eBooks

Üben und Übungen beim Fremdsprachenlernen

Perspektiven und Konzepte für Unterricht und Forschung. Arbeitspapiere der 36. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts

0912
2016
978-3-8233-9091-6
Gunter Narr Verlag 
Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer
Frank G. Königs
Prof. Dr. Claudia Riemer
Lars Schmelter

Üben und Übungen im Fremdsprachenunterricht stehen heute in einem Spannungsfeld, das weit über die vor einigen Jahrzehnten formulierte Dichotomie des pattern drill und der offenen Lernaufgabe hinausreicht. Konzepte zum Üben haben sich hin zu neuen Übungstypologien geöffnet, die viele verschiedene Medien nutzen können, auch hin zu einem selbstständigeren Lernenden, der mitbestimmt, was wann geübt wird, und den individuellen Lernerfolg erkennen kann. Die 24 Beiträge des vorliegenden Bandes behandeln grundsätzliche, aber auch speziellere Aspekte des Themas ,Üben im Fremdsprachenunterricht' und skizzieren Perspektiven für Unterricht und Forschung.

<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Eva Burwitz-Melzer/ Frank G. Königs/ Claudia Riemer/ Lars Schmelter (Hrsg.) Üben und Übungen beim Fremdsprachenlernen Perspektiven und Konzepte für Unterricht und Forschung <?page no="1"?> Üben und Übungen beim Fremdsprachenlernen <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Eva Burwitz-Melzer/ Frank G. Königs/ Claudia Riemer/ Lars Schmelter (Hrsg.) Üben und Übungen beim Fremdsprachenlernen Perspektiven und Konzepte für Unterricht und Forschung Arbeitspapiere der 36. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts <?page no="4"?> Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8091-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 Marcus Bär: Vom Üben als notwendigem Übel zum funktionalen und intelligten Üben 9 Gabriele Blell: Üben im Fremdsprachenunterricht: „Wenn das Üben unmerklich in den Unterricht integriert werden kann, so könnte es weiter bestehen …“ 19 Eva Burwitz-Melzer: Üben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht: Ein Plädoyer für einen weiteren Übungsbegriff 30 Daniela Caspari: Eine oder mehrere Kompetenzen schulen? Oder: Zum Stellenwert des Übens in komplexen Lernaufgaben 40 Bärbel Diehr: Wissen, Können, Handeln: Die Rolle des Übens beim Erwerb pragmatischer Fähigkeiten im Fremdsprachenunterricht 50 Hermann Funk: Was heißt Time on task? Oder: Warum übt man ausgerechnet im Fremdsprachenunterricht oft nicht das, was man am Ende können soll? 62 Claus Gnutzmann: Üben bedeutet Lernen - auch im Fremdsprachenunterricht! 77 Andreas Grünewald: Üben und Übungen im Fremdsprachenunterricht 84 Wolfgang Hallet: Einübung 93 Karin Kleppin: Üben und Trainieren mit und ohne Hilfestellung 102 Frank G. Königs: Übung macht den Meister - aber Üben will gelernt sein! Oder doch nicht? Anmerkungen zum Üben und zur Rolle des Übens im Fremdsprachenunterricht. 111 Jürgen Kurtz: Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts an schulischen Bildungseinrichtungen 118 <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis 6 Lutz Küster: Die Rehabilitation des Übungsbegriffs in der Fremdsprachendidaktik - Zeichen einer neokonservativen Wende? 130 Hélène Martinez: „Öffnen Sie das Buch auf der Seite 31 und machen Sie die Übungen 3 und 4! “ - Zur Frage der (Ir-)Relevanz von Übungen im Fremdsprachenunterricht 140 Grit Mehlhorn: Üben im Fremd- und Herkunftssprachenunterricht 152 Claudia Riemer: Übung(en) im Fremdsprachenunterricht - Perspektiven der Fremdsprachenerwerbsforschung 162 Dietmar Rösler: Etüde für Übungsforscher 172 Jutta Rymarczyk: Üben im Fremdsprachenunterricht 181 Lars Schmelter: „Lerne Sprachen, übe sie! Das erspart Dir Zeit und Müh.“ - Zugriffe auf das Üben beim Lernen von Fremdsprachen aus der Perspektive des handelnden Subjekts 191 Torben Schmidt: Chocolate-covered Drill & Practice? Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens in Fremdsprachenlern-Apps 200 Carola Surkamp: Üben im fremdsprachlichen Literaturunterricht? Überlegungen zu einer vernachlässigten Frage - mit einem besonderen Fokus auf Handlungsorientierung 211 Karin Vogt: Individualisiertes Üben im Fremdsprachenunterricht 221 Helmut Johannes Vollmer: Üben - Übte - Geübt: Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe? 229 Nicola Würffel: Vor-Während-Nach: Vom Sinn und Unsinn komplexer und weniger komplexer Übungstypologien 240 Adressen der Beiträger und Herausgeber 251 Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 255 <?page no="7"?> Vorwort Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Üben, dem Übungsbegriff und Übungsformen im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen fremder Sprachen ist in den letzten Jahrzehnten aus dem Blickfeld der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik geraten. Die starke Konzentration auf Aufgabenorientierung und standardbzw. kompetenzorientiertes Lehren und Lernen schien mit einem ursprünglich eher kleinschrittig angelegten, auf stark gesteuertes sprachliches Lernen fokussierenden Übungsbegriff wenig vereinbar. Dabei sind jedoch die Grenzen zwischen Üben, Aufgaben und Kompetenzförderung bzw. -erwerb nicht scharf gezogen, es herrscht vielmehr eine enge Beziehung zwischen den Begriffen, die es neu auszuloten und, wenn möglich, genauer zu definieren gilt. Üben steht heute in einem Spannungsfeld, das weit über die vor einigen Jahrzehnten formulierte Dichotomie des pattern drill und der offenen Lernaufgabe hinausreicht. Konzepte zum Üben haben sich tatsächlich geöffnet, hin zu neuen Übungstypologien, die viele verschiedene Medien nutzen können, auch hin zu einem selbstständigeren Lernenden, der mitbestimmt, was wann geübt wird und den individuellen Lernerfolg erkennen kann. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse haben inzwischen die fremdsprachendidaktische Diskussion über das Üben bereichert, indem sie neue Perspektiven auf die Lernprozesse selbst sowie auf die Nachhaltigkeit des Lernens eröffnet haben. Innovative Ansätze werden gewagt in Hinblick auf eine Erweiterung des tradierten, auf rein sprachliche Prozesse angelegten Übungsbegriffs hin zu umfassenderen Übungsformen, die auch komplexere Lernprozesse bis hin zu einer Förderung von Teilkompetenzen in den Blick nehmen. Aber Sprachlehrforschung wie Fremdsprachendidaktik wissen immer noch zu wenig über das Üben, seine unterrichtlichen Bedingungen, seine Stellung in einem mehrsprachigen Curriculum und seine Effektivität. Grundsätzliche wie auch speziellere Fragen zu diesem Thema bedürfen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einer fremdsprachendidaktischen Forschung, die das Üben und den Übungsbegriff neu einordnen in eine aktuelle mehrsprachige Lehr-/ Lernsitu ation. Die 36. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, die vom 18. bis zum 20. Februar 2016 in der Tagungsstätte der Justus- Liebig-Universität Gießen, Schloss Rauischholzhausen, stattfand, hatte diese Thematik zum Thema. Dem üblichen Vorgehen gemäß hatten alle TeilnehmerInnen vorab vier Leitfragen bekommen, zu denen sie schriftlich auf 8 bis 10 Seiten Stellung beziehen sollten. - <?page no="8"?> Vorwort 8 1. Von welchem Übungsbegriff gehen Sie aus? Welche Abgrenzungen und Ausdifferenzierungen sind Ihrer Meinung nach mit Blick auf didaktische und forschungsmethodische Operationalisierungen nötig? 2. Welche Auswirkungen haben Ihrer Meinung nach aktuelle Entwicklungen wie u.a. die Aufgaben- und Kompetenzorientierung sowie Forschungsergebnisse auf die Rolle sowie die Bedeutung, die dem Üben im heutigen Lehr-Lerngefüge zugesprochen wird? 3. Welche methodischen und didaktischen Chancen schreiben Sie dem Üben zu, wo sehen Sie besondere Herausforderungen beim Üben für Lehrende und Lernende im heutigen Fremdsprachenunterricht? 4. Welche Forschungsansätze in Ihrer eigenen Arbeit oder in der aktuellen Forschungslandschaft halten Sie für besonders bedeutsam und fruchtbar in Hinblick auf einen Erkenntnisgewinn über das Üben und seine Resultate? Die schriftlichen Statements dienten als Grundlage für die Vorbereitung der Diskussion während der Konferenz. Im Anschluss wurden die Statements überarbeitet und werden mit diesem Band vorgestellt. Sie stellen die Vielfalt und die Überschneidungen der Meinungen zum Thema „Üben“ vor und beleuchten anschaulich die Perspektiven aus den unterschiedlichen Fachrichtungen. Insgesamt wird deutlich, dass das heute oft unterschätzte Thema eine nach wie vor große Bedeutung für die Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung besitzt, die in Forschung und Lehre einen breiteren Anspruch für sich geltend machen kann. VeranstalterInnen und TeilnehmerInnen der Frühjahrskonferenz danken dem Präsidenten der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie den Verantwortlichen vor Ort sehr herzlich für die erneut gewährte Gastfreundschaft, die eine wichtige Rahmenbedingung für die Tagung geboten hat. Großer Dank gilt auch Dr. David Gerlach und Victoria Storozenko vom Institut für Schulpädagogik der Philipps-Universität Marburg für die sorgfältige Einrichtung des Manuskripts. Gießen, Marburg, Bielefeld und Wuppertal, im Sommer 2016 Eva Burwitz-Melzer Frank G. Königs Claudia Riemer Lars Schmelter <?page no="9"?> Vom Üben als notwendigem Übel zum funktionalen und intelligenten Üben Marcus Bär 1 Übungsbegriff Wie mehrere Autoren übereinstimmend betonen, gehört das Üben seit jeher zu den unerlässlichen Tätigkeiten im (Fremdsprachen-)Unterricht bzw. zu den unabdingbaren Bestandteilen beim Erlernen einer Fremdsprache (vgl. u.a. De Florio-Hansen 2007, 6; Kieweg 2014, 2; Klippel 2010, 315; Siebold 2007, 64). Im gleichen Atemzug wird verdeutlicht, dass das Üben zugleich - ganz allgemein - „eher zu den lustlos angegangenen Erfordernissen des schulischen Lernens gerechnet“ wird und somit oftmals „als notwendiges Übel betrachtet“ wird (Heymann 2005, 7). Die Unbeliebtheit des Übens sieht Heymann (1998, 9) als „ein Charakteristikum unserer üblichen Lehr-Lern- Kultur und der mit ihr verknüpften Wertungen“ und führt diese vor allem auf ein eintöniges und mechanisches Vorgehen (drill) zurück, das eine kreative Entfaltung verhindere und die Langeweile fördere (vgl. ebda, 7). In Bezug auf den Fremdsprachenunterricht sind es vorrangig die ‚Nachwehen‘ der Audiolingualen Methode - Thaler (2012, 124) spricht in diesem Zusammenhang von „marionettenhafter Wiederholung“ -, die zu den in der Schüler- (und Lehrer-)schaft verbreiteten negativen Vorstellungen von Übungen geführt haben. Assoziiert werden häufig Übungsabläufe, die mehr oder weniger gedankenlos zu erledigen sind, um die eigene Leistung zu steigern, wenngleich ein solches unreflektiertes und rein mechanistisches Vorgehen eben nicht dazu führt, eine bestimmte Tätigkeit nach einer gewissen Zeit zu perfektionieren bzw. zu automatisieren. Beliebt sind in diesem Rahmen oftmals Vergleiche zu Sportlern oder Musikern, die über Jahre hinweg Bewegungsabläufe bzw. Tonfolgen trainieren/ üben (müssen), um diese zu vervollkommnen. Auch Fremdsprachenlernende müssen das Erlernen einer Sprache bzw. das Sprachenlernen (im Sinne eines Lernens des Lernens) stetig üben, allerdings unter deutlich anderen Vorzeichen, als dies beim Sporttraining bzw. beim Musiküben der Fall ist (Zeit, Bewusstmachung, individuelle Rückmeldung, …). Im Unterschied zu einem immersiven Sprachbad im Zielsprachenland steht dem schulischen Fremdsprachenunterricht nur verhältnismäßig wenig <?page no="10"?> Marcus Bär 10 Zeit zur Verfügung (z.B. beim neu einsetzenden Spanischunterricht ab Klasse 10 oder 11), um das allgemeine Ziel einer freien Sprachverwendung in der Zielsprache zu erreichen. 1 Unter dem Begriff ‚Übung‘ verstehe ich daher sämtliche Aktivitäten, die einem Lernenden helfen, ein sprachliches, inhaltlich-kommunikatives oder methodisches ‚Problem‘ (Aufgabe) zu lösen; Übungen werden intentional mit dem Ziel eingesetzt, die erforderlichen sprachlichen Mittel, Fertigkeiten und Strategien auszubilden, sodass die Lernenden in den situativen Kontexten, in denen sie sie benötigen, möglichst automatisch über sie verfügen können. Ich folge somit einem weiten Übungsbegriff. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang noch die Differenzierung zwischen den Begriffen ‚Übung‘ und ‚Üben‘, zumal eine als ‚gut‘ erachtete Übung nicht automatisch zu einem intelligenten Üben führt (siehe hierzu Königs in diesem Band). Übungen gehören zu den zentralen Elementen eines jeden Fremdsprachenunterrichts und sollten auch in einem aufgabenorientierten Lernarrange- Eine freie und vor allem flüssige Verwendung der Zielsprache (fluency) ist aber nur möglich, wenn sowohl sprachliche Mittel (Wortschatz, Aussprache, …) als auch einzelne Fertigkeiten (Hören, Sprechen, …) sowie methodische Kenntnisse (Konsolidierungsstrategien, Erschließungsstrategien, …) den Lernenden zu einem gewissen Grad automatisiert zur Verfügung stehen; eine solche Automatisierung wiederum kann im Rahmen eines nur wenige Schulstunden pro Woche umfassenden Fremdsprachenunterrichts nur durch entsprechende Übungsangebote erreicht werden, die schrittweise vor-, zwischen- oder nachgeschaltet werden. Solche Übungsangebote beinhalten eine „zumeist mehrfach wiederholte, absichtsvolle und zielbewusste Ausführung bestimmter (fremdsprachiger) Tätigkeiten“ (Siebold 2007, 64), d.h. es handelt sich um Aktivitäten, mit denen einerseits eine Festigung des bereits Gelernten (Wissen) angestrebt wird und andererseits die Performanz (Können) verfestigt bzw. automatisiert werden soll. Durch eine häufige Aktivierung neuronaler Muster eröffnen Übungen den Schülerinnen und Schülern den Weg von einem reflexiven, bewussten Gebrauch zu einer (mehr oder weniger) spontanen und automatisierten Sprachanwendung (vgl. Kieweg 2014, 3); dies bestätigen Ergebnisse aus der Hirnforschung, nach denen sich die Funktionsweise neuronaler Netzwerke durch wiederholte Aktivierung der Netze ‚verbessert‘ (vgl. hierzu Reich 2005, 145). 1 Beile (2006, 76) bezeichnet in diesem Zusammenhang den Einsatz von Übungen im gesteuerten Fremdsprachenunterricht als den „Versuch, durch Planung und Aufbereitung von Sprachmaterial (…) Jahre von potenziellem natürlichen Sprachkontakt zu ersetzen“ bzw. den „Lernzuwachs unter den zeitlichen und organisatorischen Zwängen des Unterrichts zu optimieren.“ <?page no="11"?> Vom Üben als notwendigem Übel zum funktionalen und intelligenten Üben 11 ment fester Bestandteil des Unterrichts sein (siehe hierzu Kapitel 2). Aufgrund der oben angedeuteten Notwendigkeit eines ökonomischen Lernens sollten Übungen einen eng eingegrenzten Fokus aufweisen, d.h. sich entweder auf bestimmte sprachliche Strukturen beziehen oder einen ausgewählten Fertigkeitsbereich oder einen lernstrategischen Aspekt fokussieren; dabei gilt es aber nicht, das Üben ausschließlich auf formbezogene Elemente zu reduzieren, die einem engen Verständnis des Begriffs folgen und somit einem inhaltsleeren bzw. mechanisch-monotonen Üben Vorschub leisten würden. 2 Übungen bilden vielmehr die Hilfestellungen, die Lernende zur Lösung einer (komplexen) Lernaufgabe benötigen, und zwar sowohl auf sprachlicher als auch auf kommunikativer und methodischer Ebene. Abhängig vom jeweiligen Lernziel und der (individuellen) Notwendigkeit eines Lernenden können Übungen auf einem Kontinuum zwischen ‚(rein) formbezogen‘ bis ‚(prä-)kommunikativ‘ angesiedelt werden (vgl. hierzu Littlewood 2004, 321ff.) - eine Eingrenzung des Begriffs auf den Bereich der Grammatik (siehe hierzu Beile 2006, 76) sowie eine vielfach beobachtete Ausblendung der Inhaltsund/ oder Interaktionsdimension sind somit kein genuines Charakteristikum von Übungen. 2 Übungen im Rahmen von Kompetenz- und Aufgabenorientierung Die Einführung der Bildungsstandards für die erste Fremdsprache im Jahre 2003 hat den vielfach zitierten Paradigmenwechsel von der Inputzur Outputorientierung eingeläutet (vgl. u.a. Bausch et al. 2005; 2009). Zu den markantesten Änderungen bei der Planung von Unterricht gehört sicherlich die Fokussierung auf die zu erreichenden Kompetenzziele und die sich hieraus ergebenden Überlegungen hinsichtlich der erforderlichen Schritte zur Erzielung derselben. Im Sinne der dienenden Funktion von Grammatik (vgl. hierzu Schmelter 2013), folgt der Fremdsprachenunterricht nicht einer grammatischen Progression (mit einer entsprechend hohen Anzahl an rein formbezogenen Übungen), sondern stellt Wissen und Können gleichermaßen ins Zentrum des Unterrichtsgeschehens. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass das Lehren und Lernen einer Fremdsprache nicht ‚kulturfrei‘ erfolgen kann, was wiederum zur Folge hat, dass die von den Lehrkräften zu planenden Schritte zur Erreichung der festgelegten Kompetenzziele in (möglichst authentische) situative Kontexte einzubetten sind, die für die anzustrebende realitätsnahe Sprachverwendung erforderlich sind. In diesem Kontext haben in den letzten Jahren so genannte (komplexe) Lernbzw. Kompetenzaufgaben zunehmend an Bedeutung gewonnen und 2 Zu den Kriterien ‚guter‘ Übungen siehe Kapitel 3. <?page no="12"?> Marcus Bär 12 dem aus den 1980er Jahren bekannten Prinzip des task-based learning and teaching einen neuen Schub verliehen. Basierend auf dem framework for task-based learning von Willis (1996) haben einerseits Leupold (2008) mit dem Lernaufgabenparcours und andererseits Schinke/ Steveker (2013) mit dem Lernaufgabenzirkel zwei Modelle entwickelt, die das Prinzip der Aufgabenorientierung speziell für den schulischen Fremdsprachenunterricht umzusetzen versuchen. Die beiden genannten Modelle sehen explizit mehrere Übungsphasen vor, die auf komplexere Aufgaben vorbereiten sollen bzw. die ergänzend bearbeitet werden (können), sofern dies für die erfolgreiche Bewältigung einer Lern(teil)aufgabe erforderlich ist. Es wird hierdurch deutlich, dass auch stärker formorientierte Übungen zum Verfügbarmachen sprachlicher Strukturen in einem kompetenz- und aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht ihren Platz und ihre Berechtigung haben. Geändert hat sich ‚lediglich‘ der Blick: Übungen sind in einem kompetenz- und aufgabenorientierten Lernarrangement nicht (mehr) als kontextfreies Üben einzelner Sprachmittel oder Fertigkeiten einzusetzen, sondern stets „mit Blick auf ihren Beitrag für die Kompetenzausbildung auszuwählen und aufeinander abzustimmen“ (Leupold 2010, 358). Es ist nicht das Sprachsystem als solches, das im Mittelpunkt des Unterrichts steht bzw. das Ziel des Unterrichts bildet, sondern vielmehr die Bedürfnisse der Lernenden, um sich in der Zielsprache (flüssig und frei) ausdrücken zu können; Einblicke in die Systematik der Sprache in Form von Übungen sind dabei ein wichtiges Hilfsmittel, „aber nicht das Lernziel an sich“ (Beile 2006, 80). Hierin liegen sicherlich auch die besonderen Herausforderungen für einen modernen Fremdsprachenunterricht, wie sie weiter unten thematisiert werden... In einem dem PPP-Schema folgenden Unterricht bilden sprachbezogene Übungen - bspw. nach der Einführung eines ‚neuen‘ grammatischen Phänomens - oftmals bereits den Endpunkt der hiermit zusammenhängenden Beschäftigung, da die abschließende productionbzw. Anwendungsphase z.B. wegen Zeitmangels dem übenden Einschleifen bestimmter sprachlicher Formen zum Opfer fällt. Und wenn sie doch stattfindet, dann dienen Bedeutung und Inhalt oftmals nur als ‚Verpackung‘ (vgl. u.a. De Florio-Hansen 2007, 8). Der aufgabenorientierte Ansatz setzt hingegen von Beginn an auf die Fokussierung von Inhalt und Bedeutung mit dem Ziel, Lernenden ein authentisches Sprachhandeln zu ermöglichen. Bezogen auf den schulischen Fremdsprachenunterricht, bilden Übungen hierbei nicht den Endpunkt, sondern vielmehr den Ausgangspunkt eines Lernprozesses und führen auf die zu lösende task hin. 3 3 Willis (1996, 38) platziert zwar in ihrem Modell die Phase des language focus an das Ende einer task, sieht aber auch die Möglichkeit eines flexiblen Einsatzes von Sie sind „durch die Aufgabe motiviert“ (ebda) und <?page no="13"?> Vom Üben als notwendigem Übel zum funktionalen und intelligenten Üben 13 sind daher „im Kontext kompetenzorientierten Unterrichts proaktiv mit ein[zu]planen (vor, während oder nach der Arbeit an einer komplexen Kompetenzaufgabe“ (Haß/ Henseler/ Meinecke 2014, 11). Entscheidend ist, dass im Rahmen der Bewältigung einer Lernaufgabe nicht ein Übungsapparat ‚im Gleichschritt‘ von allen Schülerinnen und Schülern abgearbeitet wird, sondern - individuell unterschiedlich - anwendungsorientierte Sprach- und Redemittel (fakultativ) angeboten werden, sodass am Ende die eingeforderten interaktionalen Prozesse und Produkte von allen Lernenden auch bewältigt bzw. erreicht werden können. Aufgabe der Lehrkräfte ist es, einerseits die hierfür erforderlichen Sprach- und Redemittel vorab herauszufiltern, damit diese von den Schülerinnen und Schülern - falls nötig - eingeübt und somit wiederholt und automatisiert werden können, und andererseits genau diese Übungen in ganzheitliche Zusammenhänge bzw. situative Kontexte einzubetten, sodass die Lernenden „verstehen, zu welchem Zweck die konkrete Übung durchgeführt wird“ (Heymann 1998, 11). Die (dienenden) Funktionen von Übungen müssen transparent gemacht werden; für Schülerinnen und Schüler muss klar erkennbar sein, warum sie zu einem bestimmten Zeitpunkt (Stichwort: Sequenzierung, siehe hierzu u.a. Funk in diesem Band) eine Übung bearbeiten sollen. Nur auf diese Weise werden sich als Ergebnis die gewünschten Kompetenzen entwickeln und sowohl die Sprachbewusstheit als auch die Sprachlernkompetenz der Schülerinnen und Schüler fördern lassen. 3 Didaktisch-methodische Chancen und Herausforderungen Um die soeben angesprochenen gewünschten Kompetenzen zu erreichen, bedarf es allerdings nicht nur einer zeitlich ‚richtigen‘ Platzierung (z.B. im Rahmen einer Lernaufgabe) sowie einer situativen Einbettung. Es sind darüber hinaus weitere Kriterien zu beachten, um den Erfolg einer Übung zu gewährleisten. Damit Schülerinnen und Schüler Übungen als Chance für ihren eigenen Lernprozess begreifen, sollten diese idealerweise sinnhaft sein, eine ‚persönliche Betroffenheit‘ auslösen und an das individuelle Vorwissen der Lernenden anknüpfen. Dabei ist anzustreben, dass sie sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene authentisch sind, über die Übungsphasen hinanalysis und practice vor. Sowohl Leupold (2008) als auch Schinke/ Steveker (2013) sehen insbesondere für Lernende jüngeren Alters sowie für Lernende in der Spracherwerbsphase explizit Übungen im Vorfeld einer Lernaufgabe vor. Auch De Florio-Hansen (2007, 8) spricht sich dafür aus, „eine Aufgabe durch Übungen vorzubereiten.“ <?page no="14"?> Marcus Bär 14 weg eine Progression aufweisen, und zwar im Hinblick auf den Schwierigkeitsgrad (leicht vs. schwer), den Grad der Steuerung (gelenkt vs. frei) und die Kommunikationsrelevanz (formal vs. prä-kommunikativ) (vgl. hierzu weiterführend u.a. Thaler 2012, 128; Kieweg 2014, 4). Rein mechanisch durchzuführende Übungen sind grundsätzlich abzulehnen, da solche Formate nicht zur Erreichung einer kommunikativen Verwendung von Sprache beitragen. Um durch Übungen sowohl deklaratives Wissen als auch prozedurales Können fördern zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, dass folgende Aspekte berücksichtigt werden: Vielfalt an (möglichst offenen und kommunikationsorientierten) Übungsformen anbieten, wie z.B. Zuordnungs-, Ergänzungs-, Kategorisierungs-, Substitutionsübungen (siehe hierzu weiterführend Kieweg 2014, 8). 4 Explizites und implizites Üben abwechseln: Neben Übungsformen, die bewusst als solche von den Lernenden wahrgenommen werden sollen, um gezielt eine bestimmte Aufgabe bewältigen zu können, sollte Sprache und Sprachverwendung auch implizit bzw. unbewusst geübt werden, z.B. in Form von Sprachlernspielen. Ein solches ‚Üben im Gebrauch‘ ist bei Spielen möglich, da ihnen oftmals „Elemente des Wiederholens und Veränderns“ zugrunde liegen und die Spielerinnen und Spieler „die Fremdsprache als Mittel [verwenden], um dieses Ziel zu erreichen“ (Klippel 2010, 316). Rhythmisiert statt geballt üben: „Es ist eine Binsenweisheit, dass verteiltes Üben und Wiederholen, welches in kleinere ‚Portionen‘ und vor allem in zeitlichem Abstand erfolgt (spaced practice), zu größeren Lern- und Behaltens-Effekten führt, als beispielsweise das einmalige Anlernen des Stoffes vor einem Test oder einer Prüfung (massed practice)“ (De Florio-Hansen 2014, 122). Rhythmisiertes oder verteiltes Üben, bei dem die Abstände zwischen den einzelnen Übungen immer größer werden, hat nach Hattie (2014, 121 ff.) eine Effektstärke von d=0.71 und trägt somit entscheidend dazu bei, ob ein sprachliches Mittel, eine Fertigkeit oder auch eine Strategie nachhaltig im Ge- 4 Für eine gute Wortschatzarbeit sind die einzelnen Übungsformen bspw. an die verschiedenen Netzwerke des mentalen Lexikons anzupassen. Im Sinne eines mehrsprachigkeitsorientierten Unterrichts sind Übungsformen zu wählen, die ein entdeckendes und vergleichendes Erschließen im Sinne eines konstruktiven Vorgehens ermöglichen wie z.B. das mehrsprachige Wörterbuch oder die Hypothesengrammatik. <?page no="15"?> Vom Üben als notwendigem Übel zum funktionalen und intelligenten Üben 15 dächtnis verankert wird. Geballtes bzw. massiertes Üben hingegen verspricht nur einen sehr kurzfristigen Lernerfolg. 5 Partnerorientiertes Üben bevorzugen: Nach Kieweg (2014, 6) legt bereits die grundsätzlich anzustrebende Diskursfähigkeit der Schülerinnen und Schüler interaktive Übungsformen nahe, zumal hierdurch auch eine „Erhöhung der individuellen Sprechzeit“ erreicht werde. Ebenfalls verspreche „das dabei praktizierte kooperative Lernen (...) höhere Erfolge“ (ebd.). Feedback geben: Bereits während, aber auch nach einer Übungssequenz ist es von besonderer Bedeutung, dass Lehrkräfte Rückmeldungen hinsichtlich des Übungserfolgs geben. Dies betrifft sowohl die (sprachliche) Korrektheit einer Aussage, aber auch die (kommunikative) Angemessenheit einer Äußerung sowie das (strategische) Vorgehen, bspw. beim Erschließen neuen Vokabulars. Zudem sollte auch den Schülerinnen und Schülern selbst die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Übung dahingehend zu evaluieren bzw. zu beurteilen, ob sie zur Lösung einer bestimmten Aufgabe notwendig war und inwiefern sie in diesem Sinne für den einzelnen Lernenden effektiv war. Werden im Fremdsprachenunterricht die genannten Aspekte entsprechend berücksichtigt, ist der Grundstein für ein intelligentes Üben gelegt: „Beim intelligenten Üben wird immer das bereits vorhandene Wissen und Können aus dem betreffenden Kompetenzbereich aktiv genutzt, um die Kompetenz übend zu erweitern und durch neue Elemente anzureichern“ (Heymann 2005, 8, siehe hierzu auch Blell in diesem Band). Schülerinnen und Schüler müssen durch entsprechendes Feedback Einsicht in ihr Tun gewinnen, um die Fragen nach dem Zweck und Ziel des Übens für sich beantworten zu können. Wenn für sie ersichtlich ist, wer, was, wozu, wann, wie und mit 5 Zu bedenken sind in diesem Zusammenhang zu beobachtende Phänomene wie teaching to the test, die gerade in Zeiten von Standard- und Kompetenzorientierung nicht unterschätzt werden sollten, zumal einige der im Rahmen der Bildungsstandards eingeführten Testformate die Gefahr in sich bergen, dass schulischer Fremdsprachenunterricht den Fokus auf das erfolgreiche Bestehen dieser Tests legt und Lehrkräfte der Versuchung erliegen könnten, ihren Unterricht ,pragmatisch‘ zu planen, sodass sich die eingesetzten Übungen auf die Abfrage (leicht) überprüfbaren Wissens beschränken. Dies betrifft insbesondere auch die von Lehrkräften selbst erstellten Prüfungsformate, die wiederum „eine enorme Rückwirkung auf die Art des Lehrens und Lernens und somit auf die eingesetzten Übungsformen haben“ (Beile 2006, 80). Letzteres ist sicherlich als eine der zentralen Herausforderungen hinsichtlich eines funktionalen Einsatzes von Übungen im Fremdsprachenunterricht anzusehen. <?page no="16"?> Marcus Bär 16 wem übt bzw. üben soll, dann werden sie eine entsprechende Übung nicht (mehr) als notwendiges Übel betrachten, sondern sich als intelligent Übende empfinden. Der Blick muss hierfür im Unterricht darauf gerichtet werden, warum eine bestimmte Kompetenz erstrebenswert ist, um für sich selbst hieraus abzuleiten, dass es wert ist, sich übend hiermit auseinanderzusetzen (vgl. ebda, 9). Als besonders herausfordernd erachte ich die Tatsache, dass Lehrkräfte für die Planung intelligenter Übungen nicht nur eine breite Angebotspalette vorhalten müssen, die während des Unterrichts flexibel und individuell eingesetzt werden, um einerseits die Problembewältigung bzw. die Lösung einer Aufgabe zu gewährleisten und andererseits dem Prinzip der Individualisierung bei der Lösung einer solchen Aufgabe Rechnung zu tragen, sondern dass Lehrkräfte auch über eine entsprechende Diagnosekompetenz verfügen müssen, um die ‚Qualität‘ einer lehrwerksseitigen Übung einschätzen zu können bzw. bei der Konstruktion eigener Übugsformate die individuellen Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf die Funktionalität und Effektivität der Übung zu berücksichtigen. Mit anderen Worten: Lehrkräfte müssen erkennen (können), ob das, was geübt wird, auch das ist, was mit der Übung intendiert war. Zudem sehe ich eine Schwierigkeit darin, dass insbesondere aus Zeitmangel nicht in ausreichendem Maße die o.g. Aspekte eines intelligenten Übens im Unterricht selbst berücksichtigt werden können (insbesondere die metakognitiven Phasen), sodass eine Auslagerung des Übeprozesses nach Hause stattfindet. Wenn aber Übezeit „in Konkurrenz zu Freizeit“ (Heymann 2005, 37) steht und im Unterricht zuvor keine Zeit für reflexive bzw. metakognitive Phasen eingeplant wird, dann kommt es zu einer Veränderung der Einflussfaktoren mit der Folge, dass massiertes Üben im Hinblick auf die Bewältigung eines anstehenden Tests zum Normalfall wird und das Üben (wieder) als notwendiges Übel erachtet wird. 4 Forschung Ein Blick in die einschlägige Literatur offenbart sehr schnell, dass offensichtlich eine Diskrepanz zwischen der (hohen) Gewichtung von Übungen im Fremdsprachenunterricht und einer (eher geringen) Anzahl an empirischen Studien zu Übungen existiert. Klippel (2010, 314) sieht die Ursache hierfür darin, „dass die weithin als langweilig empfundene Übung weniger interessant und wichtig schien als beispielsweise die Entfaltung der schöpferischen Kräfte der Lernenden.“ Forschungsbedarf sehe ich in diesem Zusammenhang vor allem auf zwei Ebenen: Es müsste einerseits herausgefunden werden, inwiefern eine Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse (s.o.) in der <?page no="17"?> Vom Üben als notwendigem Übel zum funktionalen und intelligenten Üben 17 Praxis des Fremdsprachenunterrichts erfolgt und - wenn ja - inwiefern diese zu einer tatsächlichen besseren Sprachanwendung der Lernenden führen. Neben entsprechenden Unterrichtsbeobachtungen stellt zum anderen auch die Befragung von Lernenden und Lehrkräften ein Forschungsdesiderat dar, um ergründen zu können, welche Vorstellungen (Konzepte) sowohl Lernende als auch Lehrende von Übungen haben, welche Kriterien Lehrkräfte beim Einsatz von Übungen anlegen, welche Funktion(en) sie ihnen zuschreiben und woran sie den Erfolg messen. Bezüglich der universitären Lehrerbildung erachte ich es als wichtig, dass Studierende im Rahmen von Seminaren (z.B. zur Aufgabenorientierung) oder auch bei der Vorbereitung auf das Praxissemester intelligente Übungen entwickeln und anschließend unter den o.g. Fragestellungen reflektieren. Im Sinne der Förderung eines forschenden Blicks sind in diesem Zusammenhang kleine Aktionsforschungprojekte denkbar, die bspw. versuchen, mithilfe von Laut-Denk-Protokollen die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler beim Üben zu verbalisieren. Literatur Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm Hans- Jürgen (Hrsg.) (2005): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Tübingen: Narr. Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm Hans- Jürgen (Hrsg.) (2009): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Tübingen: Narr. Beile, Werner (2006): „Üben und Übungsformen“. In: Jung, Udo O. H. (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt a.M.: Lang, 74- 81. Blell, Gabriele (in diesem Band): „Üben im Fremdsprachenunterricht: „Wenn das Üben unmerklich in den Unterricht integriert werden kann, so könnte es weiter bestehen …“, 19-29. De Florio-Hansen, Inez (2007): „Sinnvolles Üben - kommunikationsorientiert“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 4, 6-11. De Florio-Hansen, Inez (2014): Fremdsprachenunterricht lernwirksam gestalten. Tübingen: Narr. Funk, Hermann (in diesem Band): „Was heißt Time on task? Oder: Warum übt man ausgerechnet im Fremdsprachenunterricht oft nicht das, was man am Ende können soll? “, 62-76. Haß, Frank/ Henseler, Roswitha/ Meinecke, Birgit (2014): „Wortschatz (erfolgreich) üben“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 131, 10-11. Hattie, John (2014): Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren [überarbeitete deutsche Ausgabe von „Visible Learning for Teachers“]. <?page no="18"?> Marcus Bär 18 Heymann, Hans Werner (1998): „Üben und Wiederholen - neu betrachtet“. In: Pädagogik 50 (10), 6-11. Heymann, Hans Werner (2005): „Was macht Üben intelligent? “. In: Pädagogik 57 (11), 6-11. Heymann, Karin (2005): „Üben - wie geht das eigentlich? “ In: Pädagogik 57 (11), 34-37. Kieweg, Werner (2010): „Übungsformen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 182-186. Kieweg, Werner (2014): „Das Üben üben“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 131, 2-9. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart: Metzler, 314-317. Königs, Frank G. (in diesem Band): „Übung macht den Meister - aber Üben will gelernt sein! Oder doch nicht? Anmerkungen zum Üben und zur Rolle des Übens im Fremdsprachenunterricht“, 111-117. Leupold, Eynar (2010): Französisch lehren und lernen. Das Grundlagenbuch. Seelze: Kallmeyer-Klett. Leupold, Eynar (2008): „A chaque cours suffit sa tâche - Bedeutung und Konzeption von Lernaufgaben“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 96, 2-8. Littlewood, William (2004): „The task-based approach: some questions and suggestions“. In: ELT Journal 58 (4), 319-326. Reich, Eberhard (2005): Denken und Lernen. Hirnforschung und pädagogische Praxis. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft. Schinke, Simone/ Steveker, Wolfgang (2013): „Lernaufgaben im Spanischunterricht“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 41, 4-13. Schmelter, Lars (2013): „Die ‚dienende Funktion‘ der Grammatik im Französischunterricht“. In: Küster, Lutz/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Mythos Grammatik. Kompetenzorientierte Spracharbeit im Französischunterricht. Seelze: Kallmeyer-Klett, 74-84. Siebold, Jörg (2007): „Aufgabe/ Task und Übung/ Exercise“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 4, 63-64. Thaler, Engelbert (2012): Englisch unterrichten. Grundlagen, Kompetenzen, Methoden. Berlin: Cornelsen. Willis, Jane (1996): A Framework for Task-Based Learning. Harlow: Longman. <?page no="19"?> Üben im Fremdsprachenunterricht: „Wenn das Üben unmerklich in den Unterricht integriert werden kann, so könnte es weiter bestehen...“ 1 Gabriele Blell 1 Überlegungen zum Begriff des Übens „Früh übt sich, wer ein Meister werden will“ - dieses alte Sprichwort hört man eigentlich kaum mehr. Ende der 1990er konstatiert auch Klippel für das Üben in der Fremdsprachendidaktik nur noch ein „Schattendasein“ (Klippel 1998, 328). Zukünftige Lehramtsstudierende für das Fach Englisch (3. Semester 2015) bewerten jedoch ganz aktuell (Dezember 2015) das Üben und Wiederholen als zwei der wichtigsten Aspekte im FSU, bezeichnen es als tägliches Handwerkszeug; Üben soll dennoch nicht langweilig und monoton und so dazwischen gepackt sein. Schaut man in die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts, wird auch hier mehr als deutlich: Üben ist für ein (Fremd- )Sprachenfach notwendig! „Denn was so oft widerholet wird, das wird dem Verstande recht und tief eingebildet“ (Ratkes 1571-1635 Sprachlehrmethode; Lehrhart 1957 in Apelt 1991, 10). Auch Comenius 1592-1670 , einer der wichtigsten Vertreter der natürlichen Methode, forderte dezidiert „ h äufige s Wiederholen“ und „Üben“ (in Apelt 1991, 121). Selbst im Kontext der kommunikativen Orientierung hat sich daran nichts geändert, und Apelt fordert stellvertretend z.B. „entsprechende Festigungs- und Systematisierungsübungen“ (ebda, 228). In den Neurowissenschaften herrscht diesbezüglich ähnliche Einigkeit darüber, dass die wiederholte Aktivierung (z.B. durch Üben) bereits gespeicherter neuronaler Schemata diese verfestigt und die Grundlage für immer neue neuronale Vernetzungen bildet 2 1 Zitate aus nicht representativer Erhebung zum Thema „Üben“ im Seminar „Introduction to Teaching English“ an der Leibniz Universität Hannover (Dezember 2015). . 2 Obwohl vielfach kritisiert hinsichtlich der empirischen Verlässlichkeit der Datenlage, wird die Ebbinghaussche-Vergessenskurve (1885) - nur 15% des Erlernten wird ohne Übung gespeichert - in der Grundtendenz immer wieder bestätigt (vgl. z.B. Lück 2002, 51-54). <?page no="20"?> Gabriele Blell 20 In curricularen Dokumenten und anderen Publikationen wird heute übereinstimmend von „intelligentem Üben“ als Merkmal guten Unterrichts gesprochen (z.B. Meyer 2004, Kap. 1.4/ 2.1; Helmke 2006a; Klippel/ Doff 2006, 191f.; Niedersächsisches Kultusministerium 2008, 5). Obwohl dem Begriff durchaus eine Distanzierung bzw. Kontrastierung zum Begriff des monotonen und starren, meist inhaltsfreien, d.h. wenig funktionalem Drillen (pattern drill) eingeschrieben zu sein scheint, ist zu fragen, ob Übungsformen wie einfache Substitutions- oder Zuordnungsübungen dann gänzlich frei von irgendwelchen ‚intelligenten‘ Denkprozessen sind. Sicherlich kaum! Insofern sollte in diesem Kontext besser von disponiblem, funktionalem sowie zielkontextualisertem Üben gesprochen werden bzw. sollte ‚intelligentes Üben‘ so verstanden werden. Neu ist, im Vergleich zu traditionellen, meist eher einseitig kognitiv ausgerichteten Ansätzen, die ganzheitliche, sowohl kognitive, motivationale und affektiv-emotionale Kontextualisierung des Übungsgedankens. Meyer (ebda) und Helmke (2006, 42-45) formulieren ähnlich die folgenden Charakteristika für erfolgreiches ‚intelligentes‘ Üben, welches sich im Fremdsprachenunterricht auf die Sprachhandlungsbereiche Rezeption (Hören, Lesen und Hör-Sehen), Interaktion (Sprechen, Schreiben und Sprachmitteln) und (mündliche und schriftliche) Produktion beziehen müsste: (a) ausreichendes und rhythmisierendes Üben, (b) die Formulierung von passgenauen Übungsaufgaben zum Lerngegenstand, (c) die Entwicklung von ‚Übekompetenz‘ und die Bewusstmachung von entsprechenden Lernstrategien sowie (d) ein gezieltes Scaffolding zum Üben durch die Lehrkraft. Mit dieser Beschreibung kristallisieren sich bereits wichtige Ausdifferenzierungen, Schärfungen und gleichzeitig Vernetzungen ab, die mit Blick auf didaktische und forschungsmethodische Fragestellungen notwendig sind, um einen Ansatz des ‚intelligenten Übens‘ bzw. die Ausbildung von „Übekompetenz“, wenn man die Frage auch kompetenzorientiert wendet, zu entwickeln. Folgende Aspekte scheinen dabei zentral und werden in den folgenden Abschnitten schlaglichtartig expliziert. Üben und didaktisch-methodische sowie organisatorische Strukturierung, Üben und Aufgaben bzw. Kompetenzaufgaben, Üben und die Entwicklung von ‚Übekompetenz‘ sowie Üben als Selbstaktivität der Lernenden. <?page no="21"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 21 Üben möchte ich dabei fassen als (unterrichtliche/ außerunterrichtliche, implizite/ explizite, bewusste/ unbewusste sowie rezeptive/ interaktive/ produktive) zielkontextualisierte Sprachlerntätigkeiten, die disponibel und funktional eingesetzt, methodisch angeleitet oder selbstgesteuert zur Automatisierung und Vertiefung von Lerninhalten und Fertigkeiten führen und den anwendungsorientierten und funktionalen Transfer in neue Wissens- und Könnensbereiche vorbereiten (vgl. auch Klippel/ Doff 2006, 188; Königs 2015, 11). 2 Üben im Kontext von Aufgaben- und Kompetenzentwicklung Kompetenzorientierung Wie angedeutet, haben insbesondere die Kompetenz- und Aufgabenorientierung grundlegenden Einfluss auf Neuorientierungen und Perspektivwechsel im aktuellen Lehr- und Lerngefüge und damit auch auf das Üben. Alle Kompetenzmodelle, verstanden als erlernbare kognitive (und affektive) Dispositionen und primär wissensbasiert verankerte Fähigkeiten und Fertigkeiten, operieren mit einem veränderten, konstruktivistisch bestärkten, Lern- und Wissensbegriff. Lernen wird hier begriffen als ein grundlegend aktiver und ganzheitlicher Prozess, in dem sich Schüler/ innen ein stark mit Vorwissen vernetztes, transferierbares und auf sprachliche Handlungen und Anwendung bezogenes Wissen und Können aneignen, das auch Interessen, Motivation und soziale Bereitschaften umfasst. In der Literatur lässt sich dafür auch der Begriff des „intelligenten Wissens“ finden (Niedersächsisches Kultusministerium 2008, 4f.). 3 Die mit der Kompetenzorientierung einhergehenden und auch schulpolitisch ausgelösten organisatorischen und strukturellen Veränderungen, wie z.B. die teilweise Reduzierung von Hausaufgaben und die Verlagerung von Übungszeit in den Unterricht (insbesondere an Ganztagsschulen) oder die Erteilung von Doppelstunden (90 Minuten), erfordern sukzessive auch ein Umdenken bezogen z.B. auf die unterrichtliche Übungsgestaltung und die häusliche Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Sowohl implizites, mit Der Unterricht muss folglich in einem solchen Kontext auch „Gelegenheiten bieten, mit dem erworbenen Wissen etwas anzufangen, dieses Wissen unter Beweis zu stellen oder durch variables, in kontextuelle Aufgaben verankertes Uben zu kultivieren und schließlich kritisch und selbstkritisch zu reflektieren und zu evaluieren“, so das Niedersächsische Kultusministerien (ebda, 5). 3 Auch dieser Begriff sollte ähnlich kritisch i.S. meiner gemachten Anmerkungen diskutiert und verstanden werden (vgl. Frage 1). <?page no="22"?> Gabriele Blell 22 dem Unterricht vernetztes Üben als auch vor allem explizites Üben ist insofern neu zu denken. Übungsplan So z.B. schlägt die Landesakademie für Fortbildung Baden-Württemberg (2009) für den Geschichtsunterricht neben dem Stoffverteilungsplan zusätzlich einen ‚Übungsplan‘ pro Unterrichtseinheit (UE) vor, der sowohl methodische Schwerpunkte, regelmäßige immanente Wiederholungen sowie Übungsblöcke vorsieht. Eine UE beginnt demnach mit einem sog. Advance Organizer zur Planung und Verdeutlichung von Sinn und Zweck des Übungsgeschehens in der UE, wird auf der Unterrichtsebene (Mikroebene) mit unmittelbaren, periodischen und variantenreichen Übungsformaten fortgesetzt und im Verlauf der UE (Makroebene) durch die Gestaltung expliziter Übungsstunden bzw. -blöcke oder die Durchführung eines Vertiefungsprojekts auf der Plateauphase weitergeführt. Auch Bönsch plädiert diesbezüglich vergleichbar für „gestaltete Wiederholungs-Unterrichtseinheiten“ zur dauerhaften Erfolgssicherung (Bönsch 2007, 85-90). Vervollständigt wird der ‚Übungsplan‘ in der Folge durch eine Zusammenfassung und Transferstrukturen als Post Organizer am Ende der UE. Die Idee eines solchen ‚Übungsplans‘ auf Makro- und Mikroebene sollte auch für den Fremdsprachenunterricht geprüft werden, denn die Bewusstmachung von Übungen und das Reflektieren über Übungsszenarien spielen hier eine zentrale Rolle. Aber auch hier wäre nach der kontextuellen Funktionalität und inhaltlichen Zielorientiertheit zu fragen. Darüber hinaus wäre darüber nachzudenken, einen solchen stark strukturierten Übungsprozess zusätzlich mit Lernberatungen zu verknüpfen, um insbesondere neue explizite Übungsstrukturen zu etablieren, die wiederum positiven Einfluss auf selbstaktiviertes Lernen haben (z.B. Lerne mit System, indem du dir zuerst das gesamte Wortfeld zum Thema XX vergegenwärtigst (z.B. mind-map), Unklarheiten beseitigst und dann an Einzelheiten arbeitest (z.B. Aussprache, Anwendungen). Aufgabenorientierung (Komplexe Kompetenzaufgaben) Üben und Aufgaben, wie oben bereits gesagt, gehören zusammen und sind schwer voneinander abzugrenzen. Üben dient bekanntermaßen dem Festigen von bereits Gelerntem; Aufgaben hingegen ergeben für den Lernenden am Ende einen Wissensmehrwert und können Wissenslücken schließen (vgl. Klippel/ Doff 2006, 188). In der modernen handlungs- und kompetenzorientierten Didaktik dienen Lernaufgaben sowohl dem individuellen Kom- <?page no="23"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 23 petenzerwerb, eröffnen jedoch auch die Möglichkeit, gezielt und auch kreativ zu üben, da Lernaufgaben zuallererst den Lernprozess (und dann auch das Lernprodukt) in den Vordergrund stellen. Innerhalb eines komplexen Aufgabenszenarios basierend auf der New York Episode des Films Night on Earth (Jim Jarmusch, 1991) wurde den Schülerinnen und Schülern (SuS) die Aufgabe gestellt, für diesen Film - der zu den Kassikern kurzer Episodenfilme zählt, aber so gut wie nicht im Netz besprochen wurde/ wird - den Film im Web zu diskutieren: „Finally, you should ,rate the movie‘ and ,post a message‘, i.e. a well-founded review on one film-affine website as e.g. www.allmovie.com or www.film-zentrale.com (500 words).“ Eine der komischsten Szenen, die auch die SuS für unbedingt besprechungswürdig halten, ist die Taxi-Szene, in der sich der deutsche Migrant Helmut Grokenberger und der Afroamerikaner YoYo unterhalten. Die Szene ließe sich sehr gut nutzen, um die komischen Irritationen, die im Dialog entstehen, im Unterricht sprachlich zu reflektieren. Sie kann jedoch auch Grundlage für sprachproduktives Handeln sein, wie z.B. für ausdrucksstarkes Lesen des Szenendialogs oder für die Inszenierung eigener kleiner Dialoge, um erlebte interkulturelle und sprachliche Missverstehenssituationen ‚übend‘ einzufangen. Nicht zuletzt bietet die Sequenz auch eine Art Modellvorlage, wie Unbekanntes in der Fremdsprache umschrieben und auch geübt werden kann (circumlocution). Dafür wäre z.B. eine dramapädagogisch verortete sprachlich-linguistische Übung wie die folgende denkbar. Das Spiel versetzt die SuS in eine ähnliche Situation und lässt sie das ‚Unbehagen‘ quasi nacherleben. Auch hier sollte eine Reflexionsphase nachgeschaltet werden, um die Brüche zu erkennen und zu erklären (vgl. Blell/ Surkamp 2016). Beispiel: Taxi-Improvisationstheater (Schneider 2015, 18) Taxi-Improvisation Theatre To facilitate the process of the improvisation there is given an opening and ending of the conversation. The conversation starts like this: Taxi driver: Hello. Passenger: Hello. I would like to go to the train station. Taxi driver: Alright, let's drive to the train station. Do you like some sweets? (He offers the passenger a box of chocolates.) My mum always said life was like a box of chocolates... You never know what you're going to get. <?page no="24"?> Gabriele Blell 24 In the box of chocolates there are slips of paper with different topics. The passenger is supposed to start the conversation about the topic on the slip of paper. They are asked to try talking as long as possible about the topic and to use circumlocutions to compensate possible gaps. In order to ease the end of the conversation, they can use one of these endings, depending on who wants to end the improvisation: Taxi driver: Here we are at the train station. That'll be 12,50 $. Passenger: Oh, there is a friend of mine. You can drop me off right here. „Komplexe Aufgaben antizipieren die notwendigen, sprachlich-diskursiven und interaktionalen Schrittfolgen“ und unterstützen den Lösungsprozess, „indem sowohl Hinweise zum Vorgehen als auch sprachliche Mittel für die Bearbeitung geübt, erlernt, zur Verfügung gestellt oder aktiviert werden“ (Hallet 2012, 13). Web 2.0 und Üben Auf dem XI. Mediendidaktischen Kolloquium, das sich vor allem mit Fragen der Gestaltung und Bearbeitung von Kompetenzaufgaben im Web 2.0, also in einem real-virtuellen Kommunikationsraum, beschäftigt hat, wurden dezidiert Übungsphasen in sehr vielen Beiträgen gefordert und in ihrer Gestaltung beschrieben. Um im WWW ‚autonom‘ (individuell und sozial) und kompetent zugleich handeln zu können, müssen, in Abhängigkeit des Sprachniveaus der Lernenden, den vielfältigen Aufgabenszenarien situationsbezogene und offene Übungsphasen vor-, zwischen- oder auch nachgeschaltet werden. So wird in mehreren Beiträgen angemerkt (z.B. Fellmann, Wiemeyer/ Großkurth, Peuschel, Eisenmann/ Ludwig, Heinz, Schäfer etc.), dass gegenstandsbezogene Spracharbeit punktuell wichtig werden kann (focus on form). So beschreibt z.B. Peuschel Übungsformate (i.S. von Scaffolding-Angeboten), die die komplexe Lernaufgabe der Erstellung und Publizierung eines Podcasts im WWW stützen, wie z.B. Schreibaufträge für das Zusammenfassen von Inhalten; Aufgaben zur Formulierung von W- Fragen für geplante Interviews, Übungen zur Art und Weise der Adressierung sowie auch phonetische Übungen zur Rhythmik und lautlichen Realisierung vor und während der Aufnahmephase. Solche Übungsformate sind im Klassenraum, aber auch durchaus online realisierbar. LearningApps (http: / / www.learningapps.org) bietet dafür einen Pool von unterschiedlichen Übungsformen. Lern-, Übungs- und Anwendungsphasen <?page no="25"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 25 (auch Überprüfungsphasen) sollten sich in Web 2.0-basierten Lern- und Aufgabenarrangements sinnvoll ergänzen, um Diskrepanzen zwischen dem Sprachniveau der jeweiligen Schüler/ innen und der sprachlichen (leider oft auch fehlerhaften) Komplexität von Web 2.0-Texten (auch kritisch) zu begegnen (alle Beiträge in Becker, Blell/ Rössler 2016, im Druck). 3 Neue Chancen für das Üben? Ein Studierender in der o.g. Kurzumfrage formulierte: „Wenn das Üben unmerklich in den Unterricht integriert werden kann, so könnte es weiter bestehen...“ 4 Flipped Classroom Hier schwingt unmissverständlich der Bedarf an innovativen Übungsformen und -szenarien für sprachliches Handeln mit, damit für rezeptive, interaktive und produktive Prozesse, die letztendlich dazu dienen können, die Lernenden zu kompetenten ‚Übern‘ zu machen (learner empowerment). Das bedeutet wiederum, den systematischen Spracherwerb (Wortschatz, Grammatik, Textarbeit etc.) durch variable Übungs- und Anwendungssituationen (bewusst und auch unbewusst) in sowohl sicheren (z.B. im Klassenraum) als auch authentischen Kommunikationsräumen (z.B. dem WWW) zu gestalten. Im Folgenden soll kurz ein didaktisch-methodischer Ansatz vorgestellt und erläutert werden, der aus meiner Sicht im Kontext des ‚intelligenten Üben‘ im Fremdsprachenunterricht genauer erforscht und erprobt werden sollte. Es handelt sich um den sogenannten Flipped Classroom (flip teaching, inverted teaching). Ullmann/ Hahn (2016) untersuchen z.B. das Potenzial des Flipped Classroom für die Vermittlung von prozeduralem sprachlichem Wissen, eine Methode, die bisher vor allem in den Sachfächern Mathematik oder Biologie zur Einübung von Sachwissen (deklarativem Wissen) genutzt wird. Ziel dieser Methode ist, „die Phasen des Unterrichts ‚umzudrehen‘. Statt im Unterricht Input (e.g. in Form eines Lehrervortrags) zu vermitteln, werden von den Schüler/ innen zu Hause Videos unterschiedlicher Art geschaut“. Ullmann und Hahn haben bislang sog. Erklärvideos (How to write a cover letter? ) produziert, die zu Hause, je nach Lerngeschwindigkeit und Aufgabenstellung rezipiert werden (Ullmann/ Hahn 2016; vgl. Bergmann/ Sams 2012, 9). Die klassischen Hausaufgaben, damit auch einhergehende notwendige Übungsphasen, das Festigen und Problematisieren wer- 4 Zitat(e) aus nicht-representativer Erhebung zum Thema „Üben“ im Seminar „Introduction to Teaching English“ (Dezember 2015). <?page no="26"?> Gabriele Blell 26 den in den Unterricht verlagert (vgl. auch Helmke/ Schrader 2006, 5). Dem Lehrer eröffnen sich damit zeitliche Räume zur differenzierten Gestaltung von Übungskontexten für lernstarke, lernschwache oder auch lernbeeinträchtigte SuS. Gleichzeitig könnte durch diesen methodischen Ansatz das Üben systematischer geplant und organisiert werden (vgl. Frage 2). 5 Die Zielkontextualisierung der Übungsszenarien sollte jedoch auch hier unbedingt steuerndes Moment sein. 4 Forschungsansätze zum Üben Flexibles und variables Üben verlangt nach empirisch-validierten Untersuchungen von Übungen entlang von Qualitätsmerkmalen (Klippel/ Doff 2006, 190), die es bisher m.W. vor dem Hintergrund von umfassender Kompetenz- und Aufgabenorientierung noch nicht gibt. Klippel erstellt bereits 1998 eine ‚Frageliste zur Übungsevaluation‘, die die Kriterien Ziel, sprachliche Gestaltung, Steuerung, Übungstätigkeiten, Durchführung, Niveau und Lernerfolgskontrolle beinhaltet (Klippel 1998, 332). Auch Thaler formuliert 10 Gütekriterien des Übens: Ziel, Abwechslung, Passung, Rhythmus, Didaktischer Ort, Spaß, Authentizität, Progression, Aufpeppen und Feedback (Thaler 2014, 16). Ergänzbar wäre für beide Listen das Kriterium der Kompetenzentwicklung: Welche Kompetenzfelder werden durch das Üben berührt bzw. können mit der jeweiligen Übung entwickelt werden? Spielen fächerübergreifende oder -verbindende Aspekte eine Rolle etc.? Auch Kieweg stellt „Evaluierungskriterien für die Auswahl und für die Erstellung von intelligenten Übungen“ bzw. „Parameter eines erfolgreichen Übungsgeschehens zur Disposition“ (Kieweg 2014, 131). 6 5 Eine erste durchaus bemerkenswerte Systematik (aus pädagogisch-didaktischer Sicht), die sich anzuschauen lohnt, legte z.B. Eggersdorfer bereits 1961 vor und unterschied zwischen (a) Einlernen im Unterricht, (b) Einüben im Unterricht und (c) Ausüben und der Unterricht (Eggersdorfer in Bönsch 2007, 2-69), die dann von Bönsch selbst als „Verlaufsstruktur für dauerhafte Erfolgssicherung“ weiterentwickelt wurde (ebda, 84-88). ‚Intelligentes Üben‘ verlangt aber genauso nach Untersuchungen zur „Lernertypologie“, die z.B. „Aussagen 6 Dazu zählen: Einen realen Übungsanlass wahrnehmen; Übungsziele klar definieren und differenzieren; Übungsinhalte, differenzierende Übungsmaterialien und Übungsorte festlegen; das Übungsmedium und die Übungsmaterialien auswählen, Übungszeiten festlegen; Übungsfelder, Übungsformate und Übungsformen passend auswählen; Übungsaufgaben den Lern- und Arbeitsstilen der Lernenden anpassen; die passende Sozialform des Übens bestimmen; Übungserfolge dokumentieren und Übungen evaluieren und die Rückmeldung zum Übungserfolg (Kieweg 2014, 4-6). <?page no="27"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 27 darüber zulässt, ob in einem konkreten Fall der Rekurs auf die Muttersprache hilfreich ist oder nicht“ (Königs 2015, 12). In Erweiterung dessen wäre zu fragen, welche Übungsformate (z.B. eher elaborierend, reduzierend, strukturierend etc.) für welche Lernergruppen z.B. für den selbstaktivierten und autonomen Übungsbereich zu empfehlen sind. Basierend auf den oben gemachten Ausführungen zu Übungen und Web 2.0 (Frage 2) und zum Flipped Classroom (Frage 3) eröffnen auch computergestützte Lernumgebungen, speziell das Web 2.0, neue Übungsmöglichkeiten, die es zu erkunden und zu evaluieren gilt. So ließe sich fragen, welche Möglichkeiten bieten Webangebote, mit denen sowohl Lehrer/ innen als auch SuS selbst Materialien für Übungssequenzen am Computer konzipieren können? Das Netz bietet mittlerweile dafür interessante kostenfreie Autorenprogramme wie Quizlet (www.quizet.com): Lerner können z.B. einfach selbst flashcards oder Vokabelkarten erstellen; LearningApps (www. learningapps.org): Lerner können verschiedene Übungsformen auswählen oder selbst gestalten oder auch Educaplay (www.educaplay.com): mithilfe von 14 Autorenwerkzeugen können Lerner selbst Übungen erstellen (vgl. auch Möller 2014, 38). Das Motivationspotenzial für diese Applikationen dürfte bei Lernenden groß sein. Genauso ist es möglich, dass sich Lernende auf fortgeschrittenem Niveau entweder selbst ihre Übungen zusammenstellen oder es für ihre Mitschüler/ innen tun (Lernen durch Lehren). Außerdem wären Educreations (www.educreations.com) und ShowMe (www.showme. com) zu nennen, die als kostenlose App auf Tablets heruntergeladen werden können (Ullmann/ Hahn 2016, im Druck). Nicht zuletzt könnten mit diesen Autorenwerkzeugen auch wichtige methodische und Reflexionskompetenzen (z.B. Erfassen und Reflektieren des eigenen Übungsbedarfs; Planung des Übungsprozesses) oder Medienkompetenzen geschult werden. Literatur Apelt, Walter (1991): Lehren und Lernen fremder Sprachen. Grundorientierungen und Methoden in historischer Sicht. Berlin: Volk und Wissen. Becker, Carmen/ Blell, Gabriele/ Rössler, Andrea (Hrsg.) (2016): Web 2.0 und komplexe Kompetenzaufgaben im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a.M.: Peter Lang. Bergmann, Jonathan/ Sams, Aron (2012): Flip Your Classroom: Reach Every Student in Every Class Every Day. Eugene, OR/ Alexandria, VA: International Society for Technology in Education. Blell, Gabriele/ Surkamp, Carola (2016): „(Fremd-)Sprachenlernen mit Film - theoretische Grundlagen und praxisorientierte Anwendungen für einen kompetenz- und aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht am Beispiel <?page no="28"?> Gabriele Blell 28 von Jim Jarmuschs Night on Earth“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 45 (1), 8-32. Bönsch, Manfred (2007): Nachhaltiges Lernen durch Üben und Wiederholen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengeheren. Ebbinghaus, Hermann (1885): Über das Gedächtnis. Untersuchungen zur experimentellen Psychologie. Leipzig: von Duncker und Humbler. Hallet, Wolfgang (2012): „Die komplexe Kompetenzaufgabe“. In: Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 8-19. Helmke, Andreas (2006): „Was wissen wir uber guten Unterricht“. In: Padagogik 42 (2), 42-45. Helmke, Andreas/ Schrader, Friedrich-Wilhelm (2006): „Lehrerprofessionalität und Unterrichtsqualität. Den eigenen Unterricht beurteilen und reflektieren“. In: Schulmagazin 5-10 (9), 5-12. Jarmusch, Jim (1991): Night on Earth. Regie: Jim Jarmusch/ USA. Kieweg, Werner (2014): „Das Üben üben“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 131, 2-8. Klippel, Friederike (1998): „Systematisches Üben“. In: Timm, Johannes P. (Hrsg.): Englisch lernen und lehren. Didaktik des Englischunterrichts. Berlin: Cornelsen, 228-341. Klippel, Friederike/ Doff, Sabine (2006): Englischdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen. Königs, Frank G. (2015): „Keine Angst vor der Muttersprache - vor den (anderen) Fremdsprachen aber auch nicht! Uberlegungen zum Verhaltnis von Einsprachigkeit und Zweisprachigkeit im Fremdsprachenunterricht“. In: Zeitschrift fur Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 20 (2), 5-14. http: / / tujournals. ulb. tu-darmstadt.de/ index.php/ zif/ (12.01.2016). Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen/ Baden- Württemberg (2009): Üben, Festigen, Vertiefen und Anwenden im Geschichtsunterricht. http: / / lehrerfortbildung-bw.de/ faecher/ geschichte/ gym/ fb1/ anwenden/ vor/ (12.01.2016). Lück, Helmut E. ( 3 2002): Geschichte der Psychologie. Strömungen, Schulen, Entwicklungen. Stuttgart: Kohlhammer, 51-54. Meyer, Hilbert (2004): Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen. Möller, Stefan (2014): „A Call for CALL in the Modern Language Classroom“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 131, 38-43. Niedersächsisches Kultusministerium (2008): Materialien für kompetenzorientierten Unterricht im Sekundarbereich I. Englisch. Hannover: Unidruck. Peuschel, Kristina (2016): „Podcasts als komplexe Kompetenzaufgabe im DaF- Unterricht - für das Hören schreiben und mündlich kommunizieren“. In: Becker, Carmen/ Blell, Gabriele/ Rössler, Andrea (Hrsg.): Web 2.0 und komplexe Kompetenzaufgaben im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 75-88. <?page no="29"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 29 Schneider, Birte (2015): The Use of Communication Strategies in the EFL Classroom. Leibniz Universität Hannover: Hausarbeit, 45-47 (unveröffentlicht). Ullmann, Jan/ Hahn, Angela (2016): „Integration von Erklarvideos in einen Englisch-Selbstlernkurs.“ In: Blell, Gabriele/ Becker, Carmen/ Rossler, Andrea (Hrsg.): Web2.0 und komplexe Kompetenzaufgaben. Frankfurt a.M.: Lang, 285-296. <?page no="30"?> Üben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht: Ein Plädoyer für einen weiteren Übungsbegriff Eva Burwitz-Melzer 1 Begiffsbestimmung, Abgrenzungen und eine Erweiterung Wer den Begriff des Übens in fremdsprachlichen Lehr- und Lernkontexten definieren möchte, setzt ihn heutzutage zumeist in Relation zur Aufgabe (task) 1 1 Auch eine Abgrenzung der Übung zum fachdidaktischen Begriff der activity ist nicht eindeutig vorzunehmen. Activities, die als meist kleine kommunikativen Situationen von mehreren Sprechern durchgeführt werden, können ebenfalls bestimmte sprachliche Formen in ihren Mittelpunkt stellen, der Übergang zum spielerischen Lernen ist oft fließend (vgl. Klippel 2010, 186-7). Der Aspekt des Sprachhandelns scheint bei activities jedoch eine Voraussetzung zu sein, die bei Übungen nicht dringend gegeben sein muss. . Tasks, die für sich reklamieren, eine Bedeutung zu tragen, ein Ergebnis zu generieren, adressatengerecht konzipiert zu sein und sich am wirklichen Leben auszurichten, stehen „als kämpferischer Gegenbegriff“ zur Übung (Gnutzmann 2006, 63), die mit sprachlicher Form und Korrektheit, aber oft eben auch mit Artifizialität und sinnentleerter Wiederholung oder Schmalspur-Inhalten konnotiert wird. Tasks stützen sich seit Jahrzehnten auf kognitive Lerntheorien, auf den kommunikativen Ansatz, auf die Interaktionshypothese, während „Übungen“ mit dem fremdsprachendidaktischen Damoklesschwert der Langeweile, mit pattern drill und Behaviourismus assoziiert werden. Tatsächlich ist die Beziehung zwischen tasks und Übungen aber keine einfache Opposition, sondern sie stellt eine Grauzone dar, denn nicht jede task ist realitätsnah und komplex, nicht jede Übung kann für sich reklamieren, dass sie ausschließlich einen sprachlichen Fokus hat (vgl. Klippel 2010, 186). Gnutzmann und zahlreiche andere haben im Band der Frühjahrskonferenz zur Tagung von 2005, Aufgabenorientierung als Aufgabe, zu Recht herausgestellt, dass zwischen Aufgabe und Übung sogar eine innige Wechselbeziehung herrscht, ein Miteinander, das die Voraussetzung ist für ein erfolgreiches und sprachlich korrektes Ergebnis (vgl. Gnutzmann 2006, 63f.). Selbst im angelsächsischen Sprachraum ist ein focus on form nicht unbekannt: in Batesons dreischrittigem Grammatikkonzept, das noticing, structuring und proceduralizing als drei unabdingbare Schritte <?page no="31"?> Üben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 31 des Erlernens grammatischer Phänomene vorsieht, ist es der zweite Schritt des structuring, der gelenkte Übungen umfasst, die sich auf ein fokussiertes grammatisches Phänomen beziehen, während der dritte Schritt dann eine weniger fokussierte Transfer-Phase darstellt (Batstone 1995). Für junge Lernende wurde dieses Konzept von Cameron (2001) als besonders erfolgreich für das Üben sprachlicher und lexikalischer Phänomene empfohlen. Aber was passiert in dieser Übungsphase eigentlich genau? Stellvertretend für zahlreiche Autorinnen und Autoren, die einen etwas weiteren Übungsbegriff vertreten als den engen, rein sprachlich fokussierten, sei hier der Versuch unternommen, Üben im Fremdsprachenunterricht etwas weiter zu fassen: Üben bezieht sich auf einen begrenzten Bereich von sprachlichen oder kombinierten Teilleistungen, die neben sprachlichen Teilleistungen auch kognitive und emotionale Teilfertigkeiten umfassen können. Beispiele für rein sprachliche Teilleistungen beziehen sich in der Regel auf den Bereich der kommunikativen Kompetenzen und dort zum Beispiel auf Teilfertigkeiten aus den dienenden Bereichen Wortschatz oder Grammatik. Geübt werden können aber auch Teilfertigkeiten aus den komplexer angelegten Kompetenzbereichen wie der Text- und Medienkompetenz und der interkulturellen kommunikativen Kompetenz. Diese Übungen zeichnet aus, dass neben sprachlichen Phänomenen auch kognitive und emotionale Teilleistungen für die Teilfertigkeit geübt werden müssen; als Beispiele können hier das Erkennen von Reimschemata in Gedichten oder auch ein Perspektivenwechsel in einem Rollenspiel oder einem kreativen Text angeführt werden. Gemeinsam ist beiden Formen des Übens das wiederholende schrittweise Vorgehen, das allmähliche Einüben mit relativ geringer Variation und die konstante diagnostische bzw. rückmeldende Rolle der Lehrkraft, die einen Fortschritt in Bezug auf den Übungsgegenstand transparent machen muss. Es ist gerade diese schrittweise Wiederholung, die notwendig zum Üben gehört, die Reizübertragungen im Gehirn aufrechterhält, für die Bildung weiterer Synapsen sorgt und damit die Wissensbestände im Langzeitgedächtnis als neuronale Netzwerke speichert (vgl. Grein 2013, 17). Betrachten wir die empirische Forschung zu Übungsvorgängen aus der Sicht der Fachdidaktik in der Erwachsenenbildung bzw. im schulischen Fremdsprachenunterricht, so wird deutlich, dass der Fülle von Übungsmöglichkeiten und Situationsvariablen auch sehr breit gestreute empirische Erkenntnisse gegenüberstehen, die sich nur schlecht systematisieren lassen. Das Feld der empirischen Forschung zum Üben wird beherrscht von kleinen und oft spezialisierten Untersuchungen, die sich zumeist einen hierarchieniedrigen Aspekt des Übens herausgreifen, etwa eine bestimmte Sozialform, ein bestimmtes grammatisches Phänomen bei einer besonderen Lernerpopulation, eine bestimmte Form des Feedbacks beim Üben. Zum Üben im <?page no="32"?> Eva Burwitz-Melzer 32 Grammatikunterricht oder in einzelnen Fertigkeitsbereichen gibt es gerade aus dem angelsächsischen Raum, aber auch im DaF-Bereich aus den letzten zehn Jahren eine Vielzahl von Artikeln, die Übungen in einzelnen Lehrwerken, digitales selbstgesteuertes Üben, Übungsmaterialien, Übungssequenzen und auch Lernerfolge zu bestimmten Übungen bei verschiedenen Lernergruppen untersucht haben. Es fehlen aber einerseits systematischere, breiter angelegte empirische Untersuchungen zum Üben, andererseits gibt es kaum empirische Studien zum Üben komplexerer Leistungen, etwa Übungen im Bereich der literarisch-ästhetischen Kompetenz wie sie in der Text- und Medienkompetenz der Bildungsstandards von 2012 modelliert wurde im Bereich des kreativen Schreibens oder im Bereich der interkulturellen kommunikativen Kompetenz. Hier gibt es bisher noch einen blinden Fleck des Übens, der jene Kompetenzbereiche betrifft, die sich nicht nur mit sprachlich fokussierten Phänomenen befassen, sondern auch komplexere, über das Sprachliche hinausgehende Phänomene betreffen, wie zum Beispiel das Erkennen von Reimschemata in fremdsprachigen Gedichten, das Offenlegen impliziter oder expliziter Textbedeutungen in Texten oder das Vollziehen eines Perspektivenwechsels. Es ist klar, dass auch diese Leistungen geübt und sinnvoll in den Fremdsprachenunterricht eingebracht werden müssen, doch wurde eine Abfolge von Einzelübungen und eine sinnvolle Reihung oder Verschränkung des sprachlichen Übens mit dem Üben, das auch interkulturelle oder literarisch-ästhetische Teilleistungen in den Blick nimmt m.E. bisher nicht detailliert beschrieben. Ansätze dazu sind zu finden in den Versuchen, literarische oder interkulturelle Kompetenz zu modellieren, doch standen bei diesen Ansätzen nicht der Aspekt des Übens im Vordergrund, sondern Operationalisierungen der Kompetenz (vgl. Burwitz-Melzer 2007; Steininger 2012; Hallet, Surkamp und Krämer 2015). Nichtsdestotrotz ist es angesichts des Stellenwerts, den literarisch-ästehtische oder interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht innehaben, nötig, ein besonderes Augenmerk auf das Üben auch dieser Leistungen zu richten und darüber nachzudenken, wie sie operationalisiert und in Teilleistungen aufgebrochen werden können und wie sprachliches und nicht-sprachliches Üben in sinnvoller Rhythmisierung und Verschränkung in den Unterricht der Sekundarstufe I und II eingebracht werden kann. Diese Schlussfolgerung hat eine Ausweitung des bisher noch meist eng ausgelegten Übungsbegriffs über sprachlichfokussierte Teilleistungen hinaus zur Folge und setzt eine genaue Modellierung der literarisch-ästhetischen Kompetenz und der interkulturellen Kompetenz sowohl auf einer niedrigen wie auch auf höheren Niveaustufen voraus. Dieser Beitrag möchte aufzeigen, wie Üben komplexerer interkultureller Leistungen im Kompetenzsystem der fortgeführten Fremdsprache veror- <?page no="33"?> Üben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 33 tet werden kann und wie am Beispiel des Perspektivenwechsels sprachliches Üben mit komplexeren Übungsgegenständen verschränkt werden kann. 2 Kann man einen Perspektivenwechsel üben? In den Bildungsstandards der KMK für die fortgeführten Fremdsprachen in der Oberstufe (KMK 2012) taucht der Begriff des Perspektivenwechsels in zwei Standards auf. Einmal heißt es für den Kompetenzbereich der Text- und Medienkompetenz auf dem grundlegenden Niveau: „Die Schülerinnen und Schüler können sich mit den Perspektiven und Handlungsmustern von Akteuren, Charakteren und Figuren auseinandersetzen und ggf. einen Perspektivenwechsel vollziehen; “ während es im Bereich der interkulturellen kommunikativen Kompetenz lautet: „Die Schülerinnen und Schüler können einen Perspektivenwechsel vollziehen sowie verschiedene Perspektiven vergleichen und abwägen.“ Die Doppelung beweist die Wichtigkeit, die die Bildungspolitik dieser Teilleistung beimisst, sie zeigt aber auch, dass in den beiden Kompetenzbereichen etwas unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Denn die zwei hochkomplexen Standards verlangen von den Lernenden der Oberstufe nicht nur den Perspektivenwechsel an sich, sondern dazu noch andere Teilleistungen wie eine Perspektivenkoordination oder die Deutung von kulturellen Handlungsmustern die darauf aufbauen. Greifen wir einmal den Perspektivenwechsel als Teilleistung für die beiden Kompetenzbereiche heraus, der, wie zahlreiche Fallbeispiele belegen, auch bereits in der Sekundarstufe I geübt werden kann (vgl. Burwitz-Melzer 2003; Steininger 2012). Wie übt man eine solche Änderung der Perspektive mit einer Figur in einem literarischen Text? Wie funktioniert das sprachlich? Welche anderen, z.B. ästhetischen und kulturellen Teilleistungen benötigt man dafür und wie kann man das Üben des Perspektivenwechsels sprachlich, kognitiv und auch emotional unterstützen, so dass man die Leistung „Perspektivenwechsel“ in kleine Lernschritte mit minimaler Variation einteilen kann? Dass Lernende einen Perspektivenwechsel im Sinne eines handlungsorientierten interkulturellen FU durchführen können, wenn sie einen literarischen Text lesen, ist eine Tatsache, die in unseren Schulen inzwischen auch durch die Standards gestützt wird. Der Perspektivenwechsel wird eingebettet in eine sprachliche Handlung, die eine kreative Teilleistung darstellt. In neueren Publikationen zur Modellierung einer literarischen Kompetenz werden solche Fragen aufgegriffen, aber nur selten mit dem Begriff des Übens verbunden (Hallet/ Surkamp/ Krämer 2015). Dabei geht es inzwischen nicht mehr nur um eine Operationalisierung von Leistungen im Unterricht mit literarisch-ästhetischen Texten, sondern auch um eine Einteilung in <?page no="34"?> Eva Burwitz-Melzer 34 Niveaustufen. In der Regel geschehen diese Einteilungen in hierarchische Abfolgen ohne empirische Beweisführung, gelegentlich gibt es einzelne Fallbeispiele, die eine solche Stufung nahelegen (vgl. Burwitz-Melzer 2003). Aus der Deutschdidaktik lässt sich eine Publikation anführen, die die Bildung von Niveaustufen der literarischen Kompetenz auch mit dem Gedanken des zielführenden Übens ihrer Teilleistungen verknüpft (vgl. Schilcher/ Pissarek 2015). Am Beispiel des Perspektivenwechsels kann gezeigt werden, welche Teilleistungen erforderlich sind. Die jeweiligen Teilleistungen müssen im Unterricht durch verschiedene Texte und ein jeweils schrittweises wiederholendes Einüben erlernt werden (vgl. Funk in diesem Band). Die Übernahme einer fremdkulturellen Perspektive in einer Kurzgeschichte oder einem Roman setzt voraus, dass die Schülerinnen und Schüler lernen und üben, dass die dargestellte Welt in der Erzählung nicht Realität ist, sondern eine Konstruktion, ein Modell von Realität darstellt einfache Textsorten- und Genresignale im Text zu erkennen, semantische Ordnungen als textuelles Weltmodell zu erkennen und diese Semantiken auch zu rekonstruieren dass sie zum Verständnis der dargestellten Welt kulturelles Wissen als Voraussetzung benötigen einzuschätzen, welche Wissensbestände relevant sind für eine Konstitution der Textbedeutung kulturelles Wissen auszuwählen, das ihnen hilft, den dargestellten Weltentwurf zu verstehen, um selbstständig damit zu arbeiten die eigene und eigenkulturelle Perspektive bei der Lektüre zeitweise hintanzustellen und sich auf eine Perspektive der fiktionalen Figuren einzulassen, also eine Binnensicht einzunehmen die Binnensicht der Protagonisten sprachlich angemessen auszudrücken durch eine korrektes Einsetzen von passenden Gefühlen und Handlungsweisen, eine passende Sprachebene (evtl. Register, Soziolekt etc.), passende Orts- und Zeitangaben, passende Personalpronomen und Verben in der passenden Form, passende proxemische und non-verbale Details, passende äußere Ausstattung der fiktionalen Figuren, deren Perspektive übernommen werden soll im Reflexionsgespräch nach der Perspektivenübernahme die eigene und die übernommene Perspektive in ihrer kulturellen Differenzierung und Übereinstimmung zu erkennen und zueinander in Beziehung zu setzen. Ein Fallbeispiel aus der empirischen Unterrichtsforschung mag die Komplexität der Handlungen im Unterricht veranschaulichen und zeigen, wie ein <?page no="35"?> Üben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 35 Perspektivenwechsel geübt werden könnte: In einer 9. Hauptschulklasse einer integrierten Gesamtschule wird die Kurzgeschichte „The Circuit“ von Francisco Jimenez gelesen (vgl. Burwitz-Melzer 2001, 29-43). Die Geschichte stellt einen Ausschnitt aus dem Leben einer mexikanischen Migrantenfamilie im Süden der USA dar, die mit einem klapprigen Laster von Ernte zu Ernte reist, um ein karges Dasein zu fristen. Die Ich-Erzählung fokussiert auf Panchito, den zweitältesten Sohn der Familie, der mitarbeiten muss und nur sporadisch und mit häufigen Wechseln eine Schule besuchen kann. Es ist für ihn eine ganz besondere Erfahrung, als ein freundlicher Lehrer, der Panchito fördern will, anfängt, ihm Trompetenunterricht zu erteilen und ihn auch beim Erlernen des Englischen zu unterstützt. Aber bald darauf muss Panchito mit seiner Familie weiterreisen. Die Schülerinnen und Schüler lasen den Text in einer leicht gekürzten Fassung, der ohne Titel und Ende präsentiert wurde. Sie suchten Titel und verfassten kurze Schlussfassungen, die jeweils ausführlich im Unterricht diskutiert wurden. Als abschließende Aufgabenstellung war vorgesehen, dass die Lernenden eine Szene schreiben sollen, die mehrere Perspektivenwechsel erforderte. Die Szenen sollten im Plenum diskutiert, bearbeitet und vorgeführt werden. Die Lernenden konnten zwischen zwei Aufgaben wählen, die jeweils am Ende der Kurzgeschichte ansetzen, als die Familie in ihrem alten Lastwagen zu einem neuen, noch unbekannten Ziel aufbricht und damit Panchitos kurzen Schulbesuch wieder einmal abrupt beendet. A: The family moves on to their next job. They sit in the car. Mother and father start quarrelling about Panchito. Work with a partner. Write down what they say to each other. Do you think they talk loudly? B: The family moves on. They all sit in the car. Panchito is very sad and disappointed. His brother, who has to work more, tries to make him feel better. They start quarrelling. Work with a partner. Write down what they say to each other. Do you think they talk loudly? Anbei zwei Beispiele, die jeweils eine der Aufgabenstellungen aufgreifen: Text 1 (S 9 , S 10 ) (vgl. Burwitz-Melzer 2001 und 2003) The parents Mother: I think we should have stayed, so that Panchito could have gone to school! Father: In my opinion it's ok that he works, because he wasted much important time at school. Mother: Wouldn't you agree that it's better that he has a good education, so that he can have a better life than us in the future? <?page no="36"?> Eva Burwitz-Melzer 36 Father: I see what you mean, but we can't live from school, we can only live from money! Mother: Without any good education you can't earn much money. Father: But you wasted much time when you go to school in this time you could work. Mother: We will see what the future will bring. Bei dieser Spielszene handelt es sich um die einzige Partnerleistung, die das Gespräch der Eltern Panchitos zum Thema hat. Diese Tatsache kann zum einen darauf zurückzuführen sein, dass in der Kurzgeschichte nicht viel über die Eltern berichtet wurde, die Schüler sie also weniger gut ‚kannten‘ als Panchito (die Erzählung präsentiert das Geschehen als Ich-Erzählung durch seine Augen), zum anderen verweist diese Tatsache aber wohl auch auf die Schwierigkeiten der jugendlichen Schüler beim Einfühlen in die weitaus älteren Personen. Die in Partnerarbeit schreibenden Schüler sind erfolgreich im Ausgestalten einer neuen Szene sowie im Einüben des Perspektivenwechsels. Sie benutzen die passenden Personalpronomen, sie berücksichtigen die Gefühle und Handlungsmuster der dargestellten Personen, zeigen allerdings deutliche Geschlechter-Stereotypisierungen. So wird der Vater als pragmatischer Typ dargestellt, der von den Bildungsbestrebungen seines Sohnes nichts hält und nur die finanzielle Versorgung seiner Familie sicherstellen will. Die Mutter dagegen argumentiert für eine bessere Ausbildung des Sohnes, weil sie auch an eine spätere Berufsausbildung denkt. Bei dieser Diskussion kommen sicher Argumente ins Spiel, die die Jugendlichen selbst in diesem Moment ihrer Schulkarriere überdenken, sie haben also die entsprechenden Argumentationsmuster parat und wenden sie auf die fiktionalen Personen an. Sie tun dies jedoch auf eine Art, die mit der Handlung der Kurzgeschichte stimmig ist, denn sie verarbeiten den zentralen Konflikt zwischen billigster Tagelöhnerarbeit und dem Wunsch nach mehr Integration und besserer Qualifikation der Kinder recht plausibel. Realistischerweise bleibt ihr Konflikt ungelöst, vielleicht ist auch die Weiterfahrt mit dem Auto schon Lösung genug, die Mutter scheint jedoch noch nicht am Ende ihrer Argumente angekommen zu sein. Ein reflektierendes Nachgespräch müsste nun zahlreiche erfolgreich gestaltete Teilleistungen beleuchten, sowie auch die weniger geglückten. Warum unterscheiden sich die Eltern so deutlich in ihren Meinungen? Ist das plausibel? Der Sprachstil der Figuren ist der Lehrbucherfahrung der Schüler gemäß leider wenig plausibel, da er normales Lehrbuchenglisch zeigt. Aber eine Beurteilung dieses Punktes ist ohnehin schwierig, weil die Figuren in der Geschichte ohnehin zum Teil Spanisch, <?page no="37"?> Üben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 37 zum Teil auch ein dialektal gefärbtes, gebrochenes Englisch reden. Hier müsste also eigentlich die Aufgabenstellung auf ihre Plausibilität hin überdacht werden. Der zweite Schülertext beschäftigt sich mit dem Gespräch der zwei ältesten Brüder: Text 2 (S 19 , S 3 ) (vgl. Burwitz-Melzer 2001 und 2003) Roberto and Panchito Roberto: Come on, boy, your situation is better than my situation. I want to go to school, but I must work. Panchito: I don't like school so much because I have sometimes problems with other pupils. But I like Mr. Lema, my teacher. Roberto: That's not the problem. You mustn't be afraid of problems at school. Panchito: You don't understand. I liked to go to school and learnt much but the languages are difficult for me. Roberto: You can be happy that you can learn the languages. I've no chance! Panchito: You are right. I'll think about it! Roberto: We must talk with our parents, that we stay and have a real own home. That's also the right thing for the other kids. Beim Gespräch zwischen Roberto und Panchito, werden die familiäre und soziale Lage sowie den fremdkulturellen Konflikt der Kurzgeschichte berücksichtigt. Die Übernahme der Perspektiven ist größtenteils gelungen, die Argumentation der Protagonisten ist stimmig mit ihrem Verhalten in der Erzählung. Roberto tröstet in dieser Szene seinen jüngeren Bruder mit dem Hinweis, dass er glücklich sein soll, überhaupt zur Schule gehen zur dürfen, auch wenn der Schulbesuch immer wieder unterbrochen wird. Panchito erzählt dem großen Bruder, dass er seinen Lehrer wie einen Freund gemocht, mit den anderen Schülern jedoch Schwierigkeiten gehabt habe. Seiner mangelnden Sprachkenntnisse wegen sei er zunächst sehr schüchtern gewesen. Die Integrationsproblematik Panchitos, die in der Kurzgeschichte mehrfach angesprochen wird, wird an dieser Stelle von den Lernenden aufgegriffen und sehr textnah verarbeitet. Roberto ist mit fast väterlicher Fürsorge um den jüngeren Bruder bemüht: er wiegelt ab, beschwichtigt, fragt aber nicht genauer nach. Panchito fühlt sich unverstanden und weist die Worte seines Bruders zunächst zurück, bevor er zugibt, er möge mit seiner Bemerkung über Bildungschancen auch Recht haben. Roberto erkennt in <?page no="38"?> Eva Burwitz-Melzer 38 diesem Text, anders als in der zweiten Szene, die implizite, integrative Bedeutung des Fremdsprachenlernens. Interessanterweise zieht Roberto als der Ältere am Schluss des Gesprächs sogar Konsequenzen aus seiner Überzeugung: Er will grundsätzlich etwas ändern am Leben der Familie, ein richtiges Zuhause schaffen für die jüngeren Kinder (hier nicht stimmig bezeichnet als „theotherkids“), eine Basis für spätere berufliche Chancen. Als ältester Sohn in einer hierarchisch aufgebauten mexikanischen Familie ist er so haben es die beiden Lernenden erkannt maßgeblich mitverantwortlich für das Schicksal seiner Brüder und Schwestern. Ein fester Wohnsitz scheint den deutschen Schülern ein erster gelungener Schritt in die richtige Richtung, um die Situation der Einwanderer zu verbessern. Dieser kleine Dialog stellt eine gelungene und recht komplexe Variante der Szene dar, in der die beiden Schüler ihr Verständnis der Kurzgeschichte bewiesen, ihre Empathie gegenüber den Figuren dargestellt und gleichzeitig ihre interkulturelle Kompetenz in Form eines „Verbesserungsvorschlags“ für die Migrantenfamilie formuliert haben. Hier deutet sich neben einem Perspektivenwechsel auch die Einarbeitung einer Strategie zur besseren Integration, zum sozialen Aufstieg im fremden Land und zur Perspektivenkoordinierung zwischen mexikanischen Einwanderern und ihrem neuen Heimatland an. Beide Dialoge zeigen das Bemühen der Lernenden der 9. Hauptschulklasse, sich auf den fiktionalen Text einzulassen und ihrem Sprachvermögen gemäß eine eigene Szene mit Perspektivenwechsel zu entwerfen. Dabei gibt es deutliche Erfolge, die sich durch eine gute Passung mit der Geschichte insgesamt und den fiktionalen Figuren zeigen, aber auch deutliche Schwächen, z.B. die wenig passende Bezeichnung für die Geschwister im zweiten Gespräch. Es wird also auch Übungsbedarf sichtbar. Will man die Teilleistung „Perspektivenwechsel“ fördern, kann man an diesen Leistungen anknüpfen, sie intensiv in Bezug auf die oben aufgestellten Teilleistungen besprechen und mit einem anderen fiktionalen Text eine ähnliche Aufgabe im Sinne einer einübenden Wiederholung durchführen. 3 Mögliche empirische Forschungsansätze Wie das Fallbeispiel zeigen konnte, ist es möglich, auch komplexe Teilleistungen im interkulturellen Englischunterricht mit literarischen Texten zu üben. Besonders interessant für die empirische Forschung stellt sich das Üben in diesen komplexen Lernprozessen dar, die bisher zumeist nur selten als genuines Übungsfeld betrachtet worden sind. Empirische Forschungsarbeiten zum kompetenzorientierten Üben im komplexen Bereich der Literaturbzw. Kulturdidaktik des Fremdsprachenunterrichts stehen aber bisher sowohl für die Sekundarstufe I wie auch für Sekundarstufe II noch aus. <?page no="39"?> Üben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 39 Literatur Batstone, Rob (1995): Grammar. Oxford: OUP. Burwitz-Melzer, Eva (2003): Allmähliche Annäherungen: Fiktionale Texte im interkulturellen Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I. Tübingen: Narr. Burwitz-Melzer, Eva (2007): „Ein Lesekompetenzmodell für den fremdsprachlichen Literaturunterricht“. In: Bredella, Lothar/ Hallet, Wolfgang (Hrsg.): Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung. Trier: Wissenschaftlicher Verlag, 127-157. Cameron, Lynn (2001): Teaching Languages to Young Learners. Cambridge: CUP. Funk, Hermann (in diesem Band): „Was heißt Time on task? Oder: Warum übt man ausgerechnet im Fremdsprachenunterricht oft nicht das, was man am Ende können soll? “, 62-76. Gnutzmann, Claus (2006): „Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Adoption von task-basedlanguageteachingandlearning? “ In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 62-71. Grein, Marion (2013): Neurodidaktik. Grundlagen für Sprachlehrende. München: Hueber. Hallet, Wolfgang/ Surkamp, Carola/ Krämer, Ulrich (Hrsg.) (2015): Literaturkompetenzen Englisch: Modellierung - Curriculum - Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Klippel, Fiederike (2010): „Activities und Sprachlernspiele“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze- Velber: Klett Kallmeyer, 186-190. KMK (Kultusministerkonferenz) (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Bonn, Berlin 2013. Schilcher, Anita/ Pissarek, Markus (Hrsg.) (2015). Auf dem Weg zur literarischen Kompetenz: Ein Modell literarischen Lernens auf semiotischer Grundlage. 3. korr. u. erg. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Steininger, Ivo (2012): Modellierung literarischer Kompetenz. Eine qualitative Studie im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I. Tübingen: Narr. <?page no="40"?> Eine oder mehrere Kompetenzen schulen? Oder: Zum Stellenwert des Übens in komplexen Lernaufgaben Daniela Caspari 1 Widersprüchliche Befunde zum Stellenwert des Übens Sowohl der Begriff als auch die Relevanz des Übens für das Fremdsprachenlernen scheinen in der aktuellen Fremdsprachendidaktik unterschiedlich betrachtet zu werden. In der Einführung in die Fremdsprachendidaktik von Decke-Cornill/ Küster (2010) tauchen die Begriffe „Üben“ bzw. „Übung“ weder im Inhaltsverzeichnis noch im Index auf, auch in der von Grünewald und Küster herausgegebenen Fachdidaktik Spanisch (2009) ist „Übung“ nur einmal im Index aufgeführt (S. 118, „tarea vs. Übung“). Dagegen findet man in der von Leupold (2010) verfassten Französischdidaktik 23 Index-Einträge. Wie kommt es, dass dem Üben zur gleichen Zeit ein solch unterschiedlicher Stellenwert zugemessen zu werden scheint? Auch in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik wurden höchst unterschiedliche Vorstellungen von Dauer, Art und Zielsetzung des Übens vertreten (vgl. das Nachzeichnen der letzten 50 Jahre in Klippel 2013). Dasselbe gilt für die Bedeutung des Übens in unterschiedlichen Disziplinen, so dass Klippel (2010, 315) zu dem Schluss kommt: „Welchen Stellenwert man dem Üben zubilligt, hängt […] mit dem jeweils vertretenen Konzept des Lernens und dessen vorrangigem Ziel zusammen.“ Diese bestimmen auch den didaktischen Ort des Übens: Geht man von dem im Kommunikativen Ansatz vertretenen und in Lehrwerken sowie der unterrichtlichen Praxis bis heute wirkmächtigen Ablaufschema einer Unterrichtsstunde bzw. Unterrichtseinheit von Zimmermann (1977) aus, so findet die Übung nach der Einführung und vor Transfer und Anwendung eines neuen Phänomens statt (presentation - practice - production). Der Grundgedanke ist, dass durch Einübung und Kognitivierung eines isolierten Phänomens sowie das Üben in Minimalpaaren (Transfer) eine solche sprachliche Sicherheit und Korrektheit in Bezug auf dieses Phänomen gewonnen wird, dass es anschließend in einer sprachlich komplexeren Anwendungsphase weitgehend korrekt verwendet werden kann. Dagegen hat Ellis (vgl. 2003, 2-5), möglicherweise um das Konzept der Aufgabenorientierung zu verdeutlichen, die Unterschiede zwischen „Aufga- <?page no="41"?> Eine oder mehrere Kompetenzen schulen? 41 be“ (task) und „Übung“ (exercise) so zugespitzt, dass die Übung im Vergleich zur Aufgabe teilweise negativ konnotiert ist: Übung ( exercise ) Aufgabe ( task ) Schwerpunkt liegt auf der sprachlichen Form einer Äußerung formal korrekter Sprachgebrauch steht im Vordergrund Schwerpunkt liegt auf dem Inhalt einer Äußerung inhaltlich korrekter, dem Kontext angemessener Sprachgebrauch steht im Vordergrund Sprechsituation oft sehr konstruiert Sprache nicht bzw. selten authentisch ermöglicht authentische Kommunikation und realitätsnahe Sprache steuert stark legt Lernende auf bestimmte Lösungswege fest betont Mitdenken und Selbständigkeit der Lernenden bietet den Lernenden keine vorgefertigten Lösungswege an, sondern fördert ihr aktives Problemlösungsverhalten strebt eng definierte Lernziele an zentrales Ziel: Festigung sprachlicher Systeme ist in ihrer Durchführung flexibel sprachliches Lernen ist intentional Ausführende einer Übung als Lerner sprachliches Lernen geschieht „beiläufig“ Ausführende einer task als Sprachanwender (language users) Diese Gegenüberstellung mag als Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit Lernaufgaben geeignet sein, stellt sie doch das Neuartige gegenüber dem oben skizzierten PPP-Ansatz mit seinem hohen Übungsanteil pointiert heraus. Sie stellt jedoch keinesfalls eine theoretisch fundierte Abgrenzung dar, sondern konstruiert - so erscheint es im Rückblick - einen unfruchtbaren Gegensatz, der zu der falschen Wahrnehmung beigetragen haben könnte, dass der Erwerb sprachlicher Mittel im aufgabenorientierten Ansatz dem Zufall überlassen bliebe: „Wenn den Schülern nicht Gelegenheit gegeben wird, sich zunächst [Hervorhebung durch die Verfasserin] die notwendigen <?page no="42"?> Daniela Caspari 42 sprachlichen Mittel zu erarbeiten, werden sie demotiviert, da inkompetent im Sinne der tarea“ (Fredershausen 2016, 72). Auch die Entscheidung, die Tätigkeit des Übens im weiter gefassten Konzept der „Schulung“ aufzuheben, so wie es in der von Sommerfeldt (2011, Kap. 3) herausgegebenen Spanisch-Methodik geschieht, scheint nicht ideal, wird doch auch hierbei die Spezifik des Übens für den Lernprozess nicht recht deutlich. Dabei gehört das Üben als eigenständige Tätigkeit im schulischen Unterricht nach Überzeugung zahlreicher Didaktiker/ innen und vermutlich fast aller Schulpraktiker/ innen „zu den zentralen Phasen im fremdsprachlichen Lernprozess“ (Kieweg 2010, 182). Dies liegt vor allem daran, dass die geringe fremdsprachliche Kontaktzeit es notwendig macht, die erworbenen Phänomene zeitökonomisch gezielt zu festigen. Zu der unbefriedigenden Situation trägt weiterhin bei, dass auch den aktuellen Lehr-/ Lernmaterialien noch kein kohärentes Konzept zum Üben im kompetenzorientierten Unterricht zugrundeliegt, im Gegenteil. Während Klippel (2010, 315) in Anlehnung an Bollnow (1978) zwischen dem „Wiederholen“ von deklarativem Wissen und dem „Üben“ von Fertigkeiten unterscheidet, findet man in Lehrwerken unter „Übungen“ beides: sowohl die Wiederholung von sprachlichem Regelwissen (z.B. Konjugationen unregelmäßiger Verben) als auch die Einübung der korrekten Anwendung dieses Wissens (z.B. durch Umformungs- oder Einsetzübungen und kommunikative Übungen). Jedoch werden die Zielsetzungen i.d.R. nicht ausgewiesen, so dass den Schüler/ innen meist nicht bewusst ist, wozu diese Übungen im Einzelnen dienen. Vielmehr erscheint das korrekte ‚Abarbeiten‘ der Übungsbatterien als eigentliches Lernziel, vor allem, wenn die gleichen Formate anschließend in Klassenarbeiten zur Überprüfung verwandt werden. Zudem findet man bislang nur selten Übungen, die den Kompetenzaufbau durch die Bewusstmachung und das Training von Strategien funktional unterstützen. In dieser unbefriedigenden Situation ist verständlich, dass die klare Struktur des PPP-Ansatzes als überzeugendere Alternative erscheint. Jedoch kamen in der Unterrichtsrealität der angezielte Transfer und erst recht die Anwendungsphase angesichts des Zeitdrucks („das Buch schaffen“) oft zu kurz oder fielen ganz aus. Einige Französischlehrwerke verlegten sie denn auch gleich in den fakultativen Teil der Lektion. Um Erwerb und Anwendung sprachlicher Kompetenzen untrennbar miteinander zu verbinden, sind derzeit Lernaufgaben das Mittel der Wahl. <?page no="43"?> Eine oder mehrere Kompetenzen schulen? 43 2 Üben in Lernaufgaben Trotz der von Ellis suggerierten Gegensätzlichkeit von task und excercice sind auch im aufgabenorientierten Ansatz Übungsphasen vorgesehen. Willis (1996) z.B. platziert für den Erwachsenenunterricht formfokussierte Phasen ans Ende der Lernaufgabe, Carstens (2005) oder Schinke/ Steveker (2013) integrieren für den Schulunterricht sprachformale und kompetenzbezogene Übungsphasen bzw. Übungsschleifen in die einzelnen Teilaufgaben einer komplexen Lernaufgabe 1 2.1 Lernaufgabe oder Anwendungsaufgabe? . Ein großer Vorteil dieses Arrangements besteht darin, dass die Lerner/ innen von Anfang an wissen, worauf sie hinarbeiten. Sie können zum einen aus dem zu erstellenden kommunikativen Produkt die dafür jeweils notwendigen inhaltlichen, sprachlichen und textsortenbezogenen Kenntnisse ableiten. Zum anderen können sie bei der Analyse der komplexen Lernaufgabe erkennen, welche Teilaufgaben auf den Erwerb welchen Wissens bzw. auf das Einüben welcher Fertigkeiten abzielen, die sie abschließend für das Erstellen des Endproduktes benötigen werden. Neben der Transparenz besteht ein Vorteil darin, dass die Übungsphasen leichter individualisiert werden können: Da alle Lerner/ innen das Endprodukt im Blick haben, können sie (mit-)entscheiden, welchen Übungsbedarf sie haben und welche der angebotenen Übungen ihren Lernbedürfnissen am besten gerecht werden. Ein Risiko bei diesem Ansatz besteht darin, dass die Lerner/ innen die Aufgaben ausschließlich mit ihrem bereits vorhandenen Wissen und Können bewältigen oder dass sie ihren Übungsbedarf unterschätzen (zu den Vor- und Nachteilen vgl. auch den fachlichen Dialog Aufgabe - Übung von Caspari/ Klippel 2013). Bislang ist m.W. noch nicht genauer darüber nachgedacht worden, welche Funktion und welcher Stellenwert dem Üben innerhalb der unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien von Lernaufgaben zukommt. Innerhalb der komplexen Lernaufgaben kann man grob zwischen Aufgaben, die gezielt auf einen Kompetenzschwerpunkt fokussieren, und Aufgaben, die integriert mehrere Kompetenzen schulen wollen, unterscheiden. Ein Beispiel mit zwei inhaltlich gleichen Zielaufgaben, das unser Arbeitsbereich für den „Studientag romanische Sprachen 1./ 2./ 3. Phase 2016“ an der Freien Universität analog zu vorliegenden Aufgabenbeispielen konzipiert hat, mag diese beiden 1 Bei komplexen Lernaufgaben handelt es sich um kompetenzorientierte Aufgaben, die aus mehreren Teilaufgaben und entsprechenden Übungen bestehen, die inhaltlich, sprachlich und strategisch auf die zu Beginn präsentierte Zielaufgabe (target task) vorbereiten (vgl. Caspari 2013, 6, s. auch Hallet 2013). <?page no="44"?> Daniela Caspari 44 Konzepte illustrieren. 2 Die Zielaufgabe für beide Aufgaben für das Niveau GeR B1 lautet, auf einer Reisemesse für Jugendliche einen Stand zu Reisezielen im Zielsprachenland vorzubereiten und dort Beratungsgespräche durchzuführen: „Euer Ziel auf der Messe ist es, möglichst viele jugendliche Besucher für euer Reiseziel zu interessieren und sie möglichst auch zu einer Reise dorthin zu bewegen.“ 3 Die Aufgabe mit der Bezeichnung „integrierte Kompetenzenschulung“ ist in drei große Blöcke unterteilt: In je vier Unterrichtsstunden stellen die Schüler/ innen zunächst relativ frei aus Reiseführern, Broschüren und dem Internet Informationen über sehenswerte Ziele und attraktive Angebote aus den Zielregionen zusammen (Kompetenzbereich: verschiedene Formen des Leseverstehens). Danach erstellen sie auf der Basis ihrer Informationen ansprechendes Informationsmaterial (z.B. Plakate, Flyer, Broschüren) für den Messestand (Kompetenzbereich: textsortengerechtes Schreiben). Der vierte Block dient der Vorbereitung, Durchführung und Evaluation der Messeaktivitäten: „Betreut den Messestand während der Messe. Überlegt euch vorher, wie ihr am besten die Besucher ansprecht, wie ihr das Interesse der Besucher wecken und aufrechterhalten könnt, was ihr an Informationen zu XY in einem Gespräch mit den Besuchern vorstellen wollt, wie ihr die erstellten Informationsmaterialien in euer Gespräch einbauen möchtet und wie ihr auf Nachfragen reagieren könnt. Das Arbeitsblatt xy gibt euch nützliche Redemittel für ein solches Gespräch. Spielt die Betreuung des Standes einmal in der Gruppe zur Probe durch“ (Kompetenzbereich: dia- oder multilogisches Sprechen mit längeren monologischen Anteilen). Bei den Expert/ innen und Zuhörer/ innen des Studientages (Fachseminarleiter/ innen, Referendar/ innen, Lehrer/ innen und Student/ innen) wurden an dieser Aufgabe das hohe Motivationspotenzial, die Nähe zur Lebenswelt, die Vielfalt und die funktionale Verzahnung der verschiedenen Kompetenzbereiche hervorgehoben, die vernetztes Lernen unterstütze. Die anschließend vorgestellte Aufgabe mit der Bezeichnung „fokussierte Kompetenzschulung“ konzentriert sich dagegen auf den systematischen 2 Trotz intensiver Recherche haben wir in Vorbereitung auf den Studientag keine Literatur zu diesem Aspekt finden können. Die Wahrnehmung der Unterschiede zwischen den beiden Konzepten und die Konstruktion der Aufgaben beruhen auf intensiven Diskussionen auf der Basis der gemeinsamen Lehr-, Fortbildungs- und Unterrichtserfahrung unseres Arbeitsgebietes unter Mitwirkung von Dr. Andrea Schinschke (Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg). 3 Die Aufgabe war wegen der sprachenübergreifenden Zielgruppe auf Deutsch formuliert. Weitere Informationen s. http: / / www.geisteswissen-schaften.fuberlin.de/ we05/ romandid/ fort-und-weiterbildung/ studientage/ index.html (16.05.2016). <?page no="45"?> Eine oder mehrere Kompetenzen schulen? 45 Aufbau der für das Messegespräch benötigten Kompetenzen (Kompetenzbereich: dia- oder multilogisches Sprechen mit längeren monologischen Anteilen). Innerhalb der vorgesehenen zwölf Unterrichtsstunden dienen dazu insbesondere folgende Einzelbzw. Teilaufgaben: Nach der zweistündigen, durch vorausgewähltes Material stärker gelenkten Lesephase machen die Schüler/ innen Notizen zu den Besonderheiten der Reiseziele und notieren sich die Fundstellen im vorgegebenen Material mit dem Ziel, während des Messegesprächs darauf zurückgreifen zu können. In jeweils einer Stunde werden anschließend die Charakteristika eines Standgespräches und die daraus erwachsenden Anforderungen an die Schüler/ innen thematisiert und es werden die dafür notwendigen sprachlichen Voraussetzungen (Redemitel, Strategien) erarbeitet. Anschließend werden die Gespräche in kleinen Gruppen geplant, geprobt und anhand von Peer-Feedback überarbeitet. Die Messegespräche selbst werden stets zu viert durchgeführt: der/ die eine Informat/ in kann den/ die zweite/ n bei Schwierigkeiten unterstützen, der/ die zweite Besucher/ in füllt während des Gesprächs einen Bogen mit Fragen zum Inhalt und zum Gesprächsverlauf für das abschließende Feedback aus. Diese Aufgabe wirkte auf unser Publikum auf den ersten Blick weniger attraktiv: Sie sei insgesamt zu aufwändig, es würden weniger landeskundliche Inhalte erarbeitet, die Schüler/ innen könnten weniger kreativ sein und würden insgesamt viel stärker gelenkt, es werde zu viel Zeit für die Vorbereitung der sehr speziellen Teilkompetenz „ein werbendes Informationsgespräch führen“ verwendet und Teile des Unterrichts müssten notgedrungen auf Deutsch stattfinden. Betrachtet man die beiden Aufgaben jedoch in Hinblick auf den angestrebten Kompetenzerwerb, so ergibt sich ein anderes Bild: Im ersten Fall werden zur Bearbeitung der Aufgaben zwar viele Kompetenzen verlangt, jedoch besteht kaum Gelegenheit, sie zu schulen. Auch wenn innerhalb der Aufgabe Hilfen z.B. zum Recherchieren und Lesen der Informationsmaterialien oder für die Schreibaufgabe eingegeben würden, könnten allein aufgrund der geringen Unterrichtszeit und der Vielfalt der zu rezipierenden und zu erstellenden Materialien keine Erwerbs- und Übungsphasen integriert werden. Dies gilt sogar für die Zielkompetenz. Das heißt, dass mit der ersten Aufgabe zwar viele Kompetenzen angesprochen und aktiviert, sie jedoch nicht gezielt geschult werden. Selbst das Bewältigen der spezifischen Textsorte „werbendes Informationsgespräch“ kann kaum spezifisch unterstützt werden. Zudem ist keine Progression erkennbar. Daher handelt es sich bei der Aufgabe trotz der Erfüllung zahlreicher für Lernaufgaben typischer Kriterien (vgl. Bechtel 2011) nicht um eine kompetenzorientierte Lernaufgabe im engeren Sinne, sondern um eine Anwendungsaufgabe, die das Beherr- <?page no="46"?> Daniela Caspari 46 schen der notwendigen sprachlichen und strategischen Kompetenzen bereits voraussetzt (vgl. Caspari 2013, 6). Im zweiten Fall handelt es sich dagegen um eine Lernaufgabe im engeren Sinn, d.h. um eine Aufgabe, mit der gezielt das notwendige sprachliche, strategische und textsortenbezogene Wissen für den Aufbau der Teilkompetenz „ein werbendes Informationsgespräch führen“ vermittelt und eingeübt werden kann (vgl. Caspari 2013, 6-8). Durch die sprachreflexiven Phasen werden zugleich die lateralen Kompetenzen Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz geschult. Die Aufgabe zeichnet sich durch eine klare Progression in Hinblick auf den Aufbau der Teilkompetenz aus, die Ergebnisse können anhand der während der Lernaufgabe erarbeiteten Kriterien transparent bewertet werden. Trotzdem bevorzugten einige Expertinnen und ein Teil des Publikums auch nach der Analyse die erste Aufgabe, denn sie biete mehr Gelegenheit, inhaltlich in die Breite und die Tiefe zu gehen und werde dadurch dem Bildungsauftrag des Fremdsprachenunterrichts besser gerecht. 3 Komplexe Lernaufgaben als Mittel zum Erwerb von Inhalten und sprachlichen Kompetenzen Anhand der vorgestellten Beispiele sollen abschließend einige Aspekte betrachtet werden, die seit Beginn der fachdidaktischen Diskussion um Lernaufgaben thematisiert werden. Das zuletzt genannte Argument, dass die vorgestellte erste Aufgabe besser geeignet sei, um inhaltsbezogen zu arbeiten, verweist auf die kontroverse Debatte um Kompetenzversus Bildungsorientierung des Fremdsprachenunterrichts. Wie an den beiden Beispielen erkennbar wird, schließen sich die Aspekte jedoch nicht aus: In beiden Fällen erwerben die Schüler/ innen landeskundliches Wissen und wenden es in einer kommunikativen Situation an. Während im ersten Fall das landeskundliche Wissen um seiner selbst willen erarbeitet zu werden scheint, in Schülerprodukten dokumentiert wird und erst im zweiten Schritt für die Zielaufgabe genutzt wird, erhält es in der zweiten Aufgabe von Anfang an „dienenden Charakter“, indem es auf seine Funktion im Beratungsgespräch hin selektiert und somit funktionalisiert wird. Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich der landeskundliche Wissenserwerb der Schüler/ innen in beiden Fällen tatsächlich grundlegend unterscheidet, oder ob nicht vielmehr die Tatsache Unbehagen erzeugt, dass in der zweiten Aufgabe dieses Wissen von Anfang an bewusst auf ein kommunikatives Ziel hin erworben wird. Der für Lernaufgaben konstitutive Inhaltsbezug verhindert aber auf jeden Fall, und das wäre das andere Extrem, <?page no="47"?> Eine oder mehrere Kompetenzen schulen? 47 dass sprachliche Inhalte und Kompetenzen um ihrer selbst willen erworben werden - so wie es Schüler/ innen in der Realisierung des PPP-Ansatzes nicht selten erlebten. Als zweites stellt sich die Frage, ob es tatsächlich möglich und, wenn ja, ob es sinnvoll ist, gleichzeitig mehrere Kompetenzen gezielt zu schulen. Die Bezeichnung „integrierte Kompetenzenschulung“ klingt attraktiv und scheint der Realität des Fremdsprachenerwerbs und der Fremdsprachenverwendung näher zu kommen als „fokussierter Kompetenzaufbau“ bzw. „fokussierte Kompetenzschulung“. Aber selbstverständlich, und dies ist im zweiten Beispiel deutlich erkennbar, erschöpft sich die fokussierte Schulung innerhalb einer Lernaufgabe nicht darin, dass ausschließlich diese Kompetenz „bedient“ wird. Um sinnvoll Sprechen zu üben, benötigt man sinnvolle Inhalte (Lesen, Schreiben) sowie Reaktionen und Rückmeldungen seiner Gesprächspartner/ innen (Hören). Auch wenn die Kompetenz Leseverstehen im zweiten Beispiel durch ein Hilfeblatt mit Lesestrategien und das Hören der Messe-Dialoge durch ein Kriterienblatt unterstützt werden, kann nicht von einer Schulung im engeren Sinne gesprochen werden, dient beides doch lediglich der Erinnerung und Unterstützung. Und auch wenn die Kompetenzbereiche Lesen, Schreiben und Hören in der zweiten Aufgabe allein durch ihren Gebrauch trainiert werden, stellt dies keine Schulung dar. Denn von Kompetenzaufbau bzw. -schulung kann man m.E. erst dann sprechen, wenn innerhalb einer mehrstündigen Unterrichtssequenz bzw. einer Lernaufgabe gezielt, systematisch und bewusst an einer (Teil-)kompetenz gearbeitet wird und durch zunehmend komplexere Anforderungen (Progression) ein Lernfortschritt angebahnt wird. Zur Unterscheidung der unterschiedlichen Funktionen der einzelnen Kompetenzen innerhalb einer Lernaufgabe ist es daher sinnvoll, sie begrifflich zu unterscheiden: Lesen, Schreiben und Hören kommt in der geschilderten Aufgabe die Funktion einer „Aktivität“ zu, während Sprechen hier als „Kompetenz“ fungiert (vgl. auch Richards o.J.). Selbstverständlich werden alle diese Kompetenzen in der Aufgabe gefordert und dadurch auch indirekt gefördert, gezielt geschult jedoch wird lediglich die Kompetenz „Sprechen“. Der undifferenzierte Gebrauch der Begriffe „Kompetenzschwerpunkt“ und „Förderung“ (s. auch Bechtel 2011, 30) verwischt m.E. diesen fundamentalen Unterschied. Mit der Unterscheidung von „Aktivität“ und „Kompetenz“ hängt der dritte Aspekt zusammen, der der Übung. Es liegt auf der Hand, dass in einer Aufgabe, in der auf unterschiedliche Kompetenzen zurückgegriffen wird, kaum Gelegenheit besteht, sie alle ausführlich zu üben. Zwar ist es möglich, punktuell Übungen zur Auffrischung bereits erworbener Teilkompetenzen einzubauen. Für einen dauerhaften Kompetenzaufbau bedarf es jedoch einer <?page no="48"?> Daniela Caspari 48 Reihe von aufeinander aufbauenden Übungsangeboten, die auf den Erwerb, die Behaltenssicherung und Verfügbarkeit der für die Aufgabe erforderlichen sprachlichen Mittel sowie auf eine Verbesserung der entsprechenden (Teil-)Kompetenz fokussieren und dadurch die sprachliche Geläufigkeit, Angemessenheit und Korrektheit unterstützen (vgl. Thaler 2014, 15; Klippel 2010, 315). Es liegt auf der Hand, dass dies aus lernpsychologischen wie zeitlichen Gründen sinnvollerweise nur in fokussierten Lernaufgaben zu realisieren ist. Möglicherweise ist es gerade der Aspekt des Übens, der die erste Aufgabe attraktiver als die zweite erscheinen lässt. Fokussiertes, aufbauendes Üben verlangt nun einmal viel Zeit und Mühe. Und möglicherweise ist es gerade der Aspekt des Übens, der die Diskussion über die generelle Sinnhaftigkeit kompetenzbzw. aufgabenorientierten Unterrichts entschärfen könnte: Auch beim kompetenzbzw. aufgabenorientierten Lernen müssen Schüler/ innen üben, um sich sprachlich zu verbessern. Aber anders als im PPP- Ansatz tun sie es fokussiert und systematisch auf ein ihnen von Anfang an bekanntes, vergleichsweise enges kommunikatives Ziel hin. Und da in beiden Ansätzen die Bewusstheit, welche Ziele ein Übungsangebot verfolgt und welche Funktion ihm daher im Lernprozess zukommt, den Lernerfolg erhöhen sowie differenziertes Lernen und den Erwerb von Lernerautonomie unterstützen dürfte, sollte das konkrete Übungsziel m.E. bei jedem Übungsangebot, auch jeder einzelnen Übung in Lehrwerkseinheiten, angegeben werden. Literatur Bechtel, Mark (2011): „Lernaufgaben für einen kompetenzorientierten Französischunterricht in der Sekundarstufe I“. In: französisch heute 42, 25- 34. Bollnow, Otto Friedrich (1978): Vom Geist des Übens. Eine Rückbesinnung auf elementare didaktische Erfahrungen. Freiburg: Herder. Carstens, Ralph (2005): „Engaging Learners in Meaning-Focused Language Use“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 2, 7-12. Caspari, Daniela (2013): „Aufgaben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 10, 5-8. Caspari, Daniela/ Klippel, Friederike (2013): „Aufgabe und Übung - ein fachlicher Dialog“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 130-131. Decke-Cornill, Helene/ Küster, Lutz (2010): Fremdsprachendidaktik. Eine Einführung. Tübingen: Narr. Ellis, Rod (2003): Task-based Language Learning and Teaching. Oxford: Oxford University Press. <?page no="49"?> Eine oder mehrere Kompetenzen schulen? 49 Fredershausen, Henning (2016): „Kompetenzorientierung, ein Paradigmenwechsel in der Fremdsprachendidaktik? “ In: Hispanorama 151, 69-75. Grünewald, Andreas/ Küster, Lutz (Hrsg.) (2009): Fachdidaktik Spanisch: Tradition, Innovation, Praxis. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hallet, Wolfgang (2013): „Die komplexe Kompetenzaufgabe“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 124, 2-8. Kieweg, Werner (2010): „Übungsformen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 182-186. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart: Metzler, 314-317. Klippel, Friederike (2013): „Übung macht den Meister - practice makes perfect: Von den langweiligen Aspekten des Sprachenlernens“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 38-49. Leupold, Eynar (2010): Französisch lehren und lernen. Das Grundlagenbuch. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Richards, Jack C. [o.J.]: Difference Between Task, Excercise, Activity. In: http: / / www.professorjackrichards.com/ difference-task-exercise-activity (16.05.2016). Schinke, Simone/ Steveker, Wolfgang (2013): „Lernaufgaben im Spanischunterricht“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 11, 4-11. Sommerfeldt, Kathrin (Hrsg.) (2011): Spanisch Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen. Thaler, Engelbert: „Didaktisches Lexikon ‚Üben‘“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 11, 15-16. Willis, Jane (1996): A Framework for Task-based Learning. Harlow: Longman. Zimmermann, Günter (1977): Grammatik im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a.M.: Diesterweg. <?page no="50"?> Wissen, Können, Handeln: Die Rolle des Übens beim Erwerb pragmatischer Fähigkeiten im Fremdsprachenunterricht Bärbel Diehr Der schulische Fremdsprachenunterricht hat einen Bildungsauftrag, der sich nicht auf den Aufbau von Fertigkeiten beschränkt. Vielmehr umfasst der Bildungsanspruch der fremdsprachlichen Fächer die Vermittlung eines breiten Wissens, sprachlichen Könnens und Handelns. Deshalb ist es die Aufgabe der Fremdsprachenlehrkräfte, sprachliches, metasprachliches, landeskundliches und kulturelles Wissen sowie interkulturelle Bildung und kritisches Denken gleichermaßen zu fördern. Es darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass das Kerngeschäft des Fremdsprachenunterrichts, das ihn vom Deutschsowie vom Mathematikunterricht und anderen Fächern unterscheidet, in der Vermittlung der Fremdsprachenkompetenz liegt. 1 Ein fremdsprachenspezifischer Übungsbegriff Der Sinn des Übens im Fremdsprachenunterricht besteht darin, dass die Lernenden in einem kumulativen Prozess Sprachbeherrschung erlangen, die sich im flüssigen, sicheren und situationsangemessenen Gebrauch der Fremdsprache äußert und die Lernenden zu eigenständigem Sprachhandeln befähigt. Trotz dieser scheinbar einfachen Charakterisierung des Übens mithilfe seiner Funktion erweist sich eine Definition als schwierig, da das Üben im Fremdsprachenunterricht mit unterschiedlichen Zielsetzungen und in höchst unterschiedlichen Formen stattfindet. Beispielsweise widmet das Handbuch Fremdsprachenunterricht (Bausch et al. 2007) dem Üben in seinen verschiedenen Ausprägungen dreizehn Kapitel. Aber auch viele andere fremdsprachendidaktische Publikationen thematisieren das Üben und befassen sich mit Übung, Übungen und Übungsformen (z.B. Kieweg 2010; Klippel 2010). Eine übergreifende fremdsprachenspezifische Übungsdidaktik sowie eine „systematische Strukturierung von Übungsformen und -typen“ (Klippel 2010, 316) liegen jedoch bisher nicht vor. Dem vorliegenden Beitrag liegt die Auffassung zugrunde, dass sich für Forschung, Lehre und Unterricht ein Übungsbegriff eignet, der auf kogniti- <?page no="51"?> Wissen, Können, Handeln: Die Rolle des Übens 51 onspsychologische Modellvorstellungen rekurriert, der jedoch eine fremdsprachendidaktische Perspektivierung und Erweiterung erfordert. Der Übungsbegriff der kognitiven Psychologie hat vor allem die Angewandte Linguistik und Zweitsprachenerwerbsforschung stark geprägt. Dort wird Üben als das wiederholte Ausführen identischer oder verwandter Routinen definiert (vgl. z.B. DeKeyser 2007, 2). Nach diesem Verständnis treibt Üben den Fertigkeitserwerb durch Prozeduralisierung deklarativen Wissens voran und führt zu prozeduralem Wissen und Automatismen (vgl. z.B. Ranta/ Lyster 2007, 149). Diese Auslegung des Übens fußt auf Andersons gedächtnistheoretischem ACT-Modell (1982; 1983), das unter der Bezeichnung Adaptive Control of Thought den Wandel von bewusst kontrollierten zu automatisch ablaufenden Vorgängen in drei Phasen bzw. Stufen erklärt (vgl. auch Anderson 1993; Fitts 1964; für eine kompakte Zusammenfassung vgl. Güntürkün 2012, 178f.). In der ersten Phase, die als kognitive Phase bezeichnet wird, werden Regeln und Fakten bewusst zur Kenntnis genommen, um eine Handlung auszuführen (z.B. einen Kuchen nach Rezept backen, vgl. Güntürkün 2012, 178); in der zweiten Phase, auch assoziativen Phase, müssen die Regeln und Fakten nicht mehr explizit vorliegen, aber eine bewusste Konzentration auf die Wissensbestandteile aus der ersten Phase ist noch notwendig (z.B. Konzentration auf Zutaten und die Abläufe ohne Nutzung des Kochbuchs, ebda 179); in der dritten und autonomen Phase verläuft die Handlung rasch und sicher, ohne dass (viel) darüber nachgedacht werden muss (ebda). Eine ungefilterte Übertragung dieser kognitionspsychologischen Auffassung auf das Üben beim Fremdsprachenlernen würde m.E. problematische Engführungen mit sich bringen, wenn z.B. grundsätzlich davon ausgegangen würde, dass am Anfang eines Übungsprozesses stets die Deklaration von Fakten- und Regelwissen stehen müsse und dass am Ende stets ein automatisiertes Verhalten stünde. Neben einem Üben, das der Ausbildung von Routinen und Automatismen dient, muss es im Fremdsprachenunterricht auch ein Üben geben, das den Lernenden das bewusste Wahrnehmen von Besonderheiten der fremden Sprache und nachfolgend den bewussten Gebrauch erleichtert. Dieser Bewusstwerdungsprozess wurde von Schmidt (1990) unter der Bezeichnung der noticing hypothesis für die Spracherwerbsforschung fruchtbar gemacht und sollte m.E. mehr Aufmerksamkeit als bisher bei der Konzeption von Übungsformaten erhalten, da die Aufmerksamkeit für und das Bewusstsein von sprachlichen Strukturen und Regelhaftigkeiten eine bedeutende Rolle im Sprachlern- und Übungsprozess spielen. Die Besonderheiten des fremdsprachlichen Lernens, die sich im Zusammenspiel von Sprache, Denken und mit Anderen Interagieren manifestieren, erfordern also fremdsprachenspezifische Konzepte des Übens. Dazu gehören <?page no="52"?> Bärbel Diehr 52 insbesondere die Integration kommunikativ-interagierender Anteile des Übens sowie die Integration lernförderlichen Feedbacks. Beides wird im kognitionspsychologischen Modell weitgehend ausgeblendet. Und schließlich ist zu berücksichtigen, dass in bestimmten Bereichen des Fremdsprachenlernens wie z.B. der Pragmatik ein Aufbrechen von Routinen aus der Erstsprache, also eine De-Prozeduralisierung, erforderlich ist, um neue, angemessene Routinen entwickeln zu können (siehe Kapitel 4). Die notwendige Erweiterung des kognitionspsychologischen Begriffs practice und Formulierung eines fremdsprachendidaktischen Übungsbegriffs findet sich z.B. in der von Haß (2006, 313) herausgegebenen Fachdidaktik Englisch: Üben: Fertigkeiten in der Fremdsprache werden nur durch zyklisches, wiederholendes Üben als komplexe Anwendung von Wissen, Regelbewusstsein und Redemitteln gefestigt. Dabei sollte Üben nie stupider Drill sein, sondern motivierend (situativ, kommunikativ) und methodisch abwechslungsreich gestaltet werden. (Hervorhebung B.D.) Obwohl diese Definition zunächst wie ein enger Übungsbegriff anmutet, da sie den Schwerpunkt auf Fertigkeiten legt, trägt sie dennoch der Komplexität des fremdsprachlichen Lernens insofern Rechnung, als sie die Anwendung von Wissen, Regelbewusstsein und sprachlichen Mitteln, also bereits vorhandenen Gedächtnisinhalten, in den Mittelpunkt rückt und zusätzlich die Lernmotivation berücksichtigt. Ähnlich formuliert es auch Klippel: „Man kann nur etwas üben, das man schon einmal verstanden oder formuliert hat.“ (ebda 2010, 316) Wenn sprachliches Handeln geübt wird, werden Wissensbestände und Bewusstseinsinhalte aktiviert, auch wenn sie nicht Gegenstand des Übens im engen Sinne sind. Allerdings ist darauf zu achten, dass die Lernenden ausreichend Feedback und ggf. Korrekturangebote erhalten, damit sich keine Fehler verfestigen, seien sie phonologischer, lexikalischer, grammatikalischer oder pragmatischer Art. Notwendige Differenzierungen für didaktische Überlegungen zum Üben im Unterricht ergeben sich zum einen aus den verschiedenen Komponenten des Sprachsystems: Übungsformen variieren erheblich je nachdem, ob sie sich auf das Lautsystem, die Orthographie, die Morphologie, die Lexik, die Syntax oder die Pragmatik einer Fremdsprache beziehen. Zum anderen ergeben sich Differenzierungen bezüglich des Grades der Automatisierung aus den angestrebten Teilfertigkeiten und daraus, ob Lernende ihre Aussprache, ihre Flüssigkeit, ihre Idiomatik, ihre grammatische Korrektheit oder die pragmatische Angemessenheit des Ausdrucks verbessern wollen. In dem Bemühen um begriffliche Präzision des fachdidaktischen Diskurses ist es aus meiner Sicht außerdem notwendig, die Bezeichnung „prozedu- <?page no="53"?> Wissen, Können, Handeln: Die Rolle des Übens 53 rales Wissen“ (procedural knowledge) als Antonym zur Bezeichnung „deklaratives Wissen“ (declarative knowledge) zu überdenken (z.B. Ranta/ Lyster 2007, 149). Tatsächlich handelt es sich beim prozeduralen „Wissen“ um Können und Routinen, die im prozeduralen Gedächtnis gespeichert werden und verbal schwierig zu beschreiben sind (vgl. Güntürkün 2012, 185). Für die fremdsprachendidaktische Diskussion über das Üben erscheint es daher zweckmäßig, Klippels (2010, 315) Hinweis auf die Unterscheidung zwischen deklarativem Wissen und prozeduralem Können sowie explizitem und implizitem Üben aufzugreifen. 2 Üben in komplexen Kompetenzaufgaben Ranta und Lyster (2007, 149ff.) sehen einen Vorteil des kognitionspsychologischen ACT-Modells nach Anderson für die Konzeption von Sprachlernübungen darin, dass es Parallelen zu dem methodischen Prinzip aufweist, das unter der Bezeichnung Presentation-Practice-Production (PPP-Methode) bekannt geworden ist und Fremdsprachenlehrkräften vor allem für die Vermittlung grammatischer Strukturen vertraut ist. Bemerkenswert ist an ihren Ausführungen, dass sie die PPP-Methode, die im Zuge der Abkehr von behaviouristischen Drillverfahren und der audio-lingualen Methode in die Kritik geriet (Skehan 1998; Willis 1996), in einer überarbeiteten, aktualisierten Form als lernförderlich und effektiv beurteilen (Ranta/ Lyster 2007, 149ff.). Sie legitimieren ihr Plädoyer für ein strukturiertes Üben unter Rückgriff auf hinlänglich bekannte Erkenntnisse aus der Immersionsforschung: The picture that emerges from the many studies of the effects of immersion is of L2 speakers who are relatively fluent and effective communicators but non-targetlike in terms of grammatical structure and non-idiomatic in their lexical choices and pragmatic expression. (Ranta/ Lyster 2007, 143) Auch die Forschung zur Wirkung von Auslandsaufenthalten (z.B. DeKeyser 2007) zeigt, dass ausgiebige Sprachbegegnung allein keine Gewähr für Sprachbeherrschung bietet: Although students typically make substantial gains in fluency during study abroad, at least in the case of more extended stays, they typically do not gain all that much in accuracy. (DeKeyser 2007, 219) Eine parallele Entwicklung zeichnet sich in der Fremdsprachendidaktik ab, wo insbesondere im aufgabenorientierten Ansatz das Spannungsverhältnis zwischen focus on meaning und focus on form ausgiebig diskutiert wurde und zu einer Abkehr von methodischer Einseitigkeit geführt hat (vgl. die <?page no="54"?> Bärbel Diehr 54 Darstellung der Entwicklung des Task-Based Language Teaching in Grimm et al. 2015, 68-72). Als besonders fruchtbar erweist sich die Verknüpfung der Kompetenzorientierung mit dem aufgabenbasierten Lehren und Lernen, wie sie in der Englischdidaktik theoretisch und praxisbezogen erörtert wird (Hallet/ Krämer 2012; Hallet/ Surkamp/ Krämer 2015). Das Konzept der komplexen Kompetenzaufgabe verfolgt einerseits einen weiten Kompetenzbegriff, der sich nicht auf Fertigkeiten reduzieren lässt, der aber andererseits unterhalb des globalen Kompetenzziels den Einsatz von Übungen und Teilaufgaben zu Einzelfertigkeiten und sprachlichen Mitteln notwendig macht, da die Bearbeitung komplexer Kompetenzaufgaben einen angemessenen Grad an Sprachbeherrschung voraussetzt (vgl. Hallet 2012, 8 und 15). Auf der Grundlage dieses Modells der komplexen Kompetenzaufgabe liegen inzwischen mehrere praxisorientierte Umsetzungsvorschläge vor. Exemplarisch sei auf ein Unterrichtskonzept verwiesen, in dem beispielweise Siebtklässler angeleitet werden, ein medienkritisches Rollenspiel zum Thema Casting Shows zu führen (Diehr/ Günther/ Kuty 2012). Die komplexe Kompetenzaufgabe sieht eine formorientierte Übungsphase zum Passiv vor (ebda 119, 121), bevor die Lernenden ihre Rollen inhaltsbezogen erarbeiten. Auch in modernen Lehrwerken lassen sich zahlreiche Beispiele für einen funktionalen Einsatz von Übungsaufgaben im Rahmen kohärenter Unterrichtseinheiten finden, die einem schrittweisen Aufbau von Teilkompetenzen folgen und in kommunikative target tasks münden. 3 Chancen und Herausforderungen beim Üben im heutigen Fremdsprachenunterricht Ein strukturiertes, schrittweises Üben kann gerade schwächeren Lernenden erreichbare Teilziele vor Augen führen, kleine Fortschritte verdeutlichen und so zu Erfolgserlebnissen führen. Motivierendes Üben setzt aber voraus, dass die Lernenden den Sinn des Übens erkennen und akzeptieren und dass die Lehrenden in der Lage sind, abwechslungsreiche Übungen anzubieten, damit das Üben nicht mit stumpfsinnigem, langweiligem Drill gleichgesetzt wird. Eine besondere Herausforderung liegt im Schulalltag darin, dass nur wenig Zeit für selbständiges individuelles Üben und kaum Gelegenheit zum Üben in den Hausaufgaben zur Verfügung steht. Ob und wie neue Medien, z.B. Vokabellern-Apps auf Tablets und Smartphones, hier unterstützend wirken können, müsste in gezielten Studien erforscht werden. Eine weitere Herausforderung erwächst aus dem anspruchsvollen Ziel des situationsangemessenen Sprachgebrauchs. Um erfolgreich in der Fremdsprache zu kommunizieren, benötigen Lernende nicht nur Redeabsichten <?page no="55"?> Wissen, Können, Handeln: Die Rolle des Übens 55 und die dazu gehörigen sprachlichen Mittel, sondern auch die Fähigkeit, sie situationsgerecht einzusetzen und zu variieren. Daher ist Mair (1995) in seiner Auffassung zuzustimmen, dass sich „ein sicheres Gefühl für situationsangemessenen Stil und die Gesprächskonventionen in einer anderen Kultur […] nicht auf das Erlernen von ein paar nützlichen Redewendungen zusätzlich zu Grammatik und Vokabelschatz reduzieren [lassen]“ (69). Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (z.B. Alcón Soler/ Martínez-Flor 2008; Cutting 2015; Glaser 2014; 2013; Limberg 2015; Roever 2009) fordern daher inzwischen mehr Aufmerksamkeit für pragmatische Kompetenz sowohl im Fremdsprachenunterricht als auch in der Forschung. „The important role played by pragmatic competence as a part of communicative competence should translate into pragmatics receiving pedagogical attention equal to grammar or vocabulary.“ (Roever 2009, 561) In einer Zeit zunehmender Mobilität, Globalisierung und internationaler Kommunikation erscheint zumindest die Forderung, der Pragmatik mehr Aufmerksamkeit als bisher zu widmen, durchaus berechtigt. Insbesondere die zunehmende Forschungstätigkeit im Bereich der interlanguage pragmatics (ILP) (vgl. Alcón Soler/ Martínez-Flor 2008; Glaser 2014; Roever 2009) hält für die Fremdsprachendidaktik und den Fremdsprachenunterricht bedeutsame Erkenntnisse bereit, z.B. über den überstrapazierten Gebrauch von ‚I’m sorry‘ als Eröffnung bei Meinungsverschiedenheiten. 4 Pragmatische Fertigkeiten einüben Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Effektivität des Erwerbs pragmatischer Fertigkeiten in einer Fremdsprache durch Instruktion deutlicher gesteigert werden kann als durch bloßen Sprachkontakt (für eine Zusammenfassung entsprechender Studien vgl. Glaser 2014). Der überwiegende Teil der bisher durchgeführten Studien beruht allerdings auf Untersuchungen mit erwachsenen Lernenden. Erkenntnisse zum pragmatischen Lernen in schulischen Kontexten liegen kaum vor. An der Bergischen Universität in Wuppertal wird derzeit ein Vorhaben konzipiert, das den Aufbau pragmatischer Kompetenz unter Schülerinnen und Schülern im Englischunterricht in den Blick nimmt. Die theoretischen Grundlagen des Projekts umfassen drei Bestandteile: erstens, die sprachwissenschaftliche Pragmatik, insbesondere die Sprechakttheorie sowie die Differenzierung von pragmalinguistischen und soziopragmatischen Komponenten (Austin 1975; Leech 1983; Searle 1979; Yule 1996); zweitens, ein Modell des Erwerbs pragmatischer Kompetenz (Roever 2009, 562); drittens, die Operationalisierung der pragmatischen Kompetenz gemäß dem Europäischen Referenzrahmen (Council of Europe 2001, 123-130). Für die forschungsmethodologische Ausrichtung greift das <?page no="56"?> Bärbel Diehr 56 Projekt bisher auf sogenannte discourse completion tasks zurück, die sich in zahlreichen Studien als geeignet für die Erfassung pragmatischer Kompetenz erwiesen haben (Glaser 2009; Roever 2008, 2009). In Anlehnung an bestehende Instrumente entwickelte Aksu (2015) in einem Forschungspraktikum einen zehnteiligen discourse completion test (DCT), der altersgemäße Items zur Erfassung pragmatischer Fähigkeiten enthält. Der Test ist für fünfzehnbis achtzehnjährige Fremdsprachenlernende konzipiert und beschreibt zehn Szenarien, die sich durch systematisch variierende Faktoren (Alter und Status der Interaktionspartner, Machtgefüge, Distanz, Ausprägung der Privatheit bzw. Öffentlichkeit der Situation, Präferenzstruktur der jeweiligen Sprechakte) voneinander unterscheiden. In jedem Item ist eine sprachliche Interaktion zwischen zwei oder mehr Gesprächspartnern situationsgerecht zu komplettieren (Abbildung 1). Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der DCT in der genannten Untersuchung punktuell und einmalig zu Forschungszwecken zum Einsatz kam. Als Übungsformat scheint er weniger geeignet zu sein. Beispiel: Item 4 in Aksus DCT (2015) in Anlehnung an Glaser (2009, 52). Die von den Probanden schriftlich produzierten Kurztexte können anschließend auf die Beschaffenheit der pragmatischen Merkmale hin analysiert und beurteilt werden. In einer explorativen Untersuchung zu Sprechakten des Widersprechens und Aufforderns kommt Aksu (2016) zu dem Schluss, dass die 14 teilnehmenden Englischlernenden in der gymnasialen Oberstufe trotz ihrer fortgeschrittenen Fremdsprachenkompetenz im lexikalischen und grammatikalischen Bereich eine nur schwach ausgeprägte pragmatische Kompetenz aufweisen. Beispielsweise reagieren 57% der Probanden bei Item 4 mit einer Antwort, die als nicht zielsprachengemäße blunt expression („No, it’s ugly.“) einzustufen ist (Aksu 2016, vgl. Glaser 2009). Nur zwei Teilneh- 4) You are shopping with your friends Janet and Josh. Josh wants to buy a T-shirt that you find very, very ugly, but Janet says to Josh, ‘You have to buy that T-shirt! It looks so good on you! ’ You say: I would not say anything. Comment: <?page no="57"?> Wissen, Können, Handeln: Die Rolle des Übens 57 mern scheint ihr schroffes Widersprechen bewusst zu sein, da sie kommentieren: *„I m always honest to my friends“ und *„Under friends, we talk to each other how we want. It s part of our friendship“. Sie wählen also bewusst aus, wie direkt bzw. indirekt sie sich ausdrücken wollen und sind sich (vermutlich) darüber im Klaren, dass ihre Aussage im Erstsprachenkontext als unhöflich eingestuft würde. Diese beiden Schülerinnen nutzen die Möglichkeit, eine zusätzliche Erklärung abzugeben. Diese Option der Erklärung wird in der gesamten Stichprobe jedoch nur sehr selten genutzt. In einem anderen Item sieht die Situationsbeschreibung vor, dass eine Lehrperson einer Schülerin oder einem Schüler ein Projektthema vorschlägt, an dem sich die Lernenden bereits erfolglos versucht hatten (Item 5, Aksu 2015). 43% der Probanden wählen hier die Option „I would not say anything“ (Aksu 2016). Den Lernenden fehlen vermutlich die Redemittel, um einer Autoritätsperson höflich zu widersprechen und den eigenen Standpunkt klar zu machen. Aksus Analyse der Schüler-Responses weist insgesamt in eine ähnliche Richtung wie Glasers Untersuchung (2009), die mit Studierenden durchgeführt wurde. Glaser stellt fest, dass sich erwachsene Englischlernende unterschiedlicher Nationalität an einem amerikanischen College in Meinungsverschiedenheiten deutlich anders äußern, anderer Sprachmittel bedienen und andere pragmatische Strategien verwenden als die Vergleichsgruppe der Erstsprachensprecher (Glaser 2009, 52f.). Die Defizite der Fremdsprachenlernenden unterstreichen die Notwendigkeit, pragmatisch ausgerichtete Übungen in den Fremdsprachenunterricht zu integrieren. Dabei kann das Ziel entsprechender Übungen nicht sein, Englischlernende auf ein anglo-amerikanisch geprägtes Modell sozial angepassten Sprachgebrauchs zu verpflichten. Vielmehr geht es darum, ein Bewusstsein für unterschiedliche Konventionen und Routinen und ihre kulturelle Prägung zu schaffen sowie Lernende in die Lage zu versetzen, ihre Haltungen und Auffassungen gerade auch in kritischen Interaktionen wie z.B. bei Interessens- und Meinungskonflikten in der Fremdsprache angemessen und selbstbewusst zu vertreten. Es ist geplant, komplexe Kompetenzaufgaben für als schwierig empfundene Sprechakte (z.B. Ablehnungen, Beschwerden, Beschuldigungen, Meinungsverschiedenheiten, vgl. dispreferred speech acts nach Yule 1996, 79) zu entwickeln und als Trainingseinheiten im regulären Englischunterricht einzusetzen. Es wird zu erproben sein, ob Items und Ergebnisse aus Untersuchungen mit DCTs zur kontrastiven Bewusstmachung im Übungsprozess eingesetzt werden können. Vorrangig sollen jedoch Materialien zur situationsgerechten Verwendung formelhafter Mehrwortwendungen entwickelt werden. „Formulaic language (fixed expressions), which expresses cultural values and attitudes and is ‘the heart and soul of native-like language use’ <?page no="58"?> Bärbel Diehr 58 (Kecskes 2014, 105), can cause pragmatic failure“ (Cutting 2015, 73). Das Ziel des Übens besteht in diesem Zusammenhang also darin, ein Repertoire an formelhaften Sprachmitteln und pragmatischen Strategien aufzubauen, das die Lernenden in neuen Situationen mit anderen Gesprächspartnern erfolgreich aktivieren können. In Anlehnung an Glaser (2013) soll ein induktiv-explizites Instruktions- und Übungsformat zur Anwendung kommen, das sowohl die Interaktion im Klassenraum als Unterrichtsgegenstand als auch den Einsatz von nicht-didaktisiertem Filmmaterial (Gunzenhäuser/ Hahn 2009) sowie bewusstmachende soziopragmatische und pragmalinguistische Erläuterungen in die Konzeption der einzelnen Aufgaben einbezieht. Die Wirksamkeit dieser Kompetenzaufgaben soll in einem Prä-Post-Design mit dem oben skizzierten DCT untersucht werden. Es wird noch zu prüfen sein, ob in zukünftigen Untersuchungen Rollenspiele als Erhebungsinstrumente zusätzlich genutzt werden können, um die Nachteile der schriftlichen DCTs (z.B. schwache Kontextualisierung, Schriftlichkeit) auszugleichen (z.B. Hassall 2008; Roever 2009; Yamashita 2008). Literatur Aksu, Aysun (2015): Developing an Instrument to Assess EFL Learners’ Pragmatic Competence. Unveröffentlichter Forschungspraktikumsbericht. Bergische Universität Wuppertal. Aksu, Aysun (2016): Assessing EFL Learners Pragmatic Competence. Unveröffentlichte Masterthesis. Bergische Universität Wuppertal. Alcón Soler, Eva/ Martínez-Flor, Alicia (Hrsg.) (2008): Investigating Pragmatics in Foreign Language Learning, Teaching and Testing. Bristol: Multilingual Matters. Anderson, John R. (1982): „Acquisition of cognitive skill“. In: Psychological Review 89, 369-406. Anderson, John R. (1983): The Architecture of Cognition. Cambridge, MA: Harvard University Press. Anderson, John R. (1993): Rules of the Mind. New Jersey: Lawrence Erlbaum Associates, Publishers. Austin, John L. ( 2 1975): How to Do Things with Words. Oxford: Clarendon Press. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) ( 5 2007): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke. Council of Europe (2001): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, teaching, assessment. Cambridge: Cambridge University Press. Cutting, Joan ( 3 2015): Pragmatics. London: Routledge. <?page no="59"?> Wissen, Können, Handeln: Die Rolle des Übens 59 DeKeyser, Robert (Hrsg.) (2007): Practice in a Second Language. Perspectives from Applied Linguistics and Cognitive Psychology. New York: Cambridge University Press. Diehr, Bärbel/ Günther, Beate/ Kuty, Margitta (2012): „A Casting for a Daily Soap. Mit einer Sprechaufgabe für Klasse 7 Diskurs- und Kritikfähigkeit entwickeln“. In: Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht: Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze- Velber: Klett Kallmeyer, 113-125. Fitts, Paul M. (1964): „Perceptual-motor skill learning“. In: Melton, Arthur W. (Hrsg.): Categories of Human Learning. New York: Academic Press, 243-285. Glaser, Karen (2009): „Acquiring pragmatic competence in a foreign language - mastering dispreferred speech acts“. In: Topics in Linguistics 4, 50-57. Glaser, Karen (2013): „The Neglected Combination: A Case for Explicit- Inductive Instruction in Teaching Pragmatics in ESL“. In: TESL Canada Journal 30, 150-163. Glaser, Karen (2014): Inductive or Deductive? The Impact of Method of Instruction on the Acquisition of Pragmatic Competence in EFL. Cambridge: Cambridge Scholars Publishing. Grimm, Nancy/ Meyer, Michael/ Volkmann, Laurenz (2015): Teaching English. Tübingen: Narr. Güntürkün, Onur (2012): Biologische Psychologie. Göttingen: Hogrefe. Gunzenhäuser, Randi/ Hahn, Angela (2009): „Sitcoms und Pragmatik“. In: Leitzke-Ungerer, Eva (Hrsg.): Film im Fremdsprachenunterricht. Literarische Stoffe, interkulturelle Ziele, mediale Wirkung. Stuttgart: ibidem, 419-434. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.) (2010): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.) (2012): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht: Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hallet, Wolfgang/ Surkamp, Carola/ Krämer, Ulrich (Hrsg.) (2015): Literaturkompetenzen Englisch: Modellierung - Curriculum - Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hallet, Wolfgang (2012): „Die komplexe Kompetenzaufgabe. Fremdsprachige Diskursfähigkeit als kulturelle Teilhabe und Unterrichtspraxis“. In: Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht: Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 8- 19. Haß, Frank (Hrsg.) (2006): Fachdidaktik English. Tradition - Innovation - Praxis. Stuttgart: Klett. Hassall, Timothy (2008): „Pragmatic performance: What are learners thinking? “ In: Alcón Soler, Eva/ Martínez-Flor, Alicia (Hrsg.): Investigating Pragmatics in Foreign Language Learning, Teaching and Testing. Bristol: Multilingual Matters, 72-93. <?page no="60"?> Bärbel Diehr 60 Kecskes, Istvan (2014): Intercultural Pragmatics. New York: Oxford University Press. Kieweg, Werner (2010): „Übungsformen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 182-186. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe. Stuttgart/ Weimar: Metzler, 314-317. Leech, Geoffrey N. (1983): Principles of Pragmatics. New York: Longman. Leitzke-Ungerer, Eva (Hrsg.) (2009): Film im Fremdsprachenunterricht. Literarische Stoffe, interkulturelle Ziele, mediale Wirkung. Stuttgart: ibidem. Limberg, Holger (2015): „Principles of pragmatics teaching: Apologies in the EFL classroom“. In: ELT Journal 69, 175-285. Long, Michael H./ Doughty, Catherine J. (Hrsg.) (2009): The Handbook of Language Teaching. Oxford: Blackwell. Mair, Christian (1995): Englisch für Anglisten. Eine Einführung in die englische Sprache. Tübingen: Stauffenburg. Melton, Arthur W. (Hrsg.) (1964): Categories of Human Learning. New York: Academic Press. Ranta, Leila/ Lyster, Roy (2007): „A cognitive approach to improving immersion students‘ oral language abilities: The Awareness-Practice-Feedback sequence“. In: DeKeyser, Robert (Hrsg.): Practice in a Second Language. Perspectives from Applied Linguistics and Cognitive Psychology. New York: Cambridge University Press, 141-160. Roever, Carsten (2009): „Teaching and Testing Pragmatics“. In: Long, Michael/ Doughty, Catherine (Hrsg.): The Handbook of Language Teaching. Oxford: Blackwell, 560-577. Roever, Carsten (2008): „Rater, item and candidate effects in discourse completion tests: A FACETS approach“. In: Alcón Soler, Eva/ Martínez-Flor, Alicia (Hrsg.): Investigating Pragmatics in Foreign Language Learning, Teaching and Testing. Bristol: Multilingual Matters, 249-266. Schmidt, Richard W. (1990): „The role of consciousness in second language learning“. In: Applied Linguistics 11, 129-158. Searle, John R. (1979): Expression and Meaning. Studies in the Theory of Speech Acts. Cambridge: Cambridge University Press. Skehan, Peter (1998): A Cognitive Approach to Language Learning. Oxford: Oxford University Press. Surkamp, Carola (Hrsg.) (2010): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe. Stuttgart/ Weimar: Metzler. Willis, Jane (1996): A Framework for Task-Based Learning. Edinburgh: Longman. Yamashita, Sayoko (2008): „Investigating interlanguage pragmatic ability: What are we testing? “ In: Alcón Soler, Eva/ Martínez-Flor, Alicia (Hrsg.): Investi- <?page no="61"?> Wissen, Können, Handeln: Die Rolle des Übens 61 gating Pragmatics in Foreign Language Learning, Teaching and Testing. Bristol: Multilingual Matters, 201-223. Yule, George (1996): Pragmatics. Oxford: Oxford University Press. <?page no="62"?> Was heißt Time on task? Oder: Warum übt man ausgerechnet im Fremdspachenunterricht oft nicht das, was man am Ende können soll? Hermann Funk 0 Vier Methodenkonzepte Eine Diskussion des Übungsbegriffs - wie auch das Ausbleiben einer solchen - war zu allen Zeiten direkte Folge der jeweiligen Modellierung des fremsprachlichen Lernens. In der Abfolge der Methodenkonzepte lassen sich zunächst die Übungskonzeptionen der „großen“ Methodenkonzepte unterscheiden: 1. die grammatikzentrierte Methode 2. die audiolingual/ audiovisuelle Methode 3. der kommunikative Ansatz 4. interkulturell/ konstruktivistische Ansätze 1 Die grammatikzentrierte Methode Das überschaubare Übungsinventar eines ausschließlich grammatikzentrierten Fremdsprachenunterrichts (focus on forms) lässt sich weitgehend in vier Übungstypen zusammenfassen: Regelanwendung, das Ergänzen grammatisch motivierter Lücken in Wörtern und Sätzen, das Umformen von Sätzen nach formalen Kategorien (Aktiv/ Passiv, usw), die Übersetzung Sieht man von Übersetzungen ab, die aus diesem Kontext weitgehend verschwunden sind, gehören Übungen dieser vier Typen weiterhin zum Alltag des Fremdsprachenunterrichts und insbesondere zum Angebot in Arbeitsheften, Zusatzübungsheften und z.T. auch in digitalen Übungsangeboten. Ein Blick in drei Klassen, durch die Praktikumsporfolios Jenaer Masterstu- <?page no="63"?> Was heißt Time on task? 63 dierender, kann als exemplarischer Beleg einer ungebrochenen Tradition gewertet werden: Beispiel 1 Ebenfalls am 24.09.10 hospitierte ich in der dritten Stunde in der Klasse 10 AB. Nachdem ich mich kurz vorgestellt hatte, wurde die Hausaufgabe, so wie Frau S. es auch meistens macht, zu Beginn der Stunde verglichen. Es handelte sich um einen Lückentext zum Thema Präteritum im Arbeitsheft. Danach sollte jeder einen einfachen Satz im Präteritum sagen. Die Schüler äußerten solche Sätze: Gestern stand ich auf. Später aß ich Mittag. Das hat gut funktioniert. Zur Vorbereitung auf den Präteritumstest am Montag, wo ca. 20 Verben abgefragt werden sollen, nur in der 3. Person Singular - bei unregelmäßigen Bildungen wie gehen - er ging wird das komplette Konjugationsschema abgefragt werden - wurde eine Übung mit dem Ball gemacht. Die Lehrerin nannte einen bekannten Infinitiv und warf den Ball einem Schüler zu, der dann für die dritte Person Einzahl die richtige Vergangenheitsform bilden musste. Bis auf unregelmäßige Formen waren die Schüler gut darin. (Praktikumsportfolio von C.G., Budapest, Klasse 11AB) Beispiel 2 Die Schülerinnen scheinen meist genau zu wissen, was von ihnen erwartet wird und sie erfüllen die gestellten Aufgaben. Hierbei fiel auf, dass sie wenig selbständig arbeiten müssen… Das Ausfüllen von Lückentexten erledigten die Schülerinnen zügig und mit relativ geringer Fehlerquote, allerdings konnte ich beobachten, dass es ihnen relativ schwer fiel, die theoretisch erlernten grammatischen Phänomeine umzusetzen und vor allem auch in mündlichen Situationen außerhalbt der Übungen anzuwenden. Besonders auffällig war die beim Thema „Satzgliedstellung“: Die Schülerinnen verstanden zwar die grammatischen Strukturen in der Theorie und in Übungen, der Transfer in die Praxis gelang ihnen aber nicht. Die Schülerinnen lernen mit dem Grammatikbuch „Übung macht den Meister“. Dieses Schulbuch stellt die Grammatik übersichtlich dar, allerdings besteht die große Mehrheit der Übungen und Aufgaben darin, Lücken auszufüllen… (aus der Magisterarbeit von Clara Steinkühler 2010, 42) <?page no="64"?> Hermann Funk 64 Beispiel 3 Kompetenzorientierte Lernziele waren nicht bemerkbar. (…) Die abschließenden Prüfungen erfolgten mit einer Ausnahme schriftlich: In einem Fall durch Anwendung grammatischer Regeln z. B. durch Lückentexte; in einem weiteren Fall eine Kombination von Übersetzungsaufgaben (Japanisch- Deutsch) und einem kurzen eigenen Aufsatz; in zwei weiteren Fällen von Übersetzungen zuvor auswendig gelernter Sätze. (Praktikumsportfolio B.K., Kiushu, 2015) Aus der regelmäßigen Analyse der Praktikumsberichte der DaF-Masterstudierenden kann festgehalten werden: Je weniger Aus- und Weiterbildung Lehrkräfte erhalten haben, desto dominanter sind Übungsformen dieses Typs im Unterricht. In den Praktikumsberichten werden sie oft nicht einmal problematisiert. Im DaF-DaZ-Bereich lässt sich diese Korrelation derzeit großflächig in den Bemühungen freiwilliger Sprachhelfer für Flüchtlinge beobachten. Die Belege dafür, dass wir es hier inzwischen mit resistenten Typen jenseits aller methodengeschichtlicher und medialer Basierung zu tun haben, sind zahlreich und vielfältig. 2 Die audiolingual/ audiovisuelle Methode Das „intensive, imitative und isolierende Einprägen einzelner Form- und Satzelemente der Zielsprache“ (Piepho, 1978, 49) erfolgte durch imitativreproduktive Übungsformen, die lernpsychologisch durch den Behaviorismus und linguistisch durch den amerikanischen Strukturalismus begründet war. Zu ihnen gehörten vor allem: Muster-Drill-Übungen mit hoher Wiederholungsrate Substitutionsübungen Verbindungsübungen zwischen Bildern, Wörtern und Sätzen Reproduktions- und Nachspiel-Übungen (vgl. Neuner 1981, 12) 3 Der kommunikative Ansatz Mit den Diskussionen um den kommunikativen Ansatz in den 70er Jahren war eine erste systematische Inventur des fremdsprachlichen Übungsrepertoires (BAG 1978) und eine Differenzierung der Übungstypen nach der Leistung einzelner Übungsformen (insbesondere Neuner/ Krüger/ Grewer 1981) verbunden. Die vierstufige Typisierung ging einher mit einer erheblichen Ausweitung des Repertoires an Übungsformen und war einflussreich für die Gestaltung der Lehrwerke aller Fremdsprachen. <?page no="65"?> Was heißt Time on task? 65 Typ A: Entwicklung und Überprüfung von Verstehensleistungen Typ B: Grundlegung von Mitteilungsfähigkeit - Übungen mit reproduktivem Chrakter zur sprachlichen Form Typ C: Entwicklung von Mitteilungsfähigkeit - sprachliche Ausgestaltung vorgegebener Situationen/ Rollen/ Verständigungsanlässe in Übungen mit reproduktiv-produktivem Charakter Typ D: Als innvovativ kann hierbei Typ C gelten, da er einerseits die bisherige Lücke zwischen reproduktiven und freien Übungsformen benannte und exemplifizierte und in der Folge zur Entwicklung zahlreicher neuer Übungsformen anregte. Mit diesem Übungstyp wurde die Grundlage des Prinzips des „Scaffoldings“ gelegt (vgl. Gogolin 2010, 32): Entfaltung von freier Äußerung (ebda, 44ff.) (a) Reception scaffolds, die die Wahrnehmung des Lerners auf wichtige Informationen fokussieren und ihn auffordern, diese zu organisieren und dokumentieren, (b) Transformation scaffolds, die helfen, eine Struktur auf eine Menge an Daten oder Informationen anzuwenden, (c) Production scaffolds, die helfen, die gelernten Inhalte in einer sinnvollen Art und Weise wiedergeben zu können. 4 Interkulturell/ konstruktivistische Ansätze Beide Ansätze, BAG (1978) und Neuner/ Krüger/ Grewer (1981), sind nicht identisch, sie weisen jedoch in Bezug auf ihre Übungskonzeptionen große Übereinstimmungen auf: Die Konzentration auf textorientierte Verstehensprozesse, auf das Rezeptive mit dem Schwerpunkt auf textvorentlastende und textbegleitende Übungsformen und einem Sprung auf freiere Formen von Übungsimpulsen, der sich in der Praxis oft als unrealistisch groß erwiesen hat. Abgleich zwischen Textinhalten und Vorwissen Vergleiche zwischen eigener und textlich vermittelter Erfahrung Freie Formen der Anregung zur Sprachproduktion / interaktives Aushandeln von Bedeutung In dieser methodengeschichtlichen Tradition gleichsam als Reflex auf audiolinguale Drill-Reihen steht auch die praxisferne Ablehnung jeglicher repetitiver Übungsformen. <?page no="66"?> Hermann Funk 66 Die heute noch populäre Annahme von der Wirksamkeit des Wiederholens und des anhaltenden Übens geht u.a. auf diese lerntheoretische Ausrichtung von Sprachenlernen zuruck (Riemer/ Hufeisen 2010, 740). Hier wird das audiolinguale Kind gleichsam mit dem Bade ausgeschüttet. Imitatives Lernen, die Ausbildung von Routinen durch übendes Wiederholen, wird auf diese Weise wegdefiniert. Der hier sichtbare lange Pendelschwung zurück zu kognitiver und metakognitiver Ausrichtung des Übungsgeschehens scheint in den gegenwärtig an deutschen Schulen am weitesten verbreiteten Englischlehrwerken noch weitaus deutlicher sichtbar als in den aktuellen DaF- Lehrwerken. Als Fazit der methodengeschichtlichen Entwicklung kann festgehalten werden, dass derzeit Übungsformen und -typen aus allen Phasen der Methodenentwicklung in Lehrwerken, digitalen Medien und Unterricht in vielen Varianten mit unterschiedlicher Verteilung und Ausprägung koexistieren, in der Regel ohne eine übungstheoretisches oder gar fremdsprachenmethodisches Gesamtkonzept, was zur ersten der für diese Frühjahrskonferenz gestellten Fragen führt. 1 Von welchem Übungsbegriff gehen Sie aus? Welche Abgrenzungen und Ausdifferenzierungen sind Ihrer Meinung nach mit Blick auf didaktische und forschungsmethodische Operationalisierungen nötig? Für das Üben ganz allgemein gilt die folgende einfache Definition: Wer etwas übt, vollzieht einfach eine mentale oder physische Handlung mehrfach mit dem Ziel, sie immer besser und schlussendlich mühelos zu beherrschen. Für den Fremdspachenunterricht scheint diese schlichte Definition ausgesetzt. Würde man sie anwenden, hieße es: Wer gründlich und ausdauernd das Ausfüllen von Lücken in Sätzen und Wörtern übt, wird immer besser beim Ausfüllen von Lücken in Sätzen und Wörtern. Wer Dialoge abschreibt, lernt das Abschreiben von Dialogen usw. Beides ist belegbar. Weiterführende Zielvorstellungen könnten nur auf der Grundlage eines Konstruktes von Transfer begründet werden. Hier bewegen wir uns allerdings in Bezug auf Belege auf dem Boden unsicherer Annahmen. Der Übungsbegriff ist daher nur auf der Basis des Lernbegriffes definierbar. Obwohl das Übungsgeschehen Ablauf und Aufbau von Unterrichtsstunden und deren Ergebnis bestimmt, ist die Effektivität von Übungen ebenso selten Forschungsgegenstand wie der konkrete Zusammenhang zwischen Übungen und Aufgaben. So ist es wenig verwunderlich, dass neue Lehrwerke oft die Verpackung unveränderter Übungspakete in neuem De- <?page no="67"?> Was heißt Time on task? 67 sign und ohne expliziten Bezug zu den lerntheoretischen Grundlagen sind. Mit dem Behaviorismus und der Pragmatik wurden für die Fremdsprachendidaktik jeweils Theorien aus den Bezugswissenschaften wirksam und führten zu neuen didaktisch-methodischen Modellierungen. Aktuelle Theorien und Lernmodelle in den Bezugswissenschaften betonen eher die Vielfalt menschlicher Lernpotenziale und gehen insgesamt eher von einer auch neurowissenschaftlich plausiblen Parallelität dreier grundlegender Prozesse aus: Lernen bedeutet ein größtenteils automatisiertes Klassifizieren von Wahrnehmungen, ein ständiges Zuordnen bereits gelernter und neuaufgenommener Informationen. Dieser Konstruktionsprozess (attention awareness understanding) geschieht unter anderem auf der Grundlage lehrgesteuerter Verarbeitungsangebote, also instruktionsgesteuert ebenso wie durch implizite, inzidentelle und unbewusste Anregungen. Lernen geschieht durch den Aufbau muster-assoziativer Verbindungen, zum Beispiel auch durch serielles, imitativ-reproduktives Üben und ist im neurowissenschaftlichen Sinne Bahnung, d. h. die Aktivierung neuronaler Netze. Lernen geschieht ungesteuert und zu großen Teilen auch unbewusst und z.T. zufällig durch das Entdecken von Regularitäten, u.a. auch durch Versuch und Irrtum (vgl. Pospeschill 2004; Swain 2005). Geht man von dieser Differenzierung der Lernpotenziale aus, so erweist sich eine Reihe von Definitionen des Übungsbegriffs in den Handbüchern unseres Faches als einseitig und unzulänglich. Beispiel: Kommunikative Übungsaufgaben dienen auch der systematischen Denkerziehung. Deswegen müssen Übungsabläufe vermieden werden, die völlig unreflektiert zu erledigen sind. … Zudem müssen Übungen höhere Denkformen auslösen, die nicht nur sprachinterne Regelhaftigkeiten umfassen, sondern darüber hinaus auch heuristische Fähigkeiten und individuelles Problemlösen (konzeptuelles Denken) ansprechen bzw. entwickeln, denn jeder Unterricht ist Denkunterricht … (Kieweg 2010, 184) Wesentliche Lernpotenziale und Übungsziele bleiben dabei ausgeklammert. Habitualisierung und das repetitive Memorisieren phonetischer Muster haben hier keinen Platz. Die Definiton orientiert sich mit ihrer Überfrachtung durch Transferprojektionen, die nichts mit dem Spachlernprozess zu tun haben, letztlich an den Zielen des Erwerbs alter Kultursprachen und <?page no="68"?> Hermann Funk 68 steht eher in der Tradition kategorialer Bildung Klafkis und dem Hegelschen Sprachbegriff. Das grammatische Erlernen einer alten Sprache hat zugleich den Vorteil, anhaltende und unausgesetzte Vernunfttätigkeit sein zu müssen; ... Somit findet ein beständiges Subsumieren des Besonderen unter das Allgemeine und Besonderung des Allgemeinen statt, ... Das strenge grammatische Studium ergibt sich also als eines der allgemeinsten und edelsten Bildungsmittel. (Hegel in seiner 2. Nürnberger Gymnasialrede, Werke Bd. 4. Gymnasialreden, 322f.) Aus der Spracherwerbsforschung heraus ist eine solche Reduktion menschlicher Lernpotenziale aufs Kognitive nicht begründbar, der Verzicht auf die Breite menschlicher Lernpotenziale schwer verständlich. Auf der Grundlage dieser lerntheortischen Überlegungen komme ich zu folgender Übungs-Definition: Fremdsprachliches Üben ist das schrittweise aufbauende Erlernen einer Zielfertigkeit (z.B. vom nachahmenden über das angeleitete zum freien Sprechen), d. h. einer sprachlichen Kompetenz, die in einzelne sprachliche Komponenten (z.B. Wortschatz, Grammatik, Aussprache, etc.) bzw. Teilfertigkeiten (z.B. dialogisches Sprechen, Telefonieren, usw.) untergliedert werden kann. Dabei muss der Bezug zur gestrebten Kompetenz bei jedem Schritt für die Lernenden jeweils erkennbar sein. Die Definition enthält als wesentlichste Definitionselemente erstens die Zielbzw. Aufgabenorientierung einer Übung sowie zweitens die Festlegung eines zielorientierten progressionalen Aufbaus und folgt drittens dem Gebot der Transparenz für die Übenden. Die Definition führt direkt zur zweiten Frage: 2 Welche Auswirkungen haben Ihrer Meinung nach aktuelle Entwicklungen wie u.a. die Aufgaben- und Kompetenzorientierung sowie Forschungsergebnisse auf die Rolle sowie die Bedeutung, die dem Üben im heutigen Lehr-Lerngefüge zugesprochen wird? Efficient language teaching must work with, rather than against, natural processes, facilitate and expediate, rather than impede learning. (Corder 1981, 77) Pit Corder erinnert uns daran, dass das Spachenlernen ein natürlicher Prozess ist, der auch ungesteuert und ohne konzeptuelle Eingrenzungen funktioniert. Effektives Üben unterstützt diese natürlichen Prozesse. Für mich <?page no="69"?> Was heißt Time on task? 69 folgt daraus: Je näher wir uns in allen Lernaktivitäten und Übungsroutinen daran orientieren, was Menschen ohnehin im Alltag mit Sprache tun, desto erfolgreicher und nachhaltiger ist der Lernprozess. Neurowissenschaftlich begründete Argumente einbeziehend argumentiert Segalowitz (2003, 402) in die gleiche Richtung und schlussfolgert: Je mehr das Umfeld der Entstehung fremdsprachlicher mentaler Netze (Inhalte, Rahmenbedingungen und Verfahren des Lernens fremder Sprachen) dem Umfeld der späteren Verwendung der Sprache gleicht, desto höher ist die Chance der Aktivierung und Verfestigung der Netze - reichhaltige und realitätsnahe Lernumgebungen führen zu besseren Lernergebnissen. Ein Plädoyer nicht nur dafür, dass kommunikative Aufgaben reale Sprachverwendung „spiegeln“ sollen, auch Übungsaktivitäten sollten sich am realen Sprachhandeln orientieren. In jedem Fall stehen die Inhalte im Mittelpunkt. Auch und gerade dann, wenn es um sprachliche Formen geht. Mit anderen Worten: Formale Übungen müssen direkt und erkennbar nützlich bei der Bewältigung der Aufgaben sein. Form follows function. Aktuelle Lehrwerkanalysen und Unterrichtsbeobachtungen (siehe oben) zeigen, dass dies mitnichten eine Binsenweisheit ist. Wendet man das Übungsprinzip der realitätsnahen, an natürlichen Prozessen orientierten Abläufe beispielsweise auf den beliebten Übungstyp der Umformungsbzw. Paraphrasierungsübungen an, so verbieten sich alle Übungsanalagen, in denen lediglich eine komplexe Formulierung in eine andere ebenso komplexe umgesetzt wird - im Deutschen etwas den Umbau von mehrteiligen Attributen in Relativsätze und umgekehrt. Eine natürlich und realitätsnahe Transformation bestünde dagegen darin, eine komplexe Aussage, etwa in einem Text mit einer oder mehreren einfacheren Aussagen wiederzugeben. In der Dichotomie „Übung + Aufgabe“ kommt der Zielorientierung der Übungen eine zentrale Funktion zu, wobei Aufwand und kommunikatives Ziel im Einklang stehen müssen. Hier wird deutlich, dass in der Diskussion um die Aufgabenorientierung der Übungsstruktur insgesamt zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde, und hier wird Forschungs- und Entwicklungsbedarf deutlich. Damit ist gleichzeitig eine zentrale und produktive Schrittfolge der Lehrwerkanalyse mit dem Ziel, jeweils den zeitlichen Aufwand und das Übungsziel abzugleichen, benannt. Was sollen meine Lerner am Ende der Unterrichtssequenz können? Welche Schritte müssen auf dem Weg zu diesem Ziel eingeplant werden? Welche Hilfen müssen bei den einzelnen Schritten allen oder einigen Lernern zur Verfügung gestellt werden? <?page no="70"?> Hermann Funk 70 Graphisch lässt sich dieser Zusammenhang so verdeutlichen: Abb. 2: Funk 2014, 16. Ausgehend von der gut belegten Erkenntnis der bestehenden Diskrepanz zwischen kommunikativen Zielen einerseits und traditionell-formalen Übungsroutinen andererseits entwickeln Gatbonton/ Segalovitz (2005) ihr ACCESS-Modell (Automatization in Communicative Contexts of Essential Speech Segments) eines gestuften Übungsgeschehens, das das traditionelle PPP (Present-Practise-Produce)-Modell differenziert und zeigt, dass Produktion und Schüleraktivierung nicht erst am Ende einer Übungskette stehen müssen, sondern Grundprinzip aller Übungsphasen sein können. <?page no="71"?> Was heißt Time on task? 71 Abb. 2: Gatbonton/ Segalovitz 2005, 329. 3 Welche methodischen und didaktischen Chancen schreiben Sie dem Üben zu, wo sehen Sie besondere Herausforderungen beim Üben für Lehrende und Lernende im heutigen Fremdsprachenunterricht? Eine Chance zur Intensivierung des Übungsgeschehens liegt darin, auf der Grundlage der angeführten Modelle und Prinzipien das beobachtbare Übungsgeschehen zunächt in Bezug auf seine Wirksamkeit zu überprüfen. Dazu beschränke ich mich hier auf zwei Beispiele: <?page no="72"?> Hermann Funk 72 Als gut belegt in Bezug auf seine Wirksamkeit in Spracherwerbsprozessen kann beispielsweise das Prinzip der Interaktionsorientierung von Übungsroutinen gelten: Übungen sind in dem Maße wirksam, in dem sie die soziale Interaktion von Lernenden fördern und zur Sprachproduktion anregen (Funk, u.a. 2014). Das Interaktionspotenzial von Übungsvorgaben und deren Generierungsfähigkeit in Bezug auf die Sprachproduktion der Lernenden sind messbar und beobachtbar. Als prototypische Formate, die die Prinzipien der Personalisierung, Individualisierung und Interaktionsorientierung umsetzen, können Tim Murpyhs Shadowing & Summarizing-Modelle (Murphy 1991) und Wilbergs (1996) thematische Anregungen von 1zu-1-Lern-Settings gelten. In Bezug auf die Herausforderungen der didaktisch-methodischen Forschung beschränke ich mich exemplarisch auf eine einzige Übungsform, die Lückenübung, deren Popularität über alle Methoden, Sprachlernkulturen und Medien (Apps! ) hinweg bei Lehrenden und Lernenden ungebrochen scheint. Bei Lehrenden vor allem auf Grund ihrer Korrigierbarkeit und Überschaubarkeit, bei Lernenden, da sie den Aufwand der Sprachproduktion minimieren und ein unmittelbares Feedback ermöglichen. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Übungsform aber eher um eine Test-Form. Sie testet Kenntnisse, aber entwickelt sie nicht, woran Michel Paradis (1994, 403) erinnert: Practise is not practise of the rule... Practise is the practise of utterances in which the rule is implemented, whether or not the speaker has knowledge of the rule... Practise is not to convert explicit knowledge to implicit competence. Wenn Selbststeuerung, plausible Lernaufgaben und die Personalisierung von Lerninhalten der Schlüssel für den Erfolg des Fremdsprachenunterrichts sind, dann sind Lückenübungen der Schlüssel zum Misserfolg: Die Lernenden agieren nicht, sie reagieren fremdgesteuert. Die Übungen ziehen potenziell hohen Korrekturaufwand nach sich. Sie zeigen meistens, was Lerner (noch) nicht können, und nicht, was sie können. Sie enthalten zumeist dekontextualisierte Sätze ohne pragmatische Bezüge, d.h. ohne Transferpotenzial. Sie widersprechen damit gut erforschten Prinzipien effektiven Fremdsprachenunterrichts und sind damit Zeitverschwendung. Lückenübungen sind nur sinnvoll als Mittel der Aufmerksamkeitsfokussierung beim Leseverstehen und als eine Form der Überprüfung des Lese- und Hörverstehens. Sie <?page no="73"?> Was heißt Time on task? 73 sind nicht sinnvoll, um sprachliche Fertigkeiten zu trainieren, Grammatikkompetenz zu erreichen oder Regelanwendung zu üben. Sie sollten in jedem Fall in Partnerarbeit erledigt werden und inhaltlich „personalisiert“ sein, gemeinsam korrigiert werden (Interaktionsorientierung) und Teil spielerischer Unterrichtsszenarien sein. Die Herausforderung der Fremdsprachendidaktik in Aus- und Weiterbildung besteht meines Erachtens darin, in einer kritischen Bilanz des Übungsgeschehens tradierte Übungsformen ohne erkennbaren Kompetenzbezug zu benennen und Alternativen aufzuzeigen. Die Diskprepanz zwischen dem, was im Übungsgeschen als wirksam und nachhaltig belegbar ist, und dem, was von Übungsheften bis Apps als Übungsmaterial bereitgestellt und vewendet wird, ist auch 2016 über alle Methodenwechsel hinweg groß. Forschungen zur Wirksamkeit von Übungen und zur Entwicklung forschungsgestützter Formate sind nach wie vor zu selten. Auch bei Lehrwerken mit aktuellen Aufgabenformaten scheint die Entwicklung von über mehrere Stationen gestuften (Scaffolding) Übungssequenzen unterentwickelt. Bei der Analyse von Übungssequenzen von DaF-Lehrwerken in studentischen Arbeitsgruppen der ALM (Arbeitsstelle für Lehrwerkforschung und Materialentwicklung) wurden selten Sequenzen, gefunden, bei denen eine Stufung über mehr als zwei Übungen hinaus sichtbar wurde. Einen besonderen Rückschritt stellen im DaF-Bereich die vor allem an italienischen und spanischen Universitäten so beliebten Kompakt-Lehrwerke (DaF kompakt, intensiv usw.) dar, die im Grunde das Übgungsgeschehen auf die Präsentation von Wortschatz im Kontext, gefolgt von traditionellen Grammatikübungen und einem nachfolgenden Sprung zu freien Sprachproduktionsaufforderungen, reduzieren. Die aktuellen (2016) Programmausschreibungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bezeugen mit ihrer Beschränkung auf Grammatik und Wortschatz ebenfalls die Persistenz antiquierter Unterrichts- und Übungskonzepte. 4 Welche Forschungsansätze in Ihrer eigenen Arbeit oder in der aktuellen Forschungslandschaft halten Sie für besonders bedeutsam und fruchtbar in Hinblick auf einen Erkenntnisgewinn über das Üben und seine Resultate? Die hermeneutische Lehrwerkanalyse, gestützt durch aktuelle forschungsmethodische Werkzeuge der Datenerfassung und Markierung erscheint nach wie vor geeignet, Erkenntnisse über die übungstechnische Qualität von Lehrwerken zu generieren. Im Verein mit der Analyse von Unterrichtsmitschnitten, wie sie beispielsweise im DLL-Projekt des Goethe-Instituts in <?page no="74"?> Hermann Funk 74 Zusammenarbeit mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena entwickelt wurden, und der systematischen Auswertung von Unterrichtsdokumenten wie den Praktikumsportfolios und Ansätzen der Aktionsforschung geben sie Einblicke in die Wirkung und Steuerungsfunktion von Lehrwerken. Erkenntnisse über die übungstechnische Modellierung von Lernverläufen können ebenfalls in theoriegestützten und praktisch evaluierten Entwicklungsstudien entstehen, an denen Forscher, Studierende und Lehrkräfte teilnehmen. Eine solche Modellstudie für Unterrichtsmaterial in Vorbereitungsklassen (andernorts Willkommensklassen genannt) ist gerade in der Arbeitsstelle Lehrwerkforschung und Materialentwicklung im Auftrag der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen durchgeführt worden. Beteiligt waren auch hier Forscherinnen, Lehrkräfte und Studierende. Die aktuelle Entwicklung der stark drittmittel-geförderten DaZ-Szene konzentriert sich derzeit stärker auf sprachliche und bildungswissenschaftliche Fragen. Die Übungsqualität erscheint dabei weniger prioritär als eine Diskussion von Erwerbsverläufen. Der Übergang zum kommunikativen Fremdsprachenunterricht war von einer kreativen Ausweitung des Übungsrepertoires begleitet: eine Einheit von Forschung und Entwicklung, Theorie und Praxis kennzeichnete diese Aufbruchssphase. Zumindest im DaZ-Bereich scheint der Weg derzeit eher zurück zu einer Dominanz sprachlicher Konstrukte und korrespondierender Übungsformate zu führen. Lehrkräfte und Lernende finden sich dabei nicht selten in der Rolle der Beforschten und nicht der Entwickler wieder. In den Diskussionen der Frühjahrskonferenz (vgl. den Beitrag von Kurtz in diesem Band) wurde mehrfach der Übungsbegriff der Sportwissenschaften bemüht. Er verdient Beachtung über die metaphorische Gleichsetzung hinaus. Neuere Forschungen (Schöllhorn et al. 2014) belegen, ausgehend von der Annahme nicht-linearer Kausalität und der Fluktuation in komplexen Systemen, dass die stochastische Perturbation von Abläufen und ihre Weiterentwicklung eher durch minimale Variation von Übungsabläufen gelingt denn durch lineare Repetition. Ein produktives Feld für Hypothesen interdisziplinären Übungsforschung. Literatur BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft Englisch an Gesamtschulen) (Hrsg.) (1978): Kommunikativer Englischunterricht - Prinzipien und Übungstypologie. München: Langenscheidt. Bygate, Martin/ Skehan, Peter/ Swain, Merrill (Hrsg.) (2001): Researching Pedagogic Tasks. Second Language Learning, Teaching and Testing. Cambridge: Pearson Education. <?page no="75"?> Was heißt Time on task? 75 Corder, S. Pit (1981): Error Analysis and Interlanguage. Oxford: Oxford University Press. DeKeyser, Robert (Hrsg.) (2007): Practice in a Second Language: Perspectives From Applied Linguistics and Cognitive Psychology. Cambridge: Cambridge University Press. Foster, Pauline (2001): „Rules and routines: A consideration of their role in the task-based language production of native and non-native speakers“. In: Bygate/ Skehan/ Swain (Hrsg.), 75-94. Funk, Hermann (2010): „Methodische Konzepte für den Deutsch als Fremdsprache - Unterricht.“ In: Krumm, Hans-Jürgen (u.a.) (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin/ New York: Mouton de Gruyter, 940-952. Funk, Hermann (2012): „Four Models of Language Learning and Acquisition and Their Methodological Implications for Textbook Design.“ In: Electronic Journal of Foreign Language Teaching. Band 9 (1), http: / / e-flt.nus.edu.sg/ v9s- 12012/ funk.pdf Funk, Hermann u.a. (2014): Aufgaben, Übungen, Interaktion. Deutsch Lehren Lernen 4. München: Klett-Langenscheidt. Funk, Hermann/ Kuhn, Christina/ Skiba, Dirk/ Spaniel-Weise, Dorothea/ Wicke, Rainer (2014): Aufgaben, Übungen, Interaktion. Deutsch Lehren Lernen 4. München: Klett Langenscheidt. Gatbonton, Elizabeth/ Segalovitz, Norman (2005): „Rethinking the Communicative Approach: A focus on accuracy and fluency.“ In: Canadian Modern Language Review/ La revue cannadienne des langues vivantes 61 (3) 325-353. Gogolin, Ingrid/ Lange, Imke (2010): Durchgängige Sprachbildung. Eine Handreichung. Münster: Waxmann. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Kieweg, Werner (2010): „Übungsformen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 182-186. Kurtz, Jürgen (in diesem Band): „Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts an schulischen Bildungseinrichtungen“, 118-129. Long, Michael H./ Catherine J. Doughty (Hrsg.) (2009): The Handbook of Language Teaching. Malden: Wiley-Blackwell. Muranoi, Hitoshi (2007): Output practice in the L2 classroom. In: Robert De- Keyser (Hrsg.): Practice in a Second Language. Perspectives from Applied Linguistics and Cognitive Psychology. Cambridge: Cambridge University Press. Murphy, Tim (1991): Teaching One to One. New York/ London: Longman. Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (2005): „Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht: Entwicklungen, Forschung und Praxis, Perspektiven“. In: Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg.): Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Task- <?page no="76"?> Hermann Funk 76 Based Language Learning and Teaching. Festschrift für Michael K. Legutke. Tübingen: Narr, 1-52. Neuner, Gerhard/ Krüger, Michael/ Grewer, Ulrich (1981): Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht. Berlin u.a.: Langenscheidt. Oser, Fritz (1997): „Standards in der Lehrerbildung. Teil 1 und Teil 2“. In: Beiträge zur Lehrerbildung, 15 (1), 26-37/ 210-228. Paradies, Michel (1994): „Neurolinguistic aspects of implicit and explicit memory: implications for bilingualism“. In: Ellis, Nick (Hrsg.): Implicit and Explicit Learning of Second Languages. London: Academic Press, 393-419. Pospeschill, Markus (2004): Konnektionismus und Kognition. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer. Schöllhorn, Wolfgang/ Hegen, Polywka/ Eekhoff, Alexander (2014): „Differenzielles Lernen und andere motorische Lerntheorien.“ In: Spectrum der Sportwissenschaft (2), 35-55. Steinkühler, Clara (2010): Magisterarbeit. Die Vermittlung des Deutschen an irischen Sekundarschulen. (unveröffentlicht) Stöver-Blahak, Anke (2012): Sprechen und Vortragen Lernen im Fremdsprachenunterricht. Interpretativ, kreativ und ganzheitlich mit Gedichten. Frankfurt a. M.: Peter Lang. Swain, Merrill (2005): „The output hypothesis: theory and research“. In: E. Hinkel (Hrsg.): Handbook of Research in Second Language Teaching and Learning. Mahwah, New Jersey: Lawrence Erlbaum, 471-81. Wilberg, Peter (1996): One to One. A Teacher’s Handbook. London: LTP-London. <?page no="77"?> Üben bedeutet Lernen - auch im Fremdsprachenunterricht! Claus Gnutzmann 1 Was heißt „Üben“? Wenn Spaß und Interesse als Topindikatoren für erfolgreichen Unterricht angesehen werden, überrascht es nicht, dass sich Übungen im Schulunterricht keiner besonderen Beliebtheit erfreuen; wenn es eine gewisse Akzeptanz gibt, dann am ehesten vielleicht noch vor Klassenarbeiten. 1 Die reservierte Einstellung, die gemeinhin dem Üben im schulischen Fremdsprachenunterricht entgegengebracht wird, lässt sich auch in der fremdsprachendidaktischen Forschung beobachten, der, von Ausnahmen abgesehen (z.B. Klippel 1998, 2013; Segermann 1992), nur ein geringes Forschungsinteresse an diesem Thema bescheinigt werden kann. 2 1 Konsultiert man das Begriffswörterbuch Pädagogische Grundbegriffe (Lenzen 2007), so stellt man fest, dass es einen eigenen Eintrag „Übung“ nicht gibt und dieser Begriff unter „Elementarunterricht“ behandelt wird. Somit zeigt sich, dass auch in der pädagogischen Literatur das Üben eher randständig bearbeitet und vor allem der Primarstufe zugeordnet wird. Das ist insofern erstaunlich, weil in anderen Lernbereichen, z.B. in der Mathematik, im Sport oder beim Erlernen eines Musikinstrumentes, die Notwendigkeit des Übens für das Lernen und das Erbringen von Leistungen unbestritten ist und dies etwa durch entsprechende, ausdrücklich als „Übungen“ deklarierte Lehrveranstaltungen dokumentiert und unterstützt wird. Immerhin finden sich in den einschlägigen fremdsprachendidaktischen Handbüchern Übersichtsartikel zu „Übungsformen“ bzw. „exercise types“ und „Übung“ (vgl. Kieweg 2010; Klippel 2010; Sercu 2013). Bausch et al. ( 4 2003) enthält ein weites Spektrum an Artikeln zu Aussprache-, Wortschatz- und Grammatikübungen, an Übungen zu den sprachlichen Fertigkeiten sowie Beiträge zu kommunikativen, interaktiven und kreativen Übungen wie auch Übungen zur interkulturellen Kommunikation, Sprachmittlung und zu Hausaufgaben. Auf einen übergreifenden Artikel haben die Herausgeber jedoch verzichtet. 2 Selbst im Kontext der praxisorientierten und fremdsprachenunterrichtsbezogenen Zeitschriften gibt es nur eine Heftpublikation zum Thema „Üben“ aus jüngerer Zeit, mit einem Basisartikel von Kieweg (2014). <?page no="78"?> Claus Gnutzmann 78 Der zum Verb „üben“ gehörige substantivische Begriff „Übung“ wird von (Tenorth/ Tippel 2007, 723) definiert als „alltägliches, i.d.R. von Schülern nicht geliebtes, aber notwendiges Element des Unterrichts und der Hausaufgabenerstellung, wodurch Gelerntes gefestigt und ins Langzeitgedächtnis überführt werden soll“. Üben soll also nachhaltige Lerneffekte unterstützen und Kompetenzen möglichst dauerhaft aufbauen und, so ließe sich ergänzen, wieder konsolidieren, wenn Gelerntes instabil oder größtenteils vergessen wurde. Wendet man diese allgemein-pädagogische Auffassung von üben bzw. Übung auf fremdsprachliche Übungen an, so dienen diese dazu, funktionale kommunikative Kompetenzen, also kommunikative Fertigkeiten/ Skills (Hörverstehen, Leserverstehen, Sprechen, Schreiben, Sprachmittlung), formal-sprachliche Mittel (Wortschatz, Grammatik, Aussprache, Orthographie) sowie interkulturelle und methodische Kompetenzen) zu fördern und und bei den Lernenden zu verfestigen (vgl. KMK 2003, 7-10). Ich schließe mich hier der Definition von Thaler (2012, 124) an, nach der Übungen „Lernarrangements mit einem eng umgrenzten sprachlichen, methodischen oder kommunikativen Fokus“ sind. Sie sollen dazu beitragen, den Lernenden die Möglichkeit zu geben, „in diesem geschützten Raum“ sprachliche Formen und Fertigkeiten korrekt und flüssig zu gebrauchen, damit sie diese schließlich in der freien, mündlichen und schriftlichen Kommunikation anwenden können. Somit erscheint regelmäßiges Üben der ‚alternativlose‘ Schlüssel für erfolgreiches fremdsprachliches Lernen zu sein und somit für die Aneignung einer möglichst automatischen und eigenständigen rezeptiven und produktiven Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache unumgänglich. Umso erstaunlicher ist es, dass die neuere Fremdsprachenforschung sich dieses Themas nur eher stiefmütterlich angenommen hat. 2 Auswirkungen von sprachdidaktischen Lehr- und Lernkonzepten auf die Rolle des Übens im Fremdsprachenunterricht Im Gegensatz zu einem natürlichen, in der Umgebung der Zielsprache stattfindenden Fremdsprachenerwerb ist institutionell organisierter Fremdsprachenunterricht faktisch nicht ohne Üben bzw. Übungen denkbar. Dass die verschiedenen Übungsformen im Hinblick auf die jeweiligen Lernziele bzw. zu erreichenden Kompetenzen des Unterrichts einer Abstimmung, Sequenzierung und Abwechslung bedürfen, versteht sich von selbst und braucht hier nicht näher ausgeführt werden. 3 3 Für eine Klassifizierung von Übungsformen vgl. Kieweg (2010, 182f.) für eine Evaluation von Übungen den Kriterienkatalog bei Klippel (1998, 332). <?page no="79"?> Üben bedeutet Lernen - auch im Fremdsprachenunterricht 79 Die Möglichkeiten, im Klassenzimmer reale Spracherwerbssituationen darzustellen und so die Voraussetzungen für einen gleichsam „natürlichen Spracherwerb“ zu schaffen, sind, wie auch die Beiträge in Bausch et al. (1998), zeigen, begrenzt. Wer die Geschichte und Gegenwart des Fremdsprachenunterrichts überblickt, wird unschwer feststellen, dass die Ausprägungen und der Stellenwert des Übens sowie die damit verbundenen Erwartungen sehr unterschiedlich waren und sind. Wie anhand der in unterschiedlichen Sprachen in ähnlicher Weise existierenden Volksweisheiten 4 In diesem Zusammenhang ist natürlich von Interesse, wie das Verhältnis von sprachlicher Form und Funktion in den zugrunde liegenden sprachdidaktischen Konzepten gesehen wird. In einem von der Komplementarität von Form und Funktion ausgehenden Fremdsprachenunterricht werden Übungen, die auf sprachliche Korrektheit abzielen, einen höheren Stellenwert haben als in einem vor allem kommunikationsorientierten Unterricht. In letzterem sind Übungen ‚freier‘ angelegt, weil sie direkt auf den Erwerb einer sprachlichen Anwendungskompetenz unter Vermeidung bzw. Ausschluss von solchen Komponenten abzielen, die die formal-sprachliche Korrektheit stützen würden. Kulturen übergreifend belegt wird, wird dem Üben eine für das Erlangen von Fertigkeiten übereinstimmend eine unverzichtbare Funktion zugeschrieben. Für die Aneignung von Fertigkeiten der sprachlichen Kommunikation gilt diese Auffassung in der fremdsprachendidaktischen Forschung allerdings in unterschiedlichem Maße. Während im audiolingual geprägten, der grammatischen Progression verpflichteten Unterricht dem Üben ein hoher Stellenwert zukam (pattern practice), wurde die Sinnhaftigkeit des Übens formal-sprachlicher Mittel im kommunikativen Sprachunterricht weitgehend in Frage gestellt. Der Schwerpunkt kommunikativer Übungen liegt hingegen in der Verfügbarmachung von Sprecherintentionen und den dafür notwendigen sprachlichen Inventaren. Eine Weiterentwicklung des für den kommunikativen Unterricht charakteristischen Übungstyps stellt der aufgabenorientierte Fremdsprachenunterricht 5 4 Z.B. deutsch: Übung macht den Meister, englisch: Practice makes perfect, französisch: dar. Auch wenn es eine Reihe von unterschiedlichen Definitionen von Aufgabe bzw. „task“ gibt, so ist den meisten gemeinsam, dass sie sich mehr- C'est en forgeant qu'on devient forgeron, spanisch: La práctica hace al maestro, niederländisch: oefening baart kunst, dänisch: øvelse gør mester etc. 5 Aus der deutschsprachigen Literatur seien hier exemplarisch genannt: Bausch et al. (2006), Müller-Hartmann/ Schocker-v. Ditfurth (2005a, 2005b), Hallet/ Legutke (2013). <?page no="80"?> Claus Gnutzmann 80 heitlich auf die außerschulische Lebenswirklichkeit 6 Die Kompetenzorientierung des Fremdsprachenunterrichts, wie sie z.B. durch die Bildungsstandards eingeführt und weiterentwickelt wurde, lässt auf ein anderes, modifiziertes Verständnis von Aufgaben schließen, wie wir es zum Teil von Vertretern des „task-based language learning“ kennen, die das „non-linguistic outcome of the task“ Ellis (2003, 10) betonen. So ist beispielsweise in den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (KMK 2012) von Lernaufgaben die Rede, bei denen es sich um ausgewählte Aufgabenstellungen handelt, die sich (zunächst) auf einzelne, auch sprachliche, Kompetenzen fokussieren. Ihre Funktion ist es, aktive Lernprozesse zu initiieren und „diese durch eine Folge von gestuften Aufgabenstellungen [zu] steuern, die die Schülerinnen und Schüler für Probleme sensibilisieren und Kompetenzen konsolidieren und vertiefen“ (KMK 2012, 188). In diesem Zitat finden sich Konzepte wie Abstufung und Steuerung, die seit der kommunikativen Wende im Sprachunterricht negativ besetzt waren, aber im Kontext der Bildungsstandards eine gewisse Renaissance und Weiterentwicklung erleben. Hiermit, so ließe sich schließen, wären positive Verbinder Lernenden beziehen und deren „Bedürfnisse“ im Blick haben, um so inhaltsorientiertes, bedeutungsvolles und authentisches, d.h. vor allem nicht formal-sprachliches und nicht schulbezogenes Lernen zu ermöglichen. Das Resultat der erfolgreichen Durchführung einer Aufgabe sollte nach Möglichkeit ein „konkretes Endprodukt“ (Mertens 2010, 7) sein. Systematisches Üben und Lernen von sprachlichen Formen und ihren Verwendungen, so wie es bekanntermaßen im PPP-Ansatz (presentation, practice, production) vorkommt, wird als eher hinderlich für einen aufgabenorientierten Unterricht angesehen; auch deshalb, weil die in Übungen verwendete Sprache als nicht authentisch bzw. „unnatürlich“ gilt und somit als Beleg für die Unverträglichkeit von Üben und realer Sprachverwendung herangezogen wird. Cook (2000, 197) hat m.E. zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der Inhalt von Sprachbeispielen und somit auch von Übungen durchaus „weird“ (bizarr, fremd, komisch) sein könne, weil diese Form der Abweichung von „authentischer“, „normaler“ Sprache bei guter Auswahl Humor erzeugen und sich positiv auf das Behalten der Formen und Strukturen auswirken würde. 6 Es ist jedoch eine sehr vordergründige Argumentation, die der Institution Schule und den von ihr ausgehenden Lernaktivitäten vorwirft, nicht auf die außerschulische, insbesondere zukünftige und erwachsene Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen vorzubereiten. Zum einen kann niemand exakt vorhersagen, wie die spätere Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen aussehen wird, zum anderen handelt es sich doch bei der Schule um deren Lebenswirklichkeit. Als solche wird diese auch von der ganz überwiegenden Mehrheit der Schüler und Schülerinnen wahrgenommen (vgl. auch Gnutzmann 2006, 66). <?page no="81"?> Üben bedeutet Lernen - auch im Fremdsprachenunterricht 81 dungen zu Übungen hergestellt, deren Ziel ja auch in der Entwicklung und Konsolidierung von sprachlicher Kommunikationsfähigkeit und ihrer automatisierten Anwendung besteht. 2 Chancen und Herausforderungen für das Üben im heutigen Fremdsprachenunterricht und seine fremdsprachendidaktische Erforschung Es deutlich geworden, dass der Stellenwert des Übens in den Epochen 7 7 Zum Begriff der Epoche bzw. Entwicklungsetappe in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts vgl. Denninghaus (1986). des Fremdsprachenunterrichts von verschiedenen Faktoren bestimmt wird. Das Spannungsfeld, in dem das Üben angesiedelt ist, wird definiert durch die jeweils ‚herrschenden‘, (lehrerinduzierten) Sprachlehrmethoden und durch Sprachlernkonzepte, die vor allem auf Selbstständigkeit und Autonomie der Lernenden abheben. Verbunden mit dieser Unterscheidung sind weitere Fragen: Wie wird eine Fremdsprache am besten gelernt, auf möglichst „natürliche“ Weise oder eher durch Steuerung der Sprachlernprozesse? Welche Rolle (bedeutsam, konstitutiv vs. marginal) wird sprachlichen Formen und Strukturen in fremdsprachlichen Lern- und Kommunikationsprozessen zugeschrieben? Welche Ergebnisse werden erwartet, und wie werden diese gemessen, z.B. durch die Feststellung von Kompetenzen, die gleichzeitig die Orientierung des Fremdsprachenunterrichts vorgeben? Anknüpfend an die Ausführungen zur den heutigen Fremdsprachenunterricht beherrschenden Kompetenzorientierung und den daraus hervorgehenden Implikationen für den positiven Stellenwert von Aufgaben, wie dieser auch durch die einschlägigen Publikationen und Aufgabensammlungen des Instituts zur Qualitätssicherung im Bildungswesen (IQB) dokumentiert wird, könnte man schließen, dass dadurch auch die Chancen für Übungen im Fremdsprachenunterricht so (relativ) günstig sind wie schon lange nicht mehr. Für die Forschung ergibt sich die Notwendigkeit, eine genauere begriffliche Klärung von Übung und Aufgabe voranzutreiben, bestehende Aufgaben- und Übungsformate weiterzuentwickeln und diese auf ihre Wirkungen, auch im Langzeitgedächtnis, zu testen. Wer allerdings noch immer nicht von der Kompetenzorientierung überzeugt ist (vgl. Bausch et al. 2009), der wird sich um alternative Sprachlehr- und -lernkonzepte und entsprechende Übungen kümmern müssen. <?page no="82"?> Claus Gnutzmann 82 Literatur Bausch, Karl-Richard-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.) (1998): Kognition als Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Tübingen: Narr. Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.) (2009): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Tübingen: Narr. Cook, Guy (2000): Language Play, Language Learning. Oxford: Oxford University Press. Denninghaus, Friedhelm (1986): „Evolution, Epochenwandel und Kontinuität in der Geschichte des Fremdsprachenuterricht“. In: Seminar für Sprachlehrforschung (Hrsg.): Probleme und Perspektiven der Sprachlehrforschung. Bochumer Beiträge zum Fremdsprachenunterricht in Forschung und Lehre. Frankfurt: Scriptor 1986, 63-88. Ellis, Rod (2003): Task-based Language Learning and Teaching. Oxford: Oxford University Press. Gnutzmann, Claus (2006): „Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht: Adoption von task-based teaching and learning? “ In: Bausch, Karl- Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr 2006, 62-71. Hallet, Wolfgang/ Legutke, Michael (Koord.) (2013): Tasks Revisited. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 42 (2). Kieweg, Werner (2010): „Übungsformen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 182-184. Kieweg, Werner (2014): „Das Üben üben“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 131, 2-8. Klippel, Friederike (1998): „Systematisches Üben“. In: Timm, Johannes-Peter (Hrsg.) (1998): Englisch lernen und lehren. Didaktik des Englischunterrichts. Berlin: Cornelsen, 328-341. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart u.a.: Metzler, 314-317. Klippel, Friederike (2013): „Übung macht den Meister - practice makes perfect“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 38-49. KMK (=Kultusministerkonferenz) (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012 _10_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf (04.07.2016). Lenzen, Dieter (Hrsg.) ( 8 2007): Pädagogische Grundbegriffe. Reinbek: Rowohlt. Mertens, Jürgen (2010): „Aufgabenorientiertes Lernen“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.), 7-9. <?page no="83"?> Üben bedeutet Lernen - auch im Fremdsprachenunterricht 83 Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (2005a): „Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht: Entwicklungen, Forschung und Praxis, Perspektiven“. In: Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg), 1-51. Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg.) (2005b): Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Task-Based Language Learning and Teaching. Festschrift für Michael K. Legutke. Tübingen: Narr. Segermann, Krista (1992): Typologie des fremdsprachlichen Übens. Bochum: Brockmeyer. Sercu, Lies (2013): „Exercise types and grading“. In: Byram, Michael/ Hu, Adelheid (Hrsg.): Routledge Encyclopedia of Language Teaching and Learning. London, New York: Routledge, 242-245. Surkamp, Carola (Hrsg.) (2010): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart u.a.: Metzler. Thaler, Engelbert (2012): Englisch unterrichten: Grundlagen, Kompetenzen, Methoden. Berlin: Cornelsen. <?page no="84"?> Üben und Übungen im Fremdsprachenunterricht Andreas Grünewald 1 Übung: Definition und Funktion Manchmal macht Lernen keinen Spaß. Stattdessen ist es einfach nur harte Arbeit, nur bewusstes Üben, dieselben Dinge immer und immer wieder tun. [...] Eine wichtige Aufgabe der Schulen besteht darin, Schülerinnen und Schülern den Wert bewussten Übens beizubringen, damit sie erkennen, wie Üben zur Kompetenz führt. (Hattie 2014, 121f.) Klippel (2013, 45) konstatiert in einer historischen Betrachtung zum Terminus Übung, dass aktuell „Aufgaben“ einen großen Teil der Bedeutung zugeschrieben werde, die bislang dem Üben zugerechnet wurde. Das Verständnis von „Übung“ habe sich dementsprechend verengt. Auch wenn der Begriff Übung - je nach vorherrschendem methodischen Paradigma (vgl. dazu Klippel 2013, 40ff.) - unterschiedliche Ausdeutungen und Wertungen erfahren hat, waren Übungen zu keiner Zeit aus dem fremdsprachlichen Klassenzimmer verbannt. Üben ist nach wie vor integraler Bestandteil des fremdsprachlichen Lernprozesses. Üben bezeichnet alle Aktivitäten, die dem Lerner dabei helfen, neu aufgenommene Informationen und neue Zusammenhänge auf eine Weise präsent zu machen, dass sie in den Situationen, in denen man sie braucht, verfügbar sind. Durch Üben können neue Wissenselemente zu anwendbarem Wissen und Können verdichtet werden (Heymann 2012, 7). Heymann (ebda) nennt für die Klassifizierung von Übungen drei Zieldimensionen: 1. Die Aneignung von Wissen in Form von Kenntnissen (deklaratives Wissen); 2. Die Aneignung und Automatisierung von Fertigkeiten (prozedurales Wissen); 3. Die Entwicklung komplexer Kompetenzen, die meist aus der vielfältigen Verbindung der beiden erstgenannten Aspekte entstehen. Aufgabe und Übung unterscheiden sich in ihren Funktionen im Lernprozess, in der Praxis werden die beiden Begriffe manchmal vermischt und als Synonyme gebraucht (siehe auch Kapitel 2). Aufgaben verstehe ich als <?page no="85"?> Üben und Übungen im Fremdsprachenunterricht 85 alltagsbezogene sprachliche Aktivitäten (vgl. Nunan 1989), als kommunikative Lernziele des Fremdsprachenunterrichts, zu deren Lösung die Anwendung von z.B. Wörtern, sprachlichen Regeln, interkulturelles Wissen oder Textsortenkenntnis notwendig ist (vgl. Funk et al. 2014, 11). Übungen bereiten Aufgaben vor, indem sie die zur Lösung der Aufgabe notwendigen sprachlichen Mittel, die Aussprache usw. gezielt trainieren. Die folgende Abbildung, welches im Rahmen einer Autorenschulung für das Lehrwerk Adelante 2009 entstand, veranschaulicht das Verhältnis von Übung und Aufgabe. In diesem Spanischlehrwerk ist die Lösung einer mehr oder weniger komplexen Aufgabe am Ende jeder Lektion das Ziel. Die Lektionen werden von der Aufgabe her geplant, so dass alle Übungen und Teilaufgaben die Lösung der alltagssprachlch relevanten Aufgabe am Ende der Lektion vorbereiten und unterstützen. Abbildung 1: Übung und Aufgabe. Das Üben gehört zu den zentralen Phasen im fremdsprachlichen Lernprozess. Es dient sowohl dem Erwerb als auch der Behaltenssicherung sprachlicher Mittel und der Automatisierung sprachlicher Routinen. Beim Üben vergegenwärtigt sich der Lernende also bestimmte Regeln, Ordnungsprinzipien, sprachliche Strukturen usw. und übt diese dann wiederholt und angeleitet ein. Weitere Funktionen des Übens können die automatisierte Verwendung sprachlicher Strukturen, das Einprägen bestimmter Formen, Chunks und lexikalischer Einheiten oder die Entwicklung von sprachlichen Routinen sein. Üben kann auch zur Erfolgskontrolle bzw. zum Feedback genutzt werden. Wenn die Übungen ohne Probleme bearbeitet werden können, ist das gleichzeitig eine Rückmeldung, dass der zu übende Stoff bzw. die zu übende Fertigkeit beherrscht wird. <?page no="86"?> Andreas Grünewald 86 Wie verhält sich nun aber „üben“ zu „anwenden“? Zunächst einmal kann man etwas auch üben, indem man es anwendet. Das Lesen fremdsprachiger Texte beispielsweise üben Schülerinnen und Schüler auch, indem sie lesen. Sie lesen ja nicht nur zur Übung, um später dann lesen zu können. Anwenden bezieht sich im Kontext fremdsprachlicher Lernprozesse auf einen Transfer von erlernten sprachlichen Strukturen auf weitere Wissens- und Könnensfelder (vgl. Heymann 2012, 8). Heymann (ebda) unterscheidet die folgenden didaktischen Funktionen von „Anwenden“: 1. Anwenden, um den Sinn des Gelernten zu erfahren; 2. Anwenden um zu üben; 3. Anwenden, um besser zu verstehen; 4. Anwenden zur Erfolgskontrolle. Was bedeutet das konkret für den Fremdsprachenunterricht? Die erstgenannte Funktion (Anwenden, um den Sinn des Gelernten zu erfahren) wird häufig im Rahmen der Aufgabenorientierung (siehe Kapitel 2) als das Lösen von alltagsbezogenen Aufgaben zu Themen, die der Lebenswelt der Lernenden entnommen sind, beschrieben. Dabei entstehen idealerweise Situationen, in denen die Lerner das im Unterricht Erlernte in einer von den Schülerinnen und Schülern als realistisch bzw. authentisch eingeschätzten Situation anwenden können und so die Nützlichkeit des Erlernten erfahren. Das kann z.B. anhand von Situationen geschehen, in denen kommunikative Fertigkeiten erfolgreich angewendet werden (Austausch von Video-Pods mit Partnerklassen; Gesprächssituationen im Rahmen einer Klassenfahrt etc.). Sie erwerben peu à peu Diskursfähigkeit durch den Aufbau diskursiver Kompetenzen, und sie erleben bestenfalls das Gelernte als für sie sinnvoll durch die Möglichkeit der z.B. medialen Teilhabe am fremdsprachigen Diskurs. Die zweitgenannte Funktion (Anwenden um zu üben) erschließt sich für den fremdsprachlichen Kontext ganz von selbst: Jeder Transfer oder jedes erfolgreiche Anwenden von zuvor erlerntem Wissen oder angeeigneten Fertigkeiten übt diese wiederum im gleichen Prozess. Schülerinnen und Schüler lernen beispielsweise lexikalische Chunks zum Einkaufen, und sie haben die Gelegenheit, diese im Rahmen einer Klassenfahrt erfolgreich anzuwenden. Die drittgenannte Funktion (Anwenden, um besser zu verstehen) lässt sich gut anhand komplexerer Kompetenzen wie der Textanalyse oder der Sprachmittlung verdeutlichen. Für die Sprachmittlung notwendige Teilkompetenzen können vermittelt und geübt werden. Doch erst im Prozess <?page no="87"?> Üben und Übungen im Fremdsprachenunterricht 87 der Anwendung, also der Sprachmittlung selbst, wächst das Verständnis darüber, worin die Herausforderungen liegen und wie komplex die Sprachmittlungskompetenz eigentlich ist. Die letztgenannte Funktion (Anwenden und Erfolgskontrolle) verweist auf den Umstand, dass der Transfer von Wissen und die Anwendung von Fertigkeiten dazu genutzt werden kann, den Lernerfolg zu kontrollieren. Auch für die Lerner stellt das Anwenden des Gelernten ein gutes Mittel der Selbstevaluation oder zum Feedback dar. Gelingt Sprachmittlung beispielsweise in anderen Kontexten und bestenfalls auch außerhalb des schulischen Kontextes gut, dann haben das Wissen darum und die erworbenen Fertigkeiten dazu geführt, die Sprachmittlungskompetenz auszubauen. Anwenden und Wissenstransfer sind dem heutigen Verständnis nach eher der Aufgabe als der Übung zugeordnet. Dennoch ist hier meines Erachtens die Grenze fließend und so wie die Vermittlung und die Aneignung von Wissen zum Aufbau von Kompetenzen gehört, ist die Übung ebenfalls Bestandteil des Kompetenzaufbaus. 2 Rolle des Übens im Rahmen von Aufgaben- und Kompetenzorientierung 2.1 Üben und Aufgabenorientierung Das Konzept der Aufgabenorientierung wurde Ende der 1980er Jahren zunächst für Erwachsene im angelsächsischen Raum entwickelt und als „Tasked-based language learning“ bezeichnet. Das Ziel war das Lösen alltagsbezogener Aufgaben (z.B. Nunan 1989). Dieses Konzept wurde seit den 1990er Jahren weiterverbreitet und intensiviert. Der aufgabenorientierte Unterricht spielt in Deutschland vor allem für Englisch und Deutsch-als- Fremdsprache und Deutsch-als-Zweitsprache sowie Spanisch eine Rolle. In Spanisch ist der „enfoque por tareas“ oder „la enseñanza mediante tareas“ mit dem Namen Javier Zanón verbunden. Französisch verzeichnete eine geringere Aktivität des „enseignement par tâches“. Willis (1996) entwickelt mit ihrem „Task Cycle Framework“ eine praktikable Methode zur Erstellung von „tasks“ (Aufgaben). Da hier auch Übungen ihren Platz haben, werfen wir einen kurzen Blick auf den „Task-Cycle“. Aufgaben definiert Willis (1996) als eine unterrichtliche Aktivität, die mitteilungsbezogene Kommunikation und Interaktion ermöglicht und Lernende die Fremdsprache als Kommunikationsmittel anwenden lässt. Im Rahmen dieses Ansatzes liegt der Schwerpunkt von Aufgaben auf dem Inhalt und nicht auf der sprachlichen Form. Aufgaben haben demnach einen eindeutig kommunikativen Zweck und ein Publikum bzw. Adressaten. Sie sind <?page no="88"?> Andreas Grünewald 88 komplex, aktivieren die Ressourcen der Lernenden und verlangen von ihnen, Entscheidungen bezüglich Inhalt und Sprache zu treffen. Auf diese Art binden sie die Lernenden auf einer emotionalen Ebene ein. Formales Sprachlernen anhand von Übungen hat seinen festen Platz, wird aber erst anhand der inhaltlichen Erarbeitung der Aufgabe entwickelt und findet im dritten Schritt statt. Diese erste Phase dient zur Einführung in die Aufgabe und zur Vorbereitung der Lernenden. In der zweiten Phase („Task-Cycle“) wird die Lernaufgabe bearbeitet. In der dritten Phase („Language focus“) geht es um die Nachbereitung. Dabei besteht zum einen die Möglichkeit des Feedbacks und der inhaltlichen Reflexion, Kernelement dieser Phase ist jedoch die sprachliche Aufarbeitung und das Üben sprachlicher Formen. Es lässt sich also zusammenfassen, dass Aufgabe und Übung im aufgabenorientierten Ansatz in einer Wechselbeziehung stehen. Im Gegensatz zur oben dargestellten Funktion von Übung zur Vorbereitung von Aufgaben, haben in diesem Ansatz Übungen das Ziel, die Aufgaben sprachlich nachzubereiten. Lernende greifen bei der Bearbeitung der Aufgabe auf alle sprachlichen Mittel zurück, die individuell benötigt werden: auf Geübtes und Vertrautes, auf das, was als Scaffolding in Form von Wortmaterial und Strukturen zum Thema zur Auswahl steht, auf das, was in Wörterbüchern nachgeschlagen oder bei der Lehrkraft und anderen Schülerinnen und Schülern erfragt werden kann etc. Eine Einschränkung oder Fokussierung auf bestimmte sprachliche Mittel, wie es bei Übungen in der Regel der Fall ist, wird bei Aufgaben nicht vorgenommen. So kann den Lernern eher eine realitätsnahe und authentische Sprachverwendung gelingen. Bei Übungen geht es hingegen darum, sprachlich korrekte Formen zu produzieren und zu üben, damit sie später (zum Beispiel auch im Rahmen einer Aufgabe) angewendet werden können. 2.2 Üben und Kompetenzorientierung Der Kompetenzbegriff wird zwar in der Regel deutlich in Kontrast zum Wissensbegriff gestellt, andererseits hängen beide Konzepte eng miteinander zusammen. Im Grunde geht es bei der Kompetenzorientierung darum nicht isolierte Wissensbestände zu vermitteln, sondern anwendungsfähiges ganzheitliches Können, das auch reflektive und selbstregulative Prozesse einschließt (Klieme/ Hartig 2007, 13). Dennoch ist und bleibt Wissen ein grundlegender Bestandteil von Kompetenz und Kompetenzentwicklung. Folgende „Wissensbereiche“ haben wir bereits an anderer Stelle als für den Fremdsprachenunterricht relevant zusammengetragen (siehe Caspari et al. 2008, 173): <?page no="89"?> Üben und Übungen im Fremdsprachenunterricht 89 1. Explizites und implizites Wissen über Elemente der Sprache/ des Sprachsystems (Wortschatz und Strukturen), über Regeln ihrer Bildung, Konventionen ihrer Anwendung und über den Zusammenhang von Grammatik, Semantik und Pragmatik innerhalb der zu erwerbenden Zielsprache insgesamt. 2. Kenntnis und Beherrschung von „isolierten“ Sprachfunktionen ebenso wie von diskursiv aufgebauten Sprechhandlungen und ihren Realisierungsmoglichkeiten innerhalb der Zielsprache (auch im Vergleich zur eigenen Sprache). 3. Kenntnis verschiedener Textsorten einschließlich fiktional-literarischer Varianten und ihrer sprachfunktionalen Differenzen bzw. ihrer gebrauchsorientierten Typik. 4. Textmusterwissen, also Wissen über die Struktur und die spezifischen sprachlich-diskursiven Gestaltungsmerkmale im Aufbau verschiedener Textsorten, die sich an den Praktiken und Konventionen einer bestimmten Diskursgemeinschaft orientieren. 5. Wissen über literarische Praxis, sowie literarische Produkte in den kulturellen Kontexten der zu lernenden Sprache (v.a. in der Sekundarstufe II). 6. Einschlägiges soziokulturelles Wissen (Einsichten) über die Zielsprache und die Zielkultur(en) in ihren verschiedenartigen Ausdrucksformen und Besonderheiten. 7. Schließlich: Wissen über Lerntechniken und Strategien, über die Strukturierung des eigenen Lernprozesses. Dieses Wissen muss vermittelt, aufgebaut und vernetzt werden. Es muss Behalten und schließlich angewendet werden. Die Sicherung und das „Behalten“ erfolgten anhand von Übungen (vgl. Definition in Abschnitt 1), die Anwendung und der Transfer orientierten sich an der außerschulischen Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler und erfolgten im Rahmen des aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts. Regelmäßiges Üben ist also auch ein wesentlicher Bestandteil des kompetenzorientierten Unterrichts. 3 Herausforderungen beim Üben für Lernende und Lehrende: Variatio delectat Es gehört zu den Aufgaben von Lehrkräften, Schülerinnen und Schüler die Notwendigkeit des Übens für das erfolgreiche Fremdsprachenlernen zu vermitteln. Üben - und damit auch das Fremdsprachenlernen - erfordert eine gewisse Anstrengung, womit die Herausforderung für die Schülerinnen <?page no="90"?> Andreas Grünewald 90 und Schüler in Bezug auf das Üben benannt ist. Wortschatz beispielsweise muss gelernt und geübt werden. Vokabeln lernen sich nicht (nur) von alleine. Was können Lehrende dafür tun, das notwendige Üben und Wiederholen innerhalb und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts möglichst abwechslungsreich und interessant zu gestalten? Wie kann das Üben mit dem Anwenden, das Üben mit dem Bearbeiten von Aufgaben verbunden werden? Getreu dem Motto „variatio delectat“ ist ein abwechslungsreiches Übungsangebot sicher ein erster Schritt, die Aufmerksamkeit und die Motivation der Schülerinnen und Schüler aufrecht zu erhalten. Neben unterschiedlichen Übungstypen bietet ein abwechslungsreiches Übungsangebot auch die Möglichkeit der Differenzierung. Gerade in heterogenen Lerngruppen können Übungen angeboten werden, die sich nach der individuellen Leistungsfähigkeit, der Leistungsbereitschaft, den Lernvoraussetzungen, den Lernstilen, dem Alter, dem Geschlecht, dem soziokulturellen Hintergrund usw. unterscheiden können. Darin liegt für den differenzierenden Fremdsprachenunterricht eine große Chance. Die individuelle Förderung kommt ohne ein reichhaltiges Übungsangebot nicht aus. Ein Blick in die Differenzierungsvorschläge unterschiedlicher Französisch- und Spanischlehrwerke zeigt, dass dort insbesondere Übungen auf unterschiedlichen Leistungsniveaus (meist nur Grundniveau und erweitertes Niveau, manchmal auch ein Standardniveau) angeboten werden. In den übrigen Lektionsteilen (Lektionstext, Einführung von Lexik, Grammatik etc.) wird in aller Regel nicht differenziert. In aufgabenorientierten Lehrwerksansätzen kommt die abschließend zu lösende Aufgabe hinzu, die entweder in zwei Versionen für unterschiedliche Lernvoraussetzungen angeboten wird oder aber durch die Offenheit der Aufgabenstellung bereits individuelle Lösungswege und Produkte zulässt. 4 Forschungsansätze in Hinblick auf einen Erkenntnisgewinn über das Üben und seine Resultate Die Rolle des Übens für das Lernen ist unbestritten und wurde auch in Hatties Metastudie auf empirischer Basis bestätigt (2009, 73f., 277f.). Dort werden 7 Schritte der „Direkten Instruktion“ (Effektstärke d = 0.59) genannt, welche zu einem effizienten Unterricht beitragen: 1. Klare Zielsetzung und Struktur sowie transparente Erfolgskriterien; 2. Aktive Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler in den Lernprozess; <?page no="91"?> Üben und Übungen im Fremdsprachenunterricht 91 3. Ein genaues Verständnis der Lehrkraft darüber, wie die Lerninhalte zu vermitteln und zu erklären sind; 4. Eine prozessbegleitende Überprüfung, ob das Gelernte verstanden wurde oder nicht; 5. Angeleitetes Üben unter Aufsicht der Lehrkraft; 6. Einbettung des Gelernten in einen größeren Zusammenhang; 7. Eigenständiges Üben: Wiederkehrende praktische Anwendung des Gelernten in unterschiedlichen Kontexten. Zwei dieser 7 Schritte sind mit dem Üben verbunden. Zunächst der Verweis auf das „angeleitete Üben“, dann auf das „eigenständige Üben“. Das angeleitete Üben bietet den Lernern die Gelegenheit zu zeigen, was sie von dem neu Gelernten erfasst haben, und gleichzeitig bietet es den Lehrenden die Möglichkeit zum Feedback und zur individuellen Hilfestellungen (vgl. meine Ausführungen zum differenzierenden Unterrichten oben). Das eigenständige Üben entspricht dem Transfer oder das was ich eingangs als „Anwenden“ bezeichnet habe. Das neu Gelernte, das neu erworbene Wissen muss in diesem Schritt auf andere Kontexte übertragen bzw. angewendet werden können - was im Rahmen eines aufgabenorientierten Ansatzes denkbar wäre. Bei aller durchaus berechtigter methodischen Kritik an Hatties Mega- Meta Studie (siehe dazu z. B. Terhart 2013) sind dies doch empirisch fundierte Hinweise darauf, dass dem Üben für den erfolgreichen Lernprozess eine große Bedeutung zukommt. Literatur Brose, Claudia (2014): „Warum Wiederholen und Üben wichtig ist“. In: Englisch 5-10 (26), 28-31. Caspari, Daniela/ Grunewald, Andreas/ Hu, Adelheid/ Kuster, Lutz / Nold, Günter/ Vollmer, Helmut J./ Zydatiß, Wolfgang (2008): „Kompetenzorientierung, Bildungsstandards und fremdsprachliches Lernen - Herausforderungen an die Fremdsprachenforschung. Positionspapier von Vorstand und Beirat der DGFF“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 19 (2), 163-186. Funk, Hermann/ Kuhn, Christina/ Skiba, Dirk/ Spaniel-Weise, Dorothea/ Wicke, Rainer E. (2014): Aufgaben, Übungen, Interaktion. München: Klett- Langenscheidt. Hattie, John (2014): Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning for Teachers“, besorgt von Beywl, Wolfgang und Zierer, Klaus. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. <?page no="92"?> Andreas Grünewald 92 Heymann, Hans Werner (2012): „Schüler beim Aufbau von Kompetenzen unterstützen“. In: Pädagogik 12 (12), 6-11. Höfer, Dieter/ Steffens, Ulrich (2012): „Was ist das Wichtigste beim Lernen? “ In: Pädagogik 12 (12), 40-43. Kieweg, Werner (2010): „Übungsformen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.) (2010): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 182-185. Klieme, Eckhard/ Hartig, Johannes (2007): Möglichkeiten und Voraussetzungen technologiebasierter Kompetenzdiagnostik. Berlin: BMBF. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.) (2010): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart u.a.: Metzler, 314-317. Klippel, Friederike (2013): „Übung macht den Meister - practice makes perfect: Von den langweiligen Aspekten des Sprachenlernens“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 38-49. Nunan, David (1989): Designing Tasks for the Communicative Classroom. Cambridge: University Press. Terhart, Ewald (2013): „Hat John Hattie tatsächlich den Heiligen Gral der Schul- und Unterrichtsforschung gefunden? “ In: Terhart, Ewald (2013): Erziehungswissenschaft und Lehrerbildung. Münster: Waxmann, 167-183. Willis, Jane (1996): A Framework for Task-Based Learning. Harlow: Longman. <?page no="93"?> Einübung Wolfgang Hallet 1 ‚Übung‘ und ‚Ernstfall‘ ‚Üben‘ ist ein verfängliches Thema, denn im Erfahrungsalltag ist es allgegenwärtig. Was immer wir lernen im Alltag, wir müssen üben: Rad- und Autofahren, als Arzt Patienten behandeln, Klavierspielen, Hürdenlaufen, Fußballspielen usw. Man erkennt auf Anhieb das Prinzip und versteht, dass man üben muss, weil der Ernstfall mit weitreichenderen Folgen und oft auch, wie im Fall des Autofahrens oder des ärztlichen Eingriffs, mit Risiken und schwerwiegenden Folgen verknüpft ist. Daher suggeriert uns unsere Lebens- und Alltagserfahrung, dass ‚Üben‘ allemal sinnvoll und nötig ist. Auf den Fremdsprachenunterricht übertragen lautet die Annahme, dass die fremdsprachige Kommunikation ein Ernstfall ist, auf den man sich durch häufiges und zielgerichtetes Üben vorbereiten kann und muss. Allerdings sind die Analogien begrenzt: Anders als beim lebensweltlichen Lernen ist das institutionelle Sprachlernen unvermeidlicherweise zeitlich und räumlich von den lebensweltlichen Weisen der Sprachverwendung - dem Ernstfall - geschieden. Zudem werden oft genug, so die Generalhypothese in diesem Beitrag, vor allem in der alltäglichen Praxis des Fremdsprachenunterrichts die Gegenstände des Übens vom Ernstfall abgelöst und, vor allem aus Sicht der Schüler/ innen, zum Selbstzweck und zu einem zentralen Unterrichtsinhalt und so zum scheinbaren Kern von ‚Schulunterricht‘. Neben solchen sehr wirksamen Alltagstheorien darf lernpsychologisch nicht unterschätzt werden, dass für die Schüler/ innen (und deren Eltern! ) die reduktiven Formen und kleinen sprachlichen Formen, die meistens die Übungen charakterisieren, den Vorteil der scheinbar einfachen Verständlichkeit, der Erlern- und der Reproduzierbarkeit bieten. Insofern ist bloßes Üben komfortabler und erfolgversprechender als die Bearbeitung herausforderungsreicher Gegenstände und komplexer Aufgaben. Unterricht und Lehrer/ innen unterliegen daher auch einem Übungszwang, dem sie meinen, Rechnung tragen zu müssen. Kurz gesagt: Die Notwendigkeit zu üben bestimmt auf vielfache Weise den Unterrichtsalltag mit dem Nachteil, dass der Sinn der jeweiligen Übung, deren Effektivität und deren Beitrag zur Entwicklung einer fremdsprachigen Diskursfähigkeit (als übergreifendem Ziel <?page no="94"?> Wolfgang Hallet 94 des Fremdsprachenunterrichts) häufig nicht weiter befragt werden und für die Lernenden oft genug nicht transparent sind. 2 ‚Üben‘ und Lernerfolg Vielen Übungsformen und frequenzen liegen unausgesprochen, oft vermutlich auch unreflektiert, Annahmen darüber zugrunde, wie wir am besten lernen und behalten: Je überschaubarer das zu Erlernende, desto eingängiger die Übung, und je häufiger wir üben, desto besser fürs Behalten und Festigen. Hunderttausende Eltern perpetuieren auf der Grundlage solcher scheinwissenschaftlichen Annahmen die Praxis des mechanischen Vokabel- oder Strukturenlernens und prägen so die Erfolgserwartungen ihrer Kinder ebenso, wie sie einen Erwartungsdruck an die Lehrpersonen und deren Unterricht schaffen: ‚Mein Kind übt dauernd und lange. Wieso sind die Noten so schlecht? ‘ Das simplistische Übungsverständnis scheint zu einem nicht geringen Teil auf eigentlich erledigte behavioristische Lerntheorien zurückzugehen, die darauf basieren, dass unterkomplexe kognitive Einheiten durch mechanisches Üben und entsprechende Belohnungen erfolgreich erworben werden können (explizit aufgerufen z.B. bei Bönsch 2010, 58ff.). Man darf auch den Verdacht hegen, dass ein nicht geringer Teil der Fremdsprachenlernsoftware, die am Markt einen Boom erlebt (‚Babbel‘), auf einfachen stimulus and response-Mechanismen beruht und auf diese Weise dem mechanistischen Lernen zu einer neuen Popularität verhilft, auch im Sinne einer Alltagstheorie des Lernens. Analogien im schulischen und institutionellen Fremdsprachenunterricht sind die Arbeit mit Lückentexten und Ergänzungsübungen, bei denen das einfache ‚richtig - falsch‘-Feedback die Art des Lernerfolgs attestiert, aber z.B. auch lehrwerkbezogene Online - Evaluations- und Test - Software für Schüler/ innen. So kommt es, dass im Englischunterricht oder in elektronischen Lernumgebungen Schüler/ innen mechanisch drei verschiedene conditionals einüben, ohne diese jemals selbstständig in einem kommunikativen Ernstfall anwenden zu müssen. Die Folge ist, dass ihnen mitten in der realen Kommunikation gerade weder der zutreffende Typus des conditional noch die jeweils zugehörigen tenses und Verbformen einfallen. Lerntheoretisch ist in institutionellen Sprachlernkontexten darüber hinaus das Verhältnis ziwschen Lernen und Evaluation zu bedenken: Was als Lernerfolg erlebt wird, hängt natürlich davon ab, was evaluiert, geprüft oder getestet wird und wie eng oder weit die Test- und Prüfungsformen auf die Übungsformen bezogen sind. Wenn das Ausfüllen von Lückentexten Übungsform und Testformat zugleich ist, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit relativ hoch, weil die Evaluation zu einem guten Teil auf der Fähigkeit zur <?page no="95"?> Einübung 95 korrekten Reproduktion beruht. Die oft überraschend guten Ergebnisse von Abschlussprüfungen und das im Fremdsprachenunterricht praktizierte teaching to the test - eine Übungsform, die Lehrer/ innen auch ganz explizit als notwendig benennen und praktizieren (‚In vier Wochen ist ..., wir müssen nun dringend ...‘) - sind Belege dafür. Als Lernen im eigentlichen Sinn kann jedoch nur die aktive Konstruktion von kognitiven Strukturen gelten, die dann (als Kompetenzen) in realen und allen möglichen kommunikativen Kontexten disponibel sind und situationsadäquat angewendet werden können. Jeder andere Kompetenzbegriff (wie der den Bildungsstandards für die Sekundarstufe I zugrundeliegende) verfehlt das eigentliche Lernen und misst einen Lernerfolg, der hinsichtlich der realen Kommunikations- und Diskursfähigkeit (und des damit verbundenen Kompetenzbündels) nur sehr bedingt aussagefähig ist. Eingeschränkte Kompetenzkonzepte führen zu falschen Vorstellungen vom Üben und produzieren einen Übungserfolg, der eher scheinbarer Natur ist. Vermeintliche Übungserfolge hängen also entscheidend auch davon ab, wie ‚Kompetenz‘ jeweils konzeptualisiert und definiert wird. Hier liegt ein entscheidendes Forschungsdesiderat. Es wäre der Frage gewidmet, ob und in welcher Weise sich der Erfolg des Übens und verschiedener Übungsformen im Hinblick auf komplexere kommunikative Fähigkeiten und Fertigkeiten und den kommunikativen Ernstfall bestimmen lässt. 3 Einübung in Komplexität Wenn ein komplexer Kompetenzbegriff in Anschlag gebracht wird, stellt sich sogleich die Frage, ob und wie das Üben von Komplexität, wie sie für reale diskursive Interaktionen kennzeichnend ist, möglich ist. In einem komplexen Konzept von Kompetenz werden Kompetenzen betrachtet als die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001, 27f.). Unter dem Gesichtspunkt des Übens ist die entscheidende Frage, ob und wie sich ein solches Bündel von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Bereitschaften und Haltungen ‚üben‘ lässt, die tatsächlich erfolgreiche „Problemlösungen in variablen Situationen“ erwarten lassen. Der Aufgabenansatz versucht diese Frage durch die Hereinnahme lebensweltnaher oder -bezogener Aufgabenziele, Problemlösungen und der damit verbundenen Arbeits- und Lernprozesse zu beantworten: Die fremdsprachige Kommunikation im Klassenzim- <?page no="96"?> Wolfgang Hallet 96 mer imitiert die lebensweltliche. Es liegt auf der Hand, dass zur erfolgreichen Bearbeitung komplexer tasks Unterstützung (support, scaffolding) und Raum für das Üben noch nicht geläufiger oder gut verfügbarer sprachlicher Formen und Mittel vorgesehen werden muss. Im Unterschied zur angloamerikanischen Aufgabentradition integrieren neuere task - Ansätze daher das Üben und Einüben als feste Komponenten in eine komplexe Aufgabe (Van den Branden 2007; Müller - Hartmann/ Schocker 2011; Hallet 2011). Abb. 1: Üben im Modell der komplexen Kompetenzaufgabe (modifiziert nach Hallet 2011, 153). Im Modell der komplexen Kompetenzaufgabe (Abb. 1) haben die sprachliche Unterstützung und das Üben einzelner Formen daher ihren festen Platz, der allerdings als individualisierendes, differenzierendes und auf a learner’s needs bezogenes Üben ausgelegt ist. Der Vorteil eines solchen Konstrukts ist, dass einerseits eine komplexe diskursive Form der Interaktion stets das Produkt und übergeordnete Arbeitsziel der Aufgabe ist, und dass andererseits auf den verschiedensten Ebenen darunter sprachliche Mittel und Formen verfügbar gemacht, geübt und gefestigt werden müssen, deren Funktion in der komplexen Kommunikationssituation (dem Aufgabenziel) für die Schüler/ innen sichtbar und von der Lehrperson identifizierbar ist: <?page no="97"?> Einübung 97 [T]he selection of the forms that are focused upon and the actual decision to focus on a particular form are inspired by their relevance for the actual performance of a particular meaningful task. The focus on form is task-oriented in that the analysis, and practice, of linguistic form culminate in the new relevant use in meaningful tasks of the forms that were focused upon. (Van den Branden 2007, 166) Im Kontext der komplexen Aufgabe ist also diese (für Schüler/ innen erfahrbare und für Lehrer/ innen identifzierbare) Funktionalität das entscheidende Merkmal von Übungen. In dem Aufgabenmodell ist ein zweites, sehr wichtiges Konstrukt zur Erfassung des Zusammenhangs von komplexer diskursiver Interaktion und deren Einübung abgebildet: Das vorzudefinierende, mit den Schüler/ innen auszuhandelnde oder von ihnen zu wählende Produkt, das das Ziel der Erarbeitung darstellt, weist stets eine generische Form auf. Diese ist ihrer Natur nach hinsichtlich des Zuschnitts der zu kommunizierenden Inhalte (mit Halliday: ideational meaning), der Berücksichtigung des kommunikativen Kontextes (Domäne, Diskurssphäre), der Einschätzung der Kommunikationssituation, der jeweils Beteiligten oder der Adressat/ innen (interpersonal meaning), des angemessenen oder effektivsten Modus (mündlich, schriftlich, digital) des Registers und der textuellen Struktur (textual meaning) stets komplex. Diese Komplexität muss heruntergebrochen und auf einübbare Einheiten reduziert werden, bevor sie in Gänze und im (simulierten) Ernstfall ausagiert werden kann. Daher bildet ‚Genre‘ eine zentrale Komponente des Aufgabenmodells, und die jeweilige generische Form der Kommunikation bildet dann stets das Ziel allen Übens und Einübens. In der mittleren Spalte des Modells, der Prozess-Spalte, findet sich der entscheidende Hinweis, dass das Endprodukt der Aufgabe in einem oft mehrstufigen oder mehrschrittigen Prozess erstellt werden muss, in dem Überarbeitungssowie think - , pair- und ggf. auch bereits share-Schleifen zu durchlaufen sind. Hierin steckt, analog den Prinzipien des process writing, die Vorstellung, dass, wie in der lebensweltlichen sprachlichen Sozialisation, sprachliches Lernen und das Erlernen einzelner generischer Formen, ein re iterativer Prozess ist, der sich durch ständige (individuelle und curriculare) Wiederaufnahme, Optimierung und Ausdifferenzierung auszeichnet. Zu einer ausgearbeiteten didaktischen Theorie des Genre - Lernens (Hallet 2016a) gehört daher auch eine Methodik des Übens und Einübens sowie der curricularen Re - Iteration und Ausdifferenzierung generischer Formen, in denen sich die Komplexität diskursiver Interaktion sprachlich textuell als eigenständiger Beitrag zu einem Diskurs manifestiert. Üben und Einüben <?page no="98"?> Wolfgang Hallet 98 erhalten auf diese Weise eine festigende, wiederaufnehmende, ausdifferenzierende und generisch individualisierende Qualität. 4 Üben als Einübung Vielleicht ist das eingangs kurz erwähnte Erlernen des Autofahrens eine ganz taugliche Metapher für das Fremdsprachenlernen; denn es hat zweifellos schulisch-institutionellen Charakter, ist mit dem Erwerb von (in ihrer Komplexität oft unterschätzten, weil außer auf dem ‚fahrtechnischen‘ Können auch auf sozialen, ethischen und anderen Normen beruhenden) Kompetenzen verbunden, und nicht zuletzt wird der Lernerfolg durch Abschlussprüfungen zertifiziert. Dennoch ist das Erlernen der Kernkompetenz des Steuerns und Bedienens eines Autos zugleich immer auch der Ernstfall der tatsächlichen Teilhabe am Straßenverkehr, wenn auch unter Anleitung und Aufsicht einer Lehrperson. Es wird also zweifellos geübt, aber dieses Üben ist immer zugleich Einübung im Sinne der Erprobung der Fähigkeiten und der Bewährung in komplexen Situationen im echten Straßenverkehr und der tatsächlichen (nicht-simulierten) Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern. Der Begriff der Einübung verweist also einerseits auf die Notwendigkeit des Übens, andererseits aber auf den direkten Zusammenhang zwischen den einzuübenden Fähigkeiten oder Kenntnissen und den tatsächlichen Zwecken und Zielen, zu deren Erreichung diese erforderlich sind und (im Idealfall automatisiert) angewendet werden müssen. Ein solch direkter, für die Schüler/ innen (in der Fahrschule und im Fremdsprachenunterricht) unmittelbar erfahrbarer Zusammenhang konstituiert die Funktionalität allen Übens; er verhindert, dass das Üben sich - aus der Sicht der Lernenden - verselbständigt und dass es im Lernalltag zu einer leeren Routine degeneriert, die tatsächliches Lernen verhindert. Aus den vorangegangenen Überlegungen lassen sich einige Prinzipien für den Ort und die Weisen des Übens im Fremdsprachenunterricht herausfiltern, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Man erkennt sofort, dass viele dieser Prinzipien auch gegenwärtig in der Aufgaben-, Material - und Lehrwerkerstellung leitend sind. Die Frage ist dann, ob der damit verbundene Anspruch tatsächlich eingelöst wird oder ob die Schüler/ innen letztlich das Üben nicht doch als von der ‚wirklichen’ Kommunikation abgelöste Tätigkeit erfahren. Immerhin ist zu beobachten, dass die Englisch- Lehrwerke der neuesten Generation bemüht sind, den Zusammenhang zwischen Üben und Ernstfall in die Konstruktion der Lehrwerkeinheiten einzubauen und für die Schüler/ innen erkennbar zu machen. Zu diesem Zwecke bieten sie sog. unit tasks oder target tasks, also komplexe Aufgaben an, auf die die einzelnen Teilschritte einer unit, vor allem auch die Übungen, bezo- <?page no="99"?> Einübung 99 gen sind. Auf diesem Weg kann die Funktionalität des Übens sichtbar gemacht und gewährleistet werden, jedenfalls dann, wenn dieser Aufgabentypus richtig verstanden und im Sinne der Aufgabenorientierung das Fundament des Unterrichtsdesigns wird. Die wichtigsten Unterrichtsprinzipien, die dieses Verhältnis von reduktiver Übungsarbeit und komplexer fremdsprachiger Kommunikation herstellen können, sind: Funktionalität (I): Das Üben und Einüben ist stets auf ein übergeordnetes (komplexes) Kompetenzziel und das damit verbundene Aufgabenprodukt (eine generische Form der diskursiven Interaktion) bezogen und in die inhaltlich-thematische Arbeit eingebettet. Das Üben hat einen (für die Schüler/ innen - im Sinne von Sprach- und von Sprachlernbewusstheit - klar erkennbaren) Platz im übergeordneten Arbeits- und Lernprozess. Der Zusammenhang zwischen dem zu Übenden und dem Ernstfall-Produkt bleibt stets erhalten und ist transparent. Funktionalität (II): Die Einübung sprachlicher Formen und Strukturen macht für die Schüler/ innen deren jeweilige (kontext- und textbedingte) Funktion erkennbar und erfahrbar. Für alle Genres (also: alle Formate der Kommunikation) lassen sich bis auf die Ebene der Lexik und der Syntax hinunter solche sprachlich-strukturellen Muster bestimmen, die für die jeweilige textuell-diskursive Form konstitutiv sind (‚Diskursfunktionen’: Zydatiß 2005, 2007, 2013; Vollmer et al. 2008; Thürmann et al. 2010; Hallet 2016a, Kap. 4; Hallet 2016b). Funktionalität (III): Zur Philosophie des Übens gehört stets auch die Einübung in die Komplexität realer, lebensweltlicher sprachlicher Interaktion. Vermutlich handelt es sich hier um den wichtigsten Übungstypus, der vom so genannten ‚Schul - Englisch‘ o. ä. zum lebensweltlich kommunikativen Gebrauch einer Fremdsprache im Ernstfall führt. Wenn Lernende keine Gelegenheit haben, sich in diese Komplexität realer Kommunikationssituationen einzuüben, werden sie in der kommunikativen Wirklichkeit scheitern. Prozesslernen: Das Prozesslernen (process writing, process speaking etc.; vgl. Hallet 2016a, 111ff.) ist hinsichtlich der Anbahnung von Komplexität eine zentrale, eher implizite, aber sehr zielbezogene Form des Übens und Einübens. Es folgt den lebensweltlichen Prinzipien des Lernens durch re iterativen Gebrauch, des (bei Kindern auch im Alltag anzutreffenden) sprachlichen Probehandelns sowie des Scaffolding und des Feedback durch peers, experts und caretakers. Re-Iteration: Da Übungen immer in übergreifende Zielorientierungen sowie Lern- und Arbeitskontexte (inhaltlich-thematischer und kompetenzorientierter Art) eingebettet sind, werden sie auch regel- <?page no="100"?> Wolfgang Hallet 100 mäßig auf einer höheren Stufe - also in entwickelterer, zunehmend komplexer, differenzierter und selbstständiger Form - wieder aufgenommen und in neuen Lern- und Arbeitskontexten exerziert. Nur dadurch wird der Schritt vom reinen Üben zum wirklichen Lernen im Sinne aktiv kognitiver Konstruktion und zur Disponibilität sprachlicher Muster und Strukturen in verschiedensten Situationen möglich. Individualisierung: Wirksames Üben muss individualisierend konzipiert und individuell praktiziert werden. Es gibt keine Übung, die für alle Mitglieder einer größeren Gruppe von Lernenden gleichermaßen geeignet ist. Angebote für individuelles Üben verhindern die von den Schüler/ innen als mechanistisch erfahrenen Routinen; Übungen werden entsprechend dem individuellen Bedarf gewählt und durchgeführt. Sie sind auf verschiedene Fähigkeitsstufen und den jeweils zu diagnostizierenden individuellen Übungsbedarf ausgelegt. Über allem steht das Prinzip, dass Übungen aller Art, auch auf der Mikroebene der Lexik und der grammatischen Strukturen, stets der Einübung in die fremdsprachige Diskursfähigkeit dienen müssen. Dieses Üben ist einerseits bezogen auf discourse (mit kleinem d) als Fähigkeit, textuell-diskursive Äußerungsformen der wichtigsten Alltags-Genres (primary genres) mit den diesen eigenen, genre typischen Merkmalen und sprachlichen Formen und Strukturen erzeugen zu können (vgl. Hallet 2016b). Um ‚Einübung’ handelt es sich, weil diese Äußerungsfähigkeit sich auf den Ernstfall des Discourse (mit großem D) richten muss als die Fähigkeit, sich mit seinen eigenen Äußerungen in gesellschaftliche, kulturelle, politische und soziale Diskurse einbringen und zu diesen beitragen zu können. Üben muss stets Einübung in diesen Ernstfall sein. Literatur Bönsch, Manfred ( 2 2010): Nachhaltiges Lernen und Üben durch Wiederholen. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. DeKeyser, Robert M. (Hrsg.) (2007): Practice in a Second Language. Perspectives from Applied Lingistics and Cognitive Psychology. Cambridge: Cambridge University Press. Hallet, Wolfgang (2011): Lernen fördern: Englisch. Kompetenzorientierter Unterricht in der Sekundarstufe I. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hallet, Wolfgang (2016a): Genres im fremdsprachlichen und im Bilingualen Unterricht. Formen und Muster der sprachlichen Interaktion. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. <?page no="101"?> Einübung 101 Hallet, Wolfgang (2016b): „Sprach- und genrebewusstes Lernen. Chunks und phrases in der politischen Rede“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 50, 31-37. Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-von Ditfurth, Marita (2011): Teaching English: Task-Supported Language Learning. Paderborn: Schöningh. Thürmann, Eike/ Vollmer, Helmut/ Pieper, Irene (2010): Languages of Schooling: Focus on Vulnerable Learners. Strasbourg: Council of Europe. Van den Branden (2007): „Second language education. Practice in perfect learning conditions“. In: DeKeyser, Robert M. (Hrsg.): Practice in a Second Language. Perspectives from Applied Lingistics and Cognitive Psychology. Cambridge: Cambridge University Press, 161-179. Vollmer, Helmut/ Thürmann, Eike/ Arnold, Christof/ Hammann, Markus/ Ohm, Udo (2008): Elements of a Framework for Describing the Language of Schooling in Subject-Specific Contexts: A German Perspective [Draft Version, 8.12.2008]. Strasbourg: Council of Europe, Language Policy Division. Weinert, Franz-Emanuel (2001): „Vergleichende Leistungsmessung in Schulen - eine umstrittene Selbstverständlichkeit“. In: Weinert, Franz-Emanuel (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim: Beltz, 17-31. Zydatiß, Wolfgang (2005): „Diskursfunktionen in einem analytischen curricularen Zugriff auf Textvarietäten und Aufgaben des bilingualen Sachfachunterrichts“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 34, 156-173. Zydatiß, Wolfgang (2007): Deutsch-Englische Züge in Berlin (DEZIBEL). Eine Evaluation des bilingualen Sachfachunterrichts an Gymnasien. Frankfurt a.M.: Lang. Zydatiß, Wolfgang (2013): „Generalisierbare sprachlich-diskursive Kompetenzen im bilingualen Unterricht (und darüber hinaus)“. In: Breidbach, Stephan/ Viebrock, Britta (Hrsg.): Content and Language Integrated Learning in Europe. Research Perspectives on Policy and Practice. Frankfurt a.M.: Lang, 315-332. <?page no="102"?> Üben und Trainieren mit und ohne Hilfestellung Karin Kleppin 1 Der Übungsbegriff und seine Verortung in der Forschungslandschaft 1.1 Übung versus Aufgabe Der Begriff „Übung“ präsentiert sich in den letzten Jahren als etwas angestaubt. Er scheint eher einem behavioristischen Verständnis vom Lernen einer Fremdsprache verpflichtet und der Habitualisierung sprachlicher Phänomene zu dienen. Üben wird häufig mit langweiligem Wiederholen assoziiert, wohingegen der Begriff „Aufgabe“ mit lösungsorientierten und mehr oder minder selbstorganisierten Lernaktivitäten, thematischer Relevanz für die Lernenden, Möglichkeiten der inneren Differenzierung, Kreativität und letztendlich auch mit einem hohem Anspruch an Authentizität verbunden wird. Ob eine Aufgabe dann auch als Aufgabe im oben genannten Sinne wahrgenommen wird, hängt sicherlich stärker von der Verarbeitung durch die Lernenden ab und weniger stark von der Aufgabe selbst und der dahinter stehenden Intention des Aufgabenerstellers bzw. des Lehrenden. Denn die Intention, mit der eine Aufgabe eingesetzt wird, kann von Lernenden „umgepolt“ werden. Es kann durchaus geschehen, dass Lehrende glauben, eine Aufgabe zu stellen, aber Lernende sie als eine Übung auffassen. Die hier angedeutete Gefahr, dass Aufgaben als Übungen verstanden werden, ist bei der Trivialität vieler Aufgaben nicht überraschend. Schülerinnen und Schüler werden beim Einkaufen von Schuhen und beim Bestellen von Flugtickets vor allem auf die sprachlichen Formen achten, weil sie sich dieser Aufgabe nur zuwenden, um die Sprache zu lernen. (Bredella 2006, 20) Hinter diesem Gebrauch der Begriffe „Aufgabe“ und „Übung“ verbirgt sich die Einstellung, Aufgaben seien auf die inhaltliche Dimension ausgerichtet und Übungen auf das Lernen der Sprache im Sinne eines Einübens sprachlicher Strukturen. Ein solchermaßen verstandener Übungsbegriff reduziert sich in der Tat auf ein eher mechanisches Üben, bei dem Lernende ein bestimmtes, für sie <?page no="103"?> Üben und Trainieren mit und ohne Hilfestellung 103 vermutlich schwieriges sprachliches Phänomen so lange trainieren, bis es - so die Hoffnung - mehr oder minder automatisiert auf ähnliche sprachliche Situationen übertragen werden kann. Der Anstoß zum Üben ist in solchen Fällen meistens fremdinitiiert, kann allerdings auch, häufig im Fall von Vorbereitungen auf Prüfungen, selbstinitiiert sein. In Abgrenzungen zwischen solchermaßen verstandenen Übungen und Aufgaben wird die zumeist deutliche Fremdsteuerung durch den Lehrenden oder die Lernmaterialien sowie eine eher rigide Vorgehensweise hervorgehoben (vgl. Funk 2006, 59). In der tabellarischen Gegenüberstellung von aufgabenorientiertem und traditionellem formfokussierten Unterricht bei Ellis (2003, 253) kommen Übungen zwar nicht explizit vor, doch wird auch hier deutlich, dass das traditionelle formfokussierte Üben kaum mit „modernen“ Konzeptionen von Fremdsprachenunterricht verbunden wird. Situativ eingebettete Übungen (situational grammatical exercises), bei denen für die Lernenden das Übungsziel transparent ist sowie focused tasks (Ellis 2003, 141f.), bei denen in den Aufgaben Sprachmittel so vorstrukturiert und verankert werden, dass Lernende bei der Lösung der Aufgabe auf sie zurückgreifen müssen, scheinen hingegen eine Möglichkeit zu sein, langweiliges Üben in „intelligentes Üben“ zu überführen. Königs (2015, 11) verweist auf den Pädagogen Hilbert Meyer (2004), der als ein Prinzip guten Unterrichts das intelligente Üben benennt. Darunter versteht Meyer u.a. das häufige und im richtigen Rhythmus sowie passend zum Lernstand und mit entsprechenden Hilfestellungen versehene Üben. Allerdings geht es hierbei weniger um die Ausprägung von Übungen, d.h., wie eine Übung zu gestalten ist, damit Lernende intelligent üben können, sondern vielmehr um die Art ihres Einsatzes. Es bleibt also die Frage, wie denn Übungen gestaltet sein müssen, bzw. wie Lernende sie selbst gestalten, damit intelligentes Üben möglich ist. Erst dann kann entschieden werden, wer sie wie einsetzt. Wie Lernende diese Übung dann wahrnehmen, hängt sicherlich auch von ihnen selbst, ihrer Perspektive und ihrer Herangehensweise ab. 1.2 Üben und Lernen Bietet die Unterscheidung zwischen implizitem oder inzidentellem und explizitem oder intentionalem Lernen 1 1 Auf die Unterscheidung zwischen implizitem und inzidentellem bzw. explizitem und intentionalem Lernen gehe ich hier nicht weiter ein, da sie für die weitere Argumentation keine besondere Bedeutung haben. eventuell eine Möglichkeit, sich sinnvoll dem Übungsbegriff zu nähern? Implizites Lernen wird von <?page no="104"?> Karin Kleppin 104 Rebuschat (2013, 596) beschrieben als „process during which subjects in experimental studies acquire knowledge about a complex, rule-governed stimulus domain without intending to and without becoming aware of the knowledge they have acquired“. Im Unterricht kann die Entwicklung impliziten Wissens, das sich in kommunikativen Verwendungssituationen zeigt, durch die oben schon erwähnten focused tasks unterstützt werden. In ihnen wird ein sprachliches Element hervorgehoben, „although not in a way that causes the learner to pay more attention to form than to meaning“ (Nobuyoshi/ Ellis 1993, 204). Das entsprechende Element wird z.B. beim so genannten input flooding mit besonderer Evidenz („with plentiful positive evidence of a specific linguistic feature“ (Ellis 1997, 86)) versehen, so dass es sich sozusagen ‚unbemerkt in die Lernersprache einschleichen kann‘, bevor eine durchaus erwünschte bewusste Beschäftigung erfolgt (vgl. del Pilar García Mayo 2002). Beim Einüben (Training) formelhafter Sequenzen (vgl. Aguado 2002) wird ähnlich verfahren: Zunächst sollen diese automatisiert werden, bevor letztendlich die Aufmerksamkeit auch auf Regeln und explizites Wissen gelegt werden kann. Ellis/ Shintani betonen in ihren Prinzipien des Fremdsprachenlehrens: „Instruction needs to ensure that learners develop both a rich repertoire of formulaic expressions and a rule-based competence“ (Ellis/ Shintani 2014, 22) und betonen die klare Abfolge: implizit vor explizit. Das Training formelhafter Sequenzen hat gegenüber dem Üben einzelner sprachlicher Phänomene entscheidende Vorteile. Insbesondere sind sie einer Handlungsorientierung verpflichtet, da damit auch die für eine bestimmte Lernergruppe lebensweltlich relevanten und meist relativ einfachen Situationen - keinesfalls nur Alltagssituationen - eingeübt und antizipiert werden können. In Kurs- und Übungsbüchern wie v.a. bei studio d (Funk et al. 2005) wird anhand einer Reihe von Grammatikübungen deutlich, wie sich der Verlauf „Automatisierung vor Regelkenntnis“ realisieren lässt. Implizites und explizites Lernen gehören also - dies wird in vielen Übungen in modernen Lehrwerken sichtbar - beide zum Üben. Das Begriffspaar „induktiv-deduktiv“ wird häufig mit implizitem und explizitem Lernen verbunden, wobei ein induktives Vorgehen sowohl implizites als auch explizites Lernen umfassen kann; denn auch beim expliziten Lernen können Regelhaftigkeiten aus einer Fülle von konkreten Beispielen abgeleitet werden. Ein deduktives Vorgehen kann allerdings zunächst nicht implizites Lernen hervorrufen. Ob sich dann explizites Wissen auch in implizites überführen lässt, wird wohl noch länger die Fachdiskussion beschäftigen (zu Interface-Hypothesen vgl. Ellis/ Shintani 2014, 12f.). Wahrschein- <?page no="105"?> Üben und Trainieren mit und ohne Hilfestellung 105 lich kann man auch bei dieser Diskussion davon ausgehen, dass individuelle Lernerfaktoren, vor allem auch Vorlieben beim Üben, eine Rolle spielen. 2 Funktionen des Übens vor dem Hintergrund von Handlungs-, Aufgaben- und Kompetenzorientierung Üben und Automatisieren werden von Lehrenden und zum Teil auch von Lernenden u.a. mit folgenden Funktionen verbunden (vgl. z.B. Funk et al., 2014). Übungen dienen dazu, sprachliche Phänomene zu speichern, z.B. in Form von chunks bzw. formelhaften Sequenzen, das Gedächtnis zu entlasten und die Reaktionszeit beim Abruf von sprachlichen Phänomenen zu verkürzen ( Automatisierung) und damit prinzipiell auch die Produktionsgeschwindigkeit zu erhöhen (vgl. auch Funk 2014), den Transfer von Gelerntem auf neue Situationen und Handlungsfelder zu ermöglichen, indem z.B. in Übungen schon durchgängig Situationen und Kontexte im Hinblick auf den eigenen Bedarf und die Bedürfnisse variiert werden. Übungen, ohne die auch vor dem Hintergrund von Handlungs-, Aufgaben- und Kompetenzorientierung kaum Lernende auskommen, müssen - vor allem um einen möglichen Transfer auf quasi authentische Aufgaben oder auf reale Situationen vorzubereiten - bestimmten Qualitätskriterien genügen (vgl. auch die Checkliste für die Qualität von Übungen und Aufgaben bei Funk et al. 2014, 44f.). Dazu gehören für (intelligente) Übungen z.B.: eine adäquate Frequenz des Auftretens der zu übenden sprachlichen Phänomene, eine für die Lernenden klar zu erkennende Struktur, versehen mit einer transparenten Arbeitsanweisung, eine Einbettung in situative Kontexte, selbst wenn diese auf Grund von Wiederholungen nicht authentischem Sprachverhalten entsprechen; denn man wird wohl kaum in der Realität, wie in Übungen üblich, z.B. eine Struktur - möglicherweise inhaltlich verändert - im Kreisgespräch wiederholen, die Orientierung an für die jeweiligen Lernenden lebensweltlich relevanten Themen und Situationen, zum Teil spielerische Elemente, durchaus auch in Form von Wettbewerbsspielen (vgl. Kleppin 2003), da diese Elemente langweilige Wiederholungen mit Spannung und Spaß versehen können. <?page no="106"?> Karin Kleppin 106 Um aufzuzeigen, in welchen Settings Üben vorkommen kann, möchte ich im Folgenden einige Beispiele geben, die die Breite des Übens beim Fremdsprachenlernen aufzeigen sollen und die über die im Fremdsprachenunterricht und Lehrwerken vorhandenen Übungssettings hinausgehen: Selbstorganisierte Arbeit mit Online-Materialien, z.B.: Ein Lernender arbeitet mit Online-Aufgaben, die er so lange bearbeitet, bis er die höchste Lösungswahrscheinlichkeit erreicht bzw. bis seine Motivation erschöpft ist. Eine Lernerin bereitet sich auf einen standardisierten mündlichen oder schriftlichen Testteil vor, indem sie gezielt vorhandene Testteile nutzt, die Aufgabenstellung etwas verändert und dann die Situation entweder durchspielt (mündlicher Ausdruck) oder eine schriftliche Produktion verfasst. Um dies realisieren zu können, benötigt sie allerdings Hilfestellungen im Unterricht. Der Lehrende muss z.B. anhand von Beispielen aufzeigen, wie Situationen und Aufgabenstellungen durch kleine Veränderungen neu gestaltet werden können. Selbstinitiiertes mentales Üben, z.B. mentales Durchspielen von Situationen. Ich lehne mich dabei an Verfahren an, die schon in den 70er Jahren von Walter Kuchler im Sportstudium an der Ruhr- Universität Bochum eingesetzt wurden. Dabei geht es um „Vorstellungsübungen im Sinne einer planmäßig wiederholten Vorstellung motorischer Fertigkeiten“ (Erlacher 2010, 69), einem mittlerweile anerkanntem Verfahren in der Sportpsychologie, das man ebenso gut auf das Fremdsprachenlernen übertragen kann. Authentische Situationen mit native speakers bewusst hervorrufen: Ein Lerner sucht sich selbstständig Gesprächspartner, mit denen er wiederholt die gleichen sprachlichen Handlungen durchspielt. Z.B. wird er auch dann nach dem Weg fragen, wenn ihm der Weg bekannt ist. Dies ist eine in China alltäglich anzutreffende Strategie: Potentielle Gesprächspartner werden bewusst angesprochen und gebeten, sich für ein übendes Gespräch zur Verfügung zu stellen. Kommunikationssituationen im Tandem: Ähnlich wie in der vorherigen Situation spielt eine Lernerin mit einem Tandempartner Situationen durch, die sie möglicherweise im Unterricht - eventuell auch als Aufgabe - schon bewältigt hat. Flüssigkeit kann dabei ein Trainingsziel sein. Im Tandem kann sie darüber hinaus auch korrektives Feedback erwarten bzw. einfordern. <?page no="107"?> Üben und Trainieren mit und ohne Hilfestellung 107 4 Feedback und strukturierte Hilfestellungen für das Üben Beim Üben im Unterricht spielt, wie auch bei der Reaktion auf schriftliche und mündliche Lernerproduktionen, ein angemessenes Feedback eine wichtige Rolle. Feedback ist in letzter Zeit nicht zuletzt nach der Metastudie von Hattie (2009; vgl. auch Hattie/ Timperley 2007; Hattie/ Yates 2014) verstärkt in die Fachdiskussion eingegangen. Drei Fragen sind auch für das Üben im Unterricht von Bedeutung: Was war das Ziel der Übung bzw. des Übens? Welche Fortschritte wurden gemacht? Welches sind die nächsten Schritte? Im Hinblick auf das Üben könnte Feedback z.B. auf der Ebene der persönlichen Herangehensweise, also auf der Ebene des Prozesses, sowie auf der Ebene der sprachlichen Realisierung, also auf der Ebene des Produktes, gegeben werden. Bei Online-Übungen kann Feedback in automatisierter Form und beim eigenständigen Üben anhand von Lösungsschlüsseln erfolgen, mit denen sowohl allein als auch in Kleingruppen gearbeitet werden kann. In einem noch unveröffentlichten Buch zum Schreiben in der Fremdsprache und der kriterienorientierten Bewertung von Schülertexten (Akukwe/ Grotjahn/ Schipolowski erscheint) haben wir (Grotjahn/ Kleppin erscheint) uns mit Formen und Funktionen des Feedbacks auseinandergesetzt und dabei versucht, auch neuere Perspektiven auf Feedback wie die interaktionistische dynamische Evaluation (vgl. Grotjahn/ Kleppin 2015; Grotjahn 2015; Lantolf/ Poehner 2011a, b) mit einzubeziehen. Denn Lehrende können Feedback nicht nur zu den beobachtbaren sprachlichen Realisierungen in Übungen, zur persönlichen Herangehensweise und zum Übungsprozess selbst geben, sondern auch das sich schon manifestierende Potenzial der Lernenden mit in den Blick nehmen. Gemeinsam mit Lernenden können dabei in mündlicher und/ oder schriftlicher Interaktion, also z.B. in Feedbackgesprächen zu Übungen, das Potenzial zur Weiterentwicklung der Kompetenzen ausgelotet und die so erhaltenen Informationen für die nächsten Lehr-Lern-Schritte nutzbar gemacht werden. Auch wenn ich im Folgenden nicht näher auf Formen des interaktionistischen dynamischen Evaluierens eingehen kann, möchte ich zumindest aufzeigen, worauf sich Feedbackgespräche bei Übungen beziehen können. Feedbackgespräche bei Übungen können sich z.B. beziehen auf: die entsprechende Übung und die damit verbundenen Anforderungen, einzelne Teilbereiche, die mit besonderen Schwierigkeiten verbunden waren, einzelne Teilbereiche, bei denen der Lehrende ein schon vorhandenes Potenzial vermutet, das dann anhand von Hilfestellungen ausgelotet <?page no="108"?> Karin Kleppin 108 werden kann; dabei wird versucht, mit zunächst möglichst impliziten Hilfestellungen zu arbeiten, die dann in explizitere Hilfestellungen übergehen können (Grotjahn/ Kleppin 2014, 134), die Bearbeitungsstrategien, z.B. ob man versucht hat, sich Übertragungsmöglichkeiten des Geübten auf eigene Situationen vorzustellen oder sich etwas besonders merken will, weitere Tipps und Hilfen, z.B. wie man mit formelhaften Sequenzen bzw. chunks umgehen kann und wie man etwas automatisieren kann. Von Bedeutung ist, dass in Feedbackgesprächen nicht nur die üblichen allgemeinen Feedbackregeln (vgl. u.a. Hattie/ Yates 2014, 55; Vilsmeier 2000, 38) gelten, sondern dass den Lernern z.B. durch die Verwendung von Gesprächstechniken, die auch in der Sprachlernberatung genutzt werden (vgl. u.a. Kleppin/ Spänkuch 2014), strukturierte Hilfen zur Reflexion über ihr Üben und über die mögliche Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen gegeben werden sollte. Allerdings dürfen Feedbackgespräche nur von Zeit zu Zeit stattfinden, um nicht das Üben zugunsten des Reflektierens über das Üben zurückzustellen. Denn es geht vor allem um das Erreichen intelligenten Übens. Literatur Akukwe, Bettina/ Grotjahn, Rüdiger/ Schipolowski, Stefan (erscheint): Schreiben in der Fremdsprache. Schülertexte kriterienorientiert bewerten. Tübingen: Narr. Aguado, Karin (2002): „Formelhafte Sequenzen und ihre Funktion für den L2- Erwerb“. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 37, 27-49. Bredella, Lothar (2006): „Probleme des aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts“. In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Tübingen: Narr, 18-24. Del Pilar García Mayo (2003): „The effectiveness of two form focused tasks in advanced EFL pedagogy“. In: International Journal of Applied Linguistics 12 (2), 156-175. Ellis, Rod (1997): Second Language Acquisition. Oxford: Oxford University Press. Ellis, Rod (2003): Task-based Language Learning and Teaching. Oxford: Oxford University Press. Ellis, Rod/ Shintani, Natsuko (2014): Exploring Language Pedagogy Through Second Language Acquisition Research. London: Routledge. Erlacher, Daniel (2010): „Mentales Training als Simulation“. In: Zeitschrift für Sportpsychologie 17 (3), 69-77. <?page no="109"?> Üben und Trainieren mit und ohne Hilfestellung 109 Funk, Hermann/ Kuhn, Christina/ Demme, Silke (Hrsg.) (2005): studio d A1: Deutsch als Fremdsprache. Kurs- und Übungsbuch A1. Berlin: Cornelsen. Funk, Hermann (2006): „Aufgabenorientierung in Lehrwerk und Unterricht. Das Problem der Theorie mit der Vielfalt der Praxis“. In: Bausch, Karl- Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Tübingen: Narr, 52-61. Funk, Hermann (2014): „Lernziel fremdsprachliche Flüssigkeit - zur Problematik des Übungsdesigns im Fremdsprachenunterricht“. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Riemer, Claudia (Hrsg.): Perspektiven der Mündlichkeit. Tübingen: Narr, 39-49. Funk, Hermann/ Kuhn, Christina/ Skiba, Dirk/ Spaniel-Weise, Dorothea/ Wicke, Rainer E. (2014): Aufgaben, Übungen, Interaktion. Deutsch Lehren Lernen 4. München: Klett-Langenscheidt. Grotjahn, Rüdiger (2015): „Dynamisches Assessment: Grundlagen, Probleme, Potenzial“. In: Böcker, Jessica/ Stauch, Anette unter Mitarbeit von Annette Berndt, Rüdiger Grotjahn, Lena Heine, Astrid Reich und Enke Spänkuch (Hrsg.): Konzepte aus der Sprachlehrforschung - Impulse für die Praxis. Festschrift für Karin Kleppin. Frankfurt a. M.: Lang, 469-488. Grotjahn, Rüdiger/ Kleppin, Karin (2015). Prüfen, Testen, Evaluieren. Deutsch lehren lernen 7. München: Klett-Langenscheidt. Grotjahn, Rüdiger/ Kleppin, Karin (erscheint): „Feedback zu schriftlichen Lernproduktionen“. In: Akukwe, Bettina/ Grotjahn, Rüdiger/ Schipolowski, Stefan (Hrsg): Schreiben in der Fremdsprache. Schülertexte kriterienorientiert bewerten. Tübingen: Narr. Hattie, John A. C. (2009): Visible learning: A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London: Routledge. Hattie, John A. C./ Timperley, Helen (2007): „The power of feedback“. In: Review of Educational Research 77 (1), 81-112. Hattie, John A. C./ Yates, Gregory C. R. (2014): „Using feedback to promote learning“. In: Benassi, Victor A./ Overson, Catherine E./ Hakala, Cristopher M. (Hrsg.): Applying the science of learning in education: Infusing psychological science into the curriculum. Washington, DC: American Psychological Association, 45-58. http: / / teachpsych.org/ ebooks/ asle2014/ index.php (13.4.2016). Kleppin, Karin (2003): „Sprach- und Sprachlernspiele“. In: Bausch/ Karl- Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr: 263-266. Kleppin, Karin/ Spänkuch, Enke (2014): „Fremdsprachenlerner beraten / coachen: Was hat das mit Lehren zu tun? Ein Reflexionsangebot“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 43 (1), 94-108. Königs, Frank G. (2015): „Keine Angst vor der Muttersprache - vor den (anderen) Fremdsprachen aber auch nicht! Überlegungen zum Verhältnis von Einsprachigkeit und Zweisprachigkeit im Fremdsprachenunterricht“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 2, 5-14. <?page no="110"?> Karin Kleppin 110 Lantolf, James P./ Poehner, Matthew E. (2011a): „Dynamic assessment in the classroom: Vygotskian praxis for second language development“. In: Language Teaching Research 15 (1), 11-33. Lantolf, James P./ Poehner, Matthew E. (2011b): Dynamic assessment in the foreign language classroom: A teacher’s guide. University Park, PA: Calper. Meyer, Hilbert (2004): Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen. Nobuyoshi, Junko/ Ellis, Rod (1993): „Focused communication tasks and second language acquisition“. In: ELT Journal 47 (3), 203-210. Rebuschat, Patrick (2013): „Measuring Implicit and Explicit Knowledge in Second Language Research“. In: Language Learning 63 (3), 595-626. Vilsmeier, Carmen (2000): Feedback geben - mit Sprache handeln: Spielregeln für bessere Kommunikation. Düsseldorf u.a.: Metropolitan. <?page no="111"?> Übung macht den Meister - aber Üben will gelernt sein! Oder doch nicht? Anmerkungen zum Üben und zur Rolle des Übens im Fremdsprachenunterricht Frank G. Königs 1 Ein Blick zurück Blickt man in die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts und in die der Fremdsprachendidaktik zurück, so könnte man zu der Feststellung gelangen, dass Fragen des Übens und der Übungen Forschung und Unterricht - oder sollte ich schreiben: Theorie und Praxis? - nur mäßig beschäftigt haben: Auf den ersten Blick scheint es nämlich, als wären Themen wie Grammatik- oder Wortschatzlernen dominanter, interessanter und für die Forschung ergiebiger. Und auch die kognitive Wende und die mit ihr zusammenhängenden Diskussionen würden diesen oberflächlichen Eindruck prima vista bestätigen. Aber eben: Dieser Eindruck ist ein oberflächlicher, denn das Üben hat Forschung und Unterricht unter je unterschiedlichen Aspekten schon lange beschäftigt, auch wenn es vielleicht nicht immer so explizit benannt und hervorgehoben worden ist und andere Themen mehr im Fokus der jeweiligen Arbeiten und Personengruppen gestanden und damit mehr Aufmerksamkeit gefunden haben. Ich höre auch schon den Einwand, dass Arbeiten zu fremdsprachlichen Übungen doch älteren Datums seien, da aber durchaus einschlägig waren. Verweisen könnte man exemplarisch auf Kogelheide (1977), Segermann (1992) oder Häussermann/ Piepho (1996). Richtig! Aber diesen (und vielen anderen) Arbeiten gemeinsam ist erstens, dass sie nicht konsequent genug zwischen Üben und Übungen differenzierten und zweitens allenfalls eingeschränkt, wenn überhaupt empirisch basiert waren. Dabei stellt sich natürlich die Frage, warum diese beiden Faktoren denn wichtig sind. Dafür gibt es allerdings gute Gründe: ‚Üben‘ bezeichnet eine lernerseitige Aktivität, deren Ziel darin besteht, fremdsprachliches Lernen durch gezielten sprachlichen Umsatz zu fördern und neuronale Verbindungen zu etablieren (vgl. z.B. Kieweg 2014a, 3). ‚Übungen‘ bezeichnen dagegen die Formate, mit denen Üben u.a. umgesetzt oder praktiziert werden kann. Die Annahme in Arbeiten wie den genannten war nun, dass das Üben anhand von Übungen per se <?page no="112"?> Frank G. Königs 112 geeignet sei, fremdsprachliches Lernen zu fördern, vorausgesetzt, dass die Übungen variieren und differenziert sind. Die beim Nachdenken über Übungen entstandenen Typologien sind also eine Art Bestandsaufnahme der äußeren Form von möglichen Anlässen zum Üben, nicht aber zur Effektivität von Üben zur Erlangung einer bestimmten fremdsprachlichen Kompetenz. Dass dies nicht der Fall war und sein konnte, hing vor allem mit zwei Dingen zusammen: Zum einen war die Differenzierung zwischen Aufgaben und Übungen noch nicht so weit verbreitet, wie sie es heute ist (vgl. z.B. Hallet/ Legutke 2013a; b). Zum anderen waren die Überlegungen und Analysen nicht empirisch in dem Sinne, dass sie versuchten, den tatsächlichen Wert der unterschiedlichen Übungsformen und -formate für den fremdsprachlichen Lernvorgang überindividuell zu erfassen. Die Aufgabenorientierung beinhaltete die Annahme, dass die Aufgabenstellungen prinzipiell offen sein sollen, um den Lernenden die Gelegenheit zu geben, sich daran abzuarbeiten, ohne dass der Lehrer die Lösung kennt und vorgibt. Damit dies aber möglich ist und die Lernenden, wie in der Konzeption der Aufgabenorientierung gefordert, über die Erledigung der Aufgaben selbst reflektieren und ihren Weg zur Bearbeitung finden können, müssen sie mittels Übungen die sprachlichen Mittel verfügbar gemacht haben. Aufgaben setzen also eingelagerte Übungen und eingelagertes Üben voraus, stellen andererseits aber auch selbst eine Form von Üben dar. Gerade die Aufgabenorientierung kann als eine Abkehr vom sinnentleerten Pattern Drill verstanden werden, wie er im Gefolge der audiolingualen Methode entstanden war und sich im Unterricht und in Lehrwerken etabliert hatte. Dieses Üben hatte den Zweck, zur Internalisierung des fremdsprachlichen Materials ohne Reflexion und ohne Nachdenken über die diesem Material zugrundeliegende Systematik zu führen, mindestens aber entscheidend dazu beizutragen. Durch die kommunikative Wende und das Lernziel der Kommunikativen Kompetenz änderten sich die Wertorientierungen: Üben verband sich nicht mehr mit Drill, sondern mit der Ausübung von möglichst selbst verantworteten und dem eigenen Ausdrucksbedürfnis entstammenden Sprachhandlungen. Darauf aufbauend, wenn auch nicht in unmittelbarer Folge davon, entwickelte sich ein Verständnis von Fremdsprachenlernen, das der Kognition einen beträchtlichen Anteil an dessen erfolgreichem Vollzug beimaß. Damit geriet das drillmäßige Üben immer mehr aus dem Blick der Forschung, vielleicht weniger des tatsächlichen Fremdsprachenunterrichts. Immerhin sah sich u.a. Butzkamm (2004) dazu veranlasst, explizit darauf hinzuweisen, dass Fremdsprachenlernen mit Mühen verbunden ist und dass dazu auch das Üben gehört. Er selbst empfiehlt dabei AUCH, aber keineswegs dominant Übungen mit Drillcharakter, die er aber nur für geeignet hält, wenn damit der Sinn für die Kommunikation <?page no="113"?> Übung macht den Meister - aber Üben will gelernt sein! 113 entwickelt und gefördert wird und wenn dieses Üben motivationell abgesichert ist. Üben mit Drillanteilen kann also durchaus sinnvoll und ergebnisfördernd sein, ist es aber natürlich nicht per se und schon gar nicht immer. So ähnlich argumentiert Klippel (2013), wenn sie auch - wie der Titel ihres Beitrags bereits andeutet - das Potential für das Entstehen von Langeweile beim Einsatz von Übungen als nicht gering einschätzt. Kieweg (2014a, 4) zieht daraus den Schluss, dass intelligentes Üben „das traditionelle Pauken und Auswendiglernen“ ersetzt. Offenbar haben die unterschiedlichen Entwicklungen der Fremdsprachendidaktik in Bezug auf Kognition dazu geführt, zumindest aber dazu beigetragen, dass das Üben aus dem Blickfeld der Forschung geraten zu sein scheint. Wie sonst sollte man erklären, dass Analysen und Untersuchungen zur Effektivität von bestimmten Übungsformen Mangelware sind. Die Forschung hat sich stattdessen auf die Frage kapriziert, welche Auswirkungen die Annahmen eines lernerseitigen Bewusstseins über Sprachenlernen auf die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts haben und welche Auswirkungen auf unser Verständnis der Aneignung einer fremden Sprache daraus resultieren. Bei Licht betrachtet hängen diese Entwicklungen aber zusammen: Wir reden (und schreiben) u.a. deswegen so wenig über fremdsprachliche Übungen, weil wir bis heute zwar schon viel, aber noch nicht hinreichend genug darüber wissen, wie fremdsprachliches Lernen tatsächlich vonstatten geht und welche Generalisierungen sich vor dem Hintergrund unserer Erkenntnisse anbieten bzw. eher verbieten. In gewisser Weise stochern wir also bei den fremdsprachlichen Übungen noch ein Stück weit im Nebel - aber nur ein Stück weit. 2 Und heute? Eine Beschreibung des status quo zum Üben im Fremdsprachenunterricht scheint mir nicht unproblematisch: Je nachdem welchen Vertreter welcher Forschungsrichtung man befragt, wird man zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen darüber kommen, welche Rolle das Üben spielt bzw. spielen sollte. Angenommen werden darf lediglich, dass wohl niemand ernstlich das Üben aus didaktischen Gründen gänzlich verbieten oder ausschließen möchte - warum auch! Die vielerorts gepriesene (und meines Erachtens in der Summe eher überbewertete) Kompetenzorientierung zeigt gegenüber dem Üben eine aus meiner Sicht zwiespältige Haltung: Mit der Kompetenzorientierung verbindet sich die positiv konnotierte Hinwendung zu dem, was der Lernende kann. Wollte man daraus den Schluss ziehen, dass der Weg hin zu diesem Können weniger interessant für die Forschung wäre, käme man in Erklärungsnot: Man müsste nämlich erklären, warum denn <?page no="114"?> Frank G. Königs 114 dann ausgerechnet so viele Publikationen der Kreation und dem Einsatz von Aufgaben gewidmet sind (ich verweise exemplarisch auf Tesch/ Leupold/ Köller 2008; Meißner/ Tesch 2010; Hallet/ Krämer 2012). Wenn das Arbeiten am Sprachmaterial - nach wie vor - ein so wichtiger Bestandteil fremdsprachenunterrichtlichen Lernens ist - und für die gegenteilige Auffassung fehlen wohl die objektiven Belege -, so könnte man zu dem Schluss gelangen, dass sich im Fremdsprachenunterricht selbst so wahnsinnig viel nicht verändert hat, seit wir über Kompetenzorientierung, Bildungsstandards etc. reden und schreiben. Bisweilen nährt die Schulwirklichkeit diesen Verdacht auch, wenn man in Betracht zieht, dass schulinterne Curricula, wie sie im Gefolge der Bildungsstandards und Kernlehrpläne allerorten erarbeitet werden, verdächtig viele Gemeinsamkeiten mit den alten Lehrplänen aufweisen. Also war früher doch nicht alles schlecht? Und schlimmer noch: Die fremdsprachlichen Lehrwerke gewinnen an curricularer Mächtigkeit, weil sie als Orientierungshilfe für Lehrende an die Stelle der ehemaligen Curricula getreten sind. Man muss diesen Umstand nicht gutheißen - sollte man auch nicht -, aber man muss ihn zur Kenntnis nehmen. Dabei haben sich die Übungen und Aufgaben in fremdsprachlichen Lehrwerken in den letzten Jahren natürlich verändert, nicht nur, aber auch durch die elektronischen Medien und die Möglichkeiten, die sich durch sie für fremdsprachliches Lernen eröffnen. Gleichwohl fehlen empirische Belege für die propagierte Überlegenheit der ‚neuen‘ Aufgaben und Übungen - und vielleicht sind auch nicht alle dieser Aufgaben wirklich neu; müssen sie auch gar nicht. Konzepte wie die der Aufgabenorientierung und Aufgabenszenarien wie sie beispielhaft in den genannten Publikationen anzutreffen sind, verdanken ihre Entstehung u.a. - wie oben bereits gesagt - der Hinwendung zur lernerseitigen Reflexion und der ihr damit unterstellten positiven Wirkung auf fremdprachliche Aneignungsprozesse. Sie versuchen damit, dem Lerner eine Mitverantwortung für den Erfolg seiner Lernbemühungen zuzuweisen. Gerade der Umgang mit Aufgaben und Szenarien zeigt ja, wie erfolgreich fremdsprachliches Lernen sein kann, wenn Lernende das Nachdenken über ihr fremdsprachliches Handeln und Lernen in die Sprachaneignung integrieren (lernen). Ketzerisch fragen kann man allenfalls, ob ein solches Lernen zwangsläufig erfolgreich(er) sein muss - eine Frage, die nach meinem Dafürhalten zu selten gestellt wird. Und noch seltener findet man - leider - den Hinweis, dass Selbstreflexion fremdsprachliches Üben ja keineswegs obsolet macht. Man könnte sogar der Forschungsfrage nachgehen, ob selbstreflexives Lernen den Übungsanteil nicht sogar erhöht. Diese mögliche Erhöhung des Übungsanteils müsste sich ja keineswegs immer im Klassenzimmer und immer sichtbar abspielen; sie könnte sich ja ausschließlich im Kopf eines Lerners abspielen, der Freude am Abarbeiten der Aufgaben gefunden hat <?page no="115"?> Übung macht den Meister - aber Üben will gelernt sein! 115 und zu deren Bewältigung sprachliche Muster für sich trainiert. Ob es also vor diesem Hintergrund wirklich angemessen ist, gänzlich auf das „traditionelle Pauken und Auswendiglernen“ zu verzichten (Kieweg 2014a: 4), kann man mit einem Fragezeichen versehen. Einwenden kann man hier nun wiederum, dass derartige ‚Vermutungen‘ oder Beobachtungen schwerlich generalisierbar sind. Aber immerhin drängt sich damit die Frage nach den Voraussetzungen auf, die sowohl lernerals auch lehrerseitig für erfolgreiches Üben gegeben sein sollten. 3 Erfolgreiches Üben ist nicht voraussetzungslos! Üben und Übungen erreichen nicht allein schon deshalb das mit ihnen verbundene Ziel, weil es sie gibt. Damit durch Üben und durch Übungen fremdsprachliche Aneignungsvorgänge gefördert werden, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dass die fremdsprachenunterrichtliche Faktorenkomplexion hier ins Spiel kommt, reicht aber in dieser Abstraktheit noch nicht aus, um zu Aussagen über die Effektivität von Übungen und Üben zu kommen. Unbestreitbar dürfte allerdings sein, dass die an der fremdsprachenunterrichtlichen Interaktion beteiligten Personen ‚mitspielen‘ müssen, wenn Üben seinen und Übungen ihren Zweck erfüllen sollen. Worin aber besteht dieses ‚Mitspielen‘? Lernende müssen sich auf das Üben einlassen. Das bedeutet u.a. die Akzeptanz der „Künstlichkeit des fremdsprachlichen Klassenzimmers“ (Butzkamm 2004). Wer übt, weiß folglich, dass er sprachliche Äußerungen eintrainieren muss, deren Produktion nicht (immer) kommunikativ authentisch ist. Wenn Lernende also im Französischunterricht einüben, wie sie sich vorstellen (je suis ..., je m’appelle ..., mon nom est ...), wissen sie, dass sowohl der Lehrende als auch die Mitlerner nicht wirklich ihren Namen erfahren wollen, weil sie ihn längst kennen. Sie üben, weil sie sich darauf einlassen, sprachliche Strukturen verfügbar zu haben, die sie in der realen Kommunikation außerhalb des Klassenzimmers benötigen (könnten). Dabei müssen sie erkennen lernen, dass und wie sich das ‚neue‘ Material in ihre vorhandenen Wissensstrukturen einordnen lässt und wie sie es bei Bedarf abrufen können. Dies alles wird Lernern natürlich nicht gleichermaßen gut gelingen. Hier erstaunt es, dass die Forschungen zu den unterschiedlichen fremdsprachlichen Lernertypen doch arg ins Stocken geraten, wenn nicht gar gänzlich zum Erliegen gekommen sind. Die Tendenz zur Bewusstmachung von Lernvorgängen und zur Integration von Selbstevaluationen, wie sie sich nicht nur in fremdsprachlichen Lernmaterialien zeigt, macht in diesem Zusammenhang deutlich, welche aktive Rolle Lernende dabei spielen (müssen): Üben ist keineswegs gleichzusetzen mit der Abarbeitung sinnent- <?page no="116"?> Frank G. Königs 116 leerter Drillübungen! Es kann diese aber durchaus enthalten, wie u.a. Butzkamm mehrfach gezeigt hat. Damit wird gleichzeitig die entsprechende lernerseitige Motivation vorausgesetzt, sich auf dieses Üben einzulassen und dabei auch mit Partnern im fremdsprachlichen Klassenzimmer (seien es Lehrpersonen oder Mitlerner) zu interagieren. Dass dabei ein möglichst großer Reichtum an Variationen hilfreich sein kann, kommt in den oben genannten Übungstypologien zum Ausdruck. Während die Überlegungen zu den lernseitigen Voraussetzungen für erfolgreiches Üben mit einer gewissen Häufigkeit in unterschiedlichen Kontexten fremdsprachendidaktischer Forschung zum Ausdruck gebracht werden, ist die Anzahl der Arbeiten, die sich dabei mit der Rolle und dem wünschenswerten Verhalten der Lehrpersonen befassen, deutlich geringer. Ich verweise hier auf Darstellungen wie die von Kieweg (2014a) oder die unterschiedlichen Beiträge des Themenhefts „Üben“ der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht Englisch (Kieweg 2014b), in denen viel von Üben und Übungen, aber wenig bis gar nicht von dem die Rede ist, der sie in den fremdsprachlichen Unterricht einbringt, dort vertritt und anleitet. Dabei dürfte es durchaus bedeutsam für den erfolgreichen Einsatz von Übungen und die Gestaltung erfolgreicher Übungsphasen sein, ob es der Lehrperson gelingt, die Lernenden verbal und nonverbal zum Üben und für Übungen zu motiveren. Wir können davon ausgehen, dass gelangweiltes Abarbeiten lehrbuchseitig vorgegebener Übungen deren Erfolg eher behindert als fördert, obwohl es empirische Arbeiten dazu nur in beschränktem Umfang gibt. Das ist nicht zuletzt auch deshalb bedauerlich, da es den Lehrpersonen obliegt, den Lernenden die Verbindung zwischen Übungssituationen und späterer tatsächlicher Anwendung des Gelernten transparent zu machen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn ich mir mehr Wirkungsstudien wünsche, die aufzeigen, ob und in welchem Umfang ausgewählte Übungen und Formen des Übens tatsächlich zur Förderung der Fremdsprachenaneignung beitragen und wenn ich mir außerdem wünsche, dass die Anzahl der Arbeiten und Studien wächst, die den Lehrpersonen mehr Aufmerksamkeit bei der Untersuchung von Üben, Übungen und ihrer Wirkung auf das Fremdsprachenernen widmen. Ein erwartbares Ergebnis derartiger Untersuchungen könnte sein, dass wir mehr darüber erfahren, wie Lernende das Üben lernen (können) und was Lehrpersonen tun müssen (oder sollten), um das Übenlernen zu fördern, und zwar unter Berücksichtigung individueller Lernwege, Vorlieben, Ressourcen etc. Aber vielleicht ist es überhaupt eine lohnende Aufgabe, sich in der Forschung etwas mehr auch darauf zu konzentrieren, wie das Üben gelernt wird. Ein Selbstgänger jedenfalls scheint mir das Üben im Fremdsprachenunterricht (und auch <?page no="117"?> Übung macht den Meister - aber Üben will gelernt sein! 117 außerhalb) nicht unbedingt zu sein - es sei denn, dass mich die zukünftige Forschung da widerlegt! Literatur Butzkamm, Wolfgang (2004): Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Eine neue Methodik für den Fremdsprachenunterricht. Tübingen u.a.: Francke. Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.) (2012): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hallet, Wolfgang/ Legutke, Michael K. (2013a): „Tasks-approaches revisited. New orientations, new perspectives.“ In: The European Journal of Applied Linguistics and TEFL 2 (2), 139-158. Hallet, Wolfgang/ Legutke, Michael, K. (Koord.) (2013b): Tasks revisited. Themenheft der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (2). Häussermann, Ulrich/ Piepho, Hans-Eberhard (1996): Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. Abriss einer Aufgaben- und Übungstypologie. München: iudicium. Kieweg, Werner (2014a): „Das Üben üben. Übung, Wiederholung und Konsolidierung von Wissen und Können im Fremdsprachenunterricht“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 48 (131), 2-8. Kieweg, Werner (Hrsg.) (2014b): Üben. Themenheft der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 48 (131). Klippel, Friederike (2013): „Übung macht den Meister - practice makes perfect. Von den langweiligen Aspekten des Sprachenlernens.“ In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 38-49. Kogelheide, Rainer (1977): Lernziele und Übungsformen im englischen Anfangsunterricht. Bochum: Brockmeyer. Meißner, Franz-Joseph/ Tesch, Bernd (Hrsg.) (2010): Spanisch kompetenzorientiert unterrichten. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Segermann, Krista (1992): Typologie des fremdsprachlichen Übens. Bochum: Brockmeyer. Tesch, Bernd/ Leupold, Eynar/ Köller, Olaf (Hrsg.) (2008): Bildungsstandards Französisch: konkret. Sekundarstufe I: Grundlagen, Aufgabenbeispiele und Unterrichtsanregungen. Berlin: Cornelsen Scriptor. <?page no="118"?> Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts an schulischen Bildungseinrichtungen Jürgen Kurtz The evidence is very strong that high degrees of competence only come through extensive practice. (Anderson/ Schunn 2000, 14) 1 Einleitung und Problemaufriss Was ist mit Üben im Kontext des institutionellen Fremdsprachenunterrichts gemeint? Warum soll geübt werden? Was soll geübt werden? Wer soll mit wem üben? Wo und wann soll geübt werden? Wie und wie häufig soll geübt werden? Womit soll geübt werden? Wozu soll geübt werden? Wie wichtig ist es, diesbezüglich zwischen verschiedenen Schulstufen (Primarstufe, Sekundarstufe I oder II), Schularten (allgemein- oder berufsbildend, inklusiv oder selektiv, halbtägig oder ganztägig) und schulfremdsprachlichen Bildungsgängen (traditionell oder bilingual) zu unterscheiden? Mit Fragen wie diesen - hier in Anlehnung an die bekannten neun W-Fragen der Allgemeinen Didaktik formuliert (vgl. Jank/ Meyer 11 2014, 16ff.) - haben sich viele Generationen von Fremdsprachendidaktikern 1 1 Das hier und nachfolgend verwendete generische Maskulinum bezieht sich gleichermaßen auf Männer und Frauen. befasst. Wissenschaftliche Beiträge zum Üben im Fremdsprachenunterricht, die vor der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden (vgl. beispielsweise Eggert 1911; Otto 1925), finden im Diskurs der heutigen, interdisziplinär, international und zunehmend empirisch ausgerichteten Fremdsprachenforschung allerdings kaum noch Beachtung. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise wird weiter zurückliegenden Beiträgen, allzu pauschal, ein Verständnis von Üben bzw. Übung unterstellt, das sich schlagwortartig als sinnentleert, kontextunspezifisch, formbezogen-isolierend, mechanisch-assoziativ und imitativreproduktiv beschreiben lässt. Vielleicht werden ältere Beiträge, die sich mit dem Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts an schulischen Bildungseinrichtungen befassen, auch deswegen kaum noch rezipiert, weil sie, wiederum sehr allgemein, mit autokratischen Leitbildern und instruktivis- <?page no="119"?> Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts 119 tischen Vorstellungen von Bildung, Erziehung, Schule und Unterricht in Verbindung gebracht werden, die sich mit den heutigen, emanzipatorischinklusiven und interaktional-konstruktivistischen Leitbildern eines lernerorientierten und kommunikativ-aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts (in trans- oder interkultureller Dimensionierung) nicht oder allenfalls in Teilen in Einklang bringen lassen. Möglicherweise geht es in diesem Zusammenhang auch um althergebrachte, heute bisweilen tendenziell negativ konnotierte Wertorientierungen (Pflichterfüllung, Disziplin, Fleiß etc.), die das Üben in früheren Zeiten in einem düsteren, wesentlich stärker auf Unterordnung, Lehrzentrierung und Gleichförmigkeit als auf Mitbestimmung, Selbstentfaltung und Eigenverantwortlichkeit ausgerichteten Licht erscheinen lassen. Womöglich werden ältere wissenschaftliche Beiträge, in denen das Üben in der Regel als unverzichtbarer Bestandteil der schulischen Aneignung von Fremdsprachen gesehen wird, aber auch deshalb nicht mehr als diskussionswürdig erachtet, weil sie empirisch im Ganzen als unzulänglich abgesichert, d.h. letztlich als anekdotisch und spekulativ gelten. Die fremdsprachendidaktische Auseinandersetzung mit Fragen des Übens mag sich, wenn man lediglich auf die letzten sechs Jahrzehnte blickt und die 1970er und 1980er Jahre in den Fokus rückt, als eine radikale Abkehr von behavioristisch-strukturalistischen Orientierungen und, damit verbunden, von audiolingualen Übungsroutinen und monotonen Drills darstellen, die Verstand und Verstehen weitgehend ausblenden. Weitgehend unstrittig ist, dass sich im Laufe der pragmalinguistisch-kommunikativemanzipatorischen Umorientierung in der damaligen Theoriediskussion (vor allem in Westeuropa und Nordamerika) ein Wandel hin zum situativmitteilungsbezogenen und lernerorientiert-kommunikativen Üben vollzogen hat. Klippel (2013, 44) weist in diesem Zusammenhang auf das Aufkommen des Begriffs communicative activity hin, der in seinen diversen Ausformungen, beispielsweise als information gap-activity, mehr wohl noch als opinion gap-activity, den emanzipatorisch-mitteilungsbezogenen Leitgedanken verkörpert, der dem anwendungsbezogenen Üben im kommunikativen Fremdsprachenunterricht zugrunde liegt. Bei Kumaravadivelu (2006, 61) ist in Bezug auf diese fundamentale Neuausrichtung des Übens im Rahmen des Communicative Language Teaching (CLT) zu lesen: CLT was a principled response to the perceived failure of the audiolingual method, which was seen to focus exclusively and excessively on the manipulation of the linguistic structures of the target language. (…) The proponents of CLT sought to move classroom teaching away from a largely structural orientation that relied on (…) pattern practices toward a largely communicative orientation that relied on a partial simulation of meaningful exchanges <?page no="120"?> Jürgen Kurtz 120 that take place outside the classroom. They also introduced innovative classroom activities (such as games, role plays, and scenarios) aimed at creating and sustaining learner motivation. The focus on the learner and the emphasis on communication made CLT highly popular among ESL teachers. Die Abwendung von behavioristisch-strukturalistischen Vorstellungen von Üben und Übung (und damit auch vom programmierten Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor) ging in den 1970er und 1980er Jahren jedoch nicht einher mit einer konstruktiven Anknüpfung an die vor-behavioristische fremdsprachendidaktische Diskussion, wie sie zuvor in Europa, insbesondere in Deutschland, geführt worden war. Wichtige Überlegungen zu den sog. Übungsgesetzen im fremdsprachlichen Unterricht (vgl. Eggert 1911) und zum sog. Wesen des Übens im Rahmen der schulmäßigen Spracherlernung (vgl. exemplarisch Otto 1925, 274-278) gerieten in der Folge aus dem Blick. Durch den Import des amerikanischen Behaviorismus (in Form der audiolingualen Methode), der erkenntnisgeschichtlich nur ein kurzes Intermezzo darstellt, riss letztlich ein tief in der europäischen Philosophie, Pädagogik und Psychologie verwurzelter Diskurs ab, der wesentlich stärker auf das Zusammenwirken von a) Sprachbetrachtung, Sprachwissen und sprachenvergleichender Reflexion (Stichworte: ‚apperzeptives Üben‘ unter Einbeziehung ‚verstandesmäßiger Bewusstseinsinhalte‘; ‚verstandesmäßige Belehrung‘ über sprachliche Phänomene im Übungsprozess) und b) Sprachgewöhnung und Sprachkönnen (Stichworte: wiederholtes und wiederholendes ‚assoziatives Üben‘ zum Zwecke der ‚Mechanisierung psychophysischer Vorgänge‘; Automatisierung durch ‚Ausschaltung muttersprachlicher und verstandesmäßiger Bewusstseinsinhalte‘) ausgerichtet war. Der Grundgedanke der Verknüpfung von Gewöhnung und Bewusstmachung im Übungsprozess blieb unter dem Eindruck der mediatorischen Lernpsychologie van Parrerens (1966) zwar noch bis in die 1970er Jahre hinein erhalten (vgl. auch Klippel 2013, 42-44), jedoch ist er systematisch lediglich bzw. in erster Linie von Butzkamm (vgl. 3 2012, 237-274) im Rahmen seiner funktional-bilingualen Übungstheorie weiterverfolgt worden. Im heutigen Zeitalter der Outcome-, Kompetenz-, Standard-, Aufgaben- und Testorientierung ist das Interesse an der Weiterentwicklung einer Theorie des Übens im Kontext des institutionell verankerten Fremdsprachenunterrichts, die Aspekte der Habitualisierung (Sprachgewöhnung), der Kognitivierung (Bewusstmachung), der Motivation (im Sinne von Zielsetzung), vor allem aber der Volition (im Sinne von Zielerreichung auch unter motivational schwierigen Bedingungen) und des Transfers (im Sinne der Übertragbarkeit des Geübten auf neuartige kommunikative Aufgaben und Anforderungen) in sich vereint, kaum nennenswert ausgeprägt. <?page no="121"?> Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts 121 1 Übungsbegriff und Kompetenzorientierung Es erfordert einige Courage, Kritik am Mainstream der aktuellen fremdsprachendidaktischen Diskussion zu äußern. Für viele gilt die Outcome-, Kompetenz- und Standardorientierung in der Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts als alternativlos, und der zunehmend dogmatische Umgang mit dem funktional-kognitivistischen Kompetenzbegriff Weinertscher Prägung (vgl. 2001, 27f.) lässt eine grundlegende Auseinandersetzung damit kaum mehr zu. Es erscheint - dieses Eindrucks kann man sich nicht erwehren - nicht mehr opportun zu sein, Kritik zu üben. Dass mit funktional auch utilitaristisch gemeint sein kann, und dass damit ein (in der Politik dann prompt auch so interpretierter) Bildungsbegriff in den Vordergrund gehoben wird, der Bildung im Wesentlichen als Anpassungsleistung erscheinen lässt (im Sinne einer gestuften Befähigung zur möglichst erfolgreichen Bewältigung spezieller Anforderungssituationen und Aufgabentypen), darf jedoch nicht übersehen werden. Der in der jüngeren fremdsprachendidaktischen Diskussion wiederholt hergestellte Zusammenhang von Kompetenzorientierung, Aufgabenorientierung und Bildung im weiteren, nicht lediglich funktional reduzierten Sinne, ist gegenwärtig jedenfalls kaum mehr als eine mutige Annahme, wishful thinking, ein Postulat, wortgewaltig in eine Argumentationslinie integriert, die sich zusehends gegen Kritik sperrt. Das Üben geht in diesem Diskurs voll und ganz in der Aufgabenorientierung auf. Radikal-verabsolutierende Positionierungen, dies zeigt der Blick in die Geschichte von Fremdsprachendidaktik und Fremdsprachenunterricht, haben sich alltagspraktisch nie dauerhaft durchsetzen können. Sie tragen eher zur Orientierungslosigkeit bei, weil sich der Verabsolutierungsanspruch der Theorie nicht mit dem Relativierungsdruck der Praxis in Verbindung bringen lässt. Kompetenzorientierte Bildungsstandards stehen einerseits für Normativität, Transparenz, Vergleichbarkeit und (angestrebte) Gerechtigkeit. Andererseits zwingen sie in die Konformität - und damit möglicherweise in eine testaufgabenorientierte (nicht lernaufgabenorientierte! ) Monokultur des Fremdsprachunterrichts, die der Uniformität und Konsequenzialität der Leistungsanforderungen (i.e. der Regelstandards) durch ein Mehr an Übung und Wiederholung zu entsprechen sucht. In Deutschland sei diese Gefahr derzeit nur eingeschränkt gegeben, so Müller- Hartmann/ Schocker/ Pant (2013, 349) - allerdings ohne Begründung. Dass mehrdimensionale Kompetenzstrukturmodelle wenig überzeugend sind, wenn der empirische Nachweis kaum oder gar nicht zu erbringen ist, wie Kompetenz, Motivation, Volition und Performanz aufeinander einwirken und zur Bildung im weiteren Sinne beitragen, liegt auf der Hand. Kom- <?page no="122"?> Jürgen Kurtz 122 petenz sei eine latente (nicht beobachtbare) Disposition, die sich in der Performanz äußere, die bei der Bewältigung kommunikativer Aufgaben zu beobachten (und zu messen) sei. Kompetenz werde sozusagen in der Performanz sichtbar. Die Differenz von Kompetenz (hier im Sinne von Wissen und Lernen) und Performanz (hier im Sinne von Können und Üben) darf jedoch nicht trivialisiert werden. Ähnlich fragwürdig stellt sich der Diskurs zu den Kompetenzentwicklungsmodellen dar. Kompetenzen könnten weder kurzfristig antrainiert noch aus ‚trägen‘ Wissensbeständen aktiviert werden. Sie müssten vielmehr langfristig aufgebaut bzw. erworben werden. Bei Weinert (vgl. 2001, 27) ist demgegenüber von erlernbaren (! ) Dispositionen die Rede. Der Unterschied zwischen dem Lernen und dem Erwerben von Sprachen ist jedoch keineswegs unbedeutend. Didaktisch ist er von allergrößter Bedeutung, denn er verweist auf die Spezifität der Kontextbedingungen, unter denen die Sprachaneignung jeweils stattfindet. Im Diskurs der heutigen fremdsprachendidaktischen Kompetenzforschung verblasst diese Unterscheidung zusehends. Das Verständnis von Übung und Üben hat sich infolgedessen stark verändert. Fragen des Übungsumfangs, der Übungsverteilung, der unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Übungsorganisation, der Übungswiederholung und des Übungstransfers, die für das Fremdsprachenlehren und -lernen in institutionellen Kontexten lange Zeit von herausragender Bedeutung waren, werden kaum mehr diskutiert. Festzuhalten bleibt, dass die kompetenzorientierte Fremdsprachendidaktik bis heute keine überzeugende, zumindest jedoch keine hinlänglich konsensfähige Modellierung der Interdependenz von Kompetenz und Performanz, von Wissen und Können, von Lernen und Erwerben, von Automatisierung und Sprachbewusstheit sowie von Übung, Aufgabe und Transfer vorgelegt hat. Diesbezüglich besteht dringlicher Forschungsbedarf, sicherlich nicht lediglich unter der Denkfigur der Kompetenzorientierung. Wenn Üben, wie in älteren fremdsprachendidaktischen Beiträgen wiederholt festgestellt (vgl. beispielsweise Otto 1925, 277-278), Automatisierung durch Wiederholung impliziert und mit Automatisierung der Übergang vom bewussten zum unbewussten Sprachhandeln gemeint ist, wie sind Kompetenz und Performanz dann zu definieren? Der Begriff der übungsinduzierten Automatisierung stellt die Kompetenzforschung vor gewaltige Probleme: a) ontologisch, weil sich der Weinertsche Kompetenzbegriff eben nicht auf das prozedurale Wissen reduzieren lässt und somit offenbleibt, wie prozedurale (auch implizite) und deklarative (auch explizite) Wissensbestände mit allen anderen Kompetenzdimensionen in der fremdsprachlichen Kommunikation zusammenwirken; und b) forschungsmethodologisch, weil sich das Unbewusste bei der automatisierten Verwendung von Sprache em- <?page no="123"?> Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts 123 pirisch nicht erforschen (und schon gar nicht messen) lässt. Wie die „Differenz zwischen Performanz und Kompetenz als kognitiver Struktur“ (Vollmer 2010, 32) theoretisch und forschungsmethodisch überwunden werden kann, ist gegenwärtig noch völlig offen. 2 Übungsbegriff und Aufgabenorientierung Alles ist komplex: Das Leben ist komplex. Kompetenz ist komplex. Lernaufgaben sind komplex. Kompetenzaufgaben sind komplex. Komplexität ist Dreh- und Angelpunkt der fremdsprachendidaktischen Diskussion. Der Umgang mit Komplexität ist allerdings weit weniger komplex: Da alles als komplex betrachtet wird, müssen auch die wissenschaftlichen Konstrukte komplex sein. Die Konstrukte haben in der Folge deskriptiv enorm an Breite, explanativ aber kaum an Tiefe gewonnen. Dass sie praxisbezogen kaum anschlussfähig sind, verdeutlicht der immense Aufwand an Übersetzungsarbeit, der geleistet werden muss, um Lehrkräfte mit den weit aufgefächerten Kompetenzstandards und den damit (vermutlich) korrespondierenden Aufgabenformaten vertraut zu machen. Der moderne Fremdsprachenunterricht soll kompetenz- und aufgabenorientiert sein, so die Forderung. Da Kompetenzen und Kompetenzaufgaben komplex sind, muss sich dies auch in der Inszenierung des Fremdsprachenunterrichts widerspiegeln: „[…] Es bedarf komplexer Kompetenz entwickelnder Lernaufgaben […]“ (Müller-Hartmann/ Scho-cker/ Pant 2013, 35). Die Begründung ist jedoch recht einseitig formuliert; der Übungsbegriff wird dabei gänzlich vermieden: Aufgaben, die funktionale kommunikative Kompetenzen lediglich isolieren, d.h. getrennt nach den einzelnen kommunikativen Fertigkeiten der Bildungsstandards entwickeln […], bereiten die Schüler/ innen nicht adäquat auf die komplexen, unvorhersehbaren außerschulischen lebensweltlichen Diskurse vor (ebda, 41-42). Der Begriff der didaktischen Akzentuierung und Reduktion über Übungen (zur Isolierung von Lernschwierigkeiten) scheint hier keine Rolle mehr zu spielen. In der Diskussion der Aufgabenorientierung ist der Übungsbegriff jedoch keineswegs immer schon vermieden worden, wie den folgenden Ausführungen von Legutke (1997), vor der Kompetenzorientierung formuliert, zu entnehmen ist: Jede Aufgabe hat immer auch Elemente einer Sprachübung. Die Grenzen sind vielfach schwer zu ziehen und unscharf. Dafür gibt es mehrere Gründe, nicht zuletzt die Tatsache, daß sprachliche Formen und spezifische Bedeu- <?page no="124"?> Jürgen Kurtz 124 tung eng miteinander verbunden sind; unterschiedliche grammatische Formen dienen immer auch der Nuancierung von Bedeutung (ebda, 106). Eine vergleichbare Auffassung findet sich mehr als achtzig Jahre zuvor allerdings auch bereits bei Eggert (1911) - in einem ganz anderen ideen-, zeit- und erkenntnisgeschichtlichen Zusammenhang. Dieser hebt zum Üben bzw. zum Begriff der Übung hervor: Das Bewusstsein der Sprachbedeutung [bildet] ein gemeinsames Moment in allen Formen der Sprachtätigkeit und der Sprachübung, und die Verbindung zwischen Sprachform und Sprachbedeutung ist das gleiche didaktische Problem, das bei der Erlernung jeder Sprachtätigkeit wiederkehrt und eine methodische Einheit der Sprachübungen bedingt (ebda, 55-56). Zur Bedeutung des Übens und der Übung im Rahmen der Bewältigung komplexer Kompetenzaufgaben stellt Hallet (2012) wiederum fest: (Teil-)kompetenzen und Übungen: Besonders im Fall neuer oder schwieriger sprachlicher Formen muss das Erlernen einer sprachlichen Struktur oder einer Teilkompetenz […] mit awareness-Aufgaben und Übungen zur Aneignung neuer Formen und Elemente oder zur Entwicklung einer für die Aufgabe wichtigen Teilkompetenz […] verbunden werden. In diesem Fall sind sprachliche Übungen und Aufgaben zu Teilkompetenzen, skills, Wortschatz und dergleichen eigenständige Elemente (pre-communicative tasks) der komplexen Aufgabe. (ebda, 17) Fragen der Übungswiederholung, der Übungsprogression und vor allem des Übungstransfers werden in der Diskussion der Aufgabenorientierung, dies zeigt sich hier exemplarisch, jedoch weitgehend ausgeklammert. Transfer meint die Übertragung des im Rahmen der Bewältigung einer Kompetenzaufgabe K Gelernten bzw. Geübten auf ähnlich gelagerte (in Teilen neuartige, leicht modifizierte) komplexe Kompetenzaufgaben K‘, K‘‘, K‘‘‘, etc. Transfer meint aber vor allem die Verwendbarkeit des über die Kompetenzaufgaben K, K‘, K‘‘ etc. Gelernten bzw. Geübten in außerunterrichtlichen kommunikativen Realsituationen R, R‘, R‘‘, etc. Bis heute ist nicht klar, wie dieser Transfer ermöglicht werden bzw. gelingen kann. ‚Entschulte‘, ‚wirklichkeitsnah‘ gestellte, komplexe Kompetenzaufgaben mögen dem zuträglich sein, vor allem unter motivationalen Gesichtspunkten. Dazu liegen bis heute kaum tragfähige (d.h. empirisch hinreichend fundierte) Erkenntnisse vor. Ohne Einbeziehung der Transferproblematik lässt sich über Lernen, Üben, Kompetenzentwicklung und - letztlich auch - Bildung jedenfalls nicht tiefgreifend genug diskutieren. <?page no="125"?> Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts 125 3 Übung, Kreativität und Improvisation Kreativität, Imagination, Flexibilität, Spontaneität und Improvisation spielen im derzeitigen Kompetenzdiskurs der Fremdsprachendidaktik nur eine marginale Rolle. Dies mag dem (aus der Empirischen Bildungsforschung übernommenen) empiristischen Grundverständnis von Lernertrag und Lernerfolg geschuldet sein, das der standardorientierten Unterrichtsdiagnostik bzw. der Kompetenzmessung im Fremdsprachenunterricht zugrunde liegt. Köller (2014, 21) hat dieses Grundverständnis wie folgt zugespitzt: „[…] alles, was wir nicht messen können, gibt es nicht.“ Im Sinne der kompetenztheoretischen fremdsprachendidaktischen Forschung müsste man Kreativität, Flexibilität, Imagination, Spontaneität und Improvisation wohl den nicht messbaren, zumindest jedoch den ‚schwer messbaren‘ Kompetenzen zuordnen. So wie Neugier, Offenheit gegenüber Fremdem, Wagemut, Fremdverstehen, Empathie, Toleranz, Einstellung, Kooperativität und Emanzipation. Obwohl sich all diese Fähigkeiten und Haltungen kaum messen lassen, sind sie - dies ist wohl weitgehend konsensfähig - von einiger, womöglich von herausragender Bedeutung für den (auf interkulturelle Diskursfähigkeiten abhebenden) Fremdsprachenunterricht. Um Kreativität, Phantasie, Flexibilität, Spontaneität und Improvisation mehr Gewicht im Diskurs der internationalen Fremdsprachenforschung zu verleihen, und unangebrachten kompetenztheoretischen Zuspitzungen, Verengungen und Übertreibungen in der Theorie des Fremdsprachenlehrens und -lernens entgegenzutreten, formierte sich im Rahmen der 48. Annual International IATEFL Conference and Exhibition in Harrogate (2014) die C-Group - Creativity for Change in Language Education (http: / / the creativitygroup.weebly.com). Vorläufiger Höhepunkt der vielfältigen Aktivitäten dieser internationalen Gruppierung ist die im vergangenen Jahr erschienene Publikation Creativity in the English Language Classroom (Maley/ Peachey 2015), die in Zusammenarbeit mit dem British Council in London entstand. In der Einleitung fasst Maley (2015) den internationalen Grundkonsens zusammen, der zur Realisierung dieses Projekts führte: There is [...] a good measure of agreement that the current educational ethos is damaging to creativity. This is largely due to the increasingly tight curricular constraints, the obsessive concern with objectives to the exclusion of broader educational aims, the intense focus on testing and measurement, and the love-affair with ‘efficiency’ expressed in statistical terms and quick results - all of which characterize so much of what currently passes for education. (ebda, 6) <?page no="126"?> Jürgen Kurtz 126 Wie der Publikation insgesamt zu entnehmen ist, bedarf es zur Förderung von Kreativität, Imagination, Flexibilität, Spontaneität und Improvisation im Fremdsprachenunterricht einer Lehr- und Lernkonzeption, die Geschlossenheit und Steuerung (übende Anpassung an vorgefertigte Sprach- und Kommunikationsmuster; Sprachgewöhnung durch Übung und Wiederholung unter Einbeziehung von individualisiertem Feedback) und Offenheit (spontane, selbstgesteuerte Sprachverwendung in aufgabenbezogenen Szenarien), aber auch Bewusstheit, Bewusstmachung, Automatisierung und Transfer systematisch miteinander verknüpft. Bei Kurtz (vgl. 2015, 76-77) erfolgt das sprachformbezogene - falls notwendig und sinnvoll auch das formbezogen-isolierende Üben - anlassbezogen, rekursiv und iterativ (vor und/ oder nach einer kommunikativen Improvisationsaufgabe). Durch die aufgabeninhärente Variation der diversen Handlungsimpulse wird innerhalb eines unterschiedlich auslegbaren Szenarios progressives kommunikatives Üben ermöglichst, zumindest im Sinne von beiläufigem Üben. Die Übungsprogression ist dabei jedoch nicht von vornherein festgelegt. Transferleistungen werden dadurch begünstigst bzw. erforderlich, dass bereits bekannte sprachliche und inhaltliche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse mit in Bewältigung der verschiedenen Aufgabenvarianten innerhalb eines größeren kommunikativen Szenarios mit eingebracht werden können (bzw. müssen). Der Zusammenhalt von Form und Bedeutung bleibt dabei, wie bereits von Eggert (1911) gefordert, so weit wie möglich erhalten. Inwiefern eine Improvisationsaufgabe I, mitsamt aller aufgabeninhärenten Variationen I‘, I‘‘, I‘‘‘, etc., tatsächlich einen besseren und nachhaltigeren Lerntransfer auf die (immer etwas anders gelagerten) außerunterrichtlichen Realsituationen R, R‘, R‘‘, R‘‘‘, etc. bewirken kann als das klassische Üben im traditionellen Dreischritt (Erarbeiten, Üben, Anwenden), wird sich allerdings noch zeigen müssen. Hierzu wäre eine kombiniert inner- und außerunterrichtliche Vergleichsforschung notwendig, die nur schwer zu realisieren sein wird. Die folgende Grafik fasst den Gesamtansatz in knapper Form zusammen: <?page no="127"?> Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts 127 Abb. 1: Entwicklung mündlicher Handlungskompetenzen im Zusammenspiel von Aufgabe, Übung und Transfer sowie von anlassbezogener Reflexion und Automatisierung (Kurtz 2015, 76). 4 Abschließende Bemerkung Übungen und Aufgaben sind komplementäre Elemente der Gestaltung des schulischen Fremdsprachenlernens und -lehrens. Isolierende Übungen sowie integrierende Übungen und Aufgaben unterschiedlicher Komplexität müssen sinnvoll miteinander verknüpft werden, auch und insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verschiedenartigkeit der Lernvoraussetzungen. Übungen haben sicherlich keinen Selbstzweck. In Anbetracht des Mangels an hinreichender empirischer Evidenz lässt sich bislang aber nicht sagen, welche Mischung von Übung und Aufgabe besonders effektiv und effizient im Hinblick auf das Globalziel der Entwicklung von fremdsprachlicher Diskursbefähigung im interkulturellen Kontext sein kann. Der Praxis des Fremdsprachenunterrichts gegenüber ist es jedenfalls kaum zu verantworten, das isolierende, bedeutungsvolle Üben (im Sinne einer gezielten Isolierung von Lernschwierigkeiten) voreilig als überkommen zu brandmarken. <?page no="128"?> Jürgen Kurtz 128 Literatur Aguado, Karin/ Schramm, Karen/ Vollmer, Helmut Johannes (Hrsg.) (2010): Fremdsprachliches Handeln beobachten, messen, evaluieren. Neue methodische Ansätze der Kompetenzforschung und der Videographie. Frankfurt a.M.: Lang. Anderson, John R./ Schunn, Christian D. (2000): „Implications of the ACT-R Learning Theory: No Magic Bullets“. In: Glaser, Robert (Hrsg.) (2000): Advances in Instructional Psychology. Educational Design and Cognitive Science. Volume 5. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum, 1-34. Butzkamm, Wolfgang ( 3 2012): Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Fremdsprachen von Anfang an anders unterrichten. Tübingen: Francke. Eggert, Bruno (1911): Übungsgesetze im fremdsprachlichen Unterricht. Leipzig: Von der Quelle und Meyer. Hallet, Wolfgang (2012): „Die komplexe Kompetenzaufgabe. Fremdsprachliche Diskursfähigkeit als kulturelle Teilhabe und Unterrichtspraxis“. In: Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht: Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 8- 19. Jank, Werner/ Meyer, Hilbert ( 11 2014): Didaktische Modelle. Berlin: Cornelsen. Köller, Olaf/ Meyer, Hilbert (2014): „Kann man messen, wie gut ein Lehrer ist? Prof. Dr. Olaf Köller und Prof. Dr. Hilbert Meyer im Streitgespräch“. Schulmanagement 5, 21-24. Klippel, Friederike (2013): „Übung macht den Meister - ‚practice makes perfect‘: Von den langweiligen Aspekten des Sprachenlernens“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 38-49. Kumaravadivelu, Bala (2006): Understanding Language Teaching: From Method to Postmethod. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum. Kurtz, Jürgen (2015): „Fostering and building upon oral creativity in the EFL classroom“. In: Maley, Alan/ Peachey, Nik (Hrsg.), 73-83. Legutke, Michael K. (1997): „Spielräume - Über die Rolle von Übungen und Aufgaben im Deutschunterricht (DaF) der Primarstufe“. In: Legutke, Michael K. (Hrsg.): Sprachenlernen - Primarschule - Unterrichtsanalyse. München: Goethe Institut, 105-132. Legutke, Michael K. (Hrsg.) (1997): Sprachenlernen - Primarschule - Unterrichtsanalyse. München: Goethe Institut. Maley, Alan/ Peachey, Nik (Hrsg.) (2015). Creativity in the English Language Classroom. London: British Council. Maley, Alan (2015): „Overview: Creativity - the what, the why and the who“. In: Maley, Alan/ Peachey, Nik (Hrsg.), 6-13. Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker, Marita/ Pant, Hans Anand (2013): Kompetenzentwicklung in der Sek. I. Lernaufgaben Englisch aus der Praxis. Braunschweig: Bildungshaus Schulbuchverlage. <?page no="129"?> Üben im Kontext des Fremdsprachenunterrichts 129 Otto, Ernst (1925): Methodik und Didaktik des neusprachlichen Unterrichts. Versuch einer wissenschaftlichen Unterrichtslehre. Bielefeld und Leipzig: Velhagen und Klasing. Van Parreren, Carel F. (1966): Lernprozeß und Lernerfolg. Eine Darstellung der Lernpsychologie auf experimenteller Grundlage. Braunschweig: Westermann. Vollmer, Helmut J. (2010): „Kompetenzforschung in der Fremdsprachendidaktik - Ein Überblick“. In: Aguado, Karin/ Schramm, Karen/ Vollmer, Helmut Johannes (Hrsg.): Fremdsprachliches Handeln beobachten, messen, evaluieren. Neue methodische Ansätze der Kompetenzforschung und der Videographie. Frankfurt a.M.: Lang, 29-64. Weinert, Franz E. (Hrsg.) (2001): Leistungsmessung in Schulen. Weinheim: Beltz. <?page no="130"?> Die Rehabilitation des Übungsbegriffs in der Fremdsprachendidaktik - Zeichen einer neokonservativen Wende? Lutz Küster 1 Problemaufriss Vor gut 10 Jahren widmete sich die Frühjahrskonferenz dem Thema Aufgabenorientierung (vgl. Bausch/ Burwitz-Melzer/ Königs/ Krumm 2006) und verhalf so einem Thema zu größerer Verbreitung, das seinerzeit zwar bekannt, in vielen Feldern fremdsprachlichen Unterrichts aber noch nicht angekommen war - zumindest nicht in den seinerzeit gängigen Lehrwerken für den Sekundarschulbereich. Dort herrschte weitgehend unangefochten das PPP-Modell (presentation - practice - production) vor. Mit dem Konzept der Aufgabenorientierung verbanden sich Hoffnungen, das Lernen in institutionellen Kontexten näher an außerunterrichtliche Sprachverwendung heranführen, es interaktiver, lebendiger und letztlich auch effektiver gestalten zu können. In diesem Jahr richtet sich der Fokus auf das Üben, auf einen Aspekt des Sprachenlernens mithin, der landläufig zumeist als langweilig bezeichnet wird und dem die Aura des Gestrigen anhängt (vgl. Klippel 2013, 38f.). Was hat dies zu bedeuten? Sind wir dabei, „eine Rolle rückwärts“ zu machen, indem wir uns auf einen konservativen Kanon von Werten wie Beharrlichkeit, Disziplin etc. besinnen und einem traditionellen Lernverständnis behavioristischer Provenienz wieder gute Seiten abgewinnen? Ein wenig will es mir so scheinen - und doch gilt es, genauer hinzuschauen . In einem Alltagsverständnis gilt die Notwendigkeit des Übens beim Lernen als unbestreitbar. Der Volksmund weiß, dass erst Üben den Meister macht. Jeder Fahrschüler akzeptiert, dass er für den theoretischen Teil der Prüfung intensiv „büffeln“ muss, um die Fragebögen hinreichend fehlerarm ausfüllen zu können, und dass er für den praktischen Teil viele Stunden des Übens braucht, um die Bedienung der Steuerungselemente zu beherrschen. Mit anderen Worten, deklaratives und prozedurales Wissen müssen integriert werden, um ein situationsgerechtes Verhalten zu ermöglichen. Ist das beim Fremdsprachenlernen nicht auch so? Auf diese Frage hat die Fremdsprachendidaktik in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedliche Antwor- <?page no="131"?> Die Rehabilitation des Übungsbegriffs in der Fremdsprachendidaktik 131 ten gegeben. Eine einheitliche Definition des Übungsbegriffs ist dabei nicht zu finden. Für die folgenden Überlegungen soll daher eine möglichst weite Fassung zugrunde gelegt werden, wenn mit Carlson (zitiert in: DeKeyser 2007, 2) ‚Üben‘ als „the ability to routinely, reliably and fluently perform goal-directed activities as a result of practice with those activities“ verstanden wird. 2 ‚Üben‘ im Wandel der fremdsprachendidaktischen Leitdiskurse In Zeiten, in denen ein behavioristisches Lernverständnis vorherrschte, hatte das Üben bekanntlich Hochkonjunktur. Es galt als Königsweg zum Erwerb einer flüssigen, da habitualisierten mündlichen Ausdrucksfähigkeit. Die Konsequenzen, die dies im Alltag des Fremdsprachenunterrichts hatte, sind uns allerdings vertraut: Die Monotonie der Verfahren führte, gepaart mit einer Banalität der (auf Alltagskommunikation gerichteten) Inhalte, zu einem Überdruss am „Überlernen“, zu einem Motivationsverlust auf Seiten sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden und schließlich zu der Einsicht, einen Irrweg verfolgt zu haben. Mit der Kommunikativen Wende standen in einer schwachen Variante die sprachlichen Verwendungssituationen, auf die der Unterricht vorbereiten sollte, im Mittelpunkt, was vielfach mit den zuvor praktizierten Übungsverfahren zu realisieren versucht wurde. 1 1 Ablesbar ist dies an Lehrwerken jener Zeit, die in der Regel eine doppelsträngige Progression von grammatischen Schwerpunkten und Sprachverwendungssituationen vorsahen, so z.B. ¡Eso es! (Masoliver et al. 1976), in ihren Übungsdesigns jedoch den Mustern von in Mini-Dialogen eingebetteten Strukturübungen treu blieben. In einer starken Variante hingegen bestimmten Prinzipien der Handlungsorientierung das Geschehen im Klassenraum, was den Anteil formalen Übens deutlich reduzierte. Unter dem Einfluss des Kognitivismus im Allgemeinen und kognitiver Lernforschung im Besonderen erfuhr in den 1990er Jahren das einsichtnehmende Lernen eine erneute Aufwertung. Um das Üben machte man sich weniger Gedanken, wenngleich es - nicht zuletzt im Kontext des Einsatzes unterschiedlicher Lernstrategien - sehr wohl eine Rolle spielte. In der aktuellen Ära der Kompetenz- und Aufgabenorientierung wiederum steht ein problemlösendes Lernen stärker im Vordergrund. Das führte dazu, dass das Thema Üben von der Forschung vernachlässigt wurde (vgl. Klippel 2010, 314; zuvor De Keyser 2007, 1). Das bedeutet jedoch keineswegs, dass Üben im Alltag schulischen und außerschulischen Fremdsprachenunterrichts verschwunden wäre, im Gegenteil: Wie viele unserer Studierenden in ihren Praktikumsberichten ernüchtert feststellen, <?page no="132"?> Lutz Küster 132 ist die Unterrichtspraxis in den romanischen Fremdsprachen häufig noch immer von isoliertem Üben grammatischer Strukturen geprägt; auch ist das Memorieren zweisprachiger Vokabellisten als Vorbereitung auf herkömmliche Vokabeltests keine Seltenheit. Nur gilt die Rede vom Üben nach wie vor als unzeitgemäß. Daher wird versucht, die Begrifflichkeit eines kompetenz- und aufgabenorientierten Unterrichts auch dort zu bemühen, wo sie allenfalls in Randbereichen des Unterrichtsgeschehens ihre Berechtigung hat. Wenn nun das Üben wieder „hoffähig“ wird, befürchte ich, dass derartige Praktiken offensiver vertreten werden - ähnlich wie seinerzeit Butzkamms Konzept der Aufgeklärten Einsprachigkeit umgedeutet als Legitimation unreflektierter Sprachmischung herhalten musste. Es bleibt folglich zu klären, welchen Stellenwert das Üben in heutigem Fremdsprachenunterricht zu Recht einnehmen kann. Dies lässt sich nicht ohne einen Rückriff auf sprachlernbzw. spracherwerbstheoretische Forschungsergebnisse beantworten, was hier jedoch nur in sehr groben Zügen und vereinfachend möglich ist. In einer fächerübergreifenden Perspektive ist vor allem die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Lernen von Belang. Beide Lernarten zeitigen Erfolge, dies aber offensichtlich in Abhängigkeit von individuellen und situativen Variablen. Unter den individuellen Variablen sind die bekannten Lern- und Lernertypen, allen voran Struktur- und Kontext-Lerner (vgl. Holzbrecher 2013, 11f.), voneinander zu unterscheiden. Erstere neigen deutlich zu Verfahren expliziten, letztere eher zu Verfahren impliziten, beiläufigen Lernens. Für unseren Bereich sind insbesondere spracherwerbstheoretische Studien zur Verbindung von Wissen und Können relevant. Auch wenn hier keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, spricht vieles für die sog. weak interface- Hypothese, der zufolge sprachliches Können sich nicht notwendig und automatisch aus sprachlichem Wissen ableitet, sich sehr wohl aber ersteres aus letzterem entwickeln kann (vgl. Gnutzmann 2012, 43f.). Daraus lässt sich folgern, dass ein formales Üben nicht gänzlich ohne explizite Erläuterungen auskommen sollte. Wer formalem Üben einen hohen Stellenwert einräumt, geht jedoch in der Regel von einem Verständnis von Sprache als System aus, das heutzutage als überholt gelten muss. In einem soziokulturellen Lernverständnis erscheint Sprache vielmehr als Medium einer stets situativ eingebundenen Kommunikation bzw. Interaktion. Besonders in mündlicher Interaktion reicht eine Verwendung isolierter und im Vorwege automatisierter sprachlicher Versatzstücke dieser Sicht zufolge, die ich teile, bei weitem nicht aus. Vielmehr sollten die Lernaktivitäten die Komplexität der außerunterrichtlichen Anwendungsituationen in angemessener Weise widerspiegeln. <?page no="133"?> Die Rehabilitation des Übungsbegriffs in der Fremdsprachendidaktik 133 3 Üben in einem aufgabenorientierten Verständnis In ihrem vielzitierten Modell sieht Jane Willis (1996) eine Grobgliederung von Aufgabenzyklen in drei Phasen vor: Auf eine pre-task folgt der eigentliche task cycle und am Ende steht ein language focus. Letzterer bildet den Rahmen für sprachformales Arbeiten und damit für Analysesowie für gezielte Übungsaktivitäten (analysis und practice). Getragen wird dieses Modell von einem soziokulturellen und sozio-konstruktivistischen Lernverständnis, in dem Bedeutung (Inhaltsbezug) vor sprachlicher Richtigkeit (Formbezug) und Bedeutungsaushandlung vor formalem Lernen rangieren. Wie die anglo-amerikanischen Ansätze des Task Based Learning generell, stellt es eine Antwort auf die viel beklagten Defizite formbezogener Sprachlehrkonzepte dar, die vorrangig darin bestehen, dass sie Lerner nur unzureichend zu selbständiger Sprachverwendung verhalfen. Darauf weist zu Recht Daniela Caspari in einem gemeinsam mit Friederike Klippel verfassten Pro- und Contra-Beitrag zur Rolle von ‚Übung‘ bzw. ‚Aufgaben‘ als Leitkonzepten aktuellen Fremdsprachenunterrichts hin (vgl. Caspari/ Klippel 2013. 129f.). Beide Autorinnen sind sich darin einig, dass im Rahmen fremdsprachlichen Lernens beide Formate zur Geltung kommen müssen. An der Frage nach der Reihenfolge und - damit oft verbunden - der quantitativen Gewichtung scheiden sich indes häufig die Geister. Im deutschsprachigen Raum hat das namentlich durch die Arbeiten des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) beeinflusste Konzept der Lernaufgabe zu einer Umkehrung des Willis‘schen Modells geführt. Mit besonderem Blick auf die Belange schulischen Fremdsprachenunterrichts vertreten z.B. Leupold (2008) und Kraus/ Nieweler (2011) eine Aufgabenkonzeption, in der eine ausgedehnte, auf Einzelelemente des sprachlichen Systems bezogene Übungsphase der Bewältigung einer vergleichsweise komplexen Aufgabe vorgeschaltet ist. Anders als in früheren Zeiten, in denen der Transfer von zuvor isoliert Gelerntem auf neue Kontexte zumeist fehlschlug oder gänzlich unterblieb, gewährleistet die Zielaufgabe (final task, tâche finale etc.) immerhin eine Realisierung bedeutungsbezogener Aushandlungsprozesse. Gleichwohl verschiebt sich im Vergleich zum task cycle in einem solchen Verständnis zumindest tendenziell die quantitative Verteilung zugunsten des Übens und zu Lasten einer interaktiven Sprachverwendung. Dies ist in meinen Augen in der Tat Anzeichen einer Art neokonservativer Wende, der man immerhin zugute halten muss, dass sie Struktur-Lernern sicherlich entgegenkommt, nicht jedoch Kontext- Lernern. Der „Vorteil“, wenn man ihn denn als solchen bezeichnen will, des <?page no="134"?> Lutz Küster 134 Lernaufgabenansatzes liegt sicherlich darin, dass er leichter an gewohnte Verlaufsmuster schulischen Lernens anschlussfähig ist. 2 Wenn ich Tasks und Lernaufgaben einander gegenüberstelle, darf ein Aspekt nicht unerwähnt bleiben: Das Konzept der Lernaufgabe ist eingebettet in ein System der Qualitätssicherung im Bildungswesen, das über eine Überprüfung von Lernergebnissen die Effizienz von Investitionen gewährleisten will, wobei „Investitionen“ weit gefasst zu verstehen ist als Summe aller monetären und ideellen Aufwendungen. Um Überprüfungen valide durchführen zu können, braucht es sowohl operationalisierbare Zielkonstrukte (in unserem Falle die Kompetenzmodelle) als auch entsprechende Instrumentarien der Leistungskontrolle. Die letztgenannte Funktion erfüllen Testaufgaben, während Lernaufgaben helfen sollen, die vorlaufenden Lernprozesse zu optimieren. Um diesen Zweck erfüllen zu können, müssen Lernaufgaben wiederum bezogen werden auf Testaufgaben, ohne sich ganz mit ihnen zu decken (vgl. Tesch 2010). Die Hauptschwierigkeit in der Zusammenführung beider Formate sehe ich in einer hinreichenden Berücksichtigung von Komplexität, um den Anforderungen außerschulischer Sprachverwendung gerecht zu werden, bei gleichzeitiger Gewährleistung einer standardisierten Überprüfbarkeit, um den Anforderungen schulischer Leistungsevaluation zu entsprechen. Eine Erhöhung des Komplexitätsgrades von Schülerleistungen (so z.B. beim interaktiven Sprechen) führt nahezu automatisch zu einer geringeren Vergleichbarkeit von Evaluationen und umgekehrt. In schulischen Kontexten ist die Rolle des Übens in der Vergangenheit zu sehr vor dem Hintergrund leichter Überprüfbarkeit gesehen worden. So erklärt sich das bereits erwähnte, didaktisch wenig sinnvolle Vokabellernen anhand dekontextualisierter zweisprachiger Listen vorrangig daraus, dass dies seine Entsprechung in den sattsam bekannten Vokabeltests findet. Die Kompetenzorientierung hat hier höher gesteckte Ziele, stößt zugleich aber an institutionelle Grenzen. Es wird im Einzelfall zu prüfen sein, welche Berechtigung Forderungen nach mehr Raum für Übungen vor dem Hintergrund außerschulischer Verwendungsmöglichkeiten haben und wo sie - mehr oder minder camoufliert - von schulischen Verwertungsinteressen bestimmt werden. Dafür kann es hilfreich sein, exemplarisch einzelne Gegenstände und Verfahren des Übens näher in den Blick zu nehmen. 2 In gewisser Weise nimmt das Modell der Komplexen Kompetenzaufgabe von Hallet (2012) hier eine vermittelnde Position ein, da es im Vergleich zu den zitierten Lernaufgaben-Modellen der Komplexität sprachlicher Kommunikation besser gerecht wird, zugleich aber ebenfalls eindeutig für schulische Kontexte konzipiert wurde. <?page no="135"?> Die Rehabilitation des Übungsbegriffs in der Fremdsprachendidaktik 135 4 Konkretisierungen: Die Frage nach dem Was und dem Wie Bei der Frage nach den Gegenständen des Übens möchte ich zunächst einen Bereich herausstellen, bei dem mir eine fokussierte Habitualisierung sinnvoll und notwendig erscheint, den der Ausspracheschulung. Die korrekte phonetische Realisierung von anfänglich fremdartigen Lauten ist in vielen Fällen ohne ein wiederholendes Üben nur schwer zu erreichen. Es gilt die eigenen Sprechwerkzeuge auf die ungewohnten Artikulationsmuster einzustellen und die Lautbildung durch Imitation einer erstsprachlichen Verwendung möglichst anzunähern, um von Gesprächspartnern akzeptiert und verstanden zu werden. Auf dieser Ebene konnte sich das traditionelle Sprachlabor durchaus als nützlich erweisen. Neben einer solchen funktionalpragmatischen Zielsetzung sind jedoch auch ästhetische, identifikatorische und emotional-ausdrucksbezogene Aspekte zu beachten. Der Klang einer Sprache löst in unterschiedlichem Maße Gefallen oder Nicht-Gefallen aus - ein Faktor, der für das Gegenüber der sprachlichen Interaktion, nicht zuletzt aber auch für den Lerner selbst von hoher Bedeutung sein kann. Wer sich eine neue Sprache mit ihren Klangqualitäten aneignet, sie über die Einübung artikulatorischer und expressiver Muster inkorporiert, wird sie in der einen oder anderen Weise in sein/ ihr Selbstbild integrieren - und dies umso mehr in dem Maße, in dem es ihm/ ihr gelingt, eine Bandbreite von Emotionen intonatorisch und mimisch/ gestisch zum Ausdruck zu bringen. In dieser Hinsicht haben dramapädagogische Verfahren eindeutige Vorzüge. Beim Schreiben ist die motorische Ebene nur dort Anlass für ein Üben im behavioristischen Sinn, wo die Graphie neu zu erlernen ist. Im Wesentlichen aber erfordert mitteilungsbezogenes Schreiben höherrangige kognitivplanerische und sprachliche Kompetenzen. Zwar kann die Verwendung generischer Muster in begrenztem Maße in Gewohnheiten überführt werden, hier spielen jedoch spezifische Momente eines Situations- und Inhaltsbezugs eine Rolle, die nicht im Einzelnen vorhersehbar und entsprechend isoliert zu üben sind. Ähnlich verhält es sich bei Strategien z.B. des Hör- und Leseverstehens, da Aktivitäten in diesen Fertigkeitsbereichen ebenfalls besonders kontextabhängig sind. In beiden Fällen ließe sich vielleicht eher von Routinenbildung als von Habitualisierung im behavioristischen Sinne sprechen (vgl. hierzu auch DeKeyser 2007, 2ff.). Die Frage, wie geübt werden kann, ist oben schon verschiedentlich berührt worden. Denn letztlich lassen sich die Inhalts- und die Verfahrensebene nur analytisch voneinander trennen, in der Praxis des Lernens gehen sie stets eine Verbindung ein. Und dort wo beide Bereiche zwingend aufeinander bezogen sind, wird den Lernerinnen und Lernern die Sinnhaftigkeit der Lernaktivitäten in der Regel am besten einleuchten (vgl. auch Blume 2003). <?page no="136"?> Lutz Küster 136 Das übende Anwenden einzelner sprachlicher Mittel erscheint dann als Lernschritt, dessen Ertrag in der Realisierung z.B. sprachlicher Klassenraum-Interaktion unmittelbar erfahrbar wird. Umgekehrt kann das Üben aber auch einen lernförderlichen Eigenwert erhalten, wenn spielerische Elemente dominieren und für eine eigene motivierende Dynamik sorgen, die das funktionale Ziel des Lernens eine Zeitlang in den Hintergrund drängen (flow-Effekt). So lassen sich z.B. Gerundium-Formen über eine Versprachlichung von Wimmelbildern gezielt einüben oder Vergangenheitszeiten durch Reihum-Geschichten, in denen jede/ r eine Ausgangssituation erzählend mit mindestens einem Satz weiterentwickelt bis eine/ r die Geschichte zu einem möglichst realistischen Ende führt. Auch die oben kurz angesprochenen theaterpädagogischen Verfahren können vergleichbare Wirkungen entfalten (vgl. Mischke 2011 sowie Caspari 2003 zu „kreativen Übungen“ generell). 5 Methodisch-didaktische Chancen und Herausforderungen des Übens Die zentrale Herausforderung besteht darin, das Lernen konsequent vom Lerner aus zu denken. Traditionell ist der Übungsbegriff mit einem Primat der Sachorientierung verbunden, was im Fremdsprachenunterricht mit einen Verständnis von Sprache als System einhergeht. Übungen beziehen sich in der Regel auf isolierte Elemente dieses Systems; der Einzelne soll sie im Gedächtnis speichern und durch wiederholtes Anwenden in sein sprachliches Verhaltensrepertoire integrieren. Kompetenz- und Output-Orientierung tragen nun dazu bei, den Blick stärker auf die Lösung kommunikativer Aufgaben zu richten und damit - wie oben angesprochen - dem Üben von Einzelelementen einen für die Lerner erkennbaren Sinn zu verleihen. Die Frage bleibt dennoch, ob die vorgegebenen sprachlichen Handlungsziele von den Subjekten des Lernens auch als persönlich relevant wahrgenommen werden. Zwei Ebenen seien hier unterschieden: die der Themen und Inhalte und die der Lernwege. Die erstgenannte betrifft den Lerner in seinem In-der- Welt-Sein (umfassender Rahmen individueller Identitätskonstruktionen), die zweitgenannte in seiner Lerner-Identität (oder seinem In-der-Schule- Sein). Selbstverständlich ist es anzustreben, Anlässe von Sprachaktivitäten zu schaffen, die den Einzelnen über schulische Belange hinaus inhaltlich ansprechen, ihn persönlich interessieren oder zumindest sein Interesse wecken können. Das wird jedoch nie für alle im Klassenraum gleichzeitig und gleichermaßen möglich sein. Vergleichsweise leichter zu realisieren ist es, den Lerner - metaphorisch gesprochen - als Kapitän seiner Lernfahrt zu be- <?page no="137"?> Die Rehabilitation des Übungsbegriffs in der Fremdsprachendidaktik 137 handeln, ihm einen Raum zu geben, in dem er sein Lernen reflektieren und gestalten kann. Wichtiger als der Effizienzaspekt in Vorstellungen autonomen Lernens sind in meinen Augen jedoch der Leitgedanke eines empowerment of the learner und dementsprechend das Ziel, dass der Einzelne Erfahrungen sowohl von Selbstwirksamkeit als auch von Selbstbestimmung machen kann (vgl. Menzel 2000, 11). Dabei gehe ich davon aus, dass solche Erfahrungen daran geknüpft sind, dass sie nicht nur im Rahmen schulischer Belohnungssysteme Bestand haben, sondern vielmehr in dem Bewusstsein verankert sind, eine mit der Zeit immer umfassendere sprachliche Handlungskompetenz zu erwerben, die auch außerhalb des Klassenraums bestehen kann. Eine Berücksichtigung von Sprachlern- und Sprachbewusstheit kann sicherlich helfen, den Einzelnen zur Reflexion seines Lern(er)verhaltens anzuregen und sich Rechenschaft abzulegen über die Möglichkeiten, aber auch Begrenztheiten spezifischer Übungsverfahren. Ich sehe dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund des umfangreichen Angebots der Lernmittelverlage an digitalen Trainern als wichtig an. Das Üben z.B. von Vokabelgleichungen am Smartphone ist modern nur im Hinblick auf den Einsatz von Technologie, nicht in Bezug auf didaktisch-methodische Setzungen. Im Interesse einer Integration beider Ebenen sollten Übungen über motivierende Lern- und Sprachverwendungs-Kontexte Lerner affektiv und kognitiv zugleich ansprechen. Dies fordert auch Kieweg (2003). Im Anschluss an Schulz von Thuns (2005) Kommunikationsmodell ist ihm neben der Berücksichtigung der Beziehungs- und Selbstoffenbarungsebene vor allem die emotionale Ausdrucksqualität gesprochener Sprache wichtig. 6 Fazit Auf die im Titel angesprochene Frage zurückkommend scheint mir eine differenzierte Antwort geboten. Manche gegenwärtigen Tendenzen deutscher Fremdsprachendidaktik, welche die Aufgabenorientierung über eine Rehabilitierung des Übungsbegriffs im Konzept der Lernaufgabe verstärkt schulischen Lehr-Lerntraditionen anpassen, lassen sich in meinen Augen als „neokonservativ“ betrachten. Andererseits können auch rein interaktive, auf Bedeutungsaushandlung gerichtete Modelle keinen Anspruch auf Alleingültigkeit beanspruchen. Angesichts der Unterschiedlichkeit individueller Lernvoraussetzungen und Lernstile halte ich jede einseitige Ausrichtung für bedenklich, da sie stets nur Teile der Lernerschaft erreicht (vgl. auch Caspari/ Holzbrecher 2016). Vorzuziehen wären daher m.E. modulare Strukturen, in denen unterschiedliche Lehr-Lern-Designs zur Anwendung kämen. Vor diesem Hintergrund würde ich mir angesichts der zitierten Ein- <?page no="138"?> Lutz Küster 138 blicke in den Unterrichtsalltag allerdings mehr Bedeutungsaushandlung und weniger formbezogenes Üben wünschen. Literatur Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.) (2006): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Tübingen: Narr. Blume, Otto-Michael (2003): „Inhaltsorientiert grammatisch üben (Sekundarstufe II)“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 37 (61), 32-37. Caspari, Daniela ( 4 2003): „Kreative Übungen“, In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr, 308-312. Caspari, Daniela/ Holzbecher, Alfred (2016): „Individualisierung und Differenzierung im kompetenzorientierten Französischunterricht“. In: Küster, Lutz (Hrsg): Individualisierung im Französischunterricht. Mit digitalen Medien differenzierend unterrichten. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 7-37. Caspari, Daniela/ Klippel, Frederike (2013): „Übungen statt Aufgaben! “ In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (2), 136f. DeKeyser, Robert M. (2007): „Situating the concept of practice“. In: DeKeyser, Robert M. (Hrsg.): Practice in a Second Language. Cambridge: Cambridge University Press, 1-18. Gnutzmann, Claus (2012): „Kennen und Können. Wie hängt das zusammen? “ In: Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr, 40-47. Hallet, Wolfgang (2012): „Die komplexe Kompetenzaufgabe. Fremdsprachige Diskursfähigkeit als kulturelle Teilhabe und Unterrichtspraxis“. In: Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 8- 19. Holzbrecher, Alfred (2013): „Professionalität im (Französisch-)Unterricht entwickeln“. In: Küster, Lutz/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Mythos Grammatik? Kompetenzorientierte Spracharbeit im Französischunterricht. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 7-20. Holzkamp, Klaus (1995): Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt a.M.: Campus. Kieweg, Werner (2003): „Die Rolle der Emotionen beim Fremdsprachenlernen“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 37 (63), 4-10. Klippel, Friederike (2013): „Übung macht den Meister - practice makes perfect: Von den langweiligen Aspekten des Sprachenlernens“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 38-49. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart u.a.: Metzler, 314-317. <?page no="139"?> Die Rehabilitation des Übungsbegriffs in der Fremdsprachendidaktik 139 Kraus, Alexander/ Nieweler, Andreas (2011): „La tâche: von der Übung zur Aufgabe: Kompetenzentwicklung und Aufgabenorientierung“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 45 (112), 2-8. Leupold, Eynar (2008): „A chaque cous suffit sa tâche? Bedeutung und Konzeption von Lernaufgaben“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 42 (96), 2-8. Masoliver, Joaquín/ Håkanson, Ulla/ Beck, Hans L. (1976): ! Eso es! Spanisch für Anfänger. Bd. 1. Stuttgart: Klett. Menzel, Wolfgang (2000): „Kein reines Vergnugen: Grundprinzipien des Übens“. In: Friedrich Jahresheft 2000 zum Thema „Üben & Wiederholen“, 10- 13. Mischke, Christopher (2011): „Stimmungsvolles Sprachenlernen. Ausspracheübungen und Wortschatzarbeit mit Rhythmus, Mimik und Gestik“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 45 (111), 16-21. Schulz von Thun, Friedemann ( 14 2005, zuerst 1981, 1989, 1998): Miteinander reden. Reinbek: Rowohlt. Tesch, Bernd (2010): „Aufgabenorientierung: Übungsaufgaben, Test- und Lernaufgaben“. In: Meißner, Franz-Joseph/ Tesch, Bernd (Hrsg.): Spanisch kompetenzorientiert unterrichten. Seelze-Velber: Klett-Kallmeyer, 57-69. Willis, Jane (1996): A Framework for Task-Based Learning. Harlow: Longman. <?page no="140"?> „Öffnen Sie das Buch auf Seite 31 und machen Sie die Übungen 3 und 4! “ - Zur Frage der (Ir-)Relevanz von Übungen im Fremdsprachenunterricht Hélène Martinez Das war wirklich so, dass man den Text bearbeitet hat im Lehrbuch und danach alle Übungen durchgemacht hat und wenn es hieß: „Ach wir haben keine Lust. Wir wollen weiter! “ - „Nein, wir müssen noch die Übungen machen. Also wir müssen das und das noch ausfüllen.“ Und im Cahier d’exercices hat man noch die und die Übung. „Die müssen noch unbedingt gemacht werden.“ So dass man wenig auf die Interessen der Schüler wirklich eingegangen ist. „Das muss noch gemacht werden und dann kann weitergegangen werden.“ (Claudia, Studierende aus der Universität Kassel) 1 Zur Begriffsbestimmung von Übung: ein Annäherungsversuch Im Zuge der Einführung von Aufgaben- und Testformaten im Rahmen der Diskussion um Bildungsstandards sind Aufgaben immer wieder in Abgrenzung zu Übungen definiert worden (u.a. Ellis 2003). So ergab sich eine Reihe von Dichotomien zur Differenzierung zwischen Aufgaben und Übungen. Das gängige Unterscheidungskriterium ist der Grad an Kommunikativität bzw. der Unterschied zwischen sprachbezogenen Übungen vs. mitteilungsbezogenen Aufgaben (form-focused vs. meaning-focused). Diese Differenzierung wird auch vom Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen vorgenommen: „Kommunikative didaktische Aufgaben (im Gegensatz zu Übungen, bei denen das dekontextualisierte Einüben von Formen in Mittelpunkt steht) haben das Ziel, die Lernenden aktiv an sinnvoller Kommunikation zu beteiligen“ (Europarat 2001, 153). Damit erfahren Übungen (und das Üben) eine Einengung, die der Vielfalt kommunikativer Übungsansätze - wie in den unterschiedlichen Übungstypologien belegt - nicht gerecht wird (zuletzt Häussermann/ Piepho 1996). Eng damit verbunden ist der Unterschied zwischen den Rollen, die den Schülern 1 1 Der vorliegende Beitrag benutzt die maskuline Form im generischen Sinne. zugeschrieben werden. In einer sprachbezogenen Übung befindet <?page no="141"?> Zur Frage der (Ir-)Relevanz von Übungen im Fremdsprachenunterricht 141 sich der Schüler in der Rolle des (Sprach-)Lerners, während er bei der Lösung einer (Lern-)Aufgabe als Sprachverwender, als sozial Handelnder, agiert. Es wird dabei angenommen, dass der Lernprozess bei einer sprachbezogenen Übung intentional ist und dass Fremdsprachenlernen beim Aufgabenlösen implizit - durch Anwendung der Sprache - wie in natürlichen Lernkontexten stattfindet. Auch hier scheint der Aufgabe ein höherer Stellenwert beigemessen zu werden. Sie erlaube dem Schüler, außerhalb des Fremdsprachenunterrichts kommunikativ zu handeln. Diese Unterscheidung geht einher mit einer Reduzierung des Lerners und des Lernkonzepts auf das Formale und missachtet die Tatsache, dass der Sprachverwender im institutionalisierten Fremdsprachenunterricht stets ein Lernender im engeren und weiteren Sinne ist. Entscheidend ist aus meiner Sicht ein weiteres Kriterium, das mit dem Grad an Kommunikativität einhergeht: Die Didaktisierung bzw. der Grad an Authentizität von Übungen bzw. Aufgaben („didaktisiert vs. authentisch“): Übungen sind didaktisierte Aktivitäten, die als solche in der realen Welt meist so nicht zu finden sind. Aufgaben haben ihren ‚Sitz‘ im richtigen Leben und werden daher als eher authentisch betrachtet - wenngleich auch sie didaktisch angelegt sind. Übungen sollen situativ-kontextuell sein, aber sie können - anders als Aufgaben - auch sprachliche Phänomene, kommunikative Fertigkeiten oder methodische Aspekte isolieren, welche gezielt geübt, wiederholt und aufgebaut werden (vgl. Jenfu 1994, 14). Übungen sind normalerweise eindimensional angelegt und haben einen festgelegten Lösungsweg. Der Grad der Didaktisierung (bzw. der Authentizität) als Differenzierungskriterium meint allerdings nicht, dass Übungen nicht authentisch sein können. Wie Weskamp (1999) zu Recht bemerkt, sind Lernende - als lernende Subjekte - in der Lage, eine Lernsituation zu authentifizieren bzw. als relevant zu erachten. Auch können Übungen im Sinne einer Personalisierung die Identität des Lerners integrieren. Diese Unterscheidungskriterien sind zutreffend aber nicht hinreichend trennscharf. Die Ausführungen machen deutlich, dass die Grenzen zwischen beiden Konzepten teilweise fließend und nicht immer in der (vielleicht gewünschten) Eindeutigkeit formulierbar sind. In Anlehnung an Littlewood (2004) scheint es eher angebracht zu sein, von einem Kontinuum auszugehen, an dessen einem Ende sprach-(mittel-)bezogene Übungen (focus on form) stehen und dessen anderes Ende inhaltsbzw. mitteilungsbezogene Aufgaben (focus on meaning) bilden (vgl. Siebold 2007, 64). Bei einer (stärker) sprachbezogenen Übung - im Sinne eines engen Übungsbegriffs - geht es um das (Ein-)Üben von Sprachmitteln, bei der Lösung einer komplexen mitteilungsbezogenen Aufgabe findet sodann indirektes Üben statt. Zwischen den zwei Polen existierten eine ganze Reihe kommunikationsorien- <?page no="142"?> Hélène Martinez 142 tierter Übungen mit unterschiedlichem Grad an Formbzw. Bedeutungsfokussierung - ganz im Sinne eines erweiterten Übungsbegriffs. Übungen sind demnach Lernarrangements, die so aufbereitet sind, dass sprachliche Lerninhalte damit vermittelt bzw. eingeübt werden können. Renkl (2005) unterscheidet zwischen drei Hauptzielen von Üben, die in der fremdsprachendidaktischen Praxis eine Entsprechung finden: Üben zur Automatisierung, Üben zur Transfersteigerung und (reflektiertes) Üben zur Qualitätssteigerung. Durch Üben werden nicht nur formale Aspekte der Fremdsprache (z.B. Grammatik, Wortschatz) gefestigt, sondern auch die rezeptiven und produktiven sprachlichen Fertigkeiten: „Eine Fertigkeit wird durch Üben verbessert, indem sie weniger fehlerhaft, schneller, mit weniger Energieaufwand und größerer Aussicht auf Erfolg durchgeführt wird“ (Klippel 2010, 315). Es sei z.B. an den Erwerb von Flüssigkeit beim Sprechen erinnert. Sogenannte vorkommunikative Übungen, in denen die Lernenden die geübten Strukturen schrittweise verändern und mit neuen Inhalten füllen, dienen als Übergang zum kommunikativen Sprachgebrauch (vgl. Klippel 2010, 316). Nicht zuletzt gehört elaborierendes (reflektiertes) Üben zum privilegierten Gegenstand eines strategiengestützten Fremdsprachenunterrichts. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die vielfältigen Vorschläge zum Wortschatzlernen (z.B. Neveling 2014). 2 Zur Funktion von Übung im Kontext von Kompetenzorientierung Mit der Einführung und Implementierung der Bildungsstandards stehen die Lernaufgaben im Mittelpunkt der deutschsprachigen fachdidaktischen Diskussion. Die unter Punkt 1 beschriebenen Dichotomien drohen zu einer Einengung des Konzepts von Übung zu führen, die der Funktion von Übungen im Kontext von Kompetenzorientierung nicht ausreichend Rechnung trägt. Aktuelle kompetenzorientierte Aufgabenkonzepte (Hallet/ Legutke 2013) stellen Aufgaben als neue Form des Übens in den Mittelpunkt des Lehr- und Lerngeschehens. Übungen im engeren und weiteren Sinn werden dabei als feste Bestandteile komplexer Aufgaben konzeptualisiert und in Bezug auf ihre Funktionalität differenziert definiert. Üben und Übungen sind stets auf ein übergeordnetes Kompetenzziel und die Realisierung einer Lernaufgabe bezogen (vgl. Hallet in diesem Band). Die Notwendigkeit des Übens erwächst individuell aus der Beschäftigung mit der zu lösenden Aufgabe und erfordert eine flexible und modulare Unterrichtsgestaltung 2 2 Zur Frage von curricularen Verankerungen offener Ansätze s. Rösler 2013. . <?page no="143"?> Zur Frage der (Ir-)Relevanz von Übungen im Fremdsprachenunterricht 143 Die Wechselbeziehung zwischen Aufgabe und Übung ist de facto im Konzept der Kompetenzorientierung begründet. Versteht man Kompetenz als Mobilisierungskompetenz (vgl. Le Boterf 2009), so liegt es auf der Hand, dass die Bearbeitung von Lernaufgaben der Identifizierung und Aktivierung von (Teil-)Kompetenzen und Ressourcen bedarf, die dem Lerner durch Übung zur Verfügung gestellt werden können. Ziel des (Ein-)Übens ist dabei das Festigen oder Zur-Verfügung-Stellen des Gelernten (vgl. Bönsch 2007) im Hinblick auf die zu lösende Aufgabe. Diese Konzeptualisierung spiegelt sich im Aufbau von Lerneinheiten in manchen aufgabenbasierten Lehrmaterialien wider: Bei der Planung einer Sequenz werden Übungen zur Vorbereitung auf die „Endaufgabe“ (tâche (ciblée), tarea final, target task) vorgeschaltet. Es wird von einer Rückwärtsplanung gesprochen (Estaire 2009). In dem in Deutschland verbreiteten Modell von Willis (1996) zu Task-based language learning spielen Übungen in der Phase des language focus auch eine entscheidende Rolle: Sie ermöglichen, dass bei der Lösung der Aufgaben defizitäre sprachliche Aspekte im Anschluss vertieft und gefestigt werden. 3 Derartige kompetenzorientierte Aufgabenkonzepte fordern allerdings einen „Paradigmenwechsel, insbesondere hinsichtlich des Typus und der Rolle von Aufgaben im Lernprozess und standardisierter Sequenzierung von Aufgaben und Übungen“ (Hallet 2014, 61) und gehen mit einer Infragestellung traditioneller Lerner- und Lehrerrollen einher. Von den Lernenden wird erwartet, dass sie über einen hohen Grad an Sprach(lern)bewusstheit verfügen bzw. diese erwerben und im Hinblick auf die zu lösenden komplexen Aufgaben erkennen, was sie wozu und warum üben (müssen) (vgl. Caspari/ Klippel 2013, 129; Martinez 2013; Martinez/ Meißner 2016) oder dass sie im Anschluss an die Aufgabenlösung neue sprachliche Phänomene fokussieren, die sie als defizitär erkannt haben. Von den Lehrkräften wird erwartet, dass sie diesen Prozess unterstützen, dass sie die Aufgaben und Übungen auswählen und in Hinblick auf die jeweiligen Schülerschaft möglicherweise anpassen, die Bearbeitungsprozesse initiieren, unterstützen und auswerten und dabei die SchülerInnen zu einem „intelligenten Üben“ anleiten. 3 Anforderungen als Chancen: Zur Lernrelevanz von Übungen Vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen an kompetenzorientierte Aufgaben und Übungen liegen für mich die Chancen und zugleich 3 Die Übungsphase kann im Anschluss an die Aufgabenbearbeitung stattfinden oder ihr vorgeschaltet werden. <?page no="144"?> Hélène Martinez 144 großen Herausforderungen beim Üben einerseits in der Konstruktion von lernrelevanten Übungen, andererseits im reflektierten lehrerseitigen und lernerseitigen Umgang damit. 3.1 Konstruktion von validen und erfolgsorientierten Übungen Eine große Herausforderung sehe ich in der Konstruktion von guten lernförderlichen Übungen. Analysiert man Übungsbeispiele in Französischbzw. Spanischlehrwerken, so zeigt sich immer wieder, dass sie weder dem Kriterium der Validität noch dem Anspruch an Erfolgsorientiertheit entsprechen (Ur 1996). „Beim Üben soll ein Lernprozess stattfinden. Üben heißt vor allem, wiederholend etwas tun, und zwar so, dass dabei Fortschritte erzielt werden. Der Entwicklungsgedanke ist konstitutiv für das Üben.“ (Segermann 1997, 82) Eine Übung ist valide, wenn sie tatsächlich das übt, was sie üben soll. Nun sind aber häufig Übungen in Kurs- und Arbeitsmaterialien keine „echten“ Übungen, die sprachliche Kompetenzen trainieren, sondern haben eher Testcharakter, indem sie Wissen überprüfen und damit teilweise identisch mit Testitems sind (vgl. Koenig 2005; 2014). Hierzu ein konkretes Beispiel als Illustration, gefunden unter der Rubrik „S’entraîner“ in einem aktuellen Französischlehrbuch: Abb. 1: Übungsbeispiel aus Blume et al. (2013), 52. Um diese Übung lösen zu können, muss der Schüler wissen, dass sich im Französischen der Possessivartikel nach dem Substantiv richtet und nicht nach der Person - wie im Deutschen. Er muss das Genus der jeweiligen Substantive und die entsprechenden Possessivformen kennen. Lücken dieser Art testen das Grammatikwissen der Schüler. Solche „Übungstypen“ lassen sich als defizitorientierte Übungen bezeichnen, da sie die Fehlerhäufigkeit erhöhen (vgl. Koenig 2005, 151). <?page no="145"?> Zur Frage der (Ir-)Relevanz von Übungen im Fremdsprachenunterricht 145 Eine erfolgsorientierte Übung sieht im Gegensatz dazu z.B. folgendermaßen aus: Abb. 2: Übungsbeispiel aus Fleer et al. (2014), 48. Bei der vorliegenden Übung 4 3.2 Entfaltung der Wirksamkeit von Übungen auf der Unterrichtsebene können keine formalen Fehler gemacht werden. Alles ist vorgegeben und kann ohne kognitive Anstrengung kreativ gelöst und trainiert werden. Die Zuordnung der Satzteile erfolgt über die Semantik. Durch die individuelle Zuordnung entstehen Aussagen mit kreativem Charakter, und diese sind dadurch besser einprägsam. Der formale Aspekt „Seitdem“ + Verb am Ende des Satzes wird in einer variierten Repetition implizit und vielfach mitgedacht, -gelesen, -gehört etc., was eine Automatisierung und Festigung unterstützt. Der generative Aspekt als Prinzip ist auch Gegenstand dieser Übung, aber man ist weit entfernt von den Drill-Übungen, die mechanische Wiederholungen implizieren. Erfolgsorientierung ist ein äußerst relevantes Kriterium beim Üben, denn „[n]ichts ist erfolgreicher als der Erfolg! “ (Gudjons 2005, 14) Die Motivationsforschung hat hinreichend belegt, dass das kognitive Engagement eines Schülers von seinem (subjektiven) Gefühl abhängt, die Übung bzw. Aufgabe lösen zu können. Übungserfolge wirken positiv auf die Motivation für das weitere Lernen und tragen zu einer Erhöhung der Selbstwirksamkeit bei. Übungen entfalten ihr Lernpotenzial erst in den didaktisch-methodischen Planungen der Lehrkräfte und bei der Gestaltung des konkreten Fremdspra- 4 Diese Übung ist selbstverständlich nur ein Beispiel aus einer Vielfalt möglicher sinnvoller erfolgsorientierter Übungen. Sie zitiert eine Form des mechanischen Drills, aber erweitert diese zugleich (zur Frage (kreativer) Übungsgestaltung s. auch Koenig 1994). <?page no="146"?> Hélène Martinez 146 chenunterrichts. Das o.g. Beispiel der ‚erfolgsorientierten‘ Übung fördert dann weniger Lernen, wenn die Zuordnungen im Rahmen eines lehrergesteuerten Frontalunterrichts von der Lehrkraft individuell abgefragt werden und somit nur einige Schüler die Gelegenheit erhalten, sich sprachlich aktiv zu beteiligen. Die Übung entfaltet dann eine breitere Wirkung, wenn sie z.B. zunächst in Partnerarbeit durchgeführt wird, wobei jeder Schüler die Möglichkeit hat, durch die Zuordnung wiederholt Kombinationen zu suchen, Sätze auszusprechen bzw. zu hören und die Struktur zu festigen. 3.3 Umgang mit Übungen Unterrichtsbeobachtungen im Rahmen von Praktika zeigen häufig einen etwas unreflektierten Umgang mit Übungen: Das Eingangszitat korreliert mit solchen Arbeitsaufträgen: „Machen Sie bitte die Übungen 3 und 4 aus dem Arbeitsbuch! “. Der eigentliche Sinn und Zweck der Übung wird nicht explizit genannt bzw. erklärt und die Aktivität bleibt somit intransparent. Es ist vielleicht auch nicht ersichtlich, warum die Übung 3 vor der Übung 4 gemacht werden sollte und wie die Sequenzierung begründet ist. Solche Arbeitsaufträge erzeugen u.U. Missverständnis und Langeweile bei den Schülern und tragen dazu bei, dass Übungen schematisch gemacht werden, ohne dass über ihre Relevanz und Sinnhaftigkeit im Lehr-/ Lernprozess nachgedacht wird. Bei Grammatikübungen können sie zu einer „kognitiv flachen Bearbeitung“ der Aufgabe (Börner 1999, 227) führen. Die Lösung der Übung bzw. Aufgabe läuft weniger über die Verarbeitung der Sprache als vielmehr über die Analyse von formalen Beziehungen. Damit wird das Lernpotential einer Übung oft nicht ausgenutzt (selbst wenn der Schüler die Aufgabe richtig löst). Die Beschäftigung der Lerner mit einer Übung ist kein Garant dafür, dass auch tatsächlich geübt wird (vgl. auch Börner 1999/ 2000). Das Eingangszitat belegt, wie sinnlos und schülerfremd das systematische Üben erscheinen kann und ist. Stattdessen sollten Schüler angeregt werden, sich über die (Lern-)Ziele von Übungen bewusst zu werden. Sie sollten zugleich lernen, Zielsetzungen von Übungen zu erkennen. Die Bereitschaft der Schüler, sich kognitiv zu engagieren, hängt stark von dem wahrgenommen Wert der Aufgabe bzw. der Übung ab (Viau 2003). Üben ist demnach sinnvoll und lernwirksam, wenn der Gegenstand der Übung für die SchülerInnen bedeutsam und persönlich relevant ist. In Bezug auf die Strategievermittlung hat Bimmel (1993, 8) darauf aufmerksam gemacht, dass „blindes“ Strategientraining, bei dem Schüler Strategien anwenden, ohne sich dessen bewusst zu sein, wenig ertragreich ist. Dies gilt ebenfalls für Üben: Blindes Üben ist sinnloses und ertragloses Pau- <?page no="147"?> Zur Frage der (Ir-)Relevanz von Übungen im Fremdsprachenunterricht 147 ken. Üben erfordert nach Menzel (2000, 10f.) Wissen und Können, das man festigen will oder aber Wissen über ein Problem oder das Bewusstsein über Wissenslücken und -mängel, die man durch Übung beheben möchte. Erst dann setzt sinnvolles Üben ein. In der einschlägigen Literatur spricht man daher von der Notwendigkeit intelligenten Übens, bei dem es auch um die Entwicklung einer Übe-Kompetenz geht. Diese ist für das individuelle Üben - zum Beispiel im Rahmen von Hausaufgaben - unabdingbar. 4 Forschungsansätze: Zum Stellenwert von Übungen im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht Bedeutsame und fruchtbare Forschungsansätze ergeben sich für mich aus den vorherigen Erläuterungen. So sind Studien notwendig, die empirisch zeigen, wie sowohl Lehrkräfte als auch Lernende Übungen einschätzen, wie sie deren Funktion im Lehr-/ Lernprozess konzeptualisieren und wie sie damit im Fremdsprachenunterricht umgehen. Die quantitativ angelegte MES-Studie zur Erhebung von Schülereinstellungen bezüglich Mehrsprachigkeit (Meißner et al. 2008) hat gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Schüler in der 9. Jahrgangsstufe des Französischunterrichts die Übungen langweilig finden. Sie hat auch belegt, dass viele Schüler den Eindruck haben, keine echten Fortschritte im Unterricht zu machen. Es sind daran anschließende Studien erforderlich, die z.B. folgenden Fragen nachgehen könnten: Sind die Übungen langweilig, weil sie nichts Neues enthalten (Klippel 2013), weil sie keine sichtbaren Lernfortschritte ermöglichen oder weil sie für den Lernprozess nicht (mehr) notwendig sind und den Schülern „aufgezwungen“ werden (s. Eingangszitat)? Welche Merkmale besitzen Übungen (und Aufgaben), die von den Schülern als sinnvoll betrachtet werden? Die MES-Studie hat dabei auf die entscheidende Rolle des Unterrichtserlebnisses hingewiesen. Interessant wäre die Frage, wie die Schüler den Französischbzw. Spanischunterricht erleben und welche Rolle Übungen bzw. Aufgaben bei der (Re-)Konstruktion von eher positiven oder negativen Erlebnissen spielen. Dabei sollten unterschiedliche Perspektiven unter Einbeziehung unterschiedlicher Methoden mitgedacht, miterforscht und trianguliert werden: Deskriptive Ebene/ Materialebene: Sichtung und Analyse der Übungen und Aufgaben, die den Schülern in bestimmten Jahrgängen (durch die Lehrwerke) angeboten werden, in Hinblick auf die Zielsetzung, die Formate, die Wechselbeziehung zwischen Übungen und Aufgaben etc.; <?page no="148"?> Hélène Martinez 148 ethnographische Ebene/ Unterrichtsebene: Erforschung der Rolle/ Funktion von Übungen/ Aufgaben im Verlauf von französischen bzw. spanischen Unterrichtsstunden (teilnehmende Unterrichtsbeobachtung und Videographie); Subjektebene: Erforschung der subjektiven Theorien/ Einstellungen von Schülern und Lehrkräften zu den Übungen und Aufgaben; Prozessebene: Umgang der Schüler und Lehrkräfte mit Übungen und Aufgaben - mit besonderem Blick auf die Aufgabenlösungsprozesse bei den Lernenden (vgl. Börner 1999/ 2000). Diese Überlegungen führen zu weiteren Forschungsfragen: Inwieweit ermöglicht der Französischbzw. Spanischunterricht, dass die Schüler einen echten rapport au savoir aufbauen? Mit rapport au savoir wird der Bezug bezeichnet, den Lernende zum Lerngegenstand und zum Lernprozess aufbauen. Ein Schüler, der eine kognitiv flache Verarbeitung zeigt (vgl. Börner 1999), sieht keinen lernförderlichen Sinn in der Übung. Er erfüllt die von dem Lehrer vorgegebene Aufgabe. Er reagiert damit auf die Erwartungen der Lehrkraft und die Anforderungen schulischen Lernens ohne persönliches Engagement. Er erfüllt „son métier d’élève“ (Charlot et al. 1992, 172; zitiert nach Portelli 1996, 10). Der gewünschte rapport au savoir ist allerdings erst zu entwickeln und muss in der Lehr- und Lernsituation sowie auch in der Interaktion mit den Beteiligten konstruiert werden. Es ist daher zu fragen, wie der bewusste Umgang mit Übungen zu einer effizienten Lernkultur beitragen kann. Darüber hinaus erscheint es mir in diesem Zusammenhang wichtig, im Rahmen der Lehramtsausbildung Studierende für das komplexe Übungsgeschehen zu sensibilisieren. Dabei sollte man nicht auf der Ebene der (kritischen) Analyse verbleiben, sondern die StudentInnen anregen, Übungen selbst zu konstruieren und diese im Fremdsprachenunterricht zu erproben. Solche empirisch angelegten Projekte könnten dazu beitragen, eine reflexive Forschungshaltung bei den zukünftigen Lehrern zu entwickeln und gewährleisten, dass Lehrkräfte einen bewussten und lernerorientierten Umgang mit Übungen und Aufgaben im Französischbzw. Spanischunterricht entwickeln. Literatur Bimmel, Peter (1993): „Lernstrategien im Deutschunterricht“. In: Fremdsprache Deutsch 1, 66-74. Blume, Otto-Michael/ Gregor, Gertraud/ Jorißen, Catherine/ Mann-Grabowski, Catherine (2013): À Plus 1 - Nouvelle édition. Berlin: Cornelsen. <?page no="149"?> Zur Frage der (Ir-)Relevanz von Übungen im Fremdsprachenunterricht 149 Bönsch, Manfred (2007): „Üben und Verstehen“. In: Grundschulmagazin 2, 8- 10. Börner, Wolfgang (1999): „Fremdsprachliche Aufgaben“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 10 (2) 209-230. Börner, Wolfgang (2000): „‚Das ist eigentlich so’ne Übung, wo man überhaupt nicht nachdenken muss‘ - Lernermeinungen zu Grammatikübungen“. In: Riemer, Claudia (Hrsg.): Kognitive Aspekte des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen. Cognitive Aspects of Foreign Language Learning and Teaching. Festschrift fur Willis Edmondson zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr, 323-337. Caspari, Daniela/ Klippel, Frederike (2013): „Übungen statt Aufgaben! Pro und Contra“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (2), 129-130. Ellis, Rod (2003): Task-based Language Learning and Teaching. Oxford: Oxford University Press. Estaire, Sheila (2009): El aprendizaje de lenguas mediante tareas: de la programación al aula. Madrid: Edinumen. Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt. Fleer, Sarah/ Koenig, Michael/ Pfeihofer, Petra/ Rodi, Margret/ Schurig, Cordula (2014): Geni@l Klick - Kursbuch B1. München: Klett-Langenscheidt. Gudjons, Herbert (2005): „Methoden und Strategien intelligenten Übens“. In: Pädagogik 11, 12-15. Hallet, Wolfgang (2014): „Das Modell der komplexen Kompetenzaufgabe - Lernen als kulturelle Partizipation“. In: Ralle, Bernd et al. (Hrsg.): Lernaufgaben entwickeln, bearbeiten und überprüfen. Ergebnisse und Perspektiven fachdidaktischer Forschung. Münster: Waxmann, 61-70. Hallet, Wolfgang (in diesem Band): „Einübung“, 93-101. Hallet, Wolfgang/ Legutke, Michael K. (Koord.) (2013): Fremdsprachen lehren und lernen. Themenschwerpunkt: Tasks Revisited 42 (2). Tübingen: Narr. Häussermann, Ulrich/ Piepho, Hans-Eberhard (1996): Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. Abriss einer Aufgaben- und Übungstypologie. München: Iudicuim. Heymann, Hans Werner (2005): „Was macht Üben ‚intelligent‘? “ In: Pädagogik 11, 6-10. Jenfu, Ni (1994): „Aufgabe und/ oder Übung? Betrachtungen zu einem Begriffspaar - mit praktischen Beispielen“. In: Fremdsprache Deutsch 1, 14-17. Klippel, Frederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart u.a.: Metzler, 314-317. Klippel, Frederike (2013): „Übung macht den Meister - Practice makes perfect. Von den langweiligen Aspekten des Sprachenlernens“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (1), 38-49. Koenig, Michael (1994): „Übungen selbst machen oder: Wie man von alten Pfaden abweicht“. In: Fremdsprache Deutsch 1, 14-17. <?page no="150"?> Hélène Martinez 150 Koenig, Michael (2005): „Grammatikübungen unter der Lupe: Impulse für Lehrwerkplanung und Unterrichtsebene“. In: französisch heute 36 (2), 148- 176. Koenig, Michael (2014): Geni@l Klick. Lehrerhandbuch B1. München: Klett/ Langenscheidt. Leupold, Eynar (2002): Französisch unterrichten: Grundlagen - Methoden - Anregungen. Seelze-Velber: Kallmeyer. Le Boterf, Guy (2009): Repenser la compétence. Paris: Eyrolles. Littlewood, William (2004): „The task-based approach: some questions and suggestions“. In: ELT Journal 58 (4), 319-326. Martinez, Hélène (2013): „From Standards to tasks and vice versa - Challenges in foreign language learning and teaching“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (2), 99-114. Martinez, Hélène/ Meißner, Franz-Joseph (2016): „Sprachlernkompetenz“. In: Tesch, Bernd/ von Hammerstein, Xenia/ Stanat, Petra/ Rossa, Henning (2014): Bildungsstandards aktuell: Englisch/ Französisch in der Sekundarstufe II. Braunschweig: Diesterweg, 220-243. Meißner, Franz-Joseph/ Beckmann, Christine/ Schröder-Sura, Anna (2008): Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas für die Schule nutzen (MES). Zwei deutsche Stichproben einer internationalen Studie in den Klassen 5 und 9 zu Sprachen und Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr Menzel, Wolfgang (2000): „Kein reines Vergnügen. Grundprinzipien des Übens“. In: Friedrich Jahresheft XXII, 10-13. Neveling, Christiane (2004): Wörterlernen mit Wörternetze. Eine Untersuchung zu Wörternetzen als Lernstrategien und Forschungsverfahren. Tübingen: Narr. Portelli, Patricia (1996): „Editorial“. In: Les Sciences de l’éducation pour l’ère nouvelle 39 (1-2), 5-19. Renkl, Alexander (2005): „Automatisierung allein reicht nicht aus. Üben aus kognitionspsychologischer Perspektive“. In: Friedrichs Jahresheft XXII, 16- 19. Rösler, Dietmar (2013): „Erfüllen Aufgaben ihre Aufgabe? Ein Blick in den akademischen Diskurs“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (2), 41-54. Segermann, Krista (1997): „Testen und Üben: Gemeinsamkeiten und Unterschiede“. In: Gardenghi, Monica/ O’Connel, Mary (Hrsg.): Prüfen, Testen, Bewerten im modernen Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a.M.: Lang, 81- 93. Siebold, Jörg (2007): „‚Aufgabe/ Task‘ und ‚Übung/ Exercice‘“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 4, 63-64. Ur, Penny (1996): A Course in Language Teaching. Practice and Theory. Cambridge: Cambridge University Press. Viau, Rolland (2003): La motivation en contexte scolaire. Bruxelles: De Boeck u. Larcier. <?page no="151"?> Zur Frage der (Ir-)Relevanz von Übungen im Fremdsprachenunterricht 151 Weskamp, Ralf (1999): „Ein Gefühl von Authentizität? Lehrer, Schüler und die Konstruktion des fremdsprachlichen Klassenzimmers“. In: Fremdsprachenunterricht 43/ 52 (2), 161-167. Willis, Jane (1996): A Framework for Task-based Learning. Harlow: Longman. <?page no="152"?> Üben im Fremd- und Herkunftssprachenunterricht Grit Mehlhorn Sog. Herkunftssprecher/ innen finden sich vor allem im Unterricht der slawischen Schulfremdsprachen Russisch und Polnisch, die in diesem Beitrag im Fokus stehen. Davon zeugen systematische Differenzierungsangebote für diese Zielgruppe in aktuellen Russischlehrwerken (vgl. Adler et al. 2016) sowie zusätzliche Materialien, die direkt für den Unterricht in diesen Lerngruppen erstellt wurden (z.B. Denisova-Schmidt/ Walach 2014). Schüler und Schülerinnen mit Vorkenntnissen besuchen aber auch den Unterricht der romanischen Sprachen Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch bzw. den Fremdsprachenunterricht der seltener gelernten Sprachen Arabisch, Chinesisch und Türkisch. Im folgenden Beitrag werden Unterschiede bzgl. des Übungsbedarfs von Fremdsprachenlernenden und Herkunftssprechern sowie unterschiedliche Formen des Übens in den Blick genommen. 1 Übungsbegriff Üben und Übung sind Begriffe, die vor allem alltagssprachlich gebraucht werden. Jeder weiß, dass man etwas übt, wenn man es noch nicht ausreichend beherrscht; man verbindet damit ein zielgerichtetes Training mit vielen Wiederholungen, bis sich der gewünschte Effekt einstellt. Dabei gilt: Je mehr, desto besser, denn „Übung macht den Meister“ und Meister fallen bekanntermaßen nicht vom Himmel. Außerdem übt man, um einmal beherrschte Dinge zu bewahren, sei es das Spielen eines Instruments, einen komplexen Bewegungsablauf im Sport oder das Sprechen einer Fremdsprache. Beile (2006, 76) definiert fremdsprachliches Üben als „Versuch, durch Planung und Aufbereitung von Sprachmaterial […] sowie durch Erarbeitung seitens der Lernenden, Jahre von potentiellem natürlichem Sprachkontakt zu ersetzen.“ Übungen lassen sich sprachsystematisch nach der Ausrichtung ihrer Hauptziele klassifizieren. Ein Blick in Lehrmaterialien für die slawischen Sprachen zeigt vor allem Übungen zur Grammatik, häufig getrennt nach Morphologie und Syntax, sowie Übungen zur Lexik und Phraseologie, zur Aussprache, Intonation und Orthografie. <?page no="153"?> Üben im Fremd- und Herkunftssprachenunterricht 153 Neben Aussprache-, Wortschatz- und Grammatikübungen werden Übungen zu kommunikativen Fertigkeiten unterschieden, so zum Leseverstehen, Schreiben, Hörverstehen, Hör-Sehverstehen und Sprechen sowie zur Sprachmittlung, vgl. die entsprechenden Beiträge im Kapitel „Übungen“ in Bausch et al. (2007). Darüber hinaus finden sich hier auch Übungen zur interkulturellen Kommunikation, interaktive, kreative und kommunikative Übungen (ebd.) sowie Beispiele für Übungstypen und -typologien für den Fremdsprachenunterricht. Lernstrategien und -techniken assoziiert man weniger mit dem Thema Üben, aber auch sie müssen für ein effizientes Lernen eingeübt werden. Jede Übung sollte ein konkretes Ziel haben, das auch für die Lernenden transparent ist, damit diese wissen, wozu sie etwas üben und auf welche Weise sie Fortschritte in einer sprachlichen Kompetenz erreichen können. Beile (2006, 75) sieht als langfristiges, übergeordnetes Ziel des Übens „das Erreichen der fremdsprachlichen Kommunikations- und Handlungsfähigkeit in der realen, außerschulischen Situation, begleitet von einer Sprachsensibilisierung und der Fähigkeit, diesen Weg eigenständig weiter zu gehen“. Klippel (2010, 316) zufolge stellen Übungen dabei „das Scharnier zwischen Input und Output dar“; durch offene Übungsformen kann der Übergang von der Übung zur Praxis erfolgen. Dazu müssen Übungen einer bestimmten Progression folgen. Die Herausforderung besteht hier in einer ausreichenden Kleinschrittigkeit. Zu Sprüngen in der Progression kommt es, wenn von Lernenden nach der Erstbegegnung mit Wortschatz und Strukturen im nächsten Schritt eine freie Sprachproduktion unter Verwendung dieser Elemente verlangt wird. Stattdessen sind Scaffolding-Verfahren für die Wahrnehmung, Transformation und Produktion sprachlicher Inhalte sowie individuelle Rückmeldungen notwendig, die den erreichten Kompetenzstand des Lernenden und die Anforderungen des Lerngegenstandes berücksichtigen (vgl. Schmelter in diesem Band). Im Zuge des Task based language learning erfolgte eine Abgrenzung zum Übungsbegriff, vgl. u. a. die Gegenüberstellung von „Aufgabe/ task“ und „Übung/ exercise“ bei Siebold (2007, 63f.). Aber auch die Begriffe ‚Aufgabe‘ und ‚task‘ werden zum Teil unterschiedlich verwendet, wobei der Sprachgebrauch zwischen ‚Aufgabe‘ im Sinne des aufgabenbasierten Lernens und einem alltagssprachlichen Verständnis im Sinne von Aufgabenstellung, Arbeitsanweisung schwankt. Um Übungen von Tests zu unterscheiden, kann man nach dem Ziel der jeweiligen Aktivität fragen: Was übt man bspw. mit einer „Wortschlange“ oder einem Kreuzworträtsel? Lernpsychologisch fragwürdige Übungstypen im Bereich der Grammatik entlarvt Funk (2014). Im Bereich Aussprache - <?page no="154"?> Grit Mehlhorn 154 falls überhaupt vorhanden - beschränkt sich das Repertoire von Lehrwerkangeboten der Schulfremdsprachen oft auf Übungen vom Typ „Hört zu und sprecht nach“ und im Bereich der Intonation auf das Heraushören, ob es sich um eine Frage oder Aussage handelt, was für deutsche Lernende europäischer Fremdsprachen in der Regel gar keine Schwierigkeit darstellt. Da Übung im Vergleich zur Aufgabe im Sinne des Task based language learning das ältere Konzept ist, sind Übungen durch die jüngsten Entwicklungen im Bereich Aufgaben- und Kompetenzorientierung unter einen gewissen Legitimierungsdruck geraten (vgl. Rösler sowie Rymarczyk in diesem Band). Der Begriff ‚Übung‘ klingt angestaubt und nach traditionellen Vermittlungsmethoden; er wird schnell mit verpönten pattern drills und langweiligen Übersetzungsübungen in Verbindung gebracht. Im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) und den Bildungsstandards spielt der Begriff keine Rolle; vielmehr wird die „grundsätzlich dienende Funktion“ der einzuübenden sprachlichen Mittel betont, „wobei die gelingende Kommunikation im Vordergrund steht“ (KMK 2012, 18). Klippel (2010, 316) spricht in diesem Zusammenhang von einer Einengung des Übungskonzepts in der Fremdsprachendidaktik. Während der Schwerpunkt in tasks auf dem Aushandeln von Bedeutungen liege, würden Übungen komplementär stärker als formbezogen angesehen (ebda). Funk et al. (2014, 14) betonen, dass Übungen auf Aufgaben vorbereiten, „indem sie Wortschatz, Aussprache, Strukturen oder einzelne Fertigkeiten gezielt trainieren“. In diesem Sinne äußert sich auch Beile (2006, 76f.), dass nur eine durch Üben aufgebaute Beherrschung des Regelsystems „eine Sprachfähigkeit [erlaube], die die Voraussetzung für die Kommunikationsfähigkeit bildet und integrierter Teil davon werden soll.“ Bliebe das Üben auf den Bereich der Grammatik beschränkt, könne das Ziel der Kommunikationsfähigkeit nie erreicht werden (ebda, 77). 2 Chancen und Herausforderungen des Übens im Unterricht der slawischen Schulfremdsprachen Die Überbetonung der kommunikativen Kompetenzen vermittelt zuweilen den Eindruck, dass die sprachlichen Mittel, denen ja nur noch ‚dienende Funktion‘ eingeräumt wird, sich von selbst einüben würden. In neueren Didaktikeinführungen zu modernen Fremdsprachen finden sich zwar meist Kapitel zur Aufgabenorientierung, aber kaum Ausführungen dazu, wie sprachliche Strukturen oder Aussprache und Intonation vermittelt werden können. Im Unterricht der morphologiereichen slawischen Sprachen muss jedoch viel Zeit investiert werden, bis bestimmte Sprachmittel kommunikativ verwendet werden können; der Gebrauch von formelhaften Wendungen <?page no="155"?> Üben im Fremd- und Herkunftssprachenunterricht 155 (chunks) stößt sehr viel schneller an Grenzen als bspw. im Englischen. Neuere didaktische Entwicklungen aus dem Bereich der Englischdidaktik werden in der Regel als Vermittlungsprinzipien für Fremdsprachen generell dargestellt und häufig auch so rezipiert. In den zweiten und dritten Schulfremdsprachen, die sprachtypologisch nicht so nah mit dem Deutschen verwandt sind und für die generell weniger Unterrichtszeit zur Verfügung steht, gestaltet sich die Umsetzung dieser Prinzipien meist schwierig. Das „Aufbrechen“ von Chunks, das Entdecken grammatischer Strukturen, die Übertragung auf neue Kontexte muss explizit und intensiv geübt und von informativem Feedback begleitet werden. Oft kommt das Üben aus Zeitgründen jedoch zu kurz, so dass sich auch nach mehreren Lernjahren in der Schule weder Flüssigkeit im Sprachgebrauch noch sprachliche Sicherheit einstellen. 3 Übungsbedarf in der Herkunftssprache Vor Herausforderungen ganz anderer Art steht das Üben sprachlicher Mittel im herkunftssprachlichen Unterricht. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die zu Hause (noch) eine andere Familiensprache als Deutsch sprechen, verfügen in der Regel - im Vergleich zu gleichaltrigen Fremdsprachenlernenden - über eine bessere Aussprache und ausgeprägte mündliche Kompetenzen, allerdings beschränkt auf den Wortschatz, informelle Register und die Strukturen, die in der gesprochenen Umgangssprache im familiären Kontext vorkommen. Da die geschriebene Herkunftssprache in ihrem Alltag in der Regel keine Rolle spielt, fällt ihnen das Lesen, vor allem aber das Schreiben in der Herkunftssprache schwer und ist mit entsprechenden Motivationsproblemen verbunden. Auf muttersprachliche Hörer wirkt das sog. „Küchenrussisch“ oder „Küchenpolnisch“ der Herkunftssprecher mit Elementen aus der Kindersprache und sehr einfacher Syntax oft ungebildet; schriftliche Textprodukte können zwar zum Teil verstanden werden, rufen aber aufgrund der gehäuft auftretenden orthografischen und grammatischen Abweichungen zuweilen Heiterkeit oder Bestürzung hervor, so dass die eigentliche kommunikative Absicht verfehlt wird. Herkunftssprecher haben also in anderen Bereichen als Fremdsprachenlernende Übungsbedarf, insbesondere in Bezug auf Fachwortschatz und Bildungssprache, schriftsprachliche Strukturen und formale Textsorten. Rechtschreib- und Stilübungen spielen im herkunftssprachlichen Unterricht daher eine größere Rolle als im Fremdsprachenunterricht (vgl. Böhmer 2016, 145). Die Einsicht, dass sprachbezogene Übungen je nach gelernter Sprache, Alter und Vorkenntnissen der Lernenden einen unterschiedlichen Stellenwert im Unterricht einnehmen dürfen und sollen, erscheint mir eine notwendige <?page no="156"?> Grit Mehlhorn 156 Voraussetzung für die Diskussion von Übungsprinzipien im Fremd- und Herkunftssprachenunterricht. Während Lernenden slawischer Schulfremdsprachen grammatische Phänomene im Unterricht sehr kleinschrittig (z.B. Kasus für Kasus) vermittelt werden, können Herkunftssprecher in der Regel auf eine interne Grammatik zurückgreifen, so dass bei ihnen ein anderer Zugang über das grammatische Konzept möglich ist. Fokussiert werden müssten insbesondere die Bereiche, in denen Unsicherheiten bestehen (z. B. die Schreibung grammatischer Endungen). Auch beim Wortschatz kann an die bereits vorhandene - meist alltagssprachliche - Lexik von Herkunftssprechern angeknüpft werden, um ihr Ausdrucksvermögen gezielt durch altersangemessenen Fachwortschatz zu erweitern und die Lernenden für Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache, passende Wendungen in verschiedenen Textsorten und Registerunterschiede zu sensibilisieren. Im Bereich des Leseverstehens wird im Anfangsunterricht mit Fremdsprachenlernenden zunächst mit sehr kurzen, einfachen und didaktisierten Texten gearbeitet, die allmählich an Umfang und Komplexität zunehmen. Herkunftssprecher mit Vorkenntnissen dagegen können schon früh längere, komplexere und authentische Texte lesen. Sie sollten generell viel lesen, auch um ihr stilistisches Repertoire und ihre Textsortenkompetenzen zu erweitern. Dafür sind literarische und Sachtexte besser geeignet als adaptierte Lehrbuchtexte für Fremdsprachenlernende. Die Lektüren sollten unter variierenden Fragestellungen gelesen werden, um verschiedene Lesestile zu einzuüben. Aus strategischer Sicht können Lesetexte auch für die eigene Sprachproduktion genutzt werden, indem die Schülerinnen und Schüler gezielt nach Formulierungen suchen, die sie in eigene Texte integrieren können. Chancen in Bezug auf das Üben im Unterricht mit Fremdsprachenlernenden und Herkunftssprechern liegen meines Erachtens in einer sinnvollen Kombination von Formfokussierung und Inhaltsorientierung, spielerischen Übungen und motivierenden Übungssettings, die auf eine höhere Lernerautonomie abheben, sowie in binnendifferenzierenden Maßnahmen, die gewährleisten, dass Schüler und Schülerinnen im Unterricht diejenigen Bereiche üben, die ihrem Lernstand entsprechen und in denen sie tatsächlich Übungsbedarf haben. 4 Implikationen aus der Herkunftssprachenforschung für das Üben im Unterricht Empirische Studien, die den Sprachgebrauch von Herkunftssprechern untersuchen (z. B. Böhmer 2015 zur Biliteralität von Jugendlichen im Deut- <?page no="157"?> Üben im Fremd- und Herkunftssprachenunterricht 157 schen und Russischen), helfen Bereiche für konkreten Übungsbedarf zu identifizieren. Während linguistische Studien in erster Linie grammatische Strukturen und zum Teil auch orthographische Schwierigkeiten fokussieren und sich für Kontaktphänomene zwischen Herkunftssprache und Umgebungssprache wie Code Switching interessieren, können mit umfassenderen Sprachstandserhebungen (z.B. im Rahmen des Forschungsprojekts zur Untersuchung des Potenzials von Herkunftssprechern im Russischen und Polnischen, vgl. Brehmer/ Mehlhorn 2015) auch kommunikative Kompetenzen untersucht und aufgedeckt werden, was Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund in ihrer Herkunftssprache - auch im Vergleich zu Fremdsprachenlernenden - bereits gut beherrschen und welche Domänen verbesserungswürdig sind. So zeigen bspw. die Ergebnisse aus den getesteten mündlichen Sprachmittlungsaufgaben im o. g. Projekt, dass viele jugendliche Herkunftssprecher in beiden Sprachen vergleichsweise flüssig agieren und sinnvolle Strategien wie Paraphrasieren verwenden, aber unsicher bezüglich der Gesprächseröffnung und Anrede in formellen Gesprächssituationen sind und häufig bei bestimmten Wendungen (z. B. für deutsch „mit der U-Bahn“ statt standardpolnisch „metr-em“) in der Herkunftssprache zu Sprachmischungen („U-Bahn-em“) greifen, die zwar von anderen in Deutschland lebenden Herkunftssprechern, nicht jedoch von polnischen Muttersprachlern ohne Deutschkenntnisse verstanden werden. Darüber hinaus werden kulturspezifische Begriffe nicht unbedingt als solche erkannt und in der Ausgangssprache belassen. Sprachmittlungsaufgaben und Sprachvergleiche zwischen der migrationsspezifischen Varietät und der im Herkunftsland verwendeten Standardsprache haben daher einen wichtigen Platz im herkunftssprachlichen Unterricht (vgl. den Rahmenlehrplan Herkunftssprachen Rheinland-Pfalz, MBBWK 2012). Da Herkunftssprachenunterricht einen eigenen Typus von Sprachunterricht präsentiert (vgl. Reich 2014), der auf den in der Primärsozialisation erworbenen Sprachkompetenzen aufbaut, muss die Entwicklung der kommunikativen Fertigkeiten nicht so kleinteilig erfolgen wie im Fremdsprachenunterricht. So kann beim Hör-/ Hörsehverstehen die gesamte Bandbreite von muttersprachlichem Input z. B. in Form von Filmen, Dokumentationen und Vorträgen zum Einsatz kommen (vgl. Kagan & Dillon Source 2001, 513), beim Sprechen kann der Schwerpunkt früher auf Präsentationen und Diskussionen gelegt werden. Die interne Grammatik der Herkunftssprecher erlaubt bereits früh expansive Schreibaufgaben mit Konzentration auf den Inhalt und allmähliche Verbesserung von Orthografie, Grammatik und Stil. Die Arbeit an der Orthografie sollte jedoch explizit und kleinschrittiger erfolgen als mit Fremdsprachenlernenden. Während Fremdsprachenlernende die neue Sprache über die Schrift lernen und von Beginn <?page no="158"?> Grit Mehlhorn 158 an darauf orientiert werden, die geschriebene Form mit der Lautform zu verbinden, haben Schüler mit Migrationshintergrund ihre Herkunftssprache in erster Linie mündlich erworben. Wenn bei ihnen die Alphabetisierung und das Erlernen der Schriftsprache erst im Jugendalter erfolgt, ist ein wesentlich höherer Aufwand notwendig, um ein korrektes Schriftbild für die bereits vorhandenen Lautformen zu etablieren, da Herkunftssprecher stärker als Fremdsprachenlernende zu einer phonetischen Schreibweise neigen: Sie schreiben, wie sie ihre Sprache hören bzw. sprechen und sind demzufolge stärker auf eine Bewusstmachung hinsichtlich der Phonem-Graphem- Beziehungen, Wortbildungsregularitäten, orthografischer und grammatischer Regeln angewiesen. Übungsformen wie Diktate, die im Fremdsprachenunterricht eine eher untergeordnete Rolle spielen, haben im Unterricht mit Herkunftssprechern durchaus eine Berechtigung. 1 Dass viele Herkunftssprecher relativ flüssig sprechen können, bedeutet nicht, dass sie im mündlichen Bereich keinen Übungsbedarf mehr hätten. Aus den genannten Untersuchungen zum Sprachgebrauch von bilingual aufwachsenden Jugendlichen geht hervor, dass der Kontakt zur Herkunftssprache mit Eintritt in die Schule stark abnimmt und während der Schulzeit immer stärker durch die wesentlich dominantere Umgebungssprache Deutsch zurückgedrängt wird. Dem drohenden Sprachverlust in der Herkunftssprache kann durch gezielte kommunikative Übungen und Aufgaben im Sinne des Task based language learning entgegengewirkt werden. Dabei sollten die Herkunftssprecher in die Lage versetzt werden, ihre Meinung auch in Diskussionen und kritischen Interaktionen selbstbewusst zu vertreten. Gleichzeitig stellen geschlossene Übungen wie Lückentexte und Zuordnungsübungen nicht den Königsweg zu einer besseren Rechtschreibung dar. Es geht vielmehr darum, dass die Schüler lernen, auf Orthographie, Wortwahl und Grammatik in ihren schriftlichen Textproduktionen zu achten, bei Unsicherheiten Nachschlagewerke zu konsultieren sowie ihre Textentwürfe gezielt zu berichtigen und zu überarbeiten. Hierfür benötigen sie individuelles Feedback (vgl. Kleppin in diesem Band), nicht nur zu einzelnen sprachlichen Formen, sondern auch zur Kohärenz, zum Inhalt und Aufbau ihrer Sprachproduktionen. Ein Desiderat im Rahmen einer noch auszuarbeitenden Herkunftssprachendidaktik (vgl. Böhmer 2016, 148) stellt die Entwicklung von Übungstypologien und Aufgabenszenarien dar, die den Lernbedürfnissen 1 Spezielle Übungen für Herkunftssprecher des Polnischen befinden sich auf der Lernplattform Na końcu języka (www.nakoncujezyka.uni-freiburg.de), die aus einem Forschungsprojekt zur Herkunftssprache Polnisch hervorgegangen ist (vgl. Besters-Dilger et al. 2016). <?page no="159"?> Üben im Fremd- und Herkunftssprachenunterricht 159 der Herkunftssprecher nach systematischer Bewusstmachung sprachlicher Regeln und dem Ausbau der Schriftsprache entgegenkommt, ohne in Übungsabläufe der Grammatik-Übersetzungs-Methode zurückzuverfallen. Gleichzeitig besteht großer Forschungsbedarf in diesem Bereich, denn über das Übungsgeschehen im herkunftssprachlichen Unterricht ist - abgesehen von vereinzelten Studien wie Kress (2014) - bisher wenig bekannt. 5 Üben in der Fremdsprachenlehrerausbildung Da das Üben im täglichen Unterrichtsgeschehen eine zentrale Rolle spielt, sollten es auch in der Lehrerausbildung reflektiert werden. Bei der Begleitung von Studierenden im Rahmen der sog. „schulpraktischen Übungen“ (auch Unterrichten muss geübt werden) beobachte ich immer wieder, dass Studierende überrascht sind, wenn in der letzten Unterrichtsstunde eingeführter Wortschatz oder „behandelte“ Strukturen bei den Schülerinnen und Schülern nicht abrufbereit angewendet werden können. Obwohl sie selbst auch Fremdsprachenlernende sind, scheinen viele Lehramtsstudierende eigene Sprachlernerfahrungen bei der Unterrichtsplanung und -durchführung auszublenden. Sercu (2013, 244) zufolge kann Orientierungslosigkeit von Lehrenden in Bezug auf Übungsformen und -sequenzen zu Verwirrung im Unterricht und ineffektivem Lernen führen. Aus didaktischer Sicht erscheint es mir daher wichtig, angehenden Fremdsprachenlehrenden bewusst zu machen, dass nicht jede Aktivität im Fremdsprachenunterricht und jedes Lehrwerkangebot eine (sinnvolle) Übung darstellt - man denke nur an Übungen, die eine kognitiv flache Bearbeitung im „Autopilotmodus“ erlauben - und dass die Auswahl von Übungen sich nach den angestrebten Lernzielen statt nach der Reihenfolge im Lehrwerk richten sollte. In der Lehrerausbildung sollten daher Alltagsvorstellungen und subjektive Sichtweisen von Lehramtsstudierenden im Hinblick auf Übungsprinzipien thematisiert und Möglichkeiten zu ihrer Relativierung eingeräumt werden (vgl. Mehlhorn 2009). Darüber hinaus scheint es mir für die Lehrerausbildung wichtig, angehende Lehrende zu befähigen, Übungsbedarf von Lernenden diagnostizieren zu können, aus Lehrwerkangeboten geeignete Übungen auszuwählen, für die Bedürfnisse der Lernenden zu adaptieren und zu variieren, selbst Übungen zu erstellen und diese auf ihre Qualität im Hinblick auf das Lernziel einzuschätzen (vgl. auch Funk et al. 2014, 15). Für den Unterricht mit heterogenen Lerngruppen aus Fremdsprachenlernenden und Herkunftssprechern sollten die angehenden Lehrkräfte zudem lernen, Übungsangebote entsprechend den Vorkenntnissen zu differenzieren, eine sinnvolle Progression <?page no="160"?> Grit Mehlhorn 160 einzuhalten und individuelles Feedback zu geben, das sich an den bereits vorhandenen Kompetenzen der Lernenden orientiert. Literatur Adler, Iris/ Boiselle, Thomas/ Breitsprecher, Rima/ Chwoika, Ariana/ Heller, Maria/ Müller, Jana/ Nadchuk, Elena/ Seidel, Astrid/ Semashkina, Lidiya/ Steinbach, Andrea (2016): Dialog 1. Schülerbuch für den Russischunterricht. Berlin: Cornelsen. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) ( 5 2007): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke. Beile, Werner (2006): „Üben und Übungsformen“. In: Jung, Udo O.H. (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt a.M. u. a.: Peter Lang, 74-81. Besters-Dilger, Juliane/ Anna Dąbrowska/ Krajewski, Grzegorz/ Żurek, Anna (Hrsg.) (2016): Utrata i odzyskiwanie języka polskiego. Językoznawcze i glottodydaktyczne aspekty niepełnej polsko-niemieckiej dwujęzyczności (= Verlust und Erhalt der polnischen Sprache. Linguistische und glottodidaktische Aspekte der unvollständigen polnisch-deutschen Zweisprachigkeit). Sędziejowice: Leksem. Böhmer, Jule (2015): Biliteralität. Eine Studie zu literaten Strukturen in Sprachproben von Jugendlichen im Deutschen und im Russischen. Münster: Waxmann. Böhmer, Jule (2016): „Ausprägungen von Biliteralität bei deutsch-russisch bilingualen Schülern und die daraus resultierenden Konsequenzen für den schulischen Russischunterricht“. In: Rosenberg, Peter/ Schroeder, Christoph (Hrsg.): Mehrsprachigkeit als Ressource in der Schriftlichkeit. Berlin: De Gruyter, 127-151. Brehmer, Bernhard/ Mehlhorn, Grit (2015): „Russisch als Herkunftssprache in Deutschland. Ein holistischer Ansatz zur Erforschung des Potenzials von Herkunftssprachen“. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 26 (1), 85-123. Denisova-Schmidt, Elena/ Walach, Evelyn (2014): Erfolgreich unterrichten in heterogenen Lerngruppen. Methoden für den Einsatz im Russischunterricht. Eisenstadt: E. Weber Verlag. Europarat (Hrsg.) (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin u.a.: Langenscheidt. Funk, Hermann (2014): „Übungsformen im fremdsprachlichen Grammatikunterricht“. In: Dengscherz, Sabine/ Businger, Martin/ Taraskina, Jaroslava (Hrsg.): Grammatikunterricht zwischen Linguistik und Didaktik. DaF/ DaZ lernen und lehren im Spannungsfeld von Sprachwissenschaft, empirischer Unterrichtsforschung und Vermittlungskonzepten. Tübingen: Narr Francke Attempto, 183-197. <?page no="161"?> Üben im Fremd- und Herkunftssprachenunterricht 161 Funk, Hermann/ Kuhn, Christina/ Skiba, Dirk/ Spaniel-Weise, Dorothea/ Wicke, Rainer E. (2014): Aufgaben, Übungen, Interaktion. München: Klett- Langenscheidt. Kagan, Olga/ Dillon Source, Kathleen (2001): „A new perspective on teaching Russian: Focus on the heritage learner“. In: The Slavic and East European Journal 45 (3), 507-518. Kleppin, Karin (in diesem Band): „Üben und Trainieren mit und ohne Hilfestellung“, 102-110. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar: Metzler, 314-317. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch / Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlich ungen_beschluesse/ 2012/ 2012_10_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf (15.05.2016). Kress, Beatrix (2014): „,Was habt Ihr Neues erfahren, wovon Ihr vorher nichts wusstet? ‘ Diskursive Formen der Wissensverarbeitung im russischen Sprachförderunterricht.“ In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19 (1), 169-182. http: / / zif.spz.tu-darmstadt.de/ jg-19-1/ beitrag/ Kress.pdf (15.05.2016). MBWWK - Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur (2012): Rahmenplan Herkunftssprachenunterricht für die Grundschule und die Sekundarstufe I. Mainz. Mehlhorn, Grit (2009): „ , Wir haben einfach zu wenig Sprachpraxis an der Uni! ‘ Subjektive Sichtweisen von Lehramtsstudierenden zum Fremdsprachenlernen“. In: Polleti, Axel (Hrsg.): Sprachen als akademische Schlüsselkompetenz? Bochum: AKS, 83-90. Reich, Hans H. (2014): „Über die Zukunft des herkunftssprachlichen Unterrichts. Überarbeitete Fassung eines Vortrags bei der GEW Rheinland-Pfalz in Mainz am 31.01.2012“. http: / / www.uni-due.de/ prodaz/ aktuelles_archiv.php (15.05.2016). Rösler, Dietmar (in diesem Band): „Etüde für Übungsforscher“, 172-180. Rymarczyk, Jutta (in diesem Band): „Üben im Fremdsprachenunterricht“, 181- 190. Schmelter, Lars (in diesem Band): „ „Lerne Sprachen, übe Sie! Das erspart Dir Zeit und Müh.“ - Zugriffe auf das Üben beim Lernen von Fremdsprachen aus der Perspektive des handelnden Subjekts“, 191-199. Sercu, Lies ( 2 2013): „Exercise type and grading“. In: Byram, Michael/ Hu, Adelheid (Hrsg.): Routledge encyclopedia of language teaching and learning. London, New York: Routledge, 242-245. Siebold, Jörg (2007): „,Aufgabe/ Task und , Übung/ Exercise “. In: PRAXIS Fremdsprachenunterricht 4, 63-64. <?page no="162"?> Übung(en) im Fremdsprachenunterricht - Perspektiven der Fremdsprachenerwerbsforschung Claudia Riemer 1 Ausgangslage Auf die Notwendigkeit von Übungen bzw. des Übens für die erfolgreiche Ausführung einer angestrebten Zieltätigkeit wird insbesondere dann verwiesen, wenn es um die technisch richtige Abfolge schnell zu koordinierender Einzelsequenzen geht, wie z.B. beim Sport und beim Musizieren. „Meisterschaft“, Virtuosität erlangt ein Pianist oder Leichtathlet nur auf der Basis eines soliden Fundaments - wenn die technischen Grundlagen automatisiert sind, also mühelos abrufbar sind und keine ständige Aufmerksamkeitsallokation benötigen. Auch für das Fremdsprachenlernen wird gern auf diese Rhetorik zurückgegriffen. Auffällig ist aber, dass „Übung“ als Stichwort in Theorien des Fremdsprachenerwerbs kaum auftaucht. Wenn die Frage „Does practice make perfect? “ am Rande auftaucht, wird sie aus der Forschungsperspektive recht deutlich verneint (vgl. exemplarisch Ellis/ Shintani 2014, 98ff.; Willis 1996). Auch für Fremdsprachenlernende ist es eine Alltagserfahrung, dass hartnäckiges Üben - in welcher Form auch immer - in der Regel nicht zu virtuosem, also flüssigem, weitgehend fehlerfreiem und pragmatisch angemessenem Sprachgebrauch führt. Niemand wird aber grundsätzlich Zweifel daran haben, dass Üben das Fremdsprachenlernen voranbringt und der vollständige Verzicht auf Üben dem Fortgang des Fremdsprachenerwerbs nicht zuträglich wäre. Welche Rolle Übung bzw. die Ausführung von Übungen beim Fremdsprachenlernen aus der Perspektive der Fremdsprachenerwerbsforschung spielen (können), soll in meinem Beitrag im Zentrum stehen. Welche Kriterien „gute“ Übungen erfüllen sollen und welche Kompetenzen Lehrende benötigen, um zielgerichtet geeignete Übungen auszuwählen, wird dabei mit in den Blick genommen. 2 Annäherung an eine Begriffsbestimmung Mit der Beherrschung einer Zweit- oder Fremdsprache wird gewöhnlich sowohl das (implizite oder explizite) Sprachwissen wie das Sprachkönnen verbunden, das sich in einer weitgehend fehlerfreien wie flüssigen, vermeint- <?page no="163"?> Übung(en) im Fremdsprachenunterricht 163 lich mühelosen Sprachproduktion beweist. Fremdsprachenunterricht zielt auf eine solche Sprachbeherrschung (auch) als Ergebnis von aktiven und durch Unterricht unterstützten Lernaktivitäten - und die Ausführung von Übungen gehört hier dazu. Im Folgenden wird ein eher enger Übungsbegriff vorgeschlagen: Mit Übungen bzw. exercises werden in diesem Statement in Abgrenzung zu Aufgaben bzw. tasks zeitlich begrenzte Aktivitäten im Fremdsprachenunterricht bezeichnet, die so konstruiert sind, dass sie gezielt spezifische sprachliche Einzelelemente als Lerngegenstand im Rahmen eher kleinschrittiger und zeitlich begrenzter Formate adressieren, die in ihrer Durchführung auf geringe Variation und nicht auf freie Produktion angelegt sind. Sie verfolgen insbesondere das Ziel, die Lernprozesse der Lernenden zu unterstützen, Gelerntes durch Wiederholung zu sichern sowie - allgemein ausgedrückt - die produktiven und rezeptiven Fertigkeiten der Lernenden zu verbessern. Übungen werden in der Regel im Rahmen von Unterrichtssequenzen bzw. außerunterrichtlichen Selbstlerntätigkeiten eingesetzt, die auf das prozedurale Können und weniger auf das deklarative Wissen zielen, dabei Aufmerksamkeit auf das fokussierte sprachliche Einzelelement lenken und Wiederholungen als probates Mittel betrachten. Übungen implizieren eine geringe Fehlertoleranz, sie unterliegen festgelegten Lösungswegen; korrektives Feedback spielt eine wichtige Rolle. Übungen adressieren in der Regel die fremdsprachlichen Fertigkeiten (Hör-, Sprech-, Lese-, Schreib- und Übersetzungsübungen; Letztere spielen insbesondere im DaF-Unterricht nicht deutschsprachiger Länder mitunter noch eine wichtige Rolle) bzw. ausgewählte grammatische, lexikalische, phonetische und auch pragmatische Einheiten, die gerade neu im Unterricht eingeführt wurden oder wiederholt werden sollen. Es kann sich um gedächtnisfördernde Übungen zur Lexik handeln, Grammatikübungen in Form von Lückenübungen, Sprechübungen, bei denen Routineformeln angewendet werden, Ausspracheübungen, die den Sprechapparat an ungewohnte Zungenstellungen oder Lippenrundungen gewöhnen sollen, und vieles andere mehr. Das Spektrum von Übungstypen und Übungsformen ist reichhaltig, Systematisierungsversuche liegen vielfältig vor. So widmete die erste Auflage des Handbuchs Fremdsprachenunterricht den Übungen insgesamt zehn Artikel (Bausch/ Christ/ Hüllen/ Krumm 1989, Art. 37-46). Schwerdtfeger (1989, 188) beklagt die bis heute gültige Situation, dass zu Übungen wenig geforscht wird und darüber hinaus unscharfe und widersprüchliche Terminologien verwendet werden. Die 6., vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage des Handbuchs Fremdsprachenunterricht (Burwitz-Melzer/ Mehlhorn/ Riemer/ Bausch/ Krumm 2016) hält keine eigenen Artikel zu Übungen vor; Übungen sind inhaltlich den Artikeln zu den unterschiedlichen Kompetenzbereichen zugeordnet und <?page no="164"?> Claudia Riemer 164 finden sich auch in den Artikeln zu Lehr-/ Lernmaterialien und Medien wieder. 3 Lerntheoretische Verortung des Übens Die Rolle bzw. die Relevanz, die Übung und Übungen eingeräumt wird, hängt vom zugrunde liegenden Lernkonzept ab, das Lehrende, Lernende und auch Lehrwerke sowie andere Lernmedien (darunter auch Apps) und ganze Medienverbünde bzw. deren Autoren und Konstrukteure implizit oder explizit verfolgen. Wurde im Rahmen der kommunikativ-pragmatischen Wende unter Abwendung von behavioristischen Ansätzen noch intensiv über die Rolle des Übens, die Funktion und die Ausgestaltung von Übungen sowie über die Konstruktion kommunikativer Übungstypologien (vgl. exemplarisch Neuner/ Krüger/ Grewer 1981) nachgedacht, so ist es heutzutage sowohl in der Fremdsprachendidaktik als auch in der Fremdsprachenerwerbsforschung (mit wenigen Ausnahmen, wie z.B. DeKeyser 2007) recht ruhig um dieses Thema geworden. Dies bedeutet aber keineswegs, dass Übungen keine Rolle mehr in der Realität des Fremdsprachenlehrens und -lernens spielen. Ursachen für diese Vernachlässigung liegen sicherlich auch darin begründet, dass Übungen - wenn man mit ihnen eher mechanische, rein repetitive und monotone Lernaktivitäten und weniger interaktive und bedeutungsvolle Tätigkeiten verbindet - nach wie vor schnell in den Verdacht von habit formation geraten, was zwar kurzfristig fehlerfreie und flüssige zielsprachliche Produktionen ermöglicht, aber nicht nachhaltig Spracherwerb bedeutet. Dass nicht jedes Üben zum gewünschten Erfolg führt, ist nach Ablösung der audio-lingualen Methode zum fremdsprachendidaktischen Allgemeingut geworden. Die Frage, ob und wie sprachliche Einzelelemente beim Fremdsprachenlernen behandelt werden können/ sollen/ müssen, um gute Lernfortschritte zu erzielen, ist damit allerdings nicht aufgelöst. Eine Verortung von Übungen im Rahmen des sogenannten PPP-Sequenzmodells - in der Regel umgesetzt in der Abfolge presentation-practice-production - versucht(e) sicherzustellen, dass Übungen nicht isoliert um ihrer selbst willen und in Überschätzung ihrer Lerneffekte auftreten, sondern als Vorstufe bzw. vorkommunikative Annäherung eine spätere Anwendung in komplexeren Aufgaben vorbereiten und dadurch überhaupt erst ermöglichen. Übungen folgen danach auf eine Unterrichtsphase, in der der Lernstoff eingeführt wurde, und dienen der ersten Einprägung und Anwendung des Lerngegenstands, bevor er in Formaten frei(er)er Sprachproduktion verwendet und dabei gefestigt wird - so die Vorstellung, dass Übungen die korrekte Anwendung des Sprachgegenstands und damit seine Verfügbarkeit in der späteren <?page no="165"?> Übung(en) im Fremdsprachenunterricht 165 Sprachproduktion fördern. Spätestens seit der kommunikativen Didaktik wird großer Wert auf die situative Einbindung von Übungen sowie das Überleiten von kleinschrittigeren Übungen zur Sprachpraxis gelegt, was sich bis heute auch in den Lehrwerken nachweisen lässt. PPP war und ist im Fremdsprachenunterricht an vielen Orten der Welt vorherrschend, teils auch in uminterpretierten Varianten, die stärker auf Induktion und lernerorientierte Formate setzen (z.B. wird dann das erste P [presentation] an eine spätere Stelle in der Lernsequenz gerückt). PPP ist nicht nur in der Fachdidaktik der fremdsprachlichen Fächer ein bis heute in der Lehrerausbildung vermitteltes und in der Praxis dominantes Verfahren. Eine partielle - bzw. je nach Sichtweise strikte - Ablösung erfolgte durch die sogenannte Aufgabenorientierung bzw. task based research/ task based language learning (TBL). Nach diesem auch in Deutschland inzwischen sehr prominenten Ansatz gelingt Förderung des Spracherwerbs eher durch situativ eingebetteten, bedeutungsvollen Sprachgebrauch in (quasi-) authentischen Szenarien und weniger durch gezieltes Üben ausgewählter kleinerer Spracheinheiten. Eine Abkehr von stark lehrerzentrierten Verfahren ist diesem Ansatz inhärent, Lernende sollen frühzeitig aktiviert und zu bedeutungsvollem Sprachhandeln geleitet werden. Auch die Frühjahrskonferenz hat sich mit diesem promimenten Ansatz frühzeitig auseinandergesetzt (vgl. Bausch/ Burwitz-Melzer/ Königs/ Krumm 2005). PPP-Modelle werden vehement im Rahmen TBL-basierter Ansätze zurückgewiesen. Die Wahl des Themas der Frühjahrskonferenz 2016, das eine kollegiale Mehrheitsentscheidung der Frühjahrskonferenz 2015 ist, könnte als ein Indiz dafür gewertet werden, dass die Aufgabenorientierung wieder kontroverser diskutiert wird - möglicherweise sogar dafür, dass sie auf Widerstände stößt und sich letztlich weder in der fachdidaktischen Diskussion in Deutschland noch in der Praxis durchsetzen kann. Mit Blick auf die Beiträge in diesem Band ergibt sich aber eher die Zielrichtung, die Grundsätze des aufgabenorientierten und kommunikativen Fremdsprachenunterrichts mit offenen Fragen rund um die Rolle von Übung und Übungen für den nachhaltigen Wissens- und Könnenserwerb in Einklang zu bringen (vgl. hierzu auch Rösler 2013 sowie die anderen Beiträge in Hallet/ Legutke 2013). Im Folgenden findet der Versuch statt, einige offene Fragen aufzugreifen und hinsichtlich der Relevanz des Übens bzw. von Übungen aus lernpsychologischer Sicht einige unterstützende Argumente, aber auch Einschränkungen zu liefern. <?page no="166"?> Claudia Riemer 166 4 Motivation Erfolgreiches Fremdsprachenlernen ist nach Erkenntnisstand der L2- Motivationsforschung u.a. ein Ergebnis einer anhaltenden Motivation, die ausreichend Gründe und Ansporn für das initiale und anhaltende Ausüben von Aktivitäten liefert, die das Lernen unterstützen. Insbesondere Prozesstheorien beschäftigen sich mit der Entwicklung damit verbundener Willensbildungsprozesse (vgl. exemplarisch Dörnyei/ Ottó 1998). Misserfolg beim Fremdsprachenlernen könnte demzufolge als ein Ergebnis nicht ausreichendes Übens betrachtet werden, dessen Ursache z.B. in unzureichender Motivation begründet liegt. Eine solche Betrachtungsweise unterstreicht die besondere Rolle, die die Motivation als einer der wichtigsten Faktoren für erfolgreiches Fremdsprachenlernen spielt, weil motivierte Lernende bereit sind, die notwendige Mühe zu investieren, also auch ausreichend zu üben. Bereits Gardner (1985, 50) betont in seinem prominenten socio-educational model, dass motiviertes Lernen folgende Komponenten enthält: „a goal, effortful behaviour, a desire to attain the goal and favourable attitudes toward the activity in question.“ Zum effortful behavior gehört u.a. die regelmäßige Bereitschaft, Übungen und andere Lernaktivitäten tatsächlich auch durchzuführen. Die Effektivität solchen Tuns könnte aus anderer Perspektive durch die Attributionstheorie erklärt werden, wonach Erfolgserlebnisse, die Lernende auf eigenes Tun zurückführen, die Selbstwirksamkeit der Lernenden stärken und sie für das Weiterlernen motivieren. Übungen können insofern schnelle Motivatoren - aber auch De-Motivatoren! - sein, wenn unmittelbares positives oder negatives Feedback in der Übungssequenz erfolgt. 5 Sprachlerneignung und Lernstil Die neuere Forschung hat den Faktor Sprachlerneignung, den für erfolgreiches Fremdsprachenlernen nachgewiesenermaßen einflussreichsten Lernerfaktor, neu beleuchtet. Aufgrund der besonderen Geschichte, die mit diesem Forschungsthema verbunden ist (salopp zusammengefasst: Erst wurden Eignungstests entwickelt, dann wurde diskutiert, was diese Tests eigentlich messen und wie man das vielleicht noch besser messen kann), blieb die Frage nach den zugrunde liegenden Konstrukten dieses Lernerfaktors lange Zeit weitgehend unbefriedigend beantwortet. Insbesondere die Kognitionspsychologie und neuere gedächtnistheoretische Ansätze haben hier wesentliche Einsichten geliefert, die darauf hindeuten, dass sich die Befähigung zum Fremdsprachenlernen in zwei Ausprägungen des Lernstils spiegelt: nämlich bevorzugt entweder auf der Basis analytischer oder aber gedächtnisbasierter <?page no="167"?> Übung(en) im Fremdsprachenunterricht 167 Prozesse zu lernen (vgl. Robinson 2005; Schlak 2008; Riemer 2009). So betrachtet, können diese Forschungen von hoher Praxisrelevanz auch in Bezug auf die Frage sein, von welchen Übungsformen bzw. welchem Spektrum unterschiedlich profilierter Übungen und Lernsequenzen Lernende bestmöglich profitieren können. 6 Aufmerksamkeitsfokussierung Übungen unterstützen Aufmerksamkeitsprozesse der Lernenden, vorausgesetzt sie sind nicht so konstruiert, dass Lernende sie rein mechanisch abarbeiten können (vgl. dazu Börner 2000). Durch die Konstruktion der Übungseinheit werden Lernende dabei unterstützt, ihre fokussierte Aufmerksamkeit auf das ausgewählte sprachliche Element zu lenken (vgl. auch die Diskussion um focus on forms in Abgrenzung zu focus on form, exemplarisch Ellis/ Basturkmen/ Loewen 2002), das die Übung salient und frequent vorhält. In dieser Auffassung spiegelt sich die Inputhypothese, der zufolge die Art und Weise der Darbietung des Lerngegenstands den Spracherwerb beeinflusst. Die Form der Übung, insbesondere stark geschlossene, auf Fehlerintoleranz zielende Übungen, zwingt den Lernenden dazu, explizites oder implizites Wissen in der Sprachproduktion anzuwenden. Nach Auffassung der Output-Hypothese unterstützt insbesondere der pushed output die Entwicklung der Syntax in der Lernersprache; also können Übungen als Anlass für die Anwendung internalisierten Inputs im Output gelten und den Spracherwerb dadurch voranbringen (vgl. allerdings die Einschränkung dieses Arguments im Rahmen der processability theory, s.u.). Da Übungssequenzen im Fremdsprachenunterricht in der Regel in interaktive Strukturen eingebunden sind, sei es durch sofortiges Feedback des Lehrenden im Fremdsprachenunterricht, sei es durch automatische Rückmeldungen von Lernapps und anderen digitalen L2-Übungsangeboten oder ganz altmodischen Lösungsschlüsseln, können Übungen nach einer durch die Interaktionshypothese gestützten Erklärung kognitive Aushandlungs- und Problemlöseprozesse unterstützen und damit den Spracherwerb vorantreiben. Auch wenn es in diesem Forschungskomplex noch viele offene Fragen gibt, insbesondere zur Problemstellung, welches Feedback tatsächlich spracherwerbsförderlich ist, können Übungen bzw. dem gesamten Übungsprozess durch die dort stattfindende Aufmerksamkeitsfokussierung auf bestimmte Merkmale der L2 insgesamt betrachtet eine spracherwerbsförderliche Funktion zugesprochen werden. Allerdings wird offeneren und bedeutungsvollen Formen von Lernaktivitäten mit focus on form (und nicht allein kleinschrittigen Übungsformaten mit focus on forms) deutlich der Vorzug gegeben (vgl. für einen Überblick Ellis 2015a und b). <?page no="168"?> Claudia Riemer 168 7 Wie viel Grammatikübungen im Fremdsprachenunterricht? Übungen sind nicht zuletzt deshalb umstritten, weil ihre Effektivität für den fremdsprachlichen Erwerbsprozess nicht zwangsläufig gesichert ist. Das Gegenteil scheint häufig der Fall zu sein. Gelingen in kontrollierten Übungssequenzen fehlerfreie und relativ mühelose Produktionen, so tauchen insbesondere im Zusammenhang mit grammatischen Lerngegenständen schnell wieder Sprachproduktionsfehler auf, wenn Lernende außerhalb begrenzter Übungen in freieren und freien Produktionen den Stand ihrer Lernersprache auf den Prüfstand stellen. Antworten auf diese, Lernende wie Lehrende gleichermaßen enttäuschende alltägliche Erfahrung liefert die empirisch fundierte processability theory (vgl. Pienemann 1989 sowie den vielfältig dokumentierten Forschungsstand zu Erwerbssequenzen, exemplarisch Diehl/ Christen/ Leuenberger/ Pelvat/ Studer 2000; Ellis 2015a), die für ausgewählte kerngrammatische Bereiche empirische Belege vorlegen kann, dass Lernende für den Erwerb spezifischer, insbesondere morphologischer und syntaktischer Phänomene psycholinguistisch bereit sein müssen, um diese auch tatsächlich zu erwerben. Umgekehrt wurde allerdings auch nachgewiesen, dass Grammatikübungen im erwähnten Gegenstandsbereich dann sehr effektiv sind und den Spracherwerb beschleunigen, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt werden, nämlich in einer Situation, in der die Lernenden sich dem entsprechenden Erwerbsstadium annähern. In der Praxis werden diese Forschungsergebnisse immer noch viel zu wenig zur Kenntnis genommen. Ich vermute (und so spiegelt es sich auch in vielen Gesprächen mit Lehrenden), dass Vorstellungen über die Notwendigkeit einzuhaltender grammatischer Progression bei Lehrenden und Konstrukteuren von Lernmaterialien noch lange nicht überwunden sind. Aber wie viele Stunden Unterrichtszeit würde man für Übungssequenzen in vernachlässigten Bereichen (hier möchte ich die Ausspracheschulung hervorheben) oder in den Spracherwerb vorantreibenden Bereichen (Lexikerwerb! ) gewinnen, würden Lehrende und Lernende endlich damit aufhören, kleinteiliges Üben z.B. der Adjektivdeklination im Deutschen mit Sprachenlernen zu verwechseln. Ob hier die Sprachlern-Apps, an denen derzeit überall gebastelt wird, langfristig einen anderen Weg gehen werden, ist noch nicht absehbar. Bisher deutet sich im Bereich des mobilen Lernens eher eine unangemessene Überbetonung geschlossener, kleinteiliger Übungen an (vgl. Rösler in diesem Band; Schmidt in diesem Band). Der Hinweis, man könnte durch den Verzicht auf wenig erfolgversprechende Aktivitäten (hier: kleinteilige Grammatikübungen) im Fremdsprachenunterricht wertvolle Zeit für andere Dinge gewinnen, lässt sich weiterspinnen, wenn man daran denkt, dass die wichtigste Übung beim <?page no="169"?> Übung(en) im Fremdsprachenunterricht 169 Fremdsprachenlernen allgemein gesagt der Sprachgebrauch ist. Use it or lose it - nichts kann den Sprachgebrauch, insbesondere die mündliche Sprachproduktion, ersetzen. Hier anzuknüpfen wäre ein wesentliches Ziel des Fremdsprachenunterrichts, der häufig immer noch viel zu wenig mündliche Aktivität der Lernenden ermöglicht, die für viele Fremdsprachen auch nicht durch außerunterrichtliche Sprachpraxis kompensiert werden kann. Eine Erhöhung der mündlichen Sprachpraxis sollte dann aber nicht allein durch Drill- oder Wiederholungsübungen geschehen (weil etwa solche Übungen auch in großen Lerngruppen im Extremfall durch Chorsprechen leicht einsetzbar sind), sondern auf die Implementation komplexerer Übungen, unterschiedlicher Sozialformen und interessanter Szenarien setzen, die die aktive Beteiligung der Lernenden fördern, sowohl was ihre affektive als auch ihre kognitive Seite betrifft. 8 Fazit Übungen spielen beim Fremdsprachenlernen weiterhin eine wichtige Rolle; ihre lerntheoretische Verortung wurde allerdings vernachlässigt. Hier muss dringend nachgearbeitet werden, erste Vorschläge wurden in diesem Beitrag geliefert. Die vorgeschlagenen Anknüpfungspunkte sind sicherlich in keiner Weise vollständig (z.B. fehlt die Erörterung der kognitionspsychologischen Diskussion um die Rolle der Automatisierung beim Fremdsprachenlernen). Auch wurde in meinen Überlegungen noch nicht systematisch zwischen Übungen und dem Prozess der Ausführung von Übungen - dem Üben - unterschieden. Dies wäre sicherlich notwendig, auch für die Konzeption von Forschungsprojekten, die die Effektivität von Übungen und die Übungsprozesse selbst empirisch in den Blick nehmen; hier kann gut an Vorarbeiten auch der deutschen Sprachlehrforschung angeknüpft werden (vgl. exemplarisch Börner 1999 und 2000; Eckerth 2003). Auf der anderen Seite ist in den Blick zu nehmen, dass Fremdsprachenlehrende Kompetenzen im Bereich Diagnostik, Beratung und insbesondere in Bezug auf angemessene und effektive Feedbackstrategien benötigen, um Lernenden geeignete Übungen und Übungsanlässe anzubieten und Übungssequenzen lernfördernd zu begleiten. Neben diesen Kompetenzen benötigen Lehrende umfangreiches Handlungswissen zum flexiblen Umgang mit Übungen sowie ein breites Wissen über das Übungsrepertoire und mit Übungen verbundene Gestaltungsmöglichkeiten, um sie entsprechend den individuellen Charakteristiken der Lernenden bedarfsgerecht einsetzen zu können. Voraussetzung hierfür ist, dass sowohl Lehrenden als auch Lernenden die (u.a. sprachbezogene, motivationale) Funktion von Übungen einsichtig ist. <?page no="170"?> Claudia Riemer 170 Literatur Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.) (2006): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Tübingen: Narr. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Hüllen, Werner/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1989): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke. Börner, Wolfgang (1999): „Fremdsprachliche Lernaufgaben“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 10 (2), 209-230. Börner, Wolfgang (2000): „ ‚Das ist eigentlich so ‘ne Übung, wo man überhaupt nicht nachdenken muss‘ - Lernermeinungen zu Grammatikübungen“. In: Riemer, Claudia (Hrsg.): Kognitive Aspekte des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen - Cognitive Aspects of Foreign Language Learning and Teaching. Tübingen: Narr, 323-337. Burwitz-Melzer, Eva/ Mehlhorn, Grit/ Riemer, Claudia/ Bausch, Karl-Richard/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) ( 6 2016): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke. DeKeyser, Robert M. (Hrsg.) (2007): Practice in a Second Language. Perspectives from Applied Linguistics and Cognitive Psychology. Cambridge: Cambridge University Press. Diehl, Erika/ Christen, Helen/ Leuenberger, Sandra/ Pelvat, Isabelle/ Studer, Thérèse (2000): Grammatikunterricht: Alles für der Katz? Untersuchungen zum Zweitsprachenerwerb Deutsch. Tübingen: Niemeyer. Dörnyei, Zoltán/ Ottó, István (1998): „Motivation in action: a process model of L2 motivation“. In: Working Papers in Applied Linguistics 4, 43-69. Eckerth, Johannes (2003): Fremdsprachenerwerb in aufgabenbasierten Interaktionen. Tübingen: Narr. Ellis, Rod ( 2 2015a): Understanding Second Language Acquisition. Oxford: Oxford University Press. Ellis, Rod (2015b): „The importance of focus on form in communicative language teaching“. In: Eurasian Journal of Applied Linguistics 1 (2), 1-12. Ellis, Rod/ Basturkmen, Helen/ Loewen, Shawn (2002): „Doing focus on form“. In: System 30, 419-432. Ellis, Rod/ Shintani, Natsuko (2014): Exploring Language Pedagogy through Second Language Acquisition Research. London u.a.: Routledge. Gardner, Robert C. (1985): Social Psychology and Second Language Acquisition. The Role of Attitudes and Motivation. London: Arnold. Hallet, Wolfgang/ Legutke, Michael K. (Koord.) (2013): Task revisited. Themenschwerpunkt im Heft Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (2). Neuner, Gerhard/ Krüger, Michael/ Grewer, Ulrich (1981): Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht. Berlin u.a.: Langenscheidt. Pienemann, Manfred (1989): „Is language teachable? Psycholinguistic experiments and hypotheses“. In: Applied Linguistics 10, 52-79. <?page no="171"?> Übung(en) im Fremdsprachenunterricht 171 Riemer, Claudia (2009): „Training und Stretching im Fremdsprachenunterricht - Fremdsprachenlerneignung, Lernstile und Lernstrategien“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 38, 18-36. Robinson, Peter (2005): „Aptitude and second language acquisition“. In: Annual Review of Applied Linguistics 25, 46-73. Rösler, Dietmar (2013): „Erfüllen Aufgaben ihre Aufgabe? Ein Blick in den akademischen Diskurs“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 42 (2), 41-54. Rösler, Dietmar (in diesem Band): „Etüde für Übungsforscher“, 172-180. Schlak, Tosten (2008): „Fremdsprachenlerneignung: Tabuthema oder Forschungslücke? Zum Zusammenhang von Fremdsprachenlerneignung, Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenvermittlung“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 19, 3-30. Schmidt, Torben (in diesem Band): „Chocolate-covered Drill & Practice? Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens in Fremdsprachenlern-Apps“, 200-210. Schwerdtfeger, Inge Christine (1989): „Arbeits- und Übungsformen: Überblick“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Hüllen, Werner/ Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.) (1989): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke, 187-190. Willis, Jane (1996): A Framework for Task-Based Learning. Harlow: Longman. <?page no="172"?> Etüde für Übungsforscher Dietmar Rösler Dieser Beitrag ist ein zweiteiliger Versuch, sich der Frage zu nähern, warum die Fremdsprachenforschung ein Problem mit dem Üben hat. Im ersten Teil wird dieser Frage mit Blick auf den Fachdiskurs nachgegangen, im zweiten Teil erfolgt ein Ausflug zu den Sportwissenschaften, die ja nicht im Verdacht stehen, besonders übungsfeindlich zu sein: Wie passen deren Aussagen über das Üben zum fremdsprachendidaktischen Fachdiskurs und zur Praxis des Fremdsprachenunterrichts? 1 Warum es heutzutage (besonders) wichtig ist, sich mit (geschlossenen) Übungen zu befassen Von der Fremdsprachendidaktik überwiegend 1 unbemerkt und kaum kritisch begleitet vollzieht sich im Bereich des außerinstitutionellen Fremdsprachenlernangebots ein nicht unproblematischer Wandel. Programme wie Duolingo verzichten auf Lehrkräfte, sie gehen davon aus, dass über die Foren die Schwarmintelligenz der Lernenden Beratung ersetzen und dass vor allen Dingen durch die Analyse der Aktivitäten einer großen Zahl von Teilnehmern das Lernmaterial kontinuierlich optimiert werden kann. Für eine Fremdsprachenforschung, die im Hinblick auf die quantitative empirische Erforschung des Übens bisher nicht durch übergroßes Engagement aufgefallen ist, könnten mit Big Data spannende Fragen wie die, ob man aus der Analyse der Lernaktivivitäten einer großen Zahl von Nutzern tatsächlich interessante Aussagen über Korrelationen von Lernpfaden, Aufgabentypen und Lernerfolg machen kann, angegangen werden, was verglichen mit den naiven Vorstellungen 2 1 Vgl. aber Falk 2015 und Falk/ Götz (i.V.). der Macher derartiger Programme, wozu Big Data sinnvoll sein könnte, sicher einen interessanten Erkenntnisfortschritt darstellen würde. Durch derartige Lernangebote tauchen für die Fremdspra- 2 „For example, right now we’re teaching adjectives after plurals, so let’s try teaching adjectives first. We pick a subset of 50,000 users and see if they learn better - if they come back more often and make fewer mistakes. We can see the statistics and if they’re positive, switch all users to the new method.“ (von Ahn 2014) <?page no="173"?> Etüde für Übungsforscher 173 chenforschung fundamentale Herausforderungen auf, die an dieser Stelle 3 Für das Thema Übungen ist diese Entwicklung jedoch wichtig, weil in derartigen Lernangeboten eine nicht unbeträchtliche Zahl der Aktivitäten über geschlossene Übungen abläuft. durch die Fokussierung dieses Bandes auf das Üben und auf Übungen jedoch nicht behandelt werden können. 4 Wenn die Wahl der geschlossenen Übungsformen nicht aus ihrer Funktionalität für bestimmte Lernprozesse sondern aus ‚technischen Sachzwängen‘ erfolgt, dann muss die Fremdsprachendidaktik sich besonders intensiv mit dieser Übungsform beschäftigen. Im Augenblick besteht die Gefahr, dass durch schöne Begriffe wie mobiles Lernen usw. übersehen wird, dass hier eine problematische, weil nicht auf seine Funktionalität für das Lernen bezogene Renaissance des geschlossenen Übens erfolgt . 2 Begrifflichkeit: Übungen und Aufgaben Hausaufgaben sind Aufgaben, die ein Lernender im Klassenzimmer erhält, um sie außerhalb dessen zu erledigen. Aus der Perspektive der Lerneraktivität müsste man sie hingegen meistens als Hausübungen bezeichnen. Dieses Beispiel aus dem fremdsprachendidaktischen Alltag weist auf ein begriffliches Schlamassel hin. Prototypisch ist eine Gegenüberstellung von Übungen und Aufgaben einfach - formbezogen und geschlossen die einen, mitteilungsbezogen und offen die anderen -, aber zum einen gibt es dazwischen viele interessante Phänomene, die sich nicht so einfach einem dieser beiden Lager zuordnen lassen 5 , zum anderen ist der fremdsprachendidaktische Sprachgebrauch uneinheitlich. Auch nicht besonders hilfreich ist, dass sich im fremdsprachendidaktischen Diskurs neben ernsthaften Versuchen, die Vielfalt typologisch in den Griff zu bekommen 6 3 Vgl. dazu die Beiträge in Zeyer/ Jones/ Stuhlmann (i.V.). , wie den von Segermann 4 Was nicht verwunderlich ist, denn nur so ist automatisiertes Feedback machbar, da in digitalen Lernangeboten automatisiertes Feedback, dem künstliche Intelligenz zugrunde liegt, (noch? ) nicht möglich ist. 5 Bei geschlossenen Übungen denkt man zuerst an Aktivitäten im Bereich Morphologie und Syntax. Man sollte aber nicht vergessen, dass auch viele Aktivitäten zur Unterstützung des Leseverstehens geschlossen sind und dass selbst Aufgaben zur Reflexion des eigenen Lernverhaltens aus der Perspektive der Lernenden aussehen wie geschlossene Aufgabenstellungen, bei denen es allerdings keine ‚objektiv richtige‘ Antwort gibt sd. nur ihre eigene subjektive. Vgl. zur Ausdifferenzierung von geschlossenen, halboffenen und offenen Übungen und Aufgaben Rösler 2003. 6 Vgl. dazu genauer Würffel (in diesem Band). <?page no="174"?> Dietmar Rösler 174 1994, auch Texte als Typologien bezeichnen, die man wohl eher als Werbetexte für ein kommunikatives Lehrwerk (Neuner/ Krüger/ Grewer 1981) oder als hilfreiche Sammlung von Ausschnitten aus Lehrwerken (Häussermann/ Piepho 1996) bezeichnen sollte (vgl. den Überblick in Rösler/ Ulrich 2003). 3 Die falsche Alternative: Übungen vs. Aufgaben In der allgemeinen Methodendiskussion war der Fokus auf das Üben, wenn auch mit unterschiedlichen Übungsformen, sowohl bei der Grammatik- Übersetzungsmethode als auch bei der sie negierenden audiolingualen Methode unbestritten. Der Statusverlust von Übungen setzt erst ein, als mit der kommunikativen Wende mit ihrem Fokus auf sprachlichem Handeln, Authentizität, Lebensweltbezug usw. den Übungen ein vermeintliches Gegenüber gegeben wird, die Aufgaben (vgl. dazu genauer Rösler 2006). Beschreibungen wie: Die so genannte kommunikative Wende führte in den 70er Jahren zu einer Abkehr von mechanistischen und nach dem behavioristischen Denkmodell konzipierten Übungsformen hin zu Aufgaben, die das Bedeutungspotenzial von Sprache und damit einen Sprachgebrauch fokussierten, der die verschiedenen Fertigkeiten integrativ verband. (Müller-Hartmann/ Schocker-v. Ditfurth 2005, 4) weisen darauf hin, dass mit der Aufgabenorientierung nicht nur eine Erweiterung des Handlungsspielraums der Fremdsprachenlerner und Fremdsprachenlehrer über das Vorratslernen von Formen hinaus zum Handeln mit Sprache und der Aushandlung von Bedeutung stattfindet, sondern dass diese Erweiterung verbunden wird mit einer Abwertung von Übungen und der Beschäftigung mit Aspekten der Form 7 . Das Verhältnis von Übungen und Aufgaben wurde eher zum Teil der Statusdiskussion von Ansätzen als zum Teil einer leidenschaftslosen Bestandsaufnahme 8 7 „Die Verlagerung des unterrichtlichen Schwerpunkts weg von der Formbetrachtung und hin zur funktional angemessenen Verwendung der Fremdsprache lässt bei vielen Betrachtern die Vermutung aufkommen, dass ‚Kommunikation‘ und ‚mündliche Ausdrucksfähigkeit‘ gleichbedeutend mit der Negierung der formalen Sprachbetrachtung seien - dies war weder intendiert noch sinnvoll, gehört aber offenbar zu den sich typischerweise einstellenden Erscheinungen, wenn Paradigmenwechsel anstehen und damit zu Extremen neigende Pendelbewegungen in der Forschung auslösen“ (Königs 2011, 77). über sinnvollen Akti- 8 „Antworten auf die Frage, welche Formen der Präsentation, der Kognitivierung, des Bewusstmachens, des Einübens und so weiter beim Aufbau der funktional- <?page no="175"?> Etüde für Übungsforscher 175 vitäten beim Fremdsprachenlernen. Be- oder gar verhindert wurde dadurch in der Forschung eine genaue vergleichende Beschäftigung mit der Funktion von Übungen und Aufgaben und in der Unterrichtspraxis ein Üben als Basis für erfolgreiches Kommunizieren. Eine Nebenwirkung dieser Statusverschiebung und damit auch ein Indiz für sie war die Tatsache, dass man nun an verschiedenen Stellen verkleidete Übungen fand. Es gab kommunikative Übungen, die eigentlich klassische Formübungen waren (vgl. den Überblick in Rösler 2008), es gibt in Lehrwerken auch neueren Datums Übungen, die glauben, dass sie in Dialogform daherkommen müssen, auch wenn nur ein bestimmtes grammatisches Phänomen geübt werden soll, es gibt bei digitalem Lernmaterial allerlei Tarnungen von Übungen als Wettbewerbe und Spiele. All das verbreitet die gleiche Botschaft: Übungen sind so etwas wie eine bittere Pille, am besten nimmt man sie überhaupt nicht, und wenn schon, dann mit einem großen Teelöffel Zucker (vgl. Schmidt in diesem Band). Nebenwirkung dieser Position: Das Bewusstsein über die simple Tatsache, dass Fremdsprachenlernen Arbeit ist und dass Teil dieser Arbeit das Automatisieren und Üben ist, geht verloren. 4 Assoziationen zu Aussagen aus der Sportpsychologie Ich kenne mich im Fachdiskurs der Sportpsychologie nicht aus, ich nehme deshalb einen Text aus einer kanonisierten Quelle (Enzyklopädie der Psychologie), entnehme daraus einige Aussagen zum Üben und überlege, was die dort gemachten Aussagen zur Motorik wohl für das Fremdsprachenlernen bedeuten könnten. 4.1 Vorübungen? In bestimmten Fällen werden vor die eigentliche Übungsphase Vorübungen geschaltet mit dem Ziel, bestehende konstitutionelle, konditionelle oder koordinative Defizite zu beseitigen. (Munzert/ Hossner 2008, 213) [Hervorhebung im Original - D.R.] Eine Art von ‚Vorübung‘ hatte die Fremdsprachendidaktik mit den phonetischen Vorkursen zu bieten. Die ‚bedeutungslose‘ Beschäftigung mit der Form im Bereich Aussprache hat durch eine Fremdsprachendidaktik, für die das sprachliche Handeln und das Aushandeln von Bedeutungen im Vordergrund stehen, nicht gerade an Popularität gewonnen. Man könnte überlekommunikativen und sprachstrukturellen Kompetenzen (besonders) wirksam sind, finden die Lehrenden selbst in aktuellen Publikationen zum Thema nur selten.“ (Schmelter 2013, 75) <?page no="176"?> Dietmar Rösler 176 gen, ob die Fremdsprachendidaktik sich inzwischen nicht zu selten auf die Frage, ob bestimmte Vorübungen notwendig sind, einlässt. 4.2 Lebenslanges Üben? Nach dem Potenzgesetz der Übung […] nehmen […] die zu Übungsbeginn deutlich feststellbaren Effekte im Laufe der Übungsphase zunehmend ab. (ebda, 213) [Hervorhebung im Original - D.R.]. […] dass es jahrelanger intensiver Übungserfahrungen braucht, um sich der perfekten Ausführung einer sportlichen Bewegungstechnik anzunähern. (ebda, 213) Haben Spitzensportlerinnen und -sportler ihre individuelle technische Leistungsgrenze erreicht, bedarf es darüber hinausgehend täglicher praktischer Übung, um den erreichten Stand nur zu halten. (ebda, 213) Wie intensiv übt man auf den Niveaustufen B2 und C1? Wie gehen fortgeschrittene Lernende mit ihren besonders hartnäckigen Abweichungen von der Norm um, also mit Fehlern, auf die sie im mündlichen Sprachgebrauch mit einer selbstinitierten Selbstkorrektur reagieren und die sie sogar metasprachlich korrekt erklären können? Sollen sie mit ihnen leben oder sie üben? Genereller: Ist es auch bei fortgeschrittenen Lernenden noch sinnvoll, viel Zeit und Energie in das Üben zu stecken oder macht hier Sprachgebrauch statt Übung den Meister? 4.3 Kleinteiliges Üben Zu Beginn des Lernprozesses mag es notwendig erscheinen, erleichterte Übungsbedingungen zu schaffen. (ebda, 213) Eine Besonderheit sportpraktischer Übungsphasen besteht darin, dass etwas anderes geübt wird als das, was als eigentliches Lernprodukt angestrebt wird. (ebda, 213) Es bestehen Überforderungen im Hinblick auf die spezifische koordinative Lösung der Bewegungsaufgabe. In solchen Fällen kommen Übungen unter erleichterten Bedingungen zum Einsatz, in denen zunächst nur Teilfertigkeiten geübt, Hilfestellungen gegeben oder einfachere, aber verwandte Bewegungsaufgaben gestellt werden. (214) [Hervorhebung im Original - D.R.] Derartige Vorgehensweisen sind in der Fremdsprachendidaktik bekannt, z.B. das Auswendiglernen der Stammformen und Einfüllen von Verbendungen in Lücken im Bereich der Grammatik oder in der Ausspracheschulung das kleinschrittige Üben der Sprachmelodie, indem die Lernenden zunächst <?page no="177"?> Etüde für Übungsforscher 177 nur das Ende des Satzes nachsprechen und dann versuchen, rückwärts den Satz Schritt für Schritt aufzubauen. Die für die Fremdsprachenforschung interessante Assoziation ist hier meines Erachtens die Frage, warum derartige Aktivitäten einen schlechten Ruf erlangt haben. Ist es wirklich nur die damit verbundene Langeweile, die die Lernenden demotiviert? (Es kann sich dabei ja durchaus um Personen handeln, die in anderen Kontexten, sei es bei Spielen, im Sport oder beim Musizieren durchaus in der Lage und Willens sind, über einen längeren Zeitraum wiederholende Tätigkeiten durchzuführen). Oder hat die Fremdsprachendidaktik mit ihrem Fokus auf Spaß und Spiel in der Lehre zu wenig darauf geachtet zu vermitteln, dass das Üben ein selbstverständlicher Bestandteil des Fremdsprachenlernens ist? 4.4 Gezielte Überforderungen Im fortgeschrittenen Lernstadium wird im Sport daher gern auf Übungen unter erschwerten Bedingungen zurückgegriffen, mit denen verschiedene Details der Zielfertigkeit akzentuiert optimiert werden sollen (erhöhter Zeit- oder Präzisionsdruck, schwieriges Gelände, Zusatzaufgaben). (ebda, 214) [Hervorhebung im Original - D.R.] Ungewollte Überforderungen finden sich in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts häufig, man denke nur an die vielen Stunden Übersetzungsunterricht, in denen nicht lernprozessbezogen gearbeitet wurde sondern überforderte Lernende vorgeführt wurden (vgl. Königs 2004, 179f.) . Generell könnte man sagen, dass der gesamte Bereich der freien Produktion, der Transfer, eine Art Überforderung darstellt, über die im kommunikativen Ansatz mit seiner Verabsolutierung nordwesteuropäischnordamerikanischer Vorstellungen zu lässig hinweggegangen wird. Für einen Lernenden, zu dessen Vorstellung von Lernen es gehört, gelernte Inhalte korrekt wiederzugeben, ist es eine Überforderung, plötzlich in der fremden Sprache inhaltlich selbstbestimmt etwas mitteilen zu müssen. Und zu akzeptieren, dass die von ihm dabei produzierte Äußerung evtl. nicht formal korrekt ist. Hier muss wahrscheinlich viel kleinschrittiger in den Übungsabläufen und mit metasprachlicher Verständigung über die Notwendigkeit gezielter und kontrollierter Überforderungen ab Lektion 1 gearbeitet werden, damit die Angst, in der Fremdsprache zu sprechen, von Anfang an gar nicht erst Raum gewinnen kann. Verallgemeinernd kann man m.E. festhalten, dass die Fremdsprachendidaktik insgesamt das gezielte, bewusst eingesetzte und den Lernenden gegenüber kommunizierte Überfordern - im Gegensatz zur ungewollten Überforderung durch Fehleinschätzung des Leistungsstandes der Lernenden - wohl zu wenig einsetzt. <?page no="178"?> Dietmar Rösler 178 4.5 Sicherheitsmaßnahmen Es bestehen bei der Durchführung der Zielübung objektive Gefahren, die entweder durch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen beseitigt werden […] oder denen durch eine langsame Annäherung durch eine Zielübung begegnet wird (z. B. zunehmend höhere Schanzen beim Skispringen). (ebda, 214f.) [Hervorhebungen im Original - D.R.]. Sicherheitsmaßnahmen klingen für die Fremdsprachendidaktik zunächst etwas ungewöhnlich, aber man kann das gesamte Klassenzimmer als Sicherheitsmaßnahme, als eine Art didaktischer Schutzraum verstehen, in dem zunächst eine langsame Annäherung an die Kommunikation in der Zielsprache geübt werden kann, wobei durch konzentrische Progression, die Steigerung der Komplexität der Aufgaben und die Einführung von Projekten ein Anwachsen der Herausforderung stattfindet. 4.6 Wettkampfbedingungen Die Kernaussage der Spezifitätshypothese des motorischen Lernens besagt, dass Lerneffekte sehr spezifisch auf die Bedingungen der Übungsphase bezogen sind. Maximale Lerneffekte wären von daher zu erwarten, wenn die Übungssituation der Situation, in der die resultierenden Effekte abzurufen sind, vollständig entspräche. (ebda, 215) Es lässt sich die Forderung ableiten, auch physische und psychische Wettkampfbedingungen im Training zu simulieren. (ebda, 215) Man kann komplexe Aufgaben/ Szenarien/ Projekte als Versuch verstehen, möglichst viel Fremdsprachenlernen ‚unter Wettkampfbedingungen‘ stattfinden zu lassen. Hier hat die Fremdsprachendidaktik in den letzten 40 Jahren ihre größten Fortschritte zu verzeichnen, und man müsste überlegen, inwieweit die zuvor genannten Übungsaktivitäten stärker mit ihnen verzahnt werden können. In komplexen Serious Games könnte man sich vorstellen, dass individuelle Lernende immer genau dann in sprachliche Fitnesscenter gehen, wenn sie in einem bestimmten Sprachbereich besser werden müssen, um eine Aufgabe erledigen zu können. Vielleicht gelingt der Fremdsprachendidaktik die Integration von Übungen und komplexen Lernszenarien in digitalen Lernwelten dann etwas besser als in realen aufgabenorientierten Lernwelten, in denen der Fokus auf die Form manchmal systematisch am Ende positioniert wurde und nicht dort, wo er für die Erfül- <?page no="179"?> Etüde für Übungsforscher 179 lung einer kommunikativen Aufgabe zuerst sinnvolle Hilfestellung leisten konnte (vgl. Rösler 2013). Literatur Falk, Simon (2015): „Ap(p)ropos mobil - Über den Einsatz von Apps im DaF- Unterricht“. In: German as a foreign language 2, 15-31. Falk, Simon/ Götz, Sandra (in Vorbereitung): „Interaction and Interactivity in Mobile Learning Scenarios: A study based on Duolingo“. In: Zeyer, Tamara/ Jones, Dale/ Stuhlmann, Sebastian (Hrsg.): Interaktivität beim Fremdsprachenlehren und -lernen mit digitalen Medien. Hit oder Hype? Tübingen: Narr. Häussermann, Ulrich/ Piepho, Hans-Eberhard (1996): Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache: Abriss einer Aufgaben- und Übungstypologie. München: Iudicium. Königs, Frank G. (2004): „ ,Am Anfang war der Frust ... und am Ende die Neugier‘. Ein persönlicher Essay über den Zugang zur übersetzungsdidaktischen Forschung“. In: Pöckl, Wolfgang (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft. Dolmetschwissenschaft. Wege in eine neue Disziplin. Wien: Edition Praesens, 179-187. Königs, Frank G. (2011): „Verschollen im Bermuda-Dreieck? Anmerkungen und Beobachtungen zur Rolle der Grammatikvermittlung im Zeitalter von Kompetenzorientierung, Lernerautonomie und Neuen Medien“. In: Schmenk, Barbara/ Würffel, Nicola (Hrsg.): Drei Schritte vor und manchmal auch sechs zurück. Tübingen: Narr, 73-83. Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (2005): „Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht: Entwicklungen, Forschung und Praxis, Perspektiven“. In: Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg.): Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Task- Based Language Learning und Teaching. Tübingen: Narr, 1-51. Munzert, Jörn/ Hossner, Ernst-Joachim (2008): „Lehren und Lernen sportmotorischer Fertigkeiten“. In: Beckmann, Jürgen/ Kellmann, Michael (Hrsg.): Anwendungen der Sportpsychologie. Enzyklopädie der Psychologie. Themenbereich D, Serie V, Band 2. Göttingen u.a.: Hogrefe, 177-215. Neuner, Gerhard/ Krüger, Michael/ Grewer, Ulrich (1981): Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht. München: Langenscheidt. Rösler, Dietmar (2003): „Geschlossene Übungen, halboffene und offene Aufgaben. Leistungen und Grenzen von Übungen und Aufgaben in gedruckten Lehrwerken und in digitalem Lernmaterial“. In: Deutsch als Fremdsprache in Korea. Zeitschrift der Koreanischen Gesellschaft für DaF 12, 7-27. Rösler, Dietmar (2006): „Aufgaben als (Status-)Indikatoren im fremdsprachendidaktischen Diskurs“. In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans Jürgen (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Tübingen: Narr, 219-227. <?page no="180"?> Dietmar Rösler 180 Rösler, Dietmar (2008): „Lernziel kommunikative Kompetenz dreiunddreißig Jahre nach Piepho 1974 - ein kritischer Rückblick aus der Perspektive des Deutschlernens außerhalb des deutschsprachigen Raums“. In: Legutke, Michael (Hrsg.): Kommunikative Kompetenz als fremdsprachendidaktische Vision. Tübingen: Narr, 115-129. Rösler, Dietmar (2013): „Erfüllen Aufgaben ihre Aufgabe? Ein Blick in den akademischen Diskurs“. In: Fremdsprachen lehren und lernen 4 (2), 41-54. Rösler, Dietmar/ Ulrich, Stefan (2003): „Vorüberlegungen zu einer Übungs- und Aufgabentypologie für internetgestütztes Fremdsprachenlernen“. In: Legutke, Michael/ Rösler, Dietmar (Hrsg.): Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien. Tübingen: Narr, 115-144. Schmelter, Lars (2013): „Die ‚dienende Funktion‘ der Grammatik im Französischunterricht“. In: Küster, Lutz/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Mythos Grammatik? Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 74-84. Schmidt, Torben (in diesem Band): „Chocolate-covered Drill & Practice? Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens in Fremdsprachenlern-Apps“, 200-210. Segermann, Krista (1994): Typologie des fremdsprachlichen Übens. Bochum: Brockmeyer. von Ahn, Luis (2014): „My Duolingo learning app can reshape education“. In: The New Scientist. https: / / www.newscientist.com/ article/ mg22229694.900my-duolingo-learning-app-can-reshape-education (5.2.2016). Würffel, Nicola (in diesem Band): „Vor-Während-Nach: Vom Sinn und Unsinn komplexer und weniger komplexer Übungstypologien“, 240-250. Zeyer, Tamara/ Jones, Dale/ Stuhlmann, Sebastian (Hrsg.) (in Vorbereitung): Interaktivität beim Fremdsprachenlehren und -lernen mit digitalen Medien. Hit oder Hype? Tübingen: Narr. <?page no="181"?> Üben im Fremdsprachenunterricht Jutta Rymarczyk 1 Mein Übungsbegriff und seine notwendigen Abgrenzungen und Ausdifferenzierungen mit Blick auf didaktische und forschungsmethodische Operationalisierungen Mein Übungsbegriff ist vermutlich ein deutlich positiverer als der derzeit noch größtenteils vorherrschende. Ich teile auch heute noch die Wahrnehmung DeKeysers, der das Einführungskapitel zu seinem Buch Practice in a Second Language aus dem Jahr 2007 mit der folgenden Bemerkung beginnt: „Practice gets a raw deal in the field of applied linguistics. […] many applied linguists eschew the term practice“ (2007, 1), um das Üben anschließend zu verteidigen: „Practice is by no means a dirty word in other domains […]“ (a.a.O.). So schließe ich mich auch DeKeysers Definition an, die weder einen Verweis auf mehrfache Wiederholungen noch auf mechanisches Üben enthält: „[…] specific activities in the second language, engaged in systematically, deliberately, with the goal of developing knowledge and skills in the second language“ (a.a.O.). Dass man bei dem deutschen Verb „drillen“ eher an stupides, sinnentleertes Wiederholen denkt, liegt u.U. an der Etymologie des Wortes, das aus der Soldatensprache stammt und „ seit dem 17. Jh. ‚exerzieren‘, eigentlich ‚herumwirbeln‘“ bedeutet (Dudenredaktion 1963), was vermutlich auf die Drehungen beim Aufmarschieren zurückgeht. Das im Deutschen sehr negativ besetzte Nomen „Drill“ würde im Gegensatz zum Englischen wohl kaum für bedeutungsvolle oder gar kommunikative Übungen eingesetzt wie es bei Paulston und Bruder (1976) schon früh der Fall ist. Um dem Üben aber wieder zu mehr Ansehen bzw. zu gerechtfertigter Relevanz zu verhelfen, ist es unabdingbar zu erkennen, dass nicht jede Übung als mechanisch eingestuft werden darf. Für didaktische und forschungsmethodische Operationalisierungen erscheint es sogar wesentlich, Übungen nicht nur in der Art (mechanisch - bedeutungsvoll - kommunikativ) (a.a.O.), sondern auch nach dem Gegenstandsbereich zu unterscheiden. Dass sich dazu viele Beispiels bei John Field (Listening in the Language Classroom, 2008) finden, ist nicht weiter verwunderlich, da die mündlichen Fertigkeiten besonders stark <?page no="182"?> Jutta Rymarczyk 182 von Üben zu profitieren vermögen (DeKeyser 2007, 10) mit Verweis auf DeKeyser, 1998): Clearly, form-meaning connections are the essence of language, and taking them apart more than necessary for practice activities would be unwise, but there are areas of language such as phonetics, phonology, and morphological paradigms where narrowly focused, repeated practice activities with forms can be useful. Field (2008), der in dem von ihm proklamierten sog. „Process Approach“ das gezielte Üben in den Mittelpunkt des Lernens stellt („an approach based upon training learners in the different processes which have been shown to contribute to skilled listening“ (ebda, 350), empfiehlt nicht nur Übungen für das Dekodieren, sondern auch für das „meaning-building“ im Bereich des Zweitbzw. Fremdsprachenlernens: z.B. Übungen zum „Syntactic inferencing: Some common functions in everyday listening“ (ebda, 192f.), zu „Schema Activation: Predicting using external knowledge“ (ebda, 218f.) oder zu „Interpretation: […] [D]eciding speakers‘ goals“ (ebda, 236f.). In jedem Fall aber zielen Übungen zunächst in einem ersten Schritt nur auf die Aufnahme des Lerngegenstandes in den Langzeitspeicher ab und erst in einem zweiten Schritt auf die rasche Verfügbarkeit dieser Gegenstände bzw. die schnelle und fehlerlose Ausführung erlernter Fertigkeiten. Intake ist somit noch nicht mit Automatisierung gleichzusetzen (DeKeyser 2007). Es ist jedoch die Automatisierung von Abläufen, von der Lernende sowohl in Bezug auf fließende, korrekte als auch zunehmend komplexer werdende fremdsprachliche Rezeption und Produktion profitieren können. Vor diesem Hintergrund ist eine bestimmte Häufigkeit des Umgangs mit einzelnen Formen und Prozessen, also Übungen mit sich wiederholenden Anteilen nicht zu umgehen, wenn mehr als nur eine basale Sprachkompetenz einzig durch Fremdsprachenunterricht (d.h. ohne längere Aufenthalte in einem Zielsprachenland) angestrebt wird. Um Übungen sinnvoll in Fremdsprachenunterricht einzubauen, sind m.E. Abgrenzungen und Ausdifferenzierungen unabdingbar. Es sind dabei mindestens zwei Punkte in den Blick zu nehmen, und zwar zum einen das Alter der Lernenden und zum anderen die unterschiedlichen Erwerbsarten bzw. -kontexte. Zum Alter ist anzumerken, dass je jünger Kinder sind, sie desto eher Wiederholungen zu präferieren scheinen, wenn nicht gar dringend zu benötigen (vgl. der häufig geäußerte Wunsch nach derselben Geschichte bzw. die nur leicht variierenden Wiederholungen in den spielerischen Monologen junger Kinder im Erstspracherwerb.) Bezüglich der Erwerbsarten bzw. -kontexte ist festzuhalten, dass in natürlichen Zweitspracherwerbskontexten die Kontaktzeit in der Regel um ein Vielfaches <?page no="183"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 183 höher ist als im Fremdsprachenunterricht. Das institutionalisierte Lernen ist folglich auf eine stärkere Fokussierung und Wiederholung sprachlicher Mittel angewiesen, um die entsprechende Lexik und Grammatik in den Blick der Lernenden zu rücken. Hierbei ist allerdings wesentlich, dass die Schritte vom „noticing“ (Schmidt 2001) bis zum bewussten Hypothesentesten nicht zu einem inhaltlich losgelösten pattern drill führen. 2 Auswirkungen von aktuellen Entwicklungen (z.B. Aufgaben- und Kompetenzorientierung) sowie von Forschungsergebnissen auf die Rolle und Bedeutung des Übens in heutigen Lehr-Lerngefügen Kommunikativen Sprachunterricht als „aktuelle Entwicklung“ zu bezeichnen, heißt zwar zweifellos der Zeit fast ein halbes Jahrhundert hinterher zu hinken, soll hier aber nichtsdestotrotz in die Betrachtung einfließen. Es war nämlich die Abkehr von der audiolingualen Methode bzw. Hinwendung zu authentischer Kommunikation mit ihrem focus on meaning, die das Konzept des Übens in den Hintergrund treten ließ (Nassaji/ Fotos 2011, 2ff.) - das allerdings m.E. entschieden zu weit (vgl. Rymarczyk 2012). Die für eine alltagstaugliche Fremdsprachenkompetenz notwendige Automatisierung der rezeptiven und produktiven Abläufe wird ohne Übung zu selten erreicht, sodass die Lernenden bei der bottom-up-Verarbeitung zu wenig zerebrale Kapazität frei haben, um durch ergänzende top-down-Prozesse zu der Kompensation von Wissenslücken oder gar zu der Informationsbereicherung durch konzeptuelle Querverbindungen gelangen zu können (Field 2008, 132). Es lässt sich folglich der sog. Matthäus-Effekt beobachten, d.h. dass insbesondere schwächere Lernende unter den Nachteilen mangelnder Automatisierung zu leiden haben. Es sei an dieser Stelle daher angemerkt, dass kommunikativer Sprachunterricht nicht immer diesen exklusiven focus on meaning besaß (DeKeyser 2007, 10f.). Wie es zu der hier erwähnten Einseitigkeit kam, darüber darf spekuliert werden: War es ein zu hoher Impetus der Motivation aufseiten der Schüler und Schülerinnen, die der Folterkammer des Sprachlabors entkommen waren? War es die Erleichterung der Lehrkräfte, die selbst mit grammatikalischen Lücken zu kämpfen hatten? Oder war es die Freude aller am Fremdsprachenunterricht beteiligten Akteure über die Möglichkeit, sich eher mit interessanten literarischen und/ oder kulturellen Aspekten der Zielländer beschäftigen zu dürfen als etwa mit den Feinheiten der Zeitenfolgen in if-clauses? Auch wenn sich die Beweggründe der Betonung der kommunikativen Aspekte durchaus nachvollziehen lassen, so ist doch die Vernach- <?page no="184"?> Jutta Rymarczyk 184 lässigung des focus on form (FonF) (nicht focus on form*s* (FonFs)! 1 Trotz aller Herauskehrung der Bedeutsamkeit der real life communication tendieren Lernende (und Lehrende! ) aber dazu, den FonF im Kontext des Task Based Language Learning (TBLL) auszulassen. Ein Grund dafür mag der von Willis und Willis (2007) vorgeschlagene task cycyle sein, bei dem der FonF an das Ende gestellt wurde. Am Ende der Beschäftigung mit einem interessanten Inhalt bzw. gar noch *nach* der Präsentation des eigenen dazu entwickelten Produktes mögen zwar die fokussierten sprachlichen Phänomene zu dem authentischen Szenario gehören, die Motivation der Lernenden, sich damit nach Abschluss der für sie wesentlichen Phasen der Unterrichtseinheit noch zu beschäftigen, dürfte aber gen Null gehen. ) vielfach kritisiert und der Ruf nach Abhilfe laut geworden: Widdowson (2003) monierte fehlende sprachliche Korrektheit als Folge, Skehan (1998) mangelnde Komplexität, und eine offensichtlich beständig steigende Zahl an Sprachdidaktikern bzw. -erwerbsforschern spricht sich wieder für kontinuierliche Wiederholungen und systematische Erarbeitungen von Strukturen und Fertigkeitsbereichen aus (vgl. die Auflistung in DeKeyser 2007, 11), wobei aber Wert drauf gelegt wird, dass die entsprechenden Übungen keineswegs sinnentleert sind (vgl. zum Sprechen: Goh/ Burns 2012, 133ff.; zum Hören: Vandergrift/ Goh 2012, 125ff.; allgemein: Klippel 2010). Tatsächlich sind auch die Anforderungen an die Lehrkräfte sehr hoch, wenn sie gemäß des TBLL einen über den task cycle verteilten FonF entwerfen sollen, der über die Bereitstellung von Lexik hinausgeht. Für das Üben sind Materialien vorzustrukturieren (vgl. Roters, erscheint) und komplexe Fertigkeiten in Teilfertigkeiten aufzuteilen, die es als deklaratives Wissen der zugrundeliegenden Regeln darzubieten gilt und deren Übung bzw. Anwendung mit Feedback zu versehen ist. Es nimmt daher nicht wunder, dass laut Umfragen unter chinesischen und deutschen Lehrkräften im Bereich des Bilingualen Lernens (das wohl als das inhaltlich authentische Lernen par excellence gelten darf) die Mehrzahl der befragten Lehrenden an deutschen Schulen die Integration von grammatischen Aspekten in ihrem Sachfachunterricht ablehnt: Auf einer 5-Punkte Likert-Skala (1 = strongly disagree, 5 = strongly agree) fand die Aussage „I always teach students some English grammatical structures (e.g. passive voice) in my content subject lessons“ mit einem Mittelwert von 1.80 nur geringen Zuspruch (Lo/ Rymarczyk, in 1 Die Differenzierung zwischen FonF und FonFs geht auf Long (1991) zurück, wobei FonFs den traditionellen Ansatz mit grammatischem Schwerpunkt darstellt, FonF hingegen als Ansatz, der die Aufmerksamkeit der Lernenden auf sprachliche Formen im Kontext bedeutsamer Kommunikation zu lenken versucht. <?page no="185"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 185 Vorbereitung). Dieser Umstand liegt aber nicht an einer generellen Ausklammerung sprachlicher Aspekte im englischsprachigen Sachfachunterricht, denn der Aussage „When planning my content subject lessons, I always include some language learning objectives“ wurde mit dem Mittelwert 2.80 zugestimmt, und mit dem Mittelwert 3.95 sprachen sich die Sachfachlehrkräfte in Deutschland eindeutig für Wortschatzarbeit aus („I always explain difficult words in textbooks or notes to students”) (ebda). Es sei hinzugefügt, dass die hier skizzierte Abneigung nicht unbe-dingt auf die Überzeugung zurückzuführen ist, dass Spracharbeit nicht im bilingualen Sachfach, sondern im Englischunterricht zu verorten sei. Die ebenfalls befragten Englischlehrkräfte stimmten der Integration von Spracharbeit mit einem Mittelwert von 3.82 nämlich starker zu als ihre Kollegen aus Hongkong (Mittelwert: 3.17) (“I always incorporate some academic language [hier: Sachfachtermini, J.R.] as the teaching object-ives in my English lessons“), lagen aber in Bezug auf ihre Bereitschaft, Grammatik zu vermitteln, mit einem Mittelwert von 3.41 hinter ihren Kollegen, die der Aussage “In my English lessons, I always highlight some grammatical structures (e.g. passive voice) that students may encounter in content subjects“ mit dem Mittelwert von 3.64 zustimmten (ebda). Die oben dargestellten Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Aufgaben- und Kompetenzorientierung zwar ein Teaching to the Test fördern mag, aber zumindest im Bereich des bilingualen Sachfachunterrichts inklusive des ihn begleitenden Englischunterrichts keinesfalls zu einer Überbetonung der Formaspekte führt. Es wäre im Gegenteil zu überlegen, ob und ggf. wie der FonF in TBLL-Settings im bilingualen Sachfachunterrichtstärker stärker ausgebildet werden kann. 3 Methodische und didaktische Chancen des Übens und besondere Herausforderungen beim Üben für Lehrende und Lernende im heutigen Fremdsprachenunterricht Wie sich anhand schriftlicher Texte von Schüler und Schülerinnen (SuS) und Studierenden deutlich ablesen lässt, führte die oben erwähnte Vernachlässigung der formalen Sprachebene seit Beginn der kommunikativen Wende in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bei Lernenden zu einer kontinuierlichen Schwächung ihrer Grammatik- und Rechtschreibkenntnisse, und zwar sowohl in der Erstsprache als auch in später gelernten Fremdsprachen. Die didaktische Chance des Übens liegt demnach in der Verbesserung der entsprechenden Lernleistungen bzw. darin, Lernenden nach entsprechenden Übungseinheiten den Wert der Übung bewusst zu machen und so <?page no="186"?> Jutta Rymarczyk 186 die Motivation für diese Art der Beschäftigung mit der Fremdsprache im Sinne des lebenslangen Lernens zu erhöhen. Die o.g. nur allzu evidenten Defizite stehen interessanterweise in einem deutlichen Gegensatz zu Ergebnissen einer Umfrage von Gnutzmann und Bohnensteffen (2012) zu Haltungen von Gymnasiallehrkräften und Siebenbis Neuntklässlern zu Grammatik. Dieser Studie zufolge halten mehr als die Hälfte der befragten SuS sprachliche Korrektheit für sehr wichtig, auch wenn die Mehrheit der Lehrkräfte die Fähigkeit sich auf Englisch ausdrücken für wesentlicher erachtet als sprachliche Korrektheit (ebda, 54ff.). Nur ein Drittel der Lernenden findet Grammatikunterricht langweilig, und das, obwohl 82,7% ihn mit Üben assoziieren. Die relative Beliebtheit von Üben als Eigenaktivität steht allerdings wiederum in Widerspruch zu der Aussage von knapp über der Hälfte der SuS (52,4%), dass die Lehrkraft bei der Behandlung von Grammatik aktiver sein soll als die Lernenden. Ein Grund für dieses Votum mag in dem Wunsch der SuS liegen, dass die Lehrkraft die Regeln erklären möge (einem Wunsch, der aber nur von 44,4% der Lehrkräfte geteilt wird). Interessant sind auch die unterschiedlichen Haltungen zu Einzelarbeit: Während 44,4% der Lehrkräfte sich dafür aussprechen, dass die SUS die Grammatikregeln aus angebotenem Material selbst erarbeiten, trifft diese Vorstellung nur bei 7,9% der SuS auf Zuspruch. Aus diesen Zahlen lässt sich m.E. das Fazit ziehen, dass die Lernenden traditionellere Formen der Grammatikarbeit favorisieren als die Lehrkräfte, mit deren Vorstellungen ein über Aufgaben verteilter FonF eher kompatibel zu sein scheint. Geht man nun davon aus, dass TBLL eher SuS ansprechende Formen der Grammatikbehandlung ermöglicht als rein formorientierte Ansätze, so kann eine Umorientierung bzw. eine neue Form des Übens nur gewinnbringend sein für SuS, die Grammatik (zumindest ihrer eigenen Aussage nach) schon jetzt positiv gegenüber stehen. Die methodische Chance des Übens liegt m.E. in den neuen Medien, denn interaktive Medien (von rein formorientierter Lernersoftware bis zu digitalen Wimmelbüchern mit Wortschatzübungen) erlauben einen stärkeren individuellen Einbezug der Lernenden (z.B. über eine eigene konkrete Vorgehensweise in der Beschäftigung mit dem Medium incl. der eigenen Bestimmung der Zahl der Wiederholungen eines bestimmten Schritts) und somit eine höhere Bindung ihrer Aufmerksamkeit. Vor allem ist die Möglichkeit der sofortigen Rückmeldung ein wichtiges Moment, das in dieser Form mit anderen bzw. ohne Medien nicht gegeben ist. Allerdings ist bei interaktiven Medien die Gefahr der Trivialisierung und der geringen fremdsprachendidaktischen Qualität nicht zu unterschätzen, die von Fremdsprachendidaktikern (Rösler 2015), aber auch von Medienexperten selbst gesehen wird (Jäckel 2010, 289). <?page no="187"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 187 Eine Herausforderung beim Üben für Lehrende und Lernende im heutigen Fremdsprachenunterricht ist die Verweildauer bei bzw. Beschäftigungstiefe mit einer sprachlichen Form oder einem sprachlichen Prozess. Ein bloßes Streifen eines neu zu lernenden Begriffes führt nicht zur Speicherung im Langzeitgedächtnis, geschweige denn zur Automatisierung, und so ist Ausdauer gefragt, auch wenn der Unterhaltungswert einer Aktivität einmal eher gering ausfällt. Die aktuelle Schnelligkeit bei der Nutzung interaktiver Medien einmal abzulegen, dürfte aber viele SuS etliches an Überwindung kosten. Es gilt also Szenarien zu schaffen, die abwechslungsreich genug sind, um Lernenden vielfältige Begegnungen mit einem grammatikalischen Phänomen oder einer neuen Vokabel zu bieten, und ansprechend genug, um in Gänze von den Lernenden angenommen zu werden. Im Optimalfall werden diese Kontexte nicht als Übungsplattform wahrgenommen, sondern als ein interessanter Kontext, mit dem man sich gern beschäftigt, z.B. auch als Spiel (vgl. Klippel 2010). 4 Bedeutsame und gewinnbringende Forschungsansätze hinsichtlich eines Erkenntnisgewinns zu Üben und seinen Resultaten Wie bereits an der Erwähnung der Studien von Gnutzmann und Bohnensteffen (2012) sowie Lo und Rymarczyk (in Arbeit) zu erkennen ist, halte ich die Befragung von (angehenden) Lehrkräften sowie SuS für gewinnbringend im Hinblick auf einen Erkenntnisgewinn über das Üben und seine Resultate. Da Üben gemäß der Forschungen zu „noticing“ in engem Zusammenhang steht mit zielgerichteter Aufmerksamkeit (Schmidt 2001), erscheint es angebracht, nicht nur auf Üben als solches und den damit verbundenen FonF zu schauen, sondern auch auf Sprachbewusstheit. Eine aktuelle Umfrage unter Experten für Grundschulfremdsprachendidaktik zeigt, dass die Erhebung solch eines Überblicks gängige Verfahren in der Praxis durchaus in Frage stellen kann (Hempel, Kötter & Rymarczyk, in Vorbereitung). So wird in einigen Bundesländern (MV, RP) der Begriff der Sprachbewusstheit überhaupt nicht in den Richtlinien für die Fremdsprachen der Primarstufe erwähnt, während in einer Reihe anderer Länder der Begriff zwar Berücksichtigung findet, aber nur im Vergleich mit dem Deutschen (BE, BB, HH, HE, SN, TH). Das Votum der Experten (n = 38, mit einer 5- Punkt Likert-Skala erhoben) fiel 2015 jedoch deutlich anders aus. Bei der Beantwortung der Frage „Sollen bewusstmachende Verfahren in Bezug auf Grammatik, Aussprache, Wortschatz und Redemittel bereits von Anfang Bestandteil des FU sein? ” entfielen 16 Stimmen auf Strongly agree und 12 auf Agree (a.a.o.). Dieses Ergebnis ist Bildungspolitikern u.U. eher einsichtig als Forschungsergebnisse aus (Mixed-methods-)Studien, die darauf abzielen, <?page no="188"?> Jutta Rymarczyk 188 den Unterricht der Primarstufe aus den Untiefen des Mandala-Ausmalens und der Fingerspiele zu befreien. Nichtsdestotrotz stellen Mixed-methods-Studien aber eine wichtige Erkenntnisquelle dar, wenn der generelle Wert des Übens erforscht oder spezielle Übungen bzw. Übungsmaterialien verglichen werden sollen. Insbesondere Interventionsstudien mit Test- und Kontrollgruppen wie die von Rymarczyk (2016) zum Schriftspracherwerb mit Ting-Stiften und Bildwörterbüchern lassen konkrete Vergleiche zu. Es wurden folgende Forschungsfragen überprüft (ebda): Befördert die prinzipielle, bi-modale (in Laut- und Schriftform vorliegende) Verfügbarkeit der einzelnen Wörter: 1. … die Aussprachekompetenz junger Englischlernender? 2. … ihre Rechtschreibleistung? 3. … ihre Motivation zur Nutzung neuen Vokabulars? Die Ergebnisse zur Aussprachekompetenz deuten darauf hin, dass die Testgruppe den Stift sinnvoll eingesetzt hat, da die Zahl der deutsch ausgesprochenen englischen Wörter (sog. „German-Style Reading“) in der Testgruppe niedriger liegt als in der Kontrollgruppe. Diese SuS scheinen die Lautform der Wörter mit dem Stift in Erfahrung gebracht zu haben, anstatt sich auf ihre eigenen Hypothesen bezüglich der Aussprache verlassen zu haben, und können sie auch nach einem längeren Zeitraum (12 Wochen) noch abrufen. Die Ergebnisse der Testgruppe in Bezug auf die Rechtschreibleistung fielen allerdings weniger gut aus. Genauso wie bei der Kontrollgruppe lag ihre Rechtschreibleistung im mittleren Bereich. Das reine Anbieten der Form bzw. ihre prinzipielle Verfügbarkeit in (der Lautund) Schriftform und die damit verbundene Nutzung von Lexemen reicht nicht aus, um zu orthographischer Korrektheit zu gelangen. Abschließend sei also festgehalten, dass SuS mit einem selbstbestimmten Zugriff auf Bildwörterbücher inhaltsbasierte Schreibaufgaben zwar sehr gut bewältigen konnten, die orthographisch richtige Schreibung der benutzten Lexeme aber nicht in das Langzeitgedächtnis überführen konnten (ebda). Auch interessante Aufgaben, die von SuS gut angenommen werden, kommen also ohne Übungsanteil nicht aus, sofern ein formbezogenes Behalten angestrebt wird. Literatur DeKeyser, Robert M. (2007): „ Situating the concept of practice“. In: DeKeyser, Robert M. (Hrsg.): Practice in a Second Language. Cambridge: Cambridge University Press, 1-18. <?page no="189"?> Üben im Fremdsprachenunterricht 189 De Keyser, Robert M. (1998): „Beyond focus on form: Cognitive perspectives on learning and practicing second language grammar“. In: Doughty, Catherine/ Williams, Jessica (Hrsg.): Focus on form in second language acquisition. New York: Cambridge University Press, 42-63. Dudenredaktion (1963): Duden. Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim: Bibliographisches Institut. Field, John (2008): Listening in the Language Classroom. Cambridge: Cambridge University Press. Goh, Christine C. M./ Burns, Anne (2012): Teaching Speaking. A Holistic Approach. Cambridge: Cambridge University Press. Gnutzmann, Claus/ Bohnensteffen, Markus (2012): „Grammar and Translation - A Comeback? “ In: Anglistik 23 (1), 49-60. Hempel, Margit/ Kötter, Markus/ Rymarczyk, Jutta (in Vorbereitung): Fremdsprachenunterricht an deutschen Grundschulen: Unterschiedliche curriculare Vorgaben vs. Expertenmeinungen (Arbeitstitel). Hempel, Margit/ Kötter, Markus/ Rymarczyk, Jutta/ Steinlen, Anja (im Druck): „Fremdsprachenunterricht in der Grundschule in den Bundesländern Deutschlands: Eine Bestandsaufnahme“. In: Appel, Joachim/ Jeuk, Stefan/ Mertens, Jürgen (Hrsg.): Sprachen lehren. Dokumentation zum 26. Kongress für Fremdsprachendidaktik der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Jäckel, Michael (2010): „Mediensoziologie“. In: Kneer, Georg/ Schroer, Markus (Hrsg.): Handbuch für spezielle Soziologien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 277-294. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Fremdsprachendidaktik. Stuttgart u.a.: Metzler, 314-317. Lo, Yuen Yi/ Rymarczyk, Jutta (in Vorbereitung): Collaboration between L2 and Content Subject Teachers in Chinese and German CLIL classsrooms: Contrasting Beliefs and Attitudes (Arbeitstitel). Long, Michael (1991): „Focus on Form: A design feature in language teaching methodology“. In: DeBot, Kees/ Ginsberge, Ralph/ Kramsch, Claire (Hrsg.): Foreign Language Research in Cross-Cultural Perspective. Amsterdam: John Benjamins, 39-52. Nassaji, Hossein/ Fotos, Sandra (2011): Teaching Grammar in Second Language Classrooms. Integrating Form-Focused Instruction in Communicative Context. New York: Routledge. Paulston, Christina B./ Bruder, Mary N. (1976): Teaching English as a Second Language: Techniques and Procedures. Cambridge: Winthrop. Roters, Bianca (erscheint): „Üben“. In: Kilian, Jörg/ Rymarczyk, Jutta (Hrsg.): Sprachdidaktik: Erst-, Zweit-, Fremdsprache. Wörterbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (WSK) Online. Berlin u.a.: De Gruyter. Rösler, Dietmar (2015): „Die Herausforderung: Funktionale Erweiterung des Fremdsprachenlernens in Bildungsinstitutionen durch individuelles Lernen unterstützende Lernorte und gesellschaftlich organisierte Unterstützung des <?page no="190"?> Jutta Rymarczyk 190 Lernens an 'individualisierenden' Lernorten“. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Riemer, Claudia (Hrsg.): Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Tübingen: Narr, 192-200. Rymarczyk, Jutta (2012): „ ,Chop‘ oder ,job‘? zur Förderung von Sprachbewusstheit, um Aussprachefehler zu vermeiden“. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr, 179-188. Rymarczyk, Jutta (2016): „Aussprachekompetenz im Schriftspracherwerb mit TING-Stiften und Bildwörterbüchern“. In: Böttger, Heiner/ Schlüter, Norbert (Hrsg.): Fortschritte im Frühen Fremdsprachenlernen. Tagungsband zur 4. FFF-Konferenz. Braunschweig: Westermann, 152-161. Schmidt, Richard (2001): „Attention“. In: Robinson, Peter (Hrsg.): Cognition and Second Language Instruction. Cambridge: Cambridge University Press, 3-32. Singley, Mark K./ Anderson, John R. (1989): The Transfer of Cognitive Skill. Cambridge, MA: Harvard University Press. Vandergrift, Larry/ Goh, Christine C. M. (2012): Teaching and Learning Second Language Listening. New York, London: Routledge. Willis, Dave/ Willis, Jane (2007): Doing Task-based Teaching. Oxford: Oxford University Press. <?page no="191"?> „Lerne Sprachen, übe sie! Das erspart Dir Zeit und Müh.“ Zugriffe auf das Üben beim Lernen von Fremdsprachen aus der Perspektive des handelnden Subjekts Lars Schmelter 1 Begriffsbestimmung 1.1 Üben - Lernen - Anwenden - Grundprobleme der Begriffsbestimmung Betrachtet man die vorliegenden fremdsprachendidaktischen Definitionen des zentralen Begriffs der diesjährigen Frühjahrskonferenz in einschlägigen Handbüchern und Monographien, so kristallisieren sich zum einen einige Grundprobleme bei der Begriffsbestimmung und -ausdifferenzierung heraus und zum anderen lässt sich m.E. bei genauerer Betrachtung erkennen, dass der Versuch, Übungen unabhängig vom Standpunkt des Lerners zu definieren, zumindest problematisch, wenn nicht gar paradox ist. Die Grundprobleme der Begriffsbestimmung sehe ich in drei Bereichen: bei der Abgrenzung zu anderen eng mit dem Üben verbundenen Phänomenen und Begriffen, bei der Bestimmung des Gegenstands des Übens und schließlich in der gewählten Beschreibungsperspektive. Sowohl unter didaktischen als auch unter forschungsmethodischen Gesichtspunkten scheint mir die deutliche Differenzierung zwischen Üben einerseits und dem Lernen andererseits notwendig. Bei den Bemühungen um begriffliche und konzeptuelle Präzisierung gerät - dies hat sich für mich auch in den Diskussionen der Frühjahrskonferenz noch einmal deutlich gezeigt - ein weiteres Konzept in den Blick, das zumeist mit Begriffen wie Anwenden oder Nutzen bezeichnet wird. Eine entsprechend deutliche begriffliche und konzeptuelle Disziplin ist m.E. erforderlich, damit nicht aus jedem Anwenden ein Üben wird, das dann seinerseits durch Wiederholung 1 1 Ein weiterer, nicht unproblematischer Begriff. auf Dauer zum Lernen führt. Ein dergestalt fließender Begriff lässt sich kaum mehr im Rahmen empirischer Forschung operationalisieren. Bei der Konzeptualisierung des Übens muss schließlich - auch dies ließ sich nach meiner Wahrnehmung in den Beiträgen zur Frühjahrskonferenz erkennen - der Gegenstand des Übens mitbe- <?page no="192"?> Lars Schmelter 192 dacht werden. Dabei gilt es, sowohl zwischen hierarchieniedrigeren bzw. -höheren 2 1.2 Üben und Übung - nicht nur eine Frage der Perspektive sprachlichen Phänomenen und Kompetenzen zu differenzieren, als auch hinsichtlich der Fremdsprache, in der bzw. für deren bessere Verfügbarkeit geübt wird; und zwar einschließlich der Frage, ob es sich um eine erste, zweite oder gar eine weitere Fremdsprache handelt, die der Lerner sich aneignet. Wenn man bedenkt, dass die Fremdsprachenforschung sich unter dem Etikett „individuelle Unterschiede“ empirisch und konzeptuell im Sinne der Einzelgänger-Hypothese (Riemer 1997) an differierenden Lernwegen und -ergebnissen angesichts vergleichbarer Bedingungen abarbeitet und zugleich bemüht ist, Lehrenden bei der Entwicklung von Lehr-Lern-Arrangements zu helfen, die sich am Bedarf, an den Möglichkeiten und an den Bedürfnissen der Lernenden in einer Gruppe orientieren sollen, dann ist es in gewisser Weise verwunderlich, dass in der Literatur vor allem Bemühungen beobachtet werden können, den Begriff „Übung“ - auch in Abgrenzung zu anderen Begriffen wie „Aufgabe“, „Aktivität“, „Projekt“ usw. - aufgrund objektivierbarer, situationsübergreifender und individuenunabhängiger Eigenschaften zu bestimmen. Bisweilen wird sogar nicht einmal zwischen dem Üben, also dem Handeln des Lerners, und den Formen der selbstbzw. fremdgestellten Aufgaben, die dieses Handeln veranlassen sollen, d.h. Übungen sauber getrennt. Da Lernen aber deutlich von Lehren unterschieden werden sollte (siehe hierzu exemplarisch Terhart 2009), scheint es auch mit Blick auf Übungen sinnvoll, diese ausgehend vom Handeln der Lernenden und deren Bedeutungszuweisungen zu bestimmen, also vom Üben her. Damit dürfte dann auch deren Funktion bei der Aneignung von fremdsprachlichen Handlungspotenzialen deutlicher hervortreten. Beile (2006), der zwischen Übungsformen und Üben differenziert, definiert „Üben“ als den Versuch des Menschen, das ‚natürliche’, d.h. dem Zufall der Welterfahrung überlassene Lernen von körperlichen und geistigen Tätigkeiten ökonomischer zu gestalten. Üben heißt aktives Handeln mit dem Zweck, das Lernen zu stützen und zu fördern. Üben im Kontext des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs ist der Versuch, durch Planung und Aufbereitung von Sprachmaterial seitens der Lehrwerkverfasser und der Lehrenden sowie durch Er- 2 Diese Differenzierung hat u.a. Eva Burwitz-Melzer (in diesem Band) in die Diskussion eingebracht. <?page no="193"?> „Lerne Sprachen, übe sie! Das erspart Dir Zeit und Müh.“ 193 arbeitung seitens der Lernenden, Jahre von potentiellem natürlichem Sprachkontakt zu ersetzen (Beile 2006, 76). Beile unterscheidet also zwei Formen des (Sprachen-)Lernens: eine natürliche, wenig ökonomische, die nebenher, zufällig und im Handlungsvollzug, also beim Anwenden erfolgt und eine Form, bei der durch gezielte Eingriffe in die Auseinandersetzung mit dem zu lernenden Gegenstand oder Einzelaspekten eine gezieltere, systematischere und damit insgesamt schnellere Aneignung des Lerngegenstands erfolgen soll. Beile (2006) unterscheidet dabei Lernen von Üben. Üben führt eine bestimmte Form und führt bestimmte Verläufe des Lernens herbei. Der Lerner übt bei Beile (2006, 76), indem er sprachliche Materialien, die von Spezialisten für sprachliche Lernprozesse aufbereitet wurden, „erarbeitet“. Üben hat folglich mit Sprachhandeln und stark verdichteter und fokussierter Spracherfahrung zu tun, mit dem Ziele, Lernweg und Lernzuwachs unter den zeitlichen und organisatorischen Zwängen des Unterrichts zu optimieren (Beile 2006, 76). Subjektwissenschaftlich, d.h. aus der verallgemeinerten Perspektive des handelnden Subjekts (vgl. Holzkamp 1995; Schmelter 2004, 70ff.) könnte diese Definition in etwa so formuliert werden: Fremdsprachenlernen unterscheidet sich von der bloßen Verwendung der Sprache. Diese wird vermutlich zunächst einen eher gedächtnisbasierten, imitativen Charakter haben. Erst im späteren Verlauf des Lernens, das dann durch strukturanalytische (Lern-)Prozesse gestützt wird, wird auch ein eigenständiger Sprachgebrauch möglich werden (vgl. u.a. Skehan 1998). Wenn Üben das Lernen stützt bzw. Gelerntes in Handlungen besser verfügbar machen soll, dann werden sich dieser sprachlerntheoretischen Position zufolge die Formen und Inhalte des Übens im Verlauf der Aneignung einer Fremdsprache verändern. Zugleich werden sie sich aufgrund unterschiedlicher lernerseitiger Voraussetzungen - jenseits der Sprachlernbiographien und des erreichten Kompetenzstandes - z.B. aufgrund der Motivation, der Sprachlerneignung und der Lernstile unterscheiden (vgl. Riemer in diesem Band). Die klare Trennung von Lernen und Üben einerseits und Anwenden andererseits bedeutet nicht, dass die bloße Sprachverwendung im Laufe der Zeit nicht auch zu einer Verbesserung der Sprachkompetenz führen kann. Wie bei jedem anderen Handlungsvollzug lässt sich auch hier ein Mitlernen 3 3 Kognitionspsychologische Lerntheorien würden anstelle von „Mitlernen“ von „impliziten“ bzw. „unbewussten Lernen“ sprechen. Bei Beile (2006) wäre dies wohl die erste Form des Lernens. beobachten. <?page no="194"?> Lars Schmelter 194 Der charakteristische Unterschied des Lernens gegenüber der Bezugshandlung, für die gelernt wird, ergibt sich durch die Gerichtetheit der Aktivitäten, durch die eine gezielte Verbesserung der eigenen Handlungsvoraussetzungen und -potenziale bei der Verwendung einer fremden Sprache angestrebt wird. Üben ist folglich nicht gleichzusetzen, mit der bloßen Bewältigung einer konkreten Kommunikationssituation, in der die Akteure nach einer angemessenen Lösung suchen. Um dies überhaupt in Ansätzen tun zu können, muss ich als Akteur bereits über ein Repertoire von sprachlichen Mitteln verfügen, die ich in der Situation selbst nur bedingt erweitern kann. Üben folgt also dem Lernen. Es ist aufmerksames und fokussiertes Anwenden von Gelerntem. [D]as Lernen von Schachregeln und -strategien ist offensichtlich ein anders gearteter Handlungsverlauf als das aktuelle Schachspielen (Holzkamp 1995, 230; Hervorhebung im Original - L.S.). Durch die Berücksichtigung der intentionalen Gerichtetheit kann Üben von Lernen und können beide vom bloßen Wiederholen einer Aktivität bzw. Handlung unterschieden werden (Holzkamp 1995, 183ff.). Dies bedeutet wiederum nicht, dass Üben ohne Wiederholen auskommt. Aber beim Üben, das auf verbesserte bzw. erweiterte Nutzbarkeit von zuvor Gelerntem abzielt, wird der Übende beim Wiederholen seine Aufmerksamkeit nach selbstgewählten Kriterien oder aufgrund von fremden Empfehlungen (z.B. durch Lehrende und andere Lernende, durch Materialien) auf bestimmte Merkmale des Lerngegenstandes lenken. Es geht also nicht nur um die Häufigkeit, sondern auch um die Art der Wiederholungen (Wellenreuther 2014, 115). 1.3 Üben als bewusste, fokussierte und gezielte Wiederholung Die Qualität des Übens kann entscheidend durch die möglichst adäquate Aufmerksamkeitsausrichtung und durch die gezielte Isolierung von Einzelelementen des insgesamt komplexeren Lerngegenstands verbessert werden. Dabei kann der Übende Hinweise von außen aufnehmen. Zwar bleibt es die handelnde Person, die die Aufmerksamkeit lenkt, die Gelerntes übt und die Neues hinzulernt. Aber von Experten gestaltete Aufgaben, aufbereitete Materialien, verschiedene Formen der Rückmeldung (z.B. Korrekturen) usw. können ihm insbesondere bei der Aneignung und Verbesserung einer komplexen Kompetenz helfen. Denn Experten haben im Idealfall „eine klare Vorstellung über den Aufbau dieser Fertigkeit“, so dass sie entsprechende Hinweise für das Üben geben können (Wellenreuther 2014, 115). Je besser <?page no="195"?> „Lerne Sprachen, übe sie! Das erspart Dir Zeit und Müh.“ 195 die Lerntheorie und ihre Umsetzung sind, desto schneller stellt sich der Lernerfolg ein (ebda). 1.4 Weiterer Präzisierungsversuch Mit dem Üben verfolgen wir beim Fremdsprachenlernen das Ziel, das bereits erlernte deklarative und prozedurale Wissen in seiner situationsangemessenen korrekten und flüssigen Verfügbarkeit zu optimieren und langfristig zu sichern. Zu diesem Zweck greifen wir beim Üben gezielt spezifische sprachliche Elemente bzw. Teilaspekte sprachlicher Kompetenzen heraus. Dabei unterscheidet sich unser Üben je nach erreichtem Kompetenzstand insgesamt und in der durch das Üben anvisierten Teilkompetenz: bei geringerem Kompetenzstand und beim Üben weniger komplexer sprachlicher Aspekte (z.B. Verbkonjugation) werden wir bzw. werden die Lehrenden beim gezielten Üben weniger Variation und freie Produktion zulassen als bei höherem Kompetenzstand und dem Üben komplexerer Teilkompetenzen (z.B. Schreiben einer Zusammenfassung) (vgl. auch Riemer in diesem Band). Üben zielt damit zugleich auf die Vertiefung und Erweiterung der bereits vorhandenen Handlungspotenziale ab. 2 Chancen und Herausforderungen Überträgt man die bei Wellenreuther (2014) referierten Grundsätze der Expertenforschung auf das Fremdsprachenlernen, dann spricht dies für die von Beile (2006) vertretene starke Steuerung von Lernprozessen im Fremdsprachenunterricht und lässt das kommunikative Handeln in fremdsprachiger Umgebung in seiner unmittelbaren Bedeutung 4 4 Mittelbar, z.B. hinsichtlich der Motivationsentwicklung, mag die Anwendung und der dabei erfahrbare Nutzen des Lernens bzw. Übens des Gelernten sowie des Gelernten an sich ebenso bedeutsam sein. für die Aneignung entsprechender Kompetenzen als weniger wichtig erscheinen als dies zumindest in Alltagstheorien des Fremdsprachenlernens häufig vertreten wird. Denn es ist nicht so sehr „der Umfang der Praxiserfahrung“, der den Ausschlag für die Entwicklung hoher Fremdsprachenkompetenz gibt, sondern die „theoretisch angeleitete und reflektierte Praxis“ (Wellenreuther 2014, 115). Die Chancen des gezielten Übens gegenüber dem bloßen Gebrauch der neu angeeigneten Kompetenzen liegen folglich in der Sicherung, Vertiefung und Erweiterung eines schnelleren und zugleich korrekteren situationsadäquaten Zugriffs auf fremdsprachliche Handlungspotenziale. In der schnelleren Verfügbarkeit des fremdsprachigen Handlungspotenzials und der damit erfahr- <?page no="196"?> Lars Schmelter 196 baren Selbstwirksamkeit und Selbstständigkeit (Autonomie) liegt auch ein motivationaler Aspekt, der im Fremdsprachenunterricht von den Lehrenden zur Stützung der Lernenden genutzt werden kann. Da gezieltes und systematisches Üben zudem voraussetzt, dass der Lernende selbst seinen Lernstand bzw. seine Lernfortschritte beobachtet und bewertet bzw. durch Lehrende auf entsprechender Diagnostik basierende Rückmeldungen hierzu erhält, kann durch Üben der Fossilierung noch unvollständig oder falsch erlernter Strukturen und Kompetenzen entgegengearbeitet werden. Aus der Formulierung der Chancen gezielten Übens lassen sich zugleich die Herausforderungen herauslesen, mit denen sich Lernende und Lehrende (derzeit noch) konfrontiert sehen. So lassen sich beim Lernen von Fremdsprachen für einige sprachliche Strukturen Entwicklungssequenzen und -abfolgen feststellen 5 Für die Lehrenden besteht die Herausforderung u.a. darin, ohne entsprechende empirische Grundlage, d.h. ohne im Einzelnen immer zu wissen, wie sich Lernersprachen in den spezifischen erwerbsbiographischen Konstellationen entwickeln, einerseits entsprechende Entwicklungen der Lernersprachen anzunehmen und andererseits nicht auf einer auch sprachstrukturell bestimmten Progression und damit Diagnostik und Rückmeldung zum Lernfortschritt zu verzichten. Die Situation ist sicherlich für Lehrpersonen auch deshalb herausfordernd, weil sie mit bekannten und lange tradierten Inhalten und Methoden reflektiert umgehen sollten, ohne dass die fremdsprachendidaktische Forschung auf viele der dabei relevanten Fragen gesicherte Antworten geben kann. Ungeklärt bzw. bislang nicht hinreichend empirisch gesichert sind u.a. folgende Fragen: , die durch Lehren, Lern- und Übungsanstrengungen nicht veränderbar sind. Insofern erscheint ein Üben von sprachlichen Strukturen nur dann sinnvoll, wenn diese Anstrengungen voraussichtlich erfolgreich sein können (vgl. auch Riemer in diesem Band; Schmelter 2013). Was, d.h. welche fremdsprachlichen (Teil-)Kompetenzen bzw. welche für diese Kompetenzen notwendigen sprachlichen Strukturen können auf welchem gegebenen Lernbzw. Kompetenzniveau in welcher Form effizient oder überhaupt nur wirksam geübt werden? Wie trägt Üben zur Stützung und Erweiterung der evtl. noch sehr rudimentären kommunikativen Kompetenz in der Fremdsprache bei? Wie geschieht dies auf höherem Niveau? 5 Bzw. aufgrund von Untersuchungen z.B. für Deutsch, Englisch und Französisch als Zweitbzw. erster Fremdsprache für andere Fremdsprachen, die evtl. auch an 2., 3. oder späterer Stelle in den Spracherwerbsbiographien stehen, vermuten (vgl. u.a. Diehl u.a. 2000; Pienemann, 1998). <?page no="197"?> „Lerne Sprachen, übe sie! Das erspart Dir Zeit und Müh.“ 197 Wie können die unter pragmatischen Gesichtspunkten notwendigen gemeinsamen Arrangements in Lerngruppen den individuellen Bedürfnissen, die sich u.a. aus dem Lernstand, den Lernstilen, der Sprachlerneignung ergeben, gerecht werden? Spannungsgeladen und daher für die Gestaltung von Lehr-Lernkontexten herausfordernd ist sicherlich auch das Ausbalancieren zwischen der für die Motivation der Lernenden seit der kommunikativen Wende der 1980er- Jahre als zentral erachteten Inhalts- und vor allem Mitteilungsorientierung der unterrichtlichen Interaktion einerseits und der auf die sprachliche Form gerichteten Aufmerksamkeit, die als weniger interessant und daher weniger motivierend angenommen wird, andererseits. Der Versuch, die für das langfristige Memorieren, für das Beschleunigen der Handlungsausführung bzw. für die sicherere Verwendung notwendigen Wiederholungen durch Üben mit Hilfe von Spielen und ähnlichen „Verkleidungen“ 6 interessanter, motivierender und damit langfristig angenehmer zu gestalten, steht dabei der Definition der Begriffe Lernen - Üben - Anwenden (siehe oben) entgegen. Gerade hier scheint es mir sinnvoll, deutlich die Gegenstände des Übens zu differenzieren. Die richtige Verbbildung scheint entsprechend eher in angenehmer Weise durch repetitives, kompetitives und evtl. zeitlich beschränktes Spiel zur beschleunigten und sicheren Nutzung geübt werden zu können. Demgegenüber wird der korrekte Tempus- und Modusgebrauch in mündlichen und schriftlichen Erzählungen vermutlich stärker über aufmerksamkeitssteuerende Formen des Übens und ggf. (interaktiven) Reflektierens (vgl. u.a. Börner 2000; Eckerth 2003) sowie evtl. über frequente Rezeptionsprozesse zu verbessern sein. 3 Wie weiterforschen? Für die Fremdsprachenforschung gibt es folglich noch viel zu tun. Gerade im Zusammenhang mit der vielerorts angestrebten methodischen Umsetzung der Kompetenzorientierung durch komplexe Lernaufgaben wäre nicht nur zu klären, ob Kompetenz- und Aufgabenorientierung überhaupt flächendeckend im Englisch-, Französisch-, Spanisch-, Russischusw. Unterricht angekommen sind, sondern auch wie im realen Fremdsprachenunterricht sichergestellt wird, dass Neues gelernt und geübt wird und nicht nur Bekanntes angewendet. Damit verbunden wäre dann auch zu prüfen, was in 6 Ich greife hier nur einen der zahlreichen Begriffe exemplarisch heraus, mit denen während der Frühjahrskonferenz auf die Bemühungen verwiesen wurde, die angenommene Last, Langeweile bzw. andere Belastungen des Übens zu verstecken. <?page no="198"?> Lars Schmelter 198 welcher Form aufgrund welcher Übungen tatsächlich zu gesteuerter Aufmerksamkeit beim Anwenden, d.h. zum Üben geführt wird. Dies erfordert einerseits kombinierte Verfahren von Beobachtung und Befragungen. Andererseits wären auch (Quasi-)Experimente und Interventionsstudien wichtig, um z.B. besser darüber Auskunft geben zu können, welche expliziten Hinweise und Rückmeldungen zu einer Beschleunigung der sicheren Anwendung beitragen bzw. wo diese allenfalls nicht hinderlich wirken. Die komplexen forschungsmethodologischen Zusammenhänge, die es bei der Beantwortung einer einfachen Fragestellung im Auge zu behalten gilt, hat Riemer (2011) sehr anschaulich dargestellt. Für Fremdsprachenforschung, die auch vor Ort wirksam werden will, empfiehlt es sich zudem, Studien und Studienverläufe gemeinsam mit Lehrenden zu planen, da so die Akzeptanz und schon die Vermittlung entsprechender Erkenntnisse nach allem, was wir aus der Lehrerbildungsforschung wissen, besser gewährleistet werden kann. Dort, wo die enge Kooperation aus pragmatischen, konzeptuellen oder forschungsmethodischen Gründen nicht möglich ist, sollten die Interventionen dennoch Raum zum Dialog mit den im Unterricht Handelnden lassen. Literatur Beile, Werner ( 4 2006): „Üben und Übungsformen“. In: Jung, Udo O.H. (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt a.M.: Lang, 74- 81. Börner, Wolfgang (2000): „ ‚Das ist eigentlich so ne Übung, wo man überhaupt nicht nachdenken muß‘ - Lernermeinungen zu Grammatikübungen“. In: Riemer, Claudia (Hrsg.): Kognitive Aspekte des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen. Festschrift für Willis Edmondson zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr, 323-337. Burwitz-Melzer, Eva (in diesem Band): „Üben im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht: Ein Plädoyer für einen weiteren Übungsbegriff“, 30-39. Diehl, Erika/ Christen, Helen/ Leuenberger, Sandra/ Pelvat, Isabelle/ Studer, Thérèse (2000): Grammatikunterricht: Alles für der Katz? Untersuchungen zum Zweitsprachenerwerb Deutsch. Tübingen: Niemeyer. Eckerth, Johannes (2003): Fremdsprachenerwerb in aufgabenbasierten Interaktionen. Tübingen: Narr. Holzkamp, Klaus (1995): Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung (Studienausgabe). Frankfurt a.M.: Campus. Pienemann, Manfred (1998): Language Processing and Second Language Development. Processability Theory. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins. <?page no="199"?> „Lerne Sprachen, übe sie! Das erspart Dir Zeit und Müh.“ 199 Riemer, Claudia (1997): Individuelle Unterschiede im Fremdsprachenerwerb. Eine Longitudinalstudie über die Wechselwirksamkeit ausgewählter Einflußfaktoren. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Riemer, Claudia (2011): „Empirie und Fremdsprachenforschung: Herausforderung Forschungsmethodik“. In: Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick. Tübingen: Narr, 194-203. Riemer, Claudia (in diesem Band): „Übung(en) im Fremdsprachenunterricht - Perspektiven der Fremdsprachenerwerbsforschung“, 162-171. Skehan, Peter (1998): A Cognitive Approach to Language Learning. Oxford: Oxford University Press. Schmelter, Lars (2004): Selbstgesteuertes oder potenziell expansives Fremdsprachenlernen im Tandem. Tübingen: Narr. Schmelter, Lars (2013): „Die ‚dienende Funktion‘ der Grammatik im Französischunterricht“. In: Küster, Lutz/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Mythos Grammatik? Kompetenzorientierte Spracharbeit im Französischunterricht. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 74-84. Terhart, Ewald (2009): Didaktik. Eine Einführung. Stuttgart: Reclam. Wellenreuther, Martin ( 7 2014): Lehren und Lernen - aber wie? Empirischexperimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. <?page no="200"?> Chocolate-covered Drill & Practice? Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens mit Fremdsprachenlern-Apps Torben Schmidt 1 Einleitung: Hype oder nachhaltiger pädagogischer Trend - Ist die Zukunft des fremdsprachlichen Übens digital, mobil und spielerisch? Educational Apps, also digitale Anwendungen zur Unterstützung von Lern- und Bildungsprozessen, stellen bezüglich der Nutzerzahlen derzeit eines der am schnellsten expandierenden Marktsegmente im Bereich der Angebote für mobile Endgeräte dar. Spielerisch orientierte (oder typische Spielemechaniken nutzende) Lernprogramme, die häufig unter Begriffen wie Digital Game-Based Learning, Educational Video Games, Serious Games, Edutainment oder EduGames (vgl. Prensky 2005) zusammengefasst werden, bilden dabei neben Lerntechnologien wie Simulationsprogrammen (z.B. zum Einüben der Arbeitsprozesse mit technischen Systemen im Rahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung) oder Learning Management-Systemen (z.B. Moodle) die eindeutig stärkste Produktgruppe. So erreichten laut Ambient Insight (2015) die weltweiten Einnahmen für diese Anwendungen (für mobile sowie nicht mobile Endgeräte insgesamt) im Jahr 2014 ca. 1,8 Milliarden US Dollar. Auf fünf Jahre gesehen beträgt die jährliche Wachstumsrate laut dieser Studie 21,9 %, und die erwarteten Einnahmen liegen für 2019 bereits bei 4,9 Milliarden US Dollar. Die Umsätze werden dabei im Consumer- Segment vor allem in drei Edugame-Arten konzentriert: Frühförderung/ Kindheit, Gehirn-Trainer und schließlich Sprachlernspiele. Speziell im letztgenannten Bereich sind die Vielfalt der Angebote, die Nutzerzahlen sowie die Investitionssummen beachtlich. Als Beispiel sei hier die kostenlose Sprachlern-App Duolingo mit mehr als 100 Millionen (Stand 2015) Sprachenlernenden und im selben Jahr 45 Millionen US Dollar frischem Kapital von Google genannt. Insgesamt reicht die Bandbreite der Programme von lehrwerkbegleitenden Angeboten (z.B. Vokabel- oder Grammatik-Apps oder CD-ROMs als Beilage zum Workbook) über verlagsunabhängige Software <?page no="201"?> Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens … 201 für bestimmte Lernniveaus oder Fertigkeitsbereiche bis hin zu kompletten Sprachkursen. Fakt ist: Nie gab es ein derart großes Angebot an Fremdsprachen- Lernsoftware. Werbeslogans wie „Spielerisch zum Lernerfolg“, „Üben mit Spaß“, „Sprachkurs mit Lernspielen“, „Learning with […] is fun and addictive“ etc. zeigen, wie digitales Fremdsprachenlernen derzeit gerne ‚verpackt‘ und wie sehr hier nicht das in der Regel anstrengende und Ausdauer erfordernde Lernen und Üben, sondern der vermeintliche Spaß durch spielerische Prozesse in den Vordergrund gestellt wird. Sind Fremdsprachenlern-Apps nun also ein Hype oder ein nachhaltiger pädagogischer Trend? Über die Zukunft des Einsatzes, die Verbreitung und den Lernerfolg durch digitale, spielerisch orientierte Übungs-Apps aus pädagogischer und fremdsprachendidaktischer Sicht zu spekulieren, ist gewagt, zumal bisher wenig über Langzeitfolgen, tatsächliche Lerneffekte und sinnvolle Einsatzformen bekannt ist. Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, zunächst einleitend auf das Phänomen Gamification speziell in Bezug auf Bildungs- und Lernprozesse einzugehen. Der Fokus des Beitrags liegt dann auf der Präsentation und Diskussion zentraler Ergebnisse des Lüneburger EU-Forschungsprojekts LudiCALL (Laufzeit 2013-2015). Im letzten Teil des Beitrags soll dann aufbauend darauf der Blick auf die Möglichkeiten von Big Data und Learning Analytics geworfen werden. Möglichkeiten und Grenzen, Einsatzszenarien aber auch ethische sowie datenrechtliche Probleme der Schaffung adaptiver, personalisierter Übungs- und Spielumgebungen für das Fremdsprachenlernen sollen hierbei kritisch diskutiert werden. 2 Üben mit aktuellen digitalen Fremdsprachenlernspielen auf dem Prüfstand: Methoden und ausgewählte Ergebnisse der LudiCALL- Forschung 2.1 Methodik Das Projekt LudiCALL (2013-2015) gliederte sich in zwei Phasen: Erstens die Analyse aktuell erhältlicher, digitaler Fremdsprachenlernspiele und zweitens, basierend auf den hierbei gewonnenen Erkenntnissen, die Entwicklung und Erprobung digitaler Sprachlernanwendungen. Der Fokus dieses Abschnitts liegt auf auf der Beschreibung von Methoden und für das Thema des Beitrags relevanten Ergebnissen der ersten Projektphase. Zunächst wurden 150 digitale Fremdsprachenlernspiele zusammengetragen, wobei die Recherche primär unter Nutzung von Ratings und Beschreibungen in App- Vertriebsangeboten, wie dem App Store oder dem Google Play Store, aber auch basierend auf Ergebnissen der Analyse-Website App Annie, der Durch- <?page no="202"?> Torben Schmidt 202 sicht von Angeboten von Bildungsverlagen und Institutionen (z.B. British Council, Goethe Institut) und schließlich existierenden Lernspiel- Datenbanken (z.B. http: / / www.dji.de; http: / / www.gamesforchange.org) beruhte. Es folgte dann durch einen qualitativen Stichprobenplan bzw. ein selektives Sampling eine Reduktion auf insgesamt 50 Anwendungen. Hierbei bestand kein Anspruch auf statistische Repräsentativität, sondern vielmehr war es das Ziel, theoretisch bedeutsame Merkmalskombinationen und Programmtypen für verschiedene Sprachen, Lernniveaus, Altersgruppen, Betriebssysteme und Nutzungskosten ausgewogen auszuwählen. Insgesamt wurde bei dieser Studie der Begriff ‚Fremdsprachenlernspiel‘ als Sammelbegriff für digitale Fremdsprachenlernprogramme verwendet, bei denen im Sinne der Gamification nach Groh (2012, 41) “the use of game design elements in non-game contexts” festzustellen war und somit Spielmechaniken (vgl. auch Abb. 1) mit fremdsprachlichem Üben verbunden wurden. Für die eigentlichen Programmanalysen wurde dann in Zusammenarbeit von Fremdsprachendidaktikern und Spieleforschern die „Lüneburger Prüfliste für digitale Fremdsprachenlernspiele“ (http: / www.ludicall.de/ testfrage bogen) entwickelt. Diese beinhaltet 25 Kategorien mit insgesamt über 90 Fragen bzw. Bewertungs-Items, so etwa zum Hintergrund, Entstehungs- und Distributionskontext der Programme (z.B. Hersteller, Sprachen, Vertriebsmodell und Preise), zum fremdsprachendidaktischen Design (z.B. Sprachniveau, Aufgaben- und Übungsgestaltung, didaktische Interaktionen), zum Spieldesign (z.B. Spieltyp, digitale Spielmechaniken), zur multimedialen Gestaltung (z.B. Layout, Multicodierung, Multimodalität), zur Usability (z.B. Bildschirmaufbau, Navigation, Bedienung) und zur wissenschaftlichen Fundierung (Sichtung ggf. existierender Forschungsarbeiten zum jeweiligen Programm). Zur Erhöhung der Reliabilität wurde kooperativ von den beteiligten Wissenschaftlern ein Leitfaden für die Nutzung der Prüfliste entwickelt. Zusätzlich wurden regelmäßig in der Gruppe gemeinsame Analysen durchgeführt, unabhängige Analysen einzelner Programme durch verschiedene Rater vorgenommen, Ergebnisse verglichen und zur Weiterentwicklung des Leitfadens genutzt. 2.2 Formen des Übens, Kompetenzbereiche, didaktische Interaktionen Der bei weitem größte Anteil der 50 getesteten Programme (78 %) bietet Übungen, die sich an Lernende auf den Niveaustufen A1-A2 (gem. GeR) richten, wobei tatsächlich auch bzgl. der behandelten Inhalte und Wortfelder am häufigsten Software für Kinder im Grundschulalter und Anfänger zu finden ist. 34 % der Lernspiele bieten auch Übungen für die Niveaustufen <?page no="203"?> Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens … 203 B1-B2 und in nur 18 % der Fälle konnte bzgl. des Schwierigkeitsgrades eine Zuordnung zu C1-C2 vorgenommen werden. Bzgl. der in den Programmen verwendeten Übungsformate konnte zunächst eine sehr starke Dominanz geschlossener Übungstypen wie Multiple Choice (in 64 % der Programme anzutreffen), Zuordnungsübungen wie Bild/ Audio-Wort-Zuordnung (58 %), Sortieraktivitäten wie z.B. Wörter eines Satzes ordnen (30 %) und sehr häufig Lückentextübungen verschiedener Arten (80 %) festgestellt werden - also ausschließlich Formen des Übens, die bereits aus frühen Formen des computergestützten Fremdsprachenlernens seit Jahrzehnten bekannt sind. Insgesamt bestanden ca. 82 % der getesteten Programme überwiegend aus diesen Übungsformen (vgl. Abb. 1, Duolingo), bei denen die Antwortmöglichkeiten klar eingeschränkt sind. Halboffene oder offene Übungsformate, die z.B. eine eigenständige Textproduktion, eine Recherche, eine kollaborative Bearbeitung, ein Explorieren oder Problemlösen etc. erfordern, finden sich nur sehr vereinzelt, durchschnittlich bei etwa 4 % der Programme. Darüber hinaus ist bzgl. der Übungsinhalte zu bemängeln, dass diese leider nur sehr selten in kommunikative und an den Bedürfnissen der Lernenden ausgerichtete Anwendungskontexte eingebunden sind. Stattdessen wird Fremdsprachenlernen im Sinne eines behavioristisch anmutenden Drill & Practice-Ansatzes verstanden, der zumeist mit vielen Wiederholungsschleifen wie auch mit einer linearen, festgelegten Bearbeitungsreihenfolge versehen ist und als isoliertes Training von Wortschatz (häufig als reine Übersetzungsaktivitäten auf der Wort- und Satzebene) sowie Grammatik konzipiert ist. Der Großteil der Programme zeichnet sich durch eine starke Steuerung des Übungsprozesses aus, die sich insbesondere in einer starr vorgegebenen Progression sowie zumeist wenigen Auswahloptionen (Inhalte, Reihenfolge, offene Antworteingaben) und Anpassungsmöglichkeiten (Grad der Unterstützung, Schwierigkeitsgrad) für die Nutzer bemerkbar macht. Insgesamt bieten 84 % der Programme Wortschatztraining, 50 % der getesteten Spiele bieten Grammatikübungen. Darüber hinaus sind Übungen zum Training der rezeptiven Fertigkeiten wie Hörverstehen und Leseverstehen (kombiniert mit den zuvor angesprochenen geschlossenen Übungsformaten und zumeist auf das Abprüfen des Detailverstehens beschränkt) relativ häufig anzutreffen (63 % der Programme bieten Hörverstehens- und 44 % Leseverstehensübungen). Demgegenüber geht die Förderung des Sprechens in der Regel über die vereinzelten Möglichkeiten der Spracheingabe einer vorgegebenen Ein-Wort-Antwort zum Füllen einer Lücke oder dem Vorlesen eines Wortes oder Satzes (vgl. Abb. 1) nicht hinaus. Bezüglich der didaktischen Interaktionen zwischen Programm und Nutzer sowie der Anpassung des Programms an die Bedürfnisse der Lernenden fällt auf, dass nur in Einzelfällen z.B. ein Einstufungstest durchgeführt wird <?page no="204"?> Torben Schmidt 204 sowie Möglichkeiten der individuellen Anpassung der Lernziele und gewünschten zeitlichen Übungsintensität geboten werden (z.B. bei Duolingo). Bzgl. des Lern- und Übungswegs ist aber eher von einer One Fits All-Lösung zu sprechen. Defizitär ist schließlich bei allen getesteten Programmen das generierte Feedback zu den eingegebenen Antworten. Zwar werden die Eingaben stets unmittelbar ausgewertet und mit einem akustischen (Musik, Applaus etc.), visuellen (z.B. Häkchen, Bilder, Animationen), mündlichen wie schriftlichen Feedback (z.B. „Well done! “; „Das sieht nach einem Tippfehler aus.“ etc.). versehen. Dieses hat jedoch zumeist aber den Charakter eines reinen Richtig/ Falsch-Feedbacks im Vergleich mit einer Musterlösung. Tiefer gehende Analysen von Fehlern und darauf basierende elaboriertere Rückmeldungen oder Lernempfehlungen sind leider Mangelware. Abb. 1: Drei Beispiel-Übungsformate Duolingo (Lernsprache Spanisch) 2.3 Einsatz von Spielmechaniken Insgesamt kommen in den getesteten Anwendungen sehr unterschiedliche bzw. in der Regel Kombinationen aus verschiedenen Spielmechaniken zum Einsatz. So gibt es z.B. in 54 % der Programme ein Punktesystem. Der Lernende erhält Punkte (experience points oder auch XPs) als Belohnung für seine Handlungen, so z.B. für korrekt gelöste Übungen, die Bewältigung von Übungen eines bestimmten Schwierigkeitsgrads oder die Übungsdauer oder -regelmäßigkeit. 22 der 50 Programme bieten ein Progression Tracking an, also eine Fortschrittsanzeige (Punkte, Balken, Prozentwerte etc.). Immerhin <?page no="205"?> Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens … 205 zwölf der 50 analysierten Titel bieten zumeist in Kombination mit einem Progression Tracking ein zugrundeliegendes Level-System. Weitere regelmäßig zum Einsatz kommende Mechaniken sind etwa Countdowns, also Zeitbudgets für die Bearbeitung einzelner Übungen (20 %), Ranglisten (14 %) sowie ein Bonus-Vergabesystem (z.B. ein Extra-Level oder doppelte Punktzahl, wenn man fehlerfrei arbeitet, Umwandlung der Restzeit in Bonuspunkte etc.) (10 %). Auch sogenannte “Badges” als Statusgegenstände, Auszeichnungen oder Abzeichen, die einen Spieler von anderen abheben und seine erbrachte Leistung öffentlich darstellen, sind bei einigen Programmen anzutreffen. In der Gesamtschau der verwendeten Spielemechaniken fällt insbesondere auf, dass die Spielelemente fast ausschließlich entweder als Belohnungssystem nach erfolgreicher Bearbeitung von Übungen oder als Anreizsystem zum Bearbeiten weiterer Übungen genutzt werden. Dabei sind die Übungsinhalte und die spielerischen Funktionen zumeist inhaltlich überhaupt nicht miteinander verknüpft. Das Sprachenlernen wird also in fast allen getesteten Programmen nicht systematisch und inhaltlich in eine zusammenhängende Spielhandlung eingebaut, sondern es werden bekannte Sprachübungsformate genutzt und gewissermaßen mit einem „[…] Gamification-Zuckerguss in Form von Level-Systemen, Ranglisten, Auszeichnungen, Wettbewerben, Countdowns etc.“ versehen. Dieser kann aber „über die häufig mangelnde didaktische Qualität vieler bereits aus Programmen der frühen 90er-Jahre bekannten Übungsformate nicht hinwegtäuschen“ und bleibt allzu „oft lediglich schmückendes Beiwerk mit allenfalls motivierendem Potenzial“ (Schmidt 2016). 3 Ausblick: Big Data, Learning Analytics, adaptives Üben und intelligente Feedbackformen Eines der zukünftig potenziell bedeutsamsten, gerade in seiner frühen Entstehung befindlichen Forschungsgebiete im Kontext des computergestützten Lernens ist der Bereich der Learning Analytics (vgl. Fletcher 2013; Kerr 2016; Lavieri 2014; Murray/ Pérez 2015). Zwar sind die Auswertung zentraler Nutzereingaben und Merkmale des Nutzungsverhaltens (z.B. Anzahl der richtigen und falschen Antworten, Auswahl von Übungsthemen, Häufigkeit der Nutzung von Hilfsangeboten), das Anbieten von Feedback und auch das Anpassen des Lernwegs seit vielen Jahren in mehr oder minder ansprechender Qualität typische Merkmale von digitalen Fremdsprachenlernangeboten. Jedoch beruhte in der Vergangenheit - und auch bei vielen der derzeit erhältlichen Programme ist dies der Fall - die Adaptivität zumeist programmiertechnisch auf von Menschen entwickelten Entscheidungsbäumen. Entscheidungen der Nutzer, Eingaben und Auswahlverhalten wurden also <?page no="206"?> Torben Schmidt 206 antizipiert und im Vorfeld mit entsprechenden Reaktionen der Software versehen. Die Adaptivität findet bei diesem Ansatz also in eingeschränktem Rahmen und in Bezug auf die Eingaben eines einzelnen Benutzers statt. Durch die technischen Entwicklungen im Bereich des online-basierten Übens sind moderne Anwendungen in punkto adaptives Üben aufgrund der Möglichkeiten von Big Data und Learning Analytics allerdings zu weitaus mehr in der Lage und können wichtige Bausteine zur Schaffung hochgradig personalisierter Lernkontexte liefern. Variablen wie Lernhistorien (z.B. Lernzeit, Anzahl der Wiederholungen, Abbruchverhalten, Vergleiche zu erreichten Ergebnissen in der Vergangenheit, Lernschritte), ausgewählte Inhalte, Arten von typischen Fehlern mit Bezug auf bestimmte Übungen, Reaktionen auf bestimmte Feedbackformen etc. können hierbei unter Rückgriff auf die Daten sämtlicher Nutzer weltweit einer Software oder auch ausgewählter Teilmengen (z.B. die Mitschüler einer Englischklasse oder eines Jahrgangs, vgl. Abb. 2) analysiert werden. Im Idealfall ist das System dann darauf basierend in der Lage, eine Anpassung des individuellen Lernwegs vorzunehmen, Übungen und Inhalte auszuwählen, die besser zum individuellen Lernbedarf passen und angemessen schwierig sind, sowie bedarfsgerechte Feedback- und Unterstützungsangebote zu offerieren. Neben den im Mittelpunkt stehenden Möglichkeiten für die Lernenden eröffnen sich insgesamt für Lehrkräfte, Schuladministratoren, aber auch Hersteller von Übungsmaterialien durch Learning Analytics neuartige Chancen, Einblicke in Lernprozesse, Übungsverhalten, Leistungsstände etc. zu gewinnen. Hier wäre es höchst wünschenswert, dass diese Erkenntnisse im Sinne der Qualitätsentwicklung kritisch reflektiert und zur Verbesserung von Schule und Unterricht genutzt werden. <?page no="207"?> Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens … 207 Abb. 2: Beispiel-Auswertungsseite für Lehrkräfte und Lernende (Knewton 2015) (Bildquelle: http: / / tinyurl.com/ nbh9jlg) Bei allen möglichen Chancen, die Big Data, Learning Analytics und das vermeintlich ‚gläserne Lernen‘ für eine Verbesserung der Qualität von schulischen Lehr-/ Lernprozessen, die Entwicklung von Übungen aber auch im Kontext der Qualitätsentwicklung von Bildungsinstitutionen theoretisch bieten, sollte der Beschäftigung mit ethischen und moralischen Dimensionen des Sammelns und Analysierens von Lernendendaten ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt werden (vgl. Slade/ Prinsloo 2013). Im Sinne einer größtmöglichen Transparenz muss festgelegt und kommuniziert werden, zu welchem Zweck welche Daten von welchen festgelegten Nutzern eingesehen und analysiert werden können, welche Maßnahmen zum Schutz der Identität des individuellen Nutzers getroffen werden, wie lange die Daten in Abstimmung mit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Standards gespeichert werden und welche Möglichkeiten ein System dem Nutzer bietet, die Löschung persönlicher Daten zu beantragen (vgl. Mayer-Schönberger 2009). Liegt die Macht über die Ausgestaltung der Nutzungsbedingungen und des Daten-Managements etwa beim Einsatz eines Learning Management Systems wie Moodle auf dem Schul- oder Universitätsserver <?page no="208"?> Torben Schmidt 208 noch weitestgehend in der Hand der jeweiligen Bildungsinstitution, so liegt die Kontrolle über die Daten beim Einsatz eines Drittanbieters (z.B. von kommerziellen Fremdsprachenlern-Apps) zumeist vollständig außerhalb des Einflussbereichs der Institution. Hier sind überzeugende, rechtlich einwandfreie, idealerweise deutschlandweit einheitliche Datenschutz- und Datenmanagement-Lösungen gefragt. Abschließend sei noch auf die Gefahr der Überinterpretation und Überschätzung der Aussagekraft von Big Data und Learning Analytics in Bezug auf die bisher vor allem sehr stark in den USA geführte Diskussion um datadriven school improvement (vgl. Mandinach/ Honey 2008) hingewiesen. So nützlich es für Lehrkräfte, Schulen und Schulträger sein mag, erhobene Ergebnisse und Lernverläufe von Schülern, Klassen, Jahrgängen etc. einzusehen und gut reflektiert zur Optimierung von Lehr-/ Lernprozessen zu nutzen, so falsch ist es doch, wenn ausschließlich basierend auf den gewonnenen Daten die Effektivität einer Intervention und somit insgesamt der Lernerfolg pauschal abzulesen versucht wird. Lernerfolg ist ein facettenreiches, multidimensionales Konstrukt, das sich bei weitem nicht nur im Bearbeitungsverhalten und -erfolg der digitalen Übungen und Aufgaben manifestiert. Learning Analytics liefern hierbei ein aufschlussreiches und für Qualitätsentwicklung notwendiges, aber gleichzeitig sehr limitiertes Bild des Lernenden und der stattfindenden Lern- und Kompetenzerwerbsprozesse - nicht zuletzt, weil die zugrundeliegenden Test- und Übungsformate nur sehr eingeschränkt geeignet sind, um Kompetenzstände in verschiedenen Bereichen valide zu modellieren. Auf der Ebene des individuellen Lerners ist unterstützt durch die vom System erhobenen Daten eine weitaus differenziertere, ganzheitliche Betrachtung durch die Lehrkraft nötig, um die Qualitätsansprüche eines adaptiven, personalisierten Lernens zu realisieren und Lern- und Unterstützungsangebote bedarfsgerecht auszuwählen. Kruse/ Pongsajapan (2012) ebenso wie Gašević et al. (2013) fordern daher einen stark lernzentrierten im Gegensatz zu einem interventionszentrierten Zugang zu Learning Analytics „to serve [the students’] learning and development, and not just the efficiency of institutional profiling and interventions” (Slade/ Prinsloo 2013, 13), „[and] empower […] [the students] as metacognitive agents of their own learning” (Kruse & Pongsajapan 2013, 1). Insgesamt wäre ein Disziplinen übergreifendes, internationales Forschungs- und Entwicklungsprogramm zum Thema Learning Analytics unbedingt erforderlich, das etwa mit Bezug auf das Beispiel Fremdsprachenlernen Forschende aus den Bereichen Fremdsprachendidaktik, (Computer-) Linguistik, Pädagogik und Psychologie mit Vertretern von Data Mining, Machine Learning, Data Visualisation und Usability Research aber auch Produktionsfirmen und Entwicklern außerhalb der Universität sowie Lehr- <?page no="209"?> Möglichkeiten und Grenzen des ‚gamifizierten‘, adaptiven Übens … 209 kräften und Schulleitungen zusammenbringt. Dringend notwendig sind Forschungsarbeiten, die sich mit Qualitätskriterien digitaler Fremdsprachen-Übungsformate beschäftigen, Rahmenbedingungen und Merkmale des digitalen Übens genauer erforschen und insgesamt Effekte auch im Vergleich zu traditionellen Übungskontexten messen. Auch bzgl. der genauen Wirkungszusammenhänge der Nutzung von Gamification-Mechaniken in diesem Kontext sowie der Nutzung von Commercial Off the Shelf-Games (also nicht für das Fremdsprachenlernen konzipierte Spiele) zur Unterstützung fremdsprachlicher Übungsprozesse steht die Forschung noch am Anfang. Literatur Fletcher, Seth (2013): „How Big Data Is Taking Teachers Out of the Lecturing Business“. Scientific America. August 1 st 2013. http: / / www.scientific american.com/ article/ how-big-data-taking-teachers-out-lecturing-business/ (27.12.2015). Gašević, Dragan/ Dawson, Shane/ Siemens, George (2015): „Let's not forget: Learning analytics are about learning“. TechTrends 59 (1), 64-71. http: / / www.sfu.ca/ ~dgasevic/ papers_shared/ techtrends2015.pdf (27.12.2015). Groh, Fabian (2012): „Gamification: State of the art definition and utilization“. In: Asaj, Naim/ Könings, Bastian/ Poguntke, Mark/ Schaub, Florian/ Wiedersheim, Björn/ Weber, Michael (Hrsg.): Proceedings of the 4th Seminar on Research Trends in Media Informatics. Ulm: Ulm University, 39-46. Kerr, Philip (2016): „Adaptive learning“. In: ELT Journal 70 (1), 88-93. Kruse, Anna/ Pongsajapan, Rob (2012): „Student-centered learning analytics“. CNDLS Thought Papers. https: / / cndls.georgetown.edu/ m/ documents/ thoughtpaper-krusepongsajapan.pdf (29.12.2015). Lavieri, Edward (2014): „A Study of Adaptive Learning for Educational Game Design“. ProQuest UMI. http: / / search.proquest.com/ docview/ 1562778630 (27.12.2015). Mandinach, Ellen B./ Honey, Margaret (Hrsg.) (2008): Data-Driven School Improvement: Linking Data and Learning. Economic Policy Institute and Teachers College. Mayer-Schönberger, Viktor (2009): Delete. The Virtue of Forgetting in the Digital Age. Princeton, NJ: Princeton University Press. Murray, Meg Coffin/ Pérez, Jorge (2015): „Informing and performing: A study comparing adaptive learning to traditional learning.“ Informing Science: the International Journal of an Emerging Transdiscipline 18, 111-125. http: / / www.inform.nu/ Articles/ Vol18/ ISJv18p111-125Murray1572.pdf (27.12.2015). <?page no="210"?> Torben Schmidt 210 Prensky, Marc (2005): Don’t Bother Me, Mom, I’m Learning! How Computer and Video Games are Preparing Your Kids for 21st Century Success and How You Can Help! New York: Paragon House. Reinders, Hayo (2012): Digital Games in Language Learning and Teaching. Basingstoke u.a.: Palgrave Macmillan. Schmidt, Torben/ Schmidt, Inke/ Schmidt, René Philipp (2016): „Digitales Spielen und Lernen - A Perfect Match? : Pädagogische Betrachtungen vom kindlichen Spiel zum digitalen Lernspiel“. In: Dadaczynski, Kevin/ Schiemann, Stephan/ Paulus, Paulus (Hrsg.): Gesundheit spielend fördern: Potenziale und Herausforderungen von digitalen Spielanwendungen für die Gesundheitsförderung und Prävention. Weinheim u.a.: Beltz Juventa, 18-49. Schmidt, Torben (2016): „Appschaffung der Lehrkraft? Potenziale und Grenzen digitaler Lernprogramme zur Unterstützung von Fremdsprachenlernprozessen“. In: Friedrich Jahresheft 2016 „Lehren“, 98-100. Slade, Sharon/ Prinsloo, Paul (2013): „Learning analytics: ethical issues and dilemmas”. In: American Behavioral Scientist 57 (10), 1509-1528. Waters, John K. (2014): „Adaptive Learning. Are we there yet? ” In: The Journal. April 2014. https: / / thejournal.com/ Articles/ 2014/ 05/ 14/ Adaptive-Learning- Are-We-There-Yet.aspx? Page=4&p=1 (27.12.2015). <?page no="211"?> Üben im fremdsprachlichen Literaturunterricht? Überlegungen zu einer vernachlässigten Frage - mit einem besonderen Fokus auf Handlungsorientierung Carola Surkamp 1 Üben im Fremdsprachenunterricht: eine kleine Bestandsaufnahme Sichtet man die fremdsprachendidaktische Literatur zum Thema ‚Üben‘ der letzten Jahre, so fällt auf, dass nahezu ausschließlich sprachdidaktische Ziele in den Blick genommen werden (vgl. zuletzt Kieweg 2014a). Das Üben im Fremdsprachenunterricht soll dazu dienen, rezeptive und produktive sprachliche Fertigkeiten sowie eine korrekte Aussprache und die Bewältigung interaktiver Situationen in der Fremdsprache zu verbessern und zu festigen (vgl. Klippel 2010, 315). Angestrebt wird der „Erwerb von Flüssigkeit im Sprachgebrauch“ (ebda), d.h. es geht um den Ausbau prozeduralen Wissens, also Sprachkönnens, während deklaratives Wissen, z.B. Grammatik- oder Orthografiekenntnisse, durch Wiederholung gefestigt werden kann (vgl. ebda). Unterschieden werden das explizite, gezielte Üben einer bestimmten sprachlichen Fertigkeit durch in der Regel stark didaktisierte Übungsformen wie Imitation oder die Ergänzung von Lückentexten und das implizite Üben, das weniger formdenn mitteilungsbezogen erfolgt, z.B. in Spielen, die die Verwendung einer bestimmten Sprachstruktur erfordern (vgl. ebda). Vor dem Hintergrund des Erreichens fremdsprachlicher Kommunikations- und Handlungsfähigkeit in realen Gesprächssituationen als langfristiges, übergeordnetes Ziel des Übens (vgl. Beile 2009, 75) besteht heute insgesamt das Bestreben, für den Fremdsprachenunterricht möglichst kommunikative Übungen zu entwickeln (vgl. z.B. De Florio-Hansen 2007). 1 1 Vgl. auch Leupold (2000, 141), der für ein handlungsorientiertes Üben im Fremdsprachenunterricht plädiert, „verstanden als ein Üben, das zwar didaktisch motiviert ist, das aber die Verwendung sprachlicher Strukturen durch den Lernenden mit einem eigenverantwortlichen, intentionalen und ganzheitlichen Handeln verbindet und auf diese Weise auf die Bewährung in einer realen Situation vorbereitet“. <?page no="212"?> Carola Surkamp 212 Allenfalls beim Lesenüben, also bei der Fokussierung auf eine der rezeptiven sprachlichen Fertigkeiten, kommt auch der fremdsprachliche Literaturunterricht ins Spiel. Im Mittelpunkt steht zwar meist die Verbesserung von Grundfertigkeiten wie die schnellere Dekodierung von Wörtern und Sätzen in der Fremdsprache (bottom-up processing). Aber auch die für das literarische Lesen besonders relevante Entwicklung höherstufiger Lesefertigkeiten, wie das Erkennen von satzübergreifenden Verbindungen oder die Inferenz- und Hypothesenbildung (top-down processing), wird bei Übungsvorschlägen hier und da mitbedacht (vgl. z.B. Ehlers 2007). Genuin literaturdidaktische Ziele werden beim Thema ‚Üben‘ bislang allerdings eher vernachlässigt. Dies mag daran liegen, dass sich insbesondere SprachdidaktikerInnen mit dem Üben im Fremdsprachenunterricht befasst haben und dabei die Ziele des Literaturunterrichts wahrscheinlich nicht im Blick hatten. Umgekehrt scheinen LiteraturdidaktikerInnen das Thema ‚Üben‘ als für ihren Bereich nicht sonderlich relevant zu erachten. Aber bedeutet dies, dass es im fremdsprachlichen Literaturunterricht nichts zu üben gibt? Die Erschließung, Analyse und Interpretation literarischer Texte sind doch Fertigkeiten und Fähigkeiten, die Lernenden nicht einfach in den Schoß fallen, sondern die erlernt werden und daher auch geübt werden müssen. Für den Deutschunterricht hat dies schon Wolfgang Menzel (2000, 12f.) betont: Es ist ein Irrtum anzunehmen, ausschließlich in den normativen Bereichen wie der Rechtschreibung und Grammatik oder den Fertigkeitsbereichen wie dem Vorlesen oder Abschreiben [...] müsse geübt werden, im kreativen Schreiben aber oder im handlungsorientierten Literaturunterricht oder beim Interpretieren von Texten gäbe es so gut wie nichts zu üben, da kreative, kognitive oder interpretative Prozesse so etwas wie spontane „Schübe von Einfallsreichtum und Fantasie“ seien. Wer so denkt, schätzt falsch ein, was Übung und Training vermögen und wozu sie dienen. In einzelnen Schriften zum Thema ‚Üben‘ wird denn auch die Gedichtinterpretation als ein Bereich notwendigen Übens ausgewiesen (vgl. z.B. Heymann 1998, 10). Dieser wird jedoch nicht näher spezifiziert. Es bedarf also einer Auseinandersetzung mit den Fragen, welche Fertigkeiten und Fähigkeiten genau benötigt werden, um einen literarischen Text interpretieren zu können, und wie diese eingeübt werden können. <?page no="213"?> Üben im fremdsprachlichen Literaturunterricht? 213 2 Entwicklung literaturbezogener Kompetenzen: Was und wie kann im Literaturunterricht geübt werden? Die Interpretation eines literarischen Textes - zumal in der Fremdsprache - ist ein komplexer Prozess, der über die Einübung einer einzelnen Fertigkeit weit hinausgeht. In der allgemeinen Didaktik werden aufgrund solcher komplexer Prozesse, zu denen z.B. auch die Lösung eines mathematischen Anwendungsproblems oder das Verfassen eines Geschichtsreferats gezählt werden, nicht zwei idealtypische Zieldimensionen des Übens unterschieden, sondern drei: Neben der Aneignung von Wissen in Form von Kenntnissen sowie der Aneignung und Automatisierung von (psychomotorischen oder mentalen) Fähigkeiten kommt als dritte Zieldimension die Entwicklung von komplexen Fähigkeiten hinzu (vgl. Heymann 1998, 8). Ausgehend von einem weiten Kompetenzbegriff, der neben Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auch motivationale, volitionale und soziale Bereitschaften umfasst (vgl. Klieme et al. 2003, 65), wird innerhalb der fremdsprachlichen Literaturdidaktik in den letzten Jahren verstärkt über Modellierungsmöglichkeiten literaturbezogener Kompetenzen nachgedacht (vgl. Burwitz-Melzer 2007, Surkamp 2012). Nach diesen setzt sich Literaturkompetenz aus verschiedenen Teilkompetenzen zusammen, die sich in drei Bereichen verorten lassen: im motivational-attitudinalen, im ästhetischkognitiven und im sprachlich-diskursiven Bereich (vgl. auch Diehr/ Surkamp 2015). So gehören die Fähigkeit zum Einlassen auf einen fremdsprachigen literarischen Text und zur Herstellung von Bezügen zur eigenen Lebenswelt ebenso zu literaturbezogenen Kompetenzen wie das Erkennen und Deuten ästhetischer Darstellungsverfahren und die Artikulation und Kommunikation emotionaler und kritischer Reaktionen auf den Text in der Fremdsprache. Wie können diese Teilkompetenzen nun geübt werden? Swantje Ehlers (2007, 290) schlägt zur Schulung von Inferierfertigkeiten beim Lesen vornehmlich kognitive Übungen in Form von „Fragen zu Motiven, Hintergründen, Zielen von Handlungen“ bzw. „zu inneren Reaktionen von Figuren einer Geschichte“ vor. Weitere Übungen, die sie für die Beschäftigung mit literarischen Texten nennt, sind das „Ausdeuten von einzelnen Situationen und Verflechtungen von Figuren“ und das Erzeugen von „Assoziationen und Erinnerungen an eigene Erlebnisse“ (ebda). Wie genau, d.h. durch welche Aktivitäten Schülerinnen und Schüler lernen können, eigene Vorstellungen und Erfahrungen an das Gelesene heranzutragen, wird nicht näher erläutert. Gerade für das Festigen der Fähigkeit, sich in die in einem fremdsprachigen Text dargestellten Lebensweisen einzufühlen, sowie für die Weiterent- <?page no="214"?> Carola Surkamp 214 wicklung der Bereitschaft, sich mit anderskulturellen Perspektiven auseinanderzusetzen und dabei Bezüge zur eigenen Lebenswelt herzustellen, werden innerhalb der Literaturdidaktik seit Jahren handlungsorientierte Verfahren als zielführend angesehen. So propagiert Daniela Caspari (2000, 147) Fantasie und Kreativität als Prinzipien für das Üben im Fremdsprachenunterricht: Übungsformen wie Pantomime, Standbilder und Statuen bauen, Rollenmonologe entwerfen, Stimmenskulpturen gestalten oder das Zeitungstheater erleichtern es den Lernern, sich in fremde Personen und Situationen hineinzudenken und hineinzufühlen. Eine handlungsorientierte Literaturdidaktik begreift Lesen nicht als passiven Akt der Informationsentnahme, sondern als kreativen Akt der Bedeutungsbildung, in den auch affektive und imaginative Momente involviert sind (vgl. Surkamp 2007). Es soll ein subjektiv relevantes Lernen mit möglichst vielen Sinnen und im praktischen Tun ermöglicht werden. Dabei ist die Herstellung konkreter Lernerprodukte bei der Beschäftigung mit dem Text zentral, um individuelle Textaneignungsprozesse zu unterstützen. Statt Wissensvermittlung steht die Anregung der Lernenden zur Hypothesenbildung, zur intensiven Lektüre, zum Nachfragen, Reagieren, Stellungnehmen und zur kreativen Textverarbeitung im Vordergrund. Handlungsorientiertes Üben kann daher aus konzeptioneller Sicht zur Festigung von Teilkompetenzen in allen drei Bereichen literaturbezogener Kompetenzen beitragen: Im motivational-attitudinalen Bereich fördern sie die Entwicklung der Imaginations- und Assoziationsfähigkeit der Lernenden, im ästhetisch-kognitiven Bereich das inhaltliche Textverstehen (z.B. durch das Füllen von Leerstellen) und im sprachlich-diskursiven Bereich die Artikulation und Aushandlung von individuellen Deutungsangeboten. Wie empirische Studien zum handlungsorientierten Literaturunterricht zeigen, besteht jedoch ein Kontrast zwischen dem, was handlungsorientierten Übungen in der Theorie zugeschrieben wird, und den Einschätzungen der Lehrenden und Lernenden zum Potential kreativer Übungen bzw. dem, was in der Unterrichtspraxis im handlungsorientierten Literaturunterricht beobachtet werden kann. So konnte festgestellt werden, dass weniger der spezifisch texterschließende Wert kreativer Übungen als vielmehr motivationale oder binnendifferenzierende Lernziele handlungsorientierten Literaturunterrichts hervorgehoben werden (vgl. Kimes-Link 2013, 363). Häufig werden handlungsorientierte Verfahren auch nur als ‚spielerisches Extra‘ eingesetzt und von den Schülerinnen und Schülern folglich gar nicht als ‚echter Unterricht‘ wahrgenommen (vgl. Caspari 1994). Zudem wird bei kreativen Übungen oftmals kein expliziter Bezug zum Ausgangstext herge- <?page no="215"?> Üben im fremdsprachlichen Literaturunterricht? 215 stellt, so dass textbezogene Diskussionen der Schülerprodukte ausbleiben (vgl. Reinartz 2003, 71; Kimes-Link 2013, 48ff.). Es stellt sich also die Frage, wie handlungsorientiertes Üben im fremdsprachlichen Literaturunterricht erfolgen sollte, damit literaturbezogene Kompetenzen auch wirklich gefestigt werden können. 3 Handlungsorientierung im fremdsprachlichen Literaturunterricht: Wie kann kreatives Üben gelingen? Die bislang leider nur vereinzelt vorliegenden empirischen Studien zum handlungsorientierten Literaturunterricht legen die Vermutung nahe, dass sowohl Lehrenden als auch Lernenden das Potential kreativer Verfahren zur Entwicklung literaturbezogener Kompetenzen noch nicht genügend bewusst ist. Von Seiten der Literaturdidaktik muss daher zukünftig - nicht zuletzt durch weitere empirische Arbeiten - noch sehr viel deutlicher ergründet werden, worin genau die Leistungen eines handlungsorientierten fremdsprachlichen Literaturunterrichts bestehen. Darüber hinaus gilt es jedoch auch, weiterführende unterrichtspraktische Überlegungen zum handlungsorientierten Literaturunterricht anzustellen und dabei auf Einsichten zum Thema ‚Üben‘ auch aus sprachdidaktischen und pädagogischen Arbeiten zurückzugreifen. So weist Caspari (2007, 311) auf die sorgfältige Formulierung von Arbeitsanweisungen als Gelingenbedingung beim Üben hin und fordert eine „noch genauere Zielbestimmung beim Einsatz kreativer Arbeitsaufgaben und Übungen“. Dass für die Lernenden klar werden muss, wie genau eine Übung ablaufen und welches Ziel mit ihr verfolgt werden soll, zeigt auch eine Untersuchung videografierten fremdsprachlichen Literaturunterrichts von Schädlich/ Surkamp (2015). Bei der Durchführung einiger kreativer Übungen zu Shakespeares The Merchant of Venice, darunter ein Standbildbau zur Figurenkonstellation, war in der Aufgabenstellung nicht hinreichend deutlich, dass die Lernenden für die Übung auch die Ergebnisse von zuvor in Hausaufgaben angefertigten Rollenbiografien hinzuziehen sollten. Die Gruppenarbeiten bestanden daher vor allem aus Figurenanalysen auf Basis der Hausaufgabentexte, und der Standbildbau erschien am Ende als Anhängsel und nicht als Produkt eines gemeinsamen Aushandlungsprozesses (vgl. ebda, 75f.). Aber auch das Durchführen kreativer Übungen selbst sollte geübt werden. 2 2 Vgl. Sandfuchs (2007, 7), der der Auffassung ist, dass Methoden, die zu Kreativität führen sollen, auch geübt werden müssen. De Florio-Hansen (2007, 9) betont Im handlungsorientierten Literaturunterricht wird vorschnell voraus- <?page no="216"?> Carola Surkamp 216 gesetzt, dass Schülerinnen und Schüler mehr oder weniger automatisch kreativ arbeiten können. Aber was ist z.B. ein gutes Standbild? Und inwiefern kann es zur Texterschließung genutzt werden? Damit ein Standbild durch Visualisierung das Verständnis der Figurenkonstellation eines literarischen Textes befördern kann, müssen nicht nur die Anordnung der Figuren im Raum und Nähe-/ Distanzoptionen durchgespielt werden, sondern auch die mögliche Körpersprache der Figuren sowie ihr Blickverhalten müssen bedacht werden (vgl. Nünning/ Surkamp 2010, 181f.). Aus der Pädagogik ist bekannt, dass ein Lernen am Modell der Transfer- und Qualitätssteigerung von Übungen dient (vgl. Renkl 2000, 17f.). Auch für den Literaturunterricht sollte daher noch stärker darüber nachgedacht werden, mit Lösungsbeispielen zu arbeiten (vgl. ebda, 19), z.B. indem die Lehrperson für ein mögliches Standbild die Rolle der ‚Architektin‘ übernimmt und laut denkend einzelne Schülerinnen und Schüler als ihr ‚Material‘ so aufstellt, dass Anordnungen, Mimik, Gestik und Blickrichtung dem Bild entsprechen, das die Lehrkraft von der Figurenkonstellation hat. Wohl gemerkt: Es geht dann nicht um die Präsentation der einen, richtigen Lösung, sondern um einen Lösungsvorschlag, wobei in diesem Fall eher das Einüben der Methode selbst im Mittelpunkt stehen sollte. Für ein effizientes Üben ist des Weiteren wichtig, dass die Lernenden das Üben selbst verstehen, dass sie also eine Vorstellung darüber besitzen, wozu eine bestimmte Übung dienen soll. Heymann (1998, 10) weist mit Bezug auf Gedichtinterpretationen darauf hin, dass effizientes Üben „eine mentale Prozesskontrolle und die Verfügbarkeit von Vorstellungen für die Angemessenheit des Vorgehens voraus[setzt]“. Die Lernenden müssen daher auch bei kreativen Übungen zur Textinterpretation verstehen, was sie tun sollen und worauf es ankommt, da sie andernfalls lediglich Teilschritte imitieren und der Transfer auf neue Übungen nicht gelingt (vgl. ebda). In der Studie von Schädlich/ Surkamp (2015) konnten beim Standbildbau z.B. Schülerpraktiken beobachtet werden, die der pragmatischen, zügigen Herstellung des Produkts zu dienen schienen. ‚Umwege‘ in Form von längeren Aushandlungen über Textdeutungen wurden mit Blick auf das durch die Lehrperson geforderte Produkt eher vermieden. Dabei sollen doch gerade die Aushandlungsprozesse zwischen den Lernenden über einen literarischen Text, die durch kreative Übungen wie den Standbildbau ausgelöst werden, der Texterebenso die Notwendigkeit des Übens von Methoden selbst, damit z.B. kooperatives Arbeiten gelingen kann. <?page no="217"?> Üben im fremdsprachlichen Literaturunterricht? 217 schließung und damit dem Aufbau einer komplexen Literaturkompetenz dienen. 3 Damit Lernende bei der kreativen Literaturarbeit einen Kompetenzzuwachs empfinden können, kommen Feedback- und Reflexionsphasen während und nach der Durchführung handlungsorientierter Übungen eine große Bedeutung zu. Ganz allgemein ist Feedback zur korrekten bzw. angemessenen Durchführung einer Übung beim Üben wichtig (vgl. Klippel 2010, 316). Im Hinblick auf den Literaturunterricht setzt dies voraus, dass sowohl die Lehrenden als auch die Lernenden eine klare Vorstellung über den Ablauf und die Ziele handlungsorientierter Übungen besitzen. Schädlich/ Surkamp (2015) haben festgestellt, dass die Reflexion von Schülerprodukten oft nur knapp ausfällt und nach nicht festgelegten Kriterien erfolgt. Das Lehrerfeedback hat eher den Charakter einer Anerkennung des kreativen Spiels an sich; auf den bearbeiteten literarischen Text wird nicht rekurriert. Dies führt dazu, dass die Lernenden handlungsorientierte Übungen nicht als sinnvolle Textarbeit ansehen und bei der weiteren Beschäftigung mit dem Text dann auch nicht auf ihre Ergebnisse aus der kreativen Phase zurückgreifen (können). Nicht die Wahl einzelner kreativer Übungen als vielmehr ihre Einbettung in eine Unterrichtstunde bzw. -einheit scheint somit von Bedeutung für deren Gelingen. Im Literaturunterricht muss daher noch viel mehr über die Rahmung handlungsorientierten Arbeitens nachgedacht werden, d.h. über die einzelnen Phasen, in denen die Textarbeit vorbereitet, durchgeführt, präsentiert und reflektiert wird, sowie über die Bezüge zwischen diesen Phasen. So bedarf es beispielsweise nach handlungsorientierten Übungen, bei denen Lernende als Figuren aus einem literarischen Text agieren, der Möglichkeit, sich von übernommenen Rollen im Spiel auch wieder zu distanzieren. Wird dafür kein Raum geschaffen, besteht die Gefahr, dass die Darstellung von Schülerprodukten, die Befragung von Figuren (die in Rollen stattfindet) und eine Analyse dieser Figuren (die die Lernenden als Lernende vornehmen) sich vermischen (vgl. ebda) und verschiedene Formen der Texterschließung, die geübt werden sollen, für die Schülerinnen und Schüler nicht mehr als solche erkennbar sind. Es spricht also einiges dafür, auch bei kreativen Übungen einzelne Teilabläufe separat, also gezielt zu üben (vgl. Renkl 2000, 17). Auf den Bau von 3 Menzel (2000, 10) stellt in ähnlicher Weise für das Vorlesenüben heraus, das sich die Textinterpretation aus den übenden Leseversuchen heraus gestaltet: „Üben und Erkenntnis, das Erproben eines Textes und das allmähliche Hingelangen zu einer überzeugenden Gestaltung können durchaus ein Wechselverhältnis eingehen.“ <?page no="218"?> Carola Surkamp 218 Standbildern kann z.B. dramapädagogisch vorbereitet werden, um Lernenden die Verkörperung einer Figur zu erleichtern. Auch ein ‚Abschütteln‘ der Rolle, das essentiell für eine Reflexion des Erarbeiteten aus der Distanz des Spiels heraus notwendig ist, kann durch eine dramapädagogische cooling down-Phase ermöglicht werden (vgl. Wedel 2008). Dramapädagogische Aufwärmübungen in Form von Konzentrations- oder Vertrauensübungen können aber auch ganz allgemein eine Bereitschaft fördern, die für ein erfolgreiches Üben - ganz gleich ob dieses eher sprach- oder literaturdidaktisch ausgerichtet ist - essentiell ist: Der Erfolg der Übung, das Gelingen des auszuübenden Tuns, hängt in erster Linie von der inneren seelischen Verfassung des Übenden ab, von der inneren Sammlung, bei der die Unruhe des Alltags von ihm abgefallen [...] und der Übende ganz eins mit seinem Gegenstand geworden ist. (Bollnow 1978, 67 in Sandfuchs 2000, 7) Literatur Beile, Werner ( 5 2009): „Üben und Übungsformen“. In: Jung, Udo O.H. (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt a.M.: Lang, 74- 81. Bollnow, Otto-Friedrich (1978): Vom Geist des Übens: Eine Rückbesinnung auf elementare didaktische Erfahrungen. Freiburg: Herder. Burwitz-Melzer, Eva (2007): „Ein Lesekompetenzmodell für den fremdsprachlichen Literaturunterricht“. In: Bredella, Lothar/ Hallet, Wolfgang (Hrsg.): Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung. Trier: WVT, 127-157. Caspari, Daniela (1994): Kreativität im Umgang mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht. Theoretische Studien und unterrichtspraktische Erfahrungen. Frankfurt a.M.: Lang. Caspari, Daniela (2000): „Fantasie und Kreativität: Prinzipien für das fremdsprachliche Üben“. In: Friedrich Jahresheft 2000 zum Thema „Üben & Wiederholen“, 146-147. Caspari, Daniela (2007): „Kreative Übungen“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Aufl. Tübingen: Francke, 308-312. De Florio-Hansen, Inez (2007): „Sinnvolles Üben - kommunikationsorientiert“. In: Themenheft „Üben“ von PRAXIS Fremdsprachenunterricht 4, 6-11. Diehr, Bärbel/ Surkamp, Carola (2015): „Die Entwicklung literaturbezogener Kompetenzen in der Sekundarstufe I: Modellierung, Abschlussprofil und Evaluation“. In: Wolfgang Hallet/ Surkamp, Carola/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Literaturkompetenzen Englisch: Modellierung - Curriculum - Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett-Kallmeyer, 21-40. <?page no="219"?> Üben im fremdsprachlichen Literaturunterricht? 219 Ehlers, Swantje ( 5 2007): „Übungen zum Leseverstehen“. In: Bausch, Karl- Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke, 287-292. Heymann, Hans Werner (1998): „Üben und Wiederholen - neu betrachtet“. In: Pädagogik 10, 7-11. Kieweg, Werner (2014a) (Hrsg.): Themenheft „Üben“ von Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 48 (131). Kieweg, Werner (2014b): „Das Üben üben: Übung, Wiederholung und Konsolidierung von Wissen und Können im Fremdsprachenunterricht“. In: Kieweg, Werner (Hrsg.): Themenheft „Üben“ von Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 48 (131), 2-9. Kimes-Link, Ann (2013): Aufgaben, Methoden und Verstehensprozesse im englischen Literaturunterricht der gymnasialen Oberstufe. Eine qualitativempirische Studie. Tübingen: Narr. Klieme, Eckehardt et al. (2003): Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung. Klippel, Friederike (2010): „Übung“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart: Metzler, 314-317. Leupold, Eynar (2000): „Nichts ist unmöglich! Handlungsorientiertes Üben im Fremdsprachenunterricht“. In: Friedrich Jahresheft 2000 zum Thema „Üben & Wiederholen“, 140-143. Menzel, Wolfgang (2000): „Kein reines Vergnügen: Grundprinzipien des Übens“. In: Friedrich Jahresheft 2000 zum Thema „Üben & Wiederholen“, 10-13. Nünning, Ansgar/ Surkamp, Carola ( 3 2010): Englische Literatur unterrichten 1: Grundlagen und Methoden. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Reinartz, Andrea (2003): „Leben und Lernen sind weit auseinander! “. Eine Studie zur Rezeption der Handlungsorientierten Didaktik durch Englischlehrerinnen und -lehrer am Gymnasium. Wiesbaden: Springer. Renkl, Alexander (2000): „Automatisierung allein reicht nicht aus: Üben aus kognitionspsychologischer Perspektive“. In: Friedrich Jahresheft 2000 zum Thema „Üben & Wiederholen“, 16-19. Sandfuchs, Uwe (2000): „Vom Sinn und Zweck des Übens: Eine Einführung in das Thema“. In: Friedrich Jahresheft 2000 zum Thema „Üben & Wiederholen“, 4-8. Schädlich, Birgit/ Surkamp, Carola (2015): „Textrezeptionsprozesse von Schülerinnen und Schülern in handlungsorientierten Unterrichtsszenarien: Unterrichtsvideographie im fremdsprachlichen Literaturunterricht“. In: Küster, Lutz/ Lütge, Christiane/ Wieland, Katharina (Hrsg.): Literarisch-ästhetisches Lernen im Fremdsprachenunterricht: Theorie, Empirie, Unterrichtsperspektiven. Frankfurt a.M.: Lang, 69-89. Surkamp, Carola (2007): „Handlungs- und Produktionsorientierung im fremdsprachlichen Literaturunterricht“. In: Hallet, Wolfgang/ Nünning, Ansgar <?page no="220"?> Carola Surkamp 220 (Hrsg.): Neue Ansätze und Konzepte der Literatur- und Kulturdidaktik. Trier: WVT, 89-106. Surkamp, Carola (2012): „Literarische Texte im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht“. In: Hallet, Wolfgang/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 77-90. Wedel, Heike (2008): „Warming Up and Cooling Down: Zu einer vernachlässigten Dimension bei der Arbeit mit dramatischen Formen“. In: Ahrens, Rüdiger/ Eisenmann, Maria/ Merkl, Matthias (Hrsg.): Moderne Dramendidaktik für den Englischunterricht. Heidelberg: Winter, 471-492. <?page no="221"?> Individualisiertes Üben im Fremdsprachenunterricht Karin Vogt 1 Üben: ein unstrittiges Konzept? Es ist unstrittig, dass Üben in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts einen hohen Stellenwert hat (Reisener 1989). Fremdsprachendidaktiker wie Klippel (2010, 314) sehen die Übung im Fremdsprachenunterricht als „Teil des Lernens“ und als „unabdingbare[n] Bestandteil des Lernens einer Sprache“ (ebda, 315). Auch Haß (2006, 313) stellt fest, dass „Fertigkeiten in der Fremdsprache (…) nur durch zyklisches, wiederholendes Üben als komplexe Anwendung von Wissen, Redebewusstsein und Redemitteln gefestigt [werden]“. Tesch (2010, 50) definiert den Begriff „Übung“ als „eine auf die Festigung einer einzelnen Teilkompetenz bezogenen Lerneinheit“ relativ eng, während Beile (2001, 329) für Üben eine breitere Definition vorschlägt, nämlich den „Versuch des Menschen, das ‚natürliche‘, d.h. dem Zufall der Welterfahrung überlassene, Lernen von körperlichen und geistigen Tätigkeiten ökonomischer zu gestalten“. Effizienz und Zeitersparnis sind ebenso ein Merkmal von Üben wie laut Klippel (2010, 316) dessen Funktion als Scharnierstelle zwischen Rezeption und Produktion von sprachlichen Äußerungen im Sinne von Performanz. Reisener (1989, 76) unterscheidet nicht zwischen den Begriffen „Üben“ und „Übung“, weil die zwei Begriffe „Ausdruck des übergeordneten Ziels aller Unterrichtsarbeit“ seien, nämlich des Sprachkönnens. In der vierten Auflage des Handbuchs Fremdsprachenunterricht (Bausch/ Christ/ Krumm 2003) erhält das Üben als methodischer Aspekt des Lernens und Lehrens fremder Sprachen ein komplettes Unterkapitel mit Einträgen zu Übungen der produktiven und rezeptiven Fähigkeiten, Wortschatz und Grammatik als Subskills, zu kommunikativen, interaktiven und kreativen Übungen sowie Übungen zu interkultureller Kommunikation und zur Sprachmittlung. Übungstypologien entstanden im deutschsprachigen Raum zeitgleich mit der kommunikativen Wende der 1970er Jahre und sind vor allem verbunden mit Piepho und Edelhoff (exemplarisch Edelhoff 1978). Im Zuge der Aufgabenorientierung ab den 1990er Jahren in Deutschland wurden eher mitteilungsbezogene, dynamische und komplexe Aufgaben zu Lasten von <?page no="222"?> Karin Vogt 222 scheinbar langweiligen, formbezogenen, an die pattern drills der audiolingualen Methode erinnernden Übungen aufgewertet (bspw. Häussermann und Piepho 1996). In der fremdsprachlichen Forschung ist Üben derzeit kein beliebter Forschungsgegenstand, und es gibt insgesamt wenige empirische Arbeiten zum Thema. Übungen sind wenig beliebt (Klippel 2010), zudem geht die Fremdsprachendidaktik klassischerweise vom Üben im Klassenverband aus, wenn es sich um institutionalisierten schulischen Fremdsprachenunterricht handelt. Die Realität heterogener Lerngruppen verlangt jedoch eine neue Sichtweise auf Üben, was gleichzeitig viele Fragen aufwirft. Daher soll es in diesem Beitrag vor allem um das individualisierte Üben in heterogenen Lerngruppen gehen. 2 Standardorientierung und Individualisierung in heterogenen Lerngruppen Kompetenzorientierung ist seit der Einführung der Bildungsstandards mittlerweile ein bekanntes Konzept in Bildungspolitik, Pädagogik und Didaktik. Bildungsstandards werden von der KMK definiert als Regelstandards mit einem „mittleren Anforderungsniveau“ (KMK 2005, 14), während „Kompetenzen (…) Dispositionen zur Bewältigung bestimmter Anforderungen [beschreiben]“ (ebda, 16). Die Bildungsstandards orientieren sich ebenso wie der Fremdsprachenunterricht in weiten Teilen der Praxis an einem „Durchschnittsschüler“. Die in den Abschlussprofilen beschriebenen Kompetenzen müssen von den Schüler_innen in der Regel erreicht werden, um z.B. einen Schulabschluss zu erhalten. Diese Orientierung an einem normierten Kompetenzniveau, die der Standardorientierung inhärent ist, steht im Gegensatz zu individuellen Kompetenzprofilen der Lernenden. Haß und Kieweg (2012, 278f.) problematisieren in diesem Zusammenhang die vom gesellschaftlichen Leistungsverständnis beeinflusste kriteriale Bezugsnorm, die sich in den Bildungsstandards niederschlägt und teilweise im Widerspruch steht zur individuellen Bezugsnorm von Leistung. Die Orientierung am individuellen Lernfortschritt und der persönlichen Kompetenzentwicklung, die Haß und Kieweg (2012, 279) als „pädagogisches Verständnis von Leistung“ bezeichnen, komme in der derzeitigen Diskussion zu kurz. Immer heterogener werdende Lerngruppen sind -auch im Fremdsprachenunterrichtin allen Schulformen und -stufen Realität. Die Berücksichtigung der individuellen Bezugsnorm (neben der kriterialen Orientierung) ist nicht nur bei der Leistungsbeurteilung, sondern auch bei der Ausbildung von Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht durch Üben notwendig. <?page no="223"?> Individualisiertes Üben im Fremdsprachenunterricht 223 Heterogenität wird von Trautmann und Wischer (2011, 40) definiert als „ein in historischer, theoretischer und empirischer Sicht relatives Konstrukt, das in engem Zusammenhang zu weiteren Begriffen wie Homogenität, Einheit und Differenz/ Unterschiedlichkeit, Vielfalt, Ungleichheit und Normalität steht“. In der Fremdsprachendidaktik wird vor allem die Heterogenitätsdimension der kognitiven Leistungsfähigkeit hervorgehoben, m.a.W. die Heterogenität der Schülerkompetenzen (Trautmann 2010). Zum Umgang mit heterogenen Schülerleistungen wird in der Literatur laut Trautmann (2010) zu einer konsequenten Binnendifferenzierung geraten, die jedoch empirisch kaum untersucht ist (ebda). Als methodischen Zugang für den Fremdsprachenunterricht in heterogenen Lerngruppen scheinen, zumindest zeitweise (Bartosch/ Küper 2015; Doert/ Nold 2015; Haß/ Kieweg 2012), aufgabenorientierte Ansätze vielversprechend, weil diese Ansätze eine gemeinsame Arbeit am gleichen Gegenstand in unterschiedlicher Art und Weise ermöglichen. Hierbei werden bildungswissenschaftliche und fremdsprachendidaktische Ansätze miteinander verschränkt. Feusers (1998) entwicklungslogische Didaktik basiert auf der Forderung, dass „alle Kinder in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau und mittels ihrer momentanen Denk- und Handlungskompetenzen an und mit einem Gemeinsamen Gegenstand lernen und arbeiten“ (ebda, 177). Der „Gemeinsame Gegenstand“ muss die „größtmögliche Entwicklungsfläche“ (Feuser 2011, 95) für alle Lernenden bieten und sowohl sinnlich-konkrete Erfahrungen als auch abstrakt-logische Operationen einschließen (ebda). Somit werden alle Heterogenitätsdimensionen jenseits von reiner Leistungsbasierung mitgedacht und durch Differenzierung in den Lernwegen und den Lernzielen berücksichtigt. Die Aufgabe stellt somit den „Gemeinsamen Gegenstand“ dar, an dem die Lernenden auf unterschiedliche Weisen arbeiten. Übungen haben hierbei auch ihren Platz als Vorbereitung auf die jeweilige Aufgabe, die zu bewältigen ist, und können beispielsweise unterschiedlich gestaltete Aktivitäten zur Aktivierung relevanten Wortschatzes sein oder einen focus on form beinhalten (zu Pre-tasks vgl. Nguyen/ Newton/ Crabbe 2015). Der Fokus der Fremdsprachenforschung auf Aufgabenorientierung im weiteren Sinne (Biebighäuser/ Zibelius/ Schmidt 2012; Freitag-Hild 2010; Kimes-Link 2013; Müller-Hartmann/ Schocker/ Pant 2013) bewirkt eine deutliche Abgrenzung zu Übungen (obwohl diese im task cycle als focus on form durchaus einen Platz haben) sowie eine im Vergleich schwache Aufmerksamkeit für Üben im Fremdsprachenunterricht als Unterrichtstätigkeit. Dabei eignet sich Üben durchaus gut für differenzierendes Arbeiten und lässt sich in einen differenzierenden aufgabenorientierten Ansatz integrieren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Individualisierendes Üben geht idealiter ein auf die (Lern)bedürfnisse des/ der Lernenden und ist damit <?page no="224"?> Karin Vogt 224 lernerorientiert. Verschiedene Lernwege werden ermöglicht bei unterschiedlichen Zugangsweisen zum Übungsgegenstand. Bei verminderter Komplexität und klarer Strukturierung sind Übungsformate besonders geeignet für und benötigt von Schüler_innen mit besonderen Förderbedarfen, Lernende mit Lernschwierigkeiten (und alle anderen Schüler_innen, die von klaren Strukturen profitieren). Lernende können in ihrem eigenen Lerntempo arbeiten. Je nach Lernbzw. Übungsumgebung sind kooperative Zugänge mit der möglichen Integration von Helfersystemen möglich. Kommunikative Übungen erhöhen idealerweise die Sprechzeit von Lernenden, u.U. senken sie die Sprechhemmungen z.B. in Kleingruppen oder Zweierteams. Insgesamt könnte so die Übungsmotivation der Schüler_innen wiederhergestellt, erhalten bzw. gestärkt werden. 3 Individualisiertes Üben im Fremdsprachenunterricht als Herausforderung Es scheint gute Gründe für individualisiertes Üben im Fremdsprachenunterricht zu geben - ob es sich tatsächlich positiv auf die fremdsprachliche Kompetenzentwicklung von Lernenden auswirkt, darüber liegen noch keine gesicherten empirischen Erkenntnisse vor. In der Praxis des Fremdsprachenunterrichts bedeutet individualisiertes Üben in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung für Lehrkräfte. In manchen institutionalisierten Kontexten wird individualisiertes Üben etwa in Lernbüros ad absurdum geführt, wenn die Lernenden ausschließlich in Einzelarbeit Übungen auf Arbeitsblättern lösen, die lediglich in drei Anforderungsniveaus leistungsdifferenziert zu sein scheinen. Wertvolle Übungszeit könnte etwa für kommunikativ orientierte Aktivitäten und Übungen verwendet werden und kommunikativen Kompetenzen aufbauen. Das Argument, Schüler_innen könnten dadurch autonom und selbstbestimmt arbeiten, greift dabei m.E. zu kurz, denn auch Lernerautonomie will angeleitet sein (Wolff 2003; Yang/ Loo 2015). Die Herausforderung, die sich aus einer Zustandsbeschreibung an Realschulen oder Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg ableitet, lässt sich als Frage nach der sinnvollen Gestaltung von Differenzierung und Individualisierung beim Üben stellen. Es ist nicht nur die Differenzierung nach Leistung, die beim individualisierten Üben eine Rolle spielt, sondern auch die in den Lernzielen, Medien, Sozialformen und Unterrichtsorganisation, Lernwegen etc. (Haß/ Kieweg 2012). Die Frage, die sich Lehrkräfte in diesem Zusammenhang häufig stellen, ist, wie man den Lernenden individuell gerecht werden kann. Hier ist auch die Lehrerbildung in allen drei Phasen gefragt, denn bislang werden Lehr- <?page no="225"?> Individualisiertes Üben im Fremdsprachenunterricht 225 kräfte nur eingeschränkt auf differenziertes Unterrichten, individualisiertes Üben eingeschlossen, vorbereitet. Auch Herausforderungen organisatorischer Art sind nicht zu unterschätzen, angefangen mit meist beschränkten Räumlichkeiten (wo bringe ich sechs Kleingruppen zum Üben für eine Audioaufnahme unter, ohne meine Aufsichtspflicht zu verletzen? ). Auf methodischer Ebene stellen sich etwa Fragen der Korrektur von vielen unterschiedlichen Übungsaufgaben (Im Plenum? Alle? Exemplarisch? Als peercorrection? Können meine Schüler_innen das überhaupt? ), das Zusammenführen der Ergebnisse bzw. das Würdigen von Ergebnissen unterschiedlicher Übungsaufgaben und die Anknüpfung zu einer folgenden gemeinsamen Unterrichtsphase. In didaktischer Hinsicht ist individualisiertes Üben eine Herausforderung für Lehrende und Lernende gleichermaßen. Individualisiertes Üben erfordert von den Lernenden die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren und ggf. ihre Arbeit zu strukturieren; etwas, das bestimmte Lernende nicht leisten können, weil sie mehr Anleitung von der Lehrkraft benötigen. Für Lehrende, die sich z.B. in der mittleren Schulstufe mit Lerngruppen konfrontiert sehen, die innerhalb der Gruppe unterschiedliche Abschlüsse anstreben und daher zieldifferentes Unterrichten erforderlich machen, stellt sich die Frage, wie diese unterschiedlichen Teilgruppen durch Üben konsequent gefördert (und gefordert) werden können, ohne in die wenig hilfreiche Dichotomie „stark - schwach“ zu verfallen. Eng damit verbunden ist der Bereich der Leistungsbeurteilung, der konsequenterweise auch differenziert werden muss. 4 Forschungsdesiderata beim individualisierten Üben Die Fragen, wie die Lernenden ihr Potenzial entfalten können, individuell in ihren Lernbedürfnissen gefördert werden können und entsprechend ihre fremdsprachlichen Kompetenzen bestmöglich entwickeln können, stellen wichtige Forschungsfragen dar. Auch die Frage, ob individualisiertes Üben und Arbeiten nicht eine weitere Spreizung des Leistungsspektrums der Lerngruppe verstärkt, ist für den Fremdsprachenunterricht m.W. noch nicht empirisch betrachtet worden. Es sollen an dieser Stelle Forschungsdesiderata im Zusammenhang mit individualisiertem Üben genannt werden, da es zumindest für die fremdsprachendidaktische Forschung noch keine solide empirische Basis gibt. Aus der Perspektive der Lernenden ist es lohnend zu fragen, ob eine Individualisierung des Übens tatsächlich ihren persönlichen Lernbedürfnissen entgegen kommt und ob die erworbenen Kompetenzen der Schüler_innen weiter entwickelt sind als in vergleichbaren heterogenen Lerngruppen. Für <?page no="226"?> Karin Vogt 226 die erste Frage bieten sich qualitativ-explorative Forschungsdesigns mit Interviews oder stimulated recall an, während ein quasiexperimentelles Design für die Beantwortung der zweiten Frage hilfreich wäre. Die Lehrkräfte als außerordentlich wichtige stakeholders sollten Forschungspartner_innen sein. Welche (veränderte) Rolle hat die Lehrkraft in einem individualisierenden Lernsetting beim Üben? Welche Kompetenzen (z.B. diagnostischer Art) sind für die erfolgreiche Planung und Durchführung individualisierter Übungssettings im Fremdsprachenunterricht notwendig? Welche Grenzen individualisierten Übens (und Arbeitens im Allgemeinen) gibt es? Hier bieten sich aktionsforschungsorientierte Designs an, in denen die Lehrkraft und die Forschenden in einen Dialog auf Augenhöhe treten mit dem Ziel des Empowerment der Lehrkräfte. Die von Haß und Kieweg (2012) angesprochene Diskrepanz zwischen kriterialer und individueller Bezugsnorm den Leistungsbegriff betreffend ist relevant für die Leistungsbeurteilung, muss aber in den größeren Kontext des Fremdsprachenunterrichts gerückt werden. Fragen der zieldifferenten Leistungsbeurteilung von Kompetenzen stehen hier im Vordergrund und sind zumindest im deutschen Kontext noch nicht beforscht worden. Welche Auswirkungen hat individualisiertes Üben für die Kompetenzentwicklung innerhalb einer Lerngruppe? Wenn man ausschließlich das leistungsbezogene Kriterium anlegt, klafft die „Schere“ zwischen den Leistungen der einzelnen Schüler weiter auseinander als ohne Individualisierung? Wie werden u.a. durch konsequentes individualisiertes Üben entwickelte fremdsprachliche Kompetenzen differenziert überprüft? Welche Formen der Leistungsbeurteilung eignen sich dafür? Und, noch allgemeiner, was bedeutet dies für Regelstandards mit dem Ziel eines Schulabschlusses? Diese Fragen verdeutlichen, dass individualisiertes Üben nur ein Teil von differenzierenden Maßnahmen im Fremdsprachenunterricht ist, die aber als verbindendes Element die Philosophie teilen, dass jeder Lernende einzigartig ist. Differenzierung im Fremdsprachenunterricht ist der Versuch, dieser Einzigartigkeit gerecht zu werden. Literatur Bartosch, Roman/ Köpfer, Andreas (2015): „Stadtnatur als Gemeinsamer Gegenstand im inklusiven Englischunterricht - Spannungsfelder und Möglichkeiten in der didaktischen Fachdiskussion.“ In: Bongartz, Christiane M./ Rohde, Andreas (Hrsg.), 195-208. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) ( 4 2003): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke. <?page no="227"?> Individualisiertes Üben im Fremdsprachenunterricht 227 Beile, Werner ( 3 2001): „Nachdenken über Übungsformen im FU.“ In: Jung, Udo O.H. (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 328-334. Biebighäuser, Katrin/ Zibelius, Maja/ Schmidt, Torben (Hrsg.) (2012): Aufgaben 2.0 - Konzepte, Materialien und Methoden für das Fremdsprachenlehren und -lernen mit digitalen Medien. Tübingen: Narr. Bongartz, Christiane M./ Rohde, Andreas (Hrsg.) (2015): Inklusion im Englischunterricht. Frankfurt a.M.: Peter Lang. Chilla, Solveig/ Vogt, Karin (erscheint): „Englischunterricht mit heterogenen Lerngruppen: eine interdisziplinäre Perspektive.“ In: Chilla, Solveig/ Vogt, Karin (Hrsg.): Diversität und Heterogenität im Englischunterricht. Fachdidaktische Perspektiven. Frankfurt/ M.: Lang. Doert, Carolin/ Nold, Günter (2015): „Integrativer Englischunterricht - Forschungsfragen zwischen Wunsch und Wirklichkeit.“ In: Bongartz, Christiane M./ Rohde, Andreas (Hrsg.), 23-57. Edelhoff, Christoph (1978): „Themenorientierter Englischunterricht: Textsorten, Medien, Fertigkeiten und Projekte.“ In: Bundesarbeitsgemeinschaft Englisch an Gesamtschulen (BAG) (1978), 54-68. Feuser, Georg (1998): „Aspekte einer Didaktik unter Berücksichtigung tätigkeitstheoretischer und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse.“ In: Eberwein, Hans (Hrsg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Handbuch der Integrationspädagogik. Weinheim: Beltz, 170-179. Feuser, Georg (2011): „Entwicklungslogische Didaktik.“ In: Kaiser, Astrid/ Schmetz, Dietmar/ Wachtel, Peter/ Werner, Birgit (Hrsg.): Didaktik und Unterricht. Enzyklopädisches Handbuch der Behindertenpädagogik. Stuttgart: Kohlhammer, 86-100. Freitag-Hild, Britta (2010): Theorie, Aufgabentypologie und Unterrichtspraxis inter- und transkultureller Literaturdidaktik. British Fictions of Migration im Fremdsprachenunterricht. Trier: WVT. Häussermann, Ulrich/ Piepho, Hans Eberhard (1996): Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. Abriß einer Aufgaben- und Übungstypologie. München: iudicium. Haß, Frank (Hrsg.) (2006): Fachdidaktik Englisch. Tradition - Innovation - Praxis. Stuttgart: Klett. Haß, Frank/ Kieweg, Werner (2012): I can make it! Englischunterricht für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Kimes-Link, Ann (2013): Aufgaben., Methoden und Verstehensprozesse im englischen Literaturunterricht der gymnasialen Oberstufe. Eine qualitativempirische Studie. Tübingen: Narr. Klippel, Friederike (2010): „Übung.“ In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart u.a.: Metzler, 314-317. KMK = Sekretariat der Ständigen Konferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2005): Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz. Erläute- <?page no="228"?> Karin Vogt 228 rungen zur Konzeption und Entwicklung. München und Neuwied: Wolters Kluwer. Nguyen, Thi Bao Trang/ Newton, Jonathan/ Crabbe, David (2015): „Preparing for Tasks in Vietnamese EFL High School Classrooms: Teachers in Action.“ In: Thomas, Michael/ Reinders, Hayo (Hrsg.): Contemporary Task-Based Language Teaching in Asia. London u.a.: Bloomsbury, 170-188. Reisener, Helmut (1989): Motivierungstechniken im Fremdsprachenunterricht: Übungsformen und Lehrbucharbeit mit englischen und französischen Beispielen. Ismaning: Hueber. Tesch, Bernd (2010): Kompetenzorientierte Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht. Konzeptionelle Grundlagen und eine rekonstruktive Fallstudie zur Unterrichtspraxis (Französisch). Frankfurt a.M.: Lang. Trautmann, Matthias (2010): „Heterogenität - (k)ein Thema der Fremdsprachendidaktik? “ In: Börner, Otfried/ Edelhoff, Christoph/ Lohmann, Christa (Hrsg.): Individualisierung und Differenzierung im kommunikativen Englischunterricht. Grundlagen und Beispiele. Braunschweig: Diesterweg, 6-16. Trautmann, Matthias/ Wischer, Beate (2011): Heterogenität in der Schule. Eine kritische Einführung. Wiesbaden: VS Verlag. Wolff, Dieter ( 3 2003): „Lernerautonomie und selbst gesteuertes fremdsprachliches Lernen: Überblick.“ In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke, 321-326. Yang, Jianpei/ Loo, Angelika (2015): „Angeleitete Selbstlernsteuerung zur Förderung der Lerneffizienz. Ein didaktisches Konzept für chinesische DaF- Intensivkurse.“ In: German as a Foreign Language 1, 27-43. <?page no="229"?> Üben - Übte - Geübt: Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe? Helmut Johannes Vollmer Konjugationsreihen, höchst aktuell, literarisch vertieft durch Jenny Erpenbeck (2015) und ihre Einblicke in das nicht nur sprachliche Überleben von Flüchtlingen in Berlin - Üben so alt wie das Lernen fremder Sprachen überhaupt. Was beim Erstspracherwerb in aller Regel mehr oder minder automatisch abläuft, bedarf der gezielten Anstrengung und (Selbst-) Unterstützung im Falle einer zweiten oder weiteren Sprache, besonders wenn diese nicht Umgebungssprache ist, oft fernab aller Muttersprachensprecher oder zielsprachlichen Kontexte. Auch mich hat die beharrliche Aufforderung, mehr zu üben, ein Leben lang persönlich begleitet: Ohne Fleiß, keinen Preis! „Man muss eben in (der) Übung bleiben“ und „Wer rastet, rostet! “ Deshalb also immer wieder ÜBEN! Denn nur „Übung macht den Meister“ - und das gilt nicht nur fürs Sprachenlernen. In meiner Jugend wurde mir entsprechend beigebracht, dass sich ohne Üben der Aufwand für viele Dinge einfach nicht lohne, dass Üben zwar trocken oder auch „ätzend“ sei und die Überwindung mehrerer innerer Schweinehunde erfordere; dass die Anstrengung sich aber letztlich auszahle, weil man dadurch eine Sache überhaupt erst einigermaßen zu beherrschen lernt, z.B. ein Instrument, den Körper oder eben eine komplexe Sprache (manche sprechen von 10.000 Stunden Mindesteinsatz). Im Folgenden vertrete ich mit Krashen/ Terrell (z.B. 1983) die These, dass exposure to comprehensible input und die Bereitschaft, sich auf solche „holistischen“ Spracheinflüsse eines fremden Idioms (ähnlich dem L1-Erwerb) einzulassen, ungeübt bis zu einer bestimmte Qualitätsstufe des Spracherwerbs führt. Wie diese Schwelle genau zu definieren ist und wo sie im Kompetenzspektrum eines Individuums liegt, ist tendenziell für jeden verschieden. Einen haltbare theoretische Untermauerung oder harte empirische Fakten gibt es m.W. dazu nicht, schon gar nicht von Krashen selbst, der diese Vermutung als „Hypothese“ formuliert und bis auf den heutigen Tag mit plausiblen Argumenten zu stützen versucht hat. Es spricht in der Tat einiges dafür, dass dieser muttersprachenähnliche Zugang zu einer L2 in der frühen Phase des Fremdsprachenlernens funktioniert, auch bei Erwachsenen, denn auch hier spielen Imitation und Wiederholung eine große Rolle. <?page no="230"?> Helmut Johannes Vollmer 230 Nach Erreichen dieser ersten Schwelle jedoch scheint in der Regel ein mehr systematisches und kognitiv unterstütztes Lernen nötig zu sein, um signifikante Fortschritte zu erzielen. Hier kommt dem Üben seine durch Nichts zu ersetzende Rolle zu; darin ist man sich (heute wieder) relativ einig. 1 Übungsbegriff Der Übungsbegriff wird fälschlicherweise immer noch häufig mit dem Behaviorismus und seinen Lerntheorien, insbesondere mit Pattern Drill in Verbindung gebracht. Danach stellt es sich so dar, als würde das Pendel zwischen dieser Art des Übens einerseits und der bewusstmachenden Art von Fremdsprachenlernen andererseits hin und her schwingen, obwohl sich heutzutage keine fremdsprachliche Erwerbstheorie mehr ausschließlich für den einen oder anderen Ansatz und damit für ein rein repetitives oder kognitivistisches Fremdsprachenlernen einsetzt. Beides zusammen genommen gilt inzwischen als mehr oder minder selbstverständlich. Unbestritten ist, dass Üben seinen festen Platz hat im Ganzen des angeleiteten Fremdsprachenlernens und vielleicht noch mehr im Rahmen des eigenständigen Erwerbs eines fremden Idioms. Denn nur über gewisse Stufen des wiederholten Anwendens und Praktizierens und damit der Absicherung des bereits erworbenen Wissen und Könnens lässt sich so etwas wie Leichtigkeit oder eine größere Verfügbarkeit von versprachlichten Gedanken bzw. von sprachlichen Äußerungen bis hin zu deren schrittweise Automatisierung entwickeln und aufbauen. Laut Kieweg (2010) dient das Üben primär dem „Gebrauch neuer Redemittel“ im Rahmen der Simulation möglichst realer Sprech- und Schreibsituationen. Diese Sichtweise ist deutlich zu eng, denn inzwischen wissen wir, dass die Einheiten des Übens von Einzellauten über Vokabeln und grammatischen Strukturen bis hin zur Einübung von Merkmalen der mündlichen Rede oder der Strukturierung schriftlicher Textsorten, also relativ festgelegter Kommunikationsformen (Genres) reichen können. Auch solche Makroformen sprachlicher Mitteilung sind einübbar. Insofern ist der Übungsbegriff enorm geweitet. Alles lässt sich üben, und dies ist natürlich umso nötiger, je komplexer und anspruchsvoller der Lerngegenstand ist. Eine besondere Bedeutung kommt offenbar den sog. Chunks oder Routineformeln zu, die sich möglicherweise leichter als andere Übungsgegenstände einprägen und behalten lassen (vgl. z.B. Handwerker/ Madlener 2009). Jenseits des Definitionsproblems kann das Üben (wiederum nach Kieweg 2010, 182) in der Regel dann einsetzen, wenn die „Erarbeitung eines sprachlichen Problems“ abgeschlossen ist. Diese klare Grenzziehung zwischen Erarbeiten und Üben bzw. Anwenden, Vertiefen, Sichern usw. ist nicht <?page no="231"?> Üben - Übte - Geübt: Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe? 231 nachvollziehbar, da diese mentalen Handlungen m.E. viel mehr ineinander übergehen (und sich gegenseitig stützen), als dies hier suggeriert wird. Zugespitzt ausgedrückt: Jede Form der Sprachbenutzung übt zugleich! Die nächste Frage bezieht sich auf das Verhältnis von Form und Funktion beim Üben. Während früher eine Formorientierung vorherrschte, favorisieren wir heute klar eine Orientierung des Übens an Inhalten und Mitteilungen. Nun wäre der Verzicht auf das Bewusstmachen von sprachlichen (lautlichen, grammatikalischen, diskursiven) Formen ebenso einseitig wie das Festhalten an reiner Formausprägung (außer in ganz spezifischen Fällen). Daraus folgt eine möglichst große Ausgewogenheit im Wechsel von Form- und Funktionsfokussierung, mit der letzteren als Leitkategorie. In der erziehungswissenschaftlichen Debatte gibt es das Konzept des sinnvollen oder „intelligenten Übens“ sowie eine Liste von Indikatoren, woran man guten Unterricht und erfolgreiches Üben erkennen kann (Gudjons 2005; Heymann 2005). Außerdem werden Kriterien für intelligentes Üben gehandelt, zusammen mit Tipps für den Aufbau von pädagogisch sinnvollen Übungssequenzen. Isoliertes Üben ohne gezielte Vorbereitung und Einbettung sowie ohne sequentielle Weiterverfolgung wird durchweg abgelehnt bzw. als problematisch angesehen. Ähnliche Ansätze dringen auch in die Fremdsprachendidaktik vor (z.B. Balas 2015, Hoffmann 2014). Intelligentes Üben besteht aus einer entsprechenden Vorbereitung durch Problembenennung, durch Einsicht in die schwierigen, zu meisternden Punkte und sodann unmittelbare (Selbst-)Kontrolle sowie vertiefte Einsicht nach Abschluss/ Unterbrechung des Übens - mit dem Ziel einen höheren Grad an Beherrschung des geübten Phänomens und an Verfügbarkeit bzw. Abrufbarkeit sowie Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihm zu erreichen. Wiederum wird isoliertes Üben in Frage gestellt, die Erstellung eines eigenen Übungscurriculums dagegen befürwortet. Insgesamt gibt es zu wenig Klarheit darüber, was genau als „Üben“ anzusehen ist, welche typologische Unterscheidung didaktisch oder methodisch sinnvoll oder gar für eine effektive Lehre erforderlich ist und was durch welche Art von Üben empirisch bewirkt wird. Wir werden vermutlich auch nie genug darüber wissen, denn dazu lässt sich das Üben als Variable in Forschungskontexten nicht genügend isolieren bzw. kontrollieren (es sei denn man kapriziert sich auf Kleinstelemente). Mit dieser Einsicht kann man m.E. leben, solange Lernende die Erfahrung machen, dass Üben hilft, dass es das Gedächtnis aktiviert und stärkt, dass es eine gewisse Flüssigkeit im Ausdruck befördert und damit also relativ wirkungsvoll ist. Natürlich lassen sich nach guter fachdidaktischer Tradition einer bestimmten Richtung natürlich Erfahrungen festhalten oder Prinzipien formulieren, die man als Richtschnur für fremdsprachendidaktisches Handeln einsetzen könnte. <?page no="232"?> Helmut Johannes Vollmer 232 Konzeptionell wäre allerdings genauer zu klären, worin einsichtiges Lernen und intelligentes Üben, diesbezügliche Entfaltung von Sprachbewusstheit sowie Reflexion und Kognition als fremdsprachenbezogene Kompetenzen bestehen, wie sie operational voneinander abzugrenzen und wie sie unterrichtlich einzusetzen sind (vgl. dazu u.a. Vollmer 2016). Psycholinguistische Forschung könnte den Lernenden nachspüren, könnte herausfinden, welche Selektions- und Verarbeitungsprozesse beim Üben unterschiedlicher Art involviert sind, welche wann ablaufen, was sie pragmatisch wie kognitiv bedeuten, ob sie habitualisierbar sind usw. Ob sich allerdings daraus mehr gesichertes Wissen, mehr Einsicht in Regelhaftigkeiten oder die Gestaltung effektiver Unterrichtsformen ergibt, sei dahingestellt. Im Vorgriff auf die Forschungsdimension wäre es wichtig, begrifflich herauszuarbeiten, was Wiederholen, Einprägen, Regelbildung, Vertiefung, Festigung, Anwendung, Transfer und „Automatisierung“ genau sind und ob die Rede vom impliziten Wissen (im Gegensatz zum expliziten) und vor allem die Frage des Übergangs von einem Modus in den anderen geklärt ist oder heute immer noch einer gültigen Antwort bedarf. Woran schließlich lässt sich das Üben mental festmachen, was sind die Indikatoren: a) bei einer (laborartigen) Untersuchung, b) im Klassenzimmer c) in der Wahrnehmung der Lernenden selbst? Inwieweit können die Lehrenden wirklich anleiten, wo doch die Lernenden ihre eigenen Wege und Präferenzen finden müssen. Dennoch: Der FU (Fremdsprachenunterricht) muss ausreichend anregen, motivieren, orientieren, notfalls bestimmte Erfahrungen oder Praktiken pädagogisch „nahelegen“ - vielleicht sogar „erzwingen“ (s. Kahl 2009; Sloterdijk 2010)? 2 Üben innerhalb einer Aufgaben- und Kompetenzorientierung Es gibt eine besondere Herausforderung durch Kompetenzorientierung: die Zielformulierungen sind komplex, sie zielen für den FU auf nichts weniger ab als die Entwicklung von umfassender Diskursfähigkeit für alle Schülerinnen und Schüler, damit diese in die Lage versetzt werden, unter Verwendung der fremden Sprache an den für die bedeutsamen gesellschaftlichen Diskursen und Entwicklungen teilzunehmen - in einer zunehmend globalisierten Welt. Wie also kann a) Befähigung zur Beteiligung an relevanten Diskursen in der Zielsprache, b) Partizipation an allen für das Individuum wichtigen gesellschaftlichen Prozessen und Entscheidungen und dabei c) das Ausdrücken eigener Wahrnehmungen, Meinungen, begründeter Positionen und Stellungnahmen - in Interaktion mit anderen - durch institutionalisiertes Fremdsprachenlernen aufgebaut und ermöglicht werden? <?page no="233"?> Üben - Übte - Geübt: Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe? 233 Kompetenzorientierung darf nicht als fortschreitender Aufbau einer formalen Sprachbefähigung missverstanden werden. Das Üben hat innerhalb einer Aufgaben- oder Kompetenzorientierung sowohl die Funktion, die Verfügbarkeit des sprachlichen Repertoires zu sichern als auch die kommunikative „Teilnahme“ sprachlich wie inhaltlich vorzubereiten, u.a. durch Sicherstellung und Überprüfung des Verstehens von relevanten Texten oder Textpassagen, durch Einübung in das „Lesen zwischen den Zeilen“, durch Verfügbarmachung von Deutungs- und Interpretationsverfahren (am konkreten Fall), durch Vorbereitung von Planungsschritten für die Konzipierung und Umsetzung eigener Aussagen und Beiträge, durch Vertrautheit mit den in einer Diskursgemeinschaft vorherrschenden Kommunikationsformen und Diskurstypen (Genres) und vieles mehr. Es muss noch einmal auf das große Spannungsverhältnis von sprachlichdiskursiver Kompetenzorientierung des FU und seiner thematischinhaltlichen Ausrichtung hingewiesen werden. Natürlich kann man Sprache nur sinnvoll verwenden, wenn man über‘ eine Sache, über‘ ein Thema, ,über‘ fachliche wie persönliche Erfahrungen‘ usw., also ,über‘ bedeutsame Inhalte kommuniziert - diese Kopplung von Sprache und Inhalt ist unabdingbar. Gegner der Kompetenzorientierung versuchen oft, Inhalt gegen Kompetenz auszuspielen. Dabei ist letztere eng mit der Entwicklung des thematischen, des interkulturellen, des textuellen, des mehrsprachig-lernstrategischen und des diskursiven Wissens verknüpft. Die Fremdsprachendidaktiken sind aufgefordert, allgemeine Kriterien für die Bestimmung von Aufgaben und damit auch für die Auswahl von Themen und Texten zu entwickeln, die es erlauben, daran die Sprache wie auch Diskursbefähigung allgemeine in ihrer Komplexität zu erlernen ( Vollmer/ Tesch/ Nold 2016). Dasselbe gilt für das Üben innerhalb eines aufgaben- und kompetenzorientierten Lehr-/ Lern- Gefüges: Übungsziele und -phasen müssen spezifisch ausgewiesen werden, es muss eine Synthese zwischen formalen und inhaltlichem Lernen beim Einprägen, Wiederholen, Erweitern, Umwälzen usw. hergestellt und es müssen Modelle aufgebaut werden, an denen sich Übende selbständig ausrichten können. Sind dies Vorgänge, die kollektiv initiiert und gesteuert werden können und laufen sie nur individuell, in subjektiv differenzierter Weise ab? Wahrscheinlich beides. Es überfordert den einzelnen Lehrenden, wenn z.B. für alle Lernenden jeweils „Varianten“ von Übungssequenzen oder ganze Curricula entwickelt werden sollen. Deshalb kommt es zunehmend auf Kooperation unter den Lehrenden an ebenso wie auf gegenseitige Unterstützung der Lernenden, z.B. bei der Umsetzung von Übungsplänen, bei der Entwicklung von Sprachsensibilität und beim Strategieaufbau. Insgesamt erfordert das mehr Raum zur Artikulation und zum bewusstmachenden Austausch im <?page no="234"?> Helmut Johannes Vollmer 234 Klassenzimmer (zugleich ein Forschungsdesiderat! ). Möglicherweise muss in zukünftigen Curricula ein bestimmtes Kontingent der zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit gezielt zur Bewusstmachung und zur Herstellung von Verknüpfungen mit früheren Lerneinheiten bereitgestellt werden. Dennoch gilt: Reden lernt man nur durch Reden, sprachlich handeln nur durch Handeln selbst und Schreiben nur, indem man immer wieder schreibt, und das so nahe an authentischen Situationen wie möglich. Diskursfähig wird man nur, indem man die relevanten Diskurse rezipiert und lernt, sich selbst darauf zu beziehen, indem man komplexe Situationen oder Problemlagen modelliert und die Übungsanforderungen entsprechend differenziert darauf abstimmt. Eine der entscheidenden Fragen ist also: Wie kann man fremdsprachliche Partizipationsfähigkeit lernen und vor allem üben, wie kann man durch FU zu einer emanzipatorischen und demokratischen Bildung beitragen? Ideal wären: komplexe Kompetenzaufgaben als didaktisches Gerüst für den (fortschrittlichen) FU, wie sie etwa Hallet (2011) vorschlägt. Auch spielerisch-simulative Aktivitäten zu gemeinsamen oder differenten Aufgaben (im Sinne des task-based learning) oder projektorientiertes Arbeiten und Lernen sind geeignet. Denn damit geht eine Fülle von natürlichen Anforderungen einher ebenso wie ein breites Angebot an „Einübungsmöglichkeiten“ innerhalb des Klassenzimmers, außerhalb ohnehin. Dies impliziert u.a. Auswahl zulassen, unterschiedliche Grade der Beantwortung oder Lösung von Aufgaben akzeptieren, unterschiedliche Übungserfolge hinnehmen (mit gegenseitiger Beobachtung nach vorher festgelegten Kriterien, mit Hilfestellungen, aber ohne förmliche Kontrollen oder gar Benotungen fürs Üben: ein solcher Experimentierraum muss zwar strukturiert, aber frei von Strafen und Sanktionen sein. Sind Erkenntnisse aus solchen Übungserfahrungen generalisierbar, für den Lehrenden, für die Lernenden? Und sind komplexe Anforderungen aus der Realität innerhalb des Klassenzimmers in Teilkompetenzen und zugehörige Übungen zerlegbar? Wahrscheinlich ja, aber ebenso sind immer wieder komplexe Aufgaben mit komplexen Anforderungen nötig, sonst besteht die Gefahr der Vereinfachung, der unangemessenen Reduktion, des Realitätsverlustes. Für eine vorübergehende „Zerlegung“ vom Komplexität müssen mit den Lernenden eigene Strategien der Bearbeitung und der „Lösung“ entwickelt und zurechtgelegt werden: z.B. Aufbau eines eigenen Sprachhandlungsrepertoires (Benennen, Beschreiben Erklären, Argumentieren, Hypothesen bilden, Bewerten, Widersprechen, Vorschläge machen, Einwände abwägen usw.) und eines Genre-Inventars, die in Listen- und Beispielform geführt und ständig erweitert werden könnten (Idee einer selbst erstellten, „gefütterten“ und verwalteten Toolbox). Hier einige Bespiele für die Einübung von Teilkompetenzen, eng zu koppeln mit dem jeweils zu bearbeitenden Inhalt/ Problem: <?page no="235"?> Üben - Übte - Geübt: Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe? 235 1. den Stand eines Diskurses „rekonstruieren“, ein- oder zuordnen usw. 2. Positionen und Implikationen in einem fremdsprachigen Einzeltext (non-/ fiktional) erkennen und benennen, Beziehungen zu anderen Texten herstellen (Kriterien) 3. sich mit vorhandenen Meinungen und Positionen nachvollziehend und beurteilend auseinandersetzen 4. seine eigene inhaltliche Meinung und Bewertung zu einer Frage finden, formulieren und verteidigen 5. durch Zusatzinformation (Lektüre/ Beschaffung von weiteren Informationen) den eigenen mündlichen oder schriftlichen Beitrag planen, entwerfen, vorbereiten und schließlich einbringen 6. Feedback von anderen einholen, erbitten, verarbeiten und selbst geben, kooperieren, auch im Diskursverhalten 7. eigene inhaltliche wie psychologische Wirkung auf andere (insbesondere auf Repräsentanten anderer Sprachen und Kulturen) wahrnehmen, überprüfen, korrigieren usw. (Selbstbild, Fremdbild). Eingebettet in solche Perspektiven wären einzelne Übungen zu konzipieren, durchzuführen und in ihrer Praktikabilität wie Wirkung zu erforschen. Dies passiert bislang kaum, hier tut sich ein großes Forschungsfeld auf. Am Ende besteht die Gefahr, dass Üben im Rahmen der Kompetenzorientierung doch als rein funktionale Vorbereitung zur Ablieferung von prüfungsrelevanten Hochleistungen missverstanden wird und nicht als Lernen für die Zukunft, für demokratisches Partizipieren, für die Meisterung der eigenen Lebenspraxis. Dies wäre immer dann der Fall, wenn Üben zur reinen Einübung fachspezifischer Methodenkompetenzen oder konventioneller Ausdrucksformen abgleitet. Stattdessen bedarf es einer Zusammenführung von kognitiven und sprachlichen Bewegungen, so wie es im Konzept der Diskursfunktionen (Zydatiß 2005; Vollmer 2011) und des Genre- Lernens (Hallet 2013; 2016) vorliegt. Es geht also nicht nur um prozedurales Üben, sondern auch um inhaltlichen Wissensaufbau und die Ausdifferenzierung kognitiver Strukturen als Voraussetzung für kompetente Interaktion. 3 Methodische und didaktische Chancen des Übens Diese Frage ist bereits teilweise unter 2. mit beantwortet worden: Dem Üben als einem rein methodischen, allenfalls mikrodidaktischen Problembereich kann erst dann größere Bedeutung im Forschungsganzen der Fremdsprachendidaktik zukommen, wenn es in den größeren Zusammenhang des Aufbaus von inhaltlichem Wissen, explizitem und implizitem Sprachwissen sowie von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz eingeordnet wird. <?page no="236"?> Helmut Johannes Vollmer 236 Dazu fehlt es jedoch bislang an integrativen Lern- und Untersuchungsmodellen, wie sie vonseiten der Bildungswissenschaften zunehmend angestrebt werden (vgl. z.B. Helmke 2003; Klieme 2010). Auch in anderen Fachdidaktiken (z.B. der Mathematik, Komorek/ Prediger 2013) ist die Entwicklung hin zu Ansätzen einer „Entwicklungsforschung“ (Design-Based Research, mit Auswirkungen auf eine Wiederannäherung von Theorie und Praxis) schon etwas weiter vorangeschritten als bei „uns“. In diesem Rahmen tauchen Übungsprozesse als ein zentrales Element der Umsetzung neuer fachdidaktischer Einsichten und curricularer Unterrichtssequenzen auf, die von Lehrenden und Forschenden gemeinsam entwickelt werden. Insofern ist hier eine funktionale Re-Fokussierung auf Üben und Übungsabläufe vorhanden. Was die praktischen Herausforderungen des Übens im heutigen FU anbelangt, so gehören dazu Zeitknappheit, Überlastung des Curriculums, wenig Möglichkeiten einer Differenzierung und Hilfestellung, aber auch Mangel an Konzepten für Komplexes Üben. Was wir dringend brauchen, sind positive Berichte von Lehrenden und sodann Analysen von fachdidaktischer Seite, wie mit dem Üben unter den Bedingungen der Aufgaben- und Kompetenzorientierung umzugehen ist (vielleicht Frühjahrskonferenz 2036? ). 4 Forschungsansätze Trotz der angedeuteten Skepsis gegenüber den Möglichkeiten einer systematischen Forschung gibt es immerhin eine Reihe von qualitativen Beobachtungen und Selbsterfahrungen im Hinblick auf eine mögliche Verbesserung von Fremdsprachenwissen und von fremdsprachlichen Kompetenzen durch die Bereitschaft, solche erneut zu aktivieren oder aufzufrischen, seit ich mich in den letzten Jahren erneut dem Französischen als Drittsprache zugewendet habe. Dies involviert Anstrengung und die immer wieder notwendige Überwindung von Trägheit, mit der Erfolgsaussicht den morgendlichen Nachrichten in TV5 besser folgen zu können und bei der nächsten Begegnung mit französischsprachigen Freunden innerhalb der deutsch-französischen Gesellschaft CLUNY (mit Sitz in Hamburg) ein paar Brocken mehr in der Sprache zu verstehen und zu parlieren, ohne mich gehemmt oder reduziert zu fühlen. Allein das ist den Einsatz von Übungszeit wert und den Versuch, das Gefühl des Tretens auf der Stelle (Fossilisierung im fortgeschrittenen Alter) zu überwinden. Dazu schaue ich (mehr als früher) Vokabeln in der Lektüre nach, die ich nicht auf Anhieb verstehe und die für den Text zentral wichtig zu sein scheinen, oder ich mache mir tatsächlich Listen von mehr oder minder festen Redewendungen (Dankesformeln, Komplimentausdrücke, zustimmende oder zweifelnde Sprechakte, Einwürfe, Kommentaransätze usw.), spreche diese laut aus, agiere sie sozusagen übend alleine aus, <?page no="237"?> Üben - Übte - Geübt: Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe? 237 um sie dann im Ernstfall der natürlichen Kommunikation sicher anzuwenden. Macht Spaß! Am meisten aber profitiere ich von der Teilnahme an einem informellen Gesprächskreis, geleitet von einer frankophonen Kanadierin (meiner Frau), in dem ich nur einer von mehreren Mitgliedern bin. (Eine tandemartige Lernbeziehung zu ihr hat nicht gut funktioniert.) Unabhängig von mir als erwachsenem Fremdsprachenlerner verfolge ich seit vielen Jahren die Frage, wie der Erwerb einer Fremdsprache als Arbeitssprache im Rahmen eines bilingualen Unterrichtsansatzes (CLIL) optimiert werden kann und welche Rolle insbesondere das fremdsprachliche Üben dabei spielen kann - wo doch bei diesem Unterrichtsansatz der Fokus eigentlich auf dem fachlichen Inhalt und dem inhaltlichen Lernen liegt. Ich halte diese Frage für sehr zentral, auch und gerade für die Zukunft eines stärker inhaltlich ausgerichteten Fremdsprachenlernens, besonders in den höheren Jahrgangsstufen, und damit für jeglichen Fachunterricht, der sprachsensibel sein will und das sprachliche Lernen seiner heterogenen, mehrsprachigen Klientel parallel zum Fachlernen fördern und sicherstellen will (vgl. dazu die jüngste Studie von Beacco et al. 2015). Was die spezifische Funktion und Wirkung des Übens in einem solchen Kontext von CLIL über inhaltsorientierten Fremdsprachenunterricht bis hin zum sprachsensiblen Fachunterricht anbelangt, so ist m.W. darüber nicht gezielt geforscht worden. Wohl sind die Kompetenzziele für das Ende der Sekundarstufe I einigermaßen ausformuliert worden unter Einschluss zentraler Diskursfunktionen und genre-spezifischer Ausdrucksformen als Teil von Bildungssprache (academic language proficiency). Aber was in der Praxis damit passiert, wäre aktuell unbedingt zu erforschen. Literatur Balas, Katrin (2015): Speaking for the future. Möglichkeiten für intelligentes Üben und Wiederholen im Bereich des Sprechens im Englischunterricht. Saarbrücken: AV Akademikerverlag. Beacco, Jean-Claude/ Fleming, Mike/ Goullier, Francis/ Thürmann, Eike/ Vollmer, Helmut Johannes (2015): The Language Dimension in All Subjects. Handbook for Curriculum Development and Teacher Training. Strasbourg: Council of Europe. Erpenbeck, Jenny (2015): Gingen, ging, gegangen. Roman. München: Knaus. Gudjons, Herbert (2005): „Methoden und Strategien intelligenten Übens“. In: Pädagogik 11, 12-15. Hallet, Wolfgang (2011): Lernen fördern: Englisch. Kompetenzorientierter Unterricht in der Sekundarstufe I. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Hallet, Wolfgang (2013): „Generisches Lernen im Fachunterricht“. In: Becker- Mrotzek, Michael/ Schramm, Karen/ Thürmann, Eike/ Vollmer, Helmut Jo- <?page no="238"?> Helmut Johannes Vollmer 238 hannes (Hrsg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster: Waxmann, 59-75. Hallet, Wolfgang (2016): Genres im fremdsprachlichen und bilingualen Unterricht. Formen und Muster der sprachlichen Interaktion. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Handwerker, Brigitte/ Madlener, Karin (2009): Chunks für DaF. Theoretischer Hintergrund und Prototyp einer multimedialen Lernumgebung (inklusive DVD). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Helmke, Andreas (2003): Unterrichtsqualität erfassen, bewerten, verbessern. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer. Heymann, Hans Werner (2005): „Was macht Üben ,intelligent‘? “ In: Pädagogik 11, 6-10. Hoffmann, Sabine (2014): Mündliche Kompetenz und Bewusstsein beim unterrichtlichen Fremdsprachenlernen. Tübingen: Narr. Kahl, Reinhard (2009): Übung macht den Meister. Von der Wiederentdeckung des Übens. http: / / www.adz-netzwerk.de/ files/ docs/ uebung_macht_den_ meister.pdf (15.04.2016). Kieweg, Werner (2010): „Übungsformen“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 182-186. Klieme, Eckhard (Hrsg.) (2010): Kompetenzmodellierung: Zwischenbilanz des DFG-Schwerpunktprogramms und Perspektiven des Forschungsansatzes. Weinheim: Beltz. Komorek, Michael/ Prediger, Susanne (Hrsg.) (2013): Der lange Weg zum Unterrichtsdesign. Münster: Waxmann. Krashen, Stephen/ Terrell, Tracy D. (1983): The Natural Approach: Language Acquisition in the Classroom. Oxford: Pergamon Press. Sloterdijk, Peter (2010): Du musst dein Leben ändern. Interview mit Reinhard Kahl. 15.2.2010. http: / / www.koerber-stiftung.de/ bildung/ podcasts-bildung/ podcast-details-bildung/ artikel/ die-wiederentdeckung-des-uebens.html (15.4.2016). Tesch, Bernd/ Stanat, Petra/ von Hammerstein, Xenia/ Rossa, Henning (Hrsg.) (2016): Bildungsstandards aktuell: Englisch/ Französisch in der Sekundarstufe II. Frankfurt: Diesterweg. Vollmer, Helmut Johannes (2011): Schulsprachliche Kompetenzen: Zentrale Diskursfunktionen. http: / / www.home.uni-osnabrueck.de/ hvollmer/ (15.04.2016). Vollmer, Helmut Johannes (unter Mitwirkung von Meißner, Franz-Josef/ Nold, Günter/ Schröder, Konrad/ Wäckerle, Maike/ Martinez, Hélène) (2016): „Sprachbewusstsein“. In: Tesch, Bernd/ Stanat, Petra/ von Hammerstein, Xenia/ Rossa, Henning (Hrsg.): Bildungsstandards aktuell: Englisch/ Französisch in der Sekundarstufe II. Frankfurt: Diesterweg, 201-219. Vollmer, Helmut Johannes/ Tesch, Bernd/ Nold, Günter (2016): „Inhalte und Themen“. In: Tesch, Bernd/ Stanat, Petra/ von Hammerstein, Xenia/ Rossa, <?page no="239"?> Üben - Übte - Geübt: Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe? 239 Henning (Hrsg.): Bildungsstandards aktuell: Englisch/ Französisch in der Sekundarstufe II. Frankfurt: Diesterweg, 307-321. Zydatiß, Wolfgang (2005): „Diskursfunktionen in einem analytischen curricularen Zugriff auf Textvarietäten und Aufgaben des bilingualen Sachfachunterrichts“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 34, 156-173. <?page no="240"?> Vor-Während-Nach: Vom Sinn und Unsinn komplexer und weniger komplexer Übungstypologien Nicola Würffel 1 Einleitung Wo, wenn nicht in sogenannten Übungstypologien für den Fremdsprachenunterricht, sollte man fündig werden, wenn man nach einer Definition des Begriffs ‚Übung‘ im Zusammenhang des Fremdsprachenunterrichts sucht? Denn bevor man etwas typologisieren kann, muss man es zunächst definieren, sollte man annehmen. Oder ist es genau umgekehrt: Liefert die Typologie eine Übersicht, an deren Ende dann eine Defnition stehen kann? Auf jeden Fall erlaubt der Blick in Texte, die sich selbst als Übungstypologien bezeichnen, einen breiten Einblick in das, was Fremdsprachenforschende unter dem Übungsbegriff verstehen und wie sie das Spektrum des Übens im Fremdsprachenunterricht skizzieren. Im Folgenden wird deshalb zunächst der Versuch unternommen, sich auf der Grundlage der Analyse verschiedener Übungstypologien dem Begriff der ‚Übung‘ anzunähern. Gleichzeitig wird diskutiert, welchen Wert Übungstypologien der unterschiedlichsten Couleur für welche Kontexte haben könn(t)en - und worin die besondere Ungereimheiten der Textsorte Übungstypologie zu bestehen scheint. Ein Fazit zur Rolle von Übungstypologien in Forschungskontexten schließt den Artikel ab. 2 Ausschnitthafter Überblick über Übungstypologien der vergangenen 20 Jahre Eine Literaturrecherche zum Stichwort ‚Übungstypologie‘ gibt einem einen ausschnitthaften Überblick über die Versuche, Übungstypologien für den Fremdsprachenunterricht zu erstellen. Recht schnell lässt bzw. lassen sich - zumindest für heuristische Zwecke - Spreu von Weizen trennen (oder sollte man lieber sagen: Äpfel von Birnen, um keine Wertung vorzunehmen): Schon Rösler/ Ulrich (2003, 121f.) weisen in ihrem kurzen Überblick darauf hin, dass man im Gebiet der Übungstypologien zum einen die findet, die für die Praxis geschrieben werden, und zum anderen die, die einen Beitrag zur Theoriebildung leisten und/ oder die eine Grundlage für die systematische <?page no="241"?> Vom Sinn und Unsinn komplexer und weniger komplexer Übungstypologien 241 Erforschung von Übungen darstellen wollen. Natürlich gibt es auch Mischformen; zum Zwecke der Verdeutlichung der unterschiedlichen Probleme von Übungstypologien wird in diesem Artikel aber eine, in Teilen vielleicht konstruierte, deutliche Abgrenzung vorgenommen. Typologien, die sowohl die Benutzerfreundlichkeit als auch eine weitgehende Vollständigkeit garantieren, erscheinen keine praktikable Alternative zu sein (vgl. u.a. Beile 1979, 109, oder Beier/ Möhn 1983, 208). Je nach Kontext wird der Begriff der Typologie in den Publikationen anders gefasst. In vielen praxisbezogenen Publikationen ist eine Typologie eine Zusammenstellung von Übungen oder von konkreten Beispielen, die unter (einem oder mehreren) Merkmalen geordnet werden; die Systematisierung folgt manchmal nur einer sehr einfachen, manchmal aber auch gar keiner stringenten Logik. Theoretische Überlegungen zur Systematisierung erfolgen meist nicht. In eher theoriegeleiteten Publikationen wird die ‚Typologie‘ zum Teil von der ‚Klassifikation‘ abgegrenzt, wobei entweder die eine oder die andere als die eher vorläufige und weniger umfassende Variante oder als die Variante, die einen Gegenstandsbereich hinsichltich seiner Unterschiede tatsächlich vollständig erfasst, angesehen wird (vgl. z.B. die unterschiedlichen Definitionen bei Segermann 1992 und Rösler/ Ulrich 2003, 115-116). Bei allen komplexeren Versuchen, eine Übungstypologie für den Fremdsprachenunterricht zu erstellen, sind sich die Autoren aber darin einig, dass als Grundlage einer solchen Typologie ein „Konzept multipler Ordnungen“ (ebda, 125) nötig sei und es keine Typologie geben könne, die aufgrund ihrer logischen Deduktion stringent ist (vgl. Lohmann 1973, 261). Auf diese Problematik werde ich in Kapitel 3 zurückkommen. 2.1 Übungstypologien für die Praxis oder aus der Praxis Meine Lieblingssystematik für die praxisnahe Einteilungen von Aufgaben und Übungen im Fremsprachenunterricht stellt die Einteilung „Vor- Während-Nach“ dar (vgl. u.a. Brandi 1996, 18ff.), also eine Einteilung von Übungen mit Blick auf den Zeitpunkt, zu dem man sie in Bezug auf den zu lesenden, zu hörenden oder zu sehenden Text als Lehrender einsetzt: Sie scheint so einleuchtend und so herrlich leicht handhabbar, dass schon Studierende im ersten Semester sie schnell verinnerlichen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass letztere sich selbst erinnern, dass sie in ihrem Unterricht meist etwas vor, während und nach dem Bearbeiten von Texten getan und damit (mehr oder weniger) erfolgreich eine Sprache gelernt haben. Auch wenn an dieser Stelle nicht grundsätzlich etwas gegen leicht handhabare didaktisch-methodische Vorschläge für die Praxis gesagt werden soll, so lassen sich die Schwächen einer solchen Typologisierung schnell <?page no="242"?> Nicola Würffel 242 aufdecken: Sie suggeriert, dass a) Lernprozesse immer einem ähnlichen Ablauf folgen, bei dem es b) ein vor, während und nach gibt, und dass c) Übungen diesen Phasen des Lernprozesses eindeutig zugeordnet werden könnten, weil sie d) die in dieser Phase ablaufenden Teilprozesse zielgerichtet unterstützen. Die gröbste Vereinfachung steckt sicherlich in der Suggestion b), die dazu führt, dass sich der Vor-Während-Nach-Ansatz zur Einteilung von Übungen zwar hartnäckig in der Praxis hält, dass diese Form der Typologisierung in Artikeln, die sich eher theoriegeleitet mit Übungstypologien beschäftigen, häufig aber gar nicht erwähnt wird. Selbstverständlich gibt es auch andere, gehaltvollere Ansätze einer Typlogisierung in eher praxisbezogenen Publikationen: So wird hinsichtlich der Sachgegenstände (Grammatik, Wortschatz) und/ oder der Fertigkeiten (vgl. u.a. Häussermann/ Piepho 1996, Biechele et al. 2003), hinsichtlich der Lernziele und/ oder der Funktionen von Übungen (vgl. u.a. Bertrand 1992, Bachmann et al. 1996 oder Paul 1996), hinsichtlich der Sozialformen (vgl. u.a. Lohmann 1973), hinsichtlich der Tätigkeiten, die Lernende bei der Bearbeitung der Übung durchführen müssen (Zuordnen, Einsetzen etc., vgl. u.a. Lohmann 1973, Bayerlein 1996 oder Thaler 2014; siehe bei Letzterem auch die Hinweise für weitere Ordnungsmerkmale ebda, 15), oder auch hinsichtlich der Feedbackformen (vgl. u.a. Biechele 2003) typologisiert. Was sind die Zielrichtungen dieser Typologisierungen? Meist wollen sie den Nutzern und Nutzerinnen der Typologie, also den Lehrenden, einen Überblick über vorhandene Übungsformen geben und die Auswahl bzw. das Auffinden geeigneter Übungsformen erleichtern, indem durch die Merkmale, nach denen die Übungen geordnet werden, schnell Bezüge zur eigenen Unterrichtsplanung hergestellt werden können. Das erscheint legitim und sogar wünschenswert. Ich sehe aber zwei Probleme: Zum einen frage ich mich, ob es Typologien gibt, die dieses Ziel überhaupt einlösen können - zumindest in umfassender Form; auf diesen Punkt komme ich in Kapitel 3 zurück. Zum anderen macht das zu Beginn genannte Beispiel der (scheinbaren) Systematisierung von Übungen nach dem Vor-Während-Nach-Prinzip deutlich, dass das Ziel einer angenehm einfachen Handhabung auch dazu führen kann, dass Lehrende wichtige Planungsschritte nicht mehr ausführen (Welches Lehrbzw. Lernziel verfolge ich in welcher Phase und ist die Übung tatsächlich geeignet, die Lernenden beim Erreichen des Lehr/ Lernziels zu unterstützen? ). Auch dieser Punkt wird in Kapitel 3 noch einmal eine Rolle spielen. Bei einer Definition dessen, was eine Übung ist, helfen die praxisnahen Publikationen nur insofern, als sie deutlich machen, wie unscharf und breit der Begriff der Übung verwandt wird und wie er eigentlich für alles genutzt <?page no="243"?> Vom Sinn und Unsinn komplexer und weniger komplexer Übungstypologien 243 wird, was der Lernende in einem institutionalisierten Fremdsprachenlernen angeleitet tut bzw. tun soll. 2.2 Theoriegeleitete Übungstypologien Stärker theoriegeleitete Arbeiten zu Übungstypologien für den Fremdsprachenunterricht gibt es deutlich weniger. Das hängt sicherlich auch mit der Tatsache zusammen, dass sich der Gegenstand Übung bei genauerem Hinsehen als hoch komplex heraustellt. Beispielhaft soll im Folgenden auf die Typologisierungen von Beile (1979), Beier/ Möhn (1983), Segermann (1994) und Wendt (1998) eingegangen werden. Sie können hier weder im Detail dargestellt, verglichen oder diskutiert werden. Eine überblicksartige Darstellung kann aber helfen, die oben aufgeworfenen Fragen, wie zum einen ‚Übung‘ in diesen Typologien definiert wird und wie zum anderen der Nutzen dieser Typologien einzuschätzen ist und welche Probleme (bzw. eigentlich: welches Grundproblem) zu konstatieren sind (ist), zu beantworten. Dafür wähle ich als Hilfsmittel eine tabellarische Übersicht (vgl. Abb. 1), weise aber darauf hin, dass man der Komplexität der einzelnen Typologien und den dahinter liegenden Überlegungen damit natürlich nicht gerecht wird. Die Typologien sind insofern theoriegeleitet, als sie sich alle auf schon vorhandene Ansätze zur systematischen Erfassung von Übungen (oder im Falle von Wendt zur Erfassung kognitiver Prozesse) beziehen und ihre Systematisierungen darauf aufbauen und damit ausführlich begründen. Wie in der Übersicht jedoch deutlich wird, dienen die verschiedenen Typologien alle der Erfassung und Beschreibung von Übungsformen im Fremdsprachenunterricht (zum Teil mit Einschränkungen auf bestimmte Bereiche), um auf dieser Grundlage eine Bewertung von Übungen zu ermöglichen (wobei nicht immer angegeben wird, worauf sich die Bewertung beziehen soll). Die Typologien stehen damit in der Tradition der Kriterienlisten oder -raster zur Einschätzung von Lehr- und Lernmaterialien und erscheinen auch eher praxisbezogen als theorieorientiert: Eine Weiterentwicklung einer Theorie des Übens bzw. der Übung nennt keiner der Autoren/ die Autorin als dezidiertes Ziel. Beile ist der einzige, für den die erstellte Typologie auch als Grundlage für empirische Forschung und damit zumindest zu einer Unterstützung der Theorieentwicklung in diesem Bereich dienen soll. Wendt dagegen führt an, dass seine Typologie auch als Grundlage für die Erstellung von Aufgaben und Übungen dienen könnte - womit er eher ihre Praxisbezogenheit betont. <?page no="244"?> Nicola Würffel 244 <?page no="245"?> Vom Sinn und Unsinn komplexer und weniger komplexer Übungstypologien 245 <?page no="246"?> Nicola Würffel 246 Die vier Publikationen ähneln sich in ihrer Definition von Übungen: Sie nehmen sie alle als distinktive Einheit wahr, die sich mithilfe von Merkmalen oder Merkmalsbündeln beschreiben lässt. Sie begreifen Übungen als Anlässe, mit denen Lernende geplant zu Äußerungen angeregt werden, die der Entwicklung ihrer Sprachfähigkeit dienen. Sie unterscheiden nicht zwischen Aufgabe und Übung (wobei Beile das nicht explizit aufführt und man es auch nicht erschließen kann, weil sich seine Analyse nur auf sehr formbezogene Sprachlaborübungen bezieht). Sie unterscheiden (bis auf Wendt) zwischen zwei Teilen der Übung: den für die intendierten Lerneräußerungen notwendigen Anlässen (notwendige Informationen, Anweisungen, zu bearbeitendes Sprachmaterial) und den sich daraus ergebenen (antizipierten) Lerneräußerungen. Wichtig erscheint zudem, dass sich alle Typologien auf die Übung im Sinne des „task as workplan“ (Breen 1978, 25) beziehen, auch wenn nur Beile darauf explizit hinweist; d.h. sie berücksichtigen alle nur die Planung von Übungen und nicht deren Umsetzung im Unterricht. Es erscheint auch fraglich, ob sie sich für empirische Untersuchungen des „task-in-progress“ (ebda) überhaupt eignen würden. 3 Sinn oder Unsinn von Übungstypologien Beile kommt in seiner Übungstypologie, die sich nur auf den Bereich der Sprachlaborübungen bezieht, auf 172 Merkmale; bei Segermann ist es zwar aufgrund der unklaren Bezifferungsebenen der Kategorien und ihrer Untermerkmale schwierig, diese alle durchzuzählen, aber einer groben Schätzung zufolge würde man, wenn man alle angedeuteten Untermerkmale mitzählt, wahrscheinlich auf über 200 kommen. Dies allein zeigt schon eine Krux der Typologien: Bei ihrem Versuch, möglichst vollständig zu erfassen, verzettlen sie sich im kleinteiligen Segmentieren von möglichen Merkmalszugängen, ohne jemals alle erfassen zu können (was auch daran deutlich wird, dass man bei den verschiedenen Ansätzen immer wieder neue Erfassungsbzw. Beschreibungszugänge entdeckt, die bei den anderen fehlen, vgl. z.B. die Kategorie „Existenz eines Schlüssels“ bei Beier/ Möhn 1983, 205). Die Resultate entziehen sich in ihrer ganzen Ausdifferenziertheit jeder Anwendbarkeit über die reine Erstellung hinaus; auch die Tatsache, dass Autoren wie Beile und Segermann ihre Submerkmale ausschnitthaft mit Beispielen belegen, widerspricht dem nicht; für manche Kategorien sind tatsächlich einfach Beispiele zu finden und diese Kategorien eignen sich auch gut für die <?page no="247"?> Vom Sinn und Unsinn komplexer und weniger komplexer Übungstypologien 247 Anwendung in der Praxis, wie die vielen praxisorientierten Übungstypologien, in denen Kategorien von Brandt (1968), Salistra (1962) (auf die sich Beile und Segermann beziehen) oder Segermann verwandt werden, zeigen. Wollte man für andere Kategorien Beispiele finden, würde sich schnell deren Unschärfe zeigen (vgl. zum Beispiel die Subkategorien Lernort oder Motivationsform bei Segermann 1992, 51). Dem Zweifel von Schwerdtfeger (1989, 188) an der wissenschaftsmethodischen Tragfähigkeit von Klassifizierungsversuchen kann ich deshalb nur zustimmen: Die dargestellten Typologien zeigen sicherlich spannende Aspekte des Gegenstandsbereichs ‚Übungen‘ auf, lösen aber nicht das grundlegende Problem, dass sich aus der Tatsache ergibt, dass Übungen zwar einerseits als distinktive Einheiten aufgefasst werden, dass aber diese Einheiten kaum kleiner oder überschaubarer sind als ein Unterrichtsmoment mit seiner anerkannt hohen Faktorenkomplexität; diesen in seiner Gesamtheit stark ausdifferenziert zu beschreiben, ist meines Wissens noch nicht (bzw. eben nur für fokussierte Ausschnitte) gelungen. Dass sich die untersuchten Typlogisierungen auf den Bereich der Planung von Unterricht beziehen und den Bereich des Vollzugs nicht miteinbeziehen, macht die Situation nicht beherrschbarer: Auch im Rahmen des task as workplan stellt die differenzierte Erfassung aller Facetten ein vergebliches Unterfangen dar, an der die Typlogisierungsversuche zum Teil schon auf der übergeordneten Ebene scheitern, indem sie nicht nur auf ein paar scharfe Oberkategorien (wie z.B. die Zielsetzung/ Funktion), sondern fast alle auch auf mindestens eine übergreifende, sehr unscharfe (wie z.B. die Arbeitsweise) zurückgreifen müssen, die dann ein Sammelsurium von Subkategorien enthält, die sich jeder logischen Systematik und dem Anspruch auf ein umfassendes Erfassen von Facetten entzieht. Diese Unmöglichkeit einer vollständigen Erfassung mag aber auch mit der zugrunde gelegten Definition von Übung zusammenhängen, die, je breiter sie ist, es umso schwieriger macht, Übungstypen systematisch erfassen oder auch nur zielscharf über sie reden zu können, was sich auch in der Diskussion der Frühjahrskonferenz zeigte. Ein erster Ansatzpunkt für künftige Typologien könnte deshalb sein, die Definition für Übungen sehr viel enger zu fassen und sie so von anderen Aktivitäten im Fremdsprachenunterricht deutlicher abgrenzen (vgl. hierzu z.B. den Definitionsansatz von Riemer, in diesem Band) und besser systematisch erfassen zu können. Darüber hinaus müsste man aber über die Funktion von Typologien noch genauer nachdenken: Dazu kann durchaus gehören, Typologien zur Grundlage der Erforschung von Fragen zu machen, die im Zusammenhang mit dem Üben im Fremdsprachenunterricht noch unzureichend erforscht worden sind - dazu gehören natürlich u.a. auch die Fragen nach den Effek- <?page no="248"?> Nicola Würffel 248 ten (und damit auch der Qualität) bestimmter Übungen in spezifischen Kontexten (vgl. Königs oder Riemer in diesem Band) oder die nach den subjektiven Theorien der Lernenden zu bestimmten Übungen (vgl. Vogt in diesem Band). In diesem Sinne kann ‚die Übung‘ ein sehr interessantes Einfallstor für die Fremdsprachenforschung sein. Befriedigende Ergebnisse wird man allerdings im Zusammenhang mit diesem Forschungsgegenstand aus meiner Sicht nur erreichen, wenn man Reduzierungen vornimmt und bei der Betrachtung der distinktiven Einheit ‚Übung‘ einen Fokus setzt, z.B. auf die Schülertätigkeiten. Diese wiederum sollte man nicht nur am Schreibtisch beschreiben, sondern auch in ihrer Umsetzung erforschen, um die gewählten Beschreibungskategorien empirisch zu bestätigen. Hierfür liegen in der - bislang immer noch zu wenig beachteten - Lernaufgabenforschung Ergebnisse vor, die dringend erweitert werden sollten (vgl. Würffel 2006; vgl. u.a. auch Caspari in diesem Band). Für problematisch dagegen halte ich die Nutzung von Übungstypologien als didaktisches oder sogar ausbildungsdidaktisches Instrument. Gerade angehende Lehrende oder Lehrende mit geringen Erfahrungen könnten meinen, dasss ihnen Typologien Hilfestellungen für die Unterrichtsplanung geben. Tatsächlich können diese aber gar nicht genug Kontextinformationen bieten, damit wirklich auf der Grundlage der reinen Typologie einschätzbar ist, ob eine bestimmte Übung zu einer bestimmten Lernergruppe, einem spezifischen Lernziel etc. passt bzw. dort zielführend eingesetzt werden kann und sollte. Für Experten und Expertinnen mögen Übungstypologien sinnvolle Anregungen für die Praxis bieten, weil sie über das nötige Handlungswissen verfügen, um sie sinnvoll anwenden zu können; hier können Typologien tatsächlich einen Überblick bieten und z.B. auf Varianten aufmerksam machen. Für Novizen und Novizinnen aber können sie nicht die Funktion einer methodischen Aus- oder Fortbildung über-nehmen. Wenn z.B. letztere versuchen, Beispiele aus einer drama-pädagogischen Übungstypologie einzusetzen, ohne über die Hintergründe der Dramapädagogik Bescheid zu wissen, führt das im besten Fall dazu, dass Potenziale einer Übungsform nicht ausgenutzt werden können; im schlechtesten aber dazu, dass angestrebte Lerneffekte nicht erreicht oder Lernende (und Lehrende) demotiviert werden. Literatur Bachmann, Saskia/ Gerhold, Sebastian/ Wessling, Gerd (1996): „Aufgaben- und Übungstypologie zum interkulturellen Lernen mit Beispielen aus Sichtwechsel - neu“. In: Zielsprache Deutsch 27 (2), 77-91. <?page no="249"?> Vom Sinn und Unsinn komplexer und weniger komplexer Übungstypologien 249 Bayerlein, Oliver (1996): „Versuch einer Übungstypologie für computergestützte Multimedia-Sprachkurse“. In: Info DaF 23 (6), 726-736. Beier, Rudolf/ Möhn, Dieter (1983): „Merkmale fachsprachlicher Übungen: Beschreibungskategorien für das Hamburger Gutachten“. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 9, 194-228. Beile, Werner (1979): Typologie von Übungen im Sprachlabor. Zur Entmythologisierung eines umstrittenen Sachfelds. Frankfurt a.M.: Diesterweg. Biechele, Markus/ Rösler; Dietmar/ Ulrich, Stefan/ Würffel, Nicola (2003). Internet-Aufgaben Deutsch als Fremdsprache. Klett Computerpraxis Fremdsprachen. Stuttgart: Klett. Bertrand, Yves (1992): „Les exercices: pour quoi faire? “ In: Nouveaux Cahiers d’Allemand 4, 405-415. Brandi,Marie-Luise (1996): Video im Deutschunterricht. Berlin/ München: Langescheidt (Fernstudieneinheit 13). Brandt, Bertolt (1968): „Theorie und Praxis einer Übungstypologie für den Fremd-sprachenunterricht“. In: Fremdsprachenunterricht 12 (10), 403-411, 424. Breen, Michael P. (1987): „Learner Contributions to Task Design“. In: Candlin, Christopher N./ Murphy, Dermot (Hgs.): Language Learning Tasks. Englewood Cliffs, N.J. u.a.: Prentice Hall, 23-46. Caspari, Daniela (in diesem Band): „Eine oder mehrere Kompetenzen schulen? Oder: Zum Stellenwert des Übens in komplexen Lernaufgaben“, 40-49. Häussermann, Ulrich/ Piepho, Hans-Eberhard (1996): Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. Abriss einer Aufgaben- und Übungstypologie. München: iudicium. Königs, Frank G. (in diesem Band): „Übung macht den Meister - aber Üben will gelernt sein! Oder doch nicht? Anmerkungen zum Üben und zur Rolle des Übens im Fremdsprachenunterricht“, 111-117. Lohmann, Christa (1973): „Übungstypologie für den Englischunterricht in der Eingangsstufe der Gesamtschule“. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 20 (3), 260-268. Paul, Friederike (1996): „Übungstypologie für den Bereich Ausspracheschulung“. In: Info DaF 23 (4), 491-497. Riemer, Claudia (in diesem Band): „Übung(en) im Fremdsprachenunterricht - Perspektiven der Fremdsprachenerwerbsforschung“, 162-171. Rösler, Dietmar/ Ulrich, Stefan (2003): „Vorüberlegungen zu einer Übungs- und Aufgaben-typologie für internetgestütztes Fremdsprachenlernen“. In: Legutke, Michael/ Rösler. Dietmar (Hrsg.): Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien. Tübingen: Narr, 115-144. Salistra, Isaak D. (1962). Methodik des neusprachlichen Unterrichts. Berlin: Volk und Wissen. Schwerdtfeger, Inge-Christine (1989): „Arbeits- und Übungsformen. Überblick“. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Hüllen, Werner/ Krumm, <?page no="250"?> Nicola Würffel 250 Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke, 187-190. Segermann, Krista (1992). Typologie des fremdsprachlichen Übens. Bochum: Brockmeyer. Thaler, Engelbert (2014): „Üben“. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 11 (2), 15- 16. Vogt, Karin (in diesem Band): „Individualisiertes Üben im Fremdsprachenunterricht“, 221-228. Wendt, Michael (1998): „Zur Analyse von Übungen und Aufgaben für den Französischunterricht“. In: französisch heute 29 (4), 420-434. Würffel, Nicola (2006): Strategiegebrauch bei Aufgabenbearbeitungen in internetgestütztem Selbstlernmaterial. Tübingen: Narr. <?page no="251"?> Adressen der Beiträger und Herausgeber Prof. Dr. Marcus Bär Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Fachgruppe Romanistik: Didaktik des Spanischen Gaußstr. 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Gabriele Blell Leibniz Universität Hannover Englisches Seminar Königsworther Platz 1 30167 Hannover Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik/ Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Daniela Caspari Freie Universität Berlin Institut für Romanische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 Berlin Prof. Dr. Bärbel Diehr Bergische Universität Wuppertal Anglistik/ Amerikanistik Gaußstraße 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Hermann Funk Universität Jena Ernst-Abbe-Platz 8 07743 Jena <?page no="252"?> Adressen der Beiträger und Herausgeber 252 Prof. Dr. Claus Gnutzmann Technische Universität Braunschweig Englisches Seminar Bienroder Weg 80 38106 Braunschweig Prof. Dr. Andreas Grünewald Universität Bremen / Fachbereich 10 Didaktik der romanischen Sprachen Postfach 33 04 40 28334 Bremen Prof. Dr. Wolfgang Hallet Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik/ Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Karin Kleppin Ruhr-Universität Bochum Seminar für Sprachlehrforschung 44780 Bochum Prof. Dr. Frank G. Königs Philipps-Universität Marburg Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (IFS) Hans-Meerwein-Straße 35032 Marburg Prof. Dr. Jürgen Kurtz Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik/ Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen <?page no="253"?> Adressen der Beiträger und Herausgeber 253 Prof. Dr. Lutz Küster Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät II Institut für Romanistik Unter den Linden 6 10099 Berlin Prof. Dr. Hélène Martinez Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Romanistik Karl-Glöckner-Straße 21 G 35394 Gießen Prof. Dr. Grit Mehlhorn Universität Leipzig Institut für Slavistik Beethovenstr. 15 04107 Leipzig Prof. Dr. Claudia Riemer Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld Prof. Dr. Dietmar Rösler Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Jutta Rymarczyk Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Fremdsprachen - Englisch Keplerstraße 87 69120 Heidelberg <?page no="254"?> Adressen der Beiträger und Herausgeber 254 Prof. Dr. Lars Schmelter Bergische Universität Wuppertal Geistes- und Kulturwissenschaften/ Romanistik Gaußstraße 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Torben Schmidt Leuphana Universität Lüneburg Fakultät Bildung: Institute of English Studies Scharnhorststr. 1, C5.135 21335 Lüneburg Prof. Dr. Carola Surkamp Universität Göttingen Seminar für Englische Philologie Käte-Hamburger-Weg 3 37073 Göttingen Prof. Dr. Karin Vogt Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Fremdsprachen und ihre Didaktiken Im Neuenheimer Feld 581 69120 Heidelberg Prof. Dr. Helmut Johannes Vollmer Rüsternkamp 43 22607 Hamburg Prof. Dr. Nicola Würffel Pädagogische Hochschule Heidelberg Fakultät II, Mediendidaktik Im Neuenheimer Feld 561 69120 Heidelberg <?page no="255"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Arbeitspapiere der 1. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1981. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Das Postulat der Lernerzentriertheit: Rückwirkungen auf die Theorie des Fremdsprachenunterrichts. Arbeitspapiere der 2. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1982. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Inhalte im Fremdsprachenunterricht oder Fremdsprachenunterricht als Inhalt? Arbeitspapiere der 3. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1983. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Empirie und Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 4. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1984. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Forschungsgegenstand Richtlinien. Arbeitspapiere der 5. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1985. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Lehrperspektive, Methodik und Methoden. Arbeitspapiere der 6. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1986. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachbegriffe im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 7. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1987. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fortschritt und Fortschritte im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 8. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1988. <?page no="256"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 256 K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Der Fremdsprachenunterricht und seine institutionellen Bedingungen. Arbeitspapiere der 9. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1989. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern: Gegenstand der Forschung. Arbeitspapiere der 10. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer 1990. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Texte im Fremdsprachenunterricht als Forschungsgegenstand. Arbeitspapiere der 11. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer 1991. K.-R. Bausch/ H. Christ/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht und Sprachenpolitik als Gegenstand der Forschung. Arbeitspapiere der 12. Früh jahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer 1992. K.-R. Bausch/ H. Christ/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlehr- und -lernprozesse im Spannungsfeld von Steuerung und Offenheit. Arbeitspapiere der 13. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum: Brockmeyer 1993. K.-R. Bausch/ H. Christ/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erfor schung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1994. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Erwerb und Vermittlung von Wortschatz im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 15. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1995. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Zwischenbilanz und Perspektiven. Arbeitspapiere der 16. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1996. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdiszipli- - <?page no="257"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 257 nen. Arbeitspapiere der 17. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1997. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Kognition als Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 18. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachen-unterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1998. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1999. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2000. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Neue curriculare und unterrichtsmethodische Ansätze und Prinzipien für das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 21. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2002. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003. K.-R. Bausch/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlehrerausbildung. Konzepte, Modelle, Perspektiven. Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des 65Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003. K.-R. Bausch/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2004. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2005. <?page no="258"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 258 K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2006. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2007. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlernen erforschen: sprachspezifisch oder sprachenübergreifend? Arbeitspapiere der 28. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2008. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Arbeitspapiere der 29. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2009. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick . Arbeitspapiere der 30. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2011. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsethik, Forschungsmethodik und Politik. Arbeitspapiere der 31. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2011. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 32. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2012. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Identität und Fremdsprachenlernen. Arbeitspapiere der 33. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2013. <?page no="259"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 259 E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Perspektiven der Mündlichkeit. Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2014. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Arbeitspapiere der 35. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2015. <?page no="260"?> Eva Burwitz-Melzer, Grit Mehlhorn, Claudia Riemer, Karl-Richard Bausch, Hans-Jürgen Krumm 6., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage 2016 XXII, 692 Seiten, 49,99 ISBN 978-3-8252-8655-2 Das Handbuch Fremdsprachenunterricht ist seit Jahren ein unentbehrliches Standardwerk für alle, die mit dem Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen befasst sind. Es liegt nun in der sechsten, vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage vor. Die Beiträge des Handbuchs greifen die aktuellen wissenschaftlichen, sprachen- und bildungspolitischen Entwicklungen auf und tragen den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung, die sich seit der vierten Auflage (2003) sowohl international als auch in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz ergeben haben. Berücksichtigt werden die Kompetenz- und Standardorientierung, die komplexen Anforderungen von Globalisierung und Migration auf die Ausbildungssysteme sowie die Aufgaben- und Inhaltsorientierung. Ein besonderer Fokus liegt auf Mehrsprachigkeitskonzepten, Interkomprehension und Entwürfen zu einem Gesamtsprachencurriculum. Bei der Darstellung des Schulsystems sind Aspekte der schulischen Übergänge hinzugetreten. Lernerperspektiven und Lernerbiografien wurden bei der Darstellung der Lernenden verstärkt berücksichtigt. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 97 97-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@francke.de \ www.francke.de € Handbuch Fremdsprachenunterricht <?page no="261"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik ISBN 978-3-8233-8091-7 Üben und Übungen im Fremdsprachenunterricht stehen heute in einem Spannungsfeld, das weit über die vor einigen Jahrzehnten formulierte Dichotomie des pattern drill und der offenen Lernaufgabe hinausreicht. Konzepte zum Üben haben sich hin zu neuen Übungstypologien geöffnet, die viele verschiedene Medien nutzen können, auch hin zu einem selbstständigeren Lernenden, der mitbestimmt, was wann geübt wird und den individuellen Lernerfolg erkennen kann. Die 24 Beiträge des vorliegenden Bandes behandeln grundsätzliche, aber auch speziellere Aspekte des Themas ‚Üben im Fremdsprachenunterricht‘ und skizzieren Perspektiven für Unterricht und Forschung.