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Focus on Evidence II

Netzwerke zwischen Fremdsprachendidaktik und Neurowissenschaften

0813
2018
978-3-8233-9120-3
978-3-8233-8120-4
Gunter Narr Verlag 
Heiner Böttger
Michaela Sambanis

Der vorliegende Konferenzband gliedert sich in zwei Teile: die Tagungsdokumentation und weiterführende Transferbeiträge. Die Tagungsdokumentation enthält die Vorträge der Expertinnen und Experten aus den Neurowissenschaften, die am 8.12.2017 bei FoE 2017 an der Freien Universität Berlin gehalten wurden. An die Vorträge schließen sich relevante Passagen der Transferdiskussion an. Vortragsschwerpunkte waren Embodied Cognition, das Schreiben von Hand oder mit Tastatur, Sprache und Musik sowie Kognition und Mehrsprachigkeit. Im zweiten Teil des Bandes finden sich Transferbeiträge, die von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung als Weiterführung des Transferanliegens ausgearbeitet wurden. Die Verfasserinnen und Verfasser reflektieren als Expertinnen und Experten für den Sprachunterricht aus unterschiedlichen Perspektiven das bei FoE 2017 Referierte, wobei auch die Auseinandersetzung mit konkreten Fragen aus der Praxis Berücksichtigung findet. Der Transfer führt somit sowohl in die Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft als auch in die Praxis des Lehrens und Lernens von Sprachen. Die Transferbeiträge setzen u. a. folgende thematische Schwerpunkte: Embodied Cognition, Wortschatzerwerb und Vokabellernen, die Verbindung zwischen Sprachenlernen und Musik, Aussprache sowie den Forschungsstand zu Musik und Emotionen. Zwei Transferbeiträge nehmen schließlich eine forschungsmethodische Perspektive ein.

<?page no="1"?> Focus on Evidence II - Netzwerke zwischen Fremdsprachendidaktik und Neurowissenschaften <?page no="3"?> Heiner Böttger / Michaela Sambanis (Hrsg.) Focus on Evidence II - Netzwerke zwischen Fremdsprachendidaktik und Neurowissenschaften <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Univ.-Prof. Dr. Michaela Sambanis, Didaktik des Englischen Freie Universität Berlin, Institut für Englische Philologie, FB Philosophie und Geisteswissenschaften, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin Univ.-Prof. Dr. Heiner Böttger, Didaktik der englischen Sprache und Literatur Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät, Universitätsallee 1, 85072 Eichstätt © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISBN 978-3-8233-8120-4 <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis Michaela Sambanis & Heiner Böttger ........................................................................ 9 Vorwort Michaela Sambanis ................................................................................................... 15 Die FoE-Weihnachtsgeschichte - sehr frei nach Lukas und einigermaßen kurz Carl H. Hahn............................................................................................................ 19 Frühkindliche Bildung neu denken Teil I Empirische Evidenz: Vorträge und Transferdiskussionen Markus Kiefer........................................................................................................... 31 Verkörperte Kognition: Die Verankerung von Denken und Sprache in Wahrnehmungs- und Handlungserfahrung Markus Kiefer........................................................................................................... 45 Embodied Cognition: Anchoring Thought and Language in Experiences of Perception and Action Focus on Evidence 2017 ........................................................................................... 51 Transferdiskussion: Markus Kiefer Petra A. Arndt.......................................................................................................... 55 Schreiben mit der Hand: Wichtiger Beitrag zum Schriftspracherwerb oder veraltete Kulturtechnik? Petra A. Arndt.......................................................................................................... 69 Writing by Hand: Cultural Relic or Essential Technique for Literacy? Focus on Evidence 2017 ........................................................................................... 77 Transferdiskussion: Petra A. Arndt Sebastian Jentschke ................................................................................................... 81 Interaktionen zwischen Sprache und Musik Sebastian Jentschke ................................................................................................... 97 Interactions Between Language and Music <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis 6 Focus on Evidence 2017 ......................................................................................... 103 Transferdiskussion: Sebastian Jentschke Julia Festman.......................................................................................................... 107 Von Psycholinguistik und Neurowissenschaften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer Julia Festman.......................................................................................................... 119 From Psycholinguistics and Neuroscience to Dealing with Multilingualism in the Classroom Focus on Evidence 2017 ......................................................................................... 123 Transferdiskussion: Julia Festman Teil II Beiträge zum Transfer der empirischen Evidenz Wolfgang Biederstädt ............................................................................................. 131 Wir müssen das Schreiben im Fachunterricht stärken! Anna Bitmann........................................................................................................ 141 Embodiment in Bilingual Science Classes: Concept Knowledge Made Visible Bärbel Diehr ........................................................................................................... 151 Language, Cognition, and Culture - a Model of the Bilingual Learner’s Mental Lexicon Julia Dose & Tanja Müller ..................................................................................... 163 Der „Meshed Methods-Ansatz“ am Beispiel evidenzbasierter Inklusionsforschung Urška Grum ........................................................................................................... 175 Im Fokus: Evidenz Peter Hohwiller ...................................................................................................... 181 Embodiment and the Literature Classroom Matthias Hutz ........................................................................................................ 189 Die Verankerung von Wortschatz im sensorischen und motorischen System <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis 7 Natasha Janzen Ulbricht ........................................................................................ 199 The Role of Music and Theater as Classroom Glue: an Experienced Teacher Navigates Chaos and Group Cohesion Christiane Klempin ................................................................................................ 207 Professionalisierung von Englischlehramtsstudierenden durch Embodiment fremdsprachendidaktischer Theorie im English Lab Markus Kötter ........................................................................................................ 217 Fremdsprachiger Wortschatzaufbau im Lichte der jüngeren Forschung Eva Reid & Božena Horváthová ............................................................................. 227 Pronunciation Strategies at Primary and Secondary Level of TEFL Irena Reinhardt ...................................................................................................... 237 MALL im Englischunterricht - die Nutzung einer Applikation als Lernstrategie zum selbstgesteuerten Vokabellernen Jennifer Schilitz ...................................................................................................... 247 Gestengestütztes Vokabellernen im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe Oriana Uhl ............................................................................................................. 257 Emotionen und Musik im Fremdsprachenunterricht Maria Witt ............................................................................................................. 265 Let’s move! - Yes, let‘s! - Ein Promotionsprojekt zum Grammatiklernen mit Bewegung im Englischunterricht Autorinnen und Autoren .......................................................................................275 Team FoE & Sponsoren ..........................................................................................278 <?page no="8"?> Magdalena Luise Mielke, Spiegelverdreht, Berlin <?page no="9"?> Michaela Sambanis & Heiner Böttger Vorwort Geboren und konkretisiert wurde die Idee einer gemeinsamen Tagungsreihe zum didaktischen Transfer von neurowissenschaftlichen Befunden auf den Kontext des fremdsprachlichen Klassenzimmers 2014 im Büro von Michaela Sambanis an der Freien Universität in Berlin. Erstmals konkret wurde es in Eichstätt 2015 an Heiner Böttgers Alma mater, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Die vielversprechenden Ergebnisse, dokumentiert im ersten, mehrfach bestens rezensierten Tagungsband „Focus on Evidence - Fremdsprachendidaktik trifft Neurowissenschaften“ waren ermutigend, weitere Konferenzen mehr als gewünscht. So kehrte „FoE 2017“ ganz logisch zwingend an den Ort seines konzeptionellen Entstehens zurück, nach Berlin, dorthin, wo alles begann. Bewährtes sollte erhalten, Neues integriert werden. In den zwei Jahren zwischen FoE 2015 Eichstätt und FoE 2017 Berlin schärften die beiden Veranstalter das Profil der evidenzbasierten Ausrichtung durch viele Vorträge, Workshops und eigene Publikationen - parallel zur aufwändigen Vorbereitungsarbeit für FoE im Dezember 2017. Die Spannung und Vorfreude war groß bei allen Beteiligten. 1 Focus on Evidence (FoE) 2017 - Netzwerke verdichten Die Grundausrichtung des Konferenzgedankens blieb auch 2017 erhalten: Das Ziel war klar formuliert und kommuniziert: Gemeinsam Wege der Übersetzung und des Transfers neurowissenschaftlicher Befunde in evidenzbasierte Handlungsimpulse für den Fremdsprachenunterricht zu diskutieren und so für einen ersten Ansatz einer wissenschaftsübergreifenden „Übersetzung“ zu sorgen. (Böttger & Sambanis 2016: 10) Jedoch: Während FoE 2015 unter der Prämisse des erstmaligen Zusammentreffens stattfand, rückte diesmal - in etwa wie bei der neuronalen Entwicklung des Gehirns beim Lernen - die Stärkung der mittlerweile umfangreichen Netzwerke in den Vordergrund. Eine solche Weiterentwicklung bei FoE 2017 ging einher mit der Spezialisierung auf ausgewählte Aspekte: Diese Erkenntnisse sollen zum Verständnis der sich beim Lernen vollziehenden Prozesse beitragen und damit die Grundlage, auf der pädagogische und didaktische Entscheidungen im Sinne einer evidenzbewussten Praxis getroffen werden, verdichten. (Sambanis 2017: 267) <?page no="10"?> Michaela Sambanis & Heiner Böttger 10 Zu FoE 2017 geladen waren erneut bundesweit Expertinnen und Experten für Fremdsprachendidaktik. Sie alle verbindet eine bestimmte Interessenshaltung und Kompetenz - nur so konnte der Transfer erneut gelingen: Eine kritische Auseinandersetzung mit Befunden der Neurowissenschaften setzt ein Verständnis für deren Fragestellungen, Methoden der Datenerhebung und -auswertung usw. voraus. Zugleich bedarf es, um Relevantes für die Fremdsprachendidaktik identifizieren sowie Verzerrungen und Fehlinterpretationen im Prozess des Auswählens und Aufschlüsselns von Wissensbeständen vermeiden zu können, solider fremdsprachendidaktischer Expertise und zwar in wissenschaftlicher wie auch in unterrichtspraktischer Hinsicht. (Sambanis 2017: 267f.) Es waren letztlich 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort und mehr als 2.000 in Echtzeit weltweit im Netz mit Berlin verbunden. 20 Länder waren vertreten im Webinar, darunter: Kanada, Niederlande, Spanien, Neuseeland, Ukraine, Polen, Kamerun, Portugal, Österreich, Indien, Griechenland, Schweiz, China, Algerien, Slowenien, Russland und Georgien. Wieder stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Fragen bereits während der Vorträge mittels mobiler Endgeräte und beteiligten sich so ortsunabhängig aktiv. Und nicht einmal die Zwangsevakuierung durch Bombenalarm wegen eines verdächtigen Gegenstandes an der FU Berlin just zum Zeitpunkt der Eröffnung der Konferenz konnte die an Evidenzen und am Transfer von Befunden Interessierten schrecken: Wie im Konnektom Gehirn beim Ausfall bestimmter Funktionen alternative Bahnen die Abläufe übernehmen, so waren dies bei FoE 2017 die Flexibilität und Gelassenheit aller Beteiligten. Bemerkenswert - und ein starkes Zeichen für ein funktionierendes Netzwerk! Bevor im Folgenden Hinweise zum Aufbau des Tagungsbandes gegeben werden, möchten wir, Michaela Sambanis und Heiner Böttger, als Gastgeber und Initiatoren der Tagung ein Wort des Dankes an all jene richten, die mit uns zusammen FoE 2017 möglich gemacht haben. Hierzu zählen die Unterstützer, die durch ihre Geld- und Sachspenden nicht nur in das Vorhaben investiert, sondern dadurch auch die Wertschätzung und Relevanz zum Ausdruck gebracht haben, die sie dieser Art des Transfers von Evidenzbeständen beimessen. Unser Dank gilt den Verlagen Klett, Cornelsen und Narr. Außerdem wurde FoE 2017 durch die Freie Universität Berlin sowie die Berliner Eismanufaktur Florida Eis unterstützt. Unser Dank gilt überdies unseren Teams der Didaktik des Englischen an der FU Berlin und der KU Eichstätt-Ingolstadt, hier im Besonderem dem leitenden Tagungsteam: Anna Bitmann (FU), Christiane Klempin (FU), Tanja Müller (KU) sowie Dominik Grubecki (FU). Anna Bitmann unterstützte außerdem die Arbeit am Tagungsband organisatorisch, trug inhaltlich bei und <?page no="11"?> Vorwort 11 koordinierte wichtige Abläufe sowie die Kommunikation mit den Beitragenden überaus kompetent. Hierfür ein herzliches Dankeschön. John Crutchfield danken wir für seine englischsprachige Expertise. Ebenso danken wir der Berliner Fotografin Magdalena Luise Mielke, die die Präsenztagung begleitete und mit schnellem Auslöser und scharfer Linse für eine lebhafte Dokumentation des Geschehens sorgte. Auch bei den renommierten Expertinnen und Experten, die in den Vorträgen und Diskussionen ihre Erkenntnisse zur Verfügung gestellt haben, sowie beim Schirmherrn der Tagungsreihe, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Carl H. Hahn, möchten wir uns bedanken. Durch die Vorträge wurden Einblicke eröffnet und Impulse gegeben, die in einem weiteren Schritt von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Präsenzveranstaltung auf vielfältige Weise weitergedacht und in Transferüberlegungen überführt werden konnten. Vorträge und Transferbeiträge bilden wichtige Bestandteile des Tagungsbandes. 2 Der Tagungsband im Überblick Der vorliegende Band gliedert sich in zwei Teile: die Tagungsdokumentation und die weiterführenden Transferbeiträge. Der erste Teil, die Tagungsdokumentation, enthält zunächst die Vorträge der Expertinnen und Experten aus den Neurowissenschaften, die am 8.12.2017 bei FoE 2017 an der Freien Universität Berlin gehalten wurden. Sie sind in deutscher Sprache abgefasst und werden jeweils ergänzt durch eine auf ausgewählte Aspekte verdichtete Fassung auf Englisch. An die Vorträge schließen sich relevante Passagen der im Rahmen der Tagung geführten Transferdiskussion an, an der sich die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer vor Ort sowie die im virtuellen Tagungsraum (Webinar) beteiligen konnten. Prof. Dr. Markus Kiefer (Ulm) eröffnete die Tagung mit seinem Vortrag Verkörperte Kognition: Die Verankerung von Denken und Sprache in Wahrnehmungs- und Handlungserfahrung. Daran schloss sich Dr. Petra A. Arndt (Ulm) mit dem Thema Schreiben mit der Hand: Ein wichtiger Beitrag zum Schriftspracherwerb oder eine veraltete Kulturtechnik? an. Dr. Sebastian Jentschke (Bergen, Norwegen) referierte zu Interaktionen zwischen Sprache und Musik, und Prof. Dr. Julia Festman (Tirol, Österreich) berichtete Von „cognitive advantage“, „Risikokindern“ und „multilingual resources“… ‒ Kognition und Mehrsprachigkeit im Kontext Schule. 1 Im zweiten Teil des Bandes finden sich dann die oben erwähnten Transferbeiträge, die von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Präsenztagung im Sinne einer Weiterführung des Transferanliegens ausgearbeitet wurden. Alle 1 Es schloss sich eine Postersession an, bei der Forschungsprojekte der Didaktik des Englischen der FU und der KU vorgestellt wurden. Die Poster können auf der Tagungswebsite eingesehen werden: www.foe2017.de/ dokumentation/ . <?page no="12"?> Michaela Sambanis & Heiner Böttger 12 Transferbeiträge knüpfen an Befunde an, die bei FoE 2017 referiert wurden oder an Impulse aus der Transferdiskussion vor Ort. Die Verfasserinnen und Verfasser der Transferbeiträge reflektieren als Expertinnen und Experten für den Sprachunterricht aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus und perspektivieren das Referierte auf verschiedene Felder der Fremdsprachendidaktik, wobei auch die Auseinandersetzung mit konkreten Fragen aus der Praxis und mit Handlungsbedarfen Berücksichtigung findet. Der Transfer führt somit sowohl in die Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft als auch in die Praxis des Lehrens und Lernens von Sprachen. Die Transferbeiträge, einige in deutscher, einige in englischer Sprache abgefasst, sind im Band alphabetisch abgedruckt. Sie setzen unterschiedliche thematische Schwerpunkte, wobei sich einige Schnittmengen abzeichnen: Einen ersten gemeinsamen Schwerpunkt setzen die Beiträge, die an Embodied Cognition anknüpfen. Peter Hohwiller bezieht Befunde auf den Englischunterricht und entwickelt am Beispiel eines Gedichtes Möglichkeiten einer verkörperlichten Auseinandersetzung. Maria Witt gibt Einblicke in ein Forschungsprojekt, das den Einsatz von Bewegungen vor bzw. während der Befassung mit Grammatik im Englischunterricht untersucht. Christiane Klempins Beitrag stellt ein universitäres Lehrformat vor, das Embodied cognition umsetzt und dabei auch das Schreiben von Hand als Katalysator des Reflexionsprozesses berücksichtigt. Anna Bitmann perspektiviert Embodied Cognition auf den Science-Unterricht und eröffnet damit Einblicke in ein kurz vor dem Abschluss stehendes Forschungsprojekt. Wortschatzerwerb und Vokabellernen bilden einen weiteren Schwerpunkt, der von den Verfasserinnen und Verfassern verschiedener Transferbeiträge u.a. mit Befunden zum Schreiben von Hand oder mit der Tastatur oder zum Embodiment in Verbindung gesetzt wird. Im Zentrum des Beitrags von Bärbel Diehr stehen systematische Betrachtungen zur Speicherung konzeptuellen und linguistischen Wissens in zwei Sprachen, und der Transfer wird von ihr weiter zum bilingualen Lehren und Lernen geführt. Matthias Hutz begibt sich auf die Suche nach Unterrichtsangeboten, die beim Wortschatzerwerb das sensorische und motorische System berücksichtigen und stellt Anregungen für die Wortschatzarbeit in der Praxis zur Verfügung. Auch der Beitrag von Jennifer Schilitz fokussiert das Vokabellernen. Sie gibt damit erste Einblicke in ausgewählte Erkenntnisse einer aktuellen empirischen Studie in der Oberstufe, die drei Bedingungen untersuchte: das Lernen mit Bewegungen, in Entspannung sowie mit sonstigen unterrichtsüblichen Formen ohne Bewegungs- oder Entspannungskomponente. Markus Kötter widmet sich dem Thema Wortschatzaufbau im Englischunterricht der Grundschule und schließt seinen Beitrag mit mehreren Fragen an die Forschung, die sich aus der Auseinandersetzung mit den Vorträgen von Petra A. Arndt, Markus Kiefer und Sebastian Jentschke speisen. Irena Reinhardt stellt das Thema Wortschatzerwerb unter Bezugnahme auf ihre Studie zur Nutzung von Apps <?page no="13"?> Vorwort 13 dar und macht damit die von ihr generierten Erkenntnisse erstmals der Öffentlichkeit zugänglich. Um Schreiben geht es im Beitrag von Wolfgang Biederstädt: Im Zentrum stehen Überlegungen zur Förderung des fachbezogenen Schreibens, illustriert an Beispielen aus dem Erdkundeunterricht und ergänzt durch konkrete Hinweise für Lehrkräfte. Ein weiterer Schwerpunkt, der in drei Transferbeiträgen besondere Berücksichtigung findet, ist die Verbindung zwischen dem Sprachenlernen und Musik. Božena Horváthová und Eva Reid befassen sich mit dem Strategieneinsatz von Lehrkräften zur Förderung der Aussprache von Schülerinnen und Schülern - eine sprachliche Leistung, die Verbindungen zu Musik zeigt (Sprachmelodie im Allgemeinen, Prosodie etc.). Oriana Uhl gibt Einblicke in den Forschungsstand zu Musik und Emotionen und zeigt Chancen und Grenzen des Musikeinsatzes im Fremdsprachenunterricht auf. Natasha Janzen Ulbricht berichtet unter Bezugnahme auf die Vorträge von Sebastian Jentschke und Julia Festman von einem Projekt in einer sogenannten Willkommensklasse, d.h. einer Klasse, in der Flüchtlingskinder unterrichtet werden, bevor sie in Regelklassen wechseln. Das Projekt verbindet dramapädagogische und musikalische Elemente mit dem Sprachenlernen und veranlasst die Verfasserin, die im Praxisfeld gesammelten Erfahrungen unter Bezugnahme auf die Neurowissenschaften zu deuten und mit Überlegungen zur Performativität des Lehrerhandelns in Verbindung zu setzen. Eine vorrangig forschungsmethodische Perspektive nimmt der Beitrag von Tanja Müller und Julia Dose sowie der von Urška Grum ein. Tanja Müller und Julia Dose plädieren vor dem Hintergrund eines aktuellen Forschungsprojektes zum inklusiven Englischunterricht für neue Wege der Verknüpfung qualitativer und quantitativer Forschung. Sie zeigen exemplarisch auf, wie durch den von ihnen entwickelten Ansatz auch Befunde der Neurowissenschaften z.B. mit solchen aus der didaktischen Forschung zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Urška Grum geht von der Frage aus, wann von Evidenzbasierung gesprochen werden dürfe und wie der Transfer evidenzbasierter Forschungsbefunde in eine evidenzbasierte Praxis vonstattengehen könne. Dabei nimmt sie Bezug auf Meta-Analysen als ein wichtiges Vorgehen zur systematischen Zusammenführung von Erkenntnissen. Die Vielfalt der Beiträge und die Bandbreite an Professionalität, die durch die Beitragenden abgebildet wird - von führenden Fremdsprachendidaktikerinnen und -didaktikern über reflektierende Praktikerinnen und Praktiker bis hin zu aufstrebenden Jungwissenschaftlerinnen und Jungwissenschaftlern - sprechen für sich. Daher möchten wir, Michaela Sambanis und Heiner Böttger, keine weiteren langen Ausführungen mehr anschließen, sondern lediglich noch darauf hinweisen, dass Kurzinformationen zu den Beitragenden und Vortragenden im Register am Ende des Bandes zu finden sind. <?page no="14"?> Michaela Sambanis & Heiner Böttger 14 Wir wünschen Ihnen gute Lektüre und freuen uns, dass wir durch den vorliegenden FoE-Band weiter mit Ihnen gemeinsam an den Netzwerken zwischen Fremdsprachendidaktik und Neurowissenschaften sowie zwischen Wissenschaft und Praxis knüpfen können. Literatur Böttger, H. & Sambanis, M. (Hrsg.) (2016): Focus on Evidence - Fremdsprachendidaktik trifft Neurowissenschaften. Tübingen: Narr. Sambanis, M. (2017): Neurodidaktik. In: Surkamp, C. (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler, 266-269. Berlin & Eichstätt, im Sommer 2018 <?page no="15"?> Michaela Sambanis Die FoE-Weihnachtsgeschichte - sehr frei nach Lukas und einigermaßen kurz 2 Es begab sich aber zu der Zeit, dass eine Einladung von den Focus on Evidence- Initiatoren, Michaela Sambanis und Heiner Böttger, ausging, dass die hochgeschätzten, an Neurowissenschaften interessierten Kollegen sich vernetzen mögen. Und diese Tagung zum Schaffen von Netzwerken zwischen Didaktik und Neurowissenschaften war die zweite und geschah zu der Zeit, da niemand mehr so recht wusste, ob der BER eines Tages tatsächlich als Flughafen dienen oder einem alternativen Nutzungskonzept zugeführt würde. Die Vorschläge für Nutzungsalternativen reichten zu jener Zeit von einem nationalen Feuerwehrübungszentrum - wo sonst kann man den Ernstfall mit derart unzureichenden Brandschutzeinrichtungen üben? -, über eine riesige Go-Kart Rennstrecke, ein absolutes Must-have für jede Metropole, bis hin zur Einrichtung einer dauerhaften Party- und Festivalzone, womit man Friedrichshain- Kreuzberg vom Party- und Sauftourismus entlasten könnte. Abb. 1: Nachricht an Partytouristen. Quelle: www.notesofberlin.com. Zurück aber zu unserer Weihnachtsgeschichte. 2 Im Jahr 2015 wurde an der Katholischen Universität (KU) Eichstätt-Ingolstadt die erste Tagung in der Reihe Focus on Evidence (FoE) anstelle einer traditionellen Begrüßung mit einer Geschichte eröffnet. Diese Tradition wurde im Dezember 2017 bei der zweiten Tagung fortgesetzt. Mit der FoE-Weihnachtsgeschichte wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Vorabend der Veranstaltung beim Conference Warming an der Freien Universität (FU) Berlin begrüßt. <?page no="16"?> Michaela Sambanis 16 Da machte sich auf Heiner Böttger aus dem gelobten Land, das da heißt Bayern, in die Bundeshauptstadt Berlin, die ihre Linienbusse mit Sprüchen betextet wie: „Liebe Schwaben, wir bringen euch gerne zum Flughafen.“ oder „Benutz mich, du willst es doch auch! “. Und auf der Heckscheibe ist Platz für einen launigen Gruß an jene, die den Bus verpasst haben und ihm frustriert hinterherstarren: Abb. 2: Läuft bei dir. Quelle: privat. Heiner machte sich also auf nach Berlin, darum dass er Mitinitiator der Tagungsreihe Focus on Evidence war, auf dass er die Tagungsgäste willkommen heißen könne mit Michaela, seiner Kollegin, die war, nein, nicht schwanger, sondern eifrig am Vorbereiten zusammen mit den Heerscharen, die man da nannte Tagungsorganisationsteam. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass die Tagungsgäste eintreffen sollten - es waren übrigens viel mehr als nur drei Weise! Und alsbald war da bei Michaela und Heiner die Menge der hochgeschätzten geladenen Gäste, nebst Referentinnen und Referenten, die freuten sich, zunächst einmal über die Begegnung am Abend an der FU, über der natürlich ein Stern leuchtete, um den Weg zu weisen. Und sie sprachen: „So lasst uns nun hören von Befunden der Neurowissenschaften morgen in der Rost- und Silberlaube“, die in unserer Weihnachtsgeschichte natürlich die Analogie zum Stall bildet. Und da erhoben sie die Gläser, wünschten einander ein Wohlgefallen und so ward aus Abend und Tag darauf die zweite Veranstaltung in der Reihe Focus on Evidence - Netzwerke zwischen Didaktik und Neurowissenschaften. Frohes Focus on Evidence allen! <?page no="18"?> Schirmherr Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Carl H. Hahn Carl H. Hahn ist Mitglied des Aufsichtsrats zahlreicher globaler Unternehmen, Honorarprofessor an verschiedenen Universitäten, und sehr geschätzter Berater in Wirtschafts- und Politikfragen. Er ist Ehrenvorsitzender im Aufsichtsrat bei Audi, Seat und Skoda. Weltweit verliehen ihm zehn Hochschulen akademische Würden. 3 Neben seiner wirtschaftlichen Expertise zeichnet Prof. Hahn auch sein weitreichendes Engagement für Kultur- und Bildungseinrichtungen aus. Er ist Ehrenbürger der Stadt Wolfsburg, seiner Heimatstadt Chemnitz und der Stadt Zwickau. Auf Initiative von Prof. Hahn wurde zur Förderung vorschulischer und schulischer Bildung im Wolfsburger Edith-Stein-Kindergarten 2007 eine englischsprachige Kindergartengruppe für Kinder ab drei Jahren eingerichtet. Anliegen des innovativen Projekts ist es, die Kinder spielerisch an Lesen, Schreiben und Rechnen in zwei Sprachen heranzuführen. Das Projekt beweist das enorme Potenzial des spielerischen Lernens von Kindern in diesem Alter für die Entwicklung des Gehirns. Die besondere frühkindliche Förderung, bei der Kinder jeder Begabung gewinnen, schafft darüber hinaus die Grundlage für eine mögliche, jedoch noch zu beweisende Verkürzung der schulischen Ausbildung und damit auch für einen früheren Eintritt in das Studium und Berufsleben. 3 www.hahn-carl.de Magdalena Luise Mielke, Spiegelverdreht, Berlin <?page no="19"?> Carl H. Hahn Frühkindliche Bildung neu denken Berlin, den 7. Dezember 2017 - es gilt das gesprochene Wort - Sehr geehrte Frau Professor Sambanis, sehr geehrter Herr Professor Böttger, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir eine große Ehre beim heutigen Kongress hier in Berlin zu Ihnen sprechen zu dürfen. Bedeutend ist für mich heute hier unter Fachleuten sein zu dürfen, obwohl ich selbst weder ein Experte der Neurowissenschaften noch der Pädagoge bin. Allerdings befasse ich mich intensiv mit diesen Themen und habe so meinen eigenen Erfahrungsschatz aufbauen können. Ich bin also ein interessierter und erfahrener Amateur auf diesen Gebieten. Meine Damen und Herren, einleitend möchte ich Ihnen die dramatische Situation in Europa aus meiner Sicht darlegen. Die heutige Stellung in der Welt verdankt Europa unseren Wissenschaftlern, die in der gestrigen Welt alle wesentlichen Grundlagen für die Welt von heute schufen. Zusammen mit der Aufbaugeneration nach dem 2. Weltkrieg führte dies Europa an die Spitze der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Doch unser Spitzenruf und die gute Position sind heute mehr in Frage gestellt denn je! Vielmehr müssen wir realisieren, dass wir auf zu vielen Gebieten der wissenschaftlichen Zukunftsforschung zurückgefallen, respektive gar nicht mehr vertreten sind. Nachdem wir 1989 mit dem Fall des Eisernen Vorhangs das Triumphjahr der liberalen Demokratie gegenüber den sozialistischen Volksdemokratien des Ostblocks erlebt hatten, und damit auch die eklatante Überlegenheit der Marktwirtschaft, schien der Siegeszug der westlichen Demokratien unter der Führung der USA unaufhaltbar. Heute müssen wir festhalten, dass diese Einschätzung weit gefehlt war. Meine Damen und Herren, aktuell ist die Situation eine völlig andere. Die Zukunft Europas wird nur durch überlegene Technik und Produkte, sprich Innovationen sowie überlegene Kostenstrukturen zu sichern sein. Dies wiederum setzt eine hohe Kompetenz, Wissensbreite, Motivation und Leistungsbereitschaft voraus. Wichtiger denn je ist es deshalb, das intellektuelle Potenzial unserer Bürger wieder stärker zu mobilisieren. Dem Bildungssystem kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Hier gibt und gab es in den letzten Jahren große Versäumnisse! Das Bildungssystem muss in jeder Hinsicht wettbewerbsfähig werden, um die Menschen adäquat auf <?page no="20"?> Carl H. Hahn 20 die Herausforderungen einer veränderten Welt vorzubereiten, in der schon heute mehr als 60 % ihr Zuhause in Asien haben. Bei einem weiter schrumpfenden Anteil an der Weltbevölkerung von gegenwärtig nicht einmal 10 % wird Europa in der von Asien dominierten Welt von morgen überdies nur dann Erfolg haben können, wenn es geschlossen auftritt. In Deutschland leben mittlerweile weniger als 1 % der gesamten Weltbevölkerung. Nur mit Kompetenz und Wissensbreite werden wir die Aufgaben der Zukunft erfolgreich meistern. Was wir besonders benötigen, ist die richtige Geisteshaltung, sprich die Bereitschaft zur Leistung ebenso wie die Offenheit für neue Ideen und ein breites Verständnis für die uns gestellten Aufgaben. Strategiefaktor Nr. 1 muss deshalb ohne „wenn“ und „aber“ die Bildungspolitik sein. Und darunter fällt auch die Infrastruktur und Struktur in Kindergärten, Schulen, Universitäten sowie Bildungseinrichtungen schlechthin. Schließlich kann eine Demokratie nur mit mündigen, aufgeklärten Bürgern funktionieren, die imstande sind, unsere immer komplexer werdende Welt zu verstehen. Das Bildungsniveau der breiten Bevölkerung entscheidet letzten Endes über die Qualität der Demokratie und das Wohl von Staaten und damit der Gesellschaft. Der Erfolg von Nationen wird deshalb künftig mehr denn je davon abhängen, inwieweit es gelingt, das intellektuelle Potenzial der Bürger zu mobilisieren und ihre Urteilsfähigkeit zu schärfen. Heute klagen die Wirtschaft, Universitäten und die Wissenschaft über unseren unzureichenden schulischen Unterbau. Einer der Gründe für den Luxus einer dramatischen Abbruchquote auf den Universitäten. Der Abstand in Mathematik in den PISA-Statistiken wird immer größer, was allerdings den Bundestag nicht zu einer Alarmsitzung veranlassen würde. Humboldt schuf die Maßstäbe für die Universitäten der Welt. Nach dem Shanghai Ranking, das wir arrogant ignorieren, deshalb nicht diskutieren wollen, befinden sich unter den 100 besten Universitäten der Welt unter anderem 50 US-amerikanische, 8 britische, 6 australische, 4 schweizerische und schließlich 3 deutsche Universitäten. Analysen zeigen klar, dass bei dem Tempo des Fortschritts staatliche naturwissenschaftliche Universitäten trotz Milliarden an Steuergeldern einfach nicht mithalten können. Privatwirtschaftliche unternehmerische Universitäten und wissenschaftliche Institute kennen demgegenüber keine Geldsorgen und leisten sich die besten Professoren. Auf diesem Wege ziehen sie die besten „Elite-Studenten“ an. Allerdings haben privatwirtschaftliche Universitäten auch eine völlig andere Erwartungshaltung in die Resultate der Arbeit. Die Professoren stehen in einem Wettbewerbsumfeld und arbeiten nach Leistungsprinzipien und eben nicht in einer „Lebensstellung“. Diese Professoren haben eben nicht eine Stellung - bei allem Respekt - die vergleichbar mit der eines Beamten in einem deutschen Ministerium ist. So arbeiten 67 % aller Nobelpreisträger in den USA, lassen die Eliten von Morgen dort ihre Netzwerke bilden. Studenten aus der ganzen Welt immatrikulieren sich an solchen Uni- <?page no="21"?> Frühkindliche Bildung neu denken 21 versitäten, vorausgesetzt sie gehören zu den 5 bis 10 %, welche die Aufnahmeprüfung bestanden und damit eine Visitenkarte für die Welt von Morgen besitzen. All dies mit den entsprechenden Rückkopplungen auf einen elitären Lehrbetrieb, Stipendien und die Finanzierung eingeschlossen. Meine Damen und Herren, wo wird der Grundstein für die Ausbildung gelegt? Es sind die Kindertagesstätten - kurz Kitas genannt. Besonders hier liegt schon mehr als genug im Argen. Die Kultusminister haben das Glück, unsere Eltern das Pech, in der Regel gar nicht für Kitas zuständig zu sein. Auch wenn nicht mehr alle inzwischen dem Sozialministerium unterstehen, sondern vielleicht dem Familienministerium oder gar Kultusministerium. Da die Kultusminister in Deutschland sich nicht in Richtung akademische Ausbildung - im Gegensatz zu 23 Ländern der EU - entscheiden können, sind gut gemeinte Sprach- und eine Vielzahl sonstiger Programme mangels qualifizierter Lehrkräfte in unseren Kitas ziemlich nutzlos, obwohl sie gut klingen. Um hier Missverständnissen vorzubeugen, es geht nicht um die Qualität der Arbeit und das Engagement der Lehrkräfte in aktuellen Aufgabenfeldern. Mir geht es um die Qualifikation und die Fertigkeiten der Lehrkräfte, in der Welt von morgen und in einem innovativen und veränderten Umfeld frühzeitig die richtigen Strukturen zu schaffen. Meine Damen und Herren, einem dreijährigen, noch nicht alphabetisierten Kind Englisch nicht über Vokabelpauken, sondern mit bestimmten Techniken, beispielsweise überspannendes Schreiben, beizubringen und seine Neugierde wach zu halten, erfordert auch große schauspielerische, nicht nur pädagogische Künste der native speaker. Aber so kann - ja muss - die zehnfach höhere Lernbzw. Aufsauggeschwindigkeit eines Kindes im Vergleich zu einem Erwachsenen genutzt werden. Selbstverständlich vorausgesetzt, wir haben die entsprechenden Lehrkräfte dafür. Kinder, die in den Genuss einer solchen Erziehungsmethode kommen, haben nach den uns vorliegenden Vergleichen eine mehr als 80 % höhere Chance auf den späteren Besuch eines Gymnasiums. Zeitweise bekommt man das Gefühl, das Erzielen von Leistung und der Fokus auf die frühkindliche Entwicklung ist schon traditionell verpönt. Viele meinen, die Kinder spielen zu lassen, sei besser. Das spätere Leben sei ja ernst genug. Häufig langweilen sich die Kinder sogar. Währenddessen macht ihnen das spielerische Lernen Spaß und sie können ihre fast schon krankhafte Neugierde befriedigen. So geschult und ausgebildet müssen sie sich darüber hinaus im späteren Leben nicht mit den Konsequenzen von katastrophalen Schulergebnissen und einer mangelnden Konkurrenzfähigkeit auseinandersetzen. Die Entwicklung zu Industrie 4.0 und die Digitalisierung eliminieren alle repetitiven körperlichen und geistigen Arbeiten. Nicht nur das autonome Auto fahren ist sicherer als vom Menschen gelenkt, sondern auch unsere Fabriken und viele Arbeitsplätze in unseren Bürokratien. Wer in der Fabrik oder in der Buchhaltung seine Arbeit verliert, möchte keine neue Anstellung weiter <?page no="22"?> Carl H. Hahn 22 unten. Aber dies gelingt nur, wenn derjenige auch für diese Welt von morgen ausreichend qualifiziert ist. Dort steht jeder aber in Konkurrenz zu Abiturienten und den Universitätsabsolventen, die möglicherweise gerade ihre Stelle als Finanzanalist oder anderswo verloren haben. Dieses kleine Beispiel macht die Dramatik der Entwicklung und den disruptiven Wandel in der Ausbildung von der Kita bis zum Hochschulabschluss deutlich. Meine Damen und Herren, wollen wir unseren heutigen, größer werdenden Rückstand aufholen, dann müssen wir in den Kitas besonders akademisch ausgebildete Lehrkräfte einsetzen. Derzeit haben wir für eine mögliche Ausbildung solcher Lehrkräfte noch nicht einmal die notwendigen Voraussetzungen. Britische Universitäten der Lehrerausbildung könnten uns hier beispielsweise helfen. Das unter anderem mit uns in Wolfsburg zusammenarbeitende katholische St. Mary College in Belfast könnte dabei eine tragende Rolle einnehmen. Hinter Oxford belegt das St. Mary College den zweiten Platz auf dem Gebiet der Qualität der Lehrerausbildung in Großbritannien. Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle eine andere Fragestellung besprechen. In der universitären Lehre und der Bildung haben wir bereits viele gute Erkenntnisse und hervorragende theoretische Ansätze. Potenzial und offene Fragen und damit Handlungsbedarf sehe ich bei der Übertragung der Forschungsergebnisse und Resultate in die Praxis. Hier verfügen wir noch über eine ungenutzte Hebelwirkung mit großem Potenzial und damit ungeahnten Verbesserungschancen für die Lehre. Hier gilt es Lösungen und Wege zu finden, wie wir diese Potenziale nutzen und, in der „Automobilsprache“ ausgedrückt, die PS auf die Straße, sprich in die Kitas, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen bekommen. Meine Damen und Herren, einige von Ihnen kennen das Beispiel des Edith Stein Kindergartens in Wolfsburg. Aufgrund der beeindruckenden Erfolge mit der Realisierung der Mehrsprachigkeit möchte ich hier erneut vorschlagen, die Intensität der Einführung von Chinesisch noch weiter in die unteren Jahrgruppen zu verlagern - also weiterhin Mut zu zeigen und den Kindern noch mehr zuzutrauen! Ich wünsche mir auch eine Intensivierung der Mehrsprachigkeit in der Krippenphase - also unsere allerjüngsten Kinder, die ja bekanntlich mit dem allerschnellsten Tempo lernen. Schließlich erleben wir ja täglich, wie Kinder im Familienumfeld auf die natürlichste Art und Weise mehrsprachig werden. Also warum dann nicht auch mit dem ersten Tag des Besuches einer Kita? Meine Damen und Herren, was in Zukunft kommt, ist allen Kultusministern seit langen Jahren bekannt. Auch wenn sich ihre unternehmerisch arbeitenden Professoren mit der Rolle des Kindergartens längst beschäftigt haben, hat die Politik offensichtlich aus Angst vor der Größenordnung der Aufgabe <?page no="23"?> Frühkindliche Bildung neu denken 23 diese daher einfach unterdrückt und verdrängt. Die Alternative, die Konsequenzen aus dem Wissen zu ziehen, wurde leider bereits seit Jahrzehnten versäumt. Doch ich werde hier nicht nachlassen und das Verbesserungspotenzial aufzeigen. Ähnliches passiert beispielsweise bereits in China. Dort hat die kommunistische Partei früh genug die richtigen Schlüsse gezogen und die notwendigen Konsequenzen eingeleitet. Seit rund 40 Jahren läuft dort ein Entwicklungsprozess auf allen Gebieten, dessen Tempo und Intensität keine Parallele kennt. Lebten früher über 90 % der Chinesen in Elend und ohne eine angemessene Ausbildung sind es heute nur noch rund 3 %. Damit hat China die breite Ausbildung der Menschen zu einem wichtigen Programmpunkt gemacht und die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg geschaffen, ohne dabei die sportliche Seite der Kitas zu vernachlässigen. Bemerkenswert ist meines Erachtens, dass es trotz der Ein-Kind-Politik in China jedes Jahr zehnmal mehr Ingenieure gibt als bei uns und diese mit einem höheren IQ. Wir meinen sogar sorgenvoll auf die Alterung der chinesischen Gesellschaft verweisen zu müssen, obwohl unsere Geburtenraten unter der chinesischen liegen. Besser wäre es, sich mit der chinesischen Elitepolitik zu befassen und daraus zu lernen. Doch in Deutschland erscheint besonders eine Elitepolitik verpönt zu sein. Wir vergessen dabei, dass wir unseren heutigen Wohlstand den Eliten von Gestern verdanken. Hier ist auch zu hinterfragen, warum in China Millionäre und Milliardäre gefeiert und gewürdigt werden. Geschieht dies möglicherweise, weil diese Menschen als Motoren und Impulsgeber der Wirtschaft auch in ihrer Managementfunktion für das Kapital stärker anerkannt werden? Meine Damen und Herren, die Kultusminister blenden all diese Fakten aus und machen sich damit wissend schuldig, die Zukunft Deutschlands in Gefahr zu bringen. Sollten sich unsere Kultusminister nicht mit einer aus diesen Veränderungen ergebenden Schulreform befassen? Obwohl es nach Einschätzung von Experten die Aufgabe der Kultusminister wäre, die Rahmenfaktoren für die Ausbildung der jungen Menschen für die Welt von morgen zu schaffen, beschäftigen sie sich unverändert mit Erziehungssystemen aus der Welt von gestern. Dahinter steht teilweise politisches Kalkül und weniger eine Ausrichtung an den Fakten und Notwendigkeiten. Die Kultusminister ignorieren die dramatisch und exponentiell zunehmenden Fortschritte der Wissenschaft und kümmern sich nicht einmal um internationale Erziehungssysteme. Zumindest diese könnten uns als Benchmarks dienen. Wir sollten die Erkenntnisse unbedingt auf unsere Systeme übertragen. Meine Damen und Herren, vielleicht wäre es auch sinnvoll, Milliardenbeträge in die Privatisierung von Universitäten zu investieren? Sicher keine prioritäre Aufgabe für philosophische und philologische Fakultäten, aber beispielsweise für die Medizin. Hier geben wir im internationalen Vergleich mehr Geld aus als alle anderen Länder, liegen bei der Lebenserwartung aber nicht auf den vorderen Plätzen. Auch wünsche ich mir zukünftig eine noch <?page no="24"?> Carl H. Hahn 24 intensivere Nutzung der Ergebnisse aus weltweiten Forschungsstudien. Besonders weil wir hier Chancen und Potenziale sehen, die wir unbedingt nutzen sollten. Wichtig ist die Bereitschaft, pragmatisch und vorbehaltlos von jenen zu lernen, die bessere Ergebnisse erzielen als wir. Bildungspolitik heißt insbesondere Vorbereitung auf die Globalität, in der wir bereits leben. Das heißt auch Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit in den Bereichen Leistung und Motivation prägen und herstellen. Das sogenannte Benchmarking, wie es in der Industrie seit vielen Jahrzehnten praktiziert wird, das heißt das ständige Streben nach Bestmarken, sollte endlich auch auf dem Bildungssektor Einzug halten. Wir stellen aber schon in den ersten Lebensjahren die falschen Weichen, mit irreversiblen Konsequenzen für das spätere Leben. Dank der modernen Neurowissenschaften wissen wir heute, dass neben der individuellen Veranlagung, der sogenannten genetischen Prädisposition, das intellektuelle Leistungsvermögen eines jeden Einzelnen ganz wesentlich durch äußere Einflüsse bestimmt wird. Je früher also mit der frühkindlichen Förderung begonnen wird, desto größer sind die Entwicklungspotenziale für das weitere Leben. Versäumnisse in dieser Phase der kindlichen Entwicklung lassen sich später nicht mehr aufholen. Wir brauchen deshalb Bildungsinvestitionen, die in Zukunft auch schon in unseren Kindergärten für ein Bildungs- und Betreuungsangebot höchster Qualität sorgen. Einschließlich Lesen und Schreiben etc., was den Kindern unendlich Freude bereitet und auch zu einem besseren Sozialverhalten führt. Eine solche frühkindliche Förderung, bei der Kinder jeder Begabung gewinnen, schafft auch die Grundlage für eine generelle Verkürzung der schulischen Ausbildung bei gleichzeitig besseren Ergebnissen. Damit ist auch ein früherer Eintritt in das Studium und das Berufsleben als Steuer- und Beitragszahler möglich. Und auch hier müssen wir die Systeme und die Art der Ausbildung an den Universitäten verändern und optimieren. Die Rankings der Universitäten sprechen eine klare Sprache. Meine Damen und Herren, nur mit Kompetenz und Wissensbreite werden wir die Aufgaben der Zukunft erfolgreich meistern. Was wir besonders benötigen, ist eben die richtige Geisteshaltung, sprich die Bereitschaft zur Leistung ebenso wie die Offenheit für neue Ideen und ein breites Verständnis für die Aufgaben. Sind wir auf all dies vorbereitet? Haben wir dafür die richtigen Strategien? Zweifel sind angebracht! Von Perikles stammt der Satz: Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen, sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Danach sollten wir gemeinsam unser Handeln gerade auch im Bildungswesen in Europa schnell und zügig ausrichten. Meine Damen und Herren, ich würde die Bedeutung des Themas gern noch aus wirtschaftlicher Sicht beleuchten. Anders als in den USA oder in vielen Ländern Asiens begegnet uns neuerdings ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Bevölkerung bei neuen Technologien oder Innovationen mit großer Skepsis. Warum sind wir beispielsweise als eine der wenigen Nationen völlig <?page no="25"?> Frühkindliche Bildung neu denken 25 gegen nukleare Energieerzeugung? Dabei stellen wir dann auch noch völlig überrascht fest, dass die Klima- und CO 2 -Bilanz deutlich hinter den gesteckten Zielen zurückbleibt. Ursache ist hier der Tausch von sauberer Nuklearenergie gegen grüne Energie. In China wurde erst kürzlich der Bau von weiteren 300 Reaktoren genehmigt und damit auf den Weg gebracht. In Deutschland ist die Konsequenz, dass wir schon heute die international höchsten Energiekosten zu schultern haben. Pro Jahr zahlen wir rund 26 Milliarden Euro EEG-Umlage. Dies ist zum Teil der Preis für den gelobten Ausstieg aus der Kernenergie. Aber kein Politiker kann es sich leisten, ein solches Thema anzusprechen und kritisch zu diskutieren. Die Ängste und Vorbehalte in breiten Bevölkerungsschichten werden aber nur zu überwinden sein, wenn wir die Menschen auf die Herausforderungen von morgen besser vorbereiten. Nur dann werden die Menschen die Fragen und Herausforderungen auch besser verstehen und bewältigen können. Und genau dies ist auch eine Aufgabe der Bildung. Transparenz und Klarheit in einer seriösen Forschung aber auch eine klare Kommunikation in Verbindung mit richtigen Fakten. Über Nacht wird dieser Wandel nicht zu bewerkstelligen sein. Es wird Zeit und eine Strategie benötigt, die wir im Grunde nicht - oder hoffentlich - nur noch nicht haben. Der Bildungsqualität kommt also eine Schlüsselrolle zu. Sie ist letztendlich der Kernwettbewerbsvorteil im heutigen Informationszeitalter. Oder, wie Barak Obama unlängst sagte, „the currency of the information age.“ Eine Demokratie wie die unsere kann nur funktionieren, wenn mündige und aufgeklärte Bürger imstande sind, unsere immer komplexer werdende Welt zu verstehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Entscheidung zur Energiewende bleibt mir beispielsweise bis heute ein Rätsel. Ich hatte bereits erwähnt, dass wir hier in Deutschland mit der Einschätzung und Vorgehensweise relativ exklusiv unterwegs sind. Die ökologische Bilanz wird im Zuge der Energiewende leider nicht besser. Die Glättung des Strombedarfes und der Stromerzeugung ist eine ungelöste Herausforderung und entsprechende Energiespeicher fehlen uns. Langfristig werden wir es nicht schaffen, den Energiebedarf bei einer Verbesserung der ökologischen Bilanz aus regenerativen Quellen zu decken. Dazu kommt aber, dass wir den Verkehr in Zukunft deutlich stärker elektrisch betreiben wollen, als wir es heute realisieren. Für mich wiederum ein Beispiel, wie eine unwissende und nicht entsprechend ausgebildete Nation ihre Zukunft aufgrund einer unseriösen Kommunikation bereitwillig verwettet und aufs Spiel setzt. Der Erfolg und das Wohlergehen unseres Landes hängen in Zukunft immer stärker davon ab, inwieweit es uns gelingt, das intellektuelle Leistungsvermögen unserer Bürger zu mobilisieren und ihr Urteilsvermögen deutlich zu stärken. Die bessere Qualifizierung der Menschen erhöht nicht nur ihr persönliches Wohlergehen, ihre Lebenserwartung und ihre Lebensqualität. Sie steigert erwiesenermaßen auch den gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen. <?page no="26"?> Carl H. Hahn 26 Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Bedeutung der Ausbildung und der neuen Anforderungen am Beispiel des IT-Fachkräftemangels darstellen. Der zukünftige Fachkräfteengpass in den IT-Berufen ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Bei entsprechenden Maßnahmen ist er in Zukunft wirtschaftspolitisch beherrschbar. Mit umfassenden Studien haben wir verlässliche Zahlen und eine fundierte Analyse zur zukünftigen Fachkräftesituation im IT-Bereich. Durch die Prognosen bis zum Jahr 2030 wissen wir hier in Deutschland, womit wir rechnen müssen. Aber wir müssen passgenaue Maßnahmen in den wichtigsten Handlungsfeldern umsetzen, damit die Digitalisierung in Deutschland zu einer Erfolgsgeschichte wird. Wenn wir den Bedarf an Fachkräften decken und uns für die Anforderungen in den IT-Berufen gut rüsten, kann Deutschland die Potenziale der Digitalisierung erfolgreich nutzen. Dazu muss es uns aber gelingen, mehr Frauen für IT-Berufe zu gewinnen, mehr internationale IT-Fachkräfte zu rekrutieren und die Aus- und Weiterbildung weiter zu verbessern. Und letztendlich müssen wir dafür Sorge tragen, dass die allgemeine Ausbildung in den Kitas, Schulen und Universitäten als Basisvoraussetzung besser wird. Heute müssen wir über die Not an IT-Fachkräften sprechen und sehen ein spezifisch deutsches Wirtschaftsmodell bedroht. In der immer stärker digital geprägten Gruppe der mathematischen, technischen und naturwissenschaftlichen Berufe wächst die Kluft zwischen Nachfrage und Angebot nach gut ausgebildeten Kräften immer stärker an. Der deutsche Stifterverband empfiehlt daher die Einrichtung von Programmen, um den Bachelorstudenten die Basisfähigkeiten in der Datenanalyse und IT zu vermitteln. Sicher kann heute auch an vielen deutschen Hochschulen Informatik studiert werden. Im Herbst 2016 zählte das Studienfach rund 37.600 Einsteiger. Doch erfahrungsgemäß bricht jeder zweite von ihnen das Studium ab. Die meisten von ihnen, weil es zu theorielastig ist. Dazu kommen mangelnde Fähigkeiten und Wissenslücken aus der schulischen Ausbildung. Der Mangel an IT-Wissen und -Interesse entsteht in den deutschen Schulen. Diese sind weitgehend im Analogzeitalter stehen geblieben und haben den Wandel der Zeit nicht erkannt. Durch eine Verbesserung und Optimierung könnten wir hier über die nationalen Wege helfen, den Bedarf an Fachkräften erfolgreich zu decken. Meine Damen und Herren, die Wissenschaft zeigt bereits seit längerem die Korrelation zwischen intellektueller Leistungsfähigkeit und wirtschaftlichem Erfolg der Unternehmen und der Volkswirtschaften. So gibt es Untersuchungen die zeigen, dass eine Erhöhung des intellektuellen Niveaus einer Nation um wenige IQ-Punkte das jährliche Bruttosozialprodukt und die Kaufkraft der Menschen um einige Prozentpunkte steigert. Auch ein Blick auf die OECD-Statistiken verrät, dass die Beschäftigungsquoten parallel zum Bildungsniveau wachsen. Dieser wissenschaftliche Erkenntniszuwachs muss endlich auch Eingang in unsere politischen Entscheidungsprozesse und Handlungsweisen finden. Wie sonst ließe sich der Rückstand erklären? Ich <?page no="27"?> Frühkindliche Bildung neu denken 27 bin wieder bei den Kindertagesstätten, den Schulen und den Universitäten. Die PISA-Studien zeigen die Schwächen und Defizite unseres Systems deutlich auf. Viele andere Länder schneiden hier deutlich besser als Deutschland und viele europäische Länder ab. Damit bin ich bei der finalen Zielsetzung. Wir müssen in Deutschland und Europa verstehen, dass ein „weiter so“ nicht hilft, um in Zukunft wieder ganz nach vorn zu kommen. Im Gegenteil! Wir müssen darauf achten, gegenüber den führenden Nationen nicht noch weiter abzurutschen. Daher appelliere ich an Sie, für die aufgezeigten Veränderungen zu kämpfen und für disruptive Veränderungen einzutreten. Denn nur gemeinsam können wir den Aufbruch in eine neue Bildungspolitik und ein neues Denken starten. An dieser Stelle wünsche ich Ihnen allen eine besinnliche Weihnachtszeit und geruhsame Tage. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. <?page no="29"?> Teil I Empirische Evidenz: Vorträge und Transferdiskussionen <?page no="30"?> Prof. Dr. Dipl.-Psych. Markus Kiefer Markus Kiefer ist Psychologe und Hirnforscher. Er leitet an der Psychiatrischen Klinik der Universität Ulm die Sektion für Kognitive Elektrophysiologie und lehrt am Institut für Psychologie und Pädagogik der Universität Kognitionspsychologie und kognitive Neurowissenschaft. Markus Kiefer forscht über Gedächtnis, Emotionen, Aufmerksamkeit und Bewusstsein und veröffentlichte zahlreiche Artikel und Bücher zu diesen Themen. Schwerpunkte seiner Forschung sind das Gebiet der verkörperten Kognition, die Verankerung des Denkens in Wahrnehmung und Handlung sowie die Aufmerksamkeitskontrolle unbewusster Wahrnehmung. Bei FoE 2017 per Skype zugeschaltet Magdalena Luise Mielke, Spiegelverdreht, Berlin <?page no="31"?> Markus Kiefer Verkörperte Kognition: Die Verankerung von Denken und Sprache in Wahrnehmungs- und Handlungserfahrung 1 Einleitung Stellen Sie sich eine Situation im Englischunterricht vor, in der eine neue Vokabel bassoon eingeführt werden soll. Die Lehrperson kann diese Vokabel an die Tafel (oder ganz modern an das Smartboard) schreiben, das Wort aussprechen und die deutsche Übersetzung („Fagott“) dazuschreiben. Dann könnte die Lehrkraft fortfahren, relevante Eigenschaften des Fagotts auf Englisch anhand einer Abbildung zu beschreiben. Die Lehrperson könnte aber auch zusätzlich ein Fagott in den Unterricht mitbringen, den Schülerinnen und Schülern zeigen, wie das Instrument aufgebaut ist, wie es zu spielen ist, die Schülerinnen und Schülern das Instrument anfassen und spielen lassen. Dabei kommentiert die Lehrperson ihre eigenen Aktionen („I wind the bassoon now.“) und die der Schülerinnen und Schüler auf Englisch, fordert diese zu Aktionen auf („Could you please wind the bassoon? “) und regt eine Konversation untereinander über das Instrument an. Offensichtlich ist die zweite Variante, ein reales Instrument mitzubringen und dieses als Ausgangspunkt für eine Konversation in der Fremdsprache zu verwenden, deutlich aufwändiger als die erste Variante, die Konversation anhand einer Abbildung zu führen. Es wäre von daher wichtig zu wissen, ob es Hinweise darauf gibt, dass die aufwändigere Methode auch die effizientere ist. Auf den ersten Blick betrifft eine Entscheidung über Methoden des Fremdsprachenunterrichts hauptsächlich praktische didaktische Erwägungen. Ein zweiter Blick auf dieses Entscheidungsproblem weist darauf hin, dass seine Lösung auch ganz eng mit ganz fundamentalen Fragen über die Natur von Denken und Sprache verknüpft ist (siehe auch Kiefer & Trumpp 2012). Während diese Fragen über viele Jahrtausende hinweg vor allem Gegenstand von philosophischen Reflektionen waren, haben in den letzten Jahrzehnten psychologische Verhaltensexperimente und kognitive neurowissenschaftliche Untersuchungen viel zum Verständnis dieser geistigen Funktionen beigetragen (für eine Übersicht, siehe Kiefer & Pulvermüller 2012, Kiefer & Barsalou 2013). In dem vorliegenden Beitrag werden neueste Theorien und empirische Befunde aus der Kognitionspsychologie und der Kognitiven Neurowissenschaft <?page no="32"?> Markus Kiefer 32 zum Wesen von Denken und Sprache dargestellt, welche für die Fremdsprachendidaktik informativ sein könnten. 2 Die Beziehung zwischen Sprache und Begriffen als Bausteine des Denkens Erwachsene können in ihrer Muttersprache mühelos ihre Gedanken sprachlich ausdrücken und sprachliche Mitteilungen von anderen verstehen. Diese Mühelosigkeit der sprachlichen Kommunikation verstellt den Blick darauf, dass komplexe kognitive und neuronale Mechanismen bei der Produktion und der Rezeption von Sprache ablaufen (Levelt et al. 1999, Indefrey & Levelt 2000, Indefrey 2006). Schon die Beziehung zwischen sprachlichem Symbol, dem gesprochenen oder geschriebenen Wort, und dem damit bezeichneten Ding, dem Referenten, ist keine unmittelbare, wie bereits Ogden und Richards (1923) in ihrem Modell des semiotischen Dreiecks (vgl. Abb. 1) ausgeführt hatten: Nach dem semiotischen Dreieck existiert keine unmittelbare Beziehung zwischen dem sprachlichen Symbol und dem Ding, das es bezeichnet, da Wörter auf arbiträre Art und Weise per Konvention mit ihren Referenten verknüpft sind. Es gibt keinen im Objekt selbst verankerten Grund, dass das große längliche Holzblasinstrument, welches tiefe Töne produziert, im Deutschen als Fagott oder im Englischen als bassoon bezeichnet wird. Die Verbindung zwischen Wort und Ding wird mittelbar über einen im Gedächtnis gespeicherten Begriff hergestellt, der durch das Wort erweckt, oder wie wir heute sagen würden, aktiviert wird. Nur der Begriff bezieht sich direkt auf das Ding draußen in der Welt. In kognitionspsychologischen Theorien wird davon ausgegangen, dass Begriffe im semantischen Langzeitgedächtnis gespeichert sind (Tulving 1972, Squire 1992). Dieser Form des Langzeitgedächtnisses kommt, wie durch die Erörterungen in diesem Absatz deutlich wird, eine wichtige Mittlerfunktion zwischen Sprache und Außenwelt zu. Symbol Begriff Ding steht für Abb. 1: Semiotisches Dreieck (nach Ogden & Richards 1923) <?page no="33"?> Verkörperte Kognition 33 Begriffe gelten in der Kognitionswissenschaft als Bausteine des Denkens (Kiefer & Pulvermüller 2012, Kiefer & Barsalou 2013), da sie kategoriales Wissen über Gegenstände, Vorgänge aber auch über abstrakte Ideen (z.B. Wahrheit, Hoffnung, Gravitation) zur Verfügung stellen. Begriffe sind eine kognitive Basis dafür, dass wir zielgerichtete Handlungen in unserer Umwelt durchführen, Situationen gedanklich vorwegnehmen und sprachlich mit unserer Umwelt darüber kommunizieren können (Kiefer 2008). Dem im Langzeitgedächtnis gespeicherten begrifflichen Wissen kommt demnach eine wichtige Schnittstellenfunktion zwischen Wahrnehmung (Informationsaufnahme) und Handlung (Informationsabgabe) zu. Die Relevanz von Begriffen für Sprache, Denken und Handeln hat bereits im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung der chinesische Philosoph Konfuzius erkannt, von dem das folgende Zitat stammt (Kungfutse 1975: 131): „Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande“. Begriffe sind also essentiell für Denken, Sprache und Handeln. 3 Begriffe: amodal-abstrakt oder verkörpert in Wahrnehmung und Handlung? In klassischen kognitionswissenschaftlichen Modellen zum semantischen Gedächtnis wird davon ausgegangen, dass Begriffe in einem amodalen, abstrakten Format repräsentiert sind (Anderson & Bower 1973, Collins & Loftus 1975, Pylyshyn 1980, Fodor 2001, Tyler & Moss 2001). Unter dem Repräsentationsformat wird die strukturelle Form der internen Abbildung verstanden (vgl. Kosslyn & Pomerantz 1977), die unabhängig davon zu sehen ist, was jeweils repräsentiert wird. Es wird in diesen Ansätzen vorgeschlagen, dass begriffliches Wissen in einem einheitlichen System vorliegt, das von modalitätsspezifischen sensorischen Systemen, die in die perzeptuelle Reizverarbeitung involviert sind, und vom motorischen System, das für die Handlungsvorbereitung und -durchführung spezialisiert ist, funktional und neuroanatomisch separiert ist. Nach dieser klassischen Vorstellung sind begriffliches Denken und Sprache in ihrem Wesen abstrakt und losgelöst von unseren Sinneswahrnehmungen, die lediglich für die initiale Informationsaufnahme benötigt werden. Neuere Modelle, die in den letzten Jahren immer mehr an Einfluss gewonnen haben, geben die Annahme eines einheitlichen amodalen semantischen Gedächtnisses auf und postulieren multiple modalitätsspezifische semantische Systeme (Barsalou et al. 2003, Gallese & Lakoff 2005, Herrmann 1994, Kiefer & Spitzer 2001, Lakoff & Johnson 1999, Martin & Chao 2001, Pulvermüller 2005, Warrington & McCarthy 1987). Nach dieser Vorstellung von „verkörperten“ begrifflichen Repräsentationen (‚embodied’ concepts (Lakoff & <?page no="34"?> Markus Kiefer 34 Johnson 1999)) ist semantisches Wissen wesentlich aus sensorischen und motorischen Repräsentationen abgeleitet und in neuroanatomischer Nähe zu den entsprechenden sensorischen und motorischen Kortizes abgespeichert (Kiefer & Barsalou 2013, Kiefer & Pulvermüller 2012). So ist das Wissen, dass ein Hund vier Beine hat, nach diesen Ansätzen in einem visuellen semantischen System in anatomischer Nähe der visuellen Kortizes abgespeichert. Das Wissen, dass man einen Hund streicheln kann, ist dagegen in einem motorischen semantischen System in anatomischer Nähe der motorischen Kortizes repräsentiert. Nach Modellen der verkörperten Kognition sind begriffliches Denken und Sprache in ihrem Wesen in früheren Sinneswahrnehmungen verankert, auch wenn deren Reaktivierung beim Denken oder bei der sprachlichen Kommunikation nicht notwendigerweise mit einem bewussten Wiedererleben der Sinnesempfindungen einhergehen muss (Kiefer & Barsalou 2013). Diese konkurrierenden modernen kognitionswissenschaftlichen Modelle vom begrifflichen Gedächtnis greifen eine seit mehr als 2500 Jahre andauernde Debatte in der Philosophie über die Rolle von Sinneserfahrungen für die Gewinnung von validen Erkenntnissen auf (Markie 2008). Platon und spätere Philosophen wie Descartes, Leibnitz und Kant, die den sogenannten Rationalismus geprägt haben, gingen davon aus, dass Sinneserfahrungen viel zu unstrukturiert sind, um als Basis für die Begriffsbildung zu dienen. Vielmehr seien angeborene oder durch Geistestätigkeit herausgebildete Kategorien nötig, um die Sinneseindrücke zu strukturieren. Empiristische Philosophen, wie Locke und Hume, gingen dahingegen davon aus, dass alle Begriffe auf Sinneseindrücken und Vorstellungen früherer Sinneseindrücke beruhen. Wissen beruht nach der empiristischen Sicht letztendlich auf Sinneserfahrungen, durch bloßes Nachdenken könne keine zuverlässige Information über die physikalische oder soziale Welt gewonnen werden. Philosophen haben über viele Jahrtausende hinweg über das Wesen von Begriffen spekuliert. Mit experimentalpsychologischen Verfahren, gerade auch in Kombination mit neurowissenschaftlichen Messungen der Hirnaktivität mittels Elektroenzephalographie (EEG) oder funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) ist es nun möglich, Begriffsverarbeitung in Geist und Gehirn sichtbar zu machen und diese unterschiedlichen theoretischen Ansätze empirisch fundiert zu bewerten. 4 Befunde zur begrifflichen Verarbeitung in den sensorischen und motorischen Systemen 4.1 Effekte der Begriffskategorie In der neuropsychologischen Literatur sind Patienten beschrieben worden, die nach einer Hirnschädigung eine selektive Beeinträchtigung beim Benennen und Kategorisieren von Objekten bestimmter begrifflicher Kategorien <?page no="35"?> Verkörperte Kognition 35 aufwiesen. Die Ausfälle können relativ globale Kategorien betreffen, wie natürliche (z.B. Gemüse, Tiere) (De Renzi & Lucchelli 1994) oder artifizielle Kategorien (z.B. Werkzeuge, Möbel) (Sacchett & Humphreys 1992). Sie können jedoch auch auf spezifische Kategorien, wie Werkzeuge und Küchengeräte (Warrington & McCarthy 1987), beschränkt sein. Die meisten Erklärungsansätze zu solchen kategorienspezifischen Defiziten stimmen darin überein, dass begriffliches Wissen in verschiedenen kortikalen Arealen modalitätsspezifisch gespeichert ist. Wenn nun, wie bereits dargelegt, in jedem Areal bestimmte Wissensinhalte repräsentiert sind, die je nach Ausmaß der Hirnschädigung ganz oder teilweise ausfallen, können sich daraus kategorienspezifische semantische Defizite ergeben, die sich auch auf einzelne Wissensinhalte beschränken. Es wird angenommen, dass für natürliche Kategorien wie z.B. Tiere eher visuelle Objektmerkmale bei der Repräsentation im Vordergrund stehen, während für die Repräsentation artifizieller Kategorien vor allem handlungsbezogenes Wissen relevant ist (Warrington & McCarthy 1987, Kiefer et al. 1998, Kiefer 1999). Das Vorliegen modalitätsspezifischer semantischer Netzwerke, die unterschiedlich stark durch Objekte verschiedener Kategorien aktiviert werden, konnte auch durch Studien mit bildgebenden Verfahren wie fMRT (Martin & Chao 2001) und mit EEG (Kiefer 2001, 2005) bestätigt werden. Die Studien belegen übereinstimmend, dass die begriffliche Verarbeitung von Objekten natürlicher Kategorien visuelle Bereiche des Gehirns involviert, während die Verarbeitung von Objekten artifizieller Kategorien motorische Areale aktiviert (für einen Überblick, siehe auch Kiefer & Barsalou 2013). 4.2 Erfahrungsabhängigkeit der Begriffsverarbeitung In einer Trainings-Studie mit künstlichen Objekten, die Nobjects genannt werden, wurde von Kiefer und Kollegen (2007) untersucht, ob Aktivierungsmuster in visuo-motorischen Regionen bei einer Kategorisierungsaufgabe nach Abschluss des Trainings von den spezifischen sensu-motorischen Interaktionen mit den Objekten während des Begriffserwerbs abhängen. Die Probandinnen und Probanden erwarben in 16 Sitzungen durch die Bearbeitung verschiedener Aufgaben (z.B. Inspektion der Objekte, Benennung, Kategorisierung, Merkmalsentscheidung) begriffliches Wissen über die Nobjects. Die kritische Manipulation bestand in der Variation der Interaktionserfahrung der Probandinnen und Probanden während des Begriffslernens. Eine Gruppe lernte während des Trainings eine sinnvolle Handlungspantomime mit einem Detailmerkmal des Objekts, während eine andere Gruppe lediglich eine Zeigebewegung auf das Detailmerkmal ausführte, die in keinem sinnvollen Zusammenhang mit dem Objekt stand. Bei einer Kategorisierungsaufgabe nach Abschluss des Trainings, die den Zugriff auf begriffliche Strukturen er- <?page no="36"?> Markus Kiefer 36 fordert, wurde das EEG aufgezeichnet und die zugrunde liegenden hirnelektrischen Quellen ermittelt. Die Probandinnen und Probanden mussten hierbei entscheiden, ob ein Objekt (z.B. das Objekt nolo) Mitglied einer vergebenen Kategorie ist (z.B. der Kategorie kurn). Es zeigte sich, dass nur die Gruppe, die während des Trainings eine sinnvolle Handlungspantomime mit den Nobjects ausführte, eine ausgedehnte und zeitlich frühe Aktivierung visuo-motorischer Areale aufwies. In der Probandengruppe, die während des Trainings eine sinnfreie Zeigebewegung auf das Objekt ausführte, konnte ein solches Aktivierungsmuster nicht beobachtet werden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig anzumerken, dass bei der Kategorisierungsaufgabe nach Abschluss der Trainings, die Probandinnen und Probanden weder gefordert waren, mit den Objekten motorisch zu interagieren noch sich an die Handlungen zu erinnern. Außerdem lernten die Probandinnen und Probanden der Pantomimegruppe die neuen Begriffe schneller, was zeigt, dass zusätzliche motorische Gedächtnisspuren, das Lernen neuer Wörter befördern. Jedoch erbrachten beide Gruppen am Ende des langen Trainings und in der Testaufgabe vergleichbare Leistungen. Die visuo-motorischen Aktivierungen in der Pantomimegruppe am Ende des Trainings können also nicht auf eine bessere Verfügbarkeit von begrifflichem Wissen aufgrund der gelernten Handlungspantomime zurückgeführt werden (vgl. Engelkamp (1997) zum ‚Tu-Effekt’ beim episodischen Erinnern). Vielmehr belegen sie, dass begriffliche Repräsentationen die spezifischen sensorischen und motorischen Erfahrungen während des Begriffserwerbs widerspiegeln: Motorische Repräsentationen werden nur dann Teil der begrifflichen Repräsentation eines Objekts, wenn die motorische Interaktion während des Begriffserwerbs die Handlungsangebote des Objekts (Affordanzen) in sinnvoller Weise aufgreift (Tucker & Ellis 1998). Andere Trainingsstudien zum Begriffserwerb berichten ebenfalls eine spezifische Beteiligung motorischer oder sensorischer Areale an der Begriffsverarbeitung in Abhängigkeit der Sinneserfahrung während des Trainings (James & Gauthier 2003, Weisberg et al. 2007, Bellebaum et al. 2013, Ghio et al. 2016). Insgesamt bestätigen diese Befunde Theorien der verkörperten Kognition, wonach Begriffe in Abhängigkeit der spezifischen Sinneserfahrung während des Erwerbs in den entsprechenden sensorischen und motorischen Systemen gespeichert sind (siehe auch Hoenig et al. 2011 zur Rolle von Expertise bei realen Begriffen). 4.3 Bedeutung auditiver und anderer sensorischer Systeme Die bislang beschriebenen Studien befassten sich vor allem mit der Relevanz des visuellen und des motorischen Systems für die Begriffsverarbeitung. Wenn der Ansatz der verkörperten Kognition ein allgemeingültiges Modell <?page no="37"?> Verkörperte Kognition 37 der Begriffsverarbeitung darstellen soll, müsste eine Verankerung der Begriffsverarbeitung in den sensorischen Systemen auch für andere Sinnesmodalitäten nachweisbar sein. Eine Reihe von Studien konnte einen solchen Zusammenhang für Geräuschinformation zeigen. Werden Probandinnen und Probanden Wörter mit Geräuschbezug (z.B. Telefon, Hund) visuell gezeigt, so fand sich bei einer Messung der Hirnaktivität mit fMRT im Vergleich zu Kontrollwörtern ohne Geräuschbezug (z.B. Briefumschlag, Baum) eine Aktivitätssteigerung in Bereichen des Gehirns, die für das Hören zuständig sind (Kiefer et al. 2008). Hörten die Probandinnen und Probanden in einem zweiten Experiment auch reale Geräusche (z. B. Klingeln eines Telefons), so ergab sich eine teilweise überlappende Aktivierung mit der von den Geräuschwörtern. Die Ergebnisse belegen, dass Begriffsverarbeitung eine Reaktivierung früherer Sinneserfahrungen (hier Geräuschwahrnehmung) beinhaltet. Unsere Arbeiten zeigten weiterhin, dass sich die Aktivierung in den Hörbereichen des Gehirns beim Lesen von Geräuschwörtern auch dann auslösen lässt, wenn diese sehr kurz und zwischen Ablenkreizen gezeigt werden, sodass sie nicht bewusst wahrnehmbar sind (Trumpp et al. 2013b, Trumpp et al. 2014). Die Beteiligung von Hörarealen bei der Begriffsverarbeitung scheint somit nicht durch bewusste Reflexion des Begriffsinhalts ausgelöst zu werden (z.B. Nachdenken und Vorstellen, dass das Objekt mit einem Geräusch verknüpft ist). Vielmehr beruhen die Effekte auf einer raschen und automatischen Aktivierung von Geräuschinformation bei der Begriffsverarbeitung. Weitere Studien konnten sogar eine Verknüpfung von Begriffen mit der Geruchsverarbeitung nachweisen (Simmons et al. 2005, Gonzalez et al. 2006). So riefen geruchsbezogene Worte wie Knoblauch, Zimt oder Jasmin im Vergleich zu neutralen Kontrollwörtern eine verstärkte Aktivierung in Bereichen des Gehirns hervor, die für Geruchswahrnehmung zuständig sind. Dies zeigt, dass modalitätsspezifische Speicherung von Begriffsinformation in den entsprechenden sinnesspezifischen Bereichen des Gehirns ein allgemeines Prinzip darstellt, welches für viele Sinnesmodalitäten gilt. 4.4 Funktionale Relevanz motorischer und sensorischer Systeme für die Begriffsverarbeitung Studien mit EEG und fMRT, welche die Hirnaktivität aufzeichnen, können lediglich die Beteiligung eines motorischen und sensorischen Areals für die Begriffsverarbeitung nachweisen. Es muss jedoch offen bleiben, ob das Areal nur begleitend aktiv ist oder ob es auch eine funktionale Rolle bei der Begriffsverarbeitung spielt. Hier sind Verhaltensexperimente hilfreich, die einen Einfluss der motorischen oder sensorischen Systeme auf Leistungen bei begrifflichen Aufgaben nachweisen. So konnte eine Studie mit einem Handlungspriming-Paradigma zeigen (Helbig et al. 2006), dass motorische Repräsentationen auch eine funktionale Rolle bei der Informationsverarbeitung <?page no="38"?> Markus Kiefer 38 spielen und kein Epiphänomen darstellen: Ein Zielobjekt wird besser erkannt, wenn kurz zuvor ein anderes Objekt als Prime präsentiert wurde, das eine ähnliche Handlung erfordert, im Vergleich zu einer Bedingung, in der zuvor ein Objekt mit einer unähnlichen Handlung dargeboten wurde. Eine Aufzeichnung von EEG bei diesem Paradigma konnte eine rasche Aktivierung im motorischen System in Abhängigkeit des Primings nachweisen (Kiefer et al. 2011). Ähnliche Handlungsprimingeffekte ergaben sich auch dann, wenn vor dem Zielobjekt ein Video mit einer kongruenten Handlungssequenz gezeigt wurde (Sim et al. 2015). Diese und ähnliche Studien belegen (Shebani & Pulvermüller 2013), dass motorische Repräsentationen eine funktionale Bedeutung bei der Begriffsverarbeitung haben und nicht nur begleitend ko-aktiviert werden. Auch die funktionale Relevanz von Hörarealen des Gehirns für die Verarbeitung von Geräuschbegriffen konnte nachgewiesen werden. Wir hatten die Gelegenheit, einen neurologischen Patienten zu untersuchen (Trumpp et al. 2013a). Dieser Patient hatte aufgrund eines Abszesses eine Schädigung in einem Teil des für das Hören zuständigen Bereichs des Gehirns erlitten, der sich in der oben beschriebenen früheren Untersuchung (Kiefer et al. 2008) als bedeutsam für die Verarbeitung von Geräuschbegriffen herausgestellt hatte (siehe Abschnitt 4.3). Der Patient zeigte im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe eine verlangsamte Reaktion und eine erhöhte Fehlerrate beim Erkennen von geräuschbezogenen Wörtern, nicht aber beim Erkennen von Kontrollwörtern. Weiterhin war der Patient auch bei der Geräuschwahrnehmung beeinträchtigt. Andere Studien an gesunden Probandinnen und Probanden mit einem sogenannten Interferenzparadigma, in dem der Einfluss akustischer Störreize auf die Verarbeitung von Geräuschbegriffen untersucht wurde, konnten auch bestätigen, dass das Hörsystem für die Verarbeitung von auditiver Begriffsinformation von direkter Bedeutung ist (Vermeulen et al. 2008). Diese und die im vorigen Absatz beschriebenen Befunde zum Handlungspriming belegen somit in Übereinstimmung mit der Theorie der verkörperten Kognition, dass sensorische und motorische Hirnareale eine funktionale Rolle für die Begriffsverarbeitung spielen. 5 Schlussfolgerung und Implikationen für die Didaktik des Fremdspracherwerbs Kognitionspsychologische und kognitive neurowissenschaftliche Forschung hat in den letzten Jahrzehnten eindrucksvolle Belege für die Verankerung von Begriffen in Wahrnehmung und Handlung erbracht. In Übereinstimmung mit Theorien der verkörperten Kognition wurde in zahlreichen Untersuchungen gezeigt, dass Begriffe auf sinnesbezogenen Repräsentationen beruhen und keineswegs abstrakt-symbolisch repräsentiert sind. <?page no="39"?> Verkörperte Kognition 39 Die meisten bislang verfügbaren Befunde beziehen sich auf konkrete Objektbegriffe wie Hammer, Hund oder Telefon. Erste Hinweise liegen aber auch vor, dass selbst abstrakte Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit oder Schönheit, die sich auf keinen wahrnehmbaren Referenten beziehen, in modalitätsspezifischen Systemen repräsentiert sind (Harpaintner et al. o.J.). Abstrakte Begriffe beziehen sich häufig auf komplexe Situationen und Konstellationen, die wiederum der Sinneserfahrung zugänglich sind. Weiterhin spielen häufig für die Bedeutung abstrakter Begriffe Bewertungen und Reflektionen dieser Situationen eine wichtige Rolle. Deshalb wird vermutet, dass neben den sensorischen und motorischen Systemen bei abstrakten Begriffen modale Systeme, wie die für Introspektion und Emotionsverarbeitung, eine wichtige Rolle spielen (Barsalou & Wiemer-Hastings 2005, Kiefer & Pulvermüller 2012, Kiefer & Barsalou 2013). In Übereinstimmung mit diesen theoretischen Annahmen zeigte sich in einigen neurowissenschaftlichen Untersuchungen bei der Verarbeitung abstrakter Begriffe eine Beteiligung von sensu-motorischen, emotionalen und introspektiven neuronalen Netzwerken im Gehirn (Pexman et al. 2007, Wilson-Mendenhall et al. 2011). Trotz dieser vielversprechenden Befunde muss zukünftige Forschung die Bedeutung modalitätsspezifischer Systeme für abstrakte Begriffe noch in substantiellerem Umfang nachweisen. Theorien und Befunde zur Verkörperung von Begriffen in Wahrnehmung (inklusive Introspektion und Emotionen) und Handlung legen nahe, dass Interaktionen mit der Umwelt, die direkte sinnliche Erfahrungen ermöglichen, Lernen befördern und zu einem reichhaltigeren Wissen führen. Unterricht sollte deshalb Wissen nicht nur aufgrund von Vortrag, Tafelanschrieb, Text in Büchern oder über digitalen Medien vermitteln, sondern möglichst umfangreiche, für den Lerngegenstand relevante Sinneserfahrungen in einer konkreten Lernsituation bieten (Kiefer & Trumpp 2012). Kommen wir wieder auf das Beispiel am Anfang dieses Beitrags zurück, in dem Schülerinnen und Schüler die englischen Vokabeln für Fagott und seine Teile sowie die Vokabeln für die mit einem Fagott verbundenen Aktionen lernen sollen. Nach der in diesem Beitrag vorgestellten Forschung zur verkörperten Kognition sollte das Lernen der englischen Vokabeln (bassoon, to wind etc.) nachhaltiger erfolgen, wenn die Vokabeln und Ausdrücke in Interaktion mit dem Musikinstrument erfolgen. Entsprechend sollte Fremdspracherwerb möglichst auf Erfahrungen mit dem Lerngegenstand in einer möglichst konkreten Situation beruhen. Viele didaktische Realisierungsmöglichkeiten sind denkbar, eine kreative Planung des Unterrichts in diese Richtung erscheint lohnenswert. So könnten passende Bewegungen beim Lernen neuer Handlungswörter durchgeführt werden, Nomina können anhand von konkreten Objekten gelernt werden. Wichtig erscheint auch die Fremdsprache anhand von Dialogen in möglichst gegenstandsbezogenen realen Situationen einzuüben. Alternativ könnten auch dialogische Rollenspiele zum Einsatz kommen. <?page no="40"?> Markus Kiefer 40 Die hier dargestellte Forschung zur verkörperten Kognition legt nahe, dass die Bereitstellung von möglichst konkreten Situationen im Unterricht den Fremdspracherwerb befördern sollte. Die beschriebenen Befunde und Theorien machen auch deutlich, warum Auslandaufenthalte in den entsprechenden Ländern für den Fremdspracherwerb so wertvoll sind: Während eines Auslandaufenthaltes bieten sich zahlreiche in den Alltag integrierte Situationen zur Kommunikation in der Fremdsprache. Hier können die Lernenden Vokabeln oder grammatikalische Strukturen anhand vieler konkreter Interaktionserfahrungen gleichsam beiläufig neu erwerben und das Gelernte durch permanente Erprobung im Gedächtnis verfestigen. Neben den Möglichkeiten zu reichhaltigen Sinneserfahrungen dürfte die Anwendung einer zu erlernenden Fremdsprache in einem konkreten Kontext nicht zuletzt die Motivation der Lernenden in einem nicht zu unterschätzenden Ausmaß verstärken. Es bleibt jedoch zukünftiger anwendungsbasierter Forschung vorbehalten, die Bedeutung konkreter Wahrnehmungs- und Handlungserfahrung für den Fremdspracherwerb unter kontrollierten Bedingungen nachzuweisen. Literatur Anderson, J. R. & Bower, G. H. (1973): Human associative memory. Washington, DC: Hemisphere Press. Barsalou, L. W., Simmons, W. K., Barbey, A. K. & Wilson, C. D. (2003): Grounding conceptual knowledge in modality-specific systems. In: Trends in Cognitive Sciences 7(2), 84-91. Barsalou, L. W. & Wiemer-Hastings, K. (2005). Situating abstract concepts. In: Pecher, D. & Zwaan, R. (Hrsg.): Grounding cognition: The role of perception and action in memory, language, and thought. New York: Cambridge University Press, 129-163. 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Although these questions have been the objects of philosophical reflection for several millennia, much has been contributed to their understanding in recent decades by behavioral experiments in cognitive psychology and the neurosciences. - degr 2 The Relation Between Language and Concepts as Building-Blocks of Thinking According to semiotic theory, the connection between word (signifier) and thing (referent) is mediated by a concept (signified) inscribed in the memory. Concepts are the building blocks of thinking, since they make available categorical knowledge of objects and processes as well as of abstract ideas. They thus provide a cognitive basis for our ability to execute goal-oriented actions within our environments, to anticipate future situations and to communicate accordingly using symbolic systems. The conceptual knowledge stored in long-term memory therefore functions as an important interface between perception (input) and action (output). 3 Concepts: Amodal-Abstract, or Embodied in Perception and Action? In classical cognitive models, it is assumed that concepts are represented in the memory in an amodal, abstract form that is both functionally and neuroanatomically separate from the brain’s sensory and motor systems. According 4 English summary by John Crutchfield <?page no="46"?> Markus Kiefer 46 to this understanding, conceptual thinking and language are essentially independent of the body and sense perception, which is necessary only for the initial input. Newer models reject the premise of a unified, amodal semantic memory, and postulate instead multiple semantic systems specific to each modality. According to this idea of “embodied” conceptual representations, semantic knowledge is derived from sensory and motor representations and stored in neuro-anatomical proximity to the corresponding sensory and motor areas of the brain. In many ways, the current division between “abstract” and “embodied” theories of cognition reiterates the venerable philosophical debate between rationalism and empiricism. With the advent, however, of new experimental procedures in psychology, especially in combination with the neuroscientific measurement of brain activity using electroencephalograms (EEG) or functional magnetic resonance imaging (fMRI), it is now possible to observe the processing of concepts in the mind and brain, and to evaluate these different theoretical approaches on an empirical basis. 4 Evidence of Conceptual Processing in the Sensory and Motor Systems 4.1 Effects of the Conceptual Category In the neuropsychological literature, brain-trauma patients have been described who exhibit selective impairment in naming and categorizing objects belonging to particular conceptual categories. Most explanations agree that conceptual knowledge is stored according to modality in various areas of the cortex, and that, when through brain damage these knowledge contents are partially or completely destroyed, category-specific semantic deficits can arise. Moreover, studies of this phenomenon using fMRI and EEG technology show that the conceptual processing of objects belonging to natural categories (e.g. animals, vegetables, etc.) primarily involve the visual centers of the brain, while objects belonging to artificial categories (e.g. tools and other manmade objects) primarily involve the brain’s motor centers. 4.2 The Dependence of Conceptual Processing on eEperience In a 2007 training study by Kiefer et. al., two groups of participants acquired conceptual knowledge of imaginary objects, called nobjects, through a variety of tasks (i.e. inspection, naming, categorization, determination of characteristic features, etc.). During the training, the experimental group was taught to manipulate the nobjects using an interactive sensory pantomime, while the control group used merely an indicative or ’pointing’ gesture that stood in no <?page no="47"?> Englische Rezeption des Vortrags von Markus Kiefer 47 sensory relation to the nobject in question. Upon conclusion of the formal training, participants were given a categorizing task that required access to conceptual structures, while the EEG recorded and investigated neuroelectric activation patterns. The results indicated that the experimental group experienced an early and prolonged activation of the visual-motor areas of the brain, a pattern that was not observed with the control group. This suggests that conceptual representations in the brain mirror the specific sensory and motor experiences obtained during the learning process. The results of the nobject study thus confirm a growing body of evidence for the theory of embodied cognition: concepts are inscribed and processed in the brain areas corresponding to the specific sensory and motor experiences that characterized the learning process itself. 4.3 The Significance of Auditory and Other Sensory Systems If the model of conceptual processing offered by the theory of embodied cognition is to be valid generally, then an analogous interdependence must be demonstrable for the other senses as well. A number of studies have indicated just such a connection for auditory information: when subjects are shown words with an auditory reference (e.g. “telephone” or “dog”), an fMRI measurement reveals an increase in activity in those regions of the brain responsible for the sense of hearing. This activity is not observed when the words do not have such auditory reference (e.g. “envelope” or “tree”). Analogous experiments with respect to the sense of smell have demonstrated similar effects. Taken together, this research shows that the modality-specific storage of conceptual information in the corresponding sense-specific regions of the brain is a general cognitive principle. 4.4 The Functional Relevance of Motor and Sensory Systems Studies that make use of EEG and fMRI transcription, however, can prove only that a particular motor or sensory area of the brain is involved in conceptual processing. They cannot determine whether this involvement is a mere epiphenomenon or whether it plays a functional role. For that purpose, we must turn to behavioral experiments that investigate the influence of motor and sensory systems on the subject’s ability to perform conceptual tasks. Studies using an action-priming paradigm, for instance, have shown that motor representations also play a functional role in the processing of information: if, shortly before a test object is presented, another object requiring similar physical actions is presented as prime, then the test object is recognized more efficiently than when the first object requires dissimilar physical actions. In this paradigm, an EEG transcription will reveal a rapid activation in the motor system dependent upon the priming. Such studies demonstrate that motor representations are not merely co-activated during conceptual processing, but <?page no="48"?> Markus Kiefer 48 rather operate functionally. The same has been shown for the hearing-centers of the brain in relation to processing sound-concepts. In sum, these studies tend to confirm the theory of embodied cognition, namely: that sensory and motor areas of the brain play a functional role in conceptual processing. 5 Conclusions and Implications for Foreign Language Didactics In recent decades, cognitive psychological and neuroscientific research has produced impressive evidence for the grounding of concepts in perception and action. In accord with theories of embodied cognition, numerous studies have now shown that concepts are by no means abstract/ symbolic, but are inextricable from sensory representations inscribed in the brain. Most of the available evidence relates to concrete object-concepts, such as hammer, dog, or telephone. Initial evidence exists, however, to suggest that even such conventionally abstract concepts as freedom, justice and beauty, for which no concrete referent is available to the senses, are likewise represented in modality-specific systems. This is because abstract concepts frequently relate to complex situations and constellations, which are themselves available to sensory experience, and which, through reflection and evaluation, often significantly influence the meaning of the abstraction. For this reason, one suspects that, in addition to the sensory and motor systems, the modal systems involving introspection and emotional processing play an important role in abstract concepts. Much further research is necessary, however, before the evidence can be considered conclusive here. The theories and available evidence of the embodiment of concepts in perception (including introspection and emotion) and action suggest that interactions involving direct sensory experience with the environment not only facilitate learning, but also lead to a richer form of knowledge. Teaching should therefore seek to transmit knowledge not only via lecture, textbook, blackboard and digital media, but to whatever extent possible through offering comprehensive sensory experiences relevant to the object of learning in a specific learning situation. With reference to foreign language teaching, one can imagine many creative possibilities for didactic realization. For example, appropriate physical movements or gestures could be executed in conjunction with learning new verbs, while new nouns could be learned using concrete objects. Equally important would be practicing the target language using dialogues that are as embedded as possible in real, object-oriented situations. Alternatively, one could make use of dialogic role-play. Furthermore, the research presented here makes apparent why time spent in the respective foreign country is of such great value for foreign language <?page no="49"?> Englische Rezeption des Vortrags von Markus Kiefer 49 learning: it offers endless concrete everyday situations in which to communicate in the target language. Thus not only can learners acquire new vocabulary or grammatical structures incidentally through concrete interactive experiences, but also, by constantly practicing them, they can consolidate these learned contents in the memory. In addition to the possibilities it offers for rich sensory experience, the use of a target language in definite contexts may well also strengthen, to a degree we should not underestimate, the motivation to learn. This, however, must remain a question for future research. <?page no="51"?> Focus on Evidence 2017 Transferdiskussion: Markus Kiefer Frage: Wie stellt man die Handlungskongruenz bei Abstrakta her? Es ist klar, dass, wenn ein Begriff gut zu der Handlung passt, er gut gespeichert wird, z.B. bei Total Physical Response oder Jolly Phonics. Aber wie geht so eine Kongruenz mit Abstrakta einher? Antwort: Wir haben angefangen, die Verarbeitung von abstrakten Begriffen zu untersuchen. Eine erste Frage in diesem Zusammenhang wäre: Wie ist eigentlich die Bedeutung von abstrakten Begriffen beschaffen? Dabei stellt sich heraus, dass auch das Verständnis von abstrakten Begriffen sehr häufig durch konkrete Situationen erst einmal hergestellt werden muss. Nehmen wir ein Beispiel, den Begriff Gerechtigkeit: Philosophen, Sozialwissenschaftler usw. haben seit Jahrzehnten, sogar Jahrhunderten Schwierigkeiten gehabt, klar zu definieren, was eigentlich gerecht ist. Wenn ich ihnen jetzt aber eine Situation schildere, die von vier Kindern handelt, die zusammen vier Bonbons haben, dann werden wir uns hier in der Runde schnell einig sein, was gerecht ist. Stellen wir uns weiter vor, von diesen vier Kindern erhält ein Kind alle vier Bonbons und die anderen Kinder gehen leer aus. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das ungerecht ist. Was zeigt uns das? Es zeigt uns, dass wir auch Begriffe wie Gerechtigkeit sehr schnell verstehen, wenn wir sie auf eine konkret wahrnehmbare Situation beziehen. Diese Situationen haben eine gewisse anschauliche Komponente und, wenn ich mir z.B. vorstelle, dass die Kinder die Bonbons aufteilen und austauschen, auch eine motorische Komponente. Abstrakte Begriffe, die keinen solchen konkreten Bezug haben, sind im Grunde nichts anderes als Worthülsen. Das kennt man aus diversen Diskussionen oder auch von Prüfungen, wenn Studierende zwar einen Fachbegriff oder ein Fremdwort, verwenden, sie aber kein Verständnis dafür haben. Und dieses Verständnis kommt unserer Sicht nach tatsächlich über diese Verknüpfung mit konkreten wahrnehmbaren Situationen, auf die sich dieser abstrakte Begriff bezieht. Wir haben erste Befunde, die zeigen, dass abstrakte Begriffe, wenn wir diese bearbeiten, zu entsprechenden motorischen und visuellen Aktivierungen führen. Frage: Könnten Sie den Zusammenhang zwischen der Benennung eines Objekts und der Merkfähigkeit präzisieren? Antwort: Vielleicht ist Merkfähigkeit nicht ganz der richtige Ausdruck. Es ist eben so, dass unsere Worte, das sprachliche Symbol, das wir verwenden, nicht <?page no="52"?> Focus on Evidence 2017 52 direkt mit den Objekten in der Welt in Bezug gesetzt werden können. Einfach deswegen, weil unser sprachliches Symbol keine Ähnlichkeitsbeziehung zu den Objekten in der Welt hat. Das Wort Hund zum Beispiel hat ja keine visuellen Bezüge zum Subjekt Hund. Wir können also die Beziehung nur darüber herstellen, dass wir in unserem Gedächtnis irgendwann in unserer Kindheit den Begriff Hund erworben haben, sprich, dass wir gelernt haben, alle Wesen, die vier Beine haben, mit dem Schwanz wackeln können, die bellen können, die man streicheln kann usw. gehören einer Kategorie an. Das ist die Kategorie Hund, und das ist eben der Begriff. Und diese Kategorie Hund, diese genannten Eigenschaften, können wir eben mit dem sprachlichen Symbol Hund verknüpfen, und zwar entweder mit der Lautfolge oder mit dem geschriebenen Wort. Das bedeutet, wir können uns nur über diesen Begriff sprachlich auf Dinge draußen in der Welt beziehen. Das ist der wesentliche Punkt: Begriffe sind letztendlich Vermittler. Begriffe, die in unserem Gedächtnis abgespeichert sind, spielen den Mittler zwischen sprachlichen Symbolen auf der einen Seite und den Dingen da draußen in der Welt auf der anderen Seite. Frage: Und wie verhält es sich z.B. mit Funktionswörtern? Antwort: Auch Funktionswörter spielen eine Rolle bei der Herstellung von komplexen begrifflichen Strukturen. Die Funktionswörter dienen ja dazu, verschiedene Begriffe miteinander zu verknüpfen. Und sie können auch zur Herstellung von situativen Simulationen führen. Es gibt Studien, die zeigen, dass beim Lesen von Sätzen, wie z.B. Peter zieht eine Schublade heraus oder Peter schiebt eine Schublade hinein, der Satz schneller verstanden werden kann, wenn Probandinnen und Probanden eine Handbewegung durchführen, wenn sie das Herausziehen oder Hineinschieben simulieren. Das heißt, Funktionswörter dienen der Herstellung einer Simulation von relativ komplexen begrifflichen Konstellationen und spezifizieren damit die motorische Komponente. Frage: Welche Rolle spielen individuelle Faktoren bei dem, was Sie uns vorgestellt haben? Welche Rolle spielen Faktoren wie Alter, Vorwissen, Bildungsstand? Antwort: Unsere Studien haben gezeigt, dass individuelle Faktoren eine ganz große Rolle spielen. Wir haben gesehen, dass die Handlungserfahrung im Training, wenn ich mit einem Objekt pantomimisch interagiere und die Handlung mit diesem Objekt sinnvoll ausübe oder aber, wenn ich nur eine Zeigebewegung ausführe, eine ganz große Rolle dabei spielt, wie schnell die Begriffe erworben werden und letztendlich auch darauf Einfluss nimmt, wie diese Begriffe im Gehirn abgespeichert werden. Jeder von uns hat andere Handlungs- und Sinneserfahrungen mit den Dingen draußen in der Welt. Das bedeutet, je nach unserer spezifischen Erfahrung, sind unsere Begriffe anders beschaffen. Jeder von uns hat ein anderes Verständnis von der Welt. Dennoch <?page no="53"?> Transferdiskussion: Markus Kiefer 53 gilt: Für die meisten Begriffe haben wir recht ähnliche Erfahrungen. Jeder hier weiß, dass Sie im Moment sitzen. Ich sehe, dass sie alle auf Stühlen sitzen. Das heißt, die meisten von uns haben das Wissen, dass man sich auf Stühle setzen kann. Genauso haben wir alle das Wissen und die Sinnesserfahrung, dass man mit einem Hammer einen Nagel einschlagen kann. Also für viele Begriffe verfügen wir wahrscheinlich über relativ ähnliche Wahrnehmungs- und Handlungserfahrungen. Aber das kann für spezielle Begriffe wieder ganz anders aussehen. Wir haben zum Beispiel eine Studie zu Musikinstrumenten durchgeführt und uns gefragt, wie es sich verhält bei den Begrifflichkeiten zu Musikinstrumenten. Hängt das von der musikalischen Expertise ab? Die Probandinnen und Probanden mussten Bilder betrachten von Musikinstrumenten und entscheiden, ob ein dazu gezeigter Name zu dem Instrument passt oder nicht. Dabei zeigte sich eine Aktivierung im Hörsystem, aber nur bei den professionellen Musikern, nicht bei den musikalischen Laien. Bei jenen, die sehr umfangreiche Klangerfahrungen haben, wie etwa bei professionellen Musikern der Fall, wird die akustische Interaktion Teil des Begriffs. Für musikalische Laien hingegen bleibt das Musikinstrument ein visuelles Objekt, sodass die Klangerfahrung hier nicht Teil des Begriffs wird. Das illustriert, dass in unserer sehr individuell ausgeprägten Sinneserfahrung Begriffe unterschiedlich beschaffen sein können, Begriffe sozusagen durch die individuelle Historie auf einer anders beschaffenen Sinneserfahrungen gegründet sein können. Frage: Es ist bekannt, dass die Abspeicherung eines Wortes durch zahlreiche Features passiert. Einige sind ganz entscheidend dafür, inwieweit der Abspeicherungsprozess tatsächlich erfolgreich ist oder nicht. Können Sie dazu kurz etwas sagen? Antwort: Es gibt sehr viele Untersuchungen dazu, dass Handlungsinformation hilfreich ist, wenn wir uns Dinge memorieren. Es ist am effektivsten, wenn wir die Handlung selbst durchführen. Aber es ist auch schon effektiv, wenn wir beobachten, wie eine dritte Person eine Handlung durchführt. Auch das führt dazu, dass wir z.B. Begriffe besser einspeichern können, wenn eine zusätzliche motorische Spur angelegt ist. Man könnte hier sagen: Doppelt genäht hält besser. Und wenn einmal eine zusätzliche motorische Spur angelegt ist, dann ist das effizienter als wenn nur eine visuelle oder kognitive Spur angelegt ist. Zur förderlichen Wirkung der motorischen Gedächtnisspur für den Begriffserwerb oder für das Wortlernen im Allgemeinen gibt es Vieles zu sagen. Ich verweise an dieser Stelle auf den nächsten Vortrag, Frau Arndt wird dazu sicher einiges anzumerken haben. Transkribiert von: Sophie Wirth - KU Eichstätt-Ingolstadt <?page no="54"?> Dr. rer. nat. Petra A. Arndt Petra A. Arndt hat Neurobiologie und Psychologie studiert. Es ist ihr Anliegen, die Ergebnisse der beiden Forschungsfelder zu verbinden und für die Gestaltung von Bildungsprozessen nutzbar zu machen. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte sind die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung von Kindern, institutionelle und familiäre Entwicklungseinflüsse, Effekte innovativer Lehr-/ Lernmethoden, Heterogenität und individuelle Unterschiede. Seit Juni 2017 ist sie als geschäftsführende Gesamtleitung des ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen der Universität Ulm tätig und begleitet die verschiedenen Forschungsprojekte des ZNL z.B. zum schulischen, vorschulischen und informellen Lernen und im Bereich der beruflichen Bildung. Magdalena Luise Mielke, Spiegelverdreht, Berlin <?page no="55"?> Petra A. Arndt Schreiben mit der Hand: Wichtiger Beitrag zum Schriftspracherwerb oder veraltete Kulturtechnik? 1 Einleitung Laptops, Smartphones und Co. sind aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Sie bestimmen unser Arbeitsleben, sind Mittel zur Freizeitgestaltung und zur Kommunikation. Kaum mehr jemand schreibt einen Brief mit der Hand und selbst der gute alte Einkaufszettel wird inzwischen ins Smartphone getippt oder mittels Stimmerkennungsprogramm festgehalten. Schnell taucht da die Frage auf, ob man sich wirklich noch die Mühe machen soll, das Schreiben von Hand überhaupt zu erlernen - gerade in einer Zeit, in der die Handschrift zunehmend mehr Kindern immer schwerer zu fallen scheint. Lehrkräfte klagen über fehlende feinmotorische Fertigkeiten, die das Schreibenlernen immer stärker erschweren. Was liegt näher, als Kindern das Schreiben mit der Hand zu ersparen und ihnen lieber frühzeitig den Umgang mit der Computertastatur näher zu bringen? Allerdings sind in diesem Zusammenhang viele Fragen noch ungeklärt. Was bedeutet es für den Schriftspracherwerb, wenn Kinder nicht mehr mit der Hand schreiben? Werden sie dennoch ebenso gut lesen und schreiben können, auch wenn sie die Schrift über die Tastatur lernen? Obwohl noch viele Fragen offen sind, liegt einiges an Erfahrungen aus der Praxis und an Erkenntnissen aus der Wissenschaft vor, das wir in die Diskussion einbeziehen sollten, wenn wir einer gut fundierten Entscheidung näher kommen möchten. 2 Alexie und wie Schrift im Gehirn verankert ist Wie wichtig Schrift für unser alltägliches Leben ist, wird deutlich, wenn die Fähigkeit zu Lesen plötzlich verschwindet, etwa durch einen Schlaganfall oder Unfall. Der Verlust der Lesefähigkeit wird als Alexie bezeichnet und die Folgen für die Betroffenen sind enorm. Nicht nur müssen viele von ihnen ihren Beruf aufgeben, sie verlieren auch einen großen Teil ihrer Alltagsfähigkeiten. Es ist ihnen z.B. unmöglich, Fahrpläne und Anzeigen zu entziffern und sich mit Hilfe von Schrift zu orientieren. Auch den Zugang zu Informationen ist erschwert, Nachrichten aus Zeitungen und Zeitschriften ebenso wie Bücher können nicht gelesen werden. Insgesamt ist die gesellschaftliche, kulturelle und politische Teilhabe stark eingeschränkt. <?page no="56"?> Petra A. Arndt 56 Ursache der Alexie sind räumlich abgrenzbare Schädigungen im Gehirn. In der Regel ist der Gyrus angularis betroffen (Déjerine 1892), oder die Verbindungen zwischen den höheren visuellen Arealen des Gehirns und dem Gyrus angularis (Damasio & Damasio 1983). Der Gyrus angularis ist ein Gebiet in der hinteren Hirnhälfte, zwischen dem auditorischen und dem visuellen System (vgl. Abbildung 1). Es liegt direkt hinter dem Wernicke-Areal, in dem Sprache verarbeitet wird, und zwar sowohl gesprochene Sprache als auch, mit Hilfe des Gyrus angularis, geschriebene Sprache. Der Gyrus angularis hat also eine Übersetzerfunktion für die Schrift. Das erscheint erstaunlich. Wir haben eine eigene Leseregion im Gehirn! Ist Schreiben und Lesen so wichtig für die Menschheit, dass das Gehirn dafür ein spezielles Gebiet bereithält? Ist die Fähigkeit zu Lesen also Teil unserer biologischen Ausstattung? Abb. 1: Der Gyrus angularis verbindet visuelle Information mit den zugehörigen Bezeichnungen. Dadurch kann im Wernicke-Areal sowohl gesprochene als auch geschriebene Sprache verarbeitet werden. (nach Arndt & Sambanis 2017: 30) Ja und Nein. In erster Linie ist der Gyrus angularis eine wichtige Schaltstelle zwischen Seh- und Hörzentrum. Dort wird visuelle Information mit Begriffen verknüpft, die Repräsentation eines Objektes oder Bildes mit der zugehörigen Bezeichnung. Auf diese Funktion greifen wir beim Lesen zu: Lesen ist die Verbindung der Buchstaben oder Wörter mit der zugehörigen Bezeichnung. Beim <?page no="57"?> Schreiben mit der Hand 57 Verarbeiten schriftlicher Rechenaufgaben hat der Gyrus angularis eine ähnliche Funktion. Genau das zeigt sich, wenn diese Hirnregion geschädigt wird: Neben Alexie kommt es zur Beeinträchtigung des Schreibens, der Sprache und des Rechnens. Werden dagegen bestimmte Verbindungen zwischen Sehzentrum und Gyrus angularis zerstört, tritt eine reine Alexie auf, d.h. nur die Fähigkeit zu lesen ist beeinträchtigt. Hier sieht man deutlich, ‚wie das Lesen ins Gehirn kommt‘. Das im Gehirn gespeicherte Wissen steckt nicht in den Nervenzellen selbst, sondern in den Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Wenn Menschen zu lesen und zu schreiben lernen, nutzen sie bereits bestehende Verbindungen mit ähnlicher Funktion, festigen sie und bauen sie um, sodass eine starke Verbindung entsteht zwischen den Nervenzellen im Sehzentrum, die gelernt haben die kleinen, komplexen Symbole auseinanderzuhalten, die wir Buchstaben nennen, den Nervenzellen im Hörzentrum, die Laute unterscheiden können und den motorischen Zentren, die in der Lage sind eben diese kleinen komplexen Symbole auch selbst zu Papier zu bringen. Die zentrale Schaltstelle für derartige Verknüpfungen ist der Gyrus angularis, dessen grundlegende Funktion in den Dienst der Kulturtechnik Schriftsprache gestellt wird. 3 Die Bedeutung von Schrift Das Beispiel Alexie hat uns schon einen Eindruck davon vermittelt, was Schrift für den Alltag bedeutet. Aber Schrift ist ja nicht nur ein Alltagsinstrument. Schrift dient ganz allgemein der Speicherung und Weitergabe ganz unterschiedlichen Wissens. Schreiben bringt unterschiedlichste Texte hervor und durch Lesen können wir deren Bedeutung erfassen, neue Ideen aufnehmen, Einsichten und Informationen gewinnen. Die Kulturtechnik Schreiben stattet unsere Welt mit kulturellen Gütern und Denkweisen aus. Dabei hat der geschriebene Text gegenüber dem gesprochenen verschiedene Vorteile. Einerseits überbrückt der geschriebene Text Raum und Zeit, erlaubt es als Brief oder E-Mail Informationen um die ganze Welt zu schicken und verbindet Menschen leicht auch über Landesgrenzen hinweg. Andererseits sind Schriftstücke Träger von Kultur. Alte Texte geben Wissen und Werte aus früheren Zeiten weiter und sorgen so für Kontinuität - wobei es natürlich auch immer darauf ankommt, was rezipiert wird. Neben der Überbrückung von Raum und Zeit bietet der geschriebene Text einen weiteren entscheidenden Vorteil. Geschriebene Texte können einen deutlich höheren Komplexitätsgrad haben als gesprochene Texte und damit komplexere Gedanken und Konzepte darstellen. Texte wie etwa Kants Kritik der reinen Vernunft (1788) wären als gesprochener Text kaum aufzunehmen. Mehrere Faktoren tragen dazu bei, dass beim Lesen geschriebener Texte ein höherer Komplexitätsgrad besser bewältigt werden kann: Der Leser kann so <?page no="58"?> Petra A. Arndt 58 schnell oder langsam durch den Text gehen, wie er selbst die Gedanken nachvollziehen kann und kann Pausen machen, um den Sinn einer Passage zu erfassen. Er kann zurückblättern und vorangegangene Textpassagen nochmals lesen, wenn das für das Verständnis hilfreich ist. Die Stärke der Schrift, Wissen, auch komplexes Wissen, über Zeit und Raum zu verbinden, hat zu einem enormen Anstieg des Gesamtwissens der Menschheit beigetragen. Inzwischen werden jedes Jahr über zwei Millionen wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Letztlich ist die Schrift die Basis dafür, dass wir uns zu einer Wissensgesellschaft entwickelt haben. 4 Schrift und Trägermedium Schrift braucht immer ein Trägermedium. Dieses hat sich im Laufe der Jahre immer wieder geändert und jedes Medium zeichnet sich durch eigene Charakteristika aus. Antike Gesellschaften haben uns in Stein gemeißelte Schrift hinterlassen. Der Vorteil ist unübersehbar: Auch nach tausenden von Jahren ist das Geschriebene noch erhalten und der Nachwelt zugänglich. Allerdings lassen sich die Steinplatten, in die die Schriftzeichen gemeißelt wurden, nicht transportieren. Als mobiler Träger wurde handbeschriebenes Papyrus verwendet oder wie bei den Römern Wachstafeln. Die Sumerer nutzten Tontafeln für ihre Keilschrift. Ab der Spätantike wurde Pergament verwendet und über die arabische Welt gelangte im Mittelalter die chinesische Erfindung der Papierherstellung schließlich zu uns. Die Schriftart ist nicht unabhängig vom Trägermedium. Medien wie Stein, Wachstafeln oder Ton, in die Buchstaben gemeißelt oder geritzt werden, legen nahe, dass man einzelne Buchstaben verwendet. Materialien wie Pergament und Papier erlauben das dauerhafte Auftragen von Farbe oder Tinte. Anfangs wurde ein Schilfrohr oder Pinsel verwendet, später ein Federkiel und der Bleistift. Damit eröffnete sich die Möglichkeit der verbundenen Schrift, der Handschrift. Im Laufe der Zeit haben verschiedene Kulturen Handschriften entwickelt. 5 Verlust von Wissen durch Abschaffung der Handschrift? Was würde es für uns bedeuten, wenn die Schreibschrift als veraltete Kulturtechnik nicht mehr an den Schulen gelehrt würde? Tatsächlich wäre es nicht das erste Mal in unserer Geschichte, dass eine Schrift abgeschafft wird. In Deutschland wurde in nicht allzu ferner Vergangenheit schon einmal eine Schrift aufgegeben, weil beschlossen wurde, sie in den Schulen nicht mehr zu unterrichten und ihr gedrucktes Gegenstück in offiziellen Dokumenten nicht mehr zu verwenden. Es hat sich gezeigt: Wird eine Schrift nicht mehr verwendet, so verschwindet auch bald die Fähigkeit, sie zu lesen. Heute kann so gut wie niemand mehr Sütterlin lesen. Auch die zugehörige gedruckte Fraktur- <?page no="59"?> Schreiben mit der Hand 59 Schrift gerät in Vergessenheit. Das Ergebnis ist, dass alte Briefe und Bücher für viele kaum mehr zu entziffern sind. Was das bedeutet ist schwer zu entscheiden. Für gesellschaftlich oder historisch wichtige Schriftstücke wird sich eine Übersetzerin oder ein Übersetzer finden lassen und im Internet gibt es Hilfestellung für diejenigen, die alte Familientexte lesen möchten. 5 Ob und wie sich das Wissen in der Gesellschaft anders entwickelt hätte, wenn der Zugang zu dieser Schriftart erhalten geblieben wäre, lässt sich im Nachhinein nicht sagen. Aber dass die Menschen unsere derzeitige Handschrift künftig nicht mehr lesen könnten, wenn die Handschrift nicht mehr gelernt wird, wäre nicht die einzig erwartbare und wahrscheinlich auch nicht die ausschlaggebendste Veränderung. Viel bedeutsamer dürfte sein, dass viele Funktionen der Handschrift durch digitale Medien übernommen würden. Und das hat Einfluss darauf, wie wir mit Texten umgehen und in welcher Weise und in welchem Umfang wir von ihnen profitieren. 6 Digitale Medien verändern das Schreiben und Lesen Die Nutzung digitaler Medien verändert sowohl die Lesegewohnheiten als auch die Schreibgewohnheiten. Dabei sind diese Prozesse nicht unabhängig voneinander. Vielmehr werden die Schriftstücke bewusst veränderten Lesegewohnheiten angepasst. Auch die Handhabung der Tastatur selbst führt zu Änderungen im Schreibprozess und die Nutzung digitaler Medien als Mittel der direkten Kommunikation führt zu ganz eigenen Arten Informationen zu verschriftlichen. 6.1 Schreiben mit den und für die digitalen Medien Bereits die Verwendung einer Tastatur zum Schreiben bei ansonsten gleicher Aufgabenstellung beeinflusst die Ergebnisse von Schreibprozessen. Am besten untersucht ist das für Schülerinnen und Schüler. Diese brauchen mehr Zeit, um Sätze oder Texte mit der Tastatur zu schreiben bzw. verfassen in der gleichen Zeit längere Texte beim Schreiben mit der Hand (Berninger et al. 2009). Handgeschriebene Texte enthalten komplexere Sätze (ebd.) und haben eine höhere Textqualität (Connelly et al. 2007). Das Schreiben von Hand mit Spezialstift auf einem Tablet-PC (mit Worterkennung) führte bei Schülerinnen und Schülern (7-8 Jahre) ebenfalls zu einer niedrigeren Textqualität als das Schreiben mit Stift und Papier, aber zu einem ähnlich großen Textumfang (Read 2007). Auch ein Jahrzehnt später finden sich trotz des Einzugs digitaler Medien in den Schulen ähnliche Ergebnisse: Texte, die nach einer Lerneinheit getippt statt mit der Hand geschrieben werden, spiegeln weniger Wissen und 5 Siehe „Sütterlin lernen und lesen üben“ von Peter Dörling. Abrufbar unter http: / / www.suetterlinschrift.de <?page no="60"?> Petra A. Arndt 60 ein geringeres Verständnis der gelernten Zusammenhänge wider und zeigen eine geringere Genauigkeit im Hinblick auf die neu erlernten Fachbegriffe (Aberšek et al. 2018). Bei der Interpretation derartiger Ergebnisse muss man allerdings sehr vorsichtig sein, da es in vielen, wenn auch nicht in allen Fällen ja so ist, dass Schülerinnen und Schüler häufiger mit der Hand als mit der Tastatur schreiben, sodass ersteres besser trainiert sein könnte. Die Ergebnisse bei Erwachsenen allerdings, die ja in der Regel im Tastaturschreiben besser trainiert sind, bestätigen die Befunde bei Schülerinnen und Schülern. Auch bei Erwachsenen findet man eine geringere Kohärenz in längeren Manuskripten, wenn diese am Computer erstellt wurden. Ein weiterer Aspekt ist die Bedeutung des Schreibens zur Unterstützung von Lern- und Behaltensprozessen. Manche Lernende machen sich Notizen während des Lernprozesses, so unterstützen handgeschriebene Notizen das Behalten nachweislich deutlich besser als wenn Notizen auf dem Computer getippt werden (Mangen et al. 2015, Smoker et al. 2009). Wird geschriebene Sprache als Kommunikationsmittel in Messenger-Systemen oder SMS-Nachrichten genutzt, ähnelt sie gesprochener Sprache stärker als das bei Briefen der Fall ist (Storrer 2000). Das gilt für den Ausdruck (Androutsopoulos 2003) und die Schreibweise (z.B. Wie isses statt Wie ist es). Von besonderer Bedeutung, auch mit gesellschaftlichen Folgen, ist die Veränderung des Verhältnisses von sozialer Nähe und Distanz. Bei der Nutzung elektronischer Nachrichten verändert sich die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Raum und damit die Art der Äußerungen, die gegenüber bestimmten Personengruppen getätigt werden (ebd.), etwa gegenüber Kollegen, Lehrkräften oder Fremden. Auch das Schreiben längerer digitaler Texte, besonders für das Internet, folgt anderen Regeln als das Verfassen gedruckter Texte. Das hängt damit zusammen, dass Menschen Texte auf dem Bildschirm nicht vom Anfang bis zum Ende lesen. Vielmehr haben sich oberflächliche Lesetechniken etabliert, bei denen die Lesenden nur Teile des Textes wahrnehmen, z.B. nur bestimmte Informationen suchen oder sich einen groben Überblick verschaffen wollen. Für das Schreiben werden aus diesem Leseverhalten Empfehlungen abgeleitet und u.a. auf den Seiten des Goethe-Instituts bereitgestellt. 6 Es werden eine einfache Sprache und kurze, einfache Sätze empfohlen. Auf Hilfsverben und Konjunktionen soll verzichtet werden. Die direkte Aufforderung mittels Imperativ ebenso wie Teaser, kurze Anrisstexte, die den Inhalt oder den Nutzen des nachfolgenden Textes knapp umreißen, sollen zum Weiterlesen anregen. Die Texte sollen kurz gehalten und durch Zwischenüberschriften stark gegliedert sein, mit jeweils einzeln für sich stehenden, sozusagen leicht verdauli- 6 z.B: https: / / www.internetkapitaene.de/ 2016/ 04/ 27/ gute-texte-fuers-web-schreiben/ oder http: / / www.goethe.de/ uun/ pro/ rhb/ texte/ schreiben-fuers-web_kurz-de.pdf <?page no="61"?> Schreiben mit der Hand 61 chen Inhaltsblöcken oder simplen Botschaften. Sie sollen Informationen liefern oder eine Überzeugung vermitteln, letzteres aber eher durch einfache Statements (Lesen ist cool). Auf Argumentationen und komplexe Begründungen ist in diesem Zusammenhang zu verzichten. Außerdem müssen Internettexte nicht nur für Menschen, sondern auch für Suchmaschinen interessant sein. Das bedeutet, dass bei der Wortwahl auf die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten verzichtet wird und z.B. anstelle von Synonymen zur Akzentuierung bestimmter Bedeutungsaspekte das immer gleiche Schlagwort verwendet wird. Mit einer derartigen Vorgehensweise gehen die in Abschnitt 3 genannten Vorteile, die die geschriebene Sprache gegenüber der gesprochenen auszeichnet, verloren, etwa die Möglichkeit durch komplexe Satzkonstruktionen komplexe Sachverhalte oder Wechselwirkungen darzustellen. Auch hier finden wir in gewisser Weise eine höhere Ähnlichkeit der Texte zur gesprochenen Sprache als das beim klassischen gedruckten Text in Buch oder Zeitung der Fall ist. 6.2 Lesen und digitale Medien Zwar ist der Leseprozess nicht Kernelement der Frage nach der Verwendung der Handschrift, die beobachteten Effekte, die beim Lesen digitaler Texte auftreten, geben uns aber Hinweise darauf, wie unterschiedlich die Verarbeitung digitaler und nicht-digitaler Schriftstücke abläuft. Digitale Texte werden in der Regel nicht vollständig und im Zusammenhang gelesen, sondern ausgesprochen selektiv. Es haben sich verschiedene Lesetechniken etabliert, etwa das Scanning, also die Suche nach bestimmten Zielwörtern, das Skimming, d.h. das Überfliegen des Textes ohne Pausen zum Nachlesen von Details oder zum Nachdenken, und das Skipping, das Überspringen ganzer Textpassagen, die uninteressant erscheinen (Liu 2005). Dass unter solchen Bedingungen nur Teile des Textes erfasst werden, versteht sich von selbst, der Leseprozess ist weniger vertieft und konzentriert (ebd.). Auch unter experimentellen Bedingungen, bei denen identische Texte mal auf Papier und mal digital dargeboten werden, finden sich Unterschiede in der Leseleistung. Das Lesen kurzer Texte führt zu einem ähnlich guten Verständnis, wenn auch zu weniger guten Leistungen bei der Bearbeitung, etwa beim Markieren relevanter Passagen (Wästlund et al. 2005). Für längere Texte zeigte sich ein geringeres Leseverständnis (Mangen et al. 2013). Zusätzlich zeigten sich Hinweise auf schlechtere Langzeitspeicherung beim Lesen digitaler im Vergleich zu gedruckten Texten (Garland & Noyes 2004). Beim Vorlesen von E-Books statt gedruckter Bücher treten Eltern mit ihren Kindern weniger in den inhaltlichen Austausch (Kim & Anderson 2008), machen weniger Bemerkungen und regen das Kind weniger zum Weiterdenken und Berichten eigener Erfahrungen an (Parish ‐ Morris et al. 2013). Je mehr <?page no="62"?> Petra A. Arndt 62 elektronische Features ein digitales Bilderbuch hat, umso stärker sind die beschriebenen Effekte (Chiong et al. 2012). Die Folge ist, dass Kinder Zusammenhänge und den Ablauf der Geschichte beim Vorlesen eines E-Books weniger gut behalten, wogegen Fakten weiterhin gut behalten werden. Auch hier sind es also eher die Einzelinformationen als die Zusammenhänge, die durch das Lesen digitaler Medien unterstützt werden. 7 Schriftspracherwerb mit der Tastatur statt mit Stift und Papier? Das Schreiben mit der Hand wird zunehmend durch die Nutzung digitaler Schreibgeräte ersetzt (Mangen & Velay 2010). Daraus leiten einige Entscheidungsträger ab, dass Kinder den Umgang mit der Tastatur frühzeitig erlernen sollten. Handschrift dagegen sei überflüssig, zumal Spracherkennungsprogramme und Sprachspeicher uns die Arbeit künftig abnehmen würden. Für die Tastatur als Mittel zum Schreibenlernen wird - auch vor dem Hintergrund der abnehmenden motorischen Fertigkeiten der Schulanfängerinnen und Schulanfänger (Marquardt et al. 2016) - argumentiert, dass sie zu einer motorischen Erleichterung führen würde. Dieses könnte insbesondere für Kinder mit geistigen und körperlichen Einschränkungen hilfreich sein (Calhoun 1985) bzw. bei spezifischen Lernschwierigkeiten (Berninger et al. 2009). Zudem schone die motorische Erleichterung kognitive Ressourcen. Castles et al. (2013) stellten einen positiven Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Computergebrauchs und dem Buchstabenwissen von Kindern fest. Andererseits geht die Häufigkeit des Tippens auf der Tastatur mit einer reduzierten Feinmotorik einher (Heuer 2016). Übertragen auf Grundschulkinder könnte das bedeuten, dass der Verzicht auf die Handschrift zugunsten des Tastaturschreibens zu einem weiteren Rückgang feinmotorischer Fertigkeiten führt. Tatsächlich sind die Auswirkungen auf den Schriftspracherwerb noch nicht abschließend geklärt. Verschiedene wissenschaftliche Ansätze kommen zu unterschiedlichen Vorhersagen. 7.1 Die kognitionspsychologische Perspektive Die Kognitionspsychologie betrachtet die den geistigen Leistungen zugrunde liegenden informationsverarbeitenden und steuernden Prozesse. Für das Schreiben werden drei Komponenten unterschieden: (1) die Transkription, also die Übertragung von gesprochener in geschriebene Sprache, (2) die Handlungssteuerung, die feinmotorischer und visuo-motorischer Fertigkeiten bedarf, und (3) die Textproduktion an sich. Basierend auf dem Modell eines im Umfang begrenzten Arbeitsgedächtnisses, das an der Steuerung aller drei Prozesse beteiligt ist, werden die Anforderungen beim Schreiben als hohe Auslastung betrachtet. Der insgesamt hohe Cognitive Load führe zu geringeren Leistungen in den Einzelprozessen. Die Reduzierung der Belastung - etwa <?page no="63"?> Schreiben mit der Hand 63 durch das Schreiben mit der Tastatur - würde dazu führen, dass Kapazitäten für die anderen Teilprozesse frei würden und so eine höhere Leistung möglich werde. Voraussetzung ist, dass das Tippen tatsächlich geringere Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis stellt als die Handschrift. In einem Übersichtsartikel zusammengestellter Studien zum Vergleich von Schreibleistungen bei Schreibanfängerinnen und Schreibanfängern finden sich generell keine Vorteile des Schreibens mit der Tastatur (Wollscheid et al. 2016). Untersucht wurden Textlänge, Textqualität und Schreibflüssigkeit. Damit ähneln die Ergebnisse denjenigen, die für ältere Schülerinnen und Schüler in Abschnitt 6.1 beschrieben wurden. Eine Entlastung durch das Tastaturschreiben lässt sich anhand der vorhandenen Daten nicht nachweisen. 7.2 Die sozio-kulturelle Perspektive Aus sozio-kultureller Perspektive wird das Lernen und damit auch der Schriftspracherwerb immer im sozialen Kontext betrachtet. Der Schrift kommt dabei die Rolle des Kommunikationsmittels zu. In Untersuchungen aus diesem Bereich wird daher immer der Lernerfolg im Erstschreibunterricht mit digitalen Medien verbunden mit bestimmten didaktischen Herangehensweisen, die den sozialen Aspekt betonen, untersucht und mit dem Lernerfolg im ‚normalen‘ Unterricht verglichen, wobei in der Regel nicht gut beschrieben ist, was im ‚normalen‘ Unterricht passiert. In diesen Studien findet man häufig positive Effekte. Ein Beispiel ist das Programm (iWTR), bei dem die Verwendung von iPads im Unterricht mit dem bereits bestehenden Schreiblernprogramm (Writing to Read, WTR) verbunden wurde (Genlott & Grönlund 2013). Grundlage sowohl des ursprünglichen Programms als auch seiner digitalen Version ist, dass Schreibanfängerinnen und Schreibanfänger sehr früh beginnen kleine Texte zu schreiben und sie anderen (Mitschülerinnen und Mitschülern, Eltern, Lehrkräften) zur Verfügung zu stellen, die die Texte kommentieren und erweitern. Hier wird die Schriftsprache von Anfang an als Kommunikationsmittel eingesetzt. Die Kinder, die mit iWTR lernen, erwerben schneller die Fähigkeit, Texte zu schreiben, zu lesen und Texte zu kommentieren als Kinder, die in der herkömmlichen Weise das Lesen und Schreiben lernen. Einen Vergleich zwischen der digitalen und der nicht-digitalen Version der WTR-Methode wurde nicht durchgeführt, sodass sich nicht sagen lässt, ob der Lernerfolg auf das grundlegende pädagogische Konzept zurückzuführen ist oder tatsächlich auf das Schreibmedium selbst. 7.3 Lernpsychologisch-neurowissenschaftliche Perspektive In experimentellen, möglichst gut kontrollierbaren Settings werden die Auswirkungen des Schreibens mit der Hand und dem Computer sehr systematisch untersucht. Dabei wird nur der interessierende Aspekt variiert - hier das <?page no="64"?> Petra A. Arndt 64 Schreiben mit der Tastatur bzw. mit der Hand. Alle anderen Einflussfaktoren werden möglichst konstant gehalten. Zur Umsetzung werden systematische Trainings oder Interventionen entwickelt und durchgeführt. Mit einem solchen, in eine Geschichte eingebetteten, Training wurden Kindergartenkinder in drei Wochen mit 12 Buchstaben vertraut gemacht (30 Minuten Training pro Woche) (Longcamp et al. 2005). 38 Kinder absolvierten ein Schreibtraining mit der Hand, 38 weitere ein Tipptraining am Computer. Anschließend wurde geprüft, wie gut die Kinder geübte Buchstaben von anderen Zeichen unterscheiden konnten. Direkt nach dem Training erkannten die Kinder, die mit der Hand schreibend geübt hatten, mehr Buchstaben richtig. Zudem blieb die Erkennensleistung auch nach einer Woche stabil, wogegen die Leistung in der Tastatur-Gruppe leicht abnahm. Nach einem etwas anders strukturierten, intensiveren Training von 8 Buchstaben (mit wöchentlich 4 Trainingseinheiten von jeweils 25 Minuten über 4 Wochen) wurde neben dem reinen Wiedererkennen das Lesen und Schreiben der 8 Buchstaben und aus diesen Buchstaben gebildeten Wörtern untersucht (Kiefer et al. 2015). 12 Kinder erlernten die Buchstaben durch das Schreiben mit der Hand, 11 Kinder durch das Tippen auf einem Laptop. Nach dem Training zeigten die Kinder, die mit der Hand geschrieben hatten, bessere Leistungen im Schreiben von Buchstaben aus der Erinnerung und im Schreiben von Wörtern nach Diktat. Vorteile für die Tastatur-Gruppe oder Unterschiede im Lesen zeigten sich nicht, möglicherweise auch, weil die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dieser Studie gering war. Interpretiert werden die Ergebnisse mittels des Konzepts der Embodied Cognition (verkörperte Kognition). Dabei geht man davon aus, dass die kognitiven Leistungen von Menschen auf sensorischen und motorischen Leistungen aufbauen und daher auch höhere kognitive Prozesse mit sensorischen und motorischen Aspekten verknüpft sind. Grundlage dieser Verknüpfung ist eine entsprechende Repräsentation im Gehirn. Durch das Schreiben mit der Hand wird eine Repräsentation der einzelnen Buchstaben in den motorischen Arealen erzeugt, die die visuelle, durch das Betrachten erzeugte Repräsentation unterstützt. Wird dagegen durch Tippen gelernt, wird die Repräsentation des Schreibens im Gehirn verändert und damit auch, wie Schrift allgemein im Gehirn verankert ist. Dieser Erklärungsansatz lässt sich nur mit neurowissenschaftlichen Methoden untersuchen, in denen der experimentelle Ansatz mit bildgebenden Verfahren verknüpft wird. Im Rahmen einer fMRT 7 -Studie erlernten 17 Kinder im Alter von ca. 7 Jahren, die mit Druckbuchstaben vertraut waren, 16 Schreibschriftbuchstaben neu kennen (Kersey & James 2013). Dabei lernten sie diese entweder, indem 7 fMRT steht für funktionelle Magnetresonanztomographie, ein bildgebendes Verfahren, mit dem man u.a. die Aktivität in Hirnarealen mit hoher räumlicher Auflösung erfassen kann. <?page no="65"?> Schreiben mit der Hand 65 sie sie nach Anleitung selbst schrieben oder indem sie eine Person beobachteten, die diese Buchstaben schrieb. Anschließend wurde mittels fMRT aufgezeichnet, welche Hirnregionen beim Betrachten von Schreibschriftbuchstaben aktiv waren. Es zeigte sich, dass beide Gruppen dazugelernt hatten. In der fusiformen Region, einem Gebiet, das für die Erkennung von Objekten (u.a. eben auch Buchstaben) relevant ist, zeigte sich bei allen Kindern beim Betrachten geübter bzw. gesehener Schreibschriftbuchstaben eine höhere Aktivierung als beim Betrachten noch unbekannter Schreibschriftbuchstaben. In den motorischen Arealen zeigte sich allerdings eine höhere Aktivierung nur bei den Kindern, die die Buchstaben selbst geschrieben hatten, während die Aktivierung bei den Kindern, die nur zugeschaut hatten, ebenso niedrig war wie für unbekannte Schreibschriftbuchstaben. Die Ergebnisse entsprechen den Annahmen der Embodied Cognition. In einem weiteren Experiment konnte gezeigt werden, dass durch das Schreiben von Buchstaben eine Verbindung zwischen der visuellen Buchstabenerkennungsregion und den motorischen Arealen aufgebaut wird (Vinci- Booher et al. 2016). Dazu übten 15 fünfjährige Kinder 4 Buchstaben entweder durch Abschreiben oder durch Nachfahren des vorgegebenen Musters mit dem Stift oder durch Tippen auf der Tastatur. Nur bei den Kindern, die die Buchstaben abgeschrieben hatten, zeigte sich eine neuronale Verknüpfung der visuellen und motorischen Repräsentation - und das, obwohl jeder der Buchstaben nur 8 Mal geschrieben (bzw. gemalt oder getippt) worden war. Die neurowissenschaftlichen Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Schreiben von Hand dazu führt, dass Schrift nicht nur in visuellen Arealen, sondern zusätzlich in motorischen Arealen repräsentiert wird. Zudem wird gleich während des Lernprozesses eine Verbindung zwischen den zuständigen Gehirngebieten aufgebaut. 8 Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Schreiben und Lesen durch digitale Medien verändert. Kommunikationsformen und Regeln ändern sich ebenso wie die Gestaltung von Texten. Für das Lesen digitaler Texte findet sich in Studien ein geringeres Leseverständnis. Auch für das Schreiben mit der Tastatur im Vergleich zum Schreiben mit der Hand finden sich eher Nachteile, auch wenn die Ergebnisse nicht ganz einheitlich sind. Wird das digitale Schreiben im Unterricht mit besonders wirksamen didaktischen Vorgehensweisen verknüpft, so finden Kinder leichter Zugang zur Schriftsprache als im ‚normalen‘ Unterricht. Im direkten Vergleich des Tippens auf der Tastatur mit der Handschrift zeigt sich allerdings, dass die Vorteile auf der Seite der Handschrift liegen. Neurowissenschaftliche Studien bestätigen dieses und belegen, dass das Schreiben mit der Hand zu einer zusätzlichen Repräsentation der <?page no="66"?> Petra A. Arndt 66 Buchstaben in motorischen Arealen und damit zu einer stärkeren Verankerung im Gehirn beiträgt. Literatur Aberšek, M. K., Aberšek, B. & Flogie, A. (2018): Writing versus typing during science teaching: Case Study in Solvenia. In: Journal of Baltic Science Education 17(1), 84-96. Androutsopoulos, J. (2003): Online-Gemeinschaften und Sprachvariation. Soziolinguistische Perspektiven auf Sprache im Internet. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 31(2), 173-197. Arndt, P.A. & Sambanis, M. (2017): Didaktik und Neurowissenschaften - Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Tübingen: Narr. Berninger, V. W., Abbott, R. D., Augsburger, A. & Garcia, N. 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All of this raises the question of whether one should still go to the trouble of teaching handwriting at all, especially in a time when children seem to find it more and more difficult to learn, and teachers complain of insufficient fine-motor skills among their pupils. What could be more reasonable than to spare children this trouble, and instead to familiarize them with the computer keyboard as early as possible? Many questions remain unanswered in this connection, but if the decision is to be well-founded, then much practical experience and the scientific evidence that exists ought to be brought into the discussion. 2 Alexia and the Roots of Writing in the Brain The importance of writing in our daily lives becomes clear when the capacity to read is suddenly lost, as through a stroke or accident. This condition is referred to as alexia, and the consequences for the individual sufferer are enormous: their entire social, cultural and political life is vastly reduced. The cause of alexia is localized trauma to the posterior hemisphere of the brain, in particular to the gyrus angularis, which is located between the auditory and the visual areas and directly behind the Wernicke area. This is where language is processed - both spoken and (with the help of the gyrus angularis) written. The gyrus angularis thus functions primarily as translator between the visual and auditory centers, linking the representation of an object or image with its designation. We rely on this function whenever we read, for reading consists precisely in the connection of visual information (letters or words) with appropriate concepts. The same holds true for numbers and mental calculation. When this region of the brain is damaged, the result can be a reduced ability to read, write, speak or calculate. 8 English summary by John Crutchfield <?page no="70"?> Petra A. Arndt 70 This suggests that the knowledge stored in the brain inheres not in the nerve cells themselves, but in the connections between them. When human beings learn to read and write, they use preexistent connections with a similar function, and they consolidate and modify them so that a strong connection is formed between the nerve cells in the visual center (which have learned to distinguish among the tiny, complex visual symbols we call letters), in the auditory center (which distinguish among articulate sounds) and in the motor center (which enable us to bring these symbols to paper). The central switchboard for these connections is the gyrus angularis, whose fundamental function has thus been repurposed in the service of the cultural technology called writing. 3 The Significance of Writing The example of alexia illustrates the importance of writing in everyday life, but it has other important functions as well, including conserving and transmitting diverse forms of knowledge across time and space, and thus preserving cultural continuity. Writing also has the distinct advantage of enabling the expression of much more complex thoughts and concepts than would be possible in spoken language. This is in part due to the static nature of the written text: the reader can proceed as quickly or as slowly as they wish, pausing and re-reading whenever necessary to strengthen comprehension. 4 Writing and Carrier Medium Writing requires a medium. The carrier media of writing have changed again and again over time, and each medium has its own special characteristics. Ancient societies carved their writing in stone, the advantage of which is clear: even after millennia, the text remains legible. The disadvantage is that the medium itself is difficult to transport compared to papyrus, for example, or to the wax tablets the Romans used. Of importance for us here is the fact that the medium largely determined the form of writing. It is no accident that single letters are the rule with media such as stone, clay and wax, in which the writing is cut or scratched. Papyrus, parchment and paper, by contrast, allow for a continuous stroke to lay on ink using a reed, brush, quill or pen. Thus arose the possibility of cursive script or handwriting as we know it today. 5 Loss of Knowledge through the Abolishment of Handwriting? What would it mean if handwriting were considered an outmoded cultural technology and were no longer taught in school? In fact, there are examples <?page no="71"?> Englische Rezeption des Vortrags von Petra A. Arndt 71 of this in recent German history. What became clear after the Sütterlin script ceased to be taught in the schools or used in official documents was that it was soon no longer legible at all. Today, German letters and printed material from the first half of the 20th Century and earlier are scarcely decipherable for most readers. The cultural significance of this is difficult to determine. But the primary issue is not whether future generations will be able to read our handwriting; it is that many of the functions of handwriting would be taken over by digital media. And this would have serious consequences for the way we deal with texts and the degree to which we profit from them. 6 How Digital Media Alter Writing and Reading The use of digital media alters our habits both of reading and of writing. Moreover, these practices are not independent of each other: writing is purposely adapted to changing habits of reading. The use of a keyboard itself produces changes in the writing process, and the implementation of digital media as means of direct communication leads to entirely new forms of inscription. 6.1 Writing with and for Digital Media The difference that using a keyboard makes for writing processes among schoolchildren has been well studied. Children require more time to compose sentences or texts when using a keyboard than when writing by hand. Furthermore, the handwritten texts comprise more complex sentences and are of a higher quality than their digital counterparts. Among children ages 7-8, writing by hand using a stylus on a tablet-PC (with word recognition software) likewise produces a lower textual quality than writing using pen and paper. These studies are now a decade old, but despite the massive infusion of digital media in the schools since then, newer studies produce the same result: after a given instructional unit, texts that are typed demonstrate less content knowledge, a more limited understanding of the learned contexts and less precision in terms of the newly acquired subject terminology than their handwritten counterparts. While it is possible that the subjects of such studies (the schoolchildren) are simply better practiced in handwriting than in typing, additional studies using adult subjects, who are generally quite well versed in the use of a keyboard, confirm the earlier findings: in adults as well, longer texts produced using a computer keyboard exhibit less coherence than handwritten texts of similar length. Another aspect to consider is the importance of writing in support of learning processes and retention. Learners who take handwritten notes have been shown to retain the learned material significantly better than learners who type their notes on a computer. <?page no="72"?> Petra A. Arndt 72 It turns out that the composition of longer digital texts, especially for the internet, follows rules that differ from those of printed texts. This has to do with the fact that texts on a computer screen are generally not read from beginning to end. Instead, more superficial techniques of reading have established themselves, whereby a reader in search of specific information or of a rough overview will absorb only parts of the text. Specific recommendations for composition (“writing for the web”) are deduced from this behavior and publicized, for example, on the Goethe Institute website. Simple language and short sentences free of helping verbs and conjunctions are recommended. Direct addresses, in the form of imperatives, and brief teasers are to pique the reader’s interest. The texts are to be kept succinct and should be clearly subdivided using section headings, each corresponding to freestanding, easily digestible blocks of content. They should provide information or communicate an opinion; if the latter, then via simple declarative statements (e.g. Reading is cool). Argumentation and complex reasoning are to be avoided. Furthermore, web texts should be interesting not only for human readers but also for search engines, hence one should eschew the expressive possibilities inherent in synonyms, and instead deploy the same key word every time. Such a procedure means of course the loss of those advantages enumerated above for written language over spoken language. Without the possibility of using complex syntactic structures, it becomes difficult to represent complex situations or interdependencies. Here too, we find a greater resemblance of the text to spoken language than is the case with classical printed material. 6.2 Reading and Digital Media Various reading techniques have become the norm for digital texts: scanning (the search for specific words), skimming (passing over a text without pausing to consider details or to reflect) and skipping (omitting entire textual passages that appear uninteresting). It is no surprise that, under such circumstances, only parts of the text are absorbed, and the reading process is less in-depth and concentrated. Experiments in which identical texts are offered in print and in digital form have revealed differences in both comprehension and retention, especially for longer texts. It has also been observed that, when parents read e-books (as opposed to printed books) out loud with their children, they enter less frequently into discussions of content, offer less commentary and less encouragement to their children to think further or to report on their own experience. The more electronic features the digital book offers, the more pronounced are these same effects. <?page no="73"?> Englische Rezeption des Vortrags von Petra A. Arndt 73 7 Learning to Write with the Keyboard instead of Pen and Paper? Writing by hand is increasingly being replaced by the use of digital writing devices. Some decision-makers conclude that children should learn to use keyboards early on. Handwriting, by contrast, is considered superfluous, since speech recognition software and voice memos will henceforth do the work for us. The ultimate effects on the ability to write per se have not yet been fully clarified, however, and different scientific approaches yield different predictions. 7.1 The Cognitive-Psychological Perspective Cognitive Psychology considers the protocols of regulation and information processing that lie at the basis of mental performance. In terms of writing, three components are distinguishable: 1) transcription, i.e. the carrying over of spoken into written language; 2) action control, which requires both fine motor and visual-motor skills; and 3) text production. Based upon the model of a limited working memory involved in all three processes, the demands of writing are considered to be a high expenditure of resources or cognitive load. Presumably this leads to reduced performance in individual processes. Thus if the work load itself can be reduced - as for example through the use of a keyboard - theoretically this should free up capacity for the other component processes, which in turn would make possible a more efficient overall performance. The assumption here is that typing does in fact represent a lesser demand on the working memory than writing by hand. Generally, however, scientific studies of performance in writing among beginners, in which text length, text quality and written fluency are compared, reveal no advantages to writing with a keyboard. Thus the reduction in cognitive load predicted for keyboard use is not supported by the current scientific data. 7.2 The Socio-Cultural Perspective Viewed in its social context, writing appears as medium of communication. Studies of writing acquisition from this point of view generally connect learning outcomes using digital media with specific didactic approaches that emphasize the social aspect, and compare these with outcomes in “normal” classrooms. Because such studies generally fail to adequately describe the “normal” classroom, however, or else neglect to design adequate control environments, the apparently positive results of using digital media such as iPads cannot be definitively attributed to the device itself, independent of the fundamental pedagogical concept. <?page no="74"?> Petra A. Arndt 74 7.3 The Learning-Psychological/ Neuroscientific Perspective The effects of writing by hand vs. writing with a computer have been quite systematically investigated in experimental settings, in which only the particular aspect under investigation is varied (in this case, the tool of writing: pen or keyboard), while all other aspects are kept as constant as possible. One such experiment conducted by Longcamp et. al. in 2005 involved kindergarteners and lasted for three weeks. A group of 38 children received training in writing 12 letters by hand, while a second group of 38 received analogous training in typing the same 12 letters on the computer. Upon completion, the children who had learned by hand were able to recognize more letters correctly than the children who had used a keyboard. Moreover, their performance remained stable a week later, while the keyboard-group’s performance deteriorated slightly. Other experiments, in which writing and reading tasks are added to the simple task fo recognition, have produced similar results. The concept of embodied cognition helps us make sense of these findings. The idea here is that the human being’s cognitive performance is founded upon sensory and motor performance, and thus even higher cognitive functions are linked to sense perception and movement. The basis for this linkage is a corresponding representation in the brain. Writing by hand produces a representation of the individual letters in the brain’s motor centers, which in turn is supported by the visual representation produced through observation. When learning occurs instead through typing, the representation of writing is altered, and thus also the way writing in general is anchored in the brain. This explanation has been tested using neuroscientific experimental methods based on imaging procedures such as functional magnetic resonance imaging (fMRI). In a 2103 study by Kersey & James, 17 children (approx. 7 years old), who were already familiar with printed letters, were taught sixteen cursive letters. One group learned by writing the letters themselves, another by observing a third person write them. At the conclusion, fMRI technology was used to determine which brain regions were active when the children were then shown cursive letters. In the fusiform region, which is involved in the recognition of objects, all children showed higher brain activity while looking at cursive letters they had learned (whether by practice or by observation) than at unfamiliar cursive letters. Only the children who had learned by doing, however, showed additional activity in the motor areas of the brain, while for the children who had learned through observation alone, this area was no more active than when looking at unfamiliar letters. These findings thus confirm the premises of embodied cognition. <?page no="75"?> Englische Rezeption des Vortrags von Petra A. Arndt 75 8 Conclusion In summary, we can say that writing and reading are changed by digital media. Not only do the forms and rules of communication change, but also the composition of texts. In terms of reading, studies have shown a reduction in both comprehension and retention when using digital media. For writing, the use of a keyboard has generally be shown to present disadvantages compared to writing by hand. When digital forms of writing are combined with especially effective didactic approaches, then the children may have easier access to written language than in “normal” classrooms; nevertheless, when typing on a keyboard is compared directly to writing by hand, the advantages lie clearly on the side of handwriting. Neuroscientific studies demonstrate that writing by hand leads to the creation of supplemental representations of the letters in the motor areas, and thus to a deeper anchoring in the brain. <?page no="77"?> Focus on Evidence 2017 Transferdiskussion: Petra A. Arndt Frage: Wir haben gehört, dass das Schreiben von Hand mit dem Stift ein besonderes Potenzial besitzt. Ist dieses ausschließlich auf die motorische Komponente zurückzuführen oder hat auch die Augen-Hand-Koordination einen Anteil? Antwort: Ich bin froh, dass Sie diese Frage stellen. Es verhält sich so: Ein Merkmal des Schreibens mit der Tastatur ist, dass das, was ich tue, also schreiben, und das, was daraus hervorgeht, der geschriebene Text, an zwei verschiedenen Stellen im Raum verortet ist. Der Ort des Schreibens und der des Geschriebenen ist nicht derselbe. Das ist eigentlich etwas, was uns Menschen nicht entgegenkommt, denn von klein auf erfahren wir immer wieder, dass da, wo ich etwas tue, auch etwas passiert. Aber in unserer technisierten Welt ist das nicht mehr so. Wenn ich hier auf den Lichtschalter drücke, dann geht da oben das Licht an. Natürlich können wir umlernen, aber dieses Umlernen ist ein zusätzlicher Prozess. Beim Schreiben mit der Tastatur bedeutet das, dass ich meine Hände und Augen unterschiedlich koordinieren muss. Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist, dass Schreiben mit der Hand ganz andere Anforderungen an die Koordination stellt. Wenn ich tippe, und gerade dann, wenn Schülerinnen und Schüler tippen, oftmals mit einem Finger, kreuz und quer über die ganze Tastatur oder bestenfalls mit zwei Fingern, ist die motorische Anforderung und die Augen-Hand-Koordination eine ganz andere. Außerdem ist beim Tippen ein anderes Aktivierungsmuster im Gehirn zu finden als beim Schreiben von Hand: Selbst, wenn wir schon trainierte Tipper sind, ist weniger bzw. eine andere motorische Aktivierung zu erkennen. Interessanterweise ist beim Tippen das Brodmann-Areal 40 aktiv. Es wird sonst aktiviert, wenn Menschen trommeln. Es ist also ein ganz anderer Prozess, nicht besser oder schlechter, es ist nur anders. Und vielleicht ist es sogar gut, beides zu können und zu nutzen. Das beantwortet eine Frage, die, wie ich gesehen habe, von Webinar-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern gestellt wurde: Wofür sollen wir uns nun entscheiden? Fürs Schreiben mit der Hand oder mit der Tastatur? Ich möchte diese Frage mit einer Gegenfrage beantworten: Müssen wir wirklich eine Entweder-Oder-Frage daraus machen? Müssen wir nicht eher fragen: Was gewinne ich wann? Und entspricht das, was ich zu einem bestimmten Zeitpunkt gewinne, dem, was die Entwicklungsaufgabe des Kindes zu diesem Zeitpunkt ist? (Augen-Hand-Koordination und Feinmotorik würde ich z.B. gleich <?page no="78"?> Focus on Evidence 2017 78 bei den Jüngeren verordnen.) Oder entspricht es dem, was erst später dran ist? Da müssen wir sicher auch auf das einzelne Kind schauen und überlegen, ob für dieses Kind die Augen-Hand-Koordination beim Schreibschriftlernen vielleicht doch noch ein bisschen hoch ist, sodass es in diesem speziellen Fall dann besser erscheint, noch etwas damit zu warten und zuerst einen anderen Weg zu nehmen. Auf der anderen Seite sollte man bei der ganzen Diskussion ums Schreiben von Hand oder mit Tastatur auch bedenken, dass wir alle tippen können, und keiner von uns hat das in der Grundschule gelernt. Frage: Meine Frage zielt auf den Zusammenhang zwischen Lesen und Schreiben. Haben Schreibübungen eine positive Auswirkung auf Leseleistungen? Antwort: Ich will das so beantworten: Wenn Kinder, die etwas mit der Hand schreiben, wie ich schon gezeigt habe, Buchstaben und Worte besser erkennen, dann können sie natürlich auch besser lesen. Das Erkennen von Buchstaben, Worten und Wortformen insgesamt ist schließlich die Grundlage dafür, dass man lesen kann. Frage: Druckschrift oder Schreibschrift, was ist besser? Und wenn Schreibschrift, welche? Antwort: Ob wir im Kernspintomographen, EEG usw. herausfinden, welche Schreibschrift geeigneter ist, das kann ich nicht versprechen. Das ist so ähnlich wie die Fragen: Sind die lateinischen Buchstaben besser als Sütterlin? Warum wurde Sütterlin nicht mehr gelehrt? Was unsere Studien schon gezeigt haben und zwar die letzte kernspintomographische Studie, die ich im Vortrag erwähnt habe: Kinder, die Druckbuchstaben schon beherrscht haben und dann Schreibschrift gelernt, bauen Verbindungen zu dem motorischen Areal auf, das diese komplexen Buchstaben repräsentiert. Bei der Druckschrift war zwar bestimmt auch schon eine gewisse Verbindung da, aber nachweisen lässt sie sich erst dann, wenn die Verbindungen stark sind. Und das Schreiben von Schreibschriftbuchstaben leistet hierzu einen Beitrag. Ob es jetzt einen Unterschied macht, ob das Druckschrift und Schreibschrift ist oder ob es Sütterlin wäre oder Fraktur, das kann ich nicht sagen. Das kann man hier an der Stelle nicht entscheiden. Was ich aber als Hirnforscherin sagen kann, ist Folgendes: Wenn die Umwelt anregungsreich ist, und verschiedene Schriftarten sind eine zusätzliche Anregung, kann das Gehirn hinterher auch mehr. <?page no="79"?> Transferdiskussion: Petra A. Arndt 79 Frage: Welche Rolle spielen dabei die Spiegelneurone? Gehören sie zu dem Erklärungsmodell dazu? Antwort: Die Spiegelneurone sind ja die Neurone, die in den motorischen und motornahen Gehirnregionen aktiv sind, in dem Moment, in dem ich eine Handlung bei anderen beobachte. Im Grunde sind es auch die Neurone, die aktiv sind, wenn ich diese Handlung selbst ausführe oder nachmache. Nur sind sie beim Spiegeln nicht so stark aktiviert, dass meine Muskeln loslegen würden. Aber sie werden an der Stelle schon mal trainiert, und das macht gerade in der Buchstabenerkennungsregion auch etwas aus. Wir sehen bei Kindern, die Buchstaben selbst geschrieben haben, im Buchstabenareal, der sogenannten fusiformen Region, eine Aktivierung. Aber auch beim Zuschauen, wie Buchstaben geschrieben werden, passiert etwas im Gehirn. Allgemein lässt sich sagen: Wenn ich selbst etwas ausführe, dann sind meine motorischen Areale besonders aktiv und zwar aktiver als durch das reine Spiegeln der Tätigkeit eines anderen. Transkribiert von: Sophie Wirth - KU Eichstätt-Ingolstadt <?page no="80"?> Dr. Sebastian Jentschke Sebastian Jentschke ist Psychologe auf dem Gebiet der Neurowissenschaft und Kognitionspsychologie. Er ist am Institut für Biologische und Medizinische Psychologie der Universität Bergen tätig und befasst sich dort zurzeit mit Prozessen des Regelerwerbs bei der Verarbeitung von Musik und Sprache. Seine Forschungsschwerpunkte sind die neurokognitive Entwicklung des Gehirns, die Auswirkung von Musik auf Emotionen sowie neuronale Korrelate der Musik- und Sprachwahrnehmung und der akademischen Leistung bei Kindern mit perinataler Hypoxie. Magdalena Luise Mielke, Spiegelverdreht, Berlin <?page no="81"?> Sebastian Jentschke Interaktionen zwischen Sprache und Musik 1 Musik und Sprache - Eine Einführung Warum ist es für uns als Neurowissenschaftler interessant uns damit zu beschäftigen, wie Musik und Sprache im Gehirn verarbeitet werden? Und vor allem, warum mit Musik, die von dem Neurowissenschaftler und Kognitionspsychologen Steven Pinker als „auditory cheese-cake“ bezeichnet wird („I suspect music is auditory cheesecake, an exquisite confection crafted to tickle the sensitive spots of […] our mental faculties.“, Pinker 1997: 534)? Pinker betrachtet Musik als ein „Beiprodukt“ in der Entwicklung von Sprache, das aber letztlich nur angenehm ist und somit nutzlos. Wäre Musik so unbedeutend, so hätten wir keine Zeugnisse dafür, dass Menschen in nahezu jeder Kultur und jeder Zeitepoche musiziert haben. Archäologische Belege finden sich bereits ca. 40.000 Jahre v. Chr. (Conard et al. 2009). Ein Grund, warum Musik so eine große Bedeutung für uns hat, ist, dass wir mit Musik so gut Emotionen hervorrufen können. Fast jeder von uns wird bestätigen, dass es Musik gibt, die sie oder er in bestimmten Situationen hört um gezielt die eigene Stimmung zu modulieren. Komponisten, die zum Teil vor mehreren hundert Jahren gelebt haben, beschreiben durch ihre Musik ihr kulturelles Umfeld, welche Emotionen in ihrer Zeit besonders wichtig waren und wie diese ausgedrückt wurden. Musik stellt damit - ähnlich wie Literatur oder Malerei - einen wichtigen Teil unseres kulturellen Erbes dar. Zusammen zu musizieren ist außerdem ein wichtiges Mittel um Handlungen zu synchronisieren oder Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe zu schaffen oder zu stärken (Huron 2001, Wallin et al. 2000). Und nicht zuletzt ist das Wahrnehmen und noch mehr das Produzieren von Musik ein kognitiv äußerst komplexer Vorgang, der nahezu alle Bereiche des Gehirns involviert. Gut zu musizieren ist daher ein wichtiges Zeichen kognitiver Fitness und ein Indiz, dass eine Person, die gut musiziert, ein geeigneter Fortpflanzungspartner ist (Darwin 1871). Die Frage der Beziehung zwischen Musik und Sprache hat die Wissenschaft über Jahrhunderte beschäftigt. Besonders wichtig war dabei die Frage, ob sich Musik aus der Sprache entwickelt hat, die Sprache aus der Musik oder beide aus einem gemeinsamen Vorläufer. Bereits Rousseau (1781) postulierte, dass sich Sprache zur rationalen Organisation menschlicher Gesellschaften aus Musik entwickelt. Darwin (1871) nahm an, es gäbe ein primitives songähnliches Kommunikationssystem (Protolanguage), aus der sich die moderne <?page no="82"?> Sebastian Jentschke 82 Musik als Verhaltensfossil entwickelt habe. Vokalisationen, wie wir sie z.B. von Affen kennen, könnte ein solcher Vorläufer sein. Vokalisation drückt sowohl Informationen aus (z.B. dass der Affe Futter gefunden hat) als auch die zugehörige Emotion (z.B. die Freude darüber, Futter gefunden zu haben). Aus diesen Vokalisationen haben sich Musik und Sprache im Verlauf der Entwicklung sozusagen spezialisiert: Musik entwickelte sich immer deutlicher dahin, Emotionen auszudrücken; Sprache diente stattdessen immer mehr dem Austausch von Inhalten. Nichts destotrotz teilen Musik und Sprache viele Eigenschaften: Fitch (2006) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass viele Design Features von Sprache auch für Musik gelten. Heute besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass gemeinsame oder zumindest ähnliche neuronale, perzeptuelle und kognitive Prozesse an der Verarbeitung von Musik und Sprache beteiligt sind (z.B. Jentschke 2016, Koelsch 2011, Patel 2014). In der Vergangenheit gingen hingegen einige Forscher davon aus, dass getrennte Module für Musik und Sprache existieren (z.B. Peretz & Coltheart 2003). Diese Annahme beruhte auf Läsionsstudien und Studien mit Individuen, die unter Amusie litten (der Unfähigkeit, Melodien und Rhythmen zu erkennen und diese wiederzugeben): Wenn Musik bei intakter Sprache gestört sein konnte, schien es plausibel, separate Module für Musik und Sprache anzunehmen. Neuere Studien zeigen hingegen, dass in diesen Individuen auch sprachliche Verarbeitungsprozesse, insbesondere die Verarbeitung von Prosodie, gestört sind. Zwei einflussreiche Modelle beschreiben die Hirnverarbeitung von Musik (Koelsch 2011; Fig. 1) und Sprache (Friederici 2011; Fig. 11). Beim Vergleichen der beiden Modelle ist man erstaunt darüber, wie sehr sich die verschiedenen Verarbeitungsstufen in beiden Modellen überlappen bzw. gleichen: Prozesse auf nahezu allen Stufen finden in ähnlichen Hirnregionen und in vergleichbaren Zeitfenstern statt. Ich werde im weiteren Verlauf des Kapitels einen Schwerpunkt auf drei Verarbeitungsstufen legen, bei denen die Relation von Musik und Sprache besonders deutlich ist: (1) bei der Repräsentation akustischer Merkmale im auditorischen Hirnstamm, (2) bei der Verarbeitung komplexer akustischer Merkmale (z.B. von Melodien, Rhythmen oder prosodischen Konturen) und (3) bei der Verarbeitung von Syntax. Patel (2014: 102) beschreibt in seinem OPERA-Modell Bedingungen, unter denen musikalisches Training zu einer Verbesserung der Verarbeitungsleistungen im Bereich Sprache führen kann. Eine Voraussetzung ist, dass sich die Hirnareale, in denen musikalische und sprachliche Informationen verarbeitet werden, überlappen müssen („Overlapping subcortical and cortical networks“). Daneben muss die musikalische Verarbeitung eine höhere Präzision erfordern („Precision of processing“). Sie muss außerdem starke positive Emotionen hervorrufen („strong positive Emotions“), z.B. durch das Zusammenspiel mit anderen (Gruppenkohäsion) oder das Gefühl, die Herausforderungen im Musikstück zu meistern. Wenn Stellen in einem Musikstück geübt <?page no="83"?> Interaktionen zwischen Sprache und Musik 83 werden, so geschieht das oft unter unzähligen Wiederholungen („frequently Repeated“) und mit gerichteter Aufmerksamkeit („with focused Attention“). Eine besonders enge Beziehung von Musik und Sprache besteht beim Spracherwerb. Koelsch (2011) geht sogar so weit zu sagen, dass das menschliche Gehirn, besonders während der ersten Lebensjahre, Musik und Sprache nicht als getrennt wahrnimmt, sondern Sprache als eine Art „Spezialfall“ von Musik („These findings suggest that the human brain, particularly at an early age, does not treat language and music as strictly separate domains, but rather treats language as a special case of music.“; Koelsch 2011: 16). Im Einklang mit dieser Aussage postulieren McMullen und Saffran (2004) ähnliche Lernmechanismen beim Erwerb der Regeln und Strukturen, die Musik und Sprache zugrunde liegen: (1) Statistisches Lernen: Hierbei werden Übergangswahrscheinlichkeiten gelernt, z.B. dass einem Artikel in den meisten Fällen ein Substantiv folgt, seltener ein Adjektiv und nur sehr selten ein Wort aus einer anderen grammatikalischen Kategorie. Das Lernen geschieht implizit, d.h. das Gehirn erkennt diese Regeln gewissermaßen automatisch und ohne dass man Aufmerksamkeit auf die Wortfolge oder Ähnliches richten muss. (2) Kategoriale Wahrnehmung beschreibt, dass Töne in die Kategorie des nächsten Halbtons eingeordnet werden oder Phoneme in die am besten passende Kategorie (Phoneme, die es in der eigenen Sprache nicht gibt, werden dabei möglicherweise falsch eingeordnet - ein bekanntes Beispiel ist der fehlende Unterschied zwischen r und l in manchen asiatischen Sprachen). Dabei gibt es einen Prozess des neural commitment: Mit zunehmender Lernerfahrung, werden Elemente (z.B. Phoneme) aus der eigenen Sprache besser verarbeitet; man „bezahlt“ dafür aber mit größeren Schwierigkeiten, wenn Elemente aus anderen Sprachen verarbeitet werden müssen (v.a. dann wenn diese sich sehr von den betreffenden Elementen der eigenen Sprache unterscheiden). Neurowissenschaftler bezeichnen diesen Prozess - dass Eigenschaften der gewohnten Umwelt gelernt und die eigenen Hirnverarbeitungsprozesse besser an unsere Umwelt angepasst werden - als Plastizität. (3) Prosodische cues haben eine besondere Bedeutung beim Sprachlernen: Prosodie beschreibt die Eigenschaften von Sprache, die Musik am Ähnlichsten sind, nämlich die Intonationskontur - äquivalent zu Melodie - und Betonungsmuster - äquivalent zu Rhythmus. Kinder nutzen diese Informationen z.B. um mit der Intonationskontur Phrasengrenzen zu detektieren oder um durch Betonungsmuster (in germanischen Sprachen ist häufig die erste Silbe betont) den Wortbeginn zu erkennen. Prosodische cues interagieren mit und ergänzen Mechanismen zum statistischen Lernen. (4) Musikalische Parameter können einen gemeinsamen Fokus schaffen, der als Filter dient (Kuhl 2004). Dies geschieht z.B. dadurch, dass Worte, die innerhalb eines Satzes besonders bedeutsam sind oder besonders wichtige Töne in einer Melodie (z.B. durch höhere Lautstärke), akustisch herausgehoben und dadurch stärker betont werden. <?page no="84"?> Sebastian Jentschke 84 2 Elektroenzephalographie Da viele der später im Kapitel beschriebenen Experimente Elektroenzephalographie (EEG) als zentrale Methode benutzen, möchte ich die Methode kurz einführen. Aktivität in und Kommunikation zwischen den Neuronen im Gehirn ist reflektiert in Spannungs-/ Potentialunterschieden, die man - wenn eine ausreichend große Zahl von Neuronen aktiv sind - an der Schädeloberfläche messen kann. Diese Aktivität wird im Zeitverlauf aufgezeichnet, gleichzeitig wird die Versuchsteilnehmerin oder der Versuchsteilnehmer stimuliert z.B. durch die Präsentation von Tönen oder Worten. Der Beginn der Stimuli wird durch sogenannte Trigger markiert. Die Daten enthalten zu diesem Zeitpunkt noch sogenannte Artefakte. Besonders häufig werden Artefakte durch Aktivität der Augen generiert, z.B. sind die relativ großen, nach oben zeigenden Zacken in den Kanälen FP1 und FP2 verbunden mit dem Öffnen und Schließen des Augenlids. Diese Artefakte „verschmutzen“ die eigentlich interessierenden Daten über die Hirnaktivität. Es gibt entweder komplexe mathematische Methoden, um ihren Einfluss „herauszurechnen“, oder man filtert die Daten elektronisch („Preprocessing“ in Abb. 1). Abb. 1: Funktionsweise des Elektroenzephalogramms (EEG) und die Berechnung ereigniskorrelierter Potentiale (ERPs) Danach wird ein bestimmter Zeitbereich nach dem Beginn relevanter Stimuli (im Original rote und blaue Linien in Abb. 1) gemittelt. Durch das Bilden des <?page no="85"?> Interaktionen zwischen Sprache und Musik 85 Mittelwerts über eine Vielzahl von Durchgängen gelingt es, das eigentliche Signal - die an die Verarbeitung der Stimuli gebundene Aktivität des Gehirns - vom Rauschen - der übrigen Aktivität des Gehirns und den Messfehlern - zu trennen. Meistens werden zwei Bedingungen miteinander verglichen, z.B. die Hirnantwort auf einen an dieser Stelle erwarteten bzw. unerwarteten Akkord oder zwischen der Präsentation eines an dieser Stelle syntaktisch passenden bzw. nicht passenden Worts. Mit dem Vergleich dieser beiden Bedingungen kann man herausbekommen in welchem Zeitbereich und wo im Gehirn die Verarbeitung von z.B. Syntaxverletzungen stattfindet. 3 Auditorischer Hirnstamm Eine der frühesten Instanzen der Verarbeitung akustischer Informationen ist der auditorische Hirnstamm. Unsere akustische Umwelt besteht aus zahlreichen komplexen Klängen mit reichen harmonischen Strukturen (z.B. Instrumente mit ihrem reichen Obertonspektrum), dynamischen Amplitudenmodulationen (z.B. Betonung einer bestimmten Silbe) und schnellen spektrotemporalen Fluktuationen (z.B. Übergänge zwischen Konsonanten). Diese Merkmale sind in der Aktivität des auditorischen Hirnstamms reflektiert. Untersucht man diese Aktivität mittels EEG, so lassen sich zwei Klassen neuronaler Antworten unterscheiden: transiente Hirnantworten (Veränderungsmarker), die z.B. den Wortbeginn oder das Einsetzen oder das Ende eines Tones markieren, und anhaltende (sustained) Hirnantworten mit denen z.B. der Frequenzverlauf eines Tons oder eines Formanten gefolgt wird. Aus der Vielzahl von Experimenten, die eine verbesserte Repräsentation der akustischen Merkmale auf der Ebene des auditorischen Hirnstamms als Folge von musikalischem Training nachweisen konnten, sollen zwei exemplarische Studien ausgewählt werden. Eine Studie von Wong et al. (2007) untersuchte, wie genau Musiker und Nicht-Musiker den Tonverlauf von Lauten (linguistic pitch) in einer tonalen Sprache (Mandarin) auf der Ebene des auditorischen Hirnstamms repräsentieren. Die Enkodierung des Tonverlaufs bei Musikern war sowohl genauer als auch robuster. Daraus lässt sich ein relativer Vorteil von Musikern beim Lauterwerb in einer Fremdsprache ableiten. Inartaglia et al. (2017) untersuchten den Effekt von musikalischem Training auf die Verarbeitung englischer Silben bei Nicht-Englisch-Sprecherinnen und -Sprechern. Die elektro-physiologischen Hirnstamm-Antworten auf eine englische Silbe wurden zwischen zwei Gruppen von Nicht-Englisch-Sprechern - entweder mit oder ohne musikalisches Training - und einer Gruppe von Englisch-Muttersprachlern verglichen. Wurden alle Frequenzbereiche zusammen verglichen, zeigten die nicht-englischsprachigen Musiker eine Hirnstamm- Repräsentation, die der von Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern glich. Den deutlichsten Beitrag zu diesem Effekt leistet die Genauigkeit der <?page no="86"?> Sebastian Jentschke 86 Repräsentation des ersten Formanten des Vokals und damit in einer spezifischen linguistisch besonders relevanten phonetischen Dimension. Auch diese Studie indiziert, dass musikalisches Training das Fehlen von Erfahrung mit einer bestimmten Sprache dadurch kompensieren kann, dass die Enkodierung besonders bedeutsamer akustischer Information im Hirnstamm präziser erfolgt. 4 Komplexe auditorische Merkmale Nachdem die akustischen Merkmale z.B. eines Tons oder eines Worts analysiert wurden, werden diese Merkmale zu sogenannten auditorischen Gestalten zusammengefügt. Sie werden dabei melodisch, rhythmisch, räumlich oder nach Timbre gruppiert, wobei die Gruppierung sogenannten Gestaltprinzipien folgt: 1. Ähnlichkeit: ein bestimmtes Instrument oder eine Sprechstimme hat ein bestimmtes Frequenzspektrum / Timbre und wird zusammen gruppiert; 2. Nähe: kleine Tonschritte gehören meistens zu einer Melodie, große Tonschritte dagegen meist zu verschiedenen Stimmlagen, ähnlich verhält es sich mit der Frequenz einer Sprechstimme - eine Person spricht oft in einer bestimmten Tonlage / einem bestimmten Frequenzbereich, der sich vom Frequenzbereich, in dem die andere Person spricht, unterscheidet; 3. gemeinsames Schicksal: ein aus einer bestimmten Richtung näherkommender oder sich entfernender Klang wird zusammen gruppiert. Patel et al. (2006) konnten z.B. nachweisen, dass Musik rhythmische (durational contrast) und melodische (pitch interval variability) Eigenschaften der jeweiligen Sprache reflektiert; d.h. je variabler der Rhythmus/ das Betonungsmuster in der Sprache einer Kultur ist, desto variabler sind auch die Rhythmen in der Musik dieses Landes und je variabler oder weiter ausgreifend die Intonationskontur von sprachlichen Phrasen ist, desto größer ist die Variabilität von Melodien in diesem Land. Besson et al. (2011) beschreiben, auf welche Weise musikalisches Training zu eine verbesserten Sprachverarbeitung im Bereich der komplexen akustischen Charakteristika beitragen kann. Sie postulieren, dass die sprachspezifische Verarbeitung dadurch erleichtert wird, dass Musiker eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber akustischen Merkmalen, die für Musik und Sprache typisch sind (d.h. domänenübergreifende Prozesse), aufweisen. Diese erhöhte Empfindlichkeit ermöglicht es Musikern, elaboriertere Perzepte des Sprachsignals zu konstruieren als Nichtmusiker. Verschiedene Studien erbringen empirische Evidenz für diese Annahme: Anvari et al. (2002) konnten eine Beziehung zwischen Musikverarbeitungsfertigkeiten und phonologischer Bewusstheit nachweisen, die sich auch in besseren Lesefertigkeiten äußerte. Studien von Dellatolas et al. (2009) und <?page no="87"?> Interaktionen zwischen Sprache und Musik 87 Huss et al. (2011) deuten darauf hin, dass dabei insbesondere Fertigkeiten zur Verarbeitung von Rhythmen entscheidend sind. Die beschriebenen komplexen akustischen Charakteristika spielen ebenfalls eine große Rolle im Bereich sprachlicher Prosodie, dem musikalischen Parameter von Sprache (wie Rhythmus/ Betonungsmustern oder Intonationskontur innerhalb von Phrasen). Prosodie ist ein sogenanntes supra-segmentales Merkmal von Sprache, d.h. durch prosodische Mittel werden Teile von Phrasen oder Sätzen miteinander verbunden. Prosodie dient aber auch oft dazu, den Charakter einer Äußerung besser zu erklären, z.B. eine bestimmte Emotion auszudrücken; zwischen Aussage, Frage oder Befehl zu unterscheiden; oder Worte innerhalb des Satzes/ der Phrase besonders hervorzuheben. Prosodie ist entscheidend beim Spracherwerb. Bei Erwachsenen hilft sie z.B. bei der Disambiguierung von Sätzen deren syntaktische Konstruktion verschiedene Deutungen ermöglicht (vgl. Frazier et al. 2006). Ein Beispiel für einen solchen syntaktisch ambiguen Satz ist: „Die Frau sagt der Mann ist dumm.“ Je nachdem ob mittels Prosodie nahegelegt wird, dass der Satz aus zwei - „Die Frau sagt | der Mann ist dumm.“ - oder drei Phrasen - „Die Frau | sagt der Mann | ist dumm.“ - besteht, ändert sich die Bedeutung des Satzes vollständig. Der Einfluss von Prosodie auf Prozesse wie die Disambiguierung verdeutlicht die zentrale Rolle, die Prosodie mutmaßlich auch für die Verarbeitung komplexer linguistischer Kategorien wie Syntax haben kann. Ein weiterer Beitrag zur Syntaxverarbeitung ist, dass prosodische cues zentral für das Erkennen von Grenzen von Phrasen sind und somit dabei helfen, den Satz in seine Bestandteile zu zerlegen - Einzelteile, die sich dadurch leichter syntaktisch analysieren lassen. Auch auf die Verarbeitung von semantischer Information können sich prosodische cues auswirken, z.B. dadurch, dass durch Prosodie übermittelte Informationen zum emotionalen Status des Sprechers bestimmte Worte mehr oder weniger wahrscheinlich machen. 5 Musikalische Fertigkeiten bei Kindern mit Specific Language Impairment (SLI) Wie bereits gesagt, besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen den Fertigkeiten bei der Verarbeitung komplexer akustischer Merkmale und sprachlichen Fertigkeiten. Darüber hinaus sind prosodische - musik-nahe - Parameter der Sprache von entscheidender Bedeutung insbesondere während der präverbalen Entwicklung (z.B. Johnson & Jusczyk 2001, Jusczyk 2002, Kuhl 2004). Insbesondere Probleme bei rhythmisch-prosodischer Verarbeitung stellen ein zentrales Charakteristikum von Kinder mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung (SLI) dar (Bishop et al. 2006, Fisher et al. 2007, Richards & Goswami 2015). Das Zusammenfassen akustischer Einzelcharakteristika in <?page no="88"?> Sebastian Jentschke 88 größere Gruppen (chunking), erlaubt mehr Informationen im Arbeitsgedächtnis zu speichern. Dem Arbeitsgedächtnis kommt eine zentrale Bedeutung beim Spracherwerb zu: Baddeley (2003) bezeichnet es als language learning device. Kinder mit SLI sind charakterisiert durch starke Probleme bei linguistischen Arbeitsgedächtnis-Aufgaben, insbesondere dem Erinnern von Nichtworten (Baddeley 2003, Hasselhorn & Grube 2003, Marton & Schwartz 2003). Aufbauend auf diesen Befunden untersuchten Sallat und Jentschke (2015), ob Kinder mit SLI ähnliche Defizite in ihren musikalischen Fertigkeiten aufweisen, wie im Bereich sprachlicher Verarbeitung. Wir versuchten dabei, jedem Fertigkeitsbereich bei der sprachlichen Verarbeitung eine äquivalente Aufgabe zur musikalischen Verarbeitung entgegenzustellen. Aufgaben zur Sprachwahrnehmung (Verstehen von Sätzen) wurden verglichen mit Aufgaben zur Musikwahrnehmung (dem Vergleichen verschiedener Melodien oder Rhythmen, sowie dem Wiedererkennen bekannter Melodien); Aufgaben zur Sprachproduktion (morphologische Regelbildung) hatten ihre Entsprechung in Aufgaben zur Musikproduktion (dem Reproduzieren von Rhythmen und Melodien); und auch die Arbeitsgedächtnisleistungen wurden zwischen Sprache (Wiederholung von Nichtworten und Sätzen) und Musik (Melodie-/ Rhythmus-Paarvergleiche) verglichen. Die untersuchten Kinder unterteilten sich in drei Gruppen: fünfjährige Kinder mit SLI, fünfjährige Kinder mit typischer Sprachentwicklung (altersparallele Kontrollgruppe) sowie vierjährige Kinder mit typischer Sprachentwicklung (Kontrollgruppe mit vergleichbarer Sprachentwicklung). Bei allen Aufgaben zeigte sich ein ähnliches Muster: Kinder mit SLI hatten Musikwahrnehmungsfertigkeiten auf dem Niveau der um ein Jahr jüngeren Kinder, während die gleichaltrigen Kinder aus der Kontrollgruppe mit ihren Leistungen oberhalb dieser beiden Gruppen lagen. In aller Regel war der Unterschied zwischen der altersparallelen Kontrollgruppe und sowohl der jüngeren Kontrollgruppe als auch den Kindern mit SLI statistisch signifikant während zwischen den letzteren beiden Gruppen meist kein signifikanter Unterschied bestand. Eine besondere Betrachtung verdienen die Aufgaben zum musikalischen Arbeitsgedächtnis: Zum einen korrelieren die Aufgaben recht deutlich mit den Leistungen bei den sprachlichen Arbeitsgedächtnis-Aufgaben (0.20 ≤ r ≤ 0.48; M = 0.38). Zum anderen erlaubt die Leistung in zwei Arbeits-Aufgaben (Melodie-Paarvergleiche mit der Länge 2 und 3 Töne sowie das Alter als Kontrollvariable) eine zu 79 % korrekte Zuordnung der Kinder in die jeweiligen Gruppen, dabei wurden 31 von 38 (82 %) Kindern mit SLI und 31 von 41 (76 %) Kindern aus der Kontrollgruppe korrekt zugeordnet. Zusammengefasst verdeutlichen diese Ergebnisse, dass Kinder mit SLI Defizite bei der Verarbeitung von Musik erleben, die ihren Defiziten bei der Sprachverarbeitung ähneln. <?page no="89"?> Interaktionen zwischen Sprache und Musik 89 6 Syntaxverarbeitung Syntax wird beschrieben als das Regelsystem, welches die Anordnung einzelner Elemente (wie Worte oder Töne) in größere Sequenzen organisiert. Zentral für die Verarbeitung von Syntax sind dabei Erwartungen und Vorhersagen (Rohrmeier & Koelsch 2012): Syntax dient dazu, einzelne Elemente in musikalischen bzw. sprachlichen Phrasen zu strukturieren (z.B. indem Worte einer bestimmten grammatikalischen Kategorie zugeordnet werden) und dadurch Beziehungen zwischen diesen Elementen herzustellen. Dies hilft, die Verarbeitung der als nächstes kommenden Elemente vorzubereiten. Darüber hinaus induzieren Erwartungsverletzungen auch Emotionen wie Erstaunen oder das Erleben von Spannung, wenn z.B. Musik in eine entfernte Tonart moduliert, bevor sie wieder in die ursprüngliche Tonart zurückkehrt und damit Entspannung auslöst. In einer Reihe von Experimenten habe ich Verletzungen musikalischer und sprachlicher Regularitäten bei Kindern auf unterschiedlichen Altersstufen untersucht. Dabei ging es insbesondere um Unterschiede in diesen Reaktionen (a) bei Kindern mit oder ohne musikalischem Training und (b) bei Kindern mit gestörter oder normaler Sprachentwicklung. Letztlich ging es darum, mit diesen Experimenten den Transfer zwischen Syntaxverarbeitung im Bereich von Sprache und Musik zu untersuchen. Die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer rekrutierten sich aus verschiedenen Gruppen: (a) zweijährige Kinder; (b) fünfjährige Kinder mit normaler oder verzögerte Sprachentwicklung und (c) neun- und elfjährige Kinder entweder mit oder ohne musikalisches Training. Die jüngeren Altersgruppen durchliefen ein Experiment zur musikalischen Syntaxverarbeitung, die älteren Gruppen (Neun- und Elfjährige) zusätzlich ein Experiment zur sprachlichen Syntaxverarbeitung. Das Musikexperiment verwendete Sequenzen von fünf Akkorden. Die ersten vier Akkorde hatten in allen Sequenzen die gleichen Akkordfunktionen: Tonika - Subdominante - Subdominantparallele - Dominante. Diese vier Akkorde dienten dazu, einen Kontext aufzubauen, mit dem eine Erwartung für eine Tonika an der fünften Position aufgebaut wurde. Die regulären Akkordsequenzen endeten mit einer Tonika und erfüllten diese Erwartung, die irregulären Akkordsequenzen endeten mit einer Subdominantparallele welche die Erwartungen verletzte. Die Aufgabe der Kinder während des Experiments bestand darin, auf Sequenzen, in denen ein Akkord von einem anderen Instrument gespielt wurde, mit einem Tastendruck zu reagieren. Dadurch konnte kontrolliert werden, ob die Kinder die Akkordsequenzen aufmerksam verfolgten. Das Experiment zur sprachlichen Syntaxverarbeitung verwendete insgesamt 100 Sätze, unterteilt in drei Typen, diesen Beispielsätzen vergleichbar: <?page no="90"?> Sebastian Jentschke 90 (A) syntaktisch korrekt: Die Tante wurde geärgert. (B) syntaktisch inkorrekt: Die Mutter wurde im geärgert. (C) korrekte Filler-Sätze: Der Onkel wurde im Bett geärgert. Drei Elemente kamen mit der gleichen grammatikalischen Funktion in allen Sätzen vor - eine Nominalphrase (NP) und ein Hilfsverb (HV) am Beginn sowie ein Partizip (Pt) am Ende. Im Fall der syntaktisch korrekten Sätze bildeten diese drei Element den Satz: Die Tante (NP) wurde (HV) geärgert (Pt). In den syntaktisch inkorrekten Sätzen folgte dem Hilfsverb eine Präposition (Pr), die aber nicht von einer Nominalphrase gefolgt wurde. Dadurch wurde die Phrasenstruktur und damit die Syntax des Satzes inkorrekt: Die Mutter (NP) wurde (HV) im (Pr) geärgert (Pt). Die dritte Satzklasse waren syntaktisch korrekte Sätze mit der vollständigen Präpositionalphrase (d.h. einer Präposition, der ein Nomen (Nm) folgte): Der Onkel (NP) wurde (HV) im (Pr) Bett (Nm) geärgert (Pt). Die Sätze der letzten Kategorie dienten dazu, zu verhindern, dass die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer beim Auftreten der Präposition direkt vorhersagen konnten, dass der Satz syntaktisch inkorrekt ist. Die Nominalphrase am Beginn und das Partizip am Ende des Satzes wurden variiert, sodass sich alle Sätze voneinander unterschieden. Die Aufgabe der Kinder bestand darin, auf Sätze, in denen ein einzelnes Wort nicht von der Standardstimme gesprochen wurde, mit einem Tastendruck zu reagieren. 6.1 Musikalische Syntaxverarbeitung - Fünfjährige mit typischer Sprachentwicklung oder SLI Ein zentrales Charakteristikum von Kindern mit SLI sind deren Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von linguistischer Syntax (Leonard 2014). Aus diesem Grund wollten wir untersuchen, ob sich vergleichbare Defizite auch in Bezug auf die musikalische Syntaxverarbeitung beobachten lassen (Jentschke et al. 2008). Hierzu erfassten wir die hirn-elektrische Aktivität von Kindern mit SLI und solchen mit typischer Sprachentwicklung (TLD, typical language development) mittels EEG während diese am Musikexperiment teilnahmen (siehe oben). Zur SLI-Gruppe gehörten 15 Kinder (9 Jungen, 6 Mädchen) mit einem mittleren Alter von 5; 2 Jahren; zur TLD-Gruppe 20 Kinder (10 Jungen, 10 Mädchen) mit einem mittleren Alter von 5; 1 Jahren. Die Kinder in beiden Gruppen hatten eine normale Verarbeitung auditorischer Information und die Intelligenz lag im normalen bis leicht unterdurchschnittlichen Bereich. <?page no="91"?> Interaktionen zwischen Sprache und Musik 91 Abb. 2: Experimente zur Verarbeitung musikalischer und linguistischer Syntax; (A) Vergleich der musikalischen Syntaxverarbeitung zwischen Kindern mit typischer Sprachentwicklung und Kindern mit SLI; (B) Vergleich der musikalischen Syntaxverarbeitung zwischen Kindern mit und ohne musikalischem Training; (C) Vergleich der linguistischen Syntaxverarbeitung zwischen Kindern mit und ohne musikalischem Training <?page no="92"?> Sebastian Jentschke 92 Wie im oberen Teil von Abb. 2 (A) zu sehen ist, unterscheiden sich die Hirnreaktionen auf eine musikalische Syntaxverletzung in beiden Gruppen deutlich. Während bei den Kindern mit typischer Sprachentwicklung die typische Hirnreaktion zu finden ist, eine ERAN (Early right anterior negativity), findet sich bei den Kindern mit SLI eine Reaktion mit umgekehrter Polarität, die statistisch nicht signifikant ist. Dies indiziert, dass bei Kindern mit SLI die für eine Verarbeitung musikalischer Syntaxverletzungen notwendigen kognitiven Prozess nicht oder nur inadäquat entwickelt sind. Diese Schwierigkeiten sind parallel zu denen, die diese Kinder in Bezug auf linguistische Syntaxverarbeitung erleben. Daraus ableiten lässt sich ein Hinweis auf die enge Beziehung von Syntaxverarbeitung in beiden Domänen. 6.2 Musikalische und linguistische Syntaxverarbeitung - Elfjährige mit bzw. ohne musikalisches Training Wie bereits dargestellt, lassen sich positive Auswirkungen - Transfereffekte - aufgrund musikalischen Trainings auf verschiedene Ebenen der Sprachverarbeitung nachweisen. Die Absicht der im Folgenden vorgestellten Studie war, zu überprüfen, ob sich solche Transfereffekte auch für hoch-komplexe Verarbeitungsprozesse wie die Verarbeitung musikalischer und sprachlicher Syntax nachweisen lassen (Jentschke & Koelsch 2009). Zu diesem Zweck wurden zwei Gruppen von Kindern untersucht: Eine Gruppe von 21 Kindern (12 Jungen, 9 Mädchen) mit musikalischem Training (MT) die im Mittel 10; 8 Jahre alt waren und seit ca. 5 Jahren (im Mittel 57 Monaten) ein Instrument lernten; sowie eine Gruppe von 20 Kindern (9 Jungen, 11 Mädchen) ohne musikalisches Training (NM) die im Mittel 11; 1 Jahre alt waren. Beide Gruppen unterschieden sich weder in Bezug auf ihren verbalen IQ noch im sozioökonomischen Status ihrer Eltern. Wie sich im mittleren Teil von Abb. 2 (B) erkennen lässt, zeigen die Kinder mit musikalischem Training eine deutlichere Hirnantwort auf eine Verletzung der musikalischen Syntax. Dies reflektiert, dass diese Kinder über mehr elaborierte Prozesse zur musikalischen Syntaxverarbeitung verfügen als Kinder ohne musikalisches Training. Ähnliche Befunde waren zuvor von erwachsenen Musikern und Nichtmusikern bekannt; es ist aber interessant zu sehen, dass sich bereits nach wenigen Jahren solche Manifestationen von Expertise in Hirnreaktionen schon nachweisen lassen. 9 Der untere Teil von Abb. 2 (C) zeigt, dass Kindern mit musikalischem Training bereits mit 11 Jahren eine signifikante ELAN (Early left anterior negativity) zeigen, d.h. eine automatisierte Hirnreaktion auf eine linguistische Syntaxverletzung. Diese entwickelt sich bei den Kindern ohne musikalisches Training erst noch und ist noch nicht statistisch signifikant. In Abb. 2 wird nicht gezeigt, dass die Hirnreaktion, die 9 Laut den Ergebnissen einer weiteren, hier nicht dargestellten Studie mit neunjährigen Kindern bereits nach ca. 3 Jahren musikalischen Trainings (Jentschke 2007). <?page no="93"?> Interaktionen zwischen Sprache und Musik 93 der Entwicklung der ELAN vorangeht, in der Gruppe mit musikalischem Training ebenfalls stärker ausgeprägt ist. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass bei Kindern mit musikalischem Training die neuronalen Korrelate von Prozessen der linguistischen Syntaxverarbeitung früher und stärker ausgeprägt sind, als bei Kindern ohne musikalisches Training. Diese Transfereffekte bedeuten einen weiteren Hinweis auf die enge Beziehung zwischen beiden Domänen (Musik und Sprache), selbst bei äußerst komplexen kognitiven Prozessen wie der Verarbeitung von Syntax. 7 Zusammenfassung Dieser Artikel beschreibt und belegt anhand einer Vielzahl von Beispielen die enge Verknüpfung von Musik und Sprache: Beide Domänen haben einen gemeinsamen evolutionären Vorgänger; viele kognitive Verarbeitungsprozesse sind sowohl bei der Wahrnehmung von Musik als auch bei der von Sprache beteiligt und auch die neuronalen Korrelate dieser Verarbeitungsprozesse überlappen sich stark (d.h. sie sind in den gleichen oder zumindest ähnlichen Hirnregionen angesiedelt). Man kann sich dieser Beziehung von zwei Seiten nähern: (1) Durch eine Betrachtung gemeinsamer Defizite und Schwierigkeiten wie beim Vergleich dieser Prozesse bei Kindern mit typischer Sprachentwicklung bzw. mit SLI. (2) Durch eine Untersuchung von verbesserten Verarbeitungsleistung in einer Domäne aufgrund von Training in der anderen Domäne wie bei der Untersuchung des Einflusses musikalischen Trainings. Die empirischen Befunde zu den Schwierigkeiten von Kindern mit SLI bei der Musikwahrnehmung spiegeln die Defizite bei der Wahrnehmung von Sprache wider, die definierend für das Störungsbild SLI sind. Interessant ist, dass sich diese Defizite besonders deutlich im Bereich des musikalischen Arbeitsgedächtnisses äußern. Dieser Befund gewinnt dadurch besondere Bedeutung, dass Arbeitsgedächtnisleistungen im sprachlichen Bereich (insbesondere das Wiederholen von Nichtwörtern) ein zentrales diagnostisches Kriterium für SLI sind. Warnend muss darauf hingewiesen werden, dass diese Befunde lediglich korrelativ sind. Sie weisen darauf hin, dass eine Beziehung zwischen den Verarbeitungsprozessen in beiden Domänen besteht, ohne Auskunft darüber zu geben, welche Richtung der Effekt hat. Daher muss es Gegenstand weiterer Studien sein, zu untersuchen, ob die Schwierigkeiten bei der Musikwahrnehmung ursächlich für die Defizite bei der Sprachwahrnehmung sind oder umgekehrt, oder ob es einen dritten Faktor gibt, der die Defizite in beiden Domänen verursacht. Einen Hinweis zur Interpretation gibt jedoch die besondere Bedeutung prosodisch-musikalischer Merkmale und der Fähigkeit, diese gut verarbeiten zu können, für die Sprachverarbeitung <?page no="94"?> Sebastian Jentschke 94 insbesondere in frühen Phasen des Spracherwerbs. Gewichtet man dieses Argument, erscheint plausibel, dass Schwierigkeiten bei der Musikwahrnehmung ursächlich für die Defizite bei der Sprachwahrnehmung seien. Musikalisches Training kann Sprachverarbeitungsprozesse auf verschiedenen Ebenen fördern. Ich hoffe, das konnte anhand der vorgestellten Studien verdeutlicht werden. Diese Effekte zeigen sich auf einer Vielzahl von Verarbeitungsstufen. Sie beginnen bei extrem frühen Stufen der Verarbeitung im auditorischen Hirnstamm, wenige Millisekunden nach dem Auftreffen der Schallwellen auf das Ohr. Eine zweite Stufe, auf welcher der Einfluss musikalischen Trainings besonders deutlich wird, ist das Gruppieren komplexer akustischer Merkmale, nachdem diese im auditorischen Kortex analysiert werden. Diese Prozesse sind für das Verarbeiten von Melodien und Rhythmen, aber ebenso für die Verarbeitung von Prosodie entscheidend. Prosodie hat dabei, wie zuvor beschrieben (z.B. akustische Trennung verschiedener Phrasen, Disambiguierung), auch eine zentrale Rolle für die Verarbeitung komplexer linguistischer Kategorien wie Syntax und Semantik. Die dritte Stufe ist die Verarbeitung von Syntax. Auf dieser Ebene habe ich Befunde präsentiert, die verdeutlichen, dass musikalisches Training zu einer Verbesserung der sprachlichen Syntaxverarbeitung führen kann; dass es aber umgekehrt auch eine Art „negativen Transfer“ geben kann, der dazu beiträgt, dass sich bei Kinder mit SLI Defizite bei der Verarbeitung von Syntax in beiden Domänen finden lassen. Zusammengefasst deuten diese Befunde darauf hin, dass musikalisches Training oder der Einsatz von Musik Prozesse auf verschiedenen Ebenen der Sprachverarbeitung positiv beeinflussen und dadurch auch den Fremdsprachenerwerb unterstützen kann. Um noch einmal auf das eingangs genannte Argument von Pinker (1997) zurückzukommen, ich hoffe, dass ich Ihnen zeigen konnte, dass Musik nicht nur schmückendes Beiwerk - auditory cheesecake - ist, sondern, dass Musik und Sprache sich auf vielen Ebenen gegenseitig beeinflussen und dass Verarbeitungsprozesse in einer Domäne von Training in der anderen Domäne profitieren. Literatur Anvari, S. 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The question of the relation between music and language has been an object of scientific inquiry for centuries. One important aspect of this question has been whether music evolved from language, language from music, or both from a common precursor. Today, there is general agreement that common or at least similar neuronal, perceptual and cognitive processes are involved in both music and language. In two influential recent models describing the way the brain processes music (Koelsch 2011) and language (Friederici 2011), one is struck by the degree to which the processual phases overlap in terms of both brain area and time frame. Three of these phases deserve special attention because of the light they throw on the relation between music and language: 1) the representation of acoustic characteristics in the auditory brain stem; 2) the processing of complex acoustic characteristics (e.g. melodies, rhythms or prosodic contours); 3) the processing of syntax. In his OPERA-model, Patel (2014) describes the conditions under which musical training can lead to an improvement in the processing of language. First, the subcortical and cortical networks in which musical and linguistic information is processed must overlap. Second, the musical process must require greater precision and, third, call up strong positive emotions (e.g. through ensemble playing or the subjective sense of overcoming the challenges presented by a piece of music). Fourth, the music must be practiced with repetition and, fifth, with focused attention. A particularly close relation between music and language is seen during language acquisition. Koelsch (2011) postulates that, during the first years of life, the human brain does not distinguish between language and music, but 10 English summary by John Crutchfield <?page no="98"?> Sebastian Jentschke 98 considers the former a “special case” of the latter. This is in line with an earlier study by McMullen and Saffran (2004) describing the learning mechanisms fundamental to both music and language: 1) statistical learning; 2) categorical perception; and 3) emphasis on prosodic cues and patterns of intonation or emphasis. 2 The Auditory Brain-Stem Our acoustic environment is comprised of numerous complex sounds with rich harmonic structures, dynamic modulations of amplitude, and rapid spectrotemporal fluctuations. These characteristics are reflected in the activity of the auditory brain-stem, one of the first areas involved in the processing of acoustic information. When these activities are investigated using electroencephalogram technology (EEG), two classes of neuronal response are distinguishable: transient responses (e.g. marking the beginning or end of a word or tone) and sustained responses (e.g. tracking the modulation of a tone or formant over time). Among the many experimental studies that have demonstrated the beneficial effects of musical training on the representation of acoustic features in the auditory brain-stem, two deserve special mention. Wong et al. (2007) investigated the precision with which the modulations of linguistic pitch in a tonal language (Mandarin) are represented at the level of the auditory brain-stem in both musicians and non-musicians. The encoding among musicians was shown to be both more precise and more robust. From this, one can deduce a relative advantage for musicians in learning the phonetics of a foreign language. Inartaglia et al. (2017) investigated the effect of musical training on the processing of English syllables among non-English speakers. The auditory brain-stem response of these two groups was compared with those of native English speakers. When all frequency ranges were compared, the musicians demonstrated a brain-stem representation equal to the native speakers’ own. This suggests that musical training, because it is associated with a more precise encoding of significant acoustic information in the brain-stem, can compensate for the lack of experience with a specific foreign language. 3 Complex Auditory Features Besson et al. (2011) have shown how musical training can contribute to improved language processing in the area of complex acoustic characteristics such as melody, rhythm, proximity and timbre. They postulate that languagespecific processing is facilitated in musicians because of their heightened sensitivity to acoustic features that are typical of both music and language. This sensitivity enables musicians to construct more elaborate objects of perception <?page no="99"?> Englische Rezeption des Vortrags von Sebastian Jentschke 99 from linguistic signals than non-musicians. Various studies have furnished empirical evidence for this postulate: Anvari et al. (2002) demonstrated a connection between musical skill and phonological awareness. Other studies have indicated that this connection is decisively affected by skill in the processing of rhythm. Complex auditory features play a large roll as well in the area of linguistic prosody, the musical parameter of language that includes patterns of rhythm/ accent and structures of intonation within and across phrases. Prosody is a so-called supra-segmental feature of language, i.e. it functions to combine the “segments” of utterances such as the various parts of phrases or sentences. Moreover, prosody also serves to clarify the character of a particular utterance by, for example, conveying a particular emotion, distinguishing between statement, question and command, or emphasizing a specific word within the given phrase or sentence. In many instances, this function aids in the disambiguation of utterances whose syntactic structure allows for multiple interpretations. On another level, prosodic cues are essential for recognizing the borders between phrases and thus for distinguishing between the various parts of a sentence, thereby making them more readily available for analysis. And finally, prosody affects the way semantic information is processed, for example by cuing the listener in on the emotional state of the speaker. 4 Musical Skill Among Children With Specific Language Impairment (SLI) Beyond the role it plays in the strong connection between skill in the processing of acoustic features and skill in language, prosody is of decisive importance in the preverbal stage of human development. Difficulty in rhythmic-prosodic precessing is a distinguishing characteristic of children with Specific Language Impairment. Sallat and Jentschke (2015) investigated whether children with SLI experience deficits in their musical skill similar to the ones they experience in the area of linguistic processing. For this investigation, it was necessary first to determine for each skill area of linguistic processing an equivalent task related to musical processing. Tasks of linguistic perception (comprehension of sentences) were juxtaposed to tasks of musical perception (comparison of various melodies or rhythms, as well as recognition of familiar melodies); tasks of language production (morphological rulemaking) found their correlative in tasks of musical production (reproduction of rhythms and melodies); and the performance of the working memory was compared between language (repetition of non-words and sentences) and music (comparison of melodic and rhythmic pairs). The subject children were divided into three groups: five-year-olds with SLI, five-year-olds with typical linguistic development (age-parallel control <?page no="100"?> Sebastian Jentschke 100 group) and four-year-olds with typical linguistic development (control group with comparable development). The same pattern appeared in all tasks: the children with SLI had skill in musical perception on a level with that of children one year younger, while the children in the control group of five-yearolds had skills above both other groups. Moreover, for all groups, the performance of tasks showed a strong correlation between those involving the musical working memory and those involving the linguistic working memory (0.20 ≤ r ≤ 0.48; M=0.38). 5 The Processing of Syntax Central to the cognitive processing of syntax (the system of rules organizing elements into larger sequences, whether musical or linguistic) are expectation and prediction. Violations of syntax can thus produce such experiences as astonishment, surprise, tension and release. In order to investigate the transfer between speech and music in terms of how syntax is processed, the effects of syntactic rule-breaking were studied in a series of experiments using children a) with or without musical training, and b) with or without impaired linguistic development. The children consisted of three groups: two-year olds; five-year-olds with normal or delayed linguistic development; and nineand eleven-year-olds either with or without musical training. The younger groups underwent an experiment involving musical syntax processing, while the older groups underwent an additional experiment involving linguistic syntax processing. During the experiments, the subjects’ brain activity was measured using EEG technology. Between the two groups of five-year-olds (with and without SLI) the difference in brain reactions to violations of musical syntax was significant. This indicates that, among children with SLI, the cognitive process necessary for perceiving a violation of musical syntax is either inadequately developed or not developed at all. Furthermore, these difficulties are exactly parallel to the ones the children experience in the area of linguistic syntax. Thus, we can deduce a strong connection between the two domains in terms of syntax processing. The part of the study involving eleven-year-olds was designed to investigate whether the transfer effects of musical training on language processing observed at other levels would also appear at the highly complex level of syntax. For this, the children were divided into two groups, one with ca. five years of musical training on an instrument, the other without any musical training. The groups were screened, moreover, to eliminate such factors as differences in average verbal IQ and the socioeconomic status of their parents. The data showed that the children with musical training experienced a stronger brain reaction to violations of musical syntax than did the children <?page no="101"?> Englische Rezeption des Vortrags von Sebastian Jentschke 101 without such training. From this we can conclude that the musical children have at their disposal a more elaborated network for processing musical syntax. Similar findings are familiar with respect to adult musicians and non-musicians; but here it is interesting that even after only a few years of elementary musical training, such manifestations of expertise in brain reactions can be observed. What is more, these children experience a similar reaction to violations of linguistic syntax, both more strongly and earlier than do their contemporaries without musical training. Thus one can speak here of a transfer effect between music and language, even in the area of complex cognitive activities such as the processing of syntax. 6 Conclusion We have seen ample empirical evidence of the close connection between music and language: both domains have a common evolutionary ancestor; numerous cognitive processes are involved in the perception of both music and language, and many of the neuronal correlates of these processes strongly overlap in the brain. One can approach this relation from two experimental directions: 1) by observing common deficits, as for example through a comparison of children with SLI and children with typical language development; or 2) by investigating the improvement of cognitive performance in one domain through specialized training in the other domain. With respect to the correlation between SLI and deficits in musical perception, it should be noted that the evidence does not tell us conclusively in which direction the correlation flows, i.e. whether one causes the other, or whether some third factor exists which causes the deficits observable in both domains. This question remains an object for future study. With respect to musical training, it is clear that linguistic processing benefits from it on a number of levels and at various stages, beginning with the early stage of processing in the auditory brain-stem but a few milliseconds after a sound wave arrives in the ear. A second stage at which the effect of musical training becomes especially significant is the aggregation of complex acoustic features, which are then analyzed in the auditory cortex. These processes play a large role in handling melody and rhythm as well as prosody. As we have seen, this last area is decisive for processing complex linguistic categories such as syntax and semantics. The third stage is the processing of syntax per se. The evidence suggests that musical training can lead to improved performance in the processing of linguistic syntax, but that a kind of “negative transfer” also exists, such that children with SLI exhibit deficiencies in processing not only linguistic but also musical syntax. <?page no="102"?> Sebastian Jentschke 102 In summary, the studies presented here indicate that musical training or the implementation of music have a positive influence at various levels of language processing, and thus that they can support language learning, including foreign language learning. <?page no="103"?> Focus on Evidence 2017 Transferdiskussion: Sebastian Jentschke Frage: Wie professionell muss die musikalische Kompetenz sein, um einen positiven Effekt beim Spracherwerb zu haben? Antwort: Die Kinder, die wir in der Studie mit der Syntaxbearbeitung hatten, hatten fünf Jahre musikalisches Training. Was man grundsätzlich sagen kann, ist: Es braucht ein paar Jahre. Besonders entscheidend ist, darauf ich in Zusammenhang mit dem Modell von Patell hingewiesen, dass man wirklich konzentriert an der Verbesserung der eigenen Fertigkeiten arbeitet, weil genau das Veränderungen auf der Ebene des Gehirns generiert. Stellen Sie sich zum Beispiel einen Geigen- oder Klavierspieler vor. Je nachdem, was er denn genau hören will, muss er den Anschlag oder den Bogenstrich verändern. Und das wird dann akustisch kontrolliert. Und diese Interaktion ist im Prinzip das, was die Veränderungen macht. In einer Studie, die ich in meinem Vortrag nicht vorgestellt habe - eine Studie mit neunjährigen Kindern, die auch musikalisches Training hatten -, war das Training entsprechend kürzer als bei den Elfjährigen, nämlich in den meisten Fällen ungefähr drei Jahre. Bei diesen Kindern gibt es nur den Effekt auf die musikalische Syntaxverarbeitung, den Effekt auf die Sprachverarbeitung gibt es hingegen noch nicht. Das liefert einen gewissen Hinweis: Fünf Jahre ist wahrscheinlich eine ganz gute Daumenregel, zumindest für die meisten Prozesse, um eine permanent Veränderung zu erreichen. Frage: Sie sprachen von Sprachveränderung. Bezieht sich das auf die Muttersprache oder auf die Fremdsprache? Antwort: Für das, was ich untersucht habe, also die Syntaxverarbeitung, gibt es noch nicht sehr viele Studien zum Zweitspracherwerb bzw. zu einer Fremdsprache. Das ist in gewisser Weise noch ein ziemlich leeres Feld. Es scheint aber, hypothetisch gesprochen, zumindest plausibel anzunehmen, dass unsere Befunde in gewisser Weise auf den Zweitspracherwerb übertragbar sind. Sicher sagen können wir es nicht. Wir wissen aber, dass die relevanten Prozesse in relativ ähnlichen Regionen stattfinden und wir nehmen an, dass die Grundlage, für das, was wir gefunden haben, die Überlappung ist zwischen Hirnregionen, die an der Verarbeitung beteiligt sind. <?page no="104"?> Focus on Evidence 2017 104 Frage: Kann man Kinder mit Specific Language Impairment durch musikalische Therapie fördern? Antwort: Das ist eine Sache, die wir weiter zu untersuchen planen. Wir wollen musikalische Stimuli verwenden, um bestimmte Verarbeitungsprozesse zu trainieren. Typischerweise, das ist ein Phänomen, das wir bei unseren Experimenten immer wieder beobachten konnten, finden es Kinder spannender oder angenehmer, Musik zuzuhören als an Sprache zu arbeiten. Es kann sein, dass man mit Musik viele Dinge auf spielerischem Wege erreicht. Meine Empfehlung an dieser Stelle wäre aber, Sprachtherapie und Musikeinsatz zu kombinieren. Frage: Specific Language Impairment ist das auf eine bestimmte Art korreliert mit dem Musikalischen? Kann es sein, dass Specific Language Impairment darauf beruht, dass man zum Beispiel nicht gut hört? Antwort: Nein, das haben wir ausgeschlossen, zumal es ein diagnostisches Kriterium ist. Das heißt, spezifische Sprachentwicklungsstörung wird nur diagnostiziert, wenn es keine organische Ursache gibt, keine Hörverminderung, keine neurologischen Schäden. Wenn die Intelligenz weitgehend im normalen Bereich ist, aber die Sprachleistungen im Vergleich zu einer Standardpopulation erheblich gesenkt sind, sprechen wir von einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung, einem Specific Language Impairment. Frage: Haben Menschen mit einem absoluten Gehör tendenziell eine bessere Aussprache von Fremdsprachen? Antwort: Ich denke ja. Es gibt Studien für tonale Sprachen, beispielsweise für Chinesisch, die das belegen. Und umgekehrt gibt es auch Studien, die belegen, dass die Zahl der Absoluthörer mit einem chinesischen Sprachhintergrund höher ist. Insofern: Ich denke ja. Frage: Wir sprechen häufig davon, dass Schüler oder Schülerinnen z.B. eine besondere musikalische Begabung oder eine Sprachlernbegabung haben. Gibt es irgendeine Evidenz dafür, dass diese Begabung angeboren ist oder dass sie sich vielleicht aufgrund bestimmter Erfahrung entwickelt? Wenn sie sich aufgrund bestimmter Erfahrung entwickelt, dann könnten wir das natürlich auch für den Unterricht nutzen. Gibt es dazu Erkenntnisse? Antwort: Dafür müssen wir unseren Blick auf die vorliegenden Längsschnittstudien zu den Effekten musikalischen Trainings richten. Es gibt zwei größere Längsschnittstudien. Sie haben mit einer Vielzahl von Methoden gearbeitet, unter anderem mit MRT, und auch erfasst, ob sich Kinder, bevor sie angefangen haben ein Instrument zu lernen, unterschieden. Hier zeigten sich keine Gruppenunterschiede. Das deutet eher darauf hin, dass es nicht angeboren ist. Aber um die Frage angeboren oder erlernt gibt es rege Debatten. <?page no="105"?> Transferdiskussion: Sebanstian Jentschke 105 Ein weiterer Hinweis darauf, dass die sogenannte musikalische Begabung eher gelernt ist, findet sich sehr häufig als Korrelation: In dem Ausmaß, in dem Kinder oder Erwachsene musikalisches Training gehabt haben, steigt auch die Güte bestimmter Verarbeitungsprozesse, das gilt auch für den Bereich der Sprachverarbeitung. Es lassen sich insgesamt zwei Faktoren identifizieren, die mit der Güte korrelieren: Der Zeitpunkt, zu dem jemand beginnt, ein Instrument zu lernen und die Zeit, die zum Üben investiert wird. Frage: Wenn dies also eher erlernt ist, gibt es dann auch so etwas wie eine sensible Phase, ähnlich wie beim Spracherwerb, wo es in einem bestimmten Alter viel einfacher und intuitiver geht als später? Antwort: Die meisten Studien, die es dazu gibt, empfehlen eher, dass man zeitig anfängt. Hochprofessionelle Musiker haben häufig mit fünf bis sechs Jahren angefangen. Hier ist die eigentliche Frage die nach dem eigenen Anspruch. Wenn man den Anspruch hat, Mitglied der Philharmoniker zu werden, dann ist es mit z.B. sechszehn eher schon zu spät. Ihre Frage zielt aber wohl darauf, ob es spezifische Zeitfenster dafür gibt, und das würde ich eher verneinen. Ich glaube, der entscheidende Faktor ist die „gepoolte“ Erfahrung. Also, wenn Sie mit sechszehn anfangen, ist der Aufwand, den Sie in Üben investieren können, natürlich viel geringer, als wenn sie mit sechs anfangen. Ich hatte vorhin schon einmal in Bezug auf Phoneme gesagt, dass es so etwas wie ein Neural Commitment gibt. Das heißt, Neuronen, die man für eine bestimmte Aufgabe gebraucht, werden dafür spezialisiert und Zellen in benachbarten Regionen werden auch für bestimmte Verarbeitungsprozesse herangezogen. Das bedeutet, bezogen auf Ihre Frage nach dem Alter, in dem man beginnt, ein Instrument zu lernen: Je später Sie anfangen, desto mehr der Neuronen sind sozusagen schon anderweitig vergeben. Aber es gibt kein wirklich sensitives Fenster im strengeren Sinne wie bei Sprache. Transkribiert von: Sophie Wirth - KU Eichstätt-Ingolstadt <?page no="106"?> Prof. habil. Mag. Ph.D. Julia Festman Julia Festman ist Neurolinguistin auf dem Gebiet der Mehrsprachigkeit und Bilingualität. Sie ist an der Pädagogischen Hochschule Tirol als Professorin für Mehrsprachigkeit im Zentrum der Fachdidaktik tätig. Julia Festman forscht zum Spracherwerb auf dem Gebiet der Neurolinguistik und -psychologie sowie der Psycholinguistik und der Kognitionspsychologie. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Sprachverarbeitung mehrsprachiger Kinder in der Primarstufe, kognitive Prozesse beim Schriftsprachenerwerb sowie die Inklusion mehrsprachiger Kinder mit Migrationshintergrund. Magdalena Luise Mielke, Spiegelverdreht, Berlin <?page no="107"?> Julia Festman Von Psycholinguistik und Neurowissenschaften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer In diesem Beitrag werden zunächst die Befunde der Psycho- und Neurowissenschaften zu Mehrsprachigkeit in einem Kurzüberblick präsentiert. Dieser kann, aufgrund der Kürze der eingeladenen Beiträge, nur sehr punktuell sein, soll aber die wesentlichen Ergebnisse zusammenfassen sowie Einblick in die eigene interdisziplinäre Forschung vermitteln. Grundlage für die ersten beiden Unterpunkte (psycholinguistische und neurowissenschaftliche Grundlagen von Mehrsprachigkeit) ist der Vortrag bei der Tagung FoE 2017 in Berlin. Unterpunkt 3 ist der Transferversuch, aus den Befunden der Forschungsprojekte erste Schlussfolgerungen für die Praxis des Sprachenlernens und Sprachenverwendens im Kontext der Schule abzuleiten. 1 Psycholinguistische Grundlagen von Mehrsprachigkeit Sprecherinnen und Sprecher mehrerer Sprachen besitzen zahlreiche besondere Fähigkeiten, die Einsprachigen nicht zur Verfügung stehen. Sie können von einer in die andere Sprache vermitteln und übersetzen, sie können vertieft eintauchen in andere Kulturen außer der, in der sie aufwachsen. Vielleicht können sie sogar in verschiedenen Sprachen lesen und schreiben. Und sie können in mehr als einer Sprache kommunizieren. Sie können darüber hinaus eine andere Sprache in die, welche sie momentan z.B. in einer Gesprächssituation verwenden, integrieren. Dieses Codeswitching, also der bewusste, gewollte Wechsel von einer in die andere Sprache erfolgt nicht willkürlich, sondern nach spezifischen Regeln (z.B. wann im Satz gewechselt wird) (siehe hierzu die grundlegende Forschung von Myers-Scotton 1997). Es kann aus soziolinguistischen Gründen „geswitcht“ werden (d.h. um z.B. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, die diese Sprache spricht, auszudrücken). Des Weiteren können auch psycholinguistische Gründe das Codeswitching auslösen. Manchmal fehlt dem Sprecher ein ganz spezifisches Wort, mitten im Satz, und er bedient sich der anderen Sprache, um den Sprachfluss nicht allzu sehr zu stören und den begonnenen Satz erfolgreich und verständlich zu Ende zu bringen. Dieser Sprachwechsel geschieht eigentlich immer nur, wenn der Sprecher sich sicher ist, dass der Zuhörer diese andere Sprache auch versteht. Manchmal gibt es keine <?page no="108"?> Julia Festman 108 Entsprechung eines Konzepts in einer, sondern nur in einer anderen Sprache. Dann bedient sich der Sprecher der anderen, um präzise auszudrücken, was er meint. Denken Sie beispielsweise an das Wort Gemütlichkeit - ein sehr facettenreiches deutsches Wort, aber auf Englisch ist es nicht so einfach übersetzbar. Das Erlernen von zwei oder mehr Sprachen stellt für das Kind eine höhere kognitive Anforderung dar, da eine größere Begegnung mit Diversität, z.B. von Wortformen und Bedeutungen, gegeben ist, aus denen das Kind Regeln herausfiltert. Das Kind abstrahiert sprachliches, grammatisches Wissen, baut sukzessiv den Wortschatz in der jeweiligen Sprache auf, sodass der mehrsprachige Spracherwerb in der gleichen zeitlichen Entwicklungsschiene wie bei monolingualen Kindern verlaufen kann (Oller et al. 1997). Rechnet man die Anzahl der Wörter in allen Sprachen zusammen, die ein mehrsprachiges Kind kennt, dann zeigt sich keine Verzögerung beim Wörterlernen (Pearson et al. 1993). Bilinguale müssten doppelt so viele Wörter lernen, aber die Menge an Begegnungen mit den jeweiligen Einzelsprachen ist viel geringer. Üblicherweise hat ein bilinguales oder mehrsprachiges Kind nur wenige Stunden Kontaktzeit pro Sprache, wohingegen ein monolinguales Kind Sprachinput in nur einer Sprache erhält. Da allein durch die Aufteilung der Kontaktzeit, die häufig auch situationsbezogen und damit wortschatzspezifisch geprägt ist, ein kleinerer Wortschatz pro Sprache zu erwarten ist, überrascht der Befund keineswegs, dass mehrsprachige Kinder in Deutschland häufig einen geringeren Wortschatz aufweisen als monolingual deutsche Gleichaltrige. Befunde weisen zum Beispiel auf geringere Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund im schulischen Kontext hin: dies wird für das Lesen (Roos & Schöler 2009, Müller & Stanat 2006) wie auch bei der Rechtschreibung (Roos & Schöler 2009) beobachtet. In mehreren psycholinguistischen Studien wurde herausgefunden, dass beide Sprachen eines Bilingualen parallel aktiviert sind, selbst wenn nur eine Sprache verwendet wird (Kroll et al. 2006, Starreveld et al. 2014, Kroll et al. 2013). Folglich ermöglicht dies, dass der Bilinguale erstaunlich mühelos und ganz schnell zwischen zwei Sprachen hin- und herwechseln kann (Codeswitching). Darüber hinaus ist es aber auch möglich, dass die andere Sprache unbeabsichtigt in die eigentlich ausgewählte Sprache für die aktuelle Sprachproduktion eindringt. Diese dadurch entstehenden Interferenzen sind allerdings relativ selten (Festman 2008, 2009). Bilingualen gelingt es demnach grundsätzlich sehr gut, die Sprachproduktion in der Sprache auszuführen, die sie gewählt haben (für einen Überblick siehe Festman 2018). Man geht heute von der Umsetzung der Sprachwahl durch Hemmung (d.h. Inhibition) der nichtgewählten Sprache(n) und von einem permanenten Üben der Inhibitionsfähigkeiten in Hinblick auf Interferenzen aus. Bilingua- <?page no="109"?> Psycholinguistik und Neurowissenschaften - und Mehrsprachigkeit in der Schule 109 lismus kann dann als tagtägliches Training mit zusätzlichen Aufmerksamkeitsanforderungen verstanden werden. Dieses Zusatztraining könnte den kognitiven Vorteil (sogenannter Bilingual Advantage) bewirken, der der Zweisprachigkeit in Laborstudien bei spezifischen kognitiven Tests zugeschrieben wird (Bialystok 1999, 2007, für einen Überblick siehe Adesope et al. 2010, Festman & Kersten 2010). Dieser ist allerdings in der wissenschaftlichen Diskussion aktuell umstritten (Paap et al. 2015). Als grundlegenden Beleg für den kognitiven Vorteil könnten die Befunde aus der Studie von Kovács und Mehler (2009) herangezogen werden. Diese zeigte, dass es bereits im Babyalter ausreicht, mit zwei Sprachen in Interaktion konfrontiert zu werden und diese zu verarbeiten, um einen Bilingual Advantage auszubilden. Bilinguale Babys haben sich in dieser Studie im Experiment lernfreudiger und flexibler gezeigt. Auch die Studie von Kuhl und Kollegen (2003) hat gezeigt, dass bilinguale Kinder mental flexibler sind, da sie früh lernen, dass Objekte und Ereignisse zwei Bezeichnungen haben können. Eine umfangreiche Studie zu Rahmenbedingungen des Schriftspracherwerbs (RaSch) stellt einen ersten Brückenschlag zwischen der Forschung zum Bilingual Advantage und schulrelevanten Fähigkeiten, wie zum Beispiel dem Schreiben, dar. Diese Studie hat gezeigt, dass sich ein- und zwei-/ dreisprachige Drittklässler bei grundlegenden Sprachfähigkeiten (z.B. Benennen von Buchstaben auf Zeit, phonologische Bewusstheit) nicht unterscheiden, jedoch signifikant in der Lexikongröße (rezeptiv wie produktiv). Beim Schreiben von Wörtern mit Rechtschreibhürden und von Nichtwörtern zeigte sich, dass die mehrsprachigen bei der Rechtschreibung signifikant schlechter abschnitten als die monolingualen Kinder. Beim Schreiben von Nichtwörtern mussten sie keinen Rückbezug auf das Lexikon zum Lösen der Aufgabe leisten und waren daher genauso gut wie die Monolingualen (Czapka et al. 2018). Darüber hinaus hat sich in Regressionsanalysen gezeigt, dass die sprachlichen Grundlagen die Wirkung von exekutiven Funktionen überlagerten. Waren Inhibition und Switching anfangs relevante Einflussgrößen, wurden diese durch Hinzunahme von sprachlichen Verarbeitungskomponenten (insbesondere Kurzzeitgedächtnis, Lexikongröße) irrelevant (Czapka et al. 2018). 2 Neurowissenschaftliche Grundlagen von Mehrsprachigkeit Geht es um die Frage nach den kognitiven Auswirkungen von Zwei- und Mehrsprachigkeit, steht die Frage nach der Lokalisation der Sprachen, d.h. wo im Gehirn zwei oder mehr Sprachen repräsentiert und verarbeitet werden, inzwischen weniger im Vordergrund. Studien mit Kernspintomographie haben gezeigt, dass die Repräsentation von Sprachen zum einen durch das Erwerbsalter bedingt ist (je früher umso lokal überlappender mit der Erstsprache werden sie repräsentiert); zum anderen hat der Grad der Sprachbe- <?page no="110"?> Julia Festman 110 herrschung den identischen Effekt: je besser beide Sprachen beherrscht werden, um so lokal überlappender werden sie abgebildet (Perani et al. 1998). Derzeit werden vorwiegend die Prozesse erforscht, wie Zwei- und Mehrsprachigkeit im Gehirn verarbeitet werden. Dies ist komplex, da wir von Netzwerken ausgehen, die zusammenspielen müssen (z.B. Abutalebi & Green 2007). Bei zwei- und mehrsprachigen Sprecherinnen und Sprechern gibt es hierbei einen großen Unterschied zu einsprachigen: verwendet man mehrere Sprachen, trifft die Sprecherin oder der Sprecher eine Sprachwahl, d.h. welche Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt gesprochen werden soll. Hierzu wurde in fMRT-Studien (funktionelle Magnetresonanztomographie) belegt, dass Bereiche, die üblicherweise bei der Handlungskontrolle involviert sind, bei dem Wechsel zwischen Sprachen, d.h. also bei der Sprachkontrolle, einbezogen werden (Abutalebi & Green 2007). Hierzu zählen zum Beispiel der DLPFC (dorso-lateraler präfrontaler Cortex, der bei Entscheidungsprozessen und bei Aufgaben, die exekutive Funktionen bedürfen, hinzugezogen wird) (z.B. Hernandez et al. 2000). Die Basalganglien, welche bei motorischen, kognitiven und limbischen Regelungen von großer Bedeutung sind, spielen auch eine Rolle bei der Sprachwahl, der Sprachplanung und in der Phase der Auswahl lexikalischer Einheiten (Abutalebi & Green 2007). Somit war erwiesen, dass Sprach- und Handlungskontrolle in denselben Arealen ausgeführt werden. Besondere Beachtung fanden in der Bilingualismus-Forschung die exekutiven Funktionen, „die sensorische, motorische, emotionale und kognitive Prozesse so modulieren bzw. verändern, dass eine optimale Anpassung an aktuelle Aufgabenanforderungen oder Zielsetzungen möglich ist“ (Kray & Schneider 2012: 458). Die Fähigkeit, sich auf Relevantes zu konzentrieren und Irrelevantes zu ignorieren, kognitive Flexibilität, Planungs- und Koordinationsfähigkeit, die Steuerung von Handlungen - all dies ist nicht nur im Straßenverkehr und in vielen weiteren Bereichen des täglichen Handelns und Lernens unabdingbar, sondern eben auch für die Umsetzung von Mehrsprachigkeit im Gehirn. Die Vorstellung, dass alle Bilingualen gleichermaßen einen kognitiven Vorteil ausprägen, muss jedoch eingeschränkt werden. In einer umfassenden Studie zum Switching-Verhalten von Russlanddeutschen in Magdeburg hat sich gezeigt, dass es Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer gab (die sogenannten Switcher), die ihre Sprachwahl nur bedingt erfolgreich umsetzen konnten. In einem zweisprachigen Bildbenennungsexperiment (Festman 2012) haben sie weitaus mehr Interferenzen produziert als eine andere Gruppe (die sogenannten Non-Switcher), bei gleicher Sprachbeherrschung und gleichem Switch-Verhalten im Alltag (gemessen mit dem Bilingual Switching Questionnaire, Rodriguez-Fornells et al. 2014). Gruppenunterschiede haben sich auch in einer Reihe von neuropsychologischen Tests (Festman et al. 2010) gezeigt, ebenso auch in einer Studie (Festman & Münte 2012) mit EEG <?page no="111"?> Psycholinguistik und Neurowissenschaften - und Mehrsprachigkeit in der Schule 111 (Elektroenzephalogramm). Die Befunde dieser Studienreihe verdeutlichen zum einen die Heterogenität in der Ausprägung von Kontrollfähigkeiten unter den Bilingualen (z.B. Gruppenunterschiede mit signifikant besseren Leistungen der Non-Switcher bei Planungsfähigkeit, Inhibition von automatischen Antworttendenzen, Problemlösefähigkeit, Vermeidung von Wiederholungen beim Generieren von einzigartigen Mustern, Vermeidung von Perseveration beim Sortieren von Karten nach wechselnden Regeln, Antwortgeschwindigkeit beim Erkennen von Mustern und beim Verarbeiten von Informationen aus zwei Modalitäten unter Bedingungen der geteilten Aufmerksamkeit). Die Ergebnisse zeigen auch, dass eine starke Ausprägung eines kognitiven Vorteils nicht ohne Weiteres für jeden Bilingualen automatisch angenommen werden kann. Die EEG-Untersuchung gab Aufschluss über die hirnphysiologischen Verarbeitungsunterschiede, wenn die Probanden Fehler machten. Die Switcher zeigten durch eine größere Amplitude (ERN - Error-Related Negativity), dass sie insgesamt mehr durch irrelevante Informationen abgelenkt waren und daher mehr Antwortkonflikt zu verarbeiten hatten. Zum anderen zeigen diese Ergebnisse in ihrer Gesamtheit zum ersten Mal den engen Zusammenhang von sprachlicher und kognitiver Kontrolle auf der Verhaltensebene. Auf der funktionell-anatomischen Ebene wurde dies durch fMRT- Studien von Hernandez und Kollegen sowie von Abutalebi und Kollegen umfassend untersucht (siehe oben). 3 Umgang mit Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer Die Scheu vor der Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer scheint noch immer vorzuherrschen. Dabei geht es nicht darum, ob eine Lehrkraft alle Sprachen, die die Schülerinnen und Schüler sprechen, selbst kann. Es geht demzufolge auch nicht darum, den Unterricht in mehreren Sprachen parallel, für jeden Schüler und jede Schülerin individuell, zu gestalten. Vielmehr geht es um das Einbeziehen der in der Klasse vorhandenen Sprachen, um das Zulassen der anderen Sprachen als Ressource für das eigene Lernen, um ein miteinander und voneinander Lernen. Sollte der Unterricht nicht ausschließlich in der Zielsprache stattfinden? Dies ist eine berechtigte Frage. Dennoch weisen die Forschungsergebnisse meines Erachtens nach in eine andere Richtung. Laborstudien zu dem gezielten Wechsel zwischen drei Sprachen bei Studierenden einer Universität in Großbritannien (Festman & Mosca 2016) haben gezeigt, dass diese Wechsel zwischen Sprachen gut umsetzbar sind. Noch leichter fiel es den Probandinnen und Probanden, wenn mehr Vorbereitungszeit (d.h. die Zeit zwischen der Zielsprachindikation und der in dieser Sprache zu benennenden Zahl) gegeben wurde. Deutlich zeigte sich, dass die Erstsprache als “Unterstützersprache“ fungierte. Auf ihre Kosten (in Bezug auf die Benenngeschwindigkeit) konnte selbst die schwierigere Bedingung (kurze <?page no="112"?> Julia Festman 112 Vorbereitungszeit) in der schwächsten Sprache gemeistert werden. Anzumerken sei hier noch, dass dieses Sprachwechselparadigma, das in der Studie Verwendung fand, darauf ausgelegt war, dass die Zielsprache pro Durchgang durch den Experimentator, und nicht vom Probanden bzw. der Probandin selbst, festgelegt wurde. Das impliziert, dass der Sprachwechsel fremdgesteuert erfolgte. Umso beachtlicher ist daher die Leistung der Mehrsprachigen. Sie können scheinbar problemlos auf Kommando zwischen den Sprachen hin- und herwechseln, wenn es, wie in diesem Experiment, um das Benennen von Zahlen geht (für einen Überblick über psycholinguistische Studien zur Sprachenkontrolle, siehe Festman & Schwieter 2015). Dass auch Schulkinder das können, zeigen zum Beispiel Laborstudien von Poarch und van Hell (2012) und Festman (2009). Für den Kontext des Unterrichts können noch keine gesicherten Aussagen hierzu gemacht werden, da der Schulunterricht noch immer einsprachig verläuft und die Kinder nicht wirklich zum Sprachwechseln aufgefordert werden. Unterstützersysteme können sich somit nicht offensichtlich entwickeln. Zu fragen bleibt also: Wenn Mehrsprachige zwischen Sprachen hin- und herwechseln können und sich innerhalb kürzester Zeit ganz eigene Unterstützungssysteme der Sprachen miteinander im Verarbeitungsprozess von Mehrsprachigen etablieren (siehe die Studie von Festman und Mosca 2016), und die Sprachen im Gehirn von Mehrsprachigen bereits aktiviert sind, warum wird der Schulunterricht noch immer einsprachig geführt? Die Sprachen sind aktiv, sie sind vorhanden, und müssen aber, dem „monolingualen Habitus” entsprechend, permanent inhibiert werden. Das ist vermutlich der anstrengendste Teil für die Mehrsprachigen. Wenn wir von der Aufforderung hören, Mehrsprachigkeit als Ressource zu nutzen, dann ist der einsprachige Unterricht eigentlich genau das Gegenteil dieser Aufforderung - Mehrsprachigkeit wird nicht genutzt, sondern unterbunden, durch gewünschte Inhibition der weiteren Sprachkenntnisse, durch Inhibition von parallel aktivem, vorhandenem Wissen. Die in der Realität beobachtete enorme Geschwindigkeit von Sprachverarbeitungsprozessen lässt sich mit seriellen Abläufen nur schwer in Verbindung bringen, schon deshalb, weil natürliche Prozesse stets einer Effizienzerhöhung unterliegen und die Parallelverarbeitung Ressourcen sehr viel effektiver nutzt. (Müller 2013: 29) Müllers Behauptung (2013: 29) bezieht sich auf die einzelnen Phasen in der Sprachverarbeitung (zum Beispiel eine Idee formulieren, das Abrufen der Grammatik, Lexikonzugriff, dann phonologische Repräsentation, artikulatorischer Plan, dann erst Artikulation). Auch die dieser Annahme zugrunde liegenden Studien lassen vermuten, dass das Gehirn und insbesondere die <?page no="113"?> Psycholinguistik und Neurowissenschaften - und Mehrsprachigkeit in der Schule 113 Sprachverarbeitung von dem ressourcenschonenden Umgang mit Mehrsprachigkeit durch Zulassen von Vielsprachigkeit statt permanenter Inhibition von Familien- und anderen Sprachen profitieren würde. Wie also Mehrsprachigkeit konkret als Ressource einsetzen? In einem Kindergartenprojekt (Festman 2013, Festman & Rinker 2014, Festman eingereicht) wurden ein- und mehrsprachige Kinder an die deutsche und englische Sprache im Rahmen einer Intervention herangeführt. Die mehrsprachigen Kinder stammten größtenteils aus internationalen Familien. Die Eltern der teilnehmenden Kinder wurden gebeten, zu Hause gemeinsam mit dem Kind die neu erlernten Begriffe, die auf Deutsch und Englisch auf Arbeitsblättern mit Bildern als Unterstützung abgebildet waren, auf einer freien Linie in ihren jeweiligen Sprachen zu ergänzen. Nicht nur wurde damit der Wortschatzerwerb für die Kinder vereinfacht, gefestigt, und in allen Sprachen, mit denen das Kind jeweils konfrontiert wurde, ermöglicht. Die Eltern berichteten in einer Evaluation, dass sie sowohl ein gesteigertes Interesse am Sprachenlernen beobachteten, als auch eine Änderung der familiären Kommunikation. Zu Hause hielten auch die Sprachen der Kinder, die sie im Kindergarten verwendeten, Einzug. Die Wertschätzung der Familiensprache fand auch auf dem Papier, ganz offensichtlich, statt und die einzelnen Worte in den jeweiligen Familiensprachen konnten dann in das Lernen in den Kindergruppen einbezogen werden. Die Kinder, die an der Intervention teilnahmen, haben alle sehr viel dazugelernt - auf Deutsch, auf Englisch, miteinander und voneinander. Dass es andere Sprachen gibt, dass es manchmal ähnlich, manchmal ganz verschieden in den anderen Sprachen klingt, haben sie erleben können, und die Scheu davor verloren. Diese Momente der Sprachbetrachtung, Sprachreflexion waren für die Kinder wertvoll. Sie haben Verständnis füreinander entwickelt und auch realisiert, dass Sprachen lernbar sind. Besonders gut lernbar waren sie mit dem Fokus auf relevanten Wortschatz, sofort einsetzbar im Kindergartenalltag. Das Lernen war eingebettet in Kommunikationssituationen, in Theaterstücke, spielerisches multisensorisches Begegnen und Nachspielen mit Gesten und Bewegungen. Die aktive Verwendung des neu Erworbenen war im Fokus, das Stärken der eigenen sprachlichen Kompetenzen - und so haben die einsprachig deutschen Kinder ihre Deutschkenntnisse insbesondere im produktiven Wortschatz gefestigt und ausdifferenziert, sowie Englisch gelernt. Die Kinder mit internationalem Hintergrund haben Deutsch und Englisch gelernt und ihre Familiensprache durch die Auseinandersetzung mit den Eltern in Bezug auf die Arbeitsblätter gefestigt. So haben alle konkretes Wortschatzmaterial gelernt, was die Ergebnisse der lexikalischen Zuwächse pro Sprache und Sprachbereich (rezeptiv und produktiv), erhoben mit Wortschatztests vor und nach der Intervention, zeigen. Ganz erstaunlich war, dass die internationalen Kinder beide Sprachen, d.h. Deutsch und Englisch, im selben Tempo gelernt haben wie die einsprachigen Kinder Englisch <?page no="114"?> Julia Festman 114 (bezogen auf lexikalische Zuwächse). Wenn Kindergartenkinder dies im Rahmen der Intervention und mit Unterstützung ihrer Eltern und den Arbeitsblättern erfolgreich meistern, warum sollten das dann Schulkinder, die schon älter und selbständiger und alphabetisiert sind, nicht auch - vielleicht noch besser meistern? Die kognitiven Grundlagen haben sie. Vielleicht ist es vielmehr eine Frage des Zulassens, des Wertschätzens der Sprachen, auch auf dem Papier. Dadurch könnte das selbständige Lernen und Verknüpfen zwischen den Sprachen gefördert werden. Auch scheint das, was im Kontext der Sprachförderung geleistet wird, noch nicht auszureichen. Es gibt positive Trends, aber es besteht weiterhin Handlungsbedarf. Bewusst sollte im Bereich des Wortschatzes unterstützt werden, da die Lücken ja, wie einleitend beschrieben, mit einer nachvollziehbaren Logik erklärbar sind. Die Kontaktzeit mit den jeweiligen Sprachen kann kaum erhöht werden (die Stunden des Tages sind begrenzt). Wohl aber könnte die Qualität der Sprachbegegnung und die Bewusstheit im Umgang mit dem eigenen Sprachwissen (Wortschatzbereiche pro Sprache, etc.) gesteigert werden. Das Schaffen von lernförderlichen Umgebungen und alltagsintegrierte Sprachförderung können den Wortschatzerwerb gezielt unterstützen, insbesondere wenn die Lehrkraft eine gute Wissensgrundlage bezüglich der beherrschten und der lückenhaften Wortschatzbereiche in den jeweiligen Sprachen hat. Die tatsächliche Nutzung von Plurilingualität setzt allerdings voraus, „dass kein monolingualer Habitus herrscht, sondern dass neben der Unterrichtssprache auch andere Sprachen und Kulturen wertgeschätzt werden und die Vielfältigkeit von Lebenswelten, von Sprachen, von Annahmen und von Wissen als normal empfunden wird“ (Weskamp 2007: 101). Selbständiges Lernen wäre in diesem Kontext notwendig, und die technischen Möglichkeiten sind in unserer digitalen hochtechnisierten Welt eigentlich allen zugänglich. Hierbei geht es um mehr als nur das Verknüpfen der Zielsprache mit anderen Prestigesprachen. Bereits gibt es gute Beispiele für mehrsprachiges Vorlesen im Fremdsprachenunterricht (siehe das Projekt Me- Vol, Peter et al. 2016). Zu überlegen wäre jedoch, ob mehr als nur das Vorlesen in Deutsch, Englisch und Französisch im Unterricht denkbar wäre. Erste Projektideen zur noch punktuellen Verwendung der Familiensprachen wurden in einem Sammelband (Allgäuer-Hackl et al. 2015) zusammengestellt, unterstützt von dem Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarates in Graz (ECML). Ganz deutlich wurde in der bereits erwähnten RaSch-Studie auch, wie sehr Tests, die vor allem auf dem zielsprachlichen Wortschatz beruhen, die mehrsprachigen Kinder von vornherein benachteiligen. Die Studie hat auch gezeigt, dass sprachunabhängigere wie auch kultur-faire Tests das Leistungsniveau der Kinder adäquater erfassen und abbilden können. Untersuchungen mit mehrsprachigen Kindern sollten dies im Untersuchungsdesign zwingend berücksichtigen. <?page no="115"?> Psycholinguistik und Neurowissenschaften - und Mehrsprachigkeit in der Schule 115 Für den Unterricht heißt dies überdies, dass hier nicht das uneingeschränkte Codeswitching propagiert wird. Vielmehr soll das Ziel sein, wenn Codeswitching aus psycholinguistischen Gründen stattfindet, dass dann bewusst nach der Entsprechung in der Zielsprache gesucht wird, um diese zu lernen und den Wortschatz auszudifferenzieren. Die beschriebenen Studien haben gezeigt, dass die mit dem Erwerb verbundene höhere kognitive Anforderung gemeistert werden kann. Die Umstände können allerdings sehr divergieren. Mehrsprachige habe Sonderkompetenzen, die es im Schul- und Unterrichtsalltag einzubeziehen gilt (Schader 2013). Hierbei sind das Mehrwissen durch Kenntnis einer anderen Sprache und Kultur (z.B. Speisen, religiöse Bräuche, Rollenverteilungen, Wertesysteme, Verhaltens- und Deutungsmuster) ebenso wie die Möglichkeit, weitere authentische Informationen über das Herkunftsland und seine Kultur einzuholen, zu nennen. Darüber hinaus zeichnen die Kinder auch Erfahrungen im Heranwachsen in und zwischen zwei Kulturen aus, denn sie besitzen Verarbeitungs- und Vermittlungskompetenzen, haben einen Blick von außen, sodass Sprach- und Kulturvergleiche gewinnbringend möglich sind. Auch besitzen sie neben spezifischen sprachlich-kommunikativen Sonderkompetenzen auch metakommunikative Fähigkeiten. Schader (2013) beklagt, dass diese Sonderkompetenzen im schulischen Kontext kaum sichtbar werden und mahnt, dass diese Transferleistungen zwischen den Sprachen nicht beliebig abrufbar sind. Hier spielen neben Sprachfähigkeiten auch Persönlichkeit und soziale Faktoren im Klassenverband eine große Rolle. Sonderkompetenzen, kognitive Vorteile und zusätzliche Ressourcen könnten in unserer heterogenen Lerngemeinschaft Einzigartiges, Lebendiges, Entfaltung und Bereicherung ermöglichen - wir müssen es nur „zulassen“ und gut, pädagogisch begleiten. Literatur Abutalebi, J. & Green, D. (2007): Bilingual language production: The neurocognition of language representation and control. In: Journal of neurolinguistics 20(3), 242-275. Adesope, O. O., Lavin, T., Thompson, T. & Ungerleider, C. (2010): A systematic review and meta-analysis of the cognitive correlates of bilingualism. In: Review of Educational Research 80(2), 207-245. Allgäuer-Hackl, E., Brogan, K., Henning, U., Hufeisen, B. & Schlabach, J. (2015): Mehr- Sprachen? -PlurCur. Berichte aus Forschung und Praxis zu Gesamtsprachencurricula. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Bialystok, E. (1999): Cognitive complexity and attentional control in the bilingual mind. In: Child development 70(3), 636-644. Bialystok, E. 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Such conscious alternation between languages - or code switching - does not occur haphazardly, but rather according to specific rules and as a result of specific causes, whether sociolinguistic (e.g. as an expression of membership a particular social group) or psycholinguistic (e.g. an intended meaning is felt to be more easily articulable in one language than another). Learning two or more languages represents a greater cognitive challenge for the child, however, since it must filter the rules from a more diverse linguistic reality. The child abstracts grammatical knowledge and accumulates vocabulary in the respective language so that multilingual acquisition can transpire along the same developmental track as with monolingual children. But because the total contact time with the linguistic environment is divided, for the multilingual child, among two or more individual languages, and because this contact is typically also situational and involves particular semantic fields, it is no surprise that multilingual children possess smaller vocabularies in each individual language than do monolingual children at the same developmental stage. If, however, one takes into account the total number of new words in all languages that the multilingual child learns, then no delay appears in vocabulary acquisition. Such findings help contextualize the observation that multilingual schoolchildren with a migration background typically underperform monolingual schoolchildren in terms of speaking, reading and writing. Numerous psycholinguistic studies have indicated that, for bilingual speakers, both languages are activated in parallel even when only one language is being used in a given situation. This explains the bilingual speaker’s ability to code-switch with astonishing rapidity and ease. Nevertheless, it is 11 English summary by John Crutchfield <?page no="120"?> Julia Festman 120 also possible for the second language to insert itself inadvertently into the language of actual speech production. Although such interferences are relatively seldom, they point toward a procedure of language selection that operates by inhibition: the second (de-selected) language is active but inhibited from interfering in the first (selected) language. Thus bilingualism can be understood as a daily exercise involving increased demands on the attention. This could explain the cognitive phenomenon known as the bilingual advantage. Although much debated at present, there is experimental evidence to suggest for instance that babies who are exposed interactively to two languages develop a greater pleasure in learning and a greater cognitive flexibility than babies in monolingual environments. This difference is attributed to the fact that bilingual babies learn early that objects and events can be designated in two different ways. 2 The Neuroscientific Basis of Multilingualism Studies using functional magnetic resonance imaging (fMRI) have shown that the representation of second languages in the brain is determined by the individual’s age at the time of acquisition: the earlier the second language is acquired, the more its representation overlaps locally with that of the first language. The same holds for the degree of fluency: the more both languages are mastered, the more their representations tend to overlap locally in the brain. At present, much research is focused on the way bilingualism and multilingualism are processed in the brain. Here a great difference appears with respect to monolingual speakers: studies using functional magnetic resonance imaging (fMRI) indicate that, when a multilingual speaker decides which language to use in a given situation, the regions of the brain associated with motor control are involved. The basal ganglia, which are important for motor, cognitive and limbic regulation, thus play a role in language selection, planning, and in the choice of lexical units. In short, linguistic control and motor control occur in the same areas of the brain. Special attention has also been paid to the executive functions, which are concerned with regulating sensory, motor, affective and cognitive processes for maximum adaptation to concrete tasks and goals. Cognitive flexibility, the capacity for the planning, coordination and guiding of action, and the ability to concentrate on what is relevant and to ignore what is irrelevant are indispensable skills - not only in everyday situations such as driving a car or walking down the street, but also in the implementation of multilingualism in the brain. It should be noted, however, that additional studies on code switching have revealed a significant degree of heterogeneity among bilingual speakers <?page no="121"?> Englische Rezeption des Vortrags von Julia Festman 121 with regard to the development of control abilities. The evidence suggests furthermore that a strong expression of cognitive advantage cannot be automatically assumed for every bilingual speaker. 3 Dealing with Multilingualism in the Classroom It would appear that a certain reluctance to embrace multilingualism still dominates in the classroom. We are not speaking here of whether a teacher himself or herself is fluent in all of the languages spoken by his or her pupils, nor of whether the lessons ought to be conducted in parallel languages for each pupil individually. Rather, the issue is incorporating the given languages of the class into the learning process as resources, such that teacher and pupils can learn with and from each other. While the familiar question of whether or not lessons should be conducted in the target language is a legitimate one, in my view the experimental evidence leads us in a different direction. If, as studies have shown, multilingual speakers are able to switch rapidly and with ease between languages, and if these languages are already simultaneously active in multilingual speakers’ brains and integrated into their cognitive processing, then why do school lessons continue to be conducted monolingually? The additional languages are present and active, and yet, in accordance with the monolingual convention, they must be constantly inhibited. This is presumably the most strenuous aspect of the classroom for multilingual learners. If the idea is to use multilingualism as a resource for learning, then the monolingual classroom is certainly the exact opposite of this: instead of being put to positive use, multilingualism is suppressed through the enforced inhibition of what is in fact active, supplementary linguistic knowledge. In concrete terms, then, how could multilingualism be deployed as a classroom resource? The contact time with the respective languages can hardly be increased (there are only so many hours in the day); the quality of these linguistic encounters, however, as well as the degree of awareness in dealing with one’s own linguistic knowledge, can certainly be intensified. The creation of environments that support learning and the integration of language learning into daily life can strategically bolster the acquisition of vocabulary, especially when the teacher possesses a solid base of knowledge with respect both to the semantic fields that are already mastered and to those that remain deficient in the various languages. The effective use of multilingualism presupposes, however, that the classroom is not dominated by a monolingual paradigm, that alongside the primary language of the classroom, other languages and cultures are valued, and the multiplicity of modes of life, of languages and of assumptions and knowledges is perceived to be normal. <?page no="122"?> Julia Festman 122 Independent learning would be necessary in this context, and the technical possibilities for this are in principle available to everyone in our digital world. Moreover, it would be important to develop tools for assessment (tests) that are unbiased in terms of language and culture, in order more adequately to register multilingual learners’ actual levels of scholastic achievement. For the classroom itself, we are not advocating for unbridled code switching. Instead, whenever code switching occurs for psycholinguistic reasons, the goal should be to seek deliberately for the correlation in the target language, so that these new contents may be learned and differentiated. In summary, multilingual learners possess special competencies that ought to be integrated into the daily experience of the classroom. Here we might name the supplementary knowledge gained through insight into another language and culture (e.g. cuisine, religious practices, gender roles, value systems, patterns of behavior and meaning-making) as well as the possibility of gaining additional authentic information about the country of origin and its culture. Furthermore, children who experience growing up in and between two cultures, and who thus possess special competencies in processing and mediation, have an external perspective that makes it possible to draw fruitful linguistic and cultural comparisons. These linguistic and communicative skills, as well as the meta-communicative competencies that are often associated with them, remain mostly invisible in the school context. But in today’s heterogeneous learning communities, such special competencies, cognitive advantages and supplementary resources could facilitate unique and lively development and enrichment among learners. We must only “admit” them and support them pedagogically. <?page no="123"?> Focus on Evidence 2017 Transferdiskussion: Julia Festman Frage: Wurde bei den multilingualen Probandinnen und Probanden in der RaSch-Studie nach sozioökonomischem Status und sprachlichem Hintergrund differenziert, nach Sprachkenntnissen in Deutsch und der anderen L1? Wäre nicht zu vermuten, dass Ergebnisse bei mehrsprachigen Kindern, bei denen zumindest eine Sprache entwickelt ist, anders sind als bei Kindern, bei denen dies nicht der Fall ist? Antwort: Im Rahmen der RaSch-Studie, die sehr umfangreich war, verhielt es sich so: Es gab vier Termine mit den Kindern, dreimal zur Gruppensitzung und einmal individuell, um z.B. Sprachproduktionstests durchführen zu können. Bei den Gruppensitzungen wurde ein Fragebogen ausgefüllt. Die Fragen wurden vorgelesen, sodass Lesen nicht das Problem war. Außerdem war der Test so aufbereitet, dass die Kinder ihn gut verstehen konnten. Der Fragebogen wurde den Kindern auch mit nach Hause gegeben und für ihre Eltern auf Türkisch übersetzt - die Schule in Kreuzberg hatte um eine Übersetzung gebeten. Den Eltern und den Kindern wurden die gleichen Fragen gestellt, u.a. zum sozioökonomischen Status und den Sprachkenntnissen. Zur Sprachverwendung in der Familie haben wir die Eltern gebeten, die Sprache der Kinder in der jeweiligen Muttersprache einzuschätzen. Eine Alternative hierzu gab es nicht. Wir konnten unmöglich 30 verschiedene Sprachen testen. Nun aber zu Ihrer Frage: Nein, es haben sich hier keine Unterschiede gezeigt. Der einzige Gruppenunterschied war die Bildung der Mutter, außerdem waren die mehrsprachigen Kinder etwas älter als die einsprachigen. Aber andere Hintergrundfaktoren wie Intelligenz usw. kamen nicht zum Tragen. Von daher können wir das ausschließen. Was wir in verschiedenen statistischen Verfahren gesehen haben, ist, dass der Wortschatz einer der absoluten Faktoren ist, um Gruppen zu differenzieren. Frage: Welche Rolle könnte es beim Sprachenlernen spielen, dass die mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler Code-Switching bzw. Translanguaging, die ein normaler Teil von mehrsprachiger Kommunikation ist, auch in der oft monolingualen Realität der Schule nutzen dürfen? Antwort: Ich habe über Befunde zur parallelen Aktivierung der Sprachen im Gehirn gesprochen: Sie lassen darauf schließen, dass ein mehrsprachiges Kind, das im Klassenzimmer sitzt, seine Sprachen eigentlich parallel aktiviert hat. Durch den monolingualen Habitus, den wir in den Schulen meist haben, verlange ich von diesem Kind eine Unterdrückung der anderen Sprache. Und <?page no="124"?> Focus on Evidence 2017 124 das kostet viele Ressourcen. Das Dauer-Inhibieren ist sehr anstrengend. Außerdem unterbinde ich dadurch eine weitere Lernchance, nämlich die des Hin- und Herwechselns zwischen den Sprachen im Gehirn und das, obwohl durch das Wechseln sehr wahrscheinlich der bilinguale Vorteil zu erklären ist. Es stellt sich daher schon die Frage, ob ein Überdenken des monolingualen Habitus‘ nicht der Schlüssel zum Erfolg wäre. Wir haben heute so viel über das vernetzte Lernen und die verschiedenen Zugänge usw. gesprochen. Und das heißt, wenn einem Kind für irgendein Wort der deutsche Begriff nicht einfällt, dafür aber in der Herkunftssprache, und es dann über diesen Pfad doch noch auf den deutschen Begriff kommt, wäre es ja eigentlich eine Erleichterung für das Kind. Ich kenne die Skepsis und Sorge, dass Kinder, wenn man es nicht unterbindet, nur noch in den Herkunftssprachen reden. Das ist, aus einer gewissen Perspektive betrachtet, nachvollziehbar, denn Ziel ist es, Bildungssprache zu etablieren. Aber ein Weg dorthin ist es, die Herkunftssprache mit ins Boot zu nehmen. Es gibt so viele medientechnische Wunder wie zum Beispiel kostenlose Apps von Wörterbüchern, in denen Kinder eigenständig nachschlagen können. Wir reden immer davon, die Kinder zu selbstständigen Lernern zu machen. Das wäre für mich einer der Punkte, wo das gut möglich wäre. Wenn Kinder lernen, Wortschatz nachzuschlagen, dann ist das selbstständiges Lernen. Ich habe in Potsdam in einem Kindergartenprojekt genau das gemacht. Kinder sollten einen Kontext geboten bekommen, in dem sie Deutsch und Englisch lernen können. Aber der Kindergarten hatte keine Sprachspezialisten oder -spezialistinnen, und über die Hälfte der Kinder stammte aus Familien mit anderen Herkunftssprachen. In diesem Kindergarten gab es Kinder, die Hebräisch, Japanisch und Polnisch usw. konnten, und nun sollten sie Deutsch und Englisch lernen, ohne Vorwissen in diesen Sprachen. Was haben wir also gemacht? Wir haben diese Kinder beide Sprachen lernen lassen, und zwar unter Einbezug der Herkunftssprachen. Beispielsweise haben wir die Kinder aufgefordert, auf einem Blatt Papier zusammen mit ihren Eltern einzutragen, was z.B. Puppe auf Japanisch heißt, nicht nur auf Deutsch und Englisch. Das haben die Kinder mit nach Hause genommen und mit den Eltern ausgefüllt. Die Eltern haben unglaublich positive Rückmeldungen gegeben z.B. dazu, dass die Kinder abends lieber ihre Hefte anschauen wollen, anstatt ihre Gute-Nacht-Geschichte zu hören. Die Kinder sollen auch sehr oft gefragt haben, wie etwas z.B. auf Englisch heißt usw. Auch Kinder, die sonst unglaublich scheu waren, die sich wirklich schwer getan haben mit ihrer einen Sprache, konnten angeregt werden, und sie haben alle angefangen sich in beiden Sprachen äußern zu können. Deswegen glaube ich, dass ein solches Einbeziehen ein guter Weg ist, den man vorsichtig begehen sollte. <?page no="125"?> Transferdiskussion: Julia Festman 125 Frage: Wir haben aus unserem Projekt Evidenz, dass mehrsprachige Kinder in ihrem Englischerwerb beim Lesen, Schreiben, Hörverstehen nicht schlechter abschneiden als einsprachige Kinder, wenn der Bildungshintergrund der Eltern, der sozioökonomische Hintergrund, gleich ist. Wenn ich aber als mehrsprachiges Kind noch eine Sprache lerne, dann muss ich doppelt inhibieren. Eigentlich müssten wir erwarten, dass die mehrsprachigen Kinder dann nicht nur eine Sprache unterdrücken, sondern zwei. Müsste das nicht dazu führen, dass sie doppelt benachteiligt sind? Antwort: Also die Frage ist, ob Kinder, die drei Sprachen lernen, quasi doppelt belastet sind, weil sie zwei davon inhibieren. Mit drei Sprachen habe ich diese tatsächlich präsent. Sie sind nicht irgendwie verschüttet wie Latein oder Ähnliches, sondern ich habe sie präsent, ich kann sie verwenden. Das bedeutet, dass ich zwei Sprachen unterdrücken muss, um in der dritten zu produzieren. Das ist eine Herausforderung, die ich aber bei dieser Konstellation auch ständig übe. Wie wir gesehen haben, ist das Gehirn unglaublich effizient, es möchte gerne Ressourcen schonen und tut das auch. Wenn es um Inhibition geht, dann gibt es dafür verschiedene Möglichkeiten. In psycholinguistischen Studien wurde herausgefunden, dass es die Möglichkeit gibt, eine Sprache insgesamt zu inhibieren, auch auf Wortebene. Wenn ich ein Wort abrufe, muss ich normalerweise klären, zu welcher Sprache es gehört. Wir haben eine Studie durchgeführt, in der wir Bilder in verschiedenen Sprachen haben benennen lassen, um zu sehen, wie adaptiv dabei dieses System ist bzw. wann hin- und hergewechselt wird. Wenn wir zum Beispiel 30 Durchgänge nacheinander Bilder in einer Sprache benennen lassen, dann weiß das die Probandin oder der Proband und kann das komplette sonstige Sprachen-System ausschalten. Wenn ich aber zwischen den Sprachen hin- und herwechseln lasse, dann ist das ineffektiver, das Inhibieren läuft dann auf Wortebene. Die Tatsache, dass ich zwei Sprachen inhibieren oder mehr inhibieren muss, als ich eigentlich verwende, ist aus meiner Sicht nicht unwesentlich. Ich würde daher immer zwischen Zwei- und Dreisprachigkeit unterscheiden. Aus meiner Sicht macht es einen Unterschied, ob ich eine Sprache verwende und eine inhibiere oder eine Sprache verwende und gleich mehrere inhibieren muss. Immer wenn wir von Multitasking reden, wird das, glaube ich, ganz deutlich. Dreisprachigkeit ist ein Kontext, mit dem einige Kinder aufwachsen und dadurch lernen, zwei Sprachen zu inhibieren. Das stellt ein zusätzliches Training dar und sie sammeln mehr Erfahrung darüber, wie Sprachenlernen funktioniert. Und das kommt ihnen zugute in einem Kontext, in dem sie die Sprachen einbeziehen können. Damit sind wir wieder bei dem Punkt multilinguale Ressource. Ich halte Dreisprachigkeit nicht für ein Hemmnis. <?page no="126"?> Focus on Evidence 2017 126 Frage: Wie sinnvoll ist ein Grundwortschatz? Antwort: Ich überlege gerade, worauf diese Frage zielen könnte und glaube, es geht darum, dass Kinder eine Art Basisverständnis an Wörtern entwickeln, dass sie Basismöglichkeit entdecken, um mit Wörtern semantisch umzugehen. Ich denke, es hilft, diesen Erwerb gezielter zu machen. In der Kindergartenstudie, die ich vorhin erwähnt hatte, ging es mir darum, den Kindergartenkindern erst mal die Begriffe beizubringen, die sie in ihrem Alltag dauernd brauchen und auch ständig hören. Deswegen haben wir das zunächst fokussiert und dafür gesorgt, dass sie erst die Wörter gelernt haben und dann Chunks dazu. Es ging darum, zunächst die Wörter zu lernen und sie mit ihrer anderen Sprache zu verbinden, sie also auch in ihrer Herkunftssprache herauszufiltern. Meine Idee war, auf diese Weise einen Baustein nach dem anderen zusammenzusetzen. Und tatsächlich haben die Kinder diese Stabilität gefühlt. Es ist ja so: Wenn ich ein Wort gut kenne, dann kann ich das auch herausfiltern, selbst wenn ich einen ganzen Strom an Sprache, der da auf mich einprasselt, höre. Es gibt mir Sicherheit, dass ich mit den einzelnen Wörtern gut umgehen kann. Und Kinder lernen genau die Wörter, die sie brauchen. Das verbinde ich mit Grundwortschatz. Man kann natürlich auch unter Grundwortschatz etwas verstehen, das Vokabular enthält, das einfach zu lernen ist, zu verschiedenen Themen gehört usw. Reden wir über Bildungssprache, muss man das auch in dieser Hinsicht anschauen. Ich glaube, ein Grundwortschatz ist schon eine sehr gute Idee. Frage: In Deutschland beobachten wir Tendenzen, den Fremdsprachenunterricht zurückzufahren. In Baden-Württemberg soll künftig erst in Klasse 3 begonnen werden, in Nordrhein-Westfalen ist die Diskussion auch im Gange. Liefert Ihre Forschung Argumente, um dem entgegenzusteuern? Das Hauptargument der Ministerien läuft ja darauf hinaus, durch weniger Fremdsprachenunterricht gerade Kindern mit Migrationshintergrund mehr Gelegenheit zu geben, Deutsch zu lernen. Antwort: Ich bin definitiv eine Befürworterin von sehr vernetztem Lernen. Von dem, dass man Wissensbestände und Vorkenntnisse, das Vorwissen der Kinder aktiviert und in den Unterricht einbezieht. Und das kann sowohl in der Fremdsprache geschehen als auch im Deutschen, außerdem im Sachfachunterricht. Ich glaube, es wäre viel besser, Entwicklungen in Richtung sprachsensibler, sprachaufmerksamer, sprachbewusster Unterricht zu unterstützen, womit man auch viel diversitätsbewusster und sensibler agieren würde als mit der von Ihnen angesprochenen Diskussion. Das ist ein anderes Lernen. Die Frage, ob man früh Englisch lernen soll oder nicht stellt sich eigentlich gar nicht. Es ist ganz klar, dass man früher Englisch lernen sollte. Diese Fragestellung war aber nicht unsere bei unseren <?page no="127"?> Transferdiskussion: Julia Festman 127 Studien, und deswegen würde ich dazu jetzt auch nichts aus unseren Daten herausziehen wollen. Wir haben die Fähigkeit Sprachen bis ins hohe Alter zu lernen. Das erlaubt aber keine Schlussfolgerung dazu, ob man in der ersten statt der dritten oder fünften Klasse mit dem Fremdsprachenunterricht anfangen sollte. Was ganz klar ist, Kinder können Sprachen lernen. Es geht eigentlich darum, passgenau zu fördern, je nach Bedarf der Kinder. Und Kinder mit Migrationshintergrund brauchen viel Wortschatzförderung; die brauchen aber viele deutsche Kinder auch, z.B. solche, die mehr mit dem Fernsehen als mit echten Interaktionspartnern oder -partnerinnen aufwachsen. Früh eine Fremdsprache zu lernen ist eine Horizonterweiterung und kein Hinderungsgrund für die Kinder. Transkribiert von: Sophie Wirth - KU Eichstätt-Ingolstadt <?page no="129"?> Teil II Beiträge zum Transfer der empirischen Evidenz <?page no="131"?> Wolfgang Biederstädt Wir müssen das Schreiben im Fachunterricht stärken! 1 „Sie schreiben ja doch, aber wie und was? ! “ Das Schreiben gehört zu den wichtigsten Kulturtechniken und muss, genauso wie das Lesen, schrittweise erworben werden. Auf der einen Seite schreiben heutige Schülerinnen und Schüler in ihrem Alltag sicherlich viel mehr als ihre Altersgenossen vor zehn oder gar zwanzig Jahren. Textund/ oder bildbasierte Kommunikation ist ein zentraler Bereich der Onlinenutzung Jugendlicher, von denen sich 95 % in Deutschland mittlerweile regelmäßig über WhatsApp austauschen, und zwar mindestens mehrmals pro Woche (täglich: 89 %) (vgl. JIM-Studie 2017: 34-35). Auf der anderen Seite schildern Lehrerinnen und Lehrer das Schreiben ihrer Mädchen und Jungen seit Langem als diejenige Kompetenz, die sich am schwierigsten fördern lässt. Die stichprobenartige Auswertung einer bundesweiten Befragung von über 2.000 Lehrerinnen und Lehrern in Grundschulen und weiterführenden Schulen belegt, dass 51 % der Jungen und 31 % der Mädchen Probleme mit der Handschrift haben (vgl. Schreibmotorik-Institut/ Deutscher Lehrerverband 2015). Etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler der Klassen 7-10 kann keine 30 Minuten und länger beschwerdefrei mit der Hand schreiben. Zu unleserliches Schreiben (92 %), zu wenig Routine, Probleme bei der Beschleunigung der Handschrift sind einige der Faktoren, dialodie zu diesem Ergebnis führen. Laut Aussagen der befragten Lehrkräfte fehle es vor allem an Zeit zum Üben des Schreibens in der Schule. Im Unterricht lässt sich seit Langem eine Tendenz zu mehr Mündlichkeit über alle Fächer hinweg beobachten. Mit dieser Entwicklung geht aber gleichzeitig eine zunehmend geringere Motivation und Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler zur notwendigen Schreibförderung einher. Lehrkräfte berichten, dass sie immer häufiger auf das Schreiben im Unterricht verzichten, z.B. auch auf das Abschreiben von im Unterricht entwickelten Tafelbildern. Da den Lernenden zunehmend die Bereitschaft und vor allem die Übung im zügigen (Ab-)Schreiben fehlen, wird nach Aussagen von immer mehr Lehrerinnen und Lehrern als Ausweg gewählt, dass Tafelbilder mit dem Smartphone abfotografiert werden dürfen, um Zeit zu sparen und Widerständen, die leicht Unterrichtsstörungen hervorrufen können, aus dem Weg zu gehen. <?page no="132"?> Wolfgang Biederstädt 132 2 Die Handschrift bleibt - auch im Zeitalter der Digitalisierung Seit Längerem bewegt die Diskussion um die Bedeutung und Zukunft der Handschrift im digitalen Zeitalter viele Gemüter. Kann das Tippen einen Ausweg darstellen? Die Kultusministerkonferenz misst einer pädagogisch sinnvollen digitalen Lernumgebung (KMK 2016: 11) in der Schule sehr hohe Bedeutung zu. Durch die Digitalisierung entwickelt sich eine neue Kulturtechnik - der kompetente Umgang mit digitalen Medien -, die ihrerseits die traditionellen Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen ergänzt und verändert. (KMK 2016: 12) Somit stellt sich die Frage, ob der digitale Wandel tatsächlich das Potenzial bietet, das Schreiben in der Schule so zu befördern, dass die Schülerinnen und Schüler Anlässe und Aufgaben zum Schreiben motivierter und kompetenter angehen und bearbeiten, als schrieben sie mit der Hand. Oder verlernen die Kinder und Jugendlichen das Schreiben durch den verstärkten Einsatz digitaler Medien zu Schreibzwecken, weil sie nur noch klicken, tippen oder wischen? Seit einigen Jahren gibt es vielfältige Bemühungen, das Schreiben mit der Hand in der Schule zunehmend durch getippte Buchstaben zu ersetzen, obschon es gleichzeitig heißt, das Schreiben mit der Hand fördere die kognitive Entwicklung der Lernenden. The Pen Is Mightier Than the Keyboard In jüngster Vergangenheit sind eine Reihe von interessanten Studien veröffentlicht worden, die der Frage wissenschaftlich auf den Grund gehen, ob sich über das Schreiben mit der Hand im Kontext der Digitalisierung zumindest tendenziell verlässliche Aussagen treffen lassen, welche Rolle die Handschrift im Vergleich zum Schreiben mit dem Laptop, dem Tablet und dem Smartphone spielt. Am TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen, Universität Ulm, wird u.a. untersucht, was für oder gegen die Bevorzugung von Computer und Tastatur beim Schreiben lernen spricht. Eine Studie aus dem Jahr 2015 mit Kindergartenkindern, die mit der Hand schreiben oder auf dem Laptop tippen mussten, zeigte eine teilweise Überlegenheit des Trainings mit Handschreiben und erbrachte keinen Vorteil des Trainings anhand von Tippen (vgl. hierzu Arndt in diesem Band). Mehrere amerikanische Studien haben gezeigt, dass die akademischen Leistungen Studierender, die Laptops nutzen, geringer ausfallen im Vergleich zu denen, die keine Laptops während des Unterrichts nutzen. Aktuelle Studien von Mueller und Oppenheimer (2014: 1161) haben u.a. ergeben, dass Probanden, die während eines Vortrages Notizen mit der Hand angefertigt haben, im Mittel deutlich weniger Wörter notiert haben (M=3,4) als diejenigen, die ihre Notizen auf dem Laptop festgehalten haben (M =309,6). Die Laptop- <?page no="133"?> Schreiben im Fachunterricht 133 Nutzer neigten stärker zu wortwörtlicher Aufzeichnung im Vergleich zu denen, die mit der Hand schrieben. In einer weiteren Untersuchung wurden die Probanden informiert, dass sie sich eine Woche nach der Aufzeichnung ihrer Notizen einem Test unterziehen müssten. Vor dem Test erhielten sie zehn Minuten Zeit, sich ihre Unterlagen anzusehen und einzuprägen. Die Ergebnisse der Studien von Mueller und Oppenheimer (2014: 1165) sind eindeutig. Diejenigen, die ihre Aufzeichnungen mit dem Laptop festgehalten hatten, schnitten sowohl bei Fragen nach Fakten als auch bei analytischen Fragen schlechter ab als diejenigen, die ihre Notizen mit der Hand aufgeschrieben hatten. Die Autoren (2014: 1166) dieser Studie ziehen daraus den Schluss, dass die Nutzung von Laptops das Abschneiden in Tests negativ beeinflusst, weshalb der Einsatz digitaler Medien mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden sollte, da sie trotz wachsender Popularität mehr Schaden als Nutzen im Klassenzimmer anrichten könnten. Diese Studie wurde durch die Ergebnisse mehrerer EEG-gestützter Experimente bestätigt. Van der Meer und van der Weel (2017: 8) fanden heraus, dass im Gehirn größere Netzwerke beim Schreiben mit der Hand aktiviert werden als beim Tippen auf einer Tastatur: Da sich das Schreiben mit der Hand langsamer, weil beschwerlicher vollzieht als das Tippen, fallen handschriftliche Notizen kürzer aus. Bereits während des Schreibens laufen im Gehirn Prozesse ab, die für eine kognitive Verarbeitung sorgen, was wiederum zu höheren Verstehens- und Behaltensleistungen führt. 3 Wie kann das Schreiben im Fachunterricht gestärkt werden? Im Lichte dieser Forschungsergebnisse und Beobachtungen in Bezug auf die Schriftlichkeit im schulischen Bereich sollen anhand von Beispielen aus dem Erdkundeunterricht Möglichkeiten entwickelt werden, dem Schreiben - und hier auch dem Schreiben mit der Hand - eine größere Bedeutung zukommen zu lassen. Die Notwendigkeit zu größeren Schreibanteilen im Unterricht betrifft sowohl den sprachsensiblen als auch den bilingualen Fachunterricht. Da beide didaktischen Konzepte unter dem Aspekt der Betonung der Sprachsensibilität im weitesten Sinne vor allem in der methodischen Umsetzung und Gestaltung zahlreiche prinzipielle Parallelen aufweisen, sollen sie unter vergleichbaren Gesichtspunkten betrachtet werden. Bildungssprache spielt für das fachliche Lernen im Unterricht eine übergeordnete Rolle. Schulisch erfolgreich können Schülerinnen und Schüler nur sein, wenn sie die Bildungssprache auf der Wort-, Satz- und Textebene weitestgehend beherrschen lernen, und zwar auch in Bezug auf die produktiven Kompetenzen Schreiben und Sprechen, das hier allerdings vernachlässigt werden soll. Dieses Ziel gilt für alle Lernenden, in besonderem Maße jedoch für diejenigen aus bildungsfernen, spracharmen deutschen Familien und <?page no="134"?> Wolfgang Biederstädt 134 noch viel mehr für die wachsende Zahl von Mädchen und Jungen mit Deutsch als Zweitsprache. Aufgrund der Tatsache, dass sich Sprechen in vielerlei Hinsicht von der Produktion schriftlicher Sprache unterscheidet, muss der Fachunterricht in deutscher oder z.B. englischer Sprache so angelegt werden, dass das Schreiben von sachbezogenen zusammenhängenden und strukturierten Texten zum kognitiven Lernwerkzeug werden kann. Fachspezifisches und textsortenbasiertes Schreiben stellen hohe Anforderungen sowohl an die Lehrkräfte als auch die Lernenden. 3.1 Rahmenbedingungen sprachsensibler Schreibschulung Die Förderung erfolgreicher Schreibkompetenz hängt wesentlich von guten Schreibaufgaben ab, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in einen authentischen Kontext eingebettet sind, die Funktion, der Adressat und das Ziel [...] transparent sind, ein entsprechendes Welt-(Wissen) zur Bearbeitung der Aufgabe verfügbar machen [...] und dass sie die Wirkung der entstandenen Texte erfahrbar machen (Rezat 2017: 7). Das folgende Beispiel einer Aufgabe aus einem Erdkundebuch für die Klassenstufe 5/ 6 verdeutlicht, dass die Schülerinnen und Schüler bei bestimmten Aufgaben sprachlich überfordert sind. In diesem Beispiel sollen sie eine Karikatur bearbeiten, die ein erstauntes Paar zeigt, dessen Boot in einem Hafen an der ostfriesischen Nordseeküste plötzlich auf dem Trockenen liegt. Auf dieser Stufe verfügen die Lernenden erst über geringe oder keine Erfahrung in der Auswertung von Karikaturen, sodass sie die folgende Aufgabe sprachlich kaum angemessen lösen können: Werte die Karikatur aus und beschreibe, wie sich Ebbe und Flut an der Küste auswirken. (Flath & Fischer 2013: 49) Es ist zunächst einmal nicht ersichtlich, ob die Aufgabe mündlich oder schriftlich bearbeitet werden soll. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Aufgabe vom Anspruch her dem Anforderungsbereich II zuzuordnen ist. Die Lernenden können sich lediglich an dem folgenden Auszug aus einem Autorentext orientieren, worauf sie allerdings nicht einmal hingewiesen werden: So mancher Urlauber an der Nordseeküste hat sich schon erstaunt die Augen gerieben: dort, wo er am Morgen noch im Meer gebadet hatte, erstreckt sich nun eine weite Fläche von Sand und Schlick. Nur in der Ferne ist das Wasser noch zu sehen. An der Nordseeküste wechselt der Wasserstand regelmäßig seine Höhe. Zweimal am Tag steigt das Wasser langsam an bis zum Hochwasser. (Flath & Fischer 2013: 48) Um die Auswertung der Karikatur leisten zu können, wird von den Lernenden eine hohe Lesekompetenz verlangt. Die Anforderungsebene entspricht der Lesekompetenzstufe IV (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des <?page no="135"?> Schreiben im Fachunterricht 135 Landes Brandenburg 2012: 11) und bedeutet, dass die Leserinnen und Leser sogenannte Superstrukturen erkennen müssen, indem sie einen komplexen kontinuierlichen Text im Detail verstehen und ihn mit einer Grafik kombinieren müssen, um Schlüsse zu ziehen und das Verständnis zu sichern. Anders ein Beispiel für den bilingualen Erdkundeunterricht. Das Thema handelt von der zunehmenden Verschmutzung der Ozeane durch den übermäßigen Gebrauch von Plastik im Alltag. Die in Teilkompetenzen zerlegte Lernaufgabe erfüllt wichtige Kriterien guter Schreibförderung, in diesem Fall in der Fremdsprache. Research the issue of plastic waste in the oceans in detail by watching the videos and taking notes. Produce a simple booklet that explains the issue, its causes and consequences, aimed at 6 to 8-year-old students. Include pictures, maps and statistics. Think carefully about your use of language. (Weatherly et al. 2015: 31) Bei dieser Art der Aufgabenstellung sind eine geforderte Textsorte und vor allem eine Adressatengruppe mit einem bestimmten Sprachniveau vorgegeben, sodass die Lernenden die Lösung zielgerichtet gestalten können. Darüber hinaus erhalten die Schülerinnen und Schüler jedoch keine weitere Unterstützung in Bezug auf die sprachliche Umsetzung. 3.2 Lernwege zum Erwerb generischer Schreibfähigkeit im Fachunterricht Einen wesentlichen Bestandteil eines sprachbewussten Fachunterrichts stellt das generische Schreiben, die Umsetzung eines generischen Schreibzyklus dar. Durch Textanalysen, persönliche Stellungnahmen und generisches Schreiben können die Schülerinnen und Schüler lernen, Texte zu analysieren, formale und inhaltliche Strukturen zu erkennen, zentrale Handlungsstrategien zu übernehmen, diese in einem neuen Kontext selbständig wieder anzuwenden und so ihre Anliegen überzeugend und verständlich zu präsentieren. (Keller 2013: 250) Building the Context (Hallet 2016: 105f.): In der ersten Phase geht es um die Aneignung des benötigten thematischen Fachwissens, um die situative, thematische und interkulturelle Einbettung, um eine Schreibaufgabe zu einem bestimmten Thema sachgerecht bearbeiten zu können. In dieser Phase des advance organizing können Methoden des Brainstormings (Mind Maps) angewandt werden. Die Lernenden sammeln Ideen, betrachten Bilder, Diagramme, schauen Filme, lesen kurze Texte etc., um sich mit dem Thema vertraut zu machen. Um schulsprachliches Schreiben anzubahnen, spielen in dieser Phase die Wort- und Satzebene eine wichtige Rolle. Modelling and Deconstructing Texts: In der nächsten Phase analysieren die Lernenden gemeinsam einen Modelltext der Textsorte aus dem Sachgebiet, <?page no="136"?> Wolfgang Biederstädt 136 die sie am Ende dieses Schreibzyklus selbständig beherrschen sollen. Dabei achten sie vor allem auf charakteristische Eigenschaften der jeweiligen Textsorte, auf sprachliche Merkmale und Besonderheiten, um sie für das sich anschließende selbständige Schreiben sinnvoll nutzen zu können. Joint Construction of Texts: In Phase 3 steht die gemeinsame Rekonstruktion eines Textes über ein vergleichbares Thema aus dem jeweiligen Sachgebiet an. Als Verfahren haben sich hier besonders kooperative Schreibformate bewährt. Independent Construction of Texts: Anschließend verfassen die Lernenden auf individueller Basis eigene Texte. Linking Related Texts: Der Schreibzyklus kann abgeschlossen werden, indem die Schülerinnen und Schüler wichtige Regeln zum Schreiben von Texten dieser Textsorte erarbeiten und festhalten (Pertzel 2016: 79). 3.3 Scaffolding als integraler Bestandteil auf dem Weg zu besserer Schreibfähigkeit im Fachunterricht Das Konzept des generischen Schreibzyklus ist untrennbar mit dem Gedanken des Scaffolding verbunden. Dabei geht es um die vorübergehende Unterstützung der Lernenden z.B. auf dem Weg zu eigenständig geschriebenen Texten im sprachsensiblen und bilingualen Fachunterricht. Scaffolding ermöglicht die systematische Integration von fachlichem und sprachlichem Lernen und kann einerseits eine Brücke zwischen alltags- und schulsprachlichen Kompetenzen und andererseits themen- und inhaltsorientiertem Arbeiten darstellen. Die Unterstützungsangebote können vielfältiger Natur sein. Hier sollen sie sich in erster Linie auf die Wort-, Satz- und Textebene beziehen. Sobald die Lernenden nicht mehr auf Hilfen angewiesen sind, werden diese schrittweise wieder entfernt und ggf. auf einer nächsten Anforderungsebene erneut gewährt. 4 Zwei Beispiele, wie das fachbezogene Schreiben zielgerichtet gefördert werden kann An zwei konkreten Beispielen zum Thema Ebbe und Flut aus dem sprachsensiblen Erdkundeunterricht der Klasse 5/ 6 sowie zum Thema China’s One Child Policy aus dem bilingualen Erdkundeunterricht der Klassenstufe 9/ 10 werden grundlegende Prinzipien des generischen Schreibens demonstriert. <?page no="137"?> Schreiben im Fachunterricht 137 4.1 Beispiel 1: Ebbe und Flut im sprachförderlichen Erdkundeunterricht der Klasse 5/ 6 Phase 1: Anhand zweier Fotos, die einen Eindruck vom Wasserstand bei Ebbe und Flut vermitteln, sammeln die Schülerinnen und Schüler Ideen und Begriffe und bringen ihr Weltwissen ein. Besonderes Augenmerk wird auf sprachliche Phänomene gerichtet, damit die Mädchen und Jungen später kompetent einen eigenen Text schreiben können. Phase 2: Der folgende Text wird inhaltlich und sprachlich analysiert. An der Nordseeküste wechselt der Wasserstand regelmäßig seine Höhe. Zweimal am Tag steigt das Wasser langsam an bis zum Hochwasser. Diesen Vorgang nennt man „Flut“. Nach dem Hochwasser geht das Wasser regelmäßig zurück, es ist „Ebbe“. Ebbe und Flut werden als „Gezeiten“ bezeichnet. Den Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser nennt man „Tidenhub“. (Tide = Zeit) (Flath/ Fischer 2013: 48) Die dazugehörige Aufgabe lautet: Beschreibe den Ablauf der Gezeiten und verwende dabei die Begriffe „Ebbe“, „Flut“, „Hochwasser“, „Niedrigwasser“ und „Tidenhub“. (Flath/ Fischer 2013: 49) In dieser Phase vergleichen die Schülerinnen und Schüler ihre Aufzeichnungen aus der Auftaktphase und ergänzen bzw. korrigieren sie. Auf der Wortebene werden diese Begriffe gesammelt: der Wasserstand, die Wasserstände, der Wasserpegel, der Wasserspiegel, das Hochwasser, die Flut, das Niedrigwasser, die Ebbe, die Gezeiten, der Tidenhub, ... ansteigen, steigen, erhöhen, höher werden, auflaufen, ... ... langsam/ schnell/ sprunghaft/ dramatisch/ deutlich/ regelmäßig ... zurückgehen, sinken, fallen, ... Auf der Satzebene werden u.a. diese Phrasen gesammelt: Das Wasser/ Hochwasser fällt/ steigt/ hebt sich/ verändert sich/ ... ... man nennt/ wird genannt/ man bezeichnet/ wird bezeichnet Phase 3: Anstelle der im Schülerbuch vorgegebenen Aufgabe wird eine Alternative gewählt, die die Kriterien guter Schreibaufgaben besser erfüllt: Du bist mit deinen Eltern im Urlaub an der Nordseeküste und möchtest deiner Oma eine Postkarte schreiben und ihr berichten, was du beim Wasserstand beobachtet hast. (Eigenentwurf) Jetzt geht es darum, gemeinsam mit den Lernenden einen sprachlich angemessenen und inhaltlich korrekten Zieltext zu erarbeiten. Im Sinne eines möglichen Scaffolding und gleichzeitig einer Binnendifferenzierung können neben <?page no="138"?> Wolfgang Biederstädt 138 den eingangs gesammelten Begriffen und Satzstrukturen Satzanfänge vorgegeben werden wie diese: An der ... kann man interessante Veränderungen ... Im Verlauf eines Tages ... zweimal. Der Wasserstand ... und nach etwa ... Stunden .... Je nach konkreter Unterrichtssituation könnte statt der Satzanfänge auch ein Lückentext zwecks gemeinsamer Rekonstruktion verwendet werden. Zur Differenzierung können die einzusetzenden Fachbegriffe in einem alphabetisch geordneten Wortspeicher vorgehalten werden. 4.2 Beispiel 2: China’s One Child Policy im bilingualen Erdkundeunterricht der Klasse 9/ 10 Zu den fachlichen Standards für Geographie gehört u.a. die Fähigkeit, individuelle Räume unterschiedlicher Art und Größe unter bestimmten Fragestellungen zu analysieren. Dazu gehört beispielsweise der Vergleich der Bevölkerungspolitik der beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Erde, China und Indien (Deutsche Gesellschaft für Geographie 2014: 15). In diesem Beispiel werden authentische Materialien der BBC News Services (29.10.2015) ausgewählt. Dabei geht es um die Entscheidung der chinesischen Regierung, die 1979 eingeführte Verpflichtung zur Ein-Kind-Familie wieder aufzuheben, um mittel- und langfristig in der Bevölkerungspolitik umzusteuern. Phase 1: Im Vorfeld der konkreten fachlichen Auseinandersetzung mit Chinas Bevölkerungspolitik werden grundlegende Fragen zu diesem Komplex wie population development, social costs, incentives, punishments etc. gesammelt. Phase 2: Die Präsentation einer Beschreibung eines Kurvendiagramms bietet die Möglichkeit, anhand eines Modelltextes sprachliche Mittel zur Beschreibung und Erklärung von Diagrammen (vgl. Fettdruck) zu erlernen und zu sammeln, um sie später eigenständig zu nutzen. Dieser Modelltext (Auszug) wird zur Analyse zugrunde gelegt: The first of these two line graphs shows the development of the number of young people in China and worldwide as a percentage of the working age population from 1965 until 2015. In 1970 the rate in China was at about 160%... To slow down the population growth, China’s one-child-policy was introduced in 1979. From then on, the number of young people aged 0-24 has decreased considerably so that ... The number of young people on the world average has also decreased, but it is now at about 90%. The effects of this situation can be seen in … From the graph it is clear that China’s older population has increased steadily from 1965. (Eigenentwurf) Die fettgedruckten Redemittel können die Schülerinnen und Schüler dem Modelltext entnehmen und weitere sammeln und ergänzen. <?page no="139"?> Schreiben im Fachunterricht 139 In der folgenden Phase sollen die Lernenden mit ihrem gewonnenen inhaltlichen und sprachlichen Wissen ein weiteres Kurvendiagramm zum selben Thema beschreiben und erklären. 5 Resümee Auf dem Weg zur (alters-)angemessenen Beherrschung von Schriftsprache, die den Kriterien der Bildungssprache entspricht, benötigen immer mehr sprachliche Risikoschülerinnen und Risikoschüler Unterstützung, um fachspezifische Textsorten schriftlich anzufertigen. Durch die steigende Nutzung digitaler Medien werden Flüssigkeit und Routine in der Handschrift der Jugendlichen zunehmend leiden. Im Unterricht spiegeln sich diese beiden Entwicklungen in der Form wider, dass eine Zunahme der Mündlichkeit im Unterricht einhergeht mit einer Schreibverweigerung. Es stellt sich die Frage, ob die Widerstände gegen das Schreiben durch die verstärkte Einbeziehung digitaler Medien, was von der KMK gefordert wird, überwunden werden kann. Das handschriftliche Schreiben stellt ein nicht zu vernachlässigendes kognitives Lernwerkzeug dar. Es ist im Moment sicher noch zu früh zu beurteilen, ob in nächster Zukunft mit Hilfe eines Tablet-Stiftes handschriftliches Schreiben und digitales Arbeiten so sinnvoll verknüpft werden, dass die kognitiven Verarbeitungsprozesse vergleichbar sein werden. Unter Abwägung der unterschiedlichen Aspekte der Schriftlichkeit im Fachunterricht wird Lehrerinnen und Lehrern empfohlen darauf zu achten, dass sie  insbesondere für das handschriftliche Schreiben vor allem während des Unterrichts mehr Zeit einplanen,  immer da die Tastatur eines digitalen Mediums zulassen und fördern, wo es in erster Linie um die Aufbereitung und Präsentation zuvor handschriftlich erarbeiteter Inhalte geht,  produktorientierte Schreibprozesse gezielt anbahnen und unterstützen, dabei vor allem Wert legen auf lebensnahe Zielsetzungen, fachspezifische Textsorten und Adressatenorientierung,  im notwendigen Umfang temporäre Unterstützungsangebote (Scaffolding) gezielt gewähren,  auf eine angemessene äußere Form und Darstellung bestehen und  sprachliche Mängel, auch orthographische, angemessen berücksichtigen und in die Bewertung von Schülerleistungen einfließen lassen. <?page no="140"?> Wolfgang Biederstädt 140 Literatur Deutsche Gesellschaft für Geographie (Hrsg.) (2014): Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. Bonn: Selbstverlag DGfG. Flath, M. & Fischer, P. (2013): Unsere Erde, Nordrhein-Westfalen. Band 1. Berlin: Cornelsen Schulverlage. Hallet, W. (2016): Genres im fremdsprachlichen und bilingualen Unterricht. Seelze: Klett/ Kallmeyer. Keller, S. (2013): Integrative Schreibdidaktik Englisch für die Sekundarstufe. Tübingen: Narr. Mueller, P. A. & Oppenheimer, D. M. (2014): The Pen Is Mightier Than the Keyboard: Advantages of Longhand Over Laptop Note Taking. In: Psychological Science 25(6), 1159-1168. Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (2017): JIM 2017. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (2012): Lesen ist der Schlüssel. Handreichung zur Förderung von Lesekompetenz in der Schule. Potsdam. Pertzel, E. & Schütte, A. U. (2016): Schreiben in Biologie, Geschichte und Mathematik (Klasse 5/ 6). Münster, New York: Waxmann. Rezat, S. (2017): Schreiben fördern. Bedingungen und Maßnahmen für eine gelingende prozessorientierte Schreibförderung. In: Fördermagazin 4, 5-10. KMK - Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD (2016): Strategie der Kultusministerkonferenz. „Bildung in der digitalen Welt.” Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.12.2016. Berlin. Abrufbar unter: https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ pdf/ PresseUndAktuelles/ 2016/ Bild ung_digitale_Welt_Webversion.pdf (Stand: 15.05.2018) Schreibmotorik-Institut/ Deutscher Lehrerverband (2015): Probleme bei der Entwicklung von Handschrift. Ausmaß, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten. Berlin, Pressemitteilung vom 01.04.2015. Abrufbar unter: http: / / lehrerverband.de/ presse_Bundes pressekonf_Handschreiben_010415.html (Stand: 15.05.2018) Schreibmotorik-Institut (2015): Probleme bei der Entwicklung von Handschrift. Ausmaß, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten. Abrufbar unter: www.schreibmoto rik-institut.com/ images/ Lehrerumfrage2015.pdf (Stand: 31.03.2018) van der Meer, A. L. H & van der Weel, F. R. (2017): Only Three Fingers Write, but the Whole Brain Works: A High-Density EEG Study Showing Advantages of Drawing Over Typing for Learning. In: Frontiers in Psychology 8(706), 1664-1078. Weatherly, D., Sheehan, N. & Kitchen, R. (2015): Geographical Enquiry. Student Book 3. Glasgow: Collins. <?page no="141"?> Anna Bitmann Embodiment in Bilingual Science Classes: Concept Knowledge Made Visible In the context of scientific learning, oftentimes young learners struggle with expressing concept knowledge; especially when the task is linked to abstract words, since articulating such knowledge requires a great deal of cognitive and linguistic effort. Much more so, if they have to convey such knowledge in a L2 in bilingual science classes. Kiefer (cf. in this volume: Transferdiskussion) explains that learners have a higher chance of improving their understanding of abstract words, when the words bear a tangible reference to an experienced situation - like dividing four hard candies among four friends depicts the concept of fairness. If the situation features a motor activity, then so much the better.Gesture is nonverbal communication. Its function depends on the communicative situation, the communication partner, the topic being discussed, and the speaker’s familiarity with the object (word, phrase, and sentence). For example, we use gesture to externalize mental images as well as spatial and motor information. Drawing a ball by circling a finger vertically in the air (mental image), explaining a route by signaling to turn left with one’s hand (spatial information), or depicting the speed of a car by whooshing with an arm from one side to the other (motor information). All these gestures incorporate representational meanings but can - although always in context - stand on their own. Undoubtedly, gesture affects thinking and learning (Krönke et al. 2013, Macedonia et al. 2014). In recent years, research in cognitive linguistics and neuroscience has focused on gesture’s role in learning (second) languages in the context of embodied cognition (Hald et al. 2016, Stam 2016, Trofatter 2015). In fact, it is agreed upon that the mechanisms of gesture are grounded in perceptual and sensorimotor experience, which give rise to gesture (Hostetter & Alibali 2008). While the how of gesture can be explained through the manifestation of bodily experience, the function of gesture demonstrates itself by being representational of something other than themselves (Novack & Goldin- Meadow 2017). Further neuroscientific findings of gesture’s role in thinking and learning suggest that the production of iconic gestures in learning novel L2 words enriches the semantic concept formation and allows for higher retention (Macedonia et al. 2011). What message can we as teachers and researchers draw from such findings for L2 instruction, and particularly for L2 science learning? <?page no="142"?> Anna Bitmann 142 It is important to adopt the findings from reference disciplines like cognitive linguistics and neuroscience in the context of L2 education, in order to improve our understanding of concept formation with regard to novel words and to discover how to incorporate this knowledge into the learning and teaching process of new languages. Researchers and teachers can achieve the latter by enabling students to use forms of embodied learning as strategies and equipping educators with the necessary knowledge to incorporate embodied learning into their teaching practices. This essay distills an essence from a complex field of research and aims to transfer research findings on gesture’s role in language comprehension and language production into the didactics of L2 science learning. The essay proceeds in four sections. The first section defines embodiment and explicates the theoretical grounding by drawing upon the gesture-as-simulated-action framework (Hostetter & Alibali 2008). The second and third section build on these explications and review gesture’s functions and role in concept formation as well as language comprehension and language production. The final section explores the notion of gesture being representational and its potential not only for L2 learning, but also for science learning. 1 Embodiment: The Perceptual and Motor Experience in Language Learning The speaker’s use of the body in the process of thinking and speaking is at the center of the embodiment approach. Theories on the embodiment of language concur that the meaning of linguistic objects (words, phrases, sentences) is linked to perceptual and motor experience (Hostetter & Alibali 2008: 497). Embodied learning takes place, for example, when one waves one’s hand in greetings, while saying Hola/ Hallo/ Hello in a second language. The waving gesture represents the semantic concept of a greeting in combination with the linguistic concept of Hello. The premise of embodied cognition now stipulates that whenever we see or perform this hand gesture, we are reminded of the word and the concept and vice versa. The gesture-as-simulated-action (GSA) framework (Hostetter & Alibali 2008), which derives from a psychological perspective and seeks to describe how gesture is produced and how it relates to language and cognition, claims that gesture arises from the use of perceptual and sensorimotor systems during both language production and mental imagery (cf. Kiefer in this volume). By means of a thorough review of cognitive linguistic studies on this subject, Hostetter & Alibali (2008: 508) conclude that “gestures arise from simulation of the motor and perceptual components of visuospatial imagery.” In other words, gesture is the outcome of internal activities which handle information on a linguistic concept. These internal activities include the mental simulation <?page no="143"?> Embodiment in Bilingual Science Classes: Concept Knowledge Made Visible 143 of visual images and their traits. Hearing or seeing the word or object ball, for example, elicits the mental image of a ball: it is usually round and can come in different designs, colours, or materials, depending on the sport for which it is used, etc. Another internal activity, which is evoked, is the mental simulation of the associated motor action. Upon hearing or seeing the object (ball), previously experienced common motor actions are internally simulated: We mentally throw, catch, pitch, or kick a ball. Such sensorimotor affordances of the word ball are evoked when thinking of the concept ball and, in effect, give rise to gesture. The attention of neuroscientific research to perceptual and motor experience in language learning deepened the insights into gesture’s role in language comprehension and language production (see Kiefer & Pulvermüller 2012, for review). The conceptual representation of semantics in the brain seem to be modality-specific and grounded in perception and action. Neuroimaging research shows that concept representations are realized as actionperception circuits, which are “cortical cell assemblies that also contribute to motor and sensory processes” (Kiefer & Pulvermüller 2012: 817). In other words, during language processing, the brain activates areas which are usually involved in the execution of perceptual and motor activities. Such findings support theories within the embodied cognition framework. Indeed, neuroscientific support for the GSA framework’s assertion that gestures arise due to the fact that they are based in mental simulations, helps to understand the origin of speech-accompanying gesture. Such results support the assumption that we should view gesture in the larger cognitive system of mental imagery, embodied simulations of perception and action, as well as language comprehension and language production. Since the GSA framework considers “gesture and speech to be two parts of the same cognitive and communicative system” (Hostetter & Alibali 2008: 509), the issue of gesture’s function - its purpose - in comprehending and producing speech is brought to the forefront. 2 Gesture Is Representational Although it is vital to understand the underlying processes of gesture and the cause for its elicitation, gesture’s function in communication and its potential supporting role in L2 instruction is equally important. Building on the GSA framework, Novack and Goldin-Meadow (2017) reviewed cognitive linguistic and neuroscientific literature particularly in respect to gesture’s role in facilitating language comprehension and production. The focus was less on the how but rather on the why for the emergence of speech-accompanying gesture. The authors approach this subject by distin- <?page no="144"?> Anna Bitmann 144 guishing gesture from action, thus, assembling an important construct for understanding gesture’s powerful role in speech comprehension and production. They state that the essential feature which differentiates representational gestures 12 from action is that action is produced on objects, whereas gestures are not - given that they are object-independent (Novack & Goldin-Meadow 2017: 659). By drawing on a range of studies, the authors demonstrate that “gestures are representational in that they represent something other than themselves”, which differentiates them from instrumental action (reaching for an object) and movement itself (dancing) (Novack & Goldin-Meadow 2017: 653). To return to the ball example: An iconic gesture - seamlessly integrated into speech - can convey information on the ball’s shape without such information being expressed in speech. In this instance, the GSA framework’s assumption for the co-occurrence of gesture and speech is that by thinking about a particular concept (the ball), the speaker mentally simulates the properties associated with that concept by drawing upon perceptual and motor experience. The representational function of the gesture becomes obvious through its purpose of expressing information on the ball which is not included in speech. The fact that representational gesture can stand on its own, plays into successfully supporting the generalization of concepts beyond the specific and facilitating retention over a longer period of time (Novack & Goldin-Meadow 2017: 662). Hence, gesture’s function in respect to communication, learning, and problem solving derives from its status as representational action. This observation begs the question, whether concept formation can, therefore, be facilitated through representational gesture for the purpose of strengthening novel terms and scientific concepts in the L2. 3 Concept Formation The basis for speech-accompanying gesture is the assumption that producing and comprehending language activates mental concepts, which depend on perceptual and sensorimotor experience (Hostetter & Alibali 2008: 497-498). Thus, concept formation and concept reaffirmation, whilst comprehending and producing language, rest upon modality-specific systems (cf. Kiefer in this volume). Figure 1 depicts the base for speech-accompanying gesture with respect to the two processes. In both processes preexisting concepts, which in 12 Other forms of gesture include iconic gestures (representation of an objects’ form with the motion or shape of the hands), metaphoric gestures (presenting abstract ideas with the motion or shape of the hands), and deictic gestures (movements that represent the content of speech by pointing to an object in the physical environment). <?page no="145"?> Embodiment in Bilingual Science Classes: Concept Knowledge Made Visible 145 turn are based on perceptual and motor experience, are activated to understand the linguistic input and express meaning (cf. Kiefer in this volume). Following this line of argument, the co-activation of sensorimotor systems and mental imagery could also mean that engaging gesture strengthens the link between speech production and concept knowledge. Numerous neuroscientific studies have confirmed this, demonstrating that active experience of gesture in connection with novel word learning and object recognition leaves a lasting effect in sensorimotor brain areas leading to a longer retention of the learned information (Kiefer et al. 2007, Sim et al. 2015, Soden-Frauenhofen et al. 2007; for didactics and educational neuroscience see Arndt & Sambanis 2017, Böttger & Sambanis 2017, Sambanis 2013). The representational status gives speech-accompanying gesture a symbolic character, which helps to “off-load some of the cognitive burden involved in maintaining abstract ideas in mind” (Novack & Goldin-Meadow 2017: 659). Thus, we can assume, that conceptual information about an object (word, phrase, sentence) expressed through gesture alleviates the working memory and frees up resources, which speakers can use for speech production. The positive effect of gesture on speech production could extend into employing gesture as an agent in planning and structuring scientific concept knowledge in the L2. Fig. 1: Base for speech-accompanying gesture: language comprehension and production processes (Hostetter & Alibali 2008) - Diagram by Bitmann. Base for speech-accompanying gesture Comprehending language Producing language Those who perceive gesture and language simultaneously Those who produce gesture and language simultaneously Activate preexisting concepts based in perceptual and motor experience Activate preexisting concepts based in perceptual and motor experience Adjust concept according to new information In order to make sense of input In order to express meaning <?page no="146"?> Anna Bitmann 146 4 Gesture as a Stepping Stone to Expressing Scientific Knowledge in L2 The GSA framework by Hostetter & Alibali (2008) and the empirical review by Novack & Goldin-Meadow (2017) approach gesture’s role in language comprehension and production from two different perspectives; however, they are in accord with each other, since they allow for a holistic understanding of gesture. Whereas the GSA framework convincingly builds a construct, which explains the origin of gesture and its foundation in perceptual and motor experience, Novack & Goldin-Meadow (2017) explore gesture by distinguishing it from action, concluding that gesture’s function arises from its representational nature. Furthermore, research has shown that speakers tend to gesture more, when verbal description is more challenging to plan and produce (Melinger & Kita 2007). Since L2 science learning requires a high level of linguistic competence - describing and explaining scientific phenomena and experiments is, indeed, a resource-intensive activity - one might argue that iconic gestures, which incorporate core features of a scientific term or concept, could reduce the cognitive working load. Freeing up cognitive resources could increase the likelihood of successful verbalization of scientific knowledge, since the production process would be partly supported through the agency of iconic gesture. Iconic gestures which represent scientific terms and concepts could be part of everyday practice in the (bilingual) science classroom, but have experienced less attention from empirical research so far (Stephens & Clement 2010; Kontra et al. 2015). One might object that the accumulated findings in cognitive linguistics and cognitive neuroscience are too feeble to be transferred into the field of scientific education. Hence, the assumption that iconic gesture might have a positive learning effect in regards to scientific terms and concepts is not adequately substantiated. Admittedly, such doubts have their merit. However, current discourse on conceptual change in science learning points to a shift in perspectives, which Amin et al. (2014: 68) label as a more systematic approach, assuming that “concepts and conceptual change are grounded in perception action.” The researchers propose an initial theoretical framework, which examines internal mental representations and their relating processes that are linked to external representations (i.e. gesture) and social processing (i.e. communication). Abrahamson & Lindgren (2014: 370) apply the theory of embodiment to the math and science classroom and argue that “conceptual understandings are grounded in bodily experience.” Therefore, embodied learning should be integrated as a didactic principle into activities, materials, and structured facilitation. First explorations into students’ use of gesture in the science classroom indicate that there is a fair amount of occurrence in explanative and simulative situations (Stephens & Clement 2010). <?page no="147"?> Embodiment in Bilingual Science Classes: Concept Knowledge Made Visible 147 If gesture arises from spatial and imagery representation, and presumably produces effects on thinking and learning - because they are representational actions of one’s knowledge - one could argue that such positive effects may also occur when utilizing gesture in a science learning environment. Describing and explaining scientific terms and phenomena is a crucial part of students’ scientific learning and often poses a difficult undertaking for them. For example, the two terms to rotate and to revolve are similar in that they both involve a circular motion; however, in scientific terms they are different, because they represent two different planetary motions. The former describes a planet’s turn on its axis, whereas the latter describes a planet’s circular travel around another body, e.g. the sun. Grasping this difference is a challenging task for students; iconic gesture could support the students’ effort in processing and expressing such knowledge. The scientific term to rotate could have the following gesture sequence: the students put their right index fingertip on the top of their head - the index finger represents the Earth’s rotation on its axis - and then turn in place around the imaginary axis. The embodied experience allows the students to understand the scientific principle underlying the planet’s rotation and distinguish it from the term to revolve. For this term the students could position one fist in front of their chest and horizontally circle the other hand’s fist around the fixated fist. 13 The assumption that embodied knowledge can be reflected in speech-accompanying gesture has significant implications for L2 science learning. It opens up a multitude of potentially beneficial instructional activities. For example, how do teachers know whether students managed to fully understand a specific scientific term or concept, when they lack the linguistic competences to verbalize it? Researchers encounter this dilemma often in the context of assessing students’ scientific knowledge in bilingual education scenarios. The access to such mental knowledge could be accomplished through iconic gesture, which in this context functions as a means for representing knowledge. Such actions allow the perceiver of gesture to go beyond the information conveyed in spoken language, which is vital for successful communication. For example, discourse on the term gravity can be visually enriched with a downward pulling hand gesture, mirroring the force, resulting in two bodies gravitating towards one another. Embracing the idea that evoking the sensorimotor affordances of objects and events allows humans to understand words and sentences, also means that such processes may be employed as learning strategies. The cognitively demanding process of producing scientific knowledge in the L2 could, thus, 13 This potential impact was the focus of a PhD research project - supervised by Prof. Sambanis at Freie Universität Berlin - in which 4th grade students of a bilingual science class utilized iconic gestures for their learning of novel scientific terms (Bitmann, forthcoming). <?page no="148"?> Anna Bitmann 148 be mitigated by the help of iconic gestures, resulting in facilitating negotiation of meaning. For example, by means of iconic gestures students could integrate the perceptual and motor affordances of scientific terms into their scientific representations by checking what will be said and resolving scientific ambiguities. 5 Conclusion The considerations discussed in this paper, seek to integrate ideas about embodied cognition, language processing, and gesture production, with the aim of examining such aspects for a potential strategic application in the context of science learning in L2 instruction. This paper addresses implications that findings from cognitive linguistics and neuroscience research have or should have on L2 education, particularly in L2 science classes. Overall, the research indicates that if gesture is thought to be representational of embodied thinking processes, it can be assumed to be mental concept made visible. Since iconic gesture is object-independent and can stand on its own, it represents mental knowledge. Employing iconic gesture in science classes could, thus, support the generalization of scientific concepts beyond the specific situation, which is a major goal of scientific learning. Additionally, the positive effects gesture has on speech production can play a vital role in the bilingual science class. By alleviating the working memory with the help of iconic gesture, L2 learners have the opportunity to engage in the scientific learning environment, and as a result, strengthen their scientific knowledge and improve their language competences. This analysis leads to the conclusion that the embodiment of knowledge in the science classroom facilitates concept formation, especially in cases when linguistic competences do not suffice. The potential for positive learning outcomes in L2 scientific concept formation could be substantial and should, therefore, be a focus of future research. Literature Abrahamson, D. & Lindgren, R. (2014): Embodiment and embodied design. In: Sawyer, R. K. (Ed.): The Cambridge handbook of the learning sciences. 2 ed. Cambridge: Cambridge University Press, 358-376. Amin, T. G., Smith, C. L. & Wiser, M. (2014): Students conceptions and conceptual change: Three overlapping phases of research. In: Lederman, N. G. & Abell, S. K. (Eds.) (2014): Handbook of research on science education (Vol. II). New York: Routledge, 57-81. Arndt, P. A. & Sambanis, M. (2017): Didaktik und Neurowissenschaften - Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Tübingen: Narr. Böttger, H. & Sambanis, M. (2017): Sprachen lernen in der Pubertät. Tübingen: Narr. <?page no="149"?> Embodiment in Bilingual Science Classes: Concept Knowledge Made Visible 149 Hald, L. A., de Nooijer, J., van Gog, T. & Bekkering, H. (2016): Optimizing word learning via links to perceptual and motoric experience. In: Educational Psychology Review 28(3), 495-522. Hostetter, A. B. & Alibali, M. W. (2008): Visible embodiment: Gestures as simulated action. In: Psychonomic Bulletin & Review 15(3), 495-514. Kiefer, M., Sim, E.-J., Liebich, S., Hauk, O. & Tanaka, J. (2007): Experience-dependent plasticity of conceptual representations in human sensory-motor areas. In: Journal of Cognitive Neuroscience 19(3), 525-542. Kiefer, M. & Pulvermüller, F. (2012): Conceptual representations in mind and brain: Theoretical developments, current evidence and future directions. In: Cortex 48, 805-825. Kontra, C., Lyons, D. J., Fischer, S. M. & Beilock, S. L. (2015): Physical experience enhances science learning. In: Psychological Science 26(6), 737-749. Krönke, K.-M., Mueller, K., Friederici, A. D. & Obrig, H. (2013): Learning by doing? The effect of gestures on implicit retrieval of newly acquired words. In: Cortex 49(9), 2553-2568. Macedonia, M., Müller, K. & Friederici, A. D. (2011): The impact of iconic gestures on foreign language word learning and its neural substrates. In: Human Brain Mapping 32(3), 982-998. Macedonia, M. & Klimesch, W. 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Stam, G. (2016): Gesture as a window onto conceptualization in multiple tasks: Implications for second language teaching. In: Yearbook of the German Cognitive Linguistics Association 4(1), 289-314. Stephens, A. L. & Clement, J. J. (2010): Documenting the use of expert scientific reasoning processes by high school physics students. In: Physical Review Special Topics - Physics Education Research 6(2), 1-15. Trofatter, C., Kontra, C., Beilock, S. & Goldin-Meadow, S. (2015): Gesturing has a larger impact on problem-solving than action, even when action is accompanied by words. In: Language, Cognition and Neuroscience 30(3), 251-260. <?page no="151"?> Bärbel Diehr Language, Cognition, and Culture - a Model of the Bilingual Learner’s Mental Lexicon 1 New Challenges for Research into Bilingual Education/ CLIL The advantages of bilingual instruction and CLIL (Content and Language Integrated Learning) have been the subject of much scholarly discussion with a focus on the beneficial effects on the acquisition of the foreign language (for an overview e.g. Bonnet 2016, Diehr 2013, Festman in this volume, Heine 2013). A new orientation towards research of content and two languages as key features of bilingual instruction has only recently emerged, placing the acquisition of subject-specific competence in two languages (L1 and L2) 14 , also termed dual subject literacy (= doppelte Sachfachliteralität, cf. Vollmer 2005: 134), on the agenda of research programmes (Diehr & Schmelter 2012, Diehr et al. 2016). If future studies are to take account of the complexity of dual literacy acquisition in bilingual learning environments, the notion of the bilingual mental lexicon has to be included in such a discussion. The present paper takes the notion of embodied cognition as the basis of conceptual learning (cf. Kiefer in this volume) and argues that, in addition, the process of knowledge and language acquisition is to be seen as enculturated cognition. To put forward the view that our mental and linguistic representation of reality is also culturally shaped, the Integrated Dynamic Model (IDM) (Diehr 2016) of the bilingual mental lexicon is presented in order to give future research and development a sound theoretical foundation. This modification of existing models also illustrates why a pedagogical framework of bilingual learning and teaching has to specify those learning arrangements and classroom conditions that help bilingual learners master such complex requirements. 14 The short forms L1 (for first language and language of schooling) and L2 (for second language in the sense of a foreign language) will be used in this article. This, however, does not imply that German is thought to be the L1 for all learners in German schools. Furthermore, English (here L2) is not to be understood as learners’ second language but foreign language. <?page no="152"?> Bärbel Diehr 152 2 Conceptual Knowledge and Linguistic Knowledge in the Bilingual Mental Lexicon The notion of conceptual learning in two languages is currently under discussion in a number of theoretical publications especially in linguistics, psychology, and foreign language teaching. Kiefer (in this volume) examines the triadic relationship between objects, their mental representation and their lexical representation. In this relationship a speaker’s first language and foreign language are intricately intertwined. Giving an overview of different models of the bilingual mental lexicon, Heine (2014) confirms that research into bilingual education/ CLIL still lacks theoretical underpinning in this respect. Since the 1990s scholars have increasingly been dedicating their research interests to the question of how the relationship between the conceptual representation and development of knowledge on the one hand and the two language stores on the other hand could or should be defined (e.g. Altarriba & Isurin 2013, Cook & Bassetti 2011, Pavlenko 2009b, 2014). While Heine (2014: 229) does see some progress in the theoretical modelling and acknowledges the merits of Pavlenko’s (2009a) model, it must be conceded that even this model does not fully explain the integrative nature of linguistically mediated subject learning and its distinctively dynamic development in bilingual learning environments. The main objective of any subject learning is the acquisition of subject-specific concepts. According to Pavlenko’s definition, lexical concepts are regarded as “linguistic categories linked to words (Malt et al. 1999, 2003) that develop in the process of language socialization with the aid of autobiographic and episodic memory. In the view adopted here, lexical concepts are seen as multimodal mental representations” (Pavlenko 2009a: 132). A concept in this paper is seen as a mental representation of a complex, yet coherent and structured knowledge entity, such as, for instance, WATER CYCLE or ME- TABOLISM. 15 The complexity of the mental lexicon constructed through bilingual instruction results from learners’ acquisition of subject-specific concepts taught and learned through the foreign language, for which learners quite often have not yet acquired (appropriate) mental representations. For some scholars, as for instance Hallet (2002: 119), bilingual instruction is intended to help learners establish and develop subject-specific, theory-based concepts and the matching terminology in the L2. Terms such as metabolism (Biology) (Laupenmühlen 2012), precipitation (Geography) (Hallet 2002), primary colours (Fine Arts) (Rymarczyk 2012) or Fashoda incident (History) (Geiss 2012) may serve as examples of such conceptual 15 A distinction is made here between references to concepts and references to the lexical items naming those concepts. Within this article, references to concepts will be indicated through the use of capital letters. <?page no="153"?> Language, Cognition, and Culture 153 learning to illustrate that, in the process of constructing new knowledge structures, bilingual instruction cannot or can only rudimentarily build on previously acquired terms in the L1, because learners are not familiar with the underlying concepts in their L1 either. Attempts to explain conceptual learning with the help of one of the early models of the bilingual mental lexicon, such as Kroll and Stewart’s (1994) Revised Hierarchical Model (RHM), would prove to be problematic. The merits of Kroll and Stewart’s model can be seen in their provision of explanations, derived from empirical studies, for links of different strengths between the L1 and the L2 and the concepts stored in the bilingual mental lexicon. According to their model, a strong conceptual link may be assumed between an L1 word such as Regen and its conceptual meaning for children growing up in Germany who acquire and use this word from an early age. When, in the context of English language instruction, the new L2 word rain is introduced for the previously acquired concept REGEN, foreign language learners, especially beginners, process this new word lexically, i.e. they link it to the word in their L1. Thus it seems reasonable to assume that for native speakers of German the conceptual link between rain-REGEN is weaker than the conceptual link between Regen-REGEN. In more general terms, this may imply that the connection between an L2 word and its concept is less often activated and - if it is activated - a lexical link is only established, metaphorically speaking, by taking a detour through the L1 store. Furthermore, the RHM helps to capture the different sizes of leaners’ L1 and L2 lexical stores assuming that the L1 store contains more lexical items than the L2 store and provides access to more mental representations of conceptual knowledge. These differences can be attributed to the fact that children are exposed to the L1 more often and for longer than to the L2. However, the RHM does not apply if a new concept such as PRECIPITA- TION is to be constructed in a CLIL environment where learners acquire the L2 word before they know what Niederschlag refers to. Content subjects taught primarily in the foreign language (bilingual instruction of type A, Diehr 2012: 23ff.) facilitate the growth of learners’ topic-specific L2 store during their conceptual learning and knowledge acquisition process, whereas the L1 store remains unaffected in such inappropriately termed ‘bilingual’ learning environments. The problem resulting from such missing links to the L1 word or unstable conceptual links between a concept and the matching L1 word cannot be ignored in primary and secondary schools. What needs to be emphasized from a theoretical perspective is the fact that the RHM is neither suitable nor complex enough to further research on bilingual learning. In addition, the RHM’s underlying assumption of one common conceptual store, encompassing knowledge to be formed in both languages, also proves to be rather problematic. While exact equivalence of concepts is given for technical terms such as Niederschlag and precipitation, only partial equivalence can be found in a multitude of words provided as translation equivalents in bilingual word lists <?page no="154"?> Bärbel Diehr 154 (Lindemann & Diehr 2016). The complexity of bilingual language use alluded to here is also discussed in Bassetti and Cook (2011: 172ff.) who take the example of the English word lunch and compare it to the Italian word pranzo to illustrate, first of all, that certain conceptual elements are culturally inflected and, secondly, that only on the surface does it seem that there is one common concept for both words. Based on the differences Pavlenko (2009a) identified between the seemingly equivalent concepts of L1 and L2 speakers, she put forward a revised version of the RHM, named the Modified Hierarchical Model (MHM), which depicts the conceptual store in a more complex and differentiated manner than the RHM. The MHM is suitable for displaying culturally mediated conceptual differences which occur when, for instance, a concept like MIT- TAGESSEN, on the one hand, contains elements (Pavlenko’s categories) common to both languages, such as the time of the day people usually have this meal, but on the other hand also consists of categories only related to one of the two language systems, such as the manner or nature (hot or cold, snack or five-course menu). According to Pavlenko’s MHM, bilingual language use would still imply the existence of strong connections between L1 lexemes and L1 conceptual categories. Another underlying assumption of this model suggests that it is also possible for bilingual speakers to activate L2-specific categories (although those connections might be weaker ones) whenever the situational context (e.g. when communicating with a native speaker) requires it (Pavlenko 2009a: 147ff.). Comparing the MHM to previous models, it can indeed be regarded as a progressive model as it also takes account of a potential transfer that might take place between an L2 word and a subject-specific concept. Following a culturally determined change of perspective, e.g. when moving to a country where the L2 is spoken as the L1, the L2 learner’s conceptual store is likely to display distinct links to the L2 linguistic store. The following example, referring to bilingual instruction of history, serves to illustrate that: The ability to differentiate between the categories available in German for the concept KLATSCHMOHN (Papaver rhoeas) (a flowering plant with red petals belonging to the poppy family (Papaveraceae), growing on fields in summer) and the categories of the English term poppy, an emotionally charged symbol for the soldiers killed during WWI (artificial poppies are worn in Britain each November in commemoration of the servicemen killed in war), can be displayed more appropriately in the MHM than in the RHM. The MHM still suggests a dominance of concept and language acquisition in the L1. This dominance, though, is undermined by bilingual subject-specific instruction, or CLIL, when new concepts are formed with the help of the L2. Thus, a modified model of the bilingual mental lexicon is needed. The In- <?page no="155"?> Language, Cognition, and Culture 155 tegrated Dynamic Model (IDM) takes into account four features of the acquisition of competences within bilingual learning contexts. These features have not been displayed in any of the models available to date (see figure 1). a) The IDM displays the L1 and L2 language stores and the conceptual store as dynamic entities represented by boxes framed by dotted lines, as it can be assumed that the size of the stores changes in the course of the learning process. Whenever subject-specific concepts such as, for instance, PRIMARY COLOUR are acquired in fine arts lessons taught monolingually in English, the L2 store expands (e.g. Red is a primary colour.) while in a monolingual CLIL lesson the L1 language store, containing German words, does not expand. b) With regard to subject-specific concepts it can no longer be assumed that L1 lexical-conceptual links are stronger than the ones in the L2. Although for most bilingual learners their L1 would still be the more dominant language, communication about topics taught through the medium of English (e.g. the human eye in biology lessons) can potentially result in a stronger link between the L2 word (cataract) and its subject-specific concept (CATARACT) because, or if, the concept labelled in the L1 (LINSENTRÜBUNG) is not constructed. Learners might be able to describe this eye disease with the help of colloquial expressions (e.g. some sort of film on the lens of the eye), the L1 technical term, however, is missing unless it is explicitly taught. Fig. 1: Integrated Dynamic Model of the mental lexicon of bilingually instructed learners. c) It is for this particular reason that a distinction is made in the IDM between everyday language and scholarly, technical language, both in the L1 and the L2 stores. Strictly speaking, further distinctions should be made, e.g. <?page no="156"?> Bärbel Diehr 156 between classroom discourse and symbolic language (Wolff 2012: 24ff.). The IDM, however, only distinguishes between the two registers - roughly resembling those introduced by Cummins’ distinction between BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills) and CALP (Cognitive Academic Language Proficiency) (Cummins 1979, 1999) - to avoid further increase of the model’s complexity. In the IDM, both everyday language and technical language are integrated in each of the two language stores as they interact with each other and are both activated and used in academic discussions of research findings and their relevance for our everyday life (e.g. in a discussion about global warming and consumer habits). Merely knowing technical terms in a discussion with well-informed interlocutors does not suffice. In addition, subject-specific genre knowledge (e.g. knowledge about test reports, knowing how to verbalize tables, or knowing how to transform information displayed in graphs into coherent spoken text) and the ability to present subject-specific content fluently are further requirements for participating in learned discourse. Considering the practical implications for bilingual instruction, this distinction is, in fact, quite significant, as the interaction between the L1 and the L2 may have an impact on the activation of prior knowledge and pre-concepts, and on the transfer of newly acquired concepts. d) With regard to the conceptual store’s structure, the IDM distinguishes between different degrees of equivalence, and, by so doing, takes account of the current debate about language and cognition. The model is based on the assumption that, in bilingual instruction, firstly, concepts are introduced for which there is full equivalence of meaning, regardless of whether a term is provided in the L1 or in the L2. Full equivalence is, for instance, given for words such as ‘precipitation’ and Niederschlag. Secondly, for many concepts, though, only partial equivalence exists as Pavlenko’s MHM (2009a) illustrates. The concept SCIENCE, for example, shares many semantic components with the concept WISSENSCHAFT. However, native speakers of German and English do activate different categories with the words Wissenschaft and science. Not taking into consideration those different language-specific categories might lead to misunderstandings in communication. This might be the case, for instance, if a native speaker of German refers to Literaturwissenschaft as science (instead of ‘literary studies’), thus unintentionally signaling to an English-speaking interlocutor that a discussion about sciences is about to be held. Thirdly, non-equivalence between terms occurs if L2 words (such as tube), which are similar in form to words in the L1 (here German: Tube), are used in bilingual instruction. Such words may cause learners to falsely assume that semantic equivalence between the two words exists: when setting up their experiments, learners in bilingual chemistry lessons, for instance, may easily overlook the test tube when looking for a Tube (false friend). Fourthly and finally, those cases have to be mentioned in which a lexical gap exists because a corresponding concept is missing in the learner’s L1. The English word half <?page no="157"?> Language, Cognition, and Culture 157 term may serve as an example for such a case. Half term, a technical term used in the context of the educational system in Great Britain, refers to the one-week break in the middle of each term in the three-term school year. Native speakers of German, however, are not familiar with the word, nor do they know about this phenomenon because these three separate holiday weeks do not exist within Germany’s educational system. In the preceding description the IDM is conceptualised as a model of the bilingual mental lexicon with the term lexicon being used metaphorically, in the sense of encyclopedia. As the IDM explains the relationship between lexical and conceptual knowledge it may also be regarded as a model of representation. 3 Practical Implications for Bilingual Instruction As regards the practical implications for bilingual instruction, at present only tentative suggestions may be made drawing on the considerations mapped out above. In view of the current state of research it seems advisable to exercise caution: On the one hand, empirical evidence, calling for the practical implementation of two-language practices in truly bilingual instruction, has not yet been provided. On the other hand, empirical evidence, proving that dual subject literacy develops automatically without sufficient support or with merely the help of bilingual word lists in monolingual CLIL classes, has not been given either. Thus, what is needed first is a discussion, in which the objective of acquiring subject-specific discourse competence in two languages is specified. Such a discussion is of great importance because the call for dual language use in bilingual teaching neither advocates unsystematic or inconsiderate code-switching, nor does it imply that German, being the official school language, should be the dominant language in bilingual classes. Rather, learning arrangements and tasks ought to be designed and tested, which would both enhance the development of subject-specific L2 proficiency and provide opportunity for its acquisition in the L1. According to the IDM, dual subject literacy comprises knowledge about culture-specific and context-specific categories, as well as non-equivalent components of subject-specific concepts, knowledge about different text types (genre competence), and the ability to entertain subject-specific discourse in both the L1 and the L2. If the aim of bilingual instruction is the acquisition of dual subject literacy as defined above, then teachers need to have acquired a high level of linguistic, subject-specific, and cultural competence themselves. Learners’ attention should be explicitly drawn to different levels and degrees of equivalence, to differences in register, and to particular cultural conventions within a subject-specific discourse. In bilingual instruction, contrastive <?page no="158"?> Bärbel Diehr 158 techniques are particularly conducive to understanding key terms, especially when examining their etymological make-up. Consequently, shifting from one language to the other should serve a teaching function and be carefully planned (Frisch 2016); and it should enhance the deepening and contrasting of concepts (Schmelter 2012: 49). For the purpose of consolidating newly acquired knowledge, Bohn and Doff (2010: 88f.) recommend mediation tasks and L1 (German) summaries of previously acquired knowledge in the L2 (English). Considering that only a small amount of genuinely bilingual teaching material has become available so far (for instance Weeke & Zieger 2008, Lindemann & Lüchau 2016), much more material has to be developed in two languages. 4 Researching Bilingual Learning Gauging the necessity of dual language use in bilingual teaching and its effect on learning progress requires further research through empirical studies in which the subject-specific competence of L2 monolingually instructed learners is compared to the competence of bilingually (L2 and L1) instructed learners (e.g. Botz & Diehr 2016). In such studies, learners’ linguistic and conceptual knowledge could be examined with the help of the IDM. Data should be collected in both groups using the same instruments in German and in English in order to test the hypothesis of learners’ implicit development of L1 subject literacy. Most recent studies, such as from Gablasova (2014, 2015), raise doubts about the validity of this assumption. However, a more thorough examination within the context of bilingual learning in schools is needed. Furthermore, using the IDM as their underlying theoretical framework, case studies could be carried out, focusing on the differences of subject-specific concepts in the languages at hand. Within the context of bilingually instructed learners, the particular conditions for their mental lexicon’s further development could be analysed in greater detail. Based on such studies, the discussion about conditions beneficial to the depth of processing could be continued (Craik & Lockhart 1972, Heine 2010). So far, a small number of studies have presented contradictory findings: on the one hand, they suggest that the depth of processing may increase when the L2 is used (e.g. Heine 2010); on the other hand, they reveal that the processing of subject-specific content may be both incomplete and insufficient when the L2 is used (e.g. Kondring & Ewig 2005, Gablasova 2015). Studies of different formats of bilingual instruction (Böing & Palmen 2012: 88) are also needed which, on the one hand, draw on the principles of design research (e.g. Komorek & Prediger 2013, McKenney & Reeves 2012) and, on the other hand, shed light on those teaching principles necessary for enhancing the development of dual subject literacy and increasing learners’ <?page no="159"?> Language, Cognition, and Culture 159 motivation. Furthermore, design-based research would be desirable which could examine different models of phasing the acquisition of conceptual knowledge in bilingual learning environments. While in mainstream non-bilingual lessons concepts are activated through L1 use, in bilingual classrooms the articulation of prior knowledge in the L2 is especially challenging for younger and weaker learners as their L2 lexicon is usually smaller than their L1 lexicon. Therefore, the smaller a learner’s vocabulary, the more difficult it is to activate pre-concepts with the help of the L2. Whether the selective use of the L1 might enhance learning processes and increase learners’ motivation especially in the initial phases of bilingual instruction is a new research question. Conversely, looking at the role of the L2, a similar question can be asked with regard to conceptual transfer and reflection processes in subject-specific instruction: Can a greater depth of conceptual processing be achieved at the end, if learners reflect upon concepts in the L1 or L2? Or does a discriminating use of two languages even lead to an especially broad and deep understanding of concepts? Are learners, who are instructed in the L2, automatically able to transfer L2 subject-specific terminology into the L1 and its related subject discourse? A crucial issue raised by Julia Festman (cf. in this volume) in the context of teaching bilingual and multilingual learners is the strain that constant inhibition of one language (L1) puts on learners when they are using another language (L2) in a learning environment. They may require specific scaffolding to ease the cognitive load of inhibiting the language not actively used. Theoretically speaking, switching a language always implies a shift of cultural perspective since culture-specific schemata manifest themselves in linguistic structures. Learners, however, are often not aware of this shift because they usually acquire knowledge about the cultural implications of words only in their L1 but not in the L2 (e.g. Lindemann & Diehr 2016). Thus, research is needed on effective classroom procedures that do not only initiate conceptual change but also stimulate a cultural change of perspective. Expectations for bilingual instruction are high: It is supposed to draw on principles such as learner orientation, language learning and cultural awareness. Furthermore, it is expected to take account of individual learners’ multilingual backgrounds, including those learners whose first language is not German. Both teachers and learners in schools rely on new research findings if those expectations are to be fulfilled. Analyzing the effects of both monolingual learning environments (Type A) (Diehr 2012: 23ff.) and bilingual learning environments (Types B and C) (Diehr 2012: 25ff.) and examining the conditions conducive to the acquisition of dual subject literacy mark the pressing issues for further research. The IDM is recommended for research on bilingual instruction that is based on the principles mentioned above. Furthermore, there is a demand for studies on teaching ideas and methodological schemes for dealing with partial conceptual equivalence between two languages, on <?page no="160"?> Bärbel Diehr 160 functional language change, and the integration of native languages other than German. Given those circumstances, bilingual instruction may continue to be the driving force behind multilingual education and innovation in teaching. References Altarriba, J. & Isurin, L. (Eds.). (2013): Memory, language, and bilingualism: Theoretical and applied approaches. Cambridge: Cambridge University Press. Bassetti, B. & Cook, V. (2011): Relating language and cognition: The second language user. In: Cook, V. & Bassetti, B. (Eds.): Language and bilingual cognition. New York: Psychology Press, 143-190. Bohn, M. & Doff, S. (2010): Biologie bilingual: Die Perspektive der Unterrichtspraxis. In: Doff, S. (Ed.): Bilingualer Sachfachunterricht in der Sekundarstufe. Eine Einführung. Tübingen: Narr, 72-88. 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Berlin: LIT Verlag, 21-34. <?page no="163"?> Julia Dose & Tanja Müller Der „Meshed Methods-Ansatz“ am Beispiel evidenzbasierter Inklusionsforschung 1 Herausforderung für die Forschung: Risikokinder in der Schule Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2009 sollte (nicht nur) bildungslandschaftlich gesehen ein Ruck durch Deutschland gehen, indem „besonders <vulnerablen> und von Marginalisierung“ (Lindmeier 2008: 364) betroffenen Lernenden das Recht auf Bildung zugestanden wird (UN-BRK Artikel 24). Damit ist weniger die Umgestaltung des Bildungssystems wie die Abschaffung von Förderschulen zu verstehen als vielmehr die Öffnung aller Schularten für die Aufnahme der Lernenden. Das bedeutet konkret bei der Fokussierung auf Lernende mit Behinderung (Lindmeier & Lütje-Klose 2015: 7f.), dass diese an allgemeinbildenden Schulen lernen, aber auch umgekehrt, dass Schülerinnen und Schüler der allgemeinbildenden Schule ebenso an Förderschulen unterrichtet werden können, wobei die tatsächliche Umsetzung auf Ersterem beruht. In diesen höchst heterogenen Klassenräumen befinden sich Lernende, die als Risikokinder bezeichnet werden. Während dieser Begriff, ähnlich wie der Terminus behinderte Menschen oder Behinderte, impliziert, dass das Risiko bzw. die Behinderung den Menschen immanent sind, betonen beispielsweise Langner (2015: 20) oder Feuser (2001: 2), dass es nicht die Menschen, sondern vielmehr die Lebensbedingungen sind, die diese Menschen behindern. Ellinger et al. (2007: 9) sprechen im Kontext von Risikokindern von „Kinder[n] und Jugendliche[n] in riskanten Lebenslagen“. Diese Lebenslagen werden dabei als bildungsfern beschrieben und bleiben oftmals über Generationen hinweg bestehen. Außerdem tritt in den risikobehafteten Bereichen der sozialen Gesellschaft häufig ökonomische Armut auf. Ein Zugang zu kulturellen Ressourcen bleibt oftmals verwehrt. Das Vorhandensein von sozialen Netzwerken kann nach Ellinger et al. (ebd.) nicht vorausgesetzt werden. All diese Beschreibungen treffen oftmals auf Kinder mit Migrationshintergrund zu, auf welche Julia Festman in ihrem Vortrag im Kontext von Mehrsprachigkeit Bezug nimmt (vgl. in diesem Band). Sie zeigt auf, dass das Aufwachsen in bilingualen Kontexten sowohl vorteilhaft als auch mit Risiken verbunden sein kann. Forschungen von Festman weisen darauf hin, dass die Mehrsprachigkeit allein nicht der ausschlaggebende Faktor ist, junge Lernende in den Kontext von Risikokindern zu stellen. Verschiedene Untersu- <?page no="164"?> Julia Dose & Tanja Müller 164 chungsgruppen weisen einen kognitiven Vorteil basierend auf der Mehrsprachigkeit auf, während andere, laut Festman, häufig diejenigen, die zur Gruppe der Switcher zählen, mit größeren Schwierigkeiten und Nachteilen zu kämpfen haben. Während Festman sich in ihrem Vortrag auf das Aufwachsen im zwei- oder mehrsprachigen Kontext und die damit verbundenen kognitiven Vor- und Nachteile fokussiert, konzentriert sich dieser Artikel auf Lernende in riskanten Lebenslagen im Kontext von Inklusion (Dose 2017) und auf die Frage, wie diesen Schülerinnen und Schülern Fremdsprachenerwerb ermöglicht wird und dabei auftretende Herausforderungen überwunden werden. Der vorliegende Artikel bildet quasi das Inversbild zu Festmans Beitrag, womit - zusammengesehen - beide Ansätze die Pole der diversifizierten Chancen von Spracherwerb darstellen. 2 Förderschwerpunkt Lernen Nicht erst seit der UN-BRK wurden ähnliche spezifische Ansprüche von Lernenden zu sogenannten Förderschwerpunkten 16 zusammengefasst, wobei betont werden muss, dass auch Lernende ein und desselben Förderschwerpunktes nicht zwingend identische Ansprüche haben, sondern in sich wiederum sehr heterogen sein können. Der Förderbereich, in dem die oben beschriebenen Charakteristika von Kindern/ Jugendlichen in riskanten Lebenssituationen kumulieren, ist der Förderschwerpunkt Lernen, dem laut Klemm (2015: 31f.) rund 61 % der 500.500 Lernenden mit statuiertem Förderbedarf angehören. Zwar ist nicht abschließend geklärt, welche Faktoren einen negativen Entwicklungsverlauf begünstigen und damit in den Charakteristika dieses Förderschwerpunktes resultieren, jedoch benennt Schröder (2005: 178ff.) unter anderem:  die sozioökonomische/ soziokulturelle Benachteiligung,  die daraus resultierenden schulischen Benachteiligungen,  organische Funktionsstörungen sowie  eine geminderte Intelligenz 17 . Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler, denen ein Förderbedarf im Bereich Lernen statuiert wurde, stammt aus dem sogenannten Prekariat (Wocken 2000 & Koch 2004), der gesellschaftlichen Unterschicht. Im unterrichtlichen Kontext äußern sich bei diesen Lernenden Auffälligkeiten, die die 16 Im Rahmen dieses Beitrags kann nicht auf die Begriffs- und Kategorisierungsdebatte eingegangen werden. Es wird an dieser Stelle Dederich (2015: 204) gefolgt, der für einen besonnenen Umgang mit Kategorisierungen plädiert und gleichzeitig die Wichtigkeit dieser für eine klare Kommunikation hervorhebt. 17 Hier als nicht unumstrittener Faktor (vgl. beispielsweise Klauer & Lauth 1997, Löser 2013, Schulz & Michalak 2015) zu verstehen. <?page no="165"?> Der „Meshed Methods-Ansatz“ am Beispiel evidenzbasierter Inklusionsforschung 165 Strategieanwendung (beispielsweise während des Lösens von Aufgaben), die Arbeitsorganisation, das Erinnerungsvermögen und die Attribution betreffen (Dose 2017). Wesentlich dabei ist, dass alle Lernbereiche und Fächer gleichermaßen sowie zeitlich überdauernd von diesen Schwächen betroffen sind und nicht nur Teilbereiche, wodurch der Förderschwerpunkt von den sogenannten Lernschwierigkeiten abzugrenzen ist (Klauer & Lauth 1997). Durch solche umfassenden und überdauernden Beeinträchtigungen des Lernens wurden Schülerinnen und Schüler dieses Förderschwerpunktes früher oftmals an Förderschulen mit im Vergleich zu Regelschulen reduziertem Lehrplan unterrichtet, der unter anderem das Erlernen einer Fremdsprache nicht vorsah (Morse 2008). Aufgrund der Zuteilung zur Sonderschule mit nur eingeschränkten Lerninhalten ist das Verbleiben des Kindes in der sozialen Schicht nahezu vorbestimmt. Es bleibt von bestimmten Angeboten ausgeschlossen und der Weg des gesellschaftlichen Aufstiegs ist dadurch von Anbeginn erschwert, wenn nicht sogar verbaut. Diesem Ausschluss, beispielsweise aus dem Fach Englisch, wurde durch die UN-BRK und das Konzept des inklusiven Unterrichts entgegengewirkt, sodass jetzt auch Schülerinnen und Schülern des Förderschwerpunktes Lernen an allgemeinbildenden Schulen Englisch als Fremdsprache lernen können. Aufgrund der zuvor beschriebenen Herausforderungen im Bereich Lernen dieser Schülerinnen und Schüler und der Problematik der möglichen Überforderung, z.B. durch Fremdsprachenunterricht, befasst sich das Promotionsprojekt Inklusiver Englischunterricht von Dose (2017) mit der zentralen Frage, wie Lehrende ihren Englischunterricht konzeptionell an die Bedürfnisse der Kinder mit Förderbedarf Lernen anpassen. Zentrales Element dieses Projektes ist dabei die Verknüpfung von qualitativer und quantitativer Forschungsarbeit, die eine Positionierung im Diskurs von Triangulation und Mixed Methods erforderte. Dies führte im Rahmen des Doktorandenkolloquiums der Professur für Didaktik der englischen Sprache und Literatur der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zur Beschreibung des Meshed Methods-Ansatzes, welcher im Kontext der Vorstellung des Forschungsdesigns im folgenden Kapitel dargestellt wird (vgl. Böttger & Müller 2018). 3 Meshed Methods in der empirischen Studie zum inklusiven Englischunterricht Als gegen Ende das Jahres 2014 mit der oben genannten Forschung zum Thema Inklusiver Englischunterricht begonnen wurde, zeichnete sich während der vorbereitenden Phase, bestärkt durch eine Vorstudie (vgl. Abb. 1), ab, dass explorative Forschungsarbeit betrieben werden musste, da es bis dato keine oder kaum Studien auf dem Gebiet gab. <?page no="166"?> Julia Dose & Tanja Müller 166 Abb. 1: Struktur des Forschungsprozesses - Dose (2017) in Anlehnung an Gläser & Laudel (2010: 35) Da wahrscheinlich auch durch die kontroverse Diskussion um die Leistungen der Lernenden im inklusiven Unterricht bis dahin vor allem auf die Performanz der Schülerinnen und Schüler (sowohl mit als auch ohne Förderbedarf) Wert gelegt wurde, jedoch fachspezifisch nicht beschrieben werden konnte, wie inklusiver Englischunterricht in der Praxis gestaltet wird, wurde der Fokus des Forschungsprojektes auf Lehrende gelegt und die Forschungsfrage wie folgt formuliert: Wie wird derzeit inklusiver Englischunterricht für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen praktiziert, welche sind daraus resultierende Konsequenzen? 3.1 Teilstudie 1: Qualitative Forschungsarbeit Im Rahmen der explorativen Forschungsarbeit wurden Experteninterviews in Form von halbstandardisierten Leitfadeninterviews als adäquate Forschungsmethode herausgearbeitet (Flick 2016: 214, Bogner & Menz 2002: 37), um die Ansätze und Konzepte von Lehrkräften in einer gewissen Vergleichbarkeit explorieren zu können. Die Fragenformulierung gibt den Interviewten die Möglichkeit zur freien Beantwortung und ermöglicht dem Interviewer ein flexibles Reagieren. Durch entsprechende weitere Abwägungen während der vorbereitenden Phase der Studie ergab sich die Befragungstypologie der ersten, qualitativen Teilstudie (vgl. Tab. 1): Kommunikationsform (Interviewsituation - Befragungsinstrument) teilstrukturiert - teilstandardisiert Kommunikationsart mündlich Befragungssetting Einzelbefragungen N= 25 Durchführungsform mündlich: face-to-face persönlich telefonisch Datenerfassung Interviewleitfaden Tab. 1: Befragungstypologie der ersten Teilstudie (Dose 2017) <?page no="167"?> Der „Meshed Methods-Ansatz“ am Beispiel evidenzbasierter Inklusionsforschung 167 Die Erkenntnisse, die durch die Leitfadeninterviews hinsichtlich der Beantwortung der Forschungsfrage erlangt wurden, sollten das Formulieren von Hypothesen ermöglichen. Dafür wurden, neben den Notizen auf dem Interviewleitfanden, die Interviews nach Einwilligung der Teilnehmenden aufgezeichnet, im Anschluss transkribiert und mithilfe des Programms MAXQDA kodiert. Kritisch reflektiert wurde während der Datenanalyse der Umstand, dass bei der qualitativen Forschung das Gütekriterium der Objektivität nicht erhalten werden kann, sondern vielmehr als Teil des Konzeptes der Forschung verstanden wird (Flick et al. 2015: 23). Dies wurde klar als Limitierung der Studie von der Forscherin aufgefasst, da die Möglichkeit besteht, dass die formulierten Hypothesen lediglich auf das Sample der Teilstudie zutreffen und eine Generalisierung der Erkenntnisse nicht möglich wäre. Da jedoch der Anspruch der Generalisierbarkeit der Daten an das Forschungsdesign gestellt wurde, ergab sich ergänzend der Bedarf einer quantitativen Untersuchung. 3.2 Teilstudie 2: Quantitative Forschungsarbeit Um dem Gütekriterium der Objektivität zu entsprechen, wurde während der vorbereitenden Phase deutlich, dass die zweite Teilstudie, die zusammen mit der ersten die Hauptstudie des Forschungsprojektes darstellt, hochstandardisiert konzipiert werden musste. Aus diesem Grund ergab sich die folgende Befragungstypologie (vgl. Tab. 2): Kommunikationsform (Interviewsituation - Befragungsinstrument) hochstrukturiert - standardisiert Kommunikationsart Schriftlich Befragungssetting Einzelbefragung N=67 Durchführungsform schriftlich: internetgestützt Tab. 2: Befragungstypologie der zweiten Teilstudie (Dose 2017) Durch die Entscheidung, im Rahmen des Forschungsprojektes nicht monomethodisch vorzugehen, sondern die qualitative und quantitative Forschung zu verknüpfen, ergab sich ein komplexes, an die spezifischen Bedarfe der Fragestellung angepasstes Forschungsdesign, dessen Eingliederung zunächst in die Ansätze der Mixed Methods (Kuckartz 2014) und der Triangulation (Flick 2013) versucht wurde. Jedoch zeigte sich während der Auseinandersetzung mit beiden Ansätzen, dass im aktuellen Diskurs kein einheitliches Verständnis vom Verhältnis zwischen beiden vorliegt. So sind verschiedenste Verständnisse zu finden, die von der Gleichsetzung beider über den hyperonymen <?page no="168"?> Julia Dose & Tanja Müller 168 Gebrauch des einen bis hin zur klaren Unterscheidung beider (Stichwort: Paradigm Wars) reichen. 18 Eine Positionierung für Forschungsarbeiten, die qualitative und quantitative Forschungen miteinander verknüpft, erschien unausweichlich. Das Positionieren der Forschung konnte ebenfalls nicht ohne längere Erklärung erfolgen - und griff meist zu kurz oder tangierte die Diskussion nur an der Oberfläche. Aus diesem Grund kam es zur Generierung des Terminus Meshed Methods, dessen Ansatz im folgenden Kapitel erläutert wird. 4 Meshed Methods als Verknüpfung qualitativer und quantitativer Forschung Im Rahmen des Doktorandenkolloquiums an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt wurde deutlich der Aspekt der heterogenen Forschungslage thematisiert und herausgearbeitet: Während Döring et al. (2016) beispielsweise Triangulation als Verknüpfung unterschiedlicher Methoden innerhalb der qualitativen Forschung und kontrastierend unter Mixed Methods die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden verstehen (ebd.: 27), sieht Kuckartz (2014: 47) diese Unterscheidung nicht und stellt eher Differenzen im paradigmatischen Diskurs heraus. Hingegen erläutert Flick (2011: 76ff.), dass Mixed Methods quasi als Teilaspekt von Triangulation zu verstehen sei, bei welchen zunächst quantitativ und im Anschluss qualitativ geforscht wird. Der Bedarf der Suche nach einem neuen Terminus, der das Verknüpfen von qualitativer und quantitativer Forschung umschrieb, ohne dabei die bereits mit Konnotationen versehenen Begriffe Triangulation und Mixed Methods zu verwenden, lag auf der Hand. Mit der Einführung des Begriffs Meshed Methods durch die beiden Verfasserinnen (Dose & Müller) sollte diesem Desiderat Rechnung getragen und weiter für Forschungsprojekte der Professur, die eine Kombination quantitativer und qualitativer Ansätze anstreben, verwendet werden. Unter Meshed Methods wird die Verknüpfung von qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden zu verschiedenen Zeitpunkten der Forschungsarbeit ohne sequenzielle Vorgaben verstanden, wobei die Methoden sowohl qualitativer als auch quantitativer Art sein können. Im Sinne des Meshed Methods-Ansatzes findet somit im Forschungsprojekt die Verknüpfung von qualitativer und quantitativer Forschung an verschiedenen Stellen statt (vgl. Abb. 2): 18 Vgl. beispielsweise Döring et al. (2015), Flick (2013), Kuckartz (2014) oder Mayring (2001). <?page no="169"?> Der „Meshed Methods-Ansatz“ am Beispiel evidenzbasierter Inklusionsforschung 169 Abb. 1: Zeitlicher Ablauf des Forschungsprojekts (Dose 2017) Durch die Kombination nach dem Meshed Methods-Ansatz ist es möglich, die Schwachstellen der jeweils anderen Methode zu kompensieren (Flick 2016) <?page no="170"?> Julia Dose & Tanja Müller 170 und ein möglichst holistisches Bild des Forschungsgegenstandes zu zeichnen. Im Kontext des beschriebenen Forschungsprojektes wurden so nicht nur die abgeleiteten Hypothesen als Grundlage für die quantitative Befragung genutzt, sondern darüber hinaus auch in der Phase der Dateninterpretation miteinander verknüpft. Außerdem wurden die qualitativen Daten zur Kontextualisierung der quantitativen Ergebnisse verwendet (vgl. Abb. 4). Zu der Verwendung verschiedener Forschungsmethoden kam noch die Literaturarbeit, durch welche aus theoretischer Sicht Grundsätze des inklusiven Unterrichts herausgearbeitet wurden. Auf diese Weise konnte eine weitere Verknüpfungsebene zwischen theoretischen Ansprüchen und Erkenntnissen aus der praktischen Umsetzung hergestellt werden, sodass es nur durch den komplexen Meshed Methods-Ansatz über die Generierung von Hypothesen hinaus zu einem Abgleich zwischen theoretischen Forderungen und Realität der Praxis kommen konnte. 5 Mehrwert der Methodenkombination Durch die Anlage des Forschungsprojektes im Sinne der Meshed Methods konnten Hypothesen, beispielsweise im Hinblick auf die verwendeten Konzepte und Ansätze der Lehrenden, die dem inklusiven Englischunterricht zugrunde liegen, generiert und ebenfalls hinsichtlich ihrer Generalisierbarkeit überprüft werden. Auf diese Weise konnten im Rahmen des Promotionsprojektes Erkenntnisse im Kontext der inhaltlichen Reduktionen des Englischunterrichts, der Ansätze zur Separation und Teamarbeit mit den im Unterricht anwesenden Kolleginnen und Kollegen gewonnen werden. Die Lehrkräfte nehmen für die Entwicklung der Teilkompetenzen der Schülerinnen und Schüler eine Gewichtung vor. Die Ausbildung von Kompetenzen im Bereich Rechtschreibung wird beispielsweise von den Lehrenden als unwichtiger eingestuft als Sprechen/ an Gesprächen teilnehmen. Die unterrichtlichen Inhalte werden unter der Lupe des sogenannten Basiswissens betrachtet, welches als für das Alltagsleben der Schülerinnen und Schüler mit Förderschwerpunkt essenziell eingestuft wird. Durch das adaptive Unterrichten, das beispielsweise die Reduktion des Wortschatzes oder des Umfangs der vermittelten Grammatik beinhaltet, versuchen die Lehrenden, Kindern mit Förderbedarf einen Zugang zu Fremdsprachen zu ermöglichen, ohne sie dabei zu überfordern. Erst durch die Neudefinition des Meshed Methods-Ansatzes, war eine erfolgreiche Bearbeitung des komplexen Themas zufriedenstellend erreichbar, da der Ansatz alle für die Forschungsabsicht nötigen Verknüpfungen von qualitativen und quantitativen Methoden ermöglicht, ohne die Forschenden a uf eine bestimmte Positionierung zu den Begriffen Triangulation oder Mixed <?page no="171"?> Der „Meshed Methods-Ansatz“ am Beispiel evidenzbasierter Inklusionsforschung 171 Methods zu zwingen und dadurch unter Umständen einzuschränken. Die Anwendung von Meshed Methods bei evidenzbasierter Forschung der auf Lernprozesse bezogenen Neurowissenschaften und Neurodidaktik ist besonders sinnvoll, da die Verzahnung und Ergänzung der methodischen Herangehensweisen ein umfassendes Bild des Untersuchungsgegenstandes ermöglichen. Die bei Focus on Evidence 2017 vorgestellten Inhalte spiegeln Bedarfe an Studien mit verknüpften Methoden wider. Markus Kiefer (vgl. in diesem Band) zeigte beispielsweise auf, dass weitere Untersuchungen im Bereich sinnesbezogener Repräsentationen von abstrakten Begrifflichkeiten nötig sind. Eine Verbindung qualitativer und quantitativer Methoden im Sinne der Meshed Methods erscheint sinnvoll, da das Verständnis von abstrakten Begriffen, wie z.B. Gerechtigkeit, individuell verschieden ausfällt und damit auch individuell zu erfassen ist (qualitativ), während die grundlegende Hirnaktivität quantitativ zu überprüfen ist. Petra Arndt machte bei ihrem Vortrag deutlich (vgl. in diesem Band), dass weitere Untersuchungen notwendig sind, um die Unterschiede zwischen einem Lernen mit Handschrift und einem rein digitalen Lernen zu erkennen und zu verstehen. So ist noch nicht ausreichend erforscht, ob es einen Unterschied zwischen dem Lernerfolg bei pen and paper- Niederschriften und digital unterstütztem Schreiben, z.B. tablet and pen, gibt. Erwartbare individuelle Unterschiede in den Ergebnissen können hier ebenfalls explorativ und narrativ (z.B. mithilfe von qualitativen Interviews) untersucht und im Weiteren quantitativ überprüft werden. Auch bei den Forschungen von Julia Festman, die unter anderem Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer unter unterschiedlicher Verwendung von Code-Switching erforscht, scheint eine derartige Untersuchungsstrategie sinnvoll. Während die Behaltensleistung und der Spracherwerb mittels quantitativer Daten (Zahlenwerte) vergleichbar werden, ist ein tiefergehendes Verständnis für die individuelle Wahrnehmung, die Verarbeitung und die Sichtweise der einzelnen Lernenden sowie der beteiligten Lehrkräfte essenziell, um die Wissenschaft voranzubringen und vor allem um die Einbindung der Forschungsergebnisse in den Schulunterricht zu ermöglichen. Hier schließt sich auch die Forschung von Stefan Koelsch und Sebastian Jentschke (vgl. in diesem Band) an, die untersucht wie bei Kindern „grundlegende und außergewöhnliche Fertigkeiten erworben und gefördert werden können und wie Fertigkeiten, die durch den Umgang mit Musik erworben wurden, die Verarbeitung in anderen kognitiven Domänen positiv beeinflussen“ (Koelsch & Jentschke 2007: 16). Gerade im Kontext von Kindern und Jugendlichen müssen sowohl die allgemeingültigen als auch die individuellen Eigenheiten und Bedürfnisse der beteiligten Personen mit in den Fokus genommen werden, um die individuelle Förderung ebenso wie die allgemeine Bildungslandschaft mithilfe evidenzbasierter Erkenntnisse positiv beeinflussen zu können. <?page no="172"?> Julia Dose & Tanja Müller 172 Literatur Bergman, M. (Hrsg.) (2008): Advances in mixed methods research. Los Angeles: Sage. Böttger, H., & Müller, T. (2017): Empirische Forschung für Doktoranden und VerfasserInnen von Magister-/ Bachelor-/ Zulassungsarbeiten: Studienbrief. Eichstätt. Bogner, A. & Menz, W. (2002): Das theoriegeleitete Experteninterview: Erkenntnisinteresse, Wissensform, Interaktion. In: Littig, B., Bogner, A. & Menz, W. (Hrsg.): Experteninterviews: Theorien, Methoden, Anwendungsfelder. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dederich, M. (2015): Kritik der Dekategorisierung. Ein philosophischer Versuch. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 84(3), 192-205. Döring, N. & Bortz, J. (Hrsg.) (2015): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 5. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer. Dose, J. (2017): Inklusiver Englischunterricht. Eine empirische Studie zum Status quo in der Sekundarstufe I. Präsentation des Promotionsprojekts im Rahmen des Doktorandenkolloquiums der Professur für Englischdidaktik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (am 20.12.2017). Ellinger, S., Koch, K., Schroeder, J. (2007): Risikokinder in der Ganztagsschule: Ein Praxishandbuch. Stuttgart: Kohlhammer. Feuser, G. (2001): Prinzipien einer inklusiven Pädagogik. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 2, 25-29. Flick, U. (2013): Triangulation. Eine Einführung. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Flick, U. (2016): Qualitative Sozialforschung: Eine Einführung. 7. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Flick, U., von Kardoff, E. & Steinke, I. (2015): Was ist qualitative Forschung? Eine Einleitung und Überblick. In: Flick, U., von Kardorff E. & Steinke, I. (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 11. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 13-29. Gläser, J. & Laudel, G. 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Verschiedene wissenschaftliche Ansätze kommen zu unterschiedlichen Vorhersagen.“ (Arndt in diesem Band). Aber was genau meinen die Fragestellenden und Antwortenden mit Evidenz? Ab wann ist eine Evidenz stark? Gibt es eine kritische Masse an Belegen? Wie wurden die herangezogenen Forschungsbefunde recherchiert und aggregiert? Gibt es dafür einheitliche Gütekriterien? Oder kommt Evidenz eher einer von Expertinnen und Experten subjektiv wahrgenommenen Tendenz wissenschaftlicher Erkenntnisse gleich? Dieser Beitrag unternimmt den Versuch einer Disambiguierung von Evidenz, indem er für die unterschiedlichen Sichtweisen auf diesen Begriff sensibilisiert und daraus resultierende divergierende Ansätze evidenzbasierter Forschung und Praxis aufzeigt. 2 Disambiguierung von Evidenz In Deutschland werden evidenzbasierte Herangehensweise in der Fremdsprachendidaktik erst seit kurzer Zeit diskutiert, was mit einer vergleichsweise jungen empirischen Forschungstradition zusammenhängen mag. Daher ist den meisten Beteiligten vermutlich eher die alltagssprachliche Bedeutung des Begriffs Evidenz bekannt, welche im Duden folgendermaßen beschreiben wird: „unmittelbare und vollständige Einsichtigkeit, Deutlich- <?page no="176"?> Urška Grum 176 keit, Gewissheit […], unumstößliche Tatsache, faktische Gegebenheit“ (Dudenredaktion 2018a). Demnach könnte Evidenz im Kontext wissenschaftlicher Forschung z.B. als einschlägiges Forschungsergebnis auf Basis von Studien mit mehr oder weniger übereinstimmenden Erkenntnissen verstanden werden. Wie dieses augenfällige Gesamtergebnis ermittelt wird, bleibt offen. Es kann vielfältig zustande gekommen sein, etwa durch ein Expertenurteil, eine Forschungsübersicht, die Interpretation einer einzigen Studie oder Beobachtungen in der Unterrichtspraxis u.v.m. Auf welcher Grundlage diese „faktische Gegebenheit“ fußt, wird hier nicht näher definiert. Evidenz scheint als eine Art Tendenz verstanden zu werden, die im Auge der jeweils Betrachtenden entsteht. Döring & Bortz (2016) zählen zu dieser Art der Evidenz u.a. auch unsystematisch und subjektiv generierte anekdotische Evidenz und Intuition (vgl. Döring & Bortz 2016: 7). Anders verhält es sich jedoch mit der allgemeinsprachlich weniger bekannten, wissenschaftlichen Bedeutung von Evidenz, die im deutschprachigen Raum im Bereich der evidenzbasierten Medizin aus dem Englischen übernommen wurde. Der Duden beschreibt Evidenz in diesem Kontext als „empirisch erbrachter Nachweis der Wirksamkeit eines Präparats, einer Therapieform o.Ä.“ (Dudenredaktion 2018a). Evidenzbasierte Forschung und Praxis fußt demnach „auf der Basis empirisch zusammengetragener und bewerteter wissenschaftlicher Erkenntnisse“ (Dudenredaktion 2018b). Auf dieser Bedeutungsebene scheinen bestimmte Voraussetzungen definiert zu sein (z.B. „empirisch erbrachter Nachweis“, „bewertete wissenschaftliche Erkenntnisse“), deren Erfüllungsgrade erst das Ausmaß von Evidenz ausmachen. Döring & Bortz (2016) bezeichnen diese Art der Evidenz als objektiv und systematisch generierte wissenschaftliche Evidenz. Der Begriff Evidenz referiert somit auf zwei verschiedene Bedeutungsebenen (dt. Evidenz = Einsichtigkeit, Offensichtlichkeit vs. engl. evidence = Nachweis, Beweis) und kann demgemäß unterschiedlich interpretiert werden. Wie nachfolgend dargelegt, ist dies im Kontext evidenzbasierter Forschung und Praxis nicht unerheblich. 3 Evidenzbasierte Forschung Evidenzbasierte Forschung und Praxis haben ihren Ursprung in der Evidenzbasierten Medizin, welche sich ab den späten 1960er Jahren zunächst im anglophonen und drei Jahrzehnte später dann auch im deutschsprachigen Raum etablierte (vgl. z.B. Raspe 2018). Inzwischen sind die Ansätze evidenzbasierter Medizin in Forschung und Praxis vieler weiterer Disziplinen vertreten (z.B. Pharmazie, Psychologie, Wirtschaft, Bildungswissenschaften). Sackett et al. (1996) sowie Higgins & Green (2008) beschreiben Evidenzbasierte Medizin folgendermaßen: <?page no="177"?> Im Fokus: Evidenz 177 It's about integrating individual clinical expertise and the best external evidence. […] Evidence based medicine is the conscientious, explicit, and judicious use of current best evidence in making decisions about the care of individual patients. The practise of evidence based medicine means integrating individual clinical expertise with the best available external clinical evidence from systematic research. (Sackett et al. 1996: 71) By providing a reliable synthesis of the available evidence on a given topic, systematic reviews adhere to the principle that science is cumulative and facilitate decisions considering all the evidence on the effect of an intervention. (Higgins & Green 2008: 3) Evidenz wird demnach in Forschung und Praxis unterschiedlich generiert. In der evidenzbasierten Forschung werden aktuelle Forschungsstände über systematische Übersichtsarbeiten (systematic reviews) zu z.B. Befunden, Methoden oder Theorien erfasst. Hauptziel ist es, den gesamten, weltweit existierenden Forschungsstand zu einer spezifischen Fragestellung auf Basis wissenschaftlicher Kriterien zu aggregieren. Hier unterscheiden sich wissenschaftliche und anekdotische Evidenz: Bei der Akkumulation wissenschaftlicher Evidenz wird sichergestellt, dass systematisch, objektiv und replizierbar alle Befunde in die Forschungssynthese eingehen. So können Ergebnisse nicht nur zu einem Durchschnittsbefund aggregiert werden, auf diesem Wege wird bei weniger eindeutigen Forschungslagen zugleich das Ausmaß an Variabilität zwischen einzelnen Studienergebnissen sichtbar und kann im Idealfall aufgeklärt werden. Evidenzbasierte klinische Praxis hingegen zeigt sich dann, wenn Ärztinnen und Ärzten bei der individuellen Beratung von Patientinnen und Patienten integrativ auf ihre eigene Expertise sowie auf aktuellste evidenzbasierte Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit bestimmter Therapien zurückgreifen und dabei patientenspezifische Wünsche und Gegebenheiten berücksichtigen. Besonders deutlich zeigt sich der Kern wissenschaftlicher Evidenz bzw. evidenzbasierter Forschung und Praxis in der Rigorosität von Zulassungsprozeduren für Medikamente, wie sie etwa die U.S. Food and Drug Administration vorgibt (vgl. U.S. Food and Drug Administration 2015). Ein Transfer evidenzbasierter Forschungsbefunde in eine evidenzbasierte Praxis ist hier also nur mithilfe der Expertise von Praktikerinnen und Praktikern möglich. Ähnliches ist auch füe eine evidenbasierte fremdsprachendidaktische Forschung und Praxis denkbar. Der wissenschaftsdomänenübergreifende Ansatz „des Transfers neurowissenschaftlicher Befunde in evidenzbasierte Handlungsimpulse für den Fremdsprachenunterricht“ (Böttger & Sambanis 2016: 10) stellt hier ein sehr gutes Beispiel dar. In der evidenzbasierten Forschung stellt die quantitative Meta-Analyse (vgl. z.B. Borenstein et al. 2009, Döring & Bortz 2016) einen besonders umfassenden und in empirisch-statistisch arbeitenden Forschungsdomänen weit verbreiteten Fall der systematischen Forschungssynthese dar. Sie dient der <?page no="178"?> Urška Grum 178 rechnerischen Aggregation statistischer Forschungsbefunde (Effektstärken) aus Einzelstudien. Einen anderen besonderen, jedoch eher seltenen Fall systematischer Forschungssynthesen stellen qualitative Meta-Analysen dar (vgl. z.B. Timulak 2009), welche ebenso umfassend und systematisch Forschungsbefunde qualitativer Studien recherchieren und auswerten. Meta-Analysen bieten die Möglichkeit, aktuelle, wissenschaftlich belastbare Evidenz auf Basis umfassender systematischer Forschungssynthesen Praktikerinnen und Praktikern zur Verfügung zu stellen. Sie bieten ein Höchstmaß an wissenschaftlicher Evidenz. Grad Studientypen (quantitativ) Ia Meta-Analysen randomisierter, kontrollierter Studien Ib mindestens eine randomisierte, kontrollierte Studie IIa mindestens eine gut angelegte, kontrollierte Studie ohne Randomisierung IIb mindestens eine gut angelegte, quasi-experimentelle Studie III gut angelegte, nicht experimentelle deskriptive Studien (z.B. Vergleichsstudien, Korrelationsstudien, Fall-Kontrollstudien) IV Berichte oder Meinungen von Expertenkreisen, Konsensus-Konferenzen und/ oder praktischer Erfahrung anerkannter Autoritäten Tab. 1: Beispiel für Hierarchien quantitativer Evidenz (nach Borgetto et al. 2016: 25) Allerdings speist sich die Aussagekraft evidenzbasierter Forschungsergebnisse bzw. quantitativer wie qualitativer Meta-Analysen aus ihrer eigenen wissenschaftlichen Rigorosität sowie aus der Qualität der in der Forschungssynthese inkludierten Studien und deren Berücksichtigung methodischer Gütekriterien wissenschaftlicher Forschung. In der evidenzbasierten Forschung hat sich eine Hierarchie der Evidenz etabliert, die verschiedenen quantitativen wie qualitativen Studiendesigntypen unterschiedliche Grade der Aussagekraft und Ergebnissicherheit beimisst (vgl. Tab. 1 und 2). Studien geringerer Qualität und Aussagekraft mit einer erhöhten Anfälligkeit für Ergebnisverzerrungen werden auf einem niedrigeren Evidenzgrad eingestuft als gut kontrollierte und randomisierte Studien mit geringerer Wahrscheinlichkeit verzerrte Ergebnisse zu zeitigen. Hierarchiegrade helfen dabei, referierte Evidenzquellen bzgl. ihrer Aussagekraft einschätzen zu können, jedoch sind diese Grade nicht normiert, sodass unterschiedliche Definitionen, Hierarchiegrade und Abstufungen verwendet werden. Empfehlungen zur Bewertung der Qualität quantitativer wie qualitativer Studien wurden etwa von der Cochrane Collaboration erarbeitet (vgl. Higgins & Green 2008) und werden bei der Erstellung medizinischer Forschungssynthesen eingesetzt. Zum besseren Verständnis möglicher Ausprägungen wissenschaftlicher Evidenz bietet <?page no="179"?> Im Fokus: Evidenz 179 Tab. 1 einen exemplarischen Überblick über verschiedene Evidenzgrade quantitativer Studientypen. Auch in der qualitativen Forschung haben sich mittlerweile Hierarchiegrade etabiert. Tab. 2 gibt eine beispielhafte Hierarchiesierungsvariante an. Auch hier gilt, dass diese nicht standardisiert sind und für jede Forschungsdomäne anders spezifiziert werden. Die Hierachieübersichten in Tab. 1 und 2 dienen hier lediglich dem besseren Verständnis der Vielschichtigkeit und Nuancierung wissenschaftlicher Evidenz. Grad Studientypen (qualitativ) I Meta-Synthese, systematische Übersichtsarbeit IIa vergleichende Längsschnittstudien IIb vergleichende retrospektive Studien, nicht-vergleichende Längsschnittstudien III nicht-vergleichende retrospektive Studien, Einzelfallstudien IV Berichte oder Meinungen von Expertenkreisen, Konsensus-Konferenzen und/ oder praktischer Erfahrung anerkannter Autoritäten Tab. 2: Beispiel für Hierarchien qualitativer Evidenz (nach Borgetto et al. 2016: 27) 4 Fazit Die anfänglich gestellten Fragen nach der Stärke von Evidenz, der Anzahl benötigter Belege oder den Synthesemethoden konnten hier natürlich nicht umfassend beantwortet werden. Jedoch wurde deutlich, dass diese nur im Rahmen spezifischer Forschungskontexte beantwortet werden können - ebenso wie Evidenz nur kontextspezifisch bemessen werden kann. Je nach Evidenzgrad ergeben sich somit ganz unterschiedliche (anekdotische oder wissenschaftliche) Evidenzgrundlagen für die Entscheidungsfindung in der Praxis. Wie dieser Beitrag aufzeigen konnte, gibt es zwischen den Polen anekdotischer und wissenschaftlicher Evidenz verschiedenste Perspektiven auf Evidenz, die sich wechselseitig konfundieren. Wenn von Evidenz und evidenzbasierter Forschung oder Praxis gesprochen wird, ist es daher unerlässlich, dass alle Beteiligten wissen, auf welcher Bedeutungsebene von Evidenz operiert wird und auf welche Evidenzgrade sich Forschung und Praxis jeweils beziehen. Nur so können Forschungsbefunde und Evidenzen sinnvoll eingeordnet und (für Fremdsprachendidaktik wie Neurowissenschaft) effektiv nutzbar gemacht werden. <?page no="180"?> Urška Grum 180 Literatur Borenstein, M., Hedges, L. V., Higgins, J. P. T. & Rothstein, H. R. (2009): Introduction to meta-analysis. Chichester: Wiley. Borgetto, B., Spitzer, L. & Pfingsten, A. (2016): Die Forschungspyramide. Evidenz für die logopädische Praxis brauchbar machen. In: Forum Logopädie 1(30), 24-28. Böttger, H. & Sambanis, M. 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Abrufbar unter: https: / / www.fda.gov/ Drugs/ ResourcesForYou/ Consumers/ ucm143534.htm (Stand: 31.03.2018). <?page no="181"?> Peter Hohwiller Embodiment and the Literature Classroom 1 Embodiment in Michael Longley’s The Trees In his FoE-talk, Markus Kiefer discussed findings from recent research into embodied cognition. The following article draws on Kiefer’s talk and connects it to a field in which embodied cognition has not often been used: the foreign literature classroom. In his 2014 collection The Stairwell, Belfast-born poet Michael Longley dedicates several poems to his deceased twin brother Peter. 19 One of them is The Trees (Longley 2017: 104): I dreamed we were cutting down the trees Of childhood: at the back of our garden The grey ash from which we dropped into The playing fields, two flowering currants’ Summer hum, the cherry tree that after Many barren years produced five pears, The sickly apple tree, the beautiful Poisonous laburnum, and the cypress That was impossible to climb. Peter, If you hide in there, I’ll never find you. An in-class reading of the poem, informed by embodiment and embodied cognition, might consider two moments pivotal: spatial movement and the disenchantment of conceptual metaphors. Spatial movement is at the very heart of the poem, as is made clear in the first line: in a recollected dream, trees are being felled by the speaker of the poem and at least one more agent, possibly Peter. Rather surprisingly, these trees are not simply trees, but they are somewhat linked to the speaker’s childhood and his childhood home. All in all, seven trees are cut down: an ash, two currants, one pear tree, an apple tree, one laburnum, and a cypress. Apostrophizing Peter and alluding to the children’s game hide and seek, the speaker concludes that Peter is very unlikely to be ever found again. From the above paraphrase it becomes clear that The Trees is a poem about loss and bereavement. Not only is the garden of a childhood home - a long standing locus amoenus of world literature - irrevocably damaged; but one 19 This specific information on Peter was given by Longley on a public reading in Munich on February 7, 2018. <?page no="182"?> Peter Hohwiller 182 person is also absent. In other words: what has been held dear for a long time - childhood, the trees, Peter - will from now on be gone for good. Paying special attention to the spatial movements within the poem supports the above reading. There are conflicting spatial movements in The Trees: earthward movements inhibit skywards movements. Seven trees are felled. Seven times an object loses its verticality, and what has been pointing skywards of age, is now falling to the ground. What is also implied is that these trees - as would normally befit “trees of childhood” - can no longer be climbed by children. Movement on these seven vertical axes is no longer possible. Now taking one of Markus Kiefer’s tenets - i.e. the activation of, say, motor-related brain areas by motor-related lexical prompts - one cannot fail to notice that the poem plays with this very tenet (cf. also Ansorge et al. 2010: 303f.). By enumerating a good many terms associated with climbing, the poem most probably activates its readers’ motor-related brain areas - and at the same time it is semantically made clear that this activation is in vain. Focussing on the verbs used in the rest of the poem, the inhibition of skyward movement can be seen, too. Broadly speaking, Longley’s verbs fall into two categories: kinetic and non-kinetic verbs. Rather expectedly, the four nonkinetic verbs (to dream, to produce, to hide, to find) outweigh the three kinetic verbs (to cut, to drop, to climb). However, the contrast between these two classes is even starker, because the most central kinetic verb is negated in the poem (“impossible to climb”). So while the key action is bereft of its skyward motion, the two remaining kinetic verbs denote earthward movement. Climbing - or vertical spatial motion - is also made difficult by the adjectives that describe some of the trees: while some are in full bloom or simply beautiful, others are or were barren, sickly, or even poisonous. It goes without saying that the inhibition of skyward movement leaves its mark on what the poem conceptualizes. Since Lakoff’s and Johnson’s seminal study (1980) it has been a well-known fact that the conceptual metaphor HAPPY IS UP is at the heart of a host of directional metaphors. No matter whether our spirits are ‘high’ or ‘rising’- skyward movement is metaphorically linked to something positive. Rather unsurprisingly, the opposing conceptual metaphor SAD IS DOWN produces many expressions in which earthward movement is associated with something negative: ‘sinking spirits’ and ‘falling into a depression’ may serve as two random examples here. According to Lakoff and Johnson, these metaphors are yet again embodied - their sources being the upright physical position of a happy person and the drooping posture of a depressed person respectively. What The Trees quintessentially does, then, is the disenchantment of the conceptual metaphor HAPPY IS UP by the inhibition of skyward movement. Its intricate design verbally activates motoric memory, and at the same time <?page no="183"?> Embodiment and the Literature Classroom 183 it conceptually deactivates motoric memory. The loss of the poem’s speaker can be experienced by its readers: they can literally feel in their bodies that certain cherished memories can no longer be enacted. 2 The Didactic Potential of Embodiment in the Literature Classroom Having analysed the poem against the background of embodiment, it is now crucial to discuss the didactic potential of such an approach. What should be made clear at this point, though, is this: The Trees can also be read in a classroom indebted to reader-response theory. Learners might then fill some of the blanks of the poem, e.g. by writing a dialogue between Peter and the speaker. There is nothing wrong with a creative approach to the literary text - apart from the fact that it is not really a novel approach. That embodied cognition allows a fresh take on literature is not as trivial as it might seem. Historically speaking, a long time has passed since a theory originally developed for non-educational purposes was adapted to the literature classroom. The above-named reader-response criticism is probably the last framework that really saturated literature teaching (Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurt 2004: 122, Grimm et al. 2015: 180 f.). In other words: the literature classroom could use new impulses. Moreover, it is worth remembering that there are at least two approaches in which the foreign language classroom has already discovered the potential of cognitive insights. Firstly, there is evidence that teaching approaches informed by cognitive linguistics can help learners acquire specific phenomena of the target language (Juchem-Grundmann 2009, Reif 2012). And since cognitive linguistics itself draws heavily on embodiment, it can be reasoned that a language teaching approach that draws on cognitive linguistics is in turn informed by embodied cognition. Secondly, embodiment is also at the very heart of performative learning. Frequently used to facilitate the acquisition of lexis and pronunciation, performative approaches encourage students to move their bodies when learning. What is crucial, however, is that there is a sensible connection between the motion proper and the lexical item it accompanies (Sambanis 2013: 96 ff.). It is only then that its impact on vocabulary retention is positive and on fading effects negative. There is strong evidence that these teaching and learning benefits are due to embodied cognition. Rather carefully, it might, therefore, be suspected that what is effective in the language classroom might also be beneficial in the literature classroom. <?page no="184"?> Peter Hohwiller 184 However, not only extrinsic reasons (history, language teaching) speak in favour of an embodied approach to teaching literature. There are intrinsic features of literature that lend themselves particularly well to cognitive theories. These are: the prevalence of conceptual metaphor, schema perturbation and defamiliarization, and - by no means least - reader empathy. Conceptual metaphors are abundant in everyday conversation and in literature, particularly in poetry (Meyer 2011: 32). Taking student orientation seriously, this simple, albeit significant insight should be reason enough for didactic exploitation. If language - and this includes youth language, too - and, say, advertisements, song lyrics and film abound with conceptual metaphors, then learners can undoubtedly relate to them. Even a fairly superficial look at the German single charts on 9 February 2018 shows the ubiquity of conceptual metaphor: LOVE IS A CONTAINER permeates at least three of the top five songs. 20 Yet raising learners’ awareness of the ubiquity of conceptual metaphor is only the first step. As has been shown (Lakoff & Wehling 2012), conceptual metaphors can indeed assume manipulative qualities and are by no means devoid of real-life relevance. It does not only shape the way people think. It can also influence the way people act. Therefore, awareness and, ultimately, critical appreciation of conceptual metaphor are important teaching objectives. This goes well with curricular demands. Several passages of the Bildungsstandards (KMK 2012) can be read against the background of the abovementioned arguments. Whether it is reading (“Gestaltungsmerkmale in ihrer Wirkung erfassen“, 15), text and media competencies (“Gestaltungsmittel in ihrer Wirkung erkennen, deuten und bewerten“, 21) or language awareness (“über Sprache gesteuerte Beeinflussungsstrategien erkennen, beschreiben und bewerten“, 21): the standards do support an approach focalising on conceptual metaphor and, indirectly, on embodied cognition - both on elementary and advanced level. A fringe benefit might also be that conceptual metaphors offer a fairly concrete access to the occasionally fuzzy terrain of language awareness (Tesch et al. 2017: 219). Another aspect that underlines the didactic potential of an embodied approach is schema perturbation or, in Formalist terms, defamiliarization (Eagleton 1995: 111). The line of argument as set out above has so far adhered to the classic notion of what fires together, wires together. Yet in terms of content, the poem does not do so. As has been shown, climbing trees is no longer possible, even though the poem’s verbal prompts probably activate readers’ 20 Ed Sheeran’s Perfect (“I found a love for me / Darling just dive right in”); Bausa’s Was du Liebe nennst (“Ich park’ mein Herz bei dir heute Nacht”); Nico Santos’ Rooftop (“I got your fingerprints on my skin / Ever since that day you've let me in”). <?page no="185"?> Embodiment and the Literature Classroom 185 motor-related brain areas. This is the defamiliarization that Longley masterfully brings about: the speaker can no longer climb the trees of childhood - no matter how much the speaker’s embodied mind probably wants to. An embodied approach to the poem does not only show the speaker’s loss. It can also focus attention on the neurological repercussions that this loss triggers in every reader of the poem. By and large, it makes a fundamental insight of art not only accessible but sensible: sometimes things are not what they seem(ed) to be. In a very literal sense, The Trees can thus trigger reader empathy, too. From a very practical perspective, an embodied approach provides an invaluable tool for students’ essays on literature. Experienced teachers know that one of the most popular learner arguments is what could be called the ‘correspondence theory’. Many learners seem to firmly believe that a literary text serves two key functions: to make the reader remember it and to recreate its emotions within the reader. While the first aim is rather doubtful, the second assumes certain relevance in the light of embodied cognition and mirror neurons. Considering the long-standing connection between embodiment and empathy, there possibly is a certain truth about it. By showing advanced learners an embodied approach to literary texts, they acquire analytical skills that can be applied to other texts. This fosters their textual and methodological skills, which again complies with German curricula (KMK 2012: 21). 3 Methodological Considerations No matter how promising a theory didactically might be: if a methodological transfer to the classroom is impossible, then the theory is probably not applicable. In the following, an outline of an embodied teaching approach to Longley’s The Trees will be given. It stands to reason that top-down processing plays a crucial role in an embodied teaching approach. This is due to the fact that top-down processing helps learners become aware of their embodied preconceptions. Without such sensitivity, it will probably be difficult for learners to see that the literary text actually challenges their embodied preconceptions. How can such sensitivity be brought about? Two different activity types can be used to this end: a direct and an indirect one. Cover stories are indicative of an indirect activity type. Here, learners get side-tracked by their teachers, who do their best to make students not see that an activity is all about revealing their embodied cognition. In the lead-in phase, the following cover story might be used: supposedly for diversion’s sake, learners are allowed to play a game of pantomime. Groups of four or five students work together, taking turns in miming and guessing respectively. Prompts are given by the <?page no="186"?> Peter Hohwiller 186 teacher. Four or five rounds are played, yet it is only one of them that really matters: the round in which “trees of childhood” have to be mimed. This is when the teacher counts how many dumb shows of climbing the students perform. Teachers might now take the results as a starting point for a succinct talk about embodiment. What learners could also do - and this would be a direct activity - is to assess the typicality of a cluster of words. Typicality is another concept borrowed from cognitive science. Basically, it denotes how well one item represents a category: talking about the category ‘house’ and comparing, say, the terms ‘igloo’ and ‘semi-detached house’, most German learners would probably attribute greater typicality to the latter. Methodologically, this could be made use of in the classroom by having learners place several key words in relative position to a given category. Learners could do this in pair work - discussing and clustering sticky notes on their desks -, or this could be done coram publico on the blackboard, where ‘tree’ has already been written by the teacher in central position. Items for the category ‘tree’ might be ‘to climb’, ‘to cut down’, ‘to drop’, ‘to hide’. When done on the blackboard, it might be beneficial to go the extra mile and hand four sticky notes with four different colours to each learner. They are then asked to write ‘to climb’ on, say, the yellow, ‘to cut down’ on the blue sticky note etc. Then each learner is encouraged to position the sticky notes according to typicality on the blackboard. It might be conjectured that greatest typicality is attributed to climbing while cutting down is most probably considered least typical. (Frequently producing collective results, such an activity can also serve as an eye-opener for students who are adamant that the reception of literature is solely individual.) Frankly, the assessment of typicality has little to do with embodied cognition. Therefore, a second step is needed, and a concise teacher talk about embodiment and its bearing on the typicality experiment might, therefore, be advisable. No matter whether a direct or an indirect activity type is used: the lead-in phase has so far produced a sneak preview of embodiment and an awareness of how inextricably linked trees and climbing are. In the ensuing reading phase, learners read the poem, and the overall objective is to bring about sound comprehension of Longley’s text. Furthermore, to negotiate the embodied meaning of the text, two foci will be needed. Firstly, a focus on how trees in Longley are linked to felling - this might be done in a chalk-and-talk discussion. Secondly, learners need to be given a grounding in conceptual metaphor. Considering the amount of theory learners have already been exposed to in this lesson, it might be a good idea to do this inductively, though. A transparency in which cognitive metaphors from the HAPPY IS UP schema are listed, might serve this purpose. Depending on the foreign languages learnt in the class, examples from English, German, Latin, French or Spanish can be given. Learners are then encouraged to talk to their <?page no="187"?> Embodiment and the Literature Classroom 187 partners about the metaphors and to precisely explain the resemblance they bear to each other. Once the HAPPY IS UP dimension has been discovered, learners who can provide similar examples from other languages are invited to do so, and language awareness can again be fostered. The long-standing claim of bringing learner languages to the classroom can thus be met, too (cf. Festman’s Transferdiskussion in this volume). What is crucial thereafter is to bring conceptual metaphors and the severed alliance between climbing and trees together. In order to do so, learners might design a graphic representation of what they believe the poem is quintessentially about. Gingerly steering learners in a certain direction, teachers might encourage them to use the embodied insights gained so far. A communicative peer teaching activity might then ensue when learners explain their representations to other students. Presenting selected student products from the previous phase with a docucam, a concluding classroom discussion might then focus on the transferability of insights from embodied cognition. 4 Conclusion Embodiment has a lot to offer - not only for the foreign language classroom in general, but specifically for the foreign literature classroom. It can raise learner awareness about the performative resonance that literary texts neurologically trigger. Another theory deeply indebted to embodied cognition, conceptual metaphor, proves particularly beneficial for the literature classroom due to the linguistic, literary, and cultural ubiquity of its phenomena. An embodied approach equips learners with innovative tools for textual analysis and textual assessment. Rather tentatively, it might therefore, be argued that more insights from the cognitive sciences could be smuggled to the literature classroom. References Ansorge, U., Kiefer, M., Khalid, Sh., Grassl, S. & König, P. (2010): Testing the theory of embodied cognition with subliminal words. In: Cognition 116, 303-320. Eagleton, T. (1995): Literary Theory. An Introduction. Oxford: Blackwell. Grimm, N., Meyer, M. & Volkmann, L. (2015): Teaching English. Tübingen: Narr. Juchem-Grundmann, C. (2009): “Dip into your savings! ” Applying Cognitive Metaphor Theory in the Business English Classroom. An Empirical Study. Koblenz: University of Koblenz Press. KMK - Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD (2012) (Hrsg.): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012). Retrieved from: https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffen <?page no="188"?> Peter Hohwiller 188 tlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012_10_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf (date of access: 13 April 2018) Lakoff, G. & Johnson M. (1980): Metaphors we live by. Chicago: University of Chicago Press. Lakoff, G. & Wehling, E. (2012): The Little Blue Book: The Essential Guide to Thinking and Talking Democratic. New York: Schuster & Schuster. Longley, M. (2017): Gefrorener Regen. Ausgewählte Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. München: Hanser. Meyer, M. (2011): English and American Literatures. Tübingen: Franke. Müller-Hartmann, A. & Schocker-von Ditfurt, M. (2004): Introduction to English Language Teaching. Stuttgart: Klett. Reif, M. (2012): Making Progress Simpler? Applying Cognitive Grammar to Tense-Aspect Teaching. Frankfurt am Main: Peter Lang. Sambanis, M. (2013): Fremdsprachenunterricht und Neurowissenschaften. Tübingen: Narr. Tesch, B., von Hammerstein, H., Stanat, P. & Rossa, H. (Hrsg.) (2017): Bildungsstandards aktuell: Englisch/ Französisch in der Sekundarstufe II. Braunschweig: Westermann. <?page no="189"?> Matthias Hutz Die Verankerung von Wortschatz im sensorischen und motorischen System 1 Einleitung Wo im Gehirn ist begriffliches Wissen gespeichert? Wie werden Sinneseindrücke verarbeitet, und welche Rolle spielen Sinneswahrnehmungen und motorische Prozesse bei der Speicherung und Festigung von Gedächtnisinhalten? Dies waren einige der Fragen, die im Vortrag von Markus Kiefer (Verkörperte Kognition: Die Verankerung von Denken und Sprache in Wahrnehmungs- und Handlungserfahrung, in diesem Band) zur Sprache kamen und die für die Fremdsprachendidaktik wichtige Fragestellungen darstellen. Markus Kiefer konnte verdeutlichen, dass neue Begriffe nicht in willkürlicher und abstrakter Weise abgespeichert werden. Vielmehr hängt die Speicherung und Aktivierung von Begriffen in entscheidendem Maße davon ab, wie sie in den Sinnessystemen bzw. den motorischen Systemen verankert werden. Dahinter steckt das Konzept der Verkörperten Kognition (Embodied Cognition), d.h. wir können uns Dinge wesentlich besser merken, wenn wir bestimmte Sinneserfahrungen, Emotionen oder körperliche Erfahrungen in anschaulicher Weise damit verknüpfen können. Das Abspeichern von Begriffen spielt auch im Fremdsprachenunterricht eine zentrale Rolle, insbesondere beim Wortschatzerwerb. Die folgenden Ausführungen stellen daher einen Versuch dar, die im Vortrag dargelegten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse auf die Fremdsprachendidaktik zu übertragen und der Frage nachzugehen, welche Implikationen für die Unterrichtspraxis sich hieraus ergeben. 2 Embodied Cognition: Körper und Sinne als Lernwerkzeuge Lange Zeit herrschte in der Neurowissenschaft die Sichtweise vor, dass ein einheitliches semantisches System existiere, in dem Begriffe linear und amodal, d.h. getrennt von den sensorischen und motorischen Repräsentationen und Erfahrungen, abgespeichert werden (vgl. z.B. Collins & Loftus 1975). Laut Markus Kiefer geht die moderne Neurowissenschaft jedoch inzwischen von der Grundannahme aus, dass es ein multiples semantisches System mit modalitätsspezifischen Begriffsrepräsentationen gibt. Markus Kiefer konnte an- <?page no="190"?> Matthias Hutz 190 hand verschiedener Beispiele in seinem Vortrag aufzeigen, dass unterschiedliche modalitätsspezifische Systeme die Speicherung von Begriffen bestimmen. Während ein Begriff wie beispielsweise Hammer u.a. über das Handlungswissen abgespeichert wird, kann bei dem Wort Katze primär das visuelle Wissen bei der Abspeicherung im Vordergrund stehen. Allerdings wirken motorische und sensorische Wahrnehmungsprozesse oftmals auch zusammen, z.B. bei einem Begriff wie Tuba, bei dem sich Aktivitäten in den verschiedenen Hirnarealen nachweisen lassen, die für die visuelle, auditive und motorische Verarbeitung zuständig sind. Bestimmte Handlungs- und Sinneserfahrungen können offensichtlich den Erwerb neuer Begriffe beschleunigen, da im Bereich des motorischen Systems eine stärkere Aktivierung stattfindet. Bestimmte Handlungsinformationen helfen uns, die richtigen Informationen zu finden und führen zu einer besseren Benennungsfähigkeit. Somit werden neue Begriffe bei der Abspeicherung gewissermaßen verkörpert, sodass auch die altbekannte Trennung von Körper und Geist unnatürlich erscheint. In zahlreichen Studien konnte nachgewiesen werden, dass es eine enge Verbindung zwischen sensomotorischen und begrifflichen Systemen gibt (vgl. z.B. Kiefer et al. 2007, v. Soden-Fraunhofer et al. 2008, Macedonia 2014, Bitmann 2016, Sambanis 2016, Böttger 2016, Repetto et al. 2017). Die jeweilige Lernerfahrung scheint dabei ein entscheidender Faktor hinsichtlich der Begriffsrepräsentation zu sein. Die Informationen werden in bestimmten neuronalen Netzen bzw. Wahrnehmungsarealen aufgenommen und abgespeichert, wobei für die jeweiligen Sinneswahrnehmungen spezifische Areale genutzt werden, sodass z.B. im auditiven Cortex auditiv wahrgenommene Sinneseindrücke oder im olfaktorischen Cortex bestimmte Geruchswahrnehmungen gespeichert werden. Tieferliegende Areale sind in der Lage, bestimmte Muster zu erkennen bzw. wiederkehrende Informationen als Gedächtnisinhalt abzuspeichern (Sambanis & Arndt 2017: 162f.). In diesen Arealen können sie auch bestimmten übergeordneten semantischen Kategorien zugeordnet werden (z.B. Tiere, Pflanzen oder Transportmittel). Handlungs- und Sinneserfahrungen, die mit sprachlichem Input einhergehen, sind vor allem in zweierlei Hinsicht von großer Bedeutung: a) Multimodale Enkodierung: Durch die Beteiligung mehrerer Sinne kann eine bessere Enkodierung von Inhalten erreicht werden (vgl. z.B. Böttger 2016: 115). Die Sinneseindrücke hinterlassen Knotenpunkte im Netzwerk, wobei diese Knotenpunkte in den jeweiligen Gehirnarealen (z.B. in motorischen Zentren) feste Verbindungen zu den Gedächtnisinhalten herstellen (Arndt & Sambanis 2017: 142). Durch die Aktivierung verschiedener Wahrnehmungszentren gelangen somit zusätzliche Informationen ins Gehirn, die mit der Lautform verknüpft werden. <?page no="191"?> Verankerung von Wortschatz im sensorischen und motorischen System 191 b) Behaltensleistung: Auch die Behaltensleistung scheint durch sensomotorische Wahrnehmungen positiv beeinflusst zu werden. Wörter, die zusammen mit bestimmten Gesten erworben werden, werden besser behalten (Repetto et al. 2017, Bitmann 2016, für einen Überblick hierzu vgl. Macedonia & von Kriegstein 2012). Als möglichen Grund hierfür nennt Macedonia (2014: 4f.) zum Beispiel, dass Bewegungen (z.B. Gesten) motorische Gedankenspuren („motor traces“) hinterlassen und dass die multisensorische Enkodierung in einer sehr komplexen Weise erfolgt. Zudem ist es förderlich, dass die Lernenden ein inneres Bewegungsbild (mental imagery) abrufen, das die Reaktivierung des Wortes unterstützt (vgl. hierzu Arndt & Sambanis 2017: 141f.). Wenn Lerner eine bestimmte Geste ausführen, kann dies ein kinetisches Bild des bestimmten Konzepts oder Wortes aktivieren, z.B. kann die Wendung „That was a close call“ durch das Wischen der Hand über die Stirn aktiviert werden. Außerdem liegen Nachweise dafür vor, dass bei bestimmten Action Verbs (z.B. to kick, lick and pick) mentale Repräsentationen im Gehirn abgerufen werden, die die entsprechenden Körperteile miteinbeziehen (Hauk et al. 2004). 3 Sensomotorische Vermittlungsstrategien im Fremdsprachenunterricht Im Erstspracherwerb erfolgt die Dekodierung bzw. der Erwerb von Bedeutung nicht nur mittels Sprache, sondern auch über zahlreiche multisensorische bzw. motorische Erfahrungen. Wenn ein Kind z.B. die Bedeutung des Begriffs Käse abspeichert, geschieht dies aufgrund visueller, haptischer, olfaktorischer oder geschmacklicher Erfahrungen und Eindrücke. Kinder nehmen unterschiedliche Formen, Gerüche und Geschmackssorten wahr und können mit zunehmendem Alter immer besser zwischen verschiedenen Käsesorten differenzieren. Neben den sinnlichen Wahrnehmungen und der sozialen Interaktion ist Bewegung „vom ersten Lebenstag Motor der kindlichen Entwicklung” (Zimmer 2016: 24). Das kann mittels verbaler, sowie über non-verbale Ausdrucksmittel, d.h. durch Gestik und Mimik, erfolgen. Zwar existieren - vor allem im frühen Fremdsprachenunterricht - seit Langem Ansätze, die sich am ganzheitlichen und multisensorischen Lernen orientieren (vgl. z.B. Schiffler 2002), doch sind sie in der Vergangenheit insgesamt eher intuitiv und wenig systematisch eingesetzt worden. In höheren Klassenstufen, d.h. in der Regel nach der Grundschule, spielen sie an den weiterführenden Schulen erfahrungsgemäß immer weniger eine Rolle, sodass einzelne Sinne fast gänzlich ausgeschlossen werden. <?page no="192"?> Matthias Hutz 192 Traditionell erfolgt die Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht primär über das Lesen und Hören, d.h. über visuelle bzw. auditive Kanäle (Müller et al. 2016: 7, Macedonia 2014). Während der Präsentationsphase werden Wörter häufig vorgesprochen, um die Aussprache zu erleichtern. In der Regel setzen Lehrende verschiedene verbale Semantisierungstechniken ein, um den Lernenden zu helfen, die Bedeutung zu erschließen. Hierzu zählen z.B. Definitionen, Paraphrasen (you use a corkscrew to open bottles) oder sonstige Erklärungen mit Hilfe von Hyperonymen (a daffodil is a flower), Antonymen (dark colours vs. light colours) oder Synonymen (the word ‘deceptive’ is similar to ‘misleading’). Mitunter werden einfach die jeweiligen muttersprachlichen Äquivalente genannt. Daneben können zwar auch einige nonverbale Semantisierungstechniken, wie z.B. der Einsatz von Gestik oder Mimik (vgl. auch den Überblick bei Hutz 2018) zum Tragen kommen, aber in der Regel werden sensomotorische Wahrnehmungskanäle, die normalerweise nicht unmittelbar mit Sprache assoziiert werden, relativ selten in systematischer Weise im Fremdsprachenunterricht eingesetzt. Gewisse Ausnahmen bilden jedoch die in den folgenden Abschnitten genannten Ansätze. 3.1 Visuelle Stimuli Visuelle Zugänge spielen oftmals insbesondere bei der Wortschatzvermittlung eine gewisse Rolle. Bilder, Fotos, Flashcards oder Zeichnungen dienen in erster Linie der Einführung neuer Lexik, können aber auch in Übungsphasen zur Geltung kommen (z.B. in Form von Bild-Wort-Zuordnungen). Mittels visueller Stimuli kann es gelingen, im Vergleich zu den oben genannten verbalen Techniken, die Semantisierungsphase deutlich zu verkürzen - frei nach dem Motto: A picture is worth a thousand words. Sie sind vor allem im Anfangsunterricht ein probates Mittel, wenn noch kein unterstützendes Schriftbild zur Verfügung steht. Darüber hinaus dienen authentische visuelle Materialien (z.B. Hinweisschilder) oder audio-visuelle Medien (Videoclips, Filme) natürlich ebenfalls der inhaltlichen Beschäftigung mit Sprache. 3.2 Realien Realien können eine große Hilfe für Lernende beim Semantisierungsprozess darstellen, da sie viele Sinne gleichzeitig ansprechen und somit für einen handlungsorientierten, ganzheitlichen Unterricht sorgen können (vgl. Schmid-Schönbein 2001: 115), indem sie in einen bestimmten Handlungskontext eingebettet werden (z.B. im Restaurant essen gehen, auf dem Markt einkaufen, eine Fahrkarte kaufen). Mithilfe von Requisiten wie beispielsweise Stofftieren, Kleidungsstücken oder Obst und Gemüse können Lernende Objekte im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, indem sie sie erfühlen oder ertasten und sich auf diese Weise die Bedeutung erschließen. Darüber hinaus <?page no="193"?> Verankerung von Wortschatz im sensorischen und motorischen System 193 können die Realien sowohl von der Lehrperson als auch von den Schülerinnen und Schülern selbst in bestimmten Handlungskontexten verwendet werden. Auf diese Weise können gezielt motorische Elemente zum Einsatz kommen (Can I have the menu, please? - Yes, here you are.). Realien verkürzen wie visuelle Stimuli ebenfalls den Semantisierungsprozess, da die Wörter nicht erklärt werden müssen. Darüber hinaus machen sie den Unterricht vor allem aber sehr lebendig und anschaulich und ermöglichen es, durch den hantierenden Umgang mit den realen Gegenständen bzw. Requisiten, tatsächliche Handlungserfahrungen im Fremdsprachenunterricht zu machen (z.B. im Rahmen von Einkäufen oder Restaurantbesuchen). 3.3 Total Physical Response Ein früher Ansatz, der auf enge Verbindung von Sprache und Bewegung setzt, ist das von James Asher (1969, 1977) entwickelte Total Physical Response (TPR). Dieses Unterrichtsverfahren geht von dem Grundprinzip aus, dass die Verknüpfung sprachlicher Elemente mit Bewegung bzw. Handlungen lernfördernd ist. Bei TPR gibt die Lehrkraft bestimmte Instruktionen (z.B. sit down oder open the window), die dann von den Lernenden ausgeführt werden müssen.TPR basiert auf der Grundannahme, dass das Hörverstehen - ähnlich wie beim Erstspracherwerb - eine Grundvoraussetzung für die eigene Sprachproduktion ist. Eine weitere Parallele zum Erstspracherwerb ist die Aufforderung, dass die Lernenden zunächst lediglich nonverbal reagieren sollen und somit, ähnlich wie beim Erstspracherwerb, zunächst eine Art Silent Period durchlaufen können, in der sie den Input verarbeiten können. Der Ansatz, der vor allem im frühen Fremdsprachenunterricht eine gewisse Verbreitung gefunden hat, weist jedoch auch diverse Restriktionen auf. Zum einen basiert er auf dem fortwährenden Einsatz von Imperativen, die in der realen Kommunikation de facto nur in relativ wenigen Handlungskontexten vorkommen. Das Erteilen von Befehlen ist eine eher seltene Form der Kommunikation. Auch hinsichtlich der lexikalischen Bereiche ist der Ansatz deutlich eingeschränkt, da er vorwiegend auf Action Verbs sowie auf konkret vorhandene Gegenstände und Orte verweist, aber z.B. abstrakte Begriffe in der Regel nicht miteinbezieht. Darüber hinaus wird vor allem das Hörverstehen trainiert, die eigene Sprechfertigkeit der Lernenden hingegen kaum, wodurch der Unterricht insgesamt sehr lehrerzentriert wirken kann. 3.4 Action Songs und Bewegungsspiele Seit jeher werden - ebenfalls in Analogie zum Erstspracherwerb - Bewegungslieder im modernen Fremdsprachenunterricht eingesetzt. Ein Klassiker ist z.B. das Lied Head, shoulders, knees and toes, bei dem die jeweiligen Körper- <?page no="194"?> Matthias Hutz 194 teile bei zunehmendem Liedtempo kurz berührt werden müssen. Auf ähnliche Weise funktionieren andere Lieder wie If you’re happy and you know it, clap your hands (Weitere Strophen: slap your sides, stomp your feet, snap your fingers, sniff your nose), bei denen jeweils eine bestimmte Bewegung ausgeführt werden muss. Bewegungslieder funktionieren nach dem Prinzip, dass durch das Mitsingen eine lautliche Reproduktion der Wörter erreicht wird und gleichzeitig durch die Bewegung die semantische Information motorisch transportiert wird. Durch die enge Verknüpfung von Musik, Bewegung und Sprache wird insgesamt ein hoher Behaltenseffekt erzielt. Bekannte Bewegungsspiele wie z.B. Simon says lehnen sich letztlich eng an diese Grundprinzipien an. Durch die vielen Imperative erinnert diese Aktivität jedoch auch an Total Physical Response. Darüber hinaus können Übungsphasen gut mit Bewegung verknüpft werden (Thaler 2012: 127), z.B. in Form von Laufdiktaten oder Find someone who-Aktivitäten. 3.5 Weitere Praxisbeispiele zur Förderung sensomotorischer Wahrnehmung Trotz der vielfältigen Möglichkeiten, die sich gerade im Fremdsprachenunterricht bieten -vor allem hinsichtlich der Wortschatzvermittlung - muss man leider konstatieren, dass das multisensorische und motorisch basierte Lernen nach wie vor weitgehend auf den frühen Fremdsprachenunterricht in der Grundschule beschränkt ist. Die folgenden praktischen Aktivitäten zeigen einige Möglichkeiten auf, sensomotorische Prozesse in spielerischer Form in den Unterricht zu integrieren:  Guess what I can feel Ziele: Förderung der haptischen Wahrnehmung; Üben von Adjektiven hinsichtlich Form, Gewicht oder Material Ablauf: Ein Sack mit verschiedenen Gegenständen wird bereitgestellt. Die Lerner greifen hinein und sollen die Gegenstände mit bestimmten Adjektiven hinsichtlich ihrer Form, ihres Gewichts und ihres Materials beschreiben (z.B. My object is round, soft, smooth, hard, heavy, small, …). Die übrigen Lernenden sollen die Gegenstände anhand der Beschreibung erraten.  What’s missing? Ziele: Förderung der visuellen Wahrnehmung; Üben von Substantiven ausgewählter Wortfelder Ablauf: Auf einer Decke werden verschiedene Gegenstände ausgebreitet, die zu einem bestimmten Wortfeld gehören (z.B. clothes, things you eat for breakfast). Ein oder zwei Objekte werden entfernt und die Schülerinnen und Schüler sollen die fehlenden Gegenstände benennen.  Magic object Ziele: Förderung der kinästhetischen Wahrnehmung; Üben bestimmter grammatischer Aspekte (z.B. present continuous) <?page no="195"?> Verankerung von Wortschatz im sensorischen und motorischen System 195 Ablauf: Ein Objekt (z.B. ein Kugelschreiber oder ein Stück Kreide) wird zum magic object deklariert, mit dem man alles Mögliche machen kann. Diese Handlungen werden dann pantomimisch dargestellt und sollen von den anderen Lernenden erraten werden (z.B. You’re combing your hair with your magic object; you’re brushing your teeth with your magic object).  Ministry of silly walks Ziele: Förderung der kinästhetischen Wahrnehmung; Üben von Adverbien Ablauf: Basierend auf dem bekannten Monty Python-Sketch Ministry of silly walks können einzelne Schülerinnen und Schüler bestimmte Formen der Fortbewegung (walk, run, crawl) mit bestimmten Adverbien (z.B. slowly, fast, like a robot) kombinieren und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler auffordern, sich entsprechend im Klassenzimmer zu bewegen.  Sound stories Ziele: Förderung der auditiven Wahrnehmung; eine Geschichte erzählen Ablauf: Verschiedene Alltagsgeräusche werden mit dem Smartphone aufgenommen und den Schülerinnen und Schülern vorgespielt. Drei bis vier der Geräusche sollen ausgewählt werden, und in Kleingruppen oder in Partnerarbeit soll eine kurze Geschichte hierzu gemeinsam entwickelt werden.  Tasting and smelling food Ziele: Förderung der olfaktorischen Wahrnehmung und des Geschmackssinns; Wortfelder Lebensmittel, Getränke, Speisen Ablauf: Verschiedene Speisen, Getränke oder Lebensmittel werden den Schülerinnen und Schülern in Kleingruppen präsentiert. Einzelnen Schülerinnen und Schülern werden die Augen verbunden, und sie müssen anschließend die Speisen lediglich anhand des Geruchs und des Geschmacks erraten. 4 Where do we go from here? Schlussfolgerungen und Herausforderungen Basierend auf dem Vortrag von Markus Kiefer und relevanten neurowissenschaftlichen Studien (z.B. Macedonia 2014, Repetto et al. 2017, Bitmann 2016) lassen sich mehrere wichtige Schlussfolgerungen für den Fremdsprachenunterricht ableiten: 1. Da neue Wörter umso besser wahrgenommen, enkodiert und im Langzeitgedächtnis gespeichert werden können, je mehr sensorische Reize mit den unbekannten Wörtern verknüpft werden, sollten möglichst viele Wahrnehmungskanäle beim Lernen einer Fremdsprache zum Einsatz kommen. 2. Beim Lernen neuer handlungsbezogener Wörter sollten möglichst passende Bewegungen ausgeführt werden, da dies den Behaltenseffekt steigert. <?page no="196"?> Matthias Hutz 196 3. Das Lernen sollte möglichst oft anhand konkreter, begreifbarer Objekte erfolgen - Realien sollten daher immer wieder zum Einsatz kommen. 4. Dialoge sollten in konkrete, gegenstandsbezogene Situationen eingebettet werden (dialogische Rollenspiele), damit die Lernenden bedeutsame Handlungserfahrungen machen können. In fremdsprachendidaktischer Hinsicht ergeben sich verschiedene Herausforderungen. Hierzu zählt zum einen der Umgang mit abstrakten Begriffen, die sich nicht ohne Weiteres mit bestimmten Bewegungen verknüpfen lassen. Dazu liegen bislang relativ wenige Studien vor. Generell erscheint jedoch die Integration einer visuellen Komponente auch bei abstrakten Begriffen denkbar; eine Verbindung mit Erfahrungswissen, d.h. Situationen, in denen der abstrakte Begriff vorkommt, ist ebenfalls vorstellbar. Ein möglicher Ansatz könnte hierbei z.B. der Einsatz sogenannter Voice- Movement-Icons (VMIs) sein (Macedonia-Oleinik 1999: 49ff.). Voice-Movement- Icons stellen eine motorische Mnemotechnik dar, durch die mentale Bilder geschaffen werden können. Hierbei werden bestimmte Wörter in einem Satz (z.B. casa) vorgesprochen und gleichzeitig durch Mimik und Gestik dargestellt (z.B. indem man eine Dachspitze mit den Händen bildet, die ein Haus symbolisieren soll). Die Lernenden wiederholen dann den Satz, wobei sie gleichzeitig die Bewegung reproduzieren (Macedonia 1999: 50). Eine solche „Verlebendigung von Inhalten“ (Arndt & Sambanis 2017: 142) durch Bewegungen kann letztlich zu ausgeprägten kinetischen Assoziationen führen (Macedonia 2014). Außerdem kann dieses nicht nur bei konkreten Objekten (wie z.B. Haus) funktionieren, sondern auch bei abstrakten Wörtern, die mit einer bestimmten Bewegung verknüpft werden. Eine weitere Herausforderung stellt der Umgang mit Kollokationen bzw. lexical chunks dar, da Sprache nicht nur aus Einzelwörtern besteht, die für sich allein erworben werden (Sambanis 2013: 107). Wörter sind eng miteinander vernetzt und werden gemeinsam in mentalen Netzwerken abgespeichert (vgl. Böttger 2016: 165, Hutz 2018: 138f.). Hier erscheint es in bestimmten Fällen relativ einfach, die gegenstandsbezogenen Kollokationen zu integrieren. Kollokationen oder feste Wortverbindungen wie z.B. sharp knife oder to ride a bike lassen sich mit ein wenig Fantasie leicht gestisch darstellen. Allerdings gibt es darüber hinaus viele abstrakte Wortverbindungen, die sich nur schwerlich in Bewegung umsetzen lassen. Ziel muss es jedoch sein, im Fremdsprachenunterricht sprachliche Aktivitäten durch sinnliche Erfahrungen und Bewegungsaktivitäten gezielt zu fördern, indem Reize geschaffen werden, die eine komplexe Synapsenbildung unterstützen. Hierfür müssen möglichst viele Reize durch die Sinnesorgane zum Gehirn gelangen (Zimmer 2008: 69). Es ist daher wichtig, dass die Fremdsprache in allen Altersstufen in einer solchen Weise gelernt wird, dass sie ihre <?page no="197"?> Verankerung von Wortschatz im sensorischen und motorischen System 197 Abstraktheit verliert und im wahrsten Sinne des Wortes be-greifbar wird. Bewegung, Gestik und Mimik können dabei sehr lernwirksame Tätigkeiten sein, die genau diesen Zweck erfüllen können. Literatur Arndt, P.A. & Sambanis, M. (2017): Didaktik und Neurowissenschaften - Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Tübingen: Narr. Asher, J. (1969): The Total Physical Approach to second language learning. In: Modern Language Journal 53, 3-17. Asher, J. (1977): Learning another language through actions. Los Gatos, CA: Sky Oaks. Bitmann, A. (2016): Science in Bewegung: Eine Studie zum fremdsprachlichen und sachfachlichen Konzeptlernen im CLIL-Unterricht. In: Böttger, H. & Schlüter, N. (Hrsg.): Fortschritte im Frühen Fremdsprachenlernen: Tagungsband zur 4. FFF-Konferenz. Braunschweig: Westermann, 102-110. Böttger, H. (2016): Neurodidaktik des frühen Sprachenlernens: Wo die Sprache zuhause ist. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. Collins, A.M. & Loftus, E.F. (1975): A spreading-activation theory of semantic processing. In: Psychological Review 82(6), 407-428. Hauk O., Johnsrude, I. & Pulvermüller, F. (2004): Sonomatotopic representation of action Words in Human Motor and Premotor Cortex. In: Neuron 41, 301-307. Hutz, M. (2018): Focus on form: The lexico-grammar approach. 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Tellier, M. (2008): The effect of gestures on second language memorisation by young children. In: Gesture 8(2), 219-233. Von Soden-Fraunhofen, R., Sim, E.-J., Liebich, S., Frank, K. & Kiefer, M. (2008): Die Rolle der motorischen Interaktion beim Erwerb begrifflichen Wissens: eine Trainingsstudie mit künstlichen Objekten. In: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 22, 47-58. Zimmer, R. (2016): Handbuch Sprache und Bewegung: Alltagsintegrierte Sprachbildung in der Kita. Freiburg: Herder. <?page no="199"?> Natasha Janzen Ulbricht The Role of Music and Theater as Classroom Glue: an Experienced Teacher Navigates Chaos and Group Cohesion “Wir machen ein Projekt mit der Willkommensklasse? Wieso das denn? Da mache ich nicht mit.“ (Tobias, age 11) The performing arts are seen as providing foreign language students with opportunities to collectively engage their minds, bodies and emotions and, on an individual level, to discover their own voices, to grow in confidence and to develop empathy and insight. However, while music and drama can without a doubt connect individuals and support foreign language learning, this connection is by no means automatic or always welcome. This essay explores a research project involving theater, music and multilingualism in an urban German school. The aim of the project was to learn about children’s and teachers’ experience with gesture and language acquisition, but the focus of this essay is on an unexpected side story—how an individual teacher navigated challenging teaching circumstances “in the highly complex and differentiated environment of the live classroom” (Crutchfield 2015: 113). This experience connects to Julia Festman’s FoE contribution on cognition and multilingualism as well as Sebastian Jentschke’s on the relationship between music and language. Observing the in-between space of research in schools allows us to share the intuition of experienced teachers at work as they guide their students and shape group learning processes. If the performing arts are to be used in education, gaining insight from both neuroscience as well as the performance of teachers in their classrooms is crucial. 1 Challenging Circumstances In her talk Julia Festman said that multilingual children have a wealth of experience in learning languages, giving them advantages over their monolingual peers. She then observed that in far too many cases, these very real cognitive advantages are overshadowed by disadvantages that accompany living in a family with a low social economic status. Children <?page no="200"?> Natasha Janzen Ulbricht 200 benefit from being immersed in different cultures through code-switching, speaking, translating and reading in more than one language, but multilingual children also have more to learn because of their increased encounters with the diversity of word forms and meanings in their everyday lives. However, as Cummins (2000, 2005) and others have shown, instructional programs exist in which minority languages are used as the language of instruction at “minimal or no cost” (2005: 3) to students’ majority linguistic proficiency (such as using German as an L2 with Turkish L1 children in Turkey). In summary, Festman said that in terms of educational opportunity for multilingual children in Germany, things are improving, but much remains to be done. Wir reden viel und immer wieder über multilinguale Ressourcen im Unterricht, aber eigentlich ist es fast eine Worthülse. Wir haben nicht den Weg gefunden, wie wir das wirklich, wirklich umsetzen können. (vgl. Festman in diesem Band) In the abstract, there is widespread agreement that using multilingual resources in the classroom can positively influence a child’s self-image and have a positive effect on educational aspirations and integration. However, as Planas and Setati (2009: 38) observe, the use of different languages while constructing joint knowledge is in itself “always problematic as language contact involves […] social imbalance that reflect[s] some degree of tension or conflict among groups”. It is here, however, in the midst of classroom tension, where teaching takes place. 2 The Classroom Arndt and Sambanis (2017: 183) explain that while our brain is “critical” of repetition in pure content knowledge, it “knows” that movements require repetition for mastery. This is one explanation why content combined with appropriate movements can optimize long-term learning processes. It was for this reason - to learn more about the effects of movement and meaning pairs in multilingual schools - that I was in a classroom to conduct a research project combining children of a Welcome Class 21 and children of a regular school class. From the beginning of the project it was planned for the children of both classes to jointly perform a simple play in English, accompanied by music in the form of a song. 22 21 Often translated as Welcome Class, the term Willkommensklasse refers to a special class within a school for non-native speaking children, who initially have little or no knowledge of German. This term is commonly used in Berlin, where this experiment took place. 22 For a more complete overview of the study itself, see Janzen Ulbricht 2018. <?page no="201"?> Music and Theater as Classroom Glue 201 During the first planning meeting, Ms. Fischer, 23 as we will call the teacher, mentioned that she intended to ask a colleague, Mr. Jones, to participate in our project and to contribute a song for the final performance. She did not mention any special motivation, simply stating that it was something she wanted to do. When Mr. Jones and I eventually met, he asked me about the quintessence of the theater piece and wrote a song the same afternoon. Mr. Jones said that before teaching the whole group he would start by teaching the new song to a small group of select students. In the fifth grade classroom the following day, he named a group of five girls and asked them to accompany him to the music room to learn the new song. Although some of the girls willingly left their desks, others disrupted the class by complaining loudly. As a participant observer, it was obvious that the girls liked to negotiate and voice their opinions: “Bass will ich nicht. Ich will Schlagzeug spielen.” It was equally obvious that Mr. Jones knew that being clear and firm was the only way to move forward, and was experienced in stating his position: Du bist gut am Schlagzeug. Alia ist am Bass. Du kannst Bass ein anderes Mal spielen. Wenn du nicht Schlagzeug spielen willst, dann haben wir einfach kein Schlagzeug und du kannst gehen. Du entscheidest. In marked contrast to this rather chaotic beginning, within five minutes, the girls could clap and speak the song in rhythm and within fifteen all could sing the melody. After forty-five minutes the group could sing and accompany the song by playing bass, drums and a keyboard. For these five girls, the experience of making music together for other projects had transferred to a new song and a new situation. I would argue that this connection between music and the ability to focus on practicing the song was also evident in the larger group. Transition times from a break to a new group activity, for example, are times which can invite “challenging behaviour.” It was noticeable that when Mr. Jones came with the guitar to practice the song, transitions to singing were faster and more automatic than to other tasks. The presence of a guitar in the room obviously did not force children into their seats, but when Mr. Jones arrived in the room and played the first chords, everyone sat down and was soon singing. This begs the question as to why it may be. From a neuroscientific perspective, Jentschke and colleagues write that humans are sensitive to regularities or patterns in their environments and because of this sensitivity are able to learn music and language “without explicit intent” (Koelsch et al. 2016: 1). On one level this might explain why the children were able to learn 23 All names have been changed to protect the identity of children and teachers. <?page no="202"?> Natasha Janzen Ulbricht 202 the song without difficulty, but does not necessarily explain why the group aligned their attention to the task as readily they did. Another explanation is that the children recognized practicing music as an everyday ritual. Morrin (2018: 18) describes what participants must know in order to participate in a ritual in this way: “Die Teilnehmenden müssen um den jeweiligen Symbolcharakter wissen und wissen, wie sie ein Ritual in ihrem Handeln inszenieren, und es auch so aufführen, dass es von anderen wiedererkannt wird.“ Through ritualized repetition, independent of their different linguistic and cultural backgrounds, Mr. Jones and the children were able to create a classroom community. When one of the students began singing, everyone joined in. Writing, learning and practicing the song were not easy to schedule or do, but clearly tapped into musical abilities and forms of interaction the children were familiar with. Perhaps surprisingly, given the initial quote by Tobias, a fifth grade student, the inclusion of the class of children new to Germany in the theater project worked well. In the experimental groups children from both classes were, for the most part, actively engaged in their assigned tasks and interacted constructively with the teachers and other group members. This was especially true for time spent singing as was mentioned in the project evaluation. 3 The Rehearsal In contrast to the time spent practicing the song and learning the text of the play, the general rehearsal of the play was challenging. The performance space Ms. Fischer had requested was unexpectedly taken for an orchestra rehearsal. While the alternative room was large enough, it was also the room where the fifth grade children were used to talking with their friends, playing games and relaxing. Being in this space also seemed to trigger forms of interaction the children knew e.g., they automatically took their shoes off, and instantly engaged with their friends. When it was time for the children to dramatize a night scene in the woods, instead of being silent, the owls were busy talking. The children who were the bridge missed their cue. Since the bridge did not appear, it was understandably difficult for the seven bears to walk under it. Interestingly, research on acoustical processing in the presence of background noise shows advantages in auditory attention for bilingual adolescents (Marian & Shook 2012: 6). Any advantages these children should have had in acoustical processing were not apparent. When Ms. Fischer suggested that inviting younger students to such a performance might be embarrassing, this did not have any noticeable effect on the children or their ability to focus on the task at hand. Since the data I needed from my <?page no="203"?> Music and Theater as Classroom Glue 203 experiment were dependent on the children learning the text of the play and not on the actual performance, after consulting the teacher of the Welcome Class, Ms. Fischer called off the performance. 4 Calling off the Performance After a break, children entered the room expecting another rehearsal. Ms. Fischer asked them to arrange their chairs in a circle. After everyone was seated she asked everyone who thought they would be ready to present the play by tomorrow to raise their hands. Most hands went up. Next she asked two children to say why they thought they would be ready. Charlotte said that everyone knew their texts. Nisa said her sister wanted to come to the performance. Ms. Fischer listened and thanked the children for their contributions. Then she asked the group if knowing the text is the same thing as knowing how to perform a play. By this time all the hands were down and the room had become quiet. We sat in this thoughtful silence until Ms. Fischer asked if anyone had ever been to a theater where the actors walked on stage with their script in their hands. Victor volunteered that he had been to a theater where he had seen someone read from a book with paper pages. Ms. Fischer assured him that a book reading was different. In marked contrast to the previous rehearsal, the atmosphere became calm, reflective and deeply thoughtful, and on the part of the teacher, almost a playful performance. Ms. Fischer continued by saying she had been to the theater many times but had never been to a performance where the actors walked around with papers in their hands. Because she knew her class and their commitment to artistic quality, she was sure that if they ever went to a performance where actors wandered aimlessly and read from scripts, they would have demanded to have their money back, and rightly so. Cultural and linguistic anthropologists agree that narratives are not simply about when, where and what happened, “but that they somehow make public the covert underlying presuppositions that organize the worlds in which speakers live” (Hill 2005: 157). Hill (ibid.: 160) continues by stating that narratives are items of special interest through which people create ‘selves’ by imposing a discursive order on events and observation that, in themselves, have no particular coherence […] but can be made meaningful […] through the work of narrating. On the surface level, there was no connection between a chaotic rehearsal and expecting a good performance. However, as we will see, Ms. Fischer was able to make the situation meaningful through the work of narrating. Under different circumstances, Ms. Fischer was able to be firm and clear about her expectations, which could incidentally also make for an interesting performance. In other words, telling the class off was an available option <?page no="204"?> Natasha Janzen Ulbricht 204 which she did not choose. I argue that in the way Ms. Fischer called off the play, through her performative dialogue, she did two things. Firstly, through describing her own experiences with theater, she “made public” an expectation that she and the children shared - that theater is the result of artistic effort and attention. Secondly, in presenting the non-performance of the play as an expression of high standards, she was able to create a class “self” which was self-reflective and at the same time recognizing and appreciative of artistic work. With her question as to whether the children had ever seen an actor on stage reading from a piece of paper, she was able to reframe her pupils’ experience of not performing the play not as a matter of failure, or as a change in plans, but rather as a way to connect their previous experiences as members of an audience in a theater with the situation at hand. In the end, after moments of thoughtful silence, the class nodded in agreement. This nodding suggests Ms. Fischer had contextualized the experience of not performing in a way which made the experience cohesive and meaningful. 5 The End Narratives in the classroom may be dramatically shaped, as with Ms. Fischer’s “Calling off the Play” performance, but they may also be fragmented and distributed across interactional sequences so that their structure is no longer obvious, as was the case when Ms. Fischer mentioned that she wanted music in our theater project. Sebastian Jentschke began his FoE contribution with an overview of what music means for humans. After stating that music has played an important role in every culture, he cited what he sees as the two most important reasons why this might be. Through music it is possible to both change our emotions and to create group cohesion. Music creates the feeling of togetherness which makes it easier to synchronize actions. In a similar way Koelsch (2012: 207) comments that “[t]he ability, and the need, to engage in these social functions is part of what makes us human, and emotional effects of engaging in these functions include experiences of reward, fun, joy and happiness.” After negotiating who would play which instrument, the girls in the band took ownership of their song and were the recognized experts when it later came to rehearsing in the larger group. If transition times from one activity to another had been chaotic, the regular practice times with Mr. Jones were calm, harmonious and cohesive. When Tobias expressed his spontaneous displeasure at collaborating with the Welcome Class before the project, his emotions were real, however when the project was evaluated, the experience of togetherness, not chaos was the tenor of the feedback sessions. <?page no="205"?> Music and Theater as Classroom Glue 205 Researcher: Was fandest du am besten? Child B: Also, ich fand die Masken auch gut. Und auch, dass wir was mit der Willkommensklasse gemacht haben. [Wir] waren dann auch nicht immer mit den, also mit denen, die man am besten kennt, sondern auch mit denen, [die] man nicht so gut kennt. Neuroscientific research can provide powerful insights into brain mechanisms which can offer a better understanding of how learning in the classroom happens. However, observing how experienced teachers navigate this same space is also essential. Calling off an activity is not always the best response to a challenge. Music is not glue and singing songs will not solve every classroom problem, but in these complex social environments we call schools, it is possible for teachers to change expectations and behavioral grooves and playfully give meaning to complex situations such as laying a foundation for their students to include children new to Germany. Literature Arndt, P. A. & Sambanis, M. (2017): Didaktik und Neurowissenschaften - Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Tübingen: Narr. Crutchfield, J. (2015): Fear and trembling: The role of “negative” emotions in a performative pedagogy. In: Scenario IX(2), 114-128. Cummins, J. (2000): Language, power, and pedagogy: Bilingual children in the crossfire. Clevedon: Multilingual Matters. Cummins, J. (2005): Teaching for cross-language transfer in dual language education: Possibilities and pitfalls. 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(2009): Bilingual students using their languages in the learning of mathematics. In: Mathematics Education Research Journal 21(3), 36-59. <?page no="207"?> Christiane Klempin Professionalisierung von Englischlehramtsstudierenden durch Embodiment fremdsprachendidaktischer Theorie im English Lab 1 Embodied Cognition Mehrfach wurde im Rahmen von Focus on Evidence 2017 auf den positiven Zusammenhang zwischen Bewegungseinsatz und kognitiven Verarbeitungsprozessen hingewiesen (vgl. hierzu die Vorträge von Kiefer, Arndt & Jentschke in diesem Band). Es werden in so genannten „embodiment theories” (Kiefer & Trumpp 2012: 16) „close links between the sensory and motor brain systems on the one hand and cognition on the other hand” formuliert (ebd.). Die Theorie der Embodied Cognition beruht auf der Erkenntnis, dass die Enkodierung und Speicherung von „Inhalte[n] mit Handeln und Sinneseindrücken“ eng verbunden ist (Arndt & Sambanis 2017: 137). Damit einhergehend hat die physische Interaktion des Lernenden mit dem Lerngegenstand Einfluss auf die affektive, aber auch kognitive Verarbeitung dieses Inhaltes. Dabei ist die bloße Handlungsbeobachtung für die Kognitivierung in einem solchen Sinne oft nur unzureichend, die Handlung sollte stattdessen vom Lernenden selbst ausgeführt werden (vgl. ebd.). Arndt und Sambanis (2017: 128) heben drei Wirkungen einer Inhalts-Bewegungs-Kopplung hervor. Zum einen besitzt die Einbindung von Körperlichkeit eine affektive Dimension und kann dem Gehirn, je nach Art der Bewegung, Ruhephasen oder aber auch Wachheitsschübe ermöglichen. Daneben kann sie zur Auflockerung formaler Unterrichtsstrukturen beitragen (vgl. ebd.). Zum anderen kann mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ angenommen werden (ebd.: 129), dass Bewegung auch kognitive Verarbeitungsprozesse und damit die Repräsentation von Inhalten im menschlichen Gehirn beeinflusst. Auf diesen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauend soll die Hypothese formuliert werden, dass das Embodiment fremdsprachendidaktischer Theoriebestände im Rahmen eines speziellen Veranstaltungsformates in der Lehrerbildung, dem English Lab, möglicherweise Auswirkungen auf die Kognitivierung der im Rahmen des Lehrformates vorgestellten fachlichen Inhalte durch die Englischlehramtsstudierenden hat. Wie im Folgenden noch systematisch ausgeführt wird, handelt es sich beim English Lab um eine Veranstaltungsform, die auf der Verbindung von Handlungserfahrung und Kognition basiert und damit als Transferbeispiel für Embodied Cognition in der <?page no="208"?> Christiane Klempin 208 Lehrkräftebildung gilt. Zum Nachvollzug dieses Zusammenhangs soll im Folgenden zunächst auf drei Ausrichtungen der Lehrerbildung eingegangen werden, um daraus das Innovationspotential des English Lab-Formates systematisch herausarbeiten zu können. Daraufhin werden die Theorieinhalte sowie die Anlässe, die einer verkörperlichten Kognitivierung dieser Inhalte verpflichtet sind, vorgestellt. Abschließend soll der Versuch unternommen werden, die empirischen Befunde zur Herausbildung reflexiver Fähigkeiten der Lab-Teilnehmenden auf das Embodiment von Theorieinhalten im Seminarformat zurückzuführen. 2 Drei Ausprägungen der Lehrkräftebildung Die Lehrkräftebildung bedient sich verschiedenster Formate zur Kompetenzentwicklung angehender Lehrender (vgl. Günther & Massing 1980). Die Kultusministerkonferenz (2014: 6) hat sich in diesem Zusammenhang wiederholt für die Integration forschend-entdeckenden Lernens in die Lehramtsausbildung ausgesprochen. Forschendes Lernen kann in Gestalt von kasuistischem oder exemplarischem Lernen, Peer-Hospitationen und Unterrichtssimulationen (vgl. Allen & Ryan 1974) erfolgen und über theoriegeleitete Praxisreflexionen eine empirische Ausbildung angehender Fremdsprachenlehrender befördern (vgl. Sprenger 2017: 63). Ein Blick auf etablierte Universitätsformate zu lehrerbildenden Professionalisierungsversuchen (vgl. Schröder 2017: 192- 196) demonstriert die Prävalenz dreier Ausbildungsrichtungen (Doyé 1990: 67): 1. die „Imitation von Vorbildern“ 2. die „Einführung in ein geschlossenes System“ 3. die „Aufklärung“ Eine Lehrerbildung, die auf Imitation setzt, stellt dabei die basalste Ausbildungsform dar und fußt größtenteils auf den Prinzipien der Cognitive Apprenticeship und des Modelllernens (vgl. ebd.). Allerdings beeinträchtigt das Wesen der Mimesis selbst, dass innovative Handlungspraktiken in den zukünftigen Lehrkräften heranreifen können. Unter dem Ausbildungsbanner „Einführung in ein geschlossenes System“ kann beispielsweise eine Microteaching- oder Simulationseinheit (vgl. Allen & Ryan 1974), etwa im Rahmen eines universitären Theorieseminars, firmieren. Solche Veranstaltungen fußen auf der Annahme, dass bestimmte Lehransätze, Methoden, Kenntnisse und Fertigkeiten den Lehramtsstudierenden zur Erteilung von „Unterricht einer bestimmten Konzeption“ befähigen (Doyé 1990: 68). Hierbei darf der Studierende aus einem fixierten Repertoire schöpfen, wird jedoch nicht zur freien Kombination mit anderen Konzepten (z.B. Kopplung von Handlungsorientierung und szenischem Lernen) animiert. Mit <?page no="209"?> Professionalisierung von Englischlehramtsstudierenden 209 hoher Wahrscheinlichkeit führt ein solches Vorgehen zur Ausbildung eines wenig dynamisierten Wissens- und Handlungsrepertoires und damit zu einer eingeschränkt adaptiv-flexiblen Handlungsbefähigung in pädagogischen Anforderungskontexten, die etwa durch Unsicherheiten, Widersprüchliches oder Ungewohntes geprägt sind. Des Weiteren ist anzunehmen, dass eben jenes Programm nicht besonders stimulierend auf den Gebrauch mentaler Ressourcen wirkt, produktives multiperspektivisches Reflektieren dadurch möglicherweise ausbleibt und damit die Chance auf die emanzipierende Wirkung von Reflexionsprozessen für die angehende Lehrkraft vertan wird. Damit einhergehend kann es überdies zur Übernahme und Perpetuierung tradierter (und ferner auch empirisch unbegründeter) Praktiken durch den zukünftigen Lehrenden kommen. Problematisch an geschlossenen Systemen, dazu zählt etwa das Microteaching-Konzept 24 , ist, dass solchen Ansätzen nicht die systematische Reflexion der eingeführten Theoriebestände und Verfahren sowie deren unmittelbare Erprobung mit realen Lernenden eingeschrieben sind. Zudem entbehrt das Programm „Einführung in ein geschlossenes System“ einer Vorauswahl des für die Praxis relevanten theoretischen Stoffes durch eine ausgewiesene Fachexpertin oder einen Fachexperten. Den Studierenden bleibt dadurch die Transferleistung des epistemischen Inhaltes auf die pädagogische Anforderungssituation gänzlich selbst überlassen. Formate mit dem Ziel der „Aufklärung“ stellen Lehramtsstudierenden das vermutlich zur Ausführung ihres Berufs infrage kommende Wissen zur Verfügung, sodass diese daraus selbsttätig eine Lehr- und Lerntheorie explizieren können. So mancher Fachdidaktiker ist der Auffassung, dass lediglich diese wissenschaftliche Form der Ausbildung die zukünftigen Lehrenden auf die Unterrichtskomplexität hinreichend vorbereiten könne (Doyé 1990: 67). Mit dem vorliegenden Beitrag soll sich diesen Überlegungen grundsätzlich angeschlossen werden, jedoch mit der Ergänzung, dass eine freie Kombination aller drei Ansätze im Sinne der Herausbildung komplex-vernetzten und damit tendenziell transferfähigen Wissens durchaus sinnvoll und empfehlenswert erscheint. Nur ein integriertes Wissen, das sich aus möglichst vielen Inhaltsdimensionen der Fachdidaktik sowie der Bezugswissenschaften speist, kann den Fremdsprachenlehrenden auf die permanenten Veränderungsnotwendigkeiten, die auch zukünftig immer stärker auf die Institution Schule einwirken werden, auf die Handlunsgfähigkeit hin vorbereiten. 24 Auch das mit Wintersemester 2015 in Berlin eingeführte Praxissemester stellt grundsätzlich ein geschlossenes System dar. Es wurden sehr erfreuliche Versuche zur stärkeren Vernetzung von Universität und Schule (Mentoring-Qualifizierung, Vorbereitungs- und Begleitseminare) unternommen, jedoch fehlt es an einer direkten Überführung von innovativen und empirisch geprüften Theorieansätzen auf einen praktischen Handlungskontext. Reflexive Rückschauen finden, systematisch verankert, im Praxissemester statt, doch vielerorts können Reflexionsgespräche lediglich punktuell erfolgen und ohne, dass empirisch geprüfte Leitfäden herangezogen werden. <?page no="210"?> Christiane Klempin 210 3 Das English Lab als wirksamkeitsgeprüftes innovatives Ausbildungsformat an der Freien Universität Berlin Das English Lab kann über die Kopplung von Praxisserfahrung und Kognition als Beispiel für ein Lehrformat betrachtet werden, das im Zeichen der Theorie der Embodied Cognition steht. Das Format selbst existiert bereits seit Jahren, allerdings bislang nur in der MINT-Lehrerkräftebildung als sogenanntes „Lehr-Lern-Labor“ (Krofta & Nordmeier 2014). Seit 2015 werden auch in der Englischdidaktik an der FU Berlin Lehr-Lern-Labore, sogenannte English Labs, angeboten. Neben positiven Verbalrückmeldungen der Studierenden fehlte es bislang jedoch an stichhaltigen Wirksamkeitsnachweisen in Bezug auf die Fähigkeitsentwicklung der Teilnehmenden. Seit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung und dem Projekt K2teach-Know how to teach 25 ist eine solche Effektivitätsprüfung nunmehr über die Grenzen der Naturwissenschaften hinaus auch in anderen Disziplinen möglich (Didaktik des Englischen, der Geschichte und des Sachunterrichtes). Im English Lab, welches als Adaption des Lehr-Lern- Labors aufgefasst werden kann (vgl. Krofta & Nordmeier 2014), erfolgt die Verschmelzung von Theorie und Praxis, also von Kognition und konkreter Handlungserfahrung, über einen forschend-entdeckenden Lernprozess, gerahmt durch angeleitete Praxisreflexionen (Schocker 2016). Diese Reflexionen werden in ihrer Wirkung als wissensverzahnend angenommen, da sie hochstrukturiert ablaufen (vgl. Rodgers 2002) und direkt an Theoriebestände angeschlossen werden. Damit zielen die Reflexionen konsekutiv darauf ab, dass die Studierenden ihre im English Lab gewonnenen Praxiserfahrungen anhand von Videodokumentationen und Beobachtungsprotokollen unmittelbar an fremdsprachendidaktische Theorie rückbinden (vgl. Abendroth-Timmer & Frevel 2013). Es findet demnach keine von der Theorie losgelöste Praxis statt, sondern das pädagogische Handeln ist direkt in eine gekoppelte Theorie-Praxis-Erkundung eingebettet. Die Studierenden lernen zunächst fremdsprachendidaktische Theorien kennen, ziehen diese für die Planung von englischen Kommunikationsförderangeboten heran und erproben diese in der Praxis. Schülerinnen und Schüler kommen an zwei Besuchsterminen an die Universität und erhalten in einer vorbereiteten Lernumgebung die Möglichkeit, die von den Studierenden konzipierten Angebote erst zu nutzen und daraufhin zu evaluieren. An den ersten Besuch schließt eine Praxisreflexion an und die Studierenden überarbeiten die Lernangebote nach Bedarf, um sie beim zweiten Besuch der Schulklasse in optimierter Form anbieten zu können. 25 K2teach-Know how to teach wird im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung aus Mitteln von Bund und Ländern des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert und ist an der Freien Universität Berlin seit 2015 verankert. Für das Teilprojekt 3 im Fach Englisch (Lehr-Lern-Labore) ist Prof. Sambanis die Teilprojektleiterin. <?page no="211"?> Professionalisierung von Englischlehramtsstudierenden 211 3.1 Theorieinhalte des English Lab Die in den ersten Semesterwochen erarbeiteten Theoriebestände betreffen die Methodologie und Methoden des Fremdsprachenunterrichtes sowie differenzierende Ansätze zum Umgang mit Heterogenität (vgl. Haß & Kieweg 2012, Heacox 2012). Des Weiteren werden im English Lab in einem gegenseitigen Aushandlungsprozess zwischen Studierenden und Dozierenden Merkmale für eine sprechanregende Lab-Aktivität in Rückbindung an relevante Theorien herausgearbeitet (vgl. u.a. Blömeke et al. 2006). Diese Kommunikationskriterien dienen anschließend als planungsleitende Folie, auf der die Studierenden paarweise Sprechangebote für die das English Lab besuchenden Lernenden entwickeln. Zuletzt erfolgt auch eine Begegnung mit dem Ansatz des Content Language Integrated Learning (vgl. Bentley 2010), um die Teilnehmenden zur Planung interdisziplinärer sachfachlicher Aktivitäten anzuregen. Die Studierenden prüfen daraufhin ihre entwickelte Sprechaufgabe an den Schülerinnen und Schülern hinsichtlich ihrer kompetenzfördernden Wirkung und Umsetzbarkeit. Die Erprobung der im English Lab entwickelten Aktivitäten erfolgt iterativ, wobei dem zweiten Praxisversuch eine Reflexionssitzung sowie ein weiterer Theorieinput vorgeschaltet sind. Eine hochstrukturierte Plenumsreflexion (vgl. Rodgers 2002), ergänzt durch die Hineingabe weiterer Theorie zu Feedback- und Fragetechniken (vgl. u.a. Hattie & Timperley 2007), dient der Optimierung der Planungen und der Anbahnung fremdsprachendidaktisch wirksamen Handelns der Studierenden beim zweiten Besuch der Lernenden in Universitätsräumen. Es bleibt im English Lab damit nicht bei der Instruktionsplanung, sondern es erfolgt eine zweifache Erprobung der entwickelten Sprechförderangebote, sodass die Koppelung von Theorieinhalten und Handlungserprobung strukturell angelegt ist. Aufgrund der im English Lab stattfindenden Handlungspraxis schließt sich nun eine Betrachtung möglicher positiver kognitiver Wirkungen des Lehrformats auf Grundlage der Embodied Cognition-Theorie an. 3.2 Verkörperung im English Lab Der Abruf aus dem episodischen Gedächtnis geht mit der vorherigen Aktivierung von “sensory-motor experiences“ einher (Kiefer & Trumpp 2012: 16). Ein vergleichbarer Abruf aus dem episodischen Gedächtnis findet dagegen nicht bei lediglich verbalisierten Inhalten statt (vgl. ebd.). Dieser Befund spricht möglicherweise dafür, dass die Praxiserfahrung im English Lab, vielleicht sogar zusätzlich zum deklarativen Wissen, vom Gehirn als sinnliche Erfahrung bewertet und dementsprechend im episodischen Gedächtnis gespeichert wird. Solche „sensorisch-motorischen Spuren” sind wiederum förderlich für den Abruf von Gedächtnisinhalten (ebd.). Abstrakte theoretische, nicht ausschließlich verbalisierte Konzepte wurden in neurowissenschaftlichen Studien von Versuchsteilnehmenden bei der <?page no="212"?> Christiane Klempin 212 Erinnerung dafür notwendiger Informationen an Erfahrungen und emotionale Zustände geknüpft, die unter Beteiligung der sensomotorischen Areale abgerufen wurden (vgl. ebd.). Im Transfer auf das English Lab kann dies bedeuten, dass abstrakte Theoriekonzepte (z.B. Ansätze und Maßnahmen zur Differenzierung im Fremdsprachenunterricht) vor allem dann erinnert werden können, wenn diese unmittelbar an eine Erfahrung geknüpft sind (vgl. ebd.). Eine positive Wirkung von körperlicher Aktivität während und vor dem Lernen konnte von Schmidt-Kassow und Kollegen (2010) demonstriert werden. So sorgte bei den Versuchspersonen kurze, intensive körperliche Aktivität vor dem Vokabelerwerb für optimierte Lernergebnisse (vgl. ebd.). Gleichzeitig erbrachte man den Beweis, dass Vokabelaneignung bei körperlicher Aktivität im Vergleich zu physischer Passivität das Erinnerungsvermögen auch in einer Folgeerhebung und damit unabhängig von Motivationseffekten verbessern kann (vgl. ebd.). Auch dieser Befund spräche, übertragen auf die Theorieinhalte des Seminars, für die Möglichkeit eines positiven Zusammenhangs zwischen angewendeter, verkörperter Theorie und Memorierung der theoretischen Gedächtnisinhalte bei den Teilnehmenden des English Labs. 3.3 Verkörperung und kognitive Verarbeitung im English Lab Die wiederholte Aktivitätenerprobung im English Lab, so steht anzunehmen, wird von einem Areal des Hirns, dem Hippocampus, als Neuigkeit erkannt. Arndt und Sambanis (2017: 133) sehen in einem solchen methodischen Wechsel das Potenzial, trotz der sich im Semesterverlauf üblicherweise einstellenden Gewöhnungseffekte, „die Aufmerksamkeit [der Studierenden] neu auszurichten bzw. wieder anzuregen“. Überdies liegen aus Rückmeldungen und Beobachtungen Hinweise dafür vor, dass die zweifache Praxiserfahrung im English Lab bei den Studierenden nicht zur kognitiven Erschöpfung führt. Infolge zwischengeschalteter Theorie- und Reflexionssitzungen wird Theorie von den Studierenden als praktisch relevant für die Optimierung ihrer Angebote für den zweiten Besuchstermin wahrgenommen (vgl. Rehfeldt et al. 2016). Die erste Reflexionssitzung stößt zudem eine Konsistenzprüfung von Selbst- und Fremdwahrnehmung (z.B. via Kommilitoninnen, Kommilitonen und Dozierende) der Studierenden auf Basis von objektiven Dokumentationen ihres pädagogischen Handelns über Videografien an. Viele der Studierenden erleben dadurch den Wunsch nach Optimierung ihres Lernangebots für den zweiten Schülerbesuch. Die erneute Ausführung dessen, was sich an Erträgen aus der Reflexionssitzung für die Studierenden ergeben hat, ist damit unmittelbar bedeutsam für die Praxiswiederholung. Gleichzeitig bietet die Kopplung aus Handlung und inhaltlicher Wiederholung einen kognitiven Schutz davor, dass der erneute Gegenstand vom Hippocampus als veraltet und damit nicht mehr als relevant <?page no="213"?> Professionalisierung von Englischlehramtsstudierenden 213 bewertet wird, sondern sich eine gewisse Neuigkeit bewahrt (vgl. Arndt & Sambanis 2017). Quantitative Ergebnisse zur deutlich positiveren Wahrnehmung der praktischen Relevanz der theoretischen Inhalte durch die Lab-Teilnehmenden im Vergleich zum bisherigen Lehramtsstudium können hierfür als Belege herangezogen werden (vgl. Klempin et al. o.J.). Zuletzt kann eine Verbindung zwischen dem English Lab und einem Aspekt des Vortrags von Petra Arndt (in diesem Band) zu den möglichen kognitiven Vorteilen des Schreibens mit der Hand hergestellt werden. Als Instrument zur Erfassung didaktischer Reflexivität der Studierenden wird zu Beginn und am Ende des English Lab sowie in einem inhaltlich vergleichbaren Theorieseminar eine offene schriftliche Diskursvignette (vgl. Rehm & Bölsterli 2014) eingesetzt. Diese Vignette dient nicht nur als Erhebungsinstrument, sondern konstituiert zeitgleich eine Intervention zur Stimulierung fluider Intelligenz (vgl. Frey 2017). Zu erklären ist dies damit, dass bei mit Hand Geschriebenem auch sensomotorische Hirnareale zur kognitiven Verarbeitung herangezogen werden (vgl. Kiefer & Trumpp 2012), wohingegen diese Bereiche beim Tastaturschreiben nachweislich nicht zur Stimulation kommen (vgl. Frey 2017). Es kann also gemutmaßt werden, dass infolge der Verschriftlichung im Rahmen des Reflexionsprozesses bewegungsverarbeitende Hirnareale zusätzliche Aktivierung erfahren. Der Unterschied zwischen Experimental- und Kontrollgruppenteilnehmenden könnte aber - sollten die Befunde der Neurowissenschaften diesbezüglich stringent übertragbar sein - darin liegen, dass die Lab-Teilnehmenden zur Post-Testung, unter direktem Rückbezug auf eine konkrete selbsterlebte Praxissituation, schriftlich Reflexionen anstellen können. Der Reflexionsoutput der Lab-Studierenden speist sich demnach nicht nur aus verbalisierten Theoriebeständen (wie etwa bei den Kontrollgruppenstudierenden), sondern aus einem Wissen, das aufgrund einer Embodied Cognition-Erfahrung mehrkanalig enkodiert und abgelegt wurde. Die Tatsache, dass die Lab-Studierenden gegen Ende des Semesters über alle bisherigen Kohorten hinweg einen belegbaren Vorteil gegenüber den Kontrollgruppenteilnehmenden in Bezug auf das Erreichen didaktischer Reflexionstiefe zeigen, stützt die Annahme, dass durch universitäre Lehrformate, die Embodied Cognition in besonderer Weise berücksichtigen, möglicherweise spezifische bzw. größere Zugewinne erreicht werden können (vgl. Klempin et al. o.J.). 3.4 Embodied Cognition im English Lab In der Summe lassen sich drei Komponenten aus dem English Lab extrahieren, die im Besonderen einer Realisierung im Sinne von Embodied Cognition entsprechen: Zunächst bleibt Theoriewissen in diesem Ausbildungsformat nicht abstrakt, sondern wird in seiner umfangreichen Komplexität mit möglichst vielen Sinnen erfahren. Diese Multisensorik führt im Gehirn zur Aktivierung <?page no="214"?> Christiane Klempin 214 verschiedenster Areale, die an der Prozessierung fremdsprachendidaktischer Theoriebausteine beteiligt sind. Stark vereinfacht könnte man argumentieren: Je mehr Hirnareale letztlich an der Verarbeitung epistemischer Inhalte beteiligt sind, desto vernetzter ist die Ablage des Inhaltes in unserem Gehirn. Dadurch könnte eine besonders stabile Verankerung des Wissens im Gehirn erreicht werden. Daneben kann auch die Tandemkonstellation der Studierenden in der Praxiserprobung eine positive Wirkung besitzen: Die Studierenden beobachten einander in der Aktivitätendurchführung und agieren damit im Sinne Schöns (1983) als Reflective Practitioner. Dabei führen sie fachdidaktisch auf die Sprechförderung enggeführte Beobachtungsprotokolle, um eine strukturierte und theoriegeleitete Analyse anbahnen zu können. Gemäß neurowissenschaftlichen Erkenntnissen stimuliert die Beobachtung eines anderen Individuums, zumindest unter bestimmten Bedingungen, die Aktivierung so genannter Spiegelneuronen. Diese sind am Imitationslernen beteiligt und tragen dazu bei, dass im Gehirn des Beobachtenden dieselben Hirnareale aktiviert werden, die bei der tatsächlichen Ausführung der beobachteten Handlung aktiv sind. Inwieweit eine anschließende Aktivitätenausführung dann bereits vorgebahnt wurde und damit kommunikationsfördernde Handlungen leichter oder gar schneller von den Studierenden abrufbar werden lässt, ist nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Tatsächlich legen Forschungserkenntnisse aber zumindest nahe, dass die Handlungsbeobachtung gedächtniswirksamer ist als eine lesende Rezeption. Ein selbstständiges Ausführen von Handlungen führt hingehen zur größtmöglichen Effektivität (vgl. Kiefer & Trumpp 2012). Nachweisbare Aktivität zeigte sich in den Motorregionen des Cortex nur bei „self-performed actions during learning” (ebd.: 16). Verdichtend lassen sich drei Aspekte anführen, die neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge im Speziellen auf die Studierenden im English Lab eingewirkt haben können: 1. die iterative Theorieverkörperlichung 2. die Verkörperlichung im reflexiven Schreibprozess 3. ggf. das Imitationslernen durch die Aktivierung von Spiegelneuronen bei der Tandempartnerbeobachtung 4 Schlussbemerkung Die im Rahmen des Projekts bislang schon gewonnen Daten zeigen, dass die Studierendengruppen der Experimental- und der Kontrollbedingung in Bezug auf ihre reflexiven Entwicklungsverläufe entscheidend divergieren (vgl. Klempin et al., o.J.). Der hauptsächliche Unterschied zwischen Kontrollgruppe und English Lab (Experimentalgruppe) besteht in der Möglichkeit zur Praxis in einem Kontext, in dem pädagogisches Handeln theoriegeleitet und <?page no="215"?> Professionalisierung von Englischlehramtsstudierenden 215 reflexiv rückgebunden erkundet werden kann. Auf Basis der zuvor dargelegten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse besteht demnach Grund zu der Annahme, dass die empirisch belegten Differenzen, neben vielen anderen möglichen Faktoren, auch darauf zurückgeführt werden können, dass die besondere Qualität der Handlungserfahrung, die Theorie-Praxis-Kopplung über verbale und schriftliche Reflexionen, bei den Teilnehmenden des English Lab andere kognitive Verarbeitungsprozesse angestoßen hat als etwa bei den Teilnehmenden des Kontrollgruppenseminars. Literatur Abendroth-Timmer, D. & Frevel, C. (2013): Analyse handlungsleitender Kognitionen anhand videogestützter Reflexionsprozesse angehender Spanischlehrender in verschiedenen berufsbiografischen Kontexten. In: Riegel, U. (Hrsg.): Videobasierte Kompetenzforschung in den Fachdidaktiken. Münster u.a.: Waxmann, 133-149. Allen, D. W. & Ryan, K. (1974): Microteaching. Weinheim u.a.: Beltz. Arndt, P. A. & Sambanis, M. (2017): Didaktik und Neurowissenschaften. Tübingen: Narr. Bentley, K. (2010) : The TKT Course CLIL Module. Cambridge: Cambridge University Press. Blömeke, S., Risse, J., Müller, C., Eichler, D. & Schulz, W. (2006): Analyse der Qualität von Aufgaben aus didaktischer und fachlicher Sicht. Ein allgemeines Modell und seine exemplarische Umsetzung im Unterrichtsfach Mathematik. In: Unterrichtswissenschaft 34, 330-357. Böttger, H. & Sambanis, M. (2017): Sprachen lernen in der Pubertät. Tübingen: Narr. Doyé, P. (1990): Die Ausbildung von Fremdsprachenlehrern als Forschungsgegenstand unserer Disziplinen. 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Sie erfordert einige Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte dauernde kontinuierliche Anstrengung, ist dabei nicht frei von Rückschlägen - und spielt trotzdem im Unterricht häufig nur eine untergeordnete Rolle. Einen Teil der Verantwortung hierfür trägt die Kultusministerkonferenz (KMK). Denn sie schreibt schulischer Wortschatzarbeit seit den Bildungsstandards von 2004 nur noch eine „dienende Funktion” für das „Gelingen der Kommunikation” zu (KMK 2004: 14, vgl. auch KMK 2013: 13), statt sie als wichtigen eigenständigen Lernbereich auszuweisen. Aber auch die Autorinnen und Autoren diverser Lehrwerke ebenso wie zumindest einige Lehrkräfte leisten weniger, als sie könnten. Unter ihnen gilt Wortschatzarbeit nämlich oft als etwas, das im Schulalltag kaum von Belang ist, lässt sie sich, so glaubt mancher jedenfalls, doch nahezu komplett in den außerschulischen Bereich verlagern, weil zu ihrem Gelingen vor allem Fleiß und nur in geringem Maße auch Unterstützung durch die Lehrwerke und/ oder die Lehrkräfte nötig sei. Das Ziel dieses Beitrags lautet, einige (Vor)Urteile über den fremdsprachigen Wortschatzaufbau auf den Prüfstand zu stellen. Zu diesem Zweck werden in den Kapitelüberschriften Thesen formuliert, die im je anschließenden Fließtext mit Befunden aus der Forschung zum Thema konfrontiert werden. Dazu greife ich teils auf Überlegungen zurück, die ich bereits im ersten Kapitel meines Buches über Wortschatzarbeit im Fremdsprachenunterricht (vgl. Kötter 2017) angestellt habe. Die hier aufgestellten Thesen wurden jedoch entweder mit Blick auf das vorliegende Buch angepasst oder komplett neu formuliert. Am Schluss meines Beitrags benenne ich im Sinne der Zielrichtung dieses Bandes einige sich aus den Vorträgen der FoE-Tagung 2017 speziell für mein Thema ergebende Fragen und Möglichkeiten der gegenseitigen Befruchtung der Neurowissenschaften und der Fremdsprachendidaktik (FS-Didaktik), aus denen sich hoffentlich in absehbarer Zeit gemeinsame Projekte ergeben. <?page no="218"?> Markus Kötter 218 2 Ausgewählte Thesen zur Vokabelarbeit im Lichte der jüngeren Forschung 2.1 Wer jung ist, verarbeitet fremdsprachige Wörter anders als ältere Lernende Je älter man ist, desto mehr hat man üblicherweise bereits (kennen)gelernt, und umso größer ist daher nicht nur die Menge an Wörtern und Wendungen, denen man begegnet ist, sondern ebenfalls die Summe an Erfahrungen, die man gemacht hat, sowie das daraus resultierende (enzyklopädische) Wissen über Lebewesen, Dinge und Konzepte. Diese Überlegungen wie auch z.B. der Hinweis von Webb und Nation (2017: 139), dass Kinder eher als ältere Lernende dazu bereit sind, sich schon mit dem partiellen Verständnis eines Wortes zufrieden zu geben, lassen es als kaum bestreitbar erscheinen, dass die in der Überschrift formulierte These zutrifft. Was aber heißt „jung“? Gibt es in der Ontogenese einen singulären Punkt, ab dem (Wort)Wissen anders verarbeitet wird als zuvor? Falls ja, wann wird dieser Zeitpunkt erreicht und wie erkennt man ihn? Falls nein, wie verändert sich die Verarbeitung von Wörtern und Wortwissen von Klasse 1 bzw. 3 bis zum Ende der Schulzeit - und dies nicht nur in der Herkunftssprache, sondern vor allem auch in den (Schul)Fremdsprachen? Aus der Psycholinguistik ist bekannt, dass Kinder in ihrer bzw. in ihren Herkunftssprache(n) anfangs übergeneralisieren, bevor sie Inhaltswörter mit der Zeit immer ähnlicher wie andere Nutzende dieser Sprache(n) verwenden. Gleichzeitig haben Kinder kein Problem damit, wenn verschiedene Sprecher oder Sprecherinnen Dinge, Handlungen oder Eigenschaften unterschiedlich benennen, und dies sowohl in der Erstsprache (künftig: L1) als auch in anderen Sprachen (künftig: L2). 26 Verweist man später allerdings auf etwas anders als zuvor, so löst dies energischen Protest aus (vgl. u.a. Szagun 2013). Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass sowohl einals auch mehrsprachig aufwachsende Kinder sich Bedeutung(en) neuer Wörter einerseits selbst erarbeiten, dass sie aber zugleich flexibel genug sind, die Arbitrarität sprachlicher Zeichen zu akzeptieren, sofern Bezugspersonen sich hier stringent verhalten. Kann man diese Befunde auf den Wortschatzaufbau in (einer) (Schul)Fremdsprache(n) übertragen, obwohl Lernende hier oft nur eine erheblich kürzere Kontaktzeit mit der betreffenden Sprache haben und überdies 26 Die Kürzel L1 und L2 werden hier aus ökonomischen Gründen verwendet. Dabei schließt L2 eine potentielle dritte oder vierte Sprache ein, sofern nicht anders markiert. Mit den Kürzeln soll jedoch weder behauptet werden, dass die Reihenfolge der Aneignung dieser Sprachen stets so eindeutig ist, wie die Ziffern es nahe legen, noch dass es natürlich genuin bilingual oder gar trilingual aufwachsende Menschen gibt, bei denen diese Unterscheidung noch einmal schwieriger zu treffen ist. <?page no="219"?> Fremdsprachiger Wortschatzaufbau im Lichte der jüngeren Forschung 219 die Verwendungsmöglichkeiten und Kommunikationsbedürfnisse teils fundamental anders sind? Soweit ich weiß, ist die Literatur hier sehr zurückhaltend. Es dürfte zutreffen, dass für den Wortschatzaufbau in der L1 sowie in jeder anderen Sprache bestimmte kritische Massen nötig sind, um das mentale Lexikon weiter auszudifferenzieren (Peltzer-Karpf & Zangl 1998: 107f., Schoonen & Verhallen 2008: 213). Davon, dass Kinder auch beim Vokabelerwerb in der L2 zunächst intensiv auf lautliche Assoziationen zurückgreifen, bevor syntagmatische und danach erst paradigmatische Beziehungen eine Hauptrolle spielen (Schmitt 2000: 40), ist man jedoch mittlerweile ebenso zugunsten der Annahme einer höheren Simultanität zumindest von Phase 1 und 2 abgerückt (Schoonen & Verhallen 2008), wie sich die Rolle der Schrift mindestens im bundesdeutschen Frühbeginn gewandelt hat. Ging man zu Beginn des Jahrtausends noch davon aus, dass hier nicht nur ein Primat des Mündlichen gilt, sondern dass praktisch jede Schriftlichkeit bis mindestens ins zweite Lernjahr zu warten habe, so wurde seitdem nicht nur nachgewiesen, dass von einer parallelen Alphabetisierung keine Nachteile zu erwarten sind (Rymarczyk & Musall 2010), sondern auch, dass diese gerade bei mehrsprachigen Kindern sogar lernförderlich sein kann (ebd.). Sie verhindert, dass Kinder später nur mühsam wieder korrigierbare Eigenregeln zur Schreibung entwickeln. Zudem hat Frisch (2013) gezeigt, dass schon der L2-Unterricht der Grundschule vom Einbezug ausgewählter Graphem-Phonem-Korrespondenzen profitiert. Richtig bleibt aber, dass sogenannte „tiefe“, meist mehrere Arbeitsschritte erfordernde (Vokabel)Lernstrategien wie die Schlüsselwortmethode Kinder in den ersten Lernjahren ob ihrer Komplexität noch ebenso überfordern wie auf komplexen semantischen Merkmalen basierende Zuordnungsaufgaben. Daten von De Leeuw (1997) und von mir selbst (Kötter 2006) deuten darauf hin, dass es Grundschülerinnen und Grundschülern hilft, englische Wörter mit visueller Unterstützung und/ oder durch das Studium deutsch-englischer Wortpaare zu lernen. Das in Klasse 3 noch vergleichsweise sehr beliebte Mit- und Nachsprechen verliert dagegen zum Ende der Grundschulzeit an Popularität, auch wenn u.a. Aitchison (2012: 233) unterstreicht, dass rhythmische Muster und Betonungen gerade bei jüngeren Lernenden noch lange eine wichtige Rolle beim Wortschatzaufbau spielen. 2.2 Das A und O, um Wörter langfristig im Gedächtnis zu verankern, ist eine ausreichende Verarbeitungstiefe Praktisch alle Gedächtnistheorien gehen davon aus, dass Wissensbestände (einschließlich Wort- und Vokabelwissen) im Gehirn (bzw. in der Terminologie der Wortschatzarbeit: im mentalen Lexikon) miteinander vernetzt verarbeitet, abgelegt und wieder abgerufen werden. Zu den dabei relevanten Komponenten zählen lautliche (akustische und artikulatorische), visuelle <?page no="220"?> Markus Kötter 220 (schreibungsbedingte und andere optisch wahrnehmbare), auf sonstige Art physisch erfahrbare sowie enzyklopädische Aspekte. Noch immer ist jedoch weder empirisch geklärt, wie viele verschiedene Netzwerke hier miteinander interagieren, noch wissen wir über Befunde zu Einzelpersonen hinaus, warum bestimmte Merkmale manchmal wirkmächtiger als andere sind und ob es somit eine eventuell (nicht nur) für die Wortschatzarbeit nutzbare Hierarchie dieser Netze gibt. In der mittlerweile vierten Auflage ihres Bandes Words in the mind stellt die schon einmal zitierte Jean Aitchison (2012) u.a. folgende Einsichten in die Verarbeitung von Wortwissen zusammen:  Wortartgleiche Wörter scheinen stärker miteinander vernetzt zu sein als Begriffe, die unterschiedlichen Wortarten angehören (ebd.: 121f.).  Für die Speicherung und für das Abrufen eines Wortes aus dem mentalen Lexikon sind sein Anfang und sein Ende wichtiger als die Wortmitte, wie sich am sogenannten Zungenspitzenphänomen (tip oft he tongue phenomenon) ablesen lässt. Wie bei in der Badewanne liegenden Menschen sind zwar Anfang und Ende (bzw. Kopf und Füße) erkennbar, die Wortbzw. Körpermitte ist dagegen temporär nicht zugänglich, weshalb Aitchison hierfür die Metapher des bathtub effect geprägt hat (ebd.: 158). Zugleich streitet die Fachwelt weiterhin darüber ob und, wenn ja, in welchem Maße Konstrukten wie Lernpräferenzen und Lernstilen gewissermaßen ein vertikaler Einfluss zukommen sollte, wenn man die oben genannten Aspekte als horizontale Parameter ansieht; und dies umso mehr, als etwa Aguado in der jüngsten Auflage des Handbuch Fremdsprachendidaktik von 2016 dezidiert darauf hinweist, dass der empirische Nachweis, dass Lernpräferenzen sich zu empirisch unterscheidbaren Lernstilen verdichten, auch weiterhin nicht erbracht ist (ebd.: 264). Sogar noch einen Schritt weiter geht Howard-Jones (2014: 817). Er stellt nicht nur die Existenz von Lernstilen in Frage, die er als „[p]erhaps the most popular and influential myth“ (ebd.) bezeichnet. Schon die Idee, Lernenden „information in visual, auditory or kinaesthetic forms“ anzubieten „according to which part of their brain works better“, sei „unsound“ (ebd.: 818): „[R]eviews of educational literature and controlled laboratory studies fail to support this approach to teaching“ (ebd.). Zwar sei die Existenz von Lernpräferenzen durchaus denkbar („it is true that there may be preferences“, ebd.). Weit wichtiger ist Howard-Jones jedoch die parallele Nutzung unterschiedlicher Verarbeitungswege um ihrer daraus resultierenden höheren Verarbeitungstiefe beim Lernenden wegen und nicht, weil damit ein möglichst großes Spektrum an Lernpräferenzen bedient werden kann. Soll etwas langfristig im Gedächtnis verankert werden, so mussten Menschen sich schon für Craik & Tulving (1975), die für die Etablierung des Konzeptes der Verarbeitungstiefe maßgeblich mitverantwortlich sind, mehr als <?page no="221"?> Fremdsprachiger Wortschatzaufbau im Lichte der jüngeren Forschung 221 oberflächlich damit befassen. Dies bedeutet für neu zu erlernendes Vokabular, dass man die betreffenden Items nach und nach anhand verschiedener Aspekte von Wortwissen studiert, darunter ihre lautliche(n) und verschriftlichte(n) Form(en) und ihre grammatische Form in für ihren Gebrauch (typischen) Phrasen und Sätzen. Mindestens genauso wichtig ist es jedoch, Vokabular breit im mentalen Lexikon zu verankern. Ein aus einem muttersprachlichen Wort und seiner fremdsprachigen Entsprechung bestehendes Wortpaar ist meist schnell memoriert; und selbst eine größere Menge solcher Wortgleichungen lässt sich zumindest kurzfristig im Gedächtnis verankern (vgl. u.a. Webb & Nation 2017: 48f.). Weder weiß ein Lernender damit aber auch nur ansatzweise genug über den Gebrauch des Wortes in verschiedenen Satzzusammenhängen, noch kennt bzw. erkennt er/ sie seine/ ihre je nach Kontext potentiell recht stark divergierenden weiteren Bedeutungen. Einerseits um diese Kenntnisbreite zu erlangen, zum anderen, um die oben aufgelisteten Vernetzungen zu erzeugen, müssen Lernende sich daher mit neuem Vokabular sowohl kontextunabhängig (und das durchaus zu Hause) als auch kontextgebunden befassen (vgl. außerdem ebd.: 64-74). Zur ersten Festigung produktiver Kenntnisse reichen hierfür oft schon verschiedene Form- und Bedeutungsaspekte einbeziehende Zuordnungs- und Einsetzübungen aus, darunter z.B. das Identifizieren von Reimpaaren, von Wörtern mit ähnlicher Schreibung, von Begriffen, die bestimmte Merkmale gemein haben, und von typischen Syntagmen. 27 Als Anlass zur nachfolgenden Nutzung der Lexik in größeren Zusammenhängen empfiehlt Nation (2007), der schon seit über einem Jahrzehnt für den bewussteren Einbezug von Wortschatzarbeit in die Kursplanung wirbt, ergänzend gebundenes Sprechen und Schreiben, wie es z.B. bei der mündlichen 4/ 3/ 2 (Minuten)-Übung oder dem sogenannten Ten-minute writing praktiziert wird (vgl. auch Webb & Nation 2017: 88f. sowie 111f.). 2.3 Unter anderem aus Gründen der Einsprachigkeit sollte man ad-hoc Übersetzungen vermeiden und lieber mit Umschreibungen und Paraphrasen unbekannten (neuen) Vokabulars arbeiten „Language learning evolves out of learning how to carry on conversations“, wie Evelyn Hatch (1978: 404) schon vor vielen Jahren schrieb. Dieses angeblich von Rod Ellis durch die griffige Formel „Language learning is language 27 So könnten z.B. in der Grundschule farm animals zunächst mit ihrem Namen eingeführt werden, bevor zu ihrer Festigung die Schreibung der Wörter, Kennzeichen und Merkmale der Tiere wie Habitat oder die Farbe, Größe und sonstige Beschaffenheit von Körperteilen oder anhand des Liedes Old McDonald etwa auch ihre typischen Laute erarbeitet werden. <?page no="222"?> Markus Kötter 222 use“ ergänzte Diktum 28 führte im Zuge der sogenannten kommunikativen Wende im Verbund mit Rufen nach mehr oder weniger aufgeklärter Einsprachigkeit zumindest in der bundesdeutschen FS-Didaktik zum nahezu völligen Verbannen von Bezügen zur L1 der Lernenden oder gar regelmäßigem Übersetzen aus der bzw. in die L2. Zwar betonen schon Curricula für die Grundschule, wie wichtig Sprachvergleiche seien, um Schülerinnen und Schüler u.a. früh für die Existenz unterschiedlicher Architekturen von Sprachen und ihre Arbitrarität zu sensibilisieren. Zugleich erhalten jedoch teils schon im Vorschulalter einsetzende Immersionsangebote immer mehr Zulauf, während Sprachvergleiche im Sekundarbereich auch weiterhin oft verpönt bleiben. 29 Man mag dies sehen, wie man will. Die Herausforderung für Lehrkräfte sowie Autorinnen und Autoren von Lehrmaterialien lautet, wie der ja trotz dieser Umstände fortbestehenden, üblicherweise fehlenden völligen Synonymie zwischen L1- und L2-sprachigen Wörtern und Wendungen didaktisch angemessen begegnet und wie am besten auf natürlich ebenfalls nach wie vor entstehende Verständnisprobleme reagiert werden soll, wenn das weiterhin gültige Leitmotiv - außer vielleicht bei sprachstrukturellen Fragen, bei denen zur Verständnissicherung in den Augen vieler dann doch wieder auf die L1 zurückgegriffen werden darf - Einsprachigkeit lautet. Manche Lehrkräfte versehen ebenso wie einige Lehrwerke trotz dieser Leitlinie insbesondere schriftliches Material mit zweisprachigen Glossen, Registern oder sonstigen die Landessprache einbeziehenden Vokabelhilfen. Damit könnten sie sich aus fachlicher Sicht in guter Gesellschaft befinden. Entscheidend für die Sprachwahl beim Beheben von Verständnisproblemen ist nämlich auf der Vokabelebene vor allem, welchen spezifischen Status das Wort oder die Phrase hat und welches langfristige Lernziel die Lehrkraft diesbezüglich jeweils verfolgt. Der schon mehrfach zitierte Nation (2008: 98) listet z.B. in seiner Monografie Teaching Vocabulary nicht weniger als 18 Optionen auf, einem Wort nur kurz Aufmerksamkeit zu schenken, ohne zu sehr von der inhaltlichen Textarbeit abzulenken, darunter an prominenter Stelle die schlichte Übersetzung in die L1. Geht es also wirklich nur um Verständnissicherung, so kann auf der (Einzel)Wortebene von Einsprachigkeit daher sehr wohl und mit guten didaktischen Gründen abgewichen werden (vgl. Webb & Nation 2017: 104-106). 28 Angeblich, weil das Zitat seit mehr als 30 Jahren durch die Literatur geistert, sich in Ellis‘ Buch Understanding second language acquisition von 1985, auf das in Dutzenden von Texten als Quelle verwiesen wird, aber nirgends in dieser Form finden lässt. 29 Eine Sonderstellung nehmen hier genuin bilinguale Angebote ein, d.h. Kontexte, in denen sog. Content and Language Integrated Learning (CLIL) zum Anlass genommen wird, um absichtsvoll die FS und die Landessprache zum Medium des Unterrichts und zum Lerngegenstand zu machen (vgl. hierzu Diehr 2012). <?page no="223"?> Fremdsprachiger Wortschatzaufbau im Lichte der jüngeren Forschung 223 Noch immer umstritten ist aber, ob die L1 (auch) aus kognitionsrelevanten Gründen in Bezug auf das mentale Lexikon soweit als möglich aus dem FS- Unterricht herausgehalten werden sollte. Einerseits befördern natürlich etwa Sprachvergleiche besonders in Unterrichtsphasen, in denen der Fokus nicht auf der Textarbeit liegt, sondern auf der Vernetzung von Wortschatz, die Sprachbewusstheit der Lernenden. Andererseits argumentieren diejenigen, die einen einsprachigen FS-Unterricht befürworten, dass Wortwissen möglichst ohne „Umweg“ über die L1 aufgebaut werden sollte, weil dann bei seinem Abrufen im mentalen Lexikon der zentrale Verarbeitungskanal dieses konzeptbezogene Wissen sei statt wie sonst zu befürchten z.B. die (Re-)Aktivierung von Wortgleichungen. Viele Studien mit mehrsprachigen Personen legen nahe, dass im Gehirn einer Sprecherin oder eines Sprechers selbst in Situationen, in denen mehrere Sprachen miteinander konkurrieren, weil die Beteiligten z.B. unterschiedliche Erstsprachen haben, stets eine Sprache dominant und kognitionssteuernd bleibt, während alle anderen beteiligten Sprachen eine untergeordnete Rolle spielen (vgl. z.B. Myers-Scotton 1993). Dass diese in der Regel als Matrixsprache (MS) bezeichnete Sprache beim Verfertigen der aktuell produzierten Äußerung wie auch bei als nächstes geplanten Beiträgen tatsächlich die Führungsrolle übernehme, lasse sich etwa daran ablesen, dass gegebenenfalls einer zweiten Sprache entliehene Begriffe (Borrowings) artikulatorisch wie syntaktisch an die Regeln der MS angepasst werden; und entsprechend fungiere die MS daher als Hauptlieferant für die Lexik. 3 Einige Desiderata und Fragen an die künftige Forschung Nachdem Abschnitt 2 schlaglichtartig ausgewählte Aspekte der Wortschatzarbeit aus der Sicht der FS-Didaktik beleuchtet hat, sollen zum Ende des Beitrags einige sich aus den Vorträgen ergebende Fragen aufgegriffen und aufgezeigt werden, wie diese von der FS-Didaktik und den Neurowissenschaften gemeinsam angegangen werden könnten: 4. Kiefer (vgl. in diesem Band) verweist in seinem Beitrag auf einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Wörterlernen und Handlungsorientierung. Auch Studien aus der FS-Forschung legen nahe, dass Total Physical Response (TPR), d.h. das Ausagieren von Handlungsanweisungen, gerade bei Kindern lernfördernd sein kann, weil einerseits die Motorik für sie eine wichtige Memorierhilfe ist (vgl. z.B. Mattes 1998), aber ebenso, weil die jungen Lernenden schriftliche Hilfen noch nicht so gut nutzen können wie ältere bzw. fortgeschrittener alphabetisierte Lernende.  Lässt sich dies z.B. dadurch weiter untermauern, dass man empirisch nachweist, dass spezifische Hirnaktivität tatsächlich beim Erlernen respektive beim Abrufen bestimmter Lexik (schrift(bild)-, laut(bild)- und <?page no="224"?> Markus Kötter 224 bewegungsstimuliert) signifikant mit dem entsprechenden Stimulus und positiver Behaltensleistung korreliert?  Welche Rolle spielt hierbei das „Format“ der Lexik, d.h. ob es sich um Einzelwörter, Phraseologismen oder Syntagmen handelt, und eventuell, welche Wortartzugehörigkeit(en) beteiligt sind?  Welche Rolle spielen weitere Faktoren wie z.B. (konzeptuelles) (Vor)Wissen, Alter und sprachlicher Hintergrund (d.h. sowohl potentiell bereits vorhandene Mehrsprachigkeit als auch z.B. Kriterien wie sozioökonomischer bzw. „Bildungs“-Hintergrund)? 5. Arndt (vgl. in diesem Band) betont in ihrem Statement die Vorteile manuellen Schreibens gegenüber dem Tippen am Computer bei der Verarbeitung von Buchstaben, und sie ergänzt: „Es sollte also keine Frage sein entweder - oder, sondern wann - was! “ Zugleich legen Berichte meiner Studierenden über Projekte nahe, die sie im sogenannten Praxissemester unter meiner Begleitung durchgeführt haben, dass Schülerinnen und Schüler so lange Vorteile aus der außerschulischen Vokabelarbeit mit computerbasierten Programmen wie phase6 ziehen, wie ihr Lernerfolg allein mündlich überprüft wird. Sobald sie darüber hinausschriftlich abgefragt werden, stehen die Lernenden hingegen vor teils enormen Problemen, weil sie die fraglichen Schreibungen nicht (korrekt) reproduzieren können (vgl. auch Kötter 2017: 184).  Lässt sich das im Statement formulierte „wann - was“ durch Forschungen zu Hirnaktivität bei der Nutzung von Schrift bzw. verschiedene Formen von Schriftlichkeit einbeziehenden Verfahren bei der Wortschatzarbeit noch genauer präzisieren (z.B. Anfertigen von Vokabelkarten, Ideogrammen und anderen Merkhilfen, Ausfüllen von Crosswords, oder z.B. bei der Produktion von Bildunterschriften, Haikus und anderen poetischen Formaten)?  Lassen sich vergleichbare Beobachtungen auch beim Schreiben nach Anleitung machen, darunter bei Wortgleichungen in Vokabeltests, sowie etwa bei längeren Texten wie Diktaten? Wenn ja, wie würde die Hirnforschung dies interpretieren?  Welche Rolle spielt hier speziell im frühen Fremdsprachenunterricht der Grad der Alphabetisierung sowie als weiterer Faktor die Phonem- Graphem-Korrespondenz in der jeweiligen Sprache? 6. Jentschke (vgl. in diesem Band) schreibt, musikalische Merkmale hätten eine hohe Relevanz für Sprachverarbeitung und musikalisches Training fördere Sprachenlernen. Dies ist hinsichtlich des L1-Erwerbs in der Tat gut dokumentiert und unbestritten (vgl. z.B. Szagun 2013). In Bezug auf den L2-Erwerb ist die empirische Basis dagegen dünner. Bongaerts demonstriert seit Jahren in wechselnden Teams, dass late starters ebenfalls eine L2 bei ausreichend (gutem) Training auf einem native-like Niveau beherrschen können (vgl. z.B. van Boxtel, Bongaerts & Coppen 2005). <?page no="225"?> Fremdsprachiger Wortschatzaufbau im Lichte der jüngeren Forschung 225  Um welche „musikalischen Merkmale“ geht es genau (Rhythmus, Pitch, (Wort)Akzent(e), Satzmelodie, etc.)? Wie stark ist ihr je spezifischer Einfluss auf das Lernen welcher Sprache(n)? Oder ist dieser Einfluss sprachunabhängig, was jedoch angesichts z.B. der Existenz von Tonalsprachen eher unwahrscheinlich ist?  Inwiefern spielt eine potentiell generelle Fähigkeit zum Erkennen von Mustern hier eine Rolle? Es gibt ja in beiden Bereichen mehrere, teils einander ergänzende Formen von Phrasen.  Welche spezifischen Kompetenzniveaus müssen erreicht werden, damit die besagten Merkmale größtmögliche Wirkung entfalten, d.h. gibt es bestimmte Schwellen - und wie viel Training/ Übung ist daher jeweils nötig, um diese Niveaus zu erreichen?  Spielt eine musikalische und/ oder die Sprach(lern)begabung eine Rolle (zur Frage, ob es eine musikalische Begabung gibt vgl. in diesem Band Jentschke Transferdiskussion)? Und wenn ja, wie müsste musikalisches Training dann gestaltet werden, um eine maximal positive Wirkung auf das Erlernen fremder Sprache(n) zu haben? 7. Querliegend zu den Vorträgen und somit über einzelne dort thematisierte Aspekte hinaus stellen sich zudem u.a. folgende allgemeine Fragen (nicht nur, aber auch) an die Neurowissenschaften:  Gibt es einen messbaren Zusammenhang zwischen Art, Umfang, Dauer, Zeitpunkt, Häufigkeit und/ oder Verarbeitung bei der Rezeption und/ oder Produktion unbekannten Sprachmaterials (und natürlich vor allem Wortmaterials) und dessen (Re-)Produktion in unterschiedlichen Kontexten und/ oder Verfahren?  Haben der Umfang und/ oder die Zusammensetzung eines bereits bestehenden fremdsprachigen Wortschatzes irgendeine prognostische Kraft in Bezug auf das Erlernen der als nächstes anzueignenden Lexik? Es ist offenkundig, dass viele der genannten Fragen komplexe Untersuchungsdesigns erfordern und sich nicht eben auf die Schnelle lösen lassen. Trotzdem scheint es mehr als lohnenswert, dass aus dem bislang dominierenden Nebeneinander von fremdsprachendidaktischer und neurowissenschaftlicher Forschung gerade auch im Bereich der Verarbeitung von Lexis ein stärkeres Miteinander wird. Literatur Aguado, K. (2016): Lernstile. In: Burwitz-Melzer, E., Mehlhorn, G., Riemer, C., Bausch, K.-R. & Krumm, H.-J. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6. Aufl. Tübingen: Francke, 262-266. Aitchison, J. (2012): Words in the mind. 4. Aufl. Chichester: John Wiley & Sons. Craik, F. I. M. & Tulving, E. (1975): Depth of processing and the retention of words in episodic memory. In: Journal of experimental psychology: General 104(3), 268-294. De Leeuw, H. (1997): English as a foreign language in the German elementary school. What do children have to say? Tübingen: Narr. <?page no="226"?> Markus Kötter 226 Diehr, B. (2012): What‘s in a name? 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KMK - Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD (2013): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss vom 18.10.2012. Köln: Wolters Kluwer. Kötter, M. (2006): English language teaching in primary school and the learners’ perspective. Insights from two questionnaires. In: Kötter, M., Gabel, S. & Traxel, O. (Hrsg.): Investigatin and facilitatin language learning. Papers in honour of Lienhard Legenhausen. Trier: WVT, 189-203. Kötter, M. (2017): Wortschatzarbeit im Fremdsprachenunterricht. Grundlagen und Praxis in Primarstufe und Sekundarstufe I. Seelze: Klett Kallmeyer. Mattes, M. (1998): Bewegung als Begegnung mit Englisch in der Grundschule. In: Englisch 33, 129-138. Myers-Scotton, C. (1993): Duelling Languages. Oxford: Clarendon Press. Nation, P. (2007): The four strands. In: Innovation in language learning and teaching 1(1), 1-12. Nation, P. (2008): Teaching Vocabulary. 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In: IRAL 43(4), 355-380. <?page no="227"?> Eva Reid & Božena Horváthová Pronunciation Strategies at Primary and Secondary Level of TEFL Sebastian Jentschke in his contribution on Interaction between language and music introduced the idea that music and language could share numerous common features. He also suggested that music could improve certain aspects of foreign language learning. Teaching through music is very popular in foreign language teaching and it can be used for teaching grammar, syntax, phrases, culture, history and pronunciation (Brand 2007). It is not only the popularity of music that is useful in TEFL, but also the fact that music and language processing are located in the same area of the brain (Maess & Koelsch 2001). Several scholars have investigated the topic of music in teaching pronunciation. Mandell (2009) identifies clear interrelations between pitch perception and vowel production, melodic memory and intonation, musical rhythm and language rhythm. Zybert and Stepien (2009) claimed a correlation between musical aptitude and perception and production of some aspects of foreign language phonetic features. Sarsarbi (2016) researched the connection between Gardener’s musical intelligence and pronunciation success and came to the conclusion that pupils with high musical intelligence do better in pronunciation classes and tests. On the other hand, Malíková (1990) claimed that musical hearing is not connected to the phonemic sense of hearing and individuals exhibit various levels of sensitivity to differentiation and production of segmental and suprasegmental elements of a foreign language. Even though researchers do not agree on the connection of music and musical hearing with the ability to achieve flawless pronunciation, the use of music is very much recommended for training English pronunciation (Celce- Murcia at al. 1996). Through music both segmental and suprasegmental features can be learnt and practiced. Zybert and Stepien (2009) recommend music, especially for teaching suprasegmentals: intonation, rhythm and stress. Miyake (2004) suggests music for teaching aspects of connected speech. For example, English rhythm is a very challenging aspect of pronunciation that learners of the language have to face. Slovak is a syllable timed language, whilst English is a stressed timed language. English is a rhythmic language, where the beat moves from one stressed syllable to the next regardless of the number of syllables in between. According to Gilbert (2008) prosody of the first language is learnt in the first year of life and learners of a second language <?page no="228"?> Eva Reid & Božena Horváthová 228 feel uneasy to speak with a different rhythm. Using songs and rhythmic activities helps learners to overcome this psychological barrier and to acquire correct English rhythm. In our study, we intended to contribute to the topic and investigate the use of pronunciation strategies in EFL supported by primary and secondary school teachers. For this purpose we chose the standardised survey of teachers’ foreign language strategy use by Cohen and Oxford (2002), from which we chose the strategies connected to pronunciation. It was our goal to find out to which levels of phonology the surveyed teachers focus on and to see if musical and rhythmical activities take place in English language classrooms. 1 Teaching Pronunciation According to Scrivener (2011), teachers do not put enough emphasis on teaching pronunciation or even avoid teaching it, partially due to the fact that they themselves are not confident enough about their own pronunciation, or they claim that they do not have enough time for specific pronunciation practice activities (Gilbert 2008). Kelly (2000) emphasises the importance of teaching pronunciation as it influences communication skills of learners and because mistakes in pronunciation have a great impact on the effectiveness of communication. Teaching pronunciation helps learners to understand and differentiate sounds and other features of pronunciation and it leads to improvement and intelligibility of learners’ speech and understanding of spoken English (Harmer 2005). Pronunciation consists of segmental and suprasegmental features. The segmental level is presented by phonemes, while stress, rhythm and intonation are features of suprasegmental level (Hewings 2007, Kelly 2000, Roach 1991). Segmental and suprasegmental features of English and native languages can be quite different and the danger is that learners assimilate English into the pronunciation of their native language (Kráľová & Lengyelfalusy 2010). Kráľová (2010) also claims that learners of any age are able to create additional phonetic categories for new language sounds which do not correspond to the mother tongue sounds. Hence, both segmental and suprasegmental features need to be addressed in foreign language teaching, as not only correct pronunciation of individual sounds and words matters, but also word stress, rhythm and intonation (Harmer 2005). There are several factors influencing pronunciation in a foreign language. According to Sabol (1993) extralingual factors such as language contact and form of contact influence pronunciation in a foreign language. Gilakjani (2011) states that the native accent influences pronunciation in a foreign language. The older the learner gets, the stronger the effect of native accent. Stress, into- <?page no="229"?> Pronunciation Strategies at Primary and Secondary Level of TEFL 229 nation and rhythm affect intelligibility more than errors in single sounds. Exposure and motivation for learning the foreign language also determine learners’ development of pronunciation. Musical training in learners can influence good phonemic coding ability and also the ability to acquire a new sound system (Zybert & Stepien 2009). Language teachers should be aware that correct pronunciation is an inseparable part of English language education. Teachers should be able to train their learners in correct pronunciation, and apply various techniques and strategies in order to practice and improve pronunciation of their learners. According to the CEFR (2001) pupils should be exposed to the authentic language, to audio-recorded native speakers, video-recorded native speakers, they should be encouraged to imitate the teacher, to read aloud, to practice ear-training, and to do phonetic drilling, tongue twisters, songs, chants, etc. Pronunciation teaching is especially important with young learners who are still in the so-called critical period age and could achieve flawless pronunciation (Loewen & Reinders 2011). Kováčiková and Gajdáčová Veselá (2016) suggest that young learners should be exposed to amusing, playful and funny ways of pronunciation practice through rhymes, songs, chants, etc. (Kováčiková 2016). Reid and Kováčiková (2015, 2017) use chants, songs, rhymes and tongue twisters in their English language textbooks for young learners. However, not only young learners, but all learners should know how to pronounce correctly in the target-language taught, and different approaches and techniques should be used. Pronunciation teaching at secondary schools is just as important, but techniques need to be adjusted, as Strevens (1991) claims that many older learners show more inhibition when it comes to auditory discrimination and plasticity for language acquisition, some might lack the ability to monitor their own pronunciation, to notice and correct own mistakes. Also, some adolescent learners shy away from producing unfamiliar sounds. On the other hand, they can explicitly learn about speech sounds, their correct production, rules of pronunciation, etc. Recommended teaching techniques enhancing correct pronunciation are drill and imitation, minimal pairs based on a slight change of a phoneme in the word, model dialogues and phrases, lip reading, reading aloud, chants and riddles, tongue twisters, songs, presentations, interactive games, etc. 2 Development of Listening and Speaking The natural sequence of language skills starts with listening and comprehension. It is a receptive skill present in everyday life. In the development of listening as a foreign language skill, Scrivener (2011) points out several problems such as native speakers speaking fast and using different accents, learners cannot differentiate where utterances start and finish, learners cannot <?page no="230"?> Eva Reid & Božena Horváthová 230 pronounce the words they do not know and learners do not understand what is said. In order to offer learners adequate forms of support, teachers should include particular tasks, activities and strategies aimed towards learning correct pronunciation, getting to know different accents, understanding meaning based on important words, and subsequently eliminating the above-mentioned problems based on age and level competences. Procházková (2013) claims that neither skill should be approached individually without being connected to another skill. Thus, listening is naturally connected to speaking. Paulíková (2017) investigated factors causing difficulties in speech production of learners: accuracy and fluency, knowledge, time pressure, ’nothing to say‘, use of mother tongue and confidence. Therefore, speaking activities need to reflect real-life communication. Speaking is very closely connected to pronunciation and intelligibility should be emphasised. Kováčiková and Gajdáčová Veselá (2016) organize speaking activities according to the topic stemming from the age and interests of language learners. Activities cover choir or individual imitations, presenting learnt phrases and language structures, reading aloud, role plays, dialogues, tongue twisters, riddles, songs and chants. In the following paragraph, we are presenting research dealing with the support of strategies aimed at the development of pronunciation. 3 Methodology of Research Data for the study 30 were gathered through two variants of a standardised quantitative instrument (for further information see 3.2) - a strategy inventory for primary and secondary school teachers which identifies the support of pupils’ use of foreign language learning strategies by the teacher. This support is aimed at natural use of learning strategies by pupils, both in and out of the classroom, which corresponds with the learning objectives. The main aim of the research is: to investigate which foreign language learning strategies primary and secondary school teachers support in improving learners’ pronunciation within listening comprehension and speaking of the foreign language. 3.1 Sampling and Research Subjects The inventory for primary school teachers was administered to 42 English language teachers at primary schools in Slovakia and 66 English language 30 The paper includes research results gained as a part of the project KEGA 006UKF-4/ 2017 “Kontrastívna analýza ako efektívna podporná metóda vyučovania anglickej výslovnosti na ZŠ.” <?page no="231"?> Pronunciation Strategies at Primary and Secondary Level of TEFL 231 teachers at secondary schools in Slovakia. All respondents are qualified inservice teachers. 3.2 Data Collection Instruments For the purpose of this study the Inventory for teachers at primary schools (sixtyfour brief items) and Inventory for teachers at secondary schools (eighty-nine items) were used. The inventories were translated by Vlčková and Přikrylová with the permission of the authors Cohen and Oxford (2002). Their purpose is to detect what learning strategies teachers support when teaching a foreign language. The inventories are structured according to the language skills (listening, reading, speaking, and writing). Items aimed at pronunciation strategies are integrated into the section listening and speaking. Respondents rated the extent to which the statements in the questionnaire described their actual support of each foreign language strategy using a three-point response format ranging from “I do not use this strategy and I do not consider it useful” through “I do not know this strategy but I find it interesting” to “I use this strategy and I consider it useful”. 3.3 Research Results This section presents the results of the inventory-based survey. The approach according to the division of language skills into listening and speaking is applied to categorise the supported language learning strategies. The tables illustrate the percentage of teachers’ strategy support. Those preferences which have reached more than 70 % are considered relevant. Table 1 presents an overview of strategies which are used by primary school English language teachers. These strategies focus on listening and speaking skills and target the development of correct pronunciation of pupils. Only one listening strategy was chosen by the majority of English language teachers at primary schools. 95 % of the teachers claimed to teach their pupils to try to remember unfamiliar sounds they hear. The questionnaire does not specify how the unfamiliar sounds are pointed out and explained to the pupils, but it would be interesting to know how the teachers do it. Only 49 % of teachers used rhymes for learning new words, even though rhymes are supposed to be an excellent way for learning the correct pronunciation of the new words, rhythm and intonation. Paying attention to similar or different sounds in their mother tongue was used only by 34 % of the teachers. Matching sounds in new words with the sounds in words they know was regularly used by 66 % of the teachers. The strategy developing awareness of intonation by encouraging learners to guess the meaning from the tone of the speaker was chosen only by 41 % of the teachers. With the right use of authentic listening materials young learners have the ability to acquire very good <?page no="232"?> Eva Reid & Božena Horváthová 232 pronunciation. Surprisingly, the listening strategies were not used much by the teachers who took part in our research. Tab. 1: Enhancing strategies for increasing learner’s exposition to the foreign language and for comprehension and production of the foreign language by primary school teachers Speaking strategies were used more frequently by primary school English teachers. All three strategies connected to practicing pronunciation were regularly used by the majority of surveyed teachers. All 41 teachers claimed to recommend their pupils to say new expressions back to themselves. Thereby, the learners practice sounds of new expressions. 73 % of teachers reported that they practice repeating new sounds with pupils until they can say them correctly and recommend pupils to imitate native speakers’ speech. Additional information about the sources of the native language that teachers used and how they taught their pupils to imitate the native speakers’ speech would be interesting to find out. Overall, listening and speaking strategies connected to pronunciation were not used in the same proportion by primary school English teachers. Listening was not used much, only one out of five listening strategies connected to pronunciation was regularly used by primary school English language teachers. All listening strategies mentioned by the questionnaire should be used on a regular basis. The questionnaire, however, did not include any items referring to music, except one using rhymes and we consider this to be a weakness of the inventory. I do not use this strategy I find it interesting I use this strategy Listening 4. We look for sounds or words in the language that are like sounds in Slovak. 9 (22 %) 18 (44 %) 14 (34 %) 5. I teach learners to try to remember unfamiliar sounds they hear. 1 (2 %) 1 (2 %) 39 (95 %) 12. I teach learners to guess the meaning from the person’s tone (such as angry or happy). 6 (15 %) 18 (44 %) 17 (41 %) 16. We match the sound of the new word with the sound of a word I know. 1 (2 %) 13 (32 %) 27 (66 %) 17. We use rhymes to remember new words. 2 (5 %) 19 (46 %) 20 (49 %) Speaking 23. We make the sounds of the language until learners can say them well. 9 (22 %) 2 (5 %) 30 (73 %) 24. I recommend learners to imitate the way native speakers talk. 2 (5 %) 9 (22 %) 30 (73 %) 25. We say new expressions over to ourselves. 0 0 41 (100 %) <?page no="233"?> Pronunciation Strategies at Primary and Secondary Level of TEFL 233 Table 2 shows the overall results of the strategies used by secondary school English language teachers. It reports listening and speaking strategies which are connected to pronunciation teaching. Tab. 2: Enhancing strategies for increasing learner’s exposition to the foreign language and strategies for comprehension and production of the foreign language by secondary school teachers The secondary school English language teachers reported to regularly use three out of eleven listening strategies which are connected with pronunciation. A majority of 87 % of teachers claimed to recommend that learners ask native speakers about unfamiliar sounds. It is a useful strategy, but it is not known how often, if ever, the students have an opportunity to speak to native I do not use this strategy I find it interesting I use this strategy Listening 5. We practice sounds in the target language that are very different from sounds in their own language so that learners become comfortable with them. 2 (3 %) 7 (11 %) 54 (86 %) 6. I tell the learners to look for associations between the sound of a word or phrase in the new language with the sound of a familiar word. 4 (6 %) 20 (32 %) 39 (62 %) 7. We imitate the way native speakers talk. 6 (10 %) 5 (8 %) 52 (83 %) 8. I recommend learners to ask a native speaker about unfamiliar sounds that they hear. 1 (2 %) 7 (11 %) 55 (87 %) 11. We pay special attention to specific aspects of the language; for example, the way the speaker pronounces certain sounds. 6 (10 %) 17 (27 %) 40 (63 %) 13. We listen for word and sentence stress to see what native speakers emphasize when they speak. 7 (11 %) 22 (35 %) 34 (54 %) 14. I teach learners to pay attention to when and how long people tend to pause. 23 (37 %) 27 (43 %) 13 (21 %) 15. We pay attention to the rise and fall of speech by native speakers - the “music” of it. 10 (16 %) 28 (44 %) 25 (40 %) 20. I teach learners to use the speakers’ tone of voice as a clue to the meaning of what they are saying. 17 (27 %) 34 (54 %) 12 (19 %) 30. I tell the learners to associate the sound of the new word with the sound of a word that is familiar to them. 9 (14 %) 13 (21 %) 41 (65 %) 31. I tell the learners to use rhyming to remember new words. 22 (35 %) 25 (40 %) 16 (25 %) Speaking 45. We practice saying new expressions to ourselves. 3 (5 %) 4 (6 %) 56 (89 %) 47. We think about how a native speaker might say something and practice saying it that way. 12 (19 %) 26 (41 %) 25 (40 %) <?page no="234"?> Eva Reid & Božena Horváthová 234 speakers. 86 % of teachers said that they practice the different sounds until learners feel comfortable pronouncing them. 83 % of teachers reported to encourage their students to imitate native speakers’ speech. Only these three strategies supporting pronunciation through listening were chosen by the majority of the teachers. Eight other strategies were not used much by secondary school English teachers. The fewest teachers (19 %) encouraged their learners to guess the meaning based on the speaker’s tone of voice, 21 % taught learners to pay attention to pauses in speech, 25 % encouraged learners to use rhymes and 40 % advised learners to pay attention to intonation of native speakers’ speech and 54 % of the teachers encouraged their learners to focus attention to word and sentence stress. All the strategies that develop suprasegmental aspects of pronunciation were underestimated by the surveyed teachers. Segmental features concerning correct pronunciation of sounds received more attention, such as looking for association between sounds in new words and words learners were already familiar with (62%), paying attention to specific sounds (63 %) and associating sounds between words (65 %). There were only two speaking strategies in the survey, which develop pronunciation. One of them was used regularly by 89 % of the teachers and it recommends practicing new expressions. Only 40 % of the teachers encouraged their learners to think about the way native speakers say something and practice it afterwards. There are certainly more ways of practicing pronunciation in speaking, but in this survey only these two were itemised. From the analyses shown above it is obvious that the secondary school English language teachers, who took part in the survey, do not pay much attention to the development of pronunciation neither through listening nor speaking. When the teachers paid attention to pronunciation, it was mainly concerning segmental aspects, whereas the suprasegmental level was undervalued. As with the questionnaire of primary school teachers, this questionnaire also failed to include music in teaching listening or speaking. Even though it suggests imitating native speakers’ speech, rhythm and intonation - the music of their pronunciation -, it does not recommend using music in speaking or listening. Conclusion The purpose of this research was to find out which foreign language strategies primary and secondary English language teachers supported with the aim to improve learners’ pronunciation through listening and speaking. From the complex inventory, only the strategies aimed at the development of pronunciation through listening and speaking were used for analyses. At both levels of education, primary and secondary, the teachers used only very few strategies regularly for the development of pronunciation through listening and <?page no="235"?> Pronunciation Strategies at Primary and Secondary Level of TEFL 235 speaking. Overall, from listening strategies, which were sixteen altogether, only four were applied by the majority of the surveyed teachers. These strategies were targeted mainly at the segmental level of pronunciation. The support for the development of suprasegmental level was offered only by less than half of the teachers, which is quite alarming as the correct stress, rhythm and intonation of English language, helps learners to understand the speech of native speakers, and to be understood. There were five speaking strategies at primary school level altogether, from which only three were chosen by primary school teachers and one out of the two strategies at secondary level was implemented by the secondary school teachers. It is apparent that the surveyed teachers did not make sufficient use of the breadth of listening strategies in particular, which not only diminishes their students’ exposure to correct pronunciation, moreover a decernable impact on the acquirement and development of the students’ listening skills could be expected. References Brand, M. (2007): Music, Asia, and English: Use of pop-songs in ESL instruction. In: Asia-Pacific Journal for Arts Edudaction 5(2), 66-75. 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Wenn es also um die Digitalisierung der Schulen und des Unterrichts geht, stellt sich immer wieder die wichtige Frage: Unter welchen Voraussetzungen hat das Lernen mit digitalen Medien einen nachweislichen Mehrwert gegenüber dem analogen Lernen? In diesem Beitrag werden die (unveröffentlichten) Ergebnisse einer empirischen Untersuchung (Reinhardt 2017) zum Einsatzpotenzial einer Vokabellernapplikation als Lernstrategie zur selbstgesteuerten Wortschatzarbeit im Englischunterricht zusammengefasst. 31 Hierbei erwies sich das digitale Lernen mit der App als nützliche und leistungsfördernde Lernstrategie, welche neue Lernorte und das Nutzen von dead times ermöglichte. 32 Bevor die Studie und ihre Ergebnisse in Abschnitt 3 vorgestellt werden, erfolgt zunächst eine kurze Hinführung zu den Themen des mobilen Lernens und der Lernstrategien unter Berücksichtigung von relevanten Forschungsergebnissen. 2 MALL und Lernstrategien im Fremdsprachenunterricht Die Integration der mobilen Geräte von Schülerinnen und Schülern in den Unterricht im Rahmen des gesteuerten oder formellen Lernens, also mit Unterstützung der Lehrkraft (Pfeil 2015: 5), wird häufig als BYOD (Bring Your Own Device) bezeichnet (Böttcher 2015: 10, Feick 2015: 17). Während der com- 31 Die Studie wurde im Rahmen einer von Prof. Sambanis betreuten Masterarbeit in der Didaktik des Englischen (Freie Universität Berlin) durchgeführt. 32 Als dead times werden meist Zeiten bezeichnet, die normalerweise als ungenutzt gelten, bspw. Wartezeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln, Restaurants, Warteräumen etc. <?page no="238"?> Irena Reinhardt 238 putergestützte CALL-Unterricht auf eine ausreichende technologische Ausstattung der Schulen angewiesen ist, kann dies mit MALL umgangen werden, indem die Lernenden ihre eigenen Geräte mitbringen. 33 Inzwischen besitzen 97 % der 12bis 19-jährigen Jugendlichen ein Smartphone, was als Vollausstattung bezeichnet werden kann (mpfs 2017). Unabhängig vom Geschlecht ist das Smartphone mittlerweile Hauptzugangsweg zum Internet und generell das am häufigsten genutzte Medium unter den Jugendlichen geworden (mpfs 2016). Im Schulalltag jedoch wird das Smartphone noch eher selten genutzt (mpfs 2017). Dazu trägt sicherlich u.a. das Handyverbot bei, das an vielen Schulen gilt; laut einer repräsentativen Bitkom-Umfrage sind an jeder zweiten Schule Handys im Unterricht verboten (Bitkom Research 2016). Weitere Gründe könnten Vorbehalte von Lehrkräften, Schulen oder Eltern sein, bspw. wegen Datenschutzfragen oder der Herausforderung, die Aktivitäten der Lernenden am Smartphone im Unterricht zu kontrollieren, während es eingesetzt wird. Das mobile Lernen mit dem Smartphone kann aber den Präsenzunterricht auch um Lernaktivitäten außerhalb des Unterrichts ergänzen (Feick 2015), bspw. im Bereich des selbstgesteuerten Vokabellernens. So gibt es u.a. Vokabeltrainer-Applikationen, die nach dem Prinzip der Vokabelkartei funktionieren (Oesterreicher 2016: 18, Grimm & Hammer 2014: 3), und somit als eine vergleichbare Lernstrategie genutzt werden können. Besonders beim Vokabellernen wird die Bedeutung der Vermittlung von Lernstrategien zum selbstregulierten Lernen häufig betont (vgl. u.a. Schmitt 2000, Stork 2003), was als ein Hinweis auf die Entwicklung weg vom lehrerzentrierten Unterrichten gedeutet werden kann (Schmitt 2000: 132). Die zielgerichtete Anwendung von Vokabellernstrategien fördert laut Stork (2003: 80f.) die Effektivität des Fremdsprachenlernens, das zukünftige Weiterlernen, die Individualisierung des Lernprozesses sowie die Steigerung von Selbstvertrauen und Motivation. Vokabeltrainerapplikationen bieten den Lernenden dabei idealerweise Kontextualisierungsbeispiele und die Möglichkeit, sich die Aussprache per Audioausgabe demonstrieren zu lassen (Oesterreicher 2016: 184f.). Die Vokabeltrainer-Apps bieten demnach theoretisch die Möglichkeit zu elaborierten Wiederholungsübungen, die eine Speicherung im Langzeitgedächtnis begünstigen können. Sie sind mobil und jederzeit, meist auch offline, einsetzbar und können Lernenden helfen, regelmäßig zu lernen (vgl. Grimm & Hammer 2014), da sie oftmals den Lernstand und bisherige Lernzeiten anzeigen. Das Tippen bzw. „Touchen“ wird gegenüber dem traditionellen Schreiben auf Papier jedoch häufig als nachteilig angesehen. Unter anderem fanden Mueller und Oppenheimer (2014) in einer Studie mit Studierenden der Princeton Universität heraus, dass diejenigen Studierenden, die sich auf dem Laptop 33 CALL steht für Computer-Assisted Language Learning, MALL für Mobile-Assisted Language Learning. <?page no="239"?> MALL im Englischunterricht 239 Notizen machten, die Inhalte später deutlich schlechter wiedergeben konnten als Studierende, die mit der Hand schrieben. Diese Ergebnisse werden auf eine geringere Verarbeitung der geschriebenen Informationen beim Tippen zurückgeführt. Schmidt (2016) analysierte 50 aktuelle Fremdsprachenlern- Apps und stellte fest, dass kommunikative Kontexte oftmals fehlten und viele Apps sich auf „behavioristisch anmutende Drill- & Practice-Formate mit vielen Wiederholungsschleifen zum isolierten Training von Wortschatz [...]“ beschränken. Gleichzeitig fand er auch einige didaktisch gut konzipierte Beispiele. 34 3 Empirische Untersuchung zu MALL im Englischunterricht Dem mobilen Lernen mit digitalen Medien wird das Potenzial zur Förderung von Lernstrategien zugesprochen (vgl. Grimm und Hammer 2014: 5). Mobiles Lernen kann jederzeit und allerorts stattfinden, was u.a. zur häufigeren Wiederholung von Vokabeln führen kann. Darüber hinaus knüpft das Lernen mit dem Smartphone an die außerschulischen Interessen der Schülerinnen und Schüler an (ebd.), was neben der Autonomie eine wichtige Voraussetzung für die Motivation ist. Die Frage, ob mobile Lernende neue Lernzeiten und -orte, insbesondere dead times nutzen, ist zentraler Bestandteil der empirischen Studie, die im Rahmen einer Masterarbeit im Jahr 2017 durchgeführt wurde (Reinhardt 2017) und deren Ergebnisse im Folgenden vorgestellt werden sollen. Die Studie befasste sich mit der Wortschatzarbeit im Englischunterricht. 3.1 Hypothesen und Fragestellung Die im zweiten Abschnitt kurz vorgestellten Implikationen aus der Forschung zum mobilen Lernen und zur Wortschatzarbeit bildeten die Grundlage für die Forschungsfrage der empirischen Untersuchung: Kann die Nutzung einer Smartphone-Applikation das selbstregulierte Lernen von Schülerinnen und Schülern außerhalb des Präsenzunterrichts fördern und somit als Lernstrategie die Wortschatzarbeit im Englischunterricht sinnvoll ergänzen? Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden die folgenden Hypothesen formuliert: H0.1 Die Lernenden zeigen nach einer Selbstlernphase mit einer Vokabellernapplikation den gleichen Lernerfolg wie die Kontrollgruppe. 34 Schmidt (2016: 99) nennt als Positivbeispiele die Apps Duolingo und Das Geheimnis der Himmelsscheibe des Goethe-Instituts. <?page no="240"?> Irena Reinhardt 240 H0.2 Die Lernenden zeigen nach einer Selbstlernphase mit einer Vokabellernapplikation einen größeren Lernerfolg als die Kontrollgruppe. H1.1 Die Lernenden berichten nach einer Selbstlernphase mit einer Vokabellern-Applikation von einer höheren Lernmotivation als die Kontrollgruppe. H1.2 Die Lernenden geben an, die Lernstrategie während der Selbstlernphase mit einer Vokabellern-Applikation öfter angewendet zu haben als die Kontrollgruppe und dabei häufiger sogenannte dead times genutzt zu haben. H1.3 Die Lernenden zeigen nach einer Selbstlernphase mit einer Vokabellern-Applikation eine höhere Motivation zum zukünftigen Weiterlernen mit der Lernstrategie als die Kontrollgruppe. H2 Der Lernerfolg der Lernenden steht in einem positiven Zusammenhang mit der Lernmotivation und der Anwendungshäufigkeit während des Lernprozesses. 3.2 Methodik, Stichprobe und Studiendesign Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine Versuchsgruppe dazu angeleitet, als Lernstrategie selbstständig eine Vokabellern-Applikation auf den eigenen Smartphones zu nutzen, während die Kontrollgruppe mit der analogen Entsprechung der Vokabelkartei lernte. Zuvor wurde beiden Gruppen die entsprechende Lernstrategie in einer kurzen Intervention vermittelt. Die Versuchsgruppe nutzte den Pons Vokabeltrainer, der kostenlos für die Betriebssysteme Android und iOS auf den entsprechenden Plattformen zum Download verfügbar ist. Neben vorgefertigten, nach Themen sortierten Lektionen besteht die Möglichkeit, eigene Lektionen anzulegen, wovon während der Studie Gebrauch gemacht wurde. Die App sortiert Vokabeln nach dem Lernstand, gibt Feedback und bietet unterschiedliche Übungsformate sowie eine Audioausgabe an. Die Studie wurde in zwei Klassen des achten Jahrgangs eines Berliner Gymnasiums durchgeführt. Die Zuteilung der Klassen zu Versuchs- und Kontrollgruppe erfolgte durch ein Losverfahren. Mit dem Einverständnis der Eltern nahmen 19 Schülerinnen und Schüler in der Versuchsgruppe teil, darunter 9 Mädchen und 10 Jungen. In der Kontrollgruppe waren es 20 Schülerinnen und Schüler, davon 11 Jungen und 9 Mädchen. Alle Teilnehmenden lernten Englisch als erste Fremdsprache. Als Erhebungsinstrumente wurden zwei (identische) Vokabeltests eingesetzt, welche den Lernerfolg zu zwei Zeitpunkten maßen, sowie zwei Fragebögen (A) und (B), die ebenfalls zu zwei Zeitpunkten, vor und nach der Intervention, zum Einsatz kamen. Insgesamt erfolgte die Durchführung der Studie <?page no="241"?> MALL im Englischunterricht 241 an drei Messzeitpunkten (t 1 , t 2 , t 3 ) verteilt über einen Zeitraum von drei Wochen: Abb. 2: Studiendesign Der erste Fragebogen, in der Tabelle als Fragebogen (A) bezeichnet, befasste sich zunächst mit Gewohnheiten der Schülerinnen und Schüler bzgl. der Smartphone-Nutzung und ihrer Vokabellernstrategien. Beide Fragebögen, (A) und (B), beinhalteten Fragen nach den Lernzeiten und -orten, sowie der Motivation und Konzentration, um einen möglichen Einfluss der neuen Lernstrategie feststellen zu können. Auf dem zweiten Fragebogen (B) sollten die Lernenden sich außerdem zur Wiederverwendbarkeit ihrer neuen Lernstrategie und zu möglichen Problemen äußern. 3.3 Diskussion und Auswertung der Hypothesen und der Fragestellung Die Hypothesen H 0.1 -H 2 werden im Folgenden basierend auf den Ergebnissen der empirischen Untersuchung ausgewertet. H0.1 Gleicher Lernerfolg in beiden Gruppen. H0.2 Größerer Lernerfolg der Versuchsgruppe (mit App). Die Ergebnisse des ersten Vokabeltests nach der Intervention (t 2 ) belegen einen signifikanten Unterschied in der Leistung zugunsten der Versuchsgruppe, welche mit der Vokabellern-Applikation lernte und damit bessere Testergebnisse erzielte als die Kontrollgruppe. Somit kann die Hypothese H 0.1 abgelehnt und die Hypothese H 0.2 angenommen werden. Auch im Hinblick auf die Rechtschreibung schnitten die Schülerinnen und Schüler, die mit der App lernten, signifikant besser ab. Obwohl Ergebnisse aus der Forschung (vgl. u.a. Longcamp et al. 2008) auf einen Nachteil des Tippens gegenüber dem Schreiben schließen lassen, konnten die Schülerinnen und Schüler nach dem Lernen am Smartphone die Rechtschreibung korrekter wiedergeben als die der Kontrollgruppe. Möglicherweise lässt sich dieses Ergebnis damit begründen, dass die App in jeder der Wiederholungseinheiten das Eintippen des Wortes fordert und automatisch auf Fehler in der Rechtschreibung hinweist, während das Aufschreiben von Wörtern in der Vokabelkartei nur einmalig geschieht und kein automatischer Hinweis auf Fehler erfolgt. So kann <?page no="242"?> Irena Reinhardt 242 die App eventuell durch das wiederholte Einfordern des Schriftbildes mögliche Nachteile ausgleichen, die durch das Eintippen für die Verarbeitung und Erinnerung der Wörter entstehen. Die Lernenden mit der App schnitten im letzten Test (t 3 ) zwar weiterhin besser ab, der Unterschied war aber bereits nicht mehr statistisch signifikant; die Leistung der beiden Gruppen hatte sich also tendenziell eher angeglichen. Somit bleibt das Anhalten des positiven Effektes auf die Leistung über einen längeren Zeitraum und nach dem Abfallen des Novitätseffektes zu hinterfragen. H1.1 Höhere Lernmotivation in der Versuchsgruppe (mit App). Die Überprüfung der Lernmotivation erfolgte in den Fragebögen über die Bewertung von Aussagen zu Spaß, Konzentration und Selbstbewertung („das Vokabellernen fällt mir leicht“). Die Ergebnisse nach der Intervention lieferten ähnliche Resultate für beide Gruppen und keine signifikanten Unterschiede. Auch in der Vergabe der Schulnote für die App bzw. die Vokabelkartei insgesamt als Lernstrategie gab es keinen bedeutenden Unterschied. Somit kann die Hypothese H 1.1 nicht bestätigt werden. Generell bewerteten beide Gruppen ihre Lernstrategie als positiv, bei jeder der Aussagen stimmte eine deutliche Mehrheit voll oder eher zu, dass das Lernen in jener Woche, in der die neue Lernstrategie eingesetzt wurde, in Bezug auf die erfragten Aspekte besser gewesen sei (z.B. mehr Spaß gemacht habe) als sonst. Es kann geschlussfolgert werden, dass die Vermittlung von neuen Lernstrategien sich positiv auf die Motivation und die Selbstbewertung der Lernenden auswirken kann (vgl. Stork 2003: 81) und sowohl die Vokabelkartei als auch die Vokabellern-Applikation diesen Effekt bei den Schülerinnen und Schülern erzielen konnten. Der didaktischen Forderung aus der Fremdsprachen- und Hirnforschung, positive Emotionen und die Motivation beim (Vokabel-)lernen zu fördern (vgl. u.a. Sambanis 2013: 27ff.), kann, so lässt sich aus den gewonnenen Erkenntnissen vorsichtig schließen, möglicherweise durch die Vermittlung neuer Lernstrategien nachgekommen werden, wobei die digitale Strategie (in diesem Fall die Vokabeltrainer-Applikation) nicht per se als besser geeignet betrachtet werden kann. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nach der Intervention zeigen, dass die Jungen sich durch die Vokabelkartei deutlich stärker motiviert fühlten als die Mädchen, während es unter den App- Lernenden keine solchen Unterschiede gab. Möglicherweise kann dies mit dem Umstand erklärt werden, dass die Vokabelkartei bei den Mädchen signifikant häufiger bereits zuvor zum Lernstrategie-Repertoire gehörte, wie der erste Fragebogen (A) ergab, und das Lernen mit Kartei für sie daher kein motivierendes Novum mehr war, im Gegensatz zu den Jungen. Dieser Befund kann aufgrund der geringen Stichprobengröße der Studie jedoch nicht generalisiert werden und sollte bspw. durch eine Replikationsstudie weiter untersucht werden. <?page no="243"?> MALL im Englischunterricht 243 Die Korrelationsanalyse zeigte, dass es einen engen positiven Zusammenhang zwischen einigen Variablen des Bereichs der Lernmotivation/ Konzentration gab. So hingen Spaß, Konzentration, Wiederverwendbarkeit der Strategie und Selbstbewertung eng miteinander zusammen; je größer oder positiver die eine Variable, desto größer oder positiver war auch die andere. Es gilt demnach, dass auch die Förderung einzelner Faktoren der Motivation/ Konzentration, wie bspw. des Spaßes oder der Selbstbewertung der Lernenden, einen positiven Einfluss auf zahlreiche weitere Faktoren und somit auf die generelle Lernmotivation haben kann, obwohl hier natürlich nicht von einem Ursache- Wirkung-Prinzip ausgegangen werden kann. Die Vermittlung neuer Lernstrategien scheint einen Beitrag zur Motivationsförderung leisten zu können. H1.2 Häufigere Anwendung und Nutzung von sogenannten dead times in der Versuchsgruppe (mit App). Die Ergebnisse der Fragebögen (A) und (B) belegen, dass die Unterschiede in den Lernzeiten vor der Intervention noch nicht signifikant waren, nach der Intervention hatten die Schülerinnen und Schüler der Versuchsgruppe jedoch in Häufigkeit und Dauer etwas öfter bzw. länger selbstständig mit der App gelernt als die der Kontrollgruppe mit der Vokabelkartei, und diese Unterschiede waren für die untersuchte Gruppe (N=34) statistisch signifikant. Es lässt sich schlussfolgern, dass das Lernen am Smartphone im Sinne von Abb. 2: Vokabellernorte der Versuchsgruppe (App) <?page no="244"?> Irena Reinhardt 244 Grimm und Hammer (2014) möglicherweise das Potenzial hat, das Zeitmanagement und das regelmäßig wiederholende Lernen der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Dies kann auch in der vorliegenden Studie in Zusammenhang gebracht werden mit dem mobilen Lernen unterwegs, welches durch die Portabilität des Smartphones erleichtert wird. So gab es nach der Intervention einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen in der Kategorie des Lernortes unterwegs, den die App-Lernenden deutlich öfter nutzten als die Lernenden mit Vokabelkartei, welche wiederum signifikant öfter in den Schulpausen lernten. Das Lernen unterwegs wird als das Nutzen von dead times gewertet. Auch die Angaben der Versuchsgruppe über andere Lernorte, die hier am dritthäufigsten ausgewählt wurden, lassen auf eine Nutzung von Wartezeiten schließen, da hier zumeist Angaben wie „im Restaurant“ oder „im Auto“ gemacht wurden. Somit lässt sich die Hypothese H 1.2 verifizieren und das Potenzial von Wortschatz-Apps zur Nutzung neuer Lernorte und -zeiten zumindest für die befragte Gruppe bestätigen. H1.3 Höhere Motivation zum zukünftigen Weiterlernen in der Versuchsgruppe (mit App). Mehr als Dreiviertel der Lernenden beider Gruppen gaben nach der Intervention an, dass sie auch zukünftig mit der App bzw. mit den Karteikarten lernen würden. Die Ergebnisse belegen keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Ähnlich wie bei den Ergebnissen zu der Hypothese H 1.1 zur Motivation scheint die Vermittlung der neuen Lernstrategie sich in beiden Gruppen gleichermaßen positiv auf die Motivation zum zukünftigen Weiterlernen mit der Lernstrategie ausgewirkt zu haben; keine der beiden Strategien setzte sich als motivierender durch. Die Hypothese H 1.3 muss somit verworfen werden. H2 Positiver Zusammenhang zwischen Lernerfolg und Lernmotivation sowie Anwendungshäufigkeit. Die Korrelationsanalyse ergab, dass es bei der befragten Gruppe einen Zusammenhang zwischen dem im ersten Vokabeltest erfassten Lernerfolg und zwei Items der Skala Lernmotivation gab: Einen stark signifikanten Zusammenhang mit der geringeren Ablenkung beim Lernen mit der App/ der Vokabelkartei nach der Intervention, sowie einen schwach signifikanten Zusammenhang mit der Wiederverwendbarkeit der Lernstrategie. Schülerinnen und Schüler, die sich beim Lernen weniger abgelenkt fühlten als normalerweise, oder die ihre Strategie gerne weiterhin nutzen würden, zeigten auch einen größeren Lernerfolg im Short-Term-Achievement Test (t 2 ). Einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Lernerfolg der Lernenden und den Lernzeiten gab es in dieser Gruppe wider Erwarten nicht. Die Hypothese H 2 kann somit nicht bestätigt werden. Aufgrund der kurzen Selbstlernphase von nur einer Woche kann der fehlende korrelative Zusammenhang zwischen Lernzeiten <?page no="245"?> MALL im Englischunterricht 245 und Lernerfolg jedoch nicht als Beweis für eine Irrelevanz der Anwendungshäufigkeit für den Lernerfolg gedeutet werden; solche Zusammenhänge müssten über längere Anwendungszeiträume eingehender untersucht werden. 4 Fazit Die Ergebnisse der vorliegenden Studie bleiben u.a. aufgrund der kleinen Stichprobengröße und des gezwungenermaßen im Rahmen eines zeitlich eng terminierten Masterarbeitsprojekts kurzen Durchführungszeitraums durchaus zu hinterfragen. Langfristigere Panel-Studien könnten verlässlichere Ergebnisse liefern. Die Ergebnisse belegen jedoch für die untersuchte Stichprobe, dass die Schülerinnen und Schüler, die selbstreguliert mit einer Smartphone-Applikation lernten, im Short-Term-Achievement Test (t 2 ) deutlich besser abschnitten und in der Selbstlernphase öfter und mobiler lernten als diejenigen, die eine Vokabelkartei nutzten. Die Smartphone-Lernenden zeigten zwar weder eine deutlich höhere Lernmotivation noch eine höhere Motivation zum zukünftigen Vokabellernen als die Lernenden mit Vokabelkartei, es ergaben sich hier aber auch keine Nachteile für sie. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Einführung einer neuen Lernstrategie zum Vokabellernen Potenzial zur Förderung der Motivation haben kann. Die Vokabeltrainerapplikation als digitale, mobile Lernstrategie im Speziellen hat weiterhin das Potenzial, neue Lernorte und -zeiten (dead times) zu erschließen und die Leistung, zumindest kurzfristig, zu steigern und ist somit als ergänzende Lernstrategie für die selbstregulierte Wortschatzarbeit im Englischunterricht durchaus zu empfehlen. Gleichzeitig zeigt die große Anzahl an Problemen, welche die Smartphone-Lernenden nannten und häufig als „nervig“ umschrieben, dass die technischen Schwierigkeiten, die eine Applikation mit sich bringen kann, zu digitalem Stress beitragen können. Wichtig bleibt hierbei die Auswahl einer sinnvoll konzipierten App, sowie die Erprobung und Auswertung derselben, damit möglichen Frustrationen seitens der Lernenden vorgebeugt und gemeinsam die beste Anwendungsweise herausgefunden werden kann. <?page no="246"?> Irena Reinhardt 246 Literatur Bitkom Research (2016): Handy-Verbote in Schulen sind von gestern. 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Auch Petra Arndt legte in ihrem Vortrag überzeugend dar, dass trotz aller technischer Neuerungen das Schreiben von Hand bei Kindern von großer Wichtigkeit ist und mitnichten gänzlich durch das Tippen an der Tastatur oder das Wischen über den Bildschirm abgelöst werden sollte (vgl. Arndt in diesem Band). Zum Fremdsprachenerwerb im schulischen Unterricht erweist sich der Einsatz zweier Formen von Bewegung als besonders nutzbringend, nämlich sowohl eine, die „in ausgleichender, erfrischender und stabilisierender Funktion eingesetzt wird, als auch die Kopplung von Inhalten und Bewegung“ (Arndt & Sambanis 2017: 142). Mit ihrer Metaanalyse führen Fedewa und Ahn (2011) Befunde zusammen, die positive Effekte von Bewegung im Unterricht als Ausgleich und zur kognitiven Leistungssteigerung mit 59 Studien nachweisen. Sie kommen zu dem Schluss „that physical activity has a significantly positive impact on children’s cognitive outcomes and academic achievement“(Fedewa & Ahn 2011: 530). Fedewa und Ahn (2011) nennen u.a. nach Shephard (1996) drei mögliche Gründe für die positiven Auswirkungen von in ausgleichender Funktion eingesetzter Bewegung auf die kognitive Leistung der Schülerinnen und Schüler. So ist denkbar, dass „increased activity may enhance arousal and minimize fatigue and boredom“(ebd.: 531), außerdem führe „increased physical activity […] to higher levels of self-esteem.“ Möglich wäre auch die neurowissenschaftlichere Erklärung nach Hillmann et al. (2004, 2006), dass „changes in brain structure, function, and neurotransmitter concentrations occur in individuals who are more physically active“ (Fedewa & Ahn 2011: 531). <?page no="248"?> Jennifer Schilitz 248 Doch auch der gezielte, an das Wort gekoppelte Einsatz von Bewegungen wurde in einer Reihe von Untersuchungen empirisch erforscht. Durch zahlreiche Studien konnte nachgewiesen werden, dass „Inhalte, die zusammen mit Bewegungen gelernt werden, sich in vielen Fällen als resistenter erweisen“ (Böttger & Sambanis 2017: 62), was bedeutet, dass sie im Vergleich zu ohne Bewegungen eingeübten Inhalten weniger schnell vergessen werden (ebd). So überprüfte z.B. Macedonia (2003) die Effekte des Einübens einer Kunstsprache (Vimmi) mit Bewegungen (meaningless gestures vs. iconic gestures) 35 und fand heraus, dass der Einsatz von Bewegungen sinnvoll ist, wenn die Bewegung zu der Bedeutung der Vokabeln passt. Passen die Bewegungen nicht, sind sie lediglich unnötiger, zusätzlicher Ballast. Eine Erklärung hierzu gab die Untersuchung der Studienteilnehmenden anhand von funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT), wobei ihnen die Wörter noch einmal gezeigt wurden. Solche, die mit sinnvollen Gesten gelernt worden waren, führten zu mehr Aktivität in den motorischen Arealen als jene, bei denen die Gesten keinen Bezug zur Wortbedeutung hatten. Letztere aktivierten im Gehirn vielmehr ein Netzwerk um den zingulären Kortex, das auf Inkongruenz zwischen Geste und Wortbedeutung hinweist. (Macedonia 2013: 36) Forschende am TransferZentrum für Neurowissenschaften in Ulm konnten in Verbindung mit einer Gruppe von Gymnasiallehrerinnen und -lehrern 2010 nachweisen, dass sich das Zusammenspiel von Fremdsprachenlernen und Bewegung auch für die Sekundarstufe I als sinnvoll erweist. Das Unterrichtsverfahren des Szenischen Lernens 36 wurde entwickelt und empirisch erprobt, wobei sich unter anderem für das Behalten von fremdsprachlichen Vokabeln das Verfahren des Szenischen Lernens gegenüber der Variante ohne Bewegungen für die Klassenstufen 6 bis 9 als deutlich vorteilhafter erwies (Hille et al. 2010). Bislang vorliegende Studien zum Bewegungslernen erhoben Daten bei Erwachsenen, Kindergartenkindern, Grundschulkindern und Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I (für einen Überblick vgl. Arndt & Sambanis 2017). Als Gymnasiallehrerin war die Frage von hohem Interesse für die Verfasserin, ob die Koppelung von sinntragenden Bewegungen, die sich für andere Lerngruppen bereits als hilfreich erwiesen hat, auch für Schülerinnen und Schüler in der gymnasialen Sekundarstufe II Vorteile bringt. Dies wird im Rahmen des Promotionsprojekts der Verfasserin Jennifer Schilitz in der 35 Beispiele bei Macedonia (2013: 35) sind stufenartige Armbewegungen für das Wort Treppe (iconic gesture) bzw. das Kratzen am Oberschenkel für das Wort Fenster (meaningless gesture). 36 Beim Szenischen Lernen wird neuer Wortschatz in Verbindung mit körperlicher Bewegung und chorischem Sprechen gelernt. <?page no="249"?> Gestengestütztes Vokabellernen in der gymnasialen Oberstufe 249 Didaktik des Englischen an der Freien Universität Berlin mit Prof. Sambanis als Erstbetreuerin untersucht und ein Teil der Ergebnisse im Folgenden dargestellt. 2 Vokabellernen in der gymnasialen Oberstufe Ohne fundiertes lexikalisches Wissen ist es nicht möglich, sich in der englischen Sprache zu artikulieren und Bedeutung zu konstruieren. Thaler (2012: 223) nennt Wörter auch die „Bausteine der Sprache“ und weist darauf hin, dass die lexikalische Kompetenz wichtiger als die grammatische ist. Die Bedeutung lexikalischer Kompetenz zeigt sich auch daran, dass in der überwältigenden Mehrzahl von Kommunikationsstörungen nicht falsche Grammatik, sondern fehlende oder falsch verwendete Wörter die Ursache sind. (ebd.) 2.1 Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe Neben methodischem Wissen, nach welchen Regeln u.a. eine summary, eine outline, eine analysis oder ein comment geschrieben werden sollen 37 , müssen die Schülerinnen und Schüler im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe in der Lage sein, sich in der Fremdsprache zu verschiedenen Themen kompetent zu äußern. Hierzu ist ein dem Thema entsprechender Wortschatz vonnöten. Die Schülerinnen und Schüler müssen in den vier Halbjahren der bis zum Abitur führenden Qualifikationsphase (Q1-Q4) in der Oberstufe zahlreiche englische Vokabeln lernen. So wird in den Bildungsstandards die Notwendigkeit der Verfügbarkeit sprachlicher Mittel dargelegt: Die Schülerinnen und Schüler greifen bei der Sprachrezeption und -produktion auf ein breites Repertoire lexikalischer, grammatischer, textueller und diskursiver Strukturen zurück, um die Fremdsprache auch als Arbeitssprache in der Auseinandersetzung mit komplexen Sachverhalten zu verwenden. (Bildungsstandards 2012: 18) Da der lexikalischen Kompetenz eine wichtige Bedeutung zukommt, erscheint die Überlegung lohnend, herauszufinden, ob es bei verschiedenen methodischen Varianten des Vokabellernens Unterschiede für die Behaltensleistung gibt. 37 Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung hat hierzu Materialien zum selbstständigen standardorientierten Lernen in der gymnasialen Oberstufe Englisch - text production u.a. im Internet veröffentlicht, um den Schülerinnen und Schülern eindeutige Richtlinien zu geben. <?page no="250"?> Jennifer Schilitz 250 2.2 Erforschung von Effekten des Bewegungseinsatzes bei der Wortschatzarbeit in der Oberstufe Vier Varianten des Vokabellernens, nämlich das Abdecken einer Seite, das gegenseitige Abfragen, das Lernen in Entspannung sowie das Lernen mit Bewegungen, wurden im Rahmen des oben genannten Promotionsprojektes im Englischunterricht der Oberstufe angewendet und die Ergebnisse miteinander verglichen. 2.2.1 Zielsetzung und methodische Vorgehensweise Mit der Zielsetzung herauszufinden, welche der vier ausgewählten Varianten des Vokabellernens für Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe den größten Ertrag (sowohl in der Kurzzeitals auch in der mittelfristigen Behaltensleistung) bringt, wurde im Frühjahr 2013 von der Verfasserin im Rahmen ihres Promotionsprojektes in einem Quasi-Experiment 38 in vier elften Klassen (Q2) 39 mit einer Stichprobe von N =59 die Behaltensleistung von Vokabeln untersucht. Die Vokabeln sollten den Schülerinnen und Schülern unbekannt, jedoch für ihre schulische Laufbahn nützlich sein, weswegen Vokabular aus dem 3. (Thema: science and technology) und 4. Kurshalbjahr (Thema: the impact of the media on society) zum Einsatz kam. Die unabhängige Variable in dieser Studie ist das methodische Vorgehen, nämlich die Variante des Einübens der Vokabeln, das in vier Ausprägungen (Abdecken, Abfragen, Entspannung, Bewegung) zur Anwendung kam, die abhängige Variable ist die kurzfristige sowie mittelfristige Behaltensleistung der Probandinnen und Probanden. Zwei der Varianten zum Lernen der Vokabeln waren den Schülerinnen und Schülern durch das eigene Vokabellernen über die Jahre bereits bekannt. So sollten sie zum einen Vokabeln einüben, indem sie in einer klassischen Vokabelliste eine Seite (z.B. das englische Wort) abdeckten und die Übersetzung still für sich in Erinnerung riefen. Bei der zweiten Variante ließen sich die Schülerinnen und Schüler von einer Partnerin bzw. einem Partner die Vokabeln abfragen und tauschten im Anschluss die Rollen. Zwei der Varianten zum Einüben der Vokabeln waren den Schülerinnen und Schülern neu. So sollten sie beim Lernen in Entspannung ihre Augen schließen, die Verfasserin las die Vokabeln langsam vor und gab Eselsbrücken zu den Worten oder wies auf Besonderheiten der Schreibweise hin. Bei der zweiten Variante übten die Schülerinnen und Schüler mit ihrer Partnerin/ ihrem Partner die Vokabeln mit sinntragenden Gesten ein. 38 Bei einem quasi-experimentellen Design werden nicht randomisierte, sondern bereits vorfindbare Gruppen wie z.B. bereits vorhandene Klassen oder Kurse untersucht (Doff 2012: 62). 39 2. Kurshalbjahr der Qualifikationsphase und somit ein Jahr vor der Abiturprüfung. <?page no="251"?> Gestengestütztes Vokabellernen in der gymnasialen Oberstufe 251 Im Anschluss wurde nach einer 20-minütigen Pause der erste Vokabeltest geschrieben (Kurzzeitmessung). Nach sechswöchiger Interimsphase, in welcher die Vokabeln nicht behandelt wurden, erfolgte durch ein follow-up (Messung der mittelfristigen Behaltensleistung) die Generierung weiterer Daten. Auch wurden sämtliche Materialien direkt nach den Übungseinheiten von der Verfasserin eingesammelt, sodass die Schülerinnen und Schüler auf die Vokabeln und Übersetzungen keinen Zugriff hatten. Die Reihenfolge der Vokabeln wurde für den Test der späteren Messung verändert. Das Abprüfen der Vokabeln erfolgte bei beiden Messungen schriftlich in Form eines klassischen Vokabeltests 40 . Jede der vier Grundkursgruppen kam durch das Forschungsdesign des „lateinischen Quadrats“ innerhalb der zwei Wochen sowohl als Experimentalals auch als Kontrollgruppe zum Einsatz (Doff 2012: 65). Die Auswertung der Tests erfolgte sowohl über zwei nicht in die Studie involvierte Rater als auch zusätzlich über die Forscherin. 2.2.2 Darstellung der Ergebnisse Bei der Kurzzeitbehaltensleistung, d.h. bei der Erstmessung nach Einführung und Üben der Vokabeln, zeigten sich in den vier Varianten kaum Unterschiede. Lediglich das Lernen in Entspannung schnitt schlechter ab als die anderen drei Varianten. Von 9 eingeübten Vokabeln pro Variante konnten die Schülerinnen und Schüler im Schnitt noch 7,5 beim Abdecken einer Seite, ebenfalls 7,5 beim gegenseitigen Abfragen, 7,3 beim Lernen mit sinntragenden Bewegungen und 6,3 beim Lernen in Entspannung richtig wiedergeben. Abb. 1: Kurzzeitbehaltensleistung von jeweils 9 Vokabeln direkt nach dem Einüben nach 20-minütiger Pause. 40 Die deutsche Vokabel war vorgegeben. Die Schülerinnen und Schüler schrieben die englische Übersetzung daneben. An dieses Testformat waren alle gewöhnt, sodass für keine der Subgruppen ein Vor- oder Nachteil durch das Testformat zu erwarten war. - 5,0 10,0 Anzahl der Vokabeln Variante des Vokabellernens Kurzzeitbehaltensleistung Studie Schilitz 2013 Entspannung Bewegung Abdecken Abfragen <?page no="252"?> Jennifer Schilitz 252 Bezüglich der mittelfristigen Behaltensleistung nach sechs Wochen ohne mit den Vokabeln ein weiteres Mal in Berührung gekommen zu sein, erinnerten sich die Schülerinnen und Schüler im Mittel noch an 3,8 Vokabeln, die durch das Lernen mit sinntragenden Bewegungen, an 3,0 Vokabeln, die durch das gegenseitige Abfragen, an 2,9 Vokabeln, die durch das Lernen in Entspannung und an 2,8 Vokabeln, die durch das Abdecken einer Seite gelernt wurden. Abb. 2: Mittelfristige Behaltensleistung von jeweils 9 Vokabeln sechs Wochen nach deren Einübung. 2.2.3 Diskussion In der kurzzeitigen Abrufbarkeit sind die den Schülerinnen und Schülern vertrauten Varianten des Vokabellernens den unbekannten geringfügig überlegen. Unter Umständen kam dieses Ergebnis zustande, da dies für die Schülerinnen und Schülern geläufige und in ihrem Schulalltag seit fast einem Jahrzehnt etablierte Strategien sind. Jedoch haben das Abdecken und Abfragen wie auch das Lernen in Entspannung bei der Überprüfung der mittelfristigen Behaltensleistung schlechter abgeschnitten als das Lernen mit Bewegungen. Es scheint, dass es methodische Verfahren gibt (wie das Lernen mit Bewegungen), die das mittel- und ggf. auch längerfristige Behalten nachhaltiger stützen, womit die Ergebnisse dieser Studie im Einklang mit vorangegangenen Studien zum Bewegungslernen, wie u.a. der von Hille et al. (2010), stehen. Im Englischunterricht der Oberstufe wird verlangt, dass Vokabular, das beispielsweise in Q1 gelernt wird, auch in Q4 noch abrufbar ist, also über ein Jahr später. Im Abitur werden, nicht nur im Leistungskurs, sondern ebenso im Grundkurs im Fach Englisch, mindestens zwei Themenbereiche der Qualifikationsphasen verknüpft und die Abiturientin bzw. der Abiturient muss sich in den Themengebieten in der Fremdsprache sowohl sprachlich, als auch 0,0 5,0 10,0 Anzahl der Vokabeln Variante des Vokabellernens Mittelfristige Behaltensleistung Studie Schilitz 2013 Entspannung Bewegung Abdecken Abfragen <?page no="253"?> Gestengestütztes Vokabellernen in der gymnasialen Oberstufe 253 inhaltlich den Anforderungen der gegebenen Textform entsprechend kompetent äußern. Ein Sicherstellen der zuverlässigen und nachhaltigen Abrufbarkeit des relevanten Vokabulars stellt daher eine Notwendigkeit dar. Von besonderem Interesse ist demnach die längerfristige Behaltensleistung gelernter Vokabeln. Die hierzu in der mittelfristigen Messung generierten Daten zeigen, dass sich die Abrufbarkeit der Vokabeln über die Zeit hinweg verändert hat. Waren durch das eigenständige Lernen des Begriffs durch das Abdecken einer Seite mit 83,4 % noch kurzfristig die meisten Vokabeln (7,51) abrufbar, so wurden im Vergleich zu den anderen drei Varianten hier nach sechs Wochen mit im Durchschnitt 2,8 (31,1 %) die wenigsten Vokabeln erinnert. Mit einer von den Schülerinnen und Schülern im Schulalltag präferierten und in der Kurzzeitbehaltensleistung durchaus erfolgreichen Variante vergaßen sie demnach in dieser Studie in der mittelfristigen Behaltensleistung die meisten Vokabeln. Womöglich besteht bei diesem Ergebnis ein Zusammenhang mit der Verarbeitungstiefe (vgl. Craik & Lockhart 1972, Craik & Tulving 1975). Die Analyse von Reizen kann auf flachen oder tieferen Ebenen erfolgen, wobei bei letzteren u.a. durch hervorgerufene Assoziationen, Bilder oder Geschichten eine bessere Erinnerungsleistung zustande kommen soll (Craik & Lockhart 1972: 675). Da die Schülerinnen und Schüler durch das Abdecken beim Listenlernen vermutlich ihr Lernen in den meisten Fällen auf ein reines Auswendiglernen beschränkt haben, ist womöglich eine entsprechende tiefere Verarbeitung der Begriffe nicht zustande gekommen. Kiefer weist auf die Erfahrungsabhängigkeit der Begriffsverarbeitung hin. Worthülsen brauchen Verständnis durch konkrete, wahrnehmbare Situationen (vgl. Kiefer in diesem Band), was beim reinen Auswendiglernen nicht gegeben ist. Durch das Lernen in Entspannung konnten die Schülerinnen und Schüler bereits in der kurzfristigen Abrufbarkeit der Vokabeln mit 69,4 % von den vier Varianten die wenigsten Vokabeln abrufen (im Schnitt 6,25). Auch nach sechs Wochen konnten sich die Lernenden bei den anhand von Lernen in Entspannung eingeübten Vokabeln noch an die (im Vergleich mit den anderen Varianten) zweitgeringste Anzahl der Wörter (im Mittel 2,93 Vokabeln, 32,6%) erinnern. Möglicherweise war es für die Schülerinnen und Schüler in der ungewohnten Situation mit geschlossenen Augen beim Lernen herausfordernd, sich ausreichend zu konzentrieren. Ebenso ist es möglich, dass bei der Ruhe und den geschlossenen Augen die Gedanken zu anderen Themen wanderten. Es ist durchaus denkbar, dass das Lernen in Entspannung, da es den Schülerinnen und Schülern neu war, einer gewissen Gewöhnung durch regelmäßigen Gebrauch bei den Lernenden bedarf, um eine höhere Behaltensleistung zu erreichen, was aber letztlich auch für das Lernen mit Bewegungen anzunehmen wäre, wo sich die erreichte Leistung trotzdem anders darstellte als bei der Entspannungs-Variante. Konnten die Probandinnen und Probanden von den mittels gegenseitigem Abfragen gelernten Vokabeln noch 83 % in der Kurzzeitbehaltensleistung <?page no="254"?> Jennifer Schilitz 254 (7,47) wiedergeben, waren es in der mittelfristigen Behaltensleistung mit im Schnitt 33 % (2,97) zwar deutlich weniger, jedoch etwas mehr als jeweils durch Abdecken und Lernen in Entspannung. Dies ist eventuell damit zu erklären, dass die Partnerin oder der Partner womöglich altersgerechte und persönlich zugeschnittene Eselsbrücken beim Abfragen geben konnte, was das Erinnern vereinfachte. Das Lernen mit Bewegungen, die Variante, bei der die Lernenden mit 81,3 % in der Kurzzeitbehaltensleistung (7,3) geringfügig weniger Vokabeln wiedergeben konnten als durch das Abfragen und Abdecken, erwies sich in dieser Studie für die Abrufbarkeit der Vokabeln nach sechs Wochen mit 42,3 % als am effektivsten (3,81). Wie lässt sich dieses Ergebnis erklären? Durch das Trainieren von Gesten kommen [ …] mehr Areale und Hirnstrukturen zum Einsatz - das Wort beschäftigt dann nicht nur die überwiegend mit Sprache betrauten Hirnregionen, sondern zusätzlich auch motorische und visuelle Bereiche. Das erleichtert das spätere Erinnern des Begriffs. (Macedonia 2013: 34f.) Verknüpfungen zwischen verschiedenen Bereichen im Gehirn werden mithilfe der Bewegungen gefördert. „Bewegungen unterstützen die Verbindung zwischen Sprache, Motorik, Emotionen und Kognition und bewirken die Beteiligung der zuständigen Areale bzw. Netzwerke im Gehirn“ (Sambanis 2013: 104). Dies hat den Vorteil, dass ein besserer Zugriff auf das gespeicherte Wort besteht. Weil die verschiedenen Bereiche des Gedächtnisses […] miteinander verbunden sind, reicht es, einen Punkt dieses neuronalen Netzes zu aktivieren, damit die Aktivität automatisch die anderen Bestandteile des Netzwerks erreicht. (Macedonia 2013: 35) Kiefer weist darauf hin, dass es eine Verbindung zwischen sensomotorischen Systemen und der Begriffsverarbeitung gibt und Handlungsrepräsentationen im Gehirn zu einer genaueren Benennung von Objekten führen (vgl. Kiefer in diesem Band). Die oben referierten Erkenntnisse veranlassen, zusammen mit weiteren, bereits vorliegenden Erkenntnissen zum Bewegungslernen (für einen Überblick vgl. Arndt & Sambanis 2017), zu einer Verbindung mit der Theorie der Embodied Cognition, welche besagt, dass die Begriffe nicht abstrakt und unabhängig, sondern in den Sinnes- und motorischen Systemen des Gehirns abgespeichert werden und daher verkörpert sind. So zeigen neue Studien die Relevanz von […] embodied cognition in the domains of event memory, memory for concrete, abstract and number concepts as well as reading and writing. Psychological and neuroscientific research shows that these important cognitive functions are essentially grounded in action and perception as a function of experience. (Kiefer & Trumpp 2012: 15) <?page no="255"?> Gestengestütztes Vokabellernen in der gymnasialen Oberstufe 255 Kiefer und Trumpp (2012: 15) stellen fest, dass die Forschung in Bezug auf verkörperte Kognition wichtige Auswirkungen auf die Bildung hat, denn „it highlights the relevance of appropriate sensory and motor interactions during learning for the efficient development of human cognition.“ Im Bereich des fremdsprachlichen Lernens von Begriffen mit sinntragenden Bewegungen bei sich in der Adoleszenz befindenden Schülerinnen und Schülern ist weitere Forschung notwendig. Einen weiteren kleinen Beitrag dazu leistet eine Untersuchung, die auf den Ergebnissen der oben in Teilen referierten Studie von 2013 aufbaut, im Rahmen desselben Promotionsprojektes von Schilitz durchgeführt wurde und voraussichtlich 2019 publiziert wird. 3 Zusammenfassung Die hier vorgestellte Untersuchung bestätigt Ergebnisse vorangegangener Studien bezüglich eines positiven Effektes auf die Behaltensleistung durch den Einsatz sinntragender Gesten zum Vokabellernen. Erstmals wurde dabei die Effektivität der oben genannten Verfahren beim Vokabellernen in der Oberstufe miteinander verglichen. Die Studie legt die Vermutung nahe, dass auch Schülerinnen und Schüler im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe besonders mittelfristig davon profitieren, fremdsprachige Vokabeln beim Einüben mit bedeutungstragenden Bewegungen zu verbinden. Die Gedächtnisspuren scheinen beim Einsatz von Bewegungen nachhaltiger zu sein als bei anderen Varianten des Vokabellernens, was die Theorie der Embodied Cognition bestätigt. Literatur Arndt, P.A. & Sambanis, M. (2017): Didaktik und Neurowissenschaften - Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Tübingen: Narr. Böttger, H. & Sambanis, M. (2017): Sprachen lernen in der Pubertät. Tübingen: Narr. Craik, F.I.M. & Lockhart, R.S. (1972): Levels of processing: A framework for memory research. In: Journal of verbal learning and verbal behavior 11, 671-684. Craik, F.I.M. & Tulving, E. (1975): Depth of processing and the retention of words in episodic memory. In: Journal of Experimental Psychology: General 104(3), 268-294. Doff, S. (Hrsg.) (2012): Fremdsprachenunterricht empirisch erforschen. Grundlagen - Methoden - Anwendung. Tübingen: Narr. Fedwa, A.L. & Ahn, S. (2011): The effects of physical fitness on children’s achievement and cognitive outcomes: A meta-analysis. 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Sebastian Jentschke begründete gleich zu Beginn seines Vortrages Interaktionen zwischen Sprache und Musik, warum Musik in der kulturellen Tradition des Menschen eine so wichtige Rolle einnimmt und sie sowohl kulturals auch epochenübergreifender Teil der menschlichen Kulturpraxis ist. Musik hat demnach nicht nur eine soziale Funktion auf zwischenmenschlicher Ebene, wie z.B. die Stärkung des Gruppenzusammenhalts, durch Musik können auch Emotionen hervorgerufen und beeinflusst werden. Somit kann mit der Verwendung der sogenannten Ammensprache der kleine Mensch z.B. beruhigt und getröstet werden. Jentschke und Koelsch (2006: 60) beschreiben die Merkmale der Ammensprache als gekennzeichnet „durch eine erhöhte Tonlage, starke Variationen der Grundfrequenz, verlangsamtes Tempo, betonte Rhythmik, viele Wiederholungen und einen starken emotionalen Gehalt.“ Musikalische Kommunikation zwischen Eltern und Kind ist auch für die frühkindliche emotionale Entwicklung von größter Bedeutung. Und erst mit einer gewissen „kognitiven Reife“ können Säuglinge Musik und Sprache überhaupt unterscheiden (Jentschke 2016: 3). Die Fähigkeit, Musik einen emotionalen Gehalt zu entnehmen, bleibt auch bei Erwachsenen bestehen. Dies zeigt sich auch daran, dass Erwachsene häufig Musik auswählen, die sie in die gewünschte Stimmung zu versetzen vermag (Koelsch 2011: 2; vgl. Jentschke in diesem Band). Deutlich wird die Bedeutung des emotionalen Aspekts, der bei der Wahrnehmung und geistigen Verarbeitung von Musik entsteht, wenn man das Modell zur Beschreibung der bei der Wahrnehmung und der Produktion von Musik ablaufenden Verarbeitungsprozesse zu Rate zieht. Das von Stefan Koelsch und Walter Siebel entwickelte Modell illustriert diesen Aspekt, indem es zeigt, dass die emotionale Komponente sich durch fast alle kognitiven Verarbeitungsprozesse hindurchzieht (Jentschke & Koelsch 2006: 57, Koelsch 2013: 89). Das Modell benennt aufeinander aufbauende Prozesse der Musikverarbeitung. Einzelne Stufen umfassen oft mehrere Verarbeitungsschritte. Zunächst, so beschreibt es Koelsch (2011: 1), werde eine akustische Information in neurale Aktivität verwandelt. Schon in diesem Stadium können „gefährliche und unangenehme akustische Reize“ erkannt werden und direkt an bei „emotio- <?page no="258"?> Oriana Uhl 258 nale[n] Prozesse[n]“ und bei der „Kontrolle emotionalen Verhaltens“ beteiligte Verarbeitungszentren im Gehirn weitergeleitet werden (Koelsch & Schröger 2008: 394). Im darauffolgenden Schritt, der „Merkmalsextraktion“, werden Merkmale wie Lautstärke, Tonhöhe und Lokalisierung des Lautursprungs wahrgenommen. Es folgt das Stadium der „Merkmalsintegration“, in dem unter anderem Betonungsmuster aufgenommen werden (Jentschke & Koelsch 2006: 61). Die nächste Stufe „beschreibt das Zusammensetzen der auf der ersten Stufe extrahierten Merkmale zu auditorischen Gestalten“ (Jentschke & Koelsch 2006: 58). Die folgende Stufe des Modells beinhaltet „die Verarbeitung struktureller Merkmale längerer Abschnitte von Musik“, die dann innerhalb der bestehenden Regelsysteme eingruppiert werden (ebd.). Bemerkenswert ist, dass aus dem Modell klar hervorgeht, dass Musik ungeachtet der Wahrnehmungsstufen fähig ist, Emotionen auszulösen. Jentschke und Koelsch (2006: 63f.) beschreiben, dass die emotionale Reaktion sowohl durch Tonalität als auch den unerwarteten Wechsel von Spannung und Entspannung durch das Auflösen oder Nichtauflösen spannungsreicher Akkorde ausgelöst werden kann. Das Wirkungsgeflecht, in dem Musik und Emotionen miteinander verbunden sind, ist vielseitig und komplex. Unter den „7 Cs“ fasst Koelsch die sozialen Funktionen zusammen, die Musik erfüllen kann (i.e. contact, social cognition, co-pathy, communication, coordination, cooperation und social cohesion) (Koelsch 2013: 208ff.). All diese Funktionen spiegeln grundlegende Wesensmerkmale des Menschen wider. Zunächst trägt Musik dazu bei, dass Menschen miteinander in Kontakt kommen. Dies ist ein menschliches Grundbedürfnis, das, sollte es nicht erfüllt werden, schwerwiegende psychische Folgen für die betreffende Person haben kann (Koelsch 2014: 175). Auch im zwischenmenschlichen Bereich zu verorten ist die soziale Kognition, die während des Musikhörens durch vielfältige Deutungsprozesse in Gang gesetzt wird. Bei diesen Deutungsprozessen ist die soziale Kognition Voraussetzung für das Erkennen und Verstehen von Intentionen oder Gefühlsregungen, die ein Komponist mit einem Musikstück oder Lied zum Ausdruck bringen möchte. Die Deutungsprozesse finden nicht nur beim Musikhören statt, sondern auch beim aktiven Musizieren (Koelsch 2013: 209). Der Begriff „Ko-pathie“ bezeichnet die soziale Funktion von Empathie (Koelsch 2013: 209). Er beschreibt den Vorgang der Angleichung der emotionalen Verfassung von Individuen an einen Zustand, der sich unter anderem bei gemeinsamem Musizieren einstellt. Koelsch (ebd.) verweist hier explizit auf den Unterschied zwischen dem oben beschriebenen Prozess und der herkömmlichen Bedeutung von Empathie. Der durch gemeinsames Musizieren ausgelöste Prozess hat nichts mit einem abstrakten Perspektivenwechsel gemein, sondern führt vielmehr dazu, dass die Emotionen eines Mitspielers empfunden werden können und somit auch das eigene emotionale Befinden <?page no="259"?> Emotionen und Musik im Fremdsprachenunterricht 259 beeinflusst wird. Eine weitere wichtige soziale Wirkungsweise von Musik besteht darin, dass sie zu Kommunikation zwischen Menschen führt bzw. als Mittel der Kommunikation eingesetzt werden kann. Koelsch (2013: 209-210) nennt als Beispiel hierfür das elterliche Schlafliedersingen bei Kleinkindern. Diese Kommunikation beginnt mit der Ammensprache, und auch bei der neuronalen Verarbeitung von Sprache und Musik lassen sich weitreichende Überschneidungen feststellen. Dass eine enge Verknüpfung von Bewegung und Musik besteht, lässt sich dem bereits erwähnten, von Koelsch entwickelten Modell zu Prozessen der Musikverarbeitung entnehmen, stellt doch die der eigentlichen Handlung vorgeschaltete Handlungsplanung den Teilprozess dar, der den Verarbeitungsprozess bei der Wahrnehmung von Musik abschließt. Bewegung zu Musik setzt zwingend Koordination voraus, zum Beispiel die Synchronisation von Bewegungen mit dem Grundschlag der Musik. Die gemeinsame Bewegung zur Musik wird als angenehm empfunden. Um Musik entstehen zu lassen, bedarf es oftmals auch der Kooperation, die wiederum ein gemeinsames Ziel impliziert. Zusätzlich erhöht diese Kooperation das gegenseitige Vertrauen, was eine zukünftige Kooperation wahrscheinlicher macht, ist es doch ein menschliches Grundbedürfnis sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen (Koelsch 2014: 175). Musik steigert so das Zusammengehörigkeitsgefühl in Gruppen (ebd.). Dies wiederum kann positive Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebenserwartung haben (Koelsch 2013: 211). 2 Lernen und Emotionen Manfred Spitzer (2015: 27) zufolge sind emotionale Prozesse für das Lernen überaus wichtig und haben erheblichen Einfluss auf die Effektivität eines Lernvorgangs. Aus diesem Grund fordert Spitzer in Bildungsinstitutionen eine „emotionale Atmosphäre“, die von den Lernenden als positiv und angstfrei empfunden wird. Eine solche emotionale Atmosphäre in Lernsettings erleichtert nicht nur den späteren Abruf von Wissen, sondern fördert auch die Anwendung und Übertragung von erworbenem Wissen (Spitzer 2015: 28). Es besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen der späteren Anwendbarkeit des Gelernten und dem Befinden des Lernenden während des Lernvorgangs (ebd.). Es sei von einer für den Lernprozess wirksamen Verbindung zwischen einer positiven Haltung und einer für das Lernen günstigen Kausalattribution auszugehen (ebd.). Die Kausalattribution ist so bedeutsam für das Lernen, weil sie den Prozess der Ursachenerklärung sowohl für erlebten Lernerfolg als auch für Lernmisserfolge beschreibt. Verschiedene Charakteristika der vom Lernenden zugeordneten Ursachen haben entscheidende Auswirkungen auf die Entwicklung des Lernverhaltens. So lässt sich zwischen internalen <?page no="260"?> Oriana Uhl 260 und externalen Ursachen unterscheiden, und es können unterschiedliche Grade an Stabilität der Ursachen festgestellt werden. Internale Ursachen sind in der Persönlichkeit des Lernenden verankert, externale Ursachen liegen in den äußeren Umständen. Äußere Umstände umfassen hierbei Aspekte wie die Lernumgebung, Lerninhalte oder Eigenschaften der Lehrperson. Stabile Ursachen sind unveränderliche Tatsachen, während auf instabile Ursachen Einfluss genommen werden kann. Werden dem Lernergebnis externale oder stabile Ursachen zugeordnet, kann das eine Reduktion der Lernbereitschaft zur Folge haben, denn der Lernende hat dann nicht das Gefühl, dass eine Veränderung in seiner Macht steht (vgl. Stiensmeier-Pelster & Schwinger 2008). Auch die Neurobiologie bietet Erklärungsansätze für die Bedeutung von Emotionen für den Lernprozess. Die neurobiologischen Wirkungssysteme stellen Zusammenhänge zwischen neurobiologischen Phänomenen her, die erklären, warum Emotionen so großen Einfluss auf Lernprozesse nehmen können. Arndt und Sambanis (2017: 125ff.) beschreiben hierbei drei relevante „Schaltkreise“. Einer dieser Schaltkreise wird als „Belohnungssystem“ bezeichnet. Dabei sorgt Dopaminausschüttung in verschiedenen Hirnarealen für ein positives Gefühl, das sich auch fördernd auf die Bereitwilligkeit zukünftiges Lernen betreffend auswirkt (ebd.). Den zweiten für das Lernen relevanten Wirkungsmechanismus stellt die Fokussierung eines Lernziels bzw. Distanzierung von einem Lernziel dar. Fokussierung des Lernziels ist entscheidend für die Aktivierung bestimmter Verhaltensmuster, die dem Lernenden dabei helfen, sein Ziel zu erreichen. Erweist sich das Lernziel allerdings als unerreichbar, oder ist es bereits erreicht, setzt der Prozess der Distanzierung vom Lernziel ein. Das hierfür zuständige System wird als „Stopp- oder Verhaltenshemmsystem“ bezeichnet (Arndt & Sambanis 2017: 126). Die Distanzierung vom Lernziel führt dazu, dass die Lernaktivität eingestellt wird. Ausgelöst wird das „Stopp- oder Verhaltenshemmsystem“ sowohl von negativen Reizen, die aber von der betreffenden Person noch nicht als zu bedrohlich wahrgenommen werden, aber auch von neuen Reizen, die noch nicht eingeordnet werden können. Es hat für den Lernprozess aber gerade deshalb eine nicht zu unterschätzende Funktion, da es im Anschluss an das Einstellen der Lernaktivität eine Korrektur und Anpassung der eigenen Handlung erlaubt. Damit gibt es dem Lernenden die Möglichkeit, aus den eigenen Fehlern zu lernen und neue Wege zum Ziel zu suchen (Arndt & Sambanis 2017: 126). Das dritte System wird als „Kampf-Flucht-System“ bezeichnet (Arndt & Sambanis 2017: 127). Hierbei ist die Angst vor möglichen Konsequenzen bei Unterlassung der erwünschten Handlung oder bei Versagen das vorherrschende Gefühl, was sich in der Bezeichnung „Angstlernen“ widerspiegelt. Da das „Angstlernen“ für den Lernenden mit unangenehmen oder gar schmerzhaften Erfahrung einhergeht, wird unter Einfluss dieses Systems die Vermeidung von Situationen oder bestimmten Herangehensweisen <?page no="261"?> Emotionen und Musik im Fremdsprachenunterricht 261 effektiv gelernt. Diese Informationen werden direkt in der Amygdala abgespeichert, die auch u.a. an der Verarbeitung von Angstgefühlen und eventuellen körperlichen Folgen beteiligt ist. Die Aktivierung des „Kampf-Flucht- Systems“ im pädagogischen Kontext ist allerdings problematisch, denn neben der unschönen Erfahrung für den Lernenden, sind die gelernten Inhalte sowohl mit „negativen Emotionen“ als auch den damit verbundenen „körperlichen Reaktionen“ verknüpft (Arndt & Sambanis 2017: 127). Spitzer (2015: 27) bemerkt hierzu, dass bei erneutem Abrufen der Lerninhalte auch die negativen Gefühle erneut empfunden werden, wodurch „kreative Prozesse“ blockiert werden. 3 Musik im Fremdsprachenunterricht Es stellt sich die Frage, wie sich diese Befunde mit dem Fremdsprachenunterricht in Beziehung setzen lassen. Lange wurde das Thema Emotionen und Lernen stiefmütterlich behandelt. Doch wird ihm seit den 1980er-Jahren kontinuierlich mehr Bedeutung beigemessen und die Thematik wird in entsprechender Weise beforscht (Arndt & Sambanis 2017: 99). Die durch Musik hervorgerufene Emotionalität kann dem Lernzuwachs im Fremdsprachenunterricht zuträglich sein und dies gleich auf mehreren Ebenen: Zum einen tragen Emotionen durch die Entstehung von „Neugier, Lernbereitschaft und Motivation“ zum Lernprozess bei, drei Merkmale, die zu besseren Lernergebnissen führen können. Sie machen sich auch im schulischen Unterricht in der Lernatmosphäre positiv bemerkbar (Arndt & Sambanis 2017: 100). Zum anderen tragen positive Emotionen auf der Ebene der kognitiven Verarbeitung zum Lernprozess bei, denn sie führen dazu, dass Prozesse in Gang gesetzt werden, die zu einer zusätzlichen „emotionalen Erinnerungsspur“ führen (ebd.). Des Weiteren spielen Emotionen für die im Fremdsprachenunterricht wünschenswerterweise ablaufenden Kommunikationsprozesse eine wesentliche Rolle (ebd., Schiefele 2008: 38). Arndt und Sambanis (ebd.) stellen eine Verbindung zwischen Emotionen und den Kernkompetenzen des interkulturellen Lernens her, nämlich über den Pfad „Sprache, Emotionen und Identitätsbildung sowie Fremdverstehen und Perspektivwechsel.“ Der Bereich des interkulturellen Lernens ist integraler Teil des modernen Fremdsprachenunterrichts und lässt sich nicht mehr wegdenken, soll er doch weit über die Klassenzimmer hinausgehende Bildungsprozesse anstoßen. Gerade während der Pubertät ist Identitätsbildung ein omnipräsentes Thema für die Lernenden. In dieser Entwicklungsphase liegt im Einsatz von Musik im Fremdsprachenunterricht ein großes Potenzial, denn auch der Musikkonsum ist identitätsstiftend. Er ordnet u.a. die Lernenden einer bestimmten Jugendkultur zu, durch die sie sich voneinander abgrenzen können (Böttger & Sambanis 2017: 41). Entscheidend und für die <?page no="262"?> Oriana Uhl 262 Lehrkraft alles andere als leicht zu bewältigen scheint im schulischen Kontext die Auswahl der „richtigen“ Songs. In diesem Zusammenhang weist Gehring (2017: 85) darauf hin, dass zwar der Musikgeschmack in diesem Alter bereits weitgehend festgelegt ist, eine Miteinbeziehung der Lernenden in die Auswahl der Songs, mit denen die Schülerinnen und Schüler sich im Unterricht auseinandersetzen, aber für einen Motivationsschub sorgen kann. Studienergebnisse zeigen, dass Lehrende durch „pädagogische Maßnahmen“ und Unterrichtsgestaltung Einfluss auf Emotionen, aber auch den Erwerb von „emotionsbezogene[n] Kompetenzen“ nehmen können (Arndt & Sambanis 2017: 104). Hier gilt es für Lehrende zu überlegen, wie sie diese Forschungserkenntnisse in ihre Unterrichtsplanung einbeziehen können. Die von Arndt und Sambanis erläuterten Unterrichtsdimensionen bilden einen guten Ausgangspunkt für diese Überlegungen, die von dem Bereich Classroom Management, Lernatmosphäre, Lernaktivität, Lerninhalt, der Nutzung und Miteinbeziehung sozialer Interaktion bis hin zum eingesetzten Unterrichtsmaterial reichen (Arndt & Sambanis 2017: 102). Aus didaktischer Perspektive sind vielfach Zweifel am Einsatz von Musik im Fremdsprachenunterricht geäußert worden. Davis und Fan (2016: 67) präsentieren in den Ergebnissen ihrer Studie keine eindeutige Verbesserung durch den Einsatz von Songs gegenüber anderen Methoden. Auch lassen sich in der von Davis zusammengestellten Übersicht über eine Vielzahl an Studien, die Effekte des Einsatzes von Liedern im Musikunterricht erforschen, nur eingeschränkte Hinweise darauf finden, dass durch den Einsatz von Songs ein Lernvorteil erreicht werden könne (Davis 2017: 454). Auch Sommer (2016: 311) fordert dazu auf, die Erwartungen, die in den Einsatz von Liedern im Fremdsprachenunterricht gesetzt werden, nicht zu überhöhen. Außerdem weist er auf die bislang fehlende Evidenzbasierung, die lernfördernde Wirkung von Musikeinsatz im Unterricht betreffend, hin. Jentschke führt in der an seinen Vortrag anschließenden Transferdiskussion aus, dass ungefähr fünf Jahre intensives musikalisches Training vonnöten seien, um messbare spillover-Effekte auf sprachliche Leistungen zu erwarten (vgl. Jentschkes Transferdiskussion in diesem Band). Trotzdem scheint der Einsatz von Musik im Englischunterricht, wenn auch keine „Allzweckwaffe“, so doch eine willkommene Erweiterung des didaktischen Repertoires: angefangen von vielfältigen Übungsmöglichkeiten im Bereich der Wortschatzarbeit, die sich durch Musik abwechslungsreicher gestalten lassen, über schülergerechte, authentische Verarbeitung unterrichtlicher Themen in Songs bis hin zu dem Zusammenhang zwischen musikalischen Fähigkeiten und den phonologischen Fähigkeiten in der Fremdsprache, der einen Einsatz im Bereich der Aussprache im Englischunterricht nahe legt (vgl. Jentschke in diesem Band). Selbst wenn Musik, ob in Form von Musikhören oder gemeinsamem Singen - in einer im Rahmen des schulischen Fremdsprachenunterrichts möglichen Intensität, - nur einen geringen direkten Einfluss auf die sprachlichen <?page no="263"?> Emotionen und Musik im Fremdsprachenunterricht 263 Fähigkeiten haben sollte, so kann sie doch zumindest über ihre psychohygienischen und sozialen Funktionen zu einer lerngünstigen Atmosphäre beitragen (Surkamp 2017: 261). Dies setzt allerdings den durchdachten Einsatz und eine sorgfältige Planung des Unterrichtsgeschehens bezüglich der Bedürfnisse der Lernenden voraus. In Anbetracht des für den Fremdsprachenunterricht nutzbaren Potenzials, das der Einsatz von Musik verspricht, ist die von Sambanis (2015: 7) gestellte Forderung nach „Musik bitte! “ mehr als eine Überlegung wert. Literatur Arndt, P. A. & Sambanis, M. (2017): Didaktik und Neurowissenschaften - Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Tübingen: Narr. Böttger, H. & Sambanis, M. (2017): Sprachen lernen in der Pubertät. Tübingen: Narr. Davis, G. M. (2017): Songs in the young learner classroom: Critical review of evidence. In: ELT Journal 71(4), 445-455. Davis, G.M. (2017): English vocabulary acquisition through songs in Chinese kindergarten students. In: Chinese Journal of Applied Linguistics 39(1), 59-71. Gehring, W. (2017): Mit den Künsten Englisch unterrichten. Kempten: Julius Klinkhardt. Jäncke, L. (2008): Macht Musik schlau? Bern: Hans Huber. Jentschke, S. (2016): The relationship between Music and Language. In: Hallam, S., Cross, I. & Thaut, M. (Hrsg.): The Oxford handbook of music psychology. Oxford: Oxford University Press, 1-11. Jentschke, S. & Koelsch, S. (2006): Gehirn, Musik, Plastizität und Entwicklung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9, Beiheft 5, 51-70. Koelsch, S. (2011): Towards a neural basis of music perception - A review and updated model. In: Frontiers in Auditory Cognitive Neuroscience 2, 1-20. Koelsch, S. (2013): Brain and Music. Oxford: Wiley-Blackwell. Koelsch, S. (2014): Brain correlates of music-evoked emotions. In: Nature Reviews Neuroscience 15(3), 170-183. Koelsch, S. & Schröger, E. (2008) Neurowissenschaftliche Grundlagen der Musikverarbeitung. In: Bruhn, H., Kopiez, R. & Lehmann, A. C. (Hrsg.): Musik - Psychologie - Das neue Handbuch. Reinbek: Rowohlt, 393-412. Koelsch, S. & Siebel, W. (2005): Towards a neural basis of music perception. In: Trends in Cognitive Science 9(12), 578-584. Sambanis, M. (2015): Musik bitte! Sprache und Musik - Sprache der Musik. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 3, 7-10. Schiefele, U. (2008): Lernmotivation und Interesse. In: Schneider, W. & Hasselhorn, M. (Hrsg.): Handbuch Pädagogische Psychologie. Göttingen: Hogrefe, 74-83. Sommer, T. H. (2016): Lieder singen - Sprache lernen? In: Böttger, H. & Sambanis, M. (Hrsg.): Focus on Evidence. Fremdsprachendidaktik trifft Neurowissenschaften. Tübingen: Narr, 311-326. Spitzer, M. (2015): Wie wir lernen - Erkenntnisse aus der Gehirnforschung zum Einfluss von Alter, Motivation und Emotionen. In: Die Wirtschaftsmediation 2, 24-29. Surkamp, C. (2017): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe (2. Aufl.). Stuttgart: J. B. Metzler. <?page no="264"?> Oriana Uhl 264 Stiensmeier-Pelster, J. & Schwinger, M. (2008): Kausalattribution. In: Schneider, W. & Hasselhorn, M. (Hrsg.): Handbuch Pädagogische Psychologie. Göttingen: Hogrefe, 74- 83. <?page no="265"?> Maria Witt Let’s move! - Yes, let‘s! - Ein Promotionsprojekt zum Grammatiklernen mit Bewegung im Englischunterricht 1 Erfahrungen aus der Praxis Als Englischlehrkraft wird man regelmäßig mit der Frage konfrontiert, auf welche Weise grammatische Strukturen vermittelt werden sollten, sodass sie für die Schülerinnen und Schüler leicht zugänglich und verständlich sind. Diese Frage stellt für die Lehrkraft oft eine Herausforderung dar. Auch den Lernenden scheint der Umgang mit Grammatik z.T. schwerzufallen, denn „[i]n mehreren Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass viele Fremdsprachenlerner negative Einstellungen zu Grammatik und Grammatikunterricht zum Ausdruck bringen“ und dass Grammatik u.a. als „langweilig“ und „trocken“ beschrieben wird (Gnutzmann & Königs 1995: 181, Hervorhebung im Original). Doch wie bei anderen Sprachen auch ist die Grammatik ebenfalls ein Teil der englischen Sprache und es stimmt nachdenklich, dass die Schülerinnen und Schüler Grammatik(-unterricht) so bewerten. Denn Grammatik als sprachliches Mittel und Teil der funktionalen kommunikativen Kompetenz ist ein grundlegender Bestandteil des sprachlichen Systems und der Kommunikation. Das Verfügen über angemessene sprachliche Mittel gilt als Voraussetzung für die Realisierung der einzelnen kommunikativen Kompetenzen. Folglich ist es wichtig, dass Grammatik behandelt wird und die Lernenden über entsprechende grammatische Strukturen verfügen, um schließlich die fremdsprachliche Handlungskompetenz möglichst vollumfänglich ausbilden zu können (SenBJW & MBJS 2015: 10). Außerdem kann ich aus meiner Erfahrung als Lehrerin berichten, dass es den Schülerinnen und Schülern immer wieder schwer fällt Muster zu erkennen, Regeln zu übertragen oder Prototypen so zu speichern, dass sie eine grammatische Struktur auch nach einem Zeitraum von zwei bis drei Monaten nachdem sie im Unterricht geübt wurde formal und funktional weiterhin abrufen können. Als praktizierende Lehrkraft und zugleich Doktorandin an der Freien Universität Berlin (Erstbetreuerin: Prof. Sambanis) habe ich nach Möglichkeiten gesucht, die den Schülerinnen und Schülern zum einen mehr Freude beim <?page no="266"?> Maria Witt 266 Erlernen grammatischer Strukturen bereiten könnten und zum anderen sowohl das Erlernen als auch das Behalten unterstützen und möglicherweise erleichtern würden. In Anknüpfung an die Arbeiten zum Forschungsschwerpunkt „Sprache, Emotionen und Bewegung“ des Arbeitsbereichs der Professur sowie unter Verortung in diesem Forschungsfeld wurde ein Projekt konzipiert, das untersucht, wie der Einsatz von Bewegung auch für das Lehren und Lernen von Grammatik förderlich sein könnte. 2 Lernen und Bewegung Im Bereich von Schule und Unterricht gibt es immer mehr Studien, die zeigen, dass sich körperliche Bewegung im Unterricht u.a. positiv auf die Konzentrationsfähigkeit (Wamser & Leyk 2003: 110, Graf et al. 2003: 145), aber auch auf die Behaltensleistung (vgl. z.B. Hille et al. 2010, Macedonia et al. 2011) auswirkt. Für den Fremdsprachenunterricht wurden durch mehrere Studien bereits positive Effekte des bewegten Lernens in verschiedenen Bereichen nachgewiesen, z.B. hinsichtlich der Behaltensleistung von Vokabeln im Lateinunterricht (vgl. Hille et al. 2010) und im Französischunterricht (Sambanis & Speck 2010) sowie der Aussprachefähigkeit im Französischunterricht (vgl. Hille et al. 2010). Auch im Bereich Deutsch als Fremdsprache konnten durch den Einsatz von dramapädagogischen Ansätzen, also einer besonderen Form der Bewegung, im Grammatikunterricht positive Effekte u.a. hinsichtlich des Verständnisses von Grammatik nachgewiesen werden (vgl. Even 2003). Bei der Bewegung werden zwei Formen unterschieden: Bewegung als Ausgleich und Bewegung als direkte Lernunterstützung (Sambanis 2013: 93). Insbesondere bei der letztgenannten Bewegungsart können Bezüge zu Erkenntnissen von Markus Kiefer (vgl. in diesem Band) hergestellt werden. Beispielsweise können sensomotorische Erfahrungen dazu beitragen, Begriffe zu prägen und sie sind von Bedeutung für die Gedankenaktivität und die Aktivierung bestimmter Areale im Gehirn (vgl. z.B. Kiefer et al. 2007). Das Promotionsprojekt Grammatiklernen mit Bewegung im Englischunterricht knüpft an die oben genannten Studien an und möchte damit die Erkenntnislage zum Bewegungslernen im Bereich des Lehrens und Lernens grammatischer Strukturen im Englischunterricht erweitern. Es wird untersucht, welche Effekte der Einsatz von Bewegung als Ausgleich im Vergleich zu Bewegung als direkte Lernunterstützung bezüglich der Lernleistung beim Grammatiklernen aufweist. <?page no="267"?> Grammatiklernen mit Bewegung 267 3 Einsatzmöglichkeiten von Bewegung 41 3.1 Bewegung als Ausgleich Mit Bewegung als Ausgleich ist im Folgenden der Einsatz von verschiedenen Bewegungsübungen gemeint, um u.a. eine „geistige und körperliche Erfrischung herbeizuführen“ (Rampillon & Reisener 2005: 5). Eng verbunden mit Bewegung im Unterricht ist das Konzept der Bewegten Schule. Der Schulsport bildet das Fundament, auf dem der bewegte Unterricht, bewegte Pausen und ein bewegtes Schulleben aufbauen (Müller 1999: 48). Damit soll mehr Bewegung in den sonst eher bewegungsarmen Schulalltag gebracht werden. Die Gesundheitsförderung als Begründung des Konzepts steht dabei im Vordergrund (Dordel & Breithecker 2003: 5-6). In einer Studie in drei dritten Klassen konnten Dordel und Breithecker (2003) positive Effekte der Bewegten Schule hinsichtlich der Aufmerksamkeitsleistung aufzeigen. Eine Klasse gehörte einer regulären Schule an, die das Konzept nicht explizit vertritt und die beiden anderen Klassen gehörten zu einer Schule, die dieses Konzept umsetzt. Bei den beiden letzteren Klassen wurde auf bewegte und aktive Pausen geachtet. In einer dieser beiden Klassen wurde zusätzlich Bewegung in den Unterricht integriert, u.a. durch Bewegungspausen und ergonomisches Mobiliar. Bei der Klasse ohne Bewegung wurde ein Abfall der Aufmerksamkeitsleistung festgestellt. Bei den Klassen mit Bewegung waren deutliche Steigerungen der Aufmerksamkeitsleistung zu verzeichnen (Dordel & Breithecker 2003: 8ff.). Die Aufmerksamkeit stellt „als Teilaspekt der Kognition eine wichtige Voraussetzung für den schulischen Lernerfolg“ (Dordel & Breithecker 2003: 14) dar. Am TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm konnten ebenfalls positive Effekte von Bewegung allgemein, d.h. ohne die Koppelung mit bestimmten Unterrichtsinhalten, nachgewiesen werden. Im Rahmen des Projektes Die tägliche Bewegungszeit in der Schule: Untersuchung der Wirkung von Bewegung auf Lernen (vgl. Häberle et al. o.J.) wurde eine tägliche Sportstunde in den Unterrichtstag integriert und in den Unterricht selbst regelmäßige, von der Lehrkraft im Fachunterricht durchgeführte Bewegungseinheiten von 2-3 Minuten. Es konnte eine Verbesserung des Wohlbefindens und der Stimmung der Schülerinnen und Schüler festgestellt werden. Bei der Konzentrationsleistung war insgesamt kein bedeutender Anstieg zu sehen. Es fiel jedoch auf, dass die meisten Gruppen mit mehr Bewegung weniger Fehler beim Ausfüllen der eingesetzten Testinstrumente machten als die Kontrollgruppen. 41 Vgl. dazu außerdem Sambanis (2013: 89ff.) und Arndt & Sambanis (2017: 129ff.). <?page no="268"?> Maria Witt 268 3.1.1 Bewegung als direkte Lernunterstützung Bei dem Einsatz von Bewegung als direkte Lernunterstützung geht es um die sinnvolle Kopplung von Bewegung und Lerninhalten, d.h. „Bewegungen [werden] gezielt sprachlichen Mitteln oder Informationen zugeordnet […]“ (Sambanis 2013: 93). Im Bereich des Fremdsprachenunterrichts untersuchten Hille et al. (2010) die Wirksamkeit von Szenischem Lernen (SL). Dabei wird Sprache mit Bewegung und chorischem Sprechen verknüpft (Hille et al. 2010: 338), d.h. es geht zum einen um „das emotional und gleichzeitig spielerisch gestaltete Sprechen und zum anderen [um] die körperliche Interpretation des Gesagten“ (Hille et al. 2010: 339). Die im Folgenden kurz zusammengefassten beiden Studien zum SL wurden an einem bayrischen Gymnasium durchgeführt. Die erste Studie erfasste die Behaltensleistung von Vokabeln im Fach Latein in den Klassenstufen 7-9. 13 Wochen nach dem Lernen der Vokabeln wusste die SL-Gruppe noch 15, die Kontrollgruppe nur noch durchschnittlich 5.5 von 20 Vokabeln. Die zweite Studie untersuchte die Artikulations- und Sprechfähigkeit beim Vorlesen eines französischen Textes in den Jahrgangsstufen 6 und 7. Unabhängige Beurteiler bewerteten die Aussprachefähigkeit der SL-Gruppe als besser (Hille et al. 2010: 346ff.). In einer weiteren Studie an einer Karlsruher Grundschule zeigten sich ebenfalls positive Effekte eines bewegungsgestützten Unterrichts. Die Wortschatzeinführung im Französischunterricht in zwei vierten Klassen fand in der einen Klasse eher traditionell und in der anderen Klasse begleitet durch Bewegungen statt (Sambanis & Speck 2010: 113). Insbesondere beim dritten und letzten Messzeitpunkt schnitt die Gruppe mit Bewegung signifikant besser ab und konnte ihre Leistung im Vergleich zum ersten sogar noch steigern, während die Behaltensleistung in der Kontrollgruppe sukzessive zurückging (Sambanis & Speck 2010: 114). Wie bereits oben erwähnt, befasste sich eine Studie aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache speziell mit dem Einsatz von dramapädagogischen Ansätzen im Grammatikunterricht (Even 2003). Even (2003: 260f.) stellte folgende Thesen auf, die durch ihre Studie bestätigt wurden: Dramapädagogischer Unterricht fördert „das Verständnis grammatischer Regeln durch ihre praktische Anwendung“, sowie „die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Grammatik und begünstigt eine positive Einstellung zum Grammatikerwerb.“ Aus den oben angeführten Studien kann man schlussfolgern, wie Markus Kiefer (in diesem Band) betont, dass konkrete Sinneserfahrungen für den Fremdsprachenunterricht von Bedeutung sind, da Begriffe in Wahrnehmung und Handlung begründet sind. Laut Kiefer ist es „am effektivsten, wenn wir die Handlung selbst durchführen.“ Dadurch wird eine zusätzliche motorische Gedächtnisspur im Gehirn angelegt, die beim Erwerb von Begriffen und Lernen von Wörtern förderlich sein kann. <?page no="269"?> Grammatiklernen mit Bewegung 269 4 Grammatiklernen mit Bewegung im Englischunterricht Die Datenerhebung des oben genannten Projekts zum Grammatiklernen mit Bewegungen im Englischunterricht ist bereits abgeschlossen, die Auswertung der Daten steht bevor, sodass zu diesem Zeitpunkt zwar noch keine Ergebnisse referiert, das Projekt und die praktische Umsetzung im Unterricht aber bereits nach Durchlaufen mehrerer Reflexionsschleifen beschrieben werden können. 4.1 Forschungsfragen Das Projekt zielt darauf, zwei Arten der Bewegung beim Lehren und Lernen grammatischer Strukturen im Englischunterricht zu erproben. Bei den beiden Arten handelt es sich um Bewegung vor dem Lernen (BvL), also Bewegung als Ausgleich, und Bewegung beim Lernen (BbL), also Bewegung als direkte Lernunterstützung. Folgende Teilfragen lassen sich daraus herleiten:  Welche Effekte zeigen sich bei Bewegungen beim Lernen bzw. vor dem Lernen hinsichtlich der Lernleistung? Lassen sich Unterschiede in Bezug auf die Lernleistung feststellen?  Welchen Einfluss hat die Kopplung von Bewegung und Grammatiklernen auf die Einstellung der Schülerinnen und Schüler zu Grammatik(-unterricht)?  Welche Art der Bewegung wird von den Schülerinnen und Schülern als hilfreicher empfunden und warum? 4.2 Forschungsdesign Beim Forschungsdesign handelt es sich um ein Mixed Research Paradigm mit Quasi-Experimental-Kontrollgruppen-Design. Die Stichprobe umfasst jeweils drei 8. Klassen dreier brandenburgischer Gymnasien aus einem Schulamtsbereich. Pro Schule gab es zwei Experimentalgruppen (eine mit BvL, eine mit BbL) und eine Kontrollgruppe ohne Bewegung (oB). Die unabhängige Variable in dieser Studie ist die Lehr- und Lernmethode (operationalisiert als BbL, BvL und oB). Die abhängige Variable ist der Lernerfolg (operationalisiert in Form von Leistungstests zu den erarbeiteten Grammatikphänomenen). Die Lernleistung der Schülerinnen und Schüler wurde während der Durchführung des Experiments, nach 6 Wochen und nach 12 Wochen gemessen. Auf qualitativer und quantitativer Ebene werden Einstellungen der Lernenden zu und Erfahrungen mit Grammatik(-lernen) und Bewegungslernen erhoben. Auf qualitativer Ebene findet zudem eine teilnehmende Beobachtung während der Durchführung des Experiments statt. <?page no="270"?> Maria Witt 270 5 Praktische Umsetzung des Grammatiklernens mit Bewegung im Englischunterricht 5.1 Bewegung vor dem Lernen Im Rahmen des Unterrichtsversuchs, der dem Projekt zugrunde liegt, wird Bewegung nicht nur zu Beginn der Stunde eingesetzt, sondern immer vor kognitiven Phasen. Die Unterteilung der Unterrichtsstunde in solche Phasen orientiert sich an dem ursprünglich durch von Ziegésar (1995) entwickelten mehrphasigen Modell zur Grammatikeinführung: Phase 1 - Demonstration, Phase 2 - Verstehen und Reagieren, Reproduzieren, Phase 3 - Bewusstmachung und Phase 4 - Produzieren. D.h. die grammatische Struktur wird den Lernenden in einer der Struktur entsprechenden Situation präsentiert, anschließend zeigen die Schülerinnen und Schüler, dass sie die Struktur zunächst hörend verstanden haben und reagieren darauf, aber verwenden dabei noch nicht zwingend die neue Struktur. In Phase 3 erfolgt die Bewusstmachung, wobei die Regel möglichst induktiv erarbeitet werden sollte. In der letzten Phase wird das neuerarbeitete sprachliche Phänomen von den Lernenden in Gruppen- oder Partnerarbeit erstmals selbständig verwendet (von Ziegésar 1995: 9ff.). In der Praxis hat sich gezeigt, dass es günstig ist vor Phase 1 sowie vor Phase 3 und 4 eine Bewegungseinheit zu integrieren, da Phase 1 und 2 zum Teil nahtlos ineinander übergehen. Da es beim Lehren und Lernen von grammatischen Strukturen vor allem darum geht, Regelmäßigkeiten und sprachliche Muster zu erkennen und sich nutzbar zu machen, was die Lernenden durchaus kognitiv fordert, scheint es sinnvoll zu sein, dem Gehirn durch den Einsatz von Bewegungseinheiten eine „Verschnaufpause vom konzentrierten Arbeiten“ (Arndt & Sambanis 2017: 129) zu geben. Die Bewegungsphase übernimmt dabei noch weitere Funktionen: Zum einen erlaubt sie es, eine Pause vom vorherigen Arbeiten zu machen, aber zum anderen bereitet sie auch das Gehirn für die Aufnahme von (weiteren) Lerninhalten vor. Man spricht in diesem Zusammenhang von dem sogenannten „Nachhall-Effekt“, der ca. 10-15 Minuten anhält (Arndt & Sambanis 2017: 130). Die Dauer des Nachhall-Effekts passt gut zu den oben geschilderten Phasen des Grammatikunterrichts und der Dauer einer Unterrichtsstunde, wenn man davon ausgeht, dass man vor Phase 1, Phase 3 und Phase 4 eine Bewegungseinheit einfügt und dass Phase 1 und 2 sowie Phase 3 und 4 ca. 10-15 Minuten dauern, die Bewegungseinheiten ca. 2. Minuten. Durch die Bewegung wird die Kreislauftätigkeit, die Durchblutung und schließlich die Sauerstoffversorgung angeregt und gefördert, was sich wiederum positiv auf die Wachheit und damit oftmals auch auf die Lernbereitschaft auswirkt (Arndt & Sambanis 2017: 130). Zudem trägt der Einsatz solcher Bewegungsphasen „zur Rhythmisierung des Unterrichts“ und damit zur Strukturierung bei (Arndt & Sambanis 2017: 129). <?page no="271"?> Grammatiklernen mit Bewegung 271 Die Bewegungsphasen im Rahmen der Studie zum Grammatiklernen wurden durch den Einsatz der Aktivität Yes, let’s! gestaltet. Die Lehrkraft gibt z.B. die Anweisung „Let’s jump up and down.“ Die Lernenden stimmen dem zu und bestätigen ihr Verständnis durch die Antwort „Yes, let’s! “ (Hudson 2013: 16). Damit ‚zwingen´ [sie] ihr Gehirn zur Anwendung zweier exekutiver Funktionen, nämlich der Inhibition (die Bewegung darf nicht sofort ausgeführt werden) und des Working Memory (die Anweisung muss im Arbeitsgedächtnis gehalten werden, […]) (Böttger & Sambanis 2017: 153). Es schließen sich weitere Bewegungsanweisungen an. Das gemeinsame Antworten mit „Yes, let’s! “ kann zudem motivierend auf die Lernenden wirken und zu einer positiven (Lern-) Atmosphäre beitragen. Während der Bewegungseinheiten bietet es sich an, das Fenster weit zu öffnen, um somit den „Erfrischungseffekt“ zu verstärken. Da diese Aktivität im Rahmen der Studie mit der gesamten Klasse durchgeführt wurde, war das gemeinsame Bewegen im Fachunterricht für die Schülerinnen und Schüler zu Beginn zwar etwas ungewohnt, aber, wie aus ihren Rückmeldungen hervorgeht, nicht unangenehm. Wenn die Schülerinnen und Schüler mit der Aktivität vertraut sind, ist es durchaus denkbar, die Lernenden die Anweisungen geben zu lassen. 5.2 Bewegung beim Lernen Hierbei ging es darum, Bewegungen einzusetzen, die mit der zu vermittelnden grammatischen Struktur inhaltlich in einem sinnvollen Zusammenhang steht. Im Fokus des Promotionsprojekts stand using participles instead of relative clauses. Die Auswahl der grammatischen Struktur orientierte sich an den verwendeten Lehrbüchern der jeweiligen Schulen. Dabei wurde eine grammatische Struktur ausgewählt, die erst für das zweite Halbjahr vorgesehen war, während der Unterrichtsversuch und die Datenerhebung schon im ersten Halbjahr erfolgten, um sicherzustellen, dass die Lernenden zumindest in der Unterrichtssituation noch keinen Kontakt damit hatten. Um die Schülerinnen und Schüler an den Bewegungseinsatz zu gewöhnen und mögliche Verzerrungen, die durch den Novitätseffekt herbeigeführt werden könnten, zu reduzieren bzw. zu vermeiden, wurden zunächst Relativpronomen verknüpft mit Bewegung wiederholt. Für die Verwendung des Relativpronomens who wurde mit den Armen um den Kopf ein Kreis gebildet, um ein O zu symbolisieren für die Verwendung bei Personen. Zudem war damit der Kopf, also die Person, in der Mitte des Kreises. Bei dem Pronomen which wurden ebenfalls die Arme eingesetzt, aber gerade nach oben gestreckt und die Handflächen aneinandergelegt, sodass ein I symbolisiert wurde, was ebenfalls in den Wörtern Dinge und Tiere, aber auch <?page no="272"?> Maria Witt 272 bei things und animals vorkommt und so die Verwendung dieses Pronomens symbolhaft aufzeigt. Bezugnehmend auf den Vortrag von Markus Kiefer bei Focus on Evidence kann an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass solche Sinnes- und Handlungserfahrungen, wie sie durch den Einsatz von Bewegung beim Lernen gemacht werden, Lernen und Begriffsbildung befördern können. Es erscheint plausibel, auch im Hinblick auf grammatische Musterbildung von einem möglicherweise förderlichen Effekt der Bewegungskoppelung auszugehen. Bei using participles instead of relative clauses wurden zwei Bewegungen unterschieden: zum einen für die Verwendung des present participle und zum anderen für das past participle. Gewisse Kenntnisse setzt die Verwendung der Bewegungen voraus, die aber im Vorfeld mit den Schülerinnen und Schülern besprochen wurden, z.B. müssen die Lernenden Aktiv und Passiv unterschieden können. Behandelt man also den Satz The food which is served during the flight does not include beverages müssen die Lernenden erkennen, dass der Relativsatz im Passiv steht und sie folglich das past participle verwenden müssen. Dementsprechend wurde die Regel folgendermaßen „verkörpert“: Man tritt einen Schritt zurück, weil beim Passiv der Handelnde nicht mehr im Vordergrund steht, sondern die Handlung, und auch die Arme bleiben unten und gehen dabei nach hinten, sozusagen zurück in die „Vergangenheit“, um anzuzeigen, dass das past participle verwendet werden muss. Andersherum geht man bei der Verwendung des present participle einen Schritt nach vorn, weil dieses Partizip verwendet wird, wenn der Relativsatz im Aktiv und der Handelnde damit im Vordergrund steht. Die Arme nimmt man dabei nach oben, sodass sie rechts und links vom Kopf sind, um das present, im Sinne von „Gegenwart“ und „präsent“ sein, zu verdeutlichen. Man unterscheidet also mit der Beinbewegung zwischen Aktiv und Passiv und die Arme zeigen an, welches Partizip schließlich verwendet werden muss. Wichtig dabei ist, dass die Bewegung zusammen mit dem Lerninhalt etwa sieben bis zwölf Mal wiederholt werden muss, bis die Bewegung gekoppelt an den Lerninhalt erinnert wird (Sambanis 2013: 27). Bereits während der Studiendurchführung haben die Lernenden geäußert, dass die Bewegungen für sie eine Art Eselsbrücke darstellt und ihnen hilft, sich zu erinnern, wann welches Relativpronomen bzw. welches Partizip verwendet wird. Basierend auf der im Projekt gewonnenen Erfahrung mit der Umsetzung in der Praxis scheint es ratsam, die Schülerinnen und Schüler bei der Auswahl der Bewegungen zu beteiligen. Somit werden die Lernenden noch stärker eingebunden, die Schüleraktivierung also erhöht, und eine höhere Akzeptanz der Bewegungen gefördert (Gleiches gilt für Bewegungen vor dem Lernen). Aus Sicht der Lehrkraft hat der Einsatz solcher Bewegungen einen weiteren Vorteil, nämlich den, dass man, ohne den Schülerbeitrag unterbrechen zu müssen, wortlos korrigieren kann bzw. mit der Bewegung den Hinweis auf <?page no="273"?> Grammatiklernen mit Bewegung 273 einen Fehler gibt und der Schüler bzw. die Schülerin sich schließlich selbst korrigiert. Durch Bewegungen beim Lernen werden grammatische Regeln für die Lernenden erfahrbar bzw. erlebbar. Wie Markus Kiefer (in diesem Band) sagt: „Sensomotorische Erfahrungen hinterlassen Spuren im Gehirn.“ Das ist wichtig, denn für manche Schülerinnen und Schüler sind grammatische Regeln manchmal sehr abstrakt. Markus Kiefer betont außerdem in seinem Vortrag, dass abstrakte Begriffe konkrete Situationen brauchen, was sich auch auf grammatische Regeln übertragen lässt und den Schülerinnen und Schülern somit dabei hilft, sich zu erinnern. 6 Fazit Das Spektrum des Einsatzes von Bewegung im Unterricht, speziell im Sprachunterricht, ist sehr breit und kann durch eigene Ideen von Lehrkräften und Lernenden noch erweitert werden. Das Bewegungslernen erweitert damit den Handlungsspielraum und das methodische Repertoire von Lehrerinnen und Lehrern und kann somit, wie in vielen Studien bereits gezeigt, die Lernfreude, Motivation und auch den Lernertrag steigern. Die oben skizzierte Studie wird Hinweise dazu geben, wie sich Bewegung beim Grammatiklernen auswirkt und ob eine der beiden Formen des Bewegungseinsatzes (Bewegung vor dem Lernen, Bewegung beim Lernen) höhere Effekte zeigt als die andere. Zum jetzigen Zeitpunkt kann auf jeden Fall eine hohe Akzeptanz des bewegten Vorgehens in beiden Variationen bestätigt werden. Außerdem gibt die teilnehmende Beobachtung zum Teil bereits Hinweise auf die gedächtnisstützende Wirkung von Bewegung. Literatur Arndt, P.A. & Sambanis, M. (2017): Didaktik und Neurowissenschaften - Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Tübingen: Narr. Böttger, H. & Sambanis, M. (2017): Sprachen lernen in der Pubertät. Tübingen: Narr. Dordel, S. & Breithecker, D. (2003): Bewegte Schule als Chance einer Förderung der Lern- und Leistungsbereitschaft? In: Haltung und Bewegung 23(2), 5-15. Even, S. (2003): Drama Grammatik. Dramapädagogische Ansätze für den Grammatikunterricht Deutsch als Fremdsprache. München: Iudicium. Gnutzmann, C. & Königs, F.G. (Hrsg.) (1995): Perspektiven des Grammatikunterrichts. Tübingen: Narr. Graf, C., Koch, B. & Dordel, S. (2003): Körperliche Aktivität und Konzentration - gibt es Zusammenhänge? In: Sportunterricht 52(5), 142-146. Häberle, S., Stroth, S.,Hille, K. & Ritteser M. (o.J.): Die tägliche Bewegungszeit in der Schule: Untersuchung der Wirkung von Bewegung auf Lernen. Abrufbar unter: http: / / www.znl-ulm.de/ Themen/ Exekutive-Funktionen/ exekutive-funktionen. html (Stand: 28.03.2018) <?page no="274"?> Maria Witt 274 Hille, K., Vogt, K., Fritz, M. & Sambanis, M. (2010): Szenisches Lernen im Fremdsprachenunterricht: Die Evaluation eines Schulversuchs. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 5(3), 337-350. Hudson, J. (2013): Perspektiven Englisch: Improvisation games in teaching English: Heft 12. Braunschweig: Diesterweg. Kiefer, M., Sim, E.-J., Liebich, S., Hauk, O. & Tanaka, J. (2007): Experience-dependent plasticity of conceptual representations in human sensory-motor areas. In: Journal of Cognitive Neuroscience 19, 525-542. Macedonia, M., Müller, K. & Friederici, A. D. (2011): The impact of iconic gestures on foreign language word learning und its neural substrate. 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München: Oldenbourg. <?page no="275"?> Autorinnen und Autoren Wolfgang Biederstädt ist Realschulrektor a.D. und Lehrbeauftragter für das Englische Seminar II an der Universität zu Köln, wolfgang.biederstaedt@koeln.de Anna Bitmann ist Lehrkraft (Primars) und Doktorandin/ ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik des Englischen an der Freien Universität Berlin, anna.bitmann@fu-berlin.de Prof. Dr. Bärbel Diehr ist Professorin in der Didaktik des Englischen an der Bergischen Universität Wuppertal, diehr@uni-wuppertal.de Dr. Julia Dose ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, julia.dose@ku.de Dr. Urška Grum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (Didaktik des Englischen) und Lehrkraft an der Universität Potsdam, urska.grum@uni-potsdam.de Dr. Peter Hohwiller ist Vertretungsprofessor für englische Fachdidaktik Paderborn, peter.hohwiller@uni-paderborn.de Doc. PhDr. PhD. Božena Horváthová ist Außerordentliche Professorin an der Constantine the Philosopher Universität in Nitra, Slowakei, bhorvathova@ukf.sk Prof. Dr. Matthias Hutz ist Professor für Englische Fachdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, hutz@ph-freiburg.de <?page no="276"?> 276 M.A. Natasha Janzen Ulbricht ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik des Englischen an der Freien Universität Berlin, nju@zedat.fu-berlin.de M.ed. Christiane Klempin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-Projekt „k2teach-Know how to teach“ an der Freien Universität Berlin, Didaktik des Englischen, c.klempin@fu-berlin.de Prof. Dr. Markus Kötter ist Professor in der Didaktik der englischen Sprache an der Universität Siegen koetter@anglistik.uni-siegen.de Dr. Tanja Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, tanjamueller.ku@gmail.com Mgr. PhD. Eva Reid ist Hochschullehrerin im Departement of Language Pedagogy and Education an der Constantine the Philosopher University in Nitra, Slowakei, ereid@ukf.sk Irene Reinhardt ist M.Ed. Englisch und Deutsch an der Freien Universität Berlin und Volontärin in einem Schulbuchverlag, irena_rei@web.de Jennifer Schilitz ist Lehrkraft (Gym.) (Franz./ Engl.) und Doktorandin in der Didakik des Englischen an der Freien Universität Berlin, jenniferschilitz@yahoo.de Oriana Uhl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik des Englischen an der Freien Universität Berlin, oriana.uhl@fu-berlin.de Maria Witt ist Lehrkraft (Gym.) (Engl./ Math.) und Doktorandin in der Didakik des Englischen an der Freien Universität Berlin, maria_witt@gmx.de <?page no="277"?> Magdalena Luise Mielke, Spiegelverdreht, Berlin <?page no="278"?> Team FoE 2017 Nicole Bosse, FUB Dr. Julia Dose, KUEI Leonie Fuchs, FUB Katrin Harder, FUB Agnes Kies, FUB Dorothea Kunz, KUEI Fritz Kusch, FUB Magdalena Mielke, FUB Ian Belinchon Pedrola, FUB Friederike Skarupke, FUB Natasha Janzen Ulbricht, FUB Leocadie Voigt-Mahr, FUB Laura Wendland, FUB und die Organisatorinnen und Organisatoren Anna Bitmann, FUB Dominik Grubecki, FUB Christiane Klempin, FUB Dr. Tanja Müller, KUEI Wir danken den Unterstützern von FoE 2017: Unser Dank gilt außerdem der Berliner Polizei, die es durch rasche Evakuierung des Gebäudes nach Fund eines verdächtigen Gegenstandes direkt am Tagungsort und durch die zügige Entfernung bzw. Entschärfung desselben möglich machte, dass FoE im Dezember 2017 nicht in letzter Minute abgesagt werden musste. Jut jemacht!