Vom Satz zum Text
0911
2017
978-3-8233-9146-3
978-3-8233-8146-4
Gunter Narr Verlag
Albrecht Greule
Der Band erläutert in sieben Kapiteln die Schritte, die bei der Satz- und Textanalyse zu beachten sind. Dabei spielt der Einblick in syntaktische und textgrammatische Strukturen eine wichtige Rolle. Ziel ist, Texte besser zu verstehen und Texte zu bilden. Stationen auf dem Weg vom Satz zum Text sind die Wortgruppe, der komplexe Satz und die Einordnung von Texten in Textsorten. Schritt für Schritt bietet die Darstellung einen für Studienanfänger besonders geeigneten Einstieg in die Textanalyse.
<?page no="0"?> ISBN 978-3-8233-8146-4 wichtige Punkte für einen erfolgreichen Start ins Thema für einen schnellen Einstieg ins Thema Grundbegriffe und wichtige Zusammenhänge schnell erfasst ideal für die Seminarvorbereitung in den ersten Semestern Der Band stellt das sprachwissenschaftliche Handwerkszeug bereit, um Texte zum besseren Verständnis zu analysieren. Er will aber auch zur Produktion von Texten anregen. Der Weg vom Satz zum Text führt über einen Einblick in den Bau der Sprache und über die Grammatik. Wichtige Stationen sind dabei die Wortgruppe, der komplexe Satz und die Einordnung von Texten in Textsorten. Schritt für Schritt bietet die verständliche Darstellung den Einstieg in die Textanalyse. www.narr-starter.de www.narr-studienbuecher.de www.narr.de Albrecht Greule Vom Satz zum Text Vom Satz zum Text zusammengefasst von Albrecht Greule <?page no="1"?> Prof. Dr. Albrecht Greule war Inhaber des Lehrstuhls für deutsche Sprache an der Universität Regensburg bis 2007, danach Seniorprofessor. Er lehrt heute an der Universität Regensburg als Lehrbeauftragter in den Fächern Deutsche Sprachwissenschaft und Onomastik. MIT narr STARTER BEGINNEN, MIT narr STUDIENBÜCHER VERTIEFEN, ERFOLGREICH STUDIEREN! www.narr-STARTER.de <?page no="4"?> Albrecht Greule Vom Satz zum Text <?page no="5"?> Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr-starter.de www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Printed in Germany ISSN 2509-6036 ISBN 978-3-8233-8146-4 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="6"?> Inhalt 1. Definitionen und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Von der Wortgruppe zum Satz . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Der einfache Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.1 Satzbaupläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.2 Ergänzungen (E-Satzglieder) . . . . . . . . . . . . . 27 3.3 Angaben (A-Satzglieder) . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.4 Dreidimensionalität der Satzglieder . . . . . . . 29 3.5 Stellungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4. Vom einfachen zum komplexen Satz . . . . . . . . . . 33 4.1 Satzreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4.2 Satzgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4.3 Satzperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4.4 Reduzierte Nebensatzformen . . . . . . . . . . . . . 40 5. Vom Satz zum kleinsten Textbaustein (MTE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 6. Der einfache Text (Kleintext) . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Typologie der Vernetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 narr-starter.de <?page no="7"?> 7. Großtexte, Paratexte und Textmuster . . . . . . . . . 60 7.1 Textarchitektur und Textdesign . . . . . . . . . . . 60 7.2 Kleintext-Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 7.3 Textsorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 7.4 Textkomposition und Textmuster . . . . . . . . . 64 Fragen und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Lösungsvorschläge zu den Fragen und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Inhalt 6 narr-starter.de <?page no="8"?> 1. Definitionen und Methoden Der vorliegende STARTER will seinen Lesern das sprachwissenschaftliche Handwerkszeug bereitstellen, mit dem sie Texte analysieren können. Darüber hinaus will er sie damit in die Lage versetzen und ermuntern, selbst Texte zu produzieren. Der Weg zu diesen Zielen beginnt mit einem Einblick in den Bau der Sprache (die Sprachstruktur) generell. Dieser Gegenstand und die Beschreibung des Wegs vom Satz zum Text werden gewöhnlich als „ Grammatik “ bezeichnet. Auch wenn dieser Begriff möglicherweise Erinnerungen an nicht besonders positive Erfahrungen weckt, sollte niemand davor zurückschrecken, den grammatisch markierten Weg vom Satz zum Text - mit einer Abzweigung zum Wort - mitzugehen. Um die respekteinflößende Grammatik etwas handlicher zu machen, präsentieren wir sie als einen Baukasten, aus dem sich die Sprecher und Schreiber gleichsam bedienen können, um Texte zu „ bauen “ oder die Bausteine eines fertigen Textes in ihrem Zusammenwirken zu bestimmen und zu benennen. Denn beim „ Bauen “ des Textes sind - genauso wie schon beim Verfertigen eines einzelnen Satzes - Regeln zu beachten, wie die Bausteine zusammenzufügen sind. Als Grundbausteine nehmen wir einfach und noch undefiniert das Wort (Mehrzahl Wörter, nicht Worte, denn Worte - zum Beispiel Sprichworte - sind aus mehreren Wörtern bestehende Äußerungen) und den Satz. Es ist zum Beispiel nicht egal, in welcher Reihenfolge die Wörter zu einem Satz angeordnet werden. Das heißt: Das Erstellen eines Textes erfolgt nach einem Bauplan, der gleichsam einen Grundriss narr-starter.de <?page no="9"?> vorgibt. Trotzdem hat der Verfasser des Textes innerhalb der Grenzen des Grundrisses noch ziemlich viele Freiheiten, nach eigenem Gutdünken zu formulieren. Die sprachliche Kommunikation in der modernen Welt orientiert sich an Kommunikationssituationen. So ist beim Verfassen von gesprochenen oder geschriebenen Texten zu beachten, dass die Texte auf die Gegebenheiten der Kommunikation Rücksicht nehmen (Sprecher, Ort, Zeit, Kommunikationsziel). Es wird erwartet, dass der Sprecher beispielsweise bei einer Bestellung im Restaurant sich höflich und präzise auf das Angebot in der Speisekarte bezieht, Fragen dazu an den Ober richtet und schließlich definitiv das Essen bestellt. Er wird kaum in die Bestellung seine Meinung zur aktuellen Politik oder zum Wetter einfließen lassen. Anders - nicht kurz und bündig, sondern begeistert und ausführlich - wird man formulieren, wenn man vom Urlaub in Spanien im Freundeskreis erzählt. Wieder anders, wenn man aus dem Urlaub eine Postkarte oder eine SMS verschickt. Da sich Kommunikationssituationen ständig wiederholen, kann man sie klassifizieren und die darin verwendeten sprachlichen Formulierungen zu „ Textsorten “ zusammenfassen. Im Folgenden wird der Terminus „ Textsorte “ nur für Texte verwendet, die in geschriebener Sprache verfasst werden. Auch wenn wir erst in Kapitel 7 ausführlich auf die Textsorten zu sprechen kommen, sollen hier doch einige Beispiele von nichtliterarischen, alltagssprachlichen Textsorten genannt werden: So werden Nachricht, Bericht, Sachbuch und Rezension in der Klasse der „ Informationstexte “ zusammengefasst (nach Brinker / Cölfen / Pappert 2014, S. 140), weil bei ihnen die Information das Hauptziel des Textes, seine kommunikative Funktion ist. 1. Definitionen und Methoden 8 narr-starter.de <?page no="10"?> Auf unserem Weg vom Satz zum Text sind weitere Definitionen von sprachlichen Einheiten notwendig. Text definieren wir als eine von einem Sprecher/ Schreiber hervorgebrachte begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen (Wörtern), die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine kommunikative Funktion signalisiert (nach Brinker / Cölfen / Pappert 2014, S. 17). Der Terminus Text wird später noch spezifiziert in Kleintext, Großtext und Paratexte (Kapitel 7), die wie z. B. Fußnoten oder Randnotizen einen (Kern-)Text umgeben und begleiten. Für alle Textarten gilt, dass sie eine begrenzte, kohärente Folge einer Menge von Wörtern sind. Die Kohärenz, der sinnvolle Zusammenhang der Wörter im Rahmen des Textes, ergibt sich bei einem Text, der nur aus einem Satz besteht, aus der Konstruktion des Satzes selbst. Texte bestehen aber normalerweise aus mehreren Sätzen oder satzähnlichen Konstruktionen. In diesen Fällen ergibt sich die Kohärenz aus dem Zusammenhang der Sätze im Verlauf des Textes (vgl. Kapitel 5). Mit den Regularitäten, die hier gelten, beschäftigt sich die Textgrammatik. Als wichtige Definitionen stehen noch jene von Wort und Satz aus. In der Definition von Text wird Wort mit sprachlichem Zeichen gleichgesetzt. Als sprachliches Zeichen hat ein Wort eine Inhaltsseite und eine Ausdrucksseite. Wenn von einer Folge von Wörtern gesprochen wird, dann sind damit „ grafische “ Wörter gemeint, die durch Leerzeichen voneinander getrennt sind. Unter ihnen muss man noch die „ syntaktischen “ Wörter unterscheiden, nämlich solche, die flektiert sind, z. B. Häus-er (vgl. Kessel / Reimann 2017, S. 71). Die von der Inhaltsseite her zu fällende Unterscheidung, ob ein Wort eine selbständige Bedeutung 1. Definitionen und Methoden 9 narr-starter.de <?page no="11"?> (wie das Substantiv Haus) oder eine funktionale Bedeutung (wie der Artikel das) hat, spielt zunächst keine Rolle. Satz wird - unabhängig von der graphischen Kennzeichnung durch Großschreibung und schließendes Satzzeichen - definiert als eine sprachliche Konstruktion aus Satzgliedern, in deren Zentrum ein Prädikat steht. So definiert, ist der Satz eine besondere, anspruchsvolle Art der sprachlichen Äußerung. Die Beschreibung der Möglichkeiten, Sätze zu bilden, ist Sache der Syntax (Satzlehre). Es gibt neben den gemäß der Definition gebildeten Sätzen auch einfachere, satzähnliche Konstruktionen wie die Ellipse, die Setzung und Satzäquivalente (vgl. Kessel / Reimann 2017, S. 1 f.). Ellipsen sind gleichsam reduzierte Sätze, in denen Teile weggelassen werden, die der Hörer / Leser aus dem vorausgehenden Prätext oder aus dem nachfolgenden Posttext ergänzen kann. Prä- und Posttext fassen wir unter dem Terminus Kotext (nicht Kontext) zusammen. Eine weitere Sonderform des reduzierten Satzes ist die Setzung, die ohne ein Prädikat auskommt, das im Unterschied zur Ellipse nicht ergänzt werden kann und nicht ergänzt zu werden braucht. Setzungen kommen oft in Überschriften oder Headlines vor, z. B. Altstadt als Geheimtipp. Unter Satzäquivalenten fasst man eine Gruppe von Äußerungen zusammen, die nur aus einem Wort bestehen, wie der Ausruf Hurra! oder danke, bitte. Methoden der Textbildung und Textanalyse Wie gelangen wir mit dem aus Satzgliedern zusammengesetzten Satz zu einem Text und wie können fertige Texte analysiert werden? Welche Regeln gibt es? Der Aufbau eines Textes aus kleineren sprachlichen Bausteinen entspricht der Vernetzung sprachlicher Zeichen zu einem sinnvollen Gan- 1. Definitionen und Methoden 10 narr-starter.de <?page no="12"?> zen. Insofern die Vernetzung linear vor sich geht, das heißt beim Hören als ein Nacheinander von Lauten, Silben und Wörtern und beim Lesen als ein Nacheinander von Buchstaben und Wortzeichen, kann sie auch als Verkettung bezeichnet werden. Die Gegenbewegung zur Verkettung ist die Zerlegung oder Segmentierung der Sprachzeichenkette. Die in der geschriebenen Sprache gewohnten Wortabstände, Großschreibungen und Satzzeichen, die durch die Regeln der Rechtschreibung und Zeichensetzung vorgegeben sind, sind nichts anderes als eine reglementierte Segmentierung der Wortkette. Durch sie sollen die Satzstruktur transparent und damit die Rezeption des Satzsinnes erleichtert werden. Die Wortkette gebensiegedankenfreiheitsire ist - zumal im Zusammenhang des Kotextes - einfacher zu verstehen, wenn die Großschreibung, Abstände und Satzzeichen eingefügt werden: Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire! Ähnliches gilt für die graphische Gliederung eines Textes durch Absätze, die allerdings nicht normativ geregelt ist (vgl. Kapitel 7.1). Mit der Segmentierung geht die Paraphrase einher. Als Paraphrase wird die erklärende Umschreibung eines Sachverhalts bezeichnet, wodurch der Rezipient beschreibt, wie er einen Sachverhalt versteht (z. B. Bierdeckel ist kein Deckel auf dem Bierglas, sondern ein Stück Pappe oder Filz, auf das man das Bierglas stellt). Auch ganze Texte können paraphrasiert werden. Um die teils komplizierten Sinnbezüge innerhalb einer Wortkette nicht nur durch Paraphrasieren zu umschreiben, was bei längeren Wortketten zu umständlich wäre, bedient man sich verschiedener schematischer Darstellungen. Unter ihnen bevorzugen die sprachwissenschaftlichen Theoretiker die Darstellung in Form eines Stammbaums (Stemma), vgl. 1. Definitionen und Methoden 11 narr-starter.de <?page no="13"?> die Abbildungen in Kapitel 2 und 4. Der Vorteil dieser Darstellung besteht darin, dass hierarchische Sinnbezüge, die gleichsam in der linearen Wortkette eines Satzes oder eines Mehrfachkompositums verborgen sind, sichtbar gemacht werden. Damit und mit weiteren „ Operationen “ wie Umstellung (oder Permutation) und Ersetzung (oder Substitution), die für die Bestimmung von Satzgliedern eingesetzt werden, befassen sich die Kapitel 2 und 3. Zusammenfassung Das erste Kapitel hat die Aufgabe, wichtige Begriffe zu definieren, die benötigt werden, um den Weg vom Satz zum Text zu beschreiben. Dazu gehören an erster Stelle Wort, Satz und Text. Ferner: Satzglied, vor allem das Prädikat, dann die Kohärenz, durch die eine Satzfolge erst zum Text wird, sowie die Einteilung von Texten in verschiedene Textsorten. An einem Beispieltext sollen die zentralen Begriffe abschließend verdeutlicht werden: Konrad Adenauer trat 1906 dem Zentrum bei. Als Gegner der Nationalsozialisten befand sich Adenauer 1944 in Haft. Nach 1945 wurde er zu einem maßgeblichen Politiker beim Aufbau der BR Deutschland. (Aus: Meyers Taschenlexikon, Mannheim 1996, vgl. dazu A. Greule / S. Reimann, Basiswissen Textgrammatik [utb 4226], Tübingen 2015, S. 12.) Die Sätze des Textes sind äußerlich durch die orthographisch festgelegte Großschreibung am Satzanfang und den Punkt am Satzende gekennzeichnet; Gleiches gilt für die Wörter, 1. Definitionen und Methoden 12 narr-starter.de <?page no="14"?> die durch „ Zwischenräume “ voneinander getrennt sind. Die Sätze enthalten je ein Prädikat (trat . . . bei, befand sich . . . in Haft, wurde zu einem . . . Politiker). Die Prädikate sind jeweils von anderen Satzgliedern umgeben: Konrad Adenauer, 1906, dem Zentrum; Als Gegner des Nationalsozialismus, 1944; Nach 1945, er, beim Aufbau der BR Deutschland. Die Kohärenz über die Grenzen der drei Sätze hinweg ergibt sich durch die wiederholte Bezugnahme auf Konrad Adenauer. Der ganze Text stammt aus einem Taschenlexikon; er gehört folglich der Textsorte Lexikonartikel (gekürzt) an. 1. Definitionen und Methoden 13 narr-starter.de <?page no="15"?> 2. Von der Wortgruppe zum Satz Nachdem wir die grundlegenden sprachlichen Einheiten oder Baumaterialien kennen gelernt haben, die wir brauchen, um einen Text zu basteln oder zu analysieren, können wir uns gleichsam auf den Weg machen und aus kleineren Einheiten größere zusammenfügen. Die Wegstrecke, die in diesem Kapitel beschrieben wird, führt von der Wortgruppe (engl. phrase) zum Satz, genauer zum einfachen Satz. Dabei übernimmt die Wortgruppe, die - widersprüchlicherweise - auch nur aus einem Wort bestehen kann, die Funktion von Satzgliedern. Die Rolle, die Satzglieder bei der Textbildung spielen, ergibt sich aus der Satzdefinition, wonach ein Satz eine Konstruktion aus Satzgliedern ist, in deren Zentrum ein Prädikat steht (vgl. Kapitel 1). Satzglieder sind demnach die wesentlichen Bestandteile oder Konstituenten, aus denen Sätze bestehen. Die metaphorisch angelegte Satzdefinition gibt aber nicht nur die Konstituenten als solche an, sondern sie führt auch eine Hierarchie vor Augen. Es gibt demnach ein zentrales Satzglied, um das sich gleichsam weitere (untergeordnete) Satzglieder herumlagern. Zur Frage, wie viele Satzglieder zur Bildung eines Satzes notwendig sind, sagt die Satzdefinition nichts. Diese Frage wird im Zusammenhang mit der so genannten Valenz (s. u.) behandelt, denn die Valenz oder die Wertigkeit des Prädikats begründet die herausragende Stellung des Satzgliedes, das Prädikat genannt wird. Die Wortgruppe ist, wie die Bezeichnung schon sagt, eine Gruppe von Wörtern, beispielsweise die Setzung / der narr-starter.de <?page no="16"?> Buchtitel Der kleine Prinz. Die Konstruktion besteht aus drei Wörtern, von denen jedes einer anderen Wortart angehört: Artikel, Adjektiv, Nomen (Substantiv). Um die Konstruktion überschaubarer zu machen, bekommen die Wortarten Symbole (Kategorialsymbole) zugewiesen, die durch Kürzung der Bezeichnungen Artikel, Adjektiv, Nomen gewonnen wurden, also ART, ADJ, N. Mit Hilfe der Symbole kann eine Formel ART - ADJ - N geschrieben werden, die vom konkreten Satz abstrahiert und nach der auch andere Wortgruppen gebildet werden können, z. B. die junge Frau, das brave Kind. Durch Umstellen der Wörter, z. B. in umgekehrter Reihenfolge Prinz klein der sehen wir, dass die Reihenfolge (Serialisierung) der Konstituenten in der Formel ART - ADJ - N nicht verändert werden darf, wenn eine korrekte Wortgruppe gebildet werden soll. Die Wortgruppe ART - ADJ - N ist (wie der Satz) ebenfalls hierarchisch strukturiert: Das Nomen bildet das Zentrum. Wenn die Darstellung der Formel nicht linear, sondern vertikal erfolgt: steht das Nomen an der Spitze des Diagramms und wird Kopf (engl. head) oder Kern / Nukleus genannt. Die Gründe für 2. Von der Wortgruppe zum Satz 15 narr-starter.de <?page no="17"?> diese herausgehobene Stellung liegen bei der „ Macht “ des Nomens, anderen Wörtern der Wortgruppe das Genus (hier maskulin) und den Numerus (hier Singular) „ aufzudrängen “ (Kongruenz I). Der Terminus Kongruenz ist von lateinisch congruere ‚ übereinstimmen ‘ abgeleitet und meint die formale Übereinstimmung von Teilen innerhalb eines Satzes. Die deutsche Grammatik wartet mit gleich zwei Kongruenzen auf. Kongruenz II wird in Kapitel 3 behandelt. Jede Wortgruppe, deren Kopf ein Nomen ist, wird Nominalgruppe (abgekürzt NG, engl. noun phrase [NP]) genannt. Zusammen mit dem Artikel bildet das Nomen gleichsam eine Klammer (Klammer I) oder einen Rahmen. Was in den Rahmen ein- oder angefügt wird, ist ein Attribut. In unserem Beispiel Der kleine Prinz ist kleine daher ein attributives Adjektiv. Es gibt außer ART - ADJ - N weitere Möglichkeiten eine Nominalgruppe zu gestalten. Die häufigste ist die Verwendung eines Genitivattributs, das rechts neben die Klammer gestellt wird: das neue Auto meines Vaters. Poetische Wirkung würde die pränukleare Stellung des Genitivattributs erzielen: des Frühlings zarte Bande. Umgangssprachlich, aber häufig ist die Konstruktion meinem Vater sein neues Auto mit pränuklearem Dativattribut (meinem Vater) und Possessivpronomen (sein) anstelle des Artikels. Bei der - stilistisch gehobenen - Formulierung Vaters neues Auto ist die Klammer links gleichsam offen. Wie man sieht, kann das Feld innerhalb der Klammer I unbesetzt sein, jedoch wird viel häufiger der Raum innerhalb der Klammer durch eine Anreihung von Adjektiven gefüllt. Es ist allerdings davor zu warnen, den Bogen durch eine ausgedehnte Häufung von Wörtern zu überspannen: ein taufrischer, kühler, leicht wolkiger Morgen. 2. Von der Wortgruppe zum Satz 16 narr-starter.de <?page no="18"?> Bildet eine andere Wortart den Kopf einer Wortgruppe, dann wird sie entsprechend benannt: Adjektivgruppe (AdjG, z. B. sehr hoch), Pronominalgruppe (PronG, z. B. wir in der Provinz). Bei der Präpositionalgruppe (PräpG, z. B. auf der Straße) ist die Präposition der Kopf, weil eine Präposition den Kasus aller von ihr abhängiger flektierbarer Wörter „ aufzwingt “ . Neben der Nominalgruppe ist die Verbgruppe (auch Verbalgruppe, kurz VG, engl. verb phrase [VP]) für die Bildung der Sätze besonders wichtig. Sie übernimmt nämlich bei der Konstruktion von Sätzen die Funktion des Prädikats und ist damit das Zentrum des Satzes. Aufgrund ihrer herausragenden Stellung bei der Satzbildung liegt die Verbgruppe in verschiedensten Ausprägungen vor. Für alle gilt aber, dass ein finites Verb (Finitum) vorhanden sein muss. Finit ist ein Verb - im Unterschied zu Infinitiv oder zum Partizip - dann, wenn es konjugiert ist und Formen aufweist, die Person, Numerus, Tempus und Modus anzeigen. Die Verbgruppe kann als Prädikat auch nur aus einem Wort, dem flektierten Verb (einfaches Prädikat), bestehen, z. B. Wir schaffen das. Das Finitum schaffen ist in Abhängigkeit vom Subjekt Wir flektiert als 1. Person Plural Präsens Indikativ - Informationen, die in der Flexionsendung -en enthalten sind. Würde man die Äußerung Wir schaffen das als erst in der Zukunft realisierte Handlung formulieren wollen, müsste man schreiben: Wir werden das schaffen. Oder blickte man zurück auf die bereits erfolgte Handlung, müsste man schreiben: Wir haben das geschafft. Das heißt: Soll das Prädikat in seiner Bedeutung spezifiziert werden, bedarf es im Deutschen einer echten aus mehreren Wörtern bestehenden Verbalgruppe (komplexes Prädikat). Sie zerfällt 2. Von der Wortgruppe zum Satz 17 narr-starter.de <?page no="19"?> dann, wie in den Beispielen, in ein Finitum (werden, haben) und ein Infinitum (schaffen, geschafft). Es handelt sich dabei um homogene Verbgruppen, weil sie nur aus Verben zusammengesetzt sind. Dazu zählen auch Verbgruppen wie Er kann schon lesen, Sie beginnt zu singen, Er ließ einen Turm bauen. Die semantische Wirkung dieser homogenen Verbalgruppen ist: Bildung der Modalität (kann lesen), Bildung der Aktionsart (beginnt zu) und Bildung des Kausativs (ließ bauen). Die Möglichkeit, Verbgruppen zu bilden, reicht über die homogenen Verbgruppen hinaus und erfasst auch Wortgruppen, die ein Finitum mit Nominalgruppen (oder einfachem Nomen) kombinieren (heterogene Verbgruppen). Prädikate wie einen Besuch machen, Antwort geben heißen „ Streckformen “ , die Bedeutung liegt hier weitgehend auf dem Nomen. Andere wie etwas in Bewegung setzen, zu Fall bringen, Anerkennung finden enthalten ein von einem Verb abgeleitetes Nomen (Bewegung, Fall, Anerkennung) und sie entfalten eine semantische Wirkung in Richtung auf Aktionsart, Kausativ oder Passiv. Auch das Passiv wird durch eine Verbgruppe gebildet: Die Leistung wurde anerkannt (Finitum / wurde + Partizip II / anerkannt). Eine Form wie Die Leistung fand Anerkennung ist eine sogenannte Ersatzform anstelle des regulären Passivs. Zu der weit reichenden informationellen Wirkung, dass nämlich durch das Passiv der „ Täter “ (grammatikalisch: der Agens) verschwiegen werden kann, kommen wir später (Kapitel 3). Im vorliegenden Beispiel wird ja nicht gesagt, wer die Leistung anerkannte. Ein Prädikatstyp soll noch nachgetragen werden. Er ist deshalb als schwierig zu charakterisieren, weil er als Verbalgruppe auf Anhieb nicht zu erkennen ist. Es handelt sich um die Verben mit Verbzusatz / Präverb, z. B. abfahren, 2. Von der Wortgruppe zum Satz 18 narr-starter.de <?page no="20"?> loslegen, teilnehmen. Die Verbzusätze (hier ab-, los-, teil-) müssen in bestimmten Stellungen im Satz vom Verb getrennt stehen, z. B. Man nimmt teil, sie sind abgefahren. Im Infinitiv, der „ Nennform des Verbs “ , steht der Verbzusatz immer in fester Verbindung mit dem Verbstamm. Die Verben mit dem trennbaren Zusatz sind dann nicht von den Verben mit einem Präfix (verfahren, zerlegen, benehmen), das niemals vom Verbstamm getrennt vorkommt, zu unterscheiden. An den Verben mit Verbzusatz kann eine weitere Besonderheit aller Verbgruppen gezeigt werden, wenn sie im Satz als Prädikat fungieren: die Verbalklammer (Klammer II). Die Vorstellung dabei ist die gleiche wie bei der Wortgruppenklammer (Klammer I): Teile der Wortgruppe stehen nicht direkt nebeneinander, sondern auf Distanz (diskontinuierlich) und lassen zwischen den Klammerteilen Raum frei für weitere Wörter. Durch die Verbalklammer wird im einfachen Satz (Kapitel 3) der Verbzusatz oder der infinite Teil der Verbalgruppe ans Ende des Satzes gestellt, z. B. Der Zug fuhr schon vor langer Zeit ab. Mit gutem Willen werden wir das schaffen. Aus der Notwendigkeit, die Klammer II zu bilden, haben Grammatiker eine regelrechte Felderlehre entwickelt. Denn vor, zwischen und nach der Klammer II ergeben sich Freiräume (Felder). Man kann sich so den Satz wie ein Schachbrett in Felder eingeteilt vorstellen, die mit Satzgliedern besetzt werden und auf denen sie verschoben werden können. Ausführlich dazu in Kapitel 3. 2. Von der Wortgruppe zum Satz 19 narr-starter.de <?page no="21"?> Zusammenfassung Am Ende des Kapitels „ Von der Wortgruppe zum Satz “ sollten wir eine ganze Menge gelernt haben, nämlich: 1. Setzungen sind per definitionem ohne Prädikat konstruiert und enthalten demnach auch keine Verbgruppe, sondern bestehen nur aus Nominalgruppen, z. B. Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande (Bezeichnung des 3. Satzes der 6. Sinfonie von Beethoven) = (komplexe) Nominalgruppe erweitert um drei Nominalgruppen als Attribute (NG im Genitiv und PräpG), oder der Werbeslogan: Gut, besser, Paulaner = Nominalgruppe bestehend aus der Koordination zweier Adjektive und einem Namen. 2. Sätze müssen im Unterschied dazu mit einem Prädikat gebildet werden, das identisch ist mit einer Verbalgruppe; im Minimalfall kann die Verbalgruppe auch nur aus einem Wort, dem Finitum, bestehen. 3. Das Prädikat besteht meist nicht nur aus einem finiten Verb, sondern aus einer Verbalgruppe. In der Verbalgruppe kommen zu einem finiten Verb noch weitere verbale oder nominale Bestandteile hinzu. 4. Das Finitum und die anderen Bestandteile der Verbalgruppe müssen nicht nebeneinander stehen; meist stehen sie getrennt voneinander und bilden so eine Klammer. 5. Die Teile der Verbgruppe markieren darüber hinaus die Grenzen der Satzfelder. Links von Finitum eröffnet sich das Vorfeld, zwischen Finitum und Infinitum erstreckt sich das Mittelfeld, rechts vom Infinitum kann das Nachfeld besetzt werden. 2. Von der Wortgruppe zum Satz 20 narr-starter.de <?page no="22"?> Beispieltext: Charité-Vorfall (1810) Der von einem Kutscher kürzlich übergefahrne Mann, namens Beyer, hat bereits dreimal in seinem Leben ein ähnliches Schicksal gehabt; dergestallt, daß (. . .) (Heinrich von Kleist, Anekdoten. Kleine Schriften, München 1964, S. 11.) Titel und Erstsatz der Anekdote von Heinrich von Kleist sind ein Beispiel für das Zusammenwirken von Setzung (Charité- Vorfall) und Satz. Die Felder des Satzes sind folgendermaßen besetzt: Den ersten Klammerteil bildet hat, den zweiten das Partizip gehabt. Im Vorfeld steht die umfangreiche Nominalgruppe Der von einem Kutscher kürzlich übergefahrne Mann, namens Beyer, im Mittelfeld stehen die beiden Nominalgruppen bereits dreimal in seinem Leben ein ähnliches Schicksal. In das Nachfeld setzte der Dichter den hier gekürzten Inhaltssatz dergestalt daß (. . .). Ein Text könnte nur aus aneinandergereihten Setzungen bestehen, was aber wie ein Fahrplan aussehen würde (Abfahrt Hbf. Regensburg 8: 44, Ankunft Tübingen 13: 23) und einen Text als steif erscheinen lässt. Nicht von ungefähr verwendet Kleist eine Setzung nur als Überschrift; der folgende Text besteht dagegen nur aus Sätzen. Sätze, mit einem Prädikat formulierte Äußerungen, sind einfach „ geschmeidiger “ . Warum das so ist, erfahren wir im nächsten Kapitel, worin zu lesen ist, dass das Prädikat, genauer das Verb, zur Satzbildung weitere Nominalgruppen als Satzglieder verlangt. 2. Von der Wortgruppe zum Satz 21 narr-starter.de <?page no="23"?> 3. Der einfache Satz Dass Setzungen nur begrenzt in spezifischen Funktionen, zum Beispiel als Überschrift, verwendet werden und dass wir deswegen im Folgenden nur noch dem Satz unsere Aufmerksamkeit schenken sollten, ist am Ende von Kapitel 2 deutlich geworden. Die Sache ist aber nicht so einfach, denn es gibt - wie meist in der Grammatik - eine Hierarchie, die uns dazu zwingt, uns vom Einfachen zum Komplexeren vorzuarbeiten und uns zuerst nur mit dem einfachen Satz zu befassen. In der Satzdefinition (vgl. Kapitel 1) ist die Art und Weise, wie ein Satz zu bilden ist, bereits vorgegeben. Dort heißt es: Ein Satz wird aus Satzgliedern konstruiert, die um ein Prädikat als Zentrum anzuordnen sind. Nach den Ausführungen in Kapitel 2 wissen wir, dass Satzglieder Wortgruppen (hauptsächlich Verbgruppe, Nominalgruppe, Präpositionalgruppe) sind und dass das als Zentrum geforderte Prädikat mit der Verbalgruppe (vgl. Kapitel 2) identisch ist. Zentrum ist das Prädikat deswegen, weil es weitere Nominalgruppen (semantisch: Argumente) fordert oder an sich bindet. Man nennt diese Fähigkeit des Prädikats bzw. von Verben allgemein - nach Lucien Tesnière mit einem Vergleich aus der Chemie - Valenz oder Wertigkeit und das Prädikat wird als „ Valenzträger “ angesehen. Konstruktionen, wie sie für den Satz angesetzt werden, setzen einen „ Bauplan “ voraus. Nach dem Bauplan können wir Satzglieder zu einem Satz korrekt zusammenfügen. Die Abhängigkeit oder die Bindung der auf das Prädikat hin konstruierten Satzglieder ist semantisch begründet und findet auch formalen Ausdruck. Zum Beispiel erfordert narr-starter.de <?page no="24"?> ein Prädikat, das eine ‚ Tätigkeit ‘ (Actio) bezeichnet, ein Satzglied, das als Argument den ‚ Täter ‘ (Agens) nennt. So verlangt etwa im Satz Der Chef kocht selbst das Verb kochen als Prädikat einen ‚ Täter ‘ , also einen, der kocht, auf den man sich beziehen kann. Die Wortgruppe, die den Täter nennt, ist durch den Kasus Nominativ (der Chef) auf der Ausdrucksseite markiert. Obwohl das Prädikat (kocht) im Zentrum des Satzes steht, steht die Täter-Wortgruppe an der Satzspitze; das (zentrale) Prädikat folgt in der zweiten Satzposition. Zudem bekommt die im Nominativ stehende Täter-Wortgruppe eine weitere Auszeichnung: Sie wirkt sich nämlich auf die Flexion des Finitums (koch-t) aus, indem sie die Endung der 3. Person Singular / -t/ verlangt. Aufgrund dieses besonderen Verhältnisses wird die Wortgruppe / das Satzglied, das im Nominativ steht, traditionell Subjekt genannt. Das besondere Verhältnis von Subjekt und Prädikat, dass nämlich das Subjekt die Endung des Finitums bestimmt, heißt Kongruenz (Kongruenz II, im Unterschied zu Kongruenz I, s. Kapitel 2). Der Einwand, dass das Verb kochen als Prädikat neben einem ‚ Täter ‘ auch die Erwähnung dessen, was gekocht wird, verlangen könnte, ist berechtigt. Auf die Valenz von kochen bezogen, bedeutet das, dass kochen im Normalfall der Satzbildung zwei Wortgruppen verlangt: ein Agens (Subjekt) ‚ einer, der kocht ‘ und ein Objekt ‚ was gekocht wird ‘ . Sofern das Ergebnis des Kochens als ein Menu vorliegt, kann man das Objekt genauer als ‚ effiziertes Objekt ‘ bezeichnen: Der Chef kocht das Menu (am Sonntag) selbst. Das Verb kochen ist demnach zweiwertig: Subjekt (der Chef . . . selbst) - Prädikat (koch-t) - Objekt (das Menu). Die zweite Nominalgruppe (zweites Argument) wird formal (durch einen Kasus) von der ersten unterschieden durch einen anderen Kasus: hier durch 3. Der einfache Satz 23 narr-starter.de <?page no="25"?> den Akkusativ Singular (das Menu). Um den Kasus Akkusativ zu verdeutlichen, lassen wir den Chef nur den Hauptgang kochen, wir ersetzen also die Wortgruppe das Menu durch die Wortgruppe den Hauptgang: Durch die Endung des Artikels den wird der Akkusativ im Singular im Unterschied zum Nominativ der Hauptgang nun eindeutig ausgedrückt. Traditionell wird die Konstellation, dass einem Subjekt eine das Objekt benennende Wortgruppe im Akkusativ zugeordnet ist, als transitiv bezeichnet, und dem Agens (der Chef) steht auf der Inhaltsseite vereinfacht ein Patiens (das Menu / den Hauptgang) gegenüber. Nicht immer muss der Agens in der Position des Subjekts stehen. Um genau dies zu vermeiden, verfügen wir über das Passiv. Der Passivsatz würde im Beispielfall lauten: Das Menu wird (vom Chef selbst) gekocht. Als Subjekt steht nun im Kasus Nominativ das Patiens (das Menu)! Weil das so ist, nennt man gemäß der Valenzgrammatik die vom Verb geforderten Satzglieder (hier die Argumente Agens und Patiens) zwar Ergänzungen (E), unterscheidet dabei aber nicht zwischen Subjekt und Objekten. Kochen ist somit zweiwertig und bindet zwei Wortgruppen als Ergänzungen an sich: eine im Nominativ / Agens und eine im Akkusativ / Patiens. Wir sind damit auf einen „ Bauplan “ gestoßen, nach dem sehr oft deutsche Sätze gebildet werden. Das obige Beispiel gehört zu dem häufigen Satzbauplan Nr. 4 (s. Tabelle 1). 3.1 Satzbaupläne Wie zu erwarten war, gibt es nicht nur einen Satzbauplan (SBP), sondern nach der an der Duden-Grammatik orientierten Zusammenstellung 34 Satzbaupläne: 3. Der einfache Satz 24 narr-starter.de <?page no="26"?> 1. Subjekt - Prädikat Man lacht. Mutter ist zornig. 2. Prädikat - Akkusativobjekt Mich dürstet. 3. Prädikat - Dativobjekt Mir ist warm. 4. S - P - Akkusativobjekt Wir kochen den Hauptgang. 5. S - P - Dativobjekt Die Tasche gehört mir. 6. S - P - Genitivobjekt Wir gedachten der Toten. 7. S - P - Präpositionalobjekt Die Reisenden warten auf den Anschlusszug. 8. S - P - prädikativer Nominativ Maria bleibt Chefin. 9. S - P - prädikative Präpositionalgruppe Der Frosch verwandelte sich in einen Prinzen. 10. S - P - prädikative Konjunktionalgruppe Der Pfifferling gilt als guter Speisepilz. 11. S - P - Lokaladverbiale Otto wohnt in Köln. 12. S - P - Temporaladverbiale Die Versammlung dauerte bis Mitternacht. 13. S - P - Modaladverbiale Die Hunde benehmen sich schlecht. 14. S - P - Kausaladverbiale Der Mord ereignete sich aus Eifersucht. 15. P - Akkusativ- / Dativobjekt - Präpositionalobjekt Mich / mir ekelt vor Spinnen. 16. S - P - Akkusativobjekt 1 - Akkusativobjekt 2 Der Lehrer fragte den Schüler etwas. 17. S - P - Dativobjekt - Akkusativobjekt Paul schenkt seiner Mutter Rosen. 18. S - P - Akkusativobjekt - Genitivobjekt Der Staatsanwalt beschuldigte den Angeklagten des Diebstahls. 19. S - P - Akkusativobjekt - Präpositionalobjekt Der Intendant bittet die Zuschauer um Geduld. 20. S - P - Akkusativobjekt - prädikativer Akkusativ Der Lehrer nennt den Schüler einen klugen Kopf. 21. S - P - Akkusativobjekt - prädikative Adjektiv(gruppe) Die Kleine machte den Tisch schmutzig. 22. S - P - Akkusativobjekt - prädikative Präpositionalgruppe Der Polizist hielt den Verhafteten für den Mörder. 23. S - P - Akkusativobjekt - prädikative Konjunktionalgruppe Die Stadt betrachtet die gute Wirtschaftslage als Standortvorteil. 24. S - P - Akkusativobjekt - Lokaladverbiale Wir hängen das Bild an die Wand. 25. S - P - Akkusativobjekt - Temporaladverbiale Der Vorsitzende verlegte die Sitzung auf den Abend. 26. S - P - Akkusativobjekt - Modaladverbiale Die Polizisten behandelten die Demonstranten wie Verbrecher. 27. S - P - Dativobjekt - Präpositionalobjekt Ich rate dir zum Aufgeben. 28. S - P - Dativobjekt - Lokaladverbiale Sie klopfte mir auf die Schulter. 29. S - P - Dativobjekt - Modaladverbiale Das Kleid stand ihr gut. 30. S - P - Präpositionalobjekt 1 - Präpositionalobjekt 2 Die Spieler wetten mit dem Trainer um viel Geld. 3.1 Satzbaupläne 25 narr-starter.de <?page no="27"?> 31. S - P - Präpositionalobjekt - Modaladverbiale Er handelte schlecht an ihm. 32. S - P - Lokaladverbiale - Modaladverbiale Es ging bei dem Familienfest harmonisch zu. 33. S - P - Dativobjekt - Akkusativobjekt - prädikative Adjektiv(gruppe) Der Friseur färbte mir die Haare blond. 34. S - P - Dativobjekt - Akkusativobjekt - Lokaladverbiale Sie legt ihm die Hand auf die Schulter. Tabelle 1 Vgl. Duden-Grammatik (2016), S. 931 - 934. Wie kommt es, dass man einen deutschen Satz auf drei verschiedene Arten bilden kann? Dabei ist zu bedenken, dass die Satzbaupläne nur Grundstrukturen der Satzbildung vorgeben, in denen nur die vom Prädikat geforderten Satzglieder als Ergänzungen aufgeführt sind. Die hohe Zahl von 34 Grundstrukturen ergibt sich dadurch, dass im Extremfall vier Ergänzungen (SBP Nr. 33 - 34) mit einem Prädikat kombiniert werden können und so vier Grundstruktur- Kategorien unterschieden werden: SBP Nr. 1 - 3, 4 - 15, 16 - 32, 33 - 34. Diese vier Hauptarten (mit einbis vierwertigem Valenzträger) erfahren eine weitere Differenzierung dadurch, dass die Ergänzungen - außer dem Subjekt - formal und semantisch unterschiedlich sind, vgl. Kasus-, präpositionale, prädikative und adverbiale Objekte (Kapitel 3.2). Die Grundstrukturen (semantisch: Propositionen) können durch zusätzliche Prädikationen in Gestalt von weiteren Satzgliedern / Wortgruppen (Angaben [A]) (s. u. Kapitel 3.3) erweitert sein, wie z. B. im Beispiel oben Der Chef kocht das Menu (am Sonntag) selbst, worin mit der PräpG am Sonntag der Zeitpunkt, wann der Chef kocht, hinzugefügt ist. Darüber hinaus sind die Satzbaupläne in der Auflistung oben in einer festen Satzgliedstellung angegeben, die man kurz durch SVO (Subjekt, Verb / Prädikat, Objekt) cha- 3. Der einfache Satz 26 narr-starter.de <?page no="28"?> rakterisiert. Die Stellung der Satzglieder kann aber nach dem Ausdruckswillen des Sprechers / Schreibers und der Einfügung des Satzes in den Text (vgl. Kapitel 6) deutlich von der „ Grundstellung “ abweichen. Zur Erweiterung der Grundstrukturen im Rahmen von Satzreihen und Satzgefügen vgl. Kapitel 4. 3.2 Ergänzungen (E-Satzglieder) Sowohl die E-Satzglieder als auch die A-Satzglieder (Kapitel 3.3) können nach folgenden Formen gebildet werden: ● Nominalgruppe (NG), z. B. Die Stadt (betrachtet) die gute Wirtschaftslage (als Standortvorteil). ● Pronominalgruppe (PronG), z. B. Wir alle (gedachten der Toten). ● Adjektiv- und Adverbgruppe (AdjG, AdvG), z. B. (Die Hunde benahmen sich) schlecht. (Otto wohnt) in Köln. ● Präpositionalgruppe (PräpG), z. B. (Die Reisenden warten) auf den Anschlusszug. ● Konjunktionalgruppe (KonjG), z. B. (Der Pfifferling gilt) als guter Speisepilz. Bei den E-Nominalgruppen werden noch vier durch Kasus differenzierte NG unterschieden: ● Nominalgruppe im Nominativ (NGnom), d. h. der Kopf der Wortgruppe steht im Kasus Nominativ, z. B. SBP Nr. 5 ● Nominalgruppe im Akkusativ (NGakk), d. h. der Kopf steht im Kasus Akkusativ, z. B. SBP Nr. 4 ● Nominalgruppe im Dativ (NGdat), d. h. der Kopf der Gruppe steht im Kasus Dativ, z. B. SBP Nr. 5 3.2 Ergänzungen (E-Satzglieder) 27 narr-starter.de <?page no="29"?> ● Nominalgruppe im Genitiv (NGgen), d. h. der Kopf steht im Kasus Genitiv, z. B. SBP Nr. 6 Es gibt gewisse Präferenzen: Das Subjekt ist eine Nominalgruppe im Nominativ, der Patiens wird meist als Nominalgruppe im Akkusativ gebildet. In den Satzbauplänen (Tabelle Kapitel 3.1) sind die E- Satzglieder teils formal (z. B. „ Akkusativobjekt “ ), teils semantisch (z. B. „ Modaladverbiale “ ), teils gemischt ( „ prädikativer Akkusativ “ ) benannt. In SBP Nr. 4 wäre die adäquate semantische Formulierung: Agens - Prädikat - Patiens: Wir - kochen - den Hauptgang. 3.3 Angaben (A-Satzglieder) Will man Angaben zum Zeitpunkt machen, an dem der als Proposition (gemäß Satzbauplan) ausgedrückte Sachverhalt stattfindet (z. B. Der Chef kocht - heute - selbst), oder will man Angaben zum Grund, zum Ort, zum Zweck, zur Bedingung usw. machen, dann fügt man in die Satzgliedfolge des Satzbauplans weitere Satzglieder ein. Sie werden „ Angaben “ (oder A-Satzglieder) im Unterschied zu den „ Ergänzungen “ genannt. Da es sich bei ihnen semantisch um Prädikationen / Aussagen über die Grundprädikation (laut SBP) handelt, sind sie durch einen Fragesatz bestimmbar: Wann kocht der Chef selbst? Antwort: heute (= Zeitangabe, A temp ). Wo kocht der Chef selbst? Antwort: im Freien (= Ortsangabe, A lok ). Warum kocht der Chef selbst? Aus Jux und Tollerei (= Angabe des Grundes, A kaus ), usw. Die A-Satzglieder können nach allen in Kapitel 3.2 genannten Formen gebildet werden; bevorzugt wird aber die Präpositionalgruppe, deren Präposition meist die Semantik des A-Satzgliedes angibt, z. B. 3. Der einfache Satz 28 narr-starter.de <?page no="30"?> in, auf, unter, über sind Präpositionen der Ortsangabe. Außer den PräpG werden A-Satzglieder gerne durch Sätze (Neben- / Angabe-Sätze) ausgedrückt, wodurch der einfache Satz zum komplexen Satz wird (s. Kapitel 4). 3.4 Dreidimensionalität der Satzglieder Zusammenfassend ist es gut, beim Analysieren und beim Formulieren im Auge zu behalten, dass alle Satzglieder unter drei Aspekten zum Satzaufbau und zum Satzinhalt beitragen: 1. Sie sind (funktional) Prädikat, Ergänzung oder Angabe. 2. Sie gehören (formal) einer Verbal-, Nominal-, Adjektiv- oder einer anderen Wortgruppe an. 3. Sie sind (semantisch) Agens, Patiens, Lokal-, Temporal-, Kausal- oder eine andere Klasse der A-Satzglieder. So kann das Satzglied im Freien des Beispielsatzes Der Chef kocht im Freien. exakt bestimmt werden: 1. funktional als Angabe 2. formal als Präpositionalgruppe 3. semantisch als Ortsangabe / lokal Das Ergebnis kann auch vereinfacht als Bruch aus Form und Semantik geschrieben werden, hinter dem die Funktion angegeben ist: 3.4 Dreidimensionalität der Satzglieder 29 narr-starter.de <?page no="31"?> formal PräpG funktional A semantisch lok(al) Meist werden zwei Dimensionen der Einfachheit halber zusammengezogen, z. B. im Freien als „ Ortsangabe “ oder abgekürzt als A lok . 3.5 Stellungsfelder Probleme entstehen, wenn bei der Satzbildung die im Hintergrund bestehenden hierarchischen Beziehungen (das Prädikat dominiert die E-Satzglieder, die A-Satzglieder sind Prädikationen über die Proposition) auf eine Linie gestellt werden müssen. Dabei sind einige wenige Grundregeln vorgegeben: Das Prädikat steht an der zweiten Satzgliedposition. Wird es an die erste Satzgliedposition (Satzspitze) gestellt, entsteht ein Fragesatz (z. B. Kocht der Chef heute selbst? ). Da das Prädikat meist aus einer Wortgruppe (Finitum - Infinitum) besteht, nimmt nur das Finitum die zweite Satzgliedposition ein; der infinite Prädikatsteil rückt ans Ende des Satzes. So entsteht der Eindruck, dass die Prädikatsteile eine Klammer bilden (Klammer II, s. Kapitel 2): Wir werden das bestimmt schaffen. Als angenehmer Nebeneffekt entstehen gleichzeitig drei als „ Feld “ bezeichnete Positionen im Satz: Vor-, Mittel- und Nachfeld. Im Beispielsatz steht Wir im Vorfeld, die Satzglieder das bestimmt im Mittelfeld; das Nachfeld ist wie meist nicht besetzt. Um ein Satzglied besonders hervorzuheben, wird es an die Satzspitze ins Vorfeld gerückt (Topikalisierung): Bestimmt werden wir das schaffen. Würde man einen Fragesatz mit einem Fragewort einleiten, dann würde die Inversionsregel in Kraft treten, d. h. die Subjekt-Wortgruppe gerät hinter das 3. Der einfache Satz 30 narr-starter.de <?page no="32"?> Finitum oder ins Mittelfeld: Wann kocht der Chef selbst? Was werden wir bestimmt schaffen? Zusammenfassung Was sollten wir im Verlauf von Kapitel 3 gelernt haben? Es gibt so etwas wie Satzbaupläne, das sind Grundstrukturen der Satzbildung, die zeigen, wie das Prädikat mit den von ihm geforderten E-Satzgliedern (Ergänzungen) kombiniert werden kann. Der einfache Satz weist aber nicht nur Prädikat + Ergänzungen auf. Er kann durch A-Satzglieder erweitert sein. Wie unterscheiden sich Ergänzungen und Angaben? Im Unterschied zum Prädikat, das am Finitum eines Verbs erkennbar ist, sind die anderen Satzglieder nicht durch die Wortart erkennbar. Sie werden vielmehr semantisch nach ihrer Nähe zur Satzaussage unterschieden. Semantisch am nächsten zum Prädikat stehen die Ergänzungen, weil sie vom Verb gefordert werden; entfernter sind die Angaben, die auch „ freie Angaben “ genannt werden, weil sie zum Satzkern (aus Prädikat + Ergänzungen) hinzugefügt werden können. Kann man überhaupt nur aus einfachen Sätzen einen Text aufbauen? Ja, aber nur unter besonderen Bedingungen der Rezeption, wie der folgende Text (der erste Absatz einer Inhaltsbeschreibung auf der zweiten Seite eines Taschenbuchs) zeigt: (1) Robert Ames ist siebenunddreißig und Versicherungsmakler. (2) Zusammen mit seiner Frau Kala und seinem Sohn Jonathan lebt er in einer unauffälligen kleinen Stadt in einem ziemlich unscheinbaren Viertel von Hamilton, Ontario. (3) An einem Freitagmorgen bricht er auf in einen ganz normalen Arbeitstag. (4) Der Himmel ist strahlend blau, (5) die Nachrichten haben bis 3.5 Stellungsfelder 31 narr-starter.de <?page no="33"?> zu dreißig Grad angekündigt - (6) und doch wird vieles anders als sonst . . . (Stefan Mühldorfer, Tagsüber dieses strahlende Blau, Roman, München, dtv 2011.) Der Text besteht aus sechs einfachen Sätzen, auch wenn die Satzzeichensetzung (Komma und Gedankenstrich statt Punkten) die „ Monotonie “ gegen Ende des Textes überspielen soll. Nicht nur weil ein Text - wie das Beispiel zeigt - aus einfachen Sätzen letztendlich eintönig und langweilig wirkt, sondern auch um eine differenziertere Gedankenführung zu ermöglichen, hält die Grammatik eine weitere Art der Satzbildung bereit - mehr darüber gleich im folgenden Kapitel. 3. Der einfache Satz 32 narr-starter.de <?page no="34"?> 4. Vom einfachen zum komplexen Satz Der Rahmen des einfachen Satzes scheint, wie wir in Kapitel 3 gesehen haben, eng gezogen zu sein. Die Entfaltung von Gedanken ist darin auf die ausgiebige sprachliche Füllung von Vor- und Mittelfeld mit Satzgliedern beschränkt und es herrscht vor allem das Prinzip: ein Satz - ein Prädikat. Dass man sich damit nicht begnügen muss und wie dieses Eins-zu-Eins-Prinzip im komplexen Satz durchbrochen wird, werden die Beschreibungen in Kapitel 4 zeigen. Vom einfachen zum komplexen oder zusammengesetzten Satz gelangt man dadurch, dass man zwei oder mehr Prädikate (jeweils mit ihren E- und A-Satzgliedern) im Rahmen eines Satzes vereinigt. Die Prädikate können entweder gleichberechtigt (in der Satzreihe) nebeneinander stehen oder ein Prädikat ist dem anderen untergeordnet (Satzgefüge). Der komplexe Satz kann aber nicht nur ausgeweitet werden, sondern verfügt im Gegensatz auch über Möglichkeiten, das Satzgefüge zu kürzen (s. u. Kapitel 4.4). Der „ vereinigte “ Satz heißt Gesamtsatz. Man gewinnt durch diese Konstruktion unter anderem eine Variation der stereotypen Satz-Grundstruktur SVO (s. Kapitel 3) und kann den formalen und inhaltlichen Bogen des Satzes weiter spannen. Zudem besteht im Falle des Satzgefüges (s. u.) die Möglichkeit Satzinhalte zu grundieren, d. h. den Inhalt eines Teilsatzes in den Vordergrund zu rücken, einen anderen in den Hintergrund. Die an einem komplexen Satz / Gesamtsatz beteiligten Sätze heißen Teilsätze (abgekürzt TS). Es ist allerdings gleich davor zu warnen, zu viele Teilsätze im Rahmen eines Satzes narr-starter.de <?page no="35"?> unterzubringen. Es entstände so der (gefürchtete) „ Schachtelsatz “ (s. u. Kapitel 4.3). Zudem verlangt die Konstruktion komplexer Sätze die Beherrschung der Interpunktion, besonders der Kommasetzung. Nur durch die richtige Interpunktion ist ein komplexer, zumal ein aus mehreren Teilsätzen bestehender Satz beim Lesen vergleichsweise leicht zu verstehen bzw. zu analysieren. Im Satzinnern werden Teilsätze durch Kommas abgesteckt, während der Beginn des Gesamtsatzes durch Großschreibung und das Ende durch Punkt markiert sein muss. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Gesamtsätze zu bilden. Zunächst ist es wichtig, den Unterschied zwischen Satzreihe und Satzgefüge zu kennen. Im Fall der Satzreihe (Kapitel 4.1) stehen die Teilsätze in koordiniertem Verhältnis zueinander, d. h. sie werden einfach nacheinander angereiht. Der Fachausdruck für diese Bildungsweise ist parataktisch. Der anderen strukturellen Möglichkeit, einen komplexen Satz zu bilden, bedient sich der Schreiber, wenn er einen Teilsatz (TS2) einem anderen Teilsatz (TS1) unterordnet, so dass ein subordiniertes (oder hypotaktisches) Verhältnis der beiden Teilsätze und ein Satzgefüge entsteht (Kapitel 4.2). Werden in einem Gesamtsatz beide Strategien, nämlich die subordinierende und die koordinierende, angewandt, dann entsteht eine Satzperiode (Kapitel 4.3). Außerhalb der Konstruktion eines Gesamtsatzes aus mindestens zwei Teilsätzen bietet uns die Grammatik noch die Möglichkeit, einen Teilsatz in reduzierter Form zu verwenden. Das ist der Fall, wenn ein untergeordneter Satz oder Gedanke nicht mit der finiten, sondern mit einer infiniten Verbform (Infinitiv, Partizip) ausgedrückt wird (Kapitel 4.4). 4. Vom einfachen zum komplexen Satz 34 narr-starter.de <?page no="36"?> 4.1 Satzreihe In dem folgenden Aphorismus des Dichters Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781) liegt eine perfekt konstruierte Satzreihe vor: Das Neue daran ist nicht gut, und das Gute daran ist nicht neu. An TS1 Das Neue daran ist nicht gut. wird TS2 Das Gute daran ist nicht neu. ohne jegliche Kürzung angereiht. Dass überhaupt eine Satzreihe entsteht, ist der Konjunktion und zwischen TS1 und TS2 zu verdanken. In der großen Zahl von Konjunktionen ist die anreihende Konjunktion und die am häufigsten verwendete und damit die wichtigste. Durch sie werden Inhalte ohne weitere Information einfach angereiht (neutrale Anreihung). Anders ist dies bei der Konjunktion aber (z. B. Er wartete, aber sie kam nicht): aber bringt die Inhalte der beiden Teilsätze zueinander in einen Gegensatz (adversative Konjunktion). Die Konjunktion denn (z. B. Er wartete nicht, denn es regnete) signalisiert, dass TS2 die Begründung für TS1 liefert (kausale Konjunktion). Einen Überblick über die Konjunktionen und ihre Verwendung bietet die Duden-Grammatik (2016, S. 633 - 637). Asyndetisch werden Satzreihen genannt, in denen die Teilsätze nicht durch eine Konjunktion verbunden sind, z. B. Caesars Ausspruch Veni, vidi, vici: Ich kam, ich sah, ich siegte. Beides lässt sich aber auch mischen, dasselbe Beispiel lautet asyndetisch und syndetisch (mit einer Konjunktion): Ich kam, sah und siegte. Das Subjekt des zweiten Teilsatzes lässt man gewöhnlich weg, wenn es mit dem Subjekt des ersten Teilsatzes identisch ist, z. B. Anna war ganz aufgeregt und konnte nicht schlafen 4.1 Satzreihe 35 narr-starter.de <?page no="37"?> (nicht: Anna war ganz aufgeregt und Anna konnte nicht schlafen) oder eben wie bei Caesar: Ich kam, sah und siegte. 4.2 Satzgefüge Die zweite, wichtigere Strategie, mehrere Prädikate und damit Teilsätze in einem Satz unterzubringen, ist die der Unterordnung eines Prädikats unter ein oder mehrere andere. Der Teilsatz, der das übergeordnete Prädikat enthält, heißt Hauptsatz (HS). Die dem Hauptsatz untergeordneten Sätze sind Nebensätze (NS). Vom Hauptsatz sind die Nebensätze dadurch unterschieden, dass die Nebensätze mit einer Subjunktion eingeleitet werden und der finite Prädikatsteil das Ende des Nebensatzes kennzeichnet. Häufig gebrauchte Subjunktionen sind dass, ob, nachdem, bis, wenn. Die Duden- Grammatik definiert so: „ Subjunktionen ordnen Nebensätze (abhängige Teilsätze) oder Infinitivphrasen syntaktisch unter “ (Duden-Grammatik 2016, S. 637. Ein Überblick über alle Subjunktionen findet sich in der Duden-Grammatik 2016, S. 638 - 643). Man unterscheidet zwei Nebensatzarten: den Gliedsatz und den Attributsatz. Gliedsätze heißen so, weil diese Nebensätze die Position eines E- oder A-Satzgliedes einnehmen, z. B. Wer das glaubt, ist nicht bei Verstand: Nebensatz Wer das glaubt = Subjekt (Subjekt-, ErgänzungsSatz) Und Gott sah, dass es gut war: Nebensatz dass es gut war = Objekt (Objekt-, Ergänzungs-Satz) anstelle einer Nominalgruppe im Akkusativ. 4. Vom einfachen zum komplexen Satz 36 narr-starter.de <?page no="38"?> Nimm einen Schirm mit, falls es regnet: Nebensatz falls es regnet = Konditional-Angabe (Angabe-Satz). Im Unterschied zu den Gliedsätzen bilden die Attributsätze keine Satzglieder; vielmehr ergänzen oder erweitern sie Satzglieder, indem sie eine Prädikation in Satzform direkt an ein Nomen im Satzglied anschließen, z. B. Die Frage, ob Vögel singen oder zwitschern, muss jeder für sich beantworten: Nebensatz ob Vögel singen oder zwitschern = Attribut(-satz) zu Frage (indirekter Fragesatz, Inhaltssatz). Die Attributsätze, auch die Relativsätze (s. u.), sollten möglichst unmittelbar an das Nomen, das sie attribuieren, angeschlossen werden. Die Idee einer Hochschule in Regensburg entstand um das Jahr1480, in dem sich Herzog Albrecht um eine Gründung bemühte: Nebensatz in dem sich Herzog Albrecht um eine Gründung bemühte = Relativsatz, Attribut zu das Jahr 1480. Was sind Relativsätze? Es sind Attributsätze, die durch ein Relativpronomen (im Beispielsatz mit Präposition in dem) eingeleitet sind. Das Relativpronomen erfüllt zwei Funktionen: Es fungiert sowohl als Subjunktion als auch als Satzglied im Nebensatz: Im Beispiel ist in dem Temporalangabe zum Prädikat sich . . . bemühte. Einen Überblick über die Relativpronomen (außer der, die, das auch welcher, welche, welches) findet man in der Duden-Grammatik 2016, S. 303 - 305. Charakteristisch für die Nebensätze ist - neben der einleitenden Subjunktion - die Endstellung des Prädikats 4.2 Satzgefüge 37 narr-starter.de <?page no="39"?> bzw. des Finitums. So ergibt sich ein neuer Klammer-Typ, die Nebensatz-Klammer: Subjunktion (Klammer auf) [. . .] Finitum (Klammer zu) Beispiel: Die Gemahlin fragte ihn, ob die Predigt gut gewesen sei. Nebensätze wie der Beispielsatz oben sind nicht auf die Reihenfolge HS - NS festgelegt. Man könnte auch formulieren: Ob die Predigt gut gewesen sei, fragte ihn die Gemahlin. Damit steht der Nebensatz in Spitzenstellung und es ist zu beachten, dass im Hauptsatz der Nebensatz jetzt die erste Position einnimmt und an zweiter Position das Finitum des Hauptsatzes (fragte) folgen muss, mit der Konsequenz, dass das Subjekt (die Gemahlin) hinter das Finitum zu stehen kommt. Die Möglichkeit, dass der Nebensatz in Spitzenstellung steht, ist bei Attribut- und Relativsätzen nicht gegeben. Nicht regelkonform, zumindest ungewöhnlich wären Formulierungen wie: Dass die Verwaltung das Bürgerfest organisiert, erteilt der Stadtrat den Auftrag (Attributsatz Dass . . . organisiert in Spitzenstellung; Bezugsnomen den Auftrag am Satzende). Für das wir nur wenig Werbung machen müssen, ist es ein Fest (Relativsatz Für das . . . machen müssen in Spitzenstellung, Bezugsnomen ein Fest am Satzende). 4. Vom einfachen zum komplexen Satz 38 narr-starter.de <?page no="40"?> Nebensätze ohne Konjunktion sind in Ausnahmefällen möglich: Regnet es, nehme ich den Schirm (nur bei konditionalen Nebensätzen in Spitzenstellung möglich). Ich hoffe, du kommst morgen. / Du kommst morgen, hoffe ich. 4.3 Satzperiode In der Satzperiode, die einiges Formulierungsgeschick verlangt, sind mindestens zwei Nebensätze in einem Satzrahmen vereinigt. Sie bilden eine Satzreihe wie im folgenden Beispiel: Obwohl die Preise für Brot und Gemüse erst im vergangenen Monat gestiegen sind (NS 1) und (obwohl) gleichzeitig die Lebensmittelimporte verstärkt wurden (NS 2), müssen die Verbraucher mit weiteren Preisanstiegen rechnen (HS). Im anderen Fall wird einem Nebensatz ein weiterer Nebensatz untergeordnet, so dass ein Teilsatz zu einem Satzgefüge erweitert ist, z. B. Wenn es dazu kommen sollte (NS 1), wird es den Einzelhandel hart treffen (HS), da viele Kunden verstärkt bei Discountern (NS 2 a), die in den letzten Jahren einen hohen Kundenzuwachs verzeichnen konnten (NS 3 = RS), einkaufen werden (NS 2 b). 4.3 Satzperiode 39 narr-starter.de <?page no="41"?> (Beispiel und Schemata nach Kessel / Reimann, Basiswissen, 2017, S. 8 f.) 4.4 Reduzierte Nebensatzformen Unter die Kategorie der reduzierten Nebensatzformen fallen die häufig und gerne verwendeten Infinitivkonstruktionen (IK) und die selteneren Partizipialkonstruktionen (PK). Da die Partizipialkonstruktionen kein Finitum enthalten, sind sie streng genommen keine Sätze. Gemäß unserer Definition von Satz in Kapitel 1 ist ein Satz eine Konstruktion von Satzgliedern um ein Prädikat, das durch eine finite Verbform gekennzeichnet ist. Weder der Infinitiv, z. B. lachen (oder erweitert [um] zu lachen), noch die Partizipien lachend (Partizip I) und gelacht (Partizip II) sind finite Verbformen, es handelt sich stattdessen um nicht finite / infinite Verbformen. Hier ein Beispiel für eine Partizipialkonstruktion (mit Partizip I): Eine Zigarette rauchend, kam Frank ins Zimmer. Die Partizipialkonstruktion lautet im Beispiel (eine Zigarette) rauchend; sie wird nicht durch eine Subjunktion eingeleitet. Besonders die Infinitivkonstruktionen sind ein beliebtes Mittel, um komplexe Sätze zu verkürzen. Sie werden mit einer Subjunktion (meist um zu) eingeleitet. So unterschei- 4. Vom einfachen zum komplexen Satz 40 narr-starter.de <?page no="42"?> den sie sich vom sogenannten reinen Infinitiv (z. B. kommen in ich werde kommen). Eine solche Infinitivkonstruktion (um zu leben) findet sich beispielsweise in dem Satz: Die Menschen sollten essen, um zu leben. Der vermeintliche Vorteil solcher Konstruktionen besteht, wie gesagt, in der Kürzung des Satzes bzw. in der Unterdrückung von identischen Wörtern. Das wird in der Langfassung beider Beispiele deutlich: Die Menschen sollten essen, damit sie (die Menschen) leben. Während Frank eine Zigarette rauchte, kam er (Frank) ins Zimmer. Grundvoraussetzung, um solche Konstruktionen zu verwenden, ist die Identität der Subjekte im Haupt- und Nebensatz der Langform (die Menschen, Frank). Man spart eins der beiden ein, muss dann aber auch eine infinite Verbform (Infinitiv, Partizip I oder II) wählen - weil jetzt die Regel der Subjekt-Prädikats-Kongruenz nicht mehr greift. Die formale Kürzung erlaubt ferner den Wegfall der Subjunktion. Bei der Infinitivkonstruktion wird die Subjunktion des Nebensatzes (finales damit) gegen die Subjunktion der Infinitivkonstruktion ausgetauscht: Statt damit steht die Subjunktion um zu (möglich sind auch ohne . . . zu, anstatt . . . zu). Bei der Partizipialkonstruktion (hier mit Partizip I) fehlt jegliche Subjunktion, womit im Beispiel auch die selbstständige semantische Information ‚ Gleichzeitigkeit ‘ entfällt. Funktional betrachtet nehmen Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen die Position sowohl von Gliedsätzen als auch von Attributsätzen ein. In den Beispielen ist die Infinitivkonstruktion eine finale Angabe, die Partizipialkonstruktion 4.4 Reduzierte Nebensatzformen 41 narr-starter.de <?page no="43"?> eine temporale Angabe. Bei den attributiven Infinitivkonstruktionen dient als Subjunktion nur noch zu, z. B. die Furcht, ignoriert zu werden Bei der attributiven Partizipialkonstruktion gibt es wie bei einer Partizipialkonstruktion als Satzglied gar keine Subjunktion, z. B. der Empfang für einen in Ruhestand gehenden Kollegen Die Abtrennung der Infinitiv- und Partizipialkonstruktion im Satz durch Kommas (wie im Beispiel) ist nach der neuen Rechtschreibung möglich, um die Gliederung des Satzes deutlich zu machen oder um Missverständnisse auszuschließen. Zusammenfassung Der komplexe Satz zeichnet sich gegenüber dem einfachen Satz dadurch aus, dass er mehr als ein Prädikat enthält. Das Verhältnis der Prädikate zueinander ist dadurch geregelt, dass die Prädikate entweder gleichgeordnet sind (parataktisch) oder dass ein Prädikat die anderen dominiert; diese sind untergeordnet. Das Verhältnis ist dann hypotaktisch. Parataxe herrscht in der Satzreihe vor, Hypotaxe im Satzgefüge. Beide Anordnungsprinzipien sind in der Satzperiode kombiniert. Für Kürzungen von Satzgefügen stehen die Infinitiv- oder Partizipialkonstruktionen bereit. Dass auch in Texten mit wenigen Sätzen einfache Sätze, komplexe Sätze und reduzierte Nebensätze - buntgemischt - zusammen vorkommen, zeigt das folgende Beispiel. 4. Vom einfachen zum komplexen Satz 42 narr-starter.de <?page no="44"?> (1) Parallel zur Anzahl der Diät-Kochbücher steigt das durchschnittliche Übergewicht in Deutschland. (2) Man nimmt sich vor, kalorienarm und gesund zu kochen, in der Hoffnung, bei super leckerem Essen zu verschlanken. (3) Meist klappt es nicht, weil man weder Zeit noch Muße zum Einkaufen oder Kochen hat. (4) Bald startet man den nächsten Versuch mit einem neuen Kochbuch und dem gleichen (Miss-)Erfolg. (Werbeanzeige aus „ vital “ , April 2017, S. 10.) Die „ Satz-Bilanz “ sieht so aus: 1. Satz einfach, 2. Satz komplex mit zwei Infinitivkonstruktionen, 3. Satz komplex mit (begründendem) Nebensatz, 4. Satz einfach. 4.4 Reduzierte Nebensatzformen 43 narr-starter.de <?page no="45"?> 5. Vom Satz zum kleinsten Textbaustein (MTE) Bislang richtete sich unser Blick ausschließlich auf den Satz in seinen Grenzen: Ist er einfach oder komplex, in welchem Feld stehen welche Satzglieder oder sind die Satzglieder attribuiert? Zwar waren dabei immer auch Texte im Spiel. Wie aus einzelnen Sätzen aber Texte werden, das zu zeigen ist die Aufgabe der folgenden Kapitel. In Kapitel 5 geht es darum, nicht mehr nur das Innere der Sätze zu sehen, sondern sie auch aus der Außenperspektive zu betrachten: Wie stehen sie mit anderen Sätzen in Kontakt; handelt es sich um Erst- oder Letztsätze und anderes mehr. Auf diese Weise werden aus Sätzen kleinste Textbausteine. Täglich können wir folgende und ähnliche Texte lesen oder hören: 1. Universitätsstadt Tübingen 2. Keine Fahrräder anketten! 3. Die Axt im Haus erspart den Zimmermann. 4. Der April macht, was er will. Dass es sich dabei um Texte im Sinne der in Kapitel 1 eingeführten Definition handelt, steht außer Zweifel. Denn sie entsprechen alle vier der Definition und präsentieren eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen (Wörtern), die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine kommunikative Funktion signalisiert. An der kommunikativen Funktion der Beispiele besteht kein Zweifel: Der Text 1 hat Informationsfunktion, Text 2 Appellfunktion und die Texte 3 und 4 haben Kommentarfunktion. Auch über die innere Kohärenz besteht kein narr-starter.de <?page no="46"?> Zweifel, es handelt sich um bekannte syntaktische Konstruktionen (vgl. Kapitel 3): Text 1 ist eine Setzung, Text 2 ein Aufforderungssatz mit dem Infinitiv als Imperativ, Text 3 ist ein einfacher Satz, Text 4 ein Satzgefüge. Dennoch stellt man sich unter einem Text normalerweise eine ausführlichere Äußerung vor, die aus mehr als nur einem Satz oder einer Setzung besteht. Es bietet sich daher an, die vier Textbeispiele oben als Minimaltexte (Kleinsttexte) zu kategorisieren. Ein Text wie der folgende entspricht schon eher der allgemeinen Vorstellung von Text, obwohl er im Original nur 14,5 Zeilen in einer Spalte lang ist. Es handelt sich um die Inhaltsbeschreibung zum Film „ Lommbock “ (Pressemitteilung April 2017). Nach 15 Jahren im Ausland kehrt Stefan in seine Heimatstadt Würzburg zurück. Er muss seine Geburtsurkunde abholen, um in Dubai die reiche Magnatentochter Yasemin heiraten zu können. Für seinen Kumpel Kai hat sich das Leben indes kaum verändert. Die Freundschaft der beiden ist allerdings ungebrochen. Was ein großer Vorteil ist, denn nach einem gemeinsamen Joint beginnen die Probleme. Während sich die Abreise Stefans immer weiter verzögert, muss er sich die Frage stellen, ob er wirklich das Leben führt, das er sich erträumt hat. Der erste Satz lautet: Nach 15 Jahren im Ausland kehrt Stefan in seine Heimatstadt Würzburg zurück. Beobachten wir, wie der Textproduzent ausgehend vom Inhalt des Erstsatzes zu einer den Text konstituierenden Satzfolge kommt! Es gibt zwei Möglichkeiten, die Expansion zum Text anzugehen: syntaktisch und inhaltlich. Inhaltlich lässt der gegebene Satz 5. Vom Satz zum kleinsten Textbaustein (MTE) 45 narr-starter.de <?page no="47"?> nämlich Fragen offen: Wer ist Stefan? Warum kehrt er nach Würzburg zurück? Warum erst nach 15 Jahren? Wo war er im Ausland? Die Fragen könnten durch Formulierungen in Gestalt von Attributen und Parenthesen noch im Rahmen des ersten Satzes beantwortet werden, z. B. Nach 15 Jahren im Ausland (er lebte lange in Dubai) kehrt Stefan, ein Kiffer, der einen Pizza-Lieferdienst betrieben hat, in seine Heimatstadt Würzburg zurück, um dort seine Geburtsurkunde abzuholen, weil er heiraten will. Zur schnellen Textrezeption scheint diese Formulierung nicht geeignet. Es liegt stattdessen auf der Hand, die Informationen, die dem Autor des Textes wichtig sind, schrittweise in einfachen Sätzen mitzuteilen. Der Autor der vorliegenden Inhaltsangabe macht dies, wie an der Textgestaltung (Textdesign) mit Großbuchstaben und Punkten zu erkennen ist, in sechs (graphischen) Sätzen. Insofern der Text aus sechs Sätzen zusammengesetzt ist, werden diese Sätze jeweils als sechs Einheiten des Textaufbaus bzw. als Textbausteine betrachtet. Sie bekommen den Namen „ Minimale textgrammatische Einheit “ (MTE). Es wird dabei ignoriert, dass die Sätze in Satzglieder und Wörter zerfallen. Aber man muss sich bewusst bleiben, dass die MTE nicht nur mit einfachen und komplexen Sätzen gefüllt sein können, sondern auch mit Setzungen (vgl. Kapitel 2). Darüber hinaus gibt es Wörter und Wortgruppen, die zwischen den MTE stehen, obwohl sie meist in eine MTE integriert sind: die Konnektoren. Wenn der Text der Übersicht halber in MTE eingeteilt und entsprechend nummeriert werden soll, ergeben sich kleine Änderungen gegenüber der Interpunktion des Originals: Zwischen MTE 4 und 5 wird der Konnektor aus der MTE (dem Satz) isoliert und der Halbsatz was ein großer 5. Vom Satz zum kleinsten Textbaustein (MTE) 46 narr-starter.de <?page no="48"?> Vorteil ist als „ weiterführender Relativsatz “ (Duden-Grammatik, 2005, § 1666 f.) oder „ freier Relativsatz “ (Duden- Grammatik 2016, § 1656) Teil des Hauptsatzes Die Freundschaft der beiden ist allerdings ungebrochen. Dass auch allerdings in diesem Satz ein (integrierter) Konnektor ist, wird durch Unterstreichung hervorgehoben. 1: Nach 15 Jahren im Ausland kehrt Stefan in seine Heimatstadt Würzburg zurück. 2: Er muss seine Geburtsurkunde abholen, um in Dubai die reiche Magnatentochter Yasemin heiraten zu können. 3: Für seinen Kumpel Kai hat sich das Leben indes kaum verändert. 4: Die Freundschaft der beiden ist allerdings ungebrochen, was ein großer Vorteil ist. Konnektor: Denn 5: nach einem gemeinsamen Joint beginnen die Probleme. 6: Während sich die Abreise Stefans immer weiter verzögert, muss er sich die Frage stellen, ob er wirklich das Leben führt, das er sich erträumt hat. Die syntaktische Beschreibung der sechs MTE ergibt Folgendes: Die MTE 1, 3, 5 sind einfache Sätze; die MTE 2, 4, 6 sind komplexe Sätze, mit einer IK (MTE 2), einem weiterführenden Relativsatz (MTE 4) und mit drei Nebensätzen (MTE 6). Ob der erkennbare Rhythmus 1 - 3 - 5 (einfach) bzw. 2 - 4 - 6 (komplex) Zufall oder Absicht ist, kann nicht gesagt werden. Er könnte aber als Rat genommen werden, Texte im Wechsel von komplexen und einfachen Sätzen aufzubauen und eine ununterbrochene Folge von komplexen Sätzen zu vermeiden (Optimierung der Textrezeption). Die MTE 4 wird an die MTE 3 durch den Konnektor allerdings und die MTE 5 wird durch den Konnektor denn an die MTE 4 enger angeschlossen. Die Hauptaufgabe der textgrammatischen Analyse ist es zu zeigen, wie die Kohärenz der MTE hergestellt wird. Oder anders gesagt: Es geht um die Verkettung der MTE zum Text. Dabei spielt die Wiederholung von Wörtern eine Rolle, 5. Vom Satz zum kleinsten Textbaustein (MTE) 47 narr-starter.de <?page no="49"?> aber auch die Pronomen sind wichtige Träger bzw. Indikatoren der Kohärenz. Um die Kohärenz zu erkennen, müssen wir den Blick darauf richten, aus welchen Wörtern oder Wortgruppen die MTE jeweils bestehen. Im Beispieltext oben sind die Wörter, durch welche die sechs MTE verkettet sind, durch Fettdruck hervorgehoben. Die Kohärenz entsteht durch wiederholtes Referieren auf die in MTE 1 Stefan genannte (fiktive) Person. Die dabei verwendeten Sprachzeichen sind vor allem: die Pronomina er, sein, beide, sich, das Adjektiv gemeinsam und der wiederholte Name Stefan (MTE 6). Es ergibt sich so eine Referenzkette. Sie besteht aus dem (definiten) Bezugsausdruck (BA), der in MTE 1 steht (hier Stefan), sowie aus einer Reihe / Kette von Ausdrücken, die auf das Referenzobjekt des BA (hier ein Mensch namens Stefan) zurückverweisen. Das sind die Verweisausdrücke (VA). Ein Referenzobjekt, das durch eine Referenzkette in einem Text präsent ist, gilt als „ Zentraler Textgegenstand “ (ZTG). Der oder die Zentralen Textgegenstände sind wesentliche Bestandteile des Textthemas. Im Beispieltext erfolgt die Verkettung in charakteristischer Weise, vom BA aus gesehen, von links nach rechts - genauso wie wir schreiben. Diese Verweisrichtung wird anaphorisch genannt. Die umgekehrte Verweisrichtung läge vor, würde man den Text beginnen mit dem Satz Wo war Stefan? und fortsetzen mit dem Satz Er war 15 Jahre lang in Dubai. Die Verkettung zwischen VA (dem Fragewort wo) und BA (in Dubai) erfolgt von rechts nach links; sie wird kataphorisch genannt. 5. Vom Satz zum kleinsten Textbaustein (MTE) 48 narr-starter.de <?page no="50"?> Zusammenfassung Ein Text ist eine kohärente Abfolge von Sätzen (und Setzungen). In dieser Funktion gelten die einfachen und komplexen Sätze sowie die Setzungen als kleinste Textbausteine und werden Minimale textgrammatische Einheiten (MTE) genannt. Die Kohärenz unter den MTE kommt einerseits durch Konnektoren (die MTE verbindende Konjunktionen), andererseits durch wiederholtes Referieren auf ein Referenzobjekt in allen oder mehreren MTE zustande. Durch das wiederholte Referieren entsteht eine Referenzkette mit dem Bezugsausdruck am Anfang und den Verweisausdrücken in den folgenden MTE. Referenzobjekte, auf die mehr als zweimal referiert wird, heißen Zentrale Textgegenstände (ZTG). Die gewöhnliche Verweisrichtung in der Referenzkette ist die anaphorische, das heißt, die Verweisausdrücke folgen rechts vom Bezugsausdruck. Die umgekehrte Verweisrichtung wird kataphorisch genannt. An einem weiteren Beispieltext soll die Textanalyse nochmals kurz demonstriert werden (die MTE sind nummeriert): (1) Beherzt hat ein 13-Jähriger ein Kleinkind vor dem Ertrinken in einem Münchner Badesee gerettet und ist dann ganz bescheiden erstmal verschwunden. (2) Erst als die Feuerwehr über das soziale Netzwerk Facebook nach dem jungen Lebensretter suchte, meldete sich dessen Mutter. (3) Laut Feuerwehr war das zweijährige Mädchen am Donnerstag auf einer Böschung mit Kieselsteinen ins Rutschen gekommen und ins Wasser gefallen. (4) Der 13- Jährige reagierte offenbar blitzschnell, fischte die Kleine aus dem See und brachte sie zu ihrer heranstürmenden Mutter. (5) Als sich 5. Vom Satz zum kleinsten Textbaustein (MTE) 49 narr-starter.de <?page no="51"?> Rettungskräfte bei dem Buben bedanken wollten, war er bereits verschwunden. (dpa-Meldung, abgedruckt in der Mittelbayerischen Zeitung, 17./ 18. 6. 2017, S. 8.) Die Minimalen textgrammatischen Einheiten des Beispieltextes entsprechen ausnahmslos komplexen Sätzen: MTE 1, 3 und 4 sind Satzreihen, MTE 2 und 5 sind Satzgefüge. Zentrale Textgegenstände sind 1) ein 13-Jähriger (= Bezugsausdruck) und 2) ein Kleinkind (= Bezugsausdruck). Dem ZTG ein 13-Jähriger sind folgende Verweisausdrücke zugeordnet: nach dem jungen Lebensretter, dessen Mutter (MTE 2) - Der 13-Jährige (MTE 4) - bei dem Buben, er (MTE 5). Dem ZTG ein Kleinkind sind folgende Verweisausdrücke zugeordnet: das zweijährige Mädchen (MTE 3) - die Kleine, sie, zu ihrer heranstürmenden Mutter (MTE 4). 5. Vom Satz zum kleinsten Textbaustein (MTE) 50 narr-starter.de <?page no="52"?> 6. Der einfache Text (Kleintext) In Kapitel 5 haben wir gelernt, dass das entscheidende Kriterium eines Textes die Kohärenz ist. Es sollte auch klar werden, dass sich die Kohärenz zwischen den Minimalen textgrammatischen Einheiten abspielt und dabei die Koreferenz eine wichtige Rolle spielt. Im abschließenden Beispieltext waren relativ leicht die mehrfache Referenz auf zwei Zentrale Textgegenstände und die Ausdrücke dazu zu erkennen. Es handelt sich bei dem Beispieltext ja nur um fünf Minimale textgrammatische Einheiten, wenn diese auch aus komplexen Sätzen bestehen. In Kapitel 6 wollen wir erstens - in Analogie zum einfachen Satz - den Begriff des einfachen (oder Klein-)Textes einführen, zweitens den Begriff der Kohärenz zur „ Vernetzung “ erweitern und drittens zeigen, wie aus den verschiedenen Arten der Vernetzung das Thema eines Kleintextes gewonnen werden kann. Anders als bei der Definition des einfachen Satzes, der durch die Existenz nur eines Prädikats festgelegt ist, tun sich die Grammatiker mit der Definition des einfachen Textes schwer. Als einfache Texte (Kleintexte) definieren wir hier Texte, die ungefähr fünf bis zehn Minimale textgrammatische Einheiten (MTE) umfassen, vgl. die Beispieltexte in Kapitel 5 mit sechs bzw. fünf MTE und das unten folgende Beispiel eines Beileidsbriefs mit neun MTE. In allen Fällen handelt es sich um eigenständige Ausprägungen je einer Textsorte: Film-Inhaltsangabe, Zeitungsmeldung und Beileidsbrief. Die Kleintexte sind meist aber auch Teiltexte eines Großtextes (vgl. Kapitel 7). narr-starter.de <?page no="53"?> Typologie der Vernetzungen In Kapitel 5 wurde gezeigt, dass die Textanalyse vom Aufbau eines Textes durch MTE ausgeht - mit dem Ziel, die Text- Kohärenz durch eine Verkettung oder Vernetzung der MTE nachzuweisen. Man operiert dabei auf mehreren Ebenen: Die Hauptstrategie, wie die MTE zu Texten (lat. textus ‚ Gewebe ‘ ) vernetzt werden, ist die der Wiederholung sowohl formaler als auch semantischer Elemente (vgl. Greule / Reimann 2015, S. 13 - 35). Insgesamt gibt es sieben Möglichkeiten, einen Text zu vernetzen, die in der folgenden Übersicht vorgestellt werden. Vernetzung durch Koreferenz (Renominalisierung und Deixis) Die Vernetzung der Inhaltsangabe in Kapitel 5 ergibt sich durch mehrfache Referenz (= Koreferenz) auf ein konstantes Referenzobjekt, den fiktiven Filmhelden Stefan (= ZTG). Dadurch ergibt sich eine Referenzkette, deren Verweisausdrücke (VA) fast ganz aus Pronomen bestehen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass insbesondere bei längeren Texten synonyme Lexeme als Verweisausdrücke den Text abwechslungsreicher und interessanter machen. In der Sportberichterstattung beispielsweise wird gerne der Vereinsname, z. B. 1. FC Köln (als BA), weitergeführt mit der Herkunftsbezeichnung die Kölner. In der Inhaltsangabe wird sogar eine Regel befolgt, die besagt, dass nach einer längeren Textstrecke nur mit Pronomina eine Renominalisierung erfolgen sollte: In MTE 6 wird der Name Stefan (= ZTG), der erst einmal in MTE 1 erwähnt wurde, wieder genannt. Die Wiedererwähnung des 6. Der einfache Text (Kleintext) 52 narr-starter.de <?page no="54"?> ZTG dient der besseren Orientierung des Lesers / Hörers beim Textverstehen. Bestimmte Textsorten (vgl. Kapitel 7) verlangen den Einsatz von deiktischen Sprachzeichen (Deiktika), um auf die ZTG zu referieren. Typisch ist dafür die Textsorte Brief, in diesem Beispiel der Beileidsbrief an eine Freundin zum Tod ihrer Mutter: (1) Meine liebe Hannelore, es betrübt mich sehr, dass du deine liebe Mutter verloren hast. (2) Ich hätte dir sogleich geschrieben, erhielt aber die Todesnachricht erst jetzt. (3) Ich bin ja selber Waise, (4) meine gute Hannelore, (5) darum kann ich so recht nachfühlen, wie dir zumute ist. (6) Vergiss aber nicht, dass es noch sehr viele Menschen auf der Welt gibt, die dich lieb haben und dir bestimmt immer gerne mit Rat, Trost und Hilfe zur Seite stehen werden. (7) Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass ich auch zu diesen Menschen gehöre. (8) Wenn ich etwas für dich tun kann oder wenn du mich brauchst, schreibe mir sofort. (9) In herzlicher Freundschaft umarmt dich deine Eva. (Muster nach Kirst und Manekeller, Hohe Schule der Geschäfts- und Privatkorrespondenz, Stuttgart / Hamburg [1963], S. 463 [Orthographie geneuert, Brief- Textdesign aufgehoben].) Deiktische Sprachzeichen sind in erster Linie die Pronomen, mit denen sich der Sprecher / Schreiber direkt auf sich selbst (ich, mir, mich, mein) und auf den / die Angesprochenen (du, dir, dich, dein, ihr, euch, euer) bezieht (Personaldeixis). Darüber hinaus sind die Adverbien deiktisch, mit denen sich der Sprecher / Schreiber auf den Sprech- / Schreibzeitpunkt (jetzt, heute) (Zeitdeixis) und auf den Ort des Sprechens / Schreibens (hier) (Ortsdeixis) bezieht. Indem man bei der Abfassung eines Textes mehrfach Deiktika Typologie der Vernetzungen 53 narr-starter.de <?page no="55"?> (Einzahl: Deiktikum) verwendet, entsteht eine deiktische Referenzkette, und das Sprecher-ICH und das Empfänger- DU werden zu ZTG. Zur deiktischen Referenzkette gehört auch die Adverbgruppe erst jetzt (im Beispieltext MTE 2). Es fällt auf, dass in dem Beileidsbrief außer dem ICH (namens Eva) und dem DU (namens Hannelore) keine weiteren ZTG auszumachen sind. Die Besonderheit der Referenzpaare verloren hast (MTE 1) - Todesnachricht (MTE 2) und viele Menschen (MTE 6) - zu diesen Menschen (MTE 7) - es handelt sich um Beispiele für Vernetzung durch Kontiguität und durch Menge-Element-Referenz - wird in den folgenden Abschnitten erläutert. Vernetzung durch Menge-Element-Referenz Kohärenz stiften im Rahmen der Koreferenz auch Ausdrücke wie viele Menschen (MTE 6) - ich zu diesen Menschen gehöre (MTE 7): Mit dem Ausdruck viele Menschen wird auf eine Menge referiert; in der folgenden MTE aber auf einen einzigen Menschen innerhalb dieser Menge, nämlich auf das Sprecher- / Schreiber-ICH (Eva) (= Referenzverkürzung). Man kann einen Text auch in der umgekehrten Reihenfolge weiterführen, z. B. Unser Weihnachtsbaum ist in diesem Jahr besonders schön. Er stammt aus dem nahe gelegenen Tannenwald. Hier wird in der ersten MTE ein Element genannt: unser Weihnachtsbaum, in der nächsten MTE ist von dem Tannenwald, aus dem der Weihnachtsbaum stammt, die Rede. Das Kollektivum Tannenwald stellt gegenüber Weihnachtsbaum eine Referenzvereinigung dar. 6. Der einfache Text (Kleintext) 54 narr-starter.de <?page no="56"?> Vernetzung durch Kontiguität (Partialität) Im Beispieltext besteht zwischen den Ausdrücken verloren hast (MTE 1) - Todesnachricht (MTE 2) zwar keine Referenzidentität, es handelt sich aber um inhaltlich benachbarte Referenzobjekte (Verlust / Tod - Nachricht vom Tod). Verloren hast bedeutet im Kontext des Beileidschreibens: gestorben ist. Mit der Tatsache des Todes eines Menschen ist - kulturell bedingt - die Nachricht von seinem Tod (Todesnachricht) verbunden. In Worten der Textgrammatik: Dieser Fall ist ein Beispiel für kulturell begründete Kontiguität (= semantische Nähe). Ein Sonderfall der Kontiguität ist die Partialität (Teil- Ganzes-Relation). Sie liegt im Text vor, wenn im BA eine Ganzheit, die aus verschiedenen Elementen besteht, genannt wird und mit den VA auf Teile der Ganzheit referiert wird, z. B. eine Krähe (Ganzheit) - ihr Kopf - ihr Hals - ihre Flügel. Vernetzung durch Isosemie Wie erreicht die Verfasserin des Beispieltextes das Ziel, Beileid zum Ausdruck zu bringen? Zweifellos sind dabei der Bezug der Schreiberin auf sich selbst (ICH) und die DU- Anrede durch personaldeiktische Sprachzeichen wichtig. In den Vordergrund tritt hier allerdings eine Vernetzungsart, die sich auf der semantischen Ebene abspielt. Der Erfolg des Briefs (Hannelore erkennt, dass Eva Mitleid empfindet) hängt davon ab, dass die Empfängerin ein in mehreren Sprachzeichen des Textes verborgenes semantisches Merkmal erkennt. Folgende über den ganzen Brief verteilte Wörter und Wortgruppen gehören in das Feld der Emotionen: Liebe (Hannelore), betrübt mich, liebe (Mutter), Waise, gute Typologie der Vernetzungen 55 narr-starter.de <?page no="57"?> (Hannelore), nachfühlen, lieb haben, Rat, Trost, Hilfe, zur Seite stehen, etwas für dich tun, in herzlicher Freundschaft, umarmt. Die Ausdrücke können im Feld der Emotionen noch spezifiziert werden in Ausdrücke, die ‚ Zuneigung ‘ signalisieren (liebe, gute, lieb haben, Rat, Trost, Hilfe, zur Seite stehen, etwas für dich tun, in herzlicher Freundschaft, umarmt), und in solche, die ‚ Mit-Trauern ‘ zum Ausdruck bringen (betrübt mich, Waise, nachfühlen). Die Vernetzung durch wiederkehrende semantische Merkmale (hier ‚ Zuneigung ‘ und ‚ Mit-Trauer ‘ ) wird Isotopie, inzwischen aber auch Isosemie genannt, wodurch der Terminus deutlich Bezug auf die Wiederholung gleicher semantischer Merkmale nimmt. Das wiederkehrende semantische Merkmal heißt Klassem. Vernetzung durch Handlungskonstanz und Tempusidentität (Greule / Reimann 2015, S. 28 f.) Texte wie (Koch-)Rezepte müssen so abgefasst sein, dass die Sprecherhandlung (das, was der Sprecher / Schreiber mit seinem Schreiben erreichen will) durch Sprachzeichen deutlich und im ganzen Text durchgehalten wird. Auf diese Weise ergibt sich eine weitere Form der Vernetzung. Im Fall eines Kochrezepts ist die (dominante) Sprecherhandlung jene, dazu aufzufordern, bestimmte Handlungen auszuführen, um ein Gericht zustande zu bringen. Im Beileidsbrief ist die Sprechereinstellung zum Ausdruck des Beileids nicht Distanzierung, sondern sogar nachdrückliche Gewissheit, was durch Formulierungen wie Ich bin ja selber Waise, kann ich so recht nachfühlen, bestimmt immer gerne, brauche wohl nicht zu betonen und vor allem durch den Indikativ zum Ausdruck kommt. 6. Der einfache Text (Kleintext) 56 narr-starter.de <?page no="58"?> Obwohl im Beispieltext mehrere Tempora (Perfekt, Futur) verwendet werden, ist doch das Präsens das dominierende Tempus, das gleichsam im Hintergrund zusätzlich Kohärenz erzeugt. Vernetzung durch Strukturrekurrenz Man könnte meinen, dass die Wiederholung einer syntaktischen Struktur nur für Texte mit künstlerischem Anspruch gilt und nur dort als Mittel der Vernetzung Verwendung findet. Der Eindruck entsteht, wenn man sieht, wo die Wiederholung syntaktischer Strukturen durch das Stilmittel des Parallelismus vorkommt. Es ist in erster Linie der Fall in lyrischen Texten, etwa bei den Strophen von Liedtexten, wo die zugehörige Melodie gleichen Sprachrhythmus verlangt. Die Analyse von Kochrezepten zeigt aber, dass Parallelismus auch bei Alltagstexten, wenn auch in weniger strenger Form, vorkommt: Die Anweisungen zum schrittweisen Kochen lauten dort beispielsweise: Zwiebel schälen, Reis beigeben, Wein beifügen, alles aufkochen lassen (vgl. Greule / Reimann 2015, 30 f.). Vernetzung durch Konnektoren Zur Vernetzung durch Konnektoren vgl. Kapitel 5. Konnektoren fungieren wie die satzinternen Konjunktionen. Sie werden aber eingesetzt, um die Inhalte zweier benachbarter MTE aufeinander zu beziehen. (MTE 1) Die Freundschaft der beiden ist allerdings ungebrochen. Was ein großer Vorteil ist, denn (MTE 2) nach einem gemeinsamen Joint beginnen die Probleme. Typologie der Vernetzungen 57 narr-starter.de <?page no="59"?> In diesem Beispiel bezieht der / die Leser / in den Inhalt von MTE 2 als Begründung auf den Inhalt von MTE 1. Die Interpunktion im Original spielt dabei keine Rolle. Thema-Bildung Das Thema eines Kleintextes lässt sich gleichsam „ errechnen “ durch die Zusammenfassung der im Text festgestellten Zentralen Textgegenstände und der Klasseme. Es lohnt sich dazu, möglichst nur einen Satz als Thema zu formulieren. Wird das Thema des Beileidsschreibens auf diese Weise erfasst, könnte es wie folgt lauten: ‚ Ein ICH (Eva) teilt einem DU (Hannelore) - anlässlich des Todes der Mutter von Hannelore - seine Mit-Trauer und Zuneigung mit ‘ . In die Thema-Formulierung fließt auch die dominante Sprecherhandlung eines (Beileids-)Briefs, nämlich MITTEILEN ein, die nur indirekt im Text versprachlicht ist (hätte . . . geschrieben, brauche nicht zu betonen). Es ist im Umkehrschluss angeraten, bei der Produktion von Texten einer bestimmten Textsorte bereits vor der Textabfassung wenigstens in Gedanken zusammenzufassen, mit welchen ZTG und welchen Isosemien (Begrifflichkeiten) man das Thema entfalten und den Text gestalten will und kann. Dabei werden vier Grundformen der Themenentfaltung unterschieden: deskriptiv, narrativ, explikativ, argumentativ (vgl. Brinker / Cölfen / Pappert 2014, S. 60 - 80). Zusammenfassung Die wichtigsten Erkenntnisse, die Kapitel 6 vermittelt, sind die sieben Arten der Text-Vernetzung. Dabei haben wir uns von der formalen „ Oberfläche “ des Textes auf die mehr auf den Inhalt bezogene „ Tiefe “ eines Textes zubewegt. Der 6. Der einfache Text (Kleintext) 58 narr-starter.de <?page no="60"?> wichtigste Schritt dabei ist die Erkenntnis der Isosemie, der Kontiguität und der Menge-Element-Referenz. Schließlich fließen sowohl die Aufdeckung von Referenzketten als auch die der Isosemie-Ebenen in die Formulierung des Text- Themas zusammen. Typologie der Vernetzungen 59 narr-starter.de <?page no="61"?> 7. Großtexte, Paratexte und Textmuster Im Kapitel 6 wurde bereits darauf hingewiesen, dass Kleintexte meist auch Teile eines Großtexts sind. In diesem letzten Kapitel muss nicht nur das Verhältnis von Kleintexten zum Großtext generell geklärt werden, sondern wir müssen uns auch - um Texte nach den Regeln einer Textsorte selbst verfassen zu können - damit beschäftigen, wie die Teiltexte eines Großtextes graphisch anzuordnen sind (Textarchitektur und Textdesign) und - was noch wichtiger ist - wie sie dem Inhalt nach zueinander stehen (Textkomposition). Und schließlich interessiert die Frage, ob es - den Satzbauplänen vergleichbar - so etwas wie „ Textbaupläne “ , nämlich Textmuster, gibt. 7.1 Textarchitektur und Textdesign Großtexte definieren wir als eine geordnete Menge von Klein- und Kleinsttexten. Damit sind Kleintexte Teile von Großtexten und werden als solche Teiltexte genannt. Wenn Großtexte geschrieben oder gedruckt werden, nehmen sie eine bestimmte Schreibfläche ein, auf der die Teiltexte in spezifischer Weise angeordnet sind. Wie sie angeordnet sind, das erfasst man unter dem Begriff der Textarchitektur. Die Teiltexte müssen als solche erkennbar und gegeneinander abgegrenzt sein. Wie dies geschieht, ist Sache des Textdesigns. Die einfachste Art der Abgrenzung sind Absätze. Sie werden erzeugt durch den Einzug der ersten Zeile, den Zeilenumbruch am Ende und / oder durch die Leerzeile narr-starter.de <?page no="62"?> vor bzw. nach dem Absatz. Der Teiltext gilt dann als Absatz, Abschnitt oder Passus. Im Fall eines Gedichts oder Liedes sind die einzelnen Teiltexte die Strophen; bei einem Gesetzestext sind es die Paragraphen. Es gibt mehrere Möglichkeiten der Anordnung der Teiltexte: In den meisten Fällen sind die Teiltexte nachbzw. unter- und nebeneinander, z. B. in Spalten, angeordnet. Im folgenden Beispieltext sind die drei Teiltexte durch Leerzeilen deutlich voneinander abgegrenzt. Einheimische Lebensmittel kommen schneller auf den Tisch. Zudem sind an der Sonne gereifte saisonale Produkte nährstoffreicher. Dadurch entwickeln sie häufig auch einen viel besseren Geschmack. Wer in Hofläden oder auf Wochenmärkten kauft, kennt meist den Bauern oder den Erzeuger der gewünschten Ware. Und für diesen entsteht so ein höherer Qualitätsdruck, denn er bietet seine Produkte selbst an. So hat man als Kunde eine bessere Kontrolle als bei Supermarktware. Je kürzer die Wege, desto besser fürs Klima. Ausnahmen von der Regel gibt es natürlich, wenn etwa regionales Gemüse im Gewächshaus unter hohem Energieaufwand gezogen wird. Und Bio ist zwar nicht automatisch gesünder, aber besser für die Umwelt. (Kasten „ Einkaufstipp “ , in: GONG Nr. 17, 2017, S. 11.) Da bei dieser Art der Textarchitektur Absatz auf Absatz folgt, wird sie als parataktisch (aufeinanderfolgend) charakterisiert und ist der Anordnung der Teilsätze in der Satzreihe (Kapitel 4.1) vergleichbar. 7.1 Textarchitektur und Textdesign 61 narr-starter.de <?page no="63"?> 7.2 Kleintext-Typen Bei einer weiteren Form der Textarchitektur steht ein Kerntext im Zentrum, um ihn herum sind Kleintexte als „ Paratexte “ gereiht. Der Kerntext selbst kann aus mehreren Absätzen, Strophen oder Paragraphen bestehen. Diese Art der Textarchitektur wird als „ Zentralkonstruktion “ beschrieben. Der Kerntext ist nur dann ein Kerntext, wenn er von anderen Teiltexten umgeben ist. In erster Linie ist dies die Überschrift; bei bestimmten Textsorten findet man Fußnoten, bei anderen Randnotizen. Randnotizen sind z. B. die Korrekturen und Bemerkungen eines Korrektors am Textrand von Prüfungsarbeiten. Andere Textsorten verlangen, dass in den Kerntext zur Auflockerung Kleintexte, die ihrerseits beim Lesen hervorstechen, eingeblendet werden, z. B. verwendet die Werbung sogenannte Inserts. Alle einen Kerntext „ umrahmenden “ Teiltexte / Paratexte bilden zusammen mit dem Kerntext einen Gesamttext. Die Bezeichnung der Paratexte richtet sich nach ihrer Position im Gesamttext: Supratext (über dem Kerntext, z. B. Überschrift), Infratext (unter dem Kerntext, z. B. Fußnote), Juxtatext (am Rand des Kerntextes, z. B. Randnotizen) oder Intratext (im Kerntext, z. B. Inserts, Kasten). Beispieltext: Schlechter Narr Karl der Einfältige 1 fragte seinen Hofnarren: „ Wollen wir tauschen? “ „ Nein Majestät “ , gab der Narr zur Antwort. 1 Karl der Einfältige: Karl III. (879 - 929), König der Westfranken bzw. Frankreichs. 7. Großtexte, Paratexte und Textmuster 62 narr-starter.de <?page no="64"?> „ Würdest Du Dich denn schämen König zu sein? “ fragte der Herrscher erstaunt. „ Das nicht “ , erwiderte sein Spaßmacher, „ aber ich würde mich eines solchen Narren schämen! “ (R. W. Lang, Zeiten und Menschen im Spiegel der Anekdote, München 1968, S. 91.) Formal sind die Teiltexte des Gesamttextes im Beispiel gut zu erkennen: die Überschrift (Supratext), der dialogisch gegliederte Kerntext und die Fußnote (Infratext). Die Fußnote könnte auch als (erklärende) Randnotiz rechts auf der Höhe der Erwähnung von „ Karl der Einfältige “ positioniert werden. Von den Paratexten muss man die Subtexte unterscheiden. Sie sind zwar auch in einen Gesamttext integriert und formal durch Anführungszeichen wie im Beispieltext oben abgegrenzt. Aber Subtexte sind, wie Nebensätze (Kapitel 4.2), dem Prädikat eines Hauptsatzes untergeordnet. Normalerweise enthält das Prädikat ein Sprechaktverb, z. B. Karl der Einfältige fragte seinen Hofnarren: „ Wollen wir tauschen? “ Allerdings wird man im Fall einer Direkten Rede, die nur einen Satz umfasst, noch nicht von einem Subtext, sondern von einem Nebensatz reden. Zum Subtext wird die Direkte Rede erst, wenn sie mehr als einen Satz umfasst und zum Kleintext ausgeweitet wird. Es ist gut zu erkennen, dass die formal definierten Teiltexte eines Gesamttextes auch verschiedene inhaltliche Funktionen ausüben: Die Überschrift in Zeitungstexten fasst z. B. pointiert den Inhalt des Kerntextes zusammen und soll auch als Leseanreiz dienen. Die Randnotiz hat 7.2 Kleintext-Typen 63 narr-starter.de <?page no="65"?> ergänzende oder berichtigende Funktion usw. Welche Rollen die Teiltexte spielen, ist eine Frage der Textkomposition (s. u. Kapitel 7.4) 7.3 Textsorten Wenn wir Texte verfassen, verfassen wir sie im Rahmen bzw. in der Tradition einer Textklasse oder Textsorte. Deren Festlegung und Benennung hängt von spezifischen Kommunikationszwecken ab: Mit dem Beileidsbrief soll dem Empfänger das Mitgefühl des Schreibers ausgedrückt werden. Mit der Anekdote soll eine Persönlichkeit kurz, prägnant und witzig charakterisiert und der Leser amüsiert werden. Mit einer Werbeanzeige soll ein Produkt bekannt gemacht und zu seinem Kauf motiviert werden. Die komplexen Fragen der Textklassifikation, die die Wissenschaft noch immer bewegen und auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, erörtern Klaus Brinker, Hermann Cölfen und Steffen Pappert (2014, S. 133 - 153). Sie legen in ihrem Buch auch fest, dass das Kriterium der Textfunktion die „ Textsortenklasse “ definiert (S. 146). Demnach gehört der Beileidsbrief zur Klasse der Texte mit Kontaktfunktion. Erst in zweiter Linie ist die Kommunikationsform als Brief wichtig. 7.4 Textkomposition und Textmuster In diesem Kapitel gehen wir der Frage nach: Gibt es - analog zu Satzbauplänen - auch „ Textbaupläne “ ? Mit der Beantwortung der Frage begeben wir uns in den Bereich der Textkomposition, das heißt, es geht um das Problem, wie 7. Großtexte, Paratexte und Textmuster 64 narr-starter.de <?page no="66"?> Texte inhaltlich und funktional aufgebaut sind, und um die Frage, ob der inhaltlich-funktionale Aufbau auch formal und graphisch (im Textdesign) zum Ausdruck gebracht wird oder werden muss (vgl. Kapitel 7.1). „ Gefragt, wie ein Text aufzubauen sei, wird den meisten die alte Schulweisheit einfallen: ein Text besteht aus drei Teilen - der Einleitung, dem Hauptteil und dem Schluss. So richtig dieses Schema auch ist, so ist es doch nicht ganz einfach, über die drei Teile des Textes etwas Konkretes zu sagen, das darüber hinaus noch allgemein verbindlich ist. Zu unterschiedlich sind die Texte, die im privaten und beruflichen Alltag geschrieben werden “ (Püschel 2000, S. 69). Aus dieser Feststellung des Verfassers einer Duden-Stilfibel leiten wir ab, dass es so etwas wie ein Muster des Textaufbaus gibt, nicht aber ein für alle Textsorten gültiges. Für die Vertreter bestimmter Textsorten ist das prototypische Textmuster in Sprachratgebern festgeschrieben und kann dort nachgeschlagen werden. Am bekanntesten und traditionsreichsten sind die sogenannten Briefsteller. Sie leiten an Hand von Beispielen an, wie ein Brief funktional-inhaltlich und formal normalerweise zu gestalten ist. Die Regulierung gilt in erster Linie den Geschäftsbriefen, wirkt sich aber auch auf Privatbriefe (wie den Beileidsbrief, vgl. Kapitel 6) aus und hat - unter Berücksichtigung der technischen Andersartigkeit - auch bei den E-Mails noch ihre Berechtigung. Als Teiltexte des Textmusters Brief gelten mindestens folgende: (1) Datum, (2) Anrede, (3) (Brief- / Kern-)Text, (4) Grußformel, (5) Unterschrift. Beim maschinengeschriebenen Geschäftsbrief oder bei der E-Mail kommen weitere Paratexte (Absender, Firmenname, Empfängeranschrift, Bezug, Betreff, Anlagenvermerk) hinzu. 7.4 Textkomposition und Textmuster 65 narr-starter.de <?page no="67"?> Die minimale Liste der Teiltexte ist - bis auf den in Abschnitte gliederbaren Kerntext mit dem eigentlichen Briefinhalt - funktional benannt. Die Position der Teiltexte im „ Textfeld “ ist genau geregelt, nämlich oben rechts: das Datum, darunter linksbündig: die Anrede, darunter linksbündig: der Kerntext, darunter: die Grußformel, darunter: die Unterschrift. Empfehlungen, wie der Brief-Kerntext selbst inhaltlich gestaltet werden kann, findet man ebenfalls in Stillehren oder Sprachratgebern (vgl. Püschel 2000, S. 70 - 87). Es handelt sich um den Briefanfang, durch den Kontakt und Beziehung zum Adressaten hergestellt werden sollen, und um das Briefende, in dem Kontakt und Beziehung höflich beendet werden sollten. Es wird empfohlen, diesen Teiltexten eine ebenso besondere Aufmerksamkeit zu widmen wie selbstverständlich dem Hauptteil, in dem es um den Sachverhalt geht. Eine ähnliche Musterbildung wie beim (Geschäfts-)Brief beschreibt Nina Janich für die Werbeanzeige - allerdings nicht aus der Perspektive der Textproduktion wie bei den Briefstellern, sondern aus der Perspektive der Rezeption von Werbetexten (Janich 1999, S. 40 - 65). In der Werbelinguistik werden dabei folgende Teiltexte unterschieden: Schlagzeile / Headline, Fließtext, Slogan, Produktname. Die Positionierung der Teiltexte im „ Textfeld “ ist im Hinblick auf die Wahrnehmung der Werbeanzeige geregelt (Schlagzeile über dem Fließtext, Slogan unten links), sie wird aber auch ständig variiert. Bekannt ist ferner der einem festen Prinzip folgende Textaufbau der harten Nachricht in den Zeitungen, in denen - im Unterschied zu den weichen Nachrichten - über wichtige politische, wirtschaftliche und kulturelle Dinge informiert wird (vgl. Lueger 1995, S. 94 - 103). Der Text- 7. Großtexte, Paratexte und Textmuster 66 narr-starter.de <?page no="68"?> aufbau von harten Nachrichten ist ganz thematisch ausgerichtet und folgt dem Prinzip der (achronologischen) Wichtigkeitsabstufung. Da harte Nachrichten meist kurze Kleintexte sind, wird die Wichtigkeitsabstufung graphischformal nicht gekennzeichnet. Inhaltlich wird das - nach Einschätzung des Textproduzenten - Wesentliche zuerst formuliert. Dabei fällt dem Erstsatz, in den möglichst viele der für wichtig gehaltenen Informationen „ verpackt “ werden, die Hauptrolle zu. Die zentrale Aussage wird danach mit abnehmender Wichtigkeit durch Zusatzinformationen und Einzelheiten ergänzt. Graphisch abgesetzt sind bei der harten Nachricht allerdings die Headline und der nicht immer vorhandene fettgedruckte Vorspann (Lead); Beispiele in der Duden-Stilfibel (Püschel 2000, S. 75 - 80). Das heute ausschließlich realisierte Textmuster von Kochrezepten (in Rezeptbüchern und Zeitschriften) ist deutlich durch die Pragmatik, das heißt durch die zur Herstellung einer Speise notwendigen Handlungsschritte bestimmt. Vor dem eigentlichen Kochprozess steht die Bereitstellung der Zutaten in bestimmter Menge; erst darauf wird die Herstellung in nacheinander mit den Zutaten und Kochwerkzeugen auszuführenden Handlungen beschrieben. Die Beschreibung wird heute - im Unterschied zu früheren Zeiten, wo ein Rezept begann mit man nehme - in Form von imperativischen Infinitiven wie schneiden, schälen, putzen ausgedrückt (vgl. Kapitel 6: Vernetzung durch Strukturrekurrenz). Daraus ergeben sich zwei voneinander deutlich unterschiedene Teiltexte: die Auflistung der Zutaten mit Mengenangaben und der chronologisch aufgebaute Herstellungsteil. Dazu sind Paratexte erwartbar: eine Überschrift als Supratext oder auch „ Tipps “ als Infratext. 7.4 Textkomposition und Textmuster 67 narr-starter.de <?page no="69"?> Ganz und gar nicht durch die Pragmatik, sondern durch die Tradition geprägt ist der Aufbau von Gebeten, an Gott gerichtete Appell-Texte (vgl. Greule 2015, S. 356 f.). Die Abfolge der Teiltexte des Gebets, in Sonderheit des gottesdienstlichen Gebets, lautet: (1) Gebetseinladung, (2) Prädikation (Preisung Gottes durch Anamnese), (3) Bitte, (4) Schlussformel (Conclusio). Sie orientiert sich an der Tradition jüdisch-christlichen Betens und ist teils funktional (Gebetseinladung, Schlussformel), teils inhaltlich (Prädikation, Bitte) bestimmt. Die Teiltexte sind meist identisch mit einer Minimalen textgrammatischen Einheit; die Bitte als Kern des Gebets kann auch über mehrere MTE „ entfaltet “ sein. In den gottesdienstlichen Büchern sind die Gebete entweder als Einheit gestaltet und formal nicht in Abschnitte untergliedert oder nur in Sprechzeilen aufgeteilt, womit der sprechsprachliche Vollzug des Gebets erleichtert werden soll. Zusammenfassung Die Ausgangsfrage nach „ Textbauplänen “ muss somit differenziert beantwortet werden. Bei bestimmten Textsorten gibt es in der Tat „ Textbaupläne “ bzw. Textmuster. Das beste Beispiel dafür ist der (Geschäfts-)Brief. Für Briefe sind nicht nur inhaltliche Textelemente vorgeschrieben, sondern auch deren Position im „ Textfeld “ , also die Textarchitektur und das Textdesign, ist festgelegt. Obwohl keine Vorschriften zur Textgestaltung bestehen, hat sich z. B. beim Abdruck von Kochrezepten mit Rücksicht auf die Herstellbarkeit eines Gerichts in kurzer Zeit eine Textarchitektur, bestehend aus Überschrift, Zutatenliste und Herstellungsteil, herausgebildet. Ähnlich liegen die Dinge bei den harten Nachrichten, zu 7. Großtexte, Paratexte und Textmuster 68 narr-starter.de <?page no="70"?> deren Abfassung die Journalisten - aus Gründen der raschen Rezeption durch die Leser - gehalten sind, die Nachricht nach Wichtigkeit zu formulieren. Dann gibt es Textsorten, besonders solche, die in einer (religiösen) Tradition stehen, bei denen zwar nichts vorgeschrieben ist, aber bestimmte Inhaltselemente erwartet werden. Besonders beim Gebet ist dies der Fall, weil Gott um etwas gebeten wird und es angemessen ist, Gott zuerst zu preisen. Ganz im Dienst des „ Ankommens “ beim Rezipienten muss die Werbeanzeige aufgebaut sein, wobei bestimmte Teiltexte (Markenname, Slogan) unabdingbar sind, deren Textarchitektur, das Design und die Verteilung der Teiltexte aber sehr variabel sind. In Anbetracht der Fülle von Texten, die täglich verfasst werden, stellen die Textsorten, die einem Textmuster unterworfen sind, nur einen kleinen Ausschnitt dar. Es darf nicht unterschätzt werden, dass es daneben unzählige Texte der verschiedensten Textsorten (und Gattungen) gibt, für die der Autor oder Verfasser entweder ohne jedes - auf dem Papier oder im Kopf - vorgegebene Textmuster schreibt oder, etwa bei längeren Texten, sich selbst einen zunächst inhaltlichen Textbauplan macht, den er beim Schreiben dann formal (in Kapitel und Abschnitte mit oder ohne Überschriften) unterteilen kann oder nicht. Unter dem Eindruck der Möglichkeiten, in den neuen Medien zu kommunizieren, gilt es noch viele Fragen wissenschaftlich zu beantworten, zum Beispiel ob sich neue Textmuster ausgebildet haben, wie diese aussehen und ob sie allgemein umgesetzt werden. 7.4 Textkomposition und Textmuster 69 narr-starter.de <?page no="71"?> Fragen und Aufgaben ___Kapitel 1 1. Wie wird im vorliegenden STARTER Grammatik definiert? Fassen Sie zusammen. 2. Welches sind die vier Grundgrößen der sprachlichen Kommunikation? 3. Nennen Sie zusätzlich zu den in Kapitel 1 genannten vier alltagssprachlichen Textsorten weitere. ___Kapitel 2 1. Was sind Kategorialsymbole und zu welchem Zweck werden sie in der sprachlichen Analyse verwendet? 2. Wodurch unterscheidet sich die Verwendung von Prädikat in folgenden Äußerungen: Das ist kein Prädikatswein und Das Prädikat bildet den Kern des Satzes. 3. Wodurch unterscheiden sich heterogene von homogenen Verbgruppen? 4. Erläutern Sie den Unterschied von Klammer I und Klammer II. 5. Definieren Sie Setzung im Unterschied zu Satz. ___Kapitel 3 1. Bestimmen Sie in jedem der drei Sätze (a, b, c) die Satzglieder: Für lebende Kreaturen ist Noel Fitzpatrick keine Mühe zu groß. Der Tierarzt wagt sich mit seinem erfahrenen Team zur Not auch an riskante Operationen. In Großbritannien ist der Tier-Doc Stammgast auf dem Bildschirm. (Kurzinhalt der narr-starter.de <?page no="72"?> Dokusoap „ Der Super-Doc “ , 1/ 5. Aus: GONG 14, 2017, S. 36.) 2. Verwenden Sie Kategorialsymbole und bestimmen Sie jedes Satzglied dreidimensional. 3. Formulieren Sie jeden Satz in die durch den SBP vorgegebene „ Grundstellung “ um. ___Kapitel 4 Wenn es erlaubt ist, allen Worten einen andern Verstand zu geben, als sie in der üblichen Sprache der Weltweisen haben, so kann man leicht etwas Neues vorbringen. (G. E. Lessing, in: Briefe, die neueste Litteratur betreffend. Fünfter Theil, 111. Brief, Berlin 1760, S. 376.) 1. Stellen Sie die Teilsätze des komplexen Satzes fest! 2. Welcher Teilsatz ist der Hauptsatz? 3. Welche Konjunktionen bzw. Subjunktionen enthält der Gesamtsatz? 4. Formulieren Sie den Gesamtsatz mit Spitzenstellung des Hauptsatzes. 5. Zeichnen Sie ein Stemma für den Originalsatz. ___Kapitel 5 Lösen Sie den folgenden Satz in mehrere, syntaktisch einfache MTE auf. Die energische norddeutsch-protestantische Geschichtsschreibung, die in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand, trug einen Sinn in sich, der erst noch erfüllt werden sollte, dessen Erfüllung sie selber diente und der eben die Quelle Fragen und Aufgaben 71 narr-starter.de <?page no="73"?> ihrer Energie war: das Ziel des deutschen von Preußen zu führenden Nationalstaats. (Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1959, S. 1046.) ___Kapitel 6 Meine Berliner und Berlinerinnen! Ich bin stolz, heute in Ihre Stadt zu kommen als Gast Ihres hervorragenden Regierenden Bürgermeisters, der in allen Teilen der Welt als Symbol für den Kampf und Widerstandsgeist West-Berlins gilt. Ich bin stolz, auf dieser Reise die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit Ihrem hervorragenden Herrn Bundeskanzler besucht zu haben, der während so langer Jahre die Politik bestimmt hat nach den Richtlinien der Demokratie, der Freiheit und des Fortschritts. Ich bin stolz darauf, heute in Ihre Stadt in der Gesellschaft eines amerikanischen Mitbürgers gekommen zu sein. General Clay, der hier tätig war in der Zeit der schwersten Krise, durch die diese Stadt gegangen ist, und der wieder nach Berlin kommen wird, wenn es notwendig werden sollte. (Beginn der Rede J. F. Kennedys vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin 1963; aus: H. Schlüter, Grundkurs der Rhetorik, München 1974, S. 269.) 1. Bestimmen Sie die Minimalen textgrammatischen Einheiten (MTE) des Textes. 2. Welche Arten der Vernetzung werden im Text verwendet? 3. Warum fehlen im Text Konnektoren? Fragen und Aufgaben 72 narr-starter.de <?page no="74"?> ___Kapitel 7 In der Wiener Staatsoper ist es alte Gepflogenheit, dass die Musiker den Lauf mitsummen, mit dem das Orchester den Auftritt der Annina im Schlussakt des „ Rosenkavalier “ begleitet. Als 1960 bei den Salzburger Festspielen der „ Rosenkavalier “ unter Karajan neu einstudiert wurde, summten die Wiener Philharmoniker bei der Premiere Anninas Begleitung wie gewohnt mit. Vor einer der folgenden Aufführungen jedoch verabredeten sich die Musiker in Ferienstimmung - die Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen ist die „ Ferienarbeit “ der Wiener Philharmoniker - , dies eine Mal das Summen zu unterlassen. Karajan war derart verblüfft, dass er beinahe vergessen hätte weiter zu dirigieren. Nach dem Schluss der Vorstellung bat er die Philharmoniker: „ Aber meine Herren, so dürfen Sie mich nicht noch einmal verschrecken. “ (Leicht geändert aus: R. W. Lang, Zeiten und Menschen im Spiegel der Anekdote, 1968, 391.) 1. Formulieren Sie eine Überschrift. 2. Formulieren Sie erläuternde Randnotizen. 3. Ist der Satz die Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen ist die „ Ferienarbeit “ der Wiener Philharmoniker ein Intratext? 4. Welchem Kleintext-Typ gehört „ Aber meine Herren, so dürfen Sie mich nicht noch einmal verschrecken. “ an? Fragen und Aufgaben 73 narr-starter.de <?page no="75"?> Abkürzungsverzeichnis A Angabe A temp Temporalangabe / Zeitangabe A lok Ortsangabe / Lokalangabe A kaus Kausalangabe ADJ Adjektiv AdjG Adjektivgruppe AdvG Adverbgruppe ART Artikel BA Bezugsausdruck E Ergänzung HS Hauptsatz IK Infinitivkonstruktion KonjG Konjunktionalgruppe MTE Minimale textgrammatische Einheit N Nomen NG Nominalgruppe, vgl. NP NGnom Nominalgruppe im Nominativ NGgen Nominalgruppe im Genitiv NGdat Nominalgruppe im Dativ NGakk Nominalgruppe im Akkusativ NP Nounphrase (Nominalgruppe) NS Nebensatz PK Partizipialgruppe PräpG Präpositionalgruppe PronG Pronominalgruppe RS Relativsatz SBP Satzbauplan SVO Subjekt-Verb-Objekt (-Abfolge im Satz) TS Teilsatz TT Teiltext V Verb narr-starter.de <?page no="76"?> VA Verweisausdruck VG Verb(al)gruppe, vgl. VP VP Verbalphrase (Verbgruppe) ZTG Zentraler Textgegenstand Abkürzungsverzeichnis 75 narr-starter.de <?page no="77"?> Literaturverzeichnis Brinker, K., Cölfen, H. & St. Pappert (2014). Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 8., neu bearb. und erw. Auflage (Grundlagen der Germanistik, 20). Berlin: Erich Schmidt. Duden (2005). Die Grammatik, 7., völlig neu erarb. und erw. Auflage, hrsg. von der Dudenredaktion (Der Duden in zwölf Bänden, Band 4). Mannheim u. a.: Dudenverlag. Duden (2016). Die Grammatik, 9., vollständig überarb. und aktual. Auflage, hrsg. von A. Wöllstein und der Dudenredaktion (Der Duden in zwölf Bänden, Band 4). Berlin: Dudenverlag. Greule, A. (2015). Alte und neue Gebetssprache. In St. Böntert (Hrsg.), Gemeinschaft im Danken. Grundfragen der Eucharistiefeier im ökumenischen Gespräch. Regensburg: Friedrich Pustet, 353 - 361. Greule, A. & S. Reimann (2015). Basiswissen Textgrammatik (utb 4226). Tübingen: A. Francke. Janich, N. (1999). Werbesprache. Ein Arbeitsbuch (narr studienbücher). Tübingen: Gunter Narr. Kessel, K. & S. Reimann (2017). Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache. 5., überarb. Auflage (utb 2704). Tübingen: A. Francke. Kirst, H. & W. Manekeller (1963). Hohe Schule der Privatkorrespondenz. Deutscher Bücherbund: Stuttgart, Hamburg. Lang, R. W. (1968). Zeiten und Menschen im Spiegel der Anekdote. München: Südwest Verlag. Lüger, H.-H. (1995). Pressesprache (Germanistische Arbeitshefte 28), 2., neu bearb. Auflage. Tübingen: Max Niemeyer. Polenz, P. von (2008). Deutsche Satzsemantik. 3., unveränd. Auflage. Berlin, New York: Walter de Gruyter. Püschel, U. (2000). Duden. Wie schreibt man gutes Deutsch? 2., völlig neu bearb. Auflage. Mannheim u. a.: Dudenverlag. narr-starter.de <?page no="78"?> Anhang Lösungsvorschläge zu den Fragen und Aufgaben ___Kapitel 1 1. Im vorliegenden STARTER wird Grammatik (metaphorisch) definiert als ein Baukasten, aus dem sich die Sprecher und Schreiber bedienen können, um Texte zu „ bauen “ oder die Bausteine eines fertigen Textes in ihrem Zusammenwirken zu bestimmen und zu benennen. Die Grundbausteine sind Wörter und Sätze. 2. Die vier Grundgrößen der sprachlichen Kommunikation sind Sprecher, Ort, Zeit und Kommunikationsziel. 3. Weitere alltagssprachliche Textsorten sind: Wetterbericht, Kochrezept, Werbeanzeige, Geschäftsbrief, Grußkarte, Gebrauchsanweisung. ___Kapitel 2 1. Kategorialsymbole werden durch Kürzung der Bezeichnungen der Wortarten / Kategorien (Artikel, Adjektiv, Nomen, Verb usw.) gewonnen. Mit Hilfe von Kategorialsymbolen wird bei der Analyse von der konkreten Äußerung abstrahiert und die syntaktische Struktur transparent gemacht. 2. Im Satz Das ist kein Prädikatswein geht es um einen Wein mit Auszeichnung (Prädikat): Prädikatsweine sind Weine der höchsten Qualitätsstufe. Im Satz Das Prädikat bildet den Kern des Satzes meint Prädikat das die Satzaussage bildende Satzglied. narr-starter.de <?page no="79"?> 3. Im Unterschied zu den homogenen Verbgruppen, die nur aus Verben bestehen, enthalten heterogene Verbgruppen außer dem Finitum auch noch eine Nominalgruppe, z. B. eine (schnelle) Antwort geben. 4. Die Klammer I (Wortgruppenklammer) betrifft die Nominalgruppe: Die linke Klammer bildet der Artikel, die rechte Klammer das Nomen, der Kern der Nominalgruppe. Die Klammer II (Verbalklammer) betrifft die Verbgruppe als Prädikat, wenn die Prädikatsteile auf Distanz (diskontinuierlich) stehen: Die linke Klammer bildet das Finitum, die rechte Klammer das Infinitum, z. B. werden . . . schaffen. 5. Setzungen sind sprachliche Äußerungen ohne Prädikat, das auch nicht aus dem Kotext (als Ellipse) ergänzt werden kann. Im Unterschied dazu werden Sätze definiert als sprachliche Äußerungen, die um ein Prädikat (Finitum) herum konstruiert sind. Wir sind Papst ist ein Satz; Hamburg - Köln 1: 1 ist eine Setzung. ___Kapitel 3 Für lebende Kreaturen ist Noel Fitzpatrick keine Mühe zu groß. Der Tierarzt wagt sich mit seinem erfahrenen Team zur Not auch an riskante Operationen. In Großbritannien ist der Tier-Doc Stammgast auf dem Bildschirm. 1. Satzglieder a) keine Mühe für lebende Kreaturen / ist zu groß / Noel Fitzpatrick b) Der Tierarzt / wagt sich / mit seinem erfahrenen Team / zur Not / auch an riskante Operationen c) In Großbritannien / ist Stammgast / der Tier-Doc / auf dem Bildschirm Anhang 78 narr-starter.de <?page no="80"?> 2. Dreidimensionale Beschreibung der Satzglieder a) NGnom / Zustandsträger / E - VG / P - NGdat / Adressat / E b) NGnom/ Agens / E - VG / P - PräpG / comitativ / A - PräpG / conditional / A - PräpG / Obj / E c) PräpG / local / A - VG / P - NGnom / Agens / E - PräpG / local / E 3. Sätze in SBP-Grundstellung a) Noel Fitzpatrick ist zu groß keine Mühe für lebende Kreaturen. (vgl. SBP 3) b) Der Tierarzt wagt sich [mit seinem erfahrenen Team zur Not auch] an riskante Operationen. (vgl. SBP 7) c) Der Tier-Doc ist Stammgast auf dem Bildschirm [in Großbritannien]. (vgl. SBP 11) ___Kapitel 4 Wenn es erlaubt ist, allen Worten einen andern Verstand zu geben, als sie in der üblichen Sprache der Weltweisen haben, so kann man leicht etwas Neues vorbringen. 1. Die Teilsätze sind: a) wenn es erlaubt ist . . ., b) allen Worten einen andern Verstand zu geben . . . (= IK), c) als sie in der üblichen Sprache der Weltweisen haben, d) so kann man leicht etwas Neues vorbringen. 2. Der Teilsatz d so kann man leicht etwas Neues vorbringen ist der Hauptsatz. 3. Der Gesamtsatz enthält folgende Subjunktionen: wenn (am Anfang von a), zu (in b vor dem Infinitiv), als (am Anfang von c). So am Anfang von d ist keine Konjunktion, sondern Korrelat. 4. Gesamtsatz mit Spitzenstellung des Hauptsatzes: Man kann leicht etwas Neues vorbringen, wenn es erlaubt ist, allen Lösungsvorschläge zu den Fragen und Aufgaben 79 narr-starter.de <?page no="81"?> Worten einen andern Verstand zu geben, als sie in der üblichen Sprache der Weltweisen haben. 5. Stemma für den Originalsatz: ___Kapitel 5 Die energische norddeutsch-protestantische Geschichtsschreibung, die in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand, trug einen Sinn in sich, der erst noch erfüllt werden sollte, dessen Erfüllung sie selber diente und der eben die Quelle ihrer Energie war: das Ziel des deutschen von Preußen zu führenden Nationalstaats. Die syntaktisch einfachen MTE sind: 1. Die energische norddeutsch-protestantische Geschichtsschreibung trug einen Sinn in sich. 2. Die energische norddeutsch-protestantische Geschichtsschreibung entstand in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Anhang 80 narr-starter.de <?page no="82"?> 3. Der Sinn sollte erst noch erfüllt werden. 4. Dessen Erfüllung diente sie selber. 5. Das Ziel des deutschen von Preußen zu führenden Nationalstaats war eben die Quelle ihrer Energie. ___Kapitel 6 Meine Berliner und Berlinerinnen! Ich bin stolz, heute in Ihre Stadt zu kommen als Gast Ihres hervorragenden Regierenden Bürgermeisters, der in allen Teilen der Welt als Symbol für den Kampf und Widerstandsgeist West-Berlins gilt. Ich bin stolz, auf dieser Reise die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit Ihrem hervorragenden Herrn Bundeskanzler besucht zu haben, der während so langer Jahre die Politik bestimmt hat nach den Richtlinien der Demokratie, der Freiheit und des Fortschritts. Ich bin stolz darauf, heute in Ihre Stadt in der Gesellschaft eines amerikanischen Mitbürgers gekommen zu sein. General Clay, der hier tätig war in der Zeit der schwersten Krise, durch die diese Stadt gegangen ist, und der wieder nach Berlin kommen wird, wenn es notwendig werden sollte. 1. Die Minimalen textgrammatischen Einheiten (MTE) des Textes sind: MTE 1 Meine Berliner und Berlinerinnen! MTE 2 Ich bin stolz, heute in Ihre Stadt zu kommen als Gast Ihres hervorragenden Regierenden Bürgermeisters, der in allen Teilen der Welt als Symbol für den Kampf und Widerstandsgeist West-Berlins gilt. MTE 3 Ich bin stolz, auf dieser Reise die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit Ihrem hervorragenden Herrn Bundeskanzler besucht zu haben, der während so langer Jahre Lösungsvorschläge zu den Fragen und Aufgaben 81 narr-starter.de <?page no="83"?> die Politik bestimmt hat nach den Richtlinien der Demokratie, der Freiheit und des Fortschritts. MTE 4 Ich bin stolz darauf, heute in Ihre Stadt in der Gesellschaft eines amerikanischen Mitbürgers gekommen zu sein. General Clay, der hier tätig war in der Zeit der schwersten Krise, durch die diese Stadt gegangen ist, und der wieder nach Berlin kommen wird, wenn es notwendig werden sollte. 2. Arten der Vernetzung im Text: a) Deiktische (personale, lokale, temporale) Koreferenz: Meine, Ich (dreimal), heute, Ihre, Ihres, Ihrem, hier b) Synonyme Koreferenz: Ihre Stadt - West-Berlin - Ihre Stadt - diese Stadt - Berlin c) Menge-Element-Referenz: West-Berlin - Bundesrepublik Deutschland - Berlin d) Kontiguität (Partialität): Berliner und Berlinerinnen - Stadt - Regierenden Bürgermeister e) Isosemie: ‚ zielgerichtete Fortbewegung ‘ (kommen, besucht haben, gekommen zu sein, gegangen ist, kommen wird); ‚ hochgestimmt ‘ (stolz [dreimal], hervorragend); ‚ politisch handelnd ‘ (Regierenden Bürgermeisters, Bundeskanzler, Politik bestimmt hat, amerikanischer Mitbürger General Clay) f) Handlungskonstanz durch Einstellungsäußerungen (Ausdruck von Gefühl) g) Strukturrekurrenz: MTE 2 - 4 beginnen mit der gleichen syntaktischen Struktur Ich bin stolz (auf . . .) 3. Im Text fehlen Konnektoren, weil Konnektoren den rhetorischen Aufbau, in dem jede MTE dreimal mit der Anapher Ich bin stolz . . . beginnt, stören würden. Der Beginn der Kennedy-Rede ist ein sehr verdichteter Text. Konnektoren, vor allem der Konnektor und, sind ein Anhang 82 narr-starter.de <?page no="84"?> Zeichen der Narration und nicht einer Rede, die vor einer angespannten Zuhörerschaft gehalten wurde. ___Kapitel 7 In der Wiener Staatsoper ist es alte Gepflogenheit, dass die Musiker den Lauf mitsummen, mit dem das Orchester den Auftritt der Annina im Schlussakt des „ Rosenkavalier “ begleitet. Als 1960 bei den Salzburger Festspielen der „ Rosenkavalier “ unter Karajan neu einstudiert wurde, summten die Wiener Philharmoniker bei der Premiere Anninas Begleitung wie gewohnt mit. Vor einer der folgenden Aufführungen jedoch verabredeten sich die Musiker in Ferienstimmung - die Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen ist die „ Ferienarbeit “ der Wiener Philharmoniker - , dies eine Mal das Summen zu unterlassen. Karajan war derart verblüfft, dass er beinahe vergessen hätte weiter zu dirigieren. Nachdem Schluss der Vorstellung bat er die Philharmoniker: „ Aber meine Herren, so dürfen Sie mich nicht noch einmal verschrecken. “ 1. Eine Überschrift, die aus dem Thema oder direkt aus dem Text gewonnen wird, könnte lauten: Wiener Philharmoniker verschrecken Karajan bei Salzburger Festspielen. 2. Erläuternde Randnotizen: zu „ Rosenkavalier “ : „ Der Rosenkavalier “ , Oper von Richard Strauss, uraufgeführt 1911. - Zu Karajan: Herbert von Karajan (1908 - 1989), bedeutender österreichischer Dirigent. 3. Der Satz die Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen ist die „ Ferienarbeit “ der Wiener Philharmoniker ist kein Intratext, sondern eine Parenthese. Von einem Intratext könnte man reden, wenn innerhalb der Parenthese Lösungsvorschläge zu den Fragen und Aufgaben 83 narr-starter.de <?page no="85"?> weitere Sätze als MTE folgen würden, z. B. MTE 2 Die Wiener Philharmoniker setzen sich aus Mitgliedern des Wiener Staatsopernorchesters zusammen. MTE 3 Sie gelten als eines der führenden Orchester in der Welt. 4. Die Äußerung / das Zitat „ Aber meine Herren, so dürfen Sie mich nicht noch einmal verschrecken. “ ist ein Subtext, der aus zwei MTE besteht (MTE 1 aber meine Herren, MTE 2 so dürfen Sie mich nicht noch einmal verschrecken). Der Kleintext ist deswegen ein Subtext, weil er syntaktisch von dem Sprechaktverb bat abhängt bzw. die Inhaltsergänzung zum dreiwertigen Verb bitten abgibt. Anhang 84 narr-starter.de <?page no="86"?> Sachregister Adjektivgruppe 17, 27 Adverbgruppe 27, 54 Agens 18, 23 f., 28 f. Angaben s. Satzglied: A-Satzglied asyndetisch 35 Attribut 16 Bezugsausdruck 48 f. Deiktika, deiktische Sprachzeichen 53 - Ortsdeixis 53 - Personaldeixis 53 - Zeitdeixis 53 Ellipse 10 Ergänzungen s. Satzglied: E-Satzglied Ersetzung 12 Felderlehre 19 Finitum 17 f., 20, 30 f., 40 Großschreibung 10 ff., 34 hypotaktisch 42 infinite Verbform 41 Infinitivkonstruktion 40 ff. Inversionsregel 30 Isosemie 55 f., 58 f. Kategorialsymbole 15 Klammer I 16, 19 Klammer II 19, 30 Klassem 56, 58 Kohärenz 9, 13, 44, 47, 49, 51 f., 54, 57 Kommunikationssituationen 8 kommunikative Funktion 8 f., 44 Kongruenz I 16, 23 Kongruenz II 16, 23, 41 Konjunktion 35, 39 Konnektoren 46, 49, 57 Konstituenten 14 f. Kontiguität 54 f., 59 Koreferenz 51 f., 54 Menge-Element-Referenz 54, 59 Minimale textgrammatische Einheit (MTE) 46 Nebensatz-Klammer 38 Nominalgruppe 16, 18, 20 ff., 27 f. Objekt 23 f., 26, 36 Parallelismus 57 Paraphrase 11 parataktisch 34, 42, 61 Partialität 55 Partizipialkonstruktion 40 ff. Passiv 18, 24 Patiens 24, 28 f. narr-starter.de <?page no="87"?> Permutation 12 Prädikat 10, 13 f., 20 ff., 25 f., 28, 30 f., 40 - einfaches 17 - komplexes 17 Präpositionalgruppe 17, 22, 25, 27 ff. Pronominalgruppe 17, 27 Proposition 28, 30 Referenzkette 48 f., 52, 54 Referenzvereinigung 54 Referenzverkürzung 54 Relativpronomen 37 Renominalisierung 52 Satz 7, 10, 15, 20 ff., 40 - Attributsatz 36, 38 - einfacher 14, 29, 31, 45, 51 - Gesamtsatz 33 f. - Gliedsatz 36 - Hauptsatz 36 - komplexer 29, 33 f., 42 - Nebensatz 36 f., 39 - Relativsatz 37 f. - Teilsatz 33 f., 36, 39 satzähnliche Konstruktionen 10 Satzäquivalente 10 Satzbaupläne 24, 26, 31 Satzfelder 20 Satzgefüge 33 f., 39, 42, 45 Satzglieder 10, 12 ff., 19, 22, 26 - A-Satzglied 27 ff. - E-Satzglied 24, 26 ff., 30 f. Satzperiode 34, 39, 42 Satzreihe 33 ff., 39, 42, 61 Satzspitze 23, 30 Satzstruktur 11, 42 Segmentierung 11 Serialisierung 15 Setzung 10, 14, 20 f., 45 Sprachstruktur 7 Stemma 11 Subjekt 17, 23 ff., 28 Substitution 12 syndetisch 35 Syntax 10 Text 9 f., 21, 31, 47, 49 - einfacher 51 - Gesamttext 62 f. - Großtext 60 - Infratext 62 f., 67 - Intratext 62 - Kerntext 62 f., 66 - Kleintext 51, 60, 62, 67 - Kotext 10 - Minimaltext 45 - Paratext 62, 65, 67 - Posttext 10 - Prätext 10 - Subtext 63 - Supratext, Überschrift 62 f., 67 - Teiltext 60 f. Textarchitektur 60 ff., 68 Textaufbau 66 Textbausteine 44, 46, 49 Textbildung 10, 14 Textdesign 46, 52 f., 60, 65, 68 Textfunktion 64 Textkomposition 60, 64 Textmuster 60, 65, 67 ff. Sachregister 86 narr-starter.de <?page no="88"?> Textsorte, Textsorten 8, 13, 51, 53, 58, 60, 64 Thema 51, 58 f. Themenentfaltung 58 Topikalisierung 30 transitiv 24 Umstellung 12 Valenz 14, 22 f. Verbgruppe, Verbalgruppe 17 ff., 22 - heterogene 18 - homogene 18 Verbzusatz 18 f. Verkettung 11, 47 f., 52 Vernetzung 51, 58 Vernetzung sprachlicher Zeichen 10 Verweisausdruck 48 f., 52 Verweisrichtung, anaphorische 48 f. Verweisrichtung, kataphorische 48 f. Wort, Wörter 7, 9, 17 Wortart 15, 31 Wortgruppe 14, 16, 19, 23 f., 27, 30 Wortkette 11 Zentraler Textgegenstand 48, 58 Sachregister 87 narr-starter.de <?page no="98"?> ISBN 978-3-8233-8146-4 wichtige Punkte für einen erfolgreichen Start ins Thema für einen schnellen Einstieg ins Thema Grundbegriffe und wichtige Zusammenhänge schnell erfasst ideal für die Seminarvorbereitung in den ersten Semestern Der Band stellt das sprachwissenschaftliche Handwerkszeug bereit, um Texte zum besseren Verständnis zu analysieren. Er will aber auch zur Produktion von Texten anregen. Der Weg vom Satz zum Text führt über einen Einblick in den Bau der Sprache und über die Grammatik. Wichtige Stationen sind dabei die Wortgruppe, der komplexe Satz und die Einordnung von Texten in Textsorten. Schritt für Schritt bietet die verständliche Darstellung den Einstieg in die Textanalyse. www.narr-starter.de www.narr-studienbuecher.de www.narr.de Albrecht Greule Vom Satz zum Text Vom Satz zum Text zusammengefasst von Albrecht Greule