Deutsch in Luxemburg
Positionen, Funktionen und Bewertungen der deutschen Sprache
0612
2017
978-3-8233-9097-8
978-3-8233-8097-9
Gunter Narr Verlag
Fabienne Scheer
Aus Sicht der Gesetzgebung ist Luxemburg ein dreisprachiges Land. Letzebuergesch ist die Nationalsprache, doch Französisch und Deutsch übernehmen seit jeher wichtige Funktionen. Dieser Band untersucht erstmals systematisch die deutsche Sprache in Luxemburg. Er beschreibt das Sprachwissen und Sprachhandeln der heterogenen Luxemburger Gesellschaft und gewährt den Lesern einen tiefen Einblick in den Stellenwert, die Funktionen und die Bewertung des Deutschen in Bereichen wie "Bildung", "Medien", "Integration", "Sprachpolitik", "Literatur" und "Werbung".
<?page no="0"?> www.narr.de TBL Tübinger Beiträge zur Linguistik Aus Sicht der Gesetzgebung ist Luxemburg ein dreisprachiges Land. Lëtzebuergesch ist die Nationalsprache, doch Französisch und Deutsch übernehmen seit jeher wichtige Funktionen. Dieser Band untersucht erstmals systematisch die deutsche Sprache in Luxemburg. Er beschreibt das Sprachwissen und Sprachhandeln der heterogenen Luxemburger Gesellscha und gewährt den Lesern einen tiefen Einblick in den Stellenwert, die Funktionen und die Bewertung des Deutschen in Bereichen wie „Bildung“, „Medien“, „Integration“, „Sprachpolitik“, „Literatur“ und „Werbung“. 560 Scheer Deutsch in Luxemburg Deutsch in Luxemburg Positionen, Funktionen und Bewertungen der deutschen Sprache Fabienne Scheer <?page no="1"?> Deutsch in Luxemburg <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 560 <?page no="3"?> Fabienne Scheer Deutsch in Luxemburg Positionen, Funktionen und Bewertungen der deutschen Sprache <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio‐ nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Diese Untersuchung wurde als Dissertation an der Université du Luxembourg ange‐ nommen. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ver‐ lages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-8097-9 <?page no="5"?> 9 I. 11 II. 15 1 15 2 21 3 25 III. 31 1 31 1.1 31 1.2 32 2 41 2.1 41 2.2 43 2.3 54 IV. 60 1 61 1.1 61 1.2 63 1.3 67 2 69 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze Entwicklung der luxemburgischen Mehrsprachigkeit . . . . . . . Herausbildung und Bestand eines domänenspezifischen Sprachgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typologisierung von Sprachgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . Über Mentalitätenwissen, Sprachdenken und Sprachhandeln „Dieses ‚Denken-wie-üblich‘, wie wir es nennen möchten […]“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Makrokontext ‚Luxemburgische Mentalität‘ . . . . . . . . . „Archäologie des Wissens“ - Linguistische Diskursanalyse und die empirische Analyse und Rekonstruktion von Wissensbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erschließung des Foucaultschen Diskursbegriffs . . . . . Diskurs und Wissen bei Foucault . . . . . . . . . . . . . . . . . . Äußerungen, Aussagen, Mentalitäten . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung des Untersuchungskorpus und des Analysezeitrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung des Materials um Experteninterviews . . . Erweiterung des Korpus um weitere Zeichen des „Flusses von Wissen durch die Zeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> V. 73 1 76 76 1.2 77 2 82 2.1 82 2.2 97 3 100 3.1 100 3.2 105 4 133 4.1 133 150 4.3 154 VI. 166 1 166 2 177 VII. 190 1 194 196 3 199 4 202 VIII. 206 1 210 210 1.2 215 2 219 225 Der Bildungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau des luxemburgischen Schulsystems . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Grundschule ‚(école fondamentale)‘ . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundarschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs . . . . . . . . . Über Bildung diskutieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gemeinschaft der Diskursteilnehmer . . . . . . . . . . . Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule . . . . . . . . . Die Entwicklung des linguistischen Startkapitals im Grundschulzyklus 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Alphabetisierung auf Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht Ein Blick ins klassische Sekundarschulklassenzimmer 4.2 Stellenwert der Unterrichtssprache Deutsch im ‚Enseignement secondaire technique‘ . . . . . . . . . . . . . . Deutsch als Fremdsprache in Luxemburg erlernen . . . Sprachwissen und Immigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über Immigration diskutieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachwissen und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Täter-/ Opfer-Konstruktionen und das Schaffen eines Feindbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Die Kollokation ‚En Français s.v.p‘ und damit einhergehende Wissensrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Darstellung des Luxemburgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Sie nehmen uns die Arbeit weg! “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprach(en)politiken und politische Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprach(en)politik aufgezwungen von außen . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 ‚Die Sprache des Landes Luxemburg und seiner Bewohner ist seit jeher deutsch.‘ (1940) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenstandsaufnahme vom 10. Oktober 1941 . . . . . Korpusplanung zugunsten des Luxemburgischen (1945-1977) 3 Ziele und Verdienste der ‚Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL)‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 6 <?page no="7"?> 240 5 252 6 258 7 261 IX. 284 1 287 1.1 291 307 1.3 311 313 2 314 3 316 X. 321 1 321 2 334 XI. 348 1 348 2 353 XII. 372 376 376 398 400 401 401 408 409 410 410 411 4 Vorarbeiten und Bedeutung der ‚loi sur le régime des langues 1984‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luxemburg: Ein frankophones Land? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungsreform in Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene . . . . Medien und Sprachwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Printmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lesesprachen der luxemburgischen Sprachgruppe . . . . 1.2 ‚Luxemburger Deutsch in der Presse‘ . . . . . . . . . . . . . . . Zeitungssprache Französisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die portugiesischen Zeitungen ‚Contacto‘ und ‚Correio‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radiosprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Kino für alle Sprachgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatursprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Kommunikation in Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . Werbung in Printmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzestexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parlamentarische Anfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luxemburger Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luxemburger Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Le jeudi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lëtzebuerger Journal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L’Essentiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Point 24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 411 413 414 RTL Radio Lëtzebuerg/ / rtl.lu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tageblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Télécran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 8 <?page no="9"?> Vorwort Im Frühjahr 2012 führten mich meine Recherchen zunächst nach Luxem‐ burg-Gasperich in das Archiv des Verlagshauses Saint-Paul, wo ich die Prin‐ tausgaben des Luxemburger Worts, des Luxemburger Lands und des Le Jeudi von 1983 bis 2012 nach Artikeln durchsuchte, die mir mit Blick auf meinen Unter‐ suchungsgegenstand, die deutsche Sprache in Luxemburg, relevant erschienen. Ein herzlicher Dank geht an die Archivare vor Ort für ihre bereitwillige Hilfe. En cours de route stellte ich fest, dass die Analyse von Presseartikeln und Dokumenten nicht ausreichen würde, um den Stellenwert der deutschen Sprache im Land zu erfassen. Das war der Moment, in dem ich damit anfing, die ersten Interviews zu führen. Zuerst mit Journalisten, dann mit Grund- und Se‐ kundarschullehrern, schlussendlich auch mit Experten für Literatur, Kultur, Öf‐ fentlichkeitsarbeit, Werbung, Sprach(en)politik und Integration. Ein Großteil dieser ‚Praktiker’ wird im Verlauf dieses Buches namentlich genannt, andere bleiben anonym oder treten nur über das Material, das sie mir zur Verfügung stellten, in Erscheinung. Ihnen allen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Diese Arbeit wurde im Sommer 2016 von der Germanistischen Fakultät der Universität Luxemburg als Dissertation angenommen. Sie konnte nur aufgrund der finanziellen Unterstützung des luxemburgischen Staates, durch den Fonds national de la Recherche, realisiert werden und zu allen Momenten auf die fach‐ liche Unterstützung ihres Betreuers, Prof. Dr. Heinz Sieburg, zurückgreifen. Bei ihm, bei Prof. Dr. Georg Mein, der die Zweitbetreuung übernahm, sowie allen Mitgliedern des Germanistischen Instituts an der Universität Luxemburg möchte ich mich bedanken für vier wertvolle Jahre, welche die Dissertation in die richtigen Bahnen gelenkt haben. Zu guter Letzt gilt meiner Familie und meinen Freunden ein großes Merci für ihre Nervenstärke und ihre Unterstützung. Allen voran danken, möchte ich meinem Mann, der dieses Abenteuer mit mir durchgestanden hat, meinen El‐ tern, die mich in vielerlei Hinsicht entlastet und immer in meinen Entschei‐ dungen bestärkt haben und meiner Großmutter, bei der ich die nötige Ruhe fand, um zu schreiben. Eine Woche vor der Geburt meines Sohnes setzte ich den Schlusspunkt. Merci, dass du noch so lange mit deiner Mama mitgeschrieben hast. <?page no="10"?> „Man kann Sprache nur verstehen, wenn man mehr als Sprache versteht.” (Hörmann 1978 / 1994: 210) <?page no="11"?> 1 Hubertus von Morr war von 2006 bis 2012 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Luxemburg. I. Einleitung Hubertus von Morr 1 : „Ich habe bei der Ta‐ gung, die wir an der Universität Luxemburg hatten, gesagt, dass ich den Eindruck habe, dass das Deutsche hier in Luxemburg zu‐ rückgeht. Daraufhin hat mir Charles Berg in seinem Beitrag geantwortet und das fand ich sehr prägend: „Das Deutsche in Luxemburg ist wie ein Eis‐ berg. Der größte Teil ist unter Wasser.“ Das fand ich sehr gut. Das können Sie in der Arbeit verwenden. Das ist eine sehr geist‐ reiche Bemerkung. […] Ja, es ist mehr da, als der oberflächliche Besucher so glaubt. Wenn hier die Busse ankommen und die Touristen gehen in die Stadt, dann treffen die da erst mal auf Französisch. Das nehmen die nicht wahr. Also das scheint mir die Lage sehr gut zu beschreiben. Ich habe ihm dann geant‐ wortet, dass im Zeichen des Klimawandels Eisberge schmelzen.“ [lacht] F. S.: „Daran habe ich jetzt auch gedacht.“ Die Eisberg-Metapher vereint zwei Aspekte, die die vorliegende Arbeit von An‐ fang an begleiteten: die vielfach unsichtbare Stellung der deutschen Sprache in Luxemburg und der oft geäußerte Eindruck, dass ihre Bedeutung im Land ab‐ nehme. Aus Sicht der Gesetzgebung ist Luxemburg heute ein dreisprachiges Land. Am 24. Februar 1984 wurde in der loi sur le régime des langues festgeschrieben, dass das Lëtzebuergesche die Nationalsprache der Luxemburger ist. Die Sprache, die im Bewusstsein ihrer Sprecher längst National- und Muttersprache war, wurde damit auch offiziell über die beiden anderen Landessprachen erhoben. In Artikel II. des Gesetzes wurde die französische Sprache zur rechtsetzenden <?page no="12"?> Sprache erklärt. Erst der dritte Artikel erwähnte ein Vorkommen der deutschen Sprache in Luxemburg. Es wurde vermerkt, dass Französisch, Deutsch und Lu‐ xemburgisch als Verwaltungs- und Gerichtssprachen im Land zugelassen sind. Der kommunikative Wert, welcher die deutsche Sprache hat, wurde damit an‐ erkannt - mehr aber auch nicht (Kapitel VIII). Gilles (2009: 197) konstatierte, dass es sich als besonders schwer gestalte die Rolle des Deutschen im Ensemble der luxemburgischen Mehrsprachigkeit zu erfassen. Jene Unsichtbarkeit, die das Vorkommen der deutschen Sprache in Luxemburg kennzeichnet, ist nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges politisch so gewollt. Die Zwangsangliederung des Landes an das Deutsche Reich und die damit verbundene Zwangsgermanisierung haben das Verhältnis zur Sprache nachhaltig verändert. In der politischen Außendarstellung nutzt Luxemburg seither weitestgehend die französische Sprache. Innerhalb der Bevölkerung werden die sprachgenealogischen Verbindungen zwischen der luxemburgi‐ schen und der deutschen Sprache gedanklich gelockert. Dass die Luxemburger die eigene Mundart einst als Onst Däitsch (Unser Deutsch) bezeichneten, wird aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen (Kapitel II, VIII). So erfüllt die deut‐ sche Sprache seither vor allem rezeptive Funktionen im Land. Sie gilt als beliebte Mediensprache, ist die Alphabetisierungssprache in der öffentlichen Grund‐ schule und eine der Bildungssprachen (Kapitel V, IX, X). Die Aufgaben, die alle drei Landessprachen übernehmen, wurden nach dem Krieg neu geordnet. Wissenschaftliche Arbeiten, die versucht haben diese mehr‐ sprachige Situation zu erklären, vor allem Hoffmann (1979) und Berg (1993), haben zumeist bei der domänenspezifischen Verteilung der Sprachen angesetzt, indem sie, vor dem Hintergrund des soziolinguistischen Diglossie-Konzeptes und der Kategorie der Domäne, darlegten, in welchem Bereich der Gesellschaft welche Sprache (Deutsch, Französisch oder Luxemburgisch) vorwiegend ver‐ wendet werde (Kapitel II). Beide Forschungsarbeiten beschränkten sich jedoch auf die Beschreibung des Sprachverhaltens der gebürtigen Luxemburger. Diese forschungspraktische Eingrenzung der Untersuchungsgruppe sollte eine Ana‐ lyse der Sprachensituation in Luxemburg gegenwärtig nicht mehr vornehmen. Die hier vorgenommene Analyse zur Sprachensituation in Luxemburg wendet sich aus gutem Grund dezidiert von einer solchen Eingrenzung ab. Im Land leben mittlerweile 172 Nationalitäten (vgl. Statec 2014a). Der Zuwandereranteil liegt bei 45,9 % (vgl. Statec 2015: 10). Tagsüber bevölkern zusätzliche 168 700 Grenz‐ pendler aus dem deutschen, französischen und belgischen Sprachraum den 563 000-Einwohner-Staat (vgl. ebd. 10; 13). Sie alle kommunizieren im Land in einer oder mehreren Sprachen. Ihr Wissen über den domänenadäquaten Sprach‐ gebrauch und ihr Sprachverhalten sind je nach Sprachbiographie und Dauer I. Einleitung 12 <?page no="13"?> ihres Aufenthalts verschieden ausgeprägt. Es gibt Zuwanderer und Grenz‐ gänger, die alle drei Landessprachen erwerben und diese situations-/ domänen‐ adäquat einsetzen, andere die nur eine der drei ausbauen, in ihrer Herkunfts‐ sprache oder einer anderen Fremdsprache den Alltag in Luxemburg bestreiten. Die demographische Entwicklung hat die Position der französischen Sprache im Land gestärkt, denn ein Großteil der Zuwanderer entscheidet sich, aufgrund einer romanischen Erstsprache, dafür, die französische Sprache in Luxemburg zu verwenden. Statistiken zufolge ist sie die am meisten gesprochene Sprache im Land (vgl. Fehlen 2013a: 63). Als Integrationssprache, die das Potenzial hat die Gesellschaft zusammenzuhalten, wird allerdings mehrheitlich die luxem‐ burgische Sprache geschätzt (Kapitel VI). Ein zunehmendes Interesse am Erwerb des Luxemburgischen als Fremdsprache und ihr Einsatz in Domänen, die ehedem der französischen und der deutschen Sprache vorbehalten waren, lassen vermehrt den Eindruck aufkommen, als ‚schmelze’ die Bedeutung der deutschen Sprache langsam dahin. Es wird mitunter angenommen, dass ihre Funktionen zunehmend von den beiden anderen Sprachen übernommen werden. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, das Sprachverhalten in ausgewählten Berei‐ chen des gesellschaftlichen Zusammenlebens darzulegen und herauszufinden, welche Position die einzelnen Sprachen jeweils einnehmen. Die traditionelle Aufgabenverteilung an die drei Landessprachen ist im Begriff sich zu verändern. Die Arbeit wird deshalb von der Forschungsfrage geleitet, wie die dominierende, luxemburgische, Sprachgruppe auf die Hinfälligkeit ihrer Sprachverhaltens‐ muster reagiert und inwieweit sie sich von diesen löst bzw. zu lösen beginnt. Das von der luxemburgischen Sprachgruppe erworbene Sprachwissen und Sprachverhalten wird im theoretischen Teil der Arbeit mit dem Begriff des Mentalitätenwissens umrissen (Kapitel III). Bislang liegt noch keine Monographie vor, die sich dezidiert der deutschen Sprache in Luxemburg zuwendet. Es existieren einzig wissenschaftliche Auf‐ sätze, u. a. von Ammon (2015: 224-232), Kühn (2005, 2010), Newton (1987), Schmitz (2009) und Sieburg (u. a. 2009, 2012, 2013), die sich der Thematik aus‐ schnitthaft widmen. Eine eigenständige und dringend erforderliche Untersu‐ chung muss die Bewertungen, die über die deutsche Sprache kursieren, die Funktionen und Positionen, die diese in Luxemburg einnimmt, stets im Kontext der Mehrsprachigkeit betrachten. Eine Arbeit über die deutsche Sprache in Lu‐ xemburg ist zugleich eine Untersuchung über den Stellenwert der französischen, der luxemburgischen, der portugiesischen und der anderen Sprachen, die im Land gebraucht werden. Die Arbeit versteht sich als diskursanalytische Untersuchung. Sie re-konsti‐ tuiert ein Formationssystem, das als Diskurs über die deutsche Sprache in Lu‐ I. Einleitung 13 <?page no="14"?> 2 S. a. Exkurs: ‚Erläuterungen zu Bourdieus Habitus- und Feldbegriff ’ in Kapitel III. xemburg definiert werden kann und sich auf den Zeitraum von 1983 bis 2015 konzentriert. Der Diskursbegriff nach Foucault, wie er in der Linguistik ver‐ wendet wird, ist geeignet, um die Ansammlung von Sprachwissen in der Ge‐ sellschaft und eine sich zugleich zeigende Sprachpraxis zu untersuchen. Die Fragestellung der Arbeit erforderte die Zusammenstellung eines umfangreichen Untersuchungskorpus, das Einblicke in die verschiedenen Teilbereiche der Ge‐ sellschaft eröffnet. Es setzt sich aus einem Pressekorpus, aus von mir geführten Gesprächen mit Experten aus der luxemburgischen Öffentlichkeit, aber auch aus Statistiken, Schreibproben von Schülern, administrativen Schreiben, Buch‐ bestsellerlisten, Werbeanzeigen und vielen weiteren „Zeichen des Flusses von Wissen durch die Zeit“ ( Jäger / Jäger 2007; Jäger 2012) zusammen, die in Ka‐ pitel IV, mit der methodischen Verfahrensweise der Arbeit, ausführlich darge‐ legt werden. Ein Blick auf die Gliederung deutet an, dass sich der empirische Teil der Ar‐ beit, der die Kapitel V bis XI umfasst, in verschiedene Themenbereiche aufteilt, die oft, aber nicht immer, mit der soziolinguistischen Kategorie der (Gesell‐ schafts-)Domäne oder der soziologischen Kategorie des sozialen Feldes 2 über‐ einstimmen. Kapitel V behandelt den Bildungsdiskurs in Luxemburg. Die Schule ist der Ort, an dem alle Gesellschafts- und Sprachgruppen des Landes aufeinan‐ dertreffen und zugleich ein Ort, an dem die deutsche Sprache eine bedeutende Stellung einnimmt. Der Stellenwert der Schulsprache ‚Deutsch’ und die Didaktik des Deutschunterrichts in Luxemburg werden in diesem Bereich der Arbeit ausführlich behandelt und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Kapitel VI fragt nach den verschiedenen Integrationssprachen im Land. Kapitel VII unter‐ sucht aufkommende Spannungen bei der Verwendung der verschiedenen Spra‐ chen im Land. Kapitel VIII gibt Einblicke in die Sprach(en)politiken und in die politische Haltung zur ‚Landessprache’ Deutsch. Kapitel IX und X behandeln die Medien- und Literatursprachen der Bevölkerung, die Schreibsprachen Lu‐ xemburger Schriftsteller und die sprachlichen Ausrichtungen der Literaturver‐ lage. Die Arbeit schließt mit einem Kapitel zum Thema ‚Öffentlichkeitsarbeit und Werbung’ (Kapitel XI), das behandelt, inwieweit die deutsche Sprache auch im öffentlichen Bereich genutzt wird, um die Bevölkerung zu erreichen und anzusprechen. I. Einleitung 14 <?page no="15"?> 1 Der historische Abriss ist stark verkürzt und orientiert sich an Hoffmann (1979), Davis (1994) und Bruch (1953). 2 Graf Heinrich der Blinde (auch Graf von Namur) erbte nach dem Tod seines Vetters Graf Konrad II. von Luxemburg die Grafschaft Luxemburg sowie die Obervogteien der Abteien Echternach und St. Maximin (vgl. Pauly 2011: 29). Im Jahr 1139 gingen ferner die Grafschaften Namur, Laroche und Durbuy wegen weiterer Todesfälle ohne direkte Erbfolge in seinen Besitz über. Auf diese Weise dehnte sich das luxemburgische Terri‐ torium auf das wallonische (Sprach-)Gebiet aus (vgl. Hoffmann 1979: 4; Pauly 2011: 29). II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 1 Entwicklung der luxemburgischen Mehrsprachigkeit „It is impossible to understand societal multi‐ lingualism fully without understanding so‐ mething of the historical patterns that lead to its existence“ (Fasold 2004: 9). Auf dem Gebiet, auf welchem sich das heutige Großherzogtum befindet, wurde über Jahrhunderte hinweg durch wechselnde Dynastien, durch Einwirkungen von außen und die Entstehung des Nationalstaates im Inneren, mal mehr der germanische und mal mehr der romanische Spracheinfluss gestärkt (vgl. Gilles 2009: 185). 1 Die luxemburgische Territorialgeschichte begann im Jahr 963 als Siegfried aus dem Ardennergeschlecht einen Felsvorsprung an der Alzette erwarb. Ent‐ lang der kleinen Burg Lucilinburhuc, die er zwischen 963 und 987 dort errichten ließ, entwickelten sich eine Stadt und Siedlungen auf germanophonem Sprach‐ gebiet (vgl. Trausch 1989: 19). Im Jahr 1136 erlosch die männliche Linie dieser ersten Luxemburger Dynastie (vgl. Bruch 1953: 64). Luxemburg fiel an das west‐ lich orientierte Haus Namur und stand nun stärker unter romanischem Einfluss (vgl. Fröhlich / Hoffmann 1997: 1159). 2 Während des 11., 12. und 13. Jahrhunderts dehnte sich die Grafschaft immer weiter nach Westen auf französisches Sprach‐ gebiet aus (vgl. Thewes 2008: 2). Ende des 13. Jahrhunderts umfasste sie zwi‐ schen Maas und Mosel ein ausgedehntes Gebiet beiderseits der Sprachgrenze (vgl. ebd.). Im Westteil wurde Wallonisch und im Ostteil eine ‚luxemburgische’ Varietät des Deutschen gesprochen (vgl. Trausch 2008: 15). Unter dem Haus <?page no="16"?> Namur und der Herrschaft Heinrich des VII. wurde die französische Sprache zur Amtssprache erhoben und trat damit an die Stelle des Lateinischen (vgl. Hoffmann 1979: 26). Mit der Regentschaft Johanns des Blinden, Sohn Heinrich des VII., gewann das Französische weiter an Boden (vgl. ebd.: 27). Aus sprach‐ politischer Sicht nahm Johann der Blinde eine bedeutende Regelung vor: Er teilte das luxemburgische Gebiet im Jahr 1340 verwaltungstechnisch auf, in ein quar‐ tier wallon und in ein quartier allemand. Die territoriale Zweisprachigkeit wurde so auch von offizieller Seite bestätigt (vgl. ebd.). Unter Balduin von Luxemburg mussten Staatsurkunden wieder auf Latein oder Deutsch verfasst werden, was das gehobene Bürgertum jedoch nicht daran hinderte weiterhin Französisch zu benutzen (vgl. ebd.). Die Bevölkerung ging in beiden Sprachgebieten ihren sprachlichen Gewohnheiten nach (vgl. ebd.). Unter Wenzel dem I., Sohn Johanns des Blinden, wechselte die Sprachenpolitik erneut: Das Französische wurde im offiziellen Bereich wieder massiv vorangetrieben (vgl. ebd.). Mit Wenzel dem II. begann dann die Zeit der Pfandherrschaften in Luxemburg (vgl. Pauly 2011: 42). Offizielle Urkunden wurden wieder ausschließlich auf Deutsch verfasst (vgl. Hoffmann 1979: 28). Im Jahr 1443 eroberte Philipp der Gute von Burgund die Festung und erhob seinerseits erneut das Französische zur Verwaltungssprache und offiziellen Sprache (vgl. ebd.; Timm 2014: 17). Nach der burgundischen Herrschaft geriet Luxemburg in spanische Regentschaft, die 1648 von den Fran‐ zosen beendet wurde. Von 1697 bis 1714 fiel es erneut an Spanien, zwischen 1714 und 1795 war es in österreichischem Besitz, um danach wieder bis zum Zusam‐ menbruch des Napoleonischen Reiches als Département des Forêts zu Frankreich zu gehören (vgl. ebd.). Unter allen Regentschaften behielt die französische Sprache ihre Stellung als Verwaltungs- und Amtssprache (vgl. Hoffmann 1979: 28). Sie war darüber hinaus in ganz Westeuropa zur Kultur- und Bildungssprache avanciert, galt als Ausdruck der Moderne und als höfische Sprache per excel‐ lence (vgl. Fehlen 2013: 38a). Sowohl im wallonischen als auch im deutschspra‐ chigen Landesteil wurde sie als Prestigesprache kultiviert. Nach dem Zusammenbruch des Napoleonischen Reiches wurde die europä‐ ische Landkarte 1815 neu geordnet (vgl. Thewes 2008: 4). Durch den Wiener Kongress wurde Luxemburg zum selbstständigen Nationalstaat (vgl. ebd.). Wil‐ helm der I. von Oranien-Nassau wurde zum König der Niederlande ernannt und zugleich zum Großherzog von Luxemburg erklärt. Ihm wurde aufgetragen, eine unabhängige Verwaltung in Luxemburg aufzubauen, in Wahrheit betrachtete er Luxemburg als 18. Provinz der Niederlande (vgl. Timm 2014: 17; Trausch 2008: 17). Er führte die niederländische Sprache ein und erhob sie neben der franzö‐ sischen zur Amtssprache (vgl. Pauly 2011: 67). Niederländisch und Französisch wurden in der Schule gefördert und der deutsche Einfluss eingedämmt (vgl. II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 16 <?page no="17"?> 3 Nach dem spanischen Erbfolgekrieg fielen die deutschsprachigen Gebiete um Dieden‐ hoven, Rodemacher und Sierck an Frankreich (LW15: 18. 04. 1989). Infolge des Wiener Kongresses verlor Luxemburg Gebiete östlich von Mosel, Sauer und Our an Preußen (vgl. Thewes 2008: 4). 4 Das Kürzel LW steht für Luxemburger Wort. Presseartikel und Onlinebeiträge der lu‐ xemburgischen Tages- und Wochenzeitungen Luxemburger Wort (LW und Wortonline), Luxemburger Land (LL), Le Jeudi (LJ), Lëtzebuerger Journal ( Journal), L’essentiel (l’es‐ sentiel; l’essentielonline), Point24 (Point24), Tageblatt (Tagebl) und Télécran (Telecr) sowie Beiträge von RTL Radio Lëtzebuerg / RTL.lu (RTL Radio; Rtl.lu) sind Teil des Untersu‐ chungskorpus der Arbeit und werden im Literaturverzeichnis gesondert unter ‚Medi‐ enkorpus’ aufgeführt. Das Kürzel ‚LW15: 18.04.1989’ bedeutet, dass der Artikel im Lu‐ xemburger Wort vom 18. 04. 1989 auf Seite 15 zu finden ist. 5 1841 gab es in einem Drittel der Gemeinden keinen Primärschulunterricht. Von insge‐ samt 382 Schulen funktionierten lediglich 176 während der Wintermonate (vgl. Trausch 2008: 55). Es gab kaum Schüler, die man hätte auf eine Sekundarschule schicken können. Fehlen 2008: 47). Die belgische Revolution von 1830 und der Wille der Luxem‐ burger Teil Belgiens zu werden, führten zu einer sprachpolitischen Kehrtwende Wilhelms: Nicht mehr Preußen, sondern Belgien erschien ihm nun als die grö‐ ßere Gefahr (vgl. Bruch 1953: 89). Er setzte fortan alles daran, das luxemburgi‐ sche Volk zu germanisieren, um es von diesem Anschlussgedanken abzubringen (vgl. Fehlen 2008: 47 f.). Bis heute wird das Jahr 1839 als Jahr der Unabhängigkeit Luxemburgs ge‐ feiert. Sprachhistorische Überblicksdarstellungen setzen oft hier an. Die zwei ersten Teilungen Luxemburgs (nach dem spanischen Erbfolgekrieg im 17. Jahr‐ hundert und 1815 im Zuge des Wiener Kongresses) änderten nichts an der ter‐ ritorialgebundenen Sprachenverteilung. 3 Das änderte sich mit dem Londoner Vertrag 1839. Das wallonische Sprachgebiet Luxemburgs, mitsamt der Markt‐ grafschaft Arlon und der Grafschaft Bouillon, fiel an Belgien (vgl. LW15: 18. 04. 1989). 4 Luxemburg verlor sein französischsprachiges Gebiet und nahm mit 2 586 km 2 seine heutige Ausdehnung an. En 1839, les Luxembourgeois germanophones se retrouvent avec un État qu’ils n’ont ni recherché ni même souhaité. Ils sont au nombre de 170 000 sur un territoire de 2 586 km 2 . Cet État est l’un des plus pauvres d’Europe, avec une agriculture peu pro‐ ductive et une industrie travaillant encore selon des procédés surannés, alors qu’au même moment la Belgique est en train d’accomplir sa révolution industrielle (Trausch 2003: 214). 1839 war Luxemburg ländlich und rückständig. Die Mehrheit der Luxemburger hatte keine Schulausbildung und sprach nichts anderes als ihren deutschen Di‐ alekt (vgl. Trausch 2008: 21). 5 Das Verwaltungspersonal, das nach der Teilung des Landes übrig blieb und beim Aufbau des Verwaltungsapparates behilflich 1 Entwicklung der luxemburgischen Mehrsprachigkeit 17 <?page no="18"?> 6 S. a. Kapitel VIII. 7 Die zitierten Gesetzestexte sind im Literaturverzeichnis gesondert unter Gesetzestexte aufgeführt. sein sollte, hatte dagegen eine französische, niederländische oder belgische Ausbildung absolviert (vgl. Trausch 2008: 19). Die gebildeten Eliten pflegten ebenfalls Französisch zu sprechen. Die französische Sprache blieb somit die do‐ minierende Verwaltungssprache und die Sprache der Obrigkeit (vgl. Gilles 2009: 186). Ein Bruch zwischen den einfachen Schichten und der Elite musste verhin‐ dert werden. Französischkenntnisse waren darüber hinaus überlebensnot‐ wendig, „[pour] maintenir ouvert l’accès vers la France et la Belgique“ und, um sich eine Eigenheit zu bewahren, die vor einer Vereinnahmung durch den großen deutschen Nachbarn schützen sollte (Trausch 2003: 216 f.). Deshalb wurde von der Bevölkerung verlangt, in der Grundschule intensiv Französisch zu lernen (vgl. Trausch 2008: 20). Im ersten Schulgesetz aus dem Jahr 1843 wurde der Erwerb der französischen Sprache für alle Primarschulkinder obligatorisch. Dieser sprachpolitische Eingriff in das Bildungswesen nahm eine entscheidende und dauerhafte Auswirkung auf die Entwicklung des Landes und dessen nati‐ onales Selbstverständnis. So schreibt Voss (2012: 56), dass die „von der Verwal‐ tungselite 1843 eingerichtete zweisprachige Primärschule […] sich zu einer zent‐ ralen Institution der Luxemburger Identität entwickel[t] [habe].“ Fünf Jahre später, 1848, fand diese Zweisprachigkeit Eingang in die luxem‐ burgische Verfassung. In Artikel 30 wurde der gleichberechtigte Gebrauch beider Sprachen, des Deutschen und des Französischen, fest verankert. 6 Jedem Luxemburger wurde die Wahl überlassen eine Angelegenheit auf Deutsch oder auf Französisch zu verhandeln: L’emploi des langues allemande et française est facultatif. L’usage n’en peut être limité. Der Gebrauch der deutschen und der französischen Sprache steht jedem frei; es darf derselbe nicht beschränkt werden (Artikel 30 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg aus dem Jahr 1848) (Mé‐ morial 1848: 395). 7 Rechtlich gesehen war die Sprachenlage Luxemburgs damit die eines zweispra‐ chigen Staates (vgl. LW15: 18. 04. 1989). Die Bevölkerung des 1839 gegründeten Nationalstaates hätte ihre Umgangssprache nie als ‚Lëtzebuerger Sprooch’, Lu‐ xemburger Sprache, bezeichnet, noch behauptet bei dieser Mundart handele es sich um etwas anderes als einen deutschen Dialekt. Sie bezeichnete sie als Let‐ zebourger Deutsch, als eine Varietät des Deutschen, und sah darin kein politi‐ sches Statement: II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 18 <?page no="19"?> 8 Die Sprachenpolitik der NS-Besatzung und das schwierige Verhältnis zur deutschen Sprache nach 1945 werden in Kapitel VIII. behandelt. 9 S. a. Kapitel VIII. Certes, les Luxembourgeois de 1840, de 1870 ou de 1890 ont conscience de ne parler qu’un dialecte d’origine allemande - le ‘Moselfränkisch’ des linguistes, le ‘Letzebu‐ erger-Deitsch’ de l’homme de la rue. Le recours au français et à l’allemand pour tout ce qui dépasse les réalités de la vie quotidienne leur paraît comme allant de soi, mais aussi comme étant dépourvu de toute signification politique. Ils vivent tranquilles à l’abri de la neutralité, dont ils ont sans doute tort de surestimer la protection, et pour le reste travaillent dur (LL10 : 11. 10. 1985). Als der neu gewählte Abgeordnete C. M. Spoo am 10. November 1896 seine erste Rede in der luxemburgischen Abgeordnetenkammer in ebendiesem Dialekt hielt, reagierten die Anwesenden teils erheitert, teils aufgebracht über seinen Fauxpas (vgl. LW15: 18. 04. 1989). Spoo erreichte jedoch, dass am 9. Dezember 1896 eine Debatte in der Abgeordnetenkammer über die Verwendung des Let‐ zebourger Deutschs im politischen Raum stattfand (vgl. Hoffmann 1979: 35). Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte dabei gegen die Verwendung des Dialekts (vgl. ebd). Es blieb dabei, dass in dieser prestigebesetzten Domäne entweder Hochdeutsch oder - besser noch - Französisch benutzt werden sollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Artikel 30 der Verfassung nicht mehr tragbar. Die luxemburgische Verfassung musste geändert werden. Mit Artikel 29 wird am 6. Mai 1948 folgender Passus eingefügt: La loi réglera l’emploi des langues en matière administrative et judiciaire (Artikel 29 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg, Verfassungsänderung im Jahr 1948) (Mémorial 1948: 685). Der zweifache Überfall durch den deutschen Nachbarn und die Germanisie‐ rungsversuche der nationalsozialistischen Besatzung führten zu einer nachhal‐ tigen Degradierung des Stellenwerts der deutschen Sprache in Luxemburg. 8 Das Letzebourger Deutsch, das in den Köpfen der Luxemburger lange nichts anderes gewesen war als ein deutscher Dialekt, emanzipierte sich infolge dieser Erfah‐ rungen aus dem deutschen Varietätengefüge. Luxemburgisch wurde und wird mit politischer Förderung ausgebaut. 9 Es wird 36 Jahre dauern bis auf die An‐ kündigung vom 6. Mai 1948, die loi sur le régime des langues folgt, das Gesetz, welches der Sprachensituation in Luxemburg bis heute ihr gesetzliches Funda‐ ment gibt. 1984 wurde das Lëtzebuergesche zur offiziellen Nationalsprache der Luxemburger erklärt und die komplexe Sprachensituation, die Teil des natio‐ 1 Entwicklung der luxemburgischen Mehrsprachigkeit 19 <?page no="20"?> nalen Selbstverständnisses der Nation ist, erklärt. Dieser Gesetzestext wird in Kapitel VIII. ausführlich untersucht. Loi du 24. février 1984 sur le régime des langues : Art. 1er. Langue nationale La langue nationale des Luxembourgeois est le luxembourgeois. Art. 2. Langue de la législation Les actes législatifs et leurs règlements d’exécution sont rédigés en français. Lorsque les actes législatifs et réglementaires sont accompagnés d’une traduction, seul le texte français fait foi. Au cas où des règlements non visés à l’alinéa qui précède sont édictés par un organe de l’Etat, des communes ou des établissements publics dans une langue autre que la française, seul le texte dans la langue employée par cet organe fait foi. Le présent article ne déroge pas aux dispositions applicables en matière de conventions internationales. Art. 3. Langues administratives et judiciaires En matière administrative, contentieuse ou non contentieuse, et en matière judiciaire, il peut être fait usage des langues française, allemande ou luxembourgeoise, sans pré‐ judice des dispositions spéciales concernant certaines matières. Art. 4. Requêtes administratives Lorsqu’une requête est rédigée en luxembourgeois, en français ou en allemand, l’ad‐ ministration doit se servir, dans la mesure du possible, pour sa réponse de la langue choisie par le requérant. Art. 5. Abrogation Sont abrogées toutes les dispositions incompatibles avec la présente loi, notamment les dispositions suivantes : Arrêté royal grand-ducal du 4 juin 1830 contenant des modifications aux dispositions existantes au sujet des diverses langues en usage dans le royaume ; Dépêche du 24 avril 1832 à la commission du gouvernement, par le référ. intime, relative à l’emploi de la langue allemande dans les relations avec la diète ; Arrêté royal grand-ducal du 22 février 1834 concernant l’usage des langues allemande et française dans les actes publics […] (Mémorial 1984: 196 f.). II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 20 <?page no="21"?> 2 Herausbildung und Bestand eines domänenspezifischen Sprachgebrauchs Soziolinguistische Ansätze: Diglossie, Bilingualismus, Domäne Die Bevölkerung, die 1839 nach dem Wegfall des wallonischen Sprachgebiets übrigblieb, sprach einen moselfränkischen Dialekt. Ihr wurde beigebracht, sich schriftlich nicht im Dialekt, sondern auf Hochdeutsch und Französisch zu äu‐ ßern und ganz allgemein für formelle Kontexte eher die Standardsprachen und vorzugsweise die französische Sprache zu benutzen. Aufgrund der historischen Entwicklungen hat sich, mithilfe des Bildungssystems, eine Dreisprachigkeit (Deutsch-, Französisch- und Luxemburgischkenntnisse) entwickelt. Diese drei Sprachen werden nicht willkürlich, sondern nach bestimmten Regeln eingesetzt. Solange das Land nicht durch jene verstärkte Immigration gekennzeichnet war, die es gegenwärtig erfährt, konnte das Sprachverhalten der Bevölkerung relativ einfach entschlüsselt und beschrieben werden: Luxemburgisch wird in der mündlichen Interaktion zwischen Luxemburgern verwendet, Deutsch und Fran‐ zösisch teilen sich die schriftsprachlichen Domänen (vgl. Gilles 2009: 187; Gilles 2011: 43). So schreibt Hoffmann (1996: 107), dass das Besondere an der luxem‐ burgischen Sprachensituation seit jeher „in the discrepancy between oral and written modes of communication“ liege und Horner (2004: 1) argumentiert in ihrer Dissertation: The spoken / written distinction has always been pivotal to understanding language use in Luxembourg, with spoken functions being dominated by the use of Luxembourgish and written functions carried out primarily in French and German. Dieses ‚Sprachhandlungswissen’, das von der Sprachgemeinschaft geteilt wird, kann soziolinguistisch als diglossisch, bzw. aufgrund der drei Sprachen Luxem‐ burgs, als triglossisch bezeichnet werden. Das Diglossie-Konzept geht zurück auf Charles A. Ferguson (1959) und wurde anschließend mehrfach erweitert und verändert. Ferguson beobachtete, dass in Sprachgemeinschaften in manchen Situationen die Non-Standard-Varietät erwünscht ist und in anderen Situationen eine ihr übergeordnete standardisierte Varietät (vgl. Dittmar 1997: 139). Die Non-Standard-Varietät bezeichnete er als Low-variety (= die Sprache der nied‐ rigen Funktionen bzw. L-Varietät, Volkssprache), die Standard-Varietät als High-variety (= Sprache der hohen Funktionen bzw. H-Varietät) (vgl. Clyne 1994: 261; Sinner 2001: 126). Die H-Varietät wird in formellen Kontexten eingesetzt, die L-Varietät dagegen in informellen Kontexten, in mündlicher, intimer und ungezwungener Atmosphäre (vgl. Clyne 1994: 265; Sinner 2001: 126; Fasold 2004: 35). H- und L-Varietät sind bei Ferguson Varietäten einer einzigen Sprache 2 Herausbildung und Bestand eines domänenspezifischen Sprachgebrauchs 21 <?page no="22"?> 10 Ferguson (1959) betonte, dass das Verhältnis zwischen Dialekt und Standardvarietät in vielen diglossischen Sprachsituationen über Jahrhunderte hinweg nahezu gleich bleibt (vgl. Fasold 2004: 37). Die Sprachgebrauchsregeln in Luxemburg zeichnen sich ebenfalls zu unterschiedlichen Momenten durch Stabilität aus. 11 Er führt aus, dass auch mehreren Sprachen in einer Gesellschaft spezifische Funktionen zugeteilt werden können (vgl. ebd.: 43). oder zweier genetisch eng verwandter Sprachen (vgl. Kremnitz 2004: 159). „The attitude of speakers in diglossic communities is typically that H is superior, more elegant, and more logical language“, so Fasold (2004: 36). „L is believed to be in‐ ferior even to the point that its existence is denied“, erklärt er weiter (ebd.). Eine Wertung, die lange Zeit kennzeichnend für das Verhältnis der Luxemburger ge‐ genüber ihrer Muttersprache war. 10 Joshua Fishman entwickelt um 1964 den Ansatz von Ferguson weiter. Unter Bilingualismus versteht er eine Charakteri‐ sierung des persönlichen (individuellen) Sprachverhaltens, während Diglossie für ihn eine sprachliche Ordnung auf soziokultureller Ebene ist (vgl. Sinner 2001: 126). Er lässt die Bedingung der genetischen Verwandtschaft fallen und spricht stattdessen allgemein von zwei verschiedenen Sprachformen (vgl. ebd.). 11 Auch in Fishmans Diglossie-Modell gibt es also eine H-Varietät für formellere Zwecke und eine L-Varietät für weniger formelle und private Zwecke (vgl. Fasold 2004: 43). Er verbindet diese Überlegungen mit dem soziolinguistischen Begriff der Domäne, einem Begriff für den kontextspezifischen Sprachgebrauch (vgl. Clyne 1994: 261). Die Kategorisierungshilfe der Domäne wird von Iwar Werlen (2004: 335) folgendermaßen definiert: Domänen (engl. domains) des Sprachgebrauchs oder der Sprachwahl sind definiert als abstrakte Konstrukte, die durch zu einander passende Orte, Rollenbeziehungen und Themen bestimmt sind […]; sie bestimmen die Wahl einer Sprache oder einer Variante in einer mehrsprachigen Sprachgemeinschaft mit. Beispiele für Domänen sind Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz, Kirche und staatliche Verwaltung. Art und Anzahl der Do‐ mänen können je nach Sprachgemeinschaft und Kultur variieren. Domänen können somit für die Sprachwahl verantwortlich sein (vgl. ebd.: 338). Sprecher tendieren dazu in mehrsprachigen Ländern (in denen die Sprachen‐ verwendung nicht primär regional zu erklären ist), basierend auf ihrem Wissen über das erwünschte Verhalten in der Gesellschaft, die einen Sprachen / Sprach‐ varietäten „in one kind of circumstance [zu benutzen und] another variety [/ Sprache] under other conditions“, so Fasold (2004: 34). Er schlägt in The Sociolin‐ guistics of Society (2004) eine breite Definition des Diglossie-Begriffs vor: BROAD DIGLOSSIA is the reservation of highly valued segments of a communi‐ ty’s linguistic repertoire (which are not the first to be learned, but are learned later II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 22 <?page no="23"?> 12 S. a. Timm (2014). and more consciously, usually through formal education), for situations perceived as more formal and guarded; and the reservation of less highly valued segments (which are learned first with little or no conscious effort), of any degree of linguistic related‐ ness to the higher valued segments, from stylistic differences to separate languages, for situations perceived as more informal and intimate (ebd.: 53). Für das berufliche und private Vorankommen kann es entscheidend sein, über das passende Sprachverhalten in den verschiedenen Gesellschaftsdomänen Be‐ scheid zu wissen. Es ist davon auszugehen, dass unter den Bewohnern Luxem‐ burgs ein solches Domänenwissen besteht, das ihnen bei der Entscheidung hilft, welche Sprache sie in welchem Kontext vorzugsweise auswählen sollen. Ent‐ scheidende Entwicklungen haben jedoch dazu geführt, dass dieses Wissen, von außen betrachtet, nur noch schwer zu dechiffrieren ist. Luxemburgisch ist nicht mehr ohne Weiteres als L-Varietät einzustufen, da die Sprache in H-Domänen (wie etwa der Politik) zum Einsatz kommt und der sprachsystemische Ausbau mittlerweile so weit vorangeschritten ist, dass sie sich zunehmend auf den Schriftbereich ausweitet. Die französische Sprache ist mit der demographischen Entwicklung des Landes zu einer lingua franca geworden, der im mündlichen und im schriftlichen Bereich eine hohe kommunikative Reichweite zuge‐ schrieben wird. Neben dem Standardfranzösischen, das in schriftbasierten H-Domänen verwendet wird, hat sich, aufgrund der verstärkten nationen- und milieuübergreifenden Verwendung, auch eine standardferne Varietät des Fran‐ zösischen ausgebildet, die als Umgangssprache, als L-Varietät, im Land gespro‐ chen wird. 12 Stellenwert und kommunikative Reichweite der deutschen Sprache werden, aufgrund des hohes Anteils an Zuwanderern, die die französische Sprache als Kommunikationssprache in Luxemburg auswählen, vermehrt an‐ gezweifelt. Auf den einzelnen Feldern der Gesellschaft bewegen sich verschie‐ dene Sprachgruppen, die über jeweils unterschiedliche Sprachkenntnisse ver‐ fügen und auf der Basis ihrer Kompetenzen individuelle Strategien entwickeln, um sich in Luxemburg mitzuteilen. Sie lernen die Kontexte kennen, in denen eine H-Varietät verwendet werden muss und in denen eine L-Varietät ver‐ wenden werden kann. Es hängt von ihrer Sprachbiographie und ihrem Sprach‐ repertoire ab, ob sie die erwünschte Sprache bzw. lediglich eine ‚tolerierte’ aus‐ wählen können. Durch ihre Strategien verändern sie die sprachliche Ordnung auf der soziokulturellen Ebene. 2 Herausbildung und Bestand eines domänenspezifischen Sprachgebrauchs 23 <?page no="24"?> Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Koch / Oesterreicher) Verschiedene Sprachen (und nicht mehr nur die drei Sprachen ‚Luxemburgisch, Deutsch, Französisch’) tauchen gegenwärtig in der alltäglichen mündlichen oder schriftlichen Kommunikation in Luxemburg auf. Welche Positionen, Bewer‐ tungen und Funktionen dabei der deutschen Sprache zuteil werden, wird diese Arbeit Schritt für Schritt aufzeigen. Um die komplexe funktionale Verteilung der Sprachen erfassen zu können, wird im weiteren Verlauf an einigen Stellen auf die Terminologie von Peter Koch und Wulff Oesterreicher (1985; 1994) zu‐ rückgegriffen. Koch / Oesterreicher haben den Begriffen ‚mündlich’ und ‚schrift‐ lich’ mehr Trennschärfe verliehen. Sie unterscheiden zwischen der medialen Realisierung von Sprache und ihrer Konzeption. Medial bezieht sich auf die pho‐ nische oder graphische Realisierung des Sprachlichen. Eine Äußerung wird ent‐ weder medial-mündlich (mit Lauten, phonisch) oder medial-schriftlich (mit Schriftzeichen, graphisch) übermittelt. Von der medialen Realisierung zu un‐ terscheiden ist die in einer Äußerung gewählte Ausdrucksform. Unabhängig davon, ob sie phonisch oder graphisch realisiert wird, kann sie eher mündlich, d. h. eher informell, oder stärker schriftlich, d. h. formell, konzipiert werden. Während der phonische Kode klar vom graphischen Kode zu unterscheiden ist, weist die Konzeption einer Äußerung zahlreiche Abstufungen auf (vgl. Koch / Oesterreicher 1985: 17). Am äußersten Pol konzeptioneller Mündlichkeit liegt etwa das Alltagsgespräch unter Freunden, am äußersten Pol konzeption‐ eller Schriftlichkeit zum Beispiel der Gesetzestext, dazwischen verschiedene Text-/ Gesprächssorten (vgl. Gilles 2011: 50). Kommunikationssituationen können wie folgt gestaltet sein: • Medial-mündlich und konzeptionell-mündlich (z. B. Telefongespräch unter Freunden) • Medial-mündlich aber konzeptionell-schriftlich (z. B. Vorlesung an der Universität) • Medial-schriftlich und konzeptionell-schriftlich (z. B. Bewerbungs‐ schreiben) • Medial-schriftlich aber konzeptionell-mündlich (z. B. Grußkarte aus dem Urlaub) (vgl. ebd.: 48). Für diese verschiedenen Kommunikationssituationen kommen in Luxemburg unterschiedliche Sprachen / Varietäten infrage. Die Sprachwahlentscheidung fällt abhängig von der Sprecherkompetenz, der Sprachbiographie und basierend auf dem Domänenwissen, das auch Wissen über die Sprachkompetenzen mög‐ licher Rezipienten beinhaltet. II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 24 <?page no="25"?> Nähe-Sprache, Distanz-Sprache Ein weiteres Begriffspaar, das Koch und Oesterreicher (1985) eingeführt haben, ist das der Sprache der Nähe und der Sprache der Distanz. Die Endpole konzep‐ tionell-schriftlich und konzeptionell-mündlich wurden mit Hilfe dieser Begriffe markiert (vgl. ebd.). Für konzeptionelle Schriftlichkeit sprechen die Kommuni‐ kationsbedingungen ‚Monolog’, ‚Fremdheit der (Gesprächs-)Partner’, ‚raumzeit‐ liche Trennung’, ‚Themenfixierung’, ‚Öffentlichkeit’, ‚Reflektiertheit’, ‚Situations‐ entbindung’, ‚Objektivität’ und die Versprachlichungsstrategien ‚Endgültigkeit’, ‚Informationsdichte’, ‚Kompaktheit’, ‚Elaboriertheit’, ‚Planung’, ‚Komplexität’ etc. (vgl. Koch / Oesterreicher 1985: 23). Den Mündlichkeitspol kennzeichnen demgegenüber die Kommunikations‐ bedingungen ‚raum-zeitliche Nähe’, ‚Privatheit’, ‚Vertrautheit’, ‚Emotionalität’, ‚Situations- und Handlungseinbindung’, ‚kommunikative Kooperation’, ‚Sponta‐ neität’ etc. (vgl. Koch / Oesterreicher 1994: 588). Folgende Versprachlichungsst‐ rategien kennzeichnen den Nähebereich: ‚Prozesshaftigkeit’, ‚Vorläufigkeit’, ‚ge‐ ringere Informationsdichte’, ‚geringe Kompaktheit’, ‚geringe Elaboriertheit’, ‚geringere Planung’, ‚geringere Komplexität’ etc. (vgl. Koch / Oesterreicher 1985: 23). In der vorliegenden Arbeit wird das Begriffspaar Sprache-der-Nähe / Sprache-der-Distanz vor allem metaphorisch verwendet unter dem Teilaspekt der sozialen, emotionalen Nähe und Vertrautheit (vgl. Koch / Oesterreicher 1994: 588). Es wird deutlich werden, dass Sprachen in be‐ stimmten Situationen als vertraute Nähesprachen eingestuft werden und in an‐ deren Situationen aus bestimmten Gründen emotional in die Distanz rücken. 3 Typologisierung von Sprachgruppen „Immigrants, of course, arrive speaking their native languages, thus adding to the host nation’s multilingualism“, so Fasold (2004: 9). Jede Migrantengruppe bringt ihre Sprache(n) in die Zielgemeinschaft mit. Durch Migration formieren sich neue Sprechergruppen, die sich an die dominierende Sprachgemeinschaft und an deren Muster, zumindest so weit wie im Alltag erforderlich, anzupassen ver‐ suchen. So erfolgt zum einen eine Anpassung des Sprachwissens der Zuwan‐ derer an das Sprachverhalten der Zielpopulation und zum anderen verändern die Zuwanderer durch die mitgebrachten Sprachen auch die relativ stabile Sprachsituation im Zielland. Bereits in der ersten Baleine-Studie von 1998 stellte sich nach der Auswertung von Umfrageergebnissen die Frage, ob „[f]ace à la présence accrue de francophones et à la montée du français comme langue véhi‐ culaire de la société luxembourgeoise, […] deux communautés linguistiques dis‐ 3 Typologisierung von Sprachgruppen 25 <?page no="26"?> tinctes étaient en train de naître“ (Fehlen 2009: 218). Von zwei verschiedenen Sprachgemeinschaften in Luxemburg zu sprechen, erweckt die Vorstellung von zwei oder mehr Parallelgesellschaften, die nebeneinander existieren und ihre eigenen Sprachgewohnheiten ausbilden oder fortführen. In der 2009 publi‐ zierten Folgestudie BaleineBis wird mit Eindrücken einer gesellschaftlichen Seg‐ regation aufgeräumt: Même si le Luxembourg forme, d’un point de vue économique et démographique, un bloc de moins en moins homogène, sa société ne s’est pas scindée en deux sociétés parallèles, ce qui n’empêche que les mêmes phantasmes existent toujours (ebd. : 219). Nichtsdestotrotz treten hier Menschen mit unterschiedlichen Sprachhinter‐ gründen in Kontakt und diese Sprachkontakte wirken sich auf die gesamte Sprachensituation aus. Fishman (1964: 32) betont etwa in seinem Aufsatz Lang‐ uage Maintenance and Shift, dass The basic datum of the study of language maintenance and language shift is that two linguistically distinguishable populations are in contact and that there are demonstrable consequences of this contact with respect to habitual language use. Dittmar (1997: 135) weist darauf hin, dass Sprecher […] mehreren Sprachgemeinschaften angehören [und deshalb] […] zwi‐ schen primärer, sekundärer etc. Zugehörigkeit zu unterscheiden [sei]. Die in einer Sprachgemeinschaft geltenden Synchronisierungen von sozialen Mehrfachidenti‐ täten und sprachlichem Repertoire müssen erkannt werden. Ein Sprecher kann sowohl über Kenntnisse des Lëtzebuergeschen, des Deut‐ schen und des Französischen verfügen und diese so situationsadäquat und mit einer Intonation anwenden, dass man ihn für einen Luxemburger hält, als auch ein Portugiesisch beherrschen, das ihn als Teil der portugiesischen Gemein‐ schaft kennzeichnet. Er kann daher mehreren Sprachgemeinschaften zuge‐ rechnet werden. Den Terminus der Sprachgemeinschaft im Plural zu verwenden und von unterschiedlichen Sprachgemeinschaften (speech communities) zu spre‐ chen, ist in der Soziolinguistik nicht unumstritten. Ich möchte also stattdessen von einer großen luxemburgischen Sprachgemeinschaft ausgehen, die in sich äußerst heterogen ist, aber zugleich einige gemeinsame Strategien entwickelt hat, um miteinander zu kommunizieren. Dort, wo es möglich sein wird, werde ich mit dem Begriff der Sprachgruppe arbeiten, um Unterscheidungen im Sprach‐ wissen und Sprachverhalten herausstellen zu können, ohne jedoch auch hier eine vollkommene Homogenität im Sprachverhalten einer Sprachgruppe zu un‐ terstellen. Es wird davon ausgegangen, dass unterschiedliche Sprachgruppen in II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 26 <?page no="27"?> 13 Kloss (1977) schlug nicht ohne Grund vor, anstelle des Terminus der Sprachgemein‐ schaft, den der Repertoiregemeinschaft zu benutzen. Der Begriff des Sprachrepertoires umfasst Pütz (2004: 226) zufolge: „[…] die Gesamtheit der sprachlichen Möglichkeiten, die einem Sprecher in spezifischen Situationskontexten zur Verfügung stehen. Diese mit Rollen und Situationen variierende Sprachverwendung setzt die kommunikative Kompetenz vo‐ raus, sich mittels stilistischer und dialektaler Sprachmittel situationsadäquat (registerspe‐ zifisch […]) zu verhalten bzw. zu artikulieren.“ Luxemburg agieren, die sich typologisieren lassen. Wie diese sich verhalten, ist nicht immer anhand ihrer Staatsangehörigkeit zu erklären. Meistens kann das Sprachverhalten besser über die jeweilige(n) Familiensprache(n) erklärt werden und damit, ob die Schulausbildung und das Sprachwissen in Luxemburg oder außerhalb Luxemburgs erworben wurden. Esmein (1998: 98) teilte die luxem‐ burgische Bevölkerung gemäß ihres Sprachverhaltens in „deux ensembles so‐ ciaux polyglottes“ ein, „l’un germanophone et l’autre romanophone, avec des be‐ soins distincts et qui ne prennent pas les langues du pays dans le même ordre.“ Gerald Stell (2006: 37) fragte sich, ob: the main linguistic contrast in the country may perhaps be found in the coexistence of two types of diglossia. The first type of diglossia we are dealing with is an increasing cross-medial use of Luxembourgish as an in-group code among Luxembourgers with French still in use as a token of upper-class membership. The second type of diglossia is a French / Romane functional diglossia, increasingly practiced by the upcoming ge‐ nerations of Romanophone foreign residents. Bernard Esmein und Gerald Stell gehen beide davon aus, dass die meisten Spre‐ cher in Luxemburg mehrsprachig, ihre sprachlichen Repertoires jedoch ver‐ schieden sind und sich dadurch auch ihr Sprachhandeln unterscheidet. 13 Esmein (vgl. 1998: 98) gibt den Hinweis, dass die Sprecher je nachdem über welches Sprachrepertoire sie verfügen, die verschiedenen im Land gebräuchlichen Spra‐ chen jeweils anders hierarchisieren. Aus diesem Hinweis ließe sich ableiten, dass die Sprecher, die über ein eher romanisch geprägtes Sprachrepertoire verfügen, den Stellenwert der deutschen Sprache im Land anders bewerten und folglich auch ein anderes Sprachverhalten zeigen als diejenigen, die zuhause Luxem‐ burgisch sprechen und mit der deutschen Sprache, vielleicht als ‚Fernsehspra‐ che’, aufgewachsen sind. EXKURS: Migrationsbewegungen Vom 9. bis zum 19. Jahrhundert verliefen Migrationsbewegungen nicht nach Luxemburg hinein, sondern meist aus Luxemburg hinaus (vgl. Willems / Mil‐ meister 2008: 64). Das Gebiet galt als arm und rückständig und erlebte mehrere 3 Typologisierung von Sprachgruppen 27 <?page no="28"?> 14 1875 zählte das Land 205 158 Bürger, 5 895 davon waren Ausländer. 1880 hatte sich die Zahl der Ausländer bereits verdoppelt (vgl. Pauly 1985: 11). Über einen Zeitraum von 20 Jahren, von 1890 bis 1910 verdoppelte sie sich erneut, von 17 990 im Jahr 1890 auf 39 723 im Jahr 1910 (vgl. ebd.; Weides et al. 2003: 8). 15 Die luxemburgische Regierung verfolgte eine restriktive Immigrationspolitik, die nur Einwanderer zuließ, wenn es die Konjunkturlage erlaubte (vgl. Scuto 2012: 284). 16 Die Regierung blieb bei ihrer restriktiven Einwanderungspolitik, ließ nur so viele Zu‐ wanderer zu, wie benötigt wurden. Sie bewilligte nur zögerlich die Maßnahmen zu‐ gunsten der Bewegungsfreiheit, die auf Ebene der EGKS, EWG und der EU erlassen wurden (vgl. Pauly 2011: 119). Auswanderungswellen. Allein zwischen 1841 und 1891 verließen rund 72 000 Luxemburger ihr Land - fast die Hälfte der Bevölkerung (vgl. Thewes 2008: 10). Mit dem Beitritt zum Deutschen Zollverein entwickelte sich ab 1842 ein Auslandsmarkt. Im selben Jahr wurde im Süden des Landes Eisenerz ent‐ deckt. Zwischen 1870 und 1880 nahm die Stahlproduktion stetig zu (vgl. Hoff‐ mann 2002: 60). Die nun benötigten Arbeitskräfte kamen zunächst aus Deutsch‐ land, Belgien und Frankreich, kurz darauf aus Polen und Italien (vgl. ebd.; Hausemer 2008a: 3). Ab 1892 bestand ein allgemeiner Trend zur Einwanderung nach Luxemburg (vgl. Willems / Milmeister 2008: 65). 14 Für die schlecht be‐ zahlten Arbeiten in den Minen, Hüttenwerken und in der Baubranche wurden gezielt italienische Gastarbeiter angeworben (vgl. Pauly 2011: 118). 15 Das für den Aufbau des Stahlsektors benötigte Kapital, das notwendige Know-how und der Absatzmarkt kamen überwiegend aus Deutschland (vgl. ebd.; Trausch 2003: 227). Bis zum ersten Weltkrieg machten die Deutschen über die Hälfte der in Luxemburg wohnenden Ausländer aus (vgl. Willems / Milmeister 2008: 66). Nach dem ersten Weltkrieg zog Luxemburg sich aus dem Zollverein zurück und fand nicht sofort einen neuen Wirtschaftspartner (vgl. Hoffmann 2002: 65). Die aus‐ ländischen Arbeitskräfte waren als erste von Entlassungen betroffen. Als sich die Wirtschaft wieder erholt hatte, wurden sie erneut angeworben (vgl. ebd.: 66). Es waren hauptsächlich Italiener, die im Stahlsektor und in der Baubranche arbeiteten (vgl. ebd.). Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 sank der Anteil an ausländischen Arbeitskräften wieder (vgl. ebd.). Die deutsche Immigration brach mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ab (vgl. Pauly 1985: 11). Der Fremdenanteil in der Bevölkerung betrug 1947 nur noch 10 %. Das änderte sich bald, da Aufbauhelfer benötigt wurden (vgl. ebd.). 1948 wurde ein erstes bilaterales Arbeitskräfte-Abkommen zwischen Luxem‐ burg und Italien unterzeichnet, das in regelmäßigen Abständen bis 1957 erneuert wurde (vgl. Hausemer 2008a: 3; vgl. Scuto 2012: 285). 1947 waren 7 622 italieni‐ sche Aufbauhelfer im Land, 1960 stieg die Zahl italienischer Gastarbeiter auf 15 708 an (vgl. Hoffmann 2002: 67). 16 II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 28 <?page no="29"?> 17 Das Abkommen mit dem ehemaligen Jugoslawien sah, anders als jenes, das mit Portugal geschlossen wurde, nicht vor Familienangehörige nachzuholen (vgl. Scuto 2012: 297). 18 1950 waren 14 Geldinstitute in Luxemburg ansässig, 1970 waren es 37, 1980 111 und im Jahr 2000 209 (vgl. Trausch 2003: 263). Ab 1949 wurde eine Diversifizierung der Wirtschaft angestrebt, um die Ab‐ hängigkeit von der Stahlbranche zu verringern (vgl. Pauly 2011: 107). Die Nie‐ derlassung des Reifenherstellers Goodyear im Jahr 1951 war richtungsweisend (vgl. Trausch 2003: 262; Weides et al. 2003: 11). Immer mehr Firmen zog es da‐ raufhin nach Luxemburg. Angelockt durch steuerliche Vorteile, eine Politik der kleinen Wege, politische Stabilität und sozialen Frieden ließen sich zwischen 1959 und 1972 rund fünfzig Unternehmen in Luxemburg nieder (vgl. ebd.). Als die italienische Wirtschaft in den fünfziger Jahren einen Aufschwung erlebte, ließ die Zuwanderung der Italiener nach, zumal diese zunehmend nach Deutsch‐ land oder in die Schweiz auswanderten (vgl. Pauly 2010: 68; Pauly 2011: 119). Luxemburg ging dazu über eine aktive Immigrationspolitik zu betreiben (vgl. Scuto 2012: 296). Als Anreiz wurde die Familienzusammenführung ermöglicht, die aber nicht von den Italienern, sondern von Portugiesen, Kapverdiern mit portugiesischem Pass und Spaniern genutzt wurde. 1972 wurden bilaterale Ab‐ kommen mit Portugal und dem ehemaligen Jugoslawien in der Abgeordneten‐ kammer ratifiziert (vgl. Scuto 2012: 296 f.; Pauly 2010: 68). 17 1972 wurde auch das erste Zuwanderungsgesetz in Luxemburg verabschiedet (loi du 28 mars 1972 concernant l’entrée et le séjour des étrangers) und eine nationale Einwanderungs‐ behörde (Service Social de l’Immigration) geschaffen (vgl. Kollwelter 1994: 6). Als Portugal 1986 der EU beitrat, wurde es für portugiesische Zuwanderer noch einfacher nach Luxemburg zu kommen. Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich der Finanzsektor zum wichtigsten Träger der luxemburgischen Wirtschaft (vgl. Pauly 2011: 112; Thewes 2008: 19). 18 Der Finanzplatz Luxemburg und die Präsenz der europäischen Behörden hat die Migration verändert. Neben den traditionellen Arbeitsmigranten kommt hoch‐ qualifiziertes Personal. Der Finanzsektor zieht Grenzgänger nach Luxemburg, die heute in allen Wirtschaftssparten, aber vor allem im Finanzbereich, in In‐ dustrie und Handel sowie im Gesundheitswesen tätig sind (vgl. Trausch 2003: 283). Luxemburg ist heute ein Einwanderungsland. Bei einer Gesamtbevölkerung von 563 700 Einwohnern haben 258 700 Bürger keinen luxemburgischen Pass (vgl. Statec 2015: 9). Die Portugiesen liegen mit 92 100 Zuwanderern an der Spitze, gefolgt von 39 400 Franzosen, 19 500 Italienern, 18 800 Belgiern, 12 800 Deutschen, 6 000 Briten, 4 000 Niederländern, weiteren 29 600 Zuwande‐ rern aus der Europäischen Union und 36 500 Nicht-EU-Bürgern (vgl. Statec 3 Typologisierung von Sprachgruppen 29 <?page no="30"?> 2015: 10). Durch Zuwanderung und Globalisierung erfuhr und erfährt der lu‐ xemburgische Sprachraum Veränderungen. Die Regeln des Sprachverhaltens in Luxemburg und der Stellenwert der einzelnen Sprachen im Land beruhen auf einem Wissen, einer spezifischen Logik, das / die dem einzelnen Bürger bei der Entscheidung, welche Sprache er in welcher Situation benutzen sollte, behilflich ist. Ich setze bei diesem spezifischen Wissen der Sprecher an, wenn es darum geht, den Stellenwert der deutschen Sprache in Luxemburg zu erschließen. Es ist ein Wissen, das je nach Sprachgruppenzugehörigkeit verschieden ausgeprägt und ausgebildet ist, aber darüber entscheidet, welche Sprachen aus den jeweils verfügbaren Sprachrepertoires ausgewählt werden dürfen und darüber infor‐ miert, wie in Luxemburg über einzelne Sprachen gedacht wird. Ausgehend von der Frage, was das Sprachwissen einer mehrsprachigen Gesellschaft, und kon‐ kreter, der luxemburgischen, eigentlich kennzeichnet, stellt sich in einem wei‐ teren Schritt die Frage, inwiefern Migrationsbewegungen dieses Wissen verän‐ dern. Im nun folgenden theoretischen Kapitel wird dieser Wissensbegriff mit der Hinzunahme von Theorien aus Soziologie, Geschichtswissenschaft und Sozio- und Kulturlinguistik umrissen. Zunächst wird zur Bezeichnung dieses ‚Orien‐ tierungswissens’ beim Begriff Denken-wie-üblich von Alfred Schütz angesetzt, der um den Begriff Handeln-wie-üblich ergänzt wird. Später kann das Wissen dann treffender als Mentalitätenwissen definiert werden. Anschließend wird der Foucaultsche Diskursbegriff vorgestellt, um das Wissen, das in der Gesellschaft über die Positionen, Funktionen und Bewertungen der einzelnen in Luxemburg vorkommenden Sprachen zirkuliert, mittels der Analyse von Sprecheraussagen, bzw. über die Analyse von Aussagen und Äußerungen von Diskursteilnehmern, zu erfassen. II. Historische Sprachentwicklung und soziolinguistische Erklärungsansätze 30 <?page no="31"?> 1 Schütz (1972: 58). III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 1 Über Mentalitätenwissen, Sprachdenken und Sprachhandeln 1.1 „Dieses ‚Denken-wie-üblich‘, wie wir es nennen möchten […]“ 1 Als ich mich in der Recherchearbeit befand, nach und nach das Untersuchungs‐ korpus zusammenstellte und die ersten Expertengespräche führte, wurde mir des Öfteren gesagt, ich würde eine zentrale Voraussetzung mitbringen, um mich an das Thema ‚Deutsch in Luxemburg’ heranzuwagen, nämlich das teils be‐ wusste, teils unbewusste Wissen über. Hierbei handelt es sich um ein Wissen, das durch die Sozialisation in Luxemburg erworben wird und das weit über die reine Kenntnis der drei offiziellen Landessprachen hinausgeht. Eine erste Defi‐ nition dieses sogenannten intuitiven Wissens sowie ein Porträt des ‚Un-Wis‐ senden’ formulierte Alfred Schütz in seinem Beitrag Der Fremde. Ein sozialpsy‐ chologischer Versuch (1972). Schütz beschreibt hier die Ausgangssituation, in der sich ein Fremder befindet, wenn er „versucht, sein Verhältnis zur Zivilisation und Kultur einer sozialen Gruppe zu bestimmen und sich in ihr neu zurechtzufinden“ (ebd.: 53). Den Fremden bezeichnet er als einen Erwachsenen, der sich als Im‐ migrant in der „Situation der Annäherung [an eine neue Gesellschaft befindet], die jeder möglichen sozialen Anpassung vorhergeht und deren Voraussetzungen ent‐ hält“ (ebd.: 54). Fremde betreten als Unwissende ein neues Feld bzw. mehrere neue soziale Felder, deren Denk- und Handlungsgewohnheiten ihnen zunächst einmal nicht vertraut sind (vgl. ebd.: 55). Immigranten müssen für alle gesell‐ schaftlichen Bereiche das passende Sozialverhalten neu erwerben oder über‐ prüfen. Vorwissen über etwaige Verhaltensmuster der Zielgemeinschaft muss gegebenenfalls revidiert werden. Der Begriff des lebensweltlichen Wissens bezeichnet bei Schütz den Wissens‐ vorrat eines Menschen. Er fasst den Begriff zunächst weit, indem er annimmt, dass darin Traumwissen, Phantasiewissen, religiöses Wissen und Alltagswissen enthalten sind (vgl. Schütz / Luckmann 2003: 178). Das Alltagswissen stellt dabei <?page no="32"?> 2 Einerseits sind die Rezepte Anweisungsschemata: „wer immer ein bestimmtes Resultat erreichen will, muss so verfahren, wie es das Rezept, das für diesen speziellen Zweck gilt, angibt“ (Schütz 1972: 58). Und andererseits sind sie Auslegungsschemata: „wer immer so verfährt wie es das spezifische Rezept anzeigt, zielt vermutlich auf das entsprechende Resultat“ (ebd.). den Kernbereich des lebensweltlichen Wissensvorrats dar und dient als Orien‐ tierungsgrundlage (vgl. ebd.; Schütz 1972: 55). Es handelt sich hierbei in erster Linie um Wissen über Denk- und Verhaltensmuster, vergangene Ereignisse, Er‐ fahrungen, individuelle und tradierte Verhaltensroutinen und Verhaltenserwar‐ tungen. Das Alltagswissen ist nicht frei von Widersprüchen. Schütz erklärt, dass das „erworbene System des Wissens - so inkohärent, inkonsistent und nur teilweise klar, wie es ist - […] für die Angehörigen der in-group den Schein genügender Kohärenz [hat]“ (ebd.). Die Integration eines Fremden in die Zielgesellschaft ist nur dann vollends gelungen, wenn dieser deren Denk- und Handlungsmuster nicht nur passiv nachvollziehen kann, sondern sie auch aktiv beherrscht und weiß, wie er sich in unterschiedlichen Situationen ‚alltagstypisch’ zu verhalten hat (vgl. ebd.: 63,65): Au sens psycho-social, l’intégration désigne le processus d’intériorisation qui permet à un individu de réagir conformément aux normes et aux valeurs qui régissent le groupe (Brémond / Gélédan 2002: 294; eigene Hervorh.). Der Fremde muss in gewisser Weise lernen so zu denken, wie es in der Zielge‐ sellschaft üblich ist. Lernen zu Denken-wie-üblich, bedeutet die inneren Gesetze oder - mit Schütz gedacht - die Rezepte der Gruppe so zu verinnerlichen, dass sie bei den eigenen Handlungen miteinbezogen werden (vgl. Schütz 1972: 58). 2 Dieses ‚Rezeptwissen’ stellt intuitiv Lösungen für Probleme, Erlebnisabläufe und Wissen über das gesellschaftlich akzeptierte Verhalten in bestimmten Si‐ tuationen bereit - und so auch Wissen über das in bestimmten Situationen ak‐ zeptierte Sprachverhalten (vgl. Schütz / Luckmann 2003: 159). 1.2 Makrokontext ‚Luxemburgische Mentalität‘ Der gesellschaftliche Wissensvorrat kann mit dem Schützschen Begriff Denken-wie-üblich umrissen werden. Nützliche theoretische und methodische Anknüpfungspunkte für die Erforschung solcher in einer Nation historisch ge‐ wachsenen Orientierungsmuster, Deutungs- und Handlungsrahmen, stellen die Geschichtswissenschaften bereit. Sie bedienen sich nicht des Begriffs Denken-wie-üblich, sondern fragen nach der zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte gültigen Mentalität. Die Elemente jenes Wissens, die sich auf das III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 32 <?page no="33"?> 3 Da die meisten Mentalitätshistoriker anfangs im Umkreis der Zeitschrift ‚Annales. Éco‐ nomies Sociétés Civilisations’ publizierten, wird bis heute verkürzend von der An‐ nales-Schule als Gründungsstätte der Mentalitätsgeschichte gesprochen (vgl. Dinzel‐ bacher 1993: XVII). 4 Im DUDEN Bedeutungswörterbuch findet sich unter Mentalität: „die einem bestimmten Einzelnen oder einer Gruppe eigene) Art zu denken und zu fühlen […]“ (Dudenredaktion 2010: 640). Folgende Beispiele werden für den Gebrauch von Mentalität angeführt: „in südlichen Ländern herrscht eine andere Mentalität; sie kann sich gut in die Mentalität anderer Menschen einfühlen.“ individuelle Denken über Sprachen und Sprachhandeln in Luxemburg aus‐ wirken, indem sie Handlungsvorlagen bereitstellen, werden als Teil des in Lu‐ xemburg gültigen und wandelbaren Mentalitätenwissens betrachtet. 1.2.1 Mentalität im Sinne der historischen Mentalitätsforschung In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtete sich das Interesse der Histo‐ riker zunehmend auf die konkreten Lebensumstände der Menschen in dem Zeitalter, das sie erforschen wollten (vgl. Burguière 2006: 13). Das Forschungs‐ interesse der Geschichtswissenschaft fokussierte somit wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte. Alltagsgeschichte, Mikrogeschichte, Kulturge‐ schichte, Mentalitätsgeschichte und Diskursgeschichte erfuhren innerhalb des Fachs eine Aufwertung. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit mentalitäts‐ geschichtlichen Aspekten beschränkte sich allerdings zunächst auf den franzö‐ sischen Raum. Auch der wissenschaftliche Terminus mentalité etablierte sich vorerst nur dort (vgl. Chartier 1987: 69). 3 Ende der siebziger Jahre wurde die Mentalitätsgeschichte dann auch im deutschsprachigen Raum rezipiert (vgl. Spitzmüller 2005: 56 f.). Mentalität ist als ‚Suchbegriff ’ zu verstehen (vgl. Her‐ manns 1995: 73). Bei der Erforschung historischer Ereignisse und Vorgänge soll auch das spezifische Denken der Zeit, welches die menschlichen Handlungen prägte, mitberücksichtigt werden (vgl. ebd.; Küçükhüseyin 2011: 22). Le Goff erklärt, dass der anfängliche Reiz der Mentalitätsgeschichte gerade in ihrer Unschärfe und in ihrem Anspruch [bestand], den Bodensatz der historischen Analyse, jenes ‚Irgendwo auch’ der Geschichte, ausfindig zu machen (vgl. Le Goff 1987: 18). Um eine klare Definition von Mentalität formulieren zu können, ist es wichtig, das wissenschaftliche Verständnis des Begriffs klar vom umgangssprachlichen abzugrenzen. Umgangssprachlich bedeutet Mentalität eine „[…] besondere […] Art des Denkens oder Fühlens eines einzelnen Menschen, einer sozialen Gruppe oder eines Volkes […]“ (vgl. Scharloth 2000: 42; 2005b: 44). 4 Hervorgehoben werden demnach die charakterlichen Eigenarten eines Menschen, einer sozialen Gruppe 1 Über Mentalitätenwissen, Sprachdenken und Sprachhandeln 33 <?page no="34"?> 5 Verwiesen sei u. a. auf seinen Beitrag ‚Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte’ (1995). 6 Auch Le Goff (1987: 20) sieht Parallelen zur Sozialpsychologie: „Der Mentalitätenhisto‐ riker hat manches mit einem Sozialpsychologen gemein. Begriffe wie Einstellung und Ver‐ halten sind für den einen wie für den anderen von Wichtigkeit.“ 7 Burke (1986: 439) weist darauf hin, dass der Mentalitätsbegriff nicht synonym mit dem Einstellungsbegriff gebraucht werden kann: „In other words, to assert the existence of a difference in mentalities between two groups is to make a much stronger statement than merely asserting a difference in attitudes.“ oder eines Volkes (vgl. Scharloth 2005a: 120). In der Geschichtswissenschaft wird der Begriff jedoch anders verstanden. Mentalitäten bezeichnen hier die üblichen Denkweisen. Dinzelbacher (1993) definiert das Verständnis des Begriffs aus Sicht der Mentalitätsgeschichte wie folgt: Historische Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Emp‐ findens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalität manifestiert sich in Handlungen (Dinzelbacher 1993: XXIV; Hervorh. im O.). Die Definition von Dinzelbacher hat sich in der Mentalitätsgeschichte etabliert. Sie deckt sich mit der von Fritz Hermanns (vgl. 1995: 77), die hier an zweiter Stelle angeführt wird, da der Sprachwissenschaftler einen bedeutenden Beitrag zur Übertragung des Mentalitätsbegriffs und der damit verbundenen Konzepte in die Linguistik leistete: 5 Eine Mentalität im Sinne der Mentalitätsgeschichte ist, so hat es sich ergeben: 1.) die Gesamtheit von 2.) Gewohnheiten bzw. Dispositionen 3) des Denkens und 4.) Fühlens und 5) Wollens oder Sollens in 6.) sozialen Gruppen (ebd.). Beide Definitionen weisen Parallelen zum Begriff der sozialen Einstellung auf. So meint Hermanns (2002: 81), dass „[e]ine Mentalität […] die Gesamtheit aller usuellen Einstellungen in einer sozialen Gruppe“ (2002: 81) sei und „[…] inso‐ fern […] die Mentalitätsgeschichte auch und insbesondere als Geschichte von so‐ zialen Attitüden“ zu verstehen sei (1995: 77 f.). Scharloth (2000: 45) bezieht sich auf Sellin (1985) und meint: „Die Gesamtheit der kollektiven Einstellungen kon‐ stituiert danach die gruppenspezifische Mentalität.“ 6 Ich teile Hermanns (2002: 81) Sicht nicht, wenn er meint, die Mentalitätsgeschichte lasse „sich ohne weiteres ersetzen durch die schlichtere Bezeichnung ‚Einstellungsgeschichte’.“ Der Menta‐ litätsbegriff erfasst viel deutlicher den kollektiven Wissensbestand, dieses Denken-wie-üblich und das damit verbundene Handeln-wie-üblich innerhalb einer Gesellschaft, als der Begriff der Einstellung. 7 So hat der Mentalitätsbegriff eine Doppelstruktur; er ist zugleich Gewohnheit und Disposition. In der histo‐ rischen und linguistischen Forschung führt dies einerseits zu Arbeiten, die mit einem engen, kategorial-epistemischen Mentalitätsbegriff arbeiten und ande‐ III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 34 <?page no="35"?> 8 Die vorliegende Arbeit unterscheidet zwischen Einstellung und Bewertung. Unter Be‐ wertung werden die verbalen Äußerungen verstanden. Der mit einer Äußerung ein‐ hergehende handelnde Vollzug wird betont. Einstellungen sind im kognitiven Apparat zwar vorhanden, aber noch nicht geäußert. 9 S. a. Spitzmüller (2005: 69). rerseits zu Anwendungen eines weiten, substanziellen Mentalitätsbegriffs (vgl. Scharloth 2005a: 121). Arbeiten, die einen substanziellen Mentalitätsbegriff ap‐ plizieren, versuchen das Alltagswissen zu erfassen, suchen nach den Inhalten des üblichen Denkens (vgl. ebd.). Kategorial-epistemische Arbeiten versuchen die kollektiven Weisen der Wissensverarbeitung und der Wissensorganisation zu erschließen (vgl. ebd.). Mentalitäten sind vielschichtiger als kollektive Ein‐ stellungen und scheinen diesen konzeptuell übergeordnet zu sein. Sie werden empirisch anhand von Einstellungsäußerungen sichtbar. 8 Ich betrachte kollek‐ tive Einstellungen also in gewisser Weise als Teilmengen von Mentalitäten. 9 Der Einfluss des Mentalitätenwissens auf das individuelle Handeln variiert. Es ist in jeweils unterschiedlichem Ausmaß eine Hilfe bei der Entscheidung, wie man sich in diversen sozialen Situationen zu verhalten hat (vgl. Dinzelbacher 1993: XXIX). So stellt es beispielsweise abrufbare Informationen darüber bereit, ob bestimmte Handlungen in der Gesellschaft erwünscht sind. Mentalität ist, in Anlehnung an Lucien Febvre, ein outillage mental und beinhaltet als solches „die Summe der Orientierungsangebote, die in einem Kollektiv jeweils aktuell sind“ (vgl. ebd.: XXIXf.). Der Einzelne ist nicht nur Träger einer Mentalität mit einer Summe x an Orientierungsangeboten des kollektiven Denkens, Fühlens, Sollens und Wollens, sondern ist Träger von multiplen Mentalitäten mit multiplen Ori‐ entierungsangeboten und Deutungsmöglichkeiten, die in unterschiedlichem Ausmaß genutzt werden. Somit greift jeder Mensch nicht nur auf das in einer Mentalität gespeicherte Wissen zurück, „Mentalitäten gibt es nicht nur auf einer Komplexitätsebene, in einer bestimmten Konsistenz und immer denselben Aus‐ drucksformen“, sondern auf eine Vielzahl, die auf den verschiedenen Ebenen des sozialen Zusammenlebens entstehen (Kuhlemann 1996: 183). Da das Individuum in einer Pluralität von Mentalitäten denkt, benutze ich Mentalität auch stets im Plural. Je nach Situation werden jeweils andere Mentalitätenebenen aktiviert. Die Komplexität von Mentalitäten und die Reichweite ihrer Handlungsvorlagen werden anhand des Mehrebenenmodells von Kuhlemann (vgl. 1996: 193 f.) ver‐ ständlich. Dieser unterscheidet drei aufeinander bezogene Mentalitätenebenen: • Totalmentalität: die epochalen, mehr oder weniger von allen Zeitgenossen (weltweit oder eines Kulturraumes je nach Forschungsperspektive) ge‐ teilten Einstellungen und Selbstverständlichkeiten. 1 Über Mentalitätenwissen, Sprachdenken und Sprachhandeln 35 <?page no="36"?> • Makromentalitäten (Großgruppenmentalitäten): betrifft die Mentalität(en) größerer je nach Forschungsperspektive umgrenzter Kollektive (Nati‐ onen, Gesellschaften, Konfessionsgruppen …). • Innerhalb der Makromentalitäten können weitere Partikularbzw. Mik‐ romentalitäten unterschieden werden (etwa Mentalitäten der Inner- oder Teilgesellschaft: Familie, Schule, Peergroup, Partei …) (vgl. ebd.; vgl. Spitzmüller 2005: 60). Wichtig ist in Bezug auf Mentalitäten von dieser Mehrebenenstruktur auszu‐ gehen. Die vorliegende Arbeit richtet sich in erster Linie auf die Ebene der Großgruppenmentalität, berücksichtigt aber immer auch das bestehende Inter‐ dependenzverhältnis zwischen den einzelnen Mentalitätenebenen. Der Versuch von einer isolierten Kultur auszugehen und diese mit dem Staat (der Nation) Luxemburg gleichzusetzen, würde die Realität verkennen - gerade in einer Ge‐ sellschaft, die von Mehr- und Interkulturalität im besonderen Maße geprägt ist. Darüber hinaus muss nicht darauf hingewiesen werden, dass die Bevölkerung eines jeden Landes, als Teilgemeinschaft einer globalisierten Welt, in einer Plu‐ ralität von Mentalitäten denkt. Menschen unterscheiden sich voneinander. Sie handeln schon aus diesem Grund unterschiedlich und interpretieren Situationen jeweils anders (vgl. Spitz‐ müller 2005: 59). Trotzdem ist vieles, was als eine individuelle Meinungsäuße‐ rung ausgesprochen wird, im Grunde genommen gesellschaftlich (vgl. Rehbein 2011: 97). Mit Bourdieu ist jedes Individuum immer schon gesellschaftlich ge‐ wesen (s. a. ebd.: 87 vgl. Krais / Gebauer 2002: 66,). „Was tue ich, was kein anderer Mensch tut? “ und „Was tue ich, was ich nirgendwo erfahren oder gelernt habe? “, fragt Rehbein (2011: 97). Gegenstand dieser Arbeit ist ein spezifischer Teilbereich von kollektiven Wissens- und Handlungsvorgängen, nämlich diejenigen, die sich auswirken auf die Bewertungen, die Funktionen und die Positionen, die den Sprachen in Lu‐ xemburg und der deutschen Sprache im Besonderen zugeschrieben werden. ‚Mentalität’ als Schlüsselelement der Untersuchung erlaubt es eine Brücke zwi‐ schen Wissen und Verhalten herzustellen. Die Sozialpsychologie betrachtet den Einfluss von Einstellungen auf das Verhalten kritisch (vgl. Scharloth 2000: 45). Eine eingehendere Betrachtung des sozialpsychologischen Konzepts der Ein‐ stellung kann Auskunft darüber geben, inwieweit Mentalitäten tatsächlich in das Handeln des Einzelnen einfließen. EXKURS: Einstellungen und Verhalten Einstellungen werden sozial geteilt. Es existieren zahlreiche Definitionen, die zu erfassen versuchen, was Einstellungen sind und wie sie genau entstehen. Die III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 36 <?page no="37"?> 10 Werden sie im Dreikomponentenmodell auch der Klarheit wegen auseinandergehalten, so wird in der Realität jedes offen gezeigte Verhalten von der Interaktion der drei Ein‐ stellungskomponenten gesteuert (vgl. Vandermeeren 1996: 693). meisten rekurrieren nach wie vor auf die bereits im Jahr 1935 von Gordon All‐ port formulierte Definition: An attitude is a mental and neural state of readiness, organized through experience, exerting a directive and dynamic influence upon the individual’s response to all ob‐ jects and situations with which it is related (Allport 1935: 810). Einstellungen entstehen durch Erfahrungen, die im Verlauf des eigenen Lebens gemacht werden. Sie sind gesellschaftlich gewachsene Bewertungsvorlagen, die sich in der sozialen Interaktion (dem familiären Umfeld, der Peergroup, Bil‐ dungsinstitutionen, Medien …) bilden (vgl. Arendt 2010: 8). Indem der Einstel‐ lungsträger seine Einstellung gegenüber einem Einstellungsgegenstand abruft, erhält er eine Bewertungsbzw. Reaktionstendenz. Während einfache Erklä‐ rungsmodelle der Einstellungsforschung nur diesen Bewertungsaspekt heraus‐ stellen und Einstellungen als evaluatives Maß auf einer eindimensionalen Rich‐ tungsskala veranschaulichen, die von maximal negativ bis maximal positiv reicht, ergänzen andere die Erklärungskomponente (nicht mögen - mögen), um eine kognitive Komponente (vgl. Gollwitzer / Schmitt 2009: 150). Sie verdeutli‐ chen, dass Einstellungen vielschichtiger sind und eine geäußerte Bewertung noch lange nicht den Blick auf sämtliche vorhandenen Gedankengänge und Wissensbestände freilegt, die das Einstellungsobjekt betreffen könnten. Seit den 1960er Jahren wird das Drei-Komponenten-Modell zur Erklärung von Einstel‐ lungen (nach Rosenberg / Hovland und Katz / Scotland) in der Einstellungsfor‐ schung favorisiert (vgl. Hermanns 2002: 74). Die Gründe, die zur Entwicklung einer bestimmten Einstellung geführt haben und auch die Form, in der sich die Einstellung äußert, können, diesem Modell zufolge, kognitive, affektive und / oder konative Züge aufweisen. 10 Die kognitive Komponente umfasst das Hintergrundwissen, das, bezogen auf das Einstellungsobjekt, erworben und gespeichert wurde. Man könnte auch von Vorstellungen, Informationen, Schemata (auch von auf bestimmte Situationen passenden Argumentationsschemata), Stereotypensets und vorgefassten Mein‐ ungen sprechen (vgl. ebd.: 75). Die Kognitionen beruhen auf früherem Verhalten, auf Erfahrungen und Erlerntem. Die affektive Komponente beinhaltet ableh‐ nende oder zuwendende Dispositionen gegenüber dem Einstellungsobjekt (vgl. Vandermeeren 1996: 693). Auch diese Komponente geht aus Erlerntem, aus Er‐ fahrungen und Erlebnissen hervor. Die behaviorale Komponente beinhaltet zum einen die Auffassung darüber, welche Handlungen, bezogen auf das Einstel‐ 1 Über Mentalitätenwissen, Sprachdenken und Sprachhandeln 37 <?page no="38"?> lungsobjekt, ausgeführt werden sollten und zum anderen den Handlungsvollzug (vgl. Spitzmüller 2005: 68). Arendt (2010: 10) hat vorgeschlagen konativ (oder auch: behavioral) durch volitiv zu ersetzen, da die Einstellung lediglich zu einem bestimmten Verhalten prädisponiere, das sich nicht zwingend mit dem daran anschließenden, tatsächlichen Verhalten in einer bestimmten Gesprächssitua‐ tion decke. Auch Allport (1935: 805) führt diesen Gedanken aus: In one way or another each regards the essential feature of attitude as a preparation or readiness for response. The attitude is incipient and preparatory rather than overt and consummatory. It is not behaviour, but the precondition of behaviour (Allport 1935: 805, Hervorh. im O.). Einstellungen erfüllen bestimmte Funktionen, die von Smith, Brunner und White (1956), Katz (1967) und McGuire (1969) benannt worden sind (vgl. Casper 2002: 38): • Die Wissensfunktion: Im Alltag müssen fortwährend Entscheidungen ge‐ troffen werden, was nicht zu bewältigen wäre, wenn bei allem, was wahr‐ genommen wird, das dazugehörige Vorwissen immer wieder aufs Neue gesammelt und dann sorgfältig ausgewertet werden müsste. Aufgabe der Einstellungen ist es als Bewertungs- und Handlungsvorlagen zu fun‐ gieren, auf die bewusst oder unbewusst zurückgegriffen werden kann (vgl. Gollwitzer / Schmitt 2009: 149; 151). • Instrumentelle, utilitaristische oder auch Anpassungsfunktion: Diese Funk‐ tion basiert auf dem Wissen, dass Einstellungsäußerungen positive oder negative Folgen haben (vgl. Casper 2002: 39). Es geht um Bewertungen des Einstellungsobjekts hinsichtlich seiner Brauchbarkeit für das Errei‐ chen beruflicher Ziele, für die Selbstverwirklichung des Individuums (in‐ strumentell) oder für die Integration in eine bestimmte Gruppe (integ‐ rativ) (vgl. ebd.: 55). • Die Ich-Verteidigungsfunktion: Einstellungen sind wichtig für den Erhalt des eigenen Selbstwertgefühls. • Expressive Funktion: Einstellungen geben die Möglichkeit zur Selbstdefi‐ nition und zur Selbstdarstellung. Sie vermitteln u. a. Zugehörigkeit, Iden‐ tität, Konformität, Charakter und Gruppenzugehörigkeit und formen die eigenen Wertvorstellungen. So stehen Einstellungen als Orientierungsvorlagen parat und werden in pas‐ senden Situationen intuitiv abgerufen. Zwischen Abrufen und Handeln, muss zudem die Entscheidung getroffen werden, ob gemäß der vorgegebenen Schritte gehandelt werden soll oder nicht. Dies deutet darauf hin, dass außer der Ein‐ III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 38 <?page no="39"?> 11 Sie unterscheiden bei der Bedeutung der kontextuellen Rahmen drei Hauptebenen: makro-, meso- und mikrosoziale Kontextebenen. Das Mentalitätenwissen wurde bereits anhand eines solchen Mehrebenenmodells veranschaulicht. stellung noch zusätzliche Faktoren die Handlungsentscheidung in einer kon‐ kreten Situation beeinflussen. Die Einstellung allein bestimmt demnach noch nicht das folgende Verhalten. Sie fließt vielmehr in Abstufungen und in Abwä‐ gung der genannten Faktoren in das offen gezeigte Verhalten mit ein. So können Meinungen geäußert werden, die zwar vollkommen im Widerspruch zur per‐ sönlichen Einstellung stehen, dafür aber dem gesellschaftlichen Konsens ent‐ sprechen: Schätzt das Individuum […] die normativen Erwartungen in einer bestimmten Situa‐ tion als besonders verbindlich ein, wird seine Einstellungsäußerung diese normativen Erwartungen berücksichtigen. Die Gewichtung von Normerwartung, habitualisierter Einstellung und subjektiven Zielen bestimmt auf diese Weise die Selbstdarstellung in einer Situation (Tophinke / Ziegler 2006: 209). Tophinke und Ziegler (vgl. 2006: 205) fordern deshalb, dass bei Spracheinstel‐ lungsuntersuchungen die soziokulturellen, situativen und interaktiven Kon‐ texte, in denen Meinungsäußerungen fallen, mitberücksichtigt werden müssen. 11 1.2.2 Wissensgewinnung und Wissensvermittlung über die Sprache Der Zusatz von Peter Dinzelbacher (1993: XXIV) - „Mentalität manifestiert sich in Handlungen“ - ist hier für die Verbindung von Theorie und Methode von zentraler Bedeutung: Die Handlungen, an denen sich das Mentalitätenwissen einer Zeit abzeichnet, können über die Sprache, mit der sie vollzogen wurden, wiederhergestellt werden und lassen sich folglich auf diese Weise untersuchen. Es ist die Sprache, über die Wissen wieder- und weitergegeben wird, sich Wissen manifestiert und konstituiert, in Texten oder Gesprächen materialisiert und damit greifbar und analysierbar wird. Empirische Sozialwissenschaft muss sich für Texte interessieren, weil ihr Gegenstand ihr in Texten gegenüber tritt und weil sie die Aussagen über ihren Gegenstand an nichts anderem als an Texten überprüfen kann (Wernet 2009: 11). So wird in Anlehnung an Viehöver / Keller / Schneider (2013: 9), Felder / Müller (2009: 5) und Felder (2009: 21-77) die Sprachlichkeit der Wissenskonstituierung betont: Wissen entsteht über Kommunikation, Wissen wird verwahrt über Kommunikation und Wissen verändert sich über Kommunikation. Mit den ge‐ nannten Autoren wird auch die Gesellschaftlichkeit der Sprache unterstrichen: 1 Über Mentalitätenwissen, Sprachdenken und Sprachhandeln 39 <?page no="40"?> 12 Die erste Ebene wäre die Wortebene, die zweite die Satzebene, die dritte die Textebene und die vierte die Diskursebene. 13 In Anlehnung an Warnke (2013): Diskurs als Praxis und Arrangement - zum Status von Konstruktion und Repräsentation in der Diskurslinguistik. Die Ansicht, dass Sprache die Wirklichkeit nicht bloß spiegelt, sondern auch gestaltenden Einfluss ausübt und Rea‐ lität konstruiert, wird insbesondere im Forschungsbereich der Pragmatik untersucht. Sprache kann nicht unabhängig von gesellschaftlichen Erfahrungen existieren. Sie wird im sozialen Kontext praktiziert und verändert sich in diesem Kontext. Deshalb eignet sich die zunächst abstrakt erscheinende Einheit ‚Diskurs’, um „das Netz aller in einer Gesellschaft möglichen Aussagen zu einem bestimmten Thema […] einschließlich der gesellschaftlichen Perspektiven, Normen, Interessen und Machtverhältnisse“ auf einer vierten Ebene 12 zu erfassen (vgl. Linke / Nuss‐ baumer / Portmann 2004: 290). Die Rekonstruktion eines Diskurses erlaubt es, eine Vielzahl an sprachlichen Handlungen - die den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit mit dem entsprechenden Titel ‚Deutsch in Luxemburg’ bilden - zu erfassen und dabei kollektives Sprachwissen und Sprachhandeln zu untersuchen. Warnke / Spitzmüller (2008: 42) führten aus, dass es [d]as Ziel vieler diskursanalytischer Arbeiten ist […], Ideologien oder Mentalitäten freizulegen. Ob eher das eine oder das andere im Mittelpunkt steht, hängt unter an‐ derem auch von der fachgeschichtlichen Tradition ab, in der die jeweiligen Analysen stehen. Im Umkreis der germanistischen Diskursgeschichte bzw. Diskurssemantik ist eher das aus der französischen (Annales-)Historiographie stammende Konzept der Mentalität wichtig geworden, in der angelsächsischen Diskurslinguistik sowie in der Kritischen Diskursanalyse eher das Konzept der Ideologie, das dort stark von der lin‐ guistischen Anthropologie geprägt wurde. Öffentliche sprachliche Manifestierungen sind zugleich Praxis (Produzent / Pro‐ duktion) und Arrangement (Abbildung und Ordnung) dieses Wissensbestandes. 13 Die Sprache informiert über das Wissen (im vorliegenden Fall über Sprach‐ wissen) und sie ist zugleich am Erschaffen neuen Wissens beteiligt bzw. moti‐ viert zu einem bestimmten Verhalten (hier zu einem bestimmten Sprachhan‐ deln). So werden über sprachliche Manifestierungen (Gesprächsauszüge, Texte, etc.) die Bedeutungen und Bewertungen, die in der luxemburgischen Gesell‐ schaft zu einer bestimmten Zeit einer oder mehreren Sprachen beigemessen werden, zugänglich. III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 40 <?page no="41"?> 2 „Archäologie des Wissens“ - Linguistische Diskursanalyse und die empirische Analyse und Rekonstruktion von Wissensbeständen „Ich will nicht unterhalb des Diskurses das Denken der Menschen erforschen, sondern ich versuche, den Diskurs in seiner manifesten Existenz zu erfassen, als eine Praxis, die Re‐ geln gehorcht. Regeln der Formation, der Exis‐ tenz, der Koexistenz, Systemen des Funktion‐ ierens usw. Diese Praxis in ihrer Koexistenz und nahezu in ihrer Materialität, ist es, die ich beschreibe.“ (Foucault 1969: 982). 2.1 Erschließung des Foucaultschen Diskursbegriffs Der Begriff ‚Diskurs’ wird in der deutschen Wissenschaftssprache nicht ein‐ heitlich verwendet. Das gilt auch für die Diskursanalyse als wissenschaftliche Untersuchungsmethode. Die Methoden der Diskursanalyse und die Diskurs‐ konzepte unterscheiden sich von Disziplin zu Disziplin und auch innerhalb der Fachgrenzen von Forschungsgegenstand zu Forschungsgegenstand. Die Dis‐ kurslinguistik ist gegenwärtig ein Sammelbegriff unter den Sprachanalysen ge‐ fasst werden, die sich (vor allem) mit dem beschäftigen, was über die Wort-, Satz-, und Textebene hinausgeht und die sich mit der gesellschafts- und wis‐ senskonstituierenden Funktion von Sprache befassen (vgl. Spitzmüller / Warnke 2011: 10). Ein Forschungsprojekt, das einen der vielen Diskursbegriffe, eine der vielen Diskurstheorien und eine der zahlreich vorhandenen Diskursmethoden appliziert, kommt nicht umhin zunächst das eigene Diskursverständnis darzu‐ legen. Das deutsche Lexem ‚Diskurs’ findet Anfang des 16. Jahrhunderts durch fran‐ zösische Vermittlung Eingang in den deutschen Sprachgebrauch (vgl. Pfeifer 2005: 230). Etymologisch leitet sich das Wort von mittelfranzösisch / französisch discours, aus spätlateinisch discursus ab (= ‚Verkehr, Umgang, Gespräch’ ; lat. discurrere ‚auseinanderlaufen’, ‚sich ausbreiten’; spätlat. ‚etwas mitteilen’) (vgl. ebd.). Der deutsche Diskursbegriff wird, wie auch sein französisches Pendant, bis ins 20. Jahrhundert hinein gleichbedeutend mit ‚wissenschaftliches Ge‐ spräch’‚ ‚wissenschaftliche Abhandlung’ oder auch ‚gelehrte Disputation’ ge‐ braucht (vgl. Warnke 2007: 3; Heinemann 2011: 33). Neben dieser Bedeutung 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 41 <?page no="42"?> wird Diskurs ab dem 17. Jahrhundert auch als Quasisynonym zu ‚Konversation’ verwendet (vgl. ebd.). Seit den 1970er Jahren wird der Diskursbegriff in der Mediensprache ge‐ braucht. Er taucht dort zunächst im Feuilleton auf, später dann in sämtlichen Ressorts als Quasisynonym für ‚Debatte’ ‚Dialog’, ‚Gespräch’ oder ‚öffentlicher Meinungsaustausch’ (vgl. Spitzmüller / Warnke 2011: 6, 9). Über die Medien er‐ fährt der Diskursbegriff eine massive Bedeutungserweiterung, etabliert sich im Bildungswortschatz, um dann Eingang in die Umgangssprache zu finden (vgl. ebd.: 6). Dadurch verliert er erheblich an Prägnanz: Wie so oft ist aus einem neuen oder neu definierten Begriff, aus einem Codewort, das nur von wenigen und sehr gezielt verwendet wurde, nach einer Periode der Abwehr ein Allerweltsbegriff geworden, den man fast schon wie eine abgenutzte Münze in die Hand nimmt, ohne ihn näher zu betrachten (Schöttler 1997: 134). Von einem Diskurs wird heute gesprochen, wenn das (Haupt)-Thema einer öf‐ fentlichen Debatte bezeichnet wird (Krisendiskurs, Stammzellendiskurs etc.) und / oder die unterschiedlichen Träger solcher Debatten benannt werden (Me‐ diendiskurs, politischer Diskurs, juristischer Diskurs, Laiendiskurs etc.) (vgl. auch Heinemann 2011: 32). Der Begriff erlaubt die Eingrenzung des Bereichs, in dem diskutiert wird (Bildungsdiskurs, Literaturdiskurs, Werbediskurs u. a.) (vgl. ebd.). Alle Diskursverständnisse haben als gemeinsame Grundbedeutung die öf‐ fentliche „Praxis des Denkens, des Schreibens, Sprechens und Handelns“ (Parr 2008: 234). Insofern ist der Diskursbegriff genuin linguistisch. Er bezieht sich auf Kommuniziertes (vgl. Jung 1996: 453). Hinter dem wissenschaftlichen Diskurs‐ verständnis stehen umfangreiche Konzepte einzelner Denker, die wiederum sehr heterogen rezipiert und weitergedacht wurden. Das Diskursverständnis von Michel Foucault und die an seine Schriften angelehnte linguistische Lesart eines Diskurses, prägen die methodische Vorgehensweise dieser Arbeit. Sie er‐ möglichen die Erfassung von Wissenssegmenten über die Analyse von Äuße‐ rungen. Foucault selbst regte dazu an, aus seinen Ausführungen die theoreti‐ schen Begrifflichkeiten zu entnehmen und Methoden zu entwickeln, die sinnvoll erscheinen, um „[…] das handlungsleitende und sozial stratifizierende kollektive Wissen bestimmter Kulturen und Kollektive zu erschließen“ (Spitzmüller / Warnke 2011: 8). Die Diskurslinguistik im Anschluss an Foucault hat bis heute keine einheitlichen Definitionen und Verfahrensweisen. Es gibt mehrere Theorievers‐ tändnisse (und damit einhergehend unterschiedliche Methoden), verschiedene III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 42 <?page no="43"?> 14 Einen ausführlichen Überblick zu den verschiedenen Forschungsrichtungen innerhalb der deutschen Diskursforschung bietet der Aufsatz von Bluhm et al. (2000). Schulen 14 , die sich im Verlauf der letzten Jahre entwickelt haben und die Schriften Foucaults unterschiedlich stark gewichten. Der Sammelband Diskurs‐ linguistik nach Foucault (Warnke 2007) war bedeutsam für die Etablierung einer Diskurslinguistik im deutschsprachigen Raum. Andreas Gardt (2007: 30) fasste dort das linguistische Diskursverständnis wie folgt zusammen: Ein Diskurs ist die Auseinandersetzung mit einem Thema, - die sich in Äußerungen und Texten der unterschiedlichsten Art niederschlägt, - von mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, - das Wissen und die Einstellungen dieser Gruppen zu dem betreffenden Thema sowohl spiegelt - als auch aktiv prägt und dadurch handlungsleitend für die zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf dieses Thema wirkt. Da die Diskurslinguistik gesellschaftliche Kommunikation analysiert und die damit verbundene gesellschafts- und wissenskonstituierende Funktion von Sprache zumindest in ihren Ansätzen erschließen will, hat sie ihren legitimen Platz als Theorie und / oder als Methode innerhalb der Linguistik (vgl. Spitz‐ müller / Warnke 2011: 10). Das Diskursverständnis der folgenden Arbeit soll nun in diesem und im darauffolgenden Kapitel IV. dargelegt werden. Begonnen wird mit Foucault und mit den theoretischen Begriffen, die aus seinem ‚Werkzeug‐ kasten’ für die Zielsetzungen der Arbeit entnommen wurden. 2.2 Diskurs und Wissen bei Foucault „Alle meine Bücher … sind kleine Werkzeug‐ kisten. Wenn die Leute sie aufmachen wollen und diesen oder jenen Satz, diese oder jene Idee oder Analyse als Schraubenzieher verwenden [wollen], […] nun gut, umso besser“ (Foucault 1976: 53). Foucault hat sein Diskurskonzept mit dem Ziel formuliert, eine Kategorie zu schaffen, die es ihm erlaubt das Wissen und Denken der Gesellschaft zu erfor‐ schen (vgl. Busse 2013: 147). Seine Methoden, die er in Schriften wie Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (1961 / dt. 1969) oder Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1975 / 1976) applizierte, versuchen in unvoreingenommener Weise Wissen zu re-konstitu‐ ieren und offenzulegen. Aus diesen Schriften lassen sich Methoden und Theo‐ 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 43 <?page no="44"?> 15 „Die Sprache existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen […]“ (Foucault 1981 / 2013: 124). rien ableiten, die Anreize für die Weiterentwicklung seines Denkens zu einer linguistisch geprägten Diskursanalyse bieten (vgl. Jäger 2012: 8). Verschiedene seiner Überlegungen werden für die vorliegende Arbeit ausgewählt und die Ge‐ dankengänge der Arbeit konturieren. Sie werden zu einer Methode führen, die es erlaubt die Bedeutung der deutschen Sprache in Luxemburg zu erschließen (s. a. Kapitel IV.). Foucaults Sicht auf die „stumm[e] Ordnung“ (Foucault 1974 / 2012: 23) des Denkens und die Bedeutungsebenen seiner Terminologie verändern sich mit den einzelnen Stadien seines Schaffens (vgl. Sarasin 2005: 71). Die Terminologie entwickelt sich in den Werken weiter und ist geprägt von der Zeit, in der er seine Ausführungen niederschreibt (vgl. Jung 1996: 454). Dementsprechend hätte Foucault seinerzeit sicher nicht als erstes die Sprachwissenschaftler gebeten, ihm bei der Analyse eines Diskurses behilflich zu sein, „da mein [sein] Problem ja kein sprachliches ist [war]“ (Foucault 1977: 396). Er erklärt, man solle Diskurse nicht: […] als Gesamtheiten von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf In‐ halte oder Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken […] behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeich‐ nung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muss man ans Licht bringen und beschreiben (Foucault 1968 / 2001: 74). Diskurse sind Foucault zufolge mehr als Sprache und zwar mehr als Sprache im Sinne von Zeichen: […] Sprache und Aussage stehen nicht auf der gleichen Existenzstufe […] (ebd.: 124). Sprache wird von ihm strukturalistisch gedacht, als organon didaskaleion mit dem ‚einer dem anderen etwas mitteilt über die Dinge’. 15 Foucault interessiert nur das Wissen, das via Sprache transportiert wird, nicht das Medium Sprache an sich. Ihm ist aber bewusst, dass dieses nur über die Analyse von Kommuni‐ ziertem zugänglich wird: Unser geschichtliches Schicksal ist die Historie, die geduldige Konstruktion von Dis‐ kursen über Diskurse, ein Einvernehmen dessen was schon gesagt worden ist (Fou‐ cault 1973: 14, eigene Hervorh.). III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 44 <?page no="45"?> 16 Französische Erstveröffentlichung Archéologie du savoir 1969. 17 S. a. Reisigl (2006). Die Archäologie des Wissens 16 wird zumeist als stringente und in sich schlüssige Gebrauchsanweisung für eine Diskursanalyse nach Foucault gehandelt. Bei ge‐ nauerem Hinsehen ist das Werk aber eher die diffuse Werkzeugkiste eines Au‐ tors, die den Vermerk ‚travail en cours’ tragen müsste. 17 Foucault erklärt dort, wie sich seine Vorstellung von Diskurs/ -en veränderte: Schließlich glaube ich, dass ich, statt allmählich die so schwimmende Bedeutung des Wortes ‚Diskurs’ verengt zu haben, seine Bedeutung vervielfacht habe: einmal allge‐ meines Gebiet aller Aussagen, dann individualisierbare Gruppe von Aussagen, schließlich regulierte Praxis, die von einer bestimmten Zahl von Aussagen berichtet; und habe ich nicht das gleiche Wort Diskurs, das als Grenze und als Hülle für den Terminus Aussage hätte dienen sollen, variieren lassen, je nachdem ich meine Analyse oder ihren An‐ wendungspunkt verlagerte und die Aussage selbst aus dem Blick verlor? (Foucault 1981 / 2013: 116, eigene Hervorh.) Er benennt drei Bestimmungsversuche, die für die Arbeit von Bedeutung sind. So definiert er erstens den Diskurs als „allgemeines Gebiet aller Aussagen“. Am Anfang der ‚Archäologie des Wissens’ spricht er vom „immensen Gebiet […] aller effektiven Aussagen (énoncés) (ob sie gesprochen oder geschrieben worden sind, spielt dabei keine Rolle)“ (ebd.: 41). Sämtliche Aussagen, also „eine Fülle von Ereignisse[n]“, bilden einen Diskurs (ebd.; vgl. Reisigl 2006: 86). Das wäre, sogar wenn man ihn auf Luxemburg eingrenzen würde, „ein unermesslicher großer Bereich“, der die unterschiedlichsten Themen umfassen würde und ohne Zeit- und Themeneingrenzung, realistisch betrachtet, nicht analysierbar wäre (Fou‐ cault 2001 [1968]: 898; vgl. Reisigl 2006: 86). Das Ziel seiner Untersuchungen bringt er demgegenüber sehr genau auf den Punkt als er sein Analysemodell als Archäologie bezeichnet: […] rückblickend erschien es mir dann, dass der Zufall mich gar nicht allzu schlecht gelenkt hatte: schließlich kann dieses Wort ‚Archäologie’, etwas ungenau übersetzt, was ich mir nachzusehen bitte, bedeuten: Beschreibung des Archivs (Foucault 1969 / 2001: 981). Und er fügt hinzu: Unter Archiv verstehe ich die Gesamtheit der tatsächlich geäußerten Diskurse; und diese Gesamtheit von Diskursen wird nicht lediglich als eine Gesamtheit von Ereig‐ nissen betrachtet, die sich ein für alle Mal ereignet hätten […], sondern auch als eine 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 45 <?page no="46"?> 18 An dieser Stelle ist anzumerken, dass Aussagen, Foucault zufolge, nicht nur sprachlich fundiert auftreten ( Jäger 2012: 79). Gesamtheit, die weiterhin funktioniert, sich im Laufe der Geschichte transformiert, anderen Diskursen die Möglichkeit des Auftretens gibt (ebd.). Bereits die Werktitel deuten darauf hin, dass sein Hauptinteresse in der Erfor‐ schung dessen liegt, was er épistémè (Episteme, das gesellschaftliche Wissen) nennt. Foucault will die Entwicklung und die Geltungsbestimmungen kollek‐ tiven Wissens beschreiben und das in diversen Bereichen der Gesellschaft (vgl. Busse 2013: 147). Entsprechend ist es sein übergeordnetes Ziel, eine „Geschichte des Wissens” (Busse 1987: 223) zu schreiben, das Wissen einer bestimmten Epoche, in bestimmten Bereichen und für bestimmte Kollektive zu re-konstitu‐ ieren und mit den Wissenskonfigurationen in anderen Epochen zu vergleichen (vgl. Sarasin 2005: 71). Hierzu passt auch seine zweite Definition von Diskurs/ -en als „individualisierbare Gruppe von Aussagen.“ Diskurse werden als zusammen‐ gehörige Ketten von Aussagen ermittelt, die den gleichen spezifizierbaren For‐ mationsregeln gehorchen (vgl. Jäger 2012: 50). Er verengt seinen Diskursbegriff also und verweist darauf, dass sich Aussagen gruppieren lassen, es Formations‐ systeme gibt, die sich mit distinktiven Merkmalen beschreiben lassen: Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nennen, insoweit sie zur selben diskur‐ siven Formation gehören (Foucault 1981 / 2013: 170). Unter Formationssystem muss man also ein komplexes Bündel von Beziehungen ver‐ stehen, die als Regel funktionieren: Es schreibt das vor, was in einer diskursiven Praxis in Beziehung gesetzt werden musste, damit diese sich auf dieses oder jenes Objekt bezieht, damit sie diese oder jene Äußerung zum Zuge bringt, damit sie diesen oder jenen Begriff benutzt, damit sie diese oder jene Strategie organisiert. Ein Formations‐ system in seiner besonderen Individualität zu definieren, heißt also einen Diskurs oder eine Gruppe von Aussagen durch die Regelmäßigkeit einer Praxis zu charakterisieren (ebd.: 108). Hiervon ausgehend, kann man sich Diskursformationen mit der Metaphorik von Jäger / Jäger (2007) und Jäger (2012: 38) als „Fluss von Wissen durch die Zeit” vorstellen. Den Begriff des Formationssystems kann man mit Jäger (ebd.: 51) durch den des Themas ersetzen. Ein Diskurs ist damit, vereinfacht gesagt, eine Ansammlung von Aussagen zu einem Thema, eine Ansammlung von Wissen zu einem bestimmten Thema. 18 Es ziehen sich die Elemente des Diskurses als Themen durch die Texte (Foucault 1967: 795). III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 46 <?page no="47"?> 19 Foucault spricht stellenweise selbst von „diskursiven Feldern“ (Foucault 1981 / 2013: 93). 20 „Man muss angesichts jener Unterteilungen und Gruppierungen unruhig werden, die uns vertraut geworden sind. Kann man ohne weiteres die Unterscheidung der großen Diskurs‐ typen oder jene der Formen oder Gattungen zugeben, die Wissenschaft, Literatur, Philoso‐ phie, Religion […] usw. in Opposition zueinander stellen und daraus Arten großer histori‐ scher Individualitäten machen? Wir sind uns selbst nicht sicher über den Gebrauch dieser Unterscheidung in unserer Welt des Diskurses. Dies um so mehr, wenn es sich darum han‐ delt, Mengen von Aussagen zu analysieren, die in der Epoche ihrer Formulierung einer völlig anderen Distribution, Aufteilung und Charakterisierung unterlagen […]“ (Foucault 1981 / 2013: 35). Indem man Diskurse in Themen 19 unterteilt, schafft man eine gewisse Ordnung. So lässt sich etwa vom Einwanderungsdiskurs, vom Diskurs über Sprache und dem Diskurs über Bildung sprechen. Der Einwanderungsdiskurs kann sich bei näherer Betrachtung auch zugleich als Bestandteil des Diskurses über Sprache erweisen, der Diskurs über Bildung zugleich Teil des Diskurses über Sprache oder über Einwanderung sein. Die Benennung von Diskursen ist also, auch wenn sie dem allgemeinen Konsens entsprechen, nie frei von Willkür. 20 Die „Landschaften der Diskurse […]“, die semantischen Beziehungen zwischen Aussagen, kann man sich wie ein in sich verwobenes Netz vorstellen ( Jäger / Zimmermann 2010: 61). Diskurse „überschneiden [sich] und manchmal berühren [sie sich]“, es gibt aber auch welche, „die einander […] ignorieren oder ausschließen“, sagt Foucault (1974 / 1993: 34). Jung (1996) veranschaulicht den Versuch, Ordnung in diese wirre Unordnung der Diskurse zu bringen, anhand des nachstehenden Würfel‐ modells und einer sich diachron und beständig synchron weiterentwickelnden Text-Netz-Struktur. 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 47 <?page no="48"?> Abbildung 1: Diskurs als Textkorpus (Quelle: Wengeler / Jung 1999: 147) III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 48 <?page no="49"?> Abbildung 2: Diskurs als Korpus themengebundener Aussagen A 1 - A n (Quelle: ebd.: 148) Verschiedene Diskursschulen haben, in Anlehnung an Foucaults Aussage vom „endlosen Weiterwuchern der Diskurse“, terminologische Vorschläge gemacht, um die prinzipielle Struktur und die Verflechtung von Diskursthemen zu ent‐ 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 49 <?page no="50"?> wirren und analysierbar zu machen (vgl. Foucault 1974 / 2007: 10). Die vorlie‐ gende Arbeit orientiert sich bei der Einteilung des Diskurses über die deutsche Sprache in Luxemburg an den Terminologien von Matthias Jung und Siegfried Jäger. Ersterer ist der sogenannten Düsseldorfer Schule für Diskurslinguistik zu‐ zuordnen, letzterer der Duisburger Schule zur Kritischen Diskursanalyse. Mat‐ thias Jung unterscheidet zwischen einzelnen vom Forscher jeweils zu definier‐ enden thematischen Diskursen (D 1 , D 2 , … D n ). Er nennt beispielsweise den frauenpolitischen Diskurs, den wirtschaftspolitischen Diskurs und den umweltpo‐ litischen Diskurs (vgl. Jung 1996: 457). Dieser Gesamtdiskurs kann durch ein übergreifendes Thema und verschiedene Parameter (Zeit, Raum, etc.) von an‐ deren Diskursen abgegrenzt werden. Anschließend besteht die Möglichkeit, den Diskurs noch einmal vertikal in mehrere, inhaltlich voneinander unterscheid‐ bare, Teildiskurse zu unterteilen. Als Beispiel nennt Jung die weitere Untertei‐ lung des frauenpolitischen Diskurses in die Teildiskurse Abtreibungsdiskurs, Gleichberechtigungsdiskurs etc. (vgl. ebd.). Um Ähnliches zu benennen, benutzt Jäger eine andere Terminologie. Er be‐ zeichnet „thematisch einheitliche Diskursverläufe […] mit einer Vielzahl von Un‐ terthemen bzw. bestehend aus unterschiedlichen Diskursfragmenten […]” als Dis‐ kursstränge (vgl. Jäger / Zimmermann 2010: 16). In einem Teildiskurs / Diskursstrang kommt es immer wieder zu neuen Aussagen. Damit verändert sich auch das Wissen im Diskurs. Einstellungen verschieben sich. Es werden andere Bezüge zu thematisch entfernten Teildiskursen / Diskurs‐ strängen hergestellt (vgl. hierzu Foucault 1974 / 2007: 14f). So steht das ganze Diskursgeflecht in einer komplexen Interdependenz, die mit Jäger als Dis‐ kurs(strang)verschränkung bezeichnet werden kann. Matthias Jung und Siegfried Jäger weisen darauf hin, dass Diskurse bzw. Teil‐ diskurse auf verschiedenen Ebenen produziert, selektiert und organisiert werden. Jung (1996) spricht dabei von unterschiedlichen Kommunikationsberei‐ chen, die den Diskurs noch einmal auf horizontaler Ebene gliedern; Jäger (2012) von unterschiedlichen Diskursebenen, auf denen die Diskursthemen verhandelt werden. Nicht alle Kommunikationsbereiche, in denen ein Diskurs geführt wird (Massenmedien, Politik, Fachwissenschaft, …) sind „in gleicher Weise offen und zugänglich“, so Foucault (1974 / 1993: 26). Nur wer „gewissen Erfordernissen genüg[e]“, könne in die Ordnung dieser Spezialdiskurse eintreten (vgl. ebd.). Sie unterscheiden sich sowohl in der Art wie sie den Gegenstand konstituieren, als auch mit Blick auf die jeweiligen Formationsregeln (vgl. Keller 2011: 231). Die Grenzen zwischen den Diskursebenen sind dabei aber fließend. Themen der Politik werden von den Medien aufgegriffen und in der Politik werden Themen III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 50 <?page no="51"?> 21 Die wiederholte Ablehnung der Regeln einer Diskursgemeinschaft führt in der Regel zum Ausschluss aus der Gemeinschaft (vgl. ebd.). Bei Foucault tritt das Subjekt, das autonom im Diskurs Aussagen produziert, in den Hintergrund des Interesses: „Man muss sich vom konstituierenden Subjekt, vom Subjekt selbst befreien, d. h. zu einer Ge‐ schichtsanalyse gelangen, die die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusam‐ menhang zu klären vermag. Und genau das würde ich Genealogie nennen, d. h. eine Form der Geschichte, die von der Konstituierung von Wissen, von Diskursen, von Gegenstands‐ feldern usw. berichtet, ohne sich auf ein Subjekt beziehen zu müssen, das das Feld der Ereignisse transzendiert und mit seiner leeren Identität die ganze Geschichte hindurch besetzt“ (Foucault 1978: 32). Das Wissen des Subjekts konstituiert sich aus den Diskursen und dem Wissen seiner Diskursgemeinschaft(en) und die Teilnehmer der Diskursge‐ meinschaft(en) sorgen wiederum für die Progression der Diskurse: „Die Doktrin führt eine zweifache Unterwerfung herbei: die Unterwerfung der sprechenden Subjekte unter die Diskurse und die Unterwerfung der Diskurse unter die Gruppe der sprechenden Individuen“ (Foucault 1974 / 2007: 29). Neuere linguistische Diskursschulen, allen voran die kritische Diskursanalyse, beziehen, in Anlehnung an Foucaults Machtbegriff, allerdings die In‐ teressen der Diskursteilnehmer in ihre Analysen mit ein. 22 Es müssen aber Zeichen sein. Hier ist der Zeichenbegriff im weitesten Sinne gemeint (alquid stat pro aliquo). 23 S. a. Kapitel IV. zur Zusammensetzung des Korpus. verhandelt, die zuerst in den Medien debattiert wurden (vgl. Jäger / Zimmer‐ mann 2010: 38). Jäger und Zimmermann definieren als Diskursgemeinschaft die Gruppe von Menschen, die „in der Anerkennung und Befolgung relativ homogener Aussagen‐ systeme […] übereinstimmt“ (ebd.: 40). In der Regel gehört man mehreren Dis‐ kursgemeinschaften an. 21 Jung (1996: 457) erweitert seine Untersuchungsterminologie um eine dritte Ebene, den Parameter Redekonstellation bzw. Textsorte. Die Aussagen des Dis‐ kurses können über diverse Textsorten und Redebeiträge erschlossen werden. Es müssen nicht einmal zwingend gesprochene oder geschriebene Aussagen sein. 22 In diesem Sinne setzt sich auch das Untersuchungskorpus der vorlie‐ genden Arbeit aus unterschiedlichen Textsorten zusammen (Pressetexte, Fra‐ gebögen, Interviews, Statistiken, wissenschaftliche Fachliteratur, Werbean‐ zeigen etc.), woraus sich zugleich Einblicke in unterschiedliche Diskursebenen ergeben. 23 Bei der Wiederherstellung von Wissensausschnitten ist Foucault „nicht auf der Suche nach“ dem feierlichen ersten Augenblick, von dem ab beispielsweise die gesamte abendlän‐ dische Mathematik möglich gewesen ist […]. Ich suche nicht nach geheimen, verbor‐ genen Beziehungen, die schweigsamer oder grundlegender wären als das menschliche Bewusstsein (Foucault 1968 / 2001: 981). 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 51 <?page no="52"?> Im Gegenteil ich versuche die Beziehungen zu definieren, die an der Oberfläche der Diskurse liegen (ebd.: 982). Es geht bei der Beobachtung von Diskursen um die Art und Weise wie das Wissen zu einem bestimmten Thema im Diskurs praktiziert wird, sich durch den Diskurs konstituiert, wie es geformt und in Bezug zueinander gesetzt wird. Es geht darum, zu analysieren, worüber in einem Kollektiv gesprochen wird, was in einer Gesellschaft sagbar ist, d. h. welche Diskurspositionen akzeptiert sind und wie diese sich verändern (vgl. Wengeler 2013: 148). Foucault führt aus, was er unter wissen versteht: Ein Wissen ist das, wovon man in einer diskursiven Praxis sprechen kann, die dadurch spezifiziert wird: der durch die verschiedenen Gegenstände […] konstituierte Be‐ reich […]; ein Wissen ist auch der Raum, in dem das Subjekt die Stellung einnehmen kann, um von Gegenständen zu sprechen, mit denen es im Diskurs zu tun hat […]; ein Wissen ist auch ein Feld von Koordination und Subordination der Aussagen, wo die Begriffe erscheinen, bestimmt, angewandt und verändert werden […]; schließlich de‐ finiert sich ein Wissen durch die Möglichkeiten der Benutzung und der Aneignung, die vom Diskurs geboten werden […]. […] es gibt kein Wissen, ohne definierte dis‐ kursive Praxis; und jede diskursive Praxis kann durch das Wissen bestimmt werden, das sie formiert (Foucault 1981 / 2013: 259f). Der Diskurs zeigt also das Regelwissen in einer bestimmten Diskursgemein‐ schaft auf, das tradiert wird und sich laufend verändert. Aussagen stehen in Bezug zu vergangenen Aussagen, bauen auf vorhandenem Wissen auf und ver‐ ändern vorhandenes Wissen. Die thematische Diskursprogression kann unter‐ sucht werden und zeigen, wie der Diskurs voranschreitet, wie sich die Kenntnis der Regeln des Diskurses zu einem bestimmten Zeitpunkt in bestimmten Situ‐ ationen auswirkt und wann sich das Wissen im Diskurs verändert (vgl. Busch 2007: 143): Es gibt gesellschaftliche Anlässe, in denen bestimmte Worte besser nicht ausgespro‐ chen und bestimmte Themen besser nicht angeschnitten werden sollten, es gibt ge‐ wisse Meinungen, die zu äußern man besser unterlässt, möchte man sich von den Umstehenden keine verwunderten Seitenblicke einfangen, und es gibt immer wieder Gelegenheiten, in denen man die Sprache wechseln muss […], weil man mit einem Arzt anders spricht als mit dem Kind aus der Nachbarschaft oder mit einem Fahrkar‐ tenkontrolleur. Mit anderen Worten: Es gibt Regeln, die darüber befinden, was in einem bestimmten Zusammenhang als sprachlich passend angesehen wird und was nicht. […] (Landwehr 2006: 107). III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 52 <?page no="53"?> Foucault geht es nicht um den Wahrheitswert einer Aussage, nicht darum, ob es sich dabei um eine besondere Erkenntnis handelt (vgl. Foucault 1968 / 2001: 921). Vielmehr geht es ihm darum „den Diskurs […] in sich selbst nach seinen Formationsregeln [zu] befrag[en]“ (Foucault 1981 / 2013: 115). Es geht ihm um die Bedeutung, die die Äußerungen einst einnahmen, die Bedingungen, unter denen sie zustande kommen, wie sie mit anderen Wissensabschnitten korrelieren und welche Äußerungen sie ausschließen (vgl. ebd.: 43). Es geht ihm um die Dis‐ kursregeln (vgl. Keller 2011: 228). Dies führt zur dritten Diskursdefinition von Foucault, bei der er Diskurse „schließlich als [eine] regulierte Praxis“ definiert (ebd.: 116). Je nach Epoche, nach Kulturkreis und sozialem Feld unterliegen Aussagen „einer völlig anderen Distribution, Aufteilung und Charakterisierung“ (vgl. ebd.: 35). Wissen hat also ein System und dieses System zu entschlüsseln, wäre die Aufgabe einer Diskursanalyse: Was aber, wenn empirisches Wissen zu einer gegebenen Zeit und innerhalb einer gegebenen Kultur wirklich eine wohldefinierte Regelmäßigkeit besäße? […] Wenn Irrtümer (und Wahrheiten), die Anwendung alter Überzeugungen, einschließlich nicht nur wirklicher Enthüllungen, sondern auch der simpelsten Begriffe in einem gegebenen Augenblick den Gesetzen eines bestimmten Wissenscode gehorchten? Kurz, wenn die Geschichte des nichtformalen Wissens selbst ein System hätte? (Fou‐ cault 1974 / 2012: 9 f.). So kann eine Aussage je nach Kontext (Zeit, Raum, Wissensstand, etc.) eine andere Bedeutung erhalten: Diese Gesamtheit von Aussagen ist weit davon entfernt, sich auf ein einziges Objekt zu beziehen, das ein für allemal gebildet ist […] (Foucault 1981 / 2013: 49). Um das Wissen zu einem bestimmten Thema zu erschließen, muss nicht unbe‐ dingt nur die Sprache untersucht werden. Es geht auch um die regulierte Praxis des Handelns, darum diese Regeln sichtbar zu machen. Dennoch ist die Analyse von sprachlichen Äußerungen dabei aber der einfachste und offensichtlichste Weg. Die Methode, um dieses Wissen, um Denkmuster in Diskursgemein‐ schaften, auf verschiedenen Diskursebenen, zu erschließen, ist die archäologi‐ sche „Wiederherstellung [des] historischen Diskurses“ (ebd.: 15). Man muss das „Feld historischer Bestimmungen durchlaufen“, sagt Foucault (1968 / 2001: 923), d. h. sich die Aussagen in einer Epoche ansehen und analysieren, welche Wis‐ senssegmente bei gewissen Themen wirksam werden. Man muss die „diskur‐ siven Regelmäßigkeiten“ wiederherstellen, das „Spiel der Regeln“ erschließen, „die in einer Kultur das Auftreten und das Verschwinden von Aussagen, ihr kurzes 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 53 <?page no="54"?> 24 In Texten, Gesprächen etc. Überdauern und ihre Auslöschung, ihre paradoxe Existenz als Ereignisse und als Dinge bestimmen“ (ebd.: 902). 2.3 Äußerungen, Aussagen, Mentalitäten „Wir müssen uns nicht einbilden, dass uns die Welt ein lesbares Gesicht zuwendet, welches wir nur zu entziffern haben“ (Foucault 1974 / 2007: 34). Mit Foucault kann davon ausgegangen werden, dass ein als ‚Diskurs über die deutsche Sprache in Luxemburg’ re-konstituiertes Formationssystem, Einblicke in das ‚Spiel der Regeln’, in die Mentalitäten, in die Wissenssegmente verschafft, die in dieser Diskursgemeinschaft darüber befanden und befinden, welche Be‐ deutung der deutschen Sprache in verschiedenen Teilbereichen der luxembur‐ gischen Gesellschaft zugestanden wird und über die Bedeutung und Funktionen von Sprache(n) entscheiden. Dieses Formationssystem, das man sich als „Fluss von Wissen durch die Zeit“ vorstellen kann, wird nur über seine Spuren, über die Äußerungen der jeweiligen Diskursteilnehmer, für eine Analyse zugänglich. Selbstverständlich umfasst es mehr als sprachliche Äußerungen und mehr als solche Äußerungen, in denen es explizit um die deutsche Sprache in Luxemburg geht. Denn Sprache hat nicht nur dort Bedeutung oder keine Bedeutung, wo man sich explizit auf sie bezieht. Ein erster Schritt wird darin bestehen, sämtli‐ chen Hinweisen nachzugehen, die Informationen über dieses Mentalitäten‐ wissen liefern, das bestimmt in welcher Sprache vorzugsweise geredet wird, welches Sprachwissen gefordert ist und welche Denkmuster an Sprache ge‐ knüpft werden. Wer die Wissenssegmente aufspüren wolle, die über ein bestimmtes Thema in einer gegebenen Gesellschaft bestünden, müsse den Diskurs begreifen als das, was er sei, nämlich eine Menge von verstreuten Ereignissen, so Foucault (vgl. ebd.: 894). Ereignisse sind hier ganz allgemein Tatsachen, die ihren Ausdruck in Äußerungen finden (vgl. Jäger / Zimmermann 2010: 30). Die Unterscheidung zwischen Äußerungen (énonciations) und Aussagen (énoncés) ist bei Foucault zentral und wichtig für die methodische Vorgehensweise in diesem Buch. Die Äußerung ist ein einmaliger Vorgang, der sich nicht wiederholt. Es ist ein Geschehnis mit spezifischen räumlichen, zeitlichen und personalen Koordi‐ naten (vgl. Foucault 1981 / 2013: 148; Maingueneau 2000: 15). Wenn sich sprach‐ liche Äußerungen, die im Geflecht diskursiver Beziehungen 24 fallen, einer be‐ III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 54 <?page no="55"?> sonderen Funktion zuordnen lassen, und dementsprechend für die Wissensordnung eines Diskurses relevant werden, dann erlauben sie als sprach‐ liche Manifestation Rückschlüsse auf die Aussagen, bzw. Wissenssegmente, ebendieses Diskurses: Ganz allgemein kann man sagen, dass eine Sequenz von sprachlichen Elementen eine Aussage nur dann ist, wenn sie in ein Aussagefeld eingetaucht ist, wo sie dann als ein besonderes Element erscheint (Foucault 1981 / 2013: 144; eigene Hervorh.). Keller (2011: 234) definiert die Aussage in Anlehnung an Foucault als „der typi‐ sierbare und typische Gehalt einer konkreten Äußerung bzw. einzelner darin ent‐ haltener Sprachsequenzen, der sich in zahlreichen verstreuten Äußerungen rekon‐ struieren lässt“. Die Aussage ist gewissermaßen die Quintessenz, die in der Äußerung, dem Satz, Satzteil, Text, Textteil, in den Textbeziehungen, im Wort stecken kann, hinter ihnen waltet und sie verwaltet - kurz die Funktion(-en), die die sprachlichen Einheiten übernehmen (vgl. Busse 2013: 164). Es handelt sich weniger um […] einen auf einer bestimmten Ebene der Analyse fest‐ stellbaren Ausschnitt, es handelt sich vielmehr um eine Funktion, die in Beziehung zu diesen verschiedenen Einheiten sich vertikal auswirkt und die von einer Serie von Zeichen zu sagen gestattet, ob sie darin vorhanden sind oder nicht. […] [S]ie [Anm. die Aussage] ist eine Existenzfunktion, die den Zeichen eigen ist und von der ausge‐ hend man dann durch die Analyse sagen kann, ob sie einen ‚Sinn ergeben’ oder nicht, gemäß welcher Regel sie aufeinanderfolgen und nebeneinanderstehen, wovon sie Zeichen sind und welche Art von Akt sich durch ihre (mündliche oder schriftliche) Formulierung bewirkt findet. Man braucht also nicht zu staunen, dass man für die Aussage keine strukturellen Einheitskriterien gefunden hat. Das liegt daran, dass sie in sich selbst keine Einheit ist, sondern eine Funktion, die ein Gebiet von Strukturen und möglichen Einheiten durchkreuzt und sie mit konkreten Inhalten in der Zeit und im Raum erscheinen lässt (Foucault 1981 / 2013: 126; eigene Hervorh.). Foucault bezeichnet die Aussagen auch als die „Atome des Diskurses“ (Foucault 1969 / 2013: 117). Sie sind die diskursbestimmenden und handlungssteuernden Wissenssegmente eines bestimmten Diskurses und werden analysierbar, wenn sie in Form von mündlichen oder schriftlichen Formulierungen zu einer Äuße‐ rung werden: Die Aussagenanalyse kann niemals sich auf etwas anderes beziehen als auf gesagte Dinge, auf Sätze, die wirklich ausgesprochen oder geschrieben worden sind, auf Be‐ deutungselemente, die geschrieben oder artikuliert worden sind - und genauer auf jene Besonderheit, die sie existieren lässt […] (Foucault 1981 / 2013: 159). 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 55 <?page no="56"?> 25 Die Aussage nimmt erst in der Gesamtheit der anderen Aussagen eines Diskurses ihre spezifische Bedeutung ein. Die Regeln ihres Auftauchens und die Funktionen, die sie übernimmt, ergeben sich erst im diskursiven Kontext, in der Praxis des betreffenden Diskurses (vgl. Foucault 1981 / 2013: 150). Je nach Kontext (Gesprächssituation und so‐ zialem Feld) ändert die einer Äußerung / Aussage attribuierte Bedeutung / Funktion. So ändern sich Rolle und mögliche Funktionen einer Aussage, wenn diese in einem anderen Diskurs, Teildiskurs, oder zu einem anderen Zeitpunkt des Diskurses verwendet wird (vgl. ebd.). Die Diskursanalyse analysiert dementsprechend die Möglichkeitsbedingungen für Äußerungen und deren Gestalt. Sie untersucht, warum etwas genau so und nicht anders gesagt wurde, welche Funktion eine Äußerung hat, welchem Aus‐ sagesystem sie gehorcht und was sie für den Diskurs bzw. für das Wissen über ein Thema bedeutet. Damit gelangt die Analyse zu den zentralen Aussagen, zu den Wissens- und Denkmustern, eines Diskurses. Man kann in Bezug auf Aus‐ sagen durchaus von Denk- und Handlungsmustern sprechen, schließlich betont Foucault, dass ein Kennzeichen der Aussage ihre Wiederholbarkeit sei (vgl. ebd.: 149). Wenn eine Aussage einen bestimmten Diskurs kennzeichnet, wird sie re‐ produziert werden. Foucaults Aussagenbegriff erscheint Angermüller (2007: 65) wie „eine Art Zwitter von Sprechakt und wiederholbarem Zeichen zu sein.“ Einerseits wird der Handlungscharakter der Aussage betont: die Aussage ist ein Fakt, hinterlässt Spuren im Diskurs und bestimmt das kollektive Wissen im Diskurs nachhaltig, konstituiert es und schreibt es weiter. Andererseits wird die Beständigkeit von Aussagen herausgestellt: als wiederkehrendes Zeichen ver‐ weist die Aussage auf anhaltende Denkmuster in einer Gesellschaft. Solche ha‐ bituellen Muster des Denkens und Handelns wurden zuvor als Mentalitäten de‐ finiert. 25 Die diskursive Praxis ist im Grunde genommen die Art und Weise, wie der Diskurs funktioniert bzw. funktionieren darf. Sie wird mit dem Vorwissen der Diskursteilnehmer fortgeführt und durch die Progression des Diskurses gefes‐ tigt oder verändert: Sie [Anm.: die diskursive Praxis] ist eine Gesamtheit von anonymen, historischen, stets im Raum und in der Zeit determinierenden Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umge‐ bung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben (Foucault 1981 / 2013: 171). Die Rolle, die eine Aussage in einem Diskurs einnimmt oder einnehmen darf, ihr „Anwendungsfeld“ und ihre Gültigkeit, können sich mit der Zeit verändern (vgl. ebd.: 150; 152). Der Status ‚diskursbestimmende Aussage’ „ist nie definitiv, III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 56 <?page no="57"?> 26 S. a. Foucault (1981 / 2013: 246 f.): „Zu sagen, dass eine diskursive Formation an die Stelle einer anderen tritt, heißt nicht, dass eine ganze Welt von Gegenständen, Äußerungen, Be‐ griffen, von theoretisch absolut neuen Wahlentscheidungen vollgewappnet und durchor‐ ganisiert in einem Text auftaucht, der sie ein für allemal einordnet; es heißt, dass sich eine allgemeine Transformation der Beziehungen vollzogen hat, die aber nicht unbedingt alle Elemente verändert; es heißt, dass die Aussagen neuen Formationsregeln gehorchen, es heißt nicht, dass alle Gegenstände oder Begriffe, alle Äußerungen oder alle theoretischen Wahlmöglichkeiten verschwinden. Man kann im Gegenteil ausgehend von diesen Regeln Phänomene der Kontinuität, der Rückkehr und der Wiederholung beschreiben und analy‐ sieren […].“ sondern modifizierbar, relativ und kann immer in Frage gestellt werden“, schreibt Foucault (ebd.: 149). Ein Mentalitätenwandel findet dementsprechend selten übergangslos statt und setzt dann auch nicht alle diskursiven Regeln und Verhaltensmuster auf einmal außer Kraft (vgl. Wengeler 2003: 65). 26 Vielmehr werden einige Aussagen gefestigt, andere verändern sich, verlieren an Gültigkeit oder bleiben davon gänzlich unberührt. So zeigt sich die Beständigkeit von bestimmten Denkweisen darin, dass sie über einen längeren Zeitraum hinweg im Diskurs als Argumen‐ tationsmuster toleriert werden und in verschiedenen Äußerungen angebracht werden, um Positionen darzulegen (ebd.). Veränderungen in der Argumentation der Diskursteilnehmer deuten auf einen Wandel des Mentalitätenwissens hin. Dieser Wandel ist oft die Folge von so genannten diskursiven Ereignissen, die den einzelnen bei seiner routinemäßigen Einordnung in ein habituelles Bezugs‐ schema stutzig werden und ihn über eine Neuauslegung des Mentalitätenwis‐ sens nachdenken lassen (vgl. Schütz / Luckmann 2003: 38 f.). Foucault selbst de‐ finiert diskursive Ereignisse als Zäsuren, welche die bestehenden Wissenssegmente infrage stellen: Wenn die diskursiven Ereignisse in homogenen, aber zueinander diskontinuierlichen Serien behandelt werden müssen - welcher Status ist dann diesem Diskontinuierli‐ chen zuzusprechen? Es handelt sich dabei ja nicht um die Aufeinanderfolge der Au‐ genblicke der Zeit und nicht um die Vielzahl der verschiedenen denkenden Subjekte. Es handelt sich um die Zäsuren, die den Augenblick zersplittern und das Subjekt in eine Vielzahl möglicher Positionen und Funktionen zerreißen (Foucault 1974 / 2007: 37; eigene Hervorh.). EXKURS: Erläuterungen zu Bourdieus Habitus- und Feldbegriff Nach Bourdieus Vorstellung ist die soziale Welt oder die soziale Praxis der Ge‐ sellschaft in Felder, man könnte auch sagen in Bereiche oder Räume, aufgeteilt (vgl. Krais / Gebauer 2002: 11). Die einzelnen Felder unterscheiden sich inhaltlich 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 57 <?page no="58"?> 27 Soziales und kulturelles Kapital sind für Bourdieu in ökonomisches Kapital konver‐ tierbar (vgl. Baumert / Maaz 2006: 13). voneinander und werden durch eine eigene Ordnung oder Logik bestimmt (vgl. ebd.; Jurt 2004: 170; Bourdieu 1998: 149). Als Beispiele für solche Felder nennt er etwa das literarische, das juristische, das wissenschaftliche und das ökono‐ mische Feld (vgl. Kajetzke 2008: 56). Krais und Gebauer (vgl. 2002: 56) führen aus, dass man nur dann von der Existenz eines Feldes sprechen kann, wenn es auch Personen gibt, die eine bestimmte Form der sozialen Praxis zu ihrem Beruf gemacht haben und diesen Beruf auf dem entsprechenden Feld ausüben. Soziale Felder spiegeln somit die vom Menschen vorgenommene Einteilung der gesell‐ schaftlichen Praxis in arbeitsteilige Bereiche wider. Die einzelnen Felder werden von Bourdieu als Kräftefelder gedacht, in denen es um Einsätze und um das Aushandeln von Kapital geht, um Machtpotenziale und die Wahrung von Exis‐ tenzen (vgl. ebd.). Damit unterteilt er die Gesellschaft in Klassen und schafft die Voraussetzung für einen Kampf um die verschiedenen Hierarchieebenen inner‐ halb dieser Bereiche. Nicht jedes Individuum ist auf allen Feldern aktiv, kann es aber auf mehreren sein (vgl. Bourdieu 1987 / 2012). Vielfach vergleicht er das soziale Feld mit einem Spiel. Auf jedem Feld gibt es Spielregeln, die dem Spieler, sofern er hier eine zentrale Rolle einnehmen will, bekannt sein müssen: […] die spezifische Logik eines jeden Feldes [legt] jeweils fest, was auf diesem Markt Kurs hat, was im betreffenden Spiel relevant und effizient ist, was in Beziehung auf dieses Feld als spezifisches Kapital und daher als Erklärungsfaktor der Formen von Praxis fungiert (ebd.; Hervorh. im O.). Die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche, also Felder, stellen unterschied‐ liche Anforderungen an denjenigen, der sich auf ihnen bewegt. Es wird ein je‐ weils anderes Handlungswissen verlangt und mit je spezifischem Kapital be‐ zahlt. 27 Dieses Wissen, von dem in Bezug auf das Mentalitätenwissen in dieser Arbeit gesprochen wird, ist ein erlerntes Denk- und Handlungswissen, das zum Habitus wird und es ist symbolisches Kapital, da sein Vorhandensein über den sozialen und beruflichen Aufstieg und über gesellschaftliche Akzeptanz mitent‐ scheidet (vgl. Kajetzke 2008: 58 f.). Sprachen als Bestandteil dieses Wissens können auf den einzelnen Feldern nicht nur Ausdrucksmittel sein, sondern zu‐ gleich den Stellenwert der Währung erhalten. So können Sprachkenntnisse auf manchen Feldern über berufliches Vorankommen entscheiden, aber auch die Kenntnis der Sprachverhaltensmuster auf den einzelnen Feldern kann Kapital‐ III. Das Wissen der Sprecher - Theoretische Grundlagen 58 <?page no="59"?> 28 Horner (2004: 20) betont im Rückgriff auf Davis (1994) die Bedeutung des „linguistic capital in the context of the Grand Duchy“. Als Beispiel wäre das Feld des ‚Öffentlichen Dienstes’ anzuführen. Um beim Öffentlichen Dienst arbeiten zu können, muss man Kenntnisse in den drei Landessprachen vorweisen: Lëtzebuergesch, Deutsch und Fran‐ zösisch. wert haben. 28 Die habituellen und erwünschten Spracheinstellungen und Sprachverhaltensmuster divergieren von Feld zu Feld. 2 ‚Archäologie des Wissens‘ 59 <?page no="60"?> 1 Ich spreche, in Anlehnung an Foucault, der den Diskurs als regulierte Praxis definiert, bei den Interviewpartnern von ‚Praktikern’ in den verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft. IV. Untersuchungskriterien Das Verständnis von Diskurs als regulierter Praxis erlaubt es den Diskurs als ein Arrangement von Wissen und eine sich zugleich zeigende Praxis zu verstehen und ihn auf diese Weise zu untersuchen. Im empirischen Teil der Arbeit wird auf vergangene Aussagen zurückgeblickt, die in der Presse und in Fachkreisen über die luxemburgische Sprachensituation fielen und auf diese Weise dem Menta‐ litätenwissen der Diskursteilnehmer, den Veränderungen und Anpassungen dieses Wissens nachgespürt. Das Verständnis des Foucaultschen Formationssys‐ tems als „Fluss von Wissen durch die Zeit“ ermöglicht es ergänzend dazu Material, wie Buchbestsellerlisten, Kinoprogramme, Werbeanzeigen, Statistiken und Schreibproben von Schülern als zusätzliche Manifestationen dieses Wissens zu analysieren und zu zeigen wie Sprachhandeln funktioniert. Zudem werden die Praktiker 1 auf den verschiedenen Feldern der Gesellschaft ‚zum Sprechen ge‐ bracht’, indem ihre Position in Form von zu diesem Zweck geführten Exper‐ teninterviews berücksichtigt wurde. Die vorliegende Publikation unternimmt und motiviert so auf verschiedenen Diskursebenen, auf der Laien-, Medien-, Experten- und fachwissenschaftlichen Diskursebene, eine Wiederherstellung des Diskurses über die deutsche Sprache und über Sprachen in Luxemburg bzw. die Wiederherstellung der einzelnen Teildiskurse, die mit diesem Thema zusammenhängen. Sie rekonstituiert ein Formationssystem, das als ‚Diskurs über die deutsche Sprache in Luxemburg’ definiert werden kann und den Zeitraum von 1983 bis 2015 abdeckt. Mithilfe eines plurimethodischen Zugangs werden Einblicke in das Mentali‐ tätenwissen gewährt, in die Wissenssegmente, die in dieser Diskursgemein‐ schaft darüber befanden und befinden, welche Bedeutung der deutschen Sprache in verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft zugestanden wurde und wird, und welche Bedeutung und welche Funktionen die übrigen in Lu‐ xemburg vorkommenden Sprachen einnehmen. <?page no="61"?> 2 Die Wochenzeitung Le jeudi erscheint erstmals im Jahr 1997. Die Zeitung wurde also von mir ab Erscheinen, vom 17. April 1997, bis Dezember 2012 durchsucht. 1 Beschreibung des Untersuchungskorpus und des Analysezeitrahmens 1.1 Medienkorpus Eine zentrale Herausforderung der Arbeit bestand in der Auswahl des Analy‐ sematerials. Es ging darum die zentralen Aussagen der luxemburgischen Dis‐ kursgemeinschaft zu sammeln, um herauszufinden, welchen Stellenwert sie der deutschen Sprache in der Vergangenheit zugestanden hat und gegenwärtig bei‐ misst. Methodologisch und forschungspraktisch schien es vorteilhaft auf Presse‐ texte zurückzugreifen: Sie geben zum einen Ausschnitte aus der Wirklichkeit wieder, zum anderen kann davon ausgegangen werden, dass Pressebeiträge in bedeutsamer Weise auf die Meinungsbildung in Luxemburg einwirken und sich die Meinung der Bevölkerung wiederum über Leserbriefe in der Presse artiku‐ liert - gerade in Luxemburg, so möchte man mit Hilgert (2004: 3) meinen, der das Land als eine „Nation von Zeitungslesern“ bezeichnet. Außerdem lässt sich ein Diskurs über die deutsche Sprache in Luxemburg auf der Basis von Presse‐ texten zum Thema chronologisch rekonstituieren. Diese Form der Korpuszu‐ sammenstellung wurde in linguistischen Diskursanalysen bereits mehrfach er‐ folgreich erprobt. Berichte, Kommentare, Leitartikel und Leserbriefe, die sich in direkter oder indirekter Weise mit der deutschen Sprache auseinandersetzen und sich auf die allgemeine Sprachsituation im Land beziehen, werden zu einem Untersuchungs‐ korpus zusammengefügt, das Schlussfolgerungen zum synchronen und dia‐ chronen Stellenwert der deutschen Sprache in Luxemburg erlaubt. Auf Basis dieses ermittelten Korpus geht es darum, die in den gesammelten Texten wie‐ derkehrenden Aussagen oder auch Wissenssegmente zu ermitteln und zu be‐ schreiben. Es war zunächst vorgesehen über den Zeitraum Januar 1984 (Verabschiedung des Sprachengesetzes in Luxemburg) bis Dezember 2012 (Februar 2012 war Pro‐ jektbeginn) die Ausgaben des Luxemburger Worts, als Tageszeitung mit der größten Leserschaft in Luxemburg, des Lëtzebuerger Lands als politisch weites‐ tgehend unabhängige Wochenzeitung sowie des Le Jeudi als französischspra‐ chige Wochenzeitung, zu durchsuchen. 2 Von vornherein war klar, dass die Texte, die später analysiert werden sollten, in unterschiedlichen Sprachen verfasst sein 1 Beschreibung des Untersuchungskorpus und des Analysezeitrahmens 61 <?page no="62"?> 3 Der Leser wird bei der Lektüre des empirischen Teils der Arbeit feststellen, dass dieser mehrsprachig ist. Im Fließtext steht immer der originale Wortlaut, in der Fußnote ge‐ gebenenfalls die deutsche Übersetzung. 4 Die Nachfrage in der Redaktion des Luxemburger Lands erbrachte auch nicht die ge‐ wünschte Lösung. Zwar waren dort bereits alle Ausgaben der Zeitung digitalisiert worden, jedoch durfte aufgrund von Autorenrechten noch kein Zugriff erfolgen. Mitt‐ lerweile (04 / 2016) können alle bisher erschienenen Ausgaben des Luxemburger Lands online per Stichwortsuche durchsucht werden (http: / / www.land.lu/ category/ archiv/ ) . In der luxemburgischen Nationalbibliothek war das Luxemburger Land zum Zeitpunkt meiner Recherchen erst nach 1990 auf Mikrofilm archiviert und in den Archives nati‐ onales de Luxembourg sagte man mir, der Aufwand sei zu groß, die restlichen Artikel von den Filmrollen zu kopieren. würden. 3 Mitte März 2012 begann ich mit der Sichtung des Luxemburger Worts (LW) im Archiv des Herausgebers der Zeitung Saint-Paul. Ich blätterte alle ge‐ bundenen Papierausgaben dieser Zeitung von Januar 1983 bis Dezember 1999 durch. Um die Diskussionen im Vorfeld des Sprachengesetzes zu berücksich‐ tigen, erwies es sich als sinnvoll die Zeitungen aus dem Jahr 1983 mit zu be‐ trachten. Alle relevanten Artikel wurden in einer Tabelle notiert. Die zurück‐ behaltenen LW-Artikel der Jahre 1983 bis 1999 habe ich dann vor Ort am Mikrofilmlesegerät kopiert. Alle LW-Ausgaben, die ab dem Jahr 2000 erschienen sind, sind digitalisiert und in einer elektronischen Datenbank bei Saint-Paul gespeichert. Die Datenbank kann nach bestimmten Kriterien durchsucht werden. Die Durchsicht der Jahre 2000 bis 2012 war somit schnell beendet. Eine Liste mit relevanten Stichwörtern (deutschen und französischen) wurde für die Suche in der Datenbank aufgestellt. Auf die Sichtung des Luxemburger Worts folgte die des Lëtzebuerger Lands. Zunächst wurden die Jahre 1983 bis 1999 in den gebundenen Papierausgaben nach relevanten Artikeln durchsucht. Es war nicht möglich sämtliche zurückbehaltenen Artikel am Mikrofilmlesegerät zu kopieren, da die Wochenzeitung im Archiv von Saint-Paul nicht vollständig auf Mikrofilm zur Verfügung stand. 4 So entschied ich alle bis 1999 zurückbehaltenen Artikel aus den gebundenen Ausgaben abzufotografieren, was die Lesbarkeit der Artikel deutlich reduzierte. Die restlichen Artikel aus den Publikations‐ jahren 2000-2012 wurden über das Onlinearchiv des Luxemburger Lands auf‐ gefunden und ausgedruckt. Die Wochenzeitung Le jeudi (Verlagshaus Editpress) war weder bei Saint-Paul noch bei ihrem Herausgeber in Esch-Alzette auf Mik‐ rofilm verfügbar und musste so komplett in den gebundenen Ausgaben durch‐ sucht und relevante Artikel anschließend abfotografiert werden. Die Zusam‐ menstellung des Pressekorpus konnte im Dezember 2012 abgeschlossen werden. Das gesamte Korpusmaterial wurde sodann von mir thematisch und chronolo‐ gisch nach Themen in Teildiskurse geordnet. IV. Untersuchungskriterien 62 <?page no="63"?> 5 Außerdem musste ich mich mit meiner Position als Forscherin auseinandersetzen, schließlich war ich Teil der Sprachgemeinschaft, deren Verhalten ich untersuchen wollte und lief so Gefahr nichts anderes als mein Mentalitätenwissen wiederzugeben. Auch wenn das Jahr 2012 anfangs als provisorischer Abschluss der Materi‐ alsuche angesetzt worden war, d. h. Meldungen und Ereignisse, die nach 2012 medial vermeldet und verarbeitet wurden, nicht mehr systematisch in das Korpus aufgenommen wurden, hatte ich stets die Tagesaktualität im Blick. Tem‐ poräre Schlussfolgerungen veränderten sich durch diese. Die beständige Erwei‐ terung brachte mit sich, dass das Medienkorpus zwar auf den drei Zeitungen Luxemburger Wort, Lëtzebuerger Land und Le jeudi basierte, jedoch schlussend‐ lich Texte aus diversen Luxemburger Medienorganen (wie etwa RTL, L’essentiel und Tageblatt) beinhaltete. Die Untersuchung fußt am Ende auf einem Medien‐ korpus von 835 Texten - neben Pressetexten zählen dazu auch Onlineberichte und Radiobeiträge. Das Korpus deckt den Zeitraum 1983-2015 ab. Es dient der Arbeit in weiten Teilen als Hintergrundinformation, konturiert die Arbeit und stellt Ereignisse aus über 30 Jahren wieder her. Verglichen mit der Menge an Artikeln, die sich im Korpus befanden, werden in der Publikation schlussendlich nur wenige direkt zitiert. Die zitierten Presseartikel stehen immer exemplarisch also stellvertretend für Meinungen, hier Diskursaussagen, die als Äußerungen in vielen Artikeln auftauchten und die sich bei der Durchsichtung und Lektüre des Pressekorpus als den Diskurs bestimmend erwiesen haben. 1.2 Erweiterung des Materials um Experteninterviews Nach den ersten Recherchewochen im Gaspericher Archiv zeigte sich, dass eine Analyse, die sich einzig auf die Untersuchung von Medientexten beschränkt, der Zielsetzung der Arbeit nicht gerecht wird: In den Zeitungen tauchen nur bestimmte Teildiskurse und Argumentationsmuster auf, die es zwar ermögli‐ chen Bewertungen der deutschen Sprache in Luxemburg zu entschlüsseln und erste Vermutungen über die Denkmuster der Gesamtgesellschaft anzustellen, die allerdings gleichermaßen vieles im Verborgenen lassen. Dazu gehört bei‐ spielsweise eine Antwort auf die Frage, inwieweit Bewertungen einer Sprache tatsächlich Auswirkungen auf deren Positionen und Funktionen innerhalb der Gesellschaft nehmen. Ferner wird im Mediendiskurs ein ‚Domänenwissen’ der Luxemburger Bevölkerung verhandelt, das in vielen Fällen schon nicht mehr dem faktischen Sprachhandeln auf den verschiedenen sozialen Feldern ent‐ spricht. Um das Mentalitätenwissen zu untersuchen - nicht nur das Arrange‐ ment von Wissen, sondern auch das faktische Sprachverhalten - ist es not‐ wendig, sich den ‚Praktikern’ auf diesen sozialen Feldern weiter anzunähern. 5 1 Beschreibung des Untersuchungskorpus und des Analysezeitrahmens 63 <?page no="64"?> 6 Im Anschluss wurden die Gespräche transkribiert. Es erfolgte keine enge, sondern eine breite Transkription, bei der die Inhalte des Gesprächs im Vordergrund standen. Aus Gründen der Leserfreundlichkeit wurden die mündlichen Äußerungen in der Arbeit der schriftsprachlichen Standardsprache angepasst. Ergänzend zum Medienkorpus wurden daher auch Experteninterviews durch‐ geführt, die die Befunde der Arbeit näher an die Praxis des Sprachhandelns he‐ ranrückten. Wissenssegmente werden folglich nicht mehr nur aus der Perspek‐ tive der Medien analysiert, sondern unter Beteiligung derjenigen, die sich auf den einzelnen Feldern bewegen, über die diskutiert wird. Die Experten sind ‚Zeugen’ oder in Anlehnung an Foucault ‚Praktiker’ der uns interessierenden Prozesse (vgl. Gläser / Laudel 2010: 12). Der Begriff Experte beschreibt nach Gläser / Laudel (ebd.) „die spezifische Rolle des Interviewpartners als Quelle von Spezialwissen über die zu erforschenden sozialen Sachverhalte. Experteninterviews sind eine Methode dieses Wissen zu erschließen.“ Menschen, die aufgrund ihres Berufsfeldes direkt oder indirekt mit der luxemburgischen Sprachensituation in Berührung kommen und auf ihrem Gebiet den Status des ‚Experten’ verdienen, gewährten mir Einblicke in ihren Arbeitsalltag und halfen somit der Beantwor‐ tung der Forschungsfrage näherzukommen. Zum Teil arbeiten sie in herausge‐ hobenen Positionen und haben im Land einen gewissen Bekanntheitsgrad er‐ reicht, letztlich war es für ihre Auswahl aber nur wichtig, dass sie über ein fundiertes Wissen auf ihrem Gebiet verfügen und mich daher in die Sprachver‐ haltensstrategien auf ihren Feldern einweihen konnten (vgl. ebd.: 13). Insgesamt habe ich 22 Experteninterviews in Form von Leitfadeninterviews durchgeführt. Die Leitfäden wurden von mir für das jeweilige thematische Feld erarbeitet (Bildung, Immigration, Sprach(en)politik, Medien, Literatur, Öffentlichkeitsar‐ beit …) und auf den Interviewpartner individuell zugeschnitten. Um das Inter‐ view so nah wie möglich an einem natürlichen Gespräch zu halten, wurden die Fragen als Richtschnur betrachtet und in der Reihenfolge gestellt, wie es der Verlauf des Gesprächs ergab (vgl. ebd.: 42). Manche kamen auch erst im Ge‐ spräch auf. Sämtliche Gespräche, bis auf drei, die auf Deutsch geführt wurden, fanden auf Luxemburgisch statt, weil davon ausgegangen wurde, dass Befragte in der Sprache, in der sie sich am wohlsten fühlen, am offensten sind. Die Interviewpartner wurden bei der ersten Kontaktaufnahme über die Ziele der Untersuchung und ihre mögliche Rolle als Experten für ihre berufliche Do‐ mäne aufgeklärt. Während des Interviews, das in der Regel an ihrem Arbeits‐ platz stattfand, habe ich sie noch einmal über das wissenschaftliche Themen‐ spektrum meines Forschungsprojekts in Kenntnis gesetzt. Erläuterungen zum Ablauf des Interviews wurden zu Beginn gegeben. Die Gespräche wurden unter Einwilligung der Beteiligten aufgezeichnet. 6 Da sie als domain experts fun‐ IV. Untersuchungskriterien 64 <?page no="65"?> 7 Dies vor allem um zu vermeiden, dass deren Offenheit mir gegenüber berufliche Kon‐ sequenzen nach sich ziehen würde. Oberstes Gebot war, dass für keine der Personen, die ihr ‚Insiderwissen’ mitteilten, ein Schaden entstehen sollte. gierten, wollte ich ihre Namen nicht anonymisieren. Nur im Bereich des Bil‐ dungsdiskurses wurde vereinzelt auf die namentliche Nennung der Lehrkräfte verzichtet. 7 Daneben wurden Personen, von denen nur wenige Informationen benötigt wurden, aus Zeitgründen telefonisch oder per Mail befragt. Eine zu‐ sätzliche und umfangreiche Befragung erfolgte mithilfe eines Fragebogens zum Themenkomplex ‚Politische Kommunikation auf der kommunalen Ebene’. Er wurde von mir an eine Auswahl der, zu diesem Zeitpunkt, 106 Gemeinden Lu‐ xemburgs verschickt. Die Antworten aus 13 Gemeinden flossen schlussendlich in die Analyse mit ein. Die Teildiskurse, die ich anhand des Medienkorpus pro‐ visorisch festgelegt hatte, zeigten zu welchen Themenkomplexen Experten be‐ fragt werden mussten. Themenkomplexe / Teildiskurse Expertengespräche mit • Deutschunterricht im Sekundarun‐ terricht • Romain Dockendorf. Deutschlehrer am Lycée classique de Diekirch (LCD) • Marie-Rose Wirtz. Deutschlehrerin am LCD, langjährige Unterrichtser‐ fahrung in den ALLET-Klassen • Robert Gollo Steffen. Deutschlehrer am LCD, Musiker und Inhaber des Li‐ teraturverlags Op der Ley • Fernand Weiler. Deutschlehrer am LCD • Jeannot Kettel. Geschichtslehrer am LCD • Der Deutschunterricht im techni‐ schen Sekundarunterricht. Deutsch als Unterrichtssprache. Deutsch als Zweitsprache / Intensivsprachkurse • Martine Hummer. Deutschlehrerin am Lycée technique du Centre (LTC) (DAF- und DAZ-Unterricht) • Wilfried Jansen. Chargé de cours am LTC (Fach: Deutsch / DAF / DAZ) • Antoinette Maas. Stellvertretende Di‐ rektorin am LTC, verantwortlich für die classes d’insertion, classes à régime linguistique spécifique, bac internati‐ onal • Damjana Sulina Zorko. Chargée de cours am LTC (Fach: Deutsch / DAF / DAZ) • Nadine Vandivinit. Deutschlehrerin und Koordinatorin für das Fach 1 Beschreibung des Untersuchungskorpus und des Analysezeitrahmens 65 <?page no="66"?> Themenkomplexe / Teildiskurse Expertengespräche mit Deutsch am deutsch-luxemburgischen Schengen-Lyzeum • Mailaustausch mit zwei Sekundar‐ schullehrerinnen (anonym) • Mailaustausch mit Colette Kutten über die Entstehung des Deutschbu‐ ches ‘Das Eselsohr’ • Deutsch als Alphabetisierungs‐ sprache in Luxemburg. Deutsch als Unterrichtssprache für Migranten‐ kinder • Astrid Neumann. Cours d’accueils in Wiltz. Mitverantwortlich für die Aus‐ arbeitung des landesweiten Lehrplans der cours d’accueils beim Bildungsmi‐ nisterium • Aline Soisson-Schumacher. Cours d’accueils in Esch / Alzette • Gruppeninterview mit drei Grund‐ schullehrerinnen (anonym) • Mailaustausch mit einer Grundschul‐ lehrerin (anonym) • Telefon- und Mailaustausch mit Robi Brachmond (Ministère de l’Education nationale, de l’enfance et de la jeu‐ nesse, Service de l’enseignement fon‐ damental, Programmes et matériel di‐ dactique, législation (organisation), pédagogie) • Sprachcurriculare Bedeutung der Vorschule • Austausch mit einer Vorschullehrerin (anonym) • Sprache und Kultur • Diane Krüger. Stellvertretende Direk‐ torin beim Institut Pierre Werner • Literatursprachen - Sprache und Li‐ teratur • Rob Kieffer. Chefredakteur Éditions Binsfeld (Binsfeld als Verlagshaus, Werbeagentur, Eventagentur sowie Agentur für Öffentlichkeitsarbeit und Krisenmanagement) • Telefonaustausch mit Valérie Schreiner. Von 2010 bis 2014 Lektorin bei Éditions Binsfeld, 2015-2016 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die EU-Präsidentschaft Luxemburgs beim Ministère de l’Enseignement Su‐ périeur et de la recherche, freie Lek‐ torin IV. Untersuchungskriterien 66 <?page no="67"?> 8 ASTI steht für Association de soutien aux travailleurs immigrés. Die NGO wurde 1979 gegründet und setzt sich seither für die Rechte und Interessen der Zuwanderer in Lu‐ xemburg ein. Sie fördert den Austausch zwischen Migranten und Einheimischen. 9 Angegeben werden Beruf und Anstellung der Interviewpartner zum Zeitpunkt des In‐ terviews. Themenkomplexe / Teildiskurse Expertengespräche mit • Robert Gollo Steffen. Verlag op der Ley • Sprache und Integration • Laura Zuccoli. Präsidentin der ASTI 8 • Sprache und Politik; Sprache und Ge‐ sellschaft • Fragebögen an die Gemeinden • Telefonaustausch mit Claudine Muller, stellvertretende Direktorin am Centre de Logopédie Luxembourg. • Austausch mit Laurence Mousel, An‐ wältin bei der Kanzlei Bauler & Lutgen • Hubertus von Morr. Ehemaliger deut‐ scher Botschafter in Luxemburg • Lex Roth. Gründungspräsident, heute Vizepräsident der Actioun Lëtzebuer‐ gesch, hat sich auf vielfältige Weise für die Entwicklung und Anerkennung der luxemburgischen Sprache eingesetzt und wurde dafür mehrfach vom Lu‐ xemburger Staat ausgezeichnet • Printmedien • Claude Karger. Chefredakteur Lëtze‐ buerger Journal • Roger Infalt. Chef der Lokalredaktion Tageblatt, Präsident des Presserates, Präsident der Association luxembour‐ geoise des journalistes • Öffentlichkeitsarbeit und Werbung • Olivier Mores. Kommunikations‐ beauftragter bei Post Luxembourg • Rob Kieffer. Chefredakteur Éditions Binsfeld Tabelle 1: Übersicht über die durchgeführten Experteninterviews 9 1.3 Erweiterung des Korpus um weitere Zeichen des „Flusses von Wissen durch die Zeit“ Die Sekundärliteratur, die Eingang in die vorliegende Arbeit fand, ist nicht nur Sekundärliteratur im wortwörtlichen Sinne. Sie liefert also nicht nur Zahlen und 1 Beschreibung des Untersuchungskorpus und des Analysezeitrahmens 67 <?page no="68"?> 10 In Luxemburg sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Diskursebenen (Laien‐ ebene, Medienebene, fachwissenschaftliche Ebene und Expertenebene) aufgrund der Größe des Landes fließend. So beobachten Gilles et al. (2010: 80), „dass es für die lu‐ xemburgische Medienlandschaft charakteristisch zu sein scheint, dass es [für jeden Bürger] möglich ist seine Meinung oder Expertise einem größeren Leserpublikum problemlos mit‐ zuteilen.“ Wissenschaftler, die sich in Luxemburg mit dem Luxemburger Land ausei‐ nandersetzen, publizieren ihre Ansichten auch in den nationalen Medien. Hintergrundinformationen, sondern sie gewährt zudem Einblicke in eine wei‐ tere Diskursebene, in das Denken über die Sprachensituation in Luxemburg auf der fachwissenschaftlichen Ebene. 10 Statistiken, Schreibproben von Schülern, administrative Schreiben, Buch‐ bestsellerlisten, Kinoprogramme, Werbeanzeigen, Parlamentsdebatten und ‚Posts’, die in Gruppen des sozialen Netzwerks Facebook veröffentlicht wurden, sind nur einige der ‚Texte’, die darüberhinaus in das Korpus aufgenommen wurden und den Aussagen, die auf allen Diskursebenen fielen, gegenübergestellt werden. Das Untersuchungskorpus bestand so am Ende aus diversen Textsorten, aus sprachlichen Manifestationen diverser Kommunikationsbereiche, die sich vor der Untersuchung als „Gewimmel“ oder „von fern als Knäuel“ (Foucault) präsentierten und allesamt in einer Weise mit dem Thema verwoben waren. Dieses Gewimmel, dieses Knäuel, setzt sich bei näherer Betrachtung aus un‐ zähligen Situationen des sprachlichen Austauschs zusammen, die untersucht werden, um Sprachwissen und Sprachhandeln in Luxemburg zu erschließen und Fragen nach Bedeutungen, Bewertungen, nach den Funktionen und Positionen, die die deutsche Sprache einnehmen kann, zu klären. Jäger und Zimmermann (2010: 61) beschreiben im Lexikon zur Kritischen Diskursanalyse in der Sprach‐ wissenschaft das, was man vorfindet, wenn man sich in das diskursive Ge‐ wimmel, in die Diskursformationen, hineinbegibt auf folgende Weise: Blickt man auf die Landschaften der Diskurse, so stellen sich diese als ein vielfältiges und ineinander verwobenes und verstricktes Netz dar, das den Eindruck eines Ge‐ wimmels erweckt und das es durch Diskursanalysen zu entwirren gilt. Ein erster Schritt, der bei dieser Entwirrung half, war die thematische Aufglie‐ derung des Materialkorpus. Auf diese Weise konnten die verschiedenen Teil‐ diskurse, die Bestandteil der Analyse des Diskurses über die deutsche Sprache in Luxemburg sein sollten, provisorisch festgelegt werden. Notgedrungen mussten aus Zeit- und Platzgründen am Ende Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden und konnte kein Einblick in sämtliche Gesellschaftsdomänen erfolgen. Die Analyse des Mentalitätenwissens richtet sich daher auf folgende Themen‐ felder: IV. Untersuchungskriterien 68 <?page no="69"?> • Bildung • Sprache und Immigration • Fremdendiskurs im Internet • Sprach(en)politik(en) und politische Kommunikation in Luxemburg • Medien und Sprachwissen • Sprache und Literatur • Öffentlichkeitsarbeit • Werbesprachen 2 Methodische Ansätze Die vorliegende Arbeit behandelt, anders als viele Diskursanalysen, die in den letzten Jahren innerhalb der Sprachwissenschaft durchgeführt wurden und zu mitunter interessanten Ergebnissen bezüglich des Einflusses von Sprache auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit geführt haben, kein fachfremdes Ereignis, sondern, mit der Frage nach dem Stellenwert der deutschen Sprache in Luxem‐ burg, einen genuin linguistischen Gegenstand. Zudem untersucht sie diesen mit einem linguistischen Methodeninstrumentarium. Text- und diskurslinguisti‐ sche Methoden werden mit soziolinguistischen Erklärungsansätzen kombiniert und um Erkenntnisse aus der angewandten Sprachwissenschaft (zu Spracher‐ werb, DAF / DAZ-Unterricht, zu öffentlicher Kommunikation und Sprachpla‐ nung) ergänzt. Bei der Zusammenstellung des Untersuchungskorpus wie auch bei dessen Analyse wurde für eine ‚Triangulation’ optiert, nach der die jeweils spezifischen Schwächen einer Methode durch die Stärken anderer Methoden ausgeglichen werden sollten (vgl. Gläser / Laudel 2010: 105). Bemerkungen zur Verwendung diskurslinguistischer Methoden Wenn diese Arbeit sich als eine diskursanalytische Untersuchung versteht, dann ist damit vor allem der theoretische Hintergrund, vor dem sie operiert, gemeint, aber eben auch ein Teil ihres methodischen Vorgehens. Nachdem das Material des Untersuchungskorpus in thematisch abtrennbare Teildiskurse geordnet worden war, konnte genauer betrachtet werden, welche historischen Ereignisse die verschiedenen Teildiskurse von 1983 bis 2015 prägten. In der Praxis der Diskursanalyse kann die Ermittlung diskursiver Ereignisse den dis‐ kursiven Kontext, auf den sich ein aktueller Diskursstrang bezieht, markieren bzw. konturieren ( Jäger / Zimmermann 2010: 41). 2 Methodische Ansätze 69 <?page no="70"?> 11 Als Diskursteilnehmer wird jeder angesehen, der sich in den Diskurs einbringt, also auch die Praktiker, die interviewt wurden. Während einige Ereignisse die bestehenden Wissensmuster einer bestimmten Zeit ‚nur’ bestätigen, sind andere so einschlägig, dass sie sich auf die Denk‐ muster der Gesamtgesellschaft auswirken und dieser in Erinnerung bleiben. Sie sind als diskursive Ereignisse zu bezeichnen: Besonderes Kennzeichen diskursiver Ereignisse ist die durch sie erzeugte mehr oder minder starke Einflussnahme auf den weiteren Verlauf des betreffenden Diskurses, zu dem es gehört. (ebd.). In einem nicht unerheblichen Teil der Arbeit werden die Reaktionen von Dis‐ kursteilnehmern 11 auf Ereignisse dargelegt und analysiert. Für die einzelnen Teildiskurse werden die zentralen Aussagen herausgefiltert. Texte des Korpus werden nur noch mit Blick auf ihre Kontextualisierungsfunktion für die Inter‐ pretation von Aussagen betrachtet (vgl. Bluhm et al. 2000: 8, mit Bezug auf Jung 1996). Aufgrund ihrer schlechten Lesbarkeit stellte es sich als unmöglich heraus, die abfotografierten Presseartikel des Medienkorpus in ein Textverarbeitungs‐ programm einzuspeisen. Das führte dazu, dass sich die Struktur bzw. der Ana‐ lyse- und Schreibstil der Arbeit entsprechend veränderten. Das ganze Korpus‐ material wurde manuell, ohne Computerunterstützung, analysiert, was verschiedene sprachstrukturelle Verfahrensweisen der Diskurslinguistik aus Praktikabilitätsgründen ausschloss. Dazu gehörten etwa Analysen auf der Wort- und propositionalen Ebene (Analysen von Schlüsselwörtern, von Mehrwort‐ verbindungen, die in das Wissen der Rezipienten eindringen, die Analyse von Relationshinweisen, Implikaturen, Syntax, Tempus, Modalität …). Dort, wo es um die Freilegung des kollektiven Wissens der Gesellschaft und um die soziale Stratifizierung von Wissen geht, wird die Analyse von Argumentationsmustern angewandt. Diese maßgeblich von Martin Wengeler (2003) in die Diskurslingu‐ istik eingeführte Methode der Toposanalyse hat sich als praktisches Verfahren zur Herausarbeitung kollektiven Wissens erwiesen. Auf diese Weise können die in den Texten wiederkehrenden Aussagen, die dort dominanten Denkmuster, herausgearbeitet werden (vgl. Wengeler 2013: 152). Das Ziel einer Toposanalyse ist die Analyse des kollektiven Wissens durch Sprachanalyse (vgl. Wengeler 2010: 77). Jung und Wengeler (1999: 154) fassen das Verständnis des Topos-Be‐ griffs für die linguistische Untersuchung von Argumentationsmustern in Dis‐ kursen wie folgt zusammen: Zu ihrer Analyse eignet sich der rhetorische Topos-Begriff, nicht in dem auf Curtius beruhenden bildungssprachlichen Verständnis als zu einem sprachlichen Klischee ge‐ IV. Untersuchungskriterien 70 <?page no="71"?> 12 Vgl. die Ausführungen von Wengeler (2013: 149): „Bezüglich meines Ansatzes, die Ana‐ lyse von Printmedientexten in dem Sinne als mentalitätsgeschichtlich zu verstehen, dass damit Aussagen über vorherrschende Denkgewohnheiten zu einem Thema in einer be‐ stimmten Zeit gemacht werden sollen, steht uns die WDA [=wissenssoziologische Dis‐ kursanalyse nach Keller] deshalb nahe, weil auch sie davon ausgeht, dass die „Massenme‐ dien (…) den kulturellen Code des Politischen“ […] bestimmen, dass die „‚alltäglich’ verwendeten Typisierungen, Deutungsmuster und Handlungsroutinen (…) in weiten Teilen aus ‚abgesickerten’ öffentlichen oder Expertendiskursen [stammen]““ (Keller 1997: 317). 13 Solche zentralen Diskursgemeinschaften (bzw. -gruppen) können mit Blommaert (1999) als Ideology Brokers bezeichnet werden (vgl. Warnke / Spitzmüller 2008b: 35). Blommaert (1999: 9) versteht hierunter „categories of actors who, for reasons we set out to investigate, can claim authority in the field of the debate.“ ronnener Gemeinplatz oder als eine Art literarisches Motiv, sondern als vielseitig ver‐ wendbarer, für den Argumentierenden bereitliegender Sachverhaltszusammenhang, der zur argumentativen Begründung konkreter zur Diskussion stehender Positionen herangezogen wird. Bei diesen dominanten Denkmustern, die den Stellenwert der deutschen Sprache in Luxemburg bestimmen, handelt es sich letztlich um Überzeugungen der dominierenden Sprachgruppe, derjenigen mit Familiensprache Luxembur‐ gisch bzw. luxemburgischer Bildungssozialisation. Ihr Wissen wird hauptsäch‐ lich anhand der sich im Medienkorpus artikulierenden öffentlichen Meinung offengelegt. 12 Wie noch ersichtlich werden wird, werden die Printmedien vor allem von dieser Sprachgruppe rezipiert. 13 Die Benennungen solcher kontext‐ spezifischer Argumentationsmuster, die immer wieder im Diskurs verwendet und zu einer bestimmten Zeit als konsensträchtig akzeptiert werden, entwi‐ ckelten sich im Verlauf der Analyse des Korpusmaterials. Sie wurden in Anleh‐ nung an Kienpointner (1992: 246) benannt, der eine Typologie von Argumen‐ tationsmustern erstellt hat, die in der alltäglichen Kommunikation immer wieder vorkommen. In nahezu allen Kapiteln geht es nicht allein um das gängige Sprachwissen, sondern auch um das konkrete Sprachhandeln, die alltägliche Praxis im Umgang mit Mehrsprachigkeit in Luxemburg. Im medialen Diskurs wird - wie bereits ausgeführt - nicht die Praxis jeden sozialen Feldes verhandelt. Außerdem stimmt die real sich abspielende Praxis nicht immer mit den im Mediendiskurs herrschenden Diskurspositionen überein. Die Praktiker, die für die vorliegende Arbeit interviewt wurden, waren ein wichtiges Medium um Informationen zu diesem alltäglichen Handeln in Bereichen wie Journalismus, Öffentlichkeitsar‐ beit, Werbung oder auch über den Alltag in Luxemburgs Klassenzimmern zu erhalten. Sie waren zugleich Diskursteilnehmer, aber sind selbst nicht das ‚Ob‐ jekt’ der Untersuchung. Sie sind bzw. waren Zeugen der mich auf ihren Berufs‐ 2 Methodische Ansätze 71 <?page no="72"?> feldern interessierenden Prozesse (vgl. Gläser / Laudel 2010: 12). Warnke und Spitzmüller (2008: 22) betonen: Kurzum: Wir halten die Analyse sozialer Strukturen für eine wichtige Aufgabe der Diskursanalyse, und eine Diskurslinguistik kann hier insbesondere auf soziolinguis‐ tisches Know-how zurückgreifen. Und wir halten eine Diskurslinguistik, die diese Komponente nicht berücksichtigt für unterspezifiziert, da sie den Diskurs als soziale Praktik in und mit der Sprache nicht hinreichend berücksichtigt (Warnke / Spitzmüller 2008: 22). Die zentralen ‚Aussagen’ der Experten wurden aus den Interviews herausgefil‐ tert und dem Wissen auf anderen Diskursebenen bzw. dem konkreten Material, das auf den entsprechenden sozialen Feldern ‚erzeugt’ wurde, gegenübergestellt. Soziolinguistische Konzepte, die das Handeln in mehrsprachigen Gesellschaften erklären, wurden für die Interpretation des Mentalitätenwissens und zur Erklä‐ rung von dessen Veränderung genauso herangezogen (Domänenkonzeption, Mündlichkeit und Schriftlichkeit [Koch / Oesterreicher] …) wie Erkenntnisse der angewandten Sprachwissenschaft. IV. Untersuchungskriterien 72 <?page no="73"?> 1 S. a. Kapitel VIII. V. Der Bildungsdiskurs An kaum einem anderen Ort in Luxemburg äußert sich die spezifische Mehr‐ sprachigkeit des Landes in einer sichtbareren Form als in den öffentlichen Schulen. Bereits in der Grundschule nehmen das Erlernen der zwei Bildungs‐ sprachen Deutsch und Französisch sowie der Nationalsprache Luxemburgisch über 40 % der vorhandenen Unterrichtszeit ein (vgl. Engel de Abreu et al. 2015: 15). Die offizielle Dreisprachigkeit des Landes und die Hierarchie der drei Spra‐ chen werden hier stabil gehalten und reproduziert. Reformen des Sprachencur‐ riculums haben somit direkte Auswirkungen auf die Bewertung und Bedeutung der einzelnen Sprachen im Land (vgl. Hu et. al 2015: 63). Neben den drei Sprach‐ systemen, die in der Grundschule aufgebaut werden, kursiert zwischen den Schulstunden und in den Köpfen der meisten Schülerinnen und Schüler eine Vielzahl weiterer Sprachen. Die deutsche Sprache übernimmt in der luxemburgischen Grundschule be‐ deutende Funktionen: Sie ist aufgrund ihrer Nähe zum luxemburgischen Sprach‐ system die Alphabetisierungssprache und die Hauptausbildungssprache. Mit dem Übergang in die Sekundarschule verändert sich, zumindest für die Schüler, die ein klassisches Gymnasium besuchen, die Sprachenhierarchie schrittweise zugunsten der französischen Sprache. Das Französische übernimmt nach Ab‐ schluss der neunten Klasse des Gymnasiums die Funktion der Sprache, in wel‐ cher der Lernstoff in nahezu sämtlichen Fächern vermittelt wird. Die Bildungs‐ elite soll auf diese Weise einen Sprachstand im Französischen erreichen, der den Sprechern eines Landes gerecht wird, das seit 1970 ständiges Mitglied der Or‐ ganisation internationale de la Francophonie (OIF), dem Zusammenschluss der französischsprachigen Länder, ist. 1 Englisch steht ab der achten Klasse auf dem Lehrplan. Weitere Sprachen, etwa Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Latein oder Altgriechisch können zusätzlich erworben werden. Die Spracherwerbs‐ möglichkeiten, die das luxemburgische Schulsystem grundsätzlich bietet und die Sprachkompetenzen, die auf diese Weise erreicht werden können, er‐ scheinen beneidenswert. Nicht selten sind sie aber auch der Grund für Schul‐ versagen und versperren Schülern mögliche Ausbildungswege. Die Eindrücke, die in und außerhalb der Schule im Austausch mit Experten gewonnen wurden und die Diskussionen, die im wissenschaftlichen Fachdiskurs sowie im medialen <?page no="74"?> 2 So tauchen im Untersuchungskorpus folgende Äußerungen auf: „Umso schwieriger wird es für die Immigranten-Kinder, die in den meisten Fällen eine romanische Mut‐ tersprache, in keinem Fall eine germanische haben, somit die Alphabetisierung nun eindeutig in einer Fremdsprache durchgeführt wird. […] Wie Untersuchungen ergaben, kann eindeutig als Grund des Misserfolgs das Deutsche als Vehikularsprache zu Beginn und als notwendiger Bestandteil jeder Abschlussprüfung angesehen werden […]. Der einzige Schulzweig, in dem die portugiesischen Schüler Vorteile hätten, wäre das Gym‐ nasium (Französisch als Vehikularsprache); Ironie des Schicksals: nur ein schwindend geringer Anteil gelangt bis in diese Sphären, und zwar 3,8 % […]” (LL1: 21. 01. 1983). Laiendiskurs seit 1983 geführt wurden, zeigen wie sich die Sicht auf Sprache, auf eine Muttersprache und auf Mehrsprachigkeit in der luxemburgischen Ge‐ sellschaft seitdem verändert hat. Über den gesamten Erfassungszeitraum des Diskurses, seit über 30 Jahren, muss sich das Bildungssystem mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Kindern mit Migrationshintergrund kein gerechtes Lern‐ umfeld zu bieten. Seit der Veröffentlichung der ersten Pisa-Ergebnisse gilt dieser Vorwurf auch im Bezug auf die Bildungschancen von Kindern aus sozial be‐ nachteiligten Familien. Die schulischen Sprachanforderungen und besonders der Stellenwert der deutschen Sprache werden als die Kernprobleme ange‐ sehen. 2 Die Schule ist „the institution where more High German is spoken than anywhere else“, findet Schmid (2001: 149). Außerhalb der Schule ist sie dagegen vielfach eine stille Sprache, die zwar viel gelesen und geschrieben wird, aber eigentlich nur in Interaktion mit deutschen Sprechern als gesprochene Sprache verwendet wird. Die Deutschlehrerin Nadine Vandivinit bestätigte im Exper‐ teninterview den Eindruck, dass es eine Diskrepanz zwischen der Position des Deutschen in der Schule und der außerschulischen Relevanz der Sprache gibt: F. S.: „Wat ass dann d’Roll vun der däitscher Sprooch? Ass et eng geliefte Sprooch? “ Nadine Vandivinit (Deutschlehrerin): „Zu Lëtzebuerg? “ F. S.: „Jo.“ Nadine Vandivinit: „Ech géing do d’Däitscht net als geliefte Sprooch ugesinn. Also ech géing d’Däitscht eben als Fach ugesinn, an deem d’Lëtzebuerger alphabetiséiert ginn, well herno, wann een eben d’Strukture [politesch, wirtschaftlech, gesellschaft‐ lech] zu Lëtzebuerg hutt, fënnt déi däitsch Sprooch jo net wierklech eng Plaz oder hutt och keng wierklech Plaz an deem Sënn […]. Ech weess et net. Ech hat ëmmer méi eng Affinitéit zum Däitschen wéi zum Franséischen, mee dass et lo wierklech eng Sprooch ass, déi ech zu Lëtzebuerg permanent gebrauche muss …, gesinn ech et net. Do ass d’Franséischt éischter …“ F. S.: „A wann ee lo vum Wäert vun enger Sprooch schwätzt, dann hutt se villäicht kee richtege Wäert fir virunzekommen lo am wirtschaftleche, beruffleche Liewen [zu Lëtze‐ V. Der Bildungsdiskurs 74 <?page no="75"?> 3 F. S.: „Welche Rolle, Funktion, hat denn die deutsche Sprache? Ist es eine Sprache, die ‚gelebt’ wird? “ Nadine Vandivinit (Deutschlehrerin): „In Luxemburg meinen Sie? “ F. S.: „Ja.“ Nadine Vandivinit: „Ich würde da das Deutsche nicht als Sprache ansehen, die ‚gelebt’ wird. Also ich würde das Deutsche eben als Fach ansehen, in dem die Luxemburger alphabetisiert werden, denn wenn man sich anschaut, wie die Strukturen [politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich] in Luxemburg aussehen, dann findet die deutsche Sprache ja nicht wirklich einen Platz oder hat auch keinen wirklichen Platz in dem Sinne […]. Ich weiß es nicht. Ich hatte immer eher eine Affinität zum Deutschen als zum Französischen, aber wirklich jetzt als Sprache, die ich in Luxemburg permanent gebrauche, sehe ich sie nicht. Da ist eher das Französische …“ F. S.: „Und wenn man jetzt vom Wert einer Sprache spricht, dann hat sie vielleicht keinen richtigen ‚Wert’, mit dem man als Individuum vorankommt im wirtschaftlichen, beruflichen Leben [in Luxemburg]? Hat sie eher einen Wert als kulturelle Sprache - vielleicht als Zusatzkultursprache? “ Na‐ dine Vandivinit: „Ja als Verständigungsmöglichkeit und […]. Es gibt ja auch viele Länder, in denen die deutsche Sprache gesprochen wird und von daher … Aber ich glaube nicht, dass sie in Luxemburg so eine herausragende Rolle hat. Und ja - es ist schwierig [die Rolle zu definieren], weil man ihr im Alltag ja so selten begegnet.“ buerg]? Si hutt éischter ee Wäert als kulturell Sprooch - villäicht als Zousaatzkultur‐ sprooch? “ Nadine Vandivinit: „Jo als Verständigungsméiglechkeet an […]. T’gi jo awer vill Länner, wou d’däitsch Sprooch awer nach geschwat gëtt a vun dohier … Mee ech mengen net, dass se sech, dass se zu Lëtzebuerg sou eng herausragende Rolle eigent‐ lech hutt. An jo - t’ass schwéier, well am Alldag begéint ee se jo sou selten.“ 3 Dem luxemburgischen Schulsystem war lange Zeit vorgehalten worden zu sehr auf Frontalunterricht zu setzen und den Sprachenunterricht über die Entwick‐ lung des Allgemeinwissens, von Transferkompetenzen und Anwendungswissen zu stellen. Auch gegenwärtig bemerken Lehrkräfte, dass Schüler in Luxemburg in der Ausbildung ihres Allgemeinwissens hinterherhinken: Damjana Suljana Zorko (Deutschlehrerin am technischen Lyzeum): „Hier wird ganz viel auf Sprachen gegeben, aber Sprachen sind nur ein Teil des Weltwissens. Ich hab in der 9. Klasse 15-, 16-jährige, die sagen, was ist denn das der Mount Everest und wer ist Mutter Theresa, was ist das für ne Frau, was weiß ich … um nicht zu sagen, dass sie überhaupt auch geschichtliche Sachen gar nicht wissen. Es geht auf Kosten des Welt‐ wissens, das aber in der heutigen Welt genau das ausmacht, den Unterschied zwischen den Leuten, die was wissen und dann jemand werden und den Leuten, die Nobodys werden […].“ F. S.: „Würden Sie auch sagen, dass es daran liegt, dass dieses Schulsystem extrem auf Sprachen aufgebaut ist? “ Damjana Suljana Zorko: „Genau daran. Man verliert enorm viele Stunden für Spra‐ chen, die aber nur ein Teil des Weltwissens sind und man muss andere Sachen einfach V. Der Bildungsdiskurs 75 <?page no="76"?> 4 Wenn das Kind die fakultative Früherziehung (éducation précoce) mit drei Jahren be‐ sucht, beträgt die Regel-Grundschulzeit neun Jahre. Ein Grundschulzyklus besteht aus zwei erfolgreich bestandenen Schuljahren: Der Cycle 2 setzt sich aus dem ersten (cycle 2.1) und dem zweiten Schuljahr (cycle 2.2) zusammen, ein erfolgreiches Bestehen des Cycle 3 setzt den Abschluss des cycle 3.1 (vormals dritte Klasse) und des cycle 3.2 (vormals vierte Klasse) voraus. Im Schulgesetz wird ein Grundschulzyklus als Lernperiode defi‐ niert „au terme de laquelle l’élève atteint des objectifs prédéfinis” (Mémorial 2009: 200; Art. 2, § 4). Diese „objectifs”, die Bildungsziele eines jeden Zyklus, wurden infolge des neuen Schulgesetzes in Kompetenzziele gefasst, die im Bildungsplan für die Grund‐ schule, dem plan d’études, festgehalten wurden. auch wissen und können, um in dieser Welt zu bestehen und vor allem, was Zukunft ist, ist Naturwissenschaften. Und die kommen absolut zu kurz. Die Kinder haben Bi‐ ologie, Chemie vermischt, Physik dann ein bisschen dazwischen - das geht doch nicht, das sind drei verschiedene Wissenschaften! “ Fehlen (2006: 5) spricht von einer „école plombée par les langues“. Wie Bildungs- und Spracherwerb in Luxemburg genau funktionieren und mit welchen Prob‐ lemen die Lehrkräfte konfrontiert werden, wenn sie die deutsche Sprache ver‐ mitteln, wird in diesem Teil der Arbeit dargelegt. Diskussionen um Reformen des Unterrichtssystems werden in Luxemburg emotional geführt. Die Analyse des Bildungsdiskurses zeigt inwieweit das in der Schule vermittelte Sprach‐ wissen und Sprachhandeln im Begriff ist sich zu verändern. 1 Aufbau des luxemburgischen Schulsystems 1.1 Grundschule (école fondamentale) Lange Zeit beruhte der Aufbau der luxemburgischen Grundschule auf einem verhältnismäßig alten Gesetz. Erst die Bildungsreform, die im Jahr 2009 in Kraft trat, ersetzte ein Schulgesetz aus dem Jahr 1912. Mit dem neuen Schulgesetz vom 6. Februar 2009 wurde der Aufbau der Vor- und Primärschule grundlegend re‐ formiert. Was vor 2009 im Volksmund Spillschoul und Primärschoul genannt wurde, wird nun als ein Ganzes bezeichnet: die école fondamentale. Ab der Ein‐ schulung sind nicht mehr acht bzw. neun Schuljahre bis zum Übergang in die Sekundarschule zu zählen, sondern 4 Grundschulzyklen. 4 Staatliche und private Krippen nehmen Säuglinge ab drei Monaten auf, die bis zum vierten Lebensjahr, dem Beginn der Schulpflicht, dort betreut werden können. In Kindertagesstätten, die dem luxemburgischen Bildungsministerium unterstehen, muss Luxemburgisch geredet und der Erwerb der Sprache beim Kind gefördert werden. Private Kindertagesstätten müssen sich nicht an diese V. Der Bildungsdiskurs 76 <?page no="77"?> 5 Im Juli 2014 kündigte der luxemburgische Bildungsminister Claude Meisch an, die Sprachpraxis in Kindertagesstätten reformieren zu wollen. Die geplante Reform sieht vor in staatlichen Krippen eine gezielte Sprachförderung auf Luxemburgisch und Fran‐ zösisch einzuführen und die Heranwachsenden somit von Anfang an, auf das mehr‐ sprachige Umfeld in und außerhalb der Schule vorzubereiten (vgl. DP 2014: 3; s. a. Unterkapitel 3.1). 6 Das folgende Kapitel basiert auf den Informationen der Publikation Was tun nach dem 4. Zyklus der Grundschule, herausgegeben vom luxemburgischen Bildungsministerium (MENEJ 2014). Vorgaben halten. Ein Großteil der privaten Krippen wird von französischspra‐ chigem Personal betrieben, andere werben wiederum gezielt mit mehrspra‐ chiger Erziehung (vgl. Die Grenzgänger 2010). 5 Jede luxemburgische Gemeinde ist dazu verpflichtet, eine fakultative Früherziehung (éducation précoce) für Kinder ab drei Jahren anzubieten. Die école fondamentale beginnt mit zwei Jahren obligatorischer Vorschule im Grundschulzyklus 1. Sie endet mit dem Abschluss des Zyklus 4.2 (vormals sechste Klasse). In Früherziehung und Vorschule ist Luxemburgisch die alleinige Unterrichts- und Klassensprache. Im Grundschulzyklus 2.1, der ersten Klasse, setzt die Al‐ phabetisierung auf Deutsch ein. Die deutsche Sprache ist sodann im Klassen‐ zimmer die mündliche und schriftliche Verkehrssprache. Sie wird in den regulären Klassen nicht als Fremdsprache unterrichtet. Ab dem dritten Tri‐ mester des Grundschulzyklus 2.2 (vormals zweites Schuljahr) beginnt der Er‐ werb der französischen Sprache, die konsequent als Fremdsprache erlernt wird. Französisch wird bis zum Abschluss der école fondamentale in der Regel nur im Französischunterricht als Verkehrssprache benutzt. Diese schematische Zusammenfassung stellt lediglich eine Orientierungs‐ hilfe dar. Es wird sich zeigen, dass die Verteilung der drei Grundschulsprachen (Luxemburgisch, Deutsch und Französisch) in der Praxis weitaus komplexer ist - dass das Schulgesetz und eingebürgerte Gewohnheiten mitunter mehrere Spra‐ chen zulassen. 1.2 Sekundarschule Im Anschluss an die Grundschule stehen Schülern verschiedene Sekundar‐ schultypen zur Auswahl. 6 In Luxemburg wird unterschieden zwischen dem En‐ seignement secondaire (allgemeiner, klassischer Bildungsweg, ES) und dem En‐ seignement secondaire technique (technischer Sekundarunterricht, EST). Am Ende des vierten Grundschulzyklus gehen Schüler durch Orientierungsbeschluss des sogenannten conseil d’orientation entweder in eine siebte Klasse des technischen oder des allgemeinen Sekundarunterrichts. 1 Aufbau des luxemburgischen Schulsystems 77 <?page no="78"?> 7 Im allgemeinen Sekundarunterricht werden anders als im technischen Sekundarunter‐ richt die Klassenstufen rückwärts gezählt: 7ième, 6ième, 5ième … und nicht 7ième, 8ième, 9ième … Das Abitur wird auf Klassenstufe 1ère abgelegt. 1.2.1 Enseignement secondaire classique (ES) Der allgemeine Sekundarschulunterricht entspricht dem deutschen Gymnasium und umfasst eine Regelschulzeit von sieben Jahren. Er schließt mit dem klassi‐ schen Abitur in der 13. Klasse (1ère) 7 ab und bereitet auf weiterführende Studien vor. Schüler, die den klassischen Sekundarschulunterricht besuchen, setzen ihre Schullaufbahn in der 7. Klasse des ES fort. Die Unterrichtssprache ist hier (zu‐ nächst) weiterhin Deutsch, mit Ausnahme des Fachs Mathematik, das sofort auf Französisch unterrichtet wird. In der achten Klasse (sixième) beginnt der Erwerb der englischen Sprache, außer der Schüler wählt Latein, dann setzt der Eng‐ lischunterricht erst ein Jahr später ein. Einige wenige Gymnasien bieten in der Unterstufe Förderklassen im Fach Deutsch (ALLET-Klassen) und / oder im Fach Französisch (Français + oder Français Intensif) an. Diese Spezialklassen richten sich an Schüler, die eine siebte Klasse des ES besuchen, weil sie über sehr gute Kenntnisse in Mathematik und einer Fremdsprache (entweder Deutsch oder Französisch) verfügen, jedoch Schwächen in der jeweils anderen Schulsprache (Deutsch oder Französisch) aufweisen. Die Schwierigkeiten in dieser Sprache dürfen nicht so erheblich sein, dass sie nicht mit einem intensiven Förderun‐ terricht zu beheben wären. Der Sprachunterricht im Enseignement secondaire ist nämlich auf die schrittweise Ausbildung von annähernd muttersprachlichen Kenntnissen ausgerichtet. Der Kanon der einzelnen Literaturen wird behandelt und für den Wissenserwerb in den Sachfächern werden hohe Fremdsprachen‐ kenntnisse vorausgesetzt. Im Enseignement secondaire classique wechselt nach Abschluss der 9. Klasse (5 ième ) die Vermittlungssprache in den Sachfächern von Deutsch auf Französisch, was für viele Schüler zum Problem wird. So wies der Geschichtslehrer Jeannot Kettel im Experteninterview darauf hin, dass ein Großteil der Schüler in den Sachfächern hilflos vor Aufgabenstellungen sitze, weil er die Sprache der zu behandelnden Texte und Fragestellungen nicht ver‐ stehe. F. S.: „Also a wéi fern beaflosst d’Unterrechtssprooch den Erfolleg vun de Schüler an de Sachfächer, an de Niewefächer? “ Jeannot Kettel (Geschichtslehrer) : „Jo wann een d’Langue véhiculaire net be‐ herrscht, mat der een sech muss ausdrécken, ass et ee grousse Problem. Am Franséi‐ sche, also ech schwätzen lo net méi fir d’Däitscht, well ech halen [schonn] eng Zäit‐ chen [an den iewechten Klassen vum Classique Geschicht], obwuel do d’Saachen daks d’selwecht sinn, ass et ganz daks sou …, do ass jo de Sprong vu 5 ième op 4 ième an da V. Der Bildungsdiskurs 78 <?page no="79"?> kënnt mol éischtens de ganzen historesche Vocabulaire op Franséisch plus déi normal Wierder, déi si brauchen fir hirt Wëssen iwwerhaapt mol auszedrécken an dat ass natierlech immens schwéier. […] Schwaach Schüler ginn natierlech, wann et op Fran‐ séisch vum Däitschen aus wieselt, nach vill méi schwaach a gutt Schüler gi villäicht bësse manner staarker.“ F. S. : „Mierkt Der dann och, dass d’Schüler soen : „Oh firwat ass et [d’Fach Geschicht] net méi op Däitsch ? ! ““ Jeannot Kettel : „Jo, mee mir sinn eben an engem Land, wou d’Franséischt eng relativ grouss Roll spillt an d’Däitscht ass schonn iwwerbewäert am Moment an dat ass ier‐ gendwéi, si mussen déi Sprooch [=d’Franséischt] beherrschen am Fong, déi se harno an der Administratioun brauchen.“ F. S. : „Däerfen si [d’Schüler] een Dictionnaire [am Unterrecht] benotzen ? “ Jeannot Kettel : „Nee, nee. […] An der Prüfung dierfe se kee benotzen. Wa si am Unterrecht een Dictionnaire derbäi hätten, wier dat kee Problem, mee am Prinzip solle si mech froe, wann se eppes net verstinn. […] Wisou schwätzen ech am Ufank vill méi lues Franséisch an der Klass an ech soen am Fong alles dräimol an anere Wierder. Dat heescht, ech huelen all Kéier rem Synonymen derfir vum wichtegste Wuert an dann gëtt et rem ëmschriwwen, bis si et awer verstinn. Och zu eiser Zäit hutt ee vill Fran‐ séisch iwwer d’Niewefächer geléiert. An dat ass am Fong firwat d’Niewefächer op Franséisch sou wichteg ass. Si léieren do op mannst sou vill Franséisch wéi am Haapt‐ 1 Aufbau des luxemburgischen Schulsystems 79 <?page no="80"?> 8 F. S.: „Also inwiefern beeinflusst die Unterrichtssprache den Erfolg der Schüler in den Sach‐ fächern / Nebenfächern? “ Jeannot Kettel (Geschichtslehrer): „Ja wenn man die Unter‐ richtssprache nicht beherrscht, mit der man sich ausdrücken soll, dann wird das zu einem großen Problem. Mit dem Französischen, also ich spreche jetzt nicht mehr vom Deutschen, weil ich [schon] seit einer Weile [in den oberen Klassen des E S Geschichte] unterrichte, obschon es da oft genauso ist, ist es ganz oft so …, da findet ja der Sprung von 5 ième auf 4 ième statt, wo auf einmal das ganze historische Vokabular auf Französisch [wechselt] und die normalen Wörter verlangt werden, die die Schüler benötigen, um ihr Wissen überhaupt in Worte zu fassen und das ist natürlich dann extrem schwierig. […] Leistungsschwache Schüler werden natürlich, wenn es vom Deutschen ins Fran‐ zösische wechselt, noch einmal deutlich schwächer und gute Schüler werden vielleicht etwas weniger gut. […]“ F. S. : „Fällt Ihnen auf, dass Schüler mitunter sagen : „Warum ist es [das Fach Geschichte] nicht mehr auf Deutsch? ! ““ Jeannot Kettel: „Ja, aber wir sind nun mal in einem Land, wo das Französische eine relativ große Rolle spielt und das Deutsche ohnehin momentan überbewertet wird und das ist irgendwie, sie müssen im Grunde genommen die Sprache [Französisch] beherrschen, die sie später für Verwal‐ tungsangelegenheiten auch benötigen werden.“ F. S. : „Dürfen sie [die Schüler] ein Wör‐ terbuch [im Unterricht] benutzen ? “ Jeannot Kettel : „Nein, nein. […] In der Prüfung dürfen sie keines benutzen. Wenn sie im Unterricht eines dabei hätten, wäre das kein Problem, im Prinzip sollen sie mich aber fragen, wenn sie etwas nicht verstehen. […] Ich spreche zu Beginn sowieso erst einmal viel langsamer Französisch [als Deutsch] in der Klasse und ich sage im Grunde genommen alles dreimal mit anderen Worten. Ich nehme also jedes Mal Synonyme vom wichtigsten Wort bis sie es dann verstehen. Zu unserer Zeit hat man auch viel Französisch über die Nebenfächer gelernt und das ist der Grund, wieso es so wichtig ist, dass die Nebenfächer auf Französisch sind. Die Schüler lernen dort mindestens genauso viel Französisch wie im Hauptfach, insbeson‐ dere die technischen, arbeitspraktischen Vokabeln, die im Sprachenunterricht ja nicht unbedingt behandelt werden, werden hier verwendet.“ fach, besonnesch dann och déi technesch Vokabelen, déi am Sproochenunterrecht jo net onbedéngt derbäi kommen, ginn do benotzt.“ 8 Die Oberstufe (4 ième , 3 ième , 2 ième , 1 ière ) des ES beginnt mit der Orientierungsklasse (4 ième ), in deren Verlauf die Schüler sich überlegen sollen, auf welche der sieben möglichen Fachrichtungen sie sich in den nächsten drei Jahren spezialisieren wollen. Mögliche Spezialisierungen für die Oberstufe sind: die A-SEKTION (Sprachen und Geisteswissenschaften), die B-SEKTION (Mathematik und In‐ formatik), die C-SEKTION (Naturwissenschaften und Mathematik), die D-SEK‐ TION (Wirtschaftswissenschaften mit mathematischer Ausrichtung), die E-SEKTION (Bildende Künste), die F-SEKTION (Musikwissenschaften) und die G-SEKTION (Geistes- und Sozialwissenschaften). V. Der Bildungsdiskurs 80 <?page no="81"?> 1.2.2 Enseignement secondaire technique (EST) Das technische Sekundarschulsystem gliedert sich grob in zwei Schultypen: in den technischen Sekundarunterricht (ST) und in den Modular-Unterricht (ré‐ gime préparatoire - MO). Der technische Sekundarunterricht entspricht in etwa der deutschen Real‐ schule. Während der Abschluss einer 13. Klasse im EST ebenfalls zum Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife führen kann und verschiedene universitäre Studien ermöglicht, ähnelt der Modular-Unterricht der deutschen Hauptschule. Er nimmt die Schüler auf, die in einem oder mehreren Fächern nicht die Min‐ destkompetenzen (Sockelkompetenzen) im Grundschulzyklus 4. erreicht haben und bereitet entweder auf die Unterstufe des technischen Sekundarschulunter‐ richts oder auf eine Berufsausbildung vor. Im Modular-Unterricht (MO) wird der Stoff aus der Grundschule wiederholt und der Fokus auf die Ausbildung praktischer Fertigkeiten gelegt. Sämtliche Fächer werden dort auf Deutsch un‐ terrichtet. Verschiedene Schulen bieten aber auch frankophone Modularklassen an. In der Unterstufe des technischen Sekundarunterrichts (7 ième , 8 ième , 9 ième ST) wird zunächst das Wissen in den regulären Fächern (Deutsch, Französisch, Eng‐ lisch, Mathematik, Naturwissenschaften) vertieft. Die Unterrichtssprache ist hier Deutsch, mit Ausnahme des Fachs Mathematik, das wie im ES auf Franzö‐ sisch unterrichtet wird. Einige technische Sekundarschulen bieten 7 ième -ST-Schülern Förderunterricht in Deutsch, Französisch oder Mathematik an, der in den Stundenplan integriert ist. Die Mittel- und Oberstufe des techni‐ schen Sekundarunterrichts ist in vier Ausbildungswege unterteilt, die den Schü‐ lern je nach Notenschnitt zur Auswahl stehen: die technische Ausbildung, die Technikerausbildung, die berufliche Ausbildung (DAP - diplôme d’aptitude pro‐ fessionnelle) und die Berufsausbildung (CCP - certificat de capacité profession‐ nelle). Die technische Ausbildung berechtigt zum Universitätsstudium. Die Technikerausbildung dauert ebenfalls bis zur 13. Klasse. Am Ende steht das Technikerdiplom. Die Berufsausbildung (DAP) bereitet auf einen handwerkli‐ chen Beruf vor und erfolgt abwechselnd im Betrieb und in der Schule. Sie endet mit dem beruflichen Eignungsnachweis, der später als Grundlage genutzt werden kann, um die Meisterprüfung abzulegen oder ein fachgebundenes tech‐ nisches Hochschulstudium zu absolvieren. Die Berufsausbildung (CCP) führt zum Berufsbefähigungszeugnis und ist unterhalb des DAPs einzustufen. 1 Aufbau des luxemburgischen Schulsystems 81 <?page no="82"?> 9 RTL-Internetredakteur: „Der Artikel mit dem Titel „Ein Streit im Bildungsbereich. Neue Pläne der Regierung, was die Bewertung des Lehrpersonals angeht“ bekam 160 Kom‐ mentare […].“ RTL-Radiomoderator: „Also wieder die berühmt-berüchtigten Themen mit den berühmten Kommentaren, die immer wiederkommen.“ (28. 03. 2014-8: 25 Uhr RTL Radio Lëtzebuerg). 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs Zunächst soll dargestellt werden, wie in Luxemburg auf der medialen und fach‐ wissenschaftlichen Diskursebene über das Thema Bildung und die Schulsprache Deutsch diskutiert wird. Anschließend wird eine Analyse der Unterrichtspraxis auf Grund- und Sekundarschulebene erfolgen. 2.1 Über Bildung diskutieren RTL-Internetredakteur: „[Beim Artikel] ‚Ee Sträit an der Educatioun. Nei Pläng vun der Regierung, wat d’Bewäertung vun den Enseignanten ugeet’, do hate mer iwwer 160 Comments […].“ RTL-Radiomoderator: „Also nees déi berühmt Themen mat de berühmte Comments, déi ëmmer erëmkommen“ (RTL Radio Lëtzebuerg 28. 03. 2014). 9 Auf Luxemburgs führendem Nachrichtenportal www.rtl.lu werden regelmäßig hunderte von Leserkommentaren verfasst, wenn Nachrichten aus dem Bil‐ dungsbereich vermeldet werden. Schulreformen entfalten in Luxemburg eine besondere Brisanz. Sie stellen Überzeugungen und Gewohnheiten infrage und weisen darauf hin, dass die Schule an die Veränderungen der Gesellschaft an‐ gepasst werden muss. In der Studie ‚Réajustement de l’enseignement des langues’, die das Bildungs‐ ministerium im Jahr 2007 publizierte, stellten die Autoren Charles Berg und Christiane Weis mit einer gewissen Ernüchterung fest, wie einflussreich die luxemburgischen Massenmedien bei der Konstitution von Wissen über den Bil‐ dungsbereich sind: Il est douloureux de constater à quel point la communication entre le Ministère et les enseignants se passe mal. Les informations et les messages adressés aux enseignants et aux directions par le Ministère sont souvent ignorés; des publications comme le Courrier de l’Éducation nationale, la Circulaire du printemps ou Edunews ne sont pas lues régulièrement et les enseignants s’informent avant tout dans la presse, essentiel‐ lement lors d’événements qui donnent lieu à controverse (Berg / Weis 2007: 27). V. Der Bildungsdiskurs 82 <?page no="83"?> 10 Claude Meisch ist Mitglied der Demokratischen Partei (DP) in Luxemburg und wurde im Dezember 2013 zum ‚Minister für Bildung, Kindheit und Jugend’ und zum ‚Minister für Hochschulwesen und Forschung’ ernannt. 11 RTL-Radiomoderatorin: „Sie haben die Sprachen angesprochen. Was muss sich denn als erstes verändern? “ Bildungsminister Claude Meisch: „Das ist sicherlich die große Herausforderung hier in Luxemburg. Wir haben die Situation, dass wir eine multilin‐ guale Gesellschaft haben, die stetig multilingualer wird, weil wir auch multikultureller werden, eine Arbeitswelt haben, die eigentlich nicht mehr der Arbeitswelt von vor 30, 40 Jahren entspricht. Deshalb müssen wir mehr Sprachen hierzulande vermitteln und auch den Kindern weiterhin vermitteln. Da die Kinder diese Sprachen aber nicht zu‐ hause sprechen, ist dies eine große Herausforderung für eine öffentliche Schule, die eigentlich noch immer eine Einheit darstellen soll, dieses zu meistern.“ Das erste Diskursbeispiel, das den Einstieg in diesen Teildiskurs erlaubt, ent‐ stammt einem Interview mit dem luxemburgischen Bildungsminister Claude Meisch. 10 Das Interview wurde von RTL Radio Lëtzebuerg anlässlich des Schul‐ anfangs im September 2014 ausgestrahlt: RTL-Radiomoderatorin: „Dir hutt d’Sproochen ugeschwat. Wat muss sech dann als éischt änneren? “ Claude Meisch (Bildungsminister): „[…] Mee sécherlech ass dat déi grouss Eraus‐ fuerderung hei zu Lëtzebuerg. Mir hunn eng Situatioun, wou mer eng multilingual Gesellschaft hunn, déi nach ëmmer méi multilingual gëtt, well mer méi multikulturell och ginn, well mer eng Aarbechtswelt hunn, déi eigentlech net méi der Aarbechtswelt vu virun 30, 40 Joer […] entsprécht. Dofir musse mer méi Sproochen hei am Land vermëttelen, och de Kanner weiderhin vermëttelen. Well d’Kanner awer net déi Sproochen och doheem schwätzen, ass dat natierlech eng ganz grouss Erausfuerde‐ rung fir eng ëffentlech Schoul, déi awer och eigentlech een eenheetleche System nach ëmmer soll duerstellen, fir dat doten ze meeschteren“ (RTL Radio Lëtzebuerg 20. 09. 2014). 11 Die luxemburgische Gesellschaft setzt sich aus verschiedenen Sprachgruppen zusammen, die sich auf den ersten Blick zunächst grob unterscheiden lassen, deren Angehörige bei genauerer Betrachtung allerdings die verschiedensten Sprachbiographien und -repertoires aufweisen. Beim Erwerb neuer Sprachen greifen Luxemburgs Schüler dementsprechend auf unterschiedliche Vorausset‐ zungen zurück. Im öffentlichen Diskurs wird die Mehrsprachigkeit des Landes gewöhnlich mit der gesetzlich verankerten Dreisprachigkeit des Landes 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 83 <?page no="84"?> 12 Zu dieser Feststellung gelangt auch Weber (2009: 16): „In educational discourses in par‐ ticular, terms such as “multilingualism“ and “multiculturalism“ are frequently understood as referring to the idealized model of individual Luxembourgish-German-French trilingu‐ alism, whereas the actual, present-day multilingualism of Luxembourgish society […] is to a large extent ignored.“ (Deutsch - Französisch - Luxemburgisch) gleichgesetzt. 12 Auf dem Arbeits‐ markt scheint dagegen längst ein Sprachhandlungswissen gefordert zu werden, das über die Kompetenzen, die im traditionellen luxemburgischen Sprachenun‐ terricht erworben werden, hinausgeht. So werden ‚Migrantensprachen’ (vor allem Portugiesisch und Serbokroatisch) im Dienstleistungssektor mittlerweile als entscheidendes Einstellungskriterium gewertet. Der Bildungsminister be‐ tont im obigen Interviewausschnitt, dass er die Schulgemeinschaft zusammen‐ halten möchte, obschon sie aufgrund ihrer Heterogenität kaum noch mit ein‐ heitlichen Methoden unterrichtet werden kann. Er stuft die Anpassung des Bildungssystems an die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse als „die große Herausforderung für Luxemburg“ ein. Eine „multilinguale Gesellschaft, die immer multilingualer werde“ erfordere einen anderen Sprachenunterricht als bisher. Es sind die TOPOI DER UNGERECHTIGKEIT und der REALITÄTSAN‐ PASSUNG, die seit Beginn der portugiesischen Immigration den Bildungsdis‐ kurs dominieren. Der TOPOS DER UNGERECHTIGKEIT verläuft nach fol‐ gendem Argumentationsmuster: Weil das aktuelle Bildungssystem Kinder mit Migrationshintergrund benach‐ teiligt, ist es ungerecht. Der TOPOS DER REALITÄTSANPASSUNG folgt in der Diskursargumenta‐ tion gewöhnlich dem TOPOS DER UNGERECHTIGKEIT und verläuft nach folgendem Schema: Weil das aktuelle Bildungssystem nicht mehr zu der Gesellschaft passt, die es ausbilden muss, bedarf es dringend einer Anpassung. Im Medienkorpus finden sich unzählige Beispiele für die Ausführung beider Argumentationsmuster: BEISPIELE FÜR DIE ANWENDUNG DES UNGERECHTIGKEITSTOPOS IM BILDUNGSDISKURS V. Der Bildungsdiskurs 84 <?page no="85"?> Weshalb kann in Luxemburg Friseur werden, wer seine Ausbildung auf Französisch macht, während ein Mechaniker unbedingt Deutsch beherrschen muss? Diese Situa‐ tion findet Anne Brasseur absurd und ungerecht ( Journal: 16. 01. 2001). Deren diesjähriges Motto lautet: „Gerechtegkeet an Efficacitéit an eiser Schoul“. Da‐ hinter verbirgt sich ein ganzes Bündel von bereits begonnenen und neuen Maß‐ nahmen, die laut Ministerium vor allem eines zum Ziel haben: bestehende Ungleich‐ heiten und Ungleichheiten des Luxemburger Schulsystems allmählich zu korrigieren und allen Schülerinnen und Schülern eine Qualifikation „entsprechend ihrer Fähig‐ keiten” zu ermöglichen (LL: 15. 09. 2005). So müsse man beispielsweise den demografischen Veränderungen Rechnung tragen. Immerhin sind mehr als 42 Prozent der Grundschüler nicht luxemburgischer Her‐ kunft. „Es geht vor allem um Chancengerechtigkeit“, betonte Scheuer. Die Kinder sollen gemäß ihren Fähigkeiten gefördert werden (Wort3: 21. 01. 2009). BEISPIELE FÜR DIE ANWENDUNG DES REALITÄTSANPASSUNGSTOPOS IM BILDUNGSDISKURS Die Zeit für eine harmonische Integration und somit für eine Anpassung im Schul‐ system drängt […] (LW4: 10. 04. 1989). So stellt sich die Frage, ob nicht ein zweigleisiges Schulsystem mit einer frankophonen und einer germanophonen Ausrichtung der Realität eher angepasst wäre und die he‐ ranwachsende Generation besser auf die Zukunft vorbereitet würde? (LL7: 07. 11. 1986) Langues: l’école doit être la même pour tous (LJ19: 17. 07. 1997). Die zunehmend komplexe Situation der Sprachen, bedingt durch eine immer vielfäl‐ tiger werdende Immigration, macht eine Neuanpassung des Sprachenunterrichts zur Dringlichkeit (LW2-3: 16. 03. 2007). Wir haben in Luxemburg immer mehr französischsprachige Schüler. Die Berufsaus‐ bildung hat es immer noch nicht geschafft, diesen Wandel strukturell zu begleiten. […] Wir haben zwar französischsprachige Ausbildungen, aber es sind nicht genug. Zudem scheint die Zahl der Immigrantenkinder, die im Laufe des Jahres nach Luxem‐ burg kommen, wieder zu wachsen. Darunter befinden sich viele Schüler, die das Po‐ tenzial für eine höhere Qualifizierung hätten - wenn unsere hohen Sprachanforde‐ rungen nicht wären. Fast alle unsere höher qualifizierenden Berufsausbildungen setzen Deutschkenntnisse voraus. Das geht völlig an unserer Realität vorbei (LL: 23. 09. 2010). 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 85 <?page no="86"?> Kinder in Luxemburg sollen im Précoce Luxemburgisch, dann das Alphabet in Deutsch lernen und ein Jahr später mit einem Französischunterricht beginnen, der auf ein Niveau irgendwo zwischen Erst- und Zweitsprache abzielt. An dieser Dreifaltigkeit wird nicht gerüttelt. Obwohl die Realität andere Anforderungen stellt. Immer mehr Kinder sprechen daheim nicht Luxemburgisch als Erstsprache, sondern Portugiesisch oder Französisch oder Serbokroatisch (LL1: 02. 09. 2011). Bereits im Jahr 1983 war im Mediendiskurs die Ansicht verbreitet, dass das Sprachenpensum, das in Luxemburg traditionell zu bewältigen ist, für Zuwan‐ dererkinder nicht zu schaffen sei: Das sprachlose Kind Weit über ein Drittel der Kinder, welche die Luxemburger Primärschulen besuchen, sind Ausländer. Sie verursachen das bedeutendste, wichtigste und schwierigste Schul‐ problem, das es in unserem Land in den nächsten Jahren zu lösen gilt. […] Es muss dringendst eine Lösung gefunden werden. Dazu kommt, dass Luxemburg es sich in seiner speziellen Dreisprachensituation nicht leisten kann, irgendwelche ausländi‐ schen Rezepte nachzubeten oder gar Europarat- oder Unescoentschlüsse unüberdacht und ungeändert hierzulande anzuwenden. Dies ist umso wahrer, als das Problem in Luxemburg regional, ja von Ortschaft zu Ortschaft verschieden ist. […] Aber der Sohn und die Tochter der Gastarbeiterfamilie sind mehr, weitaus mehr als bloße statistische Angaben, weitaus mehr als Störenfriede, der sonst angeblich heilen Welt der Schule. […] von den für Ausländerkinder schier unüberwindbaren Schranken des Prüfungs-, Examens- und Schulfaches „Deutsch“ einmal abgesehen […] Der kleine Ausländer sieht sich, bewusst oder unbewusst, als ein Störfaktor in einer Schule, in welcher er und seinesgleichen normalerweise in der Minderheit sind. Diese Schule benutzt Lehr- und Anschauungsmittel, die seiner Kultur fremd sind, und gebraucht als Grundlage alles Lernens und Wissens eine Sprache, die er nicht kennt, die von der seinigen in allen Zügen ihres linguistischen Wesens abweicht, und die ihm jedoch nicht als eine zu erlernende Fremdsprache angeboten wird, sondern die als bekannt oder doch un‐ gefähr bekannt vorausgesetzt wird (LL6-7: 22. 07. 1983). Über 30 Jahre später hat sich an diesem Befund wenig geändert. Der Migran‐ tenanteil im Land liegt bei 45,3 % und die Schulpopulation weist mit 43,8 % einen Zuwandereranteil auf, der etwa genauso hoch ist (MENEJ / Université du Lu‐ xembourg 2015: 17). Das Argument, dass die Art und Weise wie Deutsch in Luxemburg unterrichtet werde, tausende Migrantenkinder in ihrer Ausbildung hemme, wiederholt sich: V. Der Bildungsdiskurs 86 <?page no="87"?> Den in Luxemburg zur Schule gehenden Ausländerkindern werden zum Teil unüber‐ windliche Steine, in Form des Sprachunterrichts, in den Weg gelegt (LL7: 07. 11. 1986, eigene Hervorh.). Le texte souligne aussi le handicap des enfants qui prennent le départ avec une autre langue maternelle que le luxembourgeois propre à faciliter l’apprentissage de l’alle‐ mand. […] Pour contourner l’obstacle linguistique (essentiellement l’allemand), cer‐ tains décrochent certificats et diplômes dans la région frontalière ou dans les écoles privées au Luxembourg (LJ12: 24. 04. 1997, eigene Hervorh.). L’allemand constitue une barrière infranchissable pour de nombreux jeunes portugais“, s’exclame Carlos Peixoto avec vigueur (LJ16 : 21. 05. 1998, eigene Hervorh.). In der Diskursgemeinschaft besteht Konsens darüber, dass die Didaktik des Sprachenunterrichts und der Stellenwert der Bildungssprache Deutsch für die portugiesischen Migrantenkinder nahezu unüberbrückbare Hürden darstellen. Doch auf der anderen Seite ist der Stellenwert dieser Schulsprachen eng ver‐ knüpft mit der Identität des Landes: 66 Punkte umfasst der ‚Plan d’action langues’ des Unterrichtsministeriums. Sein Ziel ist die Neuausrichtung des Sprachenunterrichts, die in Luxemburg wohl wichtiger, aber auch deutlich komplizierter ist als in anderen Ländern. […] „Eine Reform wird wegen des besonderen Status von Deutsch und Französisch in Luxemburg nicht ein‐ facher. Es ist wesentlich einfacher, sich über die notwendigen Kompetenzen für die Fremdsprache Englisch einig zu werden, als bei unseren beiden Nachbarsprachen, die zugleich offizielle Sprachen unseres Landes sind. Englisch hat den Vorteil, dass es eindeutig eine Fremdsprache ist“ (LW32: 09. 02. 2009). In diesem Beispiel aus dem Medienkorpus taucht ein Argumentationsmuster auf, das als SUI GENERIS-TOPOS definiert wird und nach folgendem Muster verläuft: Weil Luxemburg anders ist, sind auch die Ursachen / Folgen einer Bildungs‐ reform andere. Die sui-generis-Argumentation stellt die Besonderheit des Landes heraus. Sie wird angewandt, um zu verdeutlichen, dass Lösungen für Probleme nicht so einfach zu finden sind wie möglicherweise in anderen Ländern. Schulreformen, die versuchen die Position einer Landes- und Schulsprache zu verändern, treffen innerhalb der Diskursgemeinschaft immer auf Wider‐ 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 87 <?page no="88"?> 13 Die Vereinigung der Französischlehrer ist entsetzt. In der 12. und 13. Klasse des tech‐ nischen Sekundarschulunterrichts soll der Französischunterricht gestrichen werden. 14 Das Ministerium begründete seine Entscheidung in einer Pressemitteilung wie folgt: Die Förderung der Französischkenntnisse bleibe ein wichtiger Bestandteil der kauf‐ männischen Ausbildung. In der 10. und in der 11. Klasse sei er deshalb auch noch einmal verstärkt worden. Das Fach sei obligatorisch in der 10. und 11. Klasse und umfasse dort vier Unterrichtsstunden pro Woche. In der 12. und 13. Klasse habe man das Fach Fran‐ zösisch streichen können, weil die Festigung der Französischkenntnisse im Rahmen der Berufsausbildung anhand von Praktika in konkreten beruflichen Situationen erfolge. Außerdem sei das Französische in den Abschlussklassen wöchentlich während fast 20 Schulstunden die alleinige Unterrichtssprache (vgl. Tageblonline: 22. 05. 2014). stand. So wurde am 21. Mai 2014 folgende Nachricht in den luxemburgischen Medien verbreitet: D’Associatioun vun de Franséichproffen ass entsat. Op 12ème an 13ème Technicien gëtt de Franséich-Cours gestrach! (Rtl.lu: 21. 05. 2014) 13 Der luxemburgische Verband der Französischlehrer (Association des Professeurs de Français du Luxembourg APFL) hatte spät erfahren, dass das Bildungsminis‐ terium plante in den letzten beiden Jahren der kaufmännischen Ausbildung im technischen Sekundarschulunterricht auf das Fach Französisch zu verzichten. 14 Die APFL lud sofort zu einer Pressekonferenz. Ihr Vorsitzender kritisierte die bildungs- und sprachpolitischen Pläne der Regierung: Jean-Claude Frisch: „Dat ka jo net duer goen. Ech menge bis elo ware 4 Stonne Franséisch virgesinn. Dat wäert jo alt net vun „Dëlpessechkeet“ gewiescht sinn. Déi Leit, déi dat gemaach hunn, wäerte jo gewosst hu firwat. Et ass vläicht esou, ech menge mir wëssen dat jo hei am Land, datt vill Schüler [Problemer] am Franséischen hunn … vläicht ass dat do eng nei modern Manéier fir d’Problemer ze léisen. Da ma mer kee Franséisch méi, dann huet och kee méi Schwieregkeeten. […] Zënter dem Krich, bei alle Reformen, déi hei an deem Land gemaach si ginn, ass [et] all Kéiers op d’Käschte vum Franséisch […] gaangen. Et geet elo monter sou weider, an ech verstinn einfach dat globaalt Konzept, dat globaalt Raisonnement net, wat do derhannert steet. Op der enger Säit gesi mer, dat ëmmer méi d’Franséischt gefuerdert ass, fir datt een eng V. Der Bildungsdiskurs 88 <?page no="89"?> 15 „Das kann ja nicht ausreichen. Ich will damit sagen, bis jetzt hatte man vier Stunden Französisch vorgesehen. Und das wird ja wohl nicht aus Blödsinnigkeit so gewesen sein. Die Leute, die dafür gesorgt haben, werden ja wohl gewusst haben wieso. Es ist vielleicht so, ich glaube, wir wissen ja, dass viele Schüler hier im Land Probleme im Französischen haben … und vielleicht ist das ja jetzt eine moderne Art und Weise, um die Probleme zu lösen. Dann machen wir einfach kein Französisch mehr, dann hat auch niemand mehr Schwierigkeiten. […] Seit dem Krieg, bei allen Reformen, die hier in diesem Land gemacht worden sind, ging es jedes Mal auf Kosten des Französischen. Und jetzt geht es munter so weiter und ich verstehe einfach das globale Konzept nicht, das da dahinter steht. Auf der einen Seite sehen wir, dass immer mehr Französisch gefordert ist, um eine Arbeitsstelle hier in Luxemburg zu finden und auf der anderen Seite gehen wir hin und machen immer weniger Französisch.“ (vgl. Rtl.lu. 21. 05. 2014). 16 Die statistische Erhebung BaleineBis zeigt, dass 99 % der Wohnbevölkerung Französisch beherrschen. Luxemburgisch und Deutsch können 84 % (vgl. Fehlen 2009: 12). Die fran‐ zösische Sprache wird ferner von 92 % der Luxemburger und von 84 % der befragten Portugiesen als nützlichste Fremdsprache eingestuft (vgl. ebd.: 124). 17 Um Ereignisse geistig einordnen zu können, werden in der Öffentlichkeit bestehende Wissensrahmen aktiviert. Durch die Übernahme bestimmter Begriffe (beispielsweise geschichtlicher Grundbegriffe) und ihrer Übertragung auf neue Sachverhalte, wird die Wirklichkeit aus einer bestimmten Perspektive heraus betrachtet. Damit gehen Erwar‐ tungen über die Folgen von Ereignissen einher. Der Terminus Wissensrahmen wird in der Linguistik verstanden als Oberbegriff von Frame, Schema usw. Er wird für alle Formen von Wissensagglomerationen gebraucht (vgl. Felder 2006: 19). Aarbecht hei zu Lëtzebuerg kritt, an trotzdem gi mir op der anerer Säit hin a mir maachen ëmmer manner Franséisch“ (ebd). 15 Anstatt das Schulsystem an die sprachlichen Realitäten anzupassen und die junge Generation auf den Berufseintritt vorzubereiten, würde das Ministerium die Französischstunden weiter reduzieren, so Frisch. Eine Maßnahme, die laut APFL in einem Land, in dem die Französischkenntnisse immer stärker einge‐ fordert würden, verheerende Konsequenzen nach sich ziehen könnte. 16 Sämt‐ liche Reformvorhaben, die seit dem Krieg in Luxemburg umgesetzt worden seien, hätten den Abbau der französischen Sprache nur weiter vorangetrieben. Der Verbandsvorsitzende aktiviert mit dieser Äußerung mehrere Wissens‐ rahmen beim Rezipienten 17 : Die wichtigste sprachpolitische Maßnahme, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Luxemburg umgesetzt wurde, war das Spra‐ chengesetz von 1984. Anzunehmen wäre, dass der APFL-Vorsitzende sich am Ausbau der luxemburgischen Sprache stört, die darin zur Nationalsprache er‐ hoben wurde. Mit der Äußerung „zënter dem Krich” wird zudem der Wissens‐ rahmen über die Sprachpolitik der deutschen Besatzung aufgerufen. Bis heute hat die Kriegsgeneration in Luxemburg ein ambivalentes Verhältnis zum Aus‐ druck ‚Deutsch’. Auch die Nachkriegsgeneration wurde mit diesem Wissen so‐ zialisiert und von den Sprachhandlungsmustern ihrer Eltern beeinflusst. Bei den 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 89 <?page no="90"?> 18 Es ist davon auszugehen, dass hierdurch der Einfluss der deutschen Sprache auf das luxemburgische Sprachsystem zunimmt und bei Dubletten, die aus deutschen oder französischen Entlehnungen entstanden sind (z. B.: Tëlee [aus dem frz. télé] oder Fernseh [aus dem dt. Fernseher]), zunehmend das deutsche Lehnwort ausgewählt wird und zu Ausbauzwecken generell der deutsche Wortschatz eher konsultiert wird als der französische. Eine Feststellung zu der auch der Luxemburger Linguist François Conrad gelangte und auf die die Schlussfolgerungen der Studie Baleine aus dem Jahr 1998 bereits hinwiesen (vgl.Fehlen / Margue 1998: 16; Fehlen 2009: 218). Folgegenerationen öffnen sich dagegen zunehmend andere Wissensrahmen, wenn die Sprachbezeichnung oder der Nationen- und Kulturbegriff ‚Deutsch’ fallen. Die Strategie einen Zuwachs der deutschen Sprache als Bedrohung dar‐ zustellen, funktioniert nur noch bedingt. So sehen Schüler mit Familiensprache Luxemburgisch in der Vergangenheit keinen Grund mehr, der sie daran hindern könnte, die deutsche Sprache zu präferieren und sich für den deutschsprachigen Kulturraum zu interessieren. Sie wählen nach Möglichkeit die Sprache, deren Gebrauch ihnen am leichtesten fällt. Auch in der Universität zeigt sich, dass es bei dieser Sprachgruppe oft die deutsche Sprache ist. So weist Sieburg (vgl. 2009: 41) nach, dass Studierende der Universität Luxemburg mit Familiensprache Lu‐ xemburgisch sich nur selten für ein Seminar in französischer Sprache ent‐ scheiden, wenn das gleiche Seminar ebenfalls auf Deutsch angeboten wird. Morys (2012) präsentiert erste Teilergebnisse einer Studie über das Verhältnis von Studierenden für das Grundschullehramt an der Universität Luxemburg zur französischen Sprache. Sie bemerkt in fast allen untersuchten Biographien eine fest verankerte Unsicherheit im Umgang mit der französischen Sprache und ein daraus resultierendes Vermeidungsverhalten (vgl. ebd.: 37). Diesen Eindruck gewinnt auch der Soziologe Fernand Fehlen. Er konstatiert, dass die „jeunes […] se disent en même temps les moins familiers avec le français“ (vgl. 2009: 191). Deutschlehrer, die für diese Arbeit befragt wurden, beobachten besonders in den klassischen Gymnasien (ES), die traditionell mehr Schüler mit Erstsprache Luxemburgisch besuchen, dass sich die Einstellungen gegenüber den einzelnen Landessprachen zurzeit erheblich zugunsten der luxemburgischen und der deut‐ schen Sprache verschieben. Wenn Schüler dort die Möglichkeit erhalten eine Sprache wegzulassen, entscheiden sie sich häufig gegen das Schulfach Franzö‐ sisch: 18 F. S: „A wéi ass hirt Verhältnis zum Franséischen par rapport lo zum Däitschen? Also wat fir eng Roll gëtt dem Däitschen zougeschriwwen a wat fir eng dem Franséischen? “ Romain Dockendorf (Deutschlehrer): „Mir hunn ee Phänomen, deen duerch de Choix vun de Sproochen op de classes terminales agetratt ass, dat ass menger Ansicht no e Refus vum Franséischen. Där Sprooch gëtt sech zënter der 4 ième wäitgehend ent‐ V. Der Bildungsdiskurs 90 <?page no="91"?> 19 Romain Dockendorf: „Wir haben es gegenwärtig mit einem Phänomen zu tun, das eingetreten ist, weil der Schüler auf der 4 ième die Möglichkeit erhält, eine Sprache ab‐ zuwählen. Und dieses Phänomen ist meiner Meinung nach als Ablehnung des Franzö‐ sischen zusammenzufassen. Dieser Sprache wird sich ab 4 ième weitestgehend entzogen, vor allem [aufgrund] ihrer Komplexität für uns Luxemburger. Wir gehen dann über zum Deutschen.“ zunn, virun allem hirer Komplexitéit fir eis Lëtzebuerger an da gi mer op d’Däitscht.“ 19 Der Lehrer erklärt im weiteren Verlauf unseres Gesprächs, dass er anfangs davon ausgegangen sei, die Wahlmöglichkeit sei fatal für die Zukunft des Deutschun‐ terrichts, da das gesprochene Französisch schließlich im Alltag der Schüler weitaus präsenter sei als das Deutsche, das Gegenteil trat jedoch ein: F. S.: „Wéi erkläert Der Eech dat dann? Ass dee Refus vum Franséischen villäicht doduerch ze erkläeren, dass awer am Land d’Franséischt alt méi präsent gëtt, datt mer am Alldag jo alt méi Franséisch schwätzen? “ Romain Dockendorf: „Als Selbstbewosstsäin, als Bestätegung vun der eegener Na‐ tionalitéit oder vun der eegener Familiaritéit mat der Sprooch, dat ass méiglech. Ech gesinn et primär ganz einfach och, t’ass eng ‚solution de facilité’. Mir sinn am Däit‐ schen opgewuess, mir sinn am Däitschen alphabetiséiert ginn, de Milieu hei am Kol‐ léisch, ganz oft och schonn mat däitsche Märercher, mat däitsche Kassetten als Kanner opgewuess, also Däitsch oft a Bildungsmilieuen parallel geléiert. T’ass einfach déi Sprooch, déi mer maniéieren a wou mer och déi mannsten negativ Erfarungen mat maachen. An dat anert ass ee mühsamt Léieren. Ech hunn ëmmer gesot, wéi mer dee Choix do krit hunn, dat do ass déidlech fir d’Däitscht. An ee Kolleg sot deemools, t’ass déidlech fir d’Franséischt, si sichen d’Facilitéit. […] Erstaunlich vill Leit, also bei mir op der 1 ère 21 vun 26 presentéiere sech am Däitschen am Mëndlechen. An déi meescht, déi een do freet, ginn och an den däitschsproochege Raum studéieren. […] Also si sichen d’Sprooch einfach nom Wohlfühlfaktor - an nom Sécherheetsfaktor. […] T’kënnt och dobäi dass, wéi soll ee soen, déi traditionell antidäitsch Haltung duerch 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 91 <?page no="92"?> 20 F. S.: „Womit erklären Sie sich denn diese Ablehnung des Französischen? Liegt es daran, dass im Land das Französische immer präsenter wird, dass wir im Alltag immer mehr Französisch sprechen müssen? “ Romain Dockendorf: „Als Selbstbewusstsein, als Be‐ stätigung der eigenen Nationalität oder aufgrund der eigenen Vertrautheit mit der Sprache, das ist alles möglich. Ich sehe darin primär ganz einfach auch ‚eine solution de la facilité’. Wir sind im Deutschen aufgewachsen, sind auf Deutsch alphabetisiert worden, die Umgebung hier im Lyzeum, ganz oft sind wir schon mit deutschen Mär‐ chen, mit deutschen Kassetten als Kinder aufgewachsen, also haben das Deutsche oft in Bildungsmilieus parallel erworben. Es ist einfach die Sprache, die wir [Luxemburger mit Familiensprache Luxemburgisch] am besten beherrschen - und mit der wir [diese Altersklasse von Schülern] auch die wenigsten negativen Erfahrungen machen. Und das andere ist ein mühsames Lernen. Ich habe immer gesagt als diese Wahlmöglichkeit kam, das wird dann der Todesstoß für das Deutsche sein, aber ein Kollege sagte mir, es wird tödlich für das Französische sein, denn sie suchen den einfachsten Weg. […] Er‐ staunlich viele, also bei mir auf der 1 ère sind es 21 von 26 wählen im mündlichen Abitur das Fach Deutsch. Und die meisten, die man dort so fragt, gehen im Anschluss auch für ein Studium nach Deutschland. […] Also sie suchen die Sprache einfach nach dem Wohlfühlfaktor aus - und nach dem Sicherheitsfaktor. […] Hinzukommt, dass diese antideutsche Haltung durch den Krieg verschwunden ist in dieser Generation. Sie haben da keine Berührungsängste mehr.“ de Krich, déi ass verschwonnen an där dote Generatioun. Si hunn do keng Beréie‐ rungsängschte méi.“ 20 Das negative Image der französischen Sprache führt im Umkehrschluss zu einer ‚Neuen Beliebtheit’ der deutschen Sprache. Der Kapitalwert von Französisch‐ kenntnissen ist den Schülern dabei durchaus bewusst. Aus der Studie BaleineBis geht hervor, dass die 18bis 24-Jährigen Französisch und Englisch in ihrem Ge‐ brauchswert als die wichtigsten Sprachen einstufen (vgl. Fehlen 2009: 190). Doch dieses Wissen und die Omnipräsenz des Französischen in der luxemburgischen Gesellschaft, tragen nicht dazu bei, dass ihr gegenüber ‚Nähegefühle’ entstehen. Der französischen Sprache haftet auf der einen Seite das Image einer schwer zugänglichen Sprache an. Der Unterricht ist bis heute auf die konzeptio‐ nell-schriftliche Perfektion hin ausgerichtet. Auf der anderen Seite wird sie in Luxemburg zur lingua franca im Austausch mit Migranten und der überwie‐ genden Mehrheit der Arbeitspendler. Beides kann bei Schülern sprachliche Ab‐ wehr- und Vermeidungsstrategien hervorrufen. Die Beobachtungen von Ro‐ main Dockendorf wurden von den Aussagen anderer Lehrkräfte gestützt. Der Deutschlehrer Fernand Weiler führte aus, dass seine Schüler zwischen dem Be‐ wusstsein für die Alltagsrelevanz der französischen Sprache im Land und ihrer negativen affektiven Einstellung gegenüber der Sprache zu trennen wissen: Fernand Weiler: „Absolut an si studéieren och, wat se ni gemaach hunn, zunehmend BWL, also Betribswirtschaftslehre, an Däitschland an da komme se rëm an hei musse V. Der Bildungsdiskurs 92 <?page no="93"?> 21 Fernand Weiler: „Absolut und sie studieren auch zunehmend, was sie nie gemacht haben, BWL, also Betriebswirtschaftslehre in Deutschland und dann kommen sie zu‐ rück und müssen sie hier auf Französisch ausüben können, das ist ja Nonsense, nicht wahr! […] Die sagen schlichtweg: „Ich hasse Französisch! “ Obschon sie sich natürlich bewusst sind, dass sie die Sprache brauchen. Hier in Luxemburg geht es nicht anders. Sie sind je nachdem [was sie machen wollen] auf Französisch angewiesen. Aber sie sind es nun mal gewöhnt, immer nur den einfachsten Weg zu wählen: Wenn Französisch schwierig ist, wird Deutsch gewählt. Auch wenn sie Französisch brauchen, gehen sie auf eine deutsche Uni und ich weiß nicht wie sich das dann am Ende auswirken soll.“ 22 Man unterscheidet instrumentelle und integrative Motivationsfaktoren, die zum Er‐ lernen einer neuen Sprache motivieren: Instrumentelle Motivation liegt vor, wenn der Lerner sich vom Erwerb unmittelbare, praktische Vorteile erhofft (etwa Vorteile auf dem Arbeitsmarkt) und Integrative Motivation, wenn beim Erwerb das Kennenlernen einer neuen Kultur im Vordergrund steht und man sich stark mit der Sprachgemein‐ schaft und der Zielkultur identifizieren kann (vgl. Kniffka / Siebert-Ott 2009: 65). se se op Franséisch féieren, dat ass jo nonsense, ne! […]. Déi soe carrément: „Ech haassen dat Franséischt! “ Obschonn se sech bewosst sinn natierlech, dass se déi Sprooch brauchen! Hei zu Lëtzebuerg geet et net anescht, jee nodeem, wat se spéider wëlle maachen, si se op Franséisch ugewisen. Mee si sinn och gewinnt, ëmmer nëmmen ‚chemin de la moindre difficulté’ ze wielen: Wa Franséisch schwiereg ass, gëtt Däitsch gewielt. Och wa si Franséisch brauchen, ginn si op eng däitsch Uni an ech weess net, wéi dat sech dann herno ausweise soll am Schluss.“ 21 Instrumentelle Motivationsfaktoren 22 werden beim Kosten-Nutzen-Abgleich so lange wie nur möglich beiseite geschoben. Es wird für die ‚solution de la facilité’ optiert und es ist der Deutschunterricht, der dieser Lösung eher entspricht als der Französischunterricht. Aufgrund der sprachsystemischen Nähe zwischen der luxemburgischen und der deutschen Sprache kann das Wissen aus der L1 genutzt werden. Die Erwerbsmethode des Deutschen in Luxemburg ähnelt eher dem Erwerb einer zweiten Muttersprache als dem einer früh erlernten Fremd‐ sprache, während Französisch eindeutig als Fremdsprache erworben wird, was die Ausbildung von Nähe- und Distanzgefühlen gegenüber beiden Sprachen mitbestimmt. Schüler mit Familiensprache Luxemburgisch begegnen der deut‐ schen Sprache und Zielkultur außerhalb der Schule bei positiv konnotierten Freizeitbeschäftigungen, wie Fernsehen und Internetsurfen. Sie entwickeln des‐ halb früh eine Leichtigkeit im Umgang mit der Sprache. Die französische Sprache wählen sie aufgrund der sprachsystemischen Distanz zum Luxembur‐ gischen seltener beim Medienverhalten, treffen allerdings täglich auf das ge‐ sprochene Französisch in der Gesellschaft. Die Mehrsprachigkeit Luxemburgs ist zu einem bedeutenden Teil der Ertrag des Bildungssystems. Bedeutung und Handlungsspielräume der Schulsprachen 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 93 <?page no="94"?> 23 Redinger (2010: 96) betont: „Luxembourg’s education system is governed by explicit lang‐ uage policies regulating the use of multiple languages in a multilingual education system.“ 24 Auf die Bedeutung des weitestgehend Unbestimmtlassens der Erwerbsmethode mithilfe von „wie eine“ wird in Unterkapitel 3.2.1 eingegangen. sind in den Lehrplänen der einzelnen Klassenstufen genauestens festge‐ schrieben. 23 Die Entscheidung, welche Sprache wie eine 24 Muttersprache und welche wie eine Fremdsprache unterrichtet werden soll, welche aus dem Lehr‐ plan gestrichen wird oder mehr Unterrichtsstunden erhält, bleibt nicht ohne Folgen für den Status der Sprachen in der Gesellschaft insgesamt (vgl. Redinger 2010: 96). Die nachstehenden Korpusauszüge belegen, dass die luxemburgische Sprachensituation als Ressource angesehen wird, deren Fortbestand von der Schule gewährleistet wird und werden muss: Die luxemburgische Primärschule besitzt vor allem zwei Trümpfe, um die man uns international beneidet: einerseits unsere Zweisprachigkeit und unsere langjährige Erfahrung auf dem Gebiet des Fremdsprachenunterrichts: andererseits eine außerge‐ wöhnliche Integrationsfähigkeit. Unsere Primärschule bringt es fertig, rund 35 % Aus‐ länderkinder in ein zweisprachiges Schulsystem zu integrieren (LW18: 18. 01. 1992). […] im Parlament wurde im November 2000 eine 24 Punkte enthaltende Motion ver‐ abschiedet. Deren Hauptakzente liegen in der Beibehaltung der einheitlichen Schule als Vorbedingung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Daneben soll aus Kom‐ munikations-, Wirtschafts-, sprich Überlebensgründen weiterhin auf die Dreispra‐ chigkeit gesetzt werden (Tagebl: 08. 06. 2002). On peut également affirmer que l’enseignement des matières non linguistiques en langue seconde ou langue étrangère est une des clés du plurilinguisme que l’on nous envie tant sur la scène internationale (MENFP 2010: 1). Lehrergewerkschaften und Fachverbände werden auch künftig reagieren, wenn von Regierungsseite angedacht wird, die Stundenanzahl in einer Schulsprache zu reduzieren oder die Inhalte des Sprachunterrichts zu verändern. Die APFL hat von allen Fachverbänden die stärkste Lobby. Der ‚Lëtzebuerger Germanis‐ tenverband’ (LGV) geht bis heute vorsichtig mit öffentlichen Stellungnahmen um, die den Deutschunterricht in Luxemburg und Kritik an sprachpolitischen Entscheidungen betreffen. Der Verein agiert in dem Bewusstsein, dass die For‐ derung nach einer Ausweitung des Deutschunterrichts schnell missverstanden werden kann als Forderung nach einer Ausweitung der deutschen Kultur in Luxemburg insgesamt. Im Juni 2005 untersuchte eine Expertengruppe des Europarates auf Wunsch des luxemburgischen Bildungsministeriums das Schulsystem und gelangte zu V. Der Bildungsdiskurs 94 <?page no="95"?> der Schlussfolgerung, dass die Schule den Wert der Familiensprachen ignoriere, die die Schüler mit in die Schule brächten. Vorhandene Sprachrepertoires würden weder aufgewertet noch in Sprachwissen umgewandelt (vgl. Goullier et al. 2006: v, vi, 18-20). Unmittelbar nach diesem Bericht wurde von politischer Seite in Luxemburg verstärkt versucht, Einfluss auf die mediale Diskursebene zu nehmen und die Sichtweise auf Mehrsprachigkeit dahingehend zu verändern, dass jede Sprache als Mehrwert anzusehen sei. Im Untersuchungskorpus zeigt sich auf der medialen Diskursebene ab 2006 eine Diskursprogression, die von der zuvor bewährten Denkweise „Dreisprachigkeit bleibt oberstes Prinzip“ (LW15: 03. 04. 1998) abrückt. BEISPIELE AUS DEM UNTERSUCHUNGSKORPUS VOR 2006 Als bedeutenden Pfeiler des nationalen Schulsystems bezeichnete A. Brasseur die Dreisprachigkeit, die nicht in Frage gestellt werden dürfe. Sei eine elementare Sprach‐ beherrschung nicht gegeben, so dürfe ein Schüler sich nicht durch die Schule „mogeln“ können, betonte die Ministerin (LW: 30. 11. 2000). Die Dreisprachigkeit des luxemburgischen Schulsystems will Unterrichtsministerin Anne Brasseur nicht in Frage stellen. Sie will aber die Sprachkenntnisse, besonders im technischen Sekundarunterricht, mehr als bisher auf die Berufsausbildung ab‐ stimmen (Telecr.: 09. 12. 2000). Die Dreisprachigkeit sei ein zentraler Aspekt des nationalen Schulsystems, wenn‐ gleich die Rolle des Luxemburgischen als Integrationsinstrument und Kommunikati‐ onssprache immer wichtiger werde (Wort4: 30. 01. 2003). DISKURSPROGRESSION AB 2006 Mehrsprachigkeit anstatt Dreisprachigkeit […] Es werde nicht nur Deutsch, Franzö‐ sisch und Luxemburgisch in den Schulhöfen gesprochen, sondern u. a. auch Portu‐ giesisch und Italienisch, stellte Frau Caldagnetto fest. Die Muttersprache der nicht-lu‐ xemburgischen Schüler solle nicht als Problem, sondern als Erbgut und Chance betrachtet werden. Geteilt wurde diese Einstellung übrigens auch von der Hauptre‐ ferentin, der Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (Wort34 / 35: 20. 03. 2006). Bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse spricht sich der Berichterstatter der Expertengruppe, Francis Goullier, für die Überprüfung einiger, für selbstverständlich geltender Errungenschaften aus. „Ist es notwendig, dass alle Schüler alle Sprachen in einem gleichen Ausmaß beherrschen müssen“, warf Goullier auf (LW3: 21. 03. 2006). Die Mehrsprachigkeit muss auf jeden Fall erhalten bleiben, aber sie darf für niemanden eine unüberwindbare Hürde in der Schule sein, so Delvaux (Telecr: 24. 03. 2007). 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 95 <?page no="96"?> Der Begriff der Mehrsprachigkeit wird umgedeutet. Es wird versucht, die Sicht‐ weise durchzusetzen, dass jede Sprache als Surplus anzusehen ist und Mehr‐ sprachigkeit an sich schon wertgeschätzt werden muss. Der Bericht kann als diskursives Ereignis im Sinne von Foucault gewertet werden. Im Diskurs besteht ein Konsens darüber, dass es die Aufgabe der Schule ist, sozusagen ‚von unten’, die Integration der Zuwanderer zu erreichen: […] le ministère a fait élaborer le papier Pour une école d'intégration, prônant haut et fort le principe de l'école publique unique et une intégration humaine des enfants de nombreuses cultures qui constituent désormais le Luxembourg (LL: 10. 06. 1996). Ich kann mir die Integration in unserem Land nicht anders ideal vorstellen als über die Schule (LW3: 26. 09. 1997). Hat nicht die Unterrichtsministerin selbst bereits allenthalben das Leitmotiv vorbe‐ reitet: „L’intégration passe par l’intégration scolaire“? (LW: 26. 02. 2000) Deren Hauptakzente liegen in der Beibehaltung der einheitlichen Schule als Vorbe‐ dingung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt (Tagebl: 08. 06. 2002). Damit verbunden ist die Überzeugung, dass ein Schulsystem, das die Schulpo‐ pulation von Anfang an, also bereits in der Grundschule, nach ihren Sprach‐ kenntnissen aufteilen würde, langfristig zur Entstehung von Parallelgesell‐ schaften führen würde. Dieses Argumentationsmuster wird als TOPOS DER EINHEIT definiert, das nach dem folgenden Schema funktioniert: Weil eine Spaltung der Schule eine Spaltung der Gesellschaft nach sich ziehen würde, muss die Schule eine Einheit bleiben. Im Diskurs taucht dieser Topos vor allem dann auf, wenn über die Einführung eines französischen Alphabetisierungszweiges als Begleitangebot zur deutsch‐ sprachigen Alphabetisierung in der luxemburgischen Grundschule nachgedacht wird: Wenn auch auf den ersten Blick dieses System einige Vorteile für die ausländischen Kinder böte, so würde eine zweite Schule gegründet, welche die Integration der Aus‐ länder fast unmöglich mache (LW3: 23. 03. 1983). Wir schaffen auf diese Weise [Einführung eines französischsprachigen Schulzweiges neben dem bestehenden] zwei Sprachgruppen innerhalb eines Landes mit den daraus resultierenden möglichen Konfliktsituationen (LW: 21. 08. 1999). V. Der Bildungsdiskurs 96 <?page no="97"?> Da die Integration in der Schule geschehe, sprach sich die Direktorin gegen franzö‐ sischsprachige Klassen aus, die zu einer Isolierung dieser Schüler führen würden (LW: 16. 05. 2002). 2.2 Die Gemeinschaft der Diskursteilnehmer Migranten treten selten als Teilnehmer der Diskursgemeinschaft hervor, die in Luxemburg über das Bildungssystem diskutiert. Um mitdiskutieren zu können, müssen Zuwanderer den linguistischen Habitus des Ziellandes erlernen. Eine mangelhafte Beherrschung führt zu Informationsdefiziten und / oder zur Exklu‐ sion von Entscheidungsprozessen. Analysen des Medienkorpus haben gezeigt, dass die französischsprachige Wochenzeitung Le jeudi verstärkt gesellschafts‐ politische Themen für ein zugewandertes Leserpublikum auf Französisch auf‐ bereitet. Gleiches galt auch für die Voix du Luxembourg (Verlagshaus Saint Paul), die 2011 eingestellt wurde. Das Verstummen der französischen Zeitung deutet nicht nur auf eine generelle Präferenz der Luxemburger für die deutsche Sprache als Mediensprache hin, sondern auch auf ein nur bedingtes Interesse der Zu‐ wanderer bestimmter Milieus an inländischen Nachrichten (s. a. Kapitel IX). Unzureichende Sprachkenntnisse sind demnach nicht die alleinige Ursache, weshalb Bürger mit Migrationshintergrund seltener ihre Stimme erheben, um am Diskurs zu partizipieren. Es gibt Medienangebote, die nicht in den Landes‐ sprachen, sondern auf Portugiesisch, Englisch und in anderen Sprachen verfasst sind. Seit 1970 besteht beispielsweise für die größte Zuwanderergruppe, die Portugiesen, ein umfassendes Informationsangebot, das zu seiner Zielgruppe allerdings nie vollends durchdringen konnte. (s. a. ebd.). EXKURS: Das Bildungssystem in Portugal Das Ende der Diktatur in Portugal ist noch jung. Erst 1974 wurde sie durch eine friedliche Revolution beendet, wirkt jedoch bis heute nach. Vor der Nelkenre‐ volution war der Analphabetismus im Land weit verbreitet, rund ein Drittel der portugiesischen Bevölkerung konnte weder richtig lesen noch schreiben (vgl. srf et al. 2014). Portugiesen, die damals nach Luxemburg auswanderten, hatten selten eine abgeschlossene Grundschulausbildung. Bis heute geht ein Großteil von ihnen in Portugal früh von der Schule ab (vgl. Santiago et al. 2012: 9). 2009 konnten nur 30 % der 25bis 64-jährigen Portugiesen, die dem Arbeitermilieu entstammen, einen oberen Sekundarschulabschluss vorweisen. Das ist die nied‐ rigste Rate in der OECD. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 73 % (vgl. ebd.). Auch wenn die Zuwanderer, die heute aus Portugal kommen, deutlich freier und of‐ fener erzogen sind als ihre Eltern, sind es größtenteils Arbeitsmigranten, deren 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 97 <?page no="98"?> 25 Eine zweite Fremdsprache muss, seit der Bildungsreform im Jahr 2002, im dritten Grundschulzyklus (7. Klasse) erlernt werden (vgl. Leclerc 2014). Die meisten Portu‐ giesen wählen dann Französisch. Spanisch oder Deutsch sind ebenfalls möglich (vgl. ebd.). Die Grundschulzeit in Portugal umfasst neun Jahre, die Schüler besuchen die Grundschule ab dem Alter von sechs Jahren und schließen im Alter von 15 Jahren die Grundschule ab (vgl. ebd.). 26 s. a. Unterkapitel 3.2.2. Verdienst sich im Niedriglohnbereich ansiedelt. Charakteristisch für diese Zu‐ wanderergruppe ist, dass sie ein wenig elaboriertes Portugiesisch oder kapver‐ disches Kreol und nur ein elementares Französisch (A1bis A2-Niveau) be‐ herrscht. Ende 2000 fand in der luxemburgischen Abgeordnetenkammer eine Orientierungsdebatte zum Thema „Une école d’intégration“ statt. Die Verant‐ wortlichen der ASTI (Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés) gaben darin zu bedenken, dass ein Großteil der Eltern mit Migrationshintergrund nicht in der Lage sei, die schulischen Fortschritte seiner Kinder zu verfolgen (vgl. CHD 2000: 26). Grund sei der Bildungsstand der Eltern und nicht oder nur unzurei‐ chend vorhandene Kenntnisse in den luxemburgischen Landessprachen (vgl. ebd.). 2005 wurde das portugiesische Bildungssystem erneut reformiert. Seither ist nicht mehr Französisch, sondern Englisch die erste Fremdsprache, die in der dritten Klasse erlernt wird (vgl. Leclerc 2014). 25 Auswanderer, die aus Portugal nach Luxemburg kommen, können daher nicht mehr zwingend Französisch‐ kenntnisse vorweisen: „Das Profil dieser Menschen ist sehr variabel. Verschiedene sind wenig qualifiziert, andere dagegen sehr gut. Man sprach mir von Personen, die Universitätsdiplome haben, jetzt aber Teller waschen oder in einem Umzugsunternehmen arbeiten. Da gibt es oft ein Sprachenproblem, weil diese Menschen keine Fremdsprache oder nur Eng‐ lisch sprechen. Französisch ist nicht mehr die Fremdsprache, die es einmal in Portugal war.“ (LW4: 07. 03. 2012) Luxemburgs Grundschulen bieten so genannte cours d’accueils an. Diese Inten‐ sivkurse sind darauf ausgerichtet, Zuwandererkinder, die während eines lau‐ fenden Schuljahres in Luxemburg ankommen und weder Deutschnoch Fran‐ zösischkenntnisse mitbringen, möglichst schnell mit einer Kommunikationssprache auszustatten. 26 Bei der ersten Begegnung soll das Lehrpersonal der cours d’accueils den Eltern das luxemburgische Bildungs‐ system und die Sprachensituation erklären. Es soll ihnen verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Landessprachen anzunehmen und damit ein Vorbild und eine Motivation für die eigenen Kinder zu sein. Das Bildungsministerium stellt den Schulen seit 1999 außerdem Dolmetscher und kulturelle Mediatoren zur Seite, V. Der Bildungsdiskurs 98 <?page no="99"?> 27 Allerdings sagte die Leiterin des Service de la scolarisation des enfants étrangers im Bil‐ dungsministerium im Oktober 2014 im Tageblatt-Interview, dass man sich durchaus „die Frage [stelle], ob nicht den vielen anderen Sprachen in Luxemburg [ebenfalls] Rech‐ nung [ge]tragen [werden] müss[t]e […]” (vgl. Tagebl25: 10. 10. 2014). Verschiedene Zu‐ wanderergruppen können längst außerhalb der Schulstunden auf Sprachkurse und Nachhilfeunterricht für ihre Kinder zurückgreifen. So bestehen Italienischkurse seit 1983. Botschaften organisieren Sprachkurse, daneben existieren Migrantenvereini‐ gungen (bosnische, serbische etc.), die außerschulischen Sprach- und Nachhilfeunter‐ richt anbieten. 28 Die Kantone Diekirch, Echternach, Esch-Alzette, Grevenmacher, Luxemburg, Remich und Vianden bieten den integrierten Portugiesischunterricht an (vgl. www.portugaledu.lu). Sie werden vom portugiesischen Institut Camões (Institut de la Coopération et de la Langue) verwaltet, das dem portugiesischen Außenministerium untersteht. In verschie‐ denen Gemeinden wird der Portugiesischunterricht außerhalb der regulären Schul‐ stunden an freien Nachmittagen angeboten (Stand 2017). um bei Bedarf die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften zu erleich‐ tern (vgl. LW5: 22. 01. 2004). Zu Dolmetschern und kulturellen Mediatoren werden gelegentlich auch die Lehrkräfte der sogenannten Cours intégrés en langue maternelle in den Grundschulen. Diese Kurse wurden 1983 vom luxem‐ burgischen Bildungsministerium eingeführt. Zu Beginn wurde der integrierte Muttersprachunterricht in Schulen, die einen hohen Migrationsanteil auf‐ wiesen, in den Sprachen ‚Italienisch’, ‚Spanisch’ und / oder ‚Portugiesisch’ an‐ geboten. Anfangs sollten die Kurse Kindern aus Zuwandererfamilien, die planten in absehbarer Zeit wieder in ihr Herkunftsland zurückzukehren, aus‐ reichende Muttersprachkenntnisse vermitteln (vgl. Tagebl25: 10. 10. 2014). Die meisten Familien blieben jedoch in Luxemburg. Seit 2005 existieren landesweit nur noch die ‚Cours intégrés en langue portugaise’ (COIP). Der Anteil der übrigen Nationalitäten ist in den Grundschulen mittlerweile zu gering, um die Beibe‐ haltung der Kurse zu rechtfertigen. 27 Der Muttersprachunterricht wird damit begründet, dass „Studien gezeigt [hätten], dass Kinder, die den Kontakt zu ihrer Muttersprache behalten, sich leichter gegenüber Neuem öffnen [würden] und schneller neue Sprachen lernen könn[t]en” (vgl. ebd.). Eine Studie von Tonnar-Meyer / Unsen / Vallado (vgl. 2005: 24) konnte jedoch keinen signifi‐ kanten Zusammenhang zwischen dem Besuch der COIP-Kurse und dem schu‐ lischen Erfolg der Kinder in Luxemburg ausmachen. Im Schuljahr 2013 / 2014 besuchte ein Viertel aller portugiesischen Grundschüler die COIP-Kurse (vgl. Tagebl25: 10. 10. 2014). 28 Die Einschreibungszahlen sind rückläufig. Viele Eltern sind mittlerweile der Meinung, dass es ihren Kindern mehr hilft, wenn sie den regulären Unterricht besuchen, der auf Deutsch abläuft (vgl. ebd.). Während im COIP-Kurs der Lernstoff in den Fächern Geografie, Naturwissenschaften und 2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs 99 <?page no="100"?> Geschichte auf Portugiesisch unterrichtet wird, wird in der regulären Klasse dasselbe Wissen auf Deutsch vermittelt (vgl. ebd.). Gegenwärtig leben viele Portugiesen in der zweiten oder dritten Generation in Luxemburg und verfügen über eine vollkommen andere Lern- und Sprach‐ biografie als ihre Eltern, Großeltern und Neuzuwanderer. Sie haben das luxem‐ burgische Bildungssystem teilweise oder ganz durchlaufen und die Landesspra‐ chen erworben. Wer den Gesprächen junger Migranten heute zuhört, bemerkt wie sie, gerade im Austausch mit Gleichaltrigen, wo die Erwartungen an die Ausdruckswahl geringer sind, die Sprachen, die sich in ihren Repertoires be‐ finden, vermischen. Sie haben eine multilinguale Identität ausgebildet. Mitten im Gespräch wird zwischen verschiedenen Sprachsystemen hin und her ge‐ wechselt (code-switching) - wenn es schnell gehen soll, werden die Sprachen sogar gemixt (code-mixing). Die Schule hat hier eine Grundlage geschaffen, die außerhalb der schulischen Wertmaßstäbe unbefangen als Mehrsprachigkeit ge‐ nutzt wird. 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 3.1 Die Entwicklung des linguistischen Startkapitals im Grundschulzyklus 1 Im Volksmund wird der Cycle 1 bis heute ‚Spillschoul’ (Spielschule) genannt. Die Aufgaben, die die luxemburgische Vorschule zu erfüllen hat, reichen aber weit über Malen, Basteln und Spielen hinaus. Zu ihren Hauptaufgaben gehört es, bei allen Kindern die Erst- und Zweitsprache Luxemburgisch zu festigen und damit eine Grundlage zu schaffen, die den weiteren schulischen Erfolg maßgeblich mitbestimmt. Lëtzebuergeschkenntnisse werden zum Fundament für den Aufbau weiterer Sprachen. Außerdem sollen die Kinder, die verschiedenste Fa‐ miliensprachen mitbringen, durch das Erlernen einer gemeinsamen Ausgangs‐ sprache zu einer Sprach- und Schulgemeinschaft zusammenwachsen. Lëtzebu‐ ergesch hat im Land den Status der Integrationssprache (s. a. Kapitel VI.). Das Wissen um den hohen Stellenwert der luxemburgischen Sprache und das spe‐ zifisch luxemburgische Sprachhandlungswissen werden also von Anfang an kommuniziert. Kühn (2008: 16) konstatiert, dass „[…] die Éducation préscolaire [innerhalb des luxemburgischen Schulsystems] eine besondere sprachenpolitische Verantwortung und sprachencurriculare Bedeutung [einnehme].“ Aussagen aus den späten 1990er Jahren zeigen, dass die Früherziehung 1998 / 1999 eingeführt wurde, um eine sprachlich heterogene Schulgemeinschaft möglichst frühzeitig V. Der Bildungsdiskurs 100 <?page no="101"?> zusammenzuführen und mit der integrativen Sprache ‚Luxemburgisch’ auszu‐ statten: Redet man von Integration, kommt man nicht umhin, auch von Früherziehung (édu‐ cation précoce) zu reden. Denn es ist längst erwiesen, dass gerade die ersten Lebens‐ jahre ganz entscheidend sind, was die Möglichkeiten zur Integration anbelangt, sei es Sozialisation im allgemeinen, sei es die Integration von Kindern mit speziellen Schwie‐ rigkeiten im Besonderen, aber auch die kulturelle Integration und ganz generell das Erlernen von Sprachen (LW3: 02. 02. 1998). Der Prozess der Integration soll sich vollziehen durch das Erlernen des Luxemburgi‐ schen - das ist die aktuelle Zielsetzung von Vorschule und Früherziehung - das allein als Umgangssprache dazu berufen ist, die verschiedenen Nationalitäten zusammen‐ zuschweißen. Außerdem soll das Lëtzebuergesch später als Sprungbrett dienen beim Erlernen des Deutschen (LW28: 21. 08. 1999). Die meisten Pädagogen sind sich darüber einig, dass die Früherziehung (éducation précoce) in Zukunft deshalb von großer Wichtigkeit sein wird - sie hilft soziale Bar‐ rieren abzubauen und fördert die Integration durch eine gemeinsame Sprache (Telecr: 09. 12. 2000). Im Schuljahr 2012 / 2013 nutzten 4 141 Kinder das Früherziehungsangebot (vgl. Mahon 2014: 12). 62,8 % davon sprach zuhause kein Luxemburgisch (vgl. ebd.: 102). Im September 2014 kündigte Bildungsminister Claude Meisch an, die Kin‐ dertagesstätten in Luxemburg reformieren zu wollen. Die Aufgaben der Kitas sollen deutlich erweitert werden: “All crèches must be bilingual in the future“, Minister Meisch said, adding they will be essential in preparing young learners for school. Furthermore, he said crèches should not be considered simply as a babysitting service but as a step towards helping children to become bilingual, increasing personal experiences (Wortonline: 09. 07. 2014). Die geplante Reform sieht vor, in öffentlichen Kindertagesstätten künftig zwei Sprachen, Luxemburgisch und Französisch, zu benutzen. Damit deutet sich eine Verschiebung der sprachpolitischen Akzente an: Das Gewicht wird nicht mehr allein auf dem Erwerb der luxemburgischen Sprache liegen, sondern ergänzt. Auf diese Weise sollen bereits im frühen Kindesalter positive Erfahrungen im Umgang mit beiden Sprachen gemacht werden, die sich prägend auf ein mehr‐ sprachiges Bewusstsein auswirken. Dahinter steht auch der Gedanke den ne‐ gativen Einstellungen, die Schüler mit Familiensprache Luxemburgisch zurzeit gegenüber der französischen Sprache ausbilden, entgegenzuwirken. Wird ‚Fran‐ 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 101 <?page no="102"?> zösisch’ bereits früh mit positiven Erfahrungen verknüpft, verringert sich the‐ oretisch das Risiko stabile negative Einstellungen gegenüber der Sprache zu entwickeln. Ein als exemplarisch zu betrachtender Einblick in eine luxemburgische Vor‐ schulklasse konnte im Gespräch mit einer Vorschullehrerin aus dem Norden des Landes gewonnen werden. Pro Schuljahr betreut sie in etwa 18-20 Vorschul‐ kinder. Die Klassenzusammensetzung zum Schulanfang im Winter 2014 / 2015 sah folgendermaßen aus: Vorschullehrerin: „Zum Schulanfang sind 18 Kinder gemeldet. Normalerweise sind es immer so um die 14-15 Kinder für die Vorschule und 4-5 Précoce-Kinder. In diesem Jahr weist die Liste auf den ersten Blick mehr Kinder mit luxemburgischer Staatsan‐ gehörigkeit auf als gewöhnlich, was aber nicht bedeutet, dass diese Kinder zuhause Luxemburgisch sprechen. Oft besitzen die Eltern die luxemburgische Staatsangehö‐ rigkeit, ihre Kinder wachsen aber mit einer anderen Muttersprache als Luxemburgisch auf.“ Nicht jedes Klassenzimmer in Luxemburg weist die hier beschriebene sprach‐ liche Heterogenität auf. Sie ist allerdings eher die Regel und nicht die Ausnahme. Die Migration ist regional unterschiedlich verteilt. So liegen die Gemeinden La‐ rochette, Esch-Alzette und Differdingen mit Migrationsanteilen von 69,4 %, 69,1 % und 66,9 % in den Grundschulen derzeit an der Spitze (vgl. Mahon 2014: 20). Gemeinden wie Leudelange oder Harlange weisen demgegenüber mit 33,3 % und 25,1 % einen bedeutend geringeren Anteil an Schülern mit nicht-luxembur‐ gischer Staatsangehörigkeit auf (vgl. ebd.: 20 f.). In solchen Gemeinden ist weitaus weniger Spracharbeit erforderlich als auf den folgenden Seiten darge‐ legt wird. Die Gruppe der Schüler mit Migrationshintergrund ist darüberhinaus in sich sehr heterogen. Die portugiesischen Einwanderer stellen die zahlen‐ mäßig größte Migrationsgruppe mit 25,9 %, gefolgt von den Zuwanderern aus Ex-Jugoslawien (5,1 %), den Franzosen (4,8 %) und Belgiern (2,3 %) (vgl. ebd.: 8). Es ist schwierig schulcurriculare Vorgaben für das ganze Land zu machen. Oft kommen Kinder aus Familien, in denen kein Luxemburgisch gesprochen wird, erst mit drei Jahren zum ersten Mal mit der luxemburgischen Sprache in Kon‐ takt, wenn sie die fakultative Früherziehung besuchen. Vorschullehrerin: „Es hängt davon ab, ob das Kind schon eine Kita besucht hat [in der Luxemburgisch gesprochen wurde] und wie die Situation zuhause ist. Wenn ältere Geschwister im Haus sind, hat es oft schon einige luxemburgische Wörter bei diesen aufgeschnappt. Sehr wichtig ist auch die Einstellung der Eltern, ob diese der Spra‐ V. Der Bildungsdiskurs 102 <?page no="103"?> 29 Zuwanderer, die keine Notwendigkeit darin sehen, sich sprachlich anzupassen, entwi‐ ckeln, wenn überhaupt, nur eine Pidgin-Varietät, die für die Bewältigung des Alltags ausreichen muss (vgl. Huneke / Steinig 2010: 21). In Luxemburg kann die Mehrheit der Migranten relativ weit mit ihrer Erstsprache kommen. So finden portugiesische Ein‐ wanderer oft eine Anstellung im Bau- und Reinigungssektor, wo als Zugangsvoraus‐ setzungen Portugiesischkenntnisse und ein rudimentäres Französisch vollkommen ausreichen. 30 So sollen sie zum Beispiel eher von einem ‚Kéisecker’ [kəɪsɛkɐ] als von einem ‚Igel’ [i: ʒəl] sprechen und vom ‚Kaweechelchen’ [kave: ʃəlʃən] und nicht vom ‚Eichhörnchen’ erzählen. chensituation des Landes und der luxemburgischen Sprache offen gegenüber‐ stehen.“ 29 Bei den Dreibis Vierjährigen, die im Winter 2014 / 2015 eine neue Schulge‐ meinschaft bildeten, war aller Anfang wieder schwer. Der Anteil jener Kinder, die in den Zyklus 1.1 (erstes Jahr Kindergarten) kommen und bereits Luxem‐ burgisch beherrschen, liegt zurzeit bei unter 40 % (vgl. Wortonline: 16. 02. 2014). Auf die Frage hin, wie sie in den ersten Wochen vorgehe, um mit den Kindern zu kommunizieren, die nahezu kein Lëtzebuergesch verstünden, antwortete die Vorschullehrerin: Am Anfang reden wir wirklich mit Händen und Füßen. Das erste, womit wir anfangen ist das Schulvokabular, d. h. wir lernen alle Bezeichnungen für Dinge, die mit der schulischen Umgebung, in der sich die Kinder ab sofort aufhalten, zu tun haben. Die zentralen Wörter und Sätze werden immer wieder aufs Neue wiederholt, denn es ist die Wiederholung, die es macht und zu einer Verinnerlichung der Sprache führt. Ich verbessere die Kinder auch, tue dies allerdings in einer spielerischen Art und Weise. Fragt zum Beispiel ein Kind: *’Joffer, kannen ech an d’Toilett? ’ Dann entgegne ich amüsiert: ‚Igitt, an d’Toilett? Wëlls du net léiwer op d’Toilett? ’ Ich greife also die feh‐ lerhaften Aussagen auf und formuliere sie noch einmal korrekt um. Die Lehrkräfte, die in den staatlichen Kitas, in Früherziehung und Vorschulen unterrichten, sind, unabhängig von der Klassenzusammensetzung, angehalten, ab dem ersten Schultag Luxemburgisch mit den Kindern zu sprechen. Sie sollen sich um eine korrekte und deutliche Aussprache bemühen und luxemburgische Bezeichnungen deutschen Entlehnungen vorziehen. 30 Ein gefestigter Wort‐ schatz im Luxemburgischen „facilitera non seulement leur intégration dans la société, mais d’un autre coté, il devra leur permettre d’aborder avec moins de dif‐ ficultés l’allemand, langue d’alphabétisation en première année d’études pri‐ maires“, heißt es u. a. bei Berg und Weis (2005: 51). Auf diese Weise soll das Kind später deutlich zwischen der luxemburgischen und der deutschen Sprache un‐ 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 103 <?page no="104"?> 31 Zum Begriff der literacy bridge s. a. Weber (2012: 130 ff.). 32 Die nachstehenden Korpusauszüge belegen die Akzeptanz der ‚Brückenthese’, wobei das Korpusbeispiel LL: 18. 09. 2008 andeutet, dass nicht wirklich bekannt ist, wie der Gang über diese Brücke tatsächlich funktioniert: „Im Vorschulunterricht werde das Lehren der luxemburgischen Sprache mit Nachdruck gefördert, da ihr die Brückenfunktion zwischen der Muttersprache der Kinder und der Alphabetisierungssprache, dem Deutschen, zukomme.“ (LW: 23. 01. 1999); „Sprache als Kontaktbrücke. […] „Das Erlernen des Luxem‐ burgischen stellt de facto eine Plattform da [sic], die es später auch eigentlich französisch‐ sprachigen Schülern erlaubt, mit Deutsch als Unterrichtssprache umzugehen.“ (Telecr: 14. 02. 2004); „Dessen ungeachtet preist der bildungspolitische Mainstream von ADR bis Déi Gréng die „Brückenfunktion“ der „Integrationssprache Luxemburgisch“, obwohl nie‐ mand genau weiß, welche luxemburgischen Wörter portugiesische, kapverdische und an‐ dere Einwandererkids kennen müssen, um bei der Alphabetisierung in Deutsch nicht ins Hintertreffen zu geraten.“ (LL: 18. 09. 2008) 33 Wenn Schüler sich gegenseitig helfen und auf diese Weise den Spracherwerb voran‐ treiben, spricht man auch von peer learning (vgl. Franceschini 2011: 47 f.). Auf allen Klassenstufen kommt es zu Situationen, wo Schüler bei Gruppenarbeiten oder wenn sie merken, dass ihr Banknachbar etwas nicht versteht, ins Luxemburgische, Portugie‐ sische oder in eine andere Sprache wechseln, um ihrem Gegenüber die Aufgabe zu erklären. In diesen Momenten setzen sie sich über die offizielle Schulsprache hinweg. terscheiden können. Die Kompetenzen im Luxemburgischen sollen gegen Ende des Zyklus 1 so weit ausgebildet sein, dass sie die Brücke (literacy bridge) 31 zum daran anschließenden Erwerb der deutschen Sprache bilden können. 32 Obschon sie in der Vorschule relativ schnell Basiskenntnisse in der luxem‐ burgischen Sprache erwerben, reagieren Kinder, denen die luxemburgische Sprache fremd ist, in den ersten Wochen oft verstört auf das neue sprachliche Umfeld. Die frühe Mehrsprachigkeit wird fortan die gesamte Persönlichkeit des Kindes beeinflussen, zur Entwicklung neuer sprachlicher Registerebenen führen und die Bedeutung der Muttersprache verändern (vgl. Huneke / Steinig 2010: 13). Vorschullehrerin: „In einer ersten Phase haben die Kinder Heimweh. Sie müssen sich erst an die neue Situation gewöhnen. Manchmal vergebe ich auch an eines der älteren Vorschulkinder die Rolle des Dolmetschers. Es darf dann dem jüngeren Kind in dessen Muttersprache erklären, was es machen soll. 33 Ich selbst kann auch die wichtigsten Wörter auf Portugiesisch, aber Bosnisch oder Serbokroatisch kann ich zum Beispiel nicht. Und wir haben auch Kinder die Kreol sprechen oder eine andere Sprache. Notfalls benutzen wir Hände und Füße. Wir kommen zurecht. Von den Kin‐ dern erwarte ich, dass sie in der Klasse Luxemburgisch reden. Wenn das Pausenspiel auf Portugiesisch abläuft, störe ich sie nur, wenn ich sehe, dass durch die Sprache andere Kinder ausgegrenzt werden.“ V. Der Bildungsdiskurs 104 <?page no="105"?> 34 Inzwischen gilt die Annahme, dass die Erstsprache eines Kindes bis zu einem be‐ stimmten Niveau entwickelt sein muss, damit sich die Fähigkeiten in der Zweitsprache angemessen entfalten können (Schwellenniveauhypothese) zwar als widerlegt, Konsens besteht aber darüber, dass die gesamte sprachliche Entwicklung als einheitlicher Pro‐ zess zu betrachten ist, bei dem die Fähigkeiten und das Wissen aus der einen in die andere Sprache übertragen werden (vgl. Gomolla 2011: 36). 35 Portugiesisch für grün, rot, orange. Kinder, die aus einem sprachbewussten Elternhaus stammen und mittleren bis höheren Sozialmilieus angehören, finden sich in der Regel zügig in der neuen Sprachumgebung zurecht (vgl. ebd.: 17). Wachsen sie allerdings in einer sprach‐ armen und bildungsfernen Umgebung auf, kommen sie mit schwach ausge‐ prägten Sprachkompetenzen in die Schule. Bei der portugiesischen Migrations‐ gruppe ist dies leider oft der Fall. Hierunter fallen auch viele kapverdischen Einwanderer mit portugiesischem Pass. So ist die Erstsprache Portugiesisch oder das kapverdische Kreol vielfach nicht altersentsprechend entwickelt, wenn im Alter von drei bis vier Jahren Lëtzebuergesch als Zweitsprache hinzukommt. Auf diesem ‚unstabilen Gerüst’ weitere Sprachen aufzubauen, fällt schwer. 34 Hat das Kind kein altersgerechtes Bewusstsein dafür, ob die Ampel nun ‚verde’, ‚ver‐ melho’ oder ‚laranja’ 35 anzeigt, hat es zugleich Schwierigkeiten seine Kapazi‐ täten im Luxemburgischen weiter auszubauen. Um herauszufinden, wo das Kind in der Sprachentwicklung steht, testen Experten im Auftrag des Bildungsmi‐ nisteriums die portugiesischen Vorschulkinder auf ihren Sprachstand hin. Die Sprachentwicklung in einer anderen Erstsprache kann ebenfalls auf Anfrage der Lehrkraft hin überprüft werden. 3.2 Eine Alphabetisierung auf Deutsch Am Ende des Grundschulzyklus 1 sollte die luxemburgische Sprache so weit gefestigt sein, dass nach den Sommerferien auf Deutsch alphabetisiert werden kann. Für Kinder mit Familiensprache Luxemburgisch stellt eine Alphabetisierung in deutscher Sprache bis auf wenige klassische Interferenzfehler kein Problem dar. In den Experteninterviews gingen die Grundschullehrer von keinem be‐ deutsamen Leistungsgefälle zwischen den Textproduktionen luxemburgischer und bundesdeutscher Schüler aus - anders die Sekundarschullehrer, die den luxemburgischen Schülern circa ein Jahr Rückstand auf deutsche Mutter‐ sprachler attestierten (s. a. Unterkapitel 4.1). Das ist zum einen auf die sprach‐ genealogische Verwandtschaft beider Sprachen zurückzuführen. Zum anderen verfügen die Sechsjährigen für gewöhnlich bereits über einen Grundwortschatz 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 105 <?page no="106"?> 36 Dazu Fehlen (2013a: 48 f.): „Durch den nicht zu vernachlässigenden Einfluss der deutschen Fernsehsender, die bevorzugt von den Luxemburgern konsumiert werden, nähern sich die politischen und kulturellen Weltsichten dies- und jenseits der Mosel an.“ 37 In der Studie BaleineBis gaben 32 % der befragten Portugiesen an, Portugiesisch sei ihre Hauptfernsehsprache, bei 54 % war es Französisch (vgl. Fehlen 2009: 117). Der portu‐ giesische Sender RTPI kommt auf der Beliebtheitsskala leicht vor TF1 (vgl. TNS-Ilres 2013). 38 Grundschullehrerin 2: „Ich hatte viele Schüler im Cycle 2 die das Deutsche überhaupt nicht verstanden haben, das ist ja für die, als würdest du Chinesisch mit denen reden, die verstehen das ja gar nicht, wenn die das noch nie zuvor gehört haben! “ und ein passives Verständnis der deutschen Sprache, wenn sie in der ersten Klasse mit ihr konfrontiert werden. In gewisser Weise findet ein ungesteuerter, wenn auch künstlicher, Erwerb der deutschen Sprache über das Fernsehen statt. Kinder, die mit deutschen Trick- und Realserien aufwachsen, erwerben auf diese Weise den Wortschatz und eine intuitive Grammatik des Deutschen, die in der ersten Klasse auch vorausgesetzt wird. Die luxemburgischen ‚Fernsehanfänger’ (und nicht selten ebenfalls jene mit serbokroatischem Migrationshintergrund) haben in der Regel dieselbe Mediensozialisation wie ihre bundesdeutschen Al‐ tersgenossen. 36 Die Sympathie für die Kultur der Zielsprache und eine integra‐ tive Motivation die Sprache weiter ausbilden zu wollen, werden hier direkt mit‐ geliefert (vgl. Huneke / Steinig 2010: 19). Kinder, deren Familiensprache Portugiesisch ist, schauen zuhause häufig portugiesische Sender. 37 Die deutsche Sprache ist für jene Kinder zu Beginn des Grundschulzyklus 2 eine fremde Sprache. Grundschullehrerin 2: „Ech hat der vill och [Cycle 2], déi dat Däitscht guer net verstanen hunn, dat ass jo fir déi, wéi wann s de géifs Chinesesch schwätzen dann, déi verstinn dat jo da guer net, wann déi dat nach ni hate virdrun! “ 38 Als ich die Vorschullehrerin fragte, wie gut ihre Schüler erfahrungsgemäß gegen Ende des Grundschulzyklus 1 auf eine anstehende Alphabetisierung in deut‐ scher Sprache vorbereitet seien, entgegnete sie: Vorschullehrerin: „Es ist mühsam. Ich habe jedes Jahr um die 20 Schüler, bis da jeder bei einer Sprachübung einmal dran kommt, vergeht unheimlich viel Zeit. Es ist schwierig kleine Kinder in so großen Gruppen angemessen in der Sprache zu fördern. Wir fangen an mit dem Schulvokabular, nehmen nach und nach die alltagsrelevanten und saisonbedingten Themen durch (Mensch, Natur, Weihnachten usw.). Einmal in der Woche bieten wir zusätzlich in der Mittagspause Nachhilfe an. Da mache ich dann oft Sprachübungen mit ihnen. Wenn du aber mit 4-jährigen in der Mittagsstunde eine halbe Stunde länger arbeitest, darfst du dich auch nicht wundern, wenn sie um V. Der Bildungsdiskurs 106 <?page no="107"?> 15.00 Uhr todmüde sind und der Kopf einfach nicht mehr will. Ich sage es mal so: Am Ende des Grundschulzyklus 1 verstehen sie Luxemburgisch. Jedes Kind hat einen Grundwortschatz in der Sprache, das bedeutet, dass es die gängigen Vokabeln kennt. Vokabeln sind aber noch keine Sätze. Die Sätze, die sie im Luxemburgischen machen können, sind sehr sehr einfach strukturiert.“ Damit erreicht sie bei den meisten die vorgeschriebenen Kompetenzen für den Übergang in den Grundschulzyklus 2. Die Mindestanforderungen sind, dass ein Kind Luxemburgisch versteht, über einen elementaren Wortschatz in der Sprache verfügt, sich einigermaßen verständlich über bekannte Themen und das eigene Wohlbefinden ausdrücken kann sowie mit einfachen Satzkonstruk‐ tionen auf Fragen antworten kann. Am Ende der Vorschulzeit beherrschen viele Kinder nur ein elementares Luxemburgisch und machen noch viele Fehler im syntaktischen Aufbau, den sie fortan auf die deutsche Sprache übertragen müssen. In der Vorschule kommen die Sprachlerner nicht mit der deutschen Sprache in Berührung. Das Bewusstsein für Mehrsprachigkeit soll dem Lehrplan zufolge früh gefördert werden, in der Praxis bleibt hierfür allerdings wenig Zeit. Was überwiegt, ist die Notwendigkeit den Kindern zuerst einmal die Kommu‐ nikationssprache Luxemburgisch beizubringen: Vorschullehrerin: „Ich rate den betroffenen Eltern immer, wenn sie mit ihren Kin‐ dern vor dem Fernseher sitzen, nicht nur portugiesische und französische Sender ein‐ zuschalten, sondern zwischendurch auch mal ein deutschsprachiges Programm. Es gibt ja auch mittlerweile unzählige DVDs und Hörspiele für Kinder auf Deutsch und auf Luxemburgisch. Durch Zuhören verinnerlichen Kinder eine Sprache, entwickeln ein Gefühl für ihre Melodik und bilden ein Sprachbewusstsein aus. So kommen sie mit der Sprache in Kontakt. In der Schule machen wir nur luxemburgische Sprachar‐ beit. Es ist mir wichtig, dass sie hier einen Wortschatz aufbauen. Ich habe selbst im Grundschulzyklus 2 unterrichtet und weiß, was sie dort erwartet. Manchmal frage ich die Mütter, ob sie uns nicht eine Geschichte in ihrer Sprache vorlesen wollen. Dann lesen wir die Geschichte einmal auf Luxemburgisch und einmal auf Portugiesisch oder Serbokroatisch zum Beispiel, aber das ist eher die Ausnahme.“ Artikel 4 des ‘Règlement grand-ducal du 11 août 2011 fixant le plan d’études pour les quatre cycles de l’enseignement fondamental’ legt fest, dass die deutsche Sprache in der Grundschule die Alphabetisierungssprache ist (vgl. Mémorial 2011b: 2990). Sie ist zudem die Unterrichtssprache im Fach Deutsch, im Rechen‐ unterricht, Naturkundeunterricht, Geographie- und Geschichtsunterricht und im Ethik- und Sozialunterricht. Französisch wird nur im Französischunterricht verwendet, der im zweiten Trimester des Zyklus 2.2 einsetzt. Deutsch und Fran‐ 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 107 <?page no="108"?> 39 Fehlen (2013a: 61) erklärt folgerichtig: „Französisch ist in der Tat für Luxembur‐ gisch-Sprecher wegen einer größeren Distanz schwerer zu erlernen als Deutsch. Dies wird jedoch durch eine pädagogische Tradition verstärkt, die Französisch nicht als funktionale Kommunikationssprache unterrichtet […].“ zösisch werden, was die Modalität der Äußerungen innerhalb des Klassenalltags anbelangt, in einer konzeptionell-schriftlichen Weise erlernt und verwendet. Die luxemburgische Sprache darf ab dem Grundschulzyklus 2.1 nur noch im Fach Luxemburgisch, das eine Schulstunde in der Woche einnimmt, gebraucht werden. Das Schulgesetz erlaubt ferner die Wahl zwischen Luxemburgisch, Deutsch und Französisch in allen paraschulischen Aktivitäten sowie im Sport-, Kunst- und Musikunterricht. Mitschriften in diesen Kursen müssen allerdings auf Deutsch erfolgen. Faktisch wird in diesen Nebenfächern und in der Lehrer-Schüler-Interaktion am Rande der Schulstunden, überall dort, wo das Gesetz der Lehrkraft die Wahl der Unterrichtssprache überlässt, Luxemburgisch geredet. Es bleibt und dies gilt überdies für die gesamte Schulzeit die ‚Sprache der Nähe’. In Kontexten, in denen Vertrautheit, Privatheit, Emotionalität, sprich Nähe, suggeriert werden soll, finden Codewechsel ins Luxemburgische statt. Auf die luxemburgische Sprache wird außerdem zurückgegriffen, wenn fachliche Inhalte, die eigentlich auf Deutsch oder Französisch vermittelt werden müssten, nicht verstanden wurden (vgl. Weth 2015: 23). Die Schüler werden also spätestens ab dem sechsten Lebensjahr einen be‐ deutenden Teil ihrer Bildungssozialisation in deutscher Sprache durchleben. Die Tatsache, dass das Allgemeinwissen auf Deutsch angeeignet wird, in den Sach‐ fächern auf Deutsch kommuniziert wird und diese Sprache vom ersten Schuljahr an dazu benutzt werden muss, um sich mitzuteilen, tragen dazu bei, dass Schüler gegenüber der deutschen Sprache ein anderes Verhältnis aufbauen. Es ist eine Nähe, von der die französische Sprache, die als Fremdsprache langsamer erlernt wird und in der Grundschule außerhalb des Sprachenunterrichts nicht einge‐ setzt wird, nicht profitiert. Der Bezug zwischen der französischen Umgangs‐ sprache, die in Luxemburg gesprochen wird, und dem Schulfranzösisch, das als Kultur- und Elitesprache erlernt wird, wird je weiter die schulische Sozialisation voranschreitet, immer mehr gekappt. 39 3.2.1 Welche Methode für den Deutscherwerb in der Grundschule? Wie wird in Luxemburg Deutsch gelernt? - auf diese Frage erfolgt im Bildungs‐ diskurs meist nur die vage Antwort ‚ähnlich wie eine Muttersprache’. Auf der medialen Diskursebene wird nur anhand von musterhaften Äußerungen ange‐ deutet, inwieweit sich der Deutschunterricht in Luxemburg tatsächlich von V. Der Bildungsdiskurs 108 <?page no="109"?> einem Muttersprachunterricht, Zweitspracheunterricht oder einem Fremdspra‐ chenunterricht unterscheidet: Allgemein geht man hier davon aus, dass die Schüler mehr oder weniger automatisch vom Luxemburgischen ins Deutsche „gleiten“ - eine Annahme, die mit der Verwandt‐ schaft der beiden Sprachen begründet wird und mit dem ständigen Kontakt, allerdings passiver Art, durch das Fernsehen; daher der Schluss, das Deutsche sei keine Fremd‐ sprache und Alphabetisierung in dieser Sprache unproblematisch (LL1: 21. 01. 1983). Im Luxemburger Alltag wird kaum Deutsch gesprochen, und während luxemburgi‐ sche Schulkinder ihre Deutschkenntnisse durch Bücher und Fernsehen aufbessern, lebt ein kleiner Portugiese in einer Welt, in der die portugiesische und die französische Sprache dominieren. […] (Telecr: 09. 12. 2000). Dessen ungeachtet preist der bildungspolitische Mainstream von ADR bis Déi Gréng die „Brückenfunktion“ der „Integrationssprache Luxemburgisch“, obwohl niemand genau weiß, welche luxemburgischen Wörter portugiesische, kapverdische und an‐ dere Einwandererkids kennen müssen, um bei der Alphabetisierung in Deutsch nicht ins Hintertreffen zu geraten (LL: 18. 09. 2008). Im Juni 2013 veröffentlichte das Magazin DER SPIEGEL einen kritischen Beitrag zu den Folgen des Schriftspracherwerbs mit der Anlauttabelle. Diese Methode sei, so der Grundton des Artikels, Schuld an der „neuen Schlechtschreibung” in Deutschland (vgl. Bredow von / Hackenbroch 2013). Die (An-)Lautmethode funktioniert nach dem lautgetreuen, phonografischen Prinzip. Ein ausgeprägtes phonologisches Bewusstsein für den Wortlaut der deutschen Sprache, sprach‐ analytische Fähigkeiten und die Anlaut- oder Lauttabelle bilden die Basis für den Schriftspracherwerb. 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 109 <?page no="110"?> Abbildung 3: Mila-Lauttabelle (Quelle: Biltgen et al. 2008) Auf der abgebildeten Lauttabelle steht jedes Bild für einen entsprechenden Laut oder Buchstaben. So steht das Bild einer ‚Ameise’ für den Laut / a: / und das Bild eines Apfels für den Laut / ɑ/ und beides für das Graphem <A>. In der Schreib‐ arbeit mit der Anlauttabelle soll jedes Wort in seine lautlichen Bestandteile zer‐ legt werden. „Vor allem Risikokinder, die in einer spracharmen Umgebung mit Deutsch als zweiter Sprache aufwachsen, lernen [sofern sie mit der Anlautmethode alphabeti‐ siert wurden] so möglicherweise niemals richtig schreiben“, zitieren die SPIEGEL-Autoren Befürchtungen von Linguisten, Didaktikern, Pädagogen und Hirnforschern (ebd.: 96). Die DaZ-Forschung steht der Methode in der Tat mit Bedenken gegenüber. Die deutschen Bedenken gelten auch für Luxemburg. Die hier abgebildete Lauttabelle ist die Mila-Lauttabelle, wie sie seit dem Schuljahr 2004 / 2005 in einem Großteil der Grundschulen in Luxemburg eingesetzt wird. Luxemburgs Grundschulen dürfen in Absprache mit ihrer Schulleitung, den inspecteurs de l’enseignement fondamental, selbst entscheiden, welches Material V. Der Bildungsdiskurs 110 <?page no="111"?> 40 „Wir arbeiten schon noch mit dem [überarbeiteten] Mila-Buch. Wir sind nicht sonder‐ lich begeistert davon, haben uns allerdings auch noch nicht nach passenderen Alter‐ nativen umgesehen. Andere Arbeitskollegen arbeiten mit dem Buch „Flex und Flora“. Die Lauttabelle des Mila-Buches setzen wir jetzt im ersten Schuljahr (Zyklus 2.1) nicht ein, weil unsere Schüler einfach zu leistungsschwach dafür sind. Ihnen fehlt das deut‐ sche Vokabular, mit dem sie frei schreiben könnten.” sie im Lese- und Rechtschreibunterricht einsetzen wollen. Es muss mit dem gel‐ tenden Lehrplan (plan d’études) übereinstimmen. Auf die Frage, ob die meisten Schulen in Luxemburg mit der Mila-(An-)Lautmethode arbeiten würden, sagte Robi Brachmond vom Bildungsministerium, im April 2014 er hoffe nicht. Weder das Ministerium noch die Lehrkräfte scheinen von der Methode wirklich über‐ zeugt zu sein und doch ist eine Lautmethode in den meisten Schulen zumindest teilweise im Einsatz. So berichtet eine Lehrkraft im gleichen Jahr: Grundschullehrerin 4: „[M]ir […] schaffen schonn nach mam Mila. […] Mir sinn zwar net esou begeeschtert dovunner, mee mir hunn eis och nach net op d'Sich ge‐ maach no enger Alternativ! [Aner Kollegen] schaffe[] […] mat Flex & Flora! Mir am 1. Schouljoer hunn zwar lo net mat der Lauttabell […] geschafft, d’Kanner sinn einfach ze schwaach an hu kee Vokabulär fir ze schreiwen.“ 40 In Luxemburg gibt es durchaus Schüler, die dank der Mila-Lauttabelle relativ schnell Geschichten schreiben können, aber es gibt eben auch jene, die nach sechs Jahren Grundschule keine Geschichte und keinen fehlerfreien Satz auf Deutsch verfassen können. Die deutsche Sprache ist in Luxemburgs Klassen‐ zimmern selten Muttersprache, sie ist momentan für die Hälfte der Schüler eine bekannte Sprache, weil sie über das Fernsehen und über Geschichten mit ihr aufgewachsen sind und für die andere eine Fremdsprache oder eine gänzlich fremde Sprache. All diesen Schülern wird, sofern der Klassenlehrer sich dazu entschließt mit der Lauttabelle zu arbeiten, diese in der ersten Schulwoche aus‐ geteilt. Grundschullehrerin 2: „Am Ufank gesi si d’Biller, well d’Bild gëtt jo mam Laut verbonnen.“ Grundschullehrerin 1: „Si […] [musse mol wëssen], dat do ass [op Däitsch] een ‚Ofen’. An dann geet et nëmmen em deen éischte Buschtaf.“ Grundschullehrerin 2: „Et geet dann dorëm de Laut mam Bild ze verbannen, d. h. si denken eigentlech net un dee Laut, mee un dat Bild. Wann si herno zum Beispill ‚Maus’ schreiwe [wëllen], da wëssen si ‚m’ … [m] wéi [maus], ‚au’ … [au] wéi Auto, ‚s: ’ wéi, jo da gëtt et scho schwierig, well do ginn et der méi.“ Grundschullehrerin 1: „Jo. Also t’ass [s] wéi Skelett oder [z] wéi Salat oder [ts] wéi Zug. […] Jo […] och fir déi Wierder ëmmer schonn ze léieren … Ech hunn ëmmer 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 111 <?page no="112"?> 41 Grundschullehrerin 2: „Am Anfang lernen sie die Bilder. Das Bild wird ja mit dem Laut verbunden.“ Grundschullehrerin 1: „Sie müssen […] [zunächst mal lernen], dass das da [zeigt auf ein Bild in der Lauttabelle] [auf Deutsch] ein Ofen ist. Und dann geht es nur um den Anfangsbuchstaben.“ Grundschullehrerin 2: „Es geht dann darum, den Laut mit dem Bild zu verbinden, d. h. sie denken eigentlich nicht an den Laut, sondern an das Bild mit der Maus. Wenn sie dann nachher bespielweise ‚Maus’ schreiben wollen, wissen sie ‚m’ … [m] wie [mɑus], ‚au’ … [ɑu] wie Auto, ‚s: ’ wie, ja dann wird es schon schwierig, weil da gibt es mehrere verschiedene.“ Grundschullehrerin 1: „Ja. Also da gibt es [s] wie Skelett oder [z] wie Salat oder [ts] wie Zug. […] Schon alleine um die Wörter immer zu lernen … Ich fand immer, dass du als Luxemburger oder ja Deutsch‐ sprachiger, wie auch immer, einfach schon im Vorteil bist, weil du die Wörter kennst. Wenn du Portugiese bist, muss du zuerst einmal wissen, dass das da [zeigt auf das Bild] ein ‚Ordner’ ist, […] so dass man [von September] bis […] Ende November fast nur mit der Anlauttabelle gearbeitet hat, bis jeder sie konnte und dann hat man mal ange‐ fangen …“ Grundschullehrerin 2: „Ja bis jeder sie konnte.“ Grundschullehrerin 1: „Ja genau.“ 42 F. S.: „Angenommen, da ist ein sehr guter Schüler, der die Bezeichnungen für die Bilder zügig erlernt, kann der dann relativ bald anfangen zu schreiben? “ Grundschullehrerin 1: „Wenn du wirklich ein guter Schüler bist, dann kannst du, würde ich sagen, mit der Anlauttabelle relativ schnell viel schreiben. Aber wenn du leistungsschwach bist, ver‐ lierst du damit sechs Wochen, in denen du meiner Meinung nach, absolut nichts lernst - oder fast nichts lernst.“ fonnt, dass de als Lëtzebuerger oder jo Däitschsproochegen oder wéi och ëmmer, […] einfach well Virdeeler [hues], well s de déi Wierder kenns. Wann s du Portugis bass, muss de fir d’éischt mol wëssen, dass dat do [zeigt auf das Bild] een ‚Ordner’ ass, […] […] [sou], dass de [vu September] bis […] Enn November bal nëmme [mat der] Anlauttabell geschafft hues an duerno hues de réischt ugefongen …“ Grundschullehrerin 2: „Jo bis datt jiddfereen se wousst, ne.“ Grundschullehrerin 1: „Jo.“ 41 F. S.: „Ugeholl du häss dann een, dee bësse méi intelligent wier, wéi all déi aner, dee géif déi Biller dann do direkt all wëssen, kinnt deen dann direkt ufänke mat schreiwen? “ Grundschullehrerin 1: „Also wann s du wierklech ee gudde Schüler bass, da kanns du, géing ech mengen, mat der Anlauttabell relativ féx, relativ vill schreiwen. Mee wann s du schwaach bass, dann verléiers du do sechs Wochen, wou s de absolut guer näischt léiers - menger Meenung no - oder bal näischt léiers.“ 42 Erst wenn die Bilder mit dem dazu passenden Laut, ähnlich wie Vokabeln, ver‐ innerlicht wurden, beginnt langsam der Lese- und Rechtschreiberwerb - zuerst mit den Buchstaben M, I, L, und A (= Mila-Methode) dann folgen T, S, E und die restlichen Buchstaben. Betrachten wir die Textproduktion eines Schülers aus einer luxemburgischen Grundschule, (Grundschulzyklus 2.2). Das Thema war ‚Meine Ferien’: V. Der Bildungsdiskurs 112 <?page no="113"?> 43 Grundschullehrerin 1: „Wenn du während einem Jahr konsequent Stuhl *S c h t u l schreibst, dann, dann vergiss es …“ 44 Grundschullehrerin 2: „Das Problem ist einfach, dass die Kinder danach nicht richtig schreiben können, denn Kinder, die mit Doppellauten und d / t, b / p-Lauten Schwierig‐ keiten haben, die sind hier verloren! Ich hatte tatsächlich letztes Jahr einen, der hat mir ‚Weihnachtsplätzchen’ geschrieben: *‚feinartzpletzie’. Passt ja.“ *Ich war auf Grand kanariea. Ich war in den Pul ge sprunen. Ich war in den Palmitus -Park und in den CrocodiloZoo. Ich war in die Dünen da hatte ich rischtik spas. Im Palmitos Park war eine Delfinscho. (Thema ‚Meine Ferien’, Grundschulzyklus 2.2., 16. 09. 2013) Die Textproduktion deutet auf einen Schreiberwerb mit der (An-)Lauttabelle hin. Der Schüler verwendet bereits eingeprägte orthografische Muster und Lernwörter, vor allem bei Fremdwörtern greift er auf die lautgetreue Methode zurück. Das Beispiel weist eine hohe Anzahl an Rechtschreibfehlern auf. Mit Blick auf die Lauttabelle wäre aber vieles hier phonologisch richtig abgerufen und nach dem Lautprinzip graphisch folgerichtig umgesetzt. Streng genommen sollen Rechtschreibfehler, die bei freien Textproduktionen mit der Lauttabelle entstehen, erst dann als solche angestrichen und verbessert werden, wenn die dazu passende Regel, das orthografische Wissen, erworben wurde. Dies ge‐ schieht vor allem im Grundschulzyklus 2.2. Dann ist es aber erfahrungsgemäß oft zu spät. Die falsche Schreibweise hat sich bereits in den Köpfen festgesetzt und wenn dann im zweiten Grundschuljahr die nächste Fremdsprache ‚Fran‐ zösisch’ hinzukommt, versuchen die Kinder automatisch die Lautmethode hie‐ rauf zu übertragen, was natürlich nicht mehr funktioniert. Sie schreiben dann *blö anstatt bleu. Grundschullehrerin 1: „Wann s du während engem Jor laang konsequent Stuhl ‚*‚S c h t u l’ schreifs, dann dann vergees et …“ 43 Grundschullehrerin 2: „De Problem ass einfach, dass déi Kanner harno net richteg kënne schreiwen, well d’Doppellauter an d / t, b / p, Kanner, déi domat Problemer hunn, déi si verluer do! Well ech hat tatsächlech d’letzt Joer een, deen hat mir ‚Weihnachts‐ plätzchen’ geschriwwen: *‚feinartzpletzie’. Passt jo.“ 44 F. S.: „Jo an da kënnt jo och nach derbäi, dass et net hir Mammesprooch ass? “ Grundschullehrerin 2: „Jo et ass net hir Mammesprooch, mee t’war engt lëtzebu‐ ergescht Kand! Mee hien hutt no der Anlauttabell geschriwwen an theoretesch wier et no der Anlauttabell net falsch! Well wann s du et gelies hues, do däerf een dann tatsächlech net iwwerleeë, wann een dat liest. Dat muss ee sech einfach sou séier eng 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 113 <?page no="114"?> 45 F. S.: „Und dann kommt ja auch noch erschwerend dazu, dass es nicht die Muttersprache der Kinder ist? “ Grundschullehrerin 2: „Oh ja gut, es ist nicht ihre Muttersprache, aber es war ein luxemburgisches Kind! Er hat nach der Anlauttabelle geschrieben! Und theoretisch wäre es nach der Anlauttabelle nicht falsch! Wenn du es gelesen hast, da darf man dann tatsächlich nicht überlegen, wenn man das liest. Das muss man sich einfach so schnell vorsagen und dabei ist mir dann aufgegangen, dass er mir ‚Weih‐ nachtsplätzchen’ schreiben wollte.“ 46 F. S.: „Ja es stellt sich die Frage, ob man die Fehlschreibung dann noch aus den Köpfen herausbekommt? “ Grundschullehrerin 2: „Das bekommst du nicht mehr da raus! , der hat dann Angst bekommen und das kriegst du dann nicht mehr da raus! “ 47 Grundschullehrerin 3: „Es wird auch zum Problem, bei solchen Kindern, die sich die Wörter falsch vorsagen: Ein Kind, das eine Sprachstörung hat, [Schwierigkeiten hat mit den Lauten] [z] und [ʃ] und das sagt sich dann: [zif]. Da hört es dann den [z] und nicht den [ʃ] [wie in Schiff].“ 48 Grundschullehrerin 1: „Wir hatten auf der Lauttabelle auch Bilder für die Laute sp und st, aber <sp> und <st> nimmst du erst später durch. Bis du die gelernt hast und dir gemerkt hast … hörst du den ʃ und du hörst den t und schreibst dann *scht.“ Kéier soen an dann hunn ech, jo, dann du rausfonnt, dass hie mir ‚Weihnachtsplätz‐ chen’ schreiwe wollt.“ 45 F. S.: „Jo an da stellt sech d’Fro, wéi s de dat [déi Fehlschreibung] nach rauskriss duerno? ” Grundschullehrerin 2: „Dat kriss du net méi do raus, well dee war dunn am fäerten an dat kriss du net méi raus! ” 46 Grundschullehrerin 3: „Mee de Problem ass och bei deene Kanner, déi sech et [d’ Wierder] falsch soen: Ee Kand, dat ee Problem hutt mam Schwätzen, [z. B. Schwie‐ regkeeten hutt mat de Lauter [z] an [ʃ], dat seet sech: [zif]. Do héiert et dann den [z] an net den [ʃ] [wéi an Schiff].“ 47 Das Kind schreibt dann *Sif anstelle von Schiff. Auch leistungsstarke Schüler verschriftlichen am Ende des Grundschulzyklus 2.2 das Adjektiv froh noch immer als *fro, die Präposition nach als *nar und ‚das Buch’ lautgetreu als *bur/ *Bur. Grundschullehrerin 1: „Mir haten op der Anlauttabell och Biller fir den Laut sp an st, mee dat gesäis de dann réischt méi spéit. Bis du déi geléiert hues a verhalen hues … héiers de den den ʃ an du héiers den t an schreifs dann scht.“ 48 Erst im Grundschulzyklus 2.2 werden die Schüler mit den Rechtschreib- und Grammatikregeln konfrontiert, Wortlisten mit st-/ spwerden ausgeteilt, Dop‐ pellaute eingeführt, Doppel-m, Doppel-s und die Groß-/ Kleinschreibung werden gefestigt. So mancher Schüler ist ab hier überfordert. Schülerinnen und Schüler, die zuhause in einer spracharmen Umgebung aufwachsen, die Probleme mit der akustischen Verarbeitung von Lauten haben, die wenig Motivation beim Erlernen der, oftmals als Fremdsprache aufgefassten, deutschen Sprache zeigen V. Der Bildungsdiskurs 114 <?page no="115"?> und dementsprechend wenig lesen, tendieren dazu, weiterhin lautgetreu zu schreiben. In den Folgejahren haben sie erhebliche Probleme, das ihnen ver‐ mittelte Regelwissen zu speichern, ein orthografisches Wissen und ein automa‐ tisiertes Worterkennen aufzubauen. Ergebnisse, wie das nachstehende Diktat eines Schülers, entstehen dann im Grundschulzyklus 4.2.: *Diktat: Ein Bär im Hotel Ein risiger Bär war seit langem im Nationalpark als fritlicher und Harmloser einwoner berkant. Nach einmal, und zwach im letzten Sommer wach sein be‐ nehmen aufelig schlecht, er hatte ganz fergesen, wass er seinem guten Namen schüldig war. Von einer unbendigen Neutribigen getriebe, Wannderte er eines tages zum Gasthaus hinüber. One anzu klopfen, trat er durch die große forder Tür. In der Hale richterte er sich in seiner Ganzen größe auf und Bramte frointlich. An geschtelte un Geste sahen das anders un flüchteten Haltz über kopf zur hintertür heraus. Ganz alein und ferlasen schtant das ferduzte Tier in diesem weitroimigen Sahl. Weill sich Niemand um ihm kümerte, tapste er weiter, gerade aus auf die gestezimmer zu. „wenn du dieses zimmer Nütiger braurst als ich, so Kannst du es haben, Bitte schönn! “, schoterte der überaschte Gast. Dann nahm er seine Beine in die Hand schprang zum ofenen Fenster hinaus, überkwerte Terrase, ohne nahr rechtz und lings zu schauen, und Raste zur necksten Telefon zehle. Ganz aufgereckt rief er den direcktor an: „Ein Bär ist im Haus un wiell, so scheintes, das Kommando übernehmen. Dürfen wir schiesen? “ „Schiesen ist im Parck nicht erlaubt“, lautete die antwort. „Nemt denn was‐ serschlauf! “ So foischt und Kalt hatte der Bär sich seinem aufenthalt im otel nich vor geschtelt; Büsse cknurent wachelte er von dannen. Ein Andenken nahm er alerdings mit. Als er in der Küche vorbei komm, schnapte er sich in ein saf‐ tigen Rinderfirtel un ferschwand damit im Wald. Die zuständige Lehrkraft zählte 89 Fehler. Automatismen, wie das Prinzip der Schemakonstanz, wurden nicht ausgeführt (unbendig - Band, Geste - Gast, weitroimig - Raum), die Groß-Kleinschreibung wurde teilweise übergangen, genauso wie die graphische Rücknahme der Auslautverhärtung. Wörter wurden im Lernwortschatz nicht visuell gespeichert, sondern bei Unsicherheiten wieder 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 115 <?page no="116"?> 49 Das sieht man bei: i und ie, v und f, ch und r, Dehnungs-h, e und ä, scht und st, äu und oi. 50 So konstatiert Fehlen (2013a: 62) „eine sprachliche Unsicherheit und Angst, der Norm nicht zu genügen, ist weiterhin in der Luxemburger Gesellschaft verbreitet.“ falsch nach dem Lautprinzip verschriftlicht. 49 Würde sich die luxemburgische Grundschule größtenteils aus Schülern zusammensetzen, deren Familien‐ sprache das Luxemburgische wäre und solchen, die ‚nur’ mit den drei Grund‐ schulsprachen (Deutsch, Französisch und Luxemburgisch) zurechtkommen müssten, dann wäre Zeit vorhanden, um die Rechtschreibfehler zu beheben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im vorangehenden Kapitel wurde deutlich, wie unstabil das Gerüst ist, auf dem teilweise alphabetisiert wird und vor dessen Hintergrund die neue Sprache Deutsch erlernt werden soll. Erstklässler, die aufgrund elterlichen Engagements oder dank schulischer Unterstützung einen altersgerechten Wortschatz in ihrer Muttersprache und / oder im Luxemburgischen ausgebildet haben, sind oft mo‐ tiviert und erfüllen auch die an sie gestellten Sprachanforderungen. Sie besu‐ chen höhere Schullaufbahnen. De facto sind aber nicht alle durchschnittlich sprachbegabt und werden auch nicht alle zuhause entsprechend gefördert. Sie lernen die deutsche Sprache in Luxemburg nicht in einer natürlichen Erwerbs‐ situation, sondern ausschließlich gesteuert. Deutsch ist in Luxemburg nicht die alltägliche Kommunikationssprache und wird von den Luxemburgern auch nicht mit der Selbstverständlichkeit einer Muttersprache gesprochen. Sie ist vor allem Medien- und Schulsprache und als Unterrichtssprache ist sie eher kon‐ zeptionell-schriftlich. Der Spracherwerb hat sich deshalb lange Zeit auf die Schulung der schriftsprachlichen Handlungsfähigkeiten konzentriert und die Förderung der Gesprächsfähigkeit vernachlässigt. Im Normalfall erreichen Lerner in einer Fremdsprache ein Interlanguage-Stadium, das mehr oder weniger weit vom Niveau eines Muttersprachlers entfernt liegt (vgl. Huneke / Steinig 2010: 13). Die Vorstellung das Niveau eines Muttersprachlers zu erreichen, sei in der Regel unrealistisch, so Huneke und Steinig (vgl. ebd.). Der Sprachenun‐ terricht in Luxemburg setzt sich das muttersprachliche Niveau allerdings zum Ziel und produziert damit bei seinen Lernern nicht selten eine Scheu zu sprechen und als Nicht-Muttersprachler entlarvt zu werden. 50 Viel deutlicher als ihre Schulkameraden mit Familiensprache Luxemburgisch, mischen Kinder mit Migrationshintergrund luxemburgische Lehnwörter und syntaktische Konstruktionen unter das Deutsche: Grundschullehrerin 2: „Jo. Jo bei alle Kanner [kënnt dat] bal [fir], awer ech fanne bei de portugisesche Kanner am meeschten, well se dann, da kenne se d’Wuert jo dann V. Der Bildungsdiskurs 116 <?page no="117"?> 51 Grundschullehrerin 2: „Ja. Ja bei fast allen Kindern [kommt das vor], aber ich finde bei den portugiesischen Kindern am meisten. Sie kennen ja dann das Wort auf Portu‐ giesisch, kennen es auf Französisch und auf Luxemburgisch, ja und dann noch ein Wort auf Deutsch, ja, wenn das [entsprechende] deutsche Wort dann nicht parat steht, dann nehmen sie halt das luxemburgische. Letztes Jahr hatte ich wirklich […] [ein Kind], das war eigentlich fast nur Luxemburgisch, was es da im Deutschen geredet hat, weil es [die Sprache] auch einfach gar nicht annehmen wollte. Der war nicht Portugiese, son‐ dern Franzose, d. h. zuhause wurde Französisch gesprochen und dann das Deutsche, der wollte das auch gar nicht können.“ 52 Grundschullehrerin 1: „Auch von der Syntax her, finde ich, dass sie da ganz oft vieles [aus dem Luxemburgischen] übernehmen.“ 53 Grundschullehrerin 2: [lacht] „Ja ich erinnere mich an [eine Schülerin], die […] schrieb: „Ich geh in den Bisch trippeln, dann muss ich meine Strickeln stricken.““ Anm.: Luxemburgisch: Ech ginn an de Bësch trëppelen, da muss ech meng Stréckele strécken. Deutsch: Ich gehe in den Wald spazieren, dann muss ich meine Schürsenkel binden. 54 Grundschullehrerin 1: „Ja davon hast du einige. Ich hatte [Schüler X], wenn der Deutsch gesprochen hat, kam da nicht nur Deutsch und Luxemburgisch vermischt vor, sondern auch noch Französisch und Portugiesisch dazwischen. Da kam wirklich manchmal alles.*“Kannst du, kannst du mech das mol explikieren? “, das hat der bestimmt einen Monat lang gesagt.“ op Portugisesch, se kennen et dann op Franséisch an op Lëtzebuergesch, jo an dann nach engt Wuert op Däitsch, jo wann dat Däitscht dann net fonnt gëtt, dann huele mer dann alt dat Lëtzebuergescht. Wéi d’lescht Jor hat ech wierklech […] [engt Kand], dat war eigentlech bal nëmme Lëtzebuergesch, wat en do am Däitsche geschwat hutt, well en et och einfach guer net wollt wëssen. Dee war awer lo net Portugisesch, dee war lo Fransous, d.h doheem nëmme Franséisch an dann dat Däitscht, dee wollt dat och guer net kënnen.“ 51 Grundschullehrerin 1: „Och vun der Syntax hir, fannen ech, dass se do dacks dann iergendwellech lëtzebuergesch Saachen iwwerhuelen an dat am Däitschen d’selwecht probéieren ze man.“ 52 Grundschullehrerin 2: [lacht] „Jo ech erënnere mech un [eng Schülerin, dat hutt geschriwwen]: „Ich geh in den Bisch trippeln, dann muss ich meine Strickeln stri‐ cken.““ 53 Grundschullehrerin 1: „Jo mee där hues de. Ech hat [de Schüler X], wann deen Däitsch geschwat hutt, da koum net just Däitsch a Lëtzebuergesch gemëscht, mee do koum och nach Franséisch a Portugisesch dertëscht. Do koum wierklech heiansdo alles. *“Kannst du, kannst du mech das mol explikieren? “, dat hutt e bestëmmt ee Mount laang gesot.“ 54 Nicht wenige Schüler greifen im Verlauf ihrer Grundschulzeit auf die luxem‐ burgische Sprache zurück, um ihre Gedanken auf Deutsch in Worte fassen zu können. Sie können nur unzureichend zwischen den beiden Sprachen differen‐ 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 117 <?page no="118"?> 55 Dabei wird in der Forschung verstärkt auf die Bedeutung dieser Aufgaben hingewiesen wird: „Rather, mastering the standard language is easier if the differences in the vernacular and standard language are made explicit rather than ignored“, so Schmid (2001: 150). Auch Huneke / Steinig (2010: 33) weisen darauf hin, wie wichtig es ist, kontrastiv be‐ dingte Fehler im Unterricht zu thematisieren, die ansonsten unüberwindbar blieben. 56 Grundschullehrerin 1: „Du verzeihst ihnen vielleicht eher Fehler. Denke ich.“ Grund‐ schullehrerin 2: „Ja.“ Grundschullehrerin 1: „So wie Akkusativ, Dativ, Genitiv. Das kannst du üben bis zum Vergasen, das geht einfach irgendwie nicht in diesen Kopf rein. […] Ja und du sagst dir dann vielleicht eher: Ja, ok, ich unterstreiche es und ich schreibe es selbst richtig drüber.“ zieren. Sprachvergleichende Übungen, die auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verwandten Sprachen aufmerksam machen müssten, sind im Un‐ terricht nicht vorgesehen. 55 Der Enthusiasmus für die neue Sprache verfliegt schnell und der Kosten-Nutzen-Abgleich eines Lerners kann ergeben, dass sich die Anstrengung nicht lohnen wird und er deshalb weiterhin eine luxembur‐ gisch-deutsche Mischform schreiben wird. Wenn der Schüler mit Migrations‐ hintergrund ein Stadium erreicht, in dem er sich einigermaßen ausdrücken kann, ist die Lehrkraft meistens erleichtert und zufrieden. So erklärten die be‐ fragten Lehrkräfte, dass sie bei ihren Schülern mit französischem und portu‐ giesischem Sprachhintergrund im Deutschunterricht über vieles hinwegsehen: Grundschullehrerin 1: „Du verzeis hinne villäicht éischter Feeler. Denken ech.“ Grundschullehrerin 2: „Jo.“ Grundschullehrerin 1: „Sou wéi Akkusativ, Dativ, Genitiv. Dat kanns du üben zum Vergasen, dat geet iergendwéi net do an dee Kapp eran. […] Jo an du sees dir villäicht éischter: Jo, ok, ech ënnersträichen dat an ech schreiwen et selwer richteg driwwer.“ 56 Das Mila-Programm und auch die Deutschbücher für die nachfolgenden Jahr‐ gänge berücksichtigen die heterogene und mehrsprachige Zusammensetzung der Klassen nur bedingt: So wurden bei der Anpassung der Lauttabelle an die luxemburgischen Verhältnisse Bilder ausgetauscht, weil die entsprechenden deutschen Bezeichnungen luxemburgischen Kindern nicht geläufig waren. Wenn mit der Mila-Tabelle gearbeitet wird, werden in den ersten drei Monaten des Grundschulzyklus 2.1 zunächst die deutschen Bezeichnungen für die ein‐ zelnen Bilder auf der Lauttabelle gelernt. Auf den ersten Seiten des Mila-Buches geht es vordergründig darum, anhand von Bildern einen deutschen Wortschatz aufzubauen. Allerdings wird nicht davon ausgegangen, dass es sich um eine völlig unbekannte Sprache handelt. Den meisten Lehrkräften fehlen die ent‐ sprechende didaktische Ausbildung für ‚Deutsch als Fremdsprache’ ebenso wie die geeigneten Lehrwerke. So konstatiert eine Grundschullehrerin: V. Der Bildungsdiskurs 118 <?page no="119"?> 57 Grundschullehrerin 1: „Ich glaube schon, dass sich etwas ändern müsste, weil die Bücher nicht unbedingt angepasst sind an die Schulpopulation, die wir in den Klassen vorfinden. […] Wenn Du dir die Texte aus dem 1., 2. Schuljahr ansiehst: Einfacher als ‚Tim malt’ oder ‚Mila ist im ich weiß nicht wo’ […] kannst du es ja auch nicht machen. Es ist vielleicht eher später in den größeren Klassen so, dass die Texte einfach zu kom‐ pliziert sind. Aber wenn du da wieder hingehst und vereinfachst, hast du natürlich die negative Konsequenz, dass du danach im Lyzeum auch das Niveau nach unten schrauben musst und das setzt sich dann so fort bis … ja bis zur Uni! “ 58 Grundschullehrerin 3: „Ja und die Guten, die werden dann auch irgendwann nicht mehr gefördert, die machen dann auch nur noch ein Minimum.“ Grundschullehrerin 1: „Also ech menge schonn, dass sech do eppes ännere misst, well et net onbedéngt ugepasst ass un déi Populatioun, déi mer do an de Klasse sëtzen hunn. […] Also wann s de lo d’Texter kucks an engem éischten, zweete Schouljoer, méi einfach wéi ‚Tim malt’ oder ‚Mila ist … ech wees net wou’ […] kanns de et jo bal net maachen. T’ass villäicht herno an deene méi grousse Klassen, wou déi Texter einfach ze schwéier sënn. Mee wann s de do dat Ganzt vereinfache gees, hues de natierlech och déi negativ Konsequenz, dass de herno am Lycée och de Niveau muss no ënne schrauwen an sou sëtzt dat sech da fort bis … bis zur Uni! “ 57 Grundschullehrerin 3: „Jo an déi Gutt, déi ginn dann iergendwann och net méi gefërdert, déi maachen dann och just nëmme nach ee Minimum.“ 58 Grundschullehrerin 1: „Ech si perséinlech lo am Uewergrad [Grundschulzyklus 4] am onzefriddensten mat deenen Däitschbicher, déi mir do leien hunn. Well also si sinn eigentlech ganz flott, t’si super Texter, t’sinn immens Iddien dran, wann s du eng Klass do sëtzen hues mat zwee Portugisen an 12 Lëtzebuerger an 3 Jugoslawen, kanns de garantéiert genial Saache maachen, mee bei deem, wat mir hei sëtzen hunn net. Ech hat mer […] Bicher ausgeléint […], wou et da wierklech em Däitsch als Friemsprooch geet, fir do mol ze kucken, wat dass de kanns gebrauchen. An iergendwéi, also ech sinn awer nach ëmmer op der Sich, well du hues nach ëmmer, wann s de dann ier‐ gendwéi sou ee Buch hëls, hues de dann aus der Schwäiz ee Buch an do geet et dann, do steet dann sou Fränkli dran an sou, wat dann rëm net passt! Also ech hu bis lo op 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 119 <?page no="120"?> 59 Grundschullehrerin 1: „Ich persönlich bin im Obergrad [Grundschulzyklus 4] am unzufriedensten mit den Deutschbüchern, die wir da haben. Sie sind eigentlich ganz schön, es sind super Texte und geniale Arbeitsideen drin, wenn du eine Klasse vor dir hast mit zwei Portugiesen, 12 Luxemburgern und drei Jugoslawen, kannst du garantiert geniale Sachen machen, aber angesichts der Zusammensetzung, die wir hier haben eben nicht. Ich habe mir […] Bücher ausgeliehen […], wo es dann wirklich um ‚Deutsch als Fremdsprache’ geht, um mal zu sehen, was man da benutzen könnte. Und irgendwie bin ich immer noch auf der Suche, denn wenn du dann beispielsweise so ein Buch nimmst, etwa aus der Schweiz, dann steht da was von Fränkli drin und so, was dann wieder nicht passt! Also ich habe bis jetzt jedenfalls noch nichts gefunden, von dem man jetzt sagen könnte, das könnte man eins zu eins auf Luxemburg übertragen.“ 60 Wie bedeutend die Bildungssprache Deutsch und (später) Französisch in Luxemburg sind und welchen Einfluss sie auf die Ausbildung von sprachlich-kognitiven Fähig‐ keiten nehmen, stellte die Verfasserin der vorliegenden Arbeit fest als sie nach 18 Jahren Schul- und Studienzeit auf einmal im Masterstudiengang ‚Luxemburgistik’ Luxembur‐ gisch im Kontext ‚Schule’ reden soll. Eine Erfahrung, die mit ihrem bisherigen Sprach‐ handlungswissen kontrastierte. alle Fall nach näischt fonnt, wou s de lo sees, dat kinnt s de lo tel quel op Lëtzebuerg hei iwwerdroen.“ 59 Um den erheblich divergierenden Sprachentwicklungsstufen gerecht zu werden, wurde in den letzten Jahren zunehmend versucht, die Schüler zumin‐ dest zeitweise in Leistungsgruppen einzuteilen und sie ihrem Sprachentwick‐ lungsstand entsprechend zu fördern. Unterforderung und Überforderung bleiben aber nach wie vor ein Thema im Deutschunterricht. Während die einen fantasievolle Aufsätze schreiben, baut sich bei den anderen die Kommunikati‐ onsbereitschaft schrittweise ab. Die Lernersprache Deutsch stagniert auf einer niedrigen Erwerbsstufe und droht, angesichts des beschleunigten Erwerbs im Regelunterricht, zu fossilieren. Erwerbsphasen folgen einer chronologischen Ordnung und lassen sich leider nicht überspringen (vgl. Huneke / Steinig 2010: 45). Es ist fraglich, wie betroffene Schüler es schaffen sollen, die Sprache zu Beginn des Erwerbs so weit auszubilden, dass sie zugleich die Funktion einer Bildungssprache übernehmen kann - eine Aufgabe, die in der Grundschule tra‐ ditionell der deutschen Sprache zukommt. In ihr sollen Sprachhandlungskom‐ petenzen ausgebaut und Fach- und Allgemeinwissen angeeignet werden. 60 3.2.2 Die Intensivsprachkurse (cours d’accueils) - Deutsch als Fremdsprache in der Grundschule erlernen Es wurde bereits angedeutet, dass auf der medialen Diskursebene die Überzeu‐ gung vorherrscht, die deutsche Sprache werde in Luxemburg in einer mutter‐ sprachähnlichen Weise erlernt, ohne dass jedoch ausgeführt wird, welche Me‐ thode nun genau angewendet wird. Die Autoren Berg und Weis betonen im Jahr V. Der Bildungsdiskurs 120 <?page no="121"?> 61 Seit dem Jahr 2005 gibt es landesweit nur noch diese Intensivsprachkurse. Davor wurden ‚Quereinsteiger’, die nach dem regulären Vorschulalter nach Luxemburg ein‐ wanderten, vom Regelunterricht abgesondert, in altersheterogenen Extraklassen un‐ terrichtet. Um einer ‚Ghettoisierung’ vorzubeugen, wurden die classes d’accueils im Jahr 2005 abgeschafft und durch Intensivsprachkurse ersetzt. 62 Die Kinder werden im Fach Mathematik getestet. 2005 in einem vom Bildungsministerium herausgegebenen Bericht, dass die deutsche Sprache nach einem Paradigmenwechsel Ende der 1970er Jahre nicht mehr ‚wie eine Muttersprache’ unterrichtet werde, sondern ‚wie eine Zweit‐ sprache’: L’allemand est non pas enseigné comme si c’était la langue maternelle des enfants, mais comme une langue seconde (<Zweitsprache>). Son apprentissage a deux facettes: d’un côté il est régulé par l’enseignement et se fait de manière systématique. D’un autre côté les élèves apprennent la langue soi-disant (<en passant>), étant donné que l’allemand est une langue très proche du luxembourgeois. Cet apprentissage <indi‐ rect> se voit renforcé par l’omniprésence de l’allemand dans la société luxembourge‐ oise, et notamment dans les médias (Berg / Weis 2005: 79). Dennoch ist davon auszugehen, dass in den Grundschulen gegenwärtig aus‐ schließlich in den so genannten cours d’accueils eine systematische Didaktik des Deutschen als Zweitsprache (DAZ), respektive Fremdsprache (DAF), prakti‐ ziert wird. Rund 1 450 so genannte primo-arrivants-Kinder müssen während eines lau‐ fenden Schuljahres in die luxemburgische Grundschule integriert werden. (vgl. MENEJ - Service de la scolarisation des enfants étrangers 2012: k. A.). Sie be‐ herrschen in der Regel weder Deutsch noch Französisch. Die cours d’accueils sind darauf ausgerichtet, diesen Kindern möglichst schnell, d. h. in drei Monaten, zu einer Kommunikationssprache zu verhelfen, mit der sie in ihrer Klasse dem Regelunterricht folgen und den Alltag in Luxemburg bestreiten können. 61 In‐ teressanterweise erwerben leistungsstarke Schüler in diesen Intensivsprach‐ kursen oft bessere Deutschkenntnisse als Schülerinnen und Schüler aus dem gleichen Herkunftsland, die den regulären Unterricht absolvieren. Der Inten‐ sivsprachkurs umfasst zwischen fünf und zehn Wochenstunden. Abhängig von der Intelligenz des Kindes 62 , dem Sprachstand in der Muttersprache und des Kindesalters wird im Intensivkurs von Fall zu Fall entschieden, welche Sprache(n) (ob Deutsch und / oder Französisch) noch in der Grundschule er‐ 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 121 <?page no="122"?> 63 Wird ein Kind in den Grundschulzyklus 2 eingestuft, erwirbt es im cours d’accueils parallel zu seinen Altersgenossen die deutsche Sprache. Wird es in den Grundschul‐ zyklus 3 eingestuft, ist die Entscheidung welche Kommunikationssprache erlernt werden soll, nicht mehr so einfach zu treffen, da in der Regelklasse neben dem Ausbau der deutschen Sprache bereits mit dem Erwerb der französischen begonnen wurde. 64 Das Accueilskind kann nach drei Monaten intensivem Französischunterricht seine Al‐ tersgenossen im Regelunterricht bereits überholt haben. Die Intensivsprachkurse haben andere Zielsetzungen. Hier wird versucht, das Kind möglichst rasch mit der Kommu‐ nikationssprache Französisch auszustatten, während der Regelunterricht bedeutend langsamer voranschreitet und die konzeptionell-schriftliche Perfektion als langfristiges Ziel im Auge hat. worben werden soll(en). 63 Lernt das Kind zuerst oder ausschließlich Französisch, ist es oft nach drei Monaten bereits so weit, dass es eine Umgangssprache erlernt hat und komplett in die Regelklasse integriert werden kann. 64 Der Erwerb der deutschen Sprache erfordert dagegen eine längere Intensivbetreuung, da der reguläre Unterricht hier weitaus schneller voranschreitet. Nach maximal zwei Jahren soll aber auch hier eine Integration erfolgt sein. Astrid Neuman, Leiterin des cours d’accueils in Wiltz und mitverantwortlich für den landesweiten Lehr‐ plan der cours d’accueils in den Grundschulen, nannte sechs mögliche Gründe, die den Erfolg dieser Kurse erklären könnten: • Jedem Schüler wird erklärt, wie wertvoll seine Muttersprache ist. Das Kind soll die vorhandenen Sprachkompetenzen einsetzen, um neue Spra‐ chen zu lernen. Im Unterricht wird verstärkt mit Transferbeispielen ge‐ arbeitet. • Die Schüler gehen mit einer anderen Einstellung und Motivation an das Sprachlernen heran als ihre Schulkameraden im Regelunterricht. Sie be‐ nötigen die neue Kommunikationssprache, so wird die Zweitsprache Deutsch für sie im Alltag relevant. • Den Eltern wird das Bildungssystem erklärt und es wird ihnen verdeut‐ licht, wie wichtig es ist, die Sprachsituation des Landes anzunehmen. Zudem wird auf die Bedeutung der jeweiligen Familiensprache hinge‐ wiesen. • Deutsch wird als Zweitsprache erlernt. Der Unterricht ist auf Kommuni‐ kation ausgelegt. • Gelernt wird in kleinen Gruppen. 3-4 Kinder werden von einer Lehrkraft intensiv in einer Sprache unterrichtet und müssen sich nur auf diese Sprache konzentrieren. Die Sprachstufen der Schüler werden ständig er‐ mittelt. Es wird keine zweite Sprache gelernt, bevor nicht die erste ge‐ festigt ist. V. Der Bildungsdiskurs 122 <?page no="123"?> 3.2.3 Perspektiven für den Deutscherwerb Auf politischer Seite dominierte bislang die Haltung, unter allen Umständen eine frühzeitige Spaltung der Schülerpopulation in zwei Lager, ‚deutsch-luxembur‐ gisch’ auf der einen und ‚französisch’ auf der anderen Seite, zu verhindern. Dies könnte, so die Befürchtung, auch eine gesellschaftliche Spaltung nach sich ziehen. Im Bildungssystem ist die Mehrsprachigkeit des Landes institutionell verankert, auf ihm lastet die Aufgabe, diese zu reproduzieren und zu bewahren. Ein gemeinsamer Unterricht schaffe, so die politische Argumentationsweise, die für den Kleinstaat wichtige Multilingualität und sichere eine gemeinsame Iden‐ tität, ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft. Doch der Einblick in Luxemburgs Grundschulklassen hat gezeigt, dass die Deutschkenntnisse zwi‐ schen den einzelnen Schülern und von Schule zu Schule enorm divergieren können. Die Mehrheit der Lehrer stünde deshalb der Option einer Alphabeti‐ sierung auf Französisch grundsätzlich offen gegenüber. Entsprechende Projekte in Luxemburg-Stadt und Esch-Alzette sind vor gut 20 Jahren gescheitert. „In diesen Klassen fand sich damals eine homogene Schülergruppe wieder: Kinder mit Schwierigkeiten, sozial schwache und spracharme Schüler“, erklärte Aline So‐ isson-Schumacher, die damals als Lehrerin am Escher Projekt beteiligt war. Aus heutiger Sicht kann sie ergänzen: Aline Soisson-Schumacher: „Mir haten eng Kéier dee Versuch gestart op Franséisch ze alphabetiséieren an dat war eng Katastroph. Aus deem einfache Grond, well mir schwaach Kanner op Franséisch alphabetiséiert hunn an du […] herno, wou mer de Verglach gemaach hunn, waren déi Kanner méi schlecht am Franséischen, wéi déi Kanner, déi op Däitsch alphabetiséiert goufen an dofir hu mer mat deem Projet op‐ gehalen. […] Do hätte mer missen all d’Elteren ruffen an eng heterogen Klass bilden, statt eng homogen Klass mat Kanner mat Schwieregkeeten. An du hu mer se dann op Franséisch alphabetiséiert […] an du hu mer am 4. Schouljoer, am Cycle 3.2, hu mer Tester gemaach an do ass erausfonnt ginn, dass déi Kanner iwwerall méi schwaach ware wéi d’Kanner an der Parallelklass. […] Och déi aus engem frankophone Milieu koumen, ware méi schlecht am Franséischen an dat erkläert sech héchstwahrschein‐ lech wéinst der Stimulatioun, well et awer wichteg ass heterogen Klassen ze maachen statt homogen Klassen. Also si mer et falsch ugaangen an du hu mer eis och ni méi getraut een anere Start ze man. An t’ass och ze schwéier wéinst de Graphemen, wéinst de Phonemen asw. [am Franséischen] […]. Also ech denken, dass eng däitsch Alpha‐ betisatioun vill méi einfach ass, well dat mat de Phonemen / Graphemen och fir d’por‐ 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 123 <?page no="124"?> 65 Aline Soisson-Schumacher: „Wir haben einmal den Versuch unternommen auf Fran‐ zösisch zu alphabetisieren, was sich als Katastrophe herausgestellt hat, aus dem einfa‐ chen Grund, weil wir leistungsschwache Kinder auf Französisch alphabetisiert haben. Als wir dann später die Lerngruppen verglichen haben, waren diese Kinder schlechter im Französischen als jene, die auf Deutsch alpahabetisiert worden waren. Also haben wir mit dem Projekt aufgehört. […] Wir hätten damals die Eltern mehr einbinden müssen und hätten eine heterogene Klasse bilden müssen, anstatt einer homogenen, die sich aus Kindern mit Schwierigkeiten zusammengesetzt hat. Wir haben die Kinder dann auf Französisch alphabetisiert […] und im 4. Schuljahr, im Zyklus 3.2, getestet. Dabei hat sich herausgestellt, dass diese Kinder überall schwächer waren als die Kinder aus der Parallelklasse. […] Auch diejenigen, die aus einem frankophonen Milieu stammten, waren schlechter im Französischen. Das erklärt sich höchstwahrscheinlich am Faktor ‚Stimulation’, weil es trotzdem besser ist heterogene Klassen statt homogene zu bilden. Also sind wir falsch an die Sache herangegangen und wir haben es später nie mehr gewagt erneut einen Versuch zu unternehmen. Es ist auch schwierig wegen der Grapheme, wegen der Phoneme usw. [im Französischen]. […] Also ich denke, dass eine deutsche Alphabetisierung viel einfacher ist, weil das mit den Phonemen / Gra‐ phemen … auch für die portugiesischen Kinder und für leistungsschwache Kinder … Ja also ich denke, dass eine Alphabetisierung auf Deutsch für Luxemburg richtig ist.“ tugisesch Kanner a schwaach Kanner … Jo also ech denken, dass eng däitsch Alpha‐ betisatioun fir Lëtzebuerg richteg ass.“ 65 F. S.: „Ass dann eng däitsch Alphabetisatioun iwwerhaapt nach zäitgeméiss, wann ee kuckt wéi d’Land sech momentan entwéckelt? “ Aline Soisson-Schumacher: „Also ech géif scho soen. Wa mer keng franséisch Al‐ phabetisatioun op der Uni ubidden, kann een dat, dat ass esou fragil, dat kann een menger Meenung net, dat ass pädagogesch net ze veräntweren dat nach eng Kéier ze man, wéi mir dat gestart haten. Dat muss virbereed ginn, do mussen d’Elteren hiert Averständnes ginn, well déi Alphabetisatioun, Graphem / Phonem an d’l’étude du son am Franséischen ass esou wichteg, dat muss op der Uni vermëttelt ginn. […] Also ech géif déi Verantwortung net droen a soe: Komm mir ma béides. Ech géif scho soen, dat Däitscht ass bewäert, do hu mer Resultater. Ech selwer géif déi Verantwortung net iwwerhuelen a soe: Komm mir maachen dat lo op Franséisch fir déi eng. Also dat muss sech wierklech scho bewären. Dat muss op der Uni erschafft ginn, geplangt ginn, mat enger Klass, wou ëmmer rëm d’Eltere gefrot ginn, wou d’Resultater dauernd bewäert ginn, net dass dat esou een Echec gëtt, dass herno d’Kanner méi schlecht sinn an där Sprooch wou se alphabetiséiert goufe, wéi mer dat deemools an Esch leider haten. Wat heescht zäitgeméiss? Mir hunn nun mol déi dräi Sproochen. […] Ech denke, wa mer keng Alternativ hunn, déi dat wierklech beweist, dass et besser ass, ass et fragil se duerchzesetzen. […] Ech géif scho soen […] mir hunn awer esou vill Erfarung an där V. Der Bildungsdiskurs 124 <?page no="125"?> 66 F. S.: „Ist denn eine Alphabetisierung auf Deutsch überhaupt noch zeitgemäß, wenn man sich mal ansieht, wie das Land sich aktuell entwickelt? “ Aline Soisson-Schumacher: „Also ich würde schon sagen. Wenn wir keine französische Alphabetisierung auf der Uni anbieten, kann man das, ist das eine derart fragile Sache, kann man das, meiner Meinung nach, pädagogisch nicht verantworten, das noch einmal zu machen, wie wir das damals gemacht haben. Das muss vorbereitet werden, da müssen die Eltern ihr Einverständnis geben, weil diese Alphabetisierung, Graphem / Phonem und die Schu‐ lung des Lautsystems im Französischen sind so wichtig, dass das didaktisch auf der Uni an Lehrer vermittelt werden muss. […] Also ich würde die Verantwortung nicht über‐ nehmen und sagen: Komm wir machen beides. Ich würde schon sagen, das Deutsche hat sich bewährt, da haben wir Resultate. Ich selbst würde diese Verantwortung nicht übernehmen und sagen: Komm, wir machen es jetzt auf Französisch für die einen. Also das muss sich wirklich schon bewähren. Das muss an der Uni erarbeitet werden, geplant werden, mit einer Klasse, für die, die Eltern ihr Einverständnis geben, wo die Ergebnisse beständig ausgewertet werden, nicht, dass das erneut scheitert und die Kinder später schlechter in der Sprache sind, in der sie alphabetisiert worden sind, wie wir das damals in Esch leider hatten. Was bedeutet zeitgemäß? Wir haben nun mal drei Sprachen. […] Ich denke, wenn wir keine Alternative haben, die wirklich beweist, dass es besser wäre, wäre es gewagt eine französische [Alphabetisierung] durchzusetzen. […] Ich würde sagen […], dass wir doch so viel Erfahrung in der Sprache [Deutsch] gesammelt haben, ob wir das im Französischen erreichen …, also ich denke das wird aber noch gut 10, 20 Jahre dauern.“ Sprooch [Däitsch], ob mer dat kënnen am Franséischen maachen …, also ech denken dat dauert awer nach 10, 20 Joer.“ 66 Eine einheitliche Alphabetisierung auf Französisch würde die luxemburgischen Muttersprachler in eine Situation versetzen, in der sie eindeutig in einer Fremd‐ sprache lesen und schreiben lernen würden. Ruft man sich die Eindrücke der Sekundarschullehrer zum Stand der französischen Sprache noch einmal in Er‐ innerung, ist davon auszugehen, dass eine Stärkung der Schulsprache Franzö‐ sisch nicht ohne Weiteres umzusetzen wäre. Sicherlich käme es dann auch zu einer Verzögerung im Ausbau einer umfassenden Denk- und Bildungssprache, bei der die Lehrkräfte ohnehin Veränderungen bemerken. Die Entwicklung einer Bildungssprache (cognitive academic language proficiency) setzt bereits unter den momentanen Voraussetzungen verzögert ein und der Wechsel von der Un‐ terrichtssprache Deutsch auf die Unterrichtssprache Französisch, der in den Nebenfächern nach der neunten Klasse des allgemeinen Sekundarunterrichts erfolgt, führt jedes Jahr dazu, dass zahlreiche Schüler (mit Familiensprache Lu‐ xemburgisch) auch nach acht Jahren Französischunterricht nur schwer in der Lage sind, den Lehrstoff zu verstehen und in ihren eigenen Worten wiederzu‐ geben. Gilles (vgl. 2009: 197) weist darauf hin, dass die gegenwärtige Alphabe‐ tisierung auf Deutsch zum einen die Mehrsprachigkeit des Landes und zum an‐ deren den Fortbestand der Kleinsprache Luxemburgisch gewährleiste. Wenn der 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 125 <?page no="126"?> 67 Der erste Band der Reihe ‚Deutsches Lesebuch für höhere Schulen’ erschien 1925 mit 172 ausgewählten Texten (vgl. Groben 2008: 344). Herausgeber war der Deutschlehrer und Schriftsteller Nikolaus Hein. Nach seinem Tod im Jahr 1969 übernahm eine Arbeitsge‐ meinschaft von Deutschlehrern die Aktualisierung der Bände (vgl. ebd.). In den 1950er Jahren wurde die Reihe in ‚Der Brunnen’ umbenannt und umfasste am Ende sieben Bände. Schriftspracherwerb auf Französisch stattfände, so meint er, ginge wohl auch der Gebrauch des Luxemburgischen in den Schulen merklich zurück (vgl. ebd.). Wie angedeutet wurde, hat der luxemburgische Bildungsminister Claude Me‐ isch im Juli 2014 angekündigt, die Sprachpraxis in den öffentlichen Kinderta‐ gesstätten reformieren zu wollen. Hinter diesem politischen Akt der Sprach‐ planung steht der Gedanke, Kinder mit romanophonem Sprachhintergrund früh an die luxemburgische Sprache heranzuführen und solche mit Familiensprache Luxemburgisch frühzeitig an das Französische. Ob dieses Konzept in der Praxis gelingt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass sich diese Re‐ form auf die Erwerbsvoraussetzungen für die deutsche Sprache im Grundschul‐ zyklus 2.1 auswirken wird und den Status der deutschen Sprache im Bildungs‐ system insgesamt verändern wird. Robi Brachmond meinte bereits im April 2014, also vor dieser Reformankündigung, dass es wohl über kurz oder lang darauf hinauslaufen würde, dass die deutsche Sprache in Luxemburg als Zweit‐ sprache erlernt werden würde und das konsequent von Anfang bis zum Schluss. EXKURS: Vermittlung des Mentalitätenwissens über den Deutschunterricht; Stellenwert des Luxemburgischunterrichts Buchreihen, die Schüler über Jahre hinweg begleiten, üben in der Regel eine nachhaltige Wirkung auf sie aus. Die deutsche Literaturgeschichte Der Brunnen begleitete Generationen von Luxemburger Gymnasiasten in immer wieder neuen und aktualisierten Auflagen bis zum Abitur. 67 Im Schuljahr 2007 / 2008 durfte die Reihe ein letztes Mal in der Klassenstufe 5ième benutzt werden, bevor die luxemburgischen Deutschbücher von den Lehrprogrammen des Sekundar‐ unterrichts verschwanden (vgl. LW29: 26. 05. 2006; Felten / Klingbeil 2007). Die Brunnen-Reihe war die erste deutsche Literaturgeschichte, die spezifisch für den Deutschunterricht an Luxemburger Sekundarschulen konzipiert worden war und erstmals deutschsprachige Texte von Luxemburger Autoren für den Deutschunterricht zuließ. Im technischen Sekundarschulunterricht wurde in den unteren Klassenstufen mit dem Deutschbuch Das Eselsohr gearbeitet, eben‐ falls ein Deutschbuch, das von Luxemburger Deutschlehrern zwischen 1983 und 1989 ausgearbeitet worden war und mehrmals neu aufgelegt wurde. Colette V. Der Bildungsdiskurs 126 <?page no="127"?> 68 Colette Kutten: „Ich denke, dass die Entstehung des Buches hauptsächlich auf die Unzufriedenheit mit den damaligen Deutschbüchern [aus Deutschland] zurückzu‐ führen war; ich weiß nicht mehr wie die Reihe hieß, […]. An diesen Büchern ist generell bemängelt worden, glaube ich, dass sie nicht genügend Lesetexte enthielten und allge‐ mein für Luxemburg wenig passend waren, auch aufgrund ihres Schwierigkeitsgrads. (Wahrscheinlich hatte es auch damit zu tun, dass im classique der Brunnen, ein luxem‐ burgisches Buch, auf dem Lehrprogramm stand). Im Eselsohr haben wir ja ganz klar den Schwierigkeitsgrad durch Sternchen angezeigt, weil das uns im EST [enseignement secondaire technique] entgegenkam, wo wir das Buch für die Ausbildungszweige tech‐ nique und polyvalent benutzt haben. (In Düdelingen haben wir es auch im classique benutzt […]).“ Kutten, die an der Ausarbeitung der ersten beiden Bände des Eselsohrs beteiligt war, erinnert sich an die Entstehungsbedingungen des Lehrwerks: Colette Kutten: „Ech ginn dervun aus, dass d’Entstehung vum Buch haaptsächlech op d’Onzefriddenheet mat den deemolegen Däitschbicher (aus Däitschland) zeréck‐ zeféieren ass; ech weess mol net méi wéi déi Rei geheescht huet, […]. Un deene Bicher ass generell bemängelt ginn, mengen ech, dass se net genuch Texter fir ze liesen enthal hunn an dass se allgemeng fir Lëtzebuerg wéineg passend waren och op Grond vun hirem Schwieregkeetsgrad. (Wahrscheinlech hat et och dermat ze dinn, dass am clas‐ sique de BRUNNEN, e lëtzebuergescht Buch, um Programm war). Am ESELSOHR hu mir jo ganz kloer de jeeweilegen Schwieregkeetsgrad duerch Stärecher gekenn‐ zeechnet, well dat eis am EST entgéint komm ass, wou mir et fir d’filière technique a polyvalente benotzt hunn. (Zu Diddeleng hu mir et och am Classique benotzt […]).“ (Schriftliche Antwort von Frau Colette Kutten, Eingang per Mail am 15. Oktober 2014). 68 Das Eselsohr verschwand Ende des Schuljahres 2001 / 2002 vom Lehrplan. Da die Mehrheit der Deutschlehrer sich Lehrbücher zurückwünschte, die in An‐ spruch und Aufbau dem jeweiligen Sprachstand der Luxemburger Schüler ent‐ sprachen, wurden 2012 im klassischen Sekundarunterricht erneut Deutschbü‐ cher getestet, die von Luxemburger Deutschlehrern in Zusammenarbeit mit einem deutschen Verlag ausgearbeitet wurden (s. a. Unterkapitel 4.1). Das folgende Gedicht bildet im sechsten Band der Brunnen-Reihe den Ein‐ stieg in ein Kapitel zur deutschsprachigen Literatur in Luxemburg (vgl. Colling et al. 1994: 226): Ich bin Luxemburger: Ich gehöre nicht zu Deutschlands Literaten was kümmert mich ihre Politik und unbewältigte Vergangenheit 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 127 <?page no="128"?> Luxemburg wurde 1940 besetzt 1 / 3 des Landes zerstört 1 / 10 der Bevölkerung verschleppt und ermordet Es gibt keine Wehrpflicht unsere anderen Nachbarländer sind Frankreich und Belgien wir reden täglich 3 Sprachen damit man uns versteht (Ich bin Luxemburger, Anise Koltz, 1989). Arbeitsaufträge im Brunnen 6 (ebd. 1994: 226): 1.) Weshalb grenzt A. Koltz sich so deutlich von „Deutschlands Literaten“ ab? 2.) Wie würden Sie die Dreisprachigkeit der Luxemburger begründen? Erscheint sie Ihnen eher als Vorteil oder als Nachteil? 3.) Versuchen Sie, einige Züge herauszufinden, welche typisch für die Wesensart des Luxemburgers sind. Die beigefügten Arbeitsaufträge verdeutlichen, dass die Herausgeber neben einer umfassenden deutschen Literaturgeschichte, auch ein Stück Erinnerungs‐ kultur und Wissen über die Literaturproduktion in Luxemburg vermitteln wollten. Im Brunnen habe es „stets eine wohldosierte Portion von Beiträgen ge‐ geben, die etwas Heimatliches an sich ha[tt]en”, erklärt Groben (2008: 344). Im ersten Band der Brunnen-Reihe sind Texte des Herausgebers Nikolaus Hein und von Luxemburger Autoren, wie Albert Gricius, Batty Weber und Willy Thoss, enthalten. Der sechste Band versammelt Textauszüge von Anise Koltz, Roger Manderscheid, Guy Rewenig und Roland Harsch. Damals wie heute liegt die Entscheidung beim Deutschlehrer, ob Luxemburger Literatur im Unterricht be‐ handelt wird oder nicht. Der geringe Stellenwert, den die Schule der Literatur aus Luxemburg und der luxemburgischen Sprache einräumt, wird seit 1983 sowohl im Medienals auch im Fachdiskurs kritisiert. Redinger (2010: 96) spricht von „Luxembourgish: a national language with no role in education.“ Berg und Weis (2005: 96) konstatieren: Assez étrangement, la langue nationale du Luxembourg, le ‘Lëtzebuergesch’ est le parent pauvre de l’enseignement. […] Les locuteurs luxembourgeois moyens n’ont qu’une idée vague quant à l’orthographe et la grammaire de la langue qu’ils parlent, alors que celle-ci sont définies de manière précise. V. Der Bildungsdiskurs 128 <?page no="129"?> 69 Grundschullehrerin: „Ich denke, dass die meisten Leute einfach davor zurückschre‐ cken, etwas auf Luxemburgisch zu schreiben, weil man es nicht gewöhnt ist, in der Sprache zu schreiben. Du denkst die ganze Zeit ‚Ich schreibe Fehler’, was ja auch der Fall sein wird […]. Ich denke, dass deswegen ganz viele Leute das nicht tun, weil man uns auch immer eingetrichtert hat: ‚Du darfst keine Fehler machen! ’“ Eine Dozentin des Fachs Luxemburgistik an der Universität Luxemburg wies in einem Interview der Tageszeitung Luxemburger Wort darauf hin, dass sie unter den Studierenden den Wunsch verspüre, die eigene Muttersprache schreiben zu lernen (vgl. Wort: 22. 09. 2014). Die fehlenden Rechtschreibkenntnisse werden als Bildungslücke empfunden, welche die Schule (zurzeit) nicht schließt. Diese Lücke wird erst an der Universität Luxemburg, wo die Studierenden ihre Kurse zum Teil frei wählen dürfen, eigenhändig geschlossen. Kulturelles Allgemein‐ wissen über Luxemburg und Wissen über das luxemburgische Sprachsystem werden in der Grundschule nur bedingt, in der Sekundarschule kaum noch ver‐ mittelt. Die Tatsache, dass das Luxemburgische nicht als Bildungssprache aus‐ gebildet wird, beeinflusst die Einstellung gegenüber dem Wert der Sprache und das eigene Selbstwertgefühl und Sprachnormbewusstsein. Die nahezu fehlende Vermittlung der Orthografie des Luxemburgischen führt dazu, dass die Schrift‐ sprache Luxemburgisch bis heute als inadäquat für bestimmte Bereiche ange‐ sehen wird und oft nur dann gewählt wird, wenn die Textsorte viele Merkmale von Mündlichkeit aufweist: Grundschullehrerin 1: „Ech denken, dass do déi meescht Leit einfach zécken eppes op Lëtzebuergesch ze schreiwen, well s de et net gewinnt bass Lëtzebuergesch ze schreiwen. Du denks déi ganzen Zäit ‚Ech schreiwen Feeler’, wat jo de Fall wäert sënn […]. Ech denken, dass dowéinst eng ganz Parti Leit dat net man, well mir dat och ëmmer agetriichtert kruten: ‚Du däerfs keng Feeler maachen! ’“ 69 Ferguson (1959: 239) beschreibt den Erwerb einer L-Varietät wie folgt: The grammatical structure of L is learned without explicit discussion of grammatical concepts; the grammar of H is learned in terms of ‘rules’ and norms to be imitated. So sind auch die folgenden Unterrichtsanweisungen typisch für die Gestaltung des Luxemburgischunterrichts: Am Lëtzebuergesche läit den Akzent op der mëndlecher Rezeptioun, der mëndlecher Produktioun an dem Liesen a Verstoen. Et ass normal, datt de Schüler och emol schreift 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 129 <?page no="130"?> 70 „Im Luxemburgischen liegt der Schwerpunkt auf der mündlichen Rezeption, der münd‐ lichen Produktion und dem Lesen und Verstehen. Es ist normal, dass der Schüler auch hin und wieder schreibt oder ihm die eine oder andere Regel vermittelt wird, aber das Schriftliche soll nicht in die Bewertung miteinfließen.“ (ALLUX 7MO, 8MO, 9MO). 71 Bis zur Ausarbeitung des Gesetzes über die Schaffung eines Postens für Luxembur‐ gischlehrer im Jahr 2009 wurden in der Regel die Deutschlehrer, aufgrund der Sprach‐ verwandtschaft, damit beauftragt eine Stunde Luxemburgisch pro Woche in der klas‐ sischen Sekundarschule zu unterrichten. 72 Deutschlehrerin 5: „[…] Im EST gibt es eine Empfehlung (seit dem Schuljahr 2014-2015) zwei luxemburgische Texte pro Trimester aus dem Buch ‚Lies de bal’ zu lesen. ALLUX bedeutet Deutsch + Luxemburgisch. Vorher hat das so ausgesehen, dass es die Empfehlung gab, auch einmal einen luxemburgischen Text [im Deutschunter‐ richt] zu behandeln. Eine Reihe von Texten stand online, was, seit es das neue Buch gibt, nicht mehr der Fall ist.“ oder déi eng oder aner Regel méi no bruecht kritt, mee dat Schrëftlecht soll nët an d’Bewäertung mat afléissen (MENEJ 2013b, ALLUX 7MO, 8MO, 9MO). 70 1912 wurde Luxemburgisch als Unterrichtsfach in der Grundschule eingeführt, seit 1948 gibt es das Fach in der Sekundarschule (vgl. LW13: 19. 01. 1983). Lu‐ xemburgisch wird dort in der siebten Klasse während einer Schulstunde unter‐ richtet und verschwindet in den Folgejahren vom Stundenplan. 71 Die Recht‐ schreibregeln werden im Unterricht knapp erläutert, während der Literatur mehr Aufmerksamkeit zukommt. 1994 wird in einem Diskursausschnitt kon‐ statiert: Die Muttersprache der Luxemburger (etwa 67 % der Gesamtbevölkerung) ist Luxem‐ burgisch. In dieser Sprache lernen sie sprechen und denken, allerdings kaum noch schreiben, denn Luxemburgisch ist als eigenständiges Fach vor zwei Jahren klamm‐ heimlich und ohne große Medienkommentare vom Stundenplan der technischen Se‐ kundarschulen verschwunden. (LW25: 09. 07. 1994) Gegenwärtig hat der Luxemburgischunterricht einen Platz auf den unteren Stufen des technischen Sekundarschulunterrichts, wird dort allerdings nach wie vor eher stiefmütterlich behandelt und ist Bestandteil des Fachs Deutsch, wie die befragten Lehrkräfte ausführten. Deutschlehrerin 5: „[…] Am EST gëtt et eng Empfeelung (säit dem Schouljoer 2014-2015) zwee lëtzebuergesch Texter pro Trimester aus dem Buch ‚Lies de bal’ ze liesen. […] Konkret huet dat esou ausgesinn, datt et d’Empfeelung gouf och emol e lëtzebuergeschen Text [am Däitschunterrecht] ze maachen. Eng Rei Texter stoung online, wat, säit et dat neit Buch gëtt, net méi de Fall ass.“ 72 Deutschlehrerin 6: „Lëtzebuergesch ass effektiv och am EST e Stéifkand … Et gi wuel déi Empfeelungen, […], mee donierft ginn et dann och nach di gebaiintern Richt‐ V. Der Bildungsdiskurs 130 <?page no="131"?> 73 Deutschlehrerin 6: „Luxemburgisch ist effektiv auch im EST ein Stiefkind … Es gibt wohl diese Empfehlungen, […] aber daneben gibt es auch die gebäudeinternen Richt‐ linien. Bei uns […] ist der Luxemburgischunterricht beispielsweise ganz losgekoppelt vom Deutschunterricht. Die Schüler machen dann ein Trimester lang einen Luxem‐ burgisch-Workshop. […].“ linnen. Bei eis […] ass d’Lëtzebuergescht z. B. komplett lassgekoppelt vum Däitsch‐ unterrecht. D’Schüler maachen dann een Trimester e Lëtzebuergeschatelier. […]“ 73 In den unteren Klassenstufen des EST (7.-9. Klasse) ist der Luxemburgischun‐ terricht in den Deutschunterricht integriert. Das Fach heißt dort: ALLUX (= Al‐ lemand + Luxembourgeois). In der Oberstufe (10.-12. Klasse) steht es dem Deutschlehrer frei die luxemburgische Literaturgeschichte Literaresch Welten im Deutschunterricht einzusetzen. Mit der Ausarbeitung der Anthologie Lite‐ raresch Welten. Eng Lëtzebuerger Anthologie an dräi Sproochen hat das Bildungs‐ ministerium im Jahr 2012 eine umfassende luxemburgische Literaturgeschichte für den klassischen und technischen Sekundarunterricht vorgelegt. Die Antho‐ logie ist bewusst dreisprachig angelegt, weil die „Dreisprachigkeit […] Luxem‐ burg und die Luxemburger Bevölkerung [kennzeichne] und so [a]uch die Luxem‐ burger Literatur […] eine Literatur in drei Sprachen, in Deutsch, Französisch und Luxemburgisch“ sei (vgl. Baden et al. 2012). Darüberhinaus befindet sich mit Beginn des Schuljahres 2014 / 2015 das Lehrbuch Lies de bal für den Luxembur‐ gischunterricht auf dem Lehrprogramm der unteren Klassenstufen des techni‐ schen und klassischen Sekundarunterrichts. Im Bildungszweig modulaire und in den Spezialklassen mit Unterrichtssprache Französisch (classe d’insertion - STF) existiert Luxemburgisch als alleinstehendes Fach von der 7. bis zur 9. Klasse. Ein Großteil der sprach- und gesellschaftspolitischen Arbeit, die die luxem‐ burgische Schule betreibt, darunter fällt auch die Vermittlung einer interkultu‐ rellen Grundeinstellung im multikulturellen Land, findet allerdings bis heute im Deutschunterricht statt. So steht in den Vorgaben für den Deutschunterricht in der siebten Klasse des klassischen Sekundarunterrichts: Die deutsche Sprache ist die Sprache, in der sich Luxemburger Schüler schriftlich ausdrücken lernen und in der sie einen wesentlichen Teil der Bildungsinhalte auf‐ nehmen und verarbeiten (S. 1). (MENFP (2014) enseignement secondaire - classe de VIIe - Allemand) In den curricularen Vorgaben für den technischen Sekundarunterricht wird ebenfalls auf die Aufgaben des Deutschunterrichts hingewiesen, die über den bloßen Sprachenunterricht hinausgehen: 3 Der Stellenwert des Deutschen in der Grundschule 131 <?page no="132"?> 74 Verwiesen werden kann auf den Beitrag von Sahr, Romain (2007): Identität und Trans‐ kulturalität: Lesebücher im mehrsprachigen und kulturellen Umfeld in Luxemburg. 75 Der Sprachfuchs ist ein vom luxemburgischen Bildungsministerium herausgegebenes Lehrbuch für den Deutschunterricht an Luxemburger Grundschulen ab dem Grund‐ schulzyklus 3.1. Das Fach Deutsch ist für Schülerinnen und Schüler im Rahmen ihrer schulischen Ausbildung von grundlegender Bedeutung. Es schafft wichtige Voraussetzungen für ihre aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie für ihre Vorbereitung auf die berufliche Ausbildung bzw. die Fortsetzung ihrer Schullaufbahn. Sie entwickeln die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in unterschiedlichen Situationen sach- und adressa‐ tengerecht zu verständigen, mit Texten und Medien rezeptiv und produktiv umzu‐ gehen sowie sich im Umgang mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen fremde Perspektiven zu erschließen und die eigene kritisch reflektiert darzustellen. Mit dieser Zielsetzung leistet der Deutschunterricht über die Grenzen seines Fachs hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Allgemeinbildung der Schülerinnen und Schüler (enseigne‐ ment secondaire technique - Cycle inférieur - ALLUX (7AD - 7ST - 7STA - 8PO - 8TE - 8TEA - 9PO - 9POA - 9TE - 9TEA). Die Vorgaben für den Französischunterricht enthalten keinen vergleichbaren Bildungsauftrag. In der deutschen Sprache sind die kommunikativen und kog‐ nitiven Kompetenzen in der Regel am besten ausgebaut, da ein wesentlicher Teil der Bildungsinhalte in der Sprache vermittelt wird. Der Deutschunterricht nimmt daher bedeutenden Anteil an der Sozialisation der Kinder. Die interkul‐ turelle und sprachpolitische Arbeit, die hier erfolgt, wurde bislang kaum er‐ forscht. 74 In den Deutschbüchern, die für den Grundschulunterricht in Luxem‐ burg vom Bildungsministerium herausgegeben werden, erscheinen bewusst Kurzgeschichten und Textauszüge, die auf Mehrsprachigkeit und das Zusam‐ menleben verschiedener Kulturen eingehen und somit Anreize für eine ent‐ sprechende Unterrichtsgestaltung liefern. So ist im Deutschbuch Baiabong für die fünfte Klasse ein Auszug aus dem Text Der Hund mit dem gelben Herzen von Jutta Richter. Dort heißt es: „Alle Hunde können sprechen“, sagt der Hund. „Bellen“, verbessert Prinz Neumann. „Wie du das nennst, ist mir egal“, sagt der Hund. „Aber … aber das versteh ich doch nicht, das Bellen“, stottert Prinz Neumann. „Und dich kann ich verstehen! Wie kommt das? “ „Fremdsprachen“, antwortet der Hund. „Ich spreche Menschisch, Kätzisch, ein wenig Rättisch und selbstverständlich Hündisch“ (Richter 2007: 226). Ein weiteres Beispiel wären die Unterrichtshinweise im Sprachfuchs Lehrer‐ handbuch. 75 Unter dem Absatz ‚Interkulturalität und Mehrsprachigkeit’ (35 f.) V. Der Bildungsdiskurs 132 <?page no="133"?> machen die Autoren des Buches (Brachmond / Honnef-Becker / Kühn 2013) die folgenden didaktischen und unterrichtspraktischen Bemerkungen: Luxemburg ist multilingual und multikulturell zugleich, denn das Besondere des Landes ist gerade seine spezifische kultur- und sprachensoziologische Situation. Auch die luxemburgische Schule ist eine mehrsprachige Schule, die die Multikulturalität des Landes spiegelt. Dabei gilt der Grundsatz der transversalen Kompetenz: ‚Connaître les autres et accepter les différences’ (Plan d’études 2011: 53). [sic] zählt im Kontext der ‚ouverture aux langues’ insbesondere die Vermittlung einer ‚sensibilité plurilin‐ guistique et pluriculturelle’ (Plan d’études 2011: 59): […] Adopter une démarche ré‐ flexive par rapport aux phénomènes langagiers et culturels présents dans la classe, être sensible aux mots voyageurs (Pizza, Skateboard, Handy, E-mail …). Découvrir l’origine ‚étrangère’ de certains mots luxembourgeois et réfléchir sur l’influence que les langues exercent les unes sur les autres […] Réfléchir sur ses représentations et attitudes vis-à-vis des langues […] Reconnaître et tirer profit de ses propres compé‐ tences linguistiques et de celles des autres […] adopter une attitude positive par rap‐ port au plurilinguisme, reconnaître la pluralité linguistique et son rôle dans la so‐ ciété […] prendre en compte la valeur de toutes les langues des enfants en classe […] Im Sprachfuchs werden solche Kompetenzen an verschiedenen Stellen vermittelt. […] (ebd.: 35 f.). Dem Lehrpersonal wird nahe gelegt, anhand der Aufgaben die Sprachoffenheit bei den Schülern zu wecken, sie zur Toleranz gegenüber anderen und gegenüber deren Sprachen zu erziehen, sowie ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Mehrsprachigkeit schon in der luxemburgischen Sprache begründet liegt und zur Identität des Landes dazugehört. Negative Einstellungen gegenüber Spra‐ chen sollen überdacht und die Bedeutung von Mehrsprachigkeit für das Land und seine Bevölkerung vermittelt werden. Die Aufgabenstellungen sollen ferner die Selbstsicherheit der Schüler bezüglich vorhandener Sprachkompetenzen stärken (vgl. ebd.). 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 4.1 Ein Blick ins klassische Sekundarschulklassenzimmer Es ist manchmal einfacher über Vor- und Nachteile einer Lehrmethode und eines Bildungssystems zu diskutieren, wenn man fragt, wie weit manche Schüler ge‐ kommen sind, die mit dieser Methode eine Kommunikationssprache erworben und ihre Ausbildung begonnen haben. Die Einschätzungen verschiedener Se‐ 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 133 <?page no="134"?> kundarschullehrer lieferten interessante Erkenntnisse über den Stellenwert der deutschen Sprache im Enseignement secondaire classique (ES), über die Deutsch‐ kenntnisse der dortigen Schüler und deren Einstellungen zur Unterrichts-, Fach- und Landessprache Deutsch. Die Aussagen, die daraufhin im vorliegenden Ka‐ pitel verarbeitet werden konnten, fügten sich zu einem Zeitpunkt zusammen als das gesamte Sekundarschulsystem, insbesondere der dortige Sprachenunter‐ richt, reformiert werden sollte. Beim Abschluss der Arbeit stagnierte die Se‐ kundarschulreform weitestgehend. Die nachfolgenden Befunde, die auf den Ex‐ pertengesprächen aus dem Jahr 2012 basieren, beschreiben somit nach wie vor den Status quo. Statistiken zufolge erreichen immer noch die wenigsten Kinder mit Migrati‐ onshintergrund ein klassisches Gymnasium in Luxemburg. Durchschnittlich 47,7 % der Grundschüler mit luxemburgischer Nationalität erreichen das enseig‐ nement secondaire (ES) (Stand 2011 / 2012) (vgl. MENEJ 2013a: 112). 14,5 % der Schüler mit portugiesischem Migrationshintergrund schaffen den Sprung dorthin (vgl. ebd.). Der Anteil der Kinder mit einer anderen Nationalität als Lu‐ xemburgisch oder Portugiesisch, die auf einer 7ième classique ihre Sekundar‐ schullaufbahn beginnen, beläuft sich auf 35,1 % (vgl. ebd.). Nach der Grund‐ schule spalte sich die Schulpopulation entsprechend ihrer sprachlichen und sozialen Herkunft in zwei Lager, so die verbreitete Meinung auf der medialen und fachwissenschaftlichen Diskursebene. Aufgrund der Art und Weise wie die Sprachen in Luxemburg vermittelt werden sowie des Stellenwerts der Schul‐ sprache Deutsch rücke der Sprung aufs Gymnasium für viele Schüler mit einer romanischen Familiensprache von vornherein in unerreichbare Ferne, so die verbreitete Aussage. Den folgenden Beispielauszügen aus dem Untersuchungs‐ korpus könnten somit beliebig weitere dieser Art angehängt werden. Sie stimmen in den TOPOS DER UNGERECHTIGKEIT ein: Mag in der Grundschule die Luxemburger Jugend noch vereint die Schulbank drücken, so sind spätestens ab dem Ende des sechsten Schuljahres - so schematisch das jetzt klingen mag - die einen für sich und die anderen für sich. Wir wissen alle, dass das Netzwerk Schule nicht allein prägend ist, aber durchaus eine Rolle spielt“ ( Journal2: 19. 02. 2010). „Toujours est-il que la politique n’a pas encore atteint l’objectif fixe d’un enseignement primaire comme facteur de cohésion sociale. L’enseignement actuel conduit trop les non Luxembourgeois vers la filière technique, moins prometteuse“ (LJ53: 17. 04. 2007). „En moyenne, les Luxembourgeois se retrouvent le plus souvent dans l’enseignement secondaire général, alors que les Portugais, ex-Yougoslaves et enfants issus de pays hors UE sont plus présents dans le secondaire technique (LJ6 : 19. 08. 2010). V. Der Bildungsdiskurs 134 <?page no="135"?> 76 F. S.: „Wie ist das Schülerbild hier im Lyzeum? Sind es nach wie vor vor allem Luxemburger, die auf ein klassisches Lyzeum orientiert werden und die Portugiesen und andere Natio‐ nalitäten finden sich im technisch orientierten Lyzeum wieder oder hat sich das doch ein wenig geändert? “ Fernand Weiler: „Das ist eine Frage, die etwas schwierig zu beant‐ worten ist und die man statistisch unterlegen müsste, aber mit Blick auf das, was man hier so sieht, würde ich sagen, dass zumindest bei uns im Lyzeum überwiegend Lu‐ xemburger sind. Was aber nicht bedeutet … - mit die besten Schüler, die wir in den letzten Jahren hatten, die das Lyzeum nach dem Abitur verließen, das waren Ausländer. Da war mal ein Ungar dabei, ein Bulgare, auch ein portugiesisches Mädchen, aber viel‐ leicht ist das nur die Spitze des Eisbergs. Man weiß es nicht.“ Die Deutschlehrer, die für die vorliegende Arbeit als Experten befragt wurden, bestätigten diesen Eindruck, merkten aber auch an, dass gute Schüler unab‐ hängig von ihrer Erstsprache den Sprung ans Gymnasium schaffen würden und sich momentan gerade bei Zuwanderergruppen, die schon mehrere Generati‐ onen in Luxemburg leben, zeigen würde, dass der Nachwuchs vermehrt klassi‐ sche Sekundarschulen besuche und das Abitur auch sehr erfolgreich dort ab‐ schließen würde: F. S.: „Wéi ass d’Schülerbild hei am Lycée? Sinn et virun allem Lëtzebuerger, déi nach ëmmer an de Classique orientéiert ginn an d’Portugisen an aner Nationalitéite fanne sech am Technique erëm oder huet sech dat awer e bësse geännert? “ Fernand Weiler: „Dat ass e bëssen eng schwiereg Fro, déi misst ee lo kënne statistesch ënnerleeën, mee sou wat een awer gesäit, géif ech soen, ass, dass zumindest hei bei eis am Lycée awer nach überwiegend Lëtzebuerger sinn. Wat awer net heescht … - mat déi beschte Schüler, déi mer an de leschte Joren haten, déi hei erausgaang sinn, dat waren Auslänner. Do ware mol Ungarn dobäi, ee Bulgar, och ee portugisescht Meedchen […], mee t’ass villäicht nëmmen d’Spëtzt vum Äisbierg, t’weess een et net.“ 76 F. S.: „Mengt Dir, dass de Stellewäert vum Däitschen an der Primärschoul nach ëmmer vill romanophon Schüler dervunner ofhält oder si dorunner stolpere léisst fir iwwerhaapt an ee Lycée ze kommen? “ Romain Dockendorf: „Ech sinn an deene Prozeduren net dobäi, dofir kann ech do ganz wéineg soen. Ech gesi just awer, dass ëmmer méi Leit mat portugiseschem oder och deelweis kapverdianeschem Hannergrond - virun allem Meedercher - [an de klassesche Lycée] kommen. Den Undeel vun de Portugisen hei am Lycée ass op deenen ieweschte Klassen däitlech gewuess, och hiren Taux de réussite ass gewuess. Mee t’sinn oft Portugisen an der zweeter Generatioun d. h. d’Elteren hu schonn hei a Lët‐ zebuerg geléiert, t’Kanner souwisou, t’Famill schwätzt doheem zum Deel Lëtzebuer‐ gesch. Déi gesinn och d’Däitscht lo net an deem Moos als Friemsprooch un, wéi déi, 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 135 <?page no="136"?> 77 F. S.: „Glauben Sie, dass der Stellenwert des Deutschen in der Primarschule nach wie vor viele romanophonen Schüler von dem Sprung auf ein Gymnasium abhält oder, das Deut‐ sche sie daran hindert.“ Romain Dockendorf: „Ich bin an diesen Prozeduren nicht beteiligt, deshalb kann ich dazu ganz wenig sagen. Ich sehe nur, dass immer mehr es mit portugiesischem oder teilweise auch kapverdischem Hintergrund - vor allem Mäd‐ chen - aufs Gymnasium schaffen. Der Anteil an Portugiesen hier im Lyzeum ist auf den oberen Klassen deutlich gewachsen, auch ihre Erfolgsquote ist gestiegen. Aber es sind ganz oft Portugiesen in der zweiten Generation d. h. die Eltern haben schon hier in Luxemburg gelernt, die Kinder sowieso, die Familie spricht zuhause zum Teil Lu‐ xemburgisch. Die sehen das Deutsche auch nicht in dem Maße als Fremdsprache an, wie diejenigen, wo die Eltern erst vor 10 Jahren aus Portugal hierher gekommen sind und deren Kinder jetzt hier zur Schule gehen.“ 78 Einige wenige klassische Lyzeen bieten mittlerweile ab 7 ième den gesamten klassischen Ausbildungsweg in der Unterrichtssprache Französisch an. So führte das Diekircher Lyzeum etwa im Schuljahr 2015 / 2016 solche Klassen ein. 79 Es ist kein Zufall, dass gerade im ländlichen Norden des Landes und entlang der deut‐ schen Landesgrenze Français intensif-Klassen eingeführt werden müssen. Das Angebot besteht 2014 im Lycée classique Diekirch und im Nordstadtlyzeum (Norden), im Lycée technique Joseph Bech (Grevenmacher - Osten, dt. Grenze) und im Lycée classique in Echternach (Osten - deutsche Grenze). Eine Ausnahme bildet nur das Uelzechtlycée, das in der an Frankreich grenzenden Gemeinde Esch-Alzette liegt. wou d’Elteren lo réischt virun 10 Joer aus dem Portugal komm sinn a wou lo d’Kanner hei an d’Schoul ginn.“ 77 Deutsch ist in den ersten neun Schuljahren in Luxemburg die grundlegende Unterrichtssprache. Erst nach der neunten Klasse des klassischen Sekundarun‐ terrichts (5 ième ) nimmt der Einfluss der deutschen Sprache zusehends ab. Ist Französisch in der siebten Klasse bereits die Unterrichtssprache im Fach Ma‐ thematik, so wechselt nach der neunten die Unterrichtssprache in nahezu allen Fächern ins Französische. Die Einstellung der Sekundarschüler, die in der Grundschule Probleme im Umgang mit der deutschen Sprache hatten, wird nach den Grundschuljahren infolge dieser Umkehr des Sprachengewichts gewöhn‐ lich positiver. 78 In einigen Lyzeen funktionieren sogenannte ALLET-Klassen, in denen Schüler mit einer Schwäche im Deutschen über drei Jahre hinweg sieben bis acht Stunden pro Woche Intensivunterricht in der Sprache erhalten. Die Deutschlehrerin Marie-Rose Wirtz betreute die ALLET-Klassen bei ihrer Ein‐ führung im Lycée classique in Diekirch. Als ein Lyzeum in der Nähe aus orga‐ nisatorischen Gründen eine zusätzliche 7 ième benötigte, gab das Diekircher Ly‐ zeum seine ALLET-Klasse an dieses ab und führte stattdessen Français intensif-Klassen für Schüler mit einer Schwäche im Französischen ein, da diese Klassen dort dringender benötigt wurden: 79 V. Der Bildungsdiskurs 136 <?page no="137"?> 80 Marie-Rose Wirtz: „Das sagt ja vielleicht auch schon etwas über die ALLET-Klassen aus, weil wir mit den Resultaten im Grunde genommen nicht so zufrieden waren. Wir haben festgestellt, dass das Problem dieser Schüler nicht wirklich das Deutsche war. Das Problem bei diesen Schülern war hauptsächlich, dass sie in allem leistungsschwach waren. Und dann hat man nach Erklärungen gesucht, woran das liegt, oh das liegt bestimmt am Deutschen.“ Marie-Rose Wirtz: „Dat seet jo villäicht och schonn eppes iwwer déi ALLET-Klassen aus, well mir u sech mat de Resultater net sou extrem zefridde waren. Mir hu festge‐ stallt, dass de Problem vun deene Schüler u sech net Däitsch war. De Problem bei deene Schüler war haaptsächlech, dass se an allem schwaach waren. An dann ass e bëssen d’Erkläerung gesicht ginn, jo wouru läit dat, oh dat läit bestëmmt um Däitschen.“ 80 F. S.: „An gouf do wierklech mat Bicher geschafft fir den DAF-Unterrecht? “ Marie-Rose Wirtz: „Ech hu […] geduecht, wou sinn hir Problemer, eben d’Recht‐ schreibung, Grammatik, Sazbau an sou an dunn hu mer vill där Saache […] ge‐ maach […] haaptsächlech Deutsch als Fremdsprache. […] [V]irun allem dat éischt Joer […] hu mer dann och wierklech ganz intensiv déi Saachen do gemaach. […] An do zum Schluss vum Joer, do waren d’Schüler och ganz zefridden. Si soten: Mir hu lo eppes bäigeléiert. An ech hunn och fonnt, dass se vum Ufank vum Joer bis zum Schluss awer wierklech villes geléiert haten. De Problem ass just ëmmer, wann Der da rëm am September ufänkt, dann ass schonn erëm 90 % vun deem fort, well d’Schüler dann awer net déi Disziplin hunn fir dann ze soen, lo widderhuelen ech an der Vakanz, lo liesen ech an der Vakanz. Jo mee t’muss een ëmmerhi soen, déi Schüler sinn awer bis op eng 1 ère komm. An obwuel et u sech keng staark Schüler waren an trotz hire Prob‐ lemer am Däitsche si se op 1 ère komm. Ech hunn zwar gesinn, dass déi meescht vun deenen zwar dann Däitsch ewechloossen, wa se d’Méiglechkeet hunn oder am Oral Däitsch ewechloossen, also déi Schwächt ass nach ëmmer do, mee ëmmerhinn war d’Däitscht net d’Hindernis fir am Lycée weiderzekommen. […] Ech hat lo laang kee Schüler méi, dee mer gesot hutt, oh d’Däitscht hutt mer elo meng Carrière an der 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 137 <?page no="138"?> 81 F. S.: „Und hat man da wirklich mit Büchern gearbeitet für den DAF-Unterricht.“ Marie-Rose Wirtz: „Ich habe mich gefragt, wo liegen ihre Probleme, eben in der Rechtschreibung, Grammatik, Satzbau und so und dann haben wir viele Sachen ge‐ macht […] hauptsächlich aus dem Bereich ‚Deutsch als Fremdsprache’. […] [V]or allem im ersten Jahr […] haben wir diese Dinge auch ganz intensiv geübt. […] Und am Ende des Schuljahres fand ich, dass sie von Anfang des Jahres bis zum Schluss wirklich einiges hinzugelernt hatten. Das Problem ist nur immer, wenn man dann im September wieder anfängt, sind schon wieder 90 % des Ertrags weg, weil die Schüler dann doch nicht die Disziplin haben, um zu sich selbst zu sagen, jetzt wiederhole ich mal in den Ferien, jetzt lese ich im Urlaub. Aber man muss immerhin sagen, dass diese Schüler trotz allem bis zur 1 ère gekommen sind. Ich habe zwar gesehen, dass die meisten von ihnen Deutsch weglassen, wenn sich die Möglichkeit bietet oder im Mündlichen Deutsch weglassen, also die Schwäche ist noch immer da, aber zumindest hat das Deutsche sie nicht daran gehindert im Lyzeum weiterzukommen. […] Ich hatte jetzt lange keinen Schüler mehr, der zu mir gesagt hat, oh das Deutsche hat mir jetzt meine Schulkarriere verdorben und hätte ich jetzt darauf verzichten können, das ist aber selten, wie gesagt ich kann mich gar nicht erinnern, dass je ein Schüler das zu mir gesagt hätte.“ Schoul verduerwen an hätt ech lo dorop kinnte verzichten, t’ass awer seelen, wéi gesot ech ka mech guer net erënneren, dass ee Schüler mer dat gesot hätt.“ 81 Ein Schüler, der aufgrund seiner Familiensprache Schwierigkeiten mit der deut‐ schen Sprache hat, wird normalerweise mit der Nachsicht der Deutschlehrer rechnen können, wenn er den regulären Deutschunterricht besucht. Romain Dockendorf: „Ech mengen et kann een och de Portugisen een intuitivt Ver‐ hältnis zu[r däitscher Sprooch] […] bäibréngen. Also ech sinn an der Zäit ëmmer mat mengen de Wee gaangen, komm mir maachen et mol vum Lëtzebuergeschen aus, wéi ass et am Lëtzebuergeschen? Komm mir leeë mol fest, ass et der, die, das, wéi gëtt d’Endung am Lëtzebuergesche gemaach an dann […] komm mir schreiwen an engem Aufsatz manner. Mir maachen 3 Säiten, mee du iwwerlees der dat, du baus den Saatz lo mol vum Lëtzebuergeschen aus op, du transkribéiers et an d’Däitscht. An da sinn der natierlech, déi schreiwen Dem Vater sein Wagen, bon, mäi Gott, dat ass nach dee mannste Problem, wann eng ganz Parti aner Saachen dann awer geléist sinn. An ech mengen mir wëssen [dat] och, […] bei all deenen typischen frankophonen Deklina‐ tiounsfeeler si mer net esou streng, wann et just dat ass, wat herno an der Sprooch rauskënnt, bon ech mengen domatt kann ee liewen, wann de Saz awer sou struktu‐ réiert ass, dass an all Saz wierklech de Sënn kloer ze erkennen ass, quitt datt en eng V. Der Bildungsdiskurs 138 <?page no="139"?> 82 Romain Dockendorf: „Ich denke, dass man auch den Portugiesen ein intuitives Ver‐ hältnis zu[r deutschen Sprache] […] vermitteln kann, also ich bin früher immer den Weg gegangen, dass ich gesagt habe, komm wir probieren es mal ausgehend vom Lu‐ xemburgischen, wie ist es im Luxemburgischen. Komm wir legen mal fest, ist es der, die, das, wie wird die Endung im Luxemburgischen gemacht und dann […] komm wir schreiben in Aufsätzen mal weniger. Du schreibst drei Seiten, aber überlegst dir das, du baust den Satz mal ausgehend vom Luxemburgischen auf und überträgst ihn dann ins Deutsche. Dann schreiben natürlich einige Dem Vater sein Wagen, gut, mein Gott, das ist doch dann das geringste Problem, wenn viele andere Probleme so behoben werden können. Und ich glaube wir sind uns dessen auch bewusst, […] und sind bei all diesen typischen frankophonen Deklinationsfehlern nicht so streng. Wenn es nur das ist, was man später an der Sprache bemerkt, nun ich glaube damit kann man leben, wenn der Satz so strukturiert ist, dass in allen Sätzen der Sinn klar erkennbar wird, auch wenn er eine gewisse frankophone Holprigkeit enthält, nun da kann man drüber hinweg‐ sehen. Ich glaube, das machen auch die meisten von uns.“ 83 Fernand Weiler: „Da wo es besonders schwer zu Buche schlägt, ist bei den franko‐ phonen Schülern, die das gar nicht machen, die überhaupt nicht mit der deutschen Sprache in Berührung kommen.“ F. S.: „Erreichen die auch nie diesen Punkt, wo es funk‐ tioniert? [Wo sie genau so gut Deutsch können wie ihre Schulkameraden mit Erstsprache, mit Muttersprache Luxemburgisch? “ Fernand Weiler: „Ich bin da eher, ich denke nein. In der Sprache, nein, die Basis wird in den ersten Jahren gelegt, danach ist es vorbei. Ich sehe es ja hier, sie schleppen sich mühsam von Jahr zu Jahr und kompensieren das Fach […] und dann ist es wie in der Lotterie, es hängt davon ab, welchen Lehrer sie bekommen, ist der streng, ist er weniger streng.“ gewësse frankophon […] Holprechkeet enthält, bon doriwwer kann een ewechgoen. Ech mengen dat maachen och déi meescht vun eis.“ 82 Das Deutsche wird im Lyzeum von diesen Schülern oft als Fach wahrgenommen, durch das man sich, wenn auch mühsam, irgendwie ‚hindurch schleppen’ kann: Fernand Weiler: „Mee do wou et negativ zu Buch schléit, dat ass wann ee frankophon Schüler hutt, déi dat guer net maachen, déi guer net mat Däitsch a Kontakt kommen.“ F. S.: „Kommen déi och ni op dee Punkt, wou et eng Kéier funktionéiert? [Wou se genee sou gutt Däitsch kënne wéi hir Kollegen mat Éischtsprooch, Mammesprooch Lëtzebuer‐ gesch? ]“ Fernand Weiler: „Ech sinn do, nee, ech denken net. An der Sprooch, nee, d’Basis gëtt an deenen éischte Jore geluecht, dono ass et riwwer an ech gesinn hei, si schleppe sech mühsam vu Jor zu Jor a si kompenséieren [d’Fach], wat jo lo geet. An t’gëtt all Jor schlechter. T’ass dann och bëssen eng Lotterie wéi ee Prof se grad kréien, ass e méi streng, ass e manner streng.“ 83 In der Regel sei die deutsche Sprache jedoch am klassischen Lyzeum für die überwiegende Mehrheit der Schüler die Sprache, die zumindest auf der Klas‐ senstufe 5ième von den meisten relativ korrekt als mündliche oder schriftliche 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 139 <?page no="140"?> Bildungs- und Konversationssprache beherrscht würde, so der Deutschlehrer Romain Dockendorf. Es ist die Sprache, in der sie zuerst in der Lage seien, sich differenzierter auszudrücken und komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Während der Grammatikunterricht in der französischen Sprache noch weitaus länger andauert, werden im Deutschunterricht bereits die großen Züge und Werke der deutschen Literaturgeschichte behandelt. F. S.: „Wéi ass iwwerhaapt de schoulesche Stellewäert vun der däitscher Sprooch mo‐ mentan? “ Romain Dockendorf: „Jo ech mengen, t’ass jo tatsächlech ëmmer nach d’Alphabe‐ tiséierungssprooch an si schéngt et jo och op déi nächst Joren hin ze bleiwen. Et ass am Lycée [classique] déi Sprooch, déi awer, loosse mer mol soen, um Niveau 5 ième vun deene meeschten op de Lycéesklassen relativ korrekt scho ka geschriwwe ginn. Also si maache Feeler, déi Feeler sinn och herno nach op der 1 ère präsent. Et ass awer lo net déi Masse vu Feeler. Si bréngen et, zumindest op der 5 ième fäerdeg am Däitschen, déi allermeescht, en uerdentlech konstruéierte, sënnvolle Saz ze maachen, sech ange‐ messen zu enger Problematik ze äusseren. […] [D’Däitscht] ass virun allem déi Sprooch, wou den typesche lëtzebuerger Schüler sech am éischte ka méi komplex ausdrécken an och déi éischt Sprooch an der en à même ass abstrakt zesummenhängend ze formuléieren. Ech menge, mir kënne mëttlerweil op enger 4 ième en literarescht Wierk, lo keent der allerschwéierster engt, mee een nor‐ maalt literarescht Wierk, ech huele lo de Verdacht vum Dürrenmatt, do bréngt eng 4 ième et duerch d’Bank fäerdeg sech angemessen doriwwer auszedrécken. Do tauche net schrecklech vill Feeler op, vun Ausnahmen ofgesinn, dat sinn net onbedéngt d’Portugisen, dat sinn éischter Leit, déi falsch orientéiert goufen. Et bleift also awer, mengen ech, déi Sprooch, an där de Lëtzebuerger sech awer fir d’éischt Zougang zur Bildung verschaaft. […] Also ech mengen sou déi Luxemburgismen sinn och an de Sproochen dran, mee ech hat lo dräi Deeg laang mëndlech Examen an do stellt een awer duerch d’Bank fest, dass si e relativ korrekt Däitsch schwätzen an sech och mat enger gewësser Aisance dodran ausdrécken. […] Et ass eng Aisance do fir sech dran auszedrécken, awer eng Aisance, déi eréischt no enger gewësser Zäit antrëtt, wa mer eis eng gewëssen Zäit V. Der Bildungsdiskurs 140 <?page no="141"?> 84 F. S.: „Wie ist es überhaupt um den schulischen Stellenwert der deutschen Sprache mo‐ mentan bestellt? “ Romain Dockendorf: „Ja ich denke, also es ist ja tatsächlich noch immer die Alphabetisierungssprache und sie scheint es ja die nächsten Jahre auch zu bleiben. Es ist im Lyzeum [ES] die Sprache, die trotz allem sagen wir auf Klassenstufe 5 ième von den meisten auf den Klassen relativ korrekt geschrieben wird. Also sie machen Fehler, diese Fehler sind auch noch auf einer 1 ère präsent, aber es ist nicht die Masse an Fehlern. Sie bringen es zumindest auf einer 5 ième fertig im Deutschen, die allermeisten, einen ordentlich konstruierten, sinnvollen Satz zu bilden, sich angemessen zu einer Problematik zu äußern. […] [Das Deutsche] ist vor allem die Sprache, in welcher der typische luxemburgische Schüler sich als erstes komplexer ausdrücken kann und auch die erste Sprache in der er fähig ist, abstarkt und zusammenhängend zu formulieren. Wir können mittlerweile auf einer 4 ième ein literarisches Werk, jetzt nicht das aller‐ schwierigste, aber ein normales literarisches Werk, ich sage jetzt mal Der Verdacht von Dürrenmatt, da bringt eine 4 ième es aber durch die Bank fertig, sich angemessen darüber auszudrücken. Da tauchen jetzt nicht schrecklich viele Fehler auf, von Ausnahmen ab‐ gesehen. Und das sind nicht unbedingt die Portugiesen, das sind dann eher die Leute, die falsch orientiert worden sind. Es bleibt also, denke ich, trotz allem die Sprache, in welcher der Luxemburger sich als erstes Zugang zur Bildung verschafft. […] Also so Luxemburgismen sind auch in den Sprachen drin, aber ich hatte jetzt drei Tage lang mündliche Examen und da stellt man aber durch die Bank fest, dass sie ein relativ korrektes Deutsch sprechen und sich auch mit einer gewissen Leichtigkeit in der Sprache zurechtfinden, aber eine Leichtigkeit, die erst nach einer gewissen Zeit eintritt, wenn wir uns eine Zeit lang darin bewegen. Beim Schreiben ist es genauso, wenn wir uns ein wenig darin bewegen, dann kommen wir relativ gut damit zurecht.“ 85 Romain Dockendorf: „Man muss allerdings auch sagen, dass zwischen der 5 ième und der 1 ère bei einer Reihe von Leuten diese Fähigkeit verloren geht, wenn die Inhalte kom‐ plexer werden. Also sich zum Beispiel über ein literarisches Werk zu äußern, über einen Roman, über einen kürzeren Text und das wirklich angemessen in einem verständlichen Deutsch wiederzugeben, dass ist nicht mehr so ohne Weiteres vorauszusetzen. Solange es um relativ einfache Texte geht, die man auf einer 7 ième , 6 ième , 5 ième macht, ist die Fä‐ higkeit, sich im Deutschen auszudrücken, gut.“ dra beweegen. Dat ass beim Schreiwen de selwechte Phänomen, wa mer eis e bëssen dra beweegen, da gi mer relativ gutt eenz dermat.“ 84 Betonen müsse man allerdings auch - und diesen Gedanken fügt der Lehrer hinzu, dass sich von 5 ième bis 1 ère der Sprachstand bei vielen Schülern nur noch geringfügig weiterentwickele: Romain Dockendorf: „T’muss een allerdéngs och soen, dass zwëschent der 5 ième an der 1 ère fir eng Rei vu Leit déi Fähegkeet verluer geet, wann de Kontext méi komplex gëtt. Also sech zum Beispill iwwer ee literarescht Wierk auszedrécken, iwwer e Roman, iwwer e kierzeren Text an dat wierklech och angemessen an engem ver‐ ständlechen Däitsch erëmzeginn, dat ass net méi evident. Sou laang et em relativ ein‐ fach Texter geet, déi een op 7 ième , 6 ième , 5 ième mécht, ass d’Fähegkeet sech am Däitschen auszedrécken gutt.“ 85 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 141 <?page no="142"?> 86 F. S.: „Also als Konversationssprache wird es beherrscht? “ Romain Dockendorf: „Genau als Konversationssprache und auch als Schreibsprache für relativ, also lassen sie uns sagen, um weniger komplizierte Inhalte zu formulieren. Ja, das ist im Grunde ge‐ nommen die Situation, wie sie sich gegenwärtig präsentiert, und da merkt man, dass zwischen der 5 ième und der 1 ère an der Qualität des Sprachstils, des Satzbaus, wenig an Evolution stattfindet.“ 87 F. S.: „War das denn schon immer so oder ist das in den letzten 10 Jahren sagen wir mal …? “ Romain Dockendorf: „Also es gab immer diesen gewissen Prozentsatz an Schülern, der sich auf den oberen Klassen nicht mehr angemessen ausdrücken konnte. Also das ist ein Phänomen, das beobachtet man schon relativ lange als Lehrkraft. Trotzdem muss ich sagen, dass dieser Prozentsatz in den letzten sechs, sieben Jahren relativ angestiegen ist. […] Ich nehme meine aktuelle 2 ième als Beispiel, da […] hat vor allem eine Fähigkeit abgenommen und das ist jene, sich angemessen für längere Zeit mit einem Text ausei‐ nanderzusetzen und dann auch noch präzise antworten zu können. Ich würde sagen, dass dieses Phänomen quer durch alle Nationalitäten geht […]. Sie gehen oberflächlich an die Aufgaben heran und lösen sie dann auch oberflächlich. Wobei es einige Schüler gibt, die durchaus die Fähigkeit besitzen, ich nenne sie Warmschreiber, die dann eine Zeit brauchen, bis sie sich wieder im Deutschen zurechtfinden und wo die letzten zwei Drittel [der Textproduktion] deutlich besser werden als der Anfang. Am Anfang ist es ein richtiges Gestottere.“ F. S.: „Also als Konversatiounssprooch gëtt et beherrscht? “ Romain Dockendorf: „Voilà als Konversatiounssprooch an och als Schreifsprooch fir relativ, also losse mer sou soe, fir manner komplizéiert Kontexter ze formuléieren. Jo dat ass e bëssen d’Situatioun wéi se lo ass, an do mierkt een, dass zwëschent der 5 ième an der 1 ère an der Qualitéit vum Sproochstil, Sazbau dann wéineg Evolutioun stattfënnt.“ 86 F. S.: „War dat da schonn ëmmer sou oder ass dat an de leschten 10 Joer soe mer mol …? “ Romain Dockendorf: „Also et hutt ëmmer e gewësse Prozentsaz vu Leit ginn, déi […] op den ieweschte Klassen sech net méi konnten angemessen ausdrécken. Also dat ass e Phänomen, deen erlieft ee scho ganz laang, mee t’muss een awer och soen, dass de Prozentsaz vun deene Leit an deene leschte 6, 7 Joer relativ an d’Luucht gaangen ass. […] Ech huele meng aktuell 2 ième , do […] hutt virun allem eng Fähegkeet ofgeholl an dat ass déi, sech mat engem Text angemesse laang ausernee ze setzen an dann och kënne präzis ze äntwerten. Ech géing soen, dat geet duerch d’Nationalitéiten. […] Si ginn iwwerflächlech un déi Aufgaben erun a si léisen se dann och iwwerflächlech. Woubäi et eng Rei vu Leit gëtt, déi duerchaus d’Fähegkeet hunn, ech nennen se Warmschreiber, déi dann eng Zäit brauche bis se sech erëm am Däitschen zurecht‐ fannen an wou déi zweet Halschent oder déi lescht zwee Drëttel [vun der Textpro‐ duktioun] däitlech besser sinn wéi den Ufank. Am Ufank ass et ee Gestotters.“ 87 Für diesen Wandel in der Qualität der Schreibproduktionen macht der Lehrer vor allem länderübergreifende Veränderungen des Medien-, Lern- und Freizeit‐ V. Der Bildungsdiskurs 142 <?page no="143"?> 88 F. S.: „Sie sagen aber, dass die Schüler den deutschen Schülern immer ungefähr ein Jahr hinterherhinken und der Unterrichtsaufbau das auch berücksichtigt.“ Romain Docken‐ dorf: „Wir verfahren auf diese Weise, seit ich im Schuldienst tätig bin, seit den 1970er Jahren. Wir sind immer eine Jahrgangsstufe hinter den deutschen Schülern geblieben. Nicht die ausländischen Schüler waren die Ursache dafür, sondern der Grund war ein‐ fach, dass wir …, nun die luxemburgische Situation eben.“ verhaltens der Jugendlichen verantwortlich. Der Verlust der Ausdrucksfähigkeit in komplexeren Gesprächskontexten sei damit nicht als ein rein luxemburgi‐ sches Phänomen einzustufen. Auffallend im luxemburgischen Erwerbskontext sei jedoch, dass die luxemburgischen Schüler im Deutschunterricht einen Rück‐ stand von einem Schuljahr auf ihre deutschen Altersgenossen aufweisen würden. F. S.: „An Dir sot awer, dass d’Schüler ëmmer ongeféier engt Joer hannert den däitsche Schüler sinn an den Unterrechtsopbau dat och berücksichtegt? “ Romain Dockendorf: „Mir fuere esou, zënter dass ech am Enseignement sinn, dat war Enn de 70er Joren. Mir sinn ëmmer eng Jorgangsstuf zeréckbliwwen. Déi Zäit war dat net d’Ursaach, dass mer därmoosse vill auslännesch Schüler gehat hunn, dat war einfach d’Ursaach, dass mir …, bon t’war déi lëtzebuergesch Situatioun eben.“ 88 Erst seit kurzem stehen auf den Programmvorgaben für das Fach Deutsch wieder Schulbücher, die diese besondere Erwerbssituation des Deutschen in Luxemburg berücksichtigen. Als die Brunnen-Reihe nach 2008 von den Lehrplänen ver‐ schwand, traten Deutschbücher an ihre Stelle, die auf den Deutschunterricht in Deutschland zugeschnitten waren. Es war die gängige Praxis bei der Verwen‐ dung dieser Lehrbücher den Schwierigkeitsgrad anzupassen, indem man einfach eine Klassenstufe hinter der deutschen blieb. Auf einer 7 ième wurde somit das Deutschbuch für die sechste Klasse benutzt, in der achten Klasse, das für die siebte und in der neunten, jenes, das für die achte Klasse in Deutschland vor‐ gesehen war. Diese Vorgehensweise stellte sich jedoch als problematisch heraus, denn auch wenn die Lehrbuchauswahl von den Sprachanforderungen her in etwa passte, mangelte es den Texten so an inhaltlichem Anspruch. Die Schüler kritisierten vermehrt die Einfachheit und die nicht altersgerechten Inhalte. Romain Dockendorf: „Also mir hate lo eng Zwëschephas, de Brunnen ass ver‐ schwonn an do ware lo ganz vill Essaien duerch d’Land mat däitsche Publikatiounen, déi alleguerten dann méi oder wéineger un dem Kompetenzunterrecht ausgeriicht waren. Haaptsächlech huet dat sech negativ op d’Qualitéit vun den Texter ausge‐ wierkt. Déi klassesch Schoultexter, Kuerzgeschichten, ware quasi net méi vertrueden. […] [Et waren] Texter [dran], déi zwar offiziell fir d’8. Klass [an Däitschland] ausge‐ schriwwe waren, mir hunn dann d’Bicher an der 9. Klass geholl an den Text war mat 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 143 <?page no="144"?> Momenter um Niveau vun deem, wat mir an de Primärschoulbicher am 5. Schouljoer maachen. […] Dat war méi fir d’Sozialfähegkeet vun de Schüler ze reguléieren, wéi hinne lo do Schreiftechnike bäizebréngen oder hinnen Techniken bäizebréngen wéi se sech mat Texter auserneesetzen. Also de rengen literareschen Text hat an deene Wierker staark ofgeholl. A mir hunn eent nom anere probéiert, ëmmer zimlech mat deem selwechte Resultat. Mir hunn eis tant bien que mal derduerch gefriess oder e bemol op Grond vu Schülerwënsch souguer einfach dermat opgehal. Wa mol eng Kéier dertëscht een Text koum, dee mol bëssen eng klassesch Kuerzgeschicht war, ech ka mech erënneren, dass dat puermol virkomm ass [, dass d’Schüler gesot hunn]: „Firwat liese mir net sou Geschichten? Firwat kënne mer net méi liesen wéi dat doten? “ T’war dann d’Nacht im Hotel vum Lenz zum Beispill. […] Dat hutt dann derzou gefouert, dat an Zesummenaarbecht mat engem däitsche Verlag erëm Bicher vu Lëtzebuerger aus‐ geschafft gi sinn, déi de Moment lo an der Phas d’Essai sinn an déi och erëm bësse méi dozou zeréckkommen fir sou bëssen déi klassesch Schoullektür awer erëm anze‐ bauen, kombinéiert, soe mer, e bësse mat Elementer villäicht aus den däitsche Bicher. T’sinn Adaptatiounen vun däitsche Bicher op lëtzebuerger Verhältnisser, awer virun V. Der Bildungsdiskurs 144 <?page no="145"?> 89 Romain Dockendorf: „Also wir befanden uns jetzt eine Zeit lang in einer Zwischen‐ phase, der Brunnen war verschwunden und dann wurden quer durchs Land in den Schulen viele deutsche Publikationen getestet, die alle mehr oder weniger am Kompe‐ tenzunterricht ausgerichtet waren. Das hat sich vor allem negativ auf die Qualität der Textauswahl ausgewirkt. Die klassischen Schultexte, Kurzgeschichten waren in den Büchern quasi nicht mehr vertreten. Stattdessen befanden sich darin Texte, die zwar offiziell für eine achte Klasse [in Deutschland] ausgeschrieben waren, wir haben diese Bücher dann in der neunten Klasse verwendet, aber der Text bewegte sich mit Mo‐ menten auf dem Niveau dessen, was wir in der Grundschule behandeln. […] Die Texte erfüllten eher den Zweck die Sozialfähigkeit der Schüler zu regulieren als ihnen Schreibtechniken beizubringen oder zu vermitteln, wie man sich konkret mit Texten auseinandersetzt. Der reine literarische Text hat in diesen Werken stark abgenommen. Und wir haben eines nach dem anderen ausgetestet und sind immer zu demselben Er‐ gebnis gelangt. Wir haben uns mehr schlecht als recht dadurch gefressen oder aufgrund von Schülerwünschen sogar damit aufgehört. Wenn dazwischen zur Abwechslung mal Texte kamen, die in Richtung der klassischen Kurzgeschichte gingen, ich kann mich erinnern, dass das ein paar Mal vorkam [, dass Schüler dann gesagt haben]: „Warum lesen wir nicht solche Geschichten? Warum können wir nicht mehr davon lesen? “ Es war dann die Nacht im Hotel von Lenz beispielsweise. […] Das hat dann dazu geführt, dass in Zusammenarbeit mit einem deutschen Verlag wieder Bücher von Luxemburgern ausgearbeitet worden sind, die momentan noch in den Schulen getestet werden und die auch wieder dahin zurückkommen, dass sie die klassische Schullektüre wieder ein‐ bauen, kombiniert mit Elementen aus deutschen Büchern. Es sind Anpassungen von deutschen Büchern an luxemburgische Verhältnisse. Aber es gibt vor allem, soweit ich das bis jetzt sehen konnte, im Textbereich wieder eine ganz andere Auswahl als das, was wir bis jetzt mit den deutschen Büchern hatten.“ 90 URL: http: / / www.ccbuchner.de/ titel-0-0/ kombi_buch_deutsch_7-2271/ (zuletzt abge‐ rufen am: 26. 10. 2015). allem, wat ech bis elo gesinn hunn, ass wierklech am Textberäich rëm ee ganz anere Choix do, wéi dat, wat mir bis ewell lo haten, also vun däitsche Bicher.“ 89 Diese Lehrbücher vom C. C. Buchner-Verlag, die an die luxemburgischen Ver‐ hältnisse angepasst wurden, stehen im Schuljahr 2015 / 2016 auf den Lehrpro‐ grammen der unteren Klassen des Gymnasiums (7 ième , 6 ième und 5 ième ). Die Reihe Kombi-Buch Deutsch - Ausgabe Luxemburg (Lese- und Sprachbuch für den Se‐ kundarunterricht, Klassenstufe 7, 8 und 9) bietet, laut den Verlagsinformationen zu Band 7, „Hilfestellungen für die aus der Sprachenvielfalt in Luxemburg resul‐ tierenden Probleme.“ 90 Keiner der befragten Lehrkräfte, die am klassischen Lyzeum unterrichten, stellte vermehrt negative Einstellungen seiner Schüler zum Fach oder zur deut‐ schen Sprache fest. Im Gegenteil: F. S.: „Dann nach déi lescht Fro: Wat ass dann Ärer Meenung no d’Funktioun an d’Posi‐ tioun vum Däitschen allgemeng hei am Land? “ 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 145 <?page no="146"?> Marie-Rose Wirtz: „Ech mengen d’Saachen hu sech sou bëssen verännert. Gutt Dir maacht vun 1984 un, kuckt vu 45 un, dass d’Däitscht eben ëmmer dann nach mam Nationalsozialismus verbonne ginn ass an do war ëmmer bësse sou [déi Haltung] […]: ‚Kommt mer liesen Däitsch, mee awer soss Däitschland soll ewech bleiwen’, mee dat ass lo awer net méi sou. Ech mengen net, dass eis Kanner nach dorun denken. Si identifizéieren d’Däitscht dann éischter mam däitsche Fussball an si [halen] zu der däitscher Mannschaft. […] Fréier hätt een dat net kënne maachen, mee haut maache si dat awer ongehemmt. T’ass lo guer kee Problem méi. Also ech géif soen, dass d’Po‐ sitioun vum Däitsche gutt ass, ofgesi vun der Stad souguer, dass Däitsch um Virmarsch ass, well eben deen Haass op Franséisch do ass an wierklech och ëmmer an deene Diskussioune, déi lo sinn em de Franséischunterrecht, dass d’Franséischproffen bëssen op der Defensive sinn. D’leschte Kéier ass jo sou e Virschlag gemaach ginn, dass d’Kanner géinge bis op 3 ième Däitsch, mengen ech, als langue véhiculaire an de Nie‐ wefächer huelen an duerno Franséisch. […] Well t’ass awer ganz grauenhaft, och wann ee lo mat de Leit schwätzt, déi Sciences naturelles oder sou ginn, do hutt nach ee Kolleg mer wéini gesot: „T’ass net, dass si net op meng Froen äntwerte kënne, mee si verstinn d’Fro net [op Franséisch]! “ Dat ass scho mol den éischten Hindernis a wa si op 4 ième an deene Fächer [Niewefächer] scheiteren, läit et haaptsächlech um Franséischen. T’hutt ee jo och heiansdo Schüler, op 7 ième gesäit een dat, déi an der Geschicht an an der Geo Problemer hu wéinst dem Däitschen, jo mee dann ass dat een an der Klass V. Der Bildungsdiskurs 146 <?page no="147"?> 91 F. S.: „Dann noch zu der letzten Frage: Was ist denn Ihrer Meinung nach die Funktion und die Position des Deutschen hier im Land? “ Marie-Rose Wirtz: „Ich glaube die Dinge haben sich ein wenig verändert. Gut Sie beschäftigen sich [mit der Entwicklung] ab 1984, wenn sie es von 45 an betrachten, da ist das Deutsche eben immer auch mit dem Nationalsozialismus verbunden worden und da war immer auch ein wenig so [die Hal‐ tung] […]: ‚Komm wir lesen Deutsch, aber sonst Deutschland soll weg bleiben’, das ist jetzt nicht mehr so. Ich glaube nicht, dass unsere Kinder noch daran denken. Sie iden‐ tifizieren das Deutsche eher mit dem deutschen Fußball und halten zur deutschen Mannschaft. Früher hätte man das nicht machen können, aber heute machen sie das ungehemmt. Es ist jetzt gar kein Problem mehr. Also würde ich sagen, dass die Position des Deutschen gut ist, abgesehen von [ihrem Stellenwert] in der Hauptstadt sogar, dass das Deutsche auf dem Vormarsch ist, weil eben dieser Hass gegenüber dem Französi‐ schen besteht und auch derzeit immer in diesen Diskussionen, die um den Französisch‐ unterricht geführt werden, die Französischlehrer ein wenig in der Defensive sind. Letz‐ tens ist ja, glaube ich, sogar der Vorschlag gemacht worden, dass die Kinder bis zur 3 ième als Unterrichtssprache in den Nebenfächern das Deutsche behalten sollen und erst da‐ nach Französisch [zur Unterrichtssprache werden soll]. Es ist ja ganz grauenhaft, auch wenn man mit den Kollegen spricht, die Naturkunde oder so unterrichten, da hat noch ein Kollege mir kürzlich gesagt: „Es ist ja nicht so, als würden sie nicht auf meine Fragen antworten können, aber sie verstehen die Frage einfach nicht [auf Französisch].“ Das ist schon mal ihr erstes Hindernis und wenn sie auf Klassenstufe 4 ième in diesen Fächern [Nebenfächern] scheitern, dann liegt das hauptsächlich am Französischen. Man hat ja zuweilen auch Schüler, auf 7 ième sieht man das, die im Geschichts- und im Geographie‐ unterricht Probleme haben aufgrund des Deutschen, aber das ist dann ein Schüler pro Klasse oder es sind sechs Schüler in einem Jahrgang, aber in diesem Fall scheint das sehr problematisch zu sein.“ 92 F. S.: „Dass die Sprache sie [die Schüler] im Grunde genommen hemmt? “ Marie-Rose Wirtz: „Ja in einem Ausmaß, in dem das Deutsche die portugiesischen Kinder nicht hemmt. […] Also ich sehe nicht schwarz für das Deutsche. Es ist natürlich von oben und in der Stadt wird Luxemburg natürlich als frankophones Land angesehen, es ist eher der Wille vorhanden das zu betonen, die Wirklichkeit, auf dem Feld, sieht aller‐ dings nicht so aus.“ oder t’sinn der sechs an engem Joergang, mee do schéngt dat awer ganz problematesch ze sinn.“ 91 F. S.: „Dass d’Sprooch si am Fong hemmt? “ Marie-Rose Wirtz: „Jo an engem Moos wéi d’Däitscht déi portugisesch Kanner net hemmt. […] Also ech gesi lo net schwaarz fir d’Däitscht. T’ass natierlech vun uewen, vun der Stad aus, gesi se natierlech Lëtzebuerg als e pays francophone, t’ass éischter dee Wëllen do, fir dat ze betounen, mee d’Wierklechkeet um Terrain gesäit net esou aus.“ 92 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Französischunterricht vor allem in den klassischen Lyzeen unter einem Imageproblem leidet, das sich während des Verfassens der vorliegenden Arbeit verstärkte. Die Mehrheit der Schüler im Lycée classique wehrt sich gegen die schulische Sprachenpolitik und ist immer 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 147 <?page no="148"?> 93 Eine Feststellung zu der auch Diehl et al. (2000: 13) im Schweizer Kontext gelangen: „Das obligatorische Unterrichtsfach „Deutsch“ an Westschweizer Schulen, seine immer wieder formulierte Unbeliebtheit, kann gewiss nicht isoliert von der schweizerischen Sprachsituation betrachtet werden: Der schulische Stellenwert einer Sprache, die Motiva‐ tion eine Sprache (im Unterricht) zu lernen, und ihr soziokultureller und politischer Status im mehrsprachigen Land sind miteinander verzahnt.“ 94 Marie-Rose Wirtz: „Bei uns stellt man fest, man würde sagen, dass 90 % der Schüler Französisch hassen. Man ist ganz verwundert, wenn man als Lehrkraft über den Flur geht und in einem neuen Schuljahr hört, wie ein Siebtklässler dem anderen zuruft: ‚Ich hasse Französisch! ’ Sie sagen das mit so einer Inbrunst. Es ist selten ein Schüler darunter, der sagt: ‚Ich hasse Deutsch! ’ Sie haben vielleicht eine Antipathie gegen ihren Deutsch‐ lehrer, aber das Deutsche ist ihnen nicht so verhasst wie das Französische, weil Fran‐ zösisch zum einen als eine total komlizierte Sprache angesehen wird und zum anderen vielleicht, ja, weil sie das Französische mit bestimmten Bevölkerungsgruppen identifi‐ zieren, die sie vielleicht nicht so sympathisch finden.“ weniger bereit, sie zu befolgen. Einstellungen gegenüber der Schulsprache Fran‐ zösisch und Einstellungen gegenüber dem Stellenwert der Landessprache Fran‐ zösisch sind selten voneinander zu trennen: 93 Marie-Rose Wirtz: „Wat ee bei eis feststellt, t’géif ee soen, dass 90 % vun de Schüler Franséisch haassen. T’ass ee ganz iwwerrascht, wann een iwwer de Gank geet, an am éischten Trimester vun engem ganz neie Joer e 7 ième Schüler deem aneren zoujäitzt: „Ech haassen Franséisch! ! “ Awer wierklech sou ganz intensiv. T’ass seelen ee Schüler, deen een hätt, dee géing soen: Ech haassen Däitsch! Hee ka villäicht mol säin Däitsch‐ proff haassen, mee Däitsch ass hinnen net esou verhaasst wéi Franséisch, well Fran‐ séisch engersäits als eng total komplizéiert Sprooch ugesi gëtt an zum anere villäicht, jo, well si Franséisch mat bestëmmte Bevëlkerungsgruppen identifizéieren, déi si vil‐ läicht net esou sympathesch fannen.“ 94 F. S.: „Komme si dann oft fräiwëlleg an d’Bibliotheik oder nëmme wa se komme mussen? “ Marie-Rose Wirtz: „Also wann se franséisch oder englesch Bicher siche kommen, dann well hire Proff hinnen dat gesot hutt. […] Also 2 / 3 an der Bibliothéik ass Däitsch, well si am meeschten Däitsch liesen a well si d’Sachbicher jo wisou op Däitsch brau‐ chen, dat anert versti se net. Also do komme se awer schonn. […] An ech stellen och zum Beispill op menger 6 ième fest, do hunn ech och ee portugisescht Meedchen, wat andauernd däitsch Bicher léine kënnt an d’Bibliothéik - awer ee franséischt Buch? V. Der Bildungsdiskurs 148 <?page no="149"?> 95 F. S.: „Kommen sie denn oft von sich aus in die Bibliothek oder nur wenn sie kommen müssen? “ Marie-Rose Wirtz: „Also wenn sie kommen, um französische oder englische Bücher abzuholen, dann weil ihr Lehrer es ihnen aufgetragen hat. […] Also 2 / 3 der Bücher in unserer Schulbibliothek sind deutschsprachige, weil sie am meisten Deutsch lesen und sie die Sachbücher sowieso auf Deutsch brauchen, das andere verstehen sie nämlich nicht. Also dafür kommen sie schon. […] Und ich stelle auch zum Beispiel auf meiner 6 ième fest, da habe ich ein portugiesisches Mädchen, das andauernd in die Bibli‐ othek kommt, um deutsche Bücher auszuleihen - aber ein französisches Buch? „Oh nein, oh nein - 80 Seiten! Wir müssen nur 80 Seiten lesen! Dann will ich aber keine Seite mehr lesen! “ - also bei denen tut sich auch etwas.“ 96 F. S.: „Interessant wäre es auch die Schüler zu fragen, welche Sprache sie lieber sprechen? “ Fernand Weiler: „Das würden sie nicht von der Melodik einer Sprache abhängig ma‐ chen, sondern von ihrer Sprachkenntnis. Und ich zweifele nicht daran, dass da das Deutsche möglicherweise besser wegkommen würde. Es ist die [Sprache], die sie kennen. Und es ist die - auch wenn man sich jetzt mit Lehrerkollegen unterhält, zu der sie den meisten Kontakt haben und in der sie am meisten mitarbeiten [im Klassenun‐ terricht]. Da gibt es im Englischen Hemmschwellen, im Französischen Hemmschwellen bzw. sie sagen dann etwas, aber es ist kurz, knapp und bündig.“ 97 Romain Dockendorf: „Der deutschsprachige Raum nimmt zu. Wir hatten hier im Lyzeum traditionell ganz viele Leute, die nach Belgien gingen, dorthin geht fast nie‐ mand mehr. Frankreich, also mit Straßburg und Paris ist nach wie vor vertreten, aber die Orientierung auf deutsche, österreichische und schweizer Universitäten nimmt ein‐ deutig zu.“ „Oh nee, oh nee - 80 Säite! Mir brauchen nëmmen 80 Säiten! Da wëll ech awer keng Säit méi liesen! “ - also do ännert sech och eppes bei deenen.“ 95 F. S.: „T’wier och interessant, wann ee géing d’Schüler froen: Wéi eng Sprooch schwätzt dir léiwer? “ Fernand Weiler: „Dat géife si net ofhängeg maache vun der Melodik vun enger Sprooch, mee vun der Kenntnis. Dass Däitsch do awer villäicht besser ewech kéim, do zweiwelen ech net drun. T’ass déi [Sprooch], déi se kennen. An t’ass déi - och wann ee lo mat Kollege schwätzt - wou een an enger normaler Klass nach am meeschte kann aus hinne eraushuelen, wou si dee meeschte Kontakt hunn an am meeschte matschaffen. Do ginn et beim Engleschen Hemmschwellen, beim Franséischen Hemmschwellen bzw. si soen eppes, mee et ass kuerz, knapp a bündig.“ 96 Im Schuljahr 2011-2012 waren rund 4 037 Studierende aus Luxemburg an einer Universität im deutschsprachigen Ausland eingeschrieben (vgl. MESR 2012: 9). Im Vergleich dazu gingen im selben Jahr 4 545 Abiturienten für ein Studium nach Belgien und Frankreich (vgl. ebd.): Romain Dockendorf: „Den däitschsproochegen Raum hëlt zou. Mir haten hei tra‐ ditionell ganz vill Leit an d’Belge, do geet bal kee méi. Frankräich, also mat Strooss‐ buerg a Paräis, ass nach ëmmer vertrueden, mee d’Orientatioun op däitsch, éisträi‐ chesch a schwäizer Unien hëlt eendeiteg zou.“ 97 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 149 <?page no="150"?> 4.2 Stellenwert der Unterrichtssprache Deutsch im Enseignement secondaire technique Im medialen und fachwissenschaftlichen Diskurs hält sich der Eindruck, dass die beiden Sekundarschulsysteme classique und technique über zwei entgegen‐ gesetzte sprachliche Ausbildungswege verfügen, wovon der eine tendenziell eher französisch ausgerichtet ist und der andere eher deutsch. Während im klassischen Gymnasium der französischen Sprache nach und nach mehr Be‐ deutung zukommt, dominiert, so die verbreitete Annahme, im technischen Ly‐ zeum bis zum Abitur weiterhin die Unterrichtssprache Deutsch: […] many foreign students are not admitted to, or are „eliminated” from the lycée classiques, because of the high level required in German. As a result, they often end up in the lycées techniques, where ironically German rather than French tends to be used as the primary language of instruction (Horner / Weber 2005: 245). Die hier beschriebene Verteilung hatte in der Tat lange Zeit Bestand. Geschaffen war sie für eine rein luxemburgischsprachige Schulpopulation: Die Gymnasi‐ asten sollten sich in der Prestigesprache ‚Französisch’ Wissen aneignen, den Schülern des Technique wurde das Fachwissen auf Deutsch vermittelt, das tra‐ ditionell aufgrund seiner Nähe zum Luxemburgischen als die ‚einfachere’ Bil‐ dungssprache angesehen wurde. Die Anforderungen an Hauptschüler (enseig‐ nement modulaire) waren geringer: Elementare Französischkenntnisse sollten bis zum Ende der Schullaufbahn erreicht werden. Unterrichtet wurde auf Deutsch. Diese Sprachanforderungen haben sich in den letzten 30 Jahren ver‐ ändert. Das Lycée Technique du Centre (LTC) war 1989 die erste Realschule, die Klassen mit Unterrichtssprache Französisch und einem DAF-Unterricht in Lu‐ xemburg einrichtete. Anfangs bestand dieses Angebot nur für die ersten drei Ausbildungsjahre des enseignement secondaire technique (7., 8. und 9. Klasse), erst 1999 wurde das Angebot bis zum Abitur erweitert (vgl. Hummer 2010: 34). Um diese Klassen kümmert sich seit langem Antoinette Maas, ursprünglich Deutschlehrerin und seit 2008 stellvertretende Direktorin am Lycée Technique du Centre: Antoinette Maas: „Ech sinn am Fong hei an d’Direktioun komm, […] well ech mech ëmmer em déi Schüler gekëmmert hunn, déi hei an d’Schoul koumen an em all déi Klassen, déi deemools nach Projetsklassen ware fir Schüler, déi eben net d’Sprooche vum Land haten. An do hunn mir eben zwou grouss Filièren: déi eng, déi eben nach guer keng Sprooche kënnen oder ebe kee Franséisch, déi léieren fir d’éischt Franséisch an déi, déi scho gutt Franséisch kënnen, Niveau 6. Schouljoer, wa se op 7 ième kommen, V. Der Bildungsdiskurs 150 <?page no="151"?> 98 Antoinette Maas: „Ich bin Teil der Schulleitung geworden, […] weil ich mich immer um die Schüler gekümmert habe, die hier in die Schule kamen und um all die Klassen, die damals noch Projektklassen waren für Schüler, die eben nicht die Sprachen des Landes hatten. Und da verfügt unser Lyzeum über zwei große Ausbildungszweige: einen für diejenigen, die eben noch gar keine Sprachen beherrschen oder eben kein Franzö‐ sisch können, die lernen zuerst Französisch und einen für die, die schon gut Französisch können, also auf dem Niveau eines Sechstklässlers, wenn sie die 7. Klasse erreichen, die lernen dann intensiv Deutsch. Also das sind im Grunde genommen von der siebten Klasse an alles meine Kinder, um die ich mich hier kümmere.“ 99 Irène Altmann (Deutschlehrerin am Lycée Technique du Centre): „Ich habe Schüler, die morgens um 5 Uhr aufstehen, um hierher zu kommen. […] Die Kinder sind schon müde, wenn sie hier ankommen und abends dann dasselbe Prozedere: sie haben wieder eine Stunde zu fahren bis sie zuhause sind und dann sollen sie noch Hausaufgaben machen. Ich gebe aufgrund dessen schon nicht viele Hausaufgaben auf. Das ist ja eigentlich ein Unding, dass ein Kind im Alter von 12 Jahren morgens um 5 Uhr aufstehen muss und abends erst um 18.00, 19.00 Uhr wieder zuhause ist. So ohne Weiteres machbar ist das nicht. Ich fände es gut, wenn da ein Angebot etwas nördlicher kommen würde, dass man die Kinder dann auch dort auffangen könnte.“ déi léieren dann intensiv Däitsch. Also dat sinn am Fong vu 7 ième un alles meng Kanner, em déi ech mech këmmeren.“ 98 Mittlerweile hat sich über das Lycée Technique du Centre hinaus im enseignement secondaire technique das Angebot der Klassen, die von der traditionellen Spra‐ chenausbildung in Luxemburg abweichen, erweitert. Allerdings könnte dieses Angebot landesweit gerechter verteilt werden, denn die Mehrheit dieser Spezi‐ alklassen befindet sich zurzeit im Süden des Landes. Irène Altmann (Deutschlehrerin am Lycée Technique du Centre): „Ech hu Schüler, déi moies um 5 Auer opstinn fir heihinner ze kommen. […] Déi Kanner si scho midd, wann se heihinner kommen an owes dat selwecht, d. h. déi hunn erëm eng Kéier eng Stonn heem ze fueren, an da solle mer nach Hausaufgaben maachen. Ech ginn net vill Haus‐ aufgaben schonn aus där Ursaach. Dat ass jo net méiglech, dass ee Kand vun 12 Joer moies em 5 Auer op ass an owes eréischt em 18.00, 19.00 Auer erëm doheem ass. Dat ass net evident. Ech fannen t’wier scho gutt, wann do eppes méi nërdlech géing kommen, dass een déi Kanner dann och kéint opfänken.“ 99 Im Lycée technique du Centre und im Athénée de Luxembourg, beides Lyzeen in der Hauptstadt, besteht darüberhinaus die Möglichkeit das internationale Abitur (bac international) auf Gymnasialstufe in Englisch oder Französisch abzulegen (vgl. MEN 2014b: 8). In zwei technischen Lyzeen (LTC, LTE) funktionieren so genannte Integrationsbzw. Insertionsklassen, in denen Schüler im Alter von 12 bis 15 Jahren, die erst seit einiger Zeit in Luxemburg leben (maximal fünf Jahre) und relativ gute Französisch- und solide Mathematikkenntnisse aufweisen, je‐ 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 151 <?page no="152"?> doch kaum oder gar keine Deutschkenntnisse, während drei Jahren einen in‐ tensiven Unterricht in der deutschen Sprache erhalten (vgl. Hummer 2010: 39). In drei Realschulen im Süden des Landes (LTC, Lycée Technique Matthias Adam, Uelzecht-Lycée) gibt es FR-Klassen, in denen die gesamte Ausbildung auf Französisch absolviert werden kann (vgl. MENEJ 2014: 8). Schüler, die bei ihrer Ankunft in Luxemburg kein Französisch beherrschen, erhalten intensiven Sprachunterricht im Französischen, lernen je nach Klassenstufe 1-2 Wochen‐ stunden Luxemburgisch und werden daneben in allen anderen Fächern bis zum Abitur auf Französisch unterrichtet (vgl. Hummer 2010: 37). Für sämtliche Aus‐ bildungen des technischen Sekundarunterrichts gibt es somit die Möglichkeit, eine Klasse zu besuchen, in der das Französische als Unterrichtssprache fungiert, allerdings beschränkt sich dieses Angebot auf drei Lyzeen im Land (vgl. MENEJ 2014: 11). Antoinette Maas: „[M]ir hu Kanner, déi komme eran [an d’Land] op 7 ième ouni Däitsch, ouni Franséisch, déi léieren Franséisch. An duerno ginn déi eventuell Méca‐ nicien oder Installateur oder wat och ëmmer. An do hu mir immens dofir gekämpft, dass déi dat da kënnen op Francophone maachen, dass déi net gehandicapt sinn fir e Beruff ze léieren, well se keng däitsch Sprooch kënnen. […] Also mir hu jo ugefaangen, dat war 1989, ugefaang mat 7 ième , 8 ième , 9 ième fir […] déi Filièren an déi hu jo dann 3 Joer gemaach an da stoungen déi do, wou se stoungen, an déi, déi bis dohin nach keen Däitsch konnten, jo déi ware jo dann hei am Land fir näischt ze gebrauchen, dann hunn déi missten an d’Ausland goen. Dat huet eis natierlech immens revoltéiert, well dat waren zum Deel immens gutt Schüler. An och déi, déi ugefaang haten Däitsch ze léieren, déi waren awer lo nach net all um Niveau fir lo eng Paramedicale oder Gott-wees-wat, fir do hir Anatomie op Däitsch ze maachen. An du hu mer, an dat war lo ab 1999, géif ech soen, am cycle moyen supérieur och déi classes de régime linguistique spécifique agefouert, wou dann déi eng kënnen hiert Däitsch nei ufänken op 10 ième an V. Der Bildungsdiskurs 152 <?page no="153"?> 100 Antoinette Maas: „Wir haben Kinder, die in der siebten Klasse ins Land kommen, ohne Deutsch- und ohne Französischkenntnisse. Die lernen dann intensiv Französisch, später werden sie eventuell Mechaniker oder Installateur oder was auch immer. Wir haben da sehr dafür gekämpft, dass diese Schüler heute ihre Ausbildung auf Französisch machen können, dass sie keine Behinderung erfahren, wenn es darum geht, einen Beruf zu erlernen, weil sie kein Deutsch können. […] Also wir haben ja 1989 angefangen auf 7 ième , 8 ième und 9 ième mit diesen Ausbildungsmöglichkeiten auf Französisch und die Schüler haben ja dann damals diese drei Schuljahre absolviert und standen dann da, wo sie standen. Diejenigen, die bis dahin noch kein Deutsch konnten, ja die waren hier im Land dann zu nichts zu gebrauchen, die mussten ins Ausland gehen. Das hat uns na‐ türlich extrem aufgewühlt, weil das teilweise extrem gute Schüler waren. Und auch die, die angefangen haben, die deutsche Sprache zu erlernen, die waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf dem Stand, dass sie eine Ausbildung zum Krankenpfleger oder zu was auch immer, dass sie ihre Anatomie da auf Deutsch hätten machen können. Und so haben wir, ab 1999, glaube ich, auch auf der Oberstufe diese Klassen mit spezifischem Sprachenunterricht eingeführt. Auf diesen Klassen haben die einen die Möglichkeit erhalten in der 10. Klasse noch mit dem Erwerb des Deutschen zu beginnen und den anderen wurde die Möglichkeit gegeben ihr Deutsch auf einem B-Niveau weiter aus‐ zubauen.“ déi aner kënnen hiert Däitsch weidermaachen awer op engem Niveau intermédi‐ aire.“ 100 In 15 Lyzeen bestehen so genannte Aufnahmeklassen (classes d’accueil) für Schüler, die im laufenden Schuljahr nach Luxemburg einwandern und keine oder kaum Französischkenntnisse mitbringen. In diesen Klassen lernen die Schüler intensiv Französisch und Luxemburgisch und besuchen im Anschluss die für sie passende weiterführende Schule. In fünf Lyzeen (LTC, Lycée technique de Lallange, Nordstad-Lycée, Lycée technique Matthias Adam de Pétange, Lycée Nic-Biever Dudelange) gibt es die Möglichkeit eine 7ième modulaire frankophone (MOF) zu besuchen. Schüler, die allgemein leistungsschwach sind, jedoch gute Französischkenntnisse aufweisen, erhalten hier die Möglichkeit die Haupt‐ schule auf Französisch zu absolvieren (ebd.: 8). Die Sekundarschulreform war bei Abschluss dieser Arbeit nicht abge‐ schlossen. Die Debatten, die stattfanden, ließen darauf schließen, dass die Sprachanforderungen im luxemburgischen Bildungssystem langfristig relati‐ viert und differenzierter bewertet werden sollen. Vieles deutete darauf hin, dass Pläne bestehen, die vorsehen auf allen Klassenstufen im Enseignement secondaire und im Enseignement secondaire technique jeweils Sprachunterricht für Fortge‐ schrittene und Basisbzw. Förderunterricht auf Anfängerniveau anzubieten. Eine eingehende Beschäftigung mit den aktuellen Lehrplänen der regulären Klassen des Technique zeigte, dass die deutsche Sprache zwar in der luxembur‐ gischen Realschule eine Vorrangstellung einnimmt, diese allerdings weniger 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 153 <?page no="154"?> 101 Wobei es auch Fächer, wie etwa das Hauptfach „Concepts de soins infirmiers“ (Cospi) gibt, die auf Französisch unterrichtet werden. 102 Eine Forderung, die im Diskurs als Argumentationsmuster auftaucht, das in Ka‐ pitel VII. als TOPOS VON DER ARMEN GROS SMUTTER definiert wird. Pflege- und Gesundheitswesen ziehen deshalb vermehrt Personal aus der deutschen Grenzre‐ gion an, das in der Regel aufgrund der Sprachnähe über ein passives Verständnis des Luxemburgischen verfügt. dominant ist als Medien- und Fachdiskurs vermuten lassen. In der Realschule wird genauso wie am klassischen Gymnasium ab der 7. Klasse das Fach Mathe‐ matik auf Französisch unterrichtet. In den übrigen Fächern (außer Englisch u. Französisch) bleibt Deutsch bis Ende der 9. Klasse die Unterrichtssprache. Da‐ nach ändert sich die Sprachenaufteilung. Anders als im classique bleibt das Deutsche aber in der Regel in jenen Fächern die Unterrichtssprache, in denen es um die reine Vermittlung von Fachwissen geht und nicht die Ausbildung der Alltags- und Berufskommunikation im Vor‐ dergrund steht. So werden beispielsweise die Hauptfächer der Technikerausbil‐ dung (Elektrotechnik, Technologie u. a.) und die Hauptfächer der Ausbildung zum technischen Zeichner auf Deutsch unterrichtet. Die Ausbildung zum Inge‐ nieur, Erzieher (éducateur) und Krankenpfleger ist traditionell auch eher deutschsprachig ausgerichtet. 101 Die Bedeutung der deutschen Sprache für so‐ ziale Berufe ist generell hoch. Dies hängt mit der Erwartungshaltung der Ge‐ sellschaft zusammen, dass Pflegepersonal und Mediziner über Mindestkennt‐ nisse in der luxemburgischen Sprache verfügen sollen. 102 Auf der einen Seite dominiert die deutsche Sprache in jenen Fächern, deren vorderes Ziel die An‐ eignung von Fachwissen, Arbeitsprozesswissen und die Aneignung manueller Handlungskompetenzen ist. Auf der anderen Seite tritt das Französische im technischen Sekundarunterricht dort als Unterrichtssprache an die Stelle des Deutschen, wo der Erwerb kommunikativer Handlungskompetenzen (commu‐ nication professionnelle) im Vordergrund steht. Alle Fächer, die im Technique (EST) auf Verwaltungsaufgaben vorbereiten sind auf Französisch, so auch der Informatikunterricht und die Fächer ‚Programmierung’ und ‚Buchhaltung’. Sie bereiten auf die Praxis in Berufsfeldern vor, in denen in Luxemburg die franzö‐ sische Sprache dominiert. 4.3 Deutsch als Fremdsprache in Luxemburg erlernen Die Sekundarschullehrer, die an den Lycées classiques unterrichten, waren sich einig in der Einschätzung, dass die meisten Schüler unterfordert wären, wenn V. Der Bildungsdiskurs 154 <?page no="155"?> 103 Marie-Rose Wirtz: „Im Deutschen würde ich aber nicht sagen, dass wir einen DaF-Un‐ terricht bräuchten, denn das würde unsere Schüler doch unterfordern, da sie in der Lage sind Texte so gut zu verstehen, wie eben deutsche Schüler sie verstehen.“ F. S.: „Würden Sie sie auf demselben Niveau einstufen wie deutsche Schüler im entsprechenden Alter? “ Marie-Rose Wirtz: „Also wenn drunter, dann aber nur ganz wenig. Vielleicht im Wortschatz, dass sie da … aber gut die alten deutschen Wörter sind den deutschen Schülern wahrscheinlich heute auch nicht mehr geläufig.“ 104 Antoinette Maas: „Also an dieser Schule ist ganz klar Französisch die Integrations‐ sprache. […] Also wenn Sie hier über den Flur gehen, dann werden Sie ganz viel Por‐ tugiesisch hören, Sie werden auch Sprachen hören, die Sie überhaupt nicht kennen.“ in Luxemburg auf allen Sekundarstufen das Deutsche als Fremdsprache unter‐ richtet werden würde. Marie-Rose Wirtz: „Am Däitsche géif ech awer net soen ‚Deutsch als Fremdsprooch’, well dat ënnerfuerdert awer eis Schüler, well si sinn an der Lag Texter sou gutt ze verstoen, wéi dann eben däitsch Schüler se verstinn.“ F. S: „Géif Der se op dee selwechte Niveau sëtzen wéi d’däitsch Schüler an deem Alter? “ Marie-Rose Wirtz: „Also wann drënner, dann awer nëmme ganz wéineg drënner. Villäicht bëssen am Wortschatz, dass se do … mee gutt déi al däitsch Wierder kennen déi däitsch Schüler wahrscheinlech haut och net méi.“ 103 Im Lycée Technique du Centre (LTC) in Luxemburg-Stadt sind die Erwerbsvo‐ raussetzungen und die Erwerbssituation dagegen völlig andere. Die deutsche Sprache wird hier ausschließlich als Fremdsprache unterrichtet, denn der Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund ist an dieser Schule besonders hoch. Berg / Milmeister und Weis (2013: 20) schätzen, dass etwa 30 verschiedene Na‐ tionalitäten diese Schule besuchen. Viele sind erst vor kurzem nach Luxemburg gezogen und verfügen über Sprachkenntnisse, die nur selten auf das von der Luxemburger Sekundarschule geforderte Sprachwissen passen. Abhängig von ihren Sprachkenntnissen beginnen die Schüler des LTC entweder in der siebten oder zehnten Klasse mit dem Erlernen der deutschen Sprache. Sie können an dieser Schule ihre Berufsausbildung auf Französisch absolvieren. Eine Festigung der Französischkenntnisse hat daher Priorität. Die französische Sprache über‐ nimmt am LTC zum einen die Funktion der Ausbildungssprache in allen Fä‐ chern. Zum anderen ist sie die Hauptverkehrssprache innerhalb des Lyzeums zwischen Schülern und in der Schüler-Lehrer-Interaktion. Sie dient den Schü‐ lern darüberhinaus als lingua franca außerhalb der Schule. Antoinette Maas: „Also hei an der Schoul ass kloer Franséisch d’Integratiouns‐ sprooch. […] Also hei …, gitt duerch de Gank, Dir héiert vill Portugisesch, Dir héiert och Sproochen, déi Der guer net kennt.“ 104 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 155 <?page no="156"?> 105 F. S.: „Wie nehmen denn die Schüler die Sprachensituation hier im Land wahr? “ Antoi‐ nette Maas: „Also Deutsch schwierig, aber den Rest relativ locker, würde ich sagen. Also sie ‚switchen’ doch ohne Probleme. Es ist eher schön anzusehen, wie sie das hin‐ bekommen.“ 106 Martine Hummer: „Unterschiedlich. Also sie reden unter sich ja im Grunde Franzö‐ sisch oder Multikulti alles. Sie sehen es, glaube ich, als positiv an, dass sie auch Englisch können, aber oft bleiben die Gespräche doch in ihrer Sprache. Also sie haben oft etwas gegen das Deutsche, aber oft auch etwas gegen das Luxemburgische. Es ist für sie etwas, was sie nicht so gerne mögen. Ich weiß nicht warum, aber auch das hängt, finde ich, von jedem Schüler selbst ab. Die einen sind motivierter, die anderen haben null Bock, aber dann ist das auch in den anderen Fächern so. Im Großen und Ganzen finden sie schon, dass sie Vorteile haben gegenüber ihren Eltern, die oft immigriert sind und we‐ niger Sprachen beherrschen. Das finden sie trotz allem gut. Sie wissen auch, dass sie die Sprachen späterhin in ihrem Beruf brauchen werden.“ Ich war in meinen Gesprächen mit den Deutschlehrern des LTC interessiert zu erfahren, wie diese Schüler, die zumeist erst seit kurzem im Land leben, die Sprachensituation wahrnehmen. F. S.: „Wéi huelen dann d’Schüler d’Sproochesituatioun hei am Land wouer? “ Antoinette Maas: „Also Däitsch schwiereg, mee de Rescht awer locker, géif ech mengen. Also si switchen awer ouni Problem. Dat ass éischter flott, wéi si dat hi‐ kréien.“ 105 Martine Hummer: „Dat ass ënnerschiddlech. Also si schwätzen ënnert sech jo am Fong Franséisch oder Multikulti alles. Si gesinn et mengen ech als positiv, dass si och Englesch kënnen, mee oft bleift et awer an hirer Sprooch. Also mam Däitschen, mee och géint Lëtzebuergesch hunn se oft, ass fir si eppes, wat se net esou gär hunn. Ech wees net firwat, mee och dat hänkt, fannen ech, vun all Schüler selwer of. Déi eng si méi motivéiert, déi aner hunn null Bock op näischt, awer dann ass dat och an deenen anere Fächer am Fong sou. Mee am grousse Ganze fannen si awer schonn, dass se Virdeeler hunn géigeniwwer vun hiren Elteren, déi oft heihinner komm sinn a net sou vill Sproochen kënnen. Dat fanne se awer gutt. Si wëssen och, dass se et [d’Sproochen] spéiderhin an hirem Beruff brauchen.“ 106 Während Luxemburger Schüler an anderen Lyzeen sich oft schwer im Umgang mit der französischen Sprache tun und versuchen diese, wenn möglich, zu um‐ gehen, entwickeln die Schüler des LTCs eine vergleichbare Antipathie gegen‐ über der deutschen Sprache und des Deutschunterrichts. Manche haben auch Vorbehalte gegenüber der luxemburgischen Sprache, die sie in der Regel nur fragmentär oder gar nicht beherrschen. Sie bilden typischerweise eine Mehr‐ sprachigkeit aus, die neben ihrer Familiensprache, gute Kenntnisse im Franzö‐ sischen umfasst und rudimentäre bis Basis-Kenntnisse in den anderen Schul‐ sprachen. Sie sind sich bewusst, welche Bedeutung diese Mehrsprachigkeit für V. Der Bildungsdiskurs 156 <?page no="157"?> 107 Der erfolgreiche Abschluss des Referendariats in Luxemburg setzt das Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit, dem Travail de candidature, voraus. 108 F. S.: „Beginnen wir doch bei Ihrem ‚Travail de candidature’. Mit welchem Thema haben Sie sich befasst? Können Sie Ihre Ergebnisse kurz zusammenfassen? “ Wilfried Jansen: „Thema war die Evaluation der kommunikativen Kompetenz, also der DAF-Unterricht auf den Klassen hier, die eine kaufmännische Ausbildung absolvieren. Und da bin ich eben zu dem Schluss gelangt, dass die Motivation hier nicht besonders, also nicht immer groß ist, dass die Schüler eigentlich nicht einsehen, warum sie überhaupt Deutsch lernen sollen. Ich habe dann auch eine Umfrage gemacht und sie gefragt „Warum lernt ihr überhaupt Deutsch? “ Dabei ist eigentlich herausgekommen, dass die Schüler nur Deutsch lernen, also der erste Grund ist für sie der Arbeitsmarkt, wenn es überhaupt einen Grund gibt. Und der zweite war eher zu Integrationszwecken und dann der dritte Grund: weil sie müssen. Gut, dann fanden sich noch ‚unter ferner liefen’ so interkul‐ turelle Gründe, vielleicht, weil sie schon mal ihren Urlaub in Deutschland verbracht haben. […] Die meisten haben mir auf Französisch geantwortet. […] Also die meisten Leute [die meisten Schüler hier] lernen Deutsch eigentlich nur, um später eine gute Anstellung zu finden. Das ist der wichtigste Beweggrund.“ ihre weitere Laufbahn hat, stufen aber die Bedeutung der einzelnen Sprachen nach ihrem integrativen und instrumentellen Nutzen ein. Der Platz, den eine Sprache in dieser Rangfolge einnimmt, legt fest, inwieweit es sich lohnt, An‐ strengungen beim Erlernen der jeweiligen Sprache zu unternehmen. Der Deutschlehrer Wilfried Jansen beschäftigte sich im Referendariat eingehend mit der Evaluation kommunikativer Kompetenzen im DaF-Unterricht und fragte für seine Abschlussarbeit seine Schüler am Lycée Technique du Centre, warum es ihrer Ansicht nach wichtig sei, die deutsche Sprache zu erlernen. F. S.: „Ugefaang bei Ärem Travail de candidature 107 , wat war do d’Thema an wat war e bëssen d’Resultat? “ Wilfried Jansen: „D’Thema ass d’Evaluatioun vu kommunikativer Kompetenz, also vun dem Däitschen als Friemsprooch hei am Commerce, an do sinn ech dann eben och zu deem Fazit komm, datt d’Motivatioun hei net besonnesch, also net ëmmer grouss ass, datt Schüler eigentlech net agesinn, firwat si iwwerhaapt sollen Däitsch léieren. Dunn hunn ech dann och ee Sondage mat hinne gemaach, sou „Firwat léiert dir iwwerhaapt Däitsch? “ An dobäi ass eigentlech dann erauskommen, datt si Däitsch nëmme léieren, also den éischte Grond ass, wa se ee Grond hunn, ass et éischter fir den Aarbechtsmarché. An den zweete Grond wier éischter als Integratioun an dann den drëtte Grond: Well si mussen. Gutt da [waren] ganz unter ferner liefen dann sou interkulturell Grënn, villäicht well se eng Kéier an Däitschland an der Vakanz waren. […] Déi meescht hunn op Franséisch geäntwert. […] Also déi meescht Leit [déi meescht Schüler hei] léieren Däitsch eigentlech nëmme fir e gudden Emploi ze fannen. Dat ass déi wichtegst Motivatioun.“ 108 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 157 <?page no="158"?> 109 F. S.: „Wie ist der Unterricht aufgebaut? Also wie fängt der Deutscherwerb an und inwiefern unterscheidet er sich vom normalen Deutschunterricht in Luxemburg? “ Martine Hummer: „Also das unterscheidet sich total von dem normalen Deutschunterricht. Sie beginnen ja in der 10. Klasse mit ‚der, die, das’, also es sind dann wirklich die Basis‐ kenntnisse und dann sollen sie in der 12. Klasse ein gewisses Niveau erreicht haben. Gut, die bac international-Klassen sind ein wenig motivierter, die sind ein wenig besser, aber allgemein ist der Leistungsstand sehr schwach. Man muss es einfach so sagen. Gut in der 13. Klasse ist ja vom Programm her vorgeschrieben, was sie können müssen, aber, sagen wir mal, ein Drittel der Klasse hat da noch wirklich Probleme im Deutschen.“ Martine Hummer lehrt ebenfalls als Deutschlehrerin am LTC. Zum Zeitpunkt des Interviews unterrichtete sie an zwei Klassen, die das internationale Abitur (Bac international) anstrebten. Außerdem waren ihr zwei 12 ième -Klassen und eine 13. Klasse zugeteilt worden. Diese drei Klassen waren sogenannte FR-Klassen, die erst in der 10. Klasse mit dem Deutscherwerb beginnen. Frau Hummer er‐ klärte, inwieweit sich der Deutschunterricht hier von dem normalen Deutsch‐ unterricht an Luxemburger Sekundarschulen unterscheidet: F. S.: „Wéi ass den Unterrecht opgebaut? Also wéi fänkt et un an a wéi fern ënnerscheed dee sech vum normalen Däitschunterrecht zu Lëtzebuerg? “ Martine Hummer: „Also dat ënnerscheed sech total vun deem normalen. Si fänken op 10 ième jo un mat ‚der, die, das’, also t’ass wierklech d’Basis an dann op 12 ième solle se ee gewësse Niveau hunn. Bon, d’classes bac international, déi sinn e bësse méi moti‐ véiert, déi sinn e bësse méi gutt, déi sinn e bësse besser, mee allgemeng ass den Niveau relativ schwaach. T’muss een einfach sou soen. Bon, op 13 ième ass jo virgeschriwwe vum Programm hir, wat se musse maachen, mee do sinn awer nach, soe mer mol gutt een Drëttel vun de Klassen, déi hu wierklech Problemer am Däitschen.“ 109 Irène Altmann unterrichtete ebenfalls zum Zeitpunkt des Interviews am LTC und ist seit vielen Jahren mit dem Deutschunterricht auf 7 ième , 8 ième und 9 ième hier vertraut. Schüler, die in der siebten Klasse mit dem DAF-Unterricht beginnen, besuchen die so genannten AL-Klassen. Möglich ist das nur, wenn sie bereits Vorkenntnisse im Französischen nachweisen können. F. S.: „D.h. op deenen AL-Klassen, wéi gëtt do Däitsch geléiert? Kënnt Der dat e bësse beschreiwen, wat d’AL-Klassen genee sinn? “ Irène Altmann: „Also eng AL-Klass ass mol Allemand, d. h. si maachen Däitsch in‐ tensiv. Si hu fir de Rescht awer dee selwechte Programm wéi déi aner Klassen, d. h. si V. Der Bildungsdiskurs 158 <?page no="159"?> 110 F. S.: „Wie wird denn Deutsch auf den AL-Klassen gelernt? Können Sie das ein wenig be‐ schreiben, was unter den AL-Klassen genau zu verstehen ist? “ Irène Altmann: „Also eine AL-Klasse bedeutet zunächst Deutsch, d. h. die Schüler beginnen mit intensivem Deutschunterricht. Abgesehen davon, haben sie dann dasselbe Lehrprogramm wie die anderen Klassen, sie haben also dieselben Nebenfächer, so genannte Nebenfächer, ma‐ chen diese allerdings auf Französisch. Sie machen also nur Deutsch im Deutschunter‐ richt, der umfasst allerdings 13 Wochenstunden.“ 111 Wilfried Jansen: „Viele Schüler finden Deutsch nicht interessant, schwierig zu lernen und sie fürchten sich ein wenig vor der Grammatik und vielleicht sagen auch schon welche: „Ok ich brauche das eigentlich gar nicht. Ich komme hier in Luxemburg auch mit Französisch, Portugiesisch ganz gut zurecht, also warum soll ich das machen.“ Es geht dann relativ schnell so, dass es sich aufteilt: Die Portugiesen, die mögen es nicht und dann haben wir eher den [anderen Teil], die Jugoslawen z. B., die haben es viel einfacher Deutsch zu lernen und meistens ist da dann auch der große Unterschied.“ 112 F. S.: „Die Motivation hat ja auch immer etwas damit zu tun. Wie wird denn das Deutsche von den Schülern gesehen? “ Martine Hummer: „Ja auf diesen Klassen ist das relativ schwierig. Es gibt einzelne, die sind motiviert und sehen das eben als Zusatzqualifika‐ tion, als Trumpf an, eine Sprache zu erlernen. Die meisten, also sagen wir, die meisten sind doch sehr zäh. Sie sehen eben keinen Nutzen darin Deutsch zu lernen, sie müssen es lernen und so sehen dann auch die Resultate aus.“ hunn d’Niewefächer, [déi] sou genannte Niewefächer, […] op Franséisch. D. h. si maache just Däitsch am Däitschen, t’sinn allerdéngs 13 Wochestonnen.“ 110 Allgemein zählt die deutsche Sprache unter Schülern des LTC zu den unbelieb‐ testen Sprachen. Ihr Ruf, eine schwierige Grammatik zu haben und für Schüler mit einer romanischen Sprachhintergrund fast nicht erlernbar zu sein, eilt ihr voraus. Wilfried Jansen: „Vill Schüler fannen Däitsch net interessant, schwiereg ze léieren an déi fäerten och e bëssen déi Grammatik an villäicht soen der och schonn: „Ok ech brauch dat eigentlech guer net. Ech kommen hei zu Lëtzebuerg och mat Franséisch, Portugisesch ganz gutt zurecht, also firwat soll ech dat maachen? “ T’geet dann relativ séier, dass et sech dann opdeelt, d’Portugisen hunn et net gär, an dann hu mer éischter deen [aneren Deel], d’Jugoslawen z. B., déi hunn et vill méi einfach Däitsch ze léieren a meeschtens ass dann och do e groussen Ënnerscheed.“ 111 F. S.: „D’Motivatioun hutt jo och ëmmer e bëssen eppes domat ze dinn. Wéi gëtt dann d’Däitscht vun de Schüler gesinn? “ Martine Hummer: „Jo op deene Klassen ass dat relativ schwéier. T’si verschiddener, déi si motivéiert, déi gesinn dat dann eben als Atout fir eng Sprooch ze léieren. An déi meescht, also soe mer, déi meescht sinn awer relativ zéi. Si gesinn eben net deen Notzen firwat si sollen Däitsch léieren. Si mussen et léieren an deementspriechend sinn och d’Resultater.“ 112 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 159 <?page no="160"?> 113 F. S.: „Kommt da auch zuweilen die Aussage, dass die Sprache hier im Land ja nicht so wirklich gebraucht wird? “ Martine Hummer: „Ja das auch, aber im Großen und Ganzen kommt oft einfach der Ausdruck ‚eine Sprache, die sie nicht lernen wollen’. Nicht mal, dass sie sie nicht gebrauchen könnten, denn teilweise können sie auch kein Luxem‐ burgisch, aber einfach, dass sie eben keinen Nutzen darin sehen.“ 114 Antoinette Maas: „Ja also ich glaube nicht, dass viele hier sind, die sagen: „Oh wie schön, dass wir Deutsch lernen! “ Für Deutschlehrer ist es ein wenig frustrierend.“ F. S.: „Kënnt do och d’Ausso, dass déi Sprooch hei am Land jo net sou wierklech gebraucht gëtt? “ Martine Hummer: „Jo dat och, mee am grousse Ganzen kënnt oft den Ausdrock einfach ‚Eng Sprooch, wou si net wéilte léieren’. Mol net, dass si se net kënne ge‐ brauchen, well ech mengen deelweis kënne se och kee Lëtzebuergesch, awer einfach, si gesinn eben net de Notzen doranner.“ 113 Antoinette Maas: „Jo also ech mengen net, dass der hei vill sinn, déi soen: „O wéi flott, dass mer Däitsch léieren! “ T’ass e bësse frustrant als Däitschproff.’“ 114 Die Überzeugung, dass die deutsche Sprache eine nicht lernbare Sprache für Kinder mit romanophonem Migrationshintergrund ist, verbreitet sich auch schnell unter den LTC-Schülern, die diesen Migrationshintergrund aufweisen. Sie führt zu einer diskursiven Überformung, bei der die Wahrnehmung der ei‐ genen Sprachkompetenzen, durch das Stereotyp „Portugiesen können kein Deutsch“, in einem noch schlechteren Licht erscheint (vgl. Hägi / Scharloth 2005). Die Argumentationsmuster des Diskurses wirken sich somit negativ auf die Haltung dieser Schüler aus. F. S.: „Wéi ass dann bis lo d’Bilanz vun deene Coursen? Bréngt dat vill? Areechen si [d’Schüler] wierklech an hirer Friemsprooch [Däitsch] awer eng Kompetenz? “ Antoinette Maas: „Also d’Fro ass gutt gestallt an d’Äntwert ass ganz schwéier. Bon, t’muss ee soen, dass fir ganz vill Schüler, haaptsächlech déi, déi schonn an der Pri‐ märschoul iergendwéi erakoumen, net direkt am Ufank, mee bësse méi spéit, wou dann d’Däitscht direkt als Hürd empfonnt ginn ass, déi kämpfen a kämpfen a kämpfen am Däitschen an déi empfannen d’Däitscht och wierklech als Selektiounsfach. An déi sinn net fuerchtbar motivéiert fir dann am Däitschen déi Efforten ze maachen, déi se V. Der Bildungsdiskurs 160 <?page no="161"?> 115 F. S.: „Wie ist denn bis jetzt die Bilanz dieser Kurse? Bringen die viel? Erreichen die Schüler wirklich in ihrer Fremdsprache [Deutsch] eine Kompetenz? “ Antoinette Maas: „Also die Frage ist gut gestellt und die Antwort ganz schwierig. Gut, man muss sagen, dass für ganz viele Schüler, hauptsächlich die, die schon in der Primarschule ins Land kamen, nicht direkt am Anfang, aber etwas später, von diesen wird das Deutsche direkt als Hürde angesehen, die kämpfen und kämpfen und kämpfen im Deutschen und die emp‐ finden das Deutsche auch wirklich als Selektionsfach. Und die sind nicht furchtbar motiviert, um dann im Deutschen die Anstrengungen zu unternehmen, die sie unter‐ nehmen müssten - und es wären so einige. Und deshalb kommen wir im Deutschen nicht unbedingt dahin, wo wir eigentlich gerne hinkämen.“ 116 F. S.: „Also wird es dann auch teilweise als Hindernis in der Schule empfunden? ” Antoi‐ nette Maas: „Ja, als Schinkane, als Hindernis, als lästig. Und dann hängt es auch damit zusammen, dass die deutsche Sprache ja ein bisschen anders ist wie jetzt das Französi‐ sche oder das Englische. Im Deutschen braucht es eine gewisse Regelstrenge, Deutsch ist ja ein wenig wie Latein. Mit all diesen Endungen und dem Satzbau und so und viele von diesen Schülern haben ja gar keine Lust sich irgendeiner Regelkonformität zu beugen und deshalb ist Deutsch im Grunde ein noch größeres Hindernis, denn im Französischen schmuggeln sie sich so dadurch, weil sie es auch sehr viel mündlich gebrauchen und auch wenn sie etwas fehlerhaft sprechen, so können sie sich trotzdem gut auf Französisch unterhalten und das Deutsche benutzen sie ja nur als Schulsprache und in dem Moment, wo sie die Sprache dann ein wenig schluderig gebrauchen, werden sie noch beurteilt und das motiviert sie nicht.“ 117 Im Sinne von Bourdieu. misste maachen - an t’wären der vill. An dofir komme mir am Däitschen net onbe‐ déngt dohinner, wou mer eigentlech gäre géife kommen.“ 115 F. S.: „Also t’gëtt dann och deelweis als Hindernis an der Schoul empfonnt? “ Antoinette Maas: „Jo als corvée, als Hindernis, als lästeg. An dann och well d’däitsch Sprooch ass jo bëssen anescht, wéi lo och d’Franséischt oder d’Englescht, am Däitsche brauch ee jo eng immens Rigueur, Däitsch ass jo bësse wéi Latäin. Mat all deenen Endungen a mam Sazbau an sou a vill vun deene Schüler, déi hu jo guer keng Loscht méi sech iergendenger Rigueur ze beugen an dofir ass d’Däitscht am Fong nach méi een Hënnernes, well mam Franséischen schmuggele si sech bësse sou duerch, well si och ganz vill schwätzen. Och wa si e bësse feelerhaft schwätzen, si kommunizéieren awer gutt a benotzen d’Däitscht jo eigentlech net weider fir ze kommunizéieren, si benotzen d’Däitscht just als Schulsprache an dee Moment gi si sanktionéiert, wa se et da bësse schluddereg gebrauchen, an dat motivéiert si net.“ 116 Vergleichen die Schüler die Kapitalwerte 117 der verschiedenen Sprachen, die in Luxemburg vorkommen, so gelangen sie nicht selten zu dem Schluss, dass Fran‐ zösischkenntnisse hier durchaus ausreichen können. Deutsch bleibt dann für sie eine fremde Sprache, mit der sie in Luxemburg nicht in Berührung kommen und in der sie auch keine Verbindung zu Luxemburg erkennen. 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 161 <?page no="162"?> 118 F. S.: „Kommt da auch ein wenig von den Schülern die Aussage „Wozu muss ich diese Sprache überhaupt lernen? ““ Antoinette Maas: „Ja. Gut, wir beide können das auch sagen, wenn wir jetzt die Bereiche definieren müssten hier in Luxemburg, wo man wirklich Deutsch können muss, dann wären wir schnell fertig. Und das sehen die Schüler ja auch! Und nur um zum Einkaufen nach Trier zu fahren, da weiß ich nicht, ob sie das hinreichend motiviert.“ 119 F. S.: „Also kommen sie so gesehen nicht wirklich positiv mit der Sprache in Berührung? “ Antoinette Maas: „Nicht viel.“ 120 F. S.: Da sie die Sprache wahrscheinlich auch jetzt nicht so als Mediensprache nutzen? “ Antoinette Maas: „Gut, wir versuchen dann, also wir machen zum Beispiel in der neunten Klasse einen Schüleraustausch oder wir machen Ausflüge nach Trier […], aber die Schüler betrachten das Deutsche trotzdem immer so à quoi bon - hier in der Schule. Also ich rede jetzt nur von hier, wenn Sie jetzt ins Echternacher Lyzeum gehen, haben die Kinder dort die gleiche Einstellung vermutlich gegenüber dem Französischen.“ F. S.: Kënnt do och bëssen vun de Schüler déi Ausso ‚Firwat muss ech déi Sprooch iwwer‐ haapt léieren? ’ Antoinette Maas: „Jo. Bon, mir zwee kënnen dat och soen, wa mir lo déi Beräicher definéieren hei am Lëtzebuerger Land, wou ee wierklech muss Däitsch hunn, da si mer séier fäerdeg. An dat gesinn d’Schüler jo och! A fir just op Tréier akafen ze goen, do weess ech net, ob dat si genuch motivéiert […].“ 118 Die deutsche Sprache hat bei den Schülern, die das Deutsche als Fremdsprache in Luxemburg erlernen einen schwierigen Stand: Es ist kein Wahlfach, sondern ein Pflichtfach, allerdings kommen die Schüler im Alltag wenig mit der Sprache in Kontakt. Das Deutsche bleibt für sie außerhalb der Schule eine fremde und kaum wahrnehmbare Sprache. Die Deutschlehrer am LTC versuchen den ab‐ lehnenden Haltungen ihrer Schüler entgegenzuwirken, indem sie möglichst viele reale Kontaktmöglichkeiten zur deutschen Sprache und Kultur schaffen. Sie fahren mit den Schülern ins nahe gelegene Trier, um jene authentischen Gesprächssituationen herbeizuführen, die in Luxemburg nicht zu finden sind. F. S.: „Also positiv komme si sou gesinn mat der Sprooch net vill a Beréierung? “ Antoinette Maas: „Net vill.“ 119 F. S.: „Well se et wahrscheinlech och lo net sou als Mediesprooch benotzen? “ Antoinette Maas: „Bon, mir probéieren dann, zum Beispill maache mer op 9 ième en Austausch oder mir maache Reesen op Tréier […], mee […] d’Däitscht gëtt awer ëmmer sou à quoi bon - hei an der Schoul. Also ech schwätze lo just vun hei, vu menge Schüler, déi eben d’Däitscht zousätzlech léieren. Dat ass bestëmmt anescht, wann Der lo an den Iechternacher Lycée gitt, wou d’Kanner dat do villäicht mam Franséischen hunn.“ 120 Damjana Sujana Zorko: „Nee hier wirklich, man muss sich wirklich sehr bemühen und ihnen auch irgendwie noch Anekdoten erzählen und dann manchmal, wenn die V. Der Bildungsdiskurs 162 <?page no="163"?> 121 F. S.: „Und wenn man sich jetzt mal ansieht, wie die deutsche Sprache hier unterrichtet wird, müsste da allgemein etwas dran geändert werden, an der Unterrichtsmethode oder …? “ Winfried Jansen: „Ja also eine Sache, die ganz wichtig wäre, wäre wirklich mal zu schauen, ja wie der Stellenwert des Deutschen in Luxemburg überhaupt ist und dann auch die entsprechenden Unterrichtsmaterialien bereitzustellen, so dass vielleicht auch irgendwann mal die Entscheidung gefällt wird, ob sie [die Schüler] jetzt Deutsch für den luxemburgischen Kontext erlernen oder für den deutschen, also ob nun eher interkulturell oder für die zwei [Sprachregionen] oder für welchen Kontext eigentlich? “ Klasse nicht so groß ist und wenn sie relativ brav sind, dann nehme ich sie auch mal mit nach Trier, um ihnen auch mal Deutschland zu zeigen und zu sagen, ok, jetzt könnt ihr mal auf Deutsch einkaufen, versucht doch mal wie das geht und so. Und das ist dann, wenn man es ihnen ein bisschen näher bringt, das ist dann natürlich einfach, wenn man es ihnen so nahe bringt.“ Die Verbindungen, die zwischen der deutschen Sprache und Luxemburg be‐ stehen, sind den Schülern nur selten bewusst. Sie lernen die Sprache aus deut‐ schen Lehrbüchern, die versuchen ihnen die deutsche Kultur näher zu bringen, obschon ihnen der Kontakt zu dieser Kultur fehlt. Diese Distanz müsste aufge‐ hoben werden, meint Wilfried Jansen und zwar mithilfe von Lehrbüchern, die zusätzlich die Geschichte des Deutschen in Luxemburg thematisieren und in die Funktionen, die die Sprache dort übernimmt, einführen. F. S.: „A wann Der lo bësse kuckt wéi Der Däitsch ënnerriicht, missten do Saachen geännert ginn allgemeng am Land, un der Method oder …? “ Wilfried Jansen: „Jo also eng Saach, déi ganz wichteg wier, ass wierklech dann mol ze kucke, jo wéi ass de Stellewäert vum Däitschen zu Lëtzebuerg an dann och déi entspriechend Unterrechtsmaterialien ze hunn, dass dann villäicht och iergendwann mol eng Kéier eng Decisioun geholl gëtt, léiere se lo Däitsch fir Lëtzebuerg oder léieren se et fir Däitschland, also interkulturell éischter oder fir déi zwee oder wéi? “ 121 Das Hauptaugenmerk des DAF-Unterrichts in Luxemburg liegt in der Ausbil‐ dung von kommunikativen Kompetenzen. Die Schüler lernen dabei oft Formu‐ lierungsmuster für Alltagssituationen, für die sie in Luxemburg normalerweise nicht die deutsche, sondern eine andere Sprache auswählen würden. Die Lehr‐ bücher, die im Unterricht eingesetzt werden, passen also nicht auf die Erwerbs‐ situation, auf den Erwerbszweck und die Erwerbsmotivation eines luxembur‐ gischen DAF-Schülers. F. S.: „Déi, déi hei erausginn, brauchen d’Sprooch jo virun allem fir ze schwätzen, si gi jo dann an den technesche Beräich oder an den touristesche Beräich oder wat weess ech, an d’Hotelschoul. Wann Der lo sot mir trainéiere Bewerbungsschreiwen, wou mussen si dann [spéider] eng däitsch Bewerbung schreiwen? Wann, da leeft déi jo éischter op Franséisch? “ 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 163 <?page no="164"?> 122 F. S.: „Die Schüler, die das Lyzeum hier verlassen, brauchen die Sprache ja vor allem um zu reden, sie orientieren sich ja dann eher in den technischen Bereich oder in den touristischen Bereich oder ich weiß nicht wohin, gehen in die Hotelfachschule. Wenn Sie jetzt sagen wir trainieren Bewerbungsschreiben im Deutschunterricht, frage ich mich, wo müssen die Schüler denn eigentlich später eine Bewerbung auf Deutsch schreiben? Wenn, dann läuft das doch eher auf Französisch ab? “ Wilfried Jansen: „Ja genau das ist es ja, was die Schüler dann auch immer sagen, ja das ist ja alles schön und gut … […] Ja und deshalb wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn man diese ganze Bewerbungssache einfach lassen würde. Das steht ja dann auf dem Lehrplan und dann sagen sie, ja das haben wir im Französischunterricht schon gemacht. Ja und dann machen sie das noch einmal […]. Sie haben auch ein Fach in der kaufmännischen Ausbildung, wo sie es noch einmal machen. D. h. sie machen es im Prinzip drei Mal, man könnte da sagen, ja dann machen wir es im Deutschunterricht eben nicht. […] Ja das betrifft das ganze Problem mit den Lehrbüchern. Das sind ja alles deutsche Lehrbücher, wir sind aber hier in Luxemburg. Dann sind da immer Themen dabei, die etwas mit Deutschland zu tun haben und der erste Punkt ist, dass sie das Hintergrundwissen dazu nicht haben, weil sie ja eben nicht in Deutschland leben und der zweite Punkt, dass sie dann etwas über Deutschland lernen, aber nichts oder eben nicht genug über Luxemburg wissen. Das ist bei uns eigentlich ein großes Problem, dass es kein passendes Buch für sie im Deutschunterricht gibt. […] Und wenn die Inhalte nicht gut sind, ist es kaum verwunderlich, dass die Schüler auch keine Lust haben sich mit der Form zu beschäftigen. Das ist ein ganz großes Problem.“ Wilfried Jansen: „Jo dat ass jo dat, wat Schüler dann och ëmmer soen, jo dat ass jo alles schéin … Jo an dofir wär et villäicht net schlecht, wann een dat ganzt Bewer‐ bung[skapitel] dann och einfach léisst. Dat steet jo dann um Programm an da soen si, jo dat do hu mer am Franséischen och scho gemaach. Jo an da maache si dat nach eng Kéier […]. Jo si hunn och ee Fach am Commerce, do maachen si dat och nach eng Kéier. Da maache si dat am Prinzip dräi Mol, dass een do villäicht seet am Däitschen, nee da maachen mer dat net. […] Jo dat ass jo dann de ganze Problem mat de Lehr‐ bücher. Dat si jo alles däitsch Lehrbücher, awer mir sinn hei zu Lëtzebuerg. Da sinn dat ëmmer Themen, déi dann eppes mat Däitschland ze dinn hunn an den éischte Punkt ass mol, dass si de Background dann net hunn, well si och net an Däitschland liewen an déi zweet Saach ass, si léieren eppes iwwer Däitschland, mee si kennen dann näischt oder net genuch iwwer Lëtzebuerg. Bei eis ass dat eigentlech ee grousse Problem, dass et am Däitschen kee richtegt Buch fir si gëtt. […] An da kënnt et na‐ tierlech och derzou, wann déi Inhalter net gutt sinn, dann hunn d’Schüler och keng Loscht sech mat der Form ze beschäftegen. Dat ass ee ganz grousse Problem.“ 122 Es ist ein Problem des DAF / DAZ-Unterrichts in Luxemburg, dass die Lehr‐ programme und Lehrmaterialien nicht auf die Funktionen zugeschnitten sind, die die deutsche Sprache in Luxemburg übernimmt und damit die domänen‐ spezifische Rollenverteilung der Sprachen nicht berücksichtigen. Um die Moti‐ vation der Schüler zu fördern, unternehmen die Lehrkräfte, ähnlich wie etwa V. Der Bildungsdiskurs 164 <?page no="165"?> ihre Kollegen in Frankreich, Ausflüge nach Deutschland. Wären die Lehrbücher auf die luxemburgische Sprachensituation abgestimmt und würden sie luxem‐ burgische Alltagsthemen behandeln, wäre eine Erwerbssituation geschaffen, in der der Zweck des Deutscherwerbs in Luxemburg für DAF-Schüler nachvoll‐ ziehbar werden würde und das Deutsche ihnen aus der Distanz näherrücken würde. 4 Deutsch im klassischen und technischen Sekundarunterricht 165 <?page no="166"?> 1 S. a. Exkurs ‚Migrationsbewegungen’ in Kapitel II. VI. Sprachwissen und Immigration 1 Über Immigration diskutieren „language may be the most ‘visible’ symbol of a group“ (Myers-Scotton 2006: 114) Bis Mitte der sechziger Jahre wurde in Luxemburg eine Einwanderungspolitik betrieben, die keine Integrationspolitik beinhaltete. Die Zuwanderung funktio‐ nierte nach dem Rotationsprinzip: Es wurden nur so viele, vor allem italienische, Gastarbeiter aufgenommen, wie befristete Stellen in Industrie-, Handwerks- und Bauwesen zu vergeben waren (vgl. Scuto 2012: 284). 1 Als 1957 die Römischen Verträge geschlossen wurden und zu einer verstärkten Zusammenarbeit in Eu‐ ropa und der Bewegungsfreiheit für Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital innerhalb der EWG führten, bestand Luxemburg, mit dem Verweis auf seine bescheidene Größe, auf Übergangsbestimmungen, um eine befürchtete Massenzuwanderung zu vermeiden (vgl. Pauly 2011: 119). Die Zuwanderungs‐ ströme, die vor allem aus Italien befürchtet wurden, blieben aus, während eine positive Konjunkturlage (1964-1965 und 1969-1974) und die Niederlassung neuer Unternehmen den Bedarf an Arbeitskräften, insbesondere im Bausektor, in der Handwerksbranche und Industrie, noch verstärkten. Ausländische Hilfs‐ arbeiter mussten deshalb systematisch angeworben werden, um einem Arbeits‐ kräftemangel vorzubeugen (vgl. Hoffmann 2002: 67). Zunächst wurde versucht, spanische Gastarbeiter anzuziehen, die sich aufgrund eines Wirtschaftsauf‐ schwungs im eigenen Land wenig interessiert zeigten (vgl. Cordeiro 2001: 98). Als bestes Argument für eine Immigration nach Luxemburg erwies sich die Fa‐ milienzusammenführung, die man den Zuwanderern in Aussicht stellte und von der vor allem portugiesische (und nach 1975 auch kapverdische) Immigranten profitierten (vgl. Telecran: 07. 07. 2007; Hausemer 2008a: 6). Das Gastarbeiter‐ modell, das bis dahin kennzeichnend für die Immigration gewesen war, wurde in den sechziger Jahren, mit der Familienzusammenführung, langsam durch das Konzept einer dauerhaften Migration ersetzt (vgl. Scuto 2012: 295). Die portu‐ giesischen Familien traten an die Stelle der Italiener. Und die politischen Ent‐ scheidungsträger wurden mit ungewohnten Herausforderungen konfrontiert: <?page no="167"?> 2 Beispiel aus dem Medienkorpus: „Sperrige Portugiesen […] Eine ähnlich gute und schnelle Integration erhoffte man sich auch von den Portugiesen, was sich jedoch auf Grund anderer obengenannter Faktoren nicht wie gewünscht abspielte“ (LL6: 28. 06. 1985). Les migrants portugais travaillent avant tout dans le secteur de la construction, les femmes comme servantes et femmes de charge. Cette immigration familiale et durable, dispersée à travers le pays, pose des problèmes d’intégration nouveaux (logement, formation scolaire et professionnelle, cohabitation avec les Luxembourgeois) (vgl. ebd.: 296). Bis heute existiert in der öffentlichen Wahrnehmung ein Topos von der per‐ fekten Assimilation der Italiener und den anpassungsunwilligen Portugiesen, die kein Luxemburgisch erlernen wollen. 2 Pauly (vgl. 1985: 17) nennt dies den „mythe d’une intégration facile et parfaite de l’ancienne immigration italienne, opposée aux difficultés que ferait celle des Portugais”. Auch Hausemer (2008a: 4) spricht von einer gelungenen Integration der Italiener: In der zweiten Generation erlernten die Italiener die luxemburgische Sprache, in der dritten Generation begann ihre vollständige Integration in die luxemburgische Ge‐ sellschaft, aus der Namen wie Barboni, Ruscitti, Scuto, Di Bartolomeo, Pascutti, Di Genova, Ruffini usw. heute nicht mehr wegzudenken sind. Mittlerweile sind unter allen luxemburgischen Familiennamen rund 10 % unzweifelhaft italienischer Her‐ kunft. Die Geschichte der italienischen Migranten hat eine lange Tradition in Luxem‐ burg. Sie umfasst eine Zeitspanne von rund 70 Jahren, während die portugiesi‐ sche Migration erst Ende der fünfziger Jahre einsetzte und somit vergleichsweise jung ist (vgl. Cordeiro 2001: 97). Auf den verschiedenen Diskursebenen wurde die portugiesische Zuwanderung als „Massenzuwanderung“ beschrieben (vgl. u. a. Pauly 1985: 16; LL6: 28. 06. 1985). Die Portugiesen brachten von Anfang an ihre Familien mit nach Luxemburg, während vor allem männliche und junge italienische Arbeitswanderer jahrzehntelang in der Regel alleine kamen und Arbeitsverträge erhielten, die zeitlich befristet waren (vgl. Hoffmann 2002: 67). Erst in den fünfziger Jahren wurde den Italienern die Familienzusammenfüh‐ rung ermöglicht (vgl. Cordeiro 2001: 97). Im Jahr 1960 lebten 15 708 Italiener in Luxemburg, 1970 23 490. Ab 1981 ist die Zahl mit 22 257 Italienern rückläufig (vgl. Scuto 2012: 294). Gegenwärtig sind sie hinter Portugiesen (90 800) und Franzosen (37 100) die drittgrößte Zuwanderungsgruppe (18 800) (vgl. Statec 2014b: 9). 1960 werden demgegenüber 26 Portugiesen in Luxemburg gezählt, zehn Jahre später sind es bereits 5 743. 1981 leben 29 309 Portugiesen im Land 1 Über Immigration diskutieren 167 <?page no="168"?> 3 S. a. Exkurs: ‚Das Bildungssystem in Portugal’ in Kapitel V. und 2014 90 800 (vgl. Scuto 2012: 294; Statec 2014b: 9). Während sich die Italiener vor allem im Süden Luxemburgs nahe der Stahlwerke in ‚italienischen Vierteln’ niederließen, fanden die Portugiesen landesweit Anstellungen und ließen sich vielerorts nieder, auch wenn sie bis heute in manchem Gemeinden stärker ver‐ treten sind als in anderen. Die Männer waren vor allem im Baugewerbe tätig und die Frauen im Reinigungsbereich. Die portugiesischen Kinder kamen lan‐ desweit in die Schulen und stellten das Bildungssystem vor Herausforderungen. Über den gesamten Erfassungszeitraum des medialen Diskurses (1983-2015) wird der portugiesische Einwanderer als klassischer Arbeitsmigrant wahrge‐ nommen, der im Niedriglohnbereich tätig ist. Für die dritte Einwanderergene‐ ration, die zwar einen portugiesischen Migrationshintergrund, jedoch den Großteil ihres Lebens in Luxemburg verbracht hat und hier eingeschult worden ist, gilt dieses Klischee kaum noch. Sie haben sich sprachlich der Zielgemein‐ schaft angeglichen und haben sich dadurch Zugang zu den mittleren und hö‐ heren Berufsfeldern verschafft. Auch die portugiesischen Neueinwanderer, die zurzeit nach Luxemburg kommen, sind aufgrund der Bildungsreformen in Por‐ tugal besser ausgebildet als dies beim Einsetzen der portugiesischen Zuwande‐ rung Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre der Fall war. 3 Ihre Sprachkennt‐ nisse sind allerdings nicht mehr dieselben wie damals: Da zunehmend Englisch anstelle von Französisch als erste Fremdsprache in Portugal unterrichtet wird, verfügen die heutigen Migranten oft nicht mehr über die nötigen französischen Grundkenntnisse. Dies stellt insofern ein Problem dar, weil Französischkennt‐ nisse in vielen Bereichen unabdingbar sind, um in Luxemburg eine Anstellung zu finden (s. a. Unterkapitel 2). In den achtziger Jahren setzte sich in der Diskursgemeinschaft der Eindruck durch, dass sich Luxemburg vom Gastgeberzum Einwanderungsland entwi‐ ckelt habe. Die im Land lebenden Ausländer wurden auf der medialen und po‐ litischen Diskursebene nicht mehr länger als „Gastarbeiter“ bezeichnet, die in absehbarer Zeit wieder nach Hause gingen, sondern als „ausländische Mit‐ bürger“, die blieben und Teil der Gesellschaft waren (vgl. Scuto 2012: 306). Wurde im Wahlprogramm der Sozialisten (LSAP - Lëtzebuerger Sozialistesch Aarbech‐ terpartei) noch 1974 auf die Probleme der „Gastarbeiter“ Bezug genommen und die „Integrierung der Fremdarbeiter in die nationale Gemeinschaft“ gefordert, er‐ klärte die Partei zehn Jahre später in ihrem Wahlprogramm ‚111 Vorschläge für ein besseres Leben, Wohnen und Arbeiten in Luxemburg’, dass „die in Luxemburg lebenden ausländischen Mitbürger so weit wie möglich in die nationale Gemein‐ schaft integriert werden sollen“ (vgl. Parti Ouvrier Socialiste Luxembourgeois VI. Sprachwissen und Immigration 168 <?page no="169"?> 4 Ich benutze hier den symbolisch aufgeladenen Ausdruck der ‚Muttersprache’, um zu unterstreichen, dass an das Bestimmungswort ‚Mutter’ Assoziationen von Zuneigung, Vertrautheit, Liebe, Heimat, Zuhause, Geborgenheit geknüpft sind. 1974: 18; 1984: 19). Aus den „Gast“- und „Fremdarbeitern“ waren 1984 also „aus‐ ländische Mitbürger“ geworden. Diese anhaltende Zuwanderung und eine zu‐ nehmende Internationalisierung und Europäisierung des Alltags verunsicherten die luxemburgische Bevölkerung. Diskussionen um ein mögliches ‚Aussterben’ der Luxemburger bestimmten zu jener Zeit den Diskurs. Ängste, die in den Me‐ dien verhandelt wurden und die die Frage nach den Kriterien einer nationalen Identität ab dem Jahr 1978 verstärkt in den Mittelpunkt rückten (vgl. Scuto 2012: 303). Der Titel eines Artikels aus dem Luxemburger Land ist bezeichnend: Die Angst vor Überfremdung geht um. Die Integration der Ausländer will nicht mehr so leicht gelingen wie früher (LL6: 28. 06. 1985). Die politischen Parteien schürten diese diffuse Verunsicherung, indem bei‐ spielsweise die Demokraten (DP - Demokratesch Partei) 1979 in ihrem Wahl‐ programm zu bedenken gaben, dass Le monde dans lequel nous vivons n’est plus le monde heureux des ‚golden fifties ou sixties’ (Parti démocratique 1979: 5; vgl. Scuto 2012: 305). Seit dem 19. Jahrhundert lässt sich die Tendenz beobachten, Sprache als äußer‐ licher und hörbarer Ausdruck von Nation und Gemeinschaft zu betrachten und sie deshalb als signifikantes Mittel anzusehen, um deren Fortbestehen zu wahren (vgl. Edwards 1985: 23; Plewnia 2011: 9). Bis heute beschäftigen die Identitäts‐ fragen das mehrsprachige und multikulturelle Luxemburg. Auf der medialen Diskursebene wird die emotionale Nähe zur Muttersprache 4 betont, die man zu‐ erst erlernt hat, in der man sich wohlfühlt und die als Symbol für die eigene Herkunft steht. Scheint der Fortbestand der Nation in Gefahr, werden die Ängste auf die Bedrohung des Luxemburgischen projiziert, das dann quasi als Synonym und Indikator für den kollektiven Gefühlszustand der Nation steht. In diesen Fällen ist die Tatsache, dass Luxemburgisch Teil einer charakteristischen und historisch gewachsenen Mehrsprachigkeit ist, nicht von Bedeutung. Je nachdem woher die gefühlte Bedrohung rührt, wird die Verbindung zur deutschen oder französischen Sprache gekappt und diese Sprachen werden als Fremdsprachen markiert: Ich möchte sie jedoch darauf aufmerksam machen, dass wir Luxemburger sehr sen‐ sibel auf Angriffe auf unsere Sprache, Kultur und unser Land reagieren. Ich würde gerne sehen, wie es in ihrem Land zugehen würde, wenn dort genau wie hier ungefähr 1 Über Immigration diskutieren 169 <?page no="170"?> 5 Im Diskurs taucht in diesem Zusammenhang oft die Formulierung „eis Nationalitéit bradéieren” (= unsere Nationalität verscherbeln) auf. Zu fremdenfeindlichen Tendenzen im luxemburgischen Sprachdiskurs s. a. nachfolgendes Kapitel VII. 30 % der Einwohner „Ausländer“ wären. Noch ist das Zusammenleben kein Problem. […] Falls sie länger bleiben und sich wirklich integrieren wollen, gebe ich ihnen, gnä‐ dige Frau, den gutgemeinten Rat. Lernen sie Luxemburgisch, schon allein aus Höf‐ lichkeit gegenüber ihren luxemburgischen Freunden, denn die können neben ihrer Muttersprache Luxemburgisch noch einige Fremdsprachen, die sie auch erst erlernen mussten (LW21: 08. 02. 1997). „Man darf eines nicht vergessen: Luxemburg hat zwar drei offizielle Sprachen, aber nur eine Muttersprache“ […] (Telecr: 07. 07. 2007). Die Angst war und ist verbreitet, dass die Kenntnis des Luxemburgischen ir‐ gendwann keine Voraussetzung mehr für den Erwerb der luxemburgischen Na‐ tionalität sein könnte, die Nation somit schrittweise das verlieren würde, was sie, so die Annahme, ausmacht und quasi selbst ihrer Auflösung zustimmen würde: 5 Da wird die Schimäre des portugiesischen Bürgermeisters heraufbeschworen, der sich portugiesische Gemeindebeamte einstellen kann und der die Gemeindebeamten in einer ‚Sprache, die nicht mehr Landessprache ist’, leitet (LL: 20. 04. 1984). La meilleure solution serait alors d’annuler d’abord la décision incorrecte de 1986, qui était celle d’accorder la nationalité luxembourgeoise également aux solliciteurs qui ne savent ni parler ni comprendre le luxembourgeois (LW27: 01. 12. 1994). Elo si mir esouwäit. Wéi ech viru gutt annerhalwem Joer op dëser Plaz d’Fro gestallt hun, ob nët an Zukunft, nom Maastrichter Vertrag, an eise Gemengeréit giff auslän‐ nesch geschwat gin, hun an där Zäit wann se drop ugeschwat gi sinn, eis Verant‐ wortlech an allen Interviewen ëmmer nees behaapt, dat kimm nët a Fro. De Ministerrot vum 24. Februar 1995 huet awer do eng aner Positioun ageholl: „Prinzipiell soll in den Sitzungen des Gemeinderates luxemburgisch [sic] gesprochen werden, doch sind auch französisch [sic] und deutsch [sic] zugelassen, wenn ein Ratsmitglied der erstge‐ nannten Sprache nicht ganz mächtig ist.“ (LW 25. Februar 1995). Amplatz datt kee sech därft fir d’Walen opsetzen, deen net lëtzebuergesch kann, därf elo franséisch oder däitsch geschwat ginn. […] Et bleift just ze hoffen, datt eis auslännesch Matbierger, déi sech aktiv wëllen un der Gemengepolitik bedeelegen, esou fair sin an och dee VI. Sprachwissen und Immigration 170 <?page no="171"?> 6 „Nun sind wir so weit. Als ich vor gut anderthalb Jahren an dieser Stelle die Frage gestellt habe, ob nicht künftig, nach dem Maastrichter Vertrag, in unseren Gemeinderatssit‐ zungen ausländisch gesprochen werden würde, haben die Verantwortlichen, wenn sie in dieser Zeit darauf angesprochen wurden, in sämtlichen Interviews stets behauptet, das käme nicht in Frage. Der Ministerrat vom 24. Februar 1995 hat da aber eine ganz andere Position eingenommen: „Prinzipiell soll in den Sitzungen des Gemeinderates Luxemburgisch gesprochen werden, doch sind Französisch und Deutsch zugelassen, wenn ein Ratsmitglied der erstgenannten Sprache nicht ganz mächtig ist.“ (LW 25. Februar 1995). Anstatt, dass sich niemand für die Wahlen aufstellen kann, der nicht Luxemburgisch beherrscht, darf jetzt Französisch oder Deutsch gesprochen werden. […] Es bleibt nur zu hoffen, dass unsere ausländischen Mitbürger, die sich aktiv an der Gemeindepolitik beteiligen wollen, auch so fair sind und den Mut haben Luxemburgisch zu lernen, bevor sie ihre Kandidatur stellen“ (LW23: 01. 04. 1995). 7 Die Einwohnerzahl schnellt von 363 500 Einwohnern im Jahr 1980 auf 563 000 Ein‐ wohner im Jahr 2014, die Erwerbsbevölkerung wächst von 150 000 auf 395 200 (vgl. Statec 2015: 10; 13; vgl. Fehlen 2013a: 64). Courage hu fir lëtzebuergesch ze léieren, ier se hir Kandidatur stellen“ (LW23: 01. 04. 1995). 6 1986 setzte ein bis 2008 anhaltender wirtschaftlicher Aufstieg ein, dessen Motor der Luxemburger Finanzplatz war (vgl. Fehlen 2013a: 64). Die Nachfrage nach Arbeitskräften war hoch, die Bevölkerungszahlen stiegen rasant und das Modell des Grenzpendlers, der tagsüber in Luxemburg arbeitete und abends zurück nach Frankreich, Deutschland oder Belgien fuhr, begann sich durchzusetzen (vgl. ebd.: 64 f.). 7 2014 werden 395 200 Erwerbstätige in Luxemburg gezählt, davon 168 700 nichtansässige Grenzgänger (vgl. Statec 2015: 13). Die Mehrheit dieser Pendler spricht Französisch, denn 81 300 kommen aus Frankreich und 41 700 aus dem überwiegend frankophonen Teil Belgiens. 41 900 pendeln täglich von der deutschen Grenzregion aus nach Luxemburg (vgl. ebd.). Da ihr Lebens‐ mittelpunkt ein paar Kilometer abseits der luxemburgischen Grenze liegt, streben die Grenzgänger oft nur eine bedingte sprachliche Anpassung an ihr Arbeitsumfeld an. Die Dreisprachigkeit der Bevölkerung war vor der dauerhaften und massiven Zuwanderung faktisch eine mündliche Einsprachigkeit (Luxemburgisch) und eine schriftliche Zweisprachigkeit (Deutsch / Französisch). Mit dem Anstieg der Arbeitsmigration und der Anzahl der Grenzpendler im Land entwickelte sie sich zu einer gelebten Mehrsprachigkeit, in der die französische Sprache die Rolle der lingua franca im Umgang mit den mehrheitlich romanophonen Zuwande‐ rern und Grenzpendlern übernahm. Der einstigen Prestigesprache bedienten sich nun alle Sprachgruppen, um miteinander in Kontakt zu treten. Frankophone Grenzgänger fanden ab den 1980er Jahren im Dienstleistungsbereich eine An‐ 1 Über Immigration diskutieren 171 <?page no="172"?> 8 Laura Zuccoli: „Also es ist ganz klar. Wenn wir das jetzt rein statistisch betrachten, fragt man sich, wieso man überhaupt noch eine Alphabetisierung auf Deutsch macht. Das Problem ist natürlich auch, und das ist dann auch eine Frage derjenigen, die etwas zu sagen haben, hier im Land, das ist der Luxemburger, dem ist die deutsche Alphabe‐ tisierung gerechter.“ stellung und machten Französisch zur ‚erwartbaren’ Sprache im Handel, in der Gastronomie und damit im alltäglichen Leben. Im April 2007 wurde die Relevanz von Französischkenntnissen bei der Integ‐ ration in die luxemburgische Gesellschaft, in einer von der Zeitung Le jeudi und dem luxemburgischen Meinungsforschungsinstitut TNS-Ilres durchgeführten Umfrage, wie folgt ausgelegt: Paradoxalement, si le luxembourgeois est la langue à connaître en priorité, c’est le français qui est considéré comme la langue d’intégration par 59 % de la population ; le luxembourgeois arrive en deuxième position avec 33 %. Les politiciens qui, avec le projet de loi sur la double nationalité, veulent faire de cette dernière la langue de l’intégration en imposant son apprentissage devraient se poser des questions puisque ce n’est pas la perception de la population, ni luxembourgeoise (57 % voient le français comme langue d’intégration, 35 % penchent en faveur de la langue nationale), ni ét‐ rangère. Pour les Portugais, l’intégration se fait en français à 81 % (9 % en luxembour‐ geois) et pour les autres nationalités, le taux en faveur du français passe à 53 % contre 41 % en faveur du luxembourgeois (LJ49 : 17. 04. 2007). Mit Bezug auf die kommunikative Reichweite der Sprachen im Land, wird der französischen Sprache ein Vermittlungs- und Gebrauchswert beigemessen, der den der luxemburgischen und der deutschen Sprache bei weitem übersteigt. Der Vermittlungswert der deutschen Sprache in Luxemburg nimmt aufgrund der überwiegend romanischen Herkunft der Zuwanderergruppen und Grenzgänger zusehends ab. Auch in der Schule wurde der Stellenwert der deutschen Sprache seit den achtziger Jahren immer öfter hinterfragt (s. a. Kapitel V.). So antwortete Laura Zuccoli, die sich als Vorsitzende der ASTI für die Rechte der Immigranten einsetzt, bezogen auf die Frage, ob die Alphabetisierung auf Deutsch in Luxem‐ burg und der Stellenwert der deutschen Sprache in der Schule, denn überhaupt noch den Bedürfnissen der Gesellschaft entsprächen: Laura Zuccoli: „Also t’ass ganz kloer, wa mer dat lo reng statistesch gesinn, freet een sech firwat een iwwerhaapt nach eng Alphabetisatioun op Däitsch mécht. De Problem ass natierlech och deen, dat ass d’Fro jo dann natierlech och vun deem, deen eppes ze soen hutt hei am Land, dat ass de Lëtzebuerger, an deem ass jo dann eng däitsch Alphabetiséierung méi gerecht.“ 8 VI. Sprachwissen und Immigration 172 <?page no="173"?> 9 S. a. Unterkapitel 2. 10 Laura Zuccoli: „Ich habe eine Freundin, die hat mir erzählt, sie sei hier angekommen und habe, glaube ich, einen Monat gebraucht bis sie überhaupt mal gemerkt hat, dass da noch andere Sprachen sind, dass die Nationalsprache […] ja überhaupt nicht Fran‐ zösisch ist. […] Die hat gemeint, das wäre hier ein frankophones Land. Ihr ist aufge‐ fallen, dass da auch mal eine andere Sprache … also es ist ihr schon aufgefallen, dass Deutsch in den Zeitungen stand, dann dachte sie es gibt auch eine zweite [Sprache]. Aber bis sie mal herausgefunden hat, dass da [noch] Luxemburgisch [gesprochen wird] - ich glaube da war sie schon 6 Wochen hier, bis sie gemerkt hat, dass da auch noch etwas anderes gesprochen wird.“ Es sind, verglichen mit dem Stellenwert des Französischen, vergleichsweise we‐ nige Zuwanderergruppen und Grenzgänger, die die deutsche Sprache als Mittel der Verständigung in Luxemburg auswählen, was nicht bedeutet, dass die deut‐ sche Sprache diese Rolle überhaupt nicht übernimmt. 9 Aufgrund der verstärkten Verbreitung des Französischen und des seit 1984 stetig fortschreitenden funk‐ tionellen Ausbaus der luxemburgischen Sprache wird in der öffentlichen Wahr‐ nehmung allerdings oft ein Bedeutungsrückgang der deutschen Sprache ange‐ nommen, gerade weil sie im Land vor allem als ‚rezeptive’ Sprache verwendet wird. Zuccoli wählte das Beispiel einer Freundin, um zu zeigen, dass Luxemburg vielen Zuwanderern im ersten Moment als frankophones Land erscheint: Laura Zuccoli: „Ech hunn eng Frëndin, dat huet mer erzielt. Dat ass komm. Dat huet mengen ech ee Mount gebraucht bis et iwwerhaapt mol gemierkt huet, dass do aner Sproochen [wieren], [dass] d’Nationalsprooch […] jo iwwerhaapt net Franséisch [wier]. […] T’huet gemengt, hei wier ee frankophont Land. T’huet gemierkt, dass och mol eng aner Sprooch … T’huet och scho gesinn, dass Däitsch an den Zeitungen stoung, dunn huet et geduecht, dass do mol eng zweet [Sprooch wier]. Bis et eraus‐ fonnt huet, dass do [nach] Lëtzebuergesch [geschwat gëtt] - ech mengen do war et scho 6 Wochen hei, bis et gemierkt hutt, dass do och nach eppes anescht geschwat gëtt.“ 10 Die französische Sprache, die in Luxemburg verwendet wird, nimmt aufgrund der verschiedenen Sprachgruppen, die sich ihrer bedienen und in Kontakt zu‐ einander treten, verschiedene Ausprägungen an: Es wird zum einen versucht, sie nach dem Vorbild zu verwenden, das in der Schule vermittelt wird - als konzeptionell-schriftliche, an der Pariser Norm orientierte, Varietät, deren Be‐ herrschung seit jeher ein Beleg für Herkunft und Bildungsstand ist. Zum an‐ deren wird das Französische von Grenzgängern vielfach als Erstsprache und von Einwanderern als Lerner-Varietät benutzt. Letztere begnügen sich oft damit, eine standardferne Form zu erlernen, die ihren Gebrauchszweck erfüllen soll (vgl. Timm 2014: 8). Es ist davon auszugehen, dass nicht nur „das Französische 1 Über Immigration diskutieren 173 <?page no="174"?> 11 Zur Frage einer Luxemburger ‚Standardvarietät’ des Deutschen s. a. Kapitel IX. 12 „Man muss den Ausländern sagen, dass sie willkommen sind, sich aber anpassen und integrieren müssen (das bedeutet nicht, dass sie ihre Identität aufgeben müssen). Die Sprache ist das wichtigste Integrationsinstrument und die müssen sie lernen; es ist eine Tatsache, dass die ‚Parlez français’-Mentalität jetzt schon Probleme bereitet“ (LW21: 21. 11. 1992). in Luxemburg […] keinesfalls homogen ist” (Timm 2014: 10), sondern auch für das Deutsche verschiedene Varietäten im Land festzustellen sind. Es gibt Zu‐ wanderer, die im Land das Standarddeutsche benutzen und einige, die eine lu‐ xemburgisch-deutsche ‚Pidginsprache’ bzw. Lernervarietät verwenden. Die deutsche Standardsprache wird darüber hinaus mündlich und schriftlich in der Schule vermittelt und findet in den Medien traditionell schriftlich Verwen‐ dung. 11 Die Position der französischen Sprache im Land wird in der Öffentlichkeit oft kritisiert. In ihrer Funktion als Vermittlungssprache zwischen Luxemburgern und Ausländern wird sie als Messwert angelegt, um den Grad der Überfremdung zu bewerten: Je öfter man sie gebrauchen muss, desto fortgeschrittener scheint die Überfremdung. Sie rückt so nicht selten ins Zentrum von Sprachdiskursen. Sie ist nicht mehr länger nur eine Prestigesprache und auch ihr Potenzial als lingua franca wird nicht immer anerkannt. Gerade in fremdenfeindlichen Dis‐ kussionen wird sie verbunden mit dem Bild des Ausländers, der sich nicht um Integration bemüht (s. a. Kapitel VII.). Ein Beispiel aus dem Medienkorpus: D’Auslänner musse gesot kréien, datt si wëllkomm sin, mâ datt si sech mussen upassen an integréieren (dat bedeit net, datt si hir Identitéit mussen opgin). D’Sprooch as dat wichtegst Integratiounsinstrument an déi musse si léieren; et as eng Tatsaach, datt d’“parlez français“-Mentalitéit elo schonns Problemer mécht (LW21: 21. 11. 1992). 12 Der zunehmende Stellenwert der französischen Sprache ändert wenig an der Bereitschaft luxemburgischer Schüler ihr Französisch weiter auszubilden. Sie wird immer mehr mit dem Negativwort Migrantensprache assoziiert, der Mi‐ grantensprache, mit der man im Alltag immer rechnen muss und dauernd kon‐ frontiert wird: Laura Zuccoli: „Fréier konnts du Franséisch, mee d’Geleeënheet fir et ze schwätzen, has de net immens, mee lo bass de dauernd ëmmer domat genervt. Dat hu mir jo och gesinn op eisen Interventiounen an de Schoulen. T’ass ëmmer op d’Franséischt ge‐ klappt ginn, op d’Frontalieren well se [d’Schüler] trotz all deenen tonne Stonne Fran‐ VI. Sprachwissen und Immigration 174 <?page no="175"?> 13 Laura Zuccoli: „Früher konntest du Französisch, aber die Gelegenheit es zu sprechen, hattest du nicht wirklich. Jetzt wirst du andauernd damit genervt. Wir haben das ja auch gesehen, als wir in den Schulen unterwegs waren. Es wurde sich andauernd über das Französische aufgeregt, über die Grenzgänger, weil sie [= die Schüler] trotz dieser tonnen Stunden, in denen sie Französisch lernen, noch immer nicht in der Lage sind es frei zu sprechen. Das ist stärker im klassischen Sekundarunterricht der Fall.“ 14 S. a. Daoust (2008: 440): „Language planning policies sometimes seem to develop as an afterthought following a period of socio-political turmoil such as when a country gains independence or when a political party is overthrown.“ 15 Auf die Bedeutung, die die Vereinigung für die Entwicklung der Sprachensituation in Luxemburg hat, wird in Kapitel VIII eingegangen. séisch nach ëmmer net capabel si fräi ze schwätzen. Dat ass méi staark nach am Classique.“ 13 Ein Effekt dieses Überdrusses ist die verstärkte Hinwendung der luxemburgi‐ schen Sprachgruppe zum deutschen Sprachraum. In Kapitel VII. wird deutlich, dass die Einstellung zur deutschen Sprache äußerst positiv ausfallen kann, wenn die Position der Vermittlungssprache Französisch kritisiert wird. Der Vermitt‐ lungswert der französischen Sprache wird zwar als hoch eingeschätzt, aber die Loyalität gegenüber dem Luxemburgischen ist ungebrochen, wie weitere Er‐ gebnisse der bereits zitierten Jeudi-Umfrage aus dem Jahr 2007 belegen: S’il ne fallait connaître qu’une seule des trois langues du pays, le luxembourgeois s’imposerait (59 %) facilement devant le français (32 %) et l’allemand (4 %). Cependant les avis divergent selon les nationalités. Les luxembourgeois défendent leur langue. 72 % considèrent sa connaissance comme prioritaire. Par contre, les étrangers lui pré‐ fèrent le français à 44 % (40 % pour les luxembourgeois). Chez les Portugais, la préfé‐ rence pour la langue de Voltaire monte à 58 % (luxembourgeois 40 %) (LJ49 : 17. 04. 2007). Peporté et al. (2010: 295) stellen fest, dass zwischen 1970 und 1985 „a lot of effort was put into renewing the esteem for the language [Luxemburgisch] by associa‐ tions, state and in cultural circles.“ 14 1971 wurde die Vereinigung Actioun Lëtze‐ buergesch (AL) gegründet. Sie schuf 1976 die Möglichkeit, Luxemburgisch als Fremdsprache zu erlernen. Zudem versuchte sie mithilfe des Hörfunks und der Presse, die Bevölkerung für den Ausbau und die politische Aufwertung der lu‐ xemburgischen Sprache zu sensibilisieren (vgl. LW16: 19. 06. 1993). 15 Auf der politischen und medialen Diskursebene setzt sich die Kollokation „Integrations‐ sprache + Lëtzebuergesch” durch: La langue luxembourgeoise, premier facteur d’intégration et de rapprochement entre Luxembourgeois et étrangers (LW3 : 7. 12. 1998). 1 Über Immigration diskutieren 175 <?page no="176"?> in Hindernis auf dem Weg zur Integration sind oft die Sprachunterschiede zwischen Einwanderern und Einwohnern und die Hemmungen für viele Ausländer, die luxem‐ burgische Sprache zu erlernen und zu sprechen. Das führt dazu, dass auf beiden Seiten der Kontakt erschwert wird. Viele luxemburgische Einwohner sind der Meinung, dass das Erlernen ihrer Muttersprache das wirksamste Mittel zur Integration darstellt (LW19: 13. 03. 1999). Bommes (vgl. 2006: 59) zufolge gibt das politische Konzept ‚Integration durch Sprache’ eine Antwort auf die Frage, wie sich der Begriff ‚Integration’ organi‐ satorisch ausgestalten lässt. Die Vermittlung der Sprachpraxis des Ziellandes wird als wichtiger Schritt der Angleichung an die Zielkultur gesehen. Integra‐ tionskurse sind so nicht selten hauptsächlich Sprachkurse. Indem man die Be‐ sucher dieser Kurse registriert, wird Integration messbar. Die Diskursanalyse lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Integrationswille an der Be‐ reitschaft festgemacht wird, Luxemburgischkenntnisse zu erwerben. Die lu‐ xemburgische Sprache hat durch ihren Status als Integrationssprache, als Bin‐ deglied der Gesellschaft, an Ansehen hinzugewonnen und auf diese Weise von der Migration und dem Zuwachs der Fremdsprachen profitiert. Olivier Mores ließ im Experteninterview die Entwicklung Luxemburgs in 30 Jahren Revue passieren und wies auf die signifikanten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen hin, die in vergleichsweise kurzer Zeit durchlebt wurden und alle sozialen Domänen tangierten: Olivier Mores: „Virun 30 Joer [1982] war Lëtzebuerg aneschters. Also wann Der déi soziologesch … also d’Population … déi soziologesch Entwécklung kuckt. […] Virun 30 Joer, du ware jo vill manner Auslänner hei an och Frontalieren. Dat ass jo an 30 Joer explodéiert.“ F. S.: „Rasant.“ Olivier Mores: „Also virun 30 Joer, wou war ech do drun? Dun hat ech knapps als Journalist ugefaangen. Also do war dee ganze Frontaliersdéngen net do, d’Commu‐ nautéiten an all déi ganz auslännesch Boiten, dat hat jo net déi Dimensioun, déi et haut hutt. An och am Bankewesen, do ware mir Lëtzebuerger am Bankewesen, haut VI. Sprachwissen und Immigration 176 <?page no="177"?> 16 Olivier Mores: „Vor 30 Jahren [1982] war Luxemburg noch anders. Also wenn Sie sich die soziologische … also die Bevölkerungszusammensetzung … die soziologische Ent‐ wicklung ansehen. […] Vor 30 Jahren waren viel weniger Ausländer hier und auch we‐ niger Grenzgänger. Das ist ja innerhalb von 30 Jahren explodiert.“ F. S.: „Und zwar ra‐ sant.“ Olivier Mores: „Also vor 30 Jahren, was habe ich zu dieser Zeit gemacht? Da hatte ich gerade angefangen als Journalist zu arbeiten. Also da gab es diese ganze Grenzpendler-Geschichte noch nicht, die verschiedenen Gemeinschaften und all diese ausländischen Firmenniederlassungen, das hatte ja nicht die Dimension, die wir heute kennen. Und auch im Bankenwesen, da waren wir Luxemburger im Bankenwesen, heute sind ja ganz viele Ausländer dort beschäftigt. Also Luxemburg hat sich in den letzten 30 Jahren verändert und das müssen Sie natürlich in Ihrer Arbeit berücksich‐ tigen, das ist klar.“ si jo ganz vill Auslänner do. Also Lëtzebuerg huet sech an deene leschten 30 Joer verännert an dat musst Dir natierlech do mat eranhuelen, dat ass kloer.“ 16 2 Sprachwissen und Integration Die Mehrheit der Zuwanderer verfügt bereits bei ihrer Ankunft über eine Sprache, die es ihr erlaubt sich in Luxemburg zurechtzufinden. Wenn es darum geht, Zugang zu den wichtigsten Teilsystemen der Gesellschaft zu bekommen (mit den Behörden Kontakt aufzunehmen, eine Arbeitsstelle, eine Wohnung in Luxemburg zu finden, …), reichen die mitgebrachten Sprachen oft aus. Dieser erste Integrationsschritt kann als strukturelle Integration bezeichnet werden (vgl. Heitmeyer / Anhut 2000: 46). Nicht selten gehören Betroffene einer der domi‐ nierenden Migrantengruppen an und stellen fest, dass sie lediglich eine abge‐ schwächte Form der sozialen Integration anstreben müssen, weil sie einerseits über ihre Erstsprache Zugang zu allen relevanten Bereichen und Informationen erhalten und andererseits auch eine sozio-emotionale Integration durch die Prä‐ senz ihrer Sprachgemeinschaft im Zielland ohne große Anstrengung möglich sein wird. Im Experteninterview meinte Laura Zuccoli, dass die Integration por‐ tugiesischer Migranten in die luxemburgische Gesellschaft vor zehn bis zwanzig Jahren noch einfacher zu bestreiten war als heute. F. S.: „Virun 10 Joer war dat alles méi einfach? “ Laura Zuccoli: „T’huet sech och geännert, well déi Populatioun lo massiv do ass. 80 000 Léit, dat sinn der vill, a si sech och an enger Gesellschaftsschicht massiv erëm‐ fënnt an déi ass och nëmme vun där dominéiert. Dir hutt vill manner déi Problematik zum Beispill bei de Leit aus dem Balkan. Si si manner zahlreich. Si si méi duerchwu‐ essen […], se hunn och oft een anere Bildungsniveau. Si sinn oft besser vun hirem Bildungsgrad hir. An en plus, wat nach derbäi kënnt: Fréier hu se a Portugal Franséisch 2 Sprachwissen und Integration 177 <?page no="178"?> 17 F. S.: „Vor 10 Jahren war alles einfacher? “ Laura Zuccoli: „Es hat sich auch geändert, weil diese Population jetzt massiv da ist. 80 000 Leute, das sind viele und sie finden sich auch in einer Gesellschaftsschicht massiv wieder und die wird auch nur von dieser Population dominiert. Sie finden diese Problematik weitaus weniger bei den Leuten aus dem Balkan. Die sind weniger zahlreich. Sie sind mehr durchwachsen […], sie haben auch oft ein anderes Bildungsniveau. Sie sind oft besser von ihrem Bildungsstand her. Und, was noch hinzukommt, früher haben sie in Portugal Französisch als zweite Sprache gelernt, heute ist es Englisch. Das macht einen Riesenunterschied! Das glaubt man nicht, aber das ist ein Unterschied, denn dann haben diese Leute nicht mal mehr die Basis, die sie sonst hatten, um ein Minimum [zu sprechen].” 18 Reinigungsunternehmen, das jetzt Teil des Dienstleisters Dussmann ist. 19 Laura Zuccoli: „Wenn ich Putzfrau bin und ich will bei Pedus arbeiten, dann habe ich jedes Interesse daran, Portugiesisch zu können, ganz einfach, nicht Luxemburgisch, nicht Französisch, nicht Deutsch, sondern Portugiesisch, beziehungsweise eine Sprache aus dem Balkan.“ als zweet Sprooch geléiert. Haut ass et Englesch. Ben, dat ass ee Risenënnerscheed! Dat denkt een net, mee dat ass een Ënnerscheed, well dann hunn déi Leit mol net déi Basis, déi se soss haten, fir ee Minimum [ze schwätzen].“ 17 Mittlerweile besteht bei Neuankommenden die Tendenz, die soziale Integration in die Gesellschaft nicht weiter voranzutreiben, da ihre Zuwanderungsgruppe auf nahezu allen sozialen Feldern anzutreffen ist. Fasold (vgl. 2004: 10) weist mit Bezug auf Lieberson et al. (1975) darauf hin, dass kleinere Zuwanderergruppen sich normalerweise in sprachlicher Hinsicht relativ schnell assimilieren, wäh‐ rend Gruppen, die eine massenhafte Zuwanderung kennzeichnet, ihre Sprache tendenziell länger beibehalten und sich dem Sprachverhalten des Ziellandes weniger angleichen. Hillmann (vgl. 2007: 384) erklärt, dass mit zunehmender Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft eine abgeschwächte Form der Integration von Zuwanderern möglich werde, die dann bei hinreichender Toleranz der angestammten Bevölkerung eher die kulturelle Identität ihrer Her‐ kunftsgesellschaft aufrechterhalten könnten. Enklaven mit eigener Sprache, ei‐ genem Arbeitsmarkt und Dienstleistungsangebot, sprich kleine Parallelgesell‐ schaften, würden sich ausbilden (vgl. ebd.). Tatsächlich arbeiten bis heute überwiegend portugiesische Einwanderer im Bau-, Handwerks- und Dienstleis‐ tungsbereich, so dass diese Berufsfelder auch sprachlich von ihnen dominiert werden (vgl. Telecr: 07. 07. 2007): Laura Zuccoli: „Wann ech Botzfra sinn an ech well bei Pedus 18 schaffe goen, dann hunn ech Interêt Portugisesch ze kënnen, ganz einfach, net Lëtzebuergesch, net Fran‐ séisch, net Däitsch mee Portugisesch, respektiv eng Sprooch aus dem Balkan.“ 19 F. S.: „Wéi een Androck hunn dann d’Migranten, wann se hei an d’Land kommen, vun der Sproochesituatioun? “ VI. Sprachwissen und Immigration 178 <?page no="179"?> 20 F. S.: „Welchen Eindruck haben denn die Migranten von der Sprachensituation, wenn sie ins Land kommen? “ Laura Zuccoli: „Ich denke auf den ersten Blick sind sie ganz glück‐ lich darüber, dass sie nicht unbedingt diesen Aufwand auf sich nehmen müssen, aber auf den zweiten Blick merken sie, dass es Ausschluss und Isolation bedeuten kann, wenn du hierher kommst und dich mit der Situation arrangierst … Ich denke, ich nehme jetzt mal das Beispiel der Portugiesen, was ja auch jetzt […], das darf man ja auch nie ver‐ gessen, dass das natürlich eine Gesellschaftsschicht ist, die jetzt nicht unbedingt so so …, das sind eher die Arbeiter, qualifiziert oder auch nicht. Und da ist es tatsächlich so, dass die, die im Moment kommen, es schwer haben, weil sie nicht mal Französisch lernen. Sie haben ihr Fernsehen hier auf Portugiesisch, sie gehen einkaufen auf Portugiesisch, in jeder Bank sorgt man mittlerweile dafür, dass an irgendeinem Schalter ein Portugiese sitzt. Kaufen Sie nun bei Match, Cactus oder Auchan ein, da wird jemand sein, der Por‐ tugiesisch kann, d. h. ich kann extrem gut zurechtkommen und wenn die Kinder dann bis in der Schule sind, oder wenn sie merken, dass es ein Problem gibt, ich weiß nicht in Bezug auf ihre Rechte, dann kommt die Situation. Und dann sagen sie: „Merde, wenn ich jetzt aber Französisch könnte, das wäre besser! “ Sie wollen dann auch diesen Schritt machen, um Französisch zu lernen, aber je nachdem, wo du arbeitest und du lebst, ist die Praxis vom Französischen nicht mal gegeben.“ Laura Zuccoli: „Ech mengen op deen éischte Bléck si se ganz frou doriwwer, dass se net onbedéngt deen Effort musse maachen, awer op deen zweete Bléck mierke se awer, dat ass ee Facteur d’Exklusioun an d’Isolatioun. Well wann s du lo heihinner kënns an du arrangéiers dech mat enger Situatioun … Ech denken ech huele lo mol d’Beispill vun de Portugisen, wat jo, och elo […], dat muss een jo och ni vergiessen, t’ass na‐ tierlech eng Gesellschaftsschicht, déi lo net unbedéngt sou sou …, dat sinn éischter d’Aarbechter, qualifizéiert oder och net. An do ass et esou, dass effektiv de Moment déi, déi elo kommen, et schwéier hunn, well se mol net Franséisch léieren. Well se hunn hir Tëlee op Portugisesch, si ginn akafen op Portugisesch, an all Bank suergen se mëttlerweil dofir, dass an iergendengem Guichet ee Portugis sëtzt. Dir gitt an de Match an de Cactus, an den Auchan akafen, do ass een, dee Portugisesch kann, d. h. ech ka mech extrem gutt debrouilléieren. A wann dann d’Kanner bis an der Schoul sinn oder wann se da gesinn, dass ee Problem ass, ech weess net vu Rechter, da kënnt d’Situatioun. An da soe se: „Merde, wann ech awer lo Franséisch kinnt, wär et awer besser! “ Si wëllen dann och de Schratt maache fir Franséisch, mee deemno wou s du schaffs an deemno wou s du liefs, ass d’Praxis souguer vum Franséischen net evi‐ dent.“ 20 Wer nach Luxemburg kommt und keine der drei Landessprachen beherrscht, muss sich entscheiden, welche Sprache er zuerst erlernen will. Je nachdem wel‐ ches Integrationsstadium der Betroffene erreichen möchte, kann die Wahl der Sprache eine andere sein. F. S.: „Dat heescht Dir géift soen, déi Méisproochegkeet oder déi verschidde Sproochen sinn och net onbedéngt … si si keen Hindernis fir een, deen an d’Land kënnt? “ 2 Sprachwissen und Integration 179 <?page no="180"?> 21 F. S.: „Sie würden also sagen, dass die Mehrsprachigkeit oder die verschiedenen Sprachen nicht unbedingt …, dass sie kein Hindernis darstellen für jemanden, der ins Land kommt? “ Laura Zuccoli: „Also in Luxemburg ist es so, dass die Mehrsprachigkeit verschiedene Dinge vereinfacht. Wenn du jetzt beispielweise eine zweite Sprache lernen wolltest oder aus einem Land kommst, in dem die Sprache gesprochen wird, die hier in Luxemburg vorkommt, ist es einfacher als in einem anderen Land. Wenn ich jetzt nach Schweden gehe, tja dann muss ich Schwedisch lernen! Daran führt kein Weg vorbei! Hier ist das nicht der Fall. Es hat allerdings den Nachteil, dass man dann aber auch nicht so richtig motiviert ist bzw. nicht so richtig muss.“ 22 F. S.: „Übernimmt denn auch manchmal das Deutsche die Funktion der Integrations‐ sprache? “ Laura Zuccoli: „Meiner Meinung nach hängt das davon ab, wo Sie arbeiten, von der Branche in der Sie tätig sind, und dann der Region, in der sie wohnen und dem Milieu, in dem sie sich bewegen. Sie können hier in Luxemburg mit Englisch überleben. Sie können hier in Luxemburg mit Portugiesisch überleben. Das wird gar kein Problem sein. Sie können einkaufen gehen. Sie haben höchstens ein Problem, wenn sie in einer Behörde etwas zu regeln haben, wenn überhaupt, denn die sprechen ja alle Englisch, Portugiesisch, da wird dann schon jemand sitzen, der das kann. […] Und das bedeutet, dass du dadurch eine Situation hast, in der du keine einheitliche Integrationssprache mehr hast, das hast du hier nicht. Das gibt es hier nicht! “ Laura Zuccoli: „Also zu Lëtzebuerg ass et esou, d’Méisproochegkeet vereinfacht verschidde Saachen. Vue dass de, wann s de elo eng zweet Sprooch wollts oder aus engem Land kënns, wou d’Sprooch hei geschwat gëtt, ass et méi einfach wéi an engem anere Land. Wann ech elo a Schweden ginn, ben da muss ech Schwedesch léieren! Ne do kommen ech guer net derlaanscht! Hei ass dat net de Fall. T’huet awer de Nodeel, dass de dann awer net sou richteg motivéiert bass, respektiv net sou richteg muss […]“ 21 F. S.: „Ass d’Integratiounssprooch dann heiansdo iwwerhaapt Däitsch? “ Laura Zuccoli: „Menger Ansiicht no hänkt dat dervun of, wou Der schaffe gitt, d’Branche, wou Der schafft, an dann d’Regioun, wou Der wunnt an de Milieu, deen Der cotoyéiert. Hei zu Lëtzebuerg kënnt Dir mat Englesch iwwerliewen. Dir kënnt hei zu Lëtzebuerg mat Portugisesch iwwerliewen. Dat ass guer kee Problem. Dir kënnt akafe goen. Deen eenzege Problem, deen der hutt, ass, Dir gitt villäicht an eng Admi‐ nistratioun - an dann nach. Déi schwätze jo all Englesch, Portugisesch. Do sëtzt da schonn een. […] An dat heescht du hues am Fong doduercher eng Situatioun, dass de keng eenheetlech Integratiounssprooch méi hues, dat hues de hei net. T’gëtt et net! “ 22 Zur Integrationssprache kann also für den einen die englische Sprache werden, für den anderen die französische. Es kann die deutsche Sprache sein, es kann Italienisch, Portugiesisch, Serbokroatisch, Luxemburgisch oder eben auch eine beliebige andere Sprache sein. Von der gewählten Sprache hängt es allerdings ab, wie weit die gesellschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten gehen, mit der VI. Sprachwissen und Immigration 180 <?page no="181"?> 23 F. S.: „Muss man denn Luxemburgisch beherrschen, um am politischen Prozess teilhaben zu können? “ Laura Zuccoli: „Um im Moment politisch teilzunehmen schon. Wenn du jetzt keine Rolle spielen willst, wenn du dich nur einbringen willst, dann kannst du das auch mit deinen Französischkenntnissen, mit deinem Deutsch, mit deinem Eng‐ lisch, […] aber wenn du eine politische Aufgabe übernehmen willst […] in einer Ge‐ meine, in einer Kommission, kommst du schnell an deine Grenzen. Das ist klar. Aber das ist ja nur die absolute Minorität, die das anstrebt! Die Mehrheit kommt hierher, weil sie sich ein besseres Leben aufbauen will, wenn möglich ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen will, weil sie möchte, dass die Kinder eingeschult werden.“ Sprachwahl öffnen oder schließen sich bestimmte berufliche Türen und vari‐ ieren folglich die Grade der strukturellen Systemintegration (Zugänge zu ge‐ sellschaftlichen Teilsystemen, Arbeits-, Wohnungsmärkten etc.), der instituti‐ onellen Sozialintegration (Teilnahmechancen am politischen Diskurs und Entscheidungsprozess) und der sozio-emotiven Sozialintegration (Anerken‐ nung der personalen Identität durch das Kollektiv und die soziale Umwelt) (vgl. Heitmeyer / Anhut 2000: 48). Sprachbesitz und Sprachhandlungswissen werden damit zugleich Kapitalbesitz im Sinne Bourdieus. F. S.: „Brauch een da Lëtzebuergesch fir politesch ze participéieren? “ Laura Zuccoli: „Jo also de Moment fir wëllen politesch ze participéieren. Wann s de lo kee Roll wëlls spillen, wann s de dech just wëlls abréngen, da kanns de [dat] och mat dengem Franséischen, mat dengem Däitschen, mat dengem Engleschen, […] mee wann s de der wëlls eng Roll ginn […], an enger Gemeng, an enger Kommissioun, also da kënns de schnell op deng Limiten. Dat ass kloer. Mee dat ass jo eng immens Mi‐ noritéit! Déi grouss Majoritéit, déi kommen heihinner, well se sech wëllen engt bessert Liewen opbauen, wa méiglech een Haus bauen oder een Appartement kafen, kucken dass hir Kanner ageschoult ginn.“ 23 Für Laura Zuccoli kann die luxemburgische Sprache auch zum Zweck der Aus‐ grenzung instrumentalisiert werden, um die Möglichkeiten von Zuwanderern einzuschränken und den Zugang zu bestimmten Rechten zu schützen. Die Sprachkenntnis wird dann zur Zugangsberechtigung oder -verwehrung. Laura Zuccoli: „A mir hunn jo nach ëmmer, also Lëtzebuergesch ass jo nach keng Sprooch, déi an der Schoul opgewäert ass. T’ass jo u sech een Instrument, deen diffus ass an deen der just d’Dieren opmécht zu verschiddenen Aarbechtsdeeler, Partizipa‐ tiounsdeeler oder Positiounen an der Gesellschaft, déi dann nach net onbedéngt déi allertopst sinn, well déi allertopst, dat sinn jo net d’Lëtzebuerger. […] De Problem ass, dat si Saachen, da muss de dech schonn fir déi politesch Saachen interesséieren. E ganz 2 Sprachwissen und Integration 181 <?page no="182"?> 24 Laura Zuccoli: „Und wir haben ja noch immer, also Luxemburgisch ist ja noch keine Sprache, die in der Schule eine Aufwertung erfährt. Es ist ja sogesehen ein Instrument, das diffus ist und dir nur die Türen zu verschiedenen Berufssparten, Teilnahmerechten oder Positionen in der Gesellschaft öffnet, die ja dann nicht mal die allerbesten sind, denn die Topposten werden ja nicht von den Luxemburgern eingenommen. […] Das Problem ist, das sind Sachen, dann musst du dich schon für diese politischen Sachen interessieren. Ein ganz gewöhnlicher Ausländer, der eine Wohnung haben muss, der was zu essen haben will, der arbeiten geht und dann noch ein wenig Sport treibt, braucht der das [den Zugang zu diesen Rechten]? “ 25 Seit der Verabschiedung des Nationalitätengesetzes vom 23. Oktober 2008 ist die dop‐ pelte Staatsbürgerschaft erlaubt. Luxemburgischkenntnisse sind seit 1938 eine Voraus‐ setzung beim Erwerb der luxemburgischen Staatsangehörigkeit. Allerdings werden sie erst mit Inkrafttreten des neuen Gesetz systematisch überprüft (vgl. Berg 1993: 17). 26 Vom Test freigestellt sind Personen, die mindestens sieben Jahre ihrer Schulzeit in Lu‐ xemburg absolviert haben oder vor dem 31. Dezember 1984 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben und seit mindestens dieser Zeit in Luxemburg wohnen (vgl. Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung 2009: 18). Die staatliche Sprachprüfung umfasst einen mündlichen Test, in dem das Hörverständnis in der luxemburgischen Sprache überprüft wird (B1-Niveau) und einen weiteren mündlichen Test, in dem die Sprachverwendung auf A2-Niveau bewertet wird. 27 „„Permanent ecken wir bei der Sprachenproblematik an, denn sobald wir am Spra‐ chentest irgendwelche Änderungen vornehmen wollen, sagen sie nein, die Sprache ist bezogen auf die Nationalität so ein wesentlicher Punkt, dass wir da keine Erleichte‐ rungen ins Auge fassen können.““ (rtl.lu: 11. 11. 2015) normalen Auslänner, deen seng Wunneng muss hunn, deen iesse well, dee schaffe geet, en geet nach bësse Sport man, brauch en dat [deen Zougang]? “ 24 Der Zugang zur luxemburgischen Nationalität ist an den Nachweis von Luxem‐ burgischkenntnissen gebunden. 25 Die Beherrschung des Luxemburgischen wird mit dem sogenannten „Sproochentest Lëtzebuergesch” überprüft. 26 Das Institut National des Langues (INL) darf als einzige Einrichtung diesen Test durchführen (vgl. Presse- und Informationsamt der Regierung 2009: 19). In regelmäßigen Abständen befragt das Meinungsforschungsinstitut TNS-Ilres im Auftrag von RTL Lëtzebuerg und der Tageszeitung Luxemburger Wort die Bevölkerung zu verschiedenen tagesaktuellen Themen. Die Umfrage gilt als Politmonitor. Aus dem Politmonitor im Herbst 2015 ging hervor, dass die Bevölkerung sich kon‐ sequent gegen eine Vereinfachung des Sprachentests bei der Einbürgerung aus‐ spricht. Charles Margue von TNS-Ilres interpretierte bei RTL.lu die Umfrage‐ ergebnisse: „[P]ermanent ecke mer un der Sproocheproblematik [un], well esou bal mer un de Sproochentest wëllen ännere goen, soe se nee, d’Sprooch ass par rapport zur Natio‐ nalitéit een esou e wesentleche Punkt, datt mer do keng Erliichterunge kënnen an d’A faassen.“ 27 (rtl.lu: 11. 11. 2015) VI. Sprachwissen und Immigration 182 <?page no="183"?> 28 „Avoir faire preuve, avant l’admission au stage, d’une connaissance ‘adaptée au niveau de carrière’ des trois langues, sauf pour les emplois, à déterminer par règlement grand-ducal, pour lesquels la connaissance de l’une ou de l’autre de ces langues n’est pas reconnue nécessaire en raison de la nature et du niveau de responsabilité de ces emplois“ (Portail de la fonction publique 2015). 29 Zum Sprachgebrauch am Gericht, s. a. Exkurs: ‚Gesetzes- und Gerichtssprachen’ in Kapitel VIII. 30 In Kapitel 1 des Gesetzestextes über die Zugangsvoraussetzungen zum Beruf des Me‐ diziners steht unter Artikel 2, Absatz 1: „Par dérogation aux dispositions de l’article 1er, l’autorisation d’exercer les activités de médecin peut être accordée par le ministre de la santé, dans des cas exceptionnels à un ressortissant d’un Etat non membre de l’Union eu‐ ropéenne ou à un apatride remplissant les conditions prévues sous b) c) et d) de l’article 1er justifiant avoir des connaissances linguistiques suffisantes à l’exercice de sa profession dans au moins deux des langues administratives définies à l’article 3 de la loi du 24 février 1984 sur le régime des langues …“ (Mémorial 1995: 1802) Luxemburgischkenntnisse werden als unabdingbare Voraussetzung für den Zu‐ gang zur Nationalität erachtet, da sie als ihr wesentlichstes Erkennungszeichen aufgefasst werden. Für einen Großteil der Bevölkerung sind Sprache und Nati‐ onalität unauflöslich verbunden. Die Definition eines Luxemburgers beinhaltet Luxemburgischkenntnisse. Eine Relativierung ihrer Bedeutung über eine Ver‐ einfachung des Sprachentests wird vehement abgelehnt. Des Weiteren öffnet erst der Nachweis von sehr guten Kenntnissen in den drei Landessprachen (Deutsch, Französisch und Luxemburgisch) den Zugang zu Stellen beim öffentlichen Dienst in Luxemburg. Nur für bestimmte staatliche Stellen, die in der Regel keinen Kundenkontakt vorsehen, müssen nicht alle Sprachen beherrscht werden. 28 Die luxemburgische Gesetzgebung schreibt vor, dass Anwälte, die bei den Anwaltskammern in Luxemburg oder Diekirch re‐ gistriert sind, die drei administrativen Sprachen des Landes beherrschen müssen. Dasselbe gilt für Richter, die vor ihrer ersten Berufung ausreichende Kenntnisse in den drei Sprachen vorweisen müssen. 29 In den genannten Berei‐ chen soll auf diesem Weg gewährleistet werden, dass das Personal den Sprach‐ präferenzen der jeweiligen Sprachgruppen im Land entgegenkommen kann. So steht auch im Gesetz über den Zugang zu Gesundheitsberufen: La personne exerçant une de ces professions est tenue d’acquérir les connaissances linguistiques nécessaires à l’exercice de son activité professionnelle au Luxembourg. (Mémorial 2011a). Es steht Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen jedoch frei zu entscheiden, wie eng sie diese Vorgabe fassen. Bei Medizinern verlangt man die Kenntnis von zwei der drei Amtssprachen (vgl. Fehlen 2008: 52). 30 Während 1984 nur in 46 % aller Stellenanzeigen für den Luxemburger Arbeitsmarkt überhaupt Sprachan‐ 2 Sprachwissen und Integration 183 <?page no="184"?> 31 Laura Zuccoli: „Also in Luxemburg ist es nicht so wie in anderen Ländern. In Luxem‐ burg ist die Sprache des Arbeitsmarktes nicht die gleiche wie die, die aus Sicht des Bürgers die Integrationssprache ist. Auf dem Arbeitsmarkt werden natürlich in man‐ chen Bereichen Luxemburgischkenntnisse gefordert, aber in vielen sind sie überhaupt nicht gefragt. […] Mir ist in Studien, die die Sprachanforderungen auf dem Arbeitsmarkt untersucht haben, immer wieder aufgefallen, dass Luxemburgisch da absolut nicht den ersten Rang belegt und dass es da ganz klar eine Segmentierung des Arbeitsmarktes gibt.“ forderungen genannt wurden, listen 2009 bereits 70 % aller Jobanzeigen explizit die Sprachen auf, die potenzielle Bewerber mitbringen müssen (vgl. Fehlen 2012a: 120). Französisch steht mit 61,1 % statistisch gesehen an erster Stelle der geforderten Sprachen, unmittelbar dahinter folgt aber der Nachweis von Deutschkenntnissen mit 54,9 % (vgl. Fehlen / Pigeron-Piroth 2010: 14 f.; Sieburg 2013: 93). Luxemburgisch wird in 44,6 % der Jobanzeigen gefordert, Englisch in 21 % der Anzeigen (vgl. ebd.). Laura Zuccoli erklärte, dass sich die Sprachanfor‐ derungen, die die verschiedenen Branchen der Arbeitswelt stellen, voneinander unterscheiden und von jenen abweichen, die für eine sozio-emotive Integration in die luxemburgische Sprachgemeinschaft gefragt sind: Laura Zuccoli: „Also zu Lëtzebuerg ass et net esou wéi an aneren Länner. Zu Lëtze‐ buerg ass d’Aarbechtsmaartssprooch net d’Integratiounssprooch, wann ech déi als Bierger gesinn. Am Aarbechtsmaart ass natierlech a verschidde Secteuren Lëtzebu‐ ergesch gefrot, mee a ville, ville Secteuren ass et iwwerhaapt net gefrot. […] Mir ass ëmmer erëm opgefall, dass wann d’Evaluatioune vun de Sproochen um Aarbechts‐ maart gemaach goufen, Lëtzebuergesch absolut net als éischt komm ass. An dass et eng Segmentatioun ganz kloer gëtt vum Aarbechtsmaart.“ 31 Auch Fehlen (2012a; 2001) ist der Ansicht, dass der luxemburgische Arbeits‐ markt keine einheitlichen Sprachanforderungen stellt, sondern eine mehrfache Segmentierung aufweist, die einzelnen Bereiche je unterschiedliches Sprach‐ wissen verlangen. Während im Öffentlichen Dienst Luxemburgischkenntnisse die unabdingbare Voraussetzung sind, stellen sie in der Privatwirtschaft in man‐ chen Bereichen lediglich eine Zusatzqualifikation dar, da weder die Dienstleis‐ tung, die hier erbracht wird noch die Zusammensetzung der Angestellten Lu‐ xemburgischkenntnisse erfordert (Fehlen 2001: 140). Neben der Unterscheidung ‚öffentlich vs. privat’, ist eine weitere Unterscheidung jene zwischen dem Tra‐ ditionellen luxemburgischen Arbeitsmarkt auf der einen Seite (mit dem Öffentli‐ chen Dienst, Bildungssektor, Kleingewerbe, Handwerk) und dem internationalen Arbeitsmarkt (mit den europäischen Institutionen, inter- und multinationalen Unternehmen) auf der anderen Seite (vgl. ebd.). Auf dem traditionellen Arbeits‐ markt werden für die meisten Berufe Kenntnisse in den drei Landessprachen VI. Sprachwissen und Immigration 184 <?page no="185"?> 32 Laura Zuccoli: „Es ist aber so: Wenn du ein hochqualifizierter chinesischer Arbeiter bist, dann reichen Englischkenntnisse bei weitem aus. Du setzt deine Kinder in eine europäische oder internationale Schule hier. Du weißt ja nicht, wie lange du bleiben wirst. Es ist kein großes Land, d. h. die luxemburgische Sprache hat auch keine inter‐ nationale Bedeutung, Englisch oder Französisch dagegen schon.“ 33 Laura Zuccoli: „Ich wiederhole es noch einmal: In manchen Industriebereichen, in manchen Banken ist das […] vollkommen egal. […] ‚Money’ ist nicht Luxemburgisch, ‚Money’ ist dein Englisch.“ verlangt und auch in Interaktion mit den Arbeitskollegen, mit Kunden und im Arbeitsprozess benötigt, während auf dem internationalen Arbeitsmarkt vor allem Englisch- und Französischkenntnisse gefordert werden und keineswegs alle drei Landessprachen erforderlich sind. Die ersten hochqualifizierten Ar‐ beitskräfte, die vom internationalen Arbeitsmarkt in Luxemburg angezogen wurden, kamen etwa zeitgleich mit den ersten Portugiesen nach Luxemburg (vgl. Hausemer 2008a: 6). Fehlen (2009: 53) zufolge bewegen sich diese hoch‐ qualifizierten Arbeitnehmer größtenteils auf einem „sprachlich exterritorialen Gebiet.” Auf diesem wird die Sprachkultur des Herkunftslandes fortgeführt oder Englisch als Hauptinteraktionssprache benutzt. Laura Zuccoli erklärt, dass in diesen obersten Erwerbsklassen die Kenntnis der Landessprachen von unter‐ geordneter Bedeutung ist. Die Kontakte zur Zielgesellschaft bleiben einge‐ schränkt und es entsteht weder eine integrative noch eine instrumentelle Mo‐ tivation, die den Erwerb des Luxemburgischen oder eine Vertiefung der Deutsch- und Französischkenntnisse sinnvoll erscheinen lässt. Durch diese Mi‐ grationstypen gewinnt das Englische sukzessive an Bedeutung: Laura Zuccoli: „T’ass awer sou, dass wann s du ee chineseschen héichqualifizéierten Aarbechter [bass], Englesch largement duergeet. Du sëtz deng Kanner an eng euro‐ päesch Schoul oder du sëtz se an eng international Schoul [am Land]. Du weess jo net, wéi laang dass de hei bass. T’ass kee grousst Land, dat heescht déi lëtzebuergesch Sprooch huet keng international Bedeitung, wougéint Englesch oder Franséisch jo.“ 32 Wenn die Dauer des Aufenthalts absehbar ist und das finanzielle Kapital überall dort eingesetzt werden kann, wo Sprachprobleme auftauchen könnten (z. B. in der Schule), reicht Englisch vollkommen aus, um zurechtzukommen: Laura Zuccoli: „Ech widderhuelen et nach eng Kéier: A verschidden Industrien, a verschidden Banken ass dat […] egal. […] ‚Money’ ass net Lëtzebuergesch, ‚Money’ ass däin Englesch.“ 33 2 Sprachwissen und Integration 185 <?page no="186"?> 34 Das INL bietet in der Hauptstadt Sprachkurse in Luxemburgisch, Französisch, Englisch, Deutsch, Chinesisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch an. In Mersch können In‐ teressierte sich für Luxemburgisch-, Französisch- und Englischkurse einschreiben (vgl. Institut national des langues 2016). 35 Die Statistik wurde der Verfasserin vom INL zur Verfügung gestellt. 36 Das Nationalitätengesetz wurde im Oktober 2008 verabschiedet, dadurch hat die Zahl der Einschreibungen vermutlich zugenommen. 37 Laura Zuccoli: „Das heißt die drei Sprachen sind nicht unwichtig, sondern sie sind eine Zusatzqualifikation. Es kann auch die persönliche Einstellung sein, sich zu sagen: „Ich muss doch aber zumindest Deutsch können, um mich trotz allem ein wenig mit dem Durchschnitt der Bevölkerung hier unterhalten zu können.“ Aber diese Frage stellt sich in ganz anderem Ausmaß, wenn ich in Frankreich bin. In Frankreich würde ich mir nicht mal die Frage stellen! […] Ich glaube die luxemburgische Gesellschaft wird sich mit ihrer Vielsprachigkeit auseinandersetzen müssen und je vielsprachiger du in Lu‐ xemburg bist, mit desto mehr Gruppen kannst du in Kontakt treten und je weniger Sprachen du beherrschst, desto eher bleibst du isoliert und segmentiert in deiner Ecke.“ Am Institut National des Langues (INL) in Luxemburg können Interessierte di‐ verse Sprachen erlernen. 34 Das INL verzeichnet jährlich fast 10 800 Einschrei‐ bungen. 38 % der Lerner tragen sich für einen Französischkurs ein, für den Er‐ werb des Lëtzebuergeschen entscheiden sich 26 % und 12 % belegen einen Deutschkurs. Die deutsche Sprache belegt unter den acht am INL angebotenen Sprachen den vierten Platz. 35 Nicht selten wird jemandem, der die luxemburgi‐ sche Sprache erlernen möchte, empfohlen sich am deutschen Sprachsystem zu orientieren und zuerst Deutsch und danach erst das Lëtzebuergesche zu er‐ lernen. Besuchten im Jahr 2008 36 rund 1 641 Personen die Luxemburgischkurse des INL, so wurden im Schuljahr 2014-2015 bereits 3 253 Teilnehmer gezählt. Luxemburgisch zu lernen liegt somit im Trend. Dieser Trend wird staatlich ge‐ fördert, neben einer Reihe anderer Initiativen, haben Arbeitnehmer, Selbststän‐ dige und Freiberufler die Möglichkeit Sprachurlaub zu nehmen, um Luxembur‐ gisch zu lernen. Laura Zuccoli: „[…] Dat heescht déi 3 Sproochen, déi sinn net onwichteg, déi sinn eng wichteg Saach fir een Atout. T’kann och eng Astellung sinn, dass de sees: „Majo ech muss awer op mannst Däitsch kënnen, well ech muss jo awer bësse mat dem Duerchschnëtt vun der Bevëlkerung hei schwätzen.“ Mee dat stellt sech a ganz aneren Termen, wann ech a Frankräich sinn. A Frankräich do géing ech mer mol net de Ge‐ danke maachen! […] Ech mengen t’gëtt wahrscheinlech eng Gesellschaft, déi sech wäert musse mat der Villsproochegkeet auserneesetzen a wat s de méi villsproocheg bass zu Lëtzebuerg, wat s de mat méi Gruppe kanns schwätzen a wat s de manner villsproocheg bass, wat s de méi isoléiert a méi segmentéiert bleifs an dengem Eck.“ 37 VI. Sprachwissen und Immigration 186 <?page no="187"?> 38 Laura Zuccoli: „Die Internationalisierung der Sprachen an den Schulen, die gibt es auch im Ausland. Das heißt der Druck [nimmt zu und] wird ein ganz anderer. Früher waren wir glücklich, die [Ausländer] konnten ja sowieso kein Französisch, die hatten sowieso keine Ahnung.“ 39 F. S.: „Es war keine Konkurrenz da? “ Laura Zuccoli: „Es war keine da. Das ist jetzt vorbei. Also wir haben einen derart internationalen Arbeitsmarkt, da kommen Menschen von weit her, die extrem gute Sprachkenntnisse mitbringen.“ 40 Statec (2014a). 41 Die Zuwanderer aus der Balkanregion wurden hier zusammengerechnet: 2014 leben 904 Bulgaren, 2 527 Rumänen, 572 Slowenen, 666 Jugoslawen, 539 Albaner, 493 Kro‐ aten, 522 Mazedonier, 1 600 Kosovaren, 3 898 Montenegriner, 2 269 Bosnier und 2 429 Serben in Luxemburg (vgl. Statec 2014a). Es ist die Vielsprachigkeit, die heute in Luxemburg gefragt ist, um sich auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. Je vielsprachiger der Bewerber ist, desto besser kann er mit den verschiedenen Sprachgruppen im Land in Kontakt treten und sich von anderen Bewerbern absetzen. Es komme immer öfter vor, dass luxem‐ burgische Schul- und Studienabsolventen gegenüber den Sprachkenntnissen ausländischer Bewerber nicht mithalten könnten, so Laura Zuccoli. Laura Zuccoli: „[…][D]’Internationalisatioun vun de Sproochen an de Schoulen, dat gëtt et och am Ausland. Dat heescht den Drock gëtt ee ganz aneren! Fréier ware mir glécklech - déi [d’Auslänner] konnte wisou kee Franséisch, déi hate wisou keng Ah‐ nung.“ 38 F. S.: „T’war keng Konkurrenz do? “ Laura Zuccoli: „T’war keng do, dat ass awer elo riwwer. Also t’ass sou een interna‐ tionalen Aarbechtsmaart, do komme Leit vu wäit ewech, déi extrem gutt Sprooche‐ kenntnisser hunn.“ 39 Die Bedeutung, die die deutsche Sprache als Integrationssprache in Luxemburg einnimmt, wird im Diskurs kaum reflektiert - und wenn, dann nur mit Blick auf die Sprachpraxis in Zweigstellen deutscher Unternehmen oder sie reduziert sich auf die Interaktion mit Grenzgängern aus Deutschland. Dabei wird über‐ sehen, dass auch die deutsche Sprache zur Disposition steht, wenn eine Integ‐ rationssprache ausgewählt werden muss. In Luxemburg leben 12 659 Deutsche und 807 Österreicher, bei denen von einer Präferenz für die Integrationssprache Deutsch ausgegangen werden kann. Auch für die Deutschschweizer unter den insgesamt 531 Schweizer Zuwanderern in Luxemburg könnte das Deutsche, die erste Integrationssprache sein. 40 Nicht selten verwenden oder erlernen auch Zuwanderer, etwa aus den Balkanländern (ca. 16 419 in Luxemburg), den Nie‐ derlanden (3 972), Tschechien (902), der Slowakei (718) oder aus Polen (3 432) 41 die deutsche Sprache als Kommunikations- und Integrationssprache in Luxem‐ 2 Sprachwissen und Integration 187 <?page no="188"?> burg, bevor sie sich andere Sprachen aneignen. Damjana Suliana Zorko, eine nach Luxemburg emigrierte Slowenin und DAF-Lehrerin im Lycée Technique du Centre, erklärte im Experteninterview, dass ihr relativ schnell bei ihrer An‐ kunft in Luxemburg klar wurde, dass das Deutsche als Kommunikationsmittel nicht ausreichen würde und der Erwerb der französischen Sprache für ihre per‐ sönlichen Integrationsvorstellungen unabdingbar sein werde. F. S.: „Wenn wir jetzt vom ‚Kapitalwert einer Sprache’, vom Wert einer Sprache, sprechen, dann wird der deutschen Sprache so gesehen nicht so viel Wert zugeschrieben? “ Damjana Suliana Zorko: „Ich glaube, das ist ganz klar die dritte Sprache in diesem Land. Ich glaube Luxemburgisch hat sie schon längst überholt vom Wert her und Französisch. Es ist alles auf Französisch. Die ganzen Dokumente, die wir bekommen von Staat, alles ist Französisch. Manchmal ist es auf Deutsch übersetzt, aber mein Mann und ich haben sehr schnell gemerkt, dass wir hier in diesem Land gut Franzö‐ sisch lernen müssen, als wir hergekommen sind vor acht Jahren.“ Im Juli 2003 nahm der damalige Justizminister Luc Frieden Stellung zu einer parlamentarischen Anfrage des Abgeordneten Jacques-Yves Henckes (vgl. LW18: 19. 07. 2003). Darin machte Henckes auf die, seiner Meinung nach, dis‐ kriminierenden Merkblätter zum Erhalt der luxemburgischen Nationalität auf‐ merksam. Die besagten Informationen seien nämlich ausschließlich auf Fran‐ zösisch verfügbar. Der Abgeordnete forderte, die Merkblätter auch in deutscher und luxemburgischer Sprache zur Verfügung zu stellen. Justizminister Frieden lehnte diesen Antrag ab. In seiner Antwort bezog er sich auf Artikel 2 des Spra‐ chengesetzes von 1984. Hierin sei festgelegt worden, dass die französische Sprache die offizielle Sprache der Gesetzgebung in Luxemburg sei. Artikel 2 würde somit den Gebrauch der französischen Sprache rechtfertigen für Merk‐ blätter, die über den Zugang zur Nationalität informieren (vgl. ebd.). Es sei weder diskriminierend noch unüblich Veröffentlichungen eines Gesetzes in Luxem‐ burg ausschließlich auf Französisch zu verfassen (vgl. ebd.). Nichtsdestotrotz verwies der Justizminister darauf, dass das Ministerium auf Nachfrage hin auch mündliche Auskünfte in den drei offiziellen Landessprachen erteile und der Staat im Rahmen seiner Möglichkeiten künftig ähnliche Informationen in meh‐ reren Amtssprachen verfassen würde (vgl. ebd). Beim Austausch mit den Be‐ hörden wird ein Migrant, der die deutsche Sprache als Integrationssprache ge‐ wählt hat, kaum auf Verständigungsprobleme stoßen. Wer in Luxemburg bei der öffentlichen Verwaltung arbeitet, muss Deutschkenntnisse vorweisen können. Probleme erwarten den Zuwanderer, wenn es darum geht, offizielle Dokumente zu verstehen, denn längst nicht alle Formulare, Anschreiben und Internetprä‐ senzen von Verwaltungen sind auf Deutsch verfügbar, obschon zweisprachige VI. Sprachwissen und Immigration 188 <?page no="189"?> Anschreiben die Regel und nicht die Ausnahme sind. Auch wenn die struktu‐ rellen Integrationsversuche mithilfe der deutschen Sprache schwieriger sein können als sie es mithilfe der französischen Sprache wären, so wird die weitere Sozialintegration, die institutionelle Sozialintegration (Teilnahmechancen am politischen Diskurs und Entscheidungsprozess) und die sozio-emotive Sozial‐ integration in die luxemburgische Gesellschaft mit Deutschkenntnissen mögli‐ cherweise leichter fallen. Die enge Verwandtschaft zwischen dem luxemburgi‐ schen und dem deutschen Sprachsystem führt dazu, dass der Kontakt zur luxemburgischen Sprachgruppe auf Deutsch barrierefreier verläuft und sie kann dazu beitragen, dass der Deutschsprecher ‚näher’, weniger fremd, erscheint. Wenn das Deutsche nicht perfekt als Fremdsprache beherrscht wird, kann es zur Ausbildung einer deutsch-luxemburgischen Pidginsprache kommen, die zur Verständigung eingesetzt wird und von der luxemburgischen Sprachgruppe als Integrationsbemühung positiv gewertet wird. Der Diskurs über die einzelnen Sprachen in Luxemburg wird in den letzten Jahren durch Konflikte angetrieben, die aufgrund der hier dargelegten demo‐ graphischen Entwicklung des Landes entstehen und vor allem auf Vorbehalten gegenüber dem Bedeutungszuwachs der französischen Sprache beruhen. Die deutsche Sprache hat als mündliche Kommunikationssprache in Luxemburg keinen Bedeutungszuwachs aufgrund der Migrationsbewegungen erfahren und wird deshalb eher als ‚stille’ Sprache wahrgenommen. Aus diesem Grund sind die Vorbehalte gegenüber der deutschen Sprache im Diskurs weniger aktuell, sie werden schlichtweg, aufgrund fehlender diskursiver Ereignisse, nicht reflek‐ tiert. Fehlens (2009: 49) Einschätzung, dass „eine zu korrekte Beherrschung dieser Sprache [der deutschen] […] nicht gern [in Luxemburg] gesehen [ist]”, kann nur noch eine eingeschränkte Gültigkeit zugesprochen werden. Die deutsche Sprache wird heute kaum mehr intuitiv und sofort mit der ‚Sprache des Besat‐ zers’ assoziiert, was nicht zu bedeuten hat, dass das historische Wissen über die Vereinnahmungsversuche des deutschen Nachbars nicht mehr präsent wäre. Im Diskurs über Sprache in Luxemburg und die damit verbundenen dominanten Themen ist die ‚Bedrohung’, die von der deutschen Sprache ausgehen könnte weit hinter die Gedanken getreten, die von manchen Diskursteilnehmern zum Bedeutungszuwachs des Französischen angestellt werden. 2 Sprachwissen und Integration 189 <?page no="190"?> 1 S. a. Wodak (2011). VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs Linguistische Diskursanalysen, die sich länderspezifischen Diskussionen über Migration und Integration zuwenden, müssen sich immer auch mit tendenziell fremdenfeindlichen Aussagen auseinandersetzen. Diese finden ihren Ausdruck in repetitiven Mustern der Eigen- und Fremdzuschreibung, in der Mobilisierung der ‚Wir’-Gruppe gegen die ausländische ‚Sie’-Gruppe 1 und in der Aufzählung jener Vorstellungen, die Zuwanderer erfüllen sollen, wenn sie eine vollständige Integration - verstanden als Assimilation - erreichen wollen. Auffällig ist, dass die Argumentationsmuster, die klassischerweise in fremdenfeindlichen Diskus‐ sionen auftauchen, in den entsprechenden Diskussionen in Luxemburg gerecht‐ fertigt werden durch eine mangelnde Bereitschaft der Zuwanderer Luxembur‐ gisch (oder zumindest Deutsch) zu erlernen. Zudem resultiert der Anlass sich kritisch gegen Ausländer zu äußern, oft aus der tief verwurzelten Unsicherheit im Umgang mit der - in fremdenfeindlichen Diskussionen deutlich als Fremd‐ sprache aufgefassten - französischen Sprache. Die Sprachkompetenzen der lu‐ xemburgischen Sprachgruppe auf der einen Seite und der zugewanderten oder ‚grenzpendelnden’ Sprachgruppen auf der anderen Seite sind in Luxemburg somit Anlass und Rechtfertigung von Fremdenfeindlichkeit. In diesen Diskus‐ sionen stehen allerdings nicht Portugiesisch, nicht Serbokroatisch, nicht Eng‐ lisch oder andere Zuwanderersprachen, sondern interessanterweise einzig und allein die drei Landessprachen ‚Luxemburgisch, Deutsch und Französisch’ als Stellvertreter für zwei gesellschaftliche Gruppen: die ‚Luxemburger’ und die ‚Ausländer’. Die Positionen, die die drei Sprachen im Land einnehmen - Lu‐ xemburgisch und Deutsch auf der einen Seite, Französisch auf der anderen Seite - werden zum Indikator für den Einfluss beider Gruppen, ‚Luxemburger’ und ‚Ausländer’, im Land. Auf der Website von RTL Lëtzebuerg (www.rtl.lu) und in dem sozialen Netz‐ werk Facebook lassen sich die offenen Einstellungen von Teilen der luxembur‐ gischen Bevölkerung besonders gut beobachten. RTL .lu ist laut der TNS - ILR eS-Plurimedia-Umfrage von 2014 das meistbesuchte luxemburgische Online-Nachrichtenportal (vgl. IPL -Marketing 2014). Einer Studie des natio‐ nalen Statistikinstituts Statec zufolge nutzen 60 % der Einwohner Luxemburgs im Alter zwischen 16 und 74 Jahren soziale Netzwerke (vgl. Tageblonline: <?page no="191"?> 12. 05. 2015). Dabei sind 57 % bei Facebook registriert, Twitter, LinkedIn und Google+ nutzen jeweils 8 bis 9 % - Instagram 3 % (vgl. ebd.). Zwischen den Mit‐ gliedern solcher Foren entsteht zuweilen eine Interaktivität, die einem Alltags‐ gespräch doch sehr nahe kommt. Der Faktor ‚Unmittelbarkeit / Zeit’ (Beiträge gehen mit einem Mausklick online) und die Aussicht am öffentlichen Diskurs konstitutiv mitzuwirken, tragen dazu bei, dass sich Menschen mittlerweile eher an Diskussionen in Internetforen beteiligen, als sich dazu entschließen ganz konventionell ihre Meinung in einem Leserbrief zu formulieren und diesen ab‐ zuschicken. Außerdem wird in der (Schein-)Anonymität des Internets generell ein geringerer Zwang verspürt, die eigenen Äußerungen an die von der Gesell‐ schaft akzeptierten Denkvorstellungen anzupassen. Um das Jahr 2008 nahm die Zahl der auf Facebook gegründeten Gruppen zu, in denen es um die Sprachensituation in Luxemburg ging. Die Diskussionen in einem Teil dieser Gruppen nahmen in der Folgezeit fremdenfeindliche Züge an, deren Ausmaß auch außerhalb des Internets von den luxemburgischen Medien verfolgt wurde: Aus irgendeinem Grund sind die Luxemburger in diesem Zusammenhang noch etwas zurückhaltender als ihre direkten Nachbarn in Belgien, Frankreich oder Deutschland. Außer selbstverständlich unter dem Deckmantel des Anonymats oder Nicknames in Internetforen und sozialen Netzwerken, wo der gemeine (dans tous les sens du terme) Luxemburger sich in den fast schon klassischen Hetztiraten äußert und sich traut, sein wahres Gesicht zu zeigen (Tagebl9: 12. 01. 2012). Die Popularität der besagten Gruppen ließ im Jahr 2012 nach, 2015 wurde kaum mehr eine der Gruppen aktiv betrieben. Grund war zum einen ein Layout-Wechsel bei Facebook und eine daraus resultierende Archivierung be‐ stehender Gruppen, zum anderen, dass ein Großteil dieser Gruppen, infolge der dort ablaufenden tendenziell fremdenfeindlichen Diskussionen, nach und nach viele der anfangs beigetretenen Mitglieder verlor. Die Argumentationsmuster, die in den Facebook-Gruppen benutzt worden waren, tauchen bis heute in re‐ gelmäßigen Abständen in den Diskussionsforen und unter den Nachrichtenbei‐ trägen der Website rtl.lu auf. Die Betreiber der Website sehen sich deshalb bei bestimmten Themen gezwungen die Kommentarmöglichkeit für Leser auszu‐ schalten: Et gi Sujeten, do zécke mer, d'Commentairen opzemaachen; klassescht Beispill: Flücht‐ lingsheemer. Do hu mer leider scho schlecht Erfarunge gemaach, och wann dee Fall, op dee mer hei uspillen, sech um Facebook ofgespillt huet. Esou e Sujet kann och d'Lëtzebuerger Sprooch sinn oder d'Geschäftswelt an der Groussregioun, wou een dann heiansdo den Androck kritt, hei wieren „Pressure groups“ um Wierk oder Leit, VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 191 <?page no="192"?> 2 „Es gibt Themen, da zögern wir Kommentare aufzumachen; klassisches Beispiel: Flücht‐ lingsheime. Da haben wir leider schon schlechte Erfahrungen gemacht, auch wenn der Fall, auf den wir anspielen, sich auf Facebook abgespielt hat. So ein Thema kann auch die luxemburgische Sprache sein oder die Geschäftswelt in der Großregion, wo man manchmal das Gefühl hat, hier wären „Pressure groups“ am Werk oder Leute, die auf‐ grund negativer persönlicher Erfahrungen allgemeingültige Behauptungen auf‐ stellen […].“ 3 Die ‚Fanseite’ ‚Police Grand-Ducale’ hat im März 2015 rund 27 604 „Gefällt mir-An‐ gaben“. déi aus negative perséinlechen Erfarungen allgemengülteg Behaaptungen op‐ stellen […] (vgl. Rtl.lu: Comments op oder zou? Firwat kann een net all Artikel op RTL.lu kommentéieren? ). 2 In der Stellungnahme zählt der Betreiber RTL NewMedia die luxemburgische Sprache als eines dieser typischen Themen auf, bei denen tendenziell fremden‐ feindliche Aussagen zu erwarten sind. Die Luxemburger Polizei machte ähnliche Erfahrungen, als sie im April 2012 ihren ersten eigenen Facebook-Auftritt an‐ legte. 3 Am 29. Juli 2012 und am 14. November 2012 veröffentlichte die Redaktion der Facebook-Seite folgende Stellungnahme auf Deutsch und auf Französisch: Liebe Facebookgemeinde, Da der Sprachgebrauch auf unserer Fanpage (Deutsch, Französisch, Luxemburgisch, Englisch …) immer wieder zu zum Teil sehr fragwürdigen Kommentaren führt, er‐ klären wir Euch unsere Vorgehensweise: Wir gehen davon aus, dass zumindest alle Fans, welche der Luxemburger Sprache mächtig sind, zumindest auch Deutsch und / oder Französisch verstehen. Zu unserer ständig wachsenden Fan-Gemeinde ge‐ hören viele Mitglieder, die unsere Sprache nicht beherrschen. Da unser Facebook nicht den Anspruch hat ein literarischer Debattierclub zu sein oder zu werden, sondern lediglich neutral und wirksam informieren will, benutzt die Polizei, je nach Meldung, die Sprache (Deutsch oder Französisch) welche kommunikationstaktisch (zum Bei‐ spiel für Zeugenaussagen oder Präventionsmaßnahmen) am erfolgversprechendsten ist. Facebook selbst bietet für jene, die der ausgewählten Sprache nicht mächtig sind, eine gratis Übersetzungsmöglichkeit. Es sind weitere ähnliche Produkte im offenen Handel. Und noch ein wichtiger Hinweis: xenophobe, rassistische oder andere dis‐ kriminatorische Kommentare werden strafrechtlich verfolgt! Wir bedanken uns für Euer Verständnis und Euer Engagement und wünschen weiter viel Spaß bei uns auf der Seite (Facebook: Police Grand-Ducale 2012). Die Betreiber warnten vor den strafrechtlichen Konsequenzen, die fremden‐ feindliche Äußerungen auf Facebook haben können. Außerdem erklärten sie, die Sprache ihrer Meldungen zielgruppenabhängig bzw. kommunikationstak‐ VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 192 <?page no="193"?> 4 Der Reihe nach übersetzt lauten die Titel: Ich spreche nur noch Luxemburgisch in den Geschäften; Auf FRANZÖSISCH! ! ! ! - Nein Monsieur / Madame … auf Luxemburgisch bitte; Luxemburgisch sprechen soll obligatorisch werden; Es soll Luxemburgisch in Lu‐ xemburg gesprochen werden; Luxemburgisch ist kein Französisch. Die Kommentare, die in den genannten Gruppen veröffentlicht wurden, werden im Folgenden so abgedruckt, wie sie dort erschienen sind. Rechtschreibfehler, die im Luxemburgischen gemacht wurden, werden nicht korrigiert. tisch auszuwählen. Die Sprachwahlentscheidungen auf der Fanseite haben teil‐ weise unpassende Reaktionen der Leser hervorgebracht, sonst hätte es dieser Stellungnahme sicher nicht bedurft. Der Modus dieser Reaktionen lässt sich er‐ ahnen, wenn im Folgenden die zentralen Argumentations- und Denkmuster in fünf jener nationalistisch angehauchten und tendenziell fremdenfeindlichen Fa‐ cebook-Gruppen dargelegt werden, die um das Jahr 2008 entstanden und deren Diskussionsverlauf bis 2011 für das vorliegende Kapitel untersucht wurde. Die nachstehende Tabelle listet die fünf untersuchten Facebook-Gruppen auf: Gruppenname abgekürzt durch Mitgliederan‐ zahl Ende 2011 Mitgliederan‐ zahl Ende 2015 untersucht von ? bis ? Ech schwätzen just nach Lëtze‐ buergesch an de Geschäfter JustLuxGe 3.013 5 15. 10. 2008 (erster Kom‐ mentar nach Gründung) -17. 04. 2011 En FRAN‐ CAIS! ! ! ! - Nee Monsieur / Ma‐ dame … op lët‐ zebuergesch w.e.g! ! ! ! EnFrNee 4.904 11 27. 01. 2009- 15. 08. 2011 (idem) Letzebuergesch schwätzen soll obligatorech gin LuxSchwObli 1.512 Nicht mehr existent 23. 12. 2009- 17. 11. 2011 (idem) Et soll Letze‐ boiech a Letze‐ buerg geschwat ginn EtsollLux 3.097 Nicht mehr existent 11. 03. 2009- 17. 04. 2011 (idem) Letzebuergesch as keen Fransé‐ isch 4 LuxnetFr 3.543 88 07. 10. 2008- 29. 10. 2011 (idem) Tabelle 2: Facebook-Gruppen VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 193 <?page no="194"?> 5 „Man kann von den Deutschen sagen, was man will, ich kenne hier in Ettelbrück und Umgebung ganz viele, die zum Arbeiten hierher kommen und sich auf Luxemburgisch herumplagen, was natürlich für sie nicht so mühsam ist wie für die Franzosen. Das hört sich vielleicht jetzt übertrieben an, dass ich immer die Franzosen erwähne […]“ (EnFrNee). „Ich kann 4 Sprachen (L, D, F und GB) fließend sprechen und schreiben, das sind schon drei mehr als jeder dahergelaufene Franzose […]“ (EnFrNee). „Ich finde die Franzosen sollen sich glücklich schätzen, dass sie hier überhaupt irgendeine Stelle be‐ kommen“ (EnFrNee). 6 „Sie arbeiten ja hier und kriegen ein anständiges Gehalt, also können sie sich die Mühe auch ruhig machen.” ( JustLuxGe); „Hier können sie es lernen. Oder wir lassen sie nicht mehr herein“ (EnFrNee). 1 Täter-/ Opfer-Konstruktionen und das Schaffen eines Feindbildes Das alltägliche Ausweichen auf eine andere Sprache als Luxemburgisch wird in den untersuchten Facebook-Gruppen als ermüdender Kraftakt beschrieben. Der, wegen dem diese Anstrengung unternommen werden muss, ist immer derselbe: Stark verallgemeinernd steht ein Bild des Franzosen für sämtliche Personen, die in Luxemburg auf Französisch zurückgreifen und kein Luxemburgisch sprechen. Die Gruppenmitglieder, die ihre Beiträge in den untersuchten Gruppen veröf‐ fentlichen, differenzieren nicht zwischen Einwanderern und Grenzgängern und auch nicht zwischen portugiesischer, belgischer, französischer oder anderer Herkunft. Alle, die Französisch verwenden, werden unter den Ausdruck „Fran‐ sous” gefasst und mit negativen Eigenschaften assoziiert, wie die folgenden Bei‐ spiele zeigen: Et kann én vun den Daitchen soen waat én wellt, ech kennen hei an Ettelbreck an Emgeigend der ganz vill, di hei schaffen kommen an sech op letzebuergesch ploen, wat natierlech fir si net esou eng Plo as, wie fir d’Franzousen. Et heiert sech elo vleit iwerdriwen un, dat ech emmer d’Franzousen ernimmen […] (EnFrNee). Ech kann 4 Sproochen (L, D, F an GB) fleissend schwetzen an schreiwen, daat sin der schon 3 mei wi all dohir gelaafenen Franzous […] (EnFrNee). ech fannen Franzeusen solle frou sin dat se hei i[ww]erhapt eng Platz kreien (EnFrNee). 5 Sie schaffen jo hei an kréien eng anstänneg Pai also kennen sie sech déi Méi och roueg maachen ( JustLuxGe). Hei kennen se et leieren. Oder mer lossen se net mei ran (EnFrNee). 6 VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 194 <?page no="195"?> 7 „Warum sollen wir Luxemburger uns immer für klein und unscheinbar halten, uns immer an andere anpassen müssen oder sollen, nur weil die größer sind? Es nervt mich nur, dass wir als Luxemburger mittlerweile schon gesagt bekommen, dass WIR uns in LUXEMBURG anpassen müssen, als LUXEMBURGER … Na wo führt das noch hin? Reicht es nicht, dass wir als Kinder schon mit drei Sprachen aufwachsen, müssen wir jetzt noch womöglich zusätzlich eine 4. oder 5. Sprache in der Primarschule drauf knallen, damit unsere ausländischen Mitbürger sich mit uns in IHRER Muttersprache unterhalten können, na da kann ich nur sagen: „GEHT’S NOCH! ? “ Nirgends, aber wirklich NIRGENDS auf der Welt kann man als Ausländer hingehen, und den Inlän‐ dern dort seine Muttersprache AUFZWINGEN, so wie das hier mittlerweile gemacht wird und worüber sogar schon in der Abgeordnetenkammer diskutiert wird“ (EnFrNee). Im ersten Beispiel, das aus der Facebook-Gruppe En FRANCAIS ! ! ! ! - Nee Mon‐ sieur / Madame … op lëtzebuergesch w.e.g! ! ! ! entnommen wurde, wird das positive Sprachverhalten der deutschen Grenzgänger hervorgehoben. Diese strengen sich an, in Interaktion mit der luxemburgischen Sprachgruppe, Luxemburgisch zu reden, anders als ‚die Franzosen’, die sich - so die generalisierende Darstel‐ lung - diese Mühe nicht machen. Der Verfasser dieser Äußerung räumt dabei ein, dass deutsche Grenzgänger, aufgrund der Verwandtschaft beider Sprach‐ systeme, andere Erwerbsvoraussetzungen für das Luxemburgische mitbringen würden als Franzosen. Im nun folgenden Beispiel wird die wir-Gemeinschaft der Luxemburger konstituiert und der sie-Gruppe der Ausländer als unterlegen ge‐ genübergestellt: Fir waat sollen mir Letzebuerger eis emmer fir kleng an unscheinbar haalen, eis emmer un aanerer unpassen mussen oder sollen, nemmen well déi mi grouss sin? Et nervt mech just datt mier als Lëtzebuerger mettlerweil schon gesoot kreien datt MIER eis an LETZEBUERG mussen upassen, als LETZEBUERGER … Ma wou feiert daat nach hin, geet et net duer datt mier als Kanner schon mat 3 Sproochen opwuessen, mussen mer lo nach vlait eng 4. oder 5. Sprooch an der Primärschoul dobeiknuppen, fier datt eis auslännesch Matbierger sech kennen mat eis an HIRER Mammesprooch enner‐ haalen, ma do kann ech just soen „MA GEET ET DANN NACH MAM GEESCHT“ Neirens, awer wierklech NEIRENS op der Welt kann een als Auslänner dohinner goen, an den Inlänner do seng Mammesprooch OPZWENGEN, sou wie daat mett‐ lerweil hei gemaat gett, an souguer schon an der Chamber driwwer geschwaat gett (EnFrNee) (eigene Hervorh.). 7 Der Ausländer nimmt hier die Rolle des Agens ein, der über die Sprachensitu‐ ation in Luxemburg bestimmt und der luxemburgischen Bevölkerung seine Muttersprache, das Französische, aufzwingt. Die Passivität der wir-Gruppe stößt auf Unverständnis beim Verfasser. Die Aufspaltung in zwei Gruppen, von denen die luxemburgische diejenige ist, die über sich bestimmen lässt und die auslän‐ 1 Täter-/ Opfer-Konstruktionen und das Schaffen eines Feindbildes 195 <?page no="196"?> 8 S. a. zu den Orientierungsmetaphern Lakoff / Johnson (2003: 22 ff.). 9 „Irgendwann ist unsere Sprache ausgestorben und wir kommunizieren nur noch auf Französisch, KRIMINELL! ! ! „en français svp.“ ist der meist geäußerte Satz bei uns in Luxemburg“ (LuxSchwObli). „Ja natürlich, da wo die Franzosen an der Macht sind hier im Land, werden größtenteils nur französischsprachige Leute eingestellt […]“ ( Just‐ LuxGe). „Das kann wirklich nicht mehr so weitergehen, wir lassen uns in unserem Land sprachlich komplett unterbuttern … wir sagen dem jetzt STOP …! ! ! ! “ (EnFrNee) 10 Beispiele für den TOPOS DER MINDERHEIT: „D’Lëtzebuerger solle keng Minoritéit ginn“ (= „Die Luxemburger sollen keine Minorität werden”); „Eis Kultur stierft aus” (= „Unsere Kultur stirbt aus“); „Mir mussen eppes dogéint maachen“ (= „Wir müssen etwas dagegen unternehmen“) ( JustLuxGe). dische, die, die ihren wachsenden Einfluss nutzt, um ungehindert ihre Sprache und Kultur in Luxemburg zu verbreiten, ist typisch. Verben des Vernichtens, ein Todes- und Kampfvokabular sowie Metaphern der Oben-Unten-Orientierung 8 (Ausländer = oben, Luxemburger = unten) verstärken diese Rollenverteilung: Irgendwann ass eis Sprooch ausgestuerwen, an mär kommunizeiren nemmen nach op Franseisch, KRIMINELL! ! ! ! „en français svp“ den meescht gesooten Saatz bei eis zu Letzebuerg (LuxSchwObli) (eigene Hervorh.). Jo natierlech do wou d’Fransousen un der Muecht sin hei am Land gin gréisstendeels nemmen Franséischsproocheg Leit agestallt […] ( JustLuxGe) (eigene Hervorh.). Daat kann wiirklech net méi esou weider goen, maer lossen eis an onserem Land sproochlech komplett ennerbotteren … maer soen STOP elo …! ! ! ! (EnFrNee) 9 (eigene Hervorh.) Um an den Kampfgeist der Luxemburger zu appellieren, wird der TOPOS DER MINDERHEIT 10 angeführt, mit dem die Schreckensvision eines Landes assozi‐ iert ist, in dem der Luxemburger vollends in die Minderheit geraten ist und der Ausländer ein frankophones Land verwaltet. Die luxemburgische Sprache wird zur Waffe ernannt, um sich gegen dieses Szenario zur Wehr zu setzen. 2 Die Kollokation „En Français s.v.p“ und damit einhergehende Wissensrahmen Auch wenn die französische Formel s. v. p. (=s’il vous plait) in Alltagsgesprächen routinemäßig als Zeichen des Anstandes verwendet wird, ist sie als Bestandteil der Kollokation ‚En Français s. v. p.’ im Diskurs überaus negativ konnotiert. Die Diskursteilnehmer führen die besagte Kollokation an, um zu veranschaulichen, dass Zuwanderer und Grenzgänger, die im Einzelhandel oder in der Gastro‐ VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 196 <?page no="197"?> 11 „aber ich kann diesen Satz „en français s.v. p.“ einfach nicht mehr hören, irgendwann raste ich da aus […]” ( JustLuxGe); „EN FRANCAIS! ! ! - Nein verehrter Herr / Dame … auf LUXEMBURGISCH bitte! ! ! ! Die berühmte Aussage, die man nur allzu oft in den Cafés, Restaurants, Supermärkten, … in Luxemburg hört: „EN FRANCAIS! ! ! “ soll der Vergangenheit angehören! “ (EnFrNee) 12 Bekannte luxemburgische Einkaufsunternehmen. nomie beschäftigt sind, nicht bereit sind auch nur die geringste Anstrengung zu unternehmen, um Luxemburger Kunden auf Lëtzebuergesch willkommen zu heißen. Stattdessen würden sie umgehend, mithilfe der Aufforderung „En Fran‐ çais s. v. p.“, einen Codewechsel ins Französische verlangen: mee ech kann deen saatz „en français s. v. p.“ einfach net mei heieren, irgendwann rasten ech do aus […] ( JustLuxGe). EN FRANCAIS! ! ! - Nee, Monsieur / Madame … op LËTZEBUERGESCH w.e.g.! ! ! ! Dei berühmten Aussoo, dei een nemmen all ze oft an den Caféen, Restauranten, Su‐ permarchéen, … zu Lëtzebuerg heiert: „EN FRANCAIS! ! ! “ soll der Vergaangenheet ungehéiren! (EnFrNee) 11 Typografisch wirkt das Ausrufezeichen hier verstärkend, um auszudrücken wie harsch der Umgangston ist, wenn die Aufforderung, Französisch zu sprechen, erfolgt. Um die mangelnde Kundenfreundlichkeit anhand von Beispielen zu be‐ legen, werden Stereotypen angeführt, wie die unfreundliche Kassiererin im Su‐ permarkt, bei Cactus oder Match 12 , und die wenig bemühte Servicekraft beim Bäcker oder an der Tankstelle: Ech stung des lescht beim Bäcker no bei der gare an wollt en Brout kafen nierwt mer eng Famille aus Holland. D’Mam wollt den Kanner eng freet mann an hinnen e pur metchen kaafen mee dei leif Verkeeferin huet sech erem domm gestallt. ( JustLuxGe). wat mengt der wéi d’Fransousen sech geifen fillen wan se bei sech an de supermarchee gin an opemol mussen englech oder portugiesech mat der caissiere schwaetzen (EnFrNee). Eng Chance ginn ass gudd, mee als Beispill; hei schafft eng Madame an der Caisse am Match dei schafft schons do seit ech ganz kleng woar also schon länger; -) an versteet 2 Die Kollokation „En Français s.v.p“ und damit einhergehende Wissensrahmen 197 <?page no="198"?> 13 „Ich stand letztens beim Bäcker in der Nähe des Bahnhofs und wollte ein Brot kaufen, neben mir eine Familie aus Holland. Die Mutter wollte den Kindern eine Freude bereiten und ihnen ein paar Teilchen kaufen, aber die liebe Verkäuferin hat sich wieder dumm gestellt“ ( JustLuxGe). „[W]as glaubt ihr wie die Franzosen sich fühlen würden, wenn sie bei sich in den Supermärkten auf einmal Englisch oder Portugiesisch mit der Kas‐ siererin reden müssten“ (EnFrNee). „Eine Chance zu geben, ist ja schön und gut, aber nur als Beispiel: Hier arbeitet eine Frau an der Kasse beim Match, die arbeitet schon da, seit ich klein war, also schon länger ; -) und die versteht noch immer kein Wort Luxem‐ burgisch oder ich denke, dass sie einfach zu stolz dafür ist […]“ ( JustLuxGe). 14 „Nein es ist nicht ihre Schuld, einfach wundersam, deutsche Grenzgänger lernen ein paar Wörter Luxemburgisch und sogar Französisch … einfach so, weil sie es jeden Tag hören und der Wille da ist, die meisten Franzosen lernen es nie, einfach weil der Wille dazu fehlt“ (EnFrNee). Macht es wie ich und fahrt nach Trier, da sind die Ver‐ käufer(innen) freundlicher als hierzulande“ (EnFrNee). „Nun ja, dass sie mittlerweile in Trier Luxemburgisch lernen, damit die Luxemburger sich wie zuhause fühlen, ist schon tragikomisch“ ( JustLuxGe). „Man hat mir gesagt, dass die Verkäuferinnen in den Trierer Geschäften jetzt anfangen würden Luxemburgisch zu lernen für die vielen Luxem‐ burger, die zum Einkaufen dahin fahren, weil sie da kein Französisch brauchen und auch freundlicher bedient würden“ ( JustLuxGe). emmer nach keen Wuert letzebuergesch, oder ech denken eichter dass se ze stolz dofir ass […] ( JustLuxGe). 13 Die Kritik an der Kundenfreundlichkeit romanophoner Dienstleister wird ver‐ stärkt, indem das Beispiel der netten deutschen Verkäuferinnen hervorgeholt wird, die in Luxemburg und im benachbarten Trier (D) mit Freude ihrer Arbeit nachgehen. Die Einkaufsstadt Trier wird als Musterbeispiel für Freundlichkeit und Kundenorientiertheit genannt und als Stadt in der Lëtzebuergesch gelernt und verstanden wird: Nee et ass net hinnen hier Schold, einfach komesch, deitsch Grenzgänger leieren puer Wierder letzebuergesch an suguer franseich … einfach esou well se et all Dach heieren an well de Wellen do ass, die meescht Franseich leieren et nie, einfach well keen Wellen do ass (EnFrNee). Fuert wéi ëch op Tréier, do sinn Verkäfer(innen) méi frëndlech wéi hei am Land. (EnFrNee). Nujee dass se mettlerweil zu Treier letzebuergesch leieren fir dass Letzebuerger sech kennen doheem fillen ass schon tragikomesch. ( JustLuxGe). Ech krut gesot, dat d'Vendeusen zu Treier an de Geschäfter elo giffen ufänken Letze‐ buergesch ze leieren fir déi vill Letzebuerger déi dohinner akaafen gin, well se do keen franseisch brauchen an och méi frendlech zerveiert gin ( JustLuxGe). 14 VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 198 <?page no="199"?> 15 „Wir sind ja irgendwo selbst Schuld. Die Ausländer haben sich ja nicht an uns angepasst, sondern wir uns an sie. Das ist der Fehler, den Luxemburg gemacht hat“ (EnFrNee). „Sind wir Luxemburger nicht selbst schuld? ? ? Wir antworten doch sofort auf Franzö‐ sisch, wenn jemand etwas nicht versteht … damit macht man es den anderen sehr ein‐ fach … Warum sollte man sich müde machen - die dummen Luxemburger machen das doch! ! ! ! “ (LuxSchwObli). Es werden nicht dieselben Hemmungen gegenüber der deutschen Sprache ver‐ spürt, wie gegenüber der französischen. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Französischen, sowohl in seiner Funktion als mündliche Verkehrssprache wie auch als stellvertretendes Symbol für den hohen Ausländeranteil im Land, hat positive Auswirkungen auf die Bewertung und die Bedeutung der deutschen Sprache. Das Deutsche wirkt als Gegengewicht zum Französischen, während der deutschsprachige Raum zur Ausweichmöglichkeit wird, um der französi‐ schen Sprache zu entkommen. 3 Die Darstellung des Luxemburgers Der ‚Luxemburger’ wird in die Rolle des Patiens hineingeschrieben. Wegen seiner Passivität ist er Schuld am Ausmaß der Situation. Dieser TOPOS DER SCHULD ist nach dem Muster strukturiert: Weil wir uns nicht wehren, sind wir selbst Schuld! Mir sin jo op enger Manneier selwer Schold. D'Auslänner hun sech net un eis ugepasst mee mir eis un sie! Daat as den Feeler deen Letzebuerg gemeet huet (EnFrNee). sin mir Letzebuerger net selwer drun schold? ? ? Mir äntweren dach direkt op Franzeich wann een eppes net versteet …daat as denen aaneren et ganz einfach gemet …firwaat sech mit machen - dei domm Letzebuerger machen daat io! ! ! ! ! (LuxSchwObli) 15 Der Luxemburger wird von den Gruppenmitgliedern als „dumm”, „feige” und als „Idiot” dargestellt, weil er sich der Situation längst ergeben hat und dem Ausländer in jeder Situation sprachlich entgegenkommt: du sees et, Idioten, well t gett keng aaner Natioun op der Welt dei sou mann Respekt an sou man houfreg as op seng Natioun wie Letzebuerg selwer …! ( JustLuxGe); 3 Die Darstellung des Luxemburgers 199 <?page no="200"?> 16 „Du sagst es, Idioten, es gibt nämlich keine andere Nation auf der Welt, die so wenig Respekt und so wenig Stolz gegenüber ihrer Nation zeigt, wie Luxemburg …! ( Just‐ LuxGe). „Wir Luxemburger sind einfach zu dumm! ! Anstatt unsere Sprache durchzu‐ setzen, fängt man einfach an, in der Sprache des Ausländers zu sprechen, weil man es ihm leichter machen will“ ( JustLuxGe). „[…] hier ist man ja so dumm und passt sich den Grenzgängern an“ ( JustLuxGe). „[W]enn wir dummen Luxemburger von Anfang an nur Luxemburgisch gesprochen hätten, wäre die Situation jetzt nicht so. Wir Trottel müssen ja bis zu 5 Sprachen in der Schule lernen, wir Idioten haben ja eine Amtssprache, die nicht unsere Heimatsprache ist […]“ ( JustLuxGe). mär letz. sin einfach zedomm! ! Anstatt eis Sprooch duerch zesetzen, fänkt een einfach un an dem Auslänner senger Sprooch zeschwetzen well een et mei liit well maachen ( JustLuxGe). […] hei ass een jo sou domm an passt sech den Frontalieren un ( JustLuxGe). wann mir domm letzebuerger vum unfang un nemmen letzebuergesch geschwaat hätten wier situatioun lo net sou. Mir trottelen mussen jo bis zu 5 sprochen an der schoul leieren, mir idioten hun jo eng amtssproch dei net eis heemeschsproch ass […] ( JustLuxGe). 16 Neben dem Bild des passiven und beschränkten Luxemburgers dominiert der TOPOS VON DEN DREI SPRACHEN , ein Argumentationsmuster, das die kommunikativen Leistungen der Luxemburger geradezu überhöht darstellt. Mit Stolz verweisen die Gruppenmitglieder darauf, dass alle Luxemburger in der Schule drei oder mehr Fremdsprachen erwerben und diese angeblich fließend beherrschen würden. Diese Sprachkompetenzen werden denen des ‚Franzosen’ gegenübergestellt, der unfähig erscheint wenige Sätze auf Luxemburgisch zu erlernen. Die hier vorgeführte Argumentation erweist sich als paradox: Denn während auf der einen Seite die eigenen Sprachkenntnisse hervorgehoben werden und ihr Erwerb als wenig mühsam geschildert wird, erscheint auf der anderen Seite die Mehrsprachigkeit als aufgezwungen, die Entwicklung der Sprachensituation als nicht länger tolerierbar und der tägliche Gebrauch meh‐ rerer Sprachen als kognitiver Kraftakt: Nujee ech denken mer daat och … ech denken ma einfach: An daer Zeit wou ech 5 Sproochen geleiert hun, hues du mol net e puer nei Wieder geleiert! ( JustLuxGe) Ech wees datt mier mat Letzebuergesch net mei weit kommen wie Metz, Arlon oder Bitburg, mais daat wellen mier jo och guer net, an daat brauchen mier jo och guer net, well mier kennen jo schliesslech opmannst 3 Sproochen fleissend, dei jonk Genera‐ tioun souguer 4! (EnFrNee) VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 200 <?page no="201"?> 17 „Nun ja ich denke mir das auch … ich denke mir einfach: In der Zeit, in der ich 5 Sprachen gelernt habe, hast du nicht mal ein paar Wörter gelernt! “ ( JustLuxGe). „Ich weiß, dass wir mit Luxemburgisch nicht viel weiter kommen als nach Metz, Arlon oder Bitburg, aber das wollen und brauchen wir ja auch gar nicht, weil wir ja schließlich mindestens 3 Sprachen fließend, die junge Generation sogar 4 beherrschen! “ (EnFrNee) „Seltsam ich bin auch stolz auf meine Nation, aber noch viel stolzer bin ich darauf vier Sprachen nahezu fließend sprechen und schreiben zu können. Da kann nicht sonderlich viel an Elan vorhanden sein, um im Leben etwas dazuzulernen? “ 18 „Es wäre wichtig, dass jene, die Mitglied der Gruppe sind, auch zur luxemburgischen Sprache stehen. Unsere Fremdsprachen sind dazu gedacht, uns in fremden Ländern oder mit den Touristen zu verständigen und nicht dazu, um in unserem Land unser Luxem‐ burgisch zu vergessen. Wenn wir das weiterhin so zulassen wie im Moment, dann können wir auch gleich neben Luxemburg ‚colonie française’ oder ‚colonia portuguese’ hinschreiben. Aber das sind wir nicht, sondern wir sind das Großherzogtum Luxem‐ burg, der Rote Löwe, der bleiben will, was er ist! ! ! Nämlich Luxemburger! ” (Lux‐ SchwObli); „LUXEMBURG FÜR LUXEMBURGER; wir wollen bleiben, was wir sind“ (LuxSchwObli). Komesch, ech sin och stolz op meng Natioun, awer nach vill mei stolz, dat ech 4 Sproochen esou gut wi fleissend schwätzen an schreiwen kann. Do kann net vill Gedriff do sin, am Liewen bei ze leieren? ( JustLuxGe) 17 Immer wieder appellieren die Verfasser der Kommentare an die Gruppenmit‐ glieder ihre Passivität abzulegen und etwas gegen die fortschreitende Romani‐ sierung des Landes zu unternehmen. Sie bedienen sich dabei patriotischer Par‐ olen und nationaler Symbole: [E]t wier wichteg d’ass déi Lait wou sech als Maatglidd gin och zou der letzebuerger Sprooch stin. Eis Friemsproochen sin geduergt fir eis kénnen an den friemen Lànner oder mat den Touristen ze verstänneschen an net firan eisem Land eis letzebuergesch ze vergiessen. Wann mer der weider esou zouloossen wéi am Moment dann kennen mer glaich niewen Letzebuerg (colonie française oder colonia portuguese) schreiwen. Mee dat sin mer net, sondern mir sin Groussherzogtum Letzebuerg, den roude löiw wou well bleiwen waat den ass! ! ! Nämlech Letzebuerger! (LuxSchwObli) LETZEBUERG FIER LETZEBUERGER; mier wellen bleiwen waat mier sin (Lux‐ SchwObli). 18 Die Facebook-Gruppen Luxemburgisch soll obligatorisch werden und Es soll Lu‐ xemburgisch in Luxemburg gesprochen werden, fordern eine Realität ein, in der nur Touristen und Durchreisende eine andere Sprache als die Luxemburgische benutzen sollen. Die historische und politische Bedeutung, die der französischen Sprache im Land zukommt, wird im Diskurs überhaupt nicht reflektiert. In den Diskussionen erscheint das Französische als Migranten- und Grenz‐ 3 Die Darstellung des Luxemburgers 201 <?page no="202"?> 19 „Diese Seite ist eigentlich dazu gedacht, um sich für unsere luxemburgische Sprache einzusetzen. […] Und warum sollen wir in Luxemburg nicht eine luxemburgischspra‐ chige Zone haben und zwar genau dort, wo die Landesgrenzen beginnen, bis dahin, wo sie aufhören. Unsere Nebensprachen sind ja dazu gedacht, damit wir uns mit Touristen unterhalten können oder mit den Landsleuten, in deren Ländern wir urlauben. Die Leute aber, die hier wohnen und arbeiten, sollen lernen die Sprache von hier zu sprechen …“ (LuxSchwObli). gänger-Sprache, deren Stellenwert aus dieser Rolle erwachsen ist. Die Grup‐ penmitglieder berücksichtigen folglich weder die Tatsache, dass das Land seit jeher durch Mehrsprachigkeit gekennzeichnet ist, noch registrieren sie, dass das Luxemburgische eine Sprache ist, die sich im Ausbau befindet und erst seit 1941 bzw. 1984 überhaupt in dieser Vehemenz als Nationalsprache und eigenständige Sprache vertreten bzw. anerkannt wird. Die Angst vor einem Sprachverfall ist omnipräsent, Sprachpurismus wird entsprechend stark gefordert: des Säit ass an éischter Hinsicht dofir geduergt em sech fiir eis letzebuergesch Sprooch anzesetzen. […] An firwat sollten mir zou Letzebuerg net eng letzebuergesch Sproo‐ chen Zone hun, an zwar genau do wou Landesgrenzen unfänken bis dohin wou se ophaalen. Eis Niewensproochen sin jo geduergt fiir d'ass mer eis können mat den Touristen ennerhaalen oder mat deenen Landeslaït wou mer an Vakanz gin. Awer déi Laït wou hei wunnen an schaffen sollen och déi Sprooch vun hei schwetzen … (Lux‐ SchwObli) 19 4 „Sie nehmen uns die Arbeit weg! “ Das Denkmuster des ‚bösen’ Ausländers, der dem ‚guten’ Inländer die Arbeit wegnimmt, ist häufig in fremdenfeindlichen Diskursen. Die Argumentation verläuft in folgender Form: Wenn zuerst überprüft werden würde, ob ein Luxemburger die freie Stelle annehmen könnte, bevor ein Ausländer sie bekäme, dann wären nicht so viele Luxemburger arbeitslos. Der Topos wird hier um das Einstellungskriterium ‚Sprache’ ergänzt. Alle An‐ wärter, welche die Kenntnis der Landessprache, Luxemburgisch, nachweisen können, sollen den ausländischen vorgezogen werden. VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 202 <?page no="203"?> 20 „Hallo zusammen, also meine Meinung ist die folgende … bin kein Rassist, bin Luxem‐ burger … mein Vater ist Portugiese und meine Mutter Französin, bin hier zur Welt gekommen und bin hier groß geworden, also stellt sich die Frage nicht ob Rassist, nur warum ich momentan wütend bin … bin auf der Suche nach Arbeit und finde keine … im Verkauf. Bin auch schon als Luxemburger abgelehnt worden. Wo sind wir denn … das Ganze muss aufhören, nicht weil ich Rassist bin … nur weil die hier eine Arbeit haben und noch unfreundlich dazu sind … Habe in einem Geschäft gearbeitet und da hat mir die Geschäftsführerin verboten Luxemburgisch zu sprechen, stellt euch das mal vor … also ich sage es noch einmal, ich bin kein Rassist“ (EnFrNee). „Das Problem rührt von anderer Stelle her. Bei uns müsste es wie in Spanien und Schweden oder Norwegen laufen. Die Franzosen wollen es ja laut Sarkozy auch machen, d. h. zuerst mal ihren Landsleuten Arbeit geben, bevor ein Ausländer sie bekommt und dann zuerst die vor‐ ziehen, die die Landessprache sprechen“ ( JustLuxGe). Moien allerguer also meng meenung ass dei … sin keen raciste sin letzebuerger … mein papp ass portugies an meng mamm fransous sin hei op welt komm sin hei grouss gin … mat 18 joer sin ech letzebuerger gin also keen thema op raciste juste virwat ech am moment rosen sin … sin op der siich no enger aarbecht an fannen keng … an der vente. Sin och schon als letzebuerger refuseiert gin. Wou sin mir dann … dat ganz muss stoppen net well ech raciste sin … juste well dei hei eng aarbecht hun an nach fresch dobei sin … Hun an engem buttek geschaaft an do huet d'gerante mear verbu‐ edem letzebuerg ze schwetzen stellt irch dat moll vir …also ech soen nach engkeier sin kenn raciste (EnFrNee). De Problem kennt vun anner Platz hier bei ons mist ewei an Spuenien an Schweden oder Norwegen gemeet gin Fransousen wellen jo laut dem Sarcosi jo och machen, Dh fir deicht mol hieren Lands Leit eng Aarbecht Platz gin eint iergen een Auslänner eng Platz krit an fir deicht die erreicht dei Landes Sprooch schwetzen ( JustLuxGe). 20 Weil viele ältere Menschen in Luxemburg kein Französisch verstehen, ist es nicht in Ordnung, dass ausländische Mitbürger keine Anstrengungen unternehmen Lu‐ xemburgisch zu erlernen - nach diesem Muster funktioniert ein weiterer gän‐ giger Topos des Diskurses, der hier als TOPOS VON DER ARMEN GROSS‐ MUTTER definiert wird. Diese Argumentationsweise nimmt eine deutliche Täter-/ Opferkategorisierung vor. Das Opfer ist alt und gebrechlich. Es ist die luxemburgische Großmutter, die im Zweiten Weltkrieg kein Französisch lernen durfte. Eine verstärkende Wirkung des Arguments tritt ein, wenn das Beispiel um die Information ergänzt wird, dass die Großmutter im Krankenhaus liegt und nicht in der Lage ist der frankophonen Krankenschwester ihre Beschwerden mitzuteilen: Huel eng Fra vun 80 Joer di krank ass an an der Klinik leit. Dann kennt eng jonk infirmière aus frankreich bei sie. Ass et do wierklech un der aaler Fra dem jonken 4 „Sie nehmen uns die Arbeit weg! “ 203 <?page no="204"?> 21 „Nimm eine Frau von 80 Jahren, die krank ist und im Krankenhaus liegt. Dann kommt eine junge Krankenschwester aus Frankreich. Ist es da wirklich an der alten Frau dem jungen Püppchen entgegenzukommen und Französisch zu sprechen? ? Ich denke nicht … Aber leider ist es so und ich weiß von einem Fall, wo die Krankenschwester einem Patienten, der im Sterben lag, gesagt hat: „Ah, il faut faire un effort et apprendre à parler le français, monsieur.“ Na dann …“ ( JustLuxGe). „Es gibt viele ältere Leute, die kein Französisch können, und wenn sie dann beim Bäcker nicht mal verstehen: „Ee Pond Brout w.e.g“, sry, aber das geht nicht …“ (EnFrNee). „Findest du es normal, dass hauptsächlich ältere Leute und Kinder sich im sozialen Sektor nicht verständigen können, weil das Personal kein Luxemburgisch spricht, Krankenhäuser, in denen ältere Leute nicht sagen können, was ihnen genau weh tut und sie ihre Diagnose und die Behandlung nicht wirklich verstehen? Ich finde das eine Schande! Es müsste obligato‐ risch sein im sozialen und öffentlichen Sektor die luxemburgische Sprache zu erlernen! “ (LuxSchwObli) Greit entgeint ze kommen an franseich ze schwetzen? ? ech mengen net … Mee leider ass et sou, an ech kennen en fall wu su eng infirmiere zu engem patient deen um stierwen luch soot „ah, il faut faire un effort et apprendre à parler le francais monsieur“ Majo dann … ( JustLuxGe). et gin vill äler leit, dei keen franz kennen, an wann se dann mol net beim bäcker verstin „e pond brout weg“, sry, mee daat geet net … (EnFrNee). fennste et normal, datt haaptsächlech eeler leit a kanner sech am sozialen sekteur net mol kennen verstännegen, well d personal kee letzebuergesch schwätzt? spideeler wou eeler leit net mol kennen matdeelen wat genau hinnen wéi deet an si hir diagnose an den traitement net wirklech verstinn? ech fannen dat en hohn! et misst obligato‐ resch sin am sozialen an am öffentlechen sekteur d letzebuerger sprooch ze erléieren! (LuxSchwObli) 21 Die Mitglieder der untersuchten Gruppen waren bemüht zu betonen, dass sie keine fremdenfeindlichen Absichten vertreten und auch keine Aussagen unter‐ stützen, die sich gegen Ausländer richten. Sie würden lediglich dafür plädieren, dass diejenigen, die in Luxemburg leben oder auch nur arbeiten, einen kleinen integrativen Beitrag leisten, indem sie Luxemburgisch erlernen. Daneben gab es auch Diskursteilnehmer, die sich nicht als Teil der Facebook-Gruppe betrach‐ teten und sich direkt an die Gruppenmitglieder richteten, um diese davon zu überzeugen, dass der Diskurs, den sie führen, weder gut noch richtig ist: Wee si mir da fir anere Leit virzeschreiwen, wat fir eng Sprooch si musse schwätzen? ! Baut all eng héich Mauer ronderëm äert Haus, an erklärt dat Ganzt zu enger „Nëmme lëtzebuergesch“-Zone, awer maacht elo net hei, wéi wann all Lëtzebuerger déi selw‐ echt kuerzsiichteg Meenung hätt wéi dir! (LuxnetFr) VII. Fremdenfeindliche Tendenzen im Sprachdiskurs 204 <?page no="205"?> 22 „Wer sind wir denn, um anderen Leuten vorschreiben zu können, welche Sprache sie sprechen müssen? ! Baut doch alle eine hohe Mauer um euer Haus und erklärt das Ganze zu einer „Nur-Luxemburgisch-Zone“, aber tut jetzt hier nicht so, als hätte jeder Luxem‐ burger dieselbe kurzsichtige Meinung wie ihr! ” (LuxnetFr); „Was habt ihr für Probleme! Ein riesen Blödsinn ist das alles hier! Schlimm, dass die Luxemburger immer faschisti‐ scher werden! An alle Vollidioten, die hier dumme Kommentare hin schreiben: Eine luxemburgische Ökonomie ohne Ausländer ist nicht möglich! ! Die kann nicht be‐ stehen! ! “ […] ( JustLuxGe) 23 Übersetzt bedeutet der Gruppentitel: „Ich will mit meiner Bohnensuppe Luxemburgisch reden.“ wat hudd dir problemer! decken blödsin dat hei! Schlëmm wei d letzebuerger emmer mei faschistesch gin! un all die vollidioten die hei hier domm kommentarer hin schreiwen: eng letzeburgech economie ouni auslänner ass net meiglech! ! dei kann net bestoen! ! […] ( JustLuxGe) 22 Zur selben Zeit entstanden neue Gruppen als Reaktion gegen die fremdenfeind‐ lichen Tendenzen auf Facebook. Sie sprachen sich explizit gegen Fremdenhass aus und trugen Gruppennamen, wie ‚Ech well mat menger Bouneschlupp Lëtze‐ buergesch schwätzen’. 23 Ein Titel, der die luxemburgische Spezialität, eine grüne Bohnensuppe, zum nationalen Kollektivsymbol umfunktionierte und damit Tendenzen nationaler Abschottung mit Ironie entgegentrat. Dadurch wird deut‐ lich, wie viele Gesprächspartner dem Luxemburger übrig bleiben, der sich für die Einsprachigkeit entscheidet. 4 „Sie nehmen uns die Arbeit weg! “ 205 <?page no="206"?> VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation „It would be a mistake to think of nati‐ onal-language determination only in terms of communication“ (Fasold 2004: 247). Semantisch gesehen, besteht ein Unterschied zwischen der Sprachpolitik und der Sprachenpolitik einer Regierung. Sprachpolitik umfasst Eingriffe politischer Ent‐ scheidungsträger oder Interessengruppen in das System einer Sprachvarietät (in deren Orthografie, Grammatik, Wortschatz) (vgl. Janich 2011: 538). Ein denk‐ barer Eingriff wäre die offizielle Anerkennung einer Rechtschreibreform. In der germanistischen Linguistik wird für Eingriffe dieser Art auch der Begriff der Korpusplanung verwendet. In der anglistischen oder amerikanischen Sprach‐ wissenschaft hat sich der Terminus language development durchgesetzt. Unter Sprachenpolitik werden demgegenüber Maßnahmen gefasst, die auf die Einführung, Entwicklung und Stärkung einzelner Sprachen in zumeist mehr‐ sprachigen Ländern, abzielen und das Verhältnis dieser Sprachen zueinander politisch definieren (vgl. ebd.; Bußmann 2002: 619). So können Sprachen als Amtssprachen definiert werden und eine Statuserhebung erfahren oder den Status einer Minderheitensprache erhalten und besonders gefördert werden (vgl. Bußmann 2002: 619). Man spricht hier auch von Statusplanung bzw. von language planning oder language determination. Bei Sprachenpolitik geht es in der Regel um mehr, als um die Regelung von Verständigungsproblemen. Sie kann der Stärkung des Nationalstaats nach außen dienen und als Abschottungs- oder auch als Integrationspolitik wirken. So erfahren Migrantensprachen eine politisch gesteuerte Aufwertung, wenn sie als Schulsprache in Betracht gezogen werden. Die luxemburgische Regierung kündigte zum Beispiel im März 2015 an, in der Gemeinde Differdingen eine staatliche und damit unentgeltliche Euro‐ paschule eröffnen zu wollen. Die Schüler dieser europäischen Schule sollen zwischen einer englischen und französischen Grundschulausbildung wählen können und die Möglichkeit erhalten, Portugiesisch als zweite oder dritte Schul‐ sprache aufzubauen (vgl. MENEJ 2015). Die Regierung versucht auf diese Weise Mehrsprachigkeitskonstellationen, die in der Gesellschaft bestehen, in Bil‐ dungsprogramme zu integrieren. Zugleich wird sie den Status des Luxembur‐ gischen als Integrationssprache hochhalten, denn, so betont das Ministerium in <?page no="207"?> 1 Damit erfolgt eine Anlehnung an Bußmann (vgl. 2002: 619). Auch Daoust (2008) weist auf die „dual nature of language planning“ hin und betont, dass „Language-planning policies can never be corpus-oriented or status-oriented exclusively“ (ebd.: 448 f.). 2 Dieser Artikel war auch als Artikel 30 in der ersten Verfassung des Großherzogtums von 1848 vermerkt (vgl. Trausch 1998: 22). Dort wurde das Land als zweisprachig de‐ finiert. Die Präsenz des Luxemburgischen wird nicht erwähnt. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie noch nicht als vom deutschen unabhängige Sprache / Varietät wahrge‐ nommen. 3 S. a. Unterkapitel 4. seiner Pressemitteilung, es wird ein auf die Entwicklung mündlicher Sprach‐ kompetenzen, ausgerichteter Luxemburgischunterricht als obligatorisches Schulfach in dieser Europaschule funktionieren, um die Kenntnis der, wie es heißt, Integrationssprache Luxemburgisch zu gewährleisten (vgl. ebd.). In diesem Kapitel wird mit dem Begriff der Sprach(en)politik gearbeitet, um zu unterstreichen, dass beide Aspekte, Korpusplanung und Statusplanung, den politischen Einsatz für Sprache(n) betreffen. 1 So betont Fehlen (2008: 45), dass [i]m plurilingualen Kontext von Luxemburg […] jedwede Sprach(en)politik, auch wenn sie explizit nur eine Sprache, z. B. das Luxemburgische fördert, immer auch Sprachenpolitik [ist], da durch die einseitige Förderung einer Sprache das historisch gewachsene Gefüge der drei „Amtssprachen“ beeinflusst wird. Sieburg (2013: 82) weist darauf hin, dass „die Position der einen Sprache immer mitbedingt ist durch die der anderen.“ Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wäre die absolute Mehrheit der Luxemburger für die offizielle Streichung alles Deutschen, auch der Sprache, in Luxemburg gewesen. Doch angesichts einer Kriegsgeneration, die kein Französisch hatte lernen dürfen, war der Nutzwert, den das Deutsche in Luxemburg erfüllte, zu hoch: Das Hochdeutsche, das zu 90 % und mehr die Sprache der Presse ist, auszuklammern und einzig dem Französischen den Status ‚langue officielle’ im Großherzogtum Lu‐ xemburg zu geben, wäre indessen unrealistisch, ja, lächerlich gewesen (Hoffmann 1992: 151). Bei der Verfassungsänderung im Jahr 1948 wurde die Sprachenfrage in Luxem‐ burg deshalb offengelassen. Artikel 29 der Verfassung von 1868, in dem es hieß: „L’emploi des langues allemande et française est facultatif. L’usage n’en peut être limité” 2 war indes nicht mehr tragbar und wurde ersetzt durch: „La Loi réglera l’emploi des langues en matières administrative et judiciaire“ (vgl. Trausch 1998: 22, 36). 36 Jahre vergingen bis das angekündigte Gesetz formuliert wurde. Erst 1984 wurde die Sprachensituation durch ein Gesetz definiert. 3 In diesem wurde VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 207 <?page no="208"?> der Status der luxemburgischen Sprache über den der anderen beiden Sprachen erhoben. Sie wurde offiziell zur Nationalsprache des Landes erklärt. Im Menta‐ litätenwissen verbreitete sich das Bewusstsein, dass eine Emanzipation der lu‐ xemburgischen Sprache legitim ist. Der sukzessive Ausbau und das allmähliche Erschließen neuer Domänen resultierten aus dem Abbau eines tiefverwurzelten Minderwertigkeitskomplexes, aus der Notwendigkeit eine Integrationssprache zu haben, die das Potenzial hat, alle Sprachgemeinschaften im Land zu vereinen sowie aus dem Bedürfnis ein unmissverständliches Zeichen gegen Vereinnah‐ mungsversuche von außen zu setzen. Französisch und Deutsch übernehmen wichtige Funktionen im Land, die in dem Gesetz verankert wurden. Französisch, Deutsch und Lëtzebuergesch sind im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung zugelassen, allerdings wurde ausdrücklich festgehalten, dass die französische Sprache in allen rechtsetzenden Bereichen maßgebend ist. Die Position, die der deutschen Sprache in diesem Sprachengesetz zuerkannt wird, ist interessant. Es ist eine, die den beiden anderen Sprachen untergeordnet und nicht konkret aus‐ formuliert wird. Im Experteninterview wies der promovierte Jurist und ehema‐ lige Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Luxemburg, Hubertus von Morr, auf diesen politischen Fingergriff der vage gehaltenen Rollenzuteilung hin: Hubertus von Morr: „Ja also das Sprachgesetz von 84 ist sicherlich die Basis, wobei auch das Gesetz, finde ich, eine Besonderheit ist. Luxemburgisch ist Nationalsprache, aber Französisch ist die juristische Sprache, die Rechtssprache und die Amtssprache, wenn Sie so wollen, und das Deutsche ist die einzige der drei Sprachen, die in dem Sprachengesetz nicht in irgendeiner Weise privilegiert wird oder beschrieben wird, sondern es wird nur gesagt, dass die Bürger Angaben an die Behörden machen können in einer der drei Sprachen und wenn möglich in der gleichen Sprache eine Antwort bekommen sollen. Sonst wird das Deutsche nicht besonders erwähnt, wofür es da ist. Es existiert einfach so, aber privilegiert sind die beiden Sprachen Luxemburgisch und Französisch.“ Die Funktionen, die die deutsche Sprache im Land übernimmt, wurden nicht näher ausformuliert, sondern lediglich bestätigt. In diesem ‚Offenhalten’ und ‚Nicht-alles-aussprechen-Wollen’ erkennt Hubertus von Morr einen bedeu‐ tenden Bestandteil der Sprachenpolitik Luxemburgs: Hubertus von Morr: „[…] Das ist vielleicht […] …, durchaus eine Möglichkeit, schwierige Dinge in einer Balance zu halten, indem man nicht immer alles ausbuchs‐ tabiert. Ja, man sieht ja beispielsweise in Belgien, was für eine Sprengkraft die Sprach‐ frage darstellen kann, deswegen ist es manchmal besser, nicht alles immer bis ins Detail zu regeln, sondern manchmal eben eine gewisse Balance und eine … eine Groß‐ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 208 <?page no="209"?> zügigkeit zu haben und bislang scheint ja Luxemburg damit ganz gut zu fahren, mit diesem so etwas Laissez faire in sprachlicher Hinsicht. Also das ist kein Nachteil. Das muss kein Nachteil sein.“ Die Germanisierung Luxemburgs unter nationalsozialistischer Besatzung, hat den Status der deutschen Sprache im Land nachhaltig beeinflusst. Die Ko-Do‐ minanz von Deutsch und Französisch, als offizielle Artikulationssprachen des Staates, wurde nach 1945 zu einer Seite so weit wie möglich abgeschwächt. Diane Krüger erinnerte sich im Experteninterview daran, dass ihr geraten wurde sich die luxemburgische Produktion Heim ins Reich anzusehen, als sie ihre Stelle als Repräsentantin des Goethe Instituts beim Kulturinstitut Pierre Werner in Lu‐ xemburg antrat. Als Verantwortliche für das deutschsprachige Kulturprogramm sollte sie von Anfang an sensibel im Umgang mit der deutsch-luxemburgischen Geschichte sein: Diane Krüger: „Und ich muss auch sagen, als ich hier angefangen habe, wurde mir dann auch direkt von den Luxemburgern ein Film zur Verfügung gestellt, der ganz bekannte Dokumentarfilm über die Besetzung Luxemburgs, ‚Heim ins Reich. Der wurde mir auch direkt am Anfang, ja, präsentiert. Deshalb denke ich, ist das schon sehr präsent […].“ Der Stellenwert, welcher der deutschen Sprache politisch zuerkannt wird, wird bis heute von diesen Kriegserfahrungen mitbestimmt, jedoch zusätzlich abge‐ stuft durch die demografische Entwicklung des Landes. Mit dem Sprachengesetz von 1984 wurde der deutschen Sprache (gegenüber der französischen und der luxemburgischen) also ein funktional vergleichsweise eingeschränkter Status verliehen. Sie erhielt den Status eine von mehreren Verwaltungssprachen in Luxemburg zu sein, exekutive, gesetzgebende und rechtsprechende Funktionen wurden ihr aber entzogen. Ihr Status reduziert sich somit, juristisch betrachtet, auf einen bloß zweckmäßigen Gebrauchswert, den Timm (2014: 9) als „utilita‐ ristische Zweckbeziehung“ bezeichnet hat und dem die Konnotationen des offi‐ ziellen und formellen Prestiges nicht zugeschrieben wurden. VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 209 <?page no="210"?> 4 Mit dieser Behauptung leitete der Chef der Zivilverwaltung am 06. 08. 1940 die „Ver‐ ordnung über den Gebrauch der deutschen Sprache im Lande Luxemburg“ ein (vgl. Dostert 1985: 110). 5 Es blieb aber bei bloßen Worten. Die zuständigen Instanzen konnten die Kenntnisse nicht überprüfen, da die luxemburgische Sprache hierfür zu wenig standardisiert war (vgl. Scuto 2012: 211). Zwischen 1945 und 2001 wurde kein einziger Einbürgerungsan‐ trag mit der Begründung abgelehnt, dass die Luxemburgischkenntnisse des Antrag‐ stellers nicht ausreichen würden (vgl. ebd.: 212). Das änderte sich erst mit dem Natio‐ nalitätengesetz von 2008. 1 Sprach(en)politik aufgezwungen von außen 1.1 „Die Sprache des Landes Luxemburg und seiner Bewohner ist seit jeher deutsch.“ 4 (1940) Am 21. Januar 1938 gab das Justizministerium der Stadt Luxemburg in den Ta‐ geszeitungen bekannt, dass die „maîtrise courante de la langue luxembourgeoise“ unabdingbar sei, um die luxemburgische Staatsangehörigkeit beantragen zu können (vgl. Scuto 2012: 211). „Il est inutile de poser de telle demande si cette condition n’est pas realisée“ (vgl. ebd.). Luxemburgischkenntnisse wurden so 1938 erstmals zur Voraussetzung für eine Einbürgerung. 5 Der Zeitpunkt dieser Statuserhebung des Luxemburgischen war nicht zufällig gewählt. Die Angst vor einem deutschen Übernahmeversuch war virulent und die luxemburgische Sprache wurde als Kennzeichen der luxemburgischen Identität genutzt (vgl. ebd.; Berg 1993: 17). 1939 wurde die 100-jährige Unabhängigkeit Luxemburgs eindrucksvoll zelebriert. Pauly (2011: 93) sieht in diesen „grandiosen Unabhän‐ gigkeitsfeiern“ einen Akt der „moralischen Aufrüstung“. Am 10. Mai 1940 überschritten die deutschen Truppen die Grenze. Zu diesem Zeitpunkt hatte die großherzogliche Familie mit vier Regierungsmitgliedern bereits das Land in Richtung Frankreich verlassen (vgl. ebd.: 93). Die Großher‐ zogin stellte sich auf die Seite der Alliierten und nahm von London aus, über den Radiosender BBC, Kontakt zu ihrem Volk auf. Am 5. September 1940 über‐ mittelte sie den Luxemburgern zum ersten Mal über die BBC eine Nachricht und benutzte dafür nicht, wie sonst, die französische Sprache, sondern das Lët‐ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 210 <?page no="211"?> 6 Vor Kriegsbeginn wäre es keinem luxemburgischen Staatsoberhaupt eingefallen, bei einem offiziellen Anlass, die luxemburgische Sprache zu wählen. Französisch gehörte zur Etikette des großherzoglichen Hofes, Lëtzebuergesch wurde nicht als vollwertige Sprache betrachtet. Heute wird erwartet, dass die großherzogliche Familie Luxembur‐ gisch beherrscht. Ein allzu französischer Einfluss oder ein hörbarer Akzent werden kritisch beobachtet. Als Erbgroßherzog Guillaume im Oktober 2012 Stéphanie de Lannoy heiratete, wurde in den Medien wiederholt hervorgestrichen, dass die künftige Erbgroßherzogin neben Deutsch- und Französischkenntnissen auch schnelle Fort‐ schritte im Erwerb der luxemburgischen Sprache mache. zebuergesche (vgl. LW4: 14. 04. 2015). 6 Ab dem 9. März 1941 sendete die BBC jeden Sonntag von 8.00 bis 8.15 Uhr eine Spezialsendung in luxemburgischer Sprache (vgl. LW9: 14. 04. 2015). Ab dem 29. März 1943 wurden montags, mitt‐ wochs, freitags und sonntags Sendungen auf Lëtzebuergesch produziert und ab dem 9. Oktober desselben Jahres wurde täglich nach Luxemburg gesendet. In den ersten Monaten tolerierten die Nationalsozialisten noch die luxem‐ burgischen Sprachgewohnheiten. Der Kleinstaat war für sie unwichtig und bloß ein Durchmarschgebiet. Verlautbarungen auf Plakaten, die die Wehrmacht an‐ bringen ließ, wurden sogar im Einklang mit der damals vorherrschenden Praxis, zweisprachig, auf Deutsch und auf Französisch, gedruckt (vgl. Hoffmann 1992: 156). Doch bereits im Juni 1940 änderten sich die Umstände. Luxemburg wurde zum Bestandteil des Gaus ‚Moselland’ erklärt (vgl. Dostert 1985: 54). Die Mehr‐ sprachigkeit des Landes war in den Augen des Besatzers etwas Widernatürli‐ ches, die moselfränkische Varietät, die die Luxemburger gebrauchten, das sicht‐ barste Erkennungsmerkmal ihrer natürlich-deutschen Abstammung (vgl. Péporté et al. 2010: 279). Die französische Sprache wurde in der Folge vollständig aus dem Land verdrängt (vgl. Kramer 1984: 171). Bibliotheken, Theater- und Musikwesen wurden sprachlich gesäubert und auf die nationalsozialistische Weltanschauung hin ausgerichtet (vgl. Dostert 1985: 118 f.). Am 9. Juli 1940 wurden alle Zeitungen bis auf das Luxemburger Wort und das Escher Tageblatt verboten (vgl. Newton 1996: 31). Im Oktober desselben Jahres wurden die Re‐ daktionen mit deutschen Journalisten und Luxemburger Kollaborateuren be‐ setzt (vgl. Hilgert 2004: 197). Am 6. August 1940 wurde die „Verordnung über den Gebrauch der Deutschen Sprache im Lande Luxemburg“ verhängt. Ihr erster Satz lautete: „Die Sprache des Landes Luxemburg und seiner Einwohner ist seit jeher Deutsch“ (vgl. LL10: 26. 09. 1997). Daran schlossen sich die folgenden Vor‐ schriften an: § 1. Die Amtssprache ist ausschließlich die deutsche Sprache. Auch die Gerichts‐ sprache ist ausschließlich Deutsch. § 2. Der Unterricht in allen Schulen erfolgt allein in deutscher Sprache. In den Volksschulen entfällt die französische Sprache als Un‐ 1 Sprach(en)politik aufgezwungen von außen 211 <?page no="212"?> terrichtsfach; in den höheren Schulen wird die französische Sprache als Unterrichts‐ fach auch weiterhin gelehrt. § 3. Tageszeitungen, Wochenschriften und alle sonstigen periodisch erscheinenden Schriften dürfen einschließlich der privaten Anzeigen le‐ diglich in deutscher Sprache erscheinen. Auch für alle übrigen Druckerzeugnisse ist allein die deutsche Sprache zulässig. Die Werbung für Druckerzeugnisse in französi‐ scher Sprache durch öffentliche Auslage und sonstiges öffentliches Anbieten ist un‐ tersagt. § 4. Die Wirtschaft des Landes mit allen Berufszweigen hat sich innerhalb des Landes Luxemburg ausschließlich der deutschen Sprache zu bedienen, insbesondere im Schriftverkehr und in der Werbung aller Art. § 5. Firmenschilder und Häuserauf‐ schriften sind allein in deutscher Sprache zulässig. § 6. Für Verkehrs- und Straßen‐ schilder und Wegweiser sind ausschließlich Aufschriften in deutscher Sprache und mit deutscher Ortsbezeichnung zulässig. § 7. Deutsche Sprache im Sinne dieser Ver‐ ordnung ist das Hochdeutsche. § 8. Verstöße gegen diese Verordnung werden mit Ge‐ fängnis oder Geldstrafe bestraft. An Stelle der gerichtlichen Bestrafung kann polizei‐ liche Bestrafung mit Haft oder Geldstrafe treten. § 9. Die Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Auch die Neufassung der Firmenschilder und Häuser‐ aufschriften sowie der Verkehrs-, Straßenschilder und der Wegweiser hat unverzüg‐ lich zu erfolgen, sie muß spätestens bis 30. September 1940 durchgeführt sein. § 10. Mit der Durchführung dieser Verordnung beauftrage ich die Landesverwaltung in Luxemburg (ebd.). Nur an den weiterführenden Schulen wurde Französisch noch als Fach unter‐ richtet (vgl. Dostert 1985: 142). Ende August 1940 wurden Bücher in französi‐ scher Sprache verboten (vgl. ebd.: 114). Außerdem wurde bekannt gegeben, dass „die Kommission für die Umbenennung der hauptstädtischen Straßennamen eine mühevoll aber anerkennenswerte Arbeit geleistet [habe]“ und „die neuen [Straßen-]Bezeichnungen dem Luxemburger Charakter angepasst“ worden seien (vgl. May 2002: 30). Die Straßenschilder waren landesweit auf Deutsch übersetzt worden, das äußere Erscheinungsbild Luxemburgs ein deutsches geworden. Während ein Großteil der Schilder ohne Weiteres in seine deutsche Entspre‐ chung übersetzt werden konnte, aus der ‚Avenue de la Gare’ etwa die ‚Alte Bahn‐ hofstraße’, aus dem ‚Marché-aux-Poissons’ der ‚Fischmarkt’ wurde, gestaltete sich die Umbenennung mancherorts schwieriger. Straßennamen, die den demokra‐ tischen Grundgedanken hätten aktivieren können, wurden umbenannt: Aus der ‚Rue de la Grève’ wurde die ‚Beethovenstraße’, aus der ‚Avenue de la Liberté’ bezeichnenderweise die ‚Adolf Hitler Straße’ (vgl. ebd.: 31). Es gab Geschäftsinhaber, die versuchten sich den Vorschriften zu wider‐ setzen, indem sie ihre französischen Geschäftsnamen durch luxemburgische er‐ setzten. Im Oktober 1940 wurde auch dies ausdrücklich verboten (vgl. Peporté 2010: 280; Dostert 1985: 112). Der luxemburgische Wortschatz wurde gesäubert, VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 212 <?page no="213"?> 7 Lex Roth: „Ich bin 1933 geboren. Ich kam ins erste Schuljahr, das war 1939. 40 hat der Krieg begonnen und normalerweise hätte ich ja dann im zweiten Schuljahr, so wie das auch heute noch der Fall ist, im zweiten Semester vom zweiten Schuljahr auch ange‐ fangen Französisch zu lernen. Niet. Die Preußen hatten ja komplett davon abgesehen. Französisch, das war tabu. Fertig aus! Und ja, ich hatte also praktisch nur Deutsch gelernt. Und da wurde in der Schule auch noch Deutsch gesprochen. Es waren sogar Lehrer, Lehrerinnen und auch Geistliche da, mit denen hat man kein Wort Luxembur‐ gisch sprechen dürfen. […] Die Preußen hatten das Französische total verboten, so dass wir total in das Deutsche getaucht wurden. Ich kann mich ja auch noch an mein erstes Schulbuch erinnern. Da war voll mit: „Imi heil heil heil! Alle in den Zirkus zingazin‐ gabumbumbum.“ Nun gut wie auch immer. Deutsch. Es war alles Deutsch! “ Entlehnungen aus der französischen Sprache (Bonjour, Merci, …) durften nicht mehr verwendet werden (vgl. ebd.: 114). Im Experteninterview kam Lex Roth auf seine Grundschulzeit während des Kriegs zu sprechen. Die kulturelle Um‐ schulung begann mit dem morgendlichen Hitlergruß und setzte sich in den Lehrbüchern fort: Lex Roth: „Ech sinn 1933 gebuer. Ech sinn an d’éischt Schouljor komm, dat war 1939. 1940 ass de Krich ugaangen a normalerweis hätt ech jo am zweete Schouljoer, sou wéi dat haut nach de Fall ass, am zweete Semester vum zweete Schouljoer, och ugefaang Franséisch ze léieren. Niet ne. D’Preisen haten dat jo komplett ofgesinn. Franséisch, dat war tabu. Sou fäerdeg! An bon, hat also awer praktesch nëmmen Däitsch geléiert. An do ass an der Schoul och nach Däitsch geschwat ginn. Et ware souguer Schoul‐ meeschteren, Léierinnen an Geeschtlecher do, mat deenen hutt ee kee Wuert Lëtze‐ buergesch dierfe schwätzen. […] d’Preisen haten dat Franséischt total verbueden, sou dass mer total an d’Däitscht eragezappt gi sinn. Ech ka mech jo och nach u mäin éischt Schouljorsbuch erënneren. Dat ware lauter: „Imi heil heil heil! Alle in den Zirkus zingazingabumbumbum.“ Bon soit. Däitsch. T’war alles Däitsch! “ 7 ‚De Preis’ bzw. ‚d’Preisen’ wurden zum Inbegriff aller, die sich der deutschen Sache verschrieben hatten (vgl. ebd.: 116). Bis heute ist der Ausdruck in der luxemburgischen Umgangssprache verankert. Hengen und Remackel (2007: 279-284) betrachten ihn als Luxemburger Erinnerungsort, sowohl für die Zeit der preußischen Präsenz in Luxemburg bis 1867, als auch für die deutsche Besatzung während der beiden Weltkriege. Während der Ausdruck im Krieg und in der Nachkriegszeit als Synonym für Nazi und eine rücksichtlose Gewaltherrschaft stand, wird er gegenwärtig vor allem allgemeiner als Ausdruck von Gering‐ schätzung verwendet und steht allgemein als Synonym für ‚die Deutschen’ (vgl. ebd.: 283 f.). Die Inhaltskomponente ‚Zweiter Weltkrieg’ ist nach wie vor, wenn auch nicht vordergründig, präsent. 1 Sprach(en)politik aufgezwungen von außen 213 <?page no="214"?> Wer einen Vor- oder Nachnamen hatte, der Französisch klang, musste auch diesen ablegen. Namen, die sich nicht eins-zu-eins verdeutschen ließen, wurden durch neue ersetzt (vgl. ebd.: 112). So wurde aus Henri Heinrich, aus Charlotte wurde Lotte und aus Jean Johann. Es war ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeit. An dieser Stelle soll ein Ereignis aus der Gegenwart eingefügt werden, das Anfang Februar 2014 noch einmal an diesen Erinnerungen rührte. Die Online‐ redaktion der Zeitung l’Essentiel meldete am 11. Februar 2014: „Aus Johann wird Jean. 17 124 Bürger können nun ihre Vornamen ändern“ (l’essentielonline: 11. 02. 2014). Tageblatt Online titelte am gleichen Tag: „Aus Heinrich wird wieder Henri“ und das Luxemburger Wort wählte den Titel: „Doch keine deutschen Zwangsnamen“ (Tageblonline: 11. 02. 2014; LW: 11. 02. 2014). L’essentiel führte weiter aus: Luxemburg - Tausende Bürger, deren Vornamen während des Zweiten Weltkrieges verdeutscht wurden, können nun ihre französischen Vornamen zurückbekommen (l’essentielonline: 11. 02. 2014). Weiterhin wurde erklärt, dass aufgrund des Gesetzes über die Identifizierung na‐ türlicher Personen, das am 19. Juli 2013 verabschiedet worden war, im nationalen Personenregister künftig keine Gebrauchsnamen mehr berücksichtigt werden könnten. Nur noch die offiziellen, in den Geburtsurkunden vermerkten Namen, könnten festgehalten und auf allen Reisedokumenten, Ausweisdokumenten, Führerscheinen und anderen Verwaltungsdokumenten geführt werden. Bis heute sind die deutschen Kriegsnamen als Geburtsnamen vermerkt - auch wenn ‚Jean’ nie ‚Johann’ und ‚Charlotte’ nie ‚Lotte’ genannt wird. Nach Kriegsende hat man in Luxemburg bewusst zwischen den Geburtsnamen (‚prénom de naissance’) und dem Gebrauchsnamen (‚prénom usuel’) unterschieden. Auf diese Weise konnten die französischen Gebrauchsnamen problemlos in allen offiziellen Do‐ kumenten geführt werden - bis zum Gesetz vom 19. Juli 2013. In dessen Folge wurden Bürger, die vor 1945 geboren waren, wieder vermehrt von offizieller Seite mit ihrem deutschen Kriegsnamen angeschrieben. In der Presse wurden die Vorfälle gemeldet. Daraufhin bekamen Betroffene in der Woche vom 10. Februar 2014 Post vom Ministerium. Es war ein offizielles Schreiben in drei Sprachen mit beigelegtem Formular. Den Adressaten wurde angeboten ihre deutschen Vornamen endgültig in das französische Äquivalent umändern zu lassen. Das Ministerium reagierte im Anschluss an die öffentlichen Diskussi‐ onen. Interessant ist auf welche Weise: Das Anschreiben war in drei Sprachen verfasst. Eines war beidseitig bedruckt worden, in französischer und deutscher Sprache, ein anderes separat beigelegt worden auf Luxemburgisch. Der Vor‐ name, an den sich das Schreiben des Ministeriums richtete war der Gebrauchs‐ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 214 <?page no="215"?> name der Betroffenen. Das Thema erforderte die nötige sprachliche Sensibilität. Das auf Lëtzebuergesch beigelegte Schreiben sollte wohl nicht nur Verständ‐ niszwecken dienen, sondern darüberhinaus Nähe und Vertrauen suggerieren, vielleicht auch aufkommende Erinnerungen sofort abschwächen. In der Regel sollen Schreiben, die in deutscher und französischer Sprache verfasst sind, ga‐ rantieren, dass offizielle Dokumente von allen Bürgern verstanden werden, die Verwendung jeder weiteren Sprache ist dann zielgruppenabhängig (s. a. Unter‐ kapitel 7). 1.2 Personenstandsaufnahme vom 10. Oktober 1941 „language acts are acts of identity“ (Tabouret-Keller 2008) Die Zivilverwaltung benötigte verlässliche Angaben, um das „alte[…] Reichs‐ land“ Luxemburg so schnell wie möglich von nichtdeutschstämmigen Einwoh‐ nern, also Nicht-Luxemburgern, zu befreien (vgl. Dostert 1985: 152; LW14: 10. 10. 1991). Nachdem eine erste Volks- und Betriebszählung 1940 wenig ver‐ wertbare Daten geliefert hatte, sollte die erneute Volkszählung die Anlegung einer „Kartei des fremden Volkstums“ ermöglichen (vgl. LW14: 10. 10. 1991; Dos‐ tert 1985: 153). Die Angaben sollten außerdem „für die allgemeinen politischen Zwecke Verwendung finden“ (vgl. ebd.). Die Bevölkerung sollte sich bei den Fragen nach ihrer Muttersprache, Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit zum Deutschen Reich bekennen (vgl. Kramer 1984: 172). Um Luxemburgisch als Antwortmöglichkeit von vornherein auszuschließen, stand unter der Frage, die die Muttersprache betraf, folgende Zusatzerklärung: In der Regel besitzt jeder Mensch nur eine Muttersprache, in welcher er denkt und deren er sich in seiner Familie und im häuslichen Verkehr am liebsten bedient, weil sie ihm am geläufigsten ist, z. B. deutsch, italienisch, französisch, polnisch … Dialekte (Mundarten) z. B. luxemburgisch, plattdeutsch, gelten nicht als Mutter‐ sprache (LL10-11: 11. 10. 1985). Zur Frage 8 (Volkszugehörigkeit) wurde angemerkt: Anzugeben ist das Volk, dem der einzelne sich innerlich verbunden fühlt und zu dem er sich bekennt, also deutsch, italienisch, französisch, polnisch u. dgl. Die Volkszuge‐ hörigkeit ist nicht mit Staatszugehörigkeit oder Muttersprache zu verwechseln und kann davon abweichen. Es soll auch nicht die Stammeszugehörigkeit (wie z. B. lu‐ xemburgisch, bayrisch, sächsisch) eingetragen werden. Ein Bekenntnis zu zwei Völ‐ kern ist nicht möglich (ebd.). 1 Sprach(en)politik aufgezwungen von außen 215 <?page no="216"?> 8 „Fallt nicht darauf rein. Unsere Sprache ist älter als der Kasernenquatsch der Preußen. Die Muttersprache ist die Sprache, die wir auf dem Schoß unserer Mutter gelernt haben und die uns angeboren ist. Es ist unsere luxemburgische Sprache. Unsere Sprache, un‐ sere Heimat- und Muttersprache, ist die luxemburgische Sprache, die uns mehr als alles sonst als Luxemburger stempelt und adelt und uns von den Preußen unterscheidet und uns eine Eigenart gibt. Die Preußen ärgern sich genug darüber, dass sie uns nicht ver‐ stehen.“ 9 Und in gewisser Weise ist die Mehrsprachigkeit des Landes bzw. seiner Entscheidungs‐ träger bis heute eine soft power in Gestalt einer Verhandlungskompetenz geblieben, die auch als Kennzeichen einer europäisierten Gesellschaft / Metropole fungiert (s. a. Ger‐ hards 2010: 214). 10 Lex Roth: „Das war der erste kollektive Resistenzakt der Luxemburger, da 98 % [der Bevölkerung] hinter jede Frage einfach Lëtzebuergesch setzten. Das ist die berühmte Geschichte vom 3 x Lëtzebuergesch. Das war aber kein Referendum, sondern es war getarnt als Personenstandsaufnahme. De facto war es aber ein Referendum. […] Ob‐ schon die Luxemburger sonst nichts hatten, um sich zu wehren, als ihren Sturkopf und ihren Willen eigenständig zu sein, ein eigenständiges Land zu sein, so klein wie es auch ist - die 2 600 km 2 , die retten uns nicht, aber darum geht es auch gar nicht! “ Nach der Volkszählung wurde angeordnet, die ausgefüllten Zählkarten stich‐ probenartig durchzusehen. 98 % der Bevölkerung hatten die drei Fragen mit ‚Lëtzebuergesch’ beantwortet. Die weitere Auswertung wurde abgebrochen. Die Widerstandsbewegungen hatten im Vorfeld mit Flugblättern über das Motiv der Volkszählung informiert. So stand auf einem Flugblatt der Letzeburger Freihetsbewegong: Fâlt nit drop eran. Ons Sprôch ass me’ âl ewé de Preisen hiren Kasèrequatsch. D’Mam‐ mesprôch ass d’Sprôch, dé mir op der Mamm hirem Sch’oss gele’ert hun an ons uge‐ bueren ass. Et ass ons Letzeburger Sprôch. Ons Sprôch, ons Hémechtsa Mamme‐ sprôch, ass d’Letzeburger Sproch, de’ ons me we alles soss als Letzeburger stämpelt an âdelt, a vun de Preise schèd an ons en ègenen Cachi gött. D’Preise si rôse genug, dat se ons nit verstinn. (vgl. LW13: 10. 10. 1991). 8 Lëtzebuergesch fungierte als soft power, wo keine hard power zur Verfügung stand. 9 Die Sprache wurde im Krieg ganz bewusst als Akt der Resistenz einge‐ setzt und wirkte als verbindendes Element. Lex Roth: „Dat war deen éischte kollektive Resistenzakt vun de Lëtzebuerger, well do waren 98 %, déi op all Fro einfach Lëtzebuergesch dohinner gesat hunn. Dat ass déi berühmte Geschicht vun dräimol Lëtzebuergesch. Dat war awer kee Referendum, mee et war getarnt als Personenstandsaufnahme. Mee de facto war et ee Referendum. Trotz deem, dass d’Lëtzebuerger soss näischt haten fir sech ze wieren, wéi hiren Tockskapp, hire Klackskapp an hire Wëll eegestänneg ze sinn, een eegent Land ze sinn, sou kleng wéi och ëmmer, déi 2 600 km 2 , déi retten eis net, mee dorëm geet et guer net! “ 10 VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 216 <?page no="217"?> 11 Am 9. September 1944 erreichte die 5. Panzerdivision der 12. US-Armee die luxembur‐ gische Grenze (vgl. Pauly 2011: 101). Einen Tag später befreite sie die Hauptstadt und in den Tagen darauf rund 90 % des Landes (vgl. ebd.). Die schwerste Zerstörung stand dem Land aber noch bevor. Es kam zur Rundstedt-Offensive, die die Nord- und Ostre‐ gion Luxemburgs erfasste und unzählige Tote forderte. Erst am 22. Februar 1945 wurde das Land befreit (vgl. ebd.). 12 Jahre später wurden auf Drängen der Actioun Lëtzebuergesch alle Ortsschilder um ihre luxemburgischen Entsprechungen ergänzt. Das geschlossene dräimol Lëtzebuergesch ging in das kollektive Bewusstsein ein und hat das Nationalgefühl nachhaltig bestärkt. Newton (1996: 97) gelangt zu der Feststellung, dass die Sprache zum zentralen Merkmal der Nationenkon‐ struktion in Luxemburg geworden ist: „the nation’s identity is primarily one of language.“ Bis heute wird alljährlich an dieses deutliche Bekenntnis erinnert. Für den Historiker Paul Dostert bildet das dräimol Lëtzebuergesch den Abschluss in der Entwicklung des luxemburgischen Nationalbewusstseins (vgl. ebd.: 158). Vor dem Krieg dominierte die deutsche Sprache in der privaten Schriftlichkeit (vgl. Wagner 2012: 152). Briefe, Einkaufslisten, Notizen wurden instinktiv auf Deutsch verfasst. Auf Luxemburgisch zu schreiben, kam kaum jemandem in den Sinn, denn die deutsche Sprache wurde als die elaboriertere, schriftliche Ent‐ sprechung des gesprochenen Dialekts angesehen. Dass man diese Praxis der Luxemburger und die Frage nach Dialekt oder Standardsprache missbrauchen konnte, um eine deutsche Zugehörigkeit zu unterstellen, wurde erst im Krieg deutlich. Nun konnte die deutsche Schriftsprache nicht mehr als neutrales Werkzeug betrachtet werden. Während rund 55 Jahre später beim Entstehen neuer Textsorten, wie SMS, Chat und ‚Online-Posts’, unbewusst Luxemburgisch als Ausdruckssprache gewählt wird, war die Sprachwahl im Krieg eine ganz bewusste Wehrhaltung. Zwangsrekrutierte wiesen in ihren Briefen an die Fa‐ milien vermehrt darauf hin, dass sie die Entscheidung auf Deutsch zu schreiben, nicht freiwillig getroffen hätten (vgl. ebd.). Nach der Befreiung des Landes wurde die deutsche Sprache aus dem Land‐ schaftsbild verdrängt. 11 Die deutschen Straßen- und Ortsnamen verschwanden und die französischen und luxemburgischen Bezeichnungen traten wieder an ihre Stelle. 12 Bis heute existiert für jede Ortschaft in Luxemburg eine offizielle Bezeichnung auf Deutsch, die allerdings nur noch in Übersetzungen und Pres‐ seberichten verwendet wird. Lediglich 6,32 % der monolingualen, institutionellen Zeichen (Top-down-Zei‐ chen) sind heute auf Deutsch verfasst und nur 10,01 % der monolingualen Bottom-up-Zeichen (kommerzielle, private Zeichen) nutzen die deutsche Sprache (vgl. Gilles et al. 2010: 93). 67,37 % der sogenannten Top-down-Zeichen und 58,15 % der Bottom-up-Zeichen sind auf Französisch gehalten (vgl. ebd.). 16,84 % 1 Sprach(en)politik aufgezwungen von außen 217 <?page no="218"?> 13 F. S.: „Wäre es denn nach dem Krieg, 1948, nicht denkbar gewesen dieses Gesetz [Spra‐ chengesetz] zu machen? “ Lex Roth: „1948 hat niemand mehr daran gedacht. Das ist das Paradoxe an der Sache. Direkt nach dem Krieg, also sagen wir 1945, wurde als erstes die deutsche Sprache aus dem Parlament herausgeworfen, ist verboten worden. Früher war das immer so eine Synopsis, also Französisch und Deutsch. Und dieser Schwung gegen alles, was preußisch war, das war genauso falsch.“ der Top-down-Zeichen und 13,22 % der Bottom-up-Zeichen nutzen das Luxem‐ burgische (vgl. ebd.). Fröhlich (1992: 192) gewann den Eindruck, dass bei einer Einreise aus der Bundesrepublik Deutschland ein optisch wesentlich stär‐ kerer Eindruck entsteht, man betrete ein fremdes Land, als dies bei der Einreise über die luxemburgisch-französische Staatsgrenze der Fall ist. Dieser Eindruck wird nicht nur bestärkt durch die Sprachpraxis der Menschen, die hier leben, sondern er ist auch politisch seit Kriegsende so gewollt. Wenn Luxemburg ein auch deutschsprachiges Land ist, dann ist dies eine gut ver‐ steckte Tatsache, konstatiert Sieburg (vgl. 2013: 87). In der Nachkriegszeit wurde diese Tatsache nicht mehr demonstrativ nach außen getragen. Im Mai 1945 wurde die offizielle Bezeichnung des Großherzogtums in das französische Lu‐ xembourg umgeändert (vgl. Timm 2014: 9). Bis heute ist Französisch die offizielle Schriftsprache der Politik. Es wurde fortan in allen H-Domänen eingesetzt, für die das Luxemburgische zu wenig standardisiert oder eine internationale Ver‐ kehrssprache erforderlich war. Kramer (1984: 173) bezeichnet die Aussöhnung Luxemburgs mit Deutschland als eine der schwierigsten Aufgaben der direkten Nachkriegszeit. F. S.: „An dunn nom Krich 1948, wier et dann dunn net denkbar gewiescht dat Gesetz [Sproochegesetz] ze maachen? “ Lex Roth: „1948 huet kee méi doru geduecht. Do läit de Paradox. Direkt nom Krich, also loosse mer soen 1945, ass mol fir d’éischt déi däitsch Sprooch aus der Chamber erausgehäit ginn, ass verbuede ginn. Soss war dat ëmmer eng Synopsis also Fransé‐ isch / Däitsch. An dee Schwong géint alles, wat preisesch war, dat war genee esou falsch.“ 13 Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde eine bewusste Än‐ derung des Sprachengebrauchs in Luxemburg vollzogen. In der Abgeordneten‐ kammer (Chambre des Députés) wurde immer mehr Luxemburgisch gesprochen. Der Kammerbericht, in dem die erste Eröffnungsdebatte nach dem Krieg abge‐ druckt ist, enthält 119 gesprochene Zeilen auf Französisch und 82 auf Luxem‐ burgisch (vgl. Peporté et al. 2010: 283). Die Eröffnungsdebatte der Beratenden VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 218 <?page no="219"?> 14 Sie bestand nach dem Krieg, um die Abgeordnetenkammer in ihrer Arbeit eine Zeit lang zu unterstützen. Versammlung (Assemblée Consultative) 14 , die am 20. März 1945 stattfand, wurde ganz auf Luxemburgisch abgehalten, nur die Ansprache des Staatsministers Pi‐ erre Dupong war auf Französisch (vgl. ebd). Seit der Verabschiedung des Spra‐ chengesetzes im Jahr 1984 finden die Debatten in der Abgeordnetenkammer ausschließlich auf Luxemburgisch statt (vgl. Esmein 1998: 66). 1996 hielt Jean-Claude Juncker als erster Regierungschef die Regierungserklärung zur wirt‐ schaftlichen, sozialen und finanziellen Lage der Nation auf Luxemburgisch (vgl. Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung 2008: 4). Heute würde es befremdlich wirken, wenn dafür eine andere Sprache als Luxemburgisch ge‐ wählt werden würde. Um sich explizit an die ausländischen Mitbürger im Land zu wenden, wählen Regierungschef und Staatsoberhaupt die französische Sprache. So hält Großherzog Henri seine alljährliche Weihnachtsansprache auf Luxemburgisch und nimmt gegen Ende der Ansprache, mithilfe der Formel Mes chers compatriotes, einen Sprachwechsel vor, um sich auf Französisch an die übrigen Sprachgruppen im Land zu wenden (vgl. rtl.lu: 25. 12. 2014). Wenn Politiker nur bestimmte Gesellschaftsfelder und Akteure fokussieren, wählen sie die Sprache, die im entsprechenden Feld dominiert, in der Domäne Wirtschaft etwa die Verkehrssprachen Französisch und Englisch. So hielt Wirt‐ schaftsminister Etienne Schneider seine Ansprache während der Economy Days, die am 4. und 5. Februar 2014 in Luxemburg stattfanden, auf Französisch (vgl. rtl.lu: 04. 02. 2014). 2 Korpusplanung zugunsten des Luxemburgischen (1945 - 1977) Als das Luxemburger Wort am 11. September 1944 die Befreiung des Landes ver‐ kündete, war die Zeitung nicht in der gewohnten Sprache der Presse verfasst, sondern auf Luxemburgisch (vgl. Hilgert 2004: 203). Die Zeitungen im Land wählten die Sprache, um der Befreiung Ausdruck zu verleihen. Kurze Zeit später kehrten sie allerdings wieder zur deutschen Schriftsprache zurück. Auch lu‐ xemburgische Schriftsteller, die ihre Kriegserlebnisse schreibend verarbeiteten, wählten dazu nach dem Krieg die deutsche Sprache (vgl. Telecr: 28. 03. 2009). Es war nun mal die einzige Schriftsprache, die sie wirklich beherrschten. Das Deut‐ sche war zu dieser Zeit und noch lange danach eine Stiefmuttersprache für Lu‐ xemburger Journalisten und Schriftsteller (vgl. Hausemer 1984: 37). Der Aus‐ 2 Korpusplanung zugunsten des Luxemburgischen (1945 - 1977) 219 <?page no="220"?> 15 F. S.: „Erschien diese Zeitung [d’Unio’n] nach dem Krieg ganz auf Luxemburgisch? “ Lex Roth: „Ja, aber in was für einem Luxemburgisch! […] Die wollten noch luxemburgischer sein [als möglich ist] - das geht nicht. Das geht nicht, weil all jene, die damals eine Zeitung lesen konnten, die waren ja alle auf Deutsch alphabetisiert worden.“ 16 1948 fusionierte die Zeitung mit der Obermosel-Zeitung. Im selben Jahr entstand aus der ehemaligen Widerstandszeitung und der Obermosel-Zeitung das liberale Luxemburger Journal (vgl. Grégoire 1989: 98). druck, der vom Luxemburger Autor Georges Hausemer geprägt wurde, enthält die Konnotation der widerwilligen Akzeptanz einer nicht abzustreitenden fa‐ miliären Bindung. Die Resistenzzeitung d’Unio’n blieb die einzige Zeitung, die nach dem Krieg eine Weile ganz auf Luxemburgisch erschien, was auch damit zusammenhing, dass es eine Parteizeitung war und die Redakteure der Zeitung eine politische Rolle anstrebten (vgl. Hilgert 2004: 208). F. S.: „War déi Zeitung [d’Unio’n] nom Krich du ganz op Lëtzebuergesch? “ Lex Roth: „Jo, awer wat fir ee Lëtzebuergesch! […] Déi wollten harno méi lëtzebu‐ ergesch sinn - dat geet net. Dat geet net, well alleguerten déi, déi deemools eng Zeitung liese konnten, dat waren der jo alleguerten, déi op Däitsch alphabetiséiert gi sinn.“ 15 Obschon die Mehrheit der Luxemburger am liebsten diese utilitaristische Zweckbeziehung aufgekündigt hätte, entsprach es ihrer Gewohnheit Deutsch zu lesen. Die Sprache der Unio’n erfasste zwar den Zeitgeist, blieb für das Le‐ serauge aber ungewohnt und konnte sich auf dem Zeitungsmarkt nicht durch‐ setzen. 16 Um den Statuswechsel der luxemburgischen Sprache von der Mundart zur Sprache zu vollziehen, musste ein sprachinterner Ausbau erfolgen. Im Bereich der Korpusplanung war dazu die Erarbeitung eines Wörterbuchs, das als Refe‐ renzorgan für das Luxemburgische dienen konnte, ebenso notwendig, wie die Festlegung einer verbindlichen Orthografie. So nennt Ferguson (vgl. 1968; zit. n. Fasold 2004: 248) drei Punkte, die für den Ausbau einer Sprache (language development) relevant werden: Graphization, Standardization und Moderniza‐ tion. Unter ‚Graphisierung’ versteht er die Übertragung einer zuvor mündlich gebrauchten Varietät in ihre Schriftform und die Festlegung einer verbindlichen Orthografie (vgl. ebd.). Die Standardisierung betrifft die Herausbildung einer Standardvarietät, die von der Sprachgemeinschaft als beste Form der Sprache angesehen wird. (vgl. ebd.). Modernisierung einer Sprache bedeutet ihre Weiter‐ entwicklung zu einem Kommunikationsmedium, das die gleichen Funktionen übernehmen kann, wie andere vollwertige Standardsprachen (vgl. ebd). Im Jahr 1916 erschien das Schulbuch „Das Luxemburgische und sein Schrifttum“ in der Rechtschreibung von René Engelmann und Nik Welter. Die VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 220 <?page no="221"?> Rechtschreibregeln von Engelmann und Welter basierten auf der Auffassung, dass eine luxemburgische Orthografie sich am deutschen Schriftsystem orien‐ tieren muss (vgl. Stell 2006: 41). Für die luxemburgischen Schüler war die Or‐ thografie von Engelmann und Welter somit intuitiv beherrschbar (vgl. Gilles 2011 / 2012 Seminarunterlagen). 1946 setzte die luxemburgische Regierung eine Sonderkommission ein, die neue, verbindliche Regeln für das Luxemburgische erarbeiten sollte (vgl. Esmein 1998: 37). Wenig später wurde die Marque-Feltes-Orthografie (auch: T ofizièl lezebuurjer ortografie „OLO“) offiziell per Gesetz verabschiedet und in den Schulen eingeführt. Es war eine auf dem Lautprinzip fußende Rechtschreibung, durch die sich die luxemburgische Sprache visuell möglichst weit vom deutschen Schriftbild entfernte (vgl. Stell 2006: 41). Im Ministerial-Erlass hieß es: […] Considérant que l’emploi de notre parler national comme langue écrite se heurte surtout à l’absence d’une orthographe uniforme ; Considérant que si la langue lu‐ xembourgeoise doit former matière d’enseignement, il est indispensable de donner aux élèves des règles nettes et précises d’après lesquelles s’écriront les mots de la langue ; Vu les propositions de la Commission spéciale chargée d’établir une ortho‐ graphe luxembourgeoise ; Arrêté ; Art. 1 er . Il est introduit une orthographe officielle de la langue luxembourgeoise d’après les principes exposés dans l’annexe. […] (Me‐ morial Nr. 40, 07. 09. 1946) Fasold (2004: 252) führt aus: Probably the major tool that governments use in implementing language-planning de‐ cisions is the educational system. If a language has been selected to be the national lang‐ uage, the government can order it to be taught as a subject to all school children, or even to be used as a medium of instruction for teaching other subjects. In der Sprachwissenschaft wird heute die Ansicht vertreten, dass es zum einen die Einstellung der Sprecher gegenüber ihrer Varietät ist, die darüber ent‐ scheidet, ob man von einem ‚Dialekt’ oder einer ‚Sprache’ reden kann und zum anderen, die Varietät einen gewissen Kodifizierungsgrad in der Schriftlichkeit erreicht haben muss (ein Wörterbuch, Grammatik, Literaturkorpus etc. auf‐ weisen muss), um als Sprache angesehen werden zu können (vgl. Weber 1994: 132). In seinen Ausführungen zum Status des Luxemburgischen basierte sich Heinz Kloss (1978) auf die Auskunft, die er vom luxemburgischen Bildungsmi‐ nisterium im Juli 1947 erhalten hatte: Eine Auskunft des luxemburgischen Unterrichtsministeriums vom 05. 07. 1947 an den Verfasser besagte: ‚Das Letzeburgische ist als Schriftsprache anzusehen. Das Letze‐ burgische hat seine eigene Orthographie; es wird in den Volksschulen als Unterrichts‐ 2 Korpusplanung zugunsten des Luxemburgischen (1945 - 1977) 221 <?page no="222"?> 17 „Der Luxemburgischkurs soll die Kinder dazu bringen, ihre Heimatsprache lesen und schreiben zu können.“ fach gelehrt und in einzelnen Fächern als Hilfssprache gebraucht. Es wird neben Französisch im Parlament gebraucht; die Sitzungsberichte geben die Diskussionen in der Sprache wieder, in der sie vor sich gehen. Das Letzeburgische ist als offizielle Sprache völlig gleichberechtigt mit dem Französischen und dem Deutschen’ (Kloss 1978: 107). Alle Kriterien, die das Luxemburgische als vollwertige Sprache erscheinen lassen, wurden hier angeführt: Funktionsfähige Schriftsprache, eigene Ortho‐ graphie, eigenes Unterrichtsfach, Verwendung in der H-Domäne Politik. Der deutsche Linguist sollte auf keinen Fall den Eindruck haben, als sei das Luxem‐ burgische ein bloßer Dialekt, der neben dem Deutschen und dem Französischen verwendet wird. In den Schulen wurde der Umfang des Deutschunterrichts unmittelbar nach dem Krieg deutlich reduziert, u. a. auch um den Erwerb der französischen Sprache voranzutreiben (vgl. Péporté et al. 2010: 285). Luxemburgisch war be‐ reits 1912 zu einem Schulfach in der Primarschule geworden. 1946 wurde es auch in die Sekundarschule eingeführt, wodurch eine Statuserhöhung signal‐ isiert wurde (vgl. ebd.). Die Ziele des Luxemburgischunterrichts lauteten 1946 wie folgt: De cours fum Letzebuurjeshe sol t kaner derzou brengen hiir hèèmechtsshprooch ze liesen an ze shraiven. 17 (Arrêté ministériel vom 30. 12. 1946, zit. n. Péporté et al. 2010: 285) Diese Anweisung wurde nach den Regeln der Marque-Feltes-Orthografie ver‐ fasst. Ein Auszug aus dem Schulbuch, das ab 1946 in den Primarschulen einge‐ setzt wurde, zeigt wie weit die Ablehnung der Orientierung am deutschen Schriftbild ging: T’Lischen voor dat éélst. Sii vor zwielef joer mei aal wei ech. Sii haat also uechzeng joer, vei ech an t shoul si gaangen. Fu jongktem un haat se mech appartei gieren an huet sech fil mat mer oofgin. Ech erennere mech nach, vei se mueres geholef huet mech undun a meng hoer fäi gekèmt huet, vei ech fiir t eischt an t shoul si gaangen, a vei se fun déém daach un emer an emer hanert mer voor, fiir t léksioun bai er op‐ zesoen an er ze ferzielen, vei et an der shoul gong (Auszug aus dem Schulbuch „Leze‐ buurjer Gedichter a Prosashteker fiir ons Shoulen“ (1946, zit. n. Gilles 2011 / 2012). Die Schreibweise erscheint aus heutiger Sicht absurd. Den Schülern, die damals mit ihr konfrontiert wurden, ging es nicht anders. Sie sollten ein Schreibsystem VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 222 <?page no="223"?> 18 Lex Roth: „Da wurde dann eine Schreibweise gemacht, die versucht hat alles, was auch nur irgendwie Deutsch roch, so weit wie nur möglich [aus der luxemburgischen Schreibweise] herauszunehmen, was idiotisch war. Denn die Generation, die das ak‐ zeptieren sollte, die hat das nicht akzeptiert. […] Ich habe den Ministerial-Erlass noch. […] Sie würden sich kaputt lachen! Ich war damals in der siebten Klasse und wir hatten dann einen Lehrer, der sich damit amüsieren sollte. […] Man hat sich über sie [die Schreibweise] lächerlich gemacht.“ 19 Im Vorwort des Buches wird erwähnt, in welch kurzer Zeit die Neuauflage geliefert werden musste. Das Buch folgt der alten Rechtschreibung. Es wird aber darauf ver‐ wiesen, dass die nächste Auflage an die neue angepasst werden soll (vgl. Welter 1947: 5). erlernen, das nicht mehr intuitiv beherrschbar war, weil es mit ihren Gewohn‐ heiten brach. Die französische Sprache, die hier auf einmal Sprachvorbilder lie‐ ferte, beherrschten sie nicht. Lex Roth: „Do ass dann eng Schreifweis gemaach ginn, déi probéiert huet, fir sou wäit wéi méiglech alles, wat iergendwéi och nëmmen no Däitsch geroch huet, eraus‐ zehuelen, wat idiotesch ass. Well déi Generatioun, déi dat sollt akzeptéieren, déi huet dat net akzeptéiert. […] Ech hunn den Arrêté. […] Dir laacht Eech vreckt. Ech war deemools op 7 ième an dunn hate mir ee Prof., dee sech hutt missen domatten amesé‐ ieren. […] Déi [Schreifweis] ass ridiculariséiert ginn.“ 18 Fasold (2004: 257) weist darauf hin, dass Korpusplanung sinnlos ist, wenn ihre Inhalte nicht angenommen werden: It is far from automatic that the implementation of a language-planning alternative will be successful, even if its benefits justify its costs. […] Haugen (1966b: 60) adds: ‘In any literate community with some tradition behind it there is a whole set of convic‐ tions and rationalizations concerning speech and writing, against which the planner may turn out to be powerless’ […]. Language use is fundamentally such a personal affair that real change is only possible with the consent of the language user. Der Versuch, die Marque-Feltes-Orthografie verbindlich durchzusetzen, schei‐ terte. 1947 wurde das Schulbuch von Nik Welter (Das Luxemburgische und sein Schrifttum), das sich vor dem Krieg bewährt hatte und die Engel‐ mann-Welter-Orthografie berücksichtigte, wieder neu aufgelegt. 19 Zur selben Zeit ruderte auch Bildungsminister Nicolas Margue zurück und erklärte, dass die Vermittlung der offiziellen Schreibweise optional sei (vgl. Péporté et. al 2010: 286 f.). Im Dezember 1948 versuchte der neu gewählte Bildungsminister Pierre Frieden die Lehrkräfte wieder zu einem normalen Umgang mit der deutschen Sprache zu bewegen: 2 Korpusplanung zugunsten des Luxemburgischen (1945 - 1977) 223 <?page no="224"?> 20 Die Vorarbeiten zur Erstellung eines Wörterbuchs, das den luxemburgischen Wort‐ schatz zusammenfasste, hatten bereits 1935 begonnen, als von Regierungsseite eine Wörterbuchkommission eingesetzt wurde, die ein großes Wörterbuch der luxembur‐ gischen Sprache erstellen sollte. Vorsitzender der Kommission war Joseph Tockert. Nach dem Krieg nahm die Wörterbuchkommission ihre Arbeit wieder auf (vgl. Gilles 2011 / 2012). Tockert wurde erneut ihr Vorsitzender, erlebte die Fertigstellung des Wör‐ terbuchs allerdings nicht mehr. 21 1955 veröffentlichte er unter dem Titel Précis populaire de grammaire luxembourgeoise = Luxemburger Grammatik in volkstümlichem Abriss seine Orthografie der luxemburgi‐ schen Sprache, für die er die Engelmann-Welter-Orthografie zum Vorbild nahm (vgl. Péporté et al. 2010: 289). L’allemand reste la seule langue que tout Luxembourgeois lise couramment et sache écrire avec une certaine correction […] L’emploi du luxembourgeois devra être réservé aux seuls cas où il en résultera un profit pédagogique pour les élèves. Si certaines explications surtout dans la première classe sont données en patois, il ne sera pas toléré à l’avenir que tout l’enseignement se fasse dans cette langue (Courrier des écoles du Luxembourg 1, 1949, zit. n. Péporté 2010: 285). Interessanterweise wird das Luxemburgische hier wieder als „patois“, als Dia‐ lekt, bezeichnet, wenn auch in der darauffolgenden Zeile dann wieder als „langue“. Die Anzahl der Unterrichtsstunden im Luxemburgischen und ihre Verwendung im Unterricht gingen wieder dauerhaft, zugunsten der deutschen Sprache, zurück. Die Jahre zwischen 1950 und 1970 werden von Fernand Fehlen (2013b: 34) als „zwei Jahrzehnte sprachpolitischen Stillstands“ zusammengefasst. Auch Peporté et al. (2010: 288) sind der Meinung, dass [c]ompared to the enthusiasm of the immediate post-war period and the multiple initi‐ atives that emerged in the 1970s, this period was characterised by a relative decline in interest in the language. Der europäische Einigungsprozess und ein Wirtschaftsaufschwung bestimmten das Zeitgeschehen. Die Fixierung auf das Luxemburgische hätte die Isolation bedeutet. Während der öffentliche Sprachdiskurs in dieser Zeit abflaute, schritt die sogenannte Wörterbuchkommission, die mit der Fertigstellung des großen Luxemburger Wörterbuchs betraut worden war, mit ihrer Arbeit voran (vgl. Pé‐ porté et al. 2010: 288). 20 Zwischen 1950 und 1977 erschien das Wörterbuch in insgesamt fünf Bänden (vgl. Weber 1994: 135). Eine neue Orthografie, in der das Wörterbuch verfasst wurde, die so genannte Dictionnairesschreifweis [Wörter‐ buchschreibweise] wurde von dem Dialektologen Robert Bruch erarbeitet (vgl. Péporté et al. 2010: 288). 21 Am 10. Oktober 1975 wurde sie zur offiziellen neuen luxemburgischen Rechtschreibung erklärt. Im Gesetzestext wird betont: VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 224 <?page no="225"?> 22 „Wir halten uns gemeinhin an das deutsche Wortbild, das wir gewohnt sind, wo es notwendig erscheint auch an das französische.“ 23 „Jede Sprache im Land lässt sich auf diese Weise schreiben, aber es reicht schon, wenn wir eine gut wiedergeben können: unsere Umgangssprache - ein Gutländisch, das die Menschen überall verstehen. Das soll nicht heißen, dass jeder so sprechen muss, son‐ dern nur, dass jeder damit zurechtkommen würde.“ 24 „Eine Gesellschaft zu sein, um unserer Sprache auf jede vernünftige Weise zu helfen und ihr überall die Rechte zu verschaffen, die ihr zustehen“ (vgl. Homepage der Verei‐ nigung, http: / / www.actioun-letzebuergesch.lu). Gemengerhand hale mir äis un d’héidäitscht Wuertbild, dat mir gewinnt sin, wou et néideg as, och un dat franséischt 22 (Mémorial 1976: 1365). Die ‚Aussöhnung’ mit den deutschen Sprachvorbildern wurde vollzogen und eine Orthografie konzipiert, die den Schreibgewohnheiten der Luxemburger entgegenkam. Darüberhinaus wurde im Gesetzestext darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, Regeln für eine überregionale Standardsprache festzulegen, um den Status der Sprache zu festigen: All Sprooch am Land schreift sech esou, ma t’geet ewell duer, wa mer eng gutt erëm‐ ginn: eis Ëmgangssprooch - e Guttlännesch, dat d’Leit iwwerall verstin. Dat heescht nët, jidderee misst et schwätzen, ma nëmmen, all Mënsch kéim dermat zuwee (ebd.). 23 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) Mit dem Luxemburger Wörterbuch und der Rechtschreibreform wurden zwei bedeutende Akte der Korpusplanung abgeschlossen. Von diesem Arbeitsauf‐ wand bemerkte die breite Öffentlichkeit jedoch kaum etwas (vgl. Roth o. J). Sie besorgte sich weder das fünfbändige Wörterbuch, noch eignete sie sich mithilfe des Gesetzestextes die luxemburgische Orthografie an. Dass heute intuitiv auf Luxemburgisch in vielen nähe- und distanzsprachlichen Domänen geschrieben wird, ist nicht zuletzt der Verdienst, der am 25. November 1971 gegründeten Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) und deren Ziel: Eng Gesellschaft [ze sinn] fir eiser Sprooch op jidfer verstänneg Fassong ze hëllefen, an hir iwwerall do déi Rechter ze verschafen, déi si zegutt huet. 24 Das Ergebnis der luxemburgischen Sprachpolitik im Jahr 1971 war ernüchternd, so Gründungspräsident Lex Roth: 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) 225 <?page no="226"?> 25 „Im Grunde genommen ist es einfach: Denkt oder schaut doch einmal nach, was vor 1971 in unserer Sprache und für unsere Sprache gemacht worden war: das Wörterbuch war fertig, die Kommission hatte den Deckel zugemacht, es wurden noch stellenweise (wie immer) etliche Theaterstücke geschrieben und manchmal ein paar Gedichte ver‐ öffentlicht, aber „da draußen / bei den Leuten“ und „offiziell“ hatte sich bis dahin für unsere Sprache nichts verändert.“ 26 Die ersten Sendungen auf Luxemburgisch wurden 1951 produziert (vgl. Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung 2013: 7). Mit dem Ausbau der beste‐ henden Sendungen und der Zuteilung einer eigenen Sendefrequenz (92,5 MHz) wurde RTL Radio Lëtzebuerg 1959 zu einem vollwertigen Rundfunksender ausgebaut (vgl. ebd.). In den achtziger Jahren sendete RTL Radio Lëtzebuerg zunächst nur stunden‐ weise ein Programm (vgl. Kremer 2014: 50). In der übrigen Zeit lief das deutsche oder englische Programm von RTL (vgl. ebd.). Aufgrund einer Exklusivkonzessionsregelung war RTL bis 1991 der einzige (legale) Radiosender in luxemburgischer Sprache (vgl. Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung 2013: 7; s. a. Kapitel IX.). 27 Lex Roth: „Was zwischen 1970 und heute passiert ist, ist enorm. Das war ja überhaupt nicht denkbar.“ F. S.: „Hätten Sie damit gerechnet, dass es einmal so kommen würde, wie es heute ist? “ Lex Roth: „Ja, aber nicht, dass es so schnell gehen würde. Es sind natürlich Elemente hinzugekommen, die eine Beschleunigung mit sich brachten, u. a. SMS, u. a. anstelle eines Radios [mehrere], anfangs gab es nur UKW Kanal 18 [RTL Radio Lëtze‐ buerg] Punkt.” F. S.: „Das war alles? “ Lex Roth: „Ja, aber dann gab es auf einmal drei, vier, fünf Radios. Dann wurde aus dem Hei Elei [Fernsehprogramm auf Luxemburgisch] von einer Stunde sonntags, ein Ding von jedem Tag abends. Das sind Elemente, die hinzukamen und an die war ja fast nicht zu denken.“ Et ass am Fong einfach: denkt oder kuckt emol no, wat virun 1971 an eiser Sprooch a fir si gemaach gin as: den Dictionnaire war fäerdeg, an d’Commissioun hat „de Gë‐ tschel zougemaach“; et gufen nach plazeweis (ewéi ëmmer) en etlech Theaterstécker geschriwwen an heiansdo e puer Gedichter publizéiert; ower „dobaussen / bei de Leit“ an „offiziell“ huet sech näicht fir eis Sprooch geréiert. (LW12: 28. 12. 1996) 25 2012 kann er im Experteninterview nur staunen über den Status und die Funk‐ tionen, die das Luxemburgische in den folgenden 40 Jahren eingenommen hat: Lex Roth: „Wat tëscht 1970 an haut komm ass, ass enorm. Dat war iwwerhaapt net denkbar.“ F. S.: „Hat Der domat gerechent, dass dat eng Kéier sou kéim, wéi et haut ass? “ Lex Roth: „Jo - awer net sou séier. Et sinn natierlech Elementer dobäi komm, déi eng Acceleratioun bruecht hunn, e.a. SMS, e.a. am Plaz ee Radio, déi Zäit war nëmmen UKW Kanal 18 [RTL Radio Lëtzebuerg] 26 Punkt.“ F. S.: „Dat war et? “ Lex Roth: „Jo mee, dunn waren op emol 3, 4, 5 Radioen do. Dunn ass aus dem Heielei [Fernsehprogramm auf Lëtzebuergesch] vun enger Stonn Sonndes, eng Saach ginn vun all Dag owes. Dat sinn Elementer, déi dobäi komm sinn, un déi war jo bal net ze denken.“ 27 VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 226 <?page no="227"?> 28 „Wir hatten unsere Probleme und die einzelnen Punkte, wo wir unsere Häkchen setzen wollten, direkt auf die Liste unserer Aktivitäten geschrieben: unsere Sprache im Offi‐ ziellen (Staat, Schule, Gemeinden), in der Kirche und vor allem „bei den Leuten“ [zu fördern].“ In seiner Kolumne Eng Klack fir eis Sprooch nennt er die Aufgaben, die sich die AL gab: Mir haten äis Problemer an déi eenzel Ponkte fir eis „Kreepercher“ anzedréinen direkt op d’Lëscht vun eisen Activitéite geschriwwen: eis Sprooch am Offiziellen (Staat, Schoul, Gemengen), an der Kiirch a vrun allem „bei de Leit“ [ze fërderen]. (LW12: 28. 12. 1996) 28 Bis heute nahm Lex Roth tausende Beiträge fürs Radio auf und schrieb noch mehr Kolumnen für die luxemburgischen Zeitungen. Seine Rezipienten sollten erkennen, was alles mit der luxemburgischen Sprache möglich war, wie facet‐ tenreich der Wortschatz der Sprache sein konnte: Lex Roth: „Ech hunn awer vun Ufank un dervu profitéiert, fir mat deem Medium un d’Saach erunzegoen, d. h. no baussen ze goen. Dofir hunn ech och 1971 ugefaang Ra‐ diosémissiounen ze man. […] T’sinn och virdrun Radiosémissioune gemaach ginn, mee dunn hutt dann een eng Stonn laang iwwer Villerchersnimm geschwat.“ F. S.: „Wat keen interesséiert hutt? “ Lex Roth: „Kee Mënsch. Oder eng Véirelstonn laang iwwer ee Virnumm. […] Ma‐ dame, dat ass interessant, mee t’hutt keen interesséiert. […] Bon, dunn hunn ech dann do deemools dee Chefredakter, deen do war, […] sou ee Link mat deem krit an du sot deen, ma du kanns all Woch eng Véirel Stonn [op Sendung]. Ech sot nee, gëff mir 3x5 Minutten oder 5x3 Minutten hunn ech nach léiwer. Bon, firwat dann? Ma t’ass jo ganz einfach: Voilà! Dat ass den Effet de Répétition. Dat ass den Effet praktesch vun der Reklamm: Si dierf net laang sinn, mee si muss Pa! pechen ne! Sou war et och. Dunn 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) 227 <?page no="228"?> 29 Lex Roth: „Ich habe aber von Anfang an davon profitiert, mit dem Medium an die Sache heranzugehen, das nach außen dringt. Deshalb habe ich auch 1971 begonnen Radio‐ sendungen zu machen. […] Es wurden auch vorher Radiosendungen gemacht [konkret zur luxemburgischen Sprache], aber da hat dann jemand eine Stunde lang über Vogel‐ namen geredet.“ F. S.: „Was niemanden interessiert hat? “ Lex Roth „Keinen Mensch hat das interessiert. Oder eine Viertelstunde lang über Vornamen. […] Wissen Sie, das ist interessant, aber das hat niemanden interessiert. Ich habe dann den Kontakt zum Chef‐ redakteur gesucht und der hat dann gemeint, nun gut, du kannst jede Woche eine Vier‐ telstunde auf Sendung. Darauf habe ich ihm entgegnet: „Nein, gib mir 3x5 Minuten oder 5x3 Minuten wären mir eigentlich noch lieber.“ Ja, warum wohl? Es ist ja ganz einfach: Voilà! Da spielt der Wiederholungseffekt mit. Das ist derselbe Effekt, den auch Werbung hat: Sie darf nicht lang sein, aber sie muss, PA, kleben muss sie, genau! Und so war es dann auch. Das war die Geburt von ‚Een Ament fir eis Sprooch’ (=‚Einen Augenblick für unsere Sprache’), davon habe ich, so um die 3 000 gemacht.“ 30 Berg (1993: 49) wertet für das Jahr 1979 aus, dass 39,2 % der Geburtsanzeigen, 45,9 % der Heiratsanzeigen und 80,3 % aller Todesanzeigen auf Französisch verfasst waren. Dem‐ gegenüber gebrauchten 59,7 % der Geburtsanzeigen, 53,8 % der Heiratsanzeigen und 19,3 % der Todesanzeigen das Luxemburgische. 31 Formelhafte Wendungen wären: „Mat schwéierem Häerz deele mir den Doud vun eiser […]“; „Mat Léift an Dankbarkeet soe mer Äddi“; „Mir traueren em“ usw. 32 Die Auswertung von Berg zeigt, dass nur bei 1 % der Geburtsanzeigen, bei 0,2 % der Heiratsanzeigen und 0,3 % der Todesanzeigen im Jahr 1979 Deutsch verwendet wurde (vgl. Berg 1993: 49). Ammon (1995: 398) hat den Eindruck, dass in Luxemburg „hoch‐ deutsche Heirats-, Geburts- und Todesanzeigen sowie Inschriften auf Kranzschleifen und Gräbern schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit“ sind. ass déi Emissioun ugaang. Dat war ‚Een Ament fir eis Sprooch’, där hunn ech, mengen ech, 3 000 gema.“ 29 Die AL gab ihre eigene Zeitschrift mit dem Titel EIS SPROOCH [Unsere Sprache] heraus. In einer der ersten Ausgaben wurde dem Leser die luxembur‐ gische Rechtschreibung vermittelt. Ferner wurden Muster gezeigt, die das Ver‐ fassen von Familien- und Vereinsanzeigen auf Luxemburgisch erleichtern sollten (vgl. Telecr: 04. 04. 2009). Die Sonderausgabe mit den entsprechenden Vorlagen wurde rund 30 000 Mal gedruckt (vgl. LW12: 28. 12. 1996). Dieselben Informationen wurden über die Medien verbreitet. 1979 wurden Familienan‐ zeigen (Geburts-, Heirats-, Todesanzeigen) noch vermehrt auf Französisch ver‐ fasst. 30 Insbesondere bei Traueranzeigen wurde die Verwendung französischer Formulierungen als angemessen empfunden und auf kreative Experimente mit der luxemburgischen Sprache verzichtet (vgl. ebd.: 152). Gegenwärtig gilt das nicht mehr. Für die Textsorte haben sich ebenfalls luxemburgische Formulie‐ rungsmuster durchgesetzt. 31 ‚Familienanzeigen’ auf Deutsch bleiben die Ausnahme. 32 Die Sprache wird seit dem Krieg für Textsorten mit einem gewissen Intimitätsgrad abgelehnt. Sie VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 228 <?page no="229"?> 33 Kinderbücher in luxemburgischer Sprache sind zu einem wichtigen Standbein des lu‐ xemburgischen Verlagswesens geworden (s. a. Kapitel X.). 34 S. a. Exkurs: ‚Sprachgebrauch in der katholischen Kirche’ sowie Kapitel IX. 35 „Unsere Leute aus den Kriegsjahrgängen erinnern sich noch gut an ein Hauptargument, das die Nazis uns 1941 bei der ‚Volkszählung / Personenstandsaufnahme’ an den Kopf geworfen haben: „Ihr betet deutsch, also seid Ihr auch deutsch.“ Die Sprache, die in der Kirche verwendet wird, ist auch heute noch einer der Hauptpunkte, die immer wieder bei den Diskussionen über den Grad und die Position einer ganz bestimmten Sprache in die vorderste Reihe gestellt werden“ (LW9: 10. 12. 1994). kommt infrage, wenn in einer Anzeige der Informationsgehalt im Vordergrund steht (Kleinanzeigen), allerdings reduziert sich durch ihren Gebrauch automa‐ tisch die Reichweite einer Anzeige. In Kapitel VI. wurde darauf hingewiesen, dass es die Vereinigung Actioun Lëtzebuergesch war, die als erste ab 1976 Luxemburgischkurse für Zuwanderer anbot. Sie erstellte Unterrichtsmaterialien für den Fremdspracheunterricht und war an der Ausarbeitung von Grammatiken und Unterrichtsmaterialien für den Luxemburgischunterricht in Grund- und Sekundarschule beteiligt (vgl. LW16: 19. 06. 1993). Die Vereinigung übersetzte ferner Kinderbücher ins Luxemburgi‐ sche, um Eltern das Vorlesen zu erleichtern. 33 1996 gibt sie die D’Psalmen op Lëtzebuergesch heraus und schreibt im Vorwort, dass der Gebrauch des Luxem‐ burgischen in der Kirche immer eines ihrer Hauptanliegen gewesen sei (vgl. Molitor / Schaack 1995 / 1996: 5). Die Mehrheit der Luxemburger ist katholisch. Die Kirche wurde als Domäne eingestuft, in der man zeigen kann, dass Luxem‐ burgisch für formellere Bereiche verwendet werden kann. In der Kirche domi‐ niert(e) der Gebrauch der deutschen Sprache. 34 So schreibt Lex Roth 1994 in einem Leserbrief: Eis Leit vun de Krichs-Jorgäng erënneren sech nach un een Haaptargument, dat d’Na‐ zien äis 1941 bei der ‚Volkszählung / Personenstandsaufnahme’ un de Kapp gehäit hun: „Ihr betet deutsch, also seid Ihr auch deutsch“. D’Sprooch an der Kiirch as och haut nach ee vun den Haaptponkten, déi ëmmer erëm bei d’Diskussiounen iwer de „Grad“ an d’Positioun vun enger Sprooch an d’viischt Rei gestallt gin (LW9: 10. 12. 1994). 35 Die Übersetzer der Psalmen op Lëtzebuergesch Molitor und Schaack erklären: Nach ëmmer menge vill Lëtzebuerger, eis Sprooch wir nëmme gutt fir Béierdeschge‐ spréicher, a kéim net iwwer den Niveau vum Gromperegeleef op eise Stécker eraus. Et as jo zwar wouer, datt et eis un abstrakte Wierder feelt. […] Dat eis Sprooch awer guer nët esou aarm as, wéi muenchereen dat mengt, wollte mir fir d’éischt emol eis selwer beweisen, wéi mir dës Iwwersetzung vun de Psalmen ugoungen. Wa mir nod‐ 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) 229 <?page no="230"?> 36 „Nach wie vor glauben viele Luxemburger, unsere Sprache sei nur zu Biertischgesprä‐ chen zu gebrauchen und käme nicht über das Niveau ‚eines Kartoffelfeldes’ hinaus. Es entspricht zwar der Wahrheit, dass es uns an abstrakten Wörtern fehlt. […] Dass unsere Sprache aber gar nicht so arm dran ist, wie so mancheiner glaubt, wollten wir uns zuerst einmal selbst beweisen, als wir mit der Übersetzung der Psalmen begannen. Wenn wir nun auch noch etliche andere Leute davon überzeugen können, haben wir das erreicht, was wir wollten.“ (Molitor / Schaack 1995 / 1996: 9). 37 Die Sonntagsmessen können auf der Website der katholischen Kirche www.cathol.lu unter der URL http: / / www.cathol.lu/ vivre-sa-foi-sai-glawe-liewen/ prier-celebrer-bieden-feieren/ messe-du-dimanche-sonndesmass/ abgerufen werden (zuletzt abgerufen am 27. 01. 2016). 38 vgl. Ministrantenportal: Ablauf der heiligen Messe. URL: http: / / www.ministrantenportal.de/ ablauf-heilige-messe-gottesdienst/ (zuletzt zugegriffen am 01. 05. 2016). 39 Es war anhand der Audioaufnahme nicht möglich zu unterscheiden, an welcher Stelle des Gottesdienstes der Diakon und an welcher der Pfarrer gesprochen hat. Aufgrund eines hörbaren Akzentes in einer Stimme war davon auszugehen, dass einer von beiden einen romanischen Sprachhintergrund hat, was den stärkeren Gebrauch des Französi‐ schen in dieser Messe erklären könnte. réiglech och nach en etlech aner Leit dervun iwwerzeegt kréien, hu mir dat erreecht, wat mir wollten (Molitor / Schaack 1995 / 1996: 9). 36 EXKURS: Sprachgebrauch in der katholischen Kirche Drei Sonntagsmessen, die im Mai / Juni 2015 in den Ortschaften Boulaide, Schieren und Merl abgehalten wurden, wurden auf den Sprachengebrauch des jeweiligen Pfarrers und der Glaubensgemeinschaft hin untersucht. 37 Ablauf einer katholi‐ schen Messe nach deutschem Muster 38 Ablauf der katholischen Messe in Luxemburg: Sonntagsmesse in Boulaide, Radio‐ übertragung vom 14. 06. 2015 Sonntagsmesse in Schieren, Radio‐ übertragung vom 07. 06. 2015 Sonntagsmesse in Merl, Radioübertra‐ gung vom 31. 05. 2015 (Priester und Di‐ akon) 39 Eröffnung (alle stehen und ma‐ chen das Kreuzzei‐ chen, während der Priester spricht: Priester: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Priester begrüßt die anwesenden Gläu‐ bigen und stellt den Ablauf der Messe (Liederauswahl usw.) auf Luxem‐ burgisch vor. Während die Gläu‐ bigen das Kreuzzei‐ chen machen und Priester begrüßt die anwesenden Gläu‐ bigen auf Luxem‐ burgisch und stellt den Ablauf der Messe ebenfalls auf Luxemburgisch vor. Während die Gläu‐ bigen das Kreuzzei‐ Priester / Diakon begrüßt die anwe‐ senden Gläubigen auf Luxemburgisch und stellt den Ab‐ lauf der Messe auf Luxemburgisch vor. Während die Gläu‐ bigen das Kreuzzei‐ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 230 <?page no="231"?> Ablauf einer katholi‐ schen Messe nach deutschem Muster Ablauf der katholischen Messe in Luxemburg: Sonntagsmesse in Boulaide, Radio‐ übertragung vom 14. 06. 2015 Sonntagsmesse in Schieren, Radio‐ übertragung vom 07. 06. 2015 Sonntagsmesse in Merl, Radioübertra‐ gung vom 31. 05. 2015 (Priester und Di‐ akon) Geistes.“ Anwe‐ senden: „Amen.“ Daraufhin begrüßt der Priester die Ge‐ meinde z. B. mit den Worten: „Der Herr sei mit euch.“ Anwesenden: „Und mit deinem Geiste.“ Dann kann der Priester einige ein‐ führenden Worte über die Messfeier sprechen.) der Priester die Messe offiziell er‐ öffnet, wird die deutsche Gebets- und Eröffnungs‐ formel gesprochen. chen machen und der Priester die Messe offiziell er‐ öffnet, wird die lu‐ xemburgische Ver‐ sion der Gebets- und Eröffnungsformel gesprochen. chen machen und der Priester die Messe offiziell er‐ öffnet, wird die französische Ver‐ sion der Gebets- und Eröffnungs‐ formel gesprochen. Es ist der ‚Sonntag der Dreifaltigkeit’. Der Priester / Di‐ akon gibt zusätz‐ liche Erläuterungen zum Kreuzzeichen auf Luxemburgisch. Allgemeines Schuldbe‐ kenntnis (Priester: „Wir sprechen das Schul‐ bekenntnis.“ Alle: „Ich bekenne Gott, dem Allmäch‐ tigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass Ich Gutes unter‐ lassen und Böses getan habe - ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine Schuld. Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen und euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.“) Das Schuldbe‐ kenntnis erfolgt auf Luxemburgisch Das Schuldbe‐ kenntnis erfolgt auf Luxemburgisch Das Schuldbe‐ kenntnis erfolgt auf Deutsch 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) 231 <?page no="232"?> Ablauf einer katholi‐ schen Messe nach deutschem Muster Ablauf der katholischen Messe in Luxemburg: Sonntagsmesse in Boulaide, Radio‐ übertragung vom 14. 06. 2015 Sonntagsmesse in Schieren, Radio‐ übertragung vom 07. 06. 2015 Sonntagsmesse in Merl, Radioübertra‐ gung vom 31. 05. 2015 (Priester und Di‐ akon) Tagesgebet (Priester: „Lasset uns beten.“ Der Priester spricht das Tagesgebet. Anwesende: „Amen.“) „Lasset uns beten …“ Tagesgebet auf Deutsch „Lasset uns beten …“ Tagesgebet auf Deutsch „Lasset uns beten …“ auf Deutsch Wortgottesdienst Erste Lesung Die Lesung erfolgt in Boulaide auf Deutsch. Sie wird abgeschlossen durch die deutsche Formel: „Wort Gottes.“ Alle antworten: „Dank sei Gott dem Herrn.“ Auf Deutsch Lesung auf Franzö‐ sisch, wird abge‐ schlossen durch die französische Formel: „Acclamons la parole de dieu.“ Alle: Louange à toi, Seigneur Jésus. “ Zwischengesang Gesang Gesang k. A. Zweite Lesung keine Deutsch keine Evangelium Auf Deutsch Auf Deutsch Auf Deutsch Predigt Léif Bridder a Schwësteren … (auf Luxemburgisch) Léif Bridder a Schwësteren … (auf Luxemburgisch) Léif Bridder a Schwësteren … (auf Luxemburgisch) Glaubensbe‐ kenntnis (Alle: „Ich glaube an Gott, den All‐ mächtigen, den Schöpfer des Him‐ mels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von Deutsche Gebets‐ formel Deutsche Gebets‐ formel Deutsche Gebets‐ formel VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 232 <?page no="233"?> Ablauf einer katholi‐ schen Messe nach deutschem Muster Ablauf der katholischen Messe in Luxemburg: Sonntagsmesse in Boulaide, Radio‐ übertragung vom 14. 06. 2015 Sonntagsmesse in Schieren, Radio‐ übertragung vom 07. 06. 2015 Sonntagsmesse in Merl, Radioübertra‐ gung vom 31. 05. 2015 (Priester und Di‐ akon) der Jungfrau Maria, gelitten …“) Fürbitten Auf Luxemburgisch Auf Luxemburgisch Zunächst Luxem‐ burgisch u. an‐ schließend Franzö‐ sisch Eucharistiefeier Auf Deutsch Auf Deutsch Auf Deutsch Gabenbereitung Auf Deutsch Auf Deutsch Auf Französisch Eucharistisches Hochgebet Auf Deutsch Auf Deutsch Auf Französisch Vater unser Deutsch Deutsch Französisch Friedensgruß Auf Deutsch Auf Deutsch; der Aufruf an die Gläubigen sich ge‐ genseitig den Frieden zu schenken erfolgt hingegen auf Lëtze‐ buergesch Französisch Agnus Die Deutsch Deutsch k. A. (Einladung zur Kommunion) stumm stumm stumm (Kommunions‐ empfang) stumm stumm stumm Schlussgebet Auf Deutsch Auf Deutsch Auf Französisch Entlassung (Priester gibt den Segen: „Der Herr sei mit euch.“ Alle: „Und mit deinem Geiste.“ Priester: „Es segne euch der allmäch‐ tige Gott, der Vater und der Sohn und Segnung und Ent‐ lassung auf Deutsch, Ankündi‐ gungen und infor‐ meller Abschied auf Luxemburgisch Ankündigungen und informeller Ab‐ schied auf Luxem‐ burgisch. Zuerst Luxembur‐ gisch, Segen auf Französisch 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) 233 <?page no="234"?> Ablauf einer katholi‐ schen Messe nach deutschem Muster Ablauf der katholischen Messe in Luxemburg: Sonntagsmesse in Boulaide, Radio‐ übertragung vom 14. 06. 2015 Sonntagsmesse in Schieren, Radio‐ übertragung vom 07. 06. 2015 Sonntagsmesse in Merl, Radioübertra‐ gung vom 31. 05. 2015 (Priester und Di‐ akon) der Heilige Geist. Amen.“ Sendung / Entlas‐ sung durch den Priester: „Gehet hin in Frieden.“ Alle: „Dank sei Gott dem Herrn.“ Tabelle 3: Sprachgebrauch in der katholischen Messe In der katholischen Kirche wird das Luxemburgische verwendet, wenn der Pfarrer aus dem offiziellen Ritus ‚austritt’ und sich direkt an die Gläubigen wendet. Seine Predigt, die er frei gestalten kann, verfasst er auf Luxemburgisch. Die offiziellen Texte der römischen Liturgie werden dagegen in der Regel auf Deutsch vorgetragen (vgl. Berg 1993: 37). Diese Praxis hat eine lange Tradition. Sie geht zurück auf eine Verordnung des apostolischen Vikars von Luxemburg, Jean-Théodore Laurent (1804-1884), der 1845 das erste Priesterseminar in Lu‐ xemburg eröffnete und in der Kirche als einzige Sprache neben Latein das Stan‐ darddeutsche, als Sprache des gemeinen Volkes, zuließ (vgl. Newton 1996: 26). Die deutsche Sprache hat deshalb bis heute eine bedeutende Stellung in der Kirche. Das Beispiel einer Sonntagsmesse in Merl zeigt jedoch, dass ein Besucher, der mit diesem Mentalitätenwissen den Gottesdienst in Luxemburg besucht, mit‐ unter Inkongruenzen feststellen wird. So geht er von einer Lesung in deutscher Sprache aus und wird einer französischen folgen. Welche Sprache der Pfarrer auswählt, ist zum einen von seinen Sprachkenntnissen und -präferenzen ab‐ hängig und zum anderen von der Zusammensetzung der Glaubensgemeinschaft, bei der je nach Region andere Sprachhintergründe vorherrschen. Die Sprach‐ kenntnisse derjenigen, die Lesungen und Fürbitten vortragen, beeinflussen ebenfalls die Sprachensituation in der Kirche. Das Erzbistum hat im Laufe der Zeit Vorlagen für den schematischen Ablauf von Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen auf Lëtzebuergesch erarbeitet (vgl. Berg 1993: 37). In diesen Nähe-Bereichen wird die deutsche Sprache nicht ge‐ nutzt. Sie wird in der Kirche als formelle Distanzsprache gebraucht und ist heute VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 234 <?page no="235"?> 40 „Ist es eine Evolution, wenn wir haufenweise genuin deutsche oder französische Aus‐ drücke an die Stelle von Wörtern setzen, die das Luxemburgische nun mal aufweist? “ 41 „Kein vernünftiger Luxemburger ist gegen die deutsche oder die französische Sprache, jedoch ist ‚zu viel und nicht genug’ kein Maß. Als germanische Sprache (cf. Niederlän‐ disch, Schwyzerdütsch …) ist das Luxemburgische natürlich zur deutschen Seite hin am schwächsten; die Schule und die geschriebene Presse und vor allem 25 deutschsprachige TV-Programme rollen wie Dampfwalzen über unsere Sprache […].“ unpassend, um den direkten Kontakt zu den Gläubigen zu suchen. Teile des Neuen Testaments sind von der Arbeitsgruppe ‚Iwwersetzung vun der Bibel op Lëtzebuergesch’ (Mitglieder: Claude Bache, Fränz Biver-Pettinger, Jeannot Gillen und Carine Hensgen) ins Luxemburgische übersetzt worden. 2009 wurde der Arbeitsgruppe die Dicks-Rodange-Lentz-Auszeichnung der Actioun Lëtzebuer‐ gesch verliehen (vgl. Schmit 2014). Zu den weiteren Anliegen der Actioun Lëtzebuergesch gehören Erhalt und Pflege des luxemburgischen Wortschatzes (vgl. Fehlen 2014: 8). So fragt Lex Roth in einer seiner Kolumnen: Ass et eng Evolutioun, wa mir kéipweis pur däitsch oder franséisch Ausdréck an d’Plaz vu Wierder setzen, déi d’Lëtzebuergescht nun emol huet? (Roth 2010) 40 1998 erscheint mit den Gréng a Rout Lëschten ein Extraheft von EIS SPROOCH, in welchem die Vereinigung eigenen Aussagen zufolge, zeigen möchte, wie die luxemburgische Sprache vor dem Mikrofon (in Radio und Fernsehen) sowie von offizieller Seite (in der Abgeordnetenkammer) verunstaltet werde (vgl. Roth 1998: 3). Im Vorwort des Sonderhefts schreibt Roth: Kee verstännege Lëtzebuerger as géint déi däitsch oder d’franséisch Sprooch, mä ‚ze‐ vill an nët genuch as keng Mooss’. Als ‚germanesch’ Sprooch (cf. Hollänesch, Schwy‐ zerdütsch …) as d’Lëtzebuergescht natiirlech zu deer däitscher Säit am schwaachsten; d’Schoul, déi geschriwwe Press a vrun allem 25 däitschsproocheg TV-Programme rullen haut iwer eis Sprooch ewéi Dampwalzen […] (ebd.). 41 Deutsche Entlehnungen stellen die größte Bedrohung für das Luxemburgische dar. Die Schule, die geschriebene Presse, in der die deutsche Sprache die domi‐ nierende Schriftsprache ist, und 25 deutschsprachige TV-Programme, die der Durchschnittsbürger empfängt, würden zu den Faktoren gehören, die den Sprachverfall begünstigen. Das Bild der „Dampfwalze” soll verdeutlichen, dass vom Wortschatz der luxemburgischen Sprache nichts mehr übrig bleibt, wenn die deutschen und, in geringerem Ausmaß, die französischen Sprachvorbilder weiter die luxemburgischen Bezeichnungen verdrängen. Auf 79 Seiten versam‐ meln die Gréng a Rout Lëschten Entlehnungen, die Journalisten und Politiker 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) 235 <?page no="236"?> 42 „Eine ‚Chamber’ [Chambre des députés] ist keine ‚Kummer’ [Kammer]! Man erschau‐ dert, wenn man fast jeden Tag in unserer gesprochenen Presse hören muss, wie viele ‚Kummeren’ wir doch in Luxemburg haben: eine ‚Aarbechterkummer’, eine ‚Hand‐ wierkerkummer’, eine ‚Kriminalkummer’, eine ‚Aakerbaukummer’ usw. Das Wort ‚Kummer’ wird im Luxemburgischen nur im Sinne von einem Zimmer gebraucht, wie z. B. in Schlofkummer [Schlafzimmer], Buedkummer [Badezimmer], Speckkummer [Speckkammer], Rompelkummer [Rumpelkammer] usw.“ verwendet haben, anstatt genuin luxemburgische Ausdrücke zu nutzen (vgl. ebd.: 6): Die rote Liste, die um ein trauriges ‚Smiley’ ☹ ergänzt wird, listet in der Broschüre die Entlehnungen auf. Die grüne Liste mit dem glücklichen ‚Smiley’ ☺ präsentiert luxemburgische Entspre‐ chungen, die hätten benutzt werden können. - geeschträich Wiirder zur Kenntness huelen - lous / gescheit Saachen hé‐ ieren / lauschteren / gewuer gin - zur Verfügung stoen - fir een / eppes do sin - an d’Verwaltung iwerwiesselen - an d’Verwaltung eriwergoen - de Comité taagt nët ganz oft - de Comité as nët ganz dacks beie‐ neen/ kënnt … zesummen Tabelle 4: Auszug aus den Gréng a Rout Lëschten Fehlen (2009: 33) zufolge betreibt die AL in solchen Fällen „Sprachpurismus in einer bisweilen rückwärtsgewandten Form“. Die folgenden Korpusauszüge geben einen Einblick in den sprachpuristischen Diskurs in Luxemburg. Es sind Aus‐ züge aus Leserbriefen, die in den neunziger Jahren im Luxemburger Wort er‐ schienen sind: Eng Châmber as keng Kummer! Et schuddert een sech, wann ee bal all Dag an onser geschwatener Press muss nolauschteren, wat mir vill „Kummeren“ zu Lëtzebuerg hun: eng Aarbechterkummer, eng Handwierkerkummer, eng Kriminalkummer, eng Aa‐ kerbaukummer aesw. Dat Wuert „Kummer“ gët am Lëtzebuergeschen nëmmen am Sënn vun engem Zëmmer gebraucht, ewéi, z. B. Schlofkummer, Buedkummer, Speck‐ kummer, Rompelkummer aesw. (LW21: 07. 10. 1995) 42 . Kultur a Sprooch. All Lëtzebuerger, déi „Wäert“ op hir schéi Sprooch len, soen dem Här Pool Schroeder vu Walfer en häerzleche Merci fir déi couragéiert Aart a Weis, mat deer hie géint dat neit preisecht Lëtzebuergesch lasknäppt a séngem Bréif vum 3. Juni an dëser Rubrik. Ech betounen „neit“, well dëst Kauderwelsch sech eréischt nom Krich VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 236 <?page no="237"?> 43 „Kultur und Sprache. Alle Luxemburger, die ‚Wert’ auf ihre schöne Sprache legen, bedanken sich sehr herzlich bei Herrn Pool Schroeder aus Walferdingen für die beherzte Art und Weise, mit der er gegen das neu-preußische Luxemburgisch in seinem Brief vom 3. Juni in dieser Rubrik angegangen ist. Ich unterstreiche das ‚neu’, weil dieses Kauderwelsch sich erst nach dem Krieg hier verbreitet hat und zwar besonders durch das Radio. Das Schlimmste dabei ist, dass unsere Kinder diesen Dreck für unsere na‐ türliche Sprache halten und ihn übernehmen, wenn sie erwachsen sind, weil ihnen andere Wörter nicht geläufig sind. Daran sind auch die Radiomoderatorinnen der Kin‐ dersendungen schuld. Besonders schlimm daran ist, dass unsere Politiker und Autori‐ täten von diesem preußischen Virus angesteckt wurden und z. B. ungeniert sagen „Dëse Problem steet nach am Raum“ [„Dieses Problem steht noch im Raum“], anstelle von „as nach net geléist“ [ist noch nicht gelöst]. […] Vor dem Krieg sind wir, wie heute, und hoffentlich noch lange, ins ‚Restaurant’ gegangen, wo wir ein ‚Couvert’ bestellt haben, das ‚Menu’ studiert haben und beim ‚Garçon’ als ‚Entrée’ ein ‚vol-au-vent’, als ‚plat de résistence’ ein ‚entrecôte’ mit ‚pommes noisette’ und ‚chicons’, und als Dessert eine ‚dame blanche’ sowie als Digestif einen ‚Framboise’-Likör bestellt haben [alles franzö‐ sische Entlehnungen, die als integriert empfunden werden]. Wir hoffen nicht, dass wir in 20 oder 30 Jahren in einen ‚Iessall’ [Essenssaal] gehen müssen und dort auf einer ‚Iesskaart’ [Essenskarte] eine ‚Virspeis’ [Vorspeise] heraussuchen mit ‚Rëppestéck’ [von: Rippenstück], Salzkartoffeln, Schwarzwurzeln und als ‚Nodesch’ [Nachtisch] eine ‚wäiss Fra’ [weiße Frau anstelle von Dame blanche] serviert bekommen und zum Schluss noch einen ‚Himbiergeescht’ [aus: Himbeergeist]! “ (LW17: 22. 07. 1995) hei breet gemaach huet an dat besonnesch duerch de Radio. Dat schlëmmst derbäi as, dass eis Kanner dee Wouscht fir eis natiirlech Sprooch unhuelen an och esou viru schwätzen, wann se erwuesse sin, well se keng aner Wierder kennen. Dorun sin och d’Speakerinnen an de Kanneremissioune schold. Wat ganz miserabel dobäi as, dass eis Politiker an Autoritéite vun dem preisesche Virus ugestach si gin an z. B. ongenéiert soen „Dëse Problem steet nach am Raum“ aplaz „as nach nët geléist“. […] Virum Krich, grad ewéi haut, an hoffentlech nach laang si mir an de Restaurant gaangen, wou mir e Couvert reservéiert haten, hunn de Menu studéiert a beim Garçon dat elei bestallt: fir Entrée e „vol-au-vents“, fir „plat de résistence“ eng „entrecôte“ mat „pommes noi‐ settes“ a „chicons“, fir Dessert eng „dame blanche“ an fir Digestif eng „Framboise“. Mir hoffen nët, dass mir an 20 oder 30 Joer an en Iessall musse goën an do op enger Iess‐ kaart eng Virspeis eraus siche mat Rëppesteck, Salzgromperen, Schwaarzwuerzelen a fir Nodesch eng wäiss Fra servéiert kréien an zum Schluss nach een Himbiergeescht! (LW17: 22. 07. 1995). 43 Die deutschen Spracheinflüsse werden hier als Bedrohung dargestellt. Der Wis‐ sensrahmen über die einstige Germanisierung des Landes wird aktiviert. Dieser GERMANISIERUNGSTOPOS verläuft nach dem Muster: 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) 237 <?page no="238"?> 44 „Mails oder SMS-Mitteilungen gab es nicht, der Luxemburger hat sich Zeit genommen, um mit mir persönlich zu reden, der eine, um mich zu meiner deutlichen Aussprache zu beglückwünschen, der andere - ein Resistenzler um mit mir zu schimpfen, weil ich von ‚Fernseh’ und nicht von ‚Televisioun’ gesprochen habe.“ 45 „[M]eine größte Sorge bestand immer darin, die Nachrichten - dramatische, banale, witzige - so zu vermitteln, dass auch ein Normalsterblicher die Nachricht verstehen würde. Mit dem armseligen Vokabular unserer Sprache fast immer eine enorme He‐ rausforderung! “ Weil ein gehäufter Rückgriff auf die Gebersprache Deutsch zum Ausbau der luxemburgischen Sprache erfolgt, signalisiert die luxemburgische Sprache ihre fehlende Eigenständigkeit und wird aussterben. Jüngere Generationen nehmen gegenüber dem G E RMANI S I E R UNG S TO P O S eine in‐ differente Haltung ein. 2014 blickt Guy Kaiser, Chefredakteur von RTL Radio Lëtzebuerg, auf seine Anfänge beim Sender zurück. An die Reaktionen seiner Hörer musste er sich gewöhnen, die nicht nur die Nachrichteninhalte bewerteten, sondern auch auf‐ passten, wie er mit der luxemburgische Sprache umging: Mailen oder SMSen goufen et net, de Lëtzebuerger huet sech Zäit geholl, fir mat mir perséinlech ze schwätzen, deen een, fir mech fir meng däitlech Aussprooch ze felici‐ téieren, deen aneren - e Resistenzler - fir mech ze vernennen, well ech op Antenne vu Fernseh geschwat hat an net vun Televisioun 44 (Kaiser 2014: 43). Der luxemburgische Radiosender war der erste Mediendienst, der vor der He‐ rausforderung stand das kommunikative Leistungspotenzial der luxemburgi‐ schen Sprache auszureizen und weiterzuentwickeln: [M]eng gréisste Suerg war ëmmer, d’Neiegkeeten - dramatescher, banaler, witzeger - esou eriwwer ze bréngen, datt den Normalstierflechen de Message kéint verstoen. Mam aarmséilege Vocabulaire vun eiser Sprooch bal ëmmer eng enorm Erausfuerde‐ rung! (ebd.) 45 Das luxemburgische Lexikon kann selten den journalistischen Anforderungen gerecht werden, ohne mithilfe der Gebersprachen Deutsch und Französisch ausgebaut zu werden. Die Radiohörer verfolgten diesen sprachfunktionellen Ausbau sehr genau und erstellten mitunter selbst ‚rote Listen’, die sie an die Actioun Lëtzebuerg schickten. Eine solche Liste veröffentlicht die Vereinigung am 02. Juni 2010 auf ihrer Website. Sie trägt den Titel Zevill a net genuch … Franséisch oder Däitsch, um Radio an TV. Die AL stellt ihr den folgenden Kom‐ mentar voran: VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 238 <?page no="239"?> 46 „Jeder ist frei sich seine eigene Meinung darüber zu bilden, vielleicht ist an manchen Stellen etwas vom Sammler übertrieben worden, das ist aber nicht so schlimm; wir glauben, dass das Deutsche viel mehr an unserer Sprache ‚kratzt’ als das Französische.“ 47 Lex Roth: „Also wer als Luxemburger gegen die deutsche Sprache ist, der ist ein Ein‐ faltspinsel, so einfach ist das. Wir haben ganz früh, trotz unserer fast dialektalen, aber nicht ganz dialektalen Situation, [das Glück] im Alter von sechs Jahren, in eine hoch‐ kulturelle Sprache hereinganz sanft hineingeführt zu werden und das sogar mit einer Alphabetisierung auf Deutsch. Das bedeutet, dass wir unsere Kinder in die deutsche Sprache eintauchen, ohne dass sie es überhaupt bemerken.“ F. S.: „Wäre es denn denkbar, dass irgendwann einmal, sagen wir in 20, 30 Jahren, die Kinder auf Luxemburgisch al‐ phabetisiert werden könnten? “ Lex Roth: „Nein, ich sehe das nicht kommen. Also ich hoffe auch, dass es nicht kommt. Auch wenn man in der Wissenschaft eigentlich nicht hoffen darf. Also ich hoffe, dass kein Idiot jemals kommt, denn das wäre ein Idiot, der das machen würde. Die Situation, die wir gegenüber der deutschen Sprache haben, die ist so gut, dass es ein Verbrechen wäre, hinzugehen und daran zu kratzen.“ Jidderee kann sech do seng Meenung driwwer maachen. Vläicht ass plazeweis e bësse vum Sammler ‘iwwerdriwwe’ ginn; et ass net esou schlëmm; mir mengen, d’Däitsch giff vill méi un eiser Sprooch rappe wéi d’Franséischt (Actioun Lëtzebuergesch 2010). 46 Fehlen (2014: 7) erkennt in der Arbeit der AL das Ziel die lëtzebuergesche Sprache als politisches Staatssymbol zu stärken. Die Vereinigung habe nie ver‐ sucht die Position des Französischen als Staats- und Bildungssprache oder die der deutschen Sprache als Alphabetisierungssprache infrage zu stellen (vgl. ebd.). Das betonte auch Lex Roth im Expertengespräch: Lex Roth: „Also ween als Lëtzebuerger géint d’däitsch Sprooch ass, ass een Eefalt, sou einfach ass et. Mir hu ganz fréi, trotz eiser bal dialektaler, mee net ganz dialektaler Situatioun, [d’Chance fir] vu 6 Joer un an eng héichkulturell Sprooch eranganz douce erageféiert ze ginn, souguer matt der Alphabetisatioun op Däitsch. An ween géint déi ass, deen hutt keen pädagogeschen Doit. Well d’Lautungen - net all - d’Lautungen an de Gebrauch vun de Wierder, jo do kënnt een an näischt besser eran wéi an d’Däitscht. Dat heescht mir zéien eis Kanner eran an d’däitsch Sprooch an si mierken et mol net.“ F. S.: „A mengt Der et wier iergendwann eng Kéier méiglech - an 20, 30 Joer - dass d’Kanner op Lëtzebuergesch alphabetiséiert géifen? “ Lex Roth: „Nee, ech gesinn dat net kommen. Also ech hoffen och, mee an der Wës‐ senschaft däerf ee jo net hoffen. Also ech hoffen, dass ni een Idiot do ass, well t’ass een Idiot, deen dat mécht. Déi Situatioun, déi mir par rapport zum Däitschen hunn, déi ass esou gutt, dass et ee Verbriechen wier, fir doru kropen ze goe.“ 47 3 Ziele und Verdienste der Actioun Lëtzebuergesch Eis Sprooch a.s.b.l (AL) 239 <?page no="240"?> 48 Naglo (vgl. 2011: 123) fasst die Schwierigkeit von Sprach(en)politiken in sprachlich he‐ terogenen Räumen wie folgt zusammen: Die Statusplaner hätten hier „sowohl exklusive Identitätsbildungsprozesse wie auch gesellschaftliche Integration und sprachliche Belange zu berücksichtigen […]. Dabei [ginge] es letztlich um den Versuch einer Auflösung des Dilemmas zwischen dem Raum für Identität und spezifischen Solidaritäten einerseits und Effizienzaspekten andererseits.“ 4 Vorarbeiten und Bedeutung der loi sur le régime des langues 1984 Eine Sprache wird nicht erst durch ein Gesetz zu einer Sprache. Und doch ist das Sprachengesetz, das am 25. Januar 1984 in der luxemburgischen Abgeord‐ netenkammer mit 48 gegen drei Stimmen bei fünf Enthaltungen verabschiedet wurde, rückblickend ein Meilenstein in dem langjährigen, und nicht abge‐ schlossenen, Emanzipationsprozess der luxemburgischen Sprache gewesen. Im Jahr 1984 greift der luxemburgische Gesetzgeber also zum ersten Mal ein, in den Raum, den ihm die Verfassung im Jahr 1948 in Artikel 29 zu regeln überlassen hatte (vgl. Esmein 1998: 37). Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wurde nicht die Zweisprachigkeit, sondern eine gewordene Dreisprachigkeit de jure als gegeben festgehalten (vgl. Gilles 2009: 188). Lag die Intention primär in der offiziellen Positionierung des Luxemburgischen, so ernannte das Gesetz ferner die deutsche und die französische Sprache neben der luxemburgischen zu Spra‐ chen des Staates und bestätigte ihren Status als ‚Effizienz’-Sprachen (vgl. Esmein 1998: 40; Naglo 2011: 114). 48 Der fertige Gesetzestext unterschied zwischen einer Nationalsprache und einer legislativen Sprache, sowie möglichen Verwaltungs- und Gerichtssprachen: Loi du 24. février 1984 sur le régime des langues Art. 1er. Langue nationale La langue nationale des Luxembourgeois est le luxembourgeois. Art. 2. Langue de la législation Les actes législatifs et leurs règlements d’exécution sont rédigés en français. Lorsque les actes législatifs et réglementaires sont accompagnés d’une traduction, seul le texte français fait foi. Au cas où des règlements non visés à l’alinéa qui précède sont édictés par un organe de l’Etat, des communes ou des établissements publics dans une langue autre que la française, seul le texte dans la langue employée par cet organe fait foi. Le présent article ne déroge pas aux dispositions applicables en matière de conventions internationales. Art. 3. Langues administratives et judiciaires VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 240 <?page no="241"?> En matière administrative, contentieuse ou non contentieuse, et en matière judiciaire, il peut être fait usage des langues française, allemande ou luxembourgeoise, sans pré‐ judice des dispositions spéciales concernant certaines matières. Art. 4. Requêtes administratives Lorsqu’une requête est rédigée en luxembourgeois, en français ou en allemand, l’ad‐ ministration doit se servir, dans la mesure du possible, pour sa réponse de la langue choisie par le requérant. Art. 5. Abrogation Sont abrogées toutes les dispositions incompatibles avec la présente loi, notamment les dispositions suivantes : Arrêté royal grand-ducal du 4 juin 1830 contenant des modifications aux dispositions existantes au sujet des diverses langues en usage dans le royaume ; Dépêche du 24 avril 1832 à la commission du gouvernement, par le référ. intime, relative à l’emploi de la langue allemande dans les relations avec la diète ; Arrêté royal grand-ducal du 22 février 1834 concernant l’usage des langues allemande et française dans les actes publics […] (Mémorial 1984). Das distinktive Merkmal ‚Nation’ unterscheidet hier die Position der National‐ sprache Lëtzebuergesch von den Positionen der anderen beiden Sprachen. Fran‐ zösisch und Deutsch sind per se nicht nationalsymbolisch aufgeladen, jedoch kommt der Trias ‚Französisch - Deutsch - Luxemburgisch’ im Mentalitäten‐ wissen eine identitätsstiftende Funktion zu (vgl. Dittmar 1997: 158). Auch visuell erfährt das Luxemburgische im Text eine Statuserhebung: Der Status, dass die Nationalsprache der Luxemburger das Luxemburgische ist, wird in den ersten Artikel festgeschrieben. Lex Roth: „Dir kënnt Eech keng Ahnung dovu maachen, wat dat do am Ausland bruecht hutt.“ F. S.: „A wéi fern? “ Lex Roth: „Majo, déi hunn dann zum Beispill gesot: „Dir sot d’Lëtzebuergesch ass eng Sprooch, t’ass keen Dialekt? T’ass keen Dialekt, dat heescht keen Dialekt am Sënn vu Bayrisch asw.? “ „Jo, t’ass d’Sprooch vun engem souveränen Staat! “ Il y’a une petite différence! Och d’Saarlännescht ass net d’Sprooch vun engem souveräne Staat. Qu’on le veuille ou non! C’est le cas. An déi Auswierkungen: Zum Beispill ass an der Schoul an der Formation administrative d’Lëtzebuergescht als Fach agefouert ginn. An vun do un genéiert och kee sech méi fir zum Beispill - t’ass nach ëmmer zimlech rare - 4 Vorarbeiten und Bedeutung der loi sur le régime des langues 1984 241 <?page no="242"?> 49 Lex Roth: „Sie können sich ja gar keine Vorstellung davon machen, was das da [das Sprachengesetz] im Ausland gebracht hat.“ F. S.: „Inwiefern? “ Lex Roth: „Also, die haben dann zum Beispiel gesagt: „Sie behaupten Luxemburgisch ist eine Sprache, es ist kein Dialekt, d. h. kein Dialekt im Sinne von Bayrisch usw.? “ [Antwort des Befragten: ] „Ja, es ist die Sprache eines souveränen Staates! “ Das ist ein kleiner aber bedeutender Un‐ terschied! Das Saarländische ist keine Sprache eines souveränen Staates. Ob man es nun so will oder nicht, das ist eine Tatsache. Und dann die Auswirkungen, dass zum Beispiel in der [luxemburgischen] [Sekundar-]Schule in der verwaltungstechnischen Ausbil‐ dung Luxemburgisch als Fach eingeführt wurde. Und seitdem gibt es auch niemanden mehr, dem es beispielsweise unangenehm wäre - auch wenn es noch immer selten ist - eine offizielle Bekanntmachung, auch die einer Gemeinde, auf Luxemburgisch zu ver‐ fassen. Das gab es vorher nicht.“ 50 S. a. Kapitel VI. sou guer eng offiziell Annonce, och eng Gemeng, op Lëtzebuergesch ze schreiwen. Dat ass et net ginn! “ 49 Auch Gilles (vgl. 2009: 187) spricht von einem „international vielbeachteten Spra‐ chengesetz.“ Das Gesetz hat einen hohen symbolischen Wert: Es definiert das Lëtzebuergesche als Sprache und kann vorgezeigt werden, um zu beweisen, dass das Luxemburgische kein Dialekt ist, sondern die Sprache eines souveränen Staates. Zum anderen erfüllt das Gesetz einen praktischen Wert: Es kann als Erklärung angeführt werden, um Außenstehenden die Mehrsprachigkeitssitu‐ ation in Luxemburg zu erklären und diese herauszustellen. Fehlen (2014: 2) wählt das Jahr 1974 als Ausgangspunkt, um die Debatten, die zum Sprachengesetz geführt haben, zu analysieren. Das Jahr markierte aus po‐ litischer Sicht einen Wendepunkt, denn zum ersten Mal in der Nachkriegszeit bildete sich eine Regierungskoalition ohne die christlich-soziale Volkspartei CSV und wirtschaftlich gesehen, bedeutete es den Beginn der Stahlkrise. Die folgenden Jahre waren geprägt von wirtschaftlicher Neuorientierung, Einwan‐ derung und einer spürbaren Globalisierung im zunehmend internationaler werdenden Land. Damit verbundene Verfremdungsängste ließen die Forderung nach einer Klärung der Sprachenfrage wieder aufkommen. 50 So führte im Jahr 1977 eine europäische Direktive über die freie Zirkulation von Ärzten zu Dis‐ kussionen über den Stellenwert von Luxemburgischkenntnissen. Es war dann aber ein anderes Ereignis, das 1980 den sprachpolitischen Stillstand aufhob. „Auf einen seltsam verqueren Umweg“ habe die Arbeit von Fernand Hoffmann (Spra‐ chen in Luxemburg, 1979), die gesetzliche Definition der Sprachensituation wieder auf die politische Agenda gesetzt, schreibt Fehlen (ebd.: 11). In einem rechtsextremen Blatt erschien eine Rezension über Hoffmanns Arbeit. Sie trug den Titel: „Luxemburgs Selbstverleugnung. Flucht des Miniaturstaates aus der deutschen Identität“ (vgl. ebd.: 11). Am 18. März 1980 informierte das Luxem‐ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 242 <?page no="243"?> burger Wort über die skandalöse Besprechung und veröffentlichte einen Auszug aus der Rezension: Deutsche National Zeitung: „3000 Luxemburger sind als Soldaten für Deutschland gefallen. Die Heimkehrer aber waren nach dem Sieg schwersten Verfolgungen aus‐ gesetzt. Der deutsche Dialekt wurde als luxemburgische Sprache deklariert. Die Be‐ völkerung aber redet und liest Deutsch. Die luxemburgischen Kinder werden in Deutsch unterrichtet, müssen aber schon ab dem zweiten Schuljahr Französisch büf‐ feln, damit sie als Untertanen die Amtssprache der Obrigkeit verstehen (zit. n. ebd.: 11). Eine Welle der Empörung ging durch die luxemburgische Öffentlichkeit. Laut Fröhlich und Hoffmann (1997: 1168) kam es zur bis dato größten sprachpoliti‐ schen Debatte im Land. Unmittelbar nach der Meldung wurden mehrere An‐ träge in der Abgeordnetenkammer eingereicht, welche die Regierung um Staats‐ minister Pierre Werner aufforderten „der tatsächlichen Sprachsituation“ im Land „Rechnung zu tragen und das Luxemburgische so schnell wie möglich auch offiziell als Nationalsprache anzuerkennen und gesetzlich ‚festzuschreiben’“ (LW3: 10. 01. 1983). Außerdem wurde die Regierung aufgefordert: im nationalen Bildungswesen und auf kulturellem Gebiet alles zu unternehmen, um unsere spezifische Identität im Lande selbst und über die Grenzen hinaus zu bekunden und zu unterstreichen. In der Motion wurde schließlich betont, eine Integration von 90 000 Ausländern bleibe ohne sprachliche Integration problematisch, weshalb die „Aktioun Lëtzebuergesch“ in ihren Initiativen zur Veranstaltung luxemburgischer Sprachkurse Unterstützung verdiene (ebd.). Am 27. Oktober 1981 wurde ein erster Gesetzesentwurf vorgelegt (vgl. ebd.). Lex Roth war an der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs maßgeblich beteiligt. Der damalige Staatsminister Pierre Werner (CSV) hatte ihm den Auftrag erteilt, eine Arbeitskommission zu bilden, um eine Gesetzesvorlage zu formulieren, die den Mehrsprachigkeitszustand in Luxemburg klar beschreiben und zugleich die lu‐ xemburgische Sprache auf einen symbolisch höheren Status erheben sollte: Lex Roth: „Jo also mir hunn dofir gesuergt, ech soe lo mir, den Här Werner hat mir deemools den Optrag ginn fir eng Kommissioun zesummen ze stellen, fir een Avant-Projet fir dat Gesetz ze maachen. An ech hunn fir mäin Deel awer du gesot, ech bleiwen op administrativ[em Plang] bleiwen ech mat um Kapp vun der Kommissioun. Ech hätt awer gären, dass ee Jurist d’Presidence iwwerhëlt. Well wann et em ee Gesetz geet, dann geet et och heiansdo em puer Wierder. An da geet et och em d’connaissance juridique approfondie, déi een Net-Jurist jo net huet asw. Dat war dann ee gewëssen Här Raymond Weydert. Mir hunn am Ufank den Tour de table gemaach. An ech war 4 Vorarbeiten und Bedeutung der loi sur le régime des langues 1984 243 <?page no="244"?> 51 Lex Roth: „Ja also wir haben dafür gesorgt, ich sage jetzt wir, der Herr Werner hatte mir damals den Auftrag erteilt eine Kommission zu bilden, die eine Vorlage für dieses Gesetz ausarbeiten sollte. Und ich habe für meinen Teil dann gesagt, ich bleibe auf administrativem Plan mit am Kopf dieser Kommission. Ich hätte aber gerne, dass ein Jurist den Vorsitz übernimmt. Denn, wenn es um ein Gesetz geht, dann geht es auch manchmal um ein paar Wörter. Und dann geht es um eine genaue juristische Kenntnis, die ein Nicht-Jurist ja nicht hat usw. Das war dann ein gewisser Herr Raymond Weydert. Zu Beginn haben wir uns alle an einem Tisch versammelt und ich war der erste, der drankam, um meins zu sagen. Ich habe dann gesagt: „In diesem Gesetz, wie es auch immer danach aussehen wird, darf nichts sein, was jemand auslegen kann als gegen eine andere Sprache - als anti-dies oder anti-das! ““ 52 Lex Roth: „Dieses Gesetz hat, in Artikel 1 besagt es ja: „La langue nationale des Lu‐ xembourgeois est le luxembourgeois.“ Es kommt aber direkt danach, dass das Luxembur‐ gische, das Französische und das Deutsche im Offiziellen denselben Stellenwert haben. Das wurde direkt mit eingesetzt, d. h. wir sind weiter gegangen als sie nach dem Krieg gingen, denn wir haben das Deutsche nicht in die Motzecke gestellt. Wir haben dem Deutschen den status quo gesetzlich zuerkannt, den es hatte und den es nach wie vor hat. […] Das Gesetz soll im Grunde genommen schön sauber in Artikeln verpackt, das feststellen, was ist. Aber es soll dem Luxemburgischen einen anderen Status geben! Das war der Sinn dieses Gesetzes! Nicht um jetzt [aufzutreten und zu sagen]: „Oh unser Luxemburgisch! ! ““ dunn als éischten dru komm, fir mäint ze soen. Ech hu gesot: „An deem Gesetz, egal wéi et herno ausgesäit, däerf näischt sinn, wat ee kann ausleeën als géint eng aner Sprooch - als anti-dëst oder anti-dat! “ 51 Der Titel des Sprachengesetzes, loi sur le régime des langues, lässt darauf schließen, dass die Sprachensituation des Landes möglichst genau abgebildet werden sollte. Hier wurde bewusst von der Ordnung mehrerer Sprachen (‚des langues’) gesprochen. Der erste Artikel des Gesetzes hat bis heute die nachhal‐ tigste Wirkung. Luxemburgisch wird offiziell zur langue nationale der Luxem‐ burger erklärt. Lex Roth: „Dat Gesetz huet, am Artikel 1 seet et jo: „La langue nationale des Luxem‐ bourgeois est le luxembourgeois.“ Et kënnt awer direkt hannendrun, dat d’Lëtzebuergescht, d’Franséischt an d’Däitscht am Offiziellen, dee selwechte Stellewäert hunn. Dat ass direkt mat agesat ginn, d. h. mir sinn méi wäit gaang, wéi se nom Krich goungen, well mir hunn dat d’Däitscht net an de Motzeck gesat. Mir hunn deem Däitschen deen Status quo gesetzlech zouerkannt, deen et hat an huet. […] D’Gesetz soll am Fong geholl schéi propper an Artikelen gepak, dat feststellen, wat ass. Mee et soll deem Lëtzebuergeschen awer een anere Status ginn, voilà! Dat war de Sënn vun deem Gesetz! Net fir elo: „Oh eist Lëtzebuer‐ gescht! ! ““ 52 1994 schrieb Lex Roth in einer seiner Kolumnen: VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 244 <?page no="245"?> 53 In einem Artikel aus dem Luxemburger Wort vom 10. 01. 1983 wird von Vorbehalten des Staatsrats bezüglich Artikel 1 und 2 berichtet, die jedoch vom Staatsminister abge‐ wiesen wurden: „In einem Brief an Staatsminister Pierre Werner berichtete der Staatsrat‐ spräsident am 19. November 1981 von Bedenken seines Ausschusses: „La commission se demande s’il ne faut pas craindre d’exposer le pays au ridicule par le fait que l’affirmation que le luxembourgeois est la langue nationale du peuple luxembourgeois est immédiate‐ ment démentie par la disposition prévoyant l’usage exclusif d’une langue étrangère (dans le domaine législatif) dans une matière relevant au plus haut point du domaine de la souveraineté nationale.“ Erst ein zugleich fester und letzte Zweifel klärender Brief des Staatsministers vom 18. Februar 1982 mit dem ausdrücklichen Wunsch, die Legislative nicht länger bei ihrer Arbeit zu hemmen […] veranlasste die hohe Körperschaft zu ihrem Gutachten vom vergangenen […] Oktober, in welchem die ursprünglichen Bedenken und Vorbehalte ausgeräumt wurden und durch eher unverbindliche Überlegungen und Emp‐ fehlungen ersetzt sind.“ (LW3: 10. 01. 1983) Wir haben damals bewusst nicht auf den Ausdruck langue officielle bestanden, weil wir in diesem Land eben administrativ andere Gewohnheiten, und Vorteile, haben als andere Länder (vgl. LW12: 29. 01. 1994). Blommaert (vgl. 1996: 210) klärt den Unterschied zwischen einer ‚Nationalspra‐ che’ und einer ‚offiziellen Sprache’: Usually, a distinction is made between national and official languages, national lang‐ uages being (one or a handful of) languages used in contexts related to the level of national symbolism, official languages being languages used for practical purposes in administration, education, business and so on. Sämtliche Paragraphen des Sprachengesetzes wurden mit Bedacht formuliert. Man wollte keine Spannungen hervorrufen, änderte nichts an der gegebenen Sprachensituation, sondern beschrieb den Status quo. Im Gesetz wurden keine sprachpolitischen Auflagen genannt. Man sprach bewusst nicht alle Funktionen aus, sondern ließ den Sprachen ihren Spielraum. In der Strategie des Nicht-alles-aussprechen-Wollens und Offenlassens sieht Hubertus von Morr ein Kennzeichen der luxemburgischen Sprachenpolitik: Hubertus von Morr: „Je länger ich hier bin, desto mehr bin ich darauf gekommen, dass die Sprachfrage eben eine ganz schwierige ist, die potentiell große Sprengkraft hat, wie man in Belgien sieht, und dass es vielleicht richtig ist, wie ich vorhin sagte, nicht alles immer bis ins Kleinste regeln zu wollen, sondern dass man auch eben manchmal die Dinge so etwas in Balance hält und offen hält und sich so entwickeln lässt und wie auch immer.“ Während weitestgehend Konsens über den Wortlaut der ersten drei Artikel des Sprachengesetzes bestand, sorgte Artikel 4 bis zuletzt für Diskussionen. 53 In 4 Vorarbeiten und Bedeutung der loi sur le régime des langues 1984 245 <?page no="246"?> 54 Lex Roth: „Also schauen Sie, da waren jetzt in der Kammer 4, 5 Abgeordnete, die sich dafür ausgesprochen haben, dass wenn nun jemand einer Verwaltung, der Gemeinde, dem Staat usw. einen Brief in einer Sprache X schreiben würde, die Verwaltung auch in der Sprache X antworten müsste. Das ist falsch. Dann zwinge ich von einem Tag auf den anderen jede Verwaltung auf Luxemburgisch zurückzuschreiben, die es nicht kann. Und wenn wir es gerne ins Lächerliche ziehen wollen, das Luxemburgische, dann müssen wir das so verlangen, anstatt [dahin zu schreiben]: „Wenn es möglich ist.“ Und dann gab es eine große Diskussion in der Kammer. Und dann haben wir uns erneut zusammengesetzt zu viert, fünft mit dem Herrn Werner zusammen und bei diesem Gespräch ist dann herausgekommen, dass wir einen Puffer einsetzen wollen. Daraufhin haben wir den Zwischensatz ausgearbeitet: „Qui doit être répondue dans la mesure du possible.“ Das war der Puffer. Und dann ging es [, der Gesetzesentwurf durch], aber die vier Abgeordneten haben schlichtweg dagegen gestimmt. Deswegen ist das Gesetz nicht einstimmig angenommen worden, weil die viel weiter [gehen wollten] - das waren die Fanatiker! “ diesem sollte festgehalten werden, dass der Bürger, wenn er sich in luxembur‐ gischer, französischer oder in deutscher Sprache an eine Verwaltung wendet, in der von ihm gewählten Sprache eine Antwort erhalten muss. Eine erste Version des entsprechenden Artikels lautete: Lorsqu’une requête est rédigée en luxembourgeois, français ou en allemand, l’admi‐ nistration doit se servir pour sa réponse de la langue choisie par le requérant. Man befürchtete, dass die luxemburgische Sprache nicht die notwendigen Fach‐ termini bereithalten würde, um als Verwaltungssprache benutzt zu werden. Darüberhinaus war nicht davon auszugehen, dass das zuständige Personal um‐ gehend die geltende luxemburgische Orthografie beherrschen würde. Lex Roth: „Lo kuckt, lo waren an der Chamber 4, 5 Deputéiert, déi hunn sech derfir staark gemaach, datt wann een enger Verwaltung, der Gemeng, dem Stad asw. ee Bréif géing schreiwen an enger Sprooch X, da misst d’Verwaltung och an där Sprooch X rëmäntwerten. Dat ass falsch! Dann zwéngen ech vun engem Dag op deen aneren all Verwaltung op Lëtzebuergesch rëm ze äntwerten, déi et net kann. A wa mer et gär lächerlech maachen, d’Lëtzebuergescht, da musse mer dat sou ver‐ laangen, am Plaatz [dohin ze schreiwen]: ‚Wann et méiglech ass’. An dunn war décke Buttek an der Chamber. An dunn hu mir eis zesummegesat zu eiser 4, 5, mat dem Här Werner zesummen, an dunn ass dann erauskomm, dat mer ee Puffer dohinner setzen. Dunn hu mer den Zwëschesaz gemaach: „Qui doit être répondue dans la mesure du possible.“ Dat war de Puffer. An dunn ass et gaang, mee déi 4 Deputéiert hu carrément do dergéint gestëmmt. T’ass doduerch net eestëmmeg ugeholl ginn, well déi nach vill méi wäit [wollte goen] - dat waren d’Fanatiker! “ 54 VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 246 <?page no="247"?> Nach langen Diskussionen wurde schlussendlich der Zwischensatz ‚dans la me‐ sure du possible’ eingefügt, um Schwierigkeiten zu vermeiden. Artikel 4: Lorsqu’une requête est rédigée en luxembourgeois, en français ou en allemand, l’ad‐ ministration doit se servir, dans la mesure du possible, pour sa réponse de la langue choisie par le requérant. Bürger und Verwaltungspersonal bleibt es damit freigestellt, in welcher der drei Amtssprachen sie schriftlich Kontakt zu ihrem Adressaten aufnehmen. Das Verwaltungspersonal sollte versuchen, möglichst in der Sprache des Anschrei‐ bens zu antworten, kann aber bei Unsicherheiten durchaus auf eine andere Lan‐ dessprache ausweichen. Heute ist es die Ausnahme, dass Mailanfragen, die auf Luxemburgisch an eine öffentliche Verwaltung gerichtet werden, eine Rück‐ meldung auf Französisch oder Deutsch erhalten. Sowohl der Sender wie auch der Empfänger sind in der geschäftlichen Mailkommunikation gelassener ge‐ worden im Umgang mit dem Luxemburgischen. Sie stellen den Inhalt der Nach‐ richt vor die orthografische Korrektheit. Anders sieht es dagegen bei Anfragen aus, die in Briefform an eine öffentliche Stelle gerichtet werden. Der ‚Geschäfts‐ brief ’ liegt konzeptionell im äußersten Distanzbereich und muss bestimmte Vorgaben wie Anrede-, Einstiegs- und Ausstiegsformeln respektieren. Je weiter die Textsorte im Distanzbereich liegt, je höher ihr Formalitätsgrad ist, desto passender erscheint Französisch. Bei Fehlen (vgl. 2014: 14) findet sich dann der Hinweis, dass die Verabschie‐ dung des Sprachengesetzes vom Durchschnittsbürger kaum wahrgenommen wurde. Als das Medienkorpus dieser Arbeit zusammengestellt wurde, fiel auf, dass nach 1984 nur noch sporadisch über das Sprachengesetz berichtet wurde. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieses Ereignis nicht Teil des kollek‐ tiven Gedächtnisses ist und nicht jeder luxemburgische Diskursteilnehmer von der Existenz dieses Gesetzes weiß. Erwähnenswert ist, dass 15 von insgesamt 130 DAF-Schülern das Sprachengesetz anführten als sie von ihrem Deutsch‐ lehrer Wilfried Jansen (LTC) gebeten wurden, aufzuschreiben, weshalb sie ihrer 4 Vorarbeiten und Bedeutung der loi sur le régime des langues 1984 247 <?page no="248"?> 55 Die Zahl 1, 2 oder 3 vor den Äußerungen drückt die Relevanz aus, die die Schüler dem Grund beimaßen. Der Deutschlehrer Wilfried Jansen (Lycée technique du Centre) stellte mir im Oktober 2012 die Antworten von Schülern des hier angeführten Lyzeums für meine Forschungszwecke zur Verfügung. Die Schüler beantworteten schriftlich die fol‐ gende Fragestellung des Lehrers: Warum lernen Sie Deutsch? (Sie können mehrere Gründe angeben, nennen Sie jedoch bitte den wichtigsten Grund zuerst). Pour quelle raison ap‐ prenez-vous l’allemand à l’école? (Vous pouvez indiquer plusieurs raisons, mais mettez s’il vous plait la raison la plus importante au premier). Ansicht nach die deutsche Sprache in Luxemburg erwerben. Folgende Formu‐ lierungsmuster tauchten auf: 55 3. et parce que c’est une des langues officiels [sic] du luxembourg [sic]. 3. L’allemand est une langue officielle et c’est bien de l’apprendre et comme ça dans l’avenir j’aurais plus de chance dans mon travail. 3. Et aussi savoir parler les trois langues officielles au Luxembourg mais aussi l’ap‐ prendre pour nous même pour savoir plus de langues. 1. c’est une des langues officielles au Luxembourg, il faut l’apprendre pour mieux s’intégrer. 1. Parce que c’est la langue officiel [sic] du Luxembourg. 1. Vu que j’habite au Luxembourg et que je fréquente l’école au Luxembourg, il est normal que j’apprene [sic] l’allemand. En plus, au Luxembourg il y a 3 langues offi‐ cielles, je devrais savoir les 3 langues. Parce que c’est une des langues officielles du Luxembourg. Deutsch ist eine der ofiziellen [sic] Sprachen in Luxemburg (neben Französisch und Luxemburgisch), deswegen sollte jeder Bürger die Sprache einigermaßen beherrschen. L’allemand au Luxembourg est une des trois langues oficielle [sic]. Einigen DAF-Schülern war demnach bekannt, dass die Sprachensituation in Luxemburg gesetzlich geregelt ist und die deutsche Sprache eine der drei offi‐ ziellen Sprachen des Landes ist. Möglicherweise wurde die Existenz des Gesetzes im Unterricht thematisiert, um den Schülern zu erklären, warum der DAF-Un‐ terricht derart viel Raum in ihrem Stundenplan einnimmt. Das luxemburgische Sprachengesetz nimmt eine klare Hierarchisierung der Sprachen vor. Die Funktionen der französischen und der luxemburgischen Sprache reichen weiter als die der deutschen (vgl. Timm 2014: 46). Sie hat einen nur semi-verbindlichen Charakter. Im legislativen Bereich gilt sie nur dort als rechtsetzend, wo keine entsprechende Vorgabe auf Französisch existiert. Im po‐ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 248 <?page no="249"?> 56 Für diesen Exkurs unterhielt ich mich mit Laurence Mousel, die zum Zeitpunkt des Gesprächs als Anwältin bei der Kanzlei Bauler&Lutgen in Luxemburg-Stadt tätig war. EXKURS: Gesetzes- und Gerichtssprachen 56 litischen Bereich erfüllt sie den Zweck das Verständnis von offiziellen Texten zu gewährleisten. Ein Großteil der Dokumente, die von den Verwaltungen ver‐ schickt werden, sind deshalb identisch zweisprachig aufgebaut (s. a. Unterka‐ pitel 7). Deutsch und Französisch erfüllen die Informationsfunktion. Doch Über‐ setzungen sind zeitaufwendig und kosten Geld. Wenn es schnell gehen muss und nur eine Sprache ausgewählt werden darf, werden die luxemburgische Sprachenpolitik und das ‚Mentalitätenwissen’ immer der französischen Sprache den Vorzug erteilen. Theoretisch gilt für das gesamte Rechtssystem in Luxemburg die Ausschließ‐ lichkeit des Französischen (vgl. Berg 1993: 27). Der zweite Artikel des Spra‐ chengesetzes besagt, dass juristische Texte in französischer Sprache verfasst werden. Rechtlich gesehen ist so allein die französische Fassung eines Gesetzes oder einer Verordnung maßgebend. Falls sie von einer Übersetzung begleitet werden, gilt nur der französische Text. Sollte ein Gesetz oder eine Regelung nicht auf Französisch vorliegen, gilt die vorhandene Fassung als rechtlich bindend. Die Terminologie der luxemburgischen Gesetzgebung greift somit auf das fran‐ zösische Lexikon zurück. Das liegt zum einen in der Tatsache begründet, dass das luxemburgische Rechtssystem auf dem Code Napoléon basiert (vgl. ebd.: 28). Zum anderen hatte die deutsche Sprache einst durchaus eine, wenn auch dem Französischen untergeordnete, Position in der Rechtsdomäne, die sie dann aber verloren hat. Vor der Okkupation Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg war es die gängige Praxis, Gesetzestexte sowohl auf Französisch, als auch auf Deutsch zu veröffentlichen und beide Versionen als rechtlich gleichwertig zu betrachten. Es war ebenfalls nicht unüblich Verhandlungen vor Gericht auf Deutsch zu führen (vgl. ebd.: 27). Diese Praxis war nach 1945 nicht mehr haltbar. Das Deutsche wurde aus dem Rechtswesen verbannt. Gesetzestexte, die vorher oder im Krieg auf Deutsch entstanden sind, wie etwa Passagen des luxemburgischen Steuer‐ rechts, wurden beibehalten und sind bis heute in Deutsch. Nur bei Gesetzen, die soziale Angelegenheiten oder die Verkehrsordnung betrafen, wurde neben der französischen Version noch eine deutsche Übersetzung angefertigt (vgl. Péporté et al. 2010: 285). Aber auch in diesen Bereichen wird langsam aber sicher die französische Version als ausreichend empfunden. So richtete der Abgeordnete Laurent Mosar am 22. Oktober 2007 die folgende parlamentarische Anfrage 4 Vorarbeiten und Bedeutung der loi sur le régime des langues 1984 249 <?page no="250"?> (Nr. 2057) an die zuständigen Minister des Innen- und des Transportministe‐ riums: […] Récemment quelques administrations communales se sont vues refuser l’appro‐ bation de leurs règlements de circulation par les ministres, car les modifications desdits règlements étaient rédigées en langue allemande. Dans ce contexte, j’aimerais poser les questions suivantes à Messieurs les Ministres de l’Intérieur et des Transports : 1. Ce refus d’approbation est-t-il compatible avec la loi du 24 février 2004 [1984] sur les régime des langues qui stipule qu’on peut faire usage des langues française, allemande et luxembourgeoise ? 2. Pourquoi la rédaction d’un règlement de circulation en langue allemande n’est plus acceptée alors que celle-ci a été de pratique usuelle pendant de longues années ? 3. Pourquoi les textes allemands doivent être impérativement ac‐ compagnés d’une traduction française ? 4. Est-ce que la rédaction d’un règlement de circulation en langue allemande ne facilite pas la compréhension du document en question par la plupart des citoyens? (CHD 2007). Die zuständigen Minister antworteten am 28. November 2007: […] La Commission de circulation de l’Etat n’a jamais émis d’avis négatifs sur le simple fait qu’un avenant soit rédigé en allemand, dès lors que le règlement de base est rédigé dans la même langue. Quant aux questions concrètes posées par le Monsieur le Député Laurent Mosar, les réponses sont les suivantes. 1) La pratique de formuler les avenants à un règlement communal dans une autre langue n’est pas contraire à la loi du 24 février 1984 sur le régime des langues. Tou‐ tefois, formuler les avenants dans une autre langue que celle du règlement amendé revient à créer des règlements communaux qui manquent de clarté et d’homogénéité dans la terminologie et qui sont donc entachés d’insécurité juridique. Outre le fait que la lecture de tels règlements n’est ni facile, ni agréable, le texte même risque d’être incohérent par l’effet des traductions inévitables. 2) La rédaction en allemand d’un règlement de la circulation n’a jamais été interdite. La seule exigence exprimée par la Commission de la circulation, était celle de formuler les avenants dans la même langue que le règlement subissant les modifications. L’ar‐ rêté grand-ducal modifié du 23 novembre 1955 portant règlement de la circulation sur toutes les voies publiques n’est, pour sa part, plus traduit en langue allemande. Cette pratique entraîne un certain risque que la terminologie appropriée en allemand fait défaut. Voilà pourquoi par circulaire du 19 novembre 2007 les autorités communales ont été invitées à utiliser la langue française dans le cas d’une refonte d’un règlement de base. 3) Les administrations communales ont de plus en plus tendance à se doter de textes règlementaires rédigés en langue française, et dès lors elles sont bien conseillées de VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 250 <?page no="251"?> 57 S. a. zum Sprachgebrauch der Kommunalverwaltung Unterkapitel 7. traduire intégralement en français les règlements qui sont encore écrits en langue allemande. Elles pourraient par ailleurs saisir cette occasion pour se doter d’une ver‐ sion consolidée de leur réglementation tout en se basant sur le modèle-type d’un règ‐ lement de circulation communal que la Commission de circulation de l’Etat est dis‐ posée à mettre à disposition sur demande des autorités communales. 4) Il est étonnant de lire que Monsieur Mosar se trouve convaincu du fait que la ma‐ jorité de la population du Grand-duché de Luxembourg maîtrise mieux la langue al‐ lemande que la langue française alors que la législation luxembourgeoise, à l’exception de quelques textes n’ayant pas été réformés jusqu’à ce jour, est rédigée en français et que la population ne semble pas présenter de difficulté de compréhension (CHD 2007b). Französisch, Deutsch und Luxemburgisch sind laut Artikel 3 des Sprachenge‐ setzes die Verwaltungs- und Gerichtssprachen des Landes. 57 Bei einer Gerichts‐ verhandlung wird vor Verhandlungsbeginn auf der Basis der Sprachpräferenzen aller Beteiligten entschieden, welche der drei Sprachen ausgewählt wird. Zudem wird bei Verständnisschwierigkeiten auf Dolmetscher zurückgegriffen. Wenn alle anwesenden Parteien Luxemburgisch sprechen, interagieren Richter, Staats‐ anwalt, Rechtsanwälte, Klienten und Zeugen grundsätzlich auf Luxemburgisch. In Zivil- und Handelssachen stehen sich für gewöhnlich nur Richter und Anwalt gegenüber, hier ist es gängig, dass auf Luxemburgisch debattiert wird. Nur die Gesetzestexte, auf die sie sich beziehen, sind, in der Regel auf Französisch, ge‐ nauso wie das Rechtsvokabular, das sie ins Luxemburgische transferieren müssen. Daher kann es durchaus vorkommen, dass Anwälte es vorziehen auf Französisch zu plädieren, obschon ihre Erstsprache das Luxemburgische ist. Zu dieser Sprachwahlentscheidung kann es zum einen kommen, wenn auf dem sozialen Feld, dem der Rechtsfall zuzuordnen ist, in Luxemburg der französische Sprachgebrauch dominiert oder zum anderen die Verteidigung es vorzieht auf Französisch zu plädieren, da sie ihr Rechtswissen in dieser Sprache erworben hat und die juristischen Texte, auf die sie sich beziehen muss, eben auf Franzö‐ sisch vorliegen. Um die Rechtskräftigkeit eines Urteils zu gewähren, wird dieses in Luxemburg am Ende einer Verhandlung, unabhängig von der Verhandlungs‐ sprache, stets auf Französisch gesprochen. Die deutsche Sprache wird vor Ge‐ richt nur benutzt, wenn der Klient oder eventuelle Zeugen aufgrund ihres Sprachhintergrunds das Deutsche präferieren. Richter, Staatsanwälte und Verteidiger, die an einem der drei Bezirksgerichte in Luxemburg tätig sind, müssen die drei Sprachen des Landes, also auch die deutsche, beherrschen (s. a. Kapitel VI.). Die wenigsten sind es allerdings ge‐ 4 Vorarbeiten und Bedeutung der loi sur le régime des langues 1984 251 <?page no="252"?> wohnt, Verhandlungen auf Deutsch zu führen und tun sich daher in der Regel schwer, die französische Rechtsterminologie ad hoc in eine deutsche zu über‐ tragen. Es fällt auf, dass die Sprachpraxis sich an den drei Bezirksgerichten von‐ einander unterscheidet. Während am Bezirksgericht Diekirch, im Norden Lu‐ xemburgs, viele Fälle auf Luxemburgisch abgehandelt werden, pflegt das Bezirksgericht in Luxemburg-Stadt eher die französische Tradition. Das dritte Bezirksgericht liegt in Esch-Alzette, im äußersten Süden des Landes, an der Grenze zu Frankreich. Verhandlungen werden hier, aufgrund der Herkunft der Klienten, häufig auf Französisch geführt. 5 Luxemburg: Ein frankophones Land? Die luxemburgische Mehrsprachigkeit stellt einen wichtigen Aspekt des nation brandings dar. Eine dieser Sprachen aufzugeben, wäre für Luxemburg, wirt‐ schaftlich gesehen, ein Nachteil: Hubertus von Morr: „Luxemburg muss ja mit seinen großen Nachbarn leben, mit Frankreich und Deutschland, und ein großer Vorteil für Luxemburg ist eben die Drei‐ sprachigkeit. Das ist ein ganz immenser Standortvorteil für Luxemburg und das wäre, also ich fände das außerordentlich töricht das aufzugeben. Das ist ja das, was die Luxemburger auszeichnet, im Gegensatz zu anderen. Die Deutschen können nicht gut Französisch oder auch nur wenige, […] [von den] Franzosen können auch nicht viele Deutsch. Die Luxemburger können beides. Das ist ein ganz großer Vorteil. Also ich finde es im Interesse, im eigenen Interesse Luxemburgs, ganz wichtig diese Dreispra‐ chigkeit zu behalten.“ Eine Umfrage der luxemburgischen Handelskammer kommt ebenfalls zu diesem Schluss: Die multikulturelle und multilinguale Ausrichtung des Landes habe positive Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der ansässigen Unter‐ nehmen (vgl. LW86 / 87: 29. 09. 2011). Im Jahr 2011 wählten 265 Entscheidungs‐ träger aus dem luxemburgischen Wirtschaftssektor die „Mehrsprachigkeit des Landes“, nach dem „günstigen steuerlichen Umfeld“ und der „IT- und Kommuni‐ kationsinfrastruktur“ auf den dritten Platz der Faktoren, die für Unternehmen den Standort Luxemburg attraktiv erscheinen lassen (vgl. ebd.). Im Grunde genommen existieren zwei Luxemburgbilder, die politisch, je nach Kontext, unterschiedlich stark akzentuiert werden: Das Profil des mehrspra‐ chigen Staates und das Profil eines frankophonen Staates. Französisch ist die Sprache in der die luxemburgische Außenpolitik primär gemacht wird. Inter‐ national rechnet sich Luxemburg ausdrücklich und offiziell den frankophonen VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 252 <?page no="253"?> 58 Die Unterzeichnenden verpflichteten sich dazu, in den Schulen und Behörden ihres jeweiligen Landes die neue Rechtschreibung bis zum 01. 08. 1998 einzuführen. Eine Übergangszeit bis zum 31. Juli 2005 wurde eingeräumt, in welcher die alten Schreib‐ weisen in der Schule zwar markiert, nicht aber als falsch gelten sollten (vgl. Zeitleiste zur Reformgeschichte unter: http: / / rechtschreibrat.ids-mannheim.de/ download/ zeitleiste2011.pdf, Geschichte der Rechtschreibung unter http: / / www.duden.de/ ueber_duden/ geschichte-der-rechtschreibung ; vgl. LW4: 16. 09. 1996). Die Wiener Ab‐ sichtserklärung kann unter http: / / rechtschreibrat.ids-mannheim.de/ download/ wiener_erklaerung.pdf eingesehen und heruntergeladen werden. Ländern zu, wenn es auch zugleich als Vermittler mit mehrsprachiger Kompe‐ tenz auftritt. 1970 trat es der Organisation internationale de la Francophonie bei und ist bis heute ständiges Mitglied. Als der Generalsekretär der Frankophonie, Boutros Boutros-Ghali, im Oktober 1998 offiziell zu Besuch in Luxemburg war, wählte die damalige Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges in ihrer An‐ sprache folgende Worte: En guise d’introduction Madame le Ministre Erna Hennicot-Schoepges a souligné la force de l’appartenance du Grand-Duché à cette Francophonie et le „cas de figure“ particulier qu’il constitue. Voilà un pays dont la langue naturelle et la première langue d’apprentissage à l’école sont germaniques et qui, pourtant, n’a cessé de manifester, depuis si longtemps, une réelle fidélité francophone! L’histoire est révélatrice et les exemples sont multiples, de Jean l’Aveugle, mourant à Crécy aux côtés des Français, le 26 août 1346, à la Grande-Duchesse Charlotte à Paris, en octobre 1963. […] Comme a conclu Erna Hennicot-Schoepges, „le français est partie de notre identité cultu‐ relle“ […] (LW7 : 30. 10. 1998). Die angesprochene Treue („fidelité“) gegenüber der französischen Sprache, die engen historischen Verbindungen zwischen Frankreich und Luxemburg und das Französische als Teil der kulturellen Identität des Landes - diese pathetischen Worte würde eine luxemburgische Ministerin nicht wählen, wenn sie über die Verbindungen des Landes zur deutschen Sprache und Kultur reden würde. In dem Fall würden eher Werte wie Freundschaft und gegenseitiger Respekt her‐ vorgestrichen. Einer Vereinigung deutschsprachiger Staaten würde Luxemburg auch nicht beitreten. Die deutsche Sprache wird vom Staat ganz bewusst nur im bilateralen Kontakt mit deutschsprachigen Ländern benutzt. Bei öffentlichen Auftritten im Austausch mit ausländischen Experten oder Politikern wählen politische Mandatsträger aus Luxemburg in der Regel die französische Sprache. Bei der Reform der deutschen Rechtschreibung im Jahr 1996 war Luxemburg, neben anderen deutschsprachigen Ländern und Staaten mit deutschsprachigen Minderheiten, eingeladen worden, die ‚Gemeinsame Absichtserklärung zur Neu‐ regelung der deutschen Rechtschreibung’ 58 zu unterschreiben. Am 1. Juli 1996 5 Luxemburg: Ein frankophones Land? 253 <?page no="254"?> kamen in Wien die Vertreter der folgenden Staaten zur Unterzeichnung dieser Absichtserklärung zusammen: Belgien, Deutschland, Italien, Liechtenstein, Ös‐ terreich, die Schweiz und Ungarn. Luxemburg nahm die Einladung Deutsch‐ lands nicht an, mit der Begründung ‚kein deutschsprachiges Land’ zu sein und verzichtete auch auf die Möglichkeit die Absichtserklärung noch nachträglich zu unterschreiben. Im Oktober 1997 beantwortete die damalige Unterrichtsmi‐ nisterin Erna Hennicot-Schoepges eine diesbezügliche parlamentarische An‐ frage des Abgeordneten Laurent Mosar (Nr. 467): […] En décembre 1995, une décision de la conférence des ministres de l’Education des différents „Länder“ de la République Fédérale d’Allemagne a introduit en Allemagne une nouvelle réglementation de l’orthographe allemande. Le 1 er juillet 1996, la nouvelle réglementation a fait objet d’un accord officiel signé par les autorités allemandes, autrichiennes et suisses. Le Gouvernement luxembourgeois n’a pas signé cet accord, étant donné que le Grand-Duché de Luxembourg n’est pas un pays germanophone. Etant donné que l’allemand est toutefois enseigné dans le système scolaire luxem‐ bourgeois, les services compétents de mon département se sont concertés étroitement avec la commission d’Instruction et les commissions des programmes d’allemand de l’enseignement secondaire et de l’enseignement secondaire technique pour préparer et aviser la circulaire ministérielle du 20. 03. 1997 intitulée „Die Neuregelung der deut‐ schen Rechtschreibung im luxemburgischen Schulsystem“[…] (CHD 1997). Das luxemburgische Bildungsministerium nahm demnach alle Beschlüsse als geltend an, ohne sich jedoch in irgendeiner Form an der Korpusplanung zu be‐ teiligen und als Sprachplaner in Erscheinung zu treten. Wäre Luxemburg der Einladung gefolgt, hätte es zugleich bejaht ein deutschsprachiges Land zu sein. Die Position der Regierung kann mit Schmid (2001: 148) als „desire to maintain an identity distinct from Germany“ interpretiert werden. Im Juli 1996 kommen‐ tiert Lex Roth in einem Leserbrief im Luxemburger Wort die Meldung der deut‐ schen Presseagentur dpa: Die dpa (deutsche Presseagentur) verbreitete vergangene Woche eine Meldung, die zwar nicht weltbewegend sein dürfte, die jedoch weltweit Meinungen richtig stellte: „ … Das kleinste Land der Europäischen Union hatte die Einladung zu der Konferenz über die Rechtschreibreform mit dem Verweis auf die (luxemburgische) Eigenstän‐ digkeit abgelehnt.“ Wer auch immer dieser Sprecher der luxemburgischen Regierung war, der solcherart die Sache auf den Punkt brachte, er verdient unseren Dank […] (LW24: 17. 07. 1996). VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 254 <?page no="255"?> 2004 hat sich an der Position der luxemburgischen Entscheidungsträger nichts geändert. Der damalige Abgeordnete Xavier Bettel richtet eine parlamentarische Anfrage (Nr. 39) an die zuständige Bildungsministerin Mady Delvaux-Stehres: Récemment, plusieurs importantes maisons d’éditions allemandes ont déclaré vouloir abandonner les nouvelle [sic] règles orthographiques allemandes et utiliser doréna‐ vant les anciennes règles dans leurs publications. Cette décision a réinitié les débats dans le milieu politique et le milieu éducatif sur la validité de la „Rechtschreibreform“ allemande. En effet se pose maintenant la question de savoir si l’éducation devrait également retourner à l’ancien système. Vu l’importance de la langue allemande dans notre système scolaire, tout changement de la pratique orthographique aura des con‐ séquences importantes. Dans ce contexte, j’aimerais savoir : - Si Madame le Ministre de l’Education nationale et de la Formation professionnelle estime qu’il faudrait éventuellement réintroduire l’ancienne orthographie allemande dans notre système scolaire ? - Dans l’affirmative, faudrait-il alors changer les manuels scolaires ? Quels seraient les éventuels coûts de cette modification ? (CHD 2004a) Die Bildungsministerin antwortete dem Abgeordneten am 16. August 2004: Réponse de la Ministre de l’Éducation nationale et de la Formation professionnelle à la question parlementaire N. 39 de Monsieur le Député Xavier Bettel : L’allemand n’est pas la langue nationale des luxembourgeois. Il n’appartient donc pas au Gouvernement luxembourgeois de prendre une décision au sujet de l’orthographe allemande avant que les pays germanophones, à savoir l’Allemagne, l’Autriche, la Suisse et le Liechtenstein n’aient modifié leur position officielle. Comme la langue allemande est langue d’enseignement et d’alphabétisation à l’école, je suivrai de près le débat sur l’orthographie allemande. La deuxième question est donc sans objet (CHD 2004b). Im ersten Halbjahr 2005 übernahm Luxemburg die EU-Präsidentschaft. Als Ver‐ kehrssprachen wurden Französisch und Englisch verwendet, sowohl bei der Übersetzung als auch beim Einsatz von Dolmetschern (vgl. Fehlen 2008: 59). Auf diese Entscheidung reagierte die Bundesrepublik Deutschland mit einer Pro‐ testnote (vgl. ebd.). Am 1. Juli 2015 übernahm Luxemburg erneut den EU-Rats‐ vorsitz und verfuhr abermals auf gleiche Weise. Französisch wurde als Haupt‐ kommunikationssprache genutzt, Englisch stand an zweiter Stelle und erfüllte 5 Luxemburg: Ein frankophones Land? 255 <?page no="256"?> 59 Diese Aussage beruht auf den Beobachtungen und Erfahrungen von Valérie Schreiner, die beim luxemburgischen Forschungsministerium im Bereich ‚Presse- und Öffentlich‐ keitsarbeit’ während der EU-Präsidentschaft angestellt war. 60 Marie-Josée Jacobs hatte zu dieser Zeit die Ämter der Familien- und Integrationsmi‐ nisterin inne, Mady Delavaux-Stehres die Ämter der Bildungsministerin und Ministerin für Berufsausbildung. den Zweck einer ‚courtesy translation’. Die deutsche Sprache wurde auch diesmal nicht verwendet. 59 Am Welttag der Gehörlosen, dem 23. September 2006, wurde im Luxemburger Wort ein Leserbrief von Claudine Muller veröffentlicht, die als Lehrkraft für Logopädie und Direktionsattaché am Centre de Logopédie in Luxemburg-Stadt arbeitet. Darin bedauerte sie, dass die Gebärdensprache in Luxemburg von of‐ fizieller Seite bislang noch nicht anerkannt worden sei: Bereits vor fast 20 Jahren forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 17. Juni 1988, die Förderung und Umsetzung der Anerkennung nationaler Zei‐ chensprachen in den EU-Staaten Schritt für Schritt zu realisieren; in Luxemburg pas‐ sierte bisher … nichts! (vgl. LW: 23. 09. 2006) Am 17. Juli 2008 reichten die Abgeordneten Félix Braz und Claude Adam (Nr. 2707) eine parlamentarische Anfrage zum Thema ein. Die zuständigen Mi‐ nisterinnen Marie-Josée Jacobs und Mady Delvaux-Stehres 60 antworteten: […] A noter qu’il n’existe pas de langue des signes luxembourgeoise. […] Les statis‐ tiques concernant les personnes utilisant une quelconque langue des signes ne sont pas centralisées. Actuellement, les organisations de et pour personnes présentant une déficience auditive estiment à 100 le nombre des personnes qui utiliseraient actuelle‐ ment au Luxembourg la langue des signes allemande et à 60 les personnes qui com‐ muniqueraient en une autre langue des signes. […] La situation linguistique particu‐ lière du Grand-duché se caractérise par la practice et la reconnaissance de trois langues officielles. Ce trilinguisme combiné au défaut de langue de signes luxembourgeoise implique que les personnes qui présentent une déficience auditive et qui veulent com‐ muniquer en langue des signes sont obligés de recourir soit à la langue des signes allemande, soit à la langue des signes française, soit à la langue des signes de Belgique francophone ou une des nombreuses autres langues des signes. Il résulte des déve‐ loppements qui précèdent que trouver un accord sur la langue des signes à reconnaître au Luxembourg n’est pas tâche facile au vu du risque élevé de discrimination de l’un ou de l’autre groupe. Or, c’est une condition sine qua non pour pouvoir entamer un quelconque processus de reconnaissance officielle […] (CHD 2008). VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 256 <?page no="257"?> 61 Die Vereinigung setzt sich in Luxemburg für Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung ein. 62 Claudine Muller: „Wir bieten offiziell das Optionsfach ‚Gebärdensprache’ an, dort erwerben die Schüler lautsprach-begleitende Gebärden (LUG). Der Erwerb der Gebär‐ densprache ist somit keine Pflicht. Unsere Schüler beherrschen in der Regel aber die gängigen Vokabeln.“ Aufgrund der vielfältigen Sprachkontakte im Land und des Sprachengesetzes von 1984 könnte sowohl die deutsche Gebärdensprache, die französische, eine französisch-belgische Varietät als auch andere Gebärdensprachen in Luxemburg anerkannt werden. Das Vorkommen einer spezifisch luxemburgischen Gebär‐ densprache schließen die Ministerinnen aus. Die Gehörlosen in Luxemburg und das Centre de Logopédie sind hingegen der Ansicht, dass in Luxemburg eine Gebärdenvarietät existiert. In meinen Gesprächen mit Claudine Muller vom Centre de Logopédie und Jackie Winandy von Daaflux 61 unterstrichen beide Frauen, dass die Gemeinschaft der Gehörlosen in Luxemburg in der Regel die deutsche Gebärdensprache verwende, bzw. eine Gebärdensprache, die dem deutschen Standard sehr nahe komme und eben, aufgrund der Mehrsprachigkeit im Land, regionale Besonderheiten aufweise, die nicht untypisch bei Gebärden‐ sprachen seien. Am Centre de Logopédie werden Kinder mit einer mäßig bis starken Hörbeeinträchtigung im Deutscherwerb gefördert, weil das Deutsche die Alphabetisierungssprache und Hauptunterrichtssprache an Luxemburgs Grundschulen ist. Die Tradition der Schule ist daher eher eine deutsche, angeh‐ enden luxemburgischen Logopäden wird auch empfohlen ihr Studium in Deutschland zu absolvieren. Wer in Luxemburg die Grundzüge der Gebärden‐ sprache erlernen möchte, erwirbt in Sprachkursen, wie sie beispielsweise seit 2010 von der Gemeinde Luxemburg angeboten werden, die deutsche Gebärden‐ sprache (DGS) (vgl. Ville de Luxembourg 2014). Am 2. März 2015 unterhielt ich mich telefonisch mit Claudine Muller über das Thema ‚Gebärdensprache’ und die Unterrichtspraxis am Centre de Logopédie. Sie erklärte, dass die Gebärden‐ sprache von offizieller Seite nicht als vollwertiges Fach unterrichtet werden dürfe, da sie in Luxemburg als offizielle Kommunikationssprache bislang noch nicht anerkannt worden sei: Claudine Muller: „Mir bidden offiziell d’Optiounsfach ‚Gebärdensprache’ un, wou d’Schüler lautsprach-begleitende Gebärden (LUG) léieren. Et ass also keng Pflicht d’Gebärdesprooch ze erléieren. Eis Schüler beherrschen awer an der Regel déi gängeg Vokabelen.“ 62 Da Gebärdensprachen, im Gegensatz zu Lautsprachen, visuelle Kommunikati‐ onssprachen sind, in denen nicht die Stimme, sondern Hände, Körperhaltung 5 Luxemburg: Ein frankophones Land? 257 <?page no="258"?> 63 Diese Mitbestimmung wäre an zwei Bedingungen geknüpft: Zum einen müssten sie seit bereits zehn Jahren in Luxemburg leben und zum anderen vorher bereits an den Kom‐ munal- und Europawahlen teilgenommen haben. 64 Während Frage- und Antwortmöglichkeiten auf dem Wahlzettel in den drei Amtsspra‐ chen des Landes formuliert wurden, wurde der Wahlkampf in den Wochen vor der Abstimmung auf Luxemburgisch geführt. Dies entspricht der mittlerweile gängigen Praxis. Sobald die luxemburgische Sprachgruppe angesprochen werden soll und eine Sprache benötigt wird, die auch noch die Konnotation von Nähe erzeugen muss, werden Kampagnen und Plakate auf Luxemburgisch verfasst (s. a. Kapitel XI). und Mimik dominieren, stoßen ihre Sprecher auf weitaus weniger Verständi‐ gungshürden, als solche, die verschiedene Lautsprachen benutzen. Jackie Wi‐ nandy führte das Beispiel eines Luxemburgers an, der auf jemanden trifft, der ausschließlich Chinesisch beherrscht. In dieser Situation käme es zu erheblichen Verständigungsproblemen. Anders Gebärdensprecher in einer vergleichbaren Situation: Diese fänden ‚ziemlich schnell einen Draht zueinander’, denn obwohl im Grunde jedes Land seine eigene(n) Gebärdensprache(n) und regionale Vari‐ etäten aufweise, würden sich die benutzten Gebärden sehr ähneln. Gebärden‐ sprecher in Luxemburg könnten sich daher unabhängig von ihrer Herkunft und Sprachbiographie relativ gut untereinander verständigen. Die von politischer Seite angedeutete Diskriminierung, die sich aus der Anerkennung einer einzigen offiziellen Gebärdensprache ergeben könnte, würde sich demnach auf den kom‐ munikativen Alltag der Betroffenen nicht unbedingt negativ auswirken. Vieles würde für die Anerkennung der deutschen Gebärdensprache oder einer spezi‐ fisch luxemburgischen Varietät der DGS im Land sprechen. Gerade die Aner‐ kennung der deutschen Gebärdensprache wäre aber ein politisches Signal, das der gewohnten Linie der Regierung widerspricht. Die Politik des Sich-Nicht-Fest‐ legen-Wollens wird einem solchen Signal bei Weitem vorgezogen. 6 Verfassungsreform in Luxemburg Während des Entstehungsprozesses dieser Arbeit wurde an der Reform der lu‐ xemburgischen Verfassung von 1948 gearbeitet. 2017 soll per Volksentscheid über den Verfassungstext abgestimmt werden. Am 7. Juni 2015 mussten die Lu‐ xemburger bereits in einem Referendum darüber entscheiden, ob sie die fol‐ genden drei Punkte in die Verfassung einschreiben wollen: 1.) das fakultative Wahlrecht ab 16; 2.) ein fakultatives Wahlrecht für ausländische Mitbürger bei Parlamentswahlen 63 und 3.) die Mandatsdauer von Ministerämtern auf zehn Jahre zu begrenzen. 64 Mit einem dreifachen Nein fiel der Volksentscheid deutlich aus: 80,9 % der Stimmberechtigten sprachen sich gegen das Wahlrecht mit 16 VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 258 <?page no="259"?> aus, 78 % gegen das Ausländerwahlrecht und 69,9 % gegen eine Begrenzung der Mandatsdauer für Minister. Das Wahlrecht für ausländische Mitbürger rückte ins Zentrum des Interesses und wurde von den Wählern abgelehnt. Für diese blieb das Recht auf Wahlbeteiligung untrennbar an den Erwerb der luxembur‐ gischen Nationalität gekoppelt und die Nationalität wiederum an den Nachweis von Luxemburgischkenntnissen. Eine andere Frage, die in der Verfassungsdebatte dominierte, war jene nach den Sprachen und Symbolen, die im neuen Verfassungstext aufgeführt werden sollten und somit als Elemente der nationalen Identifikation eine Statuserhe‐ bung erfahren würden. Während der Verfassungstext von 1948 keine Sprache zur Nationalsprache oder zur offiziellen Landessprache erhob und dem Gesetz‐ geber die Regelung der Sprachensituation für einen späteren Zeitpunkt überließ, sollte der neue Verfassungstext einen Schritt weiter gehen. Aus einem wissen‐ schaftlichen Verfassungsentwurf, den Luc Heuschling, Professor für Verfas‐ sungsrecht an der Universität Luxemburg, aus den Versammlungsprotokollen der zuständigen Kommission erstellt hat, geht hervor, dass die Sprache(n) Lu‐ xemburgs in der neuen Verfassung im ersten Kapitel, unter dem Absatz De l’Etat, de son territoire et de ses habitants, als Teil der nationalen Symbolik, Erwähnung finden sollen: Article 4 : (1) La langue du Luxembourg est le luxembourgeois. La loi règle l’emploi des langues luxembourgeoise, française et allemande. (2) L’emblème national est le drapeau tricolore rouge, blanc, bleu. (3) La loi définit les armoiries de l’Etat. (4) L’hymne national est „Ons Heemecht“ (Heuschling 2013). Die Verfassungskommission präferierte zu dem Zeitpunkt also den Satz „La langue du Luxembourg est le luxembourgeois“. Im Sprachengesetz von 1984 heißt es aber: „La langue nationale des Luxembourgeois est le luxembourgeois.“ Angeb‐ lich befürchtet die Kommission, dass sich aus der Verwendung des Begriffs ‚Nationalsprache’ in der Verfassung, Rechtsansprüche für die luxemburgische Sprache auf internationaler Ebene ergeben könnten, die man nicht in Anspruch nehmen will - etwa die Anerkennung des Lëtzebuergeschen als Amts-und Ar‐ beitssprache der EU (vgl. Fehlen 2012b). Als im Jahr 1951 die europäische Ge‐ meinschaft für Kohle und Stahl gegründet wurde, gab Luxemburg Französisch und Deutsch als die von ihm verwendeten EU-Amtssprachen an (vgl. Takahashi 6 Verfassungsreform in Luxemburg 259 <?page no="260"?> 65 Jedes Land, das der Europäischen Union beitritt, entscheidet welche Amtssprachen es innerhalb der EU benutzen möchte. Diese Entscheidung darf zu einem späteren Zeit‐ punkt auch vom Mitgliedsstaat revidiert werden, wie etwa im Falle Irlands, das seit 1973 EU-Mitgliedsland ist, aber erst im Jahr 2007, zuzüglich zum Englischen, die Erhebung des Irischen zur EU-Amtssprache beantragte (vgl. Takahashi 2013: 301). 66 URL: http: / / www.europarl.europa.eu/ aboutparliament/ de/ 20150201PVL00013/ Mehrsprachigkeit (zuletzt abgerufen am 02. 05. 2016). 2013: 301). 65 Obschon die luxemburgische Sprache einen Ausbau erfahren hat, der weit vorangeschritten ist, verzichtet die Regierung auf die Erhebung des Luxemburgischen zur EU-Amtssprache. Dabei kommt aus der Bevölkerung re‐ gelmäßig die Forderung dies zu tun. So reichte die ‚Initiativ fir eis Sprooch’ eine Petition (Nr. 289) bei der Abgeordnetenkammer ein und forderte die Regierung auf, die luxemburgische Sprache in der Verfassung zu verankern und die not‐ wendigen Schritte zu unternehmen, damit sie als europäische Sprache aner‐ kannt werde (vgl. Tageblonline: 18. 02. 2014). Der luxemburgische Premiermi‐ nister Xavier Bettel bezog hierzu im Februar 2014 Stellung: […] l’ancrage de notre langue dans la Constitution constitue un préalable indispen‐ sable à toute action éventuelle en faveur d’une reconnaissance du luxembourgeois, à un titre ou un autre, auprès des Institutions européennes. Pour le reste, le Gouverne‐ ment attire l’attention sur le fait qu’en pratique une telle reconnaissance aurait pour conséquence que tout l’acquis communautaire devrait être traduit en luxembourgeois. Or, de l’avis du Gouvernement, il serait contradictoire de requérir une traduction des textes européens en langue luxembourgeoise, alors que nos propres textes législatifs et réglementaires sont rédigés et publiés en langue française (CHD 2014). Bis dato wurde stets darauf hingewiesen, dass der Übersetzungsaufwand, den eine EU-Amtssprache Luxemburgisch nach sich ziehen würde, zu hoch sei. Au‐ ßerdem stünde dieser Antrag im Widerspruch zur Funktionenverteilung an die Sprachen, wie sie in Luxemburg erfolge. Esmein (1998: 42) meint zudem, dass mit einer umfassenden Statuserhebung der luxemburgischen Sprache eine na‐ tionale Rückbesinnung ausgedrückt werde, durch die das Bild Luxemburgs als moderner, fortschrittsorientierter und mehrsprachiger Kleinstaat an Glaubwür‐ digkeit verlieren würde. Die EU zählt zurzeit 24 Amts- und Arbeitssprachen bei insgesamt 28 Mitgliedsstaaten. 66 Sämtliche nationalen Amtssprachen sind zu‐ gleich Amtssprachen der EU. Luxemburg stellt mit seinem freiwilligen Verzicht somit einen Sonderfall dar (vgl. Gerhards 2010: 219). VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 260 <?page no="261"?> 67 Am 1. Januar 2014 war Luxemburg in 106 Gemeinden, 12 Kantone und drei Distrikte (Diekirch, Luxemburg und Grevenmacher) unterteilt (vgl. Statec 2014: 5). Zum Distrikt ‚Diekirch’ (Nordregion) gehörten die Kantone Clervaux, Diekirch, Redange, Wiltz und Vianden. Zum östlichen Distrikt ‚Grevenmacher’ zählten die Kantone Echternach, Gre‐ venmacher und Remich und im Distrikt Luxemburg lagen die Kantone Capellen, Esch / Alzette, Luxemburg-Stadt und Mersch. 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene Im August 2012 wurde der von mir erstellte Fragebogen mit dem Titel ‚Die Sprachenpolitik(en) Luxemburgs. Wo taucht die deutsche Sprache auf ? ’ an Ge‐ meindeverwaltungen in Luxemburg verschickt. 67 Ausgewählt wurden die Ge‐ meinden anhand ihrer geographischen Lage, ihrer Bevölkerungsstärke und -struktur. Eindrücke aus den verschiedenen Regionen des Landes sollten ge‐ sammelt werden und regionale Besonderheiten, sofern vorhanden, herausge‐ stellt werden. Auf diesem Weg sollte in Erfahrung gebracht werden, wie die Kommunen sprachpolitische Vorgaben handhaben, wie sie mit den verschie‐ denen Sprachgruppen in ihren Ortschaften kommunizieren, in welchem Kon‐ text sie welche Sprache benutzen und wie sie den Stellenwert der einzelnen Sprachen im Land - insbesondere den der deutschen - einschätzen. Die Ge‐ meinden haben Vorgaben von ‚oben’, in welcher Sprache sie kommunizieren sollen, entwickeln aber möglicherweise in der täglichen Praxis eigene inner‐ kommunale Sprachenpolitiken. Wenn mit Müller (2008: 142) davon ausge‐ gangen werden kann, dass „Kommunalpolitik […] in einem kleinen Land wie Lu‐ xemburg in vielfältiger Weise auf die Landespolitik ein[wirkt]”, ist der Einfluss der kommunalen Ebene auf die Sprachenpolitik der nationalen Ebene nicht zu unterschätzen. In der, vom Presse- und Informationsamt der Luxemburger Re‐ gierung, herausgegebenen Informationsbroschüre Apropos … Sprachen in Lu‐ xemburg steht ein Hinweis, der überprüft werden soll: Ist das Deutsche im öffentlichen Leben auf nationaler Ebene insgesamt eher schwach vertreten, so stellt doch die kommunale Ebene, sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Bereich ein gewisses Gegengewicht dar (Veröffentlichungen der Ge‐ meinderäte) (Presse- und Informationsamt der Lux. Regierung 2008: 4). Die untere Verwaltungsebene des Staates steht dem Bürger am Nächsten. Auf dieser Ebene wird die deutsche Sprache also anscheinend vermehrt zur Kom‐ munikation mit dem Bürger eingesetzt. Auf den nachfolgenden Seiten werden nun die Antworten von insgesamt zwölf Gemeinden auf die acht Fragen des Fragebogens wiedergegeben. Die Gemeinden wurden nach ihrer Distriktzuge‐ 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 261 <?page no="262"?> hörigkeit geordnet, um regionale Unterschiede erkennbar werden zu lassen. Über Kommentarkästen werden die Antworten interpretiert. Die erste Frage des Fragebogens lautete: „In welcher Sprache / In welchen Sprachen erscheint Ihr Gemeindeblatt und weshalb (bitte begründen)? Falls mehrere Sprachen benutzt werden, beschreiben Sie in welcher Rubrik welche Sprache benutzt wird und weshalb.“ Es werden zunächst die Antworten aus der Nordregion des Landes aufgelistet: Gemeinde Clervaux: „Das Gemeindeinformationsblatt der Gemeinde Clerf ‚De Cli‐ ärrwer Reider’ erscheint sowohl in französischer als auch in deutscher Sprache. Der erste Teil jeder Ausgabe ist in französischer Sprache, der zweite Teil ist in deutscher Sprache. Sämtliche Artikel sind in beiden Sprachen verfasst, mit einigen wenigen Ausnahmen, wie z. B. einer Gemeindeverordnung, da hier ausschließlich der franzö‐ sische Text rechtsverbindlich ist.“ Kommentar (F. S): Die französische Fassung des Textes kommt hier vor der deutschen, eine Rangordnung wird also erkennbar. Die Stellung der franzö‐ sischen Sprache als gesetzgebende Sprache tritt deutlich hervor, denn es werden keine deutschen Übersetzungen von offiziellen Verordnungen ange‐ fertigt. Die Übersetzungen wären rechtlich gesehen ungültig. Gemeinde Colmar-Berg: „Im Gemeindeblatt werden 3 Sprachen benutzt: Luxem‐ burgisch, Französisch, Deutsch. Offizielle Texte, wie öffentliche Mitteilungen und die Zusammenfassung der Gemeinderatssitzungen werden in Französisch verfasst. Wobei die Texte betreffend die Gemeinderatssitzungen auch in Deutsch verfasst werden, da jeder Bürger die Möglichkeit haben soll diese Texte zu verstehen. Andere Texte werden in der Sprache verfasst, in der sich der jeweilige Autor am Besten ausdrücken kann.“ Kommentar (F. S.): Auch in Colmar-Berg werden Texte, die deklarativen Cha‐ rakter haben, also offizielle Entscheidungen übermitteln, auf Französisch verfasst. Berichte der Gemeinderatssitzungen werden sowohl auf Franzö‐ sisch, wie auch auf Deutsch veröffentlicht. Texten, die in beiden Sprachen erscheinen, wird eine große Reichweite zugeschrieben. Darüberhinaus ist die Entscheidung, welche Sprache ausgewählt wird nicht selten schlicht und einfach von den Sprachpräferenzen und -kompetenzen desjenigen abhängig, der journalistisch aktiv wird. VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 262 <?page no="263"?> Gemeinde Diekirch: „Das Gemeindeblatt erscheint in 4 Sprachen (Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und Portugiesisch). Dadurch verspricht sich die Gemeinde, die Bürger direkter anzusprechen. Die Texte sind aber jetzt nicht in all diese Sprachen übersetzt. Nachteil davon ist sicherlich, dass nicht alle Bürger gleichwertige Informa‐ tionen erhalten. An diesem Thema wird allerdings gearbeitet.“ Kommentar (F. S.): Hier hat man sich für eine Erweiterung der traditionellen Dreisprachigkeit entschieden. Die portugiesische Sprache tritt als vierte Schriftsprache hinzu, um eine möglichst breite Rezeption der Gemeindezei‐ tung zu garantieren. Die Redakteure und vor allem die lokalpolitischen Ent‐ scheidungsträger wollen möglichst alle Bürger der Gemeinde erreichen. Sie gehen davon aus, dass in einer Zeitung, die sich der Sprachen Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und Portugiesisch bedient, jeder Leser eine Auswahl an Artikeln finden wird, die er versteht. Gemeinde Troisvierges: „Unser Gemeindeblatt erscheint in Deutsch und Franzö‐ sisch. Das hat unser Schöffenrat beschlossen. Die Rubriken werden abgewechselt.“ Kommentar (F. S.): Die Sprachwahlentscheidung wurde nicht von den Ver‐ waltungsangestellten, sondern (kommunal-)politisch beschlossen. Deutsch und Französisch werden im Wechsel gebraucht, um ein gleichberechtigtes Nebeneinander der Sprachen auszudrücken. Gemeinde Vianden: „Auf Französisch, weil die Mehrheit unserer ausländischen Bürger besser Französisch versteht als Deutsch. Die luxemburgischen Bürger ver‐ stehen beide Sprachen! “ Kommentar (F. S.): In Vianden hat man beschlossen das Informationsblatt der Gemeinde auf Französisch herauszugeben und keine weitere Sprache zu nutzen. Französisch wird hier deutlich als lingua franca eingestuft, die so‐ wohl die Luxemburger als auch die Mehrheit der ausländischen Bürger ver‐ steht. Die Reichweite der deutschen Sprache wird als weitaus geringer ein‐ geschätzt. Gemeinde Wiltz: „Die Gemeindezeitung der Stadt Wiltz erscheint grundsätzlich zweisprachig (deutsch-französisch), um eine größtmögliche Bevölkerungsschicht zu 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 263 <?page no="264"?> erreichen. Artikel, die wir von außerhalb erhalten, sind oft nur in Deutsch, entweder weil sie für eine deutschsprachige Tageszeitung geschrieben wurden, weil dem je‐ weiligen Autor das Deutsche besser von Hand geht, oder weil [sie] (wie die Rubrik „Geschichte“) auch vor allem ältere (Luxemburger) Leute anspricht, die die deutsche Sprache wesentlich besser verstehen als die französische.“ Kommentar (F. S.): In dieser grundsätzlich zweisprachig aufgebauten Zeitung werden Deutsch und Französisch genutzt, um möglichst viele Leser zu er‐ reichen. Die Sprachwahl wird u. a. rubrikenspezifisch getroffen. So ist die Interessentengruppe, die sich für die Geschichte der Gemeinde Wiltz inte‐ ressiert, nach Meinung der Verantwortlichen von luxemburgischer Nationa‐ lität und eher älter. Für diese Gruppe sei das Deutsche die verständlichere Sprache. Aus dem Distrikt Luxemburg kamen die folgenden Antworten: Gemeinde Bertrange: „Unser Gemeindeblatt erscheint in den Sprachen Deutsch und Französisch. Der analytische Bericht wird in Deutsch und Französisch verfasst. Die Informationsseiten werden in französischer Sprache verfasst, die angebotenen Dienste der Gemeinde jedoch in Deutsch und Französisch.“ Gemeinde Esch-Alzette: „Unser Gemeindeblatt (Bued) erscheint in luxemburgischer Sprache. Dies geschieht aus dem einfachen Grund, weil es uns wichtig ist die ganzen Debatten im Wortlaut abzudrucken ohne Emotionsverlust durch etwaige Überset‐ zungen. Eine französische Kurzfassung gibt es aber auch für jede Sitzung. Diese Kurz‐ fassung ist in französischer Sprache aus dem einfachen Grund, weil die Mehrheit un‐ serer nicht Luxemburger Mitbürger eher aus dem französischsprachigen Raum kommt.“ Kommentar (F. S.): Hier wird darauf hingewiesen, dass die Übersetzung die Information, also den Gehalt einer Nachricht verändern kann. Deshalb werden die Berichte der Gemeinderatssitzungen wortgetreu auf Luxembur‐ gisch abgedruckt. Die französische Sprache wird in Form einer ‘courtesy translation’ benutzt. Esch-Alzette liegt unmittelbar an der französischen Grenze und hat ein hohes Aufkommen romanophoner Zuwanderer. Artikel 14 des Gemeindegesetzes von 2013 schreibt vor, dass Gemeinderats‐ sitzungen auf Luxemburgisch abgehalten werden. Gemeinderäte haben das Recht, sich in einer der im Sprachengesetz festgehaltenen Sprachen zu Wort zu melden, also gegebenenfalls Deutsch oder Französisch in der Sitzung zu VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 264 <?page no="265"?> benutzen. Es steht ihnen aber nicht zu, eine Übersetzung des in der Sitzung Gesagten oder von Dokumenten zu verlangen, die in einer der drei Amts‐ sprachen des Landes verfasst sind (vgl. Mémorial 2013). Gemeinde Larochette: „En langues allemande et française. - Explication: la popu‐ lation cosmopolite de notre commune.“ Kommentar (F. S.): Larochette gilt als Stadt mit einem sehr hohen Anteil an portugiesischen Zuwanderern. Gemeinde Leudelange: „Die beiden gemeindeeigenen Veröffentlichungen „De Raider“ (kurzgefasste Version) und „Gemengebuet“ (ausführliche Fassung) über die Sitzungen des Gemeinderates und das Leben in der Gemeinde Leudelingen werden vorwiegend in deutscher Sprache verfasst. Es besteht keine festgelegte Hierarchie bei der Verwendung der Sprachen. Französisch und die offizielle Landessprache Lëtze‐ buergesch werden ebenfalls oft verwendet. Der Leitartikel wird jeweils in Deutsch und Französisch verfasst. Diese interessante Mischung verschiedener Sprachen be‐ gründet sich in der ebenfalls bunten Mischung der Einwohnerschaft des Ortes. Die Bevölkerung der Ortschaft Leudelange, eine Nachbargemeinde der Stadt Luxemburg, besteht aus 54 verschiedenen Nationalitäten. Die Luxemburger Bürger beanspruchen hiervon einen Anteil von etwa 63 %.“ Gemeinde Luxemburg: „Für unser Gemeindeblatt verwenden wir die Sprachen Deutsch und Französisch.“ Gemeinde Walferdange: „De Walfer Buet wird zweibzw. mehrsprachig verfasst (Französisch, Deutsch, Luxemburgisch).“ Aus dem Distrikt Grevenmacher kamen die folgenden Antworten: Gemeinde Grevenmacher: „In unserem Gemeindeblatt sind Beiträge in mehreren Sprachen. Die deutsche Sprache dominiert, gefolgt von der französischen und der luxemburgischen. Seit Januar 2012 erscheinen die Gemeindeberichte sowohl in deut‐ scher als auch in französischer Sprache. Auch weitere wichtige Informationen - etwa betreffend die Initiative „Eine saubere Stadt“ - sind in deutscher sowie in französischer Sprache verfasst. Verschiedene wichtige Kurzmitteilungen - beispielsweise betreffend die Aufteilung der Klassen des Kindergartens für das Schuljahr 2012-2013 kann man auf Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und Portugiesisch lesen. Die Ankündi‐ gungen betreffend Feste lokaler Vereine und Gesellschaften sind größtenteils in lu‐ xemburgischer Sprache. Genau wie die rezente Rubrik „An d’Gemengenarchive ge‐ luust“. Wir benutzen mehrere Sprachen, weil die 4 593 Mitbürgerinnen und Mitbürger, 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 265 <?page no="266"?> die Anfang 2012 in Grevenmacher lebten, in 69 verschiedene Nationalitäten aufgeteilt sind. 59,30 Prozent der Bewohner sind Luxemburger, 40,70 Prozent Nicht-Luxem‐ burger. Den höchsten Prozentsatz an ausländischen Mitbürgern macht die portugie‐ sische Gemeinschaft aus (etwa 19 Prozent), gefolgt von den Deutschen (etwa 8 Pro‐ zent) und den Franzosen (etwa 3 Prozent).“ Kommentar (F. S.): Die Sprachwahl ist hier themenbezogen und zielgruppen‐ abhängig. Die Gemeindeberichte erscheinen seit Anfang 2012 in den zwei Sprachen Deutsch und Französisch. Die deutsche Sprache, die nach wie vor im Blatt dominiert, wurde also um die französische ergänzt, um ein natio‐ nenübergreifendes Teilverständnis der gemeindepolitischen Beschlüsse und Aktivitäten zu gewährleisten. Für Informationen über die Grundschule, ein soziales Feld, das alle Sprachgruppen tangiert, werden die drei Landesspra‐ chen und das Portugiesische als vierte, hier hinzutretende, Sprache benutzt. Portugiesisch wurde gewählt, da es die Sprache der größten ausländischen Gemeinschaft ist. Gemeinde Rosport: „Unser Gemeindeblatt erscheint im offiziellen Teil auf Deutsch, weil es die gängige Sprache hier nahe der deutschen Grenze ist. Verschiedene Beiträge sind auf Luxemburgisch, andere in Französisch.“ Kommentar (F. S.): Der Distrikt Grevenmacher grenzt an Deutschland. Die deutsche Sprache hat hier sicher einen höheren Stellenwert als in den übrigen Regionen, da deutsch-luxemburgische Begegnungen den Alltag bestimmen und die deutsche Sprache in der medial-mündlichen Interaktion um ein viel‐ faches präsenter ist. Die zweite Frage, die von den Gemeinden beantwortet werden sollte, lautete: „Angenommen Sie verschicken Infobroschüren und Mitteilungen an ihre Bürger - in welcher Sprache oder in welchen Sprachen sind die in der Regel verfasst und warum? “ Die Antworten aus dem Distrikt Diekirch: Clervaux: „Mitteilungen der Gemeinde Clerf werden im Regelfall sowohl auf Fran‐ zösisch als auch auf Deutsch verfasst. Dies zum besseren Verständnis der Nicht-Lu‐ xemburgischen Mitbürger vor allem aus Südeuropa einerseits und andererseits wegen der älteren einheimischen Bevölkerung und der Nicht-Luxemburgischen Mitbürger aus den Niederlanden, der Balkanregion usw.“ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 266 <?page no="267"?> Kommentar (F. S.): In Clervaux verwendet man Französisch und Deutsch, um den Bürger zu informieren. Die Rezipienten werden gemäß ihren bevor‐ zugten Lesesprachen grob in zwei Gruppen unterteilt. Zu der Gruppe, die auf Französisch informiert werden muss, rechnet man die „Nicht-Luxemburgi‐ schen Mitbürger vor allem aus Südeuropa“ und zu der Gruppe, die bevorzugt Deutsch liest, „die ältere einheimische Bevölkerung und die Nicht-Luxembur‐ gischen Mitbürger aus z. B. den Niederlanden, der Balkanregion, usw.“ Die üb‐ rigen Bürger teilen sich dann auf beide Sprachkompetenzgruppen auf. Colmar-Berg: „Informationen und Mitteilungen an die Bürger werden im Allge‐ meinen zweisprachig verfasst, in Deutsch und Französisch, weil wir davon ausgehen, dass fast alle Einwohner wenigstens einer der beiden Sprachen mächtig sind.“ Kommentar (F. S.): Das gleichwertige Nebeneinander beider Sprachen, des Deutschen und des Französischen, gilt in Colmar-Berg, wie in vielen Ge‐ meinden, als ‚Passepartout’. Diekirch: „Diese Broschüren sind meistens in deutscher und französischer Sprache verfasst. Wir versprechen uns dadurch möglichst viele Bürger in Diekirch anzuspre‐ chen.” Troisvierges: „Zu allererst in luxemburgischer Sprache, dann auch auf Französisch und eventuell noch deutsch. Mit der luxemburgischen Sprache erreichen wir die meisten Bürger. Das Französische ist dann für die Ausländer gedacht.“ Kommentar (F. S.): Hier werden zwei Sprachen benutzt: Luxemburgisch und Französisch. Die Zielgruppe wird unterteilt in „Ausländer“ und „Luxem‐ burger“. Für die Gruppe der „Luxemburger“ wird Luxemburgisch benutzt. Die Mehrheit der Bürger mit ausländischem Pass, sind in Troisvierges Por‐ tugiesen, die, so das Mentalitätenwissen, auf das hier Bezug genommen wird, die französische Sprache verstehen. Die Verwendung der deutschen Sprache ist nicht zwingend notwendig. Vianden: „Auf Französisch, weil die Mehrheit unserer ausländischen Bürger besser Französisch versteht als Deutsch. Die luxemburgischen Bürger verstehen beide Spra‐ chen! Für ganz wichtige Mitteilungen sogar auf beide Sprachen (Französisch und 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 267 <?page no="268"?> Deutsch) damit keine Entschuldigung der Bürger bestehen kann, dass sie es nicht verstanden haben.“ Wiltz: „In der Regel auf Französisch, weil man dann die größtmögliche Bevölke‐ rungsschicht erreicht. (oder eben zweisprachig D - F). In besonderen Fällen, wo man wirklich JEDEN erreichen muss, wird auch schon mal zusätzlich auf Portugiesisch und Jugoslawisch geschrieben.“ Kommentar (F. S.): Im Mentalitätenwissen belegt die französische Sprache ganz deutlich die Position der lingua franca, der Sprache mit der größten Reichweite. Sind die finanziellen Mittel eingeschränkt, so wird die Wahl immer auf die französische Sprache fallen. Kann man sich den Gebrauch einer weiteren Sprache finanziell und / oder platztechnisch erlauben, tritt die deut‐ sche Sprache hinzu. In Vianden wird in der Regel nur Französisch benutzt, um die Bevölkerung zu informieren. Deutsch tritt hinzu, wenn man nicht Gefahr laufen möchte, dass das Anschreiben nicht verstanden wird. Franzö‐ sisch und Deutsch gelten somit auch hier als ‚Passepartout’. In Wiltz wird ebenfalls Französisch ausgewählt, wenn mit einer einzigen Sprache mög‐ lichst viele Bürger erreicht werden sollen. Stehen noch Mittel zur Verfügung bzw. ist die Nachricht so bedeutsam, dass sie von wirklich allen Bevölke‐ rungsgruppen verstanden werden muss, werden in Wiltz die Sprachen Fran‐ zösisch, Deutsch, Portugiesisch und das Serbokroatische verwendet. Die Antworten aus dem Distrikt Luxemburg: Bertrange: „Infobroschüren und Mitteilungen an die Bürger werden zweisprachig verfasst und auch an die Bürger weitergeleitet. Französisch und Deutsch überwiegen; Luxemburgisch und Englisch werden aber auch benutzt.“ Kommentar (F. S.): Erstmals wird Englisch als vierte Sprache erwähnt. In den Gemeinden nahe der Hauptstadt haben sich viele hochqualifizierte Zuwan‐ derer niedergelassen, die in internationalen Unternehmen, Bankinstituten und europäischen Institutionen beschäftigt sind und in Luxemburg keine der drei Landessprachen, sondern das Englische als Verkehrssprache nutzen (s. a. Kapitel VI.). Esch-Alzette: „Die Mehrheit unserer Broschüren und Mitteilungen an unsere Bürger sind in französischer Sprache. Der Grund für diese Entscheidung ist wiederum der VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 268 <?page no="269"?> Fakt, dass die Mehrheit unserer nicht Luxemburger Mitbürger eher aus dem franzö‐ sischsprachigen Raum kommt.“ Larochette: „Les textes officiels en français. Les informations informelles en français et en allemand.“ Kommentar (F. S.): Erneut wird deutlich, dass die französische Sprache eine rechtliche Verbindlichkeit ausdrückt, während die deutsche Sprache in dieser Hinsicht lediglich eine Übersetzungsfunktion mit semi-offiziellem Charakter erfüllt. Leudelange: „Prinzipiell werden Infobroschüren oder Mitteilungen in luxemburgi‐ scher und französischer Sprache verfasst. Je nach Anlass wird aber auch eine Fassung in luxemburgischer und deutscher Sprache oder in deutscher und französischer Sprache erstellt.“ Luxemburg: „Unsere Informationsbroschüren erscheinen alle in Deutsch und Fran‐ zösisch, manche auch zusätzlich in Englisch und Portugiesisch je nach Thema und Zielgruppe.“ Walferdange: „Infobroschüren (französisch, deutsch) und Mitteilungen werden mehrsprachig (französisch, deutsch, luxemburgisch und gegebenenfalls portugie‐ sisch) verfasst.“ Kommentar (F. S.): Es wird äußerst deutlich, dass die portugiesische Sprache sukzessive als vierte Kommunikationssprache im Land fungiert und der Stel‐ lenwert des Englischen um die Hauptstadt herum wächst. Aus dem Distrikt Grevenmacher: Grevenmacher: „Kurze wichtige Mitteilungen, die an alle Haushalte verteilt werden - beispielsweise betreffend nicht sauberes Trinkwasser - sind in luxembur‐ gischer, französischer, deutscher, englischer und portugiesischer Sprache verfasst, Einladungen für Bürgerversammlungen in deutscher und französischer Sprache. Die Kurzmitteilungen über Handy - SMS2citizen - gibt es wahlweise in deutscher und französischer Sprache. Möglichst vielen Mitbürgern soll die Gelegenheit geboten werden, sich in einer ihnen geläufigen Sprache zu informieren.“ Kommentar (F. S.): Je bedeutender die Relevanz der Nachricht ist, desto mehr Sprachen werden benutzt. Die Länge der Nachricht entscheidet dabei, wie‐ 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 269 <?page no="270"?> viele Sprachen, der zur Auswahl stehenden Sprachen, ausgewählt werden können. Rosport: „Die Schulorganisation, welche an die Eltern verteilt wird, erscheint in 2 Sprachen, Mitteilungen an sämtliche Haushalte oft auf Deutsch und Französisch.“ Die dritte Frage ging thematisch in eine ähnliche Richtung, weshalb viele Ge‐ meinden auf ihre vorangehende Antwort verwiesen: „Wenn Sie Einladungen (Flyer) zu lokalen Festen an die Bürger verschicken oder in der Gemeinde aushängen - in welcher Sprache sind die verfasst und warum? “ Aus dem Distrikt Diekirch antworteten: Clervaux: „In der Regel werden solche Einladungen an die Öffentlichkeit ebenfalls auf Französisch und auf Deutsch verfasst. Offizielle Aushänge in den Schautafeln (Reider) werden im Normalfall ausschließlich in französischer Sprache verfasst, da es sich um Texte auf gesetzlicher und / oder reglementarischer Basis handelt.“ Colmar-Berg: „Einladungen zu lokalen Festen werden teils zweisprachig in Deutsch und Französisch, oder aber in Luxemburgisch verfasst, dies hängt von den jeweiligen Zielgruppen ab. Die Einladung zum Nationalfeiertag wird daher auf Luxemburgisch, Französisch sowie auf Portugiesisch verfasst.“ Kommentar (F. S): Mit einer Einladung, die neben der luxemburgischen auch die französische und die portugiesische Sprache nutzt, erhält die Information nicht nur eine größere Reichweite, sondern vermittelt zudem, dass der Na‐ tionalfeiertag sich nicht nur an Bürger luxemburgischer Staatsangehörigkeit richtet. Die kulturelle Offenheit des Landes / der Gemeinde wird durch die verwendeten Sprachen unterstrichen. Diekirch: „Diese Einladungen sind meistens auf Luxemburgisch verfasst.“ Troisvierges: „idem sub. 2.“ Vianden: „Auf Französisch, weil die Mehrheit unserer ausländischen Bürger besser Französisch versteht als Deutsch. Die luxemburgischen Bürger verstehen beide Spra‐ chen! “ Wiltz: „idem.“ Die Antworten aus dem Distrikt Luxemburg: Bertrange: „Einladungen werden entweder in Luxemburgisch, in Deutsch oder in Französisch verfasst, je nach Art der Veranstaltung.“ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 270 <?page no="271"?> Esch-Alzette: „idem Antwort 2.“ Larochette: „Concernant les invitations pour les fêtes publiques, c’est l’organisateur qui décide. Les trois [langues] nationales sont d’usages.“ Leudelange: „Siehe Punkt 2.“ Luxemburg: „Die Stadt Luxemburg lädt nicht zu lokalen Festen ein. Große Events werden in Deutsch und Französisch manchmal auch in Englisch angekündigt.“ Walferdange: „Flyer, die in der Gemeinde aushängen sind in unterschiedlichen Spra‐ chen verfasst.“ Die Antworten aus dem DI S T R IKT G R E V E NMACHE R : Grevenmacher: „Solche Einladungen werden kaum von der Gemeinde an die Bürger verschickt, sondern im Gemeindebulletin veröffentlicht. Sie sind meist in luxembur‐ gischer Sprache, oft auf Deutsch und seltener auf Französisch geschrieben. Es kommt auf die Art der Einladung an. Diejenige betreffend den Luxemburger Nationalfeiertag war beispielsweise in französischer, deutscher und portugiesischer Sprache verfasst. Damit sollten möglichst viele Mitbürger sensibilisiert werden. Wir halten besonders bei Einladungen zu Festen auch die luxemburgische Sprache hoch, weil es sich dabei um unsere Muttersprache handelt und wir Wert darauf legen.“ Kommentar (F. S.): Auch in Grevenmacher wird versucht alle Bevölkerungs‐ gruppen an einem Tag wie dem Nationalfeiertag einzubinden. Die Einladung soll den Integrationswillen auf beiden Seiten bestärken. Im Allgemeinen gibt die Gemeinde aber bei Einladungen zu lokalen Festen der luxemburgischen Sprache den Vorzug. Diese Sprachwahl drückt den Willen aus, angesichts einer zunehmenden Diversifikation der Population, lokale Traditionen zu bewahren und den Status der luxemburgischen Sprache, als Muttersprache der Luxemburger bzw. als die Sprache, die die Nation kennzeichnet, zu wahren. Rosport: „Flyer werden oft in luxemburgischer Sprache verschickt, z. B. für den Na‐ tionalfeiertag.“ Die vierte Frage betraf die direkte mündliche Interaktion zwischen Gemeinde und Bürger: „Angenommen Sie laden zu Bürgerversammlungen ein, in welcher Sprache werden diese abgehalten? “ Distrikt Clervaux: 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 271 <?page no="272"?> Clervaux: „Bürgerversammlungen werden im Normalfall in Luxemburgisch abge‐ halten.“ Colmar-Berg: „Im Prinzip werden Bürgerversammlungen in luxemburgischer Sprache abgehalten.“ Diekirch: „Die Bürgerversammlungen werden auf Luxemburgisch abgehalten.“ Troisvierges: „idem sub. 2.“ Vianden: „Auf Französisch.“ Wiltz: „Normalerweise in Luxemburgisch, eventuell mit französischer Übersetzung.“ Kommentar (F. S.): Im Norden des Landes dominiert in Bürgerversammlungen die luxemburgische Sprache. Distrikt Luxemburg: Bertrange: „Die Bürgerversammlungen werden in luxemburgischer Sprache abge‐ halten, jedoch werden bei Bedarf auch auf Französisch übersetzt. Öfters wird ein Übersetzungsservice angeboten (Englisch, Portugiesisch, Französisch).“ Esch-Alzette: „In luxemburgischer Sprache mit Übersetzung.“ Kommentar (F. S.): Wenn man sich von der Nordregion in Richtung Süden bewegt, dominiert noch immer Luxemburgisch in der medial-mündlichen Informationspolitik der Gemeinde. Es ist allerdings die gängige Verfahrens‐ weise simultane Übersetzungsdienste anzubieten. Larochette: „En allemand et en français.“ Kommentar (F. S.): Bei der Antwort aus Larochette stellt sich die Frage, warum hier die deutsche und nicht die luxemburgische Sprache im medial-mündli‐ chen Bereich genutzt wird. Es wird vermutet, dass hier entweder „Deutsch“ steht, wo „Luxemburgisch“ gemeint ist, oder die Frage inhaltlich missver‐ standen wurde, nicht an die mündliche Diskussion bei öffentlichen Informa‐ tionsversammlungen, sondern an Informationsmaterial, wie z. B. unterstüt‐ zendes Präsentationsmaterial, gedacht wurde. Leudelange: „Siehe Punkt 2.“ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 272 <?page no="273"?> Luxemburg: „Bürgerversammlungen werden meistens in luxemburgischer Sprache abgehalten. Übersetzungen auf Deutsch, Französisch und Englisch werden jedoch immer angeboten.“ Walferdange: „Bürgerversammlungen werden meistens mehrsprachig (luxembur‐ gisch, französisch, deutsch) abgehalten.“ Distrikt Grevenmacher: Grevenmacher: „Wenn wir zu Bürgerversammlungen einladen, werden diese meist in luxemburgischer Sprache abgehalten. Die wichtigsten Informationen werden al‐ lerdings auf Deutsch bzw. auf Französisch übersetzt.“ Rosport: „Fast immer auf Luxemburgisch.“ Eine weitere Frage betraf die Internetpräsenz der Gemeinden: „In welcher Sprache präsentiert sich die Gemeinde online? “ Distrikt Clervaux: Clervaux: „Die Internetseiten der Gemeinde Clerf sind in französischer und in deut‐ scher Sprache.“ Colmar-Berg: „Mix aus verschiedenen Sprachen: Luxemburgisch, Deutsch, Franzö‐ sisch.“ Diekirch: „Unsere Homepage besteht zu 95 % aus französischen Texten.“ Troisvierges: „in 3 Sprachen.“ Vianden: „Auf Französisch und Deutsch.“ Wiltz: „Der aktuelle Internet-Site ist auf Französisch.“ Distrikt Luxemburg: Bertrange: „Die Gemeinde wird sich in den kommenden 14 Tagen mit einer neuen Internetseite präsentieren, welche für den Moment in Französisch gestaltet ist, jedoch in naher Zukunft noch auf Deutsch und Englisch verfügbar sein wird.“ Esch-Alzette: „Französisch.“ Larochette: „Surtout en français, divers articles en allemand et en luxembourgeois.“ Leudelange: „Die Internetpräsenz der Gemeinde auf http: / / www.leudelange.lu/ accueil wird zurzeit vorwiegend in Französisch gehalten. Es wird über eine mehr‐ sprachige Version der Website nachgedacht.“ Luxembourg: „Momentan nur auf Französisch (www.vdl.lu).“ Walferdange: „Die Internetseite der Gemeinde Walferdingen ist in Französisch und Deutsch verfasst.“ Distrikt Grevenmacher: 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 273 <?page no="274"?> 68 Am 1. Juni 2015 veröffentlicht die Gratiszeitung l’essentiel online den Artikel „Le lu‐ xembourgeois, langue ignorée sur le Net? “ Darin berichtet die Zeitung, die Regierung habe kürzlich die neue Version der Website www.gouvernement.lu vorgestellt, die nicht nur, wie bisher auf Französisch, sondern auch auf Deutsch und Englisch abrufbar sei (essentielonline 01. 06. 2015). Der Abgeordnete Fernand Kartheiser (ADR) habe da‐ raufhin nachgefragt, weshalb keine Version auf Luxemburgisch bereitgestellt wurde. Daraufhin antwortete ihm der Premierminister Xavier Bettel, dass keine luxemburgi‐ sche Version vorgesehen sei. Die Internetpräsenz sei vor allem dazu gedacht, den Be‐ kanntheitsgrad des Großherzogtums im Ausland zu fördern. Es habe 18 Monate ge‐ dauert, um die Internetseite in diesen drei Sprachen verfügbar zu machen. Außerdem, so Bettel, hätte die Erfahrung gezeigt, dass Nutzer aus Luxemburg sich bei Internet‐ seiten, die in mehreren Sprachen zur Verfügung stünden, nur selten für die luxembur‐ gische Version entscheiden würden (vgl. ebd.). Grevenmacher: „Online präsentiert sich unsere Gemeinde hauptsächlich auf Fran‐ zösisch und auf Deutsch. Einige Informationen - u. a. betreffend die Grevenmacher Geschichte oder Einladungen zu lokalen Festen sind auf Luxemburgisch verfasst.“ Rosport: „Französisch und Deutsch.“ Kommentar F. S.: Französisch und Deutsch (in dieser Rangfolge) dominieren beim Internetauftritt und garantieren einer breiten Leserschaft den Zugang zu Informationen. Weitere Sprachen, die mitunter zur Auswahl stehen, be‐ deuten einen Übersetzungsaufwand, der nicht immer in Kauf genommen wird. Luxemburgisch taucht als dritte Internetsprache auf. Es wird in Einla‐ dungen, für kurze Texte oder historische Beiträge genutzt, tritt aber insge‐ samt in den Hintergrund. In längeren Beiträgen werden die französische bzw. die deutsche Schriftsprache präferiert. So erklärte Premierminister Xavier Bettel in einem Bericht der Gratiszeitung l’Essentiel, die Erfahrung habe ge‐ zeigt, dass Nutzer aus Luxemburg sich bei Internetseiten, die in mehreren Sprachen zur Verfügung stünden, nur selten für die luxemburgische Version entscheiden würden (vgl. l’essentielonline: 01. 06. 2015). 68 Die luxemburgi‐ sche Sprachgruppe präferiert, aufgrund ihrer schulischen Sprachsozialisa‐ tion, Texte in Deutsch oder Französisch. Der Faktor ‚Anstrengung’ hemmt bis heute die Ausbreitung des Luxemburgischen als Lesesprache in den Me‐ dien und hält dort den Status der Mediensprache Deutsch stabil (s. a. Ka‐ pitel IX.). Dadurch verbleibt die luxemburgische Sprache oft in der Rolle des eyecatchers, wird zur Titelfindung von Beiträgen genutzt oder als Ausweich‐ mittel bei Übersetzungsproblemen. Roger Infalt, Chef der Lokalredaktion des Tageblatts, Präsident des Presserats und der Association luxembourgeoise des journalistes (ALJ) veranschaulichte diesen entscheidenden Faktor bei der Sprachwahl anhand eines Beispiels: VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 274 <?page no="275"?> 69 Roger Infalt: „Heute Mittag waren Schüler des Lyzeums aus Düdelingen zu Besuch bei uns in der Redaktion. Und die haben mich dann gefragt, warum wir nicht mehr auf Luxemburgisch machen. Und dann habe ich dem einen die luxemburgische Version des Artikels hingelegt und dem anderen die deutsche und habe zu beiden gesagt, sie sollen es lesen. Der eine war fertig, da war der andere noch nicht mal in der Hälfte. Damit hatte er schon die Antwort auf seine Frage.“ Roger Infalt: „Ech hat de Mëtteg Schüler hei vum Lycée vun Diddeleng an déi hu mech du gefrot, firwat mer net méi op Lëtzebuergesch maachen. An dunn hunn ech deem engen déi lëtzebuergesch Versioun dohinnergeluecht an ech hunn deem aneren déi däitsch Versioun dohinnergeluecht. An dunn hunn ech zu deenen zwee gesot, si sollen et liesen. Deen ee war fäerdeg mat liesen, du war deen aneren nach net an der Mëtt. […] Domadder hat e schonn d’Äntwert op seng Fro, déi e gestallt hutt.“ 69 Als Nächstes wurden die Gemeinden gefragt, ob intern verbindliche Vorgaben existieren, die explizit die Sprachwahl regeln: „Gibt es interne Vereinbarungen, eine Art Sprachenpolitik in Ihrer Gemeinde, die festlegt in welcher Sprache, was abgefasst werden soll und die Ihren Mitarbeitern als Orientierung dient, wenn Sie Texte verfassen? “ Distrikt Clervaux: Clervaux: „In der Gemeinde Clerf gibt es keine solche interne Vereinbarung. Es gilt allerdings der Leitsatz, dass der Bürger im verbalen und schriftlichen Verkehr eine Antwort in der von ihm gewählten Sprache erhält, sofern es sich um eine der drei offiziellen Sprachen handelt. Ausnahmsweise wird auch Englisch benutzt. Außerdem gilt der Leitsatz, dass die Gemeinde sich nach außen zweisprachig (französisch und deutsch) darbringt (Internet, Broschüren, Infoblatt, Flyer, Mitteilungen usw.).“ Kommentar (F. S.): Die Gemeinde beruft sich bei der Handhabung ihrer lo‐ kalen Sprachensituation auf das Sprachengesetz und hat selbst die sprach‐ politische Vorgabe getroffen, nach außen hin, in der Schriftlichkeit, zwei‐ sprachig aufzutreten. Colmar-Berg: „Nein es gibt keine interne Vereinbarung. Da es in Luxemburg drei Amtssprachen gibt, kommen auch alle drei zum Einsatz. Alle offiziellen Texte werden allerdings ausschließlich in französischer Sprache verfasst.“ Diekirch: „Nein.“ 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 275 <?page no="276"?> Troisvierges: „nein.“ Vianden: „Nein, alles wird auf Französisch geschrieben, außer sehr wichtige Mitteil‐ ungen (Französisch und Deutsch).“ Wiltz: „Da die offizielle Amtssprache in Luxemburg Französisch ist, werden grund‐ sätzlich alle Briefe in Französisch geschrieben, außer natürlich, wenn der Adressat deutschsprachig ist.“ Kommentar (F. S.): Französisch, Deutsch und Luxemburgisch gelten im Spra‐ chengesetz als gleichberechtigte Verwaltungssprachen. Die französische Sprache ist aber die einzige der drei Sprachen, der explizit die gesetzgebende Funktion zugesprochen wird. Sie ist außerdem die Hauptkommunikations‐ sprache des Staates nach außen. Dadurch erhält sie einen offiziellen Cha‐ rakter, der den anderen Landessprachen nicht zugeschrieben wird. Distrikt Luxemburg: Bertrange: „Jede Veröffentlichung oder Mitteilung an die Bürger wird normalerweise in der französischen Sprache verfasst.“ Esch-Alzette: „Es gibt keine feste Vereinbarung, aber eine ungeschriebene Regel leitet dazu, dass fast alle Texte in Französisch verfasst werden.“ Larochette: „La législation en vigueur nous guide en la matière.“ Leudelange: „Der offizielle Schriftverkehr zwischen den öffentlichen Instanzen, sowie zwischen den Bürgern und diesen Instanzen geschieht vorwiegend auf Fran‐ zösisch. Bei der Öffentlichkeitsarbeit bestehen keine verbindlichen Regeln. Hier wird sich an der Zielgruppe orientiert und auf die bestmögliche Verständlichkeit der Ver‐ öffentlichung geachtet.“ Luxemburg: „Nein. Jedoch wird intern auf Luxemburgisch kommuniziert. Nach außen hin werden die Sprachen Deutsch und Französisch, in seltenen Fällen auch Luxemburgisch und Englisch, benutzt.“ Kommentar (F. S.): Jeder Mitarbeiter der mittleren Verwaltung muss die drei administrativen Sprachen des Landes beherrschen und, bis auf wenige Posten, für die es Ausnahmeregelungen gibt, die luxemburgische Staatsan‐ gehörigkeit besitzen (s. a. Kapitel VI.). Die interne mündliche Kommunika‐ tion verläuft deshalb auf Luxemburgisch und wohl auch ein Großteil des informellen Schriftverkehrs der Gemeindeverwaltungen untereinander (Mailverkehr). Sobald sich jedoch der Grad der Formalität erhöht (Kommu‐ nikationsbedingungen, die als offiziell und öffentlich gelten, Formulierungen VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 276 <?page no="277"?> erfordern, die objektiv und elaboriert sein müssen), wird auf die bewährten Formulierungsmuster der H-Varietäten (Französisch und Deutsch) zurück‐ gegriffen. Seltener wird die Ausbausprache Luxemburgisch genutzt oder wird Englisch erforderlich, um sich an bestimmte Adressaten zu wenden. Walferdange: „Nein.“ Distrikt Grevenmacher: Grevenmacher: „Ja, diese Vereinbarungen gibt es. Bei Gemeinderatsberichten sollen unsere Mitbürger in zwei Sprachen informiert werden. Bei sehr wichtigen Mitteil‐ ungen werden mehr Sprachen verwendet. Bei Mitteilungen, durch welche die Bürger sensibilisiert werden sollen, sich an einer Aktion zu beteiligen, benutzten wir generell die deutsche und die französische Sprache. Unseren Mitarbeitern wird vom Schöf‐ fenrat mitgeteilt, welche Sprache(n) für welche Mitteilung(en) zu verwenden ist (sind). Des Öfteren werden die entsprechenden Texte zusammen mit den Mitarbeitern ver‐ fasst.“ Rosport: „Nein, ein Brief wird immer in der Sprache beantwortet, wie er eingegangen ist.“ Frage: „Wird die Wahl der geeigneten Sprache manchmal diskutiert, wenn es darum geht mög‐ lichst alle Bürger zu erreichen? “ Distrikt Clervaux: Clervaux: „Es gibt Überlegungen, das Online-Angebot der Gemeinde Clerf eventuell um die englische und portugiesische Sprache zu erweitern.“ Colmar-Berg: „Wenn es darum geht möglichst alle Bürger zu erreichen, werden Texte immer in französischer Sprache verfasst, bedingt durch den Umstand, dass neben den Luxemburgern (59,33 %), 32,7 % der Einwohner der Gemeinde aus Ländern stammen, die entweder Französisch sprechen oder deren Zweitsprache Französisch ist. Dazu kommt dann je nachdem eben auch die deutsche Sprache zum Einsatz sowie, immer öfter, die luxemburgische.“ Diekirch: „Ja. Dabei geht es aber eher darum, ob das Portugiesische, das Englische, oder das Italienische als zusätzliche Sprachen benutzt werden sollen. Deutsch und Französisch werden immer primär benutzt.“ Troisvierges: „Ja.“ Vianden: „Ja, im Schulbereich wird ein Übersetzer benötigt, weil es in unserer Ge‐ meinde viele portugiesische Bürger gibt.“ Wiltz: „siehe unter 2.“ 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 277 <?page no="278"?> Kommentar F. S.: Die Gemeinden sind sich im Klaren darüber, dass die im Sprachengesetz 1984 angegebenen Verwaltungssprachen, aufgrund des hohen Ausländeranteils in ihren Ortschaften, eigentlich um andere Sprachen ergänzt werden müssten, um die Bürger umfassend zu informieren. Zwar eignen sich die ausländischen Mitbürger in der Regel Kenntnisse in einer Landessprache an, aber nicht alle können diese Sprache dann so weit aus‐ bauen, dass sie sämtliche Mitteilungen auf Französisch, Deutsch oder Lu‐ xemburgisch verstehen. Die Gemeinden denken deshalb darüber nach, ihren Informationen außerdem auf Portugiesisch, Englisch und Italienisch zur Ver‐ fügung zu stellen. Distrikt Luxemburg: Bertrange: „Die Wahl der geeigneten Sprache wird manchmal diskutiert, da sehr viele Nationalitäten vertreten sind (Französisch, Deutsch und Englisch).“ Esch-Alzette: „Das hängt von Fall zu Fall ab. Wir versuchen natürlich immer die anvisierte Zielgruppe in der richtigen Sprache zu erreichen.“ Larochette: „Rarement.“ Leudelange: „Ja.“ Luxemburg: „Die Sprache wird für jedes einzelne Projekt neu festgelegt, aber Deutsch und Französisch sind immer vorhanden.“ Walferdange: „Ja.“ Distrikt Grevenmacher: Grevenmacher: „Selbstverständlich wird bei uns die Wahl der geeigneten Sprache diskutiert, wenn es darum geht, möglichst alle Bürger zu erreichen. Auch werden dann mehrere Sprachen verwendet, denn mit einer einzigen ist das unmöglich.” Rosport: „Luxemburgisch, Deutsch und Französisch erreicht praktisch die gesamte Bevölkerung.“ Frage: „Gibt es Fälle, in denen Sie die deutsche Sprache benutzen? “ Distrikt Clervaux: Clervaux: „Ich benutze die deutsche Sprache jedes Mal, wenn die Gemeinde in Deutsch angeschrieben wird oder wenn ich von jemandem in deutscher Sprache an‐ geredet werde.“ Colmar-Berg: „Bei Mitteilungen an alle Haushalte, die immer zweisprachig verfasst werden.“ VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 278 <?page no="279"?> Diekirch: „Ja, die deutsche Sprache wird bei Mitteilungen oder Flyern manchmal benutzt.“ Troisvierges: „Ja.“ Vianden: „Nur bei wichtigen Mitteilungen.“ Wiltz: „Meistens in Verbindung mit Französisch oder Luxemburgisch.“ Distrikt Luxemburg: Bertrange: „Die deutsche Sprache wird genutzt, um den analytischen Bericht des Gemeindeblatts zu verfassen.“ Esch-Alzette: „Die deutsche Sprache wird nach wie vor systematisch benutzt.“ Larochette: „Oui, comme sus-indiqué.“ Leudelange: „Ja.“ Luxemburg: „Ja.“ Walferdange: „Ja.“ Distrikt Grevenmacher: Grevenmacher: „Wie sie sich in den Gemeindebulletins, die wir Ihnen zukommen lassen, sowie auf unserer Internetseite überzeugen können, wird bei uns die deutsche Sprache recht häufig - um nicht zu sagen fast immer - als Schriftsprache benutzt. Auch SMS2citizen gibt es, wie bereits erwähnt, wahlweise in deutscher oder in fran‐ zösischer Sprache.“ Rosport: „Zeitungsberichte.“ Kommentar (F. S.): Die deutsche Sprache behält ihre Funktion als Vermitt‐ lungssprache ‚zweiten Ranges’ und wird diese in absehbarer Zeit auch nicht an die luxemburgische Sprache abgeben. Sie erreicht zum einen den Durch‐ schnittsbürger der luxemburgischen Sprachgruppe, für den die deutsche Sprache nach wie vor auf der rezeptiven Ebene angenehmer zu lesen ist, und ist auch für einen Teil der ausländischen Bevölkerung die in Luxemburg ge‐ wählte Lese- und Verkehrssprache. Abschließend wurde eine bewusst allgemein formulierte Frage gestellt: „Hat der Gebrauch der deutschen Sprache in den letzten Jahren zu- oder abgenommen? “ Distrikt Clervaux: Clervaux: „In der Gemeinde Clerf hat nach der Fusion mit den Gemeinden Heiner‐ scheid und Munshausen der Gebrauch der deutschen Sprache zugenommen. In den früheren Gemeinden Clerf und Heinerscheid gab es lediglich einen französischspra‐ 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 279 <?page no="280"?> 70 Vgl. URL: http: / / www.wiltz.lu/ fr/ vivre/ la-commune/ informations-generales/ chiffres-et-statistiques (zuletzt abgerufen am: 30. 04. 2016). chigen Internetauftritt, im Gegensatz zur ehemaligen Gemeinde Munshausen. Die Gemeindeinformationsblätter der früheren Gemeinden Clerf und Munshausen waren bereits zweisprachig (französisch und deutsch).“ Colmar-Berg: „Der Gebrauch der deutschen Sprache hat eher abgenommen in den letzten Jahren, da sie immer öfter durch Texte, die in luxemburgischer Sprache verfasst werden, abgelöst wird.“ Kommentar (F. S.): Die politische Kommunikation auf der kommunalen Ebene ist, medial mündlich wie schriftlich, vermehrt im Distanzbereich anzusiedeln. Die deutsche Sprache hat sich hier neben der französischen Sprache als voll funktionstüchtige Standardsprache und als internationale Verkehrssprache bewährt. Der Ausbau der luxemburgischen Sprache hin zu einer funktions‐ tüchtigen Schriftsprache schreitet weiter voran. Ihr Status als Integrations‐ sprache und die Tatsache, dass die meisten Gemeindeangestellten sich lang‐ fristig Basiskenntnisse in der luxemburgischen Rechtschreibung aneignen bzw. eigene Lücken nicht mehr als Hinderungsgrund ansehen, auf Luxem‐ burgisch zu schreiben, führen dazu, dass die luxemburgische Sprache immer öfter als Schriftsprache gewählt wird. Als mündliche Verkehrssprache hat sie stets dominiert. Diekirch: „Die deutsche Sprache wird immer seltener benutzt, da der Großteil der Diekircher Bewohner romanischer Sprachherkunft ist.“ Troisvierges: „Eher abgenommen. (meine Meinung) Hier in Luxemburg wird ver‐ mehrt in Mails und SMS Luxemburgisch geschrieben.“ Vianden: „Eher konstant! Die französische Sprache wurde bei uns seit langem mehr benutzt als die deutsche.“ Wiltz: „Da wir immer mehr auch deutschsprachige Zuwanderer bekommen, nimmt der Gebrauch der deutschen Sprache nicht ab.“ Kommentar F. S.: Der Ausländeranteil in Wiltz liegt bei 49 % (Stand 08 / 2015). Unter den insgesamt 3 207 Zuwanderern, sind 523 Zuwanderer aus den Bal‐ kanstaaten und rund 81 Zuwanderer aus Deutschland. 70 Beide Sprach‐ gruppen bevorzugen in der Regel das Deutsche als Informationssprache. VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 280 <?page no="281"?> Luxemburg: Bertrange: „Der Gebrauch der deutschen Sprache hat zugenommen, bedingt durch die Zunahme der Bürger aus den Ostblockländern.“ Esch-Alzette: „Der Gebrauch der deutschen Sprache hat in den letzten Jahren abge‐ nommen. Dies ist wiederum durch den steigenden Gebrauch der französischen Sprache bedingt. Dies ist wiederum durch den steigenden Anteil unserer französisch‐ sprachigen Mitbürger zu erklären.“ Larochette: „L’usage de l’allemand a diminué du fait qu’une majorité de nos habitants sont originaires des pays latines.“ Leudelange: „Die Häufigkeit des Gebrauchs der deutschen Sprache blieb in den letzten Jahren gleich.“ Luxembourg: „Der Gebrauch der deutschen Sprache ist gleich geblieben, da wir immer noch in Deutsch und Französisch gleichzeitig kommunizieren.“ Walferdange: „Der Gebrauch der deutschen Sprache ist gleich geblieben.“ Distrikt Grevenmacher: Grevenmacher: „Der mündliche Gebrauch der deutschen Sprache hat bei uns in den letzten Jahren weder zunoch abgenommen. Wir leben unmittelbar an der deutschen Grenze. Unsere Bevölkerung hat somit tagtäglich Kontakt zu Deutschen. Die deutsche Sprache wird dabei als gängiges Mittel der Verständigung genutzt. Des Weiteren pflegen wir als Gemeindeverwaltung gute Kontakte zu unseren deutschen Nachbar‐ gemeinden. Was bedingt, dass die diesbezügliche Korrespondenz in deutscher Sprache verfasst ist. Und in Sachen Veröffentlichungen (Gemeindebulletin, usw.) spielt die deutsche Sprache ebenfalls eine entscheidende Rolle, wie Sie aus den angeführten Beispielen ersehen können.“ Rosport: „Früher wurde alles Amtliche in Französisch verfasst, heute wird auch viel auf Deutsch und Luxemburgisch verfasst.“ Die Analyse, der diesem Kapitel zugeordneten Ereignisse und Aussagen, hat gezeigt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg der Wissensrahmen, dass Luxemburg ein ‚auch’ deutschsprachiges Land ist bzw. die Luxemburger einen ursprünglich deutschen Dialekt sprechen, bewusst aus dem Luxemburgbild, das nach außen vermittelt wurde, verdrängt worden ist. Zu sehr galt und gilt die Sprache als Kriterium der Nation. Diese Korrelation zwischen Nation und Sprache zwang zum Abbau der deutschen Sprache im Land und zu einer Neuordnung und Neu‐ definition der Sprachensituation. Durch Korpusplanung wurde versucht das Luxemburgische zu einer Standardsprache auszubauen, damit sie auch nach außen hin als Symbol der Nation fungieren konnte. Die sprachpolitische Diffe‐ renzierung zu Deutschland hat bis heute Bestand. Dies wurde u. a. wieder deut‐ 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 281 <?page no="282"?> 71 Mittlerweile wird zudem offener mit dem Thema ‚Kollaboration’ im Zweiten Weltkrieg umgegangen. Noch unter der Regierung Juncker wurde ein Forscherteam um den His‐ toriker Vincent Artuso gebildet, das den Auftrag erhielt zu untersuchen, welche Rolle die Luxemburger Verwaltungskommission während des Zweiten Weltkrieges bei der Judenverfolgung gespielt hat. Die Forscher gelangten zu dem Schluss, dass die luxem‐ burgische Verwaltungskommission, die 1940 als Ersatzregierung fungierte, eine Mit‐ schuld an der Deportation der Juden trifft. Daraufhin entschuldigte sich die luxembur‐ gische Regierung offiziell bei der jüdischen Gemeinschaft (vgl. wortonline: 14. 12. 2015). Die Diskussionen um den so genannten ‚Artuso-Bericht’ nahmen jedoch nach Ab‐ schluss der vorliegenden Publikation ihren Lauf und mündeten in einen Historiker‐ streit. Sie können an dieser Stelle nicht mehr behandelt werden. Für den Gegenstand der Arbeit, den Stellenwert der deutschen Sprache in Luxemburg, ist der Artuso-Bericht insofern relevant, weil er ein weiteres Beispiel für einen heute offeneren Umgang mit der deutsch-luxemburgischen Geschichte ist. Es wird keine Bedrohung mehr ausgehend vom Nachbarland Deutschland für die Eigenständigkeit des Landes verspürt. lich als Luxemburg darauf verzichtete sich an den Diskussionen über die Reform der deutschen Rechtschreibung zu beteiligen und dabei angab kein deutsch‐ sprachiges Land zu sein. Die politische Stärkung der Eigenständigkeit über das Merkmal ‚Sprache’ hat aber keinen Einfluss auf das freundschaftliche Verhältnis zwischen Luxemburg und Deutschland. 71 Als unverkennbarer Bestandteil der luxemburgischen Mehrsprachigkeit und Verhandlungskompetenz werden die Deutschkenntnisse der Luxemburger stets hervorgehoben. Nur wenn die Gefahr besteht, dass das Luxemburgbild von außen zu deutsch erscheinen könnte, werden die Deutschkenntnisse nicht demonstrativ vertreten. Dann wird der Wissensrahmen aktiviert, dass Luxemburg ein frankophoner oder eben mehr‐ sprachiger Staat ist. Die demographische Entwicklung des Landes hat zusätzlich dazu beige‐ tragen, dass der Stellenwert der französischen Sprache im Land den der deut‐ schen übersteigt. Die Antworten der Gemeinden haben gezeigt, dass in Fällen, wo nur eine Sprache zur Verfügung steht, um die Bevölkerung zu erreichen, Französisch gewählt wird und, längst nicht mehr nur Französisch und Deutsch im täglichen Schriftverkehr mit dem Bürger genutzt werden. Genauso deutlich wurde aber auch, dass die deutsche Sprache ein unver‐ zichtbares Kommunikationswerkzeug in Luxemburg bleibt und ihre Bedeutung, als die leichter verständliche Lesesprache für die luxemburgische Sprachgruppe, genauso wenig unterschätzt werden darf, wie ihre Reichweite, um andere Sprachgruppen im Land zu erreichen - wenn es auch weitaus weniger Men‐ schen sind als mit der französischen angesprochen werden können. Auch wenn der deutschen Sprache politisch in Luxemburg Symbolcharakter entzogen wurde und sie als allein lexikalisch und grammatisch bestimmtes System ihren VIII. Sprach(en)politiken und politische Kommunikation 282 <?page no="283"?> Dienst als Kommunikationsmittel erfüllt, hat sie eben darin nach wie vor eine bedeutsame Stellung. 7 Öffentliche Kommunikation auf der kommunalen Ebene 283 <?page no="284"?> 1 S. a. Kapitel V. IX. Medien und Sprachwissen Welche Bedeutung die deutsche Sprache in Luxemburg einnimmt, zeigt sich insbesondere am Medienverhalten der Bevölkerung. Betrachtet man in welcher Sprache gelesen und Fernsehen geschaut wird und wie Informationen beschafft werden, tritt die Vorliebe der luxemburgischen Sprachgruppe für die deutsche Mediensprache und Entertainmentkultur hervor: La technique moderne ne fait qu’amplifier une tendance naturelle. Ce ne sont pas les sympathies pour l’Allemagne qui poussent les Luxembourgeois vers les programmes allemands, c’est surtout simplement la voie de la facilité (Trausch 1998: 29). Obschon die französische Sprache im Land omnipräsent ist, zeigt die luxem‐ burgische Sprachgruppe wenig Begeisterung für die französische Fernsehkultur. Die deutsche Sprache ist, aufgrund ihrer Nähe zum luxemburgischen Sprach‐ system, für einen Teil der Gesellschaft die Sprache, welche passiv am einfachsten aufgenommen werden kann. Sie avanciert folglich vom Kindesalter an zur ersten Mediensprache. Auf diese Weise verliert sie zum Teil den Fremdsprachencha‐ rakter. 1 Gilles et al. (2010: 75) halten fest: Mit deutlichem Abstand fungiert das Deutsche als primäre Sprache beim Fernseh‐ konsum: 50 % (deutsch) gegenüber 29 % (französisch) und 9 % (luxemburgisch). Ge‐ tragen wird dieses Verhältnis vor allem durch den Fernsehkonsum der Luxemburger (69 % deutsch, 14 % luxemburgisch, 13 % französisch), wohingegen die ausländischen Einwohner insgesamt eindeutig das französischsprachige Fernsehen präferieren (50 %). Die Hinwendung zur deutschen Medienkultur erklärt sich bei der luxemburgi‐ schen Sprachgruppe zudem aus einem nur eingeschränkt vorhandenen Medi‐ enangebot auf Lëtzebuergesch. Der Fernsehsender RTL Télé Lëtzebuerg ist der einzige in luxemburgischer Sprache, der das gesamte Großherzogtum mit Nach‐ richten über Luxemburg und einem Unterhaltungsprogramm in dieser Sprache bedient. Obschon Luxemburg seit Jahrzehnten als bedeutender Medienstandort fungiert, hat sich erst in den späten fünfziger Jahren ein eigenständiges Radio- und Fernsehprogramm in lëtzebuergescher Sprache entwickelt - was auch damit zusammenhängt, dass die luxemburgische Sprache als nicht-medientaug‐ <?page no="285"?> 2 Bereits 1931 wurde der Medienkonzern CLR (Compagnie Luxembourgeoise de Radio‐ diffusion) gegründet, aus dem im Laufe der Jahre die CLT (Compagnie Luxembourgeoise de Télédiffusion) und später, zusammen mit Bertelsmann, der Konzern CLT-UFA her‐ vorging. 2000 entstand schließlich die RTL Group, Europas heute führender Unterhal‐ tungskonzern mit 54 TV-Sendern und 27 Radiostationen, dessen Hauptsitz bis heute Luxemburg ist (vgl. r.cl. 2014: 2). 3 Die restliche Tageszeit wird das Hauptprogramm wiederholt, zudem werden Radio-Streaming, Teleshopping und Immobilienanzeigen gezeigt. 4 S. a. Kapitel VIII, Unterkapitel 5, zum Stellenwert der deutschen Sprache bei Gehörlosen in Luxemburg. 5 Im September 2015 ergänzte RTL Lëtzebuerg zudem das bestehende Internetangebot um die französische Website http: / / 5minutes.rtl.lu/ . 6 In Kooperation mit dem nationalen Filmfonds (Fonds de soutien à la production audio‐ visuelle - Fondspa) hatte der Sender luxemburgische Filmproduzenten dazu aufgerufen, eine typisch luxemburgische Vorabendserie zu konzipieren (vgl. Le portail officiel du Grand-Duché de Luxembourg 2011). 2012 war der Sendestart einer neuen Serie mit dem Titel Comeback. lich angesehen wurde. 2 1959 ging RTL Radio Lëtzebuerg als erster vollwertiger Rundfunksender in luxemburgischer Sprache auf Sendung (vgl. Presse- und In‐ formationsamt der Luxemburger Regierung 2013: 7). Zehn Jahre später, 1969, wurden dann die ersten Fernsehnachrichten von RTL Télé Lëtzebuerg auf Lëtzebuergesch produziert. Die Nachrichtensendung Hei Elei, Kuck Elei wurde von nun an jeden Sonntag ausgestrahlt. 1991 wurde sie durch ein tägliches, einstündiges Programm ersetzt (vgl. Presse und Informati‐ onsamt der lux. Regierung 2013: 8). Inzwischen sendet RTL Télé Lëtzebuerg jeden Tag ein rund zweistündiges Abendprogramm, dessen Hauptsendung die Nach‐ richtensendung De Journal ist. 3 Der Zuschauer hat bei Verständnisschwierig‐ keiten die Möglichkeit, deutsche oder französische Untertitel einzustellen. Wäh‐ rend die deutschen Untertitel auf Drängen der Vereinigungen für Gehörlose und Hörbeeinträchtigte angeboten werden, richten sich die französischen Untertitel explizit an die ausländischen Sprachgruppen im Land. 4 De Journal wird darüber hinaus täglich in der Sendung 5 minutes auf Französisch zusammengefasst. 5 In den letzten Jahren hat RTL von Kinder- und Jugendformaten, über Spielshows, Wissensmagazine, Dokumentationen und Doku-Soaps, sämtliche zeitgenössi‐ sche Fernsehformate auf Lëtzebuergesch produziert. So strahlte RTL ab dem 30. September 2011 mit Weemseesdeet die erste Sitcom in luxemburgischer Sprache aus und erweiterte damit das luxemburgische Programm, um ein noch nicht dagewesenes Format in luxemburgischer Sprache. 6 Die Etablierung dieser Vorabendserie zeigte, wie weit der Ausbau des Lëtzebuergeschen schon voran‐ geschritten ist. Zudem handelten die Episoden von alltäglichen Themen und Konflikten einer luxemburgischen Durchschnittsfamilie und verhandelten IX. Medien und Sprachwissen 285 <?page no="286"?> somit nationale Stereotypen, Aspekte, die der Zuschauer bis dato nicht im TV-Programm vorgefunden hatte (vgl. Le portail officiel du Grand-Duché de Luxembourg 2011). 2011 wurde außerdem damit begonnen, die US-amerikani‐ sche Zeichentrickserie Die Simpsons auf Lëtzebuergesch zu synchronisieren (vgl. essentielonline 19. 09. 2011). Auch diese Meldung erregt nationale Aufmerksam‐ keit. Die Verwendung des Luxemburgischen im Fernsehen für ein anderes Format als eine Nachrichtensendung ist nach wie vor ungewöhnlich, vor allem, wenn die Figuren einer populären Zeichentrickserie auf einmal Luxemburgisch reden. Animations- und Trickfilme werden seit den neunziger Jahren vermehrt für den nationalen VHSbzw. DVD-Markt auf Luxemburgisch synchronisiert. Pionierarbeit bei der Übersetzung von Trickfilmen leisteten in den neunziger Jahren die so genannten Linster Studios. Zurzeit zeigt RTL täglich während 30 Minuten Animations- und Trickserien auf Luxemburgisch. Zwei Beispiele aus dem Medienkorpus verdeutlichen, dass der Fernseh‐ konsum an der Bildungs- und Sprachsozialisation der Bevölkerung beteiligt ist: De nos jours, la préférence de l’allemand est encore facilité par l’écoute massive de la télévision allemande. Beaucoup de gens apprennent à parler l’allemand plutôt en re‐ gardant et en écoutant le „Fernseh”, qu’ils ne le font à l’école, à la grande déception de ceux qui doivent constater qu’en écoutant on n’apprend pas l’orthographe“ (LW : 23. 05. 1984). „Den Hang zur Mittlersprache Französisch haben allerdings sowohl Vera Pereira als auch Bruder Nuno behalten. „Das mag daran liegen, dass wir seinerzeit eher franzö‐ sischsprachiges Fernsehen geschaut haben. Das Französische war uns immer ir‐ gendwie näher als Luxemburgisch oder Deutsch.“ Ganz anders als bei Bruder Mike. „Dem gefiel das deutsche Fernsehen immer besser. Wahrscheinlich liegt das an Super RTL und dem Kinderkanal. Die hat er nämlich regelrecht verschlungen“, erzählt Vera Pereira lächelnd (Telecr: 04. 09. 2010). Der Medienkonsum stellt die Weichen für Spracheinstellungen und Sprachver‐ halten im Erwachsenenalter. Die Bedeutung, welche die deutsche Sprache in Luxemburg einnimmt, wird in entscheidendem Maße von der Hinwendung zur deutschen Mediensprache mitbestimmt. IX. Medien und Sprachwissen 286 <?page no="287"?> 7 Außerdem können erwähnt werden: Die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek (= gilt als Zentralorgan der Kommunistischen Partei Luxemburgs KPL), die Wochenzeitung Woxx (steht der Grünen Partei nahe), .Lëtzebuerg Privat (gilt als reißerisches Klatschblatt, ist auf Deutsch verfasst). Erwähnenswert sind außerdem die vom Verlagshaus Maison Mo‐ derne herausgegebenen Lifestyle- und Firmenmagazine. Die Verlagsgruppe hat als Ma‐ gazinpresse angefangen, die ‚Nischen’ im Sinne von spezifischen Lesergruppen be‐ dienen wollte, wie etwa die Wirtschafts- und Finanzbranche (vgl. rtlBackground 31. 10. 14). Die Publikationen sind größtenteils auf Französisch oder Englisch. Für die Erstellung der Tabelle wurde auf Informationen des Presse- und Informationsamtes der Luxemburger Regierung (vgl. 2013: 15) sowie auf die Ergebnisse der TNS-ILReS-Pluri‐ media-Umfrage von 2014 zurückgegriffen (vgl. TNS-ILRes plurimedia 2014). 1 Printmedien Luxemburgs Presselandschaft ist für ein kleines Land äußerst vielfältig. In der folgenden Tabelle sind die derzeit einflussreichsten Pressetitel aufgeführt. 7 Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs. Pressetitel Gründungsjahr Sprachen der Print‐ ausgabe Internetpräsenz Luxemburger Wort (Tageszeitung - Verlagshaus Saint-Paul) 1848 Vorwiegend deut‐ sche, aber auch französische und luxemburgische Artikel. Sprachen‐ hierarchie: Deutsch vor Französisch vor Luxemburgisch www.wort.lu (die Website ist seit 2011 in vier Sprachen verfügbar: Franzö‐ sisch, Englisch, Portugiesisch und Deutsch) Tageblatt (Tageszeitung - Verlagshaus Edit‐ press) 1913 Vorwiegend Deutsch, in ein und derselben Ausgabe französische und luxemburgische Artikel. Sprachen‐ hierarchie: Deutsch vor Französisch vor Luxemburgisch www.tageblatt.lu ging anfangs mit einer rein französi‐ schen Website on‐ line, später kam es zu einem Sprach‐ wechsel und damit zu einer ge‐ mischten „deutsch-franzö‐ sischsprachigen“ Internetpräsenz Le Quotidien (Tageszeitung - Verlagshaus Edit‐ press) Seit 2001 Ausschließlich Französisch www.lequotidien.lu Lëtzebuerger Journal Seit 1948 (seit 2012 offiziell nicht mehr Vorwiegend Deutsch, in ein und www.journal.lu primär deutsch‐ 1 Printmedien 287 <?page no="288"?> Pressetitel Gründungsjahr Sprachen der Print‐ ausgabe Internetpräsenz (Tageszeitung; Ver‐ lagshaus Editpress) die Parteizeitung der demokrati‐ schen Partei DP) derselben Ausgabe auch französische und luxemburgi‐ sche Artikel. Spra‐ chenhierarchie: Deutsch vor Fran‐ zösisch vor Luxem‐ burgisch sprachig, aber je nach Ressort auch französischspra‐ chige Artikel L’Essentiel (Verlagshaus Edita SA, ein Gemein‐ schaftsverlag von Editpress und Ta‐ media) 2007 (erste Gratis‐ tageszeitung) Französisch www.lessentiel.lu, ging zunächst als französische Web‐ site online, später hat man sich für die Erweiterung um ein deutschsprachiges Angebot ent‐ schieden Télécran (Wochenillustrierte und Fernsehzeit‐ schrift); Verlags‐ haus Saint-Paul Seit 1978 Deutsch www.telecran.lu (deutschsprachig) Revue (Wochenillustrierte und Fernsehzeit‐ schrift; Verlagshaus Editpress Seit 1945 Deutsch www.revue.lu (deutschsprachig) Contacto (Verlagshaus Saint Paul) Seit 1970, erscheint seit 1987 beim Ver‐ lagshaus Saint-Paul. Portugiesisch www.wort.lu/ pt Correio (Verlagshaus Edit‐ press) Seit 1999, erscheint derzeit noch im Zwei-Wochen-Takt Portugiesisch Internetpräsenz eingestellt De Feierkrop (erscheint wö‐ chentlich) Seit 1993 (politische Satirezeitung) Deutsch, Franzö‐ sisch, Luxembur‐ gisch www.feierkrop.lu Le jeudi (Wochenzeitung; Verlagshaus Edit‐ press) Seit 1997 Französisch www.lejeudi.lu (ausschließlich Französisch) D’Lëtzebuerger Land Seit 1954 Deutsch und Fran‐ zösisch www.land.lu IX. Medien und Sprachwissen 288 <?page no="289"?> Pressetitel Gründungsjahr Sprachen der Print‐ ausgabe Internetpräsenz (Wochenzeitung - Verlagshaus Édi‐ tions d'Lëtzebuerger Land sàrl.) Paperjam (Monatliche Aus‐ gabe - Verlagshaus Maison moderne) Seit 2000 (Wirt‐ schafts- und Fi‐ nanzmagazin, Fokus: nationale Arbeitswelt) Mehrheitlich Fran‐ zösisch und Eng‐ lisch www.paperjam.lu Forum (erscheint monat‐ lich) Seit 1976 (Wissen‐ schaftsmagazin) Vorwiegend Deutsch und Fran‐ zösisch www.forum.lu Tabelle 5: Zeitungen in Luxemburg Seit 1976 gibt es in Luxemburg eine staatliche Pressehilfe, die durch die loi du 3 août 1998 sur la promotion de la presse écrite geregelt wird (vgl. Mémorial 1998; Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung 2007: 9 f.). Die Pres‐ sehilfe beruht auf dem Wunsch den Meinungspluralismus zu gewährleisten. Hinter den großen Verlagshäusern steht traditionsgemäß eine parteipolitische Ausrichtung. Von der Pressehilfe profitieren vor allem die fünf Tageszeitungen (Luxemburger Wort, Tageblatt, Lëtzebuerger Journal, Le Quotidien und die Zeitung vom Lëtzebuerger Vollek), die Wochenzeitungen Lëtzebuerger Land, Le jeudi und Woxx sowie die Zeitschriften Revue und Télécran. Nur Tages- und Wochenzei‐ tungen bzw. -zeitschriften, die eine allgemeine Berichterstattung zu nationalen und internationalen Themen gewährleisten, profitieren von den Beihilfen des Staates (vgl. Zenthöfer 2004: 24; Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung 2013: 12). Die Zeitungen müssen darüber hinaus über ein Redakti‐ onsteam verfügen, das mindestens fünf professionelle Journalisten in Vollzeit beschäftigt (vgl. ebd.). Gratiszeitungen und digitale Medien erhalten bislang keine Pressehilfe. Die Zeitungen müssen außerdem in den offiziellen Sprachen des Landes verfasst sein, englische oder portugiesische Publikationen haben dadurch keinen Anspruch auf Beihilfen. Ende 2015 wurde jedoch eine Reform der staatlichen Pressehilfe in Aussicht gestellt (vgl. wortonline: 17. 09. 2015). Mike Koedinger, Gründer und CEO des Medienhauses Maison Moderne bezeich‐ nete das bestehende Gesetz in der Sendung Freides Invité am 31. Oktober 2014 bei RTL Radio Lëtzebuerg als überholt (vgl. Rtl.lu: 31. 10. 2014). Als dieses Gesetz in den siebziger Jahren ausgearbeitet wurde, bedienten die Printmedien ein rein 1 Printmedien 289 <?page no="290"?> luxemburgisches Publikum. Seither habe sich die Leserklientel aber sehr ver‐ ändert. Migranten seien ebenfalls zu einem wichtigen Zielpublikum avanciert: RTL-Journalist Daniel Nepgen: „Dir krit och bis haut net déi Finanzsprëtz vum Stad, mengen ech, déi praktesch alleguer déi aner Medien kréien? “ Mike Koedinger: „Jo, mir kréie keng Pressehëllef. Dat ass richteg. Dat ass ee Gesetz, dat ass net ganz nei an dat ass effektiv jo och dobäi nei iwwerluecht ze ginn, well demographesch ass Lëtzebuerg eng ganz aner Geschicht, wéi an den 70er Joren, wou dat Gesetz mol opkomm ass […]. An Tëschenzäit ass Lëtzebuerg net méi ëremzeer‐ kennen. D.h. dat Gesetz ass einfach veraalt, de paysage médiatique hutt sech radikal geännert. Ech mengen, wann ee nëmmen 20 Joer zréckgeet, do wou mir ugefaangen hunn, do gouf et réischt [säit] eng, zwee Joer all Dag eng Tëlesemissioun, virdru gouf et eng an der Woch. Gutt dat wëssen d’Leit net méi alleguer haut. Et gouf quasi nëmmen däitschsproocheg Zeitungen deemools. Et gouf keng Gratiszeitung. T’goufe bal keng Magazinnen, wann ee mol vun de[n] Tëlees[zeitungen], Télécran, Revue ofgesäit. D.h. t’ass eng ganz aner Situatioun haut do an der Press. Demographesch ass et aneschters. Mir hunn 160 000 Frontalieren am Land […]. An der Gemeng Lëtzebuerg komme mer elo sou lues op bal 70 % Auslännertaux. Mir kënne net méi eng Press maachen wéi fréier, déi nëmmen den Electorat zerwéiert, [déi] op Däitsch ass an der geschriwwener Press, an sech net interesséiert fir de ganze Rescht vum Land. […] An all déi Leit aus dem demokratesche Prozess auszeschléissen, fanne mir net akzeptabel. An dofir hu mir vun Ufank un eng Press gema, déi franséischsproocheg ass, fir ze soen dat ass eng ‚langue d’intégration’, t’ass eng ‚langue véhiculaire’ zu Lëtzebuerg. Mir hunn absolut näischt géint d’lëtzebuerger Sprooch an absolut näicht géint d’däitsch Sprooch - par konter, wann een de Choix muss maachen, dann huele mer déi Sprooch, déi déi meeschte Leit verstinn, an dat war ebe Franséisch. A mir mengen, dass an deem Kader dat Pressehëllefgesetz, wat haut do ass, effektiv eng Reform brauch, wou digital Medien mussen integréiert ginn, t’ass ganz kloer. Déi Kriterien, déi et goufen, an déi et nach ëmmer ginn an deem Gesetz, sinn haut net méi à jour, wéi dass et eng Press payante muss sinn, dass et eng Press generaliste muss sinn, dass et eng Press op IX. Medien und Sprachwissen 290 <?page no="291"?> 8 RTL-Journalist Daniel Nepgen: „Ihr Verlagshaus erhält bis heute nicht die Finanzspritze vom Staat, glaube ich, die praktisch alle anderen Medien erhalten? ” Mike Koedinger: „Ja, wir bekommen keine Pressehilfe. Das ist richtig. Das ist ein Gesetz, das nicht ganz neu ist und es ist ja in der Tat so, dass man dabei ist, es zu überdenken, denn demogra‐ phisch ist Luxemburg ja heute etwas ganz anderes als in den siebziger Jahren, als dieses Gesetz aufkam. Inzwischen ist Luxemburg ja nicht mehr wiederzuerkennen. D.h. dieses Gesetz ist einfach veraltet. Die Medienlandschaft hat sich radikal verändert. Ich meine, wenn man nur 20 Jahre zurückblickt, auf die Zeit, wo wir angefangen haben, da gab es erst seit ein, zwei Jahren eine tägliche Fernsehsendung [auf Luxemburgisch], vorher gab es nur eine Sendung pro Woche. Das wissen heute nicht mehr alle Leute. Es gab damals quasi nur deutschsprachige Zeitungen. Es gab keine Gratiszeitung. Es gab fast keine Magazine, wenn man von den Fernseh[illustrierten] Télécran und Revue absieht. D.h. wir finden heute eine ganz andere Situation in der Presse vor. Demographisch ist es anders. Wir haben 160 000 Grenzgänger im Land. In der Gemeinde Luxemburg kommen wir jetzt so langsam auf einen Ausländeranteil von fast 70 %. Wir können nicht mehr eine Presse machen wie früher, die nur den wahlberechtigten Teil der Bevölkerung bedient, eine geschriebene Presse, die auf Deutsch ist und sich nicht interessiert für den ganzen Rest des Landes. […] All diese Menschen vom demokratischen Prozess auszu‐ schließen, finden wir nicht akzeptabel. Deshalb haben wir von Anfang an eine Presse gemacht, die auf Französisch war, um auszudrücken, das ist eine Integrationssprache das ist eine Verkehrssprache in Luxemburg. Wir haben absolut nichts gegen die lu‐ xemburgische Sprache und absolut nichts gegen die deutsche - muss man jedoch eine Wahl treffen, dann nehmen wir die Sprache, die die meisten Leute verstehen und das war eben das Französische. Und wir glauben, dass in diesem Rahmen das Pressegesetz, das heute besteht, in der Tat einer Reform bedarf. Digitale Medien müssten integriert werden, das ist ganz klar. Die Kriterien, die es in diesem Gesetz gab und noch immer gibt, sind nicht mehr zeitgemäß, wie zum Beispiel, dass es eine kostenpflichtige Zeitung sein muss, dass es eine Presse sein muss, die allgemein informiert, dass es eine Presse auf Deutsch, Französisch oder Luxemburgisch sein muss. Alle diese Kriterien sind ein wenig überholt, finden wir.” 9 Luxemburg war zu dieser Zeit in sprachlicher Hinsicht zweigeteilt. Das Land kenn‐ zeichnete noch keine gesellschaftliche Mehrsprachigkeit, sondern eine territoriale. Trausch (2003: 171) spricht von einem „bilinguisme du type juxtaposé“, wo nur eine gebildete Minderheit beide Sprachen beherrschte. Däitsch, Franséisch oder Lëtzebuergesch muss sinn. All déi Kriterien sinn einfach bëssen iwwerholl, menge mir (ebd.)“. 8 1.1 Lesesprachen der luxemburgischen Sprachgruppe Im Jahr 1704 erschien in Luxemburg-Stadt die erste Ausgabe der Zeitung La clef du cabinet des princes de l’Europe. Es war die erste Zeitung, die auf luxemburgi‐ schem Gebiet herausgegeben wurde (vgl. Hilgert 2004: 14). 9 Sie war aber weniger für den luxemburgischen als für den lothringischen und französischen Markt bestimmt - Nachrichten über Luxemburg bildeten die Ausnahme (vgl. ebd.). Zu 1 Printmedien 291 <?page no="292"?> 10 Es war die erste Zeitung, die über lokale Themen berichtete. Sie konnte sich beim breiten Leserpublikum allerdings nicht durchsetzen. Ihr wurde u. a. nachgesagt eine zu preu‐ ßische und unkritische Haltung einzunehmen (vgl. Fehlen 2011: 574). 11 Hilgert bezeichnet ihre Gründung als „die eigentliche Geburtsstunde des politischen Ka‐ tholizismus“ im Land (vgl. Hilgert 2004: 67). 12 Nicht zu verwechseln mit der Unio’n, die zwischen dem 10. 10. 1944 und dem 03. 04. 1948 erschien. den Lesern gehörten der frankophile Adel, der Klerus und das gebildete Bür‐ gertum. Während des gesamten 18. Jahrhundert blieb Französisch die Sprache der Presse (vgl. Berg 1993: 14; Hoffmann 1979: 30). 1796 erschien dann mit dem Journal du Département des Forêts - Zeitschrift für das Departement der Wald‐ ungen eine Zeitung, die wie ein Abbild der tatsächlichen Sprachensituation des damaligen Luxemburgs wirkte. Sie war zweisprachig aufgebaut (vgl. Hilgert 2004: 32). Die linke Spalte war durchgängig auf Französisch, die rechte auf Deutsch verfasst (vgl. ebd.). Nach ihr folgte keine Zeitung mehr mit einer ver‐ gleichbaren zweisprachigen Stringenz. 1821 erschien das Luxemburger Wochen‐ blatt, das nahezu ganz auf Deutsch verfasst war (vgl. Hoffmann 1979: 32). 10 Danach erschienen Zeitungen, die jeweils für die eine oder andere Sprachge‐ meinschaft konzipiert waren und bestimmte Zielgruppen ansprachen. 1848 wurde die Sprachenfrage in der Verfassung geregelt. Im selben Jahr und drei Tage nach der Proklamation der Pressefreiheit wurde das Luxemburger Wort von Vertretern der luxemburgischen katholischen Kirche gegründet. 11 Obschon die gehobene Verwaltungssprache im 19. Jahrhundert das Französische war, wurde das Luxemburger Wort auf Bestreben der katholischen Kirche hin auf Deutsch verfasst. Als 1845 das erste Priesterseminar in Luxemburg eröffnete, hatte der apostolische Vikar von Luxemburg, Jean-Théodore Laurent, nämlich veranlasst, dass die einzige Sprache, die neben Latein in den Kirchen benutzt werden dürfe, die standarddeutsche sein musste (vgl. Hoffmann 1979: 26; s. a. Kapitel VIII.). Mit ihr erreichte man die Glaubensgemeinschaft. Die damals getroffene Sprach‐ wahl legte die Weichen für eine bis heute währende Dominanz der deutschen Sprache in den luxemburgischen Zeitungen. Im 19. Jahrhundert erschienen auch rein französischsprachige Zeitungen, wie L’Union (1860-1871), L’Avenir (1868-1871), L’indépendance luxembourgeoise (1871-1934) und das Journal de Luxembourg (1884-1887). Diese konnten sich allerdings nie dauerhaft auf dem Zeitungsmarkt behaupten (vgl. Hilgert 2004: 108, 114). Der Herausgeber der französischsprachigen Tageszeitung l’Union 12 beschloss etwa im Jahr 1871 letztere einzustellen und anstelle der l’Union die deutschsprachige Luxemburger Volkszeitung herauszugeben. Auf der Titelseite der letzten Ausgabe der Union wurde der Leser darüber in Kenntnis gesetzt, dass IX. Medien und Sprachwissen 292 <?page no="293"?> 13 F. S.: „Ist das überhaupt noch zeitgemäß, dass die Hauptsprache in der Presse hier im Land das Deutsche ist? “ Claude Karger (Chefredakteur vom Lëtzebuerger Journal): „Zeit‐ gemäß - ich glaube man muss sich einfach die Anzahl der Leute ansehen, die täglixh zum Arbeiten ins Land kommt. Und das war ja auch der Beweggrund, um das franzö‐ sischsprachige Angebot zu bekommen und das ist die Erklärung für den Umstand, dass die erste Gratiszeitung [l’Essentiel im Jahr 2007] eben auf Französisch lanciert wurde. Das war die Fokusgruppe.“ die französischsprachige Zeitung durch eine deutschsprachige ersetzt werden würde. Über Land würden die Menschen nur Deutsch sprechen und lesen. Man müsse in der Sprache des Volkes schreiben, wenn man den Kreis der Leser ver‐ größern wolle (vgl. Newton 1996: 31; Hilgert 2004: 96). Mit der deutschen Sprache war auf lange Zeit die größtmögliche Leserschaft gesichert. Das Fran‐ zösische erlangte als Pressesprache nie wieder die Prädominanz, die sie im 18. Jahrhundert eingenommen hatte. Heute stellt sich, angesichts der Zuwan‐ dererzahlen, berechtigterweise die Frage, ob die deutsche Sprache noch immer die größtmögliche Leserschaft sichert. Sie beschäftigt auch die ‚Praktiker’ im Medienbereich. F. S.: „Ass dat iwwerhaapt nach zäitgeméiss, datt d’Haaptsprooch an der Press Däitsch ass hei am Land? “ Claude Karger (Chefredakteur vom Lëtzebuerger Journal): „Zäitgeméiss - ech mengen et muss een einfach d’Chiffre kucken vun deene Leit, déi all Dag heihinner schaffe kommen. An dat war jo och de Beweeggrond fir dat franséischsproochegt Ugebot och ze kréien an dat ass d’Erkläerung vun deem Ëmstand, dass déi éischt Gratiszeitung eben op Franséisch lancéiert gouf. Dat war d’Fokusgrupp.“ 13 Die französischen Tages- und Wochenzeitungen, die gegenwärtig in Luxemburg erscheinen, u. a. Le Quotidien, Le jeudi, Paperjam und L’Essentiel, sind im Ver‐ gleich zum Luxemburger Wort, Tageblatt, Journal oder Lëtzebuerger Land noch recht jung. Die ältesten werden erst seit Ende der neunziger Jahre herausge‐ geben und waren eine Reaktion auf den steigenden Migrantenanteil im Land. Bei der luxemburgischen Sprachgruppe konnte sich bislang eigentlich nur L’Es‐ sentiel wirklich durchsetzen (s. a. Kapitel 9.1.2). Durchschnittlich 77 % der Lu‐ xemburger und 37 % der ausländischen Wohnbevölkerung ziehen deutschspra‐ chige Zeitungen und Zeitschriften vor (vgl. Gilles 2009: 191). Deutsche Sprache bleibt top. Im übrigen [sic] spiegelten sich am Kiosk die gesell‐ schaftlichen Entwicklungen nur in einem bescheidenen Maß wider. Immer noch werden in Luxemburg vor allem deutschsprachige Tageszeitungen gekauft, während sich bei den Zeitschriften die deutschen und die nicht-deutschen die Waage halten. 1 Printmedien 293 <?page no="294"?> Das aber sei schon vor 30 Jahren nicht anders gewesen! Französisch sei nicht in dem Maß auf dem Vormarsch wie mitunter angenommen [Aussage von Jacques Funck, dem ehemaligen Leiter der Messageries Paul Kraus, einem Kiosk- und Presse-Großhändler in Luxemburg] (Telecr: 06. 01. 2001). Luxemburger Wort, Tageblatt, Journal und Luxemburger Land zählen zu den tra‐ ditionellen luxemburgischen Tagesbzw. Wochenzeitungen. Hier finden sich Texte in deutscher, französischer oder luxemburgischer Sprache nebeneinander, auf einer Zeitungsseite. Allerdings sind nicht alle Sprachen in jeder Rubrik glei‐ chermaßen gängig und werden vom Leser ‚akzeptiert’. So würde es den Leser irritieren im außenpolitischen Ressort einen Artikel auf Lëtzebuergesch vorzu‐ finden, auf den Lokalseiten weniger, bei Familienanzeigen und Leserbriefen empfände er es als Normalfall. Die Erkenntnis, dass der Tageblatt-Leser nach wie vor deutsche Artikel be‐ vorzugt, veranlasste die Redaktionsleitung dazu, den eigenen Internetauftritt, der zunächst auf Französisch online ging, in eine gemischte, deutsch-französi‐ sche Internetpräsenz umzuändern. Die Fassung, die ausschließlich auf Franzö‐ sisch war, wurde vom Leser nicht angenommen, bestätigt auch Roger Infalt im Experteninterview: Roger Infalt: „[…] Kuck d’Internetsiten: Du hues […] dee […] vum Tageblatt, deen am Ufank op Franséisch, ganz op Franséisch war, wou mer awer lo eriwwergeswitcht hunn op gemëscht, well mer och gesinn hunn, dass dat lo net unbedéngt d’Demande war.“ F. S.: „Wéi gesitt Der dat dann iwwerhaapt? um Zougrëff ? “ Roger Infalt: „T’ass, datt s de, wann s de op eng Kéier eppes Däitsches drop has oder sou, dass de dann op eng Kéier mierks, dass do vill méi Zougrëffer waren, wéi op franséischen Texter. An, jo, och […] dass mer […] op eng Kéier gesot hunn, wéi ass et dann an den Zeitungen mam Lokaldeel? Dat ass jo och e ganz wichtegen Deel ginn an den Zeitungen. […] [U]m Internet fënns de jo alles. Du fënns jo all international Nouvelle […], mee wat s de net drop fënns, dat ass dat, wat lo zu Wolz an der Gene‐ ralversammlung vun de Pompjeeën gelaf ass. Lo kanns de soen, dat ass och villäicht net sou wichteg, mee deen, deen déi Nouvelle sicht, deen ass nach ëmmer gewinnt, dass en déi Generalversammlung an de Printmedien fënnt. An déi fënnt en nun mol an der däitscher Sprooch an net op Franséisch. An dohier koum dann op eng Kéier d’Iddi, wa mer Lokalreportagen mathuelen […], wa mer lokal flott Sujeten hunn, déi IX. Medien und Sprachwissen 294 <?page no="295"?> 14 Roger Infalt: „[…] Sieh Dir die Internetseiten [der luxemburgischen Zeitungen] an: Du hast […] die […] vom Tageblatt, die am Anfang auf Französisch, ganz auf Französisch war, wo wir aber jetzt ‚geswitcht’ haben auf gemischt [Deutsch / Französisch], da wir auch gesehen haben, dass das [die rein französischsprachige Website] jetzt nicht un‐ bedingt der Nachfrage entsprach.“ F. S.: „Woran erkennt Ihr das denn überhaupt? Am Zugriff ? “ Roger Infalt: Daran dass du, wenn du einmal etwas darauf auf Deutsch [auf der Website] hattest oder so, dass du dann auf einmal gemerkt hast, dass da viel mehr Zugriffe waren als auf französische Texte. Und, ja, auch […] dass wir […] irgendwann gesagt haben, wie ist es denn mit dem Lokalteil? Das ist ja ein ganz wichtiges Ressort in den Zeitungen. […] Im Internet findest du ja [heutzutage] alles. Du findest dort ja jede internationale Nachricht […], was du jedoch nicht […] findest, ist das, was jetzt bei der letzten Generalversammlung der Feuerwehr in Wiltz abgelaufen ist. Jetzt kannst du entgegnen, dass das vielleicht auch nicht so wichtig ist, aber derjenige, der Neuigkeiten sucht, der ist es gewohnt, dass er diese Generalversammlung in den Printmedien findet. Und die findet er dort nun mal in der deutschen Sprache vor und nicht auf Französisch. Und daher kam dann auf einmal die Idee, dass wir, wenn wir Lokalreportagen mit‐ nehmen […], wenn wir im Lokalen schöne Themen haben, die wir mit ins Internet nehmen, warum wir die dann noch übersetzen sollen. So kam es dann intern zur Ent‐ scheidung, dass wir wieder zweisprachig sein wollen.“ mer mathuelen an den Internet, firwat solle mer déi dann iwwersetzen? Dunn ass dann och de Choix geholl ginn ënnerwee, dass mer dann erëm bilingue sinn.“ 14 Der Tageblatt-Leser schlägt den Lokalteil seiner Zeitung mit der Erwartungs‐ haltung auf, dort Informationen auf Deutsch vorzufinden. Zugleich ist der Lo‐ kalteil für eine luxemburgische Tageszeitung ein wichtiges Ressort, da es diese inhaltlich von ausländischen Konkurrenzprodukten abgrenzt und damit ein Kaufargument darstellt. Aus demselben Grund konsultieren Leser die Lokal‐ nachrichten auf der Website tageblatt.lu, die sich eben nicht auf einer deutschen, französischen oder englischen Nachrichtenplattform finden. Wird das Printres‐ sort ‚Lokales’ in das Onlineangebot der Zeitung transferiert, kann davon aus‐ gegangen werden, dass der Leser mit seinem Print-Erfahrungswissen an dieses Online-Ressort herantritt und eine Inkongruenz in der Sprachwahl nicht ohne Weiteres akzeptieren wird. Das Leseverhalten der Nutzer von www.tageblatt.lu lässt sich anhand der Zugriffe auf die einzelnen Texte rekonstruieren. Es kon‐ frontierte die Redaktionsleitung mit dem Befund, dass die Tageblatt-Leser auch online lieber deutsche als französischsprachige Texte anklicken. Im Tageblatt gibt es, Roger Infalt zufolge, ressortspezifisch festgelegte Sprachgewohnheiten. Die Journalisten machen die Erfahrung, dass Stammleser in der Redaktion an‐ rufen und ihren Unmut mitteilen, wenn Artikel in bestimmten Rubriken der Zeitung nicht wie gewohnt auf Deutsch, sondern auf Französisch verfasst werden: F. S.: „T’kann een awer soen, dass d’Tageblatt am Fong vun de Lëtzebuerger gelies gëtt? “ 1 Printmedien 295 <?page no="296"?> 15 F. S.: „Aber kann man sagen, dass das Tageblatt im Grunde genommen von den Luxem‐ burgern gelesen wird? ” Roger Infalt: „Das Tageblatt wird von den Luxemburgern ge‐ lesen.“ F. S.: Und nicht von den Ausländern, die hier leben? Würden die nicht die paar französischsprachigen Artikel lesen? “ Roger Infalt: „Nein. Wir merken ja auch immer noch, vor zehn oder fünfzehn Jahren, hat man gesagt: „Gut, das ist halt so, die Leute [Kriegsgeneration] können kein Französisch.“ Aber auch heute noch haben wir, wenn wir interessante Artikel in der Zeitung haben, die auf Französisch sind, Leute, die dann anrufen und sagen: „Warum bringt ihr das denn nicht auf Deutsch, damit ich es auch lesen kann? Ich habe im Krieg kein Französisch gelernt. Wir durften das nicht. Ich kann kein Französisch.“ Und ja, auch Leute, die einfach sagen, auf Deutsch könnten sie es schneller lesen, als wenn es auf Französisch ist, weil es ihnen da oft schwerer fällt.“ Roger Infalt: „D’Tageblatt gëtt vun de Lëtzebuerger gelies.“ F. S.: „An net vun den Auslänner, déi lo hei wunnen. Géifen déi déi puer franséischsproo‐ cheg Artikelen liesen? “ Roger Infalt: „Nee. Mir mierken jo och nach ëmmer haut, virun 10 oder 15 Joer, hutt ee gesot: „Jo ok, dat ass sou, déi Leit, déi kënnen […] kee Franséisch.“ Mee och haut hu mer nach, wa mer interessant Artikelen an der Zeitung hunn a se sinn op Fransé‐ isch, ma dann hu mer Leit, déi uruffen a soen: „Ma firwat bréngt der dat doten net op Däitsch, datt ech et och ka liesen. Ech hunn am Krich kee Franséisch geléiert. Mir hunn dat net dierfen, ech ka kee Franséisch.“ An jo, och Leit, déi einfach soen, op Däitsch kréichen si et méi séier gelies, wéi wann et op Franséisch ass, well et do oft méi schwéier ass.“ 15 Da es wenig ratsam scheint, sich gegen die Lesegewohnheiten desjenigen zu stellen, der das Weiterbestehen einer Zeitung sichert, hat der Webauftritt des Tageblatts sich seither von der Sprachenverteilung her vollkommen der Print‐ ausgabe angeglichen. F. S.: „Hutt dann de Journalist selwer d’Wiel, fir ze soen a wéi enger Sprooch e schreift oder ass et wierklech a verschidde Beräicher sou, dass gesot gëtt: „Du schreifts lo déi Sprooch oder an där Sprooch? ““ Roger Infalt: „Also d’Wiel vun der Sprooch geet ganz kloer op déi däitsch Sprooch hin. Mee ech mengen, wann s de lo déi eenzel Redaktiounen hëls, du hëls d’Auslands‐ redaktioun, déi mussen de Choix hunn tëschent der däitscher an der franséischer Sprooch, well eben och d’Agencen, mat deenen een zesummeschafft, nun eben och mol déi franséisch Agentur, wéi d’AFP, datt déi méi interessant oder méi fundéiert Texter schécken, wéi lo eng däitsch Agence, wat awer net ëmmer de Fall ass. An da musse si kënnen de Choix hunn fir dann eben dee besseren Artikel matzehuelen. Fir d’Auslandssäiten do ass, mengen ech, eise Lieser och net esou, dass e seet: „Firwat hunn se dat lo op Franséisch firwat net op Däitsch? “ Mee sou bal wéi een an d’lëtze‐ buergesch Politik erageet - ech kinnt mer kaum virstellen, dass een bei eis an der IX. Medien und Sprachwissen 296 <?page no="297"?> 16 F. S.: „Hat denn der Journalist selbst die Wahl zu entscheiden in welcher Sprache er schreiben will oder ist es in der Tat so, dass für verschiedene Bereiche gesagt wird: „Du schreibst jetzt in dieser Sprache oder in jener? ““ Roger Infalt: „Also bei der Wahl der Sprache besteht eine ganz klare Tendenz zur deutschen Sprache. Aber ich denke, wenn Du Dir jetzt die Redaktionen ansiehst, Du nimmst die Auslandsredaktion, die müssen zwischen der deutschen und der französischen Sprache wählen können, weil eben auch die Presse‐ agenturen, mit denen sie zusammenarbeiten, wie die französische AFP, weil die auch mal interessantere Texte oder fundiertere Texte schickt als eine deutsche Agentur. Was aber nicht immer der Fall ist. Sie müssen eben die Wahl haben, dann den besseren Artikel mitzunehmen. Was die Auslandsseiten angeht, glaube ich auch nicht, dass unser Leser so ist, dass er sich da fragt: Warum haben sie das jetzt auf Französisch, warum nicht auf Deutsch [geschrieben]? Aber sobald es in die luxemburgische Politik hineingeht - ich könnte mir kaum vorstellen, dass jemand bei uns in der Innenpolitik einen französi‐ schen Text schreiben würde. […] Und dann kommen wir in den Lokalteil und da ist es aber fast verboten die französische Sprache zu wählen, außer du hast eine Amitié Italo-Luxembourgeoise, die ihre Generalversammlung hat und dann sagst du, komm wir nehmen das jetzt auf Französisch mit. Es hat ja niemand von denen, die können ihren Beitrag ja sonst nicht lesen. Und trotzdem hast du dann Leute, die am Tag danach anrufen und fragen: „Warum ist dieser Artikel auf Französisch gewesen? “ Also im Lo‐ kalen ist es, ja, es ist dort irgendwie nicht angebracht oder wird vom Leser nicht ange‐ nommen, wenn man da Französisch vorfindet. […] Wir haben auch heutzutage noch Zwangsrekrutierte, wenn die etwas reinschicken, dann schicken die es auf Luxembur‐ gisch und man sollte es besser nicht wagen, das dann auf Deutsch zu bringen … […] Also es ist schon gelungen, wie die Wahl der Sprache sich auf den Leser da draußen auswirkt.“ Innepolitik ee franséischen Text schreift. […] An da komme mer an d’Lokaalt an do ass et dann awer bal verbueden Franséisch ze huelen, ausser du hues eng Amitié Italo-Luxembourgeoise, déi hir Generalversammlung hunn an da sees de, komm mir huelen dat doten op Franséisch mat. T’hutt jo kee vun deenen, déi kréien sech jo net gelies. Mee awer hues de dann do Leit, déi dann den Dag duerno uruffen a soen: „Firwat ass deen Artikel op Franséisch? “ Also am Lokalen ass et, jo, t’ass do iergendwéi net ubruecht, oder net ugeholl vun de Lieser, dass de do Franséisch hues. […] Mir hunn och haut nach ëmmer Zwangsrekrutéierter, wann déi eppes raschécken, déi schécken et op Lëtzebuergesch ran. A galler Box du bréngs et do op Däitsch. […] T’ass schonn heiansdo gelungen, wéi de Choix vun der Sprooch sech op de Lieser dobaussen aus‐ wierkt.“ 16 Auch der Chefredakteur des Lëtzebuerger Journals bestätigte, dass 80 % der Zei‐ tung auf Deutsch verfasst ist. F. S.: „Wier et dann denkbar, dass de Journal eng Kéier seet: „Mir switchen lo ganz op Franséisch ëm, firwa solle mer nach op Däitsch schreiwen? “ Oder ass awer de Gedanken nach ëmmer do, dass den ‚normalen Lëtzebuerger Lieser’ et awer wëll op Däitsch hunn? “ 1 Printmedien 297 <?page no="298"?> 17 F. S.: „Wäre es denn denkbar, dass das ‚Journal’ einmal beschließen könnte: „Wir stellen [uns / die Zeitung] jetzt ganz auf Französisch um, warum sollen wir noch auf Deutsch schreiben? “ Oder ist da noch immer der Gedanke, nun‚ der gemeine Luxemburger Leser, der will es aber auf Deutsch haben? “ Claude Karger: „Dieser Gedanke ist nach wie vor da - vor allem in der Politik. Der Politikbereich, um uns da vor allem an die ansässige Bevölkerung zu wenden und auch speziell an die Luxemburger zu wenden, die ja auch die Wähler sind. Die Luxemburger sind die Wähler, sprechen Luxemburgisch in der Regel und sind dem Deutschen näher. Das ist so unsere Herangehensweise, um da dann auch mehr die deutsche Sprache zu benutzen. Auf der anderen Seite bestehen auch Einschränkungen auf der Ebene der Zusammensetzung der Redaktion. Ich kann jetzt nicht von einem Kollegen verlangen, der sein Leben lang …, der in Deutschland studiert hat und Deutsch schreibt, der womöglich unterhaltsames Deutsch schreibt, dass der dann in eine andere Sprache wechseln soll.“ 18 Claude Karger: „Ich selbst habe in Frankreich studiert und meine Affinitäten lagen immer eher bei der französischen Sprache. Ich benutze die zwei [Sprachen Deutsch und Französisch]. Und es hängt von Ressort zu Ressort ab welche. Die wenigsten Kollegen machen das allerdings. Die haben irgendwann in ihrem Studium oder nach ihrem Stu‐ dium, wenn sie im Beruf anfangen, die Entscheidung getroffen in einer Sprache zu schreiben. Es ist ganz schwer als Autor diese paar Sprachen mit all ihren stilistischen Feinheiten perfekt zu beherrschen.“ Claude Karger: „Dee Gedanken ass nach ëmmer do - zemools an der Politik. De Politikberäich, fir eis do wierklech un d’Residanten ze wenden an och speziell un d’Lëtzebuerger ze wenden, déi jo och d’Wieler sinn. D’Lëtzebuerger sinn d’Wieler, schwätze Lëtzebuergesch, normalerweis, si méi proche zum Däitschen. Dat ass bëssen déi Approche fir do och méi déi däitsch Sprooch ze verwenden. Anerersäits ass och eng Contrainte do um Niveau vun eiser Redaktioun. Ech ka lo vu kengem Kolleg verlaangen, dee lo säi Liewe laang …, deen an Däitschland studéiert hutt an Däitsch schreift, deen waméiglech flott Däitsch schreift, fir dann ze switchen op eng aner Sprooch.“ 17 Claude Karger erklärt die Sprachenauswahl der luxemburgischen Journalisten wie folgt: Claude Karger: „Ech hunn d’Erfarung selwer gemaach. Ech hunn a Frankräich stu‐ déiert, ech hat ëmmer méi Affinitéiten zu där franséischer Sprooch. Ech maachen déi zwee. Dat hänkt vu Ressort zu Ressort of. Déi wéinegst Kollegen maachen dat awer, déi hunn iergendwann eng Kéier an hire Studien oder no hire Studien, wann se am Beruf ufänken, de Choix getraff fir an enger Sprooch ze schreiwen. Et ass ganz schwéier déi puer Sproochen als Auteur perfekt ze beherrschen an all hire stilistische Feinheeten.“ 18 Es sei typisch für den luxemburgischen Journalisten, dass er sich irgendwann auf eine dominierende Kommunikationssprache festlege, die er zu perfektio‐ IX. Medien und Sprachwissen 298 <?page no="299"?> 19 F. S.: „Ist es im Kulturressort nicht auch eher so, dass da zwischen den Sprachen ge‐ switcht wird? “ Rofer Infalt: „Ja, da ist es auch so, dass wir unter den Korrespondenten viele haben, die lieber Französisch schreiben. Warum das so ist, nun das ist ein Phänomen, dem du bei Deiner Arbeit vielleicht mal nachgehen könntest, zu fragen, warum gerade im Kul‐ turressort viele einen Sprachwechsel ins Französische vornehmen.“ nieren versuche. Es gibt nur wenige Journalisten, die sich, wie Karger, in beiden Sprachsystemen Deutsch und Französisch gleich wohl fühlen. Mit Voran‐ schreiten der Printmedienkrise drängen verstärkt deutsche Journalisten auf den luxemburgischen Markt. Diese verfügen über ein anderes Sprachrepertoire als ihre luxemburgischen Kollegen. Für sie stellt sich die Entscheidung für oder gegen eine Zweitsprache nicht. Beim Luxemburger Journal machen die deut‐ schen Kollegen im September 2012 rund 25 % des Redaktionsteams aus. Roger Infalt stellt außerdem fest, dass gerade Kulturjournalisten in der Regel beide Sprachen oder Französisch verwenden: F. S.: „Ass et an der Kultur net mol éischter sou, dass do geswitcht gëtt? “ Roger Infalt: „Jo, ma do ass et och gelungenerweis sou, dass een ënnert de Korres‐ pondenten vill Leit hutt, déi léiwer Franséisch schreiwen. Firwat dat sou ass, dat ass villäicht ee Phänomen, deem s De bei Denger Aarbecht villäicht mol kinns nogoen, firwat grad an der Kultur op eng Kéier Leit an déi franséisch Sprooch eriwwerswit‐ chen.“ 19 Viele Journalisten können gerade mit Blick auf den stets vorhandenen Zeitdruck nicht lange über die Art der Übermittlung ihrer Informationen nachdenken, die sachbezogene Funktion der Sprache steht bei ihnen im Vordergrund. Kultur‐ journalisten feilen dagegen gerne länger an der Ästhetik ihres Textes. Sie haben oft einen anderen Blick auf das Werkzeug ‚Sprache’. Das kann ein Grund dafür sein, weshalb gerade in diesem Ressort Journalisten dazu tendieren, beide Sprachsysteme zu verwenden und auch mal Experimente bezüglich ihrer Sprachwahl wagen. Die französische Sprache gilt bis heute als Kultursprache per excellence, weshalb auch ihr häufiges Vorkommen im Kulturressort nicht überrascht. Die Sprachwahl ist an das zu behandelnde Thema geknüpft. F. S.: „An Dir sot, Dir switcht e bëssen no de Ressorten. Wou entscheed Dir eech dann lo wierklech fir Däitsch a wou fir Franséisch? “ Claude Karger: „Jo also Wirtschaft, Kultur, do schreiwen ech manner. Mee och do: Eng Präsentatioun vum Molière géif ech lo net onbedingt op Däitsch schreiwen, well ech dann och wees, bon t’ass ee Stéck do gëtt Franséisch geschwat, do ass villäicht d’Zilgrupp, déi do sëtzt, déi der do géingt erfaassen mat engem däitschen Artikel, déi 1 Printmedien 299 <?page no="300"?> 20 F. S: „Und Sie haben von sich gesagt, dass Sie ein wenig je nach Ressort die Sprache wechseln. Wo entscheiden Sie sich denn jetzt wirklich für Deutsch und wo für Französisch? “ Claude Karger: „Ja also Wirtschaft - in der Kultur schreibe ich jetzt persönlich weniger - aber auch da: Eine Kritik zu einer Molière-Vorführung würde ich jetzt nicht unbedingt auf Deutsch schreiben, weil ich ja dann auch weiß, also es ist ein Stück, in dem Französisch gesprochen wird. Da ist die Zielgruppe, die in diesem Stück sitzt / sitzen wird, die sie mit einem deutschen Artikel erreichen würden, die ist logischerweise relativ klein. Die wenigsten, die dem Deutschen näher sind, schauen sich dann so ein Stück an, das ist meine Meinung.“ F. S.: „Und in der Außenpolitik finden wir da auch französische Artikel? “ Claude Karger: „Da findet man französische Artikel, wenn wir eine Meinung dazu haben, die beispielsweise aus Frankreich oder Belgien kommt. Das hat auch mit den Nachrichtenagenturen zu tun. […] Da sind Sie dann auch beim individuellen Journa‐ listen angelangt, der dem Deutschen dann vielleicht mächtiger ist, als dem Französi‐ schen [oder umgekehrt].“ 21 Verwiesen sei hier auch auf Fishman (1965: 71; 73): „The implication of topical regulation of language choice is that certain topics are somehow handled better in one language than in another in particular multilingual contexts. […] Thus some multilingual speakers may „acquire the habit“ of speaking about topic x in language X partially because that is the language in which they were trained to deal with this topic [e.g., they received their uni‐ versity training in economics in French], partially because they (and their interlocutors) may lack the specialized terms for a satisfying discussion of x in language Y, partially because language Y itself may currently lack as exact or as many terms for handling topic x as those currently possessed by language X, and partially because it is considered strange or inappropriate to discuss x in language Y. […] Furthermore if many individuals (or sub‐ groups) tend to handle topic x in language X, this may well be because this topic pertains to a domain in which that language is “dominant” for their society or for their sub-group as a whole“ (Hervorh. im O.). ass relativ kléng logescherweis. Déi wéinegst, déi dem Däitschen méi proche sinn, ginn dann sou ee Stéck kucken, menger Meenung no.“ F. S.: „An am Internationale fanne mer do och franséisch Artikelen? “ C. K.: „Do fanne mer franséisch Artikelen, wa mer eng Meenung dozou hunn, déi beispillsweis aus Frankräich oder der Belge kënnt. Dat hutt och mat den Agencen ze dinn. […] Do sidd der och beim individuelle Journalist ukomm, […] deen eben dem Däitschen [dann villäicht] méi mächteg ass, wéi dem franséischen [oder emge‐ dréint].“ 20 Der Journalist stuft die deutsche Sprache für eine Rezension über ein französi‐ sches Theaterstück als unpassend ein. Journalisten, die mit einem Medium ar‐ beiten, das zwar durch die deutsche Sprache dominiert wird, sehen sich kon‐ frontiert mit den einzelnen Mikrofeldern im Feld, die das Geschehen in der Gesellschaft abbilden und damit die Sprachen der Gesellschaftsbereiche reflek‐ tieren sollten, die sie wiedergeben. 21 Diane Krüger stellt fest, dass die Gruppe der Kulturschaffenden in Luxemburg größtenteils aus dem französischspra‐ chigen Ausland kommt: IX. Medien und Sprachwissen 300 <?page no="301"?> 22 Claude Karger: „Ja das hat ohne Zweifel mit der Zielgruppe der verschiedenen Ress‐ orts zu tun. Im Wirtschaftsteil legen wir mehr Wert auf die französische Sprache, das erklärt sich mit Blick auf die Zielgruppe und die Gemeinschaft der Entscheidungsträger, die sind eben überwiegend französischsprachig. Und dann stellt sich die Frage, wenn man jetzt ein Interview macht, soll man dieses dann übersetzen oder belässt man es so nah am Original wie möglich. Durch die Übersetzung verliert man ja regelmäßig ge‐ wisse Nuancen, das ist ja das Risiko. Und das ist übrigens eine Besonderheit hier in Luxemburg. Diese Frage müssen wir Journalisten uns immer stellen, ob wir so weit gehen und das übersetzen. Deshalb sage ich ja, die Sprachenauswahl in den Zeitungen ist ein Spiegel der Gesellschaft […]. Jetzt gibt es aber Bereiche, wie zum Beispiel der ganze Pflegesektor, wo wir auch wissen, dass da viele Mitarbeiter aus Deutschland arbeiten, da wird Deutsch gesprochen. Im Bausektor wird Portugiesisch geredet. […] Das ist für uns als Presseorgan natürlich eine große Herausforderung diesen Menschen die Informationen und Backgrounds zu präsentieren, in der Sprache, mit der sie um‐ gehen.“ Diane Krüger: „Und im Kulturbereich denke ich schon, dass die meisten Mitarbeiter [dort] französischsprachig sind. Es sind viele Kulturinstitute, mit denen wir zusam‐ menarbeiten, da sind dann die Mitarbeiter eigentlich nur französischsprachig. Ja also ich denke im kulturellen Bereich, dass da eher die französische Sprache wichtiger ist als die deutsche Sprache.“ Auch die Gemeinschaft der wirtschaftlichen Entscheidungsträger im Land ist vorwiegend französischsprachig, was für Claude Karger einen gewichtigen Grund darstellt im Wirtschaftsteil der Zeitung die französische Sprache zu be‐ vorzugen. Claude Karger: „Jo, dat hutt sécher matt der Zilgrupp ze dinn vun deene verschiddene Ressorten […]. Am Wirtschaftsdeel leeë mer méi Wäert op Franséisch duerch d’Zil‐ grupp an d’Communautéit vun den Decideuren, déi sinn ebe majoritairement fran‐ séischsproocheg. An da stellt ee sech d’Fro, wann ee lo een Interview mécht, soll een deen dann iwwersetzen oder léist een e sou no um Original. Well duerch d’Iwwerset‐ zung verléiert ee jo och reegelméisseg gewësse Nuancen, dat ass jo de Risiko. An dat ass iwwregens eng Particularitéit hei zu Lëtzebuerg. Déi Fro musse mer eis jo als Journalisten ëmmer stelle, ob mer da sou wäit ginn fir dat ze iwwersetzen. Dofir soen ech ee Reflet vun der Gesellschaft am Bezuch op de Sproochengebrauch duerch d’Zei‐ tungen. […] Lo ass et awer sou, dass Der aner Beräicher hutt, wéi zum Beispill de Fleegeberäich, wou mir och wëssen, dass do ee ganz groussen Undeel u Mataarbechter aus Däitschland ass. Do gëtt Däitsch geschwat. Am Bau gëtt Portugisesch geschwat. […] T‘ass fir eis natierlech dann, als Presseorgan, eng grouss Erausfuerderung fir hinnen dann d‘Informatiounen an Backgrounden ze presentéieren an där Sprooch, wou se dermat ëmginn.“ 22 1 Printmedien 301 <?page no="302"?> 23 Roger Infalt: „Ja, das hat zwar ein wenig mit der Geschichte [der Pressehäuser] zu tun, da das Luxemburger Wort ja früher da war, also früher auf dem Markt war als das Tageblatt. […] Damals als das Tageblatt 1913 gegründet wurde, hat das Tageblatt sich von Anfang an immer eher auf die frankophone, frankophile Seite geschlagen, als jetzt auf die deutsche. […] Es ist eher so, dass die Sprache, dass die Meinung, die Geschichte, die im Tageblatt verarbeitet worden ist, immer eine eher frankophonere oder franko‐ philere Geschichte war.“ F. S.: „Auch was das Tagesgeschehen anbelangt - dass der Blick immer mehr auf Frank‐ reich gerichtet wurde als auf Deutschland? “ Die zwei größten Tageszeitungen im Land, Luxemburger Wort und Tageblatt, weisen Unterschiede hinsichtlich ihrer außenpolitischen Berichterstattung auf. So verfolgt das Tageblatt traditionell mehr das politische Tagesgeschehen in Frankreich als jenes in Deutschland, während das Luxemburger Wort die Ak‐ zente in der Berichterstattung eher umgekehrt setzt. Eine Beobachtung, die sich auch in der Sprachwahl niederschlägt. Danièle Fonck, Chefredakteurin des Ta‐ geblatts und Generaldirektorin des Verlagshauses Editpress, erläutert diese Aus‐ richtung, die sprachlich und thematisch die Konzeption des Tageblatts prägt, in Esmein (1998: 77): Selon la rédactrice en chef, Danièle Fonck, le français est de nos jours plus présent dans le „Tageblatt“ que dans le „Wort“. Elle estime à 30 % la part rédactionnelle du journal qui est en français, contre 70 % pour l’allemand et le luxembourgeois. Elle décrit son journal comme étant traditionnellement plus orienté vers la France que le „Wort“, plutôt tourné vers l'Allemagne. […] Au „Wort“ la proportion [des articles] semble plus proche de 20 % / 80 %. Mais faire des pourcentages n’est guère facile, car la taille des articles change, ainsi que la proportion de la publicité. Roger Infalt bestätigte im Expertengespräch die Aussage von Fonck. Das Tage‐ blatt lege seit jeher das Augenmerk mehr auf das französische Tagesgeschehen als auf das deutsche: Roger Infalt: „Jo, dat kënnt zwar bëssen aus der Geschicht eraus, well d’Wort jo éischter do war, also d. h. éichter um Maart war wéi d’Tageblatt. […] Deemools wéi 1913 d’Tageblatt gegrënnt ginn ass, hutt d’Tageblatt sech vun Ufank un ëmmer méi op déi frankophone, frankophile Säit geschloe, wéi lo op déi däitsch Säit. […] Et ass éischter, datt déi Sprooch, datt déi Meenung, dass déi Geschicht, déi am Tageblatt verschafft ginn ass, ëmmer méi eng frankophone oder frankophile Geschicht war.“ 23 F. S.: „Och lo d’Dagesgeschéien - dass lo méi op Frankräich gekuckt gouf wéi an Däitsch‐ land? “ Roger Infalt: „Och d’Dagesgeschéien. Ech mengen, du hues lo engt ganz gutt Beispill gehat: Bei deenen däitsche Wahlen hu mir dat néidegst gemaach, wat ee muss maa‐ IX. Medien und Sprachwissen 302 <?page no="303"?> 24 Roger Infalt: „Auch was das Tagesgeschehen anbelangt. Du hast jetzt ein ganz gutes Beispiel gehabt: Bei den deutschen Wahlen haben wir das Nötigste gemacht, was man machen muss. […] Bei den Landeswahlen und auch damals […] bei den Präsidenten‐ wahlen, Bundeswahlen usw. Was wir da gebracht haben, das waren zwei Seiten, das waren drei Seiten. Bei den französischen Wahlen haben wir ein Mal, glaube ich, 12 Seiten gebracht, ein Mal sechs Seiten […]. Das bedeutet, dass wir mehr eine Verbin‐ dung, eine genauere Verbindung zu Frankreich haben, zu allem, was ein wenig fran‐ kophoner ist, auch hier im Land…“ 25 Claude Karger: „Wir sehen uns ganz klar als Zeitung in der Großregion. Also nicht nur in Luxemburg. Wir bekommen sehr viel Feedback auf unserer Website z. B. aus der Großregion.“ F. S.: „D.h. zurück zur ersten Frage: Ist der Journal nun eine Zeitung für die Luxemburger? “ Claude Karger: „Es ist eine Zeitung für die Leute, die hier im Land wohnen, unabhängig davon, welche Sprache sie sprechen.“ F. S.: „Angenommen ich bin französischsprachig, finde ich denn dann viele Artikel im Journal, die ich verstehen würde? “ Claude Karger: „Sie finden einen Mix von Artikeln. Die Hauptsprache ist zu mehr als 80 % Deutsch, was sich auch durch die Zusammensetzung der Redaktion er‐ klärt.“ chen. […] Bei den Landeswahlen an och deemools […] bei de Präsidentewahlen, Bun‐ deswahlen a sou virun. Wat mer do alles bruecht hunn, dat waren zwee Säiten, dat waren dräi Säiten. Bei de franséische Wahlen hu mer eng Kéier ech mengen 12 Säite gemaach, eng Kéier sechs Säiten […]. Dat heescht mir hunn méi ee Lien, méi ee genaue Lien zu Frankräich, zu allem, wat bësse méi frankophone ass, och hei am Land …“ 24 Roger Infalt meint, dass der Stammleser des Tageblatts ganz klar der luxembur‐ gischen Sprachgruppe zuzuordnen ist. Claude Karger wiederum gibt zu be‐ kennen, dass er mit der Konzeption des Journals auch andere Sprachgruppen im Land und den Leser aus dem gesamten Saar-Lor-Lux-Raum erreichen wolle: Claude Karger: „Mir gesinn eis ganz kloer an der Groussregioun als Zeitung. Also net nëmmen zu Lëtzebuerg. Mir kréien ganz vill Feedback op eise Website z. B. aus der Groussregioun.“ F. S.: „D.h. déi eicht Fro: Ass de Journal lo eng Zeitung fir de Lëtzebuerger? “ Claude Karger: „Et ass eng Zeitung fir déi Leit, déi hei am Land wunnen, onofhängeg dovu wéi eng Sprooch, dass se schwätzen.“ F. S.: „Wann ech da lo franséischsproocheg sinn, fannen ech da vill Artikelen am Journal, déi ech verstinn? “ Claude Karger: „Dir fannt ee Mix vun Artikelen. D’Haaptsprooch ass zu méi wéi 80 % Däitsch, wat sech och un der Zesummesetzung vun der Redaktioun erkläert.“ 25 In der älteren Lesergeneration besteht gewöhnlich eine starke Bindung zu einer bestimmten Tageszeitung. Alle Tageszeitungen verfügen über eine relativ sta‐ bile Stammleserschaft. Deren Loyalität beruht häufig auf einer Familientradition und hängt mit der politischen Orientierung zusammen (vgl. Hilgert 2004: 5). 1 Printmedien 303 <?page no="304"?> 26 Roger Infalt: „Warum wurde die erste Gratiszeitung, die auf den Markt kam, auf Fran‐ zösisch gemacht? Nun, nicht nur weil wir mit Tamedia zusammenarbeiten, die in der französischsprachigen Schweiz bereits eine solche Zeitung herausgeben. Es war eine bewusst getroffene Entscheidung hier die französische Sprache zu nehmen, eben weil wir wissen, dass die Grenzgänger, die nach Luxemburg kommen, dass die Mehrheit von denen Franzosen sind bzw. auch Belgier sind. Von den Deutschen hat damals niemand gesprochen. Es kamen auch deutsche Grenzgänger, aber der Großteil kommt nun mal aus Belgien oder aus Frankreich. Und die Zielgruppe, die allererste Zielgruppe des Essentiels waren diese Grenzgänger. Und danach, durch die Wahl der Themen, durch die Größe der Texte, wurde es eben auch eine Zeitung, die die jungen Leute jetzt lesen, ja, aber die erste Zielgruppe waren eben die französischsprachigen Grenzgänger.“ Diese Bindung und Parteigebundenheit lässt bei den jüngeren Generationen zunehmend nach. Das Internet verdrängt auch in Luxemburg die Zeitung als Informationsquelle. Eine Zeitung steuert diesem Trend allerdings entgegen: Am 10. Oktober 2007 erschien L’Essentiel als erste kostenlose Tageszeitung in Lu‐ xemburg (vgl. l’essentielonline: 04. 04. 2012). Sie wird vom Verlagshaus Edita SA, einem Gemeinschaftsverlag von Editpress und Tamedia verlegt. Auch das Tage‐ blatt wird von Editpress herausgegeben. Die Gratiszeitung liegt landesweit in Zeitungskästen aus, an Bahnhöfen, vor Supermärkten, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Ursprünglich sollte der Essentiel französische und belgische Grenzgänger ansprechen. Es war ein willkommener Nebeneffekt, dass auch Jugendliche sich für die Zeitung interessierten. Roger Infalt: „Déi éischt Gratiszeitung um Maart, firwat ass déi op Franséisch ge‐ maach ginn? Ma net nëmme well mer mat Tamedia zesummeschaffen, déi an der franséischsproocheger Schwäiz scho sou eng Zeitung erausginn, mee de Choix war ganz kloer fir d’franséisch Sprooch ze huelen, ebe well mer wëssen, dass déi Front‐ alieren, déi eriwwer kommen, datt de Gros Fransousen sinn, respektiv och Belger sinn. Vun deenen Däitschen huet do deemools kee geschwat. Et koumen och däitsch Front‐ alieren, mee de Gros kënnt awer nun mol aus der Belge an eben aus Frankräich. An déi Zilgrupp, déi alleréischt Zilgrupp vum Essentiel waren déi: d’Grenzgänger. An duerno, duerch de Choix vun den Themen, Gréissten vun den Texter, ass et eben op eng Kéier komm, dass et eben och eng Zeitung ass, déi déi jonk Leit lo liesen. Jo, mee déi éischt Zilgrupp waren eben d’franséischsproocheg Grenzgänger.“ 26 L’Essentiel stieg in nur drei Jahren zur beliebtesten Zeitung der 15bis 49-jäh‐ rigen Luxemburger, Grenzgänger und in Luxemburg lebenden Ausländer auf (vgl. l’essentiel 2014). Die plurimedia-Studie des Meinungsforschungsinstituts TNS-ILReS aus dem Jahr 2014 zeigt, dass 32 Prozent der Leser zwischen 25 und 49 Jahren L’Essentiel lesen. Die Zeitung liegt damit bei dieser Zielgruppe vor IX. Medien und Sprachwissen 304 <?page no="305"?> 27 Die Ergebnisse basieren auf den Auskünften von 2 528 Telefoninterviews (vgl. TNS-ILReS 2014: 1). 28 Claude Karger: „Also ich habe den Eindruck als wenn das keinen bedeutenden Un‐ terschied machen würde, vor allem bei den jüngeren Generationen. Da sehe ich über‐ haupt keine Schwierigkeiten darin Französisch zu gebrauchen. Da [unter den Jugend‐ lichen] 'switcht' man auch schnell zwischen den Sprachen hin und her. Die älteren Generationen haben natürlich mehr Probleme damit. […]“ dem Luxemburger Wort (31 Prozent) (vgl. TNS-ILReS 2014: 6). 27 Kennzeichnend für die Gratiszeitung ist, dass sie in stärkerem Ausmaß den Boulevardstil nutzt (vgl. Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung 2013: 6). Die Artikel im L’Essentiel sind knapp und bieten einen Mix aus tagesaktuellen Nach‐ richten aus Wirtschaft, Politik und Sport, Neuigkeiten aus Musikindustrie und der internationalen Promiwelt. Darüberhinaus gibt es Rätselseiten, Autoseiten, das Tageshoroskop und das tagesaktuelle Kino- und Fernsehprogramm. Inte‐ ressanterweise kamen beide Journalisten, sowohl Karger als auch Infalt, zu dem Schluss, dass bei den jüngeren Generationen die Erwartungen an die ressort‐ spezifische Sprachenverteilung weitaus geringer ausgeprägt sind als bei den äl‐ teren. Claude Karger: „Also ech hunn d’Impressioun, wéi wann dat keng grouss Differenz géif maachen, zemools bei den méi jéngere Generatiounen. Do gesinn ech guer keng Schwieregkeeten fir Franséisch ze gebrauchen. Do switcht een och schnell tëscht de Sproochen hin an hir. Déi méi eeler Generatiounen natierlech, déi hu méi Problemer domat.“ 28 Die französische Sprache, die der Essentiel benutzt, ist deutlich verständlicher als die literarischen Texte und klassischen Romane, die Gegenstand des Fran‐ zösischunterrichts in Luxemburg sind. Die junge Generation stört sich nicht an der Auswahl der Pressesprache des Essentiels. Sie wählt das Medienprodukt aus, das auf kürzestem Weg Informationen liefert und präferiert, unabhängig davon, ob Artikel nun auf Deutsch oder Französisch verfasst werden, eine einfache Ausdrucksweise, die den Nachrichteninhalt in den Vordergrund stellt. Auch der Deutschlehrer Romain Dockendorf stellt im Expertengespräch fest, dass für seine Schüler die sprachliche Qualität eines Artikels in der Regel zweitrangig ist, im Vordergrund stünde die Information und nicht das gewählte Sprach‐ system. Romain Dockendorf: „Hir Medien sinn zunehmend Sproochvirbiller a si ginn op Plattformen, wéi Facebook, wéi Twitter, wou jiddwereen egal wat schreift an egal wat fir enger Sprooch. Si ginn awer wéineg op Plattformen, wéi ech soe lo mol Spiegel Online, Zeit - Spiegel Online nach e bëssen. Si liese kaum nach eng richteg Printzeitung, 1 Printmedien 305 <?page no="306"?> 29 Romain Dockendorf: „Ihre Medien werden zunehmend zu ihren Sprachvorbildern und sie [die Jugendlichen / Schüler] gehen auf Plattformen, wie Facebook, wie Twitter, wo jeder egal was schreibt und in egal welcher Sprache schreibt. Sie gehen aber kaum auf Plattformen, wie ich sage jetzt mal Spiegel Online, Zeit - Spiegel Online noch ein wenig. Sie lesen kaum noch eine richtige Printzeitung, wenn dann lesen sie diese Gra‐ tiszeitungen, die liegen hier massiv [im Lyzeum], und sie setzen sich mit der Sprache selbst, mit der deutschen Sprache, so als Sprache an sich, über die sie Informationen beziehen, selbst wenig auseinander. Sie haben wenige Kontaktmöglichkeiten zur ge‐ hobenen deutschen Sprache.“ wann da liesen se déi Gratiszeitungen, déi leien hei massiv [am Lycée], a si setze sech mat der Sprooch selwer, mat der däitscher Sprooch, sou als Sprooch selwer, iwwer déi si Informatiounen bezéien, wéineg auserneen. Si hu wéineg Kontaktméiglechkeeten mat gehuewener däitscher Sprooch.“ 29 Ende November 2007 legte der Konkurrenzverlag Saint-Paul nach und brachte mit Point24 die zweite Gratistageszeitung auf den Markt (vgl. Presse- und In‐ formationsamt der Luxemburger Regierung 2013: 6). Anders als L’Essentiel be‐ diente sich Point24 nicht ausschließlich der französischen, sondern auch der deutschen Sprache. Deutsche und französische Artikel tauchten nicht auf ein und derselben Zeitungsseite auf, wie in den traditionellen Zeitungen, sondern die eine Hälfte der Zeitung war in deutscher Sprache, die andere auf Französisch verfasst. Anfang 2011 wurde dieses Konzept geändert und die französische Aus‐ gabe erschien nun getrennt von der deutschen (Telecr: 15. 01. 2011). Im selben Jahr wurde das zweisprachige Angebot um eine portugiesische Ausgabe erwei‐ tert (vgl. Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung 2013: 6). Ende 2012 wurden sämtliche Ausgaben des Point24 wegen Umstrukturierungs‐ maßnahmen beim Verlagshaus eingestellt (vgl. essentielonline: 12. 11. 2012). Saint-Paul gab im November 2012 bekannt, sich von Grund auf neu ausrichten und als multimediales und multilinguales Medienhaus positionieren zu wollen (vgl. Point245: 13. 11. 2012). Die angestrebte Multilingualität und Multimedialität wurde im Ausbau der Website www.wort.lu umgesetzt, die nun in vier Sprach‐ fassungen (Deutsch, Französisch, Englisch und Portugiesisch) abzurufen ist. Be‐ reits 2011 hatte Saint-Paul mit diesem Ausbau begonnen und neben der zuvor bestehenden deutschen Internetpräsenz, die französischsprachige www.wort.lu/ fr bereitgestellt. In einem diesbezüglichen Bericht werden als Zielgruppe der Ausgabe nicht nur frankophone Grenzgänger und Einwohner mit Migrations‐ hintergrund genannt, sondern auch jene Luxemburger, die sich der französi‐ schen Sprache näher fühlen als der deutschen: Somit gehören nicht etwa nur die Grenzgänger zur Zielgruppe [der französischspra‐ chigen Internetseite], sondern vor allem die Einwohner Luxemburgs. In den vergan‐ IX. Medien und Sprachwissen 306 <?page no="307"?> 30 Die französischsprachige Tageszeitung La Voix du Luxembourg wurde 2001 gegründet als das Verlagshaus Saint-Paul vernahm, dass der Konkurrenzverlag Editpress zu‐ sammen mit den Verlegern des Républicain Lorrain plante eine neue französischspra‐ chige Tageszeitung (Le Quotidien) herauszugeben. Saint-Paul entschied daraufhin, die zu dieser Zeit bestehende französische Beilage des Luxemburger Worts als selbststän‐ dige Tageszeitung herauszugeben (vgl. Hilgert 2004: 244). 2011 wurde die Voix im Zuge der internen Umstrukturierungsmaßnahmen eingestellt (vgl. Tagebl16: 20./ 21. 08. 2011). 31 Der Begriff Luxemburger Deutsch wurde vom Sprachwissenschaftler Heinz Sieburg geprägt. 1.2 genen Jahrzehnten ist die Zahl derjenigen, die Französisch oder eine andere romani‐ sche Sprache wie Portugiesisch oder Italienisch als Muttersprache sprechen, stark angestiegen. „Vor allem in den vergangenen 20 Jahren war ein umfangreicher demo‐ grafischer Wandel zu verzeichnen“, so Paul Lenert [Generaldirektor von Saint Paul]. Zwischen dem Jahr 2001 und dem Jahr 2010 stieg die Gesamtbevölkerung um 14 Prozent auf über 500 000 Personen. Während die Zahl der Luxemburger dabei praktisch konstant blieb, stieg die Zahl der Franzosen, Belgier, und vor allem Portu‐ giesen stark an. Doch auch viele Luxemburger bevorzugen das Französische und zählen ebenfalls zur Zielgruppe (LW24 / 25: 16. 03. 2011). Zwei Monate nach der französischsprachigen Website ging die englischspra‐ chige Version von wort.lu online. Die Erstsprache oder erstgewählte Verkehrs‐ sprache von etwa 60 000 Einwohnern des Landes sei das Englische (vgl. LW95: 13. 05. 2011). Zu dieser Zielgruppe zählt man „[…] Briten, Iren, Amerikaner und Kanadier, aber auch die zahlreichen Skandinavier, Osteuropäer, Afrikaner oder Asiaten - für sie alle ist Englisch die „lingua franca“ der Neuzeit. Vor allem an diese wachsende Gemeinschaft der „expatriates“ in unserem Land richtet sich das neue Online-Angebot“ (ebd.). Im Print konzentrierte sich Saint-Paul auf das Lu‐ xemburger Wort (vgl. Point245: 13. 11. 2012). Nach der Einstellung der Voix du Luxembourg 30 wechselten mehrere Redakteure dieser Zeitung intern zur Print‐ ausgabe des Luxemburger Worts. Folglich nahmen nach 2011 / 2012 die franzö‐ sischsprachigen Artikel im Luxemburger Wort zu. Luxemburger Deutsch 31 in der Presse Die deutsche Sprache, die in Luxemburg Verwendung findet, unterscheidet sich gelegentlich in ihrer lexikalischen und syntaktischen Ausprägung von der deut‐ schen Sprache in Deutschland. Sie steht unter dem Einfluss der anderen Spra‐ chen im Land. Heinz Sieburg (2012: 140 f.) stellt eine „beachtliche Vielzahl nati‐ onaler Varianten des Deutschen [in Luxemburg fest], und zwar sowohl spezifische, die exklusiv in Luxemburg vorkommen, als auch unspezifische, die auch für andere 1 Printmedien 307 <?page no="308"?> 32 Als Beispiele luxemburgisch-deutscher Spezifika nennt er etwa Bering (‚unmittelbar um etwas herumliegendes Grundstück’), Erkennungstafel (Nummernschild, CH, D), Inter‐ vention (im Sinne von ‚Einsatz’ der Polizei oder Feuerwehr), Konsultation (‚Informati‐ onssuche, -abfrage’), Klassensaal (Klassenzimmer D, Schulzimmer A), Leichendienst (Beerdigungsgottesdienst CH, Totenmesse D), Schöffe (‚Mitglied der Gemeindevertre‐ tung’), arrangieren (‚von Vorteil / hilfreich sein’) oder rennen (‚gegen etwas fahren / ra‐ sen’). Unspezifische deutschsprachige Luxemburgismen seien Kollektivvertrag (auch A), Ehrenwein (auch CH), Automobilist (auch CH), Stage (auch CH) u. a. (vgl. Sieburg 2012). 33 Zu dieser Feststellung gelangen sowohl Ammon (1995: 400) als auch Fehlen (2009: 47). Teile des deutschen Sprachgebietes gelten - nicht aber [für alle].“ 32 Das ‚Varian‐ tenwörterbuch des Deutschen’ (Ammon et al. 2004) listet rund 30 solcher Luxem‐ burgismen (vgl. Ammon 2015: 231). Sie wurden durch die Untersuchung von Pressetexten aufgefunden (vgl. ebd.). Die luxemburgischen Zeitungen sind, da sie die Sprache täglich verwenden, eine gute Quelle, um die Besonderheiten des Luxemburger Deutschs zu erschließen. 33 Claude Karger und Roger Infalt bestä‐ tigten, dass die deutsche Sprache, die in den luxemburgischen Zeitungen ver‐ wendet wird, sich von dem Deutsch, das Journalisten aus Deutschland ver‐ wenden, unterscheidet. Der luxemburgische Journalist tendiere dazu, bestimmte Eigenheiten aus dem Luxemburgischen oder Französischen in die deutsche Sprache zu transferieren und tue dies zum Teil auch ganz bewusst. Roger Infalt: „Also t’ass ganz vill ‚Lëtzebuergesch-Däitsch’. T’ass keen Hochdeutsch. An der Wirtschaft hues de heiansdo, well do eben och [däitsch Journalisten sinn] […], wann déi Rieden schmäissen op Däitsch, déi hunn een Hochdeutsch opleien, dat ass dudenreif. Wann s de dat ofdrécks, do mierks de och, jo entweder hutt een Däitschen dat geschriwwen oder t’hutt een Däitschen dat wierklech diktéiert, mee t’gëtt net ugeholl, dass et ee lëtzebuerger Journalist ass, deen dat verfaasst hutt. Firwat? Ma well d’Luxemburgensia komplett dra feelen. An och déi Feeler, déi mir maachen, gang und gäbe, déi sinn op eng Kéier net méi dran. De Lieser, jo, Du huss lo ee Wuert gebraucht, ‚Kommunen’, deen irritéiert dat. Dorausser liest heen eppes aneschters wéi Gemengen. […] Ech mengen, dass dee lëtzebuergesch-däitschen Déngen, dass dee mol guer net an der Zeitung vum Lieser sou kritiséiert gëtt, wou gesot gëtt, si kënnen net richteg Däitsch schreiwen. Si verstinn et éischter. Ech soen et nach eng Kéier: ‚Kommunen’ do géif s de lo eppes aneschters drënner verstoe, wann s de dat lo géifs liesen, wéi eng ‚Gemeng’. […] Nee also de Gebrauch vun der Sprooch ass ganz kloer: Et soll eng flësseg IX. Medien und Sprachwissen 308 <?page no="309"?> 34 Roger Infalt: „Also es ist ganz viel 'Luxemburger Deutsch'. Es ist kein Hochdeutsch. In der Wirtschaft hast du manchmal, weil da eben auch [deutsche Journalisten sind] […], wenn die ihre Reden auf Deutsch schmeißen, die legen ein Hochdeutsch auf, das ist dudenreif. Wenn du das abdruckst, dann merkst du auch, ja entweder hat das ein Deut‐ scher geschrieben oder ein Deutscher hat das wirklich diktiert. Aber es wird nicht an‐ genommen, dass das ein Luxemburger Journalist war, der das verfasst hat. Warum? Nun, weil die Luxemburgensia darin komplett fehlen. Und auch die Fehler, die wir machen, die gang und gäbe sind, sind auf einmal nicht mehr drin. Und der Leser, ja, du hast das Wort jetzt gebraucht, ‚Kommunen’ beispielsweise, den irritiert das. Daraus liest der etwas anderes als ‚Gemeinden’. […] Ich glaube, dass die luxemburgisch-deutsche Sache, dass das gar nicht so in der Zeitung vom Leser kritisiert wird, dass nicht gesagt wird, sie können nicht richtig Deutsch schreiben. Sie [die Leser] verstehen es eher. Ich sage es noch einmal: Wenn jetzt da ‚Kommunen’ stehen würde, dann würdest du etwas anderes darunter verstehen, wenn du das jetzt lesen würdest, als eine ‚Gemeinde’. […] Nein also der Gebrauch der Sprache. Es ist ganz klar. Es soll eine flüssige Sprache sein. Es soll sich flüssig lesen und daher verfallen wir Luxemburger immer wieder in die Luxemburgensia.“ Sprooch sinn. T’soll sech flësseg liesen an dohier verfalen mir dann och als Lëtzebu‐ erger an déi Luxemburgensia rëm ran.“ 34 Die Notwendigkeit der Übersetzung und das beständige Code-switchen im Alltag führen dazu, dass Entlehnungen französischen, luxemburgischen und anderen Ursprungs, sich im Pressedeutsch einbürgern. Zudem ist die Presse‐ sprache auf den Leser zugeschnitten - auf einen Leser, der einen kurzen, schlichten Stil bevorzugt. Der Schreibstil soll sich möglichst an seiner Alltags‐ sprache orientieren. F. S.: „Wann ee lo bësse kuckt wéi geschriwwe gëtt. Kann een dann vun engem Lëtzebuerger Däitsch an der Press schwätzen, wat geschriwwe gëtt oder sinn dat éischter Feeler, also géift Dir dat éischter als Feeler ugesinn, déi Lëtzebuerger schreiwen? “ Claude Karger: „Ech denken, do kann ee vu Lëtzebuerger Däitsch schwätzen, mee dat hutt och domat ze dinn, dass mir eben eng aner Terminologie fir déi politesch Veranwortungsposten hunn, déi mer hunn. Zum Beispill gesi mir dat ëmmer an dat korrigéiere mir ëmmer, wann déi Däitsch […], wann et iwwer déi verschidden Länner geet, dann schwätzen déi net vum ‚Premierminister’, mee vum ‚Ministerpräsident’. Dat ass awer ee Konzept, dat een hei zu Lëtzebuerg net sou richteg versteet. Dofir korri‐ géieren mir dat systematisch an da schreiwe mir ‚Premierminister’, da wees een direkt, deen hutt déi Funktioun sou bëssen wéi de Jean-Claude Juncker. […] Jo, dat sinn ebe Konzepter, do ass och vill d’Iwwersetzung dann, déi do spillt. An Däitschland gëtt et eben och keen ‚Staatsrot’, mir hunn eben ee Staatsrat. […] Fir eis ass dat evident. Oder t’ginn ee ganze Koup aner Beispiller. Wa mer lo um legislative Plang sinn, do hu mer ëmmer d’Diskussioun oder t’gëtt och ëmmer hei bannen dann als Fro opgeworf, wat 1 Printmedien 309 <?page no="310"?> 35 F. S.: „Kann man da von einem Luxemburger Deutsch in der Presse reden, wenn man sich ansieht wie geschrieben wird oder sind das eher Fehler, also würden Sie das eher als Fehler einstufen, die Luxemburger schreiben? “ Claude Karger: „Ich denke, da kann man von Luxemburger Deutsch sprechen. Aber das hat auch damit zu tun, dass wir eben eine andere Terminologie haben für die politischen Verantwortungsposten, die wir haben. Zum Beispiel sehen wir immer und das korrigieren wir dann immer, dass die Deut‐ schen […], wenn sie über die verschiedenen Länder schreiben, dann sprechen sie nicht vom ‚Premierminister’, sondern vom ‚Ministerpräsidenten’. Das ist aber ein Konzept, das man hier in Luxemburg nicht so richtig versteht. Dann verbessern wir das systematisch und schreiben ‚Premierminister’ hin, dann weiß man direkt, der hat so eine Funktion wie Jean-Claude Juncker. […] Ja, das sind eben Konzepte, wo die Übersetzung auch mitspielt. In Deutschland gibt es eben keinen ‚Staatsrot’, wir haben aber einen Staatsrat. […] Für uns ist das selbsterklärend. Oder es gibt eine ganze Reihe von anderen Beispielen. Wenn wir uns jetzt im legislativen Bereich bewegen, gibt es hier intern immer die Diskussion oder es wird hier immer die Frage aufgeworfen, was ist der Un‐ terschied zwischen einem ‚Avant-Projet-de-loi’, einem ‚Projet de loi’ und einer ‚Proposi‐ tion de loi’? Wie übersetzt man das auf Deutsch? […] Wir haben da entsprechende Anpassungen festgelegt, die sich dann aus der Übersetzung ergeben, dass man einen Gesetzesentwurf hat und das andere dann eine ‚Gesetzesvorlage’ ist, ein ‚avant-projet’. […] Ja und da stellen sich immens viele Fragen in der Domäne, wenn man jetzt über das Gericht berichtet, da sind Konzepte in unserem auf dem napoleonischen Recht auf‐ gebauten Rechtssystem, die gibt es in Deutschland nicht. Auch da muss man schauen, wie man das dann auf Deutsch übersetzt, wie man es so präzise wie möglich übersetzt.“ F. S.: „Und bei Unklarheiten bleibt man dann im Französischen [in der französischen Ter‐ minologie]? ” Claude Karger: „Bei Unklarheiten würden wir dann das Französische im Text zwischen Anführungszeichen setzen und dann im darauffolgenden Satz erklären, um was es geht. Das ist eine Möglichkeit, wie man das in einem deutschen Text dann bringen kann.“ ass den Ënnerscheed tëscht engem ‚Avant-Projet-de-loi’ an engem ‚Projet-de-loi’ an enger ‚Proposition de loi’? Wéi iwwersetz de dat op Däitsch? […] Mir hunn do eppes adaptéiert, wat sech aus der Iwwersetzung dann ergëtt, dass de ee ‚Gesetzesentworf ’ hues an dat anert ass eng ‚Gesetzesvorlage’, een ‚avant-projet’. […] Jo an do stellen sech immens vill Froen an deem Domaine. Wann een d’Geriicht couvréiert, do sinn Kon‐ zepter an eisem, op dem napoleonischen Recht, opgebaute Rechtssystem, dat gëtt et an Däitschland net. Och do muss een da kucken, wéi een dat, wann een et op Däitsch iwwersetzt, wéi een dat dann sou präzis wéi méiglech iwwersetzt.“ F. S.: „An bei Onkloerheeten bleift een do am Franséischen [an der franséischer Termino‐ logie]? “ Claude Karger: „Bei Onkloerheeten géife mer dann dat Franséischt am Text tëscht Gänseféisercher setzen an dann am nächste Saz erklären, em wat et geet. Dat ass dann eng Aart a Weis, wéi een dat am däitschen Text ka bréngen.“ 35 In den Redaktionen werden spezifische Variantenwörterlisten für luxemburgi‐ sche und französische Begriffe angelegt, mit denen Inhalte verbunden sind, die IX. Medien und Sprachwissen 310 <?page no="311"?> 36 Der Républicain Lorrain wurde 1936 als französisches Regionalblatt für den lothringi‐ schen Raum gegründet. Am 15. September 1961 erschien die erste Luxemburger Lokal‐ ausgabe des Républicain Lorrain in französischer Sprache. Die Ausgaben des Républi‐ cain Lorrain zeichneten sich durch einen aggressiveren Journalismus aus. Man war um Aktualität bemüht, Lokal- und Sportnachrichten wurden spektakulär aufgemacht und mit Bildern unterlegt. Insbesondere die Sonntagsausgabe hatte eine feste Leserschaft, was zum einen daran lag, dass es die einzige luxemburgische Zeitung war, die auch sonntags erschien und zum anderen daran, dass der Sportteil der Zeitung äußerst beliebt war (vgl. Hilgert 2004: 218). sich nicht immer übersetzen lassen. Im Zweifelsfall wird der luxemburgische oder französische Fachbegriff in seiner ursprünglichen Form belassen. In Luxemburg gibt es keine Instanz, die Journalisten behilflich sein könnte, bei der Übertragung luxemburgischer, französischer oder belgischer Konzepte in entsprechende deutsche Bezeichnungen oder die eingebürgerte Standardva‐ rianten des ‚Luxemburger Deutschs’ kodifizieren würde. Eine solche Instanz, die dem Duden in Deutschland ähneln würde, existiert zurzeit nur für die lu‐ xemburgische Sprache. So gibt es hier das Referenzwerk Lëtzebuerger Online Dictionnaire (LOD) und den Conseil permanent de la langue luxembourgeoise (CPLL). Da es keine Binnenkodifizierung des Standarddeutschen in Luxemburg gibt, kann Luxemburg, Ammon (1995: 96) zufolge, auch nur als Halbzentrum des Deutschen bezeichnet werden. Es sieht nicht danach aus, als würden in naher Zukunft politisch Anstrengungen unternommen, die eine entsprechende Kodifizierung motivieren. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass der Deutschunterricht an Luxemburgs Sekundarschulen den Gebrauch der spezi‐ fisch luxemburgischen Varietäten fördern wird. Luxemburgismen im Standard‐ deutschen werden gewöhnlich als Fehler markiert (vgl. Ammon 2015: 231). Das Bewusstsein für die Plurizentrizität des Deutschen, das bei den luxemburgischen Journalisten besteht, hat sich beim Leser (noch) nicht eingestellt. 1.3 Zeitungssprache Französisch Der Wirtschaftsaufschwung in den neunziger Jahren ließ die Zuwanderung nach Luxemburg noch einmal merklich ansteigen und es kamen vermehrt fran‐ zösischsprachige Grenzgänger (vgl. Hilgert 2004: 240). Französisch wurde zur wichtigsten Verkehrssprache in Luxemburg. Die großen Zeitungsverlage wollten diese neue kritische Masse für sich gewinnen und nicht mehr allein dem Républicain Lorrain 36 überlassen, der bis 2001 eine Regionalausgabe für Luxem‐ burg herausgab (vgl. ebd.: 218; 240). Nach der Verabschiedung des Maastrichter Vertrags durften Zuwanderer aus den EU-Mitgliedsstaaten auch an den Kom‐ munalwahlen in Luxemburg teilnehmen. Im Falle eines bestehenden Interesses 1 Printmedien 311 <?page no="312"?> 37 Fehlen bezeichnet den jeudi als „einzige französischsprachige[…] Wochenzeitung, die als meinungsbildend für die schrumpfende Fraktion des frankophilen Bildungsbürgertums angesehen werden darf “ (Fehlen 2013a: 73). Danièle Fonck schrieb am 17. 04. 1997 im Editorial der ersten Jeudi-Ausgabe: „Nous vivons au siècle de l'information et celle-ci doit être partagée par le plus grand nombre. Alors, pourquoi ne pas relever un formidable défi, et créer un journal? Et qui plus est, un hebdomadaire en français. Un moyen de s'adresser à une minorité importante dans ce pays à savoir plus de cinquante mile personnes dont la langue véhiculaire est le français sans compter les nationaux qui, pour une raison ou une autre préfèrent lire et écrire en français“ (LJ3: 17. 04. 1997). für die Landespolitik hatten sie nun die Möglichkeit sich in den luxemburgischen Medien umfassend informieren zu können (vgl. ebd.). Die Wochenzeitung le jeudi entstand im Jahr 1997 bei Editpress, um diese neuen potentiellen Leser anzusprechen, deren Verkehrssprache in Luxemburg das Französische war. Au‐ ßerdem wollte sie die Luxemburger für sich gewinnen, die mehr der französi‐ schen Sprache und Kultur zugewandt waren als der deutschen. 37 Als Reaktion auf die Bestrebungen der Konkurrenz veröffentlichte auch Saint-Paul am 12. Juli 1999 wieder französischsprachige Seiten im Luxemburger Wort. Diese waren am 8. Januar 1972 als Beilage der Zeitung geschaffen worden und am 16. September 1978 wieder abgeschafft worden (vgl. ebd.: 244). Ab dem 2. Oktober 2001 wurde die französische Beilage dann als eigenständige Tageszeitung (Voix du Luxem‐ bourg) herausgegeben. 2011 wurde sie schließlich eingestellt. Bis heute könnten aber weder der Jeudi noch die ebenfalls bei Editpress erscheinende französisch‐ sprachige Tageszeitung Le Quotidien sich finanziell alleine tragen, würden sie nicht von verkaufsträchtigen Produkten wie dem Tageblatt getragen, so Roger Infalt. Roger Infalt: „Du gesäis jo och un den Zuelen vun den Zeitungen, wat lo ee Jeudi oder ee Quotidien verkeeft, dat si jo keng Massen. Du kënns der net lo ee Quotidien erlaben, ouni een anere Produit derbäi ze hunn, deen do awer de Quotidien […] [mat‐ zitt].“ F. S.: „D'Voix, déi agestallt gouf …“ Roger Infalt: „T'war eng Katastroph, wéi déi agestallt gouf. All Zeitung, déi agestallt gëtt, dat ass eng Katastroph […]. Mee richteg war et. Wann s de do eng Voix hues, déi nach, ech wees net, 200 Mol gelies gëtt, dat ass, dat kann s de net oprechterhalen. Beim Quotidien do ass et jo lo awer nach am zweestellegen dausender Beräich, wou s de lo sees, ok dat geet nach sou. Mee wann s de lo leng nëmmen de Quotidien häss oder leng nëmmen den Jeudi häss, dat geet net, t’geet net. Also t’ass ebe schonn een Zousaz‐ produit, deen s de eben gemaach huss, well s de wees, dass et eben sou vill franséisch‐ sproocheg Leit ginn. T’geet jo net nëmmen leng duer mat de Fransousen, mir hu jo IX. Medien und Sprachwissen 312 <?page no="313"?> 38 Roger Infalt: „Du erkennst ja auch an den [Verkaufs-]Zahlen der Zeitungen, dass das was jetzt ein Jeudi oder ein Quotidien verkaufen, keine Massen sind. Du könntest dir jetzt nicht einen Quotidien erlauben, ohne ein anderes Produkt daneben zu haben, das dann aber da den Quotidien […] [mitzieht]. F. S.: „Eine 'Voix', die eingestellt wurde …“ Roger Infalt: „Das war eine Katastrophe als die eingestellt wurde. Bei jeder Zeitung, die eingestellt wird, ist es eine Katastrophe. […] Aber richtig war es. Wenn du da eine Voix hast, die noch, ich weiß nicht, 200 Mal gelesen wird, das ist, das kann man nicht aufrechterhalten. Beim Quotidien, da ist es dann doch noch im zweistelligen tausender Bereich, wo du jetzt sagst, ok das geht noch so gerade. Aber wenn du jetzt nur den Quotidien hättest oder alleine nur den Jeudi hättest, dann ginge das nicht, es geht nicht. Also es ist eben doch so ein Zusatzprodukt, das du eben gemacht hast, weil du weißt, dass es eben viele französischsprachige Leute gibt. Es gibt ja nicht nur die Franzosen, wir haben auch Italiener, die französischsprachig sind, wir haben Portugiesen, die fran‐ zösischsprachig sind.“ F. S.: „Wie ist es denn mit denen? Lesen die nicht eher den Contacto? “ och Italiener, déi franséischsproocheg sinn, mir hu Portugisen, déi franséischsproo‐ cheg sinn.“ F. S.: „Wéi ass et dann mat deenen? Liesen déi net éischter de Contacto? “ 38 1.4 Die portugiesischen Zeitungen Contacto und Correio Im Januar 1970 gründete die Vereinigung Amizades Portugal-Luxemburgo die erste Zeitung für portugiesische Zuwanderer in Luxemburg und gab ihr den Namen Contacto (vgl. Hilgert 2004: 230). Die Redaktion des Contactos befand sich in Luxemburg, gedruckt wurde die Zeitung allerdings in Portugal. Dies änderte sich als Saint-Paul 1987 die Zeitung übernahm. Der Contacto erschien ab da im Vierzehn-Tage-Rhythmus. 1999 kündigte Editpress an, mit der Zeitung Correio ebenfalls eine portugiesischsprachige Zeitung konzipieren zu wollen, worauf Saint-Paul entschied, Contacto wöchentlich herauszugeben (vgl. Saint-Paul 2015). Zurzeit erscheint Contacto jeden Mittwoch und erreicht nach Angaben des Verlagshauses mit 50 100 Lesern 51 % der portugiesischen Bevöl‐ kerung (vgl. ebd.). Roger Infalt maß beiden Zeitungen, Contacto und Correio, nur noch einen ideellen Wert bei, wirklich rentabel seien sie nicht. Roger Infalt: „De Correio an de Contacto, de Contacto ass jo dann Saint Paul a mir haten de Correio, mee do gesäis de lo, dass do de Rhythmus vun den Ausgaben vum Correio an och vum Contacto lues awer sécher ëmmer méi laang Ofstänn krit hutt. […] Du mierks awer, dass déi Generatiounen, déi do hannendru kommen, déi lo hei an de Schoulen sinn, dass do déi Jonk awer lo Franséisch liesen, dass se Däitsch liesen a wann se da wierklech wëllen - do wou nach portugisesch Zeitungen gekuckt ginn, fir de Sport ze kucken - dann dréine se hire Fernseh op an huelen RTPI an da kucken se do. Dat heescht déi Zeitungen Contacto a Correio stierwe lues. Also mir hunn z. B. 1 Printmedien 313 <?page no="314"?> 39 Roger Infalt: „Der Correio und der Contacto, der Contacto ist ja dann Saint Paul und wir hatten den Correio, aber da siehst du jetzt, dass der Rhythmus, in dem die Ausgaben des Correios erscheinen und auch vom Contacto langsam aber sicher immer längere Abstände bekommt. […] Da merkst du […], dass die Generationen, die nachkommen, die jetzt in den Schulen sind, dass da die jungen Leute jetzt auch Französisch lesen, dass sie Deutsch lesen und wenn sie dann wirklich eine wollen … - da wo noch portugiesi‐ sche Zeitungen gelesen werden, wegen des Sportteils - dann schalten sie ihren Fern‐ seher ein und nehmen RTPi [RTP Internacional] und schauen dort. Das heißt die Zei‐ tungen Contacto und Correio sterben langsam. Also wir haben zum Beispiel jetzt noch einen [Redakteur], der sich um den Correio kümmert. Die Zeitung hat pro Woche rund 12 Seiten und die bekommen ihre Nachrichten von den [Presse]Agenturen. Es ist im Grunde genommen nur, um den Portugiesen die Wahlmöglichkeit zu geben, dass sie hier in Luxemburg auch eine Zeitung haben, wo sie ihre Nachrichten lesen können. Es hat auch ein wenig einen ideellen Wert. […] Die Nachfrage ist auch nicht mehr da.“ 40 Mit 122 500 Besuchern (25,7 %) liegt RTL.lu an der Spitze der meistbesuchten luxem‐ burgischen Nachrichtenseiten - deutlich vor Wort.lu (16,9 %), Lessentiel.lu (11,3 %), Ta‐ geblatt.lu (4,7 %), myWort.lu (1,9 %) und leQuotidien.lu (1,4 %) (vgl. TNS-ILReS pluri‐ media 2014). lo nach een, dee sech em de Correio bekëmmert. Déi Zeitung hutt per Woch eng 12 Säiten an déi kréien hir Noriichten vun de [Presse]Agencen. T'ass am Fong just fir de Portugisen de Choix ze ginn, dass se hei zu Lëtzebuerg och eng Zeitung hunn, wou se kënnen hir Nouvellen dra liesen. D'hutt och bëssen een ideele Wert. […] T'ass och keng Demande méi do.“ 39 Durch die Schulausbildung gleichen sich die Sprachkompetenzen und das Me‐ dienverhalten der jungen Portugiesen an das der Luxemburger an. Sie legen sich nicht mehr auf eine Mediensprache fest, denn sie beherrschen aufgrund ihrer Schulausbildung mehrere. 2 Radiosprachen Die TNS-ILReS-Plurimedia-Studie von 2014 belegt, dass RTL Radio Lëtzebuerg mit durchschnittlich 186 300 Zuhörern täglich, der erfolgreichste und meistge‐ hörte Radiosender in Luxemburg ist (vgl. TNS-ILReS plurimedia 2014). RTL hat nicht nur als Fernseh- und Radiosender eine Monopolstellung inne, sondern führt auch die Liste der beliebtesten luxemburgischen Online-Nachrichtenpor‐ tale an. 40 Interessanterweise ist der Onlineauftritt der Radiosender, die in lu‐ xemburgischer Sprache senden, ebenfalls von Anfang an auf Luxemburgisch gewesen. Nicht Deutsch und nicht Französisch, sondern die Sprache, die der Hörer von RTL Radio Lëtzebuerg (und RTL Télé Lëtzebuerg) gewohnt ist, wurde ins Internet transferiert. Der Hörer wird hier zum Leser und findet die gewohnte IX. Medien und Sprachwissen 314 <?page no="315"?> 41 L’essentiel Radio ging am 22. 02. 2016 auf Sendung. Getragen wird der Sender von der Gesellschaft RadioLux, deren Kapital zu 40 % von Edita, zu 35 % von der Gruppe Vincent Bragard, Serge Leeman, Samuel Tabari und zu 25 % von CLT-UFA gehalten wird (vgl. Tageblonline: 22. 02. 2016). Sprache seines Nachrichtensenders vor. Die Leser, die auf RTL.lu kommentieren, tun dies ebenfalls nahezu ausnahmslos auf Luxemburgisch. Zum einen gibt die Homepage diese Sprachwahl vor, zum anderen zeichnet sich das Medium ‚In‐ ternet’ durch die Faktoren Informalität, Spontaneität, Dialogizität und durch die Möglichkeit aus unmittelbar zu reagieren und suggeriert dadurch ein konzepti‐ onell-mündliches Umfeld, das den Einsatz der luxemburgischen Sprache be‐ günstigt (vgl. Gilles 2011: 63). 9,4 % der luxemburgischen Zuhörer (44 900 Radiohörer) hörten 2013 / 2014 den deutschsprachigen Sender RTL. Die besten Hits aller Zeiten. (TNS-ILReS plurimedia 2014). Damit lag der Sender nach RTL Radio Lëtzebuerg und Eldoradio an dritter Stelle der meistgehörten Radiosender in Luxemburg (vgl. ebd.). Im Februar 2014 kündigte der Sender allerdings an, seinen Sitz von Luxemburg nach Berlin verlegen zu wollen. Seither wird das Programm von 104.6 RTL Berlin einer Filiale von RTL Radio Deutschland produziert und bundesweit gesendet. Die bestehenden UKW-Frequenzen in Luxemburg werden weiter genutzt (vgl. Ta‐ geblonline 07. 02. 2014). Bereits Ende 2013 wurde das regionale Programm für Luxemburg, das Saarland und Teile von Rheinland-Pfalz eingestellt (Wortonline 03. 12. 2013). Im Juli 2015 begann RTL Radio mit dem neuen Programm und nannte sich ab da RTL - Deutschlands Hit-Radio. Es gibt zwar noch einen Wetter- und Verkehrsdienst für Luxemburg und die Großregion, der restliche Teil des Programms hat aber keinen Bezug mehr zum ehemaligen Sendeort. Während der deutschsprachige Sender sich aus Luxemburg zurückzog, bereitete sich ein französischsprachiger darauf vor, hier für ein luxemburgisch-frankophones Publikum zu senden. Bis dahin gab es keinen französischsprachigen Radio‐ sender in Luxemburg. Es war das Verlagshaus Saint-Paul, das 2014 ankündigte, zusammen mit RTL auf der freigewordenen Frequenz 107,7 MHz, einen fran‐ zösischsprachigen Sender mit dem Namen RTL2 Luxembourg etablieren zu wollen (vgl. Wortonline: 28. 03. 2014). Die unabhängige Behörde für audiovisu‐ elle Medien (Autorité luxembourgeoise indépendante de l'audiovisuel, ALIA) lehnte das Vorhaben jedoch ab, da es in der Zusammenarbeit von RTL und Saint-Paul die Medienpluralität im Land gefährdet sah (vgl. ebd.). Im Mai 2015 gab die luxemburgische Regierung dann bekannt, dass Edita SA, der Heraus‐ geber des L'essentiel, den Zuschlag bekommen habe einen französischsprachigen Radiosender mit dem Namen L'essentiel Radio zu gründen. 41 Im Bereich ‚Rund‐ funk’ wird es demnach zu einer Verschiebung der Sprachenverteilung kommen. 2 Radiosprachen 315 <?page no="316"?> 42 s. a. Kapitel VII. 43 Seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 1996 ist das Kino Utopolis auf dem Kirchberger Pla‐ teau an der hauptstädtischen Peripherie das größte Multiplex-Kino in Luxemburg mit zehn Kinosälen und 2 693 Sitzplätzen (vgl. Steichen 2013: 279). 44 Ausgewertet wurde das Kinoprogramm im Utopolis vom 05. 11. 2014 bis zum 25. 11. 2014. Die Auflistung der gezeigten Filme, Sprachen und Genres erfolgt am Ende dieses Kapitels. 3 Ein Kino für alle Sprachgruppen In der Regel werden Kinofilme in Luxemburg in ihrer Originalfassung gezeigt. Das bedeutet, dass französische Filme auf Französisch anlaufen, deutsche auf Deutsch, englische oder amerikanische auf Englisch und italienische oder por‐ tugiesische, aufgrund des bedeutenden Sprecheranteils, im Original (mit Un‐ tertiteln). Die Untertitel, welche bei Produktionen angezeigt werden, die nicht in den Sprachen des Landes anlaufen, sind normalerweise in Französisch und Niederländisch. So können die Filme im gesamten Benelux-Raum vertrieben werden. Obschon die englische Sprache im luxemburgischen ‚Mentalitätenwis‐ sen’ als Fremdsprache eingestuft wird, wird ihr Vorkommen in der Domäne Kino und Film erwartet. Der Stellenwert, welcher dem Englischen als Kinosprache zukommt und die Rolle, welche Französisch als verständnissichernde Untertitel-Sprache über‐ nimmt, werden hin und wieder kritisiert. Diese Kritik wird in der Regel mit der Forderung an den Kinobetreiber verbunden, mehr Filme auf Deutsch zu zeigen. Als die Gruppen-Gründungen im sozialen Netzwerk Facebook zunahmen, ent‐ standen auch Gruppen, die forderten, „Utopolis soll seng Filmer och op Däitsch weisen”/ „Utopolis soll seine Filme auch auf Deutsch zeigen.“ 42 Mit zunehmendem Alter und Bildungsgrad steigt allerdings die Präferenz fürs englische oder fran‐ zösische Original (vgl. Fehlen 2009: 121). Die Verantwortlichen des Kinokom‐ plexes Utopolis 43 scheinen sehr genau zu prüfen, welchen Film sie in welcher Sprache erwerben. 44 Sie machen diese Entscheidung abhängig von der Ziel‐ gruppe (Altersgruppe, Bildungsgrad, sprachliche Herkunft), die für den jewei‐ ligen Film zu erwarten ist. Sie versuchen, die Spracherwartungen der Kunden vorauszuahnen und diesen entgegen zu kommen. Potentielle Verkaufsschlager werden in mehreren Sprachversionen gezeigt. Für den untersuchten Monat No‐ vember 2014 waren es die Filme Interstellar, The book of life (3D), Ninja Turtles und The hunger games - Mockingjay: part 1 (dt. Die Tribute von Panem). Alle vier Filme liefen in der Originalfassung mit französischen und niederländischen IX. Medien und Sprachwissen 316 <?page no="317"?> 45 Weshalb manche Filme mit französischen und niederländischen Untertiteln laufen, an‐ dere dagegen mit deutschen und französischen Untertiteln erworben werden, konnte nicht herausgefunden werden. Untertiteln bzw. mit deutscher und französischer Untertitelung an. 45 Deutsche und französische Synchronfassungen wurden dem Kinobesucher ebenfalls an‐ geboten. Mit den Ninja Turtles ist eine ganze Generation von Erwachsenen auf‐ gewachsen. Die US-amerikanische Comicserie und bisherige Realverfilmungen wurden in unzählige Sprachen übersetzt. Ein Großteil der luxemburgischen Sprachgruppe ist mit den deutschen Stimmen der Ninja Turtles aufgewachsen. Wahrscheinlich geht sie aus diesem Grund lieber in die deutsche Übersetzung. Auch für den Film The hunger games - Mockingjay: part 1 war zu erwarten, dass er junge Kinogänger mit unterschiedlichen Sprachbiografien interessieren dürfte. Animations- und Science-Fiction-Filme sprechen vor allem Jugendliche an. Der Film wurde in drei verschiedenen Sprachversionen gezeigt. US-ameri‐ kanische Kinderfilme, Disney-Produktionen etwa, werden normalerweise in drei Sprachversionen erworben. Der Disneyfilm Frozen lief sowohl in der Original‐ fassung mit französischen und niederländischen Untertiteln, als auch in seiner deutschen und französischen Synchronfassung. Titel Produktions‐ land Genre Englisch fr. & nl. Un‐ tertitel And so it goes USA romantische Komödie Annabelle USA Horror A walk among the tombstones USA Kri‐ minal-Thriller The captive Kanada Thriller What if Irland / Kanada Thriller Fury USA / Großbri‐ tannien Kriegsfilm Paradise lost Frankreich / Spanien / USA Thriller The november man USA Spio‐ nage-Thriller The Hunger Games: Mo‐ USA Science-Fiction 3 Ein Kino für alle Sprachgruppen 317 <?page no="318"?> Titel Produktions‐ land Genre ckingjay (part I) John Wick USA Action Love, Rosie Großbritan‐ nien / Deutsch‐ land romantische Komödie Nightcrawler USA Kri‐ minal-Thriller fr. Untertitel The book of life USA Animation de. & fr. Un‐ tertitel Dracula untold USA Großbri‐ tannien Fantasy The Equalizer USA Action / Thriller Gone girl USA Krimi / Drama Interstellar USA / Großbri‐ tannien Science-Fiction The maze runner USA Science-Fiction Ninja Turtles USA Action Deutsch OV Der siebte Zwerg Deutschland Animation Die Biene Maja Deutschland / Australien Animation Nowitzki - Der perfekte Wurf Deutschland Dokumenta‐ tion Synchronfas‐ sung Interstellar USA / Großbri‐ tannien Science-Fiction The book of life USA Animation The maze runner USA Science-Fiction The Boxtrolls USA Animation Ninja Turtles USA Action The Hunger Games: Mo‐ USA Science-Fiction IX. Medien und Sprachwissen 318 <?page no="319"?> 46 Es werden folgende Abkürzungen verwendet: OV, fr. & nl. U. = Originalversion, fran‐ zösische und niederländische Untertitel. OV, fr. U. = Originalversion, französische Un‐ tertitel. OV, de. & fr. U. = Originalversion, deutsche und französische Untertitel. Deutsch in der Originalversion; Deutsche Übersetzung = ein ursprünglich nicht auf Deutsch pro‐ duzierter Film, dessen deutsche Übersetzung fürs Kino erworben wurde. Französisch in der Originalversion; Französische Übersetzung = ein ursprünglich nicht auf Franzö‐ sisch produzierter Film, dessen französische Übersetzung fürs Kino erworben wurde. Andere Sprachen = ein Film, der weder auf Englisch, Französisch noch Deutsch, sondern in einer anderen Sprache gegebenenfalls mit Untertiteln lief. Titel Produktions‐ land Genre ckingjay (part I) Französisch OV Trippel Trappel Belgien / Nie‐ derlande Animation Samba Frankreich Komödie La prochaine fois je viserai le coeur Frankreich Krimi Synchronfas‐ sung Interstellar USA / Großbri‐ tannien Science-Fiction The book of life USA Animation The Boxtrolls USA Animation Ninja Turtles USA Action The Hunger Games: Mo‐ ckingjay (part I) USA Science-Fiction Spanisch, fr. & nl. Untertitel [rec] 4: Apocal‐ ypse Spanien Horror Italienisch, eng. Untertitel Il babiere di Si‐ viglia, opera buffa Italien Oper Portugiesisch, eng. Untertitel Faroeste ca‐ boclo Brasilien Drama Tabelle 6: Auflistung des Kinoprogramms im Utopolis vom 05. 11. 2014-25. 11. 2014 nach Sprachen geordnet 46 3 Ein Kino für alle Sprachgruppen 319 <?page no="320"?> Aus diesem Kapitel geht hervor, dass der Eindruck, die deutsche Sprache sei die beliebteste und meist genutzte Mediensprache im Land, eine Ja-Aber-Feststel‐ lung ist. Abhängig vom Medium und dem Sprachhintergrund seiner Konsu‐ menten dominieren jeweils andere Sprachen und Sprachenkonstellationen. Bis dato dominiert die deutsche Sprache als Pressesprache. Französische oder por‐ tugiesische Zeitungen erreichen - mit Ausnahme des Essentiels - nie die Posi‐ tion, die die traditionellen Tageszeitungen einnehmen, welche bis heute mehr‐ sprachig, aber vor allem auf Deutsch, verfasst sind. Die ‚großen’ Tageszeitungen müssen die Sprachpräferenzen ihrer Stammleser berücksichtigen, um diese ‚halten zu können’. Die Stammleser bevorzugen die deutsche Sprache und to‐ lerieren nur bedingt und in bestimmten Ressorts eine Zunahme französischer Texte. Die neue Leser-Generation verhält sich diesbezüglich anders. Sie will möglichst schnell und knapp informiert werden und stört sich hier weniger an der Sprachauswahl. Diese Einstellung macht es den Redaktionen leichter, Ve‐ ränderungen am Sprachgebrauch vorzunehmen und die Sprache der einzelnen Ressorts gegebenenfalls an das Sprachhandeln der Gesellschaft anzupassen. Die luxemburgische Sprachgruppe hegt eine Vorliebe für das deutsche Fern‐ sehen, die sich auch bei den Angehörigen anderer Sprachgruppen aufgrund der schulischen Sprachenhierarchie und Sprachausbildung entwickeln kann. Ob‐ schon im Kino mit zunehmendem Alter die Originalversion der Filme bevorzugt wird und das Englische die Sprache ist, die in dieser Domäne allgemein zu er‐ warten ist, versuchen die Kinobetreiber in zunehmendem Maße, die sprachli‐ chen Erwartungen des Zielpublikums der jeweiligen Filme zu erahnen und ent‐ sprechend verschiedene Sprachversionen anzubieten. Dies führt u. a. zu einer Zunahme des deutschen Films und der deutschen Sprache im luxemburgischen Kino. Bei den Radiosprachen dominiert die luxemburgische Sprache. Die ‚Ent‐ wurzelung’ von RTL Radio Luxemburg und der politisch gewollte Aufbau eines französischsprachigen Senders zeigen, dass das Rundfunkangebot künftig ein Spiegel der in Luxemburg ‚hörbaren’ Sprachen sein wird. IX. Medien und Sprachwissen 320 <?page no="321"?> 1 Guy Rewenig (31. 08. 1947 in Luxemburg) machte nach dem Abitur zunächst eine Aus‐ bildung zum Grundschullehrer und übte diesen Beruf bis 1984 aus. Danach wandte er sich vollkommen dem Schreiben zu und arbeitet bis heute als freiberuflicher Schrift‐ steller. Rewenig ist Dichter, Theater-, Roman- und Kinderbuchautor und ist zudem als Übersetzer tätig. Er schreibt auf Luxemburgisch, Deutsch und Französisch und gilt als Begründer des modernen Luxemburger Romans (vgl. Schmit 2016a). X. Literatursprachen 1 Die Leser „Der ‚Rénert’ ist das beliebteste Luxemburger Buch, nur weil die Menschen kein anderes kennen“, resümierte Guy Helminger ironisch die eigentlich dramatische Situation“ (LW17: 12. 10. 2007). Für sämtliche Publikationen, die in Luxemburg entstehen, hat sich im Buch‐ handel die Bezeichnung ‚Luxemburgensia’ durchgesetzt. Mit diesem verein‐ heitlichenden Begriff, der alle luxemburgischen Bucharten, vom Nachschlage‐ werk bis zum hochliterarischen Roman, erfasst, gehe eine Abwertung einher, die es der luxemburgischen Literatur (zusätzlich) erschwere vom Leser ernst genommen zu werden, meint Valérie Schreiner, die als freie Lektorin in Luxem‐ burg arbeitet. Das Bewusstsein über ein eigenständiges literarisches Feld zu verfügen, hat sich sowohl bei den Literaturschaffenden als auch bei den Lesern, nur langsam eingestellt. 1997 sagte Guy Rewenig 1 im Interview mit dem Jeudi: Il n’y a pas de culture littéraire au Luxembourg, dans le sens d’un „besoin en écrivains“. S’il n’y avait pas de littérature luxembourgeoise, personne ne le regretterait vraiment (LJ19: 06. 11. 1997). Der Leser hat aufgrund seiner Sprachkenntnisse Zugang zu den großen Weltli‐ teraturen. Die im Inland veröffentlichte Literatur nimmt er bis heute nicht richtig wahr. Der schulische Stellenwert der in Luxemburg entstandenen Lite‐ ratur begünstigt bislang die Ausbildung einer Einstellung, die den Publikati‐ <?page no="322"?> 2 Die Position des Luxemburgischen in der Schule soll aufgewertet werden, wie in Ka‐ pitel V. unter Exkurs: ‚Vermittlung des Mentalitätenwissens über den Deutschunter‐ richt; Stellenwert des Luxemburgischunterrichts’ ausgeführt wurde. 3 F. S.: „Herrscht da noch immer ein wenig der Gedanke vor, der vielleicht auch bei der [lu‐ xemburgischen] Sprache besteht, dass die luxemburgischen Publikationen nicht so viel Wert sind wie jetzt ein ausländischer Roman? “ Rob Kieffer: „Also ich glaube, es ist ein wenig der allgemeine Charakterzug des Luxemburgers, der hat immer so einen Min‐ derwertigkeitskomplex, der meint immer, was im Ausland geschehe, sei besser wie das, was in Luxemburg passiert. Eine Ausstellung in Paris, die sieht er sich an, aber in die‐ selbe Ausstellung im Mudam [= Museum für zeitgenössische Kunst in Luxemburg] oder im Casino [= Casino - Forum für zeitgenössische Kunst in Luxemburg] geht er nicht. Gut, was schade ist, und das sage ich immer und immer wieder aufs Neue, und nicht nur ich, sondern auch die anderen Verlagskollegen, was schade ist, […] ist, dass in den Schulen kein Wert auf die Luxemburger Literatur gelegt wird. Gut, wir sagen immer, wenn die Kinder, die Jugendlichen im Lyzeum, nicht in Kontakt mit Luxemburger Autoren kommen, ob die jetzt auf Deutsch, Luxemburgisch oder Französisch schreiben, ist ja egal - ja dann haben sie später als Erwachsene auch nicht die Tendenz dazu.“ onen, im Vergleich zu ausländischen, einen qualitativ geringeren Wert bei‐ misst. 2 F. S.: „Ass do nach ëmmer bëssen de Gedanken, deen och villäicht bei der Sprooch do ass, dass d’lëtzebuergesch Publikatiounen net sou vill wäert sinn, wéi lo een auslännesche Roman? “ Rob Kieffer (Chefredakteur bei Éditions Guy Binsfeld): „Also ech mengen t’ass e bëssen den allgemenge Charakterzuch vum Lëtzebuerger, deen hutt ëmmer sou ee Mannerwäertegkeetskomplex, dee mengt ëmmer wat am Ausland geschitt, dat wär besser wéi dat, wat zu Lëtzebuerg geschitt. Eng Ausstellung zu Paräis, déi geet e ku‐ cken, déi selwecht Ausstellung am Mudam oder am Casino, déi geet e net kucken. […] Bon wat, an dat soen ech ëmmer erëm, an ëmmer erëm, net nëmmen ech, och déi aner Editeurskollegen, wat schued ass, […] ass dass an de Schoule kee Wäert geluecht gëtt op d’lëtzebuerger Literatur an dat fannen ech immens schued. Bon, mir soen ëmmer, wann d’Kanner, déi Jugendlech am Lycée, net a Kontakt zu lëtzebuergeschen Auteuren kommen - ob se elo däitsch, lëtzebuergesch oder franséisch schreiwen, ass jo egal - jo dann hu se spéider als Erwuessenen och net d’Tendenz.“ 3 Luxemburgische Literatur muss, weil sie in der ‚Ausbausprache’ Luxemburgisch oder - in der Regel - in einer Zweitsprache des Autors verfasst wurde, per se immer um Anerkennung kämpfen. Valérie Schreiner: „Ech denken, dat ass eng vun den Eegenaarten vun eis Lëtzebu‐ erger … Net vill Leit huelen d’Lëtzebuergescht als Literatursprooch wouer. Dat ass logescherweis anescht bei deenen, déi an hir schreiwen. Et ass eigentlech paradox: Op där enger Säit gëtt gefuerdert d’Lëtzebuergescht opzewäerten an op där anerer Säit X. Literatursprachen 322 <?page no="323"?> 4 Valérie Schreiner: „Ich denke, das ist eine der Eigenarten von uns Luxemburgern … Nicht viele Leute nehmen das Luxemburgische als Literatursprache wahr. Das ist logi‐ scherweise anders bei denen, die auf Luxemburgisch schreiben. Es ist eigentlich pa‐ radox: Auf der einen Seite wird gefordert, das Luxemburgische aufzuwerten und auf der anderen Seite wird es in der Praxis aber nach wie vor abgewertet. Ich denke immer, dass das daran liegt, dass die Luxemburger unter einem kollektiven Minderwertig‐ keitskomplex leiden.“ 5 Gemeint sind hier Befragte mit luxemburgischer Staatsangehörigkeit. 6 Heute sind die Librairies Réunies unter dem Namen Libo bekannt. Sie unterstehen dem Haus Saint-Paul. gëtt et an der Praxis awer nach wie vor ofgewäert. Ech denken ëmmer, dass dat ass, well d’Lëtzebuerger ee kollektive Minderwäertegkeetskomplex hunn.“ 4 Lediglich 7 % der befragten Luxemburger lesen der Studie BaleineBis zufolge, gelegentlich Bücher in luxemburgischer Sprache (vgl. Fehlen 2009: 113). 5 70 % der Befragten bezeichnen die deutsche Sprache als ihre Hauptlesesprache (vgl. ebd.). Nur 22 % der Luxemburger geben an, ihre Hauptlesesprache sei Franzö‐ sisch. „L’allemand est bien présent et reste, en fin de compte, la langue la plus populaire pour la lecture des livres” schlussfolgert Fernand Fehlen aus diesen Ergebnissen (ebd.: 114). Werden die Lesesprachen der Luxemburger Bevölke‐ rung unabhängig von der Nationalität untersucht, fragt man allgemein in wel‐ chen Sprachen die Bevölkerung liest, ändert sich die Sprachenhierarchie: 5 % lesen Luxemburgisch, 7 % Portugiesisch, 30 % Englisch, 70 % lesen am liebsten auf Deutsch und 74 % vorzugsweise Französisch (vgl. ebd.). Am 4. Juli 2001 ver‐ öffentlicht das Luxemburger Wort ein Interview mit Jean-Paul Ternes, zu dieser Zeit verantwortlicher Leiter der Luxemburger Buchhandlungen Librairies Réu‐ nies. 6 Man stellte ihm u. a. die folgenden Fragen: LW: „Der Luxemburger Buchmarkt ist zumindest viersprachig: deutsch, französisch, englisch und luxemburgisch. Wie teilt sich der Verkauf auf diese Sprachen auf ? “ J.-P. Ternes: „In unserer Gruppe liegt der Anteil von deutschsprachigen Büchern etwas unter der Hälfte des Umsatzes, der von französischsprachigen bei einem knappen Drittel. Der Rest entfällt auf andere Sprachen, wobei das Luxemburgische erfreulicherweise etwa 15 % ausmacht.“ LW: „Diese Zahlen sollte man aber nicht so ohne weiteres auf die Landesebene über‐ tragen? “ J.-P. Ternes: „Hier sollte man in der Tat vorsichtig sein, unter anderem wegen der Buchhandlungen, die sich mehr oder weniger auf eine einzige Sprache spezialisiert haben. In meinen Zahlen dürfte das Französische, auf die Landesebene bezogen, etwas unterrepräsentiert sein.“ 1 Die Leser 323 <?page no="324"?> 7 Das ergab die von mir durchgeführte Auswertung der von der Féderation luxembour‐ geoise des Libraires monatlich herausgegebenen Buchbestsellerlisten International im genannten Zeitraum. Die nationalen Bestseller werden ebenfalls jeden Monat vom Lu‐ xemburger Buchverlegerverband und der Vereinigung der Luxemburger Buchhändler ermittelt. Unter die nationalen Bestseller fallen alle in Luxemburg verlegten Bücher, unter die internationalen, die Bücher, die in Luxemburg verkauft werden, allerdings im Ausland verlegt wurden. 8 Als Beispiele können Mario Barths ‚Langenscheidt Frau-Deutsch / Deutsch-Frau 2 für Fortgeschrittene’ (Platzierung: April 2010, Platz 9) oder Gaby Kösters ‚Ein Schnupfen hätte auch gereicht’ (Platzierung: November 2011, Platz 7) angeführt werden. 9 Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen belegte im Oktober und im November 2010 Platz 2 der Bestsellerlisten. LW: „Gibt es über die eben besprochenen aktuellen Kaufgewohnheiten hinaus eindeutige Langzeittrends? “ J. P.-Ternes: […] „Dann gibt es den langsamen, aber kontinuierlichen Trend zum deutschsprachigen Buch. Aber das Englische gewinnt, aus offensichtlichen Gründen, an Boden. Was die „Luxemburgensia“ anbetrifft, gibt es eine über die Zeit solide Nachfrage. Die Verkaufszahlen sind aber stark angebotsorientiert: Gibt es interessante Neuerscheinungen, werden sie auch gekauft: wenn nicht, sinken die Zahlen.“ (LW: 04. 07. 2001) Zum Zeitpunkt des Interviews machen die Librairies Réunies etwa die Hälfte ihres Umsatzes mit dem deutschsprachigen Bestand. Französische Bücher ver‐ schaffen nur ein Drittel des Umsatzes. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Der Bestand an französischen Erscheinungen ist in luxemburgischen Buch‐ handlungen oft weniger umfangreich als der deutschsprachige. Zwischen Oktober 2009 und Mai 2012 belegten 96 deutsche Buchtitel die Top 10 der in Luxemburg bestverkauften internationalen Veröffentlichungen. 34 französische, vier englische, ein luxemburgisches und ein zweisprachiges Buch (deutsch u. französisch) fanden sich ferner in den oberen Rängen. 7 Die Zahlen belegen, dass der Leser eindeutig deutschsprachige Bücher präferiert. In den Bestsellerlisten rangiert vor allem Populärliteratur. Biographien und Publikati‐ onen deutscher Persönlichkeiten führen in Luxemburg ähnlich lange die Best‐ sellerlisten an, wie im Nachbarland. 8 Das gilt auch für Publikationen deutscher Politiker. Es besteht ein allgemein großes Interesse für die deutsche Innenpo‐ litik. 9 Die deutsche Sprache ist in der Kategorie ‚Sachbuch’ die beliebteste Lek‐ türesprache. Außerdem lässt sich bei Büchern ähnlich wie bei Kinofilmen, wenn auch weniger ausgeprägt, eine gewisse Vorliebe für die Originalfassung fest‐ stellen. Mit Blick auf die Ergebnisse der von mir vorgenommenen Untersuchung stellt sich die Frage, ob denn die luxemburgische Sprachgruppe generell mehr Bücher liest als die übrigen Sprachgruppen, wenn derart viele Bücher in einer X. Literatursprachen 324 <?page no="325"?> 10 Valérie Schreiner: „Ja also hierzu muss man sagen, dass die Verlagshäuser genau dazu anhalten, mit dem Argument, dass das den Luxemburger Krimis überhaupt ihre Da‐ seinsberechtigung gibt. Sie sagen Zitat: „Es gibt - wenn der Lokalkolorit fehlt - bessere Bücher auf Deutsch“.“ Sprache verkauft werden, die der überwiegenden Mehrheit der Einwanderer augenscheinlich fremd ist? Vielleicht kaufen diese Leser ihre Bücher weniger in den großen Buchhandlungen, aus denen sich die Bestsellerstatistiken ableiten und eher in den großen Warenhausketten. Französische und belgische Waren‐ hausketten, die sich in Luxemburg niedergelassen haben, verändern ihren Buch‐ bestand, der auf das Leseverhalten einer frankophonen Kundschaft ausgerichtet ist, nämlich in der Regel nicht. Die Auswertung der nationalen Buchbestsellerlisten (von Oktober 2009 bis Mai 2012) belegte eine von den Interviewpartnern gleichermaßen bestätigte Tendenz: Wenn das luxemburgische Publikum sich für die in Luxemburg ent‐ stehende Literatur interessiert, dann bevorzugt sie ganz bestimmte Genres. Der ‚Luxemburger Krimi’ ist in den letzten Jahren zu einer beliebten Gattung beim Leser avanciert. Die von mir vorgenommene Auswertung der nationalen Best‐ sellerlisten zeigte etliche Bestplatzierungen, darunter Monique Feltgen: Das Rousegäertchen-Komplott (November 2009, Platz 10), Marco Schank: Todeswasser (Dezember 2009, Platz 9; März 2010, Platz 7), Luc und Raymond Schaack: Nei Fäll fir de Charel (Mai 2010, Platz 6; Juni 2010, Platz 2; Juli 2010, Platz 6; August 2010, Platz 10; Oktober 2010, Platz 7), Monique Feltgen: Showdown in Esch (No‐ vember 2010 - Platz 4; Dezember 2010, Platz 2) und Hughes Schlueter: Tod in Belval (Dezember 2010 - Platz 10). An den Buchtiteln fällt auf, dass sie oft eine Ortsbezeichnung enthalten, die darauf hinweist, dass der Kriminalfall sich in‐ nerhalb des Landes ereignet hat (R O U S E GÄE R TCHEN [Parkanalage in Luxem‐ burg-Stadt], E S CH [gemeint ist hier Esch an der Alzette] und B E LVAL [Stadtteil von Esch-Alzette]). Valérie Schreiner: „Jo also heizou muss ee soen, dass d’Verlagsheiser dozou unhalen mam Argument, dass dat de lëtzebuerger Krimien iwwerhaapt eng Daseinsberechti‐ gung gëtt. Si soen Zitat: „Et gëtt - wann de Lokalkolorit feelt - besser Bicher op Däitsch“.“ 10 Der Erfolg des Luxemburger Kriminalromans und der Luxemburger Literatur ist in gewisser Weise an das Vorhandensein dieses Lokalkolorits gebunden. Dessen Bedeutung unterstreicht auch Verleger Robert Gollo Steffen in unserem Gespräch: 1 Die Leser 325 <?page no="326"?> 11 Robert Gollo Steffen: „Aber da wo es interessant ist, dieser Ausländer, der auf Lu‐ xemburgisch geschrieben hat, das war Klaus Wenseler, der ist Übersetzer, der hat sich Luxemburgisch selbst beigebracht. Und irgendwann bekam ich ein Manuskript und das war ein wenig Hochluxemburgisch. Und da sagst du dir dann auch: Da will mich ir‐ gendjemand für dumm verkaufen. Das wird irgendein bekannter Luxemburger Autor sein, der dir etwas unter einem Pseudonym schickt. […] Und der einzige, der ein wenig herausgefunden hat, was anders an seinem Schreiben war, war jemand der gesagt hat: „Da ist kein Lokalkolorit drin.“ […] Bei der letzten Geschichte, dem Manuskript, ist es mir dann aufgefallen. Da sagst du dir: Nein, das kann kein Luxemburger sein! Da war dann ein Dorf, das ganz verschwindet, das wird abgerissen, weil da der Kohleabbau ist! Und dann denkst du, das kann kein Luxemburger Autor gewesen sein, denn jeder Lu‐ xemburger weiß ja, hier gibt es keine Kohlen unter der Erde. Und ich habe ihm dann vorgeschlagen die Geschichte zu ändern, d. h. das Dorf wurde dann ins Ösling ver‐ frachtet. Es wurde im Grunde verkauft, um daraus ein Feriendorf zu machen.“ 12 Marco Schank ist zurzeit (2015) Abgeordneter in der luxemburgischen Chambre des Députés. Er war von 2009 bis 2013 Minister für Wohnungsbau und abgeordneter Mi‐ nister für nachhaltige Entwicklungen und Infrastruktur. Seit 1996 ist er in Luxemburg auch als Krimiautor bekannt (vgl. Marson 2015a). Robert Gollo Steffen (Op der Lay): „Mee do wou et interessant ass, deen Auslänner, deen op Lëtzebuergesch geschriwwen hutt, dat war de Klaus Wenseler, deen ass Iw‐ wersetzer, deen hat sech Lëtzebuergesch selwer bäibruecht. An iergendwann krut ech dunn ee Manuskript an dat ass e bëssen Héichlëtzebuergesch geweest. An do sees de der dann och: Do schäisst iergendee mech un. Dat ass iergendee bekannte Lëtzebu‐ erger Auteur, deen schéckt der eppes ënnert engem Pseudonym. […] An deen een‐ zegen, deen eben bësse rausfonnt hutt, wat aneschter u sengem Schreiwen war, dat war deen, dee gesot hutt: „Do ass keen Lokalkolorit dran.“ […] Bei där leschter Ge‐ schicht, dem Manuskript, war et mer opgefallen, wou s de sees: Nee dat do ka kee Lëtzebuerger sinn. Do war dann een Duerf, dat verschwënnt ganz, dat gëtt ofgerappt, well do de Kohleabbau ass. An da sees de, dat ka kee Lëtzebuerger Auteur geweest sënn, well all Lëtzebuerger wees jo, hei gëtt et keng Kuelen ënnendrënner. An dunn hunn ech em virgeschlo fir déi Geschicht ofzeänneren, d. h. d’Duerf ass an d’Éislek verfracht ginn. T’gëtt eigentlech verkaaft fir ee Ferienduerf ze man.“ 11 Steffen wählt das Beispiel seines Autors Marco Schank, der bei Op der Lay publiziert. 12 Der Erfolg des Autors erklärt sich sicher zum Teil mit seiner Tätig‐ keit als Politiker. Zum anderen spielen Schanks Kriminalromane in der luxem‐ burgischen Stauseegegend. Es sind die regionale Einfärbung sowie regionale Gewohnheiten, die zum - für luxemburgische Verhältnisse - großen Erfolg der Romane beitragen. F. S.: „A wat verkeeft sech generell besser hei am Land? “ Robert Gollo Steffen: „Also wann et ee Krimi ass, wéi, bon, do spillt natierlech och den Numm mat vum Marco Schank […] vum einfachen Gemengerot, wéi mer dat X. Literatursprachen 326 <?page no="327"?> 13 F. S.: „Und was verkauft sich hier im Land generell besser? “ Robert Gollo Steffen: „Also wenn es ein Krimi ist, wie beispielsweise, gut da spielt natürlich auch der Name von Marco Schank [mit, der] […] vom einfachen Gemeinderat als wir das erste Buch ge‐ macht haben, bis zum Bürgermeister, bis zum Deputierten, bis zum Sekretär der CSV [Christlich-Soziale-Volkspartei], bis zum Minister [aufgestiegen ist]. Das bedeutet na‐ türlich, dass da ganz viele Leute, die das Buch kaufen, es eben nur aus dem Grund tun, weil: „Ah, das ist der [Minister]! “ Er schreibt nichts Kompliziertes, wenn man es so nimmt, er schreibt in einem etwas älteren Stil, der mit Sicherheit dann auch Lesern gefällt, die in unserem Alter oder schon ein wenig älter sind. […] Wichtig ist, dass ich seine Romane, seine Krimis beispielsweise verglichen habe oder vergleiche mit den Eifel-Krimis von Jacques Berndorf. Und dann sagst du dir: „Da kann er mithalten! Prob‐ lemlos! “ Aus dem Berndorf ist ein Kultautor geworden, vielleicht auch, weil er so ganz populäre Sachen schreibt, da steht ja dann auch dauernd, dass sie Pizza essen gehen. Also bei Marco Schank gehen sie ja dann jedes Mal Produkte „vum Séi“ essen. Ich meine, er weiß ja auch, was er seinen Wählern da schuldig ist. Ich will damit sagen verschiedene Handlungen spielen sich am See [Obersauer Stausee in Luxemburg] ab. Da ist das Lo‐ kalkolorit sehr wichtig.“ 14 Davon verteilen sich 88 auf den Zeitraum 1930-1999 und 69 Einträge auf den Zeitraum 2000-2011. 44 von diesen 69 Einträgen sind alleine im Zeitraum 2006-2011 entstanden (vgl. LW46-47: 14. 06. 2012). éischt Buch gemeet hunn, bis zum Buergermeeschter, bis zum Deputéierte, bis zum Sekretär vun der CSV, bis zum Minister […]. D. h. do kommen natierlech ganz vill Leit, déi dat Buch kafen ebe just well: „Ah dat ass deen! “ […] Hee schreift näischt Komplizéiertes, wann een et sou hëlt, hee schreift e bëssen méi een eelere Stil, dee mat Sécherheet dann och deene Lieser gefält, déi an eisem Alter sinn oder scho bësse méi al sinn. […] Wat wichteg ass, dat ass zum Beispill, dass ech seng Romaner, seng Krimien verglach hunn oder vergläichen mat den Eifel-Krimien vum Jacques Berndorf. An da sees de harno: „Do kann hee mathalen! Problemlos! “ De Berndorf ass ee Kultautor ginn, villäicht och well en sou ganz populär Dénge schreift, well och dann do dauernd steet, dass se eng Pizza eesse ginn. Ech mengen beim Marco Schank gi se dann all Kéier Saache vum Séi eessen. Ech mengen, hee weess jo och, wat e senge Wieler do schëlleg ass. Ech menge verschidde Saachen spillen um Séi. Do ass de Lokalkolorit ganz wichteg.“ 13 Sämtliche Kriminalromane, die die nationalen Bestsellerlisten anführten, sind auf Luxemburgisch oder Deutsch verfasst (Das Rousegäertchen-Komplott, To‐ deswasser, Nei Fäll fir de Charel, Showdown in Esch, Tod in Belval). Hierfür gibt es mehrere Gründe. Zum einen natürlich die individuelle Sprachwahl des Au‐ tors. Statistisch gesehen bevorzugen Luxemburger Krimiautoren Deutsch: Die Recherche im Luxemburger Autorenlexikon verzeichnet bis 2012 insgesamt 157 Krimis / Thriller von Luxemburger Autoren (vgl. LW46-47: 14. 06. 2012). 14 Beachtliche 105 Kriminalromane (66,8 %) sind von 1930 bis 2012 in deutscher 1 Die Leser 327 <?page no="328"?> 15 Die restlichen Prozente verteilen sich auf drei italienische und zwei englische Krimis (vgl. LW46-47: 14. 06. 2012). 16 F. S.: „Hat die Sprache eines Buches auch etwas mit dem anschließenden Verkauf zu tun, so dass Sie wirklich sagen können, die Sprache verkauft sich besser als die? “ Rob Kieffer: „Oh ja absolut! Bei einem Kochbuch hätten wir jetzt eher die Tendenz es in deutscher Sprache zu machen, aber bei […] einem eher technischen Buch, bei dem es zum Beispiel darum geht, wie man eine Steuererklärung macht oder wo es um Finanzen geht, würden wir es vielleicht eher auf Französisch veröffentlichen.“ 17 Rob Kieffer: „Das ist immer ein wenig eine Entscheidung, die dem Bauchgefühl ent‐ springt. Wir haben uns zum Beispiel bei dem Buch von Emile Haag [Une réussite origi‐ nale - Le Luxembourg au fil des siècles] gefragt, ob wir nicht mehr davon verkauft hätten, wenn wir es jetzt nicht auf Französisch, sondern auf Deutsch gemacht hätten.“ Sprache verfasst worden, 25 Titel auf Französisch (15,92 %) und 22 (14 %) auf Luxemburgisch (vgl. ebd.). 15 Zum anderen macht es für den Verkauf in Luxem‐ burg einen Unterschied, in welcher Sprache ein Buch verfasst ist. F. S.: „Huet d’Sprooch vun engem Buch och eppes mat sengem uschléissenden Verkaf ze dinn? Wou Der lo wierklech sot, déi do Sprooch verkeeft sech besser? “ Rob Kieffer: „Ah jo absolut. Bei engem Kachbuch hätte mer méi d’Tendenz et an däitscher Sprooch ze maachen, mee bei […] méi engem technesche Buch, zum Beispill doriwwer wéi een d’Steiererkläerung mécht oder iwwer Finanzen, géife mer et vil‐ läicht éischter op Franséisch maachen.“ 16 Die Akteure im Verlag wissen, dass Publikationen, wie zum Beispiel ein Leit‐ faden durch die luxemburgische Steuergesetzgebung, in der Sprache verfasst sein sollte, die bei Steuerangelegenheiten dominiert, damit die Anleitung für den Käufer brauchbar ist. Die Entscheidung für eine Sprache wird in Abgleich mit dem Wissen über das Leseverhalten der Zielgruppe getroffen. Auch im Bereich der Verlagstätigkeit wird demnach Mentalitätenwissen verlangt. Rob Kieffer: „Dat ass ëmmer bëssen aus dem Bauchgefill eraus. Mir hunn eis zum Beispill gefrot, ob mer dem Emile Haag säi Buch iwwer d’Geschicht vu Lëtzebuerg [Une réussite originale - Le Luxembourg au fil des siècles], ob mer där net méi hätte kënne verkafen, wa mer et lo net op Franséisch, mee op Däitsch gemaach hätten, wësse mer awer net.“ 17 Der vorherrschende Gebrauch des Deutschen und des Luxemburgischen hängt beim Luxemburger Krimi mit dem Genre („Regionalkrimi“) und dessen Ziel‐ gruppe zusammen. Luxemburgische Literatur wird bis heute hauptsächlich von der luxemburgischen Sprachgruppe gelesen und hat im Ausland, wenn dann nur in Deutschland begrenzten Erfolg. Das liegt auch an den Themen, die sie ver‐ arbeitet. X. Literatursprachen 328 <?page no="329"?> 18 F. S.: „Es sind ja zum einen Leute, die hier im Land [die luxemburgischen Bücher] kaufen, aber wenn wir jetzt mal rausgehen [aus dem Land], wo werden die Bücher größtenteils gekauft? Kann man jetzt sagen, dass eher die Deutschen oder die Franzosen sich für Lu‐ xemburger Autoren interessieren oder haben sie überall gleich viel Erfolg? “ Rob Kieffer: „Also im Ausland sind es doch mehr Leute in Deutschland, die unsere Bücher kaufen, als jetzt in Frankreich oder in Belgien.“ F. S.: „Und woran liegt das? “ Rob Kieffer: „Ich denke die Deutschen haben doch … wenn sie sich für Luxemburg interessieren, sind es die, die sich doch aber auch noch für die Geschichte des Landes interessieren oder auch ein wenig für die Hintergründe, die Franzosen und die Belgier dagegen weniger. Die kommen auch mal nach Luxemburg, aber die interessieren sich jetzt nicht so sehr für die luxemburgische Sprache, die luxemburgische Eigenart, die luxemburgische Ge‐ schichte und luxemburgische Kultur.“ 19 Georges Hausemer (01. 02. 1957 in Differdingen) ist ein freischaffender luxemburgischer Schriftsteller, der zudem als Übersetzer und Reisejournalist arbeitet. Er schreibt haupt‐ sächlich auf Deutsch (Schmit 2016b). F. S.: „A wa mer lo kucken, et si jo engersäits déi Leit, déi hei am Land [déi lëtzebuergesch Bicher] kafen, mee wa mer lo rausginn [aus dem Land], wou ginn déi Bicher gréisstendeels kaaft? Kann ee lo soen, dass déi Däitsch sech méi interesséieren fir d’Lëtzebuerger Au‐ teuren oder déi Franséisch oder hu se iwwerall gläich vill Succès? “ Rob Kieffer: „Also am Ausland sinn et lo awer méi Leit an Däitschland, déi lo eis Bicher kafen, wéi lo a Frankräich oder an der Belge.“ F. S.: „A wourunner läit dat? “ Rob Kieffer: „Ech mengen déi Däitsch hunn awer lo, wann se sech fir Lëtzebuerg interesséieren, sinn et déi, déi sech awer och mol nach fir d’Geschicht vum Land in‐ teresséieren oder och bëssen fir d’Hannergrënn, par konter d’Fransousen an d’Belge e bësse manner. Déi kommen och mol op Lëtzebuerg, mee déi interesséiere sech awer net sou fir lo d’lëtzebuergesch Sprooch, lëtzebuergesch Eegenaart, lëtzebuerger Ge‐ schicht, lëtzebuerger Kultur.“ 18 F. S.: „An d’Romaner lo, wa mer lo soen ee Georges Hausemer 19 schreift op Däitsch, […] [anerer] op Franséisch, hunn déi och Succès am Ausland? Wéi wäit geet dat? “ Rob Kieffer: „Ganz begrenzte Succès, well ech mengen de Problem [ass] e lëtzebu‐ erger Auteur, dee bréngt jo oft, dee beschreift seng Geschicht jo an engem lëtzebuerger Emfeld, wéi de Jhemp Hoscheid, deem seng Geschichte sech zu Esch ofspillen. An den Auslänner kann awer näischt mat Esch ufänken. Ech soen ëmmer, déi selwecht Ge‐ schicht zu Dublin oder zu San Francisco, dann ass d’international Opmierksamkeet, 1 Die Leser 329 <?page no="330"?> 20 F. S.: „Und die Romane jetzt? Wenn wir sagen, ein Georges Hausemer schreibt auf Deutsch, […] [andere] auf Französisch, wie ist es um deren Erfolg im Ausland bestellt? Wie weit geht das? “ Rob Kieffer: „Sie haben ganz begrenzten Erfolg, denn ich glaube das Problem [ist], ein Luxemburger Autor, der bringt ja oft, der beschreibt seine Geschichte ja in einem luxemburgischen Umfeld, wie Jhemp Hoscheid, dessen Geschichten sich in Esch abspielen. Und der Ausländer kann aber mit Esch nichts anfangen. Ich sage immer dieselbe Geschichte in Dublin oder in San Francisco, dann ist die internationale Auf‐ merksamkeit, das internationale Interesse schon viel größer, als wenn sie sich nun in Clerf oder in Esch oder hier in Bonneweg abspielt.“ 21 Robert Gollo Steffen: „Wir hatten ein Buch gemacht, […] das hieß Een Döerf […]. Was jetzt keiner weiß, das sage ich Dir dann, dass das Manuskript zuerst auf Deutsch war und den Titel trug „Ein Dorf “. Und ich habe gesagt: „Hör mal, also das wäre meiner Meinung nach aber besser … Es ist typisch Luxemburgisch. Komm wir machen es auf Luxemburgisch.“ Das heißt, es wurde dann sozusagen übertragen, soweit es möglich war.“ den internationalen Interêt scho vill méi grouss, wéi wann se sech zu Klierf oder zu Esch oder sech zu Bouneweg hei ofspillt.“ 20 Robert Gollo Steffen führt aus, dass ein Kennzeichen der regionalen Färbung unter anderem die Sprache des Buches sein kann. Robert Gollo Steffen: „[…] [M]ir hunn ee Buch gemeet gehat, […] dat heescht Een Döerf […]. Wat lo kee weess, dat soen ech Dir dann, dass d’Manuskript fir d’éischt op Däitsch war an dat hutt „Ein Dorf “ geheescht. An ech hu gesot gehat: „Lauschter mol, dat do wier menger Meenung no awer besser … T’ass typisch Lëtzebuergesch. Komm mir man et op Lëtzebuergesch.“ D.h. t’ass dunn, sou ze soen, iwwerdroe ginn, souwäit et méiglech war.“ 21 Wenn Sprache ‚regionale Nähe’ ausdrücken soll und das Publikum vor allem der luxemburgischen Sprachgruppe angehört, dann fällt die Wahl auf Luxembur‐ gisch oder auf das Deutsche als eng verwandte Sprache. Der ‚Luxemburger Krimi’ zeichnet sich darüberhinaus durch einen einfachen Sprachgebrauch aus, für den sich - ebenfalls mit Blick auf die Zielgruppe in Luxemburg - die deutsche und die luxemburgische Sprache eignen. Ein weiteres Genre, das ähnlich erfolgreich ist, wie der Krimi, sind Kinder‐ bücher auf Luxemburgisch. Seit den neunziger Jahren haben sich viele Debu‐ tautoren als Kinderbuchautoren und -übersetzer versucht. Péporté et al. (2010: 319) weisen darauf hin, dass „the market for children’s books largely exceeds that of adult literature.“ Die Verlage kommen damit der Nachfrage von Eltern ent‐ gegen. Geschichten werden Kleinkindern in ihrer Erstsprache vorgelesen. Hier besteht ein Bedarf an Geschichten auf Luxemburgisch, damit die Eltern nicht mehr länger übersetzen müssen. Auf dem luxemburgischen Kinderbuchmarkt X. Literatursprachen 330 <?page no="331"?> 22 F. S.: „Verschiedene Textsorten, wie beispielsweise Kinderbücher, werden ja größtenteils auf Luxemburgisch geschrieben? “ Rob Kieffer: „Die sind auf Luxemburgisch, denn sonst stehen wir in Konkurrenz zu deutschsprachigen und französischsprachigen Kinderbü‐ chern und dagegen kommen wir nicht an.“ F. S.: „Mit den Kinderbüchern läuft der Verkauf ja gut auf Luxemburgisch? “ Rob Kieffer: „Ja, da gibt es sogar Ausnahmen. Vorletztes Jahr haben wir jetzt den Grüffelo übersetzt. Da haben wir eine Lizenz gekauft, denn den gibt es ja auf Deutsch, auf Englisch und ich weiß nicht in wie vielen Sprachen noch weltweit und den haben wir dann einfach auf Luxemburgisch übersetzt und der hat relativ viel Erfolg. Obschon die Geschichte ja schon bekannt war im Ausland und be‐ stimmt auch Eltern dieses Buch schon vorher hatten.“ F. S.: „ … und die Geschichte ja auf Luxemburgisch hätten erzählen können.“ Rob Kieffer: „Da war der Mehrwert. Eltern, die ihren Kindern eine Geschichte erzählen, machen das ja, also die erzählen diese Ge‐ schichte ja dann auf Luxemburgisch. Wenn sie dann aber einen deutschen Text haben, müssen sie während des Erzählens übersetzen, so dass es für sie oft praktischer ist, wenn sie direkt den luxemburgischen Text haben.“ werden Publikationen auf Luxemburgisch gefragt, für deutsche oder französi‐ sche Kinderbücher von Luxemburger Autoren besteht zum einen wegen der von ihnen gewählten Sprache wenig Interesse und zum anderen können sie sich gegenüber ausländischen Neuerscheinungen kaum behaupten. F. S.: „Verschidden Textsorten, wéi lo Kannerbicher si jo op Lëtzebuergesch gréisstendeels? “ Rob Kieffer: „Déi sinn op Lëtzebuergesch, well soss sti mer a Konkurrenz mat däitschsproochegen a franséischsproochege Kannerbicher an do komme mer net do‐ géint un.“ F. S.: „Do leeft et jo gutt am Lëtzebuergeschen bei de Kannerbicher? “ Rob Kieffer: „Jo do ginn et souguer Ausnamen. Mir hate lo d’virlescht Joer de Grüffelo iwwersat. Do hu mer eng Lizenz kaaft, well dee gëtt et jo op Däitsch, op Englesch, ech weess net a wéi vill Sproochen weltwäit an deen hu mer einfach iwwersat op Lëtze‐ buergesch an deen hutt relative Succès. Obwuel d’Geschicht jo scho bekannt war am Ausland an bestëmmt Elteren dat Buch jo schonn haten.“ F. S.: „ … An et dann hätte kéinten op Lëtzebuergesch erzielen.“ Rob Kieffer: „Do war d’Plus-value dann, dass Elteren, déi hire Kanner eng Geschicht erzielen, maachen dat jo dann, déi erzielen dat jo dann op Lëtzebuergesch. Wa se dann awer een däitschen Text hunn, mussen se während dem Erzielen iwwersetzen, sou dass et oft fir si méi praktesch ass, se hunn direkt e lëtzebuergeschen Text.“ 22 Erst Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre entstanden in Luxemburg pro‐ fessionelle Literaturverlage (vgl. Hausemer 2008b: 14). Francis van Maele (Ver‐ lagshaus Phi) und Guy Binsfeld (Verlagshaus Éditions Guy Binsfeld) waren die ersten, die dem luxemburgischen Literaturmarkt zu einer Marketing- und Ver‐ triebsgrundlage verhalfen (vgl. ebd.). Beide Verlagshäuser nahmen mit der Zeit eine sprachliche Orientierung vor, die sie bis heute kennzeichnet: Éditions Phi 1 Die Leser 331 <?page no="332"?> 23 Rob Kieffer: „Ja also wir sind von der Geschichte her, von Haus aus, eher mehr deutschlastig, sogar luxemburgischlastig, als Französisch. Was die reine Literatur an‐ belangt, was Romane [anbelangt], da haben wir ganz viel auf Französisch. […] Wir haben jetzt rezent ein Buch herausgegeben von Henri Losch, das ist natürlich auf Lu‐ xemburgisch, von Georges Hausemer, das ist dann auf Deutsch. Das heißt, dass Deutsch und Luxemburgisch bei uns im Verlag im Bereich ‚Literatur’ noch häufiger verwendet werden als Französisch.“ 24 Jean Portante, 1950 in Differdingen geboren, wuchs dort als Sohn italienischer Ein‐ wanderer auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Esch / Alzette studierte er Roma‐ nistik in Nancy und war zunächst Sekundarschullehrer. 1983 ließ er sich als freier Schriftsteller in Paris nieder und lebt seither abwechselnd dort und in Luxemburg. Er ist heute als Schriftsteller, Übersetzer, Herausgeber, Journalist, Sprachlehrer am Centre de langues und im Verlagswesen tätig (vgl. Marson 2015b). 25 F. S.: „Und Sie haben gesagt ‚von der Geschichte her’, ist es denn wirklich so, dass jetzt der eine Verlag eher auf die Sprachen [ausgerichtet ist und der andere auf die] …? “ Rob Kieffer: „Ja absolut. Wenn ich mir jetzt die Editions Phi ansehe, also den Verlag vom Tageblatt, die geben mehr französischsprachige Sachen heraus, weil die nun mal auch Autoren haben, die mehr Französisch schreiben, Jean Portante und wie sie alle heißen.“ gilt als ein Verlag der französischsprachige Literatur veröffentlicht, Éditions Guy Binsfeld dagegen als Verlagshaus, das sich mehr auf den Vertrieb von Werken in deutscher und luxemburgischer Sprache spezialisiert hat. Autoren orientieren sich an den Sprachtraditionen der Verlagshäuser, wenn sie nach einem Verleger für ihr Manuskript suchen. Rob Kieffer: „Jo also mir sinn aus der Geschicht vum Haus éischter méi däitschlasteg, souguer lëtzebuergeschlasteg wéi franséischlasteg. Wat reng Literatur ubelaangt, wat Romaner [ubelaangt], do hu mer net ganz vill op Franséisch, dat ass awer, bon mir hu lo rezent ee Buch erausginn, Henri Losch, dat ass natierlech op Lëtzebuergesch. Mir hunn de Jhemp Hoscheid, dat ass op Lëtzebuergesch, de Goerges Hausemer, dat ass op Däitsch. D. h. Däitsch a Lëtzebuergesch ass awer am Beräich ‚Literatur’ bei eis nach méi heefeg, wéi elo Franséisch.“ 23 F. S.: „An Dir sot ‚aus der Geschicht eraus’, ass dat wierklech sou, dass lo deen ee Verlag méi fir déi Sprooche …? “ Rob Kieffer: „Jo absolut. Wann ech elo Editions Phi kucken, also dee Verlag vum Tageblatt, déi gi méi franséischsproocheg Saachen eraus, well déi halt Auteuren hunn, déi méi Franséisch schreiwen, Jean Portante 24 a wéi se all heeschen.“ 25 X. Literatursprachen 332 <?page no="333"?> 26 Der Verlag Op der Lay wurde 1993 von Renée Weber und Robert Gollo Steffen als Ver‐ lagsgesellschaft gegründet, die ersten Bücher des Verlags wurden aber bereits 1987 veröffentlicht. Partner im Verlag sind seit 2004 auch Doris und Jean-Marc Bintner. Bis heute ist das Verlagshaus ein Nebenberuf, der sich finanziell nicht von alleine trägt. Robert Gollo Steffen arbeitet hauptberuflich als Deutschlehrer, zurzeit im Lycée clas‐ sique de Diekirch (Op der Lay 2016). 27 F. S.: „Kommen wir jetzt zum Verlag „Op der Lay“. Kann man da eine Aussage darüber treffen, in welcher Sprache die meisten Autoren schreiben? “ Robert Gollo Steffen: „Das Ganze ist in dem Sinne verschieden, weil die Leute, die Leser oder die Autoren ja sehen, der publiziert wenig auf Französisch. Ich bin wirklich in der französischen Literatur nicht so beheimatet wie jetzt in der deutschen oder in der luxemburgischen. Das heißt, ich frage in den Fällen dann zum Beispiel meine Partnerin in der Verlagsgesellschaft, die ein wenig mehr Französisch orientiert ist, was sie davon hält. Gut, wir haben ein paar Krimis auf Französisch. Das ist dann eh ein etwas einfacher strukturiertes Fran‐ zösisch. […] Aber sonst gibt es bei mir sowieso eine Vorliebe für Deutsch oder die luxemburgischen Sachen. […] Also die Mehrheit der Manuskripte, die mich erreichen, ist, sagen wir mal, Deutsch und dann Luxemburgisch und dann Französisch, also die Reihenfolge und in der Reihenfolge sind auch die Absagen. Wobei du immer sagen kannst, dass im Luxemburgischen theoretisch die besten Chancen bestehen, eben aus dem Grund, weil ich auch der Meinung bin, dass wir uns da mitten in der Entwicklung befinden. Ich habe keinen Zugang zum deutschen Markt. Wir haben zwar einen On‐ lineshop, d. h. da sehe ich, dass da jetzt auch Bücher bestellt werden …“ Wie Editions Guy Binsfeld hat auch Op der Lay 26 , der Verlag von Robert Gollo Steffen, eine sprachliche Ausrichtung. Autoren, die ihr Manuskript hier einrei‐ chen, und sich ein wenig mit der Verlagsgeschichte vertraut machen, wissen dass Robert Gollo Steffen als Deutschlehrer arbeitet und eine Vorliebe für die deutsche Sprache hegt. F. S.: „Komme mer mol zum Verlag ‚Op der Ley’. Kann een do feststellen a wéi enger Sprooch déi meescht [Auteuren] schreiwen? “ Robert Gollo Steffen: „Dat Ganzt ass an deem Sënn ënnerschiddlech, well d’Leit, d’Lieser oder d’Auteuren gesinn, deen do publizéiert wéineg Franséisch. Ech si wier‐ klech an der franséischer Literatur net sou doheem wéi an där däitscher oder an der lëtzebuergescher. D.h. do froen ech dann zum Beispill mäi Partenaire do an der So‐ cietéit, dat ass bësse méi Franséisch, wat häls de dovunner. Bon, mir hunn da puer Krimien op Franséisch. Dat ass dann wisou ëmmer bësse méi einfacht Franséisch […]. Mee soss ass bei mir wisou eng Virléift fir Däitsch oder fir déi lëtzebuergesch Dénger. […] Also d’Mehrheet vun de Manuskripter, déi ech erakréien, ass, losse mer soen, Däitsch an da Lëtzebuergesch an da Franséisch. Also déi Reihefolleg, an och an där Reihefolleg sinn d’Ofsoen. Woubäi s de ëmmer kanns soen, am Lëtzebuergeschen be‐ stinn eigentlech theoretescherweis déi gréisste Chancen, ebe just well ech och der Meenung sinn, do si mer an der Entwécklung. Ech hu keen däitsche Marché. Mir hunn zwar een Onlineshop, d. h. do gesinn ech, dass lo nawell Bicher bestallt ginn …“ 27 1 Die Leser 333 <?page no="334"?> 28 Im Roman Schacko Klak verarbeitete Manderscheid seine Kindheitserlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Das Buch schrieb er auf Luxemburgisch. Den Aufbruch in die lite‐ rarische Öffentlichkeit vollzog Roger Manderscheid (01. 03. 1933 in Itzig - 01. 06. 2010) mit Texten, in denen er sich kritisch mit den Luxemburger Verhältnissen auseinander‐ setzte, die er als konservativ, als einengend und unterdrückend empfand. In den 1980er Jahren wandte sich Roger Manderscheid dem Luxemburgischen als Literatursprache zu (Goetzinger 2015). 2 Die Schreiber „ende der bescheidenheit, einigkeit der einzel‐ gänger, formulierung unseres aktuellen selbst‐ verständnisses als luxemburger autoren lu‐ xemburger, deutscher oder französischer sprache“ (Roger Manderscheid, Leerläufe [1978]) Éditions Phi und Éditions Guy Binsfeld entstanden zu einer Zeit als eine neue Generation von Schriftstellern, darunter Roger Manderscheid und Guy Re‐ wenig, die Literaturszene revolutionierte (vgl. ebd.). Roger Manderscheid wagte 1973 mit seiner Erzählung ‚Die Dromedare’ den Vorstoß in zeitgenössische Themen und literarische Genres. (vgl. LL9-10: 19. 01. 1990). Robert Gollo Steffen studierte bei Erscheinen der Dromedare Germanistik und Romanistik in Trier. Im Expertengespräch beschrieb er den Einfluss, den Manderscheids Werk sei‐ nerzeit auf ihn ausübte: Robert Gollo Steffen: „Also ech hat jo deemools … de Roger Manderscheid war ee ganz gudde Frënd vu mir an ech hu meng Thes iwwert de Roger Manderscheid ge‐ schriwwen. An dee Kultroman deemools fir mech, dat war „Die Dromedare“. Dat war, wou s de sees: Wow dat ass eemol […] zu Lëtzebuerg eng ganz aner Approche, och stilistesch, inhaltlech asw., satiresch, wierklech flott. An du war ech jo eigentlech enttäuscht, wéi de Schacko Klak 28 koum. Ok, dat ass haut ee Klassiker, mee ech hat deemools zum Manderscheid gesot, vis-à-vis vun den ‚Dromedare’ ass et laang net sou aggressiv, net sou bësseg asw. an du sot de Rog mir einfach deemools: „Am Lëtzebu‐ ergeschen fänke mer réischt un, modern ze schreiwen.“ D. h. do muss eng Evolutioun kommen an déi gesinn ech awer mëttlerweil. […] Si hunn deemools ugefaang, heen an de Rewenig, mat moderner Literatur […]. Virun allem waren et mol Romaner a grouss Romaner, déi jo soss kee ronn krut, deemools. Soss waren et jo nëmme sou kleng Gedichtercher, sou Geleeënheetsgedichter ‚Wéi schéin bléit de Gënz am Éislek’ asw. oder ‚Wéi schéin ass et laanscht d’Musel’. Dat ass déi Heimattümmelei. Si sinn déi jo mol bësse méi kritesch ugaangen. D’Form war och scho méi modern an sou. De Stil X. Literatursprachen 334 <?page no="335"?> 29 Nachdem Roland Meyer (09. 02. 1963 Luxemburg) die Schule nach der zehnten Klasse abgebrochen hatte, war er drei Jahre lang berufstätig, bevor er das Abitur machte und das Institut d'études et de recherches pédagogiques besuchte. Ab 1990 und bis 2008 war er Grundschullehrer, zuletzt unterrichtete er in der Grundschule in Hosingen. Seit 2008 leitet er die Theaterschule, ein Projekt des Bildungsministeriums, das die pädagogische Theaterarbeit in den Bereichen Theater, Zirkus und Tanz an den luxemburgischen Grundschulen entwickeln soll. Roland Meyers Schreiben ist von seinem Beruf geprägt. Er schreibt Jugendbücher in luxemburgischer und deutscher Sprache. Muedebëtzeg [Dt.: wurmstichig, verfault] ist sein erster Erwachsenenroman (vgl. Conter 2016b). 30 „Also ich hatte ja damals … Roger Manderscheid war ein ganz guter Freund von mir und ich habe meine Abschlussarbeit an der Universität über Roger Manderscheid ge‐ schrieben. Die Dromedare, das war für mich damals der Kultroman schlechthin. Das war etwas, wo man sagen konnte: „Wow, das ist mal […] in Luxemburg eine ganz andere Herangehensweise, auch stilistisch, inhaltlich usw. satirisch, wirklich schön. Und dann war ich ja eigentlich enttäuscht als der Schacko Klak kam. Ok, das ist heute ein Klassiker. Aber ich habe damals zu Manderscheid gesagt, verglichen mit den Dromedaren ist es bei weitem nicht so aggressiv, nicht so bissig usw. und da entgegnete mir Roger: „Im Luxemburgischen fangen wir erst an modern zu schreiben.“ Das bedeutete, dass da eine Entwicklung kommen musste und die sehe ich doch mittlerweile. […] Sie haben damals angefangen, er und Rewenig mit moderner Literatur […]. Es waren vor allem mal Ro‐ mane und zwar umfangreiche Romane, die ja sonst damals niemand ‚rund bekam’. Sonst waren es ja immer nur so kleine Gedichtchen, so Gelegenheitsgedichte „Wie schön blüht der Ginster im Ösling“ usw. oder „Wie schön ist es entlang der Mosel“. Das ist diese Hei‐ mattümelei. Sie sind die ja mal ein wenig kritischer angegangen. Die Form war auch schon moderner und so, der Stil wurde moderner. Das war ja schon ein Fortschritt. Ich sehe aber heute auch, wenn ich jetzt zum Beispiel den Muedebëtzeg von Roland Meyer nehme […], da merkst du: Ja das ist ein Roman von 2011 / 2012. Und komischerweise hat der auch Erfolg.“ 31 Josy Braun (14. 01. 1938 in Luxemburg - 03. 08. 2012) arbeitete ab 1973 (-1991) als Jour‐ nalist beim Tageblatt und begann in dieser Zeit auch als Schriftsteller zu schreiben. Neben dieser Tätigkeit beschäftigte er sich intensiv mit der luxemburgischen Sprache. Er war Mitglied des Conseil permanent de la langue luxembourgeoise und des Institut Grand-ducal, Section des arts et des lettres. Für seine Verdienste um die luxemburgische Sprache wurde er 1998 von der Actioun Lëtzebuergesch ausgezeichnet (Conter 2015a). 32 Nico Helminger (01. 07. 1953 in Differdingen) ist der ältere Bruder von Guy Helminger, ebenfalls Autor. Nach dem Abitur 1972 studierte er Germanistik, Romanistik und The‐ aterwissenschaft in Luxemburg, Saarbrücken, Wien und Berlin. 1980 zog es ihn nach Paris, wo er zunächst als Zeitungsverkäufer jobbte und danach als Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte arbeitete. 1984 ging er nach München, wo er als freier Autor lebte, Heidelberg und Paris waren weitere Stationen. 1999 kehrte er nach Luxemburg zurück, um als freier Schriftsteller in Esch / Alzette zu leben (vgl. Conter 2016c). ass méi modern ginn. Dat war jo schonn ee Fortschrëtt. Ech gesinn haut awer och, wann ech lo zum Beispill dem Roland Meyer 29 säi Muedebëtzeg huelen […], wou s de mierks: Jo t’ass ee Roman vun 2011 / 2012. A komescherweis hutt en och de Succès.“ 30 Roger Manderscheid, Guy Rewenig, Josy Braun 31 und Nico Helminger 32 ge‐ hörten zu den großen Avantgardisten dieser Zeit, da sie sich konsequent jeder 2 Die Schreiber 335 <?page no="336"?> 33 In den neunziger Jahren kam es zu weiteren Verlagsgründungen, darunter Op der Lay, Éditions Schortgen, Éditions Saint-Paul und Éditions Le Phare. Art von ‚sentimentaler Heimattümelei’ widersetzten, die die luxemburgische Literatur bis Mitte des 20. Jahrhunderts kennzeichnete (vgl. Hausemer 1984: 40). Die Auseinandersetzung mit dem Minderwertigkeitskomplex begann, der gegenüber ausländischen Autoren empfunden wurde. Roger Manderscheid er‐ innert sich in seinem Essay der aufstand der luxemburger allliteraten an die Zeit: was soll, was kann literatur? wie soll literatur, die in luxemburg entsteht, beschaffen sein? müssen wir nicht versuchen mit unserem schreibstil, mit unserer thematik ans ausland anzuknüpfen? um zu vermeiden, dass uns dasselbe passiert wie unseren vor‐ fahren, die grundsätzlich immer eine generation zu spät mit den themen auftauchten, die im ausland schon wieder aus der mode waren. also, keine luxemburgischen vor‐ bilder. (die es nicht, oder kaum gab! ) anschluss finden ans literarische ausland! warum sollte eine literatur luxemburgischer provenienz in deutschland z. B. anders zur kenntnis genommen werden als eine solche österreichischer oder schweizer prove‐ nienz? […] wie ist unser verhältnis zur deutschen sprache? ist deutsch für uns eine fremdsprache? wie stehen sich deutsch und dialekt gegenüber? mit der deutschen sprache haben wir grössere möglichkeiten. stimmt das? anfang der sechziger jahre schien es zu stimmen. damals schauten wir alle, als schreiber, wenn wir ehrlich sind, so wie es uns von unserem umfeld beigebracht und immer wieder repetiert wurde, auf die luxemburgische sprache herab: es war eben nur ein unbedeutender dialekt, der literarisch wenig tauglich war und, ohne verbindliche schreibregeln, kaum gelesen wurde. in unserem verhältnis zur sprache, die wir täglich reden, trat nach 1968 langsam eine veränderung ein: wir verachteten uns nicht länger als winzlinge, und unsere sprache nicht länger als hässlich. als dieselbe 1984 per gesetz zur national‐ sprache erhoben wurde, war sie längst in unseren köpfen rehabilitiert und auch die neufixierte ortografie konnte nur mehr den ultimativen kick liefern, der die schleusen öffnete. es begann anfang der achtziger jahre eine der ergiebigsten perioden der lite‐ raturproduktion in luxemburger sprache, die bis heute andauert (Manderscheid 2003: 22 f.). Die Schriftsteller nahmen die Veränderungen wahr, die im Vorfeld des Spra‐ chengesetzes, vonstatten gingen. 1986 wurde der Lëtzebuerger Schrëftsteller-Ver‐ band (LSV) gegründet und vertrat fortan die Interessen luxemburgischer Schrift‐ steller (LL9-10: 19. 01. 1990). Nationale Literaturpreise wurden initiiert und Fördermaßnahmen für Literaturschaffende entwickelt (vgl. ebd.). 33 In Zeiten des europäischen Einigungsprozesses verbreitete sich europaweit eine Vorliebe für Dialekte, ein Rückbezug auf sich selbst. Man wollte Sprache als Zeitdokument X. Literatursprachen 336 <?page no="337"?> 34 Die 150-jährige Unabhängigkeit Luxemburgs. 35 Rolph Ketter (01. 08. 1938 Düdelingen-10. 09. 2008 Esch / Alzette) studierte Germanistik, Journalismus, Kunstgeschichte, Soziologie und Geschichte in München und Paris. In Paris arbeitete er sechs Jahre als freischaffender Journalist. Nach seiner Rückkehr nach Luxemburg war er bis 1970 beim Magazin Revue tätig und bis 1978 bei RTL . Anschlie‐ ßend arbeitete er als Aushilfslehrer und bei einer Werbeagentur, ab 1980 war er dann Lektor und Redakteur bei Éditions Guy Binsfeld. Seit 1985 lebt Rolph Ketter als freier Schriftsteller in Luxemburg (vgl. Conter 2015b). konservieren und, durch den Gebrauch des Dialekts in der Literatur, der Ge‐ sellschaft den Spiegel vorhalten (vgl. Péporté et al. 2010: 318). Ende der achtziger Jahre veröffentlicht das Luxemburger Land das Dossier ‚Schreiben in Luxemburg. Skizze zum Problem der literarischen Dreisprachigkeit’. Darin wird folgende Bi‐ lanz gezogen: Und nicht zuletzt eine Reihe von Autoren der Gegenwart. Sie haben von der gross‐ omodo mit der Stahlkrise 1974 einsetzenden patriotischen Welle - Sprachpropaganda der 1972 gegründeten Actioun Lëtzebuergesch, Orthografiereglement 1975, National‐ sprache-Gesetz 1984, Vorbereitungen zur 150-Jahrfeier 1989 34 - profitiert, in einer Zeit relativ günstigen Publikumszuspruchs, um engagierte, kritische und luxemburgkriti‐ sche Literatur auf Lëtzebuergesch zu schreiben (LL1-7: 25. 11. 1988). 2003 erinnern sich die Schriftsteller Nico Helminger und Rolph Ketter 35 im In‐ terview mit dem Tageblatt an diese Umbruchstimmung: Nico Helminger: 1970 gab es den großen Schülerstreik. Ich war damals Schüler im Lycée, hatte meine ersten Theaterstücke geschrieben, mehr oder weniger auf mich allein gestellt, und es war schon so, dass eine aufgeheizte politisierte Atmosphäre den gesellschaftlichen Wandel begleitete. 74 war ja dann auch die CSV zum ersten Mal nicht mehr in der Regierung. Rolph Ketter: Es war eine Art Sich-Loslassen von klerikaler Bevormundung, eine Entwicklung auf etwas Unbestimmtes hin - mit einem großen Gefühl der Befreiung verbunden. Alle die schrieben, waren ja eigentlich dem linken Spektrum zuzurechnen. […] (Tagebl: 22. 04. 2003). Mitte der achtziger Jahre stellte sich Guy Rewenig der Herausforderung und schrieb mit Hannert dem Atlantik [dt. Hinter dem Atlantik] (1984) den ersten Roman auf Lëtzebuergesch. Sein Weggefährte Roger Manderscheid avancierte drei Jahre später mit Schacko Klak zum zeitgenössischen luxemburgischen Na‐ tionalschriftsteller (vgl. Péporté et al. 2010: 318). 2 Die Schreiber 337 <?page no="338"?> 36 Fernand Barnich (22. 10. 1939-29. 10. 2010 in Rümelingen) arbeitete nach dem Germa‐ nistik- und Philosophiestudium als Deutsch- und Englischlehrer. Die Geschichte der Stahlindustrie in der Minetteregion ist in seinem Werk äußerst präsent. Ab 1972 wandte er sich als Autor und Regisseur dem Theater zu, ab den 1980er Jahren machte er Pro‐ duktionen fürs Fernsehen (Sahl 2015). 37 Pol Greischs (08. 04. 1930 in Walferdingen) Leben ist eng mit dem Theater verbunden. Zusammen mit seiner Schauspielerkollegin und späteren Ehefrau Juliette François trat er erstmals 1955 im Stück Den Här an d'Madame Tullepant auf, um fortan bei vielen wichtigen Luxemburger Theaterproduktionen mitzuwirken. Seit den sechziger Jahren ist er als Schriftsteller aktiv. Greisch ist Mitglied des LSV und der Section des arts et des lettres des Institut grand-ducal (vgl. Goetzinger 2016). 38 Der Autor Pierre Decock ist gebürtiger Belgier (19. 08. 1959 in Haîne-Saint-Paul). 2003 nimmt er die luxemburgische Staatsangehörigkeit an. Seine Publikationen erscheinen beim Verlag Guy Binsfeld (vgl. Seil 2015). Dass das Lëtzebuergesche als Literatursprache für alle literarischen Gattungen brauchbar sei, daran ist lange - aus historisch jeweils verständlichen Gründen - ge‐ zweifelt worden […] Autoren wie Barnich 36 und Greisch 37 , Rewenig und Manderscheid haben bewiesen, dass im Lëtzebuergeschen - wenn wirkliche Schriftsteller es brau‐ chen - mehr Sprachkraft, mehr imaginative und formale Möglichkeiten stecken als lange Zeit angenommen worden ist. Höhepunkt dieser letzten 15 Jahre ist sicher die Entdeckung des Romans als großer Gattung. Guy Rewenig (Hannert dem Atlantik, 1985, Gemëschte Chouer, 1987) und Roger Manderscheid (Schacko Klack, 1988) haben damit den Beweis erbracht, dass das Lëtzebuergesch zu breit erzählender Prosa taug‐ lich ist (LL1-7: 25. 11. 1988). Durch beide Schriftsteller wurde das Luxemburgische zu einer Literatursprache. Roger Manderscheid: [D]as machte mir ungeheuer viel Spaß, die Luxemburger Sprache sozusagen in einem Nebenraum für mich zu entdecken. Gleichzeitig habe ich damals die Luxemburger Sprache für minderwertig gehalten, weil wir das im Kolléisch so vermittelt bekamen. Die Luxemburger Sprache war immer ein Hinterwäldler-Di‐ alekt und erst als man Dialektdichtung in Wien und Deutschland salonfähig zu ma‐ chen begann, änderte sich auch hier die Einstellung. (Tagebl: 22. 04. 2003) Heute ist auf dem literarischen Feld im Grunde keine Sprachwahl mehr unge‐ wöhnlich. Die luxemburgische Literatur ist wie die Gesellschaft mehrsprachig. F. S.: „Ass déi Klassifikatioun lëtzebuergeschen Auteur an däitscher Sprooch, oder lëtze‐ buergesche Schrëftsteller a franséischer Sprooch nach ëmmer sënnvoll? Aktuell? Muss dat nach ëmmer gesot ginn? “ Rob Kieffer: „Nee, also mir - ech si jo och am Comité vum Editeursverband - mir schwätzen tous coups vu lëtzebuergeschen Auteuren. Ob dat lo een Här Decock 38 ass, deen ass Fransous, schreift op Franséisch … also alles, wat zu Lëtzebuerg entsteet, X. Literatursprachen 338 <?page no="339"?> 39 F. S.: „Ist diese Klassifizierung ‚Luxemburger Autor in deutscher Sprache’ oder ‚Luxem‐ burger Schriftsteller in französischer Sprache’ noch immer sinnvoll? Aktuell? Muss das noch immer gesagt werden? “ Rob Kieffer: „Nein, also wir - ich bin ja im Vorstand des Buchverlegerverbandes [=Lëtzebuerger Bicherediteuren] - wir sprechen in allen Fällen von Luxemburger Autoren. Ob das jetzt ein Herr Decock ist, der Franzose ist, auf Fran‐ zösisch schreibt … also alles, was in Luxemburg entsteht, unabhängig von der Natio‐ nalität, die der Autor hat und unabhängig davon, in welcher Sprache er schreibt, be‐ zeichnen wir jetzt als Luxemburger Autor.“ 40 Guy Helminger (20. 01. 1963 in Esch / Alzette) ist der jüngere Bruder von Nico Hel‐ minger. Er studierte Germanistik und Philosophie in Luxemburg, Heidelberg und Köln. Anschließend arbeitete er bis 1990 als Schauspieler beim Georg-Büchner-Ensemble in Köln. Er war Regieassistent beim Fernsehen und arbeitete zeitweise als Barkeeper und 3D-Grafiker. Guy Helminger ist seit 1985 Mitglied des Luxemburger Schriftstellerver‐ bandes, des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS) sowie seit 2007 des PEN-Zentrums Deutschland. Er lebt als freier Schriftsteller in Köln. Von Januar 2010 bis Juli 2012 moderierte Guy Helminger die Sendung Kultur für den Fernseher RTL Télé Lëtzebuerg, seit November 2012 moderiert er die Luxemburger Krimisendung DNA. Guy Helminger schreibt Gedichte, Theaterstücke, Hörspiele, Drehbücher und Romane in deutscher Sprache (vgl. Conter 2016a). 41 Zu diesem Rundtischgespräch hatte der Verband der Luxemburger Verleger (Lëtzebu‐ erger Bicherediteuren a. s. b. l.) auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2007 einge‐ laden. onofhängeg dovun wat fir eng Nationalitéit den Auteur hutt an onofhängeg dovun a wat fir enger Sprooch e schreift, bezeechnen mir lo mol als lëtzebuerger Auteur.“ 39 Es gibt Luxemburger Autoren, die sich auf eine Schreibsprache festlegen und andere die in mehreren Sprachen schreiben, in einer Publikation mehrere Spra‐ chen verwenden und / oder von Werk zu Werk entscheiden, welche Sprache sich für die gewählte Thematik eignet. Der luxemburgische Autor Guy Helminger 40 äußerte sich während eines Rundtischgesprächs zum Thema ‚An der Kreuzung von Sprachen und Kulturen: Schreiben und Verlegen in Luxemburg’ wie folgt: 41 „„Ich kann nur Deutsch“, scherzte [er] und erklärte, dass Autoren Affinitäten zu der einen oder anderen Sprache entwickeln“ (LW17: 12. 10. 2007). Roger Manderscheids Roman Schacko Klak ist das bekannteste Beispiel eines Romans, bei dem ein Luxemburger Autor während des Schreibens feststellte, dass seine Sprachwahl für das spezifische Projekt, dem er sich zugewandt hatte, die falsche war. Manderscheid hatte bis 1988 vornehmlich auf Deutsch publiziert (vgl. Honnef-Becker 2013: 152). Im Interview mit dem Tageblatt erinnert er sich 2 Die Schreiber 339 <?page no="340"?> 42 Aus einer geplanten Geschichte wurden drei umfangreiche Romane in luxemburgischer Sprache, die auf den Erinnerungen des Autors aus den 1930er bis 1950er Jahren basieren: Schacko Klak: Biller aus der Kandheet (1935-1945), De Papagei um Käschtebam. Zeenen aus der Nokrichszäit (1991) und Feier a Flam. Geschichten äus de fofzeger Joeren (1995). 43 Erst 1997 erscheint die deutsche Übersetzung Tschako Klack. Bilder einer luxemburgi‐ schen Kindheit (1935-1945) beim Gollenstein Verlag. Georges Hausemer hat den Roman zusammen mit Manderscheid übersetzt. daran, wie er nach 200 Seiten auf Deutsch ins Stocken geriet, aufhörte und noch einmal von vorne auf Lëtzebuergesch begann: 42 „schacko klak“ war als eine Geschichte über alte Leute in Binsfelds Almanach vorge‐ sehen. So begann ich auf Deutsch aus der Distanz über meinen Großvater zu schreiben - ein Stoff, der später in drei Romanen auf Luxemburgisch abgehandelt wurde. Bald aber wurde mir bewusst, dass daraus eine längere Erzählung werden würde, und bei Seite 200 dachte ich mir „Nee, das kannst du unmöglich auf Deutsch schreiben“. Da hörte ich nämlich schon die schwarzen Stiefel durch die Seiten auf mich zumarschieren, und so fing ich mit dem Luxemburgischen an und entdeckte eigentlich die Sprache für mich … Ein weites Feld (Tagebl: 22. 04. 2003). Schacko Klak behandelt den Alltag in Luxemburg während des Zweiten Welt‐ krieges. Mit der Romanfigur Chrëscht Knapp, Sohn eines Schreinermeisters aus Itzig, verarbeitet der 1933 geborene Manderscheid seine Kindheitserinnerungen während des Krieges. Die deutsche Sprache, die der Autor jahrelang als Ar‐ beitsinstrument benutzt hatte, rückte in diesem Buch in die Distanz. 2007 erklärt er im Luxemburger Wort: „Man kann nicht leichtfertig über eine so sensible Zeit in Luxemburg auf Deutsch schreiben” (vgl. LW16: 07. 12. 2007). Als Schacko Klak 1988 erschien, war das Buch zweisprachig wie Manderscheid später ausführt: 43 Es geht eine Struktur durch das ganze Schreiben. Ich habe auf Deutsch angefangen und bin ins Stocken geraten, weil mir auf einmal klar wurde, dass ich in derselben Sprache der Unterdrücker eine Situation beschrieben habe, die im Grunde genommen von meiner Sprache, vom Lëtzebuergeschen, her ganz antagonistisch war. Im Grunde genommen habe ich in der Sprache der Täter geschrieben und ich war ein Opfer (vgl. Kramer 2004: 36). Im Buch nutzt Manderscheid die deutsche Sprache als Sinnbild dessen, was sie während der Besatzung gewesen ist: Unterdrückung und Fremdherrschaft. Lu‐ xemburgisch war die Muttersprache, in der er als Kind versuchte, die Dinge um sich herum zu verstehen, in der er spielte und aufwuchs. Auf Luxemburgisch war ihm das Erlebte auf einmal wieder nah: X. Literatursprachen 340 <?page no="341"?> 44 S. a. Kap. VIII. Und als ich mich entschlossen hatte, aus der Froschperspektive, also aus der Opfer‐ perspektive mit meinem kleinen Lëtzebuergeschen zu schreiben, da sind auf einmal Dämme aufgebrochen, und diese ganze Zeit ist lebendiger geworden. (vgl. ebd.). Im ersten Teil des Romans ist der Krieg im Alltag noch nicht spürbar. Es wird deutlich wie präsent, die deutsche Sprache im Alltag der Luxemburger in den späten dreißiger Jahren ist (in Briefen, Reden, Schulaufsätzen, der Beichte …) (vgl. Honnef-Becker 2013: 153). Im zweiten Teil des Schacko Klak zerbricht diese Nähe zur deutsche Sprache. Deutsch wird fremd, es wird die Sprache der Ver‐ ordnungen, Anordnungen, der Vollstreckung von Todesurteilen (vgl. ebd. 153 f.). Jahre später erklärt Manderscheid, dass die deutsche Sprache seiner Mei‐ nung nach für Luxemburger eine Fremdsprache sei: „Es existiert eine tiefe Kluft zwischen dem Deutschen und dem Lëtzebuergeschen […]. Nach meinen drei Romanen in zehn Jahren ist mir aufgegangen, dass das Deutsche für uns eine Fremdsprache ist - was nicht negativ sein muss“, so Manderscheid im Dezember 2007 (LW16: 07. 12. 2007). Als Georges Hausemer 1984 versuchte das Verhältnis luxemburgischer Autoren, die auf Deutsch schreiben, zu der von ihnen gewählten Ausdruckssprache zu erklären, wählte er die Begriffe „Stiefvaterland“ und „Stiefmuttersprache“ (vgl. Hausemer 1984: 38 f.). Er beschreibt die Wahl der deutschen Sprache als nahezu familiäre Bindung, die eine Nähe und Vertrautheit auszeichnet, jedoch mit einem gewissen Widerwillen akzeptiert und gelebt wird. 44 Deutschland ist für ihn ein Stiefvaterland, dem er sich gezwungenermaßen nähern musste, weil Luxemburg und die luxemburgische Sprache ihm nicht alles bieten konnten und können, um sich als Autor auszudrücken. Wollen Sie nämlich einen deutschschreibenden Autor aus Luxemburg beleidigen, so behaupten Sie ganz einfach, er sei ein deutscher und nicht ein deutschsprachiger Schriftsteller. Was das Verhältnis unserer romanischen Schreiber zu ihrem Stiefva‐ terland kennzeichnet, erlaube ich mir hier nicht zu beurteilen, doch dürfte es in dieser Relation ausgeglichener zugehen und weniger Animositäten geben (ebd.: 40 f.). Die meisten Schriftsteller, die in Luxemburg zu schreiben beginnen, tun dies zunächst in einer Zweitsprache. Nico Helminger erklärte das Verhältnis zu seinen verschiedenen ‚Schreibsprachen’ einmal wie folgt: Ich hatte nie ein Problem damit. Ich habe wie gesagt im Lycée angefangen, mit meinen luxemburgischen Stücken, sehr nahe an der erlebten Realität, post-68-er-Aktionismus 2 Die Schreiber 341 <?page no="342"?> und so. Nebenbei schrieb ich Gedichte auf Deutsch. Das Französische kam nie in Frage (obwohl ich später in Paris gelebt habe), einfach weil meine Professoren so grotten‐ schlecht waren, dass - ganz banal, konkret ist das gewesen! - ich zuerst gar nicht wusste, dass es so etwas wie französische Literatur überhaupt gab. Später kam dann aber doch der Einfluss des Französischen mit rein (Tagebl: 22. 04. 2003). Guy Helminger äußert sich 2007 im Luxemburger Wort zu seiner Sprachwahl: Guy Helminger kann keinen Unterschied erkennen zwischen deutschen Schriftstel‐ lern und solchen aus Luxemburg, „sofern diese wirklich im Deutschen fit sind“. Im neuesten Roman „Morgen ist schon“ setzt er seiner Wahlheimat Köln ein facettenrei‐ ches Denkmal, bietet bewusst eine Alternative an zum notorisch von Kritikern ge‐ forderten „Berlinroman“. Er hat sich nicht für das Deutsche entschieden, weil er es faszinierender findet als andere Sprachen, sondern weil es deutschsprachige Autoren waren, die ihn als erste begeisterten (LW16: 07. 12. 2007). Der Luxemburger Autor Jean Portante schreibt ausschließlich auf Französisch: Dass er sich schließlich für das Französische als „Arbeitsinstrument“ entschieden hat, vergleicht er mit der kontinuierlichen „Eroberung eines Kontinents“. Und „um das Ziel dieser Eroberung nicht aus den Augen zu verlieren, habe ich die anderen Sprachen ausgeklammert.“ Das Wechseln zwischen den Sprachen erlebt er als einen evolutio‐ nären Prozess. Und obwohl er permanent zwischen Luxemburg und Paris pendelt, konzediert er, niemals wie ein Franzose im Französischen heimisch zu werden. In dieser Heimatlosigkeit sieht er durchaus eine Bereicherung. „Der Blick von außen zeigt wesentlich mehr als der Blick von innen“ (ebd.). Im Gegensatz zu Portante, der darauf hinweist als Luxemburger Autor, der auf Französisch schreibt, einen sprachlichen Erwerbsprozess zu durchlaufen, findet Guy Helminger nicht, dass sich die deutsche Sprache, in der ein luxemburgischer Autor schreibt von derjenigen, die ein deutscher Autor benutzt, wesentlich un‐ terscheidet. Die Brüder Helminger erklären zudem, dass genauso gut eine an‐ dere Sprache sich zu ihrer Schreibsprache hätte entwickeln können. Robert Gollo Steffen veranschaulichte diesen Prozess, den ein Luxemburger Schrift‐ X. Literatursprachen 342 <?page no="343"?> 45 Claudine Muno ( Jahrgang 1979) studierte nach dem Abitur Geschichte und Anglistik, zunächst in Luxemburg. In Straßburg beendete sie dann 2003 ihr Geschichtsstudium. Ab 1998 schrieb sie Beiträge für das Feuilleton in Luxemburger Wort und im Télécran. Ab 2004 arbeitete sie dann ein Jahr lang als Kulturredakteurin bei der WOXX, bevor sie eine Anstellung am Gymnasium Neie Lycée fand. Hier gibt sie Musik- und Theater‐ unterricht. Claudine Muno publiziert Romane, Erzählungen, Kindergeschichten, Co‐ mics und Theaterstücke in englischer, französischer, deutscher und luxemburgischer Sprache (Conter 2016d). 46 „Sie zeigt, dass sie in jeder Sprache schreiben kann, nicht um damit anzugeben, sondern immer in der Sprache, die das Thema, dem sie sich zuwendet, praktisch verlangt.” 47 Robert Gollo Steffen: „[…] Claudine Muno, die kann Geschichten erzählen, egal in welcher Sprache. Sie wollte das ja auch zeigen. Sie hat angefangen auf Englisch. Dann ist sie zum Deutschen [als Schreibsprache] gekommen, dann zum Französischen und ich habe ihr dann gesagt, irgendwann kommst du auf das Luxemburgische. Und komi‐ scherweise hat sie ja dann auch bereits mit dem zweiten Buch auf Luxemburgisch den Servais-Preis bekommen. Das bedeutet, dass im Luxemburgischen die meisten Chancen bestehen, um [als luxemburgischer Autor] weiterzukommen.“ steller bei der Sprachfindung durchläuft, am Beispiel von Claudine Muno 45 , die bei Op der Lay publiziert. Sie gehört zu den Luxemburger Autoren, die sich in mehreren Sprachen ausdrücken. Auf der Website des Verlags steht über die Au‐ torin geschrieben: Hatt weist, datt hatt an all Sprooch schreiwe kann, net fir domat unzeginn, mä ëmmer an deer Sprooch, déi dat Thema praktesch verlaangt (Op der Lay 2016b). 46 Verlagsinhaber Robert Gollo Steffen sagte über Claudine Muno: Robert Gollo Steffen: „[…] D’Claudine Muno, dat ka Geschichten erzielen, egal a wéi enger Sprooch. Hatt wollt dat jo och weisen. Hatt hutt ugefong op Englesch. Dun ass et op Däitsch komm, dunn op Franséisch kommen an ech hat em du gesot, ier‐ gendwann kënns de op d’Lëtzebuergescht. A komischerweis hutt et jo dun och mam zweete Buch op Lëtzebuergesch schonn de Servais-Präiss kritt. D.h. am Lëtzebuerge‐ schen bestinn déi meeschte Chancen fir weiderzekommen.“ 47 1996 veröffentlichte Claudine Muno mit The moon of the big winds im Alter von nur sechzehn Jahren ihren ersten Roman. 1997 folgt der Roman Träume, aus denen man zu spät aufwacht auf Deutsch und 1999 das Werk 21 auf Französisch. Dazwischen veröffentlichte sie ihr erstes Kinderbuch auf Luxemburgisch, 1999 folgte das zweite, bevor sie 2002 ihren ersten Roman auf Luxemburgisch (De Fleeschkinnek) verfasste. Bereits 1994 erschien in der deutschen Frauenzeit‐ schrift Prima (03 / 1994) eine Kurzerzählung von ihr mit dem Titel Nilpferd (vgl. Conter 2016d). Damals war sie 14 Jahre alt. Sieht man es als ihr literarisches Debüt an, so erfolgte dieses über die deutsche Sprache. Deutsch nimmt als Al‐ 2 Die Schreiber 343 <?page no="344"?> 48 „Also wer auf Deutsch schreibt, hat ja das große Publikum, so wie unsere Popbands, die auf Englisch singen. […] Natürlich, wenn man bedenkt Deutschland, 85 Millionen Menschen, dann kommen noch die Österreicher hinzu und die Schweiz. Das ist ein ganz anderer Markt. Sie haben aber keine Chance dort angenommen zu werden. Ziemlich sicher, außer sie bezahlen dafür, aber das wäre ja den Leuten das Fell abgezogen. Das machen wir nicht. Wenn Op der Lay beispielsweise ein Manuskript annimmt, wird ein Vertrag aufgesetzt, über eine bestimmte Anzahl von Jahren und dann gibt es für die verkauften Bücher ein Honorar und dieser Betrag ist ‚à prendre ou à laisser’. Ich kann daran nichts ändern. Jetzt kann man natürlich sagen, das ist aber wenig, aber wir haben nun mal einen kleinen Markt hier. […] Marco Schank wird komischerweise nun auch in Deutschland bestellt. Er steht in einem oder zwei Krimilexika drin. Er wurde auch schon eingeladen. Er hat mit [ Jacques] Berndorf auch ein paar Mal gelesen. Mittlerweile weiß ich ja auch nicht, ob das nicht auch ein wenig deswegen ist, weil er jetzt Minister ist.“ phabetisierungs- und erste Bildungssprache einen bedeutenden Einfluss auf die ersten Schreibversuche vieler Luxemburger Jungautoren. Für Robert Gollo Steffen bestehen gegenwärtig die größten Chancen für einen Luxemburger Autor im Inland erfolgreich, d. h. bekannt zu werden, wenn er auf Luxemburgisch schreibt. Wählt er Deutsch oder Französisch als Ausdrucks‐ sprachen, steht er immer in Konkurrenz zu den großen ausländischen Namen. Mit der luxemburgischen Sprache schafft er etwas Eigenes und kann sich ab‐ setzen. Der Zugang zum ausländischen Literaturbetrieb bleibt mit dieser Sprach‐ wahl hingegen verschlossen. Wer außerhalb Luxemburgs rezipiert werden und sich im Literaturbetrieb durchsetzen will, muss sich für eine der großen Litera‐ tursprachen entscheiden (vgl. Honnef-Becker 2013: 146). Robert Gollo Steffen: „Also déi, déi op Däitsch schreiwen, déi hu jo schonn ëmmer de grousse Publikum, sou wéi eis Popbands, déi op Englesch sangen. […] Natierlech, wann s de sees Däitschland, 85 Mio Leit, da kommen d’Éisträicher nach dobäi an d’Schwäiz. Dat ass een anere Marché. Si hunn awer keng Chance do ugeholl ze ginn. Zimlech sécher, ausser si bezuele selwer, mee dat ass jo de Leit de Pelz ofgezunn. Dat ma mir net. Wann Op der Lay zum Beispill ee Manuskript hëlt, da gëtt ee Kontrakt gema, iwwer eng bestëmmt Zuel Joren an da gëtt et fir déi verkaafte Bicher een Ho‐ norar an dat ass à prendre ou à laisser. Ech kann et net änneren. Lo kann een natierlech soen, dat ass awer wéineg, mee t’ass ee klenge Marché.” […] De Marco Schank gëtt komescherweis lo och an Däitschland bestallt. En steet an engem oder zwee sou Kri‐ milexikonen dran. En gouf och schonn invitéiert. En hutt mam [ Jacques] Berndorf och puer mol gelees. Mëttlerweil weess ech jo och nit, ob dat net och schonn e bëssen ass, well en lo Minister ass.“ 48 Wer die deutschsprachigen Werke luxemburgischer Autoren liest, wird an man‐ chen Stellen das Herkunftsland erkennen. Robert Gollo Steffen stuft Abwei‐ X. Literatursprachen 344 <?page no="345"?> 49 Cathy Clement schreibt Jugendromane in luxemburgischer und deutscher Sprache. Ihr Debütroman Aleng, den sie mit sechzehn schrieb, erfuhr innerhalb eines Jahres vier Neuauflagen (vgl. Conter 2015c). chungen von der deutschen Standardsprache in den Manuskripten der Autoren, eher als Handschrift des Autors ein oder als Belege für den momentanen Ent‐ wicklungsstand der Sprache, denn als Fehler. F. S.: „Liest een do och ëmmer nach e bëssen de Lëtzebuerger duerch oder a wéi fern ginn do bei der Korrektur sou lëtzebuergesch Wierder verbessert? oder gehéiert dat einfach derzou? “ Robert Gollo Steffen: „Bei deene meeschte lossen ech et stoen. Beim Marco Schank mat Sécherheet. Also grad déi Luxemburgismen sinn a mengen Aen do ganz charak‐ teristisch, also déi sinn och einfach, well heen dann franséisch Saachen zum Beispill dann och gebraucht. Säi Commissaire heescht wierklech „Commissaire“ op Franséisch asw. Ech mengen, wann een do vergläicht mat deene Schwäizer Auteuren, wéi den Dürrenmatt, dee jo och dann Krimien geschriwwen hutt, do komme jo och déi Schwäizer Saachen dra fir, wees De, dat stéiert guer keen. Au contraire, dat ass oder dréit zum Lokalkolorit bäi. […] Ech lossen dann och zum Beispill am Lëtzebuergeschen an och am Däitschen, also krass Feeler verbesseren ech natierlech, mee aner Feeler lossen ech stoen oder och am Lëtzebuergeschen. Dat hat ech deemools beim Cathy Clement 49 , wat dun 16 Joer hat, stoe geloss, express. Wou dann ee sot: „Ma do häss de awer misse lektoréieren.“ Ma déi Aarbecht ass jo och, dass de do sees, ech wëll lo eppes man, wat authentisch ass. […] Dass de einfach sees, ech wëll dat och festhalen! “ F. S.: „Een Zäitdokument? “ Robert Gollo Steffen: „Jo een Zäitdokument, ee Sproochdokument. Dass de sees, hei ass dat sou geschwat ginn, och wéi een dann och Moudewierder hutt, déi da vläit grad dee Moment opdauchen.“ F. S.: „Och am Däitschen dann? Wat sou bësse Lëtzebuerger Däitsch ass, dat bleift dann stoen? “ Robert Gollo Steffen: „Jo eben well ech dann och déi Luxemburgismen wëll even‐ tuell och stoe lossen. Also wann se ze krass sinn, oder s du der sees, dat kann ech net sou stoe loossen [da gi se verbessert], mee du mierks zum Beispill beim Marco Schank ass et bewosst gemaach. Ech weess och dass do Madame geweecht sinn, déi ugeruff hunn, t’mussen däitsch Madame geweest sinn, a gesot hunn: „Dee ka jo guer keen Däitsch schreiwen! Wou sëtz de do d’Limite un? Ech mengen, t’hätt och keen dem Dürrenmatt ugeruf a gesot: „Du huss do Vëlo geschriwwen.“ Voilà verstees de? Dat ass einfach sou. An ech mengen, dat ass awer wierklech berechtigt. […] Ech mengen schonn am Naturalismus asw. hunn se jo schonn am Däitschen d’Mundart asw. an d’Héischsprooch agefouert an och scho virdrun. […] An dann wëll iergendee mir hei 2 Die Schreiber 345 <?page no="346"?> 50 F. S.: „Liest man denn da auch immer ein wenig den Luxemburger durch oder inwiefern werden da bei der Korrektur so luxemburgische Wörter verbessert? Oder gehören die ein‐ fach dazu? “ Robert Gollo Steffen: „Bei den meisten lasse ich es stehen. Bei Marco Schank mit Sicherheit. Also gerade diese Luxemburgismen sind in meinen Augen da ganz charakteristisch, also die tauchen einfach auf, weil er dann auch beispielsweise französische Sachen gebraucht. Sein Kommissar heißt wirklich ‚Commissaire’ auf Fran‐ zösisch usw. Ich glaube, wenn man da den Vergleich mit den Schweizer Autoren zieht, wie Dürrenmatt, der ja dann auch Krimis geschrieben hat, da kommen ja auch die Schweizer Sachen drin vor, weißt Du, und das stört niemanden. Im Gegenteil, es ist oder trägt zum Lokalkolorit bei […]. Ich lasse dann auch zum Beispiel im Luxemburgischen und auch im Deutschen, also krasse Fehler verbessere ich natürlich, aber andere Fehler lasse ich stehen. Das habe ich damals bei Cathy Clement, die dann sechzehn Jahre alt war, auch stehen gelassen, mit Absicht. Wo dann jemand gesagt hat: „Das hättest du doch aber lektorieren müssen.“ Es ist doch auch ein Teil der Arbeit, dass du dir sagst, ich will jetzt etwas machen, was authentisch ist. […] Dass du dir einfach sagst, ich will das auch festhalten! “ F. S.: „Als Zeitdokument? “ Robert Gollo Steffen: „Ja als Zeitdo‐ kument, als Sprachdokument. Dass du dir sagst, hier wurde das so gesagt, so wie man dann auch Modewörter hat, die vielleicht gerade in dem Moment auftauchen.“ F. S.: „Auch im Deutschen dann? Was so ein wenig Luxemburger Deutsch ist, das bleibt dann auch stehen? “ Robert Gollo Steffen: „Ja, eben weil ich die Luxemburgismen auch stehen lassen will. Also wenn sie zu krass sind oder du dir sagst, das kann ich nicht so stehen lassen [dann werden sie verbessert], aber du merkst zum Beispiel bei Marco Schank ist es ganz bewusst so gemacht. Ich weiß auch, dass da Damen waren, die an‐ gerufen haben, es müssen deutsche Damen gewesen sein, und gesagt haben: „Der kann ja gar kein Deutsch schreiben! “ Wo setzt du denn da die Grenze? Ich meine, es hätte auch niemand den Dürrenmatt angerufen und gesagt: Du hast da ‚Vélo’ geschrieben.“ Voilà verstehst Du? Das ist einfach so. Und ich meine, dass das aber wirklich berechtigt ist. […] Ich meine schon im Naturalismus usw. haben sie ja schon im Deutschen die Mundart usw. in die Hochsprache eingeführt und auch schon davor. […] Und dann will mir irgendjemand hier im Jahr 2012 sagen: „Ähm, das geht aber nicht! “ Ich glaube es geht ja um Folgendes: Verstehen die Leute es? Und die Menschen hier in Luxemburg und das sind ja die, die hier das Zielpublikum sind, die wissen haargenau, was da ge‐ meint ist.“ am Joer 2012 soen: „Ähm, dat geet awer net.“ Ech mengen et geet jo drëm: Verstinn d’Leit et? An déi Leit hei zu Lëtzebuerg an dat ass jo, wat hei de Publikum ass, ma dee wees hoergenau, wat do gemengt ass ne.“ 50 Wenig deutet in diesem Kapitel darauf hin, dass die luxemburgische Sprach‐ gruppe ihr Leseverhalten künftig ändern und sich der Stellenwert der Lese‐ sprache Deutsch verändern wird. Der Einfluss von Zuwanderern auf die Ent‐ wicklung des Buchmarktes bleibt unklar. Sowohl internationale als auch nationale Publikationen werden statistisch gesehen, bevorzugt auf Deutsch ge‐ lesen. Nur Sachbücher, die ein vorwiegend französisch-dominiertes Feld in Lu‐ xemburg behandeln, werden auf Französisch gekauft. Das Deutsche nimmt als Alphabetisierungs- und erste Bildungssprache bedeutenden Einfluss auf das X. Literatursprachen 346 <?page no="347"?> Leseverhalten der Bevölkerung und auf das Sortiment der Kinder- und Jugend‐ literatur in den Buchhandlungen. Luxemburgische Literatur wird bis heute an diesen deutschen Vorbildern, mit denen der Leser aufwächst, gemessen. Nicht selten ist es auch die Schulsprache Deutsch, die Jungschriftsteller wählen, um erste Schreibversuche zu unternehmen. Wenn diese Versuche gelingen, wagen sie sich an andere Sprachen heran oder bleiben bei ihrer erst gewählten Aus‐ druckssprache. Der Erfolg des Genres Luxemburger Krimi zeigt, dass der Leser bei luxemburgischer Literatur eine stilistisch einfache Sprache bevorzugt, zu der auch eine lokale Einfärbung gehört. Er erwartet keine Literatur, die qualitativ mit den großen Kultursprachen mithalten kann, wenn er sich dazu entschließt, sie zu kaufen, sondern will unterhalten werden. Diese Erwartungshaltung bildet sich zum Teil über die schulische Position der Luxemburger Literatur aus. Die Interviewpartner konnten keine eindeutigen Auskünfte darüber geben, welche Sprachen auf Seiten der Schreiber dominieren. Die sprachliche Ausrichtung der Verlage führt dazu, dass Autoren sich nach der Sprachwahl ihres Manuskripts die dazu passenden Verlage aussuchen. Außerdem wechseln manche ihre Schreibsprache je nach Themenwahl. Es besteht ein Trend hin zur Literatur‐ sprache Luxemburgisch, die in experimenteller Hinsicht viel Gestaltungsraum bietet. Während die Offenheit gegenüber dem Potenzial mehrsprachiger Lite‐ ratur bei den Lesern erst zögerlich entsteht, begreifen die Verleger mehrspra‐ chige Literatur bereits als Dokumentationen der Sprachensituation im Land und die Transferenzen, die diese auszeichnet, nicht von vornherein als Fehler, son‐ dern als Eigenart. 2 Die Schreiber 347 <?page no="348"?> 1 Seit November 2013 ist Olivier Mores als Head of sustainable development / CS R bei Post Luxembourg tätig. XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 1 Öffentliche Kommunikation in Luxemburg Sprachwahlentscheidungen müssen mit Blick auf die Rezipienten getroffen werden. Öffentlichkeitsarbeit und Werbung liegen nahe beieinander. Ein Un‐ ternehmen, das nach außen zeigt, dass es die komplexe Sprachensituation des Landes kennt und Kunden den Zugang zu Informationen so mühelos wie nur möglich gestaltet, erntet nicht selten dafür Interesse und Sympathie. Olivier Mores arbeitete zehn Jahre lang als Journalist bei RTL Group, bevor er Parteisekretär der sozialistischen Partei (LSAP) wurde und schließlich 1998 zur Luxemburger Post wechselte, um dort die Verantwortung für die interne und externe Kommunikation zu übernehmen. 1 Ein PR-Manager ist das Sprachrohr seines Unternehmens. Er macht seine Sprache zum festen Bestandteil der cor‐ porate identity. Mores erklärte im Expertengespräch, dass das Sprachprofil, das PR-Beauftragte in Luxemburg mitbringen müssen, abhängig von der Branche und Geschichte des Unternehmens sei, für das sie einstünden. Unternehmen rekrutieren folglich ihre PR-Beauftragten nach dem Image, das sie von sich nach außen geben wollen und in Abhängigkeit vom Zielpublikum, das von ihnen anvisiert wird. Unternehmen, die die lokale Verwurzelung ihres Unternehmens unterstreichen wollen, kommen diesem Ziel durch die Wahl eines PR-Beauf‐ tragten näher, der über Luxemburgischkenntnisse verfügt. Ein internationaler Konzern, der sich im Land niedergelassen hat, kann dagegen mehr Wert auf Französisch- und / oder Englischkenntnisse legen. In vielen Fällen wird die Un‐ ternehmenskommunikation auch von der PR-Abteilung einer Dependance im Ausland erledigt. Besteht jedoch ein Interesse daran die lokale Verankerung vo‐ ranzutreiben, so trägt eine mündliche Kommunikation des Unternehmens auf Luxemburgisch sowie die Verwendung von Deutsch, Französisch (und Luxem‐ burgisch) im schriftlichen Bereich sicher dazu bei. F. S.: „An wéi ass et am PR-Beräich, d’Leit, déi do schaffen, mierkt een do, dass zum Beispill manner Leit aus Däitschland heihinner komme, well d’Franséischt ebe sou eng staark <?page no="349"?> 2 F. S.: „Und wie ist es im PR-Bereich, merkt man da, dass dort zum Beispiel weniger Leute aus Deutschland arbeiten, eben weil Französisch so eine bedeutende Rolle in Luxemburg einnimmt, sind es mehr Franzosen, viele Luxemburger? Wie konstituiert sich dieses Feld? “ Olivier Mores: „Es hängt vom Beschäftigungsfeld ab, von den Betrieben und Institu‐ tionen, [die die Leute einstellen]. Es gibt ja auch Gemeinden, die PR-Leute haben, wie die Stadt Luxemburg beispielsweise. Ich meine jedoch, die haben eine Isländerin oder eine Schwedin, aber die kann auch Französisch. […] Sie muss, ja sie muss. Ich würde aber sagen, dass ein Großteil der Leute, die ich kenne, da würde ich behaupten, dass das Luxemburger sind und dann an zweiter Stelle würde ich sagen Französisch, Fran‐ zösisch als die dominante Sprache.“ 3 F. S.: „In welcher Sprache werden zum Beispiel Pressekonferenzen abgehalten? “ Olivier Mores: „Also meistens auf Luxemburgisch. Es hängt davon ab, wenn wir sehen, dass viele französischsprachigen Journalisten anwesend sind, halten wir es in zwei Sprachen oder wenn es businessorientierter ist, dann machen wir es auf Französisch. Wir hatten es auch schon - aber das ist ganz selten - nur auf Englisch. Deutsch gar nicht. Null.“ Roll hutt am Land, sinn et méi Fransousen, vill Lëtzebuerger, wéi ass do d’berufflech Zesummesetzung? “ Olivier Mores: „T’hänkt vum Metier of, vun de Betriber, vun den Institutiounen. T’si jo och Gemengen, déi PR-Leit hunn, d’Stad Lëtzebuerg zum Beispill, mee ech mengen, déi hunn eng Islännerin oder eng Schwedin, mee déi kann awer och Franséisch. […] Si muss, jo si muss. Mee ech géing soen, de Gros vun deene Leit, déi ech kennen, ass op jiddefall, wou ech géif soen, ass Lëtzebuerger an dann an der zweeter Rei géif ech soen Franséisch, Franséisch d’dominant Sprooch.“ 2 Französisch gilt als die Sprache, mit der die Mehrheit der Bevölkerung erreicht werden kann, folglich müssen PR-Beauftragte über sehr gute Französischkennt‐ nisse verfügen. Für viele Unternehmen zählt aber auch die direkte Anbindung an den deutschen Markt, weshalb auch Deutschkenntnisse gefordert sind. Die Luxemburger Post hält ihre Pressekonferenzen gewöhnlich auf Luxemburgisch ab. Für ein luxemburgisches Traditionsunternehmen wird diese Sprachwahl als angebracht empfunden. Vor Beginn jeder Pressekonferenz muss allerdings ab‐ geschätzt werden, ob die Mehrheit der anwesenden Journalisten der Sprache auch folgen kann. F. S.: „A wéi enger Sprooch ginn zum Beispill Pressekonferenzen ofgehal? “ Olivier Mores: „Also meeschtens op Lëtzebuergesch. T’hänkt dovunner of. Wa mer gesinn, dass vill franséischsproocheg Journalisten do sinn, da ma mer et déi zwou Sproochen oder wann et méi businessorientéiert ass, da ma mer et op Franséisch. Mir haten et och schonn - awer dat ass ganz seelen - nëmmen op Englesch. Mee dat ass ganz seelen. Däitsch guer net. Null.“ 3 F. S.: „An d’Power Points [bei de Pressekonferenzen]? “ 1 Öffentliche Kommunikation in Luxemburg 349 <?page no="350"?> 4 F. S.: „Und die Power Points [bei Pressekonferenzen]? “ Olivier Mores: „Französisch oder - auf Luxemburgisch jedenfalls nicht, denn das wäre viel zu kompliziert, auch wenn es da Regeln gibt. Auf Französisch ja.“ 5 F. S.: „Und Pressedossiers? Auch auf Französisch? “ Olivier Mores: „Die Pressemittei‐ lungen sind dreisprachig: Französisch, Deutsch, Englisch - das ist aber erst seit zwei, drei … drei Jahren so. Und unsere Internetseite, die ist auch dreisprachig: www.pt.lu. Telefonbücher, die Werbeanzeigen, die da drin stehen, die sind ebenfalls auf Franzö‐ sisch.“ Olivier Mores: „Franséisch oder - op Lëtzebuergesch jiddefalls net, well dat ass vill ze komplizéiert, quitt dass et do halt Regele ginn. Op Franséisch jo.” 4 F. S.: „An Pressedossieren? Och op Franséisch? “ Olivier Mores: „D’Communiquéen sinn dräisproocheg: Franséisch, Däitsch, Eng‐ lesch - dat ass awer réicht säit zwee, dräi … dräi Joer. An eisen Internetsite, deen ass och dräisproocheg: www.pt.lu [jetzt: www.post.lu]. D’Telefonsbicher, déi Publici‐ téiten, déi dra stinn, dat ass op Franséisch.“ 5 Während Power-Point-Präsentationen meist nur die Wahl einer Sprache er‐ lauben, können in einer Pressemappe Informationen in mehreren Sprachversi‐ onen zur Verfügung gestellt werden. Es gehört zum Corporate-Language-Kon‐ zept, dass die Post ihre Pressemitteilungen in drei Sprachen herausgibt, auf Deutsch, Französisch und Englisch. Auch der Internetauftritt ist in diesen drei Sprachen angelegt. Die deutsche Sprache behält im Austausch mit der Öffent‐ lichkeit im medial-schriftlichen Bereich ihre Funktion als verständnissichernde Sprache. Luxemburgisch wird sowohl im Austausch mit den Medien als auch in der Kundenkommunikation primär im medial-mündlichen Bereich gebraucht. Die Aussage von Mores lässt darauf schließen, dass der Gebrauch des Lëtzebu‐ ergeschen für die alltägliche schriftbasierte Unternehmenskommunikation noch als zu aufwendig empfunden wird, da die Kenntnis der Rechtschreibregeln nicht von allen Mitarbeitern der PR-Abteilung beherrscht wird. Französisch, Deutsch und Englisch (in dieser Reihenfolge) werden stattdessen genutzt. Journalisten, die täglich die Informationen der PR-Abteilungen verarbeiten, haben vermehrt den Eindruck, dass dieses Feld zunehmend frankophoner wird. F. S.: „A wéi enger Sprooch kritt Der „Communiqués de presse“ a Pressedossieren? “ Claude Karger (Lëtzebuerger Journal): „Dat ass zu 90 % op Franséisch. Mir hate gëschter eng Dose Pressesëtzungen. Och alles, wat vun der Regierung kënnt, ass zu 99 % op Franséisch. […] Mee mir stelle fest, Entreprisen, déi et soss op Däitsch ge‐ schriwwen hunn, schreiwen et elo op Englesch. Déi wéinegst PR-Manager sinn nach lëtzebuergeschsproocheg. Dat hutt och domat ze dinn, dass d’Wirtschaftszentren XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 350 <?page no="351"?> 6 F. S.: „In welcher Sprache erhalten Sie Pressemitteilungen und Pressedossiers? “ Claude Karger: „Das ist zu 90 % auf Französisch. Wir hatten gestern ein Dutzend Pressekon‐ ferenzen. Auch alles, was von der Regierung kommt, ist zu 99 % auf Französisch. Wir stellen aber auch fest, dass Unternehmen, die es sonst auf Deutsch verfasst haben, es nun auf Englisch verfassen […]. Die wenigsten PR-Manager beherrschen noch die lu‐ xemburgische Sprache. Das hat auch damit zu tun, dass die Wirtschaftszentren [die Entscheidungszentren] schon lange nicht mehr in Luxemburg sind. Der Trend ist ganz klar: Englisch nimmt zu! “ 7 Roger Infalt: „Bei der Mehrheit der Pressemitteilungen […] muss man sagen, dass es da immer mehr zur französischen Sprache übergeht. Und das kommt auch dadurch, wenn man sich das jetzt so anschaut, in letzter Zeit, in den letzten zwei Jahren, Pres‐ seagenturen und PR-Leute, die sind ja wie Pilze aus dem Boden geschossen. Heutzutage hat jede Schule, jedes Museum, jedes Krankenhaus, alles hat seinen Pressesprecher, die nennen sich zwar alle anders, aber es sind alles Pressesprecher und hauptsächlich sind es Belgier oder Franzosen.“ [Entscheedungszentren] scho laang net méi zu Lëtzebuerg sinn. Den Trend ass ganz kloer: Englesch hëlt zou! “ 6 Roger Infalt (Tageblatt): „De Gros vun de Communiquéen […] do muss een awer soen, dass dat ëmmer méi iwwergeet op d’franséisch Sprooch. An dat kënnt och do‐ duerch, wann s de lo kucks, a leschter Zäit, an de leschten zwee Joer, Presseagencen an déi PR-Leit, déi si jo aus dem Buedem geschoss wéi Champignonen. An haut hutt all Schoul, all Musée, all Klinik, all Déngens hutt säi Pressespriecher an déi heeschen zwar alleguerten aneschters, mee t’sinn alleguerte Pressespriecher an gelungenerweis sinn de Gros vun deene Belge oder Franséisch.“ 7 Die Journalisten stellen fest, dass die PR-Abteilungen vermehrt dazu übergehen, sich nur auf eine Sprachversion bei Pressemitteilungen und -dossiers zu be‐ schränken. Ihre Wahl fällt dann auf eine französische. Des Weiteren bemerken sie, dass Unternehmen, die in Luxemburg früher die deutsche Sprache für ihre schriftbasierte Unternehmenskommunikation verwendet haben, nun zuneh‐ mend auf Englisch übergehen. F. S.: „Wat ass dann, Ärer Meenung no, d’Roll vun der däitscher Sprooch hei zu Lëtze‐ buerg? “ Claude Karger: „Ech denken, dass se nach ëmmer grouss ass. Dass se zemools bei deene Leit, déi am Dagesgebrauch nach meeschtens Lëtzebuergesch schwätzen, nach ëmmer déif verwuerzelt ass, och an der Bereetschaft fir ze liesen. An dann hu mer op der anerer Säit de Phänomen, dat ëmmer méi däitsch Medieleit an de [Print]Marché randrécken an dat hutt och säin Afloss drop, dass d’Däitscht an den Zeitungen an op verschidde Rubrike weider gepusht gëtt. Op där anerer Säit, wéi gesot, wat d’Kom‐ 1 Öffentliche Kommunikation in Luxemburg 351 <?page no="352"?> 8 F. S.: „Welche Rolle spielt denn Ihrer Meinung nach die deutsche Sprache hier in Luxem‐ burg? ” Claude Karger: „Ich denke, dass sie noch immer groß ist. Dass sie vor allem bei den Leuten, die im Tagesgebrauch noch meistens Luxemburgisch reden, noch immer tief verwurzelt ist, auch in der Bereitschaft [auf Deutsch] zu lesen. Und dann haben wir auf der anderen Seite das Phänomen, dass immer mehr deutsche Medienleute auf den Markt drängen und das hat auch seinen Einfluss darauf, dass das Deutsche in den Zeitungen und in manchen Rubriken weiter gepusht wird. Auf der anderen Seite, wie gesagt, was die PR-Arbeit der Institutionen und Unternehmen anbelangt, da geht der Trend kom‐ plett in die entgegengesetzte Richtung! “ 9 F. S.: „Welche Rolle spielt die deutsche Sprache in der Öffentlichkeitsarbeit? Ich nehme an, das meiste, was so von Unternehmen nach außen kommuniziert wird, ist auf Französisch und vielleicht auch schon auf Englisch. Spielt da das Deutsche noch eine Rolle? “ Rob Kieffer: „Ja also wenn wir zwar als Agentur eingeschaltet werden und den Kunden beraten sollen, dann sagen wir: „Hör zu, es gibt aber viele Luxemburger und besonders eine ältere Generation, denen die deutsche Sprache verständlicher ist. Also auch wenn die Basis vielleicht Französisch ist, lasst uns auch eine deutsche Version machen.“ munikatioun vun den Institutiounen a vun den Entreprisen ubelaangt, do geet den Trend komplett an déi aner Richtung! “ 8 Während in den Printmedien, aufgrund der Leserpräferenzen und einer Zu‐ nahme an deutschen Journalisten, der Stellenwert der deutschen Sprache als stabil anzusehen ist, geht ihr Gebrauch im Bereich der schriftbasierten öffent‐ lichen Kommunikation also tendenziell zurück. Binsfeld Corporate berät Kunden im Bereich der Unternehmenskommunikation. Wenn der luxemburgische Durchschnittsbürger erreicht werden soll, rät die Agentur in der Regel dazu, bei geschriebenen Informationen, neben der Reichweite der französischen Sprache, auch den informativen Wert der deutschen nicht zu unterschätzen. F. S.: „An der Kommunikatioun, wéi eng Roll huet dann do d’däitsch Sprooch? Well ech denken dat meescht, wat esou als Kommunikatioun vun Entreprisen erausgeet, ass jo virun allem op Franséisch a villäicht och well op Englesch. Huet do d’Däitscht nach eng Roll? “ Rob Kieffer: „Jo also, wa mir zwar ageschallt sinn als Agence an de Client solle beroden, da soe mir: „Lauschter, t’sinn awer vill Lëtzebuerger a besonnesch eng eeler Generatioun, déi hu méi Facilitéit mat der däitscher Sprooch. Also och wann d’Basis villäicht Franséisch ass, komm mir maachen och eng däitsch Versioun.““ 9 F. S.: „Ass dat villäicht och themebezunn, also bei verschidden Themen … [éischter déi Sprooch oder éischter déi]? “ Rob Kieffer: „Jo, ech géif lo soen, wann et elo ee Pressecommuniqué reng aus der Finanzwelt ass, da kann een eventuell op Däitsch verzichte, well ee seet, da ma mer éischter eng englesch Versioun, well ee seet, déi Leit, un déi dat sech adresséiert déi, XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 352 <?page no="353"?> 10 F. S.: „Ist das womöglich auch themenbezogen, also dass sich bei verschiedenen Themen … [eher die Sprache eignet und bei anderen eher die]? “ Rob Kieffer: „Ja, ich würde sagen, wenn es jetzt eine Pressemitteilung rein aus der [und für die] Finanzwelt ist, dann kann man eventuell auf Deutsch verzichten, weil man sagt, die Leute, die das interessiert - auch wenn es ein Deutscher ist - verstehen trotzdem Englisch. Da wäre es dann eher Französisch und Englisch, aber alles, was jetzt die breite Öffentlichkeit betrifft, ich sage jetzt mal den Mann von der Straße, da versuchen wir immer auch eine deutsche Version zu machen.“ déi - och wann et een Däitschen ass - verstinn déi awer Englesch. Do wär et dann éischter Franséisch an Englesch, mee alles, wat lo Grand Public ass, ech soe lo mol de Mann vun der Strooss, do versiche mer dann awer ëmmer och eng däitsch Versioun ze man.“ 10 2 Werbung in Printmedien Um in Luxemburg Zielgruppen zu erreichen und anzusprechen, kommen ver‐ schiedene Sprachen infrage. Bei konkreten Werbeanzeigen entscheidet sich die Sprachwahl am Produkt, an dessen Zielpublikum sowie daran, wo die Werbe‐ maßnahme sich auf dem Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ein‐ ordnen soll (Werbegenre). Das gewählte Sprachsystem (Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch, …) wird dem Rezipienten Informationen zu Ein‐ stellungen, Herkunft, Angebot und Arbeitsphilosophie des Herstellers bzw. Un‐ ternehmens vermitteln. Das Einkaufszentrum Massen im Norden Luxemburgs ist ein luxemburgischer Familienbetrieb. In der unmittelbaren Umgebung befinden sich die belgischen Ortschaften Malscheid, Lengeler, Dürler und Oudler. Sie gehören der deutsch‐ sprachigen Gemeinde Burg-Reuland an. Werbung, Kundenkontakt und Ver‐ kaufsangebot des Einkaufszentrums werden von dieser Sprachgrenze beein‐ flusst. Obschon das Einkaufszentrum mit dem französischen Slogan La vie côté SHOPPING wirbt, dominiert in der schriftbasierten Kundenwerbung die deut‐ sche Sprache. Der Internetauftritt kann wahlweise in deutscher oder französi‐ scher Sprache abgerufen werden. Mehrere darauf veröffentlichte Werbeflyer sind allerdings ausschließlich auf Deutsch verfügbar. Auch die Facebook-Seite wird auf Deutsch betrieben. In den Werbeprospekten ist der Gebrauch der deut‐ schen und französischen Sprache üblich. Produktangaben werden zuerst auf Deutsch und dann auf Französisch gegeben. 2 Werbung in Printmedien 353 <?page no="354"?> Abbildung 4: Werbebeispiel ‚Massen’ (Quelle: Massen. La vie côté shopping. Werbeprospekt zum Thema Coffee Time by Massen. Ausgabe 01 / 2015.) Es ist eher unüblich in Luxemburg der deutschen Sprache in Reklameprospekten den Vorzug zu geben. In der Regel wird für Produktangaben die französische Sprache benutzt. Zur Verständnissicherung wird sie um die deutsche Überset‐ zung ergänzt, so wie es in den hier nachstehend abgedruckten Beispielen der Fall ist: XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 354 <?page no="355"?> Abbildung 5: Werbebeispiel ‚Gamm vert’ (Quelle: Gamm vert. Werbeprospekt vom 24.03.-2. 04. 2015.) 2 Werbung in Printmedien 355 <?page no="356"?> 11 Das Shopping-Center Knauf wurde im Dezember 2013 von seinen Gründern, den Lu‐ xemburgern Ernest Schmitz und Annette Knauf, an eine Antwerpener Investmentfirma verkauft (vgl. tageblonline: 27. 01. 2014). An der Werbekommunikation hat sich dadurch kaum etwas geändert. Abbildung 6: Werbebeispiel ‚Lidl’ (Quelle: Lidl. Werbeprospekt vom 30.03.-06. 04. 2015.) Das Knauf Shopping Center in Schmiede liegt nur fünf Kilometer vom Einkaufs‐ zentrum Massen entfernt. Beide Einkaufszentren pflegen entgegengesetzte Sprachpraxen. Im Shoppingzentrum Knauf dominiert Französisch. 11 Der Inter‐ netauftritt des Einkaufszentrums, das über zwei Niederlassungen, nahe der bel‐ gischen Grenzen, in Schmiede (L) und Pommerloch (L) verfügt, ist ebenfalls ausschließlich auf Französisch. Auch die Belegschaft kommt vorwiegend aus der frankophonen belgischen Grenzregion. In beiden Zentren ist das Lebens‐ mittelgeschäft Delhaize untergebracht. Der Sprachgebrauch der belgischen Su‐ permarkt-Kette prägt das frankophone Erscheinungsbild mit. Die Hauptsprache der Delhaize-Werbung ist Französisch. Mit der Sprache wird die breite Masse XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 356 <?page no="357"?> 12 Sebastian Reddeker hat mit seiner Dissertation Werbung und Identität im multikultu‐ rellen Raum. Der Werbediskurs in Luxemburg. Ein kommunikationswissenschaftlicher Beitrag (2011) einen umfassenden Beitrag über die spezifischen Bedingungen geliefert, unter denen Werbung in Luxemburg entsteht und funktioniert. Mit den Werbesprachen in Luxemburg hat sich ferner Julia de Bres (2015) beschäftigt. Das vorliegende Kapitel kann nur an ausgewählten Beispielen einen Überblick über den Status der verschie‐ denen Werbesprachen geben. der Bevölkerung erreicht. Da es sich um eine belgische Lebensmittelkette han‐ delt, ist davon auszugehen, dass eine Präferenz für die französische Werbekom‐ munikation besteht. Der vereinzelte Gebrauch der luxemburgischen Sprache dient der Schaffung „einer positiven Wahrnehmungsatmosphäre“ (vgl. Reddeker 2011: 233). 12 Die Kette wirbt mit dem luxemburgischen Werbespruch ‚GUTT AKAFEN, GUTT IESSEN’. Ihr reduzierter Einsatz vermittelt eine regionale Ver‐ ankerung und die Nähe zum Luxemburger Kunden (vgl. ebd.: 260). Abbildung 7: Werbebeispiel ‚Delhaize’ Reinigung (Quelle: Delhaize Werbeprospekt Foire aux Whiskies vom 19.03-01. 04. 2015, S. 15.) 2 Werbung in Printmedien 357 <?page no="358"?> Abbildung 8: Werbebeispiel ‚Delhaize’ Milchprodukte (Quelle: Delhaize, Werbeprospekt Grande Foire aux Vins vom 05.03.-25. 03. 2015.) Ein Unternehmen kann also durch die Sprachwahl den Eindruck vermitteln ein luxemburgisches Geschäft zu sein. Betriebe wie der Mineralwasser-Produzent Rosport setzen auf die eigene Herkunft und ihre Verbindung zum Land. F. S.: „A spillen do och Iwwerleeunge mat, also t’gëtt sou déi Ausdréck ‚Sprache der Nähe’, ‚Sprache der Distanz’. A kéint ee soen, dass d’Lëtzebuergescht déi Sprooch ass, déi de Leit méi no ass? Sou dass, wann ee villäicht wëll eppes verkafen, dass een dann éischter direkt mat Lëtzebuergesch uschwätzt? Franséisch schaaft da villäicht erëm Distanz? “ Rob Kieffer: „Also bei de Lëtzebuerger selwer schonn. Mir hu Rosport an der Clien‐ tèle, do benotze mer ganz oft déi Lëtzebuerger Sprooch, well dat awer ee gewësse Sympathiewäert hutt. […] Jo bei de Sloganen oder mir hate fir verschidde Clienten lo Annonce gemat mat ‚Rosport wënscht dem Ierfgroussherzog fir d’Hochzäit alles Gud‐ XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 358 <?page no="359"?> 13 F. S: „Und spielen da auch Überlegungen mit, also es gibt die Ausdrücke „Sprache der Nähe“, „Sprache der Distanz“. Und könnte man sagen, dass das Luxemburgische die Sprache ist, die den Leuten näher ist? So dass man, wenn man vielleicht etwas verkaufen will, dann eher direkt mit ihr [potenzielle Kunden] anspricht? Und Französisch schafft dann vielleicht wieder Distanz? “ Rob Kieffer: „Also bei den Luxemburgern selbst schon. Rosport gehört ja zu unseren Kunden und da benutzen wir sehr oft die luxemburgische Sprache, da das trotzdem einen gewissen Sympathiewert hat. […] Ja bei den Slogans oder wir haben für verschiedene Kunden jetzt Anzeigen gemacht mit ‚Rosport wünscht dem Erbgroß‐ herzog zur Hochzeit alles Gute’, das ist dann auf Luxemburgisch, um das Luxemburgi‐ sche, im positiven Sinne des Wortes, dann hervorzukehren.“ des’, dat ass dann op Lëtzebuergesch, fir dat Lëtzebuergescht, am positive Sënn vum Wuert, dann awer ervirzekéieren.“ 13 Lëtzebuergesch kann außerdem, da es noch nicht als klassische Schriftsprache angesehen wird, Aufmerksamkeit beim Rezipienten erwecken. Die Sprache wird in der medial-schriftlichen Werbung daher vor allem als ‚Eyecatcher’ gebraucht und selten, um produktrelevante Informationen zu vermitteln. Die Werbepro‐ spekte des Fleischerei-Fachbetriebs Renmans, mit Filialen in Luxemburg, Belgien und Frankreich, stellen eine Ausnahme dar. Die luxemburgische Sprache wird hier für Produktangaben genutzt. Die Informationen auf Luxemburgisch sind den französischen sogar hierarchisch übergeordnet. Das Luxemburgische er‐ setzt hier die Funktion der deutschen Sprache. 2 Werbung in Printmedien 359 <?page no="360"?> Abbildung 9: Werbebeispiel ‚Renmans’ (Quelle: Renmans. Ëmmer eng gutt Qualitéit. Gardien de la qualité. Werbeprospekt vom 20.02.-26. 02. 2015.) Reddeker (vgl. ebd.: 230) zufolge tragen die Werbeträger mit ihrer Sprachwahl in Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zur Festigung sprachlicher Normalitäten im Großherzogtum bei. Ein Besuch im Knauf wird den Eindruck einer „franko‐ phonen Sprachnormalität” (ebd.) im Land erwecken - ein vollkommen anderes Bild entsteht dagegen fünf Kilometer entfernt. Diatopische Erklärungsversuche helfen nur bedingt weiter, um die Sprachpraxis in beiden Shoppingzentren zu erklären. Im Fachdiskurs über die luxemburgische Sprachensituation wird ge‐ legentlich darauf hingewiesen, dass der diatopische Ansatz berücksichtigt werden soll, um den Stellenwert der Sprachen im Land zu erklären. So wird angenommen, dass die deutsche Sprache in den nördlichen und östlichen Re‐ gionen einen anderen Stellenwert hat, als in den übrigen Teilen Luxemburgs. Timm (2014: 15) führt aus, dass: [l]eichte Differenzierungen auf diatopischer Ebene […] in Luxemburg insofern vor‐ genommen werden [könnten], als in nördlicheren und östlicheren Landesteilen Lu‐ xemburgs das Französische im Alltag der Sprecher weniger präsent ist als im Gebiet XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 360 <?page no="361"?> 14 Astrid Neumann (cours d’accueil Wiltz, Norden): „Wobei vielleicht noch anzu‐ merken ist: Wenn meine Kolleginnen jetzt in Esch [an der Alzette] oder so sprechen - da hat das Deutsche eine andere Rolle als hier. Hier ist es noch eher so, dass du dich mit dem Deutschen durchschlagen kannst. Da [in Esch] hat Französisch eine andere …, ja weil da auch draußen, egal wo du hingehst, Französisch gesprochen wird. Bei uns ist das zwar auch schon viel, aber es ist anders […]. Da du hier mit dem Luxemburgischen weiter kommst, kommst du auch mit dem Deutschen weiter [als in anderen Regionen].“ 15 Laura Zuccoli (Präsidentin der Asti): „Das Deutsche ist etwas auf dem Rückzug. Es ist in verschiedenen Gegenden des Landes aber nach wie vor wichtig, je nachdem wo man wohnt, an der Mosel oder in nördlicheren Gegenden ist es noch immer eine wich‐ tige Sprache, aber es ist sicher im Begriff an Auftrieb zu verlieren.“ 16 Romain Dockendorf (Deutschlehrer in Diekirch, Norden): „Es ist interessant, also suchen Sie sich unbedingt auch eine Situation im Lyzeum in Echternach, da sind Klassen, die gehen zu 98 % [für weiterführende Studien] in den deutschsprachigen Raum […]. Und diese Bewegung ist auch hier [im Diekircher Lyzeum], wo das Franzö‐ sische noch nicht so vorgedrungen ist. Also eine Bewegung, die dazu führt, dass man [dass die Schüler] weniger nach Belgien geht, sondern mehr die germanophonen Länder aufsucht.“ um die Hauptstadt und in den südlich davon gelegenen, industriell geprägten Ge‐ genden. Auszüge aus den Experteninterviews bestätigen diesen Eindruck: Astrid Neumann (cours d’accueil Wiltz, Norden): „Woubäi villäicht nach eppes ze bemierken ass: Wa meng Kolleginne lo zu Esch [-Alzette] oder sou schwätzen - do hutt Däitsch eng aner Roll wéi hei. Hei ass nach méi, wou s de dech mam Däitschen kanns erëmklappen. Do [zu Esch] hutt Franséisch eng aner …, jo well do och baussen, egal wou s de gees, gëtt Franséisch geschwat. Bei eis zwar och scho vill, awer t’ass aneschters […]. Well doduerch, dass de mam Lëtzebuergeschen méi wäit kënns, kënns de och mam Däitschen méi wäit.“ 14 Laura Zuccoli (Präsidentin der Asti): „Däitsch ass e bëssen en perte de vitesse. Ass a verschidde Géigenden awer nach ëmmer wichteg, deemno wou ee wunnt, op der Musel oder a méi nërdleche Gebidder, ass dat nach ëmmer eng wichteg Sprooch, mee t’ass sécher, dass se méi a contre vitesse ass.“ 15 Romain Dockendorf (Deutschlehrer in Diekirch, Norden): „T’ass interessant, also sicht Iech onbedéngt eng Situatioun am Lycée zu Iechternach. Do gi Klassen zu 98 % an den däitschsproochegen Raum [studéieren]. […] An déi Beweegung ass och hei [am Dikrecher Lycée], do wou d’Franséischt nach net sou virgedrongen ass. Also eng Beweegung, déi derzou féiert, dass mer [dass d’Schüler] manner a Frankräich, manner an d’Belge [studéiere ginn], mee méi déi germanophon Länner opsichen.“ 16 2 Werbung in Printmedien 361 <?page no="362"?> An den folgenden Werbebeispielen wird deutlich, dass sich diese Einschät‐ zungen auch auf die Werbekommunikation in den ebengenannten Regionen des Landes auswirken. Abbildung 10: Werbebeispiel ‚Brandt’ (Quelle: Moien Land a Leit. Norden. Akaaftswelt, Kultur a Liewensart. Ausgabe Oktober 2015, S. 35.) XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 362 <?page no="363"?> Abbildung 11: Werbebeispiel ‚Burelbach’ (Quelle: ebd., S. 39.) 2 Werbung in Printmedien 363 <?page no="364"?> Abbildung 12: Werbebeispiel ‚Widu’ (Quelle: doheem. Äert Geschäft. Nr. 19., September 2015, S. 47.) XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 364 <?page no="365"?> Abbildung 13: Werbebeispiel ‚Matériaux Clement’ (Quelle: ebd., S. 48.) Abbildung 14: Werbebeispiel ‚Elmar Klein’ (Quelle: ebd., S. 40.) 2 Werbung in Printmedien 365 <?page no="366"?> 17 Die Magazine, in denen die Werbeanzeigen erschienen, bedienen die Nordregion. 18 Insgesamt drei Wurfsendungen mit Werbeprospekten wurden für dieses Kapitel durch‐ gesehen, damit wurden 88 Werbeprospekte analysiert. Abbildung 15: Werbebeispiel ‚CG Atelier’ (Quelle: ebd., S. 39.) Es sind Werbeanzeigen, die im September 2015 von Mittelstandsunternehmen geschaltet wurden und deren Standorte im Norden und Osten Luxemburgs liegen. 17 Die deutsche Sprache wird hier für die Werbung als ausreichend emp‐ funden. Nur wenige Unternehmen verfahren auf die gleiche Weise. In den Wurfsendungen, die für das vorliegende Kapitel gesichtet wurden, fand sich kaum Werbung, die ausschließlich auf Deutsch operierte. 18 Neben deutschen Marken, die für ihre Werbung in Luxemburg keine sprachlichen Anpassungen vornahmen und grenzüberschreitender Werbung, fielen hier letztlich nur die Prospekte eines luxemburgischen Möbelhauses, einer Drogeriekette und eines Teppichhandels ins Auge, die auf Deutsch warben, wobei die beiden erstge‐ nannten zusätzlich luxemburgische Slogans benutzten. Landesweit dominiert bei der Werbung die französische Sprache. Der Anteil französischsprachiger Werbung beläuft sich in den Printzeitungen auf circa 80 % (vgl. Reddeker 2011: 255 f.). F. S.: „De Printberäich ass jo virun allem Däitsch.“ Olivier Mores: „Jo, mee de Publicitéitsberäich ass Franséisch.“ F. S.: „Wat ass dann, Ärer Meenung no, d’Roll vun der däitscher Sprooch zu Lëtzebuerg? “ Olivier Mores: „Däitsch hutt eng marginal Roll an der Publicitéit, wann ech dat lo an engem Saz misst resuméieren. Eng wierklech marginal Roll an der Publicitéit. Sicht XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 366 <?page no="367"?> 19 F. S.: „Der Printbereich ist ja hauptsächlich auf Deutsch.“ Olivier Mores: „Ja, aber der Bereich der Werbung ist auf Französisch.“ F. S.: „Was ist denn, Ihrer Meinung nach, die Rolle der deutschen Sprache in Luxemburg? “ Olivier Mores: „Deutsch hat eine marginale Rolle in der Werbung. Suchen Sie mir mal eine Werbung, die auf Deutsch ist, nur auf Deutsch, also da fällt mir keine ein. Entweder ist es auf Französisch oder auf Luxem‐ burgisch.“ 20 F. S.: „Wenn man sich ein wenig die Werbung in den Zeitungen ansieht, dann ist da ja ganz viel auf Französisch? “ Rob Kieffer: „Ja, das hat natürlich auch viel damit zu tun, dass die frankophone Bevölkerung in Luxemburg zunimmt und es gibt ja auch die Grenz‐ gänger, die zwar jetzt nicht hier wohnen und nicht hier leben, aber hier arbeiten und auch das Luxemburger Wort lesen.“ mir eng Publicitéit, déi op Däitsch ass, nëmmen op Däitsch, also do fält mir lo keng an. Entweder ass et Franséisch oder op Lëtzebuergesch. […]“ 19 Der Verlag Saint-Paul veröffentlicht in seinen Printmedien grundsätzlich Wer‐ beanzeigen in der Sprache, für die der Werbekunde sich entscheidet (vgl. ebd.: 244). Soll die Werbung eine möglichst große Reichweite haben, fällt die Wahl auf die französische Sprache. F. S.: „Well wann een och sou bësse d’Reklammen an den Zeitungen kuckt, do ass jo ganz vill Franséisch? “ Rob Kieffer: „Jo, dat hutt natierlech och vill domatt ze dinn, dass déi frankophon Bevëlkerung zouhëlt zu Lëtzebuerg an t’si jo och Frontalieren, déi jo och zwar net hei wunnen an net hei liewen, mee jo awer och hei schaffen an och d’Lëtzebuerger Wort liesen.“ 20 F. S.: „Ass dann d’Wiel vun der Sprooch oft een Thema bei Eech bei Reklammen asw.? “ Olivier Mores: „Jo, mir denken schonn dorunner, natierlech, jee nodeem u wee mir eis riichten. […] Déi Däitsch, déi hei sinn, déi schonn e puer Joer hei wunnen, déi versti jo och e bësse Lëtzebuergesch, déi verstinn och Franséisch, wann et muss sinn. Déi kënne sech och un d’Lëtzebuergescht gewinne, well ech mengen dat do [zeigt auf eine Werbeanzeige], dat do versteet och een Däitschsproochegen, wann en et dräimol gelies hutt. […] An hei [zeigt auf eine Werbeanzeige] wollt een d’Lëtzebuerger areechen, also mécht een et op Lëtzebuergesch. Déi meescht Clienten vum Foyer sinn d’Lëtze‐ buerger, denken ech, t’ass eng traditionell Lëtzebuerger Assurancëgesellschaft. Si [d’Versécherungsgesellschaft Foyer] hunn natierlech och aner Clienten. Wann se lo 2 Werbung in Printmedien 367 <?page no="368"?> 21 Der Paperjam ist ein Wirtschafts- und Finanzmagazin auf Französisch (hauptsächlich) und Englisch. Im Wirtschafts- und Finanzbereich dominieren die Verkehrssprachen Französisch und Englisch. 22 F. S.: „Ist denn die Wahl der Sprache oft ein Thema bei Reklamen und dergleichen? “ Olivier Mores: „Ja wir denken schon daran, natürlich, je nachdem an wen wir uns richten. […] Die Deutschen, die hier sind, die schon ein paar Jahre hier wohnen, die verstehen ja auch ein wenig Luxemburgisch, die verstehen auch Französisch, wenn es sein muss. Die können sich auch an das Luxemburgische gewöhnen, denn ich meine, das da [zeigt auf eine Zeitungswerbung], das versteht auch ein Deutschsprachiger, wenn er es dreimal gelesen hat. […] Und hier [zeigt auf eine Zeitungswerbung] wollte man die Luxemburger erreichen, also macht man es auf Luxemburgisch. Die meisten Kunden des Foyer sind Luxemburger, denke ich, es ist eine traditionelle luxemburgische Versi‐ cherungsgesellschaft. Sie haben natürlich auch andere Kunden. Wenn sie jetzt im Pa‐ perjam werben würden, würden sie es vielleicht auf Englisch oder auf Französisch ma‐ chen, aber nicht auf Luxemburgisch.“ 23 Bei der systematischen Sichtung der gebundenen Printausgaben des Luxemburger Wortes von Januar 1983 bis Dezember 1999 fiel auf, dass Werbeanzeigen in den achtziger Jahren nahezu ausschließlich auf Deutsch verfasst wurden. eng [Reklamm] géingen am Paperjam 21 maachen, da géinge se et villäicht op Englesch maachen oder op Franséisch, awer net op Lëtzebuergesch.“ 22 Vor 30 Jahren sah die Werbung in den Tageszeitungen anders aus. Damals überwog Deutsch als Werbesprache. Der Sprachgebrauch der Printwerbung deckte sich mit der allgemeinen Sprachpraxis in den Printmedien. 23 F. S.: „D’Fro ass, ob dat dann nach ëmmer sou war oder ob dat sech verännert hutt? “ Olivier Mores: „Ech géing soe, wann nach e bëssen Däitsch do war virun 30 Joer, dann ass dat ënnergaang.“ F. S.: „A wéi ass et mam Lëtzebuergeschen, ass dat vill geklommen a leschter Zäit? “ Olivier Mores: „Also am Verglach mat virun 30 Joer op jiddwer Fall. Also virun 30 Joer gouf et dat do net [zeigt auf eine Zeitungswerbung in luxemburgischer Sprache].“ F. S.: „Wier do carrément wéi eng Sprooch benotzt ginn? “ Olivier Mores: „Villäicht Däitsch - mee virun 30 Joer hunn ech mech nach net mat der Publicitéit beschäftegt. Mee éischter Däitsch.“ F. S.: „Villäicht well d’Liesergrupp dunn och nach eng aner war? “ XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 368 <?page no="369"?> 24 F. S.: „Es ist die Frage, ob das schon immer so war oder ob es sich mit der Zeit verändert hat? “ Olivier Mores: „Ich würde sagen, wenn vor 30 Jahren noch ein wenig Deutsch da war, dann ist das mit der Zeit untergegangen.“ F. S.: „Und wie ist es mit dem Luxem‐ burgischen, hat das stark zugenommen in letzter Zeit? “ Olivier Mores: „Also verglichen mit der Situation vor 30 Jahren auf jeden Fall. Also vor 30 Jahren gab es das noch nicht [zeigt auf eine Zeitungswerbung in luxemburgischer Sprache].“ F. S.: Hätte man da … ja welche Sprache hätte man da eigentlich benutzt? “ Olivier Mores: „Vielleicht Deutsch - aber vor 30 Jahren habe ich mich noch nicht mit Werbung beschäftigt. Aber eher Deutsch.“ F. S.: „Vielleicht weil die Lesergruppe damals auch eine andere war? “ Olivier Mores: „Ja, vor 30 Jahren war Luxemburg anders als heute.“ 25 F. S.: „Kommen wir noch einmal zurück zur Luxemburger Post und deren Werbung. Welche Sprachen werden gebraucht bei Werbemaßnahmen im Fernsehen, im Kino …? “ Olivier Mores: „Ja das hängt davon ab, also im Printbereich ist es Französisch, ein wenig Por‐ tugiesisch, aber das ist ganz marginal. Es hängt vom Produkt ab. Es ist produktbezogen. Western Union ist ein internationaler Anbieter, mit dem man weltweit Geld tranferieren kann. […] Da wir viele Portugiesen haben, die von hier aus Geld nach Portugal ver‐ senden, machen wir da auch Werbung auf Portugiesisch. Aber sonst ist alles auf Fran‐ zösisch. Bei Prospekten nutzen wir auch ein wenig Deutsch manchmal, aber auch nicht viel.“ 26 Zum Beispiel spezielle Angebote für Flug- oder Busreisen nach Portugal. Olivier Mores: „Jo, mee virun 30 Joer war Lëtzebuerg aneschters.“ 24 F. S.: „Dann bei der Post lo nach eng Kéier d’Publicitéit: Fernseh, Kino, wat ginn do fir Sprooche gebraucht? “ Olivier Mores: „Jo t’hänkt dervun of, also am Print ass et Franséisch, e bësse Portu‐ gisesch awer dat ass ganz marginal. T’hänkt vum Produit of. T’ass produitbezunn. Zum Beispill Western Union ass eng international Boite mat där ee ka Suen transfer‐ éieren. […] Well mer vill Portugisen hunn, déi vun hei aus Suen a Portugal schécken, ma mer do och d’Publicitéit op Portugisesch. Mee soss ass alles op Franséisch. D’De‐ plianten och e bëssen Däitsch heiansdo, awer och net vill.“ 25 Die portugiesischen Zuwanderer weisen ein zum Teil spezifisches Konsumver‐ halten auf (vgl. ebd.: 155). Ihr, gemessen an der Gesamtbevölkerung, bedeu‐ tender Anteil rechtfertigt die Konzeption von eigens auf diese Gruppe zuge‐ schnittenen Werbekampagnen. 26 Für entsprechende Werbemaßnahmen bietet sich das Portugiesische an. Wenn ein Produkt eine junge Zielgruppe ansprechen soll, wird oft auf Lu‐ xemburgisch geworben, die Sprache, von der ausgegangen wird, dass sie von den Jugendlichen, die das luxemburgische Schulsystem durchlaufen, beherrscht wird: F. S.: „Wann Der lo z. B. eng Reklamm maacht fir Handyen, fir z. B. déi Jugendlech? “ 2 Werbung in Printmedien 369 <?page no="370"?> 27 F. S.: „Wenn Sie jetzt beispielsweise Werbung für Handys machen, die sich an Jugendliche richtet? “ Olivier Mores: „Das haben wir nicht, aber da würden wir es auf Luxembur‐ gisch machen, ja. Französisch ist die Sprache, die jeden erreicht, sogar einen Deutsch‐ sprachigen, würde ich sagen.“ 28 F. S.: „Und Luxemburgisch? “ Olivier Mores: „Nun auf RTL, im Fernsehen ist es auf Luxemburgisch, im Kino tendenziell auch auf Luxemburgisch.“ 29 Rob Kieffer: „Luxemburgisch kommt immer mehr auf, zum Beispiel wenn es um Wer‐ besports geht, gesprochene Werbespots oder Werbespots fürs Kino beispielsweise. Da spielt das Luxemburgische immer mehr mit. […] Ja oft sind es Kinospots, die aus dem Ausland kommen, wo wir dann nur die Übersetzung machen auf Luxemburgisch. Und da ist es auch, würde ich sagen so, dass da das Luxemburgische relativ viel mitspielt, das Französische auch, aber weniger das Deutsche.“ Olivier Mores: „Dat hu mer net, mee do géinge mer et op Lëtzebuergesch man, jo. Franséisch ass d’Sprooch, déi jiddwereen areecht, souguer een Däitschsproochegen, mengen ech.“ 27 Auch die englische Sprache wird mitunter genutzt, um ein junges oder inter‐ nationales Zielpublikum anzusprechen (vgl. ebd.: 246). F. S.: „An d’Lëtzebuergescht? ” Olivier Mores: „Lëtzebuergesch. Bon op RTL, op der Televisioun ass et op Lëtzebu‐ ergesch, am Kino och tendenziell Lëtzebuergesch.“ 28 Rob Kieffer: „Lëtzebuergesch kënnt alt méi op, zum Beispill, wann et em Werbespote geet, geschwate Werbespoten oder Werbespoten fir de Kino zum Beispill. Do spillt dat Lëtzebuergescht ëmmer méi mat. […] Jo oft sinn et Kinospoten, déi aus dem Ausland kommen. All déi, wou mir da just d’Iwwersetzung op Lëtzebuergesch man. An do ass awer och, géif ech soen, do spillt dat Lëtzebuergescht relativ vill mat, dat Franséischt och, mee manner dat Däitscht.“ 29 In Radio und Fernsehen ist die Frage nach der passenden Werbesprache schnell geklärt, da zurzeit nahezu sämtliche Anbieter in Luxemburg auf Luxemburgisch senden und Werbeakteure sich dieser Sprachpraxis dann anpassen. Bei RTL (Radio und Télé Lëtzebuerg) ist Luxemburgisch als Sendersprache vorge‐ schrieben, ausländische Werbung, die hier ausgestrahlt wird, muss demnach ganz oder in Teilen übersetzt werden (vgl. ebd.: 243). Der französischen Sprache wird eine Reichweite und Allgemeinverständlich‐ keit in Luxemburg zugeschrieben, die weder der deutschen noch der luxembur‐ gischen Sprache in gleichem Maße zuteil wird. Olivier Mores fasst die Wirkung der Werbesprache Französisch noch einmal so zusammen: XI. Sprachwissen in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung 370 <?page no="371"?> 30 Olivier Mores: „Man kann nicht alles in vier Sprachen machen, also sucht man - und das kostet ja auch - dann sucht man die aus, die am ehesten die breite Masse erreicht. […] Französisch ist einfach die Brücke, die breiteste Brücke, um ein Maximum an Leuten zu erreichen.“ 31 F. S.: „Da muss man ja auch immer die Entscheidung treffen, wen man jetzt ansprechen will und da würde ich jetzt behaupten mit Französisch kommt man …? ” Rob Kieffer: „Wenn man wirklich jetzt, […] ja wenn man wirklich nur eine Sprache aus finanziellen Gründen, aus organisatorischen Gründen, benutzen kann, dann ist das effektiv das Französische.” Olivier Mores: „Et kann een net alles a véier Sprooche man, also sicht een - an dat kascht jo och - da sicht een déi, déi am meeschten breet d’Leit arrecht. […] Franséisch ass einfach d’Bréck, déi breetste Bréck fir sou e Maximum u Leit ze areechen.” 30 Diese Brückenfunktion bzw. Allgemeinverständlichkeit des Französischen in Luxemburg unterstreicht auch Rob Kieffer: F. S.: „Da muss ee jo och ëmmer eng Entscheedung treffe, wee schwätzt een un an da géif ech elo soen mam Franséischen kënnt een …? “ Rob Kieffer: „Wann ee wierklech lo […] jo wann ee nëmmen eng Sprooch aus fi‐ nanzielle Grënn aus organisatoresche Grënn ka benotzen, dann ass dat effektiv dat Franséischt. Dat stëmmt scho jo.“ 31 2 Werbung in Printmedien 371 <?page no="372"?> XII. Schlussbetrachtung Die Metapher, die in der Anfangsbetrachtung zur Veranschaulichung herange‐ zogen wurde, erwies sich, ihr folgend, als ernüchternd und reizvoll zugleich: Das Bild des Eisberges verdeutlichte, dass zum einen eine Abnahme des Stellenwertes der deutschen Sprache im Land konstatiert wird und dass zum anderen nach den oft ‚unsichtbaren’ und ‚stillen’ Funktionen dieser Sprache in Luxemburg gesucht werden muss. Abschließend kann und soll kein Einflussgewinn oder -verlust der deutschen Sprache in Luxemburg als verallgemeinerndes Ergebnis der Arbeit festgehalten werden. Es sollte jedoch deutlich geworden sein, dass die deutsche Sprache für die luxemburgische Sprachgruppe nach wie vor einen bedeutenden Stellenwert als (vor allem) rezeptive Sprache einnimmt, für so manchen Zuwanderer aller‐ dings auf Dauer eine fremde Sprache ohne Relevanz bleibt. In Luxemburg leben verschiedene Sprachgruppen, die nicht dieselben Sprachpräferenzen haben. Jeder einzelne in dieser großen Sprachgemeinschaft bildet eine oder mehrere Sprachen aus, um sich im Land mitzuteilen und Informationen zu beziehen. Die deutsche Sprache kann für den einen zur Integrationssprache werden, für den anderen zur beliebtesten Mediensprache und für wieder andere überhaupt keine Rolle spielen. Um in Luxemburg zurechtzukommen, benötigt man keine Deutschkenntnisse. Deutsch ist zwar eine der drei offiziellen Landessprachen, aber nur eine von vielen Sprachen, die in der Bevölkerung Gebrauchswert er‐ langen. Die Dreisprachigkeit des Landes beruht auf einer historischen Entwick‐ lung. Vieles deutete darauf hin, dass innerhalb der einzelnen Domänen gegen‐ wärtig Verschiebungen stattfinden und entweder dort fortan mehrere Landessprachen (Deutsch, Französisch, Luxemburgisch) zugleich genutzt werden oder die sogenannten ‚Migrantensprachen’ (Portugiesisch, Serbokroa‐ tisch etc.) aber auch Englisch hinzutreten, um die reibungslosen Funktionsab‐ läufe der Gesellschaft zu garantieren und den Sprachverhaltensstrategien der Bevölkerung entgegenzukommen. Diese Entwicklungen bedeuten keineswegs, dass dabei eine Sprache völlig verloren geht, der Stellenwert der deutschen Sprache also etwa langsam dort ‚schmilzt’, wo jener der französischen an Raum gewinnt, sondern dass die Domäne, die einst von einer Sprache dominiert wurde, nun mehrere Sprachen für verschiedene Zielgruppen zulässt. Es deutet nichts darauf hin, dass das grundsätzliche Interesse und die Nachfrage an deutschsprachigen Informationsangeboten bei der luxemburgischen Sprach‐ <?page no="373"?> gruppe abnehmen könnten. Bei der jungen Generation scheint die deutsche Sprache sogar an Bedeutung hinzuzugewinnen, denn bei dieser haben sich die Vorbehalte gegenüber dem Nationen- und Kulturbegriff ‚Deutsch’ nahezu auf‐ gelöst. Der Stellenwert, den sie der deutschen Sprache beimessen, wird nicht mehr durch den Wissensrahmen über den Zweiten Weltkrieg eingeschränkt. Die Jugend - und das gilt sprachgruppenübergreifend - wählt nach Möglichkeit die Sprache, die ihr am einfachsten fällt, ohne lange darüber nachzudenken, welche Botschaft mit dieser Sprachwahl verbunden sein könnte. Bei Jugendli‐ chen mit Familiensprache Luxemburgisch (und oft auch Serbokroatisch) ist die ‚einfachere’ und ‚verständlichere’ Sprache, in der sie Informationen rezipieren, in der Regel die deutsche. Sie sind sich des Stellenwertes, den die französische Sprache als lingua franca im Land einnimmt und der Bedeutung von Franzö‐ sischkenntnissen beim Berufseintritt bewusst, tendieren aber trotzdem in zu‐ nehmendem Maße dazu, die Sprache wenn möglich zu umgehen und an ihrer Stelle die deutsche oder die luxemburgische zu verwenden. Das bedeutet nicht, dass das Deutsche einen Prestigegewinn im Land erfährt. Es ist schlichtweg für einen Teil der Bevölkerung die vertrautere Sprache. Einen Prestigeverlust erlebt dagegen die französische Sprache, die zur Umgangssprache und lingua franca für alle Sprachgruppen geworden ist. Die deutsche Sprache wird nicht mit dem Kontext ‚Zuwanderung’ in Verbindung gebracht und ist auch keine Sprache, die in der alltäglichen, medial-mündlichen, Kommunikation in Luxemburg erwartet wird. Hiervon zeugt auch das Bild, das viele DAF-Lerner vom Stellenwert des Deutschen in Luxemburg haben. Es wäre falsch sich diesbezüglich Illusionen zu machen: Bezogen auf die kommunikative Reichweite der Sprachen im Land, hat die französische Sprache einen Vermittlungswert, der den der deutschen (und auch der luxemburgischen) deutlich übersteigt. Für die luxemburgische Sprachgruppe bleibt die deutsche Sprache die belieb‐ teste Lese- und Fernsehsprache. Der Stempel, den sie damit als ‚beliebteste En‐ tertainmentsprache’ trägt, ist auf keinen Fall abwertend zu verstehen. Viele Schüler mit Migrationshintergrund erfahren ein frühes Scheitern im Deutsch‐ unterricht. Um die schulischen Ergebnisse zu verbessern, führt kein Weg an der Einführung eines systematischen DAZ-Unterrichts in Luxemburg vorbei. In diesem Zusammenhang sollte über die Vorteile von Leistungsgruppen nachge‐ dacht werden, eine Herangehensweise, die bedeutet die heterogene Klassenge‐ meinschaft trotz diversifizierender Maßnahmen zu erhalten. Wie eng der Stel‐ lenwert der Schulsprachen mit der Identität des Landes verbunden ist, hat die Beständigkeit der Topoi der ‚Ungerechtigkeit’, der ‚Realitätsanpassung’ und des ‚sui-generis-Topos’ gezeigt. Das luxemburgische Mentalitätenwissen im Bereich ‚Sprachverhalten und Sprachwissen’ wird vor allem über die Schule ausgebildet. XII. Schlussbetrachtung 373 <?page no="374"?> Es steht eine Reform an, die die Sprachenhierarchie verändern, einige würden wohl behaupten an die realen Gegebenheiten anpassen, wird. Die geplante Re‐ form der Kindertagesstätten mit der flächendeckenden Einführung einer Früh‐ förderung in Luxemburgisch und Französisch wird das Verhältnis der Schüler zur deutschen Sprache und die Erwerbsvoraussetzungen wahrscheinlich nach‐ haltig verändern. Durch diese Frühförderung könnte sich das Medienverhalten sprachgruppen-übergreifend in Richtung des Französischen verschieben, was den bislang ungesteuerten Erwerb der deutschen Sprache beeinflussen würde. Auch die Praktiker im Printmedien-Bereich versuchen eigenen Aussagen zu‐ folge Kompromisse zu finden, um ihr Angebot auf die verschiedenen Sprach‐ gruppen im Land zuzuschneiden. Gerade die traditionellen Zeitungen machen jedoch die Erfahrung, dass ihre Stammleser die Loslösung von ressortspezifi‐ schen Sprachgewohnheiten nur bedingt tolerieren. Die junge Leser-Generation zeigt sich hier grundsätzlich offener. Sie will nur eines: Möglichst schnell und knapp informiert werden. Sie beachtet dabei weniger das Sprachsystem, das ausgewählt wurde, sondern geht in Situationen, in denen sie keine (schulische oder gesellschaftliche) Beurteilung ihrer Sprachkompetenzen fürchtet, unbe‐ schwert mit Mehrsprachigkeit um. Diese Einstellung vereinfacht es den Ak‐ teuren im Medienbereich Veränderungen am Sprachgebrauch vorzunehmen und eventuell neue Zielgruppen zu erschließen. Dass das Medienangebot in Lu‐ xemburg in sprachlicher Hinsicht erweitert wird, bedeutet nicht den Abbau der deutschen Sprache, sondern die ergänzende Verwendung anderer Sprachen. Die deutsche Sprache bleibt ein unverzichtbares Kommunikationsinstrument in Lu‐ xemburg und ihre Bedeutung, um Informationen an die luxemburgische Sprach‐ gruppe zu vermitteln, darf genauso wenig unterschätzt werden wie die Reich‐ weite, die sie erfüllt, um andere Sprachgruppen im Land zu erreichen. Der Stellenwert, der der deutschen Sprache politisch zuerkannt wird, ist durch die Erfahrungen, die die Luxemburger unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg machen mussten, nachhaltig beeinflusst worden und wird durch die demographische Entwicklung des Landes bestimmt. Der Vermitt‐ lungswert der deutschen Sprache wird von Seiten der Politik jedoch nicht un‐ terschätzt. Genauso wenig wird der Hinweis auf die Deutschkenntnisse der Lu‐ xemburger beim nation branding außer Acht gelassen. Es war die übergeordnete Frage dieser Arbeit, wie die dominierende, luxemburgische, Sprachgruppe auf den Verlust an Relevanz ihrer Sprachverhaltensmuster reagiert und inwieweit sie sich von diesen zu lösen beginnt. Während im privaten Bereich die deutsche Sprache nach wie vor einen ungemein hohen Stellenwert als Mediensprache und als Informationssprache einnimmt, ist bei den Praktikern auf den sozialen XII. Schlussbetrachtung 374 <?page no="375"?> Feldern insgesamt ein Ausbau des Sprachangebots zu konstatieren, der auf der prinzipiellen Bereitschaft gründet, sich gegenüber neuen Sprachen zu öffnen. XII. Schlussbetrachtung 375 <?page no="376"?> Literaturverzeichnis Sekundärliteratur Actioun Lëtzebuergesch (2010): Zevill a net genuch … Franséisch oder Däitsch, um Radio an TV. Luxemburg. Online abrufbar unter: URL: http: / / www.actioun-letzebuergesch.lu/ aktuelles.html? news=94 (zuletzt abgerufen am: 11. 05. 2015). Allport, Gordon W. (1935): Attitudes. In: Murchison, Carl Allanmore (Hrsg.): Handbook of social psychology. Worcester, S. 798-844. Ammon, Ulrich (1995): Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz: das Problem der nationalen Varietäten. Berlin / New York: De Gruyter. Ammon, Ulrich (2015): Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Berlin: De Gruyter. Ammon, Ulrich et al. 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