Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation
Eine empirische Untersuchung von Online-Diskussionen im universitären Landeskundeunterricht
0326
2018
978-3-8233-9207-1
978-3-8233-8207-2
Gunter Narr Verlag
Christine Becker
Viele Studien belegen den Nutzen von asynchroner computervermittelter Kommunikation für das Fremdsprachenlernen. Ein Teilbereich des Fremdsprachenunterrichts, die Landeskunde, wurde jedoch bislang kaum berücksichtigt. Diese Studie nimmt daher das landeskundliche Lernen in den Blick und untersucht anhand von Daten aus einem kulturwissenschaftlich orientierten universitären Seminar zur DaF-Landeskunde, welches Potenzial, aber auch welche Probleme Forumsdiskussionen für kulturbezogenes Lernen bergen. Die Analyse zeigt dabei unter anderem welche Aufgabenformate im untersuchten Setting fruchtbar sind und bietet so Impulse für den sinnvollen Einsatz von Forumsdiskussionen im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen.
Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik ISBN 978-3-8233-8207-2 Becker Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation Christine Becker Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation Eine empirische Untersuchung von Online- Diskussionen im universitären Landeskundeunterricht Viele Studien belegen den Nutzen von asynchroner computervermittelter Kommunikation für das Fremdsprachenlernen. Ein Teilbereich des Fremdsprachenunterrichts, die Landeskunde, wurde jedoch bislang kaum berücksichtigt. Diese Studie nimmt daher das landeskundliche Lernen in den Blick und untersucht anhand von Daten aus einem kulturwissenschaftlich orientierten universitären Seminar zur DaF-Landeskunde, welches Potenzial und welche Probleme Forumsdiskussionen für kulturbezogenes Lernen bergen. Die Analyse zeigt dabei unter anderem, welche Aufgabenformate im untersuchten Setting fruchtbar sind, und bietet so Impulse für den sinnvollen Einsatz von Forumsdiskussionen im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen. Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation Giessener BeiträGe zur FremdsPrachendidaktik Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho Christine Becker Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG · Dischingerweg 5 D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233- 9 207- 1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 9 1 11 2 15 2.1 15 2.1.1 19 2.1.2 25 2.1.3 37 2.1.4 40 2.1.5 45 2.2 47 2.2.1 47 2.2.2 52 2.2.3 73 2.3 74 2.4 79 2.5 83 3 85 3.1 85 3.1.1 87 3.2 88 3.2.1 88 3.2.2 91 3.2.3 92 3.2.4 99 3.2.5 101 Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien . . . . . . . . . . . . . . . Blended Learning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben für CMC-Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolle der Lehrenden in CMC-Szenarien . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturbezogenes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landeskunde: Geschichte, Begriffe und Probleme . . . . Kulturwissenschaftlich orientierte Landeskunde . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integrierter Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht . . . . . . . . . . Epistemisches Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm . . . . . . . . . . . . Das Fach Deutsch an der Universität Stockholm . . . . . . . . . . . Sprachliche Voraussetzungen der Studierenden . . . . . . Das Landeskundeseminar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehr- und Lernziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technische Medienkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integration von Fremdsprachen- und Fachunterricht . Blended Learning und asynchrone computervermittelte Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . 4 106 4.1 106 4.2 107 4.2.1 109 4.2.2 111 4.2.3 115 4.2.4 117 4.3 119 4.3.1 119 4.3.2 124 4.3.3 127 4.3.4 135 5 139 5.1 140 5.2 144 5.3 147 5.4 153 5.5 156 5.6 160 5.7 162 5.8 170 5.8.1 174 5.8.2 175 5.8.3 177 5.9 190 5.10 195 6 197 6.1 197 6.2 206 6.2.1 208 6.2.2 214 6.3 218 6.3.1 219 Forschungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gütekriterien qualitativer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . Lehrende als forschende Subjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturgebundenheit des forschenden Subjekts . . . . . . . Generalisierbarkeit der Forschungsergebnisse . . . . . . . Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden der Datenerhebung und -aufbereitung . . . . Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen . . . . . . . . . . . Verfahren der Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Forschungsdesign aus forschungsethischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen . . Beschreibung der Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzahl und Länge der Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bearbeitungszeiten und Bedeutung der zeitlichen Vorgaben . Zeitlicher Abstand zwischen den Beiträgen . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliches Niveau und Wahl der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . Verwendung von Hyperlinks und Emoticons . . . . . . . . . . . . . . Einflussfaktoren in der Aufgabenbearbeitung . . . . . . . . . . . . . Interaktion zwischen den Studierenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfluss der Lehrperson auf die Interaktion . . . . . . . . . Beitragslänge und sprachliche Besonderheiten . . . . . . . Interaktion initiierende Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehrerrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolle der Studierenden mit Deutsch als L1 . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturbezogenes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben und Modi ihrer Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit Sachfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachteile von Sachfragen in asynchronen Online-Diskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffs- und Deutungsreflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffsreflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 6.3.2 225 6.3.3 228 6.4 235 6.4.1 239 6.4.2 244 6.5 247 6.5.1 250 6.5.2 255 6.5.3 259 6.5.4 263 6.6 269 6.6.1 274 6.6.2 278 6.6.3 287 7 291 7.1 291 7.2 296 307 331 343 344 345 Deutungsreflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Potenziale von asynchronen Online-Diskussionen für Begriffs- und Deutungsreflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenwartsbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von den Studierenden selbständig angebrachte Gegenwartsbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Potenzial von Gegenwartsbezügen für landeskundliches Lernen in asynchronen Online-Diskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Perspektivenübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit Aufforderungen zu diachronen Perspektivenübernahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten der Perspektivenübernahmen: Apologetische Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreative diachrone Perspektivenübernahmen . . . . . . . . Potenziale und Probleme von diachronen Perspektivenübernahmen für kulturbezogenes Lernen in asynchronen Online-Diskussionen . . . . . . . . . . . . . . . Narrative Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl narrativer Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten der erzählten Inhalte: Erinnerungen aus dem Familiengedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Potenzial und Probleme narrativer Zugänge in asynchronen Online-Diskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick . . . . . . . . . . Einflussfaktoren auf die asynchronen Online-Diskussionen . Potenziale und Probleme der Aufgabenbearbeitungsmodi . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt Dank Diese Arbeit ist als Dissertation an der Universität Stockholm und an der Justus-Liebig-Universität Gießen entstanden. Mein Dank gilt meinen Betreuern in Stockholm und Gießen: Prof. Dr. Elisabeth Wåghäll Nivre, die nicht nur in wissenschaftlichen Fragen eine exzellente Ansprechpartnerin ist, und Prof. Dr. Dietmar Rösler: Vielen Dank für die sehr inspirierende und engagierte Be‐ treuung! Ich danke ebenso Dr. Frank Thomas Grub für die sehr wertvolle Be‐ treuung vor allem in der Schlussphase. Ohne die Teilnahme von vielen Studierenden an meiner Studie wäre diese niemals zustande gekommen. Ihnen sei an dieser Stelle ganz besonders gedankt! Darüber hinaus möchte ich mich bei Jun.-Prof. Dr. Katrin Biebighäuser für die hervorragende Begutachtung meines Manuskriptes im Rahmen des Schluss‐ seminars bedanken. Verschiedene schwedische Stiftungen haben mir während meiner Doktoran‐ denzeit wichtige Konferenzreisen und die Anschaffung von Literatur ermög‐ licht: Helge Ax: son Johnson Stiftelse, Sven och Dagmar Saléns Stiftelse und K & A Wallenbergs Stiftelse. Der Universität Stockholm danke ich für das Stock‐ holms universitets donationsstipendium. Ich danke auch den Mitgliedern der Sektion 8 des Gießener Graduierten‐ zentrum Kulturwissenschaften für die freundliche und kollegiale Aufnahme in ihren Kreis. Allen meinen Stockholmer Kollegen und Kolleginnen am Institut für Slawi‐ sche und Baltische Sprachen, Finnisch, Niederländisch und Deutsch danke ich für die freundliche und offene Arbeitsatmosphäre. Ich danke Dr. Anna Callen‐ holm für die Freundschaft und dafür, dass sie mir in der Schlussphase vollständig den Rücken frei gehalten hat. Bei den Teilnehmerinnen des Germanistischen Kolloquiums möchte ich mich für das Interesse und das kontinuierliche Feed‐ back bedanken. Mein besonderer Dank geht hier an Dr. Susanne Tienken, Dr. Charlotta Seiler Brylla und Prof. Dr. Elisabeth Herrmann. Dr. Beate Schirr‐ macher danke ich für das Interesse an dieser Arbeit und die vielen wertvollen Gespräche und Kommentare. Mein Dank gilt Judith Anastasiu und Torun Gille West für die Hilfe bei allen administrativen Belangen, Dr. Barbro Landén für ihre Unterstützung und ihr Vertrauen in den letzten zehn Jahren. Dr. Kerstin Lundström, Sara Eriksson, Dr. Annika Johansson und Dr. Sara Van Meerbergen haben meinen Arbeitsalltag sehr bereichert. Ich bedanke mich zudem auch bei Dr. Camilla Amft, Julia Bau‐ mann, Alice Duhan, Andrea Eppert, Dr. Caroline Merkel, Henrike Messer, Chris‐ tine Schlagmann und Dr. Karolin Viseneber für das genaue Korrekturlesen des Schlussmanuskripts. Eventuelle Fehler gehen auf meine Kappe! Mein größter Dank aber gilt meinen Eltern und Jens. Ihnen - und Jonathan - ist diese Arbeit gewidmet. 10 Dank 1 Einleitung Digitale Medien haben heute einen immensen Einfluss auf alle Bereiche des privaten, beruflichen und schulischen Alltags und werden auch herangezogen, um das Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu unterstützen. Die Fremd‐ sprachendidaktik erforscht daher, welchen didaktisch sinnvollen Beitrag digi‐ tale Medien für Sprachlehr- und -lernprozesse leisten können. Ein Teil dieser Forschungsbeiträge nimmt den Nutzen für den Erwerb sprachlicher Fertigkeiten in den Blick und fragt beispielsweise, welche Rolle didaktisierte Chaträume für die Entwicklung der Sprechfertigkeit spielen. Das Potenzial für landeskundli‐ ches Lernen wurde bislang in erster Linie im Rahmen von interkultureller Te‐ lekollaboration untersucht, wobei E-Mail und Online-Diskussionsforen den Austausch zwischen Fremdsprachenlernern und L1-Sprechern oft erst ermög‐ lichen. Landeskundliches Lernen wird in diesem Zusammenhang häufig als in‐ terkulturelles Lernen verstanden, das mit Zielen wie Fremdverstehen und in‐ terkultureller Kommunikationsfähigkeit verbunden ist. Ein Desiderat stellt die Auseinandersetzung mit dem Potenzial digitaler Me‐ dien für kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht dar. Seitdem der cultural turn, d. h. die Hinwendung der Geistes- und Sozialwissen‐ schaften zu einem semiotisch und konstruktivistisch geprägten Kulturbegriff, auch die Fremdsprachendidaktik erreicht hat, sind einige kulturwissenschaftlich orientierte Ansätze entstanden, deren gemeinsamer Nenner ist, dass sie auf die Vermittlung von Kultur im Sinne geteilter Wissensbestände abzielen (vgl. vor allem Altmayer 2004). So ist festzustellen, dass aufgrund der Orientierung der Fremdsprachendidaktik an den Kulturwissenschaften eine Trendwende im Hin‐ blick auf die wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde stattgefunden hat: Für die Unterrichtspraxis liegt eine Reihe von konzeptuellen Arbeiten vor, die an kulturwissenschaftliche Fragestellungen und Ergebnisse anknüpfen und die Frage nach ‚sinnvollen‘ Unterrichtsinhalten vor allem mit einem Rückgriff auf erinnerungs- und gedächtniswissenschaftliche Forschung zu beantworten ver‐ suchen. Mit Recht wird argumentiert, dass das kulturelle Gedächtnis einen Zu‐ gang zu sozial geteiltem Wissen darstellt (vgl. Bärenfänger 2008, 49). Zugleich mangelt es aber an empirisch gesicherten Erkenntnissen über landeskundliche 1 Die Adjektive ,landeskundlich‘ und ,kulturbezogen‘ werden in dieser Arbeit synonym verwendet, vgl. Kapitel 2.2.1. bzw. kulturbezogene 1 Lehr- und Lernprozesse; diese sind jedoch unerlässlich, um die Praxis des Landeskundeunterrichts optimieren zu können. Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zu einem besseren Verständnis landeskundlicher Lehr- und Lernprozesse und untersucht zum einen die Rolle von konkreten Kontextfaktoren, indem gefragt wird, welches Potenzial asyn‐ chrone computervermittelte Kommunikation für landeskundliches Lernen be‐ sitzt. Diese Arbeit ist somit an der Schnittstelle der Forschungsbereiche Lan‐ deskundedidaktik und Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien verortet. Während die Frage, warum der Einsatz von asynchroner computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht sinnvoll ist, dank einer aktiven Forschungstätigkeit relativ univok beantwortet werden kann, liegen im Bereich der Landeskundedidaktik erst in jüngster Zeit Forschungsergebnisse vor, an die mit dieser Arbeit angeknüpft werden soll. Indem diese Arbeit auf den Einfluss des Mediums und die konkreten Unterrichtsbedingungen fokussiert, soll auf‐ gezeigt werden, wie Landeskundeunterricht gestaltet werden kann, um kultur‐ bezogene Lernprozesse zu initiieren. Zum anderen wird untersucht, inwiefern bestimmte Aufgabenstellungen zu gewissen Strategien der Aufgabenbearbei‐ tung führen können und wie diese im Hinblick auf das landeskundliche Lernen einzuschätzen sind. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise, in Anknüp‐ fung an gedächtniswissenschaftliche und geschichtsdidaktische Forschung, die Frage aufgeworfen, welche Rolle das (Weiter-)Erzählen von Erinnerungen für landeskundliches Lernen spielt und welche Funktion kreatives Schreiben über‐ nehmen kann. Untersucht werden dazu asynchrone Online-Diskussionen, die Teil eines Blended-Learning-Seminars zur Landeskunde der deutschsprachigen Länder sind und in denen die Studierenden sich mit geteilten Wissenbeständen ausei‐ nandersetzen. Dies geschieht in den meisten Fällen in der Beschäftigung mit zeitgeschichtlichen Themen, da mit ihrer Hilfe die Genese geteilter Wissensbe‐ stände aufgezeigt werden kann. Das hier untersuchte Seminar ist Teil des Ger‐ manistik-Studiums an der Universität Stockholm; aus den Sommersemestern 2013 und 2014 stammen die Produktdaten der Online-Diskussionen, die quali‐ tativ und partiell auch quantitativ ausgewertet wurden. Zudem wurden mit einem Teil der Studierenden semistrukturierte Leitfadeninterviews zu ihren Er‐ fahrungen mit den Online-Diskussionen durchgeführt. Mit Hilfe der Interviews konnten die Ergebnisse der Produktdatenanalyse trianguliert werden. Auch von den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern ausgefüllte Hintergrundfrage‐ 12 1 Einleitung bogen, Prozessdaten, die mit Hilfe der verwendeten Lernplattform gewonnen wurden, sowie anonyme Kursevaluationen wurden, sofern sinnvoll, mit in die Analyse einbezogen. Es handelt sich bei dem untersuchten Unterricht also um universitären Lan‐ deskundeunterricht, wie er im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen häufig zu finden ist und in dem Fremdsprachenunterricht mit der Vermittlung von Fachinhalten verbunden wird. Anders als der schulische integrierte Fremd‐ sprachen-Sachfach-Unterricht stellt die universitäre Lehre noch kein etabliertes Forschungsgebiet dar. In diesem Kontext können die in dieser Arbeit vorge‐ legten Forschungsergebnisse Impulse für die Unterrichtspraxis in Fremdspra‐ chenstudiengängen geben. In dem auf diese Einleitung folgenden Kapitel 2 wird der theoretische Hin‐ tergrund skizziert; das Unterkapitel zu Fremdsprachenlernen mit digitalen Me‐ dien (2.1) ist, nach einleitenden Kapiteln zu Blended Learning und computer‐ vermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht, dem Potenzial von asynchroner computervermittelter Kommunikation gewidmet. Dabei wird zwi‐ schen einer allgemeindidaktischen und einer fachdidaktischen Perspektive un‐ terschieden. So wird asynchrone computervermittelte Kommunikation bei‐ spielsweise allgemein dann eingesetzt, wenn die Lerner mehr Zeit für Reflexion bekommen sollen, was für den Fremdsprachenunterricht bedeutet, dass die Bei‐ träge der Lerner vor allem sprachlich besser ausgearbeitet werden können bzw. für den Landeskundeunterricht, dass auch inhaltlich mehr Reflexion stattfinden kann. Zwei Komponenten, die Unterricht maßgeblich beeinflussen (und zwar un‐ abhängig davon, ob er im Präsenz- oder Online-Modus stattfindet), rücken so‐ dann in das Blickfeld: Lernaufgaben und die Rolle der Lehrenden. Der Fokus liegt hier auf der Frage, welche Besonderheiten sich für diese beiden Einfluss‐ faktoren im Kontext asynchroner computervermittelter Diskussionen fest‐ stellen lassen. Insgesamt werden die theoretischen Ausführungen, sofern sie sich in der Analyse als besonders relevant zeigen, in den Kapiteln der Daten‐ auswertung (Kapitel 5 und 6) näher erläutert. Das Unterkapitel zu landeskundlichem Lernen (Kapitel 2.2) skizziert die Ge‐ schichte sowie den aktuellen Stand der Landeskundedidaktik und führt in die kulturwissenschaftlichen Landeskundeansätze ein, an die mit dem hier unter‐ suchten Unterricht angeknüpft wird. Auf diese Kapitel zu den theoretischen Hintergründen folgen zwei kürzere theoretische Kapitel, deren Inhalte für die Datenanalysen relevant sind: Ka‐ pitel 2.3 behandelt das Thema integrierter Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht und zeigt auf, in welcher Situation sich der universitäre Fachunterricht befindet, 13 1 Einleitung der im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen stattfindet. Kapitel 2.4 ist der epistemischen Funktion des Schreibens gewidmet; da die Studierenden ihre Beiträge in der asynchronen Online-Diskussion verschriftlichen, ist davon aus‐ zugehen, dass dies einen Einfluss auf das Lernpotenzial der Diskussionen hat. In Kapitel 3 der Arbeit wird der spezifische Untersuchungskontext zusam‐ mengefasst, d. h. auf das Fach Germanistik an der Universität Stockholm einge‐ gangen, sowie die Didaktik des Landeskundeunterrichts erläutert und somit an Kapitel 2.2 angeknüpft. Daran schließt in Kapitel 4 die Präsentation der Forschungsmethode an: Nach einigen Vorüberlegungen zu Erkenntnisinteresse und Forschungsverständnis wird das Forschungsdesign beschrieben, d. h. die Methoden der Datenerhebung und -auswertung. Die Methode der Datenauswertung folgt hauptsächlich der qualitativen Inhaltsanalyse. Abgeschlossen wird das Kapitel mit Reflexionen über das Forschungsdesign aus forschungsethischer Perspektive. Es folgt der Teil der Arbeit, in dem die Analyseergebnisse präsentiert werden: Zunächst werden in Kapitel 5 die Ergebnisse der Detailanalyse einer Online-Dis‐ kussion zusammengefasst; Ziel ist es, Faktoren zu identifizieren, die das Ge‐ schehen während einer asynchronen Online-Diskussion beeinflussen, sowie Merkmale der Diskussionen zu beschreiben. Die Erkenntnisse stellen die Grund‐ lage für die weitere Datenanalyse dar, denn das Potenzial asynchroner compu‐ tervermittelter Diskussion für landeskundliches Lernen kann in seiner Kom‐ plexität nur beschrieben werden, wenn Aspekte wie beispielsweise Zeitpunkte der Bearbeitung, Beitragslänge, studentische Interaktion, Lehrerrolle und die Rolle von Studierenden mit Deutsch als L1 berücksichtigt werden. Zudem zeigen diese ausgewählten Einflussfaktoren, wie Lernprozesse initiiert werden können. In Kapitel 6 wird schließlich das Lernpotenzial der Diskussionen für kultur‐ bezogenes Lernen herausgearbeitet. Ausgangspunkt der Analyse sind die im Diskussionsforum gestellten Aufgaben und die Vorgehensweisen der Studier‐ enden bei der Aufgabenbearbeitung. So kann aufgezeigt werden, dass die Stu‐ dierenden verschiedene Modi der Aufgabenbearbeitung wählen, beispielsweise das Zusammenfassen von Sachwissen oder das Erzählen von persönlichen Er‐ lebnissen. Eine Auswahl der identifizierten Modi (Zusammenfassung von Sach‐ wissen, Gegenwartsbezüge, Begriffs- und Deutungsreflexionen, Perspektiven‐ übernahme und narrative Zugänge) wird ab Kapitel 6.2 im Hinblick auf Vor- und Nachteile für landeskundliches Lernen hin untersucht. In Kapitel 7 werden die Ergebnisse und Implikationen für die Gestaltung der Unterrichtspraxis zusam‐ mengefasst. 14 1 Einleitung 1 Siehe zur Auseinandersetzung mit dem Begriff des Mediums im Kontext des Fremd‐ sprachenunterrichts: Rösler 2010b, 1199 f. Er stellt fest, dass dieser nicht „aus einer lin‐ guistischen, medienwissenschaftlichen, semiotischen oder kommunikationswissen‐ schaftlichen Perspektive abgeleitet werden“ könne: „Ein fremdsprachendidaktisches Medienverständnis hat als Ausgangspunkt die Idee von Medien als Mittlern, die dafür sorgen, dass Wissen und Fertigkeiten erworben werden. […] Medien sind sowohl Transporteure von Informationen als auch Vehikel der Kommunikation.“ 2 Die Begrifflichkeiten im Bereich Lernen mit digitalen Medien sind alles andere als ein‐ heitlich und nicht klar einzugrenzen. Siehe zu einem Überblick: Rösler 2010a, Kapitel 1. Im Folgenden wird E-Learning in einem umfassenden Sinne als das Lernen und Lehren mit digitalem Material oder unter Verwendung digitaler Kommunikationskanäle ver‐ standen (vgl. Rösler 2010a, 8). 3 Rösler zählt noch die Kooperation hinzu, wobei diese m. E. in die Kategorie Kommuni‐ kation fällt, da Letztere eine Voraussetzung für Kooperation ist, so dass hier zunächst davon abgesehen werden kann. 4 Zu einer (nicht mehr ganz aktuellen) kritischen Zwischenbilanz von Deutsch als Fremd‐ sprache mit digitalen Medien siehe Rösler 2008. 2 Theoretischer Hintergrund 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien Seit dem Aufkommen der digitalen Medien 1 werden diese auch für das Fremd‐ sprachenlernen genutzt, wobei zunächst grob zwischen folgenden Verwen‐ dungsformen von digitalen Medien bzw. E-Learning 2 im Fremdsprachenunter‐ richt unterschieden werden kann: der „Verteilung (Distribution) von Lernmaterial, [und der] Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden sowie zwischen Lernenden bzw. Lehrenden untereinander“ (Rösler 2010a, 9) 3 . Beide Verwendungsformen sind derzeit für das Fremdsprachenlernen gleicher‐ maßen relevant und es lässt sich folgender Trend beschreiben: Während auf der einen Seite eine „Tendenz zur weitgehenden Individualisierung des Lernens“ festzustellen ist, da Lerner durch digitale Medien z. B. die Möglichkeit haben, individuelle Lernpfade zu beschreiten, kann zudem eine „weitere Verbreitung kooperativen Lernens“ beobachtet werden (Rösler 2010b, 1210), das z. B. durch asynchrone computervermittelte Kommunikation ermöglicht wird. Als Beispiele für die Verwendung digitaler Medien für das Fremdsprachen‐ lernen 4 lassen sich erst einmal das Bearbeiten von automatisch korrigierten Lü‐ ckentexten auf zu Lehrbüchern gehörenden CD - ROM s oder einschlägigen In‐ ternetseiten sowie das Üben von Vokabeln und grammatischen Strukturen auf 5 Siehe zum sogenannten mobilen Lernen (auch M-Learning) mit mobilen Endgeräten u. a. Falk 2015, zum Fremdsprachenlernen mit Apps Biebighäuser 2015. 6 Die zu Beginn stattfindende „Hotpotatisierung der digitalen Übungswelt“, die einen „Rückschritt hinter die Vielfalt bereits vorhandener Übungsformate“ bedeutete, wird anschaulich beschrieben in Rösler 2010b, 1206. 7 Eine ausführliche Beschreibung der App Duolingo findet sich in Falk / Götz 2016. 8 Im Deutschen auch CvK = computervermittelte Kommunikation. 9 Diese differenzieren die eingangs erwähnten Verwendungsformen von digitalen Me‐ dien im Fremdsprachenunterricht nach Rösler 2010a, 9. 10 Für eine Diskussion des Begriffs der Authentizität im Fremdsprachenunterricht siehe van Lier 1996, 123-147. Siehe auch Lamy / Goodfellow 2010, 118, Biebighäuser / Zibe‐ lius / Schmidt 2012, 20, sowie Rösler 2012b, auch wenn dort ‚Authentizität‘ nicht ge‐ nannt wird. Smartphones 5 nennen, wobei diese Einsatzmöglichkeiten meist unter die Kate‐ gorie CALL fallen. CALL steht für Computer-Assisted Language Learning und prägte vor allem die Anfangsjahre von computergestütztem Fremdsprachen‐ lernen. 6 Seitdem vielen Fremdsprachenlernern auch mobile Endgeräte zur Ver‐ fügung stehen, könnte man jedoch von einem Revival von CALL sprechen: Apps wie Duolingo werden für das Selbstlernen angeboten und haben den instrukti‐ onalen Charakter, der typischerweise mit CALL verbunden wird. 7 Zum kooperativen Arbeiten mit digitalen Medien gehören u. a. das gemein‐ same Verfassen von Texten, das Erstellen von Podcasts oder Filmen, oder das, was unter computervermittelter Kommunikation ( CMC : Computer-Mediated Communication) 8 verstanden wird, wie das Diskutieren von Kurzgeschichten im didaktischen Chatraum, der interkulturelle Austausch in virtuellen Welten, im Chat oder durch die App WhatsApp, oder eben auch die Auseinandersetzung mit landeskundlichen Themen in Online-Foren. Entsprechend des Bewusstseins, dass „[d]er Einsatz von digitalen Medien nur dann sinnvoll [ist], wenn er sinnvoll ist“ (Rösler 2006a, 69), versucht die fremd‐ sprachendidaktische Forschung Klarheit in die Frage zu bringen, welchen Sinn bzw. Mehrwert digitale Medien für das Fremdsprachenlernen haben. Reinmann (2005, 76-78) erörtert ausgehend von Hauptfunktionen 9 das Potenzial digitaler Medien für Lernumgebungen im Allgemeinen, die im Folgenden auf das Fremd‐ sprachenlernen zugeschnitten werden sollen (vgl. Biebighäuser 2014, 98), mit besonderem Fokus auf das Potenzial für landeskundliches Lernen: Distribution, Repräsentation und Exploration: Distribution meint die „zeit- und ortsunabhängige Verfügbarkeit von Informationen und Materialien“ (ebd., 98), dank derer Lernende und Unterrichtende Zugang haben zu z. B. Zusatzmateri‐ alien zu Lehrwerken auf den Seiten der Verlage und zu unter Umständen tages‐ aktuellen authentischen 10 Materialien aus der fremdsprachigen Lebenswelt. Dass digitale Medien hier nicht nur ein Potenzial besitzen, sondern es auch 16 2 Theoretischer Hintergrund 11 Zu „Chancen und Risiken der Arbeit mit authentischen Materialien“ siehe auch Rösler 2010b, 1207 f. 12 Der Begriff des interkulturellen Lernens wird in Kapitel 2.2.1 problematisiert. problematisch sein kann, wenn Lernende beispielsweise im Rahmen von eigen‐ ständigen Recherchen landeskundliche Informationen googeln, zeigt anekdo‐ tisch das kleine Experiment von Koreik, der im Suchfenster der Google-Bilder‐ suche „deutsche Jugend“ eingibt: 11 Von den ersten zehn Einträgen […] stammten vier aus der NS-Zeit, drei waren der Neonazi-Szene zuzuordnen, einer zeigte ein Plattencover der FDJ […], in einem Fall wurde eine Karikatur gezeigt, auf der als Ausländer skizzierte Jugendliche vor der Schule offensichtlich einen deutschen Schüler verprügeln […]. (Koreik 2011, 597) Eine weitere Hauptfunktion digitaler Medien ist die Repräsentation, d. h. die Möglichkeit, „Informationen in verschiedenen Symbolsystemen darzustellen, Text, Bild und Animation zu kombinieren“ (Reinmann 2005, 76); jedes Symbol‐ system schult dabei die entsprechende rezeptive Fähigkeit. Durch die multime‐ diale Präsentation von Lerngegenständen können verschiedene Lernertypen angesprochen werden und durch die Kombination Synergieeffekte erzielt werden. Die mehrkanälige Repräsentation ist zudem heutzutage die authenti‐ sche Form der Informationsvermittlung, so dass ein handlungsorientierter Sprachunterricht als sinnvoll betrachtet werden kann, wenn er „Sprache und Kultur in der Vielfalt ihrer natürlichen vorkommenden Medien“ (Roche 2010, 1244) vermittelt. Zugleich können Lernende durch digitale Medien die Produkte ihrer Arbeit in verschiedenen Symbolsystemen präsentieren, z. B. als Podcasts, Filme oder Blogs, wie im landeskundlichen Blog der Göteborger Deutsch-Stu‐ denten (vgl. Havermeier / Junker 2013). Die Funktion der Exploration benennt die Möglichkeit der Interaktion des Lerners mit dem Material, z. B. im Rahmen von interaktiven Selbstlernmateria‐ lien, Planspielen oder Simulationen, was schon darauf hinweist, dass dem Faktor der Interaktivität eine wichtige Rolle beim Lernen mit digitalen Medien zu‐ kommt (vgl. Zeyer / Stuhlmann / Jones 2016) und zu den anderen beiden Haupt‐ funktionen Kommunikation und Kollaboration überleitet, die in dieser Arbeit im Zentrum stehen: Digitale Medien ermöglichen die (computervermittelte) Kommunikation zwi‐ schen Lehrenden und Lernenden oder Lernenden untereinander, wobei diese asynchron, d. h. zeitversetzt, oder synchron, d. h. (nahezu) zeitgleich, stattfinden kann, sowie mündlich oder schriftlich. So besteht beispielsweise die Möglich‐ keit, E-Mail-Klassenpartnerschaften zu pflegen und so das interkulturelle Lernen 12 zu fördern (vgl. besonders O’Dowd 2007) oder mit L1-Sprechern in 17 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien Kontakt zu treten und die Fremdsprache in authentischen Situationen zu ver‐ wenden. Nach Rösler (2010a, 50f) liegt das Hauptpotenzial des asynchronen Modus somit darin, dass - rein praktisch - bei raumüberschreitenden Projekten verschiedene Zeitzonen keine Rolle mehr spielen und dass die Lernenden mehr Zeit zur Reflexion haben. Synchrones Arbeiten hingegen erlaubt es, dass man z. B. in einer Videokonferenz direkt miteinander redet. Funktionierende Kom‐ munikation ist zudem die Voraussetzung für Kollaboration, das gemeinsame Ar‐ beiten mehrerer Lernender, indem sie beispielweise in virtuellen Welten kolla‐ borativ landeskundliche Aufgaben bearbeiten (vgl. Biebighäuser 2014). Die fünf Hauptfunktionen digitaler Medien sind jedoch nur aus analytischen Gründen voneinander getrennt; werden digitale Medien in den Fremdsprachen‐ unterricht integriert, sind je nach Unterrichtsphase oder Aufgabensequenz alle oder mehrere Funktionen unterschiedlich gewichtet. In dem im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Unterricht beispielsweise steht die Kommunikation zwi‐ schen Studierenden im Mittelpunkt, wobei dadurch, dass die Diskussion auf der Lernplattform gespeichert wird, die Funktion der zeit- und ortsunabhängigen Distribution eine wesentliche Rolle für das Lernpotenzial spielt, ebenso wie die Studierenden oftmals vor dem Verfassen ihrer Beiträge selbständig Recherchen anstellen. Ausgangspunkt der Diskussionen sind darüber hinaus in verschie‐ denen Symbolsystemen repräsentierte Informationen, vor allem Texte, Videos und Fotografien. Diese knappe Darstellung der verschiedenen Hauptfunktionen digitaler Me‐ dien zeigt, dass es eine große Bandbreite an verschiedenen Einsatzmöglichkeiten für das Fremdsprachenlernen gibt. Im Folgenden steht das gesteuerte Fremd‐ sprachenlernen im Fokus. Digitale Medien können in diesem Zusammenhang nicht nur in Selbstlern- oder Kooperationsphasen des Unterrichts integriert werden, sondern gesamte Lehrveranstaltungen modifizieren. Dies ist beispiels‐ weise der Fall, wenn alle zwei Wochen stattfindender Präsenzunterricht mit da‐ zwischenliegenden Online-Phasen kombiniert wird, in denen die Lernenden al‐ lein oder in Kooperation Aufgaben bearbeiten. Dabei sind Integration und Modifikation als Enden eines Kontinuums zu verstehen, wobei vollvirtuelle On‐ line-Kurse, die ohne physischen Kontakt aller Beteiligten ablaufen, am einen Ende des Kontinuums zu verorten sind. Während solche Distanzlernangebote (vgl. Platten 2010, 1192f) für gewisse Kontexte durchaus sinnvoll sind, zeigt sich jedoch nach einer anfänglichen Be‐ geisterung um vollvirtuelle Lernangebote, dass das Konzept des Blended Learn‐ ing als relevanter angesehen wird: Blended Learning „ist aus der Einsicht er‐ wachsen, dass die traditionellen Lehr-/ Lernformen mit ihren bekannten 18 2 Theoretischer Hintergrund 13 Im angloamerikanischen Raum auch: Distributed Learning, Integrated Learning, Fle‐ xible Learning, Hybrid Teaching (vgl. Reinmann 2005, 103). Reinmann weist darauf hin, dass „hybrides Lernen das am häufigsten anzutreffende Synonym für Blended Learning im deutschen Sprachraum“ ist (ebd.). Schwächen und Engpässen sich eben doch nicht so ohne Weiteres durch eLearn‐ ing-Maßnahmen ersetzen lassen“ (Kohn 2006, 286). Da das im Rahmen dieses Forschungsprojekts untersuchte Seminar im Blended-Learning-Modus stattfand und das Lernpotenzial von asynchronen Online-Diskussionen nur in diesem Kontext herauszuarbeiten ist, soll diese Lernform im nächsten Unterkapitel genauer diskutiert werden. 2.1.1 Blended Learning Blended Learning (auch: hybrides oder kombiniertes Lernen) 13 wird überwie‐ gend definiert als ein abnehmerorientierter Mix von verschiedenen didaktischen Methoden und Lern‐ formen […]. Durch eine möglichst optimale Kombination und ein ausgewogenes Ver‐ hältnis von Präsenzunterricht, Selbststudium und Lern- und Arbeitsphasen in virtu‐ ellen Arbeitsräumen soll ein erhöhter und nachhaltiger Lerneffekt erzielt werden. (Kranz / Lüking 2005, 1) Sowohl die Kombination aus Präsenzunterricht und Online-Komponente als auch die Gestaltung der jeweiligen Komponente kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen: Präsenzveranstaltungen können durch Online-Komponenten unter‐ stützt werden und umgekehrt, je nachdem, wie didaktische Überlegungen sowie der institutionelle Rahmen das Design der Lehrveranstaltung beeinflussen. Gleiches gilt für die konkrete Ausgestaltung der beiden Komponenten: Ob die Online-Komponente hauptsächlich eine Selbstlernphase im digitalen Raum ist oder durch Phasen der synchronen bzw. asynchronen Kommunikation geprägt ist, hängt vom Kontext ab. Ebenso ist die technische Ausgestaltung der On‐ line-Komponenten nicht festgelegt: Zum Einsatz können E-Mail-Programme, Skype, Lernplattformen, Web-2.0-Anwendungen oder virtuelle Welten u. a. kommen. Die konkrete Ausformung ist auch hier stets abhängig vom Kontext des jeweiligen Szenarios und es gilt: Wie auch immer es gestaltet wird, es sollte Mittel zum Zweck sein, nicht Selbstzweck. Es ist also eine Vielzahl an Blended-Learning-Szenarien möglich; um diese beschreiben zu können, ist es erforderlich, diese zu kategorisieren, wobei es einen Unterschied macht, ob die Kategorisierung einen Orientierungsrahmen 19 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 14 Beschrieben wird außerdem Szenario 4, bei dem es sich um hauptsächlich virtuell statt‐ findenden Unterricht in einem virtuellen Klassenzimmer oder einer virtuellen Welt wie Second Life handelt (vgl. Rösler / Würffel 2010a, 7). geben soll oder eher im Sinne einer Modellbildung für die Erforschung von Blended-Learning-Szenarien herangezogen wird. Eine besonders für die Unterrichtspraxis brauchbare Unterscheidung liefern Rösler und Würffel (2010a), die Schulmeisters allgemein gehaltene Szenarien für die Hochschullehre (vgl. Schulmeister 2005, 175-187) auf den Fremdsprachen‐ unterricht applizieren und konkretisieren: Szenario 1 bezeichnet die Ergänzung des Präsenzunterrichts durch Interneteinsatz, durch z. B. das Bearbeiten von of‐ fenen oder geschlossenen Übungen im Internet (vgl. Rösler / Würffel 2010a, 7, Stracke 2007). Dabei ist es denkbar, dass der Interneteinsatz innerhalb oder au‐ ßerhalb des Präsenzunterrichts stattfindet. In Szenario 2 wird der Präsenzun‐ terricht durch eine Online-Komponente unterstützt, die z. B. mit Hilfe einer Lernplattform oder einer Web-2.0-Umgebung organisiert wird. Lernende senden beispielsweise eine Hausaufgabe über eine Lernplattform ein (vgl. Rösler / Würffel 2010a, 7) oder laden sich das Lernmaterial von der Lernplattform herunter. Es findet jedoch keine direkte Integration des in der Online-Kompo‐ nente Erarbeiteten in den Präsenzunterricht statt. Das in dieser Arbeit untersuchte Setting entspricht Szenario 3: Es bezeichnet die inhaltliche Verzahnung von Präsenzunterricht und Online-Phasen, wobei die beiden Komponenten gleichwertig sind. Beispielsweise können diese Phasen alternieren oder es können, wie im vorliegenden Fall, Präsenzseminare durch Online-Phasen vorbereitet werden. Teile des Präsenzunterrichts finden also „nicht mehr als solche statt“ (ebd.), sondern sind in die Online-Phase ver‐ schoben. 14 Diese Szenarien sind insofern sehr weit formuliert, als man sich die Frage stellen kann, bei welchem Fremdsprachenunterricht - zumindest in Deutsch‐ land und Schweden - es sich nicht um Blended Learning handelt. Hinsichtlich dessen ist im Übrigen davon auszugehen, dass die Digitalisierung des Alltags auch in Zukunft weiter voranschreitet und Blended Learning immer selbstvers‐ tändlicher wird: „It may even become so ubiquitous that we will eventually drop the word blend and just call it learning“ (Graham 2006, 7). Engere Definitionen betrachten demgemäß lediglich solche Szenarien als Blended Learning, in denen entsprechend Szenario 3 die Unterrichtsinhalte in‐ tegrativ sowohl online als auch im Präsenzunterricht behandelt werden und eine inhaltliche Verzahnung von Online- und Präsenzkomponente vorliegt. Die oben 20 2 Theoretischer Hintergrund 15 Es liegen in diesem Sinne auch Versuche vor, Blended Learning über Prozentangaben zu definieren. Nach Allen, Seaman und Garrett (2007, 5) ist ein Szenario dann als Blended Learning zu bezeichnen, wenn 30 bis 79 % eines Kurses online erfolgen. Der Versuch, Blended Learning über genaue Prozentangaben zu definieren, wird hier jedoch nicht als zielführend betrachtet. 16 Die Begriffe Szenario und Modell werden teilweise synonym gebraucht. In der vorlie‐ genden Arbeit wird jedoch von der folgenden Unterscheidung ausgegangen: Szenarien sind Beschreibungen möglicher Durchführungen, Modelle hingegen sind theoretische Beschreibungen, die als Muster gelten können. Szenarien zeigen also auf, was in der Praxis vorhanden ist und dort häufig anzutreffen ist. zitierte Definition von Kranz und Lüking lässt sich dahingehend interpre‐ tieren. 15 Bezüglich der Definitionen und Szenarienbeschreibungen des Blended Learn‐ ing lässt sich feststellen, dass die implizite Funktion der Definitionen bzw. des Szenarios eine ausschlaggebende Rolle dafür spielt, welches Lernszenario als Blended Learning verstanden wird - und welches nicht. Graham unterscheidet, in Anlehnung an Gibbons und Bunderson (2005), im Hinblick auf die Modell‐ bildung von Blended Learning zwischen „explore, explain und design models“ (2006, 15ff). 16 Die Erkenntnis, dass Modelle entweder versuchen, das abzubilden, was es gibt (explore-Modell), oder nachzuvollziehen, wieso etwas passiert (ex‐ plain-Modell), bzw. beschreiben, was wie umgesetzt werden muss, damit etwas eintritt (design-Modell, vgl. Würffel 2014, 151), spielt auch für Blended-Learn‐ ing-Definitionen und -Szenarien eine Rolle. Die Szenarienbeschreibungen von Rösler und Würffel fallen dementsprechend in die explore-Kategorie. Ein differenzierteres (explore-)Modell, das in der Forschung hilft, Aspekte und Phänomene des Blended Learning zu kategorisieren und zu systematisieren, gleichzeitig aber auch in der Praxis Leitfaden für die Planung sein kann, liegt von Kirchhoff (2008, 77-121) vor. Es bildet die theoretische Grundlage für die Beschreibung des hier untersuchten Blended Learning in Kapitel 3.2.7. In Kirch‐ hoffs detailliertem Modell von Blended-Learning-Szenarien im Fremdsprachen‐ unterricht wird zwischen sechs Parametern und ihren Realisierungsformen un‐ terschieden, mit deren Hilfe alle Aspekte von Blended Learning erfasst werden können: Unter (1) Modi wird die Unterscheidung in Präsenz- und Online-Komponente verstanden, die Verhältnisse der Modi zueinander wird durch den Parameter (2) Integrationsmodelle beschrieben. Hierbei spielen Sequenzierungsmuster, d. h. die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten eine Rolle, aber auch die Integrati‐ onstiefe, d. h. beispielsweise die inhaltliche Verzahnung von Präsenz- und On‐ line-Komponente. Der Parameter (3) Distribution der Lehr- und Lernziele umfasst den Bereich der Vermittlung von Lehr- und Lernzielen durch verschiedene Modi 21 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 17 Würffel weist darauf hin, dass das Modell nicht in allen Bereichen zu Ende gedacht ist. Ein umfassendes Modell des Blended Learning sei ein Desiderat (2014, 150). (parallele Distribution) oder durch einen Modus (isolierte Distribution). Weiter wird unterschieden zwischen dem Parameter (4) Lehr- und Lernmethoden, der die Methodenwahl in den verschiedenen Modi beschreibt, und (5) Aufgaben von Lehrenden und Lernenden, mit deren Hilfe Interaktionsmuster (z. B. individuelle vs. kollaborative Sprachlernszenarien) sowie die verschiedenen Lehrer- und Lernerrollen beschrieben werden können. Zuletzt benennt der Parameter (6) Lernorte eine Vielzahl an konkreten und virtuellen Lernorten. 17 Ein Aspekt, der oftmals im Zusammenhang mit Blended Learning genannt wird und die Popularität der Lernform erklären kann, ist die Annahme, dass aus der sinnvollen Kombination von Präsenzunterricht und Online-Komponente eine neue Lehr-/ Lernform entsteht, die einen Mehrwert gegenüber reinem E-Learning und reinem Präsenzunterricht hat, wobei der Mehrwert darin be‐ steht, dass die Stärken von E-Learning Schwächen von Präsenzunterricht aus‐ gleichen und umgekehrt: Wenn die Lernformen also in einer Art und Weise miteinander verknüpft werden, dass jede Lernform ihre Stärken ausspielen kann, umgekehrt die jeweiligen Schwächen von anderen Lernformen kompensiert werden, dann - und nur dann - entsteht ein Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile. (Schlüter 2004, 35) Dementsprechend wird in didaktischer Ratgeber- und Forschungsliteratur zu Blended Learning aufgeführt, welche Stärken und Schwächen Präsenz- und On‐ line-Komponenten besitzen. Die hauptsächlichen Stärken von Präsenzunter‐ richt liegen demnach in der Eingebundenheit der Lerner in einer sozialen Gruppe, was für den Lernerfolg als wichtig erachtet wird (vgl. z. B. Strathmann 2009, 24, Hess 2003, 22), sowie in der Möglichkeit, dass die Lehrenden unmit‐ telbar auf Schwierigkeiten und Probleme reagieren können und dass Lernkon‐ trollmöglichkeiten durch die Lehrenden bestehen (vgl. z. B. Kranz / Lüking 2005, 1). Zu den Stärken von reinem E-Learning zählt demnach vor allem die Unab‐ hängigkeit der Lernenden von Zeit und Raum (vgl. z. B. Sauter / Sauter / Bender 2003, 68; Graham 2006, 1), die nicht nur bedeutet, dass die Lernenden die Auf‐ gaben an einem frei wählbaren Ort und zu einem flexiblen Zeitpunkt erledigen können, sondern auch in einem individuellen Tempo. Diese Flexibilisierung des Lernprozesses, die bei Blended Learning auch hinsichtlich der Methoden und der Lernwege besteht, ist der am häufigsten angeführte Vorteil von Blended Learning. 22 2 Theoretischer Hintergrund Betrachtet man jedoch genauer, welche Stärken und Schwächen den ein‐ zelnen Lernformen zugeschrieben werden, zeigt sich schnell, dass diese Cha‐ rakterisierungen oftmals nicht haltbar sind bzw. nicht pauschal für jedes Sze‐ nario gelten. Offensichtlich ist dies schon bei der Annahme, dass E-Learning von der Unabhängigkeit der Lernenden von Zeit und Raum gekennzeichnet sei. Während es in Online-Phasen noch möglich ist, dass Lernende unabhängig von einem bestimmten Ort lernen (sofern sie / er einen eigenen transportablen PC besitzt und sich nicht an öffentliche Computer an der Universität begeben muss), ist die Aussage, dass dies zeitlich unabhängig geschieht, äußerst problematisch und gilt vielleicht noch für die Arbeit mit Selbstlernmaterialien, die individuell bearbeitet werden. Reine Online-Szenarien, in denen Phasen der Kommunikation mit Lehrenden und anderen Lernern vorgesehen sind, funktionieren jedoch nicht ohne zeitliche Vorgaben, wobei die zeitliche Abhängigkeit bei Aufgabenstellungen, die syn‐ chron bearbeitet werden, ebenso hoch ist wie bei Präsenzunterricht - hier wirkt sich vielmehr die räumliche Flexibilität aus. Auch asynchrone Diskussionen sind, wie die Analyse der Bearbeitungszeiten in Kapitel 5.3 zeigen wird, stark abhängig von zeitlichen Vorgaben, weil diese z. B. dafür sorgen, dass schon frühzeitig in der Online-Phase Beiträge gepostet werden. Die Loslösung von Zeit und Raum ist daher kaum möglich, höchstens eine Flexibilisierung dieser Para‐ meter (vgl. Launer 2007, 127). Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich bestimmte angeblich typische Eigen‐ schaften von Lernformen bei näherer Betrachtung als problematisch erweisen, ist die Annahme, dass im Präsenzunterricht Lernkontrollmöglichkeiten durch die Lehrenden bestehen und individuelle Beispiele und Übungen gegeben werden können (vgl. Kranz / Lüking 2005, 1). Abgesehen davon, dass dies nicht für große Lernergruppen gilt, verbirgt sich darin der Umkehrschluss, das E- Learning dieses Potenzial nicht im gleichen Ausmaß oder gar nicht besitzt, was nicht zutreffend ist, denn im E-Learning sind Lernkontrollen und die Bereit‐ stellung individueller Übungen ebenso möglich, durch tracking-Software und andere technische Mittel unter Umständen sogar noch auf eine differenziertere Weise. Vielmehr gilt für Online-Phasen, dass seitens der Lehrenden z. B. durch einen Wechsel der Sozialformen nur begrenzt und kaum spontan auf Probleme, Stimmung etc. reagiert werden kann, was vermutlich eine der größten Schwä‐ chen von Blended-Learning-Szenarien und reinem E-Learning ist (vgl. dazu auch Kirchhoff 2008, 105). Aussagen über einen Mehrwert von Blended Learning sind also generell schwer zu treffen, vor allem, wenn sie sich, so wie es bislang dargelegt wurde, auf die Lernform im Allgemeinen beziehen. Der anzunehmende Mehrwert eines 23 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 18 Es ist daher auch problematisch, wenn in Forschungsüberblicken zu computervermit‐ telter Kommunikation nicht durchgängig zwischen den beiden Modi unterschieden wird (vgl. z. B. Nguyen 2008, Abrams 2003, 157f). Blended-Learning-Szenarios konstituiert sich für den Fremdsprachenunterricht noch einmal anders - und auch dort nicht einheitlich - als z. B. für Fachinhalte vermittelnde Hochschulseminare, was freilich an den verschiedenen Zielen liegt (vgl. Nicolson / Murphy / Southgate 2011, 8), und somit noch einmal anders für den hier untersuchten integrierten Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht, in dem sowohl inhaltliches als auch sprachliches Lernen stattfinden soll (vgl. Ka‐ pitel 2.3). Aufgrund der hohen Anzahl an Möglichkeiten, digitale Medien in den Fremd‐ sprachenunterricht zu integrieren, weisen Rösler und Würffel (2010a, 9) au‐ ßerdem darauf hin, dass keine allgemeingültigen Aussagen darüber getroffen werden können, welche „Methoden, Inhalte, Aufgaben- und / oder Sozialformen etc. besser für Präsenzphasen oder Online-Phasen geeignet sind“ (ebd.), auch wenn Aussagen wie „Selbstlernphasen mit selbstkorrigierenden Übungen ma‐ chen mehr Sinn in Online-Phasen, da die Präsenzphase eher zum interaktiven Austausch […] genutzt werden sollte“ (ebd.) durchaus einleuchtend sind. Die Abwägung, wie ein Blended-Learning-Szenario konkret ausgestaltet werden soll, hängt nicht nur von dem ab, was vermittelt werden soll, sondern auch von dem Kontext, d.h. z.B. den technischen Vorkenntnissen der Beteiligten, den technischen Voraussetzungen sowie den Lernzielen. Aufgrund der schnellen Entwicklung der digitalen Medien, die es inzwischen ermöglichen, präsenzähnliche Kontakte auch über Distanz aufzubauen, wird daher in der Forschung vielmehr zwischen asynchronen und synchronen Phasen unterschieden (vgl. Rösler / Würffel 2010a, 9, vgl. Nguyen 2008, 4). Diese Modi besitzen unterschiedliche Potenziale: 18 Synchrone Phasen, zu denen neben Voice-Chat und Text-Chat auch Präsenzunterricht gezählt werden kann (vgl. Nicolson / Murphy / Southgate 2011, 14), eignen sich besonders für informelles Tutorieren oder Lerner-Lerner-Interaktion in informellen Arbeitsgruppen (vgl. ebd.), während asynchrone Phasen, weil sie den Lernenden die Möglichkeit geben, intensiver zu reflektieren, für entsprechende Aufgaben als sinnvoll an‐ gesehen werden. Das folgende Unterkapitel widmet sich im Anschluss daran zunächst in aller Kürze Merkmalen asynchroner und synchroner computervermittelter Kommu‐ nikation im Allgemeinen, dann dem lerntheoretischen Hintergrund für den Einsatz von computervermittelter Kommunikation und fokussiert daraufhin den Einsatz asynchroner Formen im Fremdsprachenunterricht. 24 2 Theoretischer Hintergrund 19 Nguyen 2008 unterscheidet in seiner Darstellung nicht deutlich zwischen dem asyn‐ chronen und dem synchronen Modus. 20 Dass dies nicht so leicht zu trennen ist, wird z. B. bei Chaträumen deutlich, in denen Nachrichten auch dann gesendet werden können, wenn gerade kein Chatpartner online ist. 21 Dies ist z. B. in der App WhatsApp möglich, mit der sowohl Audioals auch Textnach‐ richten geschickt werden können. 2.1.2 Computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht Die Frage, was computervermittelte Kommunikation ( CMC ) ist, wird je nach zugrundeliegender Perspektive unterschiedlich beantwortet, d. h. beispielsweise technisch differenziert, mit einem Fokus auf CMC als Werkzeug, als Prozess oder interpersonale Interaktion: „In other words, CMC is a generic term that embodies all forms of communication between individuals and among groups via networked computers“ (Nguyen 2008, 2). Besondere Merkmale von CMC werden häufig auf der Folie von Face-to-Face-Kommunikation beschrieben, so wie es auch in der folgenden kurzen Darstellung geschieht, die auf Nguyen (ebd., 3) beruht und die Vorlage für die weiteren Ausführungen zu CMC im Fremdsprachenunterricht liefert: 19 Technische Merkmale: Interpersonale Kommunikation wird durch CMC er‐ leichtert, sie kann zwischen einzelnen oder vielen stattfinden. Die Kommuni‐ kation kann synchron, d. h. nahezu zeitgleich, und asynchron, d. h. zeitversetzt, stattfinden. In beiden Fällen ist die Kommunikation insofern ortsunabhängig, als diejenigen, die miteinander kommunizieren, nicht am gleichen Ort sein müssen. Die zeitliche Flexibilisierung wurde bereits in Kapitel 2.1.1 kommen‐ tiert, ist aber, generell gesprochen, beim synchronen Modus weniger gegeben als beim asynchronen Modus. 20 Während CMC in den Anfangsjahren zunächst ausschließlich textbasiert stattfand, gibt es heute auch audiobasierte Möglich‐ keiten wie Video- oder Voice-Chat bzw. die Möglichkeit, text- und audiobasierte Kommunikation zu mischen, 21 wobei die Beiträge zu einem späteren Zeitpunkt gelesen / gehört werden können. Die Ausführungen in den folgenden Kapiteln beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf textbasierte computervermit‐ telte Kommunikation. Sprachliche Merkmale: Die sprachlichen Merkmale von CMC unterscheiden sich stark je nach Modus (asynchron oder synchron). Übergreifend lässt sich feststellen, dass die Sprache von CMC sowohl „konzeptionell schriftlich“ als auch „konzeptionell mündlich“ (vgl. Koch / Oesterreicher 1994) sein kann. Soziale Merkmale: Nguyen (2008, 3) nennt mit Bezug auf verschiedene Stu‐ dien, die untersuchten, wie Benutzer/ -innen CMC empfinden, Unpersönlichkeit 25 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 22 Der Myers-Brigg-Typenindikator stellt ein vor allem im Personalwesen verwendetes Instrument dar, um die von C. G. Jung entwickelten psychologischen Typen zu erfassen. In der psychologischen Wissenschaft wird die Verlässlichkeit des Tests in Frage gestellt (vgl. Hunsley / Lee / Wood 2003). („impersonality“) als das hervorstechende Merkmal. Dies kann auf die soge‐ nannte Kanalreduktion zurückgeführt werden: Bei computervermittelter Kommunikation via getipptem Text sind […] die meisten Sinnesmodalitäten im interpersonalen Zusammenhang ausgeschlossen: Man kann zwar den Computer riechen und die Computertatstatur fühlen, doch diese Sinnesmo‐ dalitäten sind nicht auf das kommunikative Gegenüber anzuwenden - dieses ist vor‐ nehmlich nur textuell präsent. Die im Vergleich zur Face-to-Facebzw. Body-to-Body-Situation drastische Kanalreduktion auf der physikalischen Reizebene gehe auf psycho-sozialer Ebene mit einer Verarmung der Kommunikation […] einher. (Döring 2003, 149, Hervorhebung im Original) Die Unpersönlichkeit computervermittelter Kommunikation kann so zu Miss‐ verständnissen führen, da wichtige nonverbale und paraverbale Aspekte weg‐ fallen. Durch das Herausfiltern sogenannter sozialer Hinweisreize wie Gestalt, Kleidung, Geschlecht, Alter, laute Stimme etc. kann sowohl prosoziales als auch antisoziales Verhalten (sogenanntes flaming) gefördert werden (vgl. ebd., 54f). Bei Kanalreduktion und Filtertheorie handelt es sich aber auch um die Gründe, die in den 1990er Jahren zum Einsatz von besonders synchroner com‐ putervermittelter Kommunikation in den Fremdsprachenunterricht führte: Da Sprachenlernende nur in den seltensten Fällen einen PC besaßen, wurde syn‐ chrone computervermittele Kommunikation ( SCMC ) in Form von didakti‐ sierten Chats in den Face-to-Face-Unterricht integriert. So kann nachgewiesen werden, dass SCMC für eine gleichberechtigtere Teilnahme aller Lernenden sorgen kann: Studierende, die in Face-to-Face-Diskussionen eine zurückhalten‐ dere Rolle einnehmen, nehmen verschiedenen Studien zufolge (vgl. z. B. Beau‐ vois 1992, Bump 1990) häufiger an Online-Diskussionen teil, wobei die gestei‐ gerte Teilnahme der Tatsache zugeschrieben wird, dass Aspekte wie z. B. Geschlecht, Klasse und Akzent in den textbasierten Umgebungen der On‐ line-Kommunikation nicht zu erkennen sind (vgl. auch O’Dowd 2007, 2). Beau‐ vois und Eledge können bestätigen, dass zurückhaltende Studierende von dem Einsatz von SCMC profitieren: Sie beziehen das Verhalten während Online- und Face-to-Face-Diskussionen auf Persönlichkeitstypen von Myers-Briggs 22 und 26 2 Theoretischer Hintergrund 23 Kelm beschreibt dies anschaulich: „From a pedagogical standpoint, one of the greatest advantages of CACD [Computer-Assisted Class-Discussion, hier synchron, Anm. CB] is the increased participation from all members of a class. […] CACDs are great equa‐ lizers. Every language class has a few students who are perhaps more shy than others or more self-conscious about the mistakes they make in front of others. There are times, despite the fact that their grammar is correct, when some students become frustrated with the pressure of keeping up with the pace of everyone else’s oral comments. […] [T]hese students can read comments at their own pace, type their responses at their leisure, and wait to send messages only when they are completely satisfied with what they have written. […] [O]n the other hand, every language class has a few students who are willing to answer each and every question. However, during an INTER‐ CHANGE session [d. h. einer hier beschriebenen Computer-Assisted Class-Discussion, Anm. CB] it is nearly impossible for them to dominate the discussion. If their comments are too long, nobody will read them“ (Kelm 1992, 443f). zeigen so, dass introvertierte Typen aktiver an den Online-Diskussionen teil‐ nahmen als an Face-to-Face-Diskussionen (vgl. Beauvois / Eledge 1994, 35). 23 Lerntheoretischer Hintergrund Interaktionistisch-kognitivistische und interaktionistisch-soziokulturelle Fremdsprachenerwerbstheorien bilden die Basis für den Einsatz computerver‐ mittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht (vgl. z. B. Lamy / Hampel 2007, 19-30, Warschauer 1997, 470-472, Brandl 2012, 2-4), wobei beide Theorien auch, in Abwandlungen, für Lernprozesse im Allgemeinen gelten (vgl. Nückles / Wittwer 2014, 231-235). In letzter Zeit kann zudem von einer Koexis‐ tenz beider Perspektiven gesprochen werden (vgl. ebd., 231, Aguado 2010, 822). Interaktionistisch-kognitivistische Ansätze basieren zunächst auf Krashens Input-Hypothese (1982, 1985), nach der ein sprachlicher Input, der nur minimal über dem Kenntnisstand des Lernenden liegt, für den erfolgreichen Fremdspra‐ chenerwerb ausreicht. Ausgehend von Krashens Input-Hyothese fokussiert Long (1983) in der Interaktions-Hypothese die Interaktion mit L1-Sprechern und fortgeschritteneren Lernern, da diese den Lernenden helfe, Bedeutung auszu‐ handeln, indem verschiedene Strategien wie z. B. Vereinfachung, Nachfragen etc. angewendet werden und der Input so besser angepasst und aufgenommen werden kann. Ergänzt wurden diese interaktionistisch-kognitivistischen An‐ sätze durch Swains Output-Hypothese (1985), die besagt, dass zudem das Pro‐ duzieren von verständlichem sprachlichem Output für das Fremdsprachen‐ lernen sehr wichtig sei, da dieser dazu führe, dass Sprache vom Lernenden bedeutungsvoll angewendet werde und er / sie potenziell gleichzeitig Fehler und Lücken bemerke, was für das Lernen relevant sei. Computervermittelte Kom‐ munikation bietet den Fremdsprachenlernenden nicht nur verständlichen Input 27 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien und die Möglichkeit des Produzierens verständlichen Outputs, sondern stellt zugleich eine Plattform dar, auf der sie interagieren können. Besonders der Einsatz von synchroner computervermittelter Kommunika‐ tion geht auf diese lerntheoretischen Annahmen zurück. Didaktisierte Chats werden so als eine ideale Plattform für das Üben von Interaktion betrachtet (vgl. Lamy / Hampel 2007, 115). Als vorteilhaft wird dabei angesehen, dass die Lern‐ enden ihre Beiträge in die Eingabemaske des Chats eingeben, aber dennoch wieder korrigieren können. Zahlreiche Studien bestätigen das Potenzial von synchroner CMC , wie beispielsweise die von Marques-Schäfer, in der dargelegt wird, dass „die DaF-Lernenden im untersuchten Chat-Raum Gelegenheiten er‐ halten, ihre Kenntnisse der deutschen Sprache in die Praxis umzusetzen, in Echtzeit fremdsprachliche Inputs zu bekommen und Outputs zu produzieren“ (Marques-Schäfer 2013, 298). Wesentlich wichtiger für asynchrone computervermittelte Kommunikation im Allgemeinen und für die hier untersuchte im Besonderen sind interaktionis‐ tisch-soziokulturelle Theorien, die auf die Annahme von Vygotsky (1978) zu‐ rückgehen, dass alle höheren psychischen Funktionen soziokulturell vermittelt sind. Mit Block (2003) kann dies als der „social turn“ im Bereich des Fremdspra‐ chenerwerbs bezeichnet werden. Der Fokus rückt hier auf die Bedeutung sozi‐ aler Aspekte für das Fremdsprachenlernen (vgl. auch Lantolf / Thorne 2006), wobei alle Arten von Wissen, nicht nur Sprachwissen, soziokulturell vermittelt sind (vgl. Fischer 2002). Im Lernen findet eine Bewegung von Fremdregulation zur Selbstregulation statt, „bei der die soziale, intermentale Entwicklung der individuellen, intramentalen Entwicklung vorangeht“ (Aguado 2010, 820). Leh‐ rende und kompetentere Lernende spielen dabei eine wichtige Rolle, das ge‐ meinsam konstruierte Wissen zu internalisieren. Die Online-Diskussionen haben dahingehend eine zentrale Rolle: Durch die Partizipation an Aktivitäten der kollektiven Konstruktion bzw. Bedeutungsaushandlung und Weiterent‐ wicklung externaler Wissensbestände soll auch das individuell-kognitive Wissen erweitert werden (vgl. Fischer 2002, 124). Asynchrone computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht Asynchrone computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunter‐ richt kann in drei verschiedenen Szenarien stattfinden: Sie kann (1) innerhalb einer Lerngruppe erfolgen, dann findet die Kommunikation meistens in On‐ line-Phasen statt. Zudem wird die Interaktion (2) zwischen zwei oder mehr 28 2 Theoretischer Hintergrund 24 „This involves FL learners using the target language to enter into contact with indivi‐ duals or groups in the ,real world‘ without the contact being previously organized by the teacher“ (Dooly / O’Dowd 2012, 19). Vorteile bestehen hauptsächlich für fortge‐ schrittene Lerner: „[I]t is more authentic and more advantageous to engage learners in interaction in real L2 discussion forums“ (ebd.). Lerngruppen ermöglicht sowie (3) die sogenannte „class-to-world interaction“ 24 (Dooly / O’Dowd 2012, 16). Dieses Unterkapitel wird zeigen, dass die zweite Möglichkeit, die sogenannte Telekollaboration, zu den CMC -Szenarien gehört, zu denen derzeit die meiste Forschung stattfindet und die auch aus landeskund‐ licher Perspektive interessant ist. Forschung zu landeskundlichem Lernen in Diskussionen, die innerhalb einer Lerngruppe stattfinden, ist bislang ein Desi‐ derat, obwohl dieses Szenario populär ist: Today, in-class online interaction is of course still quite common in FL education. However, this type of activity now generally tends to focus on asynchronous tools such as discussion forums and blogging etc. which are used for reflective discussion in distance education courses or by teachers wishing to promote greater interaction among students of their normal classroom contact hours. (ebd., 17) Allgemeindidaktische Gründe, die im Folgenden näher beschrieben werden und die dafür sorgen, dass asynchrone Online-Diskussionen auch in anderen Bil‐ dungskontexten eingesetzt werden, liegen demnach meistens dem Einsatz des ersten Szenarios zugrunde. Im Folgenden wird zunächst das allgemeindidakti‐ sche Potenzials beschrieben, sodann die Gründe für den Einsatz im Fremdspra‐ chenunterricht dargestellt. Allgemeindidaktisches Potenzial Das allgemeindidaktische Potenzial asynchroner Online-Diskussionen wird in der Regel auf der Folie von Face-to-Face-Diskussionen formuliert. Graham (2006, 18) beispielsweise vergleicht unter Berücksichtigung von Forschungs‐ ergebnissen, welche Stärken und Schwächen Face-to-Face- und asynchrone Online-Diskussionen allgemein haben, die sich in der Verbindung beider Kom‐ ponenten, d. h. in Blended Learning, ausgleichen können. Face-to-Face-Diskus‐ sionen haben die Stärke der sozialen Komponente: „It is easier to bond and de‐ velop a social presence in a face-to-face environment. This makes it easier to develop trust“ (ebd., 8). Zudem könne man in Face-to-Face-Diskussionen spontan Ideen und Assoziationen entwickeln. Diese Vorteile spiegeln wiederum die Schwächen von asynchronen Online-Diskussionen, die aufgrund der Ka‐ nalreduktion als unpersönlich empfunden werden können und so zu weniger befriedigenden Diskussionen führen (vgl. ebd., 18). 29 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 25 Anzunehmen ist, dass die kritische Grenze vom Kontext abhängig ist. 26 Tatsächlich können technische Unerfahrenheit und Schwierigkeiten sowie auch der „cognitive overload“ (Sweller 2005, 26f) den Lernerfolg hemmen. Nachteilig an Face-to-Face-Diskussionen sei jedoch, zumindest wenn die Gruppe eine bestimmte Anzahl an Teilnehmer/ -innen übersteigt, dass sich nicht alle beteiligen können, vor allem nicht, wenn einige Personen die Diskussion dominieren. Dementsprechend gilt natürlich auch für Online-Diskussionen, dass die Überschreitung einer bestimmten Anzahl an Teilnehmer/ -innen zu un‐ überschaubaren und damit nicht ergiebigen Diskussionen führt, 25 doch ist davon auszugehen, dass insgesamt mehr Personen an Online-Diskussionen teil‐ nehmen können, vor allem, wenn gleichzeitig mehrere Threads eingerichtet werden. Ein weiterer Nachteil sei, dass Face-to-Face-Diskussionen in Unterrichtszu‐ sammenhängen zeitlich begrenzt sind, so dass die Diskussion nicht die ge‐ wünschte Tiefe erreichen könne (vgl. ebd., 18, O’Dowd 2007, 31). Hier muss angemerkt werden, dass durch die Einbindung von asynchronen Online-Dis‐ kussionen in Blended-Learning-Szenarien, in denen beide Komponenten mitei‐ nander verzahnt sind, durchaus auch eine zeitliche Begrenzung vorliegt, die dafür sorgen kann, dass die Diskussion nicht die gewünschte Tiefe erreichen kann. So sei außerdem auf die Ergebnisse von Benbunan-Fich und Hiltz (1999) hingewiesen, die feststellten, dass asynchrone Online-Diskussionen zum Pro‐ krastinieren verführen, dass also die Teilnahme an der Diskussion immer wieder in die Zukunft verschoben wird, was die gewünschte inhaltliche Tiefe negativ beeinträchtigt. Die Asynchronität führt hingegen dazu, dass alle Lernenden an den Diskus‐ sionen teilnehmen können und jeder (der die Technik beherrscht) 26 die Mög‐ lichkeit besitzt, zu Wort zu kommen, ohne z. B. unterbrochen zu werden: „[T]he social dynamics of CMC have proven to be different from those of face-to-face discussion in regard to turn-taking, interruption, balance, equality, consensus, and decision making“ (Warschauer 1997, 473). Am wichtigsten ist jedoch, dass die Lernenden mehr Zeit zur Reflexion haben als in Face-to-Face-Diskussionen: „Learners have time to more carefully con‐ sider and provide evidence for their claims and provide deeper, more thoughtful reflections“ (Graham 2006, 18). Die Popularität von asynchronen Online-Diskussionen ist auf dieses Merkmal zurückzuführen, da die Möglichkeit zur Reflexion eine wichtige Rolle für die gemeinsame Wissenskonstruktion spielt. Dass die Lernenden genauer bedenken können - eventuell unter der Zuhilfenahme von weiteren Quellen -, was sie schreiben, dürfte sich positiv auf das Wissen der Beitragenden aus‐ 30 2 Theoretischer Hintergrund 27 Dies ist allerdings nicht unproblematisch, da zum einen die Quantität der Beiträge nichts über ihre inhaltliche Qualität aussagt und zum anderen vorausgesetzt wird, dass Noten objektiv den Kenntnisstand beschreiben. wirken, ebenso wie qualitativ hochwertigere Beiträge vorteilhaft sind für den Lernzuwachs der anderen Teilnehmer/ -innen. Indem in der Online-Diskussion mehrere Perspektiven und Ideen einander gegenübergestellt werden, kann in der Interaktion multiperspektivisches Wissen konstruiert werden, die Ler‐ nenden können neue Perspektiven kennenlernen und ihre Ideen und Perspek‐ tiven zur Diskussion stellen und damit testen: „Social interaction and collabo‐ ration shapes and tests meaning, thus enriching understanding and knowledge sharing“ (Garrison / Vaughan 2008, 14). Wichtig ist aber festzuhalten, dass die Möglichkeit zur tieferen Reflexion zu‐ nächst nur theoretisch besteht und dass nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass dies auch tatsächlich zu inhaltlich hochwertigen Beiträgen der Teilnehmenden führt. Gleichwohl wird jedoch auch die Annahme vertreten, dass die Tatsache, dass die Beiträge über einen längeren Zeitraum schriftlich fixiert und damit auch zu späteren Zeitpunkten noch zugänglich sind, zu einer höheren extrinsischen Motivation der Lernenden führt, gut reflektierte Beiträge zu verfassen. Forschung zu asynchroner computervermittelter Kommunikation ist viel‐ fältig und nimmt verschiedene Aspekte in den Fokus (vgl. die überblicksartige Darstellung von Johnson 2006), z. B. wird mit Hilfe von Vergleichsgruppen die Lerneffektivität untersucht: Wang (2004) überprüfte das Verhältnis zwischen der Anzahl geposteter Beiträge und den Abschlussnoten von Studierenden und kam zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die besonders intensiv teilnahmen, auch die besten Noten erhielten. 27 Andere Studien, etwa Walker und Arnold (2004), ver‐ wenden die positive Evaluation der Lernform durch die Studierenden als einen Indikator für den Lernerfolg, während Johnson (2005) in seiner Untersuchung keine Korrelation zwischen diesen Faktoren feststellen konnte. Die Forschung widmet sich zudem der Frage, ob in den Diskussionen ge‐ meinsam Wissen konstruiert wird, wobei dies meistens in qualitativen, inhalts‐ analytischen Studien untersucht wird (z. B. Moore / Marra 2005, Gunawar‐ dena / Lowe / Anderson 1997, Dysthe 2002, Henri 1995). Verschiedene Modelle liegen vor, anhand derer die Ko-Konstruktion von Wissen analysiert wird: Henris Analytical Model of Interactive Behaviour (1995) ist das erste Modell, mit dessen Hilfe Wissenskonstruktion in Online-Diskussionen untersucht werden kann; Ausgangspunkt ist die Idee, dass Lerner durch Interaktion Wissen auf‐ bauen (vgl. auch Kapitel 2.1.2). Auch Dysthe (2002) verwendet Henris Modell und untermauert die Theorie mit Rückgriff auf Bachtins Dialogizitätsbegriff 31 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien (vgl. Bachtin 1979, 169-180). Sie führt aus, dass sogenannte genuine Interaktion, d. h. wenn die Person, die die Diskussion initiiert, sich auch später nochmals zu Wort meldet, ein besonders hohes Lernpotenzial habe, da dies zeige, dass sich die Lernenden für die Beiträge der anderen interessierten. Das Lernpotenzial wird hier mit Interaktion gleichgesetzt, was, wie ich in Becker (2016b) gezeigt habe, zumindest im Kontext des Fremdsprachenunterrichts nicht unproblema‐ tisch ist. Das am häufigsten verwendete Modell ist das Interaction Analysis Model ( IAM ) von Gunawardena, Lowe und Anderson (1997, 414): Interaktion ist darin eine Voraussetzung für Wissenskonstruktion; das Modell besteht in der Haupt‐ sache aus fünf Phasen der Wissenskonstruktion: Phase 1 („Sharing and compar‐ ing information“) und Phase II („The discovery and exploration of dissonance or inconsistency among ideas, concepts and statements“) zählen dabei nicht zur gemeinsamen Wissenskonstruktion, diese wird erst in den Phasen III bis V er‐ reicht ( III : „Negotiation of meaning“, IV : „Testing and modification of proposed synthesis or co-construction“, V: „Agreement statements / Applications of newly constructed meaning“). Lucas, Gunawardena und Moreira (2014) stellen die Funktionalität des IAM in Frage, da Studien, die auf diesem Modell beruhen, keine oder nur wenig gemeinsame Wissenskonstruktion nachweisen konnten, wobei es meines Erachtens fraglich ist, ob Wissenskonstruktion erst dann statt‐ findet, wenn zu einem Konsens gefunden wird, denn dieser ist nicht unter allen Umständen erwünscht (vgl. Kapitel 2.1.3). Problematisch an diesen Modellen ist, dass die gemeinsame Wissenskon‐ struktion auf textueller Ebene festgemacht wird, da so vorausgesetzt wird, dass die Lernenden alle Überlegungen tatsächlich im Diskussionsforum posten. Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass durch die Beiträge der anderen in einer Art innerem Dialog das eigene Wissen modifiziert wird. Henri stellt dementspre‐ chend auch fest, dass schon das sogenannte lurking, d. h. das reine Lesen der Beiträge, ein Lernpotenzial besitzt: „And yet in interviews following the expe‐ riment, the learners stated that a main source of learning had been the reading of the different solutions offered during teleconferences“ (Henri 1995, 158). 32 2 Theoretischer Hintergrund 28 Verändert hat sich, zumindest theoretisch, die Ausrichtung an muttersprachlichen Kompetenzen, die lange Zeit den Fremdsprachenunterricht prägte: „[L]earners of ad‐ ditional languages, second and beyond, have typically been judged by strict native speaker norms and have invariably been found lacking“ (Todeva / Cenoz 2009, 3). Cook 1992 zeigt stattdessen auf, welche „multicompetences“ fortgeschrittene Fremdspra‐ chenlerner im Vergleich mit einsprachigen Sprechern haben, und auch Block (2003, 34-48) kritisierte die sogenannte „monolingual bias“, die im Bereich der Fremdspra‐ chendidaktik vorherrschte bzw. vorherrscht. Auch Konzepte wie „intercultural com‐ municative competence“ (Byram 1997) und „symbolic competence“ (Kramsch 2006) gehen von den besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen der Fremdsprachenlerner aus. Potenzial für das Fremdsprachenlernen Das relativ unveränderliche Ziel von Fremdsprachenunterricht ist der Erwerb von sprachlichen Fertigkeiten. 28 Vor allem die Fertigkeiten Schreiben und Lesen und die Bereiche Flexionsmorphologie, Syntax und Lexik können durch text‐ basierte asynchrone computervermittelte Kommunikation gefördert werden (vgl. die Übersichten in Nguyen 2008, 12f), wozu die allgemeindidaktischen Po‐ tenziale etwas modifiziert werden müssen. Die zeitliche Flexibilität von asyn‐ chronen Online-Diskussionen ermöglicht im Fremdsprachenunterricht zwar auch eine tiefergehende inhaltliche Reflexion, dort ist sie aber besonders rele‐ vant, weil auch mehr Zeit für die sprachliche Ausarbeitung zur Verfügung. So‐ tillo (2000) kann nachweisen, dass Lernende in asynchronen Diskussionen syn‐ taktisch komplexere Sprache verwendeten als in synchronen und Face-to-Face-Diskussionen und fasst das Potenzial von asynchroner On‐ line-Kommunikation für den universitären Fremdsprachenunterricht wie folgt zusammen: Asynchronous discussions in particular allow language learners more time to plan their writing, edit their spelling, grammar, and punctuation when paying attention to form, and make longer contributions than students composing synchronously. Asking students to respond to challenging academic readings encourages them to think cri‐ tically and post carefully prepared responses to teacher and student queries. Learners are thus able to focus on both form and meaning to a greater extent than when they are engaged in rapid fire exchanges and socializing via synchronous discussions. (So‐ tillo 2000, 106) Im Hinblick auf die Rezeption spielt in diesem Kontext der Faktor Zeit und die Tatsache, dass die Beiträge gespeichert werden, eine wichtige Rolle, denn die asynchrone Kommunikation ermöglicht den Lernenden, Beiträge mehrmals zu lesen und damit besser zu verstehen. Sowohl auf einer sprachlichen als auch einer inhaltlichen Ebene können sich die Lernenden auch im Nachhinein mit den Beiträgen auseinandersetzen. Findet die Diskussion zwischen Lernenden 33 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 29 Auch: Telecollaboration 2.0, virtuelle Klassenpartnerschaften, E-Mail-Austausch, E-Tandem etc. 30 Dooly und O’Dowd schreiben die Popularität u. a. folgenden drei Faktoren zu: (1) Ver‐ besserter und günstiger Zugang zu Internet und PCs, (2) neues Verständnis für die Wichtigkeit von kulturellen Aspekten im FSU, die von Byram (1997) und Kramsch (1993) initiiert wurden und sich seit der Jahrtausendwende auch in Curricula nieder‐ schlagen, (3) Einsicht in die Bedeutung des Soziokulturellen für das Fremdsprachen‐ lernen, das durch sinnvolle und kommunikative Aufgaben gefördert unterstützt werden kann (Dooly / O’Dowd 2012, 13-16). und L1-Sprechern statt, können Lernende Strukturen und Vokabular in der Zielsprache identifizieren und sie später in anderen Situationen und Kontexten anwenden (vgl. Appel / Mullen 2000). Das Hauptinteresse der Fremdsprachendidaktik liegt derzeit jedoch nicht nur auf dem potenziellen Nutzen von CMC für das Erlernen sprachlicher Fertig‐ keiten, sondern vor allem auch auf metasprachlichen Bereichen wie Bedeu‐ tungsaushandlung, gemeinsamer Wissenskonstruktion und interkultureller Kompetenz, d. h. auf Zielsetzungen von Fremdsprachenunterricht, die von bil‐ dungspolitischen Entwicklungen abhängig sind. Rahmendokumente wie die Bildungsstandards der KMK oder der Gemeinsame Europäische Referenz‐ rahmen spiegeln diese wider, wobei beispielsweise in Letzterem interkulturelle kommunikative Kompetenz (vgl. Byram 1997) als Schlüsselqualifikation gilt: Gefasst werden darunter z. B. auf der Wissensebene die Kenntnisse spezifischer Kom‐ munikations- und Interaktionsregeln sowie Sicht- und Wahrnehmungsweisen des ei‐ genen und des fremdkulturellen Landes, auf der Einstellungsebene die Entwicklung von Neugier und Offenheit gegenüber Fremdem und kultureller Vielfalt, auf der Handlungsebene kulturangemessenes Verhalten ebenso wie die Kompetenz, z. B. Missverständnisse durch Aushandlungsprozesse zu überwinden. (Hu 2010, 77) Hier rückt der Gegenstandsbereich der Landeskunde ins Sichtfeld: In particular, the opportunities offered by engaging learners in online collaborative project work with members of other cultures has been identified as being an authentic and effective way of preparing learners for the complex yet enriching experience of foreign language and culture learning. (O’Dowd 2007, 3) Die sogenannte Telekollaboration 29 , gilt somit heute als „one of the main pillars of online language learning“ (O’Dowd / Ritter 2006, 624) und ist u. a. auf die stei‐ gende Bedeutung von interaktionistisch-soziokulturellen Lerntheorien für das Fremdsprachenlernen zurückzuführen. 30 Telekollaboration bezeichnet den oft asynchronen Austausch zwischen Lernenden, per E-Mail oder in virtuellen Räumen, wobei die Lernergruppe aus Fremdsprachenlernern und L1-Sprechern 34 2 Theoretischer Hintergrund 31 Für eine Problematisierung des nicht einheitlich verwendeten Begriffs siehe Ka‐ pitel 2.2.1. 32 Vereinzelt finden sich Arbeiten zum Potenzial von digitalen Medien für den Landes‐ kundeunterricht, wobei diese folgende Aspekte nennen: Zugang zu authentischen Ma‐ terialien (Distribution) und Möglichkeit zur interkulturellen Telekollaboration (Kom‐ munikation) (vgl. z. B. Dannerer / Keim 2007, Reising-Schapler 2003, Halm-Karadeniz 2001). 33 Dass sich der Ansatz großer Popularität erfreut, bedeutet aber nicht, dass der Einsatz einfach und stets von Erfolg gekrönt ist. O’Dowd und Ritter stellen fest: „It is by now well established that telecollaborative exchanges frequently end in ‚failed communica‐ tion‘ and do not automatically bring about successful negotiation of meaning between the learners“ (O’Dowd / Ritter 2006, 623). 34 Es lässt sich feststellen, dass Zielsetzungen von Fremdsprachenunterricht (und auch das Forschungsverständnis in der Fremdsprachendidaktik, vgl. Tröhler 2012) stark von vorherrschenden ideologischen und politischen Ansichten geprägt sind; Lamy und Goodfellow (2010) stellen beispielsweise fest: „[I]nterculturalism is [im Kontext von interkultureller Telekollaboration, CB] understood as anti-racism, social equity and citizenship education. These are social claims that currently drive the intercultural education policies and not trans-national harmony, for which purpose intercultural education was first promoted by the Council of Europe in the 1970s in order to support peace amongst the countries of a continent still traumatized by war. But in the pacified Europe of the 1990s, new intercultural policies appeared on the agendas of European educational institutions […]. The Europeans’ continuing interculturalist ideologies in the last decades of the 20 th century were shaped by the resulting reconfigurations of their communities, rather than by concerns about cross-border friendship, although the latter is what remained the main focus of culture teaching in the ,foreign-language‘ teaching world.“ Meines Erachtens ist es fraglich, ob der Fremdsprachenunterricht all die hochgesteckten Ziele, vgl. beispielsweise Byrams Modell der Interkulturellen Kom‐ munikativen Kompetenz (1997) oder Seitz’ Konzept des globalen Lernens (2002), tat‐ sächlich erreichen kann. oder Fremdsprachenlernen aus verschiedenen Ländern bestehen kann. Landes‐ kundliches Lernen wird hier zumeist als interkulturelles Lernen 31 verstanden. 32 Grundgedanke der interkulturellen Begegnung ist, dass durch den Austausch eine authentische Kommunikation stattfindet, die dazu führt, dass die Lerner die Perspektive des jeweils anderen kennenlernen und übernehmen können, gleichzeitig eine kritische Perspektive gegenüber ihrer eigenen Kultur ein‐ nehmen, Toleranz entwickeln und Stereotype abbauen (vgl. Möllering / Levy 2012, 234). 33 Tamme (2001) hat in ähnlicher Weise (doch weniger ideologisch geprägt) 34 in ihrer Arbeit zu E-Mail-Tandems den Begriff der personalisierten Landeskunde entwickelt, die stattfindet, wenn sich Fremdsprachenlernende und Ver‐ treter/ -innen der Zielsprachenkulturen über landeskundliche Phänomene aus‐ tauschen und dabei persönliche Perspektiven nicht aussparen. Dies kann als 35 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 35 Forschung zu Telekollaboration ist dabei oft qualitativ ausgerichtet und fokussiert auf diskursive Strategien, die Beziehungen zwischen Partnern und Gründe für missglückte Kommunikation sowie kontextuelle Einflussfaktoren (vgl. Möllering / Levy 2012, 241f). besonders vielversprechend für interkulturelles Lernen eingeschätzt werden, denn [j]e mehr es gelingt, das Potential der digitalen Medien in Richtung einer derart per‐ sonalisierten Landeskunde zu entwickeln, um so mehr wird die alte Unterscheidung zwischen Realienkunde, kommunikativer Landeskunde und interkultureller Landes‐ kunde an Trennschärfe verlieren, denn in dieser Art von personalisierter Landeskunde mit ihren subjektiv geprägten Erzählungen werden Fakten, Alltag und Einschät‐ zungen miteinander verbunden und als selbstverständlicher Teil eines Dialogs über Grenzen verstanden. (Rösler 2004, 76) Die Übersicht über den Einsatz asynchroner computervermittelter Kommuni‐ kation im Fremdsprachenunterricht zeigt auf, dass ein Potenzial für sprachliches und landeskundliches Lernen gesehen wird, das sich vor allem in der Forschung zu Telekollaboration widerspiegelt. 35 Die Arbeit von Biebighäuser (2014) ist die bisher einzige Studie, die digitale Medien und kulturwissenschaftliche Ansätze in der Landeskundedidaktik (und interkulturelles Lernen) verbindet. Es wird darin u. a. untersucht, wie sich Gruppen von Studierenden aus verschiedenen Ländern an in der virtuellen Welt Second Life nachgebildeten Erinnerungsorten in (synchronen) Text- und Voice-Chat unterhalten. Die Analyse des landes‐ kundlichen Lernens zeigt dabei u. a., dass es trotz eines deutlichen Potenzials viele ungenutzte Chancen birgt, und dass der Kommunikationskanal Voice-Chat zu inhaltlich umfassenderen Beiträgen führte als der Text-Chat (vgl. Biebig‐ häuser 2014, 390-92, 417, 423), was wichtig ist für das landeskundliche Lernen. Auch die Arbeit von Biebighäuser und Marques-Schäfer (2011) zeigt, dass Dis‐ kussionen in didaktisierten Chat-Räumen relativ oberflächlich bleiben. Sie stellen fest: Beispielsweise erschweren Chats durch die schnellen Sprecherwechsel die tieferge‐ hende Thematisierung von komplexen kulturspezifischen Themen. Zudem können Lernende, die keine Erfahrungen mit dem Medium haben, schnell überfordert werden. […] Aufgrund dieser Zweischneidigkeit beim Einsatz digitaler Medien zum interkulturellen Lernen muss der Medieneinsatz gut reflektiert werden. (Biebig‐ häuser / Marques-Schäfer 2011, 120) 36 2 Theoretischer Hintergrund 36 Neben Lernaufgaben kann zudem noch zwischen Diagnose- und Prüfungsaufgaben unterschieden werden (Thünemann 2013, 143). Die Verwendung des Aufgabenbegriffs ist nicht einheitlich (siehe z. B. Van den Branden 2006), an dieser Stelle kann nur auf die Unterscheidung zur Übung hingewiesen werden, unter der eine (meist geschlossene) formorientierte Aktivität verstanden werden kann. 37 Vgl. Fußnote 10. 38 Nicht alle Gütekriterien werden hier referiert. Da die untersuchte asynchrone On‐ line-Diskussion auf einer geschlossenen Lernplattform stattfindet, ist das Kriterium der thematischen und inhaltlichen Angemessenheit von Aufgaben und Lerneräußerungen aufgrund der Öffentlichkeit des Internets (vgl. Biebighäuser / Zibelius / Schmidt 2012, 47) beispielsweise hier nicht relevant. 2.1.3 Aufgaben für CMC-Szenarien Aufgaben sind zentrale Ausgangspunkte des Lehrens und Lernens; hauptsäch‐ lich durch Lernaufgaben steuern die Lehrenden das Lernen in Unterrichtskon‐ texten. 36 In der Fremdsprachendidaktik hat sich der aufgabenorientierte Ansatz (engl. task-based language teaching bzw. task-based language learning, TBLT ) „inzwischen als angemessener und weltweit verbreiteter Sprachlernansatz […] etabliert“ (Müller-Hartmann / Schocker-von Ditfurth 2010, 203), mit dessen Hilfe Aufgaben sowohl in Präsenzals auch in Online-Phasen gestaltet werden können (vgl. Müller-Hartmann / Schocker-von Ditfurth 2008). ‚Aufgabe‘ im Kontext von TBLT kann wie folgt definiert werden: „A task is an activity in which a person engages in order to attain an objective, and which necessitates the use of language“ (Van den Branden 2006, 4). Zentraler Gedanke ist, dass die Lerner durch die Aufgaben angehalten werden, die Zielsprache für authenti‐ sche 37 Zwecke zu gebrauchen, wobei der Interaktion, sei es nun zwischen Ler‐ nern oder mit L1-Sprechern, eine wichtige Rolle zukommt. Computervermittelte Kommunikation, deren Hauptmerkmal die Ermöglichung von interpersonaler Interaktion ist, kann somit als wichtiges Werkzeug für aufgabenorientiertes Lernen angesehen werden. Damit Aufgaben das Sprachenlernen möglichst effektiv unterstützen, sollten sie bestimmte Merkmale erfüllen, die im Folgenden mit Hinblick auf asynchrone computervermittelte Kommunikation dargelegt werden. Ausgangspunkt sind die Gütekriterien, die von Biebighäuser, Zibelius und Schmidt (2012, 45-50) für „Aufgaben 2.0“, d. h. Aufgaben für das Fremdsprachenlehren mit digitalen Me‐ dien, formuliert wurden. 38 Demnach ist es vor allem wichtig, dass Aufgaben einen bedeutungsvollen Bezug zur Lebenswelt der Lernenden aufweisen, und dass diese sich als ernst genommene fremdsprachlich Handelnde (und nicht primär als Fremdsprachen‐ lernende) äußern können. Der Lebensweltbezug bzw. die lebensweltliche Rele‐ 37 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 39 Siehe zur lebensweltlichen Relevanz im untersuchten Setting und der Problematisie‐ rung des Begriffs Kapitel 5.8.3. vanz kann unterschiedlich verstanden werden: beispielsweise als Übereinstim‐ mung zwischen den Aufgaben, die die Lernenden im Klassenzimmer bearbeiten, und den Aufgaben, die sie in der fremdsprachlichen Lebenswelt außerhalb des Klassenzimmers bewältigen müssen, oder als Möglichkeit, „persönlich Bedeut‐ sames mitzuteilen“ (Müller-Hartmann / Schocker-v. Ditfurth 2006, 3). 39 Dass die Lerner sich als fremdsprachlich Handelnde äußern, wird durch einen offenen Charakter der Aufgaben möglich: „Hierdurch erlauben sie es den Lern‐ enden, als sie selbst zu Wort zu kommen. Die Lernenden agieren als ernst ge‐ nommene fremdsprachlich Handelnde“ (Biebighäuser / Zibelius / Schmidt 2012, 47). Aufgaben 2.0 können dabei in stärkerem Maße zur Entkünstlichung des Fremdsprachenunterrichts beitragen, indem sie die authentische Interaktion mit L1-Sprechern und anderen Fremdsprachenlernen fördern: Die Lernenden erhalten die Gelegenheit, mit realen Personen außerhalb des Klassen‐ zimmers zu kommunizieren und Inhalte für ein authentisches Publikum zu publi‐ zieren. Damit können gute Aufgaben 2.0 das ‚So tun als ob’ geschlossener Klassen‐ raumdialoge durch die kommunikative Realität der fremdsprachlichen Kommunikation ersetzen. […] Gute Aufgaben 2.0 bieten Raum für authentische In‐ teraktionen in der Zielsprache - schriftlich wie mündlich, synchron und asynchron. (ebd. 2012, 46) Brandl setzt sich dahingehend mit der Frage auseinander, welche CMC -Aufga‐ bentypen besonders interaktionsförderlich wirken. Interaktionsförderlich sind demnach Aufgaben, bei denen jeder einzelne Lerner durch einen spezifischen Teil zur Lösung beitragen muss (vgl. Brandl 2012, 5), und solche, in denen die Lerner zu einem Konsens kommen müssen, wobei festgestellt werden kann, dass das Vorhandensein von mehreren Lösungen (closed-outcome) wiederum zu mehr Interaktion führt als Aufgaben, die flexibel gelöst werden können (open-out‐ come) (ebd.). Aufgaben für CMC -Umgebungen an dem Ziel auszurichten, dass sie zu möglichst viel Interaktion führen, muss jedoch als problematisch ange‐ sehen werden: Zwar haben die bisherigen Ausführungen gezeigt, dass Interak‐ tion aus lerntheoretischer Perspektive besonders (aber nicht nur) für das Fremd‐ sprachenlernen sinnvoll ist, doch kann eine zu starke Fokussierung auf Interaktion und Konsens den offenen Charakter und die Berücksichtigung der Lerner als fremdsprachlich Handelnde gefährden. In bestimmten Fragen, be‐ sonders wenn es sich bei den Aufgaben um sogenannte „opinion-“ oder „expe‐ rience-based activities“ (Brandl 2012, 4) handelt, wollen die Lerner vermutlich 38 2 Theoretischer Hintergrund gar nicht zu einer gemeinsamen Meinung kommen bzw. besteht die Gefahr, dass sie nur aus pragmatischen Gründen, d. h. weil die Aufgabe dies vorschreibt, eine gemeinsame Lösung finden. Auch aus Gründen der Multiperspektivität, die für die gemeinsame Wissenskonstruktion eine wichtige Rolle spielt, ist es nicht sinnvoll, wenn die Lerner zu einem Konsens kommen müssen. Die Gütekriterien für gute Aufgaben 2.0 betonen zudem die Integration von Bedeutungsgehalt und Formfokussierung (vgl. Müller-Hartmann / Schockerv. Ditfurth 2006), so dass der lebensweltliche Bezug der Aufgaben sowie das Ernstnehmen der Lernenden als fremdsprachlich Handelnde nicht gleichgesetzt werden kann mit einer Negierung von Formfokussierung. Dabei müssen die Aufgaben einen angemessenen Anforderungscharakter haben, d. h. dass sie sich am Sprachstand der Lerner orientieren und die Anforderungen minimal über dem Kenntnisstand des Lernenden liegen. Damit Aufgaben effektiv bearbeitet werden können, muss auch die konkrete Gestaltung der Aufgaben gewissen Gütekriterien gerecht werden: Gute Auf‐ gaben zeichnen sich demnach zunächst dadurch aus, dass sie die Anforderungen transparent machen, z. B. durch die Verwendung einer verständlichen Sprache. Zur Transparenz gehört zudem die sinnvolle Sequenzierung von Aufgaben sowie auch die Angabe von zeitlichen Vorgaben als Strukturierungshilfe, wobei Biebighäuser (2014, 363) darauf hinweist, dass in virtuellen Welten Aufgaben‐ stellungen möglichst detailliert formuliert sein müssen, was im Übrigen für alle digitalen Lernumgebungen gilt: Seitens der Lehrenden kann, im Gegensatz zum Präsenzunterricht, in den meisten Fällen kaum spontan auf Probleme bei der Aufgabeninterpretation reagiert werden (z. B. durch eine mündliche Erklärung oder eine Umformulierung) (vgl. Kirchhoff 2008, 105). Wenn die Aufgabe nicht so bearbeitet wird wie von der Lehrerin / dem Lehrer geplant, kann dies mit der Unterscheidung zwischen task as workplan, der Auf‐ gabenbearbeitung gemäß der Intention des Lehrers / der Lehrerin, und task in process, der tatsächlichen Aufgabenbearbeitung durch die Lerner, erklärt werden (vgl. Ellis 2003, 5). So wird die tatsächliche Aufgabenbearbeitung zunächst von der Interpretation der Aufgabenstellung (vgl. Butler / Cartier 2004) beeinflusst, in der sich die Lerner ein Bild davon machen, was von ihnen (vermutlich) er‐ wartet wird, sodann von Motivation, persönlichen Zielen, früheren Lernerfah‐ rungen, sprachlichem und inhaltlichem Vorwissen etc.: Task designers can ask, demand or invite the learner to do meaningful things with language and meanwhile pay attention to particular forms, but they cannot force the learner into anything. The gap between the ‚task as workplan’ and the actual ‚task in process‘ […] can be wide. (Van den Branden 2006, 10) 39 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien Aufgaben spielen also eine zentrale Rolle im Unterrichtsgeschehen, so auch für das, was in den hier untersuchten asynchronen Online-Diskussionen geschieht. Für die Analyse wird vor allem auch die Unterscheidung von task as workplan und task in process wichtig sein. Neben den Aufgaben, die im Unterricht gestellt werden, sind Lehrende, auf deren Rolle im nächsten Unterkapitel eingegangen wird, ein weiterer entscheidender Faktor, der das Unterrichtsgeschehen beein‐ flusst. 2.1.4 Rolle der Lehrenden in CMC-Szenarien Lehrenden kommt in Unterrichtszusammenhängen eine zentrale Rolle zu, da sie die Unterrichtspraxis auf verschiedenen Ebenen gestalten, so auch in asyn‐ chronen Online-Kommunikationen. Der Lehrer / die Lehrerin trifft - meist aus‐ gehend von institutionellen und curricularen Vorgaben - Entscheidungen über Unterrichtsinhalte, plant und leitet unter Berücksichtigung methodisch / didak‐ tischen Wissens und subjektiver Theorien den Unterricht, und unterhält pro‐ fessionelle Beziehungen zu Lernern, Lehrenden und dem Kollegium (vgl. Witten / Harde 2010). Lehrende besitzen somit verschiedene soziale Rollen, die durch das eigene Rollenverständnis, durch Persönlichkeit, Ausbildung und Erfahrungen und den jeweiligen beruflichen Kontext sowie das jeweilige Gegenüber geprägt werden, wobei sich diese Rollen im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen wandeln und nicht selten normativ sind (vgl. Rösler 2012a, 14). Mit dem Aufkommen inter‐ aktionistisch-soziokultureller Perspektiven auf das Lernen, die, wie in Ka‐ pitel 2.1.2 gezeigt wurde, theoretischer Hintergrund für den Einsatz von com‐ putervermittelter Kommunikation in Bildungszusammenhängen sind, ändert sich auch die Rolle der Lehrenden (vgl. z. B. Lamy / Hampel 2007, 61). Die Lehrerin / der Lehrer fungiert in diesem Zusammenhang - und dabei spielt es keine Rolle, in welchem Modus der Unterricht stattfindet - nicht mehr als Wissensvermittler, sondern als facilitator (vgl. Rogers 1969, 104), d. h. als Lernbegleiter, der hilft, das „Konstruktionspotenzial des Lernenden […] im Un‐ terricht durch reichhaltige, vielfältige, erfahrungsbezogene und bedeutungs‐ volle Lernbzw. Konstruktionsmöglichkeiten“ (Witte / Harden 2010, 1327) zu 40 2 Theoretischer Hintergrund 40 In der Unterrichtspraxis ist es jedoch üblich, dass Lehrende zwischen verschiedenen Rollen wechseln, d. h. dass es beispielsweise Unterrichtsphasen gibt, in denen die leh‐ rerzentrierte Wissensvermittlung im Mittelpunkt steht, die z. B. von kooperativen Ar‐ beitsformen abgelöst werden, in denen dem Lehrer / der Lehrerin die Rolle des facilita‐ tors zukommt. 41 Nur am Rande wurde bislang in der Forschung beachtet, welche Rolle der Raum auf die Lehrerrolle hat, was aber im Hinblick auf die unterschiedlichen Räume, in denen On‐ line- und Präsenzlehren stattfindet, relevant ist. Breidenstein weist in einer an raum‐ soziologische Überlegungen anknüpfenden ethnographischen Studie darauf hin, dass das Handeln von Lernern und Lehrenden im Präsenzunterricht spezifischen räumlichen Bedingungen unterliegt. Sein Fokus liegt zwar auf dem Lernerverhalten, doch es wird deutlich, wie die Lehrenden Macht ausüben können durch die Konstruktion von vor allem visuellen und akustischen Räumen. Er zeigt z. B., dass allein die Stimme der Leh‐ rerin / des Lehrers die akustische Hoheit über den allgemeinen Raum besitzt (vgl. Brei‐ denstein 2004, 98) und so Macht erhält. Dies wirft die Frage auf, wie in virtuellen Räumen die Lehrerrolle konstituiert wird. fördern, u. a. durch eine entsprechende Aufgabenstellung (vgl. Kapitel 2.1.3) und das Herstellen einer lernförderlichen Atmosphäre. 40 Jedoch ist die Tatsache, dass eine Lehrerin / ein Lehrer ein neues eigenes Rol‐ lenverständnis entwickelt hat und dementsprechend den Unterricht planen und umsetzen will, noch kein Garant dafür, dass diese/ -r auch als facilitator agieren kann. Dies ist darauf zurückzuführen, dass soziale Rollen nicht nur selbst ge‐ wählt werden, sondern in gleichem Maße auch interpersonal konstituiert werden. 41 Wright weist darauf hin, dass Faktoren wie Status, Position, Persön‐ lichkeit sowie Annahmen über die jeweils andere Gruppe ausschlaggebend dafür sind, in welcher Rolle man sich befindet (vgl. Wright 1987, 21). Erwar‐ tungen und Rollenzuschreibungen seitens der Lernenden können dazu führen, dass es z. B. einem Lehrer / einer Lehrerin nicht gelingt, sich im Sinne eines facilitators auf Augenhöhe der Lernenden zu positionieren. Selbst wenn er / sie anstrebt, ihre sozial-institutionelle Rolle als Lehrkraft zugunsten ihrer didaktischen Lehrerrolle im Interesse eines emanzipatorischen Unterrichts zurückzunehmen, so kann sie den‐ noch nicht mit [den Lernenden] auf wirklich gleicher Ebene interagieren, da die Lehr‐ kraft immer zugleich als Bewertungs- und Kontrollinstanz fungiert; zumindest aus Lernerperspektive […]. (Witten / Harden 2010, 1332) Dieses Zitat weist darauf hin, dass die Rolle des Lehrers abhängig ist von den Annahmen, den subjektiven Theorien und dem Wissen, das Lernende von Leh‐ 41 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien 42 Wright stellt dahingehend fest: „Whichever way we look at the teacher / learner relati‐ onship, we have to admit that, because of the relative positions and statues, power plays a large part in the relationship. Indeed, some would go so far as to say that it is the most important factor“ (Wright 1987, 16). Die Einsicht, dass das Verhältnis asymmetrisch ist, hat für die vorliegende Arbeit in verschiedener Hinsicht Bedeutung, und zwar zunächst im Rahmen der Forschungsmethodik (vgl. vor allem Kapitel 4.2.2: Lehrende als for‐ schende Subjekte) und im Kapitel zu den forschungsethischen Überlegungen (Ka‐ pitel 4.3.4). Darüber hinaus beeinflusst das asymmetrische Machtverhältnis, welche Auswirkungen Lehrerkommentare in den Online-Diskussionen auf das weitere Ver‐ halten der Studienteilnehmer/ -innen haben (vgl. Kapitel 5.9: Lehrerrolle) und welchen Status Lehrerkommentare in kulturbezogenen Aushandlungsprozessen erhalten. 43 Eine umfassende Modellierung mediendidaktischer Kompetenzen von Fremdsprachen‐ lehrern und Fremdsprachenlehrerinnen ist bislang ein Desiderat (vgl. Würffel 2010, 149). Die Überlegungen von Rösler und Würffel beruhen auf „nicht systematisch erho‐ benen Erfahrungen im Bereich der Online-Tutorierung“ (Rösler / Würffel 2010b, 36). rern haben, und dass traditionell hierarchische Verhältnisse 42 nicht ohne wei‐ teres überwunden werden können. Dies ist auch für landeskundliches Lernen wichtig, da davon ausgegangen werden kann, dass Lehrende, als (vermeintliche) Experten für das Zielsprachenland, in der Regel auch eine Deutungshoheit im Hinblick auf landeskundliche Gegenstände haben, und beispielsweise als eine Art gatekeeper auch die Macht darüber besitzen, ob persönliche Erfahrungen mit der Zielsprachenkultur, die im Rahmen von Landeskundeunterricht von den Lernern geäußert werden, als gültig anerkannt werden. Im Hinblick auf die Frage, was der Einsatz von digitalen Medien im Kontext des Fremdsprachenlernens und -lehrens von den Lehrenden abverlangt, wurde in den Anfangsjahren von computergestütztem Fremdsprachenunterricht zu‐ nächst nur darauf hingewiesen, dass zu den fachdidaktischen Kompetenzen auch Computerkenntnisse gehörten (vgl. Hampel / Stickler 2005, 316). Inzwi‐ schen herrscht weitgehend das Bewusstsein vor, dass fachspezifische medien‐ didaktische Kompetenzen vonnöten sind, um durch den Einsatz von digitalen Medien Fremdsprachenlehr- und -lernprozesse zu unterstützen. In der bildungs‐ politischen Debatte um Kompetenzen von Lehrenden wird es demnach als sinn‐ voll erachtet, diese nicht global sondern domänenspezifisch zu beschreiben (vgl. Rösler / Würffel 2010b, 27f). Von Rösler und Würffel (2010b) liegen Überlegungen 43 vor, welche Kompe‐ tenzen Online-Tutoren besitzen sollten, wobei zwischen Sozialkompetenz und personaler Kompetenz auf der einen Seite und Fach-, Methoden-, Organisations- und Administrationskompetenz auf der anderen Seite unterschieden wird. Zu‐ gleich zeigt sich in der Arbeit von Rösler und Würffel, die auf Online-Tutoren fokussieren, dass es stark vom Kontext abhängt, welche Kompetenzen benötigt werden. Online-Tutoren, d. h. die Personen, die die Arbeit von Lernern während 42 2 Theoretischer Hintergrund 44 Zu anderen Bedeutungen des Begriffs „Online-Tutor“ siehe Rösler / Würffel 2010b, 33-35. der Online-Phasen (oder in reinen E-Learning-Szenarien) unterstützen, 44 sind dabei zu unterscheiden von den Lehrenden, die tutorieren und mit Hilfe me‐ thodisch-didaktischen Wissens die Online-Phasen planen. Dementsprechend haben Rösler und Schneider (2007, 178f) Aufgabenfelder für Lehrende in Blended-Learning-Szenarien formuliert und konkretisiert. Diese leisten aufgrund ihrer Fokussierung auf die computervermittelte Kommunika‐ tion für die Beschreibung und Analyse der hier untersuchten Online-Diskussi‐ onen einen wertvollen Beitrag und sind Ausgangspunkt für die folgende Dar‐ stellung. Es wird deutlich, dass die Aufgabenformulierungen verschiedene fachspezifische, mediendidaktische und soziale Kompetenzen der Lehrenden implizieren, die Voraussetzung für das erfolgreiche Planen und Durchführen sind. Zugleich ist die Vorstellung des Lehrers / der Lehrerin als facilitator prä‐ dominant und prägt die Aufgabenbeschreibungen: Zu den technischen Aufgaben zählt, neben den Aufgaben, die die Bereitstel‐ lung von Online-Lehrinhalten mit sich bringt, dass die Lehrenden den Lernern helfen, in virtuellen Lernumgebungen zurechtzukommen, und zwar durch eine entsprechende Einweisung, durch das Bereitstellen von Leitfäden und techni‐ schen Hilfestellungen. Organisatorisch-administrative Aufgaben: Die Aufgabe von Lehrenden ist es zu vermeiden, dass „eine kognitive Überlastung der Lernenden durch den or‐ ganisatorischen Zusatzaufwand [auftritt], der in Folge der virtuellen Lernum‐ gebung entstehen kann (z. B. dadurch, dass die Lernenden mit den Besonder‐ heiten netzgestützter Kommunikation zurecht kommen [sic] müssen)“ (ebd., 178). Diese gilt es mit Hilfe geeigneter Unterstützungsangebote zu vermeiden. Während Rösler und Schneider das Festlegen von Terminen und Abgabefristen als Strukturierungshilfen sowie die Vorgabe von Regeln für die Online-Kom‐ munikation nennen, sollte zudem die Aufgabenstellung transparent und klein‐ schrittig formuliert werden. Es ist dabei für den Online-Modus besonders wichtig, dass die Aufgabenstellung gut durchdacht ist, da auf Missverständnisse bzw. Fragen unter Umständen nicht sofort reagiert werden kann. Auch inhalt‐ liche Hilfestellung, z. B. durch die Vorgabe von Beispielantworten oder die An‐ gabe, wie viele Beiträge man schreiben sollte, sind sinnvoll, da z. B. ein Begriff wie „diskutieren“ im Kontext asynchroner computervermittelter Kommunika‐ tion ohne entsprechende Erfahrung seitens der Lerner nicht unbedingt ver‐ ständlich ist. 43 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien Neben diesen Aufgaben, die den Lernprozess strukturieren, spielen motiva‐ tional-emotionale Aufgaben eine wichtige Rolle: Aufgrund der Kanalreduktion in asynchroner computervermittelter Kommunikation ist „die soziale Präsenz eingeschränkt und die Kommunikationssituation anonymer“; zu den Aufgaben der Lehrenden gehört es daher, eine lernförderliche Atmosphäre im Kurs her‐ zustellen, indem eine „angenehme, konstruktive und kommunikationsfreudige Stimmung“ (Rösler / Würffel 2010b, 46) geschaffen wird. In diesem Aufgaben‐ bereich spiegelt sich am deutlichsten die Vorstellung des Lehrenden als facili‐ tator. Konkret kann dies geschehen, indem die Lerngruppe als Ganzes unter‐ stützt wird, Anerkennung ausgesprochen wird, Hinweise und nur gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge gegeben werden (vgl. Meister 2012, 48). Es ließe sich zudem hinzufügen, dass die Lehrenden die Stärken der ver‐ schiedenen Unterrichtsmodi kennen und den Präsenzunterricht nutzen, um eine angenehme Stimmung in der Gruppe herzustellen, die in den Online-Phasen beibehalten werden kann. Methodisch-didaktische Aufgaben: Nach Rösler und Schneider zählt zu diesen das Entwerfen von Lernszenarien, „die den Bedingungen der digitalen Medien gerecht werden und einen didaktischen Mehrwert erbringen“, wobei die Eigen‐ schaften, Bedingungen und Auswirkungen der verschiedenen Modi stets be‐ rücksichtigt werden müssen. Dies heben auch Lamy und Hampel (2007, 34) hervor: „[T]eachers and learners cannot simply replicate in CMCL what they have accustomed to doing in the face-to-face-setting“. Dazu gehört, ausgehend von den Lernzielen den geeigneten Modus zu wählen (Onlinevs. Prä‐ senz-Modus, Selbstlernen vs. kooperatives Lernen, asynchron vs. synchron) und geeignete Aufgaben zu formulieren sowie dafür zu sorgen, dass eine sinnvolle Verbindung von Online- und Präsenz-Komponenten entsteht. Zu den fachlich-inhaltlichen Aufgaben gehört abschließend, „dass sie [die Lehrenden, CB ] als Experten ihres Faches Kursmaterialen bereitstellen oder selbst Autoren von Online-Materialien sind, die Auseinandersetzung mit den Materialien initiieren und inhaltliche Fragen beantworten. Bei der Online-Kom‐ munikation sollten sie Lernende unterstützen, indem sie den roten Faden her‐ stellen, bei Bedarf Zusammenfassungen anbieten, Beiträge kommentieren, Be‐ züge herstellen und verschiedene Ansichten in den Diskurs mit einbringen (vgl. Rösler / Schneider 2007, 178f, vgl. auch Salmon 2000, 32f). Dies zeigt, dass die Aufgabengebiete sich oft überschneiden und z. B. in der Tutorierung von asyn‐ chronen Online-Diskussionen motivational-emotionale Aufgaben und fach‐ lich-inhaltliche Aufgaben ineinanderfließen. Die Lehrerrolle in asynchronen computervermittelten Diskussionen ist also, ebenso wie in allen anderen Modi, vielschichtig und wird von den Erwartungen 44 2 Theoretischer Hintergrund beeinflusst, die Lernende an den Lehrer / die Lehrerin stellen, aber auch von normativen Ansprüchen. Während im Zuge interaktionistisch-soziokultureller Theorien die Lehrerin / der Lehrer als Lernbegleiter oder facilitator gesehen wird, der hilft, ein Lernsetting herzustellen, in dem die Lernenden im Austausch mit anderen gemeinsam Wissen konstruieren, können Erwartungen von Lern‐ enden dafür sorgen, dass Lehrende der Rolle des Lernbegleiters nur begrenzt gerecht werden können. Diese Feststellung wird vor allem in Kapitel 5.9 eine Rolle spielen. Zugleich hat die knappe Beschreibung der Aufgaben von Lehrenden in Blended-Learning-Szenarien gezeigt, dass gewisse Besonderheiten festzustellen sind. Zwar haben Lehrende sowohl im Onlineals auch im Präsenzmodus die Aufgabe, Lernprozesse anzuregen und zu moderieren, Rückmeldungen auf Lernleistungen zu geben und, wenn Lernende zusammenarbeiten, die Koope‐ ration zu stärken (vgl. Meister 2012, 45), doch müssen im Online-Modus zudem technische Hilfestellungen gegeben werden, Aufgabenstellungen müssen be‐ sonders durchdacht formuliert werden und im Zuge der Tutorierung muss auf‐ grund der Kanalreduktion auf andere Mittel zurückgegriffen werden, um eine lernfreundliche Atmosphäre herzustellen. 2.1.5 Zusammenfassung Dieses Kapitel zu digitalen Medien und asynchroner computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht hat gezeigt, dass Fremdsprachen‐ unterricht durch digitale Medien auf vielfältige Art und Weise modifiziert werden kann und dass die Wahl eines bestimmten Werkzeuges oder eines be‐ stimmten Modus vor allem vom Kontext und den Lernzielen bestimmt wird. Im Hinblick auf das untersuchte Setting sollen im Folgenden die wichtigsten Er‐ kenntnisse und Annahmen zusammengefasst werden. Der Einsatz von asynchroner computervermittelte Kommunikation im Lan‐ deskundeunterricht ist aus allgemeindidaktischen Gründen sinnvoll sowie aus Gründen, die speziell das Fremdsprachenlernen betreffen. Der wichtigste Grund ist die Möglichkeit zur tieferen Reflexion: Aufgrund der relativen zeitlichen Fle‐ xibilität haben die Lernenden die Möglichkeit, auch außerhalb des Präsenzun‐ terrichts zu interagieren sowie länger über ihre Beiträge nachzudenken, was sowohl die inhaltliche Tiefe der Beiträge als auch die sprachliche Ausarbeitung positiv beeinflussen kann. Zugleich können jedoch durch diese Flexibilität die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Beiträgen so groß werden, dass die Interaktion zwischen den Lernenden erschwert wird. 45 2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien Verschiedene Studien legen nahe, dass sich asynchrone computervermittelte Diskussion positiv auf das Fremdsprachenlernen auswirkt. Die relative zeitliche Flexibilität kann darüber hinaus zu einer gleichberechtigteren Teilnahme aller sorgen: Die Diskussion kann nicht von Lernern, die sich auf einem höheren Sprachniveau befinden als die anderen Lerner, oder von besonders lauten oder extrovertierten Lernern dominiert werden. Schüchterne Lerner können an der Diskussion teilhaben, ohne dass sich alle Blicke auf sie richten. Zugleich werden die Beiträge der Studierenden im Diskussionsforum gespeichert und sind somit zu späteren Zeitpunkten zugänglich. Die anderen Lernenden können sie mehr‐ mals lesen und das Verständnis sichern. Zudem besitzen asynchrone Online-Diskussionen ein Potenzial für die ge‐ meinsame Wissenskonstruktion, was durch die zeitliche Flexibilität unterstützt wird. Die Lerner posten nach relativ sorgfältiger Reflexion ihre Beiträge, die ihre Perspektive auf ein Thema beinhalten, so dass verschiedene Perspektiven auf den Lerngegenstand in der Diskussion sichtbar werden. So können multi‐ perspektivische Diskussionen entstehen, die den Lernenden andere Sichtweisen aufzeigen, die sie mit ihren eigenen vergleichen und welche sie unter Umständen im Anschluss revidieren können. Die Lehrerin / der Lehrer nimmt in diesem Kontext die Rolle eines Lernbegleiters ein, der die Diskussion affektiv durch eine hohe Präsenz und Lob unterstützt, ohne selbst in eine dozierende Rolle zu ver‐ fallen. Dreh- und Angelpunkt des Unterrichtsgeschehens, so auch in asynchronen Online-Diskussionen, sind Aufgaben, und damit viele verschiedene Sichtweisen auf das jeweils diskutierte Thema sichtbar werden, müssen die Aufgaben, die die Lerner online bearbeiten, entsprechend formuliert sein. Es wurden einige Gütekriterien präsentiert, die zur Beurteilung der Aufgabenstellungen und des Potenzials für landeskundliches Lernen herangezogen werden sollen. Für die Analyse der Aufgaben im untersuchten Szenario werden vor allem die Kriterien Offenheit und Lebensweltbezug relevant sein. Um aber das Potenzial asyn‐ chroner Online-Diskussionen für landeskundliches Lernen auf eine Weise he‐ rauszuarbeiten, die über die Nennung von Multiperspektivität hinausgeht, muss zunächst dargestellt werden, welche Ziele landeskundliches Lernen im Allge‐ meinen und im hier untersuchten Setting hat. 46 2 Theoretischer Hintergrund 45 Siehe dazu u. a. Doyé 1996, Kramsch 1998. Bei Doyé heißt es beispielsweise: „The very nature of language forbids the separation of language from culture. If language is con‐ sidered as a system of signs, and signs are characterized by the fact that they are units of form and meaning, it is impossible to learn a language by simply acquiring the forms without their content. And as the content of a language is always culture-bound, any reasonable foreign-language teaching cannot but include the study of a culture from which the language stems“ (Doyé 1996, 105). 46 Siehe dazu auch Koreik / Pietzuch 2010, 1443. In der Forschungsliteratur wird mitunter eine weitere Kategorie, Landeskunde als Teil der Lehrerausbildung, hinzugefügt, wobei diese m. E. durchaus dem Fremdsprachenunterricht zugeordnet werden kann. 2.2 Kulturbezogenes Lernen 2.2.1 Landeskunde: Geschichte, Begriffe und Probleme Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Sprache und Kultur untrennbar miteinander verwoben sind und Fremdsprachenlernen daher im Grunde immer mit kulturbezogenem Lernen einhergeht. 45 Die Frage, was Kultur in diesem Zu‐ sammenhang bedeutet, wird sehr unterschiedlich beantwortet, wie auch ein Blick auf die historische Entwicklung der Zielsetzungen von Landeskundeun‐ terricht zeigt. Im folgenden Kapitel soll daher zunächst einleitend auf dessen Geschichte, (Kultur-)Begriffe und Probleme eingegangen werden, um daran an‐ schließend aktuelle Entwicklungen in der Landeskundedidaktik darzulegen, die die theoretische Grundlage für das Seminar bilden, das im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird. Neben der Verortung von Landeskunde als Teil des Fremdsprachenunter‐ richts wird gewöhnlich auch von Landeskunde als Forschungsgegenstand und als einer politisch eingeforderten Kompetenz gesprochen. 46 Landeskunde im Fremdsprachenunterricht wird anhand ihres jeweiligen didaktischen Ortes un‐ terschieden, denn zwischen Landeskunde als (explizit und / oder implizit ver‐ mitteltem) integrativem Teil des Fremdsprachenunterrichts und Landeskunde als, wie im vorliegenden Fall, eigenständigem Fachseminar im Rahmen von Lehrerausbildung oder Germanistikstudiengängen im nicht-deutschsprachigen Ausland bestehen große Unterschiede hinsichtlich sowohl der Lehr- und Lern‐ ziele, der didaktischen Aufbereitung als auch der Erwartungen der Lernenden. Im Rahmen des Germanistik-Studiums an ausländischen Universitäten hat die Landeskunde als eigenständiges Unterrichtsfach beispielsweise eine andere Stellung als ein eher kommunikativ ausgerichteter Unterricht an Sprachschulen in den deutschsprachigen Ländern, an denen die Alltagskommunikation im Mittelpunkt steht. 47 2.2 Kulturbezogenes Lernen 47 Rüger etwa konstatiert im Hinblick auf die Landeskundevermittlung am Deutschstu‐ diengang der Nationaluniversität Kolumbiens: „Landeskundevermittlung ist äußerst subjektiv geprägt. Die Inhalte […] hängen vor allem von den jeweiligen persönlichen Erlebnissen und Vorlieben des Lehrenden ab“ (Rüger 2010, 82). 48 LEA = langues étrangères appliquées, dt. angewandte Fremdsprachen. Landeskunde hatte lange aus verschiedenen Gründen in der deutschspra‐ chigen fachdidaktischen Diskussion einen schwierigen Status. Hackl, Langner und Simon-Pelander beispielsweise fassen in der Landeskundediskussion gefal‐ lene Urteile wie „Unfach“, „ominös“ und „Faktenhuberei“ zusammen und weisen darauf hin, dass die Landeskunde sogar als „überflüssig“ bezeichnet wurde (vgl. Hackl / Langner / Simon-Pelander 1998, 5). So wurde und wird kritisiert, dass im Landeskundeunterricht - sei er nun integrativer Bestandteil des Fremdspra‐ chenunterrichts oder eigenständiges Fachseminar - die Vermittlung von will‐ kürlichen, von subjektiven Präferenzen der Lehrenden abhängigen Inhalten stattfindet. 47 Um dem entgegenzuwirken, wurde immer wieder die wissen‐ schaftliche Verankerung in Bezugsdisziplinen wie Politikwissenschaften, Ge‐ schichte, Sozialwissenschaften etc. gefordert, die jedoch „letztlich immer unge‐ klärt und in einzelnen Studien stecken geblieben ist“ (Altmayer / Koreik 2010a, 1378). Hinzu kommt, dass selbst wenn die Landeskunde stärker wissenschaftlich verankert ist, wie es z. B. innerhalb von französischen LEA -Studiengängen 48 der Fall ist, auch dort die Unterrichtsinhalte von den Vorlieben der Lehrenden ab‐ hängen und es an qualifizierten Lehrkräften fehlt: Aujourd’hui encore, l’enseignement de la civilisation est dans chaque université da‐ vantage le produit de situations et de qualifications locales, des intérêts propres aux enseignants sur place […]. Un observateur soulignait, en 1989, que la civilisation était reconnue comme le troisième pilier de la germanistique française, ‚l’un des problèmes majeur semble rester la qualification des enseignants, car il n’y a que très peu d’en‐ seignants essentiellement civilisationnistes‘. (Martens 2006, 10) Für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht und die sogenannte Auslands‐ germanistik stellt Hille Ähnliches fest, da „gerade die Integration sozialwissen‐ schaftlicher Aspekte in Lehre und Forschung im Fach Deutsch als Fremdsprache oft Schwierigkeiten bereitet, was bereits in der größtenteils eher geisteswissen‐ schaftlich orientierten Ausbildung der Lehrenden begründet liegt“ (Hille 2009, 9). Seitdem der cultural turn in den Geisteswissenschaften auch die Fremdspra‐ chendidaktik erreicht hat und die Landeskunde in der Theorie und teilweise auch in der Praxis von kulturwissenschaftlich orientierten Ansätzen geprägt 48 2 Theoretischer Hintergrund 49 Die stärkere wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde zeigt sich etwa in der Tat‐ sache, dass in Deutschland seit 2005 Professuren im Bereich Landeskunde / Kulturstu‐ dien - Deutsch als Fremdsprache eingerichtet wurden, siehe Koreik 2011. 50 Buttjes stellte zu den Entwicklungen im Fremdsprachen- und Landeskundeunterricht fest: „Unabhängig von […] zeitbedingten Wandlungen gewinnt die Landeskunde immer dann an Bedeutung, wenn der Fremdsprachenunterricht Legitimationskrisen und Re‐ formphasen durchläuft (Buttjes 1989, zitiert in Koreik 2009). Siehe Koreik 2009 zur wei‐ teren Verzahnung von gesellschaftlichen Veränderungen, wissenschaftlichen Fokus‐ verschiebungen und sich wandelnden Zielvorstellungen im Landeskundeunterricht. 51 Zu betonen ist an dieser Stelle außerdem, dass es sich zunächst nur um Ansätze handelt, deren Umsetzung in der Praxis nicht so ausschließlich stattfindet, wie es die Theorie suggeriert und dass die Kombination von verschiedenen Linien alltägliches Geschäft ist bzw. dass neue Entwicklungen nicht gleich bzw. unbedingt im Unterricht umgesetzt werden. 52 Zur Geschichte des Landeskundeunterrichts siehe z. B. Pauldrach 1992, Koreik / Piet‐ zuch 2010. Eine Übersicht vor allem über die frühe Geschichte des Landeskundeunter‐ richts, d. h. ab den 1880er Jahren, findet sich bei Koreik 1995, 5-10, Lüsebrink 2007, 61, und Christ 2010, 19 f. ist, 49 hat sich das Problem auf eine andere Ebene verschoben, nämlich dass es in der Unterrichtspraxis schwerfällt, den fundierten kulturtheoretischen Überle‐ gungen gerecht zu werden (vgl. Altmayer / Koreik 2010a, 1380). In den letzten Jahren hat sich zwar vor allem der Ansatz, mit Erinnerungsorten zu arbeiten, als durchführbar erwiesen, doch ist weiterhin festzustellen, dass auf den Niveaus A1 bis A2 / B1 des GER die Umsetzung der Prämissen einer kulturwissenschaft‐ lich orientierten Landeskunde problematisch ist (vgl. Kapitel 2.2.2). Ein Blick auf die Geschichte des Landeskundeunterrichts zeigt, dass die Auf‐ fassung, was sinnvolle Inhalte und Ziele sind, stets im Zusammenhang mit übergreifenden Ansätzen in der Fremdsprachenvermittlung steht und unter Be‐ rücksichtigung der jeweiligen übergreifenden Zielvorstellungen von Fremd‐ sprachenunterricht betrachtet werden müssen. 50 Folgende landeskundlichen Ansätze lassen sich seit den 1950er Jahren ausmachen: der kognitive, der kom‐ munikative und der interkulturellen Landeskundeansatz. 51 In den letzten Jahren spricht man zudem von transkultureller und kulturwissenschaftlich orientierter Landeskundedidaktik (vgl. z. B. Koreik / Pietzuch 2010, 1449f, Laurien 2010). 52 Der kognitiv ausgerichtete Landeskundeansatz wird in der Regel zur Gram‐ matik-Übersetzungs-Methode gezählt, deren übergreifendes Ziel formale Bil‐ dung und die Bekanntmachung der Lernenden mit fremden ‚Kulturen‘ ist (vgl. Christ 2010, 17f, Rösler 2012a, 68f). Die Kritik am Zahlen und Daten vermit‐ telnden Landeskundeunterricht richtet sich vor allem gegen eine Unterrichts‐ praxis, in der Inhalte gelernt werden sollen, die für die Lernenden mitunter keine hohe Relevanz haben und für die Kommunikation in der Fremdsprache keine große Rolle spielen. Hinzu kommt, dass diese scheinbar objektiven Fakten unter 49 2.2 Kulturbezogenes Lernen 53 Einen in diesem Sinne aussagekräftigen Titel trägt das 1968 erschienene schwedische Landeskundelehrwerk So ist es heute (Wohlgemuth-Berglund 1968). Umständen, wie beispielsweise solche, die in Lehrwerken eingeführt werden, veraltet sein können. 53 Darüber hinaus handelt es sich oftmals um Wissen, das auch L1-Sprecher nicht besitzen. Zwar könnte man meinen, dass letzteres Ar‐ gument in Zeiten, in denen die Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts an muttersprachlichen Kompetenzen als nicht mehr zeitgemäß angesehen wird, an Argumentationskraft verloren hat, doch richtet sich die Kritik vor allem gegen kontextloses Faktenwissen, wie es z. B. in Lehrwerken für Integrationskurse (vgl. z. B. Schote 2011) behandelt wird. Auf die Frage, inwieweit die Vermittlung von Sachwissen im hier untersuchten Seminar sinnvoll ist, wird in Kapitel 6.2 näher eingegangen. Von der Vermittlung von Faktenbzw. Sachwissen wird im kommunikativen Ansatz Abstand genommen, der von Piepho (1974) angestoßen wurde. Landes‐ kundliche Inhalte sind bestimmt von ‚Alltagskultur‘ und der Frage, welches landeskundliche Wissen der Lernende benötigt, um in der Alltagskommunika‐ tion ‚adäquat‘ kommunizieren zu können. Damit geht auch einher, dass die Thematisierung der sogenannten Hochkultur ersetzt wird durch eine Beschäf‐ tigung mit kulturellen Äußerungen, die mit dem sogenannten erweiterten Kul‐ turbegriff beschrieben werden. Kritisiert wird am kommunikativen Ansatz die in der Unterrichtspraxis einseitige Orientierung an der Alltagskommunikation, die das ursprünglich hohe politische Ziel der Diskursfähigkeit, d. h. „die Fähig‐ keit von Menschen, an mehrsprachigen und komplexen gesellschaftlichen Pro‐ zessen teilzuhaben, sie mitbestimmen und mitgestalten zu können“ (Legutke 2010, 73), mit der Zeit ersetzt (vgl. Rösler 2012a, 77). Im Zuge des interkulturellen Paradigmas des Fremdsprachenunterrichts, dessen Lehr- und Lernziel interkulturelle Kompetenz ist, rückte der Fokus auf die Vermittlung von Strategien im Umgang mit ‚fremden‘ Kulturen; Vorausset‐ zung dafür sei nicht nur die Kenntnis des ‚Fremden‘, sondern zugleich auch die Auseinandersetzung mit dem ‚Eigenen‘. In den letzten Jahren entwickelte trans‐ kulturelle und kulturwissenschaftlich orientierte Ansätze können als eine Re‐ aktion auf das Interkulturalitätsparadigma verstanden werden, da sie die pri‐ märe Zielvorstellung vertreten, der in Zeiten von Globalisierung und weltweiten Vernetzungen verstärkt erlebten Heterogenität von ‚Kulturen‘ eher gerecht zu werden als der interkulturelle Ansatz. Dieser wird als eine die Realität verschleiernde Ideologie [betrachtet], die die tatsächlich herr‐ schende Ungleichheit zwischen Minderheiten und Mehrheiten verdecke, faktische 50 2 Theoretischer Hintergrund 54 Zu Recht wurde dieser Vorwurf von Bredella 2010 zurückgewiesen. Diskriminierung kompensiere und somit rassistische Einwanderungspolitik unter‐ stütze. (Hu 1999, 279) Interkulturellen Ansätzen wird also in dieser Argumentation vorgeworfen, an‐ statt für die Überbrückung von ‚kulturellen Unterschieden‘ zu sorgen, diese zu verfestigen. 54 Mit neueren, kulturwissenschaftlich orientierten Ansätzen liegen Versuche vor, die im Zuge der Globalisierung veränderten Ziele von Fremdsprachenun‐ terricht im Allgemeinen und die daraus resultierenden Veränderungen im lan‐ deskundlichen Unterricht zu berücksichtigen. Den verschiedenen Ansätzen ge‐ mein ist, dass sie - meist implizit - von Landeskunde als integrativem Teil des Fremdsprachenunterrichts ausgehen. Landeskunde als eigenständiges, fakten‐ vermittelndes Fach ist mittlerweile „verpönt“ (Koreik 2010a, 28), obwohl es an ausländischen Universitäten oft zum Curriculum gehört und daher eigentlich stärker in der fachdidaktischen Diskussion berücksichtigt werden sollte. Beide Problembereiche der Landeskundedidaktik - sowohl die Frage nach den Inhalten als auch die nach der Wissenschaftlichkeit - finden ihren Ausdruck auch in dem Ringen um die Bezeichnung des Faches. An dieser Stelle sollen weder die unterschiedlichen Bezeichnungen aufgelistet werden, dies ist schon andernorts oft getan worden (siehe z. B. Maijala 2008, 15f), noch die (manchmal fundamentalen) Unterschiede zwischen den einzelnen Ausrichtungen behandelt werden. Zusammenfassend lässt sich indes feststellen, dass die Frage nach den Inhalten sich z. B. in Begriffen wie Länderkunde (versus Landeskunde - hier also als ein plurinational verstandenes Konzept), Realia oder Kulturkunskap nieder‐ schlägt und die nach wissenschaftlichen Ansprüchen in Landesstudien, Kultur‐ studien oder German studies. Im Folgenden soll, wenn von dem Unterrichtsfach die Rede ist, mit dem Be‐ griff Landeskunde operiert werden, Lernprozesse werden als ‚landeskundliches Lernen‘ oder synonym als ‚kulturbezogene Lernprozesse‘ bezeichnet. Der Be‐ griff der Landeskunde kann zum einen als neutral betrachtet werden, der sich „obwohl er immer wieder in Frage gestellt wurde und noch wird, durchgesetzt hat“ (Maijala 2008, 16), gleichzeitig kann er als ein Oberbegriff für die verschie‐ denen Ansätze gelten, wie sich z. B. in dem 2010 erschienen internationalen Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zeigt, das verschiedene Ansätze unter der Überschrift „Landeskunde“ summiert (vgl. Krumm et al. 2010, 1441). 51 2.2 Kulturbezogenes Lernen 55 Zur Geschichte und zu Konzepten der Kulturwissenschaften in den Fremdsprachen‐ wissenschaften in Deutschland siehe z. B. Küster 2005, Schumann 2005a und vor allem Altmayer / Koreik 2010a. 2.2.2 Kulturwissenschaftlich orientierte Landeskunde Der cultural turn in den Geisteswissenschaften hatte mit einiger Verspätung auch Einfluss auf die Fremdsprachenwissenschaften, vor allem die Landeskun‐ dedidaktik. 55 Zwar war die Beschäftigung mit der ‚Kultur‘ eines Zielsprachen‐ landes, wie die verschiedenen Ansätze der Landeskundedidaktik zeigen, immer für Fremdsprachenunterricht von Belang, doch die Hinwendung der Kulturwissenschaften zu Materialität, Medialität und Tätigkeits‐ formen des Kulturellen, um genauer zu erkennen, wie und in welchen Prozessen und kulturspezifischen Ausprägungen Geistiges und Kulturelles in einer jeweiligen Ge‐ sellschaft überhaupt produziert werden[,] (Bachmann-Medick 2010, 99) hatte grundsätzliche Auswirkungen auf die Bestimmung von Inhalten und di‐ daktischen Vorgehensweisen von Landeskundeunterricht und lieferte zudem ein Gerüst für die gewünschte wissenschaftliche Fundierung. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass ‚kulturwissenschaftlich orientierte Landeskunde‘ weder eine abgeschlossene Entwicklung noch einen homogenen Ansatz bezeichnet. Laurien beispielsweise stellt fest, dass die verstärkte Positionierung der Lan‐ deskunde in den Kulturwissenschaften zwar nicht zur Etablierung eines eindeutig definierten und in einem Gegenstand fest umrissenen wissenschaftlichen oder didaktischen Fach geführt [hat], aber doch zu einer eingehenden Reflexion und eine [sic] Neufassung des Kulturbegriffs, die für den Landeskunde- und Sprachunterricht nicht ohne Konsequenzen bleibt. (Laurien 2010, 105) Am einflussreichsten für die kulturwissenschaftliche Orientierung der Landes‐ kunde war die Berücksichtigung der Diskussionen um verschiedene Konzepte von Kultur. Die damit einhergehende Hinwendung zu einem bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff blieb nicht ohne Folgen für Inhalte und didaktische Vorgehensweisen und stellt auch den theoretischen Ausgangspunkt für den in dieser Arbeit untersuchten Unterricht dar. Zum einen sollen die Lernenden nun über geteiltes Wissen und geteilte Überzeugungen einen Zugang zu den fremdsprachlichen Lebenswelten erhalten. Zum anderen erlaubt diese Vorstellung von Kultur, in der eine Wirklichkeit nicht mehr einfach objektiv gegeben ist, sondern erst von Akteuren selbst konstruiert wird, eine differenziertere Betrachtungsweise der Lebenswelt, so dass Brüche und Wider‐ 52 2 Theoretischer Hintergrund 56 Eine sehr ausführliche Zusammenfassung der Wissenschaftsgeschichte der Landes‐ kunde findet sich in Fornoff 2016, 14-43. 57 So schreiben Altmayer und Koreik 2010: „Während nämlich auf theoretischer Ebene der Konstruktcharakter von Nationalkulturen meist gesehen und die Notwendigkeit zu stärkerer Differenzierung eingeräumt wird, setzen eher anwendungsorientierte Posi‐ tionen gleichwohl und nicht selten wider besseres Wissen doch die vereinfachenden kulturkontrastiven Kategorien des Interkulturalitätscharakters als selbstverständliche Annahmen voraus; und andererseits bieten kulturtheoretisch differenzierte Positionen auch selten konkrete Ansatzpunkte für forschungs- und unterrichtspraktische Umset‐ zung“ (Altmayer / Koreik 2010a, 1380.). Küster problematisiert ähnlich, indem er fragt, „ob die Offenheit bzw. Verflüssigung des Kulturbegriffs, die in postmoderner kultur‐ wissenschaftlicher Forschung und in ihrer Rezeption wahrzunehmen ist, noch an‐ wendbar ist auf sprachdidaktische Zusammenhänge“ (Küster 2005, 59). Die Probleme, die die Komplexität des Kulturbegriffs für die Fremdsprachendidaktik bedeutet, werden aber auch schon früher thematisiert, siehe z. B. Hu 1995, 21 f. sprüchlichkeiten nicht ausgeblendet werden. Die homogenisierende Darstel‐ lung von ‚Nationalkulturen‘, die sich noch in früheren Ansätzen findet, ist damit nicht mehr möglich. Neben den Implikationen, die die Diskussionen um einen angemessenen Kul‐ turbegriff im Bereich des Deutschen als Fremdsprache für den Unterricht be‐ deuten, ist kulturwissenschaftlichen Ansätzen gemein, dass sie Verfahren, Er‐ gebnisse und Konzepte der Kulturwissenschaften in die Landeskunde übertragen wollen. Ein einflussreiches Beispiel ist die Berücksichtigung von Theorien des kollektiven Gedächtnisses, um so „sozial geteilte Überzeugungen, Einstellungen und Werte zu rekonstruieren“ (Bärenfänger 2008, 49). Ein Ziel der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung ist dabei die Etablierung von Landeskunde als Wissenschaft, 56 um aus dieser Erkenntnisse für die Unter‐ richtspraxis zu gewinnen: Altmayer beispielsweise fordert eine kulturwissen‐ schaftliche Forschungsdisziplin, „die sich über die aus der Praxis des landes‐ kundlichen Unterrichts ergebenden Fragestellungen und Probleme des landeskundlichen Lernens“ definiert (Altmayer 2004, 28, Hervorhebung im Ori‐ ginal). Auch Wormer spricht sich für eine wissenschaftliche Landeskunde aus, die „kein Selbstzweck [ist], sie ist aus der Praxis entstanden, und sie führt - über die Brücke einer wissenschaftlichen Didaktik - zumindest partiell wieder in die Praxis hinein“ (Wormer 2004, 3). Gegenwärtig lässt sich im Hinblick auf die kulturwissenschaftliche Orientie‐ rung folgendes Fazit ziehen: Während noch vor wenigen Jahren eine zuneh‐ mende (kultur-)wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde festzustellen war (vgl. Koreik 2011), die zu einer Diskrepanz zwischen Theorie und prakti‐ scher Umsetzung führte, 57 zeigt sich heute anhand einer nicht unwesentlichen Anzahl an Publikationen, dass die kulturwissenschaftlich orientierte Landes‐ 53 2.2 Kulturbezogenes Lernen 58 Seit 2016 liegt das von Altmayer herausgegebene Lehrwerk Mitreden - Diskursive Lan‐ deskunde Deutsch als Fremd- und Zweitsprache vor, das Didaktisierungen ab A2 enthält. 59 Übersichten über den Kulturbegriff im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache finden sich bei Altmayer 1997 und 2010, Küster 2005 oder auch Bärenfänger 2008. 60 Zum einen haben beispielsweise Lerner oft Vorstellungen von relativ gleichförmigen Kulturen, was sich auch in ihrem Interesse an der Zielkultur ausdrückt: „Das Interesse an Land und Leute scheint ein wichtiger Motivationsfaktor zu sein, um eine fremde Sprache überhaupt zu lernen […]. Dabei ist die Vermittlung von Alltagskultur […] nach Meinung der Lernenden das meistgefragte Thema. […] In der Unterrichtspraxis im nichtzielsprachigen Ausland kommt man als Lehrende in der Regel eben nicht umhin, eine gewisse Trennung zwischen der eigenen und fremden Kultur zu machen. Denn im Fremdsprachenunterricht ergeben sich immer wieder Vergleiche, etwa worin die Un‐ terschiede zwischen den Schulsystemen in der Ausgangs- und Zielkultur(en) bestehen“ (Maijala 2008, 3f). Des Weiteren stellt die Annahme, dass es keine mehr oder weniger homogenen Kulturen gibt, die Legitimität von z. B. Deutsch-/ Germanistikstudien‐ gängen in nichtdeutschsprachigen Ländern in Frage, deren Aufgabe es oftmals ist, Ex‐ perten für den deutschsprachigen Raum auszubilden. kunde Einzug in die Unterrichtspraxis gehalten hat, wobei vor allem das Konzept der Erinnerungsorte populär ist. Problematisch bleibt, dass die meisten Berichte aus der Praxis universitären Sprachunterricht betreffen und dass Konzepte für niedrige Sprachniveaus und vor allem für jüngere Lerner fehlen. 58 Dahingehend lässt sich feststellen, dass in den meisten Fällen nicht von ei‐ genen Forschungsergebnissen ausgegangen wird, sondern dass, wie auch im hier untersuchten Unterricht, bereits existierende Forschungsergebnisse für die Erarbeitung der Themen herangezogen werden. Die von Altmayer und Wormer geforderte Forschungspraxis für den Landeskundeunterricht wird vermutlich auch weiterhin - bis auf punktuelle Ausnahmen - ein Desiderat bleiben, vor‐ allem wenn man bedenkt, dass die Frage, welche Inhalte relevant sind, je nach Kontext unterschiedlich beantwortet werden muss und sich die Forschungser‐ gebnisse stets wandeln dürften. Auf die Frage, welche Implikationen die kulturwissenschaftliche Theoriebil‐ dung im Fach Deutsch als Fremdsprache mit sich bringt und welche Lösungs‐ ansätze sich bieten, wird sodann genauer eingegangen. Im Folgenden werden jedoch zunächst Überlegungen zu zwei Kulturbegriffen dargestellt, die im Be‐ reich der Fremdsprachendidaktik relevant sind. 59 Kulturwissenschaftliche An‐ sätze weisen zwar homogenisierende Vorstellungen von Kultur zurück, da diese aber zum einen für die Unterrichtspraxis von Belang sind 60 und zum anderen den Ausgangspunkt für die Hinwendung zu einem wissens- und bedeutungs‐ orientierten Kulturbegriff darstellen, soll daher zunächst auf Kultur als Aus‐ druck homogener Einheiten eingegangen werden, sodann auf Kultur als ge‐ teiltes Wissen. Normative Vorstellungen von Kultur, wie z. B. in der Bedeutung 54 2 Theoretischer Hintergrund von hochqualifizierten künstlerischen Produkten oder im Sinne eines erwei‐ terten Kulturbegriffs, werden in der Darstellung nicht berücksichtigt. Sie spielen für die Wahl von Lerninhalten in der Unterrichtspraxis nach wie vor eine Rolle, sind aber im Hinblick auf kulturtheoretische Überlegungen in der Landeskun‐ dedidaktik hier nicht relevant. Kulturbegriff Wird in der Landeskundedidaktik von Kultur als Ausdruck homogener Ein‐ heiten gesprochen, ist damit meist die Vorstellung von Kultur als Orientie‐ rungssystem gemeint, das die Mitglieder einer Gemeinschaft determiniert. Diese Auffassung von Kultur wurde schon von Tylor vertreten, der im Jahr 1871 Kultur wie folgt definiert: Culture or Civilization, taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society. (Tylor 1871, 1) Angelegt ist darin die Vorstellung von Kultur als einer geschlossenen Einheit von Wissen, Vorstellungen und Verhaltensweisen, die Mitglieder einer Gemein‐ schaft gemein haben bzw. im Laufe ihres Lebens erwerben und die sie von an‐ deren Gruppen unterscheiden. In der Fremdsprachendidaktik spielen An‐ nahmen dieser Art, beeinflusst etwa durch die Arbeiten des Kulturpsychologen Thomas, „bis heute eine herausragende Rolle“ (Altmayer 2010, 1407, siehe z. B. Bechtel 2003, 50f), vor allem aufgrund des von Thomas geprägten Begriffs des Kulturstandards. Dabei handelt es sich um alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehr‐ zahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden. (Thomas 1993, 380f) Problematisch ist an dieser und ähnlichen Auffassungen von ‚Kultur‘, dass sie, wenn beispielsweise von der „Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur“ die Rede ist, Heterogenitäten und Brüche innerhalb von Gesellschaften nicht berücksichtigen. Ein Individuum wird, sofern es wie die Mehrzahl der Mitglieder seiner Kultur handelt und denkt, zum Angehörigen einer Kultur; diejenigen, die nicht zu dieser Gruppe gehören, erhalten die Rolle der ,Andersdenkenden und Andershandelnden‘ und werden nicht als der Kultur zugehörig betrachtet. Fremdsprachenunterricht, der an einem solchen Kulturbegriff ausgerichtet ist, fördert wohlmöglich auf dieser Grundlage die stereotype Wahrnehmung der Lernenden, die er eigentlich aufbrechen sollte. Dennoch ist dieser Kulturbegriff, im Sinne eines Orientierungssystems, relevant als wissenschaftliche Kategorie, 55 2.2 Kulturbezogenes Lernen weil es sich dabei, im Gegensatz zu normativen Kulturbegriffen, um eine des‐ kriptive Kategorie handelt, über die theoretisch die Beschreibung von Kultur(en) erst möglich ist (vgl. Altmayer 2010, 1405). Für die Fremdsprachendidaktik ist die Frage nach der Beschreibung insofern relevant, da sie schließlich die Vo‐ raussetzung dafür ist, dass Kultur(en) lehr- und lernbar gemacht werden können. Ein Kulturbegriff, der lediglich ‚normale‘ und ‚typische‘ Arten des Wahrnehmens und Handelns berücksichtigt, ist jedoch nicht geeignet, die Brüche und Unvereinbarkeiten zu beschreiben, die in der Lebenswelt erfahren werden. Die Hinwendung zu einer Auffassung von „Kultur als Text“ (Geertz 1983, 253f) im Zuge des cultural turn eröffnet dahingehend einen Lösungsansatz: Zwar wird bei Geertz, insbesondere im Essay „,Deep Play‘: Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf “ (ebd., 202-260), der Hahnenkampf als ein homo‐ genes Ereignis beschrieben, bei dem es nicht zu Widersprüchlichkeiten z. B. im Verhalten der Beteiligten kommt, dennoch legt die Auffassung, dass es sich bei Kultur um ein „Ensemble aus Texten“ (ebd., 259) handelt, theoretisch den Grund‐ stein für folgende wichtige Vorannahme: Da Kultur aus einer Vielzahl von Texten besteht, manifestieren sich darin zugleich, Bachtins Konzept der Dia‐ logizität entsprechend (vgl. Bachtin 1979, 169-180), Vielstimmigkeiten und Wi‐ dersprüchlichkeiten. Die Vorstellung von der textuellen Verfasstheit von Kultur legt somit eine Grundlage für die Annahme, dass Kultur kein homogenes, funk‐ tionales Gesamtgefüge ist, das sich durch eine Summe aus Normen, Überzeu‐ gungen und kollektiven Vorstellungen und Praktiken auszeichnet. Die Kultur-als-Text-Metapher bedeutet jedoch nicht, dass Kultur und Text gleichzusetzen sind (vgl. Bachmann-Medick 2010, 72); vielmehr geht es um die Lesbarkeit von Kultur, die wiederum ein Bedeutungszusammenhang ist, den der Mensch selbst herstellt. Geertz beschreibt dies wie folgt: Der Kulturbegriff, den ich vertrete […] ist wesentlich ein semiotischer. Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsge‐ webe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. (Geertz 1995, 9) Ausgehend von diesem von Geertz im Jahre 1973 formulierten bedeutungsori‐ entierten Kulturbegriff und anderen Theorietraditionen wie u. a. aus den Berei‐ chen der Phänomenologie, der Verstehenden Soziologie und des Sozialkon‐ struktivismus, wird in aktuellen kulturwissenschaftlichen Forschungsansätzen davon ausgegangen, „dass die (soziale) Wirklichkeit nicht unmittelbar gegeben ist, sondern in Akten diskursiver Deutung- und Sinnzuschreibung von den Ak‐ teuren selbst konstruiert wird“ (Altmayer 2010, 1408). Für das Fach Deutsch als Fremdsprache, d. h. vor allem für die Forschungs‐ praxis, versucht Altmayer diese Vorstellungen fruchtbar zu machen: Kultur wird 56 2 Theoretischer Hintergrund dabei als ein sozial festgelegtes Phänomen betrachtet (vgl. Altmayer 2002, 9); sie manifestiert sich in einem „gemeinsam unterstellten Vorrat an selbstverständ‐ lichem Hintergrundwissen“ (Altmayer 2002, 9), das der Lebenswelt im Sinne Habermas’ entspricht, also einem Wissensvorrat an Deutungs- und Wertmus‐ tern, mit unproblematischen, gemeinsam als garantiert unterstellten Hintergrund-überzeu‐ gungen; und aus diesen bildet sich jeweils der Kontext von Verständigungsprozessen, in denen die Beteiligten bewährte Situationsdefinitionen benutzen oder neue aushan‐ deln. Die Kommunikationsteilnehmer finden den Zusammenhang zwischen objek‐ tiver, sozialer und subjektiver Welt, dem sie jeweils gegenüberstehen, bereits inhalt‐ lich interpretiert vor. (Habermas 1981, 191) Die Kultur einer Kommunikationsgemeinschaft, so Altmayer, befinde sich in Texten und mache die „Gesamtheit des als selbstverständlich gültig und allge‐ mein bekannt angenommenen und vorausgesetzten Wissens [aus], das von Texten präsupponiert wird“ und das sich in kulturellen Deutungsmustern zeige: Wir deuten und schaffen die gemeinsame Welt und Wirklichkeit auf der Basis von Mustern, die wir im Verlauf unserer Sozialisation erlebt haben, die wir in der Regel in Diskursen als allgemein bekannt und selbstverständlich voraussetzen, die aber auch selbst jederzeit zum Gegenstand diskursiver und kontroverser Deutungsprozesse werden können. Soweit es sich bei diesen Mustern um überlieferte, im kulturellen Gedächtnis einer Gruppe gespeicherte und abrufbare Muster von einer gewissen Sta‐ bilität handelt, spreche ich von ‚kulturellen‘ Deutungsmustern, und den Bestand an ‚kulturellen Deutungsmustern‘, der einer Gruppe als gemeinsamer Wissensvorrat für die gemeinsame diskursive Wirklichkeitsdeutung zur Verfügung steht, nenne ich die ‚Kultur‘ dieser Gruppe. (Altmayer 2006, 51) Im Anschluss daran versteht Altmayer unter ‚deutschen Deutungsmustern‘, um deren Vermittlung es im Landeskundeunterricht gehen solle, solche, „die in deutschsprachigen Diskursen zur deutenden Konstruktion von Wirklichkeit verwendet werden, und zwar unabhängig von ihrer ‚ursprünglichen‘ Herkunft“ (ebd., 52). Für die Forschungspraxis im Fach Deutsch als Fremdsprache ist die Metapher „Kultur als Hypertext“ (Altmayer 2004) wichtig; der Hypertext wird als „Netz‐ werk vielfältig untereinander verknüpfter Texte“ betrachtet, „die jeweils be‐ stimmte Aspekte eines komplexen und in sich vielfach differenzierten Teilbe‐ reichs des kulturellen Wissens repräsentieren“ (ebd., 261). Das Ziel einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Forschungspraxis im Bereich Deutsch als Fremdsprache sei daher die Analyse von kulturellen Deutungsmustern in sich 57 2.2 Kulturbezogenes Lernen 61 Altmayer weist selbst auf die Situationsgebundenheit hin: „[D]ie didaktischen und me‐ thodischen Entscheidungen des Landeskundeunterrichts ergeben sich ja nicht aus den Inhalten der kulturwissenschaftlichen Forschung selbst, sondern erst aus den Lernvo‐ raussetzungen und Lerninteressen der konkreten Lerner und den jeweiligen konkreten Unterrichtsbedingungen“ (Altmayer 2004, 460). aufeinander beziehenden Texten, so dass die Muster lehr- und lernbar würden (ebd., 263). Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage nach den Auswahlkriterien der Deu‐ tungsmuster und Texte und der daraus entstehenden Relevanz. In der Praxis würden einzelne Wissenschaftler/ -innen, möglichweise in der Zusammenarbeit mit anderen, eine Auswahl an in ihren Augen relevanten Deutungsmustern treffen, die dann aber wiederum eine subjektive Auswahl darstellt, der die For‐ schungspraxis eigentlich entgegenwirken will. Da Landeskundeunterricht immer auch eine regionale Perspektive hat 61 und Deutungsmuster ständigem Wandeln unterworfen sind, kann es eine global und überzeitlich gültige Aus‐ wahl gar nicht geben. Eine kulturwissenschaftliche Forschungspraxis im Fach Deutsch als Fremdsprache, die Lehr- und Lerninhalte auf diese Weise wissen‐ schaftlich verankert, ist somit forschungspraktisch eigentlich nicht durch‐ führbar. Trotzdem bedeutet der Ansatz, über kulturelle Deutungsmuster den Lern‐ enden einer Fremdsprache Zugang zu der fremdsprachlichen Lebenswelt zu vermitteln, einen Fortschritt in der Landeskundedidaktik, denn Kenntnisse von geteiltem Wissen sind für die Teilhabe an der fremdsprachlichen Lebenswelt Voraussetzung. Gewisses Sachbzw. Faktenwissen und Wissen über Alltags‐ kommunikation gehören dabei natürlich ebenso dazu. Indem Kultur als geteiltes Wissen definiert wird, besteht außerdem die Mög‐ lichkeit, Brüche, Widersprüche und Unvereinbarkeiten in der fremdsprachli‐ chen Lebenswelt zu berücksichtigen. In der Landeskundedidaktik gehen dabei die Vorstellungen davon, welche Auswirkungen diese Heterogenitäten auf den Landeskundeunterricht haben, auseinander. Im Folgenden werden verschiedene Positionen einander gegenübergestellt; Ziel ist es, den interkulturellen und den transkulturellen Landeskundeansatz zusammenzuführen, da die Annahme be‐ steht, dass zugrundeliegende Vorstellungen nicht so unterschiedlich sind, wie von einigen Vertretern und Vertreterinnen argumentiert wird. Interkulturelles und / oder transkulturelles Lernen? In vielen Arbeiten, die in der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Lan‐ deskunde verortet sind, wird in Abgrenzung zum interkulturellen Landeskun‐ deansatz auf den Fortschritt hingewiesen, der mit der Hinwendung zu einem 58 2 Theoretischer Hintergrund 62 Vgl. exemplarisch Altmayer 1997, Altmayer 2008, Hansen 2000, Zeuner 2010, Bären‐ fänger 2008. 63 Auch Hansen vertritt die Ansicht, dass jedes Individuum Teil verschiedener Kollektive ist und darüber seine individuelle Identität konstruiere (vgl. Hansen 2000, 157). So sollten die Zustände in der globalisierten Welt und den nachweislich bestehenden Grenzen zwischen Gruppen besser berücksichtigt werden. Die Kollektive seien auf komplexe Weise miteinander verschachtelt, könnten sich ergänzen, aber auch wider‐ sprechen. Ein Individuum kann somit z. B. den Kollektiven ‚junge Frau, geboren in den 80er Jahren‘, ‚Biologin‘, ‚Deutsche‘, ‚Volleyballerin‘ angehören, wobei z. B. die Zugehö‐ rigkeit zu einer gewissen Generation eine größere Bedeutung für die Identität hat als ‚Deutsche‘. bedeutungsorientierten Kulturbegriff einhergehe. 62 Interkulturellen Ansätzen wird vorgeworfen, dass sie auf einem homogenisierenden Kulturbegriff ba‐ sieren, der aufgrund der im Zuge der Globalisierung vermehrten Durchlässig‐ keit und stärkeren Verbindung von Kulturen der Welt nicht mehr angebracht sei. Dieses Urteil ist sicherlich bei einer Reihe hauptsächlich unterrichtsprakti‐ scher Ansätze angebracht, vor allem, wenn das Paradigma reduziert wird auf die einfache kulturkontrastive Frage „Und wie ist es bei Ihnen? “ (Hackl / Langner / Simon-Pelanda 1998, 8). Nichtsdestoweniger liegt interkultu‐ rellen Ansätzen nicht per se ein homogenisierender Kulturbegriff zugrunde, auch Vertreter des interkulturellen Paradigmas sind sich bewusst, dass „mit der heutigen, von Migration und sprachlich-kulturellem Pluralismus gekennzeich‐ neten Situation in Gesellschaft, Bildungsinstitutionen und somit auch Fremd‐ sprachenunterricht“ (Hu 1999, 278) homogenisierende Vorstellungen von Kultur weder zeitgemäß noch brauchbar sind. Auch für das Gießener Graduiertenkolleg Didaktik des Fremdverstehens, das sich vor allem auf einer theoretischen Ebene mit kulturellen Verstehenspro‐ zessen im Rahmen fremdsprachlichen Lernens auseinandersetzte, gilt, dass trotz der Trennung in Eigen- und Fremdkultur nicht von einem homogenisierenden Kulturbegriff ausgegangen wird: [Die] Anerkennung unterschiedlicher kollektiver Identitäten [bedeutet nicht], dass sie in jeder Hinsicht gleich seien. Sie umfasst ferner die Einsicht, dass ein und dieselben Menschen mehreren kollektiven Identitäten angehören können […]. Es liegt somit der Didaktik des Fremdverstehens ein Kulturbegriff zugrunde, der weitaus komplexer ist, als Vertreter der Transkulturalität annehmen. (Bredella 2010, 25f) 63 Und auch Bechtel betont: Auch wenn eine Kultur durch ‚einen mehr oder weniger gemeinsamen Kern an Welt‐ bildern, Wertvorstellungen, Denkweisen, Normen und Konventionen‘ bestimmt ist, so wie es Knapp & Knapp-Potthoff […] hervorheben, darf nicht vergessen werden, 59 2.2 Kulturbezogenes Lernen 64 Wobei Roche noch 2005 feststellt: „Der konzeptuelle Unterschied zwischen inter- und transkulturell ist bisher nicht so stark herausgearbeitet worden, dass man zwei ver‐ schiedenen Ansätzen sprechen könnte“ (Roche 2005, 236, Hervorhebung im Original). dass eine fremde Kultur genauso wenig wie die eigene Kultur homogen, sondern viel‐ mehr gerade durch ihre innere Heterogenität, ihre Divergenzen, ihre Widersprüche und Konflikte gekennzeichnet ist. (Bechtel 2003, 52f) Bechtel führt die kulturtheoretischen Grundlagen interkulturellen Lernens aus; er verbindet dabei Thomas’ Kulturstandards mit Knapp und Knapp-Potthoffs Vorstellung von Kultur als „ein zwischen Gesellschaftsmitgliedern geteiltes Wissen an Standards des Wahrnehmens, Glaubens, Bewertens und Handelns“ (Knapp / Knapp-Potthoff 1990, 65), wobei die Formulierungen „Standards“ bzw. dass es sich um „Normalitätserwartung“ (Bechtel 2003, 52) handle, von norma‐ tiven und homogenisierenden Vorstellungen zeugt. Für Vertreter des interkul‐ turellen Paradigmas ist somit zwar ein Kulturbegriff grundlegend, der den je‐ weils größten gemeinsamen Nenner einer Gemeinschaft beschreibt, dennoch werden Unterschiede und Widersprüche mitgedacht. Die Auffassung, dass interkulturelle Landeskundeansätze auf der Vorstellung beruhten, dass es sich bei Kulturen um mehr oder weniger geschlossene En‐ titäten handle, rührt u. a. von einer Trennung in Eigen- und Fremdkultur her, wie sie auch in der Didaktik des Fremdverstehens beschrieben wird. Das Ziel landeskundlichen Unterrichts ist im Zuge dessen vor allem die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kulturen und Gesellschaften. Besonders die Perspektivenübernahme spielt dahingehend eine wichtige Rolle (vgl. Kapitel 6.5), genauer gesagt das Wechselspiel zwischen der Übernahme einer Innen- und einer Außenperspektive. Durch die Einnahme einer Innenperspektive wird der Versuch unternommen, „die Dinge mit den Augen der Mitglieder der fremden Kultur zu sehen“ (Bredella / Christ 1994, 65), durch die Einnahme einer Außenperspektive kann „die fremde Kultur mit un‐ seren eigenen Augen“ (Bredella / Christ 1994, 69) gesehen werden. Dies soll er‐ möglichen, dass man die Phänomene in der fremden Kultur aus einer kri‐ tisch-distanzierten Haltung beurteilen kann. Für die Auffassung, dass ein Unterricht mit dieser Zielsetzung den Verhält‐ nissen in der globalisierten Welt nicht gerecht wird, werden Konzepte wie Hyb‐ ridität oder Transkulturalität belegend herangezogen, 64 wobei im Kontext des Faches Deutsch als Fremdsprache vor allem Welschs Konzept der Transkultu‐ ralität einflussreich ist (vgl. Welsch 2000). Vermehrt finden sich Begriffe wie „transkulturelle Landeskunde“ (Laurien 2010, Roche 2005), „transkulturelles 60 2 Theoretischer Hintergrund Lernen“ (Eckerth / Wendt 2003, Freitag 2010) oder „transkulturelle Deutschland‐ studien“ (Martinson / Schulz 2008). Dem Begriff der Transkulturalität liegt die Beobachtung zugrunde, dass der herkömmliche essentialistische Kulturbegriff der heutigen Situation in der Welt aufgrund der „externen Vernetzung der Kulturen“ (Welsch 2000, 336, Hervor‐ hebung im Original) nicht mehr gerecht werde: „Zeitgenössische Kulturen sind generell durch Hybridisierung gekennzeichnet. Für jede einzelne Kultur sind tendenziell alle anderen Kulturen zu Binnengehalten oder Trabanten geworden“ (ebd., 337, Hervorhebung im Original). Dabei handelt es sich bei Welschs Kon‐ zept der Transkulturalität, dies stellt auch Bredella fest, um eine normative Ka‐ tegorie (vgl. Bredella 2010). Da alle Kulturen rassistisch seien (vgl. Welsch 1994, 152f), solle eine transkulturelle Welt angestrebt werden und es gelte, diesen Zustand, der auch in der Interkulturalität bestehe, zu überwinden. Für den Fremdsprachenunterricht kann es - unabhängig davon, ob es sich bei Transkulturalität um eine normative oder eine deskriptive Kategorie han‐ delt - nicht gewinnbringend sein, von theoretischen Prämissen auszugehen, die „einer empirischen Überprüfung der bestehenden Verhältnisse“ (Bredella 2010, 23) nicht standhalten. Hu schreibt beispielsweise: Die Frage ist nun, ob man das Konzept Interkulturalität für den Kontext des Fremd‐ sprachenunterrichts wegfallen lassen kann. Ich denke, man kann dies aus dem Grunde nicht tun, weil die traditionelle Vorstellung von abgrenzbaren und objektiv beschreib‐ baren Kulturen und das Bedürfnis nach kultureller Verortung und kultureller Identität alltagssprachlich verankert und zumindest zurzeit unhintergehbar sind. Gerade auch der Fremdsprachenunterricht kann diese Aspekte nicht ausblenden. (Hu 1999, 297, vgl. dazu auch Hu 1995, 27f) Ebenso weist auch Delanoy darauf hin, dass das Konzept der Transkulturalität „may stand in stark contrast to real people’s experiences“ (Delanoy 2006, 234). Auf einer unterrichtspraktischen Ebene ist es hingegen problematisch, das Be‐ stehen von unterschiedlichen Kulturen zu negieren. Gerade im Zusammenhang mit der Feststellung, dass Kultur und Sprache untrennbar miteinander ver‐ bunden sind, stellt sich die Frage, was Lernende eigentlich im Klassenzimmer machen und wie mit den Wünschen der Lernenden umgegangen wird, die meist gern etwas über die Kultur des Zielsprachenlandes lernen möchten und die 61 2.2 Kulturbezogenes Lernen 65 Rösler thematisiert berechtigterweise die Frage, wie im Anfängerunterricht damit um‐ zugehen ist, dass einige Fremdsprachenlerner „den Kontakt mit der neuen Sprache mit sehr elementaren stereotypen Vorstellungen vom zielsprachlichen Raum beginnen“: „Wenn bei Deutsch als Fremdsprache zu Lernbeginn Österreich und die Schweiz als separate deutschsprachige Entitäten nicht oder nur über die Alpen und Heidi - in der japanischen Zeichentrickfassung - bekannt sind und zum Wissen über den deutsch‐ sprachigen Raum Automarken und Hitler und ansonsten relativ wenig gehören […], dann hat der Fremdsprachenunterricht im Anfängerbereich nicht die Wahl, ob er sich mit diesem ‚Vorwissen‘ beschäftigen soll oder nicht, er muss, wenn er erfolgreich sein will, auf dieses Vorwissen reagieren“ (Rösler 2013, 156). möglicherweise vereinfachte Vorstellungen der Zielsprachenkultur haben. 65 Als normative Kategorie zielt sie somit an den Bedingungen des Fremdsprachen‐ unterrichts vorbei. Zu beantworten bleibt außerdem, wie man unter diesen Vo‐ raussetzungen überhaupt noch von einem Gegenstand wie ,deutsche Kultur‘ sprechen kann (vgl. Altmayer 2008, 31), geschweige denn, wie man diesen un‐ terrichten soll. In letzter Zeit entstehen, vor allem auch in der Literaturdidaktik, Ansätze, in denen ausdrücklich das interkulturelle und das transkulturelle Paradigma nicht als zwei unvereinbare Enden eines Kontinuums betrachten werden. Transkul‐ turalität lässt sich als deskriptive Kategorie verstehen, mit deren Hilfe sich die Heterogenität der Lebenswelt besser beschreiben lässt. Delanoy etwa entwickelt eine Theorie des dialogic cultural learning, in dem es u. a. um einen interkultu‐ rellen Kontakt zwischen Nationalstaaten geht: I see my approach as compatible with a transcultural agenda, since I do not treat territory as a monolith or wish to keep its boundaries intact. In fact, I view territories as historically grown, discursively constructed, culturally heterogeneous and politi‐ cally contested entities, which are implicated in further reaching networks and open to change. (Delanoy 2006, 241) Diese Verbindung inter- und transkultureller Annahmen wird dem fremd‐ sprachlichen Unterricht, so wie er in der Praxis vorgefunden wird, am ehesten gerecht. In dieser Arbeit wird daher an Hansen angeschlossen, der bemerkt, dass sowohl die kohärente Stabilität im Inneren einer Kultur als auch die Abge‐ schlossenheit nach außen zurückgefahren, aber nicht abgeschafft werden können: Die Stabilität basiert auf einem gemeinsamen Nenner, der bei aller Heterogenität vor‐ handen ist. Dieser kleine gemeinsame Nenner genügt, um Stabilität und Abgrenzung zu gewährleisten. Die Homogenität des alten Kulturbegriffs, das folgt daraus, kann man weitgehend, aber keinesfalls ganz aufgeben. Das Gleiche gilt für die Grenzen, die 62 2 Theoretischer Hintergrund man sich zwar durchlässig vorstellen darf, die aber weiterhin die Funktion der Ab‐ grenzung erfüllen müssen. (Hansen 2000, 298) Das Konzept des interkulturellen Lernens, in dem die Befähigung zur Begeg‐ nung mit anderen Kulturen im Mittelpunkt steht, lässt sich so auf der inhaltli‐ chen Ebene mit transkulturellen Inhalten füllen, um die Vernetzung und Durch‐ lässigkeit von Kulturen zu thematisieren. Das transkulturelle Paradigma erweist sich für den Landeskundeunterricht also insofern als fruchtbar, als dadurch die von Heterogenität geprägte fremdsprachliche Lebenswelt stärker im Unterricht berücksichtigt wird. Eben dies ist auch das Ziel kulturwissenschaftlich orien‐ tierter Landeskundeansätze, die im Folgenden präsentiert werden. Deutlich wird dabei aber auch, dass nationalstaatliche Grenzen weiterhin eine große Rolle spielen, auch in Arbeiten, die die Vernetzung der Kulturen ausdrücklich thema‐ tisieren (vgl. z. B. Clemens 2006). Kulturwissenschaftliche Ansätze im Landeskundeunterricht In den letzten Jahren sind einige von kulturwissenschaftlicher Forschung in‐ spirierte Arbeiten entstanden, in denen Ideen entwickelt werden, wie Lernende einen Einblick in den geteilten Wissensvorrat der fremdsprachlichen Lebens‐ welt erhalten können - wobei das Wie stets die Frage nach den Inhalten betrifft und nur in den seltensten Fällen nach geeigneten Methoden gefragt wird. Welche Rolle beispielsweise digitale Medien spielen können, ist ein Desiderat. Nur Biebighäuser (2014) beleuchtet das Potenzial virtueller Welten für die Arbeit mit Erinnerungsorten. Den unterschiedlichen Ansätzen kulturwissenschaftlich orientierter Landes‐ kunde, die im Folgenden eingeführt werden sollen, ist gemein, dass sie auf The‐ orien des kulturellen Gedächtnisses zurückgreifen, um über verschiedene Arten der Erinnerung die Heterogenität der Lebenswelt zu berücksichtigen. Dabei muss festgestellt werden, dass die Forschung der Fremdsprachendidaktik ledig‐ lich inspirierend zur Seite steht. Die Unterrichtspraxis, in der z. B. aus verschie‐ denen Gründen schnell in kulturkontrastive Vergleiche zurückgefallen wird oder in der den Lernenden für eine kulturwissenschaftliche Textanalyse die nö‐ tigen Sprachkenntnisse sowie Erfahrungen fehlen, wird dabei vermutlich auch in Zukunft kaum in der Lage sein, kulturtheoretische Prämissen mustergültig umzusetzen. Nichtsdestoweniger stellen kulturwissenschaftliche Ansätze einen Fortschritt im Hinblick auf die Vermittlung von sinnvolleren Inhalten dar als es noch der kognitiv oder kommunikativ ausgerichtete Ansatz anstrebten - sinn‐ voller, weil durch die Auseinandersetzung mit geteilten Wissensbeständen das Verständnis und die Teilhabe an den in der Zielsprache geführten Diskursen 63 2.2 Kulturbezogenes Lernen 66 Altmayer spricht dabei von der „Teilhabe an deutschsprachigen Diskursen“ (2006, 54), der Begriff der Diskursfähigkeit (vgl. Hallet 2008) findet sich erst im Lehrwerk Mitreden (Altmayer 2016). 67 Das Lehr- und Lernziel von kulturellem Lernen ist die Möglichkeit zur Teilhabe an der fremdsprachlichen Lebenswelt, siehe dazu auch Groenewold 2005, der von einem par‐ tizipatorischem Landeskundeunterricht spricht. Im Kontrast dazu steht das Lehr- und Lernziel von interkulturellem Lernen, das nach Zeuner folgende Komponenten bein‐ haltet: „die Fähigkeit, eigenkulturelle Konzepte zu reaktivieren, die Fähigkeit zur Ver‐ mittlung zwischen eigener und fremder Kultur, die Fähigkeit, bei Missverständnissen kommunikativ vermitteln zu können und die Fähigkeit zur Perspektivübernahme“ (2010, 1474). initiiert werden kann, was auf Faktenwissen oder Alltagskommunikation redu‐ zierter Landeskundeunterricht nicht zu leisten vermag. Im Folgenden sollen einige dieser Ansätze in der kulturwissenschaftlich ori‐ entierten Landeskundedidaktik vorgestellt werden. Der Fokus liegt dabei auf theoretischen Überlegungen und unterrichtspraktischen Vorschlägen, die die Didaktik des Landeskundeunterrichts an der Universität Stockholm maßgeblich beeinflusst haben. Kulturelle Deutungsmuster und Schlüsselthemen Die Annahme, dass geteiltes Wissen einen Zugang zu der fremdsprachlichen Lebenswelt darstellt, wird von Altmayer (2004) und Hille (2009) vertreten, die im Zuge dessen vorschlagen, den Lernenden über kulturelle Deutungsmuster bzw. Schlüsselthemen Wissen zu vermitteln, das Angehörige der fremdsprach‐ lichen Kommunikationsgemeinschaft oftmals bewusst oder unbewusst haben. Ausgehend von den theoretischen Überlegungen zu einem Kulturbegriff im Fach Deutsch als Fremdsprache sowie auch des Begriffs des Fremdverstehens (vgl. Altmayer 2004, 66-71), spricht sich Altmayer für eine Behandlung von kulturellen Deutungsmustern aus, um das Ziel der Diskursfähigkeit 66 zu errei‐ chen, bei der es sich um eine enttrivialisierte Neubestimmung der kommunika‐ tiven Kompetenz handelt: „Gemeint ist die Fähigkeit von Menschen, an mehr‐ sprachigen in komplexen gesellschaftlichen Prozessen und Diskursen teilhaben [sic]“ (Legutke 2010, 73). Dieses Ziel könne man durch eine „inszenierte Teilhabe an deutschsprachigen Diskursen“ (Altmayer 2006, 54) 67 erreichen, durch die Lernprozesse in Gang gesetzt werden, die als kulturelles Lernen bezeichnet werden: Von ‚kulturellem Lernen‘ soll also dann die Rede sein, wenn Individuen in der und durch die Auseinandersetzung mit ‚Texten‘ […] über die ihnen verfügbaren Deu‐ tungsmuster reflektieren und diese so anpassen, umstrukturieren, verändern oder weiterentwickeln, dass sie den kulturellen Deutungsmustern, von denen die Texte 64 2 Theoretischer Hintergrund 68 Zu den universellen Daseinserfahrungen zählt Neuner beispielsweise „Grundlegende Existenzerfahrung (Geburt; Tod; Da-Sein in der Welt)“, „Soziale Identität: der private Bereich“, „Arbeit (Unterhaltssicherung), Erziehung (Wertorientierung in einer Gemein‐ schaft)“, „Versorgung (Nahrung; Kleidung; etc.)“ (Neuner 1989, 361f). Gebrauch machen, weit gehend entsprechen, sie diesen Texten einen kulturellen an‐ gemessenen Sinn zuschreiben und dazu angemessen (kritisch oder affirmativ) Stellung nehmen können. (Altmayer 2006, 55) Über das Entdecken von Deutungsmustern, über das Reflektieren der Bedeutung in den jeweiligen Texten sollen die Lernenden mit dem geteilten Wissensvorrat bekannt gemacht werden und schließlich in der Lage sein, die einem Text zu‐ grunde liegenden Deutungsmuster und ihre jeweiligen Bedeutung zu identifi‐ zieren. In jüngerer Zeit wird der Irritation als zentrales Moment für kulturelles Lernen besondere Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. Agiba 2016, 405f, Agiba 2017), wobei diese nicht als Störungen des Lernprozesses sondern als Lernanlass verstanden werden: Ein (kulturbezogener) Lernprozess fängt keineswegs von Grund auf neu an, sondern es werden immer wieder neue Wissenselemente in bereits vorhandene Schemata und Wissensnetze eingefügt und erweitert. Lernen versteht sich somit als Erweiterung und Differenzierung kognitiver Schemata und Wissensnetzen. Irritationen sind inso‐ fern eng mit der Anschlussfähigkeit verbunden. (Agiba 2016, 406) Dank Irritationen können die Lerner sich ihrer eigenen Deutungen bewusst werden, wodurch eine Ausgangslage für kulturelles Lernen geschaffen wird. Da es Altmayer jedoch primär um die wissenschaftliche Fundierung der Lan‐ deskunde und die Etablierung einer Forschungspraxis geht, in der kulturelle Deutungsmuster herausgearbeitet werden, liefern seine Arbeiten kaum Hin‐ weise, wie er sich kulturelles Lernen konkret in der Praxis vorstellt. Die Vor‐ schläge, die er liefert (vgl. Altmayer 2006), schließen an Neuners ‚universelle Daseinserfahrungen‘ an, die auf universale Sozialisations- und Enkulturationserfahrungen aufbau[en], wie sie alle Menschen in irgendeiner Form machen, gleich welchem Kulturkreis sie angehören, und deshalb zu den elementaren Daseinserfahrungen des ‚Menschseins‘ gehören […]. Wenn man die Unterrichtsplanung auf solche Themen aufbaut, kann man sicher sein, daß beim Lernenden Grundstrukturen von Erfahrungen vorhanden sind, die die Grundlage des interkulturellen Vergleichs bilden. (Neuner 1989, 361) 68 65 2.2 Kulturbezogenes Lernen 69 Der Literatur kommt auch eine zentrale Rolle für kulturelles Lernen (im Sinne Alt‐ mayers) zu, vgl. z. B. Altmayer / Dobstadt / Riedner / Schier 2014. 70 Hille schlägt dabei folgende Schlüsselbegriffe vor: Bürgertum, Eigentum, Sicherheit, Persönlichkeit, Kulturelles Gedächtnis, Texte und Körper, Einheit, Migration, Pop (Hille 2009, 14). Darauf aufbauend schlägt Altmayer ein Modell vor, das von den vier Kategorien ‚Raum‘, ‚Zeit‘, ‚Identität‘ und ‚Wertorientierung‘ ausgeht und verschiedene Un‐ terpunkte liefert, die teilweise das „klassische Repertoire der Landeskunde“ (Altmayer 2006, 56) mit abdecken. Wie dies im Unterricht umgesetzt werden kann, beschreibt Rüger (2010): Ein Semester lang wurden im Landeskundeun‐ terricht an einer kolumbianischen Universität Unterrichtsthemen behandelt, die sich der Kategorie ‚Wertorientierung‘ zuordnen lassen. Wie mit dem kulturellen Deutungsmuster ‚Heimat‘ in einer diachronen Perspektive im universitären Landeskundeunterricht gearbeitet werden kann, wird in Becker (2013a) be‐ schrieben. Auch das Lehrwerk Mitreden - Diskursive Landeskunde für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Altmayer 2016) beruht auf dem Deutungsmuster‐ ansatz. Im Rahmen der Module „Menschen“, „Essen“ und „Mobilität“ sollen Deutungsmuster deutschsprachiger Diskurse offengelegt und sich die Lerner eigener Deutungsmuster bewusst werden. 69 Die Arbeit mit solchen Universalthemen wird jedoch nicht erst seit der kul‐ turwissenschaftlichen Ausrichtung der Landeskunde gefordert, denn grund‐ sätzlich wird dies, wie auch das Zitat von Neuner zeigt, schon in interkulturellen Ansätzen beschrieben (siehe auch Zeuner 2010, 1474), vor allem wenn es darum geht, einen Fremdsprachenunterricht zu entwerfen, der von Gemeinsamkeiten anstatt Unterschieden zwischen Kulturen ausgeht. In dieser Hinsicht schlagen z. B. auch Huneke und Steinig vor, gerade in Zeiten der Globalisierung „kultur‐ übergreifende Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu stellen und kulturspe‐ zifische Besonderheiten eher als Randerscheinungen zu betrachten“ (Hu‐ neke / Steinig 2010, 89). Ein der Arbeit mit kulturellen Deutungsmustern ähnliches Vorgehen schlägt Hille für den universitären Landeskundeunterricht vor, wobei diesem Schlüs‐ selbegriffe zugrunde liegen, die, wie auch kulturelle Deutungsmuster, wissen‐ schaftliche Fundierung fordern. Im Unterschied zu kulturellen Deutungsmus‐ tern sind sie jedoch nicht das Resultat kulturwissenschaftlicher Forschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Stattdessen nutzen sie bestehende For‐ schungsergebnisse zu Schlüsselthemen; 70 unter Einfluss der geistesbzw. kul‐ turwissenschaftlichen Forschung könnte dann „[die] Aufmerksamkeit der Lern‐ enden […] durch die Kulturvermittlung auch auf komplexe Zusammenhänge hinter Alltagskommunikation und -handlung gerichtet werden“ (Hille 2009, 66 2 Theoretischer Hintergrund 71 Neu ist an diesem Lehrwerk vor allem, dass es die Lernenden unter anderem auffordert, nach einer Rekonstruktion von gegensätzlichen Deutungsmustern in den bereitge‐ stellten Materialien, neue Deutungen unter Berücksichtigung eigenkultureller Prägung zu produzieren. Auf diese Weise soll eine inszenierte, d. h. didaktisch initiierte Teilhabe an deutschsprachigen Diskursen stattfinden. Inwieweit es Lehrkräften gelingt, dieses in der Einleitung ausführlich beschriebene anspruchsvolle Konzept umzusetzen, bleibt abzuwarten. 72 So wurde das aus der Objektiven Hermeneutik stammende Verfahren der Sequenzana‐ lyse weiterentwickelt, um kulturelle Sinnbildungsprozesse nachzuzeichnen (vgl. Alt‐ mayer / Scharl 2010). 17). Gerade in universitären Kontexten ist die Bewusstmachung von komplexen Zusammenhängen wünschenswert, da sie schematischen Darstellungen vor‐ beugt und die Grundlage für die Herausbildung generischer Kompetenzen bildet. Die Arbeit mit kulturellen Deutungsmustern und Schlüsselwörtern ist aus einer theoretischen Perspektive interessant und stellt einen sinnvollen Rahmen für anspruchsvollen universitären Landeskundeunterricht dar. Problematisch ist es, mit diesen Ansätzen in der täglichen Praxis des Fremdsprachenunterrichts zu arbeiten, vor allem auf den Niveaus A1 und A2 und mit jüngeren Lernern, auch wenn mit Mitreden (Altmayer 2016) inzwischen auch Didaktisierungen für A2 vorliegen. 71 Ein weiteres Desiderat ist in diesem Zusammenhang die empirische Erfor‐ schung landeskundlichen Lernens (vgl. Altmayer / Koreik 2010b), die dazu bei‐ tragen kann, die Unterrichtspraxis zu optimieren. Im Umfeld der Leipziger und Bielefelder Kulturstudien / Landeskunde ist in den letzten Jahren eine For‐ schungsaktivität zu kulturbezogenen Lernprozessen entstanden (vgl. Alt‐ mayer / Scharl 2010b, Zabel 2016, aber auch Fornoff 2016), in der es neben Fragen nach angemessenen Forschungsmethoden 72 um kulturbezogene Sinnbildungsbzw. Lernprozesse geht, die, vor allem in ihrer Nachhaltigkeit, aber eigentlich nur im Rahmen von Longitudinalstudien beantwortet werden können. Zwei Forschungsschwerpunkte lassen sich unterscheiden: Auf der einen Seite stehen Lernprozesse im Fokus, die mit Hilfe von Interviews, die vor und nach dem landeskundlichen Unterricht durchgeführt werden (z. B. Fornoff 2016), nach‐ vollzogen werden sollen. Die Ergebnisse, an die im Analyseteil dieser Arbeit angeknüpft wird, geben einen Einblick, ob die Lernenden in der Auseinander‐ setzung mit deutschsprachigen Texten deutschsprachige Deutungsmuster adä‐ quat aktivieren können, so dass sie den Texten einen „angemessenen Sinn zu‐ schreiben und dazu angemessen (kritisch oder affirmativ) Stellung nehmen können“ (Altmayer 2006, 55). 67 2.2 Kulturbezogenes Lernen 73 Vorliegende Arbeiten, die aber nur Momentaufnahmen von Deutungen bzw. Sinnzu‐ schreibungen liefern (z. B. Altmayer / Scharl 2010, Kaluza 2010), können übereinstim‐ mend feststellen, dass dies „hochgradig komplexe und zudem höchst individuelle Pro‐ zesse“ (Altmayer / Scharl 2010, 58) sind. 74 Badstübner-Kizik 2015 präsentiert Auswahlkriterien für Erinnerungsorte im DaF-Un‐ terricht, anhand derer „geeignete“ Erinnerungsorte für die Unterrichtspraxis ausge‐ wählt werden können. Während diese Untersuchung einen Einblick gibt, ob kulturbezogene Lern‐ prozesse stattgefunden haben oder nicht, 73 bleibt darin die Frage, wie das Un‐ terrichtsgeschehen die kulturellen Lernprozesse beeinflusst, außen vor. Die Un‐ terrichtspraxis steht also nur selten im Fokus, wobei abgesehen von Aussagen über die individuellen Sinnbildungsprozesse Erkenntnisse über das Unterrichts‐ geschehen und darüber, wie dort landeskundliches Lernen angeregt oder ge‐ hemmt wird, notwendig sind, um über geeignete Methoden, Potenziale und problematische Faktoren eine gültige Aussage treffen zu können. Gleichwohl können Erkenntnisse über kulturelle Sinnbildungsprozesse von Lernern auch aufzeigen, welche Mechanismen, z. B. Apologetik (vgl. Fornoff 2016, 487-489), Übergeneralisierungen und eigenkulturelle Deutungen, in der Unterrichtspraxis eine Rolle spielen, weil sie Lernprozesse beeinflussen und bei der Berücksich‐ tigung von Methoden und Lehrmaterialien beachtet werden sollten. Das Konzept der Erinnerungsorte, auf das im Folgenden eingegangen wird, stellt einen weiteren konkreten Ausgangspunkt dar, der sich fruchtbar in der Unterrichtspraxis umsetzen lässt. Im hier untersuchten Seminar wurde bei‐ spielsweise die Berliner Mauer als (heterogener) Erinnerungsort thematisiert. Erinnerungsorte Die Arbeit mit Erinnerungsorten ist in den letzten Jahren zu einer fest etablierten unterrichtspraktischen Herangehensweise geworden, wie z. B. an dem Lehrwerk Erinnerungsorte - Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht (Schmidt / Schmidt 2007a) deutlich wird. 74 Es basiert auf dem Konzept der lieux de mémoires, das Pierre Nora ausgehend von Maurice Halbwachs’ Theorie des kollektiven Gedächtnisses entwickelte. Demnach handelt es sich bei Erinne‐ rungsorten um Kristallisationskerne des kollektiven Gedächtnisses, die aus einem Netz aus materiellen und immateriellen Erinnerungsfäden bestehen (vgl. François / Schulze 2009, 8f), wobei Erinnerungsorte sowohl als Orte im strengen Sinne, aber auch als historische und mythische Personen, Texte, Dinge, Ereig‐ 68 2 Theoretischer Hintergrund 75 In seiner Arbeit zu französischen Erinnerungsorten entwarf Nora im Zuge der Nouvelle histoire eine Mentalitätsgeschichte der Franzosen, die Etienne François und Hagen Schulze auf deutsche Verhältnisse übertrugen: Da ‚die deutsche Identität‘ jedoch we‐ niger klar umrissen sei als die französische, ‚die deutsche Geschichte‘ von Grenzver‐ schiebungen und Brüchen gekennzeichnet, ließe sich das Konzept lediglich sinngemäß auf Deutschland übertragen. Zudem „sollte aber Deutschland nicht in sich geschlossen abgebildet werden, sondern wir (d. h. die Autoren François und Schulze, Anm. CB) denken uns Deutschland zu seinen Nachbarn und nach Europa offen“ (Fran‐ çois / Schulze 2009, 11). Auch für die Schweiz, für Österreich und die DDR gibt es Pub‐ likationen, die dem Konzept folgen, siehe Kreis 2010, Sachslehner 2009, Sachslehner 2010, Sabrow 2009. 76 Was im Übrigen in Altmayer 2004 auch schon am Rande geschieht. 77 Siehe z. B. Schmidt / Schmidt 2007a, 2007b, Fornoff 2009, Biebighäuser 2010, Jung 2005, Clemens 2009, Esselborn 2008, Koreik / Roche 2014, Badstübner-Kizik / Hille 2015, Bad‐ stübner-Kizik 2015. Einen ähnlichen unterrichtspraktischen Ansatz vertreten Jung, Oebel und Kremer, die die Didaktisierung von Straßennamen beschreiben; ausgehend von der Annahme, dass Straßennamen „in ihrer Summe […] das Gedächtnisbuch der Stadt dar[stellen]“ ( Jung 2000, 610) sollen die Lernenden in der Auseinandersetzung mit den Straßennamen einer Stadt herangeführt werden an das, was die Bewohner der Stadt erinnern, vgl. Jung 2000, Oebel 2006, Kremer 2012. nisse etc. gedacht werden, die Erinnerungen gleichsam an sich knüpfen. 75 Diese Erinnerungen sind nicht festgeschrieben, sondern veränderbar, so dass neue hinzukommen, gleichzeitig mit anderen existieren oder diese überlagern können. Fornoff führt weiter aus, wie das Konzept der kulturellen Deutungs‐ muster mit gedächtniswissenschaftlichen Perspektiven zusammengeführt werden kann, 76 bzw. zeigt auf, dass beispielsweise bei Assmann im Grunde von einer „vollständigen Ineinssetzung von Wissen und Gedächtnis“ (Fornoff 2016, 111) gesprochen werden kann. Im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht ist der Ansatz, über Erinnerungs‐ orte Lernenden die Geschichte eines Landes näher zu bringen, inzwischen Gang und Gäbe, wie eine Vielzahl an Publikationen belegt. 77 Zentral ist dabei die An‐ nahme, dass Erinnerungen sowohl für das Individuum als auch für eine Gruppe die Funktion haben, eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart und möglicherweise in die Zu‐ kunft zu schlagen. Sie bilden eine konnektive Struktur, die Menschen über die Zeit hinweg mit ihren Vor- und Nachfahren und innerhalb einer Gruppe untereinander verbindet. Erinnerungen dienen der individuellen Sinnstiftung, indem sie Identität und Kontinuität schaffen. (Schmidt / Schmidt 2007b, 422) Für den Fremdsprachenunterricht ist die Auseinandersetzung mit Erinnerungs‐ orten sinnvoll, weil die Lernenden sich mit Hilfe von entsprechenden Didakti‐ sierungen mit der impliziten symbolischen Konstruktion (Koreik / Roche 2014, 69 2.2 Kulturbezogenes Lernen 78 Fornoff bezeichnet das Konzept der Erinnerungsorte dementsprechend als „Schlüssel, mit dem kulturelle Selbstentwürfe sprachlich, ethnisch oder national definierter Kol‐ lektive als Reflexe gemeinsamer historischer Erinnerungen rekonstruiert und somit jene impliziten lebensweltlichen Wissensbestände aufgedeckt werden können, die als intersubjektive Voraussetzungen sprachlich-kommunikativer Handlungen seit jeher im Fokus landeskundlichen Erkenntnisinteresses stehen“ (Fornoff 2009, 500). 79 Gleichzeitig speist sich das nationale Selbstbewusstsein aus politischen Mythen (vgl. Münkler 2011, 15). 22) und der zeitlichen und räumlichen Perspektivgebundenheit von Geschichts‐ bildern und kulturellen Deutungsmustern auseinandersetzen (vgl. Schmidt / Schmidt 2007b, 423) und erfahren, wie diese umgedeutet werden können. Erinnerungsorte sind daher nicht nur interessant, um sich der ‚deut‐ schen Geschichte‘ zu nähern, sondern auch, um die Sedimente von kulturellen Deutungsmustern freizulegen und nachzuvollziehen. 78 Politische Mythen Neben Erinnerungsorten eignen sich politische Mythen für das landeskundliche Lernen, da sie als „Erzählungen, die auf das politisch-soziale Geschehen gemünzt sind und diesem Geschehen eine spezifische Bedeutung verleihen“ (Becker 2005, 131), einen Einblick in das Selbstbewusstsein einer Gemeinschaft geben. 79 Aus diesem Grund thematisiert ein Hauptteil des hier untersuchten Unterrichts po‐ litische Mythen und besonders Gründungsmythen. Auf die Bedeutung von großen Erzählungen geht auch Anderson ein, der eine Nation als eine „vorge‐ stellte politische Gemeinschaft“ (Anderson 1996, 15) betrachtet, die ihre Identität auch über politische Mythen konstruiert (vgl. Anderson 1996, 284-286). Dies stellt auch Müller-Funk fest: Zweifelsohne sind es Erzählungen, die kollektiven, nationalen Gedächtnissen zu‐ grunde liegen und Politiken der Identität bzw. Differenz konstituieren. Kulturen sind immer auch als Erzählgemeinschaften anzusehen, die sich gerade im Hinblick auf ihr narratives Reservoir unterscheiden. (Müller-Funk 2008, 14) Politische Mythen erzählen primär über den Ursprung und die Entwicklung einer Nation. Jan Assmann zeigt beispielsweise das Verhältnis von Geschichte und Mythen auf und definiert damit die Funktion des Mythos: Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte. Man könnte auch sagen, daß im kulturellen Gedächtnis faktische Geschichte in erin‐ nerte und damit in Mythos transformiert wird. Mythos ist eine fundierte Geschichte, eine Geschichte, die erzählt wird, um eine Gegenwart vom Ursprung her zu erhellen. (Assmann 1992, 52) 70 2 Theoretischer Hintergrund Assman bringt also nicht nur zum Ausdruck, dass erinnerte Geschichte in My‐ thos transformiert wird, sondern betont außerdem die Bedeutung von Mythen für die Gegenwart: Sie erzählen nicht nur, wie es war, sondern geben auch Handlungsanweisungen für Gegenwart und Zukunft. Münkler weist darauf hin, „dass Mythen nicht bloß weitererzählt, sondern auch fort- und umerzählt werden und dass die dabei zu beobachtenden Variationen spezifisch politische Deutungsleistungen darstellen“ (Münkler 2011, 15). Die Gründe für Umdeu‐ tungen von Mythen lassen sich aus einer diachronen Perspektive analysieren und sind im Hinblick auf die historische Entwicklung des nationalen Selbstbe‐ wusstseins aufschlussreich. Im Hinblick auf den fremdsprachlichen Landeskundeunterricht argumentiert Schu‐ mann, dass Mythen kollektive Selbstbilder sichtbar werden lassen und dass die Be‐ schäftigung mit ihnen und ihren verschiedenen Erscheinungsformen kulturelle Kon‐ struktions- und Dekonstruktionsprozesse offen zu legen [vermag]. Die Arbeit an kollektiven Mythen entwickelt ein kulturelles Wissen, das nicht nur landeskundliche Kontexte einbezieht und kulturelle Sinngebungsprozesse erhellt […]. (Schumann 2005b, 121) In ihren Unterrichtsentwürfen beschreibt Schumann, wie der französische My‐ thos von der Einheit von Land, Volk und Nation, der sich im Symbol des Hexa‐ gons widerspiegelt, in verschiedenen Kontexten und Erscheinungsformen auf‐ gegriffen wird, deren Behandlung im Unterricht einen Einblick in aktuelle französische Diskurse liefert und spezifisches kulturelles Wissen vermittelt. Auch Koreik argumentiert für die Behandlung von Mythen im landeskund‐ lichen Unterricht: Wenn es so ist, daß Mythen und Legenden das Geschichtsbild breiter Bevölkerungs‐ kreise prägen oder zumindest eine größere Rolle darin spielen, dann wäre genau dies ein zu bearbeitender Themenkomplex, aus dem sich einzelne Beispiele für die Be‐ handlung im Unterricht anbieten. Indem ausländische Deutschlernende Faktoren kognitiv verarbeiten, die die im Inland sozialisierten Deutschen auf welche medial vermittelte Weise auch immer […] als Mythen und Legenden aus dem Vorrat des ‚kol‐ lektiven Gedächtnisses‘ zum großen Teil zum Bestandteil ihres subjektiven Ge‐ schichtsbildes gemacht haben, erhalten sie eine Möglichkeit zu einer besseren Nach‐ vollziehbarkeit prägender Einflüsse deutscher Geschichts- und Gesellschaftsbilder. (Koreik 1995, 70) Mythen stellen also nach Koreik einen Zugang zu den Geschichtsbildern dar, die eine Gruppe hat, so dass über diesen Weg die Perspektivgebundenheit von Geschichtsbildern sichtbar wird. Eine Möglichkeit, wie dies konkret im univer‐ 71 2.2 Kulturbezogenes Lernen 80 Koreik stellt fest, dass die in den ABCD-Thesen formulierte Zielvorstellung sehr ehr‐ geizig sei, vor allem die Forderung, durch geschichtliche Themen eine Vorstellung über die Zukunft zu erhalten. Für den Sprachunterricht biete diese allenfalls Gesprächsan‐ lässe, die zu Spekulationen einlüden (vgl. Koreik 2012, 3). sitären Landeskundeunterricht geschehen kann, wird in Becker (2015a und 2015b) aufgezeigt. Geschichtliche Themen Mit den obigen Ausführungen zu Erinnerungsorten und politischen Mythen habe ich versucht deutlich zu machen, dass geschichtliche Themen aus einem kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht nicht wegzudenken sind. Mythen und Erinnerungsorte liefern historisches Wissen, d. h. die Hinter‐ grundinformationen, ohne die sie nicht zu verstehen sind. Auch für die Gegen‐ wart besitzt die Vergangenheit eine wichtige Erklärungskraft und ist daher für den landeskundlichen Unterricht von hoher Relevanz (vgl. Koreik 2010a, Maijala 2004, Ghobeyshi 2000, 635), wie es auch 1990 in den ABCD -Thesen formuliert ist: Landeskunde ist in hohem Maße auch Geschichte im Gegenwärtigen. Daher ergibt sich die Notwendigkeit, auch historische Themen und Texte im Deutschunterricht zu behandeln. Solche Texte sollten Aufschluß geben über den Zusammenhang von Ver‐ gangenheit, Gegenwart und Zukunft, über unterschiedliche Bewertungen sowie über die Geschichtlichkeit der Bewertung selbst. (o.A. 1990, 307) 80 Das übergeordnete Ziel der Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen im landeskundlichen Unterricht ist somit nicht die Vermittlung von reinem Faktenwissen, ähnlich einem ereignisgeschichtlichen Ansatz, in dem Epochen und Ereignisse chronologisch aneinandergereiht werden. Stattdessen erhält Ge‐ schichte eine unterstützende Funktion, sie wird nicht um ihrer selbst willen behandelt, sondern stets um Perspektivgebundenheit und Entwicklungslinien zu verdeutlichen. Es stellt sich die Frage, welche geschichtlichen Themen für den Landeskun‐ deunterricht relevant sind, wobei diese Frage selbstverständlich immer im Hin‐ blick auf die spezifische Unterrichtssituation beantwortet werden muss. Als ein Leitfaden könne u. a. der Aktualitätsbezug sowie der zu erwartende Erkennt‐ niswert der Themen gelten (vgl. Koreik 2012, 4); indem man Entwicklungslinien zu aktuellen Themen nachvollziehe, könne man kulturelle Deutungsmuster verdeutlichen (vgl. Koreik 2010a, 1479). Es böten sich Themen wie der Zweite Weltkrieg an, weil diese Jahrhundertkatastrophe nach wie vor die Gegenwart präge (vgl. auch Fornoff 2015a). Insgesamt aber seien verstärkt das kollektive 72 2 Theoretischer Hintergrund 81 Die Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses formulierte Koreik schon 1995: „Für die Fragestellung, was in der inhaltlichen Vermittlung der Landeskunde im Fach Deutsch als Fremdsprache alles relevant ist - insbesondere wenn es um die Geschichte geht -, sind selbstredend die Fragen nach Existenz, Funktionsweise, dem Erinnerten selbst und möglichen Auswirkungen eines ‚kollektiven Gedächtnisses‘ und einer damit mögli‐ cherweise im Zusammenhang stehenden ‚kulturellen Identität‘ von allergrößter Be‐ deutung“ (Koreik 1995, 64). Gedächtnis 81 sowie sozial- und alltagsgeschichtliche Fragestellungen zu berück‐ sichtigen, wolle man das Verständnis für die Gegenwart fördern: Die Kategorien Erinnerung und kollektives Gedächtnis haben dabei in den letzten Jahren zu Recht auch im Fach DaF / DaZ einen gewissen Stellenwert bekommen, da Sprachunterricht kein Geschichtsunterricht ist und die Näherung an die Menschen im Zielsprachenland das vorrangige Ziel sein muss - und diese sind geprägt durch ihr Geschichtsbewusstsein. Hier werden allerdings die harten geschichtswissenschaftli‐ chen Deutungen verlassen und Erkenntnisse aus der oral history oder sozialwissen‐ schaftliche Studien […] bilden die Basis für fundierte Materialerstellung. (Koreik 2010a, 1482) Koreik greift hier die kulturwissenschaftliche Transformation der Landeskunde auf sowie die Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses für das landeskundliche Lernen: Ohne den Einbezug geschichtlicher Themen kommt der kulturwissen‐ schaftlich orientierte Landeskundeunterricht nicht aus. 2.2.3 Zusammenfassung Die Landeskunde befindet sich in einer nicht unproblematischen Situation. Zwar ist seit dem Paradigmenwechsel in der Landeskundedidaktik, der als eine kulturwissenschaftliche Orientierung beschrieben wird, die theoretische Fun‐ dierung weit fortgeschritten, doch lassen sich einige Lücken feststellen, die ge‐ füllt werden müssen, damit kulturwissenschaftlich orientierte Landeskundean‐ sätze sinnvoll auch in einem weiteren Ausmaß in den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache einfließen können: Es ist festzustellen, dass vor allem durch das Konzept der Erinnerungsorte konkrete Vorschläge vorliegen, wie kulturwissenschaftliche Ansätze im Unter‐ richt berücksichtigt werden können. Auch im Hinblick auf Altmayers Deu‐ tungsmusterlernen sind Themenvorschläge vorhanden, die an Neuners univer‐ selle Daseinserfahrungen anknüpfen. Insgesamt handelt es sich bei diesen Arbeiten aber hauptsächlich um theoretische und / oder unterrichtspraktische Vorüberlegungen sowie Erfahrungsberichte, die insofern wichtig sind, als sie 73 2.2 Kulturbezogenes Lernen 82 Auch: bilingualer oder immersiver Unterricht; für eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Begriffen siehe Schlemminger 2013. von einer theoretischen Warte den Mehrwert von kulturwissenschaftlich ori‐ entierter Landeskunde überprüfen und eine wichtige Inspirationsquelle für die Unterrichtspraxis darstellen. Aber um absehen zu können, was kulturwissen‐ schaftliche Ansätze tatsächlich leisten können und wie mit ihnen konkret ge‐ arbeitet werden sollte, damit ein nachhaltiges Lernergebnis erreicht werden kann, bedarf es die empirische Erforschung kulturbezogener Lernprozesse und kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterrichts. So wie in dieser Arbeit ist dabei beispielsweise zu fragen, was geschieht, wenn sich Lerner mit kulturellen Deutungsmustern auseinandersetzen und welche Rolle metho‐ disch-didaktische Entscheidungen spielen. Darüber hinaus, und dies wird im Laufe der Arbeit deutlich werden, fehlt es vor allem auch an Auswahlkriterien für Unterrichtsthemen, geeigneten Aufga‐ benformaten für landeskundliches Lernen und Forschungsansätzen zur Bedeu‐ tung der Rolle digitaler Medien, wobei selbstverständlich der Kontext ent‐ scheidet, welches Vorgehen sinnvoll ist. Dahingehend wurde aufgezeigt, dass die Entscheidung, welche Inhalte wie vermittelt werden, nicht nur regional un‐ terschiedlich ist und von den curricular vorgegebenen Unterrichtszielen ab‐ hängt, sondern auch davon, ob der Landeskundeunterricht in den Fremdspra‐ chenunterricht integriert stattfindet oder, wie im vorliegenden Fall, als eigenständiges Seminar zur Landeskunde, das im Rahmen eines Fremdspra‐ chenstudiengangs angeboten wird. Bevor Kapitel 3 zur Didaktik des landeskundlichen Lernens konkret nach‐ vollzieht, wie im vorliegenden Fall mit kulturwissenschaftlich orientierten An‐ sätzen gearbeitet wird, umreißt das nächste Kapitel den derzeitigen Forschungs‐ stand von universitärem integriertem Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht. Zudem folgt ein weiteres kurzes Unterkapitel zur epistemischen Funktion des Schreibens. Auf beide Unterkapitel wird in der Datenanalyse in Kapitel 6 und den Implikationen für die Unterrichtspraxis in Kapitel 7 Bezug genommen. 2.3 Integrierter Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht Schulisches fach- und fremdsprachenintegriertes Lernen (auch: CLIL , d. h. Con‐ tent and Language Integrated Learning) 82 erfreut sich weltweit großer Beliebtheit (vgl. Haataja 2010, 1047, Haataja / Wicke 2016) und ist dementsprechend ein festetabliertes Forschungsfeld, in dem die „Kombination von CLIL und Deutsch 74 2 Theoretischer Hintergrund 83 CLILiG steht für Content and Language Integrated Learning in German (vgl. Haa‐ taja / Wicke 2016). 84 Im entsprechenden Artikel (Haataja 2010) des internationalen Handbuches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Krumm et al. 2010) wird z. B. gar nicht auf die Situation an Universitäten und Hochschulen eingegangen. 85 Rösler beschreibt die zwei Positionen, die sich in der Debatte um die Sprachenwahl im Fachunterricht finden lassen, wie folgt: „There are two positions with maximum op‐ position in the debate about the choice of language in contents seminars. One is based on the assumption that a foreign language, like any other academic subject at university level, must represent maximum intellectual challenge, which means that seminars on linguistics, literature or cultural studies / area studies have to take place in the ‚first‘ language of the lecturer and students […]. Many lecturers have an academic tradition of analysing texts through their first language and therefore feel that it is consistent to speak about a foreign language text in the language common to teacher and stu‐ dents. […] The other position claims that the subject is the foreign language itself, and only when lectures and seminars on linguistics, literature etc. are carried out in that language can the students be assured of the best possible education in terms of contents and language“ (Rösler 2010c, 12). einen vergleichsweise jungen Entwicklungsgegenstand dar[stellt]“ (Haatja 2010, 1050). Doch profitiert das Fach Deutsch als Fremdsprache bzw. CLIL iG 83 selbstverständlich auch von Forschung aus dem englischsprachigen Raum, wo CLIL besonders Konjunktur hat. Im Hinblick auf den integrierten Fremdspra‐ chen-Sachfach-Unterricht an Universitäten und Hochschulen kann hingegen nicht festgestellt werden, dass die Forschung in diesem Bereich floriert. 84 Zwar liegen Arbeiten zu Fachunterricht vor, der an Universitäten im nicht-englisch‐ sprachigen Raum in der lingua franca Englisch stattfindet (z. B. Smit / Dafouz 2012), doch die Beschäftigung mit sogenannten Inhaltsseminaren, die im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen angeboten werden und zu denen neben dem eigenständigen Landeskundeunterricht vor allem literatur- und sprachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen gehören, findet nur spärlich statt. Dies kann auf viele Gründe zurückgeführt werden (vgl. bspw. Fandrych 2007), u. a. darauf, dass an vielen Hochschulen und Universitäten, nicht zuletzt im englischsprachigen Raum, eine strikte Trennung von Fremdsprachenunterricht und Inhaltskursen stattfindet (vgl. Rösler 2010c, 12), 85 was für Schweden aber, zumindest in dieser Schärfe, nicht festgestellt werden kann. Außerdem hatte (und hat) die Landeskunde als selbständiges Unterrichtsfach u. a. aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Fundierung der Unterrichtsinhalte (vgl. Ka‐ pitel 2.2.1) keinen guten Stand. Wie Kapitel 2.2.2 gezeigt hat, liegen jedoch seit dem Aufkommen kulturwissenschaftlich orientierter Landeskundeansätze ernstzunehmende Lösungsansätze auch für selbständigen Landeskundeunter‐ richt vor. 75 2.3 Integrierter Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht 86 Für eine praxisnahe Beschreibung der Integration von kulturellem und sprachlichem Lernen im Rahmen von universitärem fächerübergreifendem DaF-Unterricht siehe Maijala 2017. Traditionell ist selbständige Landeskunde vermutlich das Unterrichtsfach, in dem sprachliches und inhaltliches Lernen noch am häufigsten verbunden wird. 86 In wissenschaftlichen Arbeiten zu kulturwissenschaftlich orientierter Landeskunde wird in der Regel auf die Dimension des Fremdsprachenlernens nicht eingegangen (z. B. Badstübner-Kizik / Hille 2015). Ausnahmen stellen die Lehrwerke Erinnerungsorte - Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht (Schmidt / Schmidt 2007a) und Mitreden - Diskursive Landeskunde für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Altmayer 2016) dar, die im Zuge des Paradigmen‐ wechsels entstanden sind. In der Praxis gibt es eine Reihe möglicher Szenarien, wie fremdsprachliches und inhaltliches Lernen kombiniert werden können. Von Schlemminger (2013) liegen verschiedene Modelle vor, in denen der Grad der Integration von schul‐ ischem Fremdsprachen- und Fachlernen und auch das Spannungsverhältnis der beteiligten Fachdidaktiken hervortreten. Modell 1: Im erweiterten Fremdsprachenunterricht steht das Fremdsprachen‐ lernen im Vordergrund, evaluiert wird lediglich die sprachliche Kompetenz. Dieses Modell findet sich im inhaltsorientierten Fremdsprachenunterricht, d. h. einem Unterricht, in dem der Bedeutungsgehalt, „unter Einbezug neuen Welt‐ wissens“ (Schlemminger 2013, 383), der Formfokussierung übergeordnet ist. Für den hier untersuchten Unterricht sind jedoch eher die beiden folgenden Modelle (Modelle 2 und 3) relevant; in Kapitel 3.2.6 wird gezeigt werden, dass sich der Landeskundeunterricht auf der Schnittstelle zwischen beiden Modellen be‐ findet, wobei die Gewichtung je nach Unterrichtsabschnitt variiert. In beiden Modellen wird die Sachfachkompetenz evaluiert: Modell 2: Der zielsprachlich orientierte Sachfachunterricht orientiert sich in seiner Methodik / Didaktik und in der Auswahl der Unterrichtsinhalte am Sach‐ fach, fokussiert aber gleichzeitig eine allgemeine Sprachkompetenz: „Die Ziel‐ sprache wird jedoch hauptsächlich als Mittel benutzt, sich Sachfachinhalte an‐ zueignen“ (Schlemminger 2013, 384). Modell 3: Im zielsprachenintegrierenden Sachfachunterricht steht das Fach‐ wissen im Mittelpunkt: Die Lernenden verfügen im Allgemeinen über ein gutes Sprachniveau in der L2. Ziel ist es, den Fachdiskurs des jeweiligen Sachfaches in der Zielsprache […] zu entwickeln und zu erweitern […]; es geht um die Entwicklung fachspezifischer Diskursstrategien, 76 2 Theoretischer Hintergrund 87 Allgemeine Ziele von Hochschulausbildungen sind auch relevant für die Frage, was universitärer Landeskundeunterricht leisten sollte. Einen (heuristischen) Hinweis in dieser äußerst komplexen Frage liefert z. B. das schwedische Hochschulgesetz § 8: „Ut‐ bildning på grundnivå ska utveckla studenternas förmåga att göra självständiga och kritiska bedömningar, förmåga att självständigt urskilja, formulera och lösa problem, och beredskap att möta förändringar i arbetslivet. Inom det område som utbildningen avser ska studenterna, utöver kunskaper och färdigheter, utveckla förmåga att söka och värdera kunskap på vetenskaplig nivå, följa kunskapsutvecklingen, och utbyta kuns‐ kaper även med personer utan specialkunskaper inom området“. / Die Ausbildung auf B. A.-Niveau soll die Fähigkeit der Studierenden entwickeln, selbständig und kritisch zu beurteilen, selbständig Probleme zu entdecken, zu formulieren und zu lösen, so wie die Bereitschaft, Veränderungen im Arbeitsleben entgegenzutreten. In dem Gebiet, das die Ausbildung betrifft, sollen die Studierenden, neben dem Erwerb von Wissen und Fertigkeiten, die Fähigkeit entwickeln, Wissen auf wissenschaftlichem Niveau zu re‐ cherchieren und zu bewerten, der Wissensentwicklung zu folgen und Wissen auszu‐ tauschen mit Personen, die auf diesem Gebiet kein Spezialwissen besitzen. (Übers. CB). die es ermöglichen, eine kognitiv anspruchsvollere, fachspezifische Sprache zu ver‐ stehen und zu verarbeiten. (Schlemminger 2013, 384) Für Landeskunde als universitäres Fach im Rahmen von Fremdsprachenstudi‐ engängen wird einmal mehr deutlich, wie problematisch die Situation ist, die nicht nur auf eine lange vorherrschende mangelnde Wissenschaftlichkeit zu‐ rückgeführt werden kann: Auch wenn in Kapitel 2.2.2 argumentiert wurde, dass historische Themen eine besondere Relevanz haben und damit der Geschichts‐ didaktik eine wichtige Rolle zukommt, sind durchaus andere Fachdidaktiken der Bezugswissenschaften wie z. B. Politikwissenschaft, Geographie, Wirtschafts‐ wissenschaft relevant. Es geht also nicht nur um die wissenschaftliche Fundie‐ rung der Unterrichtsgegenstände, sondern auch darum, dass Erkenntnisse aus den relevanten Fachdidaktiken sowie der Hochschuldidaktik 87 herangezogen werden sollten, damit die Fremdsprachendidaktik sinnvolle Unterrichtsme‐ thoden für den Landeskundeunterricht entwickeln kann. In der Planung des hier untersuchten Unterrichts wurde z. B. das (nicht nur) geschichtsdidaktische Ver‐ fahren der Perspektivenübernahme (vgl. Kapitel 6.5) relativ unreflektiert be‐ rücksichtigt, im Zuge des Verfassens dieser Arbeit trat aber deutlich hervor, dass die Landeskundedidaktik nicht nur hinsichtlich der Themen sondern vor allem der Unterrichtsmethoden wesentlich interdisziplinärer werden muss, will sie sinnvolle Methoden entwickeln. In den bislang vorliegenden und als richtungsweisend einzuschätzenden Ar‐ beiten zu universitärem fach- und fremdsprachenintegriertem Lernen im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen (vgl. Rösler 2006b, 2010c, Fandrych 2007, 2010) wird die Position vertreten, dass die Trennung von Fremdsprachen‐ 77 2.3 Integrierter Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht 88 Gefordert wird dies auch in dem Bericht der Modern Language Association zu Foreign Languages and Higher Education: New Structures for a Changed World (2007). URL: https: / / www.mla.org/ Resources/ Research/ Surveys-Reports-and-Other-Documents/ Teaching-Enrollments-and-Programs/ Foreign-Languages-and-Higher-Education- New-Structures-for-a-Changed-World (abgerufen am 30. 11. 2017). 89 Siehe Fußnote 29. 90 Es sollte im Zuge der Diskussion deutlich geworden sein, dass der Begriff L1 proble‐ matisch ist. Fandrych verwendet vermutlich aus diesem Grund den Begriff der Aus‐ gangssprache. 91 Fandrych formuliert das Modell der aufgeklärten Zweisprachigkeit auf der Folie von Butzkamms „Aufgeklärter Einsprachigkeit“ (1978), einem Plädoyer gegen den aus‐ schließlichen Gebrauch der Fremdsprache. Das Modell der aufgeklärten Zweisprachig‐ keit fokussiert den „systematischen Aufbau einer bilingualen Sprachbewusstheit“ (Fandrych 2007, 289). unterricht und Inhaltskursen zum Teil aufgehoben werden sollte. 88 Als Grund wird die heute „real existierende Mehrsprachigkeit“ (Rösler 2006b, 231) ange‐ führt, die den Lehrenden heute in jeder Unterrichtssituation begegnet und die Unterrichtskonzepten, die von der monolingual bias 89 ausgehen, eine Absage erteilt. So wird mit Blick auf die Unterrichtspraxis die Frage gestellt, was man in den Sprach- und in den Fachlehrveranstaltungen tun kann, um eine op‐ timale Kombination von sprachlicher Kompetenz und intellektueller Herausforderung zu produzieren, die sowohl das Argument der Optimierung des Sprachenlernens als auch das der maximalen intellektuellen Stimulanz ernst nimmt. (Rösler 2006b, 231) Während Rösler hier allgemeinsprachliche Kompetenzen im Blick hat, stellt Fandrych (2007) die Frage, wie universitärer Fachunterricht für den Erwerb von wissenschaftssprachlicher Handlungsfähigkeit genutzt werden kann. In beiden Fällen spielt Zwei- oder Mehrsprachigkeit im Unterricht eine Schlüsselrolle, um sowohl das Fremdsprachenlernen zu unterstützen und inhaltlich auf (fast) ebenso hohem Niveau zu arbeiten wie in Inhaltsseminaren, die in der L1 90 der Studierenden stattfinden. Fandrych (2010) spricht sich so für eine „aufgeklärte Zweisprachigkeit“ 91 in stärker inhaltsorientierten Seminaren aus, und gibt kon‐ krete Tipps, z. B. dass alle Aufgaben eine Sprachdimension enthalten sollten. Die wissenschaftlichen Texte in der Fremdsprache sollten auch (in Ausschnitten) sprachlich betrachtet werden, unter Hinzunahme von Beispielen aus der L1, so dass diese verglichen werden können. Rösler schlägt zum einen eine stärkere Verbindung von Sprach- und Inhaltskursen vor, gibt aber auch konkrete Tipps für die Unterrichtspraxis. In Seminaren und Vorlesungen, die in der Fremd‐ sprache stattfinden, könne z. B. die Rezeption erleichtert werden durch Power‐ Point-Präsentationen, annotierte Skripte und Vokabellisten. Code-Switching der Lehrenden könne das Verständnis der Studierenden unterstützen, ebenso sei 78 2 Theoretischer Hintergrund 92 Zu einem konkreten Beispiel, wie mithilfe eines Wikis das Verständnis eines wissen‐ schaftlichen Textes kooperativ gesichert werden kann, siehe Becker 2016a. es wichtig zuzulassen, dass die Studierenden in ihrer L1 an den Diskussionen teilhaben: „[D]as Primat des Inhaltlichen in diesen Seminaren muss die Sprach‐ wahl dominieren, so dass ein genuin zwei- oder mehrsprachiger Verstehens- und Diskussionsprozess im Seminar sich entwickeln kann“ (Rösler 2006b, 232f). Neben diesen durchaus sinnvollen Vorschlägen ist davon auszugehen, dass di‐ gitalen Medien im Allgemeinen und asynchroner computervermittelter Kom‐ munikation im Besonderen eine Schlüsselrolle in universitärem Fremdspra‐ chen-Sachfach-Unterricht zukommt. 92 Verstehens- und Diskussionsprozesse in der Fremdsprache können unterstützt werden, wenn die Studierenden, wie in asynchronen Online-Diskussionen, sowohl für die Produktion als auch die Re‐ zeption mehr Zeit haben; indem die Studierenden aber auch Beiträge in der Ausgangssprache verfassen dürfen, dominiert „das Primat des Inhaltlichen“. In der Datenanalyse wird so auch die Frage aufgegriffen werden, welchen Mehr‐ wert asynchrone computervermittelte Kommunikation für universitären integ‐ rierten Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht bietet. Das folgende Kapitel widmet sich jedoch zunächst der Bedeutung des Schreibens für das Lernen, da dieser Aspekt für die Analyse und die Einschät‐ zung des Lernpotenzials asynchroner Online-Diskussionen von Bedeutung ist. 2.4 Epistemisches Schreiben Der Begriff des epistemischen, d. h. erkenntnisbildenden Schreibens geht auf Bereiter (1980) zurück, in dessen Schreibentwicklungsmodell epistemisches Schreiben die höchste Stufe ist. Sie wird erst in der Adoleszenz erreicht - wenn überhaupt. Schreiben als Bewusstmachung, mit dem Ziel des Erkenntnisge‐ winns und des Wissenserwerbs, spielt in der Fremdsprachendidaktik eine eher ungeordnete Rolle, was nicht nur daran liegt, dass die fremdsprachlichen Kennt‐ nisse des Schreibenden auf einem hohen Niveau sein müssen, da die mentalen Ressourcen nicht mit Formulierungsarbeit belegt sein dürfen. Zudem muss die Fähigkeit des epistemischen Schreibens in der L1 entwickelt sein. In der vorlie‐ genden Arbeit ist das epistemische Schreiben relevant, da ein Aspekt des Lern‐ potenzials von asynchronen Online-Diskussionen für landeskundliches Lernen auf diese Funktion des Schreibens zurückzuführen ist (vgl. beispielsweise Ka‐ pitel 6.2.2). Um die Ergebnisse theoretisch zu verankern, wird im Folgenden kurz 79 2.4 Epistemisches Schreiben auf die Rolle des Schreibens für das Lernen von Fremdsprachen eingegangen, sodann auf das epistemische Schreiben. Die Fertigkeit Schreiben hatte in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik unterschiedliche Stellenwerte, so stand sie im Zentrum in der Grammatik-Über‐ setzungsmethode, während sie im kommunikativ ausgerichteten Unterricht „eher verpönt“ war (Paris 1999, 1, vgl. Mohr 2010, 993). Derzeit lässt sich fest‐ stellen, dass das Schreiben als Medium zum Fremdsprachenlernen betrachtet wird und dass dem funktional-kommunikativen Schreiben eine besondere Be‐ deutung zukommt (vgl. Mohr 2010, 995). Digitale Medien spielen hinsichtlich Letzterem eine Rolle, wenn die mitteilungsbezogene Funktionalität des Schreibens durch beispielsweise Telekollaboration erfüllt wird (vgl. Rösler 2007, 180) oder eben durch Diskussionsforen. Rösler weist jedoch zurecht darauf hin, dass das Schreiben nur dann sinnvoll ist, wenn sowohl die Verfasser/ -innen als auch die Leser/ -innen sich durch die Texte tatsächlich etwas mitteilen: „Wenn ein Produkt keine Leser hat und die Lernenden absehen können, dass es keine haben wird, dann sind diese Versuche, mitteilungsbezogenes Schreiben […] zu initiieren, auch nicht viel besser als das traditionelle Schreiben nach Anweisung“ (ebd.). Eine Möglichkeit zu untersuchen, ob die mitteilungsbezogene Funktio‐ nalität von Diskussionsbeiträgen erfüllt wird, liegt in der Interaktionsanalyse der Diskussionen, denn wenn die Studierenden sich in ihren Beiträgen aufei‐ nander beziehen, bedeutet dies, dass sie diese gelesen haben und dass die Bei‐ träge etwas enthalten, das als kommentierungswürdig erachtet wird (vgl. Ka‐ pitel 5.8). Mit dem epistemischen Schreiben im Bereich des Fremdsprachenunterrichts setzt sich Paris auseinander, die das Potenzial des wissensentwickelnden, wis‐ sensstrukturierenden und denkunterstützenden Schreibens untersucht (vgl. Paris 1999, 2), wobei zu betonen ist, dass epistemisches Schreiben als prozess‐ orientierter Ansatz verstanden wird. Es geht demnach nicht um die Beurteilung eines fertigen Schreibprodukts, sondern darum, den Schreibprozess effektiv als Problemlösungsprozess zu nutzen: „So wird das Denken, das Finden neuer Ge‐ danken und die Strukturierung der vorhandenen Gedanken beim Erstellen des Textes unterstützt. Der Text selber geht so über das reine Darstellen von vor‐ handenen Wissensbeständen hinaus“ (ebd. 4). Hier biete sich vor allem perso‐ nales und kreatives Schreiben an, die in der fremd- und zweitsprachlichen Schreibdidaktik ihren festen Platz haben (vgl. Mohr 2010, 996). Ziel ist das Schreiben persönlich bedeutsamer und identitätsbildender Texte: Im persönli‐ chen Schreiben sollen sich die Lernenden so „ihrer eigenen Persönlichkeit be‐ wusst werden und expressiv und selbstreflektierend in ihren Schreibprodukten ihrer Identität nachspüren“ (Paris 1999). Für das Fremdsprachenlernen ist da‐ 80 2 Theoretischer Hintergrund 93 Portmann-Tselikas definiert Textkompetenz wie folgt und fokussiert dabei auf das mit‐ teilungsbezogene Schreiben: „Textkompetenz ermöglicht es, Texte selbständig zu lesen, das Gelesene mit den eigenen Kenntnissen in Beziehung zu setzen und die dabei ge‐ wonnenen Informationen und Erkenntnisse für das weitere Denken, Sprachen und Handeln zu nutzen. Textkompetenz schließt die Fähigkeit ein, Texte für andere herzu‐ stellen und damit Gedanken, Wertungen und Absichten verständlich und adäquat mit‐ zuteilen“ (2005, 1f). Schmölzer-Eibinger hingegen nennt epistemisches Schreiben als primäres Mittel zur Förderung von Textkompetenz (2010, 1135). hingehend besonders relevant, dass dies oft mit einer besonderen Motivation und dem Bemühen um sprachliche Klarheit einhergeht (vgl. Mohr 2010, 996). Kreative Schreibformen hingegen sind nicht an die eigene Persönlichkeit ge‐ bunden, aber auch dort geht es um expressives Schreiben und vor allem die Aktivierung der Imaginationskraft. In diesem Sinne ist kreatives und personales Schreiben auch erkenntnisleitend, wie Memminger betont: Um zu einem selbstverständlichen und vielleicht sogar lustvollen Schreibhandeln zu gelangen, darf das schulische Schreiben nicht nur rein kognitiv und ‚trocken‘ sein. Die affektiv-emotionale Ebene muss dabei ebenso berücksichtigt werden. Schreiben kann und soll Spaß machen. Das kann beim spielerisch-fiktionalen Gestalten ebenso geschehen wie beim Schreiben von Texten, die Raum lassen für eigene Ansichten, Urteile und die Formulierungen von Befindlichkeiten. (Memminger 2007, 35) Im Geschichtsunterricht sowie in jeglichem Sachfachunterricht findet jedoch in den meisten Fällen epistemische Schreiben nicht durch kreatives Schreiben statt (vgl. Memminger 2007, 36f), sondern vielmehr im Zuge von Analysen, Stellung‐ nahmen und Erörterungen. Darin zwingt das Schreiben „den Menschen zur Bündelung und Ordnung seines Gedankenstroms, erzeugt wahrscheinlich sogar erst Reflexionsprozesse, die durch bloßes Zuhören oder Mitdenken nicht zu‐ stande kämen“ (Memminger 2007, 33, vgl. auch Hermanns 1988) und spielt so eine wichtige Rolle für den Wissenserwerb. Aus diesem Grund ist das episte‐ mische Schreiben, das der Textkompetenz 93 zugehörig ist, auch in der lite‐ racy-Diskussion vor allem im Fach Deutsch als Zweitsprache wichtig, wo die Textkompetenzforschung auf Fragen des Erwerbs und der Vermittlung von Wissen in der Zweitsprache fokussiert (vgl. Schmölzer-Eibinger 2010, 1131). Zydatiß (2007, 200f) lenkt das Augenmerk parallel auf den integrierten Fremd‐ sprachen-Sachfach-Unterricht und expliziert den Bedarf eines Schreibcurricu‐ lums, da fachbezogene Lernziele nicht ohne eine gut entwickelte Textkompetenz zu erreichen seien. Es stellt sich die Frage, inwieweit die epistemische Funktion des Schreibens für inhaltlich-kognitive Aufgaben auch von Fremdsprachenlernern genutzt werden kann. Schmölzer-Eibinger schreibt mit Bezug auf Deutsch als Zweit‐ 81 2.4 Epistemisches Schreiben sprache, dass es sich bei Textkompetenz um eine transferierbare Fähigkeit han‐ dele, die von der Erstauf die Zweitsprache weitgehend übertragbar sei: So können etwa Lernende, die in ihrer Erstsprache effiziente Strategien des Lesens entwickelt haben, diese auch beim Lesen in der Zweitsprache nutzen. Eine Voraus‐ setzung dafür ist, dass sie eine sprachliche Basis aufgebaut haben, d. h. dass sie grund‐ legende sprachliche Mittel in der Zweitsprache beherrschen. (Schmölzer-Eibinger 2010, 1132, Hervorhebung im Original) Es kann daher auch davon ausgegangen werden, dass auch die Fähigkeit zum epistemischen Schreiben transferierbar ist. Göpferich und Nelezen (2013) haben anhand von populärwissenschaftlichen Texten von deutschen Anglistik-Stu‐ dierenden untersucht, ob das Schreiben in der Fremdsprache der epistemischen Funktion von Schreiben abträglich ist, wobei angenommen wird, dass die Text‐ produktion in der L2 mit einer Beeinträchtigung der epistemischen Funktion des Schreibens einhergeht bzw. dass in der L2 erst eine bestimmte Kompetenz‐ stufe erreicht werden muss (vgl. Göpferich / Nelezen 2013, 168f). Sie kommen zu folgendem Ergebnis: Beschränkte Ausdrucksmöglichkeiten in einer Fremdsprache können dabei der epis‐ temischen Funktion des Schreibens abträglich sein, und zwar deshalb, weil die be‐ schränkten Ausdrucksmöglichkeiten dazu führen, dass das Gestalt annehmende Wissen nur verzerrt versprachlicht werden kann, was einer Weiterentwicklung und Präzisierung abträglich ist. (Göpferich / Nelezen 2013, 196) Für die weitere Studie bleibt also festzuhalten, dass das epistemische Schreiben in kreativen und personalen Schreibansätzen auch im Fremdsprachenunterricht eine feste Rolle hat. In Bezug auf kognitiv-inhaltliches Lernen ist es außerdem notwendig, dass die Lernenden sowohl ein hohes sprachliches Niveau besitzen als auch dass sie in ihrer Erstsprache die Fähigkeit des epistemischen Schreibens haben. Es soll hier zudem argumentiert werden, dass auch die sogenannte „knowl‐ edge-telling-strategy“ (Scardamalia / Bereiter 1987, 142f), bei der, im Gegensatz zum wissenstransformierenden epistemischen Schreiben, das vorhandene Wissen lediglich abgerufen und in Text verwandelt wird, ein Potenzial für das inhaltliche Lernen besitzt. In Texten, in denen zuvor gelesenes Sachwissen zu‐ sammengefasst wird, findet durch das schriftliche Rekapitulieren gelesener In‐ formationen eine „intensivere Verarbeitung des Lernstoffs dadurch [statt], dass er nicht nur verstanden, d. h. aus dem Verbalen ins Mentale übersetzt werden muss, sondern beim Schreiben auch wieder in umgekehrter Richtung bearbeitet, d. h. wieder verbalisiert werden muss“ (Molitor-Lübbert 2002, 38). Studierenden, 82 2 Theoretischer Hintergrund die in der Lage sind, selbständig kohärente Texte zu produzieren, können so Lücken auffallen, die sie im Laufe des Schreibprozesses durch unterschiedliche Hilfsmittel schließen können. Die Überlegungen zur Bedeutung von epistemischem Schreiben für (inhalt‐ liches) Lernen werden vor allem in den Kapiteln 6.2 und 6.5.3 relevant sein, und zwar in Bezug auf personales, kreatives und inhaltlich-kognitives Schreiben. Da aber in der Analyse nur die Schreibprodukte berücksichtigt werden, können die Annahmen über die tatsächlichen Schreibprozesse nur tentativ formuliert werden. 2.5 Zusammenfassung und Ausblick In der theoretischen Basis dieser Arbeit wurden die drei Bereiche der Fremd‐ sprachendidaktik skizziert, die den Hintergrund für die empirische Untersu‐ chung darstellen. Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien und der Landeskundedidaktik, es muss aber, um dem un‐ tersuchten Unterricht in seiner Komplexität gerecht zu werden, am Rande auch auf das Forschungsgebiet des integrierten Fremdsprachen-Sachfach-Unterrichts sowie das epistemische Schreiben eingegangen werden. Es zeigt sich, dass sich diese Arbeit auf verschiedenen Ebenen auf Schnittstellen bewegt; auf theoreti‐ scher Ebene verbindet sie die Landeskundedidaktik mit der Frage, wie Fremd‐ sprachenlehr- und -lernprozesse durch digitale Medien optimiert werden können. Darüber hinaus führt der untersuchte Unterricht als integrierter Fremd‐ sprachen- und Fachunterricht eben auch inhaltliches und fremdsprachliches Lernen zusammen. Zugleich wird in der theoretischen Basis ein Ungleichgewicht deutlich, das sich für die Konzeption von universitärem Landeskundeunterricht, sofern eine theoretische Verankerung angestrebt wird, als problematisch erweist: Der Ein‐ satz von asynchroner computervermittelter Kommunikation im Fremdspra‐ chenunterricht ist relativ gut erforscht, ebenso auch der Einsatz von CMC in anderen Szenarien, was im Abschnitt zum allgemeindidaktischen Potenzial er‐ kennbar wurde (vgl. Kapitel 2.1.2). Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass man relativ sicher weiß, wie Aufgaben zu gestalten sind und welche Rolle die Lehr‐ enden möglichst einnehmen sollten. Auf der anderen Seite steht die kulturwis‐ senschaftlich orientierte Landeskunde, deren Theorielegung zwar gut fundiert ist, der es aber bislang an entsprechenden Überlegungen und Forschungsergeb‐ nissen zu geeigneten Aufgaben, ja Methoden überhaupt mangelt. Ein Desiderat im Bereich der Landeskundedidaktik ist somit die Entwicklung von Aufgaben, 83 2.5 Zusammenfassung und Ausblick die helfen, die weitgesteckten Ziele der kulturwissenschaftlich orientieren Lan‐ deskunde zu erreichen. In der vorliegenden Arbeit beruhten die Aufgabenstel‐ lungen auf meinen subjektiven Theorien, wie landeskundliches Lernen geför‐ dert werden kann - was vermutlich für das Fach symptomatisch ist. Im empirischen Teil dieser Arbeit wird sodann heuristisch vorgegangen, da für die Analyse der Aufgaben nicht nur auf die Merkmale und Gütekriterien von Auf‐ gaben 2.0 eingegangen wird, sondern auch auf Merkmale guter historischer Lernaufgaben. Insgesamt ist es aber wünschenswert, dass die Landeskundedi‐ daktik in einer interdisziplinären Herangehensweise auch die Frage nach ge‐ eigneten Aufgaben ins Blickfeld nimmt. Es folgt nun ein kontextualisierendes Kapitel zur Didaktik des Landeskun‐ deunterrichts an der Universität Stockholm. Zunächst wird das Fach Deutsch beschrieben und in groben Zügen die Verortung des Landeskundeunterrichts im Germanistik-Studiengang, wobei auch curricular vorgegebene Lernziele er‐ läutert werden. Den Hauptteil stellen Kapitel 3.2.3 und 3.2.5 dar, da dort auf Lerninhalte, didaktische Prinzipien, die Wahl der Lernform Blended Learning und die Rolle asynchroner computervermittelter Kommunikation eingegangen wird. 84 2 Theoretischer Hintergrund 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm In diesem Kapitel steht das Seminar zur Landeskunde der deutschsprachigen Länder im Fokus, in dessen Rahmen die im Rahmen dieser Arbeit analysierten Daten erhoben wurden. Nach einer einleitenden Beschreibung des Faches Deutsch an der Universität Stockholm folgt eine Darstellung des Landeskun‐ deseminars. Berücksichtigt werden zunächst in aller Kürze Lehr- und Lernziele, Prüfungsform, Erwartungen und technische Medienkompetenzen der Studier‐ enden. Sodann wird ausführlicher auf die Themenauswahl, die Integration von sprachlichem und inhaltlichem Lernen sowie den Einsatz der Lehr- und Lern‐ form Blended Learning und asynchroner computervermittelter Kommunikation eingegangen. 3.1 Das Fach Deutsch an der Universität Stockholm Innerhalb des schwedischen Studiensystems sind zwei verschiedene Studien‐ wege möglich: Neben mehr oder weniger in sich geschlossenen Studiengängen (z. B. Medizin, Jura, Lehramtsstudiengänge) kann man außerdem ‚freistehende Kurse‘ (fristående kurser) absolvieren, die in der Regel 7,5, 15 oder 30 ECTS umfassen. Die freistehenden Kurse kann man studieren, ohne einen Abschluss anzustreben, sie führen aber in relativ frei wählbaren Kombinationen auch zu B. A.- und Magisterbzw. Masterabschlüssen. In der Germanistik werden alle Kurse als freistehende Kurse angeboten, was dazu führt, dass die Mehrzahl der Studierenden lediglich ein oder zwei Semester Deutsch studiert. Dieses System hat sowohl Vorals auch Nachteile: So kann z. B. jede/ -r, der / die die Hochschulzugangsberechtigung besitzt, freistehende Kurse belegen, ohne sich gleich für mehrere Jahre festzulegen, was zweifelsohne lebenslanges Lernen ermöglicht. Ein Nachteil ist, dass didaktische Konzepte, die sich über mehrere Semester erstrecken, nicht möglich sind und jeder freiste‐ hende Kurs möglichst in sich geschlossen konzipiert sein muss. Oft wird Germanistik zudem aus einem allgemeinen Interesse an der deut‐ schen Sprache und den deutschsprachigen Ländern studiert und nicht, weil man sich für das Fach Germanistik interessiert. Dies wird dadurch verstärkt, dass es an der Universität Stockholm kein Sprachenzentrum gibt, an dem Sprachkurse 1 Ylönen bemerkt im Hinblick auf die Situation von Germanistik-Studiengängen in nicht‐ deutschsprachigen Ländern: „Konnte man früher davon ausgehen, dass ein Studium der Germanistik oder des Deutschen als Fremdsprache sich auf fachliche Inhalte konzent‐ riert, muss Deutschunterricht heute dem eigentlichen Fachstudium vorgeschaltet sein und es begleiten. Die Grenzen zwischen universitärem Deutschunterricht für Nicht‐ philologen und einem Studium der Germanistik oder des Deutschen als Fremdsprache scheinen damit außerhalb des deutschsprachigen Raumes zumindest teilweise zu ver‐ schwimmen“ (Ylönen 2015, 1). Diese Situationsbeschreibung trifft auch auf das Ger‐ manistik-Studium an der Universität Stockholm zu. 2 Für ein B. A.-Abschluss im Fach Deutsch müssen 90 ECTS ergänzt werden durch wei‐ tere 90 ECTS in einem oder mehreren Fächern. stattfinden, und diejenigen Studierenden, die eigentlich einen Sprachkurs be‐ legen wollen, daher Germanistik studieren. Diese Voraussetzung wird eine be‐ deutende Rolle in der Datenanalyse spielen. Die ersten 60 ECTS des Germanistik-Studiums sind geprägt von vielen sprachpraktischen Seminaren, 1 von denen die meisten aber immer auch eine wissenschaftliche Perspektive beinhalten. Ab dem dritten Semester (61-90 ECTS ), das das letzte Semester vor einem B. A.-Abschluss ist, finden so gut wie ausschließlich literaturbzw. sprachwissenschaftliche Seminare statt. Es ergibt sich folgendes Curriculum für das Grundstudium: 2 Tyska I (30 ECTS) Tyska II (30 ECTS) Kandidatkurs i tyska (30 ECTS) Grammatik (6) Angewandte Grammatik (3) Aussprache (3) Konversation (3) Schriftliche Fertigkeit (3) Landeskunde (3) Deutschsprachige Literatur I (6) nur Klausur: Schriftliche Fertigkeit (3) nur Übung: Übersetzen Schwedisch-Deutsch (-) Grammatik (5) Sprachgeschichte (5) Mündliche Sprachfertigkeit (3) Kulturorientierung, inkl. wissenschaftliches Schreiben (5) Deutschsprachige Literatur II (8) nur Klausur: Schriftliche Fertigkeit (4) nur Übung: Übersetzen Schwedisch-Deutsch und schriftliche Fertigkeit (-) Einführung in die germa‐ nistische Linguistik (6) Deutschsprachige Literatur III (6) Übersetzen Schwedisch-Deutsch (3) B. A.-Examensarbeit (15) Tab. 1: Übersicht über die einzelnen Veranstaltungen innerhalb der freistehenden Kurse des Grundstudiums. In den Klammern sind die ECTS-Punkte angegeben. Die in der Tabelle aufgeführten Veranstaltungen sind obligatorisch und können nicht durch andere ersetzt werden. Ein Vorteil ist dies für die Unterrichtsge‐ staltung, denn es ist das ausgesprochene Ziel aller Lehrenden, die verschiedenen 86 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm 3 Bezeichnung zum Zeitpunkt der Datenerhebung. Jetzt: Tyska 3. 4 Diese sprachlichen Zugangsvoraussetzungen sind hochschulübergreifend vorgegeben und werden von vielen germanistischen Abteilungen im Lande als zu niedrig ange‐ sehen, was vor allem an den stetig sinkenden Vorkenntnissen der Schüler/ -innen liegt. Aus diesem Grund wird zukünftigen Studierenden, die „nur“ Stufe 3 abgeschlossen haben, bei der Studienberatung empfohlen, Teilzeit zu studieren. Seminare und Übungen jeweils so abzustimmen, dass inhaltliche Verbindungen erkennbar werden. Dies kann nur erfolgen, wenn alle Studierenden alle Veran‐ staltungen absolvieren müssen. Es besteht die Möglichkeit, die aufgeführten Kurse (Tyska I, Tyska II , Kandi‐ datkurs i tyska) Vollzeit zu studieren (30 ECTS pro Semester), oder in Teilzeit, wobei dann pro Semester ca. 15 ECTS absolviert werden. Außerdem können alle Kurse auch abends (d. h. einen Abend in der Woche) studiert werden, dann werden in der Regel maximal 15 ECTS pro Semester abgeschlossen. Letztere Option wird häufig von Berufstätigen, Senior/ -innen, Studierenden anderer Fä‐ cher oder Studierenden in Elternzeit wahrgenommen, so dass die Abendgruppen häufig altersmäßig (vgl. Kapitel 4.3.2) und in Bezug auf Vorkenntnisse und Mo‐ tivation sehr heterogen sind. Auch die Gruppe derer, die am Tage studieren, ist heterogen, doch handelt es sich bei dieser Gruppe oft um Studierende zwischen 19 und 30 Jahren, ältere Studierende sind eher die Ausnahme. Die Zusammensetzung der Studierendengruppen ist für den Unterricht fol‐ genreich, denn Themen und Unterrichtsmethodik müssen so abgestimmt sein, dass möglichst alle Studierenden, egal mit welchen Vorkenntnissen, einen Nutzen aus dem Unterricht ziehen können. 3.1.1 Sprachliche Voraussetzungen der Studierenden Die Zugangsvoraussetzung für Tyska I ist, neben der schwedischen Allgemeinen Hochschulreife, der Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem Niveau A2. Diese werden meist auf dem schwedischen Gymnasium erworben (dort: steg 3 3 / Stufe 3). 4 Wer diese Zugangsvoraussetzung nicht erfüllt, hat z. B. die Mög‐ lichkeit, an der Universität Stockholm die Anfängerkurse I und II zu studieren, aber auch Abschlüsse von Sprachkursen oder das „Goethe-Zertifikat A2“ werden anerkannt. Viele Studierende besitzen jedoch Deutschkenntnisse auf einem höheren Ni‐ veau, die sie in der Schule, durch Aufenthalte in den deutschsprachigen Ländern oder durch deutschsprachige Familienangehörige erlangt haben. Zudem stu‐ dieren jedes Semester auch Studierende mit Deutsch als L1 Germanistik. Insge‐ samt sind die Studierendengruppen also sprachlich als sehr heterogen zu be‐ 87 3.1 Das Fach Deutsch an der Universität Stockholm 5 http: / / www.hum.su.se/ polopoly_fs/ 1.51018.1320921079! / Riktlinjer_mall_kursplaner_ 7juni.pdf [28. 05. 2017]. 6 Die Übersetzungen stammen aus Grub / Platen 2013, 154. zeichnen, was eine Bereicherung des Unterrichts sein kann, zumindest aber eine Herausforderung für die Lehrenden darstellt. In Kapitel 4.3.2 wird genauer auf die Deutschkenntnisse der Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen einge‐ gangen. 3.2 Das Landeskundeseminar Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm (De tyskspråkiga län‐ dernas realia) ist, wie Tabelle 1 zeigt, Teil des ersten Semesters (Tyska I) und umfasst 3 ECTS . Zur Zeit der Datenerhebung, die im Rahmen dieser Studie stattfand, waren weder aktive Mitarbeit noch Anwesenheit obligatorisch, die 3 ECTS erhielten die Studierenden für die bestandene Klausur. In der Regel nehmen ca. 80 % der registrierten Studierenden am Unterricht (9 Seminare à 90 Minuten, siehe Anhang) teil. Im Wintersemester findet der Kurs nur für die Tagesgruppe statt, es nehmen dann ca. 15 bis 25 Studierende teil. Im Sommer‐ semester findet der Kurs für die Tages- und die Abendgruppe zusammen statt, dann besuchen ca. 30 bis 45 Studierende regelmäßig den Unterricht. 3.2.1 Lehr- und Lernziele Die Lernziele des Landeskundeunterrichts müssen, wie die Lernziele aller Kurse an schwedischen Universitäten, nach den Richtlinien des schwedischen Hög‐ skoleverket, das das nationale Regelwerk für den universitären Unterricht fest‐ legt, formuliert werden, 5 d. h., dass sie entsprechend der übergreifenden Lern‐ ziele Kunskap och förståelse (ungefähr: „Wissen und Verstehen“), Färdighet och förmåga („Fähigkeiten und Fertigkeiten“) und Värderingsförmåga och förhåll‐ ningssätt („Urteilsvermögen und Verhaltensweisen im Sinne eines Sich-Verhal‐ tens“) 6 zu formulieren. Es wird deutlich, dass diese Lernziele ausdrücklich auch generische Kompetenzen enthalten, wie es auch in den Richtlinien formuliert ist: Dimensionerna täcker dock mer än det rent ämnesspecifika innehållet och lyfter därmed fram mer generella kompetenser, t ex analytisk förmåga, muntlig och skriftlig framställning, förmåga att arbeta i grupp, förmåga att argumentera. 88 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm 7 Die Romanistin Inger Enkvist bezeichnet diese Vorgaben treffenderweise als „poli‐ tisch-pädagogischen-bürokratischen Knock-out-Sieg über den Universitätslehrer“: „Be‐ stimmte Wörter müssen verwendet werden. Man darf nicht sagen, dass die Studenten gewisse Dinge können, stattdessen müssen verschiedene „Lernziele“ als beobachtbare Verhaltensweisen formuliert werden, um diese auf eine bestimmte Weise auswerten zu können, sonst wird der Kursplan nicht verabschiedet und der Kurs darf somit nicht gegeben werden“ (Übersetzung CB). http: / / www.svd.se/ moralisk-forvirring-pauniversiteten [12. 06. 2017]. 8 https: / / sisu.it.su.se/ pdf_creator/ 7461/ 29010 [12. 06. 2017]. Die Dimensionen decken aber mehr als den rein fachspezifischen Inhalt ab und be‐ tonen damit generelle Kompetenzen, z. B. analytische Fertigkeiten, mündliche und schriftliche Präsentation, Fähigkeit zur Gruppenarbeit, Argumentationsfähigkeit. (Übersetzung CB) Darüber hinaus müssen die Lernziele mit „aktiven Verben“ und dem „Studie‐ renden als Subjekt“ formuliert werden, denn so sollen die Lernziele beobachtbar und evaluierbar werden. 7 Die Lernziele des Landeskundeunterrichts sind dem‐ nach wie folgt formuliert: För godkänt resultat på delkursen ska studenten kunna: - beskriva de tyskspråkiga ländernas geografi samt de politiska, ekono‐ miska, sociala och kulturella förhållandena i dessa länder, sedda i ett his‐ toriskt perspektiv - reflektera över tolkningar av politiska, ekonomiska, sociala och kulturella förhållanden i de tyskspråkiga länderna. 8 Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Kurs soll der Studierende - die Geographie und die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kul‐ turellen Verhältnisse in diesen Ländern [den deutschsprachigen Ländern, Anm. CB ] beschreiben können, - und auch aus einer historischen Perspektive über Deutungen der politi‐ schen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse in den deutschsprachigen Ländern reflektieren können. (Übersetzung CB ) Das erste Lernziel erinnert an den faktenorientierten kognitiven Landeskunde‐ unterricht, doch ist die Aufreihung klassischer Landeskundethemen als Mög‐ lichkeit zu lesen, dass die Lehrenden selbst Inhalte bestimmen. Die sogenannten Kurspläne, d. h. die Dokumente, in denen die Lernziele festgehalten werden, müssen in einem recht aufwendigen bürokratischen Prozess verabschiedet 89 3.2 Das Landeskundeseminar 9 Dies wiederum widerspricht dem Ziel der Kurspläne, die Lernziele für die Studierenden transparent zu machen. 10 Sprachliche Fehler werden jedoch nicht bewertet. 11 Folgende Antwortmöglichkeiten waren dabei vorgegeben: „Aus Interesse“ (25), „Er‐ gänzung zu meinem Studium“ (5), „Ich brauche Deutsch für den Beruf “ (6), „Teil meiner Ausbildung“ (2) und „Sonstiges“ (7). 12 Gardner / Lambert erläutern diese als „reflecting a sincere and personal interest in the people and culture“ (1972, 132). 13 Dabei gaben 16 an, sie planten einen Aufenthalt in Deutschland, während jeweils nur eine Person einige Zeit in Österreich bzw. der Schweiz verbringen wollte. Dazu passt, dass der Hauptteil des Unterrichts von Deutschland handeln solle (25 Befragte). Be‐ gründet wurde diese offen gestellte Frage entweder mit der Größe Deutschlands oder persönlichen Interessen. werden, so dass die Lernziele durch eine offene Formulierung möglichst eine lange Gültigkeit haben sollten. 9 Im zweiten Lernziel wird schließlich angedeutet, dass es nicht (nur) um die Vermittlung von Faktenwissen geht; ebenso wichtig ist die Behandlung von Deutungen, die hinter Ereignissen und Zuständen stehen. Deutungen im Plural weist darauf hin, dass Multiperspektivität und Narrativen sowie auch geteilten Wissensbeständen eine wichtige Rolle zugesprochen wird. Deutlich wird au‐ ßerdem, dass der Landeskundeunterricht als ein plurinationaler verstanden wird; die Berücksichtigung der deutschsprachigen Länder spiegelt sich auch wider in Teilkursen wie Deutschsprachige Literatur nach 1945. Abgeschlossen wird der Kurs zur Zeit der Datenerhebung mit einer zwei‐ stündigen Klausur, in der die Studierenden auf Deutsch fünf relativ komplexe Fragen zum Kursinhalt beantworten müssen. 10 Diese fünf Fragen werden aus einem Fragenkatalog von ca. 25 Fragen ausgewählt, die die Studierenden einige Wochen vor der Klausur erhalten. Neben den vorgegebenen Lehr- und Lernzielen, dem didaktischen Konzept des Instituts bzw. des Lehrenden sollten außerdem die Erwartungen, Bedürfnisse und Wünsche der Lernenden berücksichtigt werden. Im Wintersemester 2012 / 13 wurde aus diesem Grund im Rahmen des Landeskundeunterrichts von dreißig Studierenden ein Fragebogen zu Vorkenntnissen und Erwartungen im Fach Landeskunde ausgefüllt. Damit wurden also nicht die Interessen und Mo‐ tivationen der Studienteilnehmer/ -innen abgefragt, doch können die Erkennt‐ nisse zumindest richtungsweisend sein. Das Ergebnis war u. a., dass sechsund‐ zwanzig der dreißig Befragten angaben, „aus Interesse“ Deutsch zu studieren, 11 so dass davon ausgegangen werden kann, dass die generelle Motivation, sich mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzen, vermutlich als eine integrative (vgl. Gardner / Lambert 1972, 132) 12 bezeichnet werden kann. Andererseits plant ein Großteil einen Auslandsaufenthalt in einem deutschsprachigen Land, 13 so 90 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm 14 Vgl. Findahl 2012. Auf die Bedeutung des Internets in Unterrichtszusammenhängen wird in der Studie nicht eingegangen. dass auch in gewissem Maß eine instrumentelle Motivation vorliegt. Des Wei‐ teren wurden die Befragten gebeten anzugeben, wie wichtig Landeskundeun‐ terricht im Vergleich zum Sprachunterricht sei: Fünfundzwanzig gaben an, er sei „genauso wichtig“, weitere fünf, er sei „weniger wichtig“. Es wurde außerdem gefragt, welche Themenbereiche hinsichtlich des Landeskundeunterrichts die Befragten für relevant erachteten: Die wichtigsten Themen sind demnach die „Geschichte der deutschsprachigen Länder“, „aktuelle Themen“ sowie „Alltags‐ leben und Traditionen“. Inwieweit die im Fragebogen vorgegebenen Themen tatsächlich den Interessen der Befragten entsprachen, bleibt allerdings unklar. Andererseits lässt die Befragung auch die Annahme zu, dass viele entweder genau die vorgegebenen Themenbereiche relevant finden oder keine genauen Vorstellungen haben, denn auf die Frage „Welche weiteren Themen / Fragen möchtest du im Unterricht behandeln? “ wurde insgesamt nur drei Mal geant‐ wortet, und zwar: „Philosophie“, „Dialekte“, „Popkultur“. 3.2.2 Technische Medienkompetenz Neben inhaltlichen Wünschen der Studierenden muss, da es sich um einen Blended-Learning-Kurs handelt, auch die technische Medienkompetenz berück‐ sichtigt werden. Im Jahre 2012, d. h. im Jahr vor der ersten Datenerhebung, nutzten 89 % der schwedischen Bevölkerung das Internet. In der Altersgruppe 16 bis 44 Jahre nutzten 89 % das Internet täglich, in der Altersgruppe 45 bis 74 Jahre war der entsprechende Anteil 62 %. 14 Schweden kann also als ein Land betrachtet werden, dessen Einwohner eine hohe Internetaffinität haben. Auch wenn meines Wissens keine Daten zu den Erfahrungen mit asynchroner On‐ line-Kommunikation in privaten oder beruflichen Situationen oder Unterrichts‐ zusammenhängen vorliegen, kann davon ausgegangen werden, dass internet‐ affine Studierende keine großen Schwierigkeiten haben sollten, sich die Prinzipien asynchroner computervermittelter Kommunikation anzueignen. Von den Studierenden, die im Sommersemester 2013 an der Studie teilnahmen und einen Hintergrundfragebogen ausfüllten, gaben alle an, dass sie gute bzw. sehr gute Internetkenntnisse besäßen, 13 von 16 gaben an, bereits mit Lern‐ plattformen gearbeitet zu haben. Dennoch wurde im Rahmen des Unterrichts eine fakultative Einführung in die Lernplattform Mondo angeboten, auf der die Online-Phasen stattfanden: Selbst an Internet und den Umgang mit Lernplatt‐ formen gewöhnte Studierende können Schwierigkeiten mit Blended-Learn‐ 91 3.2 Das Landeskundeseminar ing-Umgebungen haben, die sich oftmals als komplex erweisen (vgl. Kirchhoff 2008, 102). Teil dieser Einführung war eine Aufgabe zum Kennenlernen der an‐ deren Studierenden, die zugleich in die Arbeit im Forum der Lernplattform ein‐ führte, im Rahmen dieser Arbeit aber nicht beachtet wird. 3.2.3 Themenauswahl Inhaltlich ist der hier untersuchte Landeskundeunterricht an den in Ka‐ pitel 2.2.2 zusammengefassten kulturwissenschaftlich orientierten Landeskun‐ deansätzen ausgerichtet. Übergeordnetes Ziel ist es, den Studierenden geteiltes Wissen zu vermitteln, das viele Deutschsprachige bewusst oder unbewusst haben. Dass dies nur exemplarisch geschieht, ist dabei selbstverständlich, ebenso auch die Tatsache, dass diese Auswahl immer eine subjektive ist, die von Interessen der Lehrenden abhängt. Die Themen wurden zusammengestellt in Absprache mit anderen Lehrenden am Institut und unter Berücksichtigung an‐ derer Kurse von Tyska I, vor allem dem Literaturkurs, in dem deutschsprachige Literatur seit 1945 gelesen und besprochen wird, und dem Kurs Schriftlicher Ausdruck, in dem auch landeskundliche Themen behandelt werden. Im letzt‐ genannten Kurs erhalten die Studierenden z. B. die Aufgabe, eine Rezension des Films Die fetten Jahre sind vorbei zu schreiben, der ohne Wissen über die 68er-Bewegung in Teilen unverständlich sein dürfte. Aufgabe des Landeskun‐ deunterrichts ist daher auch die Vermittlung von Kenntnissen über die 68er-Be‐ wegung, was jedoch nicht bedeuten soll, dass der Landeskundeunterricht le‐ diglich die Funktion eines ‚Hintergrundwissen‘ vermittelnden Kurses hat, der die Lücken ausfüllt, die in anderen Kursen aufgrund Zeitmangels nicht berück‐ sichtigt werden können. Vielmehr wird dieses Wissen exemplarisch verknüpft mit Wissen über Konzepte wie Identität, Mythos, Erinnerung, Nation und Kultur, so dass die Studierenden nachhaltig lernen, grundlegende kulturwis‐ senschaftliche Fragestellungen auf Bereiche, die ihnen neu begegnen, anzu‐ wenden (siehe dazu und dem Folgenden: Becker 2013a, Becker 2015). Die Aus‐ einandersetzung mit der Konstrukthaftigkeit von z. B. Entitäten wie Nation, Erinnerung und Identität trägt zudem zur Entwicklung der oftmals eingefor‐ derten generischen Kompetenzen bei. Exemplarisch werden im Folgenden ei‐ nige Unterrichtsthemen beschrieben (siehe dazu auch Becker 2013a), wobei dem Thema „Gründungsmythos der Bundesrepublik“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, da die das Kapitel zu ausgewählten Kontextfaktoren auf der Analyse dieser zusammengehöriger Online-Diskussionen beruht (vgl. Ka‐ pitel 5). Eine Auflistung der im Unterricht behandelten Themen und verwen‐ deten Texte findet sich im Anhang. 92 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm Gründungsmythen In den ersten drei Unterrichtseinheiten stehen Gründungsmythen im Zentrum, d. h. Narrative über den Ursprung der deutschen, österreichischen und Schweizer Nation. Diese Narrative sind im kollektiven Gedächtnis verankert und verleihen historischen Ereignissen eine spezifische Bedeutung. Sie geben einen Einblick in Ursprung und Entwicklung des Selbstbildes einer Nation und fungieren für diese richtungsweisend. In Kapitel 2.2.2 wurde ausgeführt, warum politische Mythen für den Landeskundeunterricht darüber hinaus relevant sind: Die Arbeit an Mythen entwickelt ein kulturelles Wissen, das auch kulturelle Deutungsmuster verdeutlicht und kulturelle Konstruktionsprozesse erhellt (vgl. Schumann 2005b, 122). Die Gründe für Entstehungen und Umdeutungen von Mythen lassen sich aus einer diachronen Perspektive analysieren und sind im Hinblick auf die historische Entwicklung von Gesellschaftsbildern aufschluss‐ reich, die Angehörige von Nationen bewusst oder unbewusst haben und die nationale Identitätskonstruktion maßgeblich beeinflussen. In der ersten Unterrichtseinheit, die nur im Präsenzmodus stattfindet, steht die Behandlung des Gründungsmythos Schlacht im Teutoburger Wald im Mit‐ telpunkt. Die Erzählung über den Sieg germanischer Stämme über römische Armeen im Jahre 9 n. Chr., der die weitere Expansion des römischen Reiches nach Osten verhinderte, spielte seit dem Mittelalter, d. h. nach der Wiederent‐ deckung der Schriften des römischen Historikers Tacitus, in denen die Schlacht beschrieben wird, besonders aber im 19. Jahrhundert, eine zentrale Rolle für das Entstehen der deutschen Nation. Der Cheruskerführer Hermann (auch: Armi‐ nius) wurde als der „erste historisch fassbare Deutsche“ (Münkler 2011, 165) angesehen, ohne den es die Deutschen niemals gegeben hätte (vgl. ebd., 166), die Schlacht als der Beginn der deutschen Geschichte. Fokussiert wird im Un‐ terricht die Bedeutungskraft des Ereignisses für Nationenbildung (vgl. Anderson 1996), wobei deutlich unterschieden wird zwischen den (vermeintlichen) histo‐ rischen Tatsachen und dem Narrativ: Dass es nicht um „historische Wahrheit“ geht, sondern um die Bedeutungskraft, kann schon allein daran aufgezeigt werden, dass bis heute ungeklärt ist, wo genau die Schlacht stattfand. Trotzdem muss Sachwissen über die Geschichte des deutschsprachigen Raumes herangezogen werden, denn ohne das Wissen über die innere Struktur des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ist die Wirkungskraft des Mythos für die Einigungsbestrebungen im 19. Jahrhundert nicht zu verstehen. Das Thema Schlacht im Teutoburger Wald bietet außerdem die Möglichkeit, den Missbrauch und die machtpolitische Instrumentalisierung von Mythen zu be‐ handeln, wie es beispielsweise während des Nationalsozialismus der Fall war. Folgendes lässt sich am Thema zeigen: die Wichtigkeit von politischen Mythen 93 3.2 Das Landeskundeseminar für politische Diskurse, die Möglichkeit, Mythen zu instrumentalisieren, einer Ideologie anzupassen und die Gefahren, die dies in sich birgt. Anhand der Tat‐ sache, dass die meisten politischen Mythen nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Bedeutung verloren und die Bundesrepublik als ein „relativ mythenarmer Staat“ (Münkler 2011, 19) gilt, lässt sich zudem die Zäsur, die die Jahre 1933 bis 1945 für alle Lebensbereiche bedeuteten, verdeutlichen. Aufgrund der genannten Möglichkeiten des Themas ist die bei Fornoff erwähnte Kritik an dem Thema (vgl. Fornoff 2009, 512, Fußnote 1), nämlich die fehlende Gegenwartsrelevanz, somit hinfällig. An die Unterrichtseinheit zur Schlacht zum Teutoburger Wald knüpft das Thema Gründungsmythen der Bundesrepublik an, das zugleich einen Sprung in die Zeitgeschichte bedeutet. An den vier Mythen Trümmerfrauen, Währungsre‐ form, Wunder von Bern und Studentenbewegung wird exemplarisch nachge‐ zeichnet, warum bestimmte Ereignisse im Gedächtnis der Nation als Mythen repräsentiert sind und welche identitätsstiftende Funktion Mythen haben. In der dem Präsenzunterricht vorangehenden Online-Phase werden Hintergrundin‐ formationen zu den Ereignissen, die hinter den Mythen liegen, erarbeitet (vgl. Kapitel 6.2). Zudem werden die Studierenden aufgefordert, die Perspektive der damaligen Bevölkerung einzunehmen, um die Bedeutung der Ereignisse für die damalige Bevölkerung zumindest in Ansätzen nachzuvollziehen (vgl. Ka‐ pitel 6.5). Grundlage dafür sind verschiedene kürzere Texte, u. a. aus Edgar Wolfrums Die 101 wichtigsten Fragen - Die Bundesrepublik Deutschland. Dass Mythen Erzählungen sind, in denen Fakten aus einer gewissen Perspektive ge‐ deutet werden, ist dabei mitgedacht und Thema des Präsenzunterrichts. Dort wird die Perspektivgebundenheit und Narrativität der Mythen behandelt und gefragt, ob die Mythen auch in der Gegenwart von Bedeutung sind. Der Trümmerfrauen-Mythos erzählt, dass in vielen deutschen (und österrei‐ chischen) Städten Frauen tatkräftig und oft mit bloßen Händen die Trümmer der Häuser beseitigten und somit einen entscheidenden Beitrag zum physischen Wiederaufbau der Bundesrepublik leisteten. Der Mythos stellt „als Symbol für die deutsche Nachkriegszeit heute nicht nur einen konstitutiven Baustein im kollektiven Gedächtnis der Deutschen dar“ (Treber 2015), sondern steht auch in enger Verbindung mit den Gründungsmythen Währungsreform und Wirtschafts‐ wunder, da „die Frauen, die die zerstörten Städte ,enttrümmert‘ hatten, […] zu Vorbereiterinnen des Wirtschaftswunders [avancierten]“ (Münkler 2011, 486f). Vor allem 2014 mit Erscheinen der Arbeit von Treber wurde jedoch erkennbar, wie umfassend die Mythisierung der sogenannten Trümmerfrauen ist und dass „eine Reihe anerkannter Historiker in geschichtswissenschaftlichen Gesamt‐ überblicken die gängigen Klischees über die Trümmerfrauen eher kolportieren, 94 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm als sie infrage zu stellen“ (Treber 2015). Zu diesen Darstellungen gehört auch Edgar Wolfrums Text „Wer waren die Trümmerfrauen und Heimatvertrie‐ benen? “, der Grundlage für die Diskussion während der Online-Phase ist. Die Trümmerfrauen wurden also im Unterricht als Mythos eingeführt, ohne dass genau aufgezeigt wurde, inwiefern der Mythos von der Quellenlage abweicht. Festgestellt wurde lediglich, dass es bei Mythen nicht um die historische Wahr‐ heit geht, sondern um die politische Bedeutsamkeit. Der Gründungsmythos, der verglichen mit der Währungsreform 1948 oder dem sogenannten Wirtschafts‐ wunder eher ein peripheres Narrativ darstellt, wurde von mir hinzugezogen, weil ich in den Unterricht auch die Rolle von Frauen integrieren wollte. Auf diese Weise reproduziert sich jedoch nur, was Treber der Frauengeschichts‐ schreibung vorwirft, wenn sie feststellt, dass sich in den 1980er Jahren die Neue Frauenbewegung etablierte, die unter anderem die Frauengeschichtsschreibung beförderte, deren Schriften sich an eine breite Leserinnenschaft wendeten. Ein Schwerpunktthema bildete die Ausei‐ nandersetzung mit der Mütter- und Großmüttergeneration und deren Rolle im Nati‐ onalsozialismus und der Nachkriegszeit. In diesen Publikationen wird die deutsche Frau einerseits als Opfer des Krieges und andererseits als Heldin des Wiederaufbaus dargestellt. Eine kritische Verortung der Frauen im NS-System findet hingegen nicht statt. Gerade die Trümmerfrau erscheint vielmehr als starke Frau, die nicht verzagte und der man noch dazu den wirtschaftlichen Aufschwung verdanke. Die Trümmerfrau wurde so nachträglich zur sinnstiftenden Figur der Bundesrepublik erklärt, die nun nicht länger ein Gegenbild zur DDR, sondern zum Nationalsozialismus darstellte. (Treber 2015) Seit der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Mythos der Trümmerfrauen lassen sich im Unterricht z. B. Fernsehinterviews mit der His‐ torikerin Treber einsetzen, um aufzuzeigen, wie Mythen entstehen und welche Triebkräfte sich dahinter verbergen können, doch zu dem Zeitpunkt der Da‐ tenerhebung war dies noch nicht der Fall. Die Frage, welche Bedeutung der Mythos heute hat, lässt sich relativ einfach aufzeigen, wenn man bedenkt, welche Kontroversen noch 2013 um das Münchner Trümmerfrauendenkmal entbrannten und welche Bedeutung dem Mythos in der Frauengeschichtsschrei‐ bung zukommt. Der Fokus des Unterrichts liegt darüber hinaus auf dem Gründungsmythos Währungsreform, d. h. der Einführung der D-Mark am 20. Juli 1948 in den west‐ lichen Besatzungszonen, die als Startpunkt für den Wirtschaftswunder-Mythos gilt. Dieser setzte „den Fleiß und die Tüchtigkeit der Deutschen“ (Münkler 2011, 461) und die eigene Leistung in Szene, und ermöglichte es der deutschen Nach‐ 95 3.2 Das Landeskundeseminar 15 Im Vergleich zu den anderen Gründungsmythen verlangt die Frage, warum es sich bei 1968 bzw. der 68er-Bewegung um einen Gründungsmythos handelt, eigentlich eine komplexe Antwort (vgl. Rohrwasser 2008, Münkler 2011, 458), die aber für den vorlie‐ genden Unterrichtszusammenhang didaktisch reduziert werden muss. 16 Für eine genauere Darstellung, inwiefern die 68er-Begwegung den Beginn einer Aus‐ einandersetzung mit der NS-Vergangenheit darstellt, siehe Wernecke (2009). kriegsgesellschaft „die Gegenwart dezidiert von den Erfahrungen der Kriegszeit zu trennen“ (Radu 2014, 294). Meine Wahl fiel auf den Mythos der Währungs‐ reform, die Borchert (1995, 23) als „den Startpunkt zum neuen Lebensglück“ bezeichnet, da ihre Bedeutung in der deutschen Geschichte zweifach ist: Zum einen eben als Initiationsmoment des sogenannten Wirtschaftswunders, zum anderen als wichtige Station auf dem Weg zur deutschen Teilung, einem wei‐ teren Thema des Landeskundeunterrichts. Dass Währungsreform und Wirt‐ schaftswunder in der weiteren Geschichte der Bundesrepublik von Bedeutung sind, zeigt beispielsweise Helmut Kohls Schlagwort der „blühenden Land‐ schaften“, das Münkler (2011, 474) als die „Reaktivierung des bundesrepublika‐ nischen Gründungsmythos“ bezeichnet und das den Titel der Unterrichtseinheit zu den Folgen der Einheit darstellt. Und auch heute agiert und präsentiert sich Deutschland als eine internationale Wirtschaftsmacht (vgl. Staack 2007). Der dritte behandelte Gründungsmythos ist das Wunder von Bern, d. h. der unerwartete Sieg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeis‐ terschaft 1954, der „eines der zentralen identitätsstiftenden Ereignisse der frühen Bundesrepublik“ (Meyer 2009, 82) darstellt. Dieser Sieg im Bereich des Sportes vermittelte in ähnlicher Weise wie das ‚Wirtschaftswunder‘ das soge‐ nannte Wir-sind-wieder-wer-Gefühl und „avancierte so zu einer Art ‚Grün‐ dungsmythos‘ der BRD “ (ebd., 83). Wichtig für das Gesamtkonzept des Landes‐ kundeunterrichts ist auch, dass in einer späteren Unterrichtseinheit an die identitätsstiftende Funktion von Fußball angeknüpft werden kann, und zwar hinsichtlich der Bedeutung für Integration und potenziell auch für die Entste‐ hung eines positiv besetzten Nationalgefühls im Zuge der Weltmeisterschaft 2006. Der letzte Gründungsmythos, der thematisiert wird, ist die 68er-Bewegung. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, 15 „dass nun erst eine konsequente und un‐ versöhnliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangen‐ heit stattfand“ (Rohrwasser 2008, 179), 16 wobei dies eigentlich nicht das zentrale Anliegen der 68er-Bewegung war, die - viel umfassender - eine neue Gesell‐ schaft anstrebte (vgl. Wernecke 2009, 182). Dennoch kann argumentiert werden, dass die 68er-Bewegung den Grundstein für das (öffentliche) Selbstverständnis legte, indem die Erinnerung an Holocaust und NS -Zeit sowie die kritische Aus‐ 96 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm einandersetzung mit der Vergangenheit, befeuert durch den Historikerstreit, zu einer „Art Imperativ“ (Wolfrum 2009, 103) wurde. Die Unterrichtseinheit zum Thema Schuld knüpft an diesen Gründungsmythos an. Neben der Bewusstmachung der Bedeutung von Mythen für u. a. nationale Identität geht es in einer weiteren Unterrichtseinheit um die Gegenüberstellung von Geschichtsbildern in den deutschsprachigen Ländern. Da in der On‐ line-Phase in einem Wiki gearbeitet wurde (vgl. Becker 2016a) und nicht im Diskussionsforum, werden Daten aus dieser Unterrichtseinheit nicht in der Analyse berücksichtigt. Dennoch soll kurz umrissen werden, welche Inhalte im Mittelpunkt stehen, da sie die Basis für die weiteren Unterrichtseinheiten sind. Bewusst wird an die vorhergehende Unterrichtseinheit zu Gründungsmythen der Bundesrepublik angeknüpft. Neben der Vermittlung von Kenntnissen über die Nachkriegsgeschichte ist es das Ziel, die Studierenden für die Konstrukt‐ haftigkeit, Relativität und Narrativität von Geschichte zu sensibilisieren, wie es auch schon die ABCD -Thesen (o.A. 1990, 307) fordern. Die Studierenden bear‐ beiten anhand eines wissenschaftlichen Artikels (Hammerstein 2008) die Frage, wie sich die DDR , die Bundesrepublik und Österreich lange Zeit in dominanten Narrativen zu ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit positionierten. Ham‐ merstein fasst die Geschichtsbilder, die bis ca. 1989 in den deutschsprachigen Ländern vorherrschten, sehr verkürzt zusammen: Die DDR sah sich als das Land der Widerstandskämpfer und verwies konsequent auf die Tradition des vor allem antifaschistischen Widerstandskampfes. Österreich hingegen betrachtete sich aufgrund des sogenannten Anschlusses 1938 als das erste Opfer Hitlers und die Bundesrepublik sah und sieht sich - zumindest im öffentlichen Gedächtnis - als das Land der Täter. Daneben existiert, besonders gerade in den ersten Jahr‐ zehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Geschichtsnarrativ, das unterscheidet zwischen der dämonisierten NS -Elite und der Bevölkerung, die sich als Opfer sah, wobei die Viktimisierung im Familiengedächtnis immer noch aktuell ist (vgl. Welzer / Moller / Tschuggnall 2002). Die Studierenden erfahren durch die Gegenüberstellung von Geschichtsbil‐ dern, dass Vorstellungen von der Geschichte einer Nation immer einer be‐ stimmten Perspektive entspringen und bestimmte Funktionen erfüllen. Für diesen speziellen Fall kann man sagen, dass die behandelten Geschichtsbilder entlasten und Schuld relativieren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie vor allem der Legitimierung und Stabilisierung der neuen Staaten dienten. Die Studierenden werden so im Hinblick auf Geschichtsschreibung und Prozesse des Erinnerns sensibilisiert, sie erhalten einen Einblick in die verschiedenen Wege, die Bun‐ desrepublik und DDR gingen und werden gleichzeitig befähigt, über Ursprung 97 3.2 Das Landeskundeseminar und Veränderbarkeit von Bezugsrahmen zu reflektieren und neues kulturelles Wissen einzuordnen und zu bewerten. Schuld In dieser Unterrichtseinheit wird an die vorgehende Unterrichtseinheit ange‐ knüpft, da die Erinnerung an NS -Verbrechen und der Umgang mit der nicht wiedergutzumachenden Schuld in einer diachronen Perspektive in den Mittel‐ punkt rücken. Diese Unterrichtseinheit kann als die wichtigste betrachten werden, da „Nationalsozialismus und Holocaust als Fixpunkte deutscher Nah‐ erinnerung“ (Fornoff 2015a, 247) zu den Themen gehören, die die deutsche Selbst- und Fremdwahrnehmung am meisten bestimmen (vgl. ebd, 241-248). In der Online-Phase, aus der ein Teil der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Daten stammen, widmen sich die Studierenden zwei Fragen: Wie sah eine Mehrheit der Deutschen in der direkten Nachkriegszeit auf das Kriegsende? Welche Bedeutung hat die Schuld für die deutsche Identität heute? Im Präsenz‐ unterricht werden die unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster, die mit diesen beiden Zeitfenstern verbunden sind, durch die Behandlung wichtiger Stationen wie 68er-Bewegung, Historikerstreit und Ausstrahlung der US -amerikanischen Fernsehserie Holocaust miteinander verbunden, so dass die Genese des heutigen Selbstverständnisses (vgl. Abschnitt zum Thema Gründungsmythen der Bundes‐ republik) hinsichtlich der NS -Vergangenheit nachvollzogen wird. Deutsche Teilung Die zwei Unterrichtseinheiten, in denen die deutsche Teilung und ihre Auswir‐ kungen in die Gegenwart behandelt werden, knüpfen teilweise aufgrund ihres erinnerungsgeschichtlichen Fokus an die vorherigen Stunden an, darüber hi‐ naus wird auch ein Ereignis wie die Währungsreform, das zum positiven Grün‐ dungsmythos der Bundesrepublik avancierte, in ein neues Licht gestellt. Zudem werden die Gründungsmythen von Bundesrepublik und DDR herangezogen, um mit ihrer Hilfe die unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Wege zu ver‐ deutlichen. In der ersten Unterrichtseinheit zur deutschen Teilung, in der Sach‐ wissen über Gründe für die Teilung und über Entwicklungen rund um den Mauerfall eine relativ große Rolle spielen, wird ein multiperspektivischer Zu‐ gang gewählt, wenn gefragt wird, mit welchen unterschiedlichen Erinnerungen die Mauer als (heterogener) Erinnerungsort im Laufe ihrer Geschichte ver‐ bunden war und immer noch ist (vgl. Sabrow 2009). So wird in der Gegenüber‐ stellung (erneut) deutlich, dass Erinnerungen und Beurteilungen immer stand‐ ortgebunden sind, eine Erkenntnis, die wichtig für die folgende Unterrichteinheit ist, in der es um die Nachwirkungen der Teilung bis heute 98 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm geht. Anhand der Begriffe ‚blühende Landschaften‘, ‚Ostalgie‘ und ‚Mauer im Kopf ‘ wird hauptsächlich die Frage diskutiert, inwieweit die alten und die neuen Bundesländer heute zusammengewachsen sind. Fußball und nationale Identität Die Annahme, dass Vergangenheit einen Zugang zur Gegenwart darstellt, tritt auch hervor im Thema Fußball und nationale Identität. Ausgehend vom Grün‐ dungsmythos ‚Wunder von Bern‘ wird die Bedeutung von Fußball für Deutsch‐ land behandelt, indem die Bedeutung der Siege der Fußballweltmeisterschaften 1954 und 1990 sowie die WM 2006 in Deutschland in ihren jeweiligen histori‐ schen und gesellschaftlichen Kontexten betrachtet werden. Der unerwartete Sieg der deutschen Nationalmannschaft über Ungarn bei der WM 1954 bedeutete so die internationale Anerkennung der Westdeutschen nach dem Krieg - zu‐ mindest im Sportgeschehen. Der Sieg 1990, bei dem noch vor der offiziellen deutschen ‚Einheit‘ am 3. Oktober erstmals eine gesamtdeutsche Mannschaft gewann, wurde zwar in der Öffentlichkeit nicht ebenso bedeutungsträchtig wahrgenommen, dennoch ist das Ereignis relevant, betrachtet man es als einen Schritt auf dem Weg zur ‚inneren Einheit‘. Die in Deutschland ausgetragene Weltmeisterschaft 2006 dient der Thema‐ tisierung von Nationalstolz und dessen Ausdrucksformen sowie der Frage nach nationaler Identität: War die WM 2006 „der Initiationsakt des neuen Deutsch‐ lands“ (von Lucke, zitiert in Seitz 2006)? Was ist ‚das alte‘ und ‚das neue Deutsch‐ land‘? Eine neue Dimension erhält die Aussage im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft 2010, bei der die Nationalmannschaft, elf Spieler davon mit Migrationshintergrund, zur „Multi-Kulti-Mannschaft“ (vgl. Boyes 2010) erklärt wurde. So wird die Bedeutung des Fußballs für nationale Identität hervorge‐ hoben, aber auch die Tatsache, dass das Deutungsmuster ‚deutsch‘ eben nicht an nationalkulturelle Eigenschaften gebunden ist. Die beschriebenen Themen machen deutlich, dass ein Schwerpunkt des Lan‐ deskundeseminars auf dem erkenntnistheoretischen Lehr- und Lernziel liegt. Dies ist vor allem im Hinblick auf das Bewusstsein entscheidend, dass Landes‐ kunde niemals die Gesamtheit der fremdsprachlichen Lebenswelt erfassen kann. 3.2.4 Integration von Fremdsprachen- und Fachunterricht Der Grad der Integration von Fremdsprachen- und Fachunterricht variiert je nach Unterrichtsphase und wechselt zwischen „zielsprachlich orientiertem Sachfachunterricht“ und „zielsprachenintegrierendem Sachfachunterricht“ (Schlemminger 2013, 384, vgl. Kapitel 2.3), d. h. zwischen Phasen, in denen der 99 3.2 Das Landeskundeseminar 17 Obwohl die Datenbeispiele in Kapitel 5 und 6 zeigen werden, dass einige Studienteil‐ nehmer und -teilnehmerinnen durchaus in der Lage sind, anspruchsvolle, fachspezifi‐ sche Sprache zu produzieren. 18 Beispielsweise „Das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald“. Online: https: / / www.derweg.org/ deutschland/ besuchen/ sehenswuerdigkeiten9/ [12. 06. 2017]. 19 Dies zeigt sich z. B. auch darin, dass an der Germanistischen Abteilung der Universität Stockholm ein Lesefertigkeitskurs für Wissenschaftler/ -innen und Doktorand/ -innen, die keine Deutschkenntnisse besitzen, angeboten wird. Das Ziel ist es, „to give research‐ ers and postgraduate students in other fields than German the necessary skills for read‐ ing and understanding academic writing as well as advanced factual prose“ (Landén 2008, 18). Fachunterricht mit der Entwicklung einer allgemeinen Sprachkompetenz ver‐ bunden wird, und Phasen, in denen es darum geht, eine kognitiv anspruchsvol‐ lere, fachspezifische Sprache zu verstehen (vgl. ebd.). So steht vor allem die Re‐ zeption und nicht so sehr die Produktion einer anspruchsvollen, fachspezifischen Sprache im Fokus. 17 Als Illustration kann hier z. B. die Auswahl an Texten genannt werden, die sowohl wissenschaftliche Texte (Hammerstein 2008, Münkler 2008) berücksichtigt als auch solche, die für Fremdsprachenler‐ nende geschrieben wurden. 18 Der Grund für diese unterschiedliche Schwer‐ punktsetzung liegt in der Heterogenität der Studierendengruppe (vgl. Ka‐ pitel 3.1), sowie in der Annahme, dass auch anspruchsvolle Texte mit der entsprechenden Didaktisierung aufgrund von Intercomprehension auch we‐ niger weit fortgeschrittenen Lernenden zugänglich sind. 19 Vor allem in den den Online-Phasen vorausgehenden Selbstlernphasen werden fremdsprachendidaktische Methoden herangezogen, um das Verstehen der Unterrichtsinhalte zu befördern und zugleich die Sprachkompetenz zu ver‐ bessern, z. B. durch Lesestrategien, Vorentlastung des Vokabulars (u. a. durch Vokabellisten) oder Inhaltsfragen zum Text. In den Aufgabenstellungen der On‐ line-Phasen wird, so wie auch im Präsenzunterricht, betont, dass die Studie‐ renden auch auf Schwedisch an den Diskussionen teilnehmen können bzw. sogar sollen. Darüber hinaus schließen die Online-Phasen und der Präsenzun‐ terricht durch die Verwendung von Aufgaben, die auch auf das fremdsprachliche Lernen abzielen, an den Fremdsprachenunterricht an, z. B. durch Fragen zum Hörverstehen, wenn kürzere Filme gesehen werden, in der sprachlichen Analyse von kürzeren Zitaten oder durch Darstellungstechniken, die das Verständnis der lehrerzentrieren Unterrichtsphasen unterstützen sollen. Außerdem sind viele Aufgabenstellungen an den Gütekriterien von Aufgaben im Fremdsprachenun‐ terricht ausgerichtet (vgl. Biebighäuser / Zibelius / Schmidt 2012, 19-25), wobei die Fokussierung des Inhalts stets eine wichtigere Rolle spielt als die der Form. 100 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm 20 In der Regel liegen zwischen zwei Präsenztreffen ein oder zwei, manchmal allerdings auch drei Wochen. 21 Der folgenden Beschreibung des Blended-Learning-Szenarios liegt Kirchhoffers Modell zugrunde (vgl. Kirchhoff 2008, Kapitel 2.1.1). 22 Der Arbeitsaufwand einer Online-Phase richtet sich nach dem durchschnittlichen wö‐ chentlichen Arbeitsaufwand für einen 3 ECTS-Punkte umfassenden Kurs. 3.2.5 Blended Learning und asynchrone computervermittelte Kommunikation Die in Kapitel 3.2.3 beschriebenen Themen werden in neun fakultativen Prä‐ senztreffen à 90 Minuten behandelt, die durch fakultative Online-Phasen, die durchschnittlich ein bis zwei Wochen dauern, 20 vorbereitet werden. Der Prä‐ senzunterricht hat die Funktion des Leitmodus 21 : Zum einen ist der Lehr-/ Lern‐ prozess inhaltlich am Präsenzunterricht ausgerichtet, da in den Onlinephasen zwar eine erste Einführung in die Themen stattfindet, hauptsächlich geschieht aber die Behandlung bestimmter Wissensbereiche im Präsenzunterricht. Die Studierenden haben im Prinzip die Möglichkeit, selbst einführende Texte zu lesen und nicht an der Online-Phase teilzunehmen, auch wenn dies nicht emp‐ fohlen wird. Für die Wahrnehmung des Präsenzunterrichts als Leitmodus spielt es eine Rolle, dass der Präsenzunterricht im Gegensatz zu den Online-Phasen im Stundenplan verzeichnet ist und die Lernform Blended Learning in der all‐ gemeinen Kursinformation, in der alle angebotenen Kurse - ähnlich einem kommentierten Vorlesungsverzeichnis - inhaltlich beschrieben sind, nicht er‐ wähnt wird. Informationen zur Unterrichtsform erhalten die Studierenden erst in der ersten Unterrichtsstunde. Es wird während des gesamten Kurses an diesem Sequenzierungsmuster, d. h. ein mal wöchentlich stattfindende, 90-minütige Präsenzveranstaltungen werden durch ein bis zwei Wochen dauernde Online-Phasen 22 vorbereitet, fest‐ gehalten, ebenso an der Integrationstiefe und den Lehr- und Lernmethoden. Hintergrund dazu ist, dass ein Blended-Learning-Szenario eine sehr große An‐ zahl an Gestaltungsmöglichkeiten birgt, dass aber eigentlich die verschiedenen Modi davon profitieren, wenn die Lernenden sich nicht immer auf neue Erfor‐ dernisse einstellen müssen: „Die Aufmerksamkeit würde damit zu sehr auf das Vermittlungsmedium gelenkt“ (Kirchhoff 2008, 95) und das inhaltliche Lernen könnte dadurch gehemmt werden. Bei den Lehr- und Lernmethoden, die im Präsenzunterricht angewandt werden, handelt es sich um lehrerzentrierten Unterricht, kombiniert mit Gruppen- und Partnerarbeit. Im Sommersemester, wenn ca. 30 bis 45 Studie‐ rende den Kurs besuchen, können lehrerzentrierte Phasen auch länger sein, da die prekäre Raumsituation an der Universität Stockholm dafür sorgt, dass die 101 3.2 Das Landeskundeseminar Präsenztreffen im Hörsaal stattfinden müssen, und deshalb z. B. kooperative Arbeitsformen mit mehr als drei Studierenden in einer Gruppe nicht möglich sind. Die Online-Phasen sind hauptsächlich geprägt von asynchron zu bearbei‐ tenden kooperativen Aufgaben, die aber nur nach Selbstlernphasen bearbeitet werden können: Im Forum der Lernplattform sollen verschiedene Fragen dis‐ kutiert werden. Hintergrund dazu ist einerseits die Annahme, dass die Studie‐ renden im Austausch miteinander Wissen gemeinsam konstruieren. Das Auf‐ gabendesign ist zudem teilweise so angelegt, dass eine hohe Bandbreite an unterschiedlichen Perspektiven und Meinungen möglich sind, dass also es nicht eine einzige richtige Antwort gibt und verschiedene Deutungen herausgefordert werden. Wichtiges Merkmal der Aufgabenstellung ist darüber hinaus, dass stets eine Reihe von Fragen vorgegeben ist, die Studierenden aber auch angehalten sind, eigene Fragen oder Interessen zu diskutieren. Als Ausgangspunkt dienen Texte der Seminarliteratur, aber auch Videos, Bilder oder Audiodateien, so dass der Lernweg im Hinblick auf Medium und Inhalt individualisiert werden kann: „An dieser Stelle erweist sich eine BL -Umgebung als hochflexibles Instrument zur Binnendifferenzierung stark heterogener Lerngruppen“ (Kirchhoff 2008, 101). Während der Präsenzunterricht durch die Lehrerzentriertheit den Studie‐ renden kaum Wahlmöglichkeiten lässt, fordern die Online-Phasen also ein ge‐ wisses Maß an Lernerautonomie, was aber folgende Konsequenz hat: Um diese Unterschiede meistern zu können, muss den KursteilnehmerInnen zuerst bewusst sein, wann sie sich zum Beispiel proaktiv an der Gestaltung ihres individu‐ ellen Lernweges und der Erarbeitung von Wissens- und Fertigkeitsbereichen betei‐ ligen und wann sie auf eher reaktive Rollenmuster zurückfallen sollen. (Kirchhoff 2008, 118) Etwaigen Schwierigkeiten kann vorgebeugt werden, indem beispielsweise jede Aufgabenstellung für die Online-Phase entsprechende Hinweise enthält (vgl. Kapitel 5.1). Neben diesen theoretisch verankerten Gründen sorgten auch meine Erfah‐ rungen als Lehrerin des Landeskundeseminars dafür, dass ich mich für die Lern‐ form Blended Learning mit Online-Phasen, die hauptsächlich durch asynchrone computervermittelte Kommunikation geprägt sind, entschied: Ich hielt es für sinnvoll, den Studierenden auch außerhalb des Präsenzunterrichts die Möglich‐ keit zur Diskussion zu geben, da sie in meinem Empfinden aufgrund des Zeit‐ drucks im Präsenzmodus nur oberflächlich stattfinden konnte. Zudem verbringt ein Teil der Studierenden nur einen Abend an der Universität, was dafür sorgt, dass sie kaum die Möglichkeit besitzen, sich mit ihren Kommilitonen auzutau‐ 102 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm 23 https: / / www.sakaiproject.org/ [12. 06. 2017]. schen. Zugleich sind viele dieser sog. Abendstudenten berufstätig, so dass ich den Einsatz synchroner Werkzeuge von vorneherein ausschloss: Die Zeitvor‐ gaben, die synchrone Phasen automatisch mit sich bringen, sind dann nur schwer och gar nicht einzuhalten. Wenige Deadlines und das asynchrone Kom‐ munikationsmedium sorgen dafür, dass die Studierenden die Aufgaben zeitlich mehr oder weniger flexibel bearbeiten können. Ein weiterer wichtiger Grund für die Wahl des asynchronen Kommunikati‐ onswerkzeugs war zudem die Annahme, dass die Studierenden in den On‐ line-Diskussionen mehr Zeit zur Reflexion haben würden (vgl. Kapitel 2.1.2). Ich ging davon aus, dass Studierende, die Hemmungen haben, sich vor der relativ großen Gruppe mündlich zu äußern (sei es auf Deutsch oder Schwedisch), im Forum die Möglichkeit hätten, sich an der Diskussion entsprechend ihrer Be‐ dürfnisse zu beteiligen. Bei dem Learning-Managment-System ( LMS ), das im Rahmen des hier unter‐ suchten Seminars verwendet wird, handelt es sich um das Open-Source-Lern‐ raumsystem Sakai 23 , das 2007 unter dem Namen Mondo (http: / / mondo.su.se) an der Universität Stockholm implementiert wurde. Auf der Lernplattform können von den Lehrenden verschiedene Kursseiten eingerichtet werden, die nur diejenigen, die für den Kurs angemeldet sind, be‐ treten können. Die Startseiten der Kursseiten können von den Lehrenden ge‐ staltet werden; im hier untersuchten Setting erschien dort stets die aktuelle Aufgabenstellung für die Online-Phase (vgl. Kapitel 5.1). Mondo stellt, wie die meisten anderen Lernplattformen auch, verschiedene Werkzeuge bereit, z. B. Wiki, Chat, Abstimmung und Forum. Im Forum sind im hier untersuchten Setting verschiedene Oberthemen angegeben, die den Unter‐ richtsthemen entsprechen, z. B. Gründungsmythen der Bundesrepublik. Diese Oberthemen können verschiedene Threads enthalten, z. B. Trümmerfrauen, Währungsreform etc. (siehe Abbildung 1). Diese Threads (vgl. Abbildung 2) sind zunächst chronologisch geordnet, d. h. dass der älteste Beitrag zuerst steht. Es besteht jedoch auf die Möglichkeit einzelne frühere Beiträge zu kommentieren, diese werden dann optisch markiert, indem sie leicht eingerückt werden. 103 3.2 Das Landeskundeseminar Abb. 1: Oberthema mit verschiedenen Threads. 104 3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm Abb. 2: Exemplarische Abbildung eines Threads. 105 3.2 Das Landeskundeseminar 4 Forschungsmethode In diesem Kapitel wird dargestellt, wie vorgegangen wurde, um die an die the‐ oretische Basis dieser Arbeit angelehnten Fragestellungen zu beantworten. Zu diesem Zweck folgt zunächst eine Beschreibung des allgemeinen Erkenntnis‐ interesses, das zu Beginn des Forschungsprozesses formuliert und im Laufe der Analyse und der theoretischen Vorarbeiten in Forschungsfragen präzisiert wurde. Der Aufbau dieses Kapitels zur Forschungsmethode soll der Genese dieser Fragen folgen, d. h. dass zu Beginn zunächst das übergreifende Erkennt‐ nisinteresse präsentiert wird und erst im Kapitel zur Datenauswertung die ei‐ gentlichen Forschungsfragen entwickelt werden. Auf die Formulierung des Erkenntnisinteresses in Kapitel 4.1 folgen die Dar‐ legung des Forschungsverständnisses (Kapitel 4.2) und eine Zusammenfassung von Gütekritieren qualitativer Forschung (Kapitel 4.2.1), die auf diese Arbeit bezogen werden. Die darauf folgenden Kapitel sind den Fragen gewidmet, was es für das Forschungsprojekt bedeutet, wenn das forschende Subjekt zugleich die zu untersuchenden Lehrveranstaltungen unterrichtet (Kapitel 4.2.2), und welche Auswirkungen die kulturelle Herkunft des forschenden Subjekts für die Datenanalyse hat (Kapitel 4.2.3). Sodann wird auf die Frage nach der General‐ isierbarkeit der Forschungsergebnisse eingegangen (Kapitel 4.2.4). Der Hauptteil dieses Kapitels beschreibt das Forschungsdesign: Auf die Dar‐ stellung der Methoden der Datenerhebung und -aufbereitung folgt eine Über‐ sicht über die Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen, bevor auf die Me‐ thoden der Datenanalyse und die Forschungsfragen eingegangen wird. Abgeschlossen wird mit forschungsethischen Reflexionen über das Forschungs‐ design. 4.1 Erkenntnisinteresse Die theoretische Basis dieser Arbeit bietet einen Einblick in Fragen, die derzeit die Fremdsprachendidaktik beschäftigen: Wie verändern digitale Medien das Lernen und wie können sie sinnvoll für das Fremdsprachenlernen eingesetzt werden? Und: Welche Inhalte und Methoden machen sinnvollen Landeskunde‐ unterricht aus, wobei Erkenntnisse über landeskundliche Lernprozesse not‐ wendig sind, um diese Frage im vollen Umfang beantworten zu können. In der 1 Für eine Auflistung der wichtigsten Faktorenkomplexe, die das Lehren und Lernen von Fremdsprachen beeinflussen, siehe Caspari 2016, 12. 1. 2. 3. vorliegenden Arbeit werden die Forschungsfelder Fremdsprachenlernen mit di‐ gitalen Medien und Landeskundedidaktik miteinander verbunden. Das über‐ greifende Erkenntnisinteresse ist dabei die Frage, welches Potenzial asynchrone computervermittelte Kommunikation für landeskundliches Lernen hat. Dieses sehr weit formulierte Erkenntnisinteresse wird im Laufe des Forschungspro‐ zesses, ausgehend von Zwischenergebnissen, in weitere Forschungsfragen ein‐ gegrenzt und präzisiert (vgl. Kapitel 4.3.3). An dieser Stelle sollen vorab die drei übergeordneten Forschungsfragen genannt werden, die den Forschungsprozess, d. h. vor allem die Datenerhebung, geleitet haben: Welches Potenzial haben asynchrone Online-Diskussionen für landeskund‐ liches Lernen? Wie bearbeiten die Studierenden die im Diskussionsforum gestellten Fragen, und wie schätzen die Studierenden das Lernpotenzial der asyn‐ chronen Online-Diskussionen ein? Was ergibt sich aus den Ergebnissen für die Formulierung und Tutorierung von Aufgaben für asynchrone computervermittelte Kommunikation, die landeskundliches Lernen initiieren wollen? 4.2 Forschungsverständnis Das übergeordnete Ziel von Unterrichtsforschung ist die Optimierung von Un‐ terricht (vgl. z. B. Riemer / Settinieri 2010, 764f). Diese Praxisrelevanz führt dazu, dass Lehr- und Lernsituationen in ihrer Komplexität 1 erforscht werden müssen, wozu Methoden nötig sind, die es erlauben, diese Vielschichtigkeit zumindest in Teilen zu rekonstruieren. Aus diesem Grund wurde für die Beantwortung der obigen Forschungsfragen eine qualitativ-explorative Studie durchgeführt, deren Ziel die „Exploration komplexer Prozesse sowie deren Verstehen ist“ (Riemer / Settinieri 2010, 767, Hervorhebung im Original). Ziel ist es dabei nicht, Bekanntes in vorab formulierten Thesen zu überprüfen, sondern gegenstand‐ geleitet Neues zu entdecken (vgl. Flick 2011, 27). Erst durch die Dateninterpre‐ tation werden Muster erschlossen und empirisch begründet Theorien und Hy‐ pothesen generiert (vgl. ebd.), wobei dieser Prozess spiralförmig ist, in dem Datenerhebung und Analyse miteinander verzahnt sind. Fragestellung und Ver‐ fahren können, wenn neue Erkenntnisse im Verlauf des Forschungsprozesses 107 4.2 Forschungsverständnis 2 Dies ist beispielsweise bei der Analyse der Lehrerrolle der Fall, wenn durch die quan‐ titative Analyse der Kategorien Lob und Korrektur eine Aussage über die Lehrerrolle getroffen wird (vgl. Kapitel 5.9). (1) (2) (3) dies nahelegen, revidiert oder weiterentwickelt werden. Um den Untersu‐ chungsgegenstand in seiner Komplexität zu verstehen und auch eine Gegen‐ standsangemessenheit zu gewährleisten, werden in dieser Arbeit die For‐ schungsmethoden dementsprechend flexibel gehandhabt (siehe Kapitel 4.3). Die Paradigmen qualitative und quantitative Forschung werden dabei nicht als ge‐ gensätzliche und unvereinbare Pole, sondern als Kontinuum betrachtet. Konkret bedeutet dies, dass verschiedene qualitative Methoden zur Beantwortung he‐ rangezogen werden, sofern sinnvoll aber auch quantitative Analysen. 2 In dieser Forschungsarbeit wird eine Wirklichkeitsauffassung vertreten, die zwischen einem naiven Realismus und dem radikalen Konstruktivismus liegt. Dieser „subtile Realismus“ geht von drei Prämissen aus, die Hammersley (1992, 50-52) eingehend beschreibt und die von Flick prägnant zusammengefasst werden: Die Gültigkeit von Wissen lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. An‐ nahmen lassen sich in ihrer Glaubwürdigkeit beurteilen. Phänomene existieren auch unabhängig von unseren jeweiligen An‐ nahmen über sie. Unsere Annahmen über sie können den Phänomenen mehr oder weniger angemessen sein. Wirklichkeit wird über die (verschiedenen) Perspektiven auf Phänomene zugänglich. Forschung zielt auf die Darstellung von Wirklichkeit ab, nicht auf ihre Abbildung. (Flick 2011, 493) Diese Wirklichkeitsauffassung entspricht dem, was Berger und Luckmann als Wirklichkeit betrachten, nämlich die Phänomene, „die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind“ (Berger / Luckmann 2012, 1), doch wird das sozial‐ konstruktivistische Moment in Punkt (3) lediglich angedeutet: Wirklichkeit ist immer nur bereits gedeutet zugänglich, ebenso wie bei Berger und Luckmann durch gesellschaftliche Interaktion subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Fak‐ tizität wird. Für qualitative Forschung bedeutet dies, dass die Grenzen menschlichen Erkenntnisgewinns [anerkannt werden]. Sie geht behutsam und sensibel mit der Frage um, was Forschung leisten kann. In diesem Zusammenhang reflektiert sie beispielsweise auch die eigene Rolle kritisch, zu der die prozessbeglei‐ tende Reflexion des Forschungsprozesses wie auch die der eigenen Rolle in diesem Prozess als ein Teil der Erkenntnis gilt. Fragen nach der Subjektivität des Forschers, nach der Möglichkeit der Rekonstruierbarkeit von Bedeutungszuschreibungen, nach 108 4 Forschungsmethode der Verbalisierbarkeit von Handlungsroutinen, nach der Rolle der Sprache und der Möglichkeit, durch sie gelebte Erfahrung repräsentieren zu können, werden also nicht umgangen, sondern thematisiert und offen gelegt. (Müller-Hartmann / Schocker-v. Ditfurth 2001, 6, Hervorhebung im Original) Im Folgenden wird ausgehend von diesen Überlegungen auf Gütekriterien qua‐ litativer Forschung eingegangen. Es folgt die Problematisierung der Tatsache, dass in der vorliegenden Arbeit das forschende Subjekt auch die Lehrende ist, sodann Überlegungen zur Generalisierbarkeit von Ergebnissen qualitativer For‐ schung, die in der Zusammenfassung der Analyseergebnisse aufgegriffen werden. 4.2.1 Gütekriterien qualitativer Forschung Quantitativer Forschung liegt in der Regel die Annahme zugrunde, dass es eine Realität gibt, die unabhängig von unserer Wahrnehmung und Deutung existiert. Die drei übergreifenden Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität spiegeln dies wider und haben in der Bewertung quantitativer Forschung einen festen Platz: Objektivität, d. h. dass der gesamte Forschungsprozess unabhängig vom jeweiligen Beobachter ist (vgl. Riemer / Settinieri 2010, 769), setzt voraus, dass es unabhängig von unserer Wahrnehmung eine Realität gibt, auf die im Forschungsprozess zugegriffen werden kann. Gleiches gilt für die Kriterien der Reliabilität und der Validität, denn nur unter der Voraussetzung, dass es eine unabhängige Realität gibt, können unterschiedliche Forschende bei erneutem Messen der gleichen Stichprobe auf das gleiche Ergebnis kommen bzw. kann mit anderen Messmethoden das gleiche Ergebnis erzielt werden (vgl. ebd., 770). Aufgrund der unterschiedlichen Wirklichkeitsauffassungen von qualitativer und quantitativer Forschung lassen sich diese Gütekriterien von quantitativer Forschung nicht einfach auf qualitative Forschung übertragen, zudem ist die Frage, wie qualitative Forschung bewertet werden soll, noch nicht zufrieden‐ stellend gelöst (vgl. Flick 2011, 487). Es lassen sich jedoch zwei Strategien aus‐ machen, Gütekriterien für qualitative Forschung zu formulieren: Entweder werden die Kriterien Objektivität, Reliabilität und Validität in (modifizierter) Form herangezogen (vgl. ebd., 489-500), um qualitative Forschungsarbeiten zu bewerten, oder es werden alternative Strategien entwickelt, um die Qualität von Forschung zu sichern (vgl. ebd., 485). Nach Steinke lassen sich Strategien der Qualitätssicherung jedoch nicht in einem universellen Kriterienkatalog fest‐ halten, vielmehr erfordert jedes Untersuchungsdesign den reflexiven und fle‐ xiblen Umgang mit Kernkriterien, die im Vorhinein festgelegt werden (vgl. 109 4.2 Forschungsverständnis 3 Steinke 2004 nennt darüber hinaus weitere Kernkriterien zur Beurteilung von qualita‐ tiver Forschung, von denen auf die Kriterien Relevanz und Limitation in Kapitel 4.2.4 eingegangen wird. Steinke 2004, 186). Im Folgenden werden diese Kernkriterien dargestellt und auf die vorliegende Arbeit bezogen. 3 Transparenz bzw. Offenheit im gesamten Forschungsprozess, d. h. im Hin‐ blick auf Datenerhebung, -aufbereitung und -interpretation, ist Bedingung für die intersubjektive Nachvollziehbarkeit, die dem Leser / der Leserin der For‐ schungsarbeit die Möglichkeit gibt, die daraus gezogenen Schlüsse in ihrer Qua‐ lität zu bewerten. In der Verschriftlichung des Forschungsprozesses werden demnach so viele Daten wie möglich offengelegt. Dies bedeutet auch, dass die den Forschungsprozess begleitenden Vorannahmen und Entscheidungsprozesse explizit gemacht werden, so dass nachvollzogen werden kann, wie diese An‐ nahmen den Forschungsprozess beeinflussen. Der Leser / die Leserin kann so‐ wohl die Perspektive des Forschers / der Forscherin als auch die der Forschungs‐ teilnehmer/ -innen rekonstruieren und so die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse beurteilen bzw. auf der Grundlage der empirischen Datenlage selbst Schlussfol‐ gerungen anstellen und Interpretationen vornehmen (vgl. Przy‐ borski / Wohlrab-Sahr 2010, 353). Dazu gehört, dass außerdem der Kontext der Datenerhebung transparent gemacht wird, so dass der Leser / die Leserin z. B. die Glaubwürdigkeit von Interviews einschätzen kann. Flick verortet diese Transparenz im Forschungsprozess unter dem Gütekriterium der prozeduralen Reliabilität, die z. B. im Hinblick auf die Dateninterpretation u. a. „die reflexive Verständigung über das Vorgehen bei der Interpretation und den Weg der Ko‐ dierung“ (Flick 2011, 491) beinhaltet. Auch Steinke bezeichnet die kommunika‐ tive Validierung als eine diskursive Strategie, um intersubjektive Nachvollzieh‐ barkeit zu gewährleisten (vgl. Steinke 2004, 187). Das Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit erfüllt, da die Bestandteile des Forschungsprozesses sowie meine theoretischen Voran‐ nahmen in der theoretischen Basis und im vorliegenden Methodenkapitel do‐ kumentiert sind. In verschiedenen Forschungskolloquien wurden zudem rele‐ vante Datenauszüge gemeinsam betrachtet bzw. Interpretationen zur Diskussion gestellt, so dass eine reflexive Verständigung über die Daten zum Teil stattgefunden hat. Darüber hinaus ist Indikation ein Gütekriterium qualitativer Forschung. In‐ dikation meint die Angemessenheit der Forschungsmethodik, die über die reine Gegenstandsangemessenheit der Erhebungs- und Auswertungsmethoden hi‐ naus geht (vgl. ebd., 188), denn sie betrifft a) die Wahl des Forschungsparadigmas (Erfordern die Forschungsfragen überhaupt ein qualitatives Vorgehen? ), b) die 110 4 Forschungsmethode Wahl der Methoden bzw. der Methodenhandhabung (Mit welchen Methoden können die Forschungsfragen beantwortet werden? Gibt es bereits eine Me‐ thode, müssen existierende Methoden flexibel verwendet oder sogar eine neue Methode entwickelt werden? ) und c) die Wahl der Datenaufbereitungsme‐ thoden (z. B. die Relevanz des verwendeten Transkriptionssystems) und des Samplings (vgl. ebd., 188f). Auch im Hinblick auf die Indikation gilt somit, dass alle Bestandteile des Forschungsprozesses reflexiv und transparent dargestellt werden, so dass diese nachvollziehbar sind. Das Gütekriterium der intersubjek‐ tiven Nachvollziehbarkeit ist folglich das Hauptkriterium von qualitativer For‐ schung, da die transparente und nachvollziehbare Darstellung aller Vorgehens‐ weisen und Vorannahmen die Voraussetzung für die Beurteilung aller anderen Gütekriterien ist. Dies gilt auch für das Kriterium der reflektierten Subjektivität: Welche Rolle spielt das forschende Subjekt, seine Interessen, Vorannahmen, die Kommunikationsstile und der biographische Hintergrund für den Forschungs‐ prozess (vgl. ebd., 190)? Dieses Kriterium der reflektierten Subjektivität ist für die vorliegende Arbeit von besonderer Wichtigkeit: Ich habe das untersuchte Seminar erforscht und auch selbst unterrichtet, was dazu führt, dass mir eine Doppelrolle zukommt. Durch eine ständige Reflexion über die Implikationen dieser Doppelrolle, sowohl während der Methodenwahl, als auch während der Datenerhebung und der -analyse, die sich in der vorliegenden Verschriftlichung widerspiegelt, wird das Kriterium der reflektierten Subjektivität erfüllt. Das folgende Kapitel ist in diesem Zusammenhang der Frage nach den Grenzen und Möglichkeiten gewidmet, die diese Doppelrolle mit sich bringt und soll als ein Teil der reflektierten Subjektivität betrachtet werden. Darüber hinaus wird vor allem in der Datenanalyse deutlich, dass meine Interpretation, wie zu erwarten, auch von meinem kulturellen Hintergrund beeinflusst ist, wenn bei‐ spielsweise Aussagen der Studierenden gewisse Reaktionen hervorrufen. Diesem Umstand widme ich mich ausführlicher in Kapitel 4.2.3. 4.2.2 Lehrende als forschende Subjekte Bei jeder qualitativen Sozialforschung handelt es sich um eine Art teilnehmende Beobachtung, da man die soziale Welt nicht erforschen kann, ohne selbst Teil von ihr zu sein. Die Ausmaße der Involviertheit des forschenden Subjekts in das Forschungsfeld variieren jedoch (vgl. Przyborski / Wohlrab-Sahr 2010, 58). Die 111 4.2 Forschungsverständnis 4 An dieser Stelle sollen außerdem meine fachlich-theoretischen Kenntnisse zum Zeit‐ punkt der Gestaltung des hier untersuchten Unterrichts beschrieben werden: Als Leh‐ rende habe ich den gesamten Unterricht geplant und geleitet, d. h. die inhaltliche Aus‐ richtung des Unterrichts festgelegt, Entscheidungen über die Unterrichtsmethodik getroffen und das Blended-Learning-Szenario gestaltet. Während die inhaltliche Ori‐ entierung an kulturwissenschaftlich inspirierten Ansätzen ein Prozess war, der sich über mehrere Semester streckte, war die Umgestaltung des Landeskunde-Seminars als Blended-Learning-Kurs ein Projekt, das von einem Semester auf das nächste stattfand (Sommersemester 2013). Meine theoretischen Kenntnisse im Hinblick auf die Didaktik der Landeskunde entstammten einigen Artikel, vor allem Altmayer 2006 und Schumann 2008. Einen Einblick in die Lernform Blended Learning hatte ich in einem dreiwöchigen Fortbildungsseminar des Goethe-Instituts erhalten und sie daraufhin in einem Seminar an der Universität Stockholm implementiert. Schließlich war ich zu einem späteren Zeitpunkt als Seminarleiterin im gleichen Fortbildungsseminar tätig. Meine praktischen Erfahrungen mit Blended Learning waren zu Beginn des Forschungsprojekts vor‐ handen, theoretisches Wissen hingegen weniger. Zu dem Zeitpunkt, als das in der vor‐ liegenden Arbeit untersuchte Seminar geplant wurde, war ich also weder Novizin noch Experte. 5 Als Aktionsforschung wird die Erforschung von Unterricht durch Lehrende bezeichnet, wobei das Ziel immer eine Verbesserung des Unterrichts ist und der Forschungsprozess somit eine zirkuläre Struktur hat: In der Unterrichtspraxis wird ein Problem identifi‐ ziert, Maßnahmen werden ergriffen, wissenschaftlich dokumentiert und ausgewertet. Dies führt zu einer neuen „Aktion“ in der Praxis, die wiederum wissenschaftlich do‐ kumentiert und ausgewertet wird (vgl. Altrichter / Posch 2007, 16). 6 Zudem ist die Reaktivität des Forschers auf das Untersuchungsfeld a) ein bekanntes Phänomen und b) zumindest in den Anfängen von Wissenschaften auch Ziel von For‐ schung (vgl. Altrichter 1990, 159-161), zu b) auch Liedman 1997, 15-41. Doppelrolle Lehrende / forschendes Subjekt 4 bedeutet in dem vorliegenden For‐ schungsprojekt eine hohe Involviertheit, die Herausforderungen und Möglich‐ keiten für den Forschungsprozess beinhalten. Auch in der Aktionsforschung 5 ist die Involviertheit des forschenden Subjekts in den Untersuchungsgegenstand ein Hauptkritikpunkt (vgl. Altrichter / Posch 2007, 41), so dass im Folgenden auf Überlegungen aus der Aktionsforschung zurückgegriffen wird. Altrichter un‐ terscheidet hinsichtlich der Kritik an Aktionsforschung zwischen zwei Argu‐ mentationssträngen: Zunächst werde die Involviertheit als ein Problem be‐ trachtet, da sie nicht nur Forschungs-, sondern auch Optimierungs-, d. h. Interventionsabsichten mit sich bringe (vgl. Altrichter 1990, 159). Diese Ab‐ sichten sind aber im vorliegenden Kontext nicht vorhanden, jedenfalls nicht im Sinne eines sofortigen und intendierten Eingreifens in die konkrete Unter‐ richtssituation mit einer entsprechenden Auswertung der Intervention. 6 An dieser Stelle muss jedoch angemerkt werden, dass es zwischen den Semestern, in denen die Datenerhebung stattfand (Sommersemester 2013 und Sommerse‐ mester 2014), geringfüge Unterschiede sowohl in der Auswahl der Unterrichts‐ 112 4 Forschungsmethode 7 Für eine Beschreibung der Aufgabenstellung, die nicht funktionierte und daher geän‐ dert wurde, siehe Kapitel 6.1. 8 Swedberg weist auf den Unterschied zwischen theoretisieren und Theorie hin: „The expression ‚to theorize‘ roughly means what you do to produce a theory. While theo‐ rizing is primarily a process, theory is the end product“ (Swedberg 2012, 2). 9 Swedberg beschreibt dies wie folgt und verweist damit auf Feyerabend (1975): „Any‐ thing that provides knowledge, information, associations, and ideas for what something is like is acceptable at this stage of the inquiry. The first rule for observation at the stage of discovery is: Anything goes! “ (Swedberg 2012, 11, Hervorhebung im Original). themen als auch in der Auswahl der Aufgaben in den Online-Phasen gab. Zum einen wurden im Sommersemester 2014 weniger Einheiten dem Themenkom‐ plex „Zweiter Weltkrieg“ gewidmet, zum anderen wurde die Reihenfolge der Einheiten leicht geändert und Aufgabenstellungen geringfügig geändert. Ins‐ gesamt wurde aber die Grundstruktur des Blended-Learning-Szenarios (vgl. Ka‐ pitel 3.2.5), die Form des Präsenzunterrichts, die Themen (vgl. Kapitel 3.2.3) und die Aufgabentypen der Online-Phasen (vgl. Kapitel 6.1) nicht überarbeitet. Wäh‐ rend der Pilotierung des Interviews im Sommersemester 2013 kann ich vor allem durch die Interviews mit den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern selbst‐ verständlich Einblicke in das Blended-Learning-Szenario erhalten haben, die mich dazu hätten veranlassen können, z. B. die Aufgaben zu optimieren, was aber bis auf einen Fall nicht geschehen ist. 7 Der zweite Argumentationsstrang, den Altrichter im Hinblick auf die Kritik an der Involviertheit des forschenden Subjekts nennt, betrifft die fehlende re‐ flexive Distanz. Hier kann zwischen zwei Formen der Distanz unterschieden werden, der physischen und der subjektiven (vgl. Altrichter 1990, 161f). Die physische Anwesenheit im Untersuchungsgegenstand hat jedoch methodische Vorteile, die z. B. in Methoden wie der teilnehmenden Beobachtung oder der Autoethnographie (vgl. Ellis / Bochner 2003) erkannt werden. Sie verschafft dem forschenden Subjekt „Zugang zu Wissen über soziale Partikularitäten […], das anders kaum erworben werden kann. Dieses Wissen über soziale Partikulari‐ täten ist wichtig, [sic] für eine Orientierung im Feld, um z. B. Antworten in Interviews in differenzierter Weise verstehen zu können“ (Altrichter 1990, 161). Swedberg (2012, 7) weist darauf hin, dass der erste Schritt einer Arbeit mit Daten, das Theoretisieren 8 , kreativer Vorgehensweisen bedarf, um etwas Neues in den Daten zu entdecken. Alle Informationsbzw. Inspirationsquellen seien dabei erlaubt, auch Intuition, Gefühle oder implizites Wissen, 9 und erst im zweiten Schritt des Forschungsprozesses müsse nach wissenschaftlichen Regeln gear‐ beitet werden. Das Wissen über den Untersuchungsgegenstand, das man auf‐ grund der Involviertheit erhält, spielt in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle für das Zustandekommen neuer Forschungsergebnisse. 113 4.2 Forschungsverständnis 10 Der Begriff der sozialen Erwünschtheit bezeichnet das bewusste oder unbewusste Ver‐ halten von beispielsweise interviewten Personen, nicht die für sie zutreffende Antwort zu geben, sondern diejenige, von der sie erwarten, dass sie im jeweiligen Kontext er‐ wünscht ist. Die zutreffende Antwort, so die diesem Verhalten zugrunde liegende Be‐ fürchtung, könnte zu Nachteilen oder Ablehnung führen (vgl. Diekmann 2004, 382). Aber auch aus einem weiteren Grund ist die Involviertheit wichtig, denn ob‐ wohl die Forschungsfragen nicht die Einschätzungen der Lehrenden beinhalten, so sind die Erfahrungen, die von Lehrenden während z. B. der Tutorierung ge‐ macht werden, für zukünftige derartige Szenarien sehr relevant. Im Hinblick auf Aktionsforschung wird dementsprechend von Elliott (1990) und Alt‐ richter / Posch (2007, 341) gefordert, die Erkenntnisse von Praktikern auch in der Forschung zu berücksichtigen, denn nur so habe die Forschung eine Relevanz für die Praxis. Im Hinblick auf die physische Involviertheit in den Untersuchungsgegen‐ stand kann darüber hinaus gesagt werden, dass diese durch die Wahl der For‐ schungsfragen und Datengrundlage begrenzt werden kann. Indem der Fokus auf den asynchronen Online-Diskussionen liegt, und nicht etwa z. B. auf der Verzahnung von Online- und Präsenzphasen, wird die physische Involviertheit reduziert. Zwar war ich als Lehrperson hochgradig beteiligt, da ich das Unter‐ richtsszenario festgelegt habe, die Diskussionen tutorierte und auch ansonsten im Lernraum stets anwesend war, jedoch bietet die Tatsache, dass alle On‐ line-Diskussionen genauso zur Datenanalyse zur Verfügung stehen, wie sie ge‐ führt wurden, eine Möglichkeit, über meinen Einfluss auf das Geschehen zu reflektieren. Andererseits kann die Involviertheit auch dahingehend interpre‐ tiert werden, dass ich als Lehrerin unbewusst anders tutoriert habe, als ich es normalerweise getan hätte, denn schließlich war ich mir stets bewusst, dass ich meine eigenen Beiträge analysieren werde. Als problematisch erachtet werden kann außerdem meine physische Invol‐ viertheit in die Interviewsituationen. Dort war das asymmetrische Machtver‐ hältnis Forscherin - Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen, das sich für die meisten Interviewsituationen in Forschungskontexten feststellen lässt, durch die Doppelrolle verstärkt. Diese Asymmetrie kann dazu führen, dass die Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen (bewusst oder unbewusst) nicht nur antworten, was sie glauben, was in diesem Fall sozial erwünscht 10 ist, son‐ dern aus Angst vor negativen Konsequenzen im Hinblick auf das weitere Stu‐ dium andere Antworten geben. In den Informationen zum Forschungsprojekt (siehe Anhang) wurde zwar darauf hingewiesen, dass die Teilnahme keine ne‐ gativen Auswirkungen auf das Bestehen der (anonymisiert korrigierten) Klausur hat, ausgeschlossen werden können solche Befürchtungen jedoch nicht. 114 4 Forschungsmethode Zudem ist es möglich, dass ein Forschungsteilnehmer oder eine Forschungs‐ teilnehmerin auch in zukünftigen Semestern Deutsch studieren möchte und sich so veranlasst fühlt, ein möglichst positives Bild von sich zu geben bzw. Angst hat, mit den vermeintlich falschen Antworten ein negatives Bild von sich zu vermitteln. Durch ständige Reflexivität und einer transparenten Darstellung des Forschungsprozesses und der Ergebnisse soll diesem Problem aber entgegen‐ gewirkt werden. Während sich die physische Involviertheit vor allem auf die Phase der Da‐ tenerhebung bezieht, betrifft die subjektive Involviertheit hauptsächlich die Phase der Datenauswertung. Subjektive Distanz ist der überschauende, reflexive Außenblick, der in der Forschung gefordert wird und der im qualitativen For‐ schungsprozess immer wieder realisiert werden muss. Zwar ist jede qualitative Forschung stets die subjektive Interpretation von Daten, aber durch die starke Involviertheit in das Forschungsfeld kann ein affirmativer Umgang mit den Daten stattfinden, d. h., dass bei der Hypothesenprüfung stützende Daten he‐ rangezogen und die entkräftenden Daten nicht beachtet werden. Durch eine kommunikative Validierung wird eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Interpretation möglich; einer affirmativen Interpretation kann so entgegenge‐ wirkt werden. Altrichter schlägt vor, den Forschungsprozess als einen Balanceakt zwischen „Distanz und Involviertheit und wiederum distanzierter Reflexion dieser Invol‐ vierung“ (Altrichter 1990, 163) zu verstehen. Vor allem am Anfang, d. h. während der Datenerhebung, ist es sinnvoll, die Distanz zu überwinden, um einen de‐ taillierten Einblick in die Partikularitäten des Forschungsgegenstandes zu ge‐ winnen, in der Datenauswertung hingegen geht es schließlich darum, Distanz zu schaffen und die Involviertheit zu vermindern (vgl. Przyborski / Wohlrab- Sahr 2010, 59). 4.2.3 Kulturgebundenheit des forschenden Subjekts Mit dem Gütekriterium der reflektierten Subjektivität (vgl. Kapitel 4.2.1) wird beurteilt, inwieweit die Rolle des Forschers im Forschungsprozess kritisch be‐ leuchtet wird. Eine Frage, die sich das forschende Subjekt demnach im For‐ schungsprozess zu stellen hat, ist die nach der eigenen kulturellen Herkunft oder Prägung und wie diese den Forschungsprozess beeinflusst, denn: The researcher thinks, interprets and reasons on the basis of her or his cultural points of reference. When faced with one and the same phenomenon two researchers can arrive at opposing conclusions, and culture may be one of the factors which help to explain this kind of situation. (Aneas / Sandín 2009, Abschnitt 52) 115 4.2 Forschungsverständnis 11 Zudem zeigten beispielsweise die Wehrmachtsausstellungen und Goldhagens Buch Hitlers willige Vollstrecker (1996), dass eben nicht nur einige wenige Deutsche an den Verbrechen beteiligt waren. Da sich vor allem in der Dateninterpretation meine Sozialisierung in Deutsch‐ land oftmals bemerkbar machte, folgen an dieser Stelle Anmerkungen zu der Bedeutung der Kulturgebundenheit des forschenden Subjekts. Diese ist indes, sofern sie ausreichend reflektiert und offengelegt wird, m. E. nicht als proble‐ matisch zu betrachten, und in qualitativer Sozialforschung, vor allem aber in Ethnologie (vgl. z. B. Geertz 1995, 289-294) und kulturvergleichender Forschung (vgl. z. B. Aneas / Sandín 2009), ein wiederkehrendes Thema. In der Interpretation der Daten aus der computervermittelten Kommunika‐ tion wurde meine Kulturgebundenheit vor allem in zwei Bereichen deutlich: Zum einen wurde offenkundig, dass in der Lektüre der studentischen Beiträge immer deutsche kulturelle Deutungsmuster (vgl. Altmayer 2006, 52) aktiviert wurden, was die Interpretation insofern erschwerte, als ich in diesen Fällen stets mehrmals einen Schritt zurücktreten und versuchen musste, diese kulturelle Deutung zumindest zeitweilig zu suspendieren. Als Extrembeispiel kann hier die Konfrontation mit einem Beitrag genannt werden, in dem Adolf Hitler als geliebte Person dargestellt wird, was nicht zuletzt aus der Perspektive vieler Deutscher irritierend sein kann (vgl. Kapitel 6.5.3). Zum anderen zielte meine Aufmerksamkeit im Laufe der Datenanalyse, ini‐ tiiert von den Ergebnissen, die in den Kapiteln 6.5.2 und 6.6.2 präsentiert werden, immer wieder auf die Erkenntnis, dass in vielen Beiträgen apologetische Ten‐ denzen zu finden sind, die die Schuld der Deutschen an NS -Verbrechen oder ihre Zustimmung zur NS -Ideologie entweder ausblenden oder entschuldigen. Dieser Aufmerksamkeitsfokus ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass dieses Argumentationsmuster der Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen dem Grundkonsens widerspricht, der in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit vorherrscht und auch meine Sicht auf die Daten prägt. Dass während des NS -Regimes „Verbrechen unerhörten Ausmaßes in staatlichem Auftrag und ‚im Namen des deutschen Volkes‘ begangen worden sind“ (Frevert 2003, 6) 11 und es sich deshalb gleichsam von selbst verbietet, sich dieser Epoche in irgendeiner Weise positiv zu erinnern (vgl. ebd.), zumindest offiziell. In den Kapiteln der Datenanalyse werde ich in Fällen, in denen meine kulturelle Verortung beson‐ ders hervorsticht, dies gesondert anmerken. 116 4 Forschungsmethode 12 Gütekritieren wie Übertragbarkeit (transferability) und externe Validität überschneiden sich in der Bedeutung teilweise mit Generalisierbarkeit bzw. Generalisierung oder Ver‐ allgemeinbarkeit (vgl. Larsson 2009, 26). 4.2.4 Generalisierbarkeit der Forschungsergebnisse Die Anwendungs- und Entwicklungsorientiertheit von didaktischer Forschung bringt die Frage mit sich, inwieweit Forschungsergebnisse generalisierbar bzw. auf andere Kontexte übertragbar sind. 12 Die Verallgemeinerung der Forschungs‐ ergebnisse kann generell als problematisch betrachtet werden, da „ihr Ansatz‐ punkt häufig gerade die auf einen Kontext, auf einen konkreten Fall bezogene Analyse von Bedingungen, Zusammenhängen, Verläufen etc. ist. Durch diesen Kontextbezug gewinnt qualitative Forschung eine spezifische Aussagekraft“ (vgl. Flick 2011, 522), aber eben keine generelle. Auf der anderen Seite ist es problematisch, wenn in qualitativen Sozialstudien kein Anspruch auf Generali‐ sierbarkeit vorliegt, da es dann wenig Sinn hätte, dem Forschungsobjekt über‐ haupt Aufmerksamkeit zu schenken - sofern es sich nicht um Einzelfallstudien handelt, in denen etwas, was bislang als fertige Theorien oder Kausalitätsan‐ nahmen betrachtet wurde, widerlegt wird (vgl. Larsson 2009, 30). Zu den Güte‐ kriterien von qualitativer Forschung, so wie Steinke (2004) sie formuliert hat, gehört schließlich auch das Kriterium der Relevanz, mit dessen Hilfe bewertet werden soll, welchen Beitrag die Ergebnisse für das Forschungsfeld leisten und inwieweit die Ergebnisse verallgemeinbar sind. Von Larsson (2009) liegen Überlegungen vor, wie Ergebnisse qualitativer So‐ zialforschung generalisiert werden können. Er identifiziert in verschiedenen Forschungsarbeiten mehrere mögliche Argumentationslinien, von denen vor allem die der „Generalization through context similarity“ (Larsson 2009, 32f) für die vorliegende Arbeit relevant ist. Forschungsergebnisse können demzufolge in gewissem Umfang generalisiert werden, weil Ähnlichkeiten zwischen dem Untersuchungskontext und einem anderen Kontext bestehen. Es ist daher die Aufgabe des Forschers / der Forscherin, den Untersuchungskontext so darzu‐ legen, dass die Leser und Leserinnen beurteilen können, inwiefern sich der Un‐ tersuchungskontext und der andere Kontext (z. B. ein anderer Untersuchungs‐ kontext oder die eigene Praxis) entsprechen. Davon ausgehend kann eine Vorhersage getroffen werden, ob es wahrscheinlich ist, dass sich die Ergebnisse auf den anderen Kontext übertragen lassen. Wichtig ist dabei, dass diese Vor‐ hersage nicht von dem forschenden Subjekt getroffen wird: It is the audience that is often in the best position to judge the similarity of context with the one portrayed in the research work. The role of the researcher than changes into one where the description of the context of the interpretations is given this new 117 4.2 Forschungsverständnis function: to communicate a context to an audience, which has the role of judging whether some context they know about is similar to the researched context. (ebd., 32f) Larsson weist weiter zu Recht darauf hin, dass ein Problem dieser Argumenta‐ tionslinien die Annahmen seien, dass der Kontext das untersuchte Phänomen determiniere und dass der Kontext homogen sei (vgl. ebd., 33). Lernergruppen beispielsweise sind jedoch viel zu heterogen, als dass man generelle Aussagen über Lernerverhalten treffen könnte, zumal einzelne Individuen sich oft unter‐ schiedlich verhalten und der Kontext dahingehend nur eine untergeordnete Rolle spielt. So ist es eben nicht möglich zu sagen, dass in einem bestimmten Kontext dasselbe passieren wird wie im Untersuchungskontext. Dennoch gehe ich davon aus, dass der Kontext bestimmte Verhaltensweisen zumindest zum Teil erklären kann, so dass der Beschreibung des Kontextes ein Kapitel gewidmet ist (Kapitel 3) und in der Analyse auch die Begleitumstände berücksichtigt werden. Darüber hinaus können Forschungsergebnisse durch die Übertragung theo‐ retischer Konstruktionen, Konzepte und Muster auf neue Fälle (vgl. ebd.) gene‐ ralisiert werden. Auch in diesem Fall sind es die Leser und Leserinnen, die diese Arbeit leisten müssen: The line of reasoning here is that generalization is about the potential use of a piece of research: generalization is an act, which is completed when someone can make sense of situations or processes or other phenomena with the help of the interpreta‐ tions, which emanate from research texts. (ebd., 34) Während Larsson diese Vorgehensweise vor allem für Forschungsergebnisse geeignet hält, in denen der Kontext in der Darstellung kaum berücksichtigt ist, gehören meines Erachtens beide Argumentationslinien stark zusammen und können, zumindest in der vorliegenden Forschung, auf unterschiedliche As‐ pekte der Ergebnisse angewendet werden. Psychosoziale Verhaltensmuster von Studierenden im Umgang mit landeskundlichen Lerninhalten sind so beispiels‐ weise transferierbar und können bei der Analyse anderer Daten aus dem Lan‐ deskundeunterricht herangezogen werden. Dennoch sind diese Muster nicht auf alle Kontexte übertragbar, so dass Informationen über den Kontext der Daten‐ erhebung unabdingbar sind. Hier kommt auch das Gütekriterium der Limitation (vgl. Steinke 2004, 90) zum Tragen, da das Aufzeigen der Grenzen des Geltungs‐ bereichs kontextabhängig ist. Diese Überlegungen zur Generalisierbarkeit von qualitativen Forschungser‐ gebnissen liegen den Schlussfolgerungen zugrunde, die auf die einzelnen Ana‐ lysekapitel folgen, sowie den Abschlussbetrachtungen in Kapitel 7. 118 4 Forschungsmethode 4.3 Forschungsdesign Um die in Kapitel 4.1 formulierten Forschungsfragen zu beantworten, wurden Produktdaten aus den asynchronen Online-Diskussionen erfasst sowie semi‐ strukturierte Interviews mit den Studienteilnehmern bzw. -teilnehmerinnen (fortan: STN ) durchgeführt. Zudem füllten die STN Hintergrundfragebogen aus und auch die anonymen Kursevaluationen von allen Studierenden können in der Analyse berücksichtigt werden. Um das Vorgehen während des Forschungs‐ prozesses nachzuzeichnen, werden im Folgenden zunächst auf die Methoden der Datenerhebung und der Datenaufbereitung eingegangen sowie die Daten beschrieben. Daraus ergibt sich die Frage nach der Zusammensetzung der Gruppe der STN , die in Kapitel 4.3.2 umrissen wird. In Kapitel 4.3.3 werden die Methoden der Datenauswertung beschrieben. 4.3.1 Methoden der Datenerhebung und -aufbereitung Um die weit formulierte Forschungsfrage nach dem Potenzial asynchroner com‐ putervermittelter Kommunikation für landeskundliches Lernen beantworten zu können, wurden geeignete Methoden der Datenerhebung gesucht. Die Wahl der Methoden wurde dabei von methodischen Überlegungen und von Annahmen über die tatsächliche Durchführbarkeit beeinflusst. Die Erfassung der Produkt‐ daten schätzte ich als problemlos ein, was sich als richtig erwies: genügend Stu‐ dierende erklärten sich bereit, ihre Beiträge der Forschung zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig sollte eine weitere Datenerhebungsmethode hinzugezogen werden, um die Daten triangulieren zu können. Dazu wurden mit Studierenden, die an den Forumsdiskussionen teilnahmen, semistrukturierte Interviews durchgeführt, um zu erfahren, wie diese die Diskussionen erlebten und welche Faktoren zum Gelingen bzw. zum Scheitern beitrugen. Die Möglichkeit, die STN Lerntagebücher schreiben zu lassen, wurde in Erwägung gezogen und hätte si‐ cherlich bei einigen STN zu interessanten Daten geführt, doch war es meine Befürchtung, dass sich die Studierenden bei der Wahl dieser Methode, die für die Probanden mehr Zeitaufwand bedeutet als semistrukturierte Interviews, 119 4.3 Forschungsdesign 13 Zudem erfordern Lerntagebücher, wenn sie als Datengrundlage in Forschungszusam‐ menhängen verwendet werden sollen, eine gewisse Übung der Lerner, ihre Reflexionen zu verschriftlichen, was im vorliegenden Kontext nicht zu realisieren war. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass die im Lerntagebuch enthaltenen Reflexionen sich von denen unterscheiden, die die STN im Zuge der reinen Aufgabenbearbeitung anstellen (vgl. Heine 2005, 166), und dass implizite Annahmen möglicherweise nicht explizit gemacht werden können. nicht bereit erklären würden, an der Studie teilzunehmen. 13 Hinsichtlich der Interviews erwies sich eine Befürchtung als wahr: Nur wenige der Interviews waren ausreichend dicht und aussagekräftig. Viele der Interviews machen nicht den Eindruck, dass die STN viel über den Einsatz von asynchroner computer‐ vermittelter Kommunikation reflektiert hätten, was allerdings auch an meinen Fragen oder dem asymmetrischen Verhältnis zwischen mir und den STN liegen kann (vgl. dazu ausführlicher Kapitel 4.3.1 und 4.3.4). Nach dem ersten Datenerhebungsdurchgang bzw. der Pilotierung der Daten‐ erhebungsmethoden im Sommersemester 2013 wurden im Sommersemester 2014 ein zweites Mal Daten erhoben. Die Studierenden wurden jeweils in den ersten Sitzungen mündlich über die Studie informiert, erhielten dann schrift‐ liche Informationen und eine Einverständniserklärung mit der Bitte, die Erklä‐ rung in der nächsten Sitzung zurückzugeben. Die Einverständniserklärung sowie die Informationen zum Forschungsvorhaben (siehe Anhang) wurden unter Berücksichtigung der Forschungsethischen Prinzipien für humanistische und gesellschaftswissenschaftliche Forschung (Vetenskapsrådet o. J.) formuliert. Die Studierenden konnten dabei angeben, dass sie entweder (1) am gesamten Forschungsprojekt teilnehmen (Hintergrundfragebogen, Produktdaten, Inter‐ views), dass (2) nur die Produktdaten in der Analyse berücksichtigt werden dürfen und (3) dass sie nicht teilnehmen möchten. Im Sommersemester 2013 kreuzten 20 Studierende Alternative 1 an (Sommersemester 2014: 14), eine Person gab an, dass nur die Produktdaten berücksichtigt werden dürfen (2014: 2) und zwei gaben an, nicht teilnehmen zu wollen (2014: 2). Auffällig ist, dass von ca. 35 Studierenden jeweils nur zwei angaben, dass sie nicht teilnehmen möchten und insgesamt nur 20 bzw. 14 Einverständniserklärungen rückläufig waren. Dies kann dahingehend interpretiert werden, dass die Studierenden Nachteile befürchteten, wenn sie explizit angaben, nicht an der Studie teil‐ nehmen zu wollen, oder dass sie schlichtweg vergaßen, die Einverständniser‐ klärung zurückzugeben. Um auf die gesamte Gruppe keinen Druck auszuüben und den STN nicht den Eindruck zu vermitteln, dass die Studie das Hauptziel des Kurses sei, was das Verhalten während der Online-Phase hätte beeinflussen können, wurde die Studie im folgenden Unterrichtsverlauf nicht mehr erwähnt. 120 4 Forschungsmethode 14 Strenggenommen kann hier nicht von Datenerhebung gesprochen werden, da die Fo‐ rumsbeiträge nicht extra für die Studie erhoben wurden, sondern im Unterricht ent‐ standen. Lediglich diejenigen, die ihr Einverständnis gegeben hatten, wurden durch die Einladung zu den Interviews per E-Mail daran erinnert. Im Sommersemester 2014 wurden zudem zwei der Studierenden, die rege an den Forumsdiskussionen teilnahmen, nach Kursende per E-Mail gefragt, ob die Diskussionsbeiträge für Forschungszwecke analysiert werden dürften. Beide bejahten die Frage. Produktdaten Für die vorliegende Studie können folglich die Forumsbeiträge von insgesamt 37 Studierenden berücksichtigt werden sowie die Aufgabenstellungen, die die Forumsdiskussionen initiieren. Dabei werden die Datensätze aus den beiden Erfassungszeiträumen als gleichwertig betrachtet. 14 Bei den Studierenden, die sich bereiterklärten, an der Studie teilzunehmen, handelt es sich in der Regel auch um diejenigen, die während des gesamten Semesters im Forum besonders aktiv waren. Dennoch: Durch den Wunsch einiger Studierender, nicht an der Studie teilzunehmen, entstehen teilweise Lücken in den Produktdaten, so dass z. B. Beiträge, die eine Antwort auf einen früheren Beitrag darstellen, berück‐ sichtigt werden können, nicht aber die beantworteten Beiträge. In der Unter‐ suchung der studentischen Interaktion kann beispielsweise auf Diskussionen, in denen bestimmte Beiträge nicht berücksichtigt werden können, nicht einge‐ gangen werden. Insgesamt bestehen die Produktdaten aus 375 Forumsbeiträgen (die, die nicht berücksichtigt werden dürfen, nicht eingerechnet). Die Länge der Beiträge be‐ trägt zwischen ca. 30 bis 300 Wörtern, je nachdem, ob es sich um eine kurze Frage handelt oder um längere Reflexionen oder Erklärungen. Nicht berück‐ sichtigt werden in der Analyse die Forumsbeiträge zur Kennenlernaufgabe und (sehr wenige) allgemeine Fragen zum Kurs. Angemerkt werden kann außerdem, dass die Anzahl der Beiträge von Aufgabe zu Aufgabe abnahm, was vermutlich nicht ungewöhnlich ist und auch meinen Erfahrungen in anderen Seminaren an der Universität Stockholm entspricht. Die Forumsdiskussionen wurden für die Analyse von der Lernplattform in ein Word-Dokument kopiert und nummeriert. Die Namen der STN wurden durch (teilweise selbstgewählte) Pseudonyme ersetzt. Für den ersten Analyse‐ durchgang wurden die Beiträge von Studierenden, die nicht an der Studie teil‐ nehmen wollten, markiert. Ziel war es, die gesamte Diskussion und den Kontext der einzelnen Beiträge einsehen zu können. Im weiteren Durchgang wurden diese Beiträge jedoch gelöscht. 121 4.3 Forschungsdesign 15 Bis auf eine STN, die Finnisch als L1 hatte, hatten im Sommersemester 2014 alle STN Schwedisch als L1. Im Sommersemester 2013 hatten zwei STN Deutsch als L1, in diesem Fall wurden die Interviews auf Deutsch durchgeführt. Interviews Im Sommersemester 2014 wurden mit 13 STN Interviews durchgeführt; 12 STN kamen zu einem zweiten Interview. Im Zuge der ersten Datenerhebung wurde nur jeweils ein Interview pro STN gemacht, was aber zu der Erkenntnis führte, dass zwei Interviews notwendig sind, um Folgefragen stellen zu können bzw. bei Unklarheiten nachzufragen. Da die Interviews der ersten Datenerhebung in der Regel nicht über die benötigte Informationsdichte verfügen, liegt der Fokus der vorliegenden Studie auf den Daten, die im Sommersemester 2014 durchge‐ führt wurden. Vor dem zweiten Interview hörte ich mir die ersten Interviews an und notierte mir Fragen zu Unklarheiten bzw. Nachfragen. So bestand die Mög‐ lichkeit, dass Fragen, die während des Gesprächsablaufs nicht gestellt werden konnten oder erst im Nachhinein auftraten, doch noch geklärt werden konnten. Im Laufe der Analyse, die ein Jahr nach der Datenerhebung begann, kristalli‐ sierte sich zudem heraus, welche Fragen ich hätte stellen können bzw. müssen, um alle Analyseteile dieser Arbeit durchgängig mit Interviewdaten triangu‐ lieren zu können. Da diese Fragen jedoch nicht gestellt wurden, werden die Interviewdaten nur in Kapitel 5 berücksichtigt. Bei den Interviews handelte es sich um semistrukturierte Leitfadeninterviews (siehe Anhang), die auf Schwedisch durchgeführt wurden, 15 d. h., dass bestimmte vorformulierte Fragen gestellt wurden, von dieser Struktur aber auch abgewi‐ chen werden konnte, wenn der Inhalt des Interviews dies verlangte. Das zweite Interview hatte einen deutlicheren Gesprächscharakter als das erste, da dort gewisse Aussagen aus dem ersten Interview bereits interpretierend wiederholt wurden: Die STN treten darin als Experten und Expertinnen für ihre Erfah‐ rungen während der Online-Diskusionen auf, ich als Lehrende, die die On‐ line-Diskussionen initiiert hat. Besonders bei der Analyse der Daten des zweiten Interviews ist somit darauf zu achten, inwieweit Antworten bereits in der Frage vorgegeben wurden. Die Interviews sind in der Regel affirmativ geführt, d. h., dass ich versuchte, durch z. B. positive Bestätigung eine freundliche Atmosphäre zu schaffen. Dies muss in der Analyse berücksichtigt werden, ist m. E. aber auch notwendig, da eine positive Grundstimmung wichtig ist, damit die STN in der asymmetrischen Interviewsituation möglichst informationsreiche Aussagen lie‐ fern. Insgesamt kann meine Rolle als auf der Schnittstelle von hierarchisch höher stehender Lehrerin / forschendem Subjekt und sozialer, teilweise empathisch re‐ agierender Person charakterisiert werden. In Anlehnung an Welzer, Moller und Tschuggnall (2002, 27f) vertrete ich die Meinung, dass die Neutralität, die teil‐ 122 4 Forschungsmethode weise für Interviewsituationen im Rahmen qualitativer Sozialforschung gefor‐ dert wird, „im Rahmen sozialer Interaktion ein Widerspruch in sich selbst ist“, was natürlich heißt, dass auch meine Äußerungen in der Analyse nicht außen vor gelassen werden dürfen. Durch die offen formulierten Fragen im ersten Interview (siehe Anhang) wurden die STN zunächst aufgefordert, ihre Meinung zur Unterrichtsform Blended Learning zu äußern. Im Weiteren ging es um das Verhalten während der Online-Phase, z. B. wie oft man sich einloggte, was man auf der Lernplatt‐ form machte, wie die Diskussionsbeiträge, auf die geantwortet wurde, ausge‐ wählt wurden. Auch wurden die STN aufgefordert, Forumsdiskussionen mit Gruppendiskussionen im Präsenzunterricht zu vergleichen, und die Lehrerrolle in Online-Phasen zu beschreiben. Während des Interviews wurden zudem oft die Themen Sprachenlernen und landeskundliches Lernen angesprochen, so dass die STN gebeten wurden einzuschätzen, wie die Lernform das Lernen be‐ einflusst. Insgesamt wurden im Rahmen der zweiten Datenerhebung knapp elf Stunden Interviews aufgezeichnet. Im Anschluss wurden die Interviews zwei Mal gehört und teilweise stichpunktartig zusammengefasst, teilweise ganz transkribiert. Das gesamte Interview wurde dann transkribiert, wenn es sich durch eine be‐ sondere Dichte auszeichnete. Zudem wurden bereits Interpretationsansätze no‐ tiert. Da sich aber die Forschungsfragen im Laufe des Forschungsprojekts wan‐ delten und durch neue Resultate der Untersuchungsfokus auf Aspekte gelenkt wurde, die ich vorher für wenig wesentlich gehalten hatte, wurden Teile der Interviews auch zu späteren Zeitpunkten erneut gehört. Zitierte Interviewdaten wurden zudem noch ein weiteres Mal angehört. Da der Fokus der anschließenden Analyse auf dem Inhalt und nicht auf der Form lag, wurde für die Transkription von als wichtig erachteten Stellen ein einfaches Transkriptionssystem (siehe dazu und zum Folgenden Dresing / Pehl 2012, 25-32) verwendet. Konkret bedeutet dies, dass wörtlich und nicht laut‐ sprachlich oder zusammenfassend transkribiert wurde. Wort- und Satzabbrüche sowie Stottern wurden geglättet, ebenso Interpunktion zu Gunsten der Lesbar‐ keit eingefügt. Pausen wurden durch Auslassungspunkte in Klammern, Beto‐ nungen durch Großbuchstaben markiert. Nonverbale emotionale Äußerungen wurden ausgelassen, wenn sie die Aussage nicht verändern oder besonders be‐ tonen. Unverständliche Wörter bzw. Passagen wurden mit „(unv.)“ markiert. Hintergrundfragebogen Neben den für die Beantwortung der Forschungsfragen erhobenen Produkt‐ daten und den semistrukturierten Interviews wurde von 17 bzw. elf STN ein 123 4.3 Forschungsdesign Hintergrundfragebogen zu demographischen Daten, Sprachlernbiographie, evtl. Berufserfahrung, Computerkenntnissen sowie Interessen an den deutsch‐ sprachigen Ländern ausgefüllt (siehe Anhang). Die damit erhobenen Daten dienten zunächst dazu, eine Übersicht über die Gruppe der STN zu erhalten. Für die Analyse wurden Daten aus den Hintergrundfragebogen nur dann aufge‐ griffen, wenn sie die Ergebnisse weiter erklären konnten bzw. die Interpretation beeinflussten. Kapitel 4.3.2 fasst einige Angaben der STN zusammen. Kursevaluation Unabhängig von der Studie wurde außerdem in der jeweils letzten Unterrichts‐ stunde von allen anwesenden Studierenden eine (anonyme) Kursevaluation ausgefüllt (siehe Anhang), in der u. a. gefragt wurde, ob man an der Online-Phase teilgenommen habe und warum (nicht). Mit Hilfe dieser Informationen kann in Ansätzen eine Aussage darüber getroffen werden, wie diejenigen, die nicht an der Studie teilnahmen, die Online-Phasen einschätzten (siehe Kapitel 5.3). 4.3.2 Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen Durch die Auswertung der Hintergrundfragebogen kann ein Überblick über die Gruppe der STN gegeben werden u. a. zu demographischen Daten (Alter), Vor‐ kenntnissen im Deutschen und Medienkompetenz. In Tabelle 2 wurden exemp‐ larisch einige der Daten der Studierenden zusammengefasst, die im Sommerse‐ mester 2014 an der Studie teilnahmen, wobei die selbstgewählten Pseudonyme bewusst weggelassen wurden, um eine Identifizierung der STN zu erschweren. Die letzte Spalte enthält Angaben dazu, ob der / die jeweilige STN die Klausur bestanden hat. Diese Daten wurden nach Kursende dem zentralen Studienleis‐ tungsverzeichnis der Universität ( LADOK ) entnommen und sind der Frage dienlich, ob die Gruppe der STN repräsentativ ist für die gesamte Studieren‐ dengruppe. Die Zusammenstellung der Daten zeigt folgendes Bild der STN : Das Alter betreffend ist die Gruppe heterogen und spiegelt die gesamte Studierenden‐ gruppe wider: Fünf STN sind zwischen 18 und 25, zwei zwischen 26 und 35, zwei zwischen 36 und 45 und zwei zwischen 56 und 65 Jahren alt. Im Hinblick auf die L1 und Vorkenntnisse im Deutschen ist die Gruppe hingegen recht homogen: Alle STN haben, mit einer Ausnahme, Schwedisch als Muttersprache, und alle haben, mit einer Ausnahme, im Vergleich mit den Zugangsvoraussetzungen für das Germanistik-Studium an der Universität Stockholm (‚Stufe 3‘ des schwedi‐ schen Gymnasiums) formal überdurchschnittlich gute Vorkenntnisse der deut‐ schen Sprache. Die Gruppe der STN besteht weiter aus Studierenden der Abend‐ 124 4 Forschungsmethode gruppe und Vollzeitbzw. Halbzeit-Studierenden der Tagesgruppe (vgl. Kapitel 3.1). Die Computerkenntnisse werden als gut bzw. sehr gut eingeschätzt und bis auf eine Ausnahme haben alle STN Erfahrungen mit Lernplattformen. Die Klausur haben bis auf eine Ausnahme alle STN beim ersten Mal bestanden (ein/ -e STN hat nicht an der Klausur teilgenommen), was im Hinblick auf die gesamte Gruppe der Studierenden nicht repräsentativ ist: Im Sommersemester 2014 bestanden 65,5 % die erste (reguläre) Klausur, 46,1 % die Wiederholungs‐ klausur, verglichen mit der Gruppe der STN , in der 80 % beim ersten Versuch die Prüfung bestanden. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass diejenigen Studierenden, die sich bereit erklärten, an der Studie teilzunehmen, formal überdurchschnittlich gute Vorkenntnisse des Deutschen besaßen. Möglicherweise sorgte dieses Wissen dafür, dass diese Studierenden sich überhaupt erst dazu bereiterklärten, an der Studie teilzunehmen. Des Weiteren schlossen die STN insgesamt in der Klausur besser ab als die Gruppe der gesamten Studierenden, wofür es unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten gibt. So können z. B. die bereits vorhandenen über‐ durchschnittlich guten Vorkenntnisse Grund dafür sein, dass die STN sich die Kursinhalte leichter aneignen konnten. Oder die inhaltlichen Vorkenntnisse der STN sind, ebenso wie die Sprachkenntnisse, besser als die der anderen Studier‐ enden, was dazu führte, dass man sich eher bereit erklärte, an der Studie teil‐ zunehmen. Möglich ist auch, dass die Teilnahme an der Studie dafür sorgte, dass die STN regelmäßiger an den Forumsdiskussionen teilnahmen und somit besser auf die Klausur vorbereitet waren. Für die vorliegende Studie bedeuten diese Ergebnisse vor allem, dass die Repräsentativität nur bedingt gegeben ist, da die Studie nur die Produktdaten und die Interviewdaten von relativ erfolgreichen Studierenden berücksichtigten kann - wobei es aber nicht unproblematisch ist, den recht subjektiven Faktor von Erfolg auf das Bestehen der Klausur zu redu‐ zieren. 125 4.3 Forschungsdesign 16 Angegeben wurde jeweils die weibliche Form um die spätere Identifizierung der STN zu erschweren. Die Geschlechtszugehörigkeit spielt in der vorliegenden Arbeit als Un‐ tersuchungsgegenstand keine Rolle. 17 Möglichkeiten: Abend = Abend / Teilzeit, Vollzeit = Tag / Vollzeit, Teilzeit = Tag / Vollzeit. Siehe zur Erläuterung Kapitel 3.1. 18 Nach Selbsteinschätzung. 19 G = bestanden, U = nicht bestanden. Die in Klammern angegebene Zahl gibt an, ob die Klausur beim ersten, zweiten oder dritten Mal bestanden wurde. 20 Nyb I & II = Anfängerkurs in Deutsch I & II an der Universität Stockholm. Entspricht ca. B1.1 des GER. 21 Die Stufenangaben beziehen sich auf den Deutschunterricht an schwedischen Gym‐ nasien. Stufe 6 entspricht B2.2 des GER, Stufe 5 B2.1. 22 B-språk ist die nicht mehr aktuelle Bezeichnung für die erste Fremdsprache nach Eng‐ lisch. Angegeben ist hier aber nicht, wie viele Jahre diese Sprache studiert wurde. 23 F = Finnisch. Alters‐ gruppe L1 Deutsch‐ kennt‐ nisse Evtl. Beruf 16 Kurs 17 PC- Kennt‐ nisse 18 Erfah‐ rung mit Lern‐ platt‐ formen Klausur 19 1 36-45 S Nyb I und II 20 Beamtin Abend sehr gut ja G (2) 2 56-65 S Nyb I und II Tontech‐ nikerin Abend gut ja - 3 18-25 S Stufe 6 21 - Vollzeit sehr gut nein G (1) 4 26-35 S Stufe 6 Finanz‐ beraterin Vollzeit sehr gut ja G (1) 5 56-65 S Nyb I und II Gymna‐ sialleh‐ rerin f. Ge‐ schichte Abend gut ja G (1) 6 18-25 S Stufe 5 - Teilzeit gut ja G (1) 7 36-45 S (B-språk 22 ) Beamtin Abend gut ja G (1) 8 18-25 F 23 Stufe 5 - Vollzeit gut ja G (3) 9 18-25 S Stufe 4 u. Schulj. in D - Teilzeit gut ja G (1) 10 18-25 S Stufe 2 - Vollzeit sehr gut ja G (1) 126 4 Forschungsmethode Alters‐ gruppe L1 Deutsch‐ kennt‐ nisse Evtl. Beruf Kurs PC- Kennt‐ nisse Erfah‐ rung mit Lern‐ platt‐ formen Klausur 11 26-35 S ? Politi‐ sche Bera‐ terin Abend sehr gut ja G (1) Tab. 2: Auszug aus den Ergebnissen der Hintergrundfragebogenstudie (SS14). 4.3.3 Verfahren der Datenanalyse Die erhobenen Daten wurden zum größten Teil ausgehend von Grundsätzen der qualitativen Inhaltsanalyse (nach Mayring 2010) ausgewertet. Das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse zielt darauf ab, Daten zu analysieren, die „aus ir‐ gendeiner Art von Kommunikation“ (ebd., 11, Hervorhebung im Original) stammen und will dabei „Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommuni‐ kation“ (ebd., 13) ziehen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine fixe Me‐ thode, sondern um ein Methodeninventar, das im Hinblick auf den Gegenstand relativ flexibel gehandhabt werden kann. Dabei steht nur fest, dass systematisch vorgegangen werden soll, wobei Mayring jedoch betont, dass inhaltliche Argu‐ mente, die für eine flexible Handhabung der Methode sprechen, „immer Vorrang vor Verfahrensargumenten haben“ (ebd., 51). Systematisch geht die qualitative Inhaltsanalyse vor allem daher vor, weil der Kernpunkt die induktive und / oder deduktive Entwicklung von Kategorien ist, die zur Beantwortung der Frage‐ stellungen benötigt werden. Da die qualitative Inhaltsanalyse kategorienbezogen arbeitet, bot sie sich zu‐ nächst an, um in einem Wechselspiel aus induktivem und deduktivem Vorgehen einen Einblick in die Arbeit der Studierenden in den Online-Foren zu be‐ kommen. Besonders aber im Hinbick auf die im weiteren Forschungsprozess stattfindende Differenzierung der Fragestellung (vgl. Abschnitt Differenzierung der Fragestellung und Kodierung der Daten) wurde der Vorzug der Methode deut‐ lich: Mit Hilfe des kategorisierenden Vorgehens konnte die Frage nach den ver‐ schiedenen Modi der Aufgabenbearbeitung gegenstandsangemessen beant‐ wortet werden. Im weiteren Verlauf konnten zudem duch den deduktiven Vorgang bestehende Forschungsergebnisse in Bezug zu den Ergebnissen gesetzt werden und die Daten so weiter expliziert werden. Ein weiteres Moment der qualitativen Inhaltsanalyse ist laut Mayring die Untersuchung des Materials in seinem Kommunikationszusammenhang: „Der 127 4.3 Forschungsdesign Text wird immer innerhalb seines Kontextes interpretiert, das Material wird auch auf seine Entstehung und Wirkung hin untersucht“ (ebd., 48). Kapitel 5 dieser Arbeit ist in diesem Sinne zu verstehen, denn die Detailanalyse der asyn‐ chronen Online-Diskussionen zu Gründungsmythen der Bundesrepublik be‐ schreibt die Daten quantitativ und qualitativ und präsentiert verschiedene As‐ pekte, die den Kommunikationszusammenhang, d. h. die asynchrone Forumsdiskussion, beeinflussen und die bei der Analyse des Potenzials asyn‐ chroner computervermittelter Kommunikation für landeskundliche Lernpro‐ zesse bedeutend sind. Verschiedene Auswertungsverfahren mussten herange‐ zogen werden, um diese verschiedenen Einflussfaktoren analysieren zu können. Neben der metrischen Beschreibung der Daten wurde auch im Sinne von mixed methods gearbeitet und es wurden qualitative Daten quantifiziert, beispielswese um herauszufinden, wie oft eine bestimmte Kategorie von Lehrerkommentaren vorkommt, um so eine Aussage über die Lehrerrolle zu treffen. Die qualitative Inhaltsanalyse schließt dementsprechend quantitative Datenauswertungsver‐ fahren nicht aus (vgl. Mayring 2010, 51), da sie hilfreich sind im Hinblick auf eine Verallgemeinerung der Ergebnisse: So kann gezeigt werden, dass eine be‐ stimmte Kausalität besonders häufig bzw. besonders selten anzutreffen ist. Für die Analyse der studentischen Interaktion (Kapitel 5.8) wurde zudem ein Modell zur Interaktionsanalyse (nach Henri 1995) verwendet. Auch die Interviews wurden mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse bear‐ beitet. Relevante Passagen wurden herangezogen, um die Ergebnisse der Ana‐ lyse ausgewählter Kontextfaktoren zu bestätigen, zu widerlegen oder zu diffe‐ renzieren. Es liegt daher eine Daten- und Methodentriangulation vor, deren Ziel hier die „systematische Erweiterung und Vervollständigung der Erkenntnis‐ möglichkeiten“ (Flick 2011, 520) ist und nicht so sehr die Falsifizierung der aus einer Datenquelle gewonnen Erkenntnisse. In den folgenden Kapiteln werden die Verfahren der Datenanalysen genauer dargestellt. Produktdaten Festlegung des Materials Bei den Produktdaten, der primären Datenquelle, handelt es sich um die asyn‐ chronen Online-Diskussionen aus den beiden Datenerhebungszeiträumen (Sommersemester 2013 und 2014). Da also die Daten zwei verschiedener Gruppen vorliegen, kann die Reichweite der Aussagen erhöht werden, wenn sich feststellen lässt, dass gewisse Aspekte für beide Datensätze gelten. Das Sampling dieser beiden Zeiträume und damit auch bestimmter Gruppen von Studierenden ist zum einen davon bestimmt, dass sich in diesen beiden 128 4 Forschungsmethode (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) Semestern die Datenerfassung als durchführbar erwies. Zudem unterscheiden sich die Studierendengruppen zwischen Sommer- und Wintersemester hin‐ sichtlich Alter und Vorkenntnisse der Studierenden (vgl. Kapitel 3.1), so dass bewusst zwei Sommersemester als Erfassungszeitrum gewählt wurden, um die Faktorenkomplexität etwas zu reduzieren. Nach Tilgung der Beiträge, die für die Studie nicht berücksichtigt wurden, bestand dieses Korpus aus 375 Forumsbeiträgen unterschiedlicher Länge. Zu‐ nächst wurden alle Beiträge in der Analyse berücksichtigt, so dass sich das Problem des Samplings auf der ersten Ebene der Datenauswertung nicht stellte. Erst im Laufe der Studie wurde deutlich, dass der Analyseschwerpunkt auf den Diskussionen liegen würde, in denen historische Themen behandelt wurden. Richtung der Analyse Das initiale und übergeordnete Erkenntnisinteresse dieses Forschungsprojekts war die Frage, welches Potenzial asynchrone computervermittelte Kommuni‐ kation für landeskundliches Lernen besitzt. Da es bislang keine Forschung zu kulturbezogenen Lernprozessen in asynchroner computervermittelter Kommu‐ nikation gab, wurde in einem ersten Schritt zunächst explorativ vorgegangen und eine Analyse von zusammengehörenden Online-Diskussionen durchge‐ führt, die, wie in Kapitel 4.3.3 beschrieben, zugleich den Kontext für die weitere Analyse darstellt. Für die Analyse ausgewählter Kontextfaktoren wurden die zusammengehö‐ rigen Diskussionen zu Gründungsmythen der Bundesrepublik (Datensätze I und II ) ausgewählt, da die Beteiligung der Studierenden hier am größten war. Da die Aufgabenstellungen für beide Diskussionen dieselbe war, ist es zudem möglich, durch die Herausarbeitung von Unterschieden und Ähnlichkeiten zwischen den beiden Datenerhebungsdurchgängen die Reichweite der Ergebnisse zu erhöhen. Die Diskussionen wurden qualitativ und quantitativ auf verschiedene Merkmale und Faktoren hin untersucht, die das Geschehen während der Online-Phasen beschreiben bzw. beeinflussen, wobei die Auswahl keinen Anspruch auf Voll‐ ständigkeit hat: Aufgabenstellung Anzahl und Länge der Beiträge Bearbeitungszeiten und Bedeutung der zeitlichen Vorgaben Zeitlicher Abstand zwischen den Beiträgen Sprachniveau und Sprachenwahl Hyperlinks und Emoticons Bearbeitung der Aufgabenstellung 129 4.3 Forschungsdesign 24 Die Beschreibung von Henris Modell zur Anlayse von Interaktion in Online-Diskussi‐ onen basiert auf meinen Ausführungen in Becker 2016b, 89 f. (8) (9) (10) Interaktion zwischen den Studierenden Lehrerrolle Einfluss der Studierenden mit Deutsch als L1 Die Gründe, warum gerade diese Merkmale und Faktoren in den Fokus der Auf‐ merksamkeit rücken, sind unterschiedlicher Art. Unter Punkt (2) werden die Daten zunächst hinsichtlich der Anzahl und Länge der Beiträge beschrieben, wobei die Länge mit Blick auf die Asynchronität des Forums von Interesse ist. Dies gilt auch für die Bearbeitungszeiten, die Bedeutung der zeitlichen Vorgaben und die zeitlichen Abstände zwischen den Beiträgen. Es ist davon auszugehen, dass diese Merkmale bzw. Faktoren die Arbeit der Studierenden im Forum maß‐ geblich beeinflussen. Theoretisch begründen lässt sich die Analyse der Aufga‐ benstellung (1), die Bearbeitung der Aufgabenstellung (7), die Interaktion zwi‐ schen den Studierenden (8) und die Lehrerrolle (9). Lehrende und Aufgaben stellen zentrale Einflussfaktoren in Unterrichtszusammenhängen dar (vgl. Ka‐ pitel 2.1.3 und 2.1.4) und asynchrone computervermittelte Kommunikation wird eingesetzt, um Interaktion zwischen Lernern zu ermöglichen bzw. zu fördern (vgl. Kapitel 2.1.2). Vor dem Hintergrund von integriertem Fremdspra‐ chen-Sachfach-Unterricht ist die Frage nach der Sprachenwahl der STN relevant (Kapitel 2.3) und hinsichtlich des landeskundlichen Lernens ist es von Interesse, den Einfluss von Studierenden mit Deutsch als L1 zu untersuchen, da diese oft die Rolle von Informanten oder Experten ihrer Sozialisationserfahrungen ein‐ nehmen oder zugeschrieben bekommen (vgl. Bechtel 2003, 322). Die Beschäfti‐ gung mit Hyperlinks und Emoticons ist auf die Beobachtung zurückzuführen, dass diese nicht so häufig verwendet werden, wie ich es erwartet hatte. Zeigte zudem bereits eine oberflächliche Analyse des gesamten Datenmate‐ rials, dass bestimmte Aspekte nicht die gleiche Beständigkeit zu späteren Zeit‐ punkten in den Online-Phasen hatten, wurden entsprechende Ergebnisse mit in die Darstellung der Ergebnisse einbezogen. Zur Analyse der Interaktion wurde ein (leicht modifiziertes) Modell von Henri (1995) verwendet, das auch in weiteren Forschungsarbeiten Anwendung gefunden hat (vgl. Dysthe 2002). 24 Hintergrund ist eine interaktionistisch-sozio‐ kulturelle Perspektive auf das Lernen, die für die Gestaltung von CMC -Szena‐ rien ausschlaggebend ist: Durch Interaktion soll, so die Annahme, gemeinsam Wissen konstruiert werden. Indem die Interaktionsstruktur in asynchroner computervermittelter Kommunikation analysiert wird, soll nachgewiesen 130 4 Forschungsmethode 25 Möglicherweise kann die Unterscheidung Henris in explizite und implizite Interaktion auf technische und nicht lerntheoretische Gründe zurückgeführt werden. Aus dem Ar‐ tikel geht nicht hervor, ob die Teilnehmer/ -innen an den untersuchten Diskussionen die Möglichkeit besaßen, ältere Beiträge zu kommentieren oder ob der Thread chrono‐ logisch geordnet war. Ist letzteres der Fall, macht die Unterscheidung zwischen explizit und implizit einen Sinn, weil so auch in chronologischen Threads Interaktionen iden‐ tifiziert werden können (und zwar von den Diskutierenden sowie dem forschenden Subjekt). Besteht, wie im untersuchten Setting, die Möglichkeit, dass auch auf frühere Beiträge reagiert wird, werden die Interaktionen auch schon rein optisch strukturiert. werden, dass Wissenskonstruktion stattfindet (oder nicht). In diesem Sinne wird auch in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass in Fällen, in denen die Beiträge sich aufeinander beziehen, sich die Interaktion positiv auf die Wissenskon‐ struktion auswirkt. Henri unterscheidet zu diesem Zweck in der Kategorienbil‐ dung zwischen verschiedenen Formen der impliziten und expliziten Interaktion. In der Ergebnisdarstellung der Interaktionsanalyse in Kapitel 5.8 spielt die Un‐ terscheidung Henris zwischen expliziter und impliziter Interaktion jedoch nur insofern eine Rolle, als untersucht wird, ob sprachliche Besonderheiten, die die implizite Interaktion kennzeichnen, die Interaktion beeinflussen (Kapitel 5.8.2). Darüber hinaus wird in der weiteren Arbeit die Art der Interaktion nicht be‐ rücksichtigt, da sie m. E. keinen großen Einfluss auf das Lernpotenzial der Dis‐ kussionen habt. 25 Für die vorliegende Arbeit wurde Henris Modell an die vorliegenden Daten angepasst, da die Kategorie unabhängiger Beitrag (im Folgendenen angegeben durch den Buchstaben A) unterteilt wurde in Beiträge, die keinen der vorher‐ gehenden Beiträge beantworten oder kommentieren, aber Interaktion initiieren, und solche, die weder vorgehende Beiträge beantworten oder kommentieren, noch selbst beantwortet oder kommentiert werden. Mit Hilfe dieses Modells können verschiedene Formen der Interaktion iden‐ tifiziert werden, wobei zwischen genuiner Interaktion und Quasi-Interaktion unterschieden wird: In order for there to be genuine interaction, then, three actions must occur: 1) a message from A to B; 2) a message from B to A, elaborated in terms of the information transmitted by A; 3) a message from A in response to the message from B. Though the first is essential to initiating interaction, the second and third are always required for there to be genuine interaction. (Henri 1995, 151) Quasi-Interaktion wiederum findet demnach dann statt, wenn auf einen ersten Beitrag (A) zwar mindestens ein Beitrag (B, C etc.) folgt, dieser aber nicht mehr 131 4.3 Forschungsdesign von dem Verfasser des ersten Beitrags beantwortet oder kommentiert wird (vgl. ebd.). Kategorie Definition 1. UNABHÄNGIGER BEITRAG 1.1 Selbständig stehender Beitrag Beitrag, der weder beantwortet noch kom‐ mentiert, und auch nicht kommentiert oder beantwortet wird. (A - A) 1.2 Interaktion initiierender unabhän‐ giger Beitrag Beitrag, der weder beantwortet noch kom‐ mentiert, aber explizite oder implizite In‐ teraktion initiiert. (A - B) 2. EXPLIZITE INTERAKTION 2.1 Direkte Antwort Beitrag, der explizit auf eine Frage ant‐ wortet. (B, C etc.) 2.2 Direkter Kommentar Beitrag, der einen vorherigen Beitrag di‐ rekt kommentiert. (B, C etc.) 3. IMPLIZITE INTERAKTION 3.1 Indirekte Antwort Beitrag, der eine Frage beantwortet, ohne auf diese zu verweisen 3.2 Indirekter Kommentar Beitrag, der einen Beitrag kommentiert, ohne diesen zu nennen. (B, C etc.) Tab. 3: Modell zur Analyse von Interaktion in Online-Diskussionen (in Anlehung an Henri 1995, 153). Differenzierung der Fragestellung und Kodierung der Daten Durch die Ergebnisse der Analyse der Aufgabenstellung wurde mein Erkennt‐ nisinteresse auf die Aufgabenstellungen, ihre Bearbeitung sowie das Potenzial der Bearbeitungsmodi für landeskundliches Lernen gelenkt. Die ersten For‐ schungsfragen waren demnach: - Welche Modi der Aufgabenbearbeitung lassen sich in den asynchronen Online-Diskussionen feststellen? - Welches Potenzial haben die verschiedenen Modi der Aufgabenbearbei‐ tung für landeskundliches Lernen? Diese Fragen sind für die fremdsprachendidaktische Forschung relevant, weil Aufgaben den Dreh- und Angelpunkt von Unterrichtsgeschehen ausmachen 132 4 Forschungsmethode 26 Bei diesen Kategorien handelt es sich um diejenigen, die in der weiteren Anlayse be‐ rücksichtigt wurden. Für eine Auflistung weiterer Kategorien siehe Kapitel 6.1. und die Untersuchung des landeskundlichen Lernens ausgehend von der Auf‐ gabenstellung so konkrete Anregungen für die Praxis liefern kann. Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurden drei Kodierungsdurch‐ gänge durchgeführt, wobei alle formulierten Kategorien zur Explikation bei‐ trugen, d. h. der Analyse zu Grunde liegen. Im ersten Kodierungsvorgang wurden daher Kategorien für die verschiedenen Modi der Aufgabenbearbeitung in „einem Wechselverhältnis zwischen Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material entwickelt, durch Konstruktions- und Zuordnungsregeln definiert und während der Analyse rücküberprüft“ (Mayring 2010, 59). Unter anderem fanden sich folgende Katgegorien bzw. Aufgabenbearbeitungsmodi: Zusammenfassung von Sachwissen, Begriffs- und Deutungsreflexionen, Gegen‐ wartsbezüge, Perspektivenübernahmne, narrative Zugänge. 26 Im weiteren Analysevorgang wurde die zweite Frage zugeschnitten auf den jeweiligen Modus der Aufgabenbearbeitung und in mehrere Fragen unterteilt, wobei in etwa folgendes Muster zugrunde lag: Wenn der Modus in der Aufga‐ benstellung vorgegeben war, wurde untersucht, wie die STN mit der konkreten Aufgabenstellung umgehen. Wenn die STN ohne Anküpfung an die Aufgaben‐ stellung den Modus wählten, wurde untersucht, warum sie vermutlich diesen Zugang wählten. Darauf hin wurde das Lernpotenzial des jeweiligen Modus für kulturelles Lernen untersucht, sodann das Lernpotenzial im Kontext computer‐ vermittelter Kommunikation, wobei die Frage, ob der Modus Interaktion initi‐ iert, einen besonders wichtigen Stellenwert hatte. Die konkreten Forschungs‐ fragen finden sich, theoretisch verankert, zu Beginn der einzelnen Unterkapitel (6.2, 6.3, 6.4, 6.5, 6.6), werden hier aber vergegenwärtigt: A. Aufgabenbearbeitungsmodus: Zusammenfassung von Sachwissen 1. Wie gehen die STN mit den Sachfragen um, die in den Aufgabenstel‐ lungen enthalten sind? 2. Welche Vorteile und welche Nachteile hat es, in asynchronen Online-Dis‐ kussionen faktenbezogene Fragen zu stellen? B. Aufgabenbearbeitungsmodus: Begriffs- und Deutungsreflexionen 1. Welche Bereiche betreffen die Begriffs- und Deutungsreflexionen? 2. Wann finden Begriffs- und Deutungsreflexionen statt? 3. Welche Potenziale und Probleme bergen Begriffs- und Deutungsrefle‐ xionen in asynchronen Online-Diskussionen? 133 4.3 Forschungsdesign C. Aufgabenbearbeitungsmodus: Gegenwartsbezüge 1. In welchen Fällen stellen die STN eigenständig Gegenwartsbezüge her? 2. Welche Merkmale haben die eigenständigen Gegenwartsbezüge? 3. Welches Potenzial haben die Gegenwartsbezüge für landeskundliches Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation? D. Aufgabenbearbeitungsmodus: Perspektivenübernahme 1. Wie gehen die STN mit der in den Aufgabenstellungen geforderten Per‐ spektivenübernahme um? 2. Welche Besonderheiten lassen sich im Hinblick auf die Perspektiven‐ übernahmen feststellen? 3. Weisen die Perspektivenübernahmen darauf hin, dass die STN die Be‐ deutung der Ereignisse nachvollziehen können? 4. Welche Potenzial und welche Probleme bieten Perspektivenübernahmen für landeskundliches Lernen in asynchronen Online-Diskussionen? E. Aufgabenbearbeitungsmodus: Narrative Zugänge 1. In welchen Fällen wählen die STN narrative Zugänge als Bearbeitungs‐ modus? 2. Welche Besonderheiten lassen sich im Hinblick auf die erzählten Inhalte feststellen? 3. Welche Potenziale und Probleme bergen narrative Zugänge in asyn‐ chronen Online-Diskussionen? Im zweiten Kodierungsvorgang wurden die Daten in Finalkategorien zusam‐ mengefasst, wobei sich die Kategorien je nach Aufgabenbearbeitungsmodus stark unterschieden, aber auch bestimmte Häufungen festgestellt wurden. Bei‐ spielsweise erwies sich die Kategorie Opfererzählung dabei als häufig vorkom‐ mend. Im dritten und letzten Kodiervorgang wurde schließlich deduktiv vorge‐ gangen, indem bestimmte Subkategorien, die ausgehend von Ergebnissen kulturwissenschaftlicher Gedächtnisforschung im Fach Deutsch als Fremd‐ sprache (vgl. Fornoff 2015b) und sozialpsychologischen bzw. kulturwissen‐ schaftlichen Studien (vgl. Welzer / Moller / Tschuggnall 2002, Sabrow 2009) for‐ muliert wurden, an die Daten herangetragen wurden. Das Sampling für die Datenpräsentation wurde sodann von zwei Zielen ge‐ leitet: Zum einen wurden typische Beiträge ausgewählt, um die Reichweite der Ergebnisse zu erhöhen, zum anderen wurden auch abweichende Beiträge prä‐ sentiert, um, im Sinne einer maximalen Variation, die gesamte Breite der Bei‐ träge zu berücksichtigen. 134 4 Forschungsmethode Interviews Festlegung des Materials In Kapitel 4.3.1 wurden Unterschiede in den beiden Interviewstudien (I und II ; Sommersemester 2013 und 2014) dargelegt: Während im Sommersemester 2013 mit jedem STN ein Interview durchgeführt wurde, fanden im Sommersemester 2014 mit jeden STN zwei Interviews statt. Das Ziel des zweiten Interviews war, Unklarheiten, die es beim Hören des ersten Interviews gab, zu klären oder be‐ stimmte Themen vertiefen zu können. Da also die Interviews des Sommer‐ semesters 2014 qualitativ aussagekräftiger und generell tiefgehender sind, wurden diese für die weitere Analyse herangezogen. Nicht alle Interviews der 13 STN konnten verwendet werden; eine erste Aus‐ wahl wurde hinsichtlich ihrer Dichte und Aussagekraft getroffen. Am interes‐ santesten erschienen zunächst die Interviews, die besonders lang waren (d. h. > 30 Min.) und in denen sich die STN als redefreudig erwiesen. Doch auch kürzere Interviews, in denen die Meinungen der STN von denen der anderen STN abwichen, wurden berücksichtigt, da es das Ziel war, eine maximale Va‐ rianz an Aussagen zu analysieren, um so die Variationsbreite und Unterschied‐ lichkeit zu erschließen (vgl. Flick 2011, 165-168). Erkenntnisinteresse und Festlegung der Kategorien Die qualitative Inhaltsanalyse der Interviews erfolgte zeitlich nach der Analyse der Kontextfaktoren der Diskussion um Gründungsmythen der Bundesrepublik. Ziel der Analyse war es, die Erkenntnisse durch die Interviews zu bestätigen, zu differenzieren oder zu widerlegen. Aus diesem Grund wurden in den Interviews im Hinblick auf diese Fragestellung relevante Textpassagen identifiziert (z. B. zu den Bearbeitungszeiten oder der Lehrerrolle). Diese wurden nach zustimm‐ enden, differenzierenden oder widerlegenden Aussagen kategorisiert. Durch die Zusammentragung der Aussagen in Tabellenform konnte ich mir zudem leicht einen Überblick über bestimmte Aspekte des Meinungsbildes der STN ver‐ schaffen, d. h. ob gewisse Meinungen eher den Konsens abbilden oder eine Aus‐ nahme darstellen. 4.3.4 Das Forschungsdesign aus forschungsethischer Perspektive Empirische Unterrichtsforschung bringt mit sich, dass Lehrende und Lernende in den Fokus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung rücken. Im Folgenden soll darüber reflektiert werden, wie sich das Forschungsprojekt auf die STN auswirken kann; es genügt dahingehend aber nicht, den forschungsethischen 135 4.3 Forschungsdesign Prinzipen für humanistische und gesellschaftswissenschaftliche Forschung zu folgen, die vom schwedischen Vetenskapsråd formuliert wurden (Vetenskaps‐ rådet o. J.) und die den Ausgangspunkt dieser Ausführungen darstellen. Ein for‐ schungsethisch sensibles Vorgehen verlangt vielmehr eine ständige Reflexion (vgl. z. B. Pope / De Luca / Tolich 2010, 313f). Die forschungsethischen Prinzipien beinhalten drei für dieses Forschungs‐ projekt besonders relevante Richtlinien, die im Hinblick auf die vorliegenden Verhältnisse wie folgt zusammengefasst werden können: Die STN müssen über das gesamte Forschungsprojekt schriftlich informiert sein, den Forschenden müssen freiwillig unterzeichnete schriftliche Einverständniserklärungen der STN vorliegen und persönliche Daten der STN müssen vertraulich behandelt werden (vgl. Vetenskapsrådet o. J., 7-13). Zu Beginn des Forschungsprojekts wurden die Studierenden des Landeskun‐ deseminars sowohl mündlich als auch schriftlich auf Schwedisch über die Studie informiert, sowie gebeten, eine Einverständniserklärung (vgl. Kapitel 4.3.1) zu unterschreiben und einzureichen, falls sie der Teilnahme zustimmten. Beide Dokumente (siehe Anhang) erhielten u. a. den Hinweis, dass die Teilnahme jeder Zeit und ohne Angabe von Gründen abgebrochen werden könne, was aber nicht geschah. In der nächsten Unterrichtsstunde wurden die Einverständniserklä‐ rungen eingesammelt; im Weiteren wurden diese aber nicht erwähnt, um nicht unfreiwillig Druck auszuüben. Dennoch ist es nicht auszuschließen, dass sich Studierende gezwungen sahen, an der Studie teilzunehmen. Hinweise, z. B. aus der Kursevaluation oder aus Gesprächen mit Kolleginnen, gibt es dafür jedoch nicht. In den Regeln des Wissenschaftsrats heißt es im Hinblick auf die Information der STN aber auch, dass diese über alle Teile der Forschung unterrichtet sein sollen, die ihre Bereitschaft, an der Untersuchung teilzunehmen, beeinflussen könnte (vgl. Vetenskapsrådet o. J., 7). Dies ist insofern problematisch, als die STN trotz aller Informationen nicht immer absehen können, worauf sie sich ein‐ lassen. Beispielsweise könnten sich einzelne STN durch die Forschungsergeb‐ nisse gekränkt fühlen, wenn sie nicht dem Selbstbild entsprechen (vgl. Hopf 2004, 338f). Allein die Tatsache, dass die Daten aus der subjektiven Sicht der Forschenden gedeutet werden (auch wenn dies intersubjektiv nachvollziehbar ist), könnte als Integritätskränkung betrachtet werden. Es reicht also nicht aus, sich mit der Information der STN zu Beginn der Studie zu begnügen; die ständige Reflexion über die ethischen Implikationen in allen Phasen des Forschungspro‐ jekts ist ein Muss. Vor der Analyse der Beiträge wurden zunächst die Namen der STN durch (meist selbstgewählte) Pseudonyme ersetzt, so dass eine gewisse Konfidentia‐ 136 4 Forschungsmethode 27 Unter Macht wird hier die Möglichkeit verstanden, bewusst oder unbewusst Einfluss auf das Agieren und Denken von Menschen und sozialen Gruppen zu nehmen. 28 In der Information zum Forschungsprojekt wurde explizit darauf hingewiesen. lität gewährleistet ist. Eine vollständige Anonymität kann jedoch schon allein aus forschungsmethodischen Gründen nie vollständig garantiert werden, denn zitierte Daten lassen sich unter Umständen mit den Verfassern in Verbindung bringen. Mitstudierende könnten sich z. B. an einzelne Beiträge erinnern und so herausfinden, wer sich hinter einem bestimmten Pseudonym verbirgt. Auch die Informationen, die die STN in ihren Beiträgen preisgeben, könnten zur Identi‐ fizierung beitragen, und zwar sowohl durch Mitstudierende als auch Außenste‐ hende. Zudem wurde in der Analyse teilweise auf Informationen aus den Hin‐ tergrundfragebogen oder den Interviews eingegangen, die eine Identifizierung erleichtern. Es ist somit eine ständiger Prozess des Abwägens, welche Informa‐ tionen in der Darstellung genannt werden müssen und welche nicht, etwas, was im Hinblick auf die Gütekriterien wie Transparenz und Reflexivität (vgl. Ka‐ pitel 4.2.1) durchaus problematisch ist. Insgesamt wurden im Rahmen dieses Forschungsprojekts die drei forschungsethischen Prinzipien des schwedischen Wissenschaftsrates jedoch eingehalten. Bei den Richtlinien handelt es sich jedoch nur um Handlungsanweisungen auf einem basalen Niveau. Schon in Kapitel 4.2.2 wurde aufgezeigt, welche He‐ rausforderungen die Doppelrolle Lehrende / forschendes Subjekt mit sich bringt, die zugleich auch das größte forschungsethische Dilemma ist. Es wurde argu‐ mentiert, dass die mit der Doppelrolle einhergehende physische Involviertheit (vgl. Altrichter 1990, 161f) in den Untersuchungsgegenstand methodische Vor‐ teile hat, beispielswiese den Einblick in die „sozialen Partikularitäten“ (ebd.) des Untersuchungsfeldes. Es wurde aber auch auf die Asymmetrie zwischen for‐ schendem Subjekt und STN hingewiesen, bei dem es sich um ein archetypisches Machtverhältnis 27 handelt. Auch die forschungsethischen Prinzipien von Ve‐ tenskapsrådet weisen darauf hin, dass kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Wissenschaftlern und den Forschungsteilnehmern vorliegen sollte (vgl. Ve‐ tenskapsrådet o. J., 10), was aber hier der Fall ist. Als Lehrende korrigiere und bewerte ich die Klausur, so dass zwar Abhängigkeit vorliegt, jedoch wird diese, wie alle anderen Klausuren an der Universität Stockholm, anonym bewertet, so dass eigentlich keine direkte Abhängigkeit vorliegt. 28 Darüber hinaus beurteile ich als Lehrende aber nicht nur die Leistungen der Studierenden, sondern ent‐ scheide auch, ausgehend von institutionellen Vorgaben, über Unterrichtsinhalte und methodisches Vorgehen, was unter Umständen große Auswirkungen auf Zukunftspläne und -möglichkeiten der Studierenden hat. 137 4.3 Forschungsdesign 29 Aus forschungsmethodischer Perspektive wurde dies in den Kapiteln 4.3.1.2 und 4.3.3.2 behandelt. Das asymmetrische Machtbzw. Abhängigkeitsverhältnis kann beispiels‐ weise allein die Bereitschaft der Studierenden, an der Studie teilzunehmen, in‐ sofern beeinflussen, als sie möglicherweise glauben, dass durch ihre Nicht-Teil‐ nahme die Studienresultate negativ beeinträchtigt werden und sie sich somit gezwungen sehen, der Teilnahme zuzustimmen. Auch in den Interviews 29 ist das asymmetrische Machtverhältnis sehr ausgeprägt, da sich nicht nur Leh‐ rende / Lernende sondern auch Forschende / STN einander gegenübersitzen. Ich habe in diesem Fall versucht, diese Asymmetrie zu verringern, indem ich die Wirkung des Raumes, in dem die Interviews stattfanden, und des Mobiliars mit‐ bedachte. So trafen wir uns, aus praktischen Gründen (im Hinblick z. B. auf Un‐ gestörtheit), zwar in meinem Büro, was bereits Macht symbolisiert, doch wählte ich für uns beide die gleichen Stühle, um nicht meine Position durch einen teuren Bürostuhl hervorzuheben. Die Stühle wurden an einem Tisch über Eck ange‐ ordnet, schräg einander gegenüber, da z. B. ein frontales Gegenübersitzen schnell bedrohlich wirkt (vgl. Helfferich 2011, 177). Zudem versuchte ich gleich in der Eingangsphase eine freundliche, affirmative Atmosphäre zu schaffen und die Bereitschaft, am Interview teilzunehmen, zu würdigen (ebd.). Cohen, Manion und Morrison vertreten die Meinung, dass eine gute Atomsphäre zwischen Wissenschaftler/ -innen und Forschungsteilnehmer/ -innen nicht nur die Qua‐ lität der Daten positiv beeinflusst, sondern auch ein guter Weg sei, forschungs‐ ethische Dilemmata zu lösen: The key to the successful resolution of such [ethical, CB] questions lies in establishing good relations. This will involve the development of a sense of rapport between re‐ searchers and their subjects that will lead to feelings of trust and confidence. (Cohen / Manion / Morrison 2000, 6) Für die vorliegende Studie ist dies vor allem insofern relevant, als das jeweils zweite Interview dazu verwendet wurde, Fragen und erste Deutungen meiner‐ seits zu klären, was nicht nur aus methodischer Sicht wichtig ist, sondern auch aus forschungsethischer: Die STN erhielten so einen Einblick in meine Inte‐ ressen, was das Vertrauen in meine Arbeit stärken konnte, gleichzeitig konnten sie ihre Positionen verdeutlichen und sich etwas sicherer sein, dass ihre Per‐ spektive ernst genommen wurde. 138 4 Forschungsmethode 1 Unter ‚Diskussion‘ bzw. ‚diskutieren‘ wird hier die multiperspektivische Erörterung eines bestimmten Themas verstanden; die Diskussionsteilnehmer und -teilnehme‐ rinnen müssen sich nicht notwendigerweise, im Sinne eines Dialogs (vgl. z. B. Henri 1995, Kapitel 5.8), aufeinander beziehen. 2 Die hohe Beteiligung ist dabei vermutlich darauf zurückzuführen, dass dies die erste Online-Diskussion im Rahmen des Seminars war. Es ist ein Charakteristikum in allen Seminaren mit fakultativer Teilnahme an der Abteilung für Germanistik der Universität Stockholm, dass die Teilnahmefrequenz im Laufe des Semesters sinkt. Grund dafür ist u. a., dass viele Studierende mit Doppelbelastung (z. B. Berufstätigkeit, weiteres Voll‐ zeitstudium) den Fokus auf die obligatorischen Teile des Studiums richten, was auch in den Interviews immer wieder deutlich wird. 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen Ziel folgender sowohl qualitativer als auch quantitativer Analyse mehrerer the‐ matisch zusammengehöriger asynchroner Online-Diskussionen ist es, einen grundlegenden Einblick in das zu erhalten, was passiert, wenn Studierende eines Fremdsprachenstudienganges in einem Online-Diskussionsforum diskutieren. 1 Die Erkenntnisse aus dieser datengeleiteten Analyse stellen den Kontext für die weitere Datenanalyse dar, die das landeskundliche bzw. kulturbezogene Lernen fokussiert. Dieser Aspekt kann in seiner Komplexität nur beschrieben werden, wenn Einflussfaktoren wie beispielsweise Bearbeitungszeitpunkte, studenti‐ sche Interaktion, Lehrerrolle und die Rolle von Studierenden mit Deutsch als L1 mit in die Analyse einbezogen werden. Berücksichtigt wurden für die Analyse asynchrone Online-Diskussionen aus den Sommersemestern 2013 und 2014. Das übergreifende Thema der Diskussi‐ onen war Gründungsmythen der Bundesrepublik. Dies ist unterteilt in vier Dis‐ kussionsforen: Währungsreform, Trümmerfrauen, Wunder von Bern und 68er / Studentenbewegung. Die Aufgabenstellung war in beiden Semestern gleich, so dass es in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen den beiden Daten‐ sätzen gibt. Ausgewählt wurden diese Diskussionen, da die Beteiligung der Stu‐ dierenden hier am höchsten war 2 und somit die meisten Beiträge vorliegen. Die quantitativen Aussagen sind dabei in der folgenden Analyse in gewissem Maße nur eingeschränkt als aussagekräftig zu betrachten, da nicht alle Studie‐ rende, die an den Diskussionen teilnehmen, auch ihr Einverständnis gaben, dass ihre Beiträge für Forschungszwecke ausgewertet werden dürfen (vgl. Ka‐ pitel 4.3) und die Datensätze somit lückenhaft sind. Nichtsdestoweniger können die quantitativen Aussagen Tendenzen beschreiben und somit zu dem Gesamt‐ bild beitragen. Auch für die qualitative Datenauswertung ist es bedeutsam, dass nicht alle Beiträge einsehbar sind, da teilweise der Kontext, in dem Beiträge stehen, fehlt, oder aber einzelne Antworten nicht beachtet werden können. Ist dies in der folgenden Analyse der Fall, wird darauf hingewiesen. Die Ergebnisse dieser Produktdatenanalyse wurden zudem trianguliert mit den Interviewdaten. Hauptsächlich wurden dabei die Interviews ausgewertet, die im Sommersemester 2014 durchgeführt wurden, da zwischen den zwei Er‐ hebungszeitpunkten die Anzahl der Interviews pro STN und die Leitfragen op‐ timiert wurden. Zitate aus den Interviews werden herangezogen, um Ergebnisse aus der Analyse der Produktdaten differenzierter interpretieren zu können. Eine weitere Differenzierung im Hinblick auf den gesamten Datensatz ergibt sich außerdem, wenn darauf eingegangen wird, welche Abweichungen es von den im Zuge dieses Kapitels herausgearbeiteten Ergebnissen in den anderen asynchronen Online-Diskussionen gibt. So zeigt sich beispielsweise, dass die STN in den Diskussionen um die Gründungsmythen ihre Beiträge auf Deutsch verfassen, sich ihre Sprachenwahl dann aber zu einem späteren Zeitpunkt teil‐ weise ändert. Die Erkenntnisse beruhen dabei nicht auf einer systematischen Auswertung des gesamten Datensatzes, sondern auf Beobachtungen zu Abwei‐ chungen der in diesem Kapitel zusammengestellten Ergebnisse und tragen dazu bei, ein nuanciertes Bild der Daten aufzuzeigen. Es folgt zunächst eine Präsentation der Aufgabenstellung (Kapitel 5.1), so‐ dann eine quantitative Analyse der Anzahl und Länge der Beiträge (Kapitel 5.2), der Bearbeitungszeiten sowie der Bedeutung zeitlicher Vorgaben (Kapitel 5.3) und der zeitlichen Abstände zwischen den Beiträgen (Kapitel 5.4). Daraufhin stehen Sprachniveau und Sprachenwahl im Fokus (Kapitel 5.5), die Verwendung von Hyperlinks und Emoticons (Kapitel 5.6) sowie die Aufgabenbearbeitung (Kapitel 5.7) und die Interaktion der STN (Kapitel 5.8). Es folgt eine Analyse der Lehrerrolle (Kapitel 5.9) und des Einflusses von STN mit Deutsch als L1 (Ka‐ pitel 5.10). 5.1 Beschreibung der Aufgabenstellung Folgende übergeordnete Aufgabenstellung findet sich auf dem sogenannten Schwarzen Brett auf der Startseite der Lernplattform und ist für die Studierenden gleich nach dem Einloggen sichtbar: 140 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 3 Die Abkürzungen bezeichnen jeweils Texte der Lehrmaterialien (siehe Anhang). EW steht hier für: Edgar Wolfrum (2009): Die 101 wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland. München: C. H.Beck. 4 Schwed. ,kortfrågor‘ = dt. ,Abstimmung‘. (1) In der Stunde am 18. Februar geht es um Gründungsmythen (ja, Plural! ) der Bundesrepublik. Es gibt verschiedene Ereignisse und Erlebnisse, die als Gründungsmythen bezeichnet werden können, und zwar: Trümmerfrauen, Währungsreform, Das Wunder von Bern, Studentenbewegung / 68er Bitte bereitet euch wie folgt auf die Stunde vor: 1. Wähle einen der Gründungsmythen aus, der dich interessiert. (Für die Klausur muss man über jeden Mythos etwas wissen, daher ist es sinnvoll, einen Blick auch in die anderen Texte zu werfen! ) Lies zu dem Gründungsmythos den angegeben Text. Du musst den Text nicht im Detail verstehen. Wichtig ist, dass du die Fragen im Forum dis‐ kutieren kannst. Das Wunder von Bern: EW 76 3 Trümmerfrauen: EW 45 Studentenbewegung / 68er: Kompendium S. 7, EW 52 Währungsreform: Kompendium S. 4-6, nur die markierten Abschnitte 2. Diskutiere im Forum über „deinen Gründungsmythos“ (auf Schwedisch oder auf Deutsch). Fragen findest du dort. Schreibe bis zum 12. Februar mindestens einen Beitrag und kommentiere bis zum 16. Februar mindes‐ tens zwei Beiträge. Kommentieren bedeutet hier, dass man die Beträge ergänzt, zum Beispiel: Hast du etwas nicht verstanden? Bist du anderer Meinung? Stimmst du zu? Warum? Gibt es noch einen anderen Aspekt, der ergänzt werden sollte? 3. In der nächsten Stunde werden wir u. a. über die Frage sprechen, ob die Gründungsmythen heute noch wichtig sind. Was meinst du? Gehe auf „Kortfrågor“ 4 und gebe dort bis zum 16. Februar deine Stimme ab (natürlich nur bei dem Mythos, mit dem du dich beschäftigt hast ). Viel Spaß! 141 5.1 Beschreibung der Aufgabenstellung 5 Welche Interessen die Studierenden haben, zeigt sich dabei oft erst im Laufe der Dis‐ kussion, da die Lehrenden die Studierenden und ihre Interessen und Erfahrungen zu Kursbeginn nicht kennt. 6 Die erste Ziffer bezeichnet die Nummer des Datenauszugs im Fließtext, die zweite die Nummer im Thread. (2) Die Aufgabenstellung enthält also zunächst eine sehr kurze Beschreibung des Themas und gibt in einer dreiteiligen, kleinschrittigen Struktur an, wie sich die Studierenden auf das folgende Präsenzseminar vorbereiten sollen. Ein Beschrei‐ bungskriterium guter Aufgaben (vgl. Kapitel 2.1.3) ist die Transparenz von Zweck („Vorbereitung auf die nächste Stunde“) und Ziel der Aufgabe, was hier unpräzise als „Diskussion“ identifiziert werden kann. Gleichzeitig können die Studierenden, da sie die Möglichkeit haben, sich für einen der Gründungsmythen zu entscheiden und diesen näher zu bearbeiten, in gewissen Maßen eigenen Interessen folgen. Auf diese Weise steigt die Möglich‐ keit, dass die Studierenden „persönlich Bedeutsames mitzuteilen“ 5 haben (Müller-Hartmann / Schocker-von Ditfurth 2006, 3). Des Weiteren enthält die Aufgabe sowohl zeitliche Strukturierungshilfen, d. h. Angaben, bis wann die Studierenden welchen Teil bearbeiten sollen, als auch inhaltliche Bearbeitungshilfen in Form von Hinweisen, wie vorgegangen werden soll, d. h. wie „kommentieren“ und „diskutieren“ im Kontext asyn‐ chroner Online-Diskussionen zu verstehen ist. Die zeitlichen Vorgaben mögen angesichts der Fakultativität von sowohl Präsenzals auch Onlinekomponente widersprüchlich erscheinen. Es handelt sich bei der Formulierung jedoch um eine Strukturierungshilfe, die zum einen als eine Hilfestellung bei der Bearbei‐ tung gedacht ist, zum anderen soll durch die zeitlichen Vorgaben sichergestellt werden, dass eine Diskussion zustande kommen kann, denn nur wenn frühzeitig mit der Diskussion begonnen wird, bleibt den anderen STN Zeit zu antworten. Jedes Diskussionsforum wird darüber hinaus, wie in der übergeordneten Aufgabenstellung angekündigt, mit einem Beitrag von mir eingeleitet, der Fragen zu dem spezifischen Thema enthält. Alle vier Foren enthalten Aufgaben nach demselben Muster: zwei Fragen zum historischen Hintergrund, wobei die zweite Frage darauf abzielt, ein zentrales Zitat aus den dem Seminar zugrunde‐ liegenden Texten zu klären, sowie eine weitere Frage zur Perspektivenüber‐ nahme. Die Fragen im Forum Währungsreform lauten beispielsweise wie folgt: (1) 6 Forumsdiskussion: Währungsreform - Christine (2013-01-17 11: 53) Hier sind ein paar Fragen zum Text vorgegeben, die Ihr diskutieren könnt. Ihr könnt aber auch selbst Fragen auswählen, z. B. wenn Ihr eine Aussage interessant fandet, etwas nicht verstanden habt oder anderer Meinung seid. 142 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen Wann war die Währungsreform und welche Währung wurde eingeführt? Warum hat „niemand den Tag vergessen, der ihn erlebt hat“? Was bedeutete die Währungsreform für das tägliche Leben? Stellt euch vor, Ihr hättet zu dieser Zeit in der Bundesrepublik gelebt. Wie war es davor und was hat sich verändert? Die Aufgabenstellung im Diskussionsforum macht also deutlich, dass die ange‐ gebenen Fragen Vorschläge sind und die Studierenden auch selbst Fragen zur Diskussion stellen können. Die Fragen zum historischen Hintergrund beziehen sich auf das jeweilige Lehrmaterial, mit dem sich die Studierenden zur Vorbe‐ reitung auseinandersetzen sollen, und können somit als Fragen zum Sachwissen (vgl. Kapitel 6.2) bezeichnet werden. Sie zielen auf die Zusammenfassung der wichtigsten Hintergrundinformationen ab. Hinsichtlich des sprachlichen An‐ forderungscharakters der Aufgaben lässt sich feststellen, dass dieser bei jeder Frage unterschiedlich ist und einer Progression unterliegt. Die erste Frage („Wann war die Währungsreform und welche Währung wurde eingeführt? “) ist leicht und im Prinzip in einem einzigen Satz zu beantworten. Die zweite Frage („Warum hat ‚niemand den Tag vergessen, der ihn erlebt hat? ‘“) ist schon schwieriger zu beantworten, doch reichen auch hier zwei oder drei Sätze; die letzten Fragen hingegen („Was bedeutete die Währungsreform für das tägliche Leben? Stellt euch vor, Ihr hättet zu dieser Zeit in der Bundesrepublik gelebt. Wie war es davor und was hat sich verändert? “) erfordern eine längere Aus‐ führung. Auch inhaltlich bestehen unterschiedliche Anforderungen: Die erste und zweite Frage können mit Hilfe des Lehrmaterials beantwortet werden, wobei die zweite Frage das Detailverstehen eines Textabschnitts erfordert, der dann in eigenen Worten zusammengefasst werden muss. Die dritte Frage zeichnet sich durch inhaltlich hohe Anforderungen aus, da man Kenntnisse über die Lebensbedingungen vor und nach der Währungsreform besitzen muss. Diese werden zwar in den Textgrundlagen angerissen, aber die Perspektivenüber‐ nahme und ihre Versprachlichung werden den Studierenden überlassen. Die unterschiedlichen Anforderungen sind von mir als Lehrende intendiert, da jeder Studierende in der heterogenen Gruppe (vgl. Kapitel 3.1) die Möglichkeit haben soll, zumindest einen Teil der Fragen beantworten zu können und leistungs‐ starke Studierende ausreichend gefördert werden sollen. Für die weitere Analyse ist von großer Tragweite, dass es sich bei den ersten beiden Fragen um geschlossene Aufgaben handelt (vgl. Brandl 2012, 5), die be‐ stimmte Antworten bzw. Lösungen implizieren, was abweichend zu der einlei‐ tenden Formulierung „die Ihr hier diskutieren könnt“ und dem gewählten Werk‐ zeug „Diskussionsforum“ steht. Auch die geforderte Perspektivenübernahme 143 5.1 Beschreibung der Aufgabenstellung stellt keine offene Diskussionsfrage (vgl. Brandl 2012, 5) im engen Sinne dar, auch wenn sie mit einer gewissen Flexibilität (open end-Frage) gelöst werden kann. Zwar ist es möglich, dass die Studierenden ausgehend von den Fragen bestimmte Aspekte und ihre Perspektivenübernahme diskutieren, dies jedoch nur dann, wenn sie selbst Fragen aufwerfen oder Verständnisfragen klären möchten. So heißt es auch einleitend, dass eigene Fragen diskutiert werden können, doch werden keine konkreten Diskussionsfragen vorgegeben. Wie die STN mit der Widersprüchlichkeit, dass geschlossene Fragen diskutiert werden sollen, umgehen, wird in Kapitel 5.7 thematisiert. Die letzte Frage, die Perspektivenübernahme zum Ziel hat, soll die Studie‐ renden dazu anregen, „aus dem eigenen Orientierungssystem herauszutreten in ein anderes“ (Bechtel 2003, 68), um in der Folge die Bedeutung der Ereignisse für eine Mehrheit der Deutschen nachzuvollziehen, d. h. „das neue Orientie‐ rungssystem in seinen inneren Bezügen so zu verstehen, wie dies ein Mitglied dieses Orientierungssystem es tun würde“ (Bechtel 2003, 68, vgl. Kapitel 6.5). Insgesamt soll die Aufgabenstellung somit die Grundlage für den Präsenzun‐ terricht schaffen, in dem es um die Deutung der Ereignisse als Gründungsmy‐ then geht sowie, im Sinne eines retrospektiven, gegenwartserhellenden Verfah‐ rens, um die Frage, ob und inwiefern die Gründungsmythen heute noch von Bedeutung sind. Die Formfokussierung fehlt in der Aufgabenstellung gänzlich, was darauf zurückzuführen ist, dass das inhaltliche Lernen im Fokus steht. Dies zeigt sich auch dadurch, dass die Studierenden auf Schwedisch oder auf Deutsch disku‐ tieren können. Für ähnliche Aufgaben in zukünftigen Szenarien wäre es jedoch in Betracht zu ziehen, durch z. B. sprachliche Versatzstücke sprachliches Lernen stärker zu integrieren. 5.2 Anzahl und Länge der Beiträge Die Tabellen 4 bis 6 enthalten Information über die Anzahl der Diskussionsbei‐ träge in den einzelnen Foren und die Anzahl der Lehrerkommentare sowie da‐ rüber, wie viele Beiträge für die Analyse berücksichtigt werden dürfen. Die vier Diskussionsforen des Datensatzes I bestehen somit insgesamt aus mehr Bei‐ trägen als die des Datensatzes II , doch dürfen für die vorliegende Untersuchung prozentual mehr Beiträge aus Datensatz I verwendet werden als aus Daten‐ satz II . Darüber hinaus ist die prozentuale Anzahl an Lehrerkommentaren in Datensatz I etwas geringer als in Datensatz II (16,3 % versus 20,9 %). 144 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 7 Es handelt sich hierbei um heuristische Werte, die zunächst mit Hilfe der durchschnitt‐ lichen Beitragslänge ermittelt wurden, so dass von einer Grenze von 150 Wörtern aus‐ gegangen wurde. Da die Datensätze aber zwei Beiträge enthalten, die 149 Wörter um‐ fassen, wurde der Wert auf 149 festgelegt. Dass Beiträge mit mehr als 149 Wörtern in diesem Setting als lang bezeichnet werden können, zeigt die Tatsache, dass die Stu‐ dierenden im Rahmen des Teilkurses Schriftlicher Ausdruck drei Texte scheiben müssen, wobei der erste, in der es um die Zusammenfassung einer Kurzgeschichte geht, 200 Wörter umfassen soll. Dies indiziert, dass 200 Wörter für die Studierenden eine leichte Herausforderung sind. Die Länge der studentischen Beiträge (Tabelle 6) variiert von 17 bis 304 Wör‐ tern für Datensatz I (Ø 115 Wörter) und 10 bis 390 Wörtern für Datensatz II (Ø 117 Wörter). Tabelle 6 zeigt, dass weniger als ein Drittel (I: 23 %, II : 28 %) der Beiträge relativ kurz sind, d. h. aus unter 50 Wörtern bestehen, wobei die Anzahl der Beiträge, die als mittellang (51-148 Wörter) bzw. als lang (>149 Wörter) be‐ zeichnet werden können, 7 dementsprechend relativ hoch ist. Die durchschnitt‐ liche Länge weist darauf hin, dass sie längere Ausführungen enthalten und ver‐ mutlich die Annahme, dass asynchrone computervermittelte Kommunikation zu mehr Reflexion führt (vgl. Graham 2006, 18), bestätigt werden kann. Zudem kann die relativ hohe Anzahl an langen Beiträgen als ein Zeichen für Interesse bzw. Engagement seitens der STN gedeutet werden (vgl. Rösler / Würffel 2010b, 55f). Insgesamt davon berücksich‐ tigt Lehrerkommentare Anzahl Beiträge 55 45 (81,8 %) 9 (16,3 %) Währungsreform 15 12 1 Trümmerfrauen 13 8 1 Wunder von Bern 8 8 3 Studentenbewegung 19 17 5 Tab. 4: Anzahl der Forumsbeiträge, Datensatz 1, erhoben im Sommersemester 2013. 145 5.2 Anzahl und Länge der Beiträge Insgesamt davon berücksich‐ tigt Lehrerkommentare Anzahl Beiträge 81 52 (64,2 %) 17 (20,9 %) Währungsreform 21 17 4 Trümmerfrauen 24 13 4 Wunder von Bern 14 9 3 Studentenbewegung 22 13 6 Tab. 5: Anzahl der Forumsbeiträge, Datensatz 2, erhoben im Sommersemester 2014. Datensatz 1 Datensatz 2 0-50 Wörter 8 9 51-148 Wörter 13 15 >149 Wörter 13 7 Tab. 6: Länge der studentischen Beiträge. Es lässt sich zudem feststellen, dass die Beiträge in Datensatz I insgesamt zah‐ lenmäßig weniger sind, sie aber länger sind als in Datensatz II . Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass im Sommersemester 2013 zwei STN mit Deutsch als L1 teilnahmen, die insgesamt längere Beiträge schrieben. Vier der vierzehn Beiträge mit über 149 Wörtern stammen von STN mit Deutsch als L1 und einer der Beiträge wurde auf Schwedisch verfasst (vgl. Kapitel 5.5), so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich die Sprachkompetenz insofern positiv auf die Beitragslänge auswirkt, als kompetente Sprachbenutzer längere Beiträge schreiben. Auffällig ist außerdem, dass die Lehrerkommentare durchschnittlich kürzer sind als die Beiträge der STN : Im Datensatz I variiert die Länge der Lehrerkom‐ mentare zwischen sechs und 87 Wörtern (Ø 37 Wörter), im Datensatz II zwi‐ schen sechs und 84 Wörtern (Ø 34 Wörter). Die Länge deutet darauf hin, dass ich zwar im Forum präsent bin, aber keine dozierende Rolle einnehme und mich mit längeren inhaltlichen Kommentaren zurückhalte (siehe dazu ausführlicher Kapitel 5.9). 146 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 8 An dieser Stelle soll außerdem noch auf eine Beaobachtung hingewiesen werden, die ich im Laufe des Unterrichts machte: Es ließ sich eine deutliche Tendenz erkennen, dass Studierende, die im Präsenzunterricht wenig sagten, aktiv an den Online-Dikussionen teilnahmen und umgekehrt. Das Ergebnis früherer Forschung, dass zurückhaltende Lernende aktiver an Online-Diskussionen teilnehmen als an Face-to-Face-Diskussionen (vgl. z. B. Beauvois / Eledge 1994, 35), kann so bestätigt werden. Die Kombination von computervermittelter Kommunikation und Präsenzunterricht sorgt dafür, dass die Lernenden entsprechend ihrer Bedürfnisse und Voraussetzungen an der Interaktion zwischen den Lernenden und den Lehrenden teilhaben können. 9 In Kapitel 6.2.2.2 wird der Beitrag, der einen Monat später gepostet wird, im Hinblick auf sein Potenzial für landeskundliches Lernen untersucht (Auszug 61). 10 Die Angaben wurden mit Hilfe der Statistikfunktion der Lernplattform Mondo ermittelt. Hinsichtlich der Entwicklungen von Beitragsanzahl und durchschnittlicher Beitragslänge im gesamten Seminar zeigt sich, dass die Frage, ob die Studie‐ renden zu verschiedenen Zeitpunkten ebenso viele, weniger oder mehr, längere oder kürzere Beiträge schreiben, nicht einfach beantwortet werden kann, da die Aufgabenstellung beeinflusst, wie viele Beiträge geschrieben werden und wie lang diese sind. Dennoch fällt ein Muster auf: Wurden Textverständnisfragen diskutiert (vgl. Kapitel 5.8.3), gab es relativ viele und kurze Antworten, wurden Themen angeschnitten, die die STN offensichtlich sehr interessierten und auf die keine einfachen Antworten möglich waren, waren die Beiträge durch‐ schnittlich wesentlich länger. Für narrative Zugänge in der Aufgabenbearbei‐ tung liegt die durchschnittliche Beitragslänge beispielsweise bei 242 Wörtern. 8 5.3 Bearbeitungszeiten und Bedeutung der zeitlichen Vorgaben Die Online-Phasen, in denen die asynchronen Online-Diskussionen stattfanden, waren aufgrund institutioneller Vorgaben im Sommersemester 2013 eine Woche, im Sommersemester 2014 zwei Wochen lang. Nahezu alle studentischen Beiträge wurden innerhalb dieser Online-Phasen gepostet. Ausnahmen stellen z. B. die letzten drei Beiträge der Diskussion Studentenbewegung (Datensatz I) dar; diese wurden vier Tage bzw. einen Monat nach der Präsenzsitzung gepostet und zeigen deutlich, dass die Verfasser sich auch über die Unterrichtseinheit hinaus mit dem Thema beschäftigen. 9 Abbildung 3 zeigt, dass die Anzahl der studentischen Aktivitäten 10 („Beitrag als gelesen markieren“, „Beitrag schreiben“ und „Beitrag bearbeiten“) im Forum (Datensatz I) am 5. Februar, d. h. 147 5.3 Bearbeitungszeiten und Bedeutung der zeitlichen Vorgaben 11 Da die Online-Phase im Sommersemester 2014 zwei Wochen dauerte und während dieser Zeit die Studierenden im Forum auch noch die Kennenlernaufgabe bearbeiteten, kann über die statistische Funktion der Lernplattform nicht mehr nachvollzogen werden, wie die Aktivität in Bezug auf die hier analysierte Diskussion aussah. 12 Alle Forumsbeiträge können einzeln oder alle gleichzeitig durch den Benutzer als „ge‐ lesen“ markiert werden, was allerdings nichts darüber aussagt, ob die Beiträge wirklich gelesen oder nur entsprechend markiert wurden. am Tag des abendlichen Präsenzunterrichts, am höchsten ist. 11 Dies kann damit erklärt werden, dass sich viele Studierende am Tag des Präsenzunterrichts zur Vorbereitung nochmals (oder erstmals) in das Forum einloggen, um einen Ein‐ blick in die Aktitvitäten auf der Lernplattform zu erhalten. 0 100 200 300 400 500 600 700 Anzahl Aktivitäten Datum Anzahl studentischer Aktivitäten im Forum Abb. 3: Anzahl studentischer Aktivitäten im Forum während der ersten Online-Phase im Sommersemester 2013 („Beitrag als gelesen markieren“ 12 , „Beitrag schreiben“ und „Bei‐ trag überarbeiten“). 148 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 0 2 4 6 8 10 12 14 16 Anzahl Beiträge Datum Aktivität Beitrag schreiben Abb. 4: Aktivität „Beitrag schreiben“ (Rolle: Student) nach Datum während der ersten Online-Phase des Sommersemesters 2013. Wertet man zu Vergleichszwecken die Diskussionen im Forum danach aus, wann die eigentliche Arbeit im Forum stattfand, d. h. das Schreiben bzw. genauer gesagt das Posten der Beiträge, so ergibt sich das in Abbildung 4 dargestellte Diagramm. Die meisten Beiträge wurden also am Tag vor dem Präsenzunterricht gepostet, während die meisten Aktivitäten am Tag des Präsenzunterrichts zu verzeichnen sind. Dass die meisten Beiträge am 4. Februar verfasst wurden, kann auf die zeit‐ lichen Vorgaben der Aufgabenstellung zurückgeführt werden, die sich somit als sinnvoll erweisen: „Schreibe bis zum 2. Februar mindestens einen Beitrag und kommentiere bis zum 4. Februar mindestens zwei Beiträge“. Zeitliche Vorgaben gehören zu den Bearbeitungshilfen, die die Gütekriterien von Aufgaben fordern (vgl. Kapitel 2.1.3). Es wird jedoch auch nach diesem Datum weiter diskutiert, so dass die zeitliche Vorgabe der Aufgabenstellung - zumindest auf den ersten Blick - ihren Zweck als zeitliches Strukturierungsangebot erfüllt: Sie bringt die Studierenden dazu, Beiträge so frühzeitig zu verfassen, dass sie noch beant‐ wortet werden können. Zugleich werden zeitliche Vorgaben von den meisten 149 5.3 Bearbeitungszeiten und Bedeutung der zeitlichen Vorgaben 13 Forschung zur Bedeutung von Deadlines in der Aufgabenbearbeitung zeigte zudem, dass Deadlines kurzfristig motivierend wirkten, langfristig jedoch zu weniger intrinsi‐ scher Motivation führen, sich mit den Gegenstand zu beschäftigen (vgl. Amabile / De‐ Jong / Lepper 1976). 14 Dies geschieht häufig mit Hilfe von E-Mails, die automatisch verschickt werden, sobald jemand auf einen Beitrag antwortet. (3) Studierenden nicht so ernst genommen, da auch nach diesem Datum weiter‐ diskutiert wurde. 13 In den Interviews wird jedoch deutlich, dass die STN unterschiedliche Vor‐ gehensweise hinsichtlich der Bearbeitungszeiten haben. Einige bearbeiten die Aufgaben wie angegeben, d. h. frühzeitig, und folgen dann der Diskussion, indem sie sich immer wieder einloggen. 14 Sie nehmen die Deadlines als Struk‐ turierungshilfe wahr. Man könnte zudem argumentieren, dass diese STN zum einen ein gutes Zeitmanagment besitzen und motiviert sind, an der fakultativen Diskussion teilzunehmen. Dies differenziert die Ergebnisse von Benbunan-Fich und Hiltz (1999), dass asynchrone Online-Diskussionen zum Prokrastinieren verführen. Für einen Teil der STN stimmt dies nämlich keinesfalls. Andere fühlen sich aufgrund der vielen verschiedenen Aufgaben, die sie im Rahmen des Studiums und einer eventuellen Berufstätigkeit erledigen müssen, überfordert, was sich negativ auf die Teilnahme an der Diskussion auswirkt (Auszug 3) und teilweise dazu führt, dass gar keine Beiträge geschrieben werden (Auszug 4): Jag tänker så fort, efter tisdagen, efter lektionen tänker jag automatiskt okej, nu behöver jag inte tänka på realia på ett par dagar. Och sedan, när jag tänker, ja just det, vi skulle ju göra någonting i realian, då har nästan alla redan skrivit sina inlägg och så kommer jag sist där. Det kanske har inget med det att göra men jag tycker att det är svårt i allmänhet att hålla koll på alla delkurser och när man ska lämna in nåt eller när man ska ha gjort en uppgift. (Matias I, 09: 05-09: 28) Ich denke sobald, nach dem Dienstag, nach dem Unterricht, denke ich au‐ tomatisch, okay, ich brauche ein paar Tage nicht an Landeskunde zu denken. Und dann, wenn ich daran denke, ja genau, wir sollten ja was für Landeskunde machen, dann haben fast alle schon ihre Beiträge geschrieben und dann bin ich der letzte. Vielleicht hat das nichts damit zu tun, aber ich finde es im Allgemeinen schwer, Kontrolle über alle Seminare zu haben 150 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 15 Die Angaben setzten sich wie folgt zusammen: Name der / des STN, Nummer des In‐ terviews (I oder II), Zeit (Minuten: Sekunden). 16 Bzw. alle in der letzten Seminarsetzung anwesenden Studierenden. (4) und wann man was einreichen oder ein Aufgabe machen soll. (Matias I, 09: 05-09: 28) 15 Ibland har jag väldigt mycket att göra, så även om jag kommer ihåg det, så kommer jag ihåg det konstiga tider och då börjar jag göra det men så hinner jag inte klart och sedan har jag glömt bort det i alla fall. ( Johanna I, 03: 40-03: 51) Manchmal habe ich sehr viel zu tun, und selbst wenn ich daran [an das Bearbeiten der Aufgabe, CB ] denke, dann denke ich zu komischen Zeiten daran und dann werde ich nicht fertig und dann habe ich es doch vergessen. ( Johanna I, 03: 40-03: 51) Dass einige Studierende sich überlastet fühlen und daher nicht an den Diskus‐ sionen teilnehmen, bestätigten auch die Evaluationen, die alle am Seminar teil‐ nehmenden Studierenden 16 anonym nach Ende des Seminars ausfüllten. Dort wurde die Frage gestellt, ob man an den Online-Phasen teilgenommen hatte (Antwortmöglichkeiten: ja, nein, manchmal) und aus welchen Gründen (siehe Anhang). Im Sommersemester 2013 beispielsweise erklärten 22 Studierende (von 34), nur manchmal an den Online-Phasen teilgenommen zu haben, und von diesen 22 gaben 14 als Begründung Zeitmangel an (z. B. „Vi har så himla mycket att göra i de andra ämena så ibland hinner man inte.“ / „Wir haben so super viel zu tun für die anderen Fächer, deshalb schafft man es manchmal nicht.“). Von den sechs Studierenden, die gar nicht teilnahmen, gaben drei Zeitmangel an. Diese Erkenntnisse zeigen, dass viele Studierende es schwierig finden, die vielen zeitlichen Vorgaben in ihrem Alltag einzuhalten, was für künftige Sze‐ narien insofern bedeutend ist, als dies auf die Wichtigkeit verweist, dass Dead‐ lines selbstverständlich nur dann gesetzt werden, wenn sie wirklich sinnvoll sind, und dass auch weitere Deadlines im Kontext des Settings (d. h. hier im gesamten Germanistik-Studium) bei der Planung berücksichtig werden sollten. Matias (Auszug 3) erwähnt hier zudem einen weiteren Punkt, der von Moran (1991) herausgearbeitet wurde, nämlich das Problem des „information overload“, das eintreten kann, wenn man sich erst zu spät einloggt: Die Textmenge kann dann überwältigend wirken. In der Studie von Moran führte dies dazu, dass die Beiträge der anderen nicht gelesen wurden und die geposteten Beiträge sich nicht auf die vorherigen bezogen. Auf diese Verhaltensstrategie wird detail‐ lierter in Kapitel 5.8 eingegangen. 151 5.3 Bearbeitungszeiten und Bedeutung der zeitlichen Vorgaben 17 I = Interviewerin, B = Befragte/ -r. (5) (6) Von einigen STN wird die zeitliche Vorgabe aber nicht als Strukturierungs‐ hilfe angesehen, sondern als Angabe des letztmöglichen Zeitpunkts, bis zu dem die Aufgabe bearbeitet werden darf. Dies hat teilweise zur Folge, dass die STN keine Beiträge mehr schreiben (Auszug 5) oder dass die vorherigen Beiträge nicht gelesen werden und die geposteten Beiträge sich so nicht auf sie beziehen (Auszug 6). Man går in, jag vet inte, kanske på lördagen, och sedan stod där skriv en fråga till igår. Och jag bara, jaha, då har jag missat det. (Malin I, 05: 27-05: 30) Man loggt sich ein, ich weiß nicht, vielleicht am Samstag, und dann stand dort, schreib eine Frage bis gestern. Und ich nur: Aha, da habe ich das wohl verpasst. (Malin I, 05: 27-05: 30) I 17 : Jag undrar om du har läst det han skrivit? B: Det är nog så att jag inte har läst det han skrivit (lacht). Oftast så sitter man ju skriver de här bidragen, man jobbar ju nästan i sista sekunden med den och man vill ju hålla den här tidsgränsen som du har satt upp också. Och då blir det så att man loggar in, klickar där man ska lägga in bidragen och klistrar in och sedan postar. (Leah II , 12: 54-13: 42) I: Ich würde gern wissen, ob du gelesen hast, was er geschrieben hat? B: Es ist wohl so, dass ich nicht gelesen habe, was er geschrieben hat (lacht). Meistens schreibt man ja diese Beiträge, man arbeitet ja fast in letzter Se‐ kunde daran und man will ja auch die Deadline einhalten, die du gesetzt hast. Und dann wird es so, dass man sich einloggt, dahin klickt, wo der Beitrag hin soll und fügt ihn ein und dann posten. (Leah II , 12: 54-13: 42) Es zeigt sich also, dass Malin und Leah die zeitlichen Vorgaben nicht als Struk‐ turierungshilfe, sondern als unbedingt einzuhaltende Vorgaben interpretieren, so dass das, was in Online-Diskussionen als interaktionsfördernde Hilfe einge‐ setzt wird, zu einem Hindernis für die Diskussion werden kann. Die in Ka‐ pitel 5.1 diskutierte Widersprüchlichkeit von zeitlichen Vorgaben in fakulta‐ tiven Online-Diskussionen entfaltet hier eine unerwünschte Wirkung: In der Formulierung „Schreibe bis zum 2. März einen Beitrag und kommentiere bis zum 4. März zwei Beiträge“ wird eine Zeitgrenze aufgestellt, die den Studierenden eine Strukturierungshilfe sein und die den rechtzeitigen Beginn der Diskussion garantieren soll. Keinesfalls ist damit gemeint, dass nach den genannten Daten 152 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen keine Beiträge mehr geschrieben werden dürfen, im Gegenteil, das weitere Dis‐ kutieren ist erwünscht. Es ist daher problematisch, wenn einige Studierende die Deadline als Zeit‐ punkt interpretieren, nach dem nicht mehr geschrieben werden darf, was in Analogie zu anderen Unterrichtssituationen steht, in denen eine Deadline tat‐ sächlich der letzte Abgabetermin ist. Die zeitlichen Vorgaben stellen also ver‐ schiedene Interpretationsangebote bereit und es ist sowohl für den Beginn als auch für das Fortlaufen der Diskussion wichtig, dass die Studierenden sie als Strukturierungsangebot verstehen können. Es wird den Studierenden hier ein metakognitives Wissen über die Aufgabenformulierung und -bearbeitung in Online-Phasen abverlangt, das sie möglicherweise aufgrund der Neuheit der Lernform noch nicht haben (siehe dazu auch Kapitel 5.7). Eine Lösung dieses Problems wäre vermutlich, die Funktion der Deadlines in der Aufgabenstellung transparent zu machen, doch stellt sich die Frage, was passieren würde, wenn der Sinn Deadline allen Studierenden bewusst wäre. Vermutlich würden dann mehr Studierende die Aufgabe entweder gar nicht oder erst sehr kurz vor dem Präsenzunterricht zu bearbeiten. Damit eine gewinnbringende Diskussion ent‐ stehen kann, muss also die Bereitschaft der Studierenden vorhanden sein, sich auf die Diskussion an sich sowie ein frühzeitiges Teilnehmen an der Diskussion einzulassen und die zeitlichen Vorgaben als Strukturerungshilfen anzunehmen. 5.4 Zeitlicher Abstand zwischen den Beiträgen Aufeinanderfolgende Beiträge werden durchschnittlich in einem Abstand von mehreren Stunden gepostet. Ausnahmen stellen die Beiträge dar, in denen es um technische Probleme und sprachliche Korrektur (siehe Auszug 16) geht, in diesen Fällen wird innerhalb von wenigen Minuten geantwortet. Dies zeigt, dass einige STN durchaus im Forum präsent sind und mitlesen, was andere schreiben, jedoch nur dann relativ spontan antworten, wenn sie dies ohne viel Aufwand tun können. Inhaltliche Beiträge verlangen hingegen teilweise so viel Arbeit, dass diese nicht aus dem Augenblick heraus geschrieben werden. Aus dieser Erkenntnis lässt sich für zukünftige Szenarien ableiten, dass die Bereitstellung eines Chats-Raums für das informelle Klären von u. a. technischen Fragen in Betracht gezogen werden sollte. 153 5.4 Zeitlicher Abstand zwischen den Beiträgen 18 Gleichzeitig werden jedoch nicht alle Fragen, die sich an bestimmte Personen richten, auch beantwortet, vermutlich weil die angesprochenen STN die Frage nicht mehr sehen oder keine Antwort auf die Frage haben. (7) (8) Eine Ausnahme stellen auch Beiträge dar, in denen Fragen an bestimmte Per‐ sonen gerichtet sind. 18 In den Auszügen 7 und 8 antworten die durch die direkte Anrede angesprochene STN Ida und Anette, die in der DDR geboren wurde und sich daher angesprochen fühlt, zeitnah, wobei die Tatsache, dass ich als Leh‐ rende eine Frage stelle, auch einflussreich ist (vgl. Kapitel 5.8). (3) Sv: Studentenbewegung / 68er - Christine (2013-02-03 17: 29) Liebe Ida, gab es eigentlich etwas „spezifisch Schwedisches“, wogegen man revol‐ tierte? (4) Sv: Studentenbewegung / 68er - Ida (2013-02-03 18: 05) Liebe Christine, Ich kann mich nicht erinnern ob es eigentlich etwas „spezifisch Schwe‐ dihes“, wogegen wir revoltierten. Es war jedoch vor 45 Jahren! Ich glaube es war ähnlich dem was passiert in Europa. (3) Re: Sv: Wunder von Bern - Janina (2013-02-04 19: 24) Sie beschreiben die Gefühlen der Deutsche in der 1950er Jahren als ambi‐ valenten. Och stimme zu und ich verstehe warum dieser Sieg so wichtig war. Ich frage mich nur, wenn Ostdeutschland der Sieg auch gefeiert hat? Hatte es für sie auch einen positiver Effekt? Seit nicht so viele Jahren waren sie noch ein Land, nicht geteilt. Vielleicht fühlten die Leute in DDR auch einen Stolz auf den Sieg. Ich weiß nicht, aber es ist intressant an das zu denken. (4) Re: Sv: Wunder von Bern - Anette (2013-02-04 20: 05) Ich habe meine Familie nie über das Wunder von Bern reden hören. […] Die STN sind also generell im Forum präsent und können auch schnell reagieren, Beiträge aber, in denen landeskundliche Themen behandelt werden, werden nicht spontan geschrieben. Dies weist darauf hin, dass die Studierenden das Forum tatsächlich nutzen, um vor und während des Schreibens mehr über Inhalt und Sprache ihrer Beträge nachzudenken. Diese Feststellung kann generell durch die Interviews bestätigt werden, wobei die Ursachen für größere zeitliche Abstände unterschiedlich sind: Oftmals werden zunächst Internet-Recherchen angestellt, die Seminarliteratur wird konsultiert oder aber die sprachliche Aus‐ arbeitung braucht Zeit - es wird also in einem individuellen Tempo gearbeitet (vgl. Kapitel 2.1.1). Lars beispielsweise investiert viel Zeit in die Formulierung 154 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen (9) (10) der Beiträge und lässt diese eine Zeit lang liegen, d. h. er nutzt die Asynchronität des Forums für Reflexion (vgl. Graham 2006, 18): Jag skriver inte direkt i Mondo. Och så låter jag det kanske mogna någon dag. En förmiddag eller en eftermiddag. Så går jag tillbaka och tittar och så läser jag om det som jag kommenterat, det jag tänker kommenterar, har jag verkligen förstått det. Så att, det händer aldrig att jag skriver på impuls utan det, jag håller på ett tag. Och funderar, och då ganska mycket på det språkliga. (Lars I, 07: 18-07: 58) Ich schreibe nicht direkt in Mondo. Und dann lasse ich das Ganze so einen Tag reifen. Einen Vormittag oder einen Nachmittag. Dann geh ich zurück und gucke und dann lese ich nochmal das, was ich kommentiert habe, das, was ich kommentieren will, habe ich das wirklich verstanden. So dass, ich schreibe nie aus einem Impuls heraus, sondern brauche eine Weile. Und ich denke nach, und zwar ziemlich viel über die Sprache. (Lars I, 07: 18-07: 58) Während Lars seine Beiträge vorformuliert, um sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut lesen bzw. überarbeiten zu können, können aber auch technische Pro‐ bleme der Lernplattform ein Grund dafür sein, dass nicht direkt in die Einga‐ bemaske der Lernplattform geschrieben wird. Beide Auszüge zeigen, dass sich der Schreibprozess durch das Vorformulieren in einem Textverarbeitungspro‐ gramm verlängert: Jag sitter ibland på jobbet faktiskt och när jag inte orkar jobba längre tittar jag på min Ipad och försöker formulera någonting. Man kan ju inte skriva direkt i Mondo, det verkar ju vara (seufzt), så jag skriver det bara på an‐ teckningsfunktionen i paddan och… Alltså ibland har jag så himla tråkigt på möten och folk tror att jag antecknar viktiga saker (lacht). Och sedan lägger jag upp det efteråt bara. (Tomas I, 06: 09-06: 44) Manchmal bin ich bei der Arbeit und wenn ich keine Energie mehr habe zu arbeiten, gucke ich auf mein Tablet und versuche etwas zu formulieren. Man kann ja nicht direkt in Mondo schreiben, das scheint ja (seufzt) [= technisch schwierig zu sein, CB ], also schreibe ich das im Notepad im Tablet und… Also manchmal ist es unglaublich langweilig in den Meet‐ ings und die Leute glauben, dass ich wichtige Sachen aufschreibe (lacht). Und dann lade ich es nachher einfach hoch. (Tomas I, 06: 09-06: 44) Technische Probleme und die zeitliche Flexibilität von asynchronen Online-Dis‐ kussionen, die gemeinhin als vorteilhaft angesehen wird, da sie den Lernenden 155 5.4 Zeitlicher Abstand zwischen den Beiträgen 19 Tabelle 2 zeigt, dass die Studierenden durchschnittlich Vorkenntnisse auf Niveau B1 bis B2 haben. 20 Außer im Fall eines Beitrags scheint aber das Plagiieren ganzer Textpassagen nicht vorzukommen und die Beiträge sind somit als Eigenleistung der Studierenden zu be‐ trachten. mehr Zeit für inhaltliche und sprachliche Reflexion gibt (vgl. z. B. Graham 2006, 18), führen im vorliegenden Fall zu relativ großen zeitlichen Abständen zwi‐ schen den einzelnen Beiträgen. Die zeitlichen Abstände wirken sich dabei ne‐ gativ auf die Interaktion zwischen den Studierenden aus, da beispielsweise die Verfasser relativ lange auf Reaktionen warten müssen, was auch die Motivation negativ beeinflusst (vgl. Leino, Tanhua-Piiroinen und Sommers-Piiroinen 2012, 66f). Außerdem ist es möglich, dass die Diskussion aufgrund des geringen Tempos nicht die gewünschte inhaltliche Tiefe erreicht, da insgesamt eine ge‐ ringere Anzahl an Beiträgen gepostet wird. 5.5 Sprachliches Niveau und Wahl der Sprache Sprachlich befinden sich die meisten Beiträge der STN auf einem hohen Niveau, d. h. verglichen mit den Zugangsvoraussetzungen für das Germanistik-Studium, die bei A2 des GER liegen (vgl. Kapitel 3.1.1), und den tatsächlichen Vorausset‐ zungen der Studierenden. 19 Generell kann festgestellt werden, dass ein Großteil der Beiträge der STN , die nicht Deutsch als L1 haben, im Hinblick auf Wort‐ schatzspektrum und grammatische Korrektheit zwischen B2 und C1 liegen (vgl. Europarat 2001, 112 u. 114), wobei die Studierenden für die Aufgabenbearbei‐ tung alle zur Verfügung stehenden Hilfsmittel verwenden dürfen und es anzu‐ nehmen ist, dass vor allem Vokabeln und Phrasen aus den Textgrundlagen des Seminars oder anderen Quellen genutzt werden. 20 Das überraschend hohe sprachliche Niveau belegt, dass die mit der Asynchronität einhergehende zeit‐ liche Flexibilität zu mehr Reflexion hinsichtlich der sprachlichen Ausarbeitung führt (vgl. Kapitel 2.1.2). Unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus Kapitel 5.2, in dem gezeigt wurde, dass die Beiträge verglichen mit anderen schriftlichen Aufgaben, die die Studierenden im Rahmen des Germanistik-Studiums ver‐ fassen müssen, relativ lang sind, lässt sich schlussfolgern, dass asynchrone On‐ line-Kommunikation im untersuchten Setting das Sprachenlernen fördert. Gleichwohl gibt es auch Beiträge von STN , deren Sprachniveau den Zu‐ gangsvoraussetzungen entspricht und in einigen der Interviews wird deutlich, dass das hohe sprachliche Niveau eines Teils der Studierenden einschüchternd wirken kann. Maja beispielsweise beschreibt: 156 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen (11) (12) Ibland måste man använda sig av lite svåra begrepp, när det inte är var‐ dagsspråk, kanske. Det gör att det blir lite svårare och att… Men det är bra träning det också, just att träna det språkliga, kommunikationen, det är också bara bra, det är nyttigt för en. Men det är svårt och läskigt, man vågar inte eller i början var det läskigt att göra misstag och så för det var så många duktiga i klassen men vi är ju alla här för att lära oss. (Maja I, 17: 10-18: 05) Manchmal muss man Begriffe verwenden, die ein bisschen schwierig sind, wenn es nicht um Alltagssprache geht. Das führt dazu, dass es etwas schwierig wird und dass… Aber das ist ja auch eine gute Übung, gerade das Üben des Sprachlichen, die Kommunikation, das ist ja nur gut, das ist sinnvoll. Aber es ist schwierig und unangenehm, man traut sich nicht, oder am Anfang war das Schreiben unangenehm, weil so viele in der Klasse so gut sind, aber wir sind ja alle hier um zu lernen. (Maja I, 17: 10-18: 05) Da es sich bei dem Seminar um integrierten Fremdsprachen-Sachfach-Unter‐ richt handelt (vgl. Kapitel 2.3), in dem die Verwendung sowohl des Deutschen als auch des Schwedischen als Unterrichtssprachen zu einer integrativen Ver‐ mittlung von Sprache und Inhalt führen soll, erhalten die Studierenden auch in den Online-Phasen die Möglichkeit, sich in beiden Sprachen zu äußern. In der Aufgabenstellung werden die Studierenden dementsprechend explizit darauf hingewiesen, dass sie die Beiträge auf Deutsch oder Schwedisch verfassen können. Im Datensatz I ist ein Beitrag auf Schwedisch verfasst, im Datensatz II keiner. Dies kann damit erklärt werden, dass alle 24 STN in den Hintergrund‐ fragebogen angaben, dass das primäre Ziel ihres Germanistik-Studiums die Ver‐ besserung der Deutschkenntnisse sei, während nur fünf überhaupt angaben, dass sie inhaltliches Lernen anstrebten. Ein nicht unwesentlicher Teil der STN nutzt das Forum entsprechend für Übungszwecke. Im Interview mit Leah ist dies ein wiederkehrendes Argument, mit dem sie ihr Verhalten und ihre Ansichten erklärt; so fragt sie sich beispielsweise, wie viel (landeskundliches) Wissen ihr die Online-Diskussion bringt, bewertet diese aber trotzdem als positiv, weil sie schließlich Deutsch üben könne: Ja, som sagt, det är svårt det här med att, hur mycket kunskap det här egentligen ger. Men jag tycker att det är jättebra för att jag får öva tyskan. (Leah I, 05: 05-05: 16) 157 5.5 Sprachliches Niveau und Wahl der Sprache (13) Ja, wie gesagt, das ist schwer, also wie viel Wissen das eigentlich gibt. Aber ich finde es sehr gut, weil ich Deutsch üben kann. (Leah I, 05: 05-05: 16) Eine weitere Erklärung, warum keiner der STN das Forum nutzt, um auf Schwe‐ disch zu diskutieren, liefert Auszug 13: Maja beschreibt zunächst, dass sie Schwierigkeiten hat, ihre Überlegungen auf Deutsch zu formulieren. Als ich sie darauf hinweise, dass sie ja auch auf Schwedisch schreiben könne, antwortet sie: Ja, men det känns som om det finns många i den här klassen som har en bra nivå på tyska så då… Jag KAN alltså skriva på tyska men, jag vill helst inte skriva på svenska, för det ska ju vara, jag vill ju helst lära mig språket och så. Och så är det nästan ingen som skriver på svenska (lacht). (Maja I, 03: 49-04: 15) Ja, aber ich habe das Gefühl, dass viele in der Gruppe ein gutes Niveau im Deutschen haben, so dass… Ich KANN ja auf Deutsch schreiben, aber, ich will am liebsten nicht auf Schwedisch schreiben, denn es soll ja, ich will ja am liebsten auch die Sprache lernen. Und außerdem schreibt fast nie‐ mand auf Schwedisch (lacht). (Maja I, 03: 49-04: 15) Neben der Entscheidung, auf Deutsch zu schreiben, um die Sprachkenntnisse zu verbessern, wird hier auch deutlich, dass Maja einen gewissen Gruppen‐ zwang empfindet, auf Deutsch zu schreiben. Dass die STN ihre Beiträge auf Deutsch verfassen, gilt für alle Online-Phasen. Nur in drei Fällen (alle finden sich in den Daten des Sommersemesters 2013) wird von diesem Handlungsmuster abgewichen und die STN schreiben ihre Beiträge vollständig auf Schwedisch. Zwei der Beiträge sind dabei von einem STN verfasst, Paul, was darauf hinweist, dass es im Zusammenhang mit der Persönlichkeit stehen kann, ob man auf Schwedisch schreibt. Während einige STN sozialen Druck verspüren, die Beiträge auf Deutsch zu verfassen (vgl. Auszug 11), ist dies bei Paul vermutlich nicht der Fall. Darüber hinaus wird Schwedisch in den drei Fällen gewählt, in denen es den STN ein besonderes Anliegen ist, dass sie sich klar und differenziert ausdrücken, was beispielsweise beim Teilen persönlicher Erfahrungen der Fall ist (vgl. Ka‐ pitel 6.6). Andere Beiträge der beiden auch auf Schwedisch schreibenden STN zeigen, dass die beiden über so gute Deutschkenntnisse verfügen, dass sie ihre Beiträge eigentlich auch auf Deutsch verfassen könnten. In zwei weiteren Fällen wird zudem teilweise auf Schwedisch zurückgegriffen, um Verständnisfragen zu klären, und die vorhandene Mehrsprachigkeit somit sinnvoll genutzt. 158 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen Es ist also nicht der Fall, dass, wie man annehmen könnte, die Möglichkeit der freien Sprachenwahl dazu führt, dass Studierende mit weniger guten Deutschkenntnissen auch an der Diskussion teilnehmen, und ein aufgeschlos‐ senes Unterrichtsklima entsteht, indem das inhaltliche Lernen im Fokus steht und die Wahl der Unterrichtssprache zweitrangig ist. Vielmehr besteht in den Gruppen der Studierenden der Druck, dass die Beiträge auf Deutsch geschrieben werden. Gleichzeitig zeigt die anonyme Kursevaluation, dass nur wenige Stu‐ dierende bei der Frage, warum man nicht oder nur manchmal an den Diskussi‐ onen der Online-Phasen teilnahm, sprachliche Probleme anführten. Obwohl im Präsenzunterricht und in einem Teil der Aufgabenstellungen (siehe z. B. Ka‐ pitel 5.1) die Studierenden ermutigt wurden, sich auch auf Schwedisch an der Diskussion zu beteiligen, gab im Sommersemester 2013 einer der Studierenden (von 27) an, dass er / sie aus sprachlichen Gründen nicht an den Diskussionen teilgenommen habe. Das Problem betraf hier das Verständnis der Fragen und er / sie beantwortet die auf Schwedisch gestellte Frage immerhin auf Deutsch: „Es ist nicht immer leicht, die Hausaufgabe zu finden oder zu verstehen“. Im Sommersemester 2014 gaben zwei Studierende an (von 35), aufgrund von sprachlichen Schwierigkeit bzw. der Angst, sich zu blamieren, nicht oder nur manchmal an den Diskussionen teilgenommen zu haben: „Manchmal war es sehr swerige Aufgaben“ und „skrämmande att visa andra sin ,dåliga tyska‘“ / „sehr unangenehm, anderen sein „schlechtes Deutsch“ zu zeigen“. In den meisten Fällen wird hingegen Zeitmangel als Grund für das Nichtteilnehmen genannt (vgl. Kapitel 5.3). Für zukünftige ähnliche Szenarien bedeuten die Ergebnisse, dass ein stärkerer Fokus auf der Gestaltung einer Kursatmosphäre (vgl. Kapitel 5.9) sinnvoll ist, in der die Studierenden es wagen, Beiträge in ihrer L1 zu schreiben, wenn so in‐ haltliche Reflexionen genauer dargestellt werden können. Eine Vorgehens‐ weise, die sich besonders dann anbietet, wenn die Lehrperson die gleiche L1 hat wie die Studierenden, wäre möglicherweise, dass auch der / die Lehrende Bei‐ träge oder Fragen vollständig oder in Teilen in der L1 der Studierenden schreibt, da auf diese Weise die Studierenden eventuell weniger Hemmungen haben, die L1 zu verwenden. In einem Setting, in dem die Lehrperson die Zielsprache als L1 hat, so also wie im vorliegenden Fall, könnte dieses Vorgehen als nicht au‐ thentisch betrachtet werden. Es wäre dahingehend zu untersuchen, wie die Stu‐ dierenden auf das Code-Switching der Lehrperson reagieren und welche Aus‐ wirkungen es auf die Sprachenwahl der Studierenden hat. Zudem ist in diesem Zusammenhang zu überlegen, welche weiteren Me‐ thoden den Einsatz der L1 planvoll gestalten können, so dass eine Kompetenz‐ steigerung sowohl im Hinblick auf die Fremdsprache als auch das fachliche 159 5.5 Sprachliches Niveau und Wahl der Sprache 21 Der Begriff der Affordanz, der aufgrund seiner Verwendung in zahlreichen Disziplinen eine terminologische Unschärfe besitzt, bezeichnet hier die Handlungsmöglichkeiten, die die Umgebung, d. h. das Online-Forum, den Studierenden anbietet. (14) (15) Lernen bewirkt werden kann. Das Vorgehen, im Vorhinein festzulegen, dass inhaltlich anspruchsvolle Aufgaben in der L1 beantwortet werden sollen und leichtere in der Zielsprache, ist hingegen keine Alternative, da dies die Mög‐ lichkeit zur Selbstbestimmung der Studierenden einschränken würde. Für sie hat das Verfassen der Beiträge auf der Zielsprache, wie dieses Kapitel zeigen konnte, einen großen Mehrwert. 5.6 Verwendung von Hyperlinks und Emoticons Zu den Affordanzen 21 des asynchronen Online-Diskussionsforums zählt die Möglichkeit, Hyperlinks zu posten oder in die Beiträge Emoticons einzufügen. Beide Optionen können als ein Weg betrachtet werden, mit relativ einfachen Mitteln etwas zu verbalisieren, ohne dass dazu auf die Fremdsprache zurück‐ gegriffen werden muss, wie der folgende Beitrag zeigt: (4) Sv: Währungsreform - Ida (2013-02-01 15: 48) Es muss sehr viel bedeuten an die Deutschen gemeint haben um Waren nach dem Krieg zu kaufen. Hier ein Foto von Währungsschlange Frank‐ furt am Main 1948. http: / / www.zeitgut.com/ Partnerbereich/ Presse/ Downloads/ Waehrungsschlange_1948-Frankfurt-aM.jpg Anstatt die Bedeutung der Währungsreform für die damalige Bevölkerung mit Worten zu erklären, postet Ida den Hyperlink zu einem Bild, das zudem mehr sagt, als sie vermutlich selbst hätte formulieren können. Dieses Beispiel ist der einzige Beleg, der zeigt, dass die STN die Möglichkeit digitaler Medien, Infor‐ mationen in verschiedenen Symbolsystemen darzustellen, nutzen (vgl. Rein‐ mann 2005, 76). Die anderen (wenigen) geposteten Hyperlinks haben im Vergleich dazu die Funktion, die Quelle einer Aussage zu belegen: (71) Sv: 68er / Studentenbewegung - Anne (2014-02-12 20: 25) […] Ich habe ein bisschen gegooglet(? ) und habe herausgefunden dass das Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ als Schlüsseltext der Studentenbewe‐ gung in Deutschland gilt. Ein zentrales Thema im Buch ist dass die Deut‐ 160 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen (16) schen in den 50er und 60er Jahren schien sehr wenig Reue und Scham über die Verbrechen der Nazizeit zu fühlen (http: / / www.deutschlandfunk. de/ kursiv-kollektive-verdraengung.1310.de.html? dram: article_id= 194124).). […] Ähnlich sparsam werden auch Emoticons, d. h. Grafiken oder die entsprechende Kombination aus Graphemen, verwendet: Während ich als Lehrende in den Diskussionen insgesamt vier Emoticons poste (sowie einen in der Aufgaben‐ stellung), greifen die Studierenden insgesamt nur vier Mal auf Emoticons zu‐ rück, obwohl dies eine simple Strategie wäre, eventuelle sprachliche Lücken zu überbrücken und das Gemeinte zu verdeutlichen. Im folgenden Diskussions‐ strang finden sich sechs der insgesamt neun geposteten Emoticons, wobei es an dieser Stelle auch möglich ist, dass die von mir verwendeten Emoticons das Verhalten der Studierenden evozieren: (4) Sv: Währungsreform - Christine (2014-02-11 13: 55) […] Eine kleine Anmerkung: Lars, ich glaube, du meinst, dass der Mar‐ shallplan auf den wirtschaftlichen Aufbau zielte (Abbau ist das Gegen‐ teil ; -)). […] (5) Sv: Währungsreform - Lars (2014-02-11 14: 35) O weh! : -( Peinlich, hoffentlich will ich in Zukunft nie wieder ab und auf verwechseln. (6) Sv: Währungsreform - Christine (2014-02-11 14: 41) Ach Quatsch, das ist nicht peinlich! Hier darf man so viele Fehler machen, wie man möchte! (7) Re: Sv: Währungsreform - Katrin (2014-02-13 00: 10) Mann, dieses Forum hasst mich… : ( Ich habe jetzt zweimal versucht zu schreiben, aber irgendwie zu lange gebraucht, bin mittlerweile ausgeloggt geworden und mein Text wurde gelöscht. Passiert das nur für mich? (8) Re: Sv: Währungsreform - Maja (2014-02-13 00: 52) Das ist auch für mich zweimal passiert, sehr störend : / (9) Sv: Re: Sv: Währungsreform - Christine (2014-02-13 09: 51) Das ist wirlich sehr störend und ist mir auch schon passiert. Was man machen kann: […] Die vier von Studierenden geposteten Emoticons finden sich somit hauptsäch‐ lich in Beiträgen, in denen sprachliche oder technische Probleme erwähnt oder kommentiert werden, d. h. in Beiträgen, in denen keine inhaltliche Auseinan‐ 161 5.6 Verwendung von Hyperlinks und Emoticons 22 Aufgrund der technischen Möglichkeit, frühere Beiträge direkt zu kommentieren, stellen diese Beiträge jedoch kein Hindernis in der Interaktion dar. (17) dersetzung mit den Diskussionsthemen stattfindet, was hier als ein Hinweis dafür gedeutet wird, dass Emoticons in der Sicht der Studierenden nicht zu dem universitären Kontext passen, in denen diese Online-Diskussionen stattfinden. Die Praktik, Aussagen durch Quellenangaben in Form von Links zu belegen, entspricht hingegen dem universitären Kontext, was erklären würde, warum relativ viele Quellenangaben zu finden sind (siehe auch Auszug 22). Wie der Kontext die Bearbeitung der Aufgabenstellung beeinflusst, ist Thema des nächsten Kapitels. 5.7 Einflussfaktoren in der Aufgabenbearbeitung Auf die in Kapitel 5.1 beschriebenen Aufgabenstellungen folgen zunächst stets Beiträge, in denen die dort gestellten Fragen zum Sachwissen beantwortet werden. In Kapitel 6.1 wird das Zusammenfassen von Sachwissen nur als einer von mehreren Modi der Aufgabenbearbeitung identifiziert, doch soll im Fol‐ genden der Fokus auf der Frage liegen, wie es dazu kommen kann, dass auch zu späteren Zeitpunkten in der Online-Phase STN in ihren Beiträgen in ähnlicher Weise erneut die Sachfragen der Aufgabenstellung beantworten. Dies geschieht nämlich auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt Beiträge vorliegen, die thema‐ tisch eine neue Richtung einschlagen und von den vorgegebenen Fragen ab‐ weichen und eigentlich einen Ausgangspunkt für eine weiterführende Diskus‐ sion darstellen. 22 Ein Beispiel für dieses Vorgehen stellt Auszug 17 dar. (2) Sv: Währungsreform - Tomas (2014-02-10 22: 27) Die Währungsreform Die neue Währung Westdeutschlands, die D-Mark, hat 1948 etwas ganz besonderes für die Westdeutschen bedeutet. Nach der erniedringend Ver‐ lust im Krieg, und während der politischen und ökonomischen Verwir‐ rung in der frühen Nachkriegszeit, ist es endlich etwas deutsches, wo‐ rüber man stolz sein konnte, entstanden: die D-Mark. Weil viele sich noch an die Inflation der Zeit zwischen den Weltkriegen erinnert haben, ist eine Eigenschaft der neuen Währung besonders wichtig geworden: die Stabilität. Die Fähigkeit der Zentralbank, den Wert der Währung zu erhalten, ist eine wichtige Erklärung für das "deutsche Wirtschaftswunder", das die Nachkriegszeit der BRD geprägt hat. 162 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen Deswegen hat die Währungsreform in mehreren Weisen als Gründungs‐ mythos der BRD fungiert: als Symbol des neuen Deutschlands, der ge‐ duldigen Wiederaufbauarbeit und vor allem: als ein Symbol des Friedens. Der Mythos ist sogar so einflussreich, dass er als wichtige Inspiration für die Wiedervereinigung Deutschlands fungiert hat. (3) Sv: Währungsreform - Lars (2014-02-11 12: 55) Die Währungsreform Am 20. Juni 1948 ist eine neue Währung, die DM (die Deutsche Mark), in den Zonen der westlichen Besatzungsmächte Deutschlands eingeführt worden, was für sowohl Deutschland als auch die ganze Welt ein sehr entscheidendes Ereignis war. Nachträglich kann den Reform als den de‐ finitiven Anfang des kalten Krieges bezeichnet worden aber auch als eine Bestätigung die Teilung Deutschlands. Drei Tage später hat die Sowjet‐ zone eine eigene Währungsreform bekommen und am 24. Juni hat die Berliner Blockade angefangen. Für die Deutschen im Westen damals hatte das Ereignis aber eine ganz andere Bedeutung. Die Jahre nach dem Kriegsende waren sehr schwer für die Deutschen, es war Mangel von alles, man hungerte och fror. Aber schon am Tag nach der Währungsreform waren die Läden mit Waren gefüllt, die man seit Jahren nicht gesehen hatte. Von nun an gab es all‐ mählich verbesserte Lebensmöglichkeiten für die Westdeutschen, aber nicht so schnell für alle wie der Mythos erzählt. Es war nicht nur die Währungsreform, die den Grund der verbesserten wirtschaftlichen Situation ausmachte. Auch den, die vor der Reform Geld (die Reichsmark) hatten, war es schwierig etwas zu kaufen zu finden, weil die meisten Waren bewirtschaftet waren. An demselben Tag als die Wäh‐ rungsreform eingeführt worden ist, hat man (d. h. Ludwig Erhard, der Direktor der Wirtschaftsverwaltung in den amerikanischen und briti‐ schen Zonen) die Zwangswirtschaft abgeschafft, was die Warenherstel‐ lung wesentlich erhöhte. In diesem Zusammenhang muss man, was der Gründungsmythos nicht erzählt, auch den amerikanischen Marshallplan nennen. Der Marshallplan war auf den wirtschaftlichen Abbau Europas, die Westzonen inkludiert, hingezielt. Die DM war aber für die meisten Deutschen im Westen das Symbol des Wirtschaftswunders in den 50er und den frühen 60er Jahren. Man sah den 20. Juni als eine Art Nationalfeiertag. Die DM erwies sich als eine sehr stabile Währung dank der Deutschen Bundesbank, die sie sorgfältig 163 5.7 Einflussfaktoren in der Aufgabenbearbeitung (18) wahrte. Die DM stand mit hohem Ansehen in der Welt und die Deutschen konnten mit Recht stolz auf sie zu sein. Tomas antwortet in seinem Beitrag auf die in der Aufgabenstellung gestellten Sachfragen und erklärt außerdem, warum die Währungsreform als Gründungs‐ mythos betrachtet wird, was in der Aufgabenstellung nicht gefragt wird. Am nächsten Tag folgt ein Beitrag von Lars, der sich in vielen Punkten mit dem Beitrag von Tomas überschneidet; Anzeichen für Interaktion gibt es nicht. Da Interaktion zwischen den Studierenden aber das Ziel der computervermittelten Kommunikation ist, lässt sich feststellen, dass aufgrund dieses Vorgehens der Einsatz des Forums das Ziel verfehlt. Dementsprechend wird in Auszug 18 das Wiederholen von Antworten zum Sachwissen problematisiert: De första inläggen brukar ju också vara direkta svar på materialet, som jag upplever som att de bara visar att de har läst det, och svara på den direkta frågan att materialet säger så och så eller personen i fråga säger så och så eller har skrivit så och så. Då är det ju oftast bara en kopia, en sammanfattning av texten. Utan det är väl snarare så om det kommer något annat utöver det, så, man kan känna sig motiverad att nappa på. […] Men jag tycker att det ska vara självklart att man har läst texten och sedan skulle ju forumet egentligen vara något som utvecklar det hela. De där personliga inläggen är ju egentligen mer intressanta och skulle man egentligen, i större utsträckning, prioritera att kommentera eller föra vi‐ dare i någon sorts diskussion. (Sara I, 13: 02-14: 23) Die ersten Beiträge sind oft direkte Antworten auf das Material, ich erlebe das so, dass sie nur zeigen, dass sie es gelesen haben und antworten auf die direkte Frage, dass das Material das und das sagt oder die betreffende Person sagt das und das oder hat das und das geschrieben. Es ist also meistens nur eine Kopie, eine Zusammenfassung des Texts. Es ist wohl eher so, wenn darüber hinaus etwas thematisiert wird, dann ist man mo‐ tiviert, darauf einzugehen. […] Ich meine aber, dass es selbstverständlich sein sollte, dass man den Text gelesen hat und das Forum sollte der Ort sein, wo das weiterausgeführt wird. Die persönlichen Beiträge sind ei‐ gentlich interessanter und man sollte eigentlich noch viel mehr diese dann kommentieren oder eine Art Diskussion weiterführen. (Sara I, 13: 02-14: 23) 164 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 23 Eine Analyse des Lernpotenzials dieses Vorgehens findet in Kapitel 6.2.1 statt. 24 Dieser Datenauszug zeigt, dass Lars, wie auch viele andere STN, teilweise Schwierig‐ keiten hat zu rekonstruieren, warum bestimmte Entscheidungen im Verlaufe der On‐ line-Phasen getroffen wurden. In diesen Fällen ist besonders darauf zu achten, welche Antworten implizit durch meine Fragen vorgegeben werden. Da aber die Antwort hier mit den anderen Aussagen im Interview übereinstimmt, schätze ich die Antwort als glaubwürdig ein. (19) Das Vorgehen der STN , Sachwissen zu wiederholen, 23 kann auf mindestens zwei Ursachen zurückgeführt werden: die Asynchronität des Forums und metakog‐ nitives Wissen bzw. Annahmen über den Kontext. Im theoretischen Hintergrund dieser Arbeit wurde gezeigt, dass es ein Vorteil von asynchroner computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenun‐ terricht ist, dass die Lerner aufgrund der Asynchronität die Möglichkeit haben, Beiträge sprachlich und inhaltlich sorgfältig auszuformulieren (vgl. Ka‐ pitel 2.1.2). Im vorliegenden Fall aber kann sich die damit einhergehende Flexi‐ bilität negativ auf die Diskussion auswirken: Lars begründet wie folgt, warum er in Auszug 17 einige Informationen aus Tomas’ Beitrag wiederholt. I: Man skulle kunna tro att du inte har läst det [= Tomas’ Beitrag]. B: Nej, jag har inte läst det (lacht). […] B: Förmodligen har jag suttit och skrivit det på kvällen, före. (unv.) och sedan skickat iväg det utan att jag har tittat vad han har skrivit. (Lars II , 01: 30-02: 20) I: Man könnte glauben, dass du das [=Tomas’ Beitrag] nicht gelesen hast. B: Nee, das habe ich nicht gelesen (lacht). […] B: Vermutlich 24 habe ich das am Abend vorher geschrieben (unv.) und dann abgeschickt, ohne dass ich geguckt habe, was er geschrieben hat. (Lars II , 01: 30-02: 20) Lars nutzt also die Asynchronität für eine tiefere inhaltliche und vor allem sprachliche Reflexion (siehe Auszug 9), was konkret bedeutet, dass er das Ge‐ schriebene nicht sofort postet, sondern zunächst ruhen lässt und dann überar‐ beitet. Dies ist als positiv zu bewerten, da es ihm z. B. eine weitere Möglichkeit zur Selbstkorrektur gibt, der in vielen Publikationen ein positiver Stellenwert zugesprochen wird (vgl. etwa Kleppin 2010, 1087f). Gleichzeitig führt die Asynchronität, sowie auch eine bestimmte Interpreta‐ tion der zeitlichen Vorgaben (vgl. Kapitel 5.3) und das Arbeiten in einem Text‐ verarbeitungsprogramm (vgl. ebd.) dazu, dass Beiträge gepostet werden, die sich 165 5.7 Einflussfaktoren in der Aufgabenbearbeitung 25 In Kapitel 5.8.2 wird gezeigt, dass einige STN die Beiträge nicht oder nicht ganz lesen, wenn sie sie als zu lang empfinden. nicht auf die vorherigen beziehen. Folgendes Szenario ist vorstellbar: Ein Stu‐ dierender liest die Fragen im Forum, die bislang noch nicht beantwortet wurden und formuliert dann in einem Textverarbeitungsprogramm eine Antwort. Diese lässt er liegen und bearbeitet sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal sprachlich und / oder inhaltlich. Wenn er sie dann im Forum posten will, hat schon ein anderer Studierender die Fragen beantwortet. Da er sich aber viel Mühe in der Ausarbeitung des Beitrages gemacht hat, postet er ihn trotzdem. Während es sich auf die Kohärenz der Diskussion negativ auswirkt, spielt es für ihn keine Rolle, ob er den vorherigen Beitrag gelesen hat oder nicht. 25 Die relative zeitliche Flexibilität der asynchronen Forumsdiskussion, die zur Annahme führt, dass Fremdsprachenlernende in diesem Medium im eigenen Tempo Beiträge verfassen können, ist, trotz aller seiner angenommenen Vor‐ teile, in dieser Hinsicht ein Hemmschuh für die mögliche Interaktion zwischen den Studierenden. Darüber hinaus lassen sich jedoch noch weitere Gründe anführen, warum Antworten auf Fragen zum Sachwissen wiederholt werden. Hier ist die Unter‐ scheidung zwischen task as workplan und task as process (vgl. Müller-Hart‐ mann / Schocker-v. Ditfurth 2008, 24; vgl. Kapitel 2.1.3) hilfreich. Der task as process, d. h. die tatsächliche Aufgabenbearbeitung, wird hier vermutlich beein‐ flusst durch eine Interpretation der Aufgabenstellung, die so nicht von mir in‐ tendiert war, bzw. dadurch, dass individuelle Ziele der STN , motivationale und / oder emotionale Aspekte die Bearbeitung der Aufgabe beeinflussen. Der eigentlichen Aufgabenbearbeitung vorgeschaltet ist die Interpretation der Auf‐ gabenstellung, die Butler und Cartier als Schlüsselmoment für die angemessene Aufgabenbearbeitung und somit für erfolgreiches Lernen bezeichnen (vgl. Butler / Cartier 2004, 1730). Ein für die Lernenden nicht transparenter Sinn oder fehlende Kohärenz in der Aufgabenstellung stellen ein erstes Hindernis in der Aufgabeninterpretation dar. Demgemäß kann die Widersprüchlichkeit in der Aufgabenstellung (vgl. Kapitel 5.1), d. h. dass Sachfragen und Anregungen zur Perspektivenübernahme diskutiert werden sollen, als ein wesentlicher Faktor im Hinblick auf die Frage, wie die STN die Aufgabe bearbeiten, bezeichnet werden. Es ist möglich, dass die Aufforderung zur Diskussion überlesen wird, weil sie nicht mit den Fragen in einen kohärenten Sinnzusammenhang gebracht werden kann. Doch auch ein weiterer Erklärungsansatz lässt sich ausmachen, der damit in direkter Verbindung steht: Im Laufe von Schul- und akademischer Bildung er‐ 166 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 26 Zur Bedeutung des Kontextes siehe auch Halldén, Scheja und Haglund 2013, 79 f. (20) (21) werben Lerner metakognitives Wissen über Aufgaben, sowie, „explicitly or im‐ plicitly, conceptions about the nature of academic [hier: schulisch, CB ] work“ (Butler / Cartier 2004, 1740). Der institutionelle Kontext 26 bzw. die aus kumula‐ tiver Erfahrung entstandene Konzeptualisierung von in diesem Fall universi‐ tärem Unterricht hat Einfluss auf das Agieren der STN . Aus schulischem und universitärem Kontext sind sie gewöhnt, dass sie eine schriftliche Bearbeitung der Aufgabe einzureichen haben, um zu zeigen, dass sie sich mit dem Thema beschäftigt haben und die entsprechenden Fragen beantworten können, ebenso wie auch eine Deadline als ein Zeitpunkt betrachtet werden kann, nachdem eine Aufgabe nicht mehr eingereicht oder, wie im vorliegenden Fall, gepostet werden darf (vgl. Kapitel 5.3). Belegt werden kann dies durch den Beitrag von Maja, die bemerkt, dass die Fragen bereits beantwortet wurden, aber dennoch eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Fakten liefert: (6) Re: Wunder von Bern - Maja (2014-02-13 00: 48) „Das Wunder von Bern“ oder „Die Helden von Bern“ bezieht sich auf der Fußball- WM 1945, als Deutschland im Endspiel von Bern Ungarn mit 3-2 geshlagen hatte. Der Gewinn war für Deutschland sehr wichtig und von großer Bedeutung, was die vorige Beiträge schon diskutiert haben. Diese Ereignis war ein Lichtblick für die Geschichte Deutschlands, im Hinblick auf die finsteren Vergangenheit. (Hervorhebung CB ) Dass die STN die Aufgabenstellung dahingehend interpretieren, dass von ihnen die Beantwortung aller Fragen erwartet wird, zeigt sich auch an der Durch‐ nummerierung der Fragen, die nicht in der Aufgabenstellung zu finden ist, son‐ dern nur in den Beiträgen der Studierenden: (14) Sv: Währungsreform - Thomas (2013-02-05 11: 01) 1. Die Deutsche Mark ( DM ) worde in BRD 1948 eingefürt. 2. Nach dem 2es Weltkrieg, hat die alte Reichsmark keines Wert. Die int‐ roduktion die DM hat Deutschland geholfen, eine wirtschaftliche Stabi‐ lität zu erreichen. 3. Nach die Währungsreform, war es einfacher produkte zu kaufen, und ein bischen mehr „normal“ leben. Es bedeutet auch, in meine meinung, dass die Bundesrepublik eine richtige Nation und Land wurdet. Dennoch, die Reste des Krieges bliebt weiter, und die Lebe war noch schwer. 167 5.7 Einflussfaktoren in der Aufgabenbearbeitung (22) Auch der folgende Beitrag zeigt, dass der universitäre Kontext und das meta‐ kognitive Wissen darüber, wie Wissen in diesem Kontext erworben und prä‐ sentiert wird, einen Einfluss auf die Formulierung der Beiträge haben: (24) Sv: Trümmerfrauen - Leah (2014-02-10 11: 02) Die Trümmerfrauen Edgar Wolfrum hat die Trümmerfrauen als eine „Schicksalskategorie“ genannt (Wolfrum 2009, S. 77). Ich habe früher auf das Wort „Trümmer‐ frau“ niemals gehört. Diese Trümmerfrauen hatten sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der zertrümmerte Städte organisiert. Wolfrum hat erklärt, dass ihre offizielle Bezeichnung war „Hilfsarbeiterinnen im Bau‐ gewerbe“ (Wolfrum 2009, S. 76). […] Die Augenblicke, oder „Momente“ haben einen entscheidende Rolle in der Entwicklung eines westdeutschen nationalen Identität gespielt (Hei‐ neman 1996, S. 355). Heineman hat die Geschichte von die Tümmerfrauen und die Heldinnen-Status als eine selbständige Kategorie analysiert. Sie sucht die Verbindung zwischen Geschlecht, Nationell identität und Kol‐ lektives Gedächtnis. Im Kollektiven Gedächtnis der Deutschen sind z.B die Deutsche Frau als eine Opfer während der Nachkriegzeit. Wolfrum sagt, dass es gab keine Trümmermänner, weil die Soldaten ge‐ fallen waren, oder in Kriegsgefangenheit gebracht (Wolfrum 2009, S. 76). Aber im Januar 1946, haben Der Alliierter Kontrollratein neues Gesetz verhängt. Alle Männer und Frauen, die in der Lage zu arbeiten waren, müssen in der Aufräumarbeiten teilnehemen. Wenn sie weigerten sich zu arbeiten, würden sie ihre Lebensmittelkarten verlieren (Heineman 1996, S. 375). Im Exberliner Mag. (2011), gibt es eines intressantes Interview mit zwei Trümmerfrauen. http: / / www.exberliner.com/ features/ the-women-who-raised-the-rubble/ Literaturhinweise: Heineman, Elizabeth. 1996. “The Hour of the Woman: Memories of Ger‐ many’s “Crisis Years” and West German National Identity.” The American Historical Review, 101 (2): 354-395. Wolfrum, Edgar. 2009. Die 101 wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland. [München]: Beck. 168 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 27 Durch die Analyse des Interviews mit Leah konnte nachgewiesen werden, dass sie prä‐ zise Vorstellungen von universitärem Unterricht hat, die ihre Bewertung des Lernpo‐ tenzials von asynchroner computervermittelter Kommunikation beeinflussen und auch ihr Verhalten in den Online-Phasen zu erklären vermag. Ihrer Ansicht nach geht es bei universitärem Unterricht vor allem um die Vermittlung von Faktenwissen, das der Lehrer im Frontalunterricht referieren soll (vgl. Becker 2016b, 102-106). 28 Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die Art und Weise, wie sich die anderen Studierenden im Forum verhalten, auch beeinflusst, wie die Aufgaben interpretiert und bearbeitet werden, was aber in den Interviews nicht thematisiert wird. (23) Der Text ähnelt aufgrund von Literaturhinweisen und Zitaten rein formal eher einer wissenschaftlichen Arbeit, und auch inhaltlich wird deutlich, dass Leah versucht, sich einem wissenschaftlichen Diskurs anzuschließen. 27 Zu der Tatsache, dass die STN in der Formulierung ihrer Beiträge bewusst oder unbewusst von ihren Vorstellungen von universitärem Unterricht beein‐ flusst werden, passt auch die sehr sparsame Verwendung von Emoticons durch die STN (vgl. Kapitel 5.6), die also nicht auf die für einen nicht standardsprach‐ lichen digitalen Schriftverkehr typischen Ausdrucksmittel (vgl. Albert 2015, 3f) zurückgreifen, sowie die Praxis, Aussagen durch entsprechende Links zu be‐ legen (vgl. Kapitel 5.6). Im Hinblick auf die Aufgabeninterpretation wirkt sich außerdem die relative Neuheit von Forumsdiskussionen in Bildungskontexten aus, die dafür sorgt, dass die STN kein detailliertes metakognitives Wissen über dieses Werkzeug besitzen, was die Unsicherheit erhöht. Verstärkt wird der Faktor der relativen Neuheit zudem in den vorliegenden Daten, da es sich bei der Diskussion um die Gründungsmythen um die erste Diskussion im Rahmen des Seminars handelt, und die Studierenden somit auch nicht auf frühere Erfahrungen, die sie im Rahmen des Seminars gesammelt haben, zurückgreifen können. 28 Malin thema‐ tisiert die fehlende Erfahrung mit asynchronen Online-Diskussionen im Inter‐ view: Det behövs ju någon som sätter standarden så att säga och visar hur man ska göra ungefär, hur det går till. För annars blir folk kanske osäkra hur ska jag göra nu och struntar i det. Så det behövs ju en lärare som skriver exempelfrågor eller någonting sådär. Men ju mer man använder Mondo ju mer kanske folk lär sig att skriva frågor. (Malin I, 11: 50-12: 25) Man braucht ja jemanden, der einen Standard setzt sozusagen und zeigt, was ungefähr man machen soll, wie es laufen soll. Denn sonst wird man vielleicht unsicher, was soll ich denn jetzt machen, und macht dann gar nichts. Man braucht also einen Lehrer der Beispielfragen stellt und so. 169 5.7 Einflussfaktoren in der Aufgabenbearbeitung Aber je öfter man Mondo anwendet, desto mehr lernt man wie man Fragen schreibt. (Malin I, 11: 50-12: 25) Von den Lehrenden wird also erwartet, dass sie als Vorbilder agieren, so dass sich die STN ein Bild davon machen können, was von ihnen erwartet wird. Zusammenfassend kann an dieser Stelle gesagt werden, dass Faktoren wie Asynchronität der Diskussion, metakognitives Erfahrungswissen über (nicht nur universitären) Unterricht sowie fehlendes Wissen über die Anwendung von asynchroner computervermittelter Diskussionen in Unterrichtszusammen‐ hängen die Aufgabeninterpretation und damit auch die Aufgabenbearbeitung steuern. Für ähnliche Szenarien lässt sich aus den Analyseergebnissen schließen, dass eine transparente Darstellung der Ziele der Online-Diskussion sinnvoll er‐ scheint: Indem die Studierenden mehr Informationen und Tipps für die Arbeit im Forum erhalten, könnten womöglich Vorgehensweisen wie das Abarbeiten von Sachfragen vermieden werden. Allerdings, so lässt sich an dieser Stelle ein‐ wenden, ist es fraglich, ob derartige Hinweise tatsächlich das Erfahrungswissen ersetzen können. Während in Kapitel 6.1 die Aufgabenstellungen und die verschiedenen Vor‐ gehensweisen der Aufgabenbearbeitung erneut in den Mittelpunkt rücken, wird im nächsten Kapitel erörtert, aufgrund welcher Faktoren Interaktion zwischen den Studierenden entsteht. 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden Während also in einigen Beiträgen die Fragen der Aufgabenstellung beant‐ wortet werden, ohne dass auf andere Beiträge eingegangen wird, kommt es in allen Foren jedoch auch zu Interaktionen, die von den Studierenden selbst oder aber von mir als Lehrperson initiiert werden (siehe zu Letzterem Kapitel 5.8.1). Wie bereits in der theoretischen Basis dieser Arbeit dargelegt wurde, gibt es aus lerntheoretischer Sicht Gründe, die Interaktion zwischen Lernenden zu beför‐ dern, denn es wird angenommen, dass so gemeinsam Wissen konstruiert und durch die Gegenüberstellung von verschieden Meinungen und Ansichten ein multiperspektivisches Lernen ermöglicht wird (vgl. z. B. Dysthe 2002, vgl. Ka‐ pitel 2.1.2). Somit ist es das ausgesprochene Ziel von computervermittelter Kommunikation, dass Kommunikation bzw. Interaktion zwischen den Studier‐ enden stattfinden soll. Aus diesem Grund kann das Fehlen von Interaktion bei den Diskutierenden auch zu Unzufriedenheit, Frustration und Unsicherheit führen: 170 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 29 Teile der in Kapitel 5.8 präsentierten Ergebnisse wurden schon in Becker 2016b veröf‐ fentlicht. 30 Nicht berücksichtigt wurden Interaktionen, in denen die Interaktion hauptsächlich zwischen den STN und mir stattfindet. 31 Hierbei handelt es sich um einen heuristischen Wert, der sich aus der Länge der Dis‐ kussionsstränge ergibt. Tabelle 7 zeigt, dass es sieben Diskussionsstränge gibt, die aus maximal vier Beiträgen bestehen, und drei Diskussionsstränge, die sechs oder mehr Beiträge umfassen, so dass sich eine Grenzziehung bei 6 anbietet. Ab wann tatsächlich ein „information overload“ besteht, kann an der Grenzziehung nicht abgelesen werden, zumal diese Empfindung individuell vermutlich sehr unterschiedlich ist und von Sprachkenntnissen, Interesse etc. abhängig ist. (24) Och sedan undrar man, varför får man inte mer respons alla gånger och man undrar om jag gör någonting fel själv, eller är man inte tillräckligt tydligt med det jag skriver, exempelvis och sånt här. (Leah I, 05: 23-05: 41) Und dann fragt man sich, warum man nicht mehr Feedback bekommt, und man fragt sich, ob ich selbst etwas falsch gemacht habe, oder ob man nicht ausreichend deutlich war mit dem, was ich geschrieben habe, zum Beispiel und so. (Leah I, 05: 23-05: 41) In diesem Unterkapitel steht somit die Frage im Fokus, welche formalen und inhaltlichen Besonderheiten die Interaktion initiierenden Beiträge ausmachen und ob diese Rückschlüsse zulassen, welche Faktoren Interaktion befördern. 29 Dazu wurden die Diskussionen einer Interaktionsanalyse (vgl. Kapitel 4.3.3) unterzogen und zehn zusammenhängende Interaktionen identifiziert, 30 in denen die STN in ihren Beiträgen auf einen vorherigen Beitrag Bezug nehmen, d. h. indem sie ihn direkt oder indirekt beantworten oder kommentieren. Die Inter‐ aktionen werden im Weiteren hinsichtlich meiner Rolle als Lehrperson unter‐ sucht (Kapitel 5.8), sodann mit Fokus auf formale Besonderheiten wie Beitrags‐ länge, Sprache und Anredeformen (Kapitel 5.8.2) und in einem dritten Schritt im Hinblick auf den Inhalt (Kapitel 5.8.3). Es wird zudem darauf eingegangen, welche Abweichungen es im gesamten Datensatz von den Analyseergebnissen gibt. Tabelle 7 enthält Informationen über die identifizierten Interaktionen hin‐ sichtlich der Beitragsanzahl, Struktur [d. h. ob z. B. der / die initiierende STN (= A) zu einem späteren Zeitpunkt antwortet], dem diskutierten Thema und dem Grund für die Beendigung, soweit dieser erkennbar ist, so dass bereits an dieser Stelle einige Merkmale der Interaktionen zusammengefasst werden können: Es gibt demnach drei Interaktionen, die aus sechs oder mehr Beiträgen be‐ stehen und damit zu den relativ langen Diskussionssträngen gehören, 31 und sieben Interaktionen, die aus weniger als sechs Beiträgen bestehen. Es lässt sich 171 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden (25) hier vermuten, dass Diskussionen ab sechs Beiträgen aufgrund des „information overload“ (Moran 1991) nicht mehr gelesen werden, so wie auch zu lange Bei‐ träge nicht immer gelesen werden (vgl. Kapitel 5.8.2). Hinsichtlich der Struktur der Beiträge fällt außerdem auf, dass sich in den meisten Fällen die initiierenden STN nicht erneut zu Wort melden, dass also keine genuine Interaktion (vgl. Henri 1995, 151) stattfindet, sowie dass ich als Lehrende an sechs der zehn In‐ teraktionen beteiligt bin. Letzteres wirft die Frage auf, welche Rolle die Lehrer‐ kommentare für die Interaktion spielen. In der letzten Spalte ist der zu vermutende Grund für die Beendigung bzw. den Abbruch einer Diskussion angeben. Oftmals steht der Präsenzunterricht ( PU ) kurz bevor, nach dem, bis auf wenige Ausnahmen, keine weiteren Beiträge zum Thema gepostet wurden. Dies entspricht dem in Kapitel 5.3 präsentierten Ergebnis, dass die Diskussionen einige Stunden vor dem Präsenzunterricht ab‐ brechen. Darüber hinaus ist außerdem wahrscheinlich, dass auch allein deshalb Bei‐ träge kommentiert werden, weil die Aufgabenstellung dies so fordert, und die Studierenden nach Beiträgen suchen, die sie leicht kommentieren können. Mög‐ licherweise ist dies im folgenden Beispiel der Fall (Interaktion 2): (11) Re: Währungsreform - Per (2013-02-04 22: 25) Normalerweise ist das Kriegsende als Stunde Null bezeichnet. Meiner Meinung ist doch der 20. Juni 1948 die wichtigste Stunde Null. Ich freue mich daran, dass ich im erste Kapitel im Edgar Wolfums Buch Stütze für diese Meinung finde. Doch, nach Wolfum im erste Kapitel hat die Wäh‐ rungsreform „ebenso wenig wie eine Restauration … eine Stunde Null gegeben.“ Aber im Kapitel 97 stellt er fest dass „die meisten Deutschen die eigentliche Gründung der Bundesrepublik“ in der Währungsreform sahen. Es ist ja gar nicht unbegründet um eine Stunde Null zu denken. […] (12) Sv: Re: Währungsreform - Maja (2013-02-05 09: 29) Hallo Per! Ich denke wie dich, dass man die Währungsreform als Stunde Null be‐ zeichnet soll, weil es wichtiger für die Nation Deutschland ist. Dass die Vorgabe, man solle mindestens zwei Beiträge kommentieren, auch zu Interaktion führen kann, muss vor allem auch in der Analyse der diskutierten Inhalte berücksichtigt werden, da nicht immer Interesse am Thema der Haupt‐ grund für die Interaktion sein muss. 172 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 32 PU = Der letzte Beitrag wurde wenige Stunden vor dem Präsenzunterricht gepostet, was vermutlich dazu geführt hat, dass diese Frage nicht weiterdiskutiert wurde, vgl. Kapitel 5.3. 33 L = Lehrende; A, B, C etc. = STN. Nr. Se‐ mester Anzahl Bei‐ träge Struktur Thema der Interaktion Grund für Been‐ digung 1 2013 3 A-B-C „Polarisierungstendenzen“ von My‐ then, Beziehung Griechenland und Deutschland, das Vergessen-Wollen nach dem 2. Weltkrieg Keine Antwort / PU 32 2 2013 2 A-B Währungsreform als „Stunde Null“ Antwort ist nur Bestäti‐ gung / PU 3 2013 3 A-B-C Warum haben eigentlich nur Frauen Trümmer beseitigt? unklar 4 2013 7 A-B-C- L 33 -C- C-A Gründungsmythen der DDR? PU 5 2013 6 A-L-B- C-D-E Kann man die Studentenbewegung tatsächlich als Gründungsmythos be‐ zeichnen? unklar 6 2014 3 A-B-L Technische Probleme Problem evtl. ge‐ löst 7 2014 3 A-B-L-? Geht es bei der Währungsreform darum, was ab oder was am 21. Juni geschah? Unklar, da Bei‐ träge fehlen 8 2014 4 A-B-C-D Euroeinführung in Deutschland vor dem Hintergrund der Währungsre‐ form unklar 9 2014 3 A-B-L Entspricht das, was die Trümmer‐ frauen taten, weiblichen oder männ‐ lichen Normen? unklar 10 2014 7 ? -A-B-C- D-L-E Warum wurde nach dem Sieg der Fußball-Nationalmannschaft 1954 die erste Strophe der Nationalhymne ge‐ sungen? PU / LP Tab. 7: Übersicht über die Interaktionen in beiden Datensätzen. 173 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden 34 Dieser Beitrag darf in der Studie nicht berücksichtigt werden. (26) (27) 5.8.1 Einfluss der Lehrperson auf die Interaktion In sechs der zehn Interaktionen stammt jeweils einer der Diskussionsbeiträge von mir (L). Diese Beiträge haben zwei verschiedene Auswirkungen auf die In‐ teraktion: Zum einen finden sich solche, die signalisieren, dass das angespro‐ chene Thema interessant und diskussionswürdig ist und so unter Umständen die Diskussion erst entstehen lassen: (5) Sv: Re: Sv: Wunder von Bern - Christine (2013-02-04 20: 18) Hallo Janina und Anette! Super, dass Ihr danach fragt, was eigentlich die Ostdeutschen dazu sagten, bzw. dass du Anette, etwas aus deiner Perspektive dazu schreibst. […] Zum anderen finden sich eine Reihe von Lehrerkommentaren, die dafür sorgen, dass etwas nicht weiter diskutiert wird, weil sie ein technisches Problem lösen (Auszug 16) oder ein inhaltliches Statement enthalten, das die Diskussion be‐ endet. Letzteres ist beispielsweise im folgenden Auszug (Interaktion 10) der Fall; Ausgangspunkt ist ein Satz im Lehrmaterial zum Wunder von Bern: Die 5000 deutschen Schlachtenbummler in Berlin stimmten die deutsche National‐ hymne an, doch sie sangen die Strophe „Deutschland, Deutschland über alles…“ und nicht die neue Hymne […]. Dies zog heftigen internationalen Protest mit sich. (Wolfrum 2009, 117) Es kommt zu folgender Diskussion: (56) Re: Wunder von Bern - Maja (2014-02-13 00: 48) […] Ich kann es verstehen, dass die Nationalhymne heftigen Reaktionen ausloste und die Frustation der Menschen, weil es kein gut für den Bild von Deutschland war, das es bereits gab. (57) --- 34 (58) Sv: Wunder von Bern - Christian (2014-02-16 22: 28) Liebe [Verfasserin von Beitrag 57]! Wie der Ausdruck „über alles“ von denen gemeint war, die ihn äußerte, darum kann man nur spekulieren. Eine Tatsache ist aber, dass dieser Aus‐ druck für alle, die den Krieg erlebt hatten oder auch „nur“ vom Nazi-Deutschland gelernt hatten, völlig unakzeptabel geworden war, weil gerade das, das über allen anderen-sein, der Grund des Nationalsozia‐ lismus ist. 174 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen (28) (59) Re: Sv: Wunder von Bern - Maja (2014-02-17 02: 01) Ich stimme dir zu, dass die Deutschen wahrscheinlich nur froh waren und dass sie nicht anderen von oben herab behandeln wollten, aber in dieser Zeit, nach dem Krieg, war es selbstverständlich sehr sensibel für die Um‐ welt. (60) Sv: Re: Sv: Wunder von Bern - Christine (2014-02-17 11: 07) Ich stimme Christian zu, dass man darüber nur spekulieren kann. […] (61) Sv: Wunder von Bern - Tomas (2014-02-15 12: 33) Ich finde, dass es interessent wäre, sich das Wunder von Bern in unserer Zeit vorstellen. Mit der blitzschnellen Verbreitung der sozialen Medien, und dem oft unversönlichen Ton in z. B. Twitter, hätten die singenden deutschen Anhänger wahrscheinlich nicht so einfach die Weltpresse ent‐ kommt… Indem ich andeute, dass eigentlich die in Beitrag 57 nur indirekt gestellte Frage gar nicht beantwortet werden kann, beende ich ungewollt die Diskussion, ob‐ wohl sicherlich auch Spekulationen für das Lernen sinnvoll gewesen wären, da sie Überlegungen der Studierenden offengelegt hätten. Tomas antwortet auf die Diskussion zwar noch durch einen Beitrag, dieser enthält jedoch keine weiteren Spekulationen über Gründe. Das Ergebnis, dass die Lehrerkommentare einen der maßgeblichen Einflussfaktoren darstellen, wenn es um die Frage geht, was die studentische Interaktion befördert oder behindert, wird im Kapitel zur Leh‐ rerrolle (Kapitel 5.9) aufgegriffen. 5.8.2 Beitragslänge und sprachliche Besonderheiten Die Länge der Interaktion initiierenden Beiträge variiert zwischen 209 und 320 Wörtern, die der antwortenden Beiträge zwischen 24 und 219 Wörtern. Vergleicht man dies mit der Länge aller Beiträge (bis 390 Wörter), zeigt sich, dass die Beiträge, die Interaktion initiieren oder einen Teil der Diskussion dar‐ stellen, durchschnittlich etwas kürzer sind. So geben mehrere STN in den In‐ terviews an, längere Beiträge gar nicht erst zu lesen, was aber Voraussetzung dafür ist, dass sie kommentiert werden. Johanna beispielsweise beschreibt, dass sie das Lesen abbricht, wenn der Beitrag zu lang und nicht interessant genug ist: Alltså de jättelånga [Beiträge, CB ], då läser jag inte igenom allting, men jag skummar dem, men om de är jätteintressanta, då kan man ju läsa dem. Men de korta, dem kan man ju läsa igenom. ( Johanna I, 08: 13-08: 25) 175 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden 35 Da in Interaktion 10 der initiierende Beitrag nicht berücksichtigt werden darf, können nur neun der zehn Interaktionen ausgewertet werden. Also die superlangen [Beiträge, CB ], da lese ich nicht alles, aber ich über‐ fliege sie und wenn sie superspannend sind, dann kann man sie ja lesen. Aber die kurzen, die kann man ja lesen. ( Johanna I, 08: 13-08: 25) Für zukünftige ähnliche Szenarien ist zu diskutieren, ob es sinnvoll sein kann, in der Aufgabenstellung auch Vorgaben für die Beitragslänge zu machen, die je nach Sprachniveau und Aufgabenstellung variieren können. Allerdings würde ein solches Vorgehen die Studierenden in der Diskussion einschränken, weil sie möglicherweise ihre Gedanken nicht zu Ende bringen können. Transparenz, d. h. der Hinweis, dass zu lange Beiträge möglicherweise nicht gelesen werden, ist vermutlich die am besten geeignete Art und Weise, die Studierenden dazu zu bringen, ihre Überlegungen nicht unnötig wortreich zu formulieren. Die Interaktion initiierenden Beiträge unterscheiden sich darüber hinaus im Hinblick auf sprachliche Besonderheiten nicht von den anderen Beiträgen. Mit sprachlichen Besonderheiten ist an dieser Stelle gemeint, dass sie z. B. direkte Fragen, die an alle gerichtet sind, enthalten. Von den neun Interaktion initiier‐ enden Beiträgen 35 enthalten zwei indirekte Fragen [„Ich frage mich, kann man wirklich die 68er und die Ereignisse, die wir mit ihnen verknüpfen, als ein Gründungsmythos ansehen? “ (Interaktion 5)]. Einer der Beiträge schließt mit einer rhetorischen Frage ab [„Noch heutzutage hat vieles sich nicht geändert. Wann werde die Männer zur Rechenschaft gestellt? “ (Interaktion 3)], bei den restlichen fünf Beiträgen handelt es sich um Kommentare ohne konkrete Fragen. Die auf die Interaktion initiierenden Beiträge folgenden Antworten lassen sich in zwei Kategorien einordnen, explizite und implizite Interaktionen (vgl. Henri 1995, 153). Explizite Interaktionen, d. h. Beiträge, in denen direkt auf einen Kommentar, eine Frage geantwortet wird, indem der Verfasser direkt angespro‐ chen wird oder in denen durch entsprechende Personalpronomina auf den vor‐ gehenden Beitrag Bezug genommen wird [z. B. „In Ihrer Text schreiben Sie dass…“ (Interaktion 3) oder „Du hast recht, dass…“ (Interaktion 9)] kommen zwölf Mal vor, implizite zehn Mal. Bei impliziten Interaktionen handelt es sich z. B. um Kommentare auf das angesprochene Thema, die z. B. durch „Ich glaube…“ (Interaktion 3) eingeleitet werden können. Die genannten sprachli‐ chen Besonderheiten sowohl der Interaktion initiierenden Beiträge als auch die der folgenden Antworten scheinen jedoch keine Auswirkungen auf die Inter‐ aktion zu haben. So liegen z. B. einige Beiträge vor, die direkte Fragen stellen, ohne dass diese aber beantwortet wurden. 176 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen (29) Der einzige an dieser Stelle nachweisbare sprachliche Faktor, der sich positiv auf die Interaktion zwischen den Studierenden auswirkt, ist damit eine relativ kurze Beitragslänge. Darüber hinaus ist der Faktor Zeit, d. h. die Frage, wie viel Zeit noch bis zum Präsenzseminar verbleibt, ausschlaggebend, ob ein Beitrag kommentiert wird, denn betrachtet man die drei längsten Interaktionen, so werden die initiierenden Beiträge stets einige Tage vor dem Präsenzunterricht gepostet (vgl. Kapitel 5.3). Statt sprachlicher haben vielmehr inhaltliche Aspekte einen Einfluss darauf, ob Beiträge kommentiert werden. Auf die Frage, was zur Interaktion anregt, antwortet Anne: Ibland finns det ju inlägg som är lite mer en faktaåtergivelse av vad som har stått i artikeln och det kanske jag hoppar över. Utan det är mera det att, att man får känslan det här är något som, som inte står i kursmateri‐ alet, eller som har en ny tanke eller något nytt spår. (Anne I, 09: 12-09: 31) Manchmal gibt es ja Beiträge, die die Fakten aus dem Artikel wiedergeben, und das überspringe ich. Sondern, wenn es was ist, wenn man das Gefühl bekommt, dass es etwas ist, was nicht im Kursmaterial steht, oder ein neuer Gedanke oder eine neue Spur. (Anne I, 09: 12-09: 31) Das nächste Unterkapitel widmet sich somit der Frage, welche Inhalte zu Inter‐ aktion führen. 5.8.3 Interaktion initiierende Inhalte In der Analyse der Interaktionen hinsichtlich der Frage, welche Inhalte zu in‐ terpersonaler Interaktion führen, konnte festgestellt werden, dass mehrere Fak‐ toren ausschlaggebend sind, und zwar hauptsächlich der Modus, d. h. die Ver‐ fahrensweise der Aufgabenbearbeitung und die (lebensweltliche) Relevanz der Inhalte. Das Vorkommen bestimmter Inhalte bedeutet jedoch nicht automatisch, dass Interaktion entsteht; damit dies geschieht, muss z. B. der Beitrag möglichst frühzeitig gepostet werden (vgl. Kapitel 5.3). Auch die Beitragslänge (vgl. Ka‐ pitel 5.8.2) und Lehrerkommentare (vgl. Kapitel 5.8.1) spielen eine entschei‐ dende Rolle hinsichtlich des Zustandekommens von Interaktion. Modus der Aufgabenbearbeitung In Kapitel 6.1 dieser Arbeit wird gezeigt, dass die STN im Zuge der Aufgaben‐ bearbeitung verschiedene Vorgehensweisen wählen. Diese nenne ich Modi der Aufgabenbearbeitung. Zwei der Modi sind in den Diskussionsforen zu Grün‐ dungsmythen der Bundesrepublik durch die Aufgabenstellung vorgegeben: Zu‐ 177 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden 36 Dieser Fall ist insofern interessant, als dies der einzige Beleg dafür ist, dass Beiträge von den anderen STN kritisch kommentiert werden. 37 Diese Ergebnisse werden in den Kapiteln zu den einzelnen Modi der Aufgabenbearbei‐ tung detaillierter dargestellt (vgl. ab Kapitel 6.2). sammenfassung von Sachwissen (Fragen 1 und 2, vgl. Kapitel 6.2) und Perspekti‐ venübernahme (Frage 3, vgl. Kapitel 6.5). Die Beiträge, die dem Modus Perspektivenübernahme zugerechnet werden können, führen in keinem Fall zu Interaktion, der Modus Zusammenfassung von Sachwissen in zwei Fällen (In‐ teraktion 7 36 und 10), was bedeutet, dass die in Kapitel 5.1 beschriebenen Fragen nur in geringem Maße dazu geeignet sind, Interaktion zwischen den Studie‐ renden zu initiieren. 37 Eine positive Auswirkung auf die Interaktion hat hingegen der Hinweis der Aufgabenstellung, dass die Studierenden auch eigene Fragen diskutieren können. Als besonders Interaktion initiierend zeigen sich dabei die Beiträge, die dem Aufgabenbearbeitungsmodus Begriffs- und Deutungsreflexionen zugehören, d. h. Beiträge, in denen es um die Deutung von historischen Ereignissen geht (Nummer 2, 5) bzw. um Merkmale von Mythen (Nummer 1). Interaktion initi‐ ierend fungieren zudem Gegenwartsbezüge oder andere Bezüge (Nummer 1, 4 und 8), wobei die behandelten Themen dabei auf andere Kontexte transferiert und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Orten (Diskussion 4: Bundesre‐ publik und DDR ) und verschiedenen Zeiträumen (Diskussion 8: 1948 und 2001) hergestellt werden. Interaktionen 3 und 9 können keinem Aufgabenbear‐ beitungsmodus eindeutig zugeordnet werden, sondern befinden sich auf der Schnittstelle von Gegenwartsbezug und Zusammenfassung von Sachwissen. In beiden Fällen wird der historische Hintergrund zu dem Mythos der Trümmer‐ frauen aus einer heutigen Perspektive mit Fokus auf das Thema Gleichberech‐ tigung diskutiert. Relevanz im Unterrichtskontext Dass die im vorherigen Abschnitt zusammengefassten Themen bzw. Modi In‐ teraktion initiieren, kann damit erklärt werden, dass diese entweder im Kontext des Unterrichts Relevanz besitzen oder für die STN einen Lebensweltbezug auf‐ weisen, wobei auch beide Aspekte auf ein und denselben Beitrag zutreffen können. Unter Relevanz im Kontext des Unterrichts wird hier verstanden, dass der Interaktion initiierende Beitrag etwas aufgreift, von dem die STN annehmen, dass es für den Kontext wichtig ist und dem sie daher ein „situationales Inte‐ resse“ (Schiefele 2009) entgegenbringen. Als Beispiel soll hier der Beitrag von 178 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 38 Eingehender untersucht wird diese Diskussion in Kapitel 6.3. 39 Schwed. ,senast ändrat av‘ = dt. ,zuletzt geändert von‘. (30) Hans dienen, der die Frage stellt, ob die Studentenbewegung tatsächlich als Gründungsmythos bezeichnet werden kann. 38 (48) Re: Studentenbewegung / 68er - Hans (2013-02-02 13: 34) Ich frage mich, kann man wirklich die 68er und die Ereignisse, die wir mit ihnen verknüpfen, als ein Gründungsmythos ansehen? Die Studentenbe‐ wegung hat ohne Zweifel die Gesellschaft sehr beeinflusst und jüngeren Leute wissen heute vielleicht mehr von ihnen (und dem später folgenden Terrorismus nicht zu vergessen) als von zweitem Weltkrieg und Natio‐ nalsozialismus oder finden sie jedenfalls mehr interessant - aber Grün‐ dungsmythos? Ich denke, nicht! Es wäre näher zur Wahrheit zu sagen, dass es ein bedeutungsvoller, deutscher Mythos ist, aber nicht ein Grün‐ dungsmythos. (49) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Christine (2013-02-03 11: 43) Interessante Antwort! Was meint Ihr (also die anderen? ) (50) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Ida (2013-02-03 13: 14) Vielleicht ist es nicht einen faktischen Gründungsmythus. Ich frage mich, ob die Geschichte ein persönlicher Held haben muss, um ein Mythos zu sein? Ist es dann in diesem Fall die Schaffung von Che Guevara als Held, zum Beispiel zum drücken sein Bild auf T-Shirts das bildet die Grundlage für diesen Gründungsmythus. Vielleicht ein bisschen weit hergeholt. Die Studenten hat auch Benno Ohnesorg, durch seinen Tod, als Held ge‐ macht. Auch personifiziert. Die Trümmerfrauen hat man personifiziert, die man in Statuen von ihnen in verschiedenen Orten in Deutschland sehen kann. (51) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - John K. (2013-02-03 19: 24) Senast ändrad av 39 John K. den 2013-02-03 19: 25 Ich denke, dass man die Studentenbewegung mehr als ein Nationalmy‐ thos betrachten soll, genau weil es mehr um die politische Bedeutsamkeit geht (meiner Meinung nach). Die RAF war nicht zufrieden mit dem Staat und wollte das Volk des Staates mit Gewalt freien. Die RAF meinte, dass der Staat zu faschistisch war. Außerdem meinte die RAF , dass die Gewaltenteilung gar nicht existiert hat. Ich frage mich doch: warum wollte die RAF mit Gewalt das Volk freien? Ich kann davon nicht einen Sinn machen. 179 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden (52) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Sophia (2013-02-04 10: 52) Ein Gründungsmythos kann als Ausgangspunkt beschrieben werden, für die Entstehung von unsichtbarem / implizierten Wissen, das als Grund‐ lage zu sehen ist, für das „kulturelle Gedächtnis“, das einer Kultur als „gemeinsamer Wissensvorrat“ dient. (siehe Powerpointpräsentation vom 29.Januar - Zitat: Claus Altmeyer (2006)) Dieser Wissensvorrat beein‐ flusst, wie Menschen agieren. Edgar Wolfrum beschreibt in seinem Text zwei entscheidene Aspekte der 68er Bewegung, nämlich „der Vorwurf einer mangelhaften Auseinander‐ setzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit“, sowie der Protest gegen die „Spießerhölle“. Sowohl die heutige Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangen‐ heit, sowie die Auflösung traditioneller familiärer Strukturen sind Folgen dieser Bewegung, die mich und andere Menschen meiner Generation in unsere Sozialisierung beeinflusst haben und die unsere Handeln unbe‐ wusst und bewusst steuern. Daher denke ich, dass man gerade die oben beschriebenen Aspekte der 68er Bewegung in die Diskussion eines Grün‐ dungsmythos einbeziehen muss. (53) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Peter (2013-02-04 11: 29) Kann die Studentenbewegung nicht als Gründungsmythos betrachtet werden wegen der starken Kritik über die Vergangenheit und wegen des Bruchs mit dem, was vor der Bundesrepublik war? Der Wille, etwas Neues zu schaffen, war sehr stark. In sechs aufeinanderfolgenden Beiträgen wird versucht, die Frage zu klären, ob und warum die Deutung der 68er-Bewegung als Gründungsmythos möglich ist. Anzunehmen ist, dass der Kontext, d. h. der Titel der gesamten Unterrichtsein‐ heit (Gründungsmythen der Bundesrepublik) und die vorhergehende Unterrichts‐ einheit mit dem Titel Schlacht im Teutoburger Wald, in der auf den Begriff des Gründungsmythos eingegangen wird (vgl. Kapitel 3.2.5), Hans dazu veranlasst, diese Frage zu stellen, und die anderen STN , auf seinen Kommentar zu reagieren. In diesem Kontext hat die Frage sowohl für Hans als auch die anderen STN eine 180 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 40 Neben dem Inhalt der Frage sorgen drei weitere Faktoren dafür, dass Interaktion ent‐ steht: Zum einen postet Hans seinen Beitrag drei Tage vor dem Präsenzunterricht, d. h. es bleibt genügend Zeit für die anderen STN, den Beitrag zu lesen, über eine Antwort nachzudenken und diese zu formulieren (vgl. Kapitel 5.3). Zum anderen reagiere ich als Lehrende einen Tag später mit Lob auf diesen Beitrag und fordere die anderen Studier‐ enden auf, auf diese Problematisierung einzugehen, worauf schnell, d. h. innerhalb von 90 Minuten, geantwortet wird (vgl. Kapitel 5.8.1). Außerdem ist der Beitrag relativ knapp formuliert (81 Wörter) und enthält eine konkrete Frage. 41 Die Begriffe werden hier synonym verwendet. 42 Vgl. dazu und zu einer Auflistung von Merkmalen der Lebenswelt: Schreiber 2005, 313-315. Relevanz. 40 An dieser Stelle lässt sich an die in Kapitel 5.7 zusammengefassten Ergebnisse zur Aufgabenbearbeitung anschließen: Dort wurde aufgezeigt, dass metakognitives Wissen und Annahmen über universitären Unterricht einen großen Einfluss auf die Aufgabenbearbeitung haben und so ist davon auszu‐ gehen, dass diese Annahmen auch beeinflussen, welche Fragen oder Beiträge der anderen Studierenden als relevant angesehen werden. Begriffs- und Deu‐ tungsreflexionen entsprechen den Vorstellungen von und den Erfahrungen mit universitärer Lehre, was dazu führt, dass Beiträge, die dieser Kategorie zuge‐ ordnet werden können, eher Interaktion initiieren als andere Bearbeitungsmodi. Mit Blick auf zukünftige ähnliche Szenarien lässt sich sagen, dass die Relevanz im Unterrichtskontext, die von den Lehrenden vorhergesehen werden kann, in Diskussionsfragen fruchtbar gemacht werden sollten. Es ist vermutlich loh‐ nenswert, Begriffs- und Deutungsreflexionen (vgl. Kapitel 6.3) stärker in die Aufgabenstellung einzubinden und die Überschriften der Unterrichtseinheiten dementsprechend zu formulieren, so dass eine kontextuelle Relevanz entsteht. In den Diskussionsforen zu den verschiedenen Gründungsmythen hätte bei‐ spielsweise jeweils gefragt werden können, warum die Ereignisse als Grün‐ dungsmythen bezeichnet werden können. Lebensweltliche Relevanz Neben der Relevanz im Kontext des Unterrichts ist außerdem ein Lebenswelt‐ bezug bzw. eine lebensweltliche Relevanz 41 der Interaktion initiierenden Themen zu erkennen. Der Begriff des Lebensweltbezugs, der in den Qualitäts‐ kriterien von Aufgaben einen festen Stellenwert hat (vgl. z. B. Biebig‐ häuser / Zibelius / Schmidt 2012, 47), wird in der Regel ohne genauere Erläute‐ rung verwendet. 42 Einigkeit scheint darüber zu bestehen, dass Lebenswelt die außer-institutionelle Erfahrungswelt der Lernenden meint und dass es das Ziel des Bezugs von Aufgaben ist, Problemstellungen zu lösen, die ihnen auch in ihrer Erfahrungswelt begegnen können (vgl. z. B. Maier / Kleinknecht / 181 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden 43 Maier, Kleinknecht, Metz und Bohl (2010, 89) beschreiben vier unterschiedliche Aus‐ prägungen des Lebensweltbezugs von Aufgaben, die an dieser Stelle jedoch vernach‐ lässigt werden können, da es hier nicht um die Relation zwischen Lebenswelt und Auf‐ gabe geht, sondern um die zwischen diskutiertem Thema und Lebenswelt. (31) Metz / Bohl 2010, 89). 43 Im Unterschied zu dieser Auffassung von Lebenswelt‐ bezug soll hier in einem weiteren Sinne lebensweltliche Relevanz auch dann vorliegen, wenn die Themen in irgendeiner Weise die Interessen der Lernenden ansprechen. Ein Fall von Lebensweltbezug finde sich im folgenden Auszug: (3) Re: Sv: Wunder von Bern - Janina (2013-02-04 19: 24) […] Ich frage mich nur, wenn Ostdeutschland der Sieg auch gefeiert hat? Hatte es für sie auch einen positiver Effekt? Seit nicht so viele Jahren waren sie noch ein Land, nicht geteilt. Vielleicht fühlten die Leute in DDR auch einen Stolz auf den Sieg. Ich weiß nicht, aber es ist intressant an das zu denken. (4) Re: Sv: Wunder von Bern - Anette (2013-02-04 20: 05) Ich habe meine Familie nie über das Wunder von Bern reden hören. In der DDR waren andere sportliche Erfolge viel wichtiger. Auch war das Interesse an der Erfolgen der „Anderen“ weniger bedeutend für das deut‐ sche Selbstbewusstsein in der DDR . Erst durch die Verfilmung von Sönke Wortmann habe ich zum ersten Mal von diesem Ereignis gehört. Ich verstehe die Bedeutung des Sieges sehr : „Wir sind wieder wer! “ & „Wir waren schliesslich schon einmal wer! “ Aber einige Etappen in der deutschen Geschichte fühlen sich für mich als Ostdeutsche weniger nah an. Ich denke, dass es andersrum ebenso ist. Oder bekommen Westdeutche bei den Worten „Wir sind das Volk! “ auch eine Gänsehaut? (5) Sv: Re: Sv: Wunder von Bern - Christine (2013-02-04 20: 18) Hallo Janina und Anette! Super, dass Ihr danach fragt, was eigentlich die Ostdeutschen dazu sagten, bzw. dass du Anette, etwas aus deiner Perspektive dazu schreibst. Was sind deiner Meinung nach denn Gründungsmythen der DDR ? Welche Rolle spielten Sportveranstaltungen? Und ich glaube, dass auch viele junge Deutsche noch nichts vom Wunder von Bern gehört haben, aber darüber sprechen wir ja morgen noch! Viele Grüße, Christine (6) Re: Sv: Re: Sv: Wunder von Bern - Anette (2013-02-05 09: 58) 182 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen Was sind Gründungsmythen der DDR ? Sehr gute Frage… ich denke, dass gerade die Montagsdemonstrationen, der Fall der Mauer und die Einfüh‐ rung der DM in den neuen Bundesländern Gründungsmythen sind, in denen die Bürger der DDR sich endlich als vereintes Deutschland fühlen und deren Identität neu geschaffen haben…vielleicht ist das zu stark… aber wir fühlen uns doch heute als Bürger der Bundesrepublik. Sportveranstaltungen spielten ein wichtige Rolle…eigentlich tun sie das heute noch. In der Lokalzeitung aus meinem Ort wurde noch vor ein paar Jahren immer aufgelistet, wer die meisten Medaillen bei den Olympischen Spielen gewonnen hat…Ja, diesen Medaillenspiegel gibt es immer noch. Allerdings nicht mehr mit der Einteilung nach Sportler aus West- und Ostdeutschland. Mittlerweile sind wir, was den Sport angeht, vereint : ) Warum sind sportliche Wettkämpfe so wichtig? Tja, sozialistische oder auch kommunistische Länder identifizieren sich nicht durch den wirt‐ schaftlichen Wettbewerb. Diese Länder konkurrieren auf sportlicher Ebene…Hier zeigt man, wie stark man als Nation ist ( DDR , Sowjetunion, China). (7) Re: Sv: Re: Sv: Wunder von Bern - Anette (2013-02-05 13: 16) Ach Mensch, ganz klar! Die Trümmerfrauen sind ein wichtiger Grün‐ dungsmythos der DDR ! Wer sang denn nicht mit stolzer Brust „Aufer‐ standen aus Ruinen“? (8) Sv: Re: Sv: Wunder von Bern - Sophia (2013-02-05 10: 00) Die Worte „Wir sind das Volk“ sind wichtige Worte in der Geschichte des vereinigten Deutschlands, die hoffentlich Menschen in ganz Deutschland bewegen. Mich bewegen sie zumindest, auch wenn ich zur Zeit der Mon‐ tagsdemonstrationen erst 11 Jahre alt war. […] Interaktion initiiert hier ein Beitrag von Janina, die in der Diskussion um das „Wunder von Bern“ die Frage aufwirft, ob auch in der DDR der Sieg der deut‐ schen Nationalmannschaft beim WM -Endspiel 1954 gefeiert wurde. Schnell, d. h. innerhalb von 40 Minuten, antwortet Anette, die in der DDR geboren wurde und sich möglicherweise eine Art Informantenrolle selbst zuschreibt (vgl. Bechtel 2003, 322), die mit der Aufgabe einhergeht, auf Fragen, die die DDR betreffen, zeitnah zu antworten (vgl. Kapitel 5.10). Für Anette besitzt die Frage aber auch eine lebensweltliche Relevanz, weil sie durch das Thema über ihren Hintergrund nachdenkt. Deutlich wird diese le‐ bensweltliche Relevanz auch im letzten Beitrag der Interaktion, in dem Sophia erklärt, dass die Worte „Wir sind das Volk“ etwas für sie bedeuten. 183 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden (32) Darüber hinaus werden in den Beiträgen, die der Kategorie Gegenwartsbe‐ züge zugeordnet werden können, Inhalte diskutiert, die eine lebensweltliche Relevanz besitzen. Diese Relevanz besteht, weil an etwas angeknüpft wird, was der Lebenswelt der Studierenden zugeordnet wird. Dies ist z. B. der Fall, wenn ausgehend von der Währungsreform die Staatsschuldenkrise in Griechenland behandelt wird (Interaktion 1), die in den Jahren vor dem Datenerhebungszeit‐ punkt in aller Munde war, oder wenn der Trümmerfrau-Mythos aus einer Gleichberechtigungsperspektive, die in Schweden im öffentlichen Diskurs all‐ gegenwärtig ist, diskutiert wird (Interaktion 3 und 9). Im Hinblick auf die Frage, was dieses Ergebnis für die Unterrichtspraxis be‐ deutet, ist festzustellen, dass die lebensweltliche Relevanz für die Lehrenden schwieriger vorauszusehen ist als die Relevanz im Kontext des Unterrichts, vor allem wenn die Lernergruppe den Lehrenden, wie im vorliegenden Fall, nicht oder kaum bekannt ist. Dieser Faktor ist für die Frage, wie der Lebensweltbezug in der Aufgabenstellung berücksichtigt werden kann, von Bedeutung, denn es zeigt, dass die Aufforderung, eigene Fragen zu stellen, sehr interaktionsförder‐ lich sein kann. Genuine Fragen Mit Blick auf den gesamten Datensatz fällt auf, dass die studentische Interaktion in den Fällen besonders hoch ist, in denen die STN Fragen zur Diskussion stellen, z. B. zu den Texten der Seminarliteratur. Es muss jedoch unterschieden werden, ob die STN Fragen posten, weil die Aufgabenstellung dies vorsieht oder weil ihnen tatsächlich etwas unklar ist. Genuine Fragen, d. h. Fragen, die die STN ‚wirklich‘ haben (sogenannte ‚genuine‘ Fragen), generieren mehr Interaktion als ‚fingierte‘ Fragen, wobei anzunehmen ist, dass die STN u. a. mit Hilfe des Kontextes, d. h. vor allem der Aufgabenstellung, erkennen, ob eine Frage genuin oder fingiert ist. So macht es einen markanten Unterschied, ob Fragen vorge‐ geben sind und die Studierenden auch eigene Fragen stellen können, oder ob die Aufgabe vorsieht, dass die Studierenden alle Diskussionsfragen stellen: In der Aufgabenstellung zum Thema Deutsche Teilung (Sommersemester 2014) sind beispielsweise verschiedene Fragen zum Lehrmaterial vorgegeben, zudem gibt es ein Diskussionsforum mit dem Titel „Forum für eure Fragen zum Text“. Die Fragen, die in diesem Forum gepostet werden, sorgen für viel Inter‐ aktion: (2) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Lars (2014-02-26 15: 36) Im Text von Delius s. 25 vorletzter Satz: „Anfangs hatten in der DDR manche gehofft, die Mauer werde eine liberalere Politik erlauben, weil sie den Machthabern die Angst nehmen musste, dass ihnen noch mehr Men‐ 184 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen schen davonliefen.“ Ich verstehe ihn nicht. Als die Mauer gebaut ist, wie sollten „noch mehr Menschen davonliefen“ können? Oder habe ich den Satz nicht richtig verstanden? Kann jemand ihn in Schwedisch über‐ setzen? (3) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Johanna (2014-02-26 22: 28) Vielleicht ist es damit gemeint, dass eine Mauer noch schrecklicher ist, weil keine möchtet ja eingesperrt werden, und deswegen dachte man dass immer mehr Menschen fliehen wollten als früher. Es ist nähmlich immer so, dass je harter ein Diktatur ist, desto mehr möchten die Menschen da‐ vonliefern (obwohl sie nicht das immer in der Realität wagen). Und eine Mauer ist ziemlich hart, nicht wahr? (4) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Lars (2014-02-26 23: 55) Senast ändrad av Lars den 2014-02-27 00: 00 Ja, Johanna, du bist sicher auf dem richtigen Weg, man soll es nicht buch‐ stäblich sondern bildlich deuten. Wenn die Politik sich nicht in eine libe‐ ralere Richtung verändert würde, würden die Menschen den Glauben auf die Führung der DDR verlieren, d. h. „den Machthabern davonlaufen“. Ich habe das Wort davonlaufen falsch verstanden. (5) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Christian (2014-02-28 20: 49) Lars, ich verstehe diese Meinung als folgendes: „I början hade många i DDR hoppats, att muren skulle tillåta en liberalare politik, eftersom den (muren) borde ta bort rädslan hos makthavarna, att ännu flera människor (än som redan hade flytt) skulle ge sig av.“ D.h. man dachte, dass die Machthaber nicht so bang für Fluchtversuchen wäre, und deswegen würde man ein liberalere Politik ausüben. Grüße Christian (6) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Christine (2014-03-02 09: 49) Lars, ich verstehe den Satz auch so. Man könnte vielleicht überlegen (ganz hypothetisch), was konkret „libe‐ ralere Politik“ hier bedeuten kann. Hat jemand eine Idee? […] (8) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Lars (2014-03-02 13: 45) Vielen Dank, Christian! Ich glaube jetzt, dass ich den Text verstehen habe. (9) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Tomas (2014-02-26 21: 05) 185 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden 44 Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass es den STN schwer fällt, ausgehend von den Texten sinnvolle Diskussionsfragen zu formulieren. Beim näheren Betrachten fällt auf, dass die meisten Fragen sehr anspruchsvoll sind und es vermutlich daher nur wenige Antworten gibt. Gute Frage, Lars. Habe ich auch nicht verstanden. Ich habe noch ein Satz nicht verstanden: „Wenn also jemand in den achtziger Jahren die Mauer gebraucht hat, dann die Mehrheit der Westdeutschen.“ Meint er, dass die Westdeutschen die Mauer „gebraucht“ hat, weil die Welt mit der Mauer einfacher zu verstehen als eine Welt ohne Mauer war? […] Sowohl bei Lars’ Frage als auch bei Tomas’ Frage in Beitrag 9 handelt es sich um genuine Fragen, die sich die STN bei der Lektüre der Lehrmaterialien stellen. Die anderen STN erkennen mit Hilfe des Kontextes, dass es sich um genuine Fragen handelt und versuchen durch ihre Beiträge zur Beantwortung der Frage beizutragen. Es entsteht eine genuine Interaktion (vgl. Henri 1995, 151), da sich der Fragensteller nochmals zu Wort meldet und sich dafür bedankt, dass er dank des Beitrages von Christian nun das Zitat aus dem Text verstanden habe. Dieses „agreement statement“ ist nach dem Interaction Analysis Model ( IAM ) von Gu‐ nawardena, Lowe und Anderson (1997, 414) ein Hinweis auf eine gemeinsame Konstruktion von Wissen. Während in diesem Diskussionsforum das Stellen von Fragen eine Möglich‐ keit ist, die Aufgabe zu bearbeiten, sieht die Aufgabenstellung im Diskussions‐ forum zu Blühende Landschaften - Ost- und Westdeutschland heute vor, dass die Studierenden selbst Fragen zur Diskussion posten sollen. Zwar habe ich zwei Fragen als Beispiele vorgegeben, doch müssen die Studierenden selbst auf Fragen zu den Lehrmaterialien kommen. In diesem Fall bestehen die meisten Interaktionen aus weniger als vier Beiträgen. Fünf der dreizehn dort gestellten Fragen erhalten sogar nur eine Antwort, so dass die Annahme bestätigt werden kann, dass genuine Fragen mehr Interaktion generieren als fingierte Fragen. 44 Man könnte sagen, dass genuine Fragen eine lebensweltliche Relevanz für die STN haben, weil sie im Augenblick des Schreibens diese Frage tatsächlich haben. Dies wirkt sich positiv auf die Quantität der Interaktion aus: Da die Studierenden Fragen diskutieren können, die sie ‚wirklich‘ haben, bzw. anderen STN helfen können, die Fragen zu beantworten, ist ihr Engagement besonders hoch. Zugleich sorgt die lebensweltliche Relevanz der Themen jedoch nicht in allen Fällen zu Interaktion: Keine Interaktion zwischen den Studierenden findet in den Fällen statt, in denen von den Studierenden ein narrativer Zugang in der Aufgabenbearbeitung gewählt wird (vgl. Kapitel 6.6), wenn also von den STN persönliche Erlebnisse und Erfahrungen bzw. Schilderungen von Erlebnissen 186 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen (33) von ihnen bekannten Personen gepostet werden. Auch hier liegt lebensweltliche Relevanz vor, das die Studierenden etwas „persönlich Bedeutsames“ (Müller-Hartmann / Schocker-v. Ditfurth 2006, 3) mitteilen, doch führt sie hier nicht zu Interaktion. Der Grund dafür ist vermutlich, dass persönliche Erfah‐ rungen nicht einfach in Frage gestellt werden können. Zwar könnten die STN Nachfragen stellen oder einfach nur einen dankenden oder anderen anerkenn‐ enden Kommentar posten, dies geschieht aber nicht. Während das Vorgehen, die Studierenden selbst Fragen stellen zu lassen, nicht signifikant mehr Interaktion initiiert, zeigt sich also, dass genuine Fragen der Studierenden zu einem Austauch führen und die gemeinsame Konstruktion von Wissen stattfindet. Für die Unterrichtspraxus ergibt sich daraus, dass es sinnvoll ist, den Lernenden für jede Online-Phase ein Forum zur Verfügung zu stellen, in dem sie Fragen zur Diskussion stellen können. Fehlende Interaktion Ferner gibt es im gesamten Datensatz eine ganze Reihe von Beiträgen, auf die nicht geantwortet wird, auch wenn sie direkt oder indirekt Fragen aufwerfen, wofür in Kapitel 5.7 schon einer von möglichen Erklärungsansätzen präsentiert wurde: Die STN konzentrieren sich auf die Aufgabenstellung und entscheiden sich für die Beantwortung der dort gestellten Fragen, gehen dabei aber nicht auf die Beiträge der anderen ein. Möglich ist auch, dass die STN die gestellten Fragen nicht beantworten können oder dass Fragen nicht gelesen oder überlesen werden, weil die Beiträge zu lang sind. Einige Beiträge enthalten Aussagen, bei denen man eigentlich davon aus‐ gehen könnte, dass sie auf Widerspruch stoßen, so z. B. im folgenden Auszug, in dem Janina schreibt, dass Schweden während des Zweiten Weltkrieges neutral war: (10) Re: Wann vergeht die Vergangenheit? - Janina (2013-02-24 19: 47) […] Außerdem gibt es heute eine Generation, die die Holocaust nicht er‐ leben hat. Sie haben auch keine Großeltern die die erleben haben. Sie fühlten dass, der Krieg hat nichts mit ihren zu tun, nur weil sie Deutsche sind. Aber die Umwelt lässt nicht immer Deutschland weiter zu gehen. Wenn sie nicht mag, was Deutschland macht oder sagt, dann erinnert sie sie, was ihre Vorväter gemacht hat. Ich glaube, dass Deutschland kann nicht der Krieg hinter sich lassen, nicht wie andere Länder, z.b Schweden, weil wir neutral war. Aber er muss nicht jeden Tag an der erinnern. Und sie müssen nicht Schuld darüber fühlen. Sie hatten nichts damit zu tun. (Hervorhebung CB ) 187 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden (34) Obwohl der Beitrag den schwedischen Neutralitätsmythos aufgreift, reagiert keiner der Mitstudierenden auf diese Behauptung. Im Theorieteil der vorliegenden Arbeit wurde dargelegt, dass die Annahme, durch den Perspektivenaustausch in der Interaktion würde gemeinsam Wissen konstruiert, der hauptsächliche Grund für den Einsatz asynchroner Online-Dis‐ kussionen sowohl im Fremdsprachenunterricht als auch in anderen Unter‐ richtsszenarien ist. Dementsprechend wurde in Kapitel 5.8 einleitend daruf hin‐ gewiesen, dass fehlende Interaktion durchaus zu Frustration bei den STN führen kann. Dennoch stellt sich die Frage, welches Potenzial für landeskundliches Lernen die Online-Foren haben, in denen nur wenig oder gar keine Interaktion zwischen den Studierenden stattfindet. Fehlende Interaktion ist nämlich nicht unbedingt gleichzusetzen mit fehlender Perspektivenvielfalt: Im Forum können sich Beiträge aneinanderreihen, die die behandelten Themen aus verschiedenen Perspektiven behandeln, ohne dass sie sich direkt oder indirekt aufeinander be‐ ziehen. Neben der auf der Textebene sichtbaren Interaktion kann es dadurch zu einem inneren Dialog kommen, in dem das in den Beiträgen manifeste Wissen inter‐ nalisiert wird, ohne dass dies in den vorliegenden Produktdaten nachweisbar ist. Henri (1995, 158) stellt dementsprechend fest, dass das sogenannte lurking (vgl. Kapitel 2.1.2) eine wichtige Quelle in dem von ihm untersuchten Setting war, und dass asynchrone computervermittelte Kommunikation eine Möglich‐ keit für die Lernenden darstelle, „to validate, with other learners, the constructs he has built up mentally, and to make sure that they are adequate“ (ebd., 160). Die Interviewdaten bestätigen dies. Anna beispielsweise beschreibt ihr Vor‐ gehen in den Online-Phasen wie folgt: Alltså just via Mondo, då kan man ju ta del av det vad andra tycker. Om man sitter för sig själv, då kommer man kanske in på ETT spår. Och då kan man se olika alternativ. […] Jag loggar in en eller två gånger i ve‐ ckan. […] Tyvärr hinner jag inte alltid skriva saker. Men jag kollar alltid vad det är för uppgifter och jag gör dem för mig själv. Även om jag inte skriver nåt aktivt där så kollar jag vad de andra skriver. […] Jag dubbel‐ kollar vad andra har skrivit, om jag eventuellt har missuppfattat någon‐ ting och kollar om de är inne på samma spår. (Anna I, 00: 37-02: 10) Also durch Mondo, da kan man ja sehen, was die anderen meinen. Wenn man alleine arbeitet, dann denkt man vielleicht in EINE Richtung. Und dann kann man verschiedene Alternativen sehen. […] Ich logge mich ein oder zwei Mal in der Woche ein. […] Leider schaffe ich es nicht immer, etwas zu schreiben. Aber ich gucke immer, was die Aufgabe ist und mache 188 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen sie für mich selbst. Auch wenn ich dort nicht aktiv etwas schreibe, gucke ich, was die anderen schreiben. […] Ich überprüfe, was die anderen ge‐ schrieben haben, ob ich eventuell etwas missverstanden habe, und ob sie so denken wie ich. (Anna I, 00: 37-02: 20) In Becker 2016b habe ich beschrieben, dass die asynchronen Online-Diskussi‐ onen aus Sicht der Studierenden ganz unterschiedliche Potenziale für das Lernen besitzen und diese Einschätzung u. a. abhängig davon ist, welche Lernziele ver‐ folgt werden und welche Rolle der / die jeweilige STN den anderen STN zu‐ schreibt bzw. wie er / sie sich in der Gruppe der Studierenden positioniert. Mit Hilfe der dokumentarischen Methode (Bohnsack / Nentwig-Gesemann / Nohl 2013) wurden die Interviews mit den STN Lars und Leah untersucht. Lars situiert sich in der Gruppe der Studierenden, die anderen Studierenden nehmen für ihn eine zentrale Rolle ein. Es ist ihm wichtig, von den anderen zu lernen, und auch, zum Wissen der anderen beitragen zu können. Lars bestätigt somit die An‐ nahme, dass computervermittelte Kommunikation wichtig für die gemeinsame Konstruktion von Wissen ist, er überdenkt ausgehend von den Beiträgen der anderen Studierenden sein Wissen. Leah hingegen nimmt sich nicht als Mitglied der Studierendengruppe wahr, ihr Fokus liegt auf ihrer eigenen Aktivität. Die Meinungen und Ideen der anderen spielen keine wichtige Rolle. Den Vorteil der Forumsdiskussionen sieht sie allein darin, dass sie dadurch aufgefordert wird zu recherchieren und Beiträge auszuformulieren. Der Fall Leah zeigt, dass die Lernenden bereit sein müssen, sich mit den Perspektiven der anderen ausei‐ nanderzusetzen. Allein das Vorhandensein unterschiedlicher Perspektiven be‐ deutet noch nicht, dass diese auch für das Lernen herangezogen werden. Warum Leah dies hier nicht tut, liegt in ihrer Auffassung von universitärem Unterricht begründet, in dem es um Wissenschaftlichkeit gehen solle, nicht um das Äußern persönlicher Meinung - wobei dieser Annahme eine simplifizierte Vorstellung von Wissenschaft und ihren Erkenntnismöglichkeiten zugrunde liegt. Den Fällen Leah und Lars ist gemein, dass beide die Meinung vertreten, dass die Forumsdiskussionen sinnvoll sind, weil sie so ihr Deutsch verbessern können; beide geben an, dass dies das wichtigste Ziel ihres Studiums sei. Die Verbesse‐ rung der Sprachfertigkeiten ist jedoch nicht das primäre Ziel des Landeskun‐ deseminars, das eigentlich die Auseinandersetzung mit landeskundlichen Ge‐ genständen beinhaltet. 189 5.8 Interaktion zwischen den Studierenden 45 Dieses Ergebnis kann verglichen werden mit Ergebnissen der DESI-Studie (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International), die eine gewisse „Sprachlosig‐ keit“ von Schülern und Schülerinnen im Englischunterricht feststellte: Demnach spre‐ chen die Lehrenden in den videografierten Unterrichtsstunden doppelt so viel wie alle Schülerinnen und Schüler zusammen. Von den 50 % der Äußerungen sind nur 23,5 % freie Äußerungen, und von diesen wiederum nur 30 % ganze Sätze (vgl. Bohn‐ sack / Lohmann 2013, 23). Asynchrone Online-Diskussionen können somit eines von anderen denkbaren Wegen sein, diese Sprachlosigkeit zu beheben. (35) (36) 5.9 Lehrerrolle Im Rahmen der Analyse der studentischen Interaktion konnte aufgezeigt werden, dass die von mir geposteten Kommentare einen wichtigen Einfluss auf die Interaktion haben (vgl. Kapitel 5.8.1). So können meine Lehrerkommentare insofern interaktionsunterstützend fungieren, als sie von STN aufgeworfene Fragen oder Kommentare als diskussionswürdig charakterisieren, oder aber sie können Diskussionen (unbeabsichtigt) beenden, indem eine Frage oder ein Problem gelöst wird oder als nicht-diskussionswürdig charakterisiert wird. Die asynchronen Online-Diskussionen zu den Gründungsmythen wurden im Weiteren in Hinblick auf die Frage ausgewertet, welche Rolle die Lehrerkom‐ mentare insgesamt spielen, d. h. nicht nur hinsichtlich der Interaktion. Dazu wurden zunächst alle Lehrerkommentare, 26 insgesamt, identifiziert. Diese sind verglichen mit den Beiträgen der Studierenden relativ kurz: Im Datensatz I be‐ stehen sie im Durchschnitt aus 34 Wörtern, im Datensatz II aus 22 Wörtern. Beispiele für typische Kommentare sind die folgenden Auszüge: (22) Sv: Re: Trümmerfrauen - Christine (2014-02-17 10: 52) Gut, dass du ein Bild und einen Link gepostet hast! Den Artikel lese ich gleich mal, ich finde die Formulierung „größter Witz der Nachkiegsgeschichte“ interessant. Vielleicht können wir morgen da‐ rüber diskutieren. (7) Sv: Wunder von Bern - Christine (2014-02-13 09: 55) Senast ändrad av Christine den 2014-02-13 09: 56 Gute Frage…Hat jemand eine Meinung dazu? Die relative Kürze der Kommentare weist darauf hin, dass ich keine dozierende Rolle einnehme. 45 Alle 26 Lehrerkommentare wurden in einem weiteren Schritt kategorisiert und die Kategorien quantitativ ausgewertet. Tabelle 8 zeigt die Häufigkeit der gefundenen Kategorien, Mehrfachnennungen sind dabei mög‐ lich. 190 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 46 Einer der beiden Lösungsvorschläge betrifft technische Probleme (Beitrag 9 in Auszug 16). (37) Kategorie Anzahl Datensatz 1 Anzahl Datensatz 2 Anzahl Total Anzahl Kommentare insgesamt 9 (16,3 %) 17 (20,9 %) 26 Lob 6 8 14 Frage an alle 4 8 12 Frage an eine/ -n Studierende/ -n 4 2 6 Korrigierender Hinweis (sprach‐ lich oder inhaltlich) 1 1 2 Verweis auf PU 2 1 3 Zustimmung zu einer Aussage - 6 6 Lösungsvorschlag oder Beant‐ wortung einer Frage - 2 2 46 Sonstiges - 1 1 Tab. 8: Übersicht über die Lehrerkommentare Wie sowohl die obigen Auszüge als auch Tabelle 8 zeigen, enthalten viele Kom‐ mentare Lob. Diese Anerkennung ist oftmals verbunden mit einer von dem kommentierten Beitrag ausgehenden Frage an alle Studierenden (Auszug 36). Ich nehme so eine moderierende Rolle ein und leite die Frage weiter; damit wird, wie bereits im vorgehenden Kapitel dargelegt wurde, signalisiert, dass es sich um ein diskussionswürdiges Thema handelt. In einigen Fällen, in denen bereits in den vorangehenden Beiträgen alle Fragen der Aufgabenstellung beantwortet wurden, nimmt die Frage an alle Studierenden einen neuen Aspekt auf. Des Weiteren findet sich eine Reihe von Fragen an eine bzw. einen der beitragenden Studierenden, wobei diese entweder Verständnisfragen sind oder nach der Mei‐ nung gefragt wird: (15) Sv: Währungsreform - Christine (2013-02-11 08: 39) Interessante Frage, Klara! Was meinst du? Tabelle 8 zeigt zudem, dass es Unterschiede hinsichtlich der Lehrerkommentare zwischen dem ersten und dem zweiten Datenerhebungsdurchgang gibt: Wäh‐ 191 5.9 Lehrerrolle rend des Sommersemesters 2014 nehme ich häufiger zu bestimmten Fragen Stellung, und zwar in Form von Zustimmung. Dieses Verhalten beruhte auf dem Eindruck, dass die Diskussionen nicht im gleichen Maße in Gang kamen wie im Sommersemester 2013, was damit erklärt werden kann, dass die Online-Phase zwei Wochen und nicht, wie 2013, eine Woche lang war. Durch die positiven Kommentare in Form von Zustimmungen wollte ich den Studierenden vermit‐ teln, dass sie auf dem richtigen Wege sind. Dies steht im Kontrast zu der Fest‐ stellung, dass einige der Lehrerkommentare aber vielleicht der Grund sind, dass eine Diskussion beendet wurde bzw. evtl. gar nicht erst begann. Meine Rolle in der Forumsdiskussion ist insofern insgesamt nicht die einer Wissensvermittlerin, sondern eines facilitators, einer Lernbegleiterin, und ent‐ spricht damit in etwa der im Zuge von sozial-interaktionistischen Lehr- und Lerntheorien veränderten Rolle des Lehrers: „[T]he tutor is no longer seen as an instructor and transmitter of knowledge. Instead s / he is a participant in the learning process, facilitates interaction among learners and guides through their learning“ (Lamy / Hampel 2007, 61). Die hohe Anzahl an Fragen an alle Studie‐ rende spiegelt den Versuch wider, die Interaktion zwischen den STN zu beför‐ dern, und auch die Zustimmungen zu einzelnen Aussagen sind - aus Lehrer‐ perspektive - als den Lernprozess begleitende Strategien zu verstehen. Zu einer erfolgreichen Online-Tutorierung gehört auch, dass Online-Leh‐ rende eine „angenehme, konstruktive, sichere und kommunikationsfreudige Atmosphäre“ (Rösler / Würffel 2010b, 46) schaffen sollten. Dass es wenige kor‐ rigierende Hinweise gibt und stattdessen durch Zustimmungen und Lob gute Beiträge hervorgehoben werden, ist in diesem Kontext zu verstehen, ebenso die Verwendung positiver Emoticons (vgl. Kapitel 5.6). An dieser Stelle muss jedoch auf die Ergebnisse in Kapitel 5.5 verwiesen werden: Dort wurde gezeigt, dass einige der STN den Druck verspüren, die Beiträge auf Deutsch zu verfassen, auch wenn in der Aufgabenstellung angegeben war, dass man auch auf Schwe‐ disch schreiben darf. Das Herstellen einer kommunikationsfreudigen und kon‐ struktiven Atmosphäre gelingt in dieser Hinsicht also nicht und um das Schreiben auf der L1 der Studierenden zu fördern, bedarf es, wie in Kapitel 5.5 diskutiert wurde, weiterer Strategien. Neben dem Herstellen einer konstruktiven und freundlichen Stimmung in der Gruppe der Studierenden haben lobende Kommentare zudem die Funktion, die Präsenz der Lehrperson im Forum zu zeigen. Die Lernenden sollen so ver‐ stehen, dass sie - im möglicherweise ungewohnten Lernkontext - nicht allein gelassen sind (vgl. Meister 2012, 47). Meister weist zudem darauf hin, dass die Betreuung von Online-Phasen im Allgemeinen unterschiedlich intensiv sein kann, je nach dem, an welchem Punkt im Lernszenario man sich befindet: Der 192 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 47 Im gesamten Datensatz I ist der prozentuale Anteil der Lehrerkommentare an den Fo‐ rumsdiskussionen wie folgt: (Online-Phase 1) 16,3 %, (2) 7 %, (3) 0 %, (4) 7 %, (5) 23 %, (6) 40 %. Die aktive Beteiligung meinerseits war also jeweils sehr unterschiedlich und ab‐ hängig von Aufgabenstellungen und Kontext. Dass ich an Diskussion (3) gar nicht teil‐ nahm, lag daran, dass die Studierenden darüber diskutierten, ob das Seminar zu viel vom Zweiten Weltkrieg handle und ich dort keinesfalls eingreifen wollte. Die sehr hohe Beteiligung in der letzten Diskussionen lässt sich darauf zurückführen, dass dort die Studierenden selbst Fragen zu einem Text stellen sollten und da diese inhaltlich ein sehr hohes Niveau hatten, sie in einigen Fällen nicht von den anderen Studierenden beant‐ wortet werden konnten, jede/ -r dennoch eine Antwort erhalten sollten. 48 Dass dieser Aspekt relativ univok eingeschätzt wird, kann aber möglicherweise mit dem Phänomen der sozialen Erwünschtheit erklärt werden, da sie sich vielleicht scheuen, eine andere als von mir vorgelebte Rolle zu beschreiben. (38) Einstieg in eine Online-Phase oder ein ganzes Blended-Learning-Seminar, wie dies hier der Fall ist, fordert z. B. eine starke Präsenz des Lehrenden, was auch die relativ hohe Anzahl an Lehrerkommentaren in den vorliegenden Daten‐ sätzen erklärt. 47 Zu der Aufgabe der Lehrenden, eine kommunikationsfreudige und konstruk‐ tive Lernatmosphäre zu schaffen, gehört, dass stets abgewogen werden muss, inwiefern das Korrigieren an dieser Stelle angebracht ist. In den hier unter‐ suchten Datensätzen wurde, wie Tabelle 8 zu entnehmen ist, nur zwei Mal ex‐ plizit korrigiert (einmal inhaltlich, einmal sprachlich), was widerspiegelt, dass mir eine kommunikationsfreudige Stimmung im Forum wichtiger war als das Korrigieren von Fehlern. Korrekturverhalten hätte dazu führen können, dass Studierende aus Angst, ihr Gesicht zu verlieren, sich nicht trauen, an der Dis‐ kussion teilzunehmen. In den mit den STN durchgeführten Interviews herrschte relativ einhellig die Meinung vor, dass Lehrende in asynchronen Online-Dis‐ kussionen Zurückhaltung üben, aber bei groben Fehlern korrigieren sollten. 48 Matias formuliert dies wie folgt: Alltså bästa bästa så hade ju läraren knappt funnits där. Den skulle inte behövas eftersom det är studenterna som ska diskutera. Men jag förstår varför det behövs och jag tycker att det har varit bra att… Alltså såklart inte rätta språket men man kan ju rätta om det någonting som är helt fel, istället för att låta människorna tro att det är rätt. Så det tycker jag såklart att man ska göra. (Matias I, 20: 22-20: 55) Also im besten Fall bräuchte man ja den Lehrer gar nicht. Den bräuchte man nicht, weil ja die Studierenden diskutieren sollen. Aber ich verstehe, warum man ihn braucht und ich fand es gut dass… Also natürlich nicht die Sprache korrigieren, aber man kann ja korrigieren, wenn etwas total 193 5.9 Lehrerrolle (39) falsch ist, anstatt dass man die Leute im Glauben lässt, dass es richtig ist Also ich finde, dass man das natürlich machen soll. (Matias I, 20: 22-20: 55) Katrin vertritt die Meinung, dass wenig bis gar nichts sprachlich korrigiert werden sollte und begründet dies damit, dass man sich dann nicht mehr trauen würde, überhaupt etwas zu schreiben. Sie fügt aber auch hinzu, dass es bei teil‐ weise unverständlichen Beiträgen sinnvoll ist, wenn Lehrende indirekt korri‐ gierend kommentieren, so dass den Mitstudierenden klar wird, was gemeint ist: I: Tycker du att läraren borde vara mer delaktig i diskussionen? B: Alltså jag tror att det var för den här veckan, så ville jag kommentera nåt men jag förstod inte riktigt vad som menades men så hade du kom‐ menterat under och typ repeterat som den här personen hade sagt, och jag bara: Aha! Så det tycker jag är bra. Alltså om det är någonting som är oföståeligt, att du förtydligar det. Men … jag tycker att det är bra som det är. Man behöver ju inte komma in och rätta alla grammatikfel. I: Vad skulle hända då, tror du? B: (lacht) Då skulle alla, arrgh, nu rättar hon mig igen…då skulle man inte våga skriva nåt. (Katrin I, 08: 47-09: 37) I: Findet du, dass der Lehrer mehr an den Diskussionen teilnehmen sollte? B: Also ich glaube, dass war in dieser Woche, da wollte ich etwas kom‐ mentieren, aber ich habe nicht richtig verstanden, was die Person meinte, aber dann hast du das kommentiert und so wiederholt, was diese Person gesagt hatte und ich nur: Aha! Also das finde ich gut. Also wenn etwas unverständlich ist, dass du das verdeutlichst. Aber … ich finde es gut, so wie es ist. Man muss ja nicht kommen und alle Grammatikfehler korri‐ gieren. I: Was würde dann passieren, glaubst du? B: (lacht) Dann würden alle, arrgh, jetzt korrigiert sie mich schon wieder… dann würde man sich nicht trauen, etwas zu schreiben. (Katrin I, 08: 47-09: 37) Ich verhalte mich also als Lernbegleiter bzw. Moderator und nicht als Wissens‐ vermittler und die Studierenden ziehen diese Rolle, wenn man sie danach fragt, vor. Die bisherige Analyse zeigt unverkennbar, dass diese Lehrerkommentare dennoch eine folgenschwere Auswirkung auf die studentische Interaktion haben, wenn sie Beiträge unwillentlich als nicht diskussionswürdig charakte‐ risieren. Hier zeichnet sich ab, was bereits in Kapitel 2.1.4 dargelegt wurde: Rol‐ lenzuschreibungen seitens der Lernenden führen dazu, dass ich mich nicht im Sinne eines facilitators auf Augenhöhe der Lernenden positionieren kann (vgl. 194 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 49 Interessanterweise werde ich jedoch im gesamten Datensatz nur einmal in dieser Rolle direkt angesprochen, und zwar als die Studierenden im Forum die Bedeutung be‐ stimmter Aussagen in der Kursliteratur diskutieren: (13) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Lars (2014-03-02 14: 53) Senast ändrad av Lars den 2014-03-02 14: 58: Nein, Fredrik, ich glaube nicht, dass du den Satz missverstanden hast. Es ist auch mir unklar was der Verfasser eigentlich meint […]. Christine, vielleicht ist alles einfacher zu verstehen wenn man aus der BRD kommt? (14) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Christine (2014-03-03 10: 15): Da ich noch ziemlich jung war, als die Mauer fiel, kann ich das leider nicht aus einer persönlichen Perspektive beurteilen. Ich habe den Satz aber auch so verstanden wie ihr, wenn man den vorherigen Abschnitt hinzunimmt, wird es deut‐ lich […]. 50 Zum Thema Tandempartner als Experten für ihr Land siehe Bechtel 2003, 321 f. Witte / Harden 2010, 1332), sondern dass meine Beiträge immer einen großen Einfluss haben - im negativen wie im positiven Sinne. Die Rollenzuschrei‐ bungen resultieren dabei vor allem aus dem kumulativen Wissen und den Er‐ fahrungen, die die Studierenden im Laufe ihres Lebens in Bildungskontexten gemacht haben. Dies ist nicht nur im Hinblick auf die Interaktion in asynchroner computervermittelter Kommunikation wichtig, sondern vor allem auch für das landeskundliche Lernen. Es ist daher naheliegend, dass die Lehrenden aufgrund der Rollenzuschreibung durch die Lernenden generell auch eine Deutungsho‐ heit hinsichtlich kultureller Phänomene innehaben und meine Beiträge dahin‐ gehend gelesen werden. 49 Dies gilt jedoch auch oftmals für Studierende, die Deutsch als L1 haben, um deren Einfluss es im folgenden Unterkapitel geht. 5.10 Rolle der Studierenden mit Deutsch als L1 In Tandem-Situationen und Telekollaborationsprojekten findet der Austausch zwischen Fremdsprachenlernen und L1-Sprechern statt, wobei die L1-Sprecher gerade auch im Hinblick auf landeskundliche Themen nicht selten die Rolle von Experten für ihre Herkunftsländer innehaben, entweder durch die Zuschreibung dieses Status durch ihre jeweiligen Partner/ -innen, oder indem sie sich selbst als solche positionieren. 50 Daher ist es naheliegend, dass die Studierenden mit Deutsch als L1 im hier untersuchten Setting eine besondere Rolle spielen: Wäh‐ rend im Sommersemester 2014 keine Studierenden mit Deutsch als L1 am Un‐ terricht teilnahmen, sind zwei der STN in den Daten des Sommersemesters 2013 in Deutschland geboren und aufgewachsen, beide gehören der Altersgruppe 26 bis 35 Jahre an: Sophia kommt aus Nordrhein-Westfalen, Anette wurde in der DDR geboren und hat die ersten 19 Lebensjahre in Deutschland verbracht. Beide können als in Deutschland sozialisierte STN betrachtet werden. 195 5.10 Rolle der Studierenden mit Deutsch als L1 (40) Die Analyse der Daten hinsichtlich der Rollen dieser beiden STN lässt er‐ kennen, dass sich beide, vor allem aber Sophia, selbst eine Art Expertenrolle zuschreiben. Der folgende Auszug zeigt, wie Sophia auf die zuvor gestellte Frage eingeht, ob das „Wunder von Bern“ auf kollektiver Ebene eine Bedeutung haben kann, auch wenn man auf individueller Ebene noch nichts davon gehört hat. (8) Sv: Re: Sv: Wunder von Bern - Sophia (2013-02-05 10: 00) […] Ich glaube, dass man im Prinzip nicht vom „Wunder von Bern“ gehört haben muss, aber trotzdem von seinen Auswirkungen beeinflusst sein kann - zumindest, wenn man in Westdeutschland aufgewachsen ist. Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen und hier hat Fußball eine lange Tradi‐ tion für sehr viele Menschen. Im Fußball spiegelt sich der Regionalismus wieder, der meiner Meinung nach einen Nationalstolz, wie es ihn in an‐ deren Ländern gibt, ersetzt. Fußball erzeugt Euphorie. Nicht umsonst gibt es ja sogar Bücher die sich mit der sakralen Stimmung im Fußballstadion auseinandersetzen. Im Schrebergarten hisst man die Flagge seines Fuß‐ ballvereins, Eltern nehmen ihre Kinder mit zum Fußball, durch die Straßen ziehen Autokorsos, wenn wichtige Spiele gewonnen werden… Sophia tritt hier als „,Vertreter[in]‘ ihrer eigenen Sozialisationserfahrung und ,Informant[in]‘ für ihr Land im Allgemeinen“ (Bechtel 2003, 322) auf, wobei sie dabei ihre Ansichten stets vorsichtig formuliert, d. h. ausgehend von eigenen Erfahrungen, und sie in der Regel auch nicht generalisiert. Interessant ist, dass die anderen STN Sophia und Anette in diesem Beispiel wie auch in der gesamten Diskussion keine Expertenrolle zuschreiben oder zu‐ mindest als Ressource betrachten. Obwohl sich beide sowohl im Präsenzunter‐ richt als auch Online-Phase als ,Westdeutsche‘ bzw. ,Ostdeutsche‘ zu erkennen geben, werden sie von den anderen STN in den gesamten Datensätzen kein Mal gezielt angesprochen. Es ist zwar möglich, dass die anderen STN den Beiträgen von Anette und Sophia besondere Aufmerksamkeit widmen, an den Daten lässt sich jedoch nicht ablesen, dass sie als landeskundlich relevante Ressourcen ge‐ nutzt würden. In Kapitel 6.6 zu narrativen Zugängen der Aufgabenbearbeitung wird darauf zurückzukommen sein, welches Potenzial und welche Risiken die Beiträge von Studierenden mit Deutsch als L1 im Hinblick auf kulturbezogenes Lernen bergen. 196 5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen 1 In diesem Analysekapitel wird ‚Modus‘ als Synonym zu ‚Verfahrensweise‘ verwendet. (41) 6 Kulturbezogenes Lernen Das Ziel dieses Kapitels ist es, das Potenzial asynchroner computervermittelter Kommunikation für kulturbezogenes Lernen herauszuarbeiten, wobei anzu‐ nehmen ist, dass Teile der Ergebnisse auch über das spezifische Setting hinaus gültig sind (vgl. Kapitel 4.2.4). Da Lernaufgaben die „Ausgangspunkte des Lehrens und Lernens [sind] und damit in gewissem Sinne auch die elementaren Bausteine vieler Unterrichtsstunden“ (Keller / Bender 2012, 8), ist es sinnvoll, in der Analyse von der Aufgabenstellung und -bearbeitung auszugehen. In diesem Sinne wurde auch in Kapitel 5 die Aufgabenstellung als einer der wichtigsten Faktoren beschrieben, die die Arbeit der Studierenden in den asynchronen On‐ line-Diskussionen beeinflusst. In Kapitel 6.1 werden daher zunächst in aller Kürze die Aufgabenstellungen der Online-Phasen beschrieben und verschiedene in der Anlayse identifizierte Modi 1 der Aufgabenbearbeitung präsentiert. Diese stellen den Ausgangspunkt für die weitere Anlayse dar und werden sodann ab Kapitel 6.2 hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile für landeskundliches Lernen untersucht. 6.1 Aufgaben und Modi ihrer Bearbeitung Auf der Kursseite in der Lernplattform Mondo wird nach dem Präsenzunterricht die übergeordnete Aufgabenstellung für die Online-Phase veröffentlicht, die auf eine Vorbereitung des nächsten Präsenztreffens abzielt und beispielsweise wie folgt formuliert ist: Das Thema der Stunde am 26. Februar ist „Schuld“. Bereite dich auf die Stunde vor, indem du bis zum 24. Februar 1.) im Forum die Aufgabe „8. Mai 1945 - Tag der Befreiung oder der Nie‐ derlage? “ bearbeitest. Dazu musst du den Text EW 67 lesen. Die Leitfrage zu dieser Aufgabe ist: Wie sah man nach Kriegsende auf den Zweiten Weltkrieg? 2 Schwed. ,filsamling‘ = dt. ,Dateien‘. 3 Darüber hinaus kann die Aufgabenstellung auch weitere Aufgaben enthalten, wie z. B. das Abstimmen über bestimmte Fragen, diese werden aber in der folgenden Darstellung nicht weiter berücksichtigt. 2.) im Forum die Diskussionsaufgabe zur Schuld bearbeitest. Dazu musst du zunächst entweder den Text „Wann vergeht Vergangenheit? “ lesen oder den Film „Typisch deutsch? “ sehen (beide in Filsamling 2 ). Die Leitfrage zu dieser Aufgabe ist: Wie sieht man heute auf den Zweiten Weltkrieg und was bedeutet er heute? Im Unterricht behandeln wir davon ausgehend die Frage, wie es zu den Veränderungen kam. Die übergeordnete Aufgabenstellung ist stets nach einem ähnlichen Muster aufgebaut, da sie mit einer Nennung bzw. kurzen Beschreibung des Themas beginnt; es folgen Literaturhinweise sowie Strukturierungshilfen in Form von Handlungsanweisungen und zeitlichen Vorgaben. Des Weiteren wird in aller Kürze angegeben, was das Thema des Präsenzunterrichts ist, und so die inhalt‐ liche Verzahnung von Online- und Präsenzkomponente verdeutlicht. In den Handlungsanweisungen werden, wie auch in Auszug 41, zum Teil Leitfragen für die Arbeit im Forum angegeben. 3 In einem Fall wurde von diesem Muster ab‐ gewichen: In der Aufgabenstellung zum Thema Deutsche Teilung (Sommerse‐ mester 2013) wurden die Studierenden aufgefordert, bis drei Tage nach dem Präsenzunterricht ein Brainstorming zu bestimmten Themen zu machen (z. B. „Was bedeutete der Mauerbau für die Westberliner Bevölkerung? “). Drei Tage später, dies war so angekündigt, erhielten sie im jeweiligen Forum eine weitere Aufgabe zu einem weiteren Text oder einem Film. Dieses Vorgehen funktionierte nicht sehr gut, da in einigen Foren kein Brainstorming gemacht und auch die weiterführenden Aufgaben nur von wenigen bearbeitet wurden. Dies zeigt, dass in diesem Setting Aufgaben in den Online-Phasen nicht in mehrere kurze Phasen eingeteilt werden sollten. Viele der Studierenden loggen sich erst am Wochen‐ ende ein, so dass der erste Teil der Aufgabe gar nicht mehr bearbeitet werden kann. Darüber hinaus bearbeiten einige der Studierende die Aufgaben gar nicht mehr, wenn sie schon einen Teil verpasst haben (vgl. Kapitel 5.3). Durch die Handlungsanweisungen werden die Studierenden aufgefordert, sich in das Forum zu begeben (falls dies in der aktuellen Online-Phase eingesetzt wird), wo entsprechend der Aufgabenstellung verschiedene Threads zu finden sind (vgl. Kapitel 3.2.5), die jeweils mit einer untergeordneten Aufgabenstellung 198 6 Kulturbezogenes Lernen 4 Eine Erläuterung und Problematisierung dieses Begriffs findet sich in Kapitel 6.2. (42) (43) beginnen. Zum Thema Schuld sieht eine der untergeordneten Aufgabenstellung wie folgt aus: Bedeutung der Schuld heute Bitte bis zum 24. Februar bearbeiten. Dieses Forum bietet die Möglichkeit, frei über die „Schuld der Deutschen“ zu diskutieren. Lies dazu zunächst den Text „Wann vergeht Vergangenheit? “ in Filsam‐ ling oder sieh dir dazu den Film „Typisch deutsch? “ in Filsamling an. Es ist nicht wichtig, jedes Wort zu verstehen, es reicht, dass du dir ein Bild davon machst, wie heute in Deutschland auf die Schuld gesehen wird. Um die Diskussion etwas zu vereinfachen, hier ein paar Leitfragen: Wie erleben „die Deutschen“ heute die Schuld? Gibt es einen Unterschied zwischen dem Eigenbild und dem Außenbild? Habt Ihr persönliche Erfahrungen mit der „Schuld“ gemacht? Persönliche Ansichten? Schreibe mindestens einen Beitrag und kommentiere mindestens zwei Beiträge. Insgesamt können die Fragen / Aufgaben der untergeordneten Aufgabenstellung den Kategorien Sachfragen bzw. Fragen zum Text / Film, Frage zu eigenen Er‐ fahrungen, Perspektivenübernahme, Abfrage von Vorwissen und Frage zur ei‐ genen Meinung zugeordnet werden. Diese Katgeorien werden im Folgenden kurz beschrieben. Darüber hinaus fordert die untergeordnete Aufgabenstellung in einigen wenigen Fällen die Studierenden dazu auf, selbst Fragen zu den Texten zu formulieren, die dem Seminar zugrundeliegen (Kategorie Eigene Frage). Sachfragen bzw. Fragen zum Text / Film Zu dieser Kategorie zählen Fragen, deren Ziel das Zusammenfassen von Sach‐ wissen ist, welches die Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema darstellt. Diese Fragen können sich auf Fakten 4 beziehen (Auszug 43), die den Texten entnommen werden sollen, oder es handelt sich, dies kommt jedoch seltener vor, um Textverständnisfragen (Auszug 44): (1) Antifaschistischer Schutzwall - Christine (2014-02-24 11: 55) Warum nannten die DDR -Politiker die Mauer „antifaschistischer Schutz‐ wall“? 199 6.1 Aufgaben und Modi ihrer Bearbeitung (44) a. b. c. (45) (1) Salomé van Rensburg - Christine (2014-03-14 10: 28) Senast ändrad av Christine den 2014-03-14 10: 58 Beantwortet bzw. diskutiert folgende Fragen. Achtet darauf, dass Ihr nicht wiederholt, was andere schon geschrieben haben. Was erfährt man über Salomé von Rensburg Leben? Welchen Beruf hat sie gelernt? Wie kam es dazu, dass sie jetzt Hausfrau ist? Wie empfindet sie ihr Leben als Hausfrau? […] Beantworten die Studierenden in ihren Beiträgen die gestellten Fragen, und zwar ausschließlich mit Hilfe der Lehrmaterialien oder durch Hinzunahme wei‐ terer Quellen, spreche ich vom Aufgabenbearbeitungsmodus Zusammenfassung von Sachwissen (bzw. fortan Sachwissen). Auf das Potenzial dieses Vorgehens für kulturbezogenes Lernen wird in Kapitel 6.2 eingegangen. Frage zu eigenen Erfahrungen Dass es sinnvoll ist, an die persönlichen Erfahrungen der Studierenden anzu‐ knüpfen, wird nicht nur im Prinzip des Lebensweltbezugs deutlich, sondern auch in der Landeskundedidaktik gefordert. Ein Beispiel für eine Frage nach eigenen Erfahrungen findet sich in Auszug 40 („Habt Ihr persönliche Erfah‐ rungen mit der ‚Schuld‘ gemacht? “). Eine Variante stellt die folgende Frage dar, durch die die Studierenden dazu aufgefordert werden, Erfahrungen von ihnen bekannten Personen zu posten. Die Studierenden werden aufgefordert, ähnlich wie in geschichtsdidaktischen Ansätzen, die mit Oral History arbeiten, Zeit‐ zeugen zu befragen, wobei in diesem Fall im Prinzip alle in Deutschland sozia‐ lisierten Menschen zu Zeitzeugen werden: (1) Eine Frage zur „Mauer im Kopf “, die nicht den Text betrifft - Christine (2014-03-05 09: 51) Habt Ihr Kontakt zu Deutschen (aus Ost und West)? Fragt sie doch mal, ob es ihrer Meinung nach die „Mauer im Kopf “ noch gibt und schreibt eure Antworten hier! Tragen die Studierenden durch das Erzählen von eigenen Erfahrungen zur Dis‐ kussion bei oder berichten sie, wie im Anschluss an die obige Aufgabe, von Erlebnissen ihnen bekannter Personen, gehören die entsprechenden Beiträge zum Bearbeitungsmodus narrative Zugänge, auf den in Kapitel 6.6 genauer ein‐ gegangen wird. 200 6 Kulturbezogenes Lernen 5 Hyperlink zu einem Werbefilm des Unternehmens Vorwerk, in dem eine Hausfrau als erfolgreiche „Familienmanagerin“ dargestellt wird. (46) (47) Abfrage von Vorwissen Ziel dieser Fragen ist es, einen Einblick in das Vorwissen der Studierenden zu bekommen, so dass in der Folge der Unterricht darauf abgestimmt werden kann. Diese Kategorie erfüllt besonders für die Lehrerin / den Lehrer eine Funktion, da sie / er mit Hilfe der Fragen den weiteren Unterricht besser auf die Vorkenntnisse abstimmen kann. Dennoch ist davon auszugehen, dass auch diese Fragenkate‐ gorie aufgrund der epistemischen Funktion des Schreibens (vgl. Kapitel 2.4) ein Lernpotenzial für die Studierenden hat. Fragen dieser Art finden sich vor allem im Zusammenhang mit Themen, bei denen davon auszugehen ist, dass an ein Vorwissen der Studierenden angenüpft werden kann, z. B. im Forum zur Deut‐ schen Teilung: Was bedeutete der Mauerbau für die Bevölkerung der DDR ? - Christine (2013-03-14 17: 38) Sammelt hier bis Freitag, 22.3., was ihr zu dem Thema wisst, macht also ein Brainstorming! Ihr könnt auch Fragen stellen! Geht wie folgt vor: - Was weißt du über das Thema? Schreibe einen kurzen Beitrag von ma‐ ximal 50 Wörtern. Dein Beitrag kann auch eine Frage enthalten. […] Beiträge, in denen die Studierenden schreiben, welches Vorwissen sie besitzen, werden als Bearbeitungsmodus Vorwissen bezeichnet. Frage zur eigenen Meinung / Vermutung Bei diesen Fragen handelt es sich um die eigentlichen Diskussionsfragen, deren Ziel es ist, einen Einblick in die Annahmen der Studierenden zu erhalten. Welches Bild der Hausfrau findet man in diesem Werbefilm 5 ? Warum? Was denkt ihr darüber? Ähnlich wie Fragen der Katgeorie Abfrage von Vorwissen erfüllen diese Fragen damit auch eine wichtige Funktion für die Lehrerin / den Lehrer. Wichtiger ist jedoch, dass die Studierenden die Perspektiven ihrer Kommilitonen kennen lernen können, was sich positiv auf das Lernen auswirken kann. Eine Variante der Fragen zur eigenen Meinung sind die Fragen, durch die die Studierenden aufgefordert werden, Vermutungen über Gründe anzustellen, z. B. ob es die ‚Mauer im Kopf ‘ noch gibt. Formulieren die STN in ihren Beiträgen ihre eigene Meinung oder Vermutungen über Gründe bzw. Zustände, bezeichne 201 6.1 Aufgaben und Modi ihrer Bearbeitung 6 In Kapitel 5.8.3 habe ich gezeigt, dass in den Fällen, in denen die Studierenden genuine Fragen stellen, d. h. solche, die sie wirklich haben und die sie nicht posten, weil die Aufgabenstellung sie dazu auffordert, die Interaktion oft besonders intensiv ist. 7 Ausführlich werden die Ziele von Perspektivenübernahmen in Kapitel 6.5 erläutert. (48) ich dies als den Aufgabenbearbeitungsmodus Eigene Meinung bzw. Vermu‐ tungen. Eigene Frage In einigen Online-Phasen werden die Studierenden aufgefordert, ausgehend von den Texten, die im Seminar behandelt werden, eigene Fragen zur Diskussion zu stellen: In der Stunde geht es um die Frage, ob Ost- und Westdeutschland heute zusammengewachsen sind. 1. Lies dazu die Texte von Görnitz und Backhaus, die ich im Unterricht verteilt habe. Falls du sie nicht hast, findest du sie unter „Filsam‐ ling / Resources“ in Mappe 4. 2. Bestimmt gibt es in dem Text etwas, was du diskutieren möchtest oder was du nicht verstanden hast. Gehe ins Forum „Blühende Land‐ schaften…“ und klicke auf „Starta ny toppinlägg“. Schreibe dort bis Freitag deine Frage und kommentiere bis Montagabend eine andere Frage. Viele Grüße Christine Darüber hinaus gibt es in den anderen Online-Phasen Diskussionsforen für Fragen der Studierenden. 6 Posten die STN Beiträge mit eigenen Fragen zur Dis‐ kussion, gehören diese zum Bearbeitungsmodus Eigene Frage. Perspektivenübernahme Die Fragen der untergeordneten Aufgabenstellung (vgl. Kapitel 5.1) fordern zudem zu Perspektivenübernahmen auf, deren Ziel es ist, dass die Studierenden versuchen sollen, die Lebensbedingungen in der fremden Lebenswelt nachzu‐ vollziehen. 7 Es kann dabei zwischen verschiedenen Arten unterschieden werden: synchrone und diachrone Perspektivenübernahmen, wobei letztere am häufigsten vorkommen, was darauf zurückzuführen ist, dass im Seminar haupt‐ sächlich geschichtliche Themen behandelt werden. Ein Beispiel für eine dia‐ chrone Perspektivenübernahme findet sich im Diskussionsforum zum Grün‐ dungsmythos Trümmerfrauen: 202 6 Kulturbezogenes Lernen (49) (50) (51) (52) Stellt euch vor, ihr wärt eine Trümmerfrau. Was wäre euch wichtig und welche Erwartungen hättet ihr an die Zukunft? Darüber hinaus gibt es eine Aufforderung zur synchronen Perspektivenüber‐ nahme, und zwar im Rahmen des Unterrichtsthemas Rabenmütter und Heimchen am Herd: Könnt ihr ihre Entscheidung, Hausfrau zu sein, verstehen? Hätte sie Al‐ ternativen? Die Perspektivenübernahmen können zudem in individuelle und kollektive Per‐ spektivenübernahmen unterschieden werden. In der individuellen Perspektiven‐ übernahme werden die Studierenden dazu aufgefordert, sich in die Lage eines Individuums zu versetzen, wie im folgenden Beispiel: Was bedeutete die Währungsreform für das tägliche Leben? Stellt euch vor, ihr hättet zu dieser Zeit in der Bundesrepublik gelebt. Wie war es davor und was hat sich verändert? Diese individuellen Perspektivenübernahmen kommen am häufigsten vor und werden in der Regel mit „Stell dir vor“ oder „Stellt euch vor“ eingeleitet. Es muss dahingehend weiter unterschieden werden, ob die individuelle Perspektiven‐ übernahme keine bestimmte Person betrifft und nur vorgegeben wird, dass der / die Studierende sich in die Situation versetzen soll (freie individuelle Per‐ spektivenübernahme), oder aber ein Individuum vorgegeben wird. In einem Forum werden beispielsweise Fotografien herangezogen, um die Perspektiven‐ übernahme zu stimulieren. In diesem Fall spreche ich von gebundener individu‐ eller Perspektivenübernahme. Kollektive Perspektivenübernahmen hingegen fordern dazu auf, die Lebens‐ umstände zu reflektieren, ohne dabei notwendigerweise eine bestimmte Per‐ spektive einzunehmen, z. B. „Wie war es vielleicht, im Jahr 1954 Deutsche/ -r zu sein? “ oder „In den Jahren bis zum Mauerbau (und auch später noch) sind wegen der unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Wege Menschen aus dem Westen in den Osten gezogen. Könnt ihr das verstehen? “ Weiterhin kann unterschieden werden zwischen Perspektivenübernahmen, die Bezug nehmen auf die fremde Lebenswelt und am weitaus häufigsten vor‐ kommen, und solchen, die Bezug nehmen auf die Lebenswelt der Studierenden, wie im folgenden Beispiel: Stell dir vor, in Stockholm würde eine Mauer gebaut. Wo könnte die Mauer verlaufen? Was würdest du machen, wenn du noch einen Tag Zeit hättest, 203 6.1 Aufgaben und Modi ihrer Bearbeitung um das letzte Mal in deinem Leben die andere Seite zu sehen? Wie würde die Mauer deinen Alltag beeinflussen? Alle verschiedenen Arten der Perspektivenübernahme gehören zu dem Aufga‐ benbearbeitungsmodus Perspektivenübernahme, dessen Vor- und Nachteile in Kapitel 6.5 herausgearbeitet werden. Neben den bislang benannten Modi der Aufgabenbearbeitung, die also einen direkten Bezug zu den Fragestellungen aufweisen, gibt es zudem Verfahren oder Zugänge, die durch die Offenheit der Aufgabenstellung initiiert werden: Be‐ griffs- und Deutungsreflexionen, Gegenwartsbezüge und Andere Bezüge (vgl. Ta‐ belle 9). Dass diese Modi von den Studierenden gewählt werden, zeigt zunächst einmal, dass diese Verfahrensweisen für die Studierenden eine Relevanz be‐ sitzen, wobei die Art der Relevanz im Laufe dieser Arbeit spezifiziert werden muss. Weiterhin geben die Modi einen Hinweis darauf, welche Arten von Auf‐ gaben sinnvollerweise in ähnlichen Szenarien gestellt werden können. Die Formulierung der verschiedenen Modi der Aufgabenbearbeitung erfüllt dabei im Forschungsprozess eine heuristische Funktion, da die Modi den Aus‐ gangspunkt für die Analyse des Lernpotenzials darstellen. Tabelle 9 listet die verschiedenen Modi der Aufgabenbearbeitung auf und zeigt an, wie viel Prozent der studentischen Beiträge der jeweiligen Kategorie zugeordnet wurden. Bei der Kategorisierung waren Mehrfachvergaben möglich (z. B. narrativer Zugang und Gegenwartsbezug), zudem wurden nicht alle Beiträge kategorisiert (z. B. Beiträge zu technischen Fragen). Da sich beispielsweise die Grenzzie‐ hungen zwischen einzelnen Kategorien als sehr schwierig erwiesen (z. B. Sach‐ wissen vs. Eigene Meinung), sind die prozentualen Angaben nur als Tendenzen zu verstehen. Mit direktem Bezug auf die Aufgaben‐ stellung Zusammenfassung von Sachwissen / von Text / Film (25,4 %) Eigene Meinung (11 %) Eigene Frage (9,2 %) Perspektivenübernahme (4,5 %) Vermutungen (3,2 %) Vorwissen (1,9 %) Narrative Zugänge (0,8 %) Ohne direkten Bezug auf die Aufga‐ benstellung Begriffs- und Deutungsreflexionen (9,3 %) Narrative Zugänge (4,5 %) Gegenwartsbezug (3,5 %) Anderer Bezug (2,1 %) Tab. 9: Modi der Aufgabenbearbeitung und prozentuale Verteilung in den Daten. Die in Kapitel 6 analysierten Modi sind unterstrichen. 204 6 Kulturbezogenes Lernen Für die Auswahl der Modi im Hinblick auf die weitere Analyse spielt daher ihre Häufigkeit auch eine Rolle, doch wurden vor allem diejenigen herausgegriffen, die im Hinblick auf die Frage nach dem Potenzial für landeskundliches Lernen im untersuchten Setting besonders interessant sind. Während die theoretische Verankerung der Modi, und damit die Begründung, warum sie in der Analyse berücksichtigt werden, in den Analysekapiteln näher erläutert werden, sollen im Folgenden einige ausschlaggebende Gründe kurz genannt werden: Die Modi Zusammenfassung von Sachwissen (Kapitel 6.2) und Perspektivenübernahme (Ka‐ pitel 6.5) werden in der Analyse berücksichtigt, weil sie durch konkrete Fragen in den Aufgabenstellungen angestoßen werden und so Rückschlüsse über den Nutzen der Aufgabenstellungen bzw. sinnvolle Modifikationen gezogen werden können. Die Beschäftigung mit Begriffs- und Deutungsreflexionen (Kapitel 6.3) beruht auf der Annahme, dass dieser Modus vor allem für universitären Landeskunde‐ unterricht relevant ist: Durch die Reflexionen finden möglicherweise insze‐ nierte Teilhaben an kulturwissenschaftlichen Diskursen statt, durch die die Stu‐ dierenden lernen können, sich an diesen zu beteiligen. Gegenwartsbezüge (Kapitel 6.4) rücken aufgrund theoretischer Vorannahmen in den Analysefokus: Die Beschäftigung mit der Frage, was historische Ereig‐ nisse für gegenwärtige Verhältnisse bedeuten, ist ein Prinzip der Geschichtsdi‐ daktik und der Geschichtswissenschaft insgesamt und auch Ziel der Auseinan‐ dersetzung mit geschichtlichen Themen im DaF-Unterricht (vgl. Koreik 2012, 2). Darüber hinaus wird analysiert, in welchen Fällen die Studierenden narrative Zugänge (Kapitel 6.6) der Aufgabenbearbeitung wählen, welche Inhalte erzählt werden und welches Potenzial und welche Fallstricke faktuales Erzählen birgt. Die Auseinandersetzung mit narrativen Zugängen beruht auf der Einsicht, dass Erzählen nicht zuletzt im Fremdsprachenunterricht eine alltägliche Handlung ist und dass es sich schon aus diesem Grund lohnt, es näher zu berücksichtigen. Eine erste Analyse der Beiträge, in denen Erfahrungen erzählt werden, zeigte auch, dass die erzählten Inhalte nicht immer unproblematisch sind, so dass mit Hilfe der Daten auch eine bislang nicht berücksichtigte Problematik des Erzäh‐ lens im Fremdsprachenunterricht aufgegriffen werden kann. Nachdem in Kapitel 6.1 verschiedene Modi der Aufgabenbearbeitung identi‐ fiziert wurden, wird in den folgenden Kapiteln eine Auswahl der Modi dahin‐ gehend untersucht, welche Vor- und Nachteile sie für landeskundliches Lernen in asynchronen Online-Diskussionen haben. Zunächst werden diese Zugänge theoretisch verortet, um davon ausgehend mit Hilfe einer qualitativen Inhalts‐ analyse Besonderheiten in Bezug auf landeskundliches Lernen herauszuar‐ beiten. 205 6.1 Aufgaben und Modi ihrer Bearbeitung 8 Die beiden Begriffe werden in dieser Arbeit synonym verwendet. (53) 6.2 Sachwissen Sachbzw. Faktenwissen 8 wurde, ein Blick in die Geschichte des Landeskun‐ deunterrichts bestätigt dies, „im Kontext unterschiedlichster Leitvorstellungen zwar sehr verschiedenartige Aufgaben zugeschrieben […], die Notwendigkeit von Information und kognitivem Wissen stand und steht jedoch durchwegs außer Zweifel“ (Hackl 2010, 1465). Sachwissen bildet eine Orientierungsgrund‐ lage, mit deren Hilfe Einordnungen vorgenommen und Bezüge hergestellt werden können, wie folgender Datenauszug plakativ vorführt: (2) Sv: Föderalismus in der Schweiz - Christian (2014-03-16 23: 07) Die Schweiz: ein wunderbar schönes Land. Wirtschaftlich stark. Fläche: 41 285 km2 (Schweden fast 450 000), Bevölkerung 7,5 Millionen. Anzahl Kantone: 26. Man kriegt ein Gefühl von starkem lokalen Konservatismus, wenn ein Land wie dieses einen starkeren Zentralismus nicht akzepteiren kann. Ist Föderalismus wirklich für die Schweiz bevorzüglich? Sowohl Bayern als auch Nordrhein-Westfalen haben Bevölkerungen je von 17 (siebzehn) Millionen. Geographische Fakten wie Bevölkerungsdichte und Flächenangaben der Schweiz dienen Christian als Ausgangspunkt für die Frage, ob der Föderalismus für ein so kleines Land wie die Schweiz sinnvoll ist. Fakten werden hier nicht um ihrer selbst willen genannt, sondern sind der Ausgangspunkt für eine Frage zum Staatsprinzip Föderalismus. In diesem Sinne stellt Sachwissen auch in der kulturwissenschaftlich orientierten Landekunde das „kognitive Fundament“ (Hackl 2010, 1468) für die Auseinandersetzung mit geteilten Wissensbeständen dar. Beispielsweise können nur auf der Grundlage von geschichtswissenschaft‐ lich abgesichertem Sachwissen Perspektivgebundenheit und Narrativität von Geschichtsbildern, kollektiven Erinnerungen und Mythen überhaupt erfasst werden (vgl. Fornoff 2009, 505). Da der Hauptteil der Themen, die im Rahmen des hier untersuchten Landeskundeseminars behandelt werden, geschichtliche Themen sind, liegt der Fokus der weiteren Aufführungen auf der Rolle von his‐ torischem Sachwissen. Sauer (2006, 12f) setzt sich im Rahmen eines Kompetenzmodells für den Ge‐ schichtsunterricht mit dem Begriff der Sachkompetenz auseinander. Dazu gehöre die Kenntnis themenbezogener „Daten, Namen und Fachbegriffe“, die „themenbezogene Sachkompetenz“, wobei er darauf hinweist, dass zu überlegen sei, welche Themen, Daten, Namen, Fachbegriffe dahingehend dauerhaft gelernt 206 6 Kulturbezogenes Lernen 9 Fornoff weist zudem darauf hin, dass die Negierung, dass es historische Fakten gibt, einen historischen Relativismus ermöglicht, „auf dessen Grundlage z. B. auch der Leug‐ nung oder Verharmlosung des Holocaust nicht mehr auf der Basis wissenschaftlich fundierter Argumentation entgegen getreten werden könne“ (2016, 290). Dies ist da‐ rüber hinaus auch in den aktuellen Diskussionen um ‚postfaktische‘ Politik der Fall. werden sollten und „welche nur in einen themenbezogenen ‚Arbeitsspeicher‘ gehören“. Dieses Sachwissen stellt die Basis für die Kompetenz „Orientierung in der Geschichte“ dar, für die die Lerner ein „chronologisches und räumliches Orientierungswissen besitzen [müssen], mit dessen Hilfe sie Einordnungen vor‐ nehmen und Bezüge herstellen [können]“ (ebd., 13). Beide Bereiche der Sach‐ kompetenz sind auch für die Landeskundedidaktik höchst relevant, zumal sich geschichtliche Themen und historische Zugänge zu aktuellen Themen anbieten, um zu dem geteilten Wissen einer Gruppe Zugang zu erhalten (vgl. Koreik 2010a, 1479). Darüber hinaus gilt auch für Themen, die sich ausschließlich auf die Ge‐ genwart beziehen, dass diese nur mit Hilfe von themenbezogener Sachkompe‐ tenz in bestehende Verhältnisse eingeordnet werden können. Man könnte nun argumentieren, dass es keine (historischen) Fakten gibt, da diese nur schon gedeutet zugänglich seien. Ein historischer Relativismus, der jegliche Negierung von Fakten mit sich bringt, wird hier jedoch nicht vertreten, stattdessen werden (historische) Fakten im Sinne Evans als durch Quellen über‐ prüfbare Ereignisse in der Vergangenheit verstanden: A historical fact is something that happened in history and can be verified as such through the traces history has left behind. Whether or not a historian actually varied out the act of verification is irrelevant to its faculty: it really is there entirely inde‐ pendently of the historian. (Evans 1997, 76) 9 Die Grenzziehung zwischen Fakten, die aufgrund der Quellenlage überprüfbar sind, und weiteren (vermeintlichen) Fakten ist dabei aufgrund der Komplexität von Zusammenhängen und der Tatsache, dass nahezu alle Fakten in bereits ge‐ deuteter Form vorliegen, alles andere als einfach und so bleibt den Lehrenden im Landeskundeunterricht oft nur übrig, sich auf die Erkenntnisse von Histo‐ rikern und Historikerinnen zu verlassen. Dies entlastet die Lehrenden aber selbstverständlich nicht von den der Verantwortung, Inhalte kritisch zu prüfen. Historiker und Historikerinnen wiederum können sich, wenn es „um Wahr‐ heitskriterien geht, nur auf so etwas wie eine allgemeine Stimmigkeit und Plau‐ sibilität berufen, die ihren Rückhalt im Konsens der Fachgenossen findet“ (Roh‐ lfes 2005, 59). In Unterrichtskontexten ist es zudem manchmal notwendig, das Prinzip der „didaktischen Reduktion“ (Grüner 1967) anzuwenden, wenn zunächst von Sach‐ 207 6.2 Sachwissen 10 Edgar Wolfrum: Wer waren die „Helden von Bern“? In: Ders. (2009): Die 101 wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland. München: C. H.Beck, S. 116 f. wissen ausgegangen werden muss, das eine erste Orientierungshilfe darstellt, und in einem späteren Schritt dann problematisiert werden kann. So muss z. B. im Hinblick auf den Trümmerfrauen-Gründungsmythos zunächst einmal in Grundzügen die Nachkriegssituation abgesteckt werden, damit die Studier‐ enden den Mythos überhaupt verorten können. Erst in einem zweiten Schritt kann, z. B. auf Grundlage der Arbeit von Treber (2014), der Mythos herausge‐ arbeitet und die (vermeintlichen) Fakten problematisiert werden. Es geht im hier untersuchten Unterricht vor allem um die Deutung der historischen Fakten, ihre Einordnung in die Geschichte und ihre Bedeutung für darauf folgende Ereig‐ nisse. Es ist dabei stets die Aufgabe der Lehrenden zu entscheiden, welche Fakten didaktisch reduziert stehen bleiben müssen und welche problematisiert werden. Ausgehend also von der Annahme, dass Sachwissen den Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit landeskundlichen Themen darstellt, sollen folgende Fragen beantwortet werden: - Wie gehen die STN mit den Sachfragen um, die in den Aufgabenstel‐ lungen enthalten sind? - Welche Vorteile und welche Nachteile hat es, in asynchronen Online-Dis‐ kussionen faktenbezogene Fragen zu stellen? 6.2.1 Umgang mit Sachfragen Ein Teil der Aufgaben, die die STN in den Diskussionsforen bearbeiten, ent‐ halten Fragen zum Sachwissen (vgl. Kapitel 6.1), wobei in der Planung der Auf‐ gaben davon ausgegangen wurde, dass die Studierenden diese mit Hilfe der Textgrundlagen beantworten können. In Kapitel 5.7 dieser Arbeit wurde gezeigt, dass in den Foren zu den Grün‐ dungsmythen sowohl im ersten Beitrag als auch in späteren Beiträgen Sach‐ fragen beantwortet werden, auch wenn damit eine Wiederholung von bereits von anderen STN angeführtem Sachwissen stattfindet. Insgesamt finden sich in diesem Forum vier verschiedene Vorgehensweisen hinsichtlich der Sachfragen: (1) Zunächst einmal gibt es STN , die das Sachwissen aus den dem Seminar zugrundliegenden Texten zusammenfassen. Zu Vergleichzwecken wird im Fol‐ genden zunächst der Text zum Wunder von Bern 10 , der den Studierenden vor‐ liegt, in Auszügen zitiert: 208 6 Kulturbezogenes Lernen (54) […] Deutschland hatte die hoch favorisierten Ungarn bei der Fußball-WM 1954 im Endspiel von Bern mit 3: 2 geschlagen. Den entscheidenden Treffer schoss Rahn fünf Minuten vor dem Schluss nach einer Flanke von Schäfer. ,Es war unbeschreiblich, was sich nach dem Schusspfiff [sic] des englischen Schiedsrichters Ling in dem ausver‐ kauften Wankdorfstadion tat‘, schrieb tags darauf die Frankfurter Rundschau […]. Übrigens: ,Die deutsche Nationalhymne erklang…‘, so stand es in der Frankfurter Rundschau zu lesen. Verschwiegen wurde allerdings der peinliche, aber doch auch bezeichnende Fehlgriff: Die 5000 deutschen Schlachtenbummler in Bern stimmten die deutsche Nationalhymne an, doch sie sangen die Strophe ‚Deutschland, Deutschland über alles…‘ und nicht die neue Hymne in Gestalt der dritten Strophe des Deutschland‐ liedes, Einigkeit und Recht und Freiheit…‘. Dies zog heftigen internationalen Protest nach sich. (Hervorhebungen CB) Im Vergleich mit dem Text, der dieser Zusammenfassung zugrunde liegt, fällt auf, dass Johanna diesem viele Formulierungen entnommen hat (unterstrichene Formulierungen), ihn auf die wesentlichen Punkte kürzt und schwierigere For‐ mulierungen (kursiviert) vereinfacht. Lediglich die im Auszug fett markierten (Neben-)Sätze hat sie selbst hinzugefügt. (2) Sv: Wunder von Bern - Johanna (2014-02-11 22: 37) 1. In der Endspiel von Bern, bei der Fußball- WM 1954, hat Deutschland Ungarn mit 3: 2 geschlagen, und dieser Sieg war für das ganze Land wirklich ein großer Erfolg. Ungarn war außerdem vor dem Spiel hoch favorisiert, und deswegen fühlte man sich noch glücklicher. Nach dem Spiel hat 5000 Deutschen die deutsche Nationalhymne gesungen und es war ein starkes, wunderbares Gefühl. Zwar hat man nicht die of‐ fizielle Version, sondern die Strophe „Deutschland, Deutschland über alles…“ gesungen, und dafür hat man später Kritik gekriegt. […] (Hervor‐ hebungen CB ) Die fett markierten Sätze stellen einen Versuch dar nachzuvollziehen, welche Gefühle der Sieg bei den Zuschauern in Bern auslöste. Der Auszug zeigt auf diese Weise, dass es selbst in den Fällen, in denen das Sachwissen aus den Texten (das selbstverständlich auch problematisch sein kann) fast eins zu eins wiederge‐ geben wird, in die Beiträge der STN eigene Einschätzungen und Interpretati‐ onen mit einfließen. (2) Neben dem Vorgehen, die Informationen aus den Lehrmaterialien zu ent‐ nehmen, fügen einige STN ihren Beiträgen Informationen hinzu, deren Quelle nicht immer zu erkennen ist (im Folgenden fett markiert): 209 6.2 Sachwissen 11 Borchert, Knut (1995): „Die D-Mark“. In: Hentig, Hartmut v.: Deutschland in kleinen Geschichten. München: dtv, S. 22-26. (55) (17) Re: Währungsreform - Katrin (2014-02-13 15: 12) Laut der Text ist die Währungs- und Wirtschaftsreform das wichtigste Geschehen während der deutsche Nachkriegszeit. Teilweise ist das weil die Ökonomie sich ab da verbessert hat, was die Deutschen alle sehr gut fanden. Sie liebten die D-Mark dafür, das sie die erste große und positive Veränderung war, nach der Krieg. Die neue Währung war so zu sagen ein Neustart und hatte nichts mit der NS -Zeit zu tun. Außerdem hat es für allen ein Unterschied im Alltagsleben gemacht. Der richtige Nationalfeiertag, der 23. Mai, war der Tag wenn der neue Grund‐ gesetz verkündigt wurde. Aber davon haben die meisten wahrscheinlich nicht viel gemerkt, und es war schon klar das es nach Hitler verändert werden musste. Das war nicht wirklich Grund zum feiern. Der Tag wenn die D-Mark eingeführt wurde, dagegen, war einen Tag worauf die Deut‐ schen stolz sein konnten. Das konnte gefeiert werden. Die verbesserte Ökonomie in Westdeutschland war aber nicht das einzige, was mit diese Reform wichtig war. Bis dann war das be‐ siegte Deutschland zwar in vier Besatzungszonen aufgeteilt, aber die waren alle ziemlich gleich. Die D-Mark wurde aber nur in die drei Zonen eingeführt, die später Westdeutschland werden sollte. In der Sowjetische Zone gab es bald danach die Ostmark, und damit wurde es klar, das Deutschland jetzt aufgeteilt war zwischen Westen und Osten. Natürlich hatte die USA viel damit zu tun, was im Westen pas‐ sierte. Sie haben der Kapitalismus nach Deutschland gebracht; Zwangswirtschaft und Rationierung wurde abgeschafft und wer D-Mark hatte konnte alle mögliche neue Sachen kaufen. Und na‐ türlich haben sowjetische Besatzungsmacht im Osten das nicht so gut gefunden und alles ganz anders gemacht. Es war nicht mehr möglich, dass Deutschland wieder zu einem Land wurde. (Hervor‐ hebung CB ) In den ersten beiden Abschnitten fasst Katrin Informationen aus dem zur Se‐ minarliteratur gehörigen Text „Die D-Mark“ des Wirtschaftshistorikers Knut Borchert 11 zusammen, verändert aber die Reihenfolge so, dass ihr Text eine ei‐ 210 6 Kulturbezogenes Lernen 12 Wolfrum, Edgar: „Wann begann die Spaltung Deutschlands? “ In: Ders. (2009): Die 101 wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland. München: C. H.Beck, S. 56 f. (56) gene, sinnvolle Struktur bekommt. Während beispielsweise Borchert zunächst auf den Gründungstag der Bundesrepublik und erst später auf die Bedeutung der Reform für das tägliche Leben eingeht, findet sich in Katrins Beitrag genau die umgekehrte Struktur, was darauf hinweist, dass sie sich mit dem Thema soweit auseinandergesetzt hat, dass sie selbständig die wichtigsten Informati‐ onen adäquat zusammenfassen und neu strukturieren kann. Darüber hinaus fügt Katrin ihrem Text weitere Informationen zur Währungsreform bei, die nicht Borcherts Text entnommen sind: die Bedeutung der Einführung der D-Mark für die deutsche Teilung und die Rolle der USA . Vermutlich besitzt Katrin bereits Kenntnisse über dieses Kapitel der deutschen Geschichte, die sie in den Text einfließen lässt, u. U. hat sie diese vorher nochmals recherchiert. (3) Dass STN recherchieren, bevor sie ihre Beiträge schreiben, macht Auszug 22 deutlich: Leah hat vor dem Verfassen ihres faktenorientierten Beitrages zum Thema Trümmerfrauen weitere Informationen recherchiert und ist dabei auf einen englischsprachigen wissenschaftlichen Artikel (Heinemann 1996) ge‐ stoßen. Die Erkenntnisse, die sie durch die Lektüre gewonnen hat, fließen in ihren Beitrag ein. (4) Im Laufe des Seminars kommt noch ein vierter Bearbeitungsmodus hinzu, der den Nachweis dafür bringt, dass einige der STN das landeskundliche Wissen, das sie in den vorherige Unterrichtseinheiten erworben haben, zu dem aktuellen Unterrichtsthema in Beziehung setzen können. Im Diskussionsforum zum Thema deutsche Teilung antwortet Susanne Folgendes auf die Frage, was die Formulierung „unterschiedliche gesellschaftspolitische Wege“, die sich im Text von Wolfrum 12 findet, bedeutet: (2) Sv: Unterschiedliche gesellschaftspolitische Wege in Ost und West - Susanne (2014-02-28 15: 58) […] Es hört vielleicht auch ein bisschen mit den Gründungsmythen der DDR und BRD zusammen. Die beiden Staaten haben die Überzeugung davon, dass sie den richtigen Weg weg von Nazismus haben. Deshalb glaubten die wahrscheinlich auch, dass der andere Teil von Deutschland eine falsche Überzeugung hatte. Susanne beendet ihre Ausführungen mit dem Kommentar, dass die unterschied‐ lichen gesellschaftspolitischen Wege auch etwas mit den Gründungsmythen zu tun haben, da die Gründungsmythen diese ja widerspiegeln (was Susanne al‐ lerdings nicht deutlich formuliert). 211 6.2 Sachwissen (57) Die Frage, inwiefern die Beiträge, in denen Sachwissen wiedergegeben wird, Interaktion initiierend fungieren, kann für die Foren zu den Gründungsmythen eindeutig beantwortet werden: gar nicht. Erst im Laufe des Seminars, in dem sich die Studierenden an die Unterrichtsform und den Einsatz des Forums ge‐ wöhnt haben oder verstehen, wie sie es für ihre Zwecke einsetzen können, und sich auch besser kennengelernt haben, wird von diesem Verhaltensschema ab‐ gewichen. In der Online-Phase zum Thema Die deutsche Teilung diskutieren die Studierenden die Frage, welche Rolle die Währungsreform auf dem Weg zur deutschen Teilung spielt. Es kommt zur folgenden Interaktion zwischen den STN Lars und Christian: (2) Sv: Währungsreform - Lars (2014-02-26 14: 51) Senast ändrad av Lars den 2014-02-26 15: 14 Man kann die Währungsreform am 20. Juni 1948 als ein entscheidendes Ereignis betreffend die Teilung Deutschlands betrachten. Vorher hatten die Besetzungsmächte fast nur mit Worte oder rhetorische Markierungen über das künftige Deutschland gestritten, Ende Juni gab es aber zwei Währungen und recht bald zwei wirtschaftliche Systeme. Außerdem hat die Sowjetunion als Antwort der Währungsreform die Berliner Blockade proklamiert, was die Westmächte veranlasst haben, die „Trizone“ im Mai 1949 zur BRD verwandeln. Im Oktober wurde die DDR ausgerufen. Vielleicht muss man die russische Verlassung des gemeinsamen Kontrollrats im März als Einleitung dieses Prozesses sehen, es deutet an, dass die Sowjetunion sich zu einem geteilt Deutschland entschlossen hat, aber wir wissen es nicht […] (4) Sv: Währungsreform - Christian (2014-03-02 14: 23) Diese Auswicklung ist ja sehr kompliziert. Wir können nicht ein‐ fach sagen, dass die eine Seite schuld ist dafür. Die Sowjetunion hat den Alliierten Kontrollrat verlassen, danach schafften die Westmächte die Trizone und führte die D-Mark ein, was zur Berliner Blockade des SU führte. So ist die Geschichte von EW [Edgar Wolfrum, CB ] beschrieben. Aber warum hat die SU den Kontrollrat verlassen? Das war eine Folge auf den Londoner Sechsmächtekonferenz im Frühjahr 1948, wo die West‐ mächte die Zukunft Deutschlands diskutierte - ohne die SU . Das wurde wahrscheinlich als eine Provokation aufgefaßt. Als auch die SU die Aus‐ kunft über die Konferenzergebnisse verweigert wurde stellte die Sowjet‐ union ihre Mitarbeit im Alliierten Kontrollrat ein. 212 6 Kulturbezogenes Lernen (5) Sv: Währungsreform - Lars (2014-03-02 17: 45) Über die Entwicklung des kalten Krieges in Deutschland kann man lange diskutieren. Ich habe keine Schätzungen darin gelegt, wer schuldig zur Teilung Deutschlands war. Ich wollte nur diskutieren, ob die Währungsreform die Bestätigung der definitiven Teilung war. Die Entwicklung nach den Konferenzen von Jalta 1944 und Potsdam 1945 hat gezeigt, es handelte um zwei verschiedene Gesellschaftssysteme, die unvereinbar waren. Deutschland stand in der Mitte dieser Spannungen. Stalin hat mit dem Prager Putsch im Februar 1948 bestätigt, dass er keine westliche Demokratie in Staaten abhängig auf die Sowjetunion akzeptiert hatte und die USA wollten natürlich ihrerseits nicht ein kommunistisches System akzeptieren. Gab es dann eine Möglichkeit, dass die vier Beset‐ zungszonen Deutschlands vereint würden? Ich meine nein, von nun an handelte es um, von wem und wie die Teilung durchgeführt werden sollte. […] (Hervorhebungen CB ) Tatsächlich findet also in manchen Foren die Aushandlung von Sachwissen statt, wobei eine kritische Haltung einiger STN gegenüber Geschichtsbildern deutlich hervortritt. Verhandelt wird hier die Frage, wer Schuld an der Spaltung Deutsch‐ lands hat. Lars fasst in seinem einleitenden Beitrag die Bedeutung der Wäh‐ rungsreform 1948 im Hinblick auf die deutsche Teilung zusammen, indem er sie als eine der wichtigen Stationen in der Entwicklung nennt, so wie sie in Ge‐ schichtsabrissen zu finden sind. Er beendet die Zusammenfassung mit der Über‐ legung, ob der Austritt der Sowjetunion aus dem Kontrollrat der Alliierten die Initialzündung der Entwicklung war und diese schon eine Teilung Deutschlands im Sinn hatte. Er fügt hinzu: „Aber wir wissen es nicht“. Diese Aussage de‐ monstriert so sein allgemeines Bewusstsein darüber, dass auch in den Ge‐ schichtswissenschaften Lücken bestehen und lässt sich dahingehend interpre‐ tieren, dass manche Fragen aufgrund fehlender Quellen möglicherweise nie beantwortet werden können. Nach Ansicht von Christian schreibt Lars in seinem Beitrag die Schuld der Sowjetunion zu und kommentiert, dass man das nicht so einfach sagen könne, da die Zusammenhänge zu komplex seien, und deutet dann an, dass die Schaffung der Trizone und die Einführung der D-Mark die Spaltung weiter vorantrieb. Gleichzeitig verteidigt er den Akt der Sowjet‐ union, den Alliierten Kontrollrat zu verlassen. Lars holt dann weiter aus und argumentiert, dass die unterschiedlichen Entwicklungen, die unausweichlich zur Spaltung führten, schon früher begannen. Interessant ist der Auszug, weil er zeigt, dass einige STN ein fundiertes Sachwissen haben, und dass dieses Vo‐ raussetzung dafür ist, dass Sachwissen diskutiert werden kann. Christian und 213 6.2 Sachwissen (58) Lars illustrieren in ihrer Diskussion, dass Zusammenhänge komplex sind und auch vermeintlich einfache Sachfragen nicht eindeutig beantwortet werden können. 6.2.2 Vor- und Nachteile von Sachfragen in asynchronen Online-Diskussionen Man könnte hinsichtlich der Frage nach Vor- und Nachteilen von Sachfragen in Online-Diskussionen einwenden, dass das Stellen von faktenbezogenen Fragen nicht zielführend ist, da sie in der Regel nicht Interaktion initiieren und dass sich Diskussionsforen, in denen Beiträge zu Sachfragen gesammelt werden - zurecht - aufgrund von inhaltlichen Wiederholungen langweilig lesen. Da das Hauptziel des Einsatzes asynchroner Online-Kommunikation in Unterrichtszu‐ sammenhängen das Fördern von Interaktion zwischen den Studierenden ist (siehe Kapitel 2.1.2), sind Fragen zum Sachwissen, besonders wenn die Lern‐ enden noch keine fundierten Sachkenntnisse besitzen, auch tatsächlich nicht besonders gut geeignet. Dennoch gibt es Gründe, warum der Einbezug von Sachfragen in die Aufgabenstellung sinnvoll ist, wobei die Sachfragen stets als Ausgangspunkt dienen und nicht die einzigen zu diskutierenden Fragen dar‐ stellen sollten. Zunächst soll mit dem Argument begonnen werden, dass dass Sachwissen notwendig ist, um die Narrativität und Perspektivgebundenheit von Erinne‐ rungen, Geschichtsbildern etc. überhaupt erst erfassen zu können. Die Aufga‐ benstellung zum Forum Mauer im Kopf beginnt in medias res: Die Studierenden sollen mit Hilfe verschiedener Texte Vermutungen anstellen, ob es die ‚Mauer im Kopf ‘ heute noch gibt. Eine grundlegende Sachfrage, was mit dem Begriff überhaupt gemeint ist, findet sich nicht. In der Diskussion gibt es zwar Beiträge, in denen der Begriff adäquat verwendet wird, doch zeigt sich, dass einige der STN gar nicht wissen, was der Begriff bedeutet. Per (Auszug 58) beispielsweise deutet den Begriff als mentale Mauer im Kopf derjenigen, die gesellschaftliche Umwälzungen erlebt haben und es nicht schaffen, sich an die neuen Gegeben‐ heiten anzupassen. Als Beispiel nennt er den Wahlverlust der schwedischen Sozialdemokraten 1976, in dessen Anschluss sich viele sozialdemokratische Po‐ litiker zunächst nicht des Bedeutungsverlustes ihrer Partei gewahr wurden. (1) von Per - Christine (2013-04-08 17: 45) […] Es ist also kein Wunder dass Menschen, die in der DDR lebten und mit der Diktatur - die kommunistische und für manche auch die nazisti‐ sche - seit lange gewöhnt waren, während viele Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Eiserne Vorhangs und vielleicht noch immer ihre von den 214 6 Kulturbezogenes Lernen (59) Verhältnisse in der DDR erwarben Vorstellungen und Reflexen beibe‐ halten. Das ist für mich „die Mauer im Kopf“. Ich habe keine eigenen Erfahrungen mit der Mauer im Kopf wenn es handelt sich um Deutschen. Ich habe doch erlebt etwas Derartiges, auch wenn in viel weniger Umfassung. Wenn die schwedische Sozialdemo‐ kraten, seit 40 Jahren eine Regierungspartei, verlor die Wahl 1976 waren viele Leute ganz verwirrten und es nahm gute Zeit bevor die Politikern, besonders die sozialdemokratische Politikern, einsahen dass eine Mehr‐ heit der Wähler nicht mehr die sozialdemokratische Partei vertrauten. Meiner Meinung hatte das ganze schwedische Volk eine kleine Mauer im Kopf, zumindest eine Zeit. (Hervorhebung CB ) Zwar schreibt Per, dass dies seine Interpretation des Begriffs ist, doch ist davon auszugehen, dass die Unsicherheit, was damit gemeint ist, erst die Möglichkeit eröffnet, dass eine eigene Interpretation angebracht wird. Eine weitere Inter‐ pretation des Begriffs findet sich in Auszug 59. Die ‚Mauer im Kopf ‘ wird hier verstanden als das reale Bauwerk, an das man sich erinnern kann und das man sich bei Aufenthalten in Berlin stets vergegenwärtigt, auch wenn es inzwischen abgerissen ist. (15) Gibt es die Mauer im Kopf noch? - Janina (2013-04-06 22: 55) Gibt es die Mauer im Kopf noch? Die ist eine schwierige Frage zu beantworten. Die erste Jahre nach der Wende, war ich zu jung, etwas um die Welt zu wissen. Deswegen gibt die Mauer für mich nicht. Ich weiß dass, die Mauer noch im Kopf meinen Eltern gibt. Besonders mein Vater, weil er Reiseleiter mit Deutsch‐ land als Gebiet war. Er hat das erlebt und ich nicht. […] (16) Sv: Gibt es die Mauer im Kopf noch? - Christine (2013-04-08 11: 39) Liebe Janina! Das ist ja spannend! Wie zeigt sich, dass es in den Köpfen deiner Eltern noch eine Mauer im Kopf gibt? Viele Grüße, Christine (17) Re: Sv: Gibt es die Mauer im Kopf noch? - Janina (2013-04-09 11: 03) Er erzählt was er von die Mauer errinnert, und wie man noch sehen kann, wo Ost und West war. Wenn wir Z.b Berlin besucht haben, dann hat er gesagt, „jetzt sind wir in alte Ostberlin, Weil es hier Straßenbahn noch gibt. (Hervorhebungen CB ) 215 6.2 Sachwissen Dass es sinnvoll ist, in den Online-Diskussionen auch Sachfragen in die Aufga‐ benstellungen zu integrieren, führen die Datenauszüge vor Augen, sowie, dass Sachwissen über Personen, Ereignisse und Begrifflichkeiten die notwendige Basis für eine weitere Auseinandersetzung darstellt. Des Weiteren spricht die epistemische Funktion des Schreibens (vgl. Ka‐ pitel 2.4) für die Berücksichtigung von Faktenfragen. Es muss hinsichtlich dessen jedoch überlegt werden, ob für das Klären von Sachwissen aufgrund der geringen Interaktion anstelle des Diskussionsforums besser ein Blog oder ein Wiki eingesetzt werden sollte. Insgesamt muss an dieser Stelle jedoch unbeant‐ wortet bleiben, wie das Klären von Sachwissen sinnvoll in die Online-Phasen integriert werden kann, bzw. ob dies nicht besser im Präsenzunterricht ge‐ schehen sollte und wie wichtig es ist, dass die epistemische Funtkion des Schreibens ausgenutzt werden kann. Es ist beispielsweise möglich, dass Ansätze wie problemorientiertes Lernen (vgl. Schwartz / Mennin / Webb 2001), in dem die Studierenden durch die Konfrontation mit einem Problem ihr Sachwissen selb‐ ständig erweitern müssen, insgesamt zielführender sein könnten. Hinsichtlich der Beiträge in den untersuchten Foren muss es jedoch als positiv bewertet werden, dass die STN gezwungen sind, das Sachwissen in eigenen Worten zu formulieren, wofür sie sich zunächst mit dem Gelesenen oder mit dem Vorwissen in relativ detaillierter Weise auseinandersetzen müssen. Da‐ durch, dass die Beiträge im Forum gepostet werden und sie so für die anderen Studierenden und für mich als Lehrende zur Verfügung stehen, entsteht, zu‐ mindest für einen Teil der Studierenden, der Druck, inhaltlich und sprachlich möglichst gute Beiträge zu formulieren (vgl. Kapitel 5.5). Durch das Verschrift‐ lichen der Beiträge findet eine „intensivere Verarbeitung des Lernstoffs dadurch [statt], dass er nicht nur verstanden, d. h. aus dem Verbalen ins Mentale übersetzt werden muss, sondern beim Schreiben auch wieder in umgekehrter Richtung bearbeitet, d. h. wieder verbalisiert werden muss“ (Molitor-Lübbert 2002, 38). Im besten Fall werden den STN Wissenslücken bewusst, die sie durch eine den Schreibprozess begleitende Recherche füllen. Durch das Schreiben werden zudem Reflexionen über das Thema, über Zusammenhänge, angeregt, wie sie allein im Lesen oder Zuhören wohlmöglich nicht zustande kämen (vgl. Mem‐ minger 2007, 33). Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Studierenden in der Lage sind, kohärente Text zu verfassen und das Schreiben in seiner epistemischen Funktion zu nutzen, vor allem, wenn die sprachlichen Mittel dazu fehlen. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, wie wichtig das „zweisprachige Seminar“ (Rösler 2006b) ist, d. h. die Integration von inhaltlichem und sprach‐ lichem Lernen im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen (vgl. Kapitel 2.3). 216 6 Kulturbezogenes Lernen Wenn Studierende die Möglichkeit bekommen, Texte in ihrer L1 zu schreiben, und sie in der L1 die epistemische Funktion von Schreibprozessen nutzen können, kann auf diese Weise das inhaltliche Lernen befördert werden. In Ka‐ pitel 5.5 dieser Arbeit wurde gezeigt, dass sich jedoch die meisten STN scheuen, ihre Beiträge auf Deutsch zu verfassen, weil ein gewisser sozialer Druck besteht. Es wäre daher zu überlegen, wie das Schreiben in der L1 angeregt werden kann. Neben der Etablierung einer Kursatmosphäre, in der die Wahl der Sprache nicht aufgrund von sozialem Druck geschieht, sondern weil die Studierenden ein Vorgehen vorziehen, das zu ihren persönlichen Lernzielen und Bedürfnissen passt, könnten inhaltlich anspruchsvolle Aufgaben den Hinweis enthalten, dass gerade diese sich anbieten, in der L1 beantwortet zu werden. Das Zusammenfassen von Sachwissen hat in asynchroner computervermit‐ telter Kommunikation zudem den Vorteil, dass den Lehrenden Wissenslücken und falsche Interpretationen der Lernenden bewusst werden können. Dies muss im Zusammenhang damit gesehen werden, dass in didaktischer Ratgeber- und Forschungsliteratur generell davon ausgegangen wird, dass ein Vorteil von Prä‐ senzunterricht die Möglichkeit ist, dass die Lehrenden unmittelbar auf Schwie‐ rigkeiten und Probleme reagieren können und Lernkontrollmöglichkeiten be‐ stehen (vgl. Kranz / Lücking 2005, 1, sowie Kapitel 2.1.1). In Präsenzunterricht, an dem wie im vorliegenden Fall eine relativ große Gruppe teilnimmt und sich viele der Studierenden nicht mündlich beteiligen, ist aber gerade diese Mög‐ lichkeit nicht gegeben. Die asynchronen Online-Diskussionen können hier also, anders als gemeinhin angenommen, den Lehrenden zeigen, wo möglicherweise Erklärungsbedarf besteht. Darüber hinaus ist es möglich, dass auch das Lesen der faktenorientierten Beiträge ein Potenzial für die Studierenden darstellt, darauf weist beispielsweise Auszug 34 hin. So ist es möglich, dass diejenigen, die die Beiträge lesen, ihre Sachkenntnisse erweitern. Die Produktdaten enthalten jedoch keine Hinweise darauf, dass STN durch die Beiträge der anderen ihr Sachwissen erweitert haben. So gibt es beispielsweise keine Kommentare, in denen angeführt wird, dass der / die Verfasser/ -in den Beiträgen der anderen Informationen entnommen hat. Zusammenfassend kann an dieser Stelle gesagt werden, dass die STN die Fragen zum Fachwissen in den Aufgabenstellungen beantworten und dabei zwischen verschiedenen Strategien wählen: (1) Die Informationen aus dem Lehrmaterial werden zusammengefasst, (2) diese Informationen werden durch das Vorwissen ergänzt und / oder weitere Informationen werden recherchiert. Insgesamt führen Fragen zum Sachwissen kaum zu studentischer Interaktion und es konnte gezeigt werden, dass fundierte Sachkenntnisse vonnöten sind, damit überhaupt Interaktion entsteht. Trotz dieser Einschränkungen, die im 217 6.2 Sachwissen 13 Darüber hinaus ist der kritische Umgang mit jeglicher kultureller Form der Welt, d. h. mit Geschichte, politischer Kultur etc., selbstverständlich nichts, was erst im Hoch‐ schulstudium erworben werden sollte [vgl. z. B. die Bildungstandards im Geschichtsun‐ terricht (Sauer 2006)]. 14 Dass die Existenz von nicht-integriertem Landeskundeunterricht in manchen Fällen legitimiert werden muss, zeigt z. B. die Situationsbeschreibung von Koreik 2010, 133. Hinblick auf das Ziel von CMC in Unterrichtssituationen sehr wesentlich sind, zeigt sich, dass Sachfragen im Forum sinnvoll sind, da so zum einen die ge‐ meinsame Basis geklärt wird. Gleichzeitig erfüllt das schriftliche Verfassen hier eine wichtige Funktion, denn durch die Verschriftlichung kann eine intensivere Verarbeitung des Lernstoffes stattfinden. 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen Der Tätigkeitsbereich der Geistes- und Kulturwissenschaften kann als das wis‐ senschaftliche Begreifbarmachen von Kultur bezeichnet werden, d. h. von dem „von Menschen erzeugte[n] Gesamtkomplex von kollektiven Sinnkonstrukti‐ onen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen“ (Nünning 2001, 355). Dies bedeutet, dass das geistes- und kulturwissenschaftliche Studium auf diese Aufgabe vorbereiten muss, was die Vermittlung des dafür notwendigen Instrumentariums erfordert. Dazu gehören neben generischen Kompetenzen wie Reflexivität und kritischem Denken 13 auch das Vertrautmachen mit und Reflektieren über Konzepte und Theorien. Diese stellen (stets zu überprüfende und weiterzuentwickelnde) Werkzeuge dar, die das wissenschaftliche Begreif‐ barmachen von Kultur ermöglichen. In universitärem Landeskundeunterricht macht daher die explizite Bewusstmachung von Konstrukthaftigkeit und Per‐ spektivgebundenheit von der zu vermittelnden ,Wirklichkeit‘ der Zielsprachen‐ kultur sowie die Hinführung zu entsprechenden theoretischen Begrifflichkeiten einen Mehrwert gegenüber Landeskundeunterricht aus, in dem es ‚nur‘ um die Auseinandersetzung mit geteilten Wissensbeständen geht (vgl. Kapitel 2.2.2). 14 Zugleich wird dadurch nämlich auf das weitere geistes- und kulturwissen‐ schaftliche Studium vorbereitet, da nicht nur generische Kompetenzen geschult werden, sondern auch Denkansätze und Tätigkeitsfelder aufgezeigt werden und die Studierenden (in Ansätzen) geschult werden, an wissenschaftlichen Dis‐ kursen über Kultur teilzuhaben. Im hochschuldidaktischen Kontext finden sich so Überlegungen, wie z. B. kultur- und fremdsprachendidaktische Zugänge zu Erinnerungsorten zu gestalten sind, „um bei Studierenden die Kompetenzen zu fördern, sich kompetent an Erinnerungs- und Identitätsdiskursen beteiligen zu 218 6 Kulturbezogenes Lernen 15 Auch Grub (2015) setzt sich mit der Frage auseinander, wieviel Theorie „schwedische Studierende auf grundnivå“ benötigen und beantwortet diese exemplarisch mittels eines Lehrwerktextes. Zu den angerissenen Themen gehören u. a. verschiedene Begriffe von ‚Kultur‘, ein Überblick über die Geschichte des Landeskundeunterrichts, die Begriffe ‚Vorurteil‘, ‚Stereotyp‘ und ‚Klischee‘ sowie die Konzepte ‚kulturelles Gedächtnis‘ und ‚Erinnerungsorte‘. können“ (Behrendt 2015, 204f). Notwendig seien dafür beispielsweise fundierte Kenntnisse von Konzepten des kollektiven Gedächtnisses (vgl. ebd.). 15 Außerdem kann die explizite Behandlung von entsprechenden Konzepten auch in nicht-akademischen Kontexten für „kulturelles Lernen“ (Altmayer 2006, 55) sinnvoll sein: Das Reflektieren über eigene und fremde kulturelle Deutungs‐ muster und ihre Genese, die Konstrukthaftigkeit von ‚Wirklichkeit‘ und Per‐ spektivgebundenheit von historischen Fakten (vgl. Kapitel 6.2.2), sind ohne Re‐ flexionen und Bewusstmachungsprozesse nicht denkbar (vgl. Agiba 2017). Letztendlich kann jedoch immer unter Berücksichtigung des Kontexts ent‐ schieden werden, wieviel Theorie und vor allem welche Konzepte im spezifi‐ schen Fall gewinnbringend sind. Im vorliegenden Kapitel wird untersucht, inwiefern die Studierenden das Online-Forum zur Reflexion über Begriffe und Deutungen nutzen. Unter Be‐ griffs- und Deutungsreflexionen verstehe ich solche Momente, in denen die STN über die Geltungsbereiche von Begriffen oder theoretischen Konzepten und über die Deutungen von Sachwissen, die sie in der Seminarliteratur vorfinden oder selbst vornehmen, explizit reflektieren. Die Reflexionen werden nicht in den Aufgabenstellungen gefordert; es handelt sich also um einen Aufgaben‐ bearbeitungsmodus ohne direkten Bezug zur Aufgabenstellung. Gleichwohl werden theoretische Konzepte im Präsenzunterricht und in der Seminarliteratur eingeführt und in den Präsenzseminaren wird die Perspektivgebundenheit von Deutungen historischer Ereignisse diskutiert, so dass eine kontextuelle Relevanz besteht. Folgende Fragen stehen bei der Analyse im Fokus: - Welche Bereiche betreffen Begriffs- und Deutungsreflexionen? - Wann finden Begriffs- und Deutungsreflexionen statt? - Welche Potenziale und Probleme bergen asynchronen Online-Diskussi‐ onen für Begriffs- und Deutungsreflexionen? 6.3.1 Begriffsreflexionen Begriffsreflexionen finden in verschiedenen Online-Foren statt und betreffen bestimmte Begriffe oder kulturwissenschaftliche Konzepte. Einer der Begriffe, der das Objekt einer Reflexion wird, ist ‚Stunde Null‘, bei dem es sich um einen 219 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen 16 Dieser Datenauszug wurde bereits an anderer Stelle zitiert, siehe Auszug 24. (60) „umkämpfte[n] Ausdruck [handelt], der als Vokabel einer Ideologie, deutsches Masternarrativ, Ausdruck realer Erfahrungen oder eines Tatsachenbefundes, als Legende oder auch als Metapher gedeutet worden ist“ (Hobuß 2009, 42). Der Begriff kann als problematisch bezeichnet werden, da er auch für eine Selbst‐ täuschung und Entlastung von Schuld herangezogen wurde und eine „Praxis der Veleugnung und des Beschweigens“ (ebd.) beförderte. Per reflektiert über den Geltungsbereich des Begriffs, d. h. über die Frage, ob die Einführung der D-Mark am 20. Juni 1948 als ‚Stunde Null‘ gedeutet werden kann, wobei der Begriff zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Unterricht einge‐ führt worden war und er also dem Vorwissen des STN entstammt: (11) Re: Währungsreform - Per (2013-02-04 22: 25) Normalerweise ist das Kriegsende als Stunde Null bezeichnet. Meiner Meinung ist doch der 20. Juni 1948 die wichtigste Stunde Null. Ich freue mich daran, dass ich im erste Kapitel im Edgar Wolfums Buch Stütze für diese Meinung finde. Doch, nach Wolfum im erste Kapitel hat die Wäh‐ rungsreform „ebenso wenig wie eine Restauration … eine Stunde Null gegeben.“ Aber im Kapitel 97 stellt er fest dass „die meisten Deutschen die eigentliche Gründung der Bundesrepublik“ in der Währungsreform sahen. Es ist ja gar nicht unbegründet um eine Stunde Null zu denken. […] 16 Per argumentiert also, dass der Begriff der ‚Stunde Null‘, mit dem normalerweise einerseits der „8. Mai 1945, andererseits die gesamte Zeitspanne von 1945 bis 1949“ (Hobuß 2009, 42) bezeichnet wird, auch auf den Tag der Einführung der D-Mark appliziert werden könne, und belegt dies mit seiner Interpretation der Seminarliteratur. Besonders Wolfrums Aussage, dass die meisten Deutschen die eigentliche Gründung der Bundesrepublik in der Währungsreform sahen (vgl. Wolfrum 2009, 140), dient ihm dabei als Argument. Diese Deutung der Wäh‐ rungsreform ist möglich, wenn ‚Stunde Null‘ als Neubeginn interpretiert wird, meines Erachtens ist sie jedoch aufgrund bestimmter Konnotationen proble‐ matisch, die Hobuß wie folgt beschreibt: Die ‚Null‘ steht dabei für den Gegensatz zum ‚Tausendjährigen Reich‘ der National‐ sozialisten, für das Bild einer tabula rasa, die Vorstellung einer radikal neuen Zukunft oder kann im Sinne einer Bilanz interpretiert werden, unter der eine ‚Null‘ markiert, dass die Schuld beglichen sei. (Hobuß 2009, 42) 220 6 Kulturbezogenes Lernen 17 Dies ist der einzige Fall, in dem der Bezug auf kulturwissenschaftliche Konzepte konkret vorgegeben ist, was dazu führt, dass sich hier besonders viele Begriffsreflexionen finden. In der Unterrichtseinheit zur Mauer im Kopf wird beispielsweise auch der Begriff des Erinnerungsortes eingeführt, dies geschieht allerdings erst im Präsenzunterricht. (61) Vermutlich ist Per diese Konnotation des Begriffs nicht bekannt und er deutet ihn im Sinne eines Neuanfanges. Interessant ist Pers Beitrag zudem, weil er hier über das Nachvollziehen der Begriffsanwendung hinausgeht und mit Hilfe einer Begriffsreflexion eine eigene Deutung der ‚Wirklichkeit‘ vornimmt, die beein‐ flussen kann, wie die anderen Studierenden den Begriff verstehen und an‐ wenden - was nicht unproblematisch ist. Während es an dieser Stelle unklar ist, warum Per den Begriff der ‚Stunde Null‘ einführt, sorgt in den folgenden Fällen die kontextuelle Relevanz (vgl. Ka‐ pitel 5.8.3) für die Diskussion um den Begriff des Gründungsmythos. Die Un‐ terrichtseinheit, aus der die folgenden Beiträge stammen, trägt den Titel Grün‐ dungsmythen der Bundesrepublik (vgl. Kapitel 5.7). 17 Auch hier ist Per der Urheber des Beitrags, in dem es um eine Bedeutungskomponente des Grün‐ dungsmythos-Begriffs geht, wenn er anmerkt, dass der Trümmerfrauen-Mythos eigentlich ein Narrativ von „Elend und Niederlage“ sei. Er scheint anzunehmen, dass ein Gründungsmythos eine durch und durch positive Erzählung sein müsse, und stellt durch das Posten des Beitrages diese Deutung zur Diskussion: (10) Re: Trümmerfrauen - Per (2013-02-04 17: 14) […] Wenn die Trümmerfrauen tätig waren, war ihren Leben im Chaos. Die grosse Städte Deutschlands waren alle in Trümmern. Die Männer waren toten oder verschwundenen. Vielen von die Frauen und anderen, die in den Städten lebten, waren unternährten. Die Erzählung von den Trümmerfrauen ist in Realität eine Erzählung vom Elend und Niederlage. Dass die Währungsreform und das Wunder von Bern gehören zu den Gründungsmythen ist viel leichter zu verstehen. […] Damit gehört Pers Beitrag auch zu denjenigen, die darauf hinweisen, dass es sich bei ,Gründungsmythos‘, einem Begriff, der in der ersten Sitzung des Lan‐ deskundeseminars eingeführt wird, um ein threshold concept handelt. Der Be‐ griff stammt aus der Hochschuldidaktik und bezeichnet einen Schwellenbegriff zu einer bestimmten Art des Denkens in einer wissenschaftlichen Disziplin, der für Studierende in der Regel zunächst schwierig zu verstehen ist: It represents a transformed way of understanding, or interpreting, or viewing some‐ thing without which the learner cannot progress. As a consequence of comprehending a threshold concept there may thus be a transformed internal view of subject matter, 221 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen (62) subject landscape, or even world view. […] Such a transformed view or landscape may represent how people ‚think‘ in a particular discipline, or how they perceive, appre‐ hend, or experience particular phenomena within that discipline (or more generally). (Meyer / Land 2003, 1) Oftmals repräsentiert ein threshold concept sogenanntes troublesome knowledge (vgl. Perkins 1999), d. h. Wissen, das nicht eingängig ist, inkohärent erscheint oder fremd in dem Sinne, dass es einer „anderen Kultur oder einem anderen Diskurs entstammt“ (Meyer / Land 2003, 5, Übersetzung CB ), was die Verständ‐ lichkeit des Begriffs erschwert. Der Gründungsmythos-Begriff kann stellver‐ tretend für andere kulturwissenschaftliche oder von den Kulturwissenschaften rezipierte Konzepte dafür sorgen kann, dass die Perspektive auf die Welt und auch die eigene Identität verändert werden kann, wenn in der Auseinanderset‐ zung deutlich wird, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt, sondern diese immer nur gedeutet vorliegt. Dass ‚Gründungsmythos‘ für einige STN ein threshold concept darstellt, zeigt sich in den Daten an verschiedenen Stellen. Zunächst einmal thematisieren ei‐ nige STN ihre Schwierigkeiten, den Begriff auf das diskutierte historische Er‐ eignis anzuwenden. Christian beispielsweise schreibt: (10) Sv: 68er / Studentenbewegung - Christian (2014-02-12 21: 18) […] Ich muss gestehen, dass ich mit dem Begriff „Gründungsmythos“ nicht ganz bequem bin. I Kompendium steht: „Ein Gründungsmythos ist eine besondere Art des Nationalmythos, er ist eine Erzählung über die Herkunft eines Volkes oder einer Nation. Bei Nationalmythen geht es nicht um die historische Wahrheit, sondern um die politische Bedeut‐ samkeit.“ Aber keine von diesen Beispielen sind nur Mythen, sondern gesellschaftliche Realitäten […] Christian fällt es offensichtlich schwer, den Gründungsmythos-Begriff auf die diskutierten „Ereignisse“ (Währungsreform, Trümmerfrauen, Wunder von Bern und Studentenbewegung) zu beziehen, weil, wie er argumentiert, es sich doch um „gesellschaftliche Realitäten“ handle. Der alltagssprachliche Mythos-Begriff im Sinne von falscher Vorstellung oder Lüge erschwert das Verständnis des der Diskussion zugrunde liegenden Mythos-Begriffes. Probleme mit dem Begriff des Gründungsmythos beschreibt auch Paul, der mehr als einen Monat nach der Unterrichtseinheit zu Gründungsmythen fol‐ genden Beitrag postet und damit dokumentiert, dass er gelernt hat, den Begriff im Kontext der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu denken. Dass er ihn einen Monat nach der entsprechenden Unterrichtseinheit gepostet hat (vgl. Ka‐ pitel 5.3), zeigt, dass das Thema sein Interesse geweckt hat und er sich mit ihm 222 6 Kulturbezogenes Lernen 18 Nach Meyer und Land sind threshold concepts außerdem „irrevisible“, „bounded“ und „troublesome“ (2003, 4f). (63) noch weit über den Unterricht hinaus beschäftigt hat. Zudem hat er den Text auf Schwedisch geschrieben, was erkennen lässt, dass es ihm hier nicht um die Verbesserung seiner Sprachkenntnisse geht, sondern um inhaltliches Lernen (vgl. Kapitel 5.5): (18) Sv: Studentenbewegung / 68er - Paul (2013-03-15 11: 57) Senast ändrad av Paul den 2013-03-15 12: 07 […] Jag har intresserat mig för den tidiga svenska riksbildningen (1000-1200-talet) För mig känns därför ordet grundninsgmyt (eller hur man skall översätta Gründungsmythos till svenska) ovant att applicera på modern tid. Jag tror inte att jag är ensam om det och det har naturligtvis att göra med att Sverige är en ovanligt gammal statsbildning med en stark kontinuitet genom århundradena. (Intresset för frågan om när Sverige blev Sverige och för svensk medeltid överhuvudtaget har varit rätt stort de senaste decennierna, det har märkts i bokutgivningen och i medierna). Innan den här kursen hade jag inte klarat av att förknippa grundningsmyt med 1900-talet. Det gäller också när jag läser ordet Europeisk grud‐ ningsmyt - mina tankar går då genast till sådant som " Europa och tjuren", kröningen av Karl den Store i Rom juldagen 800 etc… […] Ich interessiere mich für die frühe schwedische Reichsbildung (11. bis 13. Jahrundert). Für mich ist es daher ungewöhnlich, dass das Wort „grundningsmyt“ (oder wie man Gründungsmythos ins Schwedische übersetzt) auf die moderne Zeit angewendet wird. Ich glaube nicht, dass es nur mir so geht und das hat natürlich damit zu tun, dass Schweden ein ungewöhnlich altes Staatsgebilde ist, mit einer starken Kontinuität durch die Jahrhunderte. (Das Interesse für die Frage, wann Schweden Schweden wurde und am schwedischen Mittelalter insgesamt war in den letzten Jahrzehnten ziemlich groß, das sieht man an Neuerscheinungen und in den Medien). Vor diesem Seminar wäre es mir nicht gelungen, das Wort Gründungsmythos mit dem 20. Jahrhundert zu verbinden. Das gilt auch, wenn ich das Wort Europäischer Gründungsmythos lese, ich denke dann sofort an „Europa und der Stier“, die Krönung Karl des Großen in Rom am Weihnachtstag im Jahr 800 etc… Nach Meyer und Land (2003) besitzen threshold concepts fünf Eigenschaften, von denen zwei für die vorliegende Analyse besonders relevant sind. 18 Demnach sind threshold concepts „transformative“ (Meyer / Land 2003, 4), d. h. dass die Wahr‐ 223 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen 19 Eine Unterrichtseinheit, in der aber keine asynchrone Online-Kommunikation zum Einsatz kommt, widmet sich den Gründungsmythen von Bundesrepublik, DDR und Österreich. (64) (65) nehmung der Disziplin dadurch signifikant verändert wird, und „integrative“, weil dadurch bislang verborgene Zusammenhänge aufgezeigt werden können (ebd.). Dass dies in dem hier untersuchten Setting der Fall ist, zeigen zwei Da‐ tenbeispiele, in denen STN aufgrund ihres Verständnisses des Gründungsmy‐ thos-Begriffs und der konkreten Gründungsmythen 19 in späteren On‐ line-Phasen neue Zusammenhänge besser verstehen, und zwar die Geschichte der deutschen Teilung: (2) Sv: Unterschiedliche gesellschaftspolitische Wege in Ost und West - Susanne (2014-02-28 15: 58) Ich glaube das bedeutet, dass die vier Besatzungsmächte, durch ihre Über‐ nahme der Oberste Gewalt in Deutschland, verschiedene Ideologien und Politik in den zwei Teilen von Deutschland eingeführt haben. Der Westen hat das kapitalistische System und der Osten das kommunistische ge‐ kriegt. Es hört vielleicht auch ein bisschen mit den Gründungsmy‐ then der DDR und BRD zusammen. Die beiden Staaten haben die Überzeugung davon, dass sie den richtigen Weg weg von Nazismus haben. Deshalb glaubten die wahrscheinlich auch, dass der andere Teil von Deutschland eine falsche Überzeugung hatte. (Hervorhebung CB ) Während Susanne also die „unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Wege“, die in der Nachkriegszeit in Deutschland eingeschlagen wurden, mit Hilfe der Gründungsmythen zu erklären vermag, bezieht sich auch Tomas in seinem Bei‐ trag zum ‚antifaschistischen Schutzwall‘ auf den Gründungsmythos der DDR : (1) Antifaschistischer Schutzwall - Christine (2014-02-24 11: 55) Warum nannten die DDR -Politiker die Mauer „antifaschistischer Schutz‐ wall“? (2) Sv: Antifaschistischer Schutzwall - Tomas (2014-02-26 20: 48) Die DDR verwendete den „Antifaschismus“ als ihre Gründungs‐ mythos. Das bedeutete, dass sich die DDR als das friedliche, demokrati‐ sche Deutschland sah, im Gegensatz zu der BRD , die als Nachfolger des Dritten Reiches betrachtet wurde. Als viele Menschen die DDR wegen Repression oder Sehnsucht nach der wirtschaftlich erfolgreicheren BRD verließen, musste die DDR Maßnahmen ergreifen. Und man musste 224 6 Kulturbezogenes Lernen (66) auch diese Maßnahmen in einer Weise, die mit dem Gründungs‐ mythos übereinsstimmte, erklären. […] (Hervorhebung CB ) Die STN können also die Bedeutung von Gründungsmythen bzw. das Selbst‐ verständnis, das sich darin spiegelt, in Beziehung setzen zu anderen historischen Ereignissen, die im Laufe des Unterrichts thematisiert werden. Dabei ist davon auszugehen, dass dazu das Verständnis des Konzeptes ‚Gründungsmythos‘ ver‐ mutlich nicht unbedingt nötig ist, dass es aber erkenntnisfördernd ist und den STN bei der Formulierung der Beziehungen hilft. 6.3.2 Deutungsreflexionen Neben Begriffsreflexionen finden sich in den Daten auch Reflexionen über Deu‐ tungen von (vermeintlichen) Fakten, die die Studierenden in der Seminarlite‐ ratur vorfinden oder selbst vornehmen. Während in der Regel die Deutungsre‐ flexionen von den STN selbst initiiert werden, kommt es aber auch vor, dass die Deutungen von historischen Ereignissen von mir thematisiert werden. In der Unterrichtseinheit zur deutschen Teilung wird im Forum über die Bedeutung der Währungsreform für die Bildung zweier deutscher Staaten diskutiert. Im folgenden Auszug mache ich auf die Deutung als Gründungsmythos auf‐ merksam, wodurch ein Zusammenhang zu der Unterrichtseinheit zu Grün‐ dungsmythen hergestellt wird: (7) Sv: Re: Währungsreform - Christine (2014-03-03 10: 58) Was Ihr über die Bedeutung der Währungsreform schreibt, ist ganz richtig. Ist es nicht interessant, dass das Ereignis trotzdem später ein (po‐ sitiv besetzter) Gründungsmythos der Bundesrepublik wurde? (8) Sv: Re: Währungsreform - Lars (2014-03-03 13: 41) Senast ändrad av Lars den 2014-03-03 13: 42 Ja, es ist sehr interessant, dass diese Reform, die zur Teilung des Landes führte, nachträglich als ein positives Ereignis betrachtet worden ist. Han‐ delte es um Verdrängung? Das rasche Wirtschaftswunder (und der wachs‐ ende Wohlstand) hat die Teilung aus dem Gedächtnis der Westdeutschen gelöscht? Oder meinte man die Teilung als unvermeidlich und bewusst ignorierte die negative Folge der Währungsreform. Lars antwortet relativ schnell auf meinen Beitrag, was zum einen darauf zu‐ rückgeführt werden kann, dass die Frage von mir als Lehrender gestellt wurde, zum anderen aber auch darauf, dass ihn das Thema interessiert. Er stellt in seiner Antwort die Frage, aus welchem Grund es zu dieser Deutung kam, und bietet 225 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen 20 Eine Auseinandersetzung mit diesem Satz findet sich beispielsweise in Assmann 2006, 69. (67) zwei Erklärungsmöglichkeiten. Und so wie Lars es auch nahelegt, markierte die Währungsreform „den Beginn eines wirtschaftlichen Wachstums, das die West‐ deutschen gerne auf ihren Fleiß und ihre Leistungsbereitschaft zurückführten“ (Münkler 2011, 460). Ausgehend von Lars’ Beitrag kann den anderen Stu‐ diernden deutlich werden, dass das Erzählen über Vergangenheit bestimmten Perspektiven entspringt, die von Interessen unterschiedlicher Art geprägt sein können, so z. B. auch einem Rückzug in den privaten Wohlstand und einer Neu‐ betonung von Tugenden wie Fleiß und Tüchtigkeit. Neben den von mir initiierten Deutungsreflexionen werden die meisten je‐ doch von den Studierenden gepostet. Ein Beispiel ist der folgende Beitrag von Christian, der sich kritisch mit der Seminarliteratur auseinandergesetzt hat und dortige Formulierungen hinsichtlich ihrer Perspektivierung angreift: (19) Sv: Forum für eure Fragen zum Text - Christian (2014-03-02 15: 53) Eine allgemeine Anmerkung: Der Sieger schreibt die Geschichte, heißt es. Man kann der Ausdruck so deuten, dass eine keine objektive Geschich‐ teschreibung gibt. Einige unglückliche Ausdrücke in unseren Texten zeigen das: Hammerstein, Schuldige Opfer? , Seite 131. Spalt: „Demokratie bezie‐ hungsweise Sozialismus.“ Delius, Der Mauer, Seite 25, 2. Spalt: „die Unmenschlichkeit des Kommu‐ nismus, des Sozialismus.“ Kommunismus ist nicht dasselbe als Sozialismus Die Politik im Ostblock nach den 20. Jahren können (ganz subjektiv! ) als Stalinistisch bezeichnet werden im Gegensatz zu sozialistisch. Die Sozialdemokratischen Parteien im Westeuropa gehören zur Sozialis‐ tischen Internationale. Sollen sie als nicht-demokratische bezeichnet werden können (vgl. Hammerstein)? Die Erkenntnis, dass es keine objektive Geschichtsschreibung gibt, dient Chris‐ tian als als Ausgangspunkt für die Kritik an der Perspektivgebundenheit ge‐ schichtsbezogener Aussagen in der Seminarliteratur. Zwar ist der Satz, dass der Sieger Geschichte schreibt, allzu vereinfacht, 20 doch erfüllt er hier die Funktion des Bewusstmachens, dass Geschichte an einem bestimmten Standort und aus einem spezifischen Blickwinkel geschrieben wird. Das erste Beispiel bezieht sich auf folgenden Satz aus der Seminarliteratur: 226 6 Kulturbezogenes Lernen (68) Welche Funktionen haben die Gründungsmythen bei der Ausformung des nationalen Selbstverständnisses, welche im Blick auf die Stabilisierung der jeweiligen neuen po‐ litischen Ordnungen von Demokratie [in Österreich und der Bundesrepublik, CB] beziehungsweise Sozialismus [in der DDR, CB]? (Hammerstein 2008, 39) Was Christian an dieser Frage problematisch findet, ist, dass Sozialismus implizit als undemokratische politische Ordnung bezeichnet wird. Im nächsten Beispiel, das Christian heranzieht, wird Sozialismus zudem mit Kommunismus gleich‐ gesetzt und als „unmenschlich“ bezeichnet. Christians Beitrag zeugt also davon, dass er selbst kritisch über Aussagen in der Seminarliteratur reflektiert hat, zu‐ gleich haben seine Überlegungen ein Lerpotenzial für die anderen Studierenden, die so sehen können, wie ein kritischer Umgang mit Texten aussehen kann und dass zu diesen auch die Seminarliteratur zählt. Darüber hinaus gibt es Deutungsreflexionen, die mit Gegenwartsbezügen (vgl. Kapitel 6.4) und narrativen Zugängen (vgl. Kapitel 6.6) kombiniert werden, wobei diese vor allem von Sophia, STN mit Deutsch als L1, vorgenommen werden. Im folgenden Beispiel merkt Anette an, dass sie noch nie etwas vom Wunder von Bern gehört habe, was sie damit erklärt, dass sie in der DDR auf‐ gewachsen sei, wo dieser Mythos keine Rolle gespielt habe. Sophia nimmt zu einem späteren Zeitpunkt auf diesen Beitrag Bezug und erklärt treffend, dass man nichts von den Mythen gehört haben muss, aber trotzdem von ihnen be‐ einflusst sein kann, was sie mit ihren eigenen Erfahrungen belegt. (4) Re: Sv: Wunder von Bern - Anette (2013-02-04 20: 05) Ich habe meine Familie nie über das Wunder von Bern reden hören. […] […] (8) Sv: Re: Sv: Wunder von Bern - Sophia (2013-02-05 10: 00) […] Ich glaube, dass man im Prinzip nicht vom „Wunder von Bern“ gehört haben muss, aber trotzdem von seinen Auswirkungen beeinflusst sein kann - zumindest, wenn man in Westdeutschland aufgewachsen ist. Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen und hier hat Fußball eine lange Tradi‐ tion für sehr viele Menschen. Im Fußball spiegelt sich der Regionalismus wieder, der meiner Meinung nach einen Nationalstolz, wie es ihn in an‐ deren Ländern gibt, ersetzt. Fußball erzeugt Euphorie. Nicht umsonst gibt es ja sogar Bücher die sich mit der sakralen Stimmung im Fußballstadion auseinandersetzen. Im Schrebergarten hisst man die Flagge seines Fuß‐ ballvereins, Eltern nehmen ihre Kinder mit zum Fußball, durch die Straßen ziehen Autokorsos, wenn wichtige Spiele gewonnen werden… 227 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen Auffällig ist, dass wie in diesem Beispiel in vielen Fällen Deutungsaber auch Begriffsreflexionen vor allem dann stattfinden, wenn diese durch den Kontext vorgegeben sind. In den Diskussionen zu der deutschen Teilung finden sich bei‐ spielsweise wesentlich weniger Beiträge, die zu diesem Aufgabenbearbeitungs‐ modus gehören, während in der Diskussion zu den Gründungsmythen, die Be‐ griffs- und Deutungsreflexionen durch den Titel evoziert, 30,9 % der Beiträge dazugerechnet werden können. Es lässt sich also daraus schließen, dass die ex‐ plizite Thematisierung von entsprechenden Begrifflichkeiten diesen Bearbei‐ tungsmodus fördert, was insofern nicht erstaunlich ist, da so eine kontextuelle Relevanz geschaffen wird. 6.3.3 Potenziale von asynchronen Online-Diskussionen für Begriffs- und Deutungsreflexionen Der Aufgabenbearbeitungsmodus Begriffs- und Deutungsreflexionen hat vor allem im akademischen Kontext ein hohes Potenzial für landeskundliches Lernen. Wie die Datenauszüge gezeigt haben, können sie sich positiv auf die Bewusstmachung von Konstrukthaftigkeit und Perspektivgebundenheit von der zu vermittelnden ,Wirklichkeit‘ der Zielsprachenkultur auswirken. Zugleich wird in den Diskussionen über die Anwendbarkeit und Geltungsbereiche the‐ oretischer Begrifflichkeiten reflektiert. Bei diesen kann es sich zudem um threshold concepts handeln, die so von verschiedenen Seiten beleuchtet werden; die verschiedenen im Forum manifesten Sichtweisen können den Studierenden helfen, sie zu begreifen und zu sehen, wie sie in anderen Kontexten angewendet werden können. Durch die Reflexionen, die durch den Einsatz der asynchronen Online-Kom‐ munikation maßgeblich gefördert werden (vgl. Kapitel 2.1.2), findet eine didak‐ tisch inszenierte Teilhabe an kulturwissenschaftlichen Diskursen statt, auf die das geistes- und kulturwissenschaftliche Studium vorbereiten. Dass dies im Rahmen von Landeskundeunterricht geschieht, der klassischerweise nicht zu den „wissenschaftlichen“, d. h. literatur- und sprachwissenschaftlich ausgerich‐ teten Seminaren gehört, die im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen an‐ geboten werden, trägt zur Legitimierung von Landeskundeseminaren (vgl. Ka‐ pitel 2.2) bei. Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass die Studierenden aufgrund ihrer schulischen und teilweise auch akademischen Vorbildung die Kompetenzen Re‐ flexivität und kritisches Denken bereits besitzen, die für die Begriffs- und Deu‐ tungsreflexionen Voraussetzung sind. Dass dies auch tatsächlich der Fall ist, zeigen einige Datenauszüge. Auffallend ist aber dennoch, dass Lars, der aus be‐ 228 6 Kulturbezogenes Lernen 21 Auch dieser Auszug wurde bereits an früherer Stelle zitiert, siehe Auszug 30. (69) ruflichen Gründen sehr gute Kenntnisse der deutschen Geschichte hat, im In‐ terview selbst anmerkt, dass die Diskussionen für ihn einen Mehrwert habe, und zwar weil er sich bislang nicht mit Deutungsmöglichkeiten der historischen Ereignisse auseinandergesetzt habe: För att det dyker upp frågeställningar som jag inte har tänkt på själv, eller som jag har tagit allt för lätt på kanske. Och det hänger kanske ihop med, jag är ganska insatt i själva ämnet, händelseförloppet, den tyska historien, efterkrigshistorien, och det gör att jag inte tänker så mycket utan jag tänker just det så händer så händer, så tänker jag inte på tolkningar av det. (Lars I, 02: 46-03: 18) Denn es tauchen Fragestellungen auf, an die ich selbst nicht gedacht habe, oder die ich nicht besonders ernst genommen habe. Und das hängt damit zusammen, ich kenne mich ziemlich gut aus mit dem Thema, mit dem Ablauf der Ereignisse, mit der deutschen Geschichte, Nachkriegsge‐ schichte, und das führt dazu, dass ich nicht so viel darüber nachdenke, stattdessen denke ich, genau, dann passiert das und dann passiert das, also ich denke nicht über Deutungen davon nach. (Lars I, 02: 46-03: 18) Selbst also für jemanden, der eine sehr gute Vorbildung besitzt, sind die Begriffs- und Deutungsreflexionen von Nutzen. Lars ist sich sicherlich bewusst, dass Ge‐ schichte ein Konstrukt ist (vgl. Auszug 63), doch wird er dazu angeregt, daüber nachzudenken, was dies im spezifischen Fall bedeutet. Zudem initiieren Beiträge, die Begriffs- oder Deutungsreflexionen enthalten, oft Interaktion. In Hinblick darauf, dass Interaktion zwischen den Studierenden das Ziel des Einsatzes von computervermittelter Kommunikation in Unter‐ richtszusammenhängen ist, lässt sich also feststellen, dass Aufgaben, die zu Be‐ griffs- und Deutungsreflexionen herausfordern, einen sinnvollen Weg dar‐ stellen, Interaktion zu initiieren. Ein Beispiel für eine Interaktion ist der folgende Auszug, in dem Hans fragt, warum die Studentenbewegung als Gründungsmy‐ thos deutbar ist. 21 Diese Diskussion soll im Folgenden genauer hinsichtlich der Probleme und Potenziale von Begriffs- und Deutungsreflexionen in asyn‐ chroner computervermittelter Kommunikation analysiert werden. Es handelt sich um einen der Diskussionsstränge mit den meisten Beiträgen, wobei mein Beitrag (49) sicherlich dazu beiträgt, dass Interaktion entsteht (vgl. Kapitel 5.9). 229 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen (70) (48) Re: Studentenbewegung / 68er - Hans (2013-02-02 13: 34) Ich frage mich, kann man wirklich die 68er und die Ereignisse, die wir mit ihnen verknüpfen, als ein Gründungsmythos ansehen? Die Studentenbe‐ wegung hat ohne Zweifel die Gesellschaft sehr beeinflusst und jüngeren Leute wissen heute vielleicht mehr von ihnen (und dem später folgenden Terrorismus nicht zu vergessen) als von zweitem Weltkrieg und Natio‐ nalsozialismus oder finden sie jedenfalls mehr interessant - aber Grün‐ dungsmythos? Ich denke, nicht! Es wäre näher zur Wahrheit zu sagen, dass es ein bedeutungsvoller, deutscher Mythos ist, aber nicht ein Grün‐ dungsmythos. (49) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Christine (2013-02-03 11: 43) Interessante Antwort! Was meint Ihr (also die anderen? ) (50) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Ida (2013-02-03 13: 14) Vielleicht ist es nicht einen faktischen Gründungsmythus. Ich frage mich, ob die Geschichte ein persönlicher Held haben muss, um ein Mythos zu sein? Ist es dann in diesem Fall die Schaffung von Che Guevara als Held, zum Beispiel zum drücken sein Bild auf T-Shirts das bildet die Grundlage für diesen Gründungsmythus. Vielleicht ein bisschen weit hergeholt. Die Studenten hat auch Benno Ohnesorg, durch seinen Tod, als Held ge‐ macht. Auch personifiziert. Die Trümmerfrauen hat man personifiziert, die man in Statuen von ihnen in verschiedenen Orten in Deutschland sehen kann. (51) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - John K. (2013-02-03 19: 24) Senast ändrad av John K. den 2013-02-03 19: 25 Ich denke, dass man die Studentenbewegung mehr als ein Nationalmy‐ thos betrachten soll, genau weil es mehr um die politische Bedeutsamkeit geht (meiner Meinung nach). Die RAF war nicht zufrieden mit dem Staat und wollte das Volk des Staates mit Gewalt freien. Die RAF meinte, dass der Staat zu faschistisch war. Außerdem meinte die RAF , dass die Gewaltenteilung gar nicht existiert hat. Ich frage mich doch: warum wollte die RAF mit Gewalt das Volk freien? Ich kann davon nicht einen Sinn machen. (52) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Sophia (2013-02-04 10: 52) Ein Gründungsmythos kann als Ausgangspunkt beschrieben werden, für die Entstehung von unsichtbarem / implizierten Wissen, das als Grund‐ lage zu sehen ist, für das „kulturelle Gedächtnis“, das einer Kultur als „gemeinsamer Wissensvorrat“ dient. (siehe Powerpointpräsentation vom 230 6 Kulturbezogenes Lernen 29.Januar - Zitat: Claus Altmeyer (2006)) Dieser Wissensvorrat beein‐ flusst, wie Menschen agieren. Edgar Wolfrum beschreibt in seinem Text zwei entscheidene Aspekte der 68er Bewegung, nämlich "der Vorwurf einer mangelhaften Auseinander‐ setzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit", sowie der Protest gegen die „Spießerhölle“. Sowohl die heutige Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangen‐ heit, sowie die Auflösung traditioneller familiärer Strukturen sind Folgen dieser Bewegung, die mich und andere Menschen meiner Generation in unsere Sozialisierung beeinflusst haben und die unsere Handeln unbe‐ wusst und bewusst steuern. Daher denke ich, dass man gerade die oben beschriebenen Aspekte der 68er Bewegung in die Diskussion eines Grün‐ dungsmythos einbeziehen muss. (53) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Peter (2013-02-04 11: 29) Kann die Studentenbewegung nicht als Gründungsmythos betrachtet werden wegen der starken Kritik über die Vergangenheit und wegen des Bruchs mit dem, was vor der Bundesrepublik war? Der Wille, etwas Neues zu schaffen, war sehr stark. In Hans’ Beitrag wird nicht deutlich, warum er die Deutung der Studentenbe‐ wegung als Gründungsmythos in Frage stellt, es ist aber, da er nicht die Deutung als Mythos in Frage stellt, naheliegend, dass es das Moment der Gründung ist. Ida, die als erste antwortet, geht jedoch nicht auf dieses Moment ein, sondern überlegt, ob ein Mythos einen Helden haben muss, d. h. sie reflektiert über die Merkmale von mythischen Erzählungen. Dass sie nach der Rolle eines Helden fragt, hat möglicherweise mit der vorhergehenden Unterrichtseinheit zu tun, in der es um die Schlacht im Teutoburger Wald ging, die durch den Cherusker‐ führer Hermann personifiziert wird. John K., der den nächsten Beitrag verfasst hat, stimmt Hans zu, dass es sich bei der Studentenbewegung eher um einen (National-)Mythos handle, auch wenn seine Begründung schwer nachzuvoll‐ ziehen ist. Die beiden Beiträge von Ida und John K. leisten - aus meiner Per‐ spektive - keinen wichtigen Beitrag zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage; es ist möglich, dass sie ihre Beiträge schreiben, weil es in der Aufgaben‐ stellung heißt, dass sie andere Beiträge kommentieren sollen. An dieser Stelle wird ein generelles Problem offenbar: Es besteht nicht nur das Problem, dass manche STN in einigen Fällen aufgrund fehlender Ausdrucksmöglichkeiten in der Fremdsprache ihre Überlegungen nicht so verbalisieren können, wie sie auf kognitiver Ebene präsent sind, sondern auch, dass sprachliche Probleme des Verfassers / der Verfasserin dazu führen können, dass die anderen Studierenden 231 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen 22 In der theoretischen Einführung in den Landeskundeunterricht wurde der Begriff des kulturellen Deutungsmusters mit Hilfe von Polanyis Begriff des impliziten Wissens (1985) erklärt, da die Studierenden diesen in der Regel kennen. Gründungsmythen stellen nicht den „Ausgangspunkt“ (Zitat Sophia) dar, sondern werden hier als eine Form der Wissensbestände im kollektiven Gedächtnis verstanden. die Beiträge möglicherweise nicht verstehen. Dies gilt vor allem, weil die Bei‐ träge der STN nicht immer kohärent oder vollständig sind, so wie auch in Hans’ Beitrag nicht klar wird, was ihn zur Kritik an der Deutung als Gründungsmythos verleitet. Gerade für den Aufgabenbearbeitungsmodus Begriffs- und Deutungs‐ reflexionen ist aber sprachliche Genauigkeit wichtig, da sonst unter Umständen das genaue Nachvollziehen der Überlegungen behindert wird. Die asynchrone computervermittelte Kommunikation kann in diesem Sinne als geeignetes Werkzeug betrachtet werden, das präzise Formulieren eigener Überlegungen zu üben. Wird der Beitrag verständlich formuliert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man eine sinnvolle Antwort auf den eigenen Beitrag bekommt. Einen Beitrag zur Diskussion leistet hingegen Sophias Antwort, in der aller‐ dings die Gründungskomponente nur implizit angeschnitten wird, was die An‐ nahme bestätigt, dass Hans seinen Beitrag nicht präzise genug formuliert hat. Peter verdeutlicht im nächsten Beitrag Sophias Antwort mit eigenen Worten, nämlich dass durch die Studentenbewegung ein Bruch mit der Vergangenheit stattfand und „etwas Neues“ entstand. Sophia leistet jedoch einen wesentlichen Beitrag, weil sie versucht, die Diskussion theoretisch zu verankern. Zwar können Gründungsmythen nicht „als Ausgangspunkt beschrieben werden, für die Entstehung von unsichtbarem / implizierten Wissen“ 22 , doch wird trotzdem auf die theoretische Grundlage verwiesen, die im Präsenzunterricht eingeführt wurde. Zudem bedient sie sich eines Gegenwartsbezuges, wenn sie darauf hin‐ weist, dass das historische Ereignis für sie und „und andere Menschen [ihrer] Generation“ von Bedeutung ist. Dieser Argumentationszug legitimiert die Deu‐ tung als Gründungsmythos. Leider führt sie nicht weiter aus, inwiefern die Stu‐ dentenbewegung sie in ihrer „Sozialisierung“ beeinflusst hat. Diese Diskussion endet - aus Lehrerperspektive - nur zum Teil auf eine zufriedenstellende Weise. Zufriedenstellend ist sie, weil Sophias und Peters Beiträge so gedeutet werden können, dass sie nachvollzogen haben, warum die Studentenbewegung als Gründungsmythos gedeutet werden kann. Allerdings muss offen bleiben, ob die anderen Studierenden die Beiträge so lesen. Unterzieht man die Diskussion, die von Hans’ Beitrag ausgeht, einer Inter‐ aktionsanalyse (vgl. Kapitel 4.3.3), fällt so auch auf, dass es sich hier um Quasi-Interaktion handelt, da der Verfasser des initiierenden Beitrags sich nicht erneut zu Wort meldet. Das Lernpotenzial von Quasi-Interaktion wird von bei‐ 232 6 Kulturbezogenes Lernen spielsweise Dysthe (2002) und auch Henri (1995), dem Urheber des verwendeten Modells zur Interaktionsanalyse, als geringer eingeschätzt als die sogenannte genuine Interaktion. Letztere habe ein besonders hohes Lernpotenzial, weil sich so zeige, dass sich die Lernenden für die Perspektiven der anderen interessierten. Dementsprechend bleibt an dieser Stelle auch offen, ob die Beiträge der anderen STN Hans geholfen haben, die Frage zu beantworten. Offen bleibt auch, ob die STN die Diskussion als geklärt ansehen oder ob die Länge der Diskussion dazu führt, dass nicht mehr weiterdiskutiert wird (vgl. Kapitel 5.8). In Kapitel 5.4 wurde darauf hingewiesen, dass ein Teil der STN im Forum präsent ist und schnell reagieren kann, dass aber Beiträge, in denen landeskundliche Inhalte behandelt werden, nicht spontan geschrieben werden. Über die statistische Funktion der Lernplattform lässt sich dementsprechend auch nachvollziehen, dass Hans am 3. Februar drei Mal das Online-Forum besuchte, am 4. Februar ein Mal und am 5. Februar fünf Mal. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass er die Beiträge der anderen gelesen hat. Möglich ist, dass er es nicht für nötig erachtete, eine Antwort zu formulieren, oder dass die Beiträge nicht halfen, seine Frage zu beantworten. Auf der textuellen Ebene lässt sich aber nicht nachvollziehen, ob hier eine Ko-Konstruktion von Wissen stattfindet. Hinsichtlich der Interaktion zwischen den Studierenden kann an die Überle‐ gungen von Brandl (2012) zu CMC -Aufgaben angeknüpft werden, der closed-outcome-Aufgaben mit open-outcome-Aufgaben auf ihre Interaktionsför‐ derlichkeit untersucht. Es handelt sich hier um eine closed-outcome-Frage, weil es - zumindest im Hinblick auf die didaktische Reduktion in diesem Kontext - relativ univok beantwortet werden kann, warum die Deutung möglich ist. Würde die Aufgabenstellung daher verlangen, dass die Studierenden sich auf eine Antwort einigen, würde das nicht nur die Interaktion befördern (vgl. Brandl 2012, 5, sowie Kapitel 2.1.3), sondern auch die Diskussion inhaltlich abrunden und zu einer Lösung führen. Eine stimmige Antwort könnte so stehen bleiben, u. U. kurz von mir kommentiert, eine unzutreffende Antwort Gegenstand wei‐ terer Diskussionen oder im Präsenzunterricht thematisiert werden. Letzteres ist jedoch problematisch: An verschiedenen Stellen dieser Arbeit werden Mängel und offene Fragen in den Diskussionen oder einzelnen Bei‐ trägen ausgemacht. Stets wird kommentiert, dass die Online-Phasen, aus denen die Daten stammen, jeweils nur als Vorbereitung für den Präsenzunterricht ge‐ dacht sind und somit theoretisch die Möglichkeit besteht, dass offene Fragen und nicht-adäquate Interpretationen im Präsenzunterricht thematisiert werden. Allerdings ist die Anzahl der Beiträge, an die sich im Präsenzunterricht an‐ knüpfen lässt, zu hoch, so dass dies nur in Auswahl geschehen kann. In solchen Situationen stehen die Lehrenden vor der Herausforderung, entscheiden zu 233 6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen müssen, wie sie sich verhalten. Auf der einen Seite ist es für die Wissenskon‐ struktion sinnvoll, wenn im Diskussionsforum seitens der Lehrenden Stellung bezogen wird und ungeklärte Fragen und Missverständnisse kommentiert werden, vor allem eben auch, weil nicht alle offenen Fragen im Präsenzunter‐ richt beantwortet werden können. Auf der anderen Seite wünschen sich die STN , dass ich als Lernbegleiterin agiere und die Diskussion hauptsächlich zwi‐ schen den Studierenden stattfindet (vgl. Kapitel 5.9). Ein häufiges korrigierendes Eingreifen würde vermutlich dafür sorgen, dass ein Teil der Studierenden nicht an der Diskussion teilnimmt. Mögliche Angriffspunkte wären hier das Trans‐ parentmachen der Verzahnungsmöglichkeiten von Online- und Präsenzmodus, d. h. ein Hinweis darauf, dass nicht alle offenen Fragen im Präsenzunterricht geklärt werden können, und methodische Vorgehensweisen wie z. B. dass eine/ -r der Studierenden gebeten wird, die wichtigsten offenen Fragen, die im Präsenz‐ unterricht geklärt werden sollten, zusammenzufassen. Das Lernpotenzial der Diskussion um Begriffs- und Deutungsreflexionen ist zudem auf andere Hintergründe bzw. Kennzeichen zurückzuführen, die in frü‐ heren Kapiteln dieser Arbeit beschrieben wurden. Zum einen wird das Thema, trotz fehlender genuiner Interaktion, aus verschiedenen Perspektiven be‐ leuchtet, es findet also beispielsweise eine multiperspektivische Beschäftigung mit der von Hans gestellten Frage statt. Die verschiedenen Sichtweisen, d. h. vor allem Sophias und Peters Beiträge, können im Zuge des sogenannten lurking (vgl. Kapitel 2.1.2) den anderen Studierenden neue Perspektiven eröffnen, und zwar nicht nur denjenigen, die aktiv an der Diskussion beteiligt sind, sondern auch allen anderen mitlesenden Studierenden. Auf diese Weise stellen die Bei‐ träge eine Möglichkeit dar, die Adäquatheit der eigenen Überlegungen und In‐ terpretationen zu überprüfen (vgl. Henri 1995, 160, und Kapitel 5.8), sie so be‐ stätigt zu finden oder im Anschluss an die im Forum präsenten Sichtweisen anzupassen. Zudem hat die asynchrone Online-Diskussion für jeden an der Dis‐ kussion teilnehmenden Studierenden aufgrund der epistemischen Funktion des Schreibens zumindest theoretisch ein Lernpotenzial (vgl. Kapitel 2.3), allerdings nur dann, wenn sie diese Stufe der Schreibentwicklung auch in der Fremd‐ sprache erreicht haben. Das Schreiben dient so der Materialisierung der Ge‐ danken, wobei die eigenen Annahmen und das eigene Wissen in Relation zu den Beiträgen der anderen gesetzt werden können. Darüber hinaus ergibt sich aus den Ergebnissen, dass Begriffs- und Deu‐ tungsreflexionen zu Interaktion zwischen den Studierenden führen und dass Sachwissen (vgl. Kapitel 6.2) eine notwendige Basis für weitere Diskussionen darstellt, folgende Implikation für die Praxis: Während im hier untersuchten Setting in den Online-Phasen nach Sachwissen gefragt wurde und in der Prä‐ 234 6 Kulturbezogenes Lernen 23 Allerdings erfüllt meines Erachtens auch Geschichtsunterricht, in dem der Gegen‐ wartsbezug nicht explizit gemacht wird, wichtige Funktionen. So kann z. B. - angeregt durch eine Perspektivenübernahme - eine Alteritätserfahrung stattfinden, die für den tolerierenden Umgang mit Andersartigkeit entscheidend ist. senzphase die eigentliche Thematisierung unterschiedlicher Deutungen dieses Sachwissens stattfindet, scheint es sinnvoll zu sein, beide Aufgabenformate be‐ reits in die vorgeschaltete Online-Phase zu integrieren (sofern das vorliegende Sequenzierungsmuster beibehalten wird). Durch das Herstellen von kontextu‐ eller Relevanz (vgl. Kapitel 5.8.3) durch beispielsweise entsprechende Titel der Unterrichtseinheiten und die entsprechenden Aufgabenformate können die Stu‐ dierenden angeregt werden, sich mit Begriffen und Deutungen auseinanderzu‐ setzen, wofür jedoch entsprechendes Sachwissen zwingend ist. Dieses Sach‐ wissen könnten sich die Studierenden beispielsweise durch angeleitete Recherchen oder Hintergrundtexte erarbeiten. Im Gegensatz zu dem hier un‐ tersuchten Unterricht bekäme das Sachwissen auf diese Weise als Teil eines „themenbezogenen ‚Arbeitsspeichers‘“ (Sauer 2006, 12) eine deutlichere Funk‐ tion zugewiesen. 6.4 Gegenwartsbezüge In der Landeskundedidaktik kommt geschichtlichen Themen vor allem daher eine wichtige Aufgabe zu, da mit ihrer Hilfe die Herausbildung kultureller Deu‐ tungsmuster nachvollzogen (vgl. Koreik 2010a, 1479) und gegenwärtige Ver‐ hältnisse beleuchtet werden können (vgl. ABCD -Thesen, o.A. 1990): „Kennt‐ nisse über die deutsche Geschichte dienen damit einem Orientierungswissen, das in der Tat gerade auch aktuelle Ereignisse besser einordnen und verstehen lässt“ (Koreik 1995, 63). Ausgehend von der Erkenntnis, dass „[a]lles […] in seiner Komplexität nur voll erfasst werden [kann], wenn man diese Gewordenheit erkennt“ (Bergmann 2013, 93), plädiert auch die Geschichtsdidaktik für einen „retrospektiven Zugang zur Gegenwartserhellung“ (Rohlfes 1995, 246f). Da Geschichte eine Erinnerung an Vergangenes ist, die einer bestimmten Perspektive entspringt und durch mo‐ mentane Orientierungsbedürfnisse geformt wird, kann sie Auskunft darüber geben, was wir für unsere Orientierung in der Gegenwart als bedeutsam ansehen (vgl. Bergmann 2013, 91). Geschichtsunterricht solle daher vornehmlich so an‐ gelegt werden, 23 dass den „Schülerinnen und Schülern erkennbar und nachvoll‐ ziehbar wird, was dieses Nachdenken über Vergangenes mit ihrer Gegenwart 235 6.4 Gegenwartsbezüge 24 Der „Gegenwarts- und Zukunftsbezug“ (Bergmann 2013, Hervorhebung CB) wird auch in den ABCD-Thesen (o.A. 1990) aufgegriffen, wenn es heißt, dass historische Themen „Aufschluß geben [sollten] über den Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“. Koreik schätzt den geforderten Zukunftsbezug mit Recht kritisch ein, wenn er sagt, dass sich auch Fachwissenschaftler/ -innen verweigern, einen konkreten Zusammenhang zur Zukunft herstellen. Die Umsetzung im Fremdsprachenunterricht dürften somit „allenfalls Gesprächsanlässe - gelegentlich allerdings sogar sehr interes‐ sante - bieten“ (Koreik 2012, 3). In den untersuchten Daten spielen Zukunftsbezüge keine Rolle und werden daher im Weiteren auch nicht behandelt. und Zukunft zu tun hat“ (ebd., 92). 24 Sauer definiert dementsprechend den Be‐ reich „Deutungs- und Reflexionskompetenz“ im Rahmen der Beschreibung von Kompetenzen für den Geschichtsunterricht unter anderem wie folgt: Die Schülerinnen und Schüler können Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart finden und die historische Bedingtheit heutiger Phänomene erkennen. Sie können historische Situationen durch Vergleiche und Analogiebildungen auf die Gegenwart beziehen. Sie können aus Wissen und Einsichten über die Vergangenheit Beurtei‐ lungsmaßstäbe und Handlungsanleitungen für die Gegenwart gewinnen. (Sauer 2006, 11) Bergmann unterscheidet mit Hinblick auf die Unterrichtspraxis zwei verschie‐ dene Vorgehensweisen, Vergangenes auf die Gegenwart zu beziehen, die für die folgende Analyse produktiv sind: Gegenwartsbezüge als Ursachen- und Gegen‐ wartsbezüge als Sinnzusammenhänge. Auf der Suche nach Ursachenzusammenhängen „richtet sich die Frage darauf, welche Ursachen entscheidend zum Zustandekommen des bestimmten gegen‐ wärtigen Problems“ (Bergmann 2013, 104) bzw. der spezifischen Verhältnisse beigetragen haben. Es wird also in Bergmanns Verständnis des Ursachenzu‐ sammenhangs retrospektiv gefragt, wie es zu dem heutigen Verhältnis ge‐ kommen ist, und nicht, im Sinne prospektiver Verfahren, wie bestimmte histo‐ rische Ereignisse bis in die Gegenwart fortwirken. In der vorliegenden Untersuchung zähle ich jedoch auch prospektive Verfahren zu den Ursachen‐ zusammenhängen, da diese in der Datenanalyse relevant werden, wenn die STN in der Auseinandersetzung mit historischen Themen selbständig fragen, wie die gewonnenen Erkenntnisse die Entstehung gegenwärtiger Verhältnisse beein‐ flussen. Bei Sinnzusammenhängen steht die Frage im Fokus, „ob es in der Vergan‐ genheit Situationen und Entwicklungen gegeben hat, die mit der gegenwärtigen Situation bedingt vergleichbar ist [sic]“ (ebd., 105), wobei das Potenzial der Sinnzusammenhänge in einer gleichzeitigen Präsenz von Kohärenz und Diffe‐ renz liegt: 236 6 Kulturbezogenes Lernen 25 Es wird also erneut deutlich, dass ohne Sachwissen, das aber durchaus auch erst im Zuge der Auseinandersetzung erworben werden kann, keine sinnvolle Auseinander‐ setzung möglich ist (vgl. Kapitel 6.2.2). 26 Die „großen Fragen der Zeit” sind „existentielle Fragen, die die vitalen Grundbedürf‐ nisse von Menschen und die Aufgaben betreffen, die gesellschaftlichen Kollektiven oder gar der Menschheit in unserer Epoche gestellt sind“ (Bergmann 2013, 102). Sinn macht der Sinnzusammenhang nur, wenn er auf Kohärenz und Differenz zugleich abstellt. Kohärenz verweist auf eine allgemeine Gemeinsamkeit zwischen einer ge‐ genwärtigen und einer vergangenen Lage […]. Aber in der Kohärenz stößt man immer zugleich auf die Differenz: Gerade die historische Differenz (‚Alterität‘) ist eine Quelle wichtiger Erkenntnis: Dass und wie Menschen früher anders gedacht und sich ver‐ halten haben, ist ein wesentlicher Gesichtspunkt des Sinnzusammenhangs. Alterna‐ tiven des Denkens und des Handelns kann nur entdecken, wer sich auf die Eigenart der historischen Lage und der in ihr denkenden, handelnden und leidenden Menschen einlässt. (Bergmann 2013, 106) Themen, die sich für die Herausarbeitung von Sinnzusammenhängen anböten, seien die „großen Fragen unserer Zeit“, wie beispielsweise Globalisierung, Mig‐ ration, Gleichberechtigung der Geschlechter (ebd., 102f). Hier könne man fragen, welche Vorstellungen und Absichten die beteiligten und betroffenen Menschen in den damaligen und heutigen Situationen entwickelten, was deut‐ lich macht, dass das Prinzip der Perspektivenübernahme (vgl. Kapitel 6.5) für den Nachvollzug von Sinnzusammenhängen von Belang ist. Beide Arten der Gegenwartsbezüge sind im Übrigen jedoch überhaupt nur möglich, wenn die Lernenden sowohl ein ausreichendes historisches Sachwissen besitzen als auch ein ausreichendes Gegenwartswissen (ebd., 102). 25 Das Potenzial von Gegenwartsbezügen im Kontext von Landeskundeunter‐ richt liegt sowohl in der Herstellung von Sinnals auch in der Herstellung von Ursachenzusammenhängen, wobei das Thema vorgibt, welche Art des Gegen‐ wartsbezugs im jeweiligen Kontext sinnvoll ist. Geht es beispielsweise um „die großen Fragen der Zeit“ 26 , die mühelos an Neuners „universelle Daseinserfah‐ rungen“ (vgl. Neuner 1989) angeschlossen werde können, stellen Sinnzusam‐ menhänge einen Zugang zu dem geteilten Wissen dar, um das es in kulturwis‐ senschaftlich orientierter Landeskunde geht. Bei alledem werden Sinnzusammenhänge im Fremdsprachenunterricht vermutlich in den meisten Fällen nicht zwischen dem Heute und dem Damals, d. h. diachron, hergestellt, 237 6.4 Gegenwartsbezüge 27 Huneke und Steinig schlagen vor, „kulturübergreifende Gemeinsamkeiten in den Mit‐ telpunkt zu stellen und kulturspezifische Besonderheiten eher als Randerscheinungen zu betrachten“ (Huneke / Steinig 2010, 89). 28 Bei einigen Themen ist der Gegenwartsbezug jedoch nicht offensichtlich und muss erst im weiteren Unterricht herausgearbeitet werden z. B. beim Gründungsmythos „Schlacht im Teutoburger Wald“. In Kapitel 3.2.5 habe ich argumentiert, dass dieses Thema eine Gegenwartsrelevanz besitzt. Der Begriff der Gegenwartsrelevanz ist nur zum Teil als synonym zu Gegenwartsbezug zu betrachten; Gegenwartsbezüge können durch Ursa‐ chenzusammenhänge oder Sinnzusammenhänge (vgl. Bergmann 2013) hergestellt werden, während z. B. Themen, die die Perspektivgebundenheit und Narrativität von Geschichte hervortreten lassen, aus diesem Grund eine Gegenwartsrelevanz besitzen. sondern herangezogen, um synchron Besonderheiten der Zielsprachenkultur oder Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen herauszuarbeiten. 27 Ein anschauliches Beispiel für das Herstellen von Sinnzusammenhänge bietet das bereits erwähnte Lehrwerk Mitreden (Altmayer 2016), in dem sich die Lern‐ enden in der Einheit zu nationaler Identität durch diachrone Sinnzusammen‐ hänge mit gegenwärtig geteilten Wissensbeständen auseinandersetzen. Nach einer Reihe von Aufgaben zu einem Spiegel-Titelbild aus dem Jahr 2014, auf dem u. a. gefragt wird „Wir sind wieder…wer? “, sollen die Lernenden herausfinden, was „wieder“ bedeutet, und zwar mit Hilfe der Begriffe ‚Wunder von Bern‘, ‚Wiedervereinigung‘ ‚Drittes Reich‘ und ‚Sommermärchen‘ (vgl. Modul Men‐ schen, Kopiervorlage 15). Durch das Benennen von Kohärenzen und Differenzen in der Deutung des Slogans zwischen den verschiedenen durch die Schlagworte evozierten Zeitabschnitten kann zunächst einmal eine aktuelle Bedeutung he‐ rausgearbeitet werden. Zugleich stellt der Sinnzusammenhang aber auch einen Zugang zur deutschen Geschichte dar, in dessen Folge auch Ursachenzusam‐ menhänge herausgearbeitet werden können. Mit Hilfe von Ursachenzusam‐ menhängen können also Gründe für bestimmte Entwicklungen und so auch die Genese der geteilten Wissensbestände nachvollzogen werden, was darauf hin‐ weist, dass die Verbindung beider Verfahren sinnvoll sein kann. Im hier untersuchten Unterricht ist der Gegenwartsbezug in allen geschicht‐ lichen Themen zunächst schon einmal deshalb vorhanden, weil die Relevanz für die Gegenwart eines der wichtigsten Auswahlkriterien war, 28 und allein in diesem Sinne böten sich alle Forumsbeiträge für die Analyse an. Im Fokus stehen jedoch im Folgenden die von Studierenden explizit gemachten Gegenwartsbe‐ züge in den Diskussionen um historische Ereignisse, d. h. um den Aufgaben‐ bearbeitungsmodus Gegenwartsbezug; da die Aufgabe diesen nicht explizit for‐ 238 6 Kulturbezogenes Lernen 29 Darüber hinaus finden sich Gegenwartsbezüge in anderen Aufgabenbearbeitungsmodi, vor allem in Narrativen Verfahren und Eigene Meinung, da der Gegenwartsbezug in einigen Unterrichtsthemen angelegt ist, vor allem in den Foren Bedeutung der Schuld heute und Gibt es die Mauer im Kopf noch? 30 PowerPoint-Präsentation vom 29. Januar 2013 bzw. vom 4. Februar 2014. 31 In beiden Semestern wurde im Zuge der Abstimmung die Währungsreform als der My‐ thos identifiziert, der heute noch am meisten Bedeutung hat, gefolgt von der 68er-Be‐ wegung. Die Abstimmungsergebnisse dienen im Präsenzunterricht als Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen. dert, spreche ich im Folgenden von eigenständigen Gegenwartsbezügen. 29 Folgende Fragen leiten die Analyse: - In welchen Fällen stellen die STN eigenständig Gegenwartsbezüge her? - Welche Merkmale haben die eigenständigen Gegenwartsbezüge? - Welches Potenzial haben die Gegenwartsbezüge für landeskundliches Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation? 6.4.1 Von den Studierenden selbständig angebrachte Gegenwartsbezüge Die Analyse der Aufgabenbearbeitungsmodi und ihre prozentuale Verteilung in den Daten zeigt, dass selbständige Gegenwartsbezüge als Aufgabenbearbei‐ tungsmodus relativ selten vorkommen (3,5 %), wobei aber berücksichtigt werden muss, dass die Aufgabenstellungen nicht nach Sinn- oder Ursachenzu‐ sammenhängen fragen (vgl. Kapitel 6.1). Vor allem in den Diskussionsforen zu den Gründungsmythen der Bundesrepublik werden von den STN in prospek‐ tiven Verfahren Gegenwartsbezüge hergestellt. Dieses Verhalten der STN kann u. a. auf den Hinweis in der vorherigen Unterrichtseinheit zurückgeführt werden, dass „Nationalmythen nationale Identität stiften, die Vergangenheit strukturieren und einen Einfluss auf die Gegenwart und die Zukunft haben“ 30 , sowie vor allem darauf, dass die Studierenden auf der Lernplattform abstimmen sollen, ob die Gründungsmythen heute noch von Bedeutung sind. Möglicher‐ weise bedienen sie sich des Forums, um die Frage zumindest in Ansätzen zu klären. 31 An dieser Stelle lässt sich demnach an Ergebnisse aus Kapitel 5.7 an‐ schließen: Der Kontext der Aufgabenstellung bzw. die Relevanz des Themas im Kontext beeinflusst die Bearbeitung, da beispielsweise Titel der Unterrichtsein‐ heiten, Themenbeschreibungen und Verweise auf den Präsenzunterricht die Diskussionen in eine bestimmte Richtung lenken. Die Gegenwartsbezüge, die in den Diskussionen zu den Gründungsmythen zu finden sind, kommen als Sinnzusammenhänge oder als Ursachenzusammen‐ 239 6.4 Gegenwartsbezüge 32 Darüber hinaus handelt es sich auch bei eigenkulturellen zeitgenössichen Bewertungen, die in Kapitel 6.2.4 thematisiert werden, um Gegenwartsbezüge, da die Urteilsbildung gegenwartsbestimmt ist. 33 Dieser Auszug wurde bereits an anderer Stelle zitiert, siehe Auszug 30. (71) hänge zum Ausdruck. 32 Folgende Besonderheiten lassen sich feststellen, die da‐ rauf hinweisen, in welchen Fällen die STN in den Diskussionen Gegenwarts‐ bezüge herstellen: Ursachenzusammenhänge werden ausschließlich von einer STN mit Deutsch als L1 gepostet, was damit erklärt werden kann, dass gutes Gegenwartswissen über die Zielsprachenkultur Voraussetzung dafür ist, die Folgen der in den On‐ line-Phasen diskutierten Themen für das heutige Deutschland zu erkennen. Zu‐ gleich nimmt die STN eine Rolle als Informantin für „ihr Land“ ein (vgl. Ka‐ pitel 5.10), auch wenn sie stets aus der Ich-Perspektive argumentiert, warum die diskutierten Ereignisse als Gründungsmythen bezeichnet werden können: Aus‐ gehend von ihren Erfahrungen zeichnet sie so die identitätsstiftende Funktion von Mythen für die Bevölkerung bis in die Gegenwart nach (vgl. auch Auszug 40). Die Gegenwartsbezüge geschehen also im Zusammenhang mit Begriffs- und Deutungsreflexionen (vgl. Kapitel 6.3) über die Anwendbarkeit des kultur- und geschichtswissenschaftlichen Mythos-Begriffs, was wiederum auf den Kontext, d. h. den Titel der Unterrichtseinheit und die vorhergehende Diskussion, zu‐ rückgeführt werden muss. Auszug 71 zeigt, dass dem Ursachenzusammenhang dabei zunächst die Herstellung des Sinnzusammenhangs vorausgegangen ist: Der Sinnzusammenhang wird durch die Frage nach der Einstellung gegenüber der NS -Vergangenheit geschaffen, die sich in der Nachkriegszeit bis 1968 von der heutigen Perspektive unterscheidet. Die 68er-Bewegung wird als eine Ur‐ sache für die Veränderungen genannt: (11) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Sophia (2013-02-04 10: 52) 33 […] Sowohl die heutige Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergan‐ genheit, sowie die Auflösung traditioneller familiärer Strukturen sind Folgen dieser Bewegung, die mich und andere Menschen die unsere Han‐ deln unbewusst und bewusst steuern. Daher denke ich, dass man gerade die oben beschriebenen Aspekte der 68er Bewegung in die Diskussion eines Gründungsmythos einbeziehen muss. Im Ganzen erweisen sich so Gegenwartsbezüge, die durch das kombinierte Auf‐ zeigen von sowohl Sinnals auch Ursachenzusammenhängen entstehen, als ein sehr ergiebiges Vorgehen, die Bedeutung der Gründungsmythen bis in die Ge‐ genwart nachzuvollziehen. Dazu sind jedoch sehr fundierte Kenntnisse der Zielsprachenkultur notwendig und es ist daher nicht davon auszugehen, dass 240 6 Kulturbezogenes Lernen (72) (73) die Studierenden diese Bezüge ohne entsprechende didaktische Anleitung her‐ stellen können. Im Falle Sophias werden die Gegenwartsbezüge dabei ausgehend von per‐ sönlichen Erfahrungen selbstverständlich exemplarisch hergestellt. Dass aber den anderen Studierenden deutlich wird, dass die Gründungsmythen für eine ihrer Mitstudierenden relevant sind, stellt dabei einen Mehrwert für das lan‐ deskundliche Lernen dar. Auf die Potenziale und auch Gefahren, die das Teilen von persönlichen Erfahrungen im Diskussionsforum birgt, wird in Kapitel 6.6 eingegangen. Neben den Ursachenzusammenhängen finden sich zudem Sinnzusammen‐ hänge, wobei im Weiteren zwischen zielsprachenspezifischen Sinnzusammen‐ hängen und transnationalen Sinnzusammenhängen unterschieden werden muss, d. h. solchen, die Sinnzusammenhänge zwischen historischen Ereignissen und den gegenwärtigen Verhältnissen in der Zielsprachenkultur herstellen, und solchen, die aktuelle globale oder transnationale Themen betreffen. Zielsprachenspezifische Sinnzusammenhänge werden in den untersuchten Daten dann hergestellt, wenn die STN Gegenwartswissen über das diskutierte Thema besitzen und wenn sie das Thema in Beziehung setzen können zu ihrem Vorwissen. In beiden Datensätzen ist dies in der Diskussion zur Währungsre‐ form 1948 der Fall, die die STN dazu bringt, das historische Ereignis auf die Gegenwart zu beziehen, und zwar auf die Euro-Einführung 2002. Das Thema ist in diesem Fall „deutsche Wirtschaft“ und die Beiträge zeigen, dass bereits eine Art Vorwissen oder Vorannahmen dazu vorhanden sind, was Voraussetzung dafür ist, dass die Bezüge überhaupt hergestellt werden können. Klara fragt so beispielsweise, ob sich das Vertrauen in den Euro von dem in die D-Mark un‐ terscheidet: (14) Sv: Währungsreform - Klara (2013-02-06 12: 14) […] Hat sich das Geldvertrauen in Deutschland nach dem Übergang von der heiligen D-Mark zu Euro in 2002 verändert? Klaras Frage, die einen Ausgangspunkt für eine Diskussion über die Einstel‐ lungen gegenüber dem Euro darstellt, bleibt jedoch unbeantwortet, wahrschein‐ lich weil sie einen Tag nach dem Präsenzseminar gepostet wird, was in nahezu allen Fällen dazu führt, dass Beiträge nicht beantwortet werden (vgl. Kapitel 5.3). Interaktion initiiert hingegen der Beitrag von Thomas, der sich auf die Aus‐ sage in der Seminarliteratur bezieht, „daß die D-Mark den Deutschen anhaltend weit mehr war, als andere Währungen ihren Nationen sind“ (Borchert 1995, 25): (18) Sv: Währungsreform - Tomas (2014-02-15 12: 48) 241 6.4 Gegenwartsbezüge 34 Siehe die entsprechenden Umfragen von Eurobarometer, die von 1995 bis 1997 vorliegen URL: http: / / ec.europa.eu/ COMMFrontOffice/ publicopinion/ index.cfm/ Chart/ getChart/ theme-Ky/ 47/ groupKy/ 245 [07. 02. 2017]. Wenn man etwas lernt über die Liebe, die die Deutschen zu ihrer alten Währung gefühlt hat, wird es auch deutlich, wie wichtig die Euro‐ pabe-wegung in Deutschland gewesen ist (und ist immer noch). Obwohl die D-Mark so populär gewesen ist, hat man sich dazu trotzdem ent‐ schlossen, sie zu austauschen gegen den Euro. (19) Sv: Währungsreform - Sara (2014-02-16 12: 21) Das finde ich einen gute Gedanke. Irgendwie haben die Deutschen den Europagedanken Vorrang gegeben. Die haben die EMU gewählt nicht nur EU . (20) Sv: Währungsreform - Christian (2014-02-16 22: 43) Hallo Tomas! Gewiss hat man sich für EU und EMU entscheidet. Es gibt aber auch in Deutschland EU -skeptiker - und DM -nostalgiker! Siehe z. B. http: / / www.welt.de/ wirtschaft/ article115380867/ Bundesbank-warnt-vor-gefaehrlicher-D-Mark-Nostalgie.html Ich habe neulich irgendwo gelesen, dass es eben Zufälle veranstaltet werden, wo solche Nostalgiker zusammenkommen und wo man mit D-mark handeln kann. (21) Re: Sv: Währungsreform - Katrin (2014-02-16 23: 57) Naja vielleicht haben die auch gedacht, dass diese deutsche Wirtschafts‐ wunder in ganz Europa wiederholt werden konnte? Alle fanden, dass die neue Währung in Deutschland damals so gut war, sie hat die Wirtschaft verbessert und das ganze Volk stolz gemacht und zusammen gebracht u.s.w. Es gab bestimmt Leute die gehofft haben, dass die Euro das gleiche für Europa machen wurde. Durch den prospektiven Gegenwartsbezug des Währungsreform-Mythos findet eine Annäherung an das kulturelle Deutungsmuster Europa statt, wenn darauf verwiesen wird, dass trotz der Popularität der D-Mark die gemeinsame euro‐ päische Währung eingeführt wurde, was Rückschlüsse auf die Einstellung der Deutschen gegenüber Europa zulasse. Auch wenn Umfragewerte tatsächlich indizieren, dass die Deutschen vor dem 1. Januar 2002 eine etwas positivere Einstellung zum Euro hatten als die befragten Schweden, 34 wird außer Acht gelassen, dass die Euro-Einführung in der Bundesrepublik nach entspre‐ 242 6 Kulturbezogenes Lernen (74) (75) chendem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der EU geschah und in Schweden in Folge eines Referendums abgelehnt wurde. Da nicht weiter the‐ matisiert wird, warum in Deutschland der Europagedanke wichtiger ist als in Schweden, was implizit im Beitrag von Sara angedeutet wird, ergibt sich eine gute Anschlussmöglichkeit für den Präsenzunterricht, in dem nach Ursachen‐ zusammenhängen gefragt werden kann. Allerdings zeichnen sich die hier un‐ tersuchten Diskussionen durch eine fast unüberschaubare Menge an sinnvollen Anknüpfungspunkten aus, die in der Unterrichtspraxis allerhöchstens in einer Auswahl berücksichtigt werden können. Auszug 73 ist darüber hinaus aber auch interessant, da Christian darauf aufmerksam macht, dass das Thema differenz‐ ierter betrachten werden sollte, denn schließlich gebe es auch in Deutschland Menschen, die den Euro ablehnten. Er zeigt eine Diskurspluralität auf, die den Studierenden die Heterogenität der fremdsprachigen Lebenswelt näherbringt. Neben diesen zielsprachenspezifischen Sinnzusammenhängen finden sich auch transnationale Sinnzusammenhänge, z. B. durch das Herstellen von Be‐ zügen zwischen der Studentenbewegung in der Bundesrepublik 1968 und ak‐ tuellen Studentenprotesten oder der Frage nach den Zusammenhängen: (6) Sv: Re: Studentenbewegung / 68er - Jenny (2013-02-05 11: 26) Denkst du dass man sieht ein Muster in Gleichheit mit der „neue“ Stu‐ dentbewegeung in der Welt, zum Beispiel in Chile? Kann man die deut‐ sche Studentbewegeung mit anderen Beispielen vergleichen? Diese Beiträge stellen einen sinnvollen Ausgangspunkt für Vergleiche dar, die durch das Herausarbeiten von Übereinstimmungen und Differenzen helfen könnten, die Bedeutung der behandelten Themen zu erfassen. Jedoch werden sie, wie alle weiteren transnationalen Sinnzusammenhänge, weder von mir noch von den anderen STN kommentiert oder beantwortet. Während der in Auszug 72 zitierte Beitrag wieder relativ kurz vor dem Präsenzunterricht gepostet wurde, was häufig dazu führt, dass Beiträge nicht mehr beantwortet werden (vgl. Kapitel 5.3), liegt es in anderen Fällen vielleicht auch daran, dass die Stu‐ dierenden Fragen, die nicht den deutschsprachigen Raum betreffen, in dem Kontext nicht als besonders relevant erachten. An dieser Stelle soll zudem noch ein weiterer Datenauszug präsentiert werden, der einen Gegenwartsbezug mit einer Begriffsreflexion (vgl. Ka‐ pitel 6.3) verbindet. (8) Re: Währungsreform - Svejk (2013-02-04 20: 24) Die nationalen Mythen, weder Revolutions-, Gegen-, Gründungs oder Opfermythen sind allmählich polarizierend, dh. betonen den Unterschied zwischen die eigene Nation und etwas anderes. […] 243 6.4 Gegenwartsbezüge 35 Dieser Einschätzung ist vereinfacht, da im Mythos das Bild der fleißigen und tüchtigen Deutschen geprägt wird (vgl. Münkler 2011, 461) und dies nicht ohne eine Abgrenzung geschehen kann. Die ökonomische Entwicklung nachdem in Deutschland ist ganz ausge‐ zeichnet gewesen, und der Währungsmythos der Deutschen ist über Jahr‐ zehnten ein Mythos ohne sichtbare Polarizationstendenzen. gewesen. Bis jetzt! ! Der ökonomische Unterschied zwischen Staaten in südlichem Eu‐ ropa (Griechenland und andere) und Deutschland ist gross geworden, und wann jetzt Griechenland wollt dass seine Schulden abgeschrieben werden, wird man in Deutschland enttäucht. Man spricht von den faulen Griechen. Der Währungsmythos had auch einen polarizierenden Form gefunden. Svejk bemerkt zunächst zurecht, dass Mythen Alterität ausgestalten, so dass die nationale Identitätsbestimmung durch mythische Erzählungen in Differenz und Absetzung zu anderen Nationen erfolgt (vgl. Lenger 2005, 522, sowie Münkler 2011, 21). Diese Alteritätskomponente sei, so seine Aussage, über einen langen Zeitraum im Währungsreform-Mythos nicht sichtbar gewesen 35 und werde erst im Zuge der aktuellen Wirtschaftskrise Bestandteil des Mythos. Der Gegen‐ wartsbezug wird folglich herangezogen, um über das Mythos-Konzept zu re‐ flektieren und aufzuzeigen, dass Mythen auch umerzählt werden „und dass die dabei zu beobachtenden Variationen spezifische politische Dienstleistungen darstellen, in denen einer Neuorientierung des politischen Verbandes vorgear‐ beitet wird“ (Münkler 2011, 15). Er setzt sich so mit einem Charakteristikum des Begriffes auseinander, was gerade im akademischen Kontext als sinnvoll be‐ zeichnet werden muss. 6.4.2 Potenzial von Gegenwartsbezügen für landeskundliches Lernen in asynchronen Online-Diskussionen Die Analyse der selbständigen Gegenwartsbezüge hat zunächst einmal gezeigt, dass besonders die Kombination des Aufzeigens von Ursachenzusammen‐ hängen mit zielsprachenspezifischen Sinnzusammenhängen ein Lernpotenzial für kulturbezogenes Lernen besitzt: Durch das Herausarbeiten von Kohärenzen und Differenzen zwischen einem vergangenen Zeitabschnitt und gegenwär‐ tigen Verhältnissen kann ein erster Zugang zu kulturellen Deutungsmustern der zielsprachigen Lebenswelt geschaffen werden. In einem zweiten Schritt ist das Herausarbeiten von Ursachenzusammenhängen möglich. Voraussetzung für das Herstellen dieser Bezüge ist, dass die Studierenden Sachwissen über die histo‐ 244 6 Kulturbezogenes Lernen rischen Ereignisse und die gegenwärtigen Verhältnisse besitzen. In den unter‐ suchten Daten gelingt die Herstellung beider Bezüge nur einer STN , die Deutsch als L1 hat und in Deutschland sozialisiert wurde. In Kapitel 6.2 wurde gezeigt, dass ein Teil der STN , der nicht Deutsch als L1 hat, durchaus fundierte Sach‐ kenntnisse besitzt, so dass angenommen werden kann, dass sie bei entsprech‐ ender Aufgabenstellung ebenfalls in der Lage wären, Zusammenhänge aufzu‐ zeigen. Doch die Gegenwartsbezüge der STN mit Deutsch als L1 haben ein besonderes Lernpotenzial, weil sie aufzeigen, dass nationale Gründungsnarra‐ tive über historische Ereignisse zu geteilten Wissensbestände werden können, die das Selbstverständnis der Angehörigen dieser „vorgestellten Gemeinschaft“ (Anderson 1996, 14) prägen und wie diese geteilten Wissensbestände konkret aussehen können. Zugleich wird die historische Bedingtheit heutiger Phäno‐ mene sichtbar und es ist als besonders vorteilhaft anzusehen, dass die historische Bedingtheit in den Erfahrungen und der subjektiven Sicht einer Studierenden deutlich wird. Diese im Online-Forum geposteten Beiträge sind Lernertexte, in denen au‐ thentische Perspektiven manifest sind und die den Mitstudierenden, verglichen mit den mündlichen Äußerungen im Präsenzunterricht, für einen längeren Zeit‐ raum zugänglich sind. Rösler bewertet solche Lernertexte, d. h. Texte von Ler‐ nern für Lerner, positiv, wenn er schreibt, dass in verschiedenen Kontexten ver‐ sucht wird, die Texte als sinnvoll erlebbar zu machen, indem die Lerner Texte nicht nur für den Lehrer, die Note und danach den Papierkorb oder die Ablage zu produzieren, sondern indem das Schreiben als Teil eines Projektes funktional werden lässt. Diese Funktio‐ nalität ergibt sich zum einen dadurch, dass man Partnern an einem anderen Ort etwas mitteilt, was vom Verfasser und möglichst auch vom Angeschriebenen als sinnvoll erachtet wird […]. (Rösler 2007, 180) Asynchrone computervermittelte Kommunikation zeigt sich hier als dienlich für das Bereitstellen solcher Lernertexte, zumal die Mitstudierenden auf die Beiträge reagieren können und sie sich so als funktional erweisen. Dass die Beiträge der STN mit Deutsch als L1 als Beiträge von „Experten“ kommentiert werden, kommt jedoch in den untersuchten Diskussionen nicht vor (vgl. dazu auch Kapitel 5.10), so dass sich die Frage stellt, inwiefern in diesen Fällen (sowie auch in allen anderen, in denen Beiträge nicht kommentiert werden) die Funk‐ tionalität der Texte gegeben ist. So können Beiträge zwar von den anderen Stu‐ dierenden mit großem Interesse gelesen werden und zu ihrem Lernen beitragen (vgl. Kapitel 5.8.3), doch bleibt eine Reaktion aus, bleibt dem / der Verfasser/ -in die Funktionalität verborgen. Es wäre daher zu überlegen, was passieren würde, 245 6.4 Gegenwartsbezüge 36 Hier zeigt sich besonders eindringlich, welchen Vorteil es hat, wenn Studierenden mit Deutsch als L1 am Unterricht teilnehmen. 37 So wie dies auch in der in Kapitel 6.4.1 beschriebenen Aufgabe aus Mitreden (Altmayer 2016) geschieht. wenn man die Studierenden auffordern würde, Beiträge, die ihnen sinnvoll er‐ scheinen, wenigstens kurz zu kommentieren. Möglicherweise würde dies aber zu dem unerwünschten Effekt führen, dass die Verfasser/ -innen der Beiträge, die nicht kommentiert würden, ihre Motivation verlieren, an den Diskussionen teilzunehmen. Für zukünftige ähnliche Szenarien könnte es in Erwägung gezogen werden, auch die anderen Studierenden mit Deutsch als L1 aufzufordern, 36 ihre Sicht auf die Sinn- und Ursachenzusammenhänge darzustellen, so dass verschiedene Per‐ spektiven und mögliche Differenzen deutlich werden. Auf diese Weise würden auch L1-Sprecher, an deren Bedürfnissen der Unterricht in der Regel nicht aus‐ gerichtet ist, mehr aktiv in den Unterricht einbezogen werden. Die Analyse hat außerdem gezeigt, dass es den STN relativ einfach fällt, ziel‐ sprachenspezifische Sinnzusammenhänge aufzuzeigen. Beiträge, die diese Sinn‐ zusammenhänge herstellen, initiieren zudem Interaktion, so dass das Stellen von Fragen nach Sinnzusammenhängen im Kontext von asynchroner computerver‐ mittelter Kommunikation als sinnvoll zu bezeichnen ist. Als besonders interak‐ tionsförderlich sind dabei Themen, die auf die eine oder andere Weise eine le‐ bensweltliche Relevanz für STN besitzen (vgl. Kapitel 5.8.3), wie beispielsweise das Thema Wirtschaft in Auszug 73. Im Anschluss stellt sich die Frage, wie den Studierenden das Herstellen von Sinnzusammenhängen und Ursachenzusammenhängen erleichtert werden kann. So könnte beispielsweise die Möglichkeit, Rechercheaufgaben zu stellen, in Erwägung gezogen werden, da die Studierenden so mit dem nötigen Sach‐ wissen versorgt werden könnten. 37 Gleichwohl ist es von Vorteil, wenn die Stu‐ dierenden selbständig in prospektiven und retrospektiven Verfahren, iniitiert durch eine entsprechende Aufgabenstellung, Gegenwartsbezüge anbringen: So können nämlich Verbindungen aufgezeigt werden, die vielleicht von den Lehr‐ enden zunächst nicht beachtet wurden. Die Studierenden können so in ihren Beiträgen an ihr Vorwissen anknüpfen, ihr Vorwissen mit in den eigenen Lern‐ prozess einzubeziehen und ihre Reflexionen über Gegenwartsbezüge den an‐ deren Studierenden zur Verfügung zu stellen. 246 6 Kulturbezogenes Lernen (76) 6.5 Perspektivenübernahme Der Begriff der Perspektivenübernahme ist, als methodischer Schritt auf dem Weg zum didaktischen Leitziel des Fremdverstehens, sowohl in der Fremdspra‐ chendidaktik als auch der Geschichtsdidaktik von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus ist die Perspektivenübernahme Komponente vieler im vorliegenden Set‐ ting gestellter Aufgaben (vgl. Kapitel 6.1), wie etwa im folgenden Fall, in dem Maja auf die Frage antwortet, was ein Mauerbau in Stockholm für sie bedeuten würde: (5) Sv: Was bedeutete der Mauerbau für die Ostberliner Bevölkerung? - Maja (2013-03-26 10: 07) Ich glaube, dass eine Mauer in Stockholm vielleicht durch Södermaln verlaufen könnte. […] Wenn ich den nördlichen Teil Stockholms nur einen Tag mehr besuchen könnte, würde ich meine Verwandten und Freunde besuchen. Vielleicht würde ich auch in Stockholm Shopping gehen. Der Grund, warum in den Aufgabenstellungen oftmals zur Perspektivenüber‐ nahme angeregt wird, ist die Annahme, dass so das Nachvollziehen der Lebens‐ bedingungen in der fremden Lebenswelt angeregt werden kann und dass dies ein erster Schritt hin zu dem Verständnis ist, warum ein historisches Ereignis einen wichtigen Sellenwert im kollektiven Gedächtnis hat. Perspektivenüber‐ nahmen können auf diese Weise einen Zugang zu kulturellen Deutungsmustern bzw. ihrer Genese darstellen. So gehe ich beispielsweise davon aus, dass nur dann ermessen werden kann, warum ein bestimmtes Ereignis zu einem Grün‐ dungsmythos wurde, wenn die Bedeutung des Ereignisses für einen Teil der Bevölkerung, zumindest in Ansätzen, verstanden wird. In der Fremdsprachendidaktik werden die Begriffe Perspektivenübernahme und Fremdverstehen vor allem verknüpft mit dem Gießener Graduiertenkolleg Didaktik des Fremdverstehens, dessen theoretische Fundierung (vgl. z. B. Bre‐ della / Meißner / Nünning / Rösler 2000) und empirische Erforschung von Fremd‐ verstehen (vgl. z. B. Bechtel 2003) sehr einflussreich sind (vgl. z. B. Hu 2010). Eine Grundannahme ist, dass Fremdverstehen in einem Wechselspiel zwischen Innen- und Außenperspektive geschieht, d. h. zwischen der Perspektive des An‐ deren und der des Verstehenden. Die Einnahme der Innenperspektive hat zur Folge, dass man eigenkulturelle Erfahrungen, Konzepte und Deutungsmuster vorübergehend suspendiert und versucht, die Perspektive des Anderen, des Fremden einzunehmen. Da Kulturen nicht homogen sind, müssen die Lernenden zugleich verschiedene fremde Perspektiven einnehmen, wozu neben der Fähig‐ 247 6.5 Perspektivenübernahme keit zur Perspektivenübernahme auch die Fähigkeit zur Koordinierung unter‐ schiedlicher Sichtweisen und Vorstellungen nötig ist (vgl. Bredella / Meißner / Nünning / Rösler 2000, XX ). Für das Fremdverstehen ist aber wichtig, dass auch immer wieder die Außenperspektive eingenommen wird (soge‐ nannter Perspektivenwechsel), so dass diese sich im Laufe des Lernprozesses mehr oder weniger verändert: „Die Begegnung mit dem Fremden konfrontiert nämlich bislang unbefragte Wahrnehmungs- und Deutungsmuster mit Alter‐ nativen, die vertraute Konzepte in Frage stellen“ (ebd., XX ). Auch wenn ange‐ nommen werden kann, dass Perspektivenübernahme und Perspektivenwechsel auch dann stattfinden, wenn die Lernenden nicht dazu aufgefordert werden, ist es selbstverständlich sinnvoll, wenn die Unterrichtspraxis so gestaltet ist, dass sie die Lernenden zum Perspektivenwechsel und zur Perspektivenkoordination [anregt]. Didaktisch gewendet folgt daraus, dass es darauf ankommt, Texte, Zugangsmöglich‐ keiten und Aufgaben auszuwählen bzw. zu entwickeln, durch die die Fähigkeit und Bereitschaft zum Perspektivenwechsel und zur Perspektivenübernahme gezielt ge‐ fördert werden können. (ebd., XXf) Im Bereich der Fremdsprachendidaktik geht es überwiegend um synchrone Per‐ spektivenübernahme, zumindest dann, wenn gegenwärtige Verhältnisse der Unterrichtsgegenstand sind, obwohl gerade der diachronen Dimension eine wichtige Rolle für das Fremdverstehen zukommt (vgl. ebd., XLIII ). In diesem Sinne rückt die Fremdsprachendidaktik in Richtung Geschichtsdidaktik, für die vor allem die diachrone Perspektivenübernahme und diachrones Fremdver‐ stehen interessant ist (vgl. Lamsfuß-Schenk 2007, 33). Im Fremdsprachenunter‐ richt, in dem historische Themen behandelt werden, wie auch in bilingualem Geschichtsunterricht werden synchrone und diachrone Perspektivenüber‐ nahme verbunden, wobei davon auszugehen ist, dass „die notwendigen kogni‐ tiven und affektiven Prozesse für diachrones wie synchrones Fremdverstehen beim Lerner identisch sind“ (Lamsfuß-Schenk 2007, 33). Möglicherweise be‐ stehen insofern Unterschiede zwischen diachroner und synchroner Perspekti‐ venübernahme, als die Lernenden in der diachronen Perspektivenübernahme bewusst oder unbewusst an Erinnerungen aus dem kommunikativen oder kol‐ lektiven Gedächtnis anknüpfen, je nachdem, wie weit das behandelte historische Ereignis zurückliegt, und in der synchronen Perspektivenübernahme eigene Erfahrungen, die man mit der Zielsprachenkultur gemacht hat, in die Perspek‐ tivenübernahme einfließen. In der Geschichtsdidaktik wird Fremdverstehen, das durch diachrone Per‐ spektivenübernahme erreicht werden soll, als grundlegend für die übergeord‐ 248 6 Kulturbezogenes Lernen 38 Als Synonym zu ‚adäquat‘ finden sich in der Geschichtsdidaktik die Adjektive „histo‐ risch triftig“ (Memminger 2009, 210) oder „historisch plausibel“ (Hartmann 2008, 67). 39 Lamsfuß-Schenk (2007, 43f) zitiert Ergebnisse aus der Studie Youth & History (1995), anhand derer sich aufzeigen lässt, was adäquate bzw. nicht-adäquate Perspektiven‐ übernahmen sind: Im Rahmen der Studie wurden Jugendlichen folgende Fragestellung vorgelegt: „Stelle Dir vor, daß du eine junge Frau / ein junger Mann im 15. Jahrhundert bist. Dein Vater befiehlt Dir […] den Sohn / die Tochter eines vergleichsweise reichen Bauern im Nachbardorf zu heiraten. Du liebst Deinen zukünftigen Mann / Deine zu‐ künftige Frau nicht, du kennst ihn / sie nicht einmal richtig. Was würdest du tun, wenn du damals gelebt hättest? Schätze folgende Aussagen ein“ (Groß-/ Kleinschreibung wie im Original, CB). Die Mehrheit der Schüler und Schülerinnen wählte die anachronis‐ tische Aussage „Widerstehen, denn es ist das natürliche Recht jedes einzelnen, aus Liebe zu heiraten“, was als nicht-adäquate Perspektivenübernahme gewertet werden muss. neten Ziele von Geschichtsunterricht (d. h. historisches Denken und Geschichts‐ bewusstsein) betrachtet. Perspektivenübernahme wird als (langfristig zu entwickelnde) Kompetenz oder Fähigkeit verstanden, die Handlungsergebnisse, die dem Historiker (oder dem Schüler im Geschichtsunter‐ richt) beispielsweise durch Text- und Bildquellen zugänglich gemacht werden, histo‐ risch plausibel aus Intentionen, Motiven und Emotionen der Akteure abzuleiten und zu erklären. Dabei ist die Erkenntnis entscheidend, dass die Gedanken und das Ver‐ halten historischer Akteure maßgeblich von Normen und Wertvorstellungen der je‐ weiligen Zeit und Gesellschaft mitbestimmt wurden. (Hartmann / Sauer / Hasselhorn 2009, 324) Wichtig für die weitere Datenanalyse ist die Annahme, dass diese „Rekonstruk‐ tion historischer Wahrnehmungs, [sic] Denk- und Handlungshorizonte“ (ebd.) dabei adäquat oder nicht-adäquat sein kann (vgl. ebd.), 38 was nicht unproble‐ matisch ist, da es natürlich immer möglich ist, dass ein Individuum (oder meh‐ rere) zu der entsprechenden Zeit Einstellungen und Ansichten vertrat, die heute als nicht-adäquat eingeschätzt würden. 39 Es geht jedoch vielmehr darum, ob die Perspektivenübernahme adäquat in dem Sinne ist, als dass sie in den Sinnzu‐ sammenhang des jeweiligen Geschichtsnarrativs bzw. der Geschichtsnarrative passt. Im Rahmen der synchronen Perspektivenübernahme hingegen kann nicht in der gleichen Weise von adäquater bzw. nicht-adäquater Perspektivenüber‐ nahme gesprochen, da noch kein Narrativ über die Gegenwart besteht. Zudem ist gerade in kulturwissenschaftlichen Ansätzen der Landeskundedidaktik die Anerkennung von Diskurspluralität das Ziel - und somit auch von Perspekti‐ venvielfalt. Die Beurteilung von Perspektivenübernahmen durch die Kategorien adäquat / nicht-adäquat konterkariert folglich in diesem Zusammenhang die Leitziele kulturwissenschaftlich orientierter Landeskunde. Auf die Frage, in‐ 249 6.5 Perspektivenübernahme wieweit diese Bewertungskategorien im Kontext landeskundlichen Lernens sinnvoll sind, wird im Laufe der Analyse zurückgekommen. Im vorliegenden Kapitel richtet sich der Fokus ausgehend von diesen theo‐ retischen Vorannahmen auf diachrone Perspektivenübernahmen, d. h. auf Bei‐ träge, in denen die STN versuchen, die Perspektive von einer (oder mehreren) Personen, die das im Unterricht behandelte Ereignis miterlebten, zu über‐ nehmen. Die Perspektivenübernahme findet dabei stets statt, weil die Aufga‐ benstellung diese fordert. Da sie also vorgegeben ist, wird zudem untersucht, in welchen Fällen nur wenige oder keine STN versuchen, die Perspektive einzu‐ nehmen. Folgende Fragen leiten die Analyse: - Wie gehen die STN mit der in den Aufgabenstellungen geforderten Per‐ spektivenübernahmen um? - Welche Besonderheiten lassen sich im Hinblick auf die Perspektiven‐ übernahmen feststellen? - Weisen die Perspektivenübernahmen darauf hin, dass die STN die Be‐ deutung der Ereignisse nachvollziehen können? - Welches Potenzial und welche Probleme bieten Perspektivenübernahmen für landeskundliches Lernen in asynchronen Online-Diskussionen? 6.5.1 Umgang mit Aufforderungen zu diachronen Perspektivenübernahmen Nahezu alle Aufgabenstellungen der Online-Phasen enthalten in der einen oder anderen Weise die Aufforderung zur diachronen Perspektivenübernahme (vgl. Kapitel 6.1). Diese werden von den Studierenden nicht problemlos angenommen und erfüllt, stattdessen lassen sich verschiedene Vorgehensweisen erkennen, die im Folgenden analysiert werden: Individuelle und kollektive Perspektivenüber‐ nahme, Verweigerung der Perspektivenübernahme und Problematisierung der Per‐ spektivenübernahme. Darüber hinaus nutzt ein STN den Aufruf zur Perspekti‐ venübernahme als Anlass zum kreativen Schreiben; auf diesen Beitrag wird gesondert in Kapitel 6.5.3 eingegangen. Versuche der individuellen Perspektivenübernahmen finden sich insgesamt nur selten. In den Foren zu den Gründungsmythen der Bundesrepublik fordern die Fragen zur Perspektivenübernahme auf, doch finden sich in beiden Daten‐ sätzen nur zwei individuelle Perspektivenübernahmen (Auszüge 77 und 78), beide in den Foren zum Trümmerfrauen-Gründungsmythos. Eine der dort ge‐ stellten Fragen lautet: „Stellt euch vor, ihr wärt eine Trümmerfrau. Was wäre euch wichtig und welche Erwartungen hättet ihr an die Zukunft? “; der Aus‐ gangspunkt ist also, dass die / der STN versuchen sollen, sich vorzustellen, wie 250 6 Kulturbezogenes Lernen (77) (78) es vermutlich gewesen ist, zu der damaligen Zeit zu leben und als „Trümmer‐ frau“ zu arbeiten. (20) Re: Trümmerfrauen - Janina (2013-02-02 19: 25) […] Wenn ich eine Trümmerfrau wäre, kann ich mich nicht vorstellen, dass das ein glückliches Leben ist. Vielleicht habe meine Familie wäh‐ rend dem Krieg verloren, die Ökonomie sieht nicht gut aus und die Deut‐ sche Leute weißen nicht was wird geschehen. Ich weiß dass ich durch meine Arbeit, die Staat hilft, aber ich kann kein Ende sehen. Meine Hoff‐ nung ist vermutlich dass, der Friede hält und der Stadt schnell aufbaut wird. (Hervorhebungen CB ) (32) Sv: Trümmerfrauen - Mia (2014-02-11 22: 57) […] Wenn ich eine Trümmerfrau gewesen wäre, wurde ich mir freuen, dass das Elend des Krieges endlich vorbei war, dass ich mir nicht Sorgen machen müsste, dass ich und meine Kinder nicht mehr davor Angst haben müsste, von Bomben in der Nacht getötet zu werden. Ich würde mir aber wahrscheinlich darüber Sorgen machen, wie ich genug Schütz im Winter hätte, für mich Selber und meine Familie, weil unser eigenes Haus wahrscheinlich auch in Trümmern legen würde. Ich würde mir auch Sorgen machen, ob ich für uns jeden Tag genug gesundes Essen hätte, und vielleicht hätte ich auch Angst davor, dass meine Kinder beim Spielen sich schwer verletzen oder Sterben, wenn sie z B in ein Kaputtes Haus spielen, während ich arbeite. (Hervorhebungen CB ) Auffällig ist an beiden Beiträgen die (nicht durchgängige) Verwendung des Konjunktiv II und der sprecherorientierten Adverbien vermutlich, vielleicht und wahrscheinlich, die signalisieren, dass es sich bei den Beiträgen um Spekulati‐ onen handelt. Dies kann dahingehend gedeutet werden, dass die STN es - viel‐ leicht aufgrund fehlenden Wissens oder der starken Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdperspektive - nicht einfach finden, die Perspektive einer Trümmerfrau einzunehmen und sie sich dessen bewusst sind, oder sie eine For‐ mulierung mit ‚Wahrheitsanspruch‘ scheuen, da aufgrund der zeitlichen und emotionalen Distanz zu der Situation dies als eine Anmaßung betrachtet werden kann. Dies gilt besonders, wenn es in der Perspektivenübernahme nicht gelingt, die desolaten Lebensumstände nachzuvollziehen. Die Adverbien drücken zudem aus, dass sich die STN bewusst sind, dass die historische Triftigkeit ihrer Per‐ spektivenübernahmen angezweifelt werden kann. Die STN nehmen so mögli‐ chen Kritikern den Wind aus den Segeln. Wesentlich häufiger finden sich Beiträge, in denen auf die in der Aufgaben‐ stellung geforderte individuelle Perspektivenübernahmen durch Ausweichstra‐ 251 6.5 Perspektivenübernahme (79) (80) tegien reagiert wird. Im Forum 8. Mai 1945 - Tag der Befreiung oder der Niederlage sollen Fotografien von Personen Impulse für die Perspektivenübernahme dar‐ stellen, was auch insofern funktioniert, als die Fotografien von den STN kom‐ mentiert werden und Vermutungen über die Perspektiven der abgebildeten Per‐ sonen auf das Kriegsende angestellt werden. Die STN reagieren auf diese Impulse jedoch entweder durch narrative Zugänge (siehe Kapitel 6.6) oder indem die Perspektivenübernahme in der dritten Person Singular formuliert wird, so dass streng genommen nicht mehr von Perspektivenübernahme ge‐ sprochen werden kann. Folgender Auszug stellt ein typisches Beispiel dar: (4) Sv: Mädchen - John K. (2013-02-24 20: 11) Das Bild zeigt ein junges Mädchen, das teil der Hitlerjugend war. Ich denke, wie Elin schon geschrieben hat, dass der 8. Mai 1945 einen Tag der Niederlage für dieses Mädchen gewesen ist. Das Mädchen ist als einen Nazi aufgewachsen und erfahr am wahrscheinlichsten nichts von einem anderen Leben. […] John K. übernimmt in seinem Beitrag die Perspektive eines BDM -Mädchens (individuelle Perspektivenübernahme), bewahrt aber durch die Wahl des Per‐ sonalpronomens „sie“ eine Distanz und schließt eine Bewertung an, in der die Außenperspektive zum Tragen kommt. Er entschuldigt das Mädchen bzw. die Tatsache, dass es Mitglied des BDM und Anhängerin des Nationalsozialismus war, in dem er auf die ideologische Indoktrinierung verweist, die dafür sorgte, dass das Mädchen nicht die Möglichkeit hatte, es besser zu wissen. Typisch ist dieser Beitrag insofern, als in ihm ein Wechsel zwischen der Einnahme einer (diachronen) Innenperspektive und der heutigen Außenperspektive stattfindet, wobei über diesen Wechsel jedoch nicht reflektiert wird. Zum Teil finden sich Beiträge, in denen wertende Aussagen mit angeschlossen sind, die der Außen‐ perspektive zuzurechnen sind; diese Beiträge stellen einen Zugang zu gegen‐ wärtigen Meinungen dar: (3) Re: Mann - Johan (2013-02-21 13: 24) Das Bild sagt mir, das wir uns erinnern müssen, daß das 1000. Jährige Reich für viele deutsche ein positives Projekt war […] Eine weitere Strategie, mit den Aufforderungen zur individuellen Perspektiven‐ übernahme in den Aufgabenstellungen umzugehen, ist das Formulieren der Perspektivenübernahme auf einem überindividuellen Niveau: Die STN ver‐ binden in diesen Fällen ihre Vermutungen über die Lebensumstände zu der da‐ maligen Zeit mit ihren Gedanken über die generelle Bedeutung des Ereignisses für ‚die Deutschen‘. Bechtel (2003, 339) nennt diese kollektive Perspektiven‐ 252 6 Kulturbezogenes Lernen (81) (82) übernahme die „Man-Innenperspektive“. Vermutlich ist diese kollektive Per‐ spektivenübernahme einfacher zu vollziehen, weil die STN Informationen aus den Lehrmaterialien zusammenfassen können und diese nicht auf Individual‐ niveau herunterbrechen müssen. Per beispielsweise zitiert ausdrücklich aus Borchert (1999): (12) Re: Währungsreform - Per (2013-02-04 22: 25) […] Selbstverständig bedeutete die Reform eine völlige Revolution für das tägliche Leben, vielleicht nicht sofort aber auf die Dauer in nur einige Jahren. Als Knut Borchardt schreibt „Aber was für Wunder erlebten die Hungrigen und Zermübten im Western schon am 21. Juni, als sie in den Läden auf einmal lauter Waren sahen, von denen sie Jahrelang nur ge‐ träumt hatten.“ Ich kan es nicht besser ausdrücken. Bei diesem Vorgehen passiert es, dass die STN die Lehrmaterialien erst deuten müssen, bevor sie die Perspektive beschreiben, weil sie nicht so viele Informa‐ tionen preisgeben wie beispielsweise der Text, aus dem in Auszug 81 zitiert wird. In der Unterrichtseinheit zur deutschen Teilung diskutieren einige STN ausge‐ hend von einem Ausschnitt eines Filmes über Wolf Biermann, warum einige Einwohner der DDR den Mauerbau befürworteten: (3) Sv: Was bedeutete der Mauerbau für die Bevölkerung der DDR ? - Paul (2013-03-26 08: 30) […] Jag tror att de som var för muren verkligen såg den som ett skydd mot den hotande kapitalismen i väst, utan den skulle inte den goda kom‐ munistiska DDR -staten kunna bestå. […] […] Ich glaube, dass diejenigen, die für die Mauer waren, diese wirklich als einen Schutz gegen die Bedrohung durch den Kapitalismus im Westen sahen, dass ohne sie der gute kommunistische DDR -Staat nicht würde bestehen können. […] Solche Beispiele, in denen die kollektive Perspektivenübernahme ausgehend von einer Deutung der Lernmaterialien stattfindet, sind jedoch relativ selten; gerade in der Unterrichtseinheit zur deutschen Teilung finden sich vielmehr sehr wenige Versuche der kollektiven Perspektivenübernahmen, und eine Frage wird gar nicht beantwortet, nämlich: „In den Jahren bis zum Mauerbau (und auch später noch) sind wegen der unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Wege Menschen aus dem Westen in den Osten gezogen. Könnt ihr das verstehen? “ Dies bestätigt das Ergebnis, dass die Aufgaben zur Perspektivenübernahmen in einigen Fällen zu schwierig oder problematisch sind, vor allem, wenn diese nicht durch Impulse unterstützt werden und zu allgemein gehalten sind. 253 6.5 Perspektivenübernahme (83) Hinsichtlich der kollektiven Perspektivenübernahmen ist zu diskutieren, in‐ wiefern es sinnvoll ist, sie in der Aufgabenformulierung zu berücksichtigen. Auf der einen Seite kann sie im Sinne einer didaktischen Reduktion angebracht sein, weil sie einen ersten Zugang zu der fremden Lebenswelt darstellt, der im wei‐ teren Unterrichtsverlauf aber differenziert werden sollte. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass mit ihrer Hilfe eine stereotype Wahrnehmung der fremden Lebenswelt gefördert wird. Dieser Gefahr kann möglicherweise ent‐ gegengewirkt werden, wenn die Generalisierung der kollektiven Perspektiven‐ übernahme in einem weiteren Schritt problematisiert und aufgebrochen wird. In der vorliegenden Unterrichtseinheit geschah dies im Präsenzunterricht durch die Hinwendung zu der Frage, warum der Fall der Berliner Mauer gegenwärtig nur schwerlich als Erinnerungsort bezeichnet werden könne. So wird exemp‐ larisch an verschiedenen Erinnerungen an die Nacht des 9. November 1989 und ihre Folgen gezeigt, dass die Pluralität der Erinnerungen bislang verhinderte, dass der Mauerfall zu einem einheitlichen Erinnerungsort wurde. Zu dem Ergebnis, dass den Aufforderungen zur Perspektivenübernahme nur sparsam nachgegangen wird, passt dementsprechend auch, dass in einigen Fällen STN die Perspektivenübernahme mit dem (durchaus zutreffenden) Ar‐ gument problematisieren, dass die Wirklichkeit der fremden Lebenswelt zu komplex sei, um die fremde Perspektive einzunehmen. Besonders wenn es um die direkte Nachkriegszeit geht und die schweren Lebensumstände für Teile der deutschen Zivilbevölkerung in der Perspektivenübernahme berücksichtigt werden sollen, thematisieren einige STN die Unmöglichkeit. Dies bestätigt die Ergebnisse zur individuellen Perspektivenübernahme, die gezeigt haben, dass in den wenigen Fällen, in denen eine individuelle Perspektivenübernahme statt‐ findet, diese zugleich durch entsprechende Adverbien wie vielleicht und ver‐ mutlich problematisiert wird. Insgesamt zeigen die Problematisierungen so, dass mindestens ein Teil der STN sich der Komplexität und Vielschichtigkeit der Lebenswelt bewusst ist: (1) Sv: Mann - Paul (2013-02-16 17: 06) […] Krieg ist dann für mich nur etwas wovon ich theoretische Kenntnis habe; von den Zeitungen, von den Büchern, von den Filmen etc. Ein wenig Demut ist denn passend und meine Gedanken um Befreiung oder Nie‐ derlag werden notwendig spekulativ. Der lächelnd Mann im Foto scheint froh und stoltz in seiner Uniform. Natürlich zu denken ist das dieses Foto bevor den Kriegsende stammt. Es wäre natürlich zu vorausetzen dass er die Kriegsende wie eine Niederlage erleben hat. Aber kann ich sicher sein? Vielleicht war es für ihm persönlich auch eine Befreiung? Nicht dass Deutschland verloren hat, sondern dass das Krieg zu ende war. Er hatte 254 6 Kulturbezogenes Lernen überlebt. Das Risiko für ihm im Krieg zu sterben war plötzlich weg und er könnte nun etwas anderes machen. Vielleicht hatte er zum Führern nicht mehr Vertrauen (oder hatte nie gehabt). Das Dasein ist oft kom‐ plex. Oft ist es nicht nur das Eine oder das Andere. Oft ist es die Beide oder der dritte oder etwas ganz anderes. (Hervorhebung CB ) Die Problematisierungen der Perspektivenübernahme zeugen also von einem hohen Grad an Bewusstsein über die Komplexität der Welt und sollen hier nicht negativ bewertet werden. So stellen sie vielmehr aufgrund der Zurückwei‐ sungen einen reflektierten Umgang mit der Aufgabe dar und damit auch ein indirektes Feedback zum Aufgabendesign. Die Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Anregungen zur Per‐ spektivenübernahme bei den STN zu verschiedenen Reaktionen führen, die da‐ rauf hindeuten, dass ihnen die Übernahme der fremden Perspektive schwerfällt. Es muss angemerkt werden, dass die Perspektivenübernahmen hier nur dann nachvollzogen werden können, wenn sie Spuren in den Produktdaten hinter‐ lassen. Es ist also möglich, dass die Aufgaben oder die Beiträge der anderen dafür sorgen, dass Studierende fremde Perspektiven einnehmen, ohne dass sie diese verbalisieren. Individuelle Perspektivenübernahmen vollziehen die STN nur selten; auch wenn die Aufgabenstellung diese anregt, weicht ein Teil der Stu‐ dierenden auf eine kollektive Perspektivenübernahme aus, die möglicherweise weniger emotional ist als die individuelle und für die die STN Informationen aus den Lehrmaterialien einfacher verwenden können. Findet eine individuelle Perspektivenübernahme statt, so geschieht dies hauptsächlich in Bezug auf Fo‐ tografien, was vermuten lässt, dass es den STN leichter fällt, Annahmen über ein Foto anzustellen, als ohne Impuls etwas über die frühere Lebenswelt zu sagen. 6.5.2 Besonderheiten der Perspektivenübernahmen: Apologetische Tendenzen Die Aufgabe zur Perspektivenübernahme, die im Forum 8. Mai 1945 - Tag der Niederlage oder der Befreiung? gestellt wird, hat das Ziel, die Studierenden damit bekannt zumachen, dass in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg viele Deut‐ sche den Tag der bedingungslosen Kapitulationen als einen Tag der Niederlage sahen. Im darauf folgenden Präsenzunterricht geht es sodann um die Frage, wie es dazu kam, dass heute das Datum 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung beurteilt wird. Ausgangspunkt für die Perspektivenübernahmen sind zum einen Foto‐ grafien von sowohl Zivilisten als auch Wehrmachtsangehörigen sowie auch ein 255 6.5 Perspektivenübernahme (84) (85) Text von Wolfrum, in dem es heißt, dass noch zehn Jahre nach Kriegsende die Frankfurter Allgemeine Zeitung den 8. Mai als einen „düstere[n] Tag der tiefsten Erniedrigung“ bezeichnete. Obwohl dies mit einer Anhängerschaft oder Sym‐ pathie der Bevölkerung für die NS -Ideologie in Verbindung gebracht werden kann, wird in den Beiträgen der Studierenden die mögliche Mitschuld der ab‐ gebildeten Personen an nationalsozialistischen Verbrechen oder ihre mögliche nationalsozialistische Anhängerschaft oder Sympathie für die NS -Ideologie nicht erwähnt oder verurteilt. Vielmehr entschuldigen die STN in ihren Bei‐ trägen die mögliche Verstrickung oder Anhängerschaft der Personen durch ver‐ schiedene Argumentationsmuster: Zwei Mal wird die Mitgliedschaft von Kin‐ dern / Jugendlichen in NS -Organisationen (mit Recht) damit erklärt, dass sie zu jung waren, um die ideologische Beeinflussung durchschauen zu können (z. B. Auszug 79). Des Weiteren werden Zivilpersonen, so wie auch im folgenden Auszug 84, als Opfer dargestellt, wodurch die Dichotomisierung, die sich in bundesdeutschen Geschichtsnarrativen findet, aufgerufen wird, d. h. zwischen „den normalen Deutschen“ als Opfer sowie Hitler und der NS -Elite als Täter (vgl. Hammerstein 2008): (2) Sv: Frau mit Kind - Ida (2013-02-17 21: 18) Senast ändrad av Ida den 2013-02-17 21: 19 Können wir uns wirklich vorstellen wie es für die Deutschen war, den letzten Jahren des Krieges zu leben? Ein Leben mit der Angst vor Bomben, Meere von Feuer und Gebäuden in Flammen? Wie hatte es gefühlt in einem Keller in der Trümmer Stadt zu leben? Um den Hunger zu fühlen. Und tagaus tagein eine kleine Ration Kartoffeln bekommen, um Suppe zu kochen. Es war ein kalter Herbst im Jahr 1945 und es regnete viel. Die Keller wurden überschwemmt. Der Winter würde noch kälter. […] Darüber hinaus zeigt eine der Fotografien im Forum einen Wehrmachtssoldaten und es wäre möglich gewesen, dass dieses Bild zu einer Erwähnung von NS -Verbrechen führt, doch auch dort finden sich, sofern nicht sprachliche Aus‐ drucksprobleme vorliegen, entschuldigende bzw. verharmlosende Argumenta‐ tionsmuster. John K. beispielsweise kommentiert: (8) Sv: Mann - John K. (2013-02-24 19: 51) […] Meiner Meinung nach ist er traumatisiert. Der Krieg hat geendet, vielleicht sind einige Freunde von dem Mann im Krieg gestorben und er weiß nicht wie er reagieren soll. Es kann auch sein, dass dieser Mann jemand getötet hat. […] 256 6 Kulturbezogenes Lernen (86) Hier wird zwar die Möglichkeit der Tötung eines anderen Menschen in Erwä‐ gung gezogen, „jemand“ scheint jedoch für einen Wehrmachtssoldat maßlos untertrieben. Die etwaige Schuld bzw. Täterschaft des Wehrmachtssoldaten wird nicht erwähnt. Im Gegenteil, durch die Anmerkung, dass er traumatisiert sei, wird er als Opfer der Kriegshandlungen dargestellt. Lediglich Johan weist in seinem Beitrag auf das möglicherweise positive Verhältnis der abgebildeten Personen zu NS -Deutschland hin, wobei dies durch eine statistische Angabe geschieht und nicht durch die Perspektivenübernahme: (6) Re: Sv: Re: Mann - Johan (2013-02-21 20: 56) […] In das „Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947-55“ wird es auch klar, das es sogar zehn Jahre nach Kriegsende, ein positives Verhältnis gegnüber dem NS -Regime und Hitler, noch stecken bleibt. 22 % der Be‐ fragten nannten Hitler einen „vorzüglicher Staatsführer mit kleinen Feh‐ lern“ und sogar 40 % meinten daß er manches Gute vollbracht habe. Nun könnte man einwenden, dass es ja durchaus Personen gab, die das Kriegs‐ ende genau so erlebt haben und tatsächlich halte ich die Perspektivenüber‐ nahmen generell für historisch plausibel. Es ist jedoch sehr auffällig, dass in keinem der Beiträge (und auch in keinem der anderen Foren) die Sympathie und Loyalität der fokussierten Personen für das Naziregime thematisiert wird, die mehreren Studien zufolge mehr Regel als Ausnahme war (vgl. Fornoff 2015b, 55). Es lassen sich somit „apologetische Tendenzen“ in den Beiträgen finden, d. h. Tendenzen „über die schuldhafte Verstrickung der deutschen Bevölkerung in den Nationalsozialismus hinwegzusehen“ (Fornoff 2016, 409, vgl. auch ebd. 487-489), und zwar, in dem die Perspektivenübernahme verweigert oder prob‐ lematisiert wird, oder, falls sie stattfindet, in irgendeiner Weise dem fokussierten Individuum keine Verstrickungen oder Sympathien zugesprochen werden. Gründe für diese apologetischen Tendenzen lassen sich aber nicht aus den vor‐ liegenden Daten erkennen, doch lässt sich vermuten, dass Fornoffs Begründung für Apologetik bei Deutschstudierenden in Serbien auch hier einen plausiblen Erklärungsansatz liefert. Demnach handelt es sich um einen psychosozialen Mechanismus, der aktiviert wird, weil das Lernen bzw. das Studium der deut‐ schen Sprache in einem Kontext stattfindet, in dem Deutschland und die deut‐ sche Sprache generell nicht gut angesehen ist (bei Fornoff ist das Serbien, im vorliegenden Fall Schweden), und zwar aufgrund der kontinuierlichen Verbin‐ 257 6.5 Perspektivenübernahme 40 Eine ausführliche Darstellung dieses Themas würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Stattdessen sei z. B. auf einen am 12. Mai 2016 in der schwedischen Tages‐ zeitung Dagens Nyheter erschienenen Leserbrief verwiesen, in dem eine Schülerin schreibt, dass die deutsche Sprache an den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozia‐ lismus erinnere („Tyska spåket påminner oss än idag om andra världskriget och na‐ zism“) und dies der Grund sei, warum so wenige Schweden Deutsch lernten. dung des heutigen Deutschland mit seiner NS -Vergangenheit. 40 Dies wird auch in einem von Hans’ Beiträgen (siehe Auszug 94) erkennbar: […] Och hur min fru, med tyska rötter, men inte med en särskilt stark tysk identitet, börjar bli allt mer trött på att det alltid är mer eller mindre ok att antyda att tyskar är nazister. […] […] Und wie meine Frau, mit deutschen Wurzeln, aber nicht besonders starker deut‐ scher Identität, es immer mehr satt hat, dass es mehr oder weniger ok ist anzudeuten, dass Deutsche Nazis sind. […] Die Vorbehalte gegenüber Sprache und Land üben „einen starken Legitimati‐ onsdruck“ auf diejenigen aus, die sich mit der Sprache beschäftigen, was wie‐ derum zu einer „Übererfüllung ihrer Legitimationsbedürfnisse führen“ kann und damit „eine unverhältnismäßige Aufwertung Deutschlands als Abwehrreaktion gegenüber möglichen oder tatsächlichen Angriffen auf ihr Nahverhältnis zu der kritisch betrachteten Fremdkultur“ hervorruft (Fornoff 2015b, 57). Hier zeigt sich, dass Perspektivenübernahmen ebenso so viel über Lernende selbst sagen, über ihre Einstellungen, Menschenbilder, ihre politische Bildung, als über die damalige Zeit. Darüber hinaus sind aber auch zwei weitere Erklärungsmöglichkeiten denkbar, warum die Beiträge apologetische Tendenzen besitzen: Zum einen kann dies möglicherweise auf die Aufgabenstellung zurückgeführt werden, da sie so gedeutet werden kann, dass die Studierenden den abgebildeten Personen Empathie entgegenbringen sollen und sie somit dazu anhält, nach ‚mildern‐ enden Umständen‘ zu suchen. In einem Kontext, in dem der öffentliche Fokus oft auf der Tätergeschichte liegt, stellt diese Opferperspektive einen ersten Schritt dar, um die deutsche Nachkiegsgeschichte zu verstehen. Zum anderen ist es denkbar, dass die STN im Sinne der sozialen Erwünscht‐ heit (vgl. Diekmann 2004, 382) keine schuldzuweisenden Beiträge posten, weil ich Deutsche bin und sie die Gefahr sehen, dass sie mich damit angreifen würden. Aufgrund dieser Ergebnisse scheint es insgesamt lohnenswert, in weiteren Forschungsarbeiten den Frage nachzugehen, wie das Wissen um die national‐ sozialistische Vergangenheit landeskundliches aber auch generell das Lernen 258 6 Kulturbezogenes Lernen (87) des Deutschen als Fremdsprache beeinflusst und welche Konsequenzen der psychosoziale Mechanismus der Apologetik auf kulturbezogenes Lernen hat. 6.5.3 Kreative diachrone Perspektivenübernahmen Ein Charakteristikum der bislang zitierten Perspektivenübernahmen ist ihr Au‐ thentizitätsanspruch, der im Übrigen auch von der Aufgabenstellung implizit gefordert ist und in der Analyse u. a. durch die Bewertungskriterien adä‐ quat / nicht-adäquat unterstrichen wird. Sowohl die Beiträge der Studierenden als auch meine Analyse kreisen also um die Frage, was historisch triftig ist. Deutlich wird der Authentizitätsanspruch der Beiträge durch die Formulie‐ rungen im Konjunktiv II , durch die verwendeten Adverbien vielleicht und wahr‐ scheinlich, durch die Problematisierung, dass wir heute gar nicht wissen können, wie es war, damals zu leben. Ein Beitrag weicht - zumindest auf den ersten Blick - von diesem Anspruch ab und nutzt den Aufruf zur Perspektivenüber‐ nahme für einen kreativen Zugang: Im Forum zum Thema 8. Mai 1945 - Tag der Niederlage oder der Befreiung fiktionalisiert Paul die Perspektive der auf einer der Fotografien abgebildeten „Trümmerfrau“: (2) Sv: Frau - Paul (2013-02-22 11: 55) Der Adolf war Renates große Liebe. Das erstes Mal sie ihm gesehen und gehört hat, ist sie augenblicklich verliebt gewesen. Er hatte all was sie brauchte. Sie hatte Männer getroffen, ja doch, aber alle sind swache ge‐ wesen, keine richtige Kerle. Zu Hause zusammen mit ihr sind sie oft so selbsticher und prahlerisch gewesen, aber sofort sie draußen unter andere Menschen gekommen sind, hatte Renate wie keifen sie alle waren vor‐ stehen. Der Adolf war nicht solch. Er war ein starken, mutiger Mann. Der Führer hat ihre einzigegroße Liebe gewerden. Sie hat sich für die Frau‐ enschaft, zusammen mit andere Frauen, die Adolf auch geliebt hatten, engagiert. Aber die andere Frauen hatten ihm nicht so viel wie sie geliebt - Renate und Adolf hatte eine besonders Beziehung. Oft hat sie um die Liebe des anderes Frauens für den Führer gezwiefelt. Einmal, während eines Partitages in Nürnberg hatte Renate den Führern ein kleine Weile ge‐ troffen. Der Fürer hat sie so warm und liebevoll angesehen. Das war für Renate ihre grösste Moment des Lebens. Seitdem ist sie sicher gesesen; Der Adolf war nicht nur ihre große Liebe. Sie war auch Adolfs Liebe. Renate hatte um Eva Braun gelesen und gehört, aber sie könnte es nicht wirklich glauben. Was hat der Adolf in Eva gesehen? Aber jeztz war all vorbei. Ihre Heimatstadt Berlin war kurz und klein geschalgt. Man hat gesagt dass der Adolf hat sich das Leben genommen. Für Renate war es 259 6.5 Perspektivenübernahme 41 Kansteiner spricht in diesem Zusammenhang von der Radikalisierung des deutschen Gedächtnisses und zeigt auf, wie in den Fernsehdokumentationen Guido Knopps vor allem durch Bildsprache und Musikwahl „eine äußerst ansprechende, provokante und Tabus brechende visuelle Darstellung des Nationalsozialismus entstanden, die die po‐ litisch korrekten Botschaften Lügen straft und Identifikationsmöglichkeiten schafft, die appellativer, revisionistischer und, wie einige Kritiker beklagen, faschistischer Natur sind“ (Kansteiner 2003, 627). 42 Z. B. Hitler und die Frauen und Die Frauen und Hitler (2001) von Thomas Hausner. schwer zu glauben. Sie denkte dass den Führen noch lebte und sich ir‐ gendwo versteckt hatte. Trotz des große Niederlage hatte sie immer noch Hoffnung. Sie war fest entschlossen den Kampf für ihres Volk zu fort‐ fahren. Deshalb war die schwere Arbeit Berlin auzubauen nicht so schwer. Pauls Beitrag gestaltet durch die individuelle Perspektivenübernahme das Bild einer fiktiven Person, die in Hitler verliebt ist und die aufgrund ihrer Hingabe zu ihm an seinem „Kampf für das Volk“ teilnimmt. Zunächst wirkt der Beitrag von Paul skurril, zumindest aus meiner deutschen Perspektive, in der die Dar‐ stellung von Adolf Hitler als geliebte Person Irritation auslöst (vgl. Kapitel 4.2.3). Bei näherem Betrachten fällt auf, dass trotz der Fokussierung auf eine fiktive Person und der fiktionalen Ausgestaltung ein Authentizitätsanspruch vorliegt: Der Text gestaltet das Bild des charismatischen Hitler, das Gegenstand einiger Publikationen ist (vgl. z. B. Herbst 2010) und auch durch televisionäre Populär‐ historiografie verbreitet wird. 41 So ist anzunehmen, dass Paul in irgendeiner Weise mit diesem Hitler-Bild in Berührung gekommen ist. Möglich ist beispiels‐ weise, dass er im schwedischen Fernsehen den französischen Dokumentarfilm Hitlers kvinnor von André Annosse (frz. La fascination des femmes pour Hitler) gesehen hat, der am 5. Dezember 2012, d. h. ungefähr zweieinhalb Monate bevor Paul seinen Beitrag schrieb, ausgestrahlt wurde und danach in der Internet-Me‐ diathek zugänglich war. Ebenso wie andere Filme zum gleichen Thema 42 enthält dieser Originalfilmsequenzen, die Kansteiner mit Bezug auf Guido Knopps Fern‐ sehdokumentationen vermutlich als „Glanzstücke der Nazipropaganda“ be‐ zeichnen würde: Gruppen von Frauen rennen auf den auf einem Podest ste‐ henden Hitler zu, berühren seine ausgetreckten Hände und brechen emotional stark berührt in Tränen aus. Adolf Hitlers Charisma stellt darin, sowie auch in der Hitler-Biografie von Kershaw (2009) und Wehlers Deutsche Gesellschaftsge‐ schichte (Bd. 4: 2003) ein Erklärungsansatz von Hitlers Aufstieg zur Macht dar. Kansteiner spricht im Zusammenhang solche Filmausschnitte von der „Radika‐ lisierung des deutschen Gedächtnisses im Zeitalter seiner kommerziellen Re‐ 260 6 Kulturbezogenes Lernen 43 Populärwissenschaftliche Publikationen, die diesen Hitler-Mythos transportieren, sind beispielsweise Schad 2009 und Leutheusser 2001. produktion“ (2003) und zeigt auf, wie televisionäre Populärhistoriografie zur Bildung des Hitler-Mythos beiträgt (vgl. Kretzschmar 2014, 187). 43 Unabhängig davon, ob Hitler Charisma oder Ausstrahlung hatte oder nicht, und unabhängig davon, ob dies seinen Aufstieg zum Teil erklärt oder nicht, kann an dieser Stelle diskutiert werden, ob Pauls Beitrag ein Beispiel für mediale In‐ terferenz im Sinne Fornoffs (2015b, 65-67) ist.Es handelt sich dabei um einen der Rezeptionsmodi, die Fornoff in seiner Habilitationsschrift (2016) identifiziert hat und die seiner Auffassung nach kulturbezogene Lernprozesse „verhindern, erschweren oder auf Abwege führen“ können (Fornoff 2015b, 43): „Das Rezep‐ tionsmuster der medialen Interferenz bezieht sich […] auf das didaktische Stör‐ potential ungesteuerter Mediennutzung“, wodurch kulturbezogene Lernpro‐ zesse konterkarieren werden könnten (ebd., 65). Die negative Einschätzung der medialen Interferenz teile ich nicht, da sie nicht per se negativ sein muss, zudem dieser Fall von medialer Interferenz vor Augen führt, dass kulturbezogene Lern‐ prozesse stark individuell sind (vgl. Kaluza 2010, Altmayer / Scharl 2010, 50) und die Lerner immer an Vorwissen anknüpfen, das unterschiedlichen Quellen ent‐ stammt. Dieses Vor- oder auch zeitgleich zum Seminar erworbene Wissen kann dabei von verschiedener Qualität sein und, wie der Blick auf das obige Beispiel zeigt, unter Umständen auch Mythen transportieren. Es stellt sich die Frage, aus welchem Grund Paul kreatives Schreiben für die Perspektivenübernahme genutzt hat. Hier soll in der Argumentation an Ka‐ pitel 5.7 angeknüpft werden, in dem dargelegt wurde, dass der task in process stets auch davon beeinflusst wird, welches Wissen bzw. welche Annahmen die Lernenden über den Unterrichtskontext haben (vgl. Butler / Cartier 2004, 1740). Da es sich bei dem untersuchten Unterricht um zielsprachlich orientierten Fach‐ unterricht handelt und kreatives Schreiben oft „fester Bestandteil des Fremd‐ sprachenunterrichts“ ist (Wolfrum 2010, 5, s.a. Pogner 2010), ist es möglich, dass Erfahrungen mit Fremdsprachenunterricht auch dazu führen, dass Paul hier kreatives Schreiben, sonst eine eher untypische Aufgabe in der Hochschullehre, als einen möglichen Bearbeitungsmodus betrachtet. Für landeskundliches Lernen haben, wie im Folgenden argumentiert werden soll, kreative Zugänge der Perspektivenübernahme ein besonderes Potenzial und können so auch in der Hochschullehre eingesetzt werden. In der Fremd‐ sprachendidaktik wird kreatives Schreiben primär als Mittel als zur Schreibför‐ derung und zur Selbsterfahrung genutzt (vgl. Pogner 2010, 1585). Im Zentrum stehen dabei die Lernenden und ihre Erfahrungen. Anders hingegen ist der Zu‐ 261 6.5 Perspektivenübernahme gang, der von Kramsch (2011) geschildert wird, die anekdotisch das Potenzial kreativen Schreibens für kulturbezogenes Lernen und besonders für den Erwerb symbolischer Kompetenz untersucht. Ausgehend von der Schilderung der Bom‐ bardierung Dresdens in Erich Kästners Autobiographie Als ich ein kleiner Junge war (1957) schrieben Teilnehmer/ -innen eines Lehrerfortbildungsseminars Texte, in denen sie am 60. Jahrestag der Bombardierung Dresdens ihrem Kind von diesem Tag erzählen - und sich so in eine Person versetzten, die die Bom‐ bardierung miterlebt hatte. Kramsch zeigt im Anschluss auf, wie wichtig es im Sprachunterricht ist, die historischen Fakten und ihre Repräsenta‐ tionen um eine emotionale Komponente zu ergänzen. […] [I]n dem kalifornischen Kontext, mit Deutschlehrenden, die unter dem großen Druck standen, in ihren Klassen eine einheitliche, politisch korrekte Version der Geschichte zu vermitteln […], bedeu‐ tete der plötzliche Gefühlsausbruch mehr als nur Mitgefühl für die Opfer. Es war ein plötzliches Begreifen der uneinholbaren Komplexität der Geschichte[.] (Kramsch 2011, 38f) Kreatives Schreiben kann somit als ein epistemisches Werkzeug bezeichnet werden (vgl. Kapitel 2.4), und genau als ein solches wird es auch in der Ge‐ schichtsdidaktik eingesetzt. Memminger (2009) beispielsweise geht davon aus, dass das kreative Verarbeiten von Faktenmaterial das historische Denken und Verstehen mehr fördere als das bloße Rezipieren und Lernen (ebd., 205). Die verschiedenen Ziele von kreativem Schreiben im Geschichtsunterricht seien u. a. die „Wahrnehmung der Multiperspektivität von Geschichte“ und das „em‐ pathische Nachvollziehen und Verstehen“, womit an das obige Zitat von Kramsch angeschlossen werden kann. Kreatives Schreiben ist so als eine Aus‐ einandersetzung mit historischen Realitäten zu verstehen, wobei das „Narrati‐ vieren“ (Pandel 2015, 152) der geschichtlichen Ereignisse insofern einen Au‐ thentizitätsanspruch hat, als das Erzählte daran gemessen werden kann, ob es sich so hätte abspielen können, also an der „historischen Triftigkeit“ (Mem‐ minger 2009, 210). Man könnte sagen, dass kreatives Schreiben auf diese Weise sowohl in der Geschichtsdidaktik als auch im untersuchten Beitrag von Paul auf der Schnittstelle von fiktionalem und faktualem Erzählen verortet werden kann. Pauls Beitrag hat einen gewissen Authentizitätsanspruch, da er den Blick einer Frau einnimmt, die für Hitler schwärmt, was auf eine Darstellung der Wirk‐ lichkeit referiert, die zumindest durch televisionäre Populärhistoriografie ver‐ breitet wird. Für Paul hat das Verfassen des Beitrags ein Lernpotenzial; er ge‐ staltet eine emotionale Sichtweise auf Adolf Hitler und beantwortet somit die in der Aufgabenstellung formulierte Frage, ob der 8. Mai 1945 von den abgebil‐ deten Personen als Niederlage oder Befreiung betrachtet wurde. 262 6 Kulturbezogenes Lernen Auch für die anderen Studierenden hat Pauls Beitrag ein Lernpotenzial, da er zur multiperspektivischen Darstellung der Nachkriegszeit beisteuert und ein wichtiges Gegengewicht zu den apologetischen Perspektivenübernahmen der anderen STN liefert (vgl. Kapitel 6.5.2): Es handelt sich bei Pauls Beitrag schließ‐ lich um den einzigen, in dem eine Sympathie für Hitler und die NS -Ideologie gestaltet wird und er hebt sich auch aus diesem Grund deutlich von den Bei‐ trägen der anderen ab. Während sich in den Beiträgen der anderen Studierenden keine Fokussierung auf die abgebildete Person finden und die Betrachtungs‐ weise, wie der 8. Mai 1945 vielleicht empfunden wurde, als Mutmaßungen ge‐ äußert wurden, gelingt es Paul, eine mögliche Perspektive einzunehmen, die ‚wahr‘ sein könnte, so schwer der sogenannte Führerkult mit dem Wissen um die Verbrechen des Nationalsozialismus auch nachzuvollziehen ist. 6.5.4 Potenziale und Probleme von diachronen Perspektivenübernahmen für kulturbezogenes Lernen in asynchronen Online-Diskussionen Mit Hilfe der diachronen Perspektivenübernahme sollen die STN in die Lage versetzt werden, die Bedeutung bestimmter historischer Ereignisse für die Be‐ völkerung nachzuvollziehen. Die Perspektivenübernahme ist ein erster Schritt hin zu dem Verständnis, warum diese historischen Ereignisse einen wichtigen Stellenwert im kollektiven Gedächtnis haben und die Erzählungen darüber sinnstiftend in der Gegenwart wirken (vgl. Kapitel 6.4). Auf diese Weise können Perspektivenübernahmen einen Zugang zu kulturellen Deutungsmustern dar‐ stellen. Diese theoretischen Vorannahmen waren die Gründe für die Berücksichti‐ gung der Perspektivenübernahme in den Aufgabenformulierungen und beant‐ worten aus theoretischer Perspektive die Frage, welches Potenzial Perspekti‐ venübernahmen für kulturelles Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation haben. Nach einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Beiträge der Studierenden darauf hinweisen, dass dieses Ziel erreicht wurde, folgt im zweiten Teil dieses Kapitel die Beschäftigung mit der Rolle des Mediums für das Lernpotential der Perspektivenübernahmen. Ob Perspektivenübernahmen darauf hinweisen, dass die STN die Lebensum‐ stände in der damaligen Lebenswelt und die Bedeutung der historischen Ereig‐ nisse nachzuvollziehen, soll im Folgenden ausgehend von den Daten beant‐ wortet werden. In diesem Zusammenhang muss auf die Kategorien adäquat / nicht-adäquat eingegangen werden. Es rücken die Diskussionsforen zu Gründungsmythen der Bundesrepublik, 8. Mai 1945 - Tag der Befreiung oder 263 6.5 Perspektivenübernahme 44 Die Tatsache, dass in den Mythen auch nicht durch Fakten zu belegende Ereignisse oder Umstände erzählt werden, ist dabei zunächst sekundär; dies wird im Präsenzunterricht aufgegriffen, in dem es um die Frage geht, warum das Ereignis zu einem Mythos wurde. der Niederlage und Die deutsche Teilung ins Blickfeld, da dort die meisten dia‐ chronen Perspektivenübernahmen zu finden sind. In den Foren zu den Gründungsmythen geht es also darum, mit Hilfe der Perspektivenübernahme die Bedeutung der Ereignisse, die später Gründungs‐ mythen wurden, nachzuvollziehen. Das Nachvollziehen der spezifischen Be‐ deutsamkeit stellt einen Zugang zum Verstehen der Mythen dar. 44 Die beiden Beiträge, die individuelle Perspektivenübernahmen enthalten (siehe Auszüge 77 und 78), zeigen, dass die Frage, ob die STN die Bedeutung der Ereignisse nach‐ vollziehen können, nicht einfach zu beantworten ist. Im Großen und Ganzen lässt sich argumentieren, dass die Beiträge historisch triftig sind, auch wenn die Texte teilweise Aspekte enthalten, die mich als Lehrende irritieren. Beide Bei‐ träge sind von Fremdsprachenlernern verfasst worden und es nicht immer deut‐ lich, ob bestimmte Formulierungen auf eine nicht-adäquate Perspektivenüber‐ nahme oder auf mangelndes Vokabular bzw. Ausdrucksvermögen in der Zielsprache zurückzuführen sind. Während möglicherweise die Deutungen mental adäquat sind, können sie aufgrund fehlender Ausdrucksmöglichkeiten in der Fremdsprache auf der verbalisierten Ebene nicht adäquat formuliert werden. Beispielsweise wirkt Janinas Aussage, dass „die Ökonomie […] nicht gut aus[sieht]“, in Anbetracht allein des Zerstörungsgrades der Städte und des Mangels an allem Lebensnotwendigen als eine Unterbewertung und somit als nicht-adäquat. Auch die von Mia formulierte Sorge, ob das Essen als „gesund“ betrachtet werden könnte, ist ähnlich mehrdeutig, denn vermutlich ging es vielmehr darum, ob das Essen ausreichte, höchstens das Adjektiv „nahrhaft“ würde hier noch passen. Obwohl also die Beurteilung der Beiträge mit Kategorien adäquat / nicht-adä‐ quat schwierig ist, können die Beiträge dennoch Hinweise auf Mechanismen im landeskundlichen Lernen aufweisen, wie eigenkulturelle Deutungen, „Gegen‐ wartsfixierungen“ (Hartmann / Sauer / Hasselhorn 2009, 328) und Übergenerali‐ sierungen. So kann z. B. die Aussage „Ich weiß dass ich durch meine Arbeit, die Staat hilft“ (Auszug 77) als eine eigenkulturelle Deutung des Begriffes ‚Staat‘ gedeutet werden. Das Gefühl, dem Staat zu helfen, kann als nicht adäquat be‐ trachtet werden, da „der Staat“, die Bundesrepublik Deutschland, erst 1949 ge‐ gründet wurde und zu diesem Zeitpunkt vermutlich nicht identitätsstiftend wirkte. Vermutlich darf hier aber nicht das deutsche kulturelle Deutungsmuster „Staat“, d. h. im Sinne eines übergeordneten Machtstaates, herangezogen werden, sondern das schwedische: Der (schwedische Wohlfahrts-)Staat hilft den 264 6 Kulturbezogenes Lernen (88) (89) Bürgern, er ist die „gute Mutter“ (Olofsson 1988), was es auch ermöglicht, dass die sogenannte Trümmerfrau den Staat unterstützt. Der Begriff der Übergeneralisierung stammt aus dem Bereich der Spracher‐ werbsforschung und erklärt Fehler, die auf der Ausweitung einer Regel auf sprachliche Elemente beruhen, bei denen die Anwendung aber nicht richtig ist (z. B. „Er *möchtet“, siehe Kleppin 2010, 1064). In diesem Sinne wird hier unter Übergeneralisierung verstanden, wenn Lernende ihr Wissen über die deutsch‐ sprachigen Länder anwenden, um andere Phänomene zu erklären. Johans kol‐ lektive Perspektivenübernahme zeugt von dieser Übergeneralisierung: (11) Sv: Re: Währungsreform - Johan (2013-02-05 12: 59) […] Dass der 20. Juni, der Tag der Einführung des DM , fast wie ein Nati‐ onalfeiertag, in BRD , gefeiert wurde, ist nicht so schwer zu verstehen. Ich glaube dass 23. Mai, der Tag wann der Grundgesetz des BRD verkündigt wurde, ein unmöglicher Nationalfeiertag war, aus zwei Gründen: a) ein Grundgesetz für eine Deutsche Nation (egal was darin gestanden ist) wurde, nur vier Jahre nach Kriegesende, immer an die widerliche Grund‐ gesetze des Dritten Reichs erinnern, […]. Johan argumentiert, dass der 23. Mai 1949 nicht als deutscher Nationalfeiertag geeignet war, da das Grundgesetz immer „an die widerlichen Grundgesetze des Dritten Reiches“ erinnern würde. Das Wissen, dass viele politische und gesell‐ schaftliche Bereiche der Bundesrepublik nur vor der Folie zu verstehen sind, dass ihre Ausformungen und Selbstverständnisse auf einer Abkehr von der na‐ tionalsozialistischen Vergangenheit beruhen, liegt Johans Überlegung zu‐ grunde, ist jedoch nicht korrekt. Nicht-adäquate kollektive Perspektivenübernahmen können des Weiteren durch Gegenwartsfixierungen erklärt werden. Henrik beispielsweise fragt sich, warum die Trümmerfrauen ihre zentrale Stellung in der Zeit des Wideraufbaus nicht nutzten, um sich gleichzeitig auch für mehr Frauenrechte einzusetzen: (24) Re: Trümmerfrauen - Henrik (2013-02-03 18: 46) Was mich wundert ist das die deutschen Frauaen bzw die „Trümmer‐ frauen“ nach ihrer großen Liestung Nachkriegsdeutschland abzuräumen, nicht ihre Rechte in der Gesellschaft erweitert haben. Die sind wie vorher der Devise „Kinder, Küche und Familie“ wieder gefolgt. […] Dabei bewertet er die Situation der Trümmerfrauen aus einer zeitgenössischen (schwedischen) Perspektive, in der das Streben nach einer vollständigen Gleich‐ berechtigung in allen Lebensbereichen als selbstverständlicher Teil der Identität 265 6.5 Perspektivenübernahme (90) angesehen und als eigenkulturelles Deutungsmuster bezeichnet werden kann (vgl. Becker 2015, 63). Im Diskussionsforum zum Thema 8. Mai 1945 - Tag der Niederlage oder der Befreiung lässt sich im Anschluss an die Ausführungen zur vorhergehenden Frage argumentieren, dass das Gesamtbild, das aus den Beiträgen entsteht, nicht historisch adäquat ist: Demnach wären alle Deutschen, Zivilisten wie Wehr‐ machtssoldaten, Opfer der NS -Elite. Die Aufgabenstellung fordert zur Perspek‐ tivenübernahme auf, ausgehend von der Frage, ob die auf den Fotografien ab‐ gebildeten Personen das Kriegsende als Niederlage oder als Befreiung empfanden. Zuvor haben die Studierenden einen Text über den 8. Mai 1945 gelesen, in dem es heißt, dass ein Großteil der Bevölkerung den Tag der bedin‐ gungslosen Kapitulation als einen Tag der Niederlage erlebte und so ist davon auszugehen, dass sie in der Perspektivenübernahme versuchen, diese Informa‐ tion zu berücksichtigen. Warum der Tag eine Niederlage war bzw. worauf sich die Niederlage bezog, bleibt jedoch im Text unklar. Alles in allem wird nur in fünf von zehn Beiträgen die These vertreten, dass es sich für die fotografierten Personen um einen Tag der Niederlage handelte. Die Argumentationen der STN weisen nicht darauf hin, dass nachvollzogen wird, was der Begriff der Niederlage in diesem Kontext vor allem auch bedeutet, nämlich die Enttäuschung über das Scheitern des Dritten Reiches. So schreibt z. B. Anette unter das Bild eines sehr jungen Flakhelfers: (1) Re: Junge - Anette (2013-02-08 23.31) […] Viele Wehrmachtssoldaten kamen nach Ende des Krieges in Gefan‐ genschaft. Die Zukunft ungewiss. An Befreiung werden hier wohl die wenigsten gedacht haben. Die kollektive Perspektivenübernahme zeigt, dass hier das Gefühl der Nieder‐ lage, das nur durch die Negierung des Gefühls der Befreiung vorgebracht wird, auf die Gefangenschaft der Wehrmachtsoldaten bezogen wird. Die Beiträge im Forum zum 8. Mai 1945 machen so deutlich, dass es den STN nicht gelingt, die Information, der Tag sei eine Niederlage, historisch triftig in den Perspektiven‐ übernahmen zu integrieren, was aber eine Voraussetzung ist, um die veränderte Wahrnehmung des 8. Mai 1945 in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die damit einhergehende Transformation des deutschen Selbstverständnisses zu verstehen. Dies kommt z. B. in der Weizsäcker-Rede „Der 8. Mai 1945 - Vierzig Jahre danach“ zum Ausdruck, die einen Paradigmenwechsel darin darstellt, den 8. Mai nicht als Niederlage zu werten, sondern als Tag der Befreiung (vgl. Beljan / Lorenz 2009, 232) 266 6 Kulturbezogenes Lernen (91) Im Forum Die deutsche Teilung finden sich verschiedene Anregungen, den Mauerbau aus der Perspektive einer bestimmten Gruppe, im folgenden Fall der Ostberliner Bevölkerung, nachzuvollziehen. Die Aufgabenstellung schlägt vor, dass man versuchen soll, sich vorzustellen, in Stockholm würde heute eine Mauer gebaut, zielt also auf eine Perspektivenübernahme ab, die die eigene Le‐ benswelt der Studierenden betrifft. Maja schreibt: (5) Sv: Was bedeutete der Mauerbau für die Ostberliner Bevölkerung? - Maja (2013-03-26 10: 07) Ich glaube, dass eine Mauer in Stockholm vielleicht durch Södermaln verlaufen könnte. […] Wenn ich den nördlichen Teil Stockholms nur einen Tag mehr besuchen könnte, würde ich meine Verwandten und Freunde besuchen. Vielleicht würde ich auch in Stockholm Shopping gehen. Majas Perspektivenübernahme kann als nicht-adäquat bezeichnet werden, da die Aussage, man würde den letzten Tag in einem nicht-geteilten Stockholm mit Shoppen verbringen, nicht den Eindruck erweckt, dass Maja verstanden hat, welche Auswirkungen ein Mauerbau hat. Man könnte argumentieren, dass die Aufgabenstellung insofern undurchdacht ist, weil sie sich auf die gegenwärtige Lebenswelt der Studierenden bezieht, und man mehr Informationen über die Umstände haben müsste, um die Frage überhaupt beantworten zu können. Meines Erachtens zeigt die Aussage aber - sofern hier tatsächlich ‚Shopping‘ und nicht das Einkaufen wichtiger Produkte gemeint ist -, dass die emotionale Reaktion auf einen Mauerbau vollkommen unterschätzt wird, denn es ist un‐ wahrscheinlich, dass man sich im Angesicht einer solchen Veränderung, die jeden Bewohner der betroffenen Stadt betrifft, solchen Alltagsvergnügen wie Shopping widmen könnte. Die Kategorien adäquat / nicht-adäquat sind für die Beurteilung der Perspek‐ tivenübernahmen insofern relevant, als nur adäquate diachrone Perspektiven‐ übernahmen zeigen, dass die Bedeutung der Ereignisse nachvollzogen werden kann. Es muss jedoch unterschieden werden, zu welchem Grad Perspektiven‐ übernahmen nicht-adäquat sind, d. h. ob einzelne Formulierungen nicht-adäquat sind oder ob die gesamte Perspektivenübernahme nicht-adäquat ist. Insgesamt kann aber die Frage, ob die Perspektivenübernahmen einen Beitrag zum kul‐ turbezogenen Lernen leisten, indem sie den Studierenden helfen, die Bedeutung der Ereignisse nachzuvollziehen, nicht eindeutig beantwortet werden. Dies liegt daran, dass es sich bei den Verfasser/ -innen der Beiträge um Fremdsprachen‐ lernende handelt, denen es unter Umständen an den sprachlichen Mitteln fehlt, um eine Perspektivenübernahme, die durchaus adäquat sein kann, auch adäquat zu verbalisieren. Neben dem Rezeptionsmodus der Apologetik (Kapitel 6.5.2) 267 6.5 Perspektivenübernahme findet sich in den Daten darüber hinaus Rezeptionsmodi, die aufzeigen, welche Mechanismen bei Perspektivenübernahmen aktiviert werden und die einen Ein‐ blick geben, wodurch landeskundliche Lernprozesse beeinflusst werden. Hinsichtlich des Ziels von asynchronen Online-Diskussionen, Interaktion zwischen den Studierenden zu fördern, muss gesagt werden, dass Beiträge, die Perspektivenübernahmen enthalten, nicht Interaktion initiieren und Aufforde‐ rungen zur Perspektivenübernahmen nicht zielführende Aufgabentypen dar‐ stellen. Die Tendenz der Studierenden, insgesamt nur wenig miteinander zu interagieren (vgl. Kapitel 5.8), wird hier noch dadurch verstärkt, dass diachrone Perspektivenübernahmen, besonders individuelle, nur schwer in Frage gestellt werden können. Es besteht immer die Möglichkeit, dass einzelne Personen oder Gruppen die historischen Ereignisse auf die beschriebene Weise erlebten. Das Potenzial der Perspektivenübernahmen liegt vielmehr darin, dass die Studierenden so zumindest versuchen, sich in die damalige Zeit zu versetzen und ihren eigenkulturellen Rahmen zu verlassen. Allein durch den Impuls der Aufgabenstellung kann den Studierenden deutlich werden, dass das Bezugs‐ system nur aus dem Inneren heraus zu verstehen ist. Darüber hinaus hat sowohl das Schreiben als auch das Lesen der Beiträge ein Lernpotenzial: Im Prozess des Verfassens können die Studierenden möglicher‐ weise die epistemische Funktion des Schreibens nutzen (vgl. Kapitel 2.4). Im Schreiben findet eine Auseinandersetung mit der fremden Perspektive und der fremden Lebenswelt statt. Das Schreiben zwingt zur Hinwendung zur fremden Perspektive (vgl. Memminger 2007, 33). Es „zwingt die Menschen zur Bündelung und Ordnung ihres Gedankenstroms, erzeugt wahrscheinlich sogar erst Refle‐ xionsprozesse, die durch bloßes Zuhören oder Mitdenken nicht zustande kämen“ (ebd.). Ein besonderes Potenzial besitzt hier das kreative Schreiben, das das empathische Nachvollziehen fördern kann und zwar trotz eines Authenti‐ zitätsanspruches immer auch Raum für die fiktionale Ausgestaltung lässt. Durch das Posten der Beiträge im Online-Forum entsteht eine Zusammenstellung ver‐ schiedener Perspektiven, die, auch wenn sich die Beiträge nicht aufeinander beziehen, die Lerner mit den Perspektivenübernahmen anderer bekannt machen und ihnen helfen kann, sowohl die Adäquatheit ihrer eigenen Perspektiven‐ übernahmen einzuschätzen als auch durch die Gegenüberstellung die Komple‐ xität von Geschichte zu begreifen. Als problematisch können hinsichtlich dessen aber die apologetischen Tendenzen in den Perspektivenübernahmen gelten. Alle Perspektivenübernahmen zusammengenommen bilden das Bild einer deutschen Gesellschaft, die unter der Hitler-Diktatur gelitten hat und in dem jedes Indivi‐ duum auf irgendeine Weise ihr Opfer war. Es besteht die Gefahr, dass durch die in dieser Hinsicht homogenen Perspektivenübernahmen ein problematisches 268 6 Kulturbezogenes Lernen 45 Als Anekdote wird hier ein prägnant geschilderter Einzelfall verstanden, durch den etwas Charakteristisches zum Ausdruck gebracht werden soll (vgl. Wilpert 2001, 28). 46 Die Grenzziehung zwischen fiktionalem und faktualem Erzählen ist jedoch nicht immer eindeutig (vgl. Hartung / Steininger / Fuchs 2011a, 12). (92) Geschichtsbild reproduziert wird. Auch hier spielt der kreative Zugang zur Per‐ spektivenübernahme eine wichtige Rolle, weil er zu der multiperspektiven Dar‐ stellung beisteuert. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Perspektivenübernahmen ein Potenzial für kulturbezogenes Lernen haben, aber als Bestandteil von Auf‐ gaben für computervermittelte Kommunikation nicht zielführend sind. Mit dieser Erkenntnis als Ausgangspunkt lässt sich überlegen, wie Perspektiven‐ übernahmen sinnbringend in den Landeskundeunterricht zu integieren sind, ob die Studierenden beispielsweise ausgehend von Fotografien, Bildern, literari‐ schen Texten oder historischen Quellen zu kreativen Perspektivenübernahmen aufgefordert und die Beiträge in einem gemeinsamen Blog publiziert werden könnten, dessen Ziel es ist, einen Einblick in die Lebenswelt einer historischen Epoche zu geben. 6.6 Narrative Zugänge Im Mittelpunkt der folgenden Analyse stehen „narrative Zugänge“ (Biebig‐ häuser / Marques-Schäfer 2011, 111) in der Aufgabenbearbeitung. Hierunter werden hier die Schilderung eines Einzelfalls oder einer persönlichen Erfahrung verstanden, teilweise in Form von Anekdoten 45 . Das, was erzählt wird, kann dabei entweder von dem / der STN selbst erlebt worden sein oder er / sie erzählt weiter, was jemand anders ihm / ihr erzählt hat, wie es im folgenden Auszug der Fall ist: (3)Sv: Warum verließ man die DDR ? - Mia (2014-03-01 15: 02) […] Ich habe damals Ostdeutschland besucht, und habe Geschichten davon gehört, wie Familien die im Urlaub fuhren trockenes Brot unter den Teppichen gelassen haben, um wissen zu können ob jemanden da war um durch dass Haus zu gehen, wenn sie weck waren. Als sie wiederkamen war es lauter Krümel unter den Teppichen…[…] Das hier zugrundeliegende Verständnis von Narration entspricht also dem des faktualen Erzählens, das im Gegensatz zum fiktionalen Erzählen, 46 wie es Ge‐ genstand von Kapitel 6.5.3 war, konstruktiv und referentiell zugleich ist: Kon‐ struktiv, weil faktuale Erzählungen maßgeblich Realität konstruieren, referen‐ 269 6.6 Narrative Zugänge tiell, weil sie sich auf eine intersubjektive Wirklichkeit beziehen (vgl. Klein / Martínez 2009, 1) und somit einen deutlichen Authentizitätsanspruch haben. In ihnen werden menschliche Erfahrungen verarbeitet und „können aber immer auch - im Sinne von Lernen - einen sinnvollen Beitrag zum Erwerb von Erfahrungen darstellen; eben als vermittelte Sekundärerfahrungen“ (Har‐ tung / Steininger / Fuchs 2011a, 13), was dazu führt, dass Erzähungen und das Erzählen nicht mehr allein die Narratologie beschäftigt, sondern auch für die Didaktik interessant sind (vgl. Hartung / Steininger / Fuchs 2011b). Da in den Produktdaten der erzählende Zugang am häufigsten in denjenigen Foren gewählt wird, in denen es um die deutsche Geschichte seit 1945 geht, konzentrieren sich die folgenden Erörterungen und Analysen auf diese Diskus‐ sionen. Der Bearbeitungsmodus Narrative Zugänge ist eine Form der personalisierten Landeskunde (vgl. Tamme 2001, 117-137), d. h. eines Ansatzes der Landeskun‐ dedidaktik, in dem sich Fremdsprachenlernende und Vertreter/ -innen der Ziel‐ sprachenkulturen über landeskundliche Phänomene austauschen und dabei persönliche Perspektiven nicht aussparen. Digitale Medien spielen für perso‐ nalisierte Landeskunde eine wichtige Rolle, da sie diesen Austausch oft erst er‐ möglichen: Durch sie werden persönliche Kontakte mit Menschen aus der Zielkultur möglich, so dass kulturelle Gegebenheiten nicht nur durch Fakten und unpersönliche Darstel‐ lungen im Lernmaterial vermittelt werden können, sondern auch individuelle Erleb‐ nisse und Eindrücke für Lernende verfügbar werden. (Biebighäuser / Marques-Schäfer 2011, 120; vgl. auch Rösler 2006a) Im Hinblick auf die hier untersuchten Daten lassen sich zwei wichtige Unter‐ schiede zur personalisierten Landeskunde im obigen Sinne feststellen: Zwar nehmen am Unterricht auch Studierende mit Deutsch als L1 teil, doch ist der Austausch zwischen Fremdsprachenlernenden und Vertreter/ -innen der Ziel‐ sprachenkulturen nicht primäres Ziel oder Konzept des Kurses. Darüber hinaus wird sich in der Datenanalyse zeigen, dass die STN den narrativen Zugang oft nicht nur wählen, um individuelle Eindrücke mitzuteilen, sondern auch um durch das Erzählen der Erlebnisse anderer zur Diskussion beizutragen. Letzteres erstaunt nicht, da die Diskussionen die deutsche Vergangenheit bzw. den Um‐ gang mit ihr berühren, so dass der narrative Zugang in die Nähe des geschichts‐ didaktischen Ansatzes rückt, durch z. B. Zeitzeugenbefragung Oral History in den Geschichtsunterricht zu integrieren. Narrative Verfahren sind auch in der Nähe zum digitalen Geschichtener‐ zählen zu verorten, mit dessen Einsatz im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht 270 6 Kulturbezogenes Lernen sich Bauer und Sandvik (2017) auseinandergesetzt haben. Leitgedanke des di‐ gitalen Geschichtenerzählens (digital storytelling) ist, dass digitale Medien Laien die Möglichkeit geben sollen, Erinnerungen multimedial zu teilen und zwar unter Berücksichtigung künstlerischer und technischer Mittel (ebd., 124). In dem Projekt, das Bauer und Sandvik in Norwegen durchführten, interviewten DaF-Lernende Angehörige zu ihren Erfahrungen während der deutschen Be‐ satzung und gestalteten diese dann auf Deutsch, so dass sich den Lernenden durch die eigene Familiengeschichte ein narrativer Zugang zur deutsch-norwe‐ gischen Geschichte eröffnete. Insgesamt ist es für landeskundliches Lernen als sinnvoll anzusehen, wenn individuelle Erlebnisse und subjektive Eindrücke der Vertreter/ -innen der Ziel‐ sprachenkulturen verfügbar gemacht werden. So kann beispielsweise in dem hier untersuchten Setting authentische Multiperspektivität entstehen, wenn die Studierenden mit Deutsch als L1 ihre Sicht auf die Phänomene darstellen, wobei authentische Multiperspektivität hier in Abgrenzung zu der Multiperspektivität verstanden wird, die entsteht, wenn Lehrende für den Unterricht absichtlich verschiedene Quellen auswählen, die verschiedene Perspektiven repräsentieren. In Bezug auf digitale Medien konstatiert Rösler daher zu Recht: Durch die digitalen Medien scheint m. E. nun die Möglichkeit gegeben zu sein, der inhaltlichen Selbstbestimmung der Lernenden mehr Raum zur Verfügung zu stellen und damit die unhintergehbare Künstlichkeit des Fremdsprachenunterrichts doch ein klein wenig zu hintergehen. (Rösler 2008, 373f) Im Anschluss an das Konzept einer kulturwissenschaftlich orientierten Landes‐ kunde sind persönliche Erzählungen und Anekdoten auch insofern relevant, als sie explizit aber auch über das Gemeinte hinaus einen Zugang zu Überzeu‐ gungen und geteiltem Wissen einer Gruppe darstellen (vgl. Kwansah-Aidoo 2001, 377), ähnlich wie Erinnerungen, die immer gleichzeitig individuell und kollektiv sind (vgl. z. B. Assmann 1992, 36). Diese Überlegung ist dabei hier nur theoretischer Art, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Studie‐ renden ohne entsprechende Didaktisierung Muster des geteilten Wissens in den Beiträgen erkennen können und es auch ethisch nicht vertretbar wäre, die Bei‐ träge einzelner Studierender im Unterricht einer derartigen Analyse zu unter‐ ziehen. Was Biebighäuser und Marques-Schäfer jedoch im obigen Zitat außen vor lassen, ist die Berücksichtigung der individuellen Erlebnisse und subjektiven Eindrücke der Fremdsprachenlernenden. Bereits die ABCD -Thesen legen nahe, dass „[e]ine fremde Kultur von den Lernenden oft eher subjektiv und emotional erfahren“ werde und Landeskundeunterricht „daher der Verarbeitung von Er‐ 271 6.6 Narrative Zugänge 47 Gleichwohl wird der epistemologische Nutzen von Anekdoten in der Wissenschaft er‐ kannt, z. B. in der Medizin (vgl. Macnaughton 1995). 48 Gerade Anekdoten sind dabei als problematisch zu betrachten. Nach Macnaughton be‐ sitzen sie drei Eigenschaften, dank derer sie leicht im Gedächtnis bleiben und von den Rezipienten als besonders glaubwürdig eingeschätzt würden: In der Anekdote wird das Erlebnis oder die Erfahrung einer einzelnen Person, nicht einer Gruppe erzählt. Der Erzähler bzw. Sprecher ist dem Rezipienten persönlich bekannt, im vorliegenden Kon‐ text z. B. als Mitstudierende oder Mitstudierender. Das in der Anekdote geschilderte Erlebnis hat der Sprecher selbst erlebt, oder eine ihm bekannte Person (vgl. Mac‐ naughton 1995, 571). 49 Rüger beispielsweise konnte in einer Fragebogenstudie zu Landeskundeunterricht in Kolumbien feststellen, dass „Landeskunde sehr stark dadurch thematisiert wird, dass die Lehrenden persönliche Erlebnisse erzählen“ (Rüger 2010, 83). lebnissen, subjektiven Meinungen und dem emotionalen Zugang Raum geben“ solle (o.A. 1990, 17, vgl. Tamme 2001, 137), so dass also auch das Erzählen von subjektiven Erlebnissen und Anekdoten durch die Lernenden als sinnvoll an‐ gesehen werden kann. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die hier vorgenom‐ mene Dichotomisierung von Fremdsprachenlernenden und Vertreter/ -innen der Zielsprachenkulturen nicht vereinfacht ist und es deshalb redundant scheint, diese Unterscheidung, zumindest im vorliegenden Setting, überhaupt zu voll‐ ziehen. Diese Frage wird im Laufe der Analyse geklärt werden. Auch aus einer fächerübergreifenden didaktischen Perspektive ist die Be‐ rücksichtigung individueller Erfahrungen und Anekdoten sinnvoll; durch sie können Unterrichtsgegenstände lebendiger dargestellt und von den Lernenden nachhaltiger gelernt werden - so zumindest eine Annahme des Zweigs der Ge‐ schichtsdidaktik, der sich mit Oral History beschäftigt (vgl. Henke-Bockschatz 2013, 354). Daher werden Zeitzeugenberichte auch in den verschiedenen Berei‐ chen der Geschichtskultur, z. B. in Fernsehdokumentationen, eingesetzt, um Ge‐ schichte „nicht nur aus Büchern und Lehrererzählungen zu vermitteln, sondern sie durch persönliche Erinnerungen lebendig und authentisch erfahrbar zu ma‐ chen - soweit dies überhaupt möglich ist“ (ebd.). Der epistemologische Wert von Anekdoten und persönlichen Erzählungen ist jedoch nicht unproblematisch, da diese zwar wahrheitsgemäß im Sinne des subjektiven Erlebens sein können, aber nicht überprüfbar sind und auch nicht repräsentativ bzw. typisch sein müssen, gleichwohl aber an der Konstruktion von ‚Wirklichkeit‘ teilhaben. Sie können leicht als evident wahrgenommen werden, 47 d. h. wenn der erzählte Einzelfall vom Erzähler und / oder den anderen STN als typisch und generalisierbar oder als eine „bezeugte Wahrheit[]“ (ebd., 358) angesehen wird. 48 Aus diesem Grund ist es auch problematisch, wenn Leh‐ rende im Landeskundeunterricht hauptsächlich persönliche Anekdoten er‐ zählen. 49 Im vorliegenden Kontext ließe sich zwar argumentieren, dass der kri‐ 272 6 Kulturbezogenes Lernen 50 In allen Fällen sind es dabei die STN, die in den Aufgabenbearbeitungen persönliche Erzählungen heranziehen, von meiner Seite geschieht dies nicht. Auch werden diese von mir als Lehrender nicht kommentiert, was insofern wichtig ist, da davon auszu‐ gehen ist, dass Lehrende als eine Art gatekeeper für (mündlich oder schriftlich geäu‐ ßerte) Erzählungen fungieren und somit über ihre Gültigkeit, ihre Evidenz bestimmen. Keine der von den STN herangezogenen Erzählung wurde ganz oder in Teilen als aus meiner Sicht problematisch markiert, was als eine implizite Genehmigung des Inhalts gedeutet werden kann. Zudem werden in einem Diskussionsforum persönliche Erzäh‐ lungen eingefordert, so dass für die Studierenden insgesamt der Eindruck entsteht, dass diese generell als relevant angesehen werden können. tische Umgang für Quellen jeglicher Art gilt, nicht nur für Einzelfälle und Anekdoten, die Mitstudierende im Forum posten. Studien zu Überzeugungskraft und Einprägsamkeit von Anekdoten und persönlichen Erzählungen konnten aber feststellen, dass erzählte Einzelfälle trotz der fehlenden Repräsentativität eine große Wirksamkeit haben: Anecdotes readily sway people because they often are concrete, vivid, and memorable. Indeed, people tend to be influenced by anecdotal information even when they are explicitly forwarned that the information is not representative. (Weiten 2009, 70, Her‐ vorhebung im Original) Für landeskundliches Lernen in asynchronen Online-Diskussionen bedeutet dies zunächst zusammengefasst, dass durch die Schilderung von Einzelfällen die diskutierten Themen lebendiger erscheinen und die darin enthaltenen Infor‐ mationen so besser behalten werden können. Zudem wird eine authentische Multiperspektivität hergestellt und die Fremdsprachenlernenden werden, in dem sie mit persönlichen Schilderungen beitragen können, als Sprachbe‐ nutzer/ -innen ernstgenommen: Ihre subjektiven Erfahrungen und Emotionen können mit in kulturbezogene Lernprozesse einbezogen werden. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Einzelfälle, obwohl es den Studierenden bewusst ist, dass sie nicht repräsentativ sein müssen, einen Einfluss darauf haben, wie das diskutierte Phänomen wahrgenommen wird. Von diesen theoretischen Vorannahmen ausgehend wurden in den Produkt‐ daten die Beiträge identifiziert, in denen die STN einen narrativen Zugang als Bearbeitungsmodus wählten. 50 Gehäuft findet sich dieser in den Diskussions‐ foren zur deutschen Teilung und zur Bedeutung der NS -Vergangenheit sowohl in der Nachkriegszeit als auch im heutigen Deutschland. In Letzterem bestehen neun von 27 Beiträgen (d. h. 33 %) vollständig oder teilweise aus persönlichen Erzählungen bzw. Anekdoten. In der folgenden Analyse werden daher diese Foren fokussiert. Die identifizierten Beiträge werden auf die folgenden Fragen hin untersucht: 273 6.6 Narrative Zugänge 51 Da kein/ -e andere/ -r Studierende/ -r diese Aufgabe beantwortete, kam Multiperspekti‐ vität in diesem Forum nicht zustande. - In welchen Fällen wählen die STN narrative Zugänge als Bearbeitungs‐ modus? - Welche Besonderheiten lassen sich im Hinblick auf die erzählten Inhalte feststellen? - Welche Potenziale und Probleme bergen narrative Zugänge in asyn‐ chronen Online-Diskussionen? 6.6.1 Wahl narrativer Zugänge Die STN wählen narrative Zugänge aus verschiedenen Gründen. Zunächst einmal teilen sie Erzählungen, wenn die Aufgabenstellung dazu auffordert, wie Auszug 98 zeigt. Ziel der Aufgabe, die zu der Unterrichtseinheit Blühende Land‐ schaften - Ost- und Westdeutschland heute gehört, war die Herstellung von Mul‐ tiperspektivität im Diskussionsforum: Indem unterschiedliche und auch diver‐ gierende Ansichten gesammelt werden sollten, sollten die Studierenden unterschiedliche Perspektiven kennen lernen, die es ja gerade im Hinblick auf die Erinnerung an die DDR gibt (vgl. Sabrow 2009). 51 Darüber hinaus wurden narrative Verfahren auch gewählt, ohne dass durch die Aufgabenstellung dazu aufgefordert wurde. In den zwei Foren, in denen die Studierenden sich mit der Bedeutung der Schuld am Zweiten Weltkrieg und am Holocaust auseinandersetzen sollten, konnten zwei Gründe für den Einsatz nar‐ rativer Verfahren identifiziert werden, wobei diese ausgehend von der Aufga‐ benstellung beleuchtet werden müssen. Ausgangspunkt für das erste Diskussionsforum, das den Titel Befreiung oder Niederlage? trägt, ist der Text „Ist der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung? “ aus Wolfrum (2009, 103-105). Darin wird beschrieben, wie sich in der Nachkriegs‐ zeit „die meisten Deutschen besiegt, aber nicht befreit“ fühlten, und dass der 8. Mai 1945, der Tag der bedingungslosen Kapitulation, als Tag der Niederlage betrachtet wurde. Nach der Lektüre werden den Studierenden im Forum ver‐ schiedene, am Ende des Krieges und in der direkten Nachkriegszeit aufgenom‐ mene Portraits von einem Mädchen in BDM -Uniform, einer sogenannten Trüm‐ merfrau, pausierenden Heimatvertriebenen, einer Familie und einem sehr jungen sowie einem älteren Wehrmachtssoldaten präsentiert. Die Aufgabe for‐ dert die Studierenden auf, sich in die Situation der Personen zu versetzen und sich zu überlegen, ob die Person(en) den 8. Mai 1945 als Befreiung oder Nieder‐ lage empfand(en). 274 6 Kulturbezogenes Lernen (93) Neben den Perspektivenübernahmen (vgl. Kapitel 6.5) finden sich in diesem Forum in vier Beiträgen von insgesamt 14 Erzählungen und Anekdoten; in allen vier Fällen berichten die STN von den Erfahrungen von Familienmitgliedern, und zwar drei Mal aus dem Leben von Großmüttern und einmal aus dem Leben eines Schwiegervaters. Folgender Auszug ist ein typisches Beispiel: (3) Re: Mädchen - Janina (2013-02-24 19: 46) Dieses Foto konnte meine Oma sein. Sie wohnte in Süddeutschland und sie war eine Mitgliedin in Deutsche Jungmädel und Bund Deutsche Mädel. Sie und ihre Familie waren keine Nazis und sie dachten nicht, dass Juden hässlich waren. Aber sie sind gezwungen, sich gegen die Partei loyal zu zeigen. Wenn man das nicht machte, war die eine Gefahr. Wenn der Krieg zu Endet war, kam die Sowjetische Armee. Meine Oma wohnte nämlich in einem Teil des Deutschlands, der später Ostdeutschland bekam. Aber man hatte schon gehört, wie die Armee deutsche Frauen schändete. Die Mutter meiner Oma kam ursprünglich aus Schweden. Deswegen flohen sie, meine Oma und ihre Schwester hier. Sie sind zu Fuß bis Norddeutsch‐ land gegangen, oder manchmal mit Zug gefahren. Es war nicht einfach und meine Urgroßmutter ist krank gewesen. Für meine Oma wurde Leben persönlich schlechter, wenn der Krieg zu Ende war. Deswegen glaube ich, dass ihre Gefühl für dem 8 Mai. Ist das von Niederlage. Die Fotografie stellt somit einen Impuls dar, über die Erlebnisse von Familien‐ angehörigen zu erzählen. Dies kann im Zusammenhang mit den Ergebnissen zur Perspektivenübernahme gedeutet werden: Möglicherweise ist den Studie‐ renden diese Zeit und Lebenswelt so fremd, dass sie sich scheuen, Aussagen über die Empfindungen der abgebildeten Personen zu treffen (vgl. Kapitel 6.5.1). Zudem ist es wahrscheinlich, dass die STN meinen, dass sie durch authentische Berichte mehr beitragen als durch Spekulationen. Ein weiterer Grund, mit persönlichen Erzählungen oder Anekdoten zu ant‐ worten, zeigt sich im zweiten Diskussionsforum. Dort posten die STN Beiträge zur der Frage, welche Bedeutung die Schuld am Zweiten Weltkrieg und am Ho‐ locaust für „die deutsche Identität“ heute hat. Ausgangspunkt ist der Artikel „Wer sind wir, heute? “ (Die Zeit vom 30. August 2012), doch wird, bis auf eine Ausnahme, nicht auf den Artikel Bezug genommen. Vielmehr scheint es, dass die STN bereits eine Meinung zu diesem Thema haben. Narrative Verfahren werden dabei in vier von insgesamt zehn Beiträgen gewählt, wobei alle diese Beiträge gleich mehrere Anekdoten zu der Frage, was die Schuld im Einzelfall bedeuten kann, gegenüberstellen. Die Anekdoten, die allesamt persönliche Er‐ fahrungen der STN enthalten, werden nicht im Rahmen des Beitrags interpre‐ 275 6.6 Narrative Zugänge 52 Eine Ausnahme ist der Beitrag von Svejk, der über den zeitlichen Aspekt von Erinne‐ rung reflektiert und Anekdoten dazu heranzieht: (14) Sv: Wann vergeht die Vergan‐ genheit? - Svejk (2013-02-25 00: 23) […] Die Vergangenheit fliesst langsam weg als die Leute und mit denen auch ihre Kultur verschwinden. Die soziale Erinnerung d. h. die Erinnerung einer Gesellschaft kann lange leben - meine Mutter hat erzählt fast 200 Jahte später von den Bestialitäten der Russische Truppen im Kriege 1809 längs der Küste in Västerbotten. Was sie erzählte finde ich nicht glaubenswürdig aber es ist ein Beispiel wie lange eine soziale Erinnerung fortleben kann. Ein anderer Beispiel. Eine deutsche Austauchschülering besuchte eine Nachbarfamilie im Sommer 1955 (glaube ich). Wann ich, vielleicht etwas unvorsichtig, bemerkt habe, dass die Deutsche Truppen im Osten Gräuletaten getan haben hat sie sehr ärgert erklärt „Die unkulturellen, zu‐ rückgebliebene Russen - wann die in Deutschland kamen und ein deutsches Wasser‐ versorgungssystem sahen, haben die sehr ersthaunt bemerkt - Wasser aus der Wand! ! “ In diesem Fall waren zehn Jahre nach dem Kriegesende wahrscheinlich eine viel zu kurze Zeit […]. (94) tiert oder herangezogen, um eine These zu belegen. 52 Stattdessen entsteht ein Panorama aus Anekdoten, die unterschiedliche Antworten auf die Bedeutung der Schuld für die individuelle Identität liefern und zugleich Ausdruck davon sind, dass die STN selbst keine kohärente Antwort auf die Frage liefern können. So schreibt Hans auch nur einleitend: „Je mehr Zeit ich dieser Frage widme, desto mehr entgleitet mir die Antwort“ und so spiegeln die Anekdotensamm‐ lungen das Ringen um eine deutsche Identität wider, wie sie z. B. in Texten wie in der Zeit zum Ausdruck kommt. (9) Wo sind wir jetzt? - Hans (2013-02-24 15: 17) Last Edited By Hans on 2 / 24 / 13 7: 23 PM Ju mer tid jag ägnar åt den här frågan desto mer undslipper mig svaret. […] Jag tänker på personliga erfarenheter. Min svärfar som lämnade Tyskland så snart han blev myndig, trött på tystnaden och den kvardröjande nazismen. Min kompis C. som i mitten av 80-talet, utstyrd i tyll, strök omkring längs Berlinmuren och upplyste folk om att hon var „Der Engel der Vernich‐ tung“. Gissningsvis mådde hon inte så bra, men varför blev det just fö‐ rintelsen? Kämpade hon mot en tystnad som inte bara var hennes utan hela Tysklands? Min vän Niels som testade sina föräldrar med provokationer som „Mutti, gefällt dir meine neue Birkenausandalen? “ Eller med uttrycket „de måste vi gasa“ som snabbt medhåll när det fälldes negativa omdömen om en grupp människor. 276 6 Kulturbezogenes Lernen Eller när jag efter ett besök i Dresden konstaterar att man lagt ner mil‐ jontals Euro på att bygga upp kurfurstarnas sönderbombade barockpa‐ lats - die Grüne Gewölbe glittrar av guld, silver, smaragder, rubiner och diamanter som vore det en sjörövarsaga för barn - men inte med ett enda ord i utställningen berör vilket liv vanliga människor levde under kur‐ furstarna och vilket pris de fick betala för furstarnas rikedom, och min kompis Françoise kommenterar: Att ställa den typen av frågor till det förflutna är inget vi är särskilt bra på i det här landet. Och hur min fru, med tyska rötter, men inte med en särskilt stark tyskt identitet, börjar bli allt mer trött på att det alltid är mer eller mindre ok att antyda att tyskar är nazister, sjukligt ordningsfixerade och helt utan humor. […] Je mehr Zeit ich dieser Frage widme, desto mehr entgleitet mir die Ant‐ wort. […] Ich denke an persönliche Erfahrungen. Mein Schwiegervater, der Deutschland verließ, sobald er volljährig wurde, er hatte genug von dem Schweigen und dem fortlebendem Na‐ zismus. Meine Freundin C., die Mitte der 80er Jahre in Tüll gehüllt an der Berliner Mauer entlang strich und den Leuten erzählte, dass die „Der Engel der Vernichtung“ sei. Vermutlich ging es nicht so gut, aber warum ging es um den Holocaust? Kämpfte sie gegen ein Schweigen, das nicht nur ihr ei‐ genes war, sondern auch das des gesamten Deutschlands? Mein Freund Niels, der seine Freunde mit Provokationen wie „Mutti, ge‐ fallen dir meine neue Birkenausandalen? “ testete? Oder mit dem Aus‐ druck „die müssen wir vergasen“, als schnelle Zustimmung, wenn nega‐ tive Urteile über eine Gruppe Menschen gefällt wurden. Oder als ich nach einem Besuch in Dresden feststellte, dass es Millionen Euro gekostet hatte, den zerbombten Barockpalast der Kurfürsten wie‐ deraufzubauen - das Grüne Gewölbe glitzerte vor Gold, Silber, Sma‐ ragden, Rubinen und Diamanten, wie aus einem Piratenmärchen für Kinder - doch nicht mit einem Wort erwähnte die Ausstellung, was für ein Leben die gewöhnlichen Menschen unter den Kursfürsten lebten und welchen Preis sie für ihren Reichtum bezahlen mussten, und meine Freundin Françoise kommentiert: Wir sind in diesem Land nicht beson‐ ders gut darin, solche Fragen an die Vergangenheit zu stellen. 277 6.6 Narrative Zugänge 53 Gleichzeitig ist es möglich, dass nur eine Person die Aufgabe wählte, eine Person aus Deutschland über das Verhältnis von Ost- und Westdeutschland zu befragen (Auszug 98), weil dies vermutlich viel länger dauerte, als im Forum eine Frage zur Seminarlite‐ ratur zu beantworten. Dass viele Studierende unter Zeitdruck arbeiten, hat Kapitel 5.3 gezeigt. Und meine Frau, mit deutschen Wurzeln aber nicht mit einer besonders deutschen Identität, hat langsam die Nase voll davon, dass es mehr oder weniger ok ist anzudeuten, dass Deutsche Nazis sind, krankhaft ord‐ nungsfixiert und vollkommen humorfrei. Die STN sind bereit, durch persönliche Erzählungen an den Diskussionen teil‐ zunehmen und wählen narrative Verfahren dann, wenn sie meinen, durch die Erzählung zur Beantwortung der Frage durch ein authentisches Beispiel bei‐ tragen zu können. Gleichwohl entscheiden sie selbst, wann sie diese teilen wollen und lassen sich nicht unbedingt durch entsprechende Aufgabenstel‐ lungen dazu auffordern. 53 Darüber hinaus zeigt sich, dass die STN zumindest teilweise das Bedürfnis besitzen, eigene Erfahrungen mit der fremdsprachigen Lebenswelt zu teilen, vor allem, wenn sie einen nachhaltigen Eindruck hinter‐ lassen haben. In solchen Fällen ist den STN das unbehinderte Formulieren der Beiträge am wichtigsten und der Nutzen des Schreibens für das Sprachenlernen rückt in den Hintergrund, so dass auch teilweise ausnahmsweise auf Schwedisch geschrieben wird. Dies weist darauf hin, dass es von Seiten der STN einen Bedarf gibt, dass Erlebnissen, subjektiven Meinungen und dem emotionalen Zugang Raum gegeben wird (vgl. ABCD -Thesen, o.A. 1990, 17). 6.6.2 Besonderheiten der erzählten Inhalte: Erinnerungen aus dem Familiengedächtnis Im vorherigen Kapitel wurden bereits erste Hinweise auf inhaltliche Merkmale gegeben: Bei den persönlichen Erzählungen handelt es sich um Schilderungen von Episoden aus dem Leben von Verwandten oder Freunden oder um Anek‐ doten, die die STN selbst erlebt haben. Im Folgenden stehen die persönlichen Erzählungen im Fokus, die von den STN herangezogen werden, um eine Zeit bzw. ein historisches Ereignis wie das Kriegsende durch eine persönliche Per‐ spektive zu beleuchten. Die Erkenntnis, dass im Forum 8. Mai 1945 - Tag der Niederlage oder der Befreiung? nur die Fotografien narrativ kommentiert wurden, die Frauen oder Kinder abbilden, veranlasste mich dazu, die Inhalte genauer zu betrachten. Analysiert wurden alle vier Beiträge, in denen Erfah‐ 278 6 Kulturbezogenes Lernen (95) (96) rungen von Großmüttern und Schwiegervätern während des Kriegsendes ge‐ schildert werden: (6) Sv: Mädchen - Sophia (2013-02-25 13: 04) Meine Großmutter war 13 Jahre alt am 8. Mai 1945, als vielleicht genauso alt, wie das Mädchen auf dem Foto, und wenn sie uns von der Zeit nach dem Krieg berichtete, tat sie dies oft mit der Frage: Wie haben wir es nur geschafft, das zu überleben? Sie war im Ruhrgebiet aufgewachsen und wurde wegen zunehmender Bombenangriffe nach Süddeutschland ge‐ schickt. Sie erzählte oft von Heimweh und der Freude, zurück zu ihren Eltern zu dürfen. Sie erzählte aber auch von dem Gefühl, zurück in ihre Heimatstadt zu kommen, die total zerstört war. Und dann war da noch der Hunger. Niemals durfte etwas weggeworfen werden, wenn wir ge‐ meinsam aßen. Und immer wieder sagte sie, wenn du diesen Hunger er‐ lebt hättest, dann würdest du mich verstehen. Der 8. Mai 1945, bzw. die Zeit danach bedeutete für Mädchen wie meine Großmutter also vieles unterschiedliches. Befreiung, Hunger, Rückkehr, Aufbruch in eine neue Zeit. (1) Re: Frau mit Kind - Anette (2013-02-08 22: 55) Bei dem Foto muss ich unmittelbar an meine Oma denken. Sie war zum Ende des Krieges 14 Jahre alt und auf der Flucht von den Polen. Meine ganze Kindheit und Jugend über hat meine Oma mir von dieser Zeit er‐ zählt. Ich hörte ihr immer interessiert zu. Sie liess keine Details aus und schien sich an alles erinnern zu können, als sei es erst gestern ge‐ wesen. […] Dass die Anekdoten die Erfahrungen der Großmütter betreffen, die am Ende des Krieges auf der Schwelle zum Erwachsensein standen und aufgrund ihres Ge‐ schlechts beispielsweise auch nicht in die Kampfverbände der SS eingezogen wurden, wird hier nicht als Zufall betrachtet. Kinder, Mädchen und zu Kriegs‐ ende junge Frauen können relativ problemlos der Kategorie ‚Opfer der Nazi-Diktatur‘ zugeordnet werden, was erklären kann, warum die STN hier unaufgefordert ihre Zusammenfassungen der Erlebnisse ihrer Familienmit‐ glieder posten. In den Erzählungen lassen sich Tradierungstypen finden, die Welzer, Moller und Tschuggnall in ihrer sozialpsychologischen Studie „Opa war kein Nazi“ - Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis (2002) identifiziert haben und die, wie sie zeigen konnten, im Familiengedächtnis wei‐ tergegeben werden. Ausgangspunkt der Studie ist die Unterscheidung zwischen Geschichtswissen und Geschichtsbewusstsein, also emotional gefärbten Vor‐ stellungen über die Vergangenheit, wobei dem Familiengedächtnis eine wichtige 279 6.6 Narrative Zugänge 54 Anette differenziert die Opferschaft ihrer Großmutter etwas, weicht aber nicht ganz von dem Tradierungstyp ab, wenn sie im Weiteren schreibt: „Meine Oma war kein Opfer des Krieges oder des Dritten Reichs. Ihr Leben in Breslau war sehr gut. Sie nahm auch gerne am Bund Deutscher Mädel teil. Meine Oma ist ein Opfer des Kriegsendes…denn den Krieg, den hatten die Deutschen verloren. Und das war auch das Gefühl, welches die meisten Deutschen direkt nach Kriegsende verspürten. Der 8. Mai 1945 war für viele eine Niederlage! “. Funktion zukommt. Da es sich bei Nationalsozialismus und Holocaust um eine auf der Ebene der öffentlichen Erinnerungskultur als verbrecherisch markierte Vergangenheit handelt, besteht bei den Nachfahren derjenigen, die damals lebten, das Bedürfnis, diese mit dem Familiengedächtnis in Einklang zu bringen (vgl. Welzer / Moller / Tschuggnall 2002, 24). So werden unbewusst die Kriegs‐ erinnerungen, die im Familiengedächtnis in der Form von Geschichten reprä‐ sentiert sind, nach den Vorstellungen der nachfolgenden Generationen umge‐ formt, „die diese von den erzählenden Zeitzeugen haben - und so werden sie erinnert und weitererzählt“ (ebd., 52). In den hier untersuchten Daten finden sich die Tradierungstypen ‚Opferschaft‘, ‚Rechtfertigung‘ und ‚Distanzierung‘ (ebd., 81), wobei alle vier Auszüge Spuren von ‚Opferschaft‘ tragen und damit die Ergebnisse widerspiegeln, dass ‚Viktimisierung‘ der häufigste Tradie‐ rungstyp ist (ebd., 86), was auf geradezu beachtliche Weise die Ergebnisse zur Perspektivenübernahme widerspiegelt, in denen apologetische Tendenzen nachgewiesen werden konnten, denen die Viktimisierung vorausgeht (vgl. Ka‐ pitel 6.5.2). In den Datenauszügen wird Opferschaft durch das Aufrufen des Erinne‐ rungstopos Gefahr durch russische Soldaten (Auszug 93: „Wenn der Krieg zu Endet war, kam die Sowjetische Armee […] Aber man hatte schon gehört, wie die Armee deutsche Frauen schändete“, Auszug 97: „müssten sich vor russischen Soldaten verstecken“) hergestellt, in den Auszügen 93, 96 und 97 durch das Er‐ innerungstopos Flucht (Auszug 93: „Deswegen flohen sie […]. Sie sind zu Fuß bis Norddeutschland gegangen, oder manchmal mit dem Zug gefahren“, Auszug 96: „Sie war […] auf der Flucht von den Polen“, Auszug 97: „ist die ganze Familie nach Westen geflohen. […] Sie müssten zu Fuß gehen.“). Aufgegriffen werden auch die Erinnerungstopoi Hunger (Auszug 95: „Und dann war da noch der Hunger“, Auszug 97: „Hatten kaum etwas zu essen“) und Zerstörung (Auszug 95: „zurück in ihre Heimatstadt […], die total zerstört war“). Neben dem Rekur‐ rieren auf diese Erinnerungstopoi finden sich zudem einzelne Aussagen, die die Viktimisierung im Familiengedächtnis verdeutlichen: „tat sie dies oft mit der Frage: Wie haben wir es nur geschafft, das zu überleben? “ (Auszug 95) und „Die Verhältnisse waren sehr schwer“ (Auszug 97). 54 280 6 Kulturbezogenes Lernen 55 Nach Kaelble 1997 beherrschten vor allem die folgenden Erfahrungen die direkte Nach‐ kriegszeit: Gefühle von Erleichterung und Freude über das Ende, Trauer über Nieder‐ lage und Zusammenbruch, hauptsächlich habe aber ein Rückzug ins Private stattge‐ funden, gepaart mit Indifferenz gegenüber dem Kriegsende. (97) Interessant ist im Hinblick auf den Tradierungstyp ‚Opfertum‘ der Umgang mit dem Lehrmaterial, in dem die Aussage getroffen wird, dass die meisten Deutschen den 8. Mai 1945 als einen Tag der Niederlage betrachteten. Diese Aussage kann, wie Auszug 91 zeigt, zu einem Irritationsmoment (vgl. Alt‐ mayer / Scharl 2010) werden, in dessen Folge die STN versuchen, die Viktimi‐ sierung in einen stimmigen Gesamtzusammenhang mit der vereinfachten Formel zu bringen, dass Täter bzw. Anhänger des Nazi-Regimes das Kriegsende als Niederlage und Opfer dieses als Befreiung erlebten. Dies könnte als Erklä‐ rung dafür dienen, warum Janina in Auszug 93 versucht, das Gefühl der Nie‐ derlage damit zu erklären, dass das Leben der Großmutter persönlich schlechter wurde, während diese Veränderungen im Leben vermutlich besser mit einem Gefühl der Existenzangst oder -sorgen beschrieben werden müssten. 55 Abgesehen von dem Tradierungstyp ‚Opfertum‘ findet sich in Beitrag 93 auch der der ‚Rechtfertigung‘: Janina erklärt, dass ihre Großmutter „eine Mitgliedin in Deutsche Jungmädel und Bund Deutsche Mädel“ war, sie und ihre Familie aber keine Nazis und Antisemiten gewesen seien, dass man aber gezwungen war, „sich gegen die Partei loyal zu zeigen. Wenn man das nicht machte, war die eine Gefahr.“ Folgender Auszug ist darüber hinaus ein Beispiel für den Tradierungstyp ‚Distanzierung‘, wobei sich diese auf den (fehlenden) Umgang mit der NS -Ver‐ gangenheit im Nachkriegsdeutschland bezieht und zu einer Art Gründungsmy‐ thos für die Etablierung des Schwiegervaters in Schweden wird. (1) Re: Familie - Hans (2013-02-13 17: 16) Last Edited By Hans on 2 / 14 / 13 7: 59 AM Mein Schwiegervater, der 1939 in Berlin geboren wurde, hat mir viel von der Nachkriegszeit erzählen. Gerade nach dem Ende des Krieges ist die ganze Familie nach Westen geflohen. Die Verhältnisse waren sehr schwer. Sie müssten zu Fuß gehen, hatten kaum etwas zu essen und müssten sich vor russischen Soldaten verstecken. In dem Augenblick fühlten sie sich bestimmt nicht befreit. Als er älter wurde und mehr von alles was passiert war verstehen konnte, war er sehr enttäuscht, dass viele Leute noch Nazisten waren. Davon sprach man selbstverständlich nicht in der Öffentlichkeit, aber die Bildern 281 6.6 Narrative Zugänge 56 Originaltitel: Hitler’s children (2011). Zur Zeit der Datenerhebung konnte der Film auf der Internetseite von Sveriges Utbildningsradio (UR) gesehen werden und war auf der Lernplattform verlinkt. (98) von Hitler und die Hakenkreutzen gab es noch in geschlossenen Schränken. Seine Eltern (und ich glaube auch die ganze Geschellschaft) waren sehr autoritär und er und sein Bruder wurden oft geschlagen. Vom Film „Att heta Göring“ 56 versteht man dass es nicht ungewöhnlich war, geschlagen zu werden. Gewalt war immer eine Lösung. Sobald die beide Brüdern alt genug waren sind sie aus Deutschland aus‐ gewandert, mein Schwiegervater nach Schweden und sein Bruder in die Schweiz. Sie hatten von Gewalt, Ableugnung und Verschweigung genug gehabt. Sie wollten ein anderes Leben in einem anderen Land haben, wo sie nichts mit all dem alten Dreck zu tun haben brauchen. Aber wenn sie sich treffen, was sprechen sie von? Der Krieg, die Nazis, wer war ein, wer nicht, die Kindheit in Berlin und Mönchen-Gladbach. Heute bereut mein Schwiegervater aber, dass er so kategorisch Deutsch‐ land und dem Deutsche den Rücken gekehrt hat, z. B. nicht mit seinen Kindern Deutsch gesprochen hat. Vielleicht war das auch eine Art von Ableugnung? Die Analyse zeigt, dass die im asynchronen Online-Forum zu landeskundlichem Lernen von den STN geposteten Anekdoten die im Familiengedächtnis trans‐ formierten Erinnerungen an das Kriegsende aufgreifen und das Bild von Deut‐ schen als Opfern weitererzählen. Dies geschieht vor allem durch die Rekurrenz auf tradierte Erinnerungstopoi. Die asynchronen Online-Diskussionen zeigen sich hier als Medium einer Geschichts(weiter)schreibung, in der eine Dichoto‐ misierung von „den normalen Deutschen“ als Opfer und der NS -Elite als Täter beibehalten wird; kulturelle Deutungsmuster, die durch die Aufgabenstellung und die Bilder bei den Studierenden aufgerufen werden, kristallisieren sich in den Texten heraus. Als Medium der Geschichts(weiter)schreibung fungiert das Forum auch im Hinblick auf die DDR : (1) Eine Frage zur „Mauer im Kopf “, die nicht den Text betrifft - Christine (2014-03-05 09: 51) 282 6 Kulturbezogenes Lernen Habt Ihr Kontakt zu Deutschen (aus Ost und West)? Fragt sie doch mal, ob es ihrer Meinung nach die "Mauer im Kopf" noch gibt und schreibt eure Antworten hier! (2) Sv: Eine Frage zur „Mauer im Kopf “, die nicht den Text betrifft - Mia (2014-03-09 22: 28) Ich habe meine Freundin in Dresden angerufen, um darüber zu sprechen, und wir haben uns anderthalb Stunden darüber Unterhalten. Es war sehr interessant zu hören, weil ich das letzte Mal in 1993 in den neuen Bun‐ desländern war und ich habe verstanden, dass sich seit dann vieles geän‐ dert hat. Meine Freundin meinte, dass es immer noch grosse Unterschiede zwi‐ schen die neuen und alten Bundesländern gibt. Die Leute die in den neuen Bundesländern Arbeiten, verdienen viel weniger und die Renten sind auch viel niederiger. Die Kosten für beispielsweise Lebensmittel, Strom und Gas sind aber gleich. Die grosse Arbeitslosigkeit, die es am Anfang gab, ist aber etwas niederiger geworden (in Dresden). Als ich gefragt habe, was die „Ossies“ von den „Wessis“ denken, hat sie gesagt, dass viele meinen, dass die „Wessies“ die Situation nach der Mau‐ erfall ausgenützt hat. Die „Ossies“, die nicht gewöhnt waren, an eigene Vorteile zu denken, würden getäuscht gute Grundstücke zu verkaufen, und die Ossies fühlen sich dadurch betrogen. Meine Freundin erzählt auch von neue Nachteile wie Arbeitslosigkeit und Zerstörungswut und ich habe deswegen gefragt, ob es „damals“, zu den DDR -Zeiten besser war. Sie hat gesagt auf keinen Fall. Es gibt viele Nachteile heute, aber die Nachteile von damals waren VIEL schlimmer. Ich habe gefragt was da‐ mals am schlimmsten war, und sie hat die drei Sachen was das Volk im allgemein am schlimmsten fand wie folgendes eingestuft. 1. Am aller schlimmsten war die Angst. Man konnte niemanden zutrauen; Leute die politische Witze gemacht haben, sind verschwunden worden, ein Bekannter von Ihr war 2 Jahre weg dann hat man eine Todesmeldung bekommen, eine Bekanntin von ihr ist 5 Jahre aus politischen Gründen in ein Straflager gelandet. Sie müsste in eine dunkle Zelle sitzen, und den ganzen Tag sass war ihre Füsse in kalltem Wasser. 2. Der grosse Mangel an absolut alles was man brauchte. Gute Ernährung für die Familie, Ersatzteile, einfach ALLES . Das was man braute hat jeder von der Staat (vom Arbeitsgeber) gestohlen(! ) Alle haben es gemacht, und 283 6.6 Narrative Zugänge 57 Ähnliche Zeitzeugenberichte finden sich selbstverständlich leicht zugänglich auch auf Zeitzeugenportalen wie z. B. www.gedächtnis-der-nation.de, doch ist davon auszu‐ gehen, dass es für das landeskundliche (und sprachliche) Lernen der STN Mia nicht zuletzt aufgrund einer möglichen emotionalen Involviertheit einen hohen Mehrwert hat, dass sie ihrer Freundin in einem anderthalbstündigen Gespräch Fragen zu Ost- und Westdeutschland heute stellt. deswegen musste man sich keine Sorgen machen, dass es jemanden er‐ zählt, wenn die einem mit ein WC unter den Arm sieht… 3. Die Tatsache, dass man eingesperrt war, und nicht raus konnte, es war wie im Gefängnis zu sein. Andere Nachteile die sie auch erwähnt hat, war dass man den Kinder schon früh zu lügen lernen musste. Niemanden sollte wissen, dass man zu Hause Bücher aus Westdeutschland liest, oder dass man Radio Lu‐ xemburg, aus dem Westen hört… Schliesslich hat sie gesagt, dass sie glaubt, dass die Generation die jetzt Kinder sind, in der Zukunft Deutschland als eine Einheit sehen werden, ohne Unterschiede. Mia fasst in ihrem Beitrag ihr anderthalbstündiges Gespräch mit einer Freundin in Dresden über das Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschland heute zu‐ sammen, der ihr und den Mitstudierenden die Perspektive einer Person vermit‐ telt, die in der DDR aufgewachsen ist und auch heute noch in Ostdeutschland lebt. 57 Anfänglich referiert Mia bekannte Unterschiede, die in vielen Medienbe‐ richten zum Thema wiederkehren und hier zu dem Deutungsmuster West- und Ostdeutschland heute gezählt werden können: Unterschiede in den Gehältern und Renten, höhere Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern, Vorurteile gegenüber ‚Ossis‘ und ‚Wessis‘. Die im Weiteren aufgezählten Nachteile des Le‐ bens in der DDR werden dabei mit Erfahrungen plakativ illustriert; diese sorgen dafür, dass die „ VIEL schlimmer[en]“ Nachteile lebendiger und nachvollzieh‐ barer werden. Diese persönliche Erzählung rekurriert auf die drei Gedächtnisformen, die nach Sabrow seit den frühen Neunzigerjahren das Bild von der DDR bestimmen (siehe dazu und zum Folgenden: Sabrow 2009, 18): das Diktatur-, das Fort‐ schritts- und das Arrangementgedächtnis. Das Erzählmuster, das im Zentrum des öffentlichen Gedenkens steht, bestimmt dabei den Datenauszug: das Dikta‐ turgedächtnis. Dieses wird evoziert, indem Verbrechen, Unterdrückung, Angst und Verrat unter der SED -Herrschaft thematisiert werden. Gleichzeitig finden sich in einem Abschnitt auch Spuren des Fortschrittsgedächtnisses: Indem die 284 6 Kulturbezogenes Lernen Bekannte von Mia erzählt, dass „die Ossis“ „nicht gewöhnt waren, an eigene Vorteile zu denken“, wird die DDR als Staat dargestellt, in dem es eigennütziges Handeln und Egoismus nicht gab bzw. indem dieses Phänomen dank der („fort‐ schrittlichen“) sozialistischen Politik überwunden war. Die Aussage „Meine Freundin erzählt auch von neue Nachteile wie Arbeitslosigkeit und Zerstö‐ rungswut“ impliziert, dass es in der DDR keine Arbeitslosigkeit und keine Zer‐ störungswut gab (zumindest nicht in dem Ausmaße wie zu Zeiten der DDR ) und nimmt so das Muster Vollbeschäftigung des Fortschrittsgedächtnis auf. Sabrow stellt fest, dass neben dem Diktaturgedächtnis und dem Fortschritts‐ gedächtnis gerade in Ostdeutschland bis heute das Arrangementgedächtnis do‐ miniert, „das vom richtigen Leben im falschen weiß“, von dem guten Leben in der DDR , in dem es z. B. auch um die alltägliche „Selbstbehauptung unter wid‐ rigen Umständen“ geht (ebd., 19). Die fehlende Arbeitslosigkeit kann so auch als ein Muster des Arrangementgedächtnis gedeutet werden, da so die positiven Seiten der DDR im Alltagsleben betont werden, und zwar trotz des Hinter‐ grundes, dass es auch in der DDR (eine verdeckte) Arbeitslosigkeit gab, die im Übrigen auf 15 % geschätzt wird (vgl. Gürtler / Ruppert / Vogler-Ludwig 1990), und das Recht auf Beschäftigung nicht unbedingt dazu führte, dass man wäh‐ rend der Arbeit auch tatsächlich beschäftigt war. Dies verleitet Mia auch zu der Frage, „ob es ‚damals‘, zu den DDR -Zeiten besser war“. Zugleich greift der Bei‐ trag auch auf, wie es DDR -Bürgern trotz der Mangelwirtschaft gelang, an Be‐ darfsgüter zu gelangen und sich so eben unter schwierigen Umständen selbst zu behaupten. Mias Beitrag ist demnach ein weiteres Beispiel dafür, dass im Aufgabenbear‐ beitungsmodus Narrative Zugänge Versatzstücke des kommunikativen Ge‐ dächtnisses aufgegriffen und weitererzählt werden. Im analysierten Auszug können Erzählmuster aus allen drei Gedächtnistypen identifiziert werden, die die Erinnerungen an die DDR in der heutigen Bundesrepublik prägen. Zuletzt soll der Blick auch auf das Forum gerichtet werden, in dem die STN Beiträge zur heutigen Bedeutung der Schuld an den NS -Verbrechen posten. Diese Beiträge enthalten persönliche Erfahrungen und Anekdoten, die oftmals unkommentiert aneinandergereiht werden. So entsteht ein Panorama aus Anek‐ doten, das vor Augen führt, dass die STN keine kohärente Antwort auf die Frage liefern können oder wollen, was die Schuld für die deutsche Gesellschaft auf der einen Seite und den einzelnen Deutschen / die einzelne Deutsche auf der anderen Seite bedeutet. Bei näherem Betrachten der narrativen Beiträge fällt auf, dass eine Art von Anekdote verschiedentlich herangezogen wird: die aufgrund der Schuld „verrückt werdenden“ Deutschen. Schon in Auszug 97 findet sich eines dieser Individuen: Hans erzählt von C., die an der Berliner Mauer entlangstreicht 285 6.6 Narrative Zugänge (99) und den Leuten erzählt, sie sei „der Engel der Vernichtung“. Er schließt die Ver‐ mutung an, dass sie psychisch krank sei („Vermutlich ging es ihr nicht gut“) und dass ihr Verhalten in Zusammenhang mit dem Schweigen der Bevölkerung über die Verstrickung in NS -Verbrechen stehe. Im folgenden Beitrag finden sich zwei ähnliche Anekdoten: (13) Sv: Re: Sv: Wann vergeht die Vergangenheit? Nie. Oder? - Paul (2013-02-25 09: 50) […] Minns en tysk utbytesstudent som bodde några veckor på mitt gamla studenthem i Uppsala alldeles i början av 90-talet, under Kuwaitkrigets dagar. Han var nästan i upplösningstillstånd över det faktum att vi tog Kuwaitkriget med sådan ro. Han förstod inte hur vi kunde låta livet fortgå som vanligt. Han tyckte att vi borde lämna allt för att helt engagera oss mot kriget. Vi skakade på huvudet och betraktade honom som knäpp. Vad skulle vi i Uppsala göra åt att det krigas hundratals mil från oss? Minns också en tysk tjej, Claudia från Hanau, som jag lärde känna i Frankrike sommaren 1983. Hon hälsade på mig sommaren därpå. EF ter att ha varit hos mig några veckor fortsatte hon vidare till Finland. Hon berättade att hon såg sin resa till Norden som en del i Guds plan för att hämta hem judarna ur Sovjetunionen så att dessa kunde komma till Israel och därmed påskynda Jesu återkomst. Hur en semesterresa i Sverige och Finland skulle kunna göra något åt den saken var för mig dock helt obegriplig. […] […] Ich erinnere mich an einen deutschen Austauschstudenten, der einige Wochen in meinem alten Studentenwohnheim in Uppsala wohnte, das war Anfang der 90er Jahre, während des Kuweitkrieges. Er war total auf‐ gelöst, weil wir den Kuweitkrieg mit Ruhe hinnahmen. Er verstand nicht, wie das Leben für uns einfach weitergehen konnte. Er fand, dass wir alles liegen lassen sollten, um uns gegen den Krieg zu engagieren. Wir schüt‐ telten den Kopf und hielten ihn für verrückt. Was sollten wir in Uppsala gegen einen Krieg tun, der tausende von Kilometern entfernt war? Ich erinnere mich auch an ein deutsches Mädchen, Claudia aus Hanau, die ich im Sommer 1983 in Frankreich kennen lernte. Sie besuchten mich im Sommer darauf. Nachdem sie einige Wochen bei mir gewesen war, fuhr sie weiter nach Finnland. Sie erzählte, dass sie ihre Reise nach Nordeuropa als einen Teil in einem Plan Gottes sah, die Juden aus der Sowjetunion nach Hause zu holen, so dass sie nach Israel kommen konnten und dass damit Jesus’ Auferstehung beschleunigt werden könnte. Wie ein Urlaub in Schweden und Finnland dazu beitragen konnte, ist mir jedoch unbe‐ greiflich. […] 286 6 Kulturbezogenes Lernen In den Anekdoten der STN werden hier Deutsche, die nach dem Zweiten Welt‐ krieg geboren wurden, als späte Opfer der NS -Verbrechen und möglicherweise der fehlenden Aufarbeitung dargestellt; in allen drei Fällen ist die Interpretation möglich, dass die Last der Schuld für ein sonderbares Verhalten sorgt. Die Vik‐ timisierung, die sich für die Kriegsgeneration feststellen ließ und die auch die Perspektivenübernahmen maßgeblich prägt, wird so im Forum fortgeschrieben. Darüber hinaus ist dieses Forum ist auch insofern interessant, als es anschau‐ lich macht, dass die teilweise vereinfachten Unterscheidungen zwischen Fremd‐ sprachenlernenden und L1-Sprechern, zwischen dem Eigenen und dem Fremden, wie sie sich z. B. in Arbeiten zu interkulturellem Lernen zugrunde liegen, nicht haltbar (vgl. auch Altmayer 2006) und für die Analyse des Potenz‐ ials von asynchronen Online-Diskussionen für landeskundliches Lernen nicht hilfreich sind. So zeigt sich in den hier präsentierten Daten, dass auch STN , die klassischerweise der „Ausgangskultur“ zugeordnet würden (Hans und Janina), durch relevante persönliche Anekdoten und subjektive Schilderungen auf sinn‐ volle Weise zum Unterricht beitragen können. Dies ist gerade der Fall, weil die Lerner nicht primär Vertreter einer Kultur sind, sondern Individuen, deren Identität und Erfahrungen sich aus einer vielkulturellen Lebenswelt speisen - so wie Hans deutsche Freunde hat, eine Ehefrau mit deutschen Vorfahren und selbst Erfahrungen in Deutschland gemacht hat. Somit sind die Lerner, wie auch in den deutschsprachigen Ländern Sozialisierte, immer auch potenzielle Quellen landeskundlichen Wissens, die durch subjektive Perspektiven auf das Thema beitragen können. 6.6.3 Potenzial und Probleme narrativer Zugänge in asynchronen Online-Diskussionen Im Anschluss an die vorangehende Analyse der erzählten Inhalte wird deutlich, dass die Frage, welches Potenzial und welche Probleme der Aufgabenbearbei‐ tungsmodus narrative Zugänge in asynchronen Online-Diskussionen mit sich bringt, nicht eindeutig beantwortet werden kann. Von Vorteil ist, dass die STN durch persönliche Erzählungen zum Thema bei‐ tragen und an seiner lebendigen Darstellung mitwirken können, was mögli‐ cherweise dazu dient, dass die Unterrichtsinhalte nachhaltiger gelernt werden können (vgl. Henke-Bockschatz 2013, 354). Verschiedene Erfahrungen mit der Zielsprachenkultur können so berücksichtigt werden und auch die Erfahrungen der Studierenden, die Deutsch als L1 haben, fließen in den Unterricht ein. So entsteht nicht nur eine authentische Multiperspektivität, sondern auch eine stärker Mitbeteiligung der Studierenden, weil nicht mehr allein von den Lehr‐ 287 6.6 Narrative Zugänge enden entschieden wird, welche Themen mit welchen Inhalten gefüllt werden. Zugleich dokumentieren die Beiträge vor allem von den Studierenden mit Deutsch als L1, wie das Thema, beeinflusst durch das Bild- und Lehrmaterial, bestimmte kulturelle Deutungsmuster aktiviert, so dass die anderen Studier‐ enden diese implizit kennen lernen. Gleichzeitig ist aber davon auszugehen, dass allein die Tatsache, dass die Beiträge zeigen, welche Muster bei bestimmten Themen zur Deutung herangezogen werden, noch nicht bedeutet, dass die an‐ deren Studierenden diese erkennen und darüber reflektieren können. Die asynchrone Online-Kommunikation spielt in diesem Zusammenhang eine essenzielle Rolle, da diese den STN erst die Möglichkeit gibt, ihre Narrati‐ onen durch den Schreibprozess zu entwickeln, sich Zusammenhängen und Kon‐ sequenzen der erzählten Erfahrungen möglicherweise erst bewusst zu werden (vgl. Kapitel 2.4) und die Erzählungen mit den anderen Studierenden zu teilen. Es entstehen Lernertexte, die die anderen Lerner für das landeskundliche Lernen nutzen können. Besonders wichtig ist, dass durch die Nutzung des Forums Nar‐ rationen, die möglicherweise früher mündlich im Präsenzunterricht geteilt wurden, nicht mehr die Flüchtigkeit mündlicher Beiträge besitzen, sondern zu halb-öffentlichen Beiträgen werden, die mehrfach und zu späteren Zeitpunkten gelesen werden können. Biebighäuser und Marques-Schäfer zeigen in ihren Studien zum Potenzial von digitalen Medien für narrative Verfahren, dass die Wahl des Mediums bestimmt, wie intensiv und tiefgehend sich die Lernenden mit kulturbezogenen Fragen auseinandersetzen. Beispielsweise zeigte sich in einem untersuchten didakti‐ sierten Chat, dass Faktoren wie Synchronität und Zeitdruck dazu führten, dass die Behandlung kulturbezogener Fragen kurz und oberflächlich geschah (Bie‐ bighäuser und Marques-Schäfer 2011, 115). Für das hier untersuchte asynchrone Medium kann das Gegenteil festgestellt werden. Die verschiedenen Auszüge zeigen, so wie im übrigens auch die anderen in dieser Arbeit analysierten Bei‐ träge, dass die Themen reflektiert und tiefgehend bearbeitet werden, was zwar auch auf das Interesse, das die STN dem Thema entgegenbringen, zurückzu‐ führen ist, aber auch auf die zeitliche Flexibilität des Forums. Dies ermöglicht es auch, dass zu Recherchezwecken auch anderthalbstündige Telefonate geführt werden können. Die Beiträge im Forum zum Thema Bedeutung der Schuld heute beispielsweise sind im Durchschnitt sehr lang [Ø 242 Wörter, verglichen mit z. B. Ø 115 (1. Datenerhebung) bzw. Ø 117 Wörtern (2. Datenerhebung) in der Diskussion zu den Gründungsmythen, vgl. Kapitel 5.2] und wurden teilweise auf Schwedisch verfasst, was darauf hinweist, dass den STN in diesen Fällen der Inhalt besonders wichtig war. Das sensible Formulieren der eigenen Überle‐ gungen ist hier das Anliegen und das Sprachenlernen, das in manchen Foren 288 6 Kulturbezogenes Lernen (100) das Hauptziel der STN ist, rückt in den Hintergrund. Die Asynchronität des Mediums ermöglicht, dass sich die STN zunächst zu dem Thema Gedanken ma‐ chen, sich evtl. mit anderen austauschen bzw. diese befragen (siehe folgenden Auszug) und dann die Überlegungen im Schreiben weiterentwickeln. (11) Sv: Wann vergeht die Vergangenheit? - John K. (2013-02-24 21: 31) Ich habe mit einer Freundin von mir über das Thema Schuld gesprochen. Wir beide fanden (wie Paul & Esther auch gesagt haben), dass Schuld nicht eigentlich was zu erben ist. […] Für die inhaltliche Tiefe der Beiträge, in denen narrative Verfahren angewendet werden, sind asynchrone Kommunikationsmedien also als vorteilhaft zu be‐ werten. Ausgehend von der Annahme, dass die interaktive Komponente das Potenzial von asynchroner computervermittelter Kommunikation in Lehr- und Lernkon‐ texten maßgeblich ausmacht (vgl. Kapitel 2.1), stellt sich die Frage, wie die In‐ teraktion zwischen den STN aussieht, wenn narrative Verfahren angewendet werden. Interaktion zwischen den STN findet aber nicht statt: Beiträge, die per‐ sönliche Erfahrungen enthalten, werden, so wie auch die Perspektivenüber‐ nahmen (vgl. Kapitel 6.5.1), von den anderen STN nicht kommentiert: Weder explizite noch implizite Interaktion (vgl. Henri 1990, 151) konnte in den Foren nachgewiesen werden (vgl. Kapitel 5.8 und Becker 2016b). Dennoch beeinflusst die fehlende Interaktion die Multiperspektivität nicht negativ: Die Aufgaben‐ stellung wird zu einem Angelpunkt, von dem aus verschiedene Sichtweisen auf das Thema präsentiert werden, auch wenn die Beiträge sich nicht direkt aufei‐ nander beziehen. Das Lernpotenzial kann nicht allein an der Interaktion ge‐ messen werden - bzw. an der fehlenden Interaktion -; vielmehr muss von den persönlichen Zielen der Studierenden ausgegangen werden, sowie der tatsäch‐ liche Umgang mit den Beiträgen in Betracht gezogen werden. So ist anzu‐ nehmen, dass die persönlichen Schilderungen aufgrund ihrer Lebendigkeit und Einprägsamkeit durchaus einen Eindruck bei den anderen STN hinterlassen können, ohne dass diese sie aber kommentieren. Neben diesen Vorteilen narrativer Verfahren in asynchronen Online-Diskus‐ sionen lassen sich jedoch auch Probleme identifizieren. Wie vor allem in der Analyse der Beiträge im Forum 8. Mai 1945 - Tag der Befreiung oder der Nieder‐ lage gezeigt wurde, werden durch eine Rekurrenz auf die gleichen Erinnerungs‐ topoi nahezu identische Perspektiven auf das Kriegsende weitererzählt, was vor allem dann brisant ist, wenn man Schreiben als Konstruieren von Wirklichkeit betrachtet. Hinter den ähnlichen Perspektiven verbirgt sich ein psychosozialer Mechanismus, der zeigt, welche Probleme es beim landeskundlichen Lernen mit 289 6.6 Narrative Zugänge 58 Auch hier gilt, dass in einem Kontext, in dem der Fokus oft auf der Tätergeschichte liegt, die Opferperspektive möglicherweise einen ersten Zugang zur deutschen Nach‐ kiegsgeschichte darstellen kann. 59 Dies könnte beispielsweise mit Hilfe entsprechender Didaktisierungen der Studie von Welzer, Moller und Tschuggnall (2002) geschehen (siehe z. B. als Ausgangspunkt die Didaktisierung für L1-Sprecher des DGB-Bildungswerk Thüringen http: / / baustein.dgb-bwt.de/ PDF/ C2-OpaFortsetzung.pdf [19. 04. 2017]) sowie der Pod‐ cast-Reihe Oma erzählt vom Krieg. Hilfe von narrativen Verfahren geben kann, nämlich dass in den untersuchten Diskussionsforen tradierte Erinnerungen an historische Ereignisse weiterer‐ zählt werden, auch wenn diese nicht geschichtswissenschaftlichen Erkennt‐ nissen entsprechen. 58 Während dies in Anschluss an die Studie von Welzer, Moller und Tschuggnall (2002) nicht erstaunt, ist es dennoch für zukünftige ähnliche Settings sinnvoll, sich dieses Phänomens bewusst zu sein und durch eine entsprechende Aufgabenstellung entgegenzuwirken. Die Verwendung von Anekdoten und pointierten Erzählungen trägt zwar dazu bei, das Thema le‐ bendiger und einprägsamer darzustellen, doch kann der narrative Zugang auch problematisch sein, wenn, wie im vorliegenden Fall, problematische Geschichts‐ bilder weitererzählt werden oder andere persönliche Erzählungen, die aus ir‐ gendeinem Grund problematisch sind, im Forum geteilt werden. Diese müssen von Seiten der Verfasser / der Verfasserin keinen Anspruch auf Repräsentativität haben, doch können sie von den anderen Studierenden als repräsentativ ange‐ sehen werden. Mit Hinblick auf die Unterrichtspraxis kann somit geschlussfol‐ gert werden, dass es sinnvoll ist, im Zusammenhang mit dem Thema Zweiter Weltkrieg die Mechanismen des Erinnerns zu thematisieren, 59 und auf die kon‐ krete Aufforderung, dass die Lernenden Erinnerungen aus dem Familienge‐ dächtnis teilen sollen, zu verzichten. 290 6 Kulturbezogenes Lernen 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick Das Ziel der vorliegenden Arbeit war die Herausarbeitung des Lernpotenzials asynchroner Online-Kommunikation für kulturbezogenes Lernen; zu diesem Zweck wurden Diskussionen untersucht, die im Rahmen zweier universitärer Landeskundeseminare zwischen den Studierenden im Forum der eingesetzten Lernplattform geführt wurden. Die Auswahl der Unterrichtsinhalte war maß‐ geblich von kulturwissenschaftlich orientierten Ansätzen inspiriert. Damit ist die Verwendung asynchroner Online-Diskussionen für kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht erstmals Untersuchungsgegenstand. Da es bislang keine Forschung zu kulturbezogenen Lernprozessen in asynchroner computervermittelter Kommunikation gab, wurde explorativ vorgegangen und den Daten mit einer gegenstandsangemessenen Offenheit begegnet. Die Ergebnisse wurden in zwei Analysekapiteln dargestellt, wobei zunächst Merkmale wie Beitragslänge und Bearbeitungszeitpunkte einer zusammenhän‐ genden Online-Diskussion beschrieben und Faktoren, die die studentische Ar‐ beit im Forum beeinflussen (v. a. die Rolle der Lehrenden, Aufgaben und ihre Interpretation), identifiziert wurden. Es liegen damit Erkenntnisse vor, die für den Einsatz asynchroner Online-Kommunikation im Rahmen von universi‐ tärem Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht relevant sind, zugleich aber auch den Kontext für die Analyse kulturbezogenen Lernens darstellen. Deutlich ge‐ worden ist, welche Faktoren die Arbeit der Studierenden entscheidend beein‐ flussen und dass diese in der Planung und Tutorierung zukünftiger ähnlicher Szenarien berücksichtigt werden sollten. 7.1 Einflussfaktoren auf die asynchronen Online-Diskussionen Mit Hilfe der Analyse der im Rahmen der Unterrichtseinheit Gründungsmythen der Bundesrepublik stattfindenden Diskussionen (Kapitel 5) konnten Faktoren identifiziert werden, die beeinflussen, wie die Studierenden im Forum der Lern‐ plattform agieren. Darüber hinaus wurden diese Diskussionen hinsichtlich der Beitragslänge, der Anzahl der Beiträge und der Bearbeitungszeiten, des sprach‐ lichen Niveaus und der Sprachenwahl beschrieben und analysiert, wobei diese Ergebnisse vor allem verwendet wurden, um die Erkenntnisse über die Ein‐ flussfaktoren zu untermauern. Im Folgenden wird zunächst auf zwei Aspekte eingegangen: die Aufgaben‐ stellung und ihre Bearbeitung, da Aufgaben einen der einflussreichsten Aspekte in Unterrichtszusammenhängen darstellen, sodann die Interaktion zwischen den Studierenden, da der Austausch zwischen Lernenden das Hauptziel des Einsatzes computervermittelter Kommunikation ist. Daraufhin werden die Er‐ gebnisse zu Beitragslänge, das sprachliche Niveau in den Beiträgen und die Sprachenwahl der STN zusammengefasst, da diese entscheidende Impulse für universitären Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht geben. In Kapitel 5.1 konnte gezeigt werden, dass die Aufgabenstellung, die den Auftakt zur untersuchten Forumsdiskussion bildet, nicht kohärent ist: Auf der einen Seite wird zu einer Diskussion aufgefordert, was mit dem gewählten Werkzeug „Diskussionsforum“ übereinstimmt und unterstützt wird durch die Angabe, was „diskutieren“ im Kontext von asynchroner computervermittelter Kommunikation bedeutet. Auf der anderen Seite enthalten die Foren Fragen zum Sachwissen, die nicht zur Diskussion anregen. Die Aufgabe verlangt von den Studierenden vielmehr, dass sie ausgehend von dem in der Seminarliteratur präsentierten Hintergrundwissen eigenständig Diskussionsfragen formulieren, was nicht leicht ist, aber von einigen STN gemeistert wird. Zudem enthält die Aufgabenstellung eine Strukturierungshilfe in Form von zeitlichen Vorgaben. Hinsichtlich der Bearbeitung der Aufgabenstellung (Kapitel 5.7) lässt sich feststellen, dass die fehlende Kohärenz in der Aufgabenstellung ihre adäquate Interpretation erschwert. Die Interpretation der Aufgabe und ihre Bearbeitung werden außerdem von Annahmen über den Kontext sowie kumulativ erwor‐ benen Erfahrungen über Unterrichtssituationen beeinflusst. Es wurde argu‐ mentiert, dass asynchrone Online-Diskussionen in Bildungskontexten relativ neu sind und die STN diesbezüglich noch keine Erfahrungswerte besitzen. Insgesamt tragen diese Faktoren dazu bei, dass die Aufgabenstellung nicht so bearbeitet wird, dass Interaktion entsteht, was das eigentliche Ziel des Einsatzes von computervermittelter Kommunikation ist. Kapitel 5.8 ist somit der inter‐ personalen Interaktion gewidmet. Die STN beantworten die eingangs gestellten Fragen in ihren Beiträgen, auch wenn dies schon in anderen Beiträgen ge‐ schehen ist. Möglicherweise agieren sie auf diese Weise, weil sie glauben, dass alle Studierenden die Sachfragen beantworten sollen, obwohl diese in meiner Intention nur den Ausgangspunkt für die Diskussion darstellen. Neben den ge‐ nannten Gründen führt darüber hinaus die Asynchronität, gepaart mit techni‐ schen Problemen der Lernplattform, zu dem Verhalten, dass die STN in ihren Beiträgen Sachwissen wiederholen und nicht mit anderen Studierenden inter‐ 292 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick agieren: Die STN arbeiten aufgrund technischer Schwierigkeiten und weil sie Zeit brauchen, um ihre Beiträge inhaltlich und sprachlich auszuarbeiten, oft außerhalb der Eingabemaske der Lernplattform. Wenn sie sich schließlich ein‐ loggen, um den Beitrag zu posten, hat wohlmöglich bereits ein anderer STN etwas Ähnliches geschrieben, so dass es vorkommt, dass sich im Forum Beiträge mit denselben Inhalten aneinanderreihen. Die weit verbreitete Annahme, dass die Asynchronität von Online-Foren von Vorteil für das Lernen ist, da so eine stärkere inhaltliche und sprachliche Reflexion ermöglich wird, muss auf diese Weise differenzierter betrachtet werden, denn zugleich kann die Asynchronität auch die Interaktion zwischen den Lernenden erschweren. Diese Erkenntnis ist vor dem lerntheoretischen Hintergrund des Einsatzes von asynchroner computervermittelter Kommunikation wichtig. Der Einsatz von computervermittelter Kommunikation in Unterrichtszusammenhängen be‐ ruht auf Annahmen, die einer interaktionistisch-soziokulturellen Perspektive auf das Lernen entspringen: Die Interaktion zwischen Lernern, die durch CMC ermöglicht wird, soll die gemeinsame Konstruktion von Wissen befördern. Neben den Beiträgen, in denen Sachfragen beantwortet werden und die in der Regel nicht Interaktion initiieren, finden sich auch solche, die tatsächlich Inter‐ aktion initiieren. Positiv wirkt sich auf die Interaktion dabei aus, dass die ersten Beiträge früh‐ zeitig gepostet werden, so dass noch ausreichend Zeit ist, dass eine Diskussion entstehen kann. Vor allem im Fremdsprachenunterricht ist dies wichtig, denn da die STN im untersuchten Setting ihre Beiträge nahezu ausnahmslos in der Zielsprache verfassen, schreiben sie diese nicht spontan, sondern benötigen Zeit für die sprachliche Ausarbeitung (Kapitel 5.5). Für die Unterrichtspraxis be‐ deutet dies, dass Transparenz hinsichtlich der Bearbeitungszeiten die Arbeit und die Interaktion im Forum positiv beeinflussen kann, d. h. dass angegeben werden sollte, welche Funktionen die zeitlichen Vorgaben erfüllen. An dieser Stelle wird ein Dilemma deutlich: In den Aufgabenstellungen werden Deadlines genannt, die als zeitliche Strukturierungshilfen intendiert sind. Die Deadlines sorgen dementsprechend auch dafür, dass rechtzeitig Beiträge gepostet wurden und hindern viele STN nicht daran, auch danach weiterzudiskutieren. Einige STN interpretieren die Deadlines jedoch als letzten möglichen Bearbeitungszeit‐ punkt, so dass die zeitlichen Vorgaben auch einen unerwünschten Effekt haben (vgl. Kapitel 5.3). Was würde passieren, wenn der Sinn und Zweck der Deadline aufgrund einer transparenten Darstellung allen Studierenden bewusst wäre? Es ist anzunehmen, dass die Erkenntnis, dass es sich um eine Strukturierungshilfe handelt, einige Studierende dazu veranlassen würde, die Aufgabe entweder gar nicht oder erst sehr kurz vor dem Präsenzunterricht zu bearbeiten. Offensicht‐ 293 7.1 Einflussfaktoren auf die asynchronen Online-Diskussionen lich ist: Damit eine gewinnbringende Diskussion entstehen kann, muss die Be‐ reitschaft der Studierenden vorhanden sein, sich auf die Diskussion an sich sowie ein frühzeitiges Teilnehmen an der Diskussion einzulassen. Hinsichtlich der Inhalte, die Interaktion initiieren, ließ sich feststellen, dass diese eine lebensweltliche Relevanz für die STN haben oder aber im Kontext des Unterrichts relevant sind (vgl. Kapitel 5.8). Die lebensweltliche Relevanz ist dabei, dies konnte gezeigt werden, von Lehrenden schwer vorherzusehen, wenn sie die Gruppe der Studierenden nicht kennen. Die lebensweltliche Relevanz besteht nämlich auch dann, so wurde argumentiert, wenn die Studierenden ein besonderes Interesse an bestimmten Themen haben, was individuell sehr un‐ terschiedlich ausfallen kann und nur sehr begrenzt vorhersehbar ist. Für die Unterrichtspraxis bedeutet dies, dass in der Aufgabenstellung deutlich gemacht werden sollte, dass die Studierenden auch immer eigene Fragen und Kommen‐ tare zur Diskussion stellen können. Die Relevanz im Kontext kann hingegen von den Lehrenden vorhergesehen und sogar in Diskussionsfragen fruchtbar ge‐ macht werden. Im untersuchten Setting hätte eine Aufgabe beispielsweise dazu auffordern können, die Frage zu diskutieren, warum die behandelten Ereignisse als Gründungsmythen bezeichnet werden können. Für zukünftige ähnliche Set‐ tings ist es vermutlich lohnenswert, Begriffs- und Deutungsreflexionen (vgl. Kapitel 6.3) stärker in die Aufgabenstellung einzubinden und die Überschriften der Unterrichtseinheiten dementsprechend zu formulieren, so dass eine kon‐ textuelle Relevanz entsteht. Darüber hinaus ist die Interaktion im gesamten Datensatz besonders hoch, wenn die Studierenden genuine Fragen, die sie sich in der Auseinandersetzung mit den Themen stellen, diskutieren. Es liegt daher nahe, dass in der Aufgaben‐ stellung stärker betont werden sollte, dass das Posten von genuinen Fragen be‐ sonders wünschenswert ist. In diesem Zusammenhang gilt es, eine Atmosphäre im Kurs bzw. Seminar herzustellen, in dem sich die STN trauen, ihre genuinen Fragen zu stellen. Besonders niedrig ist die Interaktion im gesamten Datensatz, wenn persön‐ liche Erlebnisse bzw. Erlebnisse und Erfahrungen von Bekannten und Famili‐ enangehörigen weitererzählt werden, d. h. sogenannte narrative Zugänge der Aufgabenbearbeitung zum Einsatz kommen (vgl. Kapitel 6.2.5). Diese bieten sich offensichtlich nicht an, diskutiert zu werden. Die lebensweltliche Relevanz, die bei persönlichen Erfahrungen gegeben ist, führt also nicht immer automatisch zu Interaktion. Zudem konnte in Kapitel 5.9 ein weiterer Faktor identifiziert werden, der die studentische Interaktion beeinflusst: Mir als Lehrperson kommt eine wichtige Rolle zu, da ich die Themen als relevant markiere und so dazu beitrage, die 294 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick Diskussionen in Gang zu setzen. Gleichzeitig sorgen einige Kommentare auch dazu, dass Diskussionen nicht mehr weitergeführt werden. Insgesamt nehme ich aber die Rolle einer Lernberaterin ein, die beispielsweise versucht, durch Lob eine kommunikationsfreudige Atmosphäre zu schaffen, in der die Studierenden eigene Fragen diskutieren können. Dass die Beiträge der STN nicht korrigierend kommentiert werden, wird von den Studierenden geschätzt, die der Meinung sind, dass die Lehrenden zurückhaltend agieren sollen und das Forum primär dazu da sei, den Austausch zwischen den Studierenden zu ermöglichen. Da es sich bei dem untersuchten Unterricht um universitären Fremdspra‐ chen-Sachfach-Unterricht handelt, soll im Weiteren außerdem auf die Beitrags‐ länge (Kapitel 5.2), das sprachliche Niveau in den Beiträgen und die Sprachen‐ wahl (Kapitel 5.5) eingegangen werden. Diese Ergebnisse stellen wichtige Impulse für die universitäre Lehre dar, und zwar auch für literatur-, kultur- und sprachwissenschaftliche Seminare: In der Analyse wurde die Länge der Beiträge in Relation zu anderen schriftlichen Aufgaben gesetzt, die die Studierenden im Rahmen ihres Studiums einreichen müssen und so konnte gezeigt werden, dass die Beiträge relativ lang sind. Dies wurde als ein Hinweis darauf gedeutet, dass asynchrone computervermittelte Kommunikation Reflexion ermöglicht, was auch das sprachliche Niveau bestätigt, das verglichen mit den Sprachkennt‐ nissen, die die Studierenden bei Beginn ihres Studiums vorweisen müssen, höher ist. Aufgrund des hohen sprachlichen Niveaus, der inhaltlichen Tiefe und der Länge der studentischen Beiträge konnte so gezeigt werden, dass es sich lohnt, asynchrone Online-Diskussionen im Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht ein‐ zusetzen: Die relative zeitliche Flexibilität, die durch die Asynchronität gegeben ist, ermöglicht, dass die Studierenden mehr über die Inhalte und ihre Formulie‐ rungen reflektieren, was sprachliches Lernen optimiert, zugleich aber auch dafür sorgt, dass inhaltlich auf einem relativ hohen Niveau gearbeitet werden kann. Verstehens- und Diskussionsprozesse in der Fremdsprache können also durch die asynchrone Online-Kommunikation unterstützt werden. Auf diese Weise werden vorliegende Forschungsergebnisse zum Einsatz von asynchroner computervermittelter Kommunikation in Unterrichtszusammenhängen bestä‐ tigt und zugleich die Bedeutung von asynchroner Online-Kommunikation für universitären Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht unterstrichen. Für weitere Forschung bietet es sich in diesem Zusammenhang an, die im Rahmen dieser Arbeit erhobenen Interviewdaten im Hinblick auf die Frage zu untersuchen, welche Vor- und Nachteile Face-to-Face- und Online-Diskussionen im Fremd‐ sprachen-Sach-Unterricht nach Meinung der STN haben und welche Konse‐ quenzen sich daraus für beispielsweise die Gestaltung von Blended-Learn‐ ing-Szenarien ergeben. 295 7.1 Einflussfaktoren auf die asynchronen Online-Diskussionen In den Aufgabenstellungen ist vorgegeben, dass die Studierenden ihre Bei‐ träge auf Deutsch oder Schwedisch verfassen können. Bis auf wenige Aus‐ nahmen schreiben die STN auf Deutsch, was hauptsächlich zwei Gründe hat: Zum einen nutzen die STN das Forum, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, was die meisten als das Hauptziel ihres Studiums angeben. Hier offenbart sich ein Kontrast zu den Lernzielen des Germanistik-Studiums, das neben sprach‐ lichem Lernen selbstverständlich zu einem großen Teil inhaltliches bzw. fach‐ liches Lernen zum Ziel hat. Zum anderen konnte festgestellt werden, dass manche STN einen sozialen Druck empfinden, ihre Beiträge auf Deutsch zu schreiben (vgl. Kapitel 5.5). Für eine Unterrichtspraxis, in der sprachliches und inhaltliches Lernen gefördert werden soll, bedeutet dies, dass vor allem ein Un‐ terrichtsklima geschaffen werden muss, in dem die Studierenden Entschei‐ dungen wie die Sprachenwahl nicht aufgrund eines sozialen Drucks treffen. Beispielsweise könnten die Lehrenden als Vorbild agieren und in ihren Beiträgen beide Sprachen verwenden. Die vorherige Festlegung durch die Lehrperson, dass inhaltlich anspruchsvolle Aufgaben auf Schwedisch beantwortet werden müssen und leichtere auf Deutsch, ist hingegen keine Alternative, da dies die Möglichkeit zur Selbstbestimmung der Studierenden einschränken würde. Für sie besitzt das Verfassen der Beiträge in der Zielsprache einen großen Mehrwert. Die Analyse von wichtigen Merkmalen und Einflussfaktoren hat die Daten aus einer überindividuellen Perspektive in den Blick genommen. Nicht berück‐ sichtigt wurde in der Analyse hingegen, welche Unterschiede es zwischen den Vorgehensweisen einzelner Studierender gibt. Diese unterscheiden sich zum Teil erheblich. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bieten hier Anschluss‐ möglichkeiten für weitere Forschung, die beispielsweise im Rahmen von Fall‐ studien individuelle Strategien und Erfahrungen der Studierenden herausar‐ beitet und sich auf diese Weise der Frage nähert, auf welche Weise binnendifferenziert mit asynchronen Online-Diskussionen und Blended Learn‐ ing gearbeitet werden kann. 7.2 Potenziale und Probleme der Aufgabenbearbeitungsmodi Der zweite Teil der Analyse widmete sich der Frage, welches Lernpotenzial die asynchronen Online-Diskussionen für kulturbezogenes Lernen haben. In Ta‐ belle 10 sind die wichtigsten Ergebnisse schematisch zusammengefasst. Die Be‐ antwortung der Forschungsfrage geschah dabei ausgehend von verschiedenen Modi der Aufgabenbearbeitung, die in Kapitel 6.1 erfasst wurden. Sie sind ent‐ 296 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick weder durch die Aufgabenstellung vorgegeben oder die STN wählen sie unab‐ hängig von der Aufgabenstellung. In der Analyse wurde dabei auch stets auf die Frage eingegangen, ob die Beiträge, die den identifizierten Modi der Aufgaben‐ bearbeitung zugeordnet werden, Interaktion initiieren. So ergibt sich, dass ge‐ wisse Modi der Aufgabenbearbeitung zwar ein hohes Potenzial zur Förderung landeskundlichen Lernens besitzen, aber keine Interaktion initiieren, was be‐ deutet, dass die entsprechenden Aufgaben möglicherweise geeignet sind, kul‐ turbezogenes Lernen zu initiieren, dass aber Online-Diskussionsforen nicht das angemessene Medium darstellen. Darüber hinaus konnten Rezeptionsmechanismen kulturellen Wissens auf‐ gezeigt werden, deren Vorkommen nicht auf einen einzelnen Modus beschränkt sein müssen und kulturbezogene Lernprozesse beeinflussen. Es ist anzunehmen, dass diese auch über das vorliegende Setting hinaus vorzufinden sind. So konnte beispielsweise der Rezeptionsweg der Übergeneralisierung identifiziert werden, d. h. wenn Lernende in der Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Texten (im weitesten Sinne) deutsche Deutungsmuster (vgl. Kapitel 2.2.2) anwenden und diese in ihrer Bedeutung generalisieren, auch wenn es in diesem spezifi‐ schen Fall nicht angebracht ist. Im Anschluss an bereits vorliegende Ergebnisse zu kulturbezogenem Lernen wurde in der Analyse diskutiert, inwiefern in den Daten auch der psychosoziale Mechanismus der Apologetik nachgewiesen werden kann, d. h. die Tendenz der STN , in ihren Beiträgen die mögliche Betei‐ ligung von Deutschen an nationalsozialistischen Verbrechen auszuklammern. Auch wenn in der Analyse betont wurde, dass apologetische Tendenzen auch auf andere Gründe zurückgeführt werden können, so scheint es lohnenswert, in weiteren Forschungsarbeiten der Frage nachzugehen, wie das Wissen um die nationalsozialistische Vergangenheit landeskundliches aber auch generell das Lernen des Deutschen als Fremdsprache beeinflusst (vgl. Kapitel 6.5.2). Bei den Aufgabenbearbeitungsmodi, die im zweiten Teil der Analyse unter‐ sucht wurden, handelt es sich um das Zusammenfassen von Sachwissen (Ka‐ pitel 6.2), Begriffs- und Deutungsreflexionen (Kapitel 6.3), das Herstellen von Gegenwartsbezügen (Kapitel 6.4), Perspektivenübernahmen (Kapitel 6.5) und nar‐ rative Zugänge (Kapitel 6.6). Beleuchtet wurde, durch welche Besonderheiten sich die Modi auszeichnen und welches Potenzial, aber auch welche Fallstricke sie für landeskundliches Lernen bergen, und zwar sowohl in asynchroner com‐ putervermittelter Kommunikation als auch generell. Alle Modi wurden vor der Analyse theoretisch in der Fremdsprachendidaktik und, da die unterrichteten Inhalte oft historische Themen sind, zum Teil auch in der Geschichtsdidaktik verankert; gerade die Anknüpfung an Überlegungen aus der Geschichtsdidaktik erwies sich dabei als gewinnbringend, da z. B. Prinzipien wie Gegenwartsbezüge 297 7.2 Potenziale und Probleme der Aufgabenbearbeitungsmodi in der Landeskundedidaktik weitgehend unerforscht sind. Insgesamt scheint eine stärkere interdisziplinäre Ausrichtung der Landeskundedidaktik und spe‐ ziell die Zusammenarbeit mit der Geschichtsdidaktik besonders wünschens‐ wert, um neue Impulse für die Unterrichs- und Forschungspraxis zu erhalten. Die wichtigsten Ergebnisse zu den verschiedenen Modi der Aufgabenbearbei‐ tung sollen an dieser Stelle nochmals vergegenwärtigt werden: Sachwissen Die Berücksichtigung von Sachwissen ist in kulturwissenschaftlich orientiertem Landeskundeunterricht von Relevanz, weil nur auf dieser Grundlage z. B. die Perspektivgebundenheit und Narrativität von Geschichtsbildern, Erinnerungen und Mythen überhaupt erfasst werden können. Diese wiederum bilden einen Zugang zu den geteilten Wissensbeständen, um die es im hier untersuchten Landeskundeunterricht geht. Mit Hilfe eines Datenbeispiels wurde außerdem belegt, dass es sinnvoll bzw. notwendig ist, eine gemeinsame Ausgangsbasis in Form von Sachwissen zu schaffen. Aus diesem Grund werden in den Aufgabenstellungen Fragen zu Sachwissen gestellt, aber auch deshalb, weil der Präsenzunterricht die Funktion des Leit‐ modus innehat und die Online-Phase zur inhaltlichen Vorbereitung des Prä‐ senzunterrichts genutzt wird. Die STN bearbeiteten die Aufgabenstellung indes anders als von mir als Lehrender erwartet bzw. geplant, da die Sachfragen mehrmals auf ähnliche Weise beantwortet wurden. In Kapitel 5.7 wurden ver‐ schiedene mögliche Gründe für dieses Verhalten aufgezeigt, wobei vermutlich metakognitives Wissen und Annahmen über den Kontext, d. h. universitäre Lehre, die Aufgabenbearbeitung beeinflussen. Unter Berücksichtigung von For‐ schungsergebnissen zur epistemischen Funktion des Schreibens (vgl. Ka‐ pitel 2.3) wurde daraufhin hingewiesen, dass die wiederholte Zusammenfas‐ sung von Sachwissen dennoch ein Lernpotenzial besitzt, da so eine intensive Verarbeitung des Sachwissens stattfindet. Außerdem zeigte sich, dass nahezu in allen Beiträgen, in denen derartige Fragen beantwortet werden, Sachwissen aus anderen Quellen miteinfließt, so dass die Verfasser/ -innen das Wissen neu strukturieren und verarbeiten müssen und es den anderen Studierenden auf diese Weise zugänglich gemacht wird. Die Beiträge, in denen Sachwissen zusammengefasst wird, initiieren in den meisten Fällen jedoch keine Interaktion, was darauf zurückgeführt wurde, dass dazu fundierte Sachkenntnisse nötig sind, die die meisten Studierenden ver‐ mutlich nicht besitzen. Generell sprechen also die Ergebnisse für eine Berück‐ sichtigung von Sachwissen, es bleibt jedoch offen, in welchem Modus des Un‐ 298 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick terrichts das Klären von Sachwissen sinnvollerweise geschieht und wie dabei methodisch vorgegangen werden sollte. Begriffs- und Deutungsreflexionen Begriffs- und Deutungsreflexionen wurden als ein wichtiger Bestandteil von universitärem Landeskundeunterricht identifiziert, da so exemplarisch die Kon‐ strukthaftigkeit der ‚Wirklichkeit‘ der Zielsprachenkultur und die Perspektiv‐ gebundenheit von Geschichte explizit gemacht werden kann. Dies fördert Re‐ flexivität und kritisches Denken, was wichtige Kompetenzen für das weitere geisteswissenschaftliche Studium sind. Gleichzeitig findet, indem theoretische Begrifflichkeiten eingeführt und diskutiert werden, eine didaktisch inszenierte Teilhabe an geistes- und kulturwissenschaftlichen Diskursen statt, was sich po‐ sitiv auf die wissenschaftliche Handlungsfähigkeit auswirken kann. Die Dis‐ kussionen können auch dazu beitragen, durch verschiedene Perspektiven und Anwendungsmöglichkeiten sogenannte threshold concepts zu erfassen und so nachhaltig neue Perspektiven zu eröffnen. Für den Einsatz von asynchroner computervermittelter Diskussion in uni‐ versitärem Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht sind Begriffs- und Deutungs‐ reflexionen darüber hinaus zu empfehlen, weil sie geeignet sind, um Interaktion zu initiieren. Die Studierenden versuchen beispielsweise zu argumentieren, warum ein bestimmter Begriff auf ein Phänomen applizierbar ist und stellen so den Mitstudierenden ihre Perspektive zur Verfügung, die die Adäquatheit ihrer Überlegungen überprüfen können. Die Interaktion resultiert jedoch nur selten in der schlüssigen Beantwortung von Fragen, häufig bleiben diese ungeklärt stehen. Aus diesem Grund ist zu überlegen, ob es sinnvoll ist, in der Aufgaben‐ stellung vorzugeben, dass die Fragen zu Begriffs- und Deutungsreflexionen in einem Konsens resultieren sollten. Dabei ist zu bedenken, dass dies vermutlich aus einer didaktischen Perspektive sinnvoll ist, jedoch der Tatsache wider‐ spricht, dass Begriffe und Deutungen oft vielschichtig sind und es aus dieser Perspektive widersinnig ist, die Reflexionen der Studierenden auf die erwarte‐ teten Definitionen zu begrenzen. Die gemeinsame Antwort der Studierenden muss daher möglicherweise als Ausgangspunkt für den Präsenzunterricht dienen. Die Diskussion einer gemeinsamen Antwort dürfte aber leichter zu be‐ werkstelligen sein als die Berücksichtigung aller offenen Fragen im Bereich der Begriffs- und Deutungsreflexionen. Es wurde darüber hinaus argumentiert, dass die untersuchten Begriffs- und Deutungsreflexionen im Forum auch dann ein Lernpotenzial haben, wenn sie keine Interaktion initiieren bzw. zu keiner Lösung führen: Im Verfassen der Bei‐ träge strukturieren die Studierenden ihr Wissen, sie können neue Gedanken 299 7.2 Potenziale und Probleme der Aufgabenbearbeitungsmodi finden und diese durch das Formulieren präzisieren. Für zukünftige Szenarien ist jedoch zu bedenken, dass vor dem Hintergrund, dass Interaktion das Haupt‐ charakterisikum vom CMC sein sollte, Foren nicht das ideale Medium für Auf‐ gaben sind, die hauptsächlich auf epistemisches Schreiben abzielen. Geeigneter wären beispielsweise Blogs, in denen die Studierenden ihre Überlegungen posten und den Mitstudierenden zur Verfügung stellen könnten. Das Moment der Interaktion ist dort durch die Kommentarfunktion möglich, doch hat es nicht die gleiche zentrale Rolle wie in Diskussionsforen, so dass die Studierenden und Lehrenden fehlende Interaktion dort möglicherweise nicht als problematisch erachten. Gegenwartsbezüge Im Landeskundeunterricht ist der Einbezug von Geschichtsthemen relevant, weil mit ihrer Hilfe die Entwicklungen von kulturellen Deutungsmustern nach‐ vollzogen und gegenwärtige Zustände analytisch gedeutet werden können. Von dieser Annahme ausgehend wurden Gegenwartsbezüge, die die STN selbst her‐ stellen (sogenannte selbständige Gegenwartsbezüge), d. h. ohne dass sie von der Aufgabenstellung oder dem Thema vorgegeben wären, auf ihr Lernpotenzial hin untersucht. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen Ursachen- und Sinn‐ zusammenhängen zeigte die Datenanalyse zum einen, dass es insgesamt relativ wenige Gegenwartsbezüge gibt und dass Ursachenzusammenhänge nur von einer STN , die Deutsch als L1 hat, aufgezeigt wurden. Dies wurde darauf zu‐ rückgeführt, dass für Ursachenzusammenhänge sehr gute Sachkenntnisse über die Verhältnisse in den Zielsprachenkulturen notwendig sind. Insgesamt haben diese Ursachenzusammenhänge jedoch ein großes Lernpotenzial, weil sie einen Einblick in geteilte Wissensbestände und ihre Genese geben. Die Ursachenzu‐ sammenhänge werden teilweise im Rahmen von narrativen Zugängen herge‐ stellt, die in Kapitel 6.6 genauer untersucht wurden. Sinnzusammenhänge wurden auch von anderen STN thematisiert. Unter‐ schieden wurde dabei zwischen zielsprachenspezifischen und transnationalen Sinnzusammenhängen, wobei letztere in keinem Fall zu Interaktion zwischen den Studierenden führte. Die Studierenden diskutierten hingegen zielsprachen‐ spezifische Zusammenhänge, was vermutlich daran liegt, dass die STN Vor‐ wissen mit in die Diskussion einbringen können, und sie diese Diskussionen auch thematisch als relevant erachteten. Es wurde argumentiert, dass die trans‐ nationalen Zusammenhänge den Studierenden im Kontext des Landeskunde‐ seminars möglicherweise nicht relevant erschienen und sie daher nicht auf diese Beiträge eingingen. 300 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick Für die Unterrichtspraxis impliziert die Erkenntnis, dass vor allem die Sicht‐ barmachung von Ursachenzusammenhängen ein Lernpotenzial hat, und dass dies aber nur auf der Grundlage von Sachwissen geschehen kann, dass in der Aufgabenstellung die Recherche von Hintergrundinformationen berücksichtigt werden muss. Je nach Lernergruppe empfiehlt es sich, die Recherche z. B. durch die Vorgabe von Stichwörtern anzuleiten. Insgesamt bietet es sich an, das Po‐ tenzial von Gegenwartsbezügen für landeskundliches Lernen unter Berücksich‐ tigung geschichtsdidaktischer Theorie und Forschung empirisch zu untersu‐ chen. Perspektivenübernahme In einigen Aufgabenstellungen finden sich Aufforderungen zur Perspektiven‐ übernahme; diese Methode wird im untersuchten Setting sowie in der Fremd‐ sprachen- und Geschichtsdidaktik als wichtiger Schritt auf dem Weg zum Fremdverstehen angesehen. Viele Aufgabenstellungen der Online-Phase fordern zu verschiedenen Arten der Perspektivenübernahme auf, und zwar zu diachronen und synchronen Perspektivenübernahmen, die wiederum unter‐ schieden werden können in individuelle und kollektive Perspektivenüber‐ nahmen. Im vorliegenden Setting finden sich nicht viele Perspektivenüber‐ nahmen; die diachrone kollektive Perspektivenübernahme kommt dabei noch am häufigsten vor. Individuelle diachrone Perspektivenübernahmen kommen sehr selten vor, was u. a. damit erklärt wurde, dass die STN sich möglicherweise scheuen, die in dem Fall desolaten Lebensumstände nachzuvollziehen und sich durch eine nicht-adäquate Perspektivenübernahme möglicherweise Kritik aus‐ zusetzen. Diskutiert wurde im Anschluss, ob für die Beschreibung von Perspektiven‐ übernahmen die Kategorien adäquat / nicht-adäquat herangezogen werden können. Zum einen widerspricht dies den Bestrebungen kulturwissenschaftlich orientierter Landeskunde, die gerade auf die Anerkennung unterschiedlicher Sichtweisen abzielt. Zum anderen wurden die Kategorien dennoch als relevant erachtet, da nur adäquate diachrone Perspektivenübernahmen (zumindest in Ansätzen) das Nachvollziehen der Bedeutung für damals Betroffene gewähr‐ leisten können. Zugleich wurde aber auch gezeigt, dass eine Beschreibung der Diskussionsbeiträge mit diesen Kategorien schwierig ist, da es sich bei den Ver‐ fasser/ -innen um Fremdsprachenlernende handelt, die aufgrund fehlender Sprachkenntnisse adäquate Perspektivenübernahmen möglicherweise nicht verbalisieren können. Kapitel 6.5.3 widmet sich einem Beitrag, in dem die Perspektivenübernahme in einem kreativen Schreibverfahren vollzogen wird. Es wurde argumentiert, 301 7.2 Potenziale und Probleme der Aufgabenbearbeitungsmodi dass kreative Zugänge der Perspektivenübernahme ein Potenzial für landes‐ kundliches Lernen besitzen, da so historische Fakten um eine emotionale Kom‐ ponente ergänzt werden und die epistemische Funktion des Schreibens auch das empathische Nachvollziehen fördert. Insgesamt zeigt die Analyse hinsichtlich der Perspektivenübernahmen, dass diese nicht Interaktion initiieren und sich daher nicht für CMC -Aufgaben eignen. Der Grund dafür ist, dass vor allem individuelle Perspektivenüber‐ nahmen immer ‚wahr‘ sein können und sich somit nicht anbieten, kritisch kom‐ mentiert zu werden. Darüber hinaus werden in Perspektivenübernahmen keine Inhalte verhandelt, die wie beispielsweise Sachwissen oder Deutungen zur Dis‐ kussion anregen. Etwas anders gestaltet es sich bei kollektiven Perspektiven‐ übernahmen, die problemloser als adäquat / nicht-adäquat bezeichnet werden können und in diesem Sinne möglicherweise auch eher Interaktion initiieren könnten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Tatsache, dass die Studier‐ enden die Aufforderungen zur Perspektivenübernahme als problematisch er‐ achten, auch erklären kann, warum entsprechende Beiträge nicht kommentiert werden. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Perspektivenübernahmen zwar theoretisch ein Potenzial für kulturbezogenes Lernen besitzen, dass die konkrete Umsetzung im hier untersuchten Setting aber keinen Zuspruch findet. Es ist weiter zu untersuchen, auf welche Weise Perspektivenübernahmen initi‐ iert werden können und welche Rolle digitale Medien möglicherweise spielen können. Narrative Zugänge Als narrative Zugänge wurden die Beiträge bezeichnet, in denen die STN ent‐ weder auf persönliche Erfahrungen und Erlebnisse zurückgreifen, oder auf solche, die sie von Freunden und Familienangehörigen erzählt bekommen haben. In der Landeskundedidaktik - und Fremdsprachendidaktik allgemein - wird die Berücksichtigung individueller Eindrücke positiv bewertet und diesem Sinne wurde narrativen Zugängen auch ein hohes Potenzial für kulturbezogenes Lernen zugeschrieben. Darüber hinaus werden in der Geschichtsdidaktik Zeit‐ zeugenberichte herangezogen, um Geschichte lebendiger darzustellen, was dazu führen soll, dass Inhalte besser behalten werden können. Der epistemologische Wert von Anekdoten ist jedoch problematisch, da diese zwar wahrheitsgemäß im Sinne subjektiven Erlebens sein können, aber nicht überprüfbar sind und auch nicht typisch oder repräsentativ sind, sie aber auf diese Weise wahrge‐ nommen werden. 302 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick Narrative Zugänge werden von den Studierenden vor allem im Zusammen‐ hang mit der Thematisierung des Zweiten Weltkrieges gewählt, und wenn sie sich scheuen, Aussagen über die Empfindungen der in den Aufgabenstellungen fokussierten Personen zu machen. Auch wurde angenommen, dass die STN die Erzählungen vermutlich als authentisch erleben und somit meinen, dadurch auf eine positive Weise zur Diskussion beizutragen. Die Analyse der narrativen Zu‐ gänge zeigte, dass sie gewisse Tradierungstypen enthalten, die zeigen, wie Er‐ fahrungen, die im Rahmen des Zweiten Weltkrieges „auf Täterseite“ gemacht wurden, im Familiengedächtnis weitererzählt und schließlich im Forum geteilt werden. Vor allem der Tradierungstyp ‚Opferschaft‘ konnte dabei in den nar‐ rativen Zugängen identifiziert werden, was mit Blick auf die erlebte Repräsen‐ tativität von Anekdoten problematisch ist, da so zum einen den Studierenden das Bild vermittelt wird, dass die meisten Deutschen Opfer waren, und zum anderen die Dichotomisierung von NS -Elite als Täter und Zivilbevölkerung als Opfer weitergeschrieben wird. Die gleiche Problematik, d. h. die Weitererzäh‐ lung von Erinnerungsbausteinen aus dem kollektiven Gedächtnis, lässt sich auch in den Beiträgen feststellen, in denen es um das Leben in der DDR geht. Diese Ergebnisse ziegen, dass zwar die Berücksichtigung persönlicher Erfah‐ rungen im Landeskundeunterricht sinnvoll ist, zugleich aber auch Gefahren wie die Tradierung von problematischen Gedächtnisinhalten mit sich bringt. Für die Unterrichtspraxis wäre es daher denkbar, dass im Zusammenhang mit dem Thema Zweiter Weltkrieg die Mechanismen des Erinnerns und des Weiterer‐ zählens von Erinnerungen thematisiert werden, und von der konkreten Auf‐ forderung, dass die Lernenden Erinnerungen aus dem Familiengedächtnis teilen sollen, Abstand genommen wird. Im Rahmen von computervermittelter Kommunikation erweisen sich narra‐ tive Zugänge zudem als wenig sinnvoll, da sie nicht geeignet sind, Interaktion zu initiieren: Die faktualen Erzählungen besitzen einen Authentizitätsanspruch, der dafür Sorge trägt, dass die erzählten Inhalte nicht leichtfertig in Frage gestellt oder diskutiert werden können. Es wäre zwar möglich, dass die Studierenden nachfragen oder einen lobenden Kommentar posten, dies ist aber nicht der Fall gewesen. Nichtsdestoweniger wurde es als sinnvoll erachtet, narrative Zugänge im Landeskundeunterricht zu berücksichtigen. Es wäre im Anschluss an die Er‐ gebnisse daher zu überlegen, wie nach einer entsprechenden Vorarbeit zur Problematik des Erinnerns z. B. mit digital storytelling gearbeitet werden könnte. Was würde es für landeskundliches Lernen bedeuten, wenn die Lernenden Er‐ fahrungen mit der Zielsprachenkultur oder Interviews mit Zeitzeugen als eine digitale Geschichte erzählen? 303 7.2 Potenziale und Probleme der Aufgabenbearbeitungsmodi Nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung waren Lernprozesse, d. h. die Frage, ob und unter welchen didaktischen Umständen es den STN gelingt, ihr Repertoire an Deutungsmustern um deutsche Deutungsmuster zu erweitern und durch welche Arten von Aufgaben Deutungslernen initiiert werden kann. Hier bieten die Modi der Aufgabenbearbeitung Anschlussmöglichkeiten für weitere Forschung, die beispielsweise in Fallstudien untersuchen kann, welche Lernprozesse durch die verschiedenen Modi tatsächlich angeregt werden können. Es wäre so z. B. weiter zu untersuchen, welche Rolle kreatives Schreiben spielen kann: In der Analyse wurde es als Mittel zum empathischen Nachvoll‐ ziehen bezeichnet, doch stellt sich die Frage, ob und wie es darüber hinaus zum Deutungslernen beitragen kann. Mit Blick auf die Aufgabenbearbeitungsmodi zeigt sich insgesamt, dass weitere Forschung zu Aufgaben, die Impulse für fik‐ tionales und faktuales Schreiben bzw. das Wechselspiel enthalten, erforderlich ist, um Potenziale für kulturbezogenes Lernen näher bestimmen zu können. In dieser Arbeit konnte also gezeigt werden, dass asynchrone computerver‐ mittelte Kommunikation ein hohes Lernpotenzial für universitären Fremdspra‐ chen-Sachfach-Unterricht bietet, weil das reflektierende Schreiben der Beiträge sprachliches und inhaltliches Lernen gleichermaßen fördert. Darüber hinaus konnte aber auch gezeigt werden, dass die Studierenden im Online-Forum ver‐ schiedene Wege der Aufgabenbearbeitung wählen und dass diese ganz unter‐ schiedliche Potenziale und Probleme für landeskundliches Lernen bergen. Daher kann nun eine empirisch gesicherte Aussage darüber getroffen werden, welche Aufgaben im untersuchten Setting für die Online-Phase geeignet sind und somit ein Beitrag zur wissenschaftlichen Fundierung von Landeskundeunterricht ge‐ leistet werden. Als für asynchrone computervermittelte Kommunikation be‐ sonders geeignete Zugänge wurden Begriffs- und Deutungsreflexionen und Ge‐ genwartsbezüge identifiziert. Den Modi Zusammenfassung von Sachwissen, Perspektivenübernahme und narrative Zugänge hingegen wurde zwar generell ein Potenzial für landeskundliches Lernen bescheinigt, doch erwies sich das Online-Diskussionsforum nicht als geeignetes Medium. Weitere Forschung ist an dieser Stelle notwendig, um beantworten zu können, welche Aufgabenfor‐ mate für diese Zugänge sinnvoll sind, welche Rolle digitale Medien spielen können und welche Lernprozesse durch beispielsweise narrative Zugänge an‐ geregt werden können. 304 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick Bearbeitungs‐ modus Teil der Aufga‐ benstel‐ lung Initiiert Interak‐ tion Potenziale (zusätzlich zum Po‐ tenzial des episte‐ mischen Schreibens, das für alle Modi festge‐ stellt werden kann) Probleme in Bezug auf kulturbezo‐ genes Lernen Zusammenfas‐ sung von Sachwissen Ja Nein Klären einer ge‐ meinsamen Aus‐ gangsbasis Begriffs- und Deutungsreflexionen Begriffsrefle‐ xionen Nein Ja - Inszenierte Teil‐ habe an wissen‐ schaftlichen Dis‐ kursen - Verdeutlichung der Konstrukthaftig‐ keit von ‚Wirklich‐ keit‘ - Zugang zu thres‐ hold concepts Deutungsrefle‐ xionen Nein Ja - Inszenierte Teil‐ habe an wissen‐ schaftlichen Dis‐ kursen - Verdeutlichung der Konstrukthaftig‐ keit von ‚Wirklich‐ keit‘ Gegenwartsbezüge Ursachenzusammenhänge Nein Nein Nachvollziehen von Ursachen sowie der Genese kultureller Deutungsmuster Sinnzusammen‐ hänge Nein Ja Zugang zu kultur‐ ellen Deutungsmus‐ tern Perspektivenübernahmen Individuelle dia‐ chrone Perspek‐ tivenüber‐ nahmen Ja Nein Empathisches Nach‐ vollziehen der Lebensumstände in der fremden Le‐ benswelt Apologetik 305 7.2 Potenziale und Probleme der Aufgabenbearbeitungsmodi Bearbeitungs‐ modus Teil der Aufga‐ benstel‐ lung Initiiert Interak‐ tion Potenziale (zusätzlich zum Po‐ tenzial des episte‐ mischen Schreibens, das für alle Modi festge‐ stellt werden kann) Probleme in Bezug auf kulturbezo‐ genes Lernen Kollektive dia‐ chrone Perspektivenübernahmen Ja Nein Nachvollziehen der Lebensumstände in der fremden Le‐ benswelt Apologetik Kreative Zu‐ gänge der dia‐ chronen Per‐ spektivenübernahmen Nein Nein Ergänzung histori‐ scher Fakten durch emotionale Kompo‐ nente Narrative Zu‐ gänge teilweise Nein - Berücksichtigung individueller Ein-drücke und Er‐ lebnisse - Weitererzählen von Familiener‐ innerungen, die nicht geschichts‐ wissenschaftl. Erkenntnissen entsprechen Tab. 10: Schematische Zusammenfassung der wichtigsten Potenziale und Probleme der untersuchten Aufgabenbearbeitungsmodi für kulturbezogenes Lernen. 306 7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick Literaturverzeichnis [o. A.] (1990). ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht. Deutsch als Fremdsprache, 5, 306-314. Abrams, Zsuzsanna Ittzes (2003). The effect of synchronous and asynchronous CMC on oral performance in German. The Modern Language Journal, 87(2), 157-167. Agiba, Sara (2016). „Um uns zu […] verwirren“: Eine empirische Untersuchung zum kul‐ turbezogenen Lernen. Informationen Deutsch als Fremdsprache, 43(4), 401-416. Agiba, Sara (2017). Lernen durch Irritation. Ein Beitrag zur Untersuchung kulturbezogener Lernprozesse bei ägyptischen DaF-Lernenden. München: Iudicium. Aguado, Karin (2010). Sozial-interaktionistische Ansätze. In Hans-Jürgen Krumm, Chris‐ tian Fandrych, Britta Hufeisen & Claudia Riemer (Hrsg.) 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Februar 18-19.30 Uhr Umgang mit der Schuld an Zweitem Welt‐ krieg und Holocaust in der Bundesrepublik, Österreich und der DDR K S. 10-23 EW 23, 64, 66, 67 4. März 18-19.30 Uhr Die deutsche Teilung K S. 24-26 EW 31, 35 11. März 18-19.30 Uhr Blühende Landschaften - Ost- und West-Deutschland heute K S. 27 / 28 EW 42, 73 18. März 18-19.30 Uhr Föderalismus in den deutschsprachigen Ländern Neutralität als Pfeiler im österreichischen und schweizerischen Selbstverständnis K S. 32-35 EW 77 1. April 18-19.30 Uhr „Rabenmütter“ und „Heimchen am Herd“ - Die Rolle der Frau in Deutschland K S. 36-39 EW 59 8. April 18-19.30 Uhr Migration in der Bundesrepublik K S. 40-42 EW 91 (K = Kompendium, EW = E. Wolfrum (2009): Die 101 wichtigsten Fragen - Bun‐ desrepublik Deutschland. München: C. H.Beck. Die Zahl bezieht sich auf die Nummer des Textes, die Lektüre der fettgedruckten ist obligatorisch) 333 Anhang 3. Informationen für Studienteilnehmer/ -innen Information om forskningsprojekt Landeskundliches Lernen in Blended Learning-Szenarien Formulerad enligt Vetenskapsrådets Forskningsetiska principer inom humani‐ stisk-samhällsvetenskaplig forskning (http: / / codex.vr.se/ texts/ HSFR.pdf) 1. Bakgrund och syfte Forskningsprojektets syfte är att ta reda på lärpotentialen i blended lear‐ ning-scenarier, dvs. i den undervisningsform där distansoch campusundervis‐ ning varvas. I den populär-vetenskapliga och undervisningspraktiska littera‐ turen läser man ofta att blended learning har ett mervärde jämfört med ”vanlig” campusundervisning eftersom den förenar ”det bästa” av ren campusoch ren distansundervisning. Det är dock omöjligt att uttala sig på ett generellt sätt om detta eftersom sådana generella empiriska studier är omöjliga. De konkreta forskningsfrågorna fokuserar därför på en delaspekt av del‐ kursen De tyskspråkiga ländernas realia, närmare bestämt på det som sker på Mondo: På den allmänt formulerade, övergripande frågan (Vilken lärpotential har online-diskussioner i ett blended learning-scenario? ) följer en fråga som rör det som skrivs på Mondo: Hur konstrueras realiaspecifik kunskap i online-dis‐ kussioner? Eftersom det som skrivs på Mondo endast ger en version av det som sker kombineras analysen av online-diskussionerna med intervjuer: Hur agerar studenterna under online-diskussionerna, vilka upplevelser har de och vad ty‐ cker de själva om lärpotentialen av blended learning? Tillsammans kan dessa två bilder belysa lärpotentialen av online-diskussio‐ nerna i blended learning-scenarier; detta är nödvändig för att man i framtiden ska kunna förbättra både realiaundervisningen och blended learning-kurser. 2. Förfrågan om deltagande Du får förfrågan om deltagande eftersom du läser delkursen De tyskspråkiga ländernas realia under VT 14. 3. Hur går studien till? Den studie som genomförs under VT 14 följer på pilotstudien som genomfördes under VT 13. Pilotstudiens främsta syfte var att testa mätoch analysinstrument; syftet med denna studie är att samla in data som ligger till grund för min dok‐ torsavhandling. För denna studie är det viktigt att jag får ”följa” några studenter under en hel termin. ”Följa” innebär att jag samlar in olika slags data i form av - en enkätstudie om bakgrund och intressen 334 Anhang - diskussionsinlägg som skrevs på Mondo - intervjuer I ett nästa steg analyseras dessa data med avseende på de ovannämnda frågorna. 4. Vad måste jag göra? - I början av terminen fyller du i en enkät om bakgrund och intressen (c: a 10 Minuter). - Sedan studerar du som vanligt. Det är viktigt att du gör läxorna på Mondo och att du deltar regelbundet i undervisningen. - Dessutom skulle jag vilja intervjua dig två eller tre gånger (en gång i slutet av februari, en gång i april och en gång i slutet av maj). Intervjuerna - som spelas in - sker på svenska och tar ungefär 20-30 minuter, vi be‐ stämmer tid och plats efter dina önskemål. 5. Finns det några fördelar eller nackdelar för dem som deltar i studien? Den insamlade informationen påverkar inte betygssättningen - varken positivt eller negativt. (Det skriftliga provet rättas anonymt så att betygssättningen inte påverkas omedvetet.) Däremot har du en fördel om du gör alla läxor på Mondo och deltar regelbundet i undervisningen: Du förbereder dig näm‐ ligen på ett utmärkt sätt för det skriftliga provet! Ditt deltagande leder dessutom till bättre undervisning för framtida studenter eftersom kunskapen om undervisning ökar. Om du deltar i alla delar av studien och gör läxorna på Mondo kan du des‐ sutom vinna ett av två Bokus-presentkort (värde 300 SEK ). 6. Hantering av data och sekretess De uppgifter som samlas in kommer inte att användas till något annat syfte än forskning. Alla personuppgifter kodas. Information om vilka som är deltagare i studien kommer inte att lämnas till tredje part. Inom analysen kan det dock vara viktigt att ge lite information om deltagarens bakgrund; denna nämns dock bara när analysen kräver det och formuleras på ett sätt som gör det omöjligt att identifiera den studerandes identitet. Vid minsta tvivel fall tar jag kontakt med dig före publiceringen och ber om ditt tillstånd. 7. Hur får jag information om studiens resultat? Två artiklar om preliminära resultat med data från pilotstudien kommer att publiceras under VT 15. Om du vill få en kopia av artiklarna, vänligen kontakta mig (se nedan). Analysen av materialet som samlas in under VT 14 ingår i min doktorasavhandling som beräknas vara klar VT 18. 335 Anhang 8. Frivillighet Deltagandet i studien är frivilligt och du kan när som helst och utan närmare förklaring avbryta ditt deltagande. Det hittills insamlade materialet kommer då inte att analyseras om du inte vill det. 9. Ansvarig Universitetsadjunkt och doktorand Christine Becker, Avdelningen för tyska, Stockholms universitet, 106 91 Stockholm. E-post: christine.becker@tyska.su. se, telefon: 08-16 35 19 336 Anhang 4. Einverständniserklärung Samtycke till deltagande i forskningsprojekt Landeskundliches Lernen in Blended Learning-Szenarien Formulerad enligt Vetenskapsrådets Forskningsetiska principer inom humani‐ stisk-samhällsvetenskaplig forskning (http: / / codex.vr.se/ texts/ HSFR.pdf) Var vänlig kryssa i, fyll i ditt namn och skriv under. Lämna sedan in blanketten till Christine Becker vid nästa undervisningstillfälle eller i rum E913. Jag har informerats om denna studie skriftligen och muntligen. Jag har fått information om att deltagandet är frivilligt och att jag när som helst och utan närmare förklaring kan avbryta deltagandet. □ Jag samtycker till att delta i hela forskningsprojektet, dvs. jag samtycker till att - delta i enkätstudien - mina diskussionsbidrag på Mondo sparas - ställer upp vid intervjuerna - samt att dessa yttringar analyseras på det sätt som beskrivs i informati‐ onen (All persondata kommer att kodas.) □ Jag samtycker endast till att mina diskussionsbidrag på Mondo sparas. □ Jag vill inte delta. ………………… ………………………… ……………………… Datum Namnförtydligande Underskrift Jag nås bäst via telefon / e-post: ………………………………………………………………… 337 Anhang O O O O O O 5. Hintergrundfragebogen Bakgrundsenkät Forskningsprojekt: Landeskundliches Lernen in Blended-Learning-Szena‐ rien Lämna enkäten till Christine Becker vid nästa undervisningstillfälle eller i rum E991. Information: Den information som samlats in med hjälp av denna enkät används för att komplettera den övriga datan. Information om vilka som är deltagare i studien kommer inte att lämnas till tredje part. Kopplingar mellan data och per‐ sonuppgifter kodas. 1. Namn: ____________________________________________________ 2. I studien förändras ditt namn. Om du vill kan du välja en pseudonym (ett förnamn). Hur skulle du vilja heta? Om du inte väljer ett förnman väljer jag ett åt dig. ____________________________________________________________ 3. Hur gammal du? mellan 18 och 25 år mellan 26 och 35 år mellan 36 och 45 år mellan 46 och 55 år mellan 56 och 65 år över 65 år 4. Vilka språk talar du? Modersmål: ___________________________________________________ Främmande språk: grundläggande bra flytande 338 Anhang O O O O O O O O O O O O O O O O O O 5. Var och hur länge har du läst tyska? i skolan, till och med steg _____ vid universitetet (Nybörjarkurs I och II ) Jag har tyska som modersmål. Annat: ____________________________________________________ 6. Ange din tidigare utbildning och / eller yrkeserfarenhet. ____________________________________________________________ 7. Har du varit i Tyskland, Österrike eller Schweiz? nej ja, enligt följande: ____________________________________________________________ 8. Ange huruvida det tyska språket är en del av din vardag. (Flera alternativ möjliga.) Jag talar, läser eller hör aldrig tyska. Jag tittar på tysk tv ibland. Jag tittar på tyskspråkiga filmer. Jag lyssnar på tyskspråkiga radioprogram och / eller laddar ner tyskspråkiga pod-casts. Jag talar tyska hemma. Ibland talar jag tyska med vänner och släkt. Annat: _____________________________________________________ 9. Varför läser du tyska? Tyska I är en del av min utbildning (t.ex. kombinationsprogram, kandidat‐ program i moderna språk, lärarprogram) Jag läser Tyska I som komplement till min utbildning. Jag behöver tyska i arbetslivet. Jag är intresserad av de tyskspråkiga länderna / det tyska språket. Vad intresserar dig mest? ________________________________________ Annat: _____________________________________________________ 10. Vilka konkreta mål eftersträvar du med dina studier i tyska? ____________________________________________________________ 11. Planerar du att arbeta eller studera i ett eller flera av de tyskspråkiga länderna? ____________________________________________________________ 339 Anhang O O O O O O O O O O O 12. Hur många högskolepoäng har du för avsikt att ta i ämnet tyska just nu (exkl. Nybörjarkursen)? _____________ hp 13. I vilken studietakt läser du? heltid / dag deltid / dag deltid / kväll 14. Brukar du studera tillsammans med dina kurskamrater utanför den schemalagda undervisningen (t.ex. i en studiegrupp)? ja nej Varför (inte)? ____________________________________________________________ 15. Hur ser dina datakunskaper ut? mycket bra ( Jag är mycket online und skriver t.ex. en blogg.) bra (Ibland surfar jag på nätet och jag läser mina mejl flera gånger i veckan.) tillfredsställande ( Jag använder internet bara om jag måste.) Jag har inga datakunskaper. 16. Har du erfarenhet med lärplattformar (t.ex. Mondo, Moodle, Black‐ board, itslearning)? ja nej 17. Undrar du över något eller har du synpunkter på denna undersö‐ kning så skriv gärna här. ____________________________________________________________ Vielen Dank! 340 Anhang O O O 6. Kursevaluation Auswertung des Teilkurses Realia, Tyska I, VT 2014 Svaren kan ges på svenska eller tyska! 1. Wie sehr stimmst du diesen Aussagen zu? 5 = Ich stimme vollkommen zu. 1 = Ich stimme überhaupt nicht zu. 1 2 3 4 5 Die Auswahl der Themen ist relevant. Das inhaltliche Niveau der Kursliteratur und des Unterrichts ist angemessen. Das sprachliche Niveau des Unterrichts und der Kursliteratur ist angemessen. Kommentar: ____________________________________________________________ 2. Hast du die Hausaufgaben auf Mondo gemacht? ja nein manchmal Warum? ____________________________________________________________ 3. Wie viel Zeit pro Woche hast du in die Vorbereitung investiert? ____________________________________________________________ 4. Bist du der Meinung, dass du ausreichend Zeit in die Vorbereitung investiert hast? ____________________________________________________________ 5. Sonstige Kommentare: ____________________________________________________________ Vielen Dank für deine Hilfe! 341 Anhang 7. Interviewleitfaden 1. Kan du berätta vad du tyckte om undervisningsformen blended lear‐ ning? / Kannst du erzählen, wie du die Unterrichtsform Blended Learning fan‐ dest? 2. Hur ofta loggade du in och vad gjorde du på Mondo-sidan? / Wie oft hast du dich auf der Mondo-Seite eingeloggt und was hast du gemacht? 3. Kan du berätta hur du skrev dina inlägg? Först läste du förmodligen uppgiften och sedan? / Kannst du erzählen, wie du deine Beiträge geschrieben hast? Ver‐ mutlich hast du zuerst die Aufgabe gelesen und dann? 4. I de flesta uppgifterna stod ju att man bör svara på minst två inlägg. Hur valde du dessa inlägg? / In den meisten Aufgaben hieß es, dass man auf mindestens zwei Beiträge antworten soll. Wie hast du diese Beiträge ausgewählt? 5. Läste du vad de andra skrev? / Hast du gelesen, was die anderen geschrieben haben? 6. Läste du alla frågor och svar i wikin? Hur valde du frågan som du besva‐ rade? / Hast du alle Fragen und Antworten im Wiki gelesen? Wie hast du die Frage ausgewählt, die du beantwortet hast? 7. Vid ett tillfälle skulle man rösta på olika alternativ. Kan du berätta hur du kom fram till ditt svar? / Einmal sollte man über etwas abstimmen. Kannst du er‐ zählen, wie du zu deiner Antwort gekommen bist? 8. Skulle du kunna jämföra gruppdiskussionerna på Mondo med gruppdiskus‐ sionerna inom undervisningen (inte nödvändigtvis inom delkursen Realia). Vilka fördelar och nackdelar har respektive diskussion? / Könntest du die Grup‐ pendiskussionen auf Mondo mit den Gruppendiskussionen im Unterricht ver‐ gleichen (nicht nur im Landeskundeunterricht). Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Diskussionen? 9. Hur skulle du beskriva lärarens roll i online-diskussionerna och har du syn‐ punkter på den? / Wie würdest du Rolle in den Online-Diskussionen beschreiben und wie ist deine Meinung dazu? 10. Anser du att du har lärt dig mer med hjälp av denna undervisningsform? Bist du der Meinung, dass du mit dieser Unterrichtsform mehr gelernt hast? 342 Anhang Abkürzungen CMC = computer-mediated communication / computervermittelte Kommunikation ACMC = asynchrone computervermittelte Kommunikation SCMC = synchrone computervermittelte Kommunikation STN = Studienteilnehmer/ -in / Studienteilnehmer/ -innen Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Oberthema mit verschiedenen Threads. . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Abb. 2: Exemplarische Abbildung eines Threads. . . . . . . . . . . . . . . . 105 Abb. 3: Anzahl studentischer Aktivitäten im Forum während der ersten Online-Phase im Sommersemester 2013 („Beitrag als gelesen markieren“, „Beitrag schreiben“ und „Beitrag überarbeiten“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Abb. 4: Aktivität „Beitrag schreiben“ (Rolle: Student) nach Datum während der ersten Online-Phase des Sommersemesters 2013. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Übersicht über die einzelnen Veranstaltungen innerhalb der freistehenden Kurse des Grundstudiums. In den Klammern sind die ECTS-Punkte angegeben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Tab. 2: Auszug aus den Ergebnissen der Hintergrundfragebogenstudie (SS14). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Tab. 3: Modell zur Analyse von Interaktion in Online-Diskussionen (in Anlehung an Henri 1995, 153). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Tab. 4: Anzahl der Forumsbeiträge, Datensatz 1, erhoben im Sommersemester 2013. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Tab. 5: Anzahl der Forumsbeiträge, Datensatz 2, erhoben im Sommersemester 2014. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Tab. 6: Länge der studentischen Beiträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Tab. 7: Übersicht über die Interaktionen in beiden Datensätzen. . . . . . 173 Tab. 8: Übersicht über die Lehrerkommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Tab. 9: Modi der Aufgabenbearbeitung und prozentuale Verteilung in den Daten. Die in Kapitel 6 analysierten Modi sind unterstrichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Tab. 10: Schematische Zusammenfassung der wichtigsten Potenziale und Probleme der untersuchten Aufgabenbearbeitungsmodi für kulturbezogenes Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik ISBN 978-3-8233-8207-2 Becker Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation Christine Becker Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation Eine empirische Untersuchung von Online- Diskussionen im universitären Landeskundeunterricht Viele Studien belegen den Nutzen von asynchroner computervermittelter Kommunikation für das Fremdsprachenlernen. Ein Teilbereich des Fremdsprachenunterrichts, die Landeskunde, wurde jedoch bislang kaum berücksichtigt. Diese Studie nimmt daher das landeskundliche Lernen in den Blick und untersucht anhand von Daten aus einem kulturwissenschaftlich orientierten universitären Seminar zur DaF-Landeskunde, welches Potenzial und welche Probleme Forumsdiskussionen für kulturbezogenes Lernen bergen. Die Analyse zeigt dabei unter anderem, welche Aufgabenformate im untersuchten Setting fruchtbar sind, und bietet so Impulse für den sinnvollen Einsatz von Forumsdiskussionen im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen.