeiten gibt und warum sich einzelne mappings über die typologischen Grenzen hinweg ähneln. Zu den Ähnlichkeiten gehören neben der Basisabfolge S>O auch Kasussynkretismen an spezifischen Stellen im Deutschen und Russischen. Während die deskriptiv-funktionale Perspektive überhaupt formale Realisie‐ rungsmechanismen mit konkreten Funktionen verknüpft, geht die kognitive Perspektive einen Schritt weiter und sucht nach Erklärungen für sprachüber‐ greifende Tendenzen. Entsprechend der Grundannahme der Kognitiven Gram‐ matik wird davon ausgegangen, dass semantische Konzepte formalsprachlich abgebildet werden. Das Zusammenspiel zwischen der semantischen Konzept‐ ebene und der formalsprachlichen Realisierung ist wiederum mental repräsen‐ tiert. Givón zufolge sind die kognitive Wissensrepräsentation zusammen mit 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht 57 <?page no="58"?> der Kommunikation (also der sprachlichen Realisierung) dieser Wissensreprä‐ sentation die „two mega-functions“ von Sprache (1998: 41). Das Ziel des kog‐ nitiv-funktionalen Ansatzes ist es, die semiologische Funktion von Sprache mit Konzeptualisierungsmechanismen zu verknüpfen: „Insofar as possible, lingu‐ istic structure is analyzed in terms of more basic systems and abilities (e.g., perception, attention, categorization) from which it cannot be distinguished“ (Langacker 1998: 1). Sprachliche Musterbildung ist, so die Folgerung, stets Re‐ sultat kognitiver Prozesse. Eine Grundidee der Kognitiven Linguistik ist die Annahme, dass kognitiv verankerte semantische und formale Prototypen existieren. Dabei wird ange‐ nommen, dass Sprecher Lexeme oder grammatische Strukturen nicht einzeln speichern, sondern diese in Hinblick auf spezifische Merkmale analysieren, bündeln und um einen Prototyp herum anordnen. Die Auseinandersetzung mit der kognitiven Repräsentation von Prototypen geht auf umfangreiche empiri‐ sche Studien von Rosch (1973, 1977, vgl. auch Kleiber 1993 sowie besonders Taylor 1995 und Lakoff 1999) zurück. Rosch konnte mittels einer Reihe von Ex‐ perimenten zeigen, dass Sprecher bestimmte Objekte (zum Beispiel Vögel, Möbel) in Hinblick auf ihre Eignung als Vertreter einer Kategorie hierarchi‐ sieren. Die Probanden ihrer Studien waren sich in der Bewertung der Objekte sehr einig. So wurde von der überwiegenden Mehrheit ein Rotkehlchen als der beste Vertreter der Kategorie Vogel ausgewählt, der Strauß und der Pinguin hingegen als weniger gute Repräsentanten eingestuft. Rosch folgert daraus, dass Sprecher erfahrungsbasiert abstrakte Kategorien ausbilden, die durch einen prototypischen Vertreter dieser Kategorie repräsentiert sind. Dieser zeichnet sich durch eine Reihe spezifischer Eigenschaften aus, die unterschiedlich stark gewichtet werden können (vgl. Lakoff 1999, Geeraerts 1989). Ein Prototyp wird dabei als der beste Vertreter einer Kategorie (vgl. zum Beispiel Lewan‐ dowska-Tomaszczyk 2007) definiert. Betrachtet man diese generellen Überle‐ gungen aus einer funktionalen Perspektive, fndet sich erneut das map‐ ping-Prinzip wieder. Ein spezifisches Konzept wird mit einer konkreten Form verknüpft. Im Fall von Roschs Experimenten verfügen Sprecher über eine be‐ stimmte Vorstellung eines Vogels. Diese Vorstellung ist am besten durch ein Rotkehlchen repräsentiert. Die Existenz abstrakter und kognitiv repräsentierter Prototypen führt Rosch zufolge zu Prototypeneffekten. So werden zum Beispiel prototypische Katego‐ rienmitglieder bei Kategorisierungsaufgaben schneller verarbeitet und früher erworben als periphere Mitglieder (vgl. zu letzerem Aspekt Ibbotson / Tomasello 2009). Besonders in Hinblick auf Verarbeitungsprinzipien werden Prototypika‐ lität und Informationsverarbeitung (processing) sowie Lernprozesse als interde‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 58 <?page no="59"?> 25 Prototypentheoretische Studien finden sich vor allem in der lexikalischen Semantik. Sie befassen sich insbesondere mit der Frage, welches Konzept Sprecher mit bestimmten Bedeutungen (zum Beispiel ‚Lüge‘ bei Coleman / Kay 1981) verknüpfen und inwiefern diese Verknüpfungen wiederum von traditionellen sowie sprechereigenen Wortdefini‐ tionen abweichen (vgl. für einen Überblick zum Beispiel Lakoff 1999). pendente Prozesse betrachtet (vgl. Rosch 1978). Informationsverarbeitung wird dabei aus kognitiver Sicht als der Abgleich eingehender Informationen jeglicher Art (visuell, auditiv etc.) mit existenten abstrakten Mustern verstanden. Lang‐ acker (1987) bezeichnet diesen Prozess als Überprüfung von category member‐ ship. Roschs Entdeckungen erfassen deshalb eine der zentralen kognitiven Fer‐ tigkeiten überhaupt: kognitive Kategorisierungsprozesse. Auf der Basis dieser Erkenntnis folgert Lakoff (1987: 5): „There is nothing more basic than categori‐ zation to our thought, perception, action, and speech“. Wissenserwerb fußt diesem Ansatz zufolge auf der Ausbildung von Kategorien, die wiederum dem Prinzip der Prototypenausbildung folgen. Dass der Mensch überhaupt fähig zur Kategorienbildung ist, baut Langacker (2000a) zufolge auf der Basisfertigkeit des Vergleichens auf. Im Rahmen des kognitiv-funktionalen Ansatzes wird die Emergenz und Nut‐ zung von Prototypen als grundlegende kognitive Fähigkeit verstanden, die wie‐ derum eine zentrale Rolle in der Sprachentwicklung und -verarbeitung spielt. Sprecher entwickeln nicht nur Wissen zu prototypischen Vögeln oder Wortbe‐ deutungen, sondern auch zu prototypischen Strukturen als Repräsentanten se‐ mantischer Konzepte. 25 Dies wird zum Beispiel anhand der deutschen Plural‐ bildung deutlich. Köpcke (1993, 1994) nimmt an, dass das Deutsche über prototypische, also besonders häufige sowie valide Pluralschemata verfügt. Zweisilbige, auf -(e)n auslautende Lexeme (zum Beispiel Katze-n) entsprechen solch einem idealen Pluralrepräsentanten. Weist ein Lexem diese Eigenschaften im Singular auf, führt dies dazu, dass keine Formveränderung mehr im Plural stattfindet. Das Becken wird im Plural zu die Becken-ø, auf eine zusätzliche mor‐ phologische Pluralform wird verzichtet. Köpcke zeigt weiterhin, dass sich die zahlreichen Pluralformen im Deutschen auf einer Prototypenskala anordnen lassen. Je mehr eine Wortform einer prototypischen Singularform ähnelt (dazu zählen vor allem Monosyllabia wie Buch, Wand, Mann), desto wahrscheinlicher ist es, dass sie im Plural ihr ‚Aussehen‘ verändert und zu einer pluralischen Wortform gemacht wird. Die Pluralformen selbst sind ferner hierarchisierbar, sodass im Deutschen zwischen guten und weniger guten, also peripheren Plu‐ ralmarkern differenziert werden kann. Zu letzteren gehört zum Beispiel ein einfaches Schwa als Pluralendung (der Wind - die Winde). Der -e-Plural ist des‐ halb kein zuverlässiger Indikator für einen Plural, weil das Deutsche über zahl‐ 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht 59 <?page no="60"?> 26 Die mentale Repräsentation dieser Eigenschaften versucht Kako (2006) anhand von Skalierungsexperimenten mit realen Lexemen und Kunstitems nachzuweisen. reiche Singularformen verfügt, die auf einem Schwa auslauten (zum Beispiel Matte, Kette, Junge). Zwei Funktionen (Einzahl vs. Mehrzahl) konkurrieren somit um eine Wortform (= ‚2-Silber auf -e‘). Müsste ein Sprecher einem unbe‐ kannten Lexem des Typs ‚2-Silber auf Schwa‘ eine Numerusform zuweisen, würde er sich vermutlich für den Singular entscheiden. Müsste hingegen die Kategorienzugehörigkeit bei einer Wortform des Typs ‚2-Silber auf -en‘ vorge‐ nommen werden, würde die Wahl höchstwahrscheinlich auf den Plural fallen. Die Prinzipien der Prototypentheorie lassen sich ausgehend vom Pluralbei‐ spiel auch auf das Konzept der semantischen Rollen übertragen. Die Kognitive Grammatik geht davon aus, dass sprachliche Muster außersprachliche Konzepte abbilden (vgl. zum Beispiel Croft 1991). Beim Numerus ist das außersprachliche Konzept die Ein- und Vielzahl von Einheiten und ihre damit verbundene Zähl‐ barkeit, die im Deutschen mit einer spezifischen Wortstruktur abgebildet wird. Die Ausdrucksebene semantischer Relationen ist hingegen der Satz (vgl. in Hin‐ blick auf Prototypikalitätseffekte Næss 2007, Ibbotson et al. 2012). Innerhalb des Satzmusters finden sich wiederum prototypische Aktanten mit prototypischen semantischen und formalen Eigenschaften. Konzeptuell werden satzinterne Aktanten als semantische Einheiten ver‐ standen, die Dowty (1991) auf zwei zentrale, in Opposition zueinander stehende Kategorien eingrenzt: das Proto-Agens und das Proto-Patiens. Wann welcher Aktant welche Rolle zugewiesen bekommt, hängt zunächst von der Verbbedeu‐ tung ab. Die von den Verben geöffneten Leerstellen erfordern die Realisierung konkreter Argumente, die mit prototypischen Rolleneigenschaften korrelieren. Dieser Prozess wird von Dowty als protorole argument selection hypothesis be‐ zeichnet. Die Protorolle zeichnet sich dabei durch konkrete Eigenschaften‐ bündel aus, die Cluster bilden und dadurch als Generalisierungen von seman‐ tisch verwandten Rollentypen zu verstehen sind. Dowty ordnet dem Proto-Agens und dem Proto-Patiens jeweils fünf unterschiedliche abstrakte Ei‐ genschaften zu. Das Proto-Agens zeichnet sich durch „volitional involvement“, „sentience“, „causing an event or change of state in another participant“, „mo‐ vement“ (in Opposition zu einem anderen Partizipanten) und „independence“ (ebd.: 572) aus. Zum Proto-Patiens gehören die Eigenschaften „undergoes change of state“, „incremental theme“, „affectedness by another participant“, „stationary“ (wiederum in Opposition zu einem sich bewegenden Partizipanten) und „non-existant independence“ (ebd.). 26 Dowtys Listung prototypischer Ei‐ genschaften ist stark an die Überlegungen von Hopper / Thompson (1980) an‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 60 <?page no="61"?> gelehnt, die zu einer ähnlichen Merkmalsliste im Kontext von prototypischen transitiven Handlungen kommen. Entscheidend bei der Verknüpfung von Ar‐ gumentrealisierung und semantischer Proto-Rolle ist, wie viele und welche dieser Eigenschaften eine NP im Gegensatz zu einer anderen NP enthält. Über‐ wiegt die Anzahl der Proto-Agens-Eigenschaften, wird die entsprechende Kon‐ stituente als Subjekt des Satzes realisiert; eine höhere Anzahl von Proto-Pa‐ tiens-Eigenschaften führt zu ihrer Realisierung als Objekt. Proto-Agens und Proto-Patiens bilden dadurch zwei Pole, die idealer- und damit prototypischer‐ weise semantisch maximal unterschiedlich sind. Comrie zufolge müssen die op‐ positionellen Rollen als ein Kontinuum verstanden werden, auf dem die jewei‐ ligen Eigenschaften einzelne Punkte entlang des Kontinuums darstellen (1981: 61). Das Konzept der Protorollen findet sich auch bei Langacker (1991), der diese als role archetypes bezeichnet. Neben Eigenschaften wie „physical activity“ und „physical contact“ ordnet Langacker einem archetypal agent vor allem das Cha‐ rakteristikum [+ B E L E BT ] zu (1991: 285). Analog zu der Annahme, dass das Patiens den oppositionellen Pol besetzt, wird diesem die Eigenschaft [- B E L E BT ] zuge‐ wiesen. Agens und Patiens stehen also in einem asymmetrischen semantischen Verhältnis, wobei dieses im Sinne der Prototypentheorie als ein graduelles zu verstehen ist. Während Dowty (1991) seine Ausführungen auf das Proto-Agens und das Proto-Patiens beschränkt, listet Langacker (1991) weitere Rollen wie den experiencer, der als „person engaged in a mental activity“ (1991: 285) defi‐ niert wird, die jedoch weniger ausführlich behandelt werden. Grundsätzlich gehen Dowty und Langacker gleichermaßen von einer Dichotomie zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens aus. Rollenzuweisung ist damit auch au‐ tomatisch ein Resultat von Relationen, was heißt, dass Rollenzuweisung stets kontextualisiert (sprich im Kontext einer transitiven Handlung) erfolgen muss. Langacker nimmt an, dass Rollendichotomien im Rahmen eines canonical event entstehen, das wiederum „the normal observation of a prototypical action“ (Langacker 1991: 285) repräsentiert. Innerhalb dieser kanonischen Handlung besteht eine kausale Relation zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens. Die Relation zwischen den Handlungsaktanten bildet sich schließlich an der sprachlichen Oberfläche durch die Konstituentenabfolge S>O ab. Das prototy‐ pische canonical event geht so in ein prototypisch transitives syntaktisches Muster über (vgl. auch Langacker 2000b). Ein N>N-Satz wird aus Sicht der Pro‐ totypentheorie zum validesten Repräsentanten einer kanonischen Handlung, in der ein Agens auf eine bestimmte Art und Weise auf das Patiens einwirkt. Die Linearität dieser kausalen Ereignisse bezeichnet Croft als causal order hypothesis (1991: 186). Transitive außersprachliche Handlungskonzepte und transitive 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht 61 <?page no="62"?> 27 Lässt man im Zuge der bisherigen Argumentation die Position des Verbs außen vor, ergibt sich auch hier die kanonische Abfolge S>X. Satzstrukturen stehen somit in einem komplexen Interdependenzverhältnis, das Croft als „correlation between causal ordering and the grammatical relations hierarchy“ (1991: 186) zusammenfasst. Das Satzmuster als solches ist (genau wie das beschriebene abstrakte Pluralschema) semantisch motiviert, sodass anhand des Satzmusters ein Handlungsschema abgeleitet werden kann. Die Konstituentenabfolge N>N ist somit als bedeutungstragendes (und da‐ durch funktional motiviertes) Satzschema zu greifen. Dass syntaktische Struk‐ turen und Muster für sich Bedeutungsträger darstellen, ist wiederum eine Kern‐ annahme der Konstuktionsgrammatik. Aus konstruktionsgrammatischer Perspektive hat die Abfolge N>N genau wie andere Konstruktionen die Eigen‐ schaft, als holistische Einheit gespeichert werden zu können (vgl. Lakoff 1987) und dem Dekompositionalitätsprinzip zu unterliegen (vgl. Goldberg 1995). Es wird also nicht in seine einzelnen Bestandteile zerlegt, sondern als Ganzes ana‐ lysiert, sodass die Gesamtbedeutung einer syntaktischen Einheit nicht auf der Grundlage der Bedeutung einzelner Bestandteile generiert werden kann. Ziem / Lasch (2013: 83) folgern deshalb, dass die „sprachliche Einheit nicht atom‐ arer Natur ist. Eine Konstruktion ist folglich immer komplexe Einheit von Viel‐ heit“. Für das transitive Satzschema N>N ist es in einem Satz wie Der Mann sieht das Fahrrad also weitgehend irrelevant, dass er Lexeme wie Mann, Fahrrad oder sieht enthält. Was zählt, ist die Verfügbarkeit von zwei Konstituenten und einem finiten Verb, die wiederum zu einem Ganzen zusammengefasst und mit einer kausal-transitiven Handlung verknüpft werden. Köpcke / Panther (2008) gehen in Hinblick auf dieses syntaktische Schema davon aus, dass ein transitiver Satz des Typs SVX 27 (Subjekt > Verb > weitere Konstituente) nicht nur die prototypische Repräsentation einer transitiven Handlung, sondern gar der Prototyp eines Satzes sei. Sie begründen diese These unter anderem damit, dass sich in dieser Hinsicht entsprechende Prototypenef‐ fekte bei Sprechern identifizieren lassen („When adults are requested to produce sentence tokens spontaneously, they usually come up with simple affirmative declarative sentences”, ebd.: 89) und der Beobachtung, dass sich andere Satz‐ typen (Interrogativsowie Imperativsätze) in einen Deklarativsatz umwandeln ließen. Der SVX -Satz ist damit nicht nur der Prototyp für die Kodierung einer transitiven Handlung, sondern per se der Prototyp eines Satzes. Protototypikalität ist in der Kognitiven Grammatik sehr eng mit Überle‐ gungen zur abstrakten Repräsentation von Mustern verknüpft. Zentral ist hierbei der Begriff des Schemas. Bußmann ( 3 2002: 583) definiert Schema als „Form 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 62 <?page no="63"?> 28 Vgl. Langacker (2000a) für eine kritische Auseinandersetzung mit den Begriffen Schema und Regel, denen zugleich auch unterschiedliche theoretische Vorannahmen zuge‐ schrieben werden. der Repräsentation von generalisiertem, soziokulturell bestimmten Wissen, das als Orientierung bei der Interpretation und zur Organisation von Erfahrungen dient“. 28 Schemata stellen abstrakte Formen der mentalen Wissensrepräsenta‐ tion dar, die einerseits existentes (kategorielles) Wissen bündeln und anderer‐ seits als kognitive Schablone dienen, um neues Wissen auf- und ausbauen (vgl. auch Anderson / Pearson 1984 sowie Rumelhart 1980). Ein Schema kann deshalb als Resultat eines Kategorisierungsprozesses und dadurch als abstrakte Einheit verstanden werden. Schemata sind Langacker (2000a: 3 f.) zufolge Resultat von Abstraktionsprozessen (= schematization) und haben kognitiv den „status of a unit“ (ebd.: 3) inne. Sind solche abstrakten schematischen Einheiten verfügbar, können Informationen mithilfe dieser kognitiven Schemata automatisiert ver‐ arbeitet werden. Langacker (ebd.) bezeichnet diesen Automatisierungseffekt als entrenchment. Einzelne Merkmale müssen dann nicht mehr separat analysiert werden, sondern sind automatisch mitverfügbar, sobald ein Schema abgerufen wird. Mit Blick auf die Annahme, dass Kategorien hierarchisch strukturiert und um einen Prototypen herum konstruiert sind, sind Prototypen damit automa‐ tisch auch Schemata (vgl. Langacker 2000a: 69, Tuggy 2007: 89 f.). So ist die auf -en auslautende zweisilbige Wortform sowohl die prototypische sprachliche Entsprechung der semantischen Einheit von Vielheit als auch ein Pluralschema. Wichtig ist, dass Schemata sowohl eine semantisch-konzeptuelle als auch eine sprachstrukturelle Ebene abdecken. In beiden Bereichen sind Schemata Resultat von Kategorisierungs- und Abstraktionsprozessen, sodass ein prototypisches Handlungsmuster A G EN S → N ICHT -A G E N S als auch ein prototypisches transi‐ tives Satzmuster N>N (= S>O) existiert. Strukturelle sprachliche Schemata (wie das Pluralschema im Deutschen oder das Satzschema N>N) haben stets eine semantische Funktion und kodieren teils abstrakte semantische Konzepte. Die Ausbildung dieser semantischen Konzepte im Zuge der kognitiven Entwicklung von Kindern wird als sprachliche Vorläu‐ ferfertigkeit verstanden und mit dem bereits erwähnten Terminus der functional readiness erfasst (Bates / MacWhinney 1987b, MacWhinney 1987b, 1988). Lang‐ acker (1998: 3) zufolge ist der Prozess der semantischen Konzeptualisierung als „embracing any kind of mental experience“ zu verstehen. Kinder sind grund‐ sätzlich in der Lage, ihre Umgebung auf unterschiedliche Art und Weise wahr‐ zunehmen, indem sie mit den ihnen gegeben Sinnen mit der Umwelt inter‐ agieren. Um die Informations- und schließlich auch die Sprachverarbeitung 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht 63 <?page no="64"?> 29 Die von Mandler benannten konzeptuellen Merkmale von Belebtheit, Unbelebtheit und Kausalität lassen eine klare Analogie zu den von Dowty (1991) gelisteten Eigenschaften von Protorollen beziehungsweise den von Langacker (1991) beschriebenen archetypal roles erkennen. maximal ökonomisch zu gestalten, werden Eindrücke und Erfahrungen zu ab‐ strakten Kategorien beziehungsweise image schemas (Oakley 2007) zusammen‐ gefasst. Sprecher analysieren und abstrahieren dabei rekurrierende usage events, die als „an actual instance of language use“ (Langacker 2000a: 9) definiert werden können. Eine kanonische Handlung ist ein Beispiel für solch ein usage event. Functional readiness heißt deshalb, dass die Ausbildung des non-sprach‐ lichen usage events dem Auffinden passender sprachlicher Realisierungsformen (sprich dem Satzschema N>N) vorangeht. Die Konzeptformation verläuft Mandler (1992: 589) zufolge im Kindesalter mittels der sogenannten „perceptual analysis“. Sie definiert diesen Begriff als a process in which a given perceptual array is attentively analyzed, and a new kind of information is abstracted. The information is new in the sense that a piece of perceptual information is recoded into a nonperceptual form that represents a meaning (ebd. 1992: 589). Dass der Mensch überhaupt zur Perzeption fähig ist, führt Mandler (2012: 422) auf die Verfügbarkeit einer Fähigkeit zurück, die sie als „perceptual meaning analysis“ ( PMA ) definiert. Mit PMA ist ein domänenübergreifender „single me‐ chanism that uses a small set of path, motion, and spatial relation primitives to interpret spatiotemporal information“ gemeint, mit dem image schemas auf der Basis der räumlichen Perzeption aufgebaut werden (ebd.). Dieser Prozess basiert zunächst auf sensomotorischen Erfahrungen, die die Wahrnehmung und Kate‐ gorisierung der das Kind umgebenden Umwelt determinieren. Am Ende dieses Prozesses verortet Mandler (1992) die concept formation. Mandler differenziert drei Konzepte, die zentral für die kognitive Entwick‐ lung des Kindes sind: das Belebtheits-, das Agentivitäts- und das Transitivitäts‐ konzept. Kinder lernen zunächst, dass belebte Wesen in der Lage sind, sich ei‐ genständig zu bewegen, wobei ihre Bewegungsrichtung non-linear verlaufen kann. Zudem sind belebte Wesen zur Interaktion mit anderen Objekten fähig, was Mandler als ‚Kontingenz ohne direkten physischen Kontakt‘ bezeichnet. Unbelebte Objekte tragen hingegen das Charakteristikum „caused motion“ (Mandler 2012: 434); eigenständige Bewegung ist ihnen nicht möglich, statt‐ dessen müssen sie bewegt werden. Der Bewegungsverlauf ist dabei im Gegen‐ satz zu belebten Wesen linear. 29 Sobald diese einzelnen Konzepte ausgebildet 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 64 <?page no="65"?> sind, können sie in eine kausale Beziehung gesetzt werden. Dies ist der Grund‐ stein zur Ausbildung eines Konzepts von Transitivität. Sobald Kinder verstanden haben, dass ihre Umwelt grob in belebte und un‐ belebte Objekte eingeteilt werden kann, setzen sie diese oppositionellen Kon‐ zepte zueinander in Beziehung, wodurch das Konzept der dichotomen Relation zwischen Agentivität und Nicht-Agentivität ausgebildet wird. Ausgehend von diesem auf Kausalität beruhenden Agentivitätsprinzip kann das abstraktere Konzept von Transitivität gefestigt und letztlich mit einer entsprechenden sprachlichen Form verknüpft werden. Kinder bilden somit prototypische tran‐ sitive Handlungsmuster aus und verknüpfen diese dann mit passenden sprach‐ lichen Mustern, vorwiegend mit prototypischen kanonischen Satzschemata. Form-function mapping heißt in diesem Zusammenhang, dass semantische Pro‐ totypen mit passenden formal-sprachlichen Prototypen verknüpft werden. Langacker (2000b: 25) zufolge ist diese Verknüpfung zwischen dem Handlungs- und dem Satzschema als „natural correlation“ zu verstehen. Die primäre Annahme für die sprachliche Entwicklung erster grammatischer Strukturen ist somit, dass eine semantische Rollendichotomie zwischen be‐ lebtem Agens und unbelebtem Nicht-Agens in Form einer dazu passenden grammatischen Struktur verpackt wird. Bereits Brown (1973) stellt für die frühen Spracherwerbsphasen fest, dass erste Kombinationen zweier nominaler Konstituenten (in Form von N+N) semantisch häufig ein Agens und ein Obejekt in Form einer kausalen linearen Handlung kodieren (zum Beispiel Kendall spider, vgl. Clark 2003: 169). Die Realisierung des Objekts vor einer agentivi‐ schen Rolle ist hingegen untypisch und kaum existent. Dieses Prinzip scheint sprachübergreifend zu gelten. Auch Tomasello (1992) weist nach, dass ein von ihm untersuchtes englischsprachiges Kind in der 3-Wort-Phase (mit ca. 19 Mo‐ naten) überwiegend Sätze mit einem belebten Agens und einem unbelebten Pa‐ tiens verwendet, daneben wird vereinzelt auch ein belebtes Patiens gebraucht. Erst mit ca. 23 Monaten kommen Sätze mit unbelebtem Agens hinzu, wobei diese meist durch das neutrale Pronomen es beziehungsweise das Relativpro‐ nomen das repräsentiert sind. Sätze mit belebtem Agens und unbelebtem Patiens bleiben jedoch im gesamten untersuchten Zeitraum (19-23 Monate) in der deut‐ lichen Mehrheit. Auch Hodeweg / de Hopp (2010) weisen anhand einer korpu‐ sanalytischen Auswertung für das Niederländische nach, dass Kinder bei tran‐ sitiven Sätzen in 92 % der Fälle ein belebtes Agens gebrauchen. Sätze mit neutralisierter Belebtheitsopposition (also mit zwei belebten oder unbelebten Aktanten) kommen in nur gut 5 % der Fälle vor. Erste syntaktische Muster bilden somit prototypische transitive Handlungsmuster ab. 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht 65 <?page no="66"?> Der Konstruktionstyp N>N umfasst nicht nur die von Mandler angenommene Abbildung kausaler transitiver Handlungsmuster, sondern bildet auch die von ihr postulierte Belebtheitsopposition der beiden Aktanten ab. Dies wirkt sich in der Folge auch auf den Erwerb und den Gebrauch von Kasusmarkern zur Kenn‐ zeichnung semantischer Rollen aus. Slobin (1985) verweist darauf, dass Kinder zunächst belebte Subjekte und unbelebte Objekte mittels morphologischer Mittel markieren und erst danach beginnen, untypische Kombinationen mor‐ phologisch zu kennzeichnen. Mandlers Annahmen über die Existenz prototy‐ pischer transitiver Schemata, die zugleich spezifische Rolleneigenschaften ent‐ halten, lassen sich damit im frühen Spracherwerb nachweisen. Die Abfolge zweier nominaler Konstituenten (N>N) dient im Erwerbsprozess der Abbildung einer belebten agentivischen (= N1) und einer unbelebten nicht-agentivischen Rolle (= N2). Basierend auf der Etablierung eines prototypischen kanonischen Satzschemas finden dann auch schrittweise morphologische Formen ihren Einzug ins grammatische System. Das semantische Konzept (= Transitivität) wird so schrittweise auf sprachliche Strukturen gemappt. Wenn ein N>N-Schema für Kinder unterschiedlicher Sprachen die erste pro‐ totypische Kodierung des transitiven Handlungsschemas [+A G E N S ]>[-A G E N S ] darstellt, muss angenommen werden, dass die Verwendung von [-A G E N S ]>[+A G E N S ]-Strukturen erst später im Erwerb folgen sollte. Diese als O>S-Sätze charakterisierbaren Muster stellen zwar ebenfalls transitive Sche‐ mata dar, sind jedoch untypisch, weil sie den natürlichen Handlungsablauf von ‚A G EN S → P ATI EN S ‘ zu ‚P ATI E N S ← A G EN S ‘ umkehren. Die Abweichung von der prototypischen Konstituentenabfolge ist hierbei zwar funktional motiviert, da die Topikalisierung des Objekts zum Beispiel mit einer expliziten Hervorhebung einzelner Aktanten hervorgeht, muss jedoch als pragmatisch markierter Fall betrachtet werden. Hopper / Thompson (1980) sprechen in diesem Zusammen‐ hang von einer ‚Diskursmotivation‘, die in eine Dichotomie zwischen Vorder- und Hintergrund mündet. Die Verfügbarkeit von vordergründigen und hinter‐ gründigen Informationen ist wiederum besonders im Gesprächsdiskurs relevant (hier ist auch der Anteil von OS -Struturen im Deutschen am höchsten, s. Schle‐ sewsky et al. 2000). Die syntaktische Topikalisierung nicht-agentivischer Ak‐ tanten muss deshalb als ein Mittel der Hervorhebung betrachtet werden. Für Lerner einer Sprache (L1 oder L2) ist dieses Mittel damit erst relevant, wenn sie über die sprachlichen Ressourcen verfügen, um an längeren Gesprächen teil‐ zunehmen. Das Mittel der Hervorhebung ist letztlich der Pragmatik zuzuordnen und sollte dazu führen, dass sich die umfassende Nutzung von O>S-Sätzen erst im fortgeschrittenen Erwerb entwickelt. 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 66 <?page no="67"?> Die Bidirektionalität zwischen Handlungs- und Satzschema ist nicht nur beim mapping von Formen auf Funktionen (also in der Produktion), sondern auch bei der Abbildung von Funktionen auf Formen, genauer in der Rezeption und Ver‐ arbeitung relevant. Das transitive Schema N>N bildet einen „stabilizing frame“ (Tomasello 2007: 1104), der die prototypischen semantischen Relationen zwi‐ schen einem Agens und einem Nicht-Agens evoziert. Diese Idee ist - wenn auch nicht explizit - eng angelehnt an das Konzept des syntactic bootstrapping. Dabei wird angenommen, dass erstens das lexikalische Lernen dem syntaktischen un‐ tergeordnet ist und zweitens Wortbedeutungen (dabei allen voran Verbaber auch Substantivbedeutungen) auf der Basis eines syntaktischen Frames gene‐ riert werden (vgl. Fischer et al. 2010, Gleitman 1990, Naigles / Swensen 2007). Beispielswiese kann ein Sprecher durch die Verfügbarkeit von zwei No‐ minalphrasen eine kausale Relation zwischen den Phrasen und damit den be‐ teiligten Aktanten annehmen: „[S]entence structures themselves are mea‐ ningful to children as well as adults, in a way not reducible to links between thematic roles and grammatical function“ (Fischer 2000: 11). Sprecher sind also in der Lage, über die Anzahl und die Abfolge der Konstituenten eine grobe Satz‐ bedeutung zu generieren und den Aktanten spezifische Eigenschaften zuzu‐ ordnen. In diesem Zusammenhang können beispielsweise Kako / Wagner (2001) zeigen, dass Sprecher die Anzahl der Phrasen dazu nutzen, um die Bedeutung eines unbekannten Verbs zumindest einzugrenzen und somit die syntaktische Struktur an sich als structural cue zu gebrauchen. Bei zwei nominalen Konsti‐ tuenten werden unbekannte Verben als transitiv interpretiert, bei nur einer als intransitiv. Der bootstrapping-Ansatz stellt damit das Satzschema an die Spitze eines Top-Down-Prozesses bei der Satzverarbeitung und beim Satzverstehen. Syntaktische Strukturen regulieren dabei die Generierung einer semantischen Skizze und erleichtern im Erwerb die Eingrenzung und Kategorisierung von Wortbedeutungen. Diese hierarchische Relation zwischen Syntax und lexikali‐ scher Semantik weist darauf hin, dass syntaktische Strukturen als bedeutungs‐ tragende Einheiten beziehungsweise als Schemata fungieren, die dem Wissens‐ erwerb dienen. Insgesamt lässt sich bisher folgern, dass sich das semantische Konzept der Transitivität in der Produktion im frühen Erwerb des N>N-Musters abbildet, in dem zugleich auch eine prototypische Belebheitsopposition zwischen einem belebten Agens und einem unbelebten Nicht-Agens kodiert wird. In der Rezep‐ tion dient das N>N-Muster Sprechern dann dazu, die syntaktische Struktur als Repräsentanten eines transitiven Handlungsmusters zu verarbeiten. 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht 67 <?page no="68"?> 30 Auch Ergativsprachen, die hier nicht weiter ausgeführt werden, weisen eine formale Distinktheit zwischen dem Ergativ und dem Absolutiv auf. Die Ausführungen beziehen sich jedoch im Folgenden ausschließlich auf Akkusativsprachen. Die Konstituentenabfolge im Satz erfüllt die Funktion, kausale Handlungszuam‐ menhänge zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens abzubilden. Auch Kasusmarker erfüllen die Aufgaben, dichotome semantische Rollen formal ab‐ zugrenzen. Eine formale Differenzierung zwischen Nominativ ( NOM ) und Ak‐ kusativ ( AKK ) 30 dient dabei einer semantischen Differenzierung zwischen Agens und Patiens innerhalb von transitiven Konstruktionen (vgl. für das Deut‐ sche für einen Überblick Dürscheid 1999). Comrie (1981: 119) verweist darauf, dass die meisten NOM - AKK -Sprachen dazu tendieren, nur den Akkusativ mit‐ tels eines Affixes zu markieren, der Nominativ ist morphologisch unmarkiert. Kombiniert mit den prototypischen dichotomen Eigenschaften der semanti‐ schen Rollen heißt dies, dass über eine oblique morphologische Veränderung einer NP auf Nicht-Agentivität geschlossen werden kann. Bleibt die NP hin‐ gegen morphologisch unmarkiert, so ist dies ein Indikator für Agentivität. Kom‐ biniert mit den prototypischen Satzpositionen von Agens und Patiens heißt dies, dass in einer N>N-Struktur das morphologisch unmarkierte Agens als N1 und das morphologisch markierte Patiens als N2 realisiert wird. Comrie (1981) und Langacker (1991) verweisen zudem darauf, dass auf formaler Ebene die Defi‐ nitheit eine wichtige Rolle spielt. Ein Agens ist prototypisch definit, ein Patiens hingegen indefinit. Daraus lässt sich ableiten, dass Agens und Patiens neben distinktiven seman‐ tischen auch prototypische morphologische und syntaktische Merkmale auf‐ weisen. Formale und semantische Eigenschaften stehen in einem komplexen Interdependenzverhältnis, da einerseits die semantischen Merkmale die formal‐ sprachliche Ebene motivieren (indem zum Beispiel das entsprechende Satz‐ muster N>N entsteht) und andererseits über die einzelnen formalen Merkmale auf die dahinterliegenden semantischen Konzepte geschlossen werden kann. Abbildung 2 fasst die prototypischen semantischen und formalen Eigenschaften eines Proto-Agens und eines Proto-Patiens zusammen und macht darüber hi‐ naus deutlich, dass Agens und Patiens ein Kontinuum bilden, an dessen oppo‐ sitionellen Enden die prototypischen Eigenschaften zu finden sind. Die jewei‐ ligen Eigenschaften müssen nicht gemeinsam auftreten, sodass Varianzen und Dynamizität im Rahmen des Kontinuums denkbar sind (indem zum Beispiel das Patiens belebt ist und damit potentiell auch Handlungsträger sein kann). 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 68 <?page no="69"?> 31 Hodeweg / de Hoop (2010) belegen diese Annahme für das Niederländische anhand einer Korpusstudie zur Kindersprache. 32 Passender wäre es, neben dem Terminus Rezipiens auch andere Rollenvarianten (ex‐ periencer, Benefizient), die typischerweise mit dem Dativ markiert werden, zu nennen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird jedoch auf eine Aufzählung dieser Rollen im Folgenden verzichtet, sodass ‚Rezipiens‘ als stellvertretende Rolle für alle Varianten zu betrachten ist. Abbildung 2: Semantische und formale Prototypikalität von Agens und Patiens In Hinblick auf das Deutsche findet sich eine Reihe von korpusanalytischen Studien, die entweder einzelne Eigenschaften aus der Übersicht oder das Zu‐ sammenspiel einzelner Merkmale untersuchen. So zeigen beispielsweise Bader / Häussler (2010) sowie Müller/ Weber (2004), dass in SO -Sätzen das Sub‐ jekt (und dadurch in der Regel das Agens) definit, das Objekt (und damit das Nicht-Agens) hingegen indefinit ist. 31 Die Belebtheitsdichotomie (Agens [+ B E‐ L E BT ] vs. Patiens [- B E L E BT ]) scheint ebenfalls ein typisches Merkmal von SO - und OS -Sätzen zu sein. Bader / Häussler (2010) kommen zum Beispiel zu dem Fazit, dass diese Dichotomie zu 60 % für SO - und 80 % für OS -Sätze gilt, sofern diese ein akkusativmarkiertes Objekt enthalten. Mit Blick auf die Zuverlässigkeit, die die in Abbildung 2 gelisteten formalen Merkmale jeweils innehaben, muss die morphologische Markierung als dieje‐ nige herausgestellt werden, die am deutlichsten machen kann, ob eine NP eine agentivische oder nicht-agentivische Rolle kodiert. In Hinblick auf die Kenn‐ zeichnung nicht-agentivischer Rollentypen muss hierbei zwischen den Funkti‐ onen des Akkusativs und Dativs differenziert werden. Anders als der Akkusativ wird der Dativ prototypisch für die Markierung indirekter Objekte gebraucht, die wiederum in der Regel mit der semantischen Rolle des Rezipiens 32 korres‐ 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht 69 <?page no="70"?> 33 Damit kann auch erfasst werden, warum bei diesen transitiven Verben eine Dativ- und keine Akkusativmarkierung erforderlich ist (zum Beispiel Ich helfe dem Mann). Der Akt des Helfens impliziert, dass das Rezipiens die Handlung des Agens mit verursacht. Diese teilweise Involviertheit klassifiziert die nicht-agentivische Rolle damit als Rezipiens und eben nicht als Patiens. pondieren. Wie das direkte Objekt, tritt auch das indirekte Objekt immer in einer transitiven sowie auch ditransitiven Konstruktion auf und ist damit Bestandteil einer kausalen Handlung, die von einem prototypischen Agens ausgeführt wird. Langacker (1991: 327) unterscheidet deshalb zwischen dem Subjekt als source domain auf der einen und der target domain in Form eines direkten oder indi‐ rekten Objekts auf der anderen Seite. Im Kontext der Prototypikalisierung se‐ mantischer Relationen differenziert Langacker weiterhin zwischen direkten und indirekten Objekten als Repräsentanten passiver und aktiver Handlungsbetei‐ ligter: „[A]n active participant is one that functions as an original source of energy and thereby initiates [Herv. i. O.] an interaction“ und kann letztlich als ein active experiencer definiert werden (Langacker 1991: 327). Typischerweise gehen dativmarkierte Objekte als Kodierungsformen eines Rezipiens mit Trans‐ ferverben wie helfen und geben einher, die eine teilweise Aktivität des nicht-agentivischen Gegenübers implizieren. 33 Anders als das Patiens kann das Rezipiens folglich agentivische Eigenschaften mitbringen, wie zum Beispiel das Merkmal [+ B E L E BT ], sowie eine teilweise Selbstständigkeit und Involviertheit im Rahmen einer Handlung. Eine semantische Abgrenzung zwischen den eigent‐ lich dichotomen Rollen Agens und Rezipiens kann somit nicht mittels klarer Grenzen im Sinne eines eindeutigen Belebtheitskontrastes erfolgen, sondern muss vielmehr im Kontext einer von Primus (2006) vorgeschlagenen involve‐ mentbeziehungsweise dependency-Hierarchie erfasst werden. Je höher der Grad des involvement, desto wahrscheinlicher ist die Realisierung eines Argu‐ ments als Agens. Je höher der Grad der dependency, desto eher handelt es sich um ein Patiens. Ein Rezipiens steht zwischen diesen beiden Extrempolen: Es ist weniger involviert als das Agens, jedoch auch weniger abhängig als das Patiens. Dadurch nimmt es semantisch gesehen Eigenschaften beider Rollen an. Ent‐ sprechend wäre das Rezipiens in Abbildung 2 zwischen den beiden Polen ein‐ zuordnen. Anders als die klaren semantischen Oppositionen zwischen Agens und Pa‐ tiens werden die Grenzen zwischen Agens und Rezipiens also merklich un‐ schärfer, da beide prototypisch die Eigenschaft [+ B E L E BT ] mitbringen. Dass das indirekte Objekt dem Subjekt jedoch trotzdem hierarchisch untergeordnet ist, wird wiederum durch eine entsprechende Satzposition sowie eine oblique Ka‐ susmarkierung deutlich. Wie auch das Patiens, wird das Rezipiens in einer tran‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 70 <?page no="71"?> sitiven Konstruktion nämlich nach dem Subjekt realisiert, wodurch die kausale Relation zwischen den beiden Aktanten abgebildet wird. Zusätzlich wird das Rezipiens oblique markiert. Die overte oblique Kasusmarkierung im Dativ ist offenbar genau deshalb nowendig, weil die semantischen Grenzen besonders im Bereich der Belebtheit verschwimmen (s. dazu Kapitel 2.4). Zusammengenommen existieren aus Sicht der Prototypentheorie abstrakte transitive Handlungsschemata, die in Form eines Satzschemas kodiert werden, in dem die Konstituentenabfolge N>N die kausale Relation zwischen Agens und Nicht-Agens repräsentiert ([+A G E N S ]>[-A G EN S ]). Diese natürliche Korrelation ist auch der Grund dafür, warum die Abfolge N>N sowohl im Deutschen als auch im Niederländischen und Russischen prototypisch die Konstituentenab‐ folge S>O beziehungsweise A G E N S > N ICHT -A G EN S kodiert. In allen drei Spra‐ chen implizieren die beiden nominalen Konstituenten zugleich eine prototypi‐ sche Dichotomie zwischen einem belebten und einem unbelebten Aktanten. Die Korrelation zwischen semantischer Rolle und Konstituentenabfolge wird in Sprachen, die über ein Kasussystem verfügen, um prototypische Kasusmarker beziehungsweise Kasuskategorien ergänzt. Das Agens ist dabei in aktivischen Bedingungen nominativ-, die nicht-agentivischen Rollen akkusativ- oder dativ‐ markiert. Die konkrete Kasuskategorie ( AKK vs. DAT ) ergibt sich auf der Basis des Grads der Involviertheit des nicht-agentivischen Aktanten. Auch dies ist eine sprachübergreifende Tendenz, da die dahinterliegende Funktion semanti‐ scher Natur ist und somit losgelöst von einzelsprachlichen formalen Prinzipien greift. Semantisches Konzept, Satzstruktur und Kasusmarker sind letztlich in allen hier untersuchten Sprachen interdependent; die Abbildung semantischer Rollendichotomien erfolgt mithilfe dichotomer syntaktischer Positionen und morphologischer Formen. Die im Kontext von transitiven Handlungsstrukturen enthaltene Involviertheitshierarchie der beteiligten Aktanten ist eng verknüpft mit ihrer Belebtheitseigenschaft, wodurch auch spezifische Kasuskategorien mit spezifischen Belebtheitsmerkmalen korrelieren. Der Umstand, dass Sprachen wie das Deutsche oder das Russische sich sowohl syntaktischer als auch mor‐ phologischer Mittel zur Kodierung semantischer Rollenrelationen (= many-to-one mapping) bedienen (s. Kapitel 2.2), führt schließlich zu einer formalen Konkurrenzsituation, die sich auf die bereits skizzierte Variabilität der S>O-Struktur und damit auch auf die Validität des Satzschemas bei der Satz‐ verarbeitung auswirkt. Bevor die Zuverlässigkeit der beiden Strukturen in Hin‐ blick auf ihr Potential, semantische Relationen zu kodieren, aus einer Erwerbs- und Verarbeitungsperspektive näher beleuchtet wird, soll zunächst der Zusammenhang zwischen Kasusformen, Synkretismen sowie Belebtheitsmerk‐ malen im Kasussystem betrachtet werden. Dies ist notwendig, wenn erfasst 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen - die kognitive Sicht 71 <?page no="72"?> 34 Inwiefern hier ein Synkretismus oder, wie von Kempe / MacWhinney (1998) vorge‐ schlagen, eine Neutralisierung vorliegt, bleibt eine Frage der Definition. Synkretismen beziehen sich auf die Formidentität zweier Strukturen (zum Beispiel den als Akkusa‐ tivmarker im Maskulinum Singular und als Dativmarker im Plural), Neutralisierung heißt hingegen, dass zwei Formen morphologisch nicht unterschieden werden, weil sie jeweils nicht markiert sind. Obwohl nachvollziehbar ist, dass die Nichtunterscheidung als solches als neutral betrachtet werden kann, ist es an dieser Stelle vor allem aus diachroner Perspektive sinnvoller, von Synkretismen zu sprechen. So wurden im Deut‐ schen ursprünglich Feminina im Akkusativ mit dem Suffix -n markiert (vgl. Krifka 2009). Der Flexionsabbau hat zu einer Annäherung an die Nominativform geführt, die sich wiederum durch das Nicht-Vorhandensein einer zusätzlichen Markierung aus‐ zeichnet. Diese Nicht-Markierung ist das formale Charakteristikum des Nominativs. Wenn also eine ursprünglich markierte Struktur die Unmarkiertheit des Nominativs annimmt, findet eine formale Angleichung statt. Der Akkusativabbau ist aus dieser Sicht also nicht als Neutralisierung, sondern als semantisch motivierte formale Über‐ lappung und damit als Synkretismus einzustufen (vgl. auch Baerman / Brown / Corbett 2005: 27 ff.). 2.4 werden soll, welche Funktionen L1- und L2-Sprecher mit spezifischen Kasus‐ formen des Deutschen verknüpfen. Synkretismen im Kasusparadigma - Zur besonderen Rolle der Belebtheit Der Vergleich zwischen dem Deutschen, dem Russischen und dem Niederländi‐ schen (Kapitel 2.2) hat gezeigt, dass alle drei Sprachen in unterschiedlichem Umfang über Synkretismen verfügen. Während der Formenabbau im Nieder‐ ländischen am weitesten vorangeschrittenen ist, sodass im Prinzip im Bereich der Kasusflexion absolute Synkretie vorherrscht, findet sich im Deutschen und Russischen je nach Genus eine unterschiedliche Anzahl synkretischer Formen. Gemeinsam ist den beiden Sprachen der Formenzusammenfall von Nominativ und Akkusativ im Neutrum. 34 Während dies im Deutschen auch für das Femi‐ ninum gilt, sind im Russischen nur ein Teil der Feminina betroffen. Eine Son‐ derstellung nimmt in beiden Sprachen das Maskulinum ein. Im Deutschen sind alle vier Kasusformen formal distinkt, im Russischen entspricht der Akkusativ bei unbelebten Maskulina dem Nominativ. Eine morphologische Differenzie‐ rung des Akkusativs findet sich entsprechend nur bei belebten Maskulina. Prinzipiell sind Kasussynkretismen ein typisches Charakteristikum indoeu‐ ropäischer Sprachen (vgl. Baerman / Brown 2013). Dabei kann angenommen werden, dass ein Formenzusammenfall jeglicher Art aus funktionaler Sicht eine semantische Korrespondenz der von der jeweiligen Form abgebildeten Inhalte 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 72 <?page no="73"?> 35 Die Idee der Belebtheitshierarchie geht auf Silverstein (1976) zurück. Die Differenzie‐ rung zwischen [+ B E L E B T ] und [- B E L E B T ] ist hier stark reduziert und kann weiter aus‐ differenziert werden (zum Beispiel in die Unterscheidung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen). Die konkreten Punkte auf der Belebtheitsskala sind jedoch für die Erläuterung der Relevanz der grundsätzlichen Unterscheidung von be‐ lebten und unbelebten Aktanten in Hinblick auf die Genuszuweisung und die daraus ableitbaren Deklinationsparadigmen an dieser Stelle nicht relevant, sodass auf eine ausführliche Darstellung dieses Konzepts hier verzichtet wird. impliziert. So geht Jakobson (1984) davon aus, dass synkretische Kasusformen im Russischen suggerieren, dass die von den formidentischen Markern gekenn‐ zeichneten Rollen eine semantische Ähnlichkeit aufweisen (s. auch Givón 1995). Müller (2004: 197) fasst diese These in Form des Prinzips „identity of form implies identity of function“ zusammen. Dabei stellt sich die Frage, warum sprachübergreifend NOM - und AKK -Formen häufig formidentisch sind, obwohl ihre Aufgabe darin besteht, die zwei semantisch maximal distinkten Rollen Agens und Patiens zu markieren. Eine mögliche Erklärung findet sich beim Blick auf die Genusklassifikation und die von ihr abhängigen Deklinationsklassen und Kasusformen. Corbett (1991) zufolge leiten sprachübergreifend zwei Prinzipien die Genus‐ zuweisung: semantische Faktoren und / oder die phonotaktische Wortstruktur. Zu den semantischen Faktoren zählt allen voran die Belebtheit, insbesondere die Differenzierung zwischen [+ B E L E BT ] und [- B E L E BT ]. 35 Dahl (2000) nimmt an, dass grammatische Relationen dieser semantischen Dichotomie ‚gehorchen‘, sodass die These aufgestellt werden kann, dass nicht nur die Genusklassifika‐ tion, sondern auch das vom Genus abhängige Kasusparadigma und darin ent‐ haltene synkretische Formen mit dem Konzept der Belebtheitshierarchie erklärt werden können. Der Formenzusammenfall zwischen NOM und AKK im Neutrum ist ein ty‐ pisches Charakteristikum indoeuropäischer Sprachen (vgl. Baerman / Brown / Corbett 2005, Krifka 2009, Wunderlich 2004; vgl. für einen Überblick über Typen von Synkretismen zum Beispiel Luraghi 1987 und Blake 2 2001). Bezogen auf den Einfluss der Belebtheit, ist dies darauf zurückzuführen, dass Neutra in der Regel unbelebt sind, was im Russischen für fast 100 % und im Deutschen für ca. 90 % der Neutra gilt (vgl. für das Deutsche Krifka 2009). Deutlich wird dies auch im Niederländischen, wo es eine Genusdifferenzierung zwischen Maskulina / Fe‐ minina (de) und Neutra (het) gibt. Corbett (1991: 102) sieht in diesem Nebenei‐ nander zweier Genusklassen einen mit dem Englischen vergleichbaren Wandel zu einem semantisch basierten Genussystem, das zwischen belebten und unbe‐ lebten Aktanten differenziert. Het als Marker für Neutra wäre also mit dem 2.4 Synkretismen im Kasusparadigma - Zur besonderen Rolle der Belebtheit 73 <?page no="74"?> 36 Die verbleibenden 5 % werden durch Pluraliatantum abgedeckt. Die von Krifka aufge‐ führte Verteilung kann durch eine Reihe weiterer Auszählungen bestätigt werden (vgl. für einen Überblick Binanzer 2015). Merkmal [- B E L E BT ] und de mit [+ B E L E BT ] verknüpft. Durch das Merkmal [- B E‐ L E BT ] stellen Neutra also in allen drei Sprachen einen idealen Kandidaten (oder ein Patiens-default, vgl. Bank 2007: 5) für die Patiensrolle dar. Da die prototypi‐ sche semantische Belebtheitsdistinktion zwischen Agens und Patiens innerhalb eines transitiven Satzes durch den Gebrauch eines Neutrums bereits abgebildet wäre, wird eine zusätzliche oblique Markierung des Patiens überflüssig. Der Verzicht auf eine oblique Kasusmarkierung bei Neutra ist im Zuge dieser Ar‐ gumentation deshalb Resultat einer prototypischen Belebtheitsopposition in transitiven Bedingungen. Bestätigt wird diese These durch Krifkas (2009) Hinweis darauf, dass zahl‐ reiche Sprachen unabhängig vom Genus dazu tendieren, vor allem unbelebte Objekte morphologisch nicht zu markieren (vgl. auch Comrie 1989). Diesem Prinzip folgt auch das Russische bei der Markierung belebter und unbelebter Maskulina und Feminina. Im Maskulinum wird ein unbelebtes Patiens (und damit der Akkusativ) nicht markiert (zum Beispiel brat vidit stol-ø [(Der) Bruder sieht (den) Tisch]), ein belebtes hingegen schon (zum Beispiel brat NOM vidit mužčin-u AKK [Der Bruder sieht den Mann]). Gleiches gilt für Feminina der Klasse II (s. Tabelle 3, Kapitel 2.2). Im Deutschen wird nicht zwischen belebten und unbelebten Maskulina dif‐ ferenziert; stattdessen wird das Maskulinum unabhängig von diesem semanti‐ schen Merkmal stets mit dem Marker den versehen, wenn es als Patiens realisiert wird. Die obligatorische oblique Kasusmarkierung ist ein Hinweis darauf, dass Maskulina im Deutschen dazu tendieren, belebt zu sein. Umgekehrt findet sich im femininen Paradigma genau wie im Neutrum keine oblique Form im Akku‐ sativ. Analog zum neutralen Paradigma ist dies wiederum ein Hinweis darauf, dass Feminina ebenfalls größtenteils unbelebt sein sollten. Dass diese Korrelation zwischen Belebtheit und Genus tatsächlich zu exis‐ tieren scheint, zeigt Krifka (2009). Anhand einer Korpusanalyse kann er belegen, dass von den ausgezählten Types (bei einem Vorkommen von >2 Tokens) 30 % der Maskulina belebt sind, bei den Neutra und Feminina belebte Types hingegen einen Anteil von nur 9 % beziehungsweise 6 % ausmachen. Belebte Lexeme sind im Deutschen damit mit einer hohen Wahrscheinlichkeit maskulin klassifiziert. Hinzu kommt, dass Maskulina im Deutschen insgesamt deutlich häufiger vor‐ kommen (45 %) als Feminina (30 %) und Neutra (20 %). 36 Zu ähnlichen Folge‐ rungen - jedoch nicht auf einer korpuslinguistisch angelegten Basis - kommen auch Eisenberg / Sayatz (2004). Bezogen auf die Korrelation zwischen Be‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 74 <?page no="75"?> 37 Besonders Neutra scheinen prädestiniert für die Patiensrolle zu sein. Dittmar et al. (2008) zeigen zum Beispiel, dass im Deutschen in der child directed speech (CDS) der neutrale Artikel das vor allem als Patiens- und so gut wie nie als Agensmarker ver‐ wendet wird. Im von ihnen untersuchten Korpus deckt das 30 % der Patienskontexte und nur 0,5 % der Agenskontexte ab. lebtheitsmerkmal und semantischer Rolle sind Neutra und Feminina somit glei‐ chermaßen dafür geeignet, als Patiens aufzutreten. In beiden Fällen ist damit eine oblique Markierung im AKK nicht notwendig. Die Belebtheitsdichotomie verteilt sich im Deutschen (ähnlich wie im Niederländischen) deshalb auf ein‐ zelne Genera ( MASK = tendenziell [+ B E L E BT ] vs. NEUT / FEM = tendenziell [- B E L E BT ]) und wirkt sich dadurch auch auf die formalen Merkmale des Akku‐ sativs aus. Da Maskulina wiederum auch als Patiens auftreten können, müssen sie aufgrund ihrer Eigenschaft, prototypisch belebt zu sein (was wiederum in Hinblick auf die Patiensrolle als markiert zu werten ist), morphologisch durch einen obliquen Kasusmarker gekennzeichnet werden. Bank (2007: 5) resümiert dazu: „Markierte Bedeutungen werden mit markierten Formen verknüpft, un‐ markierte Formen denotieren unmarkierte Bedeutungen.“ Bank verknüpft so eine semantische Markiertheit mit einer formalen, das heißt obliquen Markie‐ rung. Ist dies der Fall (also beim Marker den im Singular), so verweist die Form darauf, dass es sich um ein untypisches, da vermutlich belebtes Patiens handelt (zum Beispiel den Mann). Ist dies nicht der Fall (also bei das A K K und die A K K ), so liegt ein typisches, da unbelebtes Patiens vor (zum Beispiel das A K K Fahrrad oder die A K K Tür). Neutra und Feminina sind somit ideale Kandidaten für eine Patiensrolle, 37 Maskulina sind eher untypische Vertreter für diese Kategorie. Aufgrund ihrer Eigenschaft, tendenziell belebt zu sein, fungieren Maskulina deshalb eher als Kandidaten für die Agensrolle. Diese wird wiederum besonders häufig in Form eines nominativmarkierten Subjekts und dadurch mit der Form der kodiert (vgl. dazu Gamper 2016.). Der kann somit als prototypischer Agensmarker verstanden werden. Für diese Annahme sprechen zwei Studien: Im Erstspracherwerb verwenden monolingual deutsche Kinder die Form der besonders häufig als Agensmarker (vgl. Bittner 2006), im Zweitspracherwerb werden die maskulinen Formen der und er auch dann überdurchschnittlich häufig zur Wiederaufnahme belebter Aktanten verwendet, wenn die Bezugs- NP nicht maskulin klassifiziert ist (vgl. Binanzer 2015). Dies ist wiederum ein Hinweis darauf ist, dass die Form der mit Belebtheit und damit potentiell auch mit Agentivität in Verbindung ge‐ bracht wird. Umgekehrt werden unbelebte Aktanten besonders häufig mit den neutralen Formen das und es wieder aufgenommen. Binanzers Ergebnisse bilden also ab, dass die Formen der und das in Hinblick auf ihre Funktionen maximal 2.4 Synkretismen im Kasusparadigma - Zur besonderen Rolle der Belebtheit 75 <?page no="76"?> dichotom sind. Ersterer wird die prototypische Eigenschaft [+ B E L E BT ], letzterer das Merkmal [- B E L E BT ] zugewiesen. Die prototypische Korrelation zwischen einzelnen Kasusformen des Deut‐ schen und ihren jeweiligen semantischen Funktionen ist in Abbildung 3 zu‐ sammengefasst. Abbildung 3: Semantische und formale Prototypikalität von Agens und Patiens im Deut‐ schen Die Belebtheitshierarchie wirkt sich nicht nur unmittelbar auf die Genusklas‐ sifikation, sondern vor allem auch auf die Verknüpfung von einzelnen Formen und rollenspezifischen Funktionen sowie in der Folge auch auf die den einzelnen Genera zugrundeliegenden Kasusparadigmen aus. Belebtheit ist dabei ein typi‐ sches Merkmal von Maskulina und zugleich der Grund dafür, dass Nominativ und Akkusativ im maskulinen Paradigma formal different sind. Unbelebtheit korrespondiert mit den Genera Femininum und Neutrum und führt zu einem morphologischen Formenzusammenfall zwischen NOM und AKK . Insgesamt lässt sich also folgern, dass die Belebtheitsdichotomie von B E L E BT > UNB E L E BT die grammatischen Relationen auf semantischer (A G E N S > P ATI E N S ), syntakti‐ scher (S U B J E KT > O B J E KT ) und morphologischer Ebene (M A S KULINUM > N E UT R UM / F EMININUM sowie NOM - AKK -O P P O S ITION > NOM - AKK -Z U S AMME N FALL ) determiniert (s. Abbildung. 3). In Hinblick auf die Prinzipien von Form-Funktions-Paaren kann aus den bishe‐ rigen Ausführungen abgeleitet werden, dass Formen wie das, die und den in N>N-Sätzen in der Regel nicht nur satzfinal (beziehungsweise als N2) realisiert werden, sondern zugleich mit der Patiens-Rolle verknüpft sind. Alle drei Formen sind somit Indikatoren für Nicht-Agentivität. Umgekehrt verweist eine NP mit einer der-Form auf ein Agens. Dadurch ergibt sich zugleich, dass einzelne Formen in Hinblick auf die Kennzeichnung semantischer Relationen Prototy‐ pikalitätscharakter haben. 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 76 <?page no="77"?> 38 Die Vermutung liegt nahe, dass Sprachen, die über Kasusmarker und Synkretismen im Deklinationsparadigma verfügen, die morphologische Distinktheit zwischen Nomi‐ nativ und Dativ immer aufweisen sollten. Ein Formenzusammenfall ist vor dem Hin‐ tergrund einer fehlenden Belebtheitsopposition in transitiven Sätzen höchst unwahr‐ scheinlich. Diese Vermutung muss an dieser Stelle jedoch lediglich als These verstanden werden, da der empirische Beleg aussteht. Allerdings lässt sich aus den Ausführungen von Baerman / Brown (2013) sowie Baerman / Brown / Corbett (2005) ableiten, dass es zwar sprachübergreifend einen Formenzusammenfall zwischen Dativ und anderen Kasus (zum Beispiel Lokativ) gibt, eine Formidentität zwischen Dativ und Nominativ aber nicht dokumentiert ist. Die formale Opposition zum Nominativ bleibt zumindest innerhalb von einzelnen Genusklassen stets gewahrt. 39 Eine ähnliche Argumentation ließe sich auch für den Genitiv annehmen, da auch er als Possessivmarker eine prototypische Belebtheit des Possessors impliziert. Würde man der obigen Argumentation folgen, so ließe sich auch für den Genitiv erklären, warum dieser in allen Genera vom Nominativ abweicht. Die ‚Forderung‘ der Prototypentheorie nach einer vom Nominativ morpho‐ logisch distinkten Kasusform zur Markierung eines Nicht-Agens wird im Deut‐ schen schließlich in allen drei Genera nur im Dativ realisiert. Gleiches gilt auch für das Russische. Für beide Sprachen lässt sich erneut die Belebtheitshierarchie als Erklärung anführen. Wie in Kapitel 2.2 ausgeführt, markiert der Dativ in der Regel ein Rezipiens. Die semantische Rolle des Rezipiens geht per definitionem mit dem Merkmal [+ B E L E BT ] einher (vgl. auch Hopper / Thompson 1980). Da folglich innerhalb einer transitiven Satzstruktur die Belebtheitsopposition zwi‐ schen Agens und Nicht-Agens durch den Gebrauch eines belebten Rezipiens nicht mehr als Hinweis für die Unterscheidung der beiden dichotomen seman‐ tischen Rollen verfügbar ist, muss die morphologische Kasusmarkierung hier zum Einsatz kommen, damit ein Unterschied zwischen den beiden Rollen sichtbar wird. 38 Das semantische Merkmal der Belebtheitsdichotomie ist somit die erste Differenzierungsstufe zur Unterscheidung zweier oppositioneller se‐ mantischer Rollen. Nur wenn diese nicht verfügbar ist (zum Beispiel bei Der Mann [+ B E L E B T ] hilft dem Bruder [+ B E L E B T ] ), greift die Kasusmarkierung als Dis‐ tinktheitsmarker. 39 Anders als Bank (2007) behauptet, könnte im Dativ im Ge‐ gensatz zum Akkusativ damit nicht die semantische Markiertheit der Grund für eine formale Abweichung vom Nominativ sein (eine solche semantische Mar‐ kiertheit liegt zum Beispiel bei einem belebten Patiens vor). Der Dativ verweist bereits prototypisch auf ein belebtes Rezipiens und wird trotz dieses prototypi‐ schen Gebrauchs formal in allen Genera vom Nominativ abgegrenzt. Dies ge‐ schieht wiederum deshalb, weil Agens und Rezipiens auf der Grundlage des Belebtheitsmerkmals innerhalb des transitiven Satzes nicht unterscheidbar sind. Die semantische Gleichschaltung erfordert eine morphologische Kennzeich‐ nung, damit eine Rollenunterscheidung möglich ist. An der Stelle, an der Agens 2.4 Synkretismen im Kasusparadigma - Zur besonderen Rolle der Belebtheit 77 <?page no="78"?> 40 Zu klären bleibt, warum der Artikel der sowohl für Maskulina im Nominativ als auch für Feminina im Dativ gebraucht wird. Folgt man Jakobsons These der semantischen Nähe zweier Kategorien, die sich in dem Vorhandensein einer identischen Form ab‐ bildet, müsste dies bedeuten, dass eine NP wie der Frau DAT ähnliche semantische Eigenschaften wie der Mann NOM hat. Semantische Nähe müsste auch hier wiederum im Sinne der Belebtheitshierarchie aufgefasst werden. Hypothetisch könnte also gefol‐ gert werden, dass wenn die Form der im Deutschen prototypisch als Agensmarker fun‐ giert, die Phrasenstruktur [der DAT + F E M I N I N U M ] einen höheren Grad an Agentivität aufweist als eine dativmarkierte dem-NP im Maskulinum oder Neutrum. Ob diese These empirisch nachweisbar ist beziehungsweise worin die potentielle semantische ‚Ver‐ bundenheit‘ zwischen unmarkierten Maskulina und dativmarkierten Feminina besteht, ist offen. und Nicht-Agens nicht mehr durch die Unterscheidung [+ B E L E BT ] und [- B E‐ L E BT ] differenzierbar sind, sondern auf der Belebtheitsskala beide das Merkmal [+ B E L E BT ] zugewiesen bekommen, ist das Kasusparadigma in jedem Genus ma‐ ximal differenziert und die Formen dadurch transparent. Transparenz heißt wiederum, dass die Dativmarkierung in keinem Fall (und das gilt sowohl für das Deutsche als auch das Russische) dem unmarkierten Nominativ im jeweiligen Genusparadigma entspricht. 40 Die Kognitive Grammatik versucht, Belebtheitseffekte als Erklärung für die Existenz von Synkretismen heranzuziehen sowie die Entstehung von Rollen‐ hierarchien aus dem Blickwinkel einer satzbezogenen Perspektive zu greifen (vgl. auch Baerman / Brown / Corbett 2005). Rollenzuweisung entsteht im Kon‐ text eines Handlungsrahmens, der die Aktanten in Hinblick auf ihren Invol‐ viertheitsgrad ordnet. Die Belebtheitsmerkmale sind dabei meist Resultat der an der Handlung beteiligten Aktanten. Da ihre Relationen jedoch prototypikali‐ sierbar sind, gibt es automatisch auch eine Korrelation zwischen Aktanten und ihren Belebtheitseigenschaften. Die so aus der transtiven Perspektive hervoge‐ gegangen Relationen und Dichotomien bestimmen im Bereich der Kasusformen die Differenzierung zwischen morphologisch unmarkierten und markierten Formen, wobei letztere stest den formalen Kontrast zum Nominativ meinen. Basierend auf der Grundannahme, dass die Belebtheitsrelation innerhalb tran‐ sitiver Strukturen (in Abhängigkeit vom jeweiligen Genus) die Kasusform mit‐ bestimmt, wird so versucht, Formenzusammenfälle sowie formale Distinktheit innerhalb von Flexionsparadigmen zu erklären. Dabei muss angemerkt werden, dass kognitive Erklärungsansätze in diesem Bereich besonders für das Deutsche noch relativ am Anfang stehen. Die Annahme, dass sich die Belebtheit auf Fle‐ xionsparadigmen auswirkt, ist zwar alles andere als neu und zum Beispiel unter dem Begriff der differentialen Objektmarkierung für diverse Sprache (insbe‐ sondere für das Spanische) ausführlich dokumentiert (vgl. für einen themati‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 78 <?page no="79"?> 2.5 schen Überblick zum Beispiel Aissen 2003), jedoch besonders für das Deutsche nur für eine Handvoll von Strukturen angewendet worden (dazu zählen zum Beispiel die schwachen Maskulina bei Köpcke (1995) sowie Banks (2007) Studie zu Pronomina im Deutschen). Insgesamt hat aus funktionaler Sicht die Interdependenz zwischen Belebtheit, Genusklassifikation und Kasusmarkern eindeutig Einfluss auf Form-Funk‐ tions-Relationen sowie perspektivisch die Nutzung spezifischer Indikatoren für die Interpretation semantischer Relationen. Der Sprecher kann bei der Satzin‐ terpretation nicht nur auf die lineare Reihenfolge der Konstituenten (das heißt die Wortstellung) zurückgreifen, um semantische Rollen zu identifizieren. Er kann daneben auch die Belebtheitsinformation und spezifische Artikelformen als Indikatoren nutzen. So wäre das Merkmal [- B E L E BT ] in Kombination mit dem Marker das ein guter Hinweis auf ein Patiens. Auch anhand des Merkmals [+ MO R PHOLO GI S CH MAR KI E R T ] lässt sich darauf schließen, dass die jeweilige NP mit großer Wahrscheinlichkeit eine nicht-agentivische Rolle markiert. Proble‐ matisch wird es, wenn der Sprecher einordnen soll, was [+ MO R PHOLO GI S CH MAR‐ KI E R T ] denn tatsächlich heißt, da dieses Kriterium fest mit dem Genus verankert ist, von dem der Marker abhängt. So ist die Form der im femininen Paradigma ganz klar als morphologisch markiert und damit transparent einstufbar. Um diese Einstufung vornehmen zu können, muss der Sprecher jedoch wissen, dass das inhärente Genus des Lexems, mit dem die Form der auftritt, auch ein Femi‐ ninum ist. Vor allem im Spracherwerb und insbesondere im L2-Erwerb, in dem die Aneignung der Genuszuweisungsprinzipien zu den größten Stolpersteinen gehört, ist das keine Selbstverständlichkeit. Vorläufige Zusammenfassung Die bisherigen Überlegungen verfolgten das Ziel, typologisch variierende Form-Funktions-Relationen (am Beispiel des Deutschen, Russischen und Nie‐ derländischen) vor dem Hintergrund einer funktionalen und kognitiven Per‐ spektive zu beschreiben. Dabei lassen sich typologisch übergreifende sowie ein‐ zelsprachspezifische Charakteristika ausmachen. Gemeinsam ist dem Deutschen, Russischen und Niederländischen die Basiswortstellung N>N, die die kausal-lineare Handlungsstruktur ‚A G E N S (S) → N ICHT -A G E N S (O)‘ kodiert. Daneben bringen das Deutsche und Russische ein variierend ausdifferenziertes Kasussystem mit. Kasusmarker haben - genau wie die Wortabfolge - die Funk‐ tion, semantische Rollenrelationen anzuzeigen. Im Deutschen und Russischen 2.5 Vorläufige Zusammenfassung 79 <?page no="80"?> führt der Gebrauch von Kasusmarkern zu Varianzen in der Konstituentenab‐ folge, sodass eine N>N-Struktur auch als O>S-Satz interpretiert werden kann. Im Niederländischen fungiert ausschließlich die Wortstellung als formale Kenn‐ zeichnung semantischer Relationen. Sowohl im Russischen als auch im Deut‐ schen findet sich weiterhin eine prototypische Interdependenz zwischen der konkreten Kasusform und der semantischen Rolle, die sie kodiert (Nominativ = Agens, Akkusativ = Patiens, Dativ = Rezipiens). Unterschiede finden sich zwi‐ schen den beiden Sprachen bei den Synkretismen. Das Deutsche zeichnet sich durch einen Formenzusammenfall zwischen dem Nominativ und dem Akkusativ im Neutrum und im Femininum aus, im Russischen findet sich diese Synkretie nur bei unbelebten Lexemen (dabei jedoch in allen Genera). Für beide Sprachen ist dafür die Belebtheit verantwortlich. Ist eine semantische Rolle prototypisch unbelebt, reicht dieses semantische Merkmal als Kode für die Dichotomie zwi‐ schen einem Agens und einem Nicht-Agens innerhalb eines transitiven Hand‐ lungsrahmens aus. Eine vom Nominativ formal distinkte Kasusmarkierung ist in diesem Fall überflüssig. Das wirkt sich besonders auf den Akkusativ aus, weil dieser in der Regel als Patiensmarker fungiert und das Patiens wiederum pro‐ totypisch unbelebt ist. Durch den semantischen Kontrast N1 [+ B E L E BT ] / N2 [- B E L E BT ] entfällt eine morphologische Kontrastierung in Form von N1 [- MAR‐ KI E R T ] / N2 [+ MAR KI E R T ]. Ist eine nicht-agentivische Rolle hingegen belebt und der Belebtheitskontrast zwischen Agens und Nicht-Agens nicht mehr verfügbar, machen beide Sprachen von einer obliquen Markierung Gebrauch, sodass durch eine morphologische Distinktheit das Fehlen einer semantischen Distinktheit kompensiert und die Rollenabgrenzung gewahrt wird. Wird also ein auf der Basis der Verbbedeutung erforderliches belebtes Patiens (untypisch) oder be‐ lebtes Rezipiens (prototypisch) realisiert, muss die NP aufgrund des fehlenden Belebtheitskontrastes morphologisch vom Agens unterscheidbar sein. Aus dem Zusammenspiel von Konstituentenabfolge, Belebtheit, Genus und Kasusformen lassen sich für das Deutsche einzelne prototypische Eigenschaften für die Kennzeichnung semantischer Relationen in transitiven Sätzen extra‐ hieren. Ein Agens wird in der Regel satzinitial realisiert, ist belebt und häufig ein morphologisch unmarkiertes Maskulinum, wodurch der präferierte Agens‐ marker die Form der ist. Das Patiens kommt meist satzfinal vor, ist unbelebt und wird mit den Formen das, die und den gekennzeichnet. Auch das Rezipiens kommt satzfinal vor, ist jedoch belebt und dadurch stets oblique markiert, wobei die zuverlässigste, da transparente Form hier dem ist. Im Deutschen finden sich somit drei Kodierungsebenen. Semantische Rela‐ tionen können auf Basis der Konstituentenfolge, der einzelnen Artikelformen oder der Belebtheitsinformation festgelegt werden. Die drei Kodierungsmög‐ 2 Kasusmarker, Wortstellung und semantische Relationen 80 <?page no="81"?> lichkeiten stehen in einem komplexen, womöglich auch hierarchischen Ver‐ hältnis zueinander. Je nachdem, welche Ebene die Satzinterpretation lenkt, kann die Differenzierung zwischen Agens und Nicht-Agens sehr unterschiedlich aus‐ fallen. Folgt ein Sprecher der Wortstellung, müsste in einem Satz wie Den Bus sieht die Frau der Bus als Agens ausgewählt werden, die Belebtheitsopposition hingegen favorisiert die Frau als Agens, gleiches gilt für den morphologischen Indikator den. In Bezug auf Satzverarbeitung sowie erwerbssequentielle Überlegungen schließen sich hier Fragen dazu an, welche Relevanz diese grammatischen und semantischen Kodierungsebenen jeweils haben, ob sie je nach Voraussetzung der Sprecher unterschiedlich gewichtet werden und ob sich diese Gewichtung potentiell auch auf Erwerbsverläufe auswirken kann. Diese Fragen stehen im folgenden Kapitel im Fokus. Darin wird zunächst die Interdependenz von Satz‐ verarbeitung und Spracherwerb beleuchtet, bevor die benannten Ebenen in Hinblick auf ihre Relevanz als Kodierungsformen diskutiert werden. Dies ge‐ schieht unter Einbezug des Competition Models, das zugleich auch die metho‐ dologische Basis für die anschließende Studie bildet. Das Modell bezieht sich überwiegend auf die Satzverarbeitung und damit die Sprachrezeption. Ergän‐ zend wird daran anknüpfend für Sprachentwicklungsprozesse auch die pro‐ duktive Perspektive exkursartig in den Blick genommen. 2.5 Vorläufige Zusammenfassung 81 <?page no="82"?> 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung Kapitel 2 hatte das Ziel, eine umfassende Gegenstandsbeschreibung auf Basis eines kognitiv-funktionalen Ansatzes darzulegen. Was deutlich geworden sein sollte, ist die Grundausrichtung dieses theoretischen Ansatzes: Semantische Re‐ lationen zwischen Handlungsaktanten sind im Deutschen eng gebunden an einzelne Kasusformen, die wiederum Bestandteil spezifischer Satzschemata sind, in denen prototypische Belebtheitseigenschaften kodiert sind. Die Inter‐ dependenzen zwischen diesen Ebenen führen zu einem dichten Netz aus Formen und ihren Funktionen, in dem prototypische Verknüpfungen sowie Wieder‐ sprüchlichkeiten auftauchen. Es entsteht so ein mehrschichtiges map‐ ping-System, in dem Form-Funktions-Paare in Hinblick auf ihre Validität und Vorkommenshäufigkeit variieren können. Bezieht man hierbei die primären Ziele dieser Arbeit mit ein, so stellt sich die Frage, wie sich die mehrschichtigen Interdependenzen auf die Satzinterpretation bei Kindern mit unterschiedlichen sprachlichen Erfahrungen auswirken. Sprachliche Erfahrung heißt, dass sich das sprachliche Repertoire sowie seine Ausgebautheit je nach Lerner unterscheiden können. Sehr grob lässt sich dabei zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern differenzieren, bei denen sich das Wissen über und die Verankerung von map‐ pings womöglich unterschiedlich ausprägt. Die Unterschiede sind jedoch nicht als statisch zu betrachten. Vielmehr kann angenommen werden, dass sich map‐ ping-Systeme über einen längeren Zeitraum hinweg unter dem Einfluss unter‐ schiedlicher Inputbedingungen kontinuierlich verändern. Der Auf- und Ausbau von mappings ist damit besonders im Kindesalter ein dynamischer Prozess. Welche Strukturen dabei den Satzverarbeitungsprozess lenken, ist deshalb als Resultat dessen zu betrachten, über welches Form-Funktions-Wissen Kinder verfügen und wie sie dieses einsetzen, um semantische Relationen zu be‐ stimmen. Die dabei an der Oberfläche sichtbaren Strategien verweisen darauf, welche mappings zum jeweiligen Zeitpunkt relevant für die Lerner sind. Neben der Satzverarbeitung, also der Rezeption, ist auch der Gebrauch von spezifischen Strukturen zum Ausdruck semantischer Relationen aufschlussreich, um ent‐ wicklungsbedingte Varianzen bei der Nutzung von Form-Funktions-Paaren zum De- und Enkodieren semantischer Relationen zu erfassen. Damit ist auch die Produktion ein weiterer Indikator für ein lernerspezifisches mapping-System. <?page no="83"?> 3.1 Wenn es also darum gehen soll zu bestimmen, welche Rolle einzelne Kasus‐ formen, Satzschemata und Belebtheit bei der Satzverarbeitung ein- und mehr‐ sprachiger Kinder spielen, müssen Entwicklungsprozesse in der Produktion und Rezeption gleichermaßen in den Blick genommen werden. In der Erwerbsforschung wird in Hinblick auf den Zusammenhang von Sprachproduktion und Sprachrezeption häufig von einer Asymmetrie gespro‐ chen (vgl. für einen Überblick zum Beispiel Grimm et al. 2011 sowie Hendriks / Koster 2010). So kann man beispielsweise beobachten, dass Wortbedeutungen oder grammatische Strukturen zwar verstanden, aber nicht produziert werden können. Doch auch der umgekehrte Fall, nämlich eine zielsprachliche Produk‐ tion von Strukturen, jedoch eine fehlerhafte Interpretation derselbsen findet sich häufig. Im Folgenden wird versucht, Satzverarbeitungsprinzipien mit sprachlichen Entwicklungsverläufen und damit Rezeption und Produktion zu‐ einander in Relation zu setzen. Die bidirektionale Perspektive soll Aufschluss darüber geben, ob sich in den beiden Bereichen systematische Entwicklungsse‐ quenzen ausmachen lassen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Entwick‐ lungsschritten in der Rezeption und Produktion wird hierbei nicht ange‐ nommen. Der Überblick zur Relevanz von mappings bei der Satzverarbeitung wird im Folgenden verknüpft mit der Erläuterung des Competition Models, die Produktionsebene wird mithilfe von Erkenntnissen aus der Erst- und Zweit‐ spracherwerbsforschung abgedeckt. Funktionen in Formen - das Competition Model Das Competition Model ( CM ) orientiert sich sehr stark an den kognitiv-funkti‐ onalen Prinzipien, die in Kapitel 2 im Fokus standen. Es geht von der Existenz kognitiv repräsentierter Form-Funktions-Paare aus und stellt typologische Va‐ riationen in den Mittelpunkt. Eine ähnliche Zielsetzung verfolgt das Extended Argument Dependency Model von Bornkessel-Schlesewsky / Schlesewsky (2006, 2014). Der Unterschied zum CM besteht vor allem darin, dass die neurolinguis‐ tisch messbaren und weniger die an der sprachlichen Oberfläche identifizier‐ baren Verarbeitungsunterschiede innerhalb und zwischen Sprachen im Fokus stehen. Der Großteil der Arbeiten im Rahmen des CM bezieht sich hingegen auf die Satzverarbeitung und auf Entscheidungsprozesse, die die Satzinterpretation umfassen. Daneben wird die Grundidee des Wettbewerbs auch auf gebrauchs‐ basierte Aspekte der synchronen linguistischen Beschreibung sowie auf Inter‐ aktionsmechanismen angewendet (vgl. MacWhinney / Malchukov / Moravcsik 2014). 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 83 <?page no="84"?> Ein zentrales Ziel des CM ist es zu zeigen, dass Sprecher Formen mit spezi‐ fischen semantischen Konzepten verknüpfen. Dabei berücksichtigt das CM Prinzipien der Kognitiven Grammatik, indem sowohl morphologische Marker als auch syntaktische Prinzipien und Belebtheitsmerkmale als bedeutungstra‐ gende Informationsquellen für die Satzverarbeitung betrachtet werden. Auch die Annahme, dass sprachliche Entwicklung als systematische Weiterentwick‐ lung kognitiv repräsentierter Form-Funktions-Paare zu verstehen ist, ist zent‐ raler Bestandteil des Modells. Sprachliche Strukturen werden im Rahmen des von Bates / MacWhinney (1989) konzipierten Modells als Konkurrenten be‐ griffen, die um die Kennzeichnung semantischer Konzepte ‚kämpfen‘. Das Prinzip der „language as competition“ (MacWhinney 1988: 65) wird dabei für alle Ebenen des Sprachgebrauchs angenommen. Phonologische, morphologi‐ sche, semantische, syntaktische und lexikalische Formen befinden sich konti‐ nuierlich in Konkurrenzsituationen, in denen sich potentiell validere Formen in Hinblick auf die Kodierung semantischer Konzepte durchsetzen. Welche Form als valide eingestuft wird, hängt wiederum von typologischen Charakteristika der Einzelsprache sowie vom sprecherspezifischen mapping-Wissen ab. Ziel des CM ist es, Verarbeitungsprozesse aufzudecken, die zeigen, welche Formen von Sprechern unterschiedlicher Sprachen und unterschiedlichen Al‐ ters im Sprachgebrauch im Allgemeinen und der Satzverarbeitung beziehungs‐ weise Agensbestimmung im Besonderen genutzt werden, um Form-Funk‐ tions-Relationen herzustellen: „The purpose of the Competition Model is to uncover processes that govern the development, use, and breakdown of language, assuming that psycholinguistic universals do exist“ (Devescovi / D’A‐ mico 2005: 187). In Anlehnung an Grundannahmen der Kognitiven Grammatik setzt das CM also voraus, dass universale kognitive Prinzipien den Sprachver‐ arbeitungsprozess lenken. Das Modell versteht Lernprozesse damit „as const‐ ructive, data-driven processes that rely not on universals of linguistic structure, but on universals of cognitive structure“ (MacWhinney 2001a: 69). Das CM ist als konnektionistisches Modell angelegt (vgl. für einen Überblick zu den Prinzipien konnektionistischer Modelle Gerdes 2008, Plunkett 1998, Ru‐ melhart / MacClelland 1986 sowie Westermann / Ruh / Plunkett 2009). Das Ge‐ hirn wird im Zuge konnektionistischer Ansätze als computerähnliches neuro‐ nales Netz verstanden, in dem unzählige Verbindungen aufgebaut werden können. Das primäre Ziel konnektionistischer Modelle ist es, „the nature of the mechanisms that support learning of phonological, semantic, and grammatical processes“ (Plunkett 1998: 97) nachzubilden. Lernen wird dabei als statistische Analyse des sprachlichen Inputs verstanden, wobei konkrete Regularitäten aus dem Input abgeleitet und auf neue und unbekannte Strukturen übertragen 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 84 <?page no="85"?> werden können (vgl. Plunkett 1998 sowie Rumelhart / MacClelland 1986). Das CM übernimmt diese Annahmen, indem es davon ausgeht, dass eine Form-Funk‐ tions-Relation einer neuronalen Verknüpfung zwischen einer sprachlichen Struktur und ihrer semantischen Funktion (beziehungsweise einem semanti‐ schen Konzept) entspricht. Die zentrale Einheit zur Erfassung dieser Verknüpfung ist der cue. Cues können als sprachliche (und gegebenenfalls auch nicht-sprachliche) Hinweise jeglicher Art definiert werden, die die Aufgabe haben, komplexe funktionale Kategorien zu kennzeichnen beziehungsweise Hinweise auf semantische Rela‐ tionen zu geben. Sie sind somit kognitiv repräsentierte Einheiten, die bestimmte semantische Konzepte evozieren und aktivieren. Die kognitive Verankerung einzelner cues kann je nach Sprecher unterschiedlich stark gewichtet sein. Die in Kapitel 2.2 ausgeführten syntaktischen Muster und Kasusmarker sind folglich cues, mittels derer semantische Relationen identifiziert werden können. Allge‐ mein können cues als sprachliche Kodierungsstrukturen begriffen werden, die einem Sprecher das Verpacken außersprachlicher Kategorien in ein lineares System sowie einem Hörer das Entpacken sprachlicher Symbole ermöglichen. Das cue-Konzept geht dabei über einzelne sprachliche Formen hinaus und lässt im Prinzip offen, wie ein Hinweis beschaffen sein muss. So kann eine semanti‐ sche Rolle auf der Grundlage morphologischer Markierungen, des syntaktischen Musters oder auch des Kontextes, der Intonation sowie einer Kombination all dieser Faktoren zugeordnet werden. Diese Indikatoren stehen während der Sprachverarbeitung in einer hierarchischen Relation zueinander. Aus konnek‐ tionistischer Sicht ist diese Hierarchisierung Resultat unterschiedlich starker Gewichtungen und Verknüpfungen: mental processing involves a continual decision-making process in which there are many possible candidates competing for each categorization decision and the language user must be able to evaluate the candidacy of each alternative in terms of the cues that support it (MacWhinney 1989: 197). Satzverarbeitung ist in MacWhinneys Sicht somit ein kontinuierlicher Ent‐ scheidungsprozess, der sich auf das sprecherspezifische mapping-System stützt. Das CM nimmt an, dass jede Sprache unterschiedliche cues zur Kennzeich‐ nung semantischer Rollen verwenden kann. So ist zum Beispiel die Interpreta‐ tion eines N>N-Schemas ein dominanter cue für eine Agens>Nicht-Agens- Struktur. Daneben kann jedoch auch die Subjekt-Verb-Kongruenz als cue fun‐ gieren, sodass in einem Satz wie The dogs sees the child Konstituentenabfolge und Subjekt-Verb-Kongruenz um die Markierung semantischer Rollen konkur‐ rieren. Die hohe Frequenz des cues Wortstellung im Englischen steht in diesem 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 85 <?page no="86"?> Beispiel in direkter Konkurrenz zur morphologischen Verbform, sodass aus konnektionistischer Sicht zwei Knoten aktiviert werden. Welchen cue englisch‐ sprachige Sprecher wiederum als den zuverlässigeren auswählen, hängt von der Gewichtung der cues und damit der Lernerfahrung des Sprechers ab. Um he‐ rausfinden zu können, welche cues in welchen Bedingungen wie genutzt werden, kommt im Kontext des CM ein systematisches Testverfahren zum Ein‐ satz, in dem zum Beispiel Belebtheitsinformationen, Wortstellungsvarianten und Kasusformen systematisch miteinander kombiniert und kontrastiert werden. Dabei entsteht zum Beispiel ein Testsatz wie Die Frau sieht das Auto, der als NVN -Satz mit der kanonischen Belebtheitsopposition N1 [+ B E L E BT ] / N2 [- B E L E BT ] eingestuft wird. Um herauszubekommen, ob Sprecher den Belebtheits- oder den Wortstellungs-cue präferieren, werden entsprechende Bedingungen mit Sätzen wie Das Auto sieht die Frau kontrastiert, in denen die Belebtheitsop‐ position N1 [- B E L E BT ] / N2 [+ B E L E BT ] nicht kanonisch ist. Wenn Sprecher in beiden Bedingungen die satzinitiale NP als Agens auswählen, ist die Abfolge der nominalen Konstituenten für sie der wichtigste Indikator für Agens-Patiens-Re‐ lationen im Satz. Wählen sie hingegen in beiden Fällen die NP die Frau als Agens, so überwiegt der Belebtheits-cue, was heißt, dass die Eigenschaft [+ B E L E BT ] mit Agentivität verknüpft wird. Dass überhaupt eine Belebtheitsstrategie vor‐ handen ist, wird besonders in Bedingungen deutlich, in denen zwei cues kon‐ kurrieren. Ein Großteil der Erkenntnisse bezüglich typologischer cue-Varianz wird deshalb auf Basis von Bedingungen ermittelt, in denen zwei oder mehrere cues im Wettbewerb zueinander stehen. Das Beispiel verdeutlicht, dass Satzverarbeitung einem kontinuierlichen Auf‐ stellen von Hypothesen sowie deren Verifizierung ähnelt. Die Hypothesen bilden die Validität konkurrierender cues ab und werden während der on‐ line-Verarbeitung kontinuierlich überprüft, verworfen oder bestätigt (als on‐ going updating bei Bates / MacWhinney (1987a: 170) beziehungsweise on-line principle bei Kail (1989) bezeichnet). Bei einer N>N-Struktur kann die erste Hy‐ pothese so aussehen, dass ein Sprecher von einem kanonischen S>O-Satz aus‐ geht. Die Entscheidung für ein Agens kann damit auf Basis dieser Hypothese sofort fallen oder während des left-to-right parsings durch das Sammeln weiterer cues gestützt werden. Die Belebtheit der ersten NP sowie die Kongruenz zwi‐ schen dieser NP und dem finiten Verb (zum Beispiel bei einem Satz wie Der Mann sieht die Autos) sind zwei die Anfangshypothese stützende cues. Während des Verarbeitungsprozesses können cues zueinander in Beziehung gesetzt werden (kann auch als ‚Akkumulation‘ bezeichnet werden), sodass eine möglichst feh‐ lerfreie Satzinterpretation möglich ist. 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 86 <?page no="87"?> 1 Als semantischer cue ist im Folgenden die Belebtheit gemeint. Er liegt dann vor, wenn ein Belebtheitskontrast zwischen den nominalen Konstituenten verfügbar ist. Die Nut‐ zung eines semantischen cues bedeutet, dass die Konstituente als Agens gewählt wird, die das für die Rolle prototypische Belebtheitsmerkmal (im entsprechenden Fall [+ B E‐ L E B T ]) enthält. 2 Ferreira (2003) stützt diese Beobachtung, indem sie zeigt, dass die Verarbeitung nicht-kanonischer im Gegensatz zu kanonischen Sätzen bei englischen Sprechern zu deutlich längeren Reaktionszeiten führt. Ein entscheidender Faktor bei dieser kontinuierlichen Hypothesenüberprü‐ fung ist die jeweilige Validität der einzelsprachlichen cues. So kann Kilborn (1989) zeigen, dass Sprecher des Englischen die präverbale NP in NVN -Sätzen deutlich schneller als Agens auswählen als Sprecher des Deutschen. Die Pro‐ banden ihrer Studie hatten die Aufgabe, in einem NVN -Satz ihrer jeweiligen L1 (zum Beispiel The waitress pushes the cowboys beziehungsweise Die Frau greift die Lampe) das Agens zu bestimmen. Die monolingual englischen Probanden fällten ihre Entscheidung zugunsten der jeweils ersten NP als Agens signifikant schneller als monolingual deutsche Sprecher. Ähnliche Effekte finden sich auch bei VNN - und NNV -Sätzen. Zugleich kann Kilborn zeigen, dass die Belebtheits‐ information und die Subjekt-Verb-Kongruenz in den Sätzen bei den deutschen Probanden zu längeren Verarbeitungszeiten führt: NVN -Sätze mit zum Satz‐ schema konkurrierender Belebtheitsopposition (N1 [- B E L E BT ] / N2 [+ B E L E BT ], zum Beispiel Die Lampe sucht die Frau) und Sätze, in denen das Verb mit der postverbalen NP kongruierte (zum Beispiel Die Katze suchen die Kinder), wurden von den deutschen Sprechern signifikant länger verarbeitet als prototypische Muster mit einer N1 [+ B E L E BT ] / N2 [- B E L E BT ]-Opposition beziehungsweise in denen das finite Verb mit der präverbalen NP kongruiert. Vergleichbare Effekte dieser semantischen 1 und morphosyntaktischen cues finden sich in der engli‐ schen Gruppe nicht. Zurückzuführen ist dies auf die besonders hohe Validität der Konstituentenabfolge als cue für semantische Relationen im Englischen. Seine Dominanz führt dazu, dass anderen cues eine geringe Relevanz beige‐ messen wird. Basierend auf der Konstituentenabfolge entwickeln englische Sprecher eine starke N1-Hypothese (N1 bias), sodass in N>N-Strukturen die jeweils erste nominale Konstituente als agentivisch eingestuft wird. 2 Sprecher des Deutschen verarbeiten hingegen den gesamten Satz und suchen ihn nach validen cues ab. Diese Strategie zeigt, dass die Wortstellung eine geringere Va‐ 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 87 <?page no="88"?> 3 Der für das Deutsche wichtigste cue (Kasusmarker) ist in Kilborns (1989) Testdesign nicht berücksichtigt. Dass die deutschen Probanden also eine längere Verarbeitungs‐ dauer aufweisen, bildet hier vor allem die Sensibilität der Sprecher gegenüber poten‐ tiellen morphosyntaktischen Relationen ab. lidität im Deutschen als im Englischen hat, sodass andere Informationen zur Satzinterpretation hinzugezogen werden. 3 Das Beispiel zeigt, dass sich cues je nach ihrer Validität in der Einzelsprache auf Verarbeitungsmechanismen auswirken. Diese cue validity (oder overall va‐ lidity) wird dabei als Produkt der cue reliability und cue availability betrachtet (MacWhinney 1988: 87). Cue availability gibt an, wie häufig ein bestimmter cue in einer Einzelsprache vorkommt. Dazu wird ermittelt, wie oft N>N-Konstruk‐ tionen vorkommen, um semantische Rollenrelationen zu kennzeichnen. Ein hoher Anteil bedeutet eine hohe Verfügbarkeit, sodass die cue availability die relative Frequenz der Form angibt. Die cue reliability errechnet sich aus dem Anteil der Kontexte, in denen ein spezifischer cue eine bestimmte Funktion er‐ füllt. Verweist eine Satzinitiale NP zum Beispiel in 80 Fällen 40 Mal auf das Agens, so liegt der relative Reliabilitätswert des cues N1=Agens bei 50 % (Bates / MacWhinney 1989: 41, Year 2003: 10). Die cue validity errechnet sich wiederum aus der Relation von Verfügbarkeit und Reliabilität (cue validity = cue availability x cue reliability). Je häufiger der cue verfügbar ist und je öfter er mit der erwarteten Funktion korrespondiert, desto höher ist schließlich auch seine Validität. Ist der cue hingegen zum Beispiel sehr reliabel, aber nur selten ver‐ fügbar, so ist seine Validität eingeschränkter als die eines frequenten und reli‐ ablen cues (MacWhinney / Bates / Kliegl 1984: 130). Dies ist zum Beispiel beim Vergleich von Kasusmarkern im Deutschen und Russischen der Fall. Kempe / MacWhinney (1999) können anhand einer Korpusanalyse zeigen, dass oblique Kasusmarker im Deutschen (insbesondere aufgrund zahlreicher synkretischer Formen) deutlich seltener verfügbar sind und damit eine geringere availability haben. Obwohl also beide Sprachen über Kasusmarker verfügen, ist ihre Vali‐ dität im Russischen durch die häufigere Verfügbarkeit transparenter Marker höher als im Deutschen. Die einzelsprachlich bedingte Validität einer Struktur determiniert schließlich, dass Sprecher dieser Sprachen den jeweils validesten cue zur Determination semantischer Relationen nutzen (vgl. dazu Bates / De‐ vescovi / D’Amico 1999 für das Englische und Italienische, Kempe / MacWhinney 1999 für das Russische MacWhinney / Bates / Kliegl 1984 für das Deutsche und MacWhinney / Pléh / Bates 1985 für das Ungarische). Das Validitätsprinzip des CM impliziert, dass cues innerhalb einer Sprache hierarchisierbar sind. Dies wirkt sich bei Kindern im Zuge der sprachlichen Entwicklung darauf aus, in welchen Schritten sie sich den validen cues der Ziel‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 88 <?page no="89"?> sprache annähern. Bates / MacWhinney (1987b) nehmen hierzu an, dass die va‐ lidesten cues einer Sprache bereits sehr früh zur Determination semantischer Relationen gebraucht werden. Diese Annahme konnte vor allem für Sprachen bestätigt werden, in denen einzelne cues eine besonders hohe Validität auf‐ weisen. So stützen sich englischsprachige Kinder schon vor dem dritten Le‐ bensjahr überwiegend auf den cue der Konstituentenabfolge und wählen in N>N-Konstruktionen N1 als Agens (Bates et al. 1984, Chan / Lieven / Tomasello 2009). Türkischsprachige Kinder nutzen hingegen im selben Alter die hochva‐ liden Kasusmarker ihrer L1 zur Agensbestimmung (Slobin / Bever 1982). Unab‐ hängig von der Wortstellung (den Kindern wurden alle sechs Kombinations‐ möglichkeiten von S, V und O vorgelegt) wählen sie die jeweils morphologisch unmarkierte Konstituente als Agens aus. Gegen die These, dass die validesten cues die Satzverarbeitung besonders früh steuern, spricht eine Studie von Dittmar et al. (2008), die mit deutschsprachigen Kindern durchgeführt wurde. Dabei stellte sich heraus, dass die Probanden die eigentlich validen Kasusmarker im Deutschen erst mit 7; 3 Jahren als zuverläs‐ sige cues in Konfliktkontexten nutzen. Zuvor ist unabhängig von der Transpa‐ renz der einzelnen Marker die Konstituentenabfolge der wichtigste cue, wo‐ durch NP s wie den Mann als Agens gewählt werden, wenn sie satzinitial vorkommen. Begründet wird dieser vergleichsweise späte Gebrauch eigentlich transparenter nicht-agentivischer Formen damit, dass transparente Kasus‐ marker in Konfliktkontexten im Input zwar eine Validität von über 80 % auf‐ weisen, jedoch im Vergleich zum cue Wortstellung deutlich seltener vor‐ kommen. Dittmar et al. (2008) folgern daraus, dass cue availability und nicht die cue validity im frühen Erwerb der wichtigere Orientierungspunkt ist. Zu ähn‐ lichen Ergebnissen kommt auch Sokolov (1988) für die Nutzung unterschiedli‐ cher cues im Hebräischen. Auch Taraban / McDonald / MacWhinney (1989) können anhand einer Studie mit einem konnektionistischen Modell zeigen, dass sich ein Netzwerk beim Erlernen der deutschen Substantivflexion zunächst auf hochfrequente cues stützt, bevor die Reliabilität und schließlich die Validität der cues relevant wird. Aus diesen Ergebnissen lässt sich ableiten, dass zunächst hochfrequente, erst danach reliable und schließlich valide cues zur Satzinter‐ pretation genutzt werden (availability > reliability > validity). Erst im Zuge der sprachlichen Entwicklung erfolgt eine cue-Justierung zugunsten des jeweiligen validen cues. Die Ergebnisse von Dittmar et al. (2008) geben einen Hinweis darauf, dass sich die Beschaffenheit eines mapping-Systems auf die Zuverlässigkeit, die ein Sprecher einem cue gewährt, auszuwirken scheint. Darauf deutet auch eine Übersicht von Stephany / Voiekova (2009) hin, die gegenüberstellt, wann Kinder 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 89 <?page no="90"?> 4 Eine ähnliche Argumentation verfolgen Schriefers / Friederici / Kuhn (1995) für Rela‐ tivsätze im Deutschen. in unterschiedlichen Sprachen Kasusmarker produktiv gebrauchen. Obwohl sich die Übersicht auf die Produktion bezieht, werden die Ergebnisse zum Zwecke der Verdeutlichung an dieser Stelle in die Argumentation einbezogen. Der Zusammenstellung der Autorinnen lässt sich entnehmen, dass Kasusmarker in agglutinierenden Sprachen bereits extrem früh verwendet werden (mit 1; 3 Jahren im Türkischen sowie sogar 1; 0 Jahren im Finnischen). Kinder, die eine flektierende Sprache erwerben, starten mit dem Gebrauch kasusmarkierter Ele‐ mente etwas später (zum Beispiel mit ca 2; 0 Jahren im Russischen (vgl. Gaga‐ rina / Voeikova 2009)). Noch später (kurz nach der Vollendung des zweiten Le‐ bensjahrs) setzt die Nutzung von Kasusmarkern im Deutschen ein. Auch Mills (1985) zeigt für den L1-Erwerb des Deutschen, dass Akkusativmarker erst nach dem zweiten, Dativmarker sogar erst nach dem dritten Lebensjahr systematisch auftauchen. Daraus lässt sich ableiten, dass eine höhere Transparenz (also die Tendenz zum 1: 1-mapping) zu einem früheren Gebrauch von Kasusmarkern beiträgt. Damit reiht sich neben der Vorkommenshäufigkeit und der Validität eine dritte Komponente, nämlich die Transparenz von cues in die Reihe der Faktoren ein, die die Nutzung von cues (besonders im sprachlichen Entwick‐ lungsprozess) beeinflussen und ihre Gewichtung bei der Satzverarbeitung lenken können. Die häufige Intransparenz und die davon abhängige geringere cue-Validität von Kasusmarkern im Deutschen hat nicht nur Auswirkungen darauf, wann Kasusmarker in der Produktion auftauchen und ab wann sie den Satzverarbei‐ tungsprozess bei Kindern bestimmen, sondern dass auch bei Erwachsenen Ten‐ denzen für eine syntaktisch basierte N1-Strategie gefunden werden können. So zeigen beispielsweise eye-tracking-Experimente von Kamide / Scheepers / Alt‐ mann (2003), dass Erwachsene sowohl in Aktivals auch in Passivbedingungen selbst dann die erstgenannte Konstituente zunächst als agentivisch einstufen (gemessen an Fixationszeiten), wenn diese eindeutig non-agentivisch ist (zum Beispiel bei den Hasen). Kamide / Scheepers / Altmann (2003: 52) interpretieren die entsprechend langen Fixationszeiten als Beleg für eine „nominative-first strategy“, die wiederum auf einer von Townsend / Bever (2001) begründeten main-clause strategy aufbaut. In eine ähnliche Richtung gehen die Arbeiten von Bader / Meng (1999), Gorrel (2000), Hemforth (1993) sowie Schlesewsky et al. (2000), 4 die für das Deutsche eine Subjekt-vor-Objekt-Verarbeitungsstrategie annehmen. Die durchschnittlich geringere cue-Validität lokaler Marker führt im Deutschen also offenbar zu einer Aufwertung der syntaktischen N1-Strategie, 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 90 <?page no="91"?> die sich wiederum darauf auswirkt, dass Sprecher bei einer satzinitialen Kon‐ stituente von einer unmarkierten Nominativ- NP ausgehen. Diese starke N1-Strategie im Deutschen wird besonders bei Verfügbarkeit der transparenten Formen den und dem verworfen. Deutlich stärker ist die N1-Stra‐ tegie ausgeprägt, wenn ein Satz mit einem intransparenten Marker wie das oder die beginnt. Der Faktor der Transparenz wurde in einer späteren Version des CM unter dem Terminus cue cost (Bates / MacWhinney 1987b, Kail 1989, MacWhinney / Bates / Kliegl 1984, MacWhinney / Pléh / Bates 1985) implemen‐ tiert. Cue cost meint den Verarbeitungsaufwand beziehungsweise potentielle Restriktionen, die während der Verarbeitung auftreten können. Ist der Aufwand des mappings zu hoch, kann sich ein per se valider gegen einen cue mit einer eigentlich niedrigeren Validität nicht durchsetzen. Bates / MacWhinney (1987b: 178) differenzieren hierzu zwischen einer eingeschränkten perceivability, also der ‚Wahrnehmbarkeit‘, und der assignability, die die ‚Leichtigkeit‘ (ease, vgl. Bates / MacWhinney 1987b: 180) einer Form-Funktions-Zuordnung meint. Eine eingeschränkte perceivability würde zum Beispiel bei einer phonologischen Dif‐ ferenzierung zwischen Formen wie den / dem oder ein / einen vorliegen. Die ein‐ deutige Formdifferenzierung ist hier in der Schriftsprache ohne weiteres mög‐ lich, im Mündlichen jedoch nicht. Zwar kann eine mögliche Ambiguität zwischen Formen wie ein und einen durch den Kontext und im Syntagma auf‐ gelöst werden, jedoch setzt dies voraus, dass die ambige Struktur mit anderen Informationen kontrastiert werden kann. Die assignability bezieht sich explizit auf den Grad der Transparenz. Dieser ist bei 1: 1-Relationen zwischen Form und Funktion (zum Beispiel Kasusmarker im Türkischen) hoch und begünstigt einen geringen Verarbeitungsaufwand. Je mehr Funktionen eine Form annehmen kann, desto geringer ist dann auch ihr Transparenzgrad, was zum Beispiel auf Formen wie das, die und der im Deutschen zutrifft. Eine hohe assignability wird insbesondere für lokale cues angenommen, bei denen die grammatische Mar‐ kierung am zu verarbeitenden Lexem zu finden ist (zum Beispiel bei Kasusmar‐ kern am Substantiv). Bei globalen beziehungsweise topologischen cues, bei denen unterschiedliche Satzkonstituenten zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen (zum Beispiel Wortstellung, Subjekt-Verb-Kongruenz, Beto‐ nungsalternation), sind die Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis während der online-Verarbeitung hingegen erhöht (insbesondere wenn die Distanz zwi‐ schen diesen Konstituenten groß ist). Die Identifikation der Funktion ist bei lokalen cues ‚on the spot‘ (vgl. Lindner 2003) möglich, bei globalen nicht. Die cue cost ist damit bei lokalen Markern insgesamt niedriger als bei globalen. Dass sich die cue cost auf die Satzverarbeitung bei Kindern auswirken kann, erschließt sich aus den Studien von Devescovi et al. (1998) zum Serbo-Kroati‐ 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 91 <?page no="92"?> 5 Das Spanische verfügt über die Präposition a, deren Realisierung vor Objekten, die als [+ M E N S C H L I C H ] klassifiziert werden, obligatorisch ist. Der lexikalische Marker hat also eine ähnliche Funktion wie eine morphologisch eindeutige Akkusativmarkierung und kann damit als lokaler cue gewertet werden. 6 Wichtig ist dabei für das Deutsche, dass die Testsätze keine Kasusmarkierungen ent‐ hielten, die den Entscheidungsprozess hätten beeinflussen können. Belebtheit fungiert also dann als valider lokaler cue im Deutschen, wenn keine morphologischen cues verfügbar sind beziehungsweise deren Verfügbarkeit durch eine Neutralisierung ein‐ geschränkt ist. schen sowie von Pléh (1987) zum Russischen und Ungarischen. In allen unter‐ suchten Sprachen ist die assignability von lokalen cues (Kasusmarker) sehr hoch, was dazu führt, dass drei- und vierjährige Kinder semantische Relationen an‐ hand von Kasusmarkern bestimmen. Im Italienischen nutzen gleichaltrige Kinder hingegen den jeweils äquivalent validen, jedoch globalen cue Sub‐ jekt-Verb-Kongruenz erst ab einem Alter von 7-8 Jahren. Obwohl also die je‐ weiligen cues in den Einzelsprachen eine jeweils vergleichbar hohe overall va‐ lidity mitbringen, wird der globale Marker im Italienischen deutlich später als valider cue genutzt als die lokale Markierung im Serbo-Kroatischen. Lindner (2003) zeigt anhand von Studien mit deutschsprachigen Kinder, dass vor allem jüngere Probanden im Alter von 2-3 Jahren semantische Relationen anhand von Belebtheitsmerkmalen bestimmen (lokal) und belebte Konstituenten als agen‐ tivisch einordnen, bevor sich zunächst morphologische Marker (Nominativ‐ markierung) und schließlich morphosyntaktische und damit globale cues (Sub‐ jekt-Verb-Kongruenz) durchsetzen. Auch für erwachsene Sprecher scheint die Differenzierung zwischen lokalen und globalen cues Auswirkungen auf Verar‐ beitungsstrategien zu haben. In einer Studie mit erwachsenen L1-Sprechern des Spanischen und Französischen kann Kail (1989) zeigen, dass diese in ambigen Sätzen lokale vor topologischen cues präferieren, 5 sofern diese verfügbar sind. Ähnliche Tendenzen können auch aus Studien mit erwachsenen deutsch- und chinesischsprachigen Probanden abgeleitet werden, in denen sich die Sprecher stärker an der Belebtheit als an der Wortstellung orientieren (vgl. dazu Li / Bates / MacWhinney 1993 sowie MacWhinney / Bates / Kliegl 1984). 6 Ziel dieser Studien ist es zu zeigen, dass die Differenzierung zwischen lokalen und globalen cues Verarbeitungseffekte bei Erwachsenen hervorruft und die Modifikation eines cue-Systems bei Kindern lenkt. Während jedoch eine Diffe‐ renzierung zwischen den beiden Kategorien anhand des Kontrasts zwischen Kasusmarkern am Substantiv und der Subjekt-Verb-Kongruenz nachvollziehbar ist, bereitet die Einordnung von Kategorien wie Wortstellung, Intonation und Kasusmarkern, die nicht am Substantiv zu finden sind, Schwierigkeiten. Die ersten beiden cues werden klassischerweise zu den globalen cues gezählt, wobei 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 92 <?page no="93"?> deutlich wird, dass unter ‚global‘ jegliche Form von Linearität fällt. Jedoch hat zum Beispiel auch ein Satzakzent lokalen Charakter. Denkt man zum Beispiel an einen Satz wie Den Mann hat die Frau gesehen, würde der Satzakzent auf der Konstituente den Mann liegen. Solch ein Intonationsverlauf verweist darauf, dass eben genau der Mann und nicht eine andere Person gesehen wurde. Durch die prosodische Hervorhebung der satzinitialen Konstituente ist bereits ein lo‐ kaler cue verfügbar; im Prinzip ist es dann nicht unbedingt notwendig, den in‐ tonatorischen Verlauf des Satzes abzuwarten beziehungsweise lässt sich anhand dieses frühen lokalen Hinweises bereits eine Hypothese über den weiteren ‚Ver‐ lauf ‘ des Satzes aufstellen. Gleiches gilt für die Wortstellung. Sobald eine no‐ minale Konstituente auftaucht (zum Beispiel in NNV -, aber auch in VNN - und NVN -Sätzen), ist ihre bloße Verfügbarkeit bereits ein lokaler cue. Insbesondere wenn ein Sprecher eine starke N1-Strategie verfolgt und auf dieser Basis in N>N-Sätzen jeweils die N1 als agentivisch einstuft, ist es weitgehend unerheb‐ lich, welche und wie viele Konstituenten im linearen Verlauf noch folgen. Dass der als linear-topogolische cue Wortstellung durchaus als lokaler cue fungiert, lässt sich auch an zahlreichen Studien mit englischen Kindern belegen. Sie be‐ ginnen schon sehr früh damit, semantische Relationen auf Basis von Konstitu‐ entenabfolgen zu bestimmen. Dies spricht nicht unbedingt dagegen, dass sich die Differenzierung von Lokalität beziehungsweise Topologizität von cues auf die cue cost auswirkt, sondern eher dafür, dass Konstituentenabfolgen eher lo‐ kale als globale cues sind. Ebenso kompliziert ist die Zuordnung zu lokalen und globalen cues beim deutschen Kasussystem. Dies wird besonders durch eine Kontrastierung mit einer agglutierenden Sprache wie dem Türkischen deutlich. Slobin (1982) zu‐ folge nutzen türkischsprachige Kinder bereits in einem Alter von knapp 2 Jahren Kasusmarker als zuverlässige cues für Agens-Patiens-Relationen. In welchem Alter lokale Kasusmarker für Kinder im Deutschen die höchste cue strength erreichen, ist umstritten. Schaner-Wolles (1989) sowie Lindner (2003) plädieren dafür, dass nicht-kanonische Sätze ab einem Alter von durchschittlich fünf Jahren zielsprachlich interpretiert werden. Schaner-Wolles findet zudem bereits vor dem fünften Lebensjahr Hinweise darauf, dass Kasusmarker als valide cues für die Satzverarbeitung dienen und argumentiert auf dieser Basis gegen die Existenz einer N1-Strategie im Deutschen. Allerdings fällt auf, dass auch die fünfjährigen Probanden in Sätzen mit ambiger Objektmarkierung (zum Beispiel Das Kind sieht der Mann) zur N1-Strategie neigen und in 50 % der Fälle N1 als Agens auswählen. Lediglich bei den transparenten Markern den und dem sinkt der N1-Anteil in OVS -Sätzen auf 20 %. Zu behaupten, Wortstellung sei als cue für das Deutsche irrelevant, würde also vor dem Hintergrund dieser formspe‐ 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 93 <?page no="94"?> zifischen Tendenzen zu weit führen. Kasusmarker werden vor allem dann als valide cues genutzt, wenn sie transparent sind. Zugleich geht aus der Studie von Dittmar et al. (2008) hervor, dass auch in transparenten Bedingungen die N1-Strategie bis zu einem Alter von durchschnittlich sieben Jahren die Satzver‐ arbeitung dominiert. Lidzba et al. (2013) zeigen, dass sogar Kinder zwischen 8 und 13 Jahren noch deutlich unter den Spitzenwerten von jugendlichen und erwachsenen Sprechern bei der Interpretation nicht-kanonischer Sätze bleiben. Auch hier finden sich jedoch auch deutliche Hinweise darauf, dass intranspa‐ rente Formen (hier die) zu deutlich höheren Fehlerraten führen als transparente (hier den). Obwohl also sowohl im Türkischen als auch im Deutschen lokale morpho‐ logische cues die höchste Validität aufweisen, nutzen die türkischsprachigen Kinder diese deutlich früher bei der Satzinterpretation. Während das Türkische ein 1: 1-mapping zwischen Kasusformen und semantischen Rollen aufweist, ist das deutsche Kasussystem durch zahlreiche Synkretismen gekennzeichnet. Hinzu kommt, dass im Deutschen der Artikel und seltener das Substantiv Funk‐ tionsträger ist. Der Artikel ist wiederum in hohem Maße multifunktional und enthält neben der Kasusauch die Genus-, Numerus- und Definitheitsinforma‐ tion. Die Kasusmarkierung ist damit nicht nur weniger transparent, sondern quasi ausgelagert. Der lokale cue ist im Deutschen also ‚weniger lokal‘ als im Türkischen (s. auch Dittmar et al. 2008: 1164) und hat dadurch eine geringere assignability, wodurch die cue cost erhöht wird. Bei intransparenten Formen wie das oder die müssen dann im Zweifelsfall weitere Informationen im Satz abge‐ wartet werden (zum Beispiel in Fällen wie Das Mädchen sieht der Mann), bevor eine Entscheidung gefällt werden kann. Kasusmarker am Artikel können des‐ halb aufgrund ihrer eingeschränkten Lokalität als global-topologische cues be‐ trachtet werden. Ein Hinweis darauf, dass besonders Artikel bei der Satzverarbeitung im Deut‐ schen als unzuverlässige cues eingestuft werden, findet sich bei Brandt / Lieven / Tomasello (2016). In einer Satzverarbeitungsstudie mit 3-, 4- und 6-jäh‐ rigen Kindern können die Autoren zeigen, dass die Resolution von Konfliktbe‐ dingungen bei einer Verfügbarkeit eines Pronomens in der ersten Person Sin‐ gular sicherer gelingt als bei nominativ- oder akkusativmarkierten disambiguierenden Artikeln. Anders als Artikel in nominalen NP s sind Pro‐ nomen eindeutig lokale cues. Dieser Umstand wirkt sich im Deutschen offenbar darauf aus, dass Pronomen für Kinder eine zunächst höhere Validität haben als kasusmarkierte Artikel. Die Grenzen zwischen Lokalizität und Topologizität sind letztlich sehr un‐ scharf. Eine Zuordnung von cues muss deshalb vor dem Hintergrund der ein‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 94 <?page no="95"?> zelsprachlichen Gegebenheiten erfolgen. Kail (1989) schlägt deshalb vor, die Differenz zwischen lokalen und globalen cues fließend im Sinne eines Konti‐ nuums zu begreifen, anhand dessen die unterschiedlich starke Gewichtung ein‐ zelner cues in einer Sprache ermittelt werden kann. McDonald / Heilenmann (1992) verweisen zudem darauf, dass das Kontinuum überwiegend für Verar‐ beitungsmechanismen bei Kindern relevant ist. Erwachsene Sprecher orien‐ tieren sich den Autorinnen zufolge kaum beziehungsweise nur in sehr spezifi‐ schen Bedingungen an dieser Differenzierung. Die bisherigen Erläuterungen zum CM haben gezeigt, dass sich typologisch be‐ dingte variable cue-Systeme auf Satzverarbeitungsstrategien auswirken. Die in Kapitel 2 erläuterten kontrastiven Unterschiede zwischen dem Deutschen, Nie‐ derländischen und Russischen sind also nicht nur oberflächensprachliche Kontraste, sondern wirken sich darauf aus, nach welchen Kriterien eine Satz‐ interpretation vorgenommen wird. Während erwachsene Sprecher ihre Ent‐ scheidung stets auf Basis der validesten cues treffen, kann man besonders bei Kindern beobachten, wie sich das cue-System Stück für Stück verändert. Für das Deutsche sind hier besonders die Studien von Dittmar et al. (2008), Lindner (2003), Lidzba et al. (2013) sowie Schaner-Wolles (1989) relevant. In allen vier Studien zeichnet sich in offline-Verfahren ab, dass die Agenswahl in transitiven Sätzen mal anhand der Belebtheit, mal auf Basis der Konstituentenabfolge und mal auf der Grundlage morphologischer Marker erfolgt. Dabei durchlaufen die Kinder offenbar sehr systematisch einen Justierungsprozess, in dem die ur‐ sprünglich hohe Validität eines cues zugunsten eines anderen aufgegeben wird. Diese kontinuierliche Erweiterung des cue-repertoires wird im Rahmen des CM als cue strength bezeichnet. Während die overall validity eine „objective property of the linguistic environment“ (Bates / Devescovi 1989: 229) ist, wird die cue strength als subjektive cue-Eigenschaft einzelner Sprecher definiert. Wel‐ chem cue zu welchem Zeitpunkt welche Validität zugesprochen wird, ist nicht nur von typologischen Charakteristika, sondern auch von den Erfahrungen des einzelnen Sprechers abhängig. Besonders bei Kindern, deren sprachliche Ent‐ wicklung noch nicht abgeschlossen ist, muss die cue strength dabei nicht zwangsweise der cue validity entsprechen, wird aber von dieser determiniert beziehungsweise entspricht dieser mit voranschreitender Entwicklung (vgl. MacWhinney / Bates / Kliegl 1984, Sokolov 1988). Welcher cue wiederum sub‐ jektiv betrachtet der valideste ist, hängt von den bereits beschriebenen Faktoren ab (also Vorkommenshäufigkeit im Input, Reliabilität und Transparenz). Im Er‐ werbsverlauf nähert sich deshalb die individuelle cue strength der linguistisch ermittelten cue validity an (vgl. zum Beispiel Kail 1989 für das Französische). 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 95 <?page no="96"?> Besonders bei erwachsenen Sprechern sind cue strength und cue validity fast deckungsgleich. Bei Kindern stellt die objektive Validität hingegen eine Art se‐ quentielles Verarbeitungsziel dar. Für McDonald (1987a) ist nicht nur die overall validity, sondern die conflict validity die treibende Kraft. Demnach seien nicht die Validität oder die subjek‐ tive Gewichtung eines cues allein relevant, sondern ihre jeweilige Durchset‐ zungskraft in Konfliktkontexten: Conflict validity may be defined as the validity of a cue assessed only over those sentences where cues disagree, or conflict, about the interpretation. A cue is high in conflict validity if it gives the correct assignment when faced with opposing cues; however, this same cue may have low overall validity if it is not a frequent cue in the language in general. (McDonald 1987a: 101) Conflict validity beschreibt also die relationale Validität eines cues in Kontexten, in denen Formen gegeneinander arbeiten. In einem Satz wie Die Hunde sieht das Kind konkurrieren Subjekt-Verb-Kongruenz und Konstituentenabfolge. Orien‐ tieren sich Sprecher am morphosyntaktischen cue, müsste das Kind als Agens ausgewählt werden. Ist jedoch die Wortstellung stärker, setzt sich die Hunde als Agens durch. Je häufiger einer dieser cues in entsprechenden Konfliktkontexten gewählt wird, desto höher ist seine Konfliktvalidität für den jeweiligen Sprecher. Ob ein cue eine zuverlässige conflict validity besitzt, kann der Sprecher aus‐ schließlich über ein entsprechendes Feedback ermitteln. Wird dem Sprecher signalisiert, dass die vorgenommene Interpretation (zum Beispiel im obigen Satz die Auswahl von die Hunde als Agens) nicht richtig ist, muss eine Reinterpre‐ tation (adjustment; McDonald 1986: 320) vorgenommen werden. McDonald (1991) spricht in diesem Zusammenhang von einem „learning-on-error“-Pro‐ zess. Je häufiger ein entsprechendes korrektives Feedback vorgenommen werden muss, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Sprecher auf die Suche nach verlässlicheren cues macht, die eine korrekte Satzinterpretation ermöglichen. Sind diese entsprechend identifiziert, muss auch deren Verläss‐ lichkeit im Sprachgebrauch getestet werden. Dieser Prozess wiederholt sich, bis cues mit einer hohen conflict validity stark genug sind, um sich gegen andere Marker durchzusetzen (McDonald 1986: 322). McDonalds Szenario kann unter Berücksichtigung der anderen Faktoren des CM folgendermaßen zusammen‐ gefasst werden: Auf dem Weg zur conflict validity sind für Kinder zunächst die frequentesten (zum Beispiel Belebtheitsmerkmale oder Konstituentenabfolge) die maximal validen cues und haben eine entsprechend hohe cue strength. Ihre Validität wird durch einen Abgleich mit dem Input kontinuierlich überprüft, wobei bei häufig auftretender Unzuverlässigkeit ein neuer cue (zum Beispiel 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 96 <?page no="97"?> Kasusmarker) den bereits existenten in seiner temporären Validität abschwächt und verdrängt. Cue strength ist damit eine systematische sprecherbedingte Va‐ liditätsveränderung. Die Annäherung an konfliktvalide cues ist somit Resultat einer systematischen cue strength-Modifikation, an deren Ende eine der Ziel‐ sprache entsprechende Verarbeitungsstrategie steht. Ein zentraler Faktor, der die kontinuierliche Modifikation der cue strength prägt, ist die Interaktion von cues untereinander. Verarbeitungs- und Entwick‐ lungsprozesse werden, so die Annahme, nicht ausschließlich durch einzelne cues, sondern von komplexen Merkmalsbündeln gelenkt. Dabei ist die cue coa‐ lition (oder cue cooperation), das heißt die prototypische Interaktion zwischen semantischen und formalen Merkmalen, der Normalfall. In pragamtisch mar‐ kierten Fällen (also zum Beispiel in O>S-Sätzen im Deutschen) tritt eine Kon‐ kurrenzsituation auf. Formale Koaliationen bestehen zum Beispiel dann, wenn ein Agens mit dem finiten Verb kongruiert, definit, satzinitial realisiert und morphologisch unmarkiert ist. Eine semantische Koalition liegt dann vor, wenn das Agens zeitgleich auch Thema des Satzes ist (vgl. Bates et al. 1982, Bates / MacWhinney 1989: 48). Im Idealfall tritt die semantische zusammen mit der formalen Koalition auf, sodass die Verknüpfung an sich den prototypischen Fall abbildet (s. Abbildung 4). Bates / MacWhinney bezeichnen diese Korrespondenz zwischen Form- und Funktionskoalitionen als „coalitions as prototypes“ (1987b: 166). Abbildung 4: Prototypische cue coalition für das Subjekt (Year 2003: 9) 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 97 <?page no="98"?> Die Abbildung greift einen Teil der ausgearbeiteten Merkmale aus Kapitel 2.3 auf und erweitert diese insbesondere um weitere formale Eigenschaften. Das, was hier exemplarisch für das Agens aufgeführt ist, lässt sich unter Bezugnahme zu Kapitel 2 auch für das Patiens sowie das Rezipiens darstellen. Die semantische Ebene kann dabei jeweils um das Merkmal des Involviertheitssowie Abhän‐ gigkeitsgrades ergänzt werden, wodurch die rollenspezifische Kontextualität hervorgehoben werden kann. Die Erweiterung der konnektionistisch moti‐ vierten Abbildung besteht darin, dass auch eine Verbindung zwischen den ein‐ zelnen formalen und semantischen Eigenschaften angenommen wird. Jedoch ist nicht ganz klar, ob diese Verbindung verdeutlichen soll, dass eine prototypische Relation zwischen den Merkmalen besteht oder ob daraus Prinzipien für die Verarbeitung abgeleitet werden können. Fest steht nur, dass erwachsene Spre‐ cher Sätze, in denen prototypische Koalitionen vorliegen, am schnellsten ver‐ arbeiten können. Dies wird an Studien von Bates / Devescovi / D’Amico (1999) sowie Bates et al. (1982) für das Italienische und Englische deutlich. In beiden Sprachen sind die Reaktionszeiten besonders niedrig, wenn die erste NP belebt ist (zum Beispiel Der Mann sieht das Auto). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Li / Bates / MacWhinney (1993) für das Chinesische. Konkurrieren Wort‐ stellung und Belebtheit (zum Beispiel in einem Satz wie Der Bus sieht die Frau), steigen die Reaktionszeiten. Die Existenz von Koalitionen ist letztlich als Vo‐ raussetzung für cue-Konkurrenz zu verstehen. Sobald ein Merkmal aus der Reihe fällt, findet ein „breakdown of coalitions“ (Bates et al. 1982: 255) statt. Genau in diesen Fällen greift dann die sprecherspezifische cue strength. Belege für entsprechende Prototypikalitätseffekte bei der Satzverarbeitung bei Kindern finden sich in einer Kunstverbstudie mit 2-4-jährigen deutsch-, englisch- und kantonesischsprachigen Kindern (Chan / Lieven / Tomasello 2009). Die Autoren zeigen, dass alle drei Gruppen bereits mit 2; 6 Jahren proto‐ typische (sowie sprachübergreifende) Koalitionen bei der Agensbestimmung in ihrer jeweiligen L1 nutzen. So wählen die Kinder vor allem dann die N1 als Agens, wenn diese belebt und die postverbale unbelebt ist. Auch Lindner (2003) kann nachweisen, dass sowohl normal entwickelte als auch sprachentwick‐ lungsgestörte deutschsprachige Kinder zunächst die cue coalition zwischen Wortstellung und Belebtheit als zuverlässigen Indikator für Agentivität nutzen. Ältere Kinder (ca. 5 Jahre) nutzen hingegen grammatische Koalitionen und wählen meist die NP als Agens aus, die nominativmarkiert ist und mit dem finiten Verb kongruiert. Zu ähnlichen Befunden kommt auch Dittmar (2009) für jüngere Kinder im Alter von 2-3 Jahren. Chan / Lieven / Tomasello folgern da‐ raus: 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 98 <?page no="99"?> [L]anguage acquisition is a process of first acquiring the frequently occurring coalitions of form-function mapping as prototypes […], and then gradually adjusting the weight of each mapping until it provides an optimal fit to the processing environment like the adults. (2009: 295) Die Orientierung an prototypischen Koalitionen kann also als erster Schritt auf dem Weg zur einzelsprachlichen Konfliktvalidität verstanden werden (vgl. ebenso Dittmar et al. 2008). Letztlich lässt sich folgern, dass Satzverarbeitungsstrategien bei Kindern vari‐ ieren können und diese Varianz Resultat eines dynamischen sowie systemati‐ schen Entwicklungsprozesses ist. Anhand der Strategien, die Kinder bei der Re‐ solution konkurrierender Bedingungen anwenden, lässt sich ableiten, welche cues diesen Entwicklungsprozess steuern. Dieser ist vom Grad der einzelsprach‐ lichen cue-Validität, der cue-Transparenz sowie des cue-Typs (lokal vs. global) abhängig. Je nach Sprache entstehen so unterschiedliche Stufen auf dem Weg zum Ziel, was darin besteht, eine solide zielsprachliche Konfliktvalidität für cues zu etablieren. Jedoch finden sich nicht nur einzelsprachbedingte Unterschiede, sondern offenbar auch sprachübergreifende Tendenzen. In nahezu allen Studien, die sich damit beschäftigen, welche Rolle Kasusmarker bei der Satzverarbeitung spielen, wird danach gefragt, ab wann sie an cue strength gewinnen. Dass der Zeitpunkt von Faktoren wie cue cost und Transparenz abhängig ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass vorher bei fast allen Untersuchungsgruppen die Konstituentenabfolge eine sehr hohe cue strength hat. Sprachunabhängig scheint es also so zu sein, dass Kinder die Abfolge N>N stets als cue für die Aktantenabfolge A G E N S > N ICHT -A G E N S interpretieren, bevor sie die syntakti‐ schen durch morphologische cues ersetzen. Die Tatsache, dass es hier sprach‐ übergreifende Tendenzen gibt, wird im Kontext des CM nicht näher diskutiert. Letztlich handelt es sich offenbar um eine sprachübergreifende cue strength-Modifikation, bei der der cue Konstituentenabfolge von Kasusmarkern abgelöst wird. Zu fragen ist an dieser Stelle natürlich nach dem Warum. Wenn angenommen wird, dass flexionsreiche Sprachen mehr Wortstellungsvarianz zulassen, sollte sich diese Varianz auch im Gebrauch und damit auch in der Vorkommenshäufigkeit nicht-kanonischer Sätze abbilden. Unklar ist deshalb, warum trotzdem sprachübergreifend ein spezifisches Satzmuster die Satzverar‐ beitung zumindest am Anfang dominiert. Reflexionswürdig ist eine Reihe weiterer Aspekte des CM . Die wohl bekann‐ teste und umfassendeste Kritik am CM hat Gibson (1992) in Form einer Rezen‐ sion des Sammelbandes The crosslinguistic study of sentence processing (Bates / 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 99 <?page no="100"?> MacWhinney 1989), das mittlerweile als Referenzwerk für das CM bezeichnet werden kann, formuliert. Gibsons Kritik am Modell ist so umfassend, dass er gar die These aufstellt, es sei nicht unbedingt in der Lage „[to] reflect operation of the human linguistic processor“. Diese Sorge kann zumindest mit Blick auf die Karriere, die große Teile des CM auch außerhalb eines strikten kognitiv-funk‐ tionalen Ansatzes hingelegt haben, aus heutiger Sicht revidiert werden. Die Existenz koalierender und konkurrierender cues bei der Satzverarbeitung sowie in anderen sprachlichen Bereichen ist weitgehend anerkannt. Die Prinzipien des CM sind darüber hinaus auch in Modelle übergegangen, die sich deutlich stärker neurolinguistisch positionieren (so vor allem das Extended Argument Depen‐ dency Model von Bornkessel-Schlesewsky / Schlesewsky 2006, 2014). Auf die einzelnen Punkte von Gibsons Kritik sind MacWhinney und Bates selbst (1994) eingegangen und haben dabei den Versuch unternommen, diese zu widerlegen. Deshalb seien an dieser Stelle nur diejenigen Kritikpunkte hervorgehoben, die relevant für die vorliegende Untersuchung sind. Gibson kritisiert besonders die inadäquate Definition des Terminus cue sowie immer wieder die Anwendbarkeit des cues ‚preverbal position‘ (ebd.: 820 f.). In Hinblick auf den Terminus cue behauptet Gibson, ein Satz und auch ein Wort hätten eine schier undefinierbare Menge an möglichen cues. Er hebt beispielsweise phonologische beziehungs‐ weise phonotaktische cues heraus, die für die Sprachverarbeitung relevant sein können. Bates / MacWhinney (1994) reagieren auf diesen Einwand unter an‐ derem mit dem Verweis, dass cues quasi kontextuell betrachtet werden müssen und dass bei der Interpretation von Sätzen phonologische cues keine Rolle spielen. Dieses Argument umfasst besonders für das Deutsche einen wichtigen Aspekt, der jenseits von Gibsons Kritik hinterfragt werden kann. So kann die Phonotaktik eines Lexems für die Identifikation semantischer Rollen durchaus relevant werden. Man denke hierbei an das Movierungssuffix -er wie in Lehr-er oder Les-er, das auch als simpler Wortauslaut in Lexemen wie Keller oder Butter vorkommt, in denen es keinen Morphemstatus hat. Mithilfe eines Kunstwort‐ experiments könnte man danach fragen, ob Probanden Kunstitems auf -er eher agentivische oder nicht-agentivische Merkmale zuweisen würden. Auch wenn -er eine Zwischenrolle zwischen Morphem und Nicht-Morphem ein‐ nimmt, könnte so geprüft werden, ob unter spezifischen Bedingungen Phono‐ taktik beziehungsweise morphophonologische Charakteristika eine semanti‐ sche Rollenpräferenz evozieren. Insofern muss Gibson durchaus rechtgegeben werden, wenn er kritisiert, dass die Verfügbarkeit von cues unter Umständen viel größer ist als im Rahmen des CM angenommen. Seine Kritik ist schließlich ein Ansporn dazu, multifaktorielle cues systematisch zu berücksichtigen und zu testen. Zugleich zeigt sich außerhalb von Satzverarbeitungsstudien der kontex‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 100 <?page no="101"?> tuelle, das heißt auf spezifische grammatische Strukturen bezogene Charakter phonologischer cues. So finden sich zum Beispiel im Bereich der Genuszuwei‐ sungsforschung immer wieder Arbeiten, die die Relevanz phonologischer cues in den Blick nehmen (zum Beispiel Rodina / Westergaard 2012, Szagun et al. 2007). Weitaus gewichtiger ist Gibsons Kritik am cue ‚preverbal position‘, der besagt, dass es bei der Satzverarbeitung eine Präferenz dafür gibt, die präverbale Kon‐ stituente als Agens einzustufen. Ergänzend fügt er hinzu, dass der Terminus an sich bereits impliziert, dass die Sprecher überhaupt wissen müssen, was verbal und was nominal ist (die sprachliche Struktur oder die Semantik seien hier nämlich keine guten Indikatoren, vgl. 1992: 820). Die Unzulässigkeit des Kon‐ zepts illustriert er anhand von Beispielsätzen des Typs Die Frau neben John traf den Ball (ebd.: 821). In solchen Fällen ist nämlich ausgeschlossen, dass die prä‐ verbale NP John agentivisch ist. Diese Unzulänglichkeit wurde in späteren Ar‐ beiten innerhalb und außerhalb des CM quasi korrigiert. Worauf Gibson nämlich korrekterweise aufmerksam macht, ist, dass hier die erste von mehreren Kon‐ stituenten entscheidend ist, ohne dass sie zwangsweise vor dem finiten Verb vorkommen muss. In aktuelleren Arbeiten ist denn auch von einer ‚N1-bias‘ oder einer N1-Strategie die Rede. Auch für die vorliegende Untersuchung wird (wie ausgeführt) die lineare Relation zwischen finitem Verb und den NP s nicht berücksichtigt. Es geht ausschließlich um die Reihenfolge der nominalen Kon‐ stituenten, die an sich als cue fungiert. Gibsons Kritikpunkten sind weitere Aspekte hinzuzufügen. So lässt sich zum Beispiel das Konzept der cue strength kritisch hinterfragen. Wenn beispielsweise wie bei Lindner (2003) davon ausgegangen wird, dass die Belebtheit zeitweise eine hohe cue strength hat, ist das nicht so zu verstehen, dass in allen Konflikt‐ bedingungen die jeweils belebte Konstituente durchweg agentivischen Status zugewiesen bekommt. Vielmehr geht eher eine Tendenz in diese Richtung, was auch daran deutlich wird, dass sich die Belebtheit in nur einem Teil der Fälle auf den Entscheidungsprozess niederschlägt. In anderen Fällen greifen wiederum andere cues (vermutlich erneut das Satzmuster), sodass gefolgert werden muss, dass mehrere cues zumindest zwischenzeitlich gleichwertig sind beziehungs‐ weise eine Überlappung divergierender Strategien stattfindet. Die Modifikati‐ onsschritte beim Aufbau eines cue-Systems wären damit in hohem Maße gra‐ duell. Unklar ist dabei, ob und wie sich diese Überlappungen auf die Satzverarbeitung auswirken können und ob dabei Interdependenzen zwischen unterschiedlichen cues zumindest zeitweise formiert werden. Während solch eine Interdependenz zumindest für die Konstituentenabfolge und den Belebtheitskontrast durchaus thematisiert wird und im Untersuchungs‐ 3.1 Funktionen in Formen - das Competition Model 101 <?page no="102"?> 7 Da sich meine Studie mit frühen L2-Sprechern beschäftigt, werden im Folgenden aus Gründen der Übersichtlichkeit Studien zum simultanen beziehungsweise doppelten L1-Erwerb nicht berücksichtigt. 3.2 fokus steht, besteht hinsichtlich der Interrelation zwischen Belebtheit und ein‐ zelnen morphologischen Formen ein großes Desiderat. Kasusmorphologie wurde bei Studien mit Kindern nämlich insbesondere aus zwei Perspektiven betrachtet: Erstens stand die Frage im Vordergrund, ab wann Kasusmarker den Satzverarbeitungsprozess beeinflussen und steuern. Zweitens wurde nur in ei‐ nigen Studien (zum Beispiel bei Schaner-Wolles 1989) erfasst, wie sich unter‐ schiedliche funktionale Transparenzgrade (so zum Beispiel bei Formen wie das vs. den) auf den Satzverarbeitungsprozess niederschlagen. Diese Differenzie‐ rung gilt es weiter zu spezifizieren und in Hinblick auf die Überlegungen in Kapitel 2 systematisch zu erweitern. Dabei ist zu prüfen, ob im Deutschen ein‐ zelne Formen prototypische Funktionen im Satzverarbeitungsprozess erfüllen und deshalb auch an spezifische Belebtheitsmerkmale gebunden werden. Was also im Rahmen des CM noch nicht untersucht wurde, ist die Frage, inwiefern Sprecher die Satzinterpretation an einzelne morphologische Marker knüpfen und wie sich diese Verknüpfungen auf die schrittweise Modifikation der cue strength auswirken. Neben der verarbeitungsspezifischen Relevanz einzelner Marker und ihrer Abhängigkeit von syntaktischen und semantischen Faktoren lässt sich ein wei‐ teres relativ großes Desiderat identifizieren. Die Studien, die sich der Frage widmen, wie sich cue-Systeme bei Kindern als Resultat einer cue strength-An‐ passung im Laufe der Zeit verändern und an eine objektive cue-Validität annä‐ hern, sind auf die einsprachige Entwicklung in der Erstsprache begrenzt. Was noch nicht betrachtet wurde, ist, wie sich die cue strength-Modifikation bei mehrsprachigen Kindern entfaltet. Zwar gibt es Erkenntnisse darüber, wie sich die Nutzung und Gewichtung von cues bei der Satzverarbeitung in mehrspra‐ chigen Bedingungen vollzieht, jedoch sind die Studien hierzu meist mit erwach‐ senen Sprechern durchgeführt worden. Um aufbauend auf diesen Erkenntnissen Hypothesen für kindliche Verarbeitungsprozesse extrahieren zu können, werden die primären Einsichten dieser Studien im Folgenden skizziert. Cue-Transfer in mehrsprachigen Bedingungen Für mehrsprachige Erwerbsbedingungen nimmt das CM an, dass Sprecher, die eine zweite Sprache erlernen, zunächst die relative cue strength ihrer L1 auf die L2 übertragen, bevor sie sich den Validitätskriterien der L2 annähern. 7 Dement‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 102 <?page no="103"?> sprechend würden zum Beispiel Sprecher des Englischen die Wortstellung als dominanten cue im Deutschen nutzen und in einem Satz wie Den Mann sieht die Frau die Kasusmarkierung ignorieren. Erst im weiteren Erwerbsprozess sollten die Sprecher feststellen, dass die Übertragung der L1-spezifischen cue strength häufig zu einer falschen Satzinterpretation führt. Die typologischen Validitäts‐ differenzen führen dazu, dass die cue-Systeme konkurrieren. Die einzelsprach‐ liche Hierarchisierung und Konkurrenz einzelner cues wird dadurch um zwi‐ schensprachliche cue competition erweitert. Das von McDonald (1986) angesprochene Feedback würde also auch im L2-Erwerb greifen und dazu führen, dass Sprecher bei einer fehlerhaften Satzinterpretation andere cues auf‐ finden müssen, um eine an die Validität des zielsprachlichen Form-Funk‐ tions-Systems angepasste cue strength auszubilden. Aus kognitiv-funktionaler und konnektionistischer Sicht müssen in der L2 neue Form-Funktions-Verknüp‐ fungen etabliert werden, die im Erwerbsverlauf modifiziert und gefestigt werden. Mit steigender L2-Kompetenz werden dabei sukzessiv neue Verbin‐ dungen aufgebaut, die den Validitätshierarchien der L2 entsprechen (vgl. Mac‐ Whinney 1992, 1998, 2001a). L2-Erwerb kann also als „the gradual growth of cue strength” (MacWhinney 2005: 58) verstanden werden, der zunächst auf einem L1-spezifischen cue-System aufbaut (vgl. auch MacWhinney 1997). Im Zuge von Überlegungen zu Transfermechanismen wird neben diesem forward auch der backward transfer thematisiert (vgl. Cook et al. 2003, Liu / Bates / Li 1992, Su 2001), der hier jedoch nicht im Fokus stehen soll. Der Grad des cue-Transfers aus der L1 und seine Auswirkungen auf von mo‐ nolingualen Sprechern abweichende Verarbeitungsstrategien kann von unter‐ schiedlichen Faktoren abhängig sein. Generell muss bei der Frage danach, in‐ wiefern sich L2-Sprecher an eine L1-spezifische Satzverarbeitung annähern können, zwischen unterschiedlichen Forschungszweigen unterschieden werden. Bei stärker neurolinguistisch ausgerichteten Arbeiten steht die Frage im Vordergrund, ob und wie sich neuronale Mechanismen zwischen L1- und L2-Sprechern bei der Satzverarbeitung unterscheiden (vgl. zum Beispiel Hahne 2001). Hervorzuheben sind in diesem Bereich die Arbeiten von Clahsen / Felser (2006a, 2006b), Jacob / Fleischhauer / Clahsen (2013) sowie für einen Überblick über diesen Forschungszweig Felser (2005) und Mueller (2005). Insbesondere Papadopolou / Clahsen (2003) argumentieren prinzipiell gegen einen L1-Transfer und gehen davon aus, dass gänzlich unterschiedliche Verarbei‐ tungsmechanismen, die von lexikalischen und syntaktischen Prinzipien ab‐ hängig sind, bei L1- und L2-Sprechern zum Tragen kommen. Die These, dass Verarbeitungsunterschiede L1-basiert sein können, ist damit nicht unumstritten. Die unterschiedlichen Positionen lassen sich vermutlich am besten mit unter‐ 3.2 Cue-Transfer in mehrsprachigen Bedingungen 103 <?page no="104"?> 8 Jeder dieser Faktoren stellt für sich einen jeweils umfassenden und vieldiskutierten Forschungsbereich dar. Der folgende Überblick kann deshalb nur einen Ausschnitt an Studien wiedergeben, die sich generell mit den einzelnen Thematiken beschäftigen. Es wird keinesfalls der Anspruch erhoben, die zahlreichen Studien in ihrer Fülle wieder‐ zugeben. Für einen Überblick über die unterschiedlichen Einflussfaktoren bei der Satz‐ verarbeitung empfiehlt sich die Lektüre einschlägiger Sammelbände wie zum Beispiel van Clifton / Frazier / Rayner (1994), Gompel (2013), Juffs / Rodríguez (2015) sowie ex‐ plizit für das Deutsche Hemforth / Konieczny (2000). schiedlichen Zielsetzungen erfassen. Die neurolinguistische Perpsektive lenkt den Blick auf neurologische Mechanismen und die differierende Aktivierung unterschiedlicher Hirnareale, während kognitiv-funktionale Arbeiten (insbe‐ sondere im Rahmen des CM ) unterschiedliche Verarbeitungsstrategien an der sprachlichen Oberfläche erfassen wollen. Dabei geht es darum zu zeigen, ob Sprecher mit divergierenden Ausgangsssprachen zu unterschiedlichen Inter‐ pretationsergebnissen kommen und ob diese beispielsweise auf einzelsprach‐ liche oder sprachkontrastive cues zurückgeführt werden können. Potentielle Ergebnisunterschiede werden dabei unabhängig von der Aktivierung spezifi‐ scher Hirnareale betrachtet. Im Prinzip lassen sich diese beiden Forschungs‐ richtungen sehr gut verknüpfen, weil beispielsweise gezeigt werden kann, dass sich zwar bei der Agenswahl (oder anderen Bereichen der Sprachverarbeitung) keine Unterschiede zwischen L1- und L2-Sprechern finden lassen, neurologisch betrachtet dennoch Unterschiede bestehen bleiben, die jedoch nicht nur auf L1-Transfer rückführbar sein müssen. Ein weiteres verbindendes Element der beiden Forschungszweige liegt in der Frage, ob neben der L1 auch andere Faktoren für den Ausbau einer L2-gerechten Satzverarbeitung relevant sind. Dazu zählen zum Beispiel das Alter bei Er‐ werbsbeginn (age oder onset of acquisition), die Erwerbsdauer, das Kompetenz‐ level in der Zielsprache sowie typologische Eigenschaften zwischen Ausgangs- und Zielsprache. 8 Auch hier lässt sich zwischen stärker neurolingustischen Zweigen, die mit bildgebenden Verfahren arbeiten (vgl. für einen Überblick Caffara et al. 2015, Kotz 2009) und kognitiv-funktionalen Zugängen differen‐ zieren, die einen stärkeren theoretisch-konzeptionellen (in der funktionalisti‐ schen Tradition stehenden) Blick auf Verarbeitungsunterschiede haben. Für die folgende Übersicht soll besonders mit Blick auf die Zielsetzung und Fragestel‐ lung dieser Arbeit letzterer Zugang stärker im Fokus stehen. Dabei werden vor allem Studien berücksichtigt, die die einzelnen Einflussfaktoren unter der ge‐ nerellen Frage des forward transfer bearbeiten. Hinweise darauf, dass forward transfer tatsächlich existiert, finden sich zu‐ nächst in Studien mit erwachsenen Lernern. So können Heilenmann / McDonald (1993) für englischsprachige Französischlerner und McDonald (1987) für nie‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 104 <?page no="105"?> 9 In der Aufzählung steht die erstgenannte Sprache jeweils für die L1 und die zweitge‐ nannte für die L2 der Probanden. derländisch-englische und englisch-niederländische Sprecher zeigen, dass sich die fortgeschrittensten Gruppen zwar den Verarbeitungsstrategien monolingu‐ aler Sprecher annähern, jedoch zum Teil deutlich unter deren Spitzenwerten bleiben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Sasaki (1994) für japanischsprachige Lerner des Englischen sowie englischsprachige Lerner des Japanischen. Japa‐ nische Lerner nutzen in der L2 Englisch stärker pronominale Kasusmarker und schließen die entsprechend oblique markierte Konstituente häufiger als Agens aus als monolingual englischsprachige Sprecher. Englische Lerner der L2 Japa‐ nisch nutzen hingegen den cue Wortstellung intensiver zur Interpretation von NVN sowie NNV - und VNN -Strukturen als japanische L1-Sprecher. Sasaki zeigt ebenso, dass sich die Lerner im Erwerbsverlauf an die jeweilige cue-Vali‐ dität der Zielsprache annähern und ihre L1-spezifischen Form-Funktions-Rela‐ tionen so schrittweise durch L2-spezifische mappings ersetzen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Heilenmann / McDonald (1993) für die L1-L2-Rela‐ tion Englisch-Französisch, 9 Gass (1987) für Italienisch-Englisch, Harrington (1987) und Sasaki (1991, 1994) für Japanisch-Englisch, Hernandez / Bates / Avila (1994) für Englisch-Spanisch, Kilborn (1989) für Deutsch-Englisch, Kilbron / Cooreman (1987) für Niederländisch-Englisch, Liu / Bates / Li (1992) und Su (2001) für Chinesisch-Englisch und Englisch-Chinesisch, McDonald / Heilen‐ mann (1992) für Englisch-Französisch, McDonald (1987b) für Englisch-Nieder‐ ländisch und Niederländisch-Englisch, Morett / MacWhinney (2013) für Spa‐ nisch-Englisch, Jackson (2007) für Englisch-Deutsch sowie Hopp (2010) für Englisch- / Niederländisch- / Russisch-Deutsch. Hervorzuheben ist hierbei be‐ sonders die Arbeit von Hopp (2010), in der deutlich wird, dass sich die L1 Rus‐ sisch im Gegensatz zu den Ausgangssprachen Englisch und Niederländisch po‐ sitiv auf die Verarbeitung von Kasusmarkern in Konfliktbedingungen im Deutschen auswirkt. Gegen L1-bedingte Verarbeitungsunterschiede argumen‐ tiert eine Studie von Gerth et al. (2015), die anhand von koreanisch-, russisch- und italienischsprachigen Deutschlernern zeigt, dass morphosyntaktische (Sub‐ jekt-Verb-Kongruenz) und morphologische cues (Kasusmarker) auch dann verarbeitet werden, wenn es in den jeweiligen Ausgangssprachen keine Ent‐ sprechung gibt (zum Beispiel Kasus im Italienischen oder Subjekt-Verb-Kon‐ gruenz im Koreanischen). Unterschiede hinsichtlich der Sensitivität gegenüber konkurrierenden cues führen die Autoren hier vor allem auf sprachliche Kom‐ petenzunterschiede zurück. 3.2 Cue-Transfer in mehrsprachigen Bedingungen 105 <?page no="106"?> Für Transferphänomene bei der Satzverarbeitung bei Kindern finden sich kaum Studien (da sich die meisten auf die Produktion konzentrieren). Eine Aus‐ nahme ist eine Arbeit von O’Shannessy (2011), die cue-Transfer und -Entwick‐ lung bei multilingualen Kindern, die in einer mehrsprachigen Umgebung mit zwei Varietäten der Ergativsprache Walripi aufwachsen, untersucht hat. O’Shannessy kann Transfereffekte in beiden Varietäten nachweisen. Im Light Walripi (stärkere Validität von Wortstellung) nutzen besonders ältere Kinder mit der L1 Lajamaru Walripi ab ca. 5; 0 Jahren verstärkt Kasusmarker als valide cues. Kinder mit der L1 Light Walripi tun dies erst nach einem Alter von 5; 0 Jahren. Umgekehrt finden sich bei der Satzverarbeitung im Lajamaru Walripi höhere wortstellungsbasierte Satzinterpretationen durch Kinder mit der L1 Light Walripi, die die Autorin auf den cue-Einfluss der L1 bezieht. Neben dem L1-Transfer wird im Zuge der Satzverarbeitungsstudien beson‐ ders auch die Frage diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen L2-Sprecher zu einer für L1-Sprecher typischen Verarbeitung gelangen beziehungsweise ‚native-like‘ werden können. Ein zentrales Thema, das in der L2-Erwerbsfor‐ schung (besonders im Zuge der critical period-Debatte) extensiv bearbeitet wurde, ist die Frage nach dem Einfluss des Alters bei Erwerbsbeginn (vgl. für einen Überblick Birdsong 2006, Klein 1995, Meisel 2010). In Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Altersfaktor und cue-Transfer weist die Arbeit von Liu / Bates / Li (1992) darauf hin, dass ein spät einsetzender L2-Erwerb nach dem 16. Lebensjahr forward transfer-Mechanismen verstärkt. Bei Lernern, die die L2 Englisch (mit L1 Chinesisch) vor dem vierten Lebensjahr erworben haben, finden sich zwar ebenfalls L1-Transfereffekte, jedoch auch stärkere Tendenzen für einen backward transfer, also cue-Transfer von der L2 in die L1. Die Ergeb‐ nisse deuten darauf hin, dass bei einem L2-Erwerb im frühen Kindesalter L1-Transfer eine geringere Rolle spielt als bei Erwerbsbeginn im Erwachsenen‐ alter. Zugleich finden sich aber auch Hinweise darauf, dass Lerner, bei denen der L2-Erwerb erst im Erwachsenenalter eingesetzt hat, bei bestimmten Aufga‐ bentypen wie Grammatikalitätsurteilen Sprechern, bei denen der Erwerb im Kindesalter eingesetzt hat, überlegen sind (Montrul et al. 2013). Daneben zeigen Nguyen-Hoan / Taft (2010) anhand von erwachsenen bilingualen Sprechern mit den Ausgangssprachen Kantonesisch und Vietnamesisch, die einen frühen L2-Erwerb im Kindesalter (vor dem dritten Lebensjahr) durchlaufen haben, dass bei Sprechern mit phonotaktisch divergierenden Ausgangssprachen Unter‐ schiede im Bereich der phonologischen Verarbeitung in der L2 Englisch zu finden sind. Die Autoren weisen explizit darauf hin, dass hier L1-spezifische Charakteristika die phonologische Verarbeitung in der L2 begünstigen oder hemmen können. Insgesamt arbeiten die meisten dieser Studien vorwiegend mit 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 106 <?page no="107"?> erwachsenen Sprechern, die nach dem Faktor des Erwerbsbeginns differenziert werden. Basierend auf den Erkenntnissen, dass das Alter bei Erwerbsbeginn Verarbeitungsstrategien und -prozesse auch bei Sprechern, die einen frühen Er‐ werb durchlaufen haben, zu finden sind, lässt sich die These formulieren, dass cue-Transfer auch im Kindesalter (und eben nicht nur bei Erwachsenen) statt‐ finden kann. Studien, die sich dem Altersfaktor bei Kindern widmen, konzentrieren sich überwiegend auf die Frage, ob die Erwerbsbedingung (doppelter Erstspracher‐ werb vs. früher L2-Erwerb) ausschlaggebend dafür ist, ob Unterschiede zwi‐ schen bilingualen und gleichaltrigen einsprachigen Kinder im Erwerbsverlauf und bei der Verarbeitung von Sätzen auftreten (vgl. zum Beispiel Meisel 2009, Roesch / Chondrogianni 2016, Unsworth 2013). Besonders hervorzuheben ist im Zuge dieser Diskussion die Arbeit von Tsimpli (2014), die zeigt, dass Unter‐ schiede und Parallelen zwischen mono- und bilingualen Kindern auch davon abhängen, wann eine Zielstruktur der L2 in der jeweiligen L1 erworben wurde. Tsimpli findet Hinweise darauf, dass es Korrelationen zwischen dem Erwerbs‐ zeitpunkt einer Struktur in der L1 und ihrem Auftreten in der L2 zu geben scheint. Jedoch bezieht sich diese Argumentation auf Erwerbsverläufe, nicht auf Effekte bei der Satzverarbeitung. Trotzdem birgt die Studie von Tsimpli wichtige Impulse und verweist darauf, dass der Aufbau eines L2-Systems eng gekoppellt an die L1 und die darin verfügbaren Strukturen ist. Eng verknüpft mit dem Altersfaktor und seiner Relevanz für das Erreichen einer ‚native-like‘ Satzverarbeitung ist der Faktor der Kompetenz (vgl. zum Bei‐ spiel Rossi et al. 2006 sowie für einen Überblick Frenck-Mestre 2002). Der Ein‐ fluss des Sprachstandes auf das Erreichen einer native-like Verarbeitung ist für unterschiedliche Sprachkonstellationen und unterschiedliche Ebenen des Sprachgebrauchs belegt, so zum Beispiel für die Verarbeitung von Kasusformen in der L2 Spanisch ( Jegerski 2015) und der L2 Japanisch (Mitsugi / MacWhinney 2010) sowie für die Verbstellung in der L2 Englisch (Lee / Lu / Garnsey 2013) und der L2 Japanisch. Besonders Hopp (2006) und vor allem Jackson (2008) belegen für das Deutsche, dass bei objekttopikalisierten Sätzen eine native-like Verar‐ beitung möglich ist, sofern Sprecher eine hohe Kompetenz in der L2 erreichen. Sprecher mit einem niedrigeren Sprachstand favorisieren hingegen deutlich stärker die N1-Strategie. Jedoch verweisen sowohl van Hell / Tokowicz (2010) als auch Díaz et al. (2016) darauf, dass eine Interaktion einzelner Faktoren häufig ausschlaggebend dafür ist, wie nah sich L2-Sprecher einer L1-spezifischen Satz‐ verarbeitung annähern. Insbesondere Díaz et al. (2016) als auch Meulman et al. (2015) heben diesbezüglich den Faktor der typologischen Nähe und Distanz zwischen L1 und L2 als wichtigen, mit den anderen Einflussfaktoren interagier‐ 3.2 Cue-Transfer in mehrsprachigen Bedingungen 107 <?page no="108"?> enden Faktor heaus. So zeigen Meulman et al. (2015) am Beispiel von polnisch- und russischsprachigen Deutschlernern, dass sich das Alter des Erwerbsbeginns dann auf von monolingualen Sprechern abweichende Verarbeitungsmecha‐ nismen auswirkt, wenn die Zielstruktur einen besonders niedrigen Grad an Re‐ gularität hat (in der Studie das Genussystem des Deutschen). Entsprechende Effekte zeigen sich bei Lernern, die bei Erwerbsbeginn älter als 17 Jahre alt waren. Allerdings geht es in dieser Studie weniger darum, ob die Verarbeitungs‐ unterschiede auf einen L1-Transfer zurückzuführen sind. Vielmehr müssen die Ergebnisse als Plädoyer verstanden werden, Verarbeitungsunterschiede als Re‐ sultat interagierender Faktoren zu betrachten. Nicht zuletzt kann der forward transfer von allgemeinen typologischen Cha‐ rakteristika der Ausgangs- und Zielsprachen abhängen. Wie MacWhinney (2001a, 2005) betont, kann cue-Transfer (logischerweise) nur dann stattfinden, wenn die Ausgangs- und die Zielsprache über identische formale Marker ver‐ fügen. Dabei gilt im Rahmen des CM das Prinzip: „whatever can transfer will“ (vgl. MacWhinney 2005: 57). Ein cue wie die Belebtheit kann jenseits aller ein‐ zelsprachlichen Unterschiede immer transferiert werden, weil er in jeder Sprache relevant ist und keine grammatische Kodierungsform darstellt. Für grammatische cues gilt hingegen, dass ein Unterschied der einzelsprachlichen Validitätskriterien eines cues zwischen der L1 und der L2 zu einer code compe‐ tition (MacWhinney 2005) führen kann. Sind die cues in den beiden Sprachen jedoch gleich stark gewichtet beziehungsweise grundsätzlich verfügbar, ist der Reset der L1-strength nicht notwendig, sodass quasi ein direkter Transfer statt‐ finden kann (vgl. zum Beispiel auch Sasaki (1994) für japanische Lerner des Englischen, die Kasusmarker bei Pronomen als cues nutzen). Entsprechende Nachweise liefert zum Beispiel McDonald (1987) für bilinguale englisch-nieder‐ ländische und niederländisch-englische Sprecher, die gleichermaßen oft in Sätzen mit dativregierendem Verb das durch eine Präposition markierte Objekt unabhängig von der Satzposition der Phrase als Rezipiens auswählen. Die Prä‐ position als Rezipiens-cue hat in beiden Sprachen eine vergleichbar hohe Kon‐ fliktvalidität, was dazu führt, dass L2-Sprecher ihn in beiden Sprachen als ver‐ lässlichen Hinweis nutzen können. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Kilborn / Cooreman (1987) für den cue Wortstellung im Englischen und Nieder‐ ländischen. Auch neurolinguistische Arbeiten belegen, dass die Verfügbarkeit einer Struktur wie der Subjekt-Verb-Kongruenz in Ausgangs- und Zielsprache eine Annäherung an eine native-like-Verarbeitung begünstigen, wohingegen Strukturunterschiede entsprechende Divergenzen erzeugen (vgl. Zawiszewski et al. 2011). Wenn jedoch eine Kategorie in der Ausgangssprache nicht vor‐ handen ist, so kann auch nichts transferiert werden. So kann angenommen 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 108 <?page no="109"?> werden, dass ein Sprecher einer Sprache ohne Kasusmarker diese nicht als cues auf die Satzverarbeitung in der L2 übertragen kann, weil er die Markierung semantischer Rollen durch morphologische cues schlicht nicht kennt. Gleiches gilt umgekehrt für Sprecher, in deren L1 Kasusmarker die höchste Validität haben, und die eine flexionsarme Sprache wie das Englische lernen. Es gilt in solchen Fällen also, ein gänzlich neues cue-System zu etablieren. Dass dies möglich ist, zeigen unterschiedliche Studien. So belegen zum Beispiel Trenkic / Mirkovic / Altmann (2014), dass Sprecher mit der L1 Mandarin, das kein Artikelsystem kennt, die Referentialitätsfunktion von Artikeln in der L2 Eng‐ lisch in einer ähnlichen Weise verarbeiten wie englische L1-Sprecher. Jackson (2007) sowie Jackson / Dussias (2009) belegen zudem für englischsprachige Deutschlerner, dass sie Kasus-cues bereits bei einem mittleren Sprachstand in der L2 in einer ähnlichen Weise zur Konfliktresolution nutzen können wie deut‐ sche Muttersprachler. Zugleich weisen die Arbeiten vo Jiang (2004, 2007) sowie von Chen et al. (2007) mit chinesischsprachigen Englischlernern darauf hin, dass Struturen, die in der L1 gänzlich abwesend sind (bei Jiang Numerusflexion, bei Chen et al. Subjekt-Verb-Kongruenz) dazu führen können, dass Strukturverlet‐ zungen nicht verarbeitet werden. Alle drei Studien argumentieren dafür, dass das Fehlen der entsprechenden Struktur in der L1 zu einer fehlenden Sensitivität bei der Verarbeitung ungrammatischer Strukturen führen kann. Jenseits der Diskussion, ob eine ‚native-like‘ Verarbeitung von in der L1 nicht vorhandenen Strukturen überhaupt möglich ist, stellt sich auch die Frage, wie Sprecher vorgehen können, um das Fehlen eines in der L1 hochvaliden cues in der L2 zu kompensieren. Dabei ist es zum Beispiel möglich, auf andere konver‐ gierende cues zurückzugreifen. So kann Kilborn (1989) zeigen, dass deutsch‐ sprachige Lerner des Englischen die Subjekt-Verb-Kongruenz und den Be‐ lebtheitskontrast als primäre cues nutzen und damit das Fehlen morphologischer Kasusmarker im Englischen auffangen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Sasaki (1991) für japanischsprachige Lerner des Englischen sowie Kilborn / Ito (1989) für englischsprachge Lerner des Japanischen. Auch wenn diese Studien nicht explizit darauf eingehen, so kann aus den Ergebnissen gefolgert werden, dass der in der Hierarchie nachfolgende cue aus der L1 zum Einsatz kommt, wenn der hierarchiehöchste in der Zielsprache nicht verfügbar ist. Aus der Ar‐ beit von Sasaki (1994) geht zudem hervor, dass sich insbesondere Sprachan‐ fänger zunächst auf semantische Belebtheits-cues zu stützen scheinen. Nachdem der L1-spezifische dominante Wortstellungs-cue von englischen Sprechern in der L2 Japanisch relativ schnell aufgegeben wird, greifen die Probanden auf einen sprachübergreifenden cue zurück, bevor sie in der Lage sind, den L2-spe‐ zifischen und in diesem Fall morphologischen cue zu gebrauchen. Auch wenn 3.2 Cue-Transfer in mehrsprachigen Bedingungen 109 <?page no="110"?> dieses Ergebnis nur implizit aus Sasakis Studie ableitbar und bisher nicht durch andere Studien verifiziert ist, kann die These aufgestellt werden, dass Sprecher, deren L1 keine morphologischen cues besitzt, selbstverständlich grundsätzlich in der Lage sind, diese in der L2 als zuverlässige cues zu nutzen. Sie müssen jedoch beim Aufbau eines neuen cue-Systems einen Umweg über die Belebtheit gehen, die als eine Art Puffer zwischen der Aufgabe des dominanten L1-spezi‐ fischen cues (in diesem Fall die Wortstellung im Englischen) und der Adaption des validen L2-spezifischen cues (in diesem Fall Kasusmarker im Japanischen) fungiert. Die Orientierung an der Belebtheit kann deshalb als Übergangsstufe von einem topologischen zu einem lokalen cue-System dienen. Dass nicht nur cues zwischen der L1 und der L2 transferiert werden können, sondern auch die Validität einzelner cues in der Zielsprache bestimmen, ab wann ein cue für die Satzverarbeitung genutzt wird, können Kempe / MacWhinney (1998) anhand einer Studie mit englischsprachigen Lernern des Russischen und Deutschen zeigen. Wie in Kapitel 2 bereits ausgeführt, ist die Validität der Ka‐ susmarker im Russischen deutlich höher als im Deutschen, was sich auf den Zeitpunkt auswirkt, ab wann einsprachige Kinder Kasusmarker zur Konflikt‐ resolution nutzen (vgl. Pléh 1987). Eine höhere cue cost der Kasusmarker im Deutschen führt Kempe / MacWhinney (1998) zufolge auch im L2-Erwerb dazu, dass morphologische cues (bei gleicher Lerndauer) im Deutschen deutlich später zur Konfliktresolution genutzt werden als im Russischen. Die Frage ist also nicht, ob englischsprachige Lerner des Deutschen und Russischen morphologi‐ schen Markern eine hohe cue strength zuweisen, sondern ab wann sie das tun. Die einzelsprachliche Validität eines cues entscheidet dabei darüber, wann in der L2 die cues mit der höchsten Validität entdeckt werden und die cue strength der L1 ersetzen. Die als „gradual growth of cue strength” (MacWhinney 2005: 58) bezeichnete Entwicklung in der L2 wird also nicht nur durch die L1-spezi‐ fischen Form-Funktions-Paare, sondern auch durch die Validität der L2-spezi‐ fischen mappings determiniert. Dies kann wiederum dazu führen, dass L1-spe‐ zifische cues die Satzverarbeitung in der L2 unterschiedlich lange bestimmen können. Auch wenn all die bisher querschnittsartig erläuterten Parameter systema‐ tisch berücksichtigt werden, kann eine individuelle Variablität beim Grad des L1-Transfers nie vollständig ausgeschlossen werden. Trotz ähnlicher Lernerva‐ riablen kann die Satzverarbeitung individuellen Verarbeitungsstrategien und -mechanismen unterliegen (vgl. zu letzerem zum Beispiel Roberts 2012 sowie Tanner et al. 2013). Harrington (1987) arbeitet beispielsweise für japanische Lerner des Englischen heraus, dass Probanden innerhalb einer Gruppe unter‐ schiedliche Strategien zu nutzen scheinen. Bei einigen ist der forward transfer 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 110 <?page no="111"?> stärker als bei anderen, sodass ein großes Spektrum an Verarbeitungsvarianzen entsteht. Aufbauend auf dieser grundsätzlichen Tendenz schlagen Hernandez / Bates / Avila (1994) deshalb die Differenzierung von vier Verarbeitungsstrate‐ gien vor, die je nach Lerner ermittelt werden können: Neben dem forward und backward transfer lässt sich die amalgamation (Mischform: Nutzung von L1- und L2-cues in beiden Sprachen) und die differentiation (Separierung von L1-cues für L1- und L2-cues für L2-Verarbeitung) ausmachen. Für alle vier Typen finden sich in der online-Studie von Hernandez / Bates / Avila (1994) sowohl bei der Agens‐ wahl als auch bei der Verarbeitungsdauer Belege bei spanisch-englischen Pro‐ banden, sodass gefordert wird, individuelle Analysen vorzunehmen, um zu er‐ fassen, auf welcher Stufe des Kontinuums (von L1-basierter zu L2-basierter Satzverarbeitung) sich Sprecher befinden. Zu ähnlichen Folgerungen kommt auch Su (2001) für chinesisch-englische und englisch-chinesische Lerner. Für alle Studien kommt jedoch unter Umständen in Betracht, dass die individuellen Differenzen letztlich auch Resultat der zuvor skizzierten potentiellen Einfluss‐ faktoren sein können. Angesichts dessen argumentieren insbesondere Tanner et al. (2013) dafür, individuelle Verarbeitungsvariabilität stets als Abbildung un‐ terschiedlicher sprachlicher Entwicklungsstufen zu betrachten und betonen die Notwendigkeit, individuelle Analysen durchzuführen. Insgesamt lässt die querschnittsähnliche Übersicht über Bedingungen und Faktoren beim forward transfer in der Zweitsprache einige generelle Tendenzen erkennen. Einige Faktoren (Altersfaktor bei Erwerbsbeginn, Sprachstand in der L2) konzentrieren sich überwiegend darauf herauszuarbeiten, ob und unter wel‐ chen Umständen L2-Sprecher eine ‚native-like‘-Verarbeitung in der Zweit‐ sprache ausbilden können. Der potentiell mit diesen Faktoren interagierende Faktor des L1-Transfers ist in diesem Forschungszweig weniger stark repräsen‐ tiert. Das Gegenteil gilt für Studien, die Transfermechanismen im Allgemeinen und typologische Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen L1 und L2 im Besonderen in den Fokus rücken. Sie gehen weniger stark darauf ein, ob der Grad des Transfers von den oben genannten Faktoren abhängen kann. Diffe‐ renzieren lässt sich damit zwischen Studien, die lernerspezifische Faktoren in den Fokus rücken und denen, die sich auf einzelsprachliche sowie typologische, das heißt sprachsystemspezifische Faktoren stützen. In beiden Bereichen wird also ein stärkerer Fokus auf die eine oder andere, jedoch nur ansatzweise auf Interaktionsmechanismen zwischen den beiden Ebenen gelegt. Ebenso finden sich in letzterem Bereich Arbeiten, die sich mit transferbedingten Verarbei‐ tungsunterschieden bei Kindern beschäftigen, in nur sehr geringem Umfang (während das komplette Gegenteil für Fragen nach dem L1-Transfer bei Er‐ werbsverläufen und -stufen gilt, s. auch Kapitel 3.3). Zusammengenommen lässt 3.2 Cue-Transfer in mehrsprachigen Bedingungen 111 <?page no="112"?> sich also folgern, dass Arbeiten zur Satzverarbeitung bei Kindern, die den Faktor des L1-Transfers unter Berücksichtigung typologischer Varianzen sowie wei‐ terer möglicher Einflussfaktoren wie Sprachstand in der Zielsprache oder das Alter bei Erwerbsbeginn berücksichtigen, bisher nicht existieren. Bündelt man die bisherigen Ergebnisse zu cues in der Satzverarbeitung, lässt sich für Bedingungen, in denen sich ein cue-System noch in der Entwicklung be‐ findet, folgendes Bild zeichnen: In kasushaltigen Sprachen verknüpfen Lerner sprachübergreifend zunächst die Konstruktion N>N und erst danach Kasus‐ marker mit der Funktion, semantische Relationen im Satz zu kennzeichnen. Wie stark die Wortstellung respektive Kasusmarker als cues für die Satzinterpreta‐ tion in einsprachigen Erwerbsbedingungen genutzt werden, hängt von ihrer Validität und cue cost ab. In Hinblick auf eine cue strength-Modifikation lässt sich so die Sequenzierung Wortabfolge > Kasusmarker ausmachen. Daneben beeinflusst auch zumindest zwischenzeitlich die Belebtheit der Konstituenten den Verarbeitungsprozess, wobei ein Agens mit [+ B E L E BT ] und ein Patiens mit [- B E L E BT ] verknüpft wird. Diese ‚semantische Phase‘ wird in einigen Studien als Vorläufer eines grammatisch basierten cue-Systems betrachtet. Somit lässt sich für einsprachige Erwerbsbedingungen folgende hierarchische cue strength-Ab‐ stufung annehmen: Belebtheitskontrast > Konstituentenabfolge > Kasusmarker. Bei der Satzverarbeitung in der L2 können in der L1 ausgebildete Form-Funk‐ tions-Paare transferiert werden, sofern Ausgangs- und Zielsprache über ähn‐ liche cue-Systeme verfügen. Hat zum Beispiel in der Ausgangssprache die Wort‐ stellung die höchste Validität, so werden Sätze in der L2 zunächst auch auf Basis der Wortstellung verarbeitet. Was passiert, wenn sich die cue-Systeme zwischen L1 und L2 grundlegend unterscheiden, ist nicht abschließend geklärt. Eindeutig feststellbar ist lediglich, dass der Aufbau neuer Form-Funktions-Paare prinzi‐ piell möglich ist. Unklar ist hierbei, in welchen Schritten Lerner dabei eine L2-angemessene cue strength aufbauen und ob sie dabei ebenfalls nach dem Muster vorgehen, das für einsprachige Entwicklungsbedingungen identifiziert wurde. Aufbauend auf den Erkenntnissen von Sasaki (1994) ist zumindest denkbar, dass die Belebtheit eine Art Einstiegs-cue darstellt. Ob daran dann wie in L1-Kontexten auch zunächst eine Wortstellungsstrategie greift, bevor sich Kasusmarker duchsetzen, ist offen. Die Desiderata, die sich in Anlehnung an die kontrastive Gegenüberstellung in Kapitel 2 und die Erkenntnisse zu Satzverarbeitungsstrategien in den Kapiteln 3.1 und 3.2 ergeben, lassen sich auf drei Punkte reduzieren: Erstens muss erfasst werden, welche Funktion einzelne Kasusformen sowie ihre Relation zu Belebt‐ heitsmerkmalen im Aufbau eines zuverlässigen cue-Systems im Deutschen ein‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 112 <?page no="113"?> 3.3 nehmen. Zweitens muss ermittelt werden, ob und wie sich typologisch diver‐ gierende sprachliche Ausgangsbedingungen, nämlich die Existenz eines Kasussystems im Russischen gegenüber einem Fehlen desselben im Nieder‐ ländischen, auf die Satzverarbeitung im Deutschen auswirken. Drittens müssen diese beiden Ebenen verknüpft werden, sodass deutlich wird, ob auch in mehr‐ sprachigen Bedingungen Verarbeitungsstrategien an einzelne Formen geknüpft werden. Zentral dabei ist auch die Frage, in welchem Verhältnis die cues Be‐ lebtheit, Konstituentenabfolge und einzelne Kasusmarker während des Auf- und Ausbaus eines cue-Systems stehen. Bevor diese Fragen systematisch abgearbeitet werden, soll jedoch erörtert werden, ob Parallelen zwischen Satzverarbeitungsstrategien und Erwerbspro‐ zessen und -sequenzen bei Kindern in ein- und mehrsprachigen Erwerbsbedin‐ gungen bestehen. Dieser Schritt soll einerseits erfassen, inwiefern sich die für die Satzverarbeitung herausgearbeitete Hierarchisierung von cues auch im Ge‐ brauch abbildet. Mithilfe des Überblicks soll auch der Frage nachgegangen werden, welche Rolle einzelne Marker bei der Realisierung einzelner semanti‐ scher Rollen sowie ihrer Relationen spielen. Im Zentrum steht damit im Fol‐ genden das mapping von Funktionen auf Formen. Belebtheit, Satzschema und Kasusmarker im Erwerb - Mehr- und einsprachige Perspektiven Satzverarbeitungsstudien richten den Blick auf die Frage, ob und wie die ober‐ flächensprachlichen Strukturen Kasusmarker und Satzmuster mit Bedeutungen gefüllt werden. Die Bedeutung ist in diesem Fall die semantische Relation zwi‐ schen zwei semantischen Rollen innerhalb einer transitiven Handlungsbedin‐ gung. Wie in den Kapiteln 3.1 und 3.2 deutlich wurde, kann dieses mapping von Formen auf Funktionen als Beleg dafür angeführt werden, dass Sprecher stets darum bemüht sind, Strukturen mit Funktionen zu füllen. Auch wenn die spre‐ cherspezifische cue strength variieren kann, so zeigt eine Reihe unterschiedlicher Studien, dass syntaktische cues (hierbei das Satzschema N>N) besonders in Be‐ dingungen, in denen sich ein einzelsprachliches cue-System noch im Ausbau befindet, hierarchisch höher gewichtet sind als morphologische. Beim Entpa‐ cken von Informationen können wir deshalb von einer Art Top-Down-Strategie sprechen. Eine semantische Skizze für Rollenrelationen wird zunächst auf der Basis der Konstituentenabfolge generiert. Die Stärke der Verknüpfung zwischen der linearen Abfolge N>N und der semantischen Relation A G EN S → N ICHT -A G EN S ist sprachübergreifend besonders hoch. Erst das Hinzukommen 3.3 Belebtheit, Satzschema und Kasusmarker im Erwerb 113 <?page no="114"?> von validen Kasusmarkern kann diese Verknüpfung schwächen und die Syntax als wichtigsten cue letztlich aushebeln. Ausgehend von diesen Erkenntnissen stellt sich die Frage, ob sich die hierar‐ chische Gewichtung zwischen syntaktischen und morphologischen cues auch in der Produktion wiederfindet. Das würde bedeuten, dass semantische Relati‐ onen zunächst mithilfe spezifischer syntaktischer Einheiten kodiert werden, während Kasusmarker erst hinzukommen sollten, wenn sich ein festes syntak‐ tisches Muster bereits etabliert hat. Die ‚Verpackung‘ der Relation A G EN S → N ICHT -A G EN S wäre damit in der Produktion ein Bottom-Up-Prozess, bei dem Funktionen schrittweise zunächst mit syntaktischen Schemata korrespondieren und erst nach Etablierung dieser Verbindung wiederum schrittweise durch spe‐ zifische Marker ergänzt werden. Zu fragen ist hierbei auch nach der Rolle der Belebtheit. Wie in 3.1 deutlich wurde, stützen sich besonders Kinder immer wieder auf semantische Informationen und verknüpfen hierbei Agentivität mit Belebtheit, Nicht-Agentivität hingegen mit Unbelebtheit. Für die Produktion lässt sich die Vermutung aufstellen, dass erste syntaktische Einheiten genau diese Opposition (A G E N S [+ B E L E B T ] → N ICHT -A G EN S [- B E L E B T ] ) abbilden. Der fol‐ gende Forschungsüberblick soll Aufschluss darüber geben, ob diese in der Ver‐ arbeitung identifizierten cues in ihrer Gewichtung und in der entsprechenden Reihenfolge auch in der Produktion zu finden sind. Differenziert wird hierbei zwischen mehr- und einsprachigen Kindern. Der Fokus liegt jeweils auf Strate‐ gien im Deutschen, wobei Erkenntnisse zu anderen Sprachen in Fällen, wo die Datenlage fundierte Aussagen nicht zulässt, hinzugezogen werden. Beginnen wir zunächst mit dem für jüngere Kinder relevanten Be‐ lebtheits-cue. Erkenntnisse zu der Frage, ob erste syntaktische Äußerungen eine semantische Dichotomie zwischen belebten und unbelebten Aktanten ent‐ halten, finden sich für das Deutsche nur vereinzelt (so zum Beispiel bei Bittner (2006) und Wegener (1995b), wobei bei letzterer eher implizit). Besser doku‐ mentiert ist die Rolle der Belebtheit für das Englische (vgl. für einen Überblick Clark 2009 sowie spezifischer Brown 1973 und Tomasello 1992). Gemein ist den Untersuchungen zum Englischen, dass frühe syntaktische Muster bereits wäh‐ rend der Zwei-Wort-Phase eine Systematik aufweisen, die darin besteht, dass bei Realisierung eines Agens und eines Nicht-Agens die häufigste Abfolge A G E N S > N ICHT -A G E N S ist (zum Beispiel man hat [Mann Hut] für man wears a hat [Mann trägt einen Hut]). In Hinblick auf die Belebtheit sind agentivische Rollen in solchen und anderen Mustern (zum Beispiel [A G E N S + A KTION ]) in der Regel belebt. Unbelebte Lexeme kommen hingegen meist in nicht-agentivischen Bedingungen vor (zum Beispiel in der Struktur [Aktion + Objekt]). Insgesamt lassen sich diesen Erkenntnissen zwei Aspekte entnehmen: Zum einen scheint 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 114 <?page no="115"?> es zumindest eine Tendenz dazu zu geben, in ersten syntaktischen Einheiten ein belebtes Agens und - sofern es sich um eine transitive Struktur handelt - ein unbelebtes Patiens beziehungs Nicht-Agens zu verwenden. Dies bedeutet nicht, dass Struturen mit einem unbelebten Agens (zum Beispiel Auto fahren für Das Auto fährt) gar nicht vorkommen. Es geht eher um eine Häufigkeitsverteilung zwischen diesen beiden Bedingungen als um die Exklusivität einer spezifischen Belebtheitsopposition. Zugleich stellt sich besonders bei jüngeren Kindern die Frage, was als belebt und was als unbelebt klassifizierbar ist. Ein Auto kann durchaus als belebt konzeptualisiert werden, da es oberflächlich einige Mand‐ ler’schen Belebtheitsbedingungen (zum Beispiel selbstständige Bewegung) er‐ füllt. Somit ist es schwer zu entscheiden, ob in einer Äußerung wie Auto fährt ein belebtes oder unbelebtes Agens vorliegt und ob es sich hier überhaupt um ein Agens handelt. Jenseits von diesen schwer zu klassifizierenden Beispielen lässt sich jedoch festhalten, dass eine prototypische Verknüpfung zwischen spe‐ zifischen Belebtheitsmerkmalen und spezifischen semantischen Rollentypen zumindest denkbar ist. Nun ist diese Verknüpfung zunächst nicht besonders überraschend. Schließ‐ lich ist es höchst unwahrscheinlich, dass unbelebte Gegenstände agentivisch tätig werden. In der Regel handelt es sich in entsprechenden Fällen dann auch gar nicht um ein Agens (wie zum Beispiel in Sätzen wie Der Schlüssel öffnet die Tür), sondern zum Beispiel um ein Instrument. Dass die obigen Äußerungen damit eher ein Weltwissen als eine spezifische Kodierungsstrategie abbilden, ist deshalb mehr als wahrscheinlich. Trotzdem ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Untersuchungen zur Belebtheit als cue eine gewissene Regelmäßigkeit zwischen beobachteten Handlungsabläufen und letztlich produzierten Satzmus‐ tern offenbaren. Diese Regelmäßigkeit kann in der Verarbeitung dann auch dazu führen, dass unterschiedliche Belebtheitsinformationen als cues für unterschied‐ liche Rollen fungieren. Was sich also zunächst als Weltwissen manifestiert, bildet sich besonders in der Satzverarbeitung ab. Zugleich führt die Verbindung zwischen Belebheit und syntaktischer Einheit in der Sprachentwicklung zu der Frage, ob die Belebtheit als ein selbstständiger Kode für semantische Rollen fungiert oder vielmehr ein integraler Bestandteil von syntaktischen Strukturen ist. Im Prinzip lässt sich diese Verbindung zwi‐ schen syntaktischen Mustern und prototypischen Belebtheitsmerkmalen kaum auseinanderhalten. Die eine ist fast automatisch mit der anderen da. Ohne eine syntaktische Struktur ist auch keine Belebtheitsinformation verfügbar, die Be‐ lebtheit ist im Satz - auf welche Weise auch immer - automatisch auch ent‐ halten. Deshalb ist es aussagekräftiger, syntaktische Muster im Erwerb zu iden‐ tifizieren und danach zu fragen, ob der Ausbau eines transitiven Satzes im 3.3 Belebtheit, Satzschema und Kasusmarker im Erwerb 115 <?page no="116"?> 10 Korrekterweise muss hier vom Erwerb des Deutschen als Fremdsprache gesprochen werden und nicht - wie der Titel der Arbeit suggeriert - vom Deutschen als Zweit‐ sprache. Deutschen spezifischen Prinzipien und Schritten folgt, die Auskunft darüber geben, warum die Konstituentenabfolge bei der Satzverarbeitung über einen relativ langen Zeitraum eine so wichtige Rolle spielt. Anders als zu der Rolle der Belebtheit findet sich für den Ausbau syntaktischer Muster eine Fülle von Studien für den ein- und mehrsprachigen Erwerb im Deutschen. Für letztere Bedingung ist zunächst die umfassend rezipierte ZISA -Studie (Zweitspracherwerb italienischer und spanischer Arbeiter) zu nennen, in der Clahsen / Meisel / Piennemann (1983) eine offenbar von der L1 der Lerner unabhängige Erwerbsreihenfolge bei Erwachsenen ermitteln, die Pienemann (1981) zufolge genauso auch im kindlichen Erwerb zu finden ist. Beide Untersuchungen nehmen folgende Erwerbsreihenfolge an: Sobald Lerner damit beginnen, mehrere Konstituenten zu kombinieren, entwickelt sich eine zunächst relativ feste Wortstellung, nämlich ‚ NP (Aux / Mod) V ( NP ) ( PP ) ( PP )‘ (zum Beispiel ich mötte eine sohn, faule deutsche drink kakao, ich nicht schlecht gesagt von deutsche). Das syntaktische Muster sieht damit zunächst so aus, dass mindestens ein Subjekt sowie ein finites Verb gebraucht werden ( SV ). Diese Basis kann um weitere postverbale Konstituenten in Form von Nominal- und / oder Präpositionalphrasen erweitert werden. Die primär erworbene Struktur ist damit zunächst SV , die dann um eine zweite Ergänzung erweitert wird, sodass die Struktur SVX entsteht. Im Erwerbsverlauf folgt daraufhin der Gebrauch von vorangestellten Adverbialen, wobei die hier geforderte Subjekt-Verb-Inversion (zum Beispiel Dann kam der Mann) nicht realisiert wird. Stattdessen übergene‐ ralisieren die Lerner die SV (O)-Stellung (zum Beispiel *Dann der Mann kam). In der nächsten Phase werden zunächst Partikelverben und damit die Verbklammer erworben. Erst danach kommen zielsprachliche Inversionsstrukturen dazu. Zu‐ letzt wird schließlich die Verbletztstellung erworben. Grießhaber (2006) bestä‐ tigt diese Erwerbssequenzen weitgehend für Grundschullerner mit der L1 Tür‐ kisch, Haberzettl (2005) für kindliche Lerner mit den L1 Türkisch und Russisch und Jabnoun (2006) für Lerner mit der L1 Arabisch. Die ersten Erwerbsphasen werden weiterhin sowohl von Diehl et al. (2000) 10 sowie Jansen (2008) für den gesteuerten L2-Erwerb als auch von Reich / Roth (2004) für den frühkindlichen L2-Erwerb bestätigt. Diese Stufen scheinen selbst dann den Erwerbsverlauf zu dominieren, wenn sich die Wort- und Verbstellungsmuster zwischen Ausgangs- und Zielsprache sehr ähneln, wie zum Beispiel Håkasson / Pienemann / Sayehli (2002) für schwedischsprachige Lerner des Deutschen zeigen (vgl. auch Piene‐ mann et al. 2005). Unterschiedliche Ergebnisse finden sich lediglich in Bezug auf 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 116 <?page no="117"?> 11 Mills verweist darauf, dass SVO nicht zwangsweise die dominante Wortfolge sein muss, da Varianten je nach Satztyp durchaus vorkommen (zum Beispiel SOV). Allerdings lässt sich aus ihren Beispielen ableiten, dass sich diese Varianz erneut überwiegend auf die Verbposition bezieht. Eine Umkehrung der nominalen Elemente von S>O zu O>S findet sich nicht. 12 Insgesamt wird in der L2-Erwerbsforschung der Einfluss unterschiedlicher Variablen auf Erwerbsprozesse intensiv diskutiert. Eine genauere Auseinandersetzung mit Fak‐ toren wie Alter bei Erwerbsbeginn, sozioökonomischem Status oder Kompetenzniveaus in der L1 und L2 würde jedoch an dieser Stelle zu weit führen. Es sei an dieser Stelle deshalb lediglich auf einige aktuellere Arbeiten verwiesen, die zum Beispiel in Ma‐ rinis / Hulk (2011) zusammengetragen sind. die Frage, ob die S-V-Inversion oder die Verbletztstellung zuerst erworben wird. Für die Reihenfolge Verbletzt > Inversion plädieren sowohl Diehl et al. (2000) als auch Reich / Roth (2004). L1-Studien bestätigen diesen Erwerbsverlauf wei‐ testgehend (vgl. zum Beispiel Jordens 1988, Meisel 1986, Mills 1985). 11 Gleiches gilt auch für den bilingualen L1-Erwerb (vgl. Parodi 1990). Lässt man wie in der bisherigen Argumentation auch hier die Position des Verbs außen vor, lässt sich folgern, dass die zuerst erworbene Konstituentenab‐ folge S>O zu sein scheint (vgl. auch Kostyuk 2005). Es kann damit gefolgert werden, dass trotz der syntaktisch möglichen Variabilität der Konstituenten im Deutschen, die kanonische Satzstruktur den ersten wichtigen Schritt in der Ent‐ wicklung der Syntax bildet. Dieser Schritt gilt im Übrigen auch für Sprachen, die eine deutlich höhere Wortstellungsvarianz zulassen als das Deutsche. So dominieren SO -Strukturen auch den frühen L1- Erwerb im Türkischen und Serbo-Kroatischen (vgl. Slobin 1982), im Russischen (vgl. Dyakonova 2004) sowie (logischerweise) in Sprachen wie dem Niederländischen, die eine rigide Konstituentenabfolge haben (vgl. Jordens 1988). Die Rigidität der SO -Struktur im Deutschen gilt überdies über jegliche Alters- und Sprachgrenzen hinweg, da diese Basiswortstellung von Lernern unterschiedlicher Ausgangssprachen (vgl. dazu auch VanPatten / Borst 2012 für englischsprachige Lerner des Deutschen) genauso zuerst erworben wird wie von kindlichen Lernern unterschiedlichen Alters (Kindergarten- und Grundschulalter). Das Erwerbsalter wirkt sich vor allem darauf aus, wie schnell die Erwerbsphasen durchlaufen werden (vgl. Czinglar 2014). In Bezug auf einen möglichen Einfluss der L1 (sofern diese eine andere Basiswortstellung aufweist als die Zielsprache) verweist Haberzettl (2005) am Beispiel von russisch- und türkischsprachigen Deutschlernen darauf, dass die L1-bedingten Unterschiede ähnlich wie beim Altersfaktor eher quanti‐ tativer als qualitativer Natur sind (vgl. auch Schwartz 1997). 12 Die Tatsache, dass S>O (beziehungsweise in den Studien SVO ) unabhängig von möglichen Einflussfaktoren wie Alter oder L1 als erstes festes Satzmuster 3.3 Belebtheit, Satzschema und Kasusmarker im Erwerb 117 <?page no="118"?> entsteht, hat dazu geführt, dass Klein / Perdue (1992), Klein (2000) sowie Klein / Dimroth (2003) die Struktur als ein zentrales Charakteristikum einer Basisva‐ rietät betrachten. Klein (2000: 18) beschreibt diese Basisvarietät als eine strukturell relativ geschlossene, in sich weitgehend konsistente Sprachform […], die offenkundig vielen kommunikativen Bedürfnissen genügt und für etwa ein Drittel der Lerner zugleich auch die Endstufe ihrer Entwicklung bildet. Neben dem syntaktischen Muster zeichnet sich diese Basisvarietät durch das Fehlen geschlossener Wortklassen und Flexionskategorien aus. Die Idee der Ba‐ sisvarität macht einerseits die hierarchische Gewichtung zwischen Syntax und Morphologie deutlich. Andererseits lässt sie sich auch mit den Annahmen der Prototypentheorie verknüpfen. Das syntaktische Muster kann dabei als wich‐ tigster Vertreter für die Enkodierung semantischer Relationen verstanden werden. Ausgehend von diesem Prototypen können komplexere Strukturen auf- und ausgebaut werden. Ähnlich ist auch die Argumentation von Slobin / Bever (1982) zu verstehen, die davon ausgehen, dass Kinder sehr früh einzelsprach‐ spezifische kanonische Satzschemata (inklusive prosodischer und morphosyn‐ taktischer Merkmale) ausbauen. Diese prototypischen Schemata fungieren dann auch bei der Satzverarbeitung als Basis. Was Slobin / Bever für den den L1-Er‐ werb annehmen, scheint auch für den L2-Erwerb zu gelten. Auch hier wird zu‐ nächst ein kanonischer Prototyp etabliert, auf dem der Aufbau weiterer syn‐ taktischer Muster als auch die Satzverarbeitung fußt. Der Umstand, dass ein syntaktisches Basismuster unabhängig von der Aus‐ gangssprache den ersten Schritt bei der Entwicklung weiterer Satztypen mar‐ kiert, wird je nach theoretischer Position unterschiedlich bewertet und disku‐ tiert. Faktoren wie universalgrammatische Verankerung und inputsensitive Analyse der Zielsprache stehen sich hierbei oppositionell gegenüber und werden als mögliche Gründe diskutiert. Jenseits dieser Diskussion belegen die Erkenntnisse eine in Kapitel 3.1 bereits identifizierte Tendenz. Sprachübergrei‐ fend dient ein transitives Satzmuster nicht nur als wichtigster grammatischer cue, sondern tritt auch als erstes, sehr robustes Satzmuster im L1- und L2-Erwerb im Deutschen auf. Was in den benannten Studien nicht explizit angesprochen wird, ist der Zusammenhang zwischen syntaktischen und semantischen Rollen. Ob S und O tatsächlich immer Agens und Nicht-Agens entsprechen, lässt sich deshalb vor allem implizit aus einigen Studien ableiten. So weisen zum Beispiel Czinglars (2014) Ergebnisse darauf hin, dass russischsprachige Kinder die im Russischen häufiger vorkommende OVS -Struktur deutlich früher in der Ziel‐ sprache Deutsch gebrauchen als Lerner mit anderen Ausgangssprachen wie Ita‐ lienisch. Die Tatsache, dass die Objekttopikalisierung hier hervorgehoben wird, 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 118 <?page no="119"?> ist zumindest ein Indikator dafür, dass nicht-kanonische Bedingungen selten auftreten. Czinglar (2014: 209) zufolge ist das Auftreten entsprechender Fälle zudem kontextuell sehr stark eingeschränkt. So treten OS -Sätze zunächst mit Verben auf, die eine explizite Sprecherhaltung und damit die Position des Spre‐ chers zu einem spezifischen Sachverhalt zum Ausdruck bringen (zum Beispiel mir haben die robben und die hai gefallen). Zugleich legt das Beispiel die Ver‐ mutung nahe, dass die Objekttopikalisierung womöglich zunächst mit transpa‐ renten (pronominalen oder nominalen) Markern verwendet wird. Geht man von einer prototypischen Korrelation zwischen syntaktischen und semantischen Rollen aus, steht die Konstituentenabfolge S>O für die Abfolge A G E N S > N ICHT -A G E N S . Dass vereinzelt die Objekttopikalisierung als untypisch hervorgehoben wird und im Erwerbsprozess verzögert auftritt, belegt besonders mit Blick auf die jeweiligen Beispiele, die für OS -Sätze angeführt werden, die prototypische Syntax-Semantik-Korrespondenz. Somit lässt sich folgern, dass sowohl im L1als auch im L2-Erwerb Deutsch die kanonische Abfolge S>O als Abbildung von A G E N S > N ICHT -A G E N S sehr früh in der Produktion etabliert wird. Womöglich - jedoch nicht bestätigt - geht dieses Muster zudem auch mit einer prototypischen Belebtheitsopposition einher. Bezieht man die kognitive Per‐ spektive aus Kapitel 2.3 mit ein, wird dieses Muster zu N>N abstrahiert und mit spezifischen Merkmalen verknüpft. Ausgehend von diesen Annahmen und Er‐ kenntnissen stellt sich automatisch die Frage, wodurch ein ‚Aufbrechen‘ des Satzmusters bedingt wird. Damit rückt die Relevanz von morphologischen Ka‐ susmarkern und ihrer Relation zur Syntax in den Fokus. Grundsätzlich sind sich die meisten Erwerbsstudien zum Kasus darin einig, dass zunächst der Nominativ, dann der Akkusativ und zuletzt der Dativ erworben wird (vgl. Baten 2011, Diehl et al. 2000, Kaltenbacher / Klages 2006, Schönen‐ berger / Sterner / Rothweiler 2013, Turgay 2011, Wegener 1995b). Die Erwerbs‐ reihenfolge entspricht weitestgehend dem L1-Erwerb (vgl. Clahsen 1984, 1988, Czepluch 1986, Eisenbeiss / Bartke / Clahsen 2006, Meisel 1986, Mills 1985, Szagun 4 2011, Tracy 1984). Dass es eine relativ strikte Abfolge von NOM > AKK > DAT gibt, wird besonders in Kontexten ersichtlich, in denen der Akkusativ auf den Dativ übergeneralisiert wird (zum Beispiel Ich helfe den Mann oder Ich sitze auf den Baum). Der umgekehrte Fall, nämlich die Übergeneralisierung des Dativs auf den Akkusativ, kommt hingegen zumindest im L2-Erwerb kaum vor. Im L1-Erwerb sprechen einige Befunde für die exklusive Übergeneralisierung von Akkusativauf Dativmarker (zum Beispiel Korecky-Kröll / Dressler 2009, Mills 1985), während andere durchaus eine Art Vermischung zwischen Akku‐ sativ- und Dativformen und somit keine klare Übergeneralisierungsrichtung 3.3 Belebtheit, Satzschema und Kasusmarker im Erwerb 119 <?page no="120"?> 13 Vgl. für einen aktuelleren Überblick zum Thema Transfer im L2-Erwerb Alonso Alonso (2016). belegen (s. zum Beispiel Eisenbeiss / Bartke / Clahsen 2006, Meisel 1986). Obwohl kein eindeutiger Konsens darüber besteht, ob es sich um eine ‚echte‘ Überge‐ neralisierung handelt oder um eine Art Herausforderung, zwischen obliquen Formen zu differenzieren, gehen die meisten Studien von ersterem Fall aus. Deshalb wird häufig angenommen, dass Lerner zunächst ein Ein-Kasus-System (nur NOM -Formen), danach ein Zwei-Kasus- ( NOM vs. AKK -Formen) und schließlich ein Drei-Kasus-System ausbilden (vgl. Diehl et al. 2000, Kaltenba‐ cher / Klages 2006). Ähnlich wie bei der Entwicklung eines S>O-Musters scheint auch der hierarchische Aufbau von Kasusmarkern gegen Faktoren wie L1 oder Alter ‚resistent‘ zu sein. Die Stufen NOM > AKK > DAT lassen sich zum Beispiel sowohl für russischals auch für türkisch- und französischsprachige Lerner (vgl. dazu Wegener 1995b sowie Diehl et al. 2000) als auch für ältere Lerner des Deut‐ schen als Fremdsprache (vgl. Baten 2011) nachweisen. Diskutiert wird in Hin‐ blick auf diese Abfolge vor allem, ob sie innerhalb von NP s und PP s identisch ist oder nicht (vgl. zum Beispiel dazu Bast 2003, Baten 2011, Turgay 2011). Die Rigidität dieser Erwerbsfolge wird (ähnlich wie beim Ausbau des syn‐ taktischen Musters) je nach theoretischer Position unterschiedlich interpretiert (vgl. für einen Überblick Eisenbeiss / Narasimhan / Voeikova 2008). Zudem wird auch in Hinblick auf Transfermechanismen 13 diskutiert, ob die Geschwindigkeit beim Durchlaufen der einzelnen Erwerbsstufen von kontrastiven Faktoren zwi‐ schen Ausgangs- und Zielsprache beeinflusst werden kann. Besonders Kupisch (2007a, 2007b) sowie Luk / Shirai (2009) plädieren in Hinblick auf den Erwerb des Artikelsystems im Deutschen dafür, dass typologische Nähe beziehungs‐ weise Ferne allenfalls quantitative Auswirkungen auf Erwerbssequenzen haben kann. Ein Überspringen der Erwerbsstufen ist jedoch nicht möglich, was zum Beispiel auch eine zentrale Annahme der Processability Theory (Pienemann 1998) ist. Jenseits dieser Diskussionen ist für die vorliegende Fragestellung jedoch vor allem die Frage nach der Verknüpfung von einzelnen semantischen Rollen mit spezifischen Formen interessant. Der Erwerb des NOM , wie er in den Erwerbs‐ stufen angenommen wird, würde der Verwendung der drei Formen der, die und das entsprechen. Weitere Formen kämen beim Erwerb des AKK (den, die, das) und Dativs (dem, der) hinzu. Die oben erwähnten Studien gehen nur vereinzelt der Frage nach, inwiefern innerhalb der Paradigmen gegebenfalls eine spezifi‐ sche Formenpräferenz auszumachen ist oder ob jeweils das gesamte Kasuspa‐ radigma erworben wird. Kaltenbacher / Klages (2006) stellen zum Beispiel he‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 120 <?page no="121"?> 14 In (frühen) generativen Ansätzen wird hierbei von abstrakten Kasus gesprochen, deren oberflächensprachliche Realisierung nicht zwangsweise morphologisch sein muss. raus, dass Lerner zunächst gar keine Trägerelemente, das heißt weder Artikel noch Adjektive realisieren, an denen eine Kasusmarkierung sichtbar werden könnte. Sobald Determinierer realisiert werden, beschränkt sich deren Ge‐ brauch auf die Formen der und die, die gleichermaßen als Subjekt- und Objekt‐ marker fungieren. Erst danach bildet sich ein zweigliedriges Kasussystem aus, in dem die Formen der / die ausschließlich als Subjekt- und den als Objektmarker gebraucht werden. Die Form das kommt den Autorinnen zufolge erst vor, nachdem sich dieses zweigliedrige System ausgebildet hat, und fungiert dann primär als Objektmarker. Kaltenbacher / Klages bestätigen damit Jeuks (2008) sowie Wegeners (1995b) Ergebnisse weitgehend, die zu ähnlichen Befunden kommen. Somit entsteht offenbar eine Art Dichotomie zwischen der / die als Subjekt- (und damit auch Agens-)markern und den als Objektbeziehungsweise Nicht-Agens-Marker. Den scheint Kostyuk (2005) zufolge eine der ersten obli‐ quen Formen überhaupt zu sein und wird offenbar pauschal als Marker für Nicht-Agentivität auf alle nicht-agentivischen Kontexte übertragen. Eine Ge‐ nusdifferenzierung ist hierbei tendenziell genauso untergeordnet wie die Not‐ wendigkeit, formal zwischen unterschiedlichen nicht-agentivischen Formen zu differenzieren. So zeigen Kaltenbacher / Klages (2006), dass den auch für Femi‐ nina und Neutra in nicht-agentivischen Bedingungen (zum Beispiel als Der Mann sieht den Kind / den Frau) verwendet wird, wobei ihr erstes Vorkommen tendenziell auf Maskulina begrenzt sein kann (vgl. Bast 2003). Wegener (1995b) beobachtet, dass bei zweiwertigen Verben (zum Beispiel helfen) den so gut wie immer anstatt der Dativform dem gebraucht wird. Innerhalb von transitiven Bedingungen dominiert somit zunächst die Dichotomie der / die versus den. Erst wenn diese erste morphologische Differenzierung etabliert ist, wenden sich die Lerner dem Dativ zu. Das Hinzukommen einer zweiten Form ist höchst‐ wahrscheinlich an den Aufbau eines ditransitiven Satzes geknüpft. Es müssen also überhaupt ditransitive Bedingungen produziert werden, bevor der Ge‐ brauch einer weiteren Form notwendig wird (vgl. zum Ausbau ditransitiver Muster im L2-Erwerb Schmitz 2006). Wegeners (1995b) Ergebnisse lassen darauf schließen, dass Lernern unabhängig von vermeintlichen ‚Formfindungsschwie‐ rigkeiten‘ die Funktion des Dativs durchaus bewusst ist. Bevor ein morpholo‐ gischer Kasus verwendet wird, wird das indirekte Objekt (und damit prototy‐ pisch das Rezipiens) zunächst durch die Konstituentenabfolge ‚Subjekt > Verb > indirektes Objekt > direktes Objekt‘ markiert. Die Kennzeichnung semanti‐ scher Relationen erfolgt also zunächst strukturell. 14 Dabei sind direkte Objekte 3.3 Belebtheit, Satzschema und Kasusmarker im Erwerb 121 <?page no="122"?> in den von Wegener analysierten Daten meist unbelebt, indirekte Objekte hin‐ gegen so gut wie immer belebt. Die strukturelle Differenzierung geht damit mit einem durch die Satzglieder kodierten prototypischen Belebtheitskontrast einher. Sobald Kasusmarker verfügbar sind, werden diese in entsprechenden Satzmustern, das heißt vorwiegend in ditransitiven Strukturen, eingesetzt. Kal‐ tenbacher / Klages (2006) zeigen diesbezüglich, dass die beiden Objekte tenden‐ ziell formal differenziert werden. Anstatt eines Dativmarkers für das indirekte Objekt benutzen die Lerner jedoch zum Beispiel Präpositionalphrasen und pro‐ duzieren Sätze wie Der Bär schenkt die Karotte zu den Pferd. Ob diese Strategie jedoch systematisch oder als Einzelfall einzustufen ist, lässt sich bisher nicht klar beantworten. Grundsätzlich wird anhand dieses Beispiels deutlich, dass zwischen dem Gebrauch des Dativs bei zweiim Gegensatz zu dreiwertigen Verben differenziert werden muss. Die Erwerbshürde besteht Meisel (1986: 172) zufolge dann darin, die obliquen Formen den und dem auseinanderzuhalten. Bezogen auf funktionalistische Prinzipien bedeutet das letztlich, dass formspe‐ zifische mappings aufgebaut werden müssen. An dieser Stelle könnte die Be‐ lebtheit ins Spiel kommen, die zu einem Auseinanderhalten der Formen den und dem beitragen kann. Ein mögliches Szenario würde dann so aussehen, dass in‐ nerhalb von ditranstiven Mustern die jeweiligen nicht-agentivischen Rollen nach ihrem entsprechenden Belebtheitsmerkmal differenziert und mit einzelnen nicht-agentivischen Formen verknüpft werden. Den wäre dann ein Marker für eine unbelebte, dem für eine belebte nicht-agentivische Rolle. Verknüpft man die Erkenntnisse zum Aufbau syntaktischer Basismuster mit dem Aufkommen von Kasusformen, lässt sich sowohl für transitive als auch für ditransitive Sätze eine Regularität beobachten. Das Satzmuster als solches ist zuerst da und wird schrittweise mit einzelnen Markern befüllt. Zunächst wird eine syntaktische Basis in Form von NNV oder NVN etabliert (s. dazu zum Bei‐ spiel Diehl et al. 2000, Meisel 1986, Wegener 1995b und implizit Collings 1990), dessen nominale Konstituenten semantische Relationen anhand ihrer Satzposi‐ tion kodieren. N1 ist dabei agentivisch, N2 nicht-agentivisch. Die beiden Kon‐ stituenten werden dann um passende morphologische Marker (der / die für N1, den für N2) ergänzt. Kombiniert mit den Überlegungen zur Belebtheitsopposi‐ tion innerhalb von transitiven Mustern stehen diese Marker dann sowohl für prototypische Rollen als auch ihre prototypischen Belebtheitsmerkmale. Ein Agens ist damit nicht nur theoretisch, sondern auch in der produktiven Sprach‐ entwicklung ein- und mehrsprachiger Kinder eine belebte Rolle, die prototy‐ pisch satzinitial und der- oder die-markiert realisiert wird. Ein Nicht-Agens ist in Opposition dazu unbelebt, satzfinal und den-markiert. Damit entsteht Schritt für Schritt aus dem Basismuster [N [+ B E L E B T ] + N [- B E L E B T ] ] ein um morphologi‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 122 <?page no="123"?> sche Marker ergänztes Muster des Typs [[der / die+N [+ B E L E B T ] ]+ [den+N [- B E‐ L E B T ] ]]. Darauf aufbauend wird das syntaktische Muster um eine weitere Kon‐ stituente zu einem ditransitiven Schema ergänzt (N(V) NN ), was wiederum einhergeht mit einem ‚Auffüllen‘ der Satzschablone. Das heißt, dass die zweite nicht-agentivische Rolle ebenfalls mit einem Marker, nämlich dem versehen wird, dessen Funktion darin besteht, ein belebtes Rezipiens zu kennzeichnen. Auf Basis solch einer Interpretation stehen Syntax und Kasusmorphologie in einem engen Verhältnis. Kasuserwerb würde aus solch einer Perspektive die Verknüpfung einzelner Rollen innerhalb eines Satzrahmens mit zunächst pro‐ totypischen Einzelformen bedeuten. Diese Sicht auf den Ausbau eines Kasus‐ systems nimmt automatisch an, dass nicht ein gesamtes Kasusparadigma in Form von Kategorien wie Nominativ oder Akkusativ erworben wird, sondern einzelne passende Marker aus dem jeweiligen Paradigma herausgefiltert und mit prototypischen Funktionen verknüpft werden. Durch diesen Filterprozess könnte dann schrittweise ein ausdifferenziertes Kasussystem entstehen, das da‐ durch gekennzeichnet wäre, dass synkretische Formen ihren Weg ins Paradigma finden. Es lässt sich zusammenfassen, dass der Erwerb des Satzmusters N>N und der nachfolgende Erwerb morphologischer Kasusmarker die Annäherung an die zielsprachlichen Form-Funktions-Relationen nachbilden. Wie in Kapitel 3.2 an‐ genommen, ist die hierarchische Relation Wortstellung > Kasusmarker deshalb nicht nur für die Determination semantischer Relationen bei der Satzverarbei‐ tung relevant, sondern auch in der Produktion für den Erwerbsprozess aus‐ schlaggebend. Lerner unterschiedlicher Ausgangssprachen und unterschiedli‐ chen Alters scheinen sich in spezifischen Stufen einem zielsprachlichen System anzunähern. Aus funktionaler Perspektive stellen diese Stufen im Prinzip tem‐ poräre mappings dar, die im Erwerbsverlauf revidiert und weiterentwickelt werden. Die Weiterentwicklung besteht zum Beispiel darin, dass Lerner irgend‐ wann damit aufhören, semantische Relationen über die Konstituentenabfolge zu kennzeichnen. Der einsetzende Gebrauch morphologischer Kasusmarker er‐ möglicht eine potentiell präzisere Darstellung semantischer Relationen, da zum Beispiel pragmatisch motivierte Topikalisierungen durch Voranstellung eines kasusmarkierten Objekts realisiert werden können. Die Nutzung morphologi‐ scher Formen sollte letztlich auch mit einer höheren Varianz syntaktischer Muster einhergehen. 3.3 Belebtheit, Satzschema und Kasusmarker im Erwerb 123 <?page no="124"?> 3.4 Emergente mapping-Systeme: Zusammenfassung und Implikationen für die Satzverarbeitung Das Ineinandergreifen von Syntax und Morphologie in der Form, wie sie be‐ schrieben wurde, eröffnet einige grundlegende Fragen. Allen voran ist es unklar, wie dieses Ineinandergreifen die Satzverarbeitung bei mehrsprachigen Kindern beeinflusst. Ebenso ist nicht klar, welche Rolle einzelne Kasusformen die Inter‐ pretation semantischer Relationen steuern. Im vorhergehenden Kapitel wurden Erkenntnisse zu ein- und mehrspra‐ chigen Erwerbsverläufen teilweise stark miteinander verwoben. Motiviert ist diese Herangehensweise durch die Tatsache, dass die identifizierten Sequenzen in den Erwerbsbereichen Syntax und Morphologie mehr Parallelen als Unter‐ schiede zu Tage gebracht haben. Dass der Shift vom Satzschema zur Kasusmor‐ phologie in der Satzrezeption und -produktion zeitlich zusammenhängend ist, ist jedoch unwahrscheinlich. Bedenkt man die bereits angesprochene Asym‐ metrie zwischen Produktions- und Rezeptionsentwicklungen, erscheinen be‐ sonders drei Studien für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand relevant. Sowohl Chapman / Miller (1975) als auch Hendriks / de Hoop / Lamers (2005) und Cannizzaro (2011) können für englischsowie niederländischsprachige Kinder feststellen, dass es eine Diskrepanz zwischen der Produktion und der Rezeption von Subjekt-Objekt-Sätzen unter Berücksichtigung von Belebtheitsinformati‐ onen gibt. In ersterem Fall sind die Probanden ab einem Alter von ca. zwei Jahren in der Lage, Sätze mit belebtem Agens und unbelebtem Nicht-Agens (zum Bei‐ spiel Der Junge schubst das Auto) als auch den umgekehrten Fall, in dem Kon‐ stituentenabfolge und Belebtheitskontrast konkurrieren (zum Beispiel Das Auto schubst den Jungen) in der jeweiligen Zielsprache Englisch oder Niederländisch zu produzieren. Bei der Verarbeitung von Konkurrenzbedingungen greift jedoch eine semantische Interpretationsstrategie. Die belebte NP wird ungeachtet ihrer Satzposition als Agens präferiert. In den drei Studien werden unterschiedliche Interpretationen dieser Diskrepanz aufgezeigt. So argumentieren Hendriks / de Hoop / Lamers (2005) zum Beispiel für eine ‚Belebtheitsbeschränkung‘ (animacy constraint). Das CM würde diese Diskrepanz wiederum als ein Resultat einer hohen cue strength des Belebtheitskontrastes werten. Unabhängig von der Be‐ zeichnung dieser Strategie lässt sich zeigen, dass in der Produktion eine syn‐ taktische Strategie zum Einsatz kommt (und dabei die semantische überlagert), während in der Rezeption die semantische Strategie dominiert. Die drei Studien belegen letztlich, dass die Satzverarbeitung der Satzproduktion in Hinblick auf die Gewichtung von cues hinterherhinkt. Unklar ist, ob eine ähnliche Asym‐ metrie in Rezeption und Produktion auch für das Deutsche existiert und ob die 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 124 <?page no="125"?> asymmetrische Entwicklung nicht nur auf Wortstellung und Belebtheit, sondern auch auf einzelne Kasusformen übertragbar ist. Ungeachtet dieses Desiderats lassen sich die bisherigen Befunde im Sinne eines stufenweisen Ausbaus eines zielsprachlichen mapping-Systems deuten. Die Entwicklung von Satzverarbeitungsstrategien zeichnet sich nämlich durch‐ gehend durch eine systematische Modifikation der cue strength aus. Sehr grob findet einerseits eine stufenweise Modifikation von Belebtheitskontrast zur Konstituentenabfolge und schließlich zu Kasusmarkern statt. Auf Basis der Er‐ kenntnisse zu Entwicklungsstufen in der Produktion lässt sich die letzte Stufe der Kasusmarker nochmal detaillierter in folgender Form ausdifferenzieren: 1. [N>N] 2. [[der / die+N] > [der / die+ N]] 3. [[der / die+N] > [den+N]] 4. [[der / die + N] > N + [den+N]] 5. [[der / die + N] > [dem+N] + [den+N]] Abbildung 5: Ineinandergreifen von syntaktischer Entwicklung und einzelnen Kasus‐ formen Der schrittweise Ausbau von festem Satzmuster (transitiv zu ditransitiv) be‐ deutet eine schrittweise Hinzunahme morphologischer Marker (zunächst beim Agens, dann bei den nicht-agentivischen Rollen), die schließlich dazu führen können, semantische Relationen losgelöst vom Satzschema zu kodieren. Basie‐ rend auf dieser (idealtypischen) stufenweisen Progression stellen sich zwei Fragen. Erstens ist zumindest zu erörtern, wodurch diese Stufen an sich be‐ gründet sind. Weitaus wichtiger, da zentral für diese Arbeit, ist die Frage danach, welche Funktion die einzelnen Kasusformen bei der Satzverarbeitung erfüllen. Da eine erwerbstheoretische Ausleuchtung der ersten Frage nicht Ziel dieser Arbeit ist, soll zum Zwecke der Veranschaulichung lediglich angerissen werden, wie eine funktional motivierte Erwerbstheorie die obige Progression erklären würde. Zu solch einer Theorie ist die Emergenzgrammatik (vgl. Hopper 1987) zu zählen, die zunehmend von ihrem ursprünglich interaktional ausgerichteten Anspruch auch auf Erwerbskontexte übertragen wird. Die Idee von sprachlicher Entwicklung als emergentem Prozess reiht sich ein in eine Fülle von Modellen, die die Grundannahme teilen, sprachliche Entwicklung verlaufe in spezifischen Schritten (hierzu zählen zum Beispiel die klassischen Arbeiten von Piaget, Vy‐ gotsky oder Roger Brown sowie in der neueren Erwerbsforschung im Bereich des L2-Erwerbs besonders die Processability Theory von Pienemann (zum Bei‐ 3.4 Emergente mapping-Systeme 125 <?page no="126"?> spiel 1998)). Das Konzept der emergenten Lernergrammatik ist in den ge‐ brauchsbasierten beziehungsweise usage based-Modellen zu verorten (vgl. für einen Überblick Barlow / Kemmer 2000, Bybee / Hopper 2001 sowie Tyler 2010), die grundsätzlich annehmen, dass das sprachliche System durch gebrauchsspe‐ zifische Charakteristika determiniert wird. Gebrauch bestimmt, so die These, grammatische Prinzipien und folglich auch entwicklungssequenzielle Charak‐ teristika. Sprachliche Progression wird dabei als ein sozial verankerter Vorgang verstanden, der von Faktoren wie sozialer Kooperation und Kollaboration, ge‐ teilter Aufmerksamkeit oder kollektiver Intentionalität abhängig ist (vgl. To‐ masello 2011, 2014). Der systematische Aufbau eines grammatischen Systems ist deshalb gewissermaßen eine Notwendigkeit, damit soziale Kooperation über‐ haupt möglich ist. Neben der Annahme, grammatische Strukturen entwickelten sich im Zuge von Interaktionsprozeduren, umfasst der Emergenzansatz zentrale Prinzipien der Kognitiven Grammatik, mit denen erfasst wird, wodurch die Systematik im Grammatikaufbau überhaupt bedingt ist. Hierbei wird von der Existenz der be‐ reits in Kapitel 2 beschriebenen kognitiven Mechanismen symbolization, com‐ positionality, categorization, schematization und entrenchment (Langacker 2000: 3 ff.) ausgegangen. Der Mensch verfügt über die Fähigkeit, Inhalte mit symbo‐ lisch repräsentierten Formen zu verknüpfen sowie einzelne Merkmale zu Merk‐ malsbündeln zusammenzufassen. Die Basisfertigkeit des Vergleichens (Analo‐ giebildung) ermöglicht es, Kategorien zu bilden und sie wiederum mit spezifischen Inhalten und Funktionen zu verknüpfen. Durch den Schematisie‐ rungsprozess werden sich wiederholende Strukturen nicht mehr in einzelne Bestandteile zerlegt, sondern auf der Grundlage weniger Gemeinsamkeiten zu einem Schema abstrahiert. Zuletzt verfügt der Mensch über Automatisierungs‐ fähigkeiten, die es ermöglichen, Schemata unbewusst zu verarbeiten. Die Grundfähigkeit der Symbolisierung greift dabei an jeder einzelnen Stelle im System. Kategorien werden genauso als symbolische schematische Einheiten repräsentiert wie einzelne Strukturen. Ergänzt wird diese Liste um die Fähigkeit des implicit statistical learnings (vgl. Tomasello 2005: 4), was von Kidd (2012: 172) als „the largely or wholly unconscious process of inducing structure from input following exposure to repeated exemplars“ bezeichnet wird. Bevor ein Lerner also Analogien erkennen sowie Kategorien bilden, abstrahieren und au‐ tomatisieren kann, muss er das Vorkommen spezifischer Strukturen im Input mithilfe unbewusster statistischer Frequenzanalysen überhaupt erst erfassen. Die Zusammenführung eines auf den Input konzentrierten Erwerbsprozesses und übergreifender kognitiver Mechanismen macht letztlich den Kern eines 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 126 <?page no="127"?> emergenztheoretischen Ansatzes aus (vgl. Ellis / Larsen-Freeman 2006, Ellis 2003, MacWhinney 1999, 2001b). Die Häufigkeit des Vorkommens einer spezifischen Form oder genauer eines sprachlichen Symbols scheint enorm wichtig für den Spracherwerb zu sein (vgl. Bybee / Hopper 2001: 3). Bybee (2008: 218) nimmt auch in Hinblick auf den L2-Erwerb an: „frequency of use plays an important role in determining cogni‐ tive structures“. Womöglich ist also die Vorkommenshäufigkeit eine mögliche Erklärung für die hierarchischen Stufen, die in den Kapiteln 3.1 und 3.3 identi‐ fiziert wurden. Die Vorkommenshäufigkeit ist letztlich auch im Rahmen des CM die zentrale Komponente für die cue strength (s. Kapitel 3.1). Die zeitweise Do‐ minanz von Formen wie der und die als agentivische sowie den als nicht-agen‐ tivische Marker wäre im Zuge dieses Ansatzes eine Folge ihrer Vorkommens‐ häufigkeit in den jeweiligen Funktionen. In der Tat weisen eine Reihe von Überblickszählungen zumindest für den Marker den nach, dass er im Gegensatz zu anderen Formen (das, die oder dem) besonders häufig als Objekt- und damit als Nicht-Agens-Marker vorkommt (vgl. für einen Überblick über Häufigkeits‐ verteilungen im erwachsenen und kindlichen Sprachgebrauch Binanzer (2015)). Die anfängliche Konzentration auf die Form den wäre damit Resultat impliziter statistischer Inputanalysen. Neben der Frequenz ist jedoch auch die Reliabilität der Form relevant (vgl. Ellis / Larsen-Freeman 2009: 99, Lieven 2010). Den ist nicht nur eine besonders häufig vorkommende Form, sondern im Sinne des Iko‐ nizitätsprinzips nach Givón auch besonders gut geeignet, um eine formale Ab‐ grenzung zum Agens abzubilden. Das Ineinandergreifen von Häufigkeit und Reliabilität ist letztlich nichts anderes als die im CM postulierte Validität. Was hier exemplarisch für den Marker den angenommen wird, gilt auch für den Auf- und Ausbau syntaktischer Schemata. Wie in Kapitel 2 dargestellt, fun‐ gieren Satzmuster als Abbildung von Kodierung für semantische Relationen. Im Zuge eines emergenten Blickwinkels auf sprachliche Entwicklung würde man hierbei annehmen, dass der Grund für die hierarchisch höhere Gewichtung der Konstituentenfolge als cue in Verarbeitung und Gebrauch auf seine Vorkom‐ menshäufigkeit und Zuverlässigkeit rückführbar ist. Die Funktion kognitiver Mechanismen wirkt sich dabei potentiell folgendermaßen aus: Durch statisti‐ sche Analysen wird das Satzmuster N>N als zuverlässiges Kodierungsmuster für semantische Relationen identifiziert. Es entsteht eine symbolische Verknüp‐ fung zwischen Form und Funktion, das Satzmuster nimmt dabei eine schema‐ hafte Gestalt an. Verarbeitung und Produktion semantischer Relationen erfolgen auf dieser Basis nach und nach automatisiert. Andere sprachliche Formen (ins‐ besondere Artikel) sind an dieser Stelle offenbar nachgeordnet, da sie durch Frequenz und Reliabilität des Satzschemas überlagert werden. Das bedeutet 3.4 Emergente mapping-Systeme 127 <?page no="128"?> nicht, dass sie nicht wahrgenommen werden. Wahrscheinlicher ist es, dass deren Analyse besonders in der Satzverarbeitung zunächst zurückgestellt wird. Sie werden erst dann relevant, wenn immer mehr negative Evidenz in Form von implizitem und / oder explizitem Feedback hinzukommt und Lerner festellen, dass fehlerhafte Satzinterpretationen zustandekommen. Sobald genügend ‚Feh‐ lermeldungen‘ vorliegen, macht sich der Lerner auf die Suche nach zuverlässi‐ geren cues und landet schließlich bei den Kasusformen. An dieser Stelle setzt der Lernmechanismus quasi von vorn ein. Identifiziert werden dann zunächst die häufigsten und zuverlässigsten Einzelformen, sodass zuerst die Formen der und die für das Agens und danach den sowie schließlich dem für nicht-agenti‐ vische Rollen aufkommen. Sofern die Beobachtungen von Kaltenbacher / Klages (2006), Jeuk (2008) und Wegener (1995b) für den L2-Erwerb zutreffend sind und der / die gleichermaßen für agentivische als auch für nicht-agentivische Bedin‐ gungen verwendet werden, wäre dies ein weiterer Beleg für ein frequenzba‐ siertes Auffüllen eines bestehenden Satzmusters. Erst in einem weiteren Schritt werden Agens und Nicht-Agens formal explizit voneinander unterschieden. Im Zuge eines solchen Ansatzes muss erfasst werden, ob und wie sich ein L1-spezifisches cue-System auf diesen emergenten Prozess auswirkt. Hierbei ist es hilfreich, auch konnektionistische Prinzipien zu berücksichtigen. Wenn cue strength als neuronale Verknüpfung betrachtet wird, wäre L1-Erwerb als Aufbau dieser Verknüpfungen zu verstehen. L2-Erwerb ist hingegen entweder der Aufbau völlig neuer Verknüpfungen (liegt vor, wenn Ausgangs- und Zielsprache über gänzlich unterschiedliche cues verfügen) oder die Justierung existenter Verknüpfungen (liegt vor, wenn Ausgangs- und Zielsprache unterschiedliche cue-Validitäten aufweisen). Wie wir in Kapitel 2 gesehen haben, ist das Satz‐ muster N>N im Deutschen, Niederländischen und Russischen gleichermaßen ein verfügbarer cue, der sich lediglich in seiner einzelsprachlichen Validität un‐ terscheidet. Ebenfalls wurde in Kapitel 3.1 deutlich, dass unabhängig von der Validität des Kasussystems in einer Einzelsprache das Satzmuster als erster grammatischer cue bei der Entwicklung von Satzverarbeitungsstrategien fun‐ giert. Damit verfügen Sprecher aller drei Sprachen über eine symbolische Re‐ präsentation beziehungsweise eine Verknüpfung zwischen transitivem Satz‐ schema und transitivem Handlungsschema. Am stärksten ist diese Verknüpfung bei niederländischen Sprechern, am schwächsten bei russischen. Umgekehrt haben russische Sprecher Wissen über die Relation von morphologischen Formen und semantischen Rollen. Auf ein vergleichbares Wissen können nie‐ derländische Sprecher nicht zurückgreifen. Wenn die Befunde aus Kapitel 3.2 zutreffend sind und ein Transfer von L1-spezifischen cue-Validitäten stattfindet, so sollten diese L1-spezifischen Gewichtungen auch in der L2 Deutsch aktiviert 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 128 <?page no="129"?> werden. Konkret würde das bedeuten, dass niederländische Sprecher auch im Deutschen davon ausgehen, dass semantische Relationen anhand des bereits bekannten syntaktischen Schemas N>N kodiert werden. Russische Sprecher sollten hingegen annehmen, dass auch die neue Sprache über zuverlässige mor‐ phologische Marker verfügt. Obwohl also beide Lernergruppen mit identischen kognitiven Mechanismen ausgestattet sind und diese beim Aufbau L2-spezifi‐ scher Form-Funktions-mappings einsetzen, bringen sie unterschiedliche ‚kog‐ nitive Pläne‘ mit. Auch wenn russische Lerner nicht von Beginn an wissen können, ob das Deutsche über Kasusmarker verfügt und wie diese beschaffen sind, sind sie bereits mit einem abstrakt-schematischen Wissen darüber ausge‐ stattet, dass morphologische Formen zuverlässige cues für semantische Relati‐ onen sind. Bis sie also die häufigsten und zuverlässigsten Formen im Deutschen identifiziert haben, müssen sie sich deshalb auf einen anderen cue verlassen, der in diesem Fall wiederum das Satzschema N>N ist. Dieses ist für die niederlän‐ dischen Sprecher wiederum der einzige Bezugspunkt. Sie haben kein oder nur sehr eingeschränktes Wissen über die Funktion von morphologischen Markern. Sie bedürfen also potentiell eines längeren Zeitraums, bis genügend negative Evidenz darüber vorliegt, dass das Satzmuster zwar ein frequenter, jedoch nicht immer zuverlässiger cue ist. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Sprechergruppen bestehen also darin, mit welchem cue-System sie sich an den Aufbau eines neuen cue-Systems machen. Russische Lerner sind niederländischen Sprechern gegenüber leicht im Vorteil, weil sie keine vollständig neuen mappings bezüglich der Validität von morphologischen Formen aufbauen müssen. Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Gruppen bestehen einerseits darin, dass das syntaktische Muster N>N ein (sprachübergreifend) gültiger grammatischer cue ist. Andererseits fußt der Ausbau eines auf einzelne morphologische Marker bezogenen cue-Systems auf identischen kognitiven Mechanismen und kann so in einer identischen Ab‐ folge in der Form resultieren, wie sie im obigen Szenario skizziert wurde. Die stufenweise Entwicklung (s. Abbildung 5) sollte deshalb zumindest in der Pro‐ duktion in beiden Lernergruppen zu finden sein. Zu prüfen ist, ob solch eine Stufung auch die Satzinterpretation beeinflusst. Sollte sich diese Stufung in Form von unterschiedlichen Satzverarbeitungsstrategien abbilden, könnte eine lernergruppenspezifische Varianz vor allem darin bestehen, wie stark oder schwach die einzelnen Formen als cues gewichtet sind und wie groß die Diffe‐ renz zwischen einer syntaktisch und einer morphologisch basierten cue strength ist. Eine Unklarheit stellt die Rolle der Belebtheit in diesem Prozess dar. Wie in Kapitel 2 und 3 gezeigt wurde, ist die Belebtheitsinformation zwar kein gram‐ 3.4 Emergente mapping-Systeme 129 <?page no="130"?> matischer cue, stellt jedoch eine fest verankerte semantische Eigenschaft tran‐ sitiver Sätze dar und wirkt sich damit auch auf die Belebtheitsmerkmale ein‐ zelner morphologischer Formen aus. Unklar ist, ob und wie sich die Verknüpfung zwischen Satzschema und Belebtheitskontrast sowie morpholo‐ gischem Marker und Belebtheitsmerkmal auf die Satzverarbeitung auswirken kann. Denkbar sind dabei zwei Wege, die gegebenenfalls auch sprechergrup‐ penspezifisch sein könnten. Die Befunde von Sasaki (1994) deuten darauf hin, dass Belebtheit als cue für semantische Relationen dann relevant werden kann, wenn beim Erlernen einer neuen Sprache ein gänzlich neues cue-System auf‐ gebaut werden muss. Dies könnte besonders für niederländische Lerner des Deutschen am Anfang des L2-Erwerbs relevant sein. So wäre es denkbar, dass zu einem Zeitpunkt, an dem den Lernern aufgrund von impliziter negativer Evidenz bewusst wird, dass das transitive Satzschema kein gänzlich zuverläs‐ siger Indikator für semantische Relationen ist, die Suche nach alternativen cues einsetzen. Da hier ein abrupter Wechsel von Satzschema zu morphologischen Markern unwahrscheinlich ist, könnte die Belebtheit quasi als Übergangslösung fungieren. So würde Belebtheit zunächst mit Agentivität und Unbelebtheit mit Nicht-Agentivität verknüpft und als quasi universell gültiger (da non-gramma‐ tischer) cue den Transfer von einem syntaktisch basierten zu einem morpholo‐ gisch basierten Satzverarbeitungsprozess einleiten. Sollte die Belebtheit diese Pufferfunktion tatsächlich einnehmen, könnte dies Auswirkungen darauf haben, dass ausgehend vom satzinternenen Belebtheitskontrast (N1 [+ B E L E B T ] > N2 [- B E L E B T ] ) auch einzelne Formen wie der, den oder dem mit typischen Belebt‐ heitsmerkmalen verknüpft werden. So könnten der und dem mit der Eigenschaft [+ B E L E BT ], den wiederum mit [- B E L E BT ] einhergehen. Ein zweiter Weg bestünde in der Möglichkeit, dass die Belebtheit als cue keine Rolle spielt. Studien mit jüngeren einsprachig aufwachsenden Kindern weisen zwar darauf hin, dass Belebtheitsinformationen eine nennenswerte Rolle spielen, bevor sich grammatische cues durchsetzen (so zum Beispiel bei Lindner 2003). Jedoch könnten diese Befunde auch als Alterseffekt interpretiert werden. So ist es möglich, dass non-grammatische Informationen vor allem für jüngere Sprecher relevant sind, mit dem Einhergehen eines sich entwickelnden gram‐ matischen Systems jedoch an Signifikanz einbüßen. Somit können hinsichtlich des cues Belebtheit unterschiedliche Forschungsfragen extrahiert werden: Zu untersuchen ist, ob Belebtheit für ältere Kinder überhaupt als cue in Betracht kommt. Sofern sie den Satzverarbeitungsprozess beeinflusst, ist zu untersuchen, ob sie von Faktoren wie Alter oder typologischer Nähe zwischen L1 und L2 abhängig ist. Zuletzt ist zu fragen, ob Belebtheit (sofern als cue relevant) aus‐ 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 130 <?page no="131"?> schließlich als Satzeigenschaft oder auch als Merkmal einzelner morphologi‐ scher Formen wichtig wird. Die Forschungsüberblicke in den Kapiteln 2 und 3 haben versucht, drei thema‐ tische Stränge zusammenzubringen. Erstens hat eine funktional und kog‐ nitiv-grammatisch motivierte Sicht auf grammatische Formen und ihre jewei‐ ligen Funktionen offenbart, dass es prototypische Korrelationen zwischen Satzschemata, einzelnen morphologischen Formen und kausal-semantischen Relationen gibt. Die grammatischen Mittel Syntax und Kasusmorphologie sind dabei aus kontrastiver Perspektive als Kodierungsmöglichkeiten in einzelnen Sprachen in unterschiedlichem Ausmaß verfügbar. Sofern eine Sprache sowohl über Satzschemata als auch über Kasusformen zur Kodierung semantischer Re‐ lationen verfügt, sind diese beiden Ebenen meist interagierende, unter spezifi‐ schen Umständen jedoch auch konkurrierende Phänomene. Zweitens wirkt sich diese Varianz in der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit grammatischer Kodes innerhalb und zwischen Sprachen auf Satzverarbeitungsstrategien bei kindli‐ chen und erwachsenen Sprechern aus. Je valider einzelsprachliche cues dabei sind, desto höher ist ihre sprecherspezifische cue strength im Satzverarbeitungs‐ prozess. Bei mehrsprachigen Sprechern kann es dazu kommen, dass die cue strength der L1 auf die L2 transferiert wird. Der Aufbau einer L2-spezifischen cue strength kann dabei von Faktoren wie typologischer Nähe zwischen L1 und L2 sowie von cue cost-Faktoren in der L2 abhängig sein. Betrachtet man als dritten Strang Satzverarbeitungs- und sprachliche Entwicklungsprozesse als ei‐ nander bedingende sowie interagierende Bereiche, so lassen Studien zu Satz‐ verarbeitung und Satzproduktion die These zu, dass im Deutschen Satzverar‐ beitungsstrategien im Sinne eines stufenweisen Entwicklungsprozesses erfasst werden können. Sehr grob lässt sich diese Entwicklung als cue strength-Modi‐ fikation mit dem transtiven Satzschema als Onset verstehen, das sukzessive durch zunächst prototypisch agentivische und nicht-agentivische und schließ‐ lich auch durch periphere Kasusformen ersetzt wird. Sofern sich Sprecher an dieser Progression orientieren, kann man hier von einem emergenten map‐ ping-System sprechen, in dem syntaktische und morphologische Prinzipien ineinandergreifen. Die nun folgende empirische Studie soll vor dem Hintergrund der bisherigen Argumentation und unter Berücksichtigung bereits aufgestellter Vermutungen erfassen, ob die stufenweise Modifikation der cue strength in der bisher erar‐ beiteten Form tatsächlich in der Entwicklung von Satzverarbeitungsstrategien aufgefunden werden kann. Im Fokus stehen dabei besonders die Relevanz ein‐ zelner Formen aus dem Kasussystem des Deutschen sowie ihre Relation zum 3.4 Emergente mapping-Systeme 131 <?page no="132"?> transitiven Satzschema. Ebenso soll für beide Ebenen die Rolle der Belebtheit ausgeleuchtet werden. Neben den linguistischen Faktoren soll erfasst werden, ob sich die Satzverarbeitung zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern im Deutschen unterscheidet und, sofern Unterschiede existieren, diese bei den Mehrsprachigen sprachtypologisch bedingt sind. Die Querschnittsstudie wird im Folgenden zusammen mit Informationen zu den Probandengruppen und Durchführungsbedingungen vorgestellt. Darauf folgt eine an die Argumenta‐ tion der Kapitel 2 und 3 aufbauende hypothesengeleitete Ergebnisdarstellung und -diskussion. 3 mappings in der Satzverarbeitung und in der sprachlichen Entwicklung 132 <?page no="133"?> 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern - Vorannahmen und empirisches Design Ziel des nun folgenden empirischen Teils ist es, anhand der Verarbeitung von N>N-Sätzen und der damit einhergehenden Bestimmung eines Agens zu ermit‐ teln, wie das Satzschema, einzelne morphologische Marker sowie die Interaktion zwischen Syntax und Belebtheit sowie Morphologie und Belebtheit den Satz‐ verarbeitungsprozess bei Sprechern mit unterschiedlichen sprachlichen Hin‐ tergründen beeinflussen. Anhand der Verarbeitungsstrategien bei der Agens‐ determination soll ermittelt werden, ob sich die in Kapitel 3 herausgearbeitete Sequenzierung im Sinne einer Modifikation der cue strength erfassen lässt. Übergeordnet gilt dabei die These, dass sich die cue strength im Laufe der sprachlichen Entwicklung von einer syntaktisch zu einer morphologisch deter‐ minierten Verarbeitungsstrategie verschiebt. Die angenommene Sequenzierung wäre demnach vor allem ein Beleg für die Existenz von hierarchisierbaren sowie interagierenden Strategien, deren Einsatz von unterschiedlichen Faktoren ab‐ hängen kann. Es soll auch erfasst werden, ob bei dem Übergang von Syntax zur Morphologie weitere Teilschritte durchlaufen werden, die zum Beispiel auf In‐ teraktionsphänomene mit Belebtheitsmerkmalen oder auf sprecherspezifische Eigenschaften zurückgeführt werden können. In den Kapiteln 3.2 und 3.3 wurde auf Basis unterschiedlicher theoretischer und empirischer Erkenntnisse angenommen, dass semantische Relationen im L1- und L2-Erwerb zunächst mittels der Wortabfolge N>N kodiert und inter‐ pretiert werden. N1 repräsentiert dabei in der Regel das Agens, N2 das Nicht-Agens. Dieses syntaktische Basismuster umfasst häufig auch einen ent‐ sprechenden Belebtheitskontrast in Form einer belebten agentivischen und einer unbelebten nicht-agentivischen Konstituente. Diese transitive Basiskon‐ struktion dominiert über einen langen Zeitraum sowohl die Satzproduktion als auch die Satzverarbeitung bei einsprachigen Kindern. Kasusformen sind dabei besonders im Satzverarbeitungsprozess hierarchisch nachgeordnet. Sobald mor‐ phologische Marker in die kindliche Grammatik implementiert werden, werden zunächst prototypische agentivische und darauffolgend nicht-agentivische Formen verwendet, wodurch ein transitives Muster des Typs [[der / die + N [+ B E L E B T ] ]+ [den + N [- B E L E B T ] ]] und anschließend ein ditransitives Muster in Form von [[der / die + N [+ B E L E B T ] ] + [dem + N [+ B E L E B T ] ] + [den + N [- B E L E B T ] ]] <?page no="134"?> 1 Dass sie vorher gänzlich ausgeschlossen sind, ist unwahrscheinlich, da prosodische Mittel genutzt werden können, um Objekttopikalisierungen kenntlich zu machen. Zu fragen wäre hierbei, ob der Anteil von OS-Sätzen durch das Hinzukommen morpho‐ logischer Marker ansteigt sowie in welchem Verhältnis prosodische und morphologi‐ sche Marker im Erwerbsprozess zueinander stehen. aufgebaut wird. Dieser schrittweise Aufbau ist selbstverständlich als ideales Konstrukt zu fassen. Die Grenzen zwischen syntaktischen und morphologi‐ schen Mustern sowie die Variation beim Gebrauch verschiedener morphologi‐ scher Marker sind fließend. Deshalb stellt sich vor allem auch die Frage, wann und wie neben den Formen der / die, den und dem die Form das in der Produktion auftaucht und welche Funktion sie in der Rezeption erfüllt. Jenseits dieser of‐ fenen Frage lässt sich annehmen, dass das syntaktische transitive Basismuster N>N durch das Hinzukommen morphologischer Marker ausbaufähig wird. Es entsteht ein Gerüst für Variation. Diese kann einerseits darin bestehen, ditran‐ sitive Sätze zu konstruieren und zu produzieren. Durch die Verfügbarkeit mor‐ phologischer Formen besteht andererseits die Möglichkeit, N>N-Sätze nicht mehr überwiegend als S>O, sondern auch als O>S-Sätze zu realisieren. Objekt‐ topikalisierungen werden durch die Nutzung morphologischer Marker einfa‐ cher. 1 Dies sollte sich auch auf der Ebene der Satzverarbeitung abzeichnen. So‐ lange einem Sprecher die Bedeutung von Formen wie der, den oder dem nicht bewusst beziehungsweise ihre Funktion noch nicht klar ist, wird ein Satz wie Den Mann sieht das Mädchen auf der Grundlage der Konstituentenabfolge N>N interpretiert und deshalb als S>O-Satz verarbeitet. Erst wenn Sprechern klar ist, dass den und dem immer auf nicht-agentivische Rollen verweisen, können OS -Sätze auch als solche erkannt werden. Welche Konstituente in Sätzen wie Den Mann sieht das Mädchen oder Dem Mann hilft das Mädchen als Agens aus‐ gewählt wird, ist damit als Reflexion einer sprecherspezifischen cue strength zu verstehen, die wiederum vom aktuellen Sprachentwicklungsstand abhängig sein kann. Erschwerend für die Identifikation eines OS -Satzes ist im Deutschen die Tat‐ sache, dass die Formen das, die und der sowohl ein Agens als auch ein Nicht-Agens kennzeichnen können. Dies wird besonders dann zu einem poten‐ tiellen Verarbeitungsproblem, wenn bedacht wird, dass die Satzverarbeitung dem Prinzip des left-to-right parsings folgt. Ausgehend von den Informationen, die die satzinitiale Konstituente bereithält, können Sprecher Hypothesen über semantische Relationen innerhalb der N>N-Struktur aufstellen. Basierend auf der Annahme, dass innerhalb eines transitiven Satzschemas N1 agentivisch ist, kann diese Hypothese durch die satzinitialen Formen der, die und das gestützt werden. Trägt die entsprechende Konstituente zudem das Merkmal [+ B E L E BT ], 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 134 <?page no="135"?> wird die Interpretation der N>N-Struktur als S>O-Satz durch zwei koalierende cues gestützt. Sätze wie Das Kind / die Frau sieht der Junge oder auch Der Frau hilft das Mädchen können so ohne weiteres als S>O-Sätze verarbeitet werden, sofern sich der Sprecher darauf verlässt, dass die satzinitiale Konstituente alle relevanten Informationen zur Determination semantischer Satzrelationen ent‐ hält. Die NP s das Kind, die Frau und sogar der Frau sind für sich betrachtet nämlich gute Vertreter eines Agens. Unter welchen Umständen eine NP wie der Frau als agentivisch eingestuft werden kann, bedarf einer kurzen Erläuterung. Wenn die Beobachtung von Kaltenbacher / Klages (2006) (s. Kapitel 3.3) für L2-Lerner und von Bittner (2006) für L1-Lerner zutreffend ist und der-Formen tatsächlich zu den ersten Agensmarkern in der Produktion zählen, kann die eigentlich oblique NP der Frau als morphologisch unmarkiert und damit als agentivisch eingestuft werden. Entscheidend kann hier besonders für L2-Lerner das Wissen über das inhärente Genus des Phrasenkopfes sein. Können Sprecher identifizieren, dass Frau feminin klassifiziert ist, so lässt sich der Konflikt zwi‐ schen dem lexikalischen Genus und der Form der identifizieren und die NP als nicht-agentivisch einstufen. Wird dieser Konflikt nicht erkannt, ist der Frau aufgrund des prototypischen Agensmarkers der ein idealer Kandidat für die Agensrolle im Satz. Ob OS -Sätze mit ambigen satzinitialen Markern also als solche erkannt oder als kanonische transitive Konstruktionen interpretiert werden, ist eng verknüpft mit dem Wissen von Sprechern, welche Funktionen einzelne Formen erfüllen können. Ist ihnen bewusst, dass die Formen das, die und der multifunktional sind, verlassen sie sich nicht auf die Informationen der satzinitialen Konstituente und begeben sich stattdessen auf die Suche nach einer disambiguierenden Form. Ist hingegen die auf dem starting point-Prinzip beru‐ hende Satzverarbeitungsstrategie stark ausgeprägt oder das Wissen über das Funktionsspektrum einzelner Formen noch nicht fest genug verankert, bildet das Satzschema (losgelöst von morphologischen cues) die interpretatorische Basis. Am einfachsten gelingt die Identifikation eines O>S-Satzes mittels eines prä‐ verbalen cues, der ein Patiens oder Rezipiens am eindeutigsten kennzeichnet, da so die Konkurrenz zwischen Wortstellung und Kasusmarkern gleich zu Beginn des Satzes sichtbar ist. In einem Satz des Typs Den Bus sieht der Mann / die Frau / das Kind kennzeichnet die Form den eindeutig ein Nicht-Agens. Gleiches gilt für Sätze, die mit Konstituenten wie dem Mann oder dem Kind beginnen. Durch die formale Transparenz (beziehungsweise hohe assignability) der Formen den und dem ist auf Anhieb klar, dass das transitive Satzschema hier nicht-kanonisch ist. Dies gilt naürlich auch hier unter der Bedingung, dass 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 135 <?page no="136"?> Sprecher über ein entsprechendes Wissen über die Funktionalität dieser Formen verfügen. Somit muss für die Satzverarbeitung im Deutschen zwischen transparenten (den, dem) und intransparenten (das, die) Formen unterschieden werden, wobei die Form der hier eine Zwischenposition mit Tendenz zum intransparenten Pol einnimmt. Je nachdem, welche der Formen satzinitial verwendet wird, kann ein N>N-Satz eher als SO - oder OS -Satz interpretiert werden. Sofern die Belebtheit den Verarbeitungsprozess beeinflusst, kann sie die Wahl zwischen den beiden Satztypen maßgeblich determinieren. Dabei ist zwischen dem cue des Belebt‐ heitskontrastes auf der einen und der Verknüpfung von einzelnen Formen mit spezifischen Belebtheitsmerkmalen auf der anderen Seite zu differenzieren. Beim Belebtheitskontrast erfolgt eine Gegenüberstellung der nominalen Kon‐ stituenten, sodass es sich um einen tendenziell topologischen cue handelt. Nutzen Sprecher den Belebtheitskontrast als cue, kann er mit dem transitiven Satzschema koalieren oder konkurrieren. Koalition liegt vor, wenn N1 belebt und N2 unbelebt ist (zum Beispiel in Das Mädchen sieht die Tür oder Der Mann sieht das Auto). Eine cue-Konkurrenz tritt bei dem umgekehrten Fall, also un‐ belebter N1 und belebter N2 auf (zum Beispiel Die Tür sieht das Mädchen oder Das Auto sieht der Mann). Insbesondere das erstgenannte Beispiel kann aufgrund von fehlenden transparenten morphologischen Markern ausschließlich auf der Basis der Wortabfolge oder auf Basis des Belebtheitskontrastes interpretiert werden. Wird die Entscheidung auf der Grundlage der Annahme getroffen, agentivische Rolle seien prototypisch belebt, so fällt die Wahl auf das Mädchen als Agens. Potentiell kann die Belebtheit auch dann die Agenswahl manifes‐ tieren, wenn morphologische Marker eine gegenteilige Entscheidung favori‐ sieren würden. Hat der Belebtheitskontrast für einen Sprecher eine besonders hohe cue strength, kann es passieren, dass in einem Satz wie Der Bleistift malt die Frau die NP ‚die Frau‘ aufgrund ihrer Eigenschaft [+ B E L E BT ] als Agens ein‐ gestuft wird. Nutzen Sprecher die Belebtheit nicht als topologischen, sondern als lokalen cue, können Koalitionen und Konkurrenzen zwischen einzelnen Formen und spezifischen Belebtheitsmerkmalen die Agenswahl determinieren. Legt man die Argumentation aus Kapitel 2.3 zugrunde, so koaliert der Agensmarker der mit dem Merkmal [+ B E L E BT ], die Patiensmarker den und das mit [- B E L E BT ] und der Rezipiensmarker dem mit [+ B E L E BT ]. NP s wie den Bus [- B E L E B T ] oder das Auto [- B E L E B T ] wären somit ideale Repräsentanten eines prototypischen Patiens, der Mann [+ B E L E B T ] wäre ein guter Kandidat für ein Agens, dem Mann [+ B E L E B T ] für ein Rezipiens. NP s wie den Mann [+ B E L E B T ] , das Kind [+ B E L E B T ] oder dem Bus [- B E L E B T ] wären hingegen Abweichungen vom jeweiligen Prototypen, da in‐ 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 136 <?page no="137"?> nerhalb der NP eine Konkurrenz zwischen Kasusform und Belebtheitsmerkmal vorläge. Für die Satzverarbeitung könnte sich dieser Umstand darauf auswirken, dass in einem Satz wie Das Auto [- B E L E B T ] sieht der Mann die NP ‚der Mann‘ häufiger als Agens ausgewählt wird als in Sätzen wie Das Kind [+ B E L E B T ] sieht der Mann. Da die NP ‚das Auto‘ zwei koalierende Patiens-cues enthält, ist die Chance, sie trotz der intransparenten Kasusform als nicht-agentivisch einzu‐ stufen, höher. Hypothetisch ist die Interaktion zwischen Form und Belebtheit auch für transparente Marker relevant. So ist es zumindest denkbar, dass eine NP wie den Bus [- B E L E B T ] aufgrund der morphologisch-semantichen cue-Koali‐ tion eher als nicht-agentivisch verarbeitet wird als die Konstituente den Mann [+ B E L E B T ] . Der umgekehrte Fall würde für die NP s dem Mann [+ B E L E B T ] und dem Bus [- B E L E B T ] gelten. Ob das Belebtheitsmerkmal jedoch bei transparenten Markern tatsächlich relevant ist oder der Marker aufgrund seiner hohen Sig‐ nalstärke alle anderen cues überlagert, ist offen. Geklärt wird diese Frage im Zuge der empirischen Untersuchung. Letztlich lassen sich aus dem Zusammenspiel von Satzschema, Belebtheits‐ kontrast, Kasusformen und ihren Belebtheitsmerkmalen vier mögliche Verar‐ beitugsstrategien ableiten, die im Sinne der oben angenommenen Sequenzie‐ rung auch als Kontinuum betrachtet werden können: 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 137 <?page no="138"?> 2 Die semantisch basierte Strategie kann nur greifen, wenn ein Belebtheitskontrast vor‐ liegt. Sofern beide NPs im Satz belebt oder unbelebt sind, steht der Belebtheits-cue nicht zur Verfügung. Die obige Liste soll keinesfalls als vollständige Abbildung aller möglichen Ver‐ arbeitungsstrategien betrachtet werden. Weitere cues, die die Satzverarbeitung stark beeinflussen können, sind zum Beispiel die Prosodie (vgl. zum Beispiel Gollrad 2015, Muckel 2002, Weber et al. 2006), die Subjekt-Verb-Kongruenz sowie der Kontext (vgl. zum Beispiel Kaiser / Trueswell 2004). Da die vorliegende Arbeit jedoch einen Schwerpunkt auf die Interdependenz von Syntax, Kasus‐ morphologie und Belebtheit setzt, werden andere mögliche cues außen vor ge‐ lassen. Die vier gelisteten Strategien bilden einerseits das bereits ausführlich formu‐ lierte sowie empirisch für monolingual aufwachsende deutsche Kinder belegte Kontinuum von Belebtheit > Syntax > Morphologie ab. Ergänzt wurde diese Sequenzierung um die mögliche Interrelation zwischen morphologischen und 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 138 <?page no="139"?> semantischen cues. Für die vorliegende Fragestellung, die nach Verarbei‐ tungsstrategien bei älteren ein- und mehrsprachigen Kindern fragt, sind die vier Strategien nicht zwangsweise als sequentielle Stufen zu verstehen, sondern könnten unter Umständen auch als non-lineare Möglichkeiten betrachtet werden, die Resultat unterschiedlicher lernerspezifischer Faktoren sind. Ob und unter welchen Umständen sie bei der Satzverarbeitung zum Tragen kommen, ist von der sprecherspezifischen cue strength abhängig. Hierbei können zwei Faktoren entscheidend sein: Einerseits kann die sprecherspezifische cue-Vali‐ dität vom aktuellen Sprachentwicklungsstand abhängig sein. Je automatisierter und umfassender das Wissen über Funktionen morphologischer Marker, desto wahrscheinlich ist die Anwendung der Strategien 3 oder 4. Je geringer dieses Wissen, desto stärker ist die Tendenz zu einer syntaktischen oder semantischen Strategie. Satzverarbeitungsprozesse können somit Resultat eines aktuellen Sprachstandes beziehungsweise eng mit diesem verknüpft sein. Der zweite Faktor gilt ausschließlich für mehrsprachige Sprecher und umfasst typologische Faktoren. Wenn die Befunde im Rahmen des CM (s. Kapitel 3.2) zutreffend sind und Sprecher dazu tendieren, L1-spezifische cues auf ihre L2 zu übertragen oder auf diese anzuwenden, würden Sprecher mit niederländischer L1 zur syntakti‐ schen, Sprecher mit russischer L1 hingegen zur morphologischen Strategie ten‐ dieren. Zu ermitteln ist hierbei einerseits, ob diese gegensätzlichen Tendenzen identifizierbar sind und andererseits, ob sich ein schrittweises Durchlaufen der vier Strategien nachzeichnen lässt. Abbildungen 6a und 6b fassen anhand von zwei Beispielbedingungen das Ineinandergreifen unterschiedlicher Strategien und lernerspezifischer Faktoren zusammen. 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 139 <?page no="140"?> Abbildung 6a: Hypothetische gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien in OS-Sätzen mit intransparenter N1-Form (der, die oder das) Abbildung 6b: Hypothetische gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien in OS-Sätzen mit transparenter N1-Form (den oder dem) Der zu den senkrecht verlaufenden querliegende Pfeil soll verdeutlichen, dass die vier angenommenen Verarbeitungstrategien sequenziellen Charakter haben können (jedoch nicht müssen). Den einzelnen Strategien wurden ein- und mehrsprachige Sprechergruppen zugeordnet, wobei die mehrsprachigen nochmal in Hinblick auf einen hypothetischen Sprachstand (SpSt) im Deutschen differenziert wurden. Angenommen wird hierbei, dass sich Kinder, die L1-spe‐ zifische Kenntnisse eines stark syntaktisch geprägten Systems wie dem nieder‐ 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 140 <?page no="141"?> ländischen mitbringen, besonders dann am Übergang von einer semantischen zu einer syntaktischen Strategie bewegen, solange ihre sprachliche Entwicklung im Deutschen noch nicht sehr weit ausgebaut ist. Je kompetenter sie im Deut‐ schen werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie beginnen, sich an mor‐ phologischen cues zu orientieren und sich von der syntaktischen Strategie ‚ab‐ zuwenden‘. Für Sprecher mit niedrigem Sprachstand im Deutschen, die jedoch Wissen über eine morphologisch stark ausgeprägte Sprache wie das Russische haben, wird angenommen, dass sie sich auf einer ähnlichen Ebene wie nieder‐ ländischsprachige Kinder mit hohem Sprachstand bewegen und somit am Über‐ gang von einer syntaktischen zu einer morphologisch-semantischen Strategie stehen. Erreichen sie eine hohe Kompetenz im Deutschen, so ist anzunehmen, dass die morphologische Strategie die Satzinterpretation dominiert. Für ein‐ sprachig deutsche Kinder sollte gelten, dass sich die Satzverarbeitung aus‐ schließlich auf morphologische cues stützt. Wie weiterhin aus Abbildung 6a und 6b hervorgeht, lässt sich über die Ent‐ scheidung, welche Konstituente als Agens ausgewählt wird, nicht automatisch auf die dem Entscheidungsprozess zugrundeliegende Strategie schließen. Un‐ terschiedliche Strategien können zu identischen Ergebnissen führen. Damit deutlich wird, welche Strategie genutzt wird, ist es wichtig, spezifische Kon‐ trastbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, zumindest einen Teil der möglichen Entscheidungsprozessen auszuschließen. So muss einem Satz wie Den Bus sieht die Oma eine Bedingung gegenübergestellt werden, in der die satzinitiale NP belebt ist, während alle anderen Variablen identisch bleiben (zum Beispiel Den Mann sieht die Oma). Wenn sich Probanden nun in beiden Satztypen für N2 als Agens entscheiden, ist klar, dass die Entscheidung auf Basis einer morphologischen Strategie gefallen ist. Wenn jedoch bei Den Bus sieht die Oma N2, bei Den Mann sieht die Oma hingegen N1 als Agens ausgewählt wird, würde dies darauf hindeuten, dass eine morphologisch-semantische Strategie greift. Gleiches gilt auch für Bedingungen, in denen die jeweiligen Kasusmarker nicht transparent sind. Zusammengefasst lässt sich folgern, dass Sprecher mit unterschiedlichen sprachlichen Vorerfahrungen und unterschiedlichem sprachlichen Wissen Sätze im Deutschen auf Basis verschiedener cues verarbeiten können. Es wird ange‐ nommen, dass verschiedene Strategien Resultat einer sprecherspezifischen cue strength sind. Im Folgenden geht es nun um die Darstellung des experimentellen Testdesigns, das die aufgeführten hypothetischen Vorannahmen überprüfen soll. Zudem werden die Probanden sowie die Durchführungsbedingungen ge‐ nauer beschrieben. 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 141 <?page no="142"?> 3 In den beiden letzten Bedingungen ist der Belebtheitskontrast neutralisiert, sodass die Belebtheit hier ausschließlich als lokaler (das heißt in seiner Relation zu spezifischen morphologischen Formen oder als Eigenschaft der satzinitialen NP), nicht aber als glo‐ baler cue (das heißt in Form von zwei im Kontrast stehenden Belebtheitsmerkmalen) verfügbar ist. 4.1 Experimentelles Testdesign Die Überprüfung der Frage, welche Strategien mehr- und einsprachige Kinder im Deutschen bei der Satzverarbeitung nutzen und ob sich die angenommenen Verarbeitungsoptionen tatsächlich nachweisen lassen, erfolgt anhand eines ex‐ perimentellen Testdesigns, in dem die oben skizzierten morphologischen, syn‐ taktischen und semantischen cues systematisch kombiniert wurden. Das Test‐ design enthält 96 aktivische transitive Sätze, bestehend aus einem finiten transitiven Verb sowie zwei nominalen NP s. Die Eigenschaften der NP s vari‐ ieren in Hinblick auf das Genus (Maskulinum, Femininum, Neutrum), die Ka‐ susmarkierung ( NOM , AKK und DAT ), die Wortstellung ( SVO vs. OVS ) sowie die Belebtheitsopposition (N1[+ B E L E BT ] / N2[- B E L E BT ], N1[- B E L E BT ] / N2[+ B E‐ L E BT ], N1[+ B E L E BT ] / N2[+ B E L E BT ], N1[- B E L E BT ] / N2[- B E L E BT ]). 3 Mit Ausnahme der Kombination zweier identischer Genera (zum Beispiel Maskulinum + Mas‐ kulinum) wurden alle Variablen kombiniert, wodurch prototypisch koalierende sowie konkurrierende Bedingungen entstanden sind. Diese Bedingungen finden sich sowohl auf syntaktischer als auch auf morphologischer Ebene. Syntaktisch liegen zum Beispiel Koalitionen und Konkurrenzen zwischen Satzschema und Belebtheitskontrast vor, mophologisch gibt es Bedingungen, in denen einzelne Marker mit für sie typischen sowie atypischen Belebtheitsmerkmalen auftreten. Auch in Hinblick auf die Relation von Syntax und Morphologie finden sich Ko‐ alitionen in Opposition zu Konkurrenzen in Form von kanonischen und nicht-kanonischen Konstituentenabfolgen. Das Testdesign umfasst sechs Genus-, zwei Kasusvariablen, zwei Wortstel‐ lungstypen sowie vier Belebtheitsvariablen. Es handelt sich somit um ein 6 x 2 x 2 x 4-Design (s. Tabelle 5). 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 142 <?page no="143"?> Tabelle 5: Bedingungen und Variablenkombinationen im Testdesign Durch die Kombination aller Variablen kommt jede semantische Rolle (Agens, Patiens, Rezipiens) in jedem Genus, in jedem Kasus, in jedem Wortstellungstyp sowie jeder Belebtheitsbedingung vor. Dadurch kann systematisch erhoben werden, welche Strategien die Probanden bei coalition- und competition-Bedin‐ gungen anwenden. Die Berücksichtigung aller cues führt dazu, dass die einzelnen cue-Kombina‐ tionen im gesamten Testdesign lediglich ein Mal vorkommen. Wenn also Aus‐ sagen darüber getroffen werden sollen, wie Probanden mit einem Satz mit einem satzinitialen, unbelebten und akkusativmarkierten Maskulinum und einem satz‐ finalen, belebten und nominativmarkierten Neutrum (zum Beispiel Den Bus sieht das Mädchen) umgehen, muss berücksichtigt werden, dass jedes Kind genau diese cue-Kombination lediglich ein Mal bearbeitet hat. Trotz dieser Einschrän‐ kung können über die Gruppeneinteilung umfassende Aussagen gemacht werden. Das Testdesign ist also so angelegt, dass über die Kontrolle der Lerner‐ variablen gruppenspezifische Aussagen gemacht werden können, die nicht ab‐ hängig vom individuellen Lernerverhalten sind. Weitaus ausschlaggebender ist, dass bei der Testauswertung nicht einzelne Sätze, sondern cue-Kombinationen unter dem Aspekt der starting point-Hypothese berücksichtigt werden. So wird zum Beispiel ermittelt, welche Auswirkungen die cue-Kombination einer Form wie das mit dem Merkmal [- B E L E BT ] in Oppposition zum Merkmal [+ B E L E BT ] in 4.1 Experimentelles Testdesign 143 <?page no="144"?> satzinitialer Position auf die Satzverarbeitung hat. Diese Bedingungen kommen im Testset jeweils vier Mal vor, sodass potentielle individuelle Abweichungen nivelliert werden können und eine belastbare Datenmenge für jeden einzelnen Probanden vorliegt. Die Auswahl der Lexeme für die Testsätze folgte einigen strengen Kriterien. Einerseits wurde darauf geachtet, dass ausschließlich Items verwendet wurden, von denen angenommen werden konnte, dass sie fester Bestandteil des kindli‐ chen Lexikons sind. Dies ist einerseits wichtig, um ausschließen zu können, dass besonders bei mehrsprachigen Kindern Entscheidungsprozesse beeinflusst werden, weil die Bedeutung eines Lexems unbekannt ist. Andererseits sollte damit sichergestellt werden, dass die Genusklassifikation (was besonders für die multifunktionale Form der relevant ist) den Entscheidungsprozess nicht beein‐ flusst. So wurde angenommen, dass bei bekannten Lexemen aus dem Alltags‐ wortschatz ein Abgleich mit der Genuskategorie nicht notwendig ist und die Interferenzen mit den Verarbeitungsstrategien minimiert werden. Da zusätzlich zur Agenswahl auch die Lesezeiten erhoben wurden, wurde als zweites Krite‐ rium die Silbenanzahl im Satz kontrolliert. Durch die Kontrolle der Silbenanzahl sollte ausgeschlossen werden, dass die Satzlänge (und davon abhängige Verar‐ beitungskapazitäten und Lesezeiten) die Antwortwahl beeinflusst. Jeder Satz enthielt deshalb sechs Silben: ein monosyllabisches finites Verb in der 3. Person Singular, ein monosowie ein bisyllabisches Substantiv und zwei einsilbige de‐ finite Artikel. Zur Ermittlung der in Frage kommenden Items wurden Wort‐ schatzlisten von insgesamt fünf Sprachbüchern für die Grundschule (Mobile, Tipi, Kunterbunt, Tinto, Lollipop) ausgewertet, wobei die sechs frequentesten einsilbigen und zweisilbigen belebten und unbelebten Maskulina, Neutra und Feminina ausgewählt wurden. Das gleiche Verfahren wurde für die Auswahl von je fünf akkusativ- und dativregierenden Verben angewendet. Tabelle 6 um‐ fasst die Liste der verwendeten Items. 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 144 <?page no="145"?> 4 Eine Übersicht aller Testsätze findet sich im Anhang. Tabelle 6: Übersicht über die verwendeten Items in den Testsätzen Bei der manuellen Konzeption der Testsätze wurden nicht nur die beschriebenen Variablen sowie die Silbenanzahl der Items, sondern auch die Lexemkombina‐ tionen kontrolliert. Jede Kombination zweier NP s kam jeweils vier Mal vor: Die Verknüpfung der Items Mann und Fahrrad wurde sowohl im akkusativmar‐ kierten SVO -Satz Der Mann sieht das Fahrrad als auch in der entsprechenden OVS -Variante (Das Fahrrad sieht der Mann) realisiert. Zudem wurde das akku‐ sativregierende Verb durch ein dativregierendes ausgetauscht. Die daraus ent‐ stehenden dativmarkierten Sätze kamen ebenfalls sowohl mit kanonischer (Der Mann folgt dem Fahrrad) als auch mit nicht-kanonischer Wortfolge (Dem Fahrrad folgt der Mann) vor. Durch diese Kombinationskontrolle konnte die Variabilität der Sätze möglichst niedrig gehalten werden, sodass die Aufmerksamkeit der Probanden gezielt von den Wortbedeutungen weggelenkt und den cues zugewendet werden konnte. Um einen potentiellen Einfluss häufig vorkom‐ mender Lexeme auf die Verarbeitungsdauer und Antwortwahl zu vermeiden, kam jedes Lexem in etwa gleich oft vor. 4 Leider enthält die Auswahl der Verben eine Problematik. Die meisten der transitiven Verben sind reversibel, sodass keiner der beiden Aktanten auf Basis der Verbsemantik als Agens präferiert wird (auch wenn Bedingungen mit einem unbelebten Agens an sich pragmatisch markiert sind). Dies trifft auf das Verb fehlen nur bedingt zu. In entsprechenden Satzbedingungen kodiert die dativ‐ markierte NP (zum Beispiel Dem Bruder fehlt die Stadt) den Experiencer. Die nominativmarkierte NP ist hier nicht agentivisch. Im Zuge der Testung wurde 4.1 Experimentelles Testdesign 145 <?page no="146"?> in diesen Fällen also nicht nach dem Agens, sondern nach dem grammatischen Subjekt gefragt. Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass den Probanden die Interpretation von OS -Sätzen mit topikalisierter Dativ- NP besonders sicher ge‐ lingt. Der Umstand, dass sich dieses Verb in seiner Semantik anders verhält als die übrigen, hat die Verarbeitungsstrategien deshalb nicht beeinflusst. Trotzdem wäre bei einer Wiederholung des Tests darauf zu achten, die Verbsemantik stärker zu kontrollieren. Die Sätze wurden gezielt als isolierte Einheiten erstellt und mit Bedacht nicht in Kontexte (wie zum Beispiel eine längere Gesprächssequenz) eingebettet. Mit Blick auf die Fülle von cues, die Sprechern während der natürlichen Interaktion zur Verfügung stehen, stellen der Gesprächsrahmen sowie das Gesprächsthema einen zusätzlichen cue dar. Kontext fungiert quasi immer auch als cue (vgl. dazu auch Kaiser / Trueswell 2004). Gleiches gilt für prosodische oder morphosyn‐ taktische cues (vgl. zum Beispiel Gollrad 2015, Grünloh / Lieven / Tomasello 2011, Muckel 2002). Das Ziel der Untersuchung ist jedoch, die cue strength der grammatischen Mittel Satzschema und Kasusmarker sowie ihre Interaktion mit dem semantischen Merkmal der Belebtheit zu beleuchten. Die stellenweise se‐ mantische Unnatürlichkeit der Testsätze ist vor dem Hintergrund dieses Vor‐ gehens nur konsequent, da darauf geachtet wurde, alle anderen cues systema‐ tisch auszuschließen und die relevanten in den Fokus zu rücken. Wie Tabelle 6 zeigt, sind bedingt durch die Orientierung an hochfrequenten Lexemen aus dem kindlichen Wortschatz Items unterschiedlicher Belebtheits‐ kategorien vorhanden. Innerhalb der Kategorie [+ B E L E BT ] finden sich zum Bei‐ spiel sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Lebewesen. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass beispielsweise Tiere (Pferd, Kuh) als weniger agentivisch eingestuft werden als Menschen, die in ihrem Agentivitätsstatus maximal hoch sind. Bei den unbelebten Items sind zudem sich bewegende Kon‐ kreta (zum Beispiel Auto, Bus) sowie Kollektiva (Schule, Dorf) vertreten. Letztere können bei einer metaphorischen Lesart auch als handelnde belebte Gruppe eingeordnet werden und entsprechend in ihrem Agentivitätsstatus steigen. Ebenso könnte aufgrund der Eigenschaft, dass sich Autos oder Busse durchaus bewegen können und die Nicht-Eigenständigkeit dieser Bewegung nicht auf Anhieb sichtbar ist, als besseres Agens fungieren als unbelebte Konkreta wie Bleistift oder Ball. Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass diese Feinabstu‐ fung auf der Belebtheitsskala keinen Einfluss auf die Antwortwahl der Pro‐ banden hatte. Im Zuge der Datenanalyse werden entsprechende Fälle zur bes‐ seren Transparenz gesondert aufgeführt, sofern sie die Agenswahl beeinflussen können. 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 146 <?page no="147"?> 4.2 Probanden Die Testsätze wurden von mehr- und einsprachigen Kindern im Alter von durchschnittlich 9; 6 Jahren bearbeitet ( SD =0,75). Die mehrsprachigen Kinder bestanden aus zwei Gruppen: russisch-deutsche (Durchschnittsalter 9; 4, SD =0,75; 15 Jungen und 20 Mädchen) sowie niederländisch-deutsche Sprecher (Durchschnittsalter 9; 7, SD =0,74; 4 Jungen und 8 Mädchen). Als gleichaltrige Vergleichsgruppe dienten monolingual deutschsprachige Kinder (Durch‐ schnittsalter 9; 7, SD =0,57; 12 Jungen und 9 Mädchen). Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass die Ergebnisse der monolingual deutschen Kontrollgruppe entgegen der Erwartung ausgefallen sind, sie würden sich an der cue validity des Deutschen orientieren und deshalb eine dominante morphologische Verar‐ beitungsstrategie anwenden (s. Abbildung 6a und 6b). Tatsächlich konnte für eine Reihe der Probanden eine stark syntaktisch ausgeprägte Strategie sowie viele Parallelen zu den niederländisch-deutschen Sprechern gefunden werden. Mit Blick auf die Ergebnisse von Dittmar et al. (2008), Lindner (2003) sowie Schaner-Wolles (1989), die bereits 5- und 7-jährigen deutschsprachigen Kindern eine deutlich ausgeprägte morphologische Satzverarbeitungsstrategie attes‐ tieren, ist dieser Umstand mehr als überraschend. Mehr Parallelen finden sich deshalb zu den Ergebnissen von Lidzba et al. (2013), die davon ausgehen, dass auch Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren im Vergleich zu älteren Jugendlichen und Erwachsenen eine schwächere morphologische Strategie anwenden. Um ausschließen zu können, dass dieses unerwartete Ergebnis auf die Konzeption des Testdesigns zurückzuführen ist, wurde der Test nachträglich mit einer er‐ wachsenen monolingual deutschen Kontrollgruppe durchgeführt. Das Durch‐ schnittsalter der Erwachsenen lag bei 26 ( SD =3). An der Erhebung nahmen insgesamt 71 Kinder und 20 Erwachsene teil. Von den Kindern musste eine Probandin ausgeschlossen werden, da sich im Nach‐ hinein herausstellte, dass sie an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche litt. Auf‐ grund der Tatsache, dass die Bearbeitung der Testsätze in Schriftform durchge‐ führt wurde, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die besonderen Umstände des Kindes die Testbearbeitung beeinflussen. Ein weiteres Kind wurde ausgeschlossen, weil sich während der Erhebung herausstellte, dass neben dem Niederländischen auch Arabisch als Familiensprache gesprochen wurde. Das Kind war also trilingual, was einen Kontrast zu den übrigen Pro‐ banden darstellte. Ebenso musste ein Mädchen ausgeschlossen werden, weil ihre Familiensprache Mandarin war. Sie entsprach damit nicht den Auswahlkrite‐ 4.2 Probanden 147 <?page no="148"?> 5 Jeder der 68 Probanden bearbeitete alle 96 Testsätze. Dies führt zu einer Gesamtzahl von 6528 untersuchten Bedingungen. 6 Der Aufbau dieser Unterrichtsstruktur ist mit dem Konzept des herkunftssprachlichen Unterrichts vergleichbar. 7 Als Familiensprache „wird bei Mehrsprachigen eine andere Sprache als Deutsch ver‐ standen, mit der das Kind zuerst oder auch parallel zum Deutschen im familiären Umfeld in Kontakt kommt“ (Gagarina 2014: 20). rien. Von den übrig gebliebenen 68 Kindern 5 besuchten zum Erhebungszeit‐ punkt 45 Kinder Grundschulen im Kreis Warendorf und 18 Kinder Schulen in Gronau. Sechs weitere Kinder wurden in einer Samstagsschule, die Sprach- und Kulturunterricht für russischstämmige Kinder jeden Alters erteilt, 6 in Paderborn getestet. Bis auf die Schule in Paderborn waren alle Einrichtungen in tendenziell ländlich geprägten Gebieten angesiedelt. Obwohl also der sozio-ökonomische Status der Probanden nicht explizit berücksichtigt wurde, lässt sich die Vermu‐ tung aufstellen, dass die Probanden aus ähnlich geprägten sozialen Milieus kamen und einen in etwa vergleichbaren familiären Hintergrund mitbrachten. Mit abschließender Sicherheit kann dies jedoch nicht belegt werden, da ent‐ sprechende Daten leider nicht erhoben wurden. Dieses Versäumnis sollte bei einer ähnlichen Erhebung in Zukunft jedoch unbedingt berücksichtigt werden. Insgesamt 35 der 68 Kinder waren russisch-deutsch-, 12 niederländischdeutsch- und 21 monolingual deutschsprachig. Die mehsprachigen Kinder sind alle in Deutschland geboren, haben Deutsch jedoch erst im Kindergarten bezie‐ hungsweise in der Schule gelernt. Entsprechende sprachbiographische Infor‐ mationen wurden mittels ausführlicher individuell durchgeführter Interviews erfasst. Die Kinder wurden dabei gefragt, wo sie geboren seien und welche Sprachen sie mit wem zu Hause beziehungsweise außerhalb der Schule spre‐ chen. Die mehrsprachigen Probanden gaben dabei überwiegend an, dass sie zu Hause besonders mit Eltern und Großeltern die Familiensprache 7 Russisch be‐ ziehungsweise Niederländisch sprechen. Die Kommunikation mit Geschwistern und Schulkameraden wird hingegen vom Deutschen dominiert. Bedingt durch die Tatsache, dass die Familiensprache der mehrsprachigen Probanden nicht Deutsch ist, lässt sich annehmen, dass der Kontakt zum Deutschen besonders im Kindergarten beziehungsweise in der Schule relevant wurde und zu einer Sprachdominanzverlagerung von nicht-deutscher Familiensprache zu deut‐ scher Umgebungssprache geführt hat. Mit Blick auf die sprachbiographischen Informationen haben die mehrsprachigen Probanden deshalb einen frühen se‐ quentiellen Zweitspracherwerb durchlaufen (vgl. zum Beispiel Meisel 2009). Bei einem Kind wurde im Zuge der sprachbiographischen Befragung ermittelt, dass im familiären Umfeld trotz einer Migrationsgeschichte das Russische keine Rolle 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 148 <?page no="149"?> spielt. So gab das Kind an, dass lediglich der Vater und die Großmutter unter‐ einander manchmal Russisch gebrauchen würden. Die Eltern-Kind sowie Groß‐ eltern-Kind-Kommunikation fand hingegen ausschließlich auf Deutsch statt. Um abschließend zu klären, dass die Russischkenntnisse gegen Null tendieren, wurden dem Kind einfache Fragen auf Russisch gestellt (zum Beispiel Fragen zum Alter oder zur Familie). Da das Kind keine der Fragen verstanden hat, wurde es letztlich als monolingual deutsches Kind eingestuft und wechselte so seine Gruppenzugehörigkeit. Obwohl darauf geachtet wurde, die Kriterien für die Probandenauswahl mög‐ lichst engzuführen, können individuelle Unterschiede zwischen den Gruppen nicht ausgeschlossen werden. Erwähnt werden sollen deshalb zwei Aspekte, die sich unter Umständen auf die Ergebnisse auswirken könnten. Zum einen ist das Auffinden niederländisch-deutscher Probanden mit einer großen Herausforde‐ rung verbunden gewesen. Viele der Schulen im deutsch-niederländischen Grenzgebiet haben zwar einen relativ hohen Anteil bilingualer Schüler, jedoch leben viele der Kinder in den Niederlanden und besuchen eine Schule in Deutschland. Das Deutsche ist für diese Kinder nicht annähernd so dominant wie für die deutsch-russischen Kinder, sodass Kinder, die in den Niederlanden lebten von vornherein von der Erhebung ausgeschlossen wurden. Dies hat dazu geführt, dass die tatsächliche Probandenzahl im Vergleich zu den russischen Sprechern sehr niedrig war. Für die Kinder, die den Kriterien entsprachen (also ständiger Aufenthaltsort Deutschland, Niederländisch ausschließlich Familien- und nicht Umgebungssprache), kann trotzdem nicht ausgeschlossen werden, dass der Kontakt zum Niederländischen bedingt durch die Grenznähe höher ist als der Kontakt zum Russischen für russisch-deutschsprachige Kinder. Unter Umständen ist die stärkere Präsenz des Niederländischen deshalb auch ein Faktor bei den Verarbeitungsstrategien. Um sicherzugehen, dass die Kenntnisse der Familiensprache zwischen niederländisch-deutschen und russisch-deut‐ schen Probanden nicht eklatant divergieren, wurden bei den russischsprachigen Kindern zusätzlich die Kompetenzen im Russischen mittels einer Bilderfolgeer‐ zählung überprüft. Dabei kristallisierte sich eine durchaus große Variabilität in Hinblick auf die Kompetenzen in der L1 Russisch heraus, da einige Kinder beim Erzählen deutlich häufiger ins Deutsche switchen mussten als andere. Beson‐ ders die Kinder, die die Samstagsschule besuchten sowie zwei weitere Pro‐ banden, die außerhalb der Schule Russischunterricht bekamen, zeichneten sich durch eine sehr sichere Beherrschung der Aufgabe aus. Andere hatten deutliche Schwierigkeiten, die Erzählung auf Russisch zu versprachlichen. Die so ermit‐ telte Heterogenität in Hinblick auf die familiensprachlichen Kompetenzen spie‐ gelt die große Spanne der familiensprachlichen Fertigkeiten von Migranten im 4.2 Probanden 149 <?page no="150"?> 8 Für eine ausführliche Diskussion des Testinstruments sowie seines Einsatzes als Diag‐ noseverfahren bei L2-Lernern vgl. Baur / Spettmann (2009). 9 Dieser Wert wird auch von Baur / Spettmann (2009) als normierter Richtwert zur Dif‐ ferenzierung von förderbedürftigen und nicht-förderbedürftigen Lernern geführt. Allgemeinen wider. Idealerweise sollte systematisch berücksichtigt werden, ob sich die L1-spezifischen Kompetenzunterschiede innerhalb von Gruppen auf divergierende Verarbeitungsstrategien auswirken. Dies kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht geleistet werden. Trotz dieser gruppeninternen und -übergreifenden Feinunterschiede, die im Zuge der Ergebnisanalyse berücksichtigt werden müssen, ist die Unterschied‐ lichkeit der Familiensprachen der beiden mehrsprachigen Probandengruppen der wichtigste Faktor. Wie in Punkt 4 angenommen, sollte sich in Hinblick auf die typologischen Unterschiede zwischen den beiden berücksichtigten Famili‐ ensprachen Russisch und Niederländisch ein entsprechender Einfluss auf die Verarbeitungsstrategien identifizieren lassen. Um neben dem Einfluss der Fa‐ miliensprache auch den Einfluss von Kompetenzunterschieden im Deutschen berücksichtigen zu können, wurde jede Sprechergruppe in Hinblick auf den Sprachstand in der Zweitsprache differenziert. Auf der Grundlage eines mit den Probanden durchgeführten C-Tests, der den Anspruch hat, den allgemeinen Sprachstand abzubilden, 8 wurden die Probanden in zwei Subgruppen unterteilt: Lerner mit niedrigen und Lerner mit hohen Deutschkenntnissen. Für die Diffe‐ renzierung der Gruppen wurde lediglich der Richtig-Falsch-Wert berücksichtigt, der den Anteil grammatisch und orthographisch korrekter Items abbildet. Aus‐ gehend von allen Ergebnissen wurde für den RF -Wert ein Median von 75 % 9 errechnet, mit einer Standardabweichung von 13 %. Der ermittelte Sprachstand der Probanden bezieht sich also in der vorliegenden Untersuchung nicht nur auf einen quantitativ ermittelten normierten Wert, sondern errechnet sich aus der Relation der Probandenergebnisse zueinander. Die Einteilung der Probanden in Hinblick auf die L1 und den Sprachstand im Deutschen gestaltet sich wie folgt (Tabelle 7): Tabelle 7: Anzahl Probanden nach L1 und Sprachstand im Deutschen 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 150 <?page no="151"?> Die Tabelle enthält auch eine Spalte mit monolingual deutschen Kindern. Auch mit ihnen wurde der Vollständigkeit halber das C-Test-Screening durchgeführt, wobei davon ausgegangen wurde, dass alle Kinder einen hohen Sprachstand erreichen. Wie die Tabelle zeigt, war das nicht der Fall. Überraschenderweise haben fünf der Kinder Werte von weit unter 70 % erreicht (drei Mal 53 %, jeweils ein Mal 55 % und 62 %), zwei lagen nur knapp darüber. Der gruppeninterne Me‐ dian liegt zwar mit 80 % höher als in den mehrsprachigen Grupppen (75 % bei der russisch-deutschen und 73 % bei der niederländisch-deutschen Gruppe). Trotzdem erreichen sieben der 14 Kinder den Schwellenwert von 75 % nicht. Da sich der RF -Wert sowohl auf grammatische als auch auf orthographische Kor‐ rektheit bezieht, ist es möglich, dass die niedrigen RF -Werte in der deutschen Gruppe aufgrund orthographischer Schwierigkeiten zustande kommen. Jedoch offenbart ein genauerer Blick auf die Daten, dass auch grammatische Schwie‐ rigkeiten ihren Teil beitragen. So finden sich häufig Kasusfehler wie *ein Beutel statt einen Beutel in nominalen Phrasen oder *schenkte ihn statt schenkte ihm im pronominalen Bereich. Auch wenn der Großteil der monolingual deutschen Kinder den Grenzwert von 75 % deutlich überschreitet, wäre es besonders mit Blick auf die Fehlertypen nicht gerechtfertigt, die Gruppe aufgrund ihres mo‐ nolingualen Hintergrunds als sprachlich homogen zu behandeln. Die Sprach‐ standsunterschiede im Deutschen werden deshalb für alle drei Gruppen beibe‐ halten. Tabelle 7 zeigt weiterhin, dass die Gruppengrößen sowohl in Hinblick auf die L1 als auch hinsichtlich des Sprachstands im Deutschen stark variieren. Die dadurch entstehenden Gruppendifferenzen können jedoch durch eine ent‐ sprechende statistische Analyse aufgefangen werden. Die Kompetenzunterschiede im Deutschen bilden neben der Differenzierung zwischen den Ausgangssprachen als solche die primäre Unterscheidungsgrund‐ lage für die Testauswertung der Gruppen. Andere Lernervariablen wie Alter oder Geschlecht wurden weder für die Konzeption des Testdesigns noch für die letztliche Testauswertung berücksichtigt. Begründet ist dies durch die der Arbeit zugrundeliegende Kernhypothese, dass die sprachliche Vorerfahrung und damit neben einem unterschiedlichen L1-spezifischen Wissen auch der Sprachstand die Satzverarbeitung im Deutschen determinieren. Die erwachsene monolingual deutsche Kontrollgruppe wurde im universi‐ tären Rahmen rekrutiert. An der Studie haben insgesamt 20 Studierende des Fachs Germanistik teilgenommen. Vier von ihnen befanden sich zum Erhe‐ bungszeitpunkt im dritten Fachsemester des Bachelorstudiums, 16 im ersten oder zweiten Mastersemester. Für die erwachsenen Kontrollprobanden wurden keine weiteren Daten erhoben. 4.2 Probanden 151 <?page no="152"?> 4.3 Durchführung Die Konzeption des Testdesigns erfolgte mithilfe des Programms Affect 4 (Spruyt et al. 2010), was sowohl die Erfassung von Antworten als auch die Mes‐ sung von Lesezeiten ermöglicht. Die Bearbeitung der Testsätze wurde auf drei Sitzungen bei den Kindern beziehungsweise drei aufeinanderfolgende Zeit‐ blöcke bei den Erwachsenen verteilt. Pro Sitzung / Zeitblock mussten die Pro‐ banden jeweils 32 Sätze bearbeiten. Die Sitzungen wurden mit den Kindern im April und Mai 2012 in einem regelmäßigen Abstand von ca. 3 Wochen durch‐ geführt. Die Durchführung mit den Erwachsenen fand in der zweiten Dezem‐ berhälfte des Jahres 2015 statt. Das zugrundeliegende Testdesign sowie die ver‐ wendeten Testsätze in den drei Sitzungen / Blöcken waren für alle Gruppen identisch. Die Probanden arbeiteten meistens allein am Laptop, lediglich an einer Schule war es aufgrund der großen Anzahl der Probanden notwendig, zwei Kinder in einem Raum an zwei Laptops zeitgleich arbeiten zu lassen. Die er‐ wachsenen Probanden wurden in Gruppen von drei bis fünf Personen in einem Computerlabor getestet. Dieses war so ausgrichtet, dass Sichtblenden zwischen den Arbeitsplätzen angebracht waren. Ablenkungsmöglichkeiten wurden also maximal niedrig gehalten. Die Testsätze wurden für die einzelnen Testzeit‐ punkte manuell zusammengestellt. Dabei wurde streng darauf geachtet, dass alle Variablenkombinationen in etwa gleich oft vorkamen. Obwohl die Auswahl der sitzungsspezifischen Testsätze manuell erfolgte, wurde ihre Reihenfolge während der Messung automatisch durch das Programm randomisiert. Vor jedem Testdurchlauf gab es eine Eingewöhnungsphase, in der die Pro‐ banden einen Beispieltest durchführten, der dazu diente, die Testmethode ken‐ nenzulernen. Der Beispieltest enthielt bei den Kindern jeweils vier Testsätze, die nach den oben beschriebenen Variablen variierten und derselben Testmethode folgten. Die erwachsenen Probanden bekamen aufgrund der Tatsache, dass alle drei Messungen nacheinander durchgeführt wurden, nur einen Beispieltest mit acht Testsätzen. Um potentielle Effekte zu vermeiden, enthielten die Beispiel‐ sätze ausschließlich Substantive und Verben, die im eigentlichen Test nicht vor‐ kamen. Direkt im Anschluss an den Beispieltest wurde der eigentliche Test durchgeführt. Die Durchführung dauerte insgesamt ca. drei bis fünf Minuten pro Testdurchlauf. Im Fokus des Tests stand die Agensbestimmung, die nach folgendem Muster ablief: Die Probanden sahen auf dem Computerbildschirm zunächst einen der Testsätze (zum Beispiel Der Mann sieht das Fahrrad). Um potentielle schrift‐ sprachlich bedingte cues auszuschließen (zum Beispiel Groß- und Kleinschrei‐ bung), wurden alle Sätze in Majuskeln präsentiert. Durch den Einbau eines 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 152 <?page no="153"?> Timeouts hatten die Kinder für das Lesen des Satzes maximal 12 Sekunden, die Erwachsenen maximal 5,5 Sekunden Zeit. Es bestand durch das Betätigen der Leertaste auf der Computertastatur die Möglichkeit, das Lesen des Satzes auch vor dem Ablauf des Timeouts zu beenden. Der Einbau einer zeitlichen Begren‐ zung und der somit aufgebaute Zeitdruck sollten dazu dienen, die durchschnitt‐ lichen Lesezeiten in den einzelnen Bedingungen zu ermitteln. Neben der Vari‐ able ‚Agenswahl‘ sollte so über die Lesezeit eine der Satzverarbeitung zugrundeliegende Strategie genauer herausgearbeitet werden. Sobald die 12 Se‐ kunden abgelaufen waren beziehungsweise die Leertaste gedrückt wurde, ver‐ schwand der Satz vom Bildschirm. Zeitgleich mit dem Verschwinden des Satzes erschienen eine Frage, die die Agenswahl einleitete, sowie zwei Antwortopti‐ onen, die die beiden NP s aus dem Testsatz aufgriffen. Der Fragesatz enthielt stets das Fragepronomen Wer sowie das Verb des zuvor gelesenen Satzes (zum Beispiel Wer sieht? ). In Hinblick auf den Beispielsatz wurden die beiden NP s als Antwortoptionen ohne den Artikel präsentiert (zum Beispiel Mann - Fahrrad). Durch das Weglassen des Artikels wurde verhindert, dass der Artikel als cue nochmal aufgegriffen und damit von den anderen cues abgehoben werden konnte. So wurde sichergestellt, dass alle cues bei der Präsentation der Testsätze gleichwertig gewichtet waren. Die Antwortoptionen enthielten also ausschließ‐ lich das Substantiv der NP s im Testsatz. Die beiden NP s waren sowohl im Test‐ satz als auch bei der Antwortauswahl farblich unterlegt. Die farbliche Markie‐ rung wurde auf der Computertastatur übernommen, sodass sich die Probanden je nach NP für eine grün oder rot gekennzeichnete NP entscheiden mussten. Das Testverfahren ersetzt also das in pointing tasks verwendete Zeigen auf ein Agens durch einen Tastendruck. Auch für die Beantwortung der Testfrage stand nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung (6 Sekunden bei den Kindern, 3 bei den Erwachsenen). Der Grund für die unterschiedlichen Timeoutgrenzen zwischen Kindern und Erwachsenen liegt darin, dass nicht alle Kinder mit der zeitlichen Begrenzung zurechtkamen. Im Rahmen eines Pretests mit drei russisch-deutschsprachigen sowie zwei monolingual deutschen Kindern im Alter von durchschnittlich 9; 6 Jahren wurde deutlich, dass die Zeit, die Kinder in diesem Alter für das Lesen eines einfachen Satzes benötigen, erheblich variiert. Die ursprünglich ange‐ setzten neun Sekunden Lesezeit für den Testsatz reichten für viele Kinder nicht aus, sodass das voreingestellte Timeout auf 12 Sekunden erhöht wurde. Auch das Timeout für die Entscheidungsfrage musste auf Basis der Pretestergebnisse angepasst werden. Nur so konnte sichergestellt werden, dass alle Kinder der Aufgabe gewachsen waren und Entscheidungen nicht aus Zeitnot oder ähn‐ lichem trafen. Die Anpassung hatte jedoch auch zur Folge, dass die Lesezeiten 4.3 Durchführung 153 <?page no="154"?> der kindlichen Probanden kaum aussagekräftige Ergebnisse zutage gefördert haben. 12 Sekunden sind schlicht zu lang, um brauchbare Effekte ermitteln zu können. Aus diesem Grund wurde die Lesezeit als abhängige Variable für die Kinder nicht berücksichtigt. Stattdessen stehen ausschließlich die Antworten im Fokus. Lediglich für die erwachsenen Kontrollprobanden wurde die Lesezeit gemessen und ausgewertet. 4 Cue strength bei mehr- und einsprachigen Kindern 154 <?page no="155"?> 5 Ergebnisse In der folgenden Ergebnisdarstellung und -diskussion liegt der Fokus auf dem Anteil der N1-Antworten. Entsprechend der in Kapitel 3.4 ausformulierten Vor‐ annahmen sollten sich in Abhängigkeit von sprecherspezifischen Vorausset‐ zungen (L1, Sprachstand im Deutschen) unterschiedliche Satzverarbeitungsstra‐ tegien identifizieren und im besten Fall im Zuge einer Querschnittsanalyse im Sinne der Abbildungen 6a und 6b (Kapitel 4) eine Verlagerung von einer syn‐ taktischen zu einer morphologischen Strategie abzeichnen lassen. Bezogen auf das left-to-right-parsing ist die satzinitiale NP entscheidend für die Hypothe‐ senbildung bei der Satzverarbeitung. Je eindeutiger sie nicht-agentivisch ist (das heißt bei allen transparenten Markern), desto wahrscheinlicher ist die Revision der syntaktischen Strategie. Je höher der Grad der Intransparenz des satzini‐ tialen Markers, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass von einem kanonischen Satztyp ausgegangen wird. Deshalb kann auch von einer N1-Hy‐ pothese (oder N1-bias) gesprochen werden, die unter bestimmten Bedingungen und besonders in Abhängigkeit von der sprecherindividuellen cue strength re‐ vidiert wird. Bei der folgenden Analyse geht es explizit nicht darum, Aussagen dazu zu treffen, an welcher Stelle die Probanden die aus linguistischer Sicht richtige NP als Agens auswählen. Stattdessen soll herausgearbeitet werden, welche Verarbeitungsstrategien bei den Probanden in Abhängigkeit von den linguistischen Bedingungen und den Lernerfaktoren identifiziert werden können. Bei der Auswertung wurde darauf geachtet, dass jede überprüfte Be‐ dingung mindestens zwei Mal von jedem Probanden bearbeitet wurde. Wenn zum Beispiel gezeigt wird, ob sich in Sätzen mit einer präverbalen unmarkierten der-Form und einer intransparenten postverbalen das- oder die-Form die Beleb‐ theitsopposition (N1[+ B E L E BT ] / N2[- B E L E BT ] vs. N1[- B E L E BT ] / N2[+ B E L E BT ]) auf den N1-Anteil auswirkt, wurden die N1-Anteile der beiden Testsätze Der Mann [+ B E L E B T ] fragt die Klasse [- B E L E B T ] / Der Mann [+ B E L E B T ] hört das Auto [- B E‐ L E B T ] gemeinsam dem Testsatzpaar Der Bleistift [- B E L E B T ] malt das Kind [+ B E L E B T ] / Der Bleistift [- B E L E B T ] malt die Kuh [+ B E L E B T ] gegenübergestellt. Gleiches gilt für einzelne satzinitiale NP s. So werden zum Beispiel satzinitiale unbelebte den- NP s mit der belebten den-Bedingung (zum Beispiel den Bus [- B E L E B T ] vs. den Mann [+ B E L E B T ] ) hinsichtlich des jeweiligen N1-Anteils kontrastiert. Konkret heißt das, dass so für jede Teilgruppe (zum Beispiel L1 Russisch vs. L1 Nieder‐ <?page no="156"?> ländisch) ein für die Bedingung spezifischer N1-Wert ermittelt und verglichen wird. Unberücksichtigt bleiben bei der Analyse Sätze, die aufgrund des Auslau‐ fens des Timeouts unbeantwortet blieben. Hierbei mussten 98 von insgesamt 6528 Testsätzen bei den Kindern und 49 von 1920 Testsätzen bei den Erwach‐ senen ausgeschlossen werden. Die statistische Analyse der N1-Anteile fußt auf einfaktoriellen, zweifakto‐ riellen sowie je nach Bedingung auch dreifaktoriellen ANOVA -Tests. Die Posthoc-Analysen wurden für die einfaktoriellen Analysen mit dem Wil‐ coxon-Test, für die mehrfaktoriellen mit dem Tukey HSD -Test durchgeführt. Die jeweils abhängige Variable war die von den Probanden gewählte Antwort. Bei den Erwachsenen wurden als zweite und dritte abhängige Variablen die Lesezeit der Testsätze und die Dauer bei der Beantwortung der Entscheidungsfrage be‐ rücksichtigt. Die jeweiligen Ergebnisse und Effekte werden im Folgenden so‐ wohl in Tabellenals auch in Diagrammform präsentiert, wobei die Tabellen aus Übersichtsgründen ausschließlich die F- und p-Werte enthalten. Als unabhän‐ gige Variablen und damit als mögliche Einflussfaktoren auf die N1-Anteile wurden bei den Kindern die L1 sowie der Sprachstand im Deutschen zugrunde gelegt. Die Hypothesenüberprüfung umfasst hier sowohl betweenals auch within-group-Analysen. Daneben gibt es drei weitere cues, die als grammatische sowie semantische Variablen klassifiziert werden. Die erste Variable ist die Transparenz morphologischer Kasusformen. Als transparent wurden unmark‐ ierte derin SO -Sätzen sowie alle den- und dem- NP s in OS -Sätzen, als intran‐ sparent dativmarkierte der- NP s in OS -Sätzen sowie alle präverbalen das- und die-Formen eingeordnet. Die Konstituentenabfolge sowie die Belebtheit der satzinitialen NP wurden als zweite und dritte Variablen betrachtet. Bei der Kon‐ stituentenabfolge wird zwischen SO - und OS -Sätzen unterschieden. Diese Auf‐ teilung aller getesteten N>N-Sätze hat zwei Ziele: Zum einen soll gezeigt werden, ob Lerner grundsätzlich in der Lage sind, die beiden Satzmuster inner‐ halb des übergeordneten N>N-Schemas zu erkennen. Zum anderen ist die Tei‐ lung notwendig, um erkennen zu können, ob und wie sich satzinitiale Marker auf Verarbeitungsstrategien auswirken. Die drei unabhängigen Variablen Satz‐ schema, morphologische Marker und Belebtheit werden in Hinblick auf ihre Effekte auf den N1-Anteil (und auf die Lesezeiten bei den Erwachsenen) sowohl einzeln als auch in Interaktion zueinander analysiert. Weiterhin sollen Interak‐ tionen zwischen linguistischen cues und Lernervariablen ermittelt werden, so‐ dass Aussagen darüber getroffen werden können, ob beispielsweise der Trans‐ parenzgrad morphologischer Marker nur für bestimmte Gruppen relevant ist. 5 Ergebnisse 156 <?page no="157"?> 1 Die Haupteffekte wurden mit einem linearen Modell errechnet. 5.1 Haupteffekte Bevor die einzelnen Ergebnisse im Detail aufgeschlüsselt werden, sollen der Vollständigkeit halber zunächst die Haupteffekte 1 kurz dargestellt und diskutiert werden. Dabei wird zwischen den Ergebnissen der drei Kindergruppen (vgl. Tabelle 8) und den Erwachsenen (vgl. Tabelle 9) differenziert. Bei den Erwach‐ senen wird zwischen drei abhängigen Variablen unterschieden: dem N1-Anteil, der Lesezeit in Bezug auf das Lesen des Testsatzes sowie der Entscheidungszeit bei der Wahl des Agens. 5.1 Haupteffekte 157 <?page no="158"?> Tabelle 8: Haupteffekte und Interaktionen bei Kindern (abhängige Variable: Antwort‐ wahl) 5 Ergebnisse 158 <?page no="159"?> Tabelle 9: Haupteffekte und Interaktionen bei Erwachsenen (abhängige Variablen: Ant‐ wortwahl, Lesezeit Testsatz, Entscheidungszeit) Aus Tabelle 8 geht hervor, dass sich der Transparenzgrad satzinitialer morpho‐ logischer Marker und vor allem die L1 der Probanden (hoch-)signifikant auf den N1-Anteil auswirken. Auch die Wortstellung hat einen äquivalenten Effekt, wo‐ raus geschlossen werden kann, dass die Probanden grundlegend zwischen SO - und OS -Sätzen differenzieren. Anders als erwartet, hat der Sprachstand allein keinen Einfluss auf die Antwortwahl, sondern ist lediglich in Interaktion mit anderen Variablen relevant. Eine Interaktion findet sich zum Beispiel zwischen Sprachstand und L1, was bedeutet, dass sich der Sprachstand nur in bestimmten Sprechergruppen auf die Agenswahl auswirkt. Ebenso gibt es eine signifikante Interaktion zwischen dem Sprachstand und der Wortstellung sowie dem Faktor Transparenz. Daraus lässt sich ableiten, dass der N1-Anteil bei einigen Pro‐ banden in Abhängigkeit von sprachstandsbedingten Differenzen bei transpa‐ 5.1 Haupteffekte 159 <?page no="160"?> renten und intransparenten Markern variiert. Dies wirkt sich unter Umständen dann auch auf die Differenzierung zwischen SO - und OS -Sätzen aus. Diese Ver‐ mutung wird durch den hochsignifikanten Effekt zwischen der Interaktion von Wortstellung und dem Transparenzfaktor belegt. Wann sich die Differenz von transparenten und intransparenten Formen auf die Antwortwahl auswirkt, ist damit davon abhängig, ob es sich um einen SO - oder OS -Satz handelt. Weiterhin kann aus der Tabelle geschlossen werden, dass es zwar einen sig‐ nifikanten Effekt bei der Interaktion von L1 und der Wortstellung, nicht aber bei L1 und Transparenz gibt. Das heißt, dass die Differenzierung zwischen SO - und OS -Sätzen an die konkrete Erstsprache der Probanden gebunden ist, die Differenzierung zwischen transparenten und intransparenten Formen jedoch L1-unabhängig relevant ist. Für alle Sprecher ist die Agenswahl somit davon abhängig, ob ein N>N-Satz mit einem transparenten oder einem intransparenten Marker beginnt. Es muss somit stellenweise zwischen cues, die gruppenüber‐ greifend einen signifikanten Effekt auf die Antwortwahl haben und cues, die nur unter bestimmten Bedingungen (nämlich in Abhängigkeit von bestimmten Lernervariablen oder von anderen cues) die Antwortwahl beeinflussen, unter‐ schieden werden. Erwähnenswert ist schließlich die Relevanz der Belebtheit. Der Belebtheits‐ kontrast hat gruppenübergreifend einen marginal signifikanten Effekt, der of‐ fenbar besonders in Abhängigkeit von der Variable Wortstellung greift (hier findet sich eine entsprechende Interaktion). Zugleich hat die Belebtheit der satzinitialen NP allein keinen Einfluss auf den N1-Anteil, sondern ist aus‐ schließlich in Abhängigkeit von der L1 der Sprecher relevant. Für einige Gruppen ist damit offenbar das Belebtheitsmerkmal der satzinitialen NP für die Agenswahl relevant, für andere nicht. Zugleich ist der Belebtheitskontrast zwi‐ schen N1 und N2 für alle Probanden bei der Agenswahl wichtig. Die Haupteffekte bestätigen, dass sich eine Reihe der in Kapitel 3 und 4 auf‐ gestellten Vermutungen auf die Agenswahl auswirken. Neben der L1 und dem Transparenzgrad morphologischer Marker wirkt sich auch die Belebtheit in un‐ terschiedlichem Maße auf den Satzverarbeitungsprozess aus. Was nicht bestätigt werden kann, ist der übergreifende Einfluss des Sprachstandes im Deutschen. Dieser greift nur in Interaktion mit anderen Variablen. Zu fragen ist an dieser Stelle, wie genau sich die gemessenen Haupteffekte auf den Satzverarbeitungs‐ prozess auswirken und ob tatsächlich gruppenspezifische Verarbeitungsstrate‐ gien aufgefunden werden können. Ein Blick auf die Haupteffekte und Interaktionen bei den Erwachsenen (s. Tabelle 9) offenbart, dass durchaus einige Parallelen zu den Kindern existieren. So ist besonders auffällig, dass es eine deutliche Interaktion zwischen den Va‐ 5 Ergebnisse 160 <?page no="161"?> riablen Wortstellung und dem Transparenzgrad morphologischer Marker gibt. Offenbar ist die Antwortwahl der Erwachsenen von der Verfügbarkeit morpho‐ logisch transparenter und intransparenter Formen in SO - und OS -Sätzen ab‐ hängig. Dies ist insofern überraschend, als davon ausgegangen wurde, dass die Agenswahl bei Erwachsenen ausschließlich von morphologischen cues abhängt und die Konstituentenabfolge hierauf eigentlich keinen nennenswerten Einfluss haben sollte. Weniger überraschend ist in diesem Zusammenhang, dass sich Effekte, die sich im Bereich der Antwortwahl abbilden, auch bei den beiden Lesezeitmessungen wiederfinden. Bei den Variablen Transparenz und Be‐ lebtheitskontrast finden sich hingegen ausschließlich marignal signifikante Ef‐ fekte bei der Satzlesezeit und / oder bei der Entscheidungszeit, nicht aber bei der Antwortwahl. Die Lese- und Entscheidungsgeschwindigkeiten sind damit bei den Erwachsenen grundlegend vom Transparenzgrad des satzinitialen Markers als auch vom Belebtheitskontrast im Satz abhängig. Dies ist insofern besonders bemerkenswert, als sich das, was sich bei den Kindern auf der Ebene der Ant‐ wortwahl abbildet, bei den Erwachsenen in der Lese- und Entscheidungsdauer wiederfindet. Kinder differenzieren bei der Agenswahl zwischen den Markern den und dem auf der einen und das, die und der auf der anderen Seite und wählen je nach Verfügbarkeit N1 oder N2 als Agens. Bei den Erwachsenen führen diese morphologischen Informationen zu divergierenden Lese- und Entscheidungs‐ geschwindigkeiten. Gleiches gilt für den Belebtheitskontrast. Im Folgenden soll nun erfasst werden, wie genau sich die Haupteffekte ausdif‐ ferenzieren lassen. Dazu wird die Datenanalyse in vier Teile geteilt. Zunächst soll die grundlegende Frage im Fokus stehen, ob sich anhand der Daten die angenommene Hierarchie von Syntax > Kasusmorphologie finden lässt. In einem zweiten Schritt wird geklärt, ob diese Differenzierung gegebenfalls grup‐ penspezifisch ist. Dabei stehen die Variablen L1 und Sprachstand sowie deren Relation im Fokus. Schritt drei widmet sich der Markertransparenz und versucht auszudifferenzieren, wie sich transparente und intransparente Marker in den jeweiligen Gruppen auf die Satzverarbeitung auswirken. Im Zuge dessen wird auch die Rolle der Belebtheit genauer ausgeleuchtet. Im vierten und letzten Schritt sollen individuelle Strategien in den Fokus gerückt werden. 5.1 Haupteffekte 161 <?page no="162"?> 5.2 Vom Satzschema zur Kasusmorphologie: Indikatoren für eine cue-Hierarchie Eine zielsprachlich angemessene Satzverarbeitung im Deutschen setzt voraus, dass Sprecher in der Lage sind, morphologische Marker in Konkurrenzkon‐ texten als konfliktresultierende cues zu nutzen. Die Satzverarbeitung muss sich deshalb auf eine morphologische Verarbeitungsstrategie stützen. Diverse Stu‐ dien zeigen jedoch (s. Kapitel 3.1), dass besonders im Deutschen syntaktische cues die Determination semantischer Relationen bei Kindern über einen langen Zeitraum dominieren. Auch erwachsene Sprecher tendieren unter bestimmten Bedingungen (zum Beispiel bei intransparenten Markern) dazu, ihre Entschei‐ dung auf Basis der Konstituentenabfolge zu fällen. Der syntaktische cue scheint also besonders in der kindlichen Sprachentwicklung und auch noch darüber hinaus eine relativ hohe cue strength zu haben. Aus erwerbssequentieller Perspektive wird diese Annahme dadurch gestützt, dass die Nutzung morpho‐ logischer Marker auch in der Produktion dem Gebrauch eines transitiven Satz‐ schemas nachgeordnet ist. Es gilt deshalb zunächst zu prüfen, ob die Hierar‐ chisierung von Syntax > Kasusmorphologie auch für die vorliegenden Bedingungen gilt und auch für mehrsprachige Probanden relevant ist. Denn auch für die beiden mehrsprachigen Probandengruppen gilt, dass in ihren je‐ weiligen Ausgangssprachen eine prototypische Form-Funktions-Relation zwi‐ schen transitivem Satzschema N>N und der Rollenopposition A G E N S > N ICHT -A G E N S existiert. Auch wenn die Verknüpfung zwischen Form und Inhalt dabei im Russischen und Niederländischen maximal unterschiedlich stark ist, kann eine gemeinsame Basis ausgemacht werden. Es gilt deshalb zu ermitteln, welche Rolle diese gemeinsame Basis bei der Satzverarbeitung im Deutschen spielt und ob morphologische cues überhaupt als untergeordnet eingestuft werden können. Um dies leisten zu können, werden zunächst Sätze betrachtet, in denen außer dem Wortstellungs-cue keine anderen Indikatoren für die Satzinterpretation in Frage kommen. Nur so lässt sich fest‐ stellen, ob das Satzmuster als cue fungiert und damit als eine Art default-Stra‐ tegie in Frage kommt. Dazu werden Sätze analysiert, in denen weder morpho‐ logische noch semantische cues die Agenswahl beeinflussen können. Dabei handelt es sich um Bedingungen, in denen ausschließlich maximal intranspa‐ rente ambige Formen kombiniert werden. Die Auswahl ist damit auf die Kom‐ bination von die- und das-Formen innerhalb eines N>N-Schemas eingegrenzt. Um einen potentiellen Einfluss der Belebtheit ebenfalls auszuschließen, kommen innerhalb der morphologisch neutralisierten Satztypen nur diejenigen in Frage, in denen auch die Belebtheit neutralisiert ist und damit beide Konsti‐ 5 Ergebnisse 162 <?page no="163"?> tuenten entweder belebt oder unbelebt sind. Zur Auswahl stehen damit Test‐ sätze des Typs Das Mädchen [+ B E L E B T ] sucht die Frau [+ B E L E B T ] und Die Schule [- B E L E B T ] fragt das Dorf [- B E L E B T ] . Würde man eine der Artikelformen zum Beispiel durch den Marker der substituieren, würde der Satz über einen eindeu‐ tigen morphologischen cue verfügen (zum Beispiel Der Bruder hört die Kuh). Deutlich abgeschwächter in der Validität, jedoch trotzdem relevant als Indikator, wäre eine Dichotomie zwischen einer unbelebten und einer belebten Konstitu‐ ente (zum Beispiel Das Fahrrad [- B E L E B T ] sucht die Frau [+ B E L E B T ] ). Im Testdesign finden sich insgesamt acht Sätze des morphologisch und semantisch neutrali‐ sierten Typs (Sätze 9-16, s. Anhang). In Tabelle 10 ist zusammengefasst, ob die Variablen L1 und Lernstand sowie die einzelnen Formen (das vs. die) den N1-Anteil beeinflussen. Dabei werden auch Interaktionen zwischen den Vari‐ ablen berücksichtigt. Tabelle 10: Effekte und durchschnittliche N1-Anteile in Sätzen mit Wortstellung als ein‐ zigem cue Weder die Erstsprache noch der einzige potentiell formale cue, nämlich die Dif‐ ferenzierung zwischen den Formen das und die als N1 (zum Beispiel Das Mäd‐ chen sieht die Frau vs. Die Frau sieht das Mädchen), wirkt sich auf die Antwort‐ wahl aus. Lediglich der Sprachstand hat einen sehr leichten Einfluss auf den N1-Anteil in Sätzen, in denen die Wortstellung der aus linguistischer Sicht ein‐ zige logische cue ist. Allerdings liegen die Werte hier knapp unter dem Signifi‐ kanzniveau. Wird die Interaktion der einzelnen Variablen berechnet, ergibt sich ausschließlich bei der Relation von Sprachstand und den satzinitialen Artikel‐ formen das / die ein tendenzieller Effekt, der jedoch ebenfalls knapp unter dem Signifikanzniveau liegt. Betrachtet man die zu den Werten gehörigen relativen 5.2 Vom Satzschema zur Kasusmorphologie 163 <?page no="164"?> N1-Anteile, so lässt sich bestätigen, dass bei Nichtverfügbarkeit morphologi‐ scher und / oder semantischer cues das Satzschema als einziger Indikator für se‐ mantische Relationen fungiert. Die N1-Anteile liegen in allen Gruppen und Be‐ dingungen bei mindestens 80 % (s. Abbildung 7). Abbildung 7: Einfluss von L1, Sprachstand und satzinitialer N1-Form auf N1-Anteile in Sätzen mit Satzschema als einzigem cue Aus der Abbildung geht deutlich hervor, dass die monolingual deutsche Kon‐ trollgruppe auch mit einem niedrigen Sprachstand Spitzenwerte von weit über 90 % erreicht. Eine nennenswerte Veränderung der N1-Anteile zwischen den beiden Sprachstandsgruppen findet sich nicht. Lediglich in den beiden mehr‐ sprachigen Gruppen finden sich in Abhängigkeit vom Sprachstand leichte Schwankungen, die sich jedoch besonders auf Sätze beziehen, die mit einer die- NP beginnen. Die Differenz zwischen Sätzen, die mit einer die- oder das- NP beginnen, ist jedoch in beiden Sprachstandsgruppen nicht signifikant (p=.999). Ergänzend zu den Ergebnissen der drei kindlichen Probandengruppen lässt sich für die Erwachsenen ein ähnliches Bild zeichnen. Die einzig in Frage kom‐ mende Variable der morphologischen Information (dievs. das-eingeleitete Sätze) hat weder einen Effekt auf die Antwortwahl (F=.05, p=.81) noch auf die Lesezeit des Satzes (F=.07, p=.78) oder auf die Beantwortungsdauer der Ent‐ scheidungsfrage (F=1.22, p=.27). Die N1-Anteile liegen in beiden Satzbedin‐ gungen bei jeweils gut 85 %. Damit herrscht eine große Übereinstimmung zwi‐ schen den Kindern und Erwachsenen, wenn es um die Agenswahl in Sätzen geht, 5 Ergebnisse 164 <?page no="165"?> die außer dem Satzschema keine weiteren cues enthalten. Alle Probanden wählen jenseits aller sprecherspezifischen Unterschiede wie L1 oder Sprach‐ stand die satzinitiale NP als Agens. Die N1-Strategie greift immer dann, wenn keine anderen Optionen möglich sind. Dass dies so ist, ist nicht besonders über‐ raschend. Weitaus relevanter ist die Frage, wie sich diese gemeinsame ‚syntak‐ tische Verarbeitungsbasis‘ auf die Interpretation von Bedingungen auswirkt, die durchaus über andere cues als das Satzschema verfügen. Dass die Wortstellung nicht nur in Sätzen ohne eindeutige morphologische und semantische cues als interpretatorische Basis gebraucht wird, sondern darüber hinaus auch dann als dominanter cue fungiert, wenn morphologische Marker die Interpretation des N>N-Musters als OS -Satz nahelegen, lässt sich anhand der durchschnittlichen N1-Anteile in entsprechenden Kontexten ermitteln. Dazu wurden alle Sätze analysiert, in denen aus linguistischer Sicht die post‐ verbale NP als Agens ausgewählt werden müsste. Dazu gehören sowohl Sätze mit transparenten (zum Beispiel Den Bus hört die Schwester sowie Dem Kind glaubt der Schüler) als auch intransparenten satzinitialen morphologischen Mar‐ kern (zum Beispiel Die Klasse fragt der Mann, Das Kind hört der Schüler sowie Der Klasse dankt der Mann). Insgesamt umfasst das Testdesign 40 entsprechende OS -Sätze (Satznr. 57-96, s. Anhang). Diese wurden den als SO klassifizierten Sätzen gegenübergestellt (Satznr. 17-56), wobei Testsätze ausgeschlossen wurden, in denen keine eindeutigen morphologischen oder semantischen cues verfügbar sind (zum Beispiel Die Frau fragt das Mädchen). Dass die Probanden auch in OS -Bedingungen auf die N1-Strategie zurückgreifen, zeigt Abbildung 8: 5.2 Vom Satzschema zur Kasusmorphologie 165 <?page no="166"?> Abbildung 8: N1-Anteile in SO- und OS-Sätzen (nach L1) Ohne an dieser Stelle im Detail auf die gruppenspezifischen Unterschiede ein‐ zugehen (s. dazu Kapitel 5.3.1), macht die Abbildung deutlich, dass alle Lerner auch in OS-Sätzen relativ häufig auf die vertraute syntaktische N1-Strategie zurückgreifen. Die N1-Anteile liegen bei mindestens 55 % (L1 Russisch) und steigen auf jeweils 70 % bei niederländischsprachigen Lernern sowie den mo‐ nolingual deutschen Kindern. Konkret bedeutet das, dass alle Probanden über‐ durchschnittlich häufig in Sätzen wie Den Bus hört die Schwester sowie Dem Kind glaubt der Schüler, aber auch in Sätzen des Typs Das Kind hört der Schüler sowie Der Klasse dankt der Mann die jeweils satzinitiale NP als Agens auswählen. Zu‐ gleich geht aus der Abbildung hervor, dass die in diesen Satztypen erreichten N1-Anteile im Vergleich zu eindeutig als SO -Sätze klassifizierbaren Testsätzen in allen Gruppen hochsignifikant niedriger sind. Die Differenz zwischen SO - und OS -Kontexten liegt bei russischsprachigen Lernern bei über 30 %, bei nie‐ derländischsprachigen Lernern bei immerhin 15 % und bei den Kontrollpro‐ banden bei gut 20 %. Keine der drei Gruppen kommt damit an die Spitzenwerte der Erwachsenen heran. Diese wählen in OS -Bedingungen in nur 13 % der Fälle die satzinitiale NP als Agens. Die N2-Anteile liegen bei den Erwachsenen damit bei fast 90 %. Dass sich die Verarbeitung nicht-kanonischer Sätze jedoch im Vergleich zu kanoni‐ 5 Ergebnisse 166 <?page no="167"?> 5.2.1 schen SO -Sätzen als aufwändiger gestaltet, zeigt sich an den durchschnittlichen Lesezeiten. Beim Satzlesen liegt die Lesedauer bei 3.20, bei der Entscheidungs‐ frage bei 1.37 Sekunden. Beide Werte liegen mit 15 ms signifikant über denen der SO -Sätze (F=7.88, p=<.01 sowie F= 25.56, p=<.001). Obwohl die Erwachsenen also letztlich überwiegend (und wie erwartet) eine morphologische Entschei‐ dungsstrategie anwenden, nimmt der Verarbeitungsprozess von Sätzen mit kon‐ kurrierenden syntaktischen und morphologischen cues höhere Kapizitäten in Anspruch. Erneut bildet sich damit das, was bei den Kindern auf der Ebene der Agenswahl sichtbar wird, bei den Erwachsenen in der Lese- und Entschei‐ dungsdauer ab. Anhand der bisherigen Ergebnisse lässt sich schließlich folgern, dass die syn‐ taktisch basierte N1-Strategie für alle Probanden gleichermaßen dann gilt, wenn außer dem Satzschema keine anderen cues verfügbar sind. Der Rückbezug auf das transitive Satzschema bei Mangel an cue-Alternativen kann deshalb als eine Form von default-Strategie betrachtet werden. Dass es nicht dabei bleibt, son‐ dern dass die N1-Strategie auch auf Bedingungen angewendet wird, die ein‐ deutig als nicht-kanonisch klassifizierbar sind, wird anhand der relativ hohen N1-Anteile bei den Kindern sowie höheren Verarbeitungszeiten bei Erwach‐ senen in OS -Sätzen deutlich. Die cue-Konkurrenz zwischen Konstituentenab‐ folge und Kasusmarkern führt bei den Kindern überdurchschnittlich häufig dazu, dass der Konflikt zugunsten des Satzschemas gelöst wird. Morphologische Marker sind damit für die Kinder eindeutig dem syntaktischen Satzschema un‐ tergeordnet, wodurch sich eine cue-Hierarchisierung von Syntax > Kasusmor‐ phologie ergibt. Das Satzschema hat für die Kinder damit zwar nicht die abso‐ lute, jedoch eine relativ starke cue strength. Dies ist besonders für die monolingual deutschen Kinder beachtlich. Doch auch für die Erwachsenen ist der nicht-kanonische Satz nicht als semantisch-pragmatischer ‚Normalfall‘ ein‐ zustufen. Auch bei ihnen ist die Gewichtung der Konstituentenabfolge als cue relativ stark ausgeprägt. Die morphologische Strategie setzt sich bei ihnen je‐ doch bei der letztlichen Agenswahl klar durch. Exkurs: Belebtheitskontrast als cue? Bisher wurde deutlich, dass die cues Satzschema und Kasusmorphologie in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Unklar ist bisher, wie sich der Belebtheits-cue in Relation dazu verhält, zumal für ihn sowohl bei den Kin‐ dern als auch den Erwachsenen Haupteffekte ermittelt werden konnten. Be‐ sonders Studien mit jüngeren deutschen Kindern haben gezeigt, dass der Be‐ 5.2 Vom Satzschema zur Kasusmorphologie 167 <?page no="168"?> lebtheitskontrast in transitiven Sätzen eine hohe cue strength haben kann. Erkenntnisse aus der L2-Forschung mit Erwachsenen legen zudem (sehr ver‐ einzelt) nahe, dass die Belebtheit besonders dann relevant sein kann, wenn Lerner ein neues cue-System aufbauen müssen. Zur Disposition steht, ob und welche Rolle die Belebheit für ältere sowie besonders mehrsprachige Kinder spielen kann. Um dies erfassen zu können, ist es sinnvoll, zunächst Testsätze zu betrachten, in denen ausschließlich das Satzschema und der Belebtheitskontrast als cues verfügbar sind. Damit morphologische cues ausgeschlossen werden können, sollen deshalb im ersten Schritt erneut Sätze mit den ambigen intransparenten Formen das und die betrachtet werden, diesmal jedoch ausschließlich diejenigen, die über eine Belebtheitsopposition verfügen. In Frage kommen hierbei Syntax-Belebtheits-Koalitionen (insgesamt vier Sätze des Typs Die Frau [+ B E‐ L E B T ] sieht das Fahrrad [- B E L E B T ] , Satznr. 1-4, s. Anhang) und im Kontrast dazu Syntax-Belebtheits-Konkurrenzen (insgesamt vier Sätze des Typs Das Fahrrad [- B E L E B T ] sieht die Frau [+ B E L E B T ] , Satznr. 5-8, s. Anhang). Durch die Kon‐ kurrenz zwischen Satzschema und Belebtheitskontrast in der zweiten Bedin‐ gung lässt sich ermitteln, ob die Probanden dazu tendieren, die belebte NP (in diesem Fall N2) als agentivisch einzustufen. Das Satzschema verliert an Validität, was auf der Ergebnisoberfläche in einen sinkenden N1-Anteil münden kann. Abbildung 9 zeigt, dass der Belebtheitskontrast in ‚morphologiefreien‘ Bedin‐ gungen durchaus als Konkurrenz-cue zur Syntax fungiert: 5 Ergebnisse 168 <?page no="169"?> Abbildung 9: Einfluss des Belebtheitskontrasts-cues auf N1-Anteile in morphologisch ambigen Sätzen Wie die Abbildung zeigt, ist in allen drei Sprechergruppen der N1-Anteil in Konkurrenzbedingungen um jeweils knapp 10 % niedriger als in den Koaliti‐ onsbedingungen. Sofern der Belebtheitskontrast kanonisch ist (N1 [+ B E L E BT ] > N2 [- B E L E BT ]), erreichen die Probanden Spitzenwerte von jeweils knapp 95 %. Dies zeigt einerseits, dass bei einer prototypischen Koalition von transitivem Satzschema und Belebtheitsopposition die N1-Strategie gesträkt wird. Ande‐ rerseits macht die Kontrastierung zu den Konkurrenzbedingungen deutlich, dass die Probanden nicht ausschließlich auf syntaktische cues achten, sondern sie in Beziehung zu anderen (in diesem Fall semantischen) Informationen im Satz setzen. Insgesamt hat der Belebtheitskontrast in Sätzen ohne disambiguierenden morphologischen Marker einen signifikanten Einfluss auf den N1-Anteil (F=5.75, p<.01). Die fehlende Interaktion zwischen L1 und Belebtheit (F=.24, p=. 91) belegt, dass der Belebtheits-cue für alle Gruppen gleichermaßen relevant ist. Zu behaupten, die Belebtheit habe eine hohe cue strength für die Probanden, wäre mit Blick auf die N1-Anteile von über 80 % in den Konkurrenzbedingungen jedoch übertrieben. Vielmehr lässt sich besonders mit Blick auf das hierarchische Verhältnis von Belebtheit, Satzschema und Kasusmorphologie folgern, dass die 5.2 Vom Satzschema zur Kasusmorphologie 169 <?page no="170"?> Konstituentenabfolge als Basis-cue und Verarbeitungsdefault fungiert und unter spezifischen Bedingungen revidiert wird. Der Belebtheitskontrast nimmt des‐ halb vielmehr eine Zwischenposition zwischen Syntax und Kasusmorphologie ein, sodass von einer Stufung in Form von Satzschema > Belebtheitskontrast > Kasusmorphologie bei der cue strength ausgegangen werden kann. Dass die Belebtheit genau diese Zwischenposition einnimmt, wird besonders anhand der Ergebnisse der Erwachsenen deutlich. In Bedingungen mit feh‐ lenden transparenten morphologischen Markern sinkt der N1-Anteil in Syntax-Belebtheit-Konkurrenzbedingungen (also in Sätzen wie Das Fahrrad [- B E L E B T ] sieht die Frau [+ B E L E B T ] ) auf 76 % und ist damit im Vergleich zur Koalitionsbedingungen (also in Sätzen des Typs Die Frau [+ B E L E B T ] sieht das Fahrrad [- B E L E B T ] ) marginal signifikant niedriger (F=3.98, p<.05). Die Konkurrenz zwischen Satzschema und Belebtheit wirkt sich dabei ausschließlich auf die Agenswahl, nicht jedoch auf die Satzlesezeit (F=1.94, p=.14) oder die Entschei‐ dungsfrage (F=1.14, p=.31) aus. Bezogen auf die sehr niedrigen N1-Anteile in OS -Bedingungen (13 %, s. Kapitel 5.2) kommt die Belebtheit nicht ansatzweise an die hohe cue strength morphologischer Marker heran. Sie ist vielmehr als eine von mehreren Bedingungen zu betrachten, die die N1-Strategie aushebeln kann. Dass der Belebtheitskontrast tatsächlich mit dem Hinzukommen transparenter morphogischer Marker quasi irrelevant wird, zeigt sich besonders eindeutig in zwei Bedingungen. Zu der einen gehören SO -Sätze mit eindeutigem morpho‐ logischen Marker, also alle Sätze, die über ein der-markiertes Agens verfügen. Dazu gehören sowohl Sätze mit koalierender (insgesamt vier Sätze des Typs Der Mann [+ B E L E B T ] sieht das Fahrrad [- B E L E B T ] , Satznr. 17 und 18 sowie 25 und 26, s. Anhang) als auch konkurrierender Syntax-Belebtheits-Relation (insgesamt vier Sätze des Typs Der Bus [- B E L E B T ] sucht das Mädchen [+ B E L E B T ] , Satznr. 19 und 20 sowie 27 und 28, s. Anhang). Zu der anderen Bedingung zählen alle OS -Sätze, da sie alle über einen disambiguierenden Marker verfügen (zum Beispiel in Form einer eindeutigen der-Markierung wie bei Das Fahrrad sieht der Mann oder einer transparenten nicht-agentivischen Form wie Dem Bus folgt das Mädchen). Be‐ trachtet man für diese beiden Testbedingungen die Rolle des Belebtheitskont‐ rastes, so zeigt sich bei den Kindern, dass sie keinen Effekt auf die N1-Anteile hat (F=1.33, p=.26 bei SO -Sätzen mit satzinitialer der- NP ; F=.001, p=.99 bei OS -Sätzen). Gleiches gilt auch für die Ergebnisse der Erwachsenen. Sobald also ein eindeutiger morphologischer cue verfügbar ist, drängt er die Belebtheit als cue in den Hintergrund. Vorweggenommen sei hier, dass es an anderen Stellen durchaus Interrelationen zwischen einzelnen Kasusformen und Belebtheits‐ 5 Ergebnisse 170 <?page no="171"?> 5.2.2 merkmalen gibt. Die entsprechenden Interaktionsmechanismen werden aus‐ führlich in Kapitel 5.3.1 dargestellt. Zur Rolle einzelner Artikelformen bei der Verarbeitung kanonischer Sätze Bisher wurde deutlich, dass besonders die Kinder das Satzschema N>N tenden‐ ziell als SO -Satz interpretieren. Zudem überprüfen sie innerhalb des Satzes, in welcher Relation Satzschema und semantische cues stehen. Die Satzinterpreta‐ tion stützt sich also auf prototypische cue-Interaktionen. Morphologische Marker standen in den bisherigen Analyseschritten nicht im Fokus. Ihre Rolle wird im Folgenden beleuchtet. Innerhalb der bisher betrachteten kanonischen Testsatzbedingungen nehmen die drei Nominativformen der, die und das aus theoretischer und erwerbsse‐ quentieller Sicht unterschiedliche Funktionen ein. Theoretisch betrachtet ist der ein im Deutschen idealer Agensmarker und koaliert aufgrund dieser Eigenschaft mit dem Belebtheitsmerkmal [+ B E L E BT ] (s. Kapitel 2.4). Die und das koalieren Krifka (2009) zufolge hingegen in der Regel mit dem Merkmal [- B E L E BT ], sodass es wahrscheinlich ist, sie in der Patiensrolle vorzufinden. Korpuslinguistisch betrachtet lässt sich diese Dichotomie zwischen der als Agensmarker auf der einen und das und die als Patiensformen auf der anderen Seite ebenfalls nach‐ vollziehen. So zeigen unter anderem Dittmar et al. (2008), dass in der CDS das Patiens meist ein Neutrum ist und damit mit der Form das einhergeht. Das Ge‐ genteil gilt für die Form der. Eine unklare Rolle spielt der Artikel die. Theoretisch betrachtet fungiert er eher als Patiensdenn als Agensmarker. In der sprachli‐ chen Entwicklung wird er jedoch in der Produktion neben dem Marker der eher als Subjekt- und damit also auch als Agensmarker verwendet. Dies ist unter Umständen auf die Häufigkeit des Markers im Input zurückzuführen, weil sein Gebrauch besonders im Plural genus- und kasusübergreifend dominiert. Schließlich lässt sich aus diesen theoertischen und erwerbssequentiellen Über‐ legungen für die Formen der und das eine maximale Dichotomie annehmen. Die Koalition von [der + [+ B E L E BT ]] ist tendenziell ein agentivischer cue, während die Verbindung zwischen [das + [- B E L E BT ]] nicht-agentivisch ist beziehungs‐ weise als Patiens-cue fungieren kann. Die Form die tendiert theoretisch zum Patienspol, erwerbssequentiell hingegen zum Agenspol und nimmt deshalb eine Zwischenrolle an. Sollte die Forminformation für die Satzverarbeitung relevant sein, hätte dies unter Umständen zur Folge, dass Sätze, die mit einer unbelebten das- NP beginnen als OS -Sätze interpretiert werden, da die Probanden an‐ 5.2 Vom Satzschema zur Kasusmorphologie 171 <?page no="172"?> 2 Der Faktor der Belebtheit bezieht sich auf den satzinternernen Belebtheitskontrast (das heißt N1[+ B E L E B T ] / N2[- B E L E B T ] vs. N1[- B E L E B T ] / N2[+ B E L E B T ]). nehmen könnten, die NP sei nicht-agentivisch. Das Gegenteil, nämlich ein ma‐ ximal hoher N1-Anteil, wäre bei belebten der- NP s möglich. Im Folgenden soll basierend auf diesen Annahmen überprüft werden, ob die einzelnen Formen überhaupt für den Satzverarbeitungsprozess relevant sind. Dazu werden zunächst ausschließlich kanonische SO -Sätze betrachtet, da hier der Einfluss einzelner Formen auf die Verarbeitungsstrategie am deutlichsten herausgearbeitet werden kann. Die Testsätze werden in Hinblick auf die satz‐ initialen Formen der, die und das differenziert. Kontrastiert wird, ob sich die Agenswahl in Sätzen wie Der Mann hört das Auto (insgesamt 16 Testsätze; Satznr. 17-32, s. Anhang) von Sätzen des Typs Das Dorf hilft dem Bruder (ins‐ gesamt zwölf Sätze; Satznr. 34, 36, 38 und 40 sowie 42, 44, 46, 48, 50, 52, 54 und 56, s. Anhang) unterscheidet. Beide Satztypen werden in Hinblick auf das Be‐ lebtheitsmerkmal der satzinitialen NP differenziert, sodass in allen formalen Bedingungen belebte und unbelebte NP s (zum Beispiel in Form von der Mann [+ B E L E B T ] vs. der Bus [- B E L E B T ] und das Mädchen [+ B E L E B T ] vs. das Dorf [- B E‐ L E B T ] ) kontrastiert werden. Ebenfalls soll geklärt werden, welche Rolle die Form die (ebenfalls in Relation zur Belebtheit) bei der Satzverarbeitung spielt (insge‐ samt zwölf Sätze; Satznr. 33, 35, 37 und 39 sowie 41, 43, 45, 47, 49, 51, 53 und 55, s. Anhang). Tabelle 11 gibt zunächst einen Überblick darüber, ob die satzinitiale Form allein sowie in Interaktion mit der Belebtheit den N1-Anteil beeinflusst. Ergänzt wird die Berechnung um die Rolle der L1. Tabelle 11: Einfluss der satzinitialen morphologischen Form auf N1-Anteile in SO-Sätzen 2 5 Ergebnisse 172 <?page no="173"?> Die Tabelle zeigt, dass die satzinitiale Form einen signifikanten Effekt auf den N1-Anteil hat. Da sich für die Variablen L1 und Belebtheit keine Effekte finden, gilt der Einfluss der satzinitialen Form deshalb gruppen- und belebtheitsüber‐ greifend. Schlüsselt man die einzelnen N1-Anteile für die drei Probanden‐ gruppen auf, zeigt sich folgendes Bild: Abbildung 10: Formabhängige N1-Anteile in SO-Sätzen Die Abbildung enthält die gruppenspezifischen N1-Anteile in Abhängigkeit von der satzinitialen Form. Obwohl sich die N1-Anteile kaum unterscheiden, sticht ein Wert tendenziell heraus: In der niederländischen Gruppe sinken die N1-An‐ teile in Sätzen, die mit einer das- NP beginnen, auf knapp 80 % und sind damit um 10 % niedriger als in den übrigen Bedingungen. Schaut man an dieser Stelle genauer hin und zieht die Belebtheit hinzu, so zeigt sich, dass der niedrigere Wert besonders auf die Interaktion mit dem Belebtheitsmerkmal [- B E L E BT ] zu‐ rückzuführen ist. Die N1-Anteile liegen in dieser Bedingung nämlich bei 77 %. Mit Blick auf die Tatsache, dass es sich hierbei um kanonische Bedingungen wie Das Dorf hilft dem Bruder oder Das Fahrrad sucht den Mann handelt, ist es er‐ staunlich, dass entsprechende Sätze grade von der niederländischen Gruppe in fast einem Drittel der Fälle als nicht-kanonisch eingestuft werden. Damit lässt sich für die niederländische Gruppe folgern, dass die Form das generell sowie verstärkt in Kombination mit dem Merkmal [- B E L E BT ] einen nicht-agentivischen cue darstellt. Das heißt, dass derjenige der drei Marker, der am ehesten als Pa‐ 5.2 Vom Satzschema zur Kasusmorphologie 173 <?page no="174"?> tiens-cue in Frage kommt, auch am ehesten mit der eigentlich dominanten N1-Strategie interferiert. Hypothetisch könnte es sich hier um einen Transfer aus dem Niederländischen handeln, da dort das Neutrum noch deutlicher als im Deutschen mit dem Kriterium [- B E L E BT ] interagiert. Doch auch bei den russi‐ schen Sprechern finden sich ähnliche Tendenzen. So sinkt der N1-Anteil bei ihnen bei das- NP s auf 85 % und liegt in unbelebten Bedingungen knapp darunter. Lediglich in der monolingual deutschen Gruppe bleibt der N1-Anteil formüber‐ greifend bei deutlich über 90 % konstant hoch. Auch wenn es also keine signi‐ fikanten Effekte gibt, lässt sich zumindest die Tendenz erkennen, dass besonders bei Verfügbarkeit einer prototypischen nicht-agentivischen cue-Koalition die N1-Strategie revidiert werden kann. Das Gegenteil gilt für der-markierte NP s. Der N1-Anteil in Sätzen mit einer NP wie der Mann oder der Bruder (also in belebten Bedingungen) klettert in allen Gruppen auf Spitzenwerte von 93 % (L1 Russisch), 95 % (monolingual Deutsch) sowie 98 % (L1 Niederländisch). Diese Anteile heben sich besonders mit Blick auf die deutlich niedrigeren Werte bei unbelebten das- NP s ab. Die Differenz liegt hierbei bei den beiden mehrsprachigen Probandengruppen bei knapp 10-15 %. Auch wenn der Einfluss der satzinitialen Form keine signifikanten Effekte her‐ vorbringt, lässt sich eine Dichotomie zwischen Sätzen, die mit einer (belebten) der- NP und Sätzen mit einer (unbelebten) das- NP beginnen, nachzeichnen. Ers‐ tere verstärken die N1-Strategie, letztere schwächen diese. Der anfänglich un‐ klare Status der Form die lässt sich mit Blick auf Abbildung 10 dahingehend klären, als eine Nähe zu den Werten von der- NP s erkennbar wird. Sie scheint also eher als agentivisch denn als nicht-agentivisch eingestuft zu werden. Insgesamt ergibt sich für die Satzverarbeitungsstrategien bisher folgendes Bild: Für alle Probanden fungiert das Satzschema als Basis-cue. Es hat damit einen festen Platz im Strategienpool der hier betrachteten Sprecher. Unter bestimmten Bedingungen wird diese Basis jedoch revidiert. Das größte Potential, das Satz‐ schema auszuhebeln, haben disambiguierende morphologische Marker. Sofern diese nicht verfügbar sind, das heißt bei maximal ambigen Markern, kann der satzinterne Belebtheitskontrast als cue fungieren. Seine cue strength ist jedoch nicht sehr hoch, da die Probanden bei einer Syntax-Belebtheits-Konkurrenz in nur einem Fünftel (Kinder) beziehungsweise Viertel (Erwachsene) der Fälle von der N1-Strategie abweichen. Die N1-Hypothese überlagert damit weitgehend semantische cues. Daneben ist es für die Satzinterpretation relevant, mit welcher konkreten Artikelform ein Satz beginnt. Hierbei ist eine Opposition zwischen der- und das- NP s erkennbar, deren Funktionen maximal dichotom sind. Die agentivische respektive nicht-agentivische Funktion der beiden Marker wird 5 Ergebnisse 174 <?page no="175"?> 5.3 verstärkt, sofern ein jeweils prototypisches Belebtheitsmerkmal hinzutritt. Zu‐ sammengenommen ist für die Agenswahl in transitiven Sätzen damit entschei‐ dend, in welcher Relation Satzschema, Belebtheit und einzelne Marker zuein‐ ander stehen. Die N1-Strategie ist zwar die interpretatorische Basis, kann jedoch ausgehebelt werden, sofern semantische und einzelne morphologische cues für eine non-kanonische Satzlesart sprechen. Damit lässt sich bisher ein umfas‐ sendes Spektrum an Verarbeitungsstrategien nachzeichnen. Sowohl die syntak‐ tisch basierte N1-Strategie als auch die morphologische Strategie kommen bei der Satzverarbeitung zum Einsatz. Daneben finden sich zum Teil deutliche, zum Teil eher tendenzielle Effekte der Belebtheit, sodass auch eine syntaktisch-se‐ mantische als auch morphologisch-semantische Verarbeitungsbasis vorhanden ist. Für einen Teil dieses Spektrums ließen sich bereits in Ansätzen gruppen‐ spezifische Präferenzen erkennen. Der folgende Analyseschritt widmet sich deshalb der Frage, ob sich eine L1sowie sprachstandsspezifische Gruppenzu‐ gehörigkeit der Probanden auf die Präferenz einzelner Verarbeitungsstrategien auswirken kann. Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem CM (Kapitel 3) wurde deutlich, dass sich einerseits die cue strength besonders bei Kindern im Laufe der sprachlichen Entwicklung verändert und damit als dynamisches Konstrukt verstanden werden muss. Andererseits konnte im Kontext empirischer Arbeiten mit mehr‐ sprachigen Sprechern (zunächst nur für Erwachsene) gezeigt werden, dass die relative cue strength der jeweiligen Ausgangssprache auf die Satzverarbeitung in der Zweit- oder Fremdsprache übertragen werden kann. Für die vorliegenden Untersuchungsbedingungen ergeben sich daraus zwei Fragen: Erstens handelt es sich bei den im Fokus stehenden Probanden um durchschnittlich neunjährige Kinder. Der Sprachstand wurde bei ihnen zwar mithilfe des C-Tests gemessen, jedoch muss geprüft werden, ob dieser Messwert dazu geeignet ist, entwick‐ lungsspezifische Verarbeitungsunterschiede zu zeigen. Gegebenenfalls sind sie insgesamt bereits ‚zu kompetente‘ Sprecher als dass entsprechende Effekte er‐ mittelt werden können. Zweitens haben die mehrsprachigen Probanden alle‐ samt einen frühen L2-Erwerb durchlaufen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass ein cue-Transfer von der L1 auf die L2 besonders in den frühen Lernphasen vorzukommen scheint, ist zu prüfen, ob bei Sprechern, die eigentlich bilingual sind und sich nicht mehr in einer frühen Erwerbsphase befinden, Transferef‐ fekte aufgefunden werden können. Im Folgenden wird zunächst die Variable 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 175 <?page no="176"?> 5.3.1 Erstsprache genauer beleuchtet, danach folgt eine Ergänzung um sprachstands‐ bedingte Einflüsse. Die Rolle der Erstsprache Wie in Kapitel 2.2 ausgeführt, finden sich im Deutschen, Niederländischen und Russischen unterschiedliche Form-Funktions-Relationen. Durch die Existenz eines morphologischen Kasussystems ist die Validität des Satzschemas N>N als Indikator für semantische Relationen besonders im Russischen stark einge‐ schränkt. Die höchste Konfliktvalidität haben deshalb Kasusmarker. Für das Niederländische gilt das Gegenteil. Hier ist das Satzschema der dominanteste, da im Prinzip einzige cue für semantische Relationen. Typologisch liegt das Deutsche zwischen diesen beiden Sprachen, da hier zwar die Kasusmarker ebenfalls eine hohe Validität haben, aufgrund der zahlreichen synkretischen und damit intransparenten Formen die Wortstellung jedoch besonders im Vergleich zum Russischen an Validität gewinnt. Die geringere Validität morphologischer cues schlägt sich in den Verarbeitungsstrategien kindlicher und erwachsener Sprecher nieder (vgl. Kapitel 3.1). Sie präferieren immer wieder eine N1-Stra‐ tegie. Erschwert wird das Auffinden konfliktresultierender morphologischer cues im Deutschen durch die Intransparenz einzelner Formen. Das L1-spezifi‐ sche Wissen über Form-Funktions-Relationen auf der einen und die Beschaf‐ fenheit des L2-spezifischen Systems auf der anderen Seite können somit ge‐ meinsam die Verarbeitungsstrategien der Probanden beeinflussen. In Hinblick auf den ersten Faktor sind die russischen Sprecher deshalb im Vorteil, weil sie im Gegensatz zu den niederländischsprachigen Probanden bereits wissen, dass semantische Relationen anhand lokaler und nicht topologischer cues zu er‐ kennen sind. Dies kann auch in Hinblick auf den zweiten Faktor einen Wis‐ sensvorsprung darstellen, da aufbauend auf dem grundlegenden lokalen cue-Wissen die L2-spezifischen Kasusformen früher in Hinblick auf ihre jewei‐ ligen Funktionen analysiert werden können. Diese Annahmen sollen im Folgenden anhand von unterschiedlichen Daten‐ punkten überprüft werden. Zunächst wird ein grundlegender Überblick über die L1-spezifischen N1-Anteile in SO - und OS -Bedingungen gegeben. Dabei sollen besonders Unterschiede zwischen den Probandengruppen erfasst werden. Aus‐ gehend von dieser allgemeinen Darstellung werden anhand von OS -Sätzen im Detail gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien unter Berücksichtigung der Formtransparenz sowie der Relation zwischen einzelnen Formen und Be‐ lebtheitsmerkmalen ausgeleuchtet. Anhand dieses Vorgehens soll ermittelt 5 Ergebnisse 176 <?page no="177"?> werden, ob sich die cue strength morphologischer Marker in Abhängigkeit von den jeweiligen Lernersprachen in Relation zu linguistischen und semantischen Bedingungen unterscheidet. Wie bereits in Kapitel 5.2 in Abbildung 8 dargestellt, variieren je nach Proban‐ dengruppe die N1-Anteile in SO - und OS -Sätzen zum Teil erheblich. Der Satztyp hat dabei erwartungsgemäß bei Kindern und Erwachsenen einen hochsignifi‐ kanten Einfluss auf den N1-Anteil (s. Tabelle 12). Tabelle 12: Effekte von Wortstellungsvarianzen (SO vs. OS) bei Kindern und Erwach‐ senen (within-group) Die Werte in der Tabelle zeigen zunächst nur, dass alle Probanden je nach Satztyp zu unterschiedlichen Agensentscheidungen gelangen. Bezieht man ergänzend eine between-group-Analyse mit ein, zeigt sich, dass es deutliche Unterschiede hinsichtlich der N1-Anteile zwischen den Gruppen gibt. Abbildung 11 fasst diese Unterschiede mit Bezug auf die relativen N1-Anteile zusammen. 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 177 <?page no="178"?> Abbildung 11: Gruppenspezifische N1-Anteile in SO- und OS-Sätzen (between-group) Die Abbildung zeigt, dass bei den Kindern die russischen Probanden die als ‚default‘ klassifizierte N1-Strategie besonders häufig in OS -Sätzen aufgeben und sich für N2 als Agens entscheiden. Dies geschieht in gut 50 % der Fälle. Im Ge‐ gensatz dazu wählen sowohl die niederländischen als auch die monolingual deutschen Kinder in OS -Sätzen zu durchschnittlich 70 % N1 als Agens. Auch wenn hier zunächst alle morphologischen Bedingungen zusammengenommen sind und noch nicht zwischen transparenten (den, dem) und intransparenten (das A K K , die A K K , der D A T ) satzinitialen Formen differenziert wird, lassen sich mit dieser generellen Übersicht klare gruppenspezifische Unterschiede ausmachen. Die N1-Anteile sind in OS -Sätzen bei der russischen Gruppe nämlich sowohl im Vergleich zu den niederländischen als auch zu den monolingual deutschen Pro‐ banden hochsignifikant niedriger. Zwischen den niederländischen und deut‐ schen Sprechern findet sich hingegen kein Unterschied. Den russischen Spre‐ chern gelingt es also am besten, bei einem Konflikt zwischen dem Satzschema N>N und morphologischen Markern auf der Basis der morphologischen cues zu einer zielsprachlichen Satzinterpretation zu gelangen. Die Artikelformen haben für die russischen Probanden damit im Vergleich zu den anderen Probanden eine deutlich höhere cue strength (wenn auch nicht die absolute, so wie es bei der erwachsenen Kontrollgruppe der Fall ist). In den anderen beiden Gruppen ist hingegen die N1-Strategie deutlich dominanter. Zumindest bei der Kontrastie‐ rung von niederländisch- und russischsprachigen Lernern findet sich also eine 5 Ergebnisse 178 <?page no="179"?> 3 OS-Sätze mit satzinitialen dasAKK- und dieAKK-NP entsprechen den Satznummern 89-96, mit derDAT-NPs den Nummern 81-88, mit den-NPs den Nummern 57-64 und mit dem-NPs den Nummern 65-80 (s. Anhang). 5.3.1.1 Formtransparenz als Schlüssel zur morphologischen Strategie L1-spezifische Verarbeitungsbasis. Mit Blick auf die ungewöhnlich hohen N1-Anteile bei der monolingual deutschen Kindergruppe stellt sich jedoch au‐ tomatisch die Frage, ob ausschließlich die L1 diesen Effekt produziert. Zu prüfen ist deshalb in einem Folgeschritt, wie sich der Transparenzgrad der einzelnen Formen auf die N1-Anteile auswirkt. Im Kasussystem des Deutschen lässt sich zwischen den transparenten Formen den und dem (eindeutig nicht-agentivische Marker) und den intransparenten Markern das und die differenzieren. Die Form der ist - da sie sowohl im mas‐ kulinen als auch feminen Paradigma auftritt - aus formaler Perpsektive ambig. Zugleich fungiert sie als einer der wichtigsten Agentivitätsmarker (zumindest in frühen Erwerbsphasen). Es muss ihr deshalb in Hinblick auf ihren Transpa‐ renzgrad gewissermaßen eine Zwischenposition zugewiesen werden. Somit lässt sich in Hinblick auf den Transparenzgrad folgendes Kontinuum annehmen: das A K K / die A K K > der D A T > den / dem. Wie wir bisher gesehen haben, scheint die syntaktische Strategie für alle Probanden relevant zu sein. Morphologische Marker sind der syntaktischen Strategie (oder N1-Hypothese) besonders bei den Kindern untegeordnet. Zugleich wurde bereits deutlich, dass trotz dieser Un‐ terordnung die cue strength morphologischer Formen in Abhängigkeit von der Gruppenzugehörigkeit der Probanden variieren kann. Im Folgenden gilt es, die beiden Variablen der L1 mit dem Transparenzgrad der Kasusmarker zu kombi‐ nieren. Die Überprüfung dieser Aspekte erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird eine between-group-Analyse durchgeführt. Dabei soll ermittelt werden, in wel‐ chem Verhältnis die N1-Anteile zwischen den Gruppen zueinander stehen. Der zweite Schritt umfasst eine within-group-Analyse. Dabei stehen die formspezi‐ fischen N1-Anteile innerhalb der drei Gruppen im Fokus. Damit sollen grup‐ penspezifische Charakteristika erfasst werden. Die Berechnung der N1-Anteile erfolgt in beiden Analyseschritten auf der Basis des Transparenzkontinuums das AKK / die AKK > der DAT > den / dem, 3 wobei das Kriterium gilt, dass diese Formen satzinitial auftauchen. Im ersten Analyseschritt werden die einzelnen Formen in Hinblick auf ihre Interaktion mit der Lernervariable L1, im zweiten mit der semantischen Belebtheitsvariable untersucht. Die Analysen beziehen sich im Folgenden ausschließlich auf OS -Sätze. 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 179 <?page no="180"?> 4 Da hier eine binäre Teilung der Formen vorgenommen wurde, wurde die Form der DAT , die eine Zwischenposition zugewiesen bekommen hat, aufgrund ihres unklaren Status der intransparenten Klasse zugeordnet. Tabelle 13: Effekte transparenter und intransparenter Marker in OS-Sätzen (bet‐ ween-group) 4 Aus Tabelle 13 geht hervor, dass sich sowohl der Transparenzgrad des satzini‐ tialen Markers als auch die L1 der Probanden jeweils hochsignifikant auf den N1-Anteil in OS -Sätzen auswirken. Die Tatsache, dass es keine signifikante In‐ teraktion dieser beiden Variablen gibt, verweist darauf, dass der Transparenz‐ grad für alle Gruppen relevant ist. Differenziert man die einzelnen Formen je‐ doch, wird deutlich, dass sich die L1 der Sprecher durchaus in Abhängigkeit von der satzinitialen Form auf den N1-Anteil auswirken kann. Zur besseren Illus‐ tration fasst Abbildung 12 die jeweiligen N1-Anteile in Hinblick auf die in Ta‐ belle 12 differenzierten formspezifischen Bedingungen unter Berücksichtigung L1-spezifischer Differenzen zusammen: 5 Ergebnisse 180 <?page no="181"?> Abbildung 12: L1-spezifische N1-Anteile bei intransparenten und transparenten satzini‐ tialen Formen in OS-Sätzen Aus der Abbildung geht hervor, dass die russischsprachigen Kinder formunab‐ hängig N1 signifikant seltener als Agens auswählen als die übrigen Probanden. Der N1-Anteil liegt in dieser Gruppe in allen Bedingungen bei maximal 60 % bei Sätzen wie Das Auto hört der Mann oder Die Kuh malt der Bleistift und sinkt auf unter 50 % in Sätzen des Typs Dem Schüler hilft die Frau sowie Dem Ball folgt das Mädchen. Die N1-Werte der russischen Sprecher sind damit besonders bei transparenten morphologischen Formen im Gruppenvergleich am niedrigsten. Bei den transparenten Formen ist der N1-Anteil in der russischen Gruppe bei dem-Sätzen um über 20 % (zum Beispiel bei Dem Schüler hilft die Frau) sowie bei den-Sätzen um 15 % (zum Beispiel bei Den Schüler sieht das Pferd) niedriger als bei den niederländisch- und deutschsprachigen Kindern. In keiner der beiden Bedingungen findet sich ein nennenswerter Unterschied zwischen niederländi‐ schen und deutschen Sprechern. Die N1-Anteile liegen bei ihnen bei jeweils knapp 70 %. Auch in der intransparenten Bedingung (das A K K / die A K K ) sowie bei der Zwi‐ schenform der D A T zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Bei Sätzen des Typs Der Frau hilft das Mädchen wählen die russischen Sprecher im Vergleich zu den an‐ deren Gruppen um 15 % (und damit siginifikant) seltener eine NP wie der Frau 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 181 <?page no="182"?> als Agens aus. Werden Sätze wie Das Auto hört der Mann oder Die Kuh malt der Bleistift verarbeitet, so entscheiden sich die russischen Probanden im Vergleich zu den monolingual deutschen Sprechern signifikant seltener (um durchschnitt‐ lich 15 %) für NP s des Typs das Auto oder die Kuh als Agens. Anders als in allen anderen Bedingungen lässt sich bei das A K K / die A K K -Sätzen jedoch kein Unter‐ schied zwischen der russischen und der niederländischen Gruppe ermitteln. Beide wählen in entsprechenden Bedingungen zu jeweils 60 % N1 als Agens. Dadurch heben sich die N1-Anteile beider Gruppen zu denen monolingual deut‐ scher Sprecher signifikant (beziehungsweise marginal signifikant) ab. Die in Abbildung 12 aufgeführten Werte zeigen noch einmal, dass besonders die russische Gruppe relativ deutlich von der N1-Strategie abweicht. Diese Ten‐ denz kann dahingehend interpretiert werden, als die russischsprachigen Kinder zumindest das Wissen (nicht zwangsweise das Können) aus dem Russischen mitbringen, dass semantische Relationen anhand morphologischer Kasus‐ marker gekennzeichnet werden. Dieses Wissen übertragen sie auch auf das Deutsche, sodass morphologische Marker für sie eine höhere cue strength haben. Diese Sensibilität gegenüber lokalen cues ermöglicht es ihnen, nicht nur trans‐ parente, sondern auch intransparente sowie halb-transparente Formen in Hin‐ blick auf ihre satzspezifische Funktion zu analysieren. Sie bilden damit eine umfassendere Skepsis gegenüber der N1-Strategie aus als es die anderen beiden Gruppen tun. Doch auch wenn die N1-Strategie besonders in der niederländischsprachigen Gruppe eine deutlich höhere cue strength hat, finden sich hier einige Parallelen zur russischen Gruppe. Beide Gruppen weichen vor allem dann von der N1-Strategie ab, wenn die satzinitiale NP oblique markiert und damit eindeutig nicht-agentivisch ist. Im Vergleich zur russischen Gruppe führen die entsprech‐ enden Formen bei den niederländischen Kindern jedoch deutlich seltener dazu, das Satzschema als dominanten cue in Frage zu stellen. Ähnliches lässt sich auch für die monolingual deutsche Gruppe erkennen. In Hinblick auf den Gruppen‐ vergleich lässt sich somit folgern, dass die transparenten Formen den und dem zwar in allen Gruppen das größte Potential haben, die N1-Strategie zu revi‐ dieren. Allerdings haben in einer Konfliktsituation morphologische cues für die russische Gruppe eine deutlich höhere Konfliktvalidität. In den anderen beiden Gruppen setzen sich die morphologischen Marker seltener durch. Die Konflikt‐ validität der Wortstellung ist somit bei ihnen auch dann entsprechend hoch, wenn transparente morphologische Marker verfügbar sind. Die Dominanz des Wortstellungs-cues wirkt sich entsprechend besonders auf Bedingungen aus, die intransparente Marker in satzinitialer Position enthalten. In Sätzen wie Das Auto hört der Mann oder Die Kuh malt der Bleistift, aber auch Der Frau hilft das Mäd‐ 5 Ergebnisse 182 <?page no="183"?> chen werden die Kasusmarker das, die und der ganz im Sinne des Bestrebens, koalierende cues für die grundlegende N1-Strategie zu sammeln, als ebensolche eingestuft. Die N1-Anteile liegen in entsprechenden Kontexten bei niederländi‐ schen und deutschen Probanden bei zum Teil 80 % und unterscheiden sich damit nur noch marginal von den N1-Anteilen in SO -Sätzen wie Das Dorf fragt den Bruder sowie Die Frau folgt dem Schüler oder Der Mann fragt die Klasse. Die geringe Differenz zwischen den mit identischen Formen beginnenden, jedoch unterschiedlichen Satztypen belegt nicht nur die starting point-Hypothese, son‐ dern verdeutlicht auch, dass die funktionsspezifische Analyse multifunktionaler Formen bei den niederländischen und deutschen Sprechern (noch) nicht ausge‐ reift ist. Die ambigen Formen werden, sofern sie in satzinitialer Position auf‐ treten, überwiegend als agentivische cues interpretiert. Bisher lassen sich damit zwei gruppenspezifische Unterschiede ausmachen. Für die russischen Probanden haben morphologische cues eine hohe Konflikt‐ validität. Dabei hebeln vor allem transparente und nachfolgend intransparente Formen die N1-Strategie aus. Nicht-kanonische N>N-Sätze werden deshalb im Vergleich zu den anderen Gruppen häufiger als OS -Sätze interpretiert. Für nie‐ derländische und monolingual deutsche Sprecher hat das Satzschema eine deut‐ lich höhere Konfliktvalidität. Sie wird zwar ebenfalls besonders bei Verfügbar‐ keit transparenter Marker verworfen, jedoch geschieht dies deutlich seltener. Die stärkere Orientierung am Satzschema-cue führt letztlich auch dazu, dass intransparente Kasusformen häufig als koalierende cues eingestuft werden. Ins‐ gesamt muss jedoch auch hervorgehoben werden, dass die russische Gruppe die N1-Strategie nie vollständig aufgibt. Sie bleibt stets die primäre Bezugsgröße. Die Ergebnisse zeigen lediglich, unter welchen Bedingungen die N1-Strategie verworfen werden kann. Aus den bisherigen Ergebnissen lässt sich deshalb vor allem folgern, dass das Wissen aus der L1 Russisch besonders förderlich dabei zu sein scheint, die Wortstellung als cue in Abhängigkeit vom konkreten mor‐ phologischen Marker immer wieder neu in Frage zu stellen. Bevor die einzelnen Gruppen im Detail betrachtet werden, soll die überra‐ schende Ähnlichkeit zwischen der niederländischen und der monolingual deut‐ schen Gruppe genauer betrachtet werden. Für die niederländische Gruppe lässt sich annehmen, dass sich das L1-spezifische Wissen (das heißt Satzschema als einziger und validester cue) auf die Satzverarbeitung in der Zielsprache Deutsch auswirkt. Gestützt wird die in der L1 erprobte und verifizierte N1-Strategie durch das zielsprachliche System, in dem einerseits Wortstellungsvarianzen (in Hinblick auf die Positionsvertauschung von Agens und Nicht-Agens) selten und die Indikatoren zum Anzeigen dieser Varianzen andererseits uneindeutig sind. 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 183 <?page no="184"?> Die L1-spezifische Satzverarbeitungsstrategie ist damit im Deutschen relativ häufig zielführend, sodass die Revision dieser Strategie aus Lernersicht zunächst nicht zwingend notwendig ist. Es gibt in der Zweitsprache quasi nicht genügend negative Evidenz. Die Wortstellungsdominanz in der L1 Niederländisch und die relativ hohe Validität der Wortstellung in der L2 Deutsch hemmen damit ge‐ meinsam den Aufbau eines lokalen cue-Wissens. Für die monolingual deutsche Probandengruppe muss eine ähnliche Argumentation angenommen werden. Zwar ist hier der einzige Einflussfaktor die L1 Deutsch (und keine weitere Sprache), jedoch muss davon ausgegangen werden, dass gerade dieses einseitige Wissen als Erklärung für das überraschend starke Festhalten an der N1-Strategie naheliegend scheint. Dazu sollen einige zentrale Punkte aus den zum Deutschen durchgeführten Studien aufgegriffen werden. Zum einen können Dittmar et al. (2008) mithilfe einer Analyse von an Kinder gerichteter Erwachsenensprache zeigen, dass der Anteil an OS -Sätzen mit Voll- NP s im kindlichen Input sehr gering ist. In den analysierten Daten können nur 21 % der NVN -Sätze als OVS -Sätze eingestuft werden. Hinzu kommt, dass die meisten topikalisierten und oblique markierten Objekte pronominal sind. Eine NP mit einem Substantiv und einem entsprechenden kasusmarkierten Artikel kommt in nur 4 % der Fälle vor. Einschränkend muss hier angemerkt werden, dass sich die Analysen aus‐ schließlich auf akkusativmarkierte Maskulina und damit auf die Form den stützen. Allerdings sollten sich diese geringen Werte mit Blick auf die Korpus‐ analyse von beispielsweise Schlesewsky et al. (2000), die zu dem Fazit kommen, dass topikalisierte dativmarkierte NP s ohnehin selten im Vorfeld realisiert werden (s. Kapitel 2.2), nicht gravierend verändern. Hinzu kommt die von Kempe / MacWhinney (1999) vorgenommene Berechnung der Validität von Ka‐ susmarkern im Deutschen. Diese ist gerade wegen der häufigen Nicht-Verfüg‐ barkeit, die auf die hohe Anzahl synkretischer Formen zurückführbar ist, ein‐ geschränkt. Kempe / MacWhinney weisen dem Russischen deshalb zwar einen höheren Komplexitätsgrad zu, weil es schlicht mehr unterschiedliche Kasus‐ formen gibt als im Deutschen. Dieser Umstand führt jedoch im Russischen dazu, dass immer eine eindeutige Markierung vorliegt (die Eindeutigkeit kann sich dabei auf den unmarkierten Fall beim Agens oder auf die morphologisch obli‐ quen Formen bei nicht-agentivischen Rollen beziehen). Im Deutschen ist die Verfügbarkeit transparenter Formen eingeschränkter. Bei der Berechnung der Validität von Kasusmarkern im Deutschen wirkt sich die geringere Verfügbar‐ keit transparenter Formen auf eine geringere Validität morphologischer Formen im Allgemeinen aus. Seltenheit von OS -Sätzen und Unzuverlässigkeit der Ka‐ susformen scheinen das Satzschema als cue generell zu stärken. Dies resultiert schließlich in einer langanhaltenden hohen cue strength der N1-Strategie bei den 5 Ergebnisse 184 <?page no="185"?> monolingual deutschen Kindern. Um Verwirrung bezüglich der deutschen Gruppe und der hohen N1-Anteile in allen Bedingungen zu vermeiden, soll her‐ vorgehoben werden, dass diese Ergebnisse nichts darüber aussagen wollen und können, ob und wie gut das Kasussystem bei deutschen Kindern ausgebaut ist. Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass sie dieses auf einem hohen Niveau beherrschen. Die Satzverarbeitungsstrategien geben vielmehr einen Eindruck davon, wie wichtig morphologische Formen letztlich für die Agenswahl sind. Die Daten verweisen insgesamt also auf ein Ungleichgewicht zwischen Satz‐ schema und Kasusmorphologie hinsichtlich ihrer cue strength in der deutschen Gruppe und stützen die Vermutung von Lidzba et al. (2013), dass auch ältere Kinder im Alter von 8-13 Jahren noch relativ stark an der N1-Strategie fest‐ halten. Dass die Wortstellung für die monolingual deutsche Gruppe aufgrund der Kombination aus Seltenheit nicht-kanonischer Strukturen und Unzuverlässig‐ keit morphologischer cues die höchste cue strength hat, führt zu einem neuen erklärungsbedürftigen Punkt. Wenn nämlich im Deutschen OS -Sätze grund‐ sätzlich selten vorkommen, so gilt dies sicherlich auch für den L2-spezifischen Input. Nicht nur die monolingual deutschen, auch die russischen Sprecher kommen also in der Zielsprache Deutsch selten mit OS -Sätzen in Kontakt. Trotzdem sind sie deutlich besser dazu in der Lage, morphologischen cues trotz der Tatsache, dass ihre Funktion nur selten in Anspruch genommen wird, eine hohe Konfliktvalidität zuzuordnen. Wenn beide Gruppen prinzipiell selten mit OS -Sätzen in Berührung kommen und beide Gruppen mit demselben intran‐ sparenten Kasussystem konfrontiert sind, ist es erstaunlich, dass morphologi‐ sche cues für die russischen Sprecher eine deutlich höhere cue strength haben als für die deutschen. Als Grund für diesen Vorsprung lässt sich wiederum das L1-spezifische Wissen aus dem Russischen anführen. So lässt sich annehmen, dass sich die russischen Sprecher im Deutschen umgehend auf die Suche nach lokalen cues begeben. Aus ihrer L1 wissen sie bereits, dass die Wortstellung häufig unzuverlässig ist, wenn es um die Determination semantischer Relati‐ onen geht. Dieses Wissen scheinen sie generalisieren, abstrahieren und damit auch auf das Deutsche anwenden zu können. Dabei ist es für sie scheinbar se‐ kundär, dass sie dieses Wissen nicht besonders häufig einsetzen müssen. Eine geringe Datenbasis in der L2 reicht ihnen offenbar, um die Hypothese über die Validität lokaler morphologischer cues auch in der L2 Deutsch bestätigt zu finden. Der nächste Analyseschritt soll Klarheit darüber verschaffen, ob innerhalb der Gruppen außer dem cue der Transparenz auch die Interaktion zwischen Kasus‐ 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 185 <?page no="186"?> 5.3.1.2 Gruppeninterne Tendenzen form und Belebtheitsmerkmal die Satzverarbeitung beeinflussen kann. Dazu wird der Fokus auf die einzelnen Gruppen und damit eine within-group-Analyse gelenkt. An dieser Stelle werden die Ausführungen auch um die Ergebnisse der Erwachsenen ergänzt. Im Folgenden sollen anknüpfend an den Gruppenvergleich gruppeninterne Charakteristika herausgearbeitet werden. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob es innerhalb der drei Gruppen spezifische Merkmale gibt, die charakteristisch für die jeweiligen Probanden sind. Im Zuge der within-group-Analyse wird des‐ halb die Belebtheit der satzinitialen NP als möglicher Einflussfaktor auf variie‐ rende N1-Anteile hinzugenommen und in Relation zu den insgesamt vier mor‐ phologischen Formen gesetzt. Tabelle 14 listet dazu zunächst die jeweiligen Effekte für jede Sprechergruppe in Hinblick auf den Einfluss der satzinitialen morphologischen Formen im Vergleich zueinander sowie in Interaktion mit der Belebtheit der satzinitialen NP auf. Die formal bedingte Differenzierung umfasst dabei erneut die Frage, ob die N1-Anteile durch die Verfügbarkeit unterschied‐ licher transparenter (den vs. dem) sowie intransparenter (das A K K / die A K K vs. der D A T ) Formen beeinflusst werden. 5 Ergebnisse 186 <?page no="187"?> Tabelle 14: Gruppeninterne Effekte (within-group Kinder) transparenter und intranspa‐ renter satzinitialer Formen mit und ohne Interaktion mit der Belebtheit der N1 in OS-Sätzen Aus der Tabelle geht zunächst hervor, dass sich die grobe Differenzierung zwi‐ schen transparenten und intransparenten Formen in der russischen und deut‐ schen, nicht jedoch in der niederländischen Gruppe auf den N1-Anteil auswirkt. Weiterhin ist für die russische Gruppe charakteristisch, dass die Belebtheit der satzinitialen NP in allen Kontexten irrelevant ist. Stattdessen differenziert die russische Gruppe nicht nur zwischen transparenten und intransparenten Formen, sondern auch innerhalb dieser beiden Bedingungen zwischen den ein‐ zelnen Markern. So gibt es signifikante beziehungsweise marginal signifikante Unterschiede zwischen den- und dem- NP s sowie zwischen der D A T und das A K K / die A K K - NP s. Vergleichbares findet sich in keiner der anderen beiden Gruppen. Zwar differenziert auch die niederländischsprachige Gruppe zwischen spezifi‐ schen Formen, allerdings ist die Differenzierung hier zusätzlich an die Belebtheit gebunden. Dies gilt besonders für Bedingungen, in denen die transparenten 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 187 <?page no="188"?> Formen den und dem in Opposition zu anderen Markern gesetzt werden. Doch auch in den anderen Kontexten (zum Beispiel bei der Differenzierung zwischen der D A T und das A K K / die A K K - NP s) wirkt sich die Belebtheit der satzinitialen Kon‐ stituente zumindest ansatzweise auf den N1-Anteil aus. Erstaunlich ist zudem, dass die Verbindung zwischen Bedingungen, in denen es um den Marker den und seine Relation zur Belebtheit geht, auch für die deutsche Gruppe relevant zu sein scheint. Offenbar spielt es auch für diese Gruppe eine entscheidende Rolle, ob der eigentlich eindeutig nicht-agentivische Marker in einer belebten (zum Beispiel den Mann [+ B E L E B T ] ) oder unbelebten (zum Beispiel den Bus [- B E‐ L E B T ] ) Bedingung realisiert wird. Tabelle 14 zeigt bisher nur, dass es in Hinblick auf die Zusammenführung der Variablen [+ / - T RAN S PAR E NT ], dem semantischen Belebtheits-cue und der L1 der Sprecher gruppenspezifische Unterschiede gibt. Worin genau diese Unter‐ schiede bestehen und wie sie sich jeweils auf den N1-Anteil in OS -Sätzen aus‐ wirken, wird mithilfe der folgenden drei Abbildungen 13 bis 15 geklärt. Abbildung 13: L1 Russisch - Von morphologischen und semantischen cues abhängige N1-Anteile in OS-Sätzen Abbildung 13 verdeutlicht zwei zentrale Aspekte, die charakteristisch für die russischsprachige Gruppe sind. Erstens spielt der semantische Belebtheits-cue bei der Determination semantischer Relationen keine Rolle. Die N1-Anteile sind in Hinblick auf die Unterscheidung belebter und unbelebter satzinitialer NP s bei 5 Ergebnisse 188 <?page no="189"?> jeder der analysierten Formen jeweils nahezu identisch. Daraus ergibt sich zweitens, dass das Infragestellen der N1-Strategie ausschließlich an die satzini‐ tiale morphologische Form gebunden ist. Die Formen das A K K / die A K K sind ma‐ ximal intransparent, weshalb sie am häufigsten als mit der Wortstellung koa‐ lierende cues verarbeitet werden. Die Form dem ist hingegen hier als maximal transparent verarbeitet worden (sogar stärker als die vom Transparenzgrad äquivalente Form den) und wird deshalb am stärksten als ein mit der Wortstel‐ lung konkurrierender cue eingeordnet. Auch bei den beiden intransparenten Bedingungen differenzieren die Probanden zwischen das A K K / die A K K - und der D A T - NP s. Letztere können sich in Konfliktkontexten häufiger durchsetzen als erstere. NP s wie der D A T Frau oder der D A T Stadt werden also seltener als Agens ausgewählt als NP s wie das A K K Kind / das A K K Fahrrad oder die A K K Frau / die A K K Stadt. Ausgehend von den Tendenzen in Abbildung 13 und den gruppenspezifischen Unterschieden in Abbildung 12 lässt sich für die russische Gruppe folgern, dass die N1-Strategie zwar die interpretatorische Basis bildet, sie jedoch in mindes‐ tens der Hälfte der Fälle durch eine morphologische Strategie ersetzt wird. Die russische Gruppe befindet sich deshalb an der Schnittstelle zwischen syntakti‐ scher und morphologischer Strategie, wobei letztere besonders auch vom Trans‐ parenzgrad der satzinitialen Marker abhängig ist. Ganz anders als die russischen Probanden gehen die niederländischsprachigen L2-Lerner mit der Verarbeitung von N>N-Sätzen im Deutschen um. Wie bereits in Abbildung 12 deutlich wurde, ist die Konfliktvalidität der Wortstellung in dieser Gruppe sehr hoch. Die präverbale NP wird auch in den Sätzen als Agens ausgewählt, die einen eindeutig nicht-agentivischen Marker in satzinitialer Po‐ sition enthalten. Die N1-Strategie ist also besonders stark ausgeprägt. Ein Blick auf Abbildung 14 (und auch auf Tabelle 14) verdeutlicht jedoch, dass die ein‐ zelnen morphologischen cues durchaus relevant sind, jedoch an den semanti‐ schen cue der Belebtheit geknüpft werden. Die Nutzung morphologischer Marker als Indikatoren für semantische Relationen ist dabei deutlich weniger konsistent als in der russischen Lernergruppe. Dies wird vor allem durch die non-linear verlaufende gestrichelte Trendlinie in Abbildung 14 deutlich. Diese zeigt bereits, dass ein Abweichen von sowie ein Festhalten an der N1-Strategie von unterschiedlichen Bedingungen abhängig ist. Je nach Interaktion zwischen Kasusform und Belebtheit der satzinitialen NP schlagen die N1-Anteile nach oben oder unten aus. 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 189 <?page no="190"?> Abbildung 14: L1 Niederländisch - Von morphologischen und semantischen cues abhän‐ gige N1-Anteile in OS-Sätzen Zunächst lässt sich sagen, dass die morphologische Strategie in der niederlän‐ dischen Gruppe durchaus zum Einsatz kommt. Immerhin liegt der N1-Anteil bei Sätzen des Typs Dem Bruder dankt das Dorf oder Dem Ball folgt das Mädchen stellenweise bei gut 60 % und ist damit nur knapp höher als in der russischen Gruppe. Die Frage ist deshalb nicht ob, sondern unter welchen Bedingungen die N1-Strategie revidiert wird. Aus Abbildung 14 geht deutlich hervor, dass dies besonders bei dem-markierten sowie das A K K / die A K K - NP s der Fall ist. Bei Sätzen wie Das Auto hört der Mann oder Die Kuh malt der Bleistift liegt der N1-Anteil bei ca. 60 % und ist damit genau so niedrig wie in der russischen Gruppe (vgl. auch Abbildung 13). Während somit in der russischen Gruppe die ambigen Formen das A K K / die A K K die N1-Strategie tendenziell stützen, führen dieselben Formen in der niederländischen Gruppe häufig zu ihrer Aushebelung. Mit Blick auf die übrigen Bedingungen sind diese niedrigen Werte in der maximal intran‐ sparenten Bedingung sehr ungewöhlich, besonders wenn die N1-Anteile von durchschnittlich 80 % bis 90 % in Sätzen des Typs Der Frau folgt das Fahrrad oder Der Klasse dankt der Mann hinzugezogen werden. Im Vergleich zu Sätzen wie Der Mann hört das Auto, in denen die satzinitiale NP zu knapp 90 % als Agens ausgewählt wurde, ist der Unterschied zwischen den jeweiligen N1-Anteilen in SO - und OS -Sätzen, die jeweils mit einer der- NP beginnen, verschwindend ge‐ 5 Ergebnisse 190 <?page no="191"?> ring. Konkret heißt das, dass niederländische Sprecher NP s des Typs der N O M Mann und der D A T Frau äquivalent als agentivisch einstufen. In letzterem Fall wird der Genuskonflikt zwischen dem inhärenten femininen Genus von Frau und der maskulinen Form der nicht erkannt. Jedoch ist nicht eine etwaige Ge‐ nuszuweisungsunsicherheit der Grund für die Gleichsetzung dieser NP s, son‐ dern die prototypische Funktion der Form der als Agensmarker. Offenbar ist diese Form aufgrund ihrer prototypischen Koalition mit der Funktion [+A G E N S ] für die niederländischen Probanden eine klare Stütze für eine SO -Interpretation des N>N-Schemas. Ausgehend von dieser Beobachtung lässt sich wiederum der für die nieder‐ ländischsprachige Gruppe ungewöhnlich niedrige N1-Anteil bei Sätzen, die mit einer das A K K / die A K K - NP beginnen, erklären. Wahrscheinlich ist, dass eine Dif‐ ferenzierung zwischen agentivischen der- und nicht-agentivischen das A K K / die A K K -Formen erfolgt. Diese Dichotomie hat sich bereits bei der Verarbeitung von SO -Sätzen abgezeichnet (s. Kapitel 5.2.2). Das und die dienen gleichermaßen als akzeptable nicht-agentivische Marker. Anders als in Kapitel 5.2.2 ange‐ nommen, ist die Form die damit für diese Gruppe keinesfalls ein zu der äquivalent valider Agens-cue. Vielmehr scheinen das und die in Opposition zu der gestellt und mit den Eigenschaften ‚Nicht-Agens‘ respektive ‚Agens‘ verknüpft zu werden. Diese formal-funktionale Dichotomie führt zu zwei Effekten. Ein po‐ sitiver Effekt ist, dass die Marker das / die als nicht-agentivisch abgespeichert werden. Wenn sie dann in der für sie ungewöhnlichen satzinitialen Position auftauchen, werden sie entsprechend als Nicht-Agens eingeordnet. Die nieder‐ ländischen Probanden verwerfen dadurch in dieser Bedingung die N1-Strategie. Ein ‚negativer‘ Effekt ist, dass der als idealtypischer Agens-cue verarbeitet wird - auch dann, wenn er eindeutig nicht als solcher fungiert (zum Beispiel bei der D A T Frau oder der D A T Stadt). Man könnte ausgehend von dieser Dichotomie deshalb eine Art Einstieg in eine morphologisch basierte Verarbeitungsstrategie vermuten. Was Abbildung 14 nämlich vor allem zeigt, ist, dass die niederländischen Lerner durchaus dazu in der Lage sind, lokale cues als Indikatoren für semantische Relationen im Satz zu nutzen. Sie gehen dabei zwar etwas anders als die russischen Sprecher vor, indem sie die eigentlich funktional intransparenten Formen als quasi transpa‐ rent behandeln. Jedoch gelangen beide Gruppen schließlich zu der für das Deut‐ sche notwendigen morphologischen Verarbeitungsstrategie. Die Relevanz prototypischer Form-Funktions-Relationen ist für die nieder‐ ländische Gruppe nicht nur bei das A K K / die A K K - und der D A T -Formen, sondern auch für die Verarbeitung der obliquen Marker den und dem entscheidend. Ab‐ bildung 14 zeigt deutlich, dass die Probanden NP s wie den Mann [+ B E L E B T ] in über 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 191 <?page no="192"?> 80 % der Fälle als Agens wählen, sich bei NP s wie den Bus [- B E L E B T ] jedoch in 40 % der Fälle für die postverbale Konstituente als Agens entscheiden. Die Be‐ lebtheitsinformation determiniert somit das Festlegen der konkreten Funktion einer den- NP . Die oblique Form den wird besonders dann als nicht-agentivisch verarbeitet, wenn sie mit dem Merkmal [- B E L E BT ] auftritt. Ist das entsprechende Lexem jedoch belebt, so fungiert der Marker den aus Sicht der niederländischen Gruppe als Agens-cue. Die Belebtheit allein ist in diesem Kontext nicht der ent‐ scheidende Faktor. Wenn das so wäre, würde sich dies in allen Bedingungen niederschlagen, was zu niedrigeren N1-Anteilen bei allen unbelebten NP s führen müsste. Stattdessen ist das gemeinsame Vorkommen einer spezifischen morphologischen Form und einem spezifischen Belebtheitsmerkmal hier ent‐ scheidend. Dass vor allem NP s des Typs den Bus [- B E L E B T ] als nicht-agentivisch eingestuft werden, liegt nämlich auch hier in der Prototypikalität dieser Koali‐ tion begründet. Sprachübergreifend ist die nicht-agentivische Rolle des Patiens prototypisch unbelebt, im Deutschen wird sie morphologisch zudem (unter an‐ derem) mit der Form den gekennzeichnet. Interagieren diese beiden cues, ist die Koalition stark genug, um die N1-Strategie zu revidieren. Tritt die morphologi‐ sche Form allein auf beziehungsweise wird mit einer belebten Konstituente kombiniert, so ist die Belebtheit an sich ein mit der Wortstellung koalierender cue. Der morphologische Marker kann sich trotz seiner funktionalen Transpa‐ renz nicht durchsetzen, weil seine cue strength offenbar noch zu niedrig ist. Die Abhängigkeit morphologischer cues von spezifischen Belebtheitsinfor‐ mationen setzt sich auch bei der Verarbeitung des Markers dem fort. Auch wenn hier der Effekt knapp unter dem Signifikanzniveau liegt, sind die N1-Anteile bei belebten dem- NP s um 10 % niedriger als bei unbelebten. Berücksichtigt man dazu die Ausführungen in Kapitel 2.4 und nimmt an, dass dem als Dativmarker prototypisch auf ein Rezipiens und damit auf eine zwar nicht-agentivische, je‐ doch belebte Rolle verweist, so lässt sich die obige Argumentation fortführen. Tritt der Marker dem in seiner gewohnten Funktion gemeinsam mit dem Merkmal [+ B E L E BT ] auf, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese prototy‐ pische Koalition gegen die N1-Strategie durchsetzt, höher als wenn der Marker mit dem für ihn konkurrierenden Belebtheitsmerkmal [- B E L E BT ] realisiert wird. In Hinblick auf den Status der Belebtheit verhalten sich die N1-Anteile bei satz‐ initialen den- und dem-Formen damit diametral. So ergeben sich eigentlich zwei Merkmale, die für die niederländische Gruppe charakteristisch sind. Die Entscheidung, ob eine eigentlich oblique Form (den und dem) als agentivisch oder nicht-agentivisch eingeordnet wird, hängt von ihrem Auftreten mit einem für sie prototypischen Belebtheitsmerkmal ab ([- B E L E BT ] bei den, [+ B E L E BT ] bei dem). Bei den intransparenten Formen das A K K / 5 Ergebnisse 192 <?page no="193"?> die A K K und der D A T entfällt die Abhängigkeit von der Belebtheit. Die Entschei‐ dung, dass die beiden Marker das A K K / die A K K nicht-agentivisch, der D A T hingegen agentivisch ist, basiert ausschließlich auf der morphologischen Form. Berück‐ sichtigt man die Relevanz prototypischer Koalitionen für die niederländische Gruppe, so lässt sich annehmen, dass die Belebtheit als eine Art Türöffner für die Nutzung morphologischer cues und die damit einhergehende Abwendung von der N1-Strategie fungiert. Zu fragen ist hierbei, ob die Relation zwischen Kasusmorphologie und Belebtheit ein sequentielles Phänomen innerhalb der sprachlichen Entwicklung darstellt. Dies wird in den Kapiteln 5.3.2 sowie 5.4 thematisiert. Stellt man die unterschiedlichen Verarbeitungsstrategien der russisch- und nie‐ derländischsprachigen Lerner nebeneinander, so lassen sich einige Gemeinsam‐ keiten, vor allem jedoch kategorische gruppenspezifische Unterschiede ausma‐ chen. Gemeinsam ist den beiden Lernergruppen die Orientierung an der N1-Strategie. Beide setzen das N>N-Schema grundsätzlich mit einem SO -Satz gleich. Unterschiedlich sind die Voraussetzungen, unter denen die beiden Gruppen dazu bereit sind, diese N1-Strategie zu verwerfen. Die russischen Spre‐ cher tun dies nicht nur grundsätzlich intensiver, sie stützen sich dabei auch ausschließlich auf den Informationsgehalt der Artikelformen. Offenbar wird dabei bereits relativ früh eine paradigmatisch bedingte Differenzierung zwi‐ schen agentivischen und nicht-agentivischen Formen aufgebaut. Die niederlän‐ dische Gruppe arbeitet sich demgegenüber nicht in größeren Kategorien, son‐ dern von Form zu Form durch. Sie verknüpfen dabei einzelne Marker sowie teilweise spezifische Belebtheitsmerkmale mit spezifischen Funktionen. Somit kommen beide Gruppen letztlich ans Ziel, da beide irgendwann in der Lage sind, morphologische Marker als valide cues für semantische Relationen zu nutzen. Der Weg zu diesem Ziel verläuft jedoch unterschiedlich. Der Unterschied ist dabei höchstwahrscheinlich an divergierende Spracherfahrungen zurück‐ führbar, sprich die typologisch differenten Ausgangssprachen der beiden Gruppen. Durch die unterschiedlichen Herkunftsprachen der Probanden erfolgt schließlich auch die Annäherung an ein L2-spezifisches cue-System unter‐ schiedlich. In den vorherigen Kapiteln wurde mehrfach deutlich, dass die Ergebnisse der monolingual deutschen Kontrollgruppe nicht wie erwartet ausfallen. Die N1-Strategie ist hier deutlich stärker ausgeprägt als angenommen. So hat sich die Kontrollgruppe gewissermaßen im Zuge der Datenanalyse zu einer dritten Untersuchungsgruppe entwickelt, sodass die gruppenspezifischen Charakteris‐ 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 193 <?page no="194"?> tika der monolingual deutschen Probanden ebenfalls erläutert werden sollen. Die folgende Abbildung 15 legt in Hinblick auf die gruppeninternen Verarbei‐ tungsstrategien zunächst zwei zentrale Aspekte nahe. Zum einen sind die N1-Anteile besonders im Vergleich zur russischen Gruppe in allen Bedingungen sehr hoch (vgl. auch Abbildung 12). Zum anderen finden sich Merkmale, die sowohl für die russische als auch für die niederländische Gruppe charakteris‐ tisch sind. Abbildung 15: Monolingual Deutsch - Von morphologischen und semantischen cues abhängige N1-Anteile in OS-Sätzen Das charakteristisch ‚russische‘ ist, dass der N1-Anteil in Abhängigkeit von einer steigenden Transparenz morphologischer Marker linear abnimmt (sichtbar an der gestrichelten Trendlinie). In Sätzen, die mit einer das AKK - oder die AKK -Form beginnen, wird die satzinitiale NP am häufigsten (ca. 80 %), in Sätzen mit einer präverbalen dem- NP am seltensten (ca. 65 %) als Agens gewählt. Wie für die russischen sind somit auch für die monolingual deutschen Probanden transparente Marker relativ starke Indikatoren dafür, dass der N>Nals OS -Satz zu interpretieren ist. Bei ambigen Formen ist der N1-Anteil im Gegensatz dazu deutlich höher, weil sie als mit der Wortstellung koalierende cues eingestuft werden. Die Parallele zur niederländischen Gruppe ergibt sich innerhalb der transparenten Bedingung, das heißt ausschließlich bei den- und dem- NP s. Die 5 Ergebnisse 194 <?page no="195"?> jeweiligen Formen werden nämlich auch hier an das für sie typische Belebtheits‐ merkmal geknüpft. Den führt in Kombination mit dem Merkmal [- B E L E BT ], dem diametral dazu mit dem Merkmal [+ B E L E BT ] zu maximal niedrigen N1-Anteilen von durchschnittlich 55 %. Vergleichbar niedrige Werte erreichen wiederum die russischen Probanden bei allen OS -Sätzen mit satzinitialen den- und dem- NP s. Das Nebeneinander typisch russischer und niederländischer Strategien in‐ nerhalb der monolingual deutschen Gruppe verdeutlicht die Zwischenposition, die diese Probanden einnehmen. Sie sind einerseits in der Lage, Formen zu grö‐ ßeren Kategorien zu bündeln und anhand eindeutig nicht-agentivischer Marker die N1-Strategie aufzugeben. Sie analysieren also nicht wie die niederländische Gruppe jede Form in Hinblick auf ihre prototypische Funktion sowie damit ein‐ hergehende prototypische Merkmalsbündel, sondern können Formen zu einer Kategorie wie [+ T RAN S PAR E NT ] zusammenfassen. Innerhalb dieser Kategorie orientieren sie sich jedoch wiederum an der Belebtheit und machen ihre Ent‐ scheidung für oder wider die erste NP als Agens letztlich an ihr fest. Dass monolingual deutsche Sprecher die Belebtheit als cue bei der Satzver‐ arbeitung zum Teil intensiver nutzen als andere Sprecher, können Kempe / MacWhinney (1999) für erwachsene und Chan / Lieven / Tomasello (2009) für kindliche Sprecher zeigen. Dies lässt sich auch durch die in Abbildung 15 zu‐ sammengefassten Tendenzen belegen. Zusammengenommen bilden die deut‐ schen Kinder im Prinzip das ab, was ihnen ihre L1 Deutsch anbietet. Morpho‐ logische Marker sind zwar vorhanden, jedoch zu oft unzuverlässige cues. Hinzu kommt, dass ihre Funktion aufgrund der Seltenheit von OS -Sätzen im Input kaum beansprucht wird. Bedingt durch diese Faktoren greifen die Sprecher auf andere cues, insbesondere die Wortstellung sowie die prototypische Interaktion transparenter morphologischer Formen und der Belebtheit zurück. Sie müssen zwar im Gegensatz zu den niederländischen Sprechern kein vollständig neues Konzept davon ausbilden, dass lokale cues überhaupt semantische Rollen kenn‐ zeichnen. In Hinblick auf die cue strength zwischen Kasusmorphologie und Satzschema herrscht jedoch eine sehr starke Konkurrenz, die nur in spezifischen Bedingungen zugunsten der Kasusmarker aufgelöst wird. Die typologische Zwi‐ schenposition des Deutschen, die vor allem in Kapitel 2.2 herausgearbeitet wurde, schlägt sich schließlich in einer hybriden Verarbeitungsstrategie der monolingual deutschen Probanden nieder. Zuletzt sollen als Vergleichswert die Ergebnisse der Erwachsenen kurz be‐ trachtet werden (Tabelle 15). 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 195 <?page no="196"?> Tabelle 15: Gruppeninterne Effekte (within-group Erwachsene) transparenter und in‐ transparenter Formen mit und ohne Interaktion mit Belebtheit in OS-Sätzen - Erwach‐ sene Wie die Übersicht zeigt, finden sich weder bei der Agenswahl noch bei den beiden Lesezeitmessungen nennswerte Effekte. Lediglich die Differenz zwi‐ schen transparenten und intransparenten Bedingungen führt zu längeren Le‐ sezeiten der Testsätze. Transparente OS -Sätze werden mit 3.33 Sekunden um durchschnittlich 0.2 Sekunden länger gelesen als intransparente. Auf der Ebene der Antwortwahl zeigt sich zudem eine sehr leichte Tendenz, Sätze, die mit das und die beginnen, marginal häufiger als SO -Sätze einzustufen. Der N1-Anteil liegt hier bei ca. 15 % und damit um knapp 4 % Prozent höher als in transparenten Bedingungen. Insgesamt ist (erwartungsgemäß) die morphologische Strategie für erwachsene monolinguale Sprecher des Deutschen dominant. Die russischen Kinder kommen am nächsten an diese Strategie heran. Zwar interferiert die syntaktische Strategie bei ihnen noch mit der morphologischen, jedoch ist be‐ sonders mit Blick auf die Differenzierung von transparenten und intranspa‐ 5 Ergebnisse 196 <?page no="197"?> renten Formen, die sich bei den Kindern auf der Antwortebene und bei den Erwachsenen bei der Lesedauer abzeichnet, eine klare Parallele zwischen den Gruppen erkennbar. Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen nicht nur die gruppenspezifischen Gemeinsamkeiten und Differenzen, sondern zeigen besonders, nach welchen Prinzipien sich die jeweiligen Lerner einer morphologisch basierten Verarbei‐ tungsstrategie annähern. Auf der Basis, dass alle Probanden bei N>N-Sätzen zunächst von einem SO -Satz ausgehen, konnte schließlich ermittelt werden, wie sich der jeweilige sprachliche Hintergrund der Kinder darauf auswirkt, welche cues zur Agensdetermination genutzt werden, wenn Satzschema und Kasus‐ marker konkurrieren. Anhand dieses breakdown of coalitions lassen sich für die russischen und die niederländischen Sprecher unterschiedliche Herangehens‐ weisen an die Satzverarbeitung erfassen. Die Entwicklung weg von einer syn‐ taktischen N1-Strategie hin zu einer morphologischen Strategie ist unter Berücksichtigung der zugehörigen cues, die von den Gruppen zur Satzinterpre‐ tation genutzt werden, in Abbildung 16 zusammengefasst: Abbildung 16: Zwischen syntaktischer und morphologischer Strategie: L1-spezifische Charakteristika Der von links nach rechts verlaufende Pfeil steht für die hierarchische Relation zwischen syntaktisch und morphlogisch basierter Satzverarbeitung. Die Abbil‐ dung verdeutlicht, welche Strategien zwischen den beiden Polen in Frage kommen und wo die einzelnen Gruppen angeordnet werden können. Die rus‐ sischsprachigen Probanden bewegen sich deutlich näher am morphologischen Pol als die anderen beiden Gruppen. Dass sie die morphologische Strategie noch nicht umfassend anwenden, wird besonders durch die hohe cue strength der transparenten Marker den und dem und der niedrigeren cue strength der intran‐ sparenten Formen das A K K , die A K K und der D A T deutlich. Letztere werden häufiger 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 197 <?page no="198"?> als mit dem Satzschema koalierende cues interpretiert. Ihre Konfliktvalidität ist dadurch eingeschränkt. Den russischen Probanden gelingt es also noch nicht vollständig, sich von der N1-Strategie zu lösen und den letzten Schritt zu voll‐ ziehen. Dieser besteht wiederum darin, die Determination semantischer Relati‐ onen in Konfliktbedingungen ausschließlich auf morphologische cues zu stützen. Charakteristisch für die niederländische Gruppe ist, dass sie sich einerseits deutlich stärker an der N1-Strategie orientieren und deshalb auch näher am syntaktischen Pol angesiedelt sind. Die Anordnung zeigt weiterhin, dass die Abkehr von der N1-Strategie für diese Probanden vom nicht-grammatischen Belebtheits-cue sowie seiner Relation zu transparenten Formen abhängig ist. Im Gegensatz zu den niederländischen Sprechern sind die monolingual deutschen Kontrollprobanden wiederum näher am morphologischen Pol und befinden sich gewissermaßen zwischen zwei Strategien. Zwar knüpfen sie wie die nieder‐ ländischen Sprecher morphologische Marker an für sie prototypische Belebt‐ heitsmerkmale, jedoch sind die N1-Anteile in der transparenten Bedingung prinzipiell bereits niedriger. Ihr Wert wird durch die Belebtheit zusätzlich ge‐ senkt, während in der niederländischen Gruppe bei Morphologie-Belebtheits-Koalitionen überhaupt erst eine Abkehr von der N1-Strategie stattfindet. Eine kardinale Differenz zwischen den beiden Gruppen bleibt jedoch bestehen. Für die deutschen Probanden ist zunächst besonders die Differenzierung zwi‐ schen transparenten und intransparenten Formen relevant. Nur hier findet sich ein erkennbarer Einfluss des semantischen Belebtheits-cues. Die niederländi‐ schen Sprecher ‚starten‘ hingegen mit den intransparenten Formen das und die in die morphologische Strategie. Erst danach werden die transparenten Formen den und dem in Hinblick auf ihre jeweiligen Funktionen analysiert. In Abbildung 16 ist diese Differenz durch die Einklammerung des Merkmals [+ T RAN S PAR E NT ] in Schritt drei kenntlich gemacht. Die niederländischen Sprecher konzentrieren sich zunächst auf zwar prototypisch nicht-agentivische, jedoch intransparente Marker, die monolingual deutschen Probanden hingegen auf transparente nicht-agentivische Formen. Insgesamt verdeutlicht Abbildung 16 gruppenbedingte Unterschiede bei der Nutzung einzelner cues sowie cue-Bündeln. Die Tatsache, dass die beiden mehr‐ sprachigen Gruppen quasi maximal weit voneinander entfernt sind, spricht für einen Einfluss des jeweiligen L1-spezifischen cue-Wissens. Die an die L1 ange‐ lehnte cue strength führt zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Verarbei‐ tungsprinzipien, die in eine hierarchische Relation zueinander gebracht werden können. Der Vorteil, den die russischen Probanden aufgrund ihres L1-spezifi‐ schen Wissens aus dem Russischen haben, führt schließlich dazu, dass sich nur 5 Ergebnisse 198 <?page no="199"?> 5 Zur Erinnerung: Das Matching der Gruppen in Hinblick auf den Sprachstand erfolgte mithilfe des C-Tests. Sprecher, die einen Richtig-Falsch-Wert von über 75 % erreichten, wurden der Gruppe mit hohem Sprachstand zugeordnet. Bei einem Ergebnis von we‐ niger als 75 % erfolgte die Zuordnung zur Gruppe mit niedrigem Sprachstand. 5.3.2 diese Gruppe sehr deutlich dem morphologischen Verarbeitungsprinzip annä‐ hert. Was bleibt, ist die Frage, ob das in Abbildung 16 skizzierte Kontinuum über‐ haupt ein Kontinuum ist oder ob die einzelnen Strategien einen Pool von indi‐ viduellen Verarbeitungsmöglichkeiten darstellen. Überprüft werden soll dies im Folgenden anhand des Faktors des Sprachstandes im Deutschen. Dieser Schritt soll als Querschnittsanalyse klären, ob ein niedriger beziehungsweise hoher Sprachstand je nach Gruppe dazu beiträgt, die in Abbildung 16 angenommene Rangfolge der identifizierten Strategien zu verifizieren. Die Rolle des Sprachstands im Deutschen Im vorherigen Kapitel konnte eine der zentralen Annahmen der Arbeit wei‐ testgehend belegt werden, nämlich die Existenz des Transfers L1-spezifischen cue-Wissens auf die Satzverarbeitung im Deutschen. Die in Abhängigkeit von der L1 identifizierten Unterschiede führen zu einer Variabilität unterschiedli‐ cher Strategien, die bei der Satzverarbeitung greifen. Ausgehend von diesem Strategienspektrum wurde die These aufgestellt, dass die einzelnen Prozesse womöglich hierarchisierbar seien und ein Kontinuum auf einer Skala darstellen könnten, die die syntaktische und die morphologische Strategie als maximale Gegensätze hat. Damit wären die bisher identifizierten Verarbeitungsstrategien quasi einzelne cue strength-Schritte. Diese These soll in Form einer Quer‐ schnittsanalyse erörtert werden, die sich ausschließlich auf die Kinder bezieht. Der Sprachstandseffekt 5 könnte folgende Auswirkungen haben: Sehr generell würde ein höherer Sprachstand im Deutschen eine stärkere Tendenz zur mor‐ phologischen Strategie bedeuten. Mit Blick auf Abbildung 16 würde dies dazu führen, dass die jeweiligen Sprechergruppen auf der Skala näher an den mor‐ phologischen Pol rücken, sobald sie einen hohen Sprachstand im Deutschen erreichen. Umgekehrt sollten Sprecher mit einem niedrigen Sprachstand jeweils näher am Wortstellungspol verortet sein und damit die N1-Strategie favori‐ sieren. Je höher also der Sprachstand, desto intensiver sollten morphologische cues zur Determination semantischer Relationen genutzt werden. Je niedriger die Kompetenzen im Deutschen, desto geringer ist die Durchsetzungskraft mor‐ phologischer Formen in Konfliktkontexten. Diese Annahme ist als relativ für 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 199 <?page no="200"?> jede der drei Sprechergruppen zu betrachten. Die russischen Probanden sollten somit mit einem hohen Sprachstand in der Lage sein, auch die intransparenten Formen das A K K , die A K K und der D A T als Indikatoren für Nicht-Agentivität in OS -Sätzen zu nutzen. Bei niedrigem Sprachstand sollten die Sprecher hingegen nur bei den Markern den und dem auf einen OS -Satz schließen. Im Gegensatz dazu sollten niederländische Kinder mit niedrigem Sprachstand ihre Entschei‐ dung deutlich stärker an die Belebtheit sowie ihre Relation zur konkreten mor‐ phologischen Form knüpfen. Bei hohem Sprachstand sollten sie die Belebtheit als cue weitgehend ignorieren und in Konfliktkontexten ihre Agenswahl stärker an die funktional transparenten Formen den und dem knüpfen. Das würde be‐ deuten, dass sich die cue strength morphologisch transparenter Marker bei rus‐ sischen Sprechern mit niedrigem und niederländischen Sprechern mit hohem Sprachstand angleicht. Monolingual deutsche Kinder sollten sich zwischen den beiden Schritten ‚transparente morphologische cues‘ und ‚morphologische cues‘ bewegen und wären damit knapp hinter der russischen Gruppe mit hohem Sprachstand einzuordnen. Bei niedrigem Sprachstand wäre zu erwarten, dass die monolingualen Kinder zwischen der morphologisch-semantischen und der morphologischen Strategie schwanken. Mittels einer within-group-Analyse wurde ermittelt, wie sich innerhalb der drei Sprechergruppen der Sprachstand sowie die Interaktion zwischen dem Sprachstand und den Variablen der funktionalen Transparenz ([+ / - T RAN S PA‐ R E NT ]) und der Belebtheit der satzinitialen NP (N1 [+ / - B E L E BT ]) auf den N1-An‐ teil in OS -Sätzen auswirken. Die entsprechenden Effekte sind in Tabelle 16 zusammengefasst. 5 Ergebnisse 200 <?page no="201"?> Tabelle 16: Gruppeninterne Effekte des Sprachstands sowie der Interaktion zwischen Sprachstand, Belebtheit der N1 und funktionaler Transparenz auf N1-Anteile in OS-Sätzen Aus der Tabelle gehen zunächst zwei Dinge hervor. Der Sprachstand (niedrig vs. hoch) wirkt sich nur in der russischen und der monolingual deutschen Gruppe hochsignifikant auf den N1-Anteil aus. In der niederländischen Gruppe beeinflusst der Sprachstand den N1-Anteil in OS -Sätzen nicht. Die Tatsache, dass sich darüber hinaus weder in der niederländischen noch in der monolingual deutschen Gruppe Effekte bei der Interaktion zwischen Sprachstand und den übrigen Variablen (Transparenz und Belebtheit) ermitteln lassen, verweist da‐ rauf, dass sich die für diese Gruppen bereits identifizierten Mechanismen nicht grundlegend verändern. Lediglich in der russischen Gruppe zeigt sich, dass sich der Sprachstand in Interaktion mit der Transparenz morphologischer cues sig‐ nifikant auf den N1-Anteil auswirkt. Anders als erwartet, wirkt sich ein höherer Sprachstand jedoch nicht darauf aus, dass auch intransparente Marker (das AKK , die AKK , der DAT ) in präverbaler Position als konfliktresultierende Indikatoren für einen OS -Satz eingeordnet werden. Stattdessen wird die morphologische Stra‐ tegie überwiegend bei den transparenten Markern gefestigt (s. Abbildung 17). 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 201 <?page no="202"?> Abbildung 17: L1 Russisch - N1-Anteile (OS-Sätze) in Abhängigkeit von Sprachstand, morphologischen und semantischen cues Wie Abbildung 17 deutlich zeigt, ist der N1-Anteil besonders bei Sätzen des Typs Den Mann / Bus sieht das Kind / Fahrrad sowie Dem Mann / Bus hilft das Kind / Fahrrad beziehungsweise Dem Kind / Fahrrad hilft der Mann bei Sprechern mit hohem niedriger als bei Probanden mit niedrigem Sprachstand. Die sprach‐ standsbedingte Differenz liegt in beiden Bedingungen (den- und dem- NP s) bei 20-30 %. Besonders bei dem- NP s erreichen die russischen Probanden mit hohem Sprachstand Werte von unter 40 %. Zugleich zeigt die enorm hohe Standardab‐ weichung, dass hier eine sehr große Spannbreite bei den N1-Anteilen vorliegt. Dies deutet auf individuelle Abweichungen von der jeweiligen gruppentypi‐ schen Verarbeitungsstrategie hin. Damit kann für die russische Gruppe gefolgert werden, dass mit steigendem Sprachstand im Deutschen eine intensivere Nut‐ zung der morphologischen Strategie einhergeht. Die cue strength transparenter morphologischer Marker steigt dabei kontinuierlich. Bei intransparenten Formen hingegen findet kaum eine sprachstandsbedingte Veränderung statt. Die N1-Anteile pendeln sich gewissermaßen zwischen 60 % und 70 % ein. Zu‐ gleich lässt sich in Abbildung 16 erkennen, dass die N1-Anteile bei Sätzen mit satzinitialer der D A T -Markierung (zum Beispiel bei Der D A T Frau / Stadt hilft der Bruder) bei der hohen Sprachstandsgruppe bei nur noch 50 % und damit nur knapp über dem Wert bei Sätzen mit präverbalen den- und dem-Phrasen liegen. Innerhalb der Gruppe mit hohem Sprachstand ergibt sich somit eine marginal signifikante Differenz von knapp 10 % im Vergleich zu Sätzen wie Das A K K Kind / die A K K Stadt sieht der Bruder. Dass gerade Sprecher mit einem hohen Sprachstand 5 Ergebnisse 202 <?page no="203"?> zwischen diesen beiden Bedingungen unterscheiden und relativ niedrige N1-Anteile bei Sätzen mit einer präverbalen der-Phrase erreichen, verweist auf die Ausdifferenzierung und Festigung des morphologischen Wissens, das mit einem hohen Sprachstand einhergeht. Die höchste cue strength haben dabei die Formen den und dem, jedoch findet besonders (jedoch nicht nur) mit hohem Sprachstand auch eine Ausweitung der morphologischen Strategie auf intrans‐ parente und halb-transparente Bedingungen statt. Anders als in der russischen Gruppe finden sich bei den niederländischen Kin‐ dern kaum sprachstandsbedingte Veränderungen beim N1-Anteil (s. Abbildung 18). Abbildung 18: L1 Niederländisch - N1-Anteile (OS-Sätze) in Abhängigkeit von Sprach‐ stand, morphologischen und semantischen cues Abbildung 18 zeigt, dass die N1-Anteile in allen Bedingungen in beiden Sprach‐ standsgruppen nahezu identisch sind. Was also in den vorherigen Kapiteln hin‐ sichtlich der für die niederländische Gruppe charakteristischen Verarbei‐ tungsstrategien herausgearbeitet wurde, gilt für diese Gruppe auch unabhängig von den allgemeinen Kompetenzen im Deutschen. Die N1-Strategie bleibt do‐ minant und führt dazu, dass die N1-Anteile durchgehend bei mindestens 60 % bis über 80 % liegen. Wenn morphologische cues sich durchsetzen können, dann vor allem bei den prototypischen nicht-agentivischen Markern das und die sowie bei den transparenten Formen den und dem. Insbesondere bei den- NP s gilt nach wie vor, dass eine belebte Konstituente wie den Mann [+ B E L E B T ] zu 80-90 % als 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 203 <?page no="204"?> Agens gewählt, eine unbelebte NP wie den Bus [- B E L E B T ] hingegen deutlich häu‐ figer als Patiens eingestuft wird - die N1-Anteile sinken hier marginal signifi‐ kant auf 50-60 %. Der Sprachstand wirkt sich auf die Differenzierung zwischen belebten und unbelebten den- NP s nicht aus. Auch in der dem-Bedingung finden sich belebtheitsbedingte Schwankungen bei den N1-Anteilen, jedoch sind diese nicht signifikant oder liegen knapp unter dem Signifikanzniveau. Trotzdem lässt sich auch in diesem Kontext eine klare Tendenz zur Verknüpfung von transpa‐ renten morphologischen cues und der Belebtheit identifizieren. Insgesamt kommt also die morphologische Strategie durchaus zum Einsatz, jedoch ist ihr Gebrauch auf spezifische Bedingungen eingegrenzt. Ein anderes Bild zeichnet sich bei den monolingual deutschen Probanden ab. Hier wirkt sich der Sprachstand durchaus auf eine Festigung sowie einen Ausbau der morphologischen Strategie aus. Zudem verläuft die Entwicklung bei der Nutzung spezifischer Formen als cues für einen OS -Satz deutlich systema‐ tischer als in der niederländischen Gruppe. Trotzdem bleiben einige Charakte‐ ristika erhalten, die eigentlich typisch für die niederländischsprachigen Pro‐ banden sind. Im Vergleich zu den beiden mehrsprachigen Gruppen behalten die monolingual deutschen Sprecher so auch bei einer Differenzierung der Pro‐ banden in Hinblick auf den Sprachstand ihre Zwischenposition bei. Abbildung 19: Monolingual deutsche Kinder - N1-Anteile (OS-Sätze) in Abhängigkeit von Sprachstand, morphologischen und semantischen cues Zum einen kann aus der Abbildung abgeleitet werden, dass die N1-Anteile in der hohen Sprachstandsgruppe bei Sätzen mit einer präverbalen dem- NP (zum 5 Ergebnisse 204 <?page no="205"?> 5.3.3 Beispiel Dem Mann hilft das Mädchen sowie Dem Dorf fehlt der Bruder) von gut 70 % auf durchschnittlich 60 % sinken. Die Belebtheit ist hierbei kein ausschlag‐ gebendes Kriterium beziehungsweise führt zu keinen signifikanten Effekten (obwohl in der hohen Sprachstandsgruppe zumindest eine Tendenz zur Diffe‐ renzierung von belebten und unbelebten dem- NP s erkennbar ist). Bei mit den- NP s eingeleiteten Sätzen ist die Belebtheit hingegen sprachstandsunab‐ hängig essentiell für die Wahl der Verarbeitungsstrategie. Ist die jeweilige NP belebt (zum Beispiel den Mann [+ B E L E B T ] ), so wird diese auch von Sprechern mit einem hohen Sprachstand zu 80 % als Agens ausgewählt. Ist sie hingegen un‐ belebt (zum Beispiel den Bus [- B E L E B T ] ), so sinken die N1-Anteile marginal signi‐ fikant von gut 60 % in der niedrigen auf unter 50 % in der hohen Sprachstands‐ gruppe. Die Werte sind dann auch in etwa vergleichbar mit denen der russischen Gruppe. Insgesamt konnte die These, dass der Sprachstand im Deutschen die Durch‐ setzungsfähigkeit morphologischer cues in Konfliktbedingungen erhöhen könnte, nicht bestätigt werden. Vielmehr wurde deutlich, dass die bereits für die einzelnen Gruppen identifizierten Strategien bei Erreichen eines hohen Sprach‐ stands entweder weiter ausgebaut oder gewissermaßen beibehalten werden. Zugleich muss berücksichtigt werden, dass in jeder Gruppe teils enorm hohe Schwankungen hinsichtlich der N1-Anteile existieren. Dies wird an den sehr hohen Standardabweichungen erkennbar. Eine individuelle Analyse ist deshalb notwendig, um zu erfassen, wie diese Schwankungen zustande kommen. Auf dem Weg zur morphologischen Strategie - ein Überblick Um zu verdeutlichen, welche Strategien einzelne Sprechergruppen zur Kon‐ fliktresolution bei der Satzverarbeitung nutzen, wurden drei größere Analy‐ seeinheiten präsentiert. Im Fokus stand besonders die Frage, welche Faktoren vorliegen müssen, damit die Lerner von der dominanten und in allen drei un‐ tersuchten Sprachen verfügbaren N1-Strategie abweichen und eine für das Deutsche zuverlässige morphologische Strategie aufbauen. Dass diese auch im angewendeten Testdesign zum Einsatz kommt, wurde anhand der Ergebnisse der Erwachsenen deutlich. Angenommen wurde dabei, dass spezifische lingu‐ istische Informationen, genauer transparente morphologische cues, und die Lernervariablen L1 und Sprachstand im Deutschen diesen Effekt bewirken können. Die ersten beiden Annahmen konnten verifiziert werden, die letzte nicht. So hat sich zunächst herausgestellt, dass sich bei mehrsprachigen Kindern die L1 darauf auswirken kann, wie durchsetzungsfähig morphologische cues in 5.3 Gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien 205 <?page no="206"?> Konfliktkontexten sind. Am stärksten profitieren die russischen Probanden von ihrem L1-spezifischen Wissen, am wenigsten die niederländischen Sprecher. Der L1-Transfer von form-funktionsrelevantem Wissen wirkt sich damit positiv auf die eine und negativ auf die andere Gruppe aus. Überraschend ist insgesamt, dass die monolingual deutsche Gruppe morphologische cues nur bedingt als valide Indikatoren zur Konfliktresolution nutzt. Weiterhin hat sich gezeigt, dass der Faktor der funktionalen Transparenz darüber entscheidet, ob eine N>N-Struktur als SO - oder OS -Satz interpretiert wird. In Kontexten mit kon‐ kurrierenden morphologischen und Wortstellungs-cues (das heißt in allen OS -Sätzen) begünstigt gruppenübergreifend ein höherer Transparenzgrad der präverbalen Form das Abweichen von der N1-Strategie. Der linguistische Faktor der Transparenz und die Lernervariable L1 greifen dabei ineinander. Russische Sprecher nutzen morphologische cues grundsätzlich intensiver zur Konfliktre‐ solution und tun dies besonders sicher bei den transparenten Markern den und dem. Niederländische und monolingual deutsche Probanden stützen sich insge‐ samt stärker auf die N1-Strategie. Wenn sie jedoch von ihr abweichen, dann besonders bei diesen transparenten cues sowie unter Hinzunahme koalierender Belebtheitsmerkmale. Für die monolingual deutsche Gruppe haben morpholo‐ gische cues insgesamt zwar eine niedrigere cue strength als für die russischen, jedoch eine höhere als für die niederländischen Kinder. Insgesamt muss ange‐ merkt werden, dass keine der Gruppen an die Spitzenwerte der erwachsenen Kontrollgruppe herankommt. Jedoch finden sich stellenweise bei den Lesezeiten der Erwachsenen Effekte, die sich bei den Kindern auf der Ebene der Antwort‐ wahl abbilden. So benötigen die Erwachsenen beispielsweise länger für das Lesen von Sätzen mit intransparenten satzinitialen Markern. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Datenanalyse betrifft die Relevanz ein‐ zelner satzinitialer Formen aus dem Kasusparadigma des Deutschen. Was deut‐ lich geworden ist, ist, dass bei den Kindern die Wahl der Verarbeitungsstrategie davon abhängt, mit welcher konkreten Form ein transitiver Satz beginnt. So wird zum Beispiel die Form der belebtheitsunabhängig mit der Eigenschaft [+ AG E NTIV ] verknüpft, was dazu führt, dass der-markierte SO -Sätze maximal hohe N1-Anteile aufweisen. Die Verbindung zwischen Form und Funktion führt dann auch dazu, dass eigentlich oblique Dativbedingungen (der D A T Frau, der D A T Stadt, der D A T Kuh) überdurchschnittlich häufig als agentivisch eingestuft werden. Das Gegenteil trifft für die Form das zu. Diese wird besonders bei un‐ belebten Lexemen (das Fahrrad, das Auto) als nicht-agentivisch eingeordnet und führt in SO -Bedingungen zu N1-Anteilen von ca. 75 %. Dies gilt insbesondere für die niederländischen Kinder, die dann auch in OS -Sätzen mit satzinitialer das- NP von ihrer eigentlich dominanten N1-Strategie abweichen. Besonders er‐ 5 Ergebnisse 206 <?page no="207"?> 6 Die Gruppeneinteilung erfolgte deshalb auf der Grundlage der N1-Anteile in OS-Sätzen, da hier besonders deutlich wird, welchen Stellenwert morphologische sowie morpho‐ logisch-semantische cues im Satzverarbeitungsprozess haben. 5.4 wähnenswert ist zuletzt der Status der Formen den und dem für niederländische sowie monolingual deutsche Kinder. Sie verknüpfen die Formen mit prototypi‐ schen Belebtheitsmerkmalen und entscheiden sich auf dieser Basis bei morpho‐ logisch-semantischer Koalition für die morphologische Strategie, bei morpho‐ logisch-semantischer Konkurrenz hingegen für die syntaktische Strategie. Die untersuchten Sprecher sind damit hochsensibel für die Analyse einzelner Formen. Sie verknüpfen sie mit spezifischen und für sie prototypischen Funk‐ tionen. Dies ist die Basis für die letztliche Wahl der Verarbeitungsstrategie. Bei der Diskrepanz der unterschiedlichen Strategien wurde angenommen, dass sie gegebenenfalls eine sukzessive Modifikation der cue strength und damit entwicklungsspezifische Tendenzen darstellen. Die gruppenspezifischen Ten‐ denzen wären damit Punkte auf einem Kontinuum. Die als Querschnittsanalyse angelegte Untersuchung von Sprachstandseffekten konnte diesbezüglich keine eindeutigen Erkenntnisse liefern. Zuletzt bleibt deshalb die Frage danach, ob innerhalb der Gruppen individuelle Varianzen zu finden sind. Dieser Schritt ist besonders auch vor dem Hintergrund der teilweise sehr hohen Werte bei der Standardabweichung notwendig. Erstens wird deshalb geprüft, ob es innerhalb der drei Sprechergruppen tatsächlich individuelle Schwankungen gibt. Zwei‐ tens soll ermittelt werden, ob diese Schwankungen spezifische charakteristische Merkmale aufweisen. Ausgehend von der Erfassung potentieller Regularitäten individueller Verarbeitungsstrategien wird abschließend geklärt, ob diese Schwankungen den bisher identifizierten Verarbeitungsstrategien zuzuordnen sind. Darüber soll vor allem erfasst werden, ob sich Verarbeitungstypen jenseits der bisherigen Faktoren (L1, Sprachstand) und somit über Gruppengrenzen hinweg bündeln und systematisieren lassen. Individuelle Verarbeitungsstrategien Um individuelle Unterschiede innerhalb der drei Gruppen zu erfassen, wurden die N1-Anteile in SO - und OS -Sätzen jedes einzelnen Probanden ermittelt. Da‐ raufhin wurden Probanden, deren N1-Anteile in OS -Sätzen 6 vergleichbar waren, zu neuen Gruppen zusammengesetzt. Diese Typisierung erfolgte innerhalb der jeweiligen L1-Gruppen, damit L1-bedingte Parallelen sowie Differenzen besser erkennbar bleiben. Durch die Ermittlung individueller N1-Anteile konnten vier Teilgruppen ausgemacht werden: Sprecher, die eine exklusive syntaktisch ba‐ 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 207 <?page no="208"?> sierte N1-Strategie verfolgen (der N1-Anteil liegt in allen Bedingungen bei >90 %), Sprecher mit einer dominanten N1-Strategie (N1-Anteil bei knapp >70 %), Sprecher mit einer deutlich erkennbaren morphologischen Strategie (N1-Anteile zwischen 50 % und 70 %) und Sprecher mit einer dominanten mor‐ phologischen Strategie (N1-Anteile deutlich <50 %). Damit ergeben sich vier Verarbeitungstypen: Typ A steht für eine exklusive Wortstellungsstrategie, in Typ B ist die Wortstellung als cue noch relativ dominant, in Typ C setzen sich morphologische cues sukzessive durch und in Typ D haben sie die Wortstellung als dominanten cue fast abgelöst. Neben der Ermittlung der N1-Anteile wurde in einem zweiten Schritt überprüft, wie sich Faktoren wie der Transparenzgrad satzinitialer Formen sowie morphologisch-semantische cue-Interaktionen auf die Antwortwahl innerhalb des jeweiligen Typs niederschlagen. Daneben wurde die Lernervariable des Sprachstands als Klassifikationskriterium beibehalten, sodass deutlich werden kann, ob sich spezifische Typen tendenziell in der einen oder anderen Sprachstandskategorie häufen. Tabelle 17 fasst zunächst die Verteilung der vier Typen in der russischen Gruppe zusammen. Tabelle 17: Typisierung der russischsprachigen Probanden anhand von N1-Anteilen in OS-Sätzen 5 Ergebnisse 208 <?page no="209"?> Die Tabelle zeigt, dass in der niedrigen Sprachstandsgruppe alle vier Typen gleichermaßen vertreten sind. Das heißt, dass sich ein Teil der Probanden trotz eines niedrigen Sprachstands im Deutschen bereits überwiegend auf morpho‐ logische cues bei der Satzverarbeitung stützt, ein Teil jedoch gleichzeitig die N1-Strategie favorisiert. Die Verteilung der einzelnen Probanden ist mit Aus‐ nahme der exklusiven Wortstellungsstrategie relativ regelmäßig, was zeigt, dass die cue strength morphologischer cues gruppenintern stark variieren kann. Dies ändert sich bei Probanden mit höherem Sprachstand im Deutschen. Für den überwiegenden Teil der Sprecher (12 von 14) sind morphologische cues min‐ destens relevant, häufiger jedoch dominant. Da sich nur zwei Sprecher über‐ wiegend auf den Wortstellungs-cue stützen, kann also gefolgert werden, dass der hohe Sprachstand im Deutschen die grundsätzliche Strategie, morphologi‐ sche cues stärker zu gewichten, deutlich verstärkt. Dies führt zu einer tendenziellen Homogenität in der Gruppe mit hohem Sprachstand. Dass die Unterteilung der vier Verarbeitungstypen nicht nur qualitativ rele‐ vant, sondern auch statistisch signifikant ist, kann mithilfe einer entsprech‐ enden Analyse belegt werden. Dazu wurde innerhalb der vier Typen ermittelt, wie sich die Interaktion zwischen den jeweiligen Typen und der Transparenz morphologischer Marker, der Belebtheit der satzinitialen NP samt Interaktion zwischen Kasusmarkern und Belebtheit und des Sprachstands auf den N1-Anteil auswirken. Die Ergebnisse sind zunächst in Tabelle 18 zusammengefasst und in Abbildung 20 ausführlicher dargestellt. Tabelle 18: Typenspezifische Effekte in OS-Sätzen - L1 Russisch 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 209 <?page no="210"?> Die Tabelle zeigt, dass sich die N1-Anteile in Abhängigkeit vom jeweiligen Typ hochsignifikant unterscheiden. Wie schon in den vorherigen Kapiteln, spielt auch bei den einzelnen Typen die Belebtheit an keiner Stelle eine nennenswerte Rolle, wenn es um die Agenswahl geht. Stattdessen beeinflusst der Transpa‐ renzgrad der satzinitialen NP die Agenswahl im OS -Satz signifikant. Der Sprachstand hat insgesamt keinen signifikanten Einfluss auf den N1-Anteil, sondern ist nur in Abhängigkeit vom spezifischen Typ relevant. Dies ist insofern logisch, als der Sprachstand bei Lernern des Typs A kaum auf die Gewichtung morphologischer cues Einfluss nehmen kann. Die Dominanz der N1-Strategie überlagert in dieser Gruppe alle anderen Faktoren. Das heißt, dass weder der Sprachstand noch die linguistische Variable der Transparenz eine Veränderung der N1-Strategie bewirken können. Relevant wird der Sprachstand deshalb nur für Sprecher der Typen B-D. Gleiches gilt für die Interaktion zwischen dem Ler‐ nertyp und dem Transparenzgrad der satzinitialen NP . Zwar liegt der Effekt der Interaktion knapp unter dem Signifikanzniveau, jedoch lässt sich daraus folgern, dass die Differenzierung zwischen transparenten und intransparenten Markern ebenso nur für die Typen B - D relevant ist. Die typenspezifischen Verarbeitungsstrategien sollen in einem zweiten Schritt im Detail betrachtet werden. Ziel ist es, auf der Basis der statistischen Analysen typenspezifische Verarbeitungscharakteristika aufzufinden. Dazu wurden innerhalb der vier Typen in Hinblick auf die konkrete satzinitiale mor‐ phologische Form (N1 das A K K / die A K K , N1 der D A T , N1 den und N1 dem) die N1-Anteile ermittelt. Da der Sprachstand keinen signifikanten Einfluss auf den N1-Anteil hat, wurde er aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht berücksichtigt. Die Ergebnisse sind in Abbildung 20 zusammengefasst. 5 Ergebnisse 210 <?page no="211"?> Abbildung 20: Typenspezifische und formabhängige N1-Anteile in OS-Sätzen - L1 Rus‐ sisch Insgesamt geht aus der Darstellung hervor, dass der N1-Anteil in allen Bedin‐ gungen in Abhängigkeit vom Lernertyp sinkt. Mit steigendem Lernertyp (A > B > C > D) fällt der N1-Anteil in allen Bedingungen jeweils um mindestens 10 %, sodass bei Lernern des Typs D maximal niedrige Anteile von teils 30 % erreicht werden. An welchen Stellen der Anteil wiederum sukzessive sinkt, ist vom Faktor der formspezifischen Transparenz abhängig. Der N1-Anteil fällt zunächst bei den- und dem-markierten OS -Sätzen von anfangs 95 % bei Typ Aauf knapp 30 % bei Typ D-Sprechern. Die Anteile sinken in den beiden transparenten Be‐ dingungen von Typ zu Typ in 20-30 %-Schritten. Stellt man die N1-Anteile in beiden transparenten Bedingungen zwischen Lernern des Typs A (nur Wort‐ stellungs-Strategie) und des Typs B (Wortstellung dominant) gegenüber, so zeigt sich, dass die N1-Strategie auf Basis von transparenten Markern zugunsten einer morphologischen Verarbeitungsstrategie revidiert wird. Anhand des Kriteriums [+ T RAN S PAR E NT ] wird bei Typ B-Sprechern so eine erste Abweichung von der N1-Strategie vollzogen. Die sukzessiv stärkere Gewichtung morphologischer Marker wird von Typ C-Sprechern (morphologische cues dominant) konsequent fortgesetzt und aus‐ gebaut. Der N1-Anteil sinkt bei ihnen insgesamt auf unter 65%. Besonders bei dem-NPs liegt der N1-Anteil bei nur noch gut 45%. Daneben werden von den Typ C-Sprechern auch intransparente Formen seltener als Agens ausgewählt. So sinkt zunächst der N1-Anteil bei der D A T - und das A K K / die A K K -Phrasen von je‐ 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 211 <?page no="212"?> weils über 80% bei Typ B auf gut 60% bei Typ C. Die zunächst nur bei transpa‐ renten cues erkennbare morphologische Strategie greift gewissermaßen auf den halb-transparenten Marker der D A T sowie die intransparenten Formen das A K K / die A K K über. Bei Sprechern des Typs D findet schließlich eine Angleichung zwi‐ schen der D A T - und den-/ dem-NPs statt. Die N1-Anteile liegen in allen drei Be‐ dingungen bei unter 40%. Im Vergleich zu Sprechern des Typs C bleiben die N1-Anteile bei den intransparenten Formen das A K K und die A K K auch bei Spre‐ chern des Typs D mit ca. 50% konstant. Dadurch entsteht eine formbedingte Dichotomie zwischen den transparenten sowie der halb-transparenten Form auf der einen und den beiden intransparenten Formen auf der anderen Seite. Erstere führen in 70-80%, letzteren in nur 50% der Fälle zur Anwendung der morpho‐ logischen Strategie. Die Einstufung der Formen das A K K und die A K K als agentivi‐ sche Marker und das damit einhergehende Ignorieren der disambiguierenden satzfinalen NP (zum Beispiel bei Das Kind sucht der Mann), ist für monolingual deutsche Sprecher sowohl für Kinder im Alter von fünf Jahren (vgl. Schaner-Wolles 1989) als auch für Erwachsene (vgl. Kempe/ MacWhinney 1999) belegt. Die Verarbeitungsunterschiede bei formbedingt variierenden OS-Sätzen sind also nicht ungewöhnlich. Trotz der Diskrepanz zwischen der Verarbeitung von Sätzen, die mit den-, dem- oder der D A T -NPs beginnen, lässt sich deshalb sagen, dass sich bei Sprechern des Typs D morphologische cues überwiegend durchsetzen. Jedoch bleiben die russischen Kinder auch hier leicht hinter den Spitzenwerten der Erwachsenen (formübergreifend 10-15% in OS-Bedingungen) zurück. Ein Rest der syntaktischen N1-Strategie bleibt also auch bei Sprechern erhalten, bei denen die cue strength morphologischer Kasusformen bereits re‐ lativ hoch ist. Das Aufeinanderfolgen der vier Typen kann als eine Form der stufenweisen Erhöhung der cue strength morphologischer Marker verstanden werden. Die morphologische Strategie der Typ D-Sprecher stellt dabei das Verarbeitungsziel dar, die vorhergehenden Schritte können als Teilschritte auf dem Weg zu diesem Ziel hin betrachtet werden. Die Typisierung kann als eine Art Querschnitt der Probanden verstanden werden. Dabei bilden die vier Typen einerseits das Spektrum möglicher Verarbeitungsstrategien ab, die andererseits variierende cue strength-Formen repräsentieren. Die morphologisch basierte Satzverarbei‐ tung muss hier als Ziel verstanden werden. Es gibt keinen Grund, warum Spre‐ cher, die die Agenswahl syntaktisch stützen oder nur bei eindeutig nicht-agen‐ tivischen Formen revidieren, diese Strategien auf Dauer beibehalten sollten. Der Sprachgebrauch und die Sprachverarbeitung, die bei Verharrung auf der N1-Strategie zu Interpretationsfehlern führen muss, zwingen sie gewisser‐ maßen zu einer Hypothesenrevision und zum Auffinden zuverlässigerer cues. 5 Ergebnisse 212 <?page no="213"?> Logisch betrachtet ist es deshalb sehr wahrscheinlich, dass die vier Typen tat‐ sächlich Teilschritte auf einem Entwicklungskontinuum darstellen. Dieses kann mit Abbildung 21 wie folgt zusammengefasst werden: Abbildung 21: Von der N1-Strategie zur Morphologie - Typenspezifische cue strength-Modifikation bei russischsprachigen Kindern Die Einordnung der vier Lernertypen auf der Skala, die die Entwicklung von der N1zur morphologischen Strategie repräsentiert, stellt heraus, dass sich Typ D-Sprecher sehr nah an eine ‚ideale‘ morphologische Strategie annähern, die darin besteht, OS -Sätze ausschließlich auf Basis morphologischer cues zu ver‐ arbeiten. Die übrigen Typen ebnen in systematischen Einzelschritten den Weg dorthin. Die Tatsache, dass nur drei von 35 Probanden nahezu ausschließlich die N1-Strategie anwenden, spricht zudem für den positiven Einfluss des L1-spezifischen Wissens bei den russischen Probanden. Abschließend soll noch‐ mals hervorgehoben werden, dass die Belebtheit an keiner Stelle eine Rolle spielt. Dies gilt trotz der Tatsache, dass im Russischen die Belebtheit durchaus relevant für einzelne Kasusformen ist (so zum Beispiel beim Nominativ-Akku‐ sativ-Zusammenfall bei unbelebten Lexemen). Trotz der tendenziell starken In‐ terdependenz von Belebtheit und Kasusmorphologie im Russischen werden im Deutschen ausschließlich formale Charakteristika (nämlich die Relation von spezifischer Kasusform und Satzschema) bei der Agenswahl berücksichtigt. Das Ignorieren der Belebtheit und das davon abhängige Fehlen der semantischen und morphologisch-semantischen Strategie kann deshalb als besonders starke Fokussierung auf lokale Kasusmarker und das Bestreben, semantische Relati‐ onen „on the spot“ (Lindner 2003) zu bestimmen, zurückgeführt werden. Stellt man diesen Erkenntnissen die Tendenzen der niederländischsprachigen Probanden gegenüber, finden sich viele zentrale Parallelen hinsichtlich der Ty‐ pisierung, jedoch auch einige wenige, dafür aber essentielle Unterschiede. Für die niederländischen Kinder konnte bisher erarbeitet werden, dass die Wort‐ stellung eine insgesamt höhere cue strength und Konfliktvalidität hat. Sie wird 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 213 <?page no="214"?> besonders bei prototypischen Koalitionsbedingungen zwischen transparenten morphologischen Markern und Belebheitsmerkmalen (den + [- B E L E BT ] / dem + [+ B E L E BT ]) sowie bei der prototypischen nicht-agentivischen Form das zum Teil revidiert, jedoch nie vollständig aufgehoben. Lokale cues werden deutlich sel‐ tener als in der russischen Gruppe zur Konfliktresolution genutzt. Im Folgenden soll analog zur russischen Sprechergruppe ermittelt werden, ob sich diese Cha‐ rakteristika gegenbenenfalls auf einzelne Typen abbilden lassen. Dazu wurde erfasst, ob die vier Probandentypen in der niederländischen Gruppe vertreten sind und ob ihnen spezifische Verarbeitungsstrategien zugeordnet werden können. Die identifizierten Typen sind in Tabelle 19 zusammengefasst: Tabelle 19: Typisierung der niederländischsprachigen Probanden anhand von N1-An‐ teilen in OS-Sätzen Die Tabelle macht zunächst deutlich, dass es in der niederländischsprachigen Gruppe nicht vier, sondern nur drei Typen gibt. Typ C (morphologische cues relevant) findet sich nicht. Das Fehlen von Typ C-Sprechern ist hier unter Um‐ ständen auf die geringe Probandenzahl zurückzuführen. Ähnlichkeiten zu den russischen Sprechern ergeben sich trotz dieser Diskrepanz an einigen Stellen. So geht aus der tabellarischen Übersicht hervor, dass sprachstandsunabhängig sowohl die N1-Strategie als auch die dominante morphologische Strategie ver‐ treten sind. In beiden Sprechergruppen finden sich damit im Prinzip alle Verar‐ 5 Ergebnisse 214 <?page no="215"?> beitungsmöglichkeiten wieder. Gleichzeitig wird deutlich, dass die dominante N1-Strategie in der niederländischsprachigen Gruppe ebenfalls sprachstandsun‐ abhängig auf einen höheren Probandenanteil entfällt. Zwei Drittel der nieder‐ ländischsprachigen Probanden verfolgt eine exklusive oder dominante Wort‐ stellungsstrategie bei der Satzverarbeitung. Ein entscheidender Faktor ist dabei die Belebtheit (s. Tabelle 20). Tabelle 20: Typenspezifische Effekte in OS-Sätzen - L1 Niederländisch Die Tabelle fasst die Effekte in den einzelnen Bedingungen für die drei Typen sowie die Auswirkungen einer Interaktion zwischen den einzelnen Variablen auf die Agenswahl zusammen. Signifikante Effekte zeigen sich an nur zwei Stellen. Zum einen wirkt sich die Zuweisung zu einem der drei Typen signifikant auf die Agenswahl im N>N-Satz aus. Zum anderen findet sich eine Interaktion zwischen dem Sprechertyp, dem Transparenzgrad sowie der Belebtheit der satz‐ initialen NP . Daraus folgt, dass sich bei bestimmten Typen das Verhältnis zwi‐ schen dem Transparenzgrad der Kasusform und der Belebtheit marginal signi‐ fikant auf die Antwortwahl auswirkt. An welchen Stellen genau die Interaktion dieser Variablen zum Tragen kommt, zeigt Abbildung 22. 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 215 <?page no="216"?> Abbildung 22: Typenspezifische und formabhängige N1-Anteile in OS-Sätzen - L1 Nie‐ derländisch Die Abbildung enthält eine Vielzahl von Informationen, da nicht nur N1-Anteile bei den einzelnen morphologischen Formen integriert sind, sondern zusätzlich für jede Form zwischen belebten und unbelebten Phrasen differenziert wurde. Das heißt, dass zum Beispiel für die Form den sowohl die N1-Anteile in Sätzen des Typs Den Mann sieht das Mädchen als auch in der Bedingung Den Bus sieht das Mädchen verglichen wurden. So kann im Detail erfasst werden, in welchen konkreten Bedingungen die Interaktion zwischen morphologischen und se‐ mantischen cues die Agenswahl beeinflusst. Wie aus der Abbildung hervorgeht, finden die größten und wichtigsten Veränderungen bei Lernern des Typs B statt. Die N1-Anteile sinken hier zunächst bei unbelebten densowie bei belebten dem- NP s. Auch in Sätzen mit satzinitialen das- und die- NP s ist ein sinkender N1-Anteil auf rund 80 % zu verzeichnen, allerdings liegt die anteilige Differenz im Vergleich zu den Typ A-Werten unter dem Signifikanzniveau (p=.64). Typ B-Sprecher revidieren die N1-Strategie damit besonders bei den funktional transparenten Markern den und dem und auch nur dann, wenn diese in Kom‐ bination mit dem für sie prototypischen Belebtheitsmerkmal auftreten. Die Konzentration auf diese Koalitionen führt dazu, dass in Bedingungen, in denen diese Koalition nicht verfügbar ist, weiterhin die N1-Strategie angewendet wird. Wenn also eine satzinitiale NP wie dem Bus [- B E L E B T ] beziehungsweise dem Fahrrad [- B E L E B T ] oder den Mann [+ B E L E B T ] realisiert wird (in beiden Bedingungen 5 Ergebnisse 216 <?page no="217"?> ist das jeweilige Belebtheitsmerkmal für die entsprechende Form nicht proto‐ typisch), wird sie auch als Agens ausgewählt. Nur in prototypischen morpho-se‐ mantischen Koalitionsbedingungen sinken die Anteile auf knapp 60 %. Be‐ trachtet man die Probandentypen auch hier als einen Querschnitt und als Repräsentanten einer sequentiell verlaufenden cue strength-Modifikation, stellt die morpho-semantische Strategie im Prinzip einen ersten Schritt hin zur mor‐ phologisch basierten Satzverarbeitung dar. Ist dieser erste Schritt etabliert, passiert folgendes: Die Belebtheit wird aus der aufgebauten cue-Koalition getilgt. Übrig bleiben die Formen den und dem, die sich allein gegen die Wortstellung durchsetzen können. Bei Lernern des Typs D sinken die N1-Anteile an dieser Stelle nämlich unabhängig von der Be‐ lebtheit auf jeweils ca. 50 %. Stellenweise liegen sie sogar bei unter 30 %. Wäh‐ rend damit bei Typ B-Sprechern noch die Belebtheit darüber entschieden hat, ob die obliquen Formen überhaupt als durchsetzungsfähige cues verarbeitet werden, wird bei Typ D-Sprechern die Form allein zur Konfliktresolution ge‐ nutzt. Die ursprüngliche Koalition von [den + [- B E L E BT ]] und [dem + [+ B E L E BT ]], wird so vereinfacht und auf das Forum-Funktions-Paar ‚den / dem = nicht-agen‐ tivisch‘ reduziert. Das Fehlen von Typ C-Sprechern mindert den Aussagewert dieser Tendenz nicht. Vielmehr kann angenommen werden, dass sich am Über‐ gang von Typ B zu Typ C eine Relevanzminderung der Belebtheit abzeichnet. Bei Sprechern des Typs D ist diese dann vollzogen. Auffällig ist in Gruppe D der hochsignifikant fallende N1-Anteil in das A K K / die A K K -Bedingungen. Der Anteil sinkt hier von rund 80 % bei Lernern des Typs B auf unter 30 % (Typ C). Damit werden nicht nur alle obliquen, sondern auch die intransparenten Formen das A K K und die A K K mit Nicht-Agentivität verknüpft. Tritt eine der Formen satzinitial auf, so entscheiden sich Sprecher des Typs D in über zwei Dritteln der Fälle für N2 als Agens. Problematisch bleibt die Form der D A T . Die N1-Anteile sinken zwar bei Typ D-Lernern marginal auf ca. 60 %. Im Gegensatz zu den übrigen Formen haben sie jedoch die geringste Konkurrenz‐ fähigkeit. Im Vergleich zur russischen Gruppe ist dies ein zentraler Unterschied, da dort vor allem der Marker der D A T und in geringem Ausmaß die Formen das A K K und die A K K zu konkurrenzfähigen cues werden. Für die niederländischen Spre‐ cher bleibt hingegen die prototypische Dichotomie zwischen der- und das / die- NP s als Repräsentanten prototypischer Agensrespektive Patienes-cues auch dann bestehen, wenn morphologische cues insgesamt an Konfliktvalidität ge‐ winnen. Ein interessanter Nebeneffekt dieser Dichotomie ergibt sich bei der Betrach‐ tung von SO -Sätzen. Die relativ starke Verknüpfung von das- / die- NP s als cues für ein Patiens wirkt sich nämlich auch in der kanonischen Bedingung darauf 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 217 <?page no="218"?> 7 Die Belebtheit wurde hier nicht berücksichtigt, weil sie sich nicht auf den N1-Anteil auswirkt. aus, dass Sätze des Typs Das Kind / Die Frau sieht den Bruder 7 besonders von Typ D-Sprechern als nicht-kanonisch interpretiert werden: Abbildung 23: Typenspezifische N1-Anteile bei der- und das- / die-markierten SO-Sätzen (L1 Niederländisch) Wie Abbildung 23 zeigt, sinken die N1-Anteile bei Typ D-Sprechern in Sätzen mit satzinitialen das- und die- NP s im Vergleich zu Sprechern des Typs B von über 90 % auf 70 %. Während Lerner des Typs A und B in Sätzen wie Das Mädchen sieht den Mann die satzinitiale NP zu über 90 % als Agens wählen, tun dies Lerner des Typs D in entsprechenden Bedingungen hochsignifikant seltener. Zusammen mit der umfassenden Stärkung der morphologischen Strategie bei transparenten nicht-agentivischen Formen suggerieren diese Ergebnisse eine relativ eindeutige Tendenz: Sobald die niederländischen Probanden ein lokales cue-System aufgebaut haben und lokalen morphologischen Markern eine hohe cue strength zuweisen, wird die N1-Strategie in Abhängigkeit von Formen, die das Merkmal [-A G E N S ] teilen, revidiert. Die Sprecher grenzen offenbar zu einem bestimmten Zeitpunkt die agentivische Form der von allen anderen, tendenziell nicht-agentivischen Formen ab. Es entsteht so das Form-Funktions-Paar [der = 5 Ergebnisse 218 <?page no="219"?> [+ AG E NTIVI S CH ]] in Opposition zu [das / die / den / dem = [- AG E NTIVI S CH ]]. Diese Verknüpfungen bestimmen dann in nenneswertem Ausmaß die Verarbeitung von N>N-Sätzen - unabhängig davon, ob es sich um kanonische SO - oder nicht-kanonische OS -Sätze handelt. Die prototypischen Funktionen einzelner Formen sind damit für die niederländischen Sprecher in besonderem Maße für die Satzverarbeitung entscheidend. Stellt man die Ergebnisse der russischen und niederländischen Typen unter dem Aspekt der sequentiellen cue strength-Modifikation einander gegenüber, lässt sich eine zentrale Gemeinsamkeit identifizieren. Die relative cue strength morphologischer Marker ist in den vier Probandentypen auf der Basis der rela‐ tiven N1-Anteile in OS -Sätzen vergleichbar. Daraus folgt, dass beide Gruppen den Aufbau eines zielsprachlichen morphologischen Form-Funktions-mappings in ähnlichen Schritten durchlaufen. Zunächst sind funktional transparente Marker, erst danach auch intransparente Formen in Konkurrenzkontexten durchsetzungsfähig. Auf dem Weg zu einer morphologischen Verarbeitungs‐ strategie gilt deshalb die hierarchische Abfolge ‚transparente cues > intranspa‐ rente cues‘. Neben dieser grundlegenden Gemeinsamkeit gibt es auch einen zentralen Unterschied. Die niederländischen Probanden nutzen zum Aufbau eines lokalen cue-Systems die Belebtheit als Stütze. Sie bilden zunächst proto‐ typische formspezifische cue-Koalitionen aus, anhand derer überhaupt der Aufbau eines Konzepts der funktionalen Transparenz möglich ist. Die russi‐ schen Sprecher benötigen die Belebtheit für die Entdeckung der Konfliktvali‐ dität transparenter Formen nicht. Genau an dieser Stelle wird deshalb auch der Einfluss der L1 sichtbar. Da russische Sprecher bereits ein Wissen über die Funktionalität morphologischer Marker haben, benötigen sie kein zusätzliches Hilfsmittel wie die Belebtheit. Die niederländischen Sprecher sind jedoch, nachdem sie feststellen, dass die N1-Strategie zur Determination semantischer Relationen in der Zielsprache Deutsch nicht zielführend ist, darauf angewiesen, ein vollständig neues mapping-Verfahren zu entwickeln. Dass sie dabei zunächst auf Informationen zurückgreifen, die nicht grammatischer, sondern semanti‐ scher Natur und damit unabhängig von der Einzelsprache sind, ist konsequent. Schließlich besitzen die Sprecher durchaus ein differenziertes Rollenkonzept, lange bevor sie damit beginnen, grammatische cues im Deutschen hinsichtlich ihrer Validitätskriterien zu gewichten. Sie wissen also, dass ein Patiens in der Regel unbelebt, ein Rezipiens hingegen belebt ist. Dieses nonlinguistische kon‐ zeptuell-semantische Wissen ist die Basis für die Interpretation und Einordnung einzelner grammatischer Formen, die als zuverlässige Indikatoren für einzelne semantische Rollen dienen können. Die Belebtheit beziehungsweise die proto‐ typische Verbindung zwischen Belebtheit und morphologischen Markern ist 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 219 <?page no="220"?> deshalb für die niederländischen Sprecher die ‚Eintrittskarte‘ in ein lokales cue-System. Für die russischen Sprecher ist hingegen der lokale Marker allein ausreichend, um ein entsprechendes zielsprachliches cue-System zu festigen. Die Gegenüberstellung belegt, dass die groben Schritte zur Ausbildung einer morphologischen Strategie in den Gruppen identisch sind, die Details dieser Schritte jedoch entscheidend variieren. Abbildung 24: Von der N1-Strategie zur Morphologie - Typenspezifische Schritte bei niederländischsprachigen Kindern Wie Abbildung 24 deutlich macht, ist die Anzahl der Schritte zur Ausbildung und Festigung der morphologischen Strategie im Gegensatz zur russischen Gruppe deutlich höher (s. Abbildung 21). Dies liegt in erster Linie an der bereits im Detail erläuterten Interaktion zwischen der Belebtheit und den Markern den und dem. Dieser Schritt ist charakteristisch für niederländischsprachige Pro‐ banden des Typs B, bei russischsprachigen Probanden tritt er hingegegen an keiner Stelle auf. Erst wenn die niederländischsprachigen Probanden in der Lage sind, die transparenten Marker losgelöst vom semantischen cue zur Konfliktre‐ solution zu nutzen, werden lokale morphologische cues unabhängig von ihrem Transparenzgrad als durchsetzungsfähige Marker genutzt. Hierbei ergibt sich ein weiterer L1-spezifischer Unterschied, da die niederländischen Sprecher auch bei Zugehörigkeit zum Typ D der D A T -markierte NP s häufig als agentivische, das- und die- NP s hingegen als nicht-agentivische cues einstufen. Für die russi‐ schen Sprecher gilt das Gegenteil. Für beide Gruppen gilt jenseits der substan‐ tiellen Unterschiede, dass die N1-Strategie auch bei Typ D-Sprechern noch zum Einsatz kommt. Anders als bei monolingualen erwachsenen deutschen Spre‐ chern wird ein N1-Anteil von ca. 20 % so gut wie nie unterschritten. Die syn‐ taktische Basisstrategie verliert ihre Relevanz damit auch dann nicht voll‐ ständig, wenn die morphologische Strategie bereits stark etabliert ist. 5 Ergebnisse 220 <?page no="221"?> Zuletzt sollen den bisherigen Erkenntnissen auch die Daten der monolingual deutschen Kinder gegenübergestellt werden. Bei der Analyse der Verarbei‐ tungsstrategien der monolingual deutschen Kontrollprobanden wurde deutlich, dass sie trotz eines Durchschnittsalters von 9; 7 Jahren dem Satzschema eine ungewöhnlich hohe cue strength zuweisen. Anders als erwartet, werden mor‐ phologische Marker in Konfliktbedingungen deutlich seltener als cues für se‐ mantische Relationen genutzt als von der russischen Sprechergruppe. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die monolingual deutschen Sprecher je nach Be‐ dingung Charakteristika aufweisen, die für die russischals auch die nieder‐ ländischsprachigen Probanden gleichermaßen typisch sind. So differenzieren die deutschen Probanden ähnlich wie die russischen Sprecher zwischen trans‐ parenten und intransparenten Formen. Zugleich ist der N1-Anteil in der deut‐ schen Gruppe deutlich höher als bei den russischen und nah an den Werten der niederländischen Probanden. Eine weitere Gemeinsamkeit zur niederländischen Sprechergruppe ist die Relevanz der Belebtheit, die sich je nach Sprachstand darauf auswirken kann, ob und wann die transparenten Marker den und dem als nicht-agentivisch eingestuft werden. Der primäre Unterschied zwischen rus‐ sischsprachigen und monolingual deutschen Probanden ist folglich nicht, dass transparente morphologische cues in Konfliktkontexten berücksichtigt werden, sondern unter welchen Bedingungen dies geschieht. Diese strategische Diffe‐ renz führt schließlich auch dazu, dass sich die monolingual deutschen Sprecher in spezifischen Bedingungen an die Verarbeitungsstrategien der niederländi‐ schen und weniger der russischen Sprecher annähern. Ob sich diese tendenzielle Zwischenposition der deutschen Sprecher auch im Rahmen der Typisierung ab‐ bildet, soll im Folgenden geklärt werden. Dazu wurde - analog zu den übrigen beiden Gruppen - erneut eine Kategorisierung der einzelnen Probanden in Hin‐ blick auf die N1-Anteile in OS -Sätzen vorgenommen. Die Vermutung, dass sich die Zwischenposition der deutschen Sprecher auch hier abbildet, spiegelt sich in Tabelle 21 wider. 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 221 <?page no="222"?> Tabelle 21: Typisierung der monolingual deutschen Kinder anhand von N1-Anteilen in OS-Sätzen Die Tabelle zeigt zunächst einige Parallelen zu den anderen beiden Spre‐ chergruppen auf. So finden sich weitgehend unabhängig vom Sprachstand in beiden Leistungsgruppen jeweils Sprecher, bei denen entweder die N1-Strategie oder morphologische cues die Satzverarbeitung dominieren. Eine Ausnahme bilden dabei Sprecher des Typs D, die sich überwiegend auf morphologische cues zur Konfliktresolution stützen. Dieser Typ wird ausschließlich von Sprechern mit einem hohen Sprachstand repräsentiert, was wiederum belegt, dass sich die monolingual deutschen Sprecher besonders im Gegensatz zu den russischen Probanden vergleichsweise schwer damit tun, morphologischen cues einen Ex‐ klusivitätsstatus bei der Konfliktresolution einzuräumen. Für die Hälfte der deutschen Sprecher mit hohem Sprachstand ist die N1-Strategie die einzige oder dominanteste Verarbeitungsbasis - 11 von 21 Sprechern können hier dem Typ A oder B zugeordnet werden. Dies stellt eine Parallele zur niederländischspra‐ chigen Gruppe dar, in der das Satzschema für zwei Drittel der Probanden der am stärksten gewichtete cue ist. Zugleich bestimmt in der anderen Hälfte die morphologische Strategie die Satzverarbeitung. Die Zweiteilung der Gruppe symbolisiert gewissermaßen die Zwischenposition der deutschsprachigen Gruppe. Während sich nämlich in der russischsprachigen Gruppe vor allem bei hohem Sprachstand die Tendenz deutlich zu morphologischen Markern ver‐ 5 Ergebnisse 222 <?page no="223"?> schiebt, die niederländische Gruppe wiederum die N1-Strategie nur schwer auf‐ geben kann, sind in der deutschen Gruppe beide Strategien vertreten. Die Zwischenposition der monolingual deutschen Gruppe zeigt sich nicht nur durch die qualitative Analyse bei der Typisierung, sondern ist auch statistisch verifizierbar (s. Tabelle 22). Tabelle 22: Typenspezifische Effekte in OS-Sätzen - Monolingual deutsche Kinder Wie in der russischen Gruppe, beeinflusst der Transparenzgrad des morpholo‐ gischen Markers in der monolingual deutschen Gruppe die Antwortwahl hoch‐ signifikant. Ein weiterer marginal signifikanter Effekt findet sich bei der Inter‐ aktion zwischen dem konkreten Sprechertyp, der Belebtheit sowie der Transparenz des satzinitialen Markers. Dies entspricht wiederum dem, was in der niederländischen Gruppe identifiziert werden konnte. Für die vier mono‐ lingual deutschen Typen ist damit einerseits die spezifische morphologische Form und andererseits ihre Interaktion mit dem Belebtheitsmerkmal für die Agenswahl ausschlaggebend. An welchen Stellen genau dies der Fall ist, zeigt Abbildung 25. 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 223 <?page no="224"?> Abbildung 25: Typenspezifische und formabhängige N1-Anteile in OS-Sätzen - Mono‐ lingual deutsche Kinder Bemerkenswert ist zunächst das Verhalten der Sprecher des Typs D. In Sätzen des Typs Der Frau / Stadt hilft das Mädchen, Dem Schüler fehlt die Stadt und Den Bus sucht das Mädchen (das heißt in allen transparenten sowie halb-transpa‐ renten Bedingungen) liegt der N1-Anteil bei weit unter 20 %. Bei unbelebten NP s wie den Bus entscheiden sich die Sprecher sogar immer für die postverbale NP als Agens. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Typ D-Probanden durch lediglich drei Sprecher repräsentiert werden und ein Wert von 10-20 % nur noch einzelnen Datenpunkten entspricht, kann mit großer Sicherheit gesagt werden, dass für Typ D-Sprecher transparente Marker absolute Konfliktvalidität haben. Diese Sprecher verarbeiten OS -Sätze damit exakt so wie Erwachsene. Lediglich in Sätzen wie Das Mädchen sucht der Mann oder Das Fahrrad sieht der Mann wählen die Sprecher zu knapp 50 % noch N1 als Agens, was jedoch nicht unge‐ wöhnlich ist, da auch erwachsene Sprecher dazu tendieren können, entspre‐ chende Bedingungen als kanonisch einzustufen. Auf dem Weg zur dominanten morphologischen Strategie der Typ D-Sprecher repräsentieren die anderen Probanden die bereits bekannten Schritte. Während Sprecher des Typs A in allen Bedingungen mit überwältigender Mehrheit (der N1-Anteil liegt in allen Bedingungen bei 100 %) die N1-Strategie anwenden und jegliche morphologischen Informationen damit konsequent ignorieren, be‐ ginnen Sprecher des Typs B damit, funktional transparente Formen als Indika‐ 5 Ergebnisse 224 <?page no="225"?> toren für Nicht-Agentivität und damit für eine OS -Struktur zu gebrauchen. Al‐ lerdings tun sie dies nur, wenn die Marker mit dem für sie prototypischen Belebtheitsmerkmal auftreten. Deshalb führen zunächst nur unbelebte densowie belebte dem- NP s zu signifikant niedrigeren N1-Anteilen von jeweils ca. 70 %. Liegt die Koalition zwischen semantischen und morphologischen cues nicht vor (zum Beispiel bei NP s wie den Mann [+ B E L E B T ] oder dem Fahrrad [- B E‐ L E B T ] ), entscheiden sich die Typ B-Sprecher auch weiterhin konsequent (90- 100 %) für die satzinitiale NP als Agens. Das Knüpfen von Nicht-Agentivität an die prototypische Koalition zwischen transparenten morphologischen Formen und semantischen Belebtheitsmerkmalen ist bereits von den Ergebnissen der niederländischen Sprecher bekannt. Der Einstieg in ein lokales cue-System er‐ folgt damit in beiden Gruppen über die Identifikation divergierender nicht-agentivischer Rollen (Patiens und Rezipiens), die Verknüpfung dieser Rollen mit prototypischen Belebtheitseigenschaften (unbelebt für Patiens, be‐ lebt für Rezipiens) und die Anbindung dieser rollenspezifischen Eigenschaften an einzelne morphologische Marker (den für ein unbelebtes Patiens, dem für ein belebtes Rezipiens). Erst bei Sprechern des Typs C wird der Status der Belebtheit als disambigu‐ ierender cue stellenweise revidiert. Zunächst geschieht dies bei dem-markierten NP s. Der N1-Anteil sinkt hier belebtheitsunabhängig hochsignifikant auf gut 50 %. Auch bei den-markierten NP s findet sich ein marginal signifikant niedrig‐ erer N1-Anteil von durchschnittlich 60 %, was jedoch nach wie vor darauf zu‐ rückzuführen ist, dass besonders unbelebte NP s des Typs den Bus [- B E L E B T ] als durchsetzungsfähige cues verarbeitet werden. Erst Typ D-Sprecher differen‐ zieren bei den- NP s nicht mehr in Hinblick auf die Belebtheit der obliquen NP . Sowohl bei denals auch bei dem-Phrasen wird somit schrittweise die Belebtheit als koalierender cue abgeworfen, bis in Abhängigkeit vom Sprechertyp die je‐ weilige morphologische Form allein ihre Konfliktvalidität erlangt. Diese stufenweise Stärkung morphologisch transparenter cues zur Konflikt‐ resolution greift - wie auch in den anderen beiden Sprechergruppen - schließ‐ lich auch auf ambige Formen über. Entsprechend sinkt der N1-Anteil zunächst bei der-Formen bei Lernern des Typs C auf 60 %, wodurch der N1-Anteil im Ver‐ gleich zum Typ B signifikant niedriger ist. Lerner des Typs D entscheiden sich schließlich in nur noch 10 % der Fälle für die satzinitiale NP als Agens, wenn diese eine dativmarkierte der-Form ist. Der N1-Anteil ist damit hochsignifikant niedriger als bei Lernern des Typs C. In einem letzten Schritt werden auch ak‐ kusativmarkierte das- und die-Formen als konfliktresultierende morphologi‐ sche cues genutzt. Deutlich später als alle anderen Marker werden entspre‐ chende Formen erst von Lernern des Typs D hochsignifikant seltener als Agens 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 225 <?page no="226"?> ausgewählt. Im Vergleich zu den übrigen morphologischen cues ist der N1-Anteil bei das- und die-markierten OS -Sätzen bei Lernern des Typs D dadurch um knapp 30 % höher. Somit werden diese beiden Formen deutlich länger als mit der Wortstellung koalierende cues verarbeitet. Eine ähnliche Tendenz zeigte sich bereits bei den russischsprachigen Probanden. Fasst man die Charakteristika der vier Lernertypen innerhalb der monolin‐ gual deutschen Gruppe zusammen, so lassen sich folgende Sequenzen ableiten: Abbildung 26: Von der N1-Strategie zur Morphologie - Typenspezifische Schritte bei monolingual deutschen Kindern Die Anzahl und Beschaffenheit der einzelnen Schritte auf der Skala (von der N1zur morphologischen Strategie) entspricht dem, was für die niederländische Gruppe identifiziert wurde. Bevor morphologische cues konsequent zur Kon‐ fliktresolution in OS -Sätzen eingesetzt werden, haben sie zunächst nur in Ver‐ bindung mit spezifischen Belebtheitsmerkmalen eine nennenswerte Durchset‐ zungsfähigkeit. Sobald dieser semantische cue aufgegeben wird, festigt sich die morphologische Strategie insgesamt, sodass sich sukzessive auch multifunkti‐ onale Formen gegen die N1-Strategie durchsetzen können. Im Allgemeinen finden sich die durchlaufenen Schritte zur Ausbildung und Fes‐ tigung einer morphologischen Verarbeitungsstrategie in allen drei Gruppen gleichermaßen. Im Detail ergeben sich auch gruppenspezifische Charakteris‐ tika. Dies gilt zum einen für den Stellenwert der Belebtheit, die für die nieder‐ ländisch- und monolingual deutschsprachigen, nicht aber für die russischen Probanden als Türöffner für die Nutzung lokaler morphologischer cues zur Konfliktresolution fungiert. Ein weiteres Spezifikum bildet die letztlich etab‐ lierte cue strength morphologischer Marker. Nur in der monolingual deutschen Gruppe schaffen es Lerner des Typs D, ihre Agenswahl in Konfliktkontexten fast ausschließlich auf transparente sowie halb-transparente morphologische cues zu stützen. 5 Ergebnisse 226 <?page no="227"?> Stellt man die individuellen Tendenzen und die vier herausgearbeiteten Typen den in den Kapiteln 5.2 und 5.3 gewonnenen Erkenntnissen gegenüber, wird deutlich, dass das quantitativ ermittelte Verarbeitungsspektrum nicht von einzelnen Sprechergruppen, sondern übergreifend von spezifischen Teil‐ gruppen abgedeckt wird. In jeder Gruppe gibt es Sprecher, die ihre Agenswahl ausschließlich auf das Satzschema stützen (die also einen N>N-Satz immer als SO -Satz interpretieren) und Sprecher, die in Konfliktkontexten überwiegend und vereinzelt sogar ausschließlich morphologische cues zur Konfliktresolution nutzen. Ebenso ließen sich in jeder Gruppe Sprecher finden, die zwischen diesen beiden Extrempolen anzusiedeln sind und morphologische cues nur in spezifi‐ schen Bedingungen als konfliktresultierende Indikatoren nutzen. Da die vor‐ liegende Studie nicht longitudinal angelegt ist, sondern eine jeweils punktuelle cue strength der Probanden erfasst, wurden die identifizierten typenspezifischen Verarbeitungstendenzen als Querschnitt interpretiert. Entsprechend muss auch die quantitativ angelegte sprachstandsspezifische Datenanalyse in Kapitel 5.3.2 eingeordnet werden. Auch sie erfasst nicht die Entwicklung eines Sprechers von einem niedrigen zu einem hohen Sprachstand im Deutschen. Stattdessen gilt die Annahme, dass die Sprachstandsdifferenzierung analog zur individuell ba‐ sierten Typisierung einen querschnittsähnlichen Entwicklungsprozess reprä‐ sentiert. Zusammengefasst lässt sich durch die Kontrastierung quantitativer und qua‐ litativer Analysen die Existenz stufenweiser Sequenzen zumindest annehmen. Ihre abschließende Verifizierung kann nur über longitudinale Untersuchungen geklärt werden, jedoch dienen die Ergebnisse dieser Studie als Indikator für das sprachentwicklungsbedingte Durchlaufen einer cue strength-Sequenz. Die iden‐ tifizierten Strategien, die die Loslösung von der N1-Strategie, den Aufbau und schließlich die Festigung einer morphologischen Strategie repräsentieren, konnten quantitativ durch die Zuweisung spezifischer Entscheidungsprozesse zu einzelnen Sprechergruppen und qualitativ durch die Identifikation indivi‐ duell basierter Typen verifiziert werden. Zugleich ergibt sich bei der Kontras‐ tierung quantitativer und qualitativer Erkenntnisse ein zunächst offensichtli‐ cher Widerspruch. So konnte quantitativ gezeigt werden, dass die russischen Lerner insgesamt deutlich stärker als die anderen Probanden morphologische cues zur Konfliktresolution nutzen. Innerhalb der russischen Gruppe finden sich jedoch Probanden, die sich ausschließlich oder überwiegend an der syntakti‐ schen Strategie orientieren. Eine analoge Diskrepanz gilt für die niederländische Gruppe. Obwohl quantitativ betrachtet die N1-Strategie für sie eine deutlich höhere cue strength hat als für die russischen Sprecher, gibt es gleichzeitig aus qualitativer Sicht auch niederländische Sprecher, die sich sehr stark an mor‐ 5.4 Individuelle Verarbeitungsstrategien 227 <?page no="228"?> phologischen cues zur Konfliktresolution orientieren. Gleiches gilt für mono‐ lingual deutsche Sprecher. Die jeweilige quantitative Gruppentendenz gilt damit qualitativ nicht immer für den einzelnen Sprecher. Hinzu kommt, dass es keine Hinweise auf eine Korrelation zwischen Sprachstand und Typenzugehörigkeit (zum Beispiel stärkere Tendenz zur syntaktischen N1-Strategie bei niedrigem Sprachstand) gibt. So können in fast allen Sprechergruppen Probanden mit so‐ wohl hohem als auch niedrigem Sprachstand einem der dominanten Entschei‐ dungsprozesse zugeordnet werden. Es erscheint auf den ersten Blick, als würde weder die L1 der Probanden noch der Sprachstand im Deutschen einen nennenswerten Einfluss auf die Nutzung zielsprachlicher konfliktresultierender cues im N>N-Satz haben. Vielmehr legt die oben vorgenommene Typisierung nahe, dass cue strength ausschließlich in‐ dividuell basiert ist. Eine solche Folgerung würde jedoch den eigentlich deutli‐ chen Einfluss der L1 der Lerner zu Unrecht revidieren. Dass sie nämlich einen klaren Einfluss auf die cue strength morphologischer Marker hat, wird anhand von zwei Faktoren deutlich. Erstens konnte in Kapitel 5.3.1 herausgestellt werden, dass die russischen Sprecher in Konfliktbedingungen hochsignifikant häufiger von der N1-Strategie abweichen. Unter identischen Testbedingungen kommen damit vor allem die Sprecher, denen ihr L1-spezifisches Form-Funk‐ tions-Wissen am stärksten dabei hilft, auch in der L2 Deutsch ein lokales cue-System anzuwenden, der zielsprachlichen Strategie am nächsten. In direkter Opposition zu den niederländischen Sprechern finden sich zweitens deutliche Unterschiede bei der Gewichtung der cues Satzschema, Belebtheit und Kasus‐ marker. Dieser Unterschied bildet sich auch qualitativ ab. Bei den russischen Probanden kann für ein knappes Drittel der Sprecher eine am Satzschema ori‐ entierte Verarbeitungsstrategie ermittelt werden. Die meisten der Probanden (acht von zehn) haben einen niedrigen Sprachstand im Deutschen. Sobald ein hoher Sprachstand im Deutschen erreicht wird, verschwindet die syntaktische Strategie nahezu. Daraus folgt, dass die russischen Sprecher trotz eines nied‐ rigen Sprachstands eine morphologische Verarbeitungsstrategie gebrauchen und diese nach systematischen Faktoren festigen. In der niederländischen Gruppe verwenden zwei Drittel der Lerner die syntaktische Strategie. Hinzu kommt, dass die syntaktische Strategie auch von Sprechern mit hohem Sprach‐ stand (insgesamt vier Sprecher) beibehalten beziehungsweise nur in spezifi‐ schen Bedingungen verworfen wird. Die Kontrastierung der beiden bilingualen Sprechergruppen zeigt somit deutlich, dass die für die jeweilige Gruppe hohe cue strength untypischer cues auf einzelne Sprecher zurückzuführen ist. In der russischen Gruppe ist der untypische cue das Satzschema, in der niederländi‐ schen die Kasusmarker. Dass diese cues für die beiden Gruppen jeweils untypisch 5 Ergebnisse 228 <?page no="229"?> 5.5 sind und dadurch zu einer maximal unterschiedlichen cue strength führen, wird durch die Verteilung der einzelnen Sprecher auf die jeweiligen Typen deutlich. Während für die russische Gruppe der syntaktische cue systematisch an cue strength verliert, kann von einer Durchsetzung morphologischer cues in der niederländischen Gruppe nur für eine Handvoll der Probanden gesprochen werden. Einen L1-spezifischen Einfluss zu negieren, würde diesen Tendenzen und Charakteristika schließlich nicht gerecht werden. Ein weiterer Beleg für eine L1-basierte Satzverarbeitung ist vor allem auch der Stellenwert der Belebt‐ heit, der in der niederländischen Gruppe darüber entscheidet, ob morphologi‐ sche Marker die N1-Strategie aushebeln oder nicht. Dass die russischen Pro‐ banden die Belebtheit an keiner Stelle als cue in Betracht ziehen und sich stattdessen ausschließlich auf den Informationsgehalt morphologischer Marker verlassen, belegt zusätzlich, dass die gruppenspezifische Gewichtung der in dieser Studie überprüften cues letztlich diametral ist. Ergebniszusammenfassung Die Auswertung und Analyse der Studie wurde eingeleitet durch die überge‐ ordnete Fragestellung, welche Satzverarbeitungsstrategien mehr- und einspra‐ chige Sprecher im Deutschen nutzen, um N>N-Sätze mit koalierenden und kon‐ kurrierenden morphologischen, syntaktischen und semantischen cues zu verarbeiten. Angenommen wurde dabei, dass sich gruppenspezifische Verar‐ beitungstendenzen zeigen sollten, die auf der Komplexität des cue-Systems des Deutschen, L1-spezifischem mapping-Wissen sowie dem Sprachstand im Deut‐ schen basieren. Das Zusammenspiel dieser drei Ebenen sei, so die ursprüngliche Annahme, letztlich für eine gruppenbedingte Varianz in der cue strength ver‐ antwortlich. Übergeordnet wurde zudem die Hypothese aufgestellt, dass sich die cue strength-Anpassung von einem syntaktisch zu einem morphologisch ba‐ sierten Verarbeitungsprinzip vollzieht, wobei auch die Existenz von dazwi‐ schenliegenden Teilschritten angenommen wurde. Dass morphologische cues im Deutschen auch unter den verwendeten Testbedingungen die höchste cue strength haben, konnte mithilfe einer erwachsenen monolingual deutschen Kontrollgruppe belegt werden. Für die drei Kindergruppen wurde in einem ersten Schritt ermittelt, ob die Sprecher tatsächlich das transitive Satzschema mit einer kanonischen transi‐ tiven Handlung verknüpfen. Bestätigt wurde diese Annahme anhand von Test‐ sätzen, in denen weder semantische noch morphologische cues einen eindeu‐ tigen Hinweis auf das Agens im Satz liefern. Es konnte gezeigt werden, dass die 5.5 Ergebniszusammenfassung 229 <?page no="230"?> Probanden unabhängig von der L1 und vom Sprachstand im Deutschen in ent‐ sprechenden Bedingungen N1 als Agens wählen. Darüber hinaus wird N1 auch dann als Agens gewählt, wenn aus normativer Sicht eigentlich die satzfinale Konstituente die richtige Antwort (das heißt in OS -Sätzen) wäre. Diese grund‐ legende N1-Strategie beweist, dass alle Probanden unabhängig von ihrem sprachlichen Hintergrund oder Sprachstand ein Satzmuster des Typs N>N als Repräsentation eines kanonischen transitiven Handlungsschemas einordnen. Die N1-Strategie fungiert als Basisstrategie. Daraufhin wurde im Detail geprüft, unter welchen Bedingungen die N1-Stra‐ tegie gestärkt oder geschwächt werden kann. Eine Stärkung findet in kanoni‐ schen Bedingungen besonders dann statt, wenn Belebtheitsopposition und Satz‐ schema koalieren sowie wenn zusätzlich die satzinitiale NP der-markiert ist. Eine Schwächung in Form eines sinkenden N1-Anteils findet sich bei einer zum Satzschema konkurrierenden Belebtheitsopposition (N1 [- B E L E BT ] - N2 [+ B E‐ L E BT ]) sowie bei einer das-markierten satzinitialen NP . Letztere Tendenz ist besonders für die beiden mehrsprachigen Probandengruppen zu erkennen. Be‐ sonders geschwächt wird die N1-Strategie erwartungsgemäß in nicht-kanoni‐ schen OS -Bedingungen. Hier ist die Transparenz sowie Funktionalität einzelner Marker sowie der sprachliche Hintergrund der Probanden für die cue strength der N1-Strategie entscheidend. Gruppenübergreifend führen funktional trans‐ parente Marker (den, dem) zu sinkenden N1-Anteilen, im Besonderen gilt dies für die russische Gruppe. Für die niederländischen sowie monolingual deut‐ schen Kinder sind nicht nur die einzelnen Formen, sondern auch eine Marker-Belebtheits-Relation für die letztliche Wahl der Verarbeitungsstrategie entscheidend. Bei prototypischer Koalition zwischen Kasusmarker und Beleb‐ theitsmerkmal wird die N1-Strategie geschwächt, bei einer Konkurrenz beibe‐ halten. Insbesondere für die niederländischen Kinder scheinen dabei einzelne Formen entscheidend für die Agenswahl zu sein. Denn neben den beiden trans‐ parenten Markern den und dem werden auch die multifunktionalen Formen das sowie vereinzelt auch die als nicht-agentivisch gewertet und führen sowohl in OS -, aber auch in SO -Bedingungen zu N1-Anteilen von 60 % beziehungsweise knapp 75 %. Doch auch für die übrigen Gruppen spielt die Funktionalität ein‐ zelner Formen eine wichtige Rolle. So werden zum Beispiel sowohl in der rus‐ sischen als auch der deutschen Gruppe OS -Sätze mit satzinitialer der D A T - NP im Vergleich zu eindeutig nicht-agentivischen NP s überdurchschnittlich häufig als agentivisch eingestuft und führen so zu einer Stärkung der N1-Strategie. Auf der Basis dieser Ergebnisse wurde gefolgert, dass die Probanden insbe‐ sondere syntaktische, morphologisch-semantische sowie morphologische 5 Ergebnisse 230 <?page no="231"?> Verarbeitungsstrategien anwenden, um das Agens in transitiven Sätzen zu be‐ stimmen. Dabei konnten gruppen- und formspezifische Verarbeitungsmecha‐ nismen identifiziert werden. Insgesamt findet sich bei russischen Sprechern eine stärkere Tendenz zur morphologischen, bei den anderen beiden Gruppen hin‐ gegen zur morphologisch-semantischen sowie syntaktischen Strategie. Der Sprachstand der Probanden wirkt sich nicht auf eine Umgewichtung, sondern vielmehr auf eine Stärkung der jeweiligen Strategien aus. Zuletzt wurde an die quantitative Analyse eine individuelle Datenauswer‐ tung angeschlossen, die die individuelle Erfassung von N1-Anteilen in OS -Sätzen und daran anküpfend eine gruppeninterne Typisierung umfasste. Dabei wurde deutlich, dass die zuvor ermittelten Strategien in fast allen Gruppen vertreten sind. Eine Ausnahme bildet hier die morphologisch-semantische Stra‐ tegie, die für die russischen Probanden an keiner Stelle eine Rolle spielt. Auf Basis der Typisierung wurde angenommen, dass die individuellen Differenzen divergierende Grade einer sprecherspezifischen cue strength abbilden. Die Nähe zu einer dominanten N1respektive morphologischen Strategie wurde hierbei als das Durchlaufen eines stufenweisen cue strength-Modifikationsprozesses verstanden, bei dem die einzelnen Strategien Teilschritte abbilden, die durch die vier Typen repräsentiert sind. Zugleich konnte durch die Kontrastierung quan‐ titativer und qualitiver Ergebnisse gefolgert werden, dass individuelle Varianzen in jeder Gruppe zu finden sind, jenseits dieser Schwankungen jedoch auch gruppen- und damit auch L1-spezifische Tendenzen erkennbar werden, die sich wiederum in der Verteilung der Sprecher auf die jeweiligen Typen wiederfinden. 5.5 Ergebniszusammenfassung 231 <?page no="232"?> 6 6.1 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik Um zu verstehen, wie die unterschiedlichen Entscheidungsprozesse bei der Satzverarbeitung zustande kommen, soll der Ergebnisüberblick im Folgenden in die der Arbeit vorangestellten theoretischen Überlegungen münden. Dabei sollen die Ergebnisse aus kognitiv-funktionaler Sicht sowie aus sprachentwick‐ lungstheoretischer Perspektive erfasst werden. Die Ergebnisdiskussion schließt mit einer kritischen Methodenreflexion, die sich besonders den Ergebnissen der monolingual deutschen Kinder widmet. Was wissen mehr- und einsprachige Kinder über Formen und Funktionen? Die Datenanalyse hat unterschiedliche Erkenntnisse zum Vorschein gebracht. So konnte einerseits für mehrsprachige Kinder belegt werden, dass L1-spezifi‐ sche Form-Funktions-mappings in der Zweitsprache zum Tragen kommen, um semantische Relationen bei der Satzverarbeitung zu bestimmen. Zutage traten dabei zwei Ebenen, die für die Sprecher relevant sind. Dazu zählt das syntakti‐ sche Muster N>N sowie Kasusmarker im Allgemeinen als auch einzelne Kasus‐ formen im Besonderen. Zu Beginn der Arbeit wurde im Detail ausgeführt, wie syntaktische Schemata und morphologische Kasusmarker jeweils spezifische Funktionen erfüllen. Dass Formen nicht isoliert von ihren Funktionen betrachtet werden dürfen und dass sie dem Sprecher dazu dienen, semantische Konzepte abzubilden, ist der Grundgedanke funktionaler Ansätze. Die enge Verbindung zwischen spezifischen Inhalten und der formalsprachlichen Realisierung wirkt sich aus linguistischer Sicht auf Flexionsparadigmen und Deklinationsklassen aus. Aus Sicht der Kognitiven Grammatik sind die Form-Funktions-Relationen wiederum nicht nur kognitiv verankert, sondern zugleich auch Resultat spezi‐ fischer kognitiver Prozesse. Trotz des Vorhandenseins von Kasusmarkern im Deutschen, hat sich gezeigt, dass das Satzschema je nach Sprechergruppe und Lernertyp der einzige, der dominanteste oder zumindest ein relevanter cue ist. Bei den getesteten Kindern verlässt sich nur eine Handvoll der Probanden in Konfliktbedingungen ausschließlich auf morphologische cues. Die syntaktische <?page no="233"?> N1-Strategie setzt sich zwar in unterschiedlichem Ausmaß, jedoch immer wieder durch. Sie dient als interpretatorischer Default. Wie ist dies zu erklären? Was aus den Daten deutlich hervorgegangen ist, ist die Tatsache, dass das syntaktische Muster den morphologischen Markern übergeordnet ist. Dies führt dazu, dass auch Probanden, für die morphologische Marker eine vergleichsweise hohe cue strength haben (das heißt für russische Lerner im Allgemeinen sowie für Sprecher des Lernertyps C und D im Besonderen), einen Satz wie Den Mann sieht das Mädchen als kanonisch einordnen. Je nach Gruppenzugehörigkeit kann der N1-Anteil in entsprechenden Bedingungen auch bei Probanden, die eine dominante morphologische Strategie anwenden, zwischen 20-30 % liegen. Ob‐ wohl die N1-Strategie also bei einzelnen Sprechergruppen und -typen deutlich zurückgedrängt wird, wird sie von den 9; 6-jährigen getesteten Kindern noch nicht vollständig aufgegeben. Dieser Umstand lässt sich durch einen konstruk‐ tionsgrammatischen sowie konnektionistischen Zugang erklären. Das Wissen über die Funktion der transitiven Konstruktion überlagert of‐ fenbar das Wissen über die Funktion morphologischer Marker. Dies ist nicht Resultat eines Nicht-Wissens darüber, welche Funktionen einzelne Formen überhaupt haben können, sondern Resultat einer unterschiedlich gewichteten cue strength von Satzkonstruktion und Kasusmarkern. Aus konnektionistischer Sicht heißt das wiederum, dass alle Probanden über eine sehr starke Verbindung zwischen transitiver Konstruktion und kanonisch-transitivem Handlungs‐ muster verfügen. Dies gilt im Übrigen auch für die erwachsenen Sprecher, bei denen sich bei der Lesedauer eine Verzögerung abzeichnet, sofern nicht-kano‐ nische Satzbedingungen verarbeitet werden. Die Verbindungsstärke ist damit ausschlaggebend für die immer wieder zum Vorschein kommende N1-Strategie. Auch wenn zugleich ein Knoten zwischen morphologischer Form und ihrer entsprechenden Funktion aktiviert wird, ist die Verknüpfung im Zweifelsfall nicht stark genug, um sich gegen die Konstruktion als solche durchzusetzen. Zusammengefasst ist die Dominanz beziehungsweise Relevanz der transitiven Konstruktion in Abbildung 27. 6.1 Was wissen mehr- und einsprachige Kinder über Formen und Funktionen? 233 <?page no="234"?> Abbildung 27: Variierende cue strength-Verknüpfungen bei der Verarbeitung von OS-Sätzen Die Abbildung zeigt zwei Phasen der Verarbeitung von OS -Sätzen, die be‐ schreiben sollen, warum die transitive Konstruktion eindeutige morphologische Bedingungen zunächst überlagert und wie diese Überlagerung in einem darauf‐ folgenden Schritt geschwächt werden kann. Die jeweiligen cues (Konstruktion vs. morphologischer Marker innerhalb der NP ) evozieren spezifische semanti‐ sche Konzepte. Die syntaktische Konstruktion triggert eine übergeordnete tran‐ sitive Handlung, die NP hingegen eine einzelne semantische Rolle. Solange Sprecher entweder ein rudimentäres (ist besonders für frühe Erwerbsphasen anzunehmen) beziehungsweise nicht stark genug verfestigtes Wissen über die Funktionen morphologischer Marker haben, ist die Verknüpfung zwischen der syntaktischen Konstruktion (in der Abbildung repräsentiert durch den linken großen Kreis) und einem prototypischen transitiven Handlungsschema des Typs [+A G E N S ] > [-A G E N S ] am stärksten. Die dicke Verbindungslinie zwischen Form (Konstruktion) und Inhalt (kanonische Handlung) symbolisiert diese Verbin‐ dungsstärke. Nicht auszuschließen ist, dass daneben auch ein morphologischer Knoten aktiviert wird. Die Verbindung zwischen dem Kasusmarker beziehungs‐ weise der Nominalphrase, in die er integriert ist, und seiner Funktion ist jedoch im Gegensatz zum syntaktischen Knoten zu schwach. Die Lesart N>N = [-A G EN S ] > [+A G E N S ], die auf der Basis des morphologischen cues abgeleitet werden kann, setzt sich letztlich nicht durch. Dies ändert sich erst in einer zweiten Phase beziehungsweise bei einer Justierung der bereits existenten Ver‐ bindungen (s. rechter großer Kreis in Abbildung 27). Diese Justierung kann - wie in der Datenanalyse herausgearbeitet - abhängig vom L1-spezifischen Wissen, einem hohen Sprachstand sowie besonders von der Typenzugehörigkeit der einzelnen Probanden sein. Im besten Fall wird die Verbindung zwischen morphologischen Markern und ihren Funktionen gestärkt, sodass die entspre‐ chende Verknüpfung schließlich stärker ist als die zwischen der Konstruktion und dem transitiven Handlungsschema. In der Abbildung ist die Verlagerung 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 234 <?page no="235"?> dieser Gewichtung durch die unterschiedliche Dicke der Pfeile, die wiederum für die Evokation spezifischer semantischer Konzepte stehen, symbolisiert. Erst wenn die Verbindungsstärke zwischen Kasusmarker und semantischer Rolle stark genug ist, ist für den Sprecher die Lesart N>N = [-A G EN S ] > [+A G E N S ] möglich. Zugleich wird die Verbindung zwischen der transitiven Konstruktion und dem transitiven Handlungsschema nicht völlig verdrängt. Schließlich ist sie in den meisten Fällen nach wie vor die zielführende Interpretationsbasis. Durch negative Evidenz, genauer durch das gehäufte Auftreten von Sätzen des Typs Den Mann sieht das Mädchen, wird die Verbindung jedoch geschwächt. Die voll‐ ständige Tilgung der Verknüpfung ist jedoch nicht möglich. Dadurch bleibt eine Restwahrscheinlichkeit, dass Sprecher, bei denen die Verbindung zwischen ob‐ liquem Kasusmarker und nicht-agentivischer semantischer Rolle sehr stark ist, einen OS -Satz trotzdem als kanonisch einstufen. Das Satzschema kann damit in seiner cue strength geschwächt, die Form-Funktions-Verknüpfung jedoch nie vollständig getilgt werden. Für die sprachliche Entwicklung nimmt die Konstruktionsgrammatik an, dass Sprache aus kleineren und größeren Konstruktionen besteht. Aus dieser Prä‐ misse kann abgeleitet werden, dass nicht einzelne Formen, sondern Konstruk‐ tionen beziehungsweise Einheiten gelernt werden müssen (vgl. für einen Über‐ blick für die L1-Entwicklung Diessel 2013 und die L2-Entwicklung Ellis 2013). Der Aufbau einer transitiven Konstruktion erfolgt dabei zunächst durch item-spezifische Konstruktionen (oder anhand von Chunks), woraufhin ein‐ zelne ähnliche Muster zu „lexical group constructions“ (MacWhinney 2008) ge‐ bündelt werden. Über diese Bündelung wird schließlich die globale Konstruk‐ tion des Typs N>N (ebd.) erstellt. Belege für den systematischen Auf- und Ausbau größerer Einheiten, die wiederum auf konkreten Beispielen aufbauen, finden sich zum Beispiel in Form der Verb-Insel-Hypothese bei Tomasello (1992), aber auch in Form des produktiven Gebrauchs des Musters S(V)O im natürlichen L1- und L2-Erwerb (vgl. Kapitel 3.3). Sobald die Konstruktion als Einheit etab‐ liert und mit einem spezifischen Inhalt verknüpft ist, dient sie den Sprechern als Interpretationsgrundlage zur Determination semantischer Relationen. Die Kon‐ struktion wird so zur symbolischen Einheit, oder genauer: zum mental reprä‐ sentierten Schema. Dittmar (2009) kann dies anhand von unterschiedlichen ex‐ perimentellen Verfahren mit deutsch- und englischsprachigen Kindern belegen, die bereits mit drei Jahren die Satzinterpretation auf die transitive Konstruktion stützen. Ambridge / Noble / Lieven (2014) belegen zudem, dass die transitive Konstruktion andere Informationen im Satz überlagert. Sie zeigen, dass eng‐ lischsprachige Kinder prototypisch intransitive Verben als kausal-transitiv in‐ terpretieren, wenn sie innerhalb einer transitiven Konstruktion gebraucht 6.1 Was wissen mehr- und einsprachige Kinder über Formen und Funktionen? 235 <?page no="236"?> werden (zum Beispiel *Bob laughed Wendy). Aus dem Verhalten von dreibis vierjährigen Probanden leiten die Autoren ab: „Participants use construction semantics to interpret ungrammatical sentences, even when this requires over‐ riding their knowledge regarding the usual meanings and argument-structure restrictions of particular verbs“ (ebd.: 307). Die Konstruktionssemantik lenkt nicht nur die Satzinterpretation, sie überlagert auch andere Informationen im Satz auf unterschiedlichen Ebenen. Diese ‚Überlegenheit‘ der Syntax führt dann auch zu einer Überlagerung morphologischer Informationen im Satz. Kasus‐ marker werden durch die Konstruktion quasi unsichtbar. Sprecher können damit sowohl ein Wissen über die Funktion von syntaktischen Konstruktionen als auch über einzelne Kasusmarker haben. Entscheidend für die Satzverarbei‐ tung ist, welche cue strength dem jeweiligen Form-Funktions-Paar beigemessen wird. In kanonischen Bedingungen sind morphologische Marker in die transitive Konstruktion integriert und dieser weitgehend untergeordnet. Die Analyse ihrer Funktionen ist zunächst nicht zwingend notwendig, weil die Nutzung der übergeordneten Konstruktion ausreicht, um semantische Relationen zu konno‐ tieren (Produktion) und zu denotieren (Satzverarbeitung). Erst wenn sich Fälle häufen, in denen die Konstruktionssemantik fehlleitend ist, wird eine Reanalyse des Formeninventars eingeleitet. An dieser Stelle setzt dann eine (temporäre) Dekomposition der Konstruktion ein, weil es für Lerner notwendig ist, neue Indikatoren innerhalb der Konstruktion aufzufinden, die die Satzinterpretation ermöglichen. Bei der Dekomposition stoßen die Lerner dann auf Phrasen sowie spezifische phrasenstrukturelle Merkmale. Die Datenanalyse weist diesbezüg‐ lich darauf hin, dass die Probanden an dieser Stelle kleinere, auf einzelne se‐ mantische Rollen zugeschnittene Konstruktionen aufbauen, in denen morpho‐ logische Marker eine zentrale Rolle spielen. Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist nämlich, dass ein großer Teil der Probanden (insbesondere bei den nieder‐ ländischen sowie monolingual deutschen Kindern) die Wahl der Verarbeitungs‐ strategie von der Interaktion einzelner Formen und der Belebtheit abhängig macht. Es wurde deutlich, dass einzelformspezifische Form-Funktions-Relati‐ onen bestehen und diese für unterschiedliche Sprecher entscheidend für die In‐ terpretation semantischer Relationen im N>N-Satz sind. Insbesondere die niederländischen und monolingual deutschen Probanden nutzen morphologische cues vor allem dann als Indikatoren für einen OS -Satz, wenn die jeweiligen Marker mit für sie prototypischen Belebtheitsmerkmalen auftreten. Ein Patiens wird mit der Verbindung zwischen dem Marker den und dem Merkmal [- B E L E BT ] gleichgesetzt (zum Beispiel den Bus), ein Rezipiens ent‐ spricht der Verbindung dem und [+ B E L E BT ] (zum Beispiel dem Mann). Beide 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 236 <?page no="237"?> 1 Wildgen präsentiert eine an Fillmore angelehnte Notation, die als Vorbild für Abbildung 28 gelten kann. Das Kürzel ‚N+‘ steht dabei für „maximale Phrase“ (Wildgen 2008: 153), was einer nominalen Wortgruppe entspricht. morphologisch-semantischen Koalitionen entsprechen den prototypischen for‐ malen und semantischen Eigenschaften der jeweiligen nicht-agentivischen Rolle. Beide können als quasi-abstrakte Repräsentanten eines spezifischen Rol‐ lenkonzepts verstanden werden. Die Relevanz der morphologisch-semantischen Verbindung ist für den Aufbau phrasenspezifischer Funktionen und für die Stärkung der Konfliktvalidität morphologischer cues essentiell. Abbildung 28: Beschaffenheit phrasaler nicht-agentivischer Konstruktionen In Anlehnung an Wildgen (2008) 1 kann die phrasale Konstruktion N+ in Abbil‐ dung 28 als abstrakte mentale Einheit verstanden werden, innerhalb derer wei‐ tere spezifische Informationen gespeichert sind. Ähnlich wie in der syntakti‐ schen Konstruktion N>N Wissen darüber gespeichert ist, dass die satzinitiale Konstituente das Agens und damit belebt und gegebenenfalls auch morpholo‐ gisch mit dem Marker der verbunden ist beziehungsweise die Konstruktion dieses Wissen mit evoziert, kann auch auf Phrasenebene angenommen werden, dass Lerner eine nominale Phrase aufgrund der Verfügbarkeit eines Determi‐ nierers ( DET ) und eines Substantivs (N) als Konstruktion abspeichern. Innerhalb dieser Konstruktion sind auch semantische Merkmale enthalten (in der Abbil‐ dung gilt dies für die Belebtheit). Die phrasalen Konstruktionen sind in die grö‐ ßere syntaktische Einheit integriert, sodass hier im Prinzip ein Schachtel- oder Schichtsystem entsteht, in dem kleinere und größere Einheiten interagieren. Die in Abbildung 28 angenommenen phrasalen Konstruktionstypen sind mit den beiden nicht-agentivischen Rollen Patiens und Rezipiens verknüpft. Sobald eine Konstruktion (oder ein Phrasenschema) identifiziert wird, das die jewei‐ ligen Eigenschaften in Abbildung 28 erfüllt, tritt die übergeordnete syntaktische 6.1 Was wissen mehr- und einsprachige Kinder über Formen und Funktionen? 237 <?page no="238"?> Konstruktion N>N in ihrer Funktion in den Hintergrund. Durch den Aufbau phrasaler Konstruktionen wird so Schritt für Schritt die Stärkung morpholo‐ gisch basierter Einheiten vorgenommen, während übergeordnete beziehungs‐ weise größere syntaktische Konstruktionen geschwächt werden. Die Makro‐ ebene der Satzsyntax wird somit durch die Makroebene der Phrasenstruktur ersetzt. Stellt man schließlich Abbildung 27 und 28 einander gegenüber, so kann an‐ genommen werden, dass die Stärkung morphologischer cues durch den Aufbau phrasaler Konstruktionen eingeleitet wird. Den Kern dieser phrasalen Kon‐ struktionen bilden oblique markierte Determinierer (den und dem), jedoch haben sie zunächst erst im Verbund, das heißt innerhalb der Nominalgruppe, eine ausreichend hohe Durchsetzungskraft gegen die N>N-Konstruktion. Im Zuge der Datenanalyse konnte schließlich gezeigt werden, dass die Probanden in Abhängigkeit von der Sprechergruppe- und Typenzugehörigkeit in der Lage sind, den Marker aus diesem Verbund zu lösen und ihn unabhängig von weiteren konstruktionsinternen Merkmalen als cue zu nutzen. Die Marker den und dem setzen sich damit unabhängig vom Belebtheitsmerkmal innerhalb der Nomi‐ nalgruppe gegen das Satzschema durch. In Kapitel 5.3 und 5.4 wurde hier von einem Abwerfen des Belebtheitsmerkmals gesprochen. Während zunächst die phrasale nicht-agentivische Konstruktion als solche die höchste Konfliktvali‐ dität hat, spielt letztlich nicht mehr die Interaktion zwischen morphologischen Markern und der Belebtheit, sondern der Kasusmarker allein die entscheidende Rolle bei der Konfliktresolution. Ob dem Determinierer an sich ebenfalls der Status einer Konstruktion zugesprochen werden kann, muss an dieser Stelle als Frage formuliert werden. Ausführliche Abhandlungen zu morphologischen Konstruktionen finden sich bisher vor allem für die Derivation sowie in Teilen für die Flexionsmorphologie, wobei dazu besonders die Funktion synthetischer verbaler und nominaler Marker diskutiert wird (vgl. dazu Booij 2010, 2013). In‐ wiefern ein oblique markierter Determinierer wie den oder dem ebenfalls als Konstruktion zu begreifen ist, kann und soll an dieser Stelle nicht weiter aus‐ geführt werden. Insgesamt kann ein sehr systematischer Prozess nachgezeichnet werden, der bereits in Hinblick auf lineare Verarbeitungsprozesse als Top-Down-Bewegung charakterisiert wurde. Bei einer N>N-Konstruktion ist die primäre Annahme, dass die satzinitiale Konstituente das belebte Agens abbildet. Dieser als N1-Stra‐ tegie eingestufte Entscheidungsprozess wird von den niederländischen und mo‐ nolingual deutschen Probanden zunächst über die Analyse der präverbalen No‐ minalgruppe und letztlich in allen Probandengruppen durch den satzinitialen morphologischen Kasusmarker ersetzt. Lineare Entscheidungsprozesse bei der 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 238 <?page no="239"?> Verarbeitung von N>N-Konstruktionen und das schrittweise Auffinden neuer, kleinerer Konstruktionen innerhalb von größeren Einheiten verlaufen damit parallel zu den in Kapitel 3 aufgezeigten Sequenzen im natürlichen Erwerb. Ohne einen kausalen oder engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Sprach‐ entwicklung und Verarbeitungsstrategien annehmen zu müssen, arbeiten sich die Sprecher in beiden Bereichen von größeren zu immer kleiner werdenden Einheiten vor und finden durch dieses Eintauchen in die strukturelle Beschaf‐ fenheit dieser Einheiten heraus, dass gerade die kleineren Muster und Formen die wichtigsten Informationen für die Interpretation semantischer Relationen im Deutschen liefern. Die schrittweise Schwächung der syntaktischen Kon‐ struktion kann dabei als systematischer Reduktionsprozess verstanden werden. Die cue strength-Justierung verlagert sich somit vom globalen cue des Satz‐ schemas zum semi-globalen cue der NP und schließlich zum lokalen cue des kasusmarkierten Artikels (s. Abbildung 29). Abbildung 29: Von der syntaktischen Konstruktion zum Morphem - Entwicklung von Verabreitungsstrategien als Reduktionsprozess Die Abbildung fasst die bisherigen Überlegungen schematisch zusammen und verdeutlicht zugleich die Verschachtelung, die die übergeordnete syntaktische Konstruktion mitbringt und die schrittweise aufgespalten wird. Wenn Sprecher nur die übergeordnete Konstruktion als bedeutungstragendes Muster verar‐ beiten, wählen sie im Beispielsatz (Abbildung 29) den Bus als Agens. Wenn sie 6.1 Was wissen mehr- und einsprachige Kinder über Formen und Funktionen? 239 <?page no="240"?> jedoch prototypische Phrasenmuster aufbauen, die mit Nicht-Agentivität ver‐ knüpft werden, und aus diesem Muster schließlich auch die Kasusmarkierung als den entscheidenden Indikator für ein Nicht-Agens isolieren, wird die N1-Strategie verworfen. Es entfaltet sich damit eine hierarchische Strukturie‐ rung größerer und kleinerer Konstruktionen, deren Funktionen konträr sein können. Die Zuspitzung, die ein Resultat des in Abbildung 29 skizzierten Reduktions‐ prozesses ist, stellt im Endeffekt nichts anderes als die Ausdifferenzierung des starting point-Prinzips dar. Die Interpretation semantischer Relationen wird in‐ nerhalb einer N>N-Konstruktion zunächst auf die satzinitiale NP (N1 = Agens) reduziert, innerhalb der NP wird die Festlegung der tatsächlichen semantischen Rolle schließlich auf den Determinierer eingegrenzt. Am Ende dieses Redukti‐ onsprozesses wird die anfängliche Hierarchie letztlich umgedreht. Aus dem Top-Downwird so ein Bottom-Up-Prozess. Nicht mehr das Satzmuster, sondern allein der Artikel, der noch vor dem Substantiv in der phrasalen Konstruktion auftaucht, wird als alleiniger Funktionsträger eingestuft. Der Informationsge‐ halt, der der morphologischen Form innewohnt, beziehungsweise den der ein‐ zelne Sprecher mit ihr verbindet, determiniert schließlich die semantische Satz‐ skizze, die bei der Verarbeitung generiert wird. Der Reduktionsprozess ist schließlich auch der Grund dafür, warum sowohl mehrals auch einsprachige Probanden in Sätzen wie Das Kind sieht der Mann oder Die Stadt sucht der Bruder stärker an der N1-Strategie festhalten. Bei den getesteten Probanden liegt der N1-Anteil auch in den Spitzengruppen (Lernertyp D) bei ca. 40 % und damit nur knapp unter dem Zufallsniveau. Die Fokussierung auf den Informationsgehalt des satzinitialen Determinierers führt dazu, dass die ambigen Formen die und das als agentivisch eingeordnet werden. In Kombination mit der übergeordneten syntaktischen Konstruktion ist es dann nicht mehr notwendig, den Rest des Satzes abzuwarten. Wenn an der Stelle, an der der Sprecher relevante Informationen zu semantischen Relationen erwartet, kein eindeutiger Hinweis darauf zu finden ist, dass die präverbale Konstituente innerhalb der N>N-Konstruktion nicht-agentivisch ist, so wird die Konstruktion als prototypisch kanonisches Satzmuster eingestuft. In Testbedingungen ist die Entscheidung zugunsten einer NP wie das Kind oder die Stadt gefallen, bevor der Sprecher erkennt, dass die satzfinale NP diejenige ist, die eindeutig nomi‐ nativmarkiert und damit agentivisch ist. Für eine Reinterpretation des Satzes ist es in der Testbedingung dann zu spät, in der natürlichen Kommunikation würde die Reanalyse zu einer zeitlich verzögerten Verarbeitung führen. Die unterschiedlichen Verbindungsstärken zwischen Satzschema, phrasalen Konstruktionen und einzelnen Kasusmarkern bilden sich an der Oberfläche, also 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 240 <?page no="241"?> 6.2 der Agenswahl bei der Satzverarbeitung, ab. Die gruppen- und typenspezifi‐ schen sowie individuell bedingten Divergenzen bei der Satzverarbeitung sind deshalb Ausdruck von konnektionistisch divergierenden cue strength-Reprä‐ sentationen. Anzunehmen ist, dass die Unterschiede bei den Verbindungs‐ stärken Resultat eines sequentiellen Prozesses sind, der sich in Form des be‐ schriebenden Reduktionsverlaufs manifestiert. Insbesondere die in Kapitel 5.4 vorgenommene Typisierung, die L1-spezifischen Unterschiede und vereinzelt auch die sprachstandsbedingten Divergenzen deuten darauf hin, dass das Zu‐ sammenspiel dieser Faktoren einen Einfluss darauf hat, welche cues welche cue strength haben. Abschließend verifiziert werden kann die These der emergenten cue strength-Modifikation jedoch mit dem vorliegenden Design nicht. Sukzessive cue strength-Modifikation: Parallelen zwischen Rezeption und Produktion Neben der kognitiv-funktionalen sowie konnektionistischen Perspektive auf die Ergebnisse gilt es ebenso zu ergründen, in welcher Relation natürlicher Erwerb und Satzverarbeitungsprozesse stehen können. Wie mehrfach betont, sind diese nicht deckungsgleich. Was im Erwerb schon da ist, muss für die Satzverarbei‐ tung noch lange nicht die interpretatorische Grundlage bilden. Wenn zum Bei‐ spiel L2-Lerner in der Lage sind, oblique Kasusmarkierungen wie den und dem zu verwenden, heißt das noch nicht, dass sie einen Satz wie Dem Mann hilft das Mädchen aufgrund der verfügbaren obliquen Kasusmarkierung auch tatsächlich richtig interpretieren. Der Gebrauch einer obliquen Markierung zeigt zunächst nur, dass die Verknüpfung zwischen Form (oblique Kasusmarkierung) und Funktion (nicht-agentivische Rolle) existiert. Über die cue strength dieser Ver‐ bindung sagt ihr Gebrauch noch nichts aus. Eine zeitliche Diskrepanz zwischen Rezeption und Produktion ist deshalb für die durchgeführte Studie anzunehmen. Trotz dieser wahrscheinlich fehlenden Deckungsgleichheit ermöglichen die Ergebnisse der Studie zumindest die Formulierung einer sequentiellen Progres‐ sion, deren Stufen in Produktion und Rezeption einander ähneln. Dies kann nicht nur auf der Basis der Relation von Satzschema und Kasusmarkern, sondern besonders durch die Relevanz einzelner Kasusformen deutlich gemacht werden. Konnektionistisch betrachtet zeugt die immer wieder durchkommende N1-Stra‐ tegie von der Existenz einer relativ starken Verknüpfung zwischen Satzkon‐ struktion und kanonischem Handlungsmuster. Überträgt man diese immer wie‐ derkehrende Durchsetzungsfähigkeit auf einzelne Formen, so zeigen sich sowohl in der Erwerbssequenz als auch in der Verarbeitung einige wichtige 6.2 Sukzessive cue strength-Modifikation 241 <?page no="242"?> wiederkehrende Merkmale. In Kapitel 3 wurde herausgestellt, dass im Gebrauch das Agens mit den Formen der und die gekennzeichnet wird, auf die der nicht-agentivische Marker den folgt. Auf Basis dieser Erkenntnisse wurde ge‐ folgert, dass Sprecher zunächst die Opposition zwischen Agens und Nicht-Agens durch die formale Opposition der / die vs. den kenntlich machen. Die Form dem kommt als dritter wichtiger Erwerbsschritt für das Rezipiens hinzu. Die Relevanz der obliquen Formen als Marker für Nicht-Agentivität spie‐ gelt sich letztlich auch deutlich in der Satzverarbeitung wider. Sprecher, für die die N1-Strategie eine dominante Rolle bei der Verarbeitung spielt, weichen in Konfliktbedingungen nur dann von dieser ab, wenn transparente nicht-agenti‐ vische Marker verfügbar sind. Mit sinkender cue strength der syntaktischen Strategie wird die morphologische Verarbeitungsbasis dann auch bei den in‐ transparenten Formen gestärkt. Während dieses Ergebnis an sich nicht überraschend ist und hier vor allem die Rolle der Belebtheit für die Verarbeitung der Marker zu den wirklich inte‐ ressanten Erkenntnissen zählt, konnte die Datenanalyse auch Aufschluss da‐ rüber geben, welche Relevanz die halbsowie intransparenten Formen (der, das, die) für die Satzverarbeitung haben. Ihre Rolle wurde im Kontext von Satzver‐ arbeitungsstudien nicht systematisch ausgeleuchtet, sodass die Ergebnisse hier besonders aufschlussreich sind. Es wurde deutlich, dass der Marker der von vielen Probanden als agentivisch eingeordnet wird. Dies zeigt sich besonders bei Sätzen des Typs Der Frau hilft das Mädchen. Je nach L1 (besonders L1 Nie‐ derländisch) und Typenzugehörigkeit (Typen A bis C) werden der-markierte NP s deutlich häufiger als Agens eingestuft als die eindeutig nicht-agentivischen Formen den und dem. Auch in kanonischen Bedingungen zeigte sich, dass die N1-Anteile besonders dann an die 100 %-Marke herankommen, wenn die satz‐ initiale NP der-markiert ist. Die Prototypikalität und Häufigkeit der Form der als Agensmarker führt offenbar dazu, dass die Form im Erwerb als einer der ersten Agensmarker auftaucht und bei der Satzverarbeitung entsprechend als solcher eingestuft wird. Eine entgegengesetzte Tendenz gilt für den zwar in‐ transparenten, jedoch prototypisch nicht-agentivischen Marker das. Hier wurde besonders für die niederländischen und vereinzelt auch russischen Sprecher deutlich, dass N1-Anteile in kanonischen Bedingungen sinken, sofern die satz‐ initiale NP das-markiert und unbelebt ist. Stellenweise zeichnen sich bei einem Vergleich von kanonischen und nicht-kanonischen Sätzen fast identische N1-Anteile bei das-markierten satzinitialen NP s ab (s. Kapitel 5.4). Die Form das wird somit als nicht-agentivisch eingeordnet und entsprechend verarbeitet. Diese Ergebnisse offenbaren, dass sich die getesteten Sprecher sehr stark mit einzelnen Formen und ihren Funktionen auseinandersetzen. Die Datenanalyse 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 242 <?page no="243"?> 6.3 legt nahe, dass die jeweiligen Formen spezifische Funktionen zugewiesen be‐ kommen. Diese Verknüpfung von Einzelform und prototypischer Funktion spie‐ gelt sich schließlich sowohl in der sprachlichen Entwicklung in der Produktion als auch bei der Gewichtung der Formen als mit der N1-Strategie koalierende und konkurrierende cues wider. Sprecher bilden die Dichotomie zwischen pro‐ totypisch agentivischen und nicht-agentivischen Rollen durch eine Formdicho‐ tomie ab. Diese bestimmt dann relativ stark, wie Sätze interpretiert werden. Die Parallelität in der sprachlichen Entwicklung und der Satzverarbeitung verweist auf einen übergreifenden systematischen und emergenten Prozess. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Parallelität, die in Hinblick auf die Systematik des Formgebrauchs für das De- und Enkodieren semantischer Relationen iden‐ tifiziert wurde, auch eine zeitliche Parallelität impliziert, kann angenommen werden, dass ein umfassendes Bild über Entwicklungsprozesse vor allem dann erfasst werden kann, wenn Sprachverarbeitung und Sprachproduktion als ei‐ nander ergänzende Bereiche betrachtet werden. Zu fragen ist dabei vor allem danach, wie genau sich beispielsweise das Hinzukommen spezifischer morpho‐ logischer Marker (wie den) auf die Verarbeitung von N>N-Sätzen und auf den Gebrauch variabler Satzmuster (insbesondere auf die Objekttopikalisierung) auswirkt. Die Gegenüberstellung empirischer Erkenntnisse zum natürlichen Erwerb und die Folgerungen, die aus der vorliegenden Verarbeitungsstudie ge‐ zogen wurden, zeigen, dass die Lernstrategien bei der Kennzeichnung seman‐ tischer Relationen systematischen Prinzipien folgen. Wie genau sie einander befruchten, bleibt offen. Zur Rolle der Erstsprache bei mehrsprachigen Kindern Was bisher deutlich wurde, ist die Relevanz des Ineinandergreifens größerer und kleinerer Form-Funktions-Paare, die bei der Erfassung von Satzverarbei‐ tungsstrategien deutlich machen, wovon die cue strength einzelner Probanden abhängig sein kann. Die Datenanalyse der experimentellen Studie hat neben der Erkenntnis, dass der Aufbau von Form-Funktions-Wissen systematischen Proz‐ essen (von groß zu klein) unterliegt, vor allem auch gezeigt, wie sich L1-spezi‐ fisches Wissen auf diesen Prozess auswirken kann. Dabei wurde mehrfach deut‐ lich, dass die in Kapitel 6.1 dargestellte Entwicklung einer phrasalen morpho-semantischen Konstruktion (s. Abbildung 29) nur für niederländisch- und monolingual deutschsprachige Probanden dokumentiert werden kann. Die russischen Sprecher scheinen diesen Schritt regelrecht zu überspringen. Obwohl auch sie die Konstruktionssemantik als solche als Satzinterpretationsgrundlage 6.3 Zur Rolle der Erstsprache bei mehrsprachigen Kindern 243 <?page no="244"?> nutzen, ist für sie der Informationsgehalt des satzinitialen morphologischen Markers entscheidender als für die anderen Probanden. Die niederländischen Sprecher tun sich im Vergleich dazu mit dem skizzierten Reduktionsprozess schwer. Das CM fasst diese Unterschiede als Resultat einer L1-abhängigen und deshalb divergierenden cue strength zusammen. Die Diskrepanz, die sich zwi‐ schen den beiden Gruppen ergibt, ist wiederum auf relativ fest verankerte Form-Funktions-Verknüpfungen zurückzuführen, die bereits in der jeweiligen L1 aufgebaut wurden. Zunächst kann aus konnektionistischer Sicht angenommen werden, dass bei niederländischen Sprechern die Verbindung zwischen der syntaktischen Kon‐ struktion N>N und dem von ihr prototypisch kodierten Handlungsschema be‐ dingt durch das Fehlen morphologischer Kasusmarker im Niederländischen be‐ sonders stark ist. Dies führt dazu, dass die in Abbildung 27 aufgezeigte Verbindung zwischen morphologischen Markern beziehungsweise phrasalen (kasusmarkierten) Konstruktionen gar nicht existiert. Bei der niederländischen Gruppe geht es damit nicht um eine Justierung existenter, sondern um den Neu‐ aufbau von Verknüpfungen. Die russischen Probanden können hingegen auf eine relativ starke Verbindung zwischen Kasusmarkern und spezifischen Rollen zurückgreifen. Allerdings reicht die Existenz dieses Form-Funktions-Wissens zunächst nicht aus. Schließlich kann ein Kasusmarker aus dem Russischen nicht eins zu eins auf das Deutsche übertragen werden. Die russischen Sprecher müssen im Deutschen deshalb auch eine neue Wissensebene aufbauen und zum Beispiel die Existenz von Determinierern als feste Bestandteile einer Nominal‐ gruppe kennenlernen und im Zuge dessen erkennen, dass gerade der Determi‐ nierer und nicht das Substantiv der wichtigste Informationsträger ist. Obwohl auch die russischen Sprecher damit zu Beginn des L2-Erwerbs neue Form-Funk‐ tions-Paare aufbauen müssen, gelingt ihnen dies schneller als den niederländi‐ schen Kindern. Die gruppenspezifischen Diskrepanzen sind generell ein Hin‐ weis darauf, dass die in der L1 existenten mappings in hohem Maße abstrakt und deshalb transferierbar sind. Der Grad der Abstraktion ist im Zuge der Ausführungen in Kapitel 6.1 in Hinblick auf die transitive Konstruktion bereits deutlich geworden. Die Kon‐ struktion als solche ist bedeutungstragend und kann nicht als Summe der ein‐ zelnen integrierten Bedeutungen betrachtet werden. Ähnliches muss auch für ein morphologisch basiertes cue-Wissen gelten. Es ist unwahrscheinlich, dass die russischen Sprecher eine Flexionsendung wie -u oder -i im Russischen mit Nicht-Agentivität verknüpfen. Wahrscheinlicher ist es, dass sie als Bestandteile von Lexemen gespeichert werden. Booij (2013: 256 ff.) schlägt dazu vor, Flexive als Teile einer größeren Wortkonstruktion zu betrachten. Sprecher könnten im 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 244 <?page no="245"?> 2 K steht für Konsonant, V für Vokal. Russischen über eine Konstruktion wie [[X-u] S U B S = [- AG E N S ]] verfügen, wobei ‚X‘ für ein beliebiges Lexem steht. Die Wortform ist inklusive des spezifischen Auslauts als substantivisch gespeichert. Diese Wortform kommt im Russischen zum Beispiel im Dativ Singular bei Maskulina und Neutra (brat-u D A T [Bruder D A T ] oder okn-u D A T [Fenster D A T ]) und im Akkusativ Singular bei Femi‐ nina (ženščin-u A K K [Frau A K K ]) vor. Für den Sprecher ist es dabei unerheblich, ob es sich bei dem Flexiv um einen Akkusativ- oder Dativmarker handelt. Die Ver‐ bindung zwischen einem als Substantiv klassifizierbaren Lexem und einem Aus‐ laut wie -u ist als Einheit ein Hinweis auf ein Nicht-Agens. Welche spezifische Rolle sich dahinter verbirgt, ist nicht relevant. Entscheidend ist für den Sprecher ausschließlich ein paradigmatisches Wissen und die Kenntnis, dass eine Wort‐ form wie [ KKVK ], 2 die sich beispielsweise in Lexemen wie stol ([Tisch]) oder brat ([Bruder]) wiederfindet, prototypisch agentivisch, eine Struktur wie [ KKVKV ] hingegen nicht-agentivisch ist. So kann - sehr vereinfacht formu‐ liert - eine erste Opposition des Typs [X-ø] [+A G E N T I V I S C H] vs. [X-u] [-A G E N T I V I S C H] entstehen. Die Wortkonstruktion, die mit Nicht-Agentivität verknüpft wird, kann ergänzt werden um weitere spezifische Muster wie [X-i] oder [X-a]. Das Sammeln dieser nicht-agentivischen Konstruktionen kann letztlich in einem größeren und deutlich abstrakteren Schema in Form von [X+] [-A G E N T I V I S C H] re‐ sultieren, wobei das ‚+‘ hier für jegliche Arten der Veränderung des Wortaus‐ lauts steht. Im Sinne des item-based-Lernens werden so zunächst spezifische kasusmarkierte Lexeme gesammelt, gebündelt und zu einer nicht-agentivischen Kategorie zusammengefasst. Der letzte Schritt besteht dann in der schemati‐ schen Abstraktion dieser Kategorie. Durch den Aufbau größerer paradigmatischer Muster kann dann in der L1 Russisch der in 6.1 angenommene Reduktionsprozess initiiert werden. Die Auf‐ merksamkeit des Sprechers liegt schließlich auf dem ‚Aussehen‘ des Wortaus‐ lauts, wobei letztlich nur noch zwischen den Kategorien [+ MAR KI E R T ] und [- MAR KI E R T ] differenziert werden muss. Dass [+ MAR KI E R T ] für Flexionsendungen 6.3 Zur Rolle der Erstsprache bei mehrsprachigen Kindern 245 <?page no="246"?> 3 Bei der Endung -a muss bedacht werden, dass diese bei einer Reihe von Lexemen auch eine Nominativmarkierung sein kann. So lauten die meisten Feminina (ženščin-a [Frau], ruk-a [Hand]) auf -a aus. Aus konstruktionsgrammatischer Sicht ist dann eine Form wie ruk-a F E M ; N O M kaum noch von einer Form wie stol-a M A S K ; G E N [Tisch M A S K ; G E N ] zu unterscheiden. Phonotaktisch sind beide Wortkonstruktionen identisch. Um so wich‐ tiger ist gerade an dieser Stelle das paradigmatische Wissen der Sprecher. Sie müssen also über ein entsprechend großes lexikalisches Repertoire verfügen, um zu erkennen, dass es zu ruka kein Pendant in Form des Lexems *ruk-ø gibt, zu stol-a hingegen schon (stol-ø). Die Lerner müssen bei einem Lexem auf -a also zwischen -a als Genusmarker und -a als obliquem Kasusmarker differenzieren können, was wiederum nur über ein entsprechendes Lexemwissen und über den Aufbau eines paradigmatischen Flexions‐ wissens möglich ist. Unklar ist, ob eine Wortkonstruktion des Typs [X-a] als agentivisch oder nicht-agentivisch eingestuft wird. Entsprechende Einblicke in Form von Kunst‐ worttests oder ähnlichem fehlen bisher. wie -u, -i, -e oder -a 3 steht, ist an dieser Stelle nicht von Belang, da das Zusam‐ menfügen all dieser Formen im vorherigen Schritt bereits vollzogen wurde. So wird ein relativ abstraktes Wissen über die Funktion der Wortveränderung im Allgemeinen aufgebaut. Wenn also bisher davon gesprochen wurde, dass die russischen Probanden über ein lokales cue-System verfügen, so heißt das kon‐ kret, dass sie wissen, dass eine Wortformveränderung für die Determination semantischer Relationen den höchsten Informationsgehalt mitbringt. Weiterhin wissen die russischen Sprecher, dass die entscheidenden Informationen am Wortende zu finden sind. Ganz nach dem von Slobin (1973: 191) formulierten Motto „Pay attention to the end of words“ wird die Rollendetermination im N>N-Satz damit nicht über die Satz-, sondern über die Wortkonstruktion und dabei über die Wortendung vollzogen. Wenn also von mapping-Transfer, um den es sich sowohl in der russischen als auch in der niederländischen Gruppe handelt, ausgegangen wird, so gilt für die russischen Probanden das Prinzip ‚Wortformveränderung = Rollenverände‐ rung‘. Ein lokales cue-System ist damit nichts anderes als das Wissen über die Funktion von Veränderungen der Wortendung. Anders als die niederländischen Sprecher wissen die russischen Probanden damit, dass Wortformen je nach Kontext ihre Gestalt verändern können. Dies ist zwar ein sehr abstrakter, jedoch entscheidender Wissensvorsprung. Die sehr reduzierte Nominalflexion im Nie‐ derländischen drängt die Wortform (beziehungsweise Wortkonstruktion) voll‐ ständig in den Hintergrund, für die russischen Sprecher gilt das Gegenteil. Durch diesen Wissensvorsprung lässt sich die Zweitsprache nach genau diesem Prinzip durchleuchten. Relativ früh erkennen die russischen Lerner, dass sich im Deut‐ schen Lexeme wie Mann, Auto oder Stadt nicht in Abhängigkeit von der ihnen zugewiesenen Rolle verändern. Ein paradigmatisches Wissen, was letztlich in die Differenzierung [+ / - MAR KI E R T ] mündet, lässt sich im Deutschen damit für 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 246 <?page no="247"?> Substantive nicht aufbauen. Stattdessen stellen die Lerner fest, dass sich der zum Substantiv gehörige Artikel verändern kann. Sobald diese Entdeckung gemacht ist, kann der oben skizzierte Abstraktionsprozess beginnen. Es werden zunächst Formen gesammelt, die eindeutig beziehungsweise tendenziell agentivisch sowie nicht-agentivisch sind. Die so entstehenden Formgruppen (das, die und der als agentivische sowie den und dem als nicht-agentivische Marker) können nach dem aus der L1 bekannten Prinzip kontrastiert werden. Dazu muss ein Teil der Formen zu einer Kategorie des Typs [- MAR KI E R T ] ge‐ bündelt werden und einer Kategorie des Typs [+ MAR KI E R T ] gegenübergestellt werden. An dieser Stelle findet sich zwischen dem Deutschen und Russischen ein entscheidender Unterschied. Im Russischen bedeutet die Bündelung von Wortformen zur Kategorie [+ MAR KI E R T ] ein ‚Mehr‘ an sprachlichem Material. In den obliquen Kasus werden prototypischerweise Flexive an das Substantiv an‐ gehängt. Für das Deutsche gilt das nicht. Hier verändert sich die gesamt Arti‐ kelform. Es gibt damit im Deutschen kein ‚Mehr‘ an sprachlichen Zeichen für die Kennzeichnung nicht-agentivischer Rollen. Wird der Artikel genau wie ein flektiertes Substantiv im Russischen als Kon‐ struktion verstanden, so muss für ihn das konstruktionsgrammatische Credo der ‚Einheit durch Vielheit‘ gelten. Bei einer Artikelform kann eine Wortendung wie -en und -em als Flexiv und der Anlaut dals Wortstamm verstanden werden. Die artikelspezifische Konstruktion wäre dann ein Schema des Typs [ D + E N ] [-A G E N T I V I S C H] , was einem Schema wie [ D + E R ] [+A G E N T I V I S C H] dichotom gegenüber‐ steht. Ob die Probanden die Artikel als Konstruktion im obigen Sinne abspei‐ chern oder ob der Artikel an sich als eine Art vorverlagerter Flexionsmarker eingeordnet wird, kann auf der Basis der durchgeführten Studie nicht beant‐ wortet werden. Wahrscheinlich ist jedoch die erstgenannte Variante. Basierend auf dem abstrakten L1-Wissen, dass die Wortform - oder genauer die Wortkonstruktion - als wichtigster Informationsträger zur Determination semantischer Relationen fungiert, müssen die Lerner zunächst zwischen proto‐ typisch agentivischen -r-Formen (das heißt der Artikelform der) als Repräsen‐ tanten der Kategorie [- MAR KI E R T ] und prototypisch nicht-agentivischen -n- und -m-Formen (das heißt den Artikelformen den und dem) als Vertreter der Kate‐ gorie [+ MAR KI E R T ] differenzieren. Das Wissen aus der L1 hilft ihnen dabei inso‐ fern, als sie über die Sensibilität für die Funktionalität von Wortformen gegen‐ über erstens ihre Aufmerksamkeit auf diese Wortformen lenken und zweitens darum bemüht sind, entsprechende Kategorien zu etablieren. Da das L1-spezifische Wissen maximal abstrakt ist (sowohl auf Satzals auch auf Wortkonstruktionsebene), kann überhaupt ein Wissenstransfer stattfinden und bei der Satzverarbeitung im Deutschen wirken. Besonders deutlich werden 6.3 Zur Rolle der Erstsprache bei mehrsprachigen Kindern 247 <?page no="248"?> der L1-spezifische Einfluss und die Unterschiede in den Verbindungsstärken durch die Tatsache, dass niederländische Probanden viel stärker an der Validität der Satzkonstruktion N>N festhalten als die russischen Lerner. Die di‐ vergierenden Form-Funktions-Paare der beiden mehrsprachigen Probanden‐ gruppen können in Form der Abbildung 30 zusammengefasst werden. Abbildung 30: L1-spezifische mental repräsentierte mappings Die Abbildung illustriert die Verfügbarkeit sowie die jeweilige (idealtypische) Verbindungsstärke zwischen Satz- und Wortkonstruktionen in den drei unter‐ suchten Sprachen. Wie beschrieben, ist für die russischen Sprecher die Verfüg‐ barkeit einer Wortform der Kategorie [+ MAR KI E R T ] entscheidend. Finden sie eine entsprechende Bedingung (zum Beispiel in Form des akkusativmarkierten Le‐ xems mužčin-u, so aktiviert die Wortform das Konzept der Nicht-Agentivität. Die Verbindungsstärke zwischen der Wortkonstruktion und der Kategorie ‚Nicht-Agens‘ sollte bei russischen Sprechern maximal stark sein. Ebenso akti‐ viert die Satzkonstruktion N>N einen zweiten Knoten, der eine SO -Interpreta‐ tion nahelegt. Die Verbindungsstärke ist im Gegensatz zum lokalen Wort‐ form-cue jedoch deutlich schwächer und setzt sich entsprechend auch nicht durch. Auch im Deutschen finden sich beide Verbindungsstellen. Der Unter‐ schied zum Russischen besteht darin, dass die Lokalität des informationsrele‐ vanten cues auf den Determinierer ausgelagert ist. In der Abbildung repräsen‐ tiert die angenommene Konstruktion [ D +], die für Formen wie den oder dem stehen kann, die Verfügbarkeit eines eindeutigen morphologischen cues. Wie im Russischen steht auch hier das ‚+‘ für die Kategorie [+ MAR KI E R T ]. Ein weiterer Unterschied zwischen dem Deutschen und Russischen besteht in der Gewich‐ tungsstärke der Satzkonstruktion. Diese ist im Deutschen stärker als im Russi‐ schen. Im Niederländischen existiert für die Satzinterpretation nur eine Verbin‐ 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 248 <?page no="249"?> 6.4 dungsstelle zwischen Form und Inhalt. Nur die Satzkonstruktion ist bedeutungstragend. Andere Elemente innerhalb der Konstruktion sind für die Determination semantischer Relationen irrelevant, sodass die Verbindung zwi‐ schen dem N>N-Schema und dem Handlungsschema [+ AG EN S ] > [- AG E N S ] hier maximal hoch ist. Die Abbildung bündelt sowohl die typologischen Gemeinsamkeiten und Un‐ terschiede zwischen dem Russischen, dem Deutschen und dem Niederländi‐ schen und zeigt zugleich, worin der forward transfer für die beiden mehrspra‐ chigen Gruppen besteht. Die primäre Gemeinsamkeit besteht in der Verfügbarkeit der Verbindung zwischen Satzkonstruktion und Konstruktions‐ semantik. Die L1-spezifischen mappings wirken sich dann darauf aus, wann und wie diese Verbindung geschwächt wird. Es ist dabei offensichtlich, dass die Übertragung bestehender Verknüpfungen zwischen Formen und Funktionen leichter gelingen kann als der vollständige Neuaufbau von Verknüpfungen. Die russischen Sprecher müssen schließlich ihr lokales cue-System erweitern und leicht abwandeln, die niederländischen Sprecher müssen mangels Verfügbarkeit bestehender Verbindungen ein neues System aufbauen. Verarbeitungsstrategien der monolingual deutschen Kinder - Versuch einer Methodenkritik Während die unterschiedlichen Herangehensweisen russischer und nie‐ derländischer Probanden an die Konfliktresolution in OS -Sätzen durch diver‐ gierende cue strengths, die wiederum an Validitätskriterien aus der jeweiligen L1 rückgebunden sind, geknüpft werden können, bleibt die durchschnittlich niedrige cue strength morphologischer Marker in der deutschen Vergleichs‐ gruppe eine Überraschung. Auch die Diskrepanzen zwischen monolingual deut‐ schen Kindern und Erwachsenen sind hoch. Lediglich bei den qualitativen Ana‐ lysen konnte gezeigt werden, dass die Verarbeitungsstrategien individuell sehr verschieden ausfallen können. Dabei finden sich in der Gruppe der deutschen Kinder durchaus einzelne Probanden, die die Sätze nach ‚erwachsenen‘ Prinzi‐ pien verarbeiten. Daneben konnte gezeigt werden, dass es viele Parallelen zwi‐ schen niederländischen und deutschen Kindern gibt, insbesondere bei der Re‐ lation von Kasusmarkern und Belebtheitsmerkmalen. Damit ergeben sich einige erklärungsbedürftige Charakteristika für die deutsche Gruppe. Die cue strength morphologischer Marker ist im Gegensatz zu bisherigen Studien mit deutlich jüngeren Kindern überraschend niedrig. Schließlich kommen sowohl Lindner (2003) als auch Schaner-Wolles (1989) zu dem Ergebnis, dass Kinder bereits im 6.4 Verarbeitungsstrategien der monolingual deutschen Kinder 249 <?page no="250"?> Alter von 5 Jahren in der Lage sind, morphologische cues zur Konfliktresolution zu nutzen. Bei Dittmar et al. (2008) wird dieser Wert auf 7; 3 Jahre nach oben korrigiert. Lidzba et al. (2013) kommen hingegen zu dem Fazit, dass monolin‐ guale 8-13-jährige Kinder zwar topikalisierte Sätze verstehen, bei den Aufga‐ benformaten der Studie (Testsätze ausagieren und Testsätze wiederholen) je‐ doch deutlich hinter den Ergebnissen von Jugendlichen zwischen 14-17 Jahren und Erwachsenen (18-25 Jahre) zurückbleiben. Lidzba et al. haben sowohl in‐ transparente OS -Sätze mit satzinitialem Femininum oder Neutrum (zum Bei‐ spiel Die Ziege schubst die Schafe) als auch transparente Bedingungen mit satz‐ initialem Maskulinum (zum Beispiel Den Ziegenbock schubst das Schaf) getestet. Die Bedingungen variierten dabei zusätzlich nach dem Merkmal der Sub‐ jekt-Verb-Kongruenz. In allen Testbedingungen schneiden die Kinder signifi‐ kant schlechter ab als Jugendliche und Erwachsene. Zwar sind die Abwei‐ chungen in den intransparenten Bedingungen im Vergleich zu den transparenten nochmal deutlich höher. Trotzdem unterlaufen den Kindern in beiden Aufgabentypen auch in der transparenten Bedingung auffallend viele Fehler. Die Ergebnisse meiner Studie stützen damit eher die Ergebnisse von Lidzba et al. (2013) als die der anderen Studien. Dass die Ergebnisse all dieser Arbeiten überhaupt so unterschiedlich ausfallen, kann unterschiedliche Gründe haben. Erstens kann der Faktor der individuellen Variabilität als Erklärung in Frage kommen, zweitens können methodische Fragen eine Rolle spielen, drittens ist das Ergebnis auch eine Frage der Interpretation dessen, ab welchem Prozentwert man überhaupt davon sprechen kann, dass OS -Sätze auf Basis von morpholo‐ gischen cues sicher verarbeitet werden. Bei genauerem Hinsehen können individuelle Schwankungen auch in den anderen Studien ausgemacht werden. Dies ist beispielsweise bei Lindner (2003) der Fall. Zu ihren Probanden gehören insgesamt acht Gruppen. Mit einem Ab‐ stand von jeweils einem Lebensjahr werden 2bis 6-jährige sowie 8- und 9-jäh‐ rige Kinder untersucht. Lindner kann für die 5-jährigen Probanden zeigen, dass sieben der untersuchten Kinder in Sätzen, die mit einer den- NP beginnen, die N1-Strategie präferieren und zu knapp 70 % N1 und damit die den-markierte Phrase als Agens auswählen. Fünf Kinder stufen die den-Phrase hingegen als nicht-agentivisch ein und entscheiden sich in knapp 90 % der Fälle gegen N1 als Agens. Denkbar für diese Spaltung sind sprachentwicklungsbedingte Unter‐ schiede zwischen den Sprechern. Diese wirken sich bei den von mir unter‐ suchten 9; 6-jährigen deutschen Probanden zumindest stellenweise auf eine Stärkung der morphologischen Strategie aus. Allerdings wurde deutlich, dass der Sprachstand nicht unbedingt zu einer qualitativen Veränderung von Verar‐ beitungsstrategien führt. Zu fragen ist hierbei, ob die Wahl des C-Tests als über‐ 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 250 <?page no="251"?> geordnetes Screeningverfahren dazu geeignet ist, die Probanden nach Diffe‐ renzen beim Sprachstand zu bündeln. Schließlich kann ein niedriger C-Testwert durch sehr unterschiedliche Faktoren zustande kommen. Das korrekte Aus‐ füllen der Testlücken erfordert nämlich nicht nur morphosyntaktisches, sondern auch orthographisches Wissen. Im Idealfall müssten für diese beiden Ebenen getrennte Werte ermittelt werden, damit eine saubere Gruppenbildung gelingt. Diese Unzulänglichkeiten bei der normierten Testauswertung sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es jenseits der Einstufung Probanden gibt, die eine exklusive oder dominante N1-Strategie verwenden. Wenn also der mit dem C-Test ermittelte Sprachstand kein Indikator dafür ist, wovon diese Stra‐ tegien abhängig sind, müssen gänzlich andere Faktoren in Betracht gezogen werden. Hierzu zählt unter Umständen der sozioökonomische Status, der sich nicht nur bei mehrsprachigen, sondern auch einsprachigen Kindern auf sprach‐ liche Kompetenzen auswirken kann. Unter Umständen könnte es eine Korrela‐ tion zwischen sozioökonomischem Status, sprachlicher Kompetenz und Verar‐ beitungsstrategie geben. Diese Korrelation kann natürlich auch für mehrsprachige Kinder relevant sein. Neben dem möglichen Kausalzusammenhang zwischen Sprachstand und der letztlichen cue strength morphologischer Marker kann auch die Testbedingung bestimmte Verarbeitungsstrategien stärken und andere schwächen. Am Beispiel von zwei Studien, die mit Kindern unterschiedlichen Alters durchgeführt wurden (vgl. Dittmar et al. 2008, Schaner-Wolles 1989), soll deshalb erörtert werden, ob und wie die Testmethodik die Testergebnisse beeinflussen kann. Dittmar et al. (2008) zeigen anhand von kanonischen und nicht-kanonischen N>N-Sätzen, dass Probanden mit 7; 3 Jahren in 70 % der Fälle in der Lage sind, in einem Satz wie Den Tiger wieft der Bär das N>N-Schema als OS -Satz einzu‐ stufen. Die Konzeption des Testdesigns weist jedoch zwei Spezifika auf, die sich von meinem Testdesign unterscheiden. Erstens sind in den N>N-Sätzen von Dittmar et al. beide nominalen Konstituenten belebt. Der Belebtheits-cue ist durch diese Neutralisierung (bewusst) nicht verfügbar. Weitaus bedeutsamer ist jedoch die Tatsache, dass die Testsätz schwache Maskulina des Typs den Löwe-n, den Hase-n sowie den Elefante-n enthalten. Daneben werden auch starke Maskulina (den Hund, den Tiger), die im Akkusativ kein substantivisches Flexiv enthalten, im Testdesign berücksichtigt. Sätze wie Den Hasen tammt der Frosch sowie Den Tiger wieft der Bär wurden von den Probanden zu in etwa gleichen Anteilen bearbeitet. Das Nebeneinander dieser beiden Flexionstypen ist nicht zwangsweise problematisch. Jedoch kann angenommen werden, dass die zu‐ sätzliche Markierung am Substantiv einen zusätzlichen cue darstellt. Begründen lässt sich dies durch die Überlegungen zur cue cost im Deutschen. Anders als in 6.4 Verarbeitungsstrategien der monolingual deutschen Kinder 251 <?page no="252"?> vielen anderen flektierenden Sprachen findet sich im Deutschen die morpholo‐ gische Information nicht am Substantiv selbst, sondern ist auf den Artikel in der NP ausgelagert. Wie in Kapitel 3.1 angenommen, sind lokale cues im Deutschen deshalb ‚weniger lokal‘. Wenn eine NP in Testsätzen wie den Hase-n doppelt markiert ist, kann von einem doppelten cue gesprochen werden. Die Verfüg‐ barkeit von zwei einander verstärkenden cues kann dazu führen, dass Sprecher besonders in diesen Bedingungen von der N1-Strategie abweichen. Leider wird dieser Umstand von den Autoren nicht weiter beleuchtet, sodass der angenom‐ mene Effekt des doppelten morphologischen cues als Hypothese verstanden werden muss. Ein ähnlicher Doppel-cue kann für die Studie von Schaner-Wolles (1989) an‐ genommen werden. Sie überprüft mit 3-, 4- und 5-jährigen Kindern, ob die für das Deutsche häufig postulierte Dominanz der N1-Strategie tatsächlich zutref‐ fend ist. Dazu bearbeiteten die Probanden unter anderem OS -Sätze, die satzini‐ tiale NP s des Typs den Vater sowie dem Mädchen oder das A K K Mädchen ent‐ hielten. Als Methode wurde ein picture-choice-Test ausgewählt. Schaner-Wolles kommt zu dem Ergebnis, dass die fünfjährigen Probanden in den transparenten Bedingungen zu 80-90 % die korrekte zweite NP als Agens wählen. Mit über‐ wältigender Mehrheit entscheiden sich die Probanden also deutlich gegen die N1-Strategie und für morphologische cues. Lediglich bei intransparenten Mar‐ kern (zum Beispiel Das Mädchen zwickt der Bub) liegt der N1-Anteil bei den ältesten Probanden bei 50 %. Schaner-Wolles‘ Ergebnisse scheinen einen di‐ rekten Widerspruch zu der Studie von Dittmar et al. (2008) sowie zu der von mir durchgeführten Studie darzustellen. Jedoch hatten die Probanden in Schaner-Wolles‘ Studie neben dem auditiven Satzimpuls bedingt durch das pic‐ ture-choice-Verfahren einen zusätzlichen visuellen cue, an dem sie sich orien‐ tieren konnten. Dass so quasi ein Doppel-cue entsteht und die Satzverarbeitung beeinflusst, vermutet auch Lindner (vgl. 2003: 243). Sowohl bei Dittmar et al. als auch bei Schaner-Wolles wurden den Probanden die Testsätze wiederum auditiv präsentiert. Dies ist ein essentieller Unterschied zu meinem Design, in dem die Sätze schriftlich dargeboten wurden. Obwohl sowohl Dittmar et al. als auch Schaner-Wolles zweifelsohne die Relevanz prosodischer cues für die Satzverar‐ beitung berücksichtigt haben, kann bei einer auditiven Präsentation nie voll‐ ständig ausgeschlossen werden, dass die Versuchsleitung koalierende prosodi‐ sche cues verwendet, die die Identifikation einer nicht-kanonischen Struktur erleichtern. In meinem Design wurde genau deshalb die schriftliche Testvariante verwendet, damit Prosodie nicht mit den im Fokus stehenden cues interferiert. Durch die Dekontextualisierung der Testsätze sowie die Loslösung von proso‐ dischen Merkmalen, fallen wichtige cue-Koalitionen weg, die im natürlichen 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 252 <?page no="253"?> Sprachgebrauch immer verfügbar sind. Die Isolation der cues Satzschema, Ka‐ susmarker und Belebtheit kann schließlich dazu führen, dass spezifische Verar‐ beitungsstrategien stärker zum Tragen kommen als andere. Mein Design enthielt neben der schriftlichen Testsatzpräsentation ein wei‐ teres Charakteristikum, das die N1-Strategie verstärken könnte. Die Testsätze erschienen zunächst vollständig auf dem Computerbildschirm, bevor sie bedingt durch das Timeout oder durch einen entsprechenden Tastendruck seitens der Probanden verschwanden und durch die Testfrage sowie zwei Antwortoptionen substituiert wurden. Die Antwortoptionen enthielten die im Satz verfügbaren morphologischen Marker nicht mehr. Das Tilgen der kasusmarkierten Artikel war eine bewusste Entscheidung. Durch das Isolieren der fokussierten Konsti‐ tuenten sollte explizit vermieden werden, dass die Probanden ihre Entscheidung auf der Basis einer isolierten NP wie den Mann treffen. Stattdessen erschienen auf dem Computerbildschirm zwei nackte NP s wie Mann oder Mädchen. Durch das Wegfallen des Artikels als Funktionsträger wurde überprüft, ob die vorher‐ gehenden morphologischen Informationen im Testsatz stark genug waren, um über das Lesen des Satzes memoriert zu werden. Durch das Nebeneinander von zwei Substantiven könnte N1 als Antwortwahl favorisiert werden. Dass jedoch nicht das Testdesign allein für die stark ausge‐ prägte syntaktische Strategie bei ca. der Hälfte der monolingual deutschen Kin‐ dern entscheidend ist, wird allen voran durch die Kontrastierung der drei Spre‐ chergruppen sowie durch die herausgearbeitete Systematik, mit der die einzelnen Probanden semantische Relationen determinieren, deutlich. Wenn sich nämlich die Probanden aufgrund der Konzeption des Testdesigns faktisch nicht mehr zwischen den Mann und das Mädchen, sondern nur noch zwischen Mann und Mädchen entscheiden und die Kasusmarkierung dadurch ‚vergessen‘ würden, müsste dies dazu führen, dass gruppenübergreifend das jeweils erst‐ genannte Lexem (in diesem Fall Mann) als Agens gewählt wird. Besonders deut‐ lich wird die Relevanz der Kasusmarker jedoch in Fällen wie den Mann und dem Mann. Erstere werden eher als agentivisch, letztere als nicht-agentivisch verar‐ beitet, obwohl in beiden Fällen das Lexem Mann unverändert bleibt. Die unter‐ schiedliche Verarbeitung solcher sowie weiterer Fälle ist damit nicht auf das Lexem als solches zurückzuführen, sondern auf die Interaktion zwischen dem Kasusmarker und der Belebtheit des Lexems. Wenn die Probanden bedingt durch die Testmethodik die Kasusmarkierung nicht berücksichtigen würden, dürften sich diese formspezifischen Differenzen nicht ergeben. Gleiches gilt für die gruppeninterne Typisierung, die in Kapitel 5.4 vorgenommen wurde. Auch hier zeigen sich sehr systematische typenspezifische Charakteristika, die jenseits eines methodischen Effekts greifen. 6.4 Verarbeitungsstrategien der monolingual deutschen Kinder 253 <?page no="254"?> Zuletzt lässt sich kritisch hinterfragen, ab wann man überhaupt davon spre‐ chen kann, dass eine dominante N1-Strategie im Deutschen aufgegeben wird. In der Studie von Dittmar et al. (2008) machen fehlerhafte Satzinterpretationen auch bei den 7-jährigen Probanden immerhin noch ein Drittel der Fälle aus. Stellt man diese Werte den Ergebnissen der Erwachsenen meiner Studie gegenüber, ergibt sich immer noch eine Differenz von fast 20 % (zur Erinnerung: Der N1-Anteil beläuft sich bei den Erwachsenen in transparenten OS -Sätzen auf knapp 10 %). Betrachtet man dieses Ergebnis als Richtwert, muss gefragt werden, was Werte, die darüber liegen, eigentlich genau aussagen. Zieht man hierzu die Typisierung der monolingual deutschen Probanden in Kapitel 5.4 hinzu, so lässt sich der linear abfallende N1-Anteil als eine schrittweise Anpassung an eine cue strength der Erwachsenen betrachten, die nach systematischen Prinzipien zu verlaufen scheint. Alle Werte, die über den Spitzenzahlen der Erwachsenen sowie der Typ D-Sprecher liegen, sollten so verstanden werden, dass im Prinzip zwei Strategien (syntaktisch vs. morphologisch) nach wie vor miteinander kon‐ kurrieren. Es ist ratsam, den Übergang von einer N1zu einer morphologischen Strategie als graduell und nicht als abrupt zu verstehen. Entsprechend lassen sich auch die Ergebnisse von Dittmar et al. (2008) einordnen. Morphologische cues haben bei den Probanden dieser Studien eben noch nicht eine absolute cue strength; vielmehr haben sie sich bereits stark an den morphologischen Verar‐ beitungspol angenähert. Vollständig erreicht haben sie ihn noch nicht. Die (individuell bedingte) hohe cue strength der N1-Strategie in der deutschen Gruppe kann letztlich vor dem Hintergrund der vorhergehenden Diskussion nicht auf einen einzigen Faktor, sondern vermutlich auf ein Zusammenspiel unterschiedlicher Einflussvariablen zurückgeführt werden. Dazu können der sozioökonomische Status und damit zusammenhängende Sprachkompetenzen, das Fehlen von zusätzlichen cues (Prosodie, Bilderauswahl) sowie die Testme‐ thodik als solche gehören. Ihr Zusammenspiel könnte dazu führen, dass mono‐ lingual deutsche Kinder im Alter von 9; 7 in der Testbedingung auf die bekannte und bewährte N1-Strategie zurückgreifen. Dies sagt nichts darüber aus, wie die Leistungen in der Produktion sind. Sehr wahrscheinlich ist hier eine Diskrepanz zwischen dem Gebrauch von Kasusmarkern in der Produktion und ihrer Ge‐ wichtung bei der Satzverarbeitung. Nicht zuletzt muss die hohe individuelle Variabilität im Auge behalten werden. Denn grade diese zeigt, dass die cue strength auch bei monolingualen Kinder sehr stark variieren kann. 6 cue strength im Kontrast: Ergebnisdiskussion und Methodenkritik 254 <?page no="255"?> 7 Ausblick Ziel der Studie war es zu klären, an welchen grammatischen und semantischen Informationen sich mehr- und einsprachige Kinder im Deutschen orientieren, um semantische Relationen in transitiven Aussagesätzen zu bestimmen. Gefragt wurde insbesondere danach, ob sich typologisch divergierende Ausgangsspra‐ chen auf die Nutzung und die Gewichtung von cues auswirken und ob sich eine schrittweise sprachentwicklungsbedingte cue strength-Modifikation aufzeigen lässt. Es wurde deutlich, dass sich bei den mehrsprachigen Kindern die Form-Funktions-mappings aus den Erstsprachen Russisch und Niederländisch auf die Gewichtung und die Durchsetzungskraft der grammatischen (syntakti‐ sche Konstruktion N>N sowie Kasusmarker) und semantischen cues (Belebtheit) auswirken. In Hinblick auf vorhandene Erkenntnisse im Kontext des Competi‐ tion Models kann somit bestätigt werden, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder über gefestigte L1-spezifische Form-Funktions-Verknüpfungen verfügen und dass auch im fortgeschrittenen L2-Erwerb noch forward transfer-Effekte zu finden sind. Die Studie konnte einige wichtige Fragen, die sich besonders auf den Funk‐ tionsgehalt einzelner Formen im Kasusparadigma beziehen, beantworten. Ei‐ niges bleibt jedoch offen. Zugleich haben sich im Zuge der Analyse auch neue Fragen ergeben. So wurde insbesondere durch die qualitativen Analysen deut‐ lich, dass alle Verarbeitungsstrategien in nahezu jeder Sprechergruppe vertreten sind. Jenseits der jeweiligen L1-spezifischen Form-Funktions-Verknüpfungen scheinen damit auch andere Faktoren die Gewichtung grammatischer und se‐ mantischer cues zu steuern. Möglich sind dabei der Einfluss des sozioökonomi‐ schen Status, aber auch andere individuelle Voraussetzungen, die die Sprecher mitbringen (vgl. dazu Vainikka / Young-Scholten 2011). Die Einflussfaktoren Erstsprache, Sprachstand und zweitsprachliches System geben nur einen Au‐ schnitt aus einem komplexen Ineinadergreifen unterschiedlicher Faktoren wieder. Es gilt, an dieser Stelle anzusetzen und weitere sprecher- und sprach‐ systemspezifische Variablen aufzufinden, von denen die Tendenz zu der einen oder anderen Strategie abhängig ist. Eine weitere Anschlussfrage, die sich aus den Ergebnissen ergibt, ist, ob die aufgeführten emergenten Zwischenstufen (von der syntaktischen Konstruktion zu lokalen Kasusmarkern) auch tatsächlich von einzelnen Sprechern durch‐ <?page no="256"?> laufen werden. Die Unterteilung der Probanden in Hinblick auf ihren Sprach‐ stand sowie ihre Einordnung in Verarbeitungstypen wurde als Querschnitts‐ analyse angelegt. Zwar weisen in dieser Hinsicht die quantitativen sowie qualitativen Befunde gleichermaßen auf die Existenz der identifizierten Se‐ quenzen hin und offenbaren darüber hinaus auch gruppenspezifische Diffe‐ renzen. Allerdings bedarf es zur abschließenden Verifikation der Stufen longi‐ tudinaler Studien, die zeigen können, ob tatsächlich auch jeder Sprecher die angenommenen Sequenzen durchläuft. Entsprechende Studien müssen dazu deutlich früher im Erwerb ansetzen als es die vorliegende getan hat. Womöglich könnte so auch gezeigt werden, dass die Belebtheit in ihrer Funktion als Tür‐ öffner für die Nutzung morphologischer cues zur Konfliktresolution nicht nur für niederländische, sondern auch für russische Sprecher relevant ist. Ein erwerbstheoretisches Desiderat ergibt sich aus der Relation zwischen cues in der Rezeption und Produktion. Durch die Gegenüberstellung der sich syste‐ matisch verändernden cue strength von einer N1zu einer morphologischen Verarbeitungsstrategie sowie einem entsprechenden sequentiellen Auftauchen im natürlichen Gebrauch wurde auf einige Parallelen zwischen diesen beiden Ebenen verwiesen. In beiden Bereichen zeichnet sich eine Dominanz der syn‐ taktischen Konstruktion ab, die von Kasusmarkern abgelöst wird. In beiden Be‐ reichen stehen Syntax und Morphologie aus funktionaler Sicht damit in einem hierarchischen Spannungsverhältnis. Unklar bleibt, wie genau diese Ebenen aufeinander einwirken und zum Verwerfen existenter und dem Aufbau neuer Hypothesen über das Funktionieren des sprachlichen Systems führen. Ebenso ist nicht klar, ob und wie sich die Stärkung morphologischer cues auf den Ge‐ brauch variabler Satztypen auswirken kann. In der Satzverarbeitung führt die Stärkung morphologischer cues zur Umgewichtung der ursprünglichen Hierar‐ chie Syntax > Morphologie. Ob diese Umgewichtung auch im natürlichen Ge‐ brauch stattfindet (zum Beispiel in Form von einer häufigeren Verwendung ob‐ jekttopikalisierter Sätze), bleibt offen. Die vorliegende Studie hat versucht, einen kognitiv-funktionalen Blick auf die Rezpetion von Satzkonstruktionen und einzelnen Artikelformen als Funk‐ tionsträger für semantische Relationen in den Fokus zu rücken. Es wäre wün‐ schenswert, wenn sich auch Sprachproduktionsstudien stärker in einem ent‐ sprechenden theoretischen Spektrum verorten würden. 7 Ausblick 256 <?page no="257"?> Literatur Abraham, W. ( 3 2013): Deutsche Syntax im Sprachenvergleich. Grundlegung einer typologi‐ schen Syntax des Deutschen. Tübingen: Stauffenburg Verlag. Aissen, J. (2003): „Differential object marking: Iconicity vs. economy“. In: Natural Lang‐ uage and Linguistic Theory 21, 435-483. Allen, C. L. (2006): „Case syncretism and word order change“. In: van Kemenade, A. & Los, B. (Hg.): The handbook of the history of English. 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Literatur 279 <?page no="281"?> Anhang <?page no="282"?> 282 Anhang I.1 Testsätze des Typs SVO ohne transparenten morphologischen cue (= ohne maskuline NP) <?page no="283"?> Anhang 283 I.2 Testsätze des Typs SVO mit eindeutigem morphologischen cue (= mit maskuliner NP als N1) <?page no="284"?> 284 Anhang I.3 Testsätze des Typs SVO mit transparentem morphologischen cue (= mit overter Kasusmarkierung bei N2) <?page no="285"?> Anhang 285 I.4 Testsätze des Typs OVS mit transparenter N1 (= den oder dem) <?page no="286"?> 286 Anhang I.5 Testsätze des Typs OVS mit halbtransparenter N1 (= der DAT ) <?page no="287"?> I.6 Testsätze des Typs OVS mit intransparenter N1 (= das AKK oder die AKK ) Anhang 287 <?page no="288"?> Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie Kinder mit unterschiedlichen Herkunftssprachen (Russisch, Niederländisch) im Vergleich zu einsprachig aufwachsenden deutschsprachigen Kindern semantische Rollenrelationen im Satz bestimmen. Im Fokus steht die Frage, welchen Stellenwert die Abfolge nominaler Konstituenten, einzelne Kasusmarker sowie die Belebtheit als cues für die Bestimmung semantischer Rollen einnehmen. Die ermittelten Interpretationsstrategien werden im Sinne eines sprachentwicklungssequentiellen Ansatzes diskutiert. 37 37 LD 37 Language Development ISBN 978-3-8233-8079-5 Gamper Satzinterpretationsstrategien Jana Gamper Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen Language Development