Sprachen lehren
0311
2019
978-3-8233-9212-5
978-3-8233-8212-6
Gunter Narr Verlag
Jörg Roche
Der Fremd- und Zweitsprachenunterricht ist seit langem von einer eklektischen methodischen Vielfalt geprägt, deren theoretische Fundierung oft unklar oder gar zweifelhaft ist. Viele Verfahren sind vor allem durch wohlklingende Begriffe, Medieneuphorie und zyklische Scheininnovationen geprägt. In diesem Wirrwarr will der Band Orientierung bieten, die in theoretischen Konzepten verankert ist, dabei aber gleichzeitig auf eine reflektierte Unterrichtspraxis abzielt. Die Kapitel dieses Bandes behandeln alle einschlägigen Themen des Sprachenlehrens, der modernen Didaktik und Methodik. Zwei Kapitel beschäftigen sich zudem vertieft mit zwei zentralen Themen der modernen Sprachdidaktik: der Erstellung von Lern- und Testaufgaben und der mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrektur. In Verbindung mit den anderen Bänden dieser Reihe bilden die Kapitel dieses Bandes eine vollständige Grundlage für die systematische Planung und Durchführung von Sprachenunterricht in allen denkbaren Formaten.
<?page no="0"?> 5 Jörg Roche (Hg.) Sprachen lehren Kompendium DaF/ DaZ <?page no="1"?> Sprachen lehren <?page no="2"?> Kompendium DaF / DaZ Herausgegeben von Jörg Roche (München) Band 5 <?page no="3"?> Jörg Roche (Hg.) Sprachen lehren <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de e-Mail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2512-8043 ISBN 978-3-8233-8212-6 <?page no="5"?> Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Didaktik (Jörg Roche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.1 Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.2 Konstruktivismus und Konstruktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.1 Kompetenzorientierung (Jörg Roche, unter Mitarbeit von Svenja Uth) . . . . . . . . 56 2.2 Gebrauchsbasierung (Svenja Uth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik (Jörg Roche & Svenja Uth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Lern- und Testaufgabenerstellung (Karin Kleppin & Jörg Roche, unter Mitarbeit von Svenja Uth und Christina Bacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.1 Lernaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.2 Testaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Fehlertypologie und -korrektur (Günther Depner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.1 Fehlertypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4.2 Schriftliche Fehlerkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.3 Mündliche Fehlerkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 5. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung (Jörg Roche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 5.2 Aussprachetraining (Katharina Salzmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation (Karin Kleppin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 6.1 Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen (Mohcine Ait Ramdan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch (Richard Sigel & Mohcine Ait Ramdan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.3 Mündlichkeit und orthographische Kompetenz im silbenanalytischen Ansatz (Mohcine Ait Ramdan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 <?page no="6"?> 6 Inhalt 7. Mediennutzung (Ferran Suñer Muñoz & Jörg Roche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . 264 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten . . . . . . . . . . . 278 8. Lernerorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 8.1 Lernervariablen (Jörg Roche & Kees de Bot, unter Mitarbeit von Svenja Uth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 8.2 Lernerstrategien (Christine Fredriksson) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 8.3 Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik (Jörg Roche) . . . . . 323 9. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 10. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 11. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 <?page no="7"?> Vorwort Trotz vieler neuerer Bemühungen um Kompetenz-, Aufgaben- und Handlungsorientierung kommen in der Praxis der Sprachvermittlung weiterhin verbreitet traditionelle Verfahren zur Anwendung, beispielsweise bei der Festlegung der Lehrprogression, den Niveaustufen, der Fehlerkorrektur und der Leistungsmessung. Mit der Weiterentwicklung der kognitiven Linguistik und weiterer kognitiv ausgerichteter Nachbardisziplinen beginnt sich nun aber auch in der Sprachvermittlung in vieler Hinsicht ein Paradigmenwechsel zu vollziehen. Die kognitionslinguistischen Grundlagen dieses Paradigmenwechsels werden in dieser Reihe systematisiert und anhand zahlreicher Materialien und weiterführender Aufgaben für den Transfer in die Praxis aufbereitet. Die Reihe Kompendium DaF/ DaZ verfolgt das Ziel einer Vertiefung, Aktualisierung und Professionalisierung der Fremdsprachenlehrerausbildung. Der Fokus der Reihe liegt daher auf der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und Sprachlernforschung sowie auf deren Anwendung auf die Sprach- und Kulturvermittlungspraxis. Die weiteren Bände behandeln unter anderem die Themen Sprachenlernen und Kognition, Kognitive Linguistik, Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen, Unterrichtsmanagement, Medienwissenschaften und Mediendidaktik, Kulturwissenschaften, Mehrsprachigkeitsforschung, Propädeutik. Durch die thematisch klar abgegrenzten Einzelbände bietet die Reihe ein umfangreiches, strukturiertes Angebot an Inhalten der aktuellen DaF/ DaZ-Ausbildung, die über die Reichweite eines Handbuchs weit hinausgehen und daher sowohl in der akademischen Lehre als auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen behandelt werden können. Die Reihe wird von (fakultativen) flexibel einsetzbaren Online-Modulen für eine moderne Aus- und Weiterbildung begleitet. Diese Online-Module ergänzen den Stoff der Bücher und enthalten Zusatzlektüre und Zusatzaufgaben (www.multilingua-akademie.de). Das Digitale Lexikon Fremdsprachendidaktik (www.lexikon-mla.de) bietet darüber hinaus Erklärungen der wichtigsten Fachbegriffe und damit einen leichten Zugang zu allen aktuellen Themen der Fremdsprachendidaktik sowie der Sprachlehr- und -lernforschung und ihrer Bezugsdisziplinen. Möglich gemacht wurde die Entwicklung der Inhalte und der Online-Module durch die Förderung des EU Tempus-Projektes Consortium for Modern Language Teacher Education. Neben den hier verzeichneten Autorinnen und Autoren haben eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der editorischen Fertigstellung des Manuskriptes dieses Buches mitgewirkt: Christina Bacher, Tamara Schabka, Patricia Boos, Kathrin Heyng (Gunter Narr Verlag) und Corina Popp (Gunter Narr Verlag). Ihnen allen gebührt großer Dank für die geduldige und professionelle Mitarbeit. Svenja Uth wird nicht nur für ihre editorischen Arbeiten gedankt, sondern vor allem für die Koordination der gesamten Abläufe, von der inhaltlichen Konzeption des Bandes bis zur Fertigstellung des druckfertigen Manuskriptes. <?page no="9"?> Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Der Bedarf an solider Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Sprachvermittlung nimmt ständig zu. Immer stärker treten dabei spezialisierte Anforderungen zum Beispiel in Bezug auf Fach- und Berufssprachen, Kompetenzen oder Zielgruppen in den Vordergrund. Theoretisch fundiert sollten die entsprechenden Angebote sein, aber gleichzeitig praxistauglich und praxiserprobt. Genau diese Ziele verfolgen die Buchreihe Kompendium DaF / DaZ und die begleitenden Online-Module. In mehreren Modulen und Bänden soll hiermit eine umfassende Einführung in die Wissenschaft und in die Kunst des Sprachenlernens und Sprachenlehrens gegeben werden, weit weg von fernen Theorie- oder Praxiskonstruktionen und Lehr-Dogmen. Im Mittelpunkt des hier verfolgten Ansatzes steht das, was in den Köpfen der Lerner geschieht oder geschehen sollte. Sachlich, nüchtern, effizient und nachhaltig. Buchreihe und Online-Module sind eine Einladung zur Professionalität eines Bereichs, der die natürlichste Sache der Welt behandelt: den Sprachenerwerb. In diesen Materialien und Kursen werden daher Forschungsergebnisse aus verschiedenen Forschungsrichtungen zusammengetragen und der Nutzen ihrer Synthese für die Optimierung des Sprachenerwerbs und Sprachunterrichts aufgezeigt. Warum Aus-, Weiter- und Fortbildung heute so wichtig ist Wer sich etwas eingehender darum bemüht zu verstehen, welche Rolle die Sprache im weiten Feld des Kontaktes von Kulturen spielt ‒ oder spielen konnte ‒, muss von den Gegensätzen, Widersprüchen und Pauschalisierungen, die die Diskussion in Gesellschaft, Politik und Fach bestimmen, vollkommen irritiert sein. Vielleicht lässt sich aus dieser Irritation auch erklären, warum dieser Bereich von so vielen resistenten Mythen, Dogmen und Praktiken dominiert wird, dass das eigentlich notwendige Bemühen um theoretisch fundierte Innovationen kaum zur Geltung kommt. Mangelndes Sprach- und Sprachenbewusstsein besonders in Öffentlichkeit und Politik führen ihrerseits zu einem ganzen Spektrum gegensätzlicher Positionen, die sich schließlich auch bis in die lehrpraktische Ebene massiv auswirken. Dieses Spektrum ist gekennzeichnet durch eine Verkennung der Bedeutung von Sprache im Umgang der Kulturen auf der einen und durch reduktionistische Rezepte für ihre Vermittlung auf der anderen Seite: Die Vorstellung etwa, die Wissenschaften, die Wirtschaft oder der Alltag kämen mit einer Universalsprache wie dem Englischen aus, verkennt die ‒ übrigens auch empirisch über jeden Zweifel erhabenen ‒ Realitäten genauso wie die Annahme, durch strukturbasierten Sprachunterricht ließen sich kulturpragmatische Kompetenzen (wie sie etwa für die Integration in eine fremde Gesellschaft nötig wären) einfach vermitteln. Als ineffizient haben sich inzwischen auch solche Verfahren erwiesen, die Mehrsprachigkeit als Sonderfall ‒ und nicht als Regelfall ‒ betrachten und daher Methoden empfehlen, die den Spracherwerb vom restlichen Wissen und Leben zu trennen versuchen, also abstrakt und formbasiert zu vermitteln. Der schulische Fremdsprachenunterricht und der Förderunterricht überall auf der Welt tendieren (trotz rühmlicher unterrichtspraktischer, didaktischer, struktureller, konzeptueller und bildungspolitischer Ausnahmen und Initiativen) nach wie vor stark zu einer solchen Absonderung: <?page no="10"?> 10 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ weder werden bisher die natürliche Mehrsprachigkeit des Menschen, die Sprachenökologie, Sprachenorganik und Sprachendynamik noch die Handlungs- und Aufgabenorientierung des Lernens systematisch im Fremdsprachenunterricht genutzt. Stattdessen wird Fremdsprachenunterricht in vielen Gesellschaften auf eine (internationale) Fremdsprache reduziert, zeitlich stark limitiert und nach unterschiedlich kompetenten Standards kanalisiert. Interkulturelle Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung In unserer zunehmend globalisierten Welt gehört die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen zu einem der wichtigsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgabenbereiche. Die Globalisierung findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: lokal innerhalb multikultureller oder multikulturell werdender Gesellschaften, regional in multinationalen Institutionen und international in transkontinentalen Verbunden, Weltorganisationen (unter anderem für Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Sport, Banken) und im Cyberspace. Dabei sind all diese Globalisierungsbestrebungen gleichzeitig Teil einer wachsenden Paradoxie. Der Notwendigkeit, die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme wegen der globalen Vernetzung der Ursachen auch global zu lösen, stehen andererseits geradezu reaktionäre Bestrebungen entgegen, der Gefahr des Verlustes der »kulturellen Identität« vorzubauen. Einerseits verlangt oder erzwingt also eine Reduktion wirklicher und relativer Entfernungen und ein Überschreiten von Grenzen ein Zusammenleben und Kommunizieren von Menschen verschiedener Herkunft in bisher nicht gekannter Intensität, andererseits stehen dem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft die gleichen Widerstände entgegen, die mit der Schaffung solcher Gesellschaften als überkommen geglaubt galten (Huntington 1997). Erzwungene, oft mit großer militärischer Anstrengung zusammengehaltene multikulturelle Gesellschaften haben ohne Druck keinen Bestand und neigen als Folge des Drucks vielmehr dazu, verschärfte kulturelle Spannungen zu generieren. Auch demokratisch geschaffene multikulturelle Gesellschaften benötigen meist viel Zeit und Energie, um sich aus der Phase der multi-kulturellen Duldung zu inter-kultureller Toleranz und interkulturellem Miteinander zu entwickeln. Die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und die ethnischen Auseinandersetzungen in Afrika und Asien zeigen, dass es zuweilen gewaltig unter der Oberfläche gesellschaftlicher Toleranz- und Internationalisierungspostulate rumort. Ethnozentrismus, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, Rechtspopulismus, Rassismus, Diskriminierung, Terrorismus, Bürgerkrieg, Massen- und Völkermord sind durch politisch und wirtschaftlich bewirkten Multikulturalismus nicht verschwunden. Das verbreitete Scheitern von Multikulturalismus-Modellen zeigt, dass ein verordnetes oder aufgezwungenes Nebeneinander von Kulturen ohne Mediationsbemühungen eher Spannungen verstärkt, als nachhaltig Toleranz zu bewirken. Es mangelt an effizienten Verfahren der Vermittlung (Mediation) zwischen Kulturen. Den Sprachen kommt in dem Prozess der Mediation deswegen eine besondere Rolle zu, weil er mit der Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anfängt und auch nur durch diese am Laufen gehalten wird. Die Sprache kann nicht alle Probleme lösen, aber sie hat eine Schlüsselposition beim Zustandekommen interkulturellen Austauschs, die weit über die Beherrschung von Strukturen sprachlicher Systeme hinausgeht. Diese Funktion hat <?page no="11"?> 11 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ mehr mit Kulturvermittlung als mit strukturellen Eigenschaften sprachlicher Systeme zu tun und sie kann kaum durch eine einzige Lingua Franca erfüllt werden. Das Lernen und Lehren von Sprachen ist in Wirklichkeit eines der wichtigsten politischen Instrumente im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung. Sprachunterricht und Sprachenlernen werden aber von Lehrkräften und Lernern gleichermaßen oft noch als die Domäne des Grammatikerwerbs und nicht als Zugangsvermittler zu anderen Kulturen behandelt. Wenn kulturelle Aspekte im Fremdsprachenerwerb aber auf die Faktenvermittlung reduziert werden und ansonsten vor allem strukturelle Aspekte der Sprachen in den Vordergrund treten, bleiben wichtige Lern- und Kommunikationspotenziale ungenutzt. Dabei bleibt nicht nur der Bereich des landeskundlichen Wissens unterentwickelt, sondern es wird in erster Linie der Erwerb semantischer, pragmatischer und semiotischer Kompetenzen erheblich eingeschränkt, die für die interkulturelle Kommunikation essentiell sind. Wenn in der heutigen Zeit vordringlich interkulturelle Kompetenzen verlangt werden, dann müssen in Sprachunterricht und Spracherwerb im weiteren Sinne also bevorzugt kulturelle Aspekte der Sprachen und Kommunikation berücksichtigt werden. Dazu bedarf es aber einer größeren Bewusstheit für die kulturelle Bedingtheit von Sprachen und die sprachliche Bedingtheit von Kulturen. Diese müssen sich schließlich in kultursensitiven Lern- und Lehrverfahren manifestieren, die Mehrsprachigkeit nicht nur künstlich rekonstruieren und archivieren wollen, sondern die in Fülle vorhandenen natürlichen Ressourcen der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität organisch, dynamisch und effizient zu nutzen wissen. Das Augenmerk der künftigen Lern- und Lehrforschung ist daher verstärkt auf Aspekte der Ökologie und Ökonomie des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements zu richten. Das bedeutet aber, dass die Spracherwerbs- und die Mehrsprachigkeitsforschung sich nicht nur eklektisch wie bisher, sondern systematisch an kognitiven und kultursensitiven Aspekten des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements ausrichten müssen. Diesen Aufgabenbereich zu skizzieren, indem wichtige, dafür geleistete Vorarbeiten vorgestellt werden, ist Ziel dieser Reihe. Interkultureller Fremdsprachenunterricht Als die Forschung begann, sich mit interkulturellen Aspekten in Spracherwerb und Sprachunterricht zu beschäftigen, geschah dies auf der Grundlage bildungspolitischer Zielsetzungen und hermeneutischer Überlegungen. Literarische Gattungen sollten den kommunikativen Trend zur Alltagssprache ausgleichen helfen und damit gleichzeitig frische, auf rezeptionsästhetischen Theorien basierende Impulse für das Fremdverstehen und die Fremdsprachendidaktik liefern (vergleiche Hunfeld 1997; Wierlacher 1987; Krusche & Krechel 1984; Weinrich 1971). Die anfängliche Affinität zu lyrischen Texten weitete sich auf andere Gattungen aus und verjüngte mit dieser Wiederentdeckung der Literatur im Fremdsprachenunterricht gleichzeitig das in den 1980er Jahren bereits zum Establishment gerinnende kommunikative Didaktikparadigma. Man vergleiche die Forderung nach einem expliziten interkulturellen Ansatz von Wylie, Bégué & Bégué (1970) und die bereits frühe Formulierung der konfrontativen Semantik durch Müller-Jacquier (1981). Für die auf Zyklen sozialisierte Zunft der Sprachlehre stand fest: das ist eine neue, die vierte Generation der Fremdsprachendidaktik, <?page no="12"?> 12 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ die interkulturelle, oder zumindest die Version 3.5, die kommunikativ-interkulturelle. Allerdings hat diese Euphorie nicht überall zu einer intensiveren, systematischen Reflexion interkultureller Aspekte in Bezug auf ein besseres Verstehen des Sprachenlernens und eine effizientere Ausrichtung des Sprachenlehrens geführt. Selbst in der Lehrwerksproduktion, deren Halbwertzeitzyklen seitdem immer kürzer werden, ist die Anfangseuphorie vergleichsweise schnell verflogen. Infolge des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) ‒ und bereits seines Vorgängers, des Schwellen-Projektes (threshold level project) des Europarates ‒ scheinen sich aufgrund der (oft falsch verstandenen) Standardisierungen die starken Vereinheitlichungstendenzen zu einer Didaktik der Generation 3 oder gar 2.5 zurück zu verdichten. Die Aufnahme der Fremdperspektive in Lehrwerken beschränkte und beschränkt sich oft auf oberflächlich vergleichende Beschreibungen fremder kultureller Artefakte, und die Behandlung der Landeskunde unterliegt nach wie vor dem Stigma der vermeintlich mangelnden Unterrichtszeit. Ein kleiner historischer Rückblick auf die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts Der Fremdsprachenunterricht ist traditionellerweise vor allem von den bildungspolitischen, pädagogischen, psychologischen und soziologischen Vorstellungen der entsprechenden Epoche und ihren gesellschaftlichen Trends beeinflusst worden. Diese Aspekte überschreiben im Endeffekt auch alle sporadischen Versuche, den Fremdsprachenunterricht an sprachwissenschaftlichen oder erwerbslinguistischen Erkenntnissen auszurichten. So verdankt die Grammatik-Übersetzungsmethode ihre Langlebigkeit den verbreiteten, aber empirisch nicht begründeten Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Lerners, der Autorität des Inputs und der Bedeutung elitärer Bildungsziele. Mit den audio-lingualen und audio-visuellen Methoden setzt eine Ent-Elitarisierung und Veralltäglichung des Sprachenlernens ein. Die vorwiegend mit Alltagssprache operierenden Methoden sind direkte, wenn auch reduzierte Abbildungen behavioristischer Lernmodelle und militärischer Bedürfnisse ihrer Zeit. Der kommunikative Ansatz schließlich ist von den Demokratisierungsbestrebungen der Gesellschaften bestimmt. Sein wichtigstes Lernziel, die kommunikative Kompetenz, ist dem soziologischen Ansatz der Frankfurter Schule entlehnt (Habermas 1981). Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen stellt zwar keinen neuen didaktischen Ansatz dar, bildet aber über seine Ausrichtung auf den pragmatischen und utilitaristischen Bedarf eines zusammenwachsenden und mobilen europäischen Arbeitsmarktes den Zeitgeist des politisch und wirtschaftlich gewollten Einigungsprozesses in Europa ab und wirkt daher paradigmenbildend und auf den Unterricht stärker standardsetzend als alle didaktischen Ansätze zuvor. Er weist deutliche Parallelen zu den Proficiency-Guidelines des American Council of Teachers of Foreign Languages (ACTFL) auf, die ihrerseits ‒ wie bereits die audiolinguale Methode ‒ stark von den Bedürfnissen der Sprachschulen des US-Militärs beeinflusst wurden. Eine erwerbslinguistische oder stringente sprachwissenschaftliche Basis weist er nicht auf. Typisch für die zeitlichen Strömungen sind konsequenterweise auch all die Methoden, die in der Beliebigkeit des Mainstreams keine oder nur geringe Berücksichtigung finden können. Diese alternativen <?page no="13"?> 13 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Methoden oder Randmethoden wie die Suggestopadie, Total Physical Response, Silent Way oder Community (Language Learning) Approach reflektieren die Suche des Sprachunterrichts nach zeitgemäßen Verfahren, die vor allem die vernachlässigte Innerlichkeit der Gesellschaft ansprechen oder die Kritik an ihrem Fortschrittsglauben ausdrücken sollen. Die gefühlte Wahrheit der Methoden bei gleichzeitigem Mangel an wissenschaftlich-kritischer Überprüfung der Annahmen ergibt ein inkohärentes Bild der Fremdsprachendidaktik und -methodik, das zwangsläufig zu vielen Widersprüchen, Rückschritten und Frustrationen führen muss. Die rasante Abkehr von der Sprachlerntechnologie der 60er und 70er Jahre, das Austrocknen der alternativen Methoden, die Rückentwicklung der kommunikativen Didaktik oder die neo-behavioristischen Erscheinungen der kommerziellen Sprachsoftware gehören zu den Symptomen dieses Dilemmas. Die anhaltende unreflektierte Verbreitung eklektischer Übungsformen der Grammatik-Übersetzungsmethode oder des Pattern Drills in Unterricht und Lehrmaterial illustriert, wie wenig nachhaltig offenbar die Bemühungen um eine theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte kommunikative Didaktik waren. Mit dem Auftauchen der interkulturellen Sprachdidaktik und der »vierten Generation von Lehrwerken« (Neuner & Hunfeld 1993) schien sich eine Veränderung gegenüber den Referenzdisziplinen anzubahnen. Zunehmende Migration und Globalisierungstendenzen machten eine entsprechende Öffnung nötig. Aber auch diese anfänglichen Bestrebungen haben sich in der Breite des Lehrmaterials und des Sprachunterrichts genauso wenig durchgesetzt wie wissenschaftlich fundierte Modelle von Grammatik und Sprache. Stattdessen beschäftigt sich die Unterrichtsmethodik geradezu aktionistisch mit temporären Neuerungen (wie den neuen Medien, dem Referenzrahmen, der farbigen Darstellung grammatischer Phänomene) oder Wiedererfindungen bekannter Aspekte (wie dem Inhaltsbezug oder der Diskussion der Bedeutung mündlicher Texte), ohne sich ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Didaktik zu beschäftigen. Ein kurzer Rückblick auf die Vorschläge von Comenius zum inhaltsbezogenen Lernen aus dem 17. Jahrhundert etwa oder der Sprachreformer früherer Jahrhunderte sowie die Modelle aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts würde der neueren Diskussion des Content and Language Integrated Learning (CLIL) eine erhellende Perspektive bieten. Comenius hält unter Bezug auf einen christlichen Gelehrten bereits 1623 fest: Die Kenntnis einer Sprache mache noch keinen Weisen, sie diene lediglich dazu, uns mit den anderen Bewohnern der Erdoberfläche, lebenden und toten, zu verständigen; und darum sei auch derjenige, welcher viele Sprachen spreche, noch kein Gelehrter, wenn er nicht zugleich auch andere nützliche Dinge erlernt habe. (Comenius 1970: 269) Dabei verbindet Comenius bereits die Prozesse des Spracherwerbs und der allgemeinen Maturation (der Vision und des Intellekts des Kindes) und nimmt damit Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung sowie die in der Spracherwerbsforschung etablierten, kognitive Entwicklungsphasen repräsentierenden Konzepte der Erwerbssequenzen vorweg. Darüber hinaus produzierte er bereits ein Lehrbuch (Orbis sensualium pictus), in dem er systematisch die Verwendung visueller Materialien beim Sprachenlernen und -lehren bedachte (Comenius 1981). Auch die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der industriellen und sozialen Umwälzungen entstandene, bildungspolitisch und methodisch motivierte Reformbewegung des <?page no="14"?> 14 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Fremdsprachenunterrichts bildet zwar eine didaktische Brücke zwischen den Arbeiten von Comenius und den Elementen des inhaltsbezogenen und handlungsorientierten Lernens moderner didaktischer Ansätze, verfolgt jedoch keine wissenschaftlichen Ziele. Ihr geht es vielmehr darum: Fremdsprachen jedem zugänglich zu machen, anstatt sie einer exklusiven Elite vorzubehalten, den Fremdsprachenunterricht weit über den Unterricht klassischer Literatur hinaus zu erweitern, indem Inhalte des Alltags- und Berufslebens sowie schulischer Fächer in den Fremdsprachenunterricht aufgenommen werden sollten, zum Beispiel in verschiedenen Verfahren des immersiven Lernens. Mitbegründer oder Anhänger dieser Bewegung wie Jesperson (1922), Passy (1899), Sweet (1899), Gouin (1892), Berlitz (1887), Viëtor (1882) prägten die Reformbewegung mit unterschiedlichen auf die Praxis ausgerichteten Ideen, Modellen und Unterrichtsverfahren. In seiner einflussreichen Einführung benennt Stern (1983) diese Phase wie folgt: The last decades of the nineteenth century witnessed a determined effort in many countries of the Western world (a) to bring modern foreign languages into the school and university curriculum on their own terms, (b) to emancipate modern languages more and more from the comparison with the classics, and (c) to reform the methods of language teaching in a decisive way. (Stern 1983: 98) Verschiedene Methoden sind in den 20er Jahren (bis in die 40er Jahre) des 20. Jahrhunderts als »praktische Antworten« auf die vorangehende Diskussion entwickelt worden: darunter die vermittelnde Methode (England), die Lesemethode (England) und BASIC English (British/ American / Scientific / International / Commercial), ein Versuch, das Sprachenlernen zu vereinfachen und zu rationalisieren. Mit diesen Methoden beginnen die ersten Ansätze, das Unterrichtsgeschehen, die sprachliche Basis, das Testen von Fertigkeiten und das Lern- und Lehrverhalten mittels verschiedener Pilotstudien systematisch zu untersuchen (unter anderem die Modern Foreign Language Study der American and Canadian Committees on Modern Languages 1924 ‒ 1928, siehe Bagster-Collins, Werner & Woody 1930). Dieser Trend wurde in den 40er und 50er Jahren mit der Profilierung der Linguistik noch intensiviert. Hierzu gehören Schlüsselereignisse wie die Veröffentlichung von Psycholinguistics: A Survey of Theory and Research Problems, herausgegeben von Osgood, Sebeok, Gardner, Carroll, Newmark, Ervin, Saporta, Greenberg, Walker, Jenkins, Wilson & Lounsbury (1954), Verbal Behavior von Skinner (1957) und Lados erste systematische Erfassung der kontrastiven Linguistik Linguistics across Cultures: Applied Linguistics for Language Teachers (1957). The American Army Method, deren Errungenschaften später heiß umstritten waren, versuchte nachzuweisen, dass Sprachunterricht auch ohne die traditionellen schulartigen Methoden und mit wesentlich größeren Gruppen und in kürzerer Zeit effizient durchgeführt werden kann. Als Folge der behavioristischen Ideologie wurden besonders in den USA die audiolingualen und in Frankreich die audiovisuellen Lehrverfahren entwickelt, die lange Zeit den Sprachunterricht dominierten und unter anderem auch dem Vormarsch der Sprachlabortechnologie Vorschub leisteten und ‒ trotz gegenteiliger empirischer Evidenz ‒ bis heute dem konditionierenden Einsatz elektronischer Medien zugrunde liegen (zum Beispiel in Programmen wie Rosetta Stone oder Tell me more). <?page no="15"?> 15 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Die stetige Zunahme von linguistischen Studien und die Begründung der Psycholinguistik als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet leisteten später einen wesentlichen Beitrag zur Identifizierung der aus den Methoden der behavioristischen Verhaltensformung entstehenden Probleme des Spracherwerbs (zum Beispiel Rivers einflussreiches Buch The Psychologist and the Foreign Language Teacher 1964). Als Folge der zunehmenden Kritik an den intuitiven Methoden gewann schließlich das kognitive Lernen ‒ bis heute weitgehend als das regelgeleitete, systematische Lernen missverstanden ‒ in der Diskussion um angemessene Ansätze an Gewicht. Chomskys nativistische Theorie auf der einen Seite und soziolinguistische und pragmalinguistische Strömungen auf der anderen haben im Anschluss daran vor allem die Erwerbsforschung und die Entwicklung neuer methodischer Verfahren geprägt. Chomskys Ausgangshypothese zufolge haben Kinder eine angeborene Fähigkeit der Sprachbildung (in der Muttersprache, L1). Wenn Kinder zum ersten Mal die Sprache hören, setzten allgemeine Prinzipien der Spracherkennung und Sprachproduktion ein, die zusammen das ergäben, was Chomsky den Language Acquisition Device (LAD) nennt. Der LAD steuere die Wahrnehmung der gehörten Sprache und stelle sicher, dass das Kind die entsprechenden Regeln ableite, die die Grammatik der gehörten Sprache bildeten. Dabei bestimmten Verallgemeinerungen, wie die Sätze in der entsprechenden Sprache zu bilden seien. Im Zweitsprachenerwerb werde die Reichweite des LAD einfach auf die neue Sprache ausgedehnt. Nativistische Theorien des Spracherwerbs haben jedoch wenig Einfluss auf die Entwicklung von Erwerbs- und Unterrichtskonzepten für Fremdsprachen gehabt. Den stärksten Einfluss haben sie in der Erforschung und Formulierung von Erwerbssequenzen ausgeübt. In deutlichem Kontrast dazu haben sich seit den 1970er Jahren parallel verschiedene Forschungsrichtungen ausgebildet, die sich an die Valenzgrammatik, die Pragmalinguistik (Sprechakttheorie, Diskursanalyse), die funktionale Linguistik, die Textlinguistik und die Psycholinguistik und andere Kognitionswissenschaften anlehnen. Mit wenigen Ausnahmen ist es aber auch dieser Forschung nicht gelungen, nachhaltig auf die Lehr- und Lernpraxis einzuwirken. Unter den Versuchen einer systematischen Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Entwicklung von Lehrmaterial und Lehrverfahren sind die folgenden zu nennen: ▶ ein kurzlebiger Versuch, die Valenzgrammatik als Grundlage einer didaktischen Grammatik einzuführen (zum Beispiel das DaF-Lehrwerk Deutsch Aktiv) ▶ die eklektische Nutzung von Elementen der pragmatischen Erwerbsforschung in der Lehrwerksproduktion (siehe die DaF-Lehrwerke Tangram, Schritte international) ▶ die Berücksichtigung von Aspekten der Interkomprehensionsdidaktik in Lehransätzen (EUROCOMM) ▶ die Gestaltung des Sprachunterrichts nach handlungstheoretischen und konstruktivistischen Prinzipien (Szenariendidaktik, fallbasiertes Lernen, Fachsprachenunterricht). Fremdsprachenunterricht wird verbreitet noch als Domäne des Einzelerwerbs betrachtet. Die systematische Nutzung von Kenntnissen der Vorsprachen beim Erwerb weiterer Sprachen wird bisher nur ansatzweise bedacht und bearbeitet. In Begriffen wie Mehrsprachigkeitsdidaktik, Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten <?page no="16"?> 16 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will. Zur kognitiven Ausrichtung Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert ‒ und darum geht es in dieser Buchreihe ‒ sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale während der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt. Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung. <?page no="17"?> 1. Didaktik Jörg Roche Das Lehren von fremden Sprachen ist neben dem Lernen von Sprachen das große Anliegen dieser Reihe. Dieser Band beschäftigt sich daher gezielt mit den wichtigsten Aspekten des Sprachunterrichts: dem Verständnis und der Optimierung der Lehrmethodik, der Handlungsdidaktik und der interkulturellen Sprachdidaktik, den angestrebten Kompetenzen, dem Zusammenspiel von Lernerfaktoren, der Vermittlung von Fertigkeiten und Strategien und ihrer Bedeutung im Kontext der Handlungsorientierung, der Fehlerkorrektur in dynamischen Modellen des Sprachenerwerbs, der Mehrwertgewinnung durch digitale Medien, dem Schriftspracherwerb und der Alphabetisierung sowie der Sprachenpolitik. In der Unterrichtspraxis und in Fortbildungen wird das komplexe Feld - und die Kunst-- des Unterrichtens gerne auf praktische Methoden reduziert. Das ist angesichts der großen Herausforderungen des Unterrichtsmanagements und der Heterogenität vieler Lernergruppen und ihrer individuellen Lerndisposition allzu verständlich. Daher wird dieser Band in idealer Weise vom Band »Unterrichtsmanagement« in dieser Reihe ergänzt. Zu einem guten und entlastenden Unterricht gehört aber auch die Kenntnis von Theorien, die eine systematische Planung und Durchführung des Unterrichts ermöglichen. Theorie und Praxis sind also keine Gegensätze. Die einzelnen Kapitel dieses Bandes sind daher, wie die der anderen Bände auch, auf die Praxis ausgerichtet und für die Praxis relevant, meist mit konkreten Unterrichtsmodellen, -hinweisen und -materialien versehen. Sie enthalten aber auch in komprimierter Form wichtige Grundlagen relevanter Theorien, die in den anderen Bänden des Kompendiums detaillierter ausgeführt sind. Auch wenn es hierbei in erster Linie um die Perspektive des Lehrens geht, so ist das Ziel guten Unterrichts ja immer das Lernen. Es geht also nicht so sehr um Steuerung, Instruktion und Input von außen, sondern im Mittelpunkt steht die Optimierung des Lernens durch effizienten Unterricht. Auch hier dient also die Kognition der Lerner als Leitmotiv. Eine historische Verortung der Methoden des Fremdsprachenunterrichts eröffnet den Band. Ziel ist dabei aufzuzeigen, wieviel historische Substanz heute noch in Unterricht und Lehrmaterial in eklektischer Mischung zu finden ist. Damit soll eine Reflexion tradierter Methoden und ihre Prüfung auf Einsatzmöglichkeiten für heute eingeleitet werden. Im Anschluss daran werden wichtige Lerntheorien und -modelle dargestellt, deren Bestreben es ist, das Lernen durch das Individuum und die Förderung seiner Lernerautonomie zu optimieren. Hierbei geht es um Ansätze, die sich als sehr effizient erwiesen haben, die aber eine gewisse Herausforderung für konventionelles Denken und Handeln im Unterricht darstellen. Das erste Kapitel behandelt ferner die Parameter einer interkulturellen Sprachdidaktik als Grundlage der vielfältigen Begegnungen mit Fremdem und mit Fremdheit im Fremdsprachenunterricht. Damit sind die weiteren Aspekte des Bandes gut situierbar. <?page no="18"?> 18 1. Didaktik 1.1 Historischer Überblick Wie lernen wir (fremde) Sprachen und wie und wann lernen wir sie am besten? Lernen wir Fremdsprachen so, wie wir unsere Erstsprachen lernen? Welche Rollen spielen dabei die Strukturen der zuvor erworbenen Sprachen, die Sprache der Umgebung, angeborene Fähigkeiten, Sprachverarbeitungssysteme und Imitationsverhalten? Auf welche Weise beeinflussen sich die erworbenen und im Erwerb befindlichen Sprachen gegenseitig? Die Antworten auf diese Fragen − das ist ein typisches Merkmal von Wissenschaften − sind zwar umstritten, aber an Versuchen, verschiedene Modelle auszuprobieren, fehlt es nicht. Ein Blick auf die am weitesten verbreiteten Methoden wird dies zeigen. In dieser Lerneinheit werden Sie einen Überblick über die wichtigsten Ansätze des Lernens und Lehrens von Fremdsprachen erhalten. Dabei wird gleichzeitig die geschichtliche Entwicklung der Fremdsprachendidaktik nachgezeichnet und der neueste Stand der lernpsychologischen und didaktischen Erkenntnisse skizziert. Ebenso werden gängige Unterrichts- und Lernverfahren und ihre Grundlagen präsentiert. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Theorien des Behaviourismus, Nativismus und Kognitivismus kennen und reflektieren können; ▶ die jeweiligen didaktisch-methodischen Konsequenzen der Lerntheorien erläutern können; ▶ den Lernmehrwert verschiedener Sprachlernangebote aus lerntheoretischer Sicht begründen können. 1.1.1 Unterrichtsmethoden und Lerntheorien Eines der Hauptmerkmale traditioneller Methoden des Fremdsprachenunterrichts, das auch heute noch häufig die Unterrichtspraxis bestimmt, ist die Fixierung auf grammatische Strukturen der beteiligten Sprachen in Lehrzieldefinitionen, der grammatischen Progression, der Fehlerdiagnose und Fehlerkorrektur, der Gewichtung von Interferenz und der Übungstypologie. Die Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Unterrichts und des Lernerverhaltens sind darin fest verwurzelt. Dabei zeigt sich in der neueren Forschung, dass das Verständnis der Prozesse des Sprachenerwerbs, das heißt wie Lerner mit den sprachlichen Strukturen in ihren Strategien und Techniken umgehen, mindestens ebenso wichtig für die Lehrmethodik ist. Mit der Kompetenzorientierung neuer didaktischer Ansätze wird versucht, diesen Paradigmenwechsel über neue Lernzielbestimmungen in der Unterrichtsmethodik abzubilden. Die Praxis des Unterrichts ist jedoch noch stark von strukturellen Inputtraditionen und -modellen bestimmt. Viel Aufmerksamkeit wird darauf verwendet sicherzustellen, dass der Input für den Lerner möglichst optimal strukturiert ist, und Übungen zu konstruieren, mit denen der Lerner zur Beachtung wichtiger struktureller Merkmale gebracht werden kann. <?page no="19"?> 19 1.1 Historischer Überblick In den bekanntesten Unterrichtsmethoden spielt die Inputorientierung folglich eine zentrale Rolle. Weil diese Methoden auch heute noch eklektisch und wenig reflektiert eingesetzt werden, sollen im Folgenden die zugrundeliegenden Lerntheorien skizziert werden. Instruktionistische Verfahren: Die Grammatik-Übersetzungsmethode Es gibt zwar kaum verlässliche Aussagen darüber, wie Menschen in früheren Zeiten miteinander kommunizierten, wir wissen aber, dass seit jeher verschiedene Sprachsysteme nebeneinander existierten, also auch Kommunikation über kulturelle und sprachliche Grenzen hinweg und somit Fremdsprachenerwerb stattgefunden haben muss. Man kann dies zum Beispiel an verschiedenen Schriftzeichensystemen, wie den Hieroglyphen oder verschiedenen Petroglyphen (in Stein geschlagene oder geritzte Schriften) rekonstruieren und an verschiedenen anderen Aufzeichnungen aus den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden ablesen. Noch heute lässt sich der Austausch von Sprachen an Entlehnungen, Scheinentlehnungen, Analogiebildungen und Fremdwörtern in den lebenden Sprachen erkennen. Schließlich gibt es aber auch die ein oder andere explizite Aussage zum Dilemma der Vielsprachigkeit. So wissen wir aus der Bibel (Genesis 11, 1 ff) vom Sprachengewirr in Babel und vom Hochmut der Menschen, der − wie auch heute noch oft ‒ die funktionierende Kommunikation zu Fall gebracht hat. Spätestens seit der Einführung von privaten und später auch öffentlichen Bildungssystemen versuchen Gesellschaften, das Schicksal Babels zu vermeiden, indem sie den müh- und wundersamen Weg des Sprachenlehrens und -lernens beschreiten. In den Anfangszeiten des Sprachunterrichts galten die Klassiker der Antike als Orientierung, und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Es galt, den Vorbildern aus der ruhmreichen Geschichte Griechenlands und Roms nachzueifern und die Grundlagen der abendländischen Geisteskultur verstehen zu lernen. Ziel war es, die Originaltexte von Aristoteles, Homer, Caesar, Cicero oder Catull zu verstehen und zu übersetzen. An den sprachlichen Strukturen der frühen Leitbilder sollten die eigenen sprachlichen Fertigkeiten und die Fähigkeiten des Geistes allgemein geschult werden. Am Beispiel der klassischen Sprachen sollten sich auch die Strukturen und Wurzeln der eigenen am besten verstehen und erklären lassen, so eine heute noch weit verbreitete Annahme. Die Grundstrukturen der lateinischen Grammatik wurden als der Generalschlüssel zu den Sprachen unseres Kulturkreises betrachtet, wenn nicht sogar zu den Sprachen schlechthin. Nach diesem klassischen Modell des Fremdsprachenunterrichts wurde zunächst auch der Unterricht der modernen Fremdsprachen mit der Einführung des öffentlichen Schulwesens im 19. Jahrhundert abgehalten. Es ging auch hier zunächst vor allem um die Grammatikbeherrschung als Ziel und die Übersetzung als Methode des Unterrichts. Ein lerntheoretisches Konzept gibt es für dieses Verfahren jedoch nicht. Es reflektiert lediglich die damals geltenden bildungspolitischen Vorstellungen vom Sprachenlernen. Schematisch dargestellt werden kann das Prinzip dieser sogenannten Grammatik-Übersetzungsmethode) etwa folgendermaßen: <?page no="20"?> 20 1. Didaktik Behaviouristische Verfahren Als sich die Vorstellungen vom Sprachenlernen zu ändern begannen, intensivierte sich auch die Suche nach alternativen Verfahren des Fremdsprachenunterrichts. Er sollte nicht mehr nur an klassischen Vorbildern und auf eine kleine Bildungselite ausgerichtet sein, sondern zunehmend praktische Zwecke erfüllen. Eine europäische Reformbewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand (siehe Viëtor, Gouin, Jespersen und andere, vergleiche dazu: Wilhelm Viëtor: Der Sprachunterricht muss umkehren. Heilbronn 1882), machte sich diese pragmatische Ausrichtung zum Ziel, allerdings für weitere 60 Jahre ohne durchschlagenden Erfolg. Ein zu großes Umdenken und Umhandeln hätte diese Neuorientierung verlangt, zu eingefahren waren die Methoden des Unterrichts. Erst in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts schien schließlich ein Verfahren, das scheinbar nach den Prinzipien des Erstsprachenerwerbs (L1-Erwerb) modelliert war, einen leichteren Weg zum Erfolg zu versprechen: die audiolinguale Methode. Im Zentrum dieser Methode steht das Imitieren von gehörter Sprache durch die Lerner. Man nahm an, dass dies dem L1-Erwerb von Kindern entspräche. Auch sie imitierten einfach das, was sie hörten. Man müsse also nur lange und oft genug hinhören, um die richtigen Laute in der richtigen Reihenfolge zu produzieren. Der Fremdsprachenunterricht machte aus dieser Beobachtung eine Methode. Indem den Lernern entsprechende Modelle in Form von einfachen Lauten, Lautkombinationen, Wörtern und Sätzen vorgegeben und diese Muster, sogenannte Patterns, durch ein Reiz-Reaktionsverfahren immer wieder eingeübt und gedrillt wurden, sollten sich die Fertigkeiten zur eigenständigen Nutzung der Fremdsprache entwickeln. Lerntheoretisch ist dieses Pattern-Drill-Verfahren als verhaltensformendes, also behaviouristisches Lernen bekannt geworden, und zwar nicht nur im Bereich der Fremdsprachen, sondern beim Lernen allgemein. Behaviouristisches Lernen ist also ein mechanischer Prozess, der von einem auditiven oder einem kombinierten audio-visuellen Reiz (Stimulus) ausgelöst wird und aus der entsprechenden Reaktion (Response) auf diesen Reiz besteht. Gelernt wird ein Verhalten, und zwar in erster Linie am Modell, an dessen Imitation und mechanischer Wiederholung. Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung audiovisuelle Methode derts schien schließlich ein Verfahren, das scheinbar nach den Prinzipien des Erstsprachenerwerbs (L1-Erwerb) modelliert war, einen leichteren Weg zum Erfolg zu versprechen: die audiolinguale Methode . Im Zentrum dieser Methode steht das Imitieren von gehörter Sprache durch die Lerner. Man nahm an, dass dies dem L1-Erwerb von Kindern entspräche. Auch sie imitierten einfach das, was sie hörten. Man müsse also nur lange und oft genug hinhören, um die richtigen Laute in der richtigen Reihenfolge zu produzieren. Der Fremdsprachenunterricht machte aus dieser Beobachtung eine Methode. Indem den Lernern entsprechende Modelle in Form von einfachen Lauten, Lautkombinationen, Wörtern und Sätzen vorgegeben und diese Muster, so genannte Patterns , durch ein Reiz-Reaktionsverfahren immer wieder eingeübt und gedrillt wurden, sollten sich die Fertigkeiten zur eigenständigen Nutzung der Fremdsprache entwickeln. Lerntheoretisch ist dieses Pattern-Drill-Verfahren als verhaltensformendes, also behavioristisches Lernen bekannt geworden, und zwar nicht nur im Bereich der Fremdsprachen, sondern beim Lernen allgemein. Behavioristisches Lernen ist also ein mechanischer Prozess, der von einem auditiven oder einem kombinierten audio-visuellen Reiz (Stimulus) ausgelöst wird und aus der entsprechenden Reaktion (Response) auf diesen Reiz besteht. Gelernt wird ein Verhalten, und zwar in erster Linie am Modell, an dessen Imitation und mechanischer Wiederholung. Abb. 1.3 S (timulus/ Reiz) R (esponse/ Reaktion) Je nach Schwerpunkt der Reizauslösung unterscheidet man zwischen audiolingualer (AL) und audiovisueller Methode (AV) im Fremdsprachenunterricht. Die erste (AL-)Methode wurde besonders in den 40er und 50er Jahren in den USA propagiert und massiv gefördert, vor allem weil man sich davon versprach, möglichst schnell möglichst viele Soldaten auf den Einsatz in den schnell wechselnden Kriegsgebieten vorzubereiten. Sie wird Abbildung 1.2: Grundschema behaviouristischer Lernmodelle dieses Verfahren jedoch nicht. Es reflektiert lediglich die damals geltenden bildungspolitischen Vorstellungen vom Sprachenlernen. Schematisch dargestellt werden kann das Prinzip dieser so genannten Grammatik-Übersetzungsmethode ( GÜM ) etwa folgendermaßen: Abb. 1.1 Schematische Darstellung der Grammatik- Übersetzungsmethode Inhalte der Zielsprache/ Zielkultur Texte, Grammatik, Wörter korrekte Ausgabe in der Zielsprache Übersetzung Lerner Beispiel German One Das amerikanische Deutsch-Lehrwerk German One von 1949 veranschaulicht die Verfahren der Grammatik-Übersetzungsmethode: Am Anfang steht ein Lesetext, der weit über dem Niveau der Lerner liegt (hier Anfänger) und daher in der Regel mit verschiedenen Begriffserklärungen versehen werden muss (meist in der Randspalte oder wie hier im Glossar im Anhang). Die Wörter werden wie eine Gleichung als Übersetzung angegeben (zum Beispiel Landkarte = map). Mit umfangreichen grammatischen Erklärungen soll der Textinhalt erschlossen werden. Diese Grammatikregeln werden sofort in Übungen und Textübersetzungen verwendet. Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 16 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 16 26.04.2018 12: 41: 25 Abbildung 1.1: Schematische Darstellung der Grammatik-Übersetzungsmethode <?page no="21"?> 21 1.1 Historischer Überblick Je nach Schwerpunkt der Reizauslösung unterscheidet man zwischen audiolingualer und audiovisueller Methode im Fremdsprachenunterricht. Die erste Methode wurde besonders in den 40er und 50er Jahren in den USA propagiert und massiv gefördert, vor allem weil man sich davon versprach, möglichst schnell möglichst viele Soldaten auf den Einsatz in den schnell wechselnden Kriegsgebieten vorzubereiten. Sie wird deshalb auch army method genannt. Die audiovisuelle Methode entstand in Frankreich, vermischte sich später mit der audiolingualen Methode und wurde so als la méthode (‚die Methode’) für eine ganze Sprachlerngeneration prägend (bis in die frühen 70er Jahre). Um das mechanische Verfahren zu optimieren, bietet es sich an, auf elektronische Medien zurückzugreifen. Das wurde schon früh mit Tonbändern, Kassetten und Sprachlaboren praktiziert und wird auch heute noch in der Werbung mittels Schlagworten wie „in 30 Tagen Spanisch lernen“ angepriesen. Die älteren Medien, wie Kassetten, sind mittlerweile durch neue Medien wie CD-ROMs, DVDs, Apps und teilweise das Internet ersetzt worden. Das Lernschema dieser Programme bleibt aber das gleiche. Nach Issing (2002: 156) kann man behaviouristisch vermittelte Verfahren deshalb folgendermaßen grafisch darstellen: Die Medien können nach den Vorstellungen dieses Ansatzes den Unterricht vor allem dadurch optimieren, dass sie die entsprechenden Stimuli in der richtigen Dosis und in ausreichendem Maße, in muttersprachlicher Qualität und gegebenenfalls auch ortsunabhängig (also nicht nur im Unterrichtsraum) zur Verfügung stellen und positive Reaktionen durch akustische und visuelle Signale verstärken (Applaus, Trompetenfanfaren, grüne Ampeln und Ähnliches). Die Medien lassen eine im Sinne des Behaviourismus optimale Steuerbarkeit des Lernablaufes und damit ein optimales Training der Lerner zu. Der Fachbegriff, mit dem diese Verhaltensschulung gefasst wird, lautet Konditionierung. Die Effekte der Konditionierung sind übrigens vor allem in psychologischen Experimenten (und zunächst mit Mäusen und Ratten) untersucht worden. Der größte Versuch am Menschen bleibt aber wohl der Sprachunterricht. Die behaviouristisch geprägten Medien charakterisieren sich durch ein vorstrukturiertes, lineares Verfahren, das in der Regel äußerst fremdgesteuert und mechanisch verläuft und mit zahlreichen Wiederholungsübungen (Pattern-Drill-Übungen) versehen ist. Die Zerlegung des Stoffes in kleine „Häppchen“ ist ebenfalls ein Charakteristikum behaviouristischer Verfahren (vergleiche Nandorf 2004). Der Lernfortschritt wird regelmäßig vor allem durch die Wiedergabe von Fakten beziehungsweise von Sätzen kontrolliert (vergleiche Kerres 2001). 19 Behavioristische Verfahren Elektronische Medien Gesteuertes Lernen elektronische Medien zurückzugreifen. Das wurde schon früh mit Tonbändern, Kassetten und Sprachlaboren praktiziert und wird auch heute noch in der Werbung mittels Schlagworten wie „in 30 Tagen Spanisch, Französisch etc. lernen“ angepriesen. Die älteren Medien wie Kassetten sind mittlerweile durch neue Medien wie CD-ROMs, DVDs und teilweise das Internet ersetzt worden. Das Lernschema dieser Programme bleibt aber das gleiche. Nach Issing (2002: 156) kann man behavioristisch vermittelte Verfahren deshalb folgendermaßen grafisch darstellen: Medienentwickler Methoden und Medien Lehrer Lerner Abb. 1.4 Erweitertes Schema behavioristischer Verfahren: der Lerner als Rezipient (nach Issing 2002: 156) Die Medien können nach den Vorstellungen dieses Ansatzes den Unterricht vor allem dadurch optimieren, dass sie die entsprechenden Stimuli in der richtigen Dosis und in ausreichendem Maße, in muttersprachlicher Qualität und gegebenenfalls auch ortsunabhängig (also nicht nur im Unterrichtsraum) zur Verfügung stellen und positive Reaktionen durch akustische und visuelle Signale verstärken (Applaus, Trompetenfanfaren, grüne Ampeln und ähnliches). Die Medien lassen eine im Sinne des Behaviorismus optimale Steuerbarkeit des Lernablaufes und damit ein optimales Training der Lerner zu. Der Fachbegriff, mit dem diese Verhaltensschulung gefasst wird, lautet Konditionierung . Die Effekte der Konditionierung sind übrigens vor allem in psychologischen Experimenten (und zunächst mit Mäusen und Ratten) untersucht worden. Der größte Versuch am Menschen bleibt aber wohl der Sprachunterricht. Wie dieser Versuch auch heute noch in eleganter Verpackung fortgesetzt wird, zeigt folgendes Beispiel. Beispiel In einem der am weitesten verbreiteten Lernprogramme heißt es: „Mit unserer Lernmethode übersetzen Sie nicht in Ihre Muttersprache. Stattdessen schafft das Programm eine interaktive Lernumgebung, die Ihnen intuitiv das Vokabular, die Grammatik und die Aussprache Ihrer neuen Sprache direkt vermittelt. Diese wissenschaftlich fundierte Methode greift auf die natür- Rosetta Stone Abbildung 1.3: Erweitertes Schema behaviouristischer Verfahren: Der Lerner als Rezipient (nach Issing 2002: 156) <?page no="22"?> 22 1. Didaktik Das lässt sich in multimedialen Lernumgebungen sehr effektiv realisieren, indem die Lerner nach der Darbietung von gesprochenen oder geschriebenen Wörtern oder Sätzen genau denselben Wortlaut sprechen beziehungsweise schreiben. Danach wird die Sprachproduktion der Lerner mit den Daten des Lernprogramms abgeglichen und eine automatische Rückmeldung mit richtig oder falsch und der entsprechenden positiven (Trompetenklang, Applaus) oder negativen (Misstöne, traurige Smileys) lautlichen Untermalung generiert (vergleiche Nandorf 2004). Die Rückmeldung des Lernprogramms sieht meistens nur eine einzige Antwortmöglichkeit vor. Bei falschen Antworten werden auch selten Hilfestellungen angeboten, die den Lernern zur Selbsterschließung der Fragen oder Aufgaben verhelfen könnten. Vielmehr erhoffen sich behaviouristische Lernprogramme, durch Wiederholung und Verstärkung eine Verhaltensänderung beim Lerner zu bewirken, ohne dass entsprechende Verstehensprozesse in Gang gesetzt werden. Beim Lernen spielt es also keine Rolle, ob die Gesamtsituation einen Sinn oder überhaupt einen kommunikativen Wert hat. Denn zur besseren Aufteilung und kleinschrittigen Vorstrukturierung wird der Unterrichtsstoff oft stereotypisch präsentiert, sodass eine differenzierte Vermittlung sprachlicher und kultureller Aspekte ausbleibt. Am Behaviourismus wurde später kritisiert, dass die stark vorstrukturierten Materialien wenig Spielraum für einen individuellen Zugang seitens der Lerner lassen und dass die erworbenen Wissensbestände und Sprachstrukturen wenig flexibel in neuen Situationen angewandt und der Komplexität sprachlicher und (inter)kultureller Zusammenhänge nicht gerecht werden können. Darüber hinaus stößt das kleinschrittige behaviouristische Verfahren an die eigenen Grenzen, wenn es zum Beispiel darum geht, längere Texte zu behandeln: Die Zerlegung des Stoffs in kleine Teile ist nur bei Einzelwörtern (Wortschatz) und sehr kurzen Dialogen tragbar, wenn überhaupt. Außerdem kann der Behaviourismus aus lerntheoretischer Sicht nicht erklären, warum wir überhaupt Sätze bilden können, die wir vorher gar nicht durch einen Stimulus-Reaktion-Vorgang gelernt haben. Daraus ergibt sich, dass wir viel mehr lernen als das, was uns in Übungen oder im Input als Reiz dargeboten wird. Genau zu diesem Aspekt haben die darauffolgenden Lerntheorien ganz unterschiedliche Lösungsansätze formuliert. Die klassischen Unterrichtsverfahren der Grammatik-Übersetzungsmethode und die behaviouristischen Verfahren, die vorwiegend mit vorstrukturierten Lehrelementen und lehrergesteuert vorgehen, gelten in neuerer Terminologie als die typischen Instruktionsverfahren und die Medien, die sie nutzen, als die typischen Instruktionsmedien (im Englischen spricht man hier auch von interventionist methods). Damit können sie von zwei anderen Hauptverfahren des Sprachenerwerbs unterschieden werden, die stärker auf die Selbstständigkeit (Autonomie) des Lerners und des Lernens Bezug nehmen: den sogenannten kognitivistischen Verfahren, die auf die Vermittlung von metasprachlichem Wissen ausgerichtet sind, und den konstruktivistischen, die von selbst-generierenden Prozessen der Wissenskonstruktion gesteuert sind. Diese unterscheiden sich zumindest theoretisch in einer Reihe von Aspekten, ergänzen und überlappen sich aber auch in einigen Annahmen, Zielen und Methoden. In einer Mischgruppe von Ansätzen kommen sie mit unterschiedlicher Gewichtung und Funktion zur Geltung. Auch hier spielt die mediale Realisierung eine entscheidende Rolle. <?page no="23"?> 23 1.1 Historischer Überblick Nativismus Wie Sie bereits gesehen haben, wurden einige Aspekte des Behaviourismus stark kritisiert. Diese Kritik gegen den Behaviourismus wurde vor allem vom Nativismus und vom Kognitivismus artikuliert. Mit ihnen steht der Verhaltensschulung eine Theorie gegenüber, die das gesamte Inventar der Grammatik von Anfang an voraussetzt. Der Linguist Noam Chomsky schlug vor, dass Kinder die allgemeinen Prinzipien einer recht komplexen, hochabstrakten universellen Grammatik (die für alle über 6000 existierenden Sprachen gilt) bereits von Geburt an fertig aufbereitet im Kopf haben. In Abhängigkeit von der jeweiligen Erstsprache können Kinder diese universelle Grammatik dann durch das Umlegen eines inneren Schalters für die einzelnen Variablen mit den spezifischen Charakteristika ergänzen. Kinder wissen dank dieser angeborenen Universalgrammatik beispielsweise von Beginn an, wie ein Fragesatz syntaktisch korrekt aufgebaut ist und müssen ihr grammatisches Wissen also nicht durch einen langen Lernprozess erwerben (vergleiche Bickes & Pauli 2009: 15, siehe hierzu auch Lerneinheit 4.1 und 7.1 im Band »Kognitive Linguistik«). Einflussreiche Sprachwissenschaftler wie Noam Chomsky oder Steven Pinker vertreten die Annahme eines angeborenen Moduls für den Sprachenerwerb. So ist Sprache Chomsky zufolge nicht ‚designed for use‘ oder ‚well adapted to its functions‘ (vergleiche Chomsky 1959). Die Eigenschaften menschlicher Sprache können demzufolge nicht aus dem tatsächlichen Gebrauch erschlossen oder erklärt werden. Mit seinem Aufsatz Review of Skinner’s ‚verbal behavior’ (1959) bereitet Chomsky mit überzeugenden Gegenargumenten zu den damals vorherrschenden Annahmen des Behaviourismus den Weg für die moderne Spracherwerbsforschung und Kognitionswissenschaften (vergleiche Bickes & Pauli 2009: 15 f). Doch wie erklärt der Nativismus nun den Erwerb der Zweit-, beziehungsweise Fremdsprache? Zentral an dieser Frage ist die sogenannte Identitätshypothese, die besagt, dass die L2 (Zweitsprache) genauso wie die L1 (Erstsprache) erworben wird, und zwar dank der Universalgrammatik. Nicht alle Nativisten sind sich aber über die Haltbarkeit der Identitätshypothese einig. Dabei geht es unter anderem um den Streitpunkt, wieviel vom L2-Erwerb angeboren ist und wieviel gelernt werden muss. Eine Gruppe von Nativisten lehnt die starke Version der Identitätshypothese ab und vertritt eine „Light-Version“, in der die Universalgrammatik eine relative Wichtigkeit besitzt: Der Erwerb der Zweit- oder Fremdsprache läuft nicht gleich ab, sondern ähnlich wie der Erstspracherwerb. Dabei werden unmarkierte Formen viel leichter in das System der L2 aufgenommen als markierte Formen. Demnach bereiten unmarkierte Formen, wie beispielsweise die Verwendung von Adjektiven als Prädikativkomplementen (Schweinsteiger ist sehr gut; alle Spieler sind gut), weniger Schwierigkeiten als die markierte Verwendung von Adjektiven in attributiver Funktion (Schweinsteiger ist ein guter Spieler; alle sind gute Spieler). Markierte Formen erfordern nämlich die Anpassung einiger Parameter der Universalgrammatik, was unter anderem durch allgemeine Lernstrategien erreicht werden kann. Eine weitere Gruppe von Nativisten vertritt einen gemischten Ansatz: Sie gehen davon aus, dass der L1-Erwerb durch die Universalgrammatik und der L2-Erwerb durch allgemeine Lernmechanismen (Problemlösen, Kategorisierung und Ähnliches) gesteuert sind. Den <?page no="24"?> 24 1. Didaktik Streitpunkt nativistischer Erwerbstheorien löst Krashen in seinem Modell folgendermaßen: Eine L2 kann sowohl bewusst durch Regeln gelernt als auch implizit erworben werden. Explizites Lernen von Regeln der L2 trägt nach Krashen zwar zur Erweiterung des sogenannten Monitors bei, aber damit kann kein qualitativ hochwertiger und effektiver Umgang mit der L2 garantiert werden wie beim impliziten Erwerb (vergleiche Krashen 1982: 20, zum Monitor-Begriff siehe Lerneinheit 4.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition»). Für einen impliziten Erwerb der Sprache ist vor allem ein verständlicher Input mit Situationsbezügen nötig, in dem Strukturen der nächsten Erwerbsstufe oft genug dargeboten werden. Erst auf diese Weise können Menschen kreativ Hypothesen über die Struktur der Sprache bilden sowie testen und somit die Universalgrammatik weiterentwickeln. Dabei orientiert sich der Input an einer festen Abfolge von Erwerbsstufen. Welche konkreten Konsequenzen hat aber das Modell von Krashen für den Fremdsprachenunterricht und für den Einsatz der neuen Medien? Entgegen der Annahme, die neuen Medien würden nur das Sprachenlernen (und nicht den Sprachenerwerb) unterstützen, entstand auf der Basis von Krashens Modell der sogenannte Natural Approach, der für einige Zeit in zahlreichen Sprachlernprogrammen umgesetzt wurde (vergleiche Nandorf 2004). Nach dem Natural Approach sollten die neuen Medien verständlichen Input in variierenden Situationen und nach einer bestimmten (durchdachten) Sequenz darbieten. Typisch für die Lernprogramme des Natural Approach ist das Streben nach einer möglichst „natürlichen“ Umgebung, die die L1-Erwerbsbedingungen abbildet, was in vielen Fällen zur Gestaltung von Sprachlernprogrammen ausschließlich in der Zielsprache im Sinne einer Immersion führte. Auch bei der Progression wurde darauf geachtet, die sogenannte „stille Phase“ der Kinder beim L1-Erwerb mit zu berücksichtigen, indem die L2-Produktion nicht von Anfang an gefordert wurde (vergleiche Nandorf 2004). Oft wurde dieses Prinzip in den Lernprogrammen folgendermaßen umgesetzt: Zunächst werden Objekte und Handlungen graphisch dargestellt und zusammen mit den Wörtern (in der Regel auditiv) dargeboten. Im zweiten Schritt werden die Lernenden dazu aufgefordert, das richtige Bild zum Wort zuzuordnen, wodurch eine sofortige Sprachproduktion vermieden wird. Die grammatischen Strukturen spielen dabei eine untergeordnete Rolle, da dadurch primär der implizite Erwerb gefördert werden soll und nicht das explizite Regellernen. Underwood (1984: 23) fasst die Anforderungen an die neuen Medien und die Förderbereiche aus Sicht des Natural Approach folgendermaßen zusammen: ▶ Förderung des Erwerbs anstatt des Lernens ▶ Implizite Grammatikvermittlung anstatt von expliziter Regelerklärung ▶ Explorativer und kreativer Umgang mit Sprache (mehrere Möglichkeiten anbieten und akzeptieren) ▶ Vermeidung von manipulierten Sprachäußerungen ▶ Keine ständige Kontrolle des Lernfortschritts ▶ Vermeidung von negativen Korrekturen ▶ Keine Belohnung durch lobende Rückmeldungen ▶ Ausschließliche Verwendung der Zielsprache <?page no="25"?> 25 1.1 Historischer Überblick ▶ Simulation einer Umgebung, in der die Verwendung der Zielsprache als natürlich empfunden wird. Experiment Schritt 1: Nehmen Sie einen Stift und ein leeres Blatt. Nun lesen Sie nur ein einziges Mal die folgende Buchstabenfolge und versuchen Sie, sich so viele Buchstaben und Zeichen wie möglich zu merken. Dann notieren Sie Ihre Antwort auf dem Blatt und vergleichen Sie schließlich Ihre Antwort mit der Buchstabenfolge. asttmbxmaeusumrmaondtnch.de@-. Das Experiment geht aber noch weiter. Wiederholen Sie denselben Vorgang mit der nächsten Buchstabenfolge: max.mustermann@bochum-stadt.de Was haben Sie beobachtet? Wie viele richtige Buchstaben konnten Sie in jedem Versuch notieren? Wie erklären Sie sich Ihre Ergebnisse? Schritt 2: Jetzt können Sie als Versuchsleiter fungieren. Dafür müssen Sie aber einige Vorbereitungen treffen. Schreiben Sie zwei Listen mit jeweils 9-10 Wörtern: In der ersten Liste (A) haben Sie Wörter, die semantisch NICHT miteinander verwandt sind (zum Beispiel Auto, Buch, Hoffnung, Fleisch); in die zweite Liste (B) schreiben Sie 9-10 Wörter, die zwei unterschiedlichen Wortfeldern (Cluster) angehören (beispielsweise Obst => Banane, Apfel und Ähnliches; Technologie => Tastatur, Bildschirm und Ähnliches). Suchen Sie Versuchspersonen, die sich gerne am Experiment beteiligen möchten. Gehen Sie wie in Schritt 1 oben vor: 1. Liste 1 einmal lesen lassen; wegnehmen; Wörter aufschreiben lassen 2. Liste 2 einmal lesen lassen; wegnehmen; Wörter aufschreiben lassen 3. Ergebnisse aus Liste 1 und 2 miteinander vergleichen Wie erklären Sie sich die Ergebnisse? Wie würden Sie Ihre Vermutungen zum beobachteten Phänomen den Kursteilnehmern und Kursteilnehmerinnen im Kurs erklären? Sicher haben Sie bemerkt, wie schwierig es ist, sich an einzelne Elemente zu erinnern, wenn es keine sinnvollen Cluster gibt. Sinnvoll bedeutet hier: Unser Gehirn ist darauf eingestellt, immer Sinn zu generieren. Dafür sucht es sich Anhaltspunkte, wie zum Beispiel bekannte Wörter oder andere Symbole, wie das @-Zeichen, Punkt, Komma, Großbuchstaben, Leerzeichen, Pausen etc. Dadurch wird die Identifikation und Zuordnung von Sprache wesentlich erleichtert. Zur Sinngenerierung gehört aber vor allem auch die Zuordnung zu Bedeutungseinheiten und Bedeutungsnetzen und -verknüpfungen. Daher können wir uns in der Regel Begriffe, die einen semantischen Bezug zueinander haben, wie verschiedene Obstsorten oder <?page no="26"?> 26 1. Didaktik Ersatzteile für Autos, besser und länger merken. Noch besser wird es, wenn wir die Begriffe taxonomisch zuordnen können, zum Beispiel in einer hierarchischen Struktur von Ober- und Unterbegriffen, Synonymen oder Antonymen etc. Hierzu gleich eine weiterführende Frage, die Ihnen vermutlich gar nicht unbekannt vorkommt: Wenn man ein paar solcher ganz verbreiteten und einfachen Wahrnehmungsprinzipien kennt, wie kann man dann 16-stellige IBAN-Nummern oder langatmige Verwaltungsnummern ohne Gliederungsmerkmale erfinden? Wieviel Grundwissen gehört dazu, um hier zum Beispiel dreistellige Cluster zu bilden oder Zahlen- und Buchstaben-Kombinationen abzuwechseln? Kognitivistische Verfahren Bei den kognitivistischen Lernverfahren stehen Struktur und Prozesse des Gehirns im Mittelpunkt des Interesses der unterrichtlichen Steuerung. Der Sprachenerwerb als komplexer Prozess der Informationsverarbeitung erfolgt über die Stufen Wahrnehmen, Erkennen und Identifizieren, Sortieren, Klassifizieren, Verstehen, Behalten und Automatisieren. Lernen gilt demnach als das gezielte Erinnern an Aufgenommenes und die gekonnte Anwendung des Gelernten. Bearbeitet und aktiv gehalten wird das Gelernte in verschiedenen Gedächtnisspeichern, und zwar im Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Diese Speicher sind jedoch keine passiven Schubladen, wie häufig angenommen wird, sondern dynamische Wissensnetze mit bestimmten Arbeitsfunktionen. So lassen sie sich danach bestimmen, wie lange und in welcher Form Information im Arbeitsgedächtnis bearbeitet wird, ob die Daten als einmaliges Ereignis (episodisches Gedächtnis) oder ob sie universell nutzbar gespeichert werden (semantisches Gedächtnis). Unterschieden werden muss weiterhin zwischen dem Faktenwissen, das heißt dem propositionalen oder auch deklarativen Gedächtnis, und dem Methoden- und Vorgangswissen, das heißt dem prozeduralen Gedächtnis. Im Band »Sprachenlernen und Kognition« wird genauer auf die Prozesse der Sprach-, Bild-- und Informationsverarbeitung eingegangen. Hier soll nur festgehalten werden, dass verschiedene Speicherfunktionen bei der Informationsverarbeitung eine wichtige Rolle spielen und dass diese vom Gehirn ständig organisiert, vernetzt und umorganisiert werden. Bei den kognitivistischen Unterrichtsverfahren geht es darum, die relativ komplexe, vernetzte Speicherung von Wissen und den Zugang zu den Speichern durch metasprachliche Regeln und eine regelgeleitete (deduktive) Steuerung des Unterrichts und Lehrmaterials zu optimieren. Kognitivistische Verfahren und „Kognitivierung“ beschreiben äußere Steuerungsverfahren des Unterrichts mit dem Ziel der metasprachlichen „Sprachbewusstheit“, nicht den Versuch, die natürlichen Erwerbs- und Verarbeitungsprozesse des Lerners zu ergründen und in Lernverfahren zu modellieren (vergleiche Ellis 1994; Norris & Ortega 2000). Interessanterweise haben die kognitivistischen Verfahren damit eine Reihe von grundsätzlichen Gemeinsamkeiten mit den behaviouristischen Instruktionsverfahren, vor allem die äußere Steuerbarkeit des Lerners. Allerdings stehen hier die Speicherung, die Einsicht und die Übertragbarkeit des Wissens als Ziele des Lernens über den mechanistischen Reflexen. Kognitivistischen Theorien geht es um die Vermittlung von Einsichten in den Lernprozess <?page no="27"?> 27 1.1 Historischer Überblick selbst und um die Übertragbarkeit des Gelernten auf neue Wissensfelder. Die Lerner sollen die Lernverfahren also auch durchschauen und daraus entsprechende Lernstrategien für das selbstständige Weiterlernen ableiten. Dieses Lernziel des Durchschauens der Lern- und Verarbeitungsprozesse wird metakognitive Reflexion genannt. Die zur Optimierung eingesetzten Lernmedien sind dabei als Mittler grundsätzlich unterschiedlich geeignet. Sie sind aber immer nur Hilfsmittel, die Inhalte transportieren. Ohne Inhalte sind sie praktisch wirkungslos. Das erklärt, warum der Motivationscharakter der Medien überschätzt wird und sich ihr Neuigkeitseffekt im Unterricht so schnell abgreift. Das gesamte kognitivistische Verfahren lässt sich nach Issing (2002: 156) ungefähr so darstellen: Die neueren kognitionswissenschaftlichen Ansätze des Sprachenerwerbs haben mit den hier beschriebenen kognitivistischen Verfahren trotz der Namensähnlichkeit relativ wenig zu tun (vergleiche Suñer Muñoz 2011; Roche 2013a). Um unterrichtliche Steuerung geht es ihnen nur in nachgeordneter Instanz. Wesentlich wichtiger ist der Versuch zu verstehen und darzustellen, wie sich die Prozesse des Sprachenerwerbs in den Gehirnen der Lerner abspielen und welche Modelle und Schemata sie beim Lerner erzeugen. 1.1.2 Zusammenfassung ▶ Zu den ersten Methoden des Fremdsprachenunterrichts gehört die Grammatik-Übersetzungsmethode. ▶ Die Grammatik-Übersetzungsmethode richtete sich ursprünglich an der Vermittlung von Texten der antiken Autoren aus. ▶ Den Mittelpunkt der Grammatik-Übersetzungsmethode bildet die Übersetzung der Originaltexte und die Fixierung auf die grammatischen Strukturen der beteiligten Sprachen. ▶ Abgelöst wurde diese Methode durch behaviouristische Verfahren (Pattern-Drill-Verfahren). Lernstrategien Einsicht und die Übertragbarkeit des Wissens als Ziele des Lernens über den mechanistischen Reflexen. Kognitivistischen Theorien geht es um die Vermittlung von Einsichten in den Lernprozess selbst und um die Übertragbarkeit des Gelernten auf neue Wissensfelder. Die Lerner sollen die Lernverfahren also auch durchschauen und daraus entsprechende Lernstrategien für das selbstständige Weiterlernen ableiten. Dieses Lernziel des Durchschauens der Lern- und Verarbeitungsprozesse wird metakognitive Reflexion genannt. Die zur Optimierung eingesetzten Lernmedien sind dabei als Mittler grundsätzlich unterschiedlich geeignet. Sie sind aber immer nur Hilfsmittel, die Inhalte transportieren. Ohne Inhalte sind sie praktisch wirkungslos. Das erklärt, warum der Motivationscharakter der Medien überschätzt wird und sich ihr Neuigkeitseffekt im Unterricht so schnell abgreift. Das gesamte kognitivistische Verfahren lässt sich nach Issing ungefähr so darstellen: Abb. 1.6 Schema kognitivistischer Verfahren: Die Medien und Methoden , Lehrbuchautoren und Medienentwickler wirken von außen auf die internen erarbeitungsprozesse des Lerners, die er zwar durchschauen, aber kaum beeinflussen kann (nach Issing Lerner Kenntnisse kognitive Fähigkeiten etc. Prozesse Medienentwickler Lehrer Methoden und Medien Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 22 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 22 26.04.2018 12: 41: 26 Abbildung 1.4: Schema kognitivistischer Verfahren: Die Medien und Methoden der Lehrer, Lehrbuchautoren und Medienentwickler wirken von außen auf die internen Verarbeitungsprozesse des Lerners, die er zwar durchschauen, aber kaum beeinflussen kann (nach Issing 2002: 156) <?page no="28"?> 28 1. Didaktik ▶ Behaviouristisches Lernen ist ein mechanischer Prozess, der von einem auditiven oder einem kombinierten audio-visuellen Reiz (Stimulus) ausgelöst wird und aus der entsprechenden Reaktion (Response) auf diesen Reiz besteht. ▶ Zu den behaviouristischen Verfahren gehörte beispielsweise die audiolinguale Methode (army method), in deren Zentrum das Imitieren von gehörter Sprache durch die Lerner stand. ▶ Starke Kritik gegen den Behaviourismus wurde vor allem von Vertretern des Nativismus und des Kognitivismus artikuliert. Demzufolge verläuft der L2-Erwerb ähnlich wie der L1-Erwerb, wobei eine angeborene Universalgrammatik eine bedeutende Rolle spielt. Bei den kognitivistischen Lernverfahren stehen Struktur und Prozesse des Gehirns im Mittelpunkt des Interesses der unterrichtlichen Steuerung. 1.1.3 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Richtig oder falsch? a. Es gibt sehr verlässliche Aussagen darüber, wie die Menschen in früheren Zeiten miteinander kommunizierten. b. Wie früher der Sprachenerwerb stattgefunden hat, kann man zum Beispiel an verschiedenen Schriftzeichensystemen wie den Hieroglyphen oder verschiedenen Petroglyphen (in Stein geschlagene oder geritzte Schriften) rekonstruieren. c. In den Anfangszeiten des Sprachunterrichts galten die Klassiker des alten Ägyptens als Orientierung, und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich. d. Das Ziel des Unterrichts war damals, die Originaltexte von Klassikern zu verstehen und für die anderen nachzuerzählen. e. Die Grundstrukturen der lateinischen Grammatik wurden als der Generalschlüssel zu den Sprachen unseres Kulturkreises betrachtet, wenn nicht sogar zu den Sprachen schlechthin. f. Es ging zunächst vor allem um die Grammatikbeherrschung als Ziel und die Übersetzung als Methode des Unterrichts. 2. Was sind die Merkmale für behaviouristische Verfahren? 3. Sie haben gelernt, worin die Besonderheiten des kognitivistischen Verfahrens bestehen. Wie kann Ihrer Meinung nach ein kognitivistisches Sprachlernprogramm aufgebaut sein? Beschreiben Sie das Konzept und führen Sie gegebenenfalls Beispiele an. <?page no="29"?> 29 1.2 Konstruktivismus und Konstruktionismus 1.2 Konstruktivismus und Konstruktionismus In Lerneinheit 1.1 haben Sie bereits einige der ersten Lerntheorien kennengelernt: Behaviourismus, Nativismus und Kognitivismus. Vor einigen Jahren orientierte sich die Sprachdidaktik allerdings neu und versuchte, aus Disziplinen wie der Lernpsychologie Hinweise für einen effektiven Sprachenerwerb zu finden. Damit rückte die gezielte Wissenskonstruktion auf der Basis individueller Erfahrungen mit der Umwelt ins Zentrum des Interesses. Die vorliegende Lerneinheit widmet sich deswegen der Frage, wie sich dieser Wandel in der Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse und der neuen Medien niedergeschlagen hat. Zu diesem Zweck beschreiben die folgenden Abschnitte zunächst die Grundlagen des Konstruktivismus, gehen auf den Unterschied zwischen dem radikalen und dem moderaten Konstruktivismus ein und stellen dann verschiedene Beispiele für den Einsatz der neuen Medien vor, die für diese Lerntheorie repräsentativ sind. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Theorie des Konstruktivismus kennen und reflektieren können; ▶ den Unterschied zwischen dem radikalen und dem moderaten Konstruktivismus erklären können; ▶ die didaktisch-methodischen Konsequenzen der Lerntheorie erläutern können; ▶ den Lernmehrwert verschiedener Sprachlernangebote aus lerntheoretischer Sicht begründen können. 1.2.1 Konstruktivistische Verfahren Einige Ideen des Kognitivismus, wie zum Beispiel die aktive mentale Konstruktion von Wissen durch die Lerner, wurden in einer weiteren Lerntheorie - dem Konstruktivismus - aufgenommen. Allerdings ist mit der Entstehung und Entwicklung des Konstruktivismus auch ein großer lerntheoretischer Durchbruch verbunden. Er besteht in der Annahme, dass kein objektives und allgemeingültiges Wissen über die Welt existiert, das gelehrt werden kann (vergleiche Roche 2013a: 23). Die Informationen werden nicht 1: 1 im Gehirn abgebildet, sondern werden im Wechselspiel mit der Umwelt individuell erzeugt und mittels permanenter Erkennungs- und Organisationsprozesse in bestehende Wissensnetze eingebettet (Assimilation). Gleichzeitig finden Akkommodationsprozesse statt, durch die das bestehende Wissenssystem an die Umwelt und das in ihr verfügbare neue Wissen angepasst wird. Lernen heißt somit, kognitive Konstruktionen neu aufzubauen und existierende ständig umzugestalten. Daher ist das Wissen höchst individuell und kann nur erworben werden, das heißt es muss selbst konstruiert werden (vergleiche Issing 2009a; Nandorf 2004: 75). Das Individuum konstruiert sein Wissen auf der Basis individueller Erfahrungen mit der Umwelt, bildet ein selbstreferenzielles System, das sich selbst organisiert und selbst begründet (vergleiche Roche 2013a: 23). Das beste Lernmaterial im Sinne konstruktivistischer Theorien stellen demnach Baumate- <?page no="30"?> 30 1. Didaktik rialien und Werkzeuge dar, die es dem Lerner ermöglichen, in seiner Lernumgebung eigene Wissenssysteme beliebig zu gestalten. Konstruktivistische Ansätze (vergleiche Wendt 1996 oder Wolff 2002) beziehen sich häufig auf die philosophischen, biologischen und neurophysiologischen Grundlagen des radikalen Konstruktivismus, der in den 1960er und 70er Jahren von Ernst von Glasersfeld und seinen Kollegen am Biological Computer Laboratory in Illinois entwickelt wurde, aber nicht für die unmittelbare Anwendung in Lehr- und Lernverfahren gedacht war. Das Radikale daran ist, dass Organismen als Systeme betrachtet werden, die sich selbst organisieren und begründen, also selbstreferenziell und selbstexplikativ sind. So auch das menschliche Gehirn, das nur über eine Umsetzung der physikalisch-chemischen Umweltereignisse in die Sprache des Gehirns mit der Umwelt korrespondiert. Konstruktivistisches Lernen lässt sich in Anlehnung an Issing (2002) folgendermaßen darstellen: Beim Sprachenlernen im radikal konstruktivistischen Sinne sind optimale Lernumgebungen praktisch nur durch ein komplettes, begrenztes oder modelliertes Eintauchen (Immersion) in die zielsprachige Kultur gegeben. Zu den Verfahren, mit denen solche komplexen, natürlichen Lernumgebungen hergestellt oder simuliert werden können, gehören bilinguale Klassen und Immersionsschulen, in denen Lernstoff in der Fremdsprache unterrichtet wird. Auch der klassische Schüleraustausch und das Nutzen fremdsprachiger und fremdkultureller Ressourcen am Lernort basiert auf dem Immersionsprinzip. Immersion funktioniert nicht wegen der „Beschallung“ durch die fremdsprachige Umgebung, sondern die aktive Auseinandersetzung damit. Im Unterricht sind diese idealen Ausgangsbedingungen nicht automatisch vorhanden, aber durch verschiedene Medien und didaktische Verfahren leicht herstellbar, denen bei der Schaffung reicher Lernumgebungen eine herausragende Rolle zukommt. Durch sie werden authentische Situationen realitätsnah und materialreich präsentiert, zum Beispiel in Simulationsspielen. Dabei geht es nicht nur um Abwechslung, Realitätsnähe und Nähe zur Zielkultur. Lerntheoretisch entscheidend ist, dass authentisch reiche Lernumgebungen das Lernen kontextualisieren, verschiedene Zugangsmöglichkeiten und Perspektiven bei der Bearbeitung Von der Inputsteuerung zur Kompetenzorientierung Beim Sprachenlernen sind im konstruktivistischen Sinne optimale Lernumgebungen praktisch nur durch ein komplettes, begrenztes oder modelliertes Eintauchen ( Immersion ) in die zielsprachige Kultur gegeben. Im Unterricht sind diese idealen Ausgangsbedingungen nicht automatisch vorhanden, aber durch verschiedene Medien und didaktische Verfahren leicht herstellbar. Zu den Verfahren, mit denen solche komplexen, natürlichen Lernumgebungen hergestellt oder simuliert werden können, gehören bilinguale Klassen und Immersionsschulen, in denen Lernstoff in der Fremdsprache unterrichtet wird. Auch der klassische Schüleraustausch und das Nutzen fremdsprachiger und fremdkultureller Ressourcen am Lernort basiert auf dem Immersionsprinzip. Immersion funktioniert nicht wegen der „Beschallung“ durch die fremdsprachige Umgebung, sondern die aktive Auseinandersetzung damit. Daher lassen sich mit Themen und Materialien, die für die Lerner Relevanz haben, sowie mit handlungs- und aufgabenbasierten Lernverfahren wie etwa der Szenariendidaktik oder dem Projektlernen auch im Unterricht reiche Lernumgebungen im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien modellieren. Da aber all diese Maßnahmen nicht überall möglich (und erfolgreich) sind, kommt gerade den Medien bei der Schaffung reicher Lernumgebungen eine herausragende Rolle zu. Durch sie werden authentische Situationen realitätsnah und materialreich präsentiert, zum Beispiel in Simulationsspielen. Dabei geht es nicht nur um Abwechslung, Realitätsnähe und Nähe zur Ziel- Abbildung 1.5: Schema konstruktivistischer Verfahren (nach Issing 2002: 156) <?page no="31"?> 31 1.2 Konstruktivismus und Konstruktionismus einer Aufgabe fördern, die reale Kommunikationssituation mit den vielfältigen sprachlichen und außersprachlichen Bezügen abbilden (Pragmatik) und daher auch vielfältige und echte Rückmeldungen in der Kommunikation enthalten, die für das Weiterlernen elementar sind. Diese sind auch deshalb nötig, weil der Sprachenerwerb in reichen Lernumgebungen weitestgehend als Teil einer Handlung nebenbei erfolgt, damit also viel komplexer und differenzierter ablaufen kann als ein strikt geplanter und vorstrukturierter Unterricht. Man spricht hier von inzidentellem Lernen. Im Sinne des radikalen Konstruktivismus beschränkt sich die Rolle der neuen Medien allerdings oft auf die Bereitstellung reichhaltiger Lernumgebungen ohne jeglichen instruktionistischen Anspruch, damit die Lerner die Inhalte und Situation selbst erschließen und ihr Wissen selbst organisieren. Die Aufgabe der Medien besteht demnach darin, Lernwerkzeuge und Materialien bereitzustellen, „die es dem Lerner ermöglichen, in seiner Lernumgebung eigene Wissenssysteme beliebig zu gestalten“ (Roche 2013a: 23). 1.2.2 Moderater Konstruktivismus Die im oberen Abschnitt erläuterte Position wird jedoch selbst innerhalb des Konstruktivismus - wie bereits aus dem Begriff „radikaler Konstruktivismus“ ersichtlich - als etwas extrem betrachtet und kontrastiert mit anderen Positionen wie dem sozial-interaktionistischen Konstruktivismus von Lew Wygotski (1986). In diesem Ansatz wird unter anderem die Wichtigkeit der Ko-Konstruktion von Wissen betont: Neues Wissen entsteht nach dieser Position Verzweigende und auf mehreren Ebenen verlinkte Lernumgebungen ( Hypermedia ) und mediale Werkzeuge zum selbstständigen Arbeiten, mit denen etwa eine Webseite oder ein Text produziert werden können, eignen sich am besten für die Bearbeitung komplexer Situationen. Den amerikanischen CD-ROM-Sprachprogrammen Berliner sehen (Deutsch für Fortgeschrittene) und Dans un quartier de Paris (Französisch für Fortgeschrittene) liegt zum Beispiel ein strikt konstruktivistisches Lernmodell zu Grunde. Sie enthalten eine Reihe unverbundener Ressourcen zu einem bestimmten Stadtviertel in Berlin oder Paris. Der Lerner kann sich mit diesen authentischen Interviews, Kartenausschnitten, Dokumentaraufnahmen und anderem selbstständig, ohne Grammatikerklärungen und ohne andere Vermittlungshilfen einen Zugang zu dem Leben im Stadtviertel, seiner Geschichte und den Anliegen der Bewohner verschaffen. Nach Möglichkeit soll er sich aber auch darüber hinaus über die besprochenen Themen und die verwendete Sprache informieren (siehe Softwareliste Kapitel 6.8.3). Verzweigende Lernumgebungen Berliner sehen Dans un quartier de Paris copyright MIT 2005 Abb. 1.8 Beispiel für konstruktivistische Sprachlernprogramme: Berliner sehen Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 25 30.07.13 17: 29 44038_Roche.indd 25 26.04.2018 12: 41: 26 Abbildung 1.6: Beispiel für konstruktivistische Sprachlernprogramme: Berliner sehen (Ellen W. Crocker, Kurt E. Fendt © MIT, 2005) <?page no="32"?> 32 1. Didaktik immer durch die Interaktion mit anderen Individuen in einem bestimmten soziokulturellen Kontext. Nach diesem Ansatz ist die Sprache grundsätzlich durch soziales Handeln geprägt und Bedeutung wird durch Interaktionen und Abstimmungsprozesse ausgehandelt. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte kindgerichtete Sprache (KGS), bei der die Eltern oder Betreuungspersonen und die Kinder ihre Sprache aneinander anpassen. Dieser Ansatz hat die moderne Fremdsprachendidaktik sehr stark geprägt und unter anderem dazu beigetragen, die Wichtigkeit des kooperativen und kollaborativen Lernens zu betonen. Eine weitere Position innerhalb des Konstruktivismus kritisiert einerseits die starke Instruktion des Kognitivismus, erkennt andererseits die Grenzen von rein konstruktivistisch gestalteten Lernumgebungen wie Berliner sehen (siehe Abbildung 1.6). Solche Lernumgebungen erwiesen sich vor allem für diejenigen Lerner als problematisch, die aus Gründen unterschiedlicher Lerntraditionen nicht an selbstorganisiertes Lernen in offenen Lernsituationen gewöhnt waren (vergleiche Roche 2013a). Damit verbunden sind natürlich auch Aspekte der lernerseitigen Motivation, denn solche offenen Umgebungen mit scheinbar unstrukturierten Ressourcen führten oft zu Überforderung und Frustration. Außerdem scheint es aus Lehrersicht schwierig, auf Planbarkeit und Leistungsmessung vollständig zu verzichten (vergleiche Todorova 2009). Sind Lerner zum Beispiel einer sehr reichen Lernumgebung ausgesetzt, wie sie fremdsprachige Internetseiten bieten, um selbstständig und ohne Hilfe Aufgaben zu bearbeiten, können sie leicht in der Flut der fremden Sprache und Kultur untergehen, wenn sie nicht über die nötigen Sprach- und Navigationskenntnisse verfügen. Um dieser Gefahr zu begegnen, hat sich in der Unterrichtspraxis eine Reihe von theoretisch begründeten Mischformen entwickelt, die die Stärken instruktionistischer und konstruktivistischer Verfahren gleichermaßen nutzen. Im Rahmen dieses moderaten Konstruktivismus werden sowohl realitätsnahe Lernsituationen zur aktiven Erfahrung von Wissen geschaffen (situiertes Lernen; vergleiche Issing 2009a: 30), als auch Hilfestellungen und Anregungen dargeboten, die den Lernprozess unterstützend begleiten. Seine Verfahren fördern das Lernen in einer komplexen und kontextualisierten Lernumgebung, wobei allerdings der Erwerb hierfür wichtiger kognitiver Grundlagen mehr oder minder stark durch Unterrichtsmaßnahmen gefördert werden kann. Aufgaben werden im Unterricht vorbereitet, Hilfsmittel werden erklärt und zur Verfügung gestellt und die Lehrkraft begleitet das Lernen wie eine Trainerin oder ein Trainer. Die Lerner sind an der Entwicklung des Themas soweit wie möglich direkt beteiligt, setzen das gemeinsam Erarbeitete um, erproben es selbstständig, experimentieren damit und entwickeln es (auch nach individuellen Interessen) selbstständig weiter. Auch im moderaten Konstruktivismus kommt den neuen Medien eine besondere Rolle zu. Im Softwarebereich wird er häufig auch als instruktionales Design der zweiten Generation oder anchored instruction bezeichnet. Als mediale Realisierung des moderaten Konstruktivismus bieten sich offene Lehr- und Lernsysteme mit Betreuungsmöglichkeiten durch Lehrkräfte (tutorielle Komponenten) an. In diesem Zusammenhang werden komplexe Lernplattformen entwickelt, auf denen handlungsorientierte, authentische Aufgaben mit multiplen Zugangs- und Austauschmöglichkeiten dargeboten werden (vergleiche Roche 2013a). Letzteres wird unter anderem im Rahmen des sogenannten fallbasierten Lernens er- <?page no="33"?> 33 1.2 Konstruktivismus und Konstruktionismus reicht. Erst in einer Umgebung, in der die Lerner zum produktiven Denken angeregt werden und eigene Lösungsansätze ausprobieren dürfen, können die individuellen Zugänge zum Lernstoff ermöglicht werden. Die Lernprozesse auf solchen reichhaltigen und komplexen Plattformen können in Abhängigkeit vom lernerspezifischen Bedarf mit unterschiedlicher Intensität tutoriell betreut werden. Dadurch kann ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Konstruktion und Instruktion erreicht werden. Die tutorielle Betreuung kann verschiedene Aspekte beinhalten: die Erstellung eines Lernweges, die Organisation von Chat-Terminen, die Formulierung von Aufgaben im Forum, die Korrektur von Aufgaben, die personalisierte Rückmeldung zum Lernfortschritt, die Bereitstellung weiterer vertiefender Aufgaben und Ähnliches. Bei der Unterstützung von Lernprozessen im Sinne des moderaten Konstruktivismus geht es also um die goldene Mitte: Wieviel Instruktion ist für eine selbstorganisierte, aktive Konstruktion von Wissen nötig? Prinzipiell gilt, das richtige Maß an Instruktion anzubieten, das die Lerner brauchen, um sich komplexe, handlungsorientierte Lernmaterialien zu erschließen und auf dieser Basis Wissen (eventuell auch durch Interaktion mit anderen Individuen) zu erweitern. Ein Beispiel für eine Lernumgebung im Sinne des moderaten Konstruktivismus ist das Programm zur Erstellung von Cartoons Xtranormal: Storytelling (www.xtranormal.com). Mit diesem Programm können Schülerinnen und Schüler eigene Drehbücher in verschiedenen Sprachen schreiben und verfilmen. Es ist als Spielprogramm, nicht als Sprachlernprogramm, entwickelt worden. Diese authentische Gebrauchsfunktion ist eine Grundbedingung für sinnvolles und relevantes Sprachhandeln von Lernern. Für das Erlernen der Fremdsprache Englisch eignet es sich besonders gut, weil die Lerner verschiedene Szenen und Charaktere aus vorgegebenen Menüs auswählen und auf eine Reihe von weiteren Hilfen zurückgreifen können. Figurenbeschreibungen, Skriptvorgaben und Dialogteile sind schon vorhanden, die Lerner können sie übernehmen, ändern oder eigene produzieren. Bestimmte Geräusche, Stimmlagen, Bewegungsanweisungen und der Dialogtext lassen sich dabei maschinell sofort in Ton oder Bild umsetzen und ausprobieren. Der für den Sprachenerwerb so wichtige Bezug zur Umsetzung der Sprache ins Handeln wird also gleich mitgeliefert (Parallelinformation). Das Programm verfügt auch über deutsche, französische und viele andere Stimmen. Die englischsprachigen Anweisungen müssen für den Unterricht in anderen Sprachen aber unter Umständen in diese Sprachen übertragen werden, sofern die Schülerinnen und Schüler nicht über Englischkenntnisse verfügen oder diese nicht genutzt werden sollen. Die Produktionen können prinzipiell auch nach dem Unterricht weiterbearbeitet, einer Filmkritik und Preisverleihung im Unterricht unterzogen oder im Internet veröffentlicht werden (vergleiche auch die Programme puppet pals, comic life oder letter quiz für andere Zielgruppen). 1.2.3 Konstruktionismus Der Konstruktionismus, wie er von Papert (1993) entwickelt wurde, unterscheidet sich vom Konstruktivismus im Grunde vor allem durch die Intensität der Konkretisation. Es geht dem Konstruktionismus nämlich um die Schaffung konkreter Objekte im öffentlichen Raum. Besonders betont wird dabei die Rolle der vorhandenen kulturellen Dichte der Umgebung <?page no="34"?> 34 1. Didaktik und damit auch die Dichte der geschaffenen Objekte und deren Interpretationen (thick description). Der Einsatz von Medien im konstruktionistischen Sinne erfolgt am besten, wenn sich damit analog zu den kreativen Konstruktionen im öffentlich-dinglichen Raum kreativ im öffentlich-virtuellen Raum verfahren lässt. Ein in diesem Sinne geschaffenes Werkzeug stellt zum Beispiel WebConstellations dar, mittels dessen Nutzer verschiedene webbasierte Ressourcen beliebig zu neuen Wissens- und Informationskonstellationen kombinieren, variieren und kreieren können (Fischhaber 2002, Beers 2001, Goldman-Segall 1998). Papert, der die Entwicklung vom Konstruktivismus zum Konstruktionismus als erster herausgearbeitet hat, definiert den Unterschied folgendermaßen: Constructionism-- the N word as opposed to the V word-- shares constructivism's connotation of learning as ‚building knowledge structures‘ irrespective of the circumstances of the learning. It then adds the idea that this happens especially felicitously in a context where the learner is consciously engaged in constructing a public entity, whether it's a sand castle on the beach or a theory of the universe. (Papert 1993: 1) Es geht kurz gesagt um ein learning-by-making (vergleiche Papert 1993: 1). Das konstruktionistische Lernmodell geht davon aus, dass Lerner am besten dann lernen, wenn sie das relevante Wissen selbst entdecken. Guter Unterricht ist der, der diese autonomen und auf Ergebnisse ausgerichteten Leistungen durch sinnvolle Aufgaben und entsprechende Hilfen und Werkzeuge unterstützt, auch Werkzeuge, die der Lerner vielleicht zu Beginn gar nicht kennt oder schätzt, später aber auch für die Lösung anderer Aufgaben erfolgreich einsetzen kann. Zu den konstruktionistischen Prinzipien des Fremdsprachenunterrichts gehört ferner die Berücksichtigung individueller Perspektiven der Lerner. Sie agieren also für sich selbst und nicht als bloße Stellvertreter. Die affektiven und motivationalen Faktoren spielen hier eine besonders wichtige Rolle. Verschiedene Interessen, Perspektiven, Lern- und Präsentationsstile finden in diesem Unterricht Platz. Ein konstruktionistisch ausgerichteter Unterricht eignet sich besonders für interaktive Prozesse, also Partner- und Teamarbeit, und kann damit eine sehr hohe und vielfältige sprachliche Aktivität auslösen (von der Orientierung und Planung über die Produktion bis zur Reflexion und Kritik). Er schafft damit auch die besten Grundlagen für einen interkulturellen Unterricht. Zu den wichtigsten Merkmalen eines konstruktionistischen Fremdsprachenunterrichts gehören die folgenden: ▶ authentische, interessante und relevante Lernumgebungen mit Werkzeugen und Hilfsmitteln mit dem Ziel, sichtbare und nutzbare Ergebnisse zu produzieren ▶ bedeutungsvolle Handlungen und Projekte mit Lösungsperspektive ▶ Lerner handeln als Individuum, nicht als Stellvertreter ▶ autonomes Handeln und Lernen ▶ entdeckendes und forschendes Lernen ▶ Präsentation, Weitergabe und Weiterentwicklung des erworbenen Wissens <?page no="35"?> 35 1.2 Konstruktivismus und Konstruktionismus ▶ Aufbau von Beziehungen zwischen Wissensstrukturen und Berücksichtigung von Produktionsprozessen ▶ hohe Interaktivität und sprachliche Vielfalt ▶ gute Eignung für interkulturelle Thematiken und Prozesse ▶ hohe Medienaffinität. Ethnographische Projekte, die mithilfe digitaler Medien umgesetzt werden, eignen sich für einen nach konstruktionistischen Prinzipien strukturierten Unterricht besonders. Mit dem von Goldman-Segall geprägten Begriff der „digitalen Ethnographie" ist eine Ethnographie gemeint, die mit analogen und digitalen Medien arbeitet, um Einstellungen und Wahrnehmungen aufzuzeichnen und anschließend (oder im Prozess) mit einer unterschiedlich großen Öffentlichkeit zu teilen. Diese Öffentlichkeit kann aus einer Klasse, einer Schule oder einer anderen Präsenzumgebung bestehen. Die Aufzeichnungen können aber auch mithilfe von modernen Kommunikationstechnologien weltweit verbreitet werden. Immer mehr zeigt sich, dass die weltweite Präsentation und Bearbeitbarkeit solcher Aufzeichnungen auch im Alltag genutzt werden, damit aber auch bestimmte technische, fachliche und ethische Kompetenzen erfordern. Zu den Merkmalen ethnographischer Projekte im Fremdsprachenunterricht gehören die folgenden: ▶ Ausbau einer Medienkompetenz ▶ Erlernen variantenreicher kommunikativer Strategien in der Fremdsprache inklusive des Medienbereichs ▶ aktive Nutzung digitaler Werkzeuge ▶ Symbiose von Sprach- und Kulturunterricht ▶ Vermittlung ethnographischer Methoden ▶ Vermittlung und Nutzung von Präsentationstechniken und -medien ▶ große Reichweite und Feedbackpotentiale. 1.2.4 Aufgaben- und Handlungsorientierung Auf konstruktivistischen und konstruktionistischen Lernmodellen basieren die Prinzipien der aufgaben- und handlungsorientierten Sprachdidaktik (detailliert siehe Lerneinheit 2.3 in diesem Band). Daher lassen sich mit Themen und Materialien, die für die Lerner Relevanz haben sowie mit handlungs- und aufgabenbasierten Lernverfahren, wie etwa der Szenariendidaktik oder dem Projektlernen, auch im Unterricht reiche Lernumgebungen im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien modellieren. Die Prinzipien der handlungsorientierten Sprachdidaktik lassen sich gut anhand des Lehrwerks Berufsdeutsch illustrieren, das sich an Schülerinnen und Schüler von Berufsschulen wendet, und zwar bisher besonders in den Ausbildungszweigen Hotel- und Gaststättengewerbe, Einzelhandel und Metallbau. Im Mittelpunkt steht dabei die Vermittlung von sprachlichen und fachlichen Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler in dem von ihnen gewählten Beruf brauchen, unabhängig davon, ob sie Deutsch als Erst- oder Zweitsprache haben. Damit <?page no="36"?> 36 1. Didaktik verfährt das Lehrwerk im Gegensatz zu vielen Modellen der Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht segregativ, sondern integrativ. Alle Inhalte sind darauf abgestimmt und mit realistischen Aufgaben versehen, die im Berufsleben und in der Ausbildung anfallen können. Zu den Aufgaben gehören unter anderem die Anfertigung eines Bewerbungsportfolios, die kontinuierliche Sammlung von selbst bearbeiteten oder erstellten Tabellen, Diagrammen, Ressourcen und Checklisten für den Beruf und die authentische Kommunikation in Gesprächen, Verhandlungen und Präsentationen mit Kolleginnen und Kollegen, der Geschäftsführung, Zulieferern und Kunden, mündlich und schriftlich. Traditionelle Sprachübungen gibt es dabei kaum mehr, da sie sich berufsnah und für Lerner interessanter im Rahmen realistischer Aufgaben durchführen lassen. 1.2.5 Zusammenfassung ▶ Der konstruktivistische Ansatz basiert auf der Annahme, dass kein objektives und allgemeingültiges Wissen über die Welt existiert, das gelehrt werden kann. Im Gegenteil ist das Wissen höchst individuell und kann nur erworben werden, das heißt es muss selbst konstruiert werden. Lernen heißt somit, kognitive Konstruktionen neu aufzubauen und existierende ständig umzugestalten. ▶ Der radikale Konstruktivismus besagt, dass optimale Lernumgebungen nur durch ein komplettes, begrenztes oder modelliertes Eintauchen (Immersion) in die zielsprachige Kultur möglich sind, ohne jegliche instruktionistische Unterstützung. ▶ Im Sinne des moderaten Konstruktivismus werden sowohl realitätsnahe Lernsituationen zur aktiven Erfahrung von Wissen geschaffen, als auch Hilfestellungen und Anregungen dargeboten, die den Lernprozess unterstützend begleiten. ▶ Die Weiterentwicklung zu konstruktionistischen Verfahren betont vor allem die positiven Effekte der öffentlichen Präsentation im Lernprozess. Der Lerner produziert Ergebnisse mit gesellschaftlicher Bedeutung. ▶ Den neuen Medien kommt bei den konstruktivistischen und konstruktionistischen Verfahren eine besondere Rolle zu. Durch sie werden authentische Situationen realitätsnah und materialreich präsentiert. ▶ Als mediale Realisierung des moderaten Konstruktivismus bieten sich offene Lehr- und Lernsysteme mit Betreuungsmöglichkeiten durch Lehrkräfte (tutorielle Komponenten) an. ▶ Digitale Ethnographien bieten Möglichkeiten für einen autonomen, interkulturellen Fremdsprachenunterricht, der individuelle Interessen und Perspektiven abbildet und zu hoher Interaktion im Entstehungsprozess und nach der Präsentation führen kann. 1.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Innerhalb des Konstruktivismus werden zwei Positionen unterschieden: der radikale und der moderate Konstruktivismus. Was kennzeichnet den radikalen Konstruktivismus? 2. Notieren Sie die wichtigsten Aspekte und Gründe, die zu einer moderaten Position innerhalb des Konstruktivismus geführt haben. 3. Welche Rolle kommt den Medien beim radikalen und beim moderaten Konstruktivismus zu? <?page no="37"?> 37 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik Die kommunikative Sprachdidaktik hat einen deutlichen Wandel im Fremdsprachenunterricht vor allem dadurch bewirkt, dass sie das Augenmerk auf die authentische Alltagssprache in der zielsprachlichen Kommunikation gelegt hat. Zur Vermittlung von Fertigkeiten und Kompetenzen bedient sie sich folgerichtig auch der Lehrmethoden, die in der jeweiligen Zielkultur Standard sind. Aus dieser Fokussierung auf die Alltagssprache der Zielkultur ergibt sich jedoch eine oft zu geringe Berücksichtigung der Disposition der Lerner (Vorsprachen, Mehrsprachigkeit, Lernkultur, Lerntraditionen und Kulturspezifik). Diese Mängel der kommunikativen Sprachdidaktik haben − zusammen mit einem gesteigerten gesellschaftlichen Interesse an Aspekten der interkulturellen Kommunikation und der interkulturellen Hermeneutik − zu einer Weiterentwicklung der kommunikativen Ansätze beigetragen. Entstanden ist hieraus eine neue Didaktik-Generation, die interkulturelle Sprachdidaktik (auch skeptische Hermeneutik oder interkultureller Sprachunterricht genannt). Ihr oberstes Ziel ist nicht die muttersprachliche, near-native oder zielsprachliche Kompetenz, sondern die katalytische Nutzung fremder Perspektiven für das Verstehen. Die Lerner sollen zwischen Kulturen für sich selbst und andere vermitteln können und mediatorische Kompetenzen entwickeln. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen fasst diese interkulturellen Kompetenzen unter dem Bereich der sociolinguistic competence. Interkulturelle Kompetenz umfasst Fertigkeiten und Wissensgebiete, die über strukturelle Sprachkompetenzen hinausgehen und vielmehr das gesamte linguakulturelle System einschließen (interkulturelle Linguistik, interkulturelle Kommunikation). Sprachliche Handlungskompetenzen spielen jedoch die zentrale Rolle. Die folgende Lerneinheit illustriert, wie Fremdheit auf allen sprachlichen Ebenen die Kommunikation beeinflusst, dadurch aber auch systematisch in die Vermittlung von Fremdsprachen einbezogen werden kann. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Wichtigkeit der Lernerperspektive für den Unterricht kennenlernen; ▶ den Einfluss des kulturellen Hintergrunds auf die Wahrnehmung und auf die Kommunikation kennenlernen und sich mit den wichtigsten Lernzielen der interkulturellen Vermittlung beschäftigen; ▶ die didaktisch-methodischen Instrumente zur Initiierung und Begleitung interkultureller Lernprozesse sowie die Strategien zur Vermeidung von potentiellen Umsetzungsproblemen kennenlernen. 1.3.1 Sprache und Kultur Sprache und Kultur sind sehr stark ineinander verwoben. Dies wird unter anderem deutlich, wenn man berücksichtigt, dass das Erlernen weiterer Sprachen nicht nur die individuellen <?page no="38"?> 38 1. Didaktik Wahrnehmungsprozesse beeinflusst, sondern auch die kulturell bedingten Verhaltensweisen (zum Beispiel adäquates Danken, Einladen etc.) (vergleiche Bickes & Pauli 2009). In dieser Hinsicht kann das Fremdsprachenlernen als eine Zugangsform zu fremdkulturellen Elementen aus eigenkultureller Sicht charakterisiert werden (vergleiche Krumm 1994). Sprache und Kultur gehören untrennbar zusammen. Sprache erwächst aus kulturellen Gegebenheiten und ist gleichzeitig daran beteiligt, sie zu schaffen. Mit Sprache benennen wir die für uns wichtigen Elemente und Perspektiven der Welt und erzeugen so mentale Bilder, die den weiteren Sprachenerwerb und Gebrauch von Sprachen bestimmen. Wie sehr Sprache und Kultur in einem linguakulturellen System (Linguakultur) verwoben sind, lässt sich an Beispielen aus verschiedenen Sprachen zeigen, die jeweils andere Perspektiven ausdrücken, als die im Deutschen Konventionalisierten. Im Türkischen etwa hat die Leber als bildspendendes Körperorgan (Somatismus) eine ähnliche Bedeutung wie das Herz oder der Magen im Deutschen (zum Beispiel in Liebe geht durch den Magen oder Herzblatt). Um große Wertschätzung auszudrücken, wird im Türkischen gerne Cigerim (wörtlich ‚meine Leber’; ‚mein Schatz’) benutzt. Dementsprechend finden bildhafte Bezeichnungen auch zum Ausdruck eines großen Schmerzes oder zum Ausdruck großer Sorge Verwendung (Cigerlerim büyüdü, ‚die Leber wird groß/ mir bricht das Herz’). Die Kulturbedingtheit, die sich lexikalisch im Bereich der Metaphern gut darstellen lässt, betrifft alle Bereiche der Sprache. Höflichkeit etwa wird in Sprachen sehr unterschiedlich ausgedrückt: Während im nordamerikanischen Englisch eine ablehnende Position oft direkt kenntlich gemacht wird (no means no! ), wird Ablehnung in anderen Sprachkulturen oft nur indirekt und ohne die Verwendung von nein ausgedrückt. Auch das Gesprächsmanagement regeln Sprachkulturen auf unterschiedliche Art: In den nordamerikanischen indianischen (first nations) Kulturen ist die Sprechgeschwindigkeit zum Beispiel, im Vergleich zum nordamerikanischen Englisch oder den mittel- und südeuropäischen Sprachen, betont langsam, und wie im Finnischen versehen mit langen Pausen. Langsames und pausenhaltiges Sprechen signalisiert in manchen Sprachen aber zum einen Langeweile und zum anderen die Absicht des Sprechers oder der Sprecherin, das Rederecht schnell abzugeben. Nicht so in den Sprachen der first nations oder dem Finnischen. So gilt in den indianischen Sprachkulturen (zum Beispiel Inuit im Norden Kanadas oder Musqueam und Squamish an der Westküste) das langsame und pausenreiche Sprechen als Standard und das zeit-, atem- und pausenlose Sprechen im nordamerikanischen Englisch als lästig. Umgekehrt erscheinen Englischsprachigen die Pausen und die langsamere Sprechgeschwindigkeit oft als Ausdruck der Unverbindlichkeit und Unentschiedenheit. Ähnliche sprachliche Mittel (Wörter, Betonungen, Fragen, Pausen) werden also in Sprachen unterschiedlich genutzt. In vielen Fällen fehlen auch Äquivalente für eine funktional adäquate Übertragung. Sprachliche und außersprachliche Mittel werden von Sprechern und Sprecherinnen stets vor dem Hintergrund der eigenen Sprach- und Konzeptwelt interpretiert. Die Folge: Es kommt im Kulturkontakt selbst durch einfache Begriffe und gewohntes Gesprächsmanagement zu gravierenden Kommunikationsproblemen. <?page no="39"?> 39 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik Experiment Wie unterschiedlich die Wahrnehmung der Welt und ihre linguakulturellen Realisierungen sein können, zeigt der folgende Text einer Titelseite des Magazins der Süddeutschen Zeitung anhand von Metaphern für das Nichtverstehen (im Deutschen: Ich verstehe nur Bahnhof). At-tabl fi Harasta wa-l-‘irs fi Duma (Arabisch) ‚Die Trommel ist in (der Stadt) Harasta, aber die Hochzeit in Duma’ Wo zai ting tianshu (Chinesisch) ‚Ich höre ein Buch aus dem Himmel’ It’s double Dutch to me (Englisch) ‚Das kommt mir vor wie doppelt Holländisch’ Tio estas volapukajo por mi (Esperanto; auch Volapük ist eine künstliche Weltsprache) ‚Das ist Volapük für mich’ J’y comprends que dalle (Französisch) ‚Ich verstehe nur Steinplatte’ Den katalawäno gri (Griechisch) ‚Ich verstehe nicht einmal „grunz“’ Ég skil hvorki upp né niour í pessu (Isländisch) ‚Ich verstehe davon weder hinauf noch hinunter’ Non ho capito un fico secco (Italienisch) ‚Ich habe keine getrocknete Feige verstanden’ Ik kann er geen touw aan vastknopen (Niederländisch) ‚Daran kann ich kein Tau festknüpfen’ Siedze jak nu tureckim kazaniu (Polnisch) ‚Ich sitze hier wie in einer türkischen Predigt’ Ja smotrju kak baran na novye vorota (Russisch) ‚Ich schaue wie ein Schaf auf ein neues Tor’ Me suena a chino (Spanisch) ‚Das klingt wie Chinesisch für mich’ <?page no="40"?> 40 1. Didaktik Vieles, was in Lerneräußerungen als grammatischer Fehler erscheint, lässt sich auf fehlerhafte konzeptuelle Übertragungen zurückführen (conceptual transfer theory, vergleiche hierzu Groot & Kroll 1997; Langacker 1999; Matlock & Gibbs 2001; Hashemian & Talebinezhad 2007; Danesi 2008; Odlin 2008; Littlemore 2012; siehe auch Lerneinheit 8.3 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Zum Beispiel die Übertragung von Anredeformen in verschiedene Sprachen: In manchen Sprachen, wie dem Englischen, gibt es praktisch nur eine (für Außenstehende erkennbare) Anredeform. Deutsch und Französisch unterscheiden dagegen zwischen du (tu) und Sie (vous) − und den abgeleiteten Varianten − zur Markierung des Status einer Person und in wieder anderen Sprachen, wie dem Koreanischen, dem Japanischen oder dem Singhalesischen, gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher Anredeformen, je nach Sozial- und Berufsstatus, Verwandtschaftsgrad und Alter der angesprochenen Person (Ehrbezeichnungen, Honorifika). Die falsche Verwendung dieser Formen kann nicht nur zu großen Kommunikationsproblemen führen, sondern auch folgenreiche Kommunikationskonflikte auslösen. Auch im Englischen lässt sich bei genauerer Betrachtung unter der einfach erscheinenden Anrede ein − zum Beispiel im beruflichen Bereich − sehr differenziertes Anredesystem feststellen, das unterschiedliche akademische, politische, rechtliche, soziale Titel, die Vor- und Nachnamen und die Anredeformen Mr., Mrs., Ms. und andere umfasst, kombiniert und alteriert. An mechanischen Übersetzungen, wie sie elektronische Übersetzungsmaschinen (zum Beispiel google translate) produzieren, lässt sich gut zeigen, wie wichtig die Berücksichtigung kultureller Faktoren in interkultureller Kommunikation ist. Hierzu ein beliebiger Liedtext aus der Oldiebox: Major Tom Gründlich durchgecheckt steht sie da und wartet auf den Start Alles klar. Experten streiten sich um ein paar Daten die Crew hat dann noch Tomu já houby rozumím (Tschechisch) ‚Da verstehe ich Pilze’ Anladiysam Arap olayim (Türkisch) ‚Wenn ich was verstanden habe, dann sei ich ein Araber’ Finden Sie zu einer Metapher Ihrer Wahl Äquivalente in möglichst vielen Sprachen und veröffentlichen Sie diese im Forum. Überlegen Sie auch, wie Sie dieses Phänomen in Ihren Unterricht integrieren könnten und tauschen Sie sich darüber mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus. <?page no="41"?> 41 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik ein paar Fragen, doch der Countdown läuft. Effektivität bestimmt das Handeln Man verlässt sich blind auf den andern jeder weiß genau was von ihm abhängt, jeder ist im Streß, doch Major Tom macht einen Scherz. Dann hebt er ab und … Völlig losgelöst von der Erde schwebt das Raumschiff völlig schwerelos … Liedtext zu Major Tom von Peter Schilling (1983) Aus diesem aus alltäglichen Wörtern bestehenden Text macht eine Übersetzungsmaschine bei der Übertragung ins Englische folgende Variante: Thoroughly durchgecheckt it stands there and waits for the start everything clearly. Experts argue about a few data the crew have then still a few questions, but hat COUNT down run. Effectiveness determines an acting one relies blindly on the other one everyone white exactly which on it depends, everyone is in the streb, but major Tom makes a joke. Then it takes off and … Completely detached by the earth the spaceship floats completely weightlessly … Übersetzt man diesen Text also mechanisch, ohne die Berücksichtigung kultureller Spezifika ins Englische, entsteht eine Reihe verschiedener Fehler. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wortstellung, die Endungen und andere grammatische Eigenschaften meist angepasst sind (it stands, waits). Schwierigkeiten gibt es vor allem bei idiomatischen Ausdrücken. Alles klar lässt sich lexikalisch als everything clearly fassen, gibt damit aber nicht die Gesamtbedeutung der Äußerung wieder, die in einem bestimmten kulturellen Kontext die Angemessene ist. Auch den wichtigen Merkmalen der Textsorte Liedtext (Verse, Reime) wird die mechanische kulturfreie Übersetzung nicht gerecht. Selbst Grundbedeutungen von Begriffen wie Handeln oder weiß (Verb, Farbe oder Name) können von einer kulturfreien Maschine nur schwer in den entsprechenden Kontext eingepasst werden. Erst das nötige kulturelle Wissen würde klären, welche Einträge im Wörterbuch ausgewählt werden müssten. Der ultimative Test für die kontextuelle und damit kulturelle Angemessenheit einer sprachlichen Übertragung ist die Rückübersetzung. Durch eine angemessene Übersetzung und eine ebensolche Rückübersetzung müsste der Ausgangstext originalgetreu wiederhergestellt werden. Hier der Test: <?page no="42"?> 42 1. Didaktik Rückübersetzung ins Deutsche: Gänzlich durchgecheckt, das es dort steht und den Anfang alles offenbar wartet. Experten argumentieren über einige Daten, welche die Mannschaft dann noch einige Fragen haben, aber dieser ZÄHLIMPULS laufen unten. Wirksamkeit stellt ein Fungieren man baut blind auf die andere jeder fest, das genau weiß ist, das von ihr abhängt, jeder ist im streb, aber in den HauptMarken Tom ein Witz. Dann entfernt sich sie und …, Vollständig abgetrennt durch die Masse, die das Raumschiff vollständig weightlessly … Dieses Beispiel ist kein authentischer Text eines Schülers aus dem Unterricht, sondern die Produktion einer maschinellen Form der modernen kulturfremden Sprachvermittlung: Die Übersetzungsmaschine von google im Internet. Auch in Beipackzetteln sowie Bau- und Reparaturanleitungen ausländischer Produkte finden sich ähnliche Beispiele mangelnder Kenntnis der fremden Sprache und Kultur in beliebiger, erschreckender Anzahl. Wie umfangreich die kulturellen Bezüge der Sprache sind, illustriert das folgende, sehr einfache, aber im Kontext interkultureller Kommunikation gerne zur Veranschaulichung der Abhängigkeiten kultureller Bezüge herangezogene Eisbergschema (siehe Abbildung 1.7). Nur der obere Teil einer Kultur ist überhaupt sichtbar. Das ist der Bereich des Essens, Tanzens, der Kleidung und Rituale, kurz der Folklore. Zur Verdeutlichung der Bezüge der Sprache zur Kultur könnte man in dieser Oberfläche die wahrnehmbaren sprachlichen Oberflächenstrukturen ergänzen. Was sich darunter verbirgt, hat tragenden Einfluss darauf, ist aber in der Regel nicht unmittelbar zu erkennen: Einstellungen, Werte und Konzepte. 288 Interkulturelle S prachdidaktik Einflussgrößen Abb. 7.2 Eisbergschema der kulturellen Einflüsse auf die Wahrnehmung und die Sprache Diese Einflussgrößen machen sich unter anderem folgendermaßen bemerkbar: In der Neigung einer Kultur zum Individualismus oder Kollektivismus in der Rolle von Macht und Autorität in einer Kultur in Bezug auf Akzeptanz, Toleranz und Erwartung von Kritik durch Einstellungen zur Höflichkeit durch die Vermeidung von unsicherem Verhalten/ Auftreten Abbildung 1.7: Eisbergschema der kulturellen Einflüsse auf die Wahrnehmung und die Sprache <?page no="43"?> 43 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik Diese Einflussgrößen machen sich unter anderem folgendermaßen bemerkbar: ▶ in der Neigung einer Kultur zum Individualismus oder Kollektivismus ▶ in der Rolle von Macht und Autorität in einer Kultur ▶ in Bezug auf Akzeptanz, Toleranz und Erwartung von Kritik ▶ durch Einstellungen zur Höflichkeit ▶ durch die Vermeidung von unsicherem Verhalten/ Auftreten ▶ in einer spezifischen Auffassung von Geschlechterrollen ▶ durch die Bedeutung der Religion in einer Kultur ▶ in Zeit-, Raum-, Selbstkonzepten. Auch wenn vieles davon nur implizit durch Sprache ausgedrückt wird, sind zahlreiche kulturspezifische Einstellungen und Werte in den Diskurs- und Denkkonzepten einer Linguakultur festgeschrieben. Die Sprache wird dabei bestimmt von konzeptuellen Schemata und mentalen Modellen, die über den Gebrauch und über Abstimmungsprozesse in Kommunikationskonventionen verstetigt (konventionalisiert) werden, zudem ist sie von außersprachlichen Zeichensystemen begleitet. Textsorten und Diskursmuster sowie Grammatik und Lautkonventionen sind die Folge. Die Konventionen legen unter anderem fest, ▶ welche Themen ausgewählt oder besser vermieden werden; ▶ wie mit Tabuthemen umzugehen ist (zum Beispiel Liebe, Religion, Politik); ▶ in welcher Form kommunikative Stile erscheinen (zum Beispiel formelle oder informelle Stile für verschiedene Adressatengruppen); ▶ wie kulturspezifische Merkmale eine Textsorte oder ein Diskursmuster prägen (zum Beispiel die kulturell unterschiedlichen Formen von Zeitungsartikeln oder wissenschaftlichen Arbeiten); ▶ wie viel in Worten ausgedrückt werden muss oder implizit bleiben kann. In verschiedenen Studien ist das exemplarisch bearbeitet worden, unter anderem in der Wissenschaftssprache, der elektronisch vermittelten Lehre, in Arzt-Patienten-Kommunikation und in Institutionen ( vergleiche Dentler, Hufeisen & Lindemann 2000). 1.3.2 Interkulturelle Vermittlung Die Vermittlung zwischen unterschiedlichen Konzept- und Zeichensystemen kann allerdings nicht durch einfache Gegenüberstellung erreicht werden. Die kontrastive Linguistik und die aus ihr abgeleiteten Lehrverfahren haben das genauso deutlich gezeigt wie frühe Lehrwerksversuche mit einfachen kulturkontrastiven Verfahren. Auch ein Nebeneinander verschiedener Kulturen führt nicht automatisch zu gegenseitigem Verstehen, wie etwa Schüleraustauschprogramme demonstrieren ( vergleiche Sato-Prinz 2011). Es müssen also Vermittlungsprozesse in Gang gesetzt und gestaltet werden, die zu einem solchen Verstehen führen, das dem Fremden gerecht wird, die eigene Wahrnehmung aber nicht aufgibt. Diese Ansätze verbinden sich mit Konzepten wie Horizontverschmelzung ( vergleiche Gadamer 1960), dritte Kultur oder dritter Ort ( vergleiche Bennett 1993; Kramsch 1993), Perspektiven- <?page no="44"?> 44 1. Didaktik wechsel und anderen aus dem Umfeld der interkulturellen Hermeneutik ( vergleiche Krusche 1985). Bei interkultureller Vermittlung geht es nicht nur um das Vermitteln von Wissen über eine fremde Kultur, sondern auch um grundlegende Konzepte, Denkweisen und Lern- und Arbeitsmethoden. Reine Wissensvermittlung ist problematisch, da das Wissen aus der „einen Kultur“ in die Begriffswelt der „anderen“ übertragen werden muss, um es verständlich zu machen. Es existiert nicht unabhängig von der Sprache. Außerdem gerät Wissen über fremde Kulturen leicht zu einer klischeehaften Wahrheit oder erstarrt zu Stereotypen. In zahlreichen Trainingsprogrammen für interkulturelle Kommunikation wird das deutlich, wie im Beispiel aus Kiss, Bow or Shake Hands in Abbildung 1.8. Wie weit die dort gegebenen Informationen zutreffen, kann jeder selbst entscheiden, der eine Deutsche oder einen Deutschen kennt. Cultural Orientation Cognitive Styles: How Germans Organize and Process Information The Germans are generally closed to outside information, and they do not freely share information among units of the same organization. The younger generations are becoming more open. Germans are analytic and conceptual in their information processing. They are strongly committed to the universals of their culture. Friendships are not developed quickly, but they are deep and highly selective. Negotiation Strategies: What Germans Accept as Evidence Objective facts form the basis for truth. Feelings are not accepted in negotiations. A strong faith in the social democratic ideology influences Germans’ perceptions of the truth. Value Systems: The Basis for Behavior One may find some differences in the value systems between what was once East and West Germany. The following three sections identify the Value Systems in the predominant culture their methods of dividing right from wrong, good from evil, and so forth. Locus of Decision Making Germans are strongly individualistic, but cultural history must be considered in the decision-making process. Decision making is slow and involved, as all peripheral concerns must be taken care of in the process. Once a decision is made, it is unchangeable. Individual privacy is necessary in all walks of life, and personal matters are not to be discussed in business negotiations. It is important to develop a personal friendship with your counterparts. Sources of Anxiety Reduction Universal rules and regulations combined with strong internal discipline give stability to life and reduce uncertainty. There is a high need for social and personal order, and a low tolerance for deviant behavior. There is very little show of emotion because of strong internal structures and control. Fear or skepticism about the future (economic, political, social) breeds anxiety and pessimism. Abbildung 1.8: Klischeehafte Darstellung der deutschen Kultur in einem Buch zum interkulturellen Training (Morrison, Conaway & Borden 1994: 231-232) <?page no="45"?> 45 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik Die Generalisierungen und Klischees reflektieren eine subjektive Sicht der fremden Kultur, die unter Umständen mehr über den Betrachter (also den Autor oder die Autorin) sagt, als über die fremde Kultur. Besonders kritisch ist der Anspruch auf Allgemeingültigkeit, der in der Literatur und in Programmen zum interkulturellen Training meist erhoben wird. Er suggeriert kulturelle Einheitlichkeit und weckt damit Erwartungen, die der kulturellen Vielfalt, wie der Plurizentrik der deutschsprachigen Kulturen, und den Entwicklungsprozessen von Kulturen nur schwer gerecht werden können und daher wenig praxistauglich sind. Um derartige Generalisierungen und Klischees zu vermeiden, versuchen der hermeneutische Fremdsprachenunterricht (vergleiche Hunfeld 2004) und die interkulturelle Sprachdidaktik (vergleiche Lorey, Plews, Rieger & Prokop 2007; Caspari & Schinschke 2007; Kaunzner 2008; Reeg 2009; Petermann & Jürgens 2009; Esselborn 2010) Lerner für Fremdheit zu sensibilisieren und auf einen nicht unnötig vereinfachenden oder nivellierenden Umgang damit vorzubereiten. Das geschieht, indem die Aufmerksamkeit auf die Einflussfaktoren und Prinzipien von interkultureller Kommunikation und auf die Bedeutung des Fremden als notwendige Bedingung für Verstehenszuwachs (und Lernen) gelenkt wird. Die vorgeschlagenen (durchaus unterschiedlichen) Verfahren streben nicht nur tiefgehende Einsichten in die fremde Kultur und Sprache an, sondern wollen gleichzeitig neue Einblicke in die eigene eröffnen. Diese Reflexion ist für interkulturelle Kommunikation unabdingbar, weil alles Verstehen auf Vorwissen aufbaut und neues Wissen daran anschließt. Es zeigt sich dabei immer deutlicher, dass eine Trennung in Eigenes und Fremdes und der postulierte Perspektivenwechsel zwar orientierende Konzepte für Lehrpläne sein können, bei der praktischen Umsetzung Lerner und Lehrkräfte aber häufig überfordern. Das liegt vor allem daran, dass die angestrebten Perspektivwechsel, wie beim Übersetzen, umfangreiche Kenntnisse und Kompetenzen voraussetzen und dass psychologisch und kommunikationstheoretisch schwer zu klären ist, wie die unterschiedlichen Perspektiven im selben kognitiven System der Lerner verarbeitet und verwaltet werden können. Das Modell der Skeptischen Hermeneutik (vergleiche Hunfeld 2004) und der Transdifferenz-Ansatz (vergleiche Allolio-Näcke, Kalscheuer & Manzeschke 2005; Hildebrandt 2005; Lösch 2005; Breinig & Lösch 2006) gehören zu den für die Landeskunde wichtigen Versuchen, Fremdheit nicht auflösen zu wollen, sondern das daraus entstehende Problem der kognitiven Dissonanz durch eine Betonung und Akzeptanz von Fremdheit zu lösen. Verschiedene, sich mehr oder weniger stark verändernde Positionen können somit ohne den Zwang zur Auflösung nebeneinanderstehen. Das folgende Beispiel aus dem interkulturellen Lehrwerk Für- und Widersprüche zeigt, wie mit einer geradezu spielerischen Sensibilisierung mithilfe einer einfachen entdeckenden Zuordnungsaufgabe (Abbildung 1.9 links), der Prozess des interkulturellen Verstehens in einem Teilbereich initiiert werden kann, ohne dass daraus die eine richtige Interpretation (zum Beispiel in Form einer grammatischen Korrektur) entstehen müsste. Interkulturelle Kompetenz bedeutet, in der Lage zu sein, die Kommunikation adäquat, mit verschiedenen Varietäten und kreativ zu gestalten und kulturadäquat zu vermitteln. Dazu sind umfangreiche kulturelle Kenntnisse und interkulturelle Fertigkeiten nötig, die im Fremdsprachenunterricht schrittweise, aber nur partiell vermittelt werden können. In dem folgenden Beispiel (Abbildung 1.9 rechts) aus Für- und Widersprüche dient eine Vorlage aus der Rotfuchsserie (vergleiche Küttner & Heygen 1987; Roche & Webber <?page no="46"?> 46 1. Didaktik 1995) als Muster für die Behördenkommunikation und als didaktisches Mittel zur Einübung kreativer Kommunikationsverfahren. 1.3.3 Bildkulturen In Unterrichtsmaterialien werden Bilder, Grafiken, Karikaturen und andere Arten der Visualisierung meist zu illustrativen Zwecken eingesetzt, die kommunikative Situationen in der Zielkultur abbilden sollen. Lehrwerksautoren und -autorinnen gehen in der Regel von der Annahme aus, dass Bilder an sich eine verständliche Sprache sprechen, so wie die Musik, und dass es genügt, Zeichnungen oder Fotos von den Gegenständen der fremden Kultur abzubilden, um deren Bedeutung an Fremde zu vermitteln. Die Wahrnehmung ändert sich jedoch von Betrachter zu Betrachter und ist kulturspezifisch geprägt. Selbst einfache Darstellungen von Objekten repräsentieren eine kulturspezifische Semiotik, deren Prinzipien für Lerner besonders dann schwer zu erschließen sind, wenn die Symbole in den Sprachen unterschiedlich besetzt sind. Hierzu ein Beispiel: In Malereien, Cartoons, Comics und Filmen betreten die positiv dargestellten Charaktere (Protagonisten) die Szene in westlichen Kulturen von links nach rechts, analog zur Leserichtung. Die Antagonisten betreten die Szene dagegen von rechts nach links, also mit Widerstand entgegen der Leserichtung. In asiatischen Cartoons erfolgt die Darstellung trotz gleicher Leserichtungen dagegen oft genau umgekehrt. Semiotische Fehlinterpretationen sind also vorprogrammiert. Als die amerikanischen Fernsehsender beim Abbildung 1.9: Links: Interkulturelle Sensibilisierung durch die Gegenüberstellung unterschiedlicher linguakultureller Konzepte im interkulturellen Lehrwerk Für- und Widersprüche (Roche & Webber 1995: 175); Rechts: Vermittlung kreativer kritischer Kompetenzen für die interkulturelle Kommunikation in demselben Lehrwerk (1995: 76) <?page no="47"?> 47 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik Einmarsch der amerikanischen Truppen im Irak ostentativ das thumbs up der Bevölkerung in Bagdad zeigten und damit ein uneingeschränktes Willkommen der Invasoren suggerieren wollten, verschwiegen sie den westlichen Zuschauern die gegenteilige Bedeutung des Zeichens im Irak (siehe beispielsweise Koerner 2003). Darstellungen in Lehrmaterialien nehmen auf die kulturspezifischen Wahrnehmungsgewohnheiten bisher kaum Rücksicht und bemühen sich auch nicht, zwischen unterschiedlichen Semiotiken zu vermitteln. Daher wird auch der Tabucharakter von Bildern in der Sprach- und Kulturvermittlung unterschätzt. Als kulturelle Symbole eröffnen Bilder wichtige Einblicke in die Denkweisen anderer Menschen und Kulturen. Wer den Zeichencode nicht kennt, kann ähnliche Probleme erleben, wie sie in der sprachlichen Kommunikation auftreten können. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Überflutung mit visuellen Reizen durch das Internet, das weitgehend bildgestützt arbeitet und dabei zunehmend Animationen und Videos verwendet. Da das Internet grundsätzlich über Grenzen hinweg operiert, müsste dort besonders auf die interkulturelle Vermittelbarkeit visueller Nachrichten geachtet werden, vor allem natürlich in virtuellen Lehrangeboten. Gerade das ist aber nicht der Fall. Missverstehen ist damit gerade in einem Bereich vorprogrammiert, der besonders für grenzüberschreitende Kommunikation hilfreich sein soll. 1.3.4 Landeskunde Im Rahmen der Entwicklung der interkulturellen Sprachdidaktik spielt die Diskussion von Inhalten und Wissensvermittlung eine wichtige Rolle: zum einen, weil sie ausdrücklich an die Sprachvermittlung gebunden ist, zum anderen, weil der gesamte kognitive Apparat stärker von kulturspezifischen Aspekten bestimmt ist, als lange angenommen wurde. Damit wird die Bedeutung einer interkulturellen Vermittlung unterstrichen, das klassische Feld der trans- oder interkulturellen Landeskunde. Mit ihr wird versucht, ein interkulturell und interdisziplinär erweitertes Verständnis von Kultur zu entwickeln und in den - nicht auf sprachtechnische Aspekte begrenzten − Sprachunterricht zu integrieren. Diese Landeskunde berücksichtigt insbesondere die Ausgangsbedingungen und Interessen der Lerner, aber auch die Lerntraditionen und Methoden ihrer Lernkulturen. Sie ist also nicht nur auf die Zielkultur gerichtet, sondern nimmt sich ausdrücklich der Vermittlung zwischen Ausgangs- und Zielkulturen an. Das war nicht immer so. Picht (1989: 54-55) nennt dazu drei Typen der Landeskunde: ▶ Die Realienkunde: „Gegebenheiten der fremden Kultur [werden] zu bloßen Realien herabgewürdigt, zu szientistischer Radikalität verschärft“ (Picht 1989: 54). ▶ Die civilisation allemande, Frankreichkundebewegung, als Gegenbewegung zur traditionellen Philologie und charakterisiert durch ein Streben nach mehr Wissenschaftlichkeit (Landeswissenschaft). ▶ Die Landeskunde, die sich von der Anglistik ausgehend zu neuen Ansätzen eines mehr inhaltsbezogenen, auf die Realität internationaler Beziehungen zielenden Fremdsprachenunterrichts entwickelt. Hierzu gehören Formen gesellschaftlich relevanter Kom- <?page no="48"?> 48 1. Didaktik munikation, die Intensivierung kulturspezifischer gesellschaftlicher Bezüge und die Einbindung soziokultureller Elemente in den Fremdsprachenunterricht. Zur Illustration der auf Realien orientierten Landeskunde ein Beispiel aus der Zeit des Behaviourismus, das den Zustand der englischen Landeskunde in den 1950er Jahren darstellt, allerdings literarisch aufgearbeitet und ins Absurde getrieben (Ionesco 1985 [1966], Uraufführung am 11. Mai 1950 im Théâtre des Noctambules, Paris): Ein gutbürgerliches englisches Interieur mit englischen Fauteuils. Eine englische Abendunterhaltung. Mr. Smith, ein Engländer, mit seinen englischen Pantoffeln, sitzt in seinem englischen Fauteuil, raucht eine englische Pfeife und liest eine englische Zeitung an einem englischen Kaminfeuer. Er trägt eine englische Brille, einen kleinen grauen englischen Schnauz. Neben ihm, in einem zweiten englischen Fauteuil, Mrs. Smith, eine Engländerin, die englische Socken flickt. Ein langes englisches Schweigen. Die englische Wanduhr schlägt siebzehn englische Schläge. Mrs. Smith: Sieh mal an, es ist neun Uhr. Wir haben Suppe, Fisch, Kartoffeln mit Speck und englischen Salat gegessen. Die Kinder haben englisches Wasser getrunken. Wir haben gut gegessen heute Abend, weil wir in der Umgebung von London wohnen und weil unser Name Smith ist. So wie es der rumänische Autor Eugène Ionesco (1909−1993), der vorwiegend in der französischen Sprache geschrieben hat, hier in der Einleitung zu Die kahle Sängerin schreibt, kann man sich das Landeskundeverständnis zur Hoch-Zeit des Behaviourismus in den 50er und 60er Jahren vorstellen. Ionesco hat sein absurdes Theater dabei tatsächlich in Anlehnung an Erfahrungen aus dem Fremdsprachenunterricht geschrieben. Aber nicht nur in Zeiten der audiolingualen und der audiovisuellen Methode war die Landeskunde unterentwickelt. Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen: ▶ Landeskunde wird nicht als konstitutiver Teil der Sprachvermittlung betrachtet und gilt als weniger relevant im Vergleich zu den Kernbereichen des Sprachunterrichts und lässt sich nur schwer systematisch fassen. Daher wird ihr in der Regel weniger Zeit in Lehrplänen und im Unterricht eingeräumt. ▶ Lehrmaterialien reflektieren häufig ein randständiges, simplifiziertes und unkritisches Bild von Landeskunde. ▶ In der Lehrerausbildung wird das Thema nur am Rande behandelt. Deshalb fehlt Lehrkräften häufig die Kompetenz oder Bereitschaft, landeskundliche Themen zu vermitteln. ▶ Die Erwartungen der Lerner orientieren sich verbreitet an den greifbaren Strukturen der Grammatik und des Wortschatzes. ▶ Richtlinien wie der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen behandeln landeskundliche Kompetenzen nur am Rande. Eine der wichtigsten Fragen, mit denen sich die neuere Landeskunde beschäftigt, ist die nach der Berücksichtigung regionaler Gruppierungen, die nicht zum Mutterland der fremden Kultur gehören. Dieser Plurizentrismus zeigt sich im Englischunterricht an der Berücksichtigung britischer, amerikanischer, kanadischer und australischer Kulturen, aber noch sehr wenig an anderen Regionen, in denen Englisch auch als Verkehrssprache gilt, wie Indien, <?page no="49"?> 49 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik Singapur, Hong Kong und verschiedene Schwellen- und Entwicklungsländer. Auch die Sprachenvielfalt in den anglophonen Ländern, die durch Migration bedingt ist, wird bisher wenig berücksichtigt. Im Französischen ist die Situation mit dem französischsprachigen (frankophonen) Québec oder Belgien, der französischen Schweiz und vielen Ländern Afrikas ähnlich. Im Bereich Deutsch als Fremdsprache bemühen sich die Verlage sichtlich, alle deutschsprachigen Länder zu berücksichtigen. Mit diesem Thema beschäftigen sich ausdrücklich die sogenannten DACH(L)-Thesen, benannt nach den internationalen Abkürzungen der Länder. Sowohl in den früheren Ansätzen der Kulturkunde und Literaturvermittlung als auch bei der Vermittlung der Alltagskultur in kommunikativen Ansätzen sind die Ausgangsinteressen und -perspektiven sowie die Rezeptionsbedingungen der Lerner meist wenig berücksichtigt worden. Daher haben sich seit den 70er Jahren mehrere Ansätze der kulturüberschreitenden Behandlung von Landeskunde entwickelt. Dazu gehören ▶ Die Kulturstudien (cultural studies, german studies, european studies, in Bezug auf das Streben nach mehr Wissenschaftlichkeit bereits in den Ausführungen zur Frankreichkunde bei Picht oben genannt) und andere, die sich auf die Vermittlung von gesellschaftlichen, historischen, wirtschaftlichen und politischen Themen des Ziellandes aus der (vermeintlichen) Perspektive des Ausgangslandes der Lerner konzentrieren (Webber 1990; Koreik 1995, 2010; Stassen 2002) ▶ Die integrative Landeskunde (seit den 80er Jahren), die interdisziplinäre Themen aufgreift und diese von Experten der Ausgangs- und Zielkulturen gemeinsam für die Nutzung im Unterricht erarbeiten lässt ( Mog & Althaus 1992; Althaus 2009) ▶ Die interkulturelle oder transkulturelle Landeskunde (ebenfalls seit den 80er Jahren), die den Schwerpunkt auf die Vermittlungsprozesse zwischen den Kulturen legt (Bauer 2010), und die Behandlung der Konstitution und Veränderbarkeit kultureller Wahrnehmungsmuster (Hepp & Löffelholz 2002; Budke 2003; Bachmann-Medick 2006; Onuki & Pekar 2006; Segermann 2006; Antor 2007; Hahn & Mannová 2007; Engelbert 2008; Altmayer 2010). Die genannten Ansätze, die sich mit dem zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Interesse an fremden Kulturen und der Internationalisierung in politischen, akademischen und wirtschaftlichen Organisationen (zum Beispiel in Europa) entwickelt haben, verfolgen das gemeinsame Ziel, neue Formen der Landeskundeforschung und -vermittlung zu entwickeln. Sie tun dies auf unterschiedliche Art und Weise. Kulturstudien Die German studies oder auch die European studies rücken wie die meisten Kulturstudien die zeitgenössischen kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte der (deutschsprachigen oder europäischen) Länder in ihrem geschichtlichen und internationalen Kontext in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Die drei wichtigsten Kriterien der Kulturstudien sind: <?page no="50"?> 50 1. Didaktik ▶ Multidisziplinarität und Wissenschaftlichkeit ▶ Ausrichtung auf die Verhältnisse der Zielkultur ▶ Aktualitätsbezug Damit setzen sich die german studies ausdrücklich von der traditionellen, Anfang bis Mitte des letzten Jahrhunderts aus Deutschland importierten Inlandsgermanistik (und analog den anderen Nationalphilologien) besonders in den englischsprachigen Ländern ab. Diese Art der Nationalphilologie orientierte sich in Thematik, Methodik und Erkenntnisinteresse vor allem an einem tradierten literarischen Kanon, der in den deutschsprachigen/ europäischen Ländern als überholt gilt und bei Lernern im Ausland kaum noch Interesse findet. Das Studium der heutigen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse der betreffenden Länder wird darin weitestgehend ausgeblendet. In diesem modernen Rahmen beschäftigen sich beispielsweise die canadian studies mit Themen wie dem kanadischen Multikulturalismus, den Konsequenzen religiöser Vielfalt in einer Gesellschaft oder unterschiedlichen kulturellen, historischen und politischen Konzeptionen von Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft. Die amerikanischen german studies behandeln unter anderem Themen wie Raum und Identität im türkisch-deutschen Film, die politische Kultur der höfischen Gesellschaften, Rassismus, Feminismus, Verwissenschaftlichungsprozesse in der deutschen Gesellschaft, Deutschland in Europa und Föderalismus. Trotz des starken Bezugs auf Aktualität und Multidisziplinarität spielen in den USA auch historische Themen wie die Literatur des Barock oder der Zweite Weltkrieg und seine Folgen eine große Rolle. Auf interkulturelle Verstehensprozesse wird in der Praxis der German Studies dagegen wenig eingegangen. Das Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde Einen in vieler Hinsicht ähnlichen Ansatz wie die Kulturstudien vertritt auch das Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde. Dieser Ansatz wurde Ende der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre an der Universität Tübingen von einem interdisziplinären Forscherteam aus Deutschland und unter Beteiligung US-amerikanischer Expertinnen und Experten entwickelt und ist in einem Buch mit dem gleichen Titel gut dokumentiert. Ziel des Forschungsprojektes war es, durch Erarbeitung von Merkmalen grundlegender Konzepte der deutschen Kultur, wie deren Zeit- und Raumverständnis, ein Deutschlandbild zu vermitteln, das die Perspektiven der US-Amerikaner auf Deutschland, aber auch Autostereotype der Deutschen berücksichtigt. Ein weiteres Kernelement war der Versuch, Landeskunde als interdisziplinäres Aufgabengebiet zu bearbeiten. Konstitutiv ist dabei eine inter- oder transkulturelle Verstehens- und Vermittlungsperspektive. Parallel dazu hat eine Gruppe deutscher und amerikanischer Lehrerinnen und Lehrer unter Berücksichtigung der theoretischen Erkenntnisse und weitreichender Unterrichtserfahrungen ein Lehrbuch für den interkulturellen Sprachunterricht für nordamerikanische Deutschlerner entwickelt. Es wendet sich an Lerner der Mittelstufe (B1/ B2) und heißt Typisch deutsch? <?page no="51"?> 51 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik Der folgende Text (Abbildung 1.10) illustriert, wie eng Kultur- und Sprachvermittlung in Typisch deutsch? aneinander gebunden sind: Ein wesentlicher Unterschied des Tübinger Modells zu den Kulturstudien liegt darin begründet, dass sich das Tübinger Modell als Ansatz der Sprach- und Kulturvermittlung versteht und damit die Sprache als kulturbedingtes und kulturschaffendes Element betrachtet, das besonderer Aufmerksamkeit und Vermittlungsanstrengungen bedarf. In dieser Hinsicht entspricht es dem Konzept der Landeskundevermittlung der interkulturellen Sprachdidaktik. betrachtet, das besonderer Aufmerksamkeit und Vermittlungsanstrengungen bedarf. In dieser Hinsicht entspricht es dem Konzept der Landeskundevermittlung der interkulturellen Sprachdidaktik. Beispiel Der folgende Text illustriert, wie eng Kultur- und Sprachvermittlung in Typisch deutsch? aneinander gebunden sind: Abb. 7.6 Vergleichendes Arbeiten mit gegensätzlichen Begriffspaaren und ähnlich erscheinenden Begriffen verschiedener Sprachen am Beispiel von Typisch deutsch? Die Lerner werden von der Vorentlastung (Assoziationsübungen) zur intensiven Wortschatzarbeit mittels Wörterbüchern angeleitet. Roche_basics_A3_sIV-328_End_korr3.indd 301 05.08.13 11: 00 44038_Roche.indd 301 26.04.2018 12: 42: 51 Abbildung 1.10: Vergleichendes Arbeiten mit gegensätzlichen Begriffspaaren und ähnlich erscheinenden Begriffen verschiedener Sprachen am Beispiel von Typisch deutsch? Die Lerner werden von der Vorentlastung (Assoziationsübungen) zur intensiven Wortschatzarbeit mittels Wörterbüchern angeleitet (Behal-Thomsen et al. 1993: 45) <?page no="52"?> 52 1. Didaktik Interkulturelle/ transkulturelle Landeskunde Die interkulturelle Landeskunde ist ein tragendes und integrales Element der interkulturellen Sprachdidaktik. Ihr wichtigstes Prinzip ist der wechselseitige Prozess der Kultur- und Sprachbetrachtung von Ausgangs- und Zielkultur. Lerner einer Ausgangskultur K1 behandeln vor dem Hintergrund ihres kulturell geprägten Vorwissens, inklusive der Methoden, Stereotypen und so weiter, Verhältnisse in der Zielkultur K2. Das Vorwissen wird dabei gezielt zur Entwicklung von Fragen und zur Verfolgung von Interessen eingesetzt. Den Lernern soll es schließlich gelingen, beide Kultur- und Sprachsysteme zu verstehen und zwischen ihnen im Sinne eines dritten Ortes vermitteln zu können. Das lässt sich schematisch folgendermaßen darstellen: Dieser Prozess des zunehmenden Verständnisses kann im Fremdsprachenunterricht durch folgende Maßnahmen in Gang gesetzt werden: ▶ durch die Thematisierung kulturübergreifender Ereignisse, etwa die internationale Friedensbewegung, den internationalen Terrorismus oder internationale Umweltbewegungen und Initiativen gegen den Klimawandel oder die Globalisierung; ▶ durch die Behandlung kulturübergreifender Texte, wie sie in grundlegenden Schriftstücken ihren Ausdruck finden, etwa in Gesetzestexten oder religiösen Dokumenten; ▶ durch die Konfrontation mit (mehr oder weniger) gegensätzlichen Strukturen in den Sprachen und Kulturen. In der konfrontativen Semantik (Müller-Jacquier 1981) und verschiedenen Arbeiten zur interkulturellen Sprachdidaktik wurden diese Ansätze einer kontrastiven Interkulturalität bereits ausführlicher beschrieben (vergleiche die Lehrwerke Typisch deutsch? , Sichtwechsel und Für- und Widersprüche). 1.3.5 Der hermeneutische Fremdsprachenunterricht - Skeptische Hermeneutik? Dem hermeneutischen Fremdsprachenunterricht ist es im Rahmen des interkulturellen Ansatzes gelungen, ein ganzheitliches Konzept zu entwickeln, das der veränderten Situation in Europa gerecht wird, da Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in der europäischen Gesellschaft immer mehr als Normalfall angesehen werden. Der hermeneutische Fremdsprachen- Interkulturelle S prachdidaktik 7.4.3 Wechselseitige Prozesse Konfrontative Semantik Interkulturelle/ transkulturelle Landeskunde Die interkulturelle Landeskunde ist ein tragendes und integrales Element der interkulturellen Sprachdidaktik. Ihr wichtigstes Prinzip ist der wechselseitige Prozess der Kultur- und Sprachbetrachtung von Ausgangs- und Zielkultur. Lerner einer Ausgangskultur K1 behandeln vor dem Hintergrund ihres kulturell geprägten Vorwissens, inklusive der Methoden, Stereotypen und so weiter, Verhältnisse in der Zielkultur K2. Das Vorwissen wird dabei gezielt zur Entwicklung von Fragen und zur Verfolgung von Interessen eingesetzt. Den Lernern soll es schließlich gelingen, beide Kultur- und Sprachsysteme zu verstehen und zwischen ihnen im Sinne eines dritten Ortes vermitteln zu können. Das lässt sich schematisch folgendermaßen darstellen: Abb. 7.7 Schema des Verstehensprozesses in interkultureller Kommuni- Dieser Prozess des zunehmenden Verständnisses kann im Fremdsprachenunterricht durch folgende Maßnahmen in Gang gesetzt werden: Durch die Thematisierung kulturübergreifender Ereignisse, etwa die internationale Friedensbewegung, den internationalen Terrorismus oder internationale Umweltbewegungen und Initiativen gegen den Klimawandel oder die Globalisierung. Durch die Behandlung kulturübergreifender Texte, wie sie in grundlegenden Schriftstücken ihren Ausdruck finden, etwa in Gesetzestexten oder religiösen Dokumenten. Durch die Konfrontation mit (mehr oder weniger) gegensätzlichen Strukturen in den Sprachen und Kulturen. In der konfrontativen Semantik (Müller-Jacquier 1981) und verschiedenen Arbeiten zur interkulturellen Sprachdidaktik wurden diese Ansätze einer kontrastiven Interkulturalität bereits ausführlicher beschrieben (vergleiche die Lehrwerke Typisch deutsch? , Sichtwechsel und Für- und Widersprüche). Roche_basics_A3_sIV-328_End.indd 302 30.07.13 17: 30 44038_Roche.indd 302 26.04.2018 12: 42: 51 Abbildung 1.11: Schema des Verstehensprozesses in interkultureller Kommunikation <?page no="53"?> 53 1.3 Interkulturelle Sprachdidaktik unterricht richtet sich beim Sprachenlernen folgerichtig an der produktiven Normalität der Differenz beziehungsweise des Fremden und nutzt diese als Lernimpuls im Fremdsprachenunterricht (vergleiche Hunfeld 2004). Neben der Normalität des Fremden bilden zwei weitere Prinzipien die Grundlagen dieses Ansatzes, nämlich die Grenzen und die Fragehaltung des (Fremd)Verstehens. Mit den Grenzen des Verstehens ist die Neigung gemeint, „das jeweils unbekannte Fremde vor allem aus der Perspektive des Eigenen wahrzunehmen“ (Hunfeld 2004: 487). Demnach führt das reine Erlernen einer Fremdsprache und fremdkultureller Elemente nicht automatisch zur Anerkennung des Fremden. Die Fragehaltung beim Fremdverstehen entwickelt sich ihrerseits aus dem Vorwissen des Lerners heraus. Bei der Begegnung mit einer fremden Wirklichkeit entsteht eine Differenz (in der Weltinterpretation und Lebensgestaltung), die Fragen seitens des Lerners auslöst (vergleiche Hunfeld, Lott & Weber 2001). Der hermeneutische Fremdsprachenunterricht hat daher nicht die Wiedergabe von bereits erfolgtem Input als Ziel, sondern die Erweiterung der Wahrnehmung des Fremden durch Fragen im Dialog oder Gruppengespräch. Mit diesem neuen Verständnis von interkulturellem Lernen plädieren Hunfeld et al. (2001) für eine stärkere Berücksichtigung des Vorwissens, wobei die Idee einer linearen Lernprogression, die hauptsächlich von der Lehrkraft festgelegt wird, aufgelöst wird. Vielmehr wird interkulturelles Lernen als ein spiralförmiger Prozess betrachtet: I. GRUNDLAGEN Skeptische Hermeneutik (Grenzen des Verstehens) Normalität des Fremden (Deutliches Gegenüber) Sprache als Frage (Literatur der Sprachlehre) II. DIDAKTISCHE KONSEQUENZEN Spiralförmige Progression Vorwissen Addition der unterschiedlichen Kompetenzen Impulsgesteuertes Lernen Reichhaltigkeit des Materials Relative Unbestimmbarkeit der Lernziele III. LERNLEITENDE ZIELE Verschiedenheit als lebenslanger Lernimpuls Normalität der Differenz Mündigkeit als Verständigungsvoraussetzung Toleranz als Bewahrung von Andersheit IV. PÄDAGOGISCHE RAHMENBEDINGUNGEN Stille Angstfreiheit Selbstbewusstsein Fragehaltung Distanz Respekt V. ORIENTIERUNG Parallelität als leitendes Prinzip Werkstatt als dialogisches Lernen im Beruf Mündigkeit als Verständigungsprozess Praxis als Ausdruck einer Haltung Abbildung 1.12: Lernziele und Rahmenbedingungen für die praktische Umsetzung eines hermeneutischen Fremdsprachenunterrichts (Autonome Provinz Bozen 2005) <?page no="54"?> 54 1. Didaktik Der Lerner sieht den Gegenstand - zum Beispiel das Haus - bereits am Anfang der Spirale vor dem Hintergrund seines inhaltlichen und sprachlichen Vorwissens. Es wird im weiteren Verlauf von einzelnen Teilnehmern, also von verschiedenen Blickwinkeln wahrgenommen und dann durch die Verschiedenheit in der Gemeinsamkeit immer wieder neu und anders erfahren. Das Vorwissen, die Perspektive und die Urteile des jeweiligen einzelnen Lerners werden durch dieses Verfahren beständig überprüft, ergänzt und erweitert. (Hunfeld et al., 2001, B-4) Aus den hier erläuterten Grundlagen leitet der Ansatz konkrete methodisch-didaktische Konsequenzen ab und formuliert Lernziele und Rahmenbedingungen für die praktische Umsetzung eines hermeneutischen Fremdsprachenunterrichts. 1.3.6 Zusammenfassung Interkulturelle Kompetenz umfasst Fertigkeiten und Wissensgebiete, die über strukturelle Sprachkompetenzen hinausgehen und vielmehr das gesamte linguakulturelle System einschließen (interkulturelle Linguistik, interkulturelle Kommunikation). Sprachliche Handlungskompetenzen spielen dabei aber die zentrale Rolle. In dieser Lerneinheit haben Sie gesehen, wie Fremdheit auf allen sprachlichen Ebenen die Kommunikation beeinflusst, dadurch aber auch systematisch in die Vermittlung von Fremdsprachen einbezogen werden kann. In dieser Lerneinheit haben Sie ▶ die Beziehungen von Sprache und Kultur vertieft behandelt und dabei das Konzept der Linguakultur kennengelernt; ▶ die Komplexität der Bezüge von Sprache und Kultur theoretisch begründet gefunden und anhand verschiedener Texte und Abbildungen illustriert gesehen; ▶ die Kulturbedingtheit von visuellen Symbolen (Bildkulturen) kennengelernt; ▶ unterschiedliche Ansätze, Modelle (und Phasen) der Kulturbearbeitung („Landeskunde“) von den Anfängen bis heute kritisch reflektiert und sich auch mit den neuesten Ansätzen eines dynamischen Kulturverständnisses auseinandergesetzt; ▶ die Wichtigkeit der Lernerperspektive für den Unterricht kennengelernt; ▶ den Einfluss des kulturellen Hintergrunds auf die Wahrnehmung und auf die Kommunikation erfahren und sich mit den wichtigsten Lernzielen der interkulturellen Vermittlung beschäftigt; ▶ die didaktisch-methodischen Instrumente zur Initiierung und Begleitung interkultureller Lernprozesse sowie die Strategien zur Vermeidung von potentiellen Umsetzungsproblemen kennengelernt. 1.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Arbeitsbereiche umfasst die interkulturelle Sprachdidaktik? 2. Was besagt das Eisbergschema der Kultur und Kommunikation? 3. Welche Ansätze der Landeskunde gibt es? 4. Wie ermittelt die interkulturelle Landeskunde ihre Themen? <?page no="55"?> 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung In der Fremdsprachendidaktik zeichnet sich seit längerem bereits eine Umorientierung von der verbreiteten Inputsteuerung auf die Output- und Kompetenzorientierung ab. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen (GER) und viele andere Rahmen- und Lehrpläne belegen diese neue Ausrichtung, setzen sie aber nur in seltenen Fällen auch konsequent um. Die Kompetenzorientierung lässt sich am besten mit einer auf Handlungen und Autonomie ausgerichteten Unterrichtsmethodik umsetzen, wie sie etwa in der Szenariendidaktik praktiziert wird. Daher sollten Lernziele und Kompetenzen aufgabenorientiert vermittelt und anhand von überprüfbaren Deskriptoren evaluiert werden. Die erste Lerneinheit stellt daher die gängigen Prinzipien der Kompetenzorientierung vor, wie sie zum Beispiel dem Europäischen Referenzrahmen zugrunde liegen. Anschließend werden die Grundlagen der Vermittlung und Evaluation von Handlungskompetenzen präsentiert und an verschiedenen Materialien illustriert. Die Handlungsorientierung in der Didaktik bildet eine natürliche Allianz mit der Erwerbstheorie des gebrauchsbasierten Ansatzes. Dieser wird in der zweiten Lerneinheit ausführlich begründet und von neo-behaviouristischen Verfahren unterschieden, die in der Forschung mit Konzepten wie beispielsweise zu Frequenzmanipulationen im Input mit ihm (fälschlicherweise) in Verbindung gebracht werden. Die erwerbstheoretischen Grundlagen des gebrauchsbasierten Ansatzes werden anschließend auf ihre Tauglichkeit im Unterricht überprüft. Dabei ergeben sich zwei zentrale Konsequenzen für den Unterricht: eine konsequente Handlungsorientierung und die Notwendigkeit der Andockbarkeit an bereits vorhandenes Wissen. Unterricht muss demnach binnendifferenzierbar sein, so wie es die Szenariendidaktik praktiziert. Das Kapitel stellt die Grundlagen des handlungs- und gebrauchsorientierten Unterrichts anschaulich dar und illustriert sie anhand verschiedener Umsetzungsbeispiele aus der und für die Praxis. Diese Beispiele basieren unter anderem auf dem im Auer-Verlag erschienenen Band DaF/ DAZ fachfremd unterrichten. <?page no="56"?> 56 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung 2.1 Kompetenzorientierung Jörg Roche, unter Mitarbeit von Svenja Uth Sprachliche Handlungsfähigkeit wird in vielen Curricula in Form von Kann-Beschreibungen angestrebt, in Lehrmaterial und Unterricht aber meist nur halbherzig umgesetzt. Sprachliches Handeln umfasst nicht nur sprachliche Routinen in Stellvertreterrollen oder Oberflächenfunktionen wie die Wahrnehmung und Reproduktion von Lauten und Schriftzeichen, sondern vor allem auch die Fähigkeit, Konzepte auszubilden und Nachrichten adäquat zu entwerfen und zu formulieren. Dies geht aber nur mit einem umfangreichen Welt- und Situationswissen, prozeduralem Wissen und kulturspezifischem Wissen zum Ablauf von Diskursabläufen. Damit einher geht ein Paradigmenwechsel in der Lernzielbestimmung und der Didaktik: An die Stelle der gängigen Inputsteuerung tritt die Output- oder Kompetenzorientierung. Diese Kompetenzorientierung lässt sich am besten mit einer auf Handlungen und Autonomie ausgerichteten Unterrichtsmethodik umsetzen. Daher sollten Lernziele und Kompetenzen aufgabenorientiert vermittelt und anhand von überprüfbaren Deskriptoren evaluiert werden. Entdeckende (explorative) Lernverfahren eignen sich dabei gut für alle Zielgruppen. Diese Lerneinheit stellt die Grundlagen der Vermittlung und Evaluation von Handlungskompetenzen vor und illustriert sie. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ das Konzept der sprachlichen Handlungsfähigkeit kennenlernen; ▶ das Modell der Kompetenzorientierung verstehen und den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen in dieser Hinsicht kennenlernen; ▶ den kompetenzorientierten Ansatz in Verbindung mit konstruktivistischen Unterrichtsmodellen kennenlernen; ▶ sich mit der Evaluation von Kompetenzen auseinandersetzen. 2.1.1 Sprachliche Handlungsfähigkeit Sprachliche Handlungsfähigkeit, bestimmt als die Fähigkeit eines Individuums sich grundlegend in der eigenen Lebenswelt zu orientieren und alle relevanten Situationen kommunikativ erfolgreich zu meistern, umfasst eine ganze Reihe von physiologischen und kognitiven Voraussetzungen sowie linguistischen, sozialen und methodischen Kompetenzen. Sehr verkürzt bedeutet dies, dass neben der Fähigkeit, Laute wahrzunehmen und zu artikulieren, auch jene gegeben sein muss, Konzepte auszubilden und Nachrichten zu entwerfen und zu formulieren (für eine Darstellung der zentralen Prozesse von Sprachproduktion und -rezeption sowie der neurolinguistischen Grundlagen von Sprache siehe Roche 2013a). Dies allein be- <?page no="57"?> 57 2.1 Kompetenzorientierung fähigt Individuen allerdings noch nicht dazu, sprachlich angemessen zu handeln: Benötigt wird dazu auch jede Menge Welt- und Situationswissen, daneben prozedurales Wissen sowie kulturspezifisches Wissen zum Ablauf von Diskurspraktiken. Das wiederum umfasst sowohl sprachliche als auch soziale Kompetenzen. Letztere wiederum beinhalten auch die Fähigkeit zu erkennen, wann das eigene sprachliche Handeln nicht jenem der Gesprächspartner beziehungsweise ihren Erwartungen entspricht. In einer solchen Situation müssen strategische (metakognitive) Kompetenzen aktiviert werden, die zur Anpassung der eigenen Handlungskompetenz beitragen, zum Beispiel, indem fehlendes Wissen in Erfahrung gebracht wird (vergleiche Lerneinheit 6.3 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Menschen eignen sich Sprache über Erfahrungen in der Welt an und über Sprache Wissen über die Welt (vergleiche dazu das Konzept der Gebrauchsbasiertheit in den Lerneinheiten 2.2 und 2.3). Dieser Prozess beginnt bereits im Säuglingsalter in der Interaktion mit Bezugspersonen. Mit zunehmendem Alter besuchen Kinder Bildungseinrichtungen und eignen sich weitere sprachliche, soziale und kommunikative Kompetenzen an, die ihnen neue Kontakte erschließen und ihnen helfen, immer differenziertere Situationen zu bewältigen: Sie spielen und lachen, streiten aber auch und verteidigen sich. Sie lernen und hinterfragen, vergleichen und debattieren. Neben der oder den Familiensprache(n) werden so weitere Register entwickelt: Jugendsprache, Bildungssprache, Fach- und Berufssprachen. Genauso werden Zweit- und Fremdsprachen gelernt und zwar durch das Meistern von authentischen Situationen, die für das eigene Wohlbefinden und jenes der Familienangehörigen und nahestehenden Personen von zentraler Bedeutung sind (siehe dazu auch kommunikative Relevanz in Lerneinheit 2.2). In der authentischen Kommunikation besitzt das sprachliche Zeichen immer mehrere unterschiedliche Funktionen: Eine Senderfunktion, eine Adressatenfunktion und eine Abbildungsfunktion der Gegenstände und Sachverhalte. Bühler fasste diese Funktionen bereits 1934 in seinem einflussreichen Organon-Modell zusammen. Abbildung 2.1: Kommunikationsmodell nach Bühler (1934) <?page no="58"?> 58 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung Demnach repräsentiert das sprachliche Zeichen (Sprache) als Symbol Gegenstände und Ereignisse, kurz die Welt. Diese Symbolfunktion ist aber nicht objektiv oder neutral gegeben, sondern geschieht als subjektiver Ausdruck der Perspektive eines Sprechers oder Schreibers, kurz eines Senders. Diese entspricht nicht immer jener des Empfängers, beziehungsweise die Perspektive des Adressaten wird vom Sender nicht immer gleich stark berücksichtigt. Sprache kommt eigentlich immer in dieser Dreieckskonstellation vor. Selbst bei Einträgen in ein Tagebuch stellen sich Schreiber einen realen oder fiktiven Adressaten vor (zum Beispiel sein zukünftiges Ich). Auch in literarischer Sprache gibt es Sprecher beziehungsweise Schreiber (Erzähler, Lyrisches Ich) und Adressaten (Publikum, Leser, Protagonisten). Authentische Kommunikation ist also nicht deshalb authentisch, weil sie alltäglich ist oder weil sie hörbar ist, sondern weil dort alle drei Bezüge nach Bühlers Modell realisiert sind. Das Symbol bei der Darstellung oder Repräsentation von Gegenständen und Sachverhalten ist aber nicht objektiv oder neutral gegeben, sondern geschieht als subjektiver Ausdruck (Symptom) der Perspektive eines Sprechers oder Schreibers, der damit an einen Empfänger appelliert (Signal). Sprachliche Handlungskompetenz ist folglich eine relative und dynamische Entität, die eng mit dem Vollzug von Kommunikation in Situationen verbunden ist, die zur Erreichung individueller Ziele relevant ist. Im nächsten Abschnitt wollen wir uns daher gemeinsam ansehen, wie sprachliche Handlungsfähigkeit in Curricula didaktisch und methodisch operationalisiert wird. 2.1.2 Kompetenzen als Lernziel Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen, die einflussreichste Sammlung von Lehr- und Lernzielen, setzt sich in Folge des Prinzips der Outputorientierung das Ziel, sprachliche Handlungsfähigkeit als Kompetenzen zu operationalisieren, um sie bestimmten Niveaustufen zuzuordnen und damit messbar zu machen (siehe hierzu auch den Band »Unterrichtsmanagement« in dieser Reihe). Dabei wird zwischen Wissen (savoir) und Können unterschieden. Hieraus resultieren die sogenannten „Kann-Bestimmungen“, mit denen das tatsächliche Können der Lerner erfasst werden soll. Die Kompetenzen des Sprachverwenders und des Sprachenlerners (Kapitel 5 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens) werden wie folgt gegliedert: 1. Allgemeine Kompetenzen 1.1 Deklaratives Wissen (savoir) 1.1.1 Weltwissen 1.1.2 Soziokulturelles Wissen 1.1.3 Interkulturelles Bewusstsein 1.2 Fertigkeiten und prozedurales Wissen (savoir-faire) 1.2.1 Praktische Fertigkeiten 1.2.2 Interkulturelle Fertigkeiten 1.3 Persönlichkeitsbezogene Kompetenz (savoir-être) 1.4 Lernfähigkeit (savoir-apprendre) 1.4.1 Sprach- und Kommunikationsbewusstsein <?page no="59"?> 59 2.1 Kompetenzorientierung 1.4.2 Allgemeines phonetisches Bewusstsein und phonetische Fertigkeiten 1.4.3 Lerntechniken 1.4.4 Heuristische Fertigkeiten 2. Kommunikative Sprachkompetenzen 2.1 Linguistische Kompetenzen 2.1.1 Lexikalische Kompetenz 2.1.2 Grammatische Kompetenz 2.1.3 Semantische Kompetenz 2.1.4 Phonologische Kompetenz 2.1.5 Orthographische Kompetenz 2.1.6 Orthoepische Kompetenz 2.2 Soziolinguistische Kompetenzen 2.2.1 Sprachliche Kennzeichnung sozialer Beziehungen 2.2.2 Höflichkeitskonventionen 2.2.3 Redewendungen, Aussprüche, Zitate und sprichwörtliche Redensarten 2.2.4 Registerunterschiede 2.2.5 Varietäten (sozial, regional, ethnisch usw.) 2.3 Pragmatische Kompetenzen 2.3.1 Diskurskompetenz 2.3.2 Funktionale Kompetenz Tabelle 2.1 : Relevante Kompetenzen nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen Dabei sollte der Kompetenzbegriff aber kritisch betrachtet werden, da der inflationäre Gebrauch des Begriffs seit der Einführung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens zu einer nur schwer definierbaren Abgrenzung zu anderen Konzepten wie Kenntnissen, Fertigkeiten, Talenten, Fähigkeiten, Bildung oder Qualifikation geführt hat (vergleiche Zaschel 2011: 80). Wir verstehen den Begriff im weiteren Verlauf dieses Bandes als sprachliche Handlungsfähigkeit. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen setzt dynamische Sprachkompetenzen an, die lebenslang erweiterbar sind und deshalb in einem Sprachenportfolio verwaltet werden sollten. Allgemeinverbindliche Standards sorgen für eine transparente Vergleichbarkeit der Kompetenzen verschiedener Sprachen innerhalb und mittlerweile auch außerhalb von Europa. Wo und wie die Lerner welche Kompetenzen erwerben, ist dabei zweitrangig. Wichtiger ist das individuelle Sprachenprofil eines Lerners. Die sechs Niveaustufen von der elementaren bis zur kompetenten Sprachverwendung fasst der Referenzrahmen in der sogenannten Globalskala folgendermaßen zusammen: <?page no="60"?> 60 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung Kompetente Sprachverwendung C2 Kann praktisch alles, was er/ sie liest oder hört, mühelos verstehen. Kann Informationen aus verschiedenen schriftlichen und mündlichen Quellen zusammenfassen und dabei Begründungen und Erklärungen in einer zusammenhängenden Darstellung wiedergeben. Kann sich spontan, sehr flüssig und genau ausdrücken und auch bei komplexeren Sachverhalten feinere Bedeutungsnuancen deutlich machen. C1 Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch implizite Bedeutungen erfassen. Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlich erkennbar nach Worten suchen zu müssen. Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen. Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern und dabei verschiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden. Selbstständige Sprachverwendung B2 Kann die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen verstehen; versteht im eigenen Spezialgebiet auch Fachdiskussionen. Kann sich so spontan und fließend verständigen, dass ein normales Gespräch mit Muttersprachlern ohne größere Anstrengung auf beiden Seiten gut möglich ist. Kann sich zu einem breiten Themenspektrum klar und detailliert ausdrücken, einen Standpunkt zu einer aktuellen Frage erläutern und die Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten angeben. B1 Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben. Elementare Sprachverwendung A2 Kann Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen, die mit Bereichen von ganz unmittelbarer Bedeutung zusammenhängen (z. B. Informationen zur Person und zur Familie, Einkaufen, Arbeit, nähere Umgebung). Kann sich in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen, in denen es um einen einfachen und direkten Austausch von Informationen über vertraute und geläufige Dinge geht. Kann mit einfachen Mitteln die eigene Herkunft und Ausbildung, die direkte Umgebung und Dinge im Zusammenhang mit unmittelbaren Bedürfnissen beschreiben. A1 Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen - z. B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben - und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen. Tabelle 2.2: Formulierung der sechs Niveaustufen im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER 2017: 35) Den sechs Niveaustufen (A1, A2, B1, B2, C1, C2) weist der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen Kompetenzen zu, die als allgemeine und spezifische Kann-Bestimmungen (Was soll der Lerner können? ) formuliert werden, die für die einzelnen sprachlichen Fertigkeiten (Sprechen, Hörverstehen, Schreiben, Leseverstehen) ausgewiesen werden. Daneben werden auch übergreifende Kompetenzbereiche erfasst, so Wortschatz, zielsprachliche Korrektheit, Flüssigkeit etc. (vergleiche hierzu auch Kapitel 1 und 2 im Band »Unterrichtsmanagement«) <?page no="61"?> 61 2.1 Kompetenzorientierung Detaillierte Kannbeschreibungen mit Beispielen: Produktion mündlich Kann mit einfachen, meist unverbundenen Ausdrücken sich selbst beschreiben, was er/ sie macht und wo er/ sie wohnt. ▶ Kann im Sprachkurs sagen woher sie kommt und wo sie jetzt wohnt. ▶ Kann Kolleginnen sagen, was sie beruflich macht und was ihr liebstes Hobby ist. ▶ Kann einem Kollegen sagen, was sie derzeit an einem normalen Tag macht. Kann mit einfachen, meist unverbundenen Ausdrücken über sich andere Personen und die unmittelbare Umgebung sprechen. ▶ Kann bei einer Party einem anderen Gast sagen, wie groß die eigene Familie ist. ▶ Kann mit einfachen Ausdrücken und Sätzen ihren Partner beschreiben. ▶ Kann beschreiben, wie die Firma heißt, in der sie arbeitet, und was sie dort macht. Kann Zahlen, wichtige Zeit- und Mengenangaben sowie Daten gut verständlich sprechen. ▶ Kann die eigene Telefonnummer so deutlich sprechen, dass sie mitgeschrieben werden kann. ▶ Kann auf einem Amt wichtige Angaben wie Geburtsdatum oder Adresse verständlich sagen. ▶ Kann in einem Geschäft wichtige Größenangaben mit einfachen sprachlichen Mitteln nennen. Kann ein kurzes, eingeübtes Statement vom Blatt vortragen. ▶ Kann bei einem informellen Anlass einen Gast als Redner vorstellen. ▶ Kann bei einem Fest einen Toast sprechen. ▶ Kann nach einem offiziellen Essen die vorbereiteten Dankesworte sprechen. Tabelle 2.3: Mündliche Redemittel in Profile Deutsch (Glaboniat, Müller & Rusch 2005: 13) Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen diente als Vorlage für alle europäischen Fremdsprachencurricula und mittlerweile auch für viele Curricula für Deutsch als Zweitsprache. Das prominenteste darunter ist das Rahmencurriculum für Integrationskurse (BAMF 2017), das Migranten Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur bis auf Niveau B1 vermitteln will. Dieses Niveau wird im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen als das Schwellenniveau (threshold) bestimmt, das zur Bewältigung des Alltags und zur gesellschaftlichen Teilhabe und somit zur Integration in eine Sprachgemeinschaft (im Fall des Rahmencurriculums für Integrationskurse die Deutsche) vorausgesetzt wird. Die Kompetenzbeschreibungen aus dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen dienen folglich auch der Zertifizierung von Sprachkenntnissen. Im Fall des Integrationskurses werden durch das Bestehen des Deutschtests für Zuwanderer (kurz: DTZ) Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 oder A2 anerkannt. Auch die meisten internationalen Sprachprüfungen werden auf der Grundlage der Kompetenzbeschreibungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens entwickelt. Eine ähnliche Struktur weisen auch die Niveaubeschreibungen Deutsch als Zweitsprache für die Sekundarstufe I des Sächsischen Bildungsinstituts auf. Sie verstehen sich als Instrument zur Einschätzung sprachlichen Handelns von Schülerinnen und Schülern der Klassen fünf bis neun auf der Basis unmittelbarer und teilnehmender Beobachtung. Die zu beobachtenden Kompetenzbereiche decken ein weites Spektrum an sprachlichen Teilqualifikationen ab, vor allem im Hinblick auf die Sprachproduktion, und sie ermöglichen die Erstellung breit gefächerter individueller Kompetenzprofile auf der Grundlage der folgenden Kompetenzbereiche: 1. Weite der sprachlichen Handlungs- und Verstehensfähigkeit 2. Wortschatz 3. Aussprache <?page no="62"?> 62 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung 4. Lesen 5. Schreiben 6. Grammatik - mündlich und schriftlich 7. Persönlichkeitsmerkmale Unter 1) wird so zum Beispiel die sprachliche Handlungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern in den Kontexten private Gespräche, Unterrichtsgespräche und formelle Gespräche anhand der folgenden Beschreibungen für vier Kompetenzniveaus erfasst. Private Gespräche Private Gespräche sind Konversationen, die der Schüler im Bereich seiner Freizeit führt. Dazu zählen auch Pausenge-spräche mit Mitschülerinnen, Mitschülern und Lehrkräften. I II III IV Der Schüler kann einfache Mitteilungen und Aufforderungen verstehen und aktiv elementare Sprechhandlungen vollziehen. Dazu zählt beispielsweise das Erteilen von Informationen zur eigenen Person. Die Äußerungen sind häufig auswendig gelernte Wendungen. („Ich heiße Melanie. Ich komme aus Riga.“) Der Schüler kann Informationen zu Themen, die sein unmittelbares Lebensumfeld berühren (beispielsweise Hobbys und Schule), aufnehmen und selbst darüber sprechen. Der Schüler kann Informationen zu Themen, die über sein unmittelbares Lebensumfeld hinausgehen, aufnehmen und zum Gespräch eigene Mitteilungen, Begründungen, Erläuterungen und nähere Beschreibungen beitragen. Der Schüler kann Informationen und Darstellungen zu bislang unvertrauten Themen verstehen. Er kann in (Streit-) Gesprächen seine Meinung vertreten und argumentieren. Weiterhin kann er Vermutungen und Rückfragen formulieren. Unterrichtsgespräche Unterrichtsgespräche sind institutionell geprägte Konversationen, die ein Schüler in Unterrichtssituationen mit Lehrkräf-ten, Mitschülerinnen und Mitschülern führt. I II III IV Der Schüler kann einfache Anweisungen und organisatorische Mitteilungen verstehen und auf einfache Fragen antworten. Er kann kurze Bitten und Entscheidungen sowie einfache unterrichtsbezogene Mitteilungen äußern. Der Schüler kann Informationen zu Unterrichtsthemen, die an sein Vorwissen anknüpfen, aufnehmen und verarbeiten sowie sich zu bereits erarbeiteten Unterrichtsinhalten äußern. Der Schüler kann sich sprachlich aktiv an der Erarbeitung der Unterrichtsthemen beteiligen. Er kann auch Informationen zu unbekannten Themen aufnehmen, verarbeiten und sie mit früheren unterrichtlichen Informationen verknüpfen. Der Schüler versteht Fachvorträge, kann Nachfragen dazu stellen und sich zusammenhängend zu Fachinhalten äußern. Er kann Meinungen begründen und Standpunkte vertreten. <?page no="63"?> 63 2.1 Kompetenzorientierung Formelle Gespräche Formelle Gespräche sind Konversationen, die der Schüler beispielsweise mit Vertreterinnen öffentlicher Einrichtungen oder im Rahmen von Vorstellungsgesprächen führt. I II III IV Der Schüler kann im Kontext alltäglicher formeller Situationen (z.B. Bezahlen an der Supermarktkasse) einfache Äußerungen und Aufforderungen verstehen und ist in der Lage, in diesen Situationen elementare Sprechhandlungen zu vollziehen. Seine Äußerungen sind häufig auswendig gelernte Wendungen („Wie viel kostet das? “). Der Schüler kann Aufforderungen, Auskünfte und Mitteilungen im Rahmen wiederkehrender formeller Gesprächssituationen mit absehbarer Verlaufsstruktur (z.B. Kauf einer Eintrittskarte) verstehen und den Gesprächsverlauf aktiv mitgestalten. Der Schüler kann in formellen Gesprächssituationen mit halboffenen Verlaufsstrukturen (z.B. Gesprächen zu seinem Leistungsstand und seiner Schullaufbahn, Einkaufsgespräche mit Beratungsnotwendigkeit) erteilte Auskünfte, Erklärungen und Fragen verstehen. Er kann Nachfragen stellen, eigene Wünsche und Vorstellungen formulieren. Der Schüler kann in Gespräch mit eigeschränkt absehbarer Verlaufsstruktur (z.B. Vorstellungsgespräche, Gerichtsverhandlungen) Mitteilungen, Aufforderungen und Fragen zu komplexen Vorgängen, Zusammenhängen und Kausalitäten verstehen und sich ausführlich dazu äußern. Er kann Hergänge schildern, zu etwas Stellung nehmen, Begründungen formulieren und eigene Interessen darlegen. Tabelle 2.4: Weite der sprachlichen Handlungs- und Verstehensfähigkeit (Sächsisches Bildungsinstitut 2013: 16-17) Das Vorgehen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens und anderer, ähnlicher Rahmenwerke ist nicht unumstritten. Roche (2013a: 220) weist darauf hin, dass die Formulierung von Kann-Bestimmungen und Niveaustufen nicht weniger von subjektiven Gewichtungen abhängig ist als die traditionelle Definition von Lehr- oder Lernzielen. Auch wenn keine Inhalte vorgegeben werden, fördert der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen - in der Lehrmaterialpraxis - eine Verengung auf die Alltagskommunikation, etwa zu Lasten anderer Register. Die Rolle des thematischen Interesses beim Sprachenlernen und die Rolle von thematischen Vorkenntnissen beim Erreichen einer Niveaustufe werden ausgeblendet. Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung werden nicht systematisch berücksichtigt, vielmehr lehnt sich der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen an die früheren proficiency guidelines an, die ihre Wurzeln in den Lernmodellen und Zielsetzungen der 50er Jahre haben. Zudem wird nicht stark genug betont, dass die Anwendung der solchen Referenzrahmen zugrundeliegenden Output-(Kompetenz-)Orientierung eine auf Handlungen und Autonomie ausgerichtete Unterrichtsmethodik verlangt, die ihrerseits eine entsprechende Ausbildung der Lehrkräfte und ein geeignetes Lehrmaterial sowie eine angemessene Form der Leistungsmessung voraussetzt. Diese Methodik basiert auf konstruktivistischen Lernmodellen und verträgt sich nur bedingt mit instruktionistischen Verfahren (siehe hierzu unter anderem die Beiträge in Bausch, Burwitz-Melzer & Königs 2005). <?page no="64"?> 64 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung 2.1.3 Kompetenzen messen: Fremdevaluation und Selbstevaluation Wenn der Sprachunterricht auf die Vermittlung von Kompetenzen ausgerichtet ist, dann bedarf es auch Evaluationsverfahren, die diese Kompetenzen angemessen einschätzen und bewerten können. Da der kompetenzorientierte Unterricht viel der Verantwortung für den Lernerfolg an den Lerner abgibt, müssen Verfahren angewendet und vermittelt werden, die dieser Selbstverantwortung des Lerners gerecht werden. Es geht dabei also nicht mehr vordringlich um die Leistungsermittlung von außen (durch Prüfungen, Klausuren und Ähnliches), sondern vor allem um die Evaluation von Kompetenzniveaus als diagnostischem Instrument. Evaluation ist ein Kernbegriff sowohl im individuellen Sprachenerwerb als auch im institutionellen Qualitätsmanagement. Der individuelle Lernprozess lässt sich in verschiedenen Phasen zwischen den Polen Einstufung und Zertifizierung und nach verschiedenen Kriterien evaluieren. Eine Evaluation kann stärker auf den Output (die Ergebnisse) des Lernens und Unterrichtens ausgerichtet sein und daher vor allem Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen, Selbstkompetenzen, Handlungskompetenzen und Strategien der Lerner evaluieren. Sie kann auch stärker auf den Input abgestimmt sein, also das Verhältnis zu externen Notenstandards (Erfüllung von Lehrzielen), die Beherrschung und Nutzung von Themen und Inhalten, Methoden und Medien, Lerndispositionen (Einstellungen, affektive Faktoren, intrinsische und extrinsische Motivation, Lernpräferenzen, Lernkultur, Lerntempo, individuelle Lernziele und Lernanlagen), den Unterricht (die Lernumgebung) als Ganzes und die Lernorganisation betreffen (vergleiche Kiel 2008). Wird eine Evaluation von den Betroffenen selbst durchgeführt, spricht man von interner Evaluation, erfolgt die Evaluation durch mittelbar oder nicht Beteiligte, spricht man von externer Evaluation. In methodischer Hinsicht wird zwischen Evaluationsverfahren unterschieden, die auf die Bewertung eines fertigen Zustandes (summative Evaluation) oder auf die Rückführung der Ergebnisse in den Entwicklungsprozess (formative Evaluation) ausgerichtet sind. Die Evaluation sprachlicher Kompetenzen eines Lerners kann die akkurate Einstufung, die Diagnose von Stärken und Schwächen, die Messung des Lernfortschritts, die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen und die Effizienz festgelegter Lernwege sowie die Leistungsmessung betreffen. In stark instruktionistisch (Input-)geprägten Lehrverfahren, die meist stark an einer linearen Progression ausgerichtet sind, spielt die Fremdevaluation durch Lehrer, Lehrmaterialien und Prüfungen eine größere Rolle als die Selbstevaluation (self assessment) (vergleiche hierzu Landesbildungsserver BW 2009, 2008). Das kann dazu führen, dass Lerner mehr oder weniger durch Prüfungen ‚verwaltet’ werden, aber die externen Ergebnisse mangels Transparenz und einer erkennbaren Zielvorstellung kaum auf den eigenen Lernprozess bezogen werden können. Auf der anderen Seite benötigen Lerner zur Evaluation des Lernfortschrittes auch externe Rückmeldungen, um so die Diskrepanz zwischen Ist- und Sollwerten besser bemessen zu können. Wo der Sprachenerwerb als gradueller Prozess der Annäherung an zielsprachliche Normen und die Evaluation als Zwischenstandsmessung verstanden wird, wirken Fremd- und Selbstevaluation am besten zusammen. <?page no="65"?> 65 2.1 Kompetenzorientierung Konstruktivistische Lernverfahren stellen den Lerner in den Mittelpunkt. Aus ihrer Sicht ist es daher am sinnvollsten, Lernziele und Kompetenzen aufgabenorientiert und anhand von überprüfbaren Deskriptoren zu evaluieren (vergleiche Kleppin 2008a). Damit werden die individuellen Bedingungen der Lernumgebung sowie die Interessen und Möglichkeiten (Schwächen, Stärken) der Lerner, also unterschiedliche Lernwege, berücksichtigt. Entdeckende (explorative) Lernverfahren, wie sie in Lernszenarien realisiert werden, eignen sich dabei für alle Zielgruppen besonders gut (zu Lernszenarien siehe Lerneinheit 2.3 in diesem Band). Je nach Evaluationszweck variieren die Evaluationsinstrumente. Für die Einstufung, die der Zuordnung in einen Lernverbund oder eine Klasse dient, verwendet man ganzheitliche Verfahren wie den Online-Test ondaf (für Deutsch als Fremdsprache). Einige der Instrumente sind so allgemein gehalten, dass Lerner sie selbst, etwa im Internet, bedienen können. Diagnoseverfahren und Lernfortschrittsmessungen, wie sie dialang für verschiedene Sprachen anbietet, basieren auf einer feineren und individuellen Abstimmung auf sprachliche Fertigkeiten und sind oft aus Gründen der Messgenauigkeit nach sprachlichen Fertigkeiten unterteilt und auf Basis von Kriterien konstruiert (vergleiche Brantmeier & Vanderplank 2008; Kleppin 2008b; Hense 2006; Alderson & Huhta 2005). Auch sie können stark selbstevaluativ ausgerichtet sein. Dabei orientiert sich das Verfahren entweder am Format (etwa den Aufgabenstellungen und Übungen) des Unterrichts oder an standardisierten Aufgaben, die sich auf Basis von allgemeinen Richtlinien oder Kann-Beschreibungen ergeben. Mit externen Beobachtungsverfahren wie Sismik (für Deutsch als Zweitsprache), Seldak (für Deutsch als Muttersprache) oder Perik (für soziale Kompetenzen) können zwar auch Messungen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgenommen werden, sie sind aber speziell für Beobachtungen der Entwicklung (kindlicher) Kompetenzen zwischen verschiedenen Messpunkten konstruiert. Für die Bewertung und Zertifizierung von sprachlichen Leistungen bieten sich neben aufwändigeren, auf adäquate kommunikative Kompetenzen ausgerichteten Tests (etwa bei den Tests für den Hochschulzugang TOEFL für Englisch und TestDaF für Deutsch) aus organisatorischen Gründen auch Verfahren an, die in Bezug auf Themen und Aufgaben selektiv (bestimmte Kernkompetenzen) messen. Am bekanntesten sind dabei repräsentativ messende C-Tests, die trotz komprimierten Formats und geringer Redundanz nicht nur grammatische Kompetenzen, sondern auch die allgemeine Sprachkompetenz evaluieren (vergleiche Eckes & Grotjahn 2006; siehe auch Lerneinheit 3.3 in diesem Band). Experiment In Ihrer Schule soll ein neuer Einstufungstest eingeführt werden. Der Direktor Ihrer Schule hat Sie und Ihre Kollegen deshalb damit beauftragt, die beiden Testverfahren „Onset“ und „Dialang“ miteinander zu vergleichen. Gehen Sie auf die Webseiten www.onset.de und https: / / dialangweb.lancaster.ac.uk/ und führen Sie die Beispieltests durch. Machen Sie sich dabei Notizen zu Ihren Beobachtungen und diskutieren Sie im Anschluss mit Ihren Kollegen und Kolleginnen über die Ergebnisse. Welchen Test halten Sie für besser geeignet? <?page no="66"?> 66 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung Durch aufwändige testmethodische Verfahren wird bei externen Evaluationsverfahren zunehmend Qualitätssicherung betrieben. Die Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass Tests besonders zuverlässig sein müssen, weil ihre Ergebnisse weitreichende Folgen nach sich ziehen (zum Beispiel Zulassung zum Studium, Stipendien). Validität, Objektivität und Reliabilität eines Testverfahrens müssen daher gewährleistet sein. Schließlich ist auch sicherzustellen, dass Tests verschiedener Generationen äquivalente und vergleichbare Ergebnisse produzieren (test-equating). Ansonsten könnte eine Abschlussprüfung leichter oder schwieriger sein als eine andere. Auch muss es Verfahren geben, mit denen Testbewerter geschult werden (Training), so dass sie sich auf die gleichen Aspekte konzentrieren und die gleichen Bewertungskriterien und -verfahren anwenden. Darüber hinaus müssen die Bewertungen verschiedener Evaluatorinnen und Evaluatoren verglichen werden können (Herstellung einer Bewerter-Reliabilität/ Inter-Rater-Reliabilität). Diese Kalibrierung ist besonders bei den in der Regel offeneren produktiven Fertigkeiten notwendig, um individuelle Präferenzen der Bewerter auszugleichen. Viele Evaluationsverfahren sind weitestgehend fremdevaluativ, auch wenn sie die Lerner selbst bedienen können, nicht zuletzt, weil sie eine bestimmte Kompetenzbreite voraussetzen, über die ein Lerner etwa bei der Einstufung nicht verfügen kann oder weil sie hoheitliche Aufgaben wie die Zertifizierung beinhalten. Eigenevaluative Verfahren finden vor allem bei der Einstufung Verwendung (zum Beispiel Checklisten, Portfolios, Probetests, Prüfungstrainings). Verschiedene empirische Vergleichsstudien von Verfahren der Selbstevaluation und der kriterienbasierten Fremdevaluation durch Tests haben gezeigt, dass die Selbstevaluation in einem bestimmten Rahmen nur bedingt verlässliche Ergebnisse produzieren kann (vergleiche Dlaska & Krekeler 2008). Diese Ergebnisse müssen jedoch mit Vorsicht behandelt werden: In den Studien werden vergleichsweise unscharfe Einschätzungen nach Art des Portfolios des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (vergleiche Schneider, North, Flügel, Koch, Bovet, Makosch & Widmer 2001) vorgenommen. Wenn die Deskriptoren jedoch nicht eindeutig definiert sind, kommt es zu unscharfen Klassifizierungen und Auswertungen. 2.1.4 Evaluation mit digitalen Medien Lerneradaptive elektronische Programme basieren auf einer kontinuierlichen maschinellen Evaluation der Lernerdaten und bieten auf deren Grundlage dem Lerner weiteres Lernmaterial an, das seiner Lernstufe entspricht oder etwas über diese Stufe hinausgeht und ihn so fordert. Wird das Anforderungsniveau unterschritten, generiert das Programm einfachere Aufgaben, werden die Aufgaben gut gemeistert, steigen die Anforderungen. Solche Systeme eignen sich am ehesten für strukturelle Übungszwecke, also weniger für holistische Aufgaben, bei deren Bewältigung verschiedene Kompetenzen und Kompetenzniveaus zum Tragen kommen. Manche Systeme kombinieren die Fremdevaluation (durch das Programm) mit Verfahren der Selbstevaluation durch den Lerner. Der E-Assistent von uni-deutsch.de (vergleiche Roche 2008a: 131) enthält ein System, das Lernern in vier an grammatikalischer und orthographischer Präzision zunehmenden Phasen Rückmeldung zu möglichen Fehlern gibt, aber ihnen die Interpretation der Rückmeldung weitestgehend selbst überlässt. So haben <?page no="67"?> 67 2.1 Kompetenzorientierung Lerner stets die Möglichkeit, Varianten zu wählen oder Fehler zu korrigieren (vergleiche hierzu die Entwicklung des computergestützten Diagnoseprogramms rapid profile für Lerner des Englischen; Keßler 2006). Im modernen Qualitätsmanagement geht es nicht nur um die Evaluation der Lernerkompetenzen, sondern auch darum, die Verantwortung für die gesamte Qualitätsentwicklung des Lernens und Lehrens den Betroffenen weitestgehend selbst zu überlassen (vergleiche Roche et al. 2007, Buhren 2007). Das heißt, Qualitätsmanagement ist ein eigenverantwortlicher (partizipatorischer) und kontinuierlicher Prozess, der ohne ein gewisses Maß an Konsens über die Ziele nicht auskommt. Dabei werden Lehrpläne und Unterrichtsverfahren im Hinblick auf die Qualität der Arbeit und der erreichten Ergebnisse bewertet. Eine Evaluation dient dazu, die Wirkung der gewählten Qualitätsmaßnahmen in Bezug auf die gesetzten Ziele zu ermitteln und auf dieser Grundlage die weiteren Qualitätsmaßnahmen in der Schule, im Unterricht, in der Vorbereitung, bei der Auswertung und anderen Tätigkeiten zu planen und weiterzuentwickeln. Die Schulen und andere Institutionen der Lehre sollen lernende Organismen werden, an denen Schülerinnen oder Kursteilnehmer, auch die Eltern, Lehrerinnen/ Lehrer, die Schulleitung und -verwaltung und die Gesellschaft insgesamt aktiv partizipieren. Dafür benötigt man Instrumente der Selbst- und Fremdevaluation wie Fragebögen, Beobachtungsbögen, Portfolios, Checklisten, Team-/ Peervorbereitungen und -besprechungen, Teamunterricht, Hospitationen, Tests und Lernergebnisse. Entscheidend ist jedoch, dass auch im Qualitätsmanagement die Auswertung und Nutzung selbst- und fremdevaluativer Ergebnisse von den Betroffenen selbst übernommen wird (vergleiche Kapitel 1 und 2 im Band »Unterrichtsmanagement«). 2.1.5 Zusammenfassung ▶ Die sprachliche Handlungsfähigkeit umfasst neben der Fähigkeit, Laute an der Oberfläche wahrzunehmen und zu artikulieren oder andere strukturelle Merkmale zu beherrschen auch die Fähigkeit, Konzepte auszubilden sowie Nachrichten zu entwerfen und zu formulieren. Hierzu ist ein umfangreiches Welt- und Situationswissen, prozedurales Wissen sowie kulturspezifisches Wissen zum Ablauf von Diskurspraktiken nötig. ▶ Die Kompetenzorientierung ergibt sich aus konstruktivistischen Lernmodellen. Mit instruktionistischen Verfahren verträgt sie sich nur bedingt. ▶ Sprachliche Handlungsfähigkeit wird in vielen gängigen Curricula in Form von Beschreibungen des Wissens und Könnens operationalisiert. In vielen Ländern bildet der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen die Grundlage für Lehrpläne, Zertifizierung von Sprachkenntnissen und Evaluation. Dieser verwendet jedoch auch unscharfe Deskriptoren und eignet sich dadurch nur bedingt als Grundlage zur Bestimmung von Handlungskompetenzen und Evaluationskriterien. ▶ Weder der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen noch gängige Lehrwerke orientieren sich an pragmalinguistischen Kommunikationsmodellen. Daher sind die Kann-Beschreibungen meist auf abstrakte Fertigkeiten ausgerichtet, die anhand spezifischer Themen illustriert werden, aber die Prinzipien der Kommunikation kaum berücksichtigen, insbesondere ihre Ausrichtung an <?page no="68"?> 68 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung der kommunikativen Disposition der Adressaten und damit am gemeinsamen Weltwissen und seiner Steuerung durch den Sprecher. ▶ Auch wenn durch den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen und andere Referenzrahmen keine Inhalte vorgegeben werden, ist in Lehrmaterialien zu erkennen, dass eine Verengung auf die Alltagskommunikation zu Lasten anderer Register und Varietäten gefördert wird. Sprachliche Variation wird jedoch nicht systematisch erfasst und behandelt. ▶ Die Anwendung der Kompetenzorientierung erfordert eine auf Handlungen und Autonomie ausgerichtete Unterrichtsmethodik, die ihrerseits eine entsprechende Ausbildung der Lehrkräfte und ein geeignetes Lehrmaterial voraussetzt. ▶ Die Kompetenzorientierung verlangt zudem angemessene Evaluationsverfahren für diagnostische Zwecke, aber auch für das gesamte Unterrichtsmanagement. ▶ Aus konstruktivistischer Sicht sollten Lernziele und Kompetenzen aufgabenorientiert und anhand von überprüfbaren Deskriptoren evaluiert werden. Entdeckende (explorative) Lernverfahren (beispielsweise mittels Lernszenarien) eignen sich dabei gut für alle Zielgruppen. ▶ Kompetenz- und Handlungsorientierung beschreiben unterschiedliche Aspekte moderner Sprachdidaktiken (vergleiche Lerneinheit 2.2 in diesem Band). Sie sind nicht gleichbedeutend und ergeben sich auch nicht automatisch. Wer nur das sprachliche Können oder Wissen beschreibt, sagt damit noch nichts über das adäquate Handeln in kommunikativen Kontexten aus. 2.1.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Kompetenzen definiert der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen? 2. Inwiefern kann man mit Kann-Bestimmungen die Lernziele/ Kompetenzen zwar abstrakt beschreiben, aber noch kein didaktisches Konzept davon ableiten? Welcher Zwischenschritt zwischen Kann-Beschreibungen und Handlungsorientierung ist nötig? 3. Welche Formen der Evaluation sind besonders relevant für den modernen Sprachunterricht? <?page no="69"?> 69 2.2 Gebrauchsbasierung 2.2 Gebrauchsbasierung Svenja Uth In dieser Lerneinheit beschäftigen wir uns mit der Erwerbstheorie des gebrauchsbasierten Ansatzes (usage-based approach) (vergleiche Langacker 1987; Goldberg 1995; Croft 2001; Behrens 2011; Tomasello 2003). Dabei werden Sie zunächst die wichtigsten Prinzipien des Ansatzes kennenlernen und damit die für die Unterrichtspraxis relevanten Eckpfeiler der modernen Spracherwerbsforschung ergründen. In diesem Zusammenhang werden Ihnen Konzepte, wie intention reading und pattern finding sowie der Faktor der Salienz und damit verbunden die Rolle der Frequenz dargelegt. Ein weiterer natürlicher Einflussfaktor des Lernprozesses, der in dieser Lerneinheit behandelt wird, ist die kommunikative Relevanz (siehe Roche, Reher & Simic 2012). In der Wirkungsforschung zu gebrauchsbasierten Ansätzen kommen häufig Verfahren vor, wie die Salienzmachung oder das Input-Enhancement, die sich von den älteren behaviouristischen Verfahren des Unterrichts kaum unterscheiden. In der Forschung werden diese Nähe und ihre Problematik bisher nicht thematisiert. Diese Lerneinheit stellt die Parallelen dar, identifiziert die Problematik und bietet die Grundlage für die didaktischen Konsequenzen, die aus der erwerbstheoretischen und methodischen Basis der neueren Forschung abgeleitet werden können und die in der letzten Lerneinheit in diesem Kapitel mit Blick auf die Unterrichtspraxis illustriert werden (siehe Lerneinheit 2.3). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die neuesten erwerbstheoretischen Erkenntnisse des gebrauchsbasierten Ansatzes kennenlernen; ▶ das Konzept der Salienz verstehen und die Rolle der Frequenz im Sprachenerwerb kritisch reflektieren; ▶ das Prinzip der kommunikativen Relevanz aus einer erwerbstheoretischen Perspektive heraus betrachten. 2.2.1 Der gebrauchsbasierte Ansatz Die neuen Denkansätze der kognitiven Linguistik (siehe die Bände »Sprachenlernen und Kognition« sowie »Kognitive Linguistik«) und in deren Folge auch des gebrauchsbasierten Ansatzes haben erkennen lassen, dass sich der Fokus zur Beschreibung des Forschungsgegenstands auf die Relevanz der Kognition, des Sprachgebrauchs, der Kommunikation und der Funktion von Sprache verschieben muss (Langacker 1987, 1991, 2000; Croft 1991, 2001; Goldberg 1995, 2008; Givón 1995; Bybee 1985, 1995, 2002; Tomasello 1998, 2003; Barlow & Kemmer 2000). Auf diesem Paradigmenwechsel gründet der gebrauchsbasierte Ansatz, der seinen Ursprung in Langackers Kognitiver Linguistik hat. Langacker verwendete erstmals <?page no="70"?> 70 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung 1987 den Begriff usage-based, der im Deutschen in etwa mit ,Gebrauchsbasiertheit’ gleichzusetzen ist, um eine neue Richtung in der Linguistik zu beschreiben (Kemmer & Barlow 2000: 1). Seit Langackers Einführung des Konzepts der Gebrauchsbasiertheit hat sich der Begriff weiterentwickelt. Aus der weiteren Bearbeitung des Konzepts hat sich nicht zuletzt durch Tomasellos Einflüsse der usage-based approach herausgebildet. Das entsprechende Erwerbsmodell ist eng mit der kognitiven Linguistik (vor allem in der Ausrichtung Langackers 1987, 2000, 2007) und der Konstruktionsgrammatik (unter anderem Lakoff 1987; Goldberg 1995, 2008; Croft 2001; Croft & Cruse 2004; Fillmore 1985, siehe hierzu Lerneinheit 4.2 im Band »Kognitive Linguistik«) verwoben (hierzu beispielsweise Behrens 2009). Wie in den Bänden »Sprachenlernen und Kognition« und »Kognitive Linguistik« in dieser Reihe bereits dargestellt, zeichnet sich die kognitive Linguistik dadurch aus, dass Sprache als Teil des kognitiven Systems zu betrachten ist und somit nicht isoliert von anderen (nicht-sprachlichen) kognitiven Prozessen untersucht werden kann (siehe hierzu auch Bellavia 2007; de Bot, Lowie & Verspoor 2005; Ellis 2004; Givón 1979; Radden 1999; Tomasello 2003; zu den kognitiven Prozessen bieten beispielsweise Croft & Cruse eine Übersicht 2004: 46-48). Die grundlegenden sprachlichen Einheiten, die in der kognitiven Linguistik betrachtet werden, sind Konstruktionen. Damit werden Form-Bedeutungspaare verschiedenen Abstraktionsgrades bezeichnet. Lakoff (1987: 47) fasst den Konstruktionsbegriff in einem Satz wie folgt zusammen: Each construction will be a form-meaning pair (F, M), where F is a set of conditions on syntactic and phonological form and M is a set of conditions on meaning and use. Die Auffassung von Konstruktionen hebt folglich die Trennung zwischen Lexikon und Grammatik auf und legt zudem den Schwerpunkt auf den Sprachgebrauch. Daher wird auch häufig von Form-Funktionspaaren gesprochen (für eine ausführliche Beschreibung des Konstruktionsbegriffs siehe Lerneinheit 4.2 im Band » Kognitive Linguistik«). Die Bedeutung des Sprachgebrauchs stellt Langacker (2008a: 16) wie folgt dar (weitere Informationen zum Aufbau von sprachlichem Wissen aus dem Sprachgebrauch finden sich unter anderem in Langacker 1987, 1991; Croft 1991; Givón 1995; Tomasello 2003; Goldberg 2008; Bybee 2010): If generative grammar views syntax as being central to language, cognitive linguistics accords this honor to meaning. The latter seems far more natural from the perspective of language users. When ordinary people speak and listen, it is not for the sheer pleasure of manipulating syntactic form - their concern is with the meanings expressed. Dass auch Grammatik Bedeutung trägt und daher nicht nur aus einer rein formalen, regelbasierten Perspektive zu betrachten ist, wurde umfassend dargelegt (siehe vor allem Langacker 1987, 1991, 2000, 2007; Talmy 2000). Analog dazu geht der gebrauchsbasierte Ansatz bezogen auf den Spracherwerb davon aus, dass Wissen aus dem Gebrauch zu erschließen ist und Spracherwerb somit der Erwerb von Konstruktionen aus dem reellen Sprachgebrauch ist. <?page no="71"?> 71 2.2 Gebrauchsbasierung 2.2.2 Grundprinzipien des gebrauchsbasierten Ansatzes Der gebrauchsbasierte Ansatz orientiert sich nach Tomasello (2003: 325-327, 2009: 69) an den drei Grundeigenschaften: funktions-, konstruktions- und gebrauchsbasiert. Die funktionsorientierte (functionalist-based) Herangehensweise bedeutet, dass nicht sprachliche Formen und Strukturen Gegenstand der Betrachtung sind, sondern die Intentionen des sprachlichen Handelns (vergleiche hierzu das Konzept intention reading, das in Abschnitt 2.2.3 erläutert wird): If human cognitive representations derive most directly from human perception (Barsalou, 1999), then our theoretical representations of linguistic representations should contain information about how language is used to direct people’s attention to events and entities in the current joint attentional frame. (Tomasello 2003: 325) Der zweite Leitgedanke ist, dass der Ansatz konstruktionsbasiert (construction-based) ist. Die wesentliche sprachliche Einheit, die es zu betrachten gilt, sind Konstruktionen und komplette Äußerungen, anstelle von isolierten Wörtern oder Morphemen. Äußerungen sind aus kommunikativer Sicht die entscheidenden sprachlichen Einheiten, die die kommunikativen Intentionen des Sprechers oder der Sprecherin tragen: [ ] it means that the focus is on whole utterances and constructions -not isolated words or morphemesas the most fundamental units of language acquisition. Utterances are the primary reality of language from a communicative point of view because they are the most direct embodiment of a speaker’s communicative intentions. And so it is utterances -not words or abstract categoriesthat children are initially focused on learning. (Tomasello 2003: 325-326) Der letzte Grundsatz für den gebrauchsbasierten Ansatz ist die grundlegende Haltung, Sprache von einem gebrauchsbasierten (usage-based) Blickwinkel zu betrachten. Gebrauchsbasiert bedeutet nach Tomasello, dass Sprache (sprachliche Strukturen, Bedeutung etc.) aus dem Sprachgebrauch hervorgeht. Dies fasst er (2009: 69) wie folgt zusammen: ‘Meaning is use’ represents an approach to the functional or semantic dimension of linguistic communication. It originated with Wittgenstein (1953) and other pragmatically based philosophers of language, who wanted to combat the idea that meanings are things and instead focus on how people use linguistic conventions to achieve social ends. ‘Structure emerges from use’ represents an approach to the structural or grammatical dimension of linguistic communication. It is implicit in the work on grammaticalization and language change of many historical linguists, and has been made explicit by Langacker (1987, 2000) and other usage-based linguists, who want to combat the idea of a wholly formal grammar devoid of meaning and instead focus on how meaning-based grammatical constructions emerge from individual acts of language use. Diese Prinzipien gilt es in allen Bereichen der Forschung und Lehre zu berücksichtigen. Der Fremdsprachenunterricht muss folgerichtig top-down-gesteuert sein: ausgehend vom Gebrauch über die Funktion hin zur Konstruktion. <?page no="72"?> 72 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung 2.2.3 Vom Sprachgebrauch zur Konstruktion Inwiefern Grundprinzipien des gebrauchsbasierten Ansatzes auch für die Erwerbsprozesse von Bedeutung sind, haben Sie in Lerneinheit 3.1 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb« bereits erfahren, als Sie sich mit der Frage beschäftigten, wie Lerner von den Chunks zur Basisvarietät gelangen. Dort haben Sie erfahren, dass der Sprachenerwerb (insbesondere der L1-Erwerb) vom Erwerb größerer, unanalysierter sprachlicher Einheiten (Chunks), die erst nach und nach in ihre Bestandteile und Muster (patterns) zerlegt werden, ausgeht. Chunking wird als universeller kognitiver Prozess betrachtet, der nicht nur auf den Sprachenerwerb zutrifft. Bewegungsabläufe sind beispielsweise als holistische Einheiten hinterlegt und können somit als Ganzes abgerufen werden. Im Zusammenhang mit Sprachenerwerb wird davon ausgegangen, dass jedes Sprachenlernen mit unanalysierten Chunks beginnt. So werden zum Beispiel Begrüßungsformeln zunächst als Einheit wahrgenommen, wobei die einzelnen Bestandteile nicht analysiert und daher mit ihrer Gesamtbedeutung abgespeichert werden. Erst im Laufe des Erwerbsprozesses werden sie in die einzelnen Bestandteile aufgebrochen und in anderen Konstruktionen wiederverwertet. Die direkte Verknüpfung des Chunks als funktionelle Einheit mit der Anwendungssituation führt dazu, dass etwa die Begrüßungsformel effektiver abgespeichert und aufgerufen werden kann (vergleiche hierzu Handwerker & Madlener 2009; Bybee 2010; Goldberg 1995, 2008). An den Prozessen, die dazu verhelfen, dass Chunks aufgenommen und nach und nach analysiert werden (siehe den Absatz zur Generalisierung in Lerneinheit 3.1 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«), sind nach Tomasello (2009) zwei wesentliche kognitive Verfahren beteiligt: intention reading und pattern finding. Das intention reading beschreibt Tomasello als Fähigkeit, den kommunikativen Zweck einer sprachlichen Handlung zu erkennen: ‘Intention-reading’ is what children must do to discern the goals or intentions of mature speakers when they use linguistic conventions to achieve social ends [ ]. (2009: 69-70) Dieser Mechanismus lässt den primären Antrieb im Sprachenerwerb erkennen: nämlich die Kommunikation (siehe auch die Ausführungen zu Bühlers Kommunikationsmodell in Lerneinheit 2.1 sowie zur kommunikativen Relevanz später in dieser Lerneinheit). Unter pattern finding wird die Fähigkeit verstanden, aus größeren sprachlichen Einheiten, abstrakte Konstruktionen abzuleiten. Pattern finding bezieht sich auf Prozesse, wie Kategorisierung oder Analogiebildung (für eine Übersicht zu den kognitiven Prozessen siehe Scheller 2008: 7-9 und Lerneinheit 1.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«), und stellt somit die wichtigste kognitive Anlage dar, wenn es um den Erwerb von sprachlichen Strukturen geht (Goldberg 1995, 2008; Tomasello 2003, 2009; Lieven & Tomasello 2008: 169). Allerdings muss ein sprachliches Phänomen zunächst einmal bemerkt werden, damit eine abstrakte Konstruktion abgeleitet werden kann. Als wichtige Faktoren, die diesen pattern-finding-Prozess in Gang setzen und unterstützen können, gelten die Salienz, die Frequenz sowie die kommunikative Relevanz. Diese drei Einflussfaktoren werden in den nächsten beiden Abschnitten genauer betrachtet. Dabei werden Salienz und Frequenz gemeinsam behandelt, da <?page no="73"?> 73 2.2 Gebrauchsbasierung in der Wirkungsforschung zu gebrauchsbasierten Ansätzen häufig davon ausgegangen wird, dass sie sich gegenseitig bedingen können (beispielsweise bei Hernández 2011, der die Auswirkung von Inputflut auf die Verwendung von Diskursmarkern gegenüber einer expliziten Vermittlungsform untersucht). 2.2.4 Salienz und Frequenz Die Kapazität der menschlichen Informationsverarbeitung ist begrenzt, weshalb nicht alle Eindrücke zugleich verarbeitet werden können und eine Auswahl getroffen werden muss. Dabei spielt es für den Konstruktionsprozess eine große Rolle, auf welche Elemente die Aufmerksamkeit für die Informationsverarbeitung fällt (vergleiche hierzu auch die Noticing-Hypothese nach Schmidt 1990 und 2001, in der er das noticing mit einer Steigbügelfunktion für den Lernprozess beschreibt; zur Noticing-Hypothese siehe auch Lerneinheit 3.3 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb« sowie Lerneinheit 3.2 im Band »Sprachenlernen und Kognition« und Roche 2013b). Generell ziehen dabei die Reize mit der größten Salienz die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Damit wir aus diesen theoretischen Überlegungen einen Nutzen für den Sprachunterricht ziehen können, sollten wir uns also zunächst fragen, was Salienz genau ist. In der Psychologie wird Salienz beispielsweise wie folgt definiert: Mit Salienz wird die Unterschiedlichkeit und Auffälligkeit eines Reizes in Relation zum Kontext bezeichnet. (Betsch, Funke & Plessner 2011: 25) Ausgehend vom Sprachgebrauch geht man davon aus, dass der Inhalt einer Äußerung oder Konstruktion eine höhere Salienz aufweist als dessen Form, da dieser eine höhere Relevanz für den kommunikativen Zweck beinhaltet und somit eher die Aufmerksamkeit auf sich zieht (Faerch & Kasper 1986; Klein 1986; Sharwood Smith 1986; Peters 1985; Wong Fillmore 1976). Diese Überlegung wird erwerbstheoretisch im Vergleich zwischen den kindlichen Erwerbsstrategien und der Erwachsener begründbar: In child language acquisition, knowledge of the world and knowledge of language are developing simultaneously, whereas adult SLA [second language acquisition, S.U.] builds upon preexisting conceptual knowledge. Moreover, adult learners have sophisticated formal operational means of thinking and can treat language as an object of explicit learning, that is, of conscious problem solving and deduction, to a much greater degree than can children […]. (Ellis 2004: 52) Während Kinder dazu tendieren, Konstruktionen (zum Beispiel der Ball oder Komm mal her! ) als holistische Einheit aufzunehmen und zunächst als Gesamtes mit dem Referenzobjekt beziehungsweise der sprachlichen Funktion zu verbinden, sind erwachsene Lerner aufgrund ihrer Vorerfahrung eher dazu in der Lage, Äußerungen zu segmentieren und potentiell Unwichtiges, das keinen kommunikativen Inhalt füllt, herauszufiltern. Bei der Konstruktion der Ball ist der Artikel für den kommunikativen Inhalt der Äußerung von geringerer Bedeutung und könnte daher für den Lerner weniger salient erscheinen. Diese unterschiedlichen Erwerbsstrategien beziehungsweise -voraussetzungen führen dazu, dass Kindern ein gutes <?page no="74"?> 74 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung Mapping ermöglicht ist, wohingegen erwachsene L2-Lerner in diesem Fall bekanntermaßen häufig Schwierigkeiten haben, das korrekte grammatische Geschlecht zuzuordnen. Dies betrifft nicht nur Funktionswörter, sondern ist allgemein bei grammatikalischen Morphemen zu beobachten. Hier führt zum einen die häufig niedrige Relevanz für den kommunikativen Zweck und zum anderen die Tatsache, dass sie in Verbindung mit inhaltlich salienteren Formen auftreten und unbetont sind, dazu, dass sie generell eine geringere Salienz aufweisen (Tomasello 2003: 199; zur Salienz in Bezug auf universelle kognitive Prozesse siehe im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Wie stehen aber nun Salienz und Frequenz miteinander in Verbindung? Auch wenn in der ursprünglichen Literatur des gebrauchsbasierten Ansatzes kein eindeutiger Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Frequenz und Salienz zu finden ist, treten diese beiden Termini in der neueren Literatur doch immer wieder zusammen auf, vor allem im Bemühen, den Input durch Frequenzmanipulation salienter zu gestalten (zu Frequenzmanipulationen siehe auch Lerneinheit 3.3 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Allerdings gilt zu beachten, dass eine unüberlegte Erhöhung der Tokenfrequenz auch zu negativen Effekten führen kann (zu Typ- und Tokenfrequenz siehe auch Lerneinheit 4.3 im Band »Kognitive Linguistik«). Die folgende Abbildung veranschaulicht, wie eine erhöhte Tokenfrequenz zu einer niedrigen Salienz führen kann: Anhand der Schafe sehen Sie diesen Effekt sehr deutlich. Sind die weißen Schafe hier zwar in der Überzahl (hohe Tokenfrequenz), ist es doch das schwarze Schaf (niedrige Tokenfrequenz), das aufgrund der Unterschiedlichkeit zum Kontext (hier die weißen Schafe) auffälliger und damit salienter ist. Bezogen auf den Unterricht müssen wir sehr überlegt mit Frequenzmanipulationen umgehen und stets bedenken, dass Salienz, wie oben erläutert, hauptsächlich über kommunikativ relevanten Inhalt zu erreichen ist und nicht unbedingt über die Frequenz im Vorkommen. Abbildung 2.2: Salienz als Unterschiedlichkeit und Auffälligkeit eines Reizes in Relation zum Kontext (Buzzfeed 2018) <?page no="75"?> 75 2.2 Gebrauchsbasierung Auf der Lernplattform können Sie ausführlich nachlesen, wie Manipulationen von Token- und Typenfrequenzen eingesetzt werden und wie deren Effekte für den Spracherwerb einzuordnen sind. An dieser Stelle soll eine kurze Zusammenfassung der Befunde gegeben werden. Wie auch Tomasello (2003: 106-107) beschreibt, fördert die Erhöhung von Token- oder Typenfrequenzen in der sprachlichen Umgebung, unterschiedliche Arten von Verarbeitung und Verankerung von Wissen. So unterstützt eine hohe Tokenfrequenz im Input den Erwerb unanalysierter Einheiten (Chunks; bei Tomasello „expressions as a whole“). Es wird demnach nicht davon ausgegangen, dass bei hoher Tokenfrequenz eine tiefe Verarbeitung, das heißt Generalisierungsprozesse stattfinden (siehe auch Langacker 1988; Krug 1998; Bybee & Scheibmann 1999). Betrachtet man die Typenfrequenz, also das Vorkommen eines abstrakten Konstruktionstypen, zeichnet sich ein anderes Bild. Bezüglich der Typenfrequenz wird davon ausgegangen, dass durch ein hohes Typenvorkommen eine Analogiebildung begünstigt wird, da es weniger wahrscheinlich ist, dass die Konstruktion mit einem bestimmten lexikalischen Element verknüpft wird (Tomasello 2003: 107, 2009: 86; Bybee & Hopper 2001). 2.2.5 Kommunikative Relevanz Neben Salienz und Frequenz spielt der Lernfaktor der kommunikativen Relevanz eine zentrale Rolle im Spracherwerb. Das Relevanzprinzip (nach Roche 2008b und Roche et al. 2012) basiert auf Wilson & Sperbers Relevanz-Theorie, deren Hauptaussage darin besteht, dass die Relevanz des Inputs in direktem Verhältnis zu dessen Verarbeitungsnutzen steht (2006). Die Relevanz des Inputs wird aus Sicht des Lerners begünstigt, wenn durch die Verarbeitung ein positiver kognitiver Effekt zu erwarten ist, beispielsweise indem Erkenntnisse gewonnen werden, die das Wissen hinsichtlich einer für den Rezipienten des Inputs bedeutungsvollen Thematik erweitert: When is an input relevant? Intuitively, an input (a sight, a sound, an utterance, a memory) is relevant to an individual when it connects with background information he has available to yield conclusions that matter to him: say, by answering a question he had in mind, improving his knowledge on a certain topic, settling a doubt, confirming a suspicion, or correcting a mistaken impression. According to relevance theory, an input is relevant to an individual when its processing in a context of available assumptions yields a positive cognitive effect. (Wilson & Sperber 2006: 608) Zudem besagt die Relevanz-Theorie, dass der Verarbeitungsnutzen abhängig von dessen Verarbeitungsaufwand ist. Die Annahme dieser Kosten-Nutzen-Rechnung lautet: Je höher der Verarbeitungsaufwand, desto weniger relevant ist der Input für den Rezipienten (Wilson & Sperber 2006: 609). Roche leitet daraus für den Sprachenerwerb das Relevanzprinzip ab, das die Bedeutung der intrinsischen Motivation des Lerners im Erwerbsprozess betont: Integrative Motive, die die Lernmotivation bestimmen und die subjektive Einschätzung der Relevanz des Sprachenlernens in Relation zum geschätzten Aufwand spielen eine besonders wichtige Rolle. <?page no="76"?> 76 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung Die Lernmotivation ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die sich gegenseitig beeinflussen und einer lernökonomischen Einschätzung des Lerners unterliegen. (2008b: 36) Am Beispiel des Wortschatzes wird somit ersichtlich, dass der Lerner vorrangig Wörter lernt, die in den inhaltlichen Bereichen seiner Kommunikationsbedürfnisse stehen. So wird beispielsweise ein L2-Lerner, der in der L2-Umgebung als Arzt praktiziert, schnell Wörter lernen, die in Zusammenhang zu seiner täglichen Arbeit stehen (zum Beispiel Verbandsschere, Schilddrüse, verschreibungspflichtig, sich entzünden). Im Gegensatz dazu wird sich das Vokabular eines Lagerlogistikers anderen Kommunikationsbedürfnissen anpassen und somit ein anderes Inventar aufweisen (beispielsweise Abwicklung, Hubwagen, planmäßig, einräumen, zerbrechlich). Dieses Prinzip gilt sowohl für den gesteuerten als auch für den ungesteuerten Sprachenerwerb. So fasst Klein zusammen: Es wird nicht gelernt, was möglichst einfach ist, sondern was am dringendsten für die Kommunikation benötigt wird. (2000: 552) Dabei ist Relevanz nur schwer als objektive Kategorie definierbar. Aus dieser Schwierigkeit lässt sich vermutlich am besten erklären, warum es zum Relevanzprinzip nur wenige empirische Forschungsansätze gibt. Theoretische Begründung erfährt die Relevanz neben Wilson und Sperbers Befunden vor allem durch Erkenntnisse aus dem Erstspracherwerb sowie stellenweise aus Ergebnissen von Studien zu Immersionsprogrammen und den Erkenntnissen der Neurolinguistik und Gedächtnisforschung (Roche 2008b; Roche et al. 2012; Genesee 1987, 1994: 9; siehe auch Funk 2010: 945-946 zu „bedeutungsvollen Inhalten“; Roth 1994). In der Neurologie wurde im Zusammenhang mit erfolgreichem Lernen festgestellt, dass bei der Aufnahme von Information im limbischen System eine Bewertung stattfindet, die einen Lernprozess und Speicherung im emotionalen Erfahrungsgedächtnis in Gang setzt, wenn Kriterien, wie „wichtig“, „bedeutend“, „nützlich“ etc. erfüllt werden (Roth 1994). Bezogen auf den Spracherwerb beschreibt Böttinger zum Thema Relevanz: Ein Faktor erfolgreichen Sprachenlernens ist in jeder Altersstufe somit eine positive Ausgangssituation, eine persönliche, erkennbare Win-Win-Situation - durch relevante sprachliche Inhalte und Zieldimensionen. Diese wiederum führt verstärkend zu einem emotionalen Lernprozess […] und somit zum besseren Behalten, damit wiederum zu mehr Sprachlernerfolg, zu mehr Spaß. (Böttinger 2016: 150-151) Neben diesen neuronalen Aspekten führen aber vor allem die praktischen Erfahrungen und Beobachtungen zur Erkenntnis, dass ein integrativer Unterricht, der bedeutungsvolle Inhalte mit zielgerichteter Kommunikation verbindet, bessere Lernerfolge liefert als an Inputmodellen mit formfokussierenden Verfahren angelehnter Unterricht, der letztlich stets in der „Reproduktion kommunikativer Situationen zur Erfüllung struktureller Vorgaben“ (Roche et al. 2012: 17) resultiert. Daher sehen es Roche et al. für den Unterricht als oberstes Prinzip an, Bedingungen zu schaffen, die denen des ungesteuerten Erwerbs möglichst ähnlich sind: <?page no="77"?> 77 2.2 Gebrauchsbasierung Dies geschieht am besten dadurch, dass (bedeutungs-)reiche Lernumgebungen vorhanden sind, die für den Lerner relevant und interessant sind und ihm die Möglichkeiten bieten, nach eigenen Interessen eigene Salienzen im Input zu bestimmen und damit weiterzuarbeiten. (2012: 17) Zur Orientierung an natürlichen Erwerbssituationen gilt es auch, das Kommunikationsmodell von Bühler (1934), das bereits in Lerneinheit 2.1 thematisiert wurde, zu berücksichtigen. Für einen gebrauchsbasierten Fremdsprachenunterricht ist die Gültigkeit des dreigliedrigen Zeichenmodells von Bühler stets zu wahren, denn nur wenn alle drei Funktionen erfüllt sind, kann „echte“ Kommunikation stattfinden. Experiment Einer Ihrer Freunde berichtet Ihnen davon, dass er für seinen geplanten Auslandsaufenthalt in Südamerika unbedingt Spanisch lernen muss. Er hat von der App „Duolingo“ gehört und ist begeistert von den zahlreichen positiven Meldungen im Netz darüber. Sie als Sprachenlehrer oder -lehrerin werden natürlich sofort hellhörig und möchten es gleich mal ausprobieren. Laden Sie sich die kostenfreie Sprachlern-App Duolingo auf Ihr Smartphone oder besuchen Sie die Website unter https: / / en.duolingo.com/ register. Erstellen Sie sich dort einen kostenfreien Account und wählen Sie eine beliebige Sprache, die Sie lernen möchten. Bearbeiten Sie dort die Aufgaben für mindestens 20 Minuten. Beschreiben Sie im Anschluss das methodische Konzept des Programms und erstellen Sie dabei eine Liste der verwendeten Aufgabentypen. Erörtern Sie, inwiefern das Sprachlernprogramm dabei die neueren Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung, die Sie in diesem Kapitel bereits gelernt haben, berücksichtigt. Achten Sie bei Ihrer Analyse besonders auf folgende Aspekte: Kommunikative Relevanz, Bedingungen der Kommunikation, Handlungsorientierung und authentisches sprachliches Handeln. Welcher Spracherwerbstheorie folgt dieses Sprachlern-Programm? Erkennen Sie eine bestimmte Methodik, die in Kapitel 1 und Kapitel 2 behandelt wurde? Abbildung 2.3: Logo Duolingo (2017) Wie Sie im Laufe Ihrer Analyse sicher feststellen konnten, kann durch das imitierende und wiederholende Verfahren dieser linearen Übungstypen, die der audiolingualen Methode entstammen, keine kommunikative Relevanz zustande kommen, da die Bedingungen für Kommunikation nach Bühler (1934) nicht gegeben sind (siehe hierzu auch Roche 2008b). Die Imitation der teilweise sinnfreien Scheindialoge (vergleiche Abbildung 2.4), die in keinem erkennbaren Kontext stehen, wenig Authentizität aufweisen und auf Seiten der Lerner keinen kommunikativen Zweck erfüllen, kann nicht als Kommunikation gewertet werden. Obwohl der Behaviourismus stark kritisiert wurde (siehe hierzu vor allem Chomsky 1959, 1988) und nach den 1960er Jahren immer mehr an Bedeutung verlor, ist aktuell dennoch eine Rückkehr <?page no="78"?> 78 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung einiger Komponenten dieser Lerntheorie durch den vermehrten Einsatz digitaler Medien im Bereich der Fremdsprachenlehre zu verzeichnen (siehe Roche 2001). Neuere Programme wie Duolingo folgen mit den Satzmuster-Übungen (pattern drill) einer erkennbar behaviouristischen Ausrichtung. Die Renaissance der Ansätze aus den 1960er Jahren wird gemeinhin als Neobehaviourismus bezeichnet. Dabei bleiben neuere Erkenntnisse der kognitiven Linguistik und des gebrauchsbasierten Ansatzes weitestgehend unberücksichtigt. Auch wenn die neuen Verfahren durch eine bunte Oberfläche glänzen, wird bei näherer Betrachtung schnell ersichtlich, dass vom Benutzer keine tatsächlichen sprachlichen Handlungen abverlangt werden und eine Kommunikation nur mittels der Darstellung einer sprechenden Person suggeriert wird, wobei der Inhalt der Texte weder von Kontext, Authentizität noch Relevanz zeugt, wie die folgende Darstellung (siehe Abbildung 2.4) verdeutlicht. Wie Sie die Erkenntnisse der neueren Spracherwerbsforschung in der Praxis umsetzen können, wird in der nächsten Lerneinheit (siehe 2.3) genauer erläutert. 2.2.6 Zusammenfassung ▶ Der gebrauchsbasierte Ansatz basiert auf den Erkenntnissen der kognitiven Linguistik und setzt zudem einen wichtigen Fokus auf den Sprachgebrauch. ▶ Die funktionsorientierte Herangehensweise des Ansatzes impliziert, dass nicht sprachliche Formen und Strukturen Gegenstand der Betrachtung sind, sondern der kommunikative Zweck. ▶ Die Konstruktionsbasiertheit besagt, dass Äußerungen (die tragenden Einheiten der kommunikativen Intentionen des Sprechers), aus kommunikativer Sicht die entscheidenden sprachlichen Einheiten sind, die es zu betrachten gilt. ▶ Die Gebrauchsbasiertheit des Ansatzes ist die grundlegende Haltung, Sprache von einem gebrauchsbasierten Blickwinkel zu betrachten. Gebrauchsbasiert bedeutet nach Tomasello (2009), dass Sprache, sprachliche Strukturen und Bedeutung etc. aus dem Sprachengebrauch hervorgehen. Abbildung 2.4: Neobehaviourismus in neuen Sprachlernmedien: Abwesenheit von Kontext, Authentizität und kommunikativer Relevanz (Duolingo App 2018) <?page no="79"?> 79 2.2 Gebrauchsbasierung ▶ Auf dem Weg zu Generalisierungen und Analogiebildungen sind nach Auffassung des gebrauchsbasierten Ansatzes die zwei wesentlichen kognitiven Verfahren des intention readings und des pattern findings beteiligt. ▶ Für den Grad der Generalisierung durch den Lerner spielen die Token- und Typenfrequenzen eine Rolle: ▶ Die Tokenfrequenz einer Konstruktion im Lerner-Input beeinflusst die Verankerung holistischer Einheiten positiv, was ein schnelles Abrufen begünstigt, für Analogiebildungen allerdings hinderlich sein kann. ▶ Die Anzahl der unterschiedlichen Formen einer bestimmten Konstruktion (oder Elemente davon), der dem Lerner im Input begegnet (Typenfrequenz), kann den Grad der Generalisierung der Konstruktion durch den Lerner positiv beeinflussen. ▶ Salienz im Input ist hauptsächlich über kommunikativ relevanten Inhalt zu erreichen. 2.2.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Erklären Sie die drei Grundprinzipien des gebrauchsbasierten Ansatzes. 2. Welchen Ansatz bieten Wilson & Sperber (2006), wenn es darum geht zu entscheiden, wann ein Input relevant ist? 3. Erklären Sie, welche Rolle Bühlers Kommunikationsmodell für die Sprachdidaktik spielt. <?page no="80"?> 80 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik Jörg Roche & Svenja Uth Anschließend an die erwerbstheoretischen Grundlagen des gebrauchsbasierten Ansatzes aus Lerneinheit 2.2 gehen wir nun auf die didaktischen Konsequenzen dieser Erkenntnisse ein und thematisieren die Unterrichtsprinzipien für gebrauchs- und handlungsorientiertes Sprachenlernen. Wie Sie im Verlauf dieses Kapitels bereits erfahren haben, betreffen die wichtigsten Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung die Tatsache, dass Sprache auf der Grundlage von authentischen Interaktionen in sinnstiftenden Kontexten erworben wird, in denen zielgerichtet gehandelt wird. Daneben wird im Sinne konstruktivistischer Erkenntnisse vorausgesetzt, dass jeder Lerner Spracherfahrungen unterschiedlich erlebt und aus den unterschiedlichen Erfahrungen folglich auch unterschiedliches Wissen konstruiert, also unterschiedlich daraus lernt. Diese Individualität spiegelt sich unter anderem in unterschiedlichen Erwerbsgeschwindigkeiten und Erwerbsverläufen. Für die Unterrichtsgestaltung ergeben sich daraus zwei zentrale Konsequenzen: Unterricht muss handlungsorientiert sein und jedem Lerner die Möglichkeit bieten, an bereits vorhandenes Wissen anzudocken. Unterricht muss demnach binnendifferenzierbar sein. Ein Ansatz, der diesen Anforderungen entspricht, ist die Szenariendidaktik, über die Sie in dieser Lerneinheit anhand anschaulicher Materialien mehr erfahren werden. Hierfür dienen die Grundlagen des handlungs- und gebrauchsorientierten Unterrichts als Referenzpunkt. Konkrete Umsetzungsbeispiele schließen diese Lerneinheit ab. Die Beispiele basieren unter anderem auf dem im Auer-Verlag erschienenen Band DaF/ DAZ fachfremd unterrichten. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die didaktischen Unterrichtsprinzipien der Gebrauchs- und Handlungsorientierung kennenlernen; ▶ das Konzept der Szenariendidaktik als Beispiel einer handlungsorientierten Didaktik kennenlernen; ▶ erkennen, wie sprachliche Kompetenzen durch Lernszenarien aufgebaut werden können; ▶ anhand beispielhafter Lernszenarien erkennen, wie die Umsetzung im Klassenzimmer erfolgen kann. 2.3.1 Sprachliches Handeln als Prinzip der Unterrichtsgestaltung Handlungsorientierte Unterrichtsansätze sind keine Erfindung der kognitiven Sprachdidaktik. Sie finden ihren Ursprung eigentlich schon in Rousseaus ganzheitlichem Bildungsideal: Bei der „Erziehung“ von Menschen sollen relevante aufgabenhaltige Situationen geschaffen <?page no="81"?> 81 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik werden, in denen Schülerinnen und Schüler dazu ermuntert werden „vermeintliche Lösungsangebote oder vorschnelle Urteile zu unterlassen und stattdessen zunächst auf der Ebene sinnlicher Wahrnehmung unterschiedliche Versuche zum Finden einer Lösung vorzunehmen und dann die Wahrnehmungsresultate so lange aufeinander zu beziehen“ (Hansmann 2006: 37), bis sie zu einer angemessenen Lösung gelangen können. Nach Rousseau bilden solche Lernarrangements die Grundlage, um „die Bildung des logischen, des moralischen und des religiösen Urteils unabhängig von den Meinungen, Launen oder Vorurteilen anderer zu initiieren und umsichtig zu leiten“ (Hansmann 2006: 46). Der Gedanke, dass die kombinierte Entwicklung sprachlicher, fachlicher, sozialer und demokratischer Kompetenzen eine zentrale Bildungsaufgabe darstellt, wurde zu einem späteren Zeitpunkt unter anderem von Pestalozzi, Diesterweg und der deutschen Arbeitspädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts aufgenommen. Da Erkenntnis durch Wahrnehmung und Erfahrung entstehe, müsse im Unterricht induktiv vorgegangen werden. Die Theorie folgte aus den Tatsachen; sie führte vom Sinnlichen zu den Ideen, vom Experiment zum Axiom, vom geistig Nahen zum Entfernten, von der Mannigfaltigkeit zur Einheit. Der Lehrer ist dabei der Anregende, der Schüler der Selbsttätige, der Forschende und Entdeckende. (Geißler 2006: 142) Durch Selbsttätigkeit werden Schülerinnen und Schüler zu eigenen Überlegungen und der Erprobung unterschiedlicher Lösungsversuche gezwungen. Dies fördert Problembewusstsein und Selbständigkeit im Denken, Handeln und Urteilen. In den Vereinigten Staaten entwickelten Dewey und Kilpatrick unter dem Einfluss des Pragmatismus das Konzept des „Learning by doing“. Nach diesem Prinzip soll den Schülerinnen und Schülern im Unterricht die Möglichkeit gegeben werden, „durch eigene Erfahrungen und Handlungen sowie durch Partizipation und Teilhabe an gemeinsam mit anderen durchgeführten Aktivitäten und Projekten zu einer umfassend selbsttätigen und selbst bestimmten Entwicklung ihres Lernens zu gelangen“ (Neubert 2012: 35). Während lebensweltliche Erfahrungen als Ausgangspunkt für gemeinsame konstruktive Lernprozesse genutzt werden, kann deren Erweiterung nur durch angemessene Praktiken der sozialen Interaktion erreicht werden (vergleiche hierzu Lerneinheit 1.2 in diesem Band). Weitere zentrale Impulse für die handlungsorientierte Unterrichtsmethodik lieferte die Berufspädagogik in den 1970er Jahren, als im Rahmen der Handlungsregulationstheorie von den Arbeitspsychologen Winfried Hacker (*1934) und Walter Volpert (*1942) das Modell der vollständigen Handlung entworfen wurde, auf dem die Entwicklung der Leittextmethode, beziehungsweise ihres sechsstufigen Phasenverlaufs (Riedl 2011: 244) basiert: ▶ Informieren ▶ Planen ▶ Entscheiden ▶ Ausführen ▶ Kontrollstufe ▶ Bewerten <?page no="82"?> 82 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung Der Grundsatz der handlungsorientierten Didaktik, dass „ohne Selbsttätigkeit keine Selbständigkeit zu erreichen ist” (Meyer 2006: 214), wurde von der Fremd- und Zweitsprachendidaktik meistens ignoriert. Zwar wird seit der „Kommunikativen Wende“ in den 1970er-80er Jahren in der Fremdsprachendidaktik kommunikative Kompetenz als das oberste Lernziel des Unterrichts betrachtet, allerdings bezieht sich diese meistens nur auf die Authentizität und Angemessenheit von Materialien zum Hör- und Leseverstehen sowie zu Sprech- und Schreibanlässen und nicht auf die Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler. Die Prinzipien der Handlungsorientierung und Aufgabenbasierung haben auch schon Eingang in die Curricula gefunden, so zum Beispiel in den Deutsch als Zweitsprache Lehrplänen für die Grundschule in Niedersachsen, Thüringen und Bayern (vergleiche Roche 2013a: 221- 225) und im Deutschlehrplan für Berufsschulen und Berufsfachschulen in Bayern (Institut für Schulqualität und Bildungsforschung in Bayern 2016). Dieser gilt sowohl für Deutsch als Muttersprache, Zweitsprache und Fremdsprache und ist nach den Schritten der vollständigen Handlung aufgebaut (vergleiche Lerneinheit 8.2 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Dem Lehrplan liegt ein pragmalinguistisches, integriertes und handlungsorientiertes Konzept zugrunde. Er umfasst einen Regel- und einen Basislehrplan, der für Sprachintensivklassen und Berufsintegrationsklassen gilt. Dies erleichtert unter anderem eine binnendifferenzierte Ausgestaltung des Unterrichts. In diesem Deutschlehrplan findet sich eine explizite Berücksichtigung von Deutsch als Zweitsprache bezogenen und allgemeinbildenden Inhalten sowie ein Schwerpunkt auf Methoden des autonomen Lernens und eine enge Einbindung in die didaktische Jahresplanung durch eine Lernfeldanalyse der Lehrplanrichtlinien beziehungsweise Fachlehrpläne. Dem Lehrplan liegt ein Kompetenzstrukturmodell zugrunde, das sprachliches Wissen und kommunikatives Handeln in Wechselwirkung mit Allgemeinwissen, Fach- und Berufswissen und der Anwendung von Methoden, Strategien und Arbeitstechniken zur Wissensaneignung behandelt. Der Basislehrplan umfasst neben den sprachlich-kommunikativen Kompetenzerwartungen und einer Verortung in den einzelnen Handlungsphasen nach dem Prinzip der vollständigen Handlung (siehe Abbildung 2.5) einen Bezug zu den Rahmenlehrplanrichtlinien durch einen Querverweis auf Sprachhandlungsverben und Vorschläge zur unterrichtlichen Umsetzung in Form einer offenen Liste an Methoden, Strategien und Arbeitstechniken. Er berücksichtigt die grundlegenden Kompetenzen für die zielgerichtete Sprachbildung in Klassen der Berufsorientierung/ -vorbereitung und in der Berufsausbildung. <?page no="83"?> 83 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik Deutsch Basislehrplan Seite 15 Berufsintegrationsvorklasse und Sprachintensivklasse Basislehrplan Berufsintegrationsvorklasse/ Sprachintensivklasse Handlungsphase orientieren und informieren Sprachhandlungsverben aus Lehrplanrichtlinien z. B. abgrenzen, aufnehmen, auswählen, beschaffen, eingrenzen, erfassen, erkennen, erkunden, erschließen, Kenntnisse erwerben, klären, lesen, konkretisieren, sammeln, sich mit Informationsmaterial auseinandersetzen, sich befassen mit, sich einen Überblick verschaffen, sich informieren, sich vertraut machen Kompetenzerwartungen Die Schülerinnen und Schüler − erkennen vertraute Aufgabenstellungen. − erfassen die gestellten Anforderungen und klären diese im kooperativen Lernen unter Einhaltung der Gesprächsregeln. − entschlüsseln den Inhalt bei einfacherem Informationsmaterial und kurzen einfachen Beschreibungen unter Rückgriff auf Visualisierungen. − erschließen die Bedeutung verschiedener Operatoren. − identifizieren vorentlastete Schlüsselbegriffe aus der Aufgabenstellung. − verwenden sprachsensibel gestaltetes Informationsmaterial, um es mit Vorwissen zu verknüpfen. − formulieren einfache Erwartungen an Sprechakte, Texte und Medien. − entnehmen kurzen einfachen Sprechakten, Texten und Medien 2 bis 3 wesentliche Aussagen zur Aufgabenlösung. − halten erarbeitete Informationen schriftlich fest. − verwenden einfache berufliche Fachbegriffe. − entschlüsseln die Fachsprache auf Wortebene mit Hilfe von Visualisierungen. − fassen Informationen in einfachen Worten/ mit Formulierungshilfen zusammen. Methoden, Strategien und Arbeitstechniken z. B. Bildergeschichte, -sequenz, Bild-Wort-Domino, Fachwörterlexikon mit Visualisierung, Informationsbeschaffungsstrategie, Kartenabfrage, Lesestrategie, Markiertechnik, Pantomime, Puzzle-Wortbildung, Scaffolding, Sprechblase, Think- Pair-Share, Textoptimierung, Wort-Bild-Karte, Wortliste, Wortfeld Abbildung 2.5: Auszug aus dem Lehrplan für Deutsch für die Berufsintegrationsvorklasse (ISB 2016: 15) <?page no="84"?> 84 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung 2.3.2 Wissenskonstruktion durch sprachliches Handeln Die geschilderten Grundlagen des gebrauchsbasierten Ansatzes, in erster Linie, dass Grammatik nicht als Sammlung abstrakter Regeln aufgefasst wird, sondern eine Abbildung des Sprachgebrauchs ist, bilden die Grundlagen für einen modernen, gebrauchsbasierten Unterricht. Die erwerbstheoretisch begründete Auflösung des behaviouristisch geprägten Input-Output-Systems, muss zudem eine Abkehr von reproduktiven, an der Oberfläche verarbeitenden Verfahren zur Folge haben und in der Selbststeuerung des Lernprozesses und im aktiven Konstruieren innerhalb praktischer Sprechhandlungen münden. Dies lässt sich durch gebrauchs- und handlungsorientiertes Sprachenlernen adäquat umsetzen. Aus Roche et al. (2012: 21-22) sowie Hölscher, Piepho & Roche (2006) lassen sich hierfür folgende didaktische Unterrichtsprinzipien zusammentragen: Kommunikative Relevanz Sprachliches Handeln durch Redeanlässe und Themen, die der Lebens- und Erfahrungswelt der Lerner entsprechen, motivieren und sind effektiv. Authentische Kommunikation Sprachliches Handeln im Unterricht muss die Bedingungen der Kommunikation nach Bühler (1934) erfüllen. Nur so ist für den Lerner ein kommunikativer Zweck erkennbar und es erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Lerner-zentriertheit Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Lerner, auf den eingegangen werden muss, damit sein Vorwissen eingebracht und individuelle Progression gefördert werden kann, indem individuelle Zugänge zum Thema ermöglicht werden. Aktives Handeln Kein unidirektionaler Unterricht, sondern interaktiver Austausch durch aktives sprachliches Handeln in authentischen Situationen. Erprobendes Handeln Grammatik und Wortschatz resultiert aus dem Sprachgebrauch, weshalb erprobendes Handeln der Weg zur sprachlichen Korrektheit ist. Nachhaltigkeit Nur durch konkretes sprachliches Handeln können abstrakte Konstruktionen aufgebaut werden, die einen nachhaltigen Nutzen für den Spracherwerb bringen. Funktions-orientiertheit Gegenstand im Sprachunterricht sind nicht Flexionstabellen oder Valenzgrammatik, sondern der funktionale Gebrauch der Grammatik in der praktischen Sprachanwendung. Form-Bedeutungs-Kontinuum Da sich Grammatik aus Wörtern entwickelt, liegt der Fokus auf dem Wortschatzerwerb. „Gebt den Schülern Wortschatz, die Grammatik finden sie von allein! “ (Hölscher, Piepho & Roche 2006: 14). Situativität Wenn Sprache in Situationen genutzt wird, dann ergeben sich sprachliche Differenzierungen und kulturelle Handlungsfähigkeit. Entwicklung durch Fehler Fehler sind als natürlicher Prozess des Hypothesentestens des Lerners einzustufen, der aktiv versucht Konstruktionen zu erweitern und kreativ auszuprobieren. Sie dienen der Lehrkraft als Diagnoseinstrument. Motivation Fehler zu machen Aufgabe des Unterrichts ist es ideale Bedingungen zum Hypothesentesten bereitzustellen. Individuelles und angstfreies erprobendes Handeln muss sichergestellt werden. Weiterentwicklung durch Feedback Wissen kann nur konstruiert und modifiziert werden, wenn eine Auseinandersetzung mit der Umwelt stattfindet. Die Rückmeldungen der Umgebung helfen dem Lerner dabei Konstruktionen zu analysieren und zu testen. Selbstgesteuertes Lernen Interessensgesteuerter Unterricht basiert auf der Einbindung der Lerner in der Entwicklung von Zielperspektiven und Erarbeitung von Materialien. Tabelle 2.5: Didaktische Unterrichtsprinzipien für gebrauchs- und handlungsorientiertes Sprachenlernen (nach Roche et al. 2012: 21-22 und Hölscher, Piepho & Roche 2006) <?page no="85"?> 85 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik Wichtig ist demnach eine Einbettung der Inhalte in authentische Handlungskontexte. Hierdurch wird eine Relevanz hergestellt, die häufig in Schulbüchern mit stark reduzierten und pseudo-authentischen Materialien nicht zustande kommt. Beschäftigen sich Lerner mit authentischen Aktivitäten und Kontexten, die auch in der realen Umgebung von Bedeutung sind, wird zudem die affektive Ebene angesprochen, die den Lernerfolg maßgeblich beeinflussen kann (zur affektiven Komponente siehe auch Papert 1980, 1993). Ein Sprachunterricht, der sich an den Erkenntnissen der kognitiven Linguistik orientiert, veranschaulicht die sprachlichen Phänomene darüber hinaus anhand universeller kognitiver Prozesse und Mechanismen. Diese Herangehensweise macht Strukturen für Lerner transparent und begreifbar und steigert somit die Chancen einer tiefen Verarbeitung sowie der Erkennung von Regelmäßigkeiten, Analogiebildungs- und Generalisierungsprozessen. In einem gebrauchsbasierten Unterricht erwerben Lerner die Sprache außerdem in einem Kontext, der dem natürlichen Erwerb ähnelt. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil, den eine handlungs- und gebrauchsbasierte Unterrichtspraxis mit sich bringt, ist in der interkulturellen Kompetenz zu finden. Wenn Unterricht darauf basiert, dass Lerner sich aktiv und handelnd mit der Wirklichkeit auseinandersetzen, erwerben sie neben kommunikativen Strategien auch ein Bewusstsein für kulturelle Aspekte. Dies wurde beispielsweise in Fischhabers Umsetzung unter Verwendung des Ansatzes der digitalen Ethnographie betont (Fischhaber 2002; zu den Grundlagen der digitalen Ethnographie siehe Goldman-Segall 1998). Generell ist es Fischhabers Anliegen, dass sich der Sprachunterricht von dem Lernziel „Sprecher auf muttersprachlichem Niveau“ zu produzieren verabschieden solle und sich vielmehr am Ziel eines interkulturellen Sprechers orientieren müsse (native speaker versus intercultural speaker in Fischhaber 2002: 1). Hierbei orientiert sie sich am Kulturbegriff von Redder und Rehbein (1987), die Kultur vor allem von der pragmatischen Perspektive aus betrachten. Der pragmatische Kulturbegriff versteht Kultur als „[...] ein Ensemble gesellschaftlicher Erfahrungen, Denkstrukturen, Vorstellungsformen und Handlungspraktiken [...]“ (Redder & Rehbein 1987: 17). Die handlungsorientierte, gebrauchsbasierte Didaktik zeichnet sich durch eine Lernumgebung aus, die den Lerner im konstruktivistischen Sinne anleitet, sich handelnd mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen (vergleiche Lerneinheit 1.3). Dies geschieht im Idealfall in einer authentischen Lernumgebung, in der der Lerner aktiv mit dem Lerngegenstand Sprache agiert und sein Wissen durch handelndes Auseinandersetzen stetig erweitert. Ein handlungsorientierter Sprachenunterricht erfordert demnach komplexere, problembasierte, ganzheitliche Aufgabentypen, die einen eindeutig identifizierbaren kommunikativen Zweck innerhalb einer authentischen Handlung erfüllen. Ausgangspunkt für eine Aufgabe beziehungsweise eine Unterrichtssequenz ist stets eine konkrete Handlungssituation, die für die Beteiligten von Relevanz ist. Für die Didaktisierung der Handlungssituation bietet das Prinzip der vollständigen Handlung einen Rahmen, an dem sich Lehrkräfte orientieren können (Riedl & Schelten 2010; Roche & Terrasi-Haufe 2016; 29; siehe auch Lerneinheit 8.2 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Die in Tabelle 2.6 aufgeführten Schritte gilt es bei der Umsetzung eines Handlungsszenarios zu beachten, wobei für jeden Schritt Teilaufgaben gestellt werden. Eine <?page no="86"?> 86 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung problembasierte Aufgabenstellung stellt dabei stets ein geeignetes Mittel dar, um sprachliches Handeln anzuregen und das Vorwissen der Lerner miteinzubeziehen. Die Lerner können ihre Sprachkenntnisse durch erprobendes Handeln beiläufig verbessern, da Sprache in einem solchen Szenario als Werkzeug eingesetzt wird, um einen kommunikativen Zweck zu erfüllen. Dies geschieht sowohl mündlich (informieren und aushandeln mit den Mitschülern und Mitschülerinnen und der Lehrkraft) als auch schriftlich (zum Beispiel bei der Überarbeitung und Vorbereitung der Präsentation). Orientieren Das Vorwissen der Schüler und Schülerinnen wird aktiviert. Was ist zu tun? Was wissen wir schon darüber? Wo finden wir zusätzliche Informationen? Informieren Die Schüler und Schülerinnen informieren sich anhand verschiedener Materialien bezüglich der zu bearbeitenden Aufgabe und Inhalte. Planen und analysieren Für ein Anliegen oder Problem gibt es immer verschiedene Lösungen und verschiedene Wege, die zur Lösung führen. Was könnten wir machen? Wer hat so etwas schon mal gemacht? Wer kann das am besten? Aufgaben sind zu bestimmen und zu verteilen, Arbeitsabläufe zu planen. Hilfsmittel sind auszuwählen, relevante Vorlagen zu analysieren. Durchführen Nun wird am Produkt gearbeitet, das umfasst mehrere Abstimmungs- und Arbeits- und Optimierungsdurchläufe. Präsentieren Auf die Phase der Erarbeitung folgt die Vorstellung des Arbeitsvorhabens. Davor wird alles nochmals sorgfältig überprüft und erprobt. Jeder ist schließlich stolz auf die geleistete Arbeit. Bewerten Anhand gemeinsam festgelegter Kriterien werden die erarbeiteten Produkte konstruktiv bewertet. Reflektieren Eine Phase der abschließenden Reflexion schließt das Szenario ab: Was ist gut gelungen? Was könnte man auch in anderen Situationen anwenden? Was würde man wann anders machen? Tabelle 2.6: Prinzip der vollständigen Handlung zur Didaktisierung von Handlungssituationen (übernommen aus Roche & Terrasi-Haufe 2016: 29) Diese Herangehensweise wurde beispielsweise von Roche et al. 2012 und Hölscher & Roche 2006 im kleinen Rahmen erprobt und konnte beachtliche Erfolge erzielen. Die aufgeführten Prinzipien sind der Kern der Szenariendidaktik, die daher im folgenden Abschnitt beschrieben wird. 2.3.3 Grundlagen der Szenariendidaktik Die Szenariendidaktik wurde ursprünglich von Eberhard Piepho (1929-2004) für die Didaktik des Englischen als Fremdsprache entwickelt, fand aber dann durch Petra Hölscher und Jörg Roche schnell Anwendung in den Bereichen Deutsch als Zweitsprache und Deutsch als Fremdsprache. Durch die Rezeption in der Fremdsprachendidaktik wird das Prinzip der Handlungsorientierung durch kommunikative und interkulturelle Dimensionen erweitert, ohne dass allerdings die methodischen Aspekte vernachlässigt werden. Der Unterricht soll an die authentische Welt außerhalb des Unterrichts angebunden werden. Dadurch steigt das Interesse der Lerner. Durch Thema und Aufgabenstellung wird der Lerner zwar gesteuert, er kann die Sprache aber (trotz Steuerung) in seiner Lernergruppe frei und kreativ anwenden. <?page no="87"?> 87 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik Für nachhaltiges Lernen ist es wichtig, dass die Lerner stets versuchen, aus ihrer Umgebung heraus aktiv Sinn zu konstruieren. Dabei realisieren sie komplexe Denkoperationen, die sie zu selbständigem Lernen befähigen (siehe Roche 2013a). Lernszenarien bieten durch die handlungsbegleitende Sprache die Möglichkeit, ausgewählte grammatische Strukturen zu integrieren. Somit werden diese Strukturen durch durchdachte Handlungszusammenhänge, Aufgaben und Spiele effektiv gefördert, wobei stets der Lerner und das Handeln im Vordergrund stehen. Bei diesen Sprachaktivitäten sollte berücksichtigt werden, dass schwächere Lerner, wenn möglich, mit einem fortgeschrittenen Lerner, der sich schon besser verständigen kann, zusammenarbeiten, denn sowohl das Erfahren von Sprache durch andere als auch das eigene Ausprobieren sollten hier einbezogen werden. Heterogenität in der Klasse soll somit nicht mehr als Belastung, sondern vielmehr als Bereicherung gesehen werden, denn wenn sie richtig eingesetzt wird, kann Heterogenität als konstruktives Werkzeug verstanden werden. Die Sprachanwendung in Lernszenarien ermöglicht es sowohl schwächeren als auch fortgeschrittenen Lernern, Fähigkeiten individuell auszubauen und durch das Miteinander wechselseitig voneinander zu lernen. Das Handeln in den Szenarien unterstützt die Entwicklung von Kompetenzen, wie sie in den Curricula festgesetzt werden. Ein Szenario umfasst die oben beschriebenen Schritte einer vollständigen Handlung zur Didaktisierung von Handlungssituationen (siehe Tabelle 2.6). Ausgangspunkt bildet immer eine authentische Handlungssituation, die problembasiert und sprachlich ist und durch die Erstellung eines Produkts bewältigt werden soll. Für jeden der Schritte werden zahlreiche Teilaufgaben und Übungsangebote vorgeschlagen. Sie dienen der Differenzierung und Motivierung. Das bedeutet, dass nicht jeder Lerner alle Angebote wahrnehmen muss, sondern dass er sich zum Teil selbst aussuchen kann, womit er sich beschäftigen sollte. Zum Teil soll der Lerner auch von der Lehrkraft dazu angeregt werden, bestimmte Aufgaben durchzuführen. Ähnliches gilt für die Zusammensetzung von Arbeitsteams. Um die einzelnen Schüler und Schülerinnen zu fördern und das Potential von Differenzen zu nutzen, ist es wichtig, die Arbeits- und Kommunikationskonstellationen möglichst häufig - aber sinnvoll, nicht aktionistisch - zu variieren. Ein Lernszenario umfasst danach a) die gemeinsame Bestimmung eines Kernthemas durch Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte und b) die Auswahl einer Aufgabe. Der Unterricht sollte an die authentische Welt außerhalb des Unterrichts angebunden werden. Dadurch steigt das Interesse der Schülerinnen und Schüler. Je nach Interesse und individuellen Fähigkeiten können sie selbst entscheiden, ob sie allein, mit einem Partner beziehungsweise einer Partnerin oder in der Gruppe arbeiten. Bei der Auswahl der Aufgaben werden sie von ihrem Vorwissen geleitet und greifen zu einer Aufgabe, die ihren Interessen, ihrer Persönlichkeit und ihren Fähigkeiten entspricht, und führen sie mit unterschiedlichen Arbeits- und Lerntechniken aus. Durch Thema und Aufgabenstellung werden sie zwar gesteuert, sie können die Sprache aber (trotz Steuerung) in ihrer Lernergruppe frei und kreativ anwenden. Durch ein vielfältiges Angebot an Arbeitsformen werden mittels Methoden- und Medienvielfalt unterschiedliche Persönlichkeiten und Lernertypen berücksichtigt. Arbeitspartner finden sich sehr oft über die Wahl der Aufgabe. Diese immer wieder neuen Gruppenzusammensetzungen bewirken <?page no="88"?> 88 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung auch immer neue dialogische Konstellationen in anderen lingua-kulturellen Schattierungen, das heißt mit anderem kulturellen Hintergrund. Darauf folgt c) die Erarbeitungsphase, bei der sich Schülerinnen und Schüler im Team organisieren und über die Gestaltung der Arbeit austauschen. Sie sammeln Informationen und planen und gestalten ihre Sprachprodukte aus. Diese werden in der d) Präsentationsphase vorgestellt und in der e) Optimierungsphase überarbeitet. Eine abschließende f) Reflexion schließt das Szenario ab. Lernszenarien bieten durch die handlungsbegleitende Sprache die Möglichkeit, ausgewählte grammatische Strukturen zu integrieren. Somit werden diese Strukturen durch durchdachte Handlungszusammenhänge, Aufgaben und Spiele effektiv gefördert, wobei stets das Handeln im Vordergrund steht. Bei diesen Sprachaktivitäten sollte berücksichtigt werden, dass schwächere Schülerinnen und Schüler, wenn möglich, mit fortgeschrittenen zusammenarbeiten, denn sowohl das Erfahren von Sprache durch andere als auch das eigene Ausprobieren sollten hier einbezogen werden. Heterogenität in der Klasse soll somit nicht mehr als Belastung, sondern vielmehr als Bereicherung gesehen werden, denn, wenn sie richtig eingesetzt wird, kann Heterogenität als konstruktives Werkzeug verstanden werden. Die Sprachanwendung in Lernszenarien ermöglicht es, sowohl schwächeren als auch fortgeschrittenen Schülerinnen und Schülern, Fähigkeiten individuell auszubauen und durch das Miteinander wechselseitig voneinander zu lernen. Während sich die Didaktik von Deutsch als Fremdsprache nach der kommunikativen Wende auf die (allerdings immer noch stark behaviouristisch geprägte) Vermittlung von Standardroutinen zur Erfüllung von Ausdrucks- und Appellfunktion in Alltagssituationen (Begrüßung, Smalltalk, Einkaufen, Restaurantbesuch etc.) konzentriert hat, hat die Didaktik des Deutschen als Zweitsprache in den letzten Jahren einen Schwerpunkt auf die Betrachtung des sprachlichen Zeichens selbst, losgelöst von dessen Kontext und Funktion, und auf eine stark auf die Benennungsfunktion reduzierte Betrachtung von Sprache als Symbol gelegt. Dieser eingeschränkte Blickwinkel wird wiederum von sogenannten „interkulturellen“ Ansätzen ergänzt, die anhand stereotypisierender Darstellungen daraus resultierendes unangemessenes sprachliches Verhalten vorzuentlasten versuchen. In Sprachlernszenarien werden dagegen Schülerinnen und Schüler dazu motiviert, sprachlich zu handeln, und sie werden zu authentischem, effektivem Sprachhandeln angeleitet. Aufgrund welcher Mechanismen dies erfolgt, soll am folgenden Beispiel veranschaulicht werden. 2.3.4 DaZ-Unterricht an Grundschulen Im Szenario „Wo bleibt Mika? “ (Roche & Terrasi-Haufe 2016: 31-33) stellen Schülerinnen und Schüler zu Unterrichtsbeginn fest, dass ein Kind im Unterricht fehlt. Das ist eine Situation, die für den Grundschulalltag authentisch ist und überall vorkommt. In einer solchen Situation wollen Kinder normalerweise in Erfahrung bringen, was passiert ist. Dabei werden sie durch Wortschatz entlastende Übungen, vorstrukturierte Materialien und aktivierende Methoden unterstützt. Befragt werden die Schulsekretärin, eventuell Geschwisterkinder oder Freunde und Freundinnen. So werden aus verschiedenen Quellen Informationen zum <?page no="89"?> 89 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik Vorgefallenen gesammelt und dem Klassenverbund berichtet. Ist nun klar, was mit dem abwesenden Kind passiert ist, werden die Kinder dazu angeregt, tätig zu werden. Sie dürfen Vorschläge machen, wie sie die Mitschülerin beziehungsweise den Mitschüler unterstützen und aufmuntern können. Im Anschluss daran entscheiden sie sich für die Erarbeitung eines sprachlichen Produktes, das sie dem abwesenden Kind überbringen oder zuschicken: Eine Hausaufgabenmappe, eine selbstgebastelte Geschenktüte, eine Karte oder einen Brief mit Tipps, um schneller gesund zu werden (siehe Kopiervorlage in Abbildung 2.6). 45 Praxisteil 1: Wo bleibt Mika? Roche (Hg.) / Terrasi-Haufe (Hg.) / Gietl / Sˇimic´: DaZ-Schüler im Regelunterricht fördern, Klasse 1 / 2 © Auer Verlag - AAP Lehrerfachverlage GmbH, Augsburg Name: Datum: AB Brief & Satzkarten KV 6 Wenn man krank ist, freut man sich über Post. 1. Schreibe deinem Mitschüler und erzähle ihm, was du heute erlebt hast. Was muss er unbedingt wissen? 2. Die Satzkarten können dir helfen. 3. Versuche zu schreiben, du kannst aber auch die Satzkarten aufkleben. 4. Wenn du die Satzkarten nicht mehr brauchst, ordne sie in deine Wörterschatzkiste ein, so gehen sie nicht verloren. Kannst du auch einen Brief ohne Vorlage schreiben und gestalten? Satzkarten Wie geht es dir? Wir hoffen, dass du bald wieder gesund wirst! Liebe / Lieber Dein / Deine Heute war besonders lustig, Du musst unbedingt wissen, dass Gute Besserung wünscht dir die Klasse Aus dem Werk 33 DaF-Da -Schüler im Regelunterricht fördern Kl. 1 2 B 33 Auer Verlag - AAP Lehrerfachverlage GmbH, Augsburg Abbildung 2.6: Kopiervorlage für eine Aufmunterungskarte mit Formulierungshilfen (Roche & Terrasi-Haufe 2016: 45) <?page no="90"?> 90 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung Weitere Unterstützung durch vorstrukturierte Materialien, wie beispielsweise ein Puzzle zu Gesundheitstipps (siehe Abbildung 2.7), erhalten sie bei deren Planung und Durchführung in Kleingruppen. Eine gegenseitige Bewertung der fertigen Produkte erfolgt nach deren Vorstellung im Klassenverbund in Form eines Rundgangs, sodass sie vor dem Überreichen nochmals überarbeitet werden können. Eine Reflexion des Geleisteten und Gelernten in Form eines Schreibgesprächs (zur Methode des Schreibgesprächs siehe beispielsweise Sevegnani 2012: 162) rundet das Szenario ab. Der Einsatz solcher Szenarien leitet nicht nur zum sprachlichen Handeln in authentischen relevanten Situationen über, sondern deckt integriert und binnendifferenziert Kompetenzbereiche aus den unterschiedlichen Fachlehrplänen ab, wie in Abbildung 2.8 am Beispiel des bayerischen LehrplanPLUS dargestellt wird. Abbildung 2.7: Gesundheitstipps-Puzzle (Roche & Terrasi-Haufe 2016: 54) <?page no="91"?> 91 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik Bei der Didaktisierung der Handlungssituationen im Szenario werden die einzelnen Schritte des Prinzips der vollständigen Handlung berücksichtigt und detailliert für die Lehrkraft dargestellt. Wie die folgende Zusammenfassung des Handlungsverlaufs im Szenario „Wo bleibt Mika“ demonstriert: Abbildung 2.8: Im Szenario „Wo bleibt Mika? “ geförderte Kompetenzen (Roche & Terrasi-Haufe 2016: 31) <?page no="92"?> 92 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung 2.3.5 Unterricht an beruflichen Schulen Aufgrund seiner Nähe zum lernfeldzentrierten Unterricht an beruflichen Schulen eignet sich dieser Ansatz besonders gut für eine fachintegrierte Vermittlung von Sprachkompetenzen, die den beruflichen Anforderungen genügen (zu den Hintergründen der Sprachförderung in der beruflichen Bildung siehe Terrasi-Haufe, Roche & Riehl 2017). Das folgende Beispiel entstammt dem Kapitel Eine Treppensanierung durchführen des Lehrwerks Berufsdeutsch Metall. BEWERTEN UND REFLEKTIEREN Die Kinder reflektieren im Plenum ihr Vorgehen und entwickeln alternative Handlungsmöglichkeiten (im Schreibgespräch evtl. am nächsten Tag): Was hat den fehlenden Schüler besonders gefreut? Was fand er nicht so toll? Was wurde vergessen? Wie würden wir beim nächsten Mal vorgehen? Etc. PRÄSENTIEREN Die Kinder präsentieren ihre Handlungsprodukte, arbeiten die Vorschläge ihrer Mitschüler ein und übergeben Mika (oder seinen Geschwistern) ihre Geschenke. DURCHFÜHREN Die Kinder informieren sich über Mikas Krankheit (Sachbücher, Kindersuchmaschine im Internet etc.) und erarbeiten selbstbestimmt in der Gruppe je eines der Handlungsprodukte: Hausaufgabenmappe, Aufmunterungskarte, Brief, kleines Geschenk, Gesundheitstipps. PLANEN UND ANALYSIEREN Die Kinder finden sich zur Gruppenarbeit ein, planen ihr Vorgehen und verteilen die Aufgaben. INFORMIEREN Die Kinder nutzen ihr Vorwissen, um sich zu erkundigen, was mit Mika los ist, und informieren sich über die Ursache seines Fehlens (im Sekretariat/ in anderen Klassen/ bei Geschwistern; nachmittags bei Mika anrufen etc.) ORIENTIEREN Erste Erfahrungen und Vermutungen der Kinder werden gesammelt und der Wortschatz aktiviert, der für weitere Handlungsschritte nötig ist. Abbildung 2.9: Auszug aus dem Unterrichtsverlauf im Szenario „Wo bleibt Mika“ nach Roche & Terrasi-Haufe 2016: 34-36 Abbildung 2.10: Lernsituation aus Berufsdeutsch Grundstufe Metall/ Fachstufe Metallbau (Dirschedl 2012b: 74) <?page no="93"?> 93 2.3 Handlungsorientierung in der Szenariendidaktik Ausgehend von einer solchen Lernsituation wird eine weitgehend authentische Lernumgebung geschaffen. Lernen ist somit nicht mehr abstrakt. Da es dabei um relevante Inhalte für die Schülerinnen und Schüler geht, sind die besten Bedingungen für einen fächerübergreifenden Unterricht gegeben. Auf die in Abbildung 2.10 dargestellte Lernsituation folgt die Orientierungsphase, in der die Schüler und Schülerinnen durch ein Arbeitsblatt zur Erfassung der baulichen Gegebenheiten und Architektenvorgaben und Übungen zu unterschiedlichen Arbeitstechniken (Notizen verfassen, Inhalte exzerpieren und im Internet recherchieren) geleitet werden. Diese können nach Bedarf berücksichtigt werden. Sie stehen in einem separaten Basisband (Dirschedl 2012a) zur Lehrwerksreihe zur Verfügung, der zusätzlich Übungen zu Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik bietet. In der Informationsphase werden Unterlagen zu Werkstoffen und Treppen- und Geländearten zusammen mit Lesestrategien (5-Schritte-Lesetechnik, Fachtexte untersuchen) bereitgestellt. Danach werden die Schülerinnen und Schüler in der Planungsphase zur Berechnung der Treppenmaße aufgefordert, im Anschluss sollen sie ein Steigungsverhältnisdiagramm erstellen. Daneben werden Skizzen erstellt, Normteile bezeichnet, ein Arbeitsplan verfasst und Arbeitsabläufe beschrieben. Die konkrete Auseinandersetzung mit Skizzen, Maßangaben und Materialien ermöglicht ein ganzheitliches, multisensorisches Erfahren der Wirklichkeit. In der Durchführungsphase erfolgt zwar in diesem Fall nicht die eigentliche Treppenkonstruktion, dafür wird deren Dokumentation präsentiert. In der schriftlichen Überarbeitung der Ergebnisse, die ebenfalls situativ zu verankern ist, kann eine Reflexion erfolgen. Die Redaktion der schriftlichen Präsentation fördert so die Entwicklung sowohl mündlicher als auch schriftlicher Ausdrucksweisen der Schüler und Schülerinnen. Die stützende Funktion von Schriftsprache beim Vorbereiten mündlicher Vorträge und beim Entwickeln und Strukturieren der Gedanken selbst (und somit die Vernetzung sprachlicher Fertigkeiten) wird so ebenfalls ganz beiläufig deutlich. Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei, produktiv mit dem Medium Schriftsprache umzugehen. Auch zum Halten von Vorträgen werden Hilfsmittel zur Verfügung gestellt. Die Präsentation für andere Akteure erlaubt das Erfahren der Wirkung eigenen Handelns. Dieses Handeln ist sowohl ein physisches, das sprachlich benannt und begleitet wird, als auch ein sprachliches Handeln, das sich im Dialog, durch direkte Aufforderungen und schließlich im Erzählen und Resümieren über das Erarbeitete darstellt. Abschließend wird die im Team geleistete Arbeit anhand eines Bogens gemeinsam bewertet. 2.3.6 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie ▶ das Prinzip der vollständigen Handlung kennengelernt, das aus der Berufsschulpädagogik zunächst in den Sprachunterricht an Berufsschulen gewandert ist und inzwischen auch vor allem im Bereich DAZ verbreitete Anwendung findet; ▶ die wichtigsten handlungsdidaktischen Prinzipien bearbeitet; ▶ die theoretischen Bezüge zwischen der Szenariendidaktik und dem Prinzip der vollständigen Handlung erfahren und mehrere Umsetzungsbeispiele bearbeitet (Mika, Metallbau); ▶ den Bezug zur konstruktionistischen Lerntheorie nach Papert vertieft; <?page no="94"?> 94 2. Kompetenz-, Gebrauchs- und Handlungsorientierung ▶ neuere Lehrpläne kennengelernt, die handlungsorientierte Verfahren erfordern; ▶ Sprache als Teil komplexen, variantenreichen kommunikativen Handelns erfahren. 2.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie die wichtigsten handlungsdidaktischen Prinzipien. 2. Erklären Sie die 7 Phasen des Prinzips der vollständigen Handlung. 3. Die didaktischen Unterrichtsprinzipien sind grundlegend für diese Einheit. Ordnen Sie die Erklärungen den jeweiligen Prinzipien zu. Kommunikative Relevanz Kein unidirektionaler Unterricht, sondern interaktiver Austausch durch aktives sprachliches Handeln in authentischen Situationen. Authentische Kommunikation Da sich Grammatik aus Wörtern entwickelt, liegt der Fokus auf dem Wortschatzerwerb. „Gebt den Schülern Wortschatz, die Grammatik finden sie von allein! “ (Hölscher, Piepho & Roche 2006: 14). Lerner-zentriertheit Grammatik und Wortschatz resultiert aus dem Sprachgebrauch, weshalb erprobendes Handeln der Weg zur sprachlichen Korrektheit ist. Aktives Handeln Aufgabe des Unterrichts ist es ideale Bedingungen zum Hypothesentesten bereitzustellen. Individuelles und angstfreies erprobendes Handeln muss sichergestellt werden. Erprobendes Handeln Nur durch konkretes sprachliches Handeln können abstrakte Konstruktionen aufgebaut werden, die einen nachhaltigen Nutzen für den Spracherwerb bringen. Nachhaltigkeit Gegenstand im Sprachunterricht sind nicht Flexionstabellen oder Valenzgrammatik, sondern der funktionale Gebrauch der Grammatik in der praktischen Sprachanwendung. Funktions-orientiertheit Sprachliches Handeln im Unterricht muss die Bedingungen der Kommunikation nach Bühler (1934) erfüllen. Nur so ist für den Lerner ein kommunikativer Zweck erkennbar und es erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Form-Bedeutungs-Kontinuum Fehler sind als natürlicher Prozess des Hypothesentestens des Lerners einzustufen, der aktiv versucht Konstruktionen zu erweitern und kreativ auszuprobieren. Sie dienen der Lehrkraft als Diagnoseinstrument. Situativität Wissen kann nur konstruiert und modifiziert werden, wenn eine Auseinandersetzung mit der Umwelt stattfindet. Die Rückmeldungen der Umgebung helfen dem Lerner dabei Konstruktionen zu analysieren und zu testen. Entwicklung durch Fehler Interessensgesteuerter Unterricht basiert auf der Einbindung der Lerner in der Entwicklung von Zielperspektiven und Erarbeitung von Materialien. Motivation Fehler zu machen Sprachliches Handeln durch Redeanlässe und Themen, die der Lebens- und Erfahrungswelt der Lerner entsprechen, motivieren und sind effektiv. Weiterentwicklung durch Feedback Wenn Sprache in Situationen genutzt wird, dann ergeben sich sprachliche Differenzierungen und kulturelle Handlungsfähigkeit. Selbstgesteuertes Lernen Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Lerner, auf den eingegangen werden muss, damit sein Vorwissen eingebracht und individuelle Progression gefördert werden kann, indem individuelle Zugänge zum Thema ermöglicht werden. <?page no="95"?> 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Karin Kleppin & Jörg Roche, unter Mitarbeit von Svenja Uth und Christina Bacher auf Grundlage von zwei Artikeln von Daniela Caspari, Karin Kleppin und Rüdiger Grotjahn Jeder Sprachunterricht lebt - im wahrsten Sinne des Wortes - von und mit den Aufgaben, die von den Lernern bearbeitet werden sollen. Aufgaben können im Fremdsprachenunterricht eine Reihe von intendierten Funktionen haben. Sie können zum einen als Lernaufgaben konzipiert sein, das heißt, sie sollen in erster Linie der Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen dienen. Sie können zum anderen aber auch die Funktion haben, Art und Umfang fremdsprachlicher Kompetenzen bei den Lernern festzustellen (Test- und Diagnoseaufgaben). Sofern es sich um externe und zentrale Prüfungen und Tests handelt, richtet sich der Unterricht häufig an dem externen Prüfungsformat aus, und es wird vor allem dieses Format trainiert. Dies wird häufig als teaching to the test bezeichnet, obwohl es eher ein teaching the test darstellt. Ein solches Vorgehen ist weder als Vorbereitung auf qualitativ hochwertige Tests noch für die Entwicklung von Sprachkompetenzen ertragreich. Handelt es sich um selbst erstellte Prüfungen, so werden vielfach noch Aufgaben erstellt, in denen nicht deutlich wird, welche Sprachhandlungen getestet werden sollen. Es mangelt also zuweilen bei Lehrern und Lehrerinnen noch an einer assessment literacy (Harsch 2015), einer Expertise im Bereich des Bewertens und Beurteilens sowie an der Kompetenz, eigenständig Testaufgaben zu erstellen, die die Kompetenzen überprüfen, die in einem handlungs- und kompetenzorientierten Unterricht gesteuert über Lernaufgaben entwickelt werden sollen. Die Beschäftigung mit den Qualitätsmerkmalen für Lern- und Testaufgaben, ihren Unterschieden und eine sinnvolle Abstimmung zwischen beiden steht in diesem Kapitel im Fokus. Die erste Lerneinheit dieses Kapitels beschäftigt sich mit Lernaufgaben im Kontext der Aufgabenorientierung der neueren Fremdsprachendidaktik (hierzu auch Kapitel 2 sowie Kapitel 8 im Band »Sprachenlernen und Kognition» zur Handlungsorientierung). Es geht also um ergebnis- und lösungsorientierte und mehr oder minder selbstorganisierte Lernaktivitäten, um thematische Relevanz für den Lerner, Möglichkeiten der inneren Differenzierung, Kreativität und letztendlich auch um den entsprechenden Anspruch an Nutzbarkeit in authentischer Kommunikation. Vor diesem Hintergrund befasst sich die zweite Lerneinheit mit der Struktur und den Funktionen von Testaufgaben, in deren Zusammenhang die Testgütekriterien als Qualitätsmerkmale von Testaufgaben thematisiert werden (siehe auch Kapitel 3 und 4 im Band »Unterrichtsmanagement»). In der dritten Lerneinheit in diesem Kapitel werden die beiden Aufgabenkategorien einander gegenübergestellt und es wird betrachtet, wie Lernaufgaben als Testaufgaben eingesetzt werden können und umgekehrt. Zugleich werden hier diagnostische Aspekte angesprochen und abschließend Beispiele aus der Lehr- und Testpraxis herangezogen. Dieses Kapitel basiert auf den Beiträgen Testaufgaben und Lernaufgaben von Caspari, Grotjahn und Kleppin (2010) und Lernaufgaben: Kriterien und Beispiele von Caspari und Kleppin (2008). Diese beiden Artikel entstanden im Rahmen der Implementierung und Normierung der Bildungsstandards für Französisch als erste Fremdsprache (KMK 2004). <?page no="96"?> 96 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Das hier vorliegende Kapitel wurde eingerichtet und bearbeitet von Svenja Uth, Jörg Roche und Christina Bacher. 3.1 Lernaufgaben Aufgaben haben im Fremdsprachenunterricht verschiedene Funktionen. Sie können als Lernaufgaben konzipiert sein, das heißt sie sollen in erster Linie dem Aufbau und der Weiterentwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen dienen. Dazu gehören nicht nur funktionale sprachliche Teilkompetenzen (zum Beispiel Leseverstehen oder Sprechen) und sprachliche Mittel, sondern auch strategische und interkulturelle Kompetenzen. Sie können aber auch die Funktion haben, Art und Umfang fremdsprachlicher Kompetenzen bei den Lernern festzustellen und dienen daher der Diagnose und Überprüfung von Kompetenzen. Der Begriff Lernaufgabe wird vor dem Hintergrund des didaktisch-methodischen Prinzips Aufgabenorientierung (vergleiche unter Anderem Ellis 2003) zumeist mit lösungsorientierten und mehr oder minder selbstorganisierten Lernaktivitäten, thematischer Relevanz für den Lerner, Möglichkeiten der inneren Differenzierung, Kreativität und letztendlich auch mit einem hohen Anspruch an Authentizität verbunden. In dieser Lerneinheit werden zunächst Lernaufgaben fokussiert, um sie dann in den folgenden Lerneinheiten dieses Kapitels von Testaufgaben abzugrenzen beziehungsweise ihre Gemeinsamkeiten zu erkennen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die wesentlichen Funktionen von Lernaufgaben beschreiben können; ▶ Qualitätsmerkmale von Lernaufgaben benennen können; ▶ die Qualität von Lernaufgaben anhand von Qualitätsmerkmalen einstufen können. 3.1.1 Grundlagen: Lernaufgaben Wie bereits angedeutet, werden Aufgaben, die auf den Aufbau neuer beziehungsweise auf die Weiterentwicklung bereits vorhandener Kompetenzen abzielen, häufig als Lernaufgaben bezeichnet und von Test- und Prüfungsaufgaben abgegrenzt (zur Rolle von Aufgaben beim Erwerben und Überprüfen fremdsprachlicher Kompetenzen siehe auch die Arbeiten in Bygate, Skehan & Swain 2001; Ellis 2003; Skehan 2003; Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2005; Bausch, Burwitz-Melzer, Königs & Krumm 2006; Van den Branden 2006; Garcia Mayo 2007; Caspari & Kleppin 2008; Caspari, Grotjahn & Kleppin 2008; Eckerth & Siekmann 2008; Grotjahn 2008). In diesem Zusammenhang sind nicht nur funktionale sprachliche Teilkompetenzen (zum Beispiel Leseverstehen oder Sprechen) und sprachliche Mittel, sondern auch methodische und interkulturelle Kompetenzen gemeint. Lernaufgaben enthalten oft <?page no="97"?> 97 3.1 Lernaufgaben Übungen, die auf das einübende beziehungsweise wiederholende Training einzelner grammatischer oder lexikalischer Phänomene und deren Automatisierung ausgerichtet sind oder dazu genutzt werden, neu erworbene und/ oder schon entwickelte Kompetenzen zu festigen und zu automatisieren (vergleiche auch Carstens 2005; Siebold 2007). Lernaufgaben können darüber hinaus mit einem weitergehenden Bildungsauftrag verbunden sein, indem sie zum Beispiel Bewusstheit für die ästhetisch-literarische und die kreativ-spielerische Dimension von Sprache wecken. 3.1.2 Funktionen von Lernaufgaben Lernaufgaben zielen innerhalb des funktional-kommunikativen Kompetenzbereiches auf die bewusste Förderung sowohl isolierter Kompetenzen, wie zum Beispiel Hörverstehen, als auch integrierter Kompetenzen, wie zum Beispiel interaktives Sprechen, Hör-Seh-Verstehen oder Sprachmittlung, bei denen mehrere Teilkompetenzen zu verbinden sind, um die Aufgabe zu lösen. Durch die Aufgabenstellung kann die primäre Aufmerksamkeit unter anderem auf die persönliche Auseinandersetzung mit den angesprochenen Inhalten, auf die Ausbildung methodischer Kompetenzen oder auf die Ausbildung kommunikativer Kompetenzen und natürlich auch auf den Erwerb sprachlicher Mittel gelenkt werden. Mit der Aneignung sprachlicher Mittel ist der Lernprozess allerdings nicht abgeschlossen. Die Aneignung hat vielmehr eine dienende Funktion, da das eigentliche Ziel stets sein muss, über sprachliche Mittel funktional kommunikativ verfügen zu können (vergleiche zum Beispiel die von Carstens 2005 vorgesehenen, auf den gezielten Erwerb sprachlicher Mittel ausgerichteten „Übungsschleifen" innerhalb der Bearbeitung von Lernaufgaben). Beim Einsatz der Lernaufgaben für den Aufbau und die Weiterentwicklung produktiver Kompetenzen können die Dimensionen Flüssigkeit, Korrektheit, Komplexität oder sprachliche und situative Angemessenheit der Realisierung unterschiedlich gewichtet und berücksichtigt werden. Es versteht sich von selbst, dass zum Beispiel Lerner auf der Niveaustufe B1 nicht gleichzeitig völlig korrekt und inhaltlich sowie formal komplex sprechen können. Dies ist bei der Formulierung der Anforderungen an die Lerner zu berücksichtigen. Wenn also zum Beispiel bei einer mündlichen Produktion Flüssigkeit und Komplexität im Vordergrund stehen, dann müssen zumindest bei nicht sehr weit fortgeschrittenen Lernern die Anforderungen an möglichst korrektes Sprechen herabgesetzt werden. Wenn hingegen eine möglichst korrekte Realisierung angestrebt wird, dann ist ein langsameres Sprechen zu erwarten beziehungsweise eine Reduktion der inhaltlichen Komplexität (vergleiche für mögliche Zusammenhänge zwischen Korrektheit, Flüssigkeit und Komplexität zum Beispiel O'Sullivan 2008: 31 ff.; Skehan 2001, 2003). Diese unterschiedliche Schwerpunktsetzung sollte auch den Lernern bewusst gemacht werden. Kompetenzorientierte Lernaufgaben zielen über die Ausbildung funktional-kommunikativer Kompetenzen hinaus. Dies ist insbesondere im Bereich des interkulturellen Lernens der Fall, der sowohl innerhalb der einzelnen sprachlichen Kompetenzbereiche eine Rolle spielt als auch einer eigenständigen Fokussierung bedarf. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung <?page no="98"?> 98 3. Lern- und Testaufgabenerstellung interkultureller Sensibilität, den Erwerb soziokulturellen Orientierungswissens, das Hinarbeiten auf einen verständnisvollen Umgang mit kultureller Differenz und die, auch sprachliche, Vorbereitung auf die praktische Bewältigung interkultureller Begegnungssituationen. Fremdsprachenunterricht hat darüber hinaus die Aufgabe, Gelegenheiten zur systematischen Ausbildung methodischer Kompetenzen zu schaffen, die zu den in jedem Unterrichtsfach auszubildenden Schlüsselkompetenzen gerechnet werden können. Bei den in den Bildungsstandards (vergleiche KMK 2004) aufgeführten sogenannten methodischen Kompetenzen wird — in ihrer Systematik allerdings nicht sehr überzeugend — unter anderem zwischen unterschiedlichen Bereichen differenziert. Dazu zählen zum Beispiel die Anwendung verschiedener Hör- und Lesetechniken, Techniken der Anbahnung und Aufrechterhaltung von Gesprächen, Techniken der Planung und Überarbeitung. Außerdem werden Arbeitstechniken, Präsentationstechniken sowie Methoden der Lernorganisation und Lernbewusstheit unterschieden. Dabei dient zum Beispiel die Mitarbeit bei gemeinsamen Vorhaben, das Übernehmen von Aufgaben, das Einbringen eigener Ideen und Kompetenzen, das Zurücknehmen der eigenen Person zugunsten der Sache beziehungsweise anderer Personen, das Lösen von Konflikten, der angemessene Umgang mit sprachlicher und kultureller Differenz oder die Fähigkeit zur situations- und partnerbezogenen Kommunikation in der Fremdsprache der Ausbildung sozialer und interkultureller Kompetenzen. Auch die Fähigkeit, das schon Erreichte zu erkennen und die eigene Leistung somit auch wertschätzen zu können, sollte schon allein wegen der motivationalen Auswirkung nicht vernachlässigt werden. Dies kann etwa bei der Kontrolle des Sprachlernprozesses durch das Führen einer individuellen Fehlerstatistik, eines Lerntagebuchs oder eines Portfolios oder andere Formen selbstevaluativer Tätigkeit unterstützt werden und bildet einen wichtigen Beitrag zur Sprachlern- und Selbstkompetenz (vergleiche Kleppin 2008b). Bereits in der Mittelstufe gehört es ebenfalls zu den Aufgaben des Fremdsprachenunterrichts, Bewusstheit für die ästhetisch-literarische und die kreativ-spielerische Dimension von Sprache zu wecken. Dies kann sowohl über entsprechende Texte als auch über entsprechende Aufgabenstellungen geschehen. Lernaufgaben können — wie oben schon erwähnt — in der Regel mehrere Ziele und verschiedene Funktionen miteinander verbinden. Den Lernern sollte jeweils bewusst sein, welche Ziele und Funktionen bei einer bestimmten Aufgabe im Vordergrund stehen. Dabei kann es allerdings durchaus sein und ist manchmal sogar wünschenswert, dass sich der Fokus während der Durchführung verändert. Eine Modifikation kann sowohl auf Lehrerals auch auf Lernerseite erfolgen. Sie kann intendiert sein oder sich ungeplant ergeben. Zusammenfassend lassen sich insbesondere folgende Funktionen kompetenzorientierter Lernaufgaben unterscheiden: ▶ Lernaufgaben können eine primär kompetenzfördernde Funktion haben. Diese kann unterschiedliche Kompetenzbereiche und isolierte oder integrierte beziehungsweise kombinierte kommunikative Teilkompetenzen betreffen. Der Fokus kann darüber hinaus unter anderem im Bereich der interkulturellen Kompetenz und im Bereich der Methodenkompetenz liegen. <?page no="99"?> 99 3.1 Lernaufgaben ▶ Lernaufgaben können eine primär vorbereitende Funktion für Folgeaufgaben übernehmen, zum Beispiel wenn der Fokus auf weiterführenden inhaltlichen Aspekten liegt. Eine Internetrecherche kann zum Beispiel dazu genutzt werden, eine Poster-Präsentation vorzubereiten, mit der die Schüler und Schülerinnen sich gegenseitig über ein bestimmtes Thema informieren. ▶ Lernaufgaben können eine primär motivationale Funktion haben. Eine Aufgabe kann zwar nicht per se motivieren: Was den einen Schüler besonders motiviert, kann auf den anderen demotivierend wirken. Dies gilt für inhaltliche Aspekte, aber auch zum Beispiel bei der Nutzung von Medien und dem Internet. Allerdings kann die Beachtung der weiter unten aufgeführten Prinzipien den motivationalen Gehalt von Lernaufgaben positiv beeinflussen. Dies kann etwa auch dann der Fall sein, wenn das erfolgreiche Lösen einer Aufgabe für die weitere inhaltliche Arbeit genutzt wird oder die einem Text mithilfe detaillierten Leseverstehens entnommenen Informationen den Lernern die notwendigen Hintergrundinformationen oder Bausteine für ein Rollenspiel bieten. ▶ Lernaufgaben können eine primär diagnostische Funktion haben, wenn sie zum Beispiel vor einer Unterrichtsreihe, in der eine bestimmte sprachliche oder methodische Kompetenz im Mittelpunkt steht, zur Ermittlung des Kompetenzniveaus einer Lerngruppe oder einzelner Schüler und Schülerinnen eingesetzt werden (vergleiche auch Lerneinheit 3.3 in diesem Kapitel). Entsprechende Aufgaben sind dann allerdings nicht psychometrisch vorgetestet. ▶ Lernaufgaben können eine primär prüfungs- und testvorbereitende Funktion aufweisen, wenn die Aufmerksamkeit der Schüler und Schülerinnen auf das verwendete Aufgabenformat gelenkt und besprochen wird, wie dieses am günstigsten bearbeitet werden kann (Erwerb von Teststrategien). Auch die Besprechung der Evaluationskriterien gehört zur prüfungs- und testvorbereitenden Funktion. ▶ Bei Lernaufgaben kann die evaluative Funktion im Vordergrund stehen. Wenn die Aufgabe zum Beispiel einen Lösungsschlüssel bereithält, kann dieser zur Selbstevaluation genutzt werden. Wenn im Rahmen einer Aufgabe eine Kriterienliste zur Beurteilung der Leistungen angeboten wird, kann diese zur Selbst- oder Partnerevaluation oder, als Teil einer mündlichen Prüfung oder einer Klassenarbeit, zur Fremdevaluation verwandt werden. In dieser Funktion nähern sich Lernaufgaben der Funktion von Testbeziehungsweise Diagnoseaufgaben an. 3.1.3 Qualitätsmerkmale von Lernaufgaben Ausgehend von den genannten Funktionen sollten bei der Entwicklung, Auswahl oder auch Veränderung und Anpassung von Lernaufgaben Prinzipien berücksichtigt werden, die im Folgenden kurz dargestellt werden. Diese Prinzipien sind aus einer lerntheoretischen Vorstellung abgeleitet, die den Lerner als Individuum mit je individuellen Dispositionen, Vorkenntnissen, Vorlieben und Interessen ernst nimmt und ihn im und durch den Unterricht, auch unter bewusster Nutzung kooperativer Lernformen, zu zunehmend autonomen Lernprozessen zu befähigen sucht. <?page no="100"?> 100 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Lernaufgaben zeichnen sich unter anderem durch folgende Qualitätsmerkmale aus: ▶ Lernaufgaben sprechen die Lerner nicht nur als Sprachenlerner, sondern als Individuen, als ganzheitliche und soziale Wesen an. Dies bedeutet unter anderem, dass das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Lerner in die Bearbeitung der Aufgabe einfließen. Bei Deutsch als erster Fremdsprache können zum Beispiel die Muttersprachen und unterschiedlichen sprachlichen Varietäten der Lerner als Transferbasis oder zur bewussten Kontrastierung genutzt werden. Es kann auf Vorerfahrungen mit deutschen Lehn- oder Fremdwörtern in anderen Sprache zurückgegriffen werden. Es kann inhaltliches und Weltwissen zum Beispiel dafür genutzt werden, Lese- oder Hörverstehen vorzuentlasten, indem zum Beispiel vorbereitende Assoziogramme erstellt werden. Lernstrategien aus anderen Fächern können bewusst gemacht und dahingehend hinterfragt werden, ob sie auch dem Fremdsprachenlernen dienlich sind und vieles mehr. ▶ Das Ansprechen der Lerner als Individuen heißt gleichermaßen, dass nicht nur kognitive, sondern auch kreative und emotionale Prozesse ausgelöst werden. Es bedeutet auch, dass die Vorgehensweise bei der Bearbeitung und das Ergebnis je nach Lerner beziehungsweise Lernergruppe unterschiedlich ausfallen können. ▶ Lernaufgaben haben ein hohes Potential für individuelle Lernprozesse. Damit diese wirken können, ist den Lernern die Gestaltung des Unterrichts transparent zu machen und ihnen ein Mitspracherecht über Inhalte und Methoden einzuräumen (Autonomieförderung). ▶ Lernaufgaben sind (aus dem vermuteten Blickwinkel der Lerner) nicht primär sprachbeziehungsweise spracherwerbsorientiert, sondern kommunikations- und inhaltsorientiert. Die Spracharbeit hat im Wesentlichen eine dienende Funktion. ▶ Spracharbeit kann allerdings auch zum Inhalt und zum Thema einer Aufgabe gemacht werden, etwa wenn einzelne Lerner die Aufgabe haben, während eines Klassengesprächs zum Beispiel sprachlich besonders gelungene oder auch besonders wichtige Formulierungen ihrer Mitschüler zu notieren und anschließend überlegt wird, in welchen Kontexten man diese Formulierungen sonst noch verwenden kann. Außerdem kann in einer Großgruppe, aber auch in Kleingruppen, thematisiert werden, ob Lerner Wortschatzstrategien einsetzen, die bei ihnen besonders gut funktionieren. Sie können sich ebenfalls darüber austauschen, durch welche Strategien sie ihre Sprachproduktion etwa in Bezug auf Flüssigkeit (zum Beispiel durch den Einsatz von Dialoggeländern) oder Korrektheit (zum Beispiel indem man beim Schreiben auf einen bestimmten Fehlertyp achtet) verbessern. ▶ Lernaufgaben beschäftigen sich überwiegend mit Themen aus der zielsprachigen Alltagswelt, die für die Lerner relevant sind. Sie behandeln ebenfalls Themen, die zum Erwerb interkultureller Kompetenzen wichtig sind (unter anderem für die Zielkultur wichtige landeskundliche Themen). Dabei gilt: Die für die Lernaufgaben verwendeten Texte sind authentisch, in der Regel aktuell und sprachlich für die Zielsprache konstitutiv. Im Idealfall werden die Lernaufgaben von den Lernern als sinnvoll, bedeutsam und herausfordernd erachtet. <?page no="101"?> 101 3.1 Lernaufgaben ▶ Lernaufgaben stoßen authentische Sprachverwendung an, das heißt, sie verlangen Formen der Kommunikation, die auch in der realen Welt vorkommen können. Anders als bei sprachbezogenen Übungen, bei denen der Erwerb oder das Einüben bestimmter sprachlicher Phänomene im Mittelpunkt steht, müssen die Lerner zur Bearbeitung der Lernaufgaben kommunikativ handeln. In der Regel erachten Lerner diese kommunikativen Formen als relevant, selbst wenn es sich nicht um authentische Sprachverwendung im strengen Sinne handelt. Dies gilt auch in Bezug auf Lernaufgaben, die sprachliches Handeln in einer eindeutig fiktiven Situation verlangen, sofern den Lernern die Bearbeitung der Aufgabe Spaß macht. ▶ Lernaufgaben sind immer auch ergebnisorientiert. Es können Produkte wie zum Beispiel Poster erstellt werden, die den anderen Lernern in der Gruppe präsentiert und erklärt werden. Auch das Erstellen einer ästhetisch ansprechenden, originellen, persönlichen und kreativen Geschichte, eines Gedichts oder einer gemeinsamen Internetseite ist möglich. ▶ Lernaufgaben sind so konstruiert, dass die Lerner sie ihren Lernvoraussetzungen (Leistungsniveau, Lernstil, Interessen…) gemäß bearbeiten können (Prinzip der Passung und Realisierbarkeit). Lehrer und Lehrerinnen müssen sich bei der Auswahl und Anpassung der Lernaufgaben also stets die Frage stellen: Können meine Schüler und Schülerinnen diese Aufgabe überhaupt bearbeiten, wenn sie Anstrengung investieren? Oder auch: Ist die Aufgabe möglicherweise zu leicht und wird dadurch langweilig für die Lerner? ▶ Lernaufgaben können auch zur Evaluation eingesetzt werden — mit dem Ziel, den Lernern eine Rückmeldung über den Erfolg ihrer Arbeit zu geben. Dementsprechend sind für Lerner transparente Erfolgskriterien anzugeben (vergleiche dazu auch die Ausführungen zu den Testaufgaben in Lerneinheit 3.2). Viele Lernaufgaben sind selbstevaluativ in Bezug auf den Lernprozess und das Ergebnis. Die Schüler und Schülerinnen erkennen zum Beispiel bei einer Präsentation am Verstehen und Interesse ihrer Klassenkameraden, dass sie die Aufgabe erfolgreich bearbeitet haben. Im besten Falle erkennen sie darüber hinaus, was sie nach der Bearbeitung der Aufgabe besser oder mehr „können" als zuvor. ▶ Lernaufgaben bieten vielfältige Möglichkeiten des Einsatzes und der Abwandlung (zum Beispiel für verschiedene Niveaus, verschiedene Interessen, unterschiedliche Sozial- und Aktionsformen). Damit bieten sie Gelegenheit zur Differenzierung beziehungsweise Individualisierung. Viele Lernaufgaben können auch auf andere Kontexte übertragen werden. Sie bieten somit Ideen für „Aufgabenformate oder Aufgabengerüste", die immer wieder anders gefüllt werden können. Dies gilt für mittlerweile bekannte Aufgabenformate wie etwa das Lernen an Stationen oder für Laufdiktate. Aufgabengerüste existieren aber auch für weniger bekannte internetbasierte Lernformen, wie zum Beispiel für Web-Quests, für Aufgaben im Bereich von Austauschprojekten oder für spezifische Tandemaufgaben im Kontext von Lernpartnerschaften. Alle genannten Prinzipien und Merkmale kompetenzorientierter Lernaufgaben stehen in engem Zusammenhang mit der Förderung und Aufrechterhaltung der Lernermotivation. Um die von den Bildungsstandards vorgegebenen Kompetenzen zu erreichen, reicht es allerdings <?page no="102"?> 102 3. Lern- und Testaufgabenerstellung nicht, im Unterricht Lernaufgaben aus vorgefertigten Materialien zu übernehmen und wie dort möglicherweise vorgeschlagen einzusetzen. Vielmehr sind der adressatenorientierte Einsatz und das begleitende Lehrerverhalten von entscheidender Bedeutung. Selbst eine Aufgabe, die unter Berücksichtigung der obigen Prinzipien entwickelt wurde, kann erst dann ihre Wirkung entfalten, wenn Lerner die entsprechenden Aktivitäten selbst durchführen, ihren Nutzen für die eigenen Lernfortschritte einschätzen können, das eigene Lern(er)verhalten reflektieren und selbstbewusst vorgehen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Lehrer und Lehrerinnen die Zielsetzungen, die methodischen Entscheidungen, die Evaluationsverfahren etc. transparent machen und mit den Schülern und Schülerinnen zusammen gegebenenfalls Alternativen entwickeln. Auch Lehrer und Lehrerinnen müssen sich daher stets Fragen stellen wie: ▶ Unterstütze ich die Schüler und Schülerinnen durch mein Handeln dabei, in dem angezielten Kompetenzbereich tatsächlich Fortschritte zu machen? Gebe ich den Schülern und Schülerinnen genügend Zeit und Freiraum zum Bearbeiten der Aufgabe? Ist zum Beispiel meine Rückmeldung auf „freies Sprechen“ ermutigend und sprachfördernd oder löst sie eher Vermeidungsverhalten aus? ▶ Wie unterstütze ich die Lerner beim Erwerb methodischer Kompetenzen? Mache ich mein methodisches Vorgehen transparent, sodass Lerner zum Beispiel adäquate Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeitserwartungen in Bezug auf ihr eigenes Lernen entwickeln können? ▶ Gestalte ich meinen Unterricht so, dass mich vor allem interessiert, was meine Schüler und Schülerinnen danach besser können, und nicht, ob das Vorgesehene „abgearbeitet“ wurde? Die Erstellung und der Einsatz von „guten“ Aufgaben ist kein „Selbstläufer“, sie können kompetenzorientierten Unterricht lediglich unterstützen. Die aus unserer Sicht zentrale Herausforderung besteht darin, den im Konzept der Kompetenzorientierung enthaltenen Paradigmenwechsel zu realisieren: „Guter" Unterricht zeichnet sich nicht (mehr) dadurch aus, einen aus Sicht des Lehrers, der Lehrerin oder eines eventuellen Beobachters gelungenen und zeitlich festgelegten Verlauf einzuhalten. Er zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass die Lerner ihren Kompetenzzuwachs in den verschiedenen Bereichen erleben und erkennen und mit Unterstützung der Lehrpersonen gezielt „ansteuern". 3.1.4 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben wir uns mit den verschiedenen Funktionen und dem Charakter von Lernaufgaben beschäftigt. Zusammengefasst sind diese: ▶ Eine Aufgabe stößt interaktive Lerneraktivitäten an. ▶ Eine Aufgabe stößt möglichst authentische Sprachverwendung an. ▶ Lerner können selbst über den Weg und die Realisierung entscheiden. ▶ Eine Aufgabe ist immer auch inhaltsorientiert. ▶ Das Thema der Aufgabe ist vermutlich relevant für die Lerner. <?page no="103"?> 103 3.1 Lernaufgaben ▶ Eine Aufgabe hat ein Ergebnis beziehungsweise ist produktorientiert. ▶ Übungen sind der Aufgabe untergeordnet und haben zum Ziel, notwendige sprachliche Mittel für die Bewältigung einer Aufgabe bereit zu stellen. ▶ Eine Aufgabe bietet Möglichkeiten zur Selbstevaluation. 3.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Listen Sie einige der Kompetenzen auf, die mithilfe von Lernaufgaben entwickelt werden, die aber zumeist nicht durch Testaufgaben überprüft werden. 2. Was versteht man unter isolierten und was unter integrierten Kompetenzen? 3. Nennen Sie drei wichtige Merkmale von Lernaufgaben, die diese Ihrer Meinung nach von Testaufgaben unterscheiden. <?page no="104"?> 104 3. Lern- und Testaufgabenerstellung 3.2 Testaufgaben In einem kompetenzorientierten Unterricht geht es in der Regel auch darum zu erkennen, ob die Lerner am Ende eines bestimmten Zeitabschnitts tatsächlich über die angezielten Kompetenzen, verfügen. Dies kann in Form von Selbstüberprüfungsaufgaben, über lerner- und lehrerseitige Beobachtungen und andere Evaluationsformen sowie über Testaufgaben evaluiert werden. In diesem Teil beziehen wir uns ausschließlich auf Testaufgaben und grenzen diese gegenüber Lernaufgaben ab. Dabei beziehen wir uns wiederum auf den Artikel von Caspari, Grotjahn & Kleppin (2010) der im Rahmen der Konkretisierung der Bildungsstandards Französisch entstanden ist Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die wesentlichen Funktionen von Testaufgaben beschreiben können; ▶ Testgütekriterien und Qualitätsmerkmale von Testaufgaben benennen können; ▶ die Qualität von Testaufgaben einstufen können. 3.2.1 Grundlagen: Testaufgaben Im Gegensatz zu den Lernaufgaben zielen Testaufgaben auf die Überprüfung von Kompetenzen ab. Sprachliche Kompetenzen sind insbesondere im europäischen Kontext inzwischen zumeist unter Bezug auf die Niveaustufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) beschrieben (vergleiche Europarat 2001; siehe auch Lerneinheit 2.1 in diesem Band sowie Kapitel 1 im Band »Unterrichtsmanagement«). Andere Kompetenzen, wie etwa methodische und interkulturelle, sind zwar prinzipiell hinreichend genau beschreibbar und zumindest in Teilaspekten auch skalierbar, sie korrelieren allerdings nur sehr eingeschränkt mit den sprachlichen Kompetenzstufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens, da methodische und interkulturelle Kompetenzen auch schon bei Lernern, die sich auf einer relativ niedrigen sprachlichen Niveaustufe befinden, deutlich ausgeprägt sein können: Jemand kann zum Beispiel für ihn äußerst effektive Lernstrategien einsetzen, obgleich er sich kommunikativ erst auf der Niveaustufe A1 befindet. Test- und Prüfungsaufgaben können im schulischen Kontext unterschiedliche Funktionen aufweisen. Sie können zum Beispiel der Diagnose und Rückmeldung sowie Förderung dienen, die Grundlage von Auslese- und Zulassungsentscheidungen sein und darüber hinaus erzieherische und disziplinierende Funktionen übernehmen. Zudem können sie dazu führen, dass Lerner gezielt bestimmte Teilkompetenzen einüben sowie mehr Zeit und Mühe auf den Ausbau ihrer Kompetenzen verwenden. Testaufgaben erlauben es auch, bildungspolitische Vorgaben in der schulischen Realität zu überprüfen, sogenanntes Bildungsmonitoring, wie es beispielsweise im Kontext der Bildungsstandards in Deutschland durchgeführt wird. So sollen Erkenntnisse darüber ge- <?page no="105"?> 105 3.2 Testaufgaben wonnen werden, welches Niveau repräsentative Gruppen von Lernern zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Schullaufbahn in einem bestimmten Kompetenzbereich tatsächlich erreicht haben und inwieweit das tatsächlich erreichte Niveau einem vorher festgelegten, angezielten Niveau entspricht (vergleiche auch Harsch 2009; Rupp, Vock, Harsch & Köller 2008; Tesch 2009). Dieser Einsatz unterliegt anderen Bedingungen als der Einsatz von Tests zum Beispiel im Rahmen einer informellen unterrichtsnahen Diagnostik (vergleiche auch Junghanns & Schinschke 2009). Außerdem zielt der Einsatz von Testaufgaben im Rahmen des Bildungsmonitoring nicht auf eine Individualdiagnostik, sondern auf einen Vergleich größerer Einheiten wie Schulen oder auch Bundesländer ab. Da das Bildungsmonitoring jedoch kriteriumsorientiert erfolgt, können Lehrer und Lehrerinnen — auch dann, wenn ihre Klasse selbst nicht am Test teilgenommen hat — diese mit den Deskriptoren der Kompetenzniveaus vergleichen und die Klasse zumindest approximativ auf der Kompetenzskala verorten (vergleiche Harsch 2009: 13). In einem begrenzten Ausmaß sind zudem zum Beispiel im Rahmen landesweiter Lernstandserhebungen auch Einsichten auf Individualebene denkbar. Werden zum Beispiel Aufgaben, wie bei VERA-8 (vergleiche IQB 2016), detailliert didaktisch kommentiert, können sie der einzelnen Lehrkraft diagnostisches Feedback geben und ihr aufzeigen, wo die Stärken und Schwächen einzelner Schüler und Schülerinnen sowie der Gesamtklasse im Vergleich zu anderen Klassen liegen, wobei Aussagen zu einzelnen Schülern und Schülerinnen allerdings mit einem deutlich größeren Messfehler behaftet sind. Auf der Basis dieser und weiterer diagnostischer Informationen können dann gegebenenfalls Maßnahmen zur konkreten Lernförderung abgeleitet werden (vergleiche Dobbelstein & Peek 2008; Harsch 2009; Hyatt & Siebold 2009; Pallack 2008). Ebenfalls können Tests, auch wenn sie standardisiert sind, eine positive Rückwirkung auf den Unterricht haben und einen Beitrag zur Unterrichtsentwicklung leisten, vor allem dann, wenn sie Kompetenzen testen, die zum Teil noch zu Unrecht vernachlässigt werden wie etwa Sprachmittlung und das selektive oder globale Hörverstehen. Denn das, was getestet wird, wird in der Regel auch im Unterrichtsprozess beachtet (vergleiche auch Grotjahn 2009). So ist zum Beispiel das Hörverstehen, früher eher das „Aschenputtel“ des Fremdsprachenunterrichts, mittlerweile in die Prüfungsformate der meisten Bundesländer aufgenommen worden (vergleiche Tesch 2009: 45). Auch wegen potentieller Rückwirkungseffekte müssen Lernaufgaben und Testbeziehungsweise Prüfungsaufgaben bei der Implementierung und Evaluation der Bildungsstandards im Zusammenhang gesehen werden. 3.2.2 Funktionen von Testaufgaben Genuine Testaufgaben dienen in erster Linie der Überprüfung von sprachlichen Kompetenzen. Generell kann eine Überprüfung zum Beispiel lernprozessbegleitend (formative Evaluation) oder auch am Ende eines Lernabschnittes erfolgen (summative Evaluation). Hier ist auch die Unterscheidung zwischen dem sogenannten assessment as learning, assessment for learning und assessment of learning (WNCP 2006) anzumerken. Einen aktuellen Überblick über die Funktion von Testaufgaben im unterrichtlichen Kontext geben Leung (2004), Rea-Dickins <?page no="106"?> 106 3. Lern- und Testaufgabenerstellung (2008) und Dlaska & Krekeler (2009). Testaufgaben können eine Reihe von unterschiedlichen Funktionen haben (vergleiche auch Grotjahn 2008; Nieweler 2006): ▶ Sie können der Diagnose dienen und den Lehrern und Lehrerinnen wie den Lernern Informationen über den aktuellen Leistungsstand der Lerngruppe und jedes einzelnen Lerners liefern (vergleiche zum Begriff der Diagnose siehe Lerneinheit 3.3 in diesem Kapitel). Außerdem können sie der Lehrkraft Hinweise zur Effektivität des vorangegangenen Unterrichts geben und ihr helfen, Leistungsbeziehungsweise Lerndefizite sowie Lernfortschritte aufzudecken. ▶ Die diagnostischen Informationen bieten die Basis für die Rückmeldefunktion von Testaufgaben. Die Rückmeldung kann sich sowohl an die Lerner selbst als auch an Eltern oder andere Lehrerkollegen richten, für die Informationen über den Leistungsstand relevant sind. ▶ Eine auch für Lerner transparente Rückmeldung zur Leistung, aber auch zu Kriterien der Leistungsbewertung kann Lerner darin unterstützen, ihre Kompetenzen einzuschätzen und gezielt weiterzuentwickeln (Autonomisierungsfunktion). ▶ Über Leistungsbewertungen (gute beziehungsweise schlechte Noten) möchte man Lerner zu mehr Lernanstrengungen anregen. Auch eine diagnostische Informationen nutzende (Selbst)Einschätzung der Kompetenzen kann eine Motivationsfunktion haben, insbesondere wenn Lerner damit nicht nur auf ein weit entferntes Endziel hinsteuern, sondern realisierbare Ziele vor Augen haben. Dies könnte unter anderem ein Zertifikat auf einer in einer relativ kurzen Zeit zu erreichenden Kompetenzstufe sein (zum Beispiel das Deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz, das Zertifikat Deutsch des Goethe-Instituts oder im Französischkontext zum Beispiel DELF). ▶ Die Diagnose von Leistungsständen kann die Grundlage einer speziell auf die Lerngruppe zugeschnittenen Unterrichtsplanung und einer gezielten Förderung spezifischer Schüler und Schülerinnen oder Schülergruppen sein (Förderfunktion). ▶ Tests haben außerdem die Funktion, Zugänge zu weiterer Bildung (Versetzung in die nächst höhere Klasse, Hochschulzugang, Eintritt in eine qualifizierte Berufsausbildung, etc.) zu ermöglichen beziehungsweise zu verhindern (Berechtigungs- und Selektionsfunktion). Bei Tests mit dieser Funktion handelt es sich in der Regel um formelle und standardisierte Tests wie etwa TestDaF oder um Verfahren wie das Abitur. ▶ Schließlich bilden Leistungsbeurteilungen eine wichtige Grundlage bildungspolitischer Entscheidungen sowohl auf der Ebene des Staates als auch eines einzelnen Bundeslandes (zum Beispiel im Hinblick auf curriculare Veränderungen). Es handelt sich hier um eine Legitimationsfunktion. Für die Entwicklung von Testaufgaben können beispielsweise folgende Prinzipien gelten, die einerseits testwissenschaftlich abgeleitet sind (zum Beispiel die unter 3.2.3 genannten Gütekriterien) und die andererseits Vorstellungen von „gutem" Unterricht widerspiegeln, wie sie auch im Hinblick auf Lernaufgaben beschrieben wurden (vergleiche auch Grotjahn 2008; Grotjahn & Kleppin 2008): <?page no="107"?> 107 3.2 Testaufgaben ▶ Die Beschreibung von Kompetenzen erfolgt mithilfe der Niveauskalen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens sowie der Bildungsstandards und damit auch auf der Basis vorwiegend positiver Kann-Beschreibungen an Stelle von Defizitfeststellungen zum Beispiel in Form von Fehlerquotienten. Die Testaufgaben zielen auf Teilkompetenzen, das heißt Leseverstehen, Hörverstehen, Schreiben und Sprechen ab, sie werden so weit wie möglich unabhängig voneinander gemessen. ▶ Die Bewertung erfolgt kriteriumsorientiert, das heißt, die Testaufgaben erlauben anhand von klar definierten Kriterien (für Schreibaufgaben zum Beispiel Inhalt, Angemessenheit in Bezug auf Textsorte, Adressat, Situation, Organisation des Textes über Kohärenz und Kohäsion, Breite des Wortschatzes, grammatikalische Korrektheit, Orthographie, Gesamteindruck) eine Einschätzung der Leistung. Dem kommunikativen Erfolg wird damit ein großer Stellenwert zugebilligt. Die Bewertung orientiert sich an den Gütekriterien (vergleiche hierzu den nächsten Abschnitt). 3.2.3 Qualitätsmerkmale von Testaufgaben Testaufgaben sind Messinstrumente, die dabei helfen sollen, begründete Aussagen über lernerseitige Kompetenzen zu formulieren. Ein zentrales Qualitätsmerkmal von Tests und Testaufgaben ist die Beachtung der sogenannten Testgütekriterien, wobei diese je nach Zielsetzung des Tests eine unterschiedliche Relevanz haben können (vergleiche zum Folgenden Grotjahn 2008, 2009, 2010; siehe zu Qualitätsmerkmalen von Sprachtests auch Lerneinheit 3.2 im Band »Unterrichtsmanagement»). Es werden zumeist folgende Hauptgütekriterien genannt: Objektivität, Reliabilität und Validität. Daneben finden sich als weitere Kriterien zum Beispiel Nützlichkeit, Fairness, Ökonomie, Praktikabilität, Schwierigkeit, Trennschärfe, stochastische Unabhängigkeit, Normierung, Standardisierung, Rückwirkung auf den Unterricht, Authentizität, Transparenz und Handlungsorientierung (vergleiche zum Beispiel American Educational Research Association, American Psychological Association & National Council an Measurement in Education 1999; Europarat 2001: Kapitel 9; Downing & Haladyna 2006; Ingenkamp & Lissman 2008: 51-62; Lienert & Raatz 1994: 7-14; Moosbrugger 2007). Die Mehrzahl der genannten Gütekriterien wird im Weiteren kurz beschrieben. Darauf aufbauend werden wir in Lerneinheit 3.3 exemplarisch unter anderem auf die Frage eingehen, inwieweit bestimmte Gütekriterien im Hinblick auf eine Unterscheidung zwischen Lernaufgaben und Testaufgaben relevant sind. Objektivität Das Gütekriterium der Objektivität bezieht sich insbesondere darauf, inwieweit die Ergebnisse einer Testaufgabe beziehungsweise die aus den Ergebnissen gezogenen Schlussfolgerungen unabhängig von der Art der Testdurchführung und der Auswertung sind. Gleichzeitig schließt die Objektivität einer Testaufgabe die konkrete Durchführung eben dieser ein, welche für alle Teilnehmer auf gleiche Art und Weise erfolgen soll. So sollten beispielsweise für alle Lerner die gleichen Voraussetzungen bezüglich möglicher Hilfsmittel herrschen oder es sollte <?page no="108"?> 108 3. Lern- und Testaufgabenerstellung für alle die Teilnahme an einer Identitätskontrolle gelten (vergleiche Vielau 2010: 242). Wenig objektive Tests werden zuweilen auch als subjektiv charakterisiert. Eine zentrale Voraussetzung für eine zufriedenstellende Objektivität ist die Standardisierung (vereinheitlichende Festlegung) des Testformats, der Durchführung, der Auswertung und der Interpretation eines Tests. Eine hohe Objektivität ist daher im Fall von offenen Aufgabenformaten, wie zum Beispiel ein flexibles mündliches Prüfungsgespräch, weit schwerer zu erreichen als im Fall von geschlossenen Formaten, wie zum Beispiel Mehrfachwahlaufgaben. Reliabilität Das Merkmal der Reliabilität (Zuverlässigkeit) kann sich unter anderem auf Eigenschaften von Tests und Aufgaben sowie auf Merkmale von Beurteilern und Beurteilungsskalen beziehen. Bezogen auf Tests und Aufgaben bezeichnet die Reliabilität unter anderem das Ausmaß, mit dem die Aufgaben (Items) eines Tests die Kandidaten in Bezug auf die zu messende Eigenschaft, wie zum Beispiel Leseverstehen oder Hörverstehen, in eine ähnliche Rangreihe bringen (Reliabilität im Sinne von Itemkonsistenz; vergleiche Bühner 2006: 131 ff). Ein weiterer Aspekt der Reliabilität bezieht sich auf die Konsistenz der Ergebnisse im Fall einer Messwiederholung (Retestreliabilität). Lassen sich die Ergebnisse eines Tests oder auch eines (komplexen) Items zu einem späteren Zeitpunkt nur sehr ungenau reproduzieren, das heißt, erhält man deutlich abweichende Ergebnisse, ist dies ein Hinweis auf eine unbefriedigende Messgenauigkeit des Tests beziehungsweise Items — allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich die zu messende Eigenschaft, zum Beispiel durch zwischenzeitlichen Unterricht, nicht verändert hat. Im Zusammenhang mit Reliabilität als Gütekriterium von Testaufgaben zieht Perlmann-Balme den Vergleich mit einem Metermaß heran. Dieses zeigt stets das gleiche Maß eines Gegenstandes an und so sollte auch eine bestimmte Leistung stets die gleiche Bewertung erhalten (vergleiche Perlmann-Balme 2010: 1277). Neben der Retestreliabilität ist unter anderem der sogenannte Reliabilitätsindex (Produkt aus Itemtrennschärfe und Itemstreuung) ein Maß für die Messgenauigkeit eines einzelnen Items (vergleiche Lienert & Raatz 1994: 111). Aufgaben, die wenig oder gar nicht zur Reliabilität eines Tests beitragen, werden in der Regel im Zuge der Aufgabenanalyse ausgesondert. Auch die Ratewahrscheinlichkeit spielt in Bezug auf die Messgenauigkeit einer einzelnen Aufgabe und damit auch in Bezug auf die Gesamtreliabilität eines Tests eine wichtige Rolle. So haben zum Beispiel die in vielen Tests unter anderem zur Messung des Hörverstehens eingesetzten Ja-Nein-Aufgaben eine deutlich höhere Ratewahrscheinlichkeit als zum Beispiel Vierfachwahlaufgaben und tragen deshalb auch weniger zur Testreliabilität bei. Weiterhin ist im Fall von offenen Aufgabenformaten, wie komplexen Schreibaufgaben oder mündlichen Gesprächen, das Vorliegen von detaillierten, empirisch überprüften Bewertungsschemata eine notwendige Voraussetzung für eine zufriedenstellende Aufgabenreliabilität. Zuverlässigkeit spielt hier aufgrund des subjektiven Urteils eines oder mehrerer Prüfer eine besonders wichtige Rolle. Im Idealfall misst eine Testaufgabe unabhängig vom Prüfer oder Messzeitpunkt möglichst übereinstimmende Ergebnisse. <?page no="109"?> 109 3.2 Testaufgaben Ob eine Testaufgabe reliabel ist, kann bei vorhandenen Kapazitäten anhand mehrerer Kontrollgruppen, deren Leistungsstand dem Prüfer bekannt ist, kontrolliert werden. Sind Testaufgaben für die jeweilige Kontrollgruppe merklich zu einfach oder zu schwer, werden sie durch angemessenere Aufgaben ersetzt und der Test gewinnt dadurch an Reliabilität (vergleiche Vielau 2010: 223). Validität Die Validität (Gültigkeit) gilt als wichtigstes Gütekriterium eines Tests. Sie bezieht sich auf das Ausmaß, in dem eine Aufgabe sowie Testergebnisse das erfassen, was sie erfassen sollen beziehungsweise auf den Grad der Gültigkeit der mithilfe der Testergebnisse getroffenen Entscheidungen. Wir vernachlässigen in diesem Zusammenhang den Sachverhalt, dass in der Regel einzelne Aufgaben (Items) kein aussagekräftiges Bild (sprachlicher) Kompetenzen liefern können und dass deshalb Kompetenzmessungen üblicherweise anhand einer größeren Anzahl von Aufgaben (zum Beispiel in Form eines Summenscores) erfolgen. Es können verschiedene Aspekte der Validität unterschieden werden. Die Inhaltsvalidität gibt das Ausmaß an, in dem die Testaufgaben geeignet sind, zum Beispiel bestimmte Aspekte eines Lernstoffs oder auch bestimmte Verhaltensweisen zu erfassen. Ein Spezialfall der Inhaltsvalidität ist die curriculare Validität, das heißt die Gültigkeit der Aufgaben in Bezug auf einen bestimmten Lehrplan (vergleiche zur Inhaltsvalidität jedoch Lissitz & Samuelsen 2007, einschließlich der abgedruckten Kommentare). Eine Aufgabe ist somit valide, wenn sie zum einen mit dem angestrebten Ziel innerhalb des Unterrichts übereinstimmt, zum anderen den Zielen des jeweiligen Curriculums entspricht. Bei der Bestimmung der sogenannten Konstruktvalidität wird speziell gefragt, inwieweit das direkt beobachtbare Verhalten der Testpersonen auf bestimmte zugrunde liegende, nicht direkt beobachtbare Fähigkeiten (theoretische Konstrukte) zurückgeführt werden kann. Um von den Reaktionen der Lerner auf ihre zugrunde liegenden Fähigkeiten (Kompetenzen) schließen zu können, bedarf es theoretischer Modelle sowohl der zu messenden Kompetenzen als auch der Anforderungscharakteristika der zur Messung benutzten Testaufgaben (vergleiche auch Jude & Klieme 2007). Bei der Beurteilung der Konstruktvalidität eines Tests sind unter anderem folgende Quellen möglicher Invalidität zu berücksichtigen: a) Unterrepräsentation des zu messenden Konstrukts; b) konstruktirrelevante Testvarianz. Im Fall einer Unterrepräsentation des Konstrukts ist der Test zu eng gefasst und lässt wichtige Dimensionen des Konstrukts unberücksichtigt. Ein Extrembeispiel ist das Testen kommunikativer Kompetenz mithilfe eines reinen Wissenstests im Papier-und-Bleistift-Format (siehe auch nachfolgend die Ausführungen zur Authentizität von Testaufgaben). Konstruktirrelevante Varianz liegt vor, wenn bestimmte Merkmale, die nichts mit der zu messenden Fähigkeit zu tun haben (zum Beispiel bestimmtes Hintergrundwissen), eine Aufgabe für bestimmte Personen (Gruppen) im Sinne eines sogenannten Bias (das heißt einer Verzerrung der Ergebnisse) systematisch leichter oder schwerer machen. Weitere gerade auch im Hinblick auf die schulische Praxis wichtige Fälle potentiell konstruktirrelevanter Varianz und damit zugleich potentieller Einschränkungen im Hinblick auf <?page no="110"?> 110 3. Lern- und Testaufgabenerstellung die Konstruktvalidität sind die Messung von Lese- oder Hörverstehenskompetenz mithilfe umfangreicher schriftlicher Produktionen oder auch die Messung von Schreibkompetenz anhand von Aufgaben, die zunächst das Verstehen eines längeren, anspruchsvollen schriftlichen und/ oder mündlichen Textes verlangen. Bei solchen integrativen Aufgaben, die als Lernaufgaben natürlich durchaus sinnvoll sind, ist eine valide Aussage über isolierte Teilkompetenzen (hier: Lesen, Hören, Schreiben) nicht möglich, da das Messergebnis beim Lese- oder Hörverstehen auch von der Schreibkompetenz und bei der Schreibkompetenz wiederum von der Lesekompetenz abhängt (vergleiche auch Harsch 2009: 12 sowie in Bezug auf mögliche Gegenargumente die Hinweise zu den integrierten Aufgabenformaten im TOEFL iBT in Lerneinheit 3.3 in diesem Kapitel). Ein wichtiger Aspekt der Validität, der auch als konsequentielle Validität bezeichnet wird, betrifft die sich aus dem Einsatz von Testaufgaben ergebenden Konsequenzen zum Beispiel in Form von negativen oder auch positiven Rückwirkungen auf den Unterricht (vergleiche nachfolgend den Rückwirkungseffekt). Ein weiterer Aspekt der Validität betrifft die Gültigkeit, die ein bestimmtes Verfahren in den Augen der Getesteten und der Testabnehmer hat. Diese sogenannte Augenscheinvalidität (englisch: face validity) ist nicht unwichtig für die Akzeptanz einer Testaufgabe. So haben neue Aufgabenformate zunächst häufig eine geringe Augenscheinvalidität für die Testnutzer. Dies kann unter anderem dazu führen, dass die Lerner die Aufgabe nicht hinreichend ernst nehmen und deshalb nicht ihre optimale Leistung zeigen. Authentizität Ein weiteres vor allem im Sprachtestbereich genanntes Gütekriterium bezieht sich auf die Authentizität der Testaufgaben — unter Einschluss der Vorgaben (zum Beispiel der Texte in einem Leseverstehenstest oder der Audio Dateien beim Hörverstehen) und der Testsituation. Mit „authentisch" kann in diesem Zusammenhang unter anderem gemeint sein, dass es sich um genuine, nicht spezifisch für Testzwecke produzierte Aufgaben und Materialien handelt. Weiterhin kann sich „authentisch" auf den Grad der Übereinstimmung zwischen den Merkmalen einer gegebenen Testaufgabe und den Merkmalen der jeweiligen zielsprachlichen Verwendungssituation beziehen (situationelle Validität). Ein anderer zuweilen genannter Aspekt ist der Grad der Übereinstimmung in den kognitiven Prozessen bei der Lösung der Testaufgaben und dem Gebrauch der Zielsprache außerhalb der Testsituation. Situationen und kognitiv authentische Aufgaben erlauben Generalisierungen im Hinblick auf die Fähigkeit zur Lösung analoger zielsprachlicher Probleme außerhalb der Testsituation. Weiterhin bestimmt die Authentizität einer Testaufgabe auch die Wahrnehmung der Aufgabe durch die Testbenutzer — zum Beispiel wird die Aufgabe im Sinne der Augenscheinvalidität als relevant angesehen. Dies kann wiederum einen positiven Einfluss auf die allgemeine Akzeptanz eines Tests und letztlich auf dessen Erfolg haben. <?page no="111"?> 111 3.2 Testaufgaben Rückwirkungseffekt Der Rückwirkungseffekt (impact; washback/ backwash) eines Tests ist ein weiteres wichtiges Gütekriterium, das schon im Zusammenhang mit der Validität angesprochen worden ist. Hierunter wird der Einfluss des Tests sowohl auf den einzelnen Kandidaten als auch zum Beispiel auf das jeweilige Erziehungssystem verstanden — unter anderem in Form einer Ausrichtung des Unterrichts auf Testinhalte und Aufgabenformate. Die Art und Weise des Unterrichts wird somit rückwirkend an die Art und Weise des Tests angepasst. Diese Rückwirkung muss jedoch nicht notwendigerweise negativ sein. So gibt es eine Reihe von Belegen (vergleiche zum Beispiel van der Werff & Gerbes 2006), dass die Einführung von standardisierten Tests durchaus auch zu einer positiven Veränderung des Fremdsprachenunterrichts führen kann. Wird in einem Test mit authentischem Material gearbeitet, kann dies mittels Rückwirkungseffekt beispielsweise zu einer lernförderlichen Arbeit mit authentischem Material im Unterricht führen. Der potentielle Rückwirkungseffekt wurde soweit möglich auch bei der Entwicklung der Testaufgaben des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen berücksichtigt. Schwierigkeit Die empirische Schwierigkeit (in der klassischen Testtheorie, operationalisiert als die Häufigkeit korrekter Lösungen) spielt eine wichtige Rolle bei der Bewertung der Qualität einer Aufgabe. Sehr schwierige oder auch sehr leichte Items tragen insgesamt nur sehr wenig zur Differenzierung zwischen den Testteilnehmern bei und werden deshalb zumeist im Rahmen der Aufgabenanalysen ausgesondert. Dies gilt allerdings nicht notwendigerweise im Fall von kriteriumsorientierten Testkonzeptionen (vergleiche zum Beispiel Brown & Hudson 2002; Hudson 2005) oder auch nicht, wenn das Ziel eine genaue individuelle Diagnose im Kompetenzbereich ist. Das Kriterium einer adäquaten empirischen Aufgabenschwierigkeit hat im Fall von Lernaufgaben eine partielle Entsprechung im Kriterium der Passung. Trennschärfe Ein wichtiges Gütekriterium für die Aufgaben (Items) eines Tests ist die Trennschärfe, die wiederum im Zusammenhang mit der Schwierigkeit einer Aufgabe zu sehen ist. Der Trennschärfeindex gibt an, wie gut eine Testaufgabe (ein Item) zwischen den Testkandidaten mit hohen und niedrigen Gesamtpunktwerten differenziert. Die Ermittlung der Trennschärfe setzt eine empirische Pilotierung der Aufgaben voraus. Aufgaben mit unzureichender Trennschärfe werden üblicherweise ausgesondert. Geschlossene Aufgaben, wie beispielsweise Multiple-Choice-Aufgaben, scheinen dabei aufgrund ihrer Vorhersagbarkeit bezüglich der Antwortmöglichkeiten eine höhere Trennschärfe aufzuweisen als dies bei offenen Fragen der Fall ist (vergleiche Perlmann-Balme 2010: 1278). <?page no="112"?> 112 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Stochastische Unabhängigkeit der Aufgaben Ein seltener genanntes, aber ebenfalls sehr wichtiges Qualitätsmerkmal von Testaufgaben (beziehungsweise Items) ist die wechselseitige stochastische Unabhängigkeit der Aufgaben. Damit ist unter anderem gemeint, dass die Wahrscheinlichkeit der Lösung einer Aufgabe, wie zum Beispiel einer Mehrfachwahlaufgabe in einem Leseverstehenstest, möglichst unabhängig von der Wahrscheinlichkeit der Lösung anderer Aufgaben im gleichen Test sein sollte. Die Lösung einer einzelnen Aufgabe ist für sich alleine genauso wahrscheinlich, wie wenn diese im Kontext eines gesamten Tests gelöst wird. Die Einzelwahrscheinlichkeit dieses Aufgabenergebnisses entspricht somit der Wahrscheinlichkeit aller Aufgabenergebnisse, was diese voneinander unabhängig macht (vergleiche auch Lerneinheit 3.3). Transparenz Weiterhin wird zunehmend das Gütekriterium der Transparenz, das bereits bei der Darstellung von Qualitätsmerkmalen von Lernaufgaben angesprochen worden ist, auch als Qualitätsmerkmal von Tests und Testaufgaben hervorgehoben. Im vorliegenden Zusammenhang bedeutet Transparenz zum einen, dass zum Beispiel die Leistungserwartungen den Testkandidaten in expliziter und verständlicher Formulierung zugänglich gemacht werden. Zum anderen bedeutet Transparenz, dass die durch einen Test gelieferten Informationen für den Benutzer möglichst klar und explizit formuliert werden, zum Beispiel in Form einer kriteriumsorientierten Bewertung anhand von (positiven) Kompetenzstufenbeschreibungen. Als Beispiel lässt sich hier der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen anführen, dessen kriteriumsorientierte Kompetenzeinteilung für Lerner und auch Lehrkräfte höchstmögliche Transparenz bietet (vergleiche Glaboniat 2010: 1291). Transparenz bezieht sich somit auf klar dargestellte Ziele und Beurteilungskriterien eines Tests, mittels derer Lerner ihre Ergebnisse einschätzen und nachvollziehen können. Gleichzeitig gilt ein Test hinsichtlich dessen Form der Handhabung auch für die Lehrkräfte transparent zu sein (vergleiche Vielau 2010: 249). Handlungsorientierung Insbesondere unter Bezugnahme auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen wird als ein Charakteristikum moderner kommunikativer Sprachtestaufgaben das Kriterium der Handlungsorientierung genannt. Mit Handlungsorientierung als Qualitätsmerkmal von Testaufgaben ist unter anderem eine Orientierung an realen Sprachverwendungssituationen gemeint sowie auch die Berücksichtigung strategischer Kompetenz zum Beispiel in Form von spezifischen Diskurs- und Kompensationsstrategien. Die Lerner sollen unter anderem demonstrieren, dass sie die sprachlichen Mittel situations- und adressatenangemessen verwenden und Defizite im Bereich der sprachlichen Mittel kompensieren können. In Bezug auf die Testformate bedeutet Handlungsorientierung häufig eine geringere Tendenz zur Standardisierung insbesondere in Form einer stärkeren Öffnung der Aufgabenstellungen. Damit <?page no="113"?> 113 3.2 Testaufgaben weisen handlungsorientierte Testaufgaben wesentliche Merkmale auf, die zumeist auch für Lernaufgaben als konstitutiv angesehen werden. 3.2.4 Zusammenfassung ▶ Testaufgaben werden eingesetzt, um sprachliche Kompetenzen zu überprüfen. ▶ Sie können zur Diagnose des aktuellen Leistungsstandes der Lerngruppe und jedes einzelnen Lerners eingesetzt werden. ▶ Testaufgaben können auch die Funktion erfüllen, die Wirksamkeit des vorangegangenen Unterrichts zu untersuchen und Grundlage für die weitere Unterrichtsplanung sein. ▶ Mithilfe von Testaufgaben können Rückmeldungen an die Lerner gegeben werden, die für die Informationen über den Leistungsstand relevant sind. ▶ Tests können außerdem eine Berechtigungs- und Selektionsfunktion haben. ▶ Die Bewertung von Lernerleistung erfolgt nach klar definierten Kriterien, wobei dem kommunikativen Erfolg eine schwerere Gewichtung zuteil wird. ▶ Die Bewertung von Testaufgaben orientiert sich an den Gütekriterien. 3.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie die Funktionen, die Testaufgaben erfüllen können. 2. Erklären Sie die Gütekriterien der Objektivität, Reliabilität und Validität. 3. Was versteht man unter Rückwirkungseffekt? <?page no="114"?> 114 3. Lern- und Testaufgabenerstellung 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis In den vorangegangenen beiden Lerninhalten haben Sie viel über Funktionen von Lern- und Testaufgaben gelernt. Im Zuge des Einsatzes einer Aufgabe im Unterricht kann allerdings die ursprünglich intendierte Funktion — etwa des Aufgabenerstellers — Modifikationen erfahren oder sogar durch eine andere Funktion ersetzt werden. So können zum Beispiel ein Lehrer oder eine Lehrerin eine zur Entwicklung von Sprechfähigkeit intendierte Aufgabe — wie etwa ein Rollenspiel — dazu verwenden, Sprechkompetenzen zu überprüfen. Damit verändert sich der Fokus von der Entwicklung von Kompetenzen hin zu deren Evaluation. Auch die Sicht des Lerners, der die Aufgabe bearbeitet beziehungsweise löst, muss nicht notwendigerweise mit der Vorstellung des Erstellers von der Funktion der Aufgabe übereinstimmen. So kann zum Beispiel ein allein mit dem Ziel der Kompetenzförderung konzipiertes und eingesetztes Rollenspiel vom Lerner primär als Evaluationsaufgabe interpretiert werden. Er wird daher möglicherweise wenig risikobewusst und wenig kreativ an die Aufgabe herangehen, um vermeintlichen Evaluationskriterien zu genügen. In der folgenden Lerneinheit resümieren wir zunächst, wo die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Lern- und Testaufgaben zu verorten sind. In diesem Zuge werden Sie erkennen, dass sie keine scharfen Grenzen aufweisen, denn Lernaufgaben können auch als Testaufgaben dienen und vice versa, wie das oben genannte Beispiel zum Rollenspiel veranschaulicht. Genauso werden wir thematisieren, dass Vertreter beider Kategorien als Diagnoseinstrument eingesetzt werden. Als Abschluss dieses Kapitels werden Sie sich mit Aufgaben aus der Praxis beschäftigen und das Gelernte anhand authentischer Aufgaben näher vertiefen. In dieser Lerneinheit beziehen wir uns sowohl auf den Artikel von Caspari, Grotjahn & Kleppin (2010) als auch auf den Beitrag von Caspari & Kleppin (2008). Zu weiteren Entwicklungen, in denen der Unterschied zwischen dem Evaluieren und dem Unterrichten geringer wird, gehört die sogenannte dynamische Evaluation (vergleiche Lantolf & Poehner 2011a, 2011b). Während mithilfe von Tests nur eine Aussage über den gegenwärtigen Stand der Kompetenzen getroffen werden kann, fokussiert die dynamische Evaluation den Lernprozess und die Kompetenzen, die sich dynamisch entwickeln. Dynamisch ist auch das Evaluieren selbst, in dem Sinne, dass Lerner eine gezielte Rückmeldung und gegebenenfalls auch an die Rückmeldung anschließende Übungsmöglichkeiten erhalten. Hierzu finden Sie Informationen in Lerneinheit 5.3 in diesem Band. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Lern- und Testaufgaben benennen können; ▶ die Einsatzmöglichkeiten und variablen Formen von Lern- und Testaufgaben in der Praxis kennenlernen. <?page no="115"?> 115 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis 3.3.1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Lern- und Testaufgaben In den ersten beiden Lerneinheiten haben wir bereits einige Aspekte angesprochen, in denen sich Lern- und Testaufgaben unterscheiden. Zusätzlich zu den bereits genannten Aspekten differieren Lern- und Testaufgaben unter anderem in folgender Hinsicht: ▶ Lernaufgaben zielen meist auf die Entwicklung von integrierten Kompetenzen ab. So wird man kaum Aufgaben zum Sprechen entwickeln, die nicht gleichzeitig Hörverstehen voraussetzen. Selbst im Fall des monologischen Sprechens bei Präsentationen und Ähnlichem findet ja zumeist eine Interaktion mit einem Publikum (meist der Lerngruppe) statt, sodass der Sprecher auch selbst wieder zum Hörer wird. Testaufgaben messen hingegen zumeist isolierte Kompetenzen, um spezifische Informationen zu Teilkompetenzen zu erhalten. Dies muss allerdings nicht grundsätzlich gelten. So gibt es zum Beispiel beim TOEFL iBT unter anderem aus Gründen der Authentizität und der möglichen positiven Rückwirkung auf das Sprachenlernen integrative Testaufgaben, deren Bearbeitung mehrere Teilkompetenzen erfordert (zum Beispiel Lesen, Hören und Schreiben). ▶ Lernaufgaben sind so ausgelegt, dass sie durch die Lerner in unterschiedlicher Weise realisiert werden können. Formelle Testaufgaben hingegen müssen, um Vergleichbarkeit zu gewährleisten, in der Regel strikten Vorgaben in Bezug auf Zielsetzungen, Inhalt, Textsorte, Umfang, Einsatzbedingungen und Kriterien für Auswertung und Bewertung folgen. Ziel ist eine möglichst weitgehende Erfüllung insbesondere der Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität. Man kann sich nun fragen, inwieweit die Testgütekriterien auch auf Lernaufgaben angewendet werden können. Die meisten Testgütekriterien lassen sich, gegebenenfalls mit Anpassungen, sicherlich zumindest partiell auch auf Lernaufgaben beziehen. So kann man zum Beispiel sowohl in Bezug auf Testaufgaben als auch auf Lernaufgaben fordern, dass diese möglichst authentisch sein sollten. Allerdings wird man bei formellen Tests der Aufgabenauthentizität einen geringeren Stellenwert zumessen als zum Beispiel der Reliabilität und der Konstruktvalidität. Auch bei der Konstruktvalidität kann man bei einer Anwendung auf Lernaufgaben zu durchaus analogen Schlüssen kommen. Genauso wie man sich bei Testaufgaben fragen muss, inwieweit sie das Konstrukt repräsentieren, das getestet werden soll, sollte man sich auch bei Lernaufgaben fragen, ob tatsächlich die Kompetenzen mit einer Aufgabe entwickelt werden (können), die bei der Entwicklung und dem Einsatz der Aufgabe intendiert wurden. Entsprechend könnte man auch danach fragen, ob das durch eine Lernaufgabe angezielte Konstrukt durch die Aufgabe möglicherweise unzureichend repräsentiert ist (Konstruktunterrepräsentation) oder ob bei der Bearbeitung nicht-intendierte Prozesse eine verzerrende Rolle spielen (konstruktirrelevante Varianz). Im Rahmen offener Unterrichtskonzepte kann allerdings auch eine Lernaufgabe, die vom Lerner anders als intendiert bearbeitet wird, einen durchaus wichtigen Stellenwert haben. Auch die Testgütekriterien der konsequentiellen Validität und die Augenscheinvalidität lassen sich unseres Erachtens zumindest partiell auf Lernaufgaben übertragen. <?page no="116"?> 116 3. Lern- und Testaufgabenerstellung In vielen Fällen wird man allerdings bei einer Übertragung der testtheoretischen Gütekriterien auf Lernaufgaben zu eher gegensätzlichen Schlussfolgerungen kommen. So ist etwa im Fall von Testaufgaben die wechselseitige stochastische Unabhängigkeit der Items deshalb notwendig, damit die Lösung eines Items unabhängig von der Lösung der anderen Items als Indikator für die Kompetenz des Lerners interpretiert werden kann. Bei Lernaufgaben ist hingegen häufig gerade die Lösung eines Aufgabenteils Voraussetzung für die erfolgreiche Bearbeitung eines weiteren Teils, weshalb die Aufgaben in Abhängigkeit zueinander stehen. Ähnlich wird man auch eine hohe Durchführungs- und Auswertungsobjektivität sowie eine hohe Reliabilität — im Sinne einer Konstanz der Ergebnisse bei ähnlichen Aufgaben oder auch beim mehrfachen Einsatz der gleichen Aufgabe — zumindest im Rahmen offener Unterrichtskonzepte zumeist eher als negativ betrachten. Insgesamt gesehen sollte natürlich generell das Training von Testaufgaben nicht im Mittelpunkt des Unterrichts stehen. Vielmehr sollte danach getrachtet werden, in Kompetenzentwicklungssituationen das Potential von Testaufgaben als Lernaufgaben zu nutzen. 3.3.2 Lernaufgaben als Testaufgaben - Testaufgaben als Lernaufgaben Als Testaufgaben konzipierte und intendierte Aufgaben können bei entsprechendem Einsatz auch als Lernaufgaben realisiert werden und eine lernfördernde Funktion haben. Umgekehrt können viele zur Kompetenzentwicklung konzipierte Aufgaben auch als Testaufgaben eingesetzt werden (vergleiche hierzu auch Spence-Brown 2009). Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein und dieselbe Aufgabe von den Lernern im Zuge eines (sozialen) Konstruktionsprozesses als Lernaufgabe, Testaufgabe oder auch als eine Hybridform gesehen werden kann. Aufgaben können unterschiedlich verwendet werden. So kann zum Beispiel ein C-Test einerseits als Einstufungstest zur Bildung homogener Leistungsgruppen genutzt werden. Anderseits kann er als Lernaufgabe eingesetzt werden, um zum Beispiel den Lesestil „globales Lesen" anzuregen. Eine solche Aufgabe zielt dann zum Beispiel darauf ab, dass Lerner damit tolerant umgehen können, nicht linear alles sofort zu verstehen, sondern vielmehr Ratetechniken einzusetzen. Hingegen wird zum Beispiel ein Rollenspiel, das im schulischen Kontext zumeist die Funktion einer Lernaufgabe hat, mittlerweile immer häufiger in mündlichen Tests eingesetzt, um die Fertigkeit Sprechen in einer authentischen Handlungssituation zu prüfen. So zum Beispiel der Abschnitt „Gemeinsam etwas planen“ im mündlichen Prüfungsteil des Deutschtests für Zuwanderer (siehe Abbildung 3.1): <?page no="117"?> 117 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis Darüber hinaus kann eine Testaufgabe auch zur gezielten Weiterentwicklung von unterschiedlichen Kompetenzbereichen genutzt werden. Zwar ist davon auszugehen, dass zum Bei- Übungstest 1 24 c a . 16 M i n u t e n S p r e c h e n S p r e c h e n © t e lc g G m b H , F r a nk f u r t a . M . , D e u t s c h -Te s t f ü r Z u w a n d e r e r, 2 0 15 Teilnehmer/ in A und B Teil 3 Gemeinsam etwas planen Situation: Sie sind beide am folgenden Wochenende zu einer Hochzeitsfeier eingeladen. Die Hochzeit findet in Neuburg statt, das etwa 100 km von Ihnen entfernt liegt. Sie waren noch nie in Neuburg und kennen sich nicht aus. Aufgabe: Planen Sie gemeinsam, was Sie tun möchten. Hier sind einige Notizen: Verkehrsmittel? Stadtplan? Geschenk? Kleidung? Treffpunkt? …? 421.0-1490.0 Abbildung 3.1: DTZ Prüfung Übungstest 1 - Sprechen - Teil 3 - Gemeinsam etwas planen (Telc 2015: 24) <?page no="118"?> 118 3. Lern- und Testaufgabenerstellung spiel Rückmeldungen zu Prüfungen immer mit der lehrerseitigen Hoffnung verbunden sind, dass sie Auswirkungen auf das weitere Lernverhalten haben, doch können Testaufgaben auch Ausgangspunkt für gezielte Lernaktivitäten sein: Testaufgaben können zum Beispiel als Basis für (Gruppen-)Gespräche über Kompetenzen fungieren. Hierbei geht es vor allem darum, dass Lerner erkennen, welche Kompetenzen sie bei einer vorliegenden Testaufgabe bereits gezeigt haben und welche Testbearbeitungsprozesse dafür abgelaufen beziehungsweise nötig sind. Dies kann sowohl während der Aufgabe selbst zum Beispiel in Form eines lauten Kommentierens in Zweiergruppen ablaufen oder auch in Form eines nachträglichen Reflektierens über die eigenen Prozesse. Ziel ist, dass Lerner darüber nachdenken, wie sie tatsächlich bei Testaufgaben vorgehen, welche Kompetenzen, Strategien (vergleiche unter anderem Cohen 2006; Kleppin & Reich 2009) und sprachlichen Mittel für die Lösung notwendig sind, was sie eventuell noch üben können, worauf sie sich besonders vorbereiten können oder worauf sie bei der Lösung von Testaufgaben noch achten können, beziehungsweise sollten. Ausgehend von Reflexionen über Testbearbeitungsprozesse können Lerner auf diese Weise dabei unterstützt werden, Testexpertise zu entwickeln, um so in Prüfungssituationen mit der nötigen Gelassenheit vorzugehen. Ein weiteres mögliches Beispiel für die Verwendung von Testaufgaben als Lernaufgaben sind sogenannte Peer-Prüfungen. Sie können zur Vorbereitung von formellen und informellen mündlichen Testsituationen genutzt werden, als Grundlage für die Beobachtung von Verhalten in Tests und für weiterführende Reflexionen. Fragestellungen für Lerner können zum Beispiel sein: Wie gehe ich eigentlich vor? Was gelingt mir schon ganz gut? Was kann ich verbessern? Lerner können sich gegenseitig beobachten, Verhalten bewusst machen, konstruktives Feedback geben, Empfehlungen aussprechen etc. Ob eine Aufgabe als Lern- oder Testaufgabe verwendet wird, hängt somit oft weniger von der Konstruktion der Aufgabe als vom Kontext ihres Einsatzes ab. Wichtig ist vor allem, dass Lehrkräfte und Lerner sich über die Zielsetzung des jeweiligen Einsatzes der Aufgabe verständigen und diese bewusst durchführen. 3.3.3 Lern- und Testaufgaben als Diagnoseaufgaben Wie bereits erwähnt, können Lern- und Testaufgaben auch zur Diagnose verwendet werden. Wir gehen im Rahmen dieses Beitrags von einem eher engen Diagnosebegriff aus und sehen die Funktion unterrichtlicher Diagnostik vor allem darin, spezifische Informationen über das Kompetenzniveau einzelner Lerner und/ oder einer Lerngruppe zu gewinnen — mit dem Ziel der Rückmeldung (insbesondere an Lerner und Lehrkraft) und der gezielten Förderung. Die Diagnose kann vor Beginn einer geplanten Unterrichtssequenz (Lernausgangsdiagnose), prozessbegleitend während des Lernens (Lernprozessdiagnose) oder am Ende eines Lernprozesses (Lernergebnisdiagnose) durchgeführt werden. Im Gegensatz zu Junghanns & Schinschke (2009: 16) beschränken wir die Funktion unterrichtlicher Diagnose damit nicht auf eine Erfassung und Rückmeldung der Lernausgangslage individueller Lerner (vergleiche auch Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Land Brandenburg et al. 2008). Außerdem schließen wir auch eine gruppenbezogene oder standardbezogene Bezugsnorm sowie eine Be- <?page no="119"?> 119 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis wertung der Leistung zum Beispiel in Form von Noten nicht prinzipiell aus (vergleiche zu weiteren Aspekten und unterschiedlichen Positionen auch Alderson 2005; Becker, Horstkemper, Risse, Stäudel, Werning & Winter 2006; Junghanns & Schinschke 2009; Kliemann 2008; Tesch 2009). Eine mit Konsequenzen verbundene Bewertung kann allerdings dem Diagnosegedanken entgegenstehen, da sie zu einer der intendierten Funktion widersprechenden Bearbeitung der Aufgabe führen kann, indem zum Beispiel Fehlervermeidungsstrategien verwendet werden oder Inhalte vorher auswendig gelernt werden (vergleiche auch Spence-Brown 2009). Diagnoseaufgaben werden zum einen an Scharnierstellen im Schulsystem eingesetzt. So dienen sie zum Beispiel nach dem Übergang auf eine weiterführende Schule oder Schulstufe sowie nach einem Lehrerwechsel dazu, den Lehrpersonen präzise Rückmeldungen über den allgemeinen Lernstand der Gesamtgruppe, zu einzelnen Kompetenzbereichen und/ oder zu einzelnen Lernern zu geben. Dadurch können sie dazu beitragen, vorher bekannte Noten oder vermutete Einschätzungen einzelner Lerner zu korrigieren. Zum anderen werden sie als Grundlage für die Festlegung von Kompetenzzielen und für die auf die Lerngruppe oder einzelne Schüler und Schülerinnen abgestimmte Planung von Lernprozessen verwendet, etwa zu Beginn eines Schuljahres, vor Beginn einer Unterrichtssequenz zur Schulung einer bestimmten Kompetenz oder zur Erstellung eines Lernprogramms für einzelne Lerner oder Lernergruppen. Den Lehrkräften und Lernern liefern sie damit eine wertvolle Rückmeldung über den Leistungsstand in den bearbeiteten Kompetenzbereichen. Weiterhin erlauben Diagnosen, vor allem wenn sie nicht von der Lehrperson, sondern von dem beziehungsweise den Lernern selbst ausgewertet werden - in Form von (Selbstbeziehungsweise Peer-Evaluation), Diagnose- und Selbsteinschätzungsfertigkeiten zu trainieren. Durch eine weiterführende Reflexion kann zudem der Erwerb von Sprachbewusstheit und Sprachlernbewusstheit trainiert werden („Wie bin ich zu dem Ergebnis gekommen? Wie könnte ich es verbessern? “). Diese Fähigkeiten erweisen sich für Lerner während des gesamten Lernprozesses als überaus wertvoll und können längerfristig zu einer Leistungssteigerung führen. Zumeist haben Diagnoseaufgaben die Form von Testaufgaben. Wichtig ist, dass der Lehrperson und/ oder den Lernern Evaluationskriterien zur Verfügung gestellt werden. Diagnostische Informationen können aber auch bei der Bearbeitung von komplexen Lernaufgaben gewonnen werden und sich auf integrative Kompetenzen beziehen. In dieser Funktion können Lernaufgaben als Diagnoseaufgaben eine wichtige Ergänzung von Testaufgaben darstellen, die eher isolierte Kompetenzen zu erfassen suchen. Für die Lerner ist es dabei wichtig, dass sie vor allem eine Rückmeldung in Bezug auf ihren kommunikativen Erfolg erhalten („In welchen Situationen komme ich zurecht? “). 3.3.4 Lernaufgaben in der Praxis Wie in Lerneinheit 3.1 bereits vermerkt, können Lernaufgaben zahlreiche verschiedene Funktionen innehaben. Diese Funktionen sorgen für unterschiedliche Ausprägungen spezifischer Lernaufgaben in der Praxis, welche dieser Abschnitt behandelt. Anhand von Beispielen werden die jeweiligen Funktionen der Aufgaben anschaulich dargestellt. <?page no="120"?> 120 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Wie Sie wissen, können Lernaufgaben sowohl isolierte als auch integrierte Kompetenzen fördern (vergleiche Lerneinheit 3.1). Ebenfalls bekannt ist, dass in der Praxis meist eine Förderung integrierter Kompetenzen erfolgt, da im Unterrichtskontext selten nur eine Fertigkeit gesondert angesprochen und geübt wird. Doch wie sehen Lernaufgaben dieser Art konkret aus? Das folgende Beispiel in Abbildung 3.2 zeigt eine Lernaufgabe, die zunächst als Aufgabe zum Leseverstehen, zum globalen und detaillierten Leseverstehen und für die Lösung der Aufgabe vor allem zum selektiven Leseverstehen zu nutzen ist. Anschließen können sich daran dann unmittelbar auch weitere Aufgaben zum Sprechen und zum Schreiben. sechs 6 L ektion 1 Vorbilder Was möchtest du werden? L ektion 1 Albert Einstein war der größte Physiker des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1879 in Ulm geboren und starb 1955 in den USA. 1921 bekam er den Nobelpreis für Physik. Vor allem seine Relativitätstheorie machte ihn berühmt. 2 Jil Sander wurde am 27. 11. 1943 als Heidemarie Jiline Sander geboren. Sie studierte Textilkunde und arbeitete als Moderedakteurin. 1973 zeigte sie ihre erste eigene Mode- Kollektion. Mit ihrem eleganten Stil wurde sie als Modedesignerin in der ganzen Welt bekannt. 3 Reinhold Messner, geboren am 17. 9. 1944 in Südtirol/ Italien, begann schon früh mit dem Bergsteigen in den Alpen. Von 1970 an bestieg er in zahlreichen Himalaya-Expeditionen die höchsten Berge der Welt. 1992 durchquerte er in 92 Tagen die Arktis zu Fuß. 4 Albert Schweitzer lebte von 1875 bis 1965. 1913 ging er als Arzt nach Afrika und gründete später ein Krankenhaus in Lambarene in Gabun. Er hielt sich viele Jahre in Afrika auf. 1952 bekam er den Friedensnobelpreis. 5 Nina Hagen, 1955 in Ost-Berlin geboren, war schon mit 17 Jahren ein Star in der damaligen DDR. Sie wurde nicht nur durch ihre Punk-Rockmusik, sondern auch durch ihr besonderes Aussehen bekannt. 6 Carl Friedrich Benz war Ingenieur für Maschinenbau. Er wurde 1844 in Karlsruhe geboren. Nach dem Studium konstruierte er Motoren und entwickelte das Automobil. 1886 stellte er sein erstes Auto der Öffentlichkeit vor. Er starb 1929. Strategie Wenn du im Text eine unbekannte Verbform findest, überlege, ob du eine Form dieses Verbs schon kennst. Beispiel: bekam bekommen begann beginnen Planet 3 Kursbuch 3-19-001680-1 © Max Hueber Verlag 2006 Abbildung 3.2: Lernaufgabe zur Förderung des Leseverstehens aus dem Lehrwerk Planet 3 (Kopp, Büttner & Alberti 2010: 6) <?page no="121"?> 121 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis Aufgabenstellung (Kopp, Büttner & Alberti 2010: 7): b) Lies die Texte unter den Bildern 1- 6 und die Aussagen. Was passt zusammen? R - Ich will mal so sein wie er. Ich mag die Berge und das Abenteuer. U - So wie er möchte ich Menschen helfen. Er ist mein großes Vorbild. F - So verrückt möchte ich ja nicht aussehen. Aber ich will Sängerin werden wie sie. E - Modedesignerin ist mein Traumberuf. Aber so gut wie sie, das schaffe ich nicht. E - Autos bauen, das muss interessant sein. Das möchte ich auch mal machen. B - Er war ein Genie! Ich möchte auch mal Physiker werden wie er. Lernaufgaben zur Förderung integrierter Kompetenzen verbinden, wie der Begriff bereits vermuten lässt, mehrere Teilkompetenzen. Zum Lösen einer solchen Lernaufgabe kann es somit notwendig sein, nicht nur zu schreiben, sondern auch zu lesen. Die folgende Lernaufgabe in Abbildung 3.3 verdeutlicht dies. Diese wurde den Ausführungen von Caspari und Kleppin (2008: 96) entnommen und aus dem Französischen übertragen. Diese Aufgabe unterstützt das Leseverstehen als Grundlage für die inhaltliche Weiterarbeit. Sie illustriert, wie durch mehrfachen Textzugriff das Verstehen des Textes unterstützt wird. Anschließend erfolgt die Weiterarbeit mit den Textinformationen auf dem für die Aufgaben vorgesehenen sprachlichen Niveau. Ziel ist es, mithilfe von Informationsentnahmen aus Texten über Kinder aus unterschiedlichen Ländern Portraits zu erstellen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Kindern und sich zu erkennen. Kinder der Welt Lars und Conni machen eine Internettour durch die Welt. Auf ihrer virtuellen Reise finden sie auch Portraits von Kindern. Lars und Conni finden diese Portraits sehr interessant. Sie stellen für ihre Mitschüler eine Galerie von Portraits zusammen. Saaya, Senegal Nagadef, ich bin 6 Jahre und heiße Saaya , ich spreche peulh, ich wohne in einem Dorf neben einer großen Straße. Ich gehe zur Schule in einem Dorf, das einen Kilomenter entfernt ist. Meine Eltern hüten eine Truppe von Kühen. Ich und meine Geschwister müssen immer helfen, wenn wir aus der Schule kommen. Liu, China Nihao, ich bin 6 Jahre alt und heiße Liu. Wenn ich zur Schule gehe, dann brauche ich ungefähr 20 Minuten. Dann muss ich mich aber beeilen. Meine Schule ist mitten auf dem Land und es gibt viele kleine Bäche. Diuw, Thailand Sawati Kap, ich bin 11 Jahre und heiße Diuw. Unser Haus ist in der Nähe von Khunkan. Das ist ein kleines Dorf. Ich schreibe nicht so wie ihr. Ich schreibe das Thai-Alphabet. Krishna, Indien Namaste, ich heiße Krishna und bin 11 Jahre alt. Ich wohne in einer Stadt auf der NH24. Das ist eine große Straße nach Delhi. Ich arbeite in einer Werkstatt und gehe nicht in die Schule. <?page no="122"?> 122 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Mustapha, Syrien As Salaam Aleykoum, ich heiße Mustapha und bin 8 Jahre alt. Ich wohne in Homs, Das ist eine große Stadt zwischen Wüste und Olivenhainen. Wir haben jetzt Ferien und ich spiele den ganzen Tag auf der Straße mit meinen Freunden. Didam, Turkei Merhaba, ich heiße Didam und bin 8 Jahre. Ich bin Kurde und ich wohne mit meiner Familie in einem Zelt mit anderen Kurden. Wir leben im Südosten der Türkei. In der Schule lerne ich türkisch, aber ich spreche mit meinen Freunden und mit der Familie kurdisch. Meine Eltern hüten Schafe. Im Winter leben wir in einem Dorf in den Bergen. Aufgabe (Aufgabenstellung in der Muttersprache der Lerner): Was erfährst du über die Kinder? 1. Suche dir einen Text aus und versuche, so viele Informationen wie möglich zu entschlüsseln, mache dir Notizen. (ca. 5 Min.) 2. Suche dir einen Partner, der einen anderen Text bearbeitet hat. Stellt euch gegenseitig die Kinder vor. (auf Deutsch; ca. 5 Min.) 3. Schaut nun noch einmal gemeinsam in beide Texte und versucht, weitere Informationen zu finden. Gibt es offene Fragen? Unverstandenes? (ca. 5 Min.) 4. Gestaltet zu zwei Kindern Mini-Portraits (2 DIN A5-Karten mit Foto und Informationen). Dafür könnt Ihr weitere Recherchen im Internet machen und natürlich auch etwas erfinden. Danach hängt die „neuen“ Portraits neben die Weltkarte, dort wo sich die Heimatländer der Kinder befinden. 5. Vergleicht das Leben der Kinder mit eurem: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es? Berichtet in der Klasse. Abbildung 3.3: Lernaufgaben zur Förderung integrierter Kompetenzen (Portraits aus mondecyclotour.fr 2008) Zudem lassen sich auch hinsichtlich der Konzentration auf Inhalt, sprachlicher Form oder Methode unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Je nach Aufgabenstellung einer Lernaufgabe lässt sich die Aufmerksamkeit der Lerner auf den jeweiligen Aspekt lenken und eben diesen verstärkt fördern (vergleiche Caspari & Kleppin 2008: 103). Dabei ändern sich somit nicht unbedingt das Material der Lernaufgabe, sondern lediglich deren Anweisungen. Bestimmte Fragestellungen können dieses Lenken der Aufmerksamkeit erreichen (vergleiche Caspari & Kleppin 2008: 103): Folgende Fragen können, wenn es zum Beispiel um ein beschriebenes, erzähltes oder ein gefilmtes Ereignis geht, die Aufmerksamkeit auf inhaltliche Aspekte lenken: ▶ Was passiert in dieser Szene? ▶ Wie reagiert Person X, Y? ▶ Wie hätte Person X, Y reagieren können? ▶ Wie würdet ihr an der Stelle von Person X, Y reagieren? Folgende Fragen können die Aufmerksamkeit auf die methodische Kompetenz lenken: ▶ Was hat euch alles dabei geholfen zu verstehen, was die Personen sagen, obwohl ihr die meisten Wörter noch nicht kennt? ▶ Welche euch bekannten Wörter konntet ihr gut dazu gebrauchen, um zu erraten, was die Personen sagen? Bei der Bearbeitung einer gefilmten Sequenz, in der Personen miteinander interagieren, können folgende Fragen die Aufmerksamkeit auf sprachliche Aspekte lenken: ▶ Welche sprachlichen Mittel benutzen die Personen, um Freude auszudrücken? ▶ Wie drücken sie etwas Vergangenes aus? ▶ Wo findet ihr eine Verbindung von Pronomina? <?page no="123"?> 123 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis Das Erstellen eines Werbespots anhand Anregungen zu Inhalt und Struktur ist als konkrete Aufgabe mit inhaltlicher Schwerpunktsetzung zu nennen. Führen die Lerner eine Umfrage mit ihren Mitschülern und Mitschülerinnen durch und werten diese aus, wird ebenso der inhaltliche Aspekt fokussiert (vergleiche Caspari & Kleppin 2008: 104). Formal sprachliche Aspekte liegen bei einer Lernaufgabe im Fokus, die den funktionalen Gebrauch von sprachlichen Formen der Höflichkeit thematisiert. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn asymmetrische Rollenkonstellationen vorliegen und wenn in formellen Kontexten agiert werden soll. Eine weitere Möglichkeit für die Fokussierung auf formale Aspekte ist eine Aufgabe, in der die Lerner eine Szene sehen oder eine Audiosequenz hören, die darin enthaltenen Gefühle aufnehmen und sie anschließend versprachlichen (vergleiche Caspari & Kleppin 2008: 104). Methodische Aspekte können beispielsweise in einer Lernaufgabe zum Leseverstehen betont werden, bei der es nicht nur um das reine Verständnis des Textes geht, sondern darum, wie die Lerner zum Verständnis des Textes und einzelner Worte gelangt sind. Hierfür wird bestenfalls ein Text herangezogen, der viele unbekannte Wörter enthält, die jedoch aus dem Kontext erschlossen oder aus anderen Sprachen abgeleitet werden können. Die Lerner erhalten dann die Aufgabe, eben diese Wörter oder Ausdrücke zu markieren und die Erschließungsstrategie, die sie verwendet haben, zu notieren (vergleiche Caspari & Kleppin 2008: 110). Grundsätzlich sind beim Sprachenlernen, für den Erwerb aller Kompetenzen, sprachliche Mittel notwendig. Hervorzuheben sind an dieser Stelle insbesondere Wortschatz und Grammatik. Daher sollten auch diese sprachlichen Mittel in Lernaufgaben thematisiert und erlernt werden. Das Ziel soll dabei jedoch nicht das bloße Erlernen, sondern vielmehr die Anwendung eben dieser sein: „Dem Erwerb und dem Einüben sprachlicher Mittel kommt somit stets eine dienende Funktion zu“ (Caspari & Kleppin 2008: 110). Zusätzliche Übungsaufgaben zu diesen sprachlichen Mitteln, die die Lerner vor, während und nach einer Lernaufgabe unterstützen, sind hier ratsam. Wie bereits in Lerneinheit 3.1 in diesem Band angesprochen, betreffen Lernaufgaben auch das interkulturelle Lernen. Da Interkulturalität im heutigen Unterrichtskontext eine immer bedeutendere Rolle spielt und auch eng mit einer angestrebten Handlungsorientierung zusammenhängt, sind Lernaufgaben, in denen der interkulturelle Kompetenzbereich im Vordergrund steht überaus bedeutsam. Dieser Bereich lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise thematisieren, in der nachfolgenden Abbildung (3.4) soll dabei ein mögliches Beispiel dargestellt werden, innerhalb dessen sich Lerner mit den eigenen Einstellungen, Vorerfahrungen und Vorurteilen bezüglich des eigenen lebensweltlichen Bezugs als auch der Zielkultur beschäftigen. <?page no="124"?> 124 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Auch in der Partnerschaft sind Mann und Frau gleichberechtigt. das schwule Paar der Geschiedene die Familie der Single, die Alleinstehende die Alleinerziehende das Ehepaar das lesbische Paar das unverheiratete Paar Der Mann darf die Frau nicht schlagen. Die Frau darf den Mann nicht schlagen. Die Frau darf ihre Meinung sagen. Der Mann darf seine Meinung sagen. Der Mann darf selbst entscheiden. Die Frau darf selbst entscheiden. das heißt 2.2. Formen von Zusammenleben Den Familienstand angeben: Ich bin… • verheiratet • ledig (= nicht verheiratet) • geschieden (= nicht mehr verheiratet) • verwitwet (= Mann/ Frau ist tot) Es gibt auch die eingetragene Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare (= schwul oder lesbisch). 140 ja/ nein! 2.1. Gleichberechtigung in der Partnerschaft Kindererziehung: Mann und Frau gleiche Hobbys für Mann und Frau 139 Rechtsstaat 2. Gleichberechtigung von Mann und Frau gleiche Bildung für Mann und Frau freie Berufswahl für Mann und Frau freie Kleidungswahl für Mann und Frau Wahlrecht für Mann und Frau Frau = Chefin Mann = Chef Amir Justus Saida Justus Rabia Amir Justus Maria Saida Maria Amir Justus Maria Amir Yara Justus Halim Rabia Meine Frau ist tot. Wir heiraten bald. Ich habe keine Partnerin. Ü 2.3. Was dürfen Frauen und Männer? Was dürfen Frauen und Männer nicht? Ehepartner schlagen Chef sein Auto fahren Kinder schlagen Kinder erziehen kochen Fußball spielen 141 Rechtsstaat Amir (30) Rabia (13) Saida (18) Justus (25) ledig verheiratet alleinerziehend geschieden verwitwet alleinstehend unverheiratet verliebt verlobt Halim (15) Yara (50) Maria (25) Übungen Ü 2.2. Welche Wörter passen? Verbinden Sie. Ü 2.1. Dürfen diese Personen in Deutschland heiraten? Schreiben Sie ja oder nein. Abbildung 3.4: Interkulturelles Lernen am Beispiel des Ersthelfer-Leitfadens für Ehrenamtliche (Roche 2017: 139-141) <?page no="125"?> 125 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis Der Aspekt des Erlernens methodischer Kompetenzen wurde bereits erwähnt, lässt sich jedoch noch weiter ausführen. Lernaufgaben, die auf eine Vermittlung von methodischen Kompetenzen abzielen, stellen mitunter Fähigkeiten der Lernorganisation und des Lernbewusstseins in den Vordergrund. Dieser Bereich methodischer Kompetenzen ist auch unter dem englischsprachigen Begriff der language awareness bekannt. Caspari & Kleppin (2008) unterteilen dieses Konzept weiter in die Aspekte der Sprachlernkompetenz, der Sprachlernbewusstheit, der Sprachbewusstheit und der Sprachenbewusstheit. Jeder einzelne Aspekt kann durch Lernaufgaben gefördert werden. Bevor einige Beispiele für eine solche Förderung genannt werden, sind die Aspekte detaillierter zu beschreiben (Caspari & Kleppin 2008: 118-119): ▶ Sprachlernkompetenz: Fähigkeit, den eigenen Lernprozess zu planen, zu steuern und seinen Erfolg zu bewerten ▶ Sprachlernbewusstheit: „Lernen lernen“, insbesondere: Erwerb und Bewusstmachung von Strategien (Sprachlern- und -verarbeitungsstrategien, kommunikative Strategien, soziale Strategien, sprachreflektorische Strategien) ▶ Sprachbewusstheit (im Sinne von linguistic awareness): Fähigkeit, zum Beispiel Hypothesen über Sprache zu testen und zu überprüfen, sprachliche Regelmäßigkeiten zu entdecken, in Regeln fassen zu können, Zusammenhänge herzustellen, bei der eigenen Sprachproduktion und -rezeption auf die Form zu achten und die sprachliche Produktion bewusst zu kontrollieren ▶ Sprachenbewusstheit (im Sinne von language awareness): die Fähigkeit, über die Natur und Funktionen von Sprache beziehungsweise Sprachen und ihre Rolle im menschlichen Leben nachzudenken, Verbindungen zwischen den Sprachen herstellen zu können, Ähnlichkeiten zu entdecken und sie nutzen zu können (Sprachlernkompetenz) Beispielsweise kann eine Lernaufgabe mit deutschsprachigem Rap dazu dienen, die Sprachbewusstheit zu fördern. Neben den bereits behandelten Kompetenzen können Lernaufgaben im Sprachenunterricht auch dazu genutzt werden, um weitere Schlüsselkompetenzen zu erwerben. Allen voran sind an dieser Stelle die Selbstkompetenz und die soziale Kompetenz zu nennen (vergleiche Caspari & Kleppin 2008: 128-129). Zu Selbstkompetenz zählen zum einen die Fähigkeit und Bereitschaft zur Eigenverantwortung (zum Beispiel bei der Kontrolle des Sprachlernprozesses durch das Führen einer individuellen Fehlerstatistik, eines Lerntagebuchs oder eines Portfolios). Des Weiteren gehören dazu der Bereich der Selbstständigkeit (zum Beispiel Anwendung von Lernstrategien, zum Ordnen und Dokumentieren von Arbeitsmaterialien, beim Zeitmanagement) und des Selbstbewusstseins (zum Beispiel das Kennen eigener Stärken, Schwächen und Interessen, Reflexion der eigenen Lernprozesse). Auch die Bereitschaft und Fähigkeit zur konstruktiven Auseinandersetzung mit unterrichtlichen Themen, die Bereitschaft zur von Neugier und Offenheit getragenen Begegnung mit Fremdem und Fremden zählt in diesen Bereich. Selbstkompetenz kann weiterhin als Gefühl der eigenen Tüchtigkeit, der Wirksamkeit und der Selbstbestimmung definiert werden. Je ausgeprägter beides vorhanden ist, umso stärker <?page no="126"?> 126 3. Lern- und Testaufgabenerstellung ist ein Schüler oder eine Schülerin dann auch intrinsisch motiviert. In jedem Sprachenunterricht müssen demnach Situationen geschaffen werden, die es den Lernern erlauben, das Gefühl der eigenen Kompetenz zu erleben. Dazu dienen vor allem solche Aufgabenstellungen, in denen die Schüler und Schülerinnen sich selbst beurteilen, auch, indem sie erleben, dass sie kommunikativ erfolgreich handeln können. Das kann bedeuten, dass sie Mitschülern und Mitschülerinnen Ergebnisse einer Recherche präsentieren können, dass sie mit einem fremdsprachigen Korrespondenzpartner (auch einem Tandempartner), einem fremdsprachigen Gesprächspartner bei Recherchen oder Interviews oder auch einem fremdsprachigen Chat zurechtkommen. Auch der Einsatz von Sprachenportfolios dient dem Erkennen dessen, was man kann, demnächst können möchte und dann eventuell als erreicht abhaken kann. Zu sozialer Kompetenz zählen zum einen die Bereitschaft und Fähigkeit zum kooperativen Lernen (zum Beispiel beim Lernen im Tandem, bei Partner- und Gruppenarbeit) sowie die Mitarbeit bei gemeinsamen Vorhaben (wie zum Beispiel das Übernehmen von Aufgaben, das Einbringen eigener Ideen und Kompetenzen, das Zurücknehmen der eigenen Person zugunsten der Sache beziehungsweise anderer Personen, das Lösen von Konflikten). Zum anderen gehören dazu Kompetenzen, die auch den kommunikativen oder den interkulturellen Kompetenzen zugeordnet werden können, wie zum Beispiel den angemessenen Umgang mit sprachlicher und kultureller Differenz oder die Fähigkeit zur situations- und partnerbezogenen Kommunikation in der Fremdsprache. Die Ausbildung sozialer Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht ist somit immer auch mit interkultureller Kompetenz verbunden. Ein Beispiel für eine Lernaufgabe, in der die Erfahrbarkeit von Selbstkompetenz im Vordergrund steht, ist in der folgenden Aufgabe zu finden. Nach der Arbeit (Stationenlernen) Nachdem du die Aufgaben des Stationenlernens erfolgreich erledigt hast, fülle bitte die folgende Tabelle aus: Am Stationenlernen gefällt mir besonders: Begründung: Aufgaben, die mir beim Einprägen der Lexik besonders gut geholfen haben: Begründung: 1. 2. 1. 2. Nach dem Stationenlernen kann ich besser: Begründung: 1. 2. 1. 2. Welche Tipps zum Lexiklernen würdest du Mitschülern geben? Begründung: 1. 2. 3. 1. 2. 3. Tabelle 3.1: Lernaufgabe zu Selbstkompetenz Hier werden die Lerner nach abgeschlossener Bearbeitung einer anderen Lernaufgabe dazu aufgefordert, über eben diese Aufgabe nachzudenken, das Lernen mit dieser zu reflektieren <?page no="127"?> 127 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis und festzuhalten, was sie nach erfolgreichem Abschließen der Aufgabe besser können als zuvor. Sie schätzen sich und ihr Lernen somit selbst ein. Nachdem nun zahlreiche Beispiele für den Einsatz von Lernaufgaben in der Praxis genannt wurden, soll hier noch einmal betont werden, dass Lernaufgaben auch über ihre ursprüngliche Funktion hinaus eingesetzt und auch andere Bereiche des Sprachenlernens fördern können. Die Entscheidung, welche Funktion letztlich im Fokus steht, liegt bei der Lehrkraft, die die jeweilige Lernergruppe kennt, die Aufgaben dementsprechend auswählen und gegebenenfalls anpassen kann. 3.3.5 Testaufgaben in der Praxis Genau wie Lernaufgaben erfüllen auch Testaufgaben unterschiedliche Funktionen und zeigen sich in der Praxis in unterschiedlicher Art und Weise. Häufig werden die unterschiedlichen Teilkompetenzen, das heißt, Leseverstehen, Hörverstehen, Schreiben, Sprechen unabhängig voneinander, also isoliert geprüft, um den Leistungsstand der Lerner bezüglich der einzelnen Kompetenzbereiche möglichst genau feststellen zu können. Doch in der Praxis ist eine getrennte Abfrage der Teilkompetenzen nicht immer möglich, da zur Bearbeitung meist unterschiedliche Kompetenzen notwendig sind. Oft rückt das Abprüfen isolierter Kompetenzen auch zugunsten der Authentizität ein wenig in den Hintergrund. Daher werden neuerdings auch zunehmend integrierte Kompetenzen getestet. Wie verschiedene Kompetenzbereiche beim Bearbeiten einer Aufgabe interagieren, wird auch bei der Betrachtung eines Beispiels der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) erstellt vom Zentrum für Sprachen und Schlüsselkompetenzen der Universität Potsdam deutlich. Die DSH Prüfung dient einem Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse für die Aufnahme eines Studiums in Deutschland. Die Prüfung setzt sich aus einer mündlichen und einer schriftlichen Prüfung zusammen. Letztere umfasst wiederum drei Teilbereiche: Verstehen und Verarbeiten eines Hörtextes, vorgabenorientierte Textproduktion, Verstehen und Bearbeiten eines Lesetextes und wissenschaftssprachliche Strukturen (vergleiche DSH 2018). Die folgende Aufgabe (Abbildung 3.5) zählt dabei zum Bereich der Textproduktion, also zur Teilkompetenz Schreiben. <?page no="128"?> 128 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Während für die erste Teilaufgabe lediglich eine Grafik mit minimalem Textanteil als Input vorhanden ist, erfordert die Bearbeitung der zweiten Teilaufgabe eine genaue Lektüre der einzelnen Texte. Insofern der Bezug auf die Textteile in die Bewertung mit einfließt, wird somit indirekt auch zu einem gewissen Grad das Leseverstehen abgeprüft, welches vordergründig nicht Thema der Testaufgabe zu sein scheint. Es handelt sich demnach um eine Form der integrierten Testaufgabe. Wie variabel die Aufgaben der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang gestaltet sein können, sehen Sie im Vergleich mit dem folgenden Beispiel (Abbildung 3.6) desselben Prüfungsteils, erstellt an der Universität Trier: Moderne Medien - gut oder schädlich für Kinder? In diesem Prüfungsteil sollen Sie zeigen, dass Sie in der Lage sind, sich selbstständig und zusammenhängend zu einem Thema zu äußern. Das Thema, das Sie behandeln sollen, lautet: Moderne Medien - gut oder schädlich für Kinder? Teil 1: Schauen Sie sich bitte zunächst die folgende Graphik an und schreiben Sie einen zusammenhängenden Text zum Thema „Moderne Medien - gut oder schädlich“ Welche Informationen enthält die Graphik? Welche davon erscheinen Ihnen besonders wichtig? Welche Folgerungen können Sie daraus für den Umgang von Kindern und Jugendlichen mit Medien ziehen? 1 Zessko/ Studieneinstieg Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang Teil II: Vorgabenorientierte Textproduktion/ Aufgaben Prüfungsbeispiel Aufgabe Armut, vor allem Kinderarmut, ist weltweit ein Problem. Allerdings gehen die Auffassungen darüber, was Armut eigentlich ist, weit auseinander. Setzen Sie sich mit der Frage auseinander, was Armut ist Sie können in Ihre Ausführungen die beigefügten Informationen zum Thema Armut einbeziehen. Wie schätzen Sie die Situation der Kinder in Ihrem Heimatland ein Ergebnisse einer I EF-Studie aus dem ahr 2 12 zur Kinderarmut Vergleich von 2 Staaten zur Situation der Kinder Deutschland auf Platz 15 Maßstab Liste der Entbehrungen Ein Kind befindet sich in einer Mangelsituation, wenn es mehr als zwei Dinge aus dieser Liste nicht hat, z.B. eine warme Mahlzeit täglich fehlt , aller Kinder in Deutschland , regelmäßige Freizeitaktivitäten z.B. in Sportvereinen, Erlernen eines Musikinstruments , , einen Internetanschluss 3 . Ergebnis , der Kinder in Deutschland in einer besonderen Mangelsituation , 1,3 in Schweden Nach: spiegel.de/ panorama, Internetzugang 5.06.2012 Absolute Armut ein Einkommen von etwa einem Dollar neuerdings 1,25 S pro Tag, z. . ca. 1,2 Milliarden Betroffene Relative Armut arme nterschicht in Wohlstandsgesellschaften, deren Einkommen weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens beträgt Gefühlte Armut weniger gemessen an Einkommensgrenzen, die Betroffenen fühlen sich arm Nach: http: / / www.armut.de/ definition-von-armut.php, Internetzugang 20.06.2012 Ein Leben im Müll ach I EF-Angaben müssen heute rund 1 Millionen Kinder zwischen fünf und 1 ahren arbeiten, z.B. sind in Kalkutta Indien zahlreiche Kinder Tag für Tag als Müllsammler und Resteverwerter auf den Abfallbergen der Stadt unterwegs. Sie sammeln aus dem Müll Glas, Papier, Plastik, Aluminium, Textilreste heraus und verkaufen das Gefundene . Informationen nach: http: / / www.misereor.de/ aktionen/ fastenaktion/ projekte/ kalkutta.html, Internetzugang 20.06.2012 Abbildung 3.5: Beispiel 1 einer Aufgabe zur Textproduktion der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang (Universität Potsdam 2018) 1 Zessko/ Studieneinstieg Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang Teil II: Vorgabenorientierte Textproduktion/ Aufgaben Prüfungsbeispiel Aufgabe Kommentieren Sie die folgende rafik ennen Sie Titel und uelle der Grafik und gehen Sie darauf ein, wie die Grafik gestaltet ist, was dargestellt wird und welche Tendenzen ersichtlich sind Welche wirtschaftlichen und sozialen Folgen ergeben sich Ihrer Meinung nach aus den erkennbaren Veränderungen Stellen Sie kurz die Situation in Ihrem Heimatland dar und machen Sie Aussagen zur Bevölkerungsentwicklung und deren Folgen dort achstum ohne nde uelle nited ations Population Found Grafik aus Die Presse , 2 .1 .2 11 SA 2 3 , Mio. 2 5 1 , Mio. Indien 2 1.1 ,1 Mio. 2 5 1. 2 , Mio. eltbev lkerung in Milliarden <?page no="129"?> 129 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis Teil 2: Diskussion: Moderne Medien In diesem Prüfungsteil sollen Sie zeigen, dass Sie in der Lage sind, ein Thema selbständig zu erörtern. Das Thema, das Sie diskutieren sollen, lautet: Moderne Medien für Kinder und Jugendliche - Pro und Contra? Diskutieren Sie die Gründe für und gegen moderne Medien für Kinder und Jugendliche. Strukturieren Sie Ihre Argumentation (Einleitung, Hauptteil, Schluss) und verwenden Sie angemessene Formulierungen. Schreiben Sie einen zusammenhängenden Text. Abbildung 3.6: Beispiel 2 einer Aufgabe zur Textproduktion der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang (Universität Trier 2007) Auch hier wird eine Graphik als Impuls gegeben. Anders als beim vorherigen Beispiel sind aber im präsentierten Schaubild bereits viele Texte zu lesen, anhand derer der Lerner die erste Teilaufgabe beantworten soll. Für die zweite Teilaufgabe wird hingegen nur ein kurzer Satz, „Diskutieren Sie die Gründe für und gegen moderne Medien für Kinder und Jugendliche“, als Anweisung gegeben. Eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale von Testaufgaben ist das der Objektivität, wie in Lerneinheit 3.2 ausführlich dargelegt wird. Diese Objektivität kann mittels standardisierter Testformate erhöht werden. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte C-Tests, wobei hier ein Beispiel des Online-Spracheinstufungstests onSET zur Illustration dienen soll. Bei diesem handelt es sich um einen weltweit eingesetzten und standardisierten Sprachtest, der eine Überprüfung der globalen Sprachkompetenz erlaubt. Hier werden somit keine isolierten Kompetenzen geprüft. Der Test wird online durchgeführt und läuft automatisch ab. Eine Lehrperson hat daher keinen Einfluss auf den Ablauf des Tests. Auch die Anweisungen zur Bearbeitung erscheinen auf dem Bildschirm, sodass jeder Lerner die gleichen Voraussetzungen hat. Insgesamt besteht der Online-Spracheinstufungstest aus acht Texten, in denen jeweils 20 Lücken durch eine Tilgung von Wortteilen bestehen. Insgesamt ist der onSET dazu in der Lage, anhand der jeweiligen Ergebnisse die Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens zwischen A2 und C1 festzustellen. <?page no="130"?> 130 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Der onSET-Test ist sowohl in seiner Durchführung als auch in seiner Auswertung sehr ökonomisch und scheint daher den Anforderungen des Gütekriteriums der Objektivität zu entsprechen. Die Augenscheinvalidität dieses Tests steht jedoch immer wieder in Kritik (vergleiche unter anderem Grotjahn 2006). Aufgrund seines ungewöhnlichen Formats kann diese Form der Testaufgabe bei Lernern auf Skepsis und mangelnde Akzeptanz treffen, was sich wiederum in den Testergebnissen widerspiegeln kann. Auch die Kriterien der Handlungsorientierung und der Authentizität spielen bei standardisierten Tests, die sich an dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen orientieren, eine immer wichtigere Rolle (vergleiche Lerneinheit 3.2), auch wenn diese Aspekte meist zugunsten messmethodischer Genauigkeit hinten angestellt werden. Ein Beispiel, wie Testaufgaben an Authentizität gewinnen können, zeigt das folgende Beispiel (Abbildung 3.8) aus dem Deutsch-Test für Zuwanderer (DTZ), deren Entwickler und Entwicklerinnen bemüht sind, zahlreiche Testaufgaben mit Alltagsbezug zu integrieren. Dieser Test prüft die Fertigkeiten Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben jeweils zwischen den Nivaustufen A2 und B1 ab: Abbildung 3.7: Beispieltest onSET (Onset 2018) <?page no="131"?> 131 3.3 Lern- und Testaufgaben in der Praxis 4 5 M i n u t e n L e s e n 13 Modelltest 1 © t e lc G m b H , F r a nk f u r t a . M . , D e u t s c h -Te s t f ü r Z u w a n d e r e r, 2 0 0 9 © t e lc G m b H , F r a nk f u r t a . M . , D e u t s c h -Te s t f ü r Z u w a n d e r e r, 2 0 0 9 L e s e n a Wir bieten Ihnen einen Ausbildungsplatz als Koch/ Köchin. Sie sind mindestens 18 Jahre alt und haben einen ordentlichen Schulabschluss, sind offen und arbeiten gern im Team. Wenn Sie von auswärts zu uns nach Bad Krozingen kommen, können wir Ihnen eine Unterkunft anbieten. Ausbildungsbeginn am 01.07. oder später möglich. Über Ihre Bewerbung freuen wir uns! Hotel Sonnenhof, Herr Böttcher, Thürachstr. 1, 79189 Bad Krozingen K o c h g e s u c h t ! Wir suchen für unser Restaurant im Düsseldor fer Medienhafen zum nächstmöglichen Termin einen Koch. Bewerbung bitte schriftlich per E-Mail oder auch telefonisch unter 0211 20 95 74 (Herr Polfers). Anfangsdatum: 25. Mai Wir bieten einen Minijob in unserem Frisörladen Die Arbeitszeiten sind nachmittags 13: 00-19: 00, in Urlaubsvertretung auch ganztags. Ihre Bewerbung mit Zeugnissen und Lebenslauf bitte an Haarscharf, Pestalozzistr. 5, 63762 Großostheim Eine Chance für ausgebildete Auto-Mechaniker/ innen oder Auto-Elektriker/ innen! Bei uns lernen Sie, was Sie noch nicht können: Elektronische, hydraulische und pneumatische Systeme des Fahrzeuges sowie Kundenberatung bei Reparaturannahme und Fahrzeugübergabe gehören zu den Aufgaben der Kfz-Servicetechniker/ innen. Sie unterstützen den Meister bei der Ausbildung von Lehrlingen. Wir sind ein renommiertes Unternehmen im Umzugsgewerbe. Unsere Kundschaft bewegt sich in Deutschland und europaweit. Projekt-, Büro-, Privatumzüge. Trägerleistung, Montageservice, Vollservice, Packerleistungen u.v. m. Dafür suchen wir: Umzugshelfer, Möbelmonteure, Tischler Bitte melden Sie sich bei uns telefonisch: Büro Cottbus, Straße der Jugend 33, Telefon 499 4944 Frau Stonner Tel.: 0162 8196 c Haarstudio Krause sucht eine nette Mitarbeiterin in Teilzeit. Sie können die Arbeitszeit selbst bestimmen. Bitte vereinbaren Sie telefonisch einen Vorstellungstermin bei Frau Krause. Sie finden uns in der Wilhelminenhofstr. 48, 12459 Berlin Tel.: 0179 2 93 85 65 Ferien und Arbeit Wer hat Lust, in den Ferien pro Monat 400 € und mehr dazuzuverdienen? Keine Beratung, kein Verkauf, keine Versicherung. Sie brauchen keine Vorkenntnisse. Der Job ist für Juli und August. Bitte melden Sie sich bei Interesse bei Frau Sabine Klotz, Dorfstraße 65, 19243 Lehsen Telefon: +49 38852 236 51 Mobil: +49 170 524 03 50 Wir suchen Autoverkäufer! - Sie haben eine abgeschlossene Berufslehre? - Sie haben einen Führerschein? - Sie sind gegenüber Kunden korrek t und hilfsbereit? Dann sind Sie unser M ann! 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Er will auch junge Menschen ausbilden. 30 Frau Kerschel möchte sich ein Auto kaufen und braucht dafür Geld. Deshalb will sie während des Sommers zusätzlich etwas verdienen. <?page no="132"?> 132 3. Lern- und Testaufgabenerstellung Die hier dargestellte Testaufgabe (Abbildung 3.8) prüft das Leseverstehen der Lerner. Dies geschieht anhand der Bearbeitung von authentischem Material - in diesem Fall Jobanzeigen. Da Anzeigen dieser Art den Teilnehmern auch in ihrem Alltag begegnen können und die meisten auch in ihrer Zukunft damit in Berührung kommen werden, besitzt diese Testaufgabe eine gewisse Relevanz für die Lerner. Auf diese Weise können sich die Lerner besser mit der Aufgabensituation identifizieren und infolgedessen auch bessere Leistungen erzielen. Selbstredend existiert eine große Bandbreite verschiedener Testaufgaben. Die hier dargestellten Beispiele zielen nicht darauf ab, eben diese Bandbreite abzubilden, sondern verdeutlichen vielmehr bedeutsame Aspekte der Qualität und Funktion von Testaufgaben und wie diese in der Praxis realisiert werden. 3.3.6 Zusammenfassung ▶ Lernaufgaben verfolgen in der Regel die Entwicklung von integrierten Kompetenzen als Ziel. Testaufgaben konzentrieren sich im Gegensatz dazu häufig auf das Messen isolierter Kompetenzen, um spezifische Informationen zu Teilkompetenzen zu erhalten. ▶ Lernaufgaben sind sehr offen und lassen unterschiedliche Realisierungen zu. Das Ergebnis steht vorher nicht unbedingt fest. Formelle Testaufgaben hingegen geben klare Vorgaben, die in Bezug auf Zielsetzungen, Inhalt, Textsorte, Umfang, Einsatzbedingungen und Kriterien für Auswertung und Bewertung zu erfüllen sind. ▶ Als Testaufgaben konzipierte und intendierte Aufgaben können bei entsprechendem Einsatz auch als Lernaufgaben realisiert werden und eine lernfördernde Funktion haben. Umgekehrt können Lernaufgaben aufgrund ihrer großen Offenheit jedoch keinesfalls immer als Testaufgaben eingesetzt werden. ▶ Wichtig ist, dass die Zielsetzung des jeweiligen Einsatzes der Aufgabe klar kommuniziert ist und diese bewusst durchgeführt wird. ▶ Lern- und Testaufgaben können beide dazu dienen, spezifische Informationen über das Kompetenzniveau einzelner Lerner(-gruppen) zu gewinnen und zielführende Rückmeldung zu geben und eine gezielte Förderung anzuschließen (vergleiche hierzu Kapitel 4 sowie Lerneinheit 5.3 in diesem Band). 3.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Beschreiben Sie die wichtigsten Unterschiede von Lern- und Testaufgaben. 2. Wie kann das Konzept der language awareness weiter unterteilt werden? 3. Kann man bei Lückentexten, in denen wichtige Inhaltswörter fehlen, wobei die Lerner die Aufgabe haben, die fehlenden Wörter zu erschließen, valide Rückschlüsse auf die Kenntnis der entsprechenden Inhaltswörter ziehen? <?page no="133"?> 4. Fehlertypologie und -korrektur Günther Depner Die Auseinandersetzung mit Fehlern ist ein zentraler Bestandteil fachdidaktischer und methodischer Ausbildungsdiskurse im Kontext Fremdsprachenunterricht. Auch weil Fehler ein konstant wiederkehrendes Element darstellen, müssen sich angehende Fremdsprachenlehrkräfte sorgfältig und langfristig mit Fehlerursachen, Fehlerauswirkungen und den möglichen Potentialen für den Nutzen von Fehlern im Fremdsprachenunterricht erkenntnisgeleitet auseinandersetzen. Ausgehend von Fehlerursachen definieren Fehleranalysen und Fehlerkategorisierungen einen zentralen Ansatzpunkt, um Fehler vor dem Hintergrund unterrichtlicher Mehrwertpotentiale neu zu interpretieren. Auswirkungen von Fehlern, sowohl im Lernals auch im Lehrprozess, gewinnen zunehmend an didaktisch-methodischer Bedeutung, wenn es einerseits um den Umgang mit Fehlern in Form von unterschiedlichen Korrekturmaßnahmen geht, und andererseits um die kriterienbezogene Beurteilung von Lernerleistungen. Die bewusste Integration und Akzeptanz von Fehlern im Fremdsprachenlernprozess ist nicht nur für die Korrektur und Beurteilung fremdsprachiger produktiver Leistungen von Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit Fehlern setzt die lehrer- und lernerseitige Bereitschaft voraus, die sprachlichen Abweichungsformen als integralen Teil des Lernens und Lehrens von fremden Sprachen zu sehen und Fehler mit ihren didaktischen Potentialen perspektivisch in ein positiveres Licht zu rücken und in ihrer Bedeutung für das Lernen gewinnbringend zu berücksichtigen. Zu Beginn dieses Kapitels werden wir die Grundlagen der Fehlerforschung und die Fehlertypologie behandeln und parallel dazu reflektieren, wie Fehler im Sprachlernkontext auch produktiv genutzt werden können. Die zweite Lerneinheit behandelt die schriftliche Fehlerkorrektur und gibt Ihnen einen Überblick über die Fehlerdidaktik. Abschließend geht es in der letzten Lerneinheit um die mündliche Fehlerkorrektur. Es wird beschrieben, wie genau sich mündliche Fehlerkorrektur gestaltet und welche Kriterien und welches Vorgehen dabei von Bedeutung sind. <?page no="134"?> 134 4. Fehlertypologie und -korrektur 4.1 Fehlertypologie Das Lernen von Fremdsprachen verläuft im Vergleich zum Erwerb der Muttersprache oft formal ab und wird dabei in institutionellen Sprachlehr- und Sprachlernkontexten einer Progression entsprechend vermittelt. Oftmals begegnen wir dabei Progressionen, wie beispielsweise vom Einfachen zum Schweren oder vom Bekannten zum Unbekannten. Der sukzessive Aufbau von Kompetenzen im Bereich der Sprachverwendung und des Sprachwissens wird auf diese Weise gesteuert vermittelt und gilt als langer und schwieriger Weg, der jedem Lerner viel Ausdauer, Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit beim Lernen einer Fremdsprache abverlangt. Spracherwerb als oft unreflektierter und bereits im frühkindlichen Alter unbewusst ablaufender Prozess unterscheidet sich in Hinsicht formaler Kontexte entschieden vom Lernen einer Fremdsprache im Jugend- oder Erwachsenenalter. Die Gründe für die Zulässigkeit der Unterschiede sind zahlreich. Eine sehr prominente Kategorie, anhand welcher wir Unterschiede zwischen Spracherwerb und Sprachenlernen festmachen können, ist die Fehlerthematik. Beim Erlernen von fremden Sprachen hat der Fehler als Abweichung von einem Normsystem (vergleiche Kleppin 2010a: 79) einen besonderen Stellenwert. Wichtige Fragen, die es vor dem Hintergrund dieser Thematik zu beantworten gilt, orientieren sich dabei vornehmlich an a) den Ursachen für das Auftreten von Fehlern, b) dem Stellenwert von Fehlern im Unterricht und c) den didaktischen Nutzungspotentialen von Fehlern im Rahmen institutioneller Sprachlernangebote. In diesem Zusammenhang soll in dem vorliegenden Kapitel auf Fragen zum Fremdsprachenlernen, zu Fehlern und zur Fehlerkorrektur eingegangen werden. Durch die Bearbeitung der Aufgaben und durch die Auseinandersetzung mit den fachlichen Textinhalten werden Sie den Stellenwert von Fehlern für den Lernprozess neu begreifen und auf dieser Grundlage Fehler als Phänomen des Unterrichtes für Ihre Unterrichtszwecke zielführend und lernförderlich nutzen können. Dabei sollen Antworten auf die Fragen gegeben werden, warum der Fehler ein integraler Bestandteil des Lernprozesses ist und wie mit Fehlern in der mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrektur umgegangen werden kann. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Fehler als Teil des Lernprozesses neu bewerten und für Unterrichtskontexte didaktisch sinnvoll nutzen können; ▶ Fehler typologisieren und Ursachen für Fehler erkennen können; ▶ Fehler für die unterrichtliche Gestaltung von Sprachlernkontexten produktiv einsetzen lernen. <?page no="135"?> 135 4.1 Fehlertypologie 4.1.1 Fehlertypologien und Fehlerklassifikationen Allgemeinhin wird angenommen, dass der Fehler im Fremdsprachenunterricht immer das zu vermeidende Übel ist. Er wird stets negativ bewertet und es wird zudem immer wieder versucht, das Aufkommen von Fehlern, ob mündlich oder schriftlich, zu vermeiden, oder gar ganz zu verhindern. Dieses Bild von Fehlern ist aus didaktischer Sicht schon lange nicht mehr zeitgemäß. Vielmehr muss hervorgehoben werden, dass Fehler, beziehungsweise die sprachliche Abweichung innerhalb einer produzierten Lerneräußerung eine Chance ist, Rückschlüsse auf Fehlerursachen zu ziehen, Fehlertypologien zu erstellen und auf deren Grundlage Fehlerklassifikationen sowie didaktisch sinnvolle Rahmenbedingungen für den Unterricht zu entwickeln. Der Sprachverwendungsfehler als Abweichung oder Verstoß gegenüber einer zielsprachlichen Norm verdient eine Neubewertung und fordert gleichzeitig eine Abkehr von negativen Bewertungen hin zu zeitgemäßen Perspektiven. Diese Sichtweise gegenüber Fehlern lässt Nutzungspotentiale für den Unterricht erkennen, die vor allem zur Förderung von Lernerautonomie und Sprachbewusstheit beitragen können. Geleitet von der Frage, warum der Fehler unser natürlicher Begleiter im Fremdsprachenlernprozess ist, und wie dieser für den Lernprozess eingesetzt werden kann, sollen im nachfolgenden ausgewählte Fehlerkategorien und Ansätze der Fehlerklassifikationen thematisiert werden. Das Ziel ist, Erkenntnisse für die fremdsprachenorientierte Lehr- und Lernpraxis didaktisch sinnvoll herauszuarbeiten. Was ist wann ein Fehler? Der Fehler bei der mündlichen oder schriftlichen Sprachproduktion wird oftmals als Abweichung von einem Regelsystem verstanden, die sich im Wesentlichen dadurch ergibt, dass gegen sprachstrukturelle Regeln und Grundsätze der Zielsprache verstoßen wird (zum Beispiel Morphologie, Syntax, Pragmatik, Lexik, Semantik). Beispielsweise werden im Deutschen ausgehend von der Infinitivform eines Verbes die Verben nach bestimmten Konjugationsregeln gebildet, indem an den Verbstamm ein flektierendes Suffix angehängt wird. Am Beispiel von gehen ließe sich somit folgende grammatische Regel festmachen: ich geh{-e}, du geh{-st}, er/ sie/ es geh{-t}, wir geh{-en}, ihr geh{-t}, sie geh{-en}. Eine Äußerung wie Ich geht nach Hause wäre nach dem Verständnis von Sprachkorrektheit eine Abweichung vom Regelsystem und somit als fehlerhaft und falsch zu bezeichnen. Nach dem Ansatz des Regelbezuges und dem Prinzip der Korrektheit lassen sich Fehler als sprachlich falsche Produktion in Lerneräußerungen relativ mühelos identifizieren und klassifizieren. Das Auftreten von Regelabweichungen im Abgleich zu einem angestrebten korrekten Sprachgebrauch macht deutlich, dass zusätzliche Kriterien nötig sind, um eine Antwort auf die Frage nach einer möglichst ganzheitlichen Fehlerdefinition liefern zu können. Es zeigt sich zudem, dass Abweichungen nicht nur in Form von Grammatikverstößen auftauchen können, sondern auch in weiteren Bereichen der regelbehafteten Sprachverwendung nicht ungewöhnlich sind. Hierzu gehört die Rechtschreibung, der situativ angemessene Gebrauch von Sprachhandlungen sowie Satzbau- und Wortbildungsregeln. Diese dichotomische Sichtweise <?page no="136"?> 136 4. Fehlertypologie und -korrektur auf eine richtig-falsch-Fehlerdefinition legt nahe, dass das Kriterium der Korrektheit, das heißt der korrekte regelbezogene Sprachgebrauch, nicht die einzige Bezugsgröße sein kann. Neben dem Kriterium der Korrektheit gibt es noch weitere Perspektiven und Unterscheidungen, die nach Kleppin (vergleiche 1998: 20 ff) für eine weiterführende, ganzheitlichere und vor allem auf Kriterien basierende Fehlerdefinition herangezogen werden. Das Kriterium der Verständlichkeit besagt, dass ein Fehler das ist, was ein kompetenter Sprecher der Zielsprache oder irgendein Kommunikationspartner nicht verstehen würde. Das Kriterium der Situationsangemessenheit besagt, dass eine Äußerung, die ein Zielsprachensprecher nicht tätigen würde, als Fehler zu bewerten ist. Unterrichtsabhängige Kriterien definieren Fehler immer als Abweichung gegenüber ausgewählten grammatischen Inhalten in Lehrwerken und Lehrererwartungen (personenbezogene Normverstöße). Ein weiteres Kriterium ist der Bezug zur Individualität und der Einzelfallsituation, in der sich eine Äußerung ergibt. Was in einer Situation als fehlerhaft interpretiert wird, muss nicht zwangsläufig in einer vergleichbaren Situation mit anderen Sprechern als fehlerhaft und störend ausgelegt werden. Das letzte Kriterium ist sehr flexibel und weist einen starken Lernerbezug auf. Es zeigt sich deutlich, wie vielseitig die Antworten auf die Frage nach einer angemessenen Fehlerdefinition sind. Dabei gilt es festzuhalten: Eine Bestimmung von Fehlern kann niemals pauschal und muss immer auf Grundlage von vorher festgelegten Kriterien erfolgen, die im Hinblick auf Sprechkontext und Sprachverwendungssituation zu bestimmen sind. Nachdem im vorangegangen Teil ein Ansatz für das Interessenfeld Fehlerdefinition herausgearbeitet wurde, stellt sich im Anschluss zwangsläufig die Frage, warum wir beim Lernen einer fremden Sprache überhaupt Fehler machen und auf welche Weise Fehler auch positiv für den Unterricht genutzt werden können. Warum gehören Fehler zum Lernprozess? In der Lehr- und Lernforschung für Fremdsprachen besteht allgemeinhin Konsens darüber, dass Fehler integraler Bestandteil des Lernprozesses sind und Fremdsprachenlernen ohne Fehler und die dazugehörige Vielzahl sowie Komplexität von Fehlerursachen überhaupt nicht möglich ist (vergleiche Kleppin & Mehlhorn 2008: 17). Eine Antwort zu der hier aufgeworfenen Frage, warum Fehler zum Lernprozess gehören, lässt sich nur formulieren, wenn zu diesem Zweck Fehlerursachen auf Grundlage ausgewählter Erkenntnisinteressen näher beleuchtet werden. Beim Erlernen von fremdsprachlichen Elementen und Strukturen bilden Lerner häufig intuitiv Hypothesen (vergleiche Kleppin 1998), die auf Grundlage unterschiedlicher Annahmen und sprachlicher Systemvergleiche lernerseitig generiert werden. Als Ausganspunkt gelten dabei sowohl kontrastive als auch kognitive Erkenntnisinteressen, die davon ausgehen, dass Elemente der Ausgangssprache und kognitive Prozesse beim Fremdsprachenlernen zur Bildung von Hypothesen über das Zielsprachensystem führen. Bei der Bildung von Hypothesen, entwickelt ein Lerner Annahmen über das Zielsprachensystem, die auf Grundlage bereits gelernter Sprach- und Strukturelemente sowie muttersprachlichen Transfers beeinflusst und im Anschluss getestet und überprüft werden. Durch Suffigieren als Wortbildungsprozess entsteht beispielsweise aus dem Adjektiv müde das Nomen Müdigkeit. <?page no="137"?> 137 4.1 Fehlertypologie Eine Lernersprachenhypothese könnte folglich lauten, dass durch das Suffix -keit Adjektive zu Nomen umgewandelt werden. Diese Hypothese würde auf das Adjektiv fleißig übertragen dann zur Wortneuschöpfung Fleißigkeit führen, die zur Revidierung und Neuformulierung der Lernerhypothese im Hinblick auf den Anwendungskontext des Suffix -keit führt. Bei der Überprüfung ist der Lerner abhängig von Rückmeldungen, die entweder aus Lehr- und Grammatikbüchern erfolgen, oder durch einen kompetenten Zielsprachensprecher (auch Lehrer oder Lehrerin) angeboten werden. Ist die Rückmeldung und Korrektur positiv, ist die Hypothese korrekt, verfestigt sich im Arbeitsgedächtnis des Lerners und wird weiterverwendet. Ist die Rückmeldung zu einer Hypothese hingegen negativ, das heißt die Hypothese wird negativ bewertet, verwirft der Lerner diese falsche Annahme - im Idealfall -, revidiert die Hypothese und bildet diese neu aus. Vor diesem Hintergrund lassen sich Fehler folglich als das Ergebnis des Zusammenspiels individueller, sprachbedingter, erfahrungs- und leistungsbezogener Faktoren charakterisieren, die im dynamischen und instabilen Prozess des Hypothesentestens auf einen Lerner wirken. Nach Kleppin (vergleiche 2010b: 225) besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Fehler innerhalb des Sprachlernprozesses eine zentrale didaktische Rolle einnehmen. Daraus folgt, dass a) Fehler nicht mehr pauschal als Defizit, sondern vielmehr als integraler Bestandteil des bewussten Hypothesentestens und so Bestandteil des Weiterlernens sind, dass b) Fehler auch unter Anwendung besonderer Übungs- und Aufgabenstellungen nicht verhindert werden können, dass c) eine erzwungene Verhinderung und strenge Sanktionierung von Fehlern die Lernerproduktion hemmen kann. Ausgehend von einer positiven Bewertung von Fehlern als notwendiger und natürlicher Zwischenschritt beim Lernen, lassen sich sprachliche Abweichungen auch als diagnostisches Instrument beschreiben. Ein Fehler gilt vor dem Hintergrund der Annahme, dass Lernen in einem interaktiven Prozess stattfindet, als Indikator, der Hinweise und Rückschlüsse zu Lernfortschritt (progress), Lernstillstand (learning plateau) und Lernrückschritten (back sliding) ermöglicht (vergleiche Selinker 1972). Mit anderen Worten können Fehler Rückschlüsse darüber liefern, welchen Input ein Lerner noch benötigt und wie der aktuelle Sprachlernstand zu bewerten ist. Ausgehend von dieser Sichtweise erfährt der Fehler einen drastischen Bedeutungszugewinn, der ihn auch als Analysegegenstand für die Gestaltung und Planung von didaktischen Kontexten aufwertet und so auch ein weiteres Mal in den Fokus von Unterrichtsrealitäten rückt. Nach welchen Indikatoren lassen sich Fehler typologisieren? In der vorangegangenen Darstellung hat sich herausgestellt, dass Fehler nicht per se als schlimm, störend oder nutzlos zu charakterisieren sind. Vielmehr können sie ein nützliches Hilfsmittel sein, um Abläufe im Fremdsprachenunterricht besser zu verstehen und diesen mehr an den Bedürfnissen der Lerner zu orientieren. Auf diese Weise rückt der Lerner mit seinen Bedürfnissen in den didaktischen Fokus. Die Klassifikation von Fehlern und die Benennung von Fehlerursachen stellen überdies einen weiteren wichtigen Aspekt in der hier behandelten Fehlerthematik dar. Eine erste Antwort auf die Frage, wie sich Fehler typologisieren oder klassifizieren lassen, soll mithilfe der Unterscheidung zwischen Kom- <?page no="138"?> 138 4. Fehlertypologie und -korrektur petenzfehler und Performanzfehler (vergleiche Corder 1967) erfolgen. Kompetenzfehler (error) sind Fehler, die von Lernern selbst nicht als solche erkannt und folglich auch nicht korrigiert werden können. Mögliche Rückschlüsse wären, dass eine bestimmte Struktur der Zielsprache, in jedem Fall ausgehend von der fehlerhaften Sprachverwendung, nicht gelernt oder gar vergessen wurde. Fehler dieser Kategorie erlauben Rückschlüsse darüber, dass der Lerner a) versucht etwas auszudrücken, was noch nicht gelernt wurde; dass der Lerner b) eine neue Hypothese aufstellt, diese testet und den Versuch unternimmt weiter zu lernen; dass c) der Lerner der Lehrperson signalisiert, was an weiterem Sprachwissen noch benötigt wird. Performanzfehler hingegen lassen sich als Verstöße (mistake) beschreiben und können von Lernern selbst erkannt und korrigiert werden, beispielsweise wenn sie durch Rückmeldungen von außen darauf aufmerksam gemacht werden, da die für die Verwendung des Sprachelementes nötigen Strukturen beziehungsweise Regeln bereits gelernt wurden und vorausgesetzt werden können. Mögliche Erklärungen für Fehler dieser Kategorie könnten unter anderem Müdigkeit und Unachtsamkeit sein. Durch die Unterscheidung zwischen Performanz- und Kompetenzfehler haben wir gesehen, dass die Typologisierung von Fehlern immer nach einem bestimmten Erkenntnisinteresse verläuft. Mit Blick auf das Fremdsprachenlernen als kreativem, dynamischem und transferierendem Prozess ergeben sich zudem weitere Kategorien, die sich im Sinne der Klassifizierung durch die Benennung von möglichen Fehlerursachen heranziehen lassen. Nach Kleppin (2009: 60) können die kognitiv bedingten Merkmale sowie Ursachen für das Auftreten von Fehlern mit folgenden Kategorien beschrieben werden: ▶ Fehler verursacht durch Interferenzen (Übertragung von Strukturen der Muttersprache beziehungsweise weiterer Fremdsprachen auf die Zielsprache); ▶ Fehler bedingt durch Übergeneralisierungen (Erweiterung bereits gelernter Kategorien beziehungsweise sprachstruktureller Regelmäßigkeiten auf Phänomene, auf die sie nicht zutreffen); ▶ Fehler ausgelöst durch Regularisierungen (Veränderungen unregelmäßiger Sprachphänomene zu regelmäßigen); ▶ Fehler bedingt durch Simplifizierungen (Vereinfachungen wie beispielsweise die Verwendung von nichtkonjugierten Formen, Verzicht auf komplizierte Satzstrukturen wie beispielsweise Nebensatzkonstruktionen). Es zeigt sich an dieser Stelle, dass die Vielzahl möglicher Fehlerursachen ein weiterer entscheidender Grund dafür ist, dass einseitige Fehlerdefinitionen nicht unproblematisch und immer auch von einem vorher bestimmten kognitiven Erkenntnisinteresse abhängig sind. Das bedeutet: Fehler sind immer das Ergebnis zahlreicher, bewusst oder unbewusst ablaufender Prozesse, die sowohl durch interlinguale als auch intralinguale Überschneidungen, Anpassungen und Einflüsse beim Erstellen und Testen von Hypothesen auftreten können. Die Beschreibung der beteiligten Prozesse bildet auch gleichzeitig eine Auswahl an Indikatoren, die für die Typologisierung und Bestimmung von Fehlern zweckdienlich sind. <?page no="139"?> 139 4.1 Fehlertypologie Didaktische Nutzungspotentiale Dass eine didaktische Neubewertung des Stellenwertes des Fehlers für den Fremdsprachenunterricht durchaus begründet ist, wurde in der vorangegangenen fehlertheoretischen Hinführung bereits deutlich herausgearbeitet. Diese Ausgangslage erlaubt abschließend Aussagen darüber, auf welche Weise Fehlerklassifikationen, Fehlerdefinitionen und -ursachen im fremdsprachigen Lehr- und Lernkontext integriert werden. Aus den abzuleitenden fehlerdidaktischen Implikationen entstehen vielfältig nutzbare Möglichkeiten, wie der Fehler zu Zielen der Lernförderung eingesetzt werden kann. Ausgehend von dieser Perspektive können dabei folgende Ziele im Vordergrund stehen (vergleiche Kleppin 2010a: 80): ▶ Dem Lerner muss der positive Stellenwert des Fehlers für das Lernen und den Lernerfolg selbst bewusst gemacht werden; ▶ Der Lerner wird in die Lage versetzt, häufig auftretende Fehler und Fehlertypen selbst zu erkennen und zu kategorisieren; ▶ Der Lerner erkennt Fehlerursachen im individuellen Lernprozess und entwickelt auf diese Weise eine Sprach- und Fehlerbewusstheit; ▶ Der Lerner bewertet Fehler neu und nimmt deren Auftreten als Anlass zum Lernen. Die Anerkennung didaktischer Potentiale für die sinnvolle Integration und Aufarbeitung von Fehlern im Unterricht zeigt deutlich, dass die negative Beurteilung von Lernerproduktionen nicht mehr einfach als Defizit des Lerners betrachtet werden darf. Vielmehr soll der Fehler als Anlass zur Reflexion über Sprache, Regeln und Sprachstrukturen genutzt werden, um so den Sprachlernprozess bewusster und gleichzeitig nachhaltiger zu gestalten. Eine solche Sichtweise hat auch Konsequenzen für die Korrektur beziehungsweise das Korrekturverhalten sowohl mündlicher als auch schriftlicher Lernerproduktionen, da diese auf Grundlage von Fehlertypologien variiert und daher angepasst und stets situativ durchgeführt werden muss. 4.1.2 Zusammenfassung ▶ Die Definition des Fehlers ist nicht einseitig und pauschal. ▶ Fehler müssen auf Grundlage von Kriterien bestimmt, geordnet und typologisiert werden. ▶ Fehler sind Teil des fremdsprachigen Lernprozesses und lassen Rückschlüsse auf lernersprachliche Hypothesen zu. ▶ Ein bewusster Umgang mit Fehlern im Fremdsprachenunterricht bietet Potentiale zur Schaffung von förderlichen Lernumgebungen. ▶ Der Fehler muss als aufschlussreiches, sinnvolles und Kreativität ausdrückendes Teilphänomen des Fremdsprachenlernprozesses betrachtet werden. 4.1.3 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was sind Fehler und welche möglichen Erklärungsansätze gibt es? 2. Warum dürfen Fehler nicht unterdrückt beziehungsweise sanktioniert werden? <?page no="140"?> 140 4. Fehlertypologie und -korrektur 3. Auf Grundlage welcher Indikatoren können Fehler klassifiziert und typologisiert werden? 4. Welche Kriterien können herangezogen werden, um den Fehler als Abweichung von geltenden Normen zu definieren? 5. Auf welche Weise haben Fehler einen positiven Stellenwert für den Lernprozess? 6. Warum müssen Lerner beim Umgang mit Fehlern unterstützt werden? <?page no="141"?> 141 4.2 Schriftliche Fehlerkorrektur 4.2 Schriftliche Fehlerkorrektur Fehler als integralen Bestandteil des fremdsprachigen Lernprozesses zu verstehen, wird in der Fremdsprachendidaktik und der Sprachlehrforschung in weiten Teilen anerkannt. Es stellt sich also nicht die Frage, ob Fehler vermieden werden sollen. Vielmehr herrscht Einigkeit darüber, den didaktischen Mehrwert von Fehlern zu nutzen und die sich daraus ableitende Potentiale für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen nutzbar zu machen. In engem Zusammenhang mit der Fehlerthematik und der Fremdsprachendidaktik steht der Aspekt der Fehlerkorrektur, die in unterrichtlichen Lehr- und Lernkontexten eine zentrale Position einnimmt. Dabei muss zwischen der schriftlichen und mündlichen Korrektur von Fehlern unterschieden werden. In dieser Einheit wollen wir uns im Sinne einer angemessenen Fehlerdidaktik zunächst mit der schriftlichen Fehlerkorrektur beschäftigen, wobei im weiteren Verlauf der Einheit zentrale Erkenntnisse zu diesem Thema mit einem klaren Praxisbezug und Beispielen zu Korrekturtechniken kombiniert werden. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Formen und Funktionen der schriftlichen Fehlerkorrektur umsetzen können; ▶ den Unterscheid zwischen Fehlerkorrektur und Leistungsbeurteilung erfassen können; ▶ lernen, die schriftliche Fehlerkorrektur als Unterrichtsinstrument einsetzen zu können. 4.2.1 Formen und Funktionen von Fehlerkorrektur Der Begriff der Fehlerkorrektur beschreibt weitestgehend die Reaktion auf eine fehlerhafte beziehungsweise von einem Sprachsystem abweichende schriftliche oder mündliche Lernerproduktion (vergleiche Königs 2003: 377). Korrekturen haben das Ziel den Lernern eine Rückmeldung zu einer getätigten Äußerung zu geben, die ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zur Revidierung beziehungsweise Überarbeitung der schriftlich formulierten Gedanken bietet. Dabei ist die Verwertung der Korrektur ganz in Abhängigkeit zum Verwendungs- und Gebrauchskontext des Fremdsprachenunterrichts zu bewerten. Aus der Sicht der Lehrer und Lehrerinnen haben Korrekturen immer das Ziel eine fehlerhafte Äußerung zu lokalisieren, aufzuzeigen und Lösungsvorschläge anzubieten. Die Korrekturabsicht lautet dabei stets, einen Fehler dauerhaft zu eliminieren (vergleiche Chaudron 1988). Aus der Lernerperspektive lassen sich andererseits Korrekturen oftmals auch als Hilfestellung interpretieren, die die Lerner nutzen können, um die eigenen lernersprachlichen Hypothesen mit Blick auf das Zielsprachensystem zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund werden Korrekturen beim Schreiben in zwei Funktionselemente unterteilt: Zum einen repräsentieren sie eine Bewertungs- und Beurteilungsgrundlage von Lerneräußerungen. Zum anderen zeigen sie den Lernern einen konkreten Revidierungs- und Handlungsbedarf auf, die für den Prozess des Lernens und Hypothesenbildens unerlässlich sind. <?page no="142"?> 142 4. Fehlertypologie und -korrektur Die Fehlerkorrektur nimmt im Lernprozess und somit in unterrichtlichen Kontexten eine zentrale Rolle ein. Sie ist Steuerungselement und Unterrichtsinstrument zugleich. Bei der schriftlichen Fehlerkorrektur werden Ziele verfolgt, die sich auf Grundlage von Kriterien festmachen und weniger an spontanen und intuitiven Reaktionen gegenüber abweichenden beziehungsweise fehlerhaften Lerneräußerungen bestimmen lassen. Was korrigiert wird und was nicht, kann somit nicht willkürlich und einseitig entschieden werden, sondern muss auf Grundlage von vorher festgelegten Kriterien vollzogen werden. Ansätze für eine gegliederte Fehlerkorrektur lassen sich bei Kleppin (vergleiche 1998: 20 ff) mit den Kriterien Korrektheit, Verständlichkeit, Situationsangemessenheit, Individualität und Einzelfallsituation sowie mit unterrichtsabhängigen Kriterien bestimmen. Aus dieser Perspektive werden einzelne Kernaussagen zu Fragen der Notwendigkeit einer Korrektur abgeleitet: ▶ Es wird korrigiert, was sprachlich in einem Text nicht korrekt ist. ▶ Es wird korrigiert, was sprachlich und inhaltlich in einem Text nicht verständlich ist. ▶ Es wird korrigiert, was situativ in einem schriftlich verfassten Text nicht angemessen ist. ▶ Beim Schreiben wird individuell und auf Grundlage einer Einzelfallbewertung korrigiert. ▶ Es wird korrigiert, was abweichend zur Erwartung des Lesers ist und gegen Regeldefinitionen der Textsorte verstößt. Die Korrektur als kriteriengeleitete Verbesserung oder Richtigstellung kann speziell für den schriftsprachlichen Bereich der Lernerproduktion auf Grundlage der Richtigkeit, der Deutlichkeit von Aussagen, sowie der Richtigkeit in lexikalischen und grammatikalischen Bereichen erfolgen (vergleiche Nieweler 2010a: 222). In den nachfolgenden Abschnitten wollen wir die Fehlerkorrektur in Zusammenhang mit Korrekturtechniken weiter ausdifferenzieren. Schriftliche Fehlerkorrekturen Die schriftliche Fehlerkorrektur wird verstanden als schriftliche Anmerkung zu Text- und Schreibproduktionen, die sich neben Merkmalen der sprachlichen Korrektheit auch auf die inhaltliche Qualität und Aussagekraft eines materiell verfassten Textes bezieht (vergleiche unter anderem KMK 2002: 15 ff). Durch textbasierte Korrekturen haben Lehrkräfte beziehungsweise Korrigierende die Möglichkeit, den Lernern mangelndes Einverständnis mit der schriftlichen Lernerproduktion zu signalisieren. Die Informationen, die durch Korrekturen übermittelt werden, können Lerner dazu anleiten, sich kritisch und vergleichend mit ihrem eigenen Text auseinanderzusetzen und diesen gemäß der Korrekturinhalte konkret zu überarbeiten. Im Gegensatz zu mündlichen Leistungen haben schriftliche Leistungen mit Blick auf die Korrekturmöglichkeiten den Vorteil, dass diese „greifbarer, überprüfbarer und objektivierbarer“ sind (Nieweler 2010a: 219). Dies liegt unter anderem daran, dass Lerner bei der schriftlichen Produktion ein größeres Maß an Zeit zur Verfügung haben, um sich Gedanken über Form und Funktion der eigenen Aussagen zu machen, was im Umkehrschluss auch für die Lehrkräfte gilt, die bei der schriftlichen Korrektur begründbarere und reflektiertere Entscheidungen treffen können (vergleiche Kleppin 1998: 54). <?page no="143"?> 143 4.2 Schriftliche Fehlerkorrektur Im Kontext der schriftlichen Fehlerkorrektur werden in der Regel die als fehlerhaft erachteten Textstellen und Textpassagen unter Zurückgreifen auf ein Repertoire an Kriterien und Korrekturzeichen markiert. Auf der sprachlichen Ebene können sich Lehrkräfte oder Korrigierende auf linguistische Kriterien beziehen, die häufig lexikalischer, orthographischer und pragmatischer Natur sind. Diese eher traditionellen Kategorien können dabei Korrekturzeichen beinhalten, die von R (Rechtschreibfehler) über T (Tempusfehler) und Konj. (falsche Konjunktion) bis hin zu Z (Zeichenfehler) reichen (vergleiche Königs 2003: 378). Neben den genannten Korrekturzeichen besitzen noch weitere Fragen in diesem Kontext eine hohe Relevanz. Zum einen stellt sich die Frage, wie viel schriftliche Korrektur tatsächlich vonnöten ist, um einen Lerner optimal zu unterstützen sowie auch die Frage nach dem Umfang und der Intensität der zeichenbasierten Korrekturtechniken. Zudem ist es in dieser Thematik auch entscheidend zu fragen, ob direkte Korrekturen den indirekten Korrekturen vorzuziehen sind. Welchen Stellenwert hat die Selbstkorrektur für das Schreiben in der Fremdsprache? Eine weitere interessante Frage ergibt sich zudem aus der Überlegung, welche methodischen Maßnahmen an eine schriftliche Korrektur im Unterricht angeschlossen werden können. Eine eindeutige Antwort, die überdies keine Zweifel offen lässt und gegenüber Kritik im höchsten Maße resistent ist, kann an dieser Stelle nicht gegeben werden. Vielmehr soll berücksichtigt werden, dass Lerner auch durch Einsicht, Bewusstheit und Lenkung der eigenen Aufmerksamkeit auf die persönlichen Fehler sowie Transparenz der Korrekturen in Bezug auf die eigene Lernerproduktion im Sinne eines erfolgreichen Weiterlernens profitieren können und sollen (vergleiche Königs 2003: 378). Die schriftliche Fehlerkorrektur bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken und Korrekturziele. Dabei wird deutlich, dass die Fehlerkorrektur eine Kriteriengrundlage benötigt, um schriftliche Lernerproduktionen zu optimieren und das Lernen selbst zu fördern. Die Fehlerkorrektur kann aber auch als Ausgangspunkt für die Beurteilung und Bewertung von schriftlichen Lernerleistungen herangezogen werden. Welche Abweichungen sich bei der Unterscheidung zwischen Fehlerkorrektur und Leistungsbeurteilung ergeben, soll im nachfolgenden Teil der Einheit beschrieben werden. Schriftliche Leistungsbeurteilungen Die kriterienbezogene Beurteilung von schriftlichen Lernerleistungen verfolgt das Ziel eine Aussage im Hinblick auf die sprachliche Form und die inhaltliche Funktion eines Lernertextes zu treffen. Die Beurteilung einer schriftlichen Leistung erfordert das Vorhandensein fest umrissener Maßstäbe, mithilfe derer einzelne Zuordnungen und Aussagen über die Schreibleistungen vorgenommen werden (vergleiche Brunotte 2015: 10). Mit anderen Worten: Die Leistungsbeurteilung ist, anders als die Korrektur, immer auch abhängig von niveaubedingten Einstufungen sprachlicher Maßstäbe, inhaltlichen Rahmen und kompetenzorientierten Beschreibungen. Für die Beurteilung schriftlicher Lernerleistungen finden sich mit unter folgende Bezugsgrößen (vergleiche auch Nieweler 2006). <?page no="144"?> 144 4. Fehlertypologie und -korrektur ▶ Kriterienbezogene Maßstäbe orientieren sich an nationalen Bildungsstandards und differenzieren die unterschiedlichen Kompetenzbereiche nach Niveaustufen, wodurch die schriftliche Leistung sachlich und zuverlässig beurteilt werden kann. ▶ Soziale Bezugsgrößen orientieren sich an der Lernergruppe und erlauben interne Vergleiche in einem Klassenverband. ▶ Eine individuelle Bezugsnorm bezieht sich auf Leistungen eines Lerners, die zu einem früheren Zeitpunkt im Lernprozess erbracht wurden und erlaubt eine Beurteilung des Lernfortschrittes. Verlässt man mit der Leistungsbeurteilung die klassischen Ziele, die mit Korrekturen verbunden sind und fokussiert den sprachlichen Bereich einer schriftlichen Leistung, so besteht mit der Beurteilung eine stärkere Gewichtung der inhaltlichen Leistungsmöglichkeit einer textbasierten Lernerproduktion. Die Beurteilung erfolgt dabei nicht durch einen überwiegenden Fehlerbezug, sondern vielmehr standard- und kompetenzorientiert. Diese Beziehung wird mit Nieweler (vergleiche 2010a: 222) konkretisiert: ▶ Die inhaltliche Beurteilung verfolgt die Richtigkeit der Aussagen, den sachlogischen und stringenten Aufbau der Gedanken sowie die inhaltliche Strukturiertheit des Textes. ▶ Neben der sprachlichen Korrektheit besteht auch das sprachliche Ausdrucksvermögen als Beurteilungsreferenz. Relevanz besitzt in diesem Bereich neben den Punkten Reichhaltigkeit des Vokabulars auch die Kategorie der Textsorte und die Umsetzung der sortenspezifischen und strukturellen Textkonventionen. Der Grad der sprachlichen Korrektheit sowie die Angemessenheit der Verwendung sprachlicher Mittel determinieren den Fokus bei der Leistungsbeurteilung von schriftlichen Lernerproduktionen. Im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) erfolgt die Beurteilung schriftlicher Leistungen nach sogenannten Kann-Beschreibungen (Kompetenzformulierungen). Diese Beschreibungen dienen dabei als Deskriptoren, um die schriftliche Leistung, das sind die Korrektheit der verwendeten sprachlichen Mittel, die Angemessenheit der Textstruktur und inhaltlichen Präsentation innerhalb und durch einen Text hindurch, kompetenzorientiert zu benennen. Für die GER-Niveaustufe B2 bedeutet dies zum Beispiel: Der Schreiber kann über eine Vielzahl von Themen klare und detaillierte Texte schreiben; kann Argumente für den eigenen Standpunkt oder gegen den Standpunkt anderer argumentativ entgegenbringen; kann Briefe schreiben, die von persönlicher Bedeutung sind, und den Stellenwert von Erfahrungen und Ereignissen nachvollziehbar verdeutlichen (vergleiche Europarat 2001: 36). Durch den Beurteilungsansatz des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen wird schnell deutlich, dass es neben dem Kriterium der sprachlichen Korrektheit auch Kriterien in Bezug auf die Umsetzung textsortenspezifischer Konventionen gibt. Es zeigt sich an dieser Stelle, dass der Umgang mit Fehlern beim Schreiben auf der Ebene der Leistungsbeurteilung eine qualitative Neuausrichtung erfährt, die direkt die Form und Art der Rückmeldung beeinflusst. <?page no="145"?> 145 4.2 Schriftliche Fehlerkorrektur Negative und positive Korrektur Das Korrigieren von schriftlichen Lernertexten und die Leistungsbeurteilung von Schriftwerken zeichnen sich durch einen Rückmeldungscharakter aus, der sowohl bei der klassischen Fehlerkorrektur als auch bei der kompetenzbezogenen Leistungsbeurteilung an Kriterien gebunden ist. Losgelöst von der klassischen Fehlerfokussierung (Kriterium der Korrektheit) bei der Korrektur, ergibt sich eine neue Unterteilungsmöglichkeit innerhalb des Repertoires für Korrekturmöglichkeiten. Die Negativ-Korrektur hebt die sprachlichen und inhaltlichen Fehler eines Textes hervor und zielt auf die Überarbeitung und Optimierung der markierten Textstellen ab. Bei dieser Vorgehensweise ist die Gefahr nicht gering, dass sich als Reaktion auf Negativ-Korrekturen beispielsweise Demotivation, Überforderung und Unverständnis auf Seiten des Lerners einstellen. In solchen Fällen können Korrekturen als Kritik an der eigenen Person und Leistungsfähigkeit aufgefasst werden. Auf der anderen Seite stehen den Lehrkräften oder Korrigierenden auch Positiv-Korrekturen zur Verfügung. Hierbei werden gelungene Schreibleistungen hervorgehoben. Das können besonders gute, erfolgreiche Textstellen und Formulierungen sein. Genauso gut lassen sich aber auch kohärente Textstrukturen und die Verwendung sinnstiftender Mittel benennen, um nur einige wenige Beispiele zu bestimmen. Kurzum: Ein überzeugend umgesetzter und strukturell angemessener Text wird positiv durch Lob, Bestätigung und die Formulierung einer konkreten Begründung (Antwort auf die Frage Warum? besagte Stelle gelungen ist) an den Lerner zurückgemeldet. Die Positiv-Korrektur macht Stärken deutlich, motiviert die Lerner, hilft dabei bereits Gelerntes weiter zu festigen und ermöglicht es dem Verfasser oder der Verfasserin eines Textes seine oder ihre eigenen Leistungsmöglichkeiten zu erkennen und einzuschätzen. Weitere Potentiale bestehen zudem darin, dass Positiv-Korrekturen in Form von hilfreichen und zusätzlichen Tipps, Hinweisen zum Lernstand und bestätigenden formulierungskommentierenden Ausdrücken (zum Beispiel: das ist dir besonders gut gelungen; richtig gut gemacht; tolle Formulierung; gutes Argument; gutes Wort etc.) den Lernfortschritt risikofrei fördern. Aus dieser etwas anderen Perspektive hinsichtlich des Korrekturverfahrens im Rahmen der schriftlichen Textproduktion, kann die positive Form der Textkorrektur auch die Funktion einer „persönlichen Lernberatung“ (Nieweler 2010a: 223) übernehmen, wodurch diese wiederum für den Lerner im Grad der individuellen Bedeutsamkeit zunimmt. Nachhaltigkeit von Korrekturen Die Frage, ob eine schriftliche Korrekturmaßnahme erfolgreich ist oder nicht, lässt sich nicht immer eindeutig und ohne Schwierigkeiten beantworten. Von entscheidender Bedeutung ist aber, will man das Aufkommen fehlerhafter Lernerproduktionen minimieren, die Lenkung der Aufmerksamkeit des Lerners auf seine Fehler und deren Ursachen. Durch die schriftliche Korrektur und situative Sichtbarmachung der fehlerhaften Äußerungen, wird die Aufmerksamkeit des Lerners auf die Form und die Funktion der eigenen Lernerproduktion gelenkt. Das ermöglicht einerseits die gesteuerte Fokussierung der Lerneraufmerksamkeit und fördert andererseits den lernerseitigen Vergleich zwischen der eigenen Produktion (output) und der <?page no="146"?> 146 4. Fehlertypologie und -korrektur richtigstellenden Korrekturinformation (input). Zwar ist die Frage nach der Wirksamkeit einer erfolgreichen Korrekturmaßnahme - das heißt, der Fehler wird zweckvoll durch die lernersprachliche Hypothesenrevision eliminiert - nicht überprüfbar, für die Frage nach einer erfolgreichen Korrektur hat dies jedoch zur Folge, dass 1. die Lerner sich darüber bewusst sind, dass sie korrigiert werden und zugleich auch zur Selbstkorrektur angeregt werden; 2. die Lerner sich über die Unterscheide zwischen der eigenen schriftsprachlichen Produktion auf der einen Seite und dem Korrekturinput (Rückmeldung) auf der anderen Seite bewusst werden und die eigene schriftliche Formulierung und textbasierte lehrerseitige Rückmeldung miteinander vergleichen (vergleiche auch Lochtmann 2002). Wird im Rahmen der schriftlichen Fehlerkorrektur sichergestellt, dass die eingesetzten Verfahren und textbasierten Korrekturtechniken das Prinzip der Aufmerksamkeitslenkung und die Förderung der Selbstkorrektur ineinandergreifen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für eine nachhaltige lernersprachliche Hypothesenrevision und somit für eine erfolgreiche Korrektur. 4.2.2 Zusammenfassung ▶ Schriftliche Fehlerkorrektur findet auf Grundlage von vorher definierten Kriterien statt. ▶ Bei der schriftlichen Fehlerkorrektur gibt es mehr als nur eine Korrekturtechnik. ▶ Fehlerkorrektur und Leistungsbeurteilung unterscheiden sich deutlich voneinander. ▶ Fehlerkorrektur kann in einer positiven Form auch zur Lernberatung dienen. 4.2.3 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Ziele verfolgt die schriftliche Fehlerkorrektur? 2. Welche Besonderheiten weist die schriftliche Leistungsbeurteilung von Lernertexten gegenüber der klassischen Fehlerkorrektur auf? 3. Was sind die Ziele einer Positiv-Korrektur und wie unterscheiden sich diese im Vergleich zur Negativ-Korrektur? 4. Durch welches fehlerdidaktische Vorgehen kann die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Korrektur erhöht werden? <?page no="147"?> 147 4.3 Mündliche Fehlerkorrektur 4.3 Mündliche Fehlerkorrektur Fehler sind schon lange nicht mehr als Todsünde und als zu vermeidendes Übel des Fremdsprachenunterrichts anzusehen, wie es jahrzehntelang postuliert und konsistent praktiziert wurde. Ein Umdenken in der Didaktik der Fremdsprachen, die auch den Unterbereich der Fehlerdidaktik inkludiert, zeichnet mittlerweile ein neues, positiveres Bild des Fehlers in seiner Bedeutung für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Angepasste Formen der schriftlichen und mündlichen Fehlerkorrektur sowie die lehrerseitige Reaktion auf sprachliche Abweichungen sind die besten Beweise dafür, dass ein didaktisches Umdenken im Umgang mit sprachlichen Fehlern stattgefunden hat. Beim Sprechen speziell dominieren Spontanität, Flexibilität und situationsbezogene Individualität. Für die mündliche Fehlerkorrektur bedeutet dies, dass sie spontan, synchron und in Teilen auch lernerseitig abläuft. Eine weitere Besonderheit mithilfe derer sich die Eigenschaften der mündlichen Fehlerkorrektur beschreiben lassen, besteht darin, dass der Lerner die intendierte Äußerungsabsicht zugunsten der Intervention der Lehrkraft oder des Korrigierenden aufgibt. Wie genau sich die mündliche Fehlerkorrektur dabei gestaltet und welche Kriterien sowie Herangehensweisen dabei berücksichtigt werden, wird in der nachfolgenden Einheit näher beschrieben. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ den Stellenwert von Fehlern im Rahmen der mündlichen Fehlerkorrektur bewerten können; ▶ unterschiedliche Nutzungspotentiale erkennen und Korrekturtechniken einsetzen können; ▶ Fehlerkorrekturen auf deren situative Angemessenheit hin analysieren können. 4.3.1 Mündliche Kommunikation Zu der mündlichen oder auch gesprochenen Kommunikation gehören neben dem Sprechen und der Sprachproduktion einzelne Kompetenzbereiche, die sich im Wesentlichen danach differenzieren lassen, was gesagt wird (savoir-être) und wie etwas gesagt wird (savoir faire). Mündliche und gesprochene Leistungen sind immer das Ergebnis a) der Sprachproduktion eines Lerners (Produktion) und b) dem Verstehen von Aussagen (Rezeption). Diese Zweiteilung beschreibt ein Wechselspiel, dem die Vorstellung zugrunde liegt, dass Sprechen und mündliche Sprachproduktion auch immer das Ergebnis eines auditiven und visuellen Prozesses des Verstehens und Verarbeitens von Informationen ist. Mit Blick auf die Unterscheidung zwischen formalen sowie inhaltlichen Aspekten der Sprachproduktion ergeben sich durch die Aufteilung in konzeptionell ausgeprägte Kompetenzbereiche folgende Unterscheidungen für eine Definition von mündlicher Kommunikation (vergleiche Nieweler 2010b: 217 f). Beim Sprechen inkludiert der deklarative mündliche Kompetenzbereich lexikalisches Wissen (Wortschatz und Redemittel), phonetisches Wissen (Aussprache und Intonation) und pragmalinguistisches Wissen (Sprechabsichten formulieren und floskelhafter Sprachgebrauch). <?page no="148"?> 148 4. Fehlertypologie und -korrektur Der prozedurale Kompetenzbereich beschreibt strategisches Sprechwissen (Umschreibungen, Verwendung nonverbaler Elemente) und grammatisches Wissen (Verwendung korrekter Sprachstrukturen zur Produktion von Äußerungsabsichten). Die Aufteilung der mündlichen Sprachproduktion in einzelne Wissensbereiche, sowie Produktion und Rezeption, lässt ein extrem facettenreiches und komplexes Bild von mündlicher Sprachproduktion entstehen, das sich in seinen Zügen auch in der mündlichen Fehlerkorrektur widerspiegelt. 4.3.2 Mündliche Fehlerkorrektur Mündliche Sprachproduktion und mündliches Ausdrucksvermögen beziehen sich im Lehr- und Lernkontext von Fremdsprachen und im Kontext der Fehlerkorrektur auf Richtigkeit und Flüssigkeit der Lerneraussagen sowie auf die Komplexität und Angemessenheit der mündlichen geäußerten Satzstrukturen. Dies macht eine weitere Unterscheidung notwendig, die erneut die Komplexität und Besonderheiten der mündlichen Kommunikation verdeutlichen. Sprechen als komplexes Phänomen und als Teil von funktionalen Fertigkeiten zergliedert sich aus dieser Perspektive in sprachformbezogene Kommunikation und mitteilungsbezogene Kommunikation (vergleiche Kurtz 2010: 85). Für die nachfolgenden Ausführungen steht dabei die Korrektur der sprachformbezogenen Kommunikation, zusammen mit der Aktivierung und Optimierung lexikalischer Wissensbestände auf Seiten von Fremdsprachenlernern im Vordergrund. Mündliche Fehlerkorrekturen stellen eine relativ spontane Reaktion von Seiten des Lehrers oder der Lehrerin dar, die sich auf sprachliche Abweichungen des Zielsprachensystems oder vorher definierten Erwartungen - individuelle Kriterien - beziehen (vergleiche Königs 2003: 379). Als Lernerreaktion können sie dazu führen, dass ein Sprecher oder eine Sprecherin seine oder ihre eigentliche Intention aufgibt und dem mangelnden Einverständnis der Lehrkraft oder des Korrigierenden unterordnet. Die mündliche Korrektur stellt immer einen direkten Eingriff in das Unterrichtsgeschehen dar, weswegen es für Lehrer und Lehrerinnen besonders wichtig ist, eine Bewusstheit gegenüber eigenen Korrekturroutinen zu entwickeln. Das bedeutet nichts anderes, als dass Korrekturen geplant werden müssen, bestimmte Ziele benötigen, kriteriengeleitet sind und als Teil eines umfangreichen und breiten Korrekturenrepertoires ausgebaut werden müssen. Dabei sind Entscheidungen zum Stellenwert und zur Umsetzung der mündlichen Korrekturverfahren vorher genau festzulegen. Folgende Orientierungsfragen sind von Bedeutung: Wann wird korrigiert? Wer korrigiert? Warum wird korrigiert? Wie wird korrigiert? Was wird korrigiert? Eine allgemeingültige Antwort auf alle Fragen besteht nicht. Vielmehr liegt es an den Lehrkräften selbst den eigenen Unterricht sinnvoll und möglichst breit im geeigneten und situativ angemessenen Korrekturverfahren zu bereichern. Denn eines steht außer Frage: Ähnlich wie bei der schriftlichen Fehlerkorrektur hat auch die mündliche Fehlerkorrektur einen hohen Stellenwert für das Lernen von fremden Sprachen. <?page no="149"?> 149 4.3 Mündliche Fehlerkorrektur Experiment Wenn Sie selbst schon eine Fremdsprache unterrichten, können Sie versuchen Ihr eigenes Korrekturverhalten einmal zu reflektieren. Denken Sie bitte an Ihre eigene Unterrichtspraxis und versuchen Sie folgende Fragen zu beantworten. Machen Sie sich bitte auch Notizen zu Ihren Antworten. Wann korrigiere ich meine Lerner? Korrigiere ich meine Lerner direkt oder indirekt? Mit welchem Ziel korrigiere ich meine Lerner? Was korrigiere ich in welchen Situationen bei meinen Lernern? Wer korrigiert in meinem Unterricht? Tauschen Sie sich bitte im Anschluss im Chat oder im Forum zu Ihren Antworten aus. Greifen Sie dazu auf Ihre Notizen zurück. Als Entscheidungsgrundlage für die Beantwortung zentraler Fragen zur mündlichen Fehlerkorrektur soll auf Kriterien zurückgegriffen werden, die aus dem Kontext der Fehlerthematik und der Diskussion zur Fehlertypologie bereits bekannt sind. Zur Antwort auf die Frage wann und was korrigiert wird, geben die Kriterien einen guten Überblick (vergleiche Kleppin 1998: 20 ff). ▶ Das Kriterium der Korrektheit erlaubt eine mündliche Korrektur, wenn der gesprochene Lernerbeitrag mit Blick auf die Regeln des Zielsprachensystems nicht übereinstimmend ist. ▶ Das Kriterium der Verständlichkeit erlaubt eine mündliche Fehlerkorrektur, wenn ein kompetenter Sprecher oder eine kompetente Sprecherin der Zielsprache die mündliche Lerneräußerung nicht verstehen würde. ▶ Das Kriterium der Situationsangemessenheit löst eine mündliche Fehlerkorrektur aus, wenn der gesprochene Lernerbeitrag nicht vergleichbar mit einer Aussage eines kompetenten Sprechers oder Sprecherin der Zielsprache wäre. ▶ Unterrichtsabhängige Kriterien sind dann bedeutungsvoll, wenn mündliche Lernerbeiträge gegenüber den Unterrichtsinhalten abweichen. ▶ Das Kriterium der Individualität und Einzelfallsituation erlaubt eine mündliche Fehlerkorrektur, wenn eine Lerneräußerung in vergleichbarer außerunterrichtlicher Sprechsituation als fehlerhaft und störend ausgelegt werden würde. Die beiden letzten Kriterien weisen dabei den stärksten Bezug zu Unterrichtsrealitäten auf. Welche Korrekturverfahren gibt es und auf welche Korrekturtechniken können Lehrer und Lehrerinnen im Rahmen der mündlichen Fehlerkorrektur zurückgreifen? Um diese Frage genau beantworten zu können, hilft die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Korrekturen. Zu den direkten Korrekturen gehört die unterbrechende, direkte Verbesserung des mündlichen Fehlers durch die Lehrkraft. Zu den indirekten Korrekturmöglichkeiten gehören hingegen Aufforderungen, die eine Selbstkorrektur initiieren. Letztere können dabei durch kurze akustische Signale oder nonverbale Zeichen initiiert werden und signalisieren <?page no="150"?> 150 4. Fehlertypologie und -korrektur dem Sprecher oder der Sprecherin das mangelnde Einverständnis mit seiner oder ihrer Äußerung. Als Konsequenz wird die Aussage revidiert und eine am Korrekturkriterium gemessene adäquate Zweitaussage reproduziert. Mischformen bilden dabei die Wiederholung einer fehlerhaften Aussage mit Auswechslung der falschen Form sowie die Korrektur durch Mittschüler und Mitschülerinnen. Diese beiden Verfahren lassen sich nicht eindeutig zuordnen und sollen deshalb als Sonderfall betrachtet werden. Im Kontext der mündlichen Fehlerkorrektur ist der Stellenwert des Fehlers mit Blick auf Korrekturtechniken und Korrekturkriterien bereits beantwortet worden. Nicht weniger wichtig in diesem Kontext ist zusätzlich die Frage danach, wann korrigiert wird. Für eine Antwort müssen zwei didaktische Standpunkte näher beleuchtet werden (vergleiche Kleppin 1998: 85). Erstens muss aus vermittlungsmethodischer Sicht geklärt sein, welcher Ansatz der Inputvermittlung dem Unterricht zugrunde liegt. ▶ Bei der Grammatik-Übersetzungsmethode wird davon ausgegangen, dass jeder Fehler, der gegen das Regelsystem der Zielsprache verstößt, direkt vom Lehrer oder der Lehrerin korrigiert wird (Fokus Korrektheit). ▶ Nach dem audiovisuellen (Hören und Sehen) und audiolingualen (Hören und Sprechen) Methodenansatz wird davon ausgegangen, dass die ausführliche und häufige Wiederholung von Sprachmustern im Lernprozess zwangsläufig dazu führt, dass Fehler gar nicht erst auftreten und somit keine gezielte mündliche Fehlerkorrektur vonnöten ist. ▶ Bei kommunikativ ausgerichteten Methodenansätzen soll die natürliche - lernersprachlich gefärbte - Kommunikation so wenig wie möglich gestört werden. Zwar werden Korrekturen nicht kategorisch ausgeschlossen. Doch werden Sie der Kommunikation und dem Sprechfluss untergeordnet, sofern sie diesen stören. Es zeigt sich, dass neben kriteriengeleiteten Entscheidungsgrundlagen auch methodische Überlegungen herangezogen werden müssen, um die Rolle der Fehlerkorrektur zu definieren und eine Antwort auf die Frage zu geben, wann korrigiert wird. Die zweite Entscheidungsgrundlage für den Zeitpunkt einer Fehlerkorrektur, bildet die Perspektive der Unterrichtsphasen. Korrekturen bei der mündlichen Sprachproduktion sollten phasengebunden und selektiv eingesetzt werden, einen Schwerpunkt haben und den freien Redefluss nicht unterbrechen (vergleiche Nieweler 2010b: 217). Verdeutlichen lässt sicher dieser Ansatz mit ein paar praktischen Beispielen. 1. Werden Hausaufgaben im Unterricht gemeinsam besprochen, die primär das Vorlesen einzelner Grammatikübungen beinhalten, so bieten sich direkte Korrekturen an, die auch explizite Grammatikerläuterungen enthalten. 2. In einer Unterrichtsphase mit dem Ziel die Aussprache (Phonetik) zu trainieren und zu verbessern, sollte bei fehlerhaften Lautkombinationen (Aussprachefehler) auch eine Korrektur, entweder synchron oder asynchron erfolgen. Dem Lerner soll dabei die Möglichkeit eingeräumt werden beim Lesen die Textstelle zu beenden, bevor die Aussprache eines falsch betonten Wortes geklärt wird. So wird der Aufmerksamkeitsfokus bewusst gelenkt und die Wahrscheinlichkeit für eine nachhaltige phonetische Korrektur erhöht. <?page no="151"?> 151 4.3 Mündliche Fehlerkorrektur 3. Geht es darum, in einer Unterrichtsphase seine eigene Meinung zu äußern, oder über personenbezogene Erfahrungen zu berichten (freie Rede), so sollten Korrekturen nur zweitranging eingesetzt werden. Vorranging ist in diesen kreativen Phasen die angstfreie und ungehemmte mündliche Kommunikation. Kleinschrittiges und intensives Korrigieren wären hier unangebracht. Für die Umsetzung der mündlichen Fehlerkorrektur ist es entscheidend, dass sowohl auf Seiten der Lehrkräfte als auch auf Seiten der Lerner Korrekturziele transparent kommuniziert werden. Dies bedeutet, dass ▶ Korrekturregeln mit allen Aktanten des Unterrichtsgeschehens gemeinsam bestimmt werden; ▶ die Korrektur lernerorientiert und fehlerorientiert durchgeführt wird; ▶ die Lerner zu Selbstkorrekturen angeregt werden und der Aufmerksamkeitsfokus gezielt gelenkt wird; ▶ die Lehrkraft auf ein breites Korrekturverhalten zurückgreifen kann und bei Entscheidungen des eigenen Korrekturverhaltens konsistent bleibt. In der Theorie erscheinen die bisher beschriebenen Empfehlungen und Perspektiven nachvollziehbar und in weiten Teilen auch leicht umsetzbar. Fragt man Lehrer und Lehrerinnen danach, welches Korrekturverhalten seine oder ihre Lehre auszeichnet, so wird er oder sie in aller Regel diese Frage mit konkreten Antworten und Beispielen beantworten können. Mit großer Wahrscheinlichkeit trifft dieses Bild auch zu, wenn gefragt wird, wann er oder sie korrigiert (beispielsweise immer, oft, oder gelegentlich) und ob er oder sie seinem oder ihrem Korrekturmuster treu bleibt. Die meisten Lehrkräfte werden das mit großer Sicherheit bestätigen und die Frage mit einem großen Selbstverständnis beantworten. Aussagen wie Ich korrigiere immer nur dann, wenn… oder Ich korrigiere in Abhängigkeit zu den Unterrichtszielen, wenn … sind dann nicht unwahrscheinlich. Unterrichtssituationen sind dennoch sehr dynamisch und erlauben es nicht immer, eigene Unterrichtsziele problemlos umzusetzen und zu erreichen. Das liegt unter anderem daran, dass der Kontext Fremdsprachenunterricht vielen Variablen ausgesetzt ist, die von individuellen Faktoren der Lerner bis hin zu räumlichen Rahmenbedingungen stark variieren. Auf die mündliche Fehlerkorrektur hat das auch Auswirkungen, die unter anderem dazu führen, dass Korrekturzeitpunkte und Korrekturverhalten nicht immer konsistent von den Lehrkräften eingehalten werden. Aus diesem Grund kann es durchaus sein, dass sich individuelle Einschätzungen über Reaktionen gegenüber mündlichen Fehlern und der Umgang mit diesen den eigenen Vorstellungen und Überzeugungen nicht decken. Einzelne Untersuchungen zum Korrekturverhalten von Fremdsprachenlehrern und Fremdsprachenlehrerinnen bestätigen solche Annahmen. Zentrale Erkenntnisse aus Untersuchungen kommen dabei zu folgenden Ergebnissen (vergleiche Kleppin 1998; Kleppin & Königs 1997; Königs 1992): ▶ Lehrkräfte sind nicht immer von dem Wert von Korrekturen überzeugt und neigen dazu im Anfängerunterricht häufiger mit mündlichen Korrekturmaßnahmen zu reagieren, <?page no="152"?> 152 4. Fehlertypologie und -korrektur als dies in fortgeschrittenen Unterrichtsniveaus der Fall ist. Oftmals stehen dabei morpho-syntaktische Fehler im Vordergrund der Korrektur. ▶ Es hat den Anschein, dass die mündliche Fehlerkorrektur nicht fehlergebunden, sondern eher lehrergebunden durchgeführt wird. Das bedeutet, dass Lehrkräfte völlig unabhängig von der Fehlerart bestimmte Vorlieben gegenüber einzelnen Korrekturtechniken entwickeln. Diese Erkenntnis verdeutlicht, dass Prozeduren der mündlichen Fehlerkorrektur nicht zwangsläufig an Unterrichtsphasen gebunden sind. ▶ Lerner neigen trotz des Angebotes zur Selbstkorrektur nicht dazu, diese auch umzusetzen. ▶ Die Vermittlung von Einsichten und die Sensibilisierung für bestimmte Fehlertypen scheinen das Ziel von häufigen direkten Korrekturen zu sein. Diese bilden auch die beständigsten Korrekturmöglichkeiten, die von Lehrkräften umgesetzt werden. ▶ Lerner sind mit den Korrekturen der Lehrer und Lehrerinnen zufrieden und reagieren auf inkonsistente Korrekturen kritisch. Das lässt den Schluss zu, dass Lerner Fehlerkorrekturen wünschen. ▶ Korrekturen durch andere Lerner werden konsistent von Lernern abgelehnt. Dies ist möglicherweise auf das Rollenverständnis der Lerner zurückzuführen. Die angeführten Untersuchungsergebnisse können auch keine Antwort auf die Frage nach der Wirkung von Korrekturen in mündlichen kommunikativen Kontexten geben. Angesichts der empirischen Ergebnisse ist es nicht direkt möglich Korrekturmaßnahmen direkt und zweifelsfrei an Lerner zu binden. Es ist also nicht möglich zu sagen, dass eine bestimmte Korrektur größere Erfolgsaussichten und bessere Lernergebnisse verspricht als eine andere. Vielmehr soll in den Vordergrund gerückt werden, Lehrer und Lehrerinnen für unterschiedliche Korrekturmaßnahmen und die Reflexion über das eigene Korrekturverhalten zu sensibilisieren. Dadurch wird bis zu einem bestimmten Grad sichergestellt, dass sich Lehrer und Lehrerinnen ein umfangreiches Repertoire an Korrekturmöglichkeiten aneignen, das sie kritisch und flexibel umsetzen. 4.3.3 Zusammenfassung ▶ Mündliche Fehlerkorrektur ist ein Zusammenspiel zwischen subjektiven Verhaltensmustern und situativ angepassten Entscheidungen. ▶ Die mündliche Fehlerkorrektur kann den fremdsprachigen Lernprozess nachhaltig mitbeeinflussen. ▶ Die mündliche Fehlerkorrektur greift wie alle Arten der Korrektur auch auf Prinzipien und Kriterien zurück und ist abhängig von Unterrichtszielen. ▶ Bei der mündlichen Fehlerkorrektur muss der Aufmerksamkeitsfokus gezielt gelenkt werden. ▶ Korrekturen müssen Teil eines umfangreichen Technikrepertoires sein, das Lehrer und Lehrerinnen flexibel und vor allem lernersowie fehlerorientiert zum Einsatz bringen. <?page no="153"?> 153 4.3 Mündliche Fehlerkorrektur 4.3.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Unterscheide bestehen zwischen der mündlichen und der schriftlichen Fehlerkorrektur? 2. An welche didaktischen Entscheidungen ist die Umsetzung von mündlichen Fehlerkorrekturen im Unterricht gekoppelt? 3. Welche Schwierigkeiten ergeben sich für die mündliche Fehlerkorrektur, wenn man didaktische Handlungsempfehlungen mit empirischen Untersuchungen zum Korrekturverhalten von Lehrern und Lehrerinnen vergleicht? 4. Worin liegen die wesentlichen Unterscheidungspunkte zwischen lehrerorientierter und fehlerorientierter Korrektur im Rahmen unterrichtlicher mündlicher Sprachproduktion? <?page no="155"?> 5. Methodik Dieses Kapitel befasst sich mit zentralen Themen der Unterrichtsmethodik: mit Methoden der Grammatikvermittlung, der Ausspracheschulung und - auch in Ergänzung des vorangehenden Kapitels - des dynamischen Evaluierens und korrektiven Feedbacks. Die Grammatik erscheint vielen Lehrerinnen und Lehrern und vielen Schülerinnen und Schülern als der Dreh- und Angelpunkt des Zweit- und Fremdsprachenunterrichts. Sie wird meist zum strukturierenden und steuernden „Prinzip“ stilisiert. Da Grammatik aber verbreitet als abstrakt, schwierig, fehleranfällig und langweilig empfunden wird, sollen abwechslungsreiche Methoden die Defizite des Stoffes und der Motivation im Umgang damit kompensieren, also Langeweile und Überforderung reduzieren. Wissenschaftlich belastbare Evidenz für die Wirksamkeit der Vermittlungsmethoden gibt es kaum oder sie reflektiert nicht die meist irrelevanten Themen und Kontexte, aus denen sie abgeleitet wurde. Viele Methoden gehen aktionistisch statt systemgeleitet vor. Sie werden in der ersten Lerneinheit in diesem Kapitel mehr über die unterschiedlichen Methodenparadigmen erfahren und in diesem Zusammenhang verschiedene Praxisbeispiele kritisch beleuchten. Ein weiterer Dreh- und Angelpunkt des Zweit- und Fremdsprachenunterrichts ist das Aussprachetraining. Auch die Aussprache ist wie die Grammatik meist ein Oberflächenphänomen und wird auch so mit den entsprechenden Methoden behandelt. Sie stellt für unterschiedliche Lernergruppen eine unterschiedlich große Herausforderung dar. Nicht nur, wo sich phonetische Systeme von Sprachen stark unterscheiden, sondern gerade oft auch dort, wo sie sich stark ähneln und feine Unterschiede von Lernern nicht wahrgenommen werden. Dieses Kapitel gibt eine kurze Beschreibung der wichtigsten Merkmale der segmentalen und suprasegmentalen Phonetik und Phonologie des Deutschen. Es gibt methodische Hinweise für das Aussprachetraining und illustriert dies an verschiedenen Unterrichtssequenzen für einen handlungsorientierten Ausspracheunterricht. Es wird gezeigt, dass sich auch das Aussprachetraining gut mit dem didaktischen Ordnungssystem der Handlungsorientierung vereinbaren lässt. Schließlich wird dieses Kapitel durch das vorangehende Kapitel und die dritte Lerneinheit in Bezug auf die Methoden der Fehlerkorrektur gerahmt. Hier geht es vor allem um das korrektive Feedback im Kontext der interaktionistischen dynamischen Evaluation. Wichtiges Merkmal dieses Ansatzes und seiner Methoden ist die Berücksichtigung des kommunikativen Potentials des Lerners bei der Leistungsbewertung. Es geht damit nicht nur um die Überwindung der Lücke zwischen dem tatsächlichen und dem angestrebten Stand der Kompetenzen, sondern auch um die Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Kompetenzen im Sinne einer fördernden Fehlerdidaktik. <?page no="156"?> 156 5. Methodik 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung Jörg Roche In dieser Lerneinheit geht es nicht um die Darstellung aktionistischer Methodiken als Ausgleich für ein überholtes Konzept von Grammatik, Sprache und Kommunikation, sondern um die Skizzierung der theoretischen Grundlagen einer systematischen Methodik, die sich an kognitionswissenschaftlichen und handlungsdidaktischen Kriterien orientiert. Es werden die deduktive und die induktive Methodik sowie der eklektische Methodenmix vorgestellt. Dabei werden auch die wissenschaftlichen Grundlagen thematisiert, von denen sich die Methoden ableiten lassen. Diese werden sodann anhand konkreter Materialien illustriert und kritisch reflektiert. Daneben wird auch die Willkür des Methodeneklektizismus in Lehrwerken kritisch behandelt. Schließlich wird mit der Handlungsorientierung in der Grammatikvermittlung ein alternatives Konzept als Ordnungssystem vorgestellt und es wird dargestellt, wie Sie „Grammatik als sprachliches Handeln“ im Unterricht integrieren können, um so Ihren Unterricht auch in Sachen Grammatikvermittlung nachhaltig zu optimieren. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ sich die grundlegenden Unterschiede und Funktionen von Methodik, Didaktik und Lerntheorie vergegenwärtigen; ▶ die systematische Ableitung der Methoden aus ihren wissenschaftlichen Grundlagen nachvollziehen können; ▶ den vorherrschenden Methoden-Eklektizismus in Lehrmaterialien und Unterrichtskonzepten kritisch reflektieren; ▶ die Einsatzmöglichkeiten induktiver und deduktiver Methodenparadigmen kennenlernen; ▶ Grammatik als sprachliches Handeln verstehen und so im Unterricht vermitteln lernen; ▶ erfahren, wie Sie Ihren Grammatikunterricht nachhaltig optimieren können. 5.1.1 Sprachenkonzept, kognitive Grammatik und Didaktik Sprache lässt sich unterschiedlich fassen und ihre Systematik lässt sich dementsprechend unterschiedlich beschreiben. Aus Lernersicht sind die abstrakten, oft schulgrammatischen Systembeschreibungen jedoch wenig hilfreich, weil die Beschreibungen meist wenig intuitiv, praktikabel und funktional sind. Die Grammatikdarstellungen werden zudem oft mit vermeintlichen Vereinfachungen präsentiert, die jedoch zu ungenauen oder falschen Erklärungen und fehlerhaftem Sprachgebrauch führen und bei weiterer Nutzung einen hohen Korrektur- und Spezifizierungsaufwand verlangen. <?page no="157"?> 157 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung Kognitionslinguistische Ansätze für die Grammatikvermittlung beruhen dagegen vor allem auf der hohen Nachvollziehbarkeit der verwendeten Beschreibungsparameter. Die konzeptuelle Motiviertheit von Grammatik wird nämlich anhand von allgemeinen Wahrnehmungs- und Konzeptualisierungsprinzipien sowie Prozessen des menschlichen Denkens erklärt und erfahrbar gemacht, sodass jeder Lerner fast unabhängig von seinem sprachlichen Vorwissen einen konzeptuellen Zugang zu den scheinbar abstrakten Strukturen der zielsprachlichen Grammatik finden kann. Da die Konzeptualisierung den Prozess der Formulierung von sprachlichen Nachrichten steuert, kann auch nur die angemessene Konzeptualisierung den Ausgangspunkt für die Grammatikvermittlung darstellen (vergleiche Roche & Suñer Muñoz 2015). Bei perfektiven Verben im Englischen werden zum Beispiel Anfangspunkt und Endpunkt des Prozesses durch die Nutzung des progressiven Aspektes (be+Verb-ing) aus der Szene ausgeblendet, sodass nur eine einzelne Komponente des Prozesses fokussiert wird (vergleiche Niemeier & Reif 2008; Radden & Dirven 2007; Reif 2012). Mit dem progressiven Aspekt wird also eine Art interne, lokale Perspektive der Handlung eingenommen. Der nicht-progressive Aspekt markiert eine externe, globale Perspektive. In Grammatik-Animationen mit Sportmetaphern lassen sich derartige Grammatikkonzepte nachweislich signifikant besser vermitteln als mit traditionellen Methoden (Roche 2013b; Kanaplianik (EL-Bouz) 2016). Abbildung 5.1: Deutsche Wortfolge (Satzklammer) am Beispiel von Fußballspiel: Phase 1 der Erklärungen (Roche, EL-Bouz & Leuchte 2018: 37) <?page no="158"?> 158 5. Methodik Abbildung 5.2: Deutsche Wortfolge (Satzklammer) am Beispiel von Fußballspiel: Phase 2 der Erklärungen (Roche, EL-Bouz & Leuchte 2018: 37) Diverse Sportarten (beispielsweise Rennfahren, Schwimmen, Schwerathletik) eignen sich besonders gut als Referenzbereiche für Grammatikanimationen: Sie sind international bekannt und können daher von den meisten Sprachlernenden, unabhängig von ihrer Herkunft und Erstsprache, leicht interpretiert und nachvollzogen werden. Da die Sportarten bei der Grammatikvermittlung eine symbolische Rolle erfüllen, müssen sich die Lernenden nicht detailliert mit ihren Regeln auskennen. Eine allgemeine Vorstellung von den wichtigsten Aktanten und Elementen reicht für die Zwecke des Grammatiklernens aus. So wird beispielsweise das Fußballspiel als grundlegende grammatische Metapher für die deutsche Syntax in den Grammatikanimationen verwendet (siehe Abbildungen 5.1 und 5.2). Der Grund dafür sind die folgenden Parallelen: So wie Fußballspieler feste Rollen haben (Stürmer, Verteidiger, Torwart) und sich trotzdem frei über das Feld bewegen können, erfüllen auch Satzglieder im Satz bestimmte Funktionen und können dabei im Satz unterschiedliche Positionen einnehmen. Zwei Torwarte, die das Feld „umrahmen“ und zwischen denen sich alle anderen Spieler bewegen, sind eine treffende Metapher für die Satzklammer. Auch die Bezeichnungen für unterschiedliche Bereiche des Fußballfeldes (Vorfeld, Mittelfeld, Nachfeld) stimmen mit den grammatischen Termini überein. Dazu soll allerdings angemerkt werden, dass die Fußball- und Syntaxregeln trotz dieser Ähnlichkeiten selbstverständlich nicht identisch sind: Sie sind zu komplex, als dass eine Satzstruktur eins-zu-eins auf eine Fußballsituation übertragen werden kann. Daher handelt es sich im dargestellten Konzept um generische Mannschaften und „Übungsspiele“ ( Roche & EL-Bouz 2018: 37-38). Weitere ausführlichere Erklärungen zu Grammatikanimationen finden sich im Band »Sprachenlernen und Kognition« in den Kapiteln 2, 7 und 8. <?page no="159"?> 159 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung 5.1.2 Methodik-Paradigmen Wenn man versucht, unterschiedliche methodische Ansätze im Fremdsprachenunterricht zu identifizieren, dann lassen sich drei Paradigmen der Praxis nennen: die deduktive und die induktive Methodik und der eklektische Methodenmix. Diese Methodiken spiegeln keine wissenschaftlich begründete Systematik wider, sondern bezeichnen eher die etablierte Unterrichtspraxis in chronologischer Entwicklungsperspektive. Quer dazu läuft eine weitere Differenzierung der Methoden nach Fertigkeiten. Die Grundlagen und Bezugsdisziplinen einer systematischen Methodik lassen sich dagegen folgendermaßen darstellen: Linguistik Erwerbslinguistik/ Psycholinguistik/ Lerntheorien Didaktisches Konzept Methoden Lernziele/ allgemeine und spezifische pädagogische Konzepte Curricula/ Rahmenpläne Fachinhalte Lernerdisposition Infrastruktur Medien Abbildung 5.3: Grundlagen einer systematischen Methodik Grundlage einer stringenten Methodik müssen die wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen sein, wie die Linguistik, die Erwerbslinguistik, die Psycholinguistik und die Lerntheorien. Aus ihnen lässt sich eine fundierte Didaktik ableiten, die in Bezug auf Lernziele, angestrebte Kompetenzen, spezifische Konzepte, Vorgaben und Ziele von Lehrbeziehungsweise Lernplänen und fachliche Inhalte abgestimmt werden müssen. Hieraus ergeben sich Lernmethoden, die in einem bestimmten Kontext als optimal angenommen werden. Sie müssen im Unterricht in Bezug auf die Lernerdispositionen, das Lernumfeld, die Verfügbarkeit von Medien etc. aktualisiert und auf den Bedarf der spezifischen Zielgruppe zugeschnitten werden. 5.1.3 Deduktive Methodik Mit der deduktiven Methodik wird die klassische regelgeleitete Vermittlung von Sprache bezeichnet: von der vorgegebenen Regel zum Verstehen der Regel und ihrer Anwendung. Oft <?page no="160"?> 160 5. Methodik werden deduktive Vorgehensweisen auch mit Kognitivismus (vergleiche Lerneinheit 1.2 in diesem Band) und kognitivem Lernen in Verbindung gebracht, Begriffen, die die Bewusstmachung sprachlicher Strukturen bezeichnen sollen, dabei aber von einem reduzierten, überkommenen Verständnis von Kognition und sprachlicher Bewusstheit ausgehen. Die verbreitete Annahme ist, dass die Darstellung einer grammatischen Systematik Priorität haben muss vor ihrer Verarbeitbarkeit in den Köpfen der Lerner, zum Beispiel in Lernsequenzen. Diese Annahme findet sich auch in der Orientierung von Lehrwerken und Lehrplänen an der Grammatik (Grammatik-Übersetzungsmethode) und in der Gewichtung linguistischer Fachinhalte in der Fremdsprachenlehrerausbildung wieder (vergleiche auch Lerneinheit 1.1 in diesem Band). Das amerikanische Deutsch-Lehrwerk German One von 1949 veranschaulicht die Verfahren der Grammatik-Übersetzungsmethode: Am Anfang steht ein Lesetext, der weit über dem Niveau der Lerner liegt (hier Anfänger) und daher in der Regel mit verschiedenen Begriffserklärungen versehen werden muss (meist in der Randspalte oder wie hier im Glossar im Anhang). Die Wörter werden wie eine Gleichung als Übersetzung angegeben (zum Beispiel Landkarte = map). Mit umfangreichen grammatischen Erklärungen soll der Textinhalt erschlossen werden. Diese Grammatikregeln werden sofort in Übungen und Textübersetzungen verwendet. 17 Behavioristische Verfahren 1.2 Abb. 1.2 Grammatik-Übersetzungsmethode am Beispiel des Anfängerlehrwerks German One Behavioristische Verfahren Als sich die Vorstellungen vom Sprachenlernen zu ändern begannen, intensivierte sich auch die Suche nach alternativen Verfahren des Fremdsprachenunterrichts. Er sollte nicht mehr nur Abbildung 5.4: Die Grammatik-Übersetzungs-Methode am Beispiel des Anfängerlehrwerks German One <?page no="161"?> 161 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung Ein weiteres typisches Beispiel für eine deduktive Vorgehensweise findet sich in Dreyer & Schmitt 2012 zum Konjunktiv II (gekürzt): <?page no="162"?> 162 5. Methodik Abbildung 5.5: Beispiel eines deduktiven Verfahrens (Dreyer & Schmitt 2012: 278-279). <?page no="163"?> 163 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung Zum Vergleich hier die Kurzdarstellung aus der Minigrammatik (Roche & Webber 1996) Deutsch als Fremdsprache. Ziel dieses Ansatzes ist es, im Sinne einer Lernergrammatik, die Regeln auf das Wesentliche zu reduzieren. Dabei steht der Gebrauchsaspekt im Vordergrund: Abbildung 5.6: Kurzdarstellung zum Konjunktiv aus Mini-Grammatik (Roche & Webber 1996: 20-22) Konjunktiv II Mit dem Konjunktiv II drückt man aus, dass etwas möglich, hypothetisch, unrealistisch oder irreal ist, dass man es wünscht, dass es von bestimmten Konditionen abhängt oder dass man besonders höflich sein will: Könntest du mir mal helfen? (höfliche Aufforderung) Wenn es möglich wäre, (dann) würde ich es machen. (irreale Bedingung) Das müsste stimmen, (sichere Vermutung, Hypothese) Wenn es doch bloß etwas wärmer wäre. (irrealer Wunsch) Das klingt so, als ob du alles schon vorher gewusst hättest! (Vermutung) Man kann den Konjunktiv II ausdrücken durch: würde +Infinitiv die selbständige Form des Verbs A. A würde + Infinitiv ist die einfachste und häufigste Form. Würde markiert für alle Verben den Konjunktiv, egal ob sie stark oder schwach sind. Nur bei den Hilfsverben und den Modalverben nimmt man lieber die selbständigen Formen: Ich würde kommen, wenn ich Zeit hätte. B. Die selbständige Form basiert auf dem Präteritum: Schwache Verben sind mit den Präteritum-Formen identisch. Hier verwendet man meistens würde + Infinitiv. Es würde mich nicht stören, wenn du nicht kommen würdest. (statt: Es störte mich nicht, ...) Die starken Verben nehmen ein -ezwischen Stamm und Endung (wenn nicht schon eins da ist). Manche Verben ändern auch den Vokal zu einem Umlaut. sein haben werden kommen ich du Sie er, sie, es wir ihr Sie/ sie wäre wärest wären wäre wären wäret wären hätte hättest hätten hätte hätten hättet hätten würde würdest würden würde würden würdet würden käme kämest kämen käme kämen kämet kämen Es wäre schön, wenn du kommen könnest. Lerntipp: Wenn Sie eine selbständige Form des Konjunktiv II nicht kennen oder vergessen haben, nehmen Sie einfach würde + Infinitiv! Die Vergangenheitsform bildet man wie das Perfekt: mit hätte oder wäre + Partizip II: Ich wäre ja gerne zu der Party gekommen, aber ich hatte leider einen Termin beim Arzt. Ich hätte gern mitgemacht, aber leider... Einige feste, häufig gebrauchte Redewendungen enthalten Konjunktiv II -Formen. Man verwendet sie besonders gerne in Diskussionen: Ich könnte mir denken/ vorstellen, dass... Vorausgesetzt es wäre so gewesen: ... Es wäre gut/ schön/ toll/ wunderbar/ prima, wenn... Wenn ich gewusst hätte, dass... Wenn ich das wüsste! Es würde mich sehr wundern, wenn... Es müsste doch zu klären sein, ob / wie... Es dürfte doch kein Problem sein, ... Es müsste/ sollte doch möglich sein, ... Dagegen könnte man einwenden, dass... Ich möchte vorschlagen, dass... <?page no="164"?> 164 5. Methodik Einzelne Elemente deduktiver Verfahren finden sich in vielen aktuellen Lehrmaterialien, die einen (oft diffusen) Mix aus Methoden propagieren. Abbildung 5.7: Beispiel für die Vermittlung des Perfekts aus Planet Kursbuch 1, einem Lehrbuch für Jugendliche (Kopp & Büttner 2012: 107) <?page no="165"?> 165 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung 5.1.4 Induktive Methodik Induktive Methoden sind, unabhängig vom spezifischen Fertigkeitsbereich, dadurch gekennzeichnet, dass sie die Lerner an der Entdeckung der Regeln beteiligen. Typischerweise wird ein Text präsentiert, in dem die Lerner relevante grammatische Strukturen identifizieren sollen. Das geschieht in der Regel auf Basis ihres Vorwissens und zusammen mit der kommunikativen Einbettung der Aufgabe. Das heißt Lerner verstehen den Text weitestgehend, stellen aber auch Elemente fest, die ihnen unbekannt vorkommen, die sie aber bearbeiten müssen, um das eigentliche kommunikative Ziel zu erreichen. Daraufhin sollen sie, wie bei der Zerlegung von Chunks (vergleiche Kapitel 2 in diesem Band) im natürlichen Spracherwerb außerhalb des Unterrichts, aufgrund ihres Vorwissens und des Materials im Text Hypothesen über die Bedeutung und die Formen der Grammatik bilden. Dieser Entdeckungsprozess kann je nach den Bedingungen der Lerngruppe und des Unterrichts durch entsprechende Such- und Identifizierungs-Methoden vorbereitet und assistiert sein, zum Beispiel Assoziogramme, Tabellen, Muster. Die konzeptuellen Grundlagen vorerworbener Sprachen lassen sich dafür gezielt nutzen und erlauben den Lernern einen schnelleren, einen transparenten und nachhaltigen Zugang zu den Konzepten der Fremdsprache. Anders als bei deduktiven Methoden geht es auch darum, Zwischenstände zu entwickeln, festzuhalten und zu festigen. Also z.B. nicht die komplette Systematik des Perfekts zu vermitteln, sondern Schritt für Schritt wichtige Regelmäßigkeiten. Dieses Verfahren lässt sich an der Behandlung des Konjunktivs auf C1-Niveau mit einem kabarettistischen Text von Dieter Hildebrandt in etwa so illustrieren: <?page no="166"?> 166 5. Methodik Abbildung 5.8: Induktives Vorgehen bei der Vermittlung des Konjunktivs. Beispiel aus Roche & Webber 1995: 358 Antisemitismus? Ich bin der Meinung, daß wir dagegen sein sollten, wenn irgend jemand behaupten würde, es könnte bei uns Leute geben, die denken mögen, es sei in der Bundesrepublik noch möglich, Antisemit zu sein. So ungefähr artikuliert sich unsere öffentliche Meinung zu diesem Thema. Die Tiefe dieses Problems verschiebt sich zunehmend ins Konjunktive: Wäre es denn möglich, daß es denkbar sein könnte? Möge ich denn glauben wollen, daß die Tatsachen dafür sprächen, wenn ich sie zur Kenntnis nähme? Ich möge nicht. Wo wären wir denn? Hätte der Bundestag in der letzten Woche nicht bis auf den letzten Platz besetzt sein müssen, wenn es die Möglichkeit geben würde, daß es so sein könnte? Er war leer wie ein Flop im Theater, als das diskutiert werden hätte können. Hätte. Wurde aber nicht. Immer dann, wenn ein Redner hätte glauben mögen, daß es doch sein könnte, in diesem Volke wäre die jeweilige Gegenwart so subventioniert worden, daß die Vergangenheit als unrentabel erscheinen mußte, hat der Gegenredner sofort eingewendet, daß man an die Zukunft denken müsse. Selbst wenn man davon ausgehen müßte, daß Auschwitz und Buchenwald gewesen sein könnten, hätte man doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit… jawohl, die hätte man. Und zwar der Jugend gegenüber, die davon nichts wissen wöllte. Und diese Jugend ist mit der Einstellung ganz schön alt geworden. Manche sind schon 60. Jetzt ergäbe sich die Möglichkeit: Sollten wir jetzt nicht endlich aufhören, darüber zu diskutieren, ob wir es wirklich gewesen sein könnten, und stattdessen damit anfangen, die zu betrauern, die wir umgebracht haben? Und schon kommt der neue Konjunktiv: Wieviel Stimmen bekäme denn einer, der das täte? In einem Lande, in dem der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Israel den Eindruck vermittelte, als hätte er nicht gewußt, wo man ihn abgesetzt hat. Die Frage, ob Helmut Kohl im Unterbewußtsein kein Feind der Antisemiten sein könnte, möge sich gar nicht stellen. Allein die Überzeugung, die Gnade der Spätgeburt könnte dazu geführt haben, daß er sich nicht vorbereiten ließ, auf das, was ihn erwarten müßte, hätte einen Grad von böswilliger Unterstellung. Es wäre verdienstvoll, wenn sich unbefangene Analytiker daranmachen würden, zu untersuchen, ob der Grad seiner ungebrochenen Beliebtheit hierzulande nicht mit dem Grad seiner unverbrüchlichen Ahnungslosigkeit diesem Thema gegenüber zusammenhängen könnte. Sollte es aber so sein, daß er denken könnte: Ein Politiker der die Vergangenheit akzeptierte, hätte No Future, dann müßte man zum Schluß kommen: Elisabeth Noelle- Neumann weiß längst, wie ahnungslos einer sein muß, der beliebt sein möchte im Lande dieses unseren. Bearbeitungsvorschläge 1. Dieser Text hebt unter anderem auch die Wichtigkeit grammatischer Begriffe hervor (Modalverben, Konjunktiv …). Zur Vorentlastung bietet sich folgender „Spruch“ an, den wir aus dem Bairischen ins Hochdeutsche übersetzt haben. Es handelt sich um eine spielerische, graffiti-ähnliche Textsorte, wie sie die Kursmitglieder in Themenbereich III schon kennengelernt haben. Mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen konnte ich nicht. Was fällt der Gruppe auf? Wie kann man mit einem solchen Text zurechtkommen? Eine Möglichkeit besteht darin, die beiden Hauptsätze getrennt vorzunehmen und zu paraphrasieren. Anschließend kann man den „Sinn“ besprechen. Welche Rolle spielen die Modalverben, welche spielt der Konjunktiv? 2. Stellen Sie jetzt den ersten Satz des Hauptsatzes auf Overheadfolie vor und bitten Sie die Kursmitglieder um ihre Reaktionen. Ich bin der Meinung, daß wir dagegen sein sollten, wenn irgendjemand behaupten würde, es könnte bei uns Leute geben, die denken mögen, es sei in der Bundesrepublik noch möglich, Antisemit zu sein. Halten Sie die Fragen und Kommentare auf Overheadfolie oder an der Tafel fest. … <?page no="167"?> 167 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung Induktive Verfahren erscheinen manchmal nicht zielstrebig genug zur Beherrschung einer Struktur zu führen. Daher gibt es eine Reihe von Verfahren, mit denen Texte mit einem gehäuften Vorkommen der grammatischen Strukturen gewählt (etwa Kochrezepte für Passiv- und Passiv-Ersatzformen im Deutschen) oder versetzt werden. Die Verfahren der Input-Flut (Immersion), des Input-Enhancement und Flag-Raising etwa vernachlässigen aber die Nutzbarkeit des Sprachmaterials für authentische Kommunikation und behandeln nur Oberflächenphänomene (vergleiche hierzu Lerneinheit 2.2 in diesem Band). Der Rückgriff auf die bekannten Steuerungsmaßnahmen traditioneller (behaviouristischer) Ansätze konterkariert die beabsichtigte Öffnung in Richtung auf authentische Sprache und Handlungsorientierung. Die Inputmodelle erscheinen insgesamt als unterrichtsmethodische, formfokussierte Steuerungsverfahren, bei denen nicht mehr das eigentlich vom Lerner gesteuerte Handlungsinteresse im Mittelpunkt des Lernens und der Sprachverwendung steht, sondern in Wirklichkeit der Aspekt der Reproduktion kommunikativer Situationen zur Erfüllung struktureller Vorgaben (Formgenauigkeit) in den Mittelpunkt rückt. Die Unterscheidung von expliziten und impliziten Grammatikvermittlungsverfahren kann man daher als graduell bezeichnen. Eine wirkliche Sprachbewusstheit manifestiert sich vor allem im situationsangemessenen Gebrauch der Sprache, nicht im Grad der Explizitheit ihrer Vermittlung. Experiment Der folgende Text (Roche & Webber 1995: 172-175) ist sprachlich vergleichsweise einfach, aber konzeptuell und kontextuell durchaus komplex. Lesen Sie ihn bitte durch und klären Sie die Frage, worum es hier geht. Verstehen Sie alle Ausdrücke? Was könnten sie bedeuten, wo sehen Sie gegebenenfalls nach? Eine Portion gemischte Sprache, please In diesem Kapitel geht es um „vermischte Sprache“, insbesondere um deutsch-englische Misch-Texte Vorentlastung Hier lesen Sie ein paar Graffiti-Sprüche, zu denen diese Sprüche passen könnten. Make love - net woahr? No Atomkraft in my Apfelsaft. No Atomstrom in my Wohnhome . Legalize Himbeereis. Ü1 Beschreiben Sie mögliche Situationen, zu denen diese Sprüche passen könnten. Ü2 Graffiti sind Komprimierungen komplexer sprachlicher Kontexte. Wie wird das hier sprachlich realisiert! Rekonstruieren Sie bitte die Kontexte. <?page no="168"?> 168 5. Methodik Beispiel: Wer ARD sagt, muß auch BRD sagen. Sprachlicher Kontext: Als Muster fungiert die Redewendung „Wer A sagt muß auch B sagen“. Das heißt man muß die Verantwortung für die Folgen einer bestimmten Aktion „A“ übernehmen. Diese Folgen („B“) sind meistens unumgänglich. Politischer Kontext: „ARD“ ist das 1. Deutsche Fernsehprogramm in der BRD (Bundesrepublik Deutschland). Die ARD ist eine „öffentliche-rechtliche Rundfunkanstalt“, das heißt, sie steht unter gewissem staatlichen Einfluß. Hier wird also impliziert: wer die ARD sehe, unterstütze das politische System der BRD. Die Folgerung daraus wäre also: wenn Du nicht das politische System unterstützen willst, solltest Du lieber ein anderes Programm einschalten... Und jetzt rekonstruieren Sie die Kontexte obenstehender Graffiti. Ü3 Vergleichen Sie mit ähnlichen Graffiti, die Sie kennen. Abbildung 5.9: Eine Portion gemischte Sprache, please (Roche & Webber 1995: 172-175) Hier ein Vorschlag zur Didaktisierung (Roche & Webber 1995: 172-175) des Textes nach einem induktiven Verfahren. Beachten Sie, wie hier Strukturen und Grammatik vermittelt werden. Beraten Sie mit anderen Kursteilnehmern, wie Sie diesen Text oder einen ähnlichen im Unterricht einsetzen könnten. Vorschläge zur Didaktisierung (adaptiert): Die hier behandelten sprachlichen Grenzverletzungen bewirken nicht selten einen - gewollten oder ungewollten - komischen Effekt, gleichzeitig aber decken sie sonst verborgene Regeln auf, die sowohl sprachlicher als auch soziokultureller Art sein können. Das heißt: um diese „Intersprache“ zu verstehen, muß man auch Aspekte der Interkulturalität sowie der Diskursbeschaffenheit berücksichtigen, die über die deutschsprachige und die englischsprachige Kultur Aufschluß geben können. Vorentlastung Die Textbeispiele (Vorentlastungen) stellen zwei Realisierungen einer englisch-deutschen Mischsprache dar. Die Graffiti setzen ein relativ hohes Niveau der (zwei)sprachigen Kompetenz und Lust an Sprachspielen voraus. Bearbeitungsvorschläge 1. Mehrere Behandlungsmöglichkeiten bieten sich an: a) Sie präsentieren beide Texte gleichzeitig auf Overheadfolie; b) Sie präsentieren die Kästen im Plenum in einer Ihnen sinnvoll erscheinenden Reihenfolge; c) Sie beauftragen Kleingruppen, sich mit je einem der Graffiti zu beschäftigen, um ihn nachher dem Plenum vorzustellen; d) Sie präsentieren nur ein Graffito; das andere wird nicht vorgestellt beziehungsweise wird als Hausaufgabe verteilt. <?page no="169"?> 169 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung 5.1.5 Eklektischer Methodenmix Ein eklektischer Methodenmix, also eine Methodenvielfalt, ist ein beliebtes Schlagwort des Unterrichts. Dahinter verbirgt sich jedoch häufig ein Mangel an einem kohärenten Unterrichtskonzept. Das heißt es werden Methoden unterschiedlichster Provenienz mit dem Ziel der Abwechslung gewählt, aber für die Abwechslung sind keine kommunikativen oder funktionalen Gründe erkennbar. Diese Art oberflächlicher Methodenaktionismus (activities) kann eher zu einer Verwirrung der Lerner führen, wenn die Methoden nicht funktional in authentische kommunikative Aufgaben eingebunden sind. Methoden sollten also nicht der oberflächlichen Abwechslung dienen, sondern gezielt für die Vermittlung kommunikativer Handlungskompetenzen eingesetzt werden. Ein Beispiel für einen Methodenmix findet sich beispielsweise im Lehrwerk Schritte Plus Neu (2016). In den Abschnitten „Grammatik und Kommunikation“ (beispielsweise zum Konjunktiv II auf den Seiten 150-151) findet sich jeweils auf der linken Seite eine deduktive Grammatikdarstellung, während rechts Ansätze eines induktiven Verfahrens mittels Redemitteln und Beispielen aus der Anwendung zu finden sind. 5.1.6 Grammatik und Handlung Der handlungsorientierte Spracherwerb basiert auf der Annahme, dass Wörter und Grammatik Handlungen sind, sodass man an ihrem Erfolg lernen kann (Handlungsprinzip, vergleiche Roche, Reher & Simic 2012: 32 sowie Lerneinheit 2.3 in diesem Band). Das heißt, erst durch den Gebrauch von Sprache in einer konkreten Handlungssituation können grammatische Konstruktionen erworben und nach situationaler Differenzierung weiter elaboriert oder spezifiziert werden. So lässt sich Grammatik im Kontext des Prinzips der vollständigen Handlung und Sprachbewusstheit im praktischen Kontext fördernd vermitteln. Methodisch lässt sich dies in den folgenden Phasen realisieren: Orientieren, Informieren, Planen und Analysieren, Durchführen, Präsentieren, Bewerten, Reflektieren (siehe Lerneinheit 2.3 in diesem Band). 2. Unabhängig von der Art der Präsentation steht die Reaktion der Kursmitglieder auf den Text (die Texte) im Mittelpunkt. Möglicherweise wird sich die Reaktion zunächst als Verwunderung oder Unverständnis äußern. Das bedeutet, daß die Regularitäten der Texte (zweisprachige Wortbeziehungsweise Reimspiele, hinter denen sich ein Protest oder Scheinprotest verbirgt) den Studierenden noch nicht klar geworden sind. Abbildung 5.10: Eine Portion gemischte Sprache, please (Roche & Webber 1995: 172-175) <?page no="170"?> 170 5. Methodik Abbildung 5.11: Das didaktische Konzept eines Handlungsszenarios (Vollständige Handlung) 1 . A k t i v i e r e n u n d o r i e n t i e r e n 2 . I n f o r m i e r e n u n d a n a l y s i e r e n 3 . L ö s u n g s m ö g l i c h k e i t e n e r a r b e i t e n u n d p l a n e n 4 . D u r c h f ü h r e n 5 . P r ä s e n t i e r e n u n d b e w e r t e n 6 . Ü b e r a r b e i t e n u n d r e f l e k t i e r e n Abbildung 5.12: Operationalisierung des Prinzips der Vollständigen Handlung in 6 Phasen Progressiver Verlauf Problembasierte, produktorientierte Aufgabenstellung Authentische Sprecher und Adressaten Plausible, konkrete, relevante Handlungssituationen als Ausgangspunkt •sinnvoll, zweckbezogen •durch Sprache lösbar •auf lebensweltlichen Vorgängen basierend •integrierte Lernzielbestimmung (Rahmen- und Fachlehrplan) Konzept zur Entwicklung von Unterrichtsmaterialien <?page no="171"?> 171 5.1 Methoden der Grammatikvermittlung sprachliches Produkt schriftlich? Plakat Text Brief, E-Mail, SMS Artikel Checkliste Protokoll Flyer mündlich? monologisch Stellungnahme Präsentation dialogisch Telefonat Verkaufsgespräch Beratung Abbildung 5.13: Differenzierungsmöglichkeiten nach Medialität und Textsorten in einem handlungsorientierten Unterricht Die Differenzierung erfolgt dabei auf zwei Ebenen: Erstens können die Schüler und Schülerinnen auf unterschiedliche sprachliche Produkte hinarbeiten und zweitens wird ihnen ein umfassendes Angebot an Hilfsmitteln dafür zur Verfügung gestellt. Die Bewertung erfolgt unter Berücksichtigung von Kriterien, die Schüler und Lehrkräfte gemeinsam bestimmen und operationalisieren. 5.1.7 Zusammenfassung ▶ Zu den unterschiedlichen methodischen Ansätzen im Fremdsprachenunterricht lassen sich drei Paradigmen der Praxis identifizieren: die deduktive und die induktive Methodik und der eklektische Methodenmix, welche aber keine wissenschaftlich begründete Systematik widerspiegeln, sondern die etablierte Unterrichtspraxis in chronologischer Entwicklungsperspektive bezeichnen. ▶ Die wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen, die die Grundlage einer stringenten Methodik bilden, sind die Linguistik, die Erwerbslinguistik, die Psycholinguistik und die Lerntheorien. Aus ihnen lässt sich die Didaktik ableiten und daraus wiederum ergeben sich die Lernmethoden. ▶ Mit der deduktiven Methodik gelangt man von der vorgegebenen Regel zum Verstehen der Regel und ihrer Anwendung, wohingegen die induktive Methodik vorsieht, dass die Lerner an der <?page no="172"?> 172 5. Methodik Entdeckung der Regeln beteiligt sind. Auch sollen mit der induktiven Methodik Zwischenstände entwickelt, festgehalten und gefestigt werden. ▶ Der eklektische Methodenmix, eine Methodenvielfalt, bietet Methoden unterschiedlichster Provenienz mit dem Ziel der Abwechslung. ▶ Methoden sollen nicht der oberflächlichen Abwechslung dienen, sondern gezielt für die Vermittlung kommunikativer Handlungskompetenzen eingesetzt werden. ▶ Durch den Gebrauch von Sprache in einer konkreten Handlungssituation können grammatische Konstruktionen erworben werden. 5.1.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was versteht man unter deduktiver Methodik? 2. Was ist das Besondere an induktiven Methodiken? 3. Wie kann man Grammatikvermittlung über Sportarten vermitteln? 4. Wie stellt sich ein eklektischer Methodenmix in neuen Lehrwerken dar? <?page no="173"?> 173 5.2 Aussprachetraining 5.2 Aussprachetraining Katharina Salzmann Nachdem wir in Lerneinheit 5.1. die Vermittlung von Grammatik betrachtet haben, soll in dieser Lerneinheit der Fokus auf die phonetische Kompetenz, das heißt auf die Produktion und Perzeption von Lauten gelegt werden. Lehrerbefragungen haben wiederholt ergeben, dass sich Lehrerinnen und Lehrer in der Ausspracheschulung unzureichend ausgebildet fühlen und daher nicht gerne Aussprache unterrichten (vergleiche Settinieri 2010: 1002). Aussprache ist jedoch nicht nur ein ästhetischer Faktor, „eine Frage des schönen Klangs“ (Blühdorn 2013). Aussprachefehler können echte Grammatikfehler darstellen, zu Verständigungsproblemen führen und das muttersprachliche Ohr so überbelasten, dass es nach gewisser Zeit nicht mehr zuhört. In dieser Lerneinheit finden Sie zuerst einige allgemeine Hinweise zum Aussprachetraining, gefolgt von einer knappen theoretischen Beschreibung der wichtigsten Merkmale der suprasegmentalen Aussprache und Phonologie des Deutschen (das heißt der prosodischen Ebene) sowie der segmentalen Aussprache (das heißt der Lautebene), die durch Übungen für eine konkrete Umsetzung im DaF-Unterricht ergänzt wird. Im Abschnitt zu den Methoden des Aussprachetrainings werden einige konkrete Unterrichtssequenzen für einen handlungsorientierten Ausspracheunterricht vorgestellt. Dabei wird gezeigt, wie das Aussprachetraining mit dem Fertigkeitstraining (in erster Linie Hörverstehen und mündlicher Ausdruck) verbunden werden kann. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ ein Bewusstsein für die aus didaktischer Perspektive zentralen Merkmale der deutschen Aussprache entwickeln können; ▶ in der Lage sind, Ihren Lernern bei Ausspracheschwierigkeiten mit konkreten Anleitungen (Aussprachetipps) zu helfen; ▶ eine grundlegende didaktische Kompetenz für das Aussprachetraining erwerben, die mit den Prinzipien der kognitiven Linguistik in Einklang steht; ▶ einige Methoden für einen handlungsorientierten Ausspracheunterricht kennenlernen, in denen phonetische Themen in Aufgaben zum Hörverstehen und mündlichen Ausdruck eingebettet werden. 5.2.1 Grundlagen Um ein effizientes Aussprachetraining durchführen zu können, benötigen DaF-Lehrer und -Lehrerinnen eine praktische Aussprachekompetenz, das heißt eine angemessene und ausreichend gute Aussprache. Als Bezugspunkt für den DaF-Unterricht gilt die als nicht regional <?page no="174"?> 174 5. Methodik bewertete Standardaussprache von zum Beispiel Nachrichtensprechern und -sprecherinnen, wobei die nationalen Varietäten des Deutschen (Deutschland, Österreich, Schweiz) jeweils über eine eigene Standardaussprache verfügen. Dabei ist natürlich klar, dass abgesehen von Ausnahmen der Großteil der DaF-Lehrerinnen und -Lehrer dieses Modell nicht vollkommen erreicht. Für Nicht-Muttersprachler und Nicht-Muttersprachlerinnen gilt, dass der fremde Akzent nicht oder kaum hörbar sein sollte. Muttersprachlerinnen und Muttersprachler sollten in der Lage sein, dialektale Einflüsse so weit wie möglich auszublenden. Neben einer guten Aussprache sollten DaF-Lehrer und -Lehrerinnen grundlegende theoretische Kenntnisse der deutschen Aussprache, ein methodologisches Wissen der Aussprachevermittlung und wenn möglich auch Kenntnisse der Aussprache der L1 der Lerner besitzen, da es bei der Aussprache häufig zu Interferenzfehlern mit der Muttersprache kommt. Bedenken Sie, dass der Erwerb der Aussprache beziehungsweise die Aussprachekorrektur je nach individuellen Fähigkeiten und Motivation ein langer Prozess sein kann, der viel Übung verlangt. Nach den Prinzipien der kognitiven Linguistik (vergleiche Langacker 2008b) sind dabei folgende Punkte von Relevanz: 1. Für den erfolgreichen Erwerb phonetischer Strukturen müssen die Lerner deren Bedeutung verstehen. 2. Die zunehmende Schematisierung und Kategorisierung phonologischer Strukturen in den Köpfen der Lerner kann durch die Bewusstmachung der Phänomene unterstützt werden, muss aber aus authentischem Input erfolgen. 3. Aussprache ist durch konkrete körperliche Erfahrungen vermittelbar. 4. Der Erwerb der korrekten Aussprache wird durch den Gebrauch in einer konkreten Handlungssituation unterstützt (vergleiche Roche et al. 2012). Denken Sie daran, dass nicht die sprachlichen Strukturen im Zentrum des Unterrichts stehen, sondern die Lerner mit ihren Bedürfnissen und ihrer Ausgangslage, die unter anderem durch die L1 und vorhergehende Fremdsprachenlernerfahrungen beeinflusst wird. Generell ist es von großer Bedeutung, dass Ausspracheschulung bereits im Anfängerunterricht betrieben wird, da die Fehler sich ansonsten verfestigen. Empirische Studien haben ergeben, dass sich vor allem eine mangelhafte prosodische Kompetenz auf die Perzeption nichtmuttersprachlicher Äußerungen auswirkt (vergleiche Hirschfeld 1995). Außerdem hat sich gezeigt, dass die prosodische Kompetenz einen positiven Einfluss auf die Produktion der Einzellaute hat und dass umgekehrt Übungen zu den Einzellauten oft ohne Erfolg bleiben, wenn die Lerner grobe Mängel auf prosodischer Ebene aufweisen. Aus diesem Grund empfehlen wir in dieser Lerneinheit vor allem in den ersten Stunden zur Ausspracheschulung den Fokus auf die Prosodie zu legen und dann parallel auch Übungen zur Aussprache der Einzellaute einzubauen. Prosodie Relevante prosodische Themen, mit denen sich die Lerner im Unterricht auseinandersetzen sollten, sind der Wortakzent, der Äußerungsakzent, der Rhythmus und die Intonation im engen Sinne, das heißt die Gliederung in Intonationsphrasen und die finale Tonhöhenbewegung. <?page no="175"?> 175 5.2 Aussprachetraining Wortakzent bedeutet, dass eine Silbe des Wortes stärker betont ist als die anderen. Beim Wortakzent ist es sinnvoll, einfache Wörter (Simplexformen), abgeleitete Formen (Derivate) und zusammengesetzte Wörter (Komposita) zu unterscheiden. Der Wortakzent, der in den Beispielen durch Großbuchstaben gekennzeichnet ist, fällt im Deutschen in der Regel auf den Wortstamm, Flexionsformen und Ableitungssuffixe verändern die Betonung nicht (zum Beispiel LANGsam - LANGsamer, SPREchen - geSPROchen, TRAUrig - TRAUrigkeit, beSUchen - BeSUcher - BeSUcherin). Nur einige wenige Präfixe wie un-, miss- und ursind betont (zum Beispiel UNfreundlich, MISSverständnis, URwald). Gesonderte Regeln gelten für Fremdwörter mit den Suffixen -or, -ik und -ieren: zum Beispiel DOKtor - DokTOren, MuSIK - MUsiker, SysTEM - systematiSIEren. Eine häufige Fehlerquelle für DaF-Lerner ist die Betonung der Verbpräfixe, die auch aus grammatischer Sicht interessant ist: Die nicht-trennbaren Verbpräfixe be-, ent-, ge-, er-, ver-, zer- (zum Beispiel beSCHREIben) sind unbetont, morphologisch gesehen handelt es sich um eine Derivation. Die trennbaren Verbpartikeln tragen hingegen einen Akzent (zum Beispiel EINkaufen, AUFstehen), morphologisch gesehen handelt es sich um eine Verbkomposition. Außerdem gibt es einige Verben, die je nach Bedeutung sowohl trennbar als auch untrennbar sein können (zum Beispiel: UMfahren versus umFAHren). Bei Determinativkomposita trägt die vor dem Grundwort stehende Bestimmungsform den Hauptakzent (zum Beispiel: AUtoreifen, GARtenhaus). Bei erwachsenen Lernern sollte jede Ausspracheeinheit mit einer Form der Bewusstmachung beginnen, in der Sie das Phänomen erklären und Regeln für dessen Auftreten einführen. Im Falle des Wortakzents können Sie das Phonetikwissen mit dem Grammatikwissen und dem Wissen über Wortbildung verbinden (zum Beispiel hat das Verb zerstören den Akzent auf der zweiten Silbe, da es sich um ein abgeleitetes Verb mit nicht-trennbarem Präfix handelt). Anschließend folgt die Phase des Hörens, in der die Lerner ein bestimmtes phonetisches Phänomen erkennen sollen. Beim Wortakzent wird es darum gehen, die akzentuierte Silbe zu bestimmen. Erst danach folgt die Phase des Nachsprechens und freien Sprechens (vergleiche Settinieri 2010: 1004). Experiment Machen Sie nun ein Experiment mit Ihren Kursteilnehmern und Kursteilnehmerinnen. Versuchen Sie, bei den Übungen zur Prosodie auch den Körper miteinzubeziehen. Auf diese Weise können die Lerner die rhythmischen Wort- und Äußerungsmuster besser verinnerlichen. Akzente können durch Klatschen, Summen, Klopfen, mit den Füßen Stampfen und so weiter geübt werden. Fordern Sie Ihre Lerner auf, die folgenden Wörter beim Hören einem rhythmischen Muster (a, b, c) zuzuordnen und dieses Muster non-verbal und dann verbal zu produzieren. Doktoren, Eisdiele, ICE, Gartenhaus, CDU, Erholung, Hauptbahnhof, aufräumen, probieren, Fotograf, Malerei, Klagenfurt, Verkäufer, Arbeiter, Harmonie ▶ a. O o o (betonte Silbe, unbetonte Silbe, unbetonte Silbe) ▶ b. o o O (unbetonte Silbe, unbetonte Silbe, betonte Silbe) <?page no="176"?> 176 5. Methodik Der Vorteil dieses Experiments besteht darin, dass die Lerner nach den Prinzipien der kognitiven Linguistik die Sprache über körperliche Erfahrungen wahrnehmen und auf diese Weise die rhythmischen Muster besser verarbeiten und speichern können. Das Experiment soll den Lernern helfen, sich ausschließlich auf den Wortakzent zu konzentrieren und Schwierigkeiten bei der Artikulation von Einzellauten zunächst auszublenden. Außerdem sollen sie den Bezug zur Wortbildung entdecken (Kompositum O o o, Kurzwort o o O) und lernen, die Muster auf andere Lexeme desselben Wortbildungstypus zu übertragen. Eine Lautfolge wird in Melodieverläufe oder Intonationsphrasen unterteilt. Eine Intonationsphrase ist eine als zusammenhängend wahrgenommene Intonationskontur (melodische Kurve), die (mindestens) einen Fokusakzent besitzt (vergleiche Peters 2009: 98). Für die Lerner ist es wichtig zu verstehen, dass die Akzentzuweisung im Deutschen eine wichtige Rolle für die Informationsgliederung spielt: Der Fokusakzent ist der semantisch relevanteste Akzent, das heißt das sinnwichtigste Wort einer Einheit, das aus einer Reihe von Alternativen ausgewählt wurde. Da Intonationsphrasen häufig mit Äußerungen zusammenfallen, spricht man auch von Äußerungsakzent. Man unterscheidet dabei einen weiten (neutralen) und einen engen (zum Teil kontrastiven) Fokus. Weiter Fokus bedeutet, dass die Äußerung in ihrer Gesamtheit neu ist und auf eine offene Frage antwortet, zum Beispiel Was gibt es Neues? - Maria hat in Australien ein KÄNguru gesehen. Enger Fokus bedeutet, dass eine bestimmte Information hervorgehoben wird oder dass eine Kontrastrelation vorliegt, wie in WO hat Maria ein Känguru gesehen? - Maria hat in AusTRAlien ein Känguru gesehen. Während andere Sprachen dazu tendieren, das sinnwichtigste Wort durch syntaktische Mittel zu markieren (zum Beispiel im Italienischen durch die äußerungsfinale Stellung oder durch Spaltsätze), kann im Deutschen bei identischer Wortfolge der Äußerungsakzent je nach Bedeutungsnuance von einem Wort auf das andere verschoben werden. Bedenken Sie, dass Studentinnen und Studenten häufig dazu tendieren, das Intonationsmuster der L1 auf das Deutsche zu übertragen. Italienische DaF-Lerner neigen zum Beispiel dazu, den Äußerungsakzent unabhängig von der Informationsstruktur immer auf das letzte Wort zu legen, da dieses Muster der L1 entspricht. Als Faustregel für den Äußerungsakzent gilt: Bei neutraler Betonung fällt der Akzent immer auf Wortakzentsilben, in der Regel auf die letzte Konstituente im Mittelfeld beziehungsweise auf die letztmögliche Konstituente, zum Beispiel Die Katze hat eine MAUS gefressen. Funktionswörter (Pronomen, Artikel, Präpositionen) tragen keinen Akzent, zum Beispiel Die Katze hat sie geFRESsen. Die Katze FRISST sie. Bei kontrastivem Akzent kann jedes Wort ▶ c. o O o (unbetonte Silbe, betonte Silbe, unbetonte Silbe) In einem zweiten Schritt können Sie mit den Lernern ein Ratespiel veranstalten. Eine Person imitiert non-verbal ein rhythmisches Muster, die anderen raten, um welches Wort es sich handelt. Tipp: Grundsätzlich bewährt sich beim Aussprachetraining ein spielerischer ganzheitlicher Ansatz. Seien Sie jedoch vorsichtig: In bestimmten Lernergruppen können Aussprachespiele kindlich wirken und von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen abgelehnt werden. Nützliche Anregungen für Aussprachespiele finden sich in Hirschfeld & Reinke (2009). <?page no="177"?> 177 5.2 Aussprachetraining betont werden, sogar Silben, die im Wortakzent unbetont wären, zum Beispiel BEnannt, nicht ERnannt (vergleiche Kohler 1995: 119f). Im Sinne der Lernerorientierung empfiehlt es sich, dass Sie Ihre Lerner diese Regeln aus Beispielen ableiten lassen. Vor allem in der Anfängerstufe tendieren viele Lerner dazu, jedes Wort zu betonen, wodurch der Äußerungsakzent nicht klar erkennbar ist. Fordern Sie sie auf, betonte und unbetonte Silben beziehungsweise Wörter möglichst deutlich voneinander zu unterscheiden. Dadurch verbessert sich der Rhythmus insgesamt. Das Deutsche wird als Sprache mit einem akzentzählenden Rhythmus beschrieben, das heißt, akzentuierte Silben werden präzise artikuliert und durch Lautheit und Dauer hervorgehoben. Akzentlose Silben unterliegen hingegen einer Abschwächung, sie werden rascher artikuliert und es gibt eine deutliche Tendenz zur Reduzierung. Besonders Lerner, deren L1 einen silbenzählenden Rhythmus besitzt (das heißt, es besteht ein geringer Intensitätsunterschied zwischen betonten und unbetonten Silben), haben deshalb oft Schwierigkeiten, unbetonte Silben überhaupt wahrzunehmen (vergleiche Hirschfeld 2010: 197). Viel Übung benötigen in der Regel rhythmische Muster, die durch einen Akzent am Anfang und danach durch mehrere unbetonte Silben gekennzeichnet sind (zum Beispiel: Ooooo). Üben Sie mit Ihren Lernern Imperativsätze wie FRAgen Sie doch mal! GLAUben Sie mir doch! Achten Sie darauf, dass die betonten Silben mit möglichst viel Energie und die unbetonten mit möglichst wenig Energie ausgesprochen werden. Außerdem sollten Ihre Lerner verstehen, welche Bedeutung die Unterteilung in Intonationsphrasen besitzt. Intonationsphrasen dienen der Gliederung einer Äußerung, die Phrasengrenzen können eine bedeutungsunterscheidende Funktion haben. Zum Beispiel hat der Satz Ich bedaure nicht studiert zu haben je nach prosodischer Verpackung zwei unterschiedliche Bedeutungen. In der ersten Variante wird das Verb bedauern verneint und die Intonationsphrase endet nach der Negationspartikel nicht: Ich bedaure NICHT, stuDIERT zu haben. In der zweiten Variante wird das Verb studieren verneint und die Intonationsphrase endet nach bedauern: Ich beDAUre, nicht stuDIERT zu haben (vergleiche Peters 2009: 101). Das Ende jeder Intonationsphrase ist durch eine finale Tonhöhenbewegung gekennzeichnet, die steigend ( ↗ ), fallend ( ↘ ) oder weiterweisend ( → ) sein kann. Hinsichtlich der Bedeutung des Phänomens sollten Ihre Lerner erkennen, dass die Tonhöhenbewegung eine wichtige syntaktische Funktion erfüllt. Eine fallende Melodie haben Aussagen, Aufforderungen und Fragen mit Fragewort. Eine steigende Melodie verwendet man bei Entscheidungsfragen (ja/ nein), Nachfragen, sehr höflichen Äußerungen und freundlichen Fragen mit Fragewort. Eine weiterweisende Melodie kennzeichnet nicht-abgeschlossene Äußerungen. Segmentale Phonetik: Vokale und Konsonanten Die Einheiten der segmentalen Phonetik sind Laute (Phone), Allophone und deren Verbindungen. Ein Phon (Vokal oder Konsonant) ist die kleinste Einheit einer gesprochenen Äußerung, die Realisierung eines Phonems. Phoneme sind die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit des Sprachsystems und lassen sich am besten durch Minimalpaare identifizieren. Minimalpaare sind zwei Wörter, die sich nur in einem Laut unterscheiden, aber eine unterschiedliche Bedeutung haben, zum Beispiel Land und Rand. Dieses Beispiel beweist, dass <?page no="178"?> 178 5. Methodik / l/ und / r/ im Deutschen Phoneme, das heißt bedeutungsunterscheidende Einheiten sind. Allophone sind Phonemvarianten, die nicht bedeutungsunterscheidend sind. Es gibt freie (zum Beispiel Zungenspitzen- und Zäpfchen-R) und kombinatorische Varianten (zum Beispiel der ich- und ach-Laut). Phoneme werden durch Schrägstriche / / markiert, Phone - die Realisierung von Phonemen - in eckigen Klammern [ ]. Auf der Lautebene sollten Sie im Aussprachetraining auf das Vokal- und Konsonantensystem eingehen. Das Deutsche verfügt über 16 Vokalphoneme, 15 davon können betont sein, nur der Schwa-Vokal ist immer unbetont. (Zusätzlich gibt es Vokale, die nur in Fremdwörtern auftreten, zum Beispiel die nasalierten Vokale des Französischen wie in Parfum.) Entscheidend für das deutsche Vokalsystem sind fünf distinktive (bedeutungsunterscheidende) Merkmale, durch deren Bündelung die Vokale voneinander abgegrenzt werden können. Diese Merkmale sind für die Ausspracheschulung besonders relevant, da zwischen der L1 und L2 häufig abweichende distinktive Merkmale vorliegen. So ist zum Beispiel die Vokalquantität im Italienischen kein distinktives Merkmal und wird deshalb von den Lernern nicht wahrgenommen beziehungsweise nicht korrekt realisiert. Distinktive Merkmale der deutschen Vokale sind (siehe Hirschfeld 2010: 191): ▶ Quantität: kurz - lang ▶ Qualität: gespannt (geschlossen) - ungespannt (offen) ▶ Grad der Zungenhebung: hoch - mittel - tief ▶ Richtung der Zungenhebung: vorn - zentral - hinten ▶ Lippenrundung: gerundet - ungerundet. Zungenhebung Richtung der Zungenhebung hoch vorne zentral hinten ɪ (Mitte) ʏ (Füller) ʊ (Rum) i: (Miete) y: (Fühler) u: (Ruhm) ɛ (Bett) œ (Hölle) o: (Ofen) e: (Beet) ø: (Höhle) ɔ (offen) mittel-hoch ɛ: (säen) ə (ehe) (ɐ) (er, eher) tief a (Stadt) a: (Staat) Abbildung 5.14: Vokaldreieck des Deutschen nach Hirschfeld (2010: 192) <?page no="179"?> 179 5.2 Aussprachetraining Abbildung 5.15: Lippenstellung bei Vokalen (Catford 1988: 146) Charakteristisch für das Deutsche ist die Quantitätsunterscheidung kurz - lang. Die Kurzvokale sind in der Regel ungespannt (größerer Öffnungsgrad), die Langvokale gespannt (geringerer Öffnungsgrad). Es finden sich für alle Vokale Minimalpaare mit diesem Unterschied (zum Beispiel Miete - Mitte, Höhle - Hölle, Beet - Bett, Ofen - offen etc.). Zu dem langen gespannten / e: / und dem kurzen ungespannten / ɛ / kommt zusätzlich das lange ungespannte / ɛ: / wie in wäre, Bär hinzu. Abbildung 5.15 zeigt die Lippenstellung und den Öffnungsgrad bei den vorderen (ungerundeten) und den hinteren Vokalen. Entscheidend für die Vokaleigenschaften ist die Zungenstellung, dabei unterscheidet man die vertikale und die horizontale Zungenbewegung. Bei den hohen Vokalen / i / , / y / , / u/ hebt sich die Zunge gegen den Oberkiefer, bei den tiefen Vokalen / a/ senkt sich die Zunge gegen den Unterkiefer. In der Mitte liegen die Vokale / e / , / ø / , / o / . Bewegt sich die Zunge nach vorne, spricht man von einem vorderen Vokal, zum Beispiel / i/ , / e/ , bewegt sie sich nach hinten, spricht man von einem hinteren Vokal, zum Beispiel / u/ , / o/ . In der Mitte liegt der Zentralvokal oder Reduktionsvokal / ə / , der auch Schwa genannt wird. Der zweite Reduktionsvokal (der allerdings kein Vokalphonem, sondern ein Allophon des Konsonanten / ʁ / darstellt) ist der [ ɐ ]-Schwa, wie in der zweiten Silbe von Mutter. Zwischen den Extremlagen der Zunge (hoch, tief, vorne, hinten) wird das sogenannte Vokaldreieck aufgespannt (siehe Abbildung 5.14). Unterscheidet man wie in Abbildung 5.15 zwei verschiedene A-Laute, spricht man von Vokalviereck. Bei den vorderen Vokalen gibt es ein weiteres distinktives Merkmal: die Lippenrundung. Spricht man ein / ɪ / beziehungsweise ein / i: / und rundet man dabei die Lippen, entsteht ein / ʏ / beziehungsweise ein / y: / . Spricht man ein / ɛ / beziehungsweise ein / e: / und rundet man dabei die Lippen, entsteht ein / œ/ beziehungsweise ein / ø: / . Die Zungenstellung darf sich dabei nicht verändern. Die gerundeten Vokale / ø: / und / y: / bereiten DaF-Lernern in der Regel große Schwierigkeiten und werden aufgrund von Interferenzen mit dem Schriftbild oft als [o] <?page no="180"?> 180 5. Methodik und [u] ausgesprochen. Mit den soeben beschriebenen Tricks zur Lippenrundung können Sie Ihren Lernern jedoch die Aussprache erleichtern. Außerdem besitzt das Deutsche auch Diphthonge, das heißt die einsilbigen Vokalverbindungen [ aɪ ], [ aʊ ] und [ ɔi ] wie in Ei, Mai, Auto, Eule, Häuser. Diphthonge können Schwierigkeiten bereiten, da zum Beispiel die Buchstabenfolge eu (wie in Euro) in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich ausgesprochen wird. Die Italiener sagen [’euro], die Engländer [’juro]. Geben Sie Ihren Lernern folgende Aussprachetipps: Diphthonge sind zwei Vokale, die man zusammen sprechen muss. Beim [ aɪ ] sprechen Sie zuerst ein kurzes, offenes [a] und direkt danach ein kurzes, offenes [ ɪ ]. Betonen Sie nur das [ a ]. Beim [ aʊ ] sprechen Sie zuerst ein kurzes, offenes [a] und direkt danach ein kurzes, offenes [ ʊ ]. Betonen Sie dabei nur das [a]. Beim [ ɔi ] sprechen Sie zuerst ein kurzes, offenes [ ɔ ] und direkt danach ein kurzes, offenes [i]. Betonen Sie dabei nur das [ ɔ ]. Weitere Hürden für DaF-Lerner sind die Schwa-Vokale, die häufig als Vollvokal (der e-Schwa [ ə ]) beziehungsweise als R-Laut (der a-Schwa [ ɐ ]) realisiert werden, sowie das Zusammenspiel zwischen Vokalquantität und -qualität. Auch für den Unterricht der Einzellaute gilt die methodische Sequenz: 1. Bewusstmachung, 2. Hören, 3. Sprechen, 4. Automatisieren. Weisen Sie Ihre Lerner darauf hin, dass jeder Vokal in einer bestimmten Position im Mundraum realisiert wird und dass sich der Laut je nach Zungenbewegung, Spannung und Lippenrundung verändert (Prinzip der körperlichen Wahrnehmung). Eine Visualisierung (Vormachen durch die Lehrkraft, Abbildung des Vokaldreiecks) kann die Aussprachebewusstheit fördern. Danach folgen Hörübungen, in denen die Lerner die Laute erkennen und von anderen ähnlichen Lauten unterscheiden sollen (Schematisierung des Phänomens auf Grundlage des Inputs). Um die Bedeutungskomponente von Lauten herauszuarbeiten, empfiehlt sich eine Lautdiskriminierung, beispielsweise in Form von Distinktion von Minimalpaaren (zum Beispiel bitten - betten). In der anschließenden Phase des Sprechens sollten Sie Ihre Lerner unterstützen, indem Sie ihnen Artikulationshinweise für die Produktion des Ziellautes geben. Diese Phase bezeichnet man als Anbilden. Bei Ausspracheschwierigkeiten können zuerst einzelne Wörter und dann vollständige Sätze einer Text- oder Dialogvorlage gesprochen werden. Danach folgt die Phase des freien Sprechens, bei der die Lerner einen Dialog, der in eine authentische Handlungssituation eingebettet ist, variieren oder selbst erfinden sollen (Prinzip der Handlungsorientierung). Experiment Führen Sie mit Ihren Lernern folgende Unterrichtssequenz durch. 1. Machen Sie Ihren Lernern bewusst, dass das Deutsche lange gespannte und kurze ungespannte Vokale unterscheidet. Sprechen Sie dazu die folgenden Wortpaare vor und achten Sie dabei auf die deutliche Aussprache der betonten Vokale: Mühler - Müller Möhler - Möller Mehler - Meller Mieler - Miller etc. 2. Sprechen Sie die Vokale danach auch einzeln vor, damit die Lerner sich auf die Wahrnehmung des Unterschieds konzentrieren können. <?page no="181"?> 181 5.2 Aussprachetraining Im Rahmen dieses Experiments durchlaufen die Lerner alle wichtigen Phasen des Aussprachetrainings, von der Bewusstmachung des Phänomens über die Lautdiskriminierung beim Hören, vom schrittweisen Nachsprechen mit Hinweisen zum Anbilden der Laute bis zur freien Anwendung in einem konkreten Kommunikationskontext. Bevor Sie zum Rollenspiel übergehen, überprüfen Sie, dass die meisten Lerner die Laute annähernd korrekt aussprechen, ansonsten besteht die Gefahr, dass die Aussprache beim freien Sprechen sich erneut verschlechtert, da die Aufmerksamkeit auf andere sprachliche Aspekte gelenkt wird. Artikulationsart Artikulationsstelle labial alveolar präpalatal palatal velar laryngal plosiv fortis p (Oper) t (Liter) k (Ecke) lenis b (Ober) d (Lieder) g (Egge) frikativ fortis f (Feld) s (reißen) ʃ (Tasche) ç (Bücher) x (Buch) lenis v (Welt) z (reisen) ʒ (Rage) j (Jahr) ʁ (Rose) h (Herz) nasal m (Mann) n (Name) ŋ (Ring) liquid l (Lied) Tabelle 5.1: Konsonantensystem des Deutschen nach Hirschfeld (2010: 193) 3. Schreiben Sie die folgenden Paare von Familiennamen an die Tafel. Lesen Sie danach jeweils einen der Namen vor und lassen Sie Ihre Lerner bestimmen, ob sie den ersten oder den zweiten Namen gehört haben. Mühler - Müller Möhler - Möller Mehler - Meller Mieler - Miller etc. 4. Lesen Sie nun einen Nachnamen nach dem anderen vor und fordern Sie Ihre Lerner auf, den jeweiligen Namen nachzusprechen. Dabei bewährt es sich, die Namen zuerst im Chor und dann einzeln aussprechen zu lassen. Bei Bedarf geben Sie Hinweise zum Anbilden des Lautes (zum Beispiel, wie man durch Lippenrundung vom / i: / zum / y: / gelangt). 5. Lassen Sie Ihre Lerner Sätze nach folgendem Muster bilden: Familie Müller wohnt in München. Familie Mieler wohnt in Wien. Danach sollen die Lerner die geübten Wörter frei anwenden, zum Beispiel im Rahmen eines Rollenspiels. Dazu könnten Sie folgende Situationsanweisung geben: Die deutsche Reiseleiterin und der Reiseführer vor Ort unterhalten sich über eine deutsche Reisegruppe, deren Namen Mühler, Müller, Möhler, Möller, Mieler, Miller etc. sind. Sie sprechen darüber, in welchen Hotels die Familien untergebracht sind, an welchen Ausflügen sie teilnehmen etc. Die Lerner sollen die Situation zwei oder drei Mal (jeweils in circa 15 Minuten) in Partnerarbeit improvisieren und danach eventuell im Plenum vorführen. Die anderen Lerner sollen erkennen, um welche Reisenden es geht. <?page no="182"?> 182 5. Methodik Neben den Vokalen verfügt das Deutsche über 21 Konsonantenphoneme. Distinktive Merkmale sind nach Hirschfeld (2010: 193): ▶ Artikulationsart (plosiv, frikativ, nasal, liquid) ▶ das artikulierende Organ (labial, alveolar, palatal, velar, laryngal) ▶ die Spannung (fortis, lenis). In Tabelle 5.1 sehen wir eine Übersicht über die deutschen Konsonantenphoneme, die hinsichtlich der distinktiven Merkmale in die Tabelle eingeordnet wurden. Hier einige Erklärungen zu den bedeutendsten Merkmalen dieser Aufstellung: Plosive und Frikative zeichnen sich durch die Distinktion Fortis (stark) - Lenis (schwach) aus. Diese Unterscheidung bezieht sich auf die artikulatorische Stärke und den Einsatz des Stimmtons (stimmhaft versus stimmlos). So ist das / s/ in reißen stimmlos, das / z/ in reisen stimmhaft. Des Weiteren verfügt das Deutsche über zwei R-Varianten (Zungen-R und Zäpfchen-R). Diese sind Varianten desselben Phonems und stehen in freier Variation, sie sind also beliebig austauschbar. Wichtig für den Ausspracheunterricht ist außerdem die Unterscheidung von konsonantischen und vokalischen R-Varianten. Mit vokalischer R-Variante ist der a-Schwa [ ɐ ] gemeint, das heißt ein a-Laut, der unbetont und kurz ausgesprochen wird. Das R wird in folgenden Umgebungen vokalisiert: in der unbetonten Verbindung er-, ver-, zer-, -er (erzählen, verstecken, zerstören, besser) und nach langen Vokalen (Uhr, Meer). Die Konsonanten [ç] und [x] sind ebenfalls keine selbständigen Phoneme. Im Gegensatz zu den R-Allophonen treten sie aber in unterschiedlichen Umgebungen auf (kombinatorische Allophone) und haben eine komplementäre Verteilung, denn nach [a], [o], [u] und [au] spricht man [x] (ach-Laut), nach den hellen Vokalen sowie nach [l], [n] und [r] spricht man [ç] (ich-Laut). Zuletzt muss noch der Glottisschlag erwähnt werden, denn Vokale und Diphthonge werden silbeninitial (zu Beginn einer Silbe) mit einem an den Stimmlippen gebildeten Plosiv [ ʔ ] eingesetzt. Der Glottisschlag entspricht keinem Buchstaben und sein Phonemstatus ist umstritten, er kann aber Silbenbeziehungsweise Wortgrenzen signalisieren (vergleiche zum Beispiel: Berliner Leben - Berlin [ ʔ ] erleben). Besonders DaF-Lerner mit Italienisch als L1 bereitet der Glottisschlag häufig Probleme, da es sich um einen für sie fremden Laut handelt. Sie tendieren deshalb dazu, die Silben miteinander zu verbinden, wie in *ein_Ei. Achten Sie auch beim Üben der Konsonanten auf die Phase der Bewusstmachung und auf das Anbilden. Nehmen wir als Beispiel den Glottisschlag. Dieser tritt vor Vokalen und Diphthongen am Wort- und Silbenanfang auf, da diese nicht mit dem vorangehenden Wort beziehungsweise der vorangehenden Silbe verbunden werden (*die_Anna). Lassen Sie Ihre Lerner diese Regel wenn möglich selbst entdecken. Das Anbilden soll Ihren Lernern die körperliche Wahrnehmung des Lautes erleichtern. Machen Sie beim Anbilden den Mund weit auf und atmen Sie einen Moment nicht. Dadurch verschließen sich die Stimmlippen im Hals. Danach lassen Sie die Luft wieder durch, hören Sie den Glottisschlag und sprechen Sie den Vokal (zum Beispiel Anna). Ferner besitzt die deutsche Sprache einige phonotaktische Besonderheiten, das heißt Regeln der Distribution von Vokalen und Konsonanten in bestimmten Lautumgebungen. Diese stehen an der Schnittstelle zwischen der Lautebene und der Prosodie und können <?page no="183"?> 183 5.2 Aussprachetraining DaF-Lernern sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption Schwierigkeiten bereiten. So werden die Lenis-Plosive und -Frikative im Silben- und Wortauslaut durch Fortis-Konsonanten ersetzt. Dieses Phänomen wird als Auslautverhärtung bezeichnet (zum Beispiel: des Bades mit / d/ - das Bad mit / t/ ). Außerdem kommt es in unbetonten Silben (zum Beispiel: Verbalsuffix -en) aufgrund des akzentzählenden Rhythmus häufig zu einer Elision (Tilgung) des Schwa-Vokals [ha: bn] oder sogar zu einer Assimilation des n-Lautes, der das Merkmal labial übernimmt und zu einem m-Laut wird [ha: bm]. 5.2.2 Methoden des Aussprachetrainings In dem vorangehenden Abschnitt haben Sie bereits einige Anregungen für Ausspracheübungen erhalten. Dabei wäre es wünschenswert, dass das Aussprachetraining nicht in isolierten Unterrichtssequenzen und ausschließlich anhand von einzelnen Wörtern beziehungsweise Sätzen erfolgt, sondern wenn möglich in einen kommunikativen, textbasierten Fertigkeitsunterricht integriert wird. Im Sinne der Lernerorientierung ist eine solide phonetische Kompetenz unabdinglich für das Vorankommen in den mündlichen Fertigkeiten. Außerdem kann eine Einbettung der Aussprache in einen handlungsorientierten Unterricht die Motivation steigern und so den Lernerfolg verbessern. In diesem Abschnitt sollen deshalb einige Methoden für das Aussprachetraining vorgestellt werden, die sich vor allem auf das Hörverstehen, das Nachsprechen und Vorlesen sowie auf das freie Sprechen beziehen. Als Grundregel gilt, dass das Aussprachetraining bei der Hörschulung ansetzen muss. Nur was man hören kann, kann man auch reproduzieren. Auch ein Hörverstehen auf niedrigem Niveau ist nur möglich, wenn die Lerner über eine praktische phonetische Basiskompetenz verfügen, die lexikalische und grammatische Kompetenz reichen nicht aus, da Verstehen in der mündlichen Rezeption in erster Linie ein Perzepieren (Wahrnehmen) und Prozessieren (Verarbeiten) von Lauten und Melodien impliziert. An die Phase des globalen Hörverstehens, das darauf abzielt, die Hauptinformationen des Textes zu verstehen, können Sie ein phonetisches Hören (Dieling 1992: 34) anschließen. Beim phonetischen Hören richtet sich die Aufmerksamkeit des Perzipienten bewusst auf einzelne Lautmerkmale. Wählen Sie für dieses Hörtraining ein oder mehrere Phoneme, deren Aussprache Ihren Lernern Schwierigkeiten bereiten könnte. Bei chinesischen DaF-Lernern sind das zum Beispiel die Laute [l] und [r], die im Chinesischen keinen Phonemstatus besitzen, weshalb den Lernern die Unterscheidung in der Regel große Schwierigkeiten bereitet. Außerdem können Sie ein intonatorisches Hören (Dieling 1992: 34) durchführen. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit des Perzipienten bewusst auf einzelne prosodische Merkmale. Geben Sie Ihren Lernern einige Sätze oder Wortgruppen aus dem Hörtext vor und lassen Sie sie zum Beispiel die finale Tonhöhenbewegung ( ↗ , ↘ oder → ) oder den Äußerungsakzent bestimmen. Alternativ können Sie auch auf die Vorgabe verzichten und Ihre Lerner auffordern, zum Beispiel alle Komposita zu notieren und deren Wortakzent zu bestimmen. Beim phonetischen und intonatorischen Hören soll der Hörtext mehrmals ohne schriftliche Vorlage vorgespielt werden. <?page no="184"?> 184 5. Methodik Durch das gezielte phonetische Hörtraining und die Extraktion eines bestimmten Phänomens aus dem Hörtext können die Lerner unter anderem die Lautdiskriminierung üben. Auf diese Weise gewöhnt sich das Ohr zunehmend an die fremde Sprache, es kommt zu einer Automatisierung des Hörverstehensprozesses und so zu besseren Resultaten beim Hörverstehen. Dies passiert dann, wenn die Lerner zu einem phonematischen und intonematischen Hören in der Lage sind, das heißt, wenn das Diskriminieren und Identifizieren von Lauten als Phonemen beziehungsweise von rhythmischen und melodischen Konturen unbewusst, also auf der Basis von eingeprägten Mustern abläuft (Dieling 1992: 32). Vom Hörverstehen kann der Übergang zum Vorlesen (lautes Leseverstehen) und zum freien mündlichen Ausdruck erfolgen. Im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) gelten für die Aussprache auf den einzelnen Niveaustufen folgende Beschreibungen (gekürzt nach Europarat 2001: 117): Beherrschung der Aussprache und Intonation C2 Wie C1 C1 Kann die Intonation so variieren und so betonen, dass Bedeutungsnuancen zum Ausdruck kommen. B2 Hat eine klare, natürliche Aussprache und Intonation erworben. B1 Die Aussprache ist gut verständlich, auch wenn teilweise ein fremder Akzent und gelegentliche Aussprachefehler zu hören sind. A2 Die Aussprache ist im Allgemeinen klar genug, um trotz eines merklichen Akzents verstanden zu werden. A1 Die Aussprache eines sehr begrenzten Repertoires auswendig gelernter Wörter kann mit einiger Mühe von Muttersprachlern verstanden werden. Tabelle 5.2: Phonetische Kompetenz A1-C2, gekürzt nach GER (Europarat 2001: 117) Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, ist es nicht möglich, das Niveau B1 zu erreichen, ohne eine (relativ) gut verständliche Aussprache zu haben. Auf Niveau B2 muss die Aussprache dann schon klar und natürlich sein. Experiment Sie planen eine Unterrichtseinheit zum Thema Kunst und Ausstellungen. Nehmen Sie gemeinsam mit einer Kollegin oder einem Kollegen den untenstehenden Dialog („Die Ausstellung“) auf und achten Sie dabei auf ein möglichst emotives Sprechen, bei dem Akzente, Rhythmus und Melodie deutlich zum Vorschein kommen. Im Unterricht selbst führen Sie zuerst den notwendigen Wortschatz ein und beschreiben die Situation nach folgendem Muster: Ein Pärchen besucht das Museum für Moderne Kunst, sie ist ein Fan von modernen Bildern, ihm gefallen nur klassische Gemälde. Danach spielen Sie Ihren Kursteilnehmern und Kursteilnehmerinnen den untenstehenden Dialog vor und fordern sie dabei auf, die Akzente und Tonhöhenbewegungen zu markieren. Anschließend lassen Sie den Dialog in Partnerarbeit wiederholt sprechen, bis die Lerner ihn annähernd auswendig können. Dadurch prägen sie sich die rhythmischen Muster <?page no="185"?> 185 5.2 Aussprachetraining Der Vorteil dieses Experiments besteht darin, dass die Lerner Schritt für Schritt an die freie Produktion eines Dialogs herangeführt werden. In der Partnerarbeit sind auch schüchterne Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen relativ geschützt. Danach wird der Dialog im Plenum vorgespielt, die Lerner sollten den Text dabei annähernd auswendig können, wodurch keine Probleme bei der Wortfindung vorliegen. Erst im Anschluss daran sollen die Lerner in einem Rollenspiel, das sich thematisch stark an den ersten Teil der Aufgabe anlehnt, frei einen Dialog formulieren. Auch hier sind die Sozialformen entscheidend: Von der Partnerarbeit ins Plenum. Der Dialog sollte dabei nicht verschriftlicht, sondern gegebenenfalls zwei bis drei Mal in Paaren geprobt werden. Wenn Sie merken, dass Ihre Lerner beim lauten Vorlesen eines Textes Fehler auf segmentaler Ebene machen, könnte das darauf zurückzuführen sein, dass Ihre Lerner nicht wissen, welche graphischen Entsprechungen es für einen bestimmten Laut gibt. Diese Entsprechungen nennt man Phonem-Graphem-Korrespondenz (vergleiche Eisenberg 2009: 68). Grapheme sind die kleinsten segmentalen Einheiten des Schriftsystems, das heißt Einzelbuchstaben und Buchstabenverbindungen. Sie werden in spitze Klammern < > gesetzt. Kennen Ihre Lerner die zentralen Phonem-Graphem-Beziehungen, hilft ihnen das sowohl beim Vorlesen eines geschriebenen Wortes als auch bei der Rechtschreibung. Das Verhältnis von Laut und Buchstabe ist im Deutschen nicht eindeutig. Zum Beispiel ist es für Ihre Lerner nützlich zu wissen, dass die Phoneme / ʃ / , / ç/ und / x/ jeweils einer ein, und es kann sich eine unbewusste, automatische Verwendung einstellen. Danach sollen die Kursteilnehmer die Szene im Plenum vorspielen. Die Ausstellung A: Gefällt dir das Bild? B: Ich find’s toll. Ich mag die Bilder von Rauschenberg. A: Also, ich weiß nicht. Mir ist das Ganze zu modern. B: Meinst du die grellen Farben? A: Ja, auch. Ich würd mir das nie aufhängen. B: Du verstehst eben nichts von Kunst. (aus Missaglia 2011: 90) Tipp: Versuchen Sie bei der Fehlerkorrektur möglichst sanft vorzugehen, indem Sie das falsch ausgesprochene Wort beziehungsweise die Wortgruppe zuerst vorsprechen und dann von dem Lerner wiederholen lassen. Haben Lerner Schwierigkeiten mit dem Rhythmus oder mit dem Äußerungsakzent, lassen Sie sie zuerst nur ein Wort aussprechen und dann langsam die anderen Wörter hinzufügen („auffädeln“), zum Beispiel FARben, die grellen FARben, meinst du die grellen FARben? Anschließend führen Sie eine Aufgabe zum freien Sprechen durch. Bringen Sie dafür eine Kopiervorlage mit Abbildungen von Gemälden mit, die Sie an die Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen austeilen. Die Lerner sollen dann in Partnerarbeit einen Dialog im Museum inszenieren, in dem sie sich über die Gemälde unterhalten. <?page no="186"?> 186 5. Methodik Buchstabenverbindung entsprechen, und zwar <sch> beziehungsweise <ch>. Das Phonem / ʃ / kann vor <p> und <t> auch durch das Graphem <s> realisiert werden, zum Beispiel sparen, Student. Manchmal übergeneralisieren Lerner diese Regel auch auf Wörter wie gestern, in denen das <s> aufgrund der Silbengrenze nicht als / ʃ / , sondern als / s/ ausgesprochen wird (für eine ausführlichere didaktische Zusammenstellung der Phonem-Graphem-Beziehungen siehe Hirschfeld 2010: 195). Auch die prosodische Kompetenz spielt für das Vorlesen (und vermutlich auch für das leise Leseverstehen) eine wichtige Rolle. Dabei geht es darum, dass die Lerner einem Wort oder einer Wortfolge ein Lautbild oder eine bestimmte Intonationskontur und somit eine spezifische Bedeutung zuordnen können. Dies beginnt beim Erkennen der Silbenstruktur. Liest man in einem Text das Lexem Verbendung und spricht man es (mental) als *Ver-BEN-dung (nach dem Muster VerBINdung mit Derivationspräfix {ver-}) aus, wird man Schwierigkeiten haben, dem Lexem eine Bedeutung zuzuordnen. Erst wenn man es schafft, dem Lexem die richtige Wortbildungsstruktur und Prosodie zuzuordnen (VERB-end-ung), ist es möglich, die Bedeutung des Lexems zu entschlüsseln. Wie beim Hörverstehen spielt vermutlich auch beim Leseverstehen das Erkennen des Fokusakzents eine entscheidende Rolle bei der Textinterpretation. Beim Lesen ist es außerdem von großer Bedeutung, dass die Lerner in der Lage sind, mögliche melodische Grenzen (sowie Pausen) zu erkennen. Wie bereits erwähnt, erfüllt die Prosodie eine Gliederungsfunktion, die in schriftlichen Texten größtenteils von der Interpunktion übernommen wird. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Interpunktion alleine keine syntaktische Disambiguierung ermöglicht oder Interpunktionszeichen fehlen. So kann die Wortfolge Ich bin also denke ich entweder als Ich BIN → also DENke ich ↘ oder als Ich BIN also → DENke ich ↘ ausgesprochen werden. Neben der Arbeit an den phonetischen Einzellauten sollten Sie von Anfang an auch Übungen zum freien Sprechen anbieten. Neben den klassischen Rollenspielen in Partnerarbeit könnten Sie zum Beispiel auch eine Talkshow inszenieren lassen, um auf diese Weise eine Prosodieübung mit einer authentischen, handlungsorientierten Aufgabe zu verbinden. Haben Sie schon einmal daran gedacht, eine Ausspracheeinheit mit einer Aufgabe zur Dramapädagogik zu verbinden? Die Dramapädagogik im Fremdsprachenunterricht garantiert einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem die Sprache nicht nur über den Kopf, sondern auch über den Körper, die Stimme und die gesamte Sensomotorik aufgenommen wird (vergleiche die Einführung von Tselikas 1999). Eine dramapädagogische Sequenz erfolgt in drei Phasen: Aufwärmen, Hauptarbeit und Abschluss. Experiment Führen Sie mit Ihrer Lernergruppe (A1-A2) das folgende dramapädagogische Experiment durch. 1. Aufwärmen Die Gruppenmitglieder stehen im Kreis. Die Lehrperson klatscht mit den Händen in die Richtung der rechts von ihr stehenden Person und gibt sozusagen den „Klatsch“ an diese Person weiter. <?page no="187"?> 187 5.2 Aussprachetraining Der Vorteil des dramapädagogischen Ansatzes besteht vor allem darin, dass die Sprache nicht nur über den Kopf, sondern über den gesamten Körper wahrgenommen und verarbeitet wird. Diese Begegnung des Körpers mit der Sprache soll für die Lerner motivierend sein und dazu beitragen, dass die fremde Sprache ein wenig von ihrer Fremdheit verliert. 5.2.3 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben wir ▶ uns mit der Bedeutung prosodischer Phänomene (Wortakzent, Äußerungsakzent, Rhythmus, Intonation) für den DaF-Unterricht beschäftigt; ▶ die für die DaF-Lerner bedeutenden Merkmale der deutschen Vokale und Konsonanten beschrieben und gezeigt, worauf bei deren Vermittlung im Unterricht geachtet werden muss; Diese Person reicht den Klatsch ebenfalls weiter, bis dieser den Kreis gemacht hat. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Weitergabe flüssig erfolgt und dass durch die fließende Weitergabe ein Rhythmus entsteht. Im zweiten Durchgang kann statt dem Klatsch ein Laut im Kreis herumgegeben werden. Wählen Sie einen Laut, der Ihren Lernern Probleme bereitet, zum Beispiel das [h] - sagen Sie ha oder ho - oder die Umlaute [y: ] und [ø: ]. Die Lerner sollen dabei den Laut möglichst schnell aussprechen. 2. Hauptarbeit Die Hauptarbeit steht unter dem Motto „der sinnliche Zugang zu den Wörtern“. Die Gruppe geht im Raum herum, die Lehrperson geht mit und bewegt oder fasst einen Teil ihres Körpers an und benennt ihn, die Gruppe wiederholt die Bewegung und das Wort, zum Beispiel der Fuß, die Hand. Nach den Körperteilen können auch die Kleidungsstücke (eventuell kombiniert mit Farbadjektiven) geübt werden. Die Lehrperson zeigt auf ein Kleidungsstück, benennt es (zum Beispiel graue Schuhe), die Gruppe wiederholt die Wortgruppe. Die Wörter können auch in verschiedenen Stimmungen gesprochen werden, etwa lustig, traurig, verärgert, fragend, von Schmerz gequält. Danach finden sich jeweils zwei Personen zusammen, die versuchen, mithilfe der geübten Wörter und Wortgruppen einen Minidialog zu inszenieren. 3. Abschluss Die Lehrperson und die Lerner setzen sich bequem im Raum hin und schließen die Augen. Die Lehrperson klatscht oder klopft abwechselnd den Rhythmus (betonte und unbetonte Silben) eines zweisilbigen beziehungsweise drei- oder mehrsilbigen Wortes und nennt ein entsprechendes Wort dazu, das im Hauptteil geübt wurde (zum Beispiel Finger, Ringfinger, Winterstiefel). Der Rhythmus wird von der gesamten Gruppe geschlagen. Tipp: Auf den höheren Sprachniveaus können selbstverständlich längere Szenen gespielt werden. Zahlreiche weitere Anregungen für dramapädagogische Unterrichtssequenzen finden sich in Tselikas (1999). <?page no="188"?> 188 5. Methodik ▶ gezeigt, wie die Prinzipien der kognitiven Linguistik (Rolle der Bedeutung sprachlicher Strukturen, Kategorisierung sprachlicher Strukturen aus dem Input, körperliche Erfahrung, Handlungsorientierung) im Aussprachetraining umgesetzt werden können; ▶ konkrete Methoden für ein handlungsorientiertes Aussprachetraining vorgestellt, in dem die Ausspracheschulung mit dem Fertigkeitsunterricht verbunden wird (zum Beispiel das phonetische und intonatorische Hören sowie das freie Sprechen in Form von dramapädagogischen Unterrichtssequenzen). 5.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche zentralen Punkte sollten Sie als kompetente DaF-Lehrperson beim Aussprachetraining beachten? 2. Wie verhalten sich Derivate in Bezug auf den Wortakzent? 3. Was versteht man unter Fokus- oder Äußerungsakzent? Welchen Regeln folgt der Äußerungsakzent im Deutschen? 4. Welche Merkmale sind für die Vokale des Deutschen distinktiv? 5. Welche Aussprachetipps kennen Sie für den Diphthong <eu>/ <äu>? 6. Wie kann der Glottisschlag „angebildet“ werden? 7. Was bedeutet phonetisches Hören und intonatorisches Hören? 8. Warum sind die Phonem-Graphem-Entsprechungen für die Aussprache von Bedeutung? <?page no="189"?> 189 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation Karin Kleppin Feedback wird im Bereich des Fremdsprachenlernens und -lehrens zumeist in enger Verbindung zum korrektiven Feedback, also im weitesten Sinne zur Fehlerkorrektur, gesehen (vergleiche zum schriftlichen korrektiven Feedback unter anderem Bohnensteffen 2010; Busse 2015 und zum mündlichen korrektiven Feedback unter anderem Schoormann & Schlak 2012). Dabei stellt sich immer wieder auch die Frage nach der Nachhaltigkeit und Effektivität von Korrekturen und Korrekturverfahren. In dieser Lerneinheit geht es um korrektives Feedback vor dem Hintergrund der interaktionistischen dynamischen Evaluation. Das heißt nicht, dass grundsätzlich nur dementsprechende Feedbackverfahren empfohlen werden. Vielmehr soll dafür sensibilisiert werden, dass Lerner zusätzlich zur aktuell gezeigten Leistung häufig schon über ein Potential zur Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen verfügen. Es geht dann vor allem darum, gemeinsam mit Lernern in mündlicher und/ oder schriftlicher Interaktion dieses Potential auszuloten, für Lerner und Lehrer sichtbar und die entsprechenden Informationen für die nächsten Lehr-Lern-Schritte nutzbar zu machen (vergleiche Grotjahn & Kleppin 2017). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ einen Einblick in die interaktionistische dynamische Evaluation erhalten; ▶ einige Verfahren korrektiven Feedbacks vor dem Hintergrund der interaktionistischen dynamischen Evaluation kennenlernen; ▶ in der mündlichen und schriftlichen Interaktion mit Lernern die ihrem schon vorhandenen Potential entsprechenden Hilfestellungen einsetzen können; ▶ weitere zumeist interaktive Verfahren korrektiven Feedbacks kennlernen und diese dann auf Ihre Kontexte übertragen können. 5.3.1 Zur Bedeutung von Feedback beim Lernen und Lehren In den letzten Jahrzehnten hat man sich in der Sprachlern- und -lehrforschung insbesondere darauf konzentriert die Lerner und das Fremdsprachenlernen in den Blick zu nehmen. Dies war und ist notwendig, da man allzu lang glaubte, man müsse nur die effektivste Fremdsprachenvermittlungsmethode und das damit zusammenhängende Lehrerverhalten entdecken. Im Hinblick auf das Korrekturverhalten hatte dies entscheidende Auswirkungen. Mal ging man davon aus, dass Fehler im Laufe des Lernprozesses wie beim Erstspracherwerb von allein verschwänden (zum Beispiel beim natural appproach). Mal glaubte man, dass jeder Fehler von Vornherein durch permanente Rückmeldungen und Habitualisierung in entsprechenden Übungssequenzen zu vermeiden seien (zum Beispiel bei der audiolingualen <?page no="190"?> 190 5. Methodik Methode). Zu Zeiten kommunikativer Ansätze in den 80er Jahren und in der sogenannten kognitiven Wende sowie bei konstruktivistisch ausgerichteten Konzepten wurde Lehrkräften vor allem die Rolle von Beratern und Beraterinnen, facilitators oder Lernbegleitern und Lernbegleiterinnen zugesprochen (vergleiche Legutke & Thomas 1991: 286-288; Kleppin & Spänkuch 2014). Diese sollten Reflexionen über das eigene Lernen anstoßen, damit Lerner zu einer stärkeren Selbststeuerung, darüber auch zu einer höheren Selbstwirksamkeit und einer vermuteten Effektivität beim Lernen gelangen. Etwas in Vergessenheit gerieten dabei in der letzten Zeit die unterschiedlichen Facetten des Lehrverhaltens. Dies änderte sich, als unter anderem die auch in der Presse viel zitierte Metastudie von Hattie (2009) erschien, auf die in vielen Beiträgen zum Lehren und Lernen von Fremdsprachen Bezug genommen wird (vergleiche zum Beispiel Hohwiller 2016; Siebold 2014). Hier wurde dem Faktor Lehrperson ein entscheidender Anteil am Lernerfolg zugesprochen, was vor allem viele Lehrkräfte sowie Lerner sicherlich nicht sonderlich erstaunte. Einer der Hauptfaktoren betrifft das Feedback auf Lernverhalten und Lernerproduktionen, das den Lernerfolg entscheidend zu beeinflussen scheint. Feedback soll es Lernern ermöglichen, die Lücke zwischen der momentan gezeigten Leistung und der angezielten Kompetenz zu überwinden (vergleiche unter anderem Hattie & Timperley 2007; Hattie & Yates 2014; ). Folgende Fragen sind dabei von besonderer Bedeutung: Was ist das Ziel? Was ist der aktuelle Leistungsstand? Welche Fortschritte wurden gemacht? Was ist der nächste Schritt? 5.3.2 Interaktionistische dynamische Evaluation Die interaktionistische dynamische Evaluation (interactionist dynamic assessment, IDE) fokussiert den Lernprozess und dessen dynamische Entwicklung. Sie ist im Bereich der Fremdsprachenvermittlung vor allem durch die Publikationen von Lantolf und Poehner bekannt geworden (vergleiche zum Beispiel Lantolf & Poehner 2011 a, b; Poehner in Kunnan 2014). Die interaktionistische dynamische Evaluation basiert auf der soziokulturellen Theorie und dem lernpsychologischen Konzept des russischen Psychologen Vygotskij, der davon ausgeht, dass sich individuelle Kompetenzen vor allem in der sozialen Interaktion mit anderen und in einem bestimmten kulturellen Kontext entwickeln. Zentral ist die Vorstellung von einer individuellen Zone der proximalen Entwicklung (zone of proximal development, ZPD) eines Lerners. Die ZPD ist die Distanz zwischen dem aktuellen Entwicklungsstand eines Lerners und dem potentiell erreichbaren nächsten Entwicklungsstand. Den aktuellen Entwicklungsstand eines Lerners erkennt man daran, inwieweit er bestimmte sprachliche Aufgaben ohne Hilfe einer (kompetenteren) Person lösen kann. Die ZDP erkennt man daran, inwieweit Lerner in der Lage sind, eine Aufgabe, die sie ohne Hilfe nicht hinreichend lösen konnten, mithilfe einer zumeist kompetenteren Person zu lösen. Die kompetentere Person ist in der Regel die Lehrkraft, es können aber auch fortgeschrittene Peers, also Mitlerner sein, die als Mediatoren bezeichnet werden. Die Bearbeitung einer bestimmten Aufgabe mit einer geeigneten Mediation erlaubt eine Aussage über das Potential der Lerner zur Entwicklung weiterer Kompetenzen. Das Potential wird also darüber sichtbar gemacht, ob und inwieweit <?page no="191"?> 191 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation angebotene Hilfestellungen für die Lösung sprachlicher Aufgaben genutzt werden (Grotjahn & Kleppin 2015: 129f). Das kann ich (noch) nicht. Das kann ich mit Hilfe. Das kann ich ohne Hilfe. Zone der nächsten Entwicklung ZPD. Abbildung 5.16: Veranschaulichung der Zone der nächsten Entwicklung (Grotjahn & Kleppin 2015: 130) Wenn Sie der Lernerin nicht weiterhelfen würden, dann erhalten Sie als Lehrkraft zwar einen Einblick in den aktuellen Stand ihrer Entwicklung im Hinblick auf die Nutzung der entsprechenden Ausdrücke. Sie erkennen allerdings nicht, welches Potential die Lernerin schon mitbringt. Sie haben nur einen sehr kurzen Ausschnitt gehört und wissen nicht, was die Lernerin noch alles hätte mit ihrer kurzen Weiterhilfe über ihre Berufswünsche erzählen können. Ähnlich stellt sich die Situation dar, wenn eine Lehrkraft meint, dass bestimmte Fehler eigentlich vom Lerner selbst korrigiert werden könnten. Zumeist handelt es sich dann um Fehler, bei denen ein Lerner nur eine kleine Hilfe für die Selbstkorrektur benötigt, also eher um Performanzfehler (siehe in der Lerneinheit 4.1 in diesem Band). Wenn ein Lerner diese Experiment Stellen Sie sich folgende Situation vor: Eine Lernerin erzählt, welche Vorstellungen sie von ihrem zukünftigen Beruf hat. Eigentlich haben Sie im Unterricht die Ausdrücke ich würde gern ... und ich möchte gern ... schon eingeführt; und Sie merken, dass sie im Moment Schwierigkeiten mit diesen Ausdrücken hat. Sie strengt sich an und fängt an: „Ich interessiere mich für Tiere. Ich wurde ....“. Sie zögert und wirft der Lehrerin einen hilfesuchenden Blick zu. Dann bricht sie ihre Erzählung ab. Notieren Sie, wie Sie in einer solchen Situation reagieren könnten. Welche möglichen Hilfestellungen fallen Ihnen ein, damit die Lernerin mit ihrer Erzählung fortfahren kann? <?page no="192"?> 192 5. Methodik Hilfe erhält, dann kann er möglicherweise zeigen, was er potentiell schon kann. Hilfen können ein einfacher Hinweis sein, dass ein Fehler in einer Äußerung vorliegt oder auch eine etwas explizitere Hilfe, zum Beispiel wo der Fehler liegt, um welche Fehlerart es sich handelt etc. Bei solchen Hilfen ist es wichtig, sich als Lehrkraft in der Rolle der Mediatorin beziehungsweise des Mediators darum zu bemühen, dass die Lerner zunächst einmal mit möglichst wenig Hilfestellung von sich aus auf die Lösung kommen. Dabei sind die Hilfestellungen so zu gestalten, dass Lerner sie dann auch tatsächlich nutzen können. Zu den Mediationskompetenzen von Lehrkräften gehört vor allem die Fähigkeit zu erkennen, wann eine spezifische Technik wie zum Beispiel eine Hilfestellung sinnvoll ist oder wann sie einen Lerner nur verwirrt. Eine Mediation muss also gezielt erfolgen und die Lerner müssen sich aktiv daran beteiligen (vergleiche unter anderem Grotjahn 2015: 475-476; Poehner 2008: 58-59). Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Hilfestellungen bei der mündlichen und bei der schriftlichen Produktion vorgestellt werden. Wie Lerner auf solche Hilfestellungen reagieren, kann für die Diagnose des aktuellen Lernstandes und insbesondere des vorhandenen Potentials genutzt werden. Hilfestellungen und Diagnose bei der mündlichen Produktion: Zwei Unterrichtssequenzen Die folgenden beiden Beispiele sollen Hilfen von Lehrkräften aufzeigen, das heißt nicht, dass die Sequenzen in der vorliegenden Form nachahmenswert sind. Es geht hier nur um die Illsutration möglicher Hilfen. Unterrichtssituation: Eine Schülergruppe war auf einem Schüleraustausch und der Lehrer oder die Lehrerin bittet sie über ein Ereignis zu berichten, das den einzelnen Lernern besonders aufgefallen ist, etwas, das sie seltsam fanden oder Ähnliches. Der Lehrer oder die Lehrerin bittet die Lerner darauf zu achten, dass sie auch auf die Zeiten achten. Nach einer gemeinsamen Vorbereitungszeit melden sich einige Lerner. Beispiel 1: Julia: Ich habe in meine Familie gewesen und da hat mir die Mutter gefragt: Willst du eine Cola? Lehrer: Du hast in der Familie gewesen? Julia: Ah, ich bin in der Familie gewesen. Und ich will gern eine Cola, aber ich bin höflich und sage nein. Lehrer: Lehrer macht eine Geste, bei der die Hand nach hinten deutet. Diese Geste wurde mit den Lernern als Geste abgesprochen, die die Nutzung von Vergangenheitstempora hervorrufen soll. Julia: Ich möchte eine Cola (Zögern und fragender Blick von Julia) <?page no="193"?> 193 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation Experiment Welcher der beiden Lerner ist im Hinblick auf die Vergangenheitsformen schon etwas weiter im Lernprozess? Entscheiden Sie und begründen Sie Ihre Meinung. Die Lehrkraft könnte die Beispiele dahingehend interpretieren, dass Julia schon ein wenig weiter im Hinblick auf die Vergangenheitsformen ist. Sie kann die Hilfen des Lehrers direkt verwerten und sich selbst korrigieren. Es könnte sich bei ihr also bei einigen falschen Formen um Performanzfehler handeln, die dadurch charakterisiert sind, dass der Verursacher sie selbst korrigieren kann, das heißt der Lerner verfügt eigentlich schon über das Wissen zu der Struktur, der korrekte Gebrauch ist allerdings noch nicht gefestigt. Oleg hingegen kann sich zwar daran erinnern, was in der vorangehenden Unterrichtsstunde besprochen wurde, hat das grammatikalische Phänomen aber wahrscheinlich noch nicht richtig verstanden. Er braucht für die korrekte Äußerung eine explizite Hilfe in Form einer Vorgabe der korrekten sprachlichen Realisierung. Es handelt sich bei ihm also wahrscheinlich um einen Kompetenzfehler, den er ohne explizite Hilfe gar nicht korrigieren kann. Lehrer: das ist auch keine Vergangenheitsform, ich wo.... Julia: Ah ja, ich wollte eine Cola. Und ich habe gesagt: Nein danke. Und die Mutter hat mir nicht die Cola gegebt. Lehrer: Fast, aber kennst du das Partizip von geben? Julia: gegeben. (Lehrer zeigt mit dem Daumen lobend nach oben). Und ich war sehr enttäuscht. Beispiel 2: Lehrer: Wie war das bei dir in der Familie, Oleg? Oleg: In Deutschland ich muss immer ja sagen, wenn fragen. Lehrer: Hast du denn immer ja gesagt? Oleg: Ich sage ja, wenn Mutter fragt: trinken? Lehrer: Was hat die Mutter denn gefragt? Oleg: Mutter fragt .... Lehrer: (macht auch bei Oleg eine rückwärtszeigende Geste) Oleg: Mutter hat fragen Lehrer: (aufmunternde Geste) fragen? Oleg: ja Lehrer: Die Mutter hat gefragt Oleg: (erinnert sich) ah ja, haben wir gestern gelernt. <?page no="194"?> 194 5. Methodik Formen von Hilfestellungen bei der mündlichen Produktion Im Folgenden werden unterschiedliche Hilfestellungen bei der mündlichen Produktion dargestellt und mit jeweils einem konkreten Beispiel belegt. Häufig werden die jeweiligen Techniken miteinander verzahnt und/ oder sie bauen aufeinander auf. Beim interaktionistischen dynamischen Evaluieren kommt es darauf an, dass man zunächst mit einer eher impliziten Hilfe beginnt, wie zum Beispiel einen Verweis darauf, dass ein Fehler gemacht wurde. Kann der Lerner schon auf eine implizite Hilfe reagieren, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er sich in der Zone der nächsten Entwicklung (ZPD) schon näher an dem zu erreichenden nächsten Entwicklungsstand im Hinblick auf das entsprechende sprachliche Phänomen befindet. Müssen explizitere Hilfen gewählt werden, dann ist er weiter davon entfernt. Wenn Lerner Hilfen verarbeiten und sich selbst korrigieren, dann werden sie möglicherweise von sich aus Stolz darüber empfinden. Ein spezifisches Lob von der Lehrkraft kann diesen Prozess noch verstärken. Beispiele von Hilfen und Konkretisierungen Hilfen zur Unterstützung von Selbstkorrektur Beispiele und Konkretisierungen nonverbal signalisieren, dass ein Fehler aufgetreten ist ▶ lustiges Verdrehen der Augen, Runzeln der Stirn verbal signalisieren, dass ein Fehler aufgetreten ist ▶ Vorsicht! ▶ Wirklich? ▶ an die Lerngruppe gerichtet: Sind alle damit einverstanden? den Fehlerort kennzeichnen ▶ Wiederholung des Fehlers, eventuell mit besonderer Betonung ▶ Wiederholung der Lerneräußerung und Abbruch direkt vor dem aufgetretenen Fehler nonverbal eine Hilfe zur Selbstkorrektur signalisieren ▶ notwendige Umstellung im Satz durch Gestik anzeigen ▶ Vergangenheitsformen durch Geste nach hinten hin anzeigen ▶ Intonationsverlauf durch Geste verdeutlichen ▶ Betonung durch Schlagbewegung verdeutlichen ▶ Länge von Vokalen durch Geste (zum Beispiel durch Handbewegungen) signalisieren die Art des Fehlers kennzeichnen (zum Beispiel über einen metasprachlichen Hinweis) ▶ Wie ist das mit den Wechselpräpositionen? ▶ Gut, aber achte doch auch auf die Endung! auf mögliche Fehlerursachen hinweisen, wie zum Beispiel: grammatikalischer oder lexikalischer Transfer (Übertragung) aus der Erstsprache oder anderen Sprachen (Interferenz) ▶ Wird das eigentlich im Deutschen genauso konstruiert wie in deiner Sprache? soziokultureller bzw. pragmatischer Transfer ▶ Das ist zwar grammatikalisch völlig korrekt, wirkt aber im Deutschen unhöflich. Übertragung innerhalb des Deutschen, wo dies unzulässig ist (Übergeneralisierung) ▶ Das ist ein sehr kluger Fehler; aber leider ist die deutsche Sprache hier unregelmäßig / unlogisch. <?page no="195"?> 195 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation Einfluss des vorangegangenen Unterrichts (zum Beispiel Übungstransfer) ▶ Vorsicht! Du erinnerst dich zwar sehr gut an das, was wir gestern gemacht haben; aber die gestern gelernte Regel gilt hier nicht. Einfluss persönlicher Störfaktoren (zum Beispiel Unkonzentriertheit, Gedächtnisprobleme) ▶ Überleg noch einmal! Das hast du doch auch schon richtig gemacht. Kannst du dich daran erinnern? auf inhaltliche, pragmatische oder logische Zusammenhänge verweisen ▶ Du benutzt hier den einfachen Imperativ. Im Deutschen müssen wir das ein wenig höflicher ausdrücken. ▶ Schau mal, das Ganze ist doch schon gestern passiert. Versuch es doch mal mit einer anderen Zeitform. auf individuelle oder auch gruppenspezifische typische Fehler verweisen ▶ Was ist nochmal dein Lieblingsfehler? ▶ Erinnerst du dich daran, was die ganze Gruppe besonders gern falsch macht? daran erinnern, dass man sich schon einmal mit dem sprachlichen Phänomen beschäftigt hat ▶ Erinnerst du dich daran, was wir gestern geübt haben? Lösungsoptionen vorstellen und zur Auswahl der korrekten Lösung auffordern ▶ Was meinst du, ist richtig? Äußerung A oder Äußerung B? Tabelle 5.3: Beispiele von Hilfen und Konkretisierungen (kursiv gesetzt) in der mündlichen Produktion (leicht verändert aus Grotjahn & Kleppin 2015: 134). Wenn Lerner auf Hilfen, die die Lehrkraft anbietet, kaum oder gar nicht reagieren, dann kann dies unterschiedlich interpretiert werden: ▶ Man hat nach der Hilfe zu kurz gewartet, ob diese verarbeitet werden konnte, was dann dazu führen kann, dass die Lehrkraft das Potential eines Lerners falsch einschätzt. ▶ Die Mediation ist nicht an den Entwicklungs- und Kenntnisstand des Lerners angepasst. Möglicherweise war die Hilfe nicht explizit oder nicht klar genug, oder der Lerner ist kognitiv überfordert. ▶ Die Mediation entspricht zwar dem vermuteten Entwicklungs- und Kenntnisstand. Eigentlich müsste der Lerner positiv auf die Hilfe ansprechen, es existieren aber andere Störfaktoren, wie zum Beispiel Müdigkeit, fehlende Motivation, Angst, einen neuen Fehler zu machen. Diese Störfaktoren hindern die Lerner, ihr „wahres“ Potential zu zeigen. Die Lehrkraft sollte also in jedem Fall den Lernern genügend Zeit geben, auf Hilfen zu reagieren oder um Hilfen zu bitten. Da Selbstkorrekturversuche von Lernern längere Aushandlungsprozesse nach sich ziehen können, könnten andere Lerner die Konzentration verlieren und/ oder die Gruppendynamik könnte darunter leiden, da man sich als Lehrkraft so lange mit einem einzelnen Lerner beschäftigt. Es bleibt also möglichst sicherzustellen, dass andere, am Mediationsprozess nicht unmittelbar beteiligte Lerner, den Mediationsprozess beobachten und ihn auf sich selbst beziehen. Inwieweit dies in der Unterrichtsrealität tatsächlich der Fall ist, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu gehört unter anderem, dass der Inhalt der Mediation für die Lerner relevant ist. Fordert die Lehrkraft einen Lerner zur Selbstkorrektur auf, ist es zudem unumgänglich, dass Fehler von den Lernern in erster Linie als Lernanlass und not- <?page no="196"?> 196 5. Methodik wendige Bedingung für die Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen angesehen werden und nicht als Problem. Trotz dieser Argumente für das Verfahren, bleibt es abzuwägen, wie häufig man solche Hilfen zur Selbstkorrektur einsetzt. Wenn eine Lehrkraft bemerkt, dass Lerner auf Hilfen nicht ansprechen, dann sollte sie den Mediationsprozess verkürzen und zum Beispiel die entsprechende Korrektur direkt geben. Andere Formen der Fehlerkorrektur sollten also keinesfalls ausgeschlossen werden. Ein möglichst vielfältig ausdifferenziertes Korrekturverhalten entspricht eher den zumeist sehr unterschiedlichen Vorlieben von Lernern, selbst wenn aus folgenden Gründen vor allem der Einsatz nonverbaler Hilfen besonders effektiv sein kann (Kleppin 2010c: 1067); denn sie ▶ sind kürzer als verbale Hilfen und damit zeitökonomischer, ▶ sind besonders einprägsam und als Signal zur Steuerung der Aufmerksamkeit hervorragend geeignet, ▶ können parallel zu den Äußerungen der Lerner erfolgen und beeinflussen dann nicht so stark die Unterrichtsinteraktion wie verbale Hilfen, ▶ sind flexibel und lernerorientiert einsetzbar (zum Beispiel gemeinsames Erfinden nonverbaler Signale in der Gruppe), ▶ können zu einer günstigen Gruppenatmosphäre beitragen (zum Beispiel humorvolle nonverbale Hilfen). Hilfestellungen und Diagnose bei der schriftlichen Produktion: Zwei Beispiele Auch wenn Hilfestellungen vor allem für die mündliche Produktion formuliert wurden, da sie in einer Interaktion zwischen Lernern und Lehrkräften, den Mediatoren, konkretisiert werden können und darüber hinaus direkt beobachtbar sind, lässt sich das Konzept auch bei der schriftlichen Produktion sinnvoll einsetzen (vergleiche Grotjahn & Kleppin 2017; Grotjahn & Kleppin 2015: 137). Hierzu werden zwei Beispiele zur Illustration aufgeführt: Beispiel 1: In einer Lerngruppe wurde eine offene Schreibaufgabe gestellt (zum Beispiel Bewerbung für einen Praktikumsplatz). Der Lehrer oder die Lehrerin schaut sich die Arbeiten an, um einen ersten Eindruck von den Leistungen der Lerner zu erhalten. Er möchte nun durch schriftliche Hilfestellungen die Lerner dazu bringen, dass diese ihre Produktionen noch einmal anschauen und sie eventuell korrigieren. Hierfür schreibt der Lehrer oder die Lehrerin einige Hilfen zur Unterstützung entweder direkt in die Arbeit hinein (zum Beispiel eine einfache Fehlermarkierung) oder als Anmerkung unter die Arbeit (zum Beispiel weitere Hinweise). Die kommentierte schriftliche Produktion kann dann zur Überarbeitung durch den Lerner genutzt werden. Dabei wird dann bewertet, inwiefern der Lerner die gegebenen Hilfen nutzen konnte, wie weit er also sein Potential zeigen konnte. <?page no="197"?> 197 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation Formen von Hilfestellungen bei schriftlichen Produktionen Beim Einsatz von (individualisierten) Hilfestellungen zu schriftlichen Lernerproduktionen muss man sich sicherlich fragen, welchen Nutzen sie für die Lerner im Hinblick auf Merkmale der Lerner und die angezielten Ziele haben und ob die Lerner sie (kognitiv) verarbeiten können. So wäre es zum Beispiel für einen Integrationskurs mit eher lernunerfahrenen Lernern unsinnig, mit metasprachlicher Hilfe zu arbeiten, die sie wahrscheinlich nicht einordnen können. Auch für Lerner, die vor allem das Deutsche im Hinblick auf eine Tätigkeit als Ingenieurin oder Arzt erwerben, werden metasprachliche Hilfen kaum zielführend sein. Hingegen sind diese Hilfen für Germanistik- oder DaF-Studenten eher geeignet. Einige Verfahren müssen sicherlich mit Lernern geübt werden; denn es ist nicht selbstverständlich, dass sie zum Beispiel direkt vom Erkennen einer bestimmten Fehlerursache zu einer Selbstkorrektur kommen. Man sollte, wenn ein solches differenziertes Verfahren genutzt wird, die Lerner selbst befragen, wie sie damit zurechtkommen. Sie müssen genau abgesprochen und es muss geklärt werden, dass sie den Lernern eine zusätzliche Chance bieten. Die Hilfen sind wiederum von impliziten Hilfen hin zu immer expliziteren Hilfen angeordnet. Darüber hinaus sind kommentierte zusammengestellte Passagen aus schriftlichen Lernerproduktionen auch für eine gemeinsame Selbstkorrekturarbeit in Kleingruppen möglich. Bewertet wird dann zum Beispiel eine erfolgreiche Kooperation. Man würde also ein zusätzliches Bewertungskriterium (erfolgreiche Überarbeitung) mit in die Beurteilung einbeziehen. Lernen und Evaluieren gehen hier also Hand-in-Hand. Möglich ist dies zumindest von Zeit zu Zeit. Beispiel 2: In diesem Beispiel wird ein, im Gegensatz zu den individualisierten Verfahren, stärker gruppenorientiertes Verfahren vorgestellt. Der Lehrer oder die Lehrerin gibt Kleingruppen eine gemeinsame schriftliche Aufgabe (zum Beispiel das Schreiben einer Biographie). Die jeweilige Gruppe erstellt zunächst den Text. Dabei kommt es bereits zu Aushandlungsprozessen, durch die der Lehrer als Beobachter Hinweise sowohl zum aktuellen Entwicklungsstand als auch zum Potential der einzelnen Gruppenmitglieder erhält. Die Gruppe überprüft dann gemeinsam den Text und notiert sich, was sie die Lehrkraft noch fragen möchte, das heißt wozu sie noch Hilfestellungen braucht. Da diese Fragen das Produkt von Aushandlungsprozessen in der Gruppe sind, erlauben sie in erster Linie Rückschlüsse in Bezug auf den Stand und das Potential der jeweiligen Gruppe. Diese Erkenntnisse können dann für den weiteren Unterricht genutzt werden (Grotjahn & Kleppin 2015: 138). <?page no="198"?> 198 5. Methodik Hilfen zur Unterstützung einer Überarbeitung Beispiele für Typen und Konkretisierungen Nur die Anzahl von Fehlern in bestimmten Passagen angeben 7 Fehler kennzeichnen bzw. unterstreichen Nur die Fehler kennzeichnen, bei denen eine Selbstkorrektur zu vermuten ist, die zum Beispiel den Fokus der Arbeit betreffen. Fehlertypen kennzeichnen ▶ Farblich typisieren, zum Beispiel inhaltliche Fehler rot, grammatische Fehler grün ▶ Metasprachlich typisieren, zum Beispiel GR für Grammatik ▶ Einfache Signalwörter wie „Vergangenheit“ Am Ende der Arbeit Hinweise auf häufige oder Lieblingsfehler geben ▶ Hast du auf die Endungen geachtet? ▶ Schau dir nochmal an, ob du gut gegliedert hast. ▶ Vergangenheit! Auf mögliche Fehlerursachen hinweisen, wie zum Beispiel: Arbeiten mit Signalwörtern, die bekannt und mit den Lernern abgesprochen sein müssen: grammatikalischer oder lexikalischer Transfer (Übertragung) aus der Erstsprache oder anderen Sprachen (Interferenz) Welche Sprache? soziokultureller bzw. pragmatischer Transfer Höflich? Übertragung innerhalb des Deutschen, wo dies unzulässig ist (Übergeneralisierung) Regelmäßig oder unregelmäßig? Einfluss persönlicher Störfaktoren (zum Beispiel Unkonzentriertheit, Gedächtnisprobleme) Müde? Auf inhaltliche, pragmatische oder logische Zusammenhänge verweisen Logik? Tempus? Auf individuelle oder auch gruppenspezifische typische Fehler verweisen Lieblingsfehler? Daran erinnern, dass man sich schon einmal mit dem sprachlichen Phänomen im Unterricht beschäftigt hat Denk an die letzte Stunde! Tabelle 5.4: Beispiele von Hilfen und Konkretisierungen (kursiv gesetzt) in der schriftlichen Produktion (für DaF adaptiert aus Grotjahn & Kleppin 2017: 269). Dokumentation des Lernfortschritts: Ein Beispiel Will man Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation zur Dokumentation des Lernfortschritts nutzen, zum Beispiel im Hinblick darauf, wie die Lerner ein sprachliches Phänomen erwerben und verarbeiten, dann könnte man in bestimmten zeitlichen Abständen die Beobachtungen zu einzelnen Lernern auf einem vorbereiteten Formular eintragen. Ein Beispiel zum Gebrauch des Perfekts in mündlichen und schriftlichen Erzählungen soll eine solche Dokumentation verdeutlichen: <?page no="199"?> 199 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation Dokumentation zu Oleg Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2 Zeitpunkt 3 O. nutzt keine Vergangenheitsformen. Er kann Hilfen hierzu nicht verarbeiten O. kann sich unter Einsatz expliziter Hilfen (zum Beispiel Hilfen bei der Formulierung) selbst korrigieren und nutzt dann im weiteren Verlauf schon selbständig einige Vergangenheitsformen. O. kann sich unter Einsatz von impliziten Hilfen selbst korrigieren (zum Beispiel nonverbale Gesten) Natürlich können solche Notizen nicht durchgängig für alle Lerner einer Gruppe angefertigt werden. Man kann allerdings von Zeit zu Zeit einige Lerner herausgreifen, die ein bestimmtes typisches Verhalten zeigen. Die erhobenen Informationen kann man in zweierlei Hinsicht nutzen, für die Planung des Unterrichts und für die Sichtbarmachung von Lernfortschritten. Diese sollten den Lernern in jedem Fall rückgemeldet werden. 5.3.3 Formen von Rückmeldungen zu Stärken und Schwächen von Lernern In den folgenden Abschnitten geht es weiterhin um ein Feedback, in dem den Lernern Hilfen zur Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen angeboten werden, es handelt sich dabei allerdings nicht mehr um Verfahren der dynamischen interaktionistischen Evaluation. Allerdings sind auch die folgenden Verfahren stark lernerorientiert. Vor allem sollen damit individualisierte Hinweise verbunden werden. In diesem Abschnitt geht es um eine diagnostische Funktion von Feedback, das sich sowohl auf das Aufdecken einzelner Phänomene innerhalb von mündlichen oder schriftlichen Produktionen als auch auf das gesamte Produkt beziehen kann. Wenn es um eine Gesamtdiagnose geht, dann kann ein verbaler Kommentar verfasst werden, der sich im Wesentlichen auf die Lösung einer Aufgabe bezieht, dabei aber durchaus auch strategische Kompetenzen einbeziehen kann. Beispiel 1 zu einer mündlichen Interaktion zwischen Lernern: Ihr habt vor allem darauf geachtet, so wenig wie möglich Fehler zu machen. Dabei habt ihr aber wenig aufeinander Bezug genommen. Achtet demnächst darauf, dass ihr auf die Fragen des Anderen stärker eingeht. Beispiel 2 zu einer schriftlichen Produktion: Die Aufgabe hast du inhaltlich vollständig gelöst. Du hast alle Punkte bearbeitet. Die Punkte stehen noch etwas unverbunden nebeneinander. Achte demnächst mehr auf die Vergangenheitsformen. <?page no="200"?> 200 5. Methodik Wenn einzelne Teile oder Phänomene fokussiert werden, dann geht es im Hinblick auf das Aufdecken von Stärken vor allem um eine sogenannte Positivkorrektur, bei der die Lehrkraft zum Beispiel am Rand einer schriftlichen Arbeit besonders gelungene sprachliche oder inhaltliche Realisierungen hervorhebt. Ökonomisch ist es wohl, hierfür besondere Zeichen oder Emojis zu benutzen, wie etwa Smilies. Bei dem Auftreten von Schwächen existieren unterschiedliche Verfahren, wie etwa Fehlermarkierungen, metasprachliche Fehlerbenennungen (Gr für Grammatikfehler etc.). Auch hier sind - allerdings nach Absprache mit den Lernern - Emojis möglich. Damit die Lerner sich mit ihren Schwächen auseinandersetzen, ist ein konstruktives Feedback von besonderer Bedeutung. Häufig macht man sich nicht bewusst, was ein destruktives Feedback von einem konstruktiven Feedback unterscheidet. Die folgende Tabelle zeigt einige Beispiele, die den Unterschied zwischen eher destruktivem und konstruktivem Feedback verdeutlichen sollen: Für das Feedback auf eine mündliche Lernerproduktion: Destruktives Feedback Konstruktives Feedback Dir konnte man kaum folgen. Versuche deinen Vortrag etwas klarer zu gliedern, zum Beispiel indem du ... Man konnte dich kaum verstehen Versuche etwas lauter und deutlicher zu sprechen. Du hast besonders viele Fehler im Bereich … Achte das nächste Mal besonders auf ... Du bist überhaupt nicht auf deinen Partner/ deine Partnerin eingegangen Versuche, mehr auf die Fragen deines Partners/ deiner Partnerin zu reagieren. Für das Feedback auf eine schriftliche Lernerproduktion: Destruktives Feedback Konstruktives Feedback Es gibt in deinem Text keine Struktur. Du könntest dich auf das Wesentliche konzentrieren und die Punkte bearbeiten und klar voneinander abgrenzen, die in der Aufgabenstellung verlangt werden. Schlecht war … Du hättest ... besser machen können. Du hast in deinem Text viele Fehler im Bereich … Achte das nächste Mal besonders auf ... Das müsstest du wissen. Das kannst du eigentlich schon. Du hast die Aufgabenstellung nicht bearbeitet. Lies beim nächsten Mal genau die Aufgabenstellung durch. Du hast nur einfache Hauptsätze aneinandergereiht. Ruhig etwas mehr Mut bei komplexen Strukturen! Das zählt auch. Tabelle 5.5: Beispiele zur Unterscheidung von destruktivem und konstruktivem Feedback Beispiel 3 unter Einbezug strategischer und Textkompetenzen bei einer schriftlichen Textproduktion: Du hast vier von fünf geforderten Punkten bearbeitet und diese sehr ausführlich behandelt. Die Punkte hast du sehr gut aufeinander bezogen und den Text gegliedert. Dafür erhältst du in diesem Bereich eine besonders hohe Punktzahl. Abzüge gibt es bei der Beachtung der Aufgabenstellung. <?page no="201"?> Natürlich können die Schülerinnen und Schüler, wenn sie die Atmosphäre in der Gruppe insgesamt als eher konstruktiv wahrnehmen, auch mit klaren Benennungen von (sprachlichen) Fehlern umgehen. Es sollte allerdings ein ermutigender Grundtenor damit verbunden werden. Auch bei schriftlichen Produktionen können Aussagen zwar als schriftliches Feedback gegeben werden, aber auch nachträgliches individuelles mündliches Feedback auf die schriftlichen Lernerproduktionen kann Lerner ermutigen, sich mit ihren Produktionen auseinanderzusetzen. Auch kollektives Feedback wird in der Regel schon in der Praxis häufig genutzt wie etwa in mündlicher Form: Ihr habt dieses Mal schon viel strukturierter gearbeitet. Prinzipiell kann mündliches Feedback auf schriftliche Produktionen eher interaktiv gegeben werden als schriftliches Feedback. Das heißt, es können im Anschluss an dieses Feedback Korrekturvorschläge zum Beispiel durchaus auch in Partnerarbeit erarbeitet und diese dann in der Großgruppe weiterverarbeitet werden. 5.3.4 Lob, Hervorheben von Fortschritten Über die oben schon genannte Beschreibung von Stärken hinaus werden zusätzlich Aspekte herausgestellt, die in der vorliegenden Lernproduktion (schriftlich oder auch mündlich) im Gegensatz zu früheren Produktionen schon besser gemeistert wurden. Damit dies für Lehrkräfte realisierbar wird, reicht es, nur einen Aspekt lobend hervorzuheben. Damit verbunden ist vor allem auch eine motivierende Funktion. Selbst ein kleines Erfolgserlebnis kann zu weiterer Anstrengung motivieren. Denn es gilt nicht nur, dass eine höhere Motivation zu mehr Erfolg führt, sondern umgekehrt, dass Erfolg auch die Motivation positiv beeinflusst. Lob und das Hervorheben von Fortschritten kann sich auf die von Hattie und Timperley (2007) genannten Faktoren Aufgabe, Lernprozess und Selbstregulation beziehen: Beispielkommentar im Hinblick auf eine schriftliche Aufgabe: Dieses Mal hast du bei dem Text darauf geachtet, ihn nachvollziehbar aufzubauen. Beispielkommentar im Hinblick auf den Lernprozess: Du hast jetzt viel dazugelernt, vor allem hast du auch die Konditionalsätze in vielen Fällen richtig verwendet. Beispielkommentar im Hinblick auf eine Selbstregulierung: Dieses Mal hast du deine Zeit geschickt eingeteilt. Beispielkommentar zu persönlichen Merkmalen eines Lerners, der eine Schreibaufgabe bearbeitet hat: Ich habe gemerkt, dass du dir dieses Mal sehr viel Mühe bei der Überarbeitung gegeben hast. Sinnvoll ist es, ein ausgefülltes Kriterienraster mit einem Hinweis zu einem Fortschritt auf einem Teilbereich zu kombinieren. Eine alleinige Hervorhebung eines Fortschritts würde zu wenig an relevanten Informationen vermitteln. Ein solches Vorgehen ist zeitökonomisch, da <?page no="202"?> 202 5. Methodik das Raster nur durch einen weiteren individuell ausgerichteten Kommentar ergänzt werden muss. Dies muss auch nicht für alle Lerner gleichermaßen geschehen, da es sonst als Routine möglicherweise nicht mehr entsprechend wahrgenommen wird. Der Lernfortschritt kann letztendlich bei selbsterstellten Prüfungen (natürlich nicht bei standardisierten Prüfungen) als ein eigenes Bewertungskriterium mit angeführt werden, das heißt, dass jeder Lerner Punkte im Hinblick auf die eigenen Lernfortschritte erhält, auch wenn dies sicherlich als ein eher subjektives Bewertungskriterium zu betrachten ist. Hierbei ist der Motivationsfaktor leitend. Die folgenden Abschnitte zeigen weitere Möglichkeiten und Bereiche des Feedbacks auf und wurden leicht verändert entnommen aus Grotjahn & Kleppin 2017: 272-280. 5.3.5 Zusätzliche Hilfen zum Weiterlernen Weitere Hilfen und eventuelle Tipps können mit dem korrektiven Feedback verbunden werden beziehungsweise gehen in die weitere Unterrichtsplanung ein. Neben der üblichen Wiederholung von Bereichen, mit denen die Lerner noch Probleme haben, können spezifische Aufgaben zum Umgang mit Fehlern (im Folgenden kurz Fehlerbewusstmachungsaufgaben genannt) gegeben werden, die hier nur als eine Möglichkeit unter vielen anderen dargestellt werden. Solche Aufgaben sollen ein selbstbewusstes Umgehen mit Fehlern anregen und damit die Lerner motivieren, sich mit den Fehlern auseinanderzusetzen (vergleiche zum Beispiel Kleppin & Mehlhorn 2008). Einerseits dienen sie also dazu, Lerner bei der Weiterentwicklung des Bereichs Korrektheit bei ihren Produktionen zu unterstützen. Andererseits können sie auch für die Weiterentwicklung der Teilkompetenz Sprach- und Sprachlernbewusstheit genutzt werden: Die Lerner erhalten fehlerhafte Textpassagen, bei denen sie in Partnerarbeit zum Beispiel ▶ die Fehler detektivisch entdecken und eventuell schon korrigieren, Beispiel: In der Aufgabe sollte auf eine Einladungsmail zum Geburtstag von Jörg geantwortet werden. Die Lerner sollten sich entschuldigen, dass sie die Einladung nicht annehmen können. Bewertungskriterium Punkte 1-5 Kommentar Beachtung der Aufgabenstellung Aufbau und Struktur Sprachliche Angemessenheit Eine so nette Entschuldigung wird Jörg sicher akzeptieren. 😃 ... <?page no="203"?> 203 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation ▶ interessante mögliche Fehlerursachen entdecken und kategorisieren. Dabei kann zum Beispiel auch überlegt werden, ob man selbst solche Fehler schon begangen hat, ▶ herausfinden sollen, wo sich im Deutschen für DaF-Lerner besondere Schwierigkeiten ergeben. ▶ ihre typischen und häufig vorkommenden Fehler gemeinsam oder auch individuell sammeln (zum Beispiel in Form einer Fehlerstatistik). Dabei sollte möglichst auf nur einige Fehler (zum Beispiel in Form von Lieblingsfehlern) fokussiert werden, damit die Lerner nicht durch Überforderung den Spaß an der Statistik verlieren. Außerdem ist durch die Fokussierung auf nur wenige Fehlertypen die Aufmerksamkeit dementsprechend gelenkt, sodass sie eher abgeschafft werden können. Individuelle Lieblingsfehler werden natürlich im Laufe des Lernprozesses stark variieren. Meine Lieblingsfehler Hier habe ich mich nur vertan und kann mich selbst korrigieren Hier habe ich nochmal genau die Regel recherchieren müssen Den Fehler will ich unbedingt demnächst vermeiden Korrekte Form Ich gebrauche ‚wenn’, wenn ich eigentlich ‚als’ verwenden müsste (durchaus auch als muttersprachliche Beschreibung notiert) X Als ich gestern in die Schule gekommen bin, waren alle aufgeregt. Ich sage immer: Ich habe ihm gefragt; ich habe ihr gefragt. X Ich habe ihn gefragt, ich habe sie gefragt 5.3.6 Feedback bei Selbst- und Peer-Evaluation Eine einfache Möglichkeit, Lerner zu einer Selbstevaluation ihrer Texte anzuregen besteht darin, sie durch ein Formular zu lenken, das sie nach der Erstellung einer Schreibaufgabe ausfüllen. Ein Beispiel: Mein Vorgehen beim Schreiben: Besonders geachtet habe ich dieses Mal auf _____ Schwierigkeiten hat mir noch bereitet _______ Zu meiner Leistung: Besonders stolz bin ich auf __________ Noch nicht so gut gelungen ist mir _________ Eine Rückmeldung hätte ich gern zu ___________ <?page no="204"?> 204 5. Methodik Lerner werden nicht ohne eine Vorbereitung und ohne Einsicht in den Sinn einer solchen Selbstevaluation mit diesem oder einem ähnlichen Instrument umgehen können. Es sind also vorbereitende Gruppengespräche und Aufgaben notwendig, in denen sie Hinweise erarbeiten, worauf sie achten können. Die unter 5.3.5 dargestellten Fehlerbewusstmachungsaufgaben bieten eine Grundlage. Es ist wahrscheinlich sinnvoll, diese Aufgaben mit einem den Lernern besser zugänglichen Terminus zu kennzeichnen (zum Beispiel Fehlerdetektivaufgaben, Fehlerrateaufgaben). Lerner erwarten auf solche Selbstevaluationen ein Feedback und sollten es auch einfordern. Die angesprochenen Bereiche können gesammelt, in Kleingruppen vorbesprochen und die offenen Fragen dann in der Klasse geklärt werden. Darüber hinaus können auch hier Zusatzpunkte vergeben werden, wenn zum Beispiel das, worauf eine Schülerin besonders achten wollte, ihr auch gelungen ist. Ein Feedback in einer Peer-Evaluation geben die Peers sich gegenseitig. Dies wird in der Regel mündlich erfolgen. Wenn es um ein Feedback zu schriftlichen Produktionen geht, dann ist es sinnvoll, eine Peer-Evaluation eher bei recht kurzen Schreibproduktionen oder einzelnen (von den Verfassern selbst ausgewählten) Passagen anzuregen. Man kann auch hier zwar ansatzweise mit Bewertungsrastern arbeiten, um die Lerner mit Bewertungskriterien vertraut zu machen. In der Regel können die Kriterien jedoch kaum korrekt verwendet werden, da in der Regel weder eine ausreichende Beurteilungskompetenz noch hinreichende sprachliche Kompetenzen vorhanden sind. Man wird also eher mit einzelnen schülergerechten Kriterien arbeiten: Mit dem Kompliment sollen die Peers bewerten, was die Mitlerner bereits gut können oder was den Peers besonders gefallen hat. Mit den Empfehlungen können Defizite angesprochen werden, ohne zu kritisieren. Wenn Mitlerner auf Fehler eingehen, sollte allerdings klar sein, dass alle Beteiligten grundsätzlich eine positive Einstellung zu Fehlern haben, das heißt, dass sie Fehler als Anlass zum Weiterlernen erkennen. Wenn erreicht werden soll, dass bei der Rückmeldung von Peers bestimmte Aspekte fokussiert werden sollen, dann besteht die Möglichkeit, mit vorgefertigten Beobachtungsbögen zu arbeiten, die auch von den Peers selbst entwickelt werden können. Ein Beobachtungsbogen könnte folgendermaßen aussehen: Die Präsentation beziehungsweise der Text Trifft zu ist für mich inhaltlich interessant ist für mich verständlich Besonders gefallen hat mir bei deiner Präsentation beziehungsweise bei deinem Text: Empfehlen möchte ich dir: Ich möchte dir/ euch etwas empfehlen: <?page no="205"?> 205 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation hört sich korrekt an erscheint mir flüssig geschrieben (zum Beispiel bei einer schriftlichen Produktion) Der Beobachtungsbogen dient dann als Grundlage für ein Feedback der Peers. Dabei müssen die Peers vorgegebene Regeln beachten, wie zum Beispiel ▶ Teile deine konkreten Beobachtungen zum Text mit. ▶ Formuliere dein Feedback beschreibend und nicht bewertend. ▶ Nenne die positiven Aspekte zuerst. Vor allem: Nenne positive Aspekte. ▶ Drücke dich möglichst präzise aus und belege deine Aussagen mit konkreten Beispielen. ▶ Achte darauf, dass dein Feedback für die Mitlerner hilfreich ist. 5.3.7 Feedbackgespräche als eigene Unterrichtssequenz Nach einer mündlichen oder schriftlichen Produktion können Feedbackgespräche dann von Nutzen sein, wenn sie so gestaltet werden, dass die Lerner diese auch als hilfreich und motivierend empfinden. Dies zu erkennen ist sicherlich nicht einfach; ein ‚Trick’ besteht allerdings darin, nicht nur auf die Weiterentwicklung der Sprachkompetenz abzuheben, sondern auch Sonderpunkte in Aussicht zu stellen, wenn eine anschließende Überarbeitung zeigt, dass Anstrengung investiert wurde. Feedbackgespräche können sich zum Beispiel beziehen auf ▶ die anhand der Kriterien beurteilte Leistung; ▶ die gestellte Aufgabe und die damit verbundenen Anforderungen; ▶ einzelne Teilbereiche, die mit besonderen Schwierigkeiten verbunden waren; ▶ die Bearbeitungsstrategien (zum Beispiel auch auf die Orientierung an transparenten Beurteilungskriterien); ▶ weitere Tipps und Hilfen. Von Bedeutung ist bei Feedbackgesprächen, die sich zum Teil in der Großgruppe und zum Teil in Kleingruppen abspielen können, dass in ihnen einerseits allgemeine Feedbackregeln (vergleiche unter anderem Hattie & Yates 2014: 55; Vilsmeier 2000: 38) berücksichtigt werden. Andererseits können die Lerner zum Beispiel durch die Verwendung von Gesprächstechniken, die auch in der Sprachlernberatung genutzt werden (vergleiche unter anderem Kleppin & Spänkuch 2014) strukturierte Hilfen zur Reflexion über ihre Produktionen und über die mögliche Weiterentwicklung ihrer mündlichen und schriftlichen Kompetenzen erhalten. Zu solchen Techniken gehören unter anderem ▶ Offene Fragen, die Aussagen zur mündlichen oder schriftlichen Produktion oder auch zur Bearbeitung einer Aufgabe initiieren und die die Reflexion anstoßen sollen, zum Beispiel: „Was kann und will ich beim nächsten Mal erreichen? “, „Was kann ich dafür genau tun? “, „Welches Vorgehen bei der Aufgabe wäre für mich eventuell angemessener? “ ▶ Aktiv zuhören: Nachfragen, Bedeutungen und Zusammenhänge klären. Das heißt, dass die Lehrkraft nicht nur ihr Interesse an den Aussagen der Lerner nonverbal signalisiert, <?page no="206"?> 206 5. Methodik sondern auch nachfragt, paraphrasiert und zusammenfasst, damit die Lerner ihre Aussagen weiter präzisieren können und das Gefühl erhalten, dass ihre Reflexionen ernst genommen werden. ▶ Hypothesen bilden und diese den Lernern als Grundlage für ihre weiteren Entscheidungen anbieten: Die Lehrkraft versucht dabei, die Aussagen der Lerner mit ihrem Wissen über Lernprozesse zu verknüpfen und auf der Basis ihrer Feldkompetenz Erklärungen zu Schwierigkeiten oder auch weiteren Vorgehensweisen zu liefern. Zum Beispiel könnte sie folgende Hypothesen im Hinblick auf eine Schreibaufgabe entwickeln: „Möglicherweise reihst du die Sätze unverbunden aneinander, weil du das Risiko vermeiden willst, Fehler zu machen. Ich stelle noch einmal meine Bewertungskriterien vor, damit ihr alle seht, dass nicht die Anzahl der Fehler allein die Note ausmacht. Bei dem Kriterium Kohärenz und Struktur geht es insbesondere um eine klare und logische Gliederung eurer Texte sowie um eine inhaltlich und sprachlich angemessene Verknüpfung der einzelnen Satzteile.“ ▶ Systemisch fragen: Systemische Fragen helfen, die Wahrnehmungsfähigkeit der Lerner im Hinblick auf die gesamten Zusammenhänge (zum Beispiel Lerner mit all seinen individuellen Variablen, Unterrichtskontext, Lernziele) zu erweitern und damit neue Blickwinkel auf die Wirklichkeit zu eröffnen. Auf systemische Fragen werden nicht immer Antworten erwartet, sie sollen vielmehr zur Reflexion anregen. Zu solchen systemischen Fragen gehören zum Beispiel die sogenannten zirkulären Fragen und die skalierenden Fragen. Zum Beispiel könnten nach einer Schreibaufgabe, in der eine Bewerbung für einen Praktikumsplatz gefordert war, folgende zirkuläre Fragen gestellt werden: „Wie würde wohl derenige, an den die Bewerbung gerichtet ist, auf diese Bewerbung reagieren? “ „Einmal angenommen, in der nächsten Arbeit hast du eine gute Leistung erbracht, was würde sich bei dir verändern? “ Skalierende Fragen dienen dazu, über mögliche Veränderungen im Verhalten nachzudenken: „Auf einer Skala von 1-10, wobei 1 gering ist und 10 hoch, wie zufrieden bist du mit deinem Ergebnis? “ „Was müsste sich verändern, damit sich deine Bewertung um einen Punkt nach oben bewegt? “ „Was müsstest du machen, um von 5 auf 7 zu kommen? “ Feedbackgespräche dienen vor allem dazu, die Schülerperspektive aufzunehmen. Da die Wahrnehmung von Feedback zum Teil zwischen Lehrkräften, einzelnen Lernern und der gesamten Gruppe variiert, dienen Feedbackgespräche den Lehrkräften zudem dazu, selbst Feedback auf ihr gegebenes Feedback zu erhalten und dieses möglicherweise noch weiter im Hinblick auf eine möglichst optimale Aufnahme durch die Lerner und damit auch auf eine Unterstützung des Lernverhaltens weiterzuentwickeln. 5.3.8 Zusammenfassung ▶ Alle hier angesprochenen Formen des Feedbacks lassen sich zwischen einerseits dem Evaluieren und andererseits dem Unterrichten verorten. <?page no="207"?> 207 5.3 Korrektives Feedback und Verfahren der interaktionistischen dynamischen Evaluation ▶ Die interaktionische dynamische Evaluation sieht Unterrichten und Evaluieren als ein dialektisches Wechselspiel, in dem beide Aspekte untrennbar miteinander verbunden sind und darauf abzielen, den Unterricht zu verbessern und den Lernprozess zu unterstützen (vergleiche zum Beispiel Assessment Reform Group 2002). ▶ Dies gilt über die Verfahren des dynamischen interaktionistischen Evaluierens hinaus auch für weitere Formen des Feedbacks und die Feedbackgespräche als eigene Unterrichtssequenz. ▶ Wenn Sie selbst solche Verfahren nutzen wollen, dann gilt es allerdings diese zu trainieren und sich grundsätzlich selbst zu überprüfen, ob man dabei immer auch die Lerner in den Feedbackprozess mit einbezieht. ▶ Ziel ist vor allem auch, dass Lerner sich mit den eigenen Produktionen und dem Feedback dazu auseinandersetzen wollen und dieses in ihr weiteres Lernen integrieren. 5.3.9 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Auswirkungen auf Lerner erhofft man sich mit allen hier vorgestellten Verfahren und Vorschlägen? 2. Was sollte bei einem Feedback beachtet werden, damit es möglichst effektiv sein kann? 3. Wiederholung: Worin unterscheiden sich Performanzfehler von Kompetenzfehlern? 4. Beschreiben Sie in Stichpunkten die wichtigsten Merkmale der interaktionistischen dynamischen Evaluation. 5. Was versteht man unter der Phase der nächsten Entwicklung? 6. Beschreiben Sie die wichtigsten Merkmale einer Mediation. 7. Welche Faktoren spielen eine Rolle, wenn Lerner auf Hilfen, die die Lehrkraft anbietet, kaum oder gar nicht reagieren? <?page no="209"?> 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Die Vermittlung von basalen schriftsprachlichen Kompetenzen bildet den ersten Schritt zu einem erfolgreichen Erwerb der deutschen Sprache. Das Schriftsystem des Deutschen und seine Besonderheiten stellen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen eine komplexe Lernaufgabe dar. Nicht nur für die Schule oder Ausbildung sind schriftsprachliche Kompetenzen von zentraler Bedeutung. Schreiben und Lesen bestimmen das Alltagsleben und somit die soziale Teilhabe der Menschen. Vor allem in modernen Gesellschaften wie Deutschland ist die Bedeutung dieser Kompetenzen für die gesellschaftliche Teilhabe unerlässlich. Der Erwerb von schriftsprachlichen Kompetenzen impliziert hier neben der Beherrschung von Phonem-Graphem-Korrespondenzen das Beherrschen der orthographischen Regeln der deutschen Sprache und die schriftsprachliche Fähigkeit, kohärente und leserorientierte Texte zu verstehen und zu verfassen (vergleiche Riehl 2017: 221). Die Vermittlung dieser basalen Grundkenntnisse an Lernungewohnte und Analphabeten verschiedener Altersklassen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, birgt eine Reihe von Komplikationen, die nicht oder in geringerem Maße gegeben sind, wenn die Lerner bereits über schriftsprachliche Vorerfahrungen verfügen. In diesem Kapitel werden einige Grundzüge zur Alphabetisierung und zum Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch präsentiert. Die erste Lerneinheit skizziert die Grundlagen der Alphabetisierungsarbeit mit lernungewohnten und nur zum Teil alphabetisierten Lernergruppen, vor allem mit Erwachsenen und Jugendlichen. Die zweite Lerneinheit beschäftigt sich mit den schriftsprachlichen Lernhürden, die nicht-alphabetisierte Kinder beim Erwerb des Deutschen als Zweitsprache zusätzlich überwinden müssen und bietet hierfür ein theoretisch fundiertes Förderkonzept. Außerdem vermittelt die Lerneinheit einen konkreten Einblick in die Lernerperspektive, indem es die Rollen vertauscht. Hier erfahren Sie anhand der Sprachkombination Arabisch-Deutsch wie es ist, eine fremde Sprache zu lernen. Die letzte Lerneinheit behandelt schließlich den Aspekt der Mündlichkeit und deren Relevanz für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb. An einem silbenanalytischen Ansatz wird exemplarisch die Relevanz dieser Kompetenz für den Erwerb von orthographischen Besonderheiten des Deutschen aufgezeigt. <?page no="210"?> 210 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb 6.1 Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen Mohcine Ait Ramdan Die Alphabetisierung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland stellt eine große Herausforderung für die Bildungsinstitutionen und die Lehrkräfte dar. Aus bildungspolitischer Sicht ist eine echte wissenschaftliche Ausrichtung und eine solide wissenschaftsmethodische Ausarbeitung des Themas Alphabetisierung und Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch mehr als wünschenswert, da sich der Fachbereich gerade in der Lehrerausbildung zu einem elementaren Teil der Studiencurricula entwickelt. Die folgende Lerneinheit präsentiert die wichtigsten Grundlagen für die Arbeit mit lernungewohnten erwachsenen und jungen Analphabeten mit Deutsch als Zweitsprache. Zuerst wird auf die Brisanz dieser Thematik in der deutschen Bildungslandschaft eingegangen und eine Eingrenzung der einzelnen Lernerprofile vorgenommen. Ferner werden der Umfang der zu vermittelnden Kompetenzen eingegrenzt und die methodische Vielfalt exemplarisch illustriert. Für eine effektive und nachhaltige Vermittlung von schriftsprachlichen Kenntnissen wird im letzten Teil der Lerneinheit exemplarisch ein didaktisierter Vorschlag zur Alphabetisierung von Migrantinnen und Migranten mit geringen schriftsprachlichen Kenntnissen vorgestellt, der auf den Grundlagen der Handlungsorientierung basiert. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ verschiedene Arten des Analphabetismus kennenlernen; ▶ Lernerprofile von jungen Migrantinnen und Migranten mit geringen schriftsprachlichen Kenntnissen erstellen können; ▶ den Umfang der zu vermittelnden schriftsprachlichen Kompetenzen kennenlernen; ▶ die methodische Vielfalt in der Vermittlung von schriftsprachlichen Kenntnissen an Migrantinnen und Migranten kennenlernen; ▶ handlungsorientierte Prinzipien in Alphabetisierungskursen umsetzen können. 6.1.1 Handlungsbedarf Eine Besonderheit bei der Beschulung von Geflüchteten stellt die Arbeit mit nicht oder nur zum Teil alphabetisierten Lernergruppen dar. Ein grundlegendes Ziel bei der Arbeit mit Zugewanderten, die nicht ausreichend schreiben und lesen können, ist die Vermittlung von elementaren schriftsprachlichen Kompetenzen. Als Konsequenz der ersten umfassenden Evaluation der durchgeführten Integrationskurse des BAMF, in der auf Lücken und Defizite der Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland hingewiesen wurde, <?page no="211"?> 211 6.1 Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen wurde bereits der curriculare Rahmen „Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs“ entwickelt (BAMF 2015). Die Analyse der Schwierigkeiten, die bei der Beschulung von Zugewanderten mit geringen schriftsprachlichen Kompetenzen in den herkömmlichen allgemeinen Integrationskursen auftreten, führte zu einer Erweiterung des Angebots mit speziellen Kursen für nicht und unzureichend alphabetisierte Zuwanderer. Aufgrund der Etablierung von Alphabetisierungskursen mit einem eigenständigen Rahmenkonzept richtete sich erstmals die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch. Die gesetzliche Förderdauer von 1262 Unterrichtseinheiten soll die Teilnehmerinnen und Teilnehmer möglichst auf das Niveau A2/ 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) und somit auch dem Ziel der funktionalen Alphabetisierung bringen. Durch diese Maßnahmen wurde der Rahmen der Fachdiskussion erweitert und gleichzeitig ist der Bedarf nach geeigneten Unterrichtsmaterialien und Lehrwerken für Alphabetisierungskurse gestiegen. Genaue Informationen zum Analphabetismus unter Geflüchteten gibt es nicht. Wie wichtig die Alphabetisierung in den Sprachförderungskonzepten für neu zugewanderte Flüchtlinge ist, illustrieren die Ergebnisse der im Januar 2016 erschienenen Studie zur „Integration von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen“, die im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2014 durchgeführt wurde. Die Zahlen zur schulischen Qualifikation der Geflüchteten in dieser Studie liefern Anhaltspunkte zur steigenden Zahl der Menschen, die einen Alphabetisierungsbedarf aufweisen. H erk unf ts l and K eine S chul e bes ucht B is z u 4 J ahre 5 bis 9 J ahre 1 0 bis 1 4 J ahre 1 5 J ahre oder m ehr S ons tige/ K eine A ngabe G es am t A fg hanistan 1 8 ,3 7 ,1 2 0 ,7 4 8 ,9 2 ,8 2 ,2 1 0 0 ,0 I rak 2 5 ,9 1 0 ,5 3 0 ,9 2 5 ,7 3 ,5 3 ,5 1 0 0 ,0 Syrien 1 6 ,1 6 ,6 2 8 ,9 4 1 ,5 4 ,3 2 ,6 1 0 0 ,0 A lle sechs HK L 1 6 ,4 6 ,9 2 2 ,7 4 7 ,9 3 ,5 2 ,6 1 0 0 ,0 Abbildung 6.1: Dauer des Schulbesuches nach ausgewählten Ländern (BAMF 2016a: 4) Aus den abgebildeten Zahlen zum Anteil Geflüchteter aus den inzwischen am meisten vertretenen Herkunftsländern (Afghanistan, Irak und Syrien, vergleiche BAMF Statistik 2016a), die eine geringe bis gar keine Schulbildung in ihrem Leben genossen haben, lassen sich Schlüsse zu großem Handlungsbedarf bei der Alphabetisierung ziehen. Viele der unzureichend alphabetisierten Lerner stammen aus bildungsfernen Schichten und hatten nicht die Möglichkeit, kontinuierlich eine schulische Bildungseinrichtung zu besuchen. Bezeichnend ist, dass sich die Verbreitung des Analphabetismus mit der Karte der Krisenherde und der Armut in der Welt deckt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass viele Neuzugewanderte, die aus diesen Gebieten kommen, das Problem des Analphabetismus mit sich bringen. Wie der Weltbericht „Bildung für alle 2013/ 14“ zeigt, steigt die Analphabetismusrate aufgrund der schnellen demographischen Entwicklung besonders rasant in den von <?page no="212"?> 212 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Krieg betroffenen arabischen Ländern und in der Region Subsahara-Afrika. Bedingt durch Flucht und Zuwanderung sind auch die Aufnahmeländer mit diesem Problem konfrontiert. 6.1.2 Alphabetisierungstypen und Lernerprofile Der Begriff Analphabetismus erweckt den Eindruck, dass es sich um jemanden handelt, der über keine Kenntnisse der Schriftsprache verfügt. Die Wirklichkeit ist jedoch komplexer und kann durch die Vermittlung von grundlegenden Kenntnissen der Schriftsprache nicht beseitigt werden. Obwohl die UNESCO unter Analphabetismus andere funktionale Kompetenzen, wie zum Beispiel Rechnen können auflistet, wird das Alphabetisiertsein meistens mit dem Erwerb von Schreiben und Lesen in Verbindung gebracht (vergleiche Linde 2008: 50). Dies zeigt das Lernverhalten von Lernern mit geringen schriftsprachlichen Kenntnissen und geringer Schulbildung, die sich in Sprachkursen finden. Bezeichnend für sie sind Defizite bei der Dekodierung und Produktion von Schriftsprache. Kursleiterinnen und Kursleiter verschiedener Kursangebote und Altersgruppen berichten außerdem von fehlenden basalen Schultechniken, wie zum Beispiel dem Umgang mit Lehrwerken, Wörterbüchern und Computern, sowie unzureichenden Kenntnissen im Umgang mit schriftsprachlichen Anforderungen, die ein Kurs normalerweise voraussetzt. Dennoch lassen sich unterschiedliche Ausprägungen diverser schriftsprachlicher Kenntnisse bei unzureichend alphabetisierten Lernern in ihrem Umgang mit Schriftsprache und Lernen beobachten. Diese Diskrepanz wird in der Fachdiskussion auf die verschiedenen Arten des Analphabetismus zurückgeführt (vergleiche Hammann et al. 2013: 23f). Linde (2008: 50f) schlägt hierfür eine Unterscheidung von vier gängigen Formen des Analphabetismus vor, die ausgehend von zwei Ebenen bestimmt werden können: Einer Zeit- und einer Kenntnisebene. Von primärem Analphabetismus ist die Rede, wenn die Betroffenen gar keine Schulbildung genossen haben und die Stifterfahrung äußerst gering ist. Dieses Phänomen tritt vor allem in Entwicklungsländern auf, in denen die Schulpflicht nicht streng eingehalten wird. Darüber hinaus gehört die Gruppe von sekundären Analphabeten zu der zeitmotivierten Klassifizierung. Sekundärer Analphabetismus liegt vor, wenn schriftsprachliche Grundlagen zu einem bestimmten Zeitpunkt, typischerweise in der Kindheit, erlernt wurden, jedoch aufgrund der kurzen Dauer des Schulbesuchs abhandenkommen. Wenn die schriftsprachlichen Anforderungen in der Gesellschaft nicht überlebensnotwendig sind, werden die erlernten Grundlagen von den Betroffenen häufig sukzessive vergessen. Der Vorteil bei dieser Gruppe ist, dass sie durch die kurze Erfahrung eine gewisse Sprachbewusstheit entwickelt haben, die im Unterricht wieder aktiviert werden kann. Die Beschreibung unzureichend alphabetisierter Menschen kann auch ausgehend von deren schriftsprachlichen Kenntnissen erfolgen. Für die Unterrichtspraxis ist diese Bestimmung relevanter als die Klassifikation über zeitliche Kriterien, da sie sich an der Erfassung der tatsächlich vorliegenden Kompetenzen und Einzelfertigkeiten orientiert. Darunter fällt die Gruppe von Lernern, die totalen Analphabetismus aufweisen. Die von dieser Art des Analphabetismus betroffenen Lerner haben keinerlei schriftsprachliche Kompetenzen und nur geringe „Sprach(lern)bewusstheit in ihrer eigenen Muttersprache“ (BAMF 2015: 34). Eine <?page no="213"?> 213 6.1 Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen weitere Subkategorie der Kenntnisebene bildet der funktionale Analphabetismus. Dieser liegt laut Hubertus vor, „[w]enn die individuellen Kenntnisse niedriger sind als die erforderlichen und als selbstverständlich vorausgesetzten Kenntnisse“ (Hubertus 1991: 5). Der Alphabetisierungsstand wird hier an den gesellschaftlichen Lese- und Schreibanforderungen gemessen. Eine weitere Gruppe, die der Kenntnisebene zugeordnet wird und für den Bereich der Alphabetisierung in der Zweitsprache wesentlich ist, sind funktional alphabetisierte Zweitschriftlerner. Bei dieser Gruppe handelt es sich um Lerner, die in anderen Schriftsystemen, wie zum Beispiel dem arabischen, persischen etc. alphabetisiert wurden, der lateinischen Schrift jedoch nicht mächtig sind. Diese Lerner verfügen, je nach dem Automatisierungsgrad ihrer Schreib- und Lesekompetenzen in ihren Erstsprachen, über eine gewisse Sprach(lern) bewusstheit, die sich beschleunigend auf den Erwerb des lateinischen Schriftsystems auswirken kann. Diese unterschiedlichen Typen des Analphabetismus lassen sich nach einer BAMF-Studie folgendermaßen darstellen: p rimä re A nalp hab eten ohne „ Stift-E rfahrung “ funk tionale A nalp hab eten (in einem lateinischen oder nicht lateinischen Schriftsystem) funk tional alp hab etisierte Z w eitschrift- L erner T eilnehmende ohne zw eitsp rachliche K omp etenzen T eilnehmende mit g rundleg enden zw eitsp rachlichen K omp etenzen T eilnehmende mit hoher zw eitsp rachlicher K omp etenz (mit einem N iveau ü b er A 1 ) Abbildung 6.2: Matrix der sprachlichen Heterogenität in Alphabetisierungskursen (BAMF 2015: 35) Je nachdem, welche Art des Analphabetismus vorliegt und wie stark unterschiedliche Fertigkeiten in der Zielsprache Deutsch ausgeprägt sind, variieren die Kompetenzprofile der Lerner. So können Lerner, die unzureichend alphabetisiert sind, Kenntnisse über dem Niveau A1 im mündlichen Bereich in den Unterricht mitbringen. Vor allem im Bereich der mündlichen Kompetenz im Deutschen können die Kenntnisse der Lerner sehr unterschiedlich sein. So haben einige Lerner durch einen längeren Aufenthalt in einem deutschsprachigen Land und die Alltagskommunikation bereits sehr gute mündliche Kenntnisse im Deutschen erworben. Andere hingegen nicht. Es ist daher wichtig zu eruieren, welche Lernerprofile in einer Gruppe vertreten sind, um eine adäquate Förderung zu leisten. <?page no="214"?> 214 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb 6.1.3 Spektrum der Alphabetisierung Sie haben durch die Profilanalyse der beiden Lerner festgestellt, dass für den Erwerb von schriftsprachlichen Kompetenzen eine Reihe von Faktoren eine Rolle spielen kann. Die Vermittlung von schriftsprachlichen Kenntnissen umfasst eine breite Palette an Teilkompetenzen, die nicht primär auf Buchstabenwissen beschränkt werden können. Ein grundsätzliches Ziel bei der Arbeit mit unzureichend alphabetisierten Menschen ist es, die Automatisierung schriftsprachlicher Produktion sowie die Rezeption auszubauen. Die Aneignung dieser Kompetenzen kann nur erfolgen, indem sie auf verschiedenen Ebenen operationalisiert und verschiedene Erwerbsstufen und entwicklungspsychologische Phasen des Schriftspracherwerbs berücksichtigt werden. Im Bereich der Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch werden für die Erwerbsstufen meist die Erwerbsmodelle für den kindlichen Schriftspracherwerb in der Erstsprache herangezogen (vergleiche Günther 1995; Valtin 1997), deren Übertragbarkeit auf den Schriftspracherwerb in der Zweitsprache, vor allem von Erwachsenen, umstritten ist (vergleiche Feldmeier 2010: 29; Pracht 2013: 45). Zum Zweck der Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch kann man auf das LEA-Kompetenzmodell zurückgreifen, das eigens für die Alphabetisierung erwachsener Lerner des Deutschen als Erstsprache konzipiert wurde und das einige Orientierungspunkte bietet. Das LEA-Modell geht bei der Entwicklung von Schreib- und Lesekompetenzen von 6 Erwerbsstufen aus (siehe Alpha-Levels Tabelle 6.1). Im Mittelpunkt der Kann-Beschreibungen der verschiedenen Alpha-Levels stehen die zu erlernenden sprachlichen Einheiten (zum Beispiel Buchstabenebene, Wortebene, Satzebene etc.) sowie die jeweiligen dominierenden Lese- und Schreibstrategien (zum Beispiel alphabetische und orthographische Strategie). Jede Stufe ist in mehrere Kompetenzen unterteilt (siehe Abbildung 6.3), die den Erwerbsprozess in Form von Kann-Beschreibungen kleinschrittig beschreiben. Dabei erfolgt die Entwicklung einer feingliedrigen Rasterung (Buchstabenebene) bis hin zu einer gröberen (Textebene). Mit dem Alpha-Level 6 wird der Alphabetisierungsprozess als abgeschlossen betrachtet. Diese Stufe integriert sämtliche orthographische Strategien sowie die Beherrschung von wichtigen Zeichensetzungsregeln und entspricht ungefähr den Schreib- und Lesekompetenzen des B1-Niveaus des GER (vergleiche Heinemann, Schepers & Grotlüschen 2009: 27). Lesen Schreiben Alpha 1 Buchstabenebene, prä- und paraliterales Lesen vom Buchstaben zum Wort, überwiegend logographische Strategie Alpha 2 Wortebene, überwiegend konstruierendes Lesen vom Wort zum Satz, alphabetische Strategie Alpha 3 Satzebene, überwiegend konstruierendes Lesen, lexikalisches Lesen von Standardwörtern vom Satz zum Text, alphabetische und beginnende orthographische Strategie Alpha 4 Textebene (kurz / einfach), gleichermaßen konstruierendes und lexikalisches Lesen vom einfachen zum komplexen Text, orthographische Strategie Alpha 5 Textebene (mittelschwer / illustriert), gleichermaßen konstruierendes und lexikalisches Lesen komplexer Text, orthographische und beginnende morphematische Strategie <?page no="215"?> 215 6.1 Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen Alpha 6 Textebene (mittelschwer), überwiegend lexikalisches Lesen mit häufigen Rückgriffen auf die konstruierende Strategie komplexer Text, wortübergreifende Strategie Tabelle 6.1: Alpha-Levels zum Lesen und Schreiben aus dem LEA-Projekt (Grotlüschen & Riekmann 2010) K ann- B es chreibung A l p ha L ev el 1 Z entrale A nforderung : Buchstab eneb ene, p rä - und p araliterales L esen • K ann G rap heme zutreffend b enennen • K ann K V K -W ö rter mit b is zu 5 G rap hemen p honolog isch seg mentieren • K ann K V K -W ö rter mit b is zu 5 G rap hemen p honolog isch synthetisieren (recodieren) • K ann K V K -W ö rter mit b is zu 5 G rap hemen p honolog isch decodieren Abbildung 6.3: Kann-Beschreibungen der Alpha-Levels 1 für die Fertigkeit Lesen aus dem LEA-Projekt (Grotlüschen, Dessinger, Heinemann & Schepers 2010) Wie die Kann-Beschreibungen des Alphalevels 1 zum Lesen (siehe Abbildung 6.3) zeigen, beziehen sich die ersten Schritte des Erwerbs auf die Buchstabenebene. Diese Kompetenz impliziert die Vermittlung des zugrundeliegenden Funktionsprinzips der deutschen Schriftsprache als Alphabetschrift, nämlich die sogenannte Phonem-Graphem-Zuordnung. So muss den Lernern im Unterricht vermittelt werden, dass einzelnen Lauten bestimmte Buchstaben beziehungsweise Grapheme zugeordnet werden und umgekehrt. Angesichts der Tatsache, dass die deutsche Schriftsprache kein Abbild der Lautsprache ist und dass die phonologische Regelhaftigkeit der alphabetischen Strategie nicht ausreicht, um fehlerfrei zu schreiben, müssen auch die Besonderheiten der deutschen Orthographie berücksichtigt werden. Diese sollten jedoch erst in einer späteren Phase eingeführt werden. Entscheidend ist dabei, dass beim Erwerb der Schreibkompetenz die alphabetischen Strategien Vorrang vor den orthographischen haben sollten. Für Lerner aus anderen Schriftsystemen stellt das alphabetisch-phonetische Funktionsprinzip des Deutschen eine große Herausforderung dar. Das Arabische gilt beispielsweise nicht als konsequente Alphabetschrift, da es auf der lautlichen Ebene vorwiegend Konsonanten verschriftet und Vokale nur dann, wenn es zwingend notwendig ist. Diese und weitere Merkmale des Arabischen, wie sein phonetisches Inventar oder seine schriftsystembedingten Besonderheiten, können bei Zweitschriftlernern zu einem negativen Transfer führen, wie die Schreibungen von Lernern zeigen (vergleiche Buschfeld & Schöneberger 2010). Sehr eng verbunden mit dem Erlernen der Phonem-Graphem-Zuordnung ist der Aufbau der phonologischen Bewusstheit der Lerner. Dabei „geht es darum, sich der Struktur phonologischer Repräsentationen bewusst zu werden“ (Schnitzler 2008: 9). Unzureichend alphabetisierte Menschen verfügen nicht über die Fähigkeit zwischen semantisch-inhaltlichen und formalen Aspekten der Sprache zu unterscheiden. Ein erster Schritt zum Schreibenlernen ist daher die Bewusstmachung formaler Strukturen durch die Wahrnehmung verschiedener lautlicher Elemente (Silben, Anlaute, Endungen), wobei die Wortbedeutung zunächst eine <?page no="216"?> 216 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb sekundäre Rolle spielt. Dies bedarf einer hohen Abstraktionsleistung und kann durch den Einsatz von verschiedenen Übungstypen, wie zum Beispiel dem Erkennen von An- und Endlauten, Reimen oder Silben durch Klatschen oder ähnlichem angebahnt werden. Neben der Vermittlung von schriftsprachlichen Kompetenzen ist die Definition von weiteren Zielen im Alphabetisierungsunterricht erforderlich. Die meisten Konzepte und Curricula zur Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch (vergleiche BAMF 2015, Rahmencurriculum für eine abschlussorientierte Alphabetisierung DVV 2014; Sprenger & Rieker 2006) setzen neben der Vermittlung von Buchstabenkenntnissen zahlreiche weitere Ziele. Diese können verschiedenen Kompetenzbereichen zugeordnet werden, so werden neben dem Ausbau der phonologischen Bewusstheit auch die Vermittlung von Wortschatz, die Verbesserung der Aussprache, die Förderung der Lernerautonomie und der Mehrsprachigkeit sowie natürlich die Förderung der vier Fertigkeiten Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen im Sinne des GER verfolgt. Die Differenzierung zwischen Alphabetisierungskursen und anderen speziellen Sprachkurstypen soll aber nicht den Eindruck erwecken, dass das einzige Ziel des Alphabetisierungsunterrichts die Förderung von schriftsprachlichen Kompetenzen ist. Den genannten Konzepten zufolge muss die Förderung schriftsprachlicher und zweitsprachlich-mündlicher Kompetenz sowie der Lernerautonomie den gleichen Stellenwert haben (vergleiche Feldmeier 2010: 14). Kritisch ist bei der Einbindung der Kompetenzbeschreibungen des GER, dass diese in der Regel von bereits alphabetisierten Lernern ausgehen, die über Basiskompetenzen des Schreibens und Lesens verfügen. So setzt der GER bei der Vermittlung aller Fertigkeiten gut ausgebaute schriftsprachliche Kenntnisse voraus. Bei der Planung von Sprachlernprogrammen für Menschen ohne vorausgegangene Sprachlernerfahrungen in einer Lateinschrift bietet das Kompetenzmodell des GER den Lehrenden keine ausreichende Orientierung. Hinzu kommt, dass der Erwerb der Kompetenzen des GER generell schriftsprachliche Kompetenzen als Stütze für die Vermittlung der Fertigkeiten Lesen, Sprechen und Hören voraussetzt. Dies bringt weitere Schwierigkeiten mit sich. Da es das Ziel eines Alphabetisierungskurses ist, parallel zum Erwerb im schriftlichen Bereich auch Kompetenzen in der Produktion, Rezeption, Interaktion und Sprachmittlung im mündlichen Bereich voranzubringen, müssen in der Unterrichtspraxis neue Zugänge geschaffen werden. Ausgehend von der Beobachtung, dass sich mündliche Sprachkompetenzen und Kompetenzen im Bereich Hören schnell und unabhängig von den schriftsprachlichen Fertigkeiten entwickeln, sollten im Unterricht Methoden eingesetzt werden, die gezielt diese Kompetenzbereiche schulen, ohne dass die Lerner dabei gleich mit Schrift konfrontiert werden. Dies kann mit didaktisiertem Filmmaterial, Bildern und gemeinsamen Erlebnissen erreicht werden (vergleiche Mempel, Ochs & Schramm 2013: 51). <?page no="217"?> 217 6.1 Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen 6.1.4 Methodenvielfalt in der Alphabetisierung Ein Blick auf die diversen Materialien zeigt, dass zahlreiche Methoden zur Alphabetisierung erwachsener Lerner existieren (vergleiche BAMF 2015; Rokitzki, Nestler & Sokolowsky 2013). Diese gehen jeweils von differenzierten linguistischen Einheiten zur Vermittlung von schriftsprachlichen Kompetenzen aus, was sich vor allem in den verschiedenen Lehrwerken widerspiegelt. Die meisten Lehrwerke greifen dabei auf 5 Methoden zurück. Die Lautiermethode oder synthetische Methode geht von den kleinsten Einheiten der Sprache aus und versucht auf der Basis des phonographischen Prinzips der deutschen Schriftsprache durch die Zuordnung von Lauten zu Graphemen alphabetisches Wissen zu vermitteln. Diese Methode ist insofern problematisch, als die deutsche Schriftsprache nur bedingt auf dem phonographischen Prinzip basiert, das heißt eine 1: 1-Phonem-Graphem-Zuordnung ist nicht immer möglich. Der Vorteil bei der Arbeit mit dieser Methode besteht darin, dass den Lernern aus anderen Schriftsystemen damit das zugrundeliegende Funktionsprinzip des Deutschen nahegebracht werden kann. Mögliche Anwendungsmethoden der Lautiermethode sind: Die Anlautmethode, die Sinnlautmethode, die Artikulationsmethode und die Arbeit mit Lautgebärden (einen Überblick zu Anwendungsbeispielen bietet: Rokitzki, Nestler & Sokolowsky 2013: 91-98) Die Silbenanalytische Methode geht von den Silben als Grundeinheiten der gesprochenen Sprache aus. Dieser Ansatz zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit auf typische Betonungsmuster des Deutschen zu lenken. „Silben werden als phonologische Einheiten begriffen, die systematisch aufgebaut sind“ (Rokitzki, Nestler & Sokolowsky 2013: 102). Typisch für die deutsche Sprache ist die trochäische Struktur: Auf eine betonte Silbe folgt eine unbetonte Reduktionssilbe. Daraus entsteht ein bestimmter Rhythmus (trochäisches Prinzip). Durch Visualisierungen dieser Betonungsstruktur, zum Beispiel durch das Häuschenmodell oder Kastenmodell werden die Prinzipien der deutschen Orthographie vermittelt (vergleiche Pracht 2010: 104f). Neben den erwähnten gibt es eine Reihe anderer Methoden, die sich auf weitere Aspekte der Wortstruktur konzentrieren und diese als Ausgangspunkt für die Erstellung von Lernmaterialien nehmen. In der Silbenmethode (vergleiche Boulanger 2001) beispielsweise werden die zu erlernenden Buchstaben in Silben präsentiert, da diese ein hohes Perzeptionspotential haben. Im Gegensatz dazu geht die Morphemmethode bei der Vermittlung von schriftsprachlichen Kompetenzen von Morphemen als bedeutungstragenden sprachlichen Einheiten aus (vergleiche Heyn 2012). Jede Methode stößt an Grenzen und in den Lehrwerken werden sie meistens miteinander kombiniert. Das Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs empfiehlt eine Reihe von Lehrwerken, die in den Alphabetisierungskursen eingesetzt werden können (vergleiche BAMF: 2016b). Diese versuchen die vorhandene heterogene methodische Vielfalt abzubilden, sind jedoch nicht handlungsorientiert konzipiert. Wichtig ist bei dem Einsatz der existierenden Methoden, Lehrwerke und weiteren Unterrichtsmaterialien, dass sie im Rahmen eines effektiven handlungsorientierten Unterrichts gezielt umgesetzt werden müssen. <?page no="218"?> 218 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb 6.1.5 Handlungsorientierung in der Alphabetisierungsarbeit Für Lerner mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen stellt die Schriftsprache ein neues Kommunikationsmedium dar, die für die soziale Teilhabe wichtig ist. Nicht in allen Herkunftsländern wird dieser Kommunikationsform im Alltag dieselbe Relevanz beigemessen. Lerner, die im Verlauf ihres Lebens wenig Kontakt mit Schriftsprache hatten, müssen nun in vielen Lebensbereichen schriftsprachlich handeln. Unzureichend alphabetisierte Lerner vermeiden daher oft Alltagssituationen, in denen sie schreiben oder lesen müssen. Dies belegt beispielsweise die Beobachtung, dass Nicht-Alphabetisierte häufig Zettel bei sich tragen, die wichtige Informationen, wie Name, Adresse, Fahrpläne, Wegskizzen etc. beinhalten (vergleiche Kucharenko & Noack 2010). Die Inhalte dieser Notizzettel können als geeignete Ausgangssituationen für praktische Lernprozesse dienen, da sie auf konkrete Situationen verweisen, in denen die Lerner schriftsprachlich handeln müssen. Die Vermittlung von schriftsprachlichen Kompetenzen sollte sich daher stets an den Handlungsbedürfnissen und Interessen der Lerner orientieren. Das bedeutet, dass die Lerner Schriftsprache nicht nur als bloßen Lernstoff, losgelöst von jeglicher Funktion im Unterricht erfahren, sondern als Brücke zu ihrem Alltag. Auch bei einer berufsorientierten Alphabetisierung sollte der Gedanke im Vordergrund stehen, gezielt mit authentischen Materialien (Maschinen, Figuren, Realien) und Arbeitssituationen zu arbeiten und die dadurch entstehenden Aufgaben bewältigen zu können. Dadurch kann ein nachhaltiger und autonomer Umgang mit Schriftsprache erzielt werden. Die handlungsbezogene Ausrichtung der Vermittlung von Schreib- und Lesekompetenzen wird in der Fachliteratur unter verschiedenen Formen verstanden und betrieben (einen Überblick hierzu bieten Hrubesch et al. 2013). Die meisten Lehrwerke im Bereich der Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch fokussieren jedoch die Vermittlung von Phonem-Graphem-Korrespondenzen, lexikalischen und syntaktischen Strukturen. Wortschatz- und Sprechübungen dienen dann als Übungsgegenstand für bekannte oder neu zu übende Buchstaben. Somit liegt der Fokus der Lerner auf der Formebene, nicht der Aufgabenebene. Durch den Einsatz von handlungsorientierten Konzepten in der Alphabetisierung, wie Lernen an Szenarien, Alphaportfolio oder Werkstattunterricht, steht hingegen die Semantisierung des Lernpensums in allen Unterrichtsschritten im Zentrum des Lernens. Das bedeutet, dass das Verhältnis von Form und Bedeutung nie gänzlich aus den Augen verloren werden darf. Insofern gelten die Prinzipien der handlungsorientierten Didaktik (siehe die Erläuterungen dazu im Band »Sprachenlehren«) auch - oder in besonderem Maße - bei der Alphabetisierung. Darüber hinaus sind handlungsorientierte Unterrichtsformen (siehe Lerneinheit 6.1) eine geeignete Methode, Analphabeten in das Unterrichtsgeschehen stark heterogener Lernergruppen einzubinden. Die Ermutigung der Teilnehmer, ihre eigenen Gedanken zu realen Situationen schriftlich oder mündlich zum Ausdruck zu bringen, kann durch das Anpassen von Szenarien erreicht werden, die die Vermittlung von schriftsprachlichen Kompetenzen fokussieren. Je nach Alphabetisierungsgrad werden die Lerner in Teilaufgaben aufgefordert, unterschiedliche schriftliche oder mündliche Produkte zu erstellen. Bislang wird in stark he- <?page no="219"?> 219 6.1 Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen terogenen Gruppen im Sinne der Binnendifferenzierung den unzureichend Alphabetisierten meistens Lernmaterial zur Verfügung gestellt, das losgelöst vom Unterrichtsgeschehen ist und deshalb häufig deren Ausgrenzung aus dem Unterricht zur Folge hat oder verstärkt. Es gibt bislang wenige Szenarien, die Analphabeten berücksichtigen. 6.1.6 Handlungsorientierte Alphabetisierung: Ein Praxisbeispiel Eine Möglichkeit, sämtliche Prinzipien des handlungsorientierten Unterrichts bei der Arbeit mit unzureichend alphabetisierten Lernern umzusetzen, ist der Einsatz von Portfolioarbeit. Ein Beispiel aus der Praxis ist das berufsbezogene Alphaportfolio, das im Rahmen eines Projekts an der Universität Münster entwickelt wurde ( www.uni-muenster.de/ Germanistik/ alphaportfolio). Die Materialien der berufsbezogenen Portfolios bestehen aus drei aufeinander abgestimmten Teilen: dem Alpha-Portfolio, dem Wochenplan und den Lernstationen. Die Standardisierung des Alpha-Portfolios ist an das Europäische Sprachenportfolio und das Milestone-Portfolio angelehnt. Zusätzlich zu den Bereichen Ich, Meine Sprachen, Mein Kurs, Mein Lernen und Dossier, die den herkömmlichen Teilen der Sprachenportfolios entsprechen (Sprachenpass, Sprachbiographie und Dossier), enthält das Alpha-Portfolio folgende arbeitsbezogene Bearbeitungsbereiche: Meine Arbeit und Meine Ziele. Daraus ergibt sich folgende Gesamtstruktur: 1. Ich 2. Meine Sprachen 3. Mein Kurs 4. Mein Lernen 5. Meine Arbeit 6. Meine Ziele 7. Dossier Diese Bearbeitungsbereiche ermöglichen es, die Kompetenzen der Lerner und deren Fortschritt transparent zu dokumentieren. Ein weiterer Vorteil des Alphaportfolios ist die Bereitstellung von übersetzten Kann-Beschreibungen in den Erstsprachen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die sprachliche Vereinfachung der Kompetenzbeschreibungen durch die Vermeidung von komplexen sprachlichen Strukturen. Zudem erleichtern Symbole und Visualisierungen für die Selbstbeurteilung das Verständnis (siehe Abbildung 6.4). Somit nimmt das Alpha-Portfolio Rücksicht auf sämtliche Lernerprofile, die in einem Kurs vertreten sein können. Insgesamt umfasst das Alpha-Portfolio über 100 Seiten, es muss jedoch nicht zwingend zusammenhängend bearbeitet werden. Die enthaltenen Kopiervorlagen können je nach Bedürfnis der Lerner zusammengestellt werden. <?page no="220"?> 220 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Abbildung 6.4: Visualisierung von Kompetenzbeschreibungen (Alphaportfolio 2018) Eng mit dem Portfolio verzahnt ist ein Wochenplan, in dem die zu bearbeitenden Lernstationen festgelegt werden. Stationen liegen für verschiedene Arbeitsfelder vor. Die Stationen stellen textbasierte Arbeitseinheiten dar, auf deren Basis Aufgaben für verschiedene Ebenen (Buchstaben-, Silbenebene etc.) entwickelt wurden. Ausgehend von den im Portfolio festgelegten Kompetenzbeschreibungen können die Lerner ihren Wochenplan selbst erstellen, indem sie eine Fertigkeit auf einer Aufgabenebene (Buchstaben, Silben, bis hin zur Textebene) mit der zugehörigen Schwierigkeitsstufe bestimmen können, an der sie arbeiten möchten. Datum: _______________._________________.________________ schwer □ Alphaportfolio - A1/ A2 Meine Sprachen Sprechen: Ich kann … Deutsch … meinen Namen sagen meinen Wohnort sagen meine Straße sagen meinen Geburtstag sagen … 15 <?page no="221"?> 221 6.1 Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen Abbildung 6.5: Struktur des Wochenplans (Alphaportfolio 2018) Um den Lernern die Orientierung zu erleichtern, weisen die einzelnen Stationen die gleiche Struktur auf und die Arbeitsanweisungen werden ebenfalls von Icons unterstützt. Abbildung 6.6: Icons zur Unterstützung der Arbeitsanweisungen (Alphaportfolio 2018) Der Einsatz des Alphaportfolios in der Arbeit mit unzureichend alphabetisierten Lernergruppen dient der Individualisierung des Unterrichts. Somit finden auch eine Teilnehmerorientierung und eine prozessorientierte Evaluation statt, durch die die Lernerautonomie stark gefördert wird. Außerdem wird dadurch die Eigeninitiative der Lerner stimuliert, ihren Lernprozess im Privaten voranzutreiben. Insgesamt sollte jedoch berücksichtigt werden, dass Alphabetisierung ein langwieriger Prozess ist. 6.1.7 Zusammenfassung ▶ Die Alphabetisierung von Migrantinnen und Migranten stellt eine neue große Herausforderung für das deutsche Bildungssystem dar. ▶ Man unterscheidet zwischen verschiedenen Arten des Analphabetismus, aus denen sich jeweils verschiedene Lernerprofile ergeben. Weitere Kompetenzen, wie beispielsweise die mündliche Kompetenz, spielen dabei eine große Rolle. ▶ Die Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch erfordert die Vermittlung eines weiten Spektrums an Kompetenzen. Hierzu zählen nicht nur schriftsprachliche Kompetenzen, sondern ebenso die Vermittlung von basalen Lerntechniken, mathematischem Wissen etc. ▶ Für die Vermittlung von schriftsprachlichen Kenntnissen gibt es eine Reihe von methodischen Ansätzen, die sich jeweils aus verschiedenen sprachtheoretischen Grundlagen ergeben. Die wichtigsten Methoden sind die Lautiermethode, die Silbenmethode, die silbenanalytische Methode und die Morphemmethode. Wochenplan für die Woche vom _________bis zum __________ Vorname: _____________________________________________ Nachname: ____________________________________________ Datum Station Aufgabenebene Fertigkeit Stufe Seite Wie lange? Leicht oder schwer? ____. ____. 2015 __ __ Minuten ����� ____. ____. 2015 __ __ Minuten ����� ____. ____. 2015 __ __ Minuten ����� ____. ____. 2015 __ __ Minuten ����� ____. ____. 2015 __ __ Minuten ����� A1 <?page no="222"?> 222 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb ▶ Der Schriftspracherwerbsprozess in Deutsch als Zweitsprache erfolgt in mehreren Stufen. Diese Prozesse sollen im Unterricht berücksichtigt werden. ▶ Die Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen mit geringen schriftsprachlichen Kenntnissen erfordert den Einsatz handlungsorientierter Ansätze, die das sprachliche Lernpensum nicht losgelöst von jeglicher realen Funktion im Unterricht vermitteln, sondern indem sie eine Brücke zum Alltag schlagen. 6.1.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Formen von Analphabetismus gibt es? 2. Was sind die Ursachen für Analphabetismus? 3. Welche Methoden und Ansätze sind für die Alphabetisierung geeignet? <?page no="223"?> 223 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch Richard Sigel & Mohcine Ait Ramdan Der Erwerb von schriftsprachlichen Kompetenzen stellt typischerweise für alle Altersklassen eine Herausforderung dar. Alle DaZ-Lerner ohne schriftsprachliche Vorerfahrungen, die an einem regulären schulischen Unterricht teilnehmen, müssen wie alle anderen Schüler alphabetisiert werden und die basalen Lese- und Schreibkompetenzen erwerben. Dabei entstehen für einen Teil dieser Lerner im Alphabetisierungsprozess typische Lernhürden, die man auf den ersten Blick als Lehrkraft oft wenig verstehen kann. Im Vergleich zu Muttersprachlern müssen Lerner des Deutschen als Zweitsprache meist mehr Lernhürden und Lernschwierigkeiten bewältigen und gleichzeitig zusätzliche, in der Zweisprachigkeit liegende Stolpersteine bewältigen, mehr Lernmotivation entwickeln und mehr Leistungsbereitschaft zeigen. Lehrkräfte sollten daher in ihren förderdidaktischen Entscheidungen für DaZ-Lerner die Ursachen für diese Schwierigkeiten stets im Blick haben. In dieser Lerneinheit werden theoretisch fundierte Aspekte dargelegt, die eine systematische Diagnostik, Beobachtung und somit eine effektive Förderung ermöglichen. Hierbei werden sämtliche Faktoren, die den Entwicklungsprozess schriftsprachlicher Kompetenzen beeinflussen, erläutert und förderdidaktische Anregungen für die konkrete Lernunterstützung gegeben. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die typischen Lernhürden bei der Alphabetisierung von DaZ-Lernern im schulischen Kontext kennenlernen; ▶ die Zonen und Kompetenzebenen der Lernentwicklung beim Erwerb der Lese- und Schreibkompetenz bei DaZ-Lernern kennenlernen und diagnostizieren können; ▶ den Einfluss der Erstsprachen der Lerner auf den Erwerbsprozess der Lese- und Schreibkompetenz und die sprachspezifischen Stolperstellen, die dadurch verursacht werden, eruieren können; ▶ konkret am Beispiel von Kindern mit Arabisch als Muttersprache erkennen, welche Schwierigkeiten bei der Vermittlung des Deutschen entstehen können. 6.2.1 Pädagogische und fachliche Vorüberlegungen Um DaZ-Lerner bei den komplexen Anforderungen des Schriftspracherwerbs effektiv unterstützen zu können, muss man die Ursachen der Lernprobleme in einen theoretischen Hintergrund einordnen können. Die typischen Lernhürden von DaZ-Lernern hängen besonders ab ▶ von der Kenntnis oder Nicht-Kenntnis der Phonologie in der deutschen Sprache <?page no="224"?> 224 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb ▶ vom Umfang des erworbenen Alltags- und Fachwortschatzes ▶ von den bereits erworbenen Automatismen bei der Worterkennung ▶ vom Kontextwissen beim Erlesen von Sätzen und Texten und ▶ von der Qualität der Lernmotivation und der Lernbereitschaft. Die Hürden sind für DaZ-Lerner wesentlich höher als für Lerner mit Deutsch als Erstsprache. Sie müssen sich mehr anstrengen und das birgt das Risiko, dass die meist zu Schulbeginn vorhandene große Lernmotivation verloren zu gehen droht. Pekrun (2015) beschreibt in einem Interview zum Thema ‚Lernen mit Gefühl’ (in dem er einen Überblick zur Forschungslage über Lernmotivation gibt), wie wichtig positive Gefühle beim Lernen sind. Positive Gefühle hat man als Lerner vor allem dann, wenn man Erfolg hat. Nimmt man alle pädagogische Erfahrung und die aktuelle wissenschaftliche Forschungslage ernst, muss man die Förderangebote für die DaZ-Lerner so gestalten, dass sie ziemlich genau in die nächstliegende Zone der Sprachlernentwicklung reichen, und zwar so, dass die Aufgaben auch zu bewältigen sind. Das menschliche Gehirn arbeitet in Lernprozessen so, dass Erfolg mit einem kleinen Dopaminausstoß belohnt wird. Diese Selbstbelohnungsfunktion muss man sich als Pädagoge oder Pädagogin zunutze machen, indem man möglichst oft Erfolg ermöglicht. Erfolgserlebnisse erhalten Lernmotivation und Anstrengungsbereitschaft. Lernerfolge gewährleistet man, indem man die nächste Zone der Lernentwicklung anspricht und nicht die übernächste (was Überforderung generieren würde). Das Auffinden der nächstgelegenen Zone der Lernentwicklung (siehe Wygotsky in Cole 1978) ist der Königsweg der Unterstützung von DaZ-Lernern. Die grundsätzliche Überlegung ist relativ einfach: Jeder Lerner verfügt zu Beginn des Erwerbs der deutschen Schriftsprache individuell über unterschiedlich entwickelte Kompetenzen. An diese entwickelten Kompetenzen grenzt eine meist ausreichend definierbare, nächste eng umgrenzte Zone der Kompetenzentwicklung, die es ermöglicht, dem letztlichen Lernziel (zum Beispiel Lesekompetenz) einen Schritt näher zu kommen. Würde man die übernächste Zone der Lernentwicklung wählen, träte das Phänomen der fachlichen Überforderung auf, da ein Lernschritt übergangen worden wäre und somit dem Lerner keine echte Möglichkeit gegeben wäre, Erfolg zu haben. Die nächste Zone der Lernentwicklung muss daher genau diagnostiziert werden, um eine Überforderung zu vermeiden. Ermittlung der nächsten Zone der Lernentwicklung 1. diagnostischer Schritt: Gefestigte Kompetenzzone durch systematische Beobachtungen erkennen 2. diagnostischer Schritt: Erreichbare nächste Kompetenzzone durch fachliches Diagnosewissen definieren 3. diagnostischer Schritt: Noch nicht erreichbare Kompetenzzone durch genaue Beobachtung definieren Zone der bereits erworbenen und automatisierten Kompetenzen kleinschrittig und im Detail erkennen nächste Zone der Lernent-wicklung, die auch mit Aussicht auf Erfolg erreichbar ist, operationalisiert beschreiben übernächste Zone der Lernentwicklung, die aktuell kaum zu bewältigen ist, erkennen und vermeiden Zum Beispiel: Erlesen von lautgetreuen Wörtern mit maximal zwei Silben Zum Beispiel: Erlesen von nicht lautgetreuen Wörtern mit maximal zwei Silben Zum Beispiel: Erlesen von Sätzen mit nicht lautgetreuen Wörtern <?page no="225"?> 225 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch Über diese Kompetenz verfügt der Lerner gesichert und kann jederzeit mental darauf zugreifen. Diese Aufgabenstellungen sind zum Teil neu, können aber auf Basis des bisher Gelernten wahrscheinlich erfolgreich bewältigt werden. Diese Kompetenzen überfordern den Lerner, weil wesentliche Vorläuferkompetenzen noch nicht erworben wurden und Erfolg aktuell unmöglich ist. Tabelle 6.2: Ermittlung der nächsten Zone der Lernentwicklung DaZ-Lerner eignen sich die deutsche Schriftsprache anders als Muttersprachler an. Sie müssen bei bestimmten Lernherausforderungen mehr und andere Konstruktionsprozesse bewältigen. Beim Lese- und Schreibkompetenzerwerb finden sich in der Fachliteratur mittlerweile in fast jeder Publikation Hinweise auf spezifische Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb. Das sind Hinweise auf bestimmte Konstruktionsprozesse im Schriftspracherwerb, die für viele Lerner in einer bestimmten Lernphase ein Problem darstellen. DaZ-Lerner stehen natürlich ebenso vor diesen, dem Schriftspracherwerb zugeordneten Lernhürden. Der Schriftspracherwerb als eine hochkomplexe und anspruchsvolle kognitive Herausforderung kennt ganz spezifische Lernhürden, die auch für deutschsprachig aufgewachsene Menschen gelten. DaZ-Lerner müssen diese Lernschwierigkeiten bewältigen und gleichzeitig zusätzliche, in der Zweisprachigkeit liegende Lernhürden bewältigen. Somit müssen sie mehr Lernhürden überwinden, mehr Lernmotivation entwickeln und mehr Anstrengungsbereitschaft zeigen als deutschsprachige Lerner. Die meisten Probleme, die den Prozess des Schriftspracherwerbs erschweren, liegen in den Bereichen Phonologie, Wortschatz, Fachwortschatz, Grammatik (vor allem Deklination und Flexion), Syntax und der Fähigkeit zu automatisierter Selbstkorrektur. Diese Bereiche sind meist in unterschiedlichem Ausmaß mit Schwierigkeiten behaftet. Lehrerinnen und Lehrer müssen dies in ihren förderdidaktischen Entscheidungen für DaZ-Lerner stets im pädagogischen Blick haben. <?page no="226"?> 226 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Abbildung 6.7: Lernhürden im Schriftspracherwerb Zentral für eine pädagogische Diagnostik ist der jeweilige theoretische Hintergrund. Es ist aus fachlicher Sicht unumgänglich, dass Diagnose- und Beobachtungsprozesse die einzelnen Ebenen des Kompetenzerwerbs abbilden. Am Beispiel Lesekompetenz soll dies wie folgt dargelegt werden: L ernhürden im S chrif ts p racherw erb L erner des D eutschen als E rstsp rache D aZ -L erner P honolog ie W ortschatz G rammatik Satzb au Selb stk orrek tur L erner des D eutschen als Z w eitsp rache mü ssen mehr und g rö ß ere L ernhü rden ü b erw inden. . . und in der Folg e muss oft mehr L ernmotivation und mehr A nstreng ung sb ereitschaft aufg eb racht w erden! A uch viele L erner des D eutschen als E rstsp rache mü ssen erheb liche L ernhü rden und L ernp rob leme im Schriftsp racherw erb b ew ä ltig en. P honolog ie - W ortschatz - Satzb au . . . <?page no="227"?> 227 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch 7 . Q uereb ene: Motivationale L ernvoraussetzung en 8 . Q uereb ene: Sp rachliche L ernvoraussetzung en 1 . K omp etenz-, D iag nose- und Fö rdereb ene V orl äuf er- und V oraus s etz ungs k om p etenz en 2 . K omp etenz-, D iag nose- und Fö rdereb ene W orterk ennung durch p honetis ches Recodieren ü b er die L aut-Buchstab en-K orresp ondenz alp hab etische Strateg ie 3 . K omp etenz-, D iag nose- und Fö rdereb ene W orterk ennung durch Zugrif f auf größ ere E inheiten (Morp hematische, O rthog rap hische und L ex ik alische Strateg ie) 4 . K omp etenz-, D iag nose- und Fö rdereb ene S innk ons truk tion in einem S atz (die Satzrep rä sentation) 5 . K omp etenz-, D iag nose- und Fö rdereb ene S innk ons truk tion in k urz en T ex ten (L ok ale K ohä renz = das in Beziehung setzen einzelner I nformationen in Sä tzen) 6 . K omp etenz-, D iag nose- und Fö rdereb ene S innk ons truk tion in l ängeren T ex ten Abbildung 6.8: 6+2 Ebenen-Modell (Sigel 2017b: 227) Dieses 6+2-Ebenen-Modell ermöglicht den Lehrkräften im Laufe einer Förderdiagnostik eine individuelle Verortung der einzelnen Lerner, sodass der Korridor der passenden nächsten Lernentwicklungen und die dazu nötige Förderung ausreichend wahrnehmbar sind. Eine so theoretisch hinterlegte Förderdiagnostik stärkt die Wirkungen von Lernunterstützung und verhindert einen großen Teil der Prozesse von Über- und Unterforderung. 6.2.2 Herausforderungen im Schriftspracherwerb am Beispiel der Lesekompetenz In der einschlägigen Fachliteratur (siehe Wildemann 2015) werden immer wieder typische Schwierigkeiten beim Lesekompetenzerwerb beschrieben. Schründer-Lenzen (2009: 89ff) unterteilt hierbei den Leseprozess mit Blick auf die eher schwächeren Leserinnen und Leser in drei Phasen. Als erste Phase des Leseprozesses definiert Schründer-Lenzen das Erlesen von Wörtern Buchstabe für Buchstabe ohne weitere Segmentierungsstrategien und ohne Nutzung <?page no="228"?> 228 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb von Redundanzfähigkeiten. In der zweiten Phase des Leseprozesses geht es Schründer-Lenzen bei der schnellen Worterkennung um Segmentierungsstrategien und um automatisierte Zugriffe auf größere Einheiten (mehrgliedrige Grapheme, Silben, Signalgruppen und Häufigkeitswörter). Die dritte Phase beschreibt das sinnentnehmende Lesen von Sätzen und Texten. Die folgende Tabelle zeigt diese drei Phasen und benennt gleichzeitig Lernhürden aus der Perspektive von langsamen oder schwächeren Leserinnen und Lesern. Typische Schwierigkeiten in den basalen Leseprozessphasen Kompetenzen und Fähigkeiten typische Schwierigkeiten und Lernhürden in Klasse 1 und 2 allgemein 1. Phase Leseprozess Phonologisches Recodieren ▶ Kennen der wichtigsten Buchstabenformen ▶ Vollzug der Graphem-Phonem-Korrespondenz ▶ phonologisches Recodieren (Erlesen von Wörtern Buchstabe für Buchstabe) ▶ Fähigkeit der Synthese (Verschleifen der einzelnen Laute zu einer Wort-Klanggestalt) ▶ artikulatorisches und mentales Probierverhalten auf der Suche nach der Wortklanggestalt (selfmonitoring bei der Überprüfung der Leseversuche: klingt sinnvoll klingt noch nicht sinnvoll) ▶ Verwechslungen auf der visuellen Ebene (<b>/ <d>, <p>/ <q>, <m>/ <n>) ▶ Verwechslungen, erste Syntheseleistungen, Gedächtnisanforderungen ▶ unvollständige Syntheseleistungen, zu wenig Flexibilität bei der Klangausgestaltung (lang/ kurz) ▶ zu wenig Probierverhalten und Flexibilität im Syntheseprozess bei der Erstellung passender Klanggestalten ▶ Fehlende Fähigkeit, die Artikulation der Klanggestalten auf Korrektheit zu überprüfen und mangelnde Motivation und Anstrengungsbereitschaft wegen häufiger Misserfolgserlebnisse 2. Phase Leseprozess sinnerfassendes Lesen auf der Wortebene Aufbau eines Sichtwort-schatzes durch Automatisierungs-prozesse ▶ Fähigkeit auf das innere semantische Lexikon zuzugreifen ▶ Häufigkeitswörter schnell decodieren (= inhaltlich zuordnen) können ▶ Kurze Wörter schnell decodieren können ▶ Segmentierungsstrategien sinnvoll anwenden können (mehrgliedrige Laute und Silben rasch erfassen, Morpheme und Signalgruppen einordnen können) ▶ Redundanzen schnell abspeichern und wiedererkennen ▶ Bei längeren Wörtern Buchstaben automatisiert durch flexible mentale Synthesefähigkeit zum Wortganzen verbinden und artikulatorisch anpassen können (Selfmonitoring) ▶ langsamer Zugriff auf das innere semantische Lexikon ▶ Häufigkeitswörter lange Zeit langsam Buchstabe für Buchstabe erlesen ohne schnelle Wiedererkennung ▶ Kurze Wörter ebenfalls nur phonologisch recodierend lesen ▶ Nur Anwendung des Prinzips ‚Buchstabe für Buchstabe lesen’ ohne größere Einheiten auf einen Blick erkennen und mental-strategisch nutzen können ▶ Redundanzen nicht als Hilfestellung bei der Worterkennung einsetzen ▶ Längere Wörter nur langsam recodierend erlesen ohne automatisierte Flexibilität im Syntheseprozess <?page no="229"?> 229 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch Kompetenzen und Fähigkeiten Typische Schwierigkeiten und Lernhürden für eher schwächere Leser 3. Phase Leseprozess Verstehen der Sinnzusammen-hänge auf Satz- und Textebene ▶ Einfache Wortfolgen auf Satzebene in einen Sinnzusammenhang stellen können ▶ Inhaltliches Kontextwissen zum Satzinhalt mental aufrufen können ▶ Syntaktisch-analytisches Vorwissen in die Sinnkonstruktion einbinden (zum Beispiel: Verbklammer) ▶ Pragmatischen Kontext erkennen und in die Sinnkonstruktion einbinden (Pragmatik bedeutet eine passende Einschätzung der Kommunikationssituation inklusive Gestik, Mimik, Sprachform, ...) ▶ Verlesungen selbständig als unpassend erkennen und korrigieren können ▶ Lokale Kohärenzen zwischen den Sätzen verstehen (das heißt Bezüge von Pronomen, Adverbien, Konjunktionen mental zuordnen können) ▶ Globale Kohärenzen herstellen können (ganze Textzusammenhänge passend interpretieren können) ▶ Längere Wörter im Satzzusammenhang rasch decodieren und in die Satzbedeutung integrieren können ▶ Wenig oder kein Kontextwissen, welches zum Satzverständnis nötig ist ▶ Kaum zielgerichteter paralleler Abruf von syntaktisch-analytischem Vorwissen ▶ Kaum Fähigkeit den Kommunika-tionszusammenhang im Text für das Sinnverständnis nutzen zu können (zum Beispiel: bei einer wörtlichen Rede oder bei einem Gespräch unter Freunden versus Gespräch mit Erwachsenen) ▶ Verlesungen zum Beispiel aus mangelnder Spracherfahrung heraus nicht erkennen können ▶ Pronomen (wer ist mit ‚sie’ gemeint), Adverbien (was bedeutet ‚oben’) und Konjunktionen (was bedeutet ‚oder’) passend zuordnen können ▶ Über das nötige komplexe Kontextwissen und die für lange Texte nötige Anstrengungsbereitschaft verfügen Tabelle 6.3: Typische Schwierigkeiten in den basalen Leseprozessphasen (Schründer-Lenzen 2009: 88ff) Die hier beschriebenen Lernhürden und Schwierigkeiten beziehen sich auf Kinder, sie sind jedoch auf alle Altersklassen übertragbar. Ein Teil der Lerner überwindet rasch die Lernhürden und baut automatisierte kognitive Zugriffsstrategien bereits im ersten Schuljahr auf. Ein anderer Teil benötigt länger Zeit und mehr Unterstützung, um die oben beschriebenen Schwierigkeiten zu überwinden. Allerdings gilt für viele Lerner, dass eine nicht zu unterschätzende Zeitspanne der nachhaltigen Übung und der oft anstrengenden und wenig freudvollen Beschäftigung mit der komplexen Herausforderung ‚Lesen’ nötig ist. 6.2.3 Spezifische Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb bei DaZ-Lernern und deren Förderung Lerner, die Deutsch als Zweitsprache erlernen, haben oft quantitativ und qualitativ weniger Vorwissen und Vorläuferkompetenzen beim Lesekompetenzerwerb zur Verfügung als deutsche Kinder. Sie verfügen in aller Regel über weniger Wortschatz, weniger syntaktische und grammatikalische Erfahrungen im Deutschen und sie müssen zwei phonetische Systeme verarbeiten. Die Identifizierung der üblichen deutschen Laute ist ihnen oft nicht geläufig, sondern sie müssen in Teilen völlig neue, in ihrer Herkunftssprache nicht vorkommende Laute, Buchstaben, Buchstabenkombinationen kennenlernen und im Leseprozess möglichst schnell automatisiert verarbeiten. Wenn man nur die Zahl der deutschen Vokale (je nach Definition bis zu 23 Ausprägungen) im Vergleich zum Beispiel mit der Zahl der arabischen Vokale (drei Vokale ‒kurz und lang <?page no="230"?> 230 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb gesprochen sechs Vokale) vergleicht, dann wird an diesem einzelnen Teilbereich deutlich, vor welchen zusätzlichen Herausforderungen die DaZ-Lerner stehen können. Ehlich (2007: 19) identifiziert fünf sprachliche Qualifikationsebenen (siehe hierzu auch die Kommentare in Lerneinheit 8.2 im Band »Propädeutikum«), auf denen Kompetenzen entwickelt werden müssen: ▶ die phonetische Qualifikation (Lautdifferenzierung, Aussprache); ▶ die pragmatische und diskursive Qualifikation (sprachliche Kommunikation und Kooperation, Erzählfähigkeit, kommunikativer Aufbau von Phantasiewelten); ▶ die semantische Qualifikation (Wortschatz- und Bedeutungserwerb); ▶ die morphosyntaktische Qualifikation (Strukturen der Wörter und Sätze); ▶ die literale Qualifikation (Lesen und Schreiben) Die grundsätzliche Frage lautet: In welchen Lernsituationen erwirbt ein Lerner die eben beschriebenen Qualifikationen? Es gibt zwei Welten, in denen gelernt wird: Die Welt des gesteuerten Lernens und die Welt der natürlichen Sprachbegegnung auf Deutsch außerhalb des Unterrichts. Letztere ist die effektivere. Zum Beispiel kann man die Vielzahl von Satzstrukturen im Deutschen den sechsbis achtjährigen Kindern oder den erwachsenen totalen Analphabeten nicht strukturiert beibringen (man denke nur an die vielen verschiedenen Verbstellungen), sie werden vielmehr im deutschen Sprachbad durch tägliches Hören und Nachsprechen eingeübt und dadurch recht schnell gelernt. Das Problem ist aber oft, dass die Lerner zu wenig in die freien Sprachlernsituationen integriert sind, sodass sie zu selten aktivierende natürliche Kommunikationssituationen erleben können (vergleiche Jeuk 2015, siehe auch Kapitel 3 zu den Prinzipien des Sprachenerwerbs im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Legt man den Fokus auf die gesteuerte Lernsituation im Unterricht, so müssen die Lehrerinnen und Lehrer die spezifischen Lernhürden für DaZ-Lerner kennen (vergleiche Günther 2011; Jeuk 2015; Sigel 2017a) und in ihren förderdidaktischen Bemühungen berücksichtigen. Am Beispiel des Anfangsunterrichts in der Grundschule (Beispiel Lesekompetenzerwerb) sollen einige wesentliche Lernhürden und Anregungen für ihre Bewältigung durch die DaZ-Kinder in einer Übersichtstabelle dargestellt werden. Diese Lernhürden gelten im Grunde genommen für Lerner in allen Altersklassen mit geringen schriftsprachlichen Vorerfahrungen. 1. Kompetenzebene: Vorläufer- und Voraussetzungskompetenzen Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder Förderdidaktische Anregungen: Silbensegmentierung Wörter in Silben aufzugliedern fällt vielen Lernern schwer, weil Silbensegmentierung nur mit bekanntem Wortschatz umsetzbar ist. Zudem unterscheiden sich die Herkunftssprache und die Zweitsprache Deutsch in der Wort- und Satzprosodie (Betonung, Tempo, Rhythmus). DaZ-Kinder können mangels Erfahrung nicht oder nur wenig auf Kinderlieder und Kindertexte auf Deutsch aus der Vorschulzeit zugreifen, was eine Silbensegmentierung erheblich erschwert. Üben nur mit bekanntem Wortschatz, mit anfänglich nur kurzen Wörtern und vielfältig motorisch unterstützt (klatschen, stampfen,...). Häufige Wiederholungen mit bekanntem Wortschatz sichert das neue Wissen. <?page no="231"?> 231 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch Anlaute hören DaZ-Kinder müssen sich zu Beginn in der phonologischen Welt des Deutschen orientieren. Sie haben die Phonologie ihrer Erstsprache präsent und müssen in die Feinheiten der Phonologie der Zweitsprache einsteigen. Die verschiedenen Erstsprachen unterscheiden sich erheblich in ihren phonologischen Unterschieden zur deutschen Sprache. Anlautübungen sind für DaZ-Kinder besser nachvollziehbar, wenn sie mit der Buchstabeneinführung verbunden sind. Wichtig ist die Verwendung von bekannten Wörtern. Es gibt gut hörbare und weniger gut hörbare Phoneme. Anfänglich leichter für DaZ-Kinder zu hören sind nasale Laute (/ m/ - / n/ ...) und frikative Laute (/ f/ , / s/ ...). Die plosiven Laute (/ p/ , / t/ , / k/ ) hört man nur kurz und sind somit schwieriger zu identifizieren. Deutsch gehört zu den vokalreichen Sprachen. Hier ist eine langsame und mit viel Übung verbundene Einführung (beginnend mit <a>, <e>, <i>, <o>, <u> - kurz und lang -) nötig. Dabei sollte anfänglich in der Regel nur ein begrenzter Grundwortschatz zum Einsatz kommen. Reime bilden Reime bilden fällt DaZ-Kindern sehr schwer. Oft fehlt ein ausreichend differenzierter Wortschatz, um passende Reimwörter zu finden. Reimbildung sollte nur mit vorgegebenen Wörtern geübt werden. Auch hier ist stets auf einen bekannten Wortschatz zurückzugreifen. Eigenständiges Bilden von Reimpaaren ohne Vorgaben ist oft sehr überfordernd. Tabelle 6.4: Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder und förderdidaktische Anregungen: Vorläufer- und Voraussetzungskompetenzen 2. Kompetenzebene: Worterkennung durch phonetisches Recodieren Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder Förderdidaktische Anregungen Alphabetisierung: Lesen und Schreiben durch systematische Lehrgangsarbeit DaZ-Kinder müssen zuerst die phonetischen Eigenheiten der deutschen Sprache erlernen. Das Vorwissen der DaZ-Kinder in den Bereichen Phonetik, Wortschatz, Syntax und Grammatik ist sehr heterogen. Laut dem aktuellen Stand der Forschung ist für die meisten DaZ-Kinder ein systematischer Lehrgang zur Einführung der Buchstaben und der Graphem-Phonem-Zuordnungen der erfolgreichere methodische Zugang (vergleiche Jeuk 2015; Schründer-Lenzen 2009: 173f). Der Hauptgrund liegt in der großen Herausforderung der vielen Details der Phonetik und Orthographie in der deutschen Sprache gespickt mit etlichen Ausnahmen und Besonderheiten. Eine strukturierte, langsame und genaue Einführung aller Buchstaben und Buchstabenkombinationen in Verbindung mit den zugehörigen Lauten und Lautkombinationen hilft den DaZ-Kindern ganz erheblich beim phonetischen Recodieren und Decodieren. Längere Phasen des Übens der gelernten Zeichen ohne gleichzeitige Einführung von neuen Buchstaben erwiesen sich als effektiv (Richtgröße: nach 8 eingeführten Buchstaben zwei Wochen reine Übungszeit). Lautgetreue und nicht-lautgetreue Wörter Deutsch ist überwiegend (etwa zu 70 Prozent) eine lautgetreue Sprache. Die Alphabetisierung basiert auf dem Prinzip der Graphem-Phonem-Korrespondenz. Jedes Zeichen wird möglichst eindeutig einem Laut zugeordnet. Wenn man diese Laute dann verbindet oder verschleift (Synthese) entsteht ein Klangbild, dem im Abgleich mit dem semantischen Lexikon dann eine Bedeutung zugeordnet werden kann. Die Graphem-Phonem-Korrespondenz verbunden mit der Synthesearbeit kann mit lautgetreuen Wörtern am leichtesten erlernt werden. DaZ-Kinder müssen bis zur sicheren Automatisierung des Recodierens und Decodierens von lautgetreuen Wörtern ‚geschützt’ werden vor schwierigen Graphem-Phonem-Zuordnungen (wie zum Beispiel <sch>, <tt>, <ck>, <ie>, <ieh>, <ng>, <qu>, <ee>, <ch>, <x>, <tz>, <sp>, <st>,...). Zu frühes Üben von nicht lautgetreuen Wörtern verwirrt die DaZ-Kinder und verhindert das sichere Verstehen des Grundprinzips. <?page no="232"?> 232 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Synthesearbeit und Decodieren Bei der Worterkennung durch phonetisches Recodieren wird Buchstabe für Buchstabe und Laut für Laut entschlüsselt. Dabei müssen die einzelnen Laute verbunden werden, damit ein wortähnliches Klangbild entstehen kann. Dieses Verschleifen, also phonetisches Zusammenziehen der Laute macht die Synthese aus. Aufgrund des meist begrenzten Wortschatzes und der begrenzten Spracherfahrung können DaZ-Kinder oft nur langsam die Synthese bilden, finden nicht so schnell die richtige Intonation und produzieren öfter ein Gesamtklangbild, das dem wirklich passenden Klangbild (Tiiigeeeer statt Tiger) oft zu wenig ähnlich ist, um die semantische Bedeutung durch den Abgleich mit dem semantischen Lexikon (auditiv gespeichert) deutlich werden zu lassen. Es helfen Syntheseübungen folgender Art: ▶ Übungen, in denen ein fester Konsonant mit wechselnden Vokalen vorgegeben wird (ma, me, mi, mo, mu...) in der Folge können dann lautgetreue kurze Wörter synthetisiert werden mit Übungen zu einer flexiblen Intonation (Laute verkürzen und verlängern) ▶ Wortschatz, der den Kindern phonetisch und semantisch klar ist (also Wörter, mit denen das erlesene Klangbild leicht erkennbar wird, auch wenn die Intonation nicht auf den ersten Versuch hin genau passt) ▶ anfänglich nur lautgetreue Wörter ▶ anfänglich nur kurze Wörter Übungswortschatz Phonetisches Recodieren erfordert vielfältige visuelle, auditive, mentale, motivationale und volitionale Anstrengungen. Am Ende soll der semantische Inhalt eines Wortklangbildes erkannt werden. Der Übungswortschatz muss bestimmte Qualitäten aufweisen. Das Lernprinzip heißt: zuerst das Grundprinzip des phonetischen Recodierens lernen und danach die Besonderheiten lösen. Hierfür muss der Übungswortschatz anfänglich drei Kriterien erfüllen: 1. Übungswörter müssen lautgetreu aufgebaut sein 2. Übungswörter sollen kurz sein (ein- oder zweisilbig) 3. Übungswörter sollen den DaZ-Kindern inhaltlich und phonetisch völlig klar sein Tabelle 6.5: Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder und förderdidaktische Anregungen: Worterkennung durch phonetisches Recodieren 3. Kompetenzebene: Worterkennung durch Zugriff auf größere Einheiten Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder Förderdidaktische Anregungen Visueller und auditiver Zugriff auf größere Einheiten Der Zugriff auf größere Einheiten (mehrgliedrige Buchstaben, Silben, Morpheme, Signalgruppen, kurze Wörter sowie Häufigkeitswörter) setzt das automatisierte phonetische Recodieren bei lautgetreuen Wörtern (mit mindestens zwei Silben) voraus. Ein Teil der DaZ-Kinder verfügt nur über einen eingeschränkten Wortschatz. Dies bedeutet, dass das Decodieren eines Wortes (also die Bedeutungszuschreibung) nur im Rahmen des bekannten Wortschatzes möglich ist. Bei spezifischen ‚Lieblingsthemen‘ kann jedoch durchaus ein breiterer Wortschatz zur Verfügung stehen. Die größeren Einheiten sollten anfänglich mit einem eng umgrenzten Wortschatz geübt werden. Auch hier gilt der Grundsatz, dass eher kurze Wörter, die inhaltlich völlig klar sind, angeboten werden sollen. Regelmäßige Blitzwortübungen, bei denen Häufigkeitswörter und Wortfelder mit gleichen Morphemen, Signalgruppen oder Vor- und Endsilben erstellt werden, stellen hierfür hilfreiche Übungen dar. Wenn die Kinder dabei selbständig Übungswörter suchen, ist gewährleistet, dass diese auch inhaltlich klar sind. Ein Übungsheft oder ein Karteikasten, in denen die bereits geübten beziehungsweise gelernten Wörter festgehalten sind, unterstützen Wiederholungsübungen. Erste orthographische Übungen Beim schnellen Zugriff auf Häufigkeitswörter bietet es sich an, die ersten orthographischen Lerneinheiten zu etablieren. Eine begrenzte Zahl von Lernwörtern mit je ähnlichen orthographischen Eigenheiten (zum Beispiel Großschreibung, Vorsilbe ‚ver’, Dehnungs-h beim Wortstamm ‚fahren’ etc.) hilft den DaZ-Kindern erste orthographische Regelmäßigkeiten zu erkennen. Tabelle 6.6: Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder und förderdidaktische Anregungen: Worterkennung durch phonetisches Recodieren <?page no="233"?> 233 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch 4. Kompetenzebene: Inhaltliche Repräsentation von Sätzen Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder Förderdidaktische Anregungen Sprachliche Herausforderungen in Übungssätzen eingrenzen Es reicht beim Lesen von Sätzen nicht, die einzelnen Wörter zu recodieren und decodieren, sondern die inhaltliche Aussage des gesamten Satzes muss konstruiert werden. In diesem Sinne erfordert das Lesen von Sätzen mindestens drei Fähigkeiten: Eine gute Worterkennung, ein klares Wissen über den inhaltlichen Kontext, in dem der Satz steht (Der Ritter sitzt auf seinem Pferd.) und ein Mindestmaß an Leseflüssigkeit. Die qualitativen und quantitativen Kriterien der Satzstruktur entscheiden über die Verstehenschancen bei den DaZ-Kindern. Die Übungssätze sollten anfänglich folgende Kriterien erfüllen: ▶ sie sollten als einfacher Hauptsatz ohne Nebensatz konstruiert sein ▶ sie sollten kurz bis sehr kurz sein ▶ vorkommende Wörter sollten den DaZ-Kindern inhaltlich klar sein ▶ sie sollten anfänglich möglichst nur lautgetreue Wörter enthalten ▶ Wörter in den Sätzen sollten nur ein- oder zweisilbig sein ▶ sie sollten in einem dem Kind bekannten Kontext handeln Die Berücksichtigung dieser Kriterien ermöglicht es den DaZ-Kindern, den Satz in einer angemessenen Geschwindigkeit zu lesen, sodass eventuell durch mehrmaliges vor sich hin sprechen ein inhaltliches Verstehen möglich wird. Treten zu viele Schwierigkeiten schon bei der Worterkennung auf (zu langes Wort, unbekannte Wortbedeutung oder zu viele lange Wörter hintereinander...), kann ein Satz in seiner gesamten Klanggestalt nicht auditiv produziert werden. Tabelle 6.7: Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder und förderdidaktische Anregungen: Inhaltliche Repräsentation von Sätzen 5. Kompetenzebene: Sinnkonstruktion in kurzen Texten (lokale Kohärenz) Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder Förderdidaktische Anregungen Sprachliche Herausforderungen in kurzen Texten eingrenzen Wer kurze Texte verstehen will, muss mindestens vier Fähigkeiten besitzen: Eine schnelle Worterkennung, eine ausreichende Leseflüssigkeit, eine klare Erkennung der einzelnen Satzinhalte und das Verknüpfen der einzelnen Satzinhalte zu einem Textverständnis. Hierfür sollten Texte anfänglich bestimmte Kriterien erfüllen. ▶ Ziel muss sein, dass der Übungstext das DaZ-Kind nicht überfordert. Hierzu sollte der Text folgende Kriterien erfüllen: ▶ Der Übungstext sollte kurz sein (drei bis sieben Sätze). ▶ Es sollten nur kurze Hauptsätze vorkommen. ▶ Die Wörter im Text sollten ebenfalls kurz sein (große Schwierigkeiten bei der einzelnen Worterkennung lässt keine kognitiven Kapazitäten für das Textverstehen übrig). ▶ Alle Wörter im Text sollten dem Kind inhaltlich klar sein. ▶ Der Text sollte durch Bilder, Skizzen, Fotos etc. inhaltlich unterstützt sein. ▶ Der Gesamtkontext des Textes sollte dem Kind vertraut sein. ▶ Lieblingsthemen der Kinder sollten bei der Textauswahl, so weit möglich, stets berücksichtigt werden. <?page no="234"?> 234 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Pronomen, Adverbien und Konjunktionen als Mittel der inhaltlichen Satzverknüpfung Pronomen, Adverbien und Konjunktionen sind abstrakte Informationsmittel im Satz (Sie fliegt nach oben, aber der Zauberstab fällt unten in den Brunnen.). Wer mit sie gemeint ist, wo genau oben ist, was das aber genau bedeutet, ist erst mal abstrakt und muss durch Informationen in den anderen nahe stehenden Sätzen erschlossen werden. Der Umgang mit Pronomen, Adverbien und Konjunktionen bei ersten Leseversuchen muss im Unterrichtsgespräch explizit angesprochen und geübt werden: ▶ Die kurzen Texte sollten anfänglich nur syntaktisch gut verstehbare Pronomenzuordnungen anbieten (zum Beispiel wird die Hexenfigur abwechselnd mit Hexe oder mit sie verschriftet, weitere Pronomen werden erst schrittweise eingeführt). ▶ Die Pronomenzuordnungen müssen mündlich bei der Textvorbereitung erklärt werden (Impuls: Wie kann man denn zur Hexe noch sagen? ). ▶ Die Adverbien können nur durch Informationen aus anderen Sätzen oder Satzteilen verstanden werden. Kinder müssen im Unterrichtsgespräch auf Bedeutungsmöglichkeiten der Adverbien angesprochen werden und gefragt werden, wo im Text beschrieben ist, was oben oder unten bedeutet. ▶ Konjunktionen sind besonders schwierig zu vermitteln. Anfänglich sollten nur die Konjunktionen dann, danach, und sowie oder verwendet werden. Andere Konjunktionen wie aber, jedoch, trotzdem etc. sind bei ersten Leseversuchen oftmals zu abstrakt und schwer verständlich. Tabelle 6.8: Ausgewählte typische Lernhürden für DaZ-Kinder und förderdidaktische Anregungen: Sinnkonstruktion in kurzen Texten (lokale Kohärenz) Bei der Auswahl beziehungsweise der Konzipierung der Aufgaben oder beim Treffen didaktischer Entscheidungen sollte die motivationale Ebene immer berücksichtigt werden, denn Ziel der Lesedidaktik ist stets die Ermöglichung von intrinsischer Lesemotivation. Diese entsteht jedoch nur im Laufe von vielen Erfolgserlebnissen im Leselernprozess. Da DaZ-Kinder meist erhebliche Lernhürden beim Spracherwerb überwinden müssen, ist gut nachvollziehbar, dass die Auswahl der Texte von großer Bedeutung für den Erhalt von Motivation und Lernbereitschaft ist. Hauptkriterium dabei ist, Überforderungssituationen möglichst zu vermeiden und durchgängig Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. 6.2.4 Zur Rolle der kontrastiven Sprachbetrachtung am Beispiel Arabisch-Deutsch Sind bisher in dieser Lerneinheit die sprachlichen und schriftsprachlichen Stolpersteine allgemein für DaZ-Lerner angesprochen worden, so muss man jedoch konstatieren, dass in allen Erstsprachen von DaZ-Lernern auch spezifische Schwierigkeiten beim Deutschlernen verankert sein können. Im Folgenden werden einige DaZ-Stolpersteine identifiziert, die aus der Perspektive der Erstsprache Arabisch besonders anfällig sein können. Also dort, wo in der Herkunftssprache des Lerners Sprachstrukturen vorhanden sind, die das Lernen des Deutschen als Zweitsprache besonders erschweren könnten (zum Beispiel gibt es im Arabischen keine Konsonantenhäufungen, sondern nur Konsonant-Vokal-Konsonant-Vokal-Folgen, die für jedes arabische Kind extrem schwierig zu verstehen sind). Diese sprachkontrastive Vorgehensweise geht auf die Publikation ‚Das mehrsprachige Klassenzimmer ‒Über die Muttersprachen unserer Schüler’ zurück (Krifka, Blaszczak, Leßmöllmann, Meinunger, Stiebels, <?page no="235"?> 235 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch Tracy & Truckenbrodt 2014). Dort werden für die verschiedenen Erstsprachen spezifische Stolpersteine beschrieben. Im Material ist beispielhaft aufgeführt, wie sich DaZ-Stolpersteine für arabischsprechende Lerner darstellen. Auf der Website www.foeri.de sind DaZ-Stolpersteine zu verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Die Kenntnis dieser DaZ-Stolpersteine für die Lehrkraft und die individuelle Beobachtung bei DaZ-Lernern können die jeweiligen Förderentscheidungen konkretisieren und verfeinern. Bei den Lehrerinnen und Lehrern wächst damit das Verständnis für Lernhürden beim Erlernen von Deutsch als Zweitsprache. Einschränkend muss aber gleichzeitig auf die allgemeinen kritischen Einwände gegen einfache Interferenzannahmen und Kontrastivhypothesen verwiesen werden (siehe dazu Lerneinheit 2.2 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Sie sind empirisch nicht hinlänglich bestätigt. Auf der Ebene der Automatisierung (Aussprache, Schrift) scheinen sie jedoch einen hinreichenden Einfluss haben zu können. Exemplarisch für die kontrastiv bedingten Annahmen können mit dem folgenden Beobachtungsbogen die spezifischen Stolperstellen für arabischsprechende Deutschlerner erfasst werden. Dadurch werden notwendige Förderschwerpunkte deutlicher und genauer abgrenzbar. Kontrastive Sprachbetrachtung Arabisch-Deutsch -9 häufig vorkommende Stolperstellen für arabische Deutschlerner (nach Krifka et al. 2014: Das mehrsprachige Klassenzimmer) Name des Lerners: _________________________________ Datum: _______________________ Schule/ Institution: ____________________________________________________________________ Protokollierende Lehrkraft: _____________________________________________________________ Typische Stolperstellen für arabische Kinder mit DaZ Übungsbedarf Datum: Übungsbedarf Datum: Übungsbedarf Datum: 1 Aussprache: Probleme beim Erwerben der korrekten Aussprache der bis zu 23 deutschen Vokale an sich und beim Verlauten von Umlauten, da nur drei Vokale (<a>, <i>, <u> und diese jeweils kurz und lang) im Arabischen zur Verfügung stehen. ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 2 Aussprache: Bei den Konsonanten gibt es die meisten Schwierigkeiten bei jenen, die im Arabischen fehlen (zum Beispiel <b> und <v>). Aber auch beim Zäpfchen-r oder ich-Laut. ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 3 Aussprache: Häufig kommt es bei Konsonantenhäufungen zum Einsetzen eines Hilfsvokals. Besonders bei Konsonantenverbindungen am Wortanfang, da es diese im Arabischen nicht gibt. (Strumpf > Sturumpf) ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 4 Aussprache: Schwierigkeiten bei der Betonung, da die arabische Sprache nicht betonungsunterscheidend ist. (übersetzten versus übersetzten) ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O <?page no="236"?> 236 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb 5 Flexion: Besonders schwierig ist das Erlernen der deutschen Fälle. Insbesondere deren Gebrauch nach Präpositionen (ins Haus hinein). Im Arabischen kommt nach allen Präpositionen immer der Genitiv. ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 6 Flexion: Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen starker und schwacher Deklination der Adjektive (diese netten Mädchen, ein nettes Mädchen). Häufig werden Endungen einfach ausgelassen. ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 7 Satzbau: Schwierigkeiten bei Verb-Zweitstellung und Verb-Letztstellung im Hauptversus Nebensatz, da dies im Arabischen unbekannt ist. ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 8 Satzbau: Unterschied in der Abfolge von Nomen und Adjektiv. (Deutsch: ein großes Haus; Arabisch: Haus groß) ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 9 Satzbau: Ein weiteres Problem besteht im Fehlen der Kopula im Arabischen (Kopula umfassen die Verben ‚sein’, ‚werden’ und ‚bleiben’) im Präsens. (Beispiel: Herr Mayer Lehrer statt Herr Mayer ist Lehrer) ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 10 Satzbau: die Möglichkeit der Subjektauslassung im Arabischen (Beispiel: kam gestern statt Herr Mayer kam gestern). ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O ja sehr teilweise wenig O O O 11 Sonstige Beobachtungen und Anmerkungen Tabelle 6.9: Kontrastive Sprachbetrachtung Arabisch-Deutsch - 9 häufig vorkommende Stolperstellen für arabische Deutschlerner (nach Krifka et al. 2014: 135-156) 6.2.5 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie gelernt, ▶ welchen typischen Lernhürden DaZ-Lerner beim Erwerbsprozess der Lese- und Schreibkompetenz gegenüber deutschsprachigen Lernern begegnen. ▶ wie wichtig Erfolgserlebnisse für Lerner sind. Lernerfolge gewährleistet man dann, wenn man die nächste Zone der Lernentwicklung erreicht. ▶ dass eine theoretisch begründete Förderdiagnostik die Wirkungen von Lernunterstützung stärkt und einen großen Teil der Prozesse von Über- und Unterforderung verhindert. ▶ welche Lernentwicklungszonen und Kompetenzebenen sich DaZ-Lerner im Lernprozess aneignen müssen und wie man diese diagnostizieren kann, um eine effektive Förderung anzubieten. ▶ wie die erreichbare nächste Kompetenz durch fachliches Diagnosewissen definiert werden kann. <?page no="237"?> 237 6.2 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch ▶ welche typischen Schwierigkeiten in den verschiedenen Kompetenzebenen bei DaZ-Lernern auftauchen. ▶ welche förderdidaktischen Anregungen für die möglichen Schwierigkeiten, mit denen Lerner in den verschiedenen Kompetenzebenen konfrontiert sind, angemessen sind. ▶ dass abhängig von der Erstsprache spezifische Schwierigkeiten beim Deutschlernen verankert sind. Dies liegt in der jeweiligen phonologischen, grammatikalischen, syntaktischen und morphematischen Struktur der Erstsprache. 6.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie Lernhürden, die für DaZ-Lerner beim Schriftspracherwerb entstehen. 2. Erläutern Sie den Begriff phonologisches Recodieren und nennen Sie ein Beispiel. 3. Auf welche Voraussetzungen ‒die die DaZ-Lerner mitbringen ‒müssen Lehrkräfte aufbauen, die DaZ-Lerner bewusst fördern wollen? 4. Erklären Sie den Dreischritt bei der Bestimmung der Lernentwicklungszone und geben Sie ein Beispiel. <?page no="238"?> 238 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb 6.3 Mündlichkeit und orthographische Kompetenz im silbenanalytischen Ansatz Mohcine Ait Ramdan Die Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch stellt nicht nur für den Bereich der Erwachsenenbildung eine Herausforderung für Bildungsinstitutionen und Lehrkräfte dar. Die Migrationsströme bedingen, dass sich die Beschulung von Lernern in allen Altersklassen ähnlichen Herausforderungen stellen muss. Eine adäquate Sprachförderung bedarf einer ausgewogenen Progression der einzelnen Fertigkeiten des sprachlichen Handelns der Lerner. Die Förderung der mündlichen Kompetenzen in den Anfangsphasen des Schriftspracherwerbs ist elementar für diesen. Ziel dieser Lerneinheit ist es zu zeigen, welche Rolle die mündlichen Kompetenzen für die Entwicklung und die Automatisierung des Lese- und Schreibprozesses spielen (vergleiche Ait Ramdan 2017). Dabei wird zuerst die Relevanz von mündlichen Kenntnissen für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb erläutert. Weiterhin wird ausgehend von einem silbenbasierten Ansatz gezeigt, wie die orthographische Kompetenz gezielt von Anfang an in den Fokus der Förderung gerückt werden muss. Exemplarisch wird ein silbenanalytischer Vermittlungsansatz, der eigens für die Alphabetisierung von Erwachsenen konzipiert wurde, präsentiert. Dabei wird einerseits dargestellt, welche Grundmuster des mündlichen Sprachgebrauchs (Silbenstruktur im Deutschen) die Basis für den Schriftspracherwerb bilden und andererseits, wie sie systematisch bei der Arbeit mit Lernern des Deutschen als Zweitsprache eingesetzt werden können, um relativ früh eine orthographische Kompetenz zu erreichen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Rolle der mündlichen Kompetenz für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb kennenlernen; ▶ durch eine gezielte Förderung der mündlichen Kompetenz die Lerner auf einen erfolgreichen Schriftspracherwerb vorbereiten können; ▶ Muster des gesprochenen Sprachgebrauchs für die Vermittlung der orthographischen Kompetenz nutzen können; ▶ mit adäquaten Materialien die Aufmerksamkeit auf die typischen Silbenmuster des Deutschen lenken und sie dann für die orthographischen Besonderheiten fruchtbar machen können. <?page no="239"?> 239 6.3 Mündlichkeit und orthographische Kompetenz im silbenanalytischen Ansatz 6.3.1 Mündliche Kompetenzen als Basis des Schriftspracherwerbs Für den Schriftspracherwerb von Deutsch als Zweitsprache existiert bereits seit einigen Jahren eine Fülle von didaktischen Ansätzen. Ihr gemeinsames Ziel ist die Sprachförderung von Lernern, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Diese werden in Alphabetisierungskursen für Jugendliche und Erwachsene und in Grundschulen praktisch umgesetzt, um die Lerner möglichst schnell an die deutsche Schriftsprache heranzuführen beziehungsweise sie darauf vorzubereiten. Die Konzipierung dieser didaktischen Ansätze beruht meistens auf den gängigen theoretischen Modellen des Schriftspracherwerbs, die auf deutschsprachige Lerner ausgerichtet sind (vergleiche zum Beispiel Frith 1985; Günther 1986) und deren Übertragbarkeit auf den Schriftspracherwerb in der Zweitsprache noch nicht belegt wurde. All diese Modelle gehen davon aus, dass der Schriftspracherwerb ein mehrstufiger Entwicklungsprozess ist. Dabei beziehen sich die Stufen des Schriftspracherwerbs auf die jeweils dominierenden Verarbeitungsstrategien, zum Beispiel auf die logographische oder die alphabetische Stufe. Hierbei stellt die orthographische Kompetenz den Abschluss des Entwicklungsprozesses dar. Die Lerner können dann nicht mehr allein durch einzellautorientiertes Codieren und Recodieren, sondern auf der Basis orthographischer Regularitäten, Wörter erlesen und schreiben. Beim Entwicklungsprozess des Schriftspracherwerbs ist die mündliche Kompetenz eine elementare Voraussetzung, die die Vermittlung von Schriftsprache beschleunigt und die bei Lernern deutscher Erstsprache in der Regel vorhanden ist. Lernern nicht deutscher Erstsprache fehlt diese grundlegende Voraussetzung häufig in den Anfangsphasen des Schriftspracherwerbs und somit stellt eine systematische Förderung dieser Fertigkeit eines der ersten und wichtigsten Lernziele zu Beginn der Sprachvermittlung dar. Wie bereits erwähnt, gehen Modelle des Schriftspracherwerbs von Lernern mit Deutsch als Erstsprache aus und setzen somit mündliche Kompetenzen in der deutschen Sprache voraus. Die Vermittlung von schriftsprachlichen Kompetenzen baut in der Regel auf diesen mündlichen Sprachfertigkeiten auf. Dem Spracherfahrungsansatz des Schriftspracherwerbs (vergleiche Brügelmann 1983; Dehn & Castrup 1980), der an die Spracherfahrungen der Lerner anknüpft, entsprechend, liest man: „[…] das Kind [kann] Kenntnisse und Fähigkeiten, die ihm aus dem Erwerb der gesprochenen Sprache vertraut sind, auf das Erlernen von Schriftsprache übertragen […]“ (Dehn & Castrup 1980: 7). Die mündlichen Fähigkeiten in ihrem gesamten phonetischen, semantischen und syntaktischen Umfang sowie mit ihrer Qualität bilden also die Basis für den Erwerb der Schriftsprache, wobei als Mindestanforderung der durchschnittliche Umfang des mündlichen Sprachstandes eines sechsjährigen Kindes gilt. Der Hauptunterschied zwischen Lernern mit Deutsch als Erstsprache und Lernern mit Deutsch als Zweitsprache besteht somit im Umfang der mündlichen Sprachkenntnisse, die sie als Ausgangsbasis für den Fremdsprachenunterricht mitbringen. Häufig sind mündliche Sprachkompetenzen bei Lernern mit Migrationshintergrund noch nicht altersgemäß entwickelt oder gar nicht vorhanden, was die Vermittlung von schriftsprachlichen Kenntnissen nach den gängigen Methoden erschwert oder unmöglich macht. Für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb muss die mündliche Sprachkompetenz systematisch gefördert werden, noch bevor die Lerner mit der Schriftsprache konfrontiert werden. <?page no="240"?> 240 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Generell lässt sich mit einem Blick in die vermittlungsmethodischen Ansätze im fremdsprachigen Kontext in den letzten 30 Jahren feststellen, dass den mündlichen Sprachkompetenzen ein hoher Stellenwert zugewiesen wird (vergleiche Kleppin 2014; Königs 2014). Vor allem seit der kommunikativen Wende in den 1970er Jahren, in der das kommunikative Handeln beim Erlernen einer Fremdsprache im Zentrum des Interesses steht, ist eine Hinwendung aktueller Sprachvermittlungsansätze und Curricula zur Mündlichkeit deutlich wahrnehmbar. Zu den Ursachen der gleichrangigen Verankerung der Mündlichkeit neben schriftsprachlichen Kompetenzen in aktuellen Sprachlehr- und -lernansätzen zählt vor allem die Etablierung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, in dem die fertigkeitsbezogene Förderung beziehungsweise Vermittlung von Sprachkenntnissen systematisch und kompetenzorientiert operationalisiert wird und somit der Mündlichkeit derselbe Stellenwert wie der Schriftlichkeit zugeschrieben wird (vergleiche Europarat 2001). Hier beschränkt sich die Mündlichkeit nicht nur auf die Teilkompetenzen Hörverstehen und mündliche Produktion, sondern es liegt auch eine ausdifferenzierte Betrachtung der monologischen und interaktiven sowie diskursfunktionalen Ebene der mündlichen Kompetenzen vor (vergleiche Europarat 2001: 63). Obwohl der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen den mündlichen Kompetenzen denselben Stellenwert wie den schriftbezogenen Fertigkeiten (Schreiben und Lesen) zuschreibt, bleibt eine Rangordnung der Fertigkeiten jedoch auch hier gegeben und die Relevanz der mündlichen Kompetenzen für den Schriftspracherwerb unbeachtet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen bei seinen Beschreibungen schriftsprachliche Basiskompetenzen und metasprachliches Wissen voraussetzt und somit nur für die Arbeit mit geschulten schrifterfahrenen Lernern anwendbar ist. Beherrschung Z eichensystem A utomatisierung L esep rozess O rthog rap hische K omp etenz A utomatisierung Schreib p rozess Abbildung 6.9: Die Bedeutung der mündlichen Sprachkompetenz für den Schriftspracherwerb <?page no="241"?> 241 6.3 Mündlichkeit und orthographische Kompetenz im silbenanalytischen Ansatz Die Tatsache, dass die mündlichen Sprachkompetenzen anderen Fertigkeiten wie dem Lesen und Schreiben vorausgehen, zeigt sich bereits in deren Rolle als primäre Fertigkeit des sprachlichen Handelns, die die Teilhabe an vielen Lebensbereichen der Lerner ermöglicht. Auf die Relevanz der mündlichen Sprachkompetenzen und deren Stellenwert wies bereits Reich (1976) hin, indem er diese zu einem primären Ziel für die Arbeit mit Lernern mit Migrationshintergrund erklärte, weil sie „zur Teilnahme an vorhandenen außerschulischen Kommunikationen“ (Reich 1976: 157) befähigt. Reich zieht in einer Rangordnung der zu erwerbenden Sprachkompetenzen in einer Fremdsprache die mündlich basierten Sprachkompetenzen den schriftbasierten vor, und sieht diese als elementar für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb in einer Fremdsprache. Für die Förderung einer Fremdsprache bedeutet das: „Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben: Sprache sollte zuerst mündlich und danach erst schriftlich gelernt und geübt werden“ (Reich 1976: 160). Dies bedeutet, dass eine erfolgreiche Fundierung der schriftsprachlichen Kenntnisse der Lerner einer mündlichen Basis bedarf. Der Erwerb von schriftsprachlichen Kompetenzen in einer mündlich nicht gut beziehungsweise gar nicht ausgebauten Sprache bedeutet eine hohe kognitive Herausforderung für die Lerner. Wie bedeutsam die mündliche Sprachkompetenz in vielerlei Hinsicht für die Automatisierung des Lese- und Schreibprozesses sowie das Erreichen einer orthographischen Kompetenz ist (siehe Abbildung 6.9), zeigen eine Reihe von empirisch gesicherten Befunden der Forschung zum Schriftspracherwerb in der Erstsprache. Ein gut erforschtes Phänomen ist zum Beispiel die phonologische Bewusstheit, deren Bedeutung als wichtiger Grundbaustein für einen erfolgreichen Erwerb von basalen Schreib- und Lesekompetenzen in vielen alphabetischen Systemen mehrfach belegt worden ist (vergleiche Juska-Bacher, Beckert, Stalder & Schneider 2016: 20; vergleiche Lerneinheit 5.2 in diesem Band). Des Weiteren sind der Umfang und die Qualität des mündlich erworbenen Wortschatzes von zentraler Bedeutung. So stellen Snowling, Gallagher & Frith (2003) fest, dass Lerner zwischen sechs und acht Jahren mit einem geringeren und beeinträchtigten mündlichen Wortschatz größere Lese- und Schreibschwierigkeiten aufweisen als Lerner mit einer gut ausgebauten Wortschatzkompetenz. Apeltauer (2012: 2) betrachtet ein schwach ausgeprägtes Wortschatzwissen in der Zweitbeziehungsweise Drittsprache Deutsch als einen der Hauptgründe, weshalb der Spracherwerb bei Lernern mit Migrationshintergrund häufig weniger erfolgreich verläuft. Wie hilfreich und effizient der vorhandene mündliche Wortschatz für den Schriftspracherwerb sein kann, zeigt auch das Phänomen des „Wortüberlegenheitseffekts“. Dieser besagt, dass das Schreiben und Lesen von Pseudowörtern (auch Kunstwörter genannt) größere Schwierigkeiten bereiten als das von bedeutungshaltigen Wörtern (vergleiche Juska-Bacher et al. 2016: 22). Das bedeutet, dass bereits bekannte bedeutungshaltige Wörter aus dem mündlichen Sprachgebrauch als Brücke zur Automatisierung des Lese- und Schreibprozesses dienen können. Ausgehend von diesen Erkenntnissen sollte die mündliche Sprachkompetenz in den Anfangsphasen der Sprachförderung von Lernern nicht deutscher Erstsprache gezielt und vorrangig trainiert werden. Somit kann eine solide Basis für den späteren Schriftspracherwerb geschaffen werden. Dazu gehört auch der Aufbau einer phonologischen Bewusstheit in der Zielsprache Deutsch. <?page no="242"?> 242 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Abgesehen vom Mehrwert einer gut ausgebauten mündlichen Fertigkeit für den Schriftspracherwerb lässt sich beobachten, dass sich die mündlichen Kompetenzen schneller und unabhängiger als die schriftsprachlichen Kompetenzen entwickeln (vergleiche Pracht 2012: 7). Während der Erwerb von Schriftsprache, vor allem der Erwerb einer orthographischen Kompetenz, mehrere Phasen durchläuft und sich somit als kognitiv anspruchsvoller und komplexer erweist, gelingt es den Lernern des Deutschen als Zweitsprache innerhalb kürzester Zeit, mündliche Äußerungen zu verstehen und zu produzieren. Die Schrift hat dabei keine unterstützende Funktion, sondern ist ein eigenständiger Lerngegenstand, dessen Beherrschung erst dann gelingt, wenn das mündliche Sprachpensum ausreichend ist. Die Vermittlung deutscher Schriftsprache kann nur erfolgen, indem sie auf verschiedenen Ebenen der Förderung operationalisiert wird und indem verschiedene Erwerbsstufen und entwicklungspsychologische Phasen des Schriftspracherwerbs berücksichtigt werden (siehe Abbildung 6.10). Während der Vermittlung sollte den mündlichen Fertigkeiten derselbe Stellenwert wie den schriftsprachlichen Kompetenzen beigemessen werden. Abbildung 6.10: Progression der mündlichen und schriftlichen Kompetenzen in der Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache ausgehend von den entwicklungspsychologischen Phasen des Schriftspracherwerbs von Frith (1985) Dabei ist es sinnvoll, die Lerner ausgehend von typischen Mustern der gesprochenen Sprache sehr früh und systematisch an die Schriftsprache und deren orthographische Besonderheiten heranzuführen. Einen ersten Schritt stellt die Schulung des rezeptiven Verstehens mündlicher Sprachäußerungen dar, wobei die Ermittlung von Wortformen und deren Bedeutungen im Zentrum steht. Erwachsene äußern pro Minute (je nach Sprechgeschwindigkeit) 120 bis 180 Wörter. Um ein neues Wort aus einem solchen Lautbrei herauszufiltern, müssen Wortgrenzen bestimmt werden. Beim Erstspracherwerb werden dazu Sprachmelodie, Sprachrhythmus und Betonung verwendet. Gleiches gilt für den Zweitspracherwerb. Das Einhören in eine fremde Sprache dauert ca. drei bis vier Monate. In dieser Zeit werden nur wenige Wörter gelernt. (Apeltauer 2012: 2) log og rap hische Stufe A lp hab etische Stufe O rthog rap hische Stufe M ü ndliche Sprachkompetenzen Schriftliche Sprachkompetenzen K ompetenzen P honologische B ewusstheit P rogression <?page no="243"?> 243 6.3 Mündlichkeit und orthographische Kompetenz im silbenanalytischen Ansatz Dieser Prozess kann mit didaktisiertem Filmmaterial, Bildern, Zeichnungen oder durch gemeinsame Erlebnisse der Schüler und Schülerinnen unterstützt werden. Diese Methoden sind in der Erwachsenenalphabetisierung bereits bekannt und erprobt (Beispiele für Materialien, siehe Mempel, Ochs & Schramm 2013). Zur Schulung der mündlich-rezeptiven Kompetenz (Hören), in deren Anfangsphase die Lerner die Bedeutung gesprochener Sprache zu verstehen lernen, schlägt Apeltauer (2012) einige Beispiele vor. Dabei geht es darum, die Bedeutung von mündlich produzierten Wörtern zu eruieren, „indem ▶ Vorgelesenes durch Requisiten oder mithilfe von Strichmännchen erläutert wird, um das Erraten von Bedeutungen zu erleichtern ▶ Pantomime eingesetzt wird, um Zusammenhänge verständlich zu machen ▶ in eine Geschichte Geräusche eingebaut werden, um das Klangnetz und häufig damit verbundene Gefühle zu aktivieren“ (Apeltauer 2012: 4) 6.3.2 Silbenstruktur als Grundmuster der gesprochenen Sprache Wie bisher gesehen nutzt der Ausbau der schriftsprachlichen Kompetenzen dem mündlichen Sprachgebrauch in seinem kompletten Umfang. Auch für orthographische Besonderheiten kann eine Fokussierung auf bestimmte Muster des mündlichen Sprachgebrauchs zu einer Beschleunigung des Schriftspracherwerbs führen. Einige Studien weisen auf die besondere Bedeutung des Einhörens in den Klang und den Rhythmus der neu zu lernenden Sprache hin (vergleiche Apeltauer 2010; Terrasi-Haufe 2004). In dieser Phase werden Laute, Lautfolgen (wie zum Beispiel -bstwie in Obst) und die Silbenstrukturen identifiziert, die für das Deutsche typisch sind. Hierbei werden Redewendungen (Chunks) gelernt und sukzessive in Lauteinheiten zerlegt, die in häufig wiederkehrenden Zusammenhängen gebraucht werden, wie etwa Begrüßungs- oder Verabschiedungsformeln sowie Inhaltswörter. Neben der Diskriminierung von Lauten und Lautfolgen ist die Silbe eine wichtige Gliederungseinheit für die Wahrnehmung der prosodischen Struktur des Deutschen. „Sie [Silben] sind kognitive Einheiten der phonologischen Analyse und in diesem Sinne, wie Laute gegenüber Wörtern abgeleitete sekundäre Einheiten“ (Pracht 2010: 80). Wie in unterschiedlichen Schrifterwerbskonzepten mehrfach festgehalten wird, sind sie für illiterate Menschen in der phonologischen Analyse gegenüber Lauten leichter zugänglich und bilden aufgrund ihres rhythmischen Charakters somit den ersten Schritt beim Einhören in typische prosodische Strukturen des Deutschen. Da Silben die kleinsten transparent wahrnehmbaren Einheiten der gesprochenen Sprache sind, deren Segmentierung Lerner bereits im Kindergartenalter durch Abzählverse oder Klatschspiele beherrschen, werden sie systematisch als Grundlage für die Vermittlung von Schriftsprache genutzt. Silbeneinheiten sind jedoch den prosodischen Wortstrukturen untergeordnet. Maas beschreibt das Deutsche außerdem als eine wortakzentprominente Sprache, die durch die Bindung von Silbenstruktur und Akzent charakterisiert werden kann, „im Gegensatz zu Sprachen, deren Wortformen als Ketten von einheitlich gebauten Silben gebildet sind“ (Maas 2006: 132), wie zum Beispiel das Türkische. <?page no="244"?> 244 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Typisch für die deutsche Sprache ist folgende Struktur: „auf eine betonte Silbe folgt eine unbetonte“. Pracht (2010: 85) nennt die erste die „prominente Silbe“, diese wird betont und hat einen vokalischen Silbenkern. Darauf folgt eine „Reduktionssilbe“, die unbetont ist und einen Reduktionsvokal als Silbenkern hat, wie beim Verb / le: sǝn / . Dieses Betonungsschema, das trochäische Betonungsmuster, bildet das zentrale Muster der prosodischen Struktur des Deutschen. Bredel (2009) bezeichnet dieses Muster als „Basisfuß des Deutschen“. Die überwiegende Zahl der Wörter im Deutschen ist zweisilbig und trochäisch. Die Abfolge einer betonten und einer unbetonten Schwa-Silbe steht in engem Zusammenhang mit der grammatischen Musterbildung durch Flexionsendungen (vergleiche Maas 2006: 126). Es findet sich in einer Vielzahl von Verbformen (fahren, mieten), Nomen (Mittel, Name, Fahne), Artikeln und Pronomen (eine, dieser, meine, eure) sowie Funktionswörtern (aber, oder, wieder). Darüber hinaus spielt das trochäische Betonungsmuster eine wichtige Rolle bei Wortbildungsprozessen wie der Deklination (eines schönen Tages), Pluralbildung (Blumen, Freunde, Häuser) und Steigerung (höher, kleiner, besser) (vergleiche Pracht 2012: 9). Die unbetonte Silbe ist hierbei die im Deutschen besonders relevante Schwa-Silbe, sie wird als Strukturelement mit dem Buchstaben <e> formuliert. Der Kern dieser Reduktionssilbe ist einer der beiden Schwa-Vokale / ə / (z. B. in Miete oder Mitte) und / ɐ / (etwa in Mieter) (vergleiche Maas 2006: 125 ff). Reduktionssilben enthalten immer ein <e>, auch wenn damit nicht vorrangig ein e-Laut repräsentiert wird. Vielmehr fungiert das <e> als Kennzeichen der Markierung unbetonter Schwa-Silben - beispielsweise bei <Vater>, <Löffel>, <geben> (vergleiche Thelen 2002: 77 f). Auch bei den (im Deutschen ebenfalls häufig vorkommenden) Präfixen {be-}, {ge-} und {ver-} korrespondiert das <e> beziehungsweise <er> mit dem Phonem / ə / beziehungsweise / ɐ / und markiert somit die jeweilige Silbe als unbetont und reduziert. Das trochäische Betonungsmuster ist folglich in Wörtern wie <gefahren> oder <versuchen> bereits mitcodiert (vergleiche Pracht 2012: 9). Das Betonungsmuster der trochäischen Silbenstruktur im Deutschen wird in der Schrift orthographisch markiert. Die Typik der trochäischen Betonungsstruktur und deren orthographische Markierung im Deutschen wird auch dadurch bestätigt, dass Deutschlerner Kunstwörter wie <Flekse>, <kluksen>, <daxen>, die eine trochäische Struktur aufweisen, nach diesem Muster lesen, schreiben und bilden können. Als weiteres typisches prosodisches Strukturelement der deutschen gesprochenen Sprache nennt Pracht unter Bezug auf Maas (2006) den festen und den losen Anschluss in trochäischen Betonungsmustern. In Wörtern mit festem Anschluss, handelt es sich um Wortformen, die einen Konsonanten im Wortinneren haben, wie <Hütte> oder <lassen>. Bei solchen Wörtern teilen sich beide Silben den Stammkonsonant (bei Hütte / tt/ und bei lassen / ss/ ) (vergleiche Pracht 2012). Wörter mit einem losen Anschluss hingegen bestehen in der Regel aus einer offenen betonten Silbe wie zum Beispiel <lesen>. Um den Lernern des Deutschen als Zweitsprache diese typischen Strukturen bewusst zu machen, müssen sie explizit in der Sprachförderung durch geeignete Materialien thematisiert werden. Dies kann zum Beispiel durch typische Übungen erfolgen (Nachsprechen, beispielsweise mit einem „Papageienspiel“, Abzählreimen, Liedtexten etc.), die im vorschulischen Bereich eingesetzt werden, um unter <?page no="245"?> 245 6.3 Mündlichkeit und orthographische Kompetenz im silbenanalytischen Ansatz anderem die phonologische Bewusstheit aufzubauen. Wichtig ist hierbei, dass die Übungen thematisch altersangemessen und handlungsorientiert sind. 6.3.3 Trochäische Silbenstrukturen als Basis zur Vermittlung der orthographischen Strukturen Die vorgestellten Regularitäten in der gesprochenen Sprache spiegeln sich in der Orthographie der deutschen Schriftsprache wider. Für den Schrifterwerb der Erstsprache bilden diese typischen prosodischen Strukturen eine Brücke zum Schreiben und Lesen (vergleiche Röber-Siekmeyer 1993: 84). Wenn diese Hauptmerkmale der gesprochenen Sprache nicht mündlich beherrscht werden, kann dies gravierende Konsequenzen für den Erwerb der Schriftsprache haben. Die vorgestellten prosodischen Eigenschaften müssen somit in den Anfangsunterricht systematisch und intensiv miteinbezogen und berücksichtigt werden, um die Schüler relativ früh an die orthographische Kompetenz heranzuführen. Dies kann mit einem silbenbasierten Vermittlungsansatz gelingen, da Silben als Träger der genannten prosodischen Merkmale gelten. Hinzu kommt, dass das Deutsche nicht durch eine lautgetreue Schriftsprache graphisch dargestellt wird. In einem lautierbasierten Unterricht können Lerner nicht auf lautgetreues Schreiben zurückgreifen, um orthographisch korrekt zu schreiben. Ansätze, die auf lautorientiertes Schreiben abzielen, stoßen bei der Vermittlung deutscher Schriftsprache an ihre Grenzen. Bei Lernern mit Deutsch als Zweitsprache kann der von Pracht (2012) empfohlene silbenbasierte Vermittlungsansatz, der für erwachsene Lerner des Deutschen als Zweitsprache konzipiert wurde, herangezogen werden. Dieser geht von Übungen aus, die auf dem trochäischen Betonungsmuster basieren, welches im letzten Abschnitt dargestellt wurde. Diese Übungen beinhalten ausgearbeitetes Material, in dem die betonten Silben in großen und die unbetonten in kleinen Kreisen visualisiert werden. E i E ne ss en Abbildung 6.11: Beispiel für eine Visualisierung der Wortschreibung nach Pracht (2010, 2012) <?page no="246"?> 246 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb Im Anfangsunterricht soll der Erwerb des trochäischen Musters ohne besondere Markierung stehen. Methodisch wird hier an die bekannte Darstellungsform des Häusermodells angeknüpft, die im Bereich der Erstsprache bereits als Vermittlungsmethode für Schriftsprache eingesetzt wird (vergleiche zum Beispiel Bredel 2009: 140). Abbildung 6.12: Lernerschreibungen von Wörtern mit losem und mit festem Anschluss (Pracht 2012: 59) Die Lerner sollen nach dem vorgegebenen Muster ihnen bekannte Wörter segmentieren und visualisieren. Als weiterer Arbeitsauftrag wird ihnen vorgegeben, dass sie auf die verschiedenen prosodischen Muster, das heißt auf Silben mit festem und mit losem Anschluss, achten müssen. Bei einer solchen Vorgehensweise können auch typische Wortbildungsmuster des Deutschen wie die Präfigierung mit <ge-> oder <ver-> und die Flexion mit <-en> früh erkannt und thematisiert werden. Hierbei kann es sich auch um mehrsilbige Wörter handeln wie in Abbildung 6.13. Abbildung 6.13: Schreibung von mehrsilbigen Wörtern (Pracht 2012: 56) <?page no="247"?> 247 6.3 Mündlichkeit und orthographische Kompetenz im silbenanalytischen Ansatz Der vorgeschlagene silbenbasierte Ansatz bildet eine Alternativmethode zu den herkömmlichen Methoden, die am Anfang der Sprachförderung vorwiegend die alphabetische Strategie einsetzen und orthographische Prinzipien erst bei einem fortgeschrittenen Niveau in die Vermittlung von schriftsprachlichen Kompetenzen miteinbeziehen. Setzt man die silbenbasierte Methode bei der Arbeit mit Lernern nicht deutscher Erstsprache ein, gilt es den negativen Transfer zu berücksichtigen, der durch Unterschiede zwischen dem deutschen Sprachsystem und dem der Erstsprachen der Lerner bedingt sein kann. „Fremd- und Zweitsprachenlerner/ innen neigen nämlich dazu, Strukturen, die ihnen aus der Muttersprache bekannt sind auf die neue Sprache zu übertragen. Das Resultat sind häufig Interferenzfehler“ (Bredel, Fuhrhop & Noack 2011: 190). Dies gilt auch für die prosodische und somit orthographische Ebene. Besonders schwierig ist es für Kinder, deren Erstsprachen andere prosodische Merkmale als das Deutsche aufweisen und in denen eine andere typische Silbenstruktur vorhanden ist. Weitere Komplikationen können bei Lernern auftreten, deren Erstsprachen Unterschiede im vokalischen oder konsonantischen System aufweisen und bei Lernern, die bereits in ihrer Erstsprache mit dem lateinischen Alphabet alphabetisiert wurden. 6.3.4 Zusammenfassung ▶ Die mündlichen Kompetenzen spielen eine elementare Rolle für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb. Ohne das Vorhandensein einer schriftsprachlichen Kompetenz in der Zweitsprache, kann es zu erheblichen Problemen bei der Vermittlung schriftsprachlicher Kenntnisse kommen. ▶ In den Anfangsphasen des Schriftspracherwerbs sollen die mündlichen Kompetenzen im Zentrum der Sprachvermittlung stehen, um eine solide Basis für den Erwerb schriftsprachlicher Kompetenzen zu schaffen. ▶ Bei der Förderung der mündlichen Sprachkompetenzen soll die Aufmerksamkeit der Lerner vom Beginn des Schriftspracherwerbs an auf bestimmte typische Silbenmuster des Deutschen gelenkt werden. ▶ Trochäische Silbenstrukturen bilden typische Muster der deutschen gesprochenen Sprache und spiegeln sich in der Schriftsprache wider. ▶ Um eine nachhaltige Förderung des Schriftspracherwerbs zu gewährleisten, kann der silbenanalytische Ansatz herangezogen werden. Mit diesem Ansatz kann die orthographische Kompetenz der Lerner von Anfang an geschult werden. 6.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum geht die Schulung mündlich basierter Sprachkompetenzen dem Schriftspracherwerb voraus? Nennen Sie drei Gründe. 2. Welche typischen Silbenmuster weist die deutsche Sprache auf und wie spiegeln sie sich in der Schriftsprache wider? <?page no="248"?> 248 6. Alphabetisierung und Schriftspracherwerb 3. Warum eignet sich der silbenbasierte Ansatz besonders gut für die Vermittlung der deutschen Schriftsprache? <?page no="249"?> 7. Mediennutzung Ferran Suñer Muñoz & Jörg Roche Die Medienkompetenz als Richtlernziel hat sich seit einigen Jahren nicht nur in den Curricula vieler Bildungsbereiche etabliert, sondern sie wird auch als Teil der Fachkompetenz von Lehrkräften gefordert. In diesem Zusammenhang findet die Forderung einer solchen Kompetenz großen Zuspruch von einigen Lehrkräften, stößt jedoch auf die berechtigte Skepsis einiger anderer, die den versprochenen Mehrwert nicht sofort erkennen. Tatsächlich sollte der Einsatz von neuen Medien sorgfältig überlegt werden, denn nach dem oft großen technischen Vorbereitungsaufwand kann die Enttäuschung umso größer sein. So ist zum Beispiel sicherzustellen, dass die neuen Medien in den gesamten Unterrichtszusammenhang sinnvoll eingebunden sind und qualitativ neue Wege zur Optimierung bestimmter Lernformen bieten. Daraus ergeben sich für die Lehrkräfte unter anderem zwei wichtige Fragen: Wie kann ich den funktionalen Mehrwert der verschiedenen Medien ermitteln? Wie kann ich den Einsatz von neuen Medien planen und zuverlässig evaluieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das vorliegende Kapitel. Zunächst werden die neuen Medien im Hinblick auf die verschiedenen Lernformen untersucht und Ansätze vorgestellt, mit denen sich der Medieneinsatz im handlungsorientierten Unterricht planen und evaluieren lässt. Danach werden der Aufbau und die Komponenten von Lernplattformen diskutiert. Schließlich sollen die Kriterien zur Klassifizierung der verschiedenen Medien und einige Instrumente zur Evaluierung von Sprachlernsoftware erläutert werden. <?page no="250"?> 250 7. Mediennutzung 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien Durch den technologischen Aufschwung haben sich vielfältige Möglichkeiten zur Unterstützung und Optimierung des Sprachenlernens ergeben. Dies betrifft sowohl den Präsenzunterricht als auch den Online-Unterricht sowie die unterschiedlichen Lernformen, die in beiden Unterrichtskontexten möglich sind (zum Beispiel kollaboratives Lernen, forschendes Lernen und Ähnliches). Wie kann aber der Mehrwert des einen oder anderen Mediums für den Fremdsprachunterricht überhaupt erkannt werden? Wo liegen die Stärken und Schwächen der neuen Medien? Und vor allem: Welche Rolle spielen die verschiedenen Lernformen bei der Planung eines Medieneinsatzes? All diesen Fragen werden wir uns in den nächsten Abschnitten widmen und anhand der einschlägigen Theorien und Ansätze beantworten. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ den Lernmehrwert verschiedener Sprachlernangebote im Hinblick auf die verschiedenen Lernformen begründen können; ▶ den Einsatz neuer Medien im handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht planen können. 7.1.1 Formen des Lernens mit neuen Medien Jahrelang herrschte eine sogenannte „multimediale Euphorie“, die zu einem unkontrollierten und wenig überlegten Einsatz von neuen Medien im Unterricht führte. Bald jedoch wurde festgestellt, dass der große Aufwand bei der Entwicklung von multimedialen Lernmaterialien oft nicht den gewünschten Lerneffekt erzielen konnte (vergleiche Roche 2008a). Damit waren die hohen Erwartungen an die neuen Medien enttäuscht und eine berechtigte Skepsis breitete sich im Bereich der Sprachdidaktik aus. Erst vor einigen Jahren orientierte sich die Sprachdidaktik neu und versuchte, aus Disziplinen wie der Lernpsychologie Hinweise auf einen effektiven Einsatz neuer Medien zu finden, um diesen nicht mehr der Intuition und dem künstlerischen Geschick zu überlassen. Damit rückte die gezielte Optimierung der Sprachlernprozesse durch den Einsatz der Medien ins Zentrum des Interesses. Jenseits der Lerntheorien und Methoden sind sich die Forscher heutzutage darüber einig, dass die neuen Medien zwar nicht alle Aspekte des Fremdsprachenlernens abdecken können, aber doch gezielt bestimmte Lernformen sehr effektiv unterstützen vermögen. Durch die Erkennung der Schwächen und Stärken neuer Medien lässt sich also ihr funktionaler Mehrwert ermitteln. Der vorliegende Abschnitt geht daher folgenden Leitfragen nach: 1.) Welche Lernformen können überhaupt mit neuen Medien gefördert werden? 2.) Welches Medium beziehungsweise welche Lernumgebung eignet sich für welche Lernform? Wenn wir von der Handlungsorientierung als übergeordnetem Prinzip der modernen Fremdsprachendidaktik ausgehen, dann gibt es eine Reihe von Anforderungen, die nach <?page no="251"?> 251 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien Schulz-Zander & Tulodziecki (2009; vergleiche Roche 2008a, Roche, Reher & Simic 2012) beim Einsatz der neuen Medien erfüllt werden sollten. Handlungsorientiertes Lernen bedarf einer komplexen und bedeutungsvollen Aufgabe als Ausgangspunkt, die klar situiert ist und sich an den Bedürfnissen und Interessen der Lernenden orientiert. Dabei sollte stets die Erfahrungswelt und der vorhandene Kenntnisstand der Lernenden berücksichtigt werden, denn nur so sind die Lernenden imstande, ihre eigenen Erfahrungen in den Lernprozess zu integrieren und somit einen individuellen Zugang zum Lernstoff zu finden. Erst dadurch kann handelndes Lernen motivierend und effektiv für den Spracherwerb sein (vergleiche Roche et al. 2012: 33). Dies betrifft ebenfalls die Erstellung von Sprachprodukten, die eine Relevanz über den reinen Unterricht hinaus besitzen und damit einen Platz im Leben haben (vergleiche Funk, Kuhn, Skiba, Spaniel-Weise & Wicke 2014; Portmann-Tselikas 2010). Nicht zu vergessen ist jedoch auch die sozial-interaktionistische Dimension des Lernens: Durch kooperative und kollaborative Prozesse sollte die Ko-Konstruktion von Wissen und die Bedeutungsaushandlung durch Handlungsinteraktionen initiiert werden. Übertragen auf den Spracherwerb bedeutet dies: Nicht Subjekt, Objekt oder Akkusativ sind das Thema, sondern der funktionale Gebrauch der Grammatik in der praktischen Sprachanwendung. Die für das Sprachwachstum so wichtige Erprobung und Anwendung, und damit auch die Rückmeldung der Umgebung, stehen im Mittelpunkt. (Roche et al. 2012: 33) Schließlich sollten neue Medien auch den Entwicklungsprozess jedes Lernenden unterstützen, indem differenzierte Lernmöglichkeiten und individualisiertes Feedback angeboten werden. All diese Aspekte können nach Schulz-Zander & Tulodziecki (2009) durch die Umsetzung folgender Lernformen erfüllt werden: ▶ Invidualisiertes Lernen ▶ Forschendes Lernen ▶ Kollaboratives Lernen ▶ Produktorientiertes Lernen. Individualisiertes Lernen Die Bewältigung komplexer Aufgaben erfordert oft die Kombination verschiedener Wissensbereiche und Kompetenzen. Da aber jeder Lerner ein unterschiedliches Vorwissen mitbringt, besteht in der Regel eine starke Heterogenität im Unterricht, die jedoch vor allem durch neue Medien ausgeglichen und produktiv genutzt werden kann. Das Angebot differenzierter Lernmöglichkeiten kann den individuellen Entwicklungsprozess unterstützen und somit auch zu einem größeren Erfolg bei der Bewältigung kollaborativer, produktorientierter Aufgaben führen. Komplexe Lernplattformen bieten deswegen vielfältige Ressourcen, die je nach Bedarf vom Lernenden in Anspruch genommen werden können (eventuell nach Abstimmung mit dem Tutor). Diese sind: Aufgabensequenzen, Online-Wörterbücher, Online-Grammatiken, Spracherkennungssysteme, Linksammlungen, Tipps, Lernstrategien und Ähnliches. <?page no="252"?> 252 7. Mediennutzung Was die Grammatik angeht, so können zum Beispiel Animationen die für bestimmte Bereiche relevanten Prinzipien veranschaulichen (vergleiche auch ABS 1). Das zeigt die folgende Abbildung zum Thema Wechselpräpositionen (vergleiche Scheller 2012), in der die Kasuswahl Akkusativ/ Dativ durch das Prinzip der Grenzüberschreitung erklärt wird. So ein Grammatikthema kann nach Scheller (2012) folgendermaßen präsentiert werden: In einem ersten Schritt (Aktivierungsphase) schauen sich die Lerner die Animation an, in der die Kasuswahl bei den Präpositionen durch das Prinzip der Überschreitung einer imaginären Grenze erklärt wird (siehe Abbildung 7.1). Dabei versuchen die Lerner das Prinzip der Grenzüberschreitung selbst zu entdecken, das die Kasuswahl des Akkusativs (Grenzüberschreitung: zum Beispiel das Auto fährt auf die Straße) und des Dativs (keine Grenzüberschreitung: das Auto fährt auf der Straße) bestimmt. In einem zweiten Schritt (Systematisierungsphase) wird die Entscheidungsstrategie durch besondere Hervorhebung des Prinzips der Grenzüberschreitung sichtbar gemacht. Während der dritten Phase (Exploration) können die Lernenden dazu aufgefordert werden, Sätze zu den präsentierten Animationen zu finden beziehungsweise Animationen den präsentierten Sätzen zuzuordnen. Das lässt sich medial beispielsweise anhand von Drag&Drop-Übungen (Ziehen und Ablegen) realisieren. Schließlich können die Lerner je nach Bedarf weitere Beispiele zu den Wechselpräpositionen mit ergänzenden Erklärungen kennenlernen (Festigungsphase). Abbildung 7.1: Screenshot aus der Animation zum Thema Wechselpräpositionen (Scheller 2012: 7) <?page no="253"?> 253 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien Individualisiertes Lernen kann im Bereich des Wortschatzerwerbs durch Lexika unterstützt werden, die zum Beispiel in Form von Mindmaps den zunehmenden Wortschatz der Lernenden darstellen. Auch vorgefertigte Lexika in Form von dynamischen Wörternetzen können als Werkzeuge zur Visualisierung semantischer Relationen genutzt werden, wie zum Beispiel beim VisualThesaurus (siehe Abbildung 7.2). Der Lernende kann sich durch das gesamte Lexikon klicken und verschiedene Konstellationen durchspielen lassen. Auch kann eine weitere Sprache hinzugefügt werden, so dass eine Art bilinguales Lexikon simuliert werden kann. Mit all diesen Ressourcen beziehungsweise Komponenten können komplexe Lernplattformen eine Individualisierung des Lernprozesses gewährleisten, indem Inhalte, Tempo, Menge und Ähnliches flexibel an die Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden (vergleiche Todorova 2009). Forschendes Lernen Wie unter dem moderaten Konstruktivismus bereits gesehen, wird dem fallbasierten Lernen eine wichtige Rolle zugeschrieben, und zwar werden dabei komplexe, realitätsnahe Aufgaben bearbeitet und zugleich ein individueller Zugang seitens des Lerners durch Ausprobieren eigener Lösungsansätze ermöglicht (vergleiche Edelmann 2000). Da dieses Ausprobieren Abbildung 7.2: VisualThesaurus (Thinkmap 2018) <?page no="254"?> 254 7. Mediennutzung und Experimentieren durch sprachliches Handeln stattfindet, können Lerner ihre Fortschritte im Spracherwerb am Erfolg ihrer Handlungen testen (vergleiche Roche et al. 2012). Die neuen Medien verfügen in Bezug auf forschendes Lernen über ein großes Potential, da sich mit ihnen höchst komplexe Zusammenhänge und Situationen ohne viel Aufwand (für die Lehrkraft) simulieren lassen. So sind einerseits der direkte Zugang zu zahlreichen Datenquellen (Internet oder Datensammlungen) hervorragende Werkzeuge für die Recherche und Entwicklung eigener Lösungen. Andererseits können virtuelle Szenarien die Umsetzung der Lösungsansätze visualisieren. Ein Beispiel dafür finden wir bei DUO im Modul fach-deutsch medizin. In einem virtuellen Szenario wird eine ärztliche Operation simuliert, in der die Lernenden dazu angehalten werden, konkrete medizinische Fälle zu lösen, wodurch die Sprache zu einem handlungsrelevanten Werkzeug wird. Zuerst werden vier verschiedene Fälle präsentiert, zu denen der Lerner die richtige Diagnose stellen muss. Danach werden die Vorbereitungen für die Operation getroffen, indem zum Beispiel die Anästhesie verabreicht wird. Im nächsten Schritt wird die Operation durchgeführt (siehe Abbildung 7.3). Die Lerner werden aufgefordert, dem Chefarzt die Operationsinstrumente zu reichen. Die Aufforderungen werden in auditiver Form an den Lerner gerichtet, wie in einem echten Operationssaal. Sie können aber durch Anklicken des entsprechenden Buttons beliebig oft wiederholt werden. Die verschiedenen Instrumente werden bildlich am unteren Ende des Bildschirms dargestellt und können per Drag&Drop in das Bild des Operationssaals geschoben werden. In diesem konkreten Fall spielt auch die Zeit eine wichtige Rolle, denn, wenn der Chefarzt zu lange auf die Instrumente warten muss, ist mit Komplikationen in der Operation zu rechnen. Dies wird mit dem Zeitanzeiger am oberen linken Ende des Bildschirms simuliert. Abbildung 7.3: Operationssaal in fachdeutsch medizin (deutschuni-online) <?page no="255"?> 255 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien Kooperatives Lernen Lernen wird nicht nur als ein mentaler Vorgang im Kopf des Lerners aufgefasst, sondern entsteht auch durch die Interaktionen mit der Umwelt und den Individuen eines konkreten soziokulturellen Raums (vergleiche Wigotsky 1986). Wie geschieht aber diese Bedeutungsaushandlung genau und welche Folgen hat dies für den Wissenserwerb? Mit dieser Frage haben sich Moskaliuk, Kimmerle und Cress (2012) in ihrem co-evolution model beschäftigt. Sie haben diesen Prozess in Bezug auf die sogenannten Wikis beschrieben (darunter versteht man kooperative Werkzeuge, die die gemeinsame Erarbeitung von Texten ermöglichen; zum Beispiel www.writeboard.com). Die Autoren unterscheiden zwischen zwei Systemen, dem Informationsraum (Wiki) und dem Wissensraum (Lernende), die durch Prozesse der Internalisierung (Informationsraum → Wissensraum) und Externalisierung (Wissensraum → Informationsraum) miteinander interagieren. Kombiniert man diese zwei Prozesse mit den sogenannten Prozessen der Assimilation und Akkomodation, so ergeben sich folgende vier möglichen Kombinationen: ▶ Internale Assimilation ▶ Internale Akkomodation ▶ Externale Assimilation ▶ Externale Akkomodation. Der Informationsraum wird durch die Beiträge der Lernenden gemeinsam konstruiert. Bei diesem Prozess können Wissensbestände der Lernenden direkt vom Informationsraum aufgenommen werden (externale Assimilation) oder zu großen Anpassungen der Struktur des Informationsraums führen (externale Akkomodation). Die Informationen aus dem Informationsraum können ebenfalls durch Prozesse der internalen Assimilation oder Akkomodation in den Wissensraum gelangen. Diese Prozesse bildet die folgende Graphik ab: Abbildung 7.4: Das Co-evolution Model von Moskaliuk, Kimmerle & Cress (2012) (Überarbeitung) <?page no="256"?> 256 7. Mediennutzung Medientechnisch können kooperative Lernprozesse durch Chat, Forum, Wikis und Whiteboard unterstützt werden. Während der Chat eher für Abstimmungsprozesse durch synchrone und konzeptionell mündliche Beiträge der Lernenden geeignet ist, wird das Forum für längere und konzeptionell schriftliche Beiträge verwendet. Die Wikis sind ihrerseits darauf ausgerichtet, einen echten gemeinsamen Informationsraum im Sinne von Moskaliuk et al. (2012) zu schaffen, auf den jeder Lernende zugreifen und zugleich jede Änderung nachverfolgen kann. Darüber hinaus bieten Anwendungen zur gemeinsamen Erstellung von concept maps wie CMaps Tool (http: / / cmap.ihmc.us/ ) auch die Möglichkeit, multimediale Materialien kooperativ zu gestalten. Mit dem CMaps Tool, das kostenlos von der Website des Institute for Human and Machine Cognition (IHMC) heruntergeladen werden kann, können die concept maps nicht nur von mehreren Lernenden auf dem Server des IHMC gleichzeitig bearbeitet werden, sondern können auch mit allerlei Dateien versehen werden (Videos, Audios, Text, Bilder, Aufgabensequenzen und vieles mehr). Kollaborative Lernprozesse werden aber nicht durch den Einsatz der Medien selbst ausgelöst, sondern durch die Aufgabenstellung und die dadurch entstandene Notwendigkeit, miteinander zu kommunizieren, sich abzustimmen und gemeinsame Lösungen zu finden. Ein Beispiel dafür, wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann, bietet das Projekt Cultura der MIT (vergleiche Furstenberg 2012). Ziel von Cultura ist es, mithilfe von Forumsdiskussionen interkulturelles Lernen zu fördern. An den Forumsdiskussionen beteiligen sich zwei Gruppen von Fremdsprachenlernern aus zwei unterschiedlichen Kulturräumen, die jeweils die Erstsprache der anderen Gruppe lernen. Vor der Forumsdiskussion beantworten die Lerner Fragebögen (unter anderem Assoziationstests) zu allgemeinen und zentralen Bereichen der Kultur wie Familie, Gesellschaft, Arbeit und Ähnliches. In einem zweiten Schritt werden sie mit verschiedenen Informationen über die zu vermittelnde Kultur konfrontiert, wie zum Beispiel mit Filmen, Texten, Statistiken, Bildern und Ähnlichem. Auslöser für die Forumsdiskussionen sind einerseits die Ergebnisse der Fragebögen und andererseits die zur Verfügung gestellten Materialien. Die Lernenden teilen nämlich ihre Entdeckungen und Behauptungen beziehungsweise Hypothesen im Forum mit und stellen gegebenenfalls Fragen an die Mitglieder der anderen Gruppe. Dabei werden die Hypothesen anhand von konkreten Beispielen und mithilfe der Partner immer weiter verfeinert. Diesen Prozess beschreibt Furstenberg (2012: 6) folgendermaßen: Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Erfolg von interkulturellen Dialogen davon abhängt, dass Teilnehmer gleichermaßen ihre Beobachtungen und Reaktionen miteinander teilen, sich auf die Beobachtungen von anderen beziehen, Hypothesen aufstellen und Erklärungen anbieten, die Beiträge der anderen würdigen, Fragen stellen, Dinge anhand von konkreten Beispielen aus dem Alltag darstellen, die Initiative ergreifen […] und natürlich auf die Fragen ihrer Partner reagieren. (Furstenberg 2012: 6) Die Vorteile des kollaborativen Lernens können nach Issing (2009b: 32) folgendermaßen zusammengefasst werden: <?page no="257"?> 257 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien ▶ Förderung der sozialen Interaktion und Bedeutungsaushandlung ▶ Förderung des Reflexionsvermögens und der Kritikfähigkeit ▶ Ausbildung sozialer Kompetenzen und Teamfähigkeit durch Aushandeln von Konsenslösungen ▶ Möglichkeit der Interaktion Lerner-Lerner in den neuen Medien wird genutzt (Foren, Chats, Wikis, MUVEs und Ähnliches) ▶ Weitere Vorteile: Additive Kompetenzen, Multiperspektivität, gegenseitige Hilfe bei Lernschwierigkeiten (vergleiche Compaoré 2016 sowie Kapitel 3 im Band »Medien«). Produktorientiertes Lernen Wie bereits erwähnt, kann der Erfolg des Sprachenlernens an den konkreten Handlungen selbst beobachtet werden (vergleiche Roche et al. 2012). Damit das gelingt, muss der Lernende die Handlung ausführen und die Ergebnisse kontrollieren und bewerten können. Das produktorientierte Lernen betont daher diesen Aspekt und fördert die Orientierung des Lernprozesses an der Erstellung und Veröffentlichung eines konkreten, greifbaren Produktes. Das Lernprodukt kann die Form eines Posters, eines Interviews, eines Textes oder einer Präsentation haben und wird entweder einer begrenzten Öffentlichkeit (Klasse) oder einer unbegrenzten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, wodurch der Lern- und Arbeitsprozess an Ernsthaftigkeit gewinnt (vergleiche Schulz-Zander & Tulodziecki 2009). Die soziale Relevanz des Lernproduktes schlägt sich in der Regel in einer erhöhten Motivation und einer stärker ausgeprägten Bemühung um sprachliche und inhaltliche Richtigkeit und somit in besseren Lernergebnissen nieder. Die neuen Medien bieten ein enormes Potential zur Unterstützung der Präsentation und Veröffentlichung von Ergebnissen. So lassen sich Interviews für Unterrichtszwecke beispielsweise mit dem Programm Nawmal relativ leicht realisieren (siehe Abbildung 7.5). Die Lernenden entscheiden dabei nicht nur über den Text, sondern sie gestalten die Bühne, bestimmen die Kameraperspektive, legen die Rollen fest und stellen die persönlichen Merkmale der Schauspieler beziehungsweise Figuren nach Wunsch ein. Der Text wird in das entsprechende Feld eingegeben und wird automatisch von den Figuren ausgesprochen. Dabei können sogar Akzente festgelegt werden (zum Beispiel Deutsch mit bayerischem oder mit hochdeutschem Akzent). Abbildung 7.5: Programm Nawmal (Nawmal.com 2018) <?page no="258"?> 258 7. Mediennutzung Lernen unter solchen Bedingungen ist also nicht mehr vergleichbar mit dem Verfassen eines Aufsatzes über die letzten Sommerferien, der von der Lehrkraft einfach korrigiert und zurückgegeben wird. Vielmehr sind die Lerner durch die Greifbarkeit und soziale Relevanz des zu erstellenden Lernproduktes hochmotiviert und bekommen zu spüren, dass nicht Sprache allein im Mittelpunkt des Lernprozesses steht, sondern eher das Handeln mit Sprache. Das wirkt sich wiederum positiv auf den Lernprozess der Lerner aus, und zwar bemühen sie sich noch stärker um sprachliche Richtigkeit sowie um textsortenspezifische Angemessenheit (vergleiche Roche et al. 2012). Zu diesem Zweck recherchieren Lerner in Online-Wörterbüchern und anderen Ressourcen und lernen, den Arbeitsprozess selbst zu steuern und zu reflektieren. Für die Lehrkraft besteht überdies die Möglichkeit der Kontrolle des Lernproduktes, denn die Texte in Nawmal können sowohl in gesprochener, als auch in schriftlicher Form eingesehen und kommentiert werden, sodass ein Feedback jederzeit möglich ist. Neben den Blogs und Websites finden sich weitere, sehr verbreitete internetbasierte Formen der Präsentation und Veröffentlichung von Lernprodukten: ▶ www.glogster.com/ dashboard/ pulse (Erstellung digitaler Poster) ▶ http: / / prezi.com (Erstellung von interaktiven Präsentationen) ▶ www.stepmap.de (Erstellung von Landkarten und Stadtplänen) ▶ www.graffiticreator.net (Erstellung von Graffiti) ▶ www.wordle.com (Erstellung von Wörterwolken) ▶ www.spielen.com/ spiele/ kochen/ kochen.html (Pool mit Sprachspielen) ▶ www.digitaldialects.com/ German.htm (Pool mit Sprachspielen) ▶ www.audio-lingua.eu (Pool mit Audiodateien). 7.1.2 Kompetenzorientierung und neue Medien Vor allem durch die Einführung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens hat sich die Kompetenzorientierung als zentraler Begriff des modernen Fremdsprachenunterrichts etabliert. Dieser Begriff hängt mit der Handlungsorientierung sehr eng zusammen, und zwar bildet das Sprachhandeln in authentischen Kommunikationssituationen die Grundlage für die Beschreibung von Lernzielen beziehungsweise zu erwerbenden Kompetenzen und damit für die Gestaltung des Unterrichts (vergleiche Ende, Grotjahn, Kleppin, & Mohr 2013; Roche 2013a). Damit stehen nicht mehr die sprachlichen Formen als Ziel des Fremdsprachenunterrichts im Vordergrund, sondern das, was Lerner damit aus kommunikativer Sicht erreichen sollen (zum Beispiel Informationen und Argumente aus unterschiedlichen Quellen zusammenfassen, Ansichten begründen und verteidigen und Ähnliches). Auch der GER verwendet die sogenannten „Kann-Beschreibungen“ für die Formulierung der Lernziele. Vor diesem Hintergrund behandelt der erste Teil der Einheit die Frage, wie die neuen Medien im Unterricht kompetenzorientiert eingesetzt werden können und wie sie zur Erreichung der Lernziele nach dem GER beitragen können. Nach einer sorgfältigen Planung gilt es, den Erfolg des Einsatzes zuverlässig zu evaluieren. Daher werden wir uns im zweiten Teil der Einheit <?page no="259"?> 259 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien der Frage widmen, wie sich die bisher behandelten Kriterien und Kategorien systematisieren und in Form eines Evaluationsinstrumentes umsetzen lassen. Bei der Kompetenzorientierung handelt es sich um einen etwas weiteren Begriff als bei der Handlungsorientierung: Damit die Lernenden mit Sprache handeln können, ist der Erwerb einer Reihe von Kompetenzen notwendig, die über die sprachliche Kompetenz hinausgehen (zum Beispiel Demokratische Kompetenz, Recherche- und Fachkompetenz, soziale Kompetenz und Ähnliches (vergleiche Roche et al. 2012: 45), aber mit Sprache wiederum eng verbunden sind. So brauchen Lernende zum Beispiel bei Einigungsprozessen (demokratische Kompetenz), beim kollaborativen Arbeiten (soziale Kompetenz) oder beim Problemlösen (Methodenkompetenz) spezifische Ausdrucksformen. Sprache ist damit das zentrale Werkzeug für kompetentes und erfolgreiches Handeln. Zudem schafft eine kompetenzorientierte Lernzielbeschreibung im Kontext der Sprachvermittlung nicht nur für Lehrkräfte mehr Transparenz, sondern auch für die Lernenden sowie für die künftigen Arbeitnehmer (vergleiche Ende et al. 2013: 29). Mit der Handlungsorientierung und der Kompetenzorientierung sind zwei weitere Prinzipien des Fremdsprachenunterrichts sehr eng verbunden: Die Lernerorientierung und die Aufgabenorientierung. Das erste Prinzip besagt, dass die Inhalte und Aufgaben im Unterricht an die Welt der Lerner andocken sollen. Mittels Lernerorientierung soll nicht nur eine höhere Relevanz des zu lernenden Stoffes erreicht und daher auch die Motivation der Lerner gesteigert werden; vielmehr dienen das vorhandene Vorwissen und die eigenen Interessen als Auslöser von Prozessen der Akkomodation und Assimilation des neuen Wissens, was als echtes Lernen betrachtet werden kann (siehe Abschnitt 2). Vorstrukturierung des Lernstoffs und eine strikte Vorgabe der zu erwartenden Antworten (zum Beispiel bei stark durchstrukturierten Arbeitsblättern) wirken gerade gegen dieses Prinzip. Offene Lernformen, in denen die Lerner die Inhalte und die Form der Ergebnisse selbst bestimmen können, schaffen optimale Bedingungen für einen lernerorientierten Unterricht. Damit verbunden ist auch das Prinzip der Aufgabenorientierung, nach dem Unterrichtsaufgaben möglichst so gestaltet werden sollten, dass sie realen Handlungssituationen ähneln, die später einmal von den Lernern bewältigt werden müssen. Mit der Aufgabenorientierung kann also eine höhere subjektive Relevanz für die Lerner hergestellt werden (vergleiche Relevanzprinzip; Roche et al. 2012). So sollten Aufgaben zum Beispiel nicht einfach nur Funktionsverbgefüge auflisten und diese nach ihren strukturellen Eigenschaften analysieren. Stattdessen sollten sie beispielsweise darauf abzielen, wie mit derlei sprachlichen Mitteln die Einleitung einer Hausarbeit verfasst werden kann. Medien bieten hervorragende Möglichkeiten, all diese Prinzipien im Unterricht erfolgreich umzusetzen. Geht man von den Kompetenzen nach dem GER aus, so lassen sich diese oft zusammenhängend durch verschiedene Lernformen fördern. Damit der Zusammenhang zwischen Aufgabe, Lernformen, Kompetenzen und neuen Medien deutlich wird, schauen wir uns nun ein konkretes Beispiel für eine Aufgabe an, die in mehreren Arbeitsphasen bearbeitet wird. Die ausgewählte Aufgabenstellung wurde in Anlehnung an eine Aufgabe aus dem Lehrwerk Berufsdeutsch - Grundstufe Metall (2012: 51) formuliert. Das Lehrwerk hat als Zielgruppe Deutschlernende aus dem Bereich des Metallbaus: <?page no="260"?> 260 7. Mediennutzung Damit die Lerner die Aufgabe erfolgreich bearbeiten können, müssen mehrere Arbeitsschritte gemeistert werden, die wiederum unterschiedliche sprachliche (Teil)Kompetenzen vom Lerner erfordern und in den vier Lernformen aus umgesetzt werden können. Diese Schritte stellen ein Beispiel dafür dar, wie die Phasen zur Didaktisierung von Handlungssituationen nach Roche & Terrasi-Haufe (2016: 29, siehe Lerneinheit 2.3) konkret umgesetzt werden können: ▶ Orientieren und informieren: In einem ersten Schritt müssen die Teilnehmer der Gruppe danach recherchieren, welche Eigenschaften die drei Materialien besitzen und welche Vor- und Nachteile die Materialien bezüglich des Korrosionsschutzes haben; dafür müssen Lernende fachliche Informationen aus dem Internet zusammenfassen und Argumente für das eine oder andere Material finden können. Eventuell könnten auch Befragungen von Experten nötig sein (zum Beispiel per Mail, Telefon oder Videokonferenz). Hierbei geht es also eindeutig um forschendes Lernen. ▶ Planen und analysieren: Im zweiten Schritt präsentieren und diskutieren die Lernenden in der Gruppe die Zwischenergebnisse der Recherche, um sich auf ein Material zu einigen; dafür müssen die Lernenden die Sprache wirksam und flexibel für soziale Zwecke anwenden können. In diesem Fall handelt es sich um kollaboratives Lernen. ▶ Durchführen: Im dritten Schritt geht es um die Vorbereitung der Präsentation für den Kunden; dabei produzieren und gestalten die Lernenden den Text für die Präsentation, indem sie die Daten zu den Materialien sowie ihre Vor- und Nachteile strukturiert darstellen. Hierbei geht es vorrangig um produktorientiertes Lernen, denn am Ende soll ein greifbares und sozial relevantes Lernprodukt (die Präsentation) entstehen, ganz im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien. Darüber hinaus kann für die erfolgreiche Erstellung Aufgabe Sie müssen Briefkästen im Außenbereich anbringen. Dafür ist ein zuverlässiger Korrosionsschutz von besonderer Bedeutung. Der Kunde möchte deswegen von Ihnen eine fachlich begründete Empfehlung zu dem zu verwendenden Material und lädt Sie zu einer Präsentation ein. Folgende Materialien stehen Ihnen im Betrieb zur Verfügung: Nichtrostender Stahl Feuerverzinktes Stahlblech Beschichtetes Stahlblech Abbildung 7.6: Aufgabenstellung aus dem Lehrwerk Berufsdeutsch - Grundstufe Metall (Jehle, Kovacevic & Olbert 2012: 51) <?page no="261"?> 261 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien der Präsentation gegebenenfalls die Vertiefung bestimmter Sprachbereiche nötig sein; in diesem Fall können wir von individualisiertem Lernen sprechen. ▶ Präsentieren, bewerten und reflektieren: Im vierten und letzten Schritt setzen die Lernenden die Präsentation um und erhalten Feedback von den Kommilitonen. Zum Feedback gehört aber auch, dass die Lernenden ihre Meinung mit Argumenten stützen und verteidigen. Hierbei geht es also wieder um kollaboratives Lernen. Die folgende Tabelle fasst den Zusammenhang zwischen den hier beschriebenen Arbeitsphasen, Lernformen, Kompetenzen und den dafür nötigen neuen Medien zusammen. Die Arbeitsphasen (Spalte links) und die neuen Medien (Spalte rechts) stellen sozusagen die Oberfläche des handlungsorientierten Unterrichts dar. Diese sind jedoch im Hintergrund mit den vier verschiedenen Lernformen und den nach dem GER zu erwerbenden Kompetenzen verbunden. Erst durch einen solchen erkennbaren Zusammenhang erreicht der Einsatz der neuen Medien einen funktionalen Mehrwert im handlungsorientierten Unterricht. So erfüllen neue Medien wie der Chat, die Videokonferenz mit Whiteboard, oder das Wiki eine wichtige Funktion beim kollaborativen Lernen (Lernform), wenn Lerner zum Beispiel über die Ergebnisse der Recherche in der Gruppe berichten und die nächsten Arbeitsschritte abstimmen müssen (Arbeitsphase). Dabei haben die Lerner unter anderem die Möglichkeit zu lernen, wie Sprache wirksam und flexibel für soziale Zwecke gebraucht wird (Kompetenz). Wie Sie der folgenden Tabelle entnehmen können, erreichen die neuen Medien also erst dann einen funktionalen Mehrwert (vergleiche Roche 2008a), wenn sie bestimmten kompetenzorientierten Lernzielen eindeutig zugeordnet werden können, die durch verschiedene Lernformen erreicht werden sollen. Selbstverständlich muss der Ausgangspunkt stets eine Aufgabe sein, die für die Lerner relevant ist (Aufgabenorientierung), die Interessen der Lerner berücksichtigt (Lernerorientierung) und genügend Raum zum sprachlichen Handeln ermöglicht (Handlungsorientierung). Durch die bloße Digitalisierung von Materialien oder durch die alleinige Förderung individualisierten Lernens (zum Beispiel durch Online-Übungen zur Vertiefung von Grammatikstrukturen) wird in der Regel jedoch kein Lernmehrwert erreicht (vergleiche Suñer Muñoz & Paland 2015). Arbeitsphasen Lernformen Kompetenzen nach dem GER Neue Medien 1. Recherche nach Vor- und Nachteilen der Materialien (Orientieren und informieren) Forschendes Lernen Kann Informationen und Argumente aus unterschiedlichen Quellen zusammenfassen; kann aus hochspezialisierten Quellen des eigenen Fachgebiets Informationen, Gedanken und Meinungen entnehmen (Lesen) Internet, Tools zur Wissensorganisation (Concept Map, Mind Map und Ähnliches) 2. Bericht über die Ergebnisse der Recherche in der Gruppe und Abstimmung der nächsten Schritte (Planen und analysieren) Kollaboratives Lernen Kann die Sprache wirksam und flexibel für soziale Zwecke gebrauchen (Sprechen) Chat, Videokonferenz mit Whiteboard, Wiki <?page no="262"?> 262 7. Mediennutzung 3. Erstellung und Vorbereitung der Präsentation (Durchführen) Individuali-siertes Lernen Kann sehr selbstständig lesen, Lesestil und -tempo verschiedenen Texten und Zwecken anpassen und geeignete Nachschlagewerke selektiv benutzen (Lesen) Wortschatzressourcen, Nachschlagewerke, individualisierte Aufgaben, Grammatikanimationen Produkt-orientiertes Lernen Kann Daten präzise und strukturiert darstellen, wesentliche Aspekte hervorheben; kann Überlegungen anstellen, Vor- und Nachteile abwägen (Schreiben) PowerPoint, Prezi, Glogster 4. Durchführung der Präsentation (Präsentieren) Individuali-siertes Lernen Kann sehr selbstständig lesen, Lesestil und -tempo verschiedenen Texten und Zwecken anpassen und geeignete Nachschlagewerke selektiv benutzen (Lesen) Tools zur Vor- und Nachbereitung von Referaten und Texten (Wörterbücher, Linksammlungen, Präsentationstechniken üben und Ähnliches) Produkt-orientiertes Lernen Kann Sachverhalte ausführlich beschreiben oder berichten; kann die Hauptaussagen von inhaltlich und sprachlich komplexen berufsbezogenen Präsentationen verstehen (Hören) Prezi, PowerPoint, Glogster, Videokonferenz mit Whiteboard 5. Bewerten und Reflektieren Kollaboratives Lernen Kann die eigenen Gedanken und Meinungen präzise ausdrücken, Ansichten begründen und verteidigen (Sprechen); kann komplexer Interaktion Dritter in Gruppendiskussionen oder Debatten folgen (Hören) Videokonferenz mit Whiteboard Tabelle 7.1: Übersicht zu Arbeitsphasen, Lernformen, GER-Kompetenzen und neuen Medien (überarbeitet aus Suñer Muñoz & Paland 2015: 277 f) 7.1.3 Zusammenfassung ▶ Mit neuen Medien lassen sich vier allgemeine Lernformen unterstützen: Individualisiertes Lernen, kooperatives Lernen, forschendes Lernen und produktorientiertes Lernen. ▶ Neue Medien tragen zu einer Individualisierung des Lernprozesses bei, indem Inhalte, Tempo, Menge und Ähnliches flexibel an die Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden können. ▶ Durch neue Medien lassen sich komplexe, realitätsnahe Aufgaben aufbereiten, die den Lernenden durch Ausprobieren eigener Lösungsansätze einen individuellen Zugang ermöglichen und damit das forschende Lernen unterstützen. ▶ Wikis, Chats, Forums oder andere interaktive Tools ermöglichen den Lernenden, sowohl den gemeinsamen Wissensraum als auch die eigenen Wissensstrukturen durch Externalisierung beziehungsweise Internalisierung von Wissen zu konstruieren oder weiter auszubauen. ▶ Durch die Optimierung der Erstellung und Veröffentlichung eines konkreten, greifbaren Lernproduktes (Video, Präsentationen etc.) unterstützen neue Medien, Blogs oder Videoproduktionstools das produktorientierte Lernen. <?page no="263"?> 263 7.1 Sprachenlernen mit digitalen Medien ▶ Die neuen Medien erreichen erst dann einen funktionalen Mehrwert, wenn sie bestimmten kompetenzorientierten Lernzielen eindeutig zugeordnet werden können, die durch verschiedene Lernformen erreicht werden sollen. 7.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie die Lernformen, die sich anhand von neuen Medien fördern lassen. 2. Welche Online-Lernmaterialien oder Werkzeuge würden sich für die Förderung des individualisierten Lernens gut eignen? Begründen Sie Ihre Antwort. 3. Warum lässt sich gerade durch das Szenario des Operationssaals aus DUO das forschende Lernen im Kontext der Vermittlung der Fachsprache Medizin fördern? 4. Mit welchen Nachteilen beziehungsweise Schwierigkeiten ist das kollaborative Lernen verbunden? <?page no="264"?> 264 7. Mediennutzung 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht In der vorangegangenen Lerneinheit haben Sie die neuen Medien aus lerntheoretischer und didaktischer Sicht kennengelernt. Dabei hatten Sie Gelegenheit dazu, einige Werkzeuge und Sprachlernsoftware kennenzulernen, wie zum Beispiel die Sprachlernplattform Deutsch-Uni Online, die Software Plotagon, das Werkzeug VisualThesaurus etc. Nach welchen Kriterien kann aber die Fülle an neuen Medien klassifiziert werden? An wen richten sich die verschiedenen Werkzeuge, an die Lerner oder vielmehr an die Lehrkräfte? Welche Werkzeuge können Sie selbst ohne Weiteres zur Materialerstellung nutzen und welche bringen demgegenüber einen höheren technischen Aufwand mit sich? Sind alle Sprachlernplattformen von gleichem Nutzen? All diesen Fragen werden wir uns in den folgenden Abschnitten widmen und sie anhand von unterschiedlichen Klassifikationssystemen beantworten. Zu diesem Zweck werden die Lernplattformen in der vorliegenden Einheit sowohl als ganzheitliche Lernumgebungen, als auch in ihren einzelnen Komponenten und vorwiegend aus technisch-organisatorischer Sicht klassifiziert. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die verschiedenen Sprachlernplattformen nach dem Stand ihrer Entwicklung und nach Ihren Komponenten klassifizieren können; ▶ die Komponenten und Funktionen von Sprachlernplattformen aus technisch-organisatorischer Sicht beschreiben können. 7.2.1 Phasen der Entwicklung von Sprachlernplattformen Heutzutage erfolgt das mediengestützte Sprachenlernen über sogenannte Lernplattformen, die von Fall zu Fall unterschiedlich komplex sein können (vergleiche Roche 2008a: 46). Bevor die verschiedenen Phasen der Entwicklung von Sprachlernplattformen präsentiert werden, soll der Begriff Lernplattform etwas genauer beschrieben werden. Nach Sander & Igelbrink (2010: 148) sind Lernplattformen Softwaresysteme, „mit deren Hilfe Inhalte bereitgestellt, Lernprozesse koordiniert und Kommunikationsprozesse von Lernern untereinander abgewickelt werden können“. Die heutigen Lernplattformen sind eine Mischung aus sogenannten Content-Management-Systemen (CMS) und Learning-Management-Systemen (LMS). Während die CMS auf die Entwicklung und Verwaltung von Lernobjekten fokussiert sind (zum Beispiel Erstellung von Texten, Bildern, Videos, Aufgaben und Ähnliches), dienen LMS primär dazu, Lernprozesse zu unterstützen und zu verwalten (Lernerverwaltung, Erstellung von Lernpfaden, Steuerung von Kommunikationsprozessen und vieles mehr). Wie weit fortgeschritten die Technik der heutigen Lernplattformen ist, lässt sich am besten durch einen kurzen Rückblick auf die Geschichte erklären. Als Ausgangspunkt dieses Rückblicks nehmen wir den Durchbruch des Internets, da die Entwicklung und die Verbreitung der neuen Medien und der Lernplattformen erst ab diesem Zeitpunkt exponentiell angewachsen sind. Die <?page no="265"?> 265 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht Phasen der Entwicklung von Lernplattformen, die im Folgenden erläutert werden, basieren auf dem Modell von Hampel (2007): In einer ersten Phase wurden die zahlreichen CD-ROMS im Internet zur Verfügung gestellt. Die alten elektronischen Medien nutzten das Netz hauptsächlich für eine schnellere Bereitstellung und größere Verbreitung der Materialien. Bezüglich der Interaktion zwischen dem Programm und dem Lerner hat sich allerdings noch nicht viel getan, denn letzten Endes sind die bereitgestellten Materialien in dieser Phase weder von der Lehrkraft noch von den Lernern veränder- oder erweiterbar. Daher erweist sich die sogenannte „Einwegkommunikation“ zwischen Material und Lerner nach Hampel (2007: 35) als zentrales Merkmal der neuen Medien in dieser Phase. Die Adaptierbarkeit der Materialien an die individuellen Bedürfnisse der Lerner (vergleiche Leutner 2009) bleibt hier also eindeutig aus, sodass die Materialien als statisch und die Lerner als reine Rezipienten zu bezeichnen sind. Die zweite Phase zeichnet sich dadurch aus, dass die Materialien zwar in Form von komplexeren geschlossenen Systemen dargestellt werden, aber trotzdem über (relativ begrenzte) Komponenten der Lerner- und Materialverwaltung verfügen. So können Lehrkräfte zum Beispiel die Zugangsrechte für die Plattformen über plattforminterne Datenbanken verwalten. Auch für Lerner besteht die Möglichkeit, die Inhalte nach eigenem Ermessen zu strukturieren, auch wenn dies nur sehr bedingt möglich ist. In dieser Phase können die bereits bearbeiteten Aufgaben ebenfalls auf der Lernplattform abgespeichert werden, was eine Überprüfung des Lernfortschritts ermöglicht. Die ersten Chats und Foren zur kooperativen Arbeit werden ebenfalls in dieser Phase implementiert. Insgesamt bieten also die Materialien einen gewissen Grad an Adaptierbarkeit, Individualität und Interaktivität, erweisen sich nach außen jedoch weiterhin als relativ geschlossene Lernumgebungen (vergleiche Hampel 2007: 38). Ein besonderes Merkmal der Lernplattformen der dritten Phase sind die ersten Schritte auf dem Weg zur sogenannten Interoperabilität (vergleiche Hampel 2007: 42). Damit ist sowohl der Import und Export von Materialien als auch die Übertragung von Lernerdaten und ganzer Klassen von einem System in das andere gemeint, was unter anderem durch die Entwicklung von Standards wie dem Sharable Content Object Reference Model (SCORM) ermöglicht werden sollte. Damit sollten sich die Lernplattformen gegenüber anderen Systemen öffnen und eine gewisse Kompatibilität herstellen können. Trotzdem ist die Übertragung von Verwaltungsdaten und Inhalten in den seltensten Fällen gelungen. Auch die Fortschritte in Richtung Aufgabenkorrekturen, Anlegen von Lernpfaden durch die Lerner und Ähnliches sind an der mangelnden Umsetzung gescheitert. Schließlich weisen die Lernplattformen in der vierten Phase einen hohen Grad an Kompatibilität mit anderen Systemen auf, vor allem durch die Einbindung der sogenannten Web 2.0-Anwendungen, wie Wikis, Blogs, Instant-Messaging und Ähnliches. Diese plattformunabhängigen Werkzeuge lassen sich in die meisten Lernplattformen über offene Schnittstellen leicht integrieren. Die Lernplattformanbieter entwickeln also diese Anwendungen nicht selbst, sondern sie garantieren lediglich die Kompatibilität zwischen den Anwendungen und der Plattform. Damit decken die Lernplattformen nicht nur die Begleitung des Lernprozesses und die eher statische Darstellung von Wissen ab, sondern sie fördern die Konstruktion von Wissen durch kollaborative Prozesse, ganz im Sinne der konstruktivistischen Lehr- und <?page no="266"?> 266 7. Mediennutzung Lernverfahren. So können Lerner zum Beispiel durch interaktive Whiteboards gemeinsam verschiedene Informationen zu einem Thema in Form einer Concept Map organisieren, diese speichern und eventuell zu einem späteren Zeitpunkt ergänzen und erweitern. Auch die Lernerverwaltung wird in dieser Phase viel weniger dezentral gehandhabt als in der 3. Phase, sodass zum Beispiel verschiedene Institutionen die Zugänge ihrer eigenen Nutzer ab einer bestimmten Ebene selbst verwalten können. Auch bestimmte Lernerdaten können von der jeweiligen Institution gezielt ausgewertet werden, zum Beispiel die Anzahl der Zugriffe auf die Textseiten oder Aufgaben. Der Transfer von solchen Daten von einer Lernplattform auf eine andere bleibt trotz intensiver Bemühungen jedoch problematisch. Moderne Lernplattformen ermöglichen die (Selbst)Organisation von Daten, Inhalten und Prozessen auf verschiedenen Ebenen. So kann der Tutor (Lehrkraft im Online-Kurs) auf Plattformen der 4. Phase, wie zum Beispiel itslearning (Online unter https: / / itslearning.com/ de 20. Februar 2018) oder Blackboard (Online unter http: / / www.blackboard.com/ index.html 20. Februar 2018) entscheiden, welche Werkzeuge, Ressourcen und Inhalte für Lerner verfügbar sein sollen und in welcher Form sie zu bearbeiten sind (in Gruppen, mit Abgabefrist, nach einem bestimmten Lernpfad und Ähnliches). Aber auch Lerner können ihre eigenen Werkzeuge verwalten, indem sie zum Beispiel das eigene Portfolio pflegen, ihre Aufgaben auf dem persönlichen Blog veröffentlichen oder die Einstiegsseite nach eigenen Interessen gestalten. Zusammenfassend lassen sich die verschiedenen Möglichkeiten zur Selbstorganisation sowohl für Lerner als auch für Tutoren beziehungsweise Administratoren in Anlehnung an Schulmeister (2005: 11) und Hampel (2007: 54 ff) auf den Ebenen der Administration, des Lernmanagements und des Content-Managements wie folgt darstellen: Ebenen der (Selbst-)Organisation Administration Lernmanagement Content-Management Tutor Lerner Tutor Lerner Benutzer Kurse Interface Kurse Kommunikation Kommunikation Lernmaterial Grunddesign Werkzeuge Werkzeuge Aufgaben Evaluationen Personalisierung Personalisierung Tests Lernerdaten Portfolio Lernprodukte Tabelle 7.2: Ebenen der (Selbst-)Organisation <?page no="267"?> 267 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht Diese Tabelle beschreibt die Komponenten einer voll ausgestatteten Lernplattform. Eine solche Lernplattform bietet auf der Ebene der Administration unter anderem die Verwaltung von Nutzergruppen (Rechtevergabe, Klassenbildung, Import oder Export von Daten und Ähnliches), die Verwaltung der Zugangsdaten, das Zahlungssystem, die Einstellung des Grunddesigns nach dem Corporate Design der Institution sowie das Einrichten neuer Kurse. Auf der Ebene des Lernmanagements kann der Tutor Einstellungen zum jeweiligen Kurs vornehmen (Kursrollen, Anzahl der Themen, Lernpfade und Ähnliches), Einrichtung der Kommunikationsräume im Kurs (Chat, Forum und Ähnliches), die zu verwendenden Werkzeuge und Funktionen festlegen (Lexika, Linksammlung, Whiteboard, Lerntipps, Blog-Funktion und Ähnliches) und die Lernerdaten verwalten (Abgabe und Korrektur von Aufgaben, Logfiles und Ähnliches). Lerner können auf dieser Ebene zwar nicht ihre eigenen Kursdaten verwalten, aber sie können ihre Lernfortschritte im Portfolio aufzeichnen, ihre eigene Kursansicht personalisieren und die Kommunikationsräume und Werkzeuge nutzen. Schließlich finden sich auf der Ebene des Content-Management vorwiegend Funktionen für den Kurstutor, wie zum Beispiel die Einstellungen des Interface (Navigation) sowie die Erstellung und Verwaltung von Lernobjekten, Aufgaben und Tests. Der Lerner kann auf dieser Ebene jedoch auch seine eigenen Lernprodukte gestalten und zur Verfügung stellen, indem er zum Beispiel ein Referat als Audiodatei aufzeichnet und es auf dem eigenen Blog veröffentlicht. Was den finanziellen Aufwand der Einrichtung von Lernplattformen angeht, so ist zwischen kostenfreien Lernplattformen (zum Beispiel Moodle, OLAT, ILIAS und Ähnlichen) und kostenpflichtigen Lernplattformen (itslearning, Blackboard etc.) zu unterscheiden. Hierbei ist einschränkend darauf hinzuweisen, dass die Einrichtung von kostenfreien Lernplattformen an sich zwar keinen finanziellen Aufwand mit sich bringt, dass sich aber bei der Wartung, Verwaltung und Weiterentwicklung (beispielsweise Einbindung neuer Funktionen, Durchführung von Updates und Ähnlichem) sogenannte versteckte Kosten ergeben (können). 7.2.2 Komponenten von Lernplattformen Bisher stand die Charakterisierung ganzer (Sprach)Lernplattformen im Mittelpunkt. Aus welchen Komponenten, Werkzeugen bestehen aber diese (Sprach)Lernplattformen und durch welche Kategorien kann man sie klassifizieren? Im Folgenden wird versucht, die Vielfalt an Werkzeugen von (Sprach)Lernplattformen in Anlehnung an Roche (2008a: 47) zu klassifizieren. Die meisten der hier aufgelisteten Tools kommen jedoch nicht ausschließlich in Online-Lernumgebungen zum Einsatz, sondern sie können auch im Präsenzunterricht genutzt werden. Andere Tools (zum Beispiel Chats oder virtuelle Klassenzimmer) sind wiederum reine Online-Tools. Autorenwerkzeuge Eine erste Gruppe von Tools stellen die sogenannten Autorenwerkzeuge (auch Help Authoring Tools (HAT) genannt, vergleiche Thiemann 2008) dar. Damit können Kursdesigner - aber auch Lehrkräfte - ohne viel Programmieraufwand Materialien erstellen und ganze Kurs- <?page no="268"?> 268 7. Mediennutzung abschnitte multimedial darbieten. Die Autorenwerkzeuge können sowohl als integrative Bestandteile einer größeren Lernplattform als auch als plattformabhängige Tools verwendet werden. Zu den wichtigsten Funktionen eines Autorentools gehören: Textverarbeitung, Bildverarbeitung, Verarbeitung von Audio- und Videosequenzen, Erstellung von Animationen und Übungssequenzen (Multiple-Choice, Lückentexte, Drag&Drop, Kreuzworträtsel und Ähnliches). Es müssen jedoch nicht alle diese Funktionen im Autorenwerkzeug vorhanden sein. So nutzt zum Beispiel das Autorenwerkzeug Hotpotatoes (Online unter https: / / www. hotpotatoes.de 20. Februar 2018) zwar Videos als Übungsmaterial (siehe Abbildung 7.7), seine Funktionalitäten umfassen aber hauptsächlich die Erstellung von webbasierten Übungen. Vergleichbare Autorenwerkzeuge sind zum Beispiel eXeLearning (Online unter http: / / www. exelearning.de 20. Februar 2018), myUdutu (Online unter http: / / www.myudutu.com/ myudutu 20. Februar 2018) oder JClic (Online unter https: / / www.edugroup.at/ service/ suche/ detail/ jclic. html 20. Februar 2018). Kommunikationsmittel Die Kommunikationswerkzeuge ermöglichen die Interaktion zwischen Lernern sowie zwischen Lernern und Tutor über qualitativ unterschiedliche Wege: synchrone (zeitgleiche) Kommunikation und asynchrone (zeitversetzte) Kommunikation (vergleiche Dürscheid 2012; Ebner, Schön, Bäuml-Westebbe, Buchem, Lehr & Egloffstein 2013). Ausschlaggebend bei dieser Unterscheidung ist, ob die Gesprächspartner zur gleichen Zeit miteinander kommunizieren. Nehmen wir als Beispiele die Kommunikation per SMS und per Skype-Konferenz. Beim ersten gestaltet sich die Kommunikation so, dass die Gesprächspartner keine unmittelbare Reaktion auf eine Äußerung erwarten. Man kann sich also beim Antworten etwas Zeit lassen, ohne dass die Kommunikation dadurch erschwert wird. So kann es zum Beispiel der Fall sein, dass sich einer der Gesprächspartner im Seminar befindet und er deswegen die SMS erst danach beantworten kann (mit E-Mails verhält es sich ähnlich). Einen Skype-Anruf kann man zwar immer ablehnen, nach Beginn des Gesprächs wird jedoch erwartet, dass der Gesprächspartner beziehungsweise die Gesprächspartnerin relativ zügig auf Abbildung 7.7: Beispiel für den Aufgabetyp Mehrfachauswahl mit Video-Datei aus Hotpotatoes (Steinmann 2009) <?page no="269"?> 269 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht die Äußerungen des anderen reagiert. So sind zum Beispiel in einem Skype-Gespräch vergleichsweise mehr Sprecherwechsel und in der Regel viel kürzere Äußerungen der Gesprächspartner zu beobachten als bei einer SMS- oder Email-Kommunikation. Wir dürfen aber die Kurzlebigkeit und die vorwiegend dialogische Form (mit zahlreichen Sprecherwechseln) der mündlichen Kommunikation nicht ausschließlich mit Skype-Gesprächen, Videokonferenzen und dergleichen verbinden. Auch die Kommunikation in Chats zeigt zum Beispiel trotz ihrer schriftlichen Realisierung viele Eigenschaften und sprachliche Merkmale mündlicher Kommunikation. Daher unterscheidet man in der Sprachwissenschaft zwischen der medialen und der konzeptionellen Mündlichkeit (vergleiche Dürscheid 2012: 43 ff.; Günther 1997). Mediale Mündlichkeit bezieht sich auf das Medium, also auf die gesprochenen und auditiv wahrnehmbaren Wörter; konzeptionelle Mündlichkeit hingegen ist unabhängig vom Medium und bezeichnet eher die Eigenschaften der mündlichen Kommunikation, wie zum Beispiel Dialogizität, Interaktivität, Kurzlebigkeit, Kontextgebundenheit der Äußerungen, die Bevorzugung von Koordination gegenüber Subordination und Ähnliches (vergleiche Dürscheid 2016: 48 f.; Günther 1997). Dasselbe gilt für die Schriftlichkeit, und zwar wird zwischen medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit unterschieden. Kombiniert man die zwei Kriterien medial beziehungsweise konzeptionell und schriftlich beziehungsweise mündlich, so ergeben sich folgende Verteilungen und Kommunikationsformen, die durch verschiedene Werkzeuge realisiert werden können: Medial schriftlich Medial mündlich Konzeptionell mündlich Chats Skype-Gespräche Konzeptionell schriftlich Mails Videovorlesungen Tabelle 7.3: Übersicht zu konzeptionell mündlichen und schriftlichen Kommunikationsformen Die konzeptionell mündlichen und die konzeptionell schriftlichen Kommunikationsformen sind also relativ unabhängig von ihrer medialen Realisierung und sind - mit einem gewissen Vorbehalt - jeweils der synchronen und asynchronen Kommunikation zuzuordnen (vergleiche kritisch dazu Dürscheid 2016). Im Folgenden sehen Sie ein Beispiel für ein Chat-Gespräch, in dem verschiedene Eigenschaften der konzeptionell mündlichen Kommunikation in medial schriftlicher Form zu beobachten sind: <?page no="270"?> 270 7. Mediennutzung Die konzeptionelle Mündlichkeit kann man zum Beispiel daran erkennen, dass die Beiträge der Gesprächsteilnehmer in keinem Fall länger sind als drei Sätze, was zu einem regen Sprecherwechsel führt. Dabei sind die meisten Gesprächsbeiträge als unmittelbare Reaktionen auf andere Gesprächsbeiträge und daher als sehr kontextgebunden anzusehen. Auch die Verwendung von Partikeln zur Bejahung (ja) oder Zustimmung (genau! ) und die Auslassung von Interpunktion sind vor allem Merkmale mündlicher Kommunikation. In der konzeptionell mündlichen Kommunikation greift man, unter anderem aufgrund der hohen Kontextgebundenheit, auch auf nicht-verbale beziehungsweise piktoriale Ausdrucksmittel zurück, wie zum Beispiel die sogenannten Emoticons ( gebundenheit, auch auf nicht-verbale beziehungsweise piktoriale Ausdrucksmittel zurück, ), um die verbale Kommunikation zu ergänzen oder zu erweitern. In der Face-to-Face-Kommunikation geschieht das unter anderem durch Gestik und Mimik. Zur synchronen Kommunikation auf Lernplattformen zählen unter anderem Tools wie Chat, Instant-Messaging, Videokonferenz; die asynchrone Kommunikation erfolgt hingegen durch Foren, interne Mail-Systeme, Blogs, Repositorien für Videoaufnahmen (zum Beispiel Videovorlesungen) und Ähnliches (vergleiche Kuhlmann & Sauter 2008: 142). In der Regel [ 1 9 : 4 5 : 0 4 ] T utor: J a, das P rob lem ist ab er oft, dass die sog enannten L adenhü ter zu Rab attp reisen ang eb oten w erden [ 1 9 : 4 5 : 2 5 ] laurin: j a, ok , ab er im W inter k aufe ich etw as fü r den W inter usw . [ 1 9 : 4 5 : 2 5 ] b idasoa: Me too. I ch b in nicht w irk lich g lü ck lich dab ei. U nd sie hab en in der Reg el " K inder" G rö ß en. [ 1 9 : 4 5 : 3 8 ] T utor: [ 1 9 : 4 6 : 5 0 ] T utor: K ann man in I hren j ew eilig en in j edem G eschä ft feilschen ohne nur b ei Sonderang eb oten? [ 1 9 : 4 7 : 2 1 ] T utor: . . . j ew eilig en L ä ndern. . . [ 1 9 : 4 7 : 5 9 ] V ista Sol: j a das p assiert oft. . . die K ä ufer w ollen die alte W aren verk aufen, um P latz fü r andere P roduk te zu schaffen [ 1 9 : 4 8 : 0 7 ] V ista Sol: hat den Raum verlassen [ 1 9 : 4 9 : 0 7 ] laurin: j a. ich dachte dass diese ist die G rund von rab att. . . [ 1 9 : 5 0 : 3 7 ] b idasoa: W irtschaft b raucht U msatz, so g ib t es einen neuen Raum fü r neue P roduk te. A llerding s j edes J ahr G eschä fte nehmen Sie zum Beisp iel 3 J ahre alt W aren sie b ei V ertrieb verk aufen. [ 1 9 : 5 1 : 5 2 ] T utor: G enau! I ch k enne ab er L ä nder w ie in A frik a, w o man nicht nur b ei Sonderang eb oten sondern auch g anz normal verhandelt. Abbildung 7.8: Beispiel für ein Chat-Gespräch <?page no="271"?> 271 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht werden jedoch verschiedene Funktionen und Tools miteinander kombiniert. So kann man während eines Chatgesprächs auch interaktive Whiteboards zur simultanen Bearbeitung von Lernobjekten in virtuellen Videokonferenzen nutzen (siehe auch Multi-User Domains (MUDs) und Multi User Domains Object-Oriented (MOOs)). Abbildung 7.9 zeigt einen virtuellen Klassenraum, in dem Chat, Videokonferenz, Whiteboard miteinander kombiniert werden können. Spracherkennungssysteme Eine weitere Gruppe von Komponenten einer Lernplattform bilden die Spracherkennungssysteme. Roche (2008a) unterscheidet in dieser Gruppe zwischen Systemen zur Erkennung von schriftlicher Sprache und Systemen zur Erkennung von gesprochener Sprache. Die Systeme zur Erkennung von schriftlicher Sprache geben Feedback zu Aspekten der Grammatik und Rechtschreibung in schriftlichen Lernertexten. Sie entlasten damit die Arbeit der (menschlichen) Tutoren enorm und garantieren eine zuverlässige und systematisierte Korrektur von Fehlern. Die etwas rudimentären Systeme beschränken sich auf die Korrektur geschlossener Aufgaben (zum Beispiel Einsetzübungen) und sind daher im Umfang der Korrekturen sehr begrenzt. Sie gleichen oft die Antworten der Lerner mit zuvor eingegebenen Antwortmög- Abbildung 7.9: Screenshot aus dem Videokonferenztool Blackboard Collaborate auf der Lernplattform Fronter (Fronter 2018) <?page no="272"?> 272 7. Mediennutzung lichkeiten ab. Nachteile dieser Systeme ergeben sich zum Beispiel aus dem Umgang mit Tippfehlern oder mit Rechtschreibfehlern wie Groß- und Kleinschreibung, indem inhaltlich und grammatisch korrekte Antworten als falsch gewertet werden können. Sogenannte intelligente tutorielle Systeme bieten ihrerseits eine viel umfangreichere Korrektur von Lernertexten. Diese Systeme arbeiten auf der Basis von Korpora, hinterlegten Grammatiken und speziell erstellten Lexika. Haller (2007) unterscheidet hauptsächlich zwischen der Grammatik und dem Lexikon als Komponenten dieser Systeme. Die verwendeten Grammatiken sind als eine Art Sammlung häufiger Fehler von Nichtmuttersprachlern anzusehen. Dabei werden meistens syntaktische Fehler berücksichtigt, bei ausreichenden Daten lassen sich jedoch in manchen Fällen auch semantische Informationen und Valenzinformationen für die Korrektur verwenden (vergleiche Haller 2007: 75). Für die Lexika werden Lektionstexte als Grunddaten genommen, um den Wortschatz auf einer bestimmten Niveaustufe abzudecken. So werden die Lernertexte anhand des konstruierten Lexikons und der hinterlegten Grammatik des Systems auf verschiedenen Ebenen abgeglichen; dabei werden Abweichungen im Text markiert, bei Übereinstimmungen erfolgt jedoch keine Reaktion des Systems (vergleiche Roche 2008a). Ziel solcher intelligenten tutoriellen Systeme ist es also, so viele Fehler wie möglich zu erkennen und dabei die Anzahl der ‚Fehlalarme‘ niedrig zu halten. Gleichzeitig wird darauf abgezielt, bei einem erkannten Fehler möglichst genau die Fehlerstelle zu markieren sowie eine möglichst zutreffende Fehlerdiagnose zu geben. (Haller 2007: 74) Der folgende Screenshot aus Deutsch-Uni Online (DUO) zeigt, in welcher Form die Lerner die Korrektur des Systems erhalten. Auf der oberen Seite des Fensters (1) befindet sich die Aufgabenstellung. Unterhalb der Aufgabenstellung (2) ist der Text mit den markierten Fehlern zu sehen. Links davon (3) befindet sich eine Liste mit allen gefundenen Fehlern. Werden die aufgelisteten Fehler angeklickt, erscheint am unteren Ende des Fensters (4) die entsprechende Beschreibung. Dies erfolgt einerseits durch Zuordnung zu verschiedenen Fehlerkategorien wie Grammatik, Orthographie und Ähnlichem; andererseits werden Hinweise für die Eigenkorrektur der Fehler gegeben (zum Beispiel Bildung von Partizip II aus Verben mit -ieren immer -t). Nach Überarbeitung der Korrekturen kann der Lerner per Mausklick (5) überprüfen, ob er die markierten Fehler erfolgreich beheben konnte. In einem nächsten Schritt kann der erfolgreich korrigierte Text an den Tutor ebenfalls per Mausklick gesendet werden (6). Damit kann sich der Tutor auf die Korrektur des Textes auf höhere Ebenen der Textkohärenz konzentrieren. <?page no="273"?> 273 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht Diese E-Assistenten haben jedoch bestimmte Nachteile, die bisher nur teilweise aufgehoben werden konnten. So kann der E-Assistent zum Beispiel aus dem Kontext heraus in der Regel nicht erkennen, ob das Genus beim Wort Verdienst richtig oder falsch ist (der Verdienst => Gehalt; das Verdienst => Erfolg). Es gibt zwar Methoden aus der Computerlinguistik, die die kontextabhängige Vorkommenshäufigkeit von Kollokationen produktiv nutzen (das Wort Fußball kommt zum Beispiel oft zusammen mit den Wörtern Stadion und Spieler vor), eine zuverlässige Auswertung liefern sie jedoch noch nicht. Ein weiterer Nachteil ist auch die Tatsache, dass Fremdwörter und Eigennamen (in der Abbildung 7.10 zum Beispiel die Stadt Tromsö) oft auch als Fehler markiert werden, da sie in das Lexikon des E-Assistenten nicht eingepflegt wurden (vergleiche Roche 2008a). Eventuell können auch Fehler in Konstruktionen wie Funktionsverbgefügen oder Verben mit einem Präpositionalobjekt unerkannt bleiben (zum Beispiel sich an etwas freuen* ‒richtig: sich auf etwas freuen und sich an etwas erfreuen oder zur Verfügung setzen* ‒richtig: zur Verfügung stehen). Ähnliche Probleme ergeben sich übrigens bei den Übersetzungsmaschinen aus dem Internet, die sich ähnlicher hinterlegter Lexika und Grammatiken bedienen. Wenn Sie probeweise einen Text zur Übersetzung eingeben, werden Sie sofort erkennen, wie schnell Übersetzungsmaschinen an ihre Grenzen stoßen (vergleiche Beispiel bei Roche 2013a). Trotz all der hier aufgezeigten Nachteile erweist Abbildung 7.10: Korrektur E-Assistent aus Deutsch-Uni Online (DUO 2018) <?page no="274"?> 274 7. Mediennutzung sich der E-Assistent als die optimale Ergänzung für den Online-Tutor bei der Korrektur von Aufgaben, und zwar kann der E-Assistent eine beträchtliche Anzahl an orthographischen und grammatischen Fehlern effektiv bereinigen, die nachher nicht mehr vom Online-Tutor korrigiert werden müssen. Auf diese Weise kann sich der Online-Tutor auf Aspekte der Kohärenz, des Textaufbaus und des Stils konzentrieren. Was die Systeme zur Erkennung von gesprochener Sprache angeht, sind sie hauptsächlich als Systeme des Musterabgleichs zu charakterisieren (Möbius & Haiber 2010: 216). Das heißt, die eingehenden Sprachsignale werden mit bereits vorhandenen Referenzäußerungen abgeglichen, die als Muster für eine bestimmte Sprache festgelegt wurden. Dabei werden nach Möbius & Haiber (2010) mehrere Phasen durchlaufen: Zuerst wird das Sprachsignal aus den Schallwellen von den Störgeräuschen abgegrenzt, indem die lautspezifische Energieverteilung digitalisiert wird und anhand von Basisparametern mit bestimmten Merkmalen (sogenannte Vektorenmerkmalen) verbunden; im nächsten Schritt werden die herausgefilterten physikalischen Merkmale in linguistische Einheiten wie Phoneme oder Silben umgewandelt; danach werden die Einheiten mithilfe lexikalischer Einschränkungen (also existierender Wörter einer Sprache) Einheitssequenzen zugeordnet. Hierzu ist ein hinterlegtes Lexikons erforderlich. Zu guter Letzt werden anhand einer syntaktischen Analyse unwahrscheinliche Einheitssequenzen herausgefiltert und anhand einer semantischen Analyse mögliche kontextwidrige Sätze bereinigt (zum Beispiel die konjugierte Verbform ist im Satz er ist Deutschlehrer). Auf Sprachlernplattformen werden solche Systeme beim Aussprachetraining verwendet, wobei vor allem einzelne Wörter ausgewertet werden (zum Beispiel im Programm IntelliSpeech). Sprach- und Bildverarbeitung Auf Lernplattformen gibt es ebenfalls Möglichkeiten der Edition von geschriebener und gesprochener Sprache. Die Werkzeuge mit dieser Funktion werden unter der Kategorie Tools zur Sprach- und Bildverarbeitung zusammengefasst. Neben den üblichen Texteditoren (zum Beispiel in Aufgaben mit Texteingabe, Foren, Wikis und Ähnliches). finden sich auf Lernplattformen zunehmend Möglichkeiten zur Verarbeitung mündlicher Sprache. So bietet die Plattform itslearning die Möglichkeit, Audio- und Videodateien selbst zu erstellen und zu editieren. Diese können dann innerhalb der Plattform entweder in Zusammenhang mit Aufgaben an den Online-Tutor geschickt werden oder im Forum veröffentlicht werden. Moderne Plattformen haben außerdem die Möglichkeit, diese audio- und videobasierten Lernprodukte über einen persönlichen Blog einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit wird einerseits die soziale Relevanz des Lernprozesses im Sinne der Produktorientiertheit stärker betont und andererseits die Möglichkeit eines authentischen Feedbacks über den Unterricht hinaus geschaffen. <?page no="275"?> 275 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht Auch Bilder können eventuell in Zusammenhang mit Text und Audio anhand von plattformunabhängigen Web 2.0-Anwendungen integrativ verarbeitet werden. Das ist zum Beispiel mit dem Tool Creaza möglich (siehe Abbildung 7.12), das auf verschiedenen Plattformen als fester Bestandteil der Lernwerkzeuge zur Verfügung steht. Damit können Lerner Comic-Geschichten erstellen und zahlreiche Parameter (Dialoge, Figuren, Szenen, Perspektiven und Ähnliches) selbst bestimmen. Auch Audiodateien und eigene Zeichnungen können in die Comic-Geschichten eingebaut werden, sodass Lerner eine aktive Gestalterrolle während des Lernprozesses übernehmen können. Unter diese Kategorie fallen Programme wie Plotagon (Online unter https: / / plotagon.com 20. Februar 2018), Glogster (Online unter http: / / edu.glogster.com/ ? ref=com 20. Februar 2018), Stepmap (Online unter http: / / www.stepmap.de 20. Februar 2018) und so weiter. Andere Tools wie Prezi (Online unter https: / / prezi.com 20. Februar 2018) sind ihrerseits eher darauf ausgerichtet, dynamische Präsentationen zu erstellen. All diese Tools sind zum Teil als eingebundene Ressourcen auf den Lernplattformen verfügbar, sodass die dort erstellten Dateien sowohl für interne Aufgaben geplant als auch im eigenen Portfolio abgelegt oder in einem öffentlichen Blog (oder Videoportal) zugänglich gemacht werden können. Dies entspricht dem Prinzip der Interoperabilität nach Hampel (2007), nach dem die Übertragbarkeit von Lernerdaten (in diesem Fall Lernprodukte) auf andere Systeme über die offenen Schnittstellen der Web 2.0.-Anwendungen gewährleistet werden soll. Abbildung 7.11: Videoaufnahmefunktion (links) und Audioaufnahmefunktion (rechts) (itslearning 2018) <?page no="276"?> 276 7. Mediennutzung Lernverwaltungs- und Administrationswerkzeuge Schließlich finden sich auf Lernplattformen sogenannte Lernverwaltungs- und Administrationswerkzeuge, die Lernern die Möglichkeit bieten, einige Parameter des Kurses anzupassen, den Lernweg nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten und die Archivierung der eigenen Aufgaben und Korrekturen nach eigenem Ermessen zu organisieren (vergleiche Roche 2008a: 140). Da diese Funktionen bereits im Rahmen der Ebenen der Selbstorganisation erläutert wurden, wird hier nicht mehr darauf eingegangen. Zu ergänzen ist jedoch, dass der Umfang der Funktionen in diesem Bereich von Lernplattform zu Lernplattform erheblich variieren kann. Während einige Lernplattformen vielfältige Möglichkeiten zur Auswertung von Lernerdaten bieten (zum Beispiel Logins und Abruf von Dokumenten, Bearbeitungsstand der Aufgaben, erreichte Punktzahl nach Einzellernern oder Gruppe und Ähnliches), beschränken sich andere Lernplattformen auf den Austausch von Dokumenten zwischen Lerner und Tutor, wobei die Korrekturen selbst oft außerhalb der Lernplattform stattfinden. 7.2.3 Zusammenfassung ▶ Moderne Lernplattformen bieten auf der Ebene der Administration unterschiedliche Möglichkeiten an, unter anderem die Verwaltung von Nutzergruppen (Rechtevergabe, Klassenbildung, Import beziehungsweise Export von Daten und Ähnliches), die Verwaltung der Zugangsdaten, ein Zahlungssystem, die Einstellung des Grunddesigns nach dem Corporate Design der Institution sowie das Einrichten neuer Kurse. ▶ Auf der Ebene des Lernmanagements kann der Tutor Einstellungen zum jeweiligen Kurs vornehmen (Kursrollen, Anzahl der Themen, Lernpfade und Ähnliches), Kommunikationsräume im Abbildung 7.12: Ansicht des Tools Creaza auf der Lernplattform Fronter (Fronter 2018) <?page no="277"?> 277 7.2 Klassifikation von digitalen Medien für den DaF-Unterricht Kurs einrichten (Chat, Forum und Ähnliches), die zu verwendenden Werkzeuge und Funktionen festlegen (Lexika, Linksammlung, Whiteboard, Lerntipps etc.) und die Lernerdaten verwalten (Abgabe und Korrektur von Aufgaben, Logfiles und Ähnliches). ▶ Auf der Ebene des Content-Managements finden sich vorwiegend Funktionen für den Kurstutor, wie zum Beispiel die Einstellungen des Interface (Navigation) sowie die Erstellung und Verwaltung von Lernobjekten, Aufgaben und Tests. Auch Lerner können das Interface personalisieren. 7.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist die wichtigste Neuerung der Plattformen aus der vierten Phase im Vergleich zu den Plattformen der dritten Phase nach Hampel (2007)? 2. Welchen Unterschied gibt es zwischen dem Content- und Lernmanagement aus der Perspektive des Lerners? 3. Wie lassen sich die Begriffe der konzeptionellen Schriftlichkeit und der konzeptionellen Mündlichkeit anhand konkreter Beispiele erklären? 4. Welche Beschränkungen weisen viele E-Assistenten in Bezug auf die Fehlerkorrektur auf? <?page no="278"?> 278 7. Mediennutzung 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten Nachdem die neuen Medien in den vorangehenden Lerneinheiten aus lerntheoretischer Sicht behandelt und die Lernplattformen sowohl als ganzheitliche Lernumgebungen als auch in ihren einzelnen Komponenten aus technisch-organisatorischer Sicht betrachtet wurden, geht es nun darum, die Vielfalt an Sprachlernangeboten auf dem Markt nach ihrem Zweck und ihrer Funktion zu beschreiben. Üben die Lerner zum Beispiel mit einer App gezielt ihre Aussprache oder lernen sie, wie sie unterschiedliche kommunikative Situationen in der Fremdsprache bewältigen? Erwerben die Lerner eine spezifische sprachliche Teilkompetenz (zum Beispiel Lesekompetenz) oder üben sie die Testformate einer bestimmten Prüfung ein? Wie sich die Vielfalt an neuen Medien nach funktionalen Kategorien klassifizieren lässt, wird im ersten Teil dieser Lerneinheit anhand der Kategorien von Roche (2008a) behandelt. Im zweiten Teil der Lerneinheit werden wir uns der Frage widmen, wie sich die bisher behandelten Kriterien und Kategorien systematisieren und in Form eines Evaluationsinstrumentes umsetzen lassen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ den Einsatz verschiedener Sprachlernangebote im DaF-Unterricht aus funktionaler Sicht begründen können; ▶ die verschiedenen Ebenen der Evaluation von Sprachlernsoftware begründen können; ▶ Sprachlernsoftware anhand eines theoriebasierten Kriterienkatalogs evaluieren können. 7.3.1 Tutorielle Systeme Eine erste funktionale Kategorie von Programmen bilden nach Roche (2008a) die sogenannten tutoriellen Systeme, die ebenfalls als Komponente von größeren Sprachlernplattformen verwendet werden können (vergleiche Spracherkennungssysteme in Lerneinheit 7.2). Die tutoriellen Systeme als eigenständige Sprachlernangebote sind vorwiegend darauf ausgerichtet, einzelne Sprachbereiche (zum Beispiel Entscheidungsfragen stellen, Wechselpräpositionen, Konjunktiv II etc.) anhand einer sehr starken Steuerung durch das Programm gezielt zu trainieren und ihre Verwendung zu automatisieren. Meistens bestehen diese Sprachlernangebote in umfangreichen Sammlungen von Übungen, die unzählige Wiederholungsmöglichkeiten ein und derselben Struktur anbieten. Nicht viel spannender - aber dafür äußerst funktional - sind Rückmeldungen, die in der Regel die Bewertung richtig/ falsch anbieten. Typisch für diese Art von Sprachlernangeboten ist die statistische Fehlerauswertung. Im Bereich der tutoriellen Systeme können allerlei Sprachbereiche trainiert werden (Aussprache, Artikel, Wortschatz und Ähnliches). Ein Beispiel für ein solches Sprachlernangebot ist die Applikation für Smart Phones book2. In diesem Programm wählt der Nutzer zunächst seine Erstsprache und dann die gewünschte Fremdsprache. Erst dann werden die Lektionen <?page no="279"?> 279 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten generiert. Insgesamt sind 100 Lektionen vorgesehen, die unterschiedlichen Themen entsprechen. Der Nutzer wählt anschließend eine Lektion aus der Liste aus und beginnt mit einem strukturierten Lernprozess: 1. anhören beziehungsweise lesen, 2. trainieren und 3. schlafen (ja, Sie haben es richtig gelesen). Beim ersten Lernschritt hört sich der Nutzer die vorgefertigten Wörter und Sätze so lange an, wie er will. Dabei werden die Sätze stets in der Erstsprache und in der Fremdsprache dargeboten (siehe Abbildung 7.13). Das Erlernen der Fremdsprache reduziert sich also auf ein rudimentäres Assoziieren, das ohne jeglichen kontextuellen Bezug erfolgt. Danach werden die gehörten Sätze einzeln und systematisch abgeprüft bis der Nutzer die ganze Lektion bewältigt hat. Als Letztes kommt ein ganz unkonventioneller Schritt, und zwar kann sich der Nutzer alle gelernten Sätze von der Applikation in der Tiefschlafphase wiederholen lassen. Dies soll angeblich helfen, die gehörten Wörter und Sätze im Gedächtnis besser zu festigen. Die Hersteller behaupten, dieses Verfahren ermögliche „eine schnelle und unkomplizierte Aneignung der Fremdsprache“ (book2 2013). Kritisch an diesem Sprachlernangebot sind unter anderem die fehlende Auseinandersetzung mit ganzheitlichen kommunikativen Situationen, die Unmöglichkeit zur Herstellung einer persönlichen Relevanz hinsichtlich der Themen und die vollkommene Vernachlässigung des kreativen Umgangs und authentischen Handelns mit Sprache. Andere tutorielle Systeme werden für den Aufbau von Wortschatz (sogenannte Vokabeltrainer) oder für das Aussprachetraining verwendet. Die App babbel kombiniert diese beiden Funktionen: Einerseits bietet sie ein Spracherkennungssystem an, das die nachgesprochenen Wörter des Nutzers in einer Skala zwischen 0 und 100 in Bezug auf ihre Nähe zur muttersprachlichen Aussprache bewertet; andererseits kann der Nutzer durch zahlreiche Übungen seinen Wortschatz bereichern. In ihrer Vokabeltrainer-Funktion verfährt babbel ähnlich wie book2: Es werden zunächst thematisch verwandte Vokabeln zusammen mit der dazugehörenden Übersetzung dargeboten, die dann in Zuordnungsübungen trainiert werden. Abbildung 7.13: Video-Tutorial der App book2 (50LANGUAGES LLC 2018) <?page no="280"?> 280 7. Mediennutzung Anschließend können ganze Sätze gebildet werden, indem der Nutzer aus einer Liste verschiedener Begriffe den richtigen auswählt. Das Wiederholen und das Nachsprechen der gebildeten Sätze sollen zur Festigung des Wortschatzes beitragen. Diese App ist zwar in einem sehr ansprechenden Design gestaltet worden, aber die meisten Kritikpunkte, die bereits zu book2 angeführt wurden, treffen ebenfalls auf babbel und vermutlich auch auf die meisten tutoriellen Systeme zu. 7.3.2 Situativ ausgerichtete Programme Eine weitere Kategorie stellen nach Roche (2008a) die sogenannten situativ ausgerichteten Programme dar. Wie der Name bereits sagt, besteht der größte Unterschied zwischen dieser Kategorie und der vorherigen darin, dass hier eine situative Einbettung der Materialien erfolgt. Das heißt, die Dialoge, der Wortschatz und so weiter sind in einem konkreten Kontext authentischer Kommunikation situiert, sodass zum Beispiel ganze Texte und Gespräche behandelt werden (und nicht nur isolierte Wörter und Sätze wie bei den tutoriellen Systemen). Dies erfolgt meistens jedoch auf eine eher rudimentäre Weise, denn die Situativität wird zum Teil durch kurze Videos, Gespräche oder Dialoge mit nur scheinbar authentischen Illustrationen hergestellt. Außerdem entpuppen sich diese Programme zumeist als behaviouristisch angehauchte Lernarrangements, die ähnlich wie die tutoriellen Systeme auf Wiederholung und vorgegebenes Feedback setzen. Hier ist also ebenfalls kein Platz für den kreativen Umgang mit Sprache oder für die individuelle Schwerpunktsetzung, auch wenn die Nutzer die Reihenfolge der Übungen festlegen können. Beispiele für situativ ausgerichtete Programme finden wir bei Digital Publishing (siehe Abbildung 7.15) und Tell Me More (siehe Abbildung 7.16). So nutzt Digital Publishing zum Abbildung 7.14: App babbel (Babbel 2018) <?page no="281"?> 281 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten Beispiel ein Bild aus dem Museum, um vollständige Dialoge zu präsentieren. Dadurch könnte zwar der Eindruck entstehen, dass das Programm einen kommunikativ ausgerichteten Ansatz verfolgt. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die präsentierten Dialoge jedoch als starre sprachliche Äußerungen, die durch Eingabe der fehlenden Wörter mechanisch wiedergegeben werden sollen. Trotz aller illustrativen Bemühungen beschränkt sich das Vermittlungsprinzip bei Digital Publishing auf das Vervollständigen und Nachsprechen vorgegebener sprachlicher Strukturen. In der zweiten Abbildung fällt zudem auf, dass die Progression bei Tell Me More extrem kleinschrittig vorstrukturiert ist. Die Bearbeitung der Lektionen ist also durch unzählige, vorwiegend geschlossene Übungen stark gesteuert. Die akribische Auswertung des Bearbeitungsstands erinnert außerdem an die tutoriellen Systeme. Dabei wird vorausgesetzt, dass jeder Lerner dieselbe Menge an Wortschatz und Grammatik lernt und dass der Lernfortschritt durch die erfolgreich bearbeiteten Übungen quantifizierbar ist. Werkzeuge zur Erweiterung des Wortschatzes in Abhängigkeit von den individuellen Interessen der Lerner oder von der freien Textproduktion sind hier leider nicht vorgesehen. Insgesamt ermöglichen also beide Programme dem Lerner kaum Freiraum zum eigenständigen Handeln. Abbildung 7.15: Prüfungsvorbereitung A von Digital Publishing (Digital Publishing 2018) <?page no="282"?> 282 7. Mediennutzung Es gibt jedoch gelungene Beispiele für Sprachlernangebote dieser Kategorie, die die Welt der Lerner trotz ihrer Geschlossenheit stärker berücksichtigen und etwas mehr Handlungsspielraum lassen. Das ist beim Wortschatzlernprogramm Grenzenlos der Fall. Hier stehen den Nutzern (Kinder beziehungsweise Jugendlichen im Alter zwischen 9-15 Jahren) auf der Einstiegsseite verschiedene Themen zur Auswahl (siehe Abbildung 7.17): Feste feiern, Ich und du, zu Hause, Zukunft, lernen & arbeiten und mein Leben. Abbildung 7.16: Übersicht der Übungen zum Thema Gäste einladen aus dem Programm Tell Me More (tellmemore-online.com 2006) Abbildung 7.17: Einstiegsseite mit der „Landkarte“ aller Szenarien (BMW AG 2003) <?page no="283"?> 283 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten Nach der Auswahl eines Themas gelangen die Nutzer zu den entsprechenden Szenarien. Dort finden sich zahlreiche themenrelevante, zum Teil auch phantasievolle Objekte, die die Nutzer selbst erkunden können, indem sie mit dem Cursor über die Objekte fahren. Werden die Objekte angeklickt, so setzt das Vokabeltraining ein, das in allen Szenarien des Programms in einem ähnlichen Verfahren abgearbeitet werden kann (siehe Abbildung 7.18). Im sogenannten Projektor werden Basiswortschatz und wichtige Redemittel präsentiert. Im Kino werden authentische Geschichten mit landeskundlicher Information anhand von kurzen Filmen oder anderen Textsorten präsentiert, wodurch die Einbettung der neuen Wörter in reichhaltige Kontexte erfolgt. Dabei trainieren die Lerner das Verstehen ganzer Situationen, ohne dass sie jedes Wort kennen. Schließlich kann der Wortschatz anhand von verschiedenen Übungstypen im Vokabeltrainer geprüft werden (siehe Abbildung 7.19). Abbildung 7.18: Screenshot aus dem Szenario zu Hause zum Thema mein Tag (BMW AG 2003) Abbildung 7.19: Die Themen in den Szenarien werden in einem ähnlichen Verfahren bearbeitet: Projektor, Kino und Vokabeltraining (BMW AG 2003) <?page no="284"?> 284 7. Mediennutzung Das Programm bietet darüber hinaus Möglichkeiten zur Förderung der Alphabetisierung in jedem Szenario und berücksichtigt zudem Aspekte der Kinder und Jugendsprache (zum Beispiel durch die Verwendung von umgangssprachlichen Abkürzungen wie Mathe). 7.3.3 Instrumentell-explorativ-referentielle Sprachlernangebote Roche (2008a) stellt eine dritte Kategorie von Sprachlernangeboten vor, die die technischen Möglichkeiten der elektronischen Medien dazu nutzen, möglichst reichhaltige und authentische Szenarien zu schaffen. Dort stehen die Sprechhandlungen und nicht die sprachlichen Strukturen im Vordergrund. Das bedeutet, dass diese Sprachlernangebote nicht mehr die richtige Wiedergabe oder das Nachsprechen von Wörtern und Sätzen als Indikatoren für den Lernfortschritt nehmen, sondern eher die Bewältigung authentischer Handlungssituationen. Zu diesem Zweck werden Arbeits- und Lernwerkzeuge zur Verfügung gestellt, die den Lernern dabei helfen sollen, den individuellen Weg zum Stoff zu finden und auszuprobieren. Erst in diesem Kontext kann ein kreativer und konstruktiver Umgang mit Sprache stattfinden, der auf die individuellen Interessen und Wissensvoraussetzungen der Lerner abgestimmt und mit ihnen vereinbar ist. Instrumentell-explorativ-referentielle Sprachlernangebote bieten folgerichtig Werkzeuge, mit denen der Lerner sein neues Sprachwissen in die bereits vorhandenen Wissensstrukturen integrieren kann, ohne dass fertige Formen der Wissensorganisation vorgegeben werden. So eignen sich beispielsweise Tools zur Erstellung von Mind-Maps und Concept Maps besonders gut für die Organisation und Erweiterung des gelernten Wortschatzes. Auch in Bezug auf die Aufgabentypologie finden wir große Unterschiede: Während die tutoriellen oder situativ ausgerichteten Systeme vorwiegend geschlossene Aufgabetypen mit extrem eingeschränkten Bearbeitungswegen und vorgegebenen Lösungen nutzen, verwenden instrumentell-explorativ-referentielle Sprachlernangebote oft sogenannte hypertextuelle Strukturen, bei denen verschiedene Perspektiven zugelassen sind. Das heißt, der Lerner kann bei Hypertexten selbst darüber entscheiden, wie er das Material zu einem komplexen Thema bearbeitet, damit die Aufgabe mit den individuellen Lernpräferenzen besser vereinbar ist. Auf diese Weise wird die etwas rigide Darstellung der Inhalte aufgelöst, wie sie aus den tutoriellen und situativ ausgerichteten Programmen bekannt ist. Ein solches Beispiel stellt das digitale Rätsel auf der Plattform DUO dar, das in Form eines Hypertextes aufgebaut ist. Dort können sich die Nutzer in Zusammenhang mit dem Rätsel auch mit weiteren Materialien und Aufgaben beschäftigen und eigene Recherchen zu dem Thema des Rätsels unternehmen, ohne dass Reihenfolge und Umfang der zu bearbeitenden Materialien vorbestimmt ist. Dieses Beispiel hat jedoch viele Eigenschaften mit Sprachlernspielen als weitere Kategorie von Sprachlernangeboten gemeinsam, die im nächsten Abschnitt genauer erläutert werden. Andere wichtige Werkzeuge, die in den Sprachlernangeboten dieser Kategorie Anwendung finden, sind Thesauri, Wörterbücher, Text-, Audio- und Videoverarbeitungsprogramme, Portfolios, Blogs und Ähnliches. Diese Art von Sprachlernangeboten bieten zwar eine offene und flexible Lernumgebung im Sinne des Konstruktivismus, sie bergen jedoch die Gefahr, dass sich Lerner ohne das ausreichende Niveau an sprachlicher und interkultureller Kompetenz durch die Fülle an Materialien überfordert fühlen (vergleiche Roche 2008a). <?page no="285"?> 285 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten 7.3.4 Sprachlernspiele In den letzten Jahren wurden verstärkt solche Sprachlernangebote entwickelt, die das Sprachenlernen mit Spielszenarien kombinieren. Dabei steht nicht der Unterhaltungsfaktor des Spiels im Vordergrund, sondern dessen Bildungsziel, das heißt die Lernprozesse, die durch das Spiel angeregt werden können. Daher werden diese Lernspiele serious games genannt (Englisch für ‚ernste Spiele‘). Nach Marr (2010: 16) handelt es sich bei serious games um Spiele oder spielähnliche Anwendungen […], die mit Technologien und Designs aus dem Unterhaltungssoftwarebereich entwickelt werden und nicht primär bzw. ausschließlich der Unterhaltung dienen. Der Nutzer soll in einem Spielszenario etwas lernen, das er im wirklichen Leben gebrauchen oder anwenden kann. (Marr 2010: 16) Dabei wirkt nicht das Lernziel an sich als wichtigster Motivationsaspekt, sondern die Neugier der Nutzer darauf, die regelbasierte Interaktion im Spielszenario zu erschließen, wie es aus den herkömmlichen (Computer)Spielen bekannt ist (vergleiche Wagner 2009: 299). Für das Sprachenlernen bieten (Computer)Spiele zahlreiche Vorteile: Sie erlauben die Bereitstellung von reichhaltigen Szenarien mit zahlreichen Interaktions- und Simulationsmöglichkeiten, die im Präsenzunterricht sonst nur mit erhöhtem Aufwand realisierbar sind; sie ermöglichen multiple Wege um Ziele im Spielszenario zu erreichen und damit unterschiedliche Möglichkeiten sprachlichen Handelns; sie verbinden das Erreichen der Ziele im Spiel mit dem Erwerb bildungsrelevanter Kompetenzen auf eine motivierende Weise. Malone & Lepper (1987) haben sich mit der Frage beschäftigt, welche Voraussetzungen ein Spiel erfüllen muss, um die Nutzer zur Teilnahme am Spiel zu motivieren. Aus mehreren Studien, in denen Kinder verschiedene Computerspiele unterschiedlicher Natur bewertet Abbildung 7.20: Digitales Rätsel aus Deutsch-Uni Online (DUO 2018) <?page no="286"?> 286 7. Mediennutzung haben (zum Beispiel ein explizites Ziel ist vorhanden beziehungsweise nicht vorhanden), formulierten die beiden Autoren insgesamt neun Kriterien, die sie den Kategorien individuelle und externe Motivationsfaktoren zuordneten (Malone & Lepper 1987: 230 ff): Individuelle Motivationsfaktoren ▶ Herausforderung: Das Spiel soll dem Nutzer ein angemessenes Schwierigkeitsniveau anbieten, damit die Herausforderung anregend wirkt. Überforderung durch zu schwierige Ziele und Unterforderung durch zu einfache Ziele führen zu Demotivation. Nach Erreichung von Teilzielen soll sich das Niveau der Herausforderungen jedoch relativ zum Stand des Kompetenzerwerbs erhöhen. Motivierende Spiele haben mehrere Schwierigkeitsniveaus mit Herausforderungen unterschiedlicher Natur. Ein positives Feedback zur Erreichung beziehungsweise Nichterreichung der Teilziele soll auf eine möglichst positive Weise erfolgen. ▶ Neugier: Das Spiel soll durch verschiedene Mittel erreichen, die Aufmerksamkeit des Nutzers zu erregen und sein Interesse an neuen Sachverhalten zu wecken. So können zum Beispiel spezielle audiovisuelle Effekte die sensorische Neugier anregen und die Präsentation von unvollständigen Handlungen und ungelösten Problemen die kognitive Neugier wecken. ▶ Kontrolle: Die Motivation des Nutzers steigt, wenn das Spielszenario durch seine Handlungen kontrollierbar und manipulierbar ist. Das heißt, die Wirkungen der Eingriffe und Entscheidungen des Nutzers sollen am Spielgeschehen direkt beobachtbar und nachvollziehbar sein. ▶ Phantasie: Mit der Projektion von sozialen Zusammenhängen und Situationen, die physisch nicht präsent sind, sprechen Spiele viele emotionale Bedürfnisse der Nutzer an. Dabei spielen aber Aspekte wie Identifikation mit den Charakteren, Analogie zu reellen Situationen, Möglichkeit zur Mitgestaltung der Phantasie eine wichtige Rolle. Besonders relevant ist es, wenn vor allem die phantastischen Elemente betont werden, die lernrelevant sind. Externe Motivationsfaktoren ▶ Kooperation: Die Motivation zur Teilnahme am Spiel kann dadurch gesteigert werden, dass mehrere Nutzer zur Erreichung eines Ziels miteinander kooperieren müssen. ▶ Wettbewerb: Die Motivation der Nutzer steigt, wenn sie bei der Erreichung der Ziele in Konkurrenz zu anderen Nutzern stehen. ▶ Anerkennung: Ein besonders motivierendes Moment wird erreicht, wenn die erreichten Ziele von anderen positiv anerkannt und gelobt werden. Wie werden aber all diese wichtigen Motivationsfaktoren in echten Sprachlernspielen umgesetzt? Nehmen wir das Beispiel von Lernabenteuer Deutsch - Ein rätselhafter Auftrag, ein Abenteuerspiel des Goethe-Instituts für Deutschlerner ab dem Niveau B1. Die Herausforderung des Spiels besteht in der Lösung eines rätselhaften Kriminalfalls: <?page no="287"?> 287 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten Der mysteriöse Brief ihres Onkels bringt die Journalistin Jayden McIntyre nach Deutschland. Dort angekommen trifft sie statt auf den Onkel nur auf eine Spur von rätselhaften Paketen. Ihnen folgt Jayden durch die Welt eines deutschen Unternehmens auf der Suche nach dem Onkel und der Lösung für ihren rätselhaften Auftrag. (Goethe Institut 2018) Die sensorische Neugier wird durch die Bereitstellung von Spielszenarien angeregt, in denen bewegte Bilder, Dialoge, Musik und Ähnliches miteinander kombiniert werden. Die kognitive Neugier des Nutzers wird dabei durch die Präsentation einer unvollständigen Erkenntnis angeregt, die durch die Handlungen und den zunehmenden Kompetenzerwerb des Nutzers rekonstruiert und vervollständigt werden kann. Zu diesem Zweck muss der Nutzer verschiedene Probleme lösen und Situationen bewältigen (zum Beispiel ein Bewerbungsgespräch erfolgreich absolvieren oder Terminabsprachen treffen), die den Erwerb verschiedener sprachlicher Kompetenzen erfordern. Erst durch das Erreichen der Teilziele ist die Lösung des Rätsels möglich. Durch diese Kleinschrittigkeit im Spiel wird die Motivation des Nutzers gesteigert, denn er erhält regelmäßig Feedback zum Erfolg beziehungsweise Nichterfolg seiner Handlungen und kann sich Herausforderungen stellen, die sich an seinem zunehmenden Kompetenzerwerb orientieren. Zudem wird sich der Nutzer darüber bewusst, dass er mit seinen Handlungen das Spiel lenken kann: Mit den verschiedenen Handlungsmöglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen, kann er das Spielgeschehen verändern. Ferner werden im Spiel realitätsgetreue Situationen präsentiert (zum Beispiel durch landeskundliche Elemente), in denen sich der Nutzer mit verschiedenen Personen und Rollen (zum Beispiel der Rolle des Arbeitssuchenden) identifiziert. Indem er zur Bewältigung der phantasievollen Spielsituationen auf Interaktionsregeln zurückgreift, die er in der realen Welt ebenfalls anwendet, stellt er eine Analogie zur Realität her. 7.3.5 Evaluation von Sprachlernsoftware In den vorangehenden Kapiteln haben Sie die neuen Medien aus lerntheoretischer und didaktischer Sicht kennengelernt und sich mit verschiedenen Klassifikationskriterien vertraut gemacht. Die Vielfalt an Kriterien erlaubt zwar eine sehr differenzierte Analyse von Sprachlernsoftware, kann jedoch manchen Praktikern als ein unübersichtliches Gemisch von Begriffen und Kategorien erscheinen. Daher werden wir uns in diesem Kapitel mit der Frage beschäftigen, wie sich die bisher behandelten Kriterien und Kategorien systematisieren und Abbildung 7.21: Spiel Lernabenteuer Deutsch - Ein rätselhafter Auftrag (Goethe-Institut 2018) <?page no="288"?> 288 7. Mediennutzung in Form eines Evaluationsinstrumentes umsetzen lassen, das übersichtlich und allgemein anwendbar ist. Zu diesem Zweck werden wir uns am Beispiel des Kriterienkatalogs von Roche (2008a) mit den verschiedenen Ebenen der Evaluation von Sprachlernsoftware beschäftigen und genauer ansehen, wie sie unter anderem mit den verschiedenen lerntheoretischen Aspekten zusammenhängen. Am Ende des Kapitels haben Sie die Möglichkeit, den Kriterienkatalog von Roche (2008a) anzuwenden, indem Sie eine authentische Sprachlernsoftware evaluieren. Wie Sie sicherlich gemerkt haben, wurden im Bericht über das Online-Sprachlernportal dalango.de Aspekte wie die Lernziele, die Lernformen, die Sozialformen und der Bezug auf die Lerntheorien völlig außer Acht gelassen. Das liegt zum Teil daran, dass der Bericht auf Aussagen und Bewertungen von Laien basiert, die möglicherweise nicht über ein ausreichendes Fachwissen verfügen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie eine theoriebasierte Evaluation stattdessen aussehen sollte und welche Kriterien dabei überhaupt berücksichtigt werden sollten. Zur Beantwortung dieser Frage sollen im Folgenden zunächst die verschiedenen Ebenen des Kriterienkatalogs von Roche (2008a) präsentiert werden: Die allgemeinen technischen Informationen zur Sprachlernsoftware stellen einen ersten wichtigen Bereich der Evaluierung von Sprachlernsoftware dar. Dazu gehören technische Aspekte wie das Medium (DVD, App etc.) und funktionale Aspekte wie die Programmkategorie (Vokabeltrainer, Sprachlernspiel etc.). Mit diesen technischen und funktionalen Kriterien ist die Beschreibung der Zielgruppe eng verbunden. Diese orientiert sich an Aspekten wie Interesse, Motivation, sprachliches Vorwissen und technische Voraussetzungen. So ist zum Beispiel eine Sprachlernsoftware, die ausschließlich Texte und Gespräche zu Alltagsthemen enthält, für afghanische Studierende, die ein Semester an der Uni Bochum studieren möchten, nicht gut geeignet. In diesem Fall sollte die Sprachlernsoftware Texte und Gespräche aus dem deutschen Studienalltag anbieten, um einen stärkeren Bezug zur Realität der anvisierten Zielgruppe herzustellen und ihre Interessen und Motivation zu berücksichtigen. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Handhabung der Sprachlernsoftware. Darunter fallen unter anderem Aspekte wie das Design beziehungsweise Layout, die Nutzerfreundlichkeit sowie Hilfsmittel und Ressourcen zur besseren Orientierung innerhalb des Kurses. Dieser Aspekt der Handhabung der Sprachlernsoftware ist zwar nicht direkt mit dem Lernprozess verbunden, seine inadäquate Umsetzung kann jedoch den Lernprozess erheblich erschweren. Wenn der Lerner zum Beispiel nicht erkennen kann, wo genau er sich innerhalb der Programmstruktur befindet oder was er als Nächstes tun soll, dann werden zur Lösung dieser Orientierungsprobleme viele kognitive Ressourcen verbraucht, die später nicht mehr für das eigentliche Lernen zur Verfügung stehen. Dieses Gefühl der Desorientierung ist auch als „Lost in Hyperspace“ bekannt (Conklin 1987). Nach Roche (2008a) ist die Formulierung von Lernzielen unter Berücksichtigung der gängigen Kompetenzmodelle (zum Beispiel des GER) ein weiteres wichtiges Kriterium bei der inhaltlichen Bewertung von Sprachlernsoftware. Durch die Lernziele kann die Transparenz der Lernprozesse erhöht und damit eine bessere Anerkennbarkeit der erbrachten Leistungen erreicht werden (vergleiche Europarat 2001: 14). Bei den Lernzielen wird zwischen Richtlernzielen, Groblernzielen und Feinlernzielen unterschieden. Die Richtlernziele sind vor allem mit „bildungspolitischen Zielvorgaben verbunden, die eine Gesellschaft und ihre Bil- <?page no="289"?> 289 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten dungsinstanzen für wichtig erachten“ (Roche 2013a: 214). Der Europäische Referenzrahmen nennt die Richtlernziele auch Kompetenzen und führt unter anderem folgende Beispiele an: Lernfähigkeit, Kommunikative Sprachkompetenzen, Linguistische Kompetenzen, Soziolinguistische Kompetenzen, Pragmatische Kompetenzen (vergleiche Europarat 2001: 22 ff). Die Groblernziele legen fest, welche Lernziele zum Beispiel in Bezug auf die unterschiedlichen Bereiche der Sprachkompetenz erreicht werden sollen. So lautet ein mögliches Lernziel in Bezug auf das Sprechen auf B1-Niveau des GER wie folgt: „Kann über Alltagsthemen oder speziellere Themen aus dem eigenen Erfahrungsbereich in verständlicher Weise sprechen und eine Meinung dazu äußern“ (vergleiche Glaboniat, Müller, Rusch, Schmitz & Wertenschlag 2002: 108). Solche Groblernziele werden im GER als Deskriptoren bezeichnet. Schließlich dienen die Feinlernziele dazu, unter Berücksichtigung der Groblernziele die Teilkompetenzen zu beschreiben, die in einer einzelnen Unterrichtseinheit beziehungsweise in einem einzelnen Unterrichtsabschnitt erworben werden sollen. Insofern haben die Feinlernziele oft einen themenspezifischen Charakter und beziehen sich auf sehr konkrete Handlungssituationen (zum Beispiel Sie können eine Rechnung reklamieren). Abbildung 7.22 zeigt Ihnen ein weiteres Beispiel für Feinlernziele aus dem Modul basis-deutsch der Deutsch-Uni Online (DUO): Die Beschreibung des Ansatzes beziehungsweise der Methode der Sprachlernsoftware stellt nach Roche (2008a) einen weiteren wichtigen Bereich theoriebasierter Kriterienkataloge dar. In diesem Bereich unterscheidet man zwischen dem lerntheoretischen Ansatz, den Lernfor- Abbildung 7.22: Beispiel für Feinlernziele aus „basis deutsch A2/ 1“ von der Deutsch-Uni Online (DUO 2018) <?page no="290"?> 290 7. Mediennutzung men und den Übungs- und Sozialformen. Die lerntheoretischen Ansätze (Behaviourismus, Konstruktivismus etc.) und die Lernformen (produktorientiertes Lernen, kollaboratives Lernen etc.) haben Sie in der ersten Lerneinheit dieses Kapitels bereits kennengelernt. Die Übungsformen und Sozialformen haben wir zwar in der Lerneinheit 7.1 nicht explizit behandelt, aber Sie kennen sie bestimmt aus Ihrer eigenen Erfahrung als Lerner oder Lehrer. Zu den Übungsformen zählen zum Beispiel die Rollenspiele, das Umformulieren, das Zuordnen, das Nachsprechen, das Präsentieren etc. Beispiele für Sozialformen sind unter anderem die Partnerarbeit, die Gruppenarbeit oder die Einzelarbeit. Sprachlernsoftware kann auch in Bezug auf die Tools und Ressourcen zur Unterstützung der Sprachverarbeitung analysiert werden. Innerhalb der Sprachverarbeitung unterscheidet Roche (2008a) in Anlehnung an die allgemeinen psycholinguistischen Modelle (vergleiche Levelt, Roelofs & Meyer 1999) zwischen folgenden Ebenen: ▶ Auf der Ebene der Konzeptualisierung soll unter anderem das Vorwissen der Lerner durch spezifische Tools und Ressourcen voraktiviert werden (zum Beispiel Assoziogramme, Bilder, Tonaufnahmen etc.). ▶ Auf der Ebene der Formulierung soll der Lerner mit spezifischen Hilfsmitteln bei der Sprachrezeption und -produktion unterstützt werden (zum Beispiel durch Grammatikdarstellungen, Wörterbücher, Linksammlungen und Produktionshilfen (automatische Selbstkorrekturen)). ▶ Auf der Ebene der Artikulation soll der Lerner unter anderem durch Aussprachetrainings (siehe Abbildung 7.23), Visualisierungen von Lauten, Schriftanimationen etc. unterstützt werden. ▶ Auf der Ebene des Monitors werden dem Lerner verschiedene Möglichkeiten der Fehlerkorrektur beziehungsweise des Feedbacks geboten (zum Beispiel intelligente tutorielle Systeme oder Rückmeldung in offenen und geschlossenen Aufgaben etc.). Auch die Portfolio-Funktion mit der Aufzeichnung des persönlichen Lernfortschritts gehört zur Ebene des Monitors. Schließlich sind in theoriebasierten Kriterienkatalogen nach Roche (2008a) zwei weitere Bereiche zu berücksichtigen: Unter die allgemeindidaktischen Kriterien werden Aspekte wie die Interaktivität oder die Adaptivität der Sprachlernsoftware gefasst. An dieser Stelle ist Abbildung 7.23: Das Aussprachetraining IntelliSpeech als Beispiel für Tools auf der Ebene der Formulierung (Digital Publishing 2018) <?page no="291"?> 291 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten zu erwähnen, dass der Begriff zwei Dimensionen enthält, die in der Forschungsliteratur oft differenziert benannt werden (vergleiche Leutner 2009): Einerseits sind Lernplattformen, Tools und Ähnliches adaptierbar, wenn sich die Inhalte, die Präsentationsform etc. durch den externen Eingriff von Lehrenden oder Lernenden an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen lassen (zum Beispiel die Zusammenstellung von Inhalten aus einem zentralen Datenpool). Andererseits wird von Adaptivität gesprochen, wenn Aspekte wie die Instruktionssequenz, die Aufgabenschwierigkeit, die Hilfestellungen, der Instruktionsumfang etc. von der Lernplattform beziehungsweise vom Tool selbst auf der Basis einer kontinuierlichen Analyse des Lernfortschritts und der Interaktion adaptiert werden. Dies geschieht in kleinen Zeitabständen während des Lernprozesses. Im Kriterienkatalog von Roche (2008a) werden mit dem Begriff Adaptivität beide Aspekte abgedeckt. Weiterhin werden unter fachdidaktischen Kriterien Aspekte wie die Stoffauswahl, die Eignung für den relevanten Lehrplan und die Begleitmaterialien bewertet. Abbildung 7.24 zeigt, wie sich all diese Bereiche von Kriterien in Form eines umfassenden und dennoch übersichtlichen Evaluationsbogens darstellen lassen. Bei der Evaluation von Sprachlernsoftware anhand dieses Kriterienkatalogs ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht immer alle Bereiche beziehungsweise Kriterien relevant sind. Evaluiert man ein Online-Lesetraining wären zum Beispiel viele der Kriterien, die sich auf die Unterstützung der mündlichen Sprachproduktion beziehen, überflüssig. Außerdem kann auch der Kriterienkatalog von Roche (2008a) trotz seiner Ausführlichkeit nicht alle wissenschaftlichen Grundlagen erschöpfend abdecken. Daher empfiehlt es sich, eine Evaluation anhand solcher Kriterienkataloge stets durch empirische Evaluationen (zum Beispiel Leistungsmessung durch Vergleichsstudien, Programmaufzeichnungen von Nutzerverhalten, Inhalts- und Medienanalyse etc.) zu ergänzen (vergleiche Roche 2008a). Erst dann kann die didaktische Effizienz von Sprachlernsoftware zuverlässig nachgewiesen werden. <?page no="292"?> 292 7. Mediennutzung <?page no="293"?> 293 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten <?page no="294"?> 294 7. Mediennutzung <?page no="295"?> 295 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten <?page no="296"?> 296 7. Mediennutzung 7.3.6 Zusammenfassung ▶ Die tutoriellen Systeme als eigenständige Sprachlernangebote sind vorwiegend darauf ausgerichtet, bestimmte Sprachbereiche anhand einer sehr starken Steuerung durch das Programm zu trainieren und ihre Verwendung zu automatisieren. ▶ Die situativ ausgerichteten Programme unterscheiden sich von tutoriellen hauptsächlich dadurch, dass sie die Dialoge, den Wortschatz und so weiter in einem konkreten Kontext authentischer Kommunikation situieren, so dass zum Beispiel ganze Texte und Gespräche behandelt werden (und nicht nur isolierte Wörter und Sätze wie bei den tutoriellen Systemen). ▶ Instrumentell-explorativ-referentielle Sprachlernangebote nutzen die technischen Möglichkeiten der elektronischen Medien dazu, möglichst reichhaltige und authentische Szenarien zu schaffen. ▶ Bei serious games steht nicht nur die Unterhaltung im Vordergrund, sondern das Bildungsziel, das heißt die Lernprozesse, die durch das Spiel angeregt werden sollen. ▶ Sprachlernsoftware kann in Bezug auf die Tools und Ressourcen zur Unterstützung der Sprachverarbeitung analysiert werden. Dabei wird in Anlehnung an allgemeine psycholinguistische Modelle zwischen den Ebenen der Konzeptualisierung, der Formulierung, der Artikulation und des Monitors unterschieden. Abbildung 7.24: Überarbeiteter Kriterienkatalog zur Evaluierung von Sprachlernsoftware nach Roche (2008a: 69 ff) <?page no="297"?> 297 7.3 Funktionale Kriterien zur Klassifikation von Sprachlernangeboten ▶ Bei der Evaluation von Sprachlernsoftware anhand ausführlicher Kriterienkataloge ist zu berücksichtigen, dass nicht immer alle Bereiche beziehungsweise Kriterien relevant sind. 7.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Vorteile und Nachteile hat ein tutorielles System? 2. Wie würden Sie die Vorteile von instrumentell-explorativ-referentiellen Sprachlernangeboten gegenüber den situativ ausgerichteten Programmen erklären? 3. Wie lassen sich die kognitive und sensorische Neugier in serious games fördern? 4. Welche Werkzeuge können nach Roche (2008a) zur Unterstützung der verschiedenen Ebenen der Sprachverarbeitung eingesetzt werden? <?page no="299"?> 8. Lernerorientierung Der Sprachenerwerb in den Erst-, Zweit- und weiteren Sprachen wird wesentlich von individuellen Faktoren wie den Interessen, Motiven, Vorkenntnissen und Anlagen eines Lerners gesteuert. Diese Faktoren wirken nicht statisch, wie man das früher oft unterstellt hat, sondern dynamisch: Sie bedingen sich gegenseitig und sind veränderbar. Sie bilden also ein dynamisches System, in dem sowohl Sprachenzuwachs als auch Fossilisierung, Sprachenabbau und Mischformen von Sprachen (Hybridisierungen) möglich sind. Wie in anderen Bereichen des Lernens nutzen Menschen das ihnen verfügbare Inventar jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und in unterschiedlicher Intensität. In dieser Hinsicht ist Sprachenerwerb − im Rahmen der erwerbslinguistischen und kognitiven Prinzipien - individuell. Diese Individualität führt auch zu einer Präferenz für verschiedene Lernstrategien. Unterschiedliche Lernerfahrungen führen im günstigsten Fall zu einem diversifizierten Inventar an Strategien, das gemäß einer spezifischen Lernaufgabe und eines situativen Kontextes virtuos eingesetzt werden kann. Lernstrategien lassen sich in Bezug auf ihre Qualität und ihre Reichweite als kognitive, metakognitive und sozioaffektive Lernstrategien klassifizieren. Um ihre Effizienz zu erhöhen, kann im Unterricht mit Bewusstmachungen, der Erprobung alternativer Strategien und der Auswertung neuer Strategien für den eigenen Lernerfolg gearbeitet werden. Dieses Kapitel behandelt die Dynamik von Lernerfaktoren und die Nutzung des Strategienrepertoires bei der Stärkung der positiv wirkenden und der Kompensation für hemmende Lernerfaktoren. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit einem kritischen Blick auf Sprachenpolitiken, die weniger - wenn überhaupt - von individuellen Lernerfaktoren, Interessen und Kompetenzen ausgehen, sondern auf bildungsideologischen Annahmen und Zielen basieren. Wenn man nämlich der Spracherwerbs- und Motivationsforschung, der (kognitions-)linguistischen Forschung, der auf ihnen fußenden kognitiven Sprachdidaktik sowie der am Konzept der Transdifferenz ausgerichteten Kultur- und Verstehensforschung folgt, dann ergeben sich substantielle Folgen für eine andere, eine pragmatische, eine gebrauchsbasierte Sprachenpolitik. Die Grundlagen einer solchen pragmatischen Sprachenpolitik, die den Gebrauch von Sprachen in den Mittelpunkt stellt anstatt abstrakte bildungspolitische Ideale, werden in zehn programmatischen Aspekten skizziert. <?page no="300"?> 300 8. Lernerorientierung 8.1 Lernervariablen Jörg Roche & Kees de Bot, unter Mitarbeit von Svenja Uth Geschwindigkeit, Verlauf, Qualität und Fertigkeitsniveaus des Spracherwerbs werden wesentlich von individuellen Interessen, Motiven, Vorkenntnissen und Anlagen gesteuert. Diese Faktoren interagieren in individueller Ausprägung und sie verändern sich im Laufe der Zeit. Sie bilden also ein dynamisches System, in dem sowohl Sprachenzuwachs als auch Fossilisierung, Sprachenabbau und Mischformen von Sprachen (Hybridisierungen) möglich sind. Zu den Lernervariablen gehören interne und externe, von der Umwelt bestimmte Faktoren sowie physiologisch bedingte Faktoren wie das Lernalter oder die Sprachlernfähigkeit. Obwohl gerade den physiologisch bedingten Faktoren und dem vermeintlichen Lerntyp verbreitet ein großer - oder gar ausschließlicher - Einfluss zugeschrieben wird, ist die Wirkung gerade dieser Faktoren in Wirklichkeit schwer bestimmbar. Sprachenerwerb ist auch in der Erstsprache ein nicht endender Prozess. Selbstzuschreibungen von Menschen, die davon ausgehen, keine ausreichende Sprachlernfähigkeit zu besitzen oder kein Sprachentyp zu sein, haben in dieser Pauschalität keine belegbare Basis, aber sie beeinflussen über die Auswirkungen dieser Faktoren den Sprachenerwerb. Wie in anderen Bereichen des Lernens nutzen Menschen das ihnen verfügbare Inventar jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und in unterschiedlicher Intensität. In dieser Hinsicht ist Sprachenerwerb − im Rahmen der erwerbslinguistischen und kognitiven Prinzipien - individuell. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ für den Einfluss von Lernerfaktoren auf den Sprachenerwerb und ihre dynamische Organisation sensibilisiert werden; ▶ unterschiedliche Lerntraditionen kennenlernen und ihren Einfluss reflektieren; ▶ das Konzept der Lernertypen kritisch reflektieren; ▶ altersbedingte Einflüsse kennenlernen und die grundsätzliche Bedeutung des Alters beim Sprachenlernen relativieren und besser einschätzen können; ▶ potentielle geschlechtsspezifische Einflüsse einschätzen und managen lernen. 8.1.1 Lernerfaktoren Durch das Lebensumfeld werden bestimmte Anlagen und Möglichkeiten, die jeder Mensch mit sich bringt, aktiviert und im günstigen Fall weiterentwickelt. Je früher dies geschieht, desto früher werden die Weichen für ein nachhaltiges und anhaltendes Lernen gestellt. Das Umfeld ändert sich jedoch ständig und der Mensch passt sich an dieses veränderte Umfeld an. So kann auch die Notwendigkeit, eine Fremdsprache zu lernen, erst später im Leben, zum Beispiel aus beruflichen, familiären oder migrationsbedingten Gründen, auftreten und zum perfekten Erwerb einer neuen Sprache führen. Entscheidend für den Erfolg ist <?page no="301"?> 301 8.1 Lernervariablen das Vorhandensein einer grundsätzlichen Anpassungs- und Aufnahmefähigkeit. Integrative Motive, die die Lernmotivation bestimmen, und die subjektive Einschätzung der Relevanz des Sprachenlernens in Relation zum geschätzten Aufwand spielen eine besonders wichtige Rolle. Die Lernmotivation ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die sich gegenseitig beeinflussen und einer lernökonomischen Einschätzung des Lerners unterliegen. Aus der Veränderbarkeit aller Faktoren und ihrer gegenseitigen Abhängigkeit ergibt sich die Dynamik und Ökologie des Faktorensystems. Externe Anreize (Anerkennung und Zertifizierung von Qualifikationen, berufliche Anforderungen, gesellschaftliche Wertschätzung von Sprachen und Sprachkenntnissen) sowie instruktionale Maßnahmen und institutionelle Rahmenbedingungen (Lehrplan, Lehrkraft, Unterricht, Zeit, Prüfungsvorgaben) können die Lernmotivation positiv oder negativ beeinflussen. Um die Wirkung solcher Maßnahmen zu optimieren, bedarf es jedoch einer guten Kenntnis der Interessen und Lernpotentiale der Lerner sowie der Einsicht der Lerner in die Relevanz der zu erwerbenden Sprachkompetenzen. Bereits durch frühes Spielen und Experimentieren mit Sprachen, Dialekten, Registern und Varietäten der Sprache können wichtige Grundlagen für das Interesse an und Bewusstsein für Sprache(n) geschaffen und gefördert werden. Geschieht dies nicht, dann kommt es leicht zum Einschleifen verfestigter Routinen, die den weiteren Sprachenerwerb schwieriger machen können. Diese Erscheinungen werden Fossilisierungen genannt (vergleiche hierzu Lerneinheit 3.3 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Zu den wichtigen Modellen, die die Dynamik der Lernerfaktoren im Management mehrsprachiger Kompetenzen abbilden, gehören das Dynamic Model of Multilingualism (DMM) (Herdina & Jessner 2002), das biotische Modell oder ökologische System (Aronin & Ó Laoire 2004), das Faktorenmodell (Hufeisen 2010) und das Rollen-Funktionsmodell (Williams & Hammarberg 1998) (für eine Übersicht über Modelle der individuellen Mehrsprachigkeit siehe Lerneinheit 2.3 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«). Experiment Erstellen Sie anhand der folgenden Checkliste ein Lernerprofil für sich selbst oder eine Person, die Sie kennen oder befragen. Vergleichen Sie Ihr Profil mit anderen Kursteilnehmern beziehungsweise -teilnehmerinnen und klären Sie gegebenenfalls Doppellungen, Unschärfen, Unklarheiten. Versuchen Sie, die Faktoren nach ihrer Bedeutung auf den Sprachenerwerb zu priorisieren. Verändern sich die Faktoren beim Erwerb weiterer Sprachen? Lernerfaktoren trifft zu trifft nicht zu Zielorientierung ⃞ ⃞ Leistungsmotive ⃞ ⃞ Zukunftsperspektiven ⃞ ⃞ Selbstständigkeit ⃞ ⃞ Vorstellungen von der eigenen Selbstverwirklichung ⃞ ⃞ <?page no="302"?> 302 8. Lernerorientierung In der Motivationsforschung hat sich bereits früh gezeigt, dass vor allem das Interesse beim und am Lernen eine entscheidende Rolle spielt. Dieses Interesse ist das Produkt vieler Faktoren oder es ist von ihnen beeinflusst, kann aber auch als globaler Faktor verstanden werden. Ein interessegesteuerter Unterricht, das heißt ein Unterricht, in dem Lerner eigene Zielperspektiven (intrinsische Motivation) entwickeln, lässt sich am besten mit einer Aufgaben- und Handlungsorientierung verbinden. Wenn Lerner in die Entwicklung der Aufgaben und ihre Umsetzung direkt eingeschlossen sind, übernehmen sie Verantwortung und erfahren die Reaktionen der Umgebung auf ihre Handlungen und Sprache unmittelbar. Damit werden die Lerner so weitreichend wie möglich beteiligt, zu selbstständigen Entscheidungen (kritischem reflexivem Denken) angeleitet und zu einer Fortsetzung des Lernens über die Grenzen des Klassenzimmers hinaus motiviert. Versuche, Lerner vor allem mit extrinsischen Mitteln zu motivieren, wie bunten Fotos in Lehrbüchern oder Zusatzmedien im Unterricht, führen dagegen nicht unbedingt zum Erfolg, zumal dann nicht, wenn dadurch kein Übergang von einer rein extrinsischen Motivation zur Generierung eines eigenen Interesses gelingt. Selbstbewusstsein ⃞ ⃞ Selbsteinschätzung (Selbstkonzept) ⃞ ⃞ Vitalität ⃞ ⃞ Akzeptanz von Offenheit (Ambiguitätstoleranz und Risikobereitschaft) ⃞ ⃞ Angst ⃞ ⃞ Extrovertiertheit/ Introvertiertheit ⃞ ⃞ (Un-)Abhängigkeit von einer Regelorientierung ⃞ ⃞ Reflexivität und Impulsivität ⃞ ⃞ Fähigkeit und Bereitschaft zu kritischem Denken und zur Selbstreflexion (kritische Kompetenz) ⃞ ⃞ Fähigkeit zu analytischem und ganzheitlichem (holistischem) Lernen ⃞ ⃞ Merkfähigkeit ⃞ ⃞ Empathie/ soziale Einstellungen zu Menschen der eigenen und der fremden Kultur ⃞ ⃞ Fremdenfreundlichkeit (Xenophilie) oder -feindlichkeit (Xenophobie) ⃞ ⃞ Aufnahmefähigkeit aus der Umwelt ⃞ ⃞ Integrative Motivation sich in eine fremde Kultur einzupassen ⃞ ⃞ Einstellungen zum Lernen allgemein ⃞ ⃞ Einstellungen zu Unterricht und Lehrkräften ⃞ ⃞ Präferenzen für bestimmte Aufnahmekanäle und Kenntnis der eigenen Lernorientierung (visuell, analytisch, haptisch und Ähnliches) ⃞ ⃞ Einstellungen zur Sprache, Sprachbewusstsein, sprachliche Sensibilität ⃞ ⃞ Emotionale Stabilität, Emotionen, Stimmungen, Temperament. ⃞ ⃞ <?page no="303"?> 303 8.1 Lernervariablen Eine wichtige Rolle beim Sprachenlernen spielen darüber hinaus die emotionalen Einstellungen des Lerners, das heißt die affektiven Faktoren des Sprachenerwerbs. Eine besonders weitreichende, aber in der Forschung und in der Praxis oft zu gering bewertete Bedeutung hat unter diesen Faktoren die emotionale Stabilität des Lerners. Sie bestimmt den Spielraum eines Lerners oder, anders gesagt, beeinflusst seine Risikobereitschaft und Belastbarkeit. Angst und Lernpotentiale lassen sich nur vor dem Hintergrund der emotionalen Stabilität realistisch einschätzen. Angst kann behindern oder beflügeln. Wie ein Lerner damit umgeht, hängt nicht zuletzt von seiner affektiven Disposition ab. So kann es sein, dass sich Lerner in ähnlichen Lernumgebungen unterschiedlich entwickeln: Der eine erreicht schnell und leicht einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand im Unterricht, während ein anderer wegen einer instabilen affektiven Disposition nur zu einer niedrigen Kompetenz gelangt. Zu der Dynamik der Faktoren gehört auch, dass der Erfolg beim Sprachenlernen nicht nur durch positive Einstellungen ausgelöst wird, sondern dass er gleichzeitig positive Einstellungen bewirken kann. Schließlich trägt auch das Umfeld entscheidend dazu bei, wie sich die einzelnen Faktoren entfalten können, zum Beispiel wie Leistung belohnt oder Fehler bestraft werden. 8.1.2 Lernertraditionen Die Art und Weise, wie Menschen aufwachsen, prägt ihr Lernverhalten über Fachgrenzen hinweg sehr nachhaltig. Lernmethoden werden im Laufe der Sozialisation so verinnerlicht, dass sie sich der bewussten Kontrolle oder Reflexion entziehen. Dies ist bei der Curriculumsentwicklung und der Erstellung von Lehrmaterial zu berücksichtigen. Bei der Lehrzielbestimmung und Formulierung von Kompetenzen wird häufig übersehen, dass von außen bestimmte Lehrziele und Lehrmethoden für die Lerner zunächst meist etwas Fremdes darstellen und deshalb auch die Methoden der Lehrzielerreichung nicht unbedingt und für jeden Lerner unmittelbar einsichtig oder nutzbar sind (zu Lehrzielen vergleiche Kapitel 2 im Band »Unterrichtsmanagement«). Lerner, die einen lehrerzentrierten Unterricht gewohnt sind, müssen daher zum Beispiel erst mit den Methoden und Zielen eines kommunikativen, Autonomie fördernden Sprachunterrichts vertraut werden, wenn der Unterricht erfolgreich sein soll. Kulturspezifische und individuelle Lerntraditionen, die sich eher an der traditionellen Steuerung durch Regeln, am systematischen strukturbasierten Vorgehen, oder an der Autorität der Lehrkraft orientieren, sind daher auch dann im interkulturellen Sprachunterricht zu berücksichtigen, wenn in der Zielkultur eher kommunikative, autonome, auf Kompetenzerwerb ausgerichtete Bildungsziele angestrebt werden. Selbst stark internalisierte Lerntraditionen sind offenbar veränderbar, wenn Lerner aufgabenbasiert und mit Interesse lernen, wie eine einschlägige Studie von Todorova (2009) zeigt. Bildungsziele und Lehrmethoden gehören damit zum Vermittlungsstoff eines modernen Fremdsprachenunterrichts. 8.1.3 Lernertypen Durch die Zusammenstellung von mehreren Personenmerkmalen lassen sich Einzelprofile von Lernern erstellen, die man im Idealfall einem bestimmten Lernertyp (Lernstil) zuordnen <?page no="304"?> 304 8. Lernerorientierung kann. So werden landläufig häufig zum Beispiel der auditive/ visuelle, globale/ analytische, haptische/ erfahrungsbezogene Typ unterschieden. Auf diese Weise lassen sich dann auch Lehrmaterialien, Lehrprogramme und der Unterricht auf Lernertypen ausrichten. Wenn gleiche Faktorenmerkmale von verschiedenen Lernern zusammengefasst werden, entsteht eine Art Lernertypologie. Die gängigen Lernertypologien beschreiben zwischen drei und fünfzig verschiedene Typen. Jeder Lernertypus verlangt eine besondere Art von Aufmerksamkeit im Unterricht. Ein reflektierender Lerner ist beispielsweise nicht unbedingt zurückhaltend oder ängstlich. Unter Umständen benötigt er lediglich etwas mehr Zeit, eine bestimmte Art von Ermutigung oder bessere Gelegenheiten zu Wort zu kommen. Andererseits fordert ein gesprächiger Typ in der Regel ein etwas strikteres Moderieren durch die Lehrkraft, und zwar vor allem aus folgenden Gründen: Erstens, weil er dazu neigt, die anderen Kursteilnehmer einzuschüchtern, und zweitens, weil er seine Stärken nutzen kann, um mangelnde Kompetenzen in anderen Bereichen auszugleichen. Eines der bekanntesten und am besten ausgearbeiteten Klassifikationssysteme von kognitiven Lernstilen stammt von Kolb (1984). Es bildet zwei Achsen (Dimensionen) ab: Eine horizontale zwischen den Polen „aktives Experimentieren“ und „reflektiertes Beobachten“ und eine vertikale zwischen den Polen „konkrete Erfahrung“ und „abstrakte Begriffsbildung“. Demnach ergeben sich vier Haupttypen: die Akkomodeure, die mit aktivem Experimentieren am besten durch konkrete Erfahrungen lernen, die Konvergenten, die theoriegeleitet aktiv experimentieren, die Assimilatoren, die durch Beobachtungen und Erfahrungen theoriegeleitet einen Sachverhalt erschließen und die Divergenten, die vor allem mittels konkreter Erfahrungen und reflektierendem Beobachten lernen. Das in weitere Typen unterdifferenzierte Grundmodell lässt sich folgendermaßen darstellen: Abbildung 8.1: Kognitive Lernstile nach Kolb 1984 (Todorova 2009: 50) <?page no="305"?> 305 8.1 Lernervariablen Die bisherigen Versuche, Lerner nach Stilen oder Typen zu klassifizieren, wie das Modell von Kolb, sind jedoch immer wieder an der Komplexität der Lernerfaktoren gescheitert. Es gibt sehr viele Merkmale und ihre Konturen sind nicht immer deutlich erkennbar. Außerdem verändert sich die Ausprägung und Gewichtung der Merkmale von Kultur zu Kultur. Mit den Dimensionen des Lernens kann zumindest die genannte Variationsbreite von Lernern und Lernkulturen abgebildet werden. Überprüfbare Kriterien einzelner oder kombinierter Lernerfaktoren erlauben die dafür nötige Messbarkeit unterschiedlich ausgeprägter, dynamisch veränderbarer Tendenzen der Lerner. Statische Typologien sind dafür wenig geeignet. Zur Illustration des Einflusses physiologisch bedingter Faktoren im Spracherwerb können die folgenden dienen: das Alter, geschlechtsspezifische Unterschiede und die Sprachanlage. Spielen diese physiologisch bedingten Faktoren beim Spracherwerb eine Rolle und wenn ja, wie wirken sich diese auf die Lernerfaktoren aus? 8.1.4 Alter und Lernen Es wird weithin angenommen, dass das Alter ein wichtiger Einflussfaktor beim Sprachenlernen ist. Mit steigendem Alter lasse die Fähigkeit zum Sprachenlernen nach. In jüngeren Jahren falle dagegen das Sprachenlernen leichter, weil es spielerisch erfolge. Diese Vermutung hat sich aber nur bedingt als haltbar erwiesen. Kinder, besonders im Kindergarten oder in der Vorschule, lernen tatsächlich spielerisch. Sie lernen in dieser Zeit aber praktisch alles spielerisch und haben dafür auch genügend Zeit. Außerdem ist das, was sie lernen, anfangs jedenfalls noch von geringer Komplexität und konkret erfahrbar. Mit Schule und Beruf fallen diese günstigen Rahmenbedingungen häufig weg. Mit dem eigentlichen Lebensalter und dem Sprachenlernen hat dies aber nur indirekt zu tun. Natürlich bringt der Alterungsprozess gewisse Nebeneffekte mit sich. Die Wahrnehmung, die Gedächtnisfunktionen, die Flexibilität und die Reaktionsgeschwindigkeit können im Alter bekanntlich beeinträchtigt sein. Dies gilt aber für das Denken und Lernen allgemein, ist also keine sprachspezifische Erscheinung und in der Wirkung (oft) weniger verheerend als weitläufig angenommen. Birdsong (2009) wendet sich daher deutlich gegen eine Überbetonung des Alters als Einflussfaktor und schlägt die Bezeichnung age-related effects vor. Das Lernen wird mit fortgeschrittenem Alter in verschiedener Hinsicht sogar einfacher, zum Beispiel dadurch, dass man an bereits erworbenes Wissen, erprobte Strategien und komplexe Wissensnetze, Schemata und Modelle sowie an Sprachlernerfahrungen aus anderen Sprachen besser anknüpfen kann. Für das Sprachenlernen bedeutet das konkret, dass bestimmte Sachverhalte oder Vorgänge, die einem erwachsenen Lerner aus der ersten oder einer weiteren Sprache bereits bekannt sind, von ihm in der zweiten Sprache schneller angewandt oder angepasst werden können als von einem Kind. Logische Abläufe, kausales Denken, Raum- und Zeitkonzepte und abstrakte Sachverhalte gehören genauso dazu wie die gesamte Begriffswelt und das Strategienrepertoire (Weltwissen), die bei einem Erwachsenen aufgrund der Lebenserfahrung viel ausgeprägter sind als bei einem jungen Lerner. Das Weltwissen stellt wichtige, zeitsparende Brücken, die älteren Lernern den Erwerb einer Fremdsprache erleichtern, zur Verfügung. Eingeschränkt werden diese positiven Effekte nur insofern, als bekanntes Wissen und eingespielte Verhaltensweisen <?page no="306"?> 306 8. Lernerorientierung immer auch den Zugang zu Neuem verbauen können. Am deutlichsten wird das im Bereich der Aussprache. Hier müssen wir uns im Deutschen mit einem limitierten Inventar von 37 Lauten in einem eingeschränkten Variationskanal behelfen. Dieses Inventar wird naturgemäß so häufig benutzt, dass es schnell zu einer Verfestigung der Ausspracheroutinen kommt. Ist das Inventar erst einmal fest eingefahren (fossilisiert), kann dadurch unter Umständen das akkurate Erlernen des Lautinventars einer fremden Sprache behindert werden. Ein Lerner produziert dann eine nicht ganz zielgerechte Aussprache, die zu der Annahme verleiten kann, er beherrsche die fremde Sprache nicht richtig. Inwiefern der Lerner den Wortschatz und die Grammatik wirklich beherrscht, kann aufgrund der Aussprache von außen jedoch kaum entschieden werden. Aus verschiedenen Perspektiven heraus ist versucht worden festzustellen, ab wann die genannten Fossilisierungen einsetzen. Der Physiologe Eric Heinz Lenneberg (1921−1975) hat hierzu als einer der ersten einen Vorschlag geliefert, indem er die kritische Periode, also einen Zeitpunkt, nach dem vermeintlicherweise keine muttersprachliche Kompetenz mehr erreicht werden kann. Zu dieser Thematik gibt es umfangreiche Forschungen. Die ursprüngliche Idee einer kritischen Periode stammt aus Arbeiten zu Hirnschäden und zu den Auswirkungen von Alter auf die Erstsprache. Penfield und Roberts (1959) präsentieren Daten, die zeigen, dass junge Kinder, die vor dem Erreichen des neunten Lebensjahres von Hirnschäden betroffen sind und Aphasie aufweisen, in der Lage sind vollständig zu genesen, während sich Erwachsene nie vollkommen erholen. Dies übertrugen sie auf den Zweitspracherwerb und behaupteten, dass der Sprachenerwerb nach der Pubertät von diesen Hirnstrukturen nicht mehr ermöglicht wird. Lenneberg (1967) nahm an, dass das Gehirn über eine gewisse Flexibilität und Anpassungsfähigkeit verfügt, die nur bis zur Pubertät zur Verfügung steht und daraufhin verschwindet, da die funktionelle Verteilung zwischen den beiden Hemisphären im Hirn abgeschlossen ist. Die Vorstellung einer kritischen Periode führte zur critical period hypothesis (CPH), die wie folgt definiert ist: There is a limited developmental period during which it is possible to acquire a language, be it L1 or L2, to normal, native-like levels. Once this window of opportunity is passed, however, the ability to learn languages declines. (Birdsong 1999: 1) Die critical period hypothesis wird vor allem in Bezug auf die Aussprache hin überprüft, da die Aussprache am ehesten von Altersfaktoren abhängig scheint. Eine der ausführlichsten Studien zu diesem Thema stammt von Bongaerts, van Summeren, Planken & Schils (1997), die fortgeschrittene Englischlerner (mit Niederländisch als L1) und eine Kontrollgruppe (mit Englisch als L1) untersuchten. Die Probanden und Probandinnen mussten eine Reihe von Wörtern und Sätzen vorlesen, die von einer Gruppe aus Muttersprachlern nach dem Grad der „Muttersprachlichkeit“ eingestuft wurden. Interessanterweise wurden dabei einige Teilnehmer beziehungsweise Teilnehmerinnen mit Niederländisch als L1 besser eingestuft als manche Muttersprachler. Es stellte sich heraus, dass einige Personen aus der Kontrollgruppe einen leicht regional gefärbten Dialekt sprachen, was zu einer schlechteren Bewertung der „Muttersprachlichkeit“ führte. Es gab eine kleine Gruppe mit höherem Alter beim Erwerbsbeginn, die anscheinend nicht von den Muttersprachlern zu unterscheiden waren. <?page no="307"?> 307 8.1 Lernervariablen In ihrer Dissertation mit dem Titel Can the late bird catch the worm? Ultimate attainment in L2 syntax untersuchte van Boxtel Lerner des Niederländischen mit den Ausgangssprachen Deutsch, Französisch und Türkisch. Sie konzentrierte sich auf eine Reihe syntaktischer Konstruktionen, die für ihre Komplexität bekannt sind und deren Gebrauch auch für Muttersprachler problematisch sein kann. Die Probanden und Probandinnen mussten dazu zwei Aufgaben bearbeiten, eine Satzimitationsaufgabe (sentence imitation task) und eine Grammatikalitätsbewertungsaufgabe (grammaticality judgement task). Die Ergebnisse zeigten, dass drei deutsche, vier französische und eine türkische der 43 teilnehmenden Personen vergleichbar zu Muttersprachlern abschnitten. Die Länge des Kontakts zur Zielsprache, die Anzahl der Niederländisch Unterrichtsstunden und das Alter zum Zeitpunkt des Zuzugs in die Niederlande schienen die Haupteinflussfaktoren für die erfolgreichen Lerner zu sein. Die oft hitzig geführten Debatten zur critical period hypothesis sind nun mehr oder weniger zu dem Konsens gekommen, dass circa 5 % der Lerner, die nach der Pubertät mit dem Erwerb beginnen und die hoch motiviert sind, viel Zeit und Mühe in das Verbessern und Aufrechterhalten der Sprachkompetenzen zu investieren, statistisch gesehen nicht von Muttersprachlern zu unterscheiden sind. Also ist die critical period hypothesis, die im strengen Sinne davon ausgeht, dass kein Lerner, der nach der Pubertät mit dem Spracherwerb beginnt, ein muttersprachliches Niveau erreichen kann, nicht haltbar. Eine abgeschwächte Variante davon, die davon ausgeht, dass ein paar sehr talentierte und motivierte Lerner auch mit Erwerbsbeginn nach der Pubertät ein muttersprachliches Niveau erreichen können, scheint zumindest in den genannten Untersuchungsdesigns eine gewisse Bestätigung zu finden. Neben diesen kleineren experimentellen Studien, gibt es auch eine große Zahl größer angelegter Untersuchungen zur critical period hypothesis. Eine der größten Studien stammt von Hakuta, Bialystok & Wiley (2003). In dieser Studie wurden 2 Millionen Spanischsprecher und -sprecherinnen sowie 300.000 Chinesischsprecher- und sprecherinnen gebeten, ihre eigenen Englischkompetenzen auf einer fünfstufigen Skala von „überhaupt keine“ bis „spreche ausschließlich Englisch“ zu verorten. Abbildung 8.2 zeigt die Ergebnisse der beiden Gruppen in Bezug zum Alter beim Zeitpunkt des Zuzugs und in Bezug zum Bildungsgrad. Experiment Denken Sie an Ihre eigenen Kenntnisse einer Fremdsprache (zum Beispiel Deutsch oder Englisch). ▶ Wann haben Sie begonnen, diese Sprache zu lernen? ▶ Wie würden Sie Ihr aktuelles Niveau einschätzen? ▶ Welche Faktoren waren für Sie die wichtigsten beim Erlernen dieser Fremdsprache? ▶ Könnten Sie Ihrer Meinung nach noch das muttersprachliche Niveau erreichen? ▶ Was können oder müssten Sie dafür tun? <?page no="308"?> 308 8. Lernerorientierung Wenn es so etwas wie eine kritische Periode gäbe, müsste beim Graphen der höher bewerteten Probanden, die nach der Pubertät ins Zielland kamen, eine Diskontinuität sichtbar sein. Wie Sie der Abbildung aber entnehmen können, ist hier keine Unstetigkeit erkennbar. Dies zeigt auch die statistische Auswertung dieser Studie. Natürlich ist eine Selbsteinschätzung der Sprachkompetenzen mit nur einer Frage nicht ideal. Auch die Bewertungsskala zur Selbsteinschätzung ist fragwürdig: Wenn Sie gefragt werden Sprechen Sie Englisch? und die Antwort ist „überhaupt nicht“ kann das einerseits bedeuten, dass Sie nie Englisch sprechen und andererseits, dass Sie kein Englisch können. Daher scheint die Skala zwei Dimensionen zu beinhalten: den vermeintlichen Fertigkeitsgrad und den des Gebrauchs. Eine kritische Bewertung von Selbsteinschätzungen, wie sie auch in der Migrationsforschung üblich sind (aus vermeintlichen Gründen der Einfachheit) findet sich in Roche (2009). Insgesamt ist die Bewertung der spanischsprachigen Probanden und Probandinnen höher. Dieser Befund ist vermutlich auf die größere Ähnlichkeit zwischen Spanisch und Englisch im Vergleich zu Chinesisch und Englisch zurückzuführen, aber auch das ist Spekulation. McDonald (2000) berichtet über eine Studie, in der junge und erwachsene Englischlerner mit Spanisch und Vietnamesisch als L1 untersucht wurden. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass die jungen spanischen Lerner auf dem Niveau der muttersprachlichen Englischsprecher und -sprecherinnen abschnitten, während die jungen vietnamesischen Lerner wesentlich schlechter abschnitten. Dies ist interessant, da die linguistische Distanz zwischen der Erst- und der Zweitsprache für die critical period hypothesis eigentlich keine Rolle spielen sollte. Diese beiden groß angelegten Studien weisen darauf hin, dass die critical period hypothesis nicht haltbar ist. Vielmehr ergibt sich ein differenzierterer Blick auf Erwerbs- und Prägungsphasen (vergleiche Traoré 2000). So ist davon auszugehen, dass die primäre Prägungsphase für das Lautsystem in den ersten sechs Lebensmonaten stattfindet, unter Umständen auch schon vor der Geburt einsetzt (vergleiche hierzu auch Kapitel 7 im Band »Kognitive Linguistik«). In diesen Phasen ist das Lautinventar des Kindes zunächst noch völlig offen und kann in jede Richtung geprägt werden (siehe Oerter & Montada 1995; Miller & Eimas 1995; Jusczyk 1997; Saffran, Werker & Werner 2006; Leist 2006). Kinder erfahren in dieser Zeit, welches die wichtigen Laute ihrer Sprachumgebung sind und richten ihr Wahrnehmungssystem und Abbildung 8.2: Ergebnisse der Selbsteinschätzung auf einer fünfstufigen Skala (Hakuta et al. 2003: 36) <?page no="309"?> 309 8.1 Lernervariablen später auch die eigene Sprachproduktion nach diesen Lautparametern aus. Mit anderen Worten: In diesen ersten Lebensmonaten findet eine Einengung des Lautinventars statt. Dafür benötigen die Kinder viel Zeit und Aufmerksamkeit. Für die eigene Sprachproduktion ist daher erst nach weiteren Entwicklungsschritten im Anschluss an diese Prägungsphase Zeit (Kapitel 7 im Band »Kognitive Linguistik«). Mehrsprachig aufwachsende Kinder haben entsprechend eine umfangreichere Aufgabe bei der Analyse, Zuordnung und Entwicklung der Sprachsysteme und benötigen für diese Aufgaben etwas mehr Zeit, die sie jedoch anschließend schnell gut machen. Das Alter spielt damit als pauschale Größe des Spracherwerbs nur eine untergeordnete Rolle. Viel produktiver ist es, den sekundären Effekten des Alters mehr Aufmerksamkeit zu schenken: Der zur Verfügung stehenden Lernzeit, der Lernmotivation, dem Vorwissen und den fördernden oder hemmenden Einflüssen der zuvor erworbenen Sprachen. So kommt es, dass erwachsene Lerner aufgrund ihrer Lebenserfahrung und ihrer damit verbundenen fokussierten Einstellung zum Lernen sowie einem stärkeren Interesse im Unterricht häufig erfolgreicher als jüngere Lerner sind und sich aktiver beteiligen. Wegen ihrer Lebenserfahrung fällt es ihnen meist leichter, über einen größeren Themenbereich zu sprechen und Verbindungen zu anderen Aspekten des Weltwissens und Interessen zu erkennen. Dadurch spüren sie den kommunikativen Druck, die nötigen sprachlichen Mittel effizient und akkurat zu erlernen (siehe hierzu die Arbeiten von Berndt 2003; Häcki Buhofer & Hofer 2003; Singleton & Ryan 2004; Aguado, Grotjahn & Schlak 2005; Grotjahn 2006; Pagonis 2009; Molnár 2010; Schmelter 2010; Stemmer 2010; Edmondson 2010; Wegmann & Pomino 2010). Zu den bereits dargestellten Studien, die davon ausgehen, Alterseffekte nachweisen zu können, ist abschließend noch zu bemerken, dass sie oft nicht nur mit Selbsteinschätzungen arbeiten, sondern auch ein bestimmtes Lernformat und bestimmte, meist schulische Lernbedingungen zugrunde legen. Hier handelt es sich meist jedoch um artifizielle Lernbedingungen, die wenig mit dem echten kommunikativen Bedarf an sprachlichen Kompetenzen zu tun haben und daher auch Ergebnisse produzieren, die sich im „richtigen Leben“ nicht immer replizieren lassen. So gibt es also eine Reihe methodischer Bedenken gegenüber diesen Studien. 8.1.5 Geschlechterspezifische Unterschiede Auch bei den geschlechtsspezifischen Unterschieden entscheiden − Stereotype hin oder her − weniger die biologische Disposition oder genetische Prägung als die sekundären Effekte (Lernstoff, Art, Aufmachung und Vermittlung des Lernmaterials, Zeit) über den Zugang zur fremden Sprache und den Erwerbserfolg. Das kann exemplarisch an einer kleinen, aber instruktiven Studie illustriert werden. In einer Untersuchung zum geschlechtsspezifischen Deutscherwerb von Kindern, die mittels des CD-ROM-Programms grenzen-los Deutsch als Zweitsprache lernten, wurde untersucht, ob es nennenswerte (signifikante) Unterschiede im Umfang (quantitativ) und der Art und Weise (qualitativ) des Wortschatzerwerbs zwischen den beteiligten Mädchen und Jungen gab. Untersucht wurden insgesamt 52 Kinder im Alter von 13 Jahren. Dazu wurde ein Eingangstest durchgeführt, bei dem die Kinder eine Auswahl von Bildern aus den CD-ROMs be- <?page no="310"?> 310 8. Lernerorientierung nennen sollten. In der folgenden Abbildung ist dies in den Werten links dargestellt (Vortest). Nach einem Zeitraum von sechs Wochen, in dem die Kinder mit den CD-ROMs im Großen und Ganzen frei arbeiten konnten, wurde ein weiterer Test durchgeführt, und zwar mit den gleichen Bildern, aber in anderer Anordnung. Dabei zeigten sich gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern (in der Abbildung die Werte rechts, Nachtest). Beide Gruppen konnten sich von einem gemeinsamen Ausgangsniveau signifikant verbessern, was zunächst für die CD-ROMs spricht. Aber die Mädchen konnten ihre lexikalischen Kenntnisse von 50 % auf 90 % fast verdoppeln, die Jungen (circa 70 %) also bei weitem überholen. Aufschlussreich für die Erklärung des Erfolgs und der deutlichen Unterschiede sind L ernervariablen Unterschiede in Lernwegen und Lernergebnissen gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern (in der Abbildung die Werte rechts, Nachtest). Abb. 2.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Nutzung von Lernsoftware zum Wortschatzerwerb: Eingangs- und Ausgangswerte (Padlo 2004: 48) Beide Gruppen konnten sich von einem gemeinsamen Ausgangsniveau signifikant verbessern, was zunächst für die CD-ROMs spricht. Aber die Mädchen haben ihre lexikalischen Kenntnisse von 50 % auf 90 % fast verdoppelt, die Jungen (circa 70 %) also bei weitem überholt. Aufschlussreich für die Erklärung des Erfolgs und der deutlichen Unterschiede sind dabei die Listen der am häufigsten gelernten Wörter, weil sie klar zeigen, wie positiv die Orientierung auf bestimmte Themen und Begriffe den Spracherwerb beeinflussen. Abb. 2.3 Liste der am häufigsten gelernten Wörter einer Vergleichsstudie von 52 Jungen und Mädchen (Padlo 2004: 55) Von Mädchen am häufigsten gelernte Wörter % Mädchen Von Jungen am häufigsten gelernte Wörter % Jungen lieben tanzen Eis Katze Mutter Flöte Valentinstag Ring Klasse Schwester Model Igel Kleid Bruder Pizza Sonne Spritze 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 96 96 96 96 96 96 Auto Astronaut Mars Roboter Pistole boxen Computer Detektiv Basketball Klasse Feuerwerk Fußball Sonne Mond malen Taxifahrer Handy 100 100 100 100 96 96 96 92 92 92 92 92 88 88 88 88 88 Roche_basics_A3_sIV-328_End_korr2.indd 46 01.08.13 16: 50 44038_Roche.indd 46 26.04.2018 12: 41: 30 Abbildung 8.3: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Nutzung von Lernsoftware zum Wortschatzerwerb: Eingangs- und Ausgangswerte (Padlo 2004: 48) L ernervariablen Unterschiede in Lernwegen und Lernergebnissen gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern (in der Abbildung die Werte rechts, Nachtest). Abb. 2.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Nutzung von Lernsoftware zum Wortschatzerwerb: Eingangs- und Ausgangswerte (Padlo 2004: 48) Beide Gruppen konnten sich von einem gemeinsamen Ausgangsniveau signifikant verbessern, was zunächst für die CD-ROMs spricht. Aber die Mädchen haben ihre lexikalischen Kenntnisse von 50 % auf 90 % fast verdoppelt, die Jungen (circa 70 %) also bei weitem überholt. Aufschlussreich für die Erklärung des Erfolgs und der deutlichen Unterschiede sind dabei die Listen der am häufigsten gelernten Wörter, weil sie klar zeigen, wie positiv die Orientierung auf bestimmte Themen und Begriffe den Spracherwerb beeinflussen. Abb. 2.3 Liste der am häufigsten gelernten Wörter einer Vergleichsstudie von 52 Jungen und Mädchen (Padlo 2004: 55) Von Mädchen am häufigsten gelernte Wörter % Mädchen Von Jungen am häufigsten gelernte Wörter % Jungen lieben tanzen Eis Katze Mutter Flöte Valentinstag Ring Klasse Schwester Model Igel Kleid Bruder Pizza Sonne Spritze 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 96 96 96 96 96 96 Auto Astronaut Mars Roboter Pistole boxen Computer Detektiv Basketball Klasse Feuerwerk Fußball Sonne Mond malen Taxifahrer Handy 100 100 100 100 96 96 96 92 92 92 92 92 88 88 88 88 88 Roche_basics_A3_sIV-328_End_korr2.indd 46 01.08.13 16: 50 44038_Roche.indd 46 26.04.2018 12: 41: 30 Abbildung 8.4: Liste der am häufigsten gelernten Wörter in einer Vergleichsstudie von 52 Jungen und Mädchen (Padlo 2004: 55) <?page no="311"?> 311 8.1 Lernervariablen dabei die Listen der am häufigsten gelernten Wörter, weil sie klar zeigen, wie positiv die Orientierung auf bestimmte Themen und Begriffe den Spracherwerb beeinflussen. Diese Auswertungen zeigen, dass offensichtlich das Interesse der Kinder durch die CD- ROMs unterschiedlich angesprochen wurde. Die Mädchen fanden als Gruppe insgesamt einen besseren Zugang zu bestimmten Themenbereichen der CD-ROMs als die Jungen. In weiteren Befragungen konnte die Beobachtung bestätigt werden, dass die Mädchen die Programme insgesamt viel interessanter fanden als die Jungen. Spielsoftware sei ihnen lieber als Lernsoftware, gaben die Jungen an. Aussagen über genetische Voraussetzungen oder eine geschlechtsspezifische Eignung für das Sprachenlernen lassen sich aus diesen und anderen vergleichbaren Ergebnissen nicht ableiten. Bei der Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien sind aber geschlechtsspezifische Präferenzen für bestimmte Themen, Aufgabenstellungen und Lernverfahren zu berücksichtigen (Pavlenko 2001; Schmenk 2002). 8.1.6 Sprachanlage Unter Sprachanlage wird gewöhnlich zweierlei verstanden: im weiteren Sinn den gesamten Spracherwerbsapparat mit seiner Hardware und Software, im engeren Sinn auch das Talent, eine Sprache zu erwerben. In der Literatur wird der Erwerbsapparat, also die Sprachlernfähigkeit, auch language acquisition device (LAD) genannt (siehe hierzu Kapitel 1 im Band »Kognitive Linguistik«). Jeder Mensch besitzt die genetischen Grundanlagen dazu von Geburt an. Im Laufe der Entwicklung werden diese allerdings durch die verschiedenen lernerinternen und lernerexternen Faktoren unterschiedlich aktiviert und ausgeprägt. Diese Ausbildung des Grundinventars spielt eine besonders wichtige Rolle beim Grad und der Geschwindigkeit des Erwerbs. Beide Faktorenbündel sind durch Umweltfaktoren, wie zum Beispiel den Unterricht, beeinflussbar. Die ausschließende Wirkung einer (vermeintlich) begrenzten Sprachanlage wird jedoch weitgehend überschätzt. Es gibt keinen plausiblen Grund, warum eine L2 grundsätzlich nicht erlernbar sein sollte. 8.1.7 Zusammenfassung ▶ Individuelle Lernerfaktoren spielen für den Lernerfolg eine erhebliche Rolle. Diese sind komplex und dynamisch und können sich von Kultur zu Kultur unterschiedlich präsentieren, was eine Klassifizierung bestimmter Lernertypen erschwert. Es lassen sich lediglich Tendenzen formulieren. ▶ Die Individualität der Lernerfaktoren verweist auf die Individualität des Sprachenerwerbs, innerhalb dessen lässt sich je nach Lernerfaktoren nicht per se von positiven oder negativen Effekten sprechen. ▶ Das Ausmaß des Interesses beim und am Lernen wird von mehreren Faktoren geleitet. Ein interessensgesteuerter Unterricht kann Lerner zu kritischem und reflexivem Denken anregen und für eigenständiges Lernen, auch außerhalb des Unterrichtskontextes, motivieren. ▶ Das Alter und auch das Geschlecht spielen als pauschale Größen des Sprachgebrauchs untergeordnete Rollen. Sowohl bei altersbedingten als auch bei geschlechterspezifischen Unterschieden <?page no="312"?> 312 8. Lernerorientierung entscheiden die sekundären Effekte über den Zugang zu einer neuen Sprache und den Erfolg des jeweiligen Spracherwerbs. ▶ Es sind daher eher die kollateralen Effekte, die Eigen- und Fremdzuschreibungen der Sprachlernfähigkeit, die den tatsächlichen Sprachenerwerb fördern oder einschränken. 8.1.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welches sind die wichtigsten Personenmerkmale beim Sprachenlernen? 2. Was bedeutet „emotionale Stabilität“ und welche Rolle spielt sie beim Sprachenerwerb? 3. Inwiefern fördert und beeinträchtigt fortgeschrittenes Alter den Sprachenerwerb? Nennen Sie die entsprechende Hypothese, die in diesem Zusammenhang formuliert wurde und nehmen Sie Stellung dazu. 4. Welchen Nutzen haben Lernprofile, die nach Lerndimensionen gestaltet sind? <?page no="313"?> 313 8.2 Lernerstrategien 8.2 Lernerstrategien Christine Fredriksson Wie gehen Lerner vor, wenn sie eine Fremdsprache lernen? Was macht ihr Lernen erfolgreich und wie kann ihr Lernen im Unterricht unterstützt werden? Zur Beantwortung dieser Fragen beschäftigen wir uns in dieser Lerneinheit mit Lernerstrategien. Zunächst untersuchen wir, wie diese innerhalb verschiedener Taxonomien definiert worden sind und wie Lernerstrategien differenziert werden. Anschließend gehen wir darauf ein, was erfolgreiches Lernen ausmacht, indem wir uns in Ergebnisse aus empirischen Studien von erfolgreichen Lernern vertiefen. Schließlich beschäftigen wir uns mit didaktischen Maßnahmen, die ein strategisches Lernen unterstützen. Lernerstrategien sind kognitive, metakognitive und sozioaffektive Strategien zum Erwerb und zur Verwaltung von Wissen und Kompetenzen. In dieser Lerneinheit geht es auch um kognitive Strategien bezogen auf die „Bewusstmachung“ von Regeln. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die wichtigsten theoretischen Konzeptionen von Lernerstrategien beschreiben und sie nach ihrem Anwendungsbereich differenzieren können; ▶ spezifische Strategien beschreiben können, die Lerner zum Lernen und zum Gebrauch der Fremdsprache einsetzen; ▶ Aktivitäten beschreiben können, die Lernern die eigenen Strategien bewusst machen und ihnen helfen, neue effizientere Strategien anzuwenden. 8.2.1 Grundlagen In der Zweit- und Fremdsprachenerwerbsforschung sind Fragen nach dem konkreten Vorgehen beim Bewältigen einer Lernaufgabe mit dem Konzept der (Sprach-)Lernstrategien (learning strategies) aufgegriffen worden. Selinker (1972) definiert diese im Rahmen der Interlanguage-Hypothese als “identifiable approach by the learner to the material to be learned” (1972: 216). Lernstrategien sind direkt mit der Aneignung von fremdsprachlichen Kenntnissen verbunden. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich von Kommunikationsstrategien, die sich auf die Lösung von Problemen in der Kommunikation beziehen. Sowohl Lernstrategien als auch Kommunikationsstrategien sind problemorientiert, doch liegt die Aufmerksamkeit des Lerners jeweils auf unterschiedlichen Aspekten der L2, dem Lernen von L2-Elementen beziehungsweise ihrem Gebrauch in der Kommunikation. Der Begriff Lernerstrategien (learner strategies) (Macaro 2006) wird inzwischen übergreifend für beide Aspekte verwendet, weil eine strikte Unterscheidung auf empirischer Grundlage nicht möglich ist (vergleiche Ellis 2008: 703). Denn wir können schlichtweg nicht sicher sein, wann eine <?page no="314"?> 314 8. Lernerorientierung Strategie zum Lernen oder zur Förderung der Kommunikation eingesetzt wird. Außerdem können auch Kommunikationsstrategien lernfördernd sein, wenn sie auf die Lernersprache bezogen sind (vergleiche Knapp-Potthoff & Knapp 1982: 141), beispielsweise wenn ein Lerner sein Wissen kreativ einsetzt, indem er sich mit Übergeneralisierungen, Analogiebildungen oder Wortbildungen aus einer kommunikativen Not behilft. Wir wollen uns zunächst die wichtigsten Klassifizierungssysteme von Lernstrategien anschauen, bevor wir auf Kommunikationsstrategien zurückkommen. Sprachlernstrategien Eine der einflussreichsten Klassifizierungen ist die Taxonomie von O´Malley und Chamot (1990). In ihr werden Sprachlernstrategien als „the special thoughts or behaviors that individuals use to help them comprehend, learn, or retain new information“ (1990: 1) definiert. Sprachlernstrategien umfassen folglich kognitive Prozesse des Verstehens, des Lernens und der Speicherung von Information, aber auch das Verhalten, das den Lernprozess begünstigt. Nach Ellis (1994: 537) werden dabei kognitive, metakognitive und sozioaffektive Strategien unterschieden: Kognitive Strategien betreffen die Sprachverarbeitung. Metakognitive Strategien beziehen sich auf die Planung und Auswertung von Lernprozessen. Es geht bei letzteren folglich um die Organisation des Lernens. Hierbei setzen Lerner höhere (meta-)kognitive Prozesse ein, beispielsweise indem sie vergleichen, wie sich ihre Kenntnisse verbessert haben, und je nach Resultat entsprechend neue Lernziele und Lernstrategien festlegen. Bei sozioaffektiven Lernstrategien handelt es sich um das Verhalten von Lernern im sozialen Kontext der Lernsituation (vergleiche Ellis 1994; 2008). Durch sie wird die Interaktion mit Mitschülerinnen und Mitschülern, der Lehrkraft oder Sprechern und Sprecherinnen der Zielsprache gefördert, was indirekt wieder Lernsituationen schafft. Es gibt eine Vielzahl von Lernstrategien, deren Gebrauch von der jeweiligen Lernaufgabe, von individuellen Präferenzen und vom situativen Kontext abhängig ist. Wenn wir neue Wörter lernen wollen, haben wir unsere eigenen Strategien, wie wir dies am besten machen. Beliebt bei Schülern und Schülerinnen ist das Lernen von in Spalten aufgeführten zweisprachigen Vokabellisten, wie sie häufig in Lehrmitteln erscheinen. Diese Strategie mag bequem sein, aber erfahrungsgemäß ist sie nicht sehr effektiv, weil Wörter isoliert und ohne Bezug zu einem Kontext gelernt und dadurch schnell wieder vergessen werden. Hieran wird deutlich, dass Lerner nicht unbedingt von sich aus effektive Strategien verwenden und durchaus Hilfe brauchen, um bessere Strategien zu entwickeln (vergleiche Ellis 2008: 703). Was ist denn eigentlich eine Strategie? Wodurch wird sie gelenkt und in welcher Weise hängt sie mit der Sprachverarbeitung zusammen? In der Forschungsliteratur wird kritisiert, dass der Begriff Strategie alternativ zu Techniken, Taktiken, Verhalten diffus verwendet wird, weil er sowohl kognitive, emotionale wie verhaltensgesteuerte Prozesse umfasst (vergleiche Dörnyei & Skehan 2003: 610). Beispielsweise werden das Nachschlagen von Wörtern in einem Wörterbuch oder das Aufzeichnen einer gelesenen oder gehörten Information ebenfalls als kognitive Lernstrategien klassifiziert, obwohl es sich um konkrete physische Tätigkeiten handelt. Bei der Kritik geht es darum, wie Lernerstrategien (Strategien zum Lernen und zum <?page no="315"?> 315 8.2 Lernerstrategien Gebrauch der L2) zu verorten sind (im Gedächtnis oder außerhalb? ), ob es sich um Wissen, Absichten oder Tätigkeiten handelt, ob sie hierarchisch aufgebaut sind (gibt es Strategien und Substrategien? ) und ob sie in den Lernprozess integriert sind oder diesen nur fördern. Macaro (2006: 325) begrenzt sie im Rahmen der kognitiven Psychologie auf die Informationsverarbeitung und folgende Merkmale: ▶ Es handelt sich um zielorientierte, situationsgebundene mentale Tätigkeiten. ▶ Strategien sind das Ausgangsmaterial für die bewusste kognitive Verarbeitung: Ihre Effektivität hängt davon ab, wie sie eingesetzt und in Aufgaben kombiniert werden. ▶ Strategien müssen von unbewussten Tätigkeiten, Sprachlernprozessen, Lernplänen und Lernstilen differenziert werden. Strategien sind also in der Regel dem Bewusstsein zugänglich, was bedeutet, dass wir unsere Strategien nennen können, wenn wir danach gefragt werden. Ihr Beitrag im Spracherwerb ist vermutlich eher indirekt, denn sie sind den kognitiven Prozessen der Sprachverarbeitung vorgeschaltet und stellen bei der Ausführung einer sprachlichen Tätigkeit in einer konkreten Situation das sprachliche Material zur Verfügung. Etwas vereinfacht ausgedrückt, richten Strategien die Aufmerksamkeit von Lernern auf die Sprache. Mnemotechnische Strategien, die auf das Memorieren von lexikalischer Information oder grammatischen Regeln ausgerichtet sind, sind aber wahrscheinlich direkt mit den Sprachverarbeitungsprozessen verbunden (siehe Ellis 2008: 705). Die Einteilung in kognitive, metakognitive und sozioaffektive Lernstrategien involviert ganz offensichtlich unterschiedliche mentale, soziale und emotionale Faktoren, was uns deutlich macht, dass diese beim Sprachenlernen zusammenspielen. Oxford (1990) unterscheidet in ihrem Faktorenmodell in diesem Sinne sechs verschiedene Kategorien von Strategien, die sie zunächst in direkte und indirekte einteilt, aber in einer späteren Version auf dieselbe Ebene stellt (vergleiche Hsiao & Oxford 2002). 1. Strategien, die den Lernprozess direkt unterstützen: ▶ Gedächtnisstrategien; das Memorieren von sprachlichen Einheiten ▶ Kognitive Strategien; deduktive Schlussfolgerung, formales und funktionales Üben ▶ Kompensationsstrategien; Raten, induktives Herleiten 2. Strategien, die den Lernprozess indirekt unterstützen: ▶ Metakognitive Strategien ▶ Affektive Strategien ▶ Soziale Strategien Die beiden ersten Kategorien sind im Prinzip vergleichbar mit kognitiven Strategien in der Taxonomie von O´Malley und Chamot. Oxford rechtfertigt eine Differenzierung damit, dass kognitive Strategien eine tiefere Verarbeitung als mnemotechnische erfordern würden. Kompensationsstrategien seien identisch mit Kommunikationsstrategien, wenn sie auf die mündliche Interaktion bezogen sind. Damit sind Kommunikationsstrategien in dieser Taxonomie subsummiert. Im nächsten Abschnitt gehen wir ausschließlich auf diese Kategorie von Lernerstrategien ein. <?page no="316"?> 316 8. Lernerorientierung Kommunikationsstrategien Wann verwenden wir Kommunikationsstrategien und welche sind effektiv? Wenn wir mit anderen Sprecherinnen und Sprechern in einer L2 kommunizieren, kann es passieren, dass wir auf sprachliche Begrenzungen stoßen, die eine Fortsetzung des Gesprächs gefährden. In dem Fall können wir versuchen, unsere Lücken zu überbrücken, indem wir statt des geplanten ein sinnverwandtes Wort verwenden oder auch ein eigenes Wort kreieren. Wenn uns beispielsweise nicht die Bezeichnung für Wellensittich einfällt, umgehen wir unser sprachliches Problem, indem wir bunter Vogel sagen. Das ist eine förderliche Kommunikationsstrategie, weil unser Gegenüber vermutlich trotzdem versteht, was wir meinen, und das Gespräch weitergehen kann. Nach Dörnyei (1995) sind Kommunikationsstrategien Teil der strategischen Kompetenz eines Lerners. Diese befähigt ihn, trotz begrenzter sprachlicher Mittel, effektiv in der L2 zu kommunizieren. Kommunikationsstrategien verwenden wir ▶ wenn wir aufgrund unserer begrenzten sprachlichen Mittel oder aufgrund von Problemen, diese abzurufen, eine Äußerung nicht verbalisieren können; ▶ wenn wir in unserer Äußerung einen Fehler entdecken und versuchen, diesen zu korrigieren; ▶ wenn wir in der Rede von anderen etwas problematisch finden, entweder, weil wir einen Fehler vermuten oder etwas nicht verstanden haben; ▶ wenn wir versuchen, Zeit zu gewinnen, um eine Äußerung planen zu können. Nach Dörnyei (1995) handelt es sich bei folgenden Techniken um kommunikationsfördernde Strategien (achievement strategies): ▶ Paraphrasieren beziehungsweise Umschreiben der problematischen Äußerung: Das Ding, mit dem man Flaschen aufmacht statt Korkenzieher. ▶ Ein sinnverwandtes Wort verwenden: Schiff statt Segelboot. ▶ Wörter mit großem Bedeutungsumfang benutzen: Das Ding, die Sache, das Zeug, machen, tun etc. ▶ Eigene Wörter erfinden, die möglich sein könnten: Vegetarianer statt Vegetarier. ▶ Mimik, Gestik verwenden oder Laute imitieren: Pang! statt Pistole. ▶ Direkt aus der L1 übersetzen. ▶ Ein Wort aus der L1 formalsprachlich an das System der L2 anpassen: Die Parkierung statt Parkplatz. ▶ In die L1 wechseln. ▶ Um Hilfe bitten: Wie heißt das auf Deutsch? Allerdings sind nicht alle Kommunikationsstrategien effektiv. Denn von kommunikationsfördernden (achievement oder compensatory strategies) sind Vermeidungsstrategien (avoidance oder reduction strategies) zu unterscheiden. Zu den Vermeidungsstrategien gehören nach Dörnyej (1995): ▶ Eine Mitteilung wird nicht zu Ende geführt. ▶ Themen, die sprachliche Schwierigkeiten verursachen, werden vermieden. <?page no="317"?> 317 8.2 Lernerstrategien Wenn Sprecher und Sprecherinnen Vermeidungsstrategien verwenden, werden folglich nicht alle Mittel genutzt, um tatsächlich das sagen zu können, was sie gerne mitteilen wollen. Als Konsequenz ergibt sich hieraus aber auch, dass Lerner keinen weiteren Input erhalten, weil das Gespräch vermutlich endet oder nur auf bestimmte Themen begrenzt bleibt. Als weitere Strategie können wir schließlich auch Pausenfüller oder sogenannte Gambits einsetzen, die uns helfen, Zeit zu gewinnen: ▶ Sprecher A: Kannst du mir sagen, wie spät es ist? ▶ Sprecher B: Moment mal, ja, also …. Für Lerner sind Pausenfüller eine Möglichkeit, weiterhin mit der intendierten Mitteilung fortzusetzen und somit das Wort zu behalten. Kommunikationsfördernde Strategien werden auch Kompensationsstrategien (vergleiche die Klassifikation von Lernstrategien bei Oxford 1990) genannt, da sie im Prinzip helfen, unsere sprachlichen Lücken zu kompensieren und uns unser kommunikatives Ziel erreichen zu lassen. Sie können entweder linguistischer oder konzeptueller Art sein (siehe Dörnyei 1995: 57 f). Konzeptuelle Strategien helfen uns, das ursprüngliche Konzept zu manipulieren und mithilfe vorhandener Mittel auszudrücken. Zu unterscheiden sind analytische und holistische Strategien. Bei analytischen Strategien gehen wir von bestimmten Merkmalen des Konzepts aus, beispielsweise, indem wir etwas umschreiben (siehe oben das Beispiel Paraphrase). Bei holistischen Strategien nutzen wir ein anderes Konzept, das Eigenschaften des ursprünglichen teilt, wie im Beispiel von Wellensittich beziehungsweise bunter Vogel oben. Strategien, die auf den linguistischen Code ausgerichtet sind, manipulieren das sprachliche Wissen von Lernern. Beispiele sind kreative Wortbildungen oder Transfer. Kommunikationsstrategien haben nach Dörnyei und Scott (1997) folgende Kennzeichen: Lerner gehen absichtsvoll vor: Ich will hiermit dieses Problem lösen. Sie sind sich ihres strategischen Sprachgebrauchs bewusst: Ich weiß, dass ich mich nicht korrekt ausdrücke oder einen Umweg gehe, aber ich erreiche dadurch, dass mein Partner mich versteht, und sie sind sich bewusst, dass sie damit ein Sprachverarbeitungsproblem lösen: Ich weiß, dass ich hiermit dieses Problem löse. (vergleiche Fredriksson 2014). 8.2.2 Selbstregulierung und Kontrolle Wir haben in den Abschnitten oben festgestellt, dass Lernerstrategien unmittelbar am Sprachlernprozess beteiligt und entweder auf den Gebrauch oder die Aneignung von L2-Wissen ausgerichtet sind. Sie umfassen sowohl Metakognition (wie wir unser Lernen, unsere Lernumgebung und unsere Gefühle steuern) als auch Kognition (wie wir sprachliche Information verarbeiten). Was aber macht uns denn zu einem strategischen Lerner beziehungsweise was läuft beim strategischen Lernen auf kognitiver Ebene ab? Zur Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, das Konzept der Selbstregulierung, mit der Verwendung von Strategien in Verbindung zu bringen. Tseng, Dörnyei und Schmitt (2006: 85) verstehen unter Selbstregulierung eine angeborene Kapazität des Lerners, die Kontrolle über eine gegebene Lernsituation zu behalten. Es handelt sich um einen von innen gesteuerten Mechanismus, der strategisches <?page no="318"?> 318 8. Lernerorientierung Lernen auslöst und eine Reihe von Mikroprozessen, unter anderem auch Lernstrategien, aktiviert. Die Selbstregulierung umfasst folgende Kategorien: ▶ Kontrolle des Engagements (commitment control): Hierbei geht es darum, an der ursprünglichen Zielsetzung festzuhalten, beispielsweise durch positive Vorstellungen bei Erreichen beziehungsweise negative bei Nichterreichen des zuvor gesteckten Ziels. Es ist also eine Art Projektion des Gemütszustands bei erreichtem Resultat. ▶ Metakognitive Kontrolle (metacognitive control): Hier geht es um die Überwachung (monitoring) des Lernens und die Aufrechterhaltung der Konzentration. ▶ Kontrolle der Zufriedenheit (satiation control): Es geht darum, die Lernaufgabe so attraktiv zu halten, dass die Lust am Lernen bestehen bleibt. ▶ Gefühlsmäßige Kontrolle (emotion control): Sie betrifft die emotionale Stimmung und die Umsetzung eigener Absichten, zum Beispiel durch Selbstermunterung, Entspannungs- und Meditationstechniken. ▶ Die Kontrolle der Umgebung (environmental control): Durch sie werden negative Einflüsse des Umfelds eliminiert. Wenn wir eine Fremdsprache effektiv lernen wollen, sollten wir folglich sämtliche dieser Kategorien unter Kontrolle haben, das heißt engagiert sein, unseren Fokus auf die Lernaufgabe richten, positive Gefühle und Gedanken fördern und Störfaktoren ausschließen. Das Konzept der Selbstregulierung macht deutlich, dass Lerner nur aus eigenem Antrieb und durch die Reflexion ihres Lernens strategisches Lernen entwickeln können. Die Selbstregulierung enthält im Grunde zwei Komponenten der Metakognition (siehe Wenden 1998: 519), metakognitive Strategien (wie Lerner ihr Lernen angehen) und metakognitives Wissen (was Lerner über ihr Lernen wissen) (vergleiche Gao 2007). Für den Fremdsprachenunterricht bedeutet dies, dass Strategien nicht einfach vermittelt werden können. Vielmehr muss der Lerner selbst zu ihnen finden, wobei er durch entsprechende Aufgaben und Tätigkeiten unterstützt werden kann (siehe Abschnitt 8.1.5). 8.2.3 Erfolgreiche Fremdsprachenlerner Wodurch unterscheiden sich erfolgreiche Lerner von weniger erfolgreichen? Welche Strategien verwenden sie und wie setzen sie diese ein? In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit Erkenntnissen aus der empirischen Forschung, die sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat. Die sogenannten good language learner studies der 70er-Jahre haben durch Beobachtungen und Interviews festgestellt, dass erfolgreiche Fremdsprachenlerner über ein großes Repertoire an Strategien verfügen, die sie zielgerichtet und passend für die zu bewältigende Lernaufgabe einsetzen. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf formale Aspekte der L2 und suchen nach Gelegenheiten, in der L2 zu kommunizieren (funcional practice). Sie beschäftigen sich aktiv mit einer Lernaufgabe und sind sich ihres Lernprozesses bewusst. Erfolgreiche Lerner können Strategien auch flexibel einsetzen. Weniger erfolgreiche Lerner setzen sich keine bestimmten Lernziele und wissen oft auch nicht, worin ihre Lernschwierigkeiten bestehen. Es fehlt ihnen an strategischem Bewusstsein. Beim Vokabellernen begnügen sich weniger er- <?page no="319"?> 319 8.2 Lernerstrategien folgreiche Lerner beispielsweise mit dem Auswendiglernen von Wörtern. Erfolgreiche Lerner verwenden zusätzlich Strategien, die das Gelernte verstärken helfen. Sie verwenden die neuen Ausdrücke in Übungen oder beachten sie bewusst beim Lesen (vergleiche Ellis 2008: 708). Was erfolgreiche beziehungsweise weniger erfolgreiche Lerner ausmacht, hängt vermutlich mit mehreren Faktoren zusammen: Dem Alter, dem Lernstil, der Motivation, den Erfahrungen mit dem Sprachenlernen, dem Lernkontext und der zu bewältigenden Aufgabe (vergleiche Ellis 2008: 711 ff). Jüngere Lerner verbinden Strategien mit einer spezifischen Aufgabe und sind daher weniger flexibel als ältere Jugendliche oder Erwachsene. Darauf muss der Fremdsprachenunterricht folglich Rücksicht nehmen und einen flexibleren Einsatz durch zielgerichtete Aufgaben entwickeln (siehe nächster Abschnitt). Hoch motivierte Lerner verwenden viele Strategien, üben formale und funktionale Aspekte der L2 und nutzen jede Gelegenheit, um viel Input zu erhalten und zu kommunizieren. Eine instrumentelle Orientierung lässt Lerner aber auch die Strategien verwenden, die sie an ihr gewünschtes Ziel führen. Beispielsweise üben sie lieber, was benotet wird als was sie auf lange Zeit voranbringt, wenn die Leistungserwartungen in einem Kurs entsprechend angelegt sind. Wenig motivierte Lerner sind eher begrenzt in ihrem Strategiegebrauch. Dies zeigt, wie wichtig es ist, die Motivation für das Lernen der Fremdsprache und möglichst auch ein Interesse für die Fremdsprache und die Kultur ihrer Sprecher und Sprecherinnen zu wecken. Lerner mit einem holistischen kognitiven Lernstil tendieren eher zu holistischen Kommunikationsstrategien, beispielsweise indem sie Ausdrücke der L2 mit ihrer L1 vergleichen. Analytische Lerner bevorzugen dagegen eher analytische und metakognitive Strategien. Vermutlich hängt unsere Strategiewahl auch eng mit unseren Vorstellungen zusammen, wie wir am besten lernen. Wenn wir also davon überzeugt sind, dass wir unbedingt grammatische Zusammenhänge verstehen müssen, dann verwenden wir eher kognitive und metakognitive Lernstrategien. Wenn wir davon ausgehen, dass wir besonders gut beim Sprechen lernen, dann verwenden wir eher Kommunikationsstrategien. Schließlich spielt es für ein erfolgreiches Lernen eine Rolle, wie viel Erfahrungen wir mit dem Lernen und dem Gebrauch von Fremdsprachen gesammelt haben. Denn unser strategisches Verhalten hat sich dann zum Teil automatisiert, sodass unsere Verarbeitung von sprachlicher Information wesentlich schneller und effektiver ist. Beim Lesen finden wir dann schnell Schlüsselwörter, identifizieren Satzglieder und können dem Text das Wesentliche entnehmen. Der Lernkontext wirkt sich vor allem auf die Verwendung sozioaffektiver Strategien aus. In einer natürlichen Lernumgebung werden diese vielfältiger verwendet als im institutionellen Fremdsprachenunterricht, wo sie sich häufig auf Bitten um Erklärungen beschränken. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass Lerner in einer natürlichen Umgebung auf L2-Sprecher und Sprecherinnen angewiesen sind, um Input zu erhalten. Diese Notwendigkeit besteht im Fremdsprachenunterricht nicht unbedingt. Wenn wir aber an kollaborative Lernszenarien denken, dann sollten Lerner über sozioaffektive Strategien verfügen, um sich gegenseitig unterstützen zu können. Sie sollten daher auch im Unterricht entwickelt und gefördert werden. Wie dies erreicht werden kann, wollen wir im nächsten Abschnitt erörtern. Es geht um den Zusammenhang zwischen Lernerstrategien und einer konkreten Lernaufgabe. <?page no="320"?> 320 8. Lernerorientierung 8.2.4 Zielgerichtete Strategien Wir haben festgestellt, dass Lerner nicht unbedingt von sich aus effiziente Strategien nutzen und eventuell Hilfe brauchen. Aber können Strategien überhaupt vermittelt werden und wenn ja, wie? Um diese Fragen zu beantworten, wollen wir uns in diesem Abschnitt mit Lernerstrategien aus einer soziokulturellen Perspektive (Donato & McCormick 1994) befassen. Lernerstrategien sind in diesem Verständnis das Nebenprodukt einer zielgerichteten Tätigkeit innerhalb einer Sprachlerngemeinschaft. Es kann sich bei dieser um eine Übung zur Bewusstmachung spezifischer sprachlicher Elemente oder eine komplexere Aufgabe zur Bewältigung einer sprachlichen Handlung handeln. Strategien entstehen in dem Augenblick, wenn Lerner eine Lernaufgabe (Tätigkeit) durchführen, beispielsweise wenn sie Wortschatzübungen machen, einen Text lesen oder sich ein Hörspiel anhören. Dabei ist die Qualität der Strategien abhängig vom Ziel, das Lerner bei der Ausführung der Aufgabe verfolgen sowie dem Einfluss der konkreten Situation und Umgebung. Wenn ein Lerner einen Lückentext ausfüllt, kann er dies mit dem Ziel tun, möglichst schnell fertig zu werden, oder auch, um das Gelernte noch einmal zu vertiefen. Bei ein- und derselben Tätigkeit liegen ganz unterschiedliche Ziele vor und die verwendeten Strategien sind sicher mehr oder weniger erfolgreich für das Lernen. Folglich ist es wichtig, dass Aufgaben zielorientiert angelegt sind. Eine wichtige Rolle hierbei spielt vor allem auch die soziale Interaktion zwischen Lernern und Lehrkraft, weil durch sie Strategien vermittelt werden. Wir können uns das beispielsweise so vorstellen, dass sprachliche Probleme, die beim Lesen oder Schreiben auftauchen, gemeinsam gelöst werden. Im Unterricht sollten Aufgaben deshalb so angelegt sein, dass Lerner bei ihrer Ausführung ein Bewusstsein für strategisches Lernen (metakognitive Strategien) entwickeln können. Wie dies durch den kollaborativen Dialog erreicht werden kann, haben wir in Lerneinheit 7.1 in diesem Band festgestellt. An dieser Stelle wollen wir festhalten, dass die Vermittlung von Strategien zwei vorbereitende Schritte beinhalten sollte, bevor ihre Anwendung im kollaborativen Dialog eingefordert wird: 1. die Bewusstmachung von Strategien und 2. die Verbalisierung von Strategien bei der Durchführung einer kommunikativen Aufgabe (vergleiche Swain 2000). Sie helfen Lernern, ihren Fokus auf eine Lernaufgabe zu richten, beispielsweise ganz bewusst Verbformen zu reflektieren, wenn sie in einem gemeinsamen Gespräch in erster Linie Inhalte vermitteln. Prinzipiell ist die Bewusstmachung der eigenen Strategien ein erster Schritt, um Lernern zu effizienteren Strategien verhelfen zu können. In einem zweiten Schritt sollten sie verschiedene Strategien zur Bewältigung ein und derselben Lernaufgabe testen können, damit sie herausfinden können, was für sie tatsächlich am besten funktioniert. In einem dritten Schritt werten sie aus, welche der eingeführten Strategien für sie geeignet ist. Abschließend wollen wir uns einige Fragen anschauen, die Lernern helfen, über ihre Strategien und ihr Lernen zu reflektieren und bewusst zu werden. Überlegen Sie sich, welche dieser Fragen an spezifische Aufgaben gekoppelt werden können und welche Strategien mit ihnen verbunden sind: Metakognitive, kognitive oder sozioaffektive. Zu den Fragen zur Bewusstmachung von Strategien können folgende gezählt werden: <?page no="321"?> 321 8.2 Lernerstrategien ▶ Wie hat sich mein Sprachenlernen entwickelt? ▶ Welche Strategien benutze ich beim Sprachenlernen? ▶ Wie, wann und wo lerne ich am besten? ▶ Wo habe ich mich deutlich verbessert? ▶ Welche Aufgaben und Übungen sind für mich besonders effizient? ▶ Welche Techniken benutze ich, um etwas zu memorieren? ▶ Was macht mir beim Sprachenlernen am meisten Spaß? ▶ Was mache ich, wenn ich fühle, dass ich gar nicht weiter komme? ▶ Hat mich der Unterricht motiviert, dass ich mich auch außerhalb der unterrichtlichen Aktivitäten mit der Sprache beschäftige? ▶ Wie hat sich mein Bild von Deutschland auch hinsichtlich Kultur und Kenntnissen des Landes geändert? 8.2.5 Zusammenfassung ▶ Jeder Mensch verfügt über verschiedene Lernstrategien, die von der jeweiligen Lernaufgabe, den individuellen Vorlieben und dem situativen Kontext abhängen. Es lässt sich eine Klassifizierung in kognitive, metakognitive und sozioaffektive Lernstrategien vornehmen, welche den Einfluss unterschiedlichster Faktoren verdeutlicht. ▶ Mehrere Faktoren, wie das Alter, der Lernstil, die Motivation, die Sprachlernerfahrungen, der Kontext und die Lernaufgabe, beeinflussen das Vorgehen eines Lerners. Diese haben Einfluss darauf, wie effizient ein Lerner seine Lernstrategien einsetzt und bestimmen daher auch dessen Lernerfolg. ▶ Mit Selbstregulierung ist gemeint, das eigene Lernen unter Kontrolle zu haben und dieses reflektieren zu können. Ist dies gegeben, führt dies zu strategischem Lernen. ▶ Eine alternative Konzeption der strategischen Kompetenz geht daher von der Selbstregulierung und zielgerichteten Kontrolle kognitiver, sozialer und affektiver Aspekte bei der Bewältigung einer Lernaufgabe aus. ▶ Zu den drei Schritten, mit deren Hilfe Lerner effizientere Strategien entwickeln können, zählen die Bewusstmachung der eigenen Strategien, die Möglichkeit zum Austesten alternativer Strategien und die Auswertung neuer Strategien für den eigenen Lernerfolg. 8.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Beschreiben Sie die wichtigsten Merkmale von metakognitiven, kognitiven und sozioaffektiven Sprachlernstrategien und nennen Sie mindestens drei konkrete Beispiele für jede Kategorie. 2. Worin unterscheiden sich Sprachlernstrategien und Kommunikationsstrategien? Erklären Sie, wie beide den Zuwachs neuer Kenntnisse und Fertigkeiten in der L2 fördern können. <?page no="322"?> 322 8. Lernerorientierung 3. Beschreiben Sie, welche Eigenschaften der strategischen Kompetenz von erfolgreichen Fremdsprachenlernern zugrunde liegen und gehen Sie auf Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Lernen einer Fremdsprache ein. Sind Sie ein good language learner oder eher nicht? Begründen Sie. 4. Welche Faktoren müssen Lerner beachten, wenn sie eine konkrete Lernsituation erfolgreich bewältigen wollen? Nehmen Sie Bezug auf das Konzept der Selbstregulierung. 5. Wie können Sie dazu beitragen, dass Lerner durch Ihren Unterricht effizientere Strategien entwickeln? Erklären Sie an einem konkreten Beispiel. <?page no="323"?> 323 8.3 Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik 8.3 Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik Jörg Roche Bildungssysteme reagieren auf die soziale und kommunikative Dynamik, die durch die demographischen Veränderungen aufgrund der Zunahme und Diversifizierung der Migration ausgelöst wird, langsam, konservativ und mit nicht-angemessenen Mitteln. In den hochgradig internationalisierten Gesellschaften und Bildungssystemen müssten Mehrsprachigkeit und eine aufgeklärte Mehrkulturalität (hier im Sinne von Transdifferenz verstanden, siehe hierzu Lerneinheit 8.2 im Band »Sprachenlernen und Kognition«) längst zu fixen Parametern moderner Lehrplanentwicklung, sprachendynamischer Referenzrahmen, und pragmatischer Kommunikationskonzepte gehören. Sie müssten darüber hinaus Konzepte von Sprachunterricht, die auf Lernprozesse und Kompetenzen ausgerichtet sind, relevantes Lehr- und Lernmaterial und philanthropische Bildungskonzepte einschließen. Der Erwerb brauchbarer kommunikativer, (lingua-)kultureller und transkultureller Kompetenzen und nicht die Vermittlung vorwiegend grammatikalischer oder landeskundlicher Systemmerkmale müssten also im Mittelpunkt des Unterrichts stehen. Die Identitätskonstruktionen des lernenden (oft bereits mehrsprachigen und mehrkulturellen) Individuums dürften dabei nicht als nachgeordnetes Problem der sprachlichen Performanz, sondern müssten als konstitutives Potential für den Unterricht behandelt werden. Sieht man sich aber sprachpolitische Manifeste, die sprachpolitische Praxis, Lehrpläne, Lehrwerke und Programme von Fachtagungen an, so stellt sich Ernüchterung ein. Wenn man der neueren (kognitions-)linguistischen Forschung, der am Konzepterwerb ausgerichteten Spracherwerbs- und Mehrsprachigkeitsforschung, der auf ihnen fußenden kognitiven Sprachdidaktik sowie der am Konzept der Transdifferenz ausgerichteten Kultur- und Verstehensforschung folgt, dann ergeben sich substantielle Folgen für eine andere Sprachenpolitik. In dieser Lerneinheit möchten wir die zehn wichtigsten programmatischen Aspekte einer solchen Sprachenpolitik skizzieren (insbesondere in Abschnitt 8.3.2). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die pragmatischen Sprachkonzepte, die Grundlagen konzeptueller Mehrsprachigkeit und die dynamischen Prozesse der Mehrsprachigkeit auf sprachenpolitische Fragen anwenden können; ▶ die Grundlagen plurizentrischer Ansätze samt der notwendigen Binnendifferenzierung und kulturellen Dynamik verstehen; ▶ Interkulturelle Kompetenz nicht nur als Theoriekonzept kennen, sondern Fremdheitserfahrungen auch im Dialog des alltäglichen Fremdsprachenunterrichts an Lerner vermitteln und mit ihnen aushandeln können; <?page no="324"?> 324 8. Lernerorientierung 8.3.1 Kulturelles Erbe versus kulturelles Kapital? Die Frage, ob und welche Sprachen in öffentlichen Schulen gelehrt werden, wird weltweit in der Regel aufgrund historischer, bildungsideologischer und politischer Aspekte entschieden. In Deutschland spielten daher die klassischen Fremdsprachen Griechisch und Latein lange die herausragende, unumstrittene Rolle, weil mit ihnen der Bezug zum kulturellen Erbe hergestellt und vermittelt werden sollte. Dass diese historischen Sprachen gelegentlich auch einen praktischen Nutzen haben, wird heute eher rechtfertigend nachgeschoben, z. B. die Rolle des Lateinischen im Studium der Theologie oder der Medizin und die Hypothese, an der lateinischen Grammatik ließe sich die deutsche erklären und vermitteln ‒eine Hypothese, die durch die Arbeiten von Haag und Stern längst widerlegt ist (Haag & Stern 2000, 2003). Mit der Einführung des Französischen als Schulsprache scheint eine gewisse Öffnung in Bezug auf Brauchbarkeitsaspekte vollzogen worden zu sein. Hier wurde argumentiert, Französisch sei schließlich die Sprache der Diplomatie und des Handels. Aber wie viele Schüler agieren später in diplomatischen Sphären und wo spielte Französisch im Handel eine solch vorherrschende Rolle, dass man Sprachen wie Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Arabisch, Japanisch oder Chinesisch hätte eindeutig nachordnen können? Für die Präferenz des Französischen sprachen dagegen historische Gründe: Es löste - teilweise - die anderen historischen Fremdsprachen wegen seiner Bedeutung als Kultur- und Literatursprache und als Sprache der Aufklärung ab. Insofern geschah mit der Einführung des Französischen kein wirklicher Paradigmenwechsel, sondern eher ein ‚Update’ des Vorherrschenden. Mit der Einführung des Englischen traten zwar vordergründig auch Gebrauchsaspekte in der Argumentation auf (Sprache des Handels, internationale Lingua Franca), aber es geht bei seiner Popularisierung vor allem auch um die Akzeptanz von politischer und die Einordnung in politische Dominanz und um Fortschrittsglauben. Englisch gilt - oder galt lange - als die Führungssprache der ‚freien‘ und ‚modernen‘ Welt, in Frage gestellt nur von dem expliziten Gegenkonstrukt des Russischen im Herrschaftsbereich der Sowjetunion (also auch in Teilen Deutschlands) während des Kalten Krieges. Mit dem politischen Scheitern der Sowjetunion ist spätestens auch die davon abgeleitete Fremdsprachenpolitik gescheitert. Die politische und wirtschaftliche Dominanz des Englischen als Entscheidungskriterium für die weltweit verbreitete English-only-Ideologie bleibt - weitgehend - unhinterfragt. Immerhin: mit Brexit und Trump wird diese, wohlgemerkt aus politischen Gründen, inzwischen von führenden Politi- ▶ Ihren Fremdsprachenunterricht auf Basis erwerbs- und kognitionslinguistischer Erkenntnisse gestalten können; ▶ Ihre eigene Diagnosekompetenz kritisch reflektieren und damit die Kompetenzdiagnose Ihrer Lerner fairer gestalten können; ▶ die Potentiale von Mehrsprachigkeit und sprachlicher Variabilität kennen; ▶ sich mit den sprachenpolitischen Gegebenheiten kritisch auseinandersetzen und einen eigenen Beitrag zur lebensweltlichen Sprachenpolitik - in Ihren Sprachenprogrammen oder über Ihren Sprachunterricht - leisten können. <?page no="325"?> 325 8.3 Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik kern in Frage gestellt. Tatsache ist jedoch, dass weltweit pragmatische Aspekte, also Aspekte der unmittelbaren Brauchbarkeit einer Fremdsprache für deren Lerner, zwar gelegentlich aus strategischen Gründen angeführt werden (siehe etwa die Werbung des Goethe Instituts oder die Profilbeschreibungen von Sprachenzentren oder germanistischen Abteilungen ausländischer Hochschulen), aber in den öffentlichen Schulsystemen kaum eine Rolle spielen. Täten sie es, so würden die Schulcurricula weltweit eine wesentlich höhere Diversität aufweisen und versuchen, den vorhandenen und relevanten Nachbarsprachen, Familien- und Migrantensprachen sowie Wirtschaftssprachen gerecht zu werden. Das tun sie aber nicht. In diesem programmatischen Beitrag geht es daher darum, anhand einer 10-Punkte-Liste darzustellen, warum ein Paradigmenwechsel in der Fremdsprachenpolitik nötig ist, wenn tatsächlich - wie weitestgehend vorgegeben wird - brauchbare Fremdsprachenkenntnisse in öffentlichen Schulen vermittelt werden sollen. Die Volksrepublik China scheint dies erkannt zu haben, da sie derzeit den Ausbau des Fremdsprachenunterrichts für Deutsch und andere Sprachen auf Kosten einer English-only-Politik massiv vorantreibt. Wie kann der Weg zu einer pragmatisch bestimmten Sprachenpolitik aussehen, wie können seine Ergebnisse optimiert werden? 8.3.2 Zehn Vorschläge zur Zukunft des Sprachenerwerbs und Sprachenunterrichts Konzeptuelle Mehrsprachigkeit Viele Schulsysteme in der ganzen Welt sind im Grunde auf Bildungsstandards ausgerichtet, die sich an monolingualen Schülerinnen und Schülern orientieren: es wird davon ausgegangen, dass die Schülerinnen und Schüler eine, das heißt die Nationalsprache sprechen, die Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler und deren kulturelles Kapital wird nicht systematisch thematisiert oder genutzt, die Lernzielerwartungen orientieren sich ebenfalls an den Erfordernissen der vermeintlich monolingualen Mehrheitsgesellschaft. In Soweto hat genau diese Einstellung zu den blutigen Unruhen geführt, die in der Folge zum Ende der Apartheid geführt haben. Viele Gesellschaften, wie etwa die deutsche, verzeichnen eine große Zuwanderung. In Deutschland leben derzeit über 10 Millionen Migranten und bereits jedes 5. Schulkind hat einen Migrationshintergrund. Das heißt, Gesellschaften werden durch Migrationsbewegungen mehrsprachig. Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit dieser Mehrsprachigkeit könnten also - statt der Ausrichtung an konzeptueller Monolingualität - Grundlage curricularer Entwicklungen und der Vermittlung von Sprachen und Kulturen werden. Konzeptuelle Mehrsprachigkeit erfordert daher ein pragmatisches Konzept von Sprache und Kommunikation, das sich unter anderem in einer Wertschätzung und Wertschöpfung mehrsprachiger Variation ausdrückt. Die Ausrichtung an Registern und Varietäten, wie sie im Kontinuum von innerer und äußerer Mehrsprachigkeit ausgedrückt wird, hätte weitreichende Folgen für den Deutschunterricht, den Fachunterricht und den Fremdsprachenunterricht. Die Segregation von Fach- und Sprachenvermittlung, die bis auf wenige Immersionsprogramme den Fremdsprachenunterricht immer noch dominiert, ist nicht mehr zeitgemäß. Sprachvermittlung ist eine grundlegende Komponente - und ein Erfolgsindikator - in jeder <?page no="326"?> 326 8. Lernerorientierung Fach-, Berufs- und Wissenschaftsausbildung (vergleiche Roche & Terrasi-Haufe 2017a: 72-89; Terrasi-Haufe 2016) (siehe hierzu im Band »Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen« in dieser Reihe). Der sprachsensible Fachunterricht hat gerade in der beruflichen Ausbildung, zum Beispiel von Flüchtlingen, an Bedeutung gewonnen (vergleiche Roche & Terrasi-Haufe 2017b: 71-90). Norm und Variation Ziel des Fremdsprachenunterrichts kann nicht nur die Vermittlung der Standardsprache sein, weil diese eine Norm darstellt, die in dieser Form kaum Verwendung findet. Es gibt unterschiedliche schriftliche und mündliche Standards, die zudem regional variieren. Daher muss es auch im Sprachunterricht um die Behandlung verschiedener Normen gehen (vergleiche Ammon 1998; Bleyhl 2003; Meißner & Reinfried 1998; Neuland 2006; Roche 2006; Wolff 2006). Dafür bedarf es eines variantenreichen authentischen Lernmaterials und aufgaben- und handlungsorientierter Zugänge dazu. Das Ziel der ‚Muttersprachlichkeit‘ als ‚Mutter aller Normen‘ in Rahmenrichtlinien und Lehrplänen (native or near-native competence) ist nicht mehr zeitgemäß, weil es deren Binnendifferenzierung, die Translingualität durch Sprachenkontakt und die sprachliche Entwicklungsdynamik zu wenig abbildet. Zielsprachliche Varietäten sind nicht statisch im Sinne einer genormten muttersprachlichen Varietät, sondern erfahren ständig perspektivische und linguistische Erweiterungen. Auch Lernervarietäten müssten demnach - als sich entwickelnde Sprachsysteme - stärker aus ihrer eigenen Dynamik und nicht nur aus der Perspektive der Normverletzung in Bezug auf die Standardsprache behandelt werden. Es geht damit um die Umsetzung einer lange geforderten neuen Fehlerkultur. Plurizentrik Im Bereich der Landeskunde sollte die DACHL-Initiative einen Anfang eines landeskundlichen Umdenkens im Fremdsprachenunterricht (Deutsch) markieren. Hauptintention dieser eher sprachpolitischen Initiative ist es, nationalen Varietäten des Deutschen, vor allem dem österreichischen, schweizer, wohl aber auch dem luxemburger/ liechtensteiner Deutsch, zu mehr Beachtung im Deutschunterricht zu verhelfen. Eine theoretische Begründung im Sinne der Varietätenlinguistik fehlt dieser Initiative jedoch, denn ansonsten müsste sie das Varietätenspektrum viel weiter und differenzierter fassen. Im Lehrmaterial offenbart sich dieser Reduktionismus deutlich: Meist werden hier die österreichischen (A) und schweizer (CH) Varietäten (in dieser Reihenfolge, und das L aus DACHL und die weiteren regionalen und soziolektalen Varietäten entfallen dann vollständig) auf nur wenige stereotype Ausdrücke begrenzt (Grüezi, Servus, Jänner), die als territoriale Doubletten von den Lernern gelernt werden sollen. Das Thema sprachliche Variation wird damit nicht grundlegend oder systematisch behandelt. Die DACHL-Initiative kann also weder Selbstzweck noch einziges Ziel der Bemühungen um eine stärkere Berücksichtigung von sprachlicher und kultureller Variation bleiben. Sie kann allenfalls für die Thematik sensibilisieren. Plurizentrik bedeutet erstens nicht nur die Berücksichtigung unterschiedlicher (nationaler) Zielkulturen der gleichen oder <?page no="327"?> 327 8.3 Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik ähnlichen Zielsprache. Zudem kann die Ausrichtung auf diese Zielkulturen nicht bei der Abbildung plakativ-stereotyper Redewendungen und kultureller Artefakte enden, sondern muss die Binnendifferenzierung und Dynamik dieser Kulturen berücksichtigen. Zweitens ist der multikulturellen Realität der Gesellschaften und ihrer reflektierenden Behandlung im Fremdsprachenunterricht Raum zu geben, zum Beispiel durch die Berücksichtigung literarischer Texte von Autorinnen und Autoren mit anderen Ausgangssprachen als der Zielsprache, etwa den Autorinnen und Autoren, die den Chamisso-Preis bekommen haben, darunter viele, die in Österreich, der Schweiz und anderen deutschsprachigen Gebieten außerhalb Deutschlands leben (vergleiche Der Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung; siehe auch Roche & Schiewer 2017). Von der Utopie der interkulturellen Kompetenz zur Normalität der Fremdheit Interkulturelles Verstehen wird in Lehrplänen gerne als ein zentrales, aber abstraktes Bildungsziel genannt. Die oft utopischen Postulate von Lehrplänen in Bezug auf die Vermittlung interkultureller Kompetenzen durch den viel beschworenen, aber wenig konkretisierten Perspektivenwechsel lassen sich mit den begrenzten Ressourcen des Unterrichts meist nicht lösen. Das liegt auch daran, dass binäre Vorstellungen von der Vermittlung von (Fremd-) Kulturen eigentlich hermeneutische, kognitionspsychologische, linguistische und didaktische Probleme aufwerfen, deren Reichweite im Dunst wohlklingender Ziele verborgen bleibt. Diese Herausforderungen wären im Rahmen des Unterrichts nur dann bearbeitbar, wenn die Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte bereits über ausreichende landeskundliche und kulturvermittelnde Kenntnisse verfügen würden (siehe auch Kapitel 2 im Band »Kultur- und Literaturwissenschaften« in dieser Reihe). Statt Utopie oder Kompromissen empfiehlt sich daher ein affirmativer Umgang mit authentischer Fremdheit, also vor allem der im Umfeld des Unterrichts und Alltags vorhandenen und erfahrbaren, die sich in einem multiperspektivischen, dynamischen und organischen Verständnis von Kultur, einer dynamischen Organisation von Wissen und in einem organischen und dynamischen Konzept von (innerer und äußerer) Mehrsprachigkeit manifestiert. Der Bildungsalltag ist zunehmend durch kulturelle Diversität geprägt. Sie ist selbstverständlich und bedarf nicht der Auflösung. Vielmehr sollte es darum gehen, Fremdheit nutzbar und die von den Schülerinnen und Schülern erfahrbaren Prozesse des Umgangs damit reflektierbar zu machen. Das Management von Fremdheit und der Zugang zum Fremden haben dabei eine zentrale Bedeutung (vergleiche Hunfeld 1997, 1998, 2004). Mehrsprachigkeit als Ausdruck sprachlicher und kultureller Diversität wird zu einem Instrument, das transdifferente Positionen darstellen, verstehbar machen und konstruieren helfen kann, und das regionale, soziolektale und andere pragmatische Varietäten genauso umfasst wie Fremdsprachen und Lernervarietäten und diese sicht- und hörbar - und damit kognitiv bearbeitbar - macht (vergleiche Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005; Breining & Lösch 2006; Hildebrandt 2005; Lösch 2005). <?page no="328"?> 328 8. Lernerorientierung Kognitive Sprachdidaktik Die Entwicklung von Lehr- und Lernmaterial und der Unterricht müssen sich stärker an den Lerngrundlagen und den kognitiven Bedingungen der Lerner ausrichten, wenn es wirklich um die effiziente und nachhaltige Vermittlung brauchbarer kommunikativer und transkultureller Kompetenzen geht. Gebraucht wird daher eine kognitive Didaktik auf Basis erwerbs- und kognitionslinguistischer Erkenntnisse, die die Funktionsprinzipien und Strukturen von Sprachen und Kommunikationssystemen verständlich macht, erwerbsgerecht vermittelt und sukzessive erweitert und mittels relevanter Kontexte und Aufgaben nachhaltig sichern hilft (vergleiche Roche & Suñer Muñoz 2014, 2017). Zentrales Element einer solchen Didaktik ist die Identifikation konzeptueller Unterschiede und Gemeinsamkeiten der am Spracherwerb beteiligten Sprachkulturen. Nur so kann Sprache transparent, vermittelbar und nachhaltig lernbar gemacht werden. Dabei ist davon auszugehen, dass die fortschreitende kognitive Entwicklung der Kinder und Jugendlichen im Prozess der Maturation nicht bei den sprachlichen Kompetenzen Halt macht. Entleertes und vereinfachtes Lehrmaterial und Lehrmaterialien und Curricula, die den Erwerb einer neuen Sprache auf der Basis einer kognitiven Stunde Null beginnen lassen (zum Beispiel weil jede neue Fremdsprache mit den oft infantilen, gleichen Redemitteln und Situationen beginnt), können auch zu einer Unterforderung des kognitiven Apparates und zu Langeweile führen. Sprachliche Einfachheit - das zeigen zum Beispiel SMS, Graffiti, Werbetexte und lyrische Texte - muss nicht zwangsläufig in kognitiver Unterforderung münden. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei Mehrsprachigen ein Wissenstransfer unabhängig davon stattfindet, in welcher Sprache das Wissen verarbeitet und gespeichert wird. Sprachliche und nichtsprachliche kognitive Prozesse interagieren und lassen sich fachübergreifend (zum Beispiel im sprachsensiblen Fachunterricht) mit Transfereffekten nutzen. Diagnosekompetenz und Kompetenzdiagnose Studien zu Sprachstandsmessverfahren, besonders am Übergang vom Kindergarten zur Schule, zeigen, dass es einen erheblichen Bedarf an der Verbesserung von Diagnosekompetenzen der Lehrkräfte und Bildungsadministratoren gibt. Oft werden Lernerkompetenzen unter- oder fehlbewertet und Schulübergangsempfehlungen für weiterführende Schulen verweigert oder fehlgeleitet, weil die Beraterinnen und Berater das Potential mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler falsch einschätzen, und zwar aufgrund von längst widerlegten Vorannahmen oder sprachreduktionistischen Diagnoseinstrumenten (Tests, Korrekturnormen). Die Kompetenzdiagnosen mithilfe von Diagnoseinstrumenten sind also erheblich zu verbessern. Die Tatsache, dass Kinder mit mehrkulturellem Hintergrund in den Bildungsstudien oft schlechter abschneiden als Kinder der Mehrheitsgesellschaft hat wenig mit der Mehrsprachigkeit oder dem kognitiven Potential der Kinder zu tun. Bezeichnend sind vielmehr die damit oft zusammenhängenden Faktoren der Bildungsnähe und -ferne der Elternhäuser und verschiedene Umgebungsfaktoren. Deswegen ist es nur ein scheinbarer Widerspruch, dass <?page no="329"?> 329 8.3 Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik mehrsprachige Kinder regelmäßig zu den Überfliegern in den Schulsystemen gehören. Es geht also einerseits um die systemische Verbesserung der Umgebungsbedingungen in den Bildungssystemen, andererseits kann eine signifikante Verbesserung der Bildungschancen auch durch eine feinere Diagnose der Lernpotentiale und Schwächen der Schülerinnen und Schüler und durch darauf abgestimmte Förderungskonzepte bewerkstelligt werden. Experiment Eine von der Vodafone Stiftung Deutschland in Auftrag gegebene Studie (Maaz, Baeriswyl & Trautwein 2011) kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Kompetenzdiagnose im Kontext des Schulübertritts von der Grundschule auf weiterführende Schulen ein erheblicher Mangel im Hinblick auf die Diagnosekompetenz der Lehrkräfte besteht. Vergleichen Sie dazu nachfolgende Graphik, informieren Sie sich weiterführend im Dokument der Studie und besprechen Sie dann mit Ihren Kolleginnen und Kollegen die Relevanz der Befunde für Ihre Schule, Aufnahme- Förderbedingungen, Übertrittsempfehlungen etc. 1. Welche Problematik besteht Ihrer Meinung nach bei der Kompetenzdiagnose von Fremdsprachenlernern? 2. Wie kann die Diagnosekompetenz von Lehrkräften im Hinblick auf Lernpotentiale und -Schwächen verbessert werden? Entwickeln Sie dafür eine Check- oder Empfehlungsliste. 8 9 Wie sich die soziale Herkunft auf die Vergabe der Schulempfehlung auswirkt (Prozentuale Zerlegung des Herkunftseffekts bei der Empfehlungsvergabe) Wenn Benotungen und Schulempfehlungen sozial neutral wären, könnte der Einfluss der Sozialschicht auf die Schulempfehlung um die Hälfte reduziert werden! Unterschiedliche Schulempfehlung wegen unterschiedlicher Leistung je nach sozialer Schichtzugehörigkeit (Primärer effekt) Unterschiedliche Empfehlung wegen ungleicher Benotung der Lehrer bei gleicher Leistung (Indirekter sekundärer Effekt) Unterschiedliche Schulempfehlung der Lehrkräfte bei gleicher Leistung und gleichen noten (inkrementeller effekt) 25,5 % 23,4 % 51,1 % Wie sich die soziale Herkunft auf den tatsächlichen Übergang auf die weiterführende Schule auswirkt (Prozentuale Zerlegung des Herkunftseffekts beim Übergang) Abbildung 8.5: Herkunftseffekt bei der Empfehlungsvergabe (Maaz, Baeriswyl & Trautwein 2011: 9) <?page no="330"?> 330 8. Lernerorientierung Inklusive und integrative Sprachförderung Sprachenerwerb und Mehrsprachigkeit sind grundsätzlich keine Defizienzsondern Potentialdomänen (vergleiche Baros 2008; Roche & Baros 2017). Die segregierende Sprachförderung und erhöhte sprachtherapeutische Behandlung von mehrsprachigkeitsbedingten Erwerbserscheinungen bei Kindern und Jugendlichen (Faktor 4 gegenüber einsprachigen Kindern) ist zu Gunsten einer integrativen und inklusiven Ausrichtung der Sprachförderung auf den Erwerb fachlicher Kompetenzen zu ändern. Dabei sollten Vorwissen und Vorsprachen stärker einbezogen und aufgaben- und handlungsorientierte Konzepte angewandt werden. In vielen Fällen brauchen Kinder keine (restriktive) Sprachförderung, sondern Sprache in sinnvollen Kontexten. Experiment Entwickeln Sie Prinzipien für sinnvolle sprachliche Kontexte, das heißt Kontexte, in denen Lerner zweckgerichtet in einer bestimmten Sprache kommunizieren können. Wertschätzung und Wertschöpfung Man kann es eine „kapitale Schizophrenie des Fremdsprachenunterrichts“ (Roche 2013a: 266) nennen, wenn einerseits mit viel Aufwand Fremdsprachen in Schulen unterrichtet werden, die wenig erkennbaren kommunikativen Nutzen für die Lerner haben oder leicht anderweitig lernbar wären, andererseits aber natürliche sprachliche Ressourcen der Lerner (z. B. Familiensprachen) ungenutzt und unentwickelt bleiben. Das scheint angesichts der hohen Kosten und des hohen Aufwands weder erwerbslinguistisch noch gesellschaftlich oder wirtschaftlich vertretbar. Es ist kaum erklärbar, dass Schulsysteme einerseits aufwändige Ressourcen in den Fremdsprachenunterricht und die Sprachförderung investieren (vor allem in den deutschsprachigen Ländern, in denen zumindest an Gymnasien zwei oder drei Fremdsprachen einen festen Bestandteil des Curriculums bilden), andererseits aber kaum Anstrengungen machen, die natürliche Mehrsprachigkeit der Bevölkerung produktiv in ihre Bildungskonzepte von Mehrsprachigkeit einzubeziehen und dieser dadurch einerseits Wertschätzung zu verleihen und andererseits daraus Wertschöpfung zu erzielen. Die Gesellschaften könnten in vielfacher Weise von einem inklusiven Ansatz der Mehrsprachigkeit profitieren: ▶ durch eine größere Spanne von mehrsprachigen Kompetenzen (Mehrsprachigkeitsspektrum); ▶ durch eine Optimierung oft nur rudimentär vorhandener mündlich-sprachiger Kompetenzen (Bildungssprachen); ▶ durch Erwerbssynergien zwischen den Sprachen (Mehrsprachigkeitsdidaktik); ▶ durch höhere Wertschätzung (und Wertschöpfung) fremder Kulturen und Sprachen; ▶ und durch eine daraus resultierende integrative Wirkung in der Gesellschaft (kulturelles Kapital); <?page no="331"?> 331 8.3 Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik ▶ durch eine Rückführung des Sprachenerwerbs in die alltägliche Normalität (Kontinuum von innerer und äußerer Mehrsprachigkeit); ▶ durch kognitive Synergieeffekte mittels Mehrsprachigkeit (Interdependenzhypothese). Experiment Überlegen Sie, inwiefern Sie diese Empfehlungen für sinnvoll und begründbar bzw. nicht-realisierbar halten. Jeder der Punkte ist komplex. Es bietet sich daher an, ein Expertenteam zu bilden, das sich in kleineren Arbeitsgruppen der einzelnen Aspekte annimmt. Bringen Sie dann im Plenum zusammen und entwickeln Sie konkrete Empfehlungen, wie Ihre Schule und Ihr Unterricht in dieser Hinsicht von Mehrsprachigkeit profitieren könnte. Mehr-Sprachendidaktik Die Mehr-Sprachendidaktik und die Fachdidaktiken der Fremdsprachen wären gut beraten, ihre Aufmerksamkeit stärker auf die Grundlagenforschung zu verlagern, als sie auf unterrichtliche, oft aktionistische Methodiken und Modewellen zu lenken (vergleiche Hufeisen & Marx 2007; Klein & Stegmann 2000; Oleschko 2011). Ohne hinreichende Verankerung in der Grundlagenforschung (etwa der Kognitionsforschung, der Linguistik oder der Pädagogik) bleiben Methodiken erfahrungsgemäß ohne nachhaltigen Erfolg, produzieren rückläufige Bewegungen und sind schlichtweg nicht erforschbar. Aus einer theoretisch fundierten Didaktik ergeben sich dagegen neue Forschungsimpulse. Statt einer kleinschrittigen Behandlung sprachlicher und landeskundlicher Fertigkeiten im Rahmen instruktionistischer Unterrichtsmethodiken müsste den kognitiven Aspekten der Sprachen- und Kulturenrepräsentation daher mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Demnach sollte die Mehrsprachigkeitsdidaktik den Blick von den (Gemeinsamkeiten der) Sprachstrukturen und ihrer Transferpotentiale stärker auf die Nutzung von zunehmend vorhandenen Inseln der Mehrsprachigkeit in den Klassen lenken und Mehrsprachigkeit als Normalfall und Kontinuum behandeln. Zudem bedarf die Lehreraus- und -fortbildung einer stärkeren Sensibilisierung für sprachliche Variabilität und den Umgang mit Fremdheit. Es erweist sich als Vorteil, wenn Lehrkräfte ihre eigenen sprachlichen und kulturellen Kompetenzen in Fremdsprachen und den schwierigen und manchmal stockenden Weg dorthin stärker reflektieren. <?page no="332"?> 332 8. Lernerorientierung Experiment Entwickeln Sie einen Plan, wie Sie an Ihrer Schule die Inseln der Mehrsprachigkeit Ihrer Schüler und Schülerinnen systematisch nutzen könnten (zum Beispiel als Vermittlungssprache, als zusätzliche Fremdsprache, als Bereicherung der kulturellen Vielfalt, zur Sensibilisierung für Fremdes, zur Vorbereitung auf Austauschprogramme etc.). Machen Sie dazu auch einen Reality-Check: Wo haben Ihnen mehrsprachige Ressourcen beim Sprachenerwerb oder bei der Verständigung geholfen? Wie sind Sie mit Defiziten umgegangen? 8.3.3 Mehr-Sprachenpolitik Durch eine Reorganisation des Sprachenunterrichts an den Schulen könnte das (bisher abstrakte) europäische Mehrsprachigkeitsideal erreicht werden, nach dem jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger über Kompetenzen in mindestens zwei Fremdsprachen (2 + 1) verfügen soll (vergleiche Europäisches Parlament 2017). Dieses Ziel ist in der Lebenspraxis der Bürger jedoch jeweils mit den individuellen Mobilitätsbedingungen und Sprachkontaktsituationen zu vereinbaren und verlangt nach einer entsprechenden Bedarfs- und Progressionsdynamik (viele Menschen bringen bereits 2, 3 oder 4 Sprachen mit in die Schule, aber auf unterschiedlichen Kompetenzniveaus). Sprachenerwerb sollte nicht politischer Selbstzweck sein, weil er dann nur Widerstände, Ablehnung und Ängste produziert, wie das oft in mehrsprachigen Ländern der Fall ist. Die Sprachenpolitik kann die lebensweltlichen Bedingungen besser ansprechen, wenn sie an der realen Nutzbarkeit von Sprachen auf der Grundlage realer Bedingungen vorhandener Mehrsprachigkeit in der Gesellschaft ausgerichtet wird. Ein viables Gesamtkonzept müsste Familiensprachen sowie Nachbar- und Begegnungssprachen genauso berücksichtigen wie internationale Arbeits- und Verkehrssprachen und die Umgebungssprachen. Elemente des Konzeptes sind demnach: 1. Familien- und Umgebungssprachen (L1n) und die Behandlung ihrer Binnendifferenzierung sowie deren Entwicklung im Bereich bildungssprachlicher Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern. 2. die Vermittlung der vorwiegend lexikalischen (Transfer-)Basis einer internationalen Basissprache wie dem Euro-Latein als Grundlage für den Erwerb weiterer Sprachen und die Erweiterung sprachlicher Kompetenzen in bereits erworbenen. 3. die Vermittlung einer internationalen Verkehrssprache wie dem internationalen und interkulturellen Englisch, in allen Kompetenzbereichen. 4. eine Erweiterung dieses Konzeptes ergibt sich für die weiterführende schulische Ausbildung durch die Vermittlung von Kompetenzen in mindestens einer weiteren Arbeitssprache (mit mindestens rezeptiven Fertigkeiten) und einer Begegnungs- oder Nachbarsprache (mindestens auf der Ebene alltäglicher kommunikativer Kompetenzen). Je nach Bedarf sollten die meist mündlichen Familiensprachen schrift- und bildungssprachlich auch außerhalb der Familien weiterentwickelt werden können. Eine frühe, niedrig- <?page no="333"?> 333 8.3 Lerner-Pragmatismus als Orientierung der Sprachenpolitik schwellige Begegnung mit fremden Sprachen und Kulturen, beginnend mit Sprachspielen, Dialekten, Soziolekten und narrativen Varietäten (etwa in Early Literacy Programmen) ist zu empfehlen. Grundsätzlich sollte die Sprachvermittlung in der Gesellschaft vorhandene Sprachkompetenzen nutzen und sich am realen Bedarf und den Interessen der Lerner ausrichten. Internationalen Varietäten einer Lingua Franca ist bei internationalen Funktionen Vorrang zu geben. Etwa den vielfältigen, stets variablen internationalen, fach- und funktionsspezifischen Mischvarietäten des Englischen. Kulturspezifische Nationalsprachen, wie etwa das britische Englisch („Lingua Cultura“), haben in Bezug auf Wortschatz, Orthographie, Aussprache, Grammatik und Metaphorik, genauso wie Dialekte, dagegen eine geringere internationale Reichweite und eignen sich daher nur bedingt als internationale Verkehrssprache. In beruflichen und wissenschaftlichen Kontexten ergibt sich aus den fach- und funktionsspezifischen Inhalten ohnehin oft eine spezifische Erweiterung und Differenzierung des Arbeitssprachenportfolios. 8.3.4 Zusammenfassung ▶ Die Zukunft des Sprachenerwerbs und -unterrichts basiert auf pragmatischen Konzepten der Mehrsprachigkeit und dem Zugang zu alltäglichen Kommunikationssituationen der Lerner. Nicht nur eine Standardsprache, sondern auch sprachliche Varietäten und brauchbare Fremdsprachen gilt es daher im Fremdsprachenunterricht zu nutzen. ▶ Das verwendete Kommunikationsmaterial sollte authentisch und zweckgerichtet sein. Aufgaben sind dabei relevant, wenn sie handlungsorientiert im Kontext zur Lebenswelt gestellt und in Szenarien integriert werden. ▶ Gebraucht wird daher eine kognitive Didaktik auf Basis erwerbs- und kognitionslinguistischer Erkenntnisse, die Sprachen und Kommunikationssysteme in ihrer Gesamtheit verständlich macht, erwerbsgerecht vermittelt, sukzessive erweitert und mittels relevanter Kontexte und Aufgaben nachhaltig sichern hilft. ▶ Fremdheit ist Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts. Um sich dieser zu nähern, sind Ansätze, die Kultur als dynamisches System zu verstehen, hilfreich. ▶ Zur richtigen Bewertung und gewinnbringenden Förderung des Potentials mehrsprachiger Lerner muss die Kompetenzdiagnose mithilfe von Diagnoseinstrumenten erheblich verbessert werden. ▶ Eine integrative und inklusive Ausrichtung der Sprachförderung auf den Erwerb fachlicher Kompetenzen ist erforderlich. Vorwissen und Vorsprachen und aufgaben- und handlungsorientierte Konzepte sollten dabei im Fokus stehen. 8.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie fünf Aspekte, die sich in der Unterrichtsgestaltung ändern müssen, damit diese den Anforderungen einer konzeptuellen Mehrsprachigkeit gerecht wird. <?page no="334"?> 334 8. Lernerorientierung 2. Überlegen Sie sich, wie eine Entwicklung von Interferenzerscheinungen hin zu Lernervarietäten vonstattengehen kann? Worin liegt der Unterschied zwischen Inferenzerscheinung und Lernervarietäten? 3. Welche Potentiale offenbaren sich durch eine neue Fehlerkultur und einem neuen Umgang mit Lernervarietäten? Diskutieren Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen. 4. Wofür steht die Abkürzung DACHL und was macht sie aus? 5. Gehen Sie kurz auf die Bedeutung der Binnendifferenzierung innerhalb der landeskundlichen und sprachlichen Systeme der einzelnen DACHL-Länder ein. Wie können dadurch plakativ-stereotype Redewendungen und kulturelle Artefakte vermieden werden? 6. Welche Auswirkungen hat die DACHL-Initiative auf den Deutsch-, Deutsch als Fremdsprache- und Deutsch als Zweitspracheunterricht? Wieso spielt Zusammenarbeit in diesem Kontext eine wichtige Rolle? 7. Inwiefern hilft das erwähnte Zitat beim Umgang mit Fremdheit im zunehmend durch kulturelle Diversität geprägten Bildungsalltag? Im Innenverhältnis einer Kultur-- zwischen ihren diversen Lebensformen-- existieren heute tendenziell ebensoviele Fremdheiten wie im Außenverhältnis zu anderen Kulturen. […] Umgekehrt bildet die Anerkennung innerer Fremdheitsanteile eine Voraussetzung für die Akzeptanz äußerer Fremdheit. (Welsch 1995) 8. Wieso ist der bislang postulierte Perspektivenwechsel utopisch? Welche neue Idee wird dem gegenübergestellt? 9. Wie kann Mehrsprachigkeit konkret als Ausdruck sprachlicher und kultureller Diversität im Fremdsprachenunterricht umgesetzt werden, um transdifferente Positionen reflektierbar zu machen? Welche Rolle spielen dabei Regio- und Soziolekte sowie andere pragmatische Varietäten? <?page no="335"?> 9. Literaturverzeichnis Aguado, Karin; Grotjahn, Rüdiger & Schlak, Torsten (2005), Erwerbsalter und Sprachlernerfolg. Theoretische und methodologische Grundlagen eines empirischen Forschungsprojekts. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 16: 2, 275-293. Ait Ramdan, Mohcine (2017), Zur Rolle der mündlichen Kompetenz beim Schriftspracherwerb in der Zweitsprache Deutsch. In: Sigel, Richard; Inkemann, Elke (Hrsg.), Diagnose und Förderung von Lernern mit Zuwanderungshintergrund im Sprach- und Schriftspracherwerb. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 79-88. Alderson, J. Charles & Huhta, Ari (2005), The development of a suite of computer-based diagnostic tests based on the Common European Framework. 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In: Freudenfeld, Regina; Gross-Dinter, Ursula; Schickhaus, Tobias & Feuser, Florian (Hrsg.), In Sprachwelten übersetzen. Beiträge zur Wirtschaftskommunikation, Kultur- und Sprachmittlung in DaF und DaZ. 42. Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in München 2015, 157- 182. Tesch, Bernd (2009), Die Tests des IQB - Sinn und Nutzen. Praxis Fremdsprachenunterricht 1, 41-45. Thelen, Tobias (2002), Schrift ist berechenbar. Zur Systematik der Orthographie. In: Röber, Christa; Tophinke, Doris (Hrsg.): Schrifterwerbskonzepte zwischen Sprachwissenschaft und Pädagogik. Baltmannsweiler: Schneider Verl. Hohengehren, 66-82. Thiemann, Petra (2008), Benutzerfreundliche Online-Hilfen. Grundlagen und Umsetzung mit Mad- Cap Flare. Wiesbaden: Vieweg + Teubner. Todorova, Dessislava (2009), Einsatzmöglichkeiten der elektronischen Medien im interkulturellen DaF-Unterricht. 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(2002), Instruktionsdesign für Multimedia. In: Klimsa, Paul (Hrsg.), Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, 156. 1.4: Schema kognitivistischer Verfahren: Die Medien und Methoden der Lehrer, Lehrbuchautoren und Medienentwickler wirken von außen auf die internen Verarbeitungsprozesse des Lerners, die er zwar durchschauen, aber kaum beeinflussen kann; nach Issing, Ludwig J. (2002), Instruktionsdesign für Multimedia. In: Klimsa, Paul (Hrsg.), Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, 156. 1.5: Schema konstruktivistischer Verfahren; nach Issing, Ludwig J. (2002), Instruktionsdesign für Multimedia. In: Klimsa, Paul (Hrsg.), Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, 156. 1.6: Beispiel für konstruktivistische Sprachlernprogramme: Berliner sehen; A Hypermedia Learning Environment for the Study of German Culture and Langugae. Copxright MIT 2005. (Authors: Ellen W. Crocker, Kurt E. Fendt). 1.7: Eisbergschema der kulturellen Einflüsse auf die Wahrnehmung und die Sprache; Eigene Abbildung. 1.8: Klischeehafte Darstellung der deutschen Kultur in einem Buch zum interkulturellen Training; Morrison, Terri; Conaway, Wayne A. & Borden, George A. (1994), Kiss, bow, or shake hands. How to do business in sixty countries. Holbrook, MA: Adams Media Corporation, 231f. 1.9: Links: Interkulturelle Sensibilisierung durch die Gegenüberstellung unterschiedlicher linguakultureller Konzepte im interkulturellen Lehrwerk Für- und Widersprüche (1995: 175); Rechts: Vermittlung kreativer kritischer Kompetenzen für die interkulturelle Kommunikation in demselben Lehrwerk (1995: 76); Links: zitiert nach Roche, Jörg & Webber, Mark (1995), Für- und Widersprüche. New Haven, CT: Yale University Press, 175. Original: Heygen, Heinz G.: The Most English for Runaways. Frankfurt am Main, April 1987, 76. Rechts: zitiert nach Roche, Jörg & Webber, Mark (1995), Für- und Widersprüche. New Haven, CT: Yale University Press, 76. Original: Jan P. Schniebel: „Du besorgst dir eine Gebührenmarke ...“. Copyright © 1984 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg [Titel: Norbert Ney (Hrsg.): Sie haben mich zu einem Ausländer gemacht ... ich bin einer geworden. Ausländer schreiben vom Leben bei uns]. 1.10: Vergleichendes Arbeiten mit gegensätzlichen Begriffspaaren und ähnlich erscheinenden Begriffen verschiedener Sprachen am Beispiel von Typisch deutsch? Die Lerner werden von der Vorentlastung (Assoziationsübungen) zur intensiven Wortschatzarbeit mittels Wörterbüchern angeleitet; Behal-Thomsen, Heinke et al. (1993), Typisch Deutsch? Berlin/ München: Langenscheidt, 45. Wörterbuchauszüge ,privat‘ aus: Gerhard Wahrig (1998), Deutsches Wörterbuch. München: Mosaikverlag; sowie: Dudenredaktion (Hrsg.) (1963), Duden - Das Herkunftswörterbuch. 1. Auflage. Dudenverlag: Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich. 1.11: Schema des Verstehensprozesses in interkultureller Kommunikation; Eigene Abbildung. <?page no="362"?> 362 10. Abbildungsverzeichnis 1.12: Lernziele und Rahmenbedingungen für die praktische Umsetzung eines hermeneutischen Fremdsprachenunterrichts; http: / / www.provincia.bz.it/ intendenza-scolastica/ hermeneutik/ zusammenhang.htm, 3. August 2018. 2.1: Kommunikationsmodell; nach Bühler, Karl (1934), Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: G. Fischer. 2.2: Salienz als Unterschiedlichkeit und Auffälligkeit eines Reizes in Relation zum Kontext; https: / / img.buzzfeed.com/ buzzfeed-static/ static/ 2015-06/ 2/ 16/ enhanced/ webdr15/ original-10029-1433275813-4.jpg? downsize=715: *&output-format=auto&output-quality=auto, 2. August 2018. 2.3: Logo Duolingo (2017); https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ File: Duolingo_logo_with_owl. svg, 24. Mai 2017. 2.4: Neobehaviourismus in neuen Sprachlernmedien: Abwesenheit von Kontext, Authentizität und kommunikativer Relevanz; Duolingo App 2018. 2.5: Auszug aus dem Lehrplan für Deutsch für die Berufsintegrationsvorklasse; Institut für Schulqualität und Bildungsforschung in Bayern (ISB) (Hrsg.) (2016), Lehrplan für die Berufsschule und Berufsfachschule. Unterrichtsfach: Deutsch, 15. [Online unter https: / / www.isb.bayern.de/ download/ 18193/ lehrplan_d_bs_genehmigt_07.2016.pdf, 10. April 2017]. 2.6: Kopiervorlage für eine Aufmunterungskarte mit Formulierungshilfen; Roche, Jörg & Terrasi-Haufe, Elisabetta (Hrsg. und Co-Autoren mit Kathrin Gietl und Mirjana Šimić) (2016), DaZ - Schüler im Regelunterricht fördern Kl.1/ 2. Donauwörth: Auer/ APP Lehrerfachverlage, 45. 2.7: Gesundheitstipps-Puzzle; Roche, Jörg & Terrasi-Haufe, Elisabetta (Hrsg. und Co-Autoren mit Kathrin Gietl und Mirjana Šimić) (2016), DaZ - Schüler im Regelunterricht fördern Kl.1/ 2. Donauwörth: Auer/ APP Lehrerfachverlage, 54. 2.8: Im Szenario „Wo bleibt Mika? “ geförderte Kompetenzen; Roche, Jörg & Terrasi-Haufe, Elisabetta (Hrsg. und Co-Autoren mit Kathrin Gietl und Mirjana Šimić) (2016), DaZ - Schüler im Regelunterricht fördern Kl.1/ 2. Donauwörth: Auer/ APP Lehrerfachverlage, 31. 2.9: Auszug aus dem Unterrichtsverlauf im Szenario „Wo bleibt Mika“; nach Roche, Jörg & Terrasi-Haufe, Elisabetta (Hrsg. und Co-Autoren mit Kathrin Gietl und Mirjana Šimić) (2016), DaZ - Schüler im Regelunterricht fördern Kl.1/ 2. Donauwörth: Auer/ APP Lehrerfachverlage, 34-36 2.10: Lernsituation aus Berufsdeutsch Grundstufe Metall/ Fachstufe Metallbau; Dirschedl, Carlo (2012b), Berufsdeutsch: Handlungssituationen Grundstufe Metall/ Fachstufe Metallbau. Berlin: Cornelsen, 74. 3.1: DTZ Prüfung Übungstest 1 - Sprechen - Teil 3 - Gemeinsam etwas planen; telc (2015), Modelltest 1. Deutschtest für Zuwanderer. Frankfurt am Main: telc. [Online unter https: / / www.telc.net/ pruefungsteilnehmende/ sprachpruefungen/ pruefungen/ detail/ deutsch-test-fuer-zuwanderer-a2-b1.html#t=2, 24. August 2018]. 3.2: Lernaufgabe zur Förderung des Leseverstehens aus dem Lehrwerk Planet 3; Kopp, Gabriele; Büttner, Siegfried & Alberti, Josef (2010), Planet 3. Kursbuch B1. München: Hueber, 6. [Online unter https: / / www.hueber.de/ media/ 36/ 3-19-001680-1_Muster_1. pdf, 24. August 2018]. 3.3: Lernaufgaben zur Förderung integrierter Kompetenzen; Portraits aus mondecyclotour. [Online unter www.mondecyclotour.free.fr/ Special/ Portraits.html, 2008]. <?page no="363"?> 363 10. Abbildungsverzeichnis 3.4: Interkulturelles Lernen am Beispiel des Ersthelfer-Leitfadens für Ehrenamtliche; Roche, Jörg (Hrsg) (2017), Ersthelfer-Leitfaden für Ehrenamtliche. Tübingen: Narr, 139-141. 3.5: Beispiel 1 einer Aufgabe zur Textproduktion der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang; [Online unter https: / / www.uni-potsdam.de/ fileadmin01/ projects/ zessko/ Dateien_Studieneinstieg/ dsh_bsp_tp_aufg-1.pdf, 5. Dezember 2018]. 3.6: Beispiel 2 einer Aufgabe zur Textproduktion der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang; [ Online unter https: / / www.uni-trier.de/ fileadmin/ zentral/ spz/ DSH/ dshMUSTERtextproduktion.pdf, 5. Dezember 2018]. 3.7: Beispieltest onSET; [Online unter https: / / www.onset.de/ home/ beispieltest-onset-online-spracheinstufungstest/ ? no_cache=1&tx_sampletest_sampletest%5Baction%5D=show&tx_sampletest_sampletest%5Bcontroller%5D=CheckBrowser&cHash=6c0ec40f07b9a487179de22244151443, 5. Dezember 2018]. 3.8: Authentizität am Beispiel der Prüfung Deutsch-Test für Zuwanderer; telc (2013), Deutsch-Test für Zuwanderer Modelltest 1. Frankfurt am Main: telc. [Online unter https: / / www.telc.net/ pruefungsteilnehmende/ sprachpruefungen/ pruefungen/ detail/ deutsch-test-fuer-zuwanderer-a2-b1.html#t=2, 24. August 2018]. 5.1: Deutsche Wortfolge (Satzklammer) am Beispiel von Fußballspiel: Phase 1 der Erklärungen; Roche, Jörg; EL-Bouz, Katsiaryna & Leuchte, Oliver (2018), Deutsche Grammatik sportlich und animiert. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 23: 1, 37 [Online unter http: / / tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/ index.php/ zif/ article/ view/ 877, 2. August 2018]. 5.2: Deutsche Wortfolge (Satzklammer) am Beispiel von Fußballspiel: Phase 2 der Erklärungen; Roche, Jörg; EL-Bouz, Katsiaryna & Leuchte, Oliver (2018), Deutsche Grammatik sportlich und animiert. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 23: 1, 37 [Online unter http: / / tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/ index.php/ zif/ article/ view/ 877, 2. August 2018]. 5.3: Grundlagen einer systematischen Methodik; Eigene Abbildung. 5.4: Die Grammatik-Übersetzungs-Methode am Beispiel des Anfängerlehrwerks German One; German One. Chicago 1949: Houghton Mufflin, 9. 5.5: Beispiel eines deduktiven Verfahrens; Dreyer, Hilke & Schmitt, Richard (2012), Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik. Ismaning: Hueber, 278-279. 5.6: Kurzdarstellung zum Konjunktiv aus Mini-Grammatik; Roche, Jörg & Webber, Mark (1996), Mini-Grammatik: Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Klett., 20-22. 5.7: Beispiel für die Vermittlung des Perfekts aus Planet Kursbuch 1, einem Lehrbuch für Jugendliche; Kopp, Gabriele & Büttner, Siegfried (2004), Planet 1 Deutsch für Jugendliche. A1 Kursbuch. Ismaning: Hueber Verlag, 107. 5.8: Induktives Vorgehen bei der Vermittlung des Konjunktivs; Roche, Jörg & Webber, Mark Joel (1995), Für- und Wider-Sprüche. Ein integriertes Text-Buch für Colleges und Universitäten. (Kombiniertes Lehr- und Arbeitsbuch mit didaktischen und methodischen Kommentaren für Lehrer und Lerner, eine Kassette). New Haven, CT: Yale University Press, 358. 5.9: Eine Portion gemischte Sprache, please; Roche, Jörg & Webber, Mark Joel (1995), Für- und Wider-Sprüche. Ein integriertes Text-Buch für Colleges und Universitäten. (Kombiniertes Lehr- und Arbeitsbuch mit didaktischen und methodischen Kommentaren für Lehrer und Lerner, eine Kassette). New Haven, CT: Yale University Press, 172-175. <?page no="364"?> 364 10. Abbildungsverzeichnis 5.10: Eine Portion gemischte Sprache, please; Roche, Jörg & Webber, Mark Joel (1995), Für- und Wider-Sprüche. Ein integriertes Text-Buch für Colleges und Universitäten. (Kombiniertes Lehr- und Arbeitsbuch mit didaktischen und methodischen Kommentaren für Lehrer und Lerner, eine Kassette). New Haven: Yale University Press, 172-175. 5.11: Das didaktische Konzept eines Handlungsszenarios (Vollständige Handlung); Eigene Abbildung. 5.12: Operationalisierung des Prinzips der Vollständigen Handlung in 6 Phasen; Eigene Abbildung. 5.13: Differenzierungsmöglichkeiten nach Medialität und Textsorten in einem handlungsorientierten Unterricht; Eigene Abbildung. 5.14: Vokaldreieck des Deutschen; nach Hirschfeld, Ursula (2010), Phonetik/ Phonologie. In: Krumm, Hans-Jürgen; Fandrych, Christian; Hufeisen, Britta & Riemer, Claudia (Hrsg.), Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Bd. 1. Berlin, New York: De Gruyter, 192. 5.15: Lippenstellung bei Vokalen; Catford, John Cunnison (1988), A Practical Introduction to Phonetics. New York: Oxford University Press, 146. 5.16: Veranschaulichung der Zone der nächsten Entwicklung; Grotjahn, Rüdiger & Kleppin, Karin (2015), Prüfen, Testen, Evaluieren. München: Klett-Langenscheidt, 130. 6.1: Dauer des Schulbesuches nach ausgewählten Ländern; BAMF (2016a), Qualifikationsstruktur, Arbeitsmarktbeteiligung und Zukunftsorientierungen. Kurzanalysen des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. 2016: 1, 4 [Online unter: https: / / www.bamf.de/ SharedDocs/ Anlagen/ DE/ Publikationen/ Kurzanalysen/ kurzanalyse1_qualifikationsstruktur_asylberechtigte. pdf? __blob=publicationFile, 31. August 2017]. 6.2: Matrix der sprachlichen Heterogenität in Alphabetisierungskursen; BAMF (2015), Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs. Überarbeitete Neuauflage, 35 [Online unter: http: / / www.bamf.de/ SharedDocs/ Anlagen/ DE/ Downloads/ Infothek/ Integrationskurse/ Kurstraeger/ KonzepteLeitfaeden/ konz-f-bundesw-ik-mit-alphabet. pdf; jsessionid=EAC6C7546A9F8CBBEC383CAF4FCFA07C.2_cid359? __blob=publicationFile, 31. August 2017]. 6.3: Kann-Beschreibungen der Alpha-Levels 1 für die Fertigkeit Lesen aus dem LEA-Projekt; Grotlüschen, Anke; Dessinger, Yvonne; Heinemann, Alisha & Schepers, Claudia (2010), Lesen. Alpha-levels, 35 [Online unter: http: / / blogs.epb.uni-hamburg.de/ lea/ files/ 2009/ 09/ Kompetenzmodell-Schreiben.pdf, 31.08.2017]. 6.4: Visualisierung von Kompetenzbeschreibungen; Alphaportfolio (2018), Alphaportfolio. Münster: Germanistisches Institut Universität Münster. [Online unter www. uni-muenster.de/ Germanistik/ alphaportfolio, 1. August 2018]. 6.5: Struktur des Wochenplans; Alphaportfolio (2018), Alphaportfolio. Münster: Germanistisches Institut Universität Münster. [Online unter www.uni-muenster.de/ Germanistik/ alphaportfolio, 1. August 2018]. 6.6: Icons zur Unterstützung der Arbeitsanweisungen; Alphaportfolio (2018), Alphaportfolio. Münster: Germanistisches Institut Universität Münster. [Online unter www. uni-muenster.de/ Germanistik/ alphaportfolio, 1. August 2018]. 6.7: Lernhürden im Schriftspracherwerb; Eigene Abbildung. 6.8: 6+2 Ebenen-Modell; Sigel, Richard (2017b), Leitfaden zur Lernausgangs- und Lernprozessdiagnostik. In: Sigel, Richard & Inckemann, Elke (Hrsg.), Diagnose und Förderung von Kindern mit Zuwanderungshintergrund im Sprach- und Schriftspracherwerb. <?page no="365"?> 365 10. Abbildungsverzeichnis Theorien, Konzeptionen und Methoden in den Jahrgangsstufen 1 und 2 der Grundschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 227. 6.9: Die Bedeutung der mündlichen Sprachkompetenz für den Schriftspracherwerb; Eigene Abbildung. 6.10: Progression der mündlichen und schriftlichen Kompetenzen in der Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache ausgehend von den entwicklungspsychologischen Phasen des Schriftspracherwerbs; Frith, Uta (1985), Beneath the surface of development dyslexia. In: Patterson, Karalyn; Marshal, John & Cotheart, Max (Eds.), Surface Dyslexia. Neuropsychological and Cognitive Studies of Phonological Reading. London: LEA, 301-330. 6.11: Beispiel für eine Visualisierung der Wortschreibung; nach Pracht, Henrike (2010), Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch als Schemabildungsprozess. Münster: Waxmann; sowie Pracht, Henrike (2012), Schemabasierte Alphabetisierung im Deutschen. Ein Praxisbuch für Lehrkräfte. Münster: Waxmann. 6.12: Lernerschreibungen von Wörtern mit losem und mit festem Anschluss; Pracht, Henrike (2012), Schemabasierte Alphabetisierung im Deutschen. Ein Praxisbuch für Lehrkräfte. Münster: Waxmann, 59. 6.13: Schreibung von mehrsilbigen Wörtern; Pracht, Henrike (2012), Schemabasierte Alphabetisierung im Deutschen. Ein Praxisbuch für Lehrkräfte. Münster: Waxmann, 56. 7.1: Screenshot aus der Animation zum Thema Wechselpräpositionen; Scheller, Julia (2012), Digitale Grammatikvermittlung und interkulturelles Lernen. In Roche, Jörg (Hrsg.), Interkulturelles Lernen mit Medien. LIFE. 5. Ergänzungslieferung der LIFE-Materialien. München: BMW Group, 7. 7.2: VisualThesaurus; http: / / www.visualthesaurus.com, 1. August 2018. 7.3: Operationssaal in fachdeutsch medizin; www.deutsch-uni.de, 1. August 2018. 7.4: Das Co-evolution Model; adaptiert von Moskaliuk, Johannes; Kimmerle, Joachim & Cress, Ulrike (2012), Collaborative knowledge building with wikis: The impact of redundancy and polarity. Computers and Education 58: 4, 1049f. 7.5: Programm Nawmal; www.nawmal.com, 1, August 2018. 7.6: Aufgabenstellung aus dem Lehrwerk Berufsdeutsch - Grundstufe Metall; Jehle, Florian; Kovacevic, Nikola & Olbert, Stefan (2012), Berufsdeutsch: Grundstufe Metall/ Fachstufe Metallbau: Arbeitsheft (Handlungssituationen und Basisband). Berlin: Cornelsen Verlag, 51. 7.7: Beispiel für den Aufgabetyp Mehrfachauswahl mit Video-Datei aus Hotpotatoes; http: / / cornelia.siteware.ch/ blog/ wordpress/ 2009/ 09/ 26/ videos-in-hot-potatoes-ubungen, 1. August 2018. 7.8: Beispiel für ein Chat-Gespräch; Eigene Abbildung. 7.9: Screenshot aus dem Videokonferenztool Blackboard Collaborate auf der Lernplattform Fronter; www.fronter.de, 1. August 2018. 7.10: Korrektur E-Assistent aus Deutsch-Uni Online; www.deutsch-uni.de, 1. August 2018. 7.11: Videoaufnahmefunktion (links) und Audioaufnahmefunktion (rechts); http: / / www. itslearning.de, 1. August 2018. 7.12: Ansicht des Tools Creaza auf der Lernplattform Fronter; www.fronter.de, 1. August 2018. 7.13: Video-Tutorial der App book2; http: / / www.50languages.com/ tutorial/ DE/ index.htm, 1. August 2018. 7.14: App babbel; http: / / www.app-kostenlos.de/ wp-content/ uploads/ 2010/ 10/ Babbel_ italienisch_Screen.jpg, 1. August 2018. <?page no="366"?> 366 10. Abbildungsverzeichnis 7.15: Prüfungsvorbereitung A von Digital Publishing; www.digitalpublishing.de, 1. August 2018. 7.16: Übersicht der Übungen zum Thema Gäste einladen aus dem Programm Tell Me More; www.tellmemore-online.com/ de, 20. Juli 2006. 7.17: Einstiegsseite mit der „Landkarte“ aller Szenarien; BMW AG (2003), Grenzenlos CD-ROMs. München: BMW AG. 7.18: Screenshot aus dem Szenario zu Hause zum Thema mein Tag; BMW AG (2003), Grenzenlos CD-ROMs. München: BMW AG. 7.19: Die Themen in den Szenarien werden in einem ähnlichen Verfahren bearbeitet: Projektor, Kino und Vokabeltraining; BMW AG (2003), Grenzenlos CD-ROMs. München: BMW AG. 7.20: Digitales Rätsel; www.deutsch-uni.de, 1. August 2018. 7.21: Spiel Lernabenteuer Deutsch - Ein rätselhafter Auftrag; http: / / www.goethe.de/ lrn/ duw/ lad/ rha/ deindex.htm, 1. August 2018. 7.22: Beispiel für Feinlernziele aus „basis deutsch A2/ 1“ von der Deutsch-Uni Online; www.deutsch-uni.de, 1. August 2018. 7.23: Das Aussprachetraining IntelliSpeech als Beispiel für Tools auf der Ebene der Formulierung; www.digitalpublishing.de, 1. August 2018. 7.24: Überarbeiteter Kriterienkatalog zur Evaluierung von Sprachlernsoftware; nach Roche, Jörg (2008a), Handbuch Mediendidaktik. Fremdsprachen. Ismaning: Hueber, 69ff. 8.1: Kognitive Lernstile nach Kolb 1984; Todorova, Dessislava (2009), Einsatzmöglichkeiten der elektronischen Medien im interkulturellen DaF-Unterricht. Evaluation des Sprachlernprogramms www.unideutsch.de seitens bulgarischer und litauischer Studierender unter Berücksichtigung ihrer Lerndispositionen. Berlin: Lit, 50. 8.2: Ergebnisse der Selbsteinschätzung auf einer fünfstufigen Skala; Hakuta, Kenji, Bialystok, Ellen, & Wiley, Edward (2003). Critical evidence: A test of the critical-period hypothesis for second-language acquisition. Psychological Science 1, 36. 8.3: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Nutzung von Lernsoftware zum Wortschatzerwerb: Eingangs- und Ausgangswerte; Padlo, Barbara (2004), Geschlechtsspezifische Präferenzen und Differenzen im mediengestützten Wortschatzerwerb. Unveröffentlichte Magisterarbeit, LMU München, 48. 8.4: Liste der am häufigsten gelernten Wörter in einer Vergleichsstudie von 52 Jungen und Mädchen; Padlo, Barbara (2004), Geschlechtsspezifische Präferenzen und Differenzen im mediengestützten Wortschatzerwerb. Unveröffentlichte Magisterarbeit, LMU München, 55. 8.5: Herkunftseffekt bei der Empfehlungsvergabe; Maaz, Kai; Baeriswyl, Franz & Trautwein, Ulrich (2011), Herkunft zensiert. Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheiten in der Schule. Vodafone Stiftung Deutschland [Online unter https: / / www.vodafone-stiftung.de/ uploads/ tx_newsjson/ herkunft_zensiert_2012.pdf, 23. Oktober 2018], 9. <?page no="367"?> 11. Register Aaffektive Faktoren 303 Akzentzählender Rhythmus 177 Alphabetisierung 209 Alphabetisierungsmethoden 212 analytische konzeptuelle Kompensationsstrategien 317 Anbilden 180 Assimilation 183 asynchrone Kommunikation 268 audiolinguale Methode 20 audiovisuelle Methode 21 Augenscheinvalidität 110 Auslautverhärtung 183 Äußerungsakzent 176 Bback sliding 137 behaviouristisches Lernen 20 Bildungsstandards 98 Ccritical period hypothesis 306 Ddeduktive Methodik 159 destruktives Feedback 200 Diagnose 118 dichotomisch 135 direkte Korrektur 149 EEarly Literacy Programm 333 E-Assistent 273 eklektischer Methodenmix 169 emotionale Stabilität 303 Evaluation 64 externale Akkomodation 255 externale Assimilation 255 extrinsische Motivation 302 FFehlerdidaktik 141 Fehlerkorrektur 141 Fehlertypologie 135 Fehlervermeidungsstrategien 119 Flag-Raising 167 Fokusakzent 176 forschendes Lernen 254 Ggebrauchsbasiert 71 good language learner studies 318 Grammatik-Übersetzungsmethode 19 Graphem 185 Hhandlungsorientierter Sprachenunterricht 85 Handlungsorientierung in der Alphabetisierungsarbeit 218 hermeneutischer Fremdsprachenunterricht 52 holistische konzeptuelle Kompensationsstrategien 317 Hypothesen 136 Hypothesenrevision 146 IImmersion 167 indirekte Korrektur 149 induktive Methoden 165 Inhaltsvalidität 109 Input-Enhancement 167 Input-Flut 167 integrative Landeskunde 49 integrierte Kompetenzen 97 intention reading 72 interaktionistische dynamische Evaluation (interactionist dynamic assessment, IDE) 190 interkulturelle oder transkulturelle Landeskunde 49 interlingual 138 Intonationsphrase 176 intonatorisches Hören 183 intralingual 138 intrinsische Motivation 302 inzidentelles Lernen 31 isolierte Kompetenzen 97 Kkognitive Neugier 286 kognitives Lernen 160 Kognitivismus 26 kollaboratives Lernen 256 kommunikationsfördernde Strategien 316 Kommunikationsstrategien 313 Kompensationsstrategien 317 <?page no="368"?> 368 11. Register Kompetenzfehler 138 Konditionierung 21 konsequentielle Validität 110 konstruktives Feedback 200 Konstruktivismus 29 Konstruktvalidität 109 Konvention 144 konzeptionelle Mündlichkeit 269 konzeptionelle Schriftlichkeit 269 konzeptuelle Kompensationsstrategien 317 konzeptuelle Mehrsprachigkeit 325 kooperative Lernformen 99 kulturelles Kapital 330 Kulturstudien 49 LLautdiskriminierung 180 Lautiermethode 217 learning plateau 137 Leistungsbeurteilung 143 Lernaufgaben 96 Lernausgangsdiagnose 118 Lernausgangslage 118 Lernerautonomie 135 Lernergebnisdiagnose 118 Lernerperspektive 141 Lernerstrategien 313 Lernprozessdiagnose 118 Lernszenarien/ Lernszenario 87 Lingua Cultura 333 Linguakultur 38 linguistische Kompensationsstrategien 317 Mmediale Mündlichkeit 269 mediale Schriftlichkeit 269 Mediator 190 Mehrsprachigkeitsdidaktik 330 Metakognition 318 metakognitive Strategien 318 metakognitives Wissen 318 mistake 138 moderater Konstruktivismus 32 Monitor 290 Morphemmethode 217 Morpho-Syntax 152 Mündlichkeit 240 N Nativismus 23 Natural Approach 24 OObjektivität 107 Organon-Modell 57 Ppattern finding 72 Peer-Evaluation 119, 204 Performanzfehler 138 Phase der nächsten Entwicklung (zone of proximal development, ZPD) 190 Phonem-Graphem-Zuordnung 215 phonetisches Hören 183 phonologische Bewusstheit 241 Plurizentrik 326 Pragmalinguistik 147 primärer Analphabetismus 212 Prinzip der vollständigen Handlung 85 Produktion (sprachlich) 147 produktorientiertes Lernen 257 progress 137 Rradikaler Konstruktivismus 30 Relevanzprinzip 75 Relevanz-Theorie 75 Reliabilität 107 Rezeption 147 Rückwirkungseffekt 111 SSchwellenniveau 61 sekundärer Analphabetismus 212 Selbst-Evaluation 119 Selbstkompetenz 125 Selbstregulierung 317 sensorische Neugier 286 serious game 285 Silbenanalytischer Ansatz 217 silbenzählender Rhythmus 177 situationale Differenzierung 169 skeptische Hermeneutik 45 Somatismus 38 Sprachlernstrategien 313 sprachliche Handlungsfähigkeit 56 stochastische Unabhängigkeit 112 synchrone Kommunikation 268 Szenariendidaktik 86 <?page no="369"?> 369 11. Register TTabucharakter von Bildern 47 Testaufgaben 104 Tokenfrequenz 75 Transdifferenz-Ansatz 45 Transfer 136 Translingualität 326 Transparenz 112 Trennschärfe 111 Trochäische Betonungsmuster 244 Tübinger Modell 51 Typenfrequenz 75 UÜbungen 97 Universalgrammatik 23 VValidität 107 VERA-8 105 Vermeidungsstrategien 316 Vokaldreieck 179 WWeb-Quest 101 Wortakzent 175 ZZweitschriftlerner 213 <?page no="370"?> Der Fremd- und Zweitsprachenunterricht ist seit langem von einer eklektischen methodischen Vielfalt geprägt, deren theoretische Fundierung oft unklar oder gar zweifelhaft ist. Viele Verfahren sind vor allem durch wohlklingende Begriffe, Medieneuphorie und zyklische Scheininnovationen geprägt. In diesem Wirrwarr will der Band Orientierung bieten, die in theoretischen Konzepten verankert ist, dabei aber gleichzeitig auf eine reflektierte Unterrichtspraxis abzielt. Die Kapitel dieses Bandes behandeln alle einschlägigen Themen des Sprachenlehrens, der modernen Didaktik und Methodik. Zwei Kapitel beschäftigen sich zudem vertieft mit zentralen Themen der modernen Sprachdidaktik: der Erstellung von Lern- und Testaufgaben und der mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrektur. In Verbindung mit den anderen Bänden dieser Reihe bilden die Kapitel dieses Bandes eine vollständige Grundlage für die systematische Planung und Durchführung von Sprachenunterricht in allen denkbaren Formaten. 5 Kompendium DaF/ DaZ ISBN 978-3-8233-8212-6