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Kultur- und Literaturwissenschaften

1029
2018
978-3-8233-9217-0
978-3-8233-8217-1
Gunter Narr Verlag 
Jörg Roche
Elisabeth Venohr

Die Kulturwissenschaften weisen seit den 90er-Jahren starke interdisziplinäre Bezüge zwischen bis dahin disparaten und auch separierten Forschungsfeldern und -methoden auf. Die symbolische Dimension von Kultur und die Dynamik von Kulturen rücken seither in vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen immer mehr in den Vordergrund. Es geht daher auch im Fremdsprachenunterricht längst nicht mehr um faktenbasierte Landes- oder Kulturkunde, um die Deutungshoheit über vermeintliche Muster oder um die Gegenüberstellung von Eigenem und Fremdem. Vielmehr lassen sich moderne Kulturmodelle im Kontext kognitiver Wissenschaften erklären und bieten daher natürliche Schnittstellen zu den kognitiven Sprachwissenschaften und zu einer kognitiven Sprachendidaktik. Dieser Band diskutiert und illustriert die Grundlagen einer dermaßen neu gedachten Kultur- und Literaturwissenschaft und ihrer Anwendungspotentiale für Spracherwerb und Sprachunterricht.

<?page no="1"?> Kultur- und Literaturwissenschaften <?page no="2"?> Kompendium DaF / DaZ Herausgegeben von Jörg Roche (München) Band 7 <?page no="3"?> Jörg Roche / Elisabeth Venohr (Hg.) Kultur- und Literaturwissenschaften <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISSN 2512-8043 ISBN 978-3-8233-9217-1 <?page no="5"?> 5 Inhalt Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.1 Kultur, Sprache und Kognition (Jörg Roche, unter Mitarbeit von Elisabeth Venohr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien (Jörg Roche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.3 Interkulturelle Hermeneutik (Jörg Roche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2 Transkulturation und Transdifferenz (Jörg Roche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.1 Kulturtransfer und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.2 Transdifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen 77 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz (Ulrich Bauer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3.1 Critical Incidents I-- Kritische Interaktionssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.2 Critical Incidents II -- Begriffe und Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.3 Tabuthemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik (Gesine Lenore Schiewer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4.2 Interkulturelle Literatur II : Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik (Gesine Lenore Schiewer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik (Jörg Roche und Gesine Lenore Schiewer, mit Beiträgen von Hebatallah Fathy) . . . . . . . . . . 170 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5.1 Interkulturelle Literatur in der Lehr- und Lernpraxis (Hebatallah Fathy) . . . . 186 5.2 Geschichte und Kultur I (Daniel Reimann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5.3 Geschichte und Kultur II ( Daniel Reimann ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 6 Angewandte Interkulturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 .1 Kultureme und Kommunikation (Thomas Schmidtgall) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 .2 Interkulturelle Aspekte von Werbung (Elisabeth Venohr) . . . . . . . . . . . . . . . . 228 .3 Film als kulturelles Medium (Barbara von der Lühe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 <?page no="6"?> 6 Inhalt 7 Interkulturelles Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 7.1 Interkulturelle Landeskunde (Ulrich Zeuner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 7.2 (Inter-)Kulturelles Lernen im Tandem (Agnieszka Pawłowska-Balcerska) . . . 273 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen (Manuela Sato-Prinz) . . . . . . . . 285 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik . . . . . . . . . . . . . . 297 8.1 Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen (Elisabeth Venohr) . . . 298 8.2 Interkulturelle Bildung (Wassilios Baros) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (Elisabeth Venohr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 9 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 10 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 11 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 <?page no="7"?> Vorwort Trotz vieler neuerer Bemühungen um Kompetenz-, Aufgaben- und Handlungsorientierung kommen in der Praxis der Sprachvermittlung weiterhin verbreitet traditionelle Verfahren zur Anwendung, beispielsweise bei der Festlegung der Lehrprogression, den Niveaustufen, der Fehlerkorrektur und der Leistungsmessung. Mit der Weiterentwicklung der kognitiven Linguistik und weiterer kognitiv ausgerichteter Nachbardisziplinen beginnt sich nun aber auch in der Sprachvermittlung in vieler Hinsicht ein Paradigmenwechsel zu vollziehen. Die kognitionslinguistischen Grundlagen dieses Paradigmenwechsels werden in dieser Reihe systematisiert und anhand zahlreicher Materialien und weiterführender Aufgaben für den Transfer in die Praxis aufbereitet. Die Reihe Kompendium DaF / DaZ verfolgt das Ziel einer Vertiefung, Aktualisierung und Professionalisierung der Fremdsprachenlehrerausbildung. Der Fokus der Reihe liegt daher auf der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und Sprachlernforschung sowie auf deren Anwendung auf die Sprach- und Kulturvermittlungspraxis. Die weiteren Bände behandeln die Themen Sprachenlernen und Kognition, Kognitive Linguistik, Berufs- und Fachsprachen, Sprachenlehren, Medien, Kultur, Mehrsprachigkeitsforschung, Unterrichtsmanagement, Propädeutik. Durch die thematisch klar abgegrenzten Einzelbände bietet die Reihe ein umfangreiches, strukturiertes Angebot an Inhalten der aktuellen DaF- / DaZ-Ausbildung, die über die Reichweite eines Handbuchs weit hinausgehen und daher sowohl in der akademischen Lehre als auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen behandelt werden können. Die Reihe wird von (fakultativen) flexibel einsetzbaren Online-Modulen für eine moderne Aus- und Weiterbildung begleitet. Diese Online-Module ergänzen den Stoff der Bücher und enthalten Zusatzlektüre und Zusatzaufgaben (www.multilingua-akademie.de). Das Digitale Lexikon Fremdsprachendidaktik (www.lexikon-mla.de) bietet darüber hinaus Erklärungen der wichtigsten Fachbegriffe und damit einen leichten Zugang zu allen aktuellen Themen der Fremdsprachendidaktik und der Sprachlehr- und -lernforschung. Möglich gemacht wurde die Entwicklung der Inhalte und der Online-Module durch die Förderung des EU Tempus-Projektes Consortium for Modern Language Teacher Education. Neben den hier verzeichneten Autorinnen und Autoren haben eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der editorischen Fertigstellung des Manuskriptes dieses Buches mitgewirkt, vor allem: Katsiaryna EL -Bouz, Ruth Ho’aba, Telse Sundermann, Kathrin Heyng (Gunter Narr Verlag) und Corina Popp (Gunter Narr Verlag). Ihnen allen gebührt großer Dank für die geduldige und professionelle Mitarbeit. <?page no="9"?> 9 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Jörg Roche Der Bedarf an solider Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Sprachvermittlung nimmt ständig zu. Immer stärker treten dabei spezialisierte Anforderungen zum Beispiel in Bezug auf Fach- und Berufssprachen, Kompetenzen oder Zielgruppen in den Vordergrund. Theoretisch fundiert sollten die entsprechenden Angebote sein, aber gleichzeitig praxistauglich und praxiserprobt. Genau diese Ziele verfolgen die Buchreihe Kompendium DaF / DaZ und die begleitenden Online-Module. In mehreren Modulen und Bänden soll hiermit eine umfassende Einführung in die Wissenschaft und in die Kunst des Sprachenlernens und Sprachenlehrens gegeben werden, weit weg von fernen Theorie- oder Praxiskonstruktionen und Lehr-Dogmen. Im Mittelpunkt des hier verfolgten Ansatzes steht das, was in den Köpfen der Lerner geschieht oder geschehen sollte. Sachlich, nüchtern, effizient und nachhaltig. Buchreihe und Online-Module sind eine Einladung zur Professionalität eines Bereichs, der die natürlichste Sache der Welt behandelt: den Sprachenerwerb. In diesen Materialien und Kursen werden daher Forschungsergebnisse aus verschiedenen Forschungsrichtungen zusammengetragen und der Nutzen ihrer Synthese für die Optimierung des Sprachenerwerbs und Sprachunterrichts aufgezeigt. Warum Aus-, Weiter- und Fortbildung heute so wichtig ist Wer sich etwas eingehender darum bemüht zu verstehen, welche Rolle die Sprache im weiten Feld des Kontaktes von Kulturen spielt-- oder spielen könnte--, muss von den Gegensätzen, Widersprüchen und Pauschalisierungen, die die Diskussion in Gesellschaft, Politik und Fach bestimmen, vollkommen irritiert sein. Vielleicht lässt sich aus dieser Irritation auch erklären, warum dieser Bereich von so vielen resistenten Mythen, Dogmen und Praktiken dominiert wird, dass das eigentlich notwendige Bemühen um theoretisch fundierte Innovationen kaum zur Geltung kommt. Mangelndes Sprach- und Sprachenbewusstsein besonders in Öffentlichkeit und Politik führen ihrerseits zu einem ganzen Spektrum gegensätzlicher Positionen, die sich schließlich auch bis in die lehrpraktische Ebene massiv auswirken. Dieses Spektrum ist gekennzeichnet durch eine Verkennung der Bedeutung von Sprache im Umgang der Kulturen auf der einen und durch reduktionistische Rezepte für ihre Vermittlung auf der anderen Seite: Die Vorstellung etwa, die Wissenschaften, die Wirtschaft oder der Alltag kämen mit einer Universalsprache wie dem Englischen aus, verkennt die-- übrigens auch empirisch über jeden Zweifel erhabenen-- Realitäten genauso wie die Annahme, durch strukturbasierten Sprachunterricht ließen sich kulturpragmatische Kompetenzen (wie sie etwa für die Integration in eine fremde Gesellschaft nötig waren) einfach vermitteln. Als ineffizient haben sich inzwischen auch solche Verfahren erwiesen, die Mehrsprachigkeit als Sonderfall-- und nicht als Regelfall-- betrachten und daher Methoden empfehlen, die den Spracherwerb vom restlichen Wissen und Leben zu trennen versuchen, also abstrakt und formbasiert zu vermitteln. Der schulische Fremdsprachenunterricht und der Förderunterricht überall auf der Welt tendieren (trotz rühmlicher unterrichtspraktischer, didaktischer, struktureller, konzeptueller und bildungs- <?page no="10"?> 10 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ politischer Ausnahmen und Initiativen) nach wie vor stark zu einer solchen Absonderung: weder werden bisher die natürliche Mehrsprachigkeit des Menschen, die Sprachenökologie, Sprachenorganik und Sprachendynamik noch die Handlungs- und Aufgabenorientierung des Lernens systematisch im Fremdsprachenunterricht genutzt. Stattdessen wird Fremdsprachenunterricht in vielen Gesellschaften auf eine (internationale) Fremdsprache reduziert, zeitlich stark limitiert und nach unterschiedlich kompetenten Standards kanalisiert. Interkulturelle Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung In unserer zunehmend globalisierten Welt gehört die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen zu einem der wichtigsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgabenbereiche. Die Globalisierung findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: lokal innerhalb multikultureller oder multikulturell werdender Gesellschaften, regional in multinationalen Institutionen und international in transkontinentalen Verbunden, Weltorganisationen (unter anderem für Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Sport, Banken) und im Cyberspace. Dabei sind all diese Globalisierungsbestrebungen gleichzeitig Teil einer wachsenden Paradoxie. Der Notwendigkeit, die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme wegen der globalen Vernetzung der Ursachen auch global zu lösen, stehen andererseits geradezu reaktionäre Bestrebungen entgegen, der Gefahr des Verlustes der »kulturellen Identität« vorzubauen. Einerseits verlangt oder erzwingt also eine Reduktion wirklicher und relativer Entfernungen und ein Überschreiten von Grenzen ein Zusammenleben und Kommunizieren von Menschen verschiedener Herkunft in bisher nicht gekannter Intensität, andererseits stehen dem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft die gleichen Widerstände entgegen, die mit der Schaffung solcher Gesellschaften als überkommen geglaubt galten (Huntington 1997). Erzwungene, oft mit großer militärischer Anstrengung zusammengehaltene multikulturelle Gesellschaften haben ohne Druck keinen Bestand und neigen als Folge des Drucks vielmehr dazu, verschärfte kulturelle Spannungen zu generieren. Auch demokratisch geschaffene multikulturelle Gesellschaften benötigen meist viel Zeit und Energie, um sich aus der Phase der multi-kulturellen Duldung zu inter-kultureller Toleranz und interkulturellem Miteinander zu entwickeln. Die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und die ethnischen Auseinandersetzungen in Afrika und Asien zeigen, dass es zuweilen gewaltig unter der Oberfläche gesellschaftlicher Toleranz- und Internationalisierungspostulate rumort. Ethnozentrismus, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, Rechtspopulismus, Rassismus, Diskriminierung, Terrorismus, Bürgerkrieg, Massen- und Völkermord sind durch politisch und wirtschaftlich bewirkten Multikulturalismus nicht verschwunden. Das verbreitete Scheitern von Multikulturalismus-Modellen zeigt, dass ein verordnetes oder aufgezwungenes Nebeneinander von Kulturen ohne Mediationsbemühungen eher Spannungen verstärkt, als nachhaltig Toleranz zu bewirken. Es mangelt an effizienten Verfahren der Vermittlung (Mediation) zwischen Kulturen. Den Sprachen kommt in dem Prozess der Mediation deswegen eine besondere Rolle zu, weil er mit der Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anfängt und auch nur durch diese am Laufen gehalten wird. Die Sprache kann nicht alle Probleme lösen, aber sie hat eine Schlüsselposition beim Zustandekommen interkulturellen Austauschs, die weit <?page no="11"?> 11 Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ über die Beherrschung von Strukturen sprachlicher Systeme hinausgeht. Diese Funktion hat mehr mit Kulturvermittlung als mit strukturellen Eigenschaften sprachlicher Systeme zu tun und sie kann kaum durch eine einzige Lingua Franca erfüllt werden. Das Lernen und Lehren von Sprachen ist in Wirklichkeit eines der wichtigsten politischen Instrumente im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung. Sprachunterricht und Sprachenlernen werden aber von Lehrkräften und Lernern gleichermaßen oft noch als die Domäne des Grammatikerwerbs und nicht als Zugangsvermittler zu anderen Kulturen behandelt. Wenn kulturelle Aspekte im Fremdsprachenerwerb aber auf die Faktenvermittlung reduziert werden und ansonsten vor allem strukturelle Aspekte der Sprachen in den Vordergrund treten, bleiben wichtige Lern- und Kommunikationspotenziale ungenutzt. Dabei bleibt nicht nur der Bereich des landeskundlichen Wissens unterentwickelt, sondern es wird in erster Linie der Erwerb semantischer, pragmatischer und semiotischer Kompetenzen erheblich eingeschränkt, die für die interkulturelle Kommunikation essentiell sind. Wenn in der heutigen Zeit vordringlich interkulturelle Kompetenzen verlangt werden, dann müssen in Sprachunterricht und Spracherwerb im weiteren Sinne also bevorzugt kulturelle Aspekte der Sprachen und Kommunikation berücksichtigt werden. Dazu bedarf es aber einer größeren Bewusstheit für die kulturelle Bedingtheit von Sprachen und die sprachliche Bedingtheit von Kulturen. Diese müssen sich schließlich in kultursensitiven Lern- und Lehrverfahren manifestieren, die Mehrsprachigkeit nicht nur künstlich rekonstruieren und archivieren wollen, sondern die in Fülle vorhandenen natürlichen Ressourcen der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität organisch, dynamisch und effizient zu nutzen wissen. Das Augenmerk der künftigen Lern- und Lehrforschung ist daher verstärkt auf Aspekte der Ökologie und Ökonomie des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements zu richten. Das bedeutet aber, dass die Spracherwerbs- und die Mehrsprachigkeitsforschung sich nicht nur eklektisch wie bisher, sondern systematisch an kognitiven und kultursensitiven Aspekten des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements ausrichten müssen. Diesen Aufgabenbereich zu skizzieren, indem wichtige, dafür geleistete Vorarbeiten vorgestellt werden, ist Ziel dieser Reihe. Interkultureller Fremdsprachenunterricht Als die Forschung begann, sich mit interkulturellen Aspekten in Spracherwerb und Sprachunterricht zu beschäftigen, geschah dies auf der Grundlage bildungspolitischer Zielsetzungen und hermeneutischer Überlegungen. Literarische Gattungen sollten den kommunikativen Trend zur Alltagssprache ausgleichen helfen und damit gleichzeitig frische, auf rezeptionsästhetischen Theorien basierende Impulse für das Fremdverstehen und die Fremdsprachendidaktik liefern (vergleiche Hunfeld 1997; Wierlacher 1987; Krusche & Krechel 1984; Weinrich 1971). Die anfängliche Affinität zu lyrischen Texten weitete sich auf andere Gattungen aus und verjüngte mit dieser Wiederentdeckung der Literatur im Fremdsprachenunterricht gleichzeitig das in den 1980er Jahren bereits zum Establishment gerinnende kommunikative Didaktikparadigma. Man vergleiche die Forderung nach einem expliziten interkulturellen Ansatz von Wylie, Bégué & Bégué (1970) und die bereits frühe Formulierung der konfrontativen Semantik durch Müller-Jacquier (1981). Für die auf Zyklen sozialisierte Zunft der Sprachlehre <?page no="12"?> 12 stand fest: das ist eine neue, die vierte Generation der Fremdsprachendidaktik, die interkulturelle, oder zumindest die Version 3.5, die kommunikativ-interkulturelle. Allerdings hat diese Euphorie nicht überall zu einer intensiveren, systematischen Reflexion interkultureller Aspekte in Bezug auf ein besseres Verstehen des Sprachenlernens und eine effizientere Ausrichtung des Sprachenlehrens geführt. Selbst in der Lehrwerksproduktion, deren Halbwertzeitzyklen seitdem immer kürzer werden, ist die Anfangseuphorie vergleichsweise schnell verflogen. Infolge des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen ( GER )-- und bereits seines Vorgängers, des Schwellen-Projektes (threshold level project) des Europarates-- scheinen sich aufgrund der (oft falsch verstandenen) Standardisierungen die starken Vereinheitlichungstendenzen zu einer Didaktik der Generation 3 oder gar 2.5 zurück zu verdichten. Die Aufnahme der Fremdperspektive in Lehrwerken beschränkte und beschränkt sich oft auf oberflächlich vergleichende Beschreibungen fremder kultureller Artefakte, und die Behandlung der Landeskunde unterliegt nach wie vor dem Stigma der vermeintlich mangelnden Unterrichtszeit. Ein kleiner historischer Rückblick auf die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts Der Fremdsprachenunterricht ist traditionellerweise vor allem von den bildungspolitischen, pädagogischen, psychologischen und soziologischen Vorstellungen der entsprechenden Epoche und ihren gesellschaftlichen Trends beeinflusst worden. Diese Aspekte überschreiben im Endeffekt auch alle sporadischen Versuche, den Fremdsprachenunterricht an sprachwissenschaftlichen oder erwerbslinguistischen Erkenntnissen auszurichten. So verdankt die Grammatik-Übersetzungsmethode ihre Langlebigkeit den verbreiteten, aber empirisch nicht begründeten Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Lerners, der Autorität des Inputs und der Bedeutung elitärer Bildungsziele. Mit den audiolingualen und audiovisuellen Methoden setzt eine Ent-Elitarisierung und Veralltäglichung des Sprachenlernens ein. Die vorwiegend mit Alltagssprache operierenden Methoden sind direkte, wenn auch reduzierte Abbildungen behavioristischer Lernmodelle und militärischer Bedürfnisse ihrer Zeit. Der kommunikative Ansatz schließlich ist von den Demokratisierungsbestrebungen der Gesellschaften bestimmt. Sein wichtigstes Lernziel, die kommunikative Kompetenz, ist dem soziologischen Ansatz der Frankfurter Schule entlehnt (Habermas 1981). Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen stellt zwar keinen neuen didaktischen Ansatz dar, bildet aber über seine Ausrichtung auf den pragmatischen und utilitaristischen Bedarf eines zusammenwachsenden und mobilen europäischen Arbeitsmarktes den Zeitgeist des politisch und wirtschaftlich gewollten Einigungsprozesses in Europa ab und wirkt daher paradigmenbildend und auf den Unterricht stärker standardsetzend als alle didaktischen Ansätze zuvor. Er weist deutliche Parallelen zu den Proficiency-Guidelines des American Council of Teachers of Foreign Languages ( ACTFL ) auf, die ihrerseits-- wie bereits die audiolinguale Methode-- stark von den Bedürfnissen der Sprachschulen des US -Militärs beeinflusst wurden. Eine erwerbslinguistische oder stringente sprachwissenschaftliche Basis weist er nicht auf. Typisch für die zeitlichen Strömungen sind konsequenterweise auch all die Methoden, die in der Beliebigkeit Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ <?page no="13"?> 13 des Mainstreams keine oder nur geringe Berücksichtigung finden können. Diese alternativen Methoden oder Randmethoden wie die Suggestopädie, Total Physical Response, Silent Way oder Community (Language Learning) Approach reflektieren die Suche des Sprachunterrichts nach zeitgemäßen Verfahren, die vor allem die vernachlässigte Innerlichkeit der Gesellschaft ansprechen oder die Kritik an ihrem Fortschrittsglauben ausdrücken sollen. Die gefühlte Wahrheit der Methoden bei gleichzeitigem Mangel an wissenschaftlich-kritischer Überprüfung der Annahmen ergibt ein inkohärentes Bild der Fremdsprachendidaktik und -methodik, das zwangsläufig zu vielen Widersprüchen, Rückschritten und Frustrationen führen muss. Die rasante Abkehr von der Sprachlerntechnologie der 0er und 70er Jahre, das Austrocknen der alternativen Methoden, die Rückentwicklung der kommunikativen Didaktik oder die neo-behavioristischen Erscheinungen der kommerziellen Sprachsoftware gehören zu den Symptomen dieses Dilemmas. Die anhaltende unreflektierte Verbreitung eklektischer Übungsformen der Grammatik-Übersetzungsmethode oder des Pattern Drills in Unterricht und Lehrmaterial illustriert, wie wenig nachhaltig offenbar die Bemühungen um eine theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte kommunikative Didaktik waren. Mit dem Auftauchen der interkulturellen Sprachdidaktik und der »vierten Generation von Lehrwerken« (Neuner & Hunfeld 1993) schien sich eine Veränderung gegenüber den Referenzdisziplinen anzubahnen. Zunehmende Migration und Globalisierungstendenzen machten eine entsprechende Öffnung nötig. Aber auch diese anfänglichen Bestrebungen haben sich in der Breite des Lehrmaterials und des Sprachunterrichts genauso wenig durchgesetzt wie wissenschaftlich fundierte Modelle von Grammatik und Sprache. Stattdessen beschäftigt sich die Unterrichtsmethodik geradezu aktionistisch mit temporären Neuerungen (wie den neuen Medien, dem Referenzrahmen, der farbigen Darstellung grammatischer Phänomene) oder Wiedererfindungen bekannter Aspekte (wie dem Inhaltsbezug oder der Diskussion der Bedeutung mündlicher Texte), ohne sich ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Didaktik zu beschäftigen. Ein kurzer Rückblick auf die Vorschläge von Comenius zum inhaltsbezogenen Lernen aus dem 17. Jahrhundert etwa oder der Sprachreformer früherer Jahrhunderte sowie die Modelle aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts würde der neueren Diskussion des Content and Language Integrated Learning ( CLIL ) eine erhellende Perspektive bieten. Comenius hält unter Bezug auf einen christlichen Gelehrten bereits 123 fest: Die Kenntnis einer Sprache mache noch keinen Weisen, sie diene lediglich dazu, uns mit den anderen Bewohnern der Erdoberfläche, lebenden und toten, zu verständigen; und darum sei auch derjenige, welcher viele Sprachen spreche, noch kein Gelehrter, wenn er nicht zugleich auch andere nützliche Dinge erlernt habe. (Comenius 1970: 29) Dabei verbindet Comenius bereits die Prozesse des Spracherwerbs und der allgemeinen Maturation (der Vision und des Intellekts des Kindes) und nimmt damit Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung sowie die in der Spracherwerbsforschung etablierten, kognitive Entwicklungsphasen repräsentierenden Konzepte der Erwerbssequenzen vorweg. Darüber hinaus produzierte er bereits ein Lehrbuch (Orbis sensualium pictus), in dem er systematisch die Verwendung visueller Materialien beim Sprachenlernen und -lehren bedachte (Comenius 1981). Auch die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der industriellen und sozialen Umwäl- Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ <?page no="14"?> 14 zungen entstandene, bildungspolitisch und methodisch motivierte Reformbewegung des Fremdsprachenunterrichts bildet zwar eine didaktische Brücke zwischen den Arbeiten von Comenius und den Elementen des inhaltsbezogenen und handlungsorientierten Lernens moderner didaktischer Ansätze, verfolgt jedoch keine wissenschaftlichen Ziele. Ihr geht es vielmehr darum: Fremdsprachen jedem zugänglich zu machen, anstatt sie einer exklusiven Elite vorzubehalten, den Fremdsprachenunterricht weit über den Unterricht klassischer Literatur hinaus zu erweitern, indem Inhalte des Alltags- und Berufslebens sowie schulischer Fächer in den Fremdsprachenunterricht aufgenommen werden sollten, zum Beispiel in verschiedenen Verfahren des immersiven Lernens. Mitbegründer oder Anhänger dieser Bewegung wie Jesperson (1922), Passy (1899), Sweet (1899), Gouin (1892), Berlitz (1887), Viëtor (1882) prägten die Reformbewegung mit unterschiedlichen auf die Praxis ausgerichteten Ideen, Modellen und Unterrichtsverfahren. In seiner einflussreichen Einführung benennt Stern (1983) diese Phase wie folgt: The last decades of the nineteenth century witnessed a determined effort in many countries of the Western world (a) to bring modern foreign languages into the school and university curriculum on their own terms, (b) to emancipate modern languages more and more from the comparison with the classics, and (c) to reform the methods of language teaching in a decisive way. (Stern 1983: 98) Verschiedene Methoden sind in den 20er Jahren (bis in die 40er Jahre) des 20. Jahrhunderts als »praktische Antworten« auf die vorangehende Diskussion entwickelt worden: darunter die vermittelnde Methode (England), die Lesemethode (England) und BASIC English (British/ American / Scientific / International / Commercial), ein Versuch, das Sprachenlernen zu vereinfachen und zu rationalisieren. Mit diesen Methoden beginnen die ersten Ansätze, das Unterrichtsgeschehen, die sprachliche Basis, das Testen von Fertigkeiten und das Lern- und Lehrverhalten mittels verschiedener Pilotstudien systematisch zu untersuchen (unter anderem die Modern Foreign Language Study der American and Canadian Committees on Modern Languages 1924-1928, siehe Bagster-Collins, Werner & Woody 1930). Dieser Trend wurde in den 40er und 50er Jahren mit der Profilierung der Linguistik noch intensiviert. Hierzu gehören Schlüsselereignisse wie die Veröffentlichung von Psycholinguistics: A Survey of Theory and Research Problems, herausgegeben von Osgood, Sebeok, Gardner, Carroll, Newmark, Ervin, Saporta, Greenberg, Walker, Jenkins, Wilson & Lounsbury (1954), Verbal Behavior von Skinner (1957) und Lados erste systematische Erfassung der kontrastiven Linguistik Linguistics across Cultures: Applied Linguistics for Language Teachers (1957). The American Army Method, deren Errungenschaften später heiß umstritten waren, versuchte nachzuweisen, dass Sprachunterricht auch ohne die traditionellen schulartigen Methoden und mit wesentlich größeren Gruppen und in kürzerer Zeit effizient durchgeführt werden kann. Als Folge der behavioristischen Ideologie wurden besonders in den USA die audiolingualen und in Frankreich die audiovisuellen Lehrverfahren entwickelt, die lange Zeit den Sprachunterricht dominierten und unter anderem auch dem Vormarsch der Sprachlabortechnologie Vorschub leisteten und-- trotz gegenteiliger empirischer Evidenz-- bis heute dem konditionierenden Einsatz elektronischer Medien zugrunde liegen (zum Beispiel in Programmen wie Rosetta Stone oder Tell me more). Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ <?page no="15"?> 15 Die stetige Zunahme von linguistischen Studien und die Begründung der Psycholinguistik als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet leisteten später einen wesentlichen Beitrag zur Identifizierung der aus den Methoden der behavioristischen Verhaltensformung entstehenden Probleme des Spracherwerbs (zum Beispiel Rivers einflussreiches Buch The Psychologist and the Foreign Language Teacher 194). Als Folge der zunehmenden Kritik an den intuitiven Methoden gewann schließlich das kognitive Lernen-- bis heute weitgehend als das regelgeleitete, systematische Lernen missverstanden-- in der Diskussion um angemessene Ansätze an Gewicht. Chomskys nativistische Theorie auf der einen Seite und soziolinguistische und pragmalinguistische Strömungen auf der anderen haben im Anschluss daran vor allem die Erwerbsforschung und die Entwicklung neuer methodischer Verfahren geprägt. Chomskys Ausgangshypothese zufolge haben Kinder eine angeborene Fähigkeit der Sprachbildung (in der Muttersprache, L1). Wenn Kinder zum ersten Mal die Sprache hören, setzten allgemeine Prinzipien der Spracherkennung und Sprachproduktion ein, die zusammen das ergäben, was Chomsky den Language Acquisition Device ( LAD ) nennt. Der LAD steuere die Wahrnehmung der gehörten Sprache und stelle sicher, dass das Kind die entsprechenden Regeln ableite, die die Grammatik der gehörten Sprache bildeten. Dabei bestimmten Verallgemeinerungen, wie die Sätze in der entsprechenden Sprache zu bilden seien. Im Zweitsprachenerwerb werde die Reichweite des LAD einfach auf die neue Sprache ausgedehnt. Nativistische Theorien des Spracherwerbs haben jedoch wenig Einfluss auf die Entwicklung von Erwerbs- und Unterrichtskonzepten für Fremdsprachen gehabt. Den stärksten Einfluss haben sie in der Erforschung und Formulierung von Erwerbssequenzen ausgeübt. In deutlichem Kontrast dazu haben sich seit den 1970er Jahren parallel verschiedene Forschungsrichtungen ausgebildet, die sich an die Valenzgrammatik, die Pragmalinguistik (Sprechakttheorie, Diskursanalyse), die funktionale Linguistik, die Textlinguistik und die Psycholinguistik und andere Kognitionswissenschaften anlehnen. Mit wenigen Ausnahmen ist es aber auch dieser Forschung nicht gelungen, nachhaltig auf die Lehr- und Lernpraxis einzuwirken. Unter den Versuchen einer systematischen Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Entwicklung von Lehrmaterial und Lehrverfahren sind die folgenden zu nennen: ▶ ein kurzlebiger Versuch, die Valenzgrammatik als Grundlage einer didaktischen Grammatik einzuführen (zum Beispiel das DaF-Lehrwerk Deutsch Aktiv) ▶ die eklektische Nutzung von Elementen der pragmatischen Erwerbsforschung in der Lehrwerksproduktion (siehe die DaF-Lehrwerke Tangram, Schritte international) ▶ die Berücksichtigung von Aspekten der Interkomprehensionsdidaktik in Lehransätzen (EuroCom) ▶ die Gestaltung des Sprachunterrichts nach handlungstheoretischen und konstruktivistischen Prinzipien (Szenariendidaktik, fallbasiertes Lernen, Fachsprachenunterricht). Fremdsprachenunterricht wird verbreitet noch als Domäne des Einzelerwerbs betrachtet. Die systematische Nutzung von Kenntnissen der Vorsprachen beim Erwerb weiterer Sprachen wird bisher nur ansatzweise bedacht und bearbeitet. In Begriffen wie Mehrsprachigkeitsdidaktik, Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ <?page no="16"?> 16 einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will. Zur kognitiven Ausrichtung Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert-- und darum geht es in dieser Buchreihe-- sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale wahrend der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt. Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung. Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF / DaZ <?page no="17"?> 17 Zur kognitiven Ausrichtung 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle Die Kulturwissenschaften (cultural studies) mit ihren zahlreichen turns, darunter dem iconic turn (Hinwendung zu den Bildwissenschaften) und dem spatial turn (Entstehung der Kulturgeographie) weisen seit den 1990er Jahren starke interdisziplinäre Bezüge auf, von bis dahin disparaten und auch separierten Forschungsfeldern und -methoden. Die symbolische Dimension von Kultur und die Dynamik und Prozesshaftigkeit von Kulturen rücken seither in vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen immer mehr in den Vordergrund. Es geht daher auch im Sprachunterricht nicht mehr um faktenbasierte Landes- oder Kulturkunde. Es geht auch nicht um die Identifikation von vorentwickelten Deutungen und Mustern, von denen sowieso kaum eine Lehrkraft weiß, wie sie sie-- bei so viel „wichtigerem“ Stoff-- noch in den Unterricht einbringen sollte. Vielmehr enthalten sozialkonstruktivistische Kulturmodelle viel Potenzial für eine sinnvoll integrierbare und integrierte Behandlung von Sprachen und Kulturen im Unterricht. Entscheidendes Element darin ist die aktive Berücksichtigung des Betrachters (also auch der Schülerin und des Schülers) bei der Konstruktion von Bedeutung. Bedeutung (und auch Deutung) sind nicht vorgegeben, sie entstehen in den Köpfen der Betrachterinnen und Betrachter. Mit deren Wissensstand ändert sich demnach auch das Bedeutungsspektrum. Aus diesem Grunde kann man sagen, dass auch Kulturwissenschaften kognitive Wissenschaften sind und sich von daher ganz natürliche Beziehungen zu den kognitiven Sprachwissenschaften, und in der Folge auch zu einer kognitiven Sprachendidaktik ergeben. Die wichtigsten Aspekte einer dermaßen neu gedachten sprachendidaktischen Kulturwissenschaft, für die die Begrifflichkeiten der traditionellen Landeskunde gar nicht ausreichen, sollen in diesem Band präsentiert werden. Dabei geht es um die Skizzierung der wichtigsten theoretischen Grundlagen, vor allem aber auch um die Darstellung der wichtigsten Elemente einer angewandten kognitiven Kulturwissenschaft für die Sprach- und Kulturvermittlung. In der Lerneinheit 1.1 werden grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Kultur in sprachphilosophischer und linguistischer Perspektive angestellt, während die folgenden Lerneinheiten die herkömmlichen Landeskundeansätze kritisch im Sinne einer lingual kulturellen Lesart von Kultur als einer semiotischen Konstellation von (Hyper-)Texten betrachten. Die Lerneinheit 1.2 widmet sich der Frage nach der Überwindung von der stereotypen und zumeist deterministischen Darstellung von Kulturen und der erforderlichen Vielfalt an Perspektiven in der Fremdsprachenvermittlung und liefert eine kritische Bestandsaufnahme von gängigen Ansätzen der Landeskunde- und Kulturvermittlung. Auch Lerneinheit 1.3 setzt sich kritisch mit dieser Thematik auseinander und arbeitet die problematischen Aspekte explizit interkultureller Verfahren, inklusive der oft zitierten und kopierten interkulturellen Hermeneutik, heraus. Sie zeigt darüber hinaus am Paradigma der interkulturellen Sprachdidaktik, wie das interkulturell hermeneutische Modell beim Verstehen und Unterrichten fremder Kulturen nutzbar gemacht werden kann. <?page no="18"?> 18 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle 1.1 Kultur, Sprache und Kognition Jörg Roche, unter Mitarbeit von Elisabeth Venohr In den modernen Fremdsprachendidaktiken, und das gilt gleichermaßen auch für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im In- und Ausland, stellt die Vermittlung von sprachlichem Handlungswissen eines der zentralen Lernziele dar. Diese Handlungsorientierung geht einher mit dem Erwerb von sprachgebundenen Mitteln, die zur Erschließung und Strukturierung von Welt benötigt werden. Bei diesen hier diskutierten Ansätzen spielt das jeweilige zugrunde gelegte Kulturverständnis eine entscheidende Rolle, da die kulturgeprägte Wahrnehmung und somit die Kognition nicht unabhängig von Sprache erfolgt, sondern durch diese perspektiviert wird. Die Diskussion über den Kulturbegriff im Fach Deutsch als Fremdsprache stellt nicht immer oder in einem noch nicht ausreichenden Maße die Sprachgebundenheit von Kultur in den Vordergrund. Diese ist jedoch der Ausgangpunkt für das Verständnis von Sprache und den daraus abzuleitenden Prinzipien einer bedeutungsorientierten Sprach- und Kulturvermittlung. Daher werden Sie in dieser Lerneinheit zunächst mit einigen sprachphilosophischen und linguistischen Denkansätzen und deren Weiterentwicklungen bekannt gemacht, um daraus Konsequenzen für die integrierte Sprach- und Kulturvermittlung in Ihrem eigenen handlungs- und bedeutungsorientierten Landeskundeunterricht ziehen zu können. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ zwischen sprachphilosophischen und linguistischen Ansätzen unterscheiden können; ▶ Kulturbegriffe den entsprechenden Kulturtheorien zuordnen können; ▶ kritisch Stellung zu rein deterministischen Ansätzen nehmen können; ▶ die Wahrnehmung und Konzeptualisierung durch Sprache begreifen; ▶ Sprache als konstitutives Element von Kultur in die Landeskundevermittlung integrieren; ▶ Kultur in Texten erkennen, aber auch Kultur selbst als Text verstehen können; ▶ aus der theoretischen Diskussion erste didaktische Schlüsse für Ihren eigenen sprachbezogenen Landeskundeunterricht ziehen können. 1.1.1 Das Konzept Weltsicht von Humboldt und seine Vorläufer Das Verhältnis von Kultur und Sprache ist bekanntlich Gegenstand langer sprachphilosophischer Überlegungen, vor allem wenn es um die Frage geht, wie sich ein Text von einer älteren Zeitperiode in eine jüngere oder von einer Sprache in eine andere adäquat übersetzen lässt. Die Übersetzungen der mehrsprachigen Urfassungen der Bibel, deren Altes und Neues <?page no="19"?> 19 1.1 Kultur, Sprache und Kognition Testament in unterschiedlichen Varietäten des Aramäischen, Hebräischen und Griechischen abgefasst wurden, gelten dabei als Katalysator von theologischen, philosophischen und linguistisch-translatorischen Fragen. Bereits im Sendbrief vom Dolmetschen (1530), in dem er die wichtigsten Bedeutungsunterschiede zwischen verschiedenen Nationalsprachen beschreibt, hält Martin Luther, Reformator und Übersetzer der Bibel ins Deutsche fest: „ittliche sprag hatt ihren eigen art“ (‚Jede Sprache hat ihre Eigenart‘). Diese sprachphilosophische Erkenntnis wird von Vertretern unterschiedlicher Denkrichtungen aufgegriffen. Bereits Bacon (1214-1294) schreibt „Verba autem plerunque ex captu vulgi indunter, atque per lineas vulgari intellectui maxime conspicuas res secant“ (‚Die Wörter aber werden größtenteils nach den Auffassungen des Volkes gebildet, und sie schneiden die Dinge entlang solcher Linien ein, die dem volkstümlichen Verstand am meisten einleuchten‘; Trabant 2008: 90). In seinem Essay Concerning Human Understanding hält auch John Locke, englischer Philosoph und Vordenker der Aufklärung, (1975 [190]) fest, dass sich die Wörter zwischen den Intellekt und die wirklichen Dinge stellen, dass sie sich nicht auf Objekte beziehen, sondern auf die Vorstellungen im Geist. Sie werden somit zu Denkmitteln. Veranschaulichen konnte er das anhand fehlender fremdsprachiger Entsprechungen (Lakunen) von Konnotationen verschiedener Begriffe. Hier manifestiert sich die kognitive Dimension von Sprache als Instrument, die Welt zu strukturieren und zu denken, und kulturbedingt zu handeln. Lockes Ansatz ist damit dem des italienischen Philosophen Giovanni Battista Vico (1725) verwandt, der ein universales Etymologicum plante, mit dessen Hilfe Wissenschaftler verstehen lernen sollten, wie andere Völker die gleichen Menschen, Dinge und Vorgänge unter diversi aspetti verschieden benennen. Lockes Ideen wurden unter anderem auch von de Condillac (174) aufgenommen und weiterentwickelt. Mit dem Begriff der Weltansicht, der später auch in den Varianten ‚Weltanschauung‘, ‚Weltauffassung‘, ‚innere Sprachansicht‘, ‚geistige Ansicht‘, ‚Charakter der Sprache‘ erscheint, schafft Wilhelm von Humboldt ein folgenreiches Konzept, das die Perspektivik der kulturgeprägten Wahrnehmung und des Gebrauchs von Sprache abbildet. Das Wort komme demzufolge von der Wahrnehmung und sei keine Kopie des Objektes selbst. Da aber jede objektive Wahrnehmung immer mit Subjektivität vermischt sei, müsse jede menschliche Individualität, selbst unabhängig von der Sprache, ihre eigene Weltsicht haben. Durch die Sprache werde diese jedoch verstärkt (siehe Aarsleff 1982: 34f). In den Fragmenten der Monographie über die Basken (1801 / 1802) hält Humboldt fest: Mehrere Sprachen sind nicht ebensoviele Bezeichnungen einer Sache; es sind verschiedene Ansichten derselben.-[…] Durch die Mannigfaltigkeit der Sprachen wächst unmittelbar für uns der Reichtum der Welt und die Mannigfaltigkeit dessen, was wir in ihr erkennen; es erweitert sich zugleich dadurch für uns der Umfang des Menschendaseyns, und neue Arten zu denken und empfinden stehen in bestimmten und wirklichen Charakteren vor uns da. (von Humboldt 1981 [1801 / 1802]: VII , 2: 02)) Von Humboldt geht von der Koexistenz von abgegrenzten Weltsichten aus. Die einzige Möglichkeit, einen geschlossenen Kulturkreis zu verlassen, bestehe im Erlernen von Fremdsprachen. Dadurch werde ein Überwechseln in einen neuen Kreis ermöglicht, mit dem die Sprache verbunden sei. Das Verlassen eines Kreises erfordere demnach eine Entscheidung für <?page no="20"?> 20 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle eine Kultur. Die gleichzeitige Zugehörigkeit zu verschiedenen Weltsichten, eine third-culture perspective (Bennett 1993: 23), ein third space (Bhabha 1994), ein third place (Kramsch 199: 233-257) oder ein dynamisches Konzept von Mehrkulturalität und Mehrsprachigkeit der Menschen sind darin nicht angelegt. Durch denselben Act, vermöge welches der Mensch die Sprache aus sich heraus spinnt, spinnt er sich in dieselbe ein, und jede Sprache zieht um die Nation, welcher sie angehört, einen Kreis, aus dem es nur insofern hinauszugehen möglich ist, als man zugleich in den Kreis einer anderen Sprache hinübertritt. Die Erlernung einer fremden Sprache, auf die richtige Art benutzt, ist daher die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht, da jede das ganze Gewebe der Begriffe und der Vorstellungsweise eines Theils der Menschheit enthält. (von Humboldt 1981 [1801 / 1802]: XIII : 2) Auf die unterschiedlichen Konzepte von Mehrsprachigkeit und Identität wird noch ausführlicher in der Lerneinheit 1.2 eingegangen. 1.1.2 Linguistischer Determinismus Sprache ist jedoch nicht als die direkte Abbildung der Weltsicht zu verstehen, sondern kann diese Weltsicht- - wie bereits von Humboldt vermerkt- - nur mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darstellen (Trabant 2010). Dies illustrieren unter anderem Studien zu den symbolischen Farb- und Familienbezeichnungen in verschiedenen Sprachen, die meist metaphorisch aufgrund kulturspezifischer Wahrnehmungen, Profilierungen etc. gebildet werden (vergleiche Deutscher 2011). Wenn wir von Farbkognition sprechen, dann ergeben sich daraus folgende Fragen (Härtl 2013): Ziehen unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Farbgrenzen? Welche Farbeinteilungen sind universal? Hängt die Farbwahrnehmung von der einzelsprachlichen Einteilung ab? Hier finden Sie ein Beispiel für ein sprachenspezifisches Farbspektrum in kontrastiver Perspektive. <?page no="21"?> 21 1.1 Kultur, Sprache und Kognition Abbildung 1.1: Farbbezeichnungen in den Sprachen nach Winawer et al. 2007 (Härtl 2013: 20) Eine Farbversion der Abbildungen 1.1 und 1.2 finden Sie auf der Multilingua-Akademie-Lernplattform; aus drucktechnischen Gründen können diese im vorliegenden Band nur schwarzweiß abgedruckt werden. Darüber hinaus gibt es je nach Sprache(n) Farbverbindungen, die wiederum andere ausschließen, was die Abbildung auf der nächsten Seite illustrieren soll: <?page no="22"?> 22 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle Abbildung 1.2: Farbbezeichnungen in den Sprachen nach Deutscher 2011 (Härtl 2013: 23) Die Erkenntnisse dieser interlingualen, kontrastiven Gegenüberstellung von Farbbezeichnungen und dem zugrunde liegenden Farbspektrum betreffen zunächst nur die Bezeichnungsebene; sie können aber auch in einer anderen Perspektive interpretiert oder „gelesen“ werden, nämlich in Bezug auf das Erfassen und somit das Wahrnehmen von Phänomenen in der jeweiligen Lebenswelt oder auch realen Welt. Der Begriff der Lebenswelt ist stark mit dem phänomenologischen Ansatz bei Husserl (1992 [193 / 1937]) verbunden und wird als direkter Anknüpfungspunkt von Alfred Schütz in seinem „verstehenden Ansatz“ als intersubjektiv bezeichnet: So ist meine Lebenswelt von Anfang an nicht meine Privatwelt, sondern intersubjektiv; die Grundstruktur ihrer Wirklichkeit ist uns gemeinsam- […]. Vorerst genügt es, festzustellen, daß ich es in der natürlichen Einstellung hinnehme, daß die Gegenstände der äußeren Umwelt für meine Mitmenschen prinzipiell die gleichen sind wie für mich. (Schütz & Luckmann 1979: 2) Die Lebenswelt wird bei Schütz also zu einer Wirklichkeit, die wir durch unsere Handlungen modifizieren und die andererseits unsere Handlungen modifiziert (zur Kultur als Lebenswelt vergleiche auch Venohr 2007: 4). <?page no="23"?> 23 1.1 Kultur, Sprache und Kognition Zur Rolle der Sprache heißt es bei Schütz: Jede Sprache entspricht einer bestimmten relativ-natürlichen Weltanschauung. Die innere Form der Sprache stimmt mit den grundlegenden Sinnstrukturen der Weltanschauung überein. (Schütz & Luckmann 1979: 297) Dass die Wahrnehmung und Konzeptionalisierung dieser (Lebens-)Welt durch Sprache geprägt ist, soll im Folgenden aus mehreren Perspektiven beleuchtet werden. Ausgehend von Humboldts Ideen formuliert Whorf später das sprachliche Relativitätsprinzip, demzufolge das Sprachsystem die Wahrnehmung, das Denken und das Verhalten seiner Sprachgemeinschaft abbilde und darüber hinaus die Projektion der sprachlichen Strukturen auf die Sicht der realen Welt der Sprachgemeinschaft bestimme und erzwinge (linguistischer Determinismus). That part of meaning which is in words, and which we may call ‘reference’, is only relatively fixed. Reference of words is at the mercy of the sentences and grammatical patterns in which they occur. (Whorf 195: 259) And every language is a vast pattern-system, different from others, in which are culturally ordained the forms and categories by which the personality not only communicates, but also analyzes nature, notices or neglects types of relationship and phenomena, channels his reasoning, and builds the house of his consciousness. (Whorf 195: 252) Im Mittelpunkt der späteren Auseinandersetzung mit dem linguistischen Determinismus stehen Fragen nach der Universalität, Arbitrarität und Kulturspezifik der Sprache. Von Interesse ist vor allem die Frage, ob sich die Kulturspezifik als Folge kognitiver Modelle aus den Konzepten, aus der Semantik oder der Grammatik ergibt. Dabei wird die Unterscheidung zwischen Determinismus als der Bestimmung des Denkens durch die Sprache und linguistischem Relativismus als der Beeinflussung des Denkens durch die Sprache nicht immer deutlich gemacht, weil Whorf selbst in dieser Hinsicht nicht deutlich unterschieden hat. Das Problem der Koordination verschiedener Perspektiven auf die Welt löst Korzybski (1985) mit dem Hinweis auf das Abbildungsverhältnis von Karte und Landschaft. Das Verhältnis von Sprache und Realität entspreche der von Karte und Landschaft. Kartographische Darstellungen variieren unter anderem in Fokus (geologisch, morphologisch, mineralogisch, vegetationsbedingt, sozio- und kulturgeographisch, navigatorisch, sport- und freizeitbezogen), Projektion, Maßstab, Ausrichtung, Dimensionalität und individueller mentaler Abbildung beziehungsweise Perspektivik (mind map). Ein koordiniertes Bild der Welt, so Korzybski, könne nur da entstehen, wo der sprachliche Hintergrund der Individuen Ähnlichkeiten (oder zumindest eine Eignung für Uniformität) aufweise, also die sprach-geographischen Perspektiven Gemeinsamkeiten aufweisen. Dieser Hinweis ist nicht etwa als historisches Faktenwissen einer geschichtlich orientierten Landes- oder Geisteskunde wichtig. Vielmehr gibt er uns Anlass zu überlegen, wie wir gerade in einer Zeit ständiger technologischer Neuerungen, und gerade solcher, die sich unserer konkreten Wahrnehmung entziehen, die Welt abbilden (ab-Bild-en). Unsere Zeitvorstellungen orientieren sich an Raumvorstellungen <?page no="24"?> 24 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle und die gesamte virtuelle Welt ist in Räume aufgeteilt und lässt sich mit Plänen und Karten navigieren, obwohl es diese Räume eigentlich gar nicht gibt (Chat-Räume, Foren, Archive, Bibliotheken). Diese Aspekte werden im Band »Kognitive Linguistik« weiter vertieft. Vygotsky (198: 213) verweist in diesem Zusammenhang auf die phylogenetische Entwicklung von Sprache und Denken und betont gleichzeitig den vermittelnden Charakter von Sprache: Linguistics did not realize that in the historical evolution of language the very structure of meaning and its psychological nature also change. From primitive generalisations, verbal thought rises to the most abstract concepts. It is not merely the content of a word that changes, but the way in which reality is generalized and reflected in a word-[…] Thought and language, which reflect reality in a way different from that of perception, are the key to the nature of human consciousness. Words play a central part not only in the development of thought but in the historical growth of consciousness as a whole. A word is a microcosm of human consciousness. Sprache wird gerade auch von Lernern mit grammatischen Kategorien und Regeln gleichgesetzt. Dass es verschiedene Konzepte von Grammatik gibt, zeigt sich bei Habermas (1979: 237), der den organisierenden Charakter der Grammatik im pragmalinguistischen Sinne als Sprachspielgrammatik, also als Wechselspiel zwischen unterschiedlichen Beteiligten in unterschiedlichen Situationen, fasst und ihn als gesellschaftlichen Konsens unterschiedlicher Perspektivierungen individueller Sprecher („gebrochene Intersubjektivität“) folgendermaßen darstellt: „Eine Sprachspielgrammatik verknüpft Symbole, Handlungen und Expressionen; sie legt Schemata der Weltauffassung und der Interaktion fest.“ (Habermas 1979: 237) Die sich aus der Kulturspezifik ergebenden Differenzen zwischen Sprachen werden auch von Vertretern universalistischer Ansätze nicht ignoriert, sondern als Schnittmenge gemeinsamer Prinzipien und Eigenschaften interpretiert (vergleiche Greenberg 1990) und als in dieser Forschungsrichtung vernachlässigtes konstitutives Element sprachlicher Systeme gesehen (Jackendoff 2007). Die landeskundlich relevante Frage ist jedoch, wie sich das Verhältnis von Kultur und Sprache in Vermittlungsansätzen abbilden lässt. Diese Aufgabe lösen traditionelle Ansätze vorwiegend deskriptiv und rekonstruktiv, manche- - wie die Modelle des interkulturellen Trainingsverfahrens- - dabei weitestgehend deterministisch. Die Lerneinheiten 3.1 und 3.2 von Bauer in diesem Band beschäftigen sich eingehender und durchaus auch kritisch mit dieser Thematik. An dieser Stelle sei nochmals auf die praktische Nutzbarmachung und methodische Umsetzung der bisher vorgestellten Ansätze für den DaF-Unterricht hingewiesen: Bei der Verbindung von Sprach- und Landeskundevermittlung können das Verständnis von Wahrnehmung durch Sprache (kognitionsformender Sprachcharakter, vergleiche Einstein 1981) im interkulturellen Vergleich zu wichtigen Erkenntnissen über die Sprachgebundenheit von Kultur (auch im Sinne von Linguakulturen) führen. <?page no="25"?> 25 1.1 Kultur, Sprache und Kognition Dies gilt auch für die nun folgende Diskussion über den geeigneten Kulturbegriff für die unterschiedlichen Auffassungen von Landeskundevermittlung (dazu ausführlicher bei Zeuner in der Lerneinheit 7.1 in diesem Band). 1.1.3 Kulturbegriffe Zur Problematik der Kulturbegriffe Die ‚Landeskunde-Diskussion‘ könnte man seit ihren Anfängen als Abfolge exklusiv behaupteter Ansätze kennzeichnen, als ‚Pendelschwungbewegungen‘ von realistischen zu idealistischen Zielen, von anwendbarem Wissen zu individueller Bildung, von Fertigkeiten zu Fähigkeiten, von pädagogisch zu politisch legitimierten oder gesetzten Zielen-- und vice versa. (Simon-Pelanda 2001: 48) Diese Pendelbewegungen manifestieren sich in der Landeskundediskussion auch im Begriff Kultur. Er wird polysem verwendet und zeichnet sich durch entsprechende Unschärfe aus. Welsch (1995) weist darauf hin, dass dem allgemeinen Kulturverständnis implizit meist eine Vorstellung von Kultur zugrunde liegt, die dem Symbol der Kugel bei Herder entspricht. Demnach werden Kulturen als voneinander abgrenzbare und abgegrenzte und daher weitgehend geschlossene Systeme verstanden. Nach Herders von 1784 bis 1791 erschienenen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit bestimmen drei Merkmale das gängige Kulturverständnis: ▶ Erstens soll eine Kultur das Leben des betreffenden Volkes im Ganzen wie im Einzelnen prägen und jede Handlung und jedes Objekt zu einem unverwechselbaren Bestandteil gerade dieser Kultur machen: das Konzept ist stark vereinheitlichend. ▶ Zweitens soll Kultur immer die Kultur eines Volkes sein; sie stellt-- so drückt Herder das aus-- „die Blüte“ des Daseins eines Volkes dar: das Konzept ist volksgebunden. ▶ Drittens ergibt sich daraus eine entscheidende Absetzung nach außen; jede Kultur soll, als Kultur eines Volkes, von den Kulturen anderer Völker spezifisch unterschieden und abgegrenzt sein: das Konzept ist separatistisch (Welsch 2005: 317). In Begriffen wie Inter-Kultur, kulturelle Identität und Leitkultur (bis hin zu ethnic cleansing und anderen „Reinheitsbegriffen“ und Vorstellungen von kultureller Integrität, die nicht selten zu Rassismus und Gewalt führen) manifestiert sich dieses Verständnis von Kultur mit oft segregierenden Implikationen. Eine ganze Reihe von Autorinnen und Autoren hat versucht, den Begriff Kultur konkreter zu fassen und operationalisierbar zu machen. Als wichtigster Vorläufer für diese Versuche gilt die Erhebung von Kroeber und Kluckhohn (1954), in der circa 300 Definitionen auf eine gemeinsame Basis untersucht wurden. Dieser Versuch wurde allerdings ohne den erhofften Erfolg abgebrochen. In weiten Kreisen sozialwissenschaftlicher Forschung hat der semiotische Kulturbegriff von Geertz (1975; vergleiche dazu auch Lüddemann 2010: 11-15) allgemeinen Referenzcharakter. Das Verständnis von Kultur als „ineinandergreifende Systeme auslegbarer Zeichen“ (Geertz, Luchesi & Bindemann 1983: 21) bildet selbstgesponnene, tradierte Systeme von Bedeutungen <?page no="26"?> 26 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle in Form von Symbolen ab, schließt aber deren Veränderbarkeit nicht aus. Dieser Definition zufolge ist Kultur a[n] historically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in a symbolic form by means of which men communicate, perpetuate and develop their knowledge about attitudes towards life. (Geertz 1975: 89) Nünning und Nünning (2003: ) stellen fest, es lasse sich eine interdisziplinäre Präferenz „für einen semiotischen, bedeutungsorientierten und konstruktivistisch geprägten Kulturbegriff “ erkennen, demgemäß „Kultur als der von Menschen erzeugte Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen aufgefasst“ werden könne, „der sich in Symbolsystemen materialisiert“. Von einem solchen dynamischen, binnendifferenzierten und plurizentrischen Kulturbegriff, der von Akkulturations- und Mischungsprozessen ausgeht (siehe hier auch „Der Gestus der Kultur ist Mischung“ bei Bogdal 2011), waren das verbreitete Kulturverständnis und die gängige Kulturpraxis des Fremdsprachenunterrichts bisher in der Regel weit entfernt. Wenn Kultur aber weniger als Sammlung von tradierten und fixierten Artefakten, sondern als symbolisches Bedeutungssystem anzusehen ist, das sich in veränderbaren Denkweisen, Handlungen und Werten ausdrückt, die zudem viel Raum für individuelle Gestaltung und Interpretation lassen (Binnendifferenzierung), dann verändert sich auch das Konzept der Kulturvermittlung im Unterricht grundlegend. If culture is understood not as artifacts or isolated behaviors, but as connected patterns of thought, actions, and expression; and if patterns exist in the eyes of the beholder, then the teaching of culture takes on a new meaning and function. (Webber 1990: 133) Porter und Samovar (1994: 12) leiten aus dieser Feststellung sechs Kriterien für die Behandlung von Kultur im Fremdsprachenunterricht ab. Diese betrachten die Autoren als konstitutiv für die Vermittlung interkultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht: ▶ Kultur ist erlernt; ▶ Kultur ist übertragbar; ▶ Kultur ist dynamisch; ▶ Kultur ist selektiv; ▶ die verschiedenen Facetten von Kultur sind miteinander verbunden; ▶ Kultur ist ethnozentrisch. Damit ist ein Wandel in den Ansätzen der Kulturvermittlung von den auf mehr oder weniger stereotype Fakten ausgerichteten hin zu dynamischen, kontextualisierenden, perspektivierenden und transkulturellen vorgezeichnet. Eine Präferenz für einen semiotischen, bedeutungsorientierten und konstruktivistisch geprägten Kulturbegriff beginnt sich mittlerweile- - zumindest partiell und zaghaft- - auch in neueren Modellen der Landeskunde durchzusetzen. Sprache wird dabei als konstitutives Element von Kultur angesehen, aber nicht in allen Ansätzen auch entsprechend behandelt. In der ehemals sowjetischen, heute russischen Fremdsprachendidaktik wird auch heute noch Wert auf kulturspezifische Lexik <?page no="27"?> 27 1.1 Kultur, Sprache und Kognition gelegt, die auf Realitäten innerhalb einer bestimmten Gesellschaft verweist; dieser Ansatz einer Form von sprachbezogener Landeskunde wird auch als Linguolandeskunde bezeichnet. Dieses Konzept verfolgt die Vermittlung landeskundlicher Kenntnisse, unter anderem auch durch den an Gesellschaftsrealia gebundenen Assoziationswortschatz. Die sprach- und kulturphilosophischen Grundlagen des Konzepts der sprachbezogenen Landeskunde von Kostomarov und Vereščagin (1990 [1973]) basieren auf fünf Annahmen (ausführlich bei Abendroth-Timmer 1998: 1f; in Venohr 2007: 70): Die wichtigste Annahme bei diesem Ansatz besagt ebenfalls, dass „die Sprache ein Mittel ist, um an eine andere Welt heranzuführen. Die Welt erschließt sich über Sprache, da sie die Funktion des Trägers und Überträgers von Denkweisen hat“ (Abendroth-Timmer 1998: 1f). Diese „mentalitätskognitivistische“ Tradition wird auch heute noch weitergeführt, unter anderem im Bereich der Ethnokonnotation (vergleiche Bykova 2000), die gerade auch bei der Sinnerschließung von Texten durch kulturspezifische Informationen eine entscheidende Rolle spielt. Dies verdeutlicht Bykova an Texten, genauer an Textgattungen, wie der Sage, die sie als „Fundgrube für kulturspezifische Informationen“ bezeichnet und zwar auf lexikalischer Ebene (2000: 174). Sprachorientierte Ansätze in der Landeskunde, bei denen sprachliches Handeln und interaktionale Kompetenz im Fokus stehen, können durch kulturanthropologische ergänzt werden. Dabei geht man zunächst vom Zeichencharakter von Kultur (Barthes 194 [1957]) aus. Texte-- auch als Abfolge von Zeichen verstanden-- sind die primäre Organisationsform, in der sich die menschliche Sprache in der Gesellschaft manifestiert. „Texte sind deshalb auch zentraler Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts, also Ausgangs- und Endpunkt des Lehrens und Lernens“ (Barthel 1991: 7). Das in kulturwissenschaftlicher Perspektive favorisierte Textverständnis ist ein anderes als die schriftliche Fixierung von Sprache, es greift vielmehr auf die (kulturelle) Texterfahrung von Lernern durch wiederkehrende Muster zurück. Textwissenschaftliche Perspektivierungen von Kultur, die darin eine Konstellation von Texten sehen, die über das geschriebene und gesprochene Wort hinaus auch in Ritualen, Theater, Gebärden, Festen und weiteren Objektivationen verkörpert sind, werden als höchst aufschlussreich angesehen, wenn es darum geht, das Netzwerk historischer, sozialer, geschlechtsspezifischer Beziehungen im Licht ihrer kulturellen Vertextung, Symbolisierung und Kodierung zu rekonstruieren. Ziel ist es dabei, Zugang zu den Selbstverschreibungsdimensionen einer Gesellschaft im Horizont der Metapher als Text zu gewinnen (Bachmann- Medick 200: 10). Zur Interpretation von Texten bedarf es nach Stanley Fish interpretativer Gemeinschaften: Indeed, it is interpretive communities, rather than either the text or the reader, that produce meanings and are responsible for the emergence of formal features. Interpretive communities are made up of those who share interpretive strategies not for reading but for writing texts, for constituting their properties. In other words, these strategies exist prior to the act of reading and therefore determine the shape of what is read rather than-[…] the other way around. (Fish 1995: 14) Die Wissenskonstruktion, die Interpretation von Texten, benötigt demnach Abstimmungsprozesse in der Gemeinschaft, das heißt die Viabilisierung im Kollektiv. Fish (1995) geht es dabei aber nicht so sehr um das Verstehen von Bedeutung, also um das Lesen von Texten, <?page no="28"?> 28 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle sondern um das Ziel, Texte selbst produzieren zu können. Das Textverstehen übernimmt die Aufgabe eines Hilfsmittels in Form von interpretativen Strategien (interpretive strategies). Diese Strategien gelten als generisches, nicht semantisch determiniertes Grundinventar für die kognitive Verarbeitung. Sie dienen zur Wahrnehmung und Analyse von Texten. Das eigentliche Ziel der Kommunikation ist in diesem Ansatz aber die Produktion von Texten, für die ebenfalls bestimmte kognitive Strategien erforderlich sind. Diese Produktionsstrategien ergeben sich nicht aus der inhaltlichen Rezeption des Textes. Sie bestimmen vielmehr den konstruktiven Lesebeziehungsweise Rezeptionsprozess, der damit zum Produktions(schreib-) prozess des Rezipienten wird. Wir sehen also, dass das bekannte, oft ungeliebte, als unterrichtlicher Luxus betrachtete Thema Landeskunde viel facettenreicher ist, als es auch in der fremdsprachendidaktischen Literatur vorwiegend behandelt oder dargestellt wird. Angesichts der vielfältigen Konzepte und Begriffe ist zu fragen, ob man überhaupt noch von reiner Landeskunde sprechen sollte. Die hier zum Eingang des Bandes skizzierten Ansätze und Begrifflichkeiten zeigen schließlich einen ganzen Kosmos auf, der vor allem von dynamischen, kontextualisierenden und von Sprache abhängigen Konzepten geprägt ist. Die meisten dieser Begriffe und Konzepte werden im Laufe des Bandes immer wieder aufgegriffen, vertieft, aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt und auf ihre praktische Relevanz im DaF-Unterricht hin überprüft. Eine einfache Übertragung auf klassische Unterrichtskonzepte ist nicht möglich und nicht sinnvoll. Sie würde der kulturellen Komplexität und Vielfalt nicht gerecht und sie würde viele Chancen der Sprachvermittlung ungenutzt lassen. 1.1.4 Zusammenfassung In dieser ersten Lerneinheit haben Sie gesehen, dass ▶ das Verständnis von Kultur ausschlaggebend für die Beschäftigung mit Vorstellungen und Denkweisen einer Sprechergruppe ist; ▶ Sprache und Kultur einerseits untrennbar, andererseits auch komplementär miteinander verbunden sind (Linguakultur); ▶ die Aneignung von Welt durch Sprache ein wichtiges Grundprinzip für den Wissenserwerb, auch den Erwerb von kulturellem Wissen, darstellt; ▶ die Einzelsprachen aus unterschiedlichen Weltsichten (Perspektivierungen) entstehen und somit durch sie auch unterschliche Zugriffe auf die außersprachliche Welt möglich sind; ▶ die teilweise sehr unterschiedlichen Perspektiven von Sprache und Kultur in sprachphilosophischen Schriften aufgrund ihrer Stereotypisierung und ihrer Gebundenheit an ein undifferenziertes Nationenkonzept auch kritisch betrachtet werden müssen; ▶ deterministische Ansätze von der (unbedingten) Bestimmung und nicht allein von der Beeinflussung der Weltanschauung durch Sprache ausgehen; ▶ kultursemiotische Ansätze sich mit dem symbolischen Charakter von Bedeutung befassen; <?page no="29"?> 29 1.1 Kultur, Sprache und Kognition 1.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum beschäftigen sich Sprachphilosophen mit dem Zusammenhang von Kultur und Sprache? 2. Was ist die Grundidee des linguistischen Determinismus? 3. Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit in Humboldts Konzept von Weltsicht? 4. Welche Kulturbegriffe können voneinander unterschieden werden? 5. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Landeskundevermittlung und dem ihr zugrunde liegenden Kulturverständnis? 6. Welche ersten Veränderungen lassen sich im aktuellen Landeskundeunterricht erkennen, die sich auf die Arbeit mit Texten und ihre Interpretation beziehen? ▶ Kultur kein statisches, sondern ein dynamisches Konzept darstellt, das auch Mischformen und Akkulturationsphänomene durch Mehrsprachigkeit und Kulturkontakt integriert; ▶ Landeskundevermittlung nicht auf Faktenvermittlung begrenzt sein kann, sondern die subjektiven Bedingungen der Bedeutungskonstruktion berücksichtigen muss; ▶ Lehrer und Lehrerinnen bei der Landeskundevermittlung auf eine Vielzahl von Perspektiven und Konzepten zurückgreifen können; ▶ dafür Methoden und didaktische Ansätze bereitstehen, die auf verschiedene theoretische Denkrichtungen zurückgehen. <?page no="30"?> 30 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien Jörg Roche Nachdem wir uns in der letzten Lerneinheit mit verschiedenen Konzepten von Kultur auseinandergesetzt haben, soll im Folgenden untersucht werden, welche für die Kulturvermittlung relevanten Modelle es gibt und welche Stärken und Schwächen diese jeweils in Bezug auf die Vermittlung von Sprache aufweisen. Dabei geht es nicht um die trennende Vermittlung „landeskundlichen“ Faktenwissens, denn bei diesem traditionellen Faktenwissen könnte man sich höchstens darüber streiten, welche Fakten man auswählt. Viel interessanter erscheint daher die grundlegende Vermittlung von Sprache und Kultur und ihrer gegenseitigen Bedingtheit. Es geht also um einen linguakulturellen Ansatz, der berücksichtigt, dass Sprache Kultur abbildet, aber gleichzeitig auch Kultur schafft. Damit aber stehen auch Fragen des Verhältnisses von Sprache und Denken im Mittelpunkt und gleichzeitig auch die Frage, wie ein moderner, offener Fremdsprachenunterricht für kulturelle Vielfalt und das gegenseitige Verstehen sensibilisieren kann. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie neuere Vermittlungsansätze und Landeskundemodelle berücksichtigen, dass die Zielkulturen inzwischen noch weiter weg von Homogenität sind, als sie es immer schon waren. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die gängigsten Ansätze der Kulturvermittlung benennen können, die landläufig als Landeskunde bezeichnet werden; ▶ erkennen können, dass die meisten dieser Ansätze von statischen und homogenen Annahmen ausgehen, die in modernen Gesellschaften so gar nicht (mehr) gegeben sind und im Übrigen kaum geeignet sind, transkulturelles Verstehen zu fördern; ▶ erkennen können, warum der traditionelle Landeskundebegriff und viele seiner Konzepte überholt und für eine moderne linguakulturelle Vermittlung ungeeignet sind; ▶ die wichtigsten Elemente einer auf tanskulturelles Verstehen ausgerichteten angewandten Kulturwissenschaft verstehen und nutzen können. 1.2.1 Modelle der Kulturvermittlung Die verstärkten Migrationsbewegungen haben einen demographischen Wandel verursacht, der einerseits die Vielfalt in den Zielkulturen erhöht, andererseits auch Transkulturationsprozesse auslöst und erfordert, die den Umgang mit der Vielfalt regeln können. Für die Kulturvermittlung im Fremdsprachenunterricht bedeutet dies zum einen mehr und direkte Verbindungsmöglichkeiten zwischen den Ausgangs- und Zielkulturen, zum anderen auch die zwingende Notwendigkeit, sich mit den Prozessen des Sprach- und Kulturverstehens explizit <?page no="31"?> 31 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien auseinanderzusetzen. Angesichts der mehrkulturellen und mehrsprachigen Realität heutiger Gesellschaften sollte angenommen werden, dass moderne Ansätze der Kulturvermittlung in besonderer Weise Prozesse der Transkulturation bereits thematisieren und nutzen. In Wirklichkeit geschieht dies aber bisher nur rudimentär. Perspektiven, die Kulturen nicht als fixierte und mehr oder weniger monolithische Konstrukte betrachten, zeichnen sich in der Landeskunde nämlich erst ansatzweise ab. So bleiben viele Aussagen zur Verarbeitung multi-, inter- und transkultureller Erscheinungen zur Vermittlung und Vermittelbarkeit transkultureller Lernziele im Unterricht allgemein unvollständig oder münden in rein bildungspolitische, aber nicht umgesetzte Wunschvorstellungen. Bildungssystemen kann allgemein der Vorwurf gemacht werden, dass sie Bildung vorwiegend oder ausschließlich aus einer monokulturellen und monolingualen Perspektive konzipieren und betreiben. Auch in mehrsprachigen und mehrkulturellen Kulturen gelingt die Verbindung transkultureller Perspektiven und die Behandlung von Verstehensprozessen bisher kaum. Allenfalls werden parallele Strukturen aufgebaut, die nebeneinander existieren, aber kaum Austausch miteinander haben. In der Diskussion, der Verarbeitung, Vermittlung und Entwicklung inter- und transkultureller Lern- (und auch Integrations-)Ziele wird unter anderem zu wenig berücksichtigt, dass der kompetente Zugang zu einer fremden Kultur nicht ohne sprachliche Kenntnisse und der kompetente Erwerb einer fremden Sprache nicht ohne einen kompetenten Zugang zu der dazugehörigen fremden Kultur erfolgen kann. Viele Arbeiten zur Landeskunde behandeln die Interdependenz von Sprache und Kultur als nachgeordnetes Thema der Umsetzung und nicht im Kontext der gemeinsamen Verarbeitung durch das gleiche kognitive System. Wegen des gemeinsamen Systems ist aber davon auszugehen, dass es zu dynamischen Austauschprozessen zwischen Sprache und Kultur kommt. Die unauflösliche Interdependenz dieser Prozesse lässt sich sehr gut unter dem Begriff der bereits in der Lerneinheit 1.1 angesprochenen Linguakultur fassen. 1.2.2 Ansätze traditioneller Kulturvermittlung Inwiefern die Dynamik transkultureller und linguakultureller Prozesse in gängigen Modellen der Kultur- und Landeskundevermittlung tatsächlich abgebildet wird, soll im Folgenden dargestellt werden. An Versuchen, das Fremdverstehen für die fremdsprachige Kulturvermittlung zu operationalisieren, mangelt es schließlich nicht. Die Vermittlungsansätze lassen sich in unterschiedlichem Maße zwischen den Polen Rekonstruktion und Wiedergabe von enzyklopädischem Wissen und Konstruktion von eigenen Einstellungen der Lerner verorten und in Bezug auf ihre linguakulturelle Orientierung klassifizieren. Zu den wichtigsten landeskundlich relevanten Ansätzen gehören: ▶ Komparatistische (oft multikulturelle) Verfahren in den Sprach- und Literaturwissenschaften. Bezugsdisziplinen sind die kontrastive Linguistik, die komparative Literaturwissenschaft, die Ethnologie und die Anthropologie sowie andere vergleichende Verfahren der Kunst-, Musik- und Kulturwissenschaften. In der Sprach- und Kulturvermittlung ist die Ausrichtung dieser Disziplinen eher auf die Rekonstruktion von Wissen <?page no="32"?> 32 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle ausgelegt. Konstruktivistische Aspekte der Bezugswissenschaften werden für Vermittlungszwecke meist eher eingeebnet. Linguakulturelle Aspekte werden disziplinabhängig unterschiedlich betrachtet und gewichtet. ▶ Interkulturelle Trainings und die Verfahren der Beschreibung kulturspezifischer Parameter, Deutungsmuster, Orientierungen und Dimensionen. Sie sind vor allem auf die Rekonstruktion der fremden Kulturen durch Betrachterinnen und Betrachter beziehungsweise Lerner ausgelegt. Sprachliche Elemente erscheinen verbreitet als Artefakte zugrundeliegender Dimensionen und Muster. ▶ Die interkulturell ausgerichtete Fachdidaktik mit partiellen, meist komparativ ausgerichteten unterrichtsmethodischen Verfahren, die vorwiegend auf die Rekonstruktion des Fremden und seine wohl dosierte Abbildung in linguakulturellen Strukturen abzielt. ▶ Kulturkonstruktivistische Ansätze wie die Behandlung von Erinnerungskulturen und die explizite Thematisierung von Transkulturationsprozessen. Linguakulturelle Aspekte spielen eine sekundierende Rolle. ▶ Hauptanwendungsbereich der interkulturellen Hermeneutik sind literaturwissenschaftliche Themen. Ihre Grundlage ist die Annahme der kompensatorischen, optimierenden und maximierenden Wirkung mangelnden Wissens. Marquard (1981) bezeichnet die Zielsetzung der interkulturellen Hermeneutik als Inkompetenzkompensationskompetenz. Auf diese wird noch ausführlicher in Lerneinheit 1.3 eingegangen. Interkulturelles Verstehen ist zielgerichtet und-- in den Unterrichtsverfahren-- vor allem rekonstruierend auf Innen- und Außenperspektiven ausgerichtet. Das Erreichen einer übergeordneten (harmonisierenden transkulturellen) Perspektive im Dritten Ort ist ein theoretisches Desiderat. Hierüber bestehen konzeptuelle Verbindungen zu einem (bisher nicht ausgearbeiteten) Modell einer transkulturellen Landeskunde. Die skeptische Hermeneutik betont dagegen die Normalität und katalytische Bedeutung des Erhalts von Fremdheit. Linguakulturelle Aspekte sind konstitutiv. ▶ Die interkulturelle Sprachdidaktik. Sie versucht, das Sprach- und Kulturverstehen auf der Grundlage interkulturell hermeneutischer Verfahren als kohärentes linguakulturelles System abzubilden und dieses mit erwerbslinguistischen, kultur- und literaturwissenschaftlichen sowie lernpsychologischen und didaktischen Aspekten in Einklang zu bringen. Sharifian (2007) fordert dafür die Entwicklung einer angewandten kulturellen Linguistik. Die interkulturelle Sprachdidaktik verbindet rekonstruktive Aspekte des perspektivischen Verstehens mit konstruktiven Transkulturationsprozessen, die sich auch in kreativen Lernerproduktionen manifestieren. In dieser Lerneinheit und in Lerneinheit 1.3 werden diese Ansätze der operationalisierten Sprach- und Kulturvermittlung genauer betrachtet. Im Anschluss daran wird die Rolle der Fremdheit als Bedingung und Element kognitiver Prozesse dargestellt und es wird ein Vorschlag skizziert, mit dem mehrsprachige und mehrkulturelle Dynamiken in einem ökologischen Transkulturationsmodell für die Sprach- und Kulturvermittlung angemessen zusammengeführt werden können. Ausführlicher lesen Sie in der Lerneinheit 4.3 über den Unterschied von Transkulturalität und Transkulturation. <?page no="33"?> 33 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien 1.2.3 Kultur- und Landeskunde Mit der kommunikativen Didaktik und ihrem Blick auf die Alltagskulturen rückte neben der faktenbasierten Landeskunde die Beschäftigung mit dem Kontext der Kommunikation stärker in den Fokus der Landeskunde. Ellis und Roberts (1987) führen dazu die Unterscheidung von drei Arten von Kontext ein: einen sprachlichen, einen sitationsbezogenen und einen interaktiven Kontext (vergleiche auch Ellis 1992). Diese Klassifikation wurde in der Folge von Kramsch (1993) um eine kulturelle und intertextuelle Komponente erweitert. Zur Kontextualisierung der Alltagskommunikation gesellen sich seitdem Ansätze, die über die klassischen, aus den Bereichen der Alltagssprache und der Literaturvermittlung stammenden Themenbereiche hinausgehen. Der Begriff Kontext ist offen für alle denkbaren Interessensgebiete und Disziplinen. Die Charte des Langues Vivantes (1980) fordert aus diesem Grunde bereits früh, stellvertretend für viele Lehrpläne, ein Überdenken des Sprachunterrichts und explizite sprachdidaktische Verbindungen zu allen Disziplinen, unter anderem durch die Sprachreflexion in Verbindung mit der Muttersprache und der Mathematik, durch die Entwicklung des persönlichen Ausdrucks in Verbindung mit dem Literatur- und Kunstunterricht und durch die Öffnung auf die Welt in Verbindung mit der Geschichte, der Geographie, der Wirtschaft und den Naturwissenschaften: À l’intérieur de la scolarité obligatoire, l’enseignement des langues doit être repensé, dans sa spécificité propre et en liaison avec l’ensemble des disciplines (réflexion sur le langage, en liaison avec la langue maternelle et les mathématiques, développement de l’expression personnelle en liaison avec les enseignements littéraires et artistiques, ouverture sur le monde en liaison avec l’histoire, la géographie, l’économie, les sciences-[…]). (Charte des Langues Vivantes 1980) Auch die CLIL -Initiative (Content and Language Integrated Learning) steht in dieser Tradition (Europäische Kommission 2012). Bemerkenswert ist, dass das inhaltsbezogene Lernen nicht erst mit der kommunikativen Didaktik oder der späteren CLIL -Initiative entdeckt wurde, sondern schon lange zu den grundlegenden Prinzipien der Sprachvermittlung gehört (siehe hierzu Krueger & Ryan 1993). Eine Inhaltsorientierung schlägt bereits Comenius vor und sie findet auch in der traditionellen Orientierung des Fremdsprachenunterrichts auf literarhistorische Themen und in einer Reihe weiterer Ansätze statt. Die industrielle Revolution und die explosionsartige Entwicklung der Naturwissenschaften führten im 19. Jahrhundert schließlich zu einem größeren Bedarf an technischen Themen- und Arbeitsbereichen im Sprachunterricht. Schon 1880 fragte daher der französische Sprachpädagoge Gouin: „Warum sollte der Physik- oder Geschichtsunterricht nicht als Thema des Deutsch- oder Französischunterrichts dienen? “ 113 Jahre später machen Krueger und Ryan (1993) mit Blick auf den nordamerikanischen Fremdsprachenunterricht eine bemerkenswert ähnliche Feststellung: If, on the other hand, languages are never used in any courses other than literature, this sends a clear signal that they really have no other important use. (Krueger & Ryan 1993: 7) <?page no="34"?> 34 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle Der deutsche Didaktiker Viëtor publizierte 1882, von seiner eigenen Sprachlernerfahrung in London beflügelt, ein kritisches Pamphlet zu den damals vorherrschenden Unterrichtsverhältnissen, das er mit dem (auch heute noch aktuellen) Titel Der Sprachunterricht muß umkehren versah. Der auch dort geforderte themenspezifische, inhaltsbasierte Sprachunterricht ist in der Folge in den bilingualen Modellen weiterentwickelt worden. Dazu gehören auch Immersionsprogramme und -schulen, die sich darum bemühen, den Inhalt und den Kontext der Zielkultur möglichst authentisch in der Sprachvermittlung abzubilden. Die französischsprachigen Immersionsprogramme und -schulen, die 195 ihren Ausgang in St. Lambert in Québec nahmen, gehören zu den bekanntesten Vertretern dieser Unterrichtsmodelle. Eine Reihe weiterer Modelle, die fachspezifische Inhalte im Sprachunterricht-- oder umgekehrt sprachliche Elemente im Fachunterricht-- berücksichtigen, sind seitdem vorgeschlagen und erprobt worden. Zu den wichtigsten gehören die Content-Based Instruction und die Discipline-Based Instruction in Nordamerika und die bereits genannte Content and Language Integrated Learning-Initiative ( CLIL ) in Europa. Auch im Foreign Laguages Across the Curriculum- ( FLAC ) oder Foreign Lanuages in the Curriculum-Programm ( FLIC ), manchmal auch Foreign Laguage-Enriched Content Instruction genannt (Allen, Anderson & Narvaez, zitiert bei Wesche 1993: 59), wird in der Fremdsprache unterrichtet. Bei diesen FLIC - / FLAC -Programmen ist der Fokus anders als im immersiven Sprachunterricht: Hier werden fremdsprachige Ressourcen in den Fachunterricht integriert, nicht der Fremdsprachenunterricht mit fachlichen Inhalten durchgeführt. Dabei kann es sich um spezifische Aufgaben wie fachliche Recherchen, die Konstruktion von Gegenständen oder Plänen oder die Durchführung von Experimenten in der Fremdsprache handeln (siehe Jurasek 1993: 8ff; Metcalf 1993: 114f). Die Einbeziehung von Fachsprachen in den Fremdsprachenunterricht steht ebenfalls in der Tradition der Inhaltsorientierung. Durch die fachspezifische Orientierung auf Inhalte und die Nutzung des fachlichen Vorwissens der Lerner lässt sich gerade bei fachkompetenten Lernern eine wesentliche Lernerleichterung und -beschleunigung erzielen (Roche 2008: 18; Meißner & Burk 2001; Buhlmann & Fearns 2000). Wichtige didaktisch nutzbare Faktoren in diesem Verfahren sind die Ausnutzung bereits erworbenen Fachwissens und bereits erworbener Fachkompetenzen und das verbundene erhöhte Interesse (die Motivation) der Lerner. Während die klassische Landeskunde die Zielkultur als faktenbasierte Kunde der fremden Kultur behandelt, verschiebt sich der thematische Schwerpunkt mit der kommunikativen Didaktik zunehmend auf sozio-geographische, historische, wirtschaftliche und andere gesellschaftspolitisch relevante Informationen, aber das einbahnartige Prinzip der Präsentation von Inhalten der fremden Kultur bleibt, ähnlich wie bei der Vermittlung der Grammatik, weitgehend das gleiche. Byram charakterisiert es als the listing and learning of ‘typical’ differences, of haphazard facts about daily life in some conflictfree, leisure-laden, lower-to-middle class family, supplemented by a simplistic geography and history of the country in question. (Byram 1989: 20) Als Folge dessen wird Kultur im Unterricht häufig als (fakultatives) Landeskunde-Zusatzangebot betrachtet, das sich meist auf Nützliches und Relevantes, Überholtes und Stereotypes beschränkt. Welcher Erkenntniswert sich aus vereinfachenden und stereotypen Feststell- <?page no="35"?> 35 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien ungen ergibt und wie die Lerner damit auf authentische Kulturbegegnungen vorbereitet werden, ist nicht belegt. Meist sagt die Charakterisierung mehr über den Autor beziehungsweise die Autorin und die Betrachter und Betrachterinnen als über die fremde Kultur aus, die damit vermeintlich beschrieben wird. Für diese Art der faktenbasierten, größtenteils dekontextualisierten Kulturbeziehungsweise Landeskunde hält Byram daher den Begriff background studies für symptomatisch und repräsentativ. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Stern (1991: 342) in Bezug auf den Umgang mit fremdsprachiger Literatur im Unterricht. Die vier wichtigsten Typen der traditionellen Landeskunde-Präsentation beschreibt sie in Introduction to Cultural Context, Culture Aside, Culture Capsule, Group Work on Culture. Als Hintergrundinformationen werden in der Landeskunde-Präsentation typische, oft stereotype Informationen angeboten, aber auf die Rezeptionsbedingungen des Lerners wird kaum Rücksicht genommen. Das folgende Beispiel illustriert, wie in Kulturecken (culture capsules) und dergleichen Landeskunde segregiert präsentiert wird. Abbildung 1.3: Segregierte und limitierte Kulturvermittlung in Treffpunkt Deutsch (Widmaier & Widmaier 2000: 23) Das Konzept von Landeskunde entspricht in diesem Lehrwerk dem traditionellen, auf reduktionistische Fakten begrenzten. Dieses Konzept schließt nicht mit ein, dass Landeskunde auch <?page no="36"?> 36 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle in der Thematik sowie in den Kommunikationsmitteln ihren Ausdruck findet. Repräsentativ ist ferner der ethnozentrische Ausdruck der Ausgangsperspektive der Autoren, wie sich in Bezug auf die Präsentation französischer Landeskunde ganz besonders gut illustrieren lässt. Ausgehend von der civilisation als der ‚Gesamtheit der Eigenschaften einer Gesellschaft‘, ist der Bildungsbegriff culture als Teil der civilisation zu verstehen (zur Inhaltsorientierung und dem kollektiven Bilungsstand in der französischen Landeskundevermittlung siehe Venohr 2007: 73-7). Das fremde Universitätsleben wird in Abbildung 1.3 kontrastiv (als negatives Gegenstück) zu den schulischen Kriterien der (amerikanischen) Hochschulkultur dargestellt. In dieser Hochschulkultur sind Kriterien wie Aufsicht und Anleitung, Anwesenheitspflicht und Klausuren wichtiger, als sie es im deutschen Hochschulsystem im Jahre 2000 noch waren. So wird einem stereotypen Bild der Zielkultur Vorschub geleistet, das durch das begleitende Foto noch verstärkt und damit von kritischen Zugängen abgeschirmt wird. Studentinnen und Studenten in Deutschland, die das Hochschulsystem vor der Bolognareform gekannt haben, werden sich in dieser selektiven Darstellung ihres Universitätslebens kaum wiederfinden können. Mit multikulturellen Lehrplänen, multidisziplinären beziehungsweise multinationalen Kulturkursen und -programmen, mit der Identifizierung von Kontaktzonen und der Definition von Kultur als fünfter Fertigkeit (cultural proficiency) wird versucht, Typisierungen und Reduktionen entgegenzuarbeiten. Es geht vorwiegend um die Rekonstruktion besseren Wissens. Die unterschiedlichen Ansätze werden hier skizziert. 1.2.4 Dimensionen interkulturellen Trainings Ziel des interkulturellen Trainings ist es, mithilfe vermeintlich allgemeingültiger Kategorien kulturelle Eigenschaften, Orientierungen, Dimensionen oder Denk- und Deutungsmuster zu beschreiben, die über die dadurch herstellbare Vergleichbarkeit den schnellen Zugang zu fremden Kulturen ermöglichen. In Lerneinheiten 3.1 und 3.2 von Ulrich Bauer wird gezeigt, welchen Einsatz Verfahren finden können, die nicht von statischen Kulturzuschreibungen ausgehen. Hier sollen jedoch die verbreiteten Modelle interkulturellen Trainings kritisch dargestellt werden, weil sie oft-- unkritisch und unreflektiert-- in der Praxis herangezogen und gelegentlich auch für Forschungszwecke zitiert oder bemüht werden. Die massenhafte Anwendung täuscht dabei über die wissenschaftliche Problematik dieser Ansätze leicht hinweg. Deswegen ist es wichtig, ihre Grundlagen zu kennen. Der ehemalige IBM -Mitarbeiter Hofstede (1991) etwa betrachtet Kultur als mentale Software, die in einem Sozialisierungsprozess kulturell programmiert wird. Im Laufe dieser Sozialisation und vor allem in der Primärsozialisation, der Kindheit, erwerbe das Individuum bestimmte Muster des Denkens, des Handelns und des Fühlens, die als Werte und Haltungen umschrieben werden. Diese fasst Hofstede in folgende Dimensionen und weist ihnen eine Polarität zu: ▶ power distance ( PDI , Machtdistanz-- Machtnähe); ▶ individualism versus collectivism ( IDV , Individualität-- Kollektivität); ▶ masculinity versus femininity ( MAS , Maskulinität-- Femininität); <?page no="37"?> 37 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien ▶ uncertainty avoidance ( UAI , Toleranz der Unsicherheit); ▶ long-term versus short-term orientation ( LTO , langfristige- - kurzfristige Zeitorientierung); ▶ indulgence versus restraint ( IVR , Befriedigung-- Einschränkung). Auf der Grundlage umfangreicher Befragungen (mit vorgegebenen Kriterien und Skalen) lässt sich damit für jede Nationalkultur ein Profil erstellen. In Deutschland gibt es demnach eine niedrige Distanz zur Macht, eine flache Hierarchie, eine mittlere Tendenz zur Unsicherheitsvermeidung und eine mittlere bis höhere Tendenz zum Individualismus. Durch eine Skalierung lassen sich die Dimensionen operationalisieren. So erreicht Singapur den Wert 20 (aus 100) auf der Kollektivitätsbeziehungsweise Individualitätsskala, was es zu einem relativ kollektivistischen Land macht, während die USA mit dem Wert 91 als relativ individualistisch gelten. Guatemala erzielt bei dieser Dimension den niedrigsten Wert, ist also die kollektivistischste Kultur der Welt, Schweden die feministischste. Eine dynamische Komponente oder eine Entwicklungskomponente der Dimensionen ist bei Hofstede nicht vorgesehen. So bleibt ungeklärt, wie es zur Ausprägung der vermeintlichen Kulturspezifika und ihrer möglichen Weiterentwicklung kommt. Die fehlende Dynamik im Ansatz von Hofstede hat zudem Auswirkungen auf das homogene Kulturverständnis seines Modells, nach dem alle Individuen einer Kultur mit derselben „Software“ ausgestattet sind und somit die Existenz interindividueller Unterschiede weiterer Faktoren außer Acht gelassen wird. Auch Trompenaars (1993) geht in seinem Ansatz ähnlich vor wie Hofstede. Anders als Hofstede betrachtet er Kultur aber als einen dynamischen Prozess des Lösens menschlicher Probleme. Die Betrachtung beschränkt er dabei auf menschliche Beziehungen, Zeit und Natur. Den Gesamtbereich der menschlichen Existenz bezieht Trompenaars‘ Modell nicht mit ein. Trompenaars charakterisiert Kultur anhand eines Zwiebelschalenmodells. Nach außen hin sichtbar sind die explizite Kultur, die Gegenstände und Produkte. Man kann sagen, die Artefakte. Die mittlere Schalenebene stellen Definitionen einer Gruppe, Werte und Normen dar. Im Kern befinden sich die grundlegenden Annahmen über die Existenz impliziter Kultur. Es handelt sich also um ein dreistufiges Modell, dessen Darstellungsrichtung von innen nach außen geht. Auch Trompenaars’ Modell liegt die Annahme zugrunde, dass die Kultur homogen sei und einer Nationalkultur entspreche. Kulturelle Stratifikationen oder andere Differenzierungen kommen in dem Modell ebenfalls nicht vor. Trompenaars (1993) verwendet dafür die folgenden universalen Kriterien zur Bestimmung kultureller Werte: ▶ in der Beziehung mit Menschen: Universalismus versus Partikularismus, Individualismus versus Kollektivismus, Neutralität versus Affektivität, Spezifik versus Ungerichtetheit, Erbringung versus Zuschreibung beziehungsweise Zufallen von Verdiensten; ▶ in Einstellungen gegenüber der Zeit: Linearität versus Zirkularität; ▶ in Einstellungen gegenüber der Umwelt: Kontrolle innerhalb des Individuums versus Kontrolle innerhalb der Natur. <?page no="38"?> 38 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle Zu Trompenaars‘ Modell gibt es ebenfalls Operationalisierungversuche auf Basis bipolarer Skalen, auf denen die Begriffspaare angeordnet werden. So ergibt sich ein bestimmter Grad (Wert) der Merkmalspolarität (vergleiche dazu auch die verwandten Einteilungen von Brake, Walker & Sullivan 1992). Von drei Ebenen geht auch das Verhaltensmustermodell von Meyer (1991) aus. Auf der monokulturellen Ebene bestimmen demnach Verhaltensmuster der eigenen Kultur und Stereotype, Klischees und Ethnozentrismus das Verhalten. Auf der interkulturellen Ebene erfolgen informations- und wissensbezogene Relativierungen kultureller Differenzen ähnlich den Dimensionen oder Kulturstandards in anderen Ansätzen. Auf der transkulturellen Ebene erfolgt schließlich das kulturübergreifende Verstehen mittels Aushandlungsprozessen, die auf der Basis internationaler Kooperations- und Kommunikationsprinzipien operieren. Wie diese Prozesse sich entwickeln, ablaufen und vermittelbar sind, erklärt auch dieses Modell nicht. Experiment Auf der Webseite www.clearlycultural.com lassen sich die Daten vieler Länder zu Hofstedes kulturellen Dimensionen ablesen und vergleichen. Gehen Sie auf die Webseite und vergleichen Sie Ihr Heimatland mit einem Zielland Ihrer Wahl, dessen Kultur Sie gut kennen und einordnen können. Würden Sie den Vergleichsergebnissen zustimmen? Was sehen Sie kritisch? Tauschen Sie sich mit Personen in Ihrem Umfeld, die ebenfalls beide Kulturen gut kennen, aus. Viele Verfahren des interkulturellen Trainings beziehen sich auf die Arbeiten von Hall und Hall (1990), Hall (197). Auch er betrachtet Kultur als „riesigen, komplexen Computer“, der spezifische zugrundeliegende Strukturen (basic patterns) aufweist. Mitglieder einer Kultur teilen demzufolge verinnerlichte Verhaltenscodes und unbewusste Bedeutungszuschreibungen, eine „Silent Language“, miteinander. Hall strukturiert interkulturelle Kommunikation- - wie Hofstede nach ihm- - mittels verschiedener Dimensionen. Diese Dimensionen betreffen bei ihm aber die Formen der Entscheidungsfindung, der Kommunikation, der Organisation, der Innovation, der Anerkennung und der Kontrolle. Die zwei wichtigsten Gruppen, die sich aus den Dimensionen ergeben, sind die high context Kulturen und die low context Kulturen. In den high context Kulturen ist es weniger üblich, die Dinge direkt beim Namen zu nennen, ihre Bekanntheit wird implizit vorausgesetzt und das Erwähnen zahlreicher Details kann als negativ empfunden werden. Der Gesichtsausdruck der Gesprächspartner beziehungsweise -partnerinnen, Anspielungen, die Umstände der Begegnung und viele Kontextfaktoren sind nach Hall in Kulturen mit hohem Kontext eigene nicht zu unterschätzende Informationsträger. In Kulturen mit low context erwarte man nicht, dass der Großteil der Information bereits bekannt oder ohne sprachlichen Ausdruck erkennbar sei. Sprecher fühlen sich verpflichtet, möglichst präzise Angaben zu machen. Auch das kulturtypische Zeitverständnis spielt bei Hall eine konstitutive Rolle. Hall unterscheidet tendenziell zwischen monochronen und polychronen Kulturen. In <?page no="39"?> 39 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien monochronen Kulturen ist es demnach üblicher, das heißt, es wird mit größerer Wahrscheinlichkeit als normal akzeptiert, einzelne Arbeitsschritte nacheinander zu tun. Hier sei das Einhalten des Zeitplans sehr wichtig, die Erledigung von Aufgaben zähle mehr als die Pflege persönlicher Beziehungen. In polychronen Kulturen gelte das Erledigen mehrerer Handlungen nebeneinander als eher üblich. Der Zeitplan sei ein Kann, aber kein Muss, Angehörige polychroner Kulturen seien flexibler und setzten die Priorität auf persönliche Beziehungen. Die Erledigung einer Aufgabe sei dagegen eher nachrangig. Eine ähnliche grundlegende Bedeutung hat auch die räumliche Organisation. Hall hebt dabei die Bedeutung von Distanzzonen hervor. Das sind Räume, die von Individuen unbewusst als intime, persönliche und öffentliche Distanzzonen unterschieden werden. Diese können sich mit steigender Vertrautheit zwischen Personen verändern. Je nach Kultur haben diese Zonen jeweils unterschiedliche Ausmaße. Zu welchen Ergebnissen Charakterisierungen dieser Art kommen, kann man anhand von vermeintlich nationalen Orientierungen und Charakteristika in praktischen Handreichungen ablesen, wie es exemplarisch die Beschreibung „der Österreicher“ in dem amerikanischen interkulturellen Ratgeber Kiss, Bow and Shake Hands (Morrison & Conaway 2007) tut: Abbildung 1.4: Kulturorientierung „der Österreicher“ nach Morrison und Conaway (2007: 6f) <?page no="40"?> 40 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle Detailbeschreibungen zu wichtigen Verhaltensmustern werden in diesem Ratgeber von Morrison und Conaway (2007: 3) im Anschluss an die globale Darstellung der nationalen Eigenschaften in wenigen Kategorien knapp zusammengefasst. Hier zur Illustration ein Beispiel, wie „der Schwede“ sich zur Gestik verhält: Abbildung 1.5: Gestik „der Schweden“ nach Morrison und Conaway (2007: 366) Die stereotype, deterministische Darstellung von Kulturen, die nicht erklärt, wie sich die Dimensionen oder Standards entwickeln, die nicht auf Binnendifferenzierung, Veränderbarkeit, Dynamik, Identitätsbildung und Gruppenzugehörigkeit eingeht, wird in den Kulturwissenschaften zunehmend kritisiert. Dabei wird in der Regel eher implizit, ein essentialistisches und homogenisierendes Verständnis von ‚Kultur‘ bzw. ‚Kulturen‘ vorausgesetzt, wonach es sich bei ‚Kulturen‘ um reale, nach außen mehr oder weniger klar abgegrenzte und nach innen meist mehr oder weniger homogene, meist national oder ethnisch definierte Gruppen von Menschen handelt, die ‚objektiv‘ bestimmte Gemeinsamkeiten des Verhaltens, Wahrnehmens, Denkens und Fühlens ausweisen.-[…] Homogene Nationalkulturen, wie dieser Begriff sie unterstellt, hat es-- zumindest in modernen Industriegesellschaften-- wohl noch nie gegeben. (Altmayer 200: 48) Homogenisierung und Banalisierung kultureller Prinzipien versucht der Deutungsmuster- Ansatz mittels interpretativer Verfahren zu vermeiden. Als Grundlage dienen ihm dafür kulturelle Produkte aller Art, vor allem auch sprachliche. <?page no="41"?> 41 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien 1.2.5 Kulturelle Deutungsmuster Das Konzept des Deutungsschemas geht zurück auf die sozialphänomenologische Wissensanalyse von Alfred Schütz (1932) und baut auf der Differenz von subjektiver und objektiver Perspektive auf. Die subjektive Perspektive bezieht sich auf die Konstruktion des Sinnverstehens des Subjekts, die objektive Perspektive stellt demgegenüber eine Konstruktion von sozialen Gesetzmäßigkeiten aus der Beobachterperspektive dar (Reckwitz 2008: 39). Die Unterscheidung der beiden Perspektiven dient als Grundlage einer Differenzierung verschiedener Konstellationen des Fremdverstehens. Hier unterscheidet Schütz, ob es sich um fremde Bewusstseinserlebnisse oder lediglich Handlungsobjektivationen handelt, ob sich das Fremdverstehen auf instrumentelles oder signifikatives Handeln richtet, in welchem räumlichen und zeitlichen Verhältnis sich Interpret und das zu Verstehende zueinander befinden und in welchem Handlungskontext die Verstehensakte zueinander stehen (Reckwitz 2008: 379ff). Situativität und Pragmatik der Perspektive spielen demnach eine entscheidende Rolle. Als zentrales Konzept gelten Deutungsmuster bei Oevermann (1979). In Oevermanns Verständnis geben Deutungsmuster den Rahmen für die Deutungsmöglichkeiten der Akteure, bringen aber Handeln nicht selbst hervor. Der landeskundlich verdichtete Ansatz, Zugang zu anderen Kulturen über kulturelle Deutungsmuster zu finden, manifestiert sich im Gegensatz zu dem subjektiven, von verschiedenen Faktoren abhängigen, dynamischen Charakter des Deutungsschemas vor allem in der Rekonstruktion einer objektivierbaren Perspektive aufgrund kultureller Erscheinungen. Unter kulturellen Deutungsmustern versteht man in der Landeskunde-- anders als in der Sozialphänomenologie von Schütz-- musterhaft verdichtete und im kulturellen Gedächtnis gespeicherte Einzelelemente des Wissens einer Gesellschaft. Im alltäglichen Sprachgebrauch, aber auch in anderen Medien und Registern werden Deutungsmuster aktiv. Altmayer (2010) geht davon aus, dass diese Muster in der Regel implizit und selbstverständlich als allgemein bekannt und akzeptiert vorausgesetzt werden können. Die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung bestehe demnach vor allem darin, die kulturellen Deutungsmuster zu rekonstruieren, sie auf die Ebene des Expliziten zu heben, sichtbar und damit auch lernbar zu machen (Altmayer 2010). Kulturelle Deutungsmuster weisen folgende Charakteristika auf. Sie ▶ enthalten abstraktes und typisiertes Wissen über einen Erfahrungsbereich; ▶ dienen dazu, neue Erfahrungen und neue Informationen zu den bestehenden Wissensstrukturen in Beziehung zu setzen; ▶ sind durch Ablagerungen erfahrungsgesättigt, aber nicht durch individuelle, sondern kollektive Erfahrungen; ▶ weisen eine gewisse Konstanz und Stabilität auf und werden immer wieder herangezogen; ▶ sind nicht im kognitiven Apparat des Individuums verankert, sondern einer Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft gemeinsam. (Altmayer 2004: 154) Typisierungen, Konstanz und Stabilität der kollektiv gegebenen Muster geben jedoch keine echten Hinweise darauf, wie die Aktanten des gesellschaftlichen Konsenses Muster erzeugen <?page no="42"?> 42 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle und was die Ursachen der Abgeschlossenheit der Muster sein könnten. Begriffe wie Kommunikationsgemeinschaft suggerieren einen vagen Referenzrahmen, realisieren aber weder die Binnendifferenzierung von Gesellschaften noch die zunehmende Offenheit und Veränderbarkeit multikulturell geprägter Gesellschaften. Fremde, untypische Einflüsse bleiben ungeklärt oder sind aus den Deutungsmustern herauszufiltern. Zwar wird postuliert, dass Deutungsmuster veränderbar (vergleiche Lerneinheit 4.3 in diesem Band) und flexibel seien, aber wenn sie sich dem kognitiven Apparat des Individuums als Grundlage jeder Wahrnehmung und Wissensgenerierung entziehen, bleibt offen, wie die Änderung und Verarbeitung ohne kognitiv zu leistende Prozesse erfolgen könnte. Dieses Modell gibt kaum Hinweise auf die Prozesse der Wissensgenerierung, wie sie die Schematheorie liefert, und es verweigert sich explizit empirischen Zugängen. Von hier aus aber gewinnt auch die Frage nach der Kultur einen völlig neuen Sinn: Als ‚kollektive Standardisierung‘ bzw. als Identifikationsangebot, das mir aus meiner Zugehörigkeit zu verschiedenen Kollektiven zur Verfügung steht, ist sie prinzipiell nicht aus einer distanzierten und vermeintlich ‚objektiven‘ Perspektive eines empirischen Beobachters, sondern allein aus der Perspektive eines verstehenden Nachvollzugs der von den beteiligten Subjekten selbst vorgenommenen Sinnzuschreibungen und Identitätskonstruktionen aus zugänglich. Damit aber sind nicht die empirischen Sozialwissenschaften, sondern die verschiedenen Ansätze eines interpretativen Paradigmas, von der Verstehenden Soziologie eines Max Weber oder Alfred Schütz über die hermeneutische Ethnologie eines Clifford Geertz bis zur Hermeneutik Gadamers und der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas die wissenschaftlichen Traditionen, auf die die kulturtheoretische Debatte auch im Fach Deutsch als Fremdsprache Bezug nehmen kann und muss. (Altmayer 2002: 8) Für den Erwerb neuen Wissens, der Kern der Landeskundevermittlung ist, wäre der Deutungsmuster-Ansatz geeignet, wenn er Hinweise enthalten würde, wie sich ein Lerner ohne Kenntnis dieser Muster und ohne den nötigen-- möglicherweise recht elaborierten-- Sprach- und Konzeptapparat Zugang zu diesen fremden Mustern verschaffen kann. Dass sich diese aus den bildlichen, textlichen und anderen Produktionen „Kulturschaffender“ von selbst ergeben, ist wegen des Mangels an nötigem Wissen (gerade bei Sprachlernern) unwahrscheinlich. Die Gefahr ist also groß, dass sich kulturelle Deutungsmuster ähnlich wie die dargestellten Modelle des interkulturellen Trainings in der Umsetzungspraxis an vergleichsweise deterministischen, variantenarmen und veränderungsresistenten Vorstellungen einer nationalgeprägten Kultur orientieren. Vom fremden Lerner wird das Erkennen der objektiven Fremdheit im Sinne der von Lösch sogenannten Alienität erwartet. Die Unterscheidung von Alienität und Alterität- - als der vom Individuum konstruierten Fremdheit- - wird damit aufgegeben (Lösch 2005: 32f). Wierlacher (1985) versteht das Konstrukt Alterität als Deutungsmittel beziehungsweise Interpretament. Mit modernen konstruktivistisch-semiotischen Kulturkonzepten, wie sie etwa auch von Nünning und Nünning (2003) formuliert wurden, sind kulturelle Deutungsmuster folglich kaum in Einklang zu bringen. Wenn man Kulturen als subjektive Repräsentationen und dynamische Konstruktionen betrachtet, dann ist eine Vermittlung von Sprache und Kultur impliziert, die nicht durch die Präsentation denotativer <?page no="43"?> 43 1.2 Kulturbegriffe und Kulturtheorien Fakten oder die Rekonstruktion kohärenter, mehr oder weniger fixierter Muster bewerkstelligt werden kann. Denn […] culture is not an object to be described, neither is it a unified corpus of symbols and meanings that can be definitely interpreted. Culture is contested, temporal, and emergent. Representation and explanation-- both by insiders and outsiders-- is implicated in this emergence. (Clifford 198: 19) Mit diesen divergierenden, temporären und emergenten Eigenschaften werden die Grenzen zwischen verschiedenen Konstruktionen aber nicht hinfällig, sondern sinnfällig. Darstellung und Interpretation aus verschiedenen Perspektiven sind konstitutiv für das Verstehen. Klare Konturen sind daraus nicht zu erwarten. „Kulturen nehmen in diskursiven Aushandlungsprozessen unscharfe Konturen an“ (Lösch 2005: 33). Die daraus entstehende Komplexität der Vielfalt von Perspektiven, die zudem widersprüchlich sein können und nicht notwendigerweise ein kohärentes Bild ergeben, kann zu Überforderungen der Lerner führen. Die Fachdidaktiken nehmen sich dieser Gefahr in besonderer Weise an. 1.2.6 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben wir uns mit wichtigen Grundlagen und Konzepten der traditionellen Landeskunde kritisch auseinandergesetzt. ▶ Es wurde gezeigt, dass die trennende Vermittlung landeskundlichen Faktenwissens bei Lernern kaum Wirkung zeigen kann, weil diese die kulturelle Bedeutung der Artefakte kaum verstehen und einordnen können. Das betrifft im Grunde alle Ansätze, die von der Vermittlung von faktischem Wissen und von faktischen Dimensionen und Orientierungen ausgehen, solange sie nicht berücksichtigen, dass deren Bedeutung auch Teil des interkulturellen Verstehensprozesses ist. ▶ Interessanter erscheint daher die grundlegende Vermittlung von Sprache und Kultur und ihrer gegenseitigen Bedingtheit. ▶ Gefordert ist also ein linguakultureller Ansatz, der berücksichtigt, dass Sprache Kultur abbildet, aber gleichzeitig auch Kultur schafft. ▶ Damit aber stehen auch Fragen des Verhältnisses von Sprache und Denken im Mittelpunkt und gleichzeitig auch die Frage, wie ein moderner, offener Fremdsprachenunterricht für kulturelle Vielfalt und das gegenseitige Verstehen sensibilisieren kann. ▶ Dazu gehört natürlich das Erkennen Können, dass die meisten dieser Ansätze von statischen und homogenen Annahmen ausgehen, die in modernen Gesellschaften so gar nicht (mehr) gegeben sind und im Übrigen kaum geeignet sind, transkulturelles Verstehen zu fördern. ▶ Dazu gehört auch das Erkennen Können, warum der traditionelle Landeskundebegriff überholt und für eine moderne linguakulturelle Vermittlung ungeeignet ist. ▶ Gezeigt wurde hier aber auch, was die wichtigsten Elemente einer auf transkulturelles Verstehen ausgerichteten angewandten Kulturwissenschaft sind und wie sie sich im Unterricht anwenden lassen. <?page no="44"?> 44 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle 1.2.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie behandeln verschiedene Ansätze der Landeskundevermittlung die Beziehung von Sprache und Kultur? 2. Wie erfolgt die Behandlung kultureller Aspekte in inhaltsbezogenen Ansätzen der Sprachvermittlung? Wie hat sie sich historisch verändert? 3. Was versteht Altmayer unter einem Deutungsmuster im Fremdsprachenunterricht? 4. Worin besteht der Unterschied zwischen Alienitiät und Alterität nach Lösch und was bedeutet er für ein modernes, konstruktivistisches Verständnis von Kulturwissenschaft im Fremdsprachenunterricht? <?page no="45"?> 45 1.3 Interkulturelle Hermeneutik 1.3 Interkulturelle Hermeneutik Jörg Roche Die interkulturelle Hermeneutik hat sich aus der historischen Verstehenslehre Gadamers entwickelt und wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder als Leitdisziplin für interkulturelle Ansätze des Fremdsprachenunterrichts konstituiert. Sie bietet einen theoretischen Rahmen für das Gelingen des Fremdverstehens und ist daher - in unterschiedlichen Formen - vor allem auf das Verstehen literarischer Texte angewendet worden. Als Grundlage sprachdidaktischer Ansätze ist sie schließlich auch für den Sprachunterricht operationalisiert worden. Wichtige Impulse hat die Entwicklung der interkulturellen Sprachdidaktik nicht zuletzt dadurch bekommen, dass die kommunikative Sprachdidaktik mit ihrer Fokussierung auf das Funktionieren in der Zielkultur an Grenzen gestoßen ist: Ein fremdsprachiger Lerner kann eben nicht wie ein Sprecher der Zielsprache funktionieren, wenn er nicht über das nötige kulturelle Wissen und interkulturelle Vermittlungsstrategien verfügt. Die ihm zur Verfügung gestellten zielsprachlichen (authentischen) Redemittel bleiben Chunks oder unverstandene Phrasen. In der Euphorie der hermeneutischen Weiterentwicklung wurde jedoch oft übersehen, dass das Eigene und das Fremde keine monolithischen und stabilen Größen sind, zwischen denen der Lerner munter hin- und herwechseln kann. Perspektivwechsel sind vielleicht wünschenswerte Kompetenzen, aber vom kognitiven Apparat schwer herzustellen. Es sei denn, man geht davon aus, dass der Lerner eine gespaltene Persönlichkeit haben muss. Daher verfahren viele didaktische Empfehlungen, viele Lehrpläne - die sich weltweit gerne auf interkulturell-hermeneutische Konzepte beziehen - sowie viele Handbuchartikel und andere Veröffentlichungen in Fachzeitschriften stark idealisierend und begrifflich unscharf mit der Thematik. Zudem hat die Lehrpraxis eher ablehnend auf diese Ansätze reagiert, weil sie zu weit von den „eigentlichen“ Themen des Sprachunterrichts abzulenken scheinen. Eine der wichtigsten Fragen bleibt jedoch bestehen: Wie kann man eigentlich Fremdes und Neues verstehen? Gibt es nur ein richtiges Verstehen, das ein Lerner rekonstruieren soll, oder wie viel Spielraum hat er? Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Grundlagen der interkulturellen Hermeneutik kennenlernen; ▶ die wichtigsten Anwendungen, Ansätze und Konzepte für den Sprachunterricht kennen und kritisch bewerten lernen; ▶ sich mit der Umsetzung anhand von konkreten Unterrichtsmaterialien und -beispielen vertraut machen; ▶ erkennen, warum weiterführende Ansätze für das (Fremd-)Verstehen so fundamental sind. <?page no="46"?> 46 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle 1.3.1 Grundlagen der interkulturellen Hermeneutik in der Sprachvermittlung Als Referenzpunkt vieler interkulturell-hermeneutischer Modelle gilt der hermeneutische Ansatz von Gadamer, der selbst nicht explizit auf sprach- oder kulturkontrastive Aspekte des Verstehens eingeht, aber Hinweise auf Parallelen zwischen diachroner und synchroner Perspektive enthält. Das Beispiel des Übersetzers, der die Kluft der Sprachen zu überwinden hat, lässt die Wechselbeziehung besonders deutlich werden, die zwischen dem Interpreten und dem Text spielt und die der Wechselseitigkeit der Verständigung im Gespräch entspricht. Denn jeder Übersetzer ist Interpret. Die Fremdsprachlichkeit bedeutet nur einen gesteigerten Fall von hermeneutischer Schwierigkeit, das heißt von Fremdheit und Überwindung derselben. Fremd sind in dem gleichen, eindeutig bestimmten Sinne in Wahrheit alle ‚Gegenstände‘, mit denen es die traditionelle Hermeneutik zu tun hat. Die Nachbildungsaufgabe des Übersetzers ist nicht qualitativ, sondern nur graduell von der allgemeinen hermeneutischen Aufgabe verschieden, die jeder Text stellt. (Gadamer 1975 [190]: 35) Diese linguakulturelle Aufgabe des Übersetzers illustriert Vermeer (1987) unter Verweis auf die Übersetzung von Dickens’ Satire auf das englische Bildungssystem, die im 19. Jahrhundert verfasst wurde. Um diese Satire verstehbar zu machen, bedürfe es einer im Grunde ähnlichen Übersetzung für britische Leser von heute und für solche, die des Englischen gar nicht mächtig seien. Die Unterscheidung der Zielgruppen liegt in der Unterscheidung von diachroner und synchroner Perspektive. Dickens’ bittere Satire auf das damalige englische Schulwesen ist dem heutigen Engländer (als Angehörigem einer ‚anderen‘ Kultur! ) oft genug amüsante Lektüre; Dickens’ Gefühle kann er wohl kaum nachfühlen. (Vermeer 1987: 543) Das Muster des Übersetzens gilt als Grundlage der interkulturellen Hermeneutik. Sie basiert auf der Annahme, dass das Unbekannte / Fremde im Rahmen eines dialektischen Prozesses in Eigenes / Bekanntes überführt, also aufgelöst werden könne. Durch die Kontrastierung des Bekannten mit dem Neuen oder Fremden entstünden Austauschprozesse, die letztlich zum besseren oder „richtigen“ Verstehen führten. Die Gegenüberstellung öffnete damit den „fremden Blick auf das Eigene“ (Lévi-Strauss 193). Da „eigene“ und „fremde“ Perspektiven grundsätzlich unvollständig sind und sich zur Vervollständigung ergänzen müssen, setzen interkulturell-hermeneutische Ansätze die kompensatorische, optimierende und maximierende Wirkung mangelnden Wissens voraus. Interkulturelle Kompetenz ist im Sinne des Ausgleichs unterschiedlicher Wissensbestände daher auch als eine Inkompetenzkompensationskompetenz bezeichnet worden (Marquard 1995). Da die Distanz zum Fremden, die Fremdheit, nichts objektiv Gegebenes ist, sondern sich relativ zum Vorwissen des Betrachters und der Betrachterin beziehungsweise des Lerners verhält, basiert die angestrebte Horizontverschmelzung (fusion of horizons) von fremder und etablierter Perspektive auf einer normativen Wirkung des vorhandenen Horizonts, der den Maßstab für die zu erwerbenden neuen Kompetenzen bildet. <?page no="47"?> 47 1.3 Interkulturelle Hermeneutik Mit dem folgenden Modell (aus Roche 2001: 51) lassen sich die in Bezug auf die Verstehbarkeit des Fremden idealisierten Grundprinzipien interkulturell-hermeneutischer Unterrichtsverfahren vereinfacht darstellen. Es geht davon aus, dass Fremdverstehen im Unterricht möglich, erwünscht und zielgerichtet ist. Abbildung 1.6: Prämissen erfolgreicher interkultureller Kommunikation; L1 = Erstsprache, L2 = Zweitsprache (Roche 2001: 48) Abbildung 1.7: Vereinfachtes Modell interkulturellen Verstehens im Sinne interkulturell-hermeneutischer Ansätze (Roche 2001: 51) <?page no="48"?> 48 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle Ein minimaler Code muss demnach im extremsten Falle außer einer Einigung über den Wert besseren Verstehens und einer grundlegenden Kommunikationsbereitschaft keine weiteren Bedingungen umfassen. Das trifft etwa auf Schülerinnen und Schüler zu, die sich auf Fremdsprachenunterricht einlassen, ohne in der Lage zu sein, eine Relevanz für die eigenen Interessen und Ziele darin zu erkennen. Die Bereitschaft, eine Sprache zu lernen oder mit Fremden zu kommunizieren, signalisiert ein (temporäres) Einverständnis mit den Minimalanforderungen interkultureller Kommunikation. Damit dieses idealisierte Modell funktionieren kann, bedarf es nicht nur eines fremdkulturellen Partners oder Partnerin, sondern auch eines Mediums, das die Bedeutung vermittelt, erkennbar macht oder die Beteiligten in die Lage versetzt, Bedeutung auszuhandeln. Dieses Medium ist in der Regel eine Sprache oder ein anderes Zeichensystem, das zum einen ein Minimum an vermeintlichen Gemeinsamkeiten (als Ausgangsbasis) aufweist, zum anderen sich aber auch für einen offenen Diskurs eignet. Diese kommunikativen Prämissen sind im Unterricht-- und im Alltag-- jedoch in Wirklichkeit oft nicht gegeben: Erstens will nicht jeder, der einer fremden Kultur begegnet, sie auch verstehen (lernen), und nicht jeder Lerner, der Fremdsprachenunterricht erhält, hat tatsächlich ein Interesse am Erlernen der fremden, und am besseren Verstehen, seiner eigenen Sprache. Auch will nicht jede „Kultur“ von außen verstanden werden (Ihekweazu 1987; Zimmermann 1991). Im Gegenteil, manche Kulturen verweigern Fremden den Zugang oder verlangen eine Autorisierung des Verstehens durch die „Besitzer“ dieser Kultur (zum Beispiel indigene Kulturen in Nordamerika). Zweitens ist eine möglichst große Korrespondenz zwischen den Zeichensystemen anzustreben zwar das idealisierte Ziel der gängigen interkulturell-hermeneutischen Verfahren, aber wie aufwändig das in der Praxis ist, zeigt die Translationstheorie bei der Herstellung funktionaler Äquivalenzen zwischen Sprachen und bei der Abstimmung von Funktion und Form in Übersetzungen deutlich auf. Gründe für die Schwierigkeiten sind nicht nur die mangelnden interkulturellen Korrespondenzen, sondern auch die große intra-sprachliche Variationsbreite aufgrund von diatopischen, diastratischen, diaphasischen, medialen und anderen Variablen. Vergleiche hierzu die Ansätze der interkulturellen Germanistik bei Wierlacher (1987) und Thum (1993), kritisch dazu etwa die Beiträge von Fan (1999) und Webber (1990), sowie die kritische Würdigung der Entwicklungen in der interkulturellen Hermeneutik in dem Beitrag von Fäcke (200). Da sich die kommunikativen Prämissen wegen ihrer Komplexität und Zirkularität nicht so leicht einlösen lassen, ist verschiedentlich versucht worden, über die Definition universeller Minimalinventarien von Kommunikationsprinzipien die Grundlagen für erfolgreiche Kommunikation zu etablieren. Zu diesen gehören etwa die Kommunikationsmaximen von Grice (1975) oder das Kommunikationsmodell von Ruben (1987). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass diese Modelle nicht weniger von kulturellen Prämissen beeinflusst sind als andere. Für einen Lerner zumindest ergibt sich daraus, das Problem, dass er bereits über ein vorentwickeltes Niveau an Fremdverstehenskompetenz oder kommunikativem Konsens verfügen muss, um Zugang zur fremden Sprache und Kultur bekommen zu können. Die Minimalinventarien kommunikativer Prämissen sind zudem mit einem methodischen Problem behaftet, das auch die Ansätze des interkulturellen Trainings belastet: dem Problem der interkulturellen Äquivalenz der Definitionskriterien. Die Semantik der Dimensionen, Standards <?page no="49"?> 49 1.3 Interkulturelle Hermeneutik und Orientierungen im interkulturellen Training ist keinesfalls universell einheitlich. Eine semantische Äquivalenz lässt sich auch beim methodischen Inventar nicht durch eine einfache Übertragung der Begriffe in andere Sprachen herstellen, sondern erfordert die Ermittlung der kulturellen Bedeutung (des kulturellen Wertes) der Kriterien. Die ethnozentrische Besetzung der Kriterien spiegelt also nur eine nach einheitlichen Kategorien klassifizier- und steuerbare Kommunikation vor (vergleiche hierzu auch die Kritik von van Es 2004). Beeman, Hayami und Rabson (1993: 159) veranschaulichen die Problematik der semantischen Übertragbarkeit mit Blick auf die Vermittlung landeskundlicher Inhalte folgendermaßen: The prime objective of anthropology is to come to an understanding of society from the viewpoint of a native. This is difficult when everything is in translation. Many social and cultural concepts in Japanese have no English equivalents. It is usually necessary, therefore, to use the Japanese terms in explaining these concepts to an English-speaking audience. Confronting this vocabulary in a Japanese setting gives a whole new impact to students’ understanding of the ideas behind the words. Additionally, Japanese writing styles convey a flavor in the material which itself is extremely significant for understanding Japanese culture. This cannot be adequately conveyed in English. Bei der Ermittlung der kulturellen Bedeutung ergeben sich zwangsläufig unterschiedliche Gewichtungen der durch die Begriffe abgebildeten Werte und Einstellungen, zum Beispiel bei der Konstruktion von Wahrhaftigkeit, die unter den Grice’schen Kommunikationsmaximen eine zentrale Rolle einnimmt. Im Gegensatz zu der Grice’schen Maxime der Wahrhaftigkeit gilt es in manchen Gesellschaften zum Beispiel als höflich und gesichtswahrend, einem Ortsfremden ausführliche Orts-, Richtungs-, Entfernungs- oder Zeitangaben zu geben, obwohl dem Sprecher das sachlich zutreffende Wissen fehlt und er dies auch weiß. Wenn aber selbst einfachste Standards in interkultureller Kommunikation nicht als gesichert gelten können, scheint das gegenseitige Verstehen stark vom Zufall abhängig. Die explizite Kontrastierung von Eigenem und Fremdem bietet dabei nur eine begrenzte Lösungsmöglichkeit. 1.3.2 Innen- und Außenperspektive Viele Lehrpläne fordern für die Vermittelbarkeit fremder Kulturen nicht nur die Gegenüberstellung unterschiedlicher Perspektiven, sondern auch deren wechselseitige Einnahme durch die Lerner. Die Einnahme der Fremdperspektive (der Innenperspektive des Fremden) liefert dazu die entscheidenden Impulse: „Die Grundstruktur des Verstehens besagt, dass wir uns in Andere versetzen und eine Innenperspektive einnehmen, so dass wir die Welt mit ihren Augen zu sehen versuchen“ (Bredella 2010: 24). Die Übernahme der Innenperspektive soll Missverständnisse in der Kommunikation abbauen oder verhindern (siehe Bredella 2010: 101). Zum Verstehen des Fremden reiche das Einnehmen seiner Innenperspektive aber nicht aus. Es müsse immer mit dem Einnehmen einer Eigenperspektive (der Außenperspektive des Betrachters und der Betrachterin beziehungsweise des Lerners) einhergehen, mit der wir „die Welt mit unseren eigenen Augen sehen, um auf das, was sie uns zu sagen haben, antworten zu können“ (Bredella 2010: 24). <?page no="50"?> 50 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle So entstehe ein dialogischer Prozess, der Rückwirkungen auf das Selbstverständnis eines jeden Einzelnen habe und eine Veränderung des eigenen Vorverständnisses mit sich bringe. Die besondere Bedeutung des Einnehmens der Innenperspektive in diesem Prozess sei dadurch begründet, dass sie verhindere, dass der Andere im Verstehensprozess unter bestehende Wertvorstellungen subsumiert werde. Aufgabe des Unterrichts sei es, diesen Perspektivenwechsel anzuregen. Hierin sieht Bredella die Grundlage für den Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht, den er vorwiegend an historischen literarischen Texten illustriert. Der eingängige und auch in der Alltagssprache etablierte Begriff Perspektivenwechsel neigt jedoch zur Verdeckung der Tatsache, dass der beabsichtigte Wechsel mit dem gleichbleibenden Wahrnehmungsapparat erfolgt, in dieser binären, idealisierten Form also kognitionsbedingt kaum möglich ist. Zumal dann nicht, wenn der Lerner / Leser-- wie auch bei den Deutungsmustern dargestellt-- nicht bereits über das entsprechende Vorwissen verfügt. Bolscho (2005) verweist in diesem Zusammenhang auf die Begrenztheit der Definition von Eigenem und Fremden und führt die intrakulturelle Variationsvielfalt und Binnendifferenz als Gegenevidenz zu binären Fremdheitsmodellen an, wie sie in Arbeiten des Gießener Graduiertenkollegs Didaktik des Fremdverstehens angewendet wurden (Bredella, Christ & Legutke 2000; Bredella & Christ 1995 in Datta 2005; vergleiche auch Brumlik 200 und Fäcke 200). Auch würden gesellschaftspolitische Bedingungen der Fremdkulturen nicht thematisiert oder reflektiert (Fäcke 200: 13). Dass der Lerner durch Kontrastierung verschiedene Perspektiven kennenlernen kann, ist unbestritten, aber ob er sich durch die reine Gegenüberstellung, also ohne den Einfluss seines Vorwissens, willkürlich in die Innenperspektive einer anderen Gesellschaft versetzen kann, ist fraglich (vergleiche Krusche 2002: 389). Es ist empirisch bisher nicht belegt, dass die theoretischen Konzepte in der Lehr- und Lernpraxis funktionieren. Es gibt wenige Studien aus dem Schul- und Studiumsbereich, die interkulturelle Lernziele einer empirischen Überprüfung unterziehen. Hierzu gehören die Arbeiten zur Einstellungsveränderung durch Austauschprogramme. Deren Ergebnisse aber lassen Zweifel daran aufkommen, ob die rein kontrastbasierten, ohne Vermittlungs- und Reflexionsbegleitung auskommenden Austauschprogramme das erreichen, was sie vorgeben. Insgesamt dokumentieren die Studien sogar eher gegenläufige Bewegungen: Ein Mehr an Kontakt und Beschäftigung mit der fremden Kultur führt oft zu einer Verstärkung bestehender Vorurteile und Stereotypen über die fremde Kultur, also einem erschwerten Zugang zur Innenperspektive und einer weiteren Verzerrung der Außenperspektive. Verzerrte Wahrnehmungen der eigenen Kultur sind ein ebenso häufig beobachtetes Ergebnis. Die Verstärkungen bestehender Vorurteile lösen sich unter Umständen erst in späteren Phasen auf, wie eine Forschungsübersicht und die empirischen Ergebnisse der deutsch-japanischen Studie in Sato-Prinz (2011 und Lerneinheit 7.3 in diesem Band) belegen. Durchgängig verweisen die Studien auf die Notwendigkeit guter Rahmenbedingungen und begleitender Vermittlungsprozesse für das Gelingen von Perspektivenwechseln und den Abbau verzerrter Wahrnehmungen (Webber 199). Brière (198: 205) spricht hier von einem explizit interkulturellen Ansatz im Kulturkontakt: The study of a foreign language does not, in itself, automatically offer a way out of ethnocentrism. It is a mistake to believe that contact with a foreign world automatically brings cultural under- <?page no="51"?> 51 1.3 Interkulturelle Hermeneutik standing. On the contrary. As Laurence Wylie pointed out about a survey of some junior year abroad programs, ‘students who were somewhat suspicious of what they were about to experience in France returned francophobes. Those who had been curious and eager about their experience became ardent francophiles. Contact simply deepens the feeling you already have.’- […] An explicit intercultural approach is all the more essential-[…]. Unter guten Betreuungs- und Vermittlungsbedingungen, wie ihn der interkulturelle Ansatz fordert, stellt Medina (2008) positive Veränderungen in den Einstellungen von Austauschschülerinnen und -schülern bei Aufenthalten in Mexiko gegenüber ihrem Heimat- und dem Gastland sowie ein verändertes Verständnis ihrer eigenen kulturellen Identität fest. Auch Seebauer (2009) verzeichnet ähnliche Verhaltenstendenzen, kann aber keine signifikanten Änderungen vermerken. Coleman (199) gehört dagegen zu den Skeptikern von Austauschprogrammen. Die Studie zeigt, dass viele Untersuchungen zu vermeintlich positiven Aspekten des Austauschs auf anekdotischer Evidenz basieren (Coleman 199: 110). Laut Colemans Vergleichsstudie unterschiedlicher Jahrgänge kann davon ausgegangen werden, dass sogar circa 15 % der Studentinnen und Studenten, die im Ausland studieren, mit schlechteren Einstellungen zur fremden Kultur zurückkehren, als sie sie vor der Ausreise hatten. In Lerneinheit 7.3 in diesem Band stellt Manuela Sato-Prinz die neuesten Ergebnisse einer umfangreichen Studie zum Lern- und Veränderungsverhalten von Austauschstudentinnen und -studenten ausführlich dar und diskutiert die gängigen Vorstellungen von Internationalisierungsstrategien kritisch im Lichte dieser Ergebnisse. Diese Entwicklung deutet jedoch nicht auf eine globale Verschlechterung der Einschätzungen mit zunehmender Kontakterfahrung hin, denn ehemalige Austauschstudentinnen und -studenten weisen auf einen vermehrten Wunsch nach zukünftigem beruflichen Bezug zu Deutschland hin. Es zeigt sich an der Art und Weise der Beschreibungen, dass die Austauschstudenten insgesamt ein differenzierteres Bild des Fremden entwickeln. Das nur auf vermittelten und nicht auf eigenen Erfahrungen beruhende und durch stereotype Annahmen geprägte Ausgangsniveau erweist sich als oft zu positiv besetzt. Sato-Prinz (2011 und Lerneinheit 7.3 in diesem Band) folgert in Anlehnung an Grünewald (2004), dass die Veränderungen mit zunehmendem Kontakt eine realistischere Einschätzung der fremden Kultur und-- bedingt auch der eigenen- - bewirken (siehe auch Budke 2003). In den Beschreibungen der Studenten offenbart sich allerdings keine allzu große Differenzierung des Eigenbildes durch den Kontrast zur fremden Kultur. Die Definitions- und Wahrnehmungskriterien werden demnach vor allem in Bezug auf das Bild der fremden Kultur verfeinert. Mit Markus und Kitayama (1991) kann also gefolgert werden, dass kulturspezifische und individuelle Faktoren zusammenwirken und konstitutiv- - und zu einem gewissen Grade gegen äußere Einflüsse resistent-- bei der Konstruktion des Selbst mitwirken: It is important to note, however, that our initial observations lead us to believe that there is also substantial within-culture variation in the construal of the self. Thus, within each culture, there is likely to be a distribution of people ranging from those who are most concerned with independence to those who are most concerned with interdependence. Moreover, within each culture, there is also likely to be significant divergence in how the self is construed on the basis of gender, ethnicity, <?page no="52"?> 52 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle religion, region of the country, and according to historical and generational cohort. (Markus & Kitayama 1991: 20) Die Vorstellung, einfacher Kontakt von Kulturen führe automatisch zu interkulturellem Verstehen, bedarf daher kritischer Betrachtung: Contrary to popular belief, inter-group contact does not necessarily reduce inter-group tension, prejudice, hostility and discriminatory behavior. Yet one often hears politicians, church leaders and other public figures saying that if only people of diverse cultural backgrounds could be brought into contact with each other, they would surely develop a mutual appreciation of their points of view and grow to understand, respect and like one another. (Bochner 1982: 1) Ein belastbarer Fortschritt lässt sich durch die postulierte Kontrastierung von vermeintlich Eigenem und Fremdem nicht verzeichnen, solange nicht die Bedingungen des kognitiven Apparates berücksichtigt werden. Lerneinheit 7.3 von Sato Prinz zeigt, wie dieser kognitive Apparat mittels Akkommodations- und Assimilationsprozessen die neu gemachten Erfahrungen in bestehende, mehr oder weniger verfestigte Bilder, Einstellungen und Verhaltensformen in Bezug auf die Ausgangs- und die Zielkultur restrukturierend integriert und dabei auch gegenläufige Veränderungen bewirkt, zum Beispiel in Bezug auf Generalisierungs- und Differenzierungsstrategien. 1.3.3 Das 5-Phasenmodell der interkulturellen Sprachdidaktik Den Weg zur Horizontverschmelzung als Kernelement der interkulturellen Hermeneutik betrachten die interkulturelle Sprachdidaktik und verwandte Ansätze als graduell bewältigbaren Prozess der Annäherung. An Modellen der sukzessiven Annäherung an das Fremde orientieren sich unter anderem die Lehrwerke Sichtwechsel (Hog, Müller & Wessling 1984), Typisch Deutsch? (Behal-Thomsen, Lundquist-Mog & Mog 1993) und Für- und Widersprüche (Roche & Webber 1995), die bemerkenswerterweise alle aus der gleichen Epoche stammen, aber keine Nachfolger gefunden haben. Ihre Fortsetzung finden die Ansätze der interkulturellen Sprachdidaktik in der stärkeren Fokussierung auf Aspekte der Transkulturation (Ehrhardt 2009; Reimann 2008; Rieger 2008; Engelbert 2008; Birk 2008; Brunnhuber 2008; Janich 2002; Agar 1994). Wie man sich den Annäherungsprozess vorstellen kann, illustriert das 5-Phasenmodell der interkulturellen Sprachdidaktik. Es bietet eine Orientierung für eine Vorgehensweise, die zu multiperspektivischem Lernen führen soll und mit mehr oder weniger unterrichtlicher Steuerung eingesetzt werden kann. Sein Ablaufschema liegt dem Lehrwerk Für- und Widersprüche (Roche & Webber 1995) zugrunde. Das Modell impliziert, dass die präsentierten Themen auf das Interesse der Lerner stoßen und somit authentische (für die Lerner relevante) Prozesse der intellektuellen Auseinandersetzung mit interkulturellen Thematiken auslösen, die die Ausgangskultur und -sprache der Lerner mitberücksichtigen. Über verschiedene didaktische Schritte lässt sich der Fremdheit erschließende Zugang (neben anderen) operationalisieren. Dabei ist eine unterrichtsmethodische Reduzierung oder Auflösung der Fremdheit weder Bedingung noch Ziel des Verfahrens. <?page no="53"?> 53 1.3 Interkulturelle Hermeneutik Trotz verschiedener Ähnlichkeiten zu Bennetts Modell von interkultureller Kommunikation (1993) handelt es sich beim 5-Phasenmodell nicht um eine Ableitung davon. Der Zugang zum Fremdverstehen erfolgt nicht global, sondern in Teilbereichen, wie es für didaktische Verfahren üblich ist. Die Stufen des 5-Phasenmodells der interkulturellen Sprachdidaktik gestalten sich folgendermaßen: Phase Aktivitäten 1. Aktivierungsphase ▶ Formulierung der ersten Reaktionen auf das Thema ▶ Herstellung der Relevanz ▶ Aktivierung des Vorwissens 2. Thematische Differenzierungsphase ▶ Herausforderung oder Bestätigung eigener Ansichten, Meinungen und Einstellungen der Lerner ▶ weitere Exploration 3. Strukturelle Differenzierungsphase ▶ Bearbeitung der Aufgaben des Themas anhand diverser Hilfestellungen 4. Expansionsphase ▶ Vervollständigung der thematischen Differenzierung ▶ Einbringen und Sammeln neuer Perspektiven ▶ Erweiterung der inhaltlichen Diskussion 5. Integrationsphase ▶ Erläuterung kontroverser Perspektiven ▶ Hervorhebung der sprachlichen Variation in unterschiedlichen Textsorten Tabelle 1.1: Die Stufen des 5-Phasenmodells 1. Die Aktivierungsphase (Vorentlastung) ermöglicht es den Lernern, ihre ersten Reaktionen auf das Thema einer Lerneinheit zu formulieren und zu ordnen sowie die Relevanz für sich herzustellen. Die wichtigsten sprachlichen und konzeptuellen Fragen, die bei der Durchführung der Aufgaben eine Rolle spielen könnten, werden bearbeitet, und Hilfen werden zur Verfügung gestellt. Vorwissen wird aktiviert, meist durch Assoziationen. Die Lerner können aktiv an der Findung und Formulierung des Themas beteiligt sein. 2. Die thematische Differenzierungsphase (in Form eines ersten Haupttextes, einer ersten Aktivität oder einer Sammlung von kürzeren Texten) gibt eine bestimmte Perspektive zum Thema wieder, die die Ansichten, Meinungen und Einstellungen der Lerner herausfordert oder bestätigt und damit zu weiterer Exploration führt. Das Thema und ein angemessener Behandlungsmodus werden somit gleichzeitig etabliert. Wichtige sprachliche Mittel zur Lösung der anstehenden Aufgaben werden zur Verfügung gestellt. Assoziatives Denken und Vergleichen werden gefordert und gefördert, um so Reflexionen auszulösen und zu ersten Schlussfolgerungen zu führen. 3. Die strukturelle Differenzierungsphase (Kontextualisierung / Spezialisierung) stellt verschiedene Hilfsmittel zur Bearbeitung der Aufgaben des Themas zur Verfügung: Informationsquellen (inklusive Internetrecherchen), Methoden, Techniken und Strategien für den vertieften Umgang mit dem Thema wie zum Beispiel Grammatik, Wortschatz und Lernstrategien. Auch diese Hilfsmittel werden interkulturell vermittelt und erarbeitet, und zwar, soweit möglich, mit thematischem Bezug auf die entsprechende Lerneinheit. Teile dieses Abschnittes können auch als „Auszeiten“ für grammatische oder strategische <?page no="54"?> 54 1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle Vertiefungen arrangiert werden. Stärker strukturierte Formen des Denkens, wie das konzeptuelle (bedeutungsbezogene) und taxonomische (ordnende) Denken, treten dabei in den Vordergrund. 4. Die Expansionsphase vervollständigt die thematische Differenzierung in Bezug auf Information, Spezifik beziehungsweise Perspektive. Hier werden neue Perspektiven eingebracht und versammelt, um damit die (inhaltliche) Diskussion zu erweitern und um die bestehenden Perspektiven der Lerner weiter entwickeln zu helfen. Zusätzliche Vergleiche und Reflexionen werden initiiert. Deduktives Denken tritt hierbei in den Vordergrund. Das sprachliche Repertoire wird durch zusätzliche Begriffe und Strukturen verfeinert und entsprechend geübt. 5. In der Integrationsphase (Gegenüberstellung) wird das zuvor erreichte Diskussions- und Wissensniveau weiteren, auch deutlich kontroversen Perspektiven gegenübergestellt, und zwar nach Möglichkeit mit gleichzeitigem Blick auf die sprachliche Variation in unterschiedlichen Textsorten. Die sprachliche Formulierung der verschiedenen Perspektiven sollte mit Ausnahme der rezeptiven Fertigkeiten möglichst nicht über das sprachliche Niveau der Lerner hinausgehen. Die Lerner sollten die Materialien aber selbständig nutzen und ihre eigenen Ansichten mit dem entsprechenden Selbstvertrauen und der nötigen sprachlichen Sicherheit vertreten können. Der Grad des deduktiven Denkens soll dabei erhöht werden. Die fünf Phasen werden durch zahlreiche Referenzmaterialien, also die Nutzung von Wörterbüchern, Grammatiken, Adressen, Internetquellen, weiteren Lesetexten und ähnlichem ergänzt, die für das selbständige Lernen nötig sind. Der Umfang der Phasen ist variabel. Er kann entsprechend den Bedürfnissen der Lerner und der Lernziele angepasst werden. Alle Phasen basieren auf bedeutungstragenden Beziehungen. Assoziative Denkformen werden zunehmend durch deduktive ersetzt, je weiter die Lerner in den Phasen fortschreiten. Das vierstufige Modell des interkulturellen Sprachunterrichts von Byram und Morgan (1994: 50) enthält ebenfalls systematisierte Didaktisierungsvorschläge (vergleiche auch Witte 200) zur Progression im interkulturellen Unterricht). Aus der Darstellung der verschiedenen kulturvermittelnden Ansätze werden unterschiedliche Schwerpunkte und Ziele deutlich. Neben traditionellen faktenorientierten und vorwiegend auf die Rekonstruktion denotativen Wissens ausgerichteten Verfahren, mit verschieden starker linguakultureller Orientierung, finden sich zunehmend Ansätze, die in unterschiedlichem Maße konstruktivistische Aspekte des Fremdverstehens berücksichtigen. Wie diese mit Prozessen der Transkulturation vereinbar sind, soll im folgenden Kapitel behandelt werden. 1.3.4 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit ging es darum, die Relevanz der interkulturellen Hermeneutik für die Sprach- und Kulturvermittlung kritisch zu reflektieren. Dabei zeigt sich, dass die wesentlichen Konzepte der Hermeneutik oft leichtfertig und nicht gut verstanden herangezogen werden, um didaktische Verfahren zu begründen. Die Begriffe das Eigene und das Fremde oder <?page no="55"?> 55 1.3 Interkulturelle Hermeneutik Perspektivwechsel und ähnliche signalisieren ein mangelndes Verständnis für die kognitive Umsetzbarkeit anspruchsvoller Lehrpostulate. In dieser Einheit haben Sie ▶ die theoretischen Grundlagen der interkulturellen Sprachdidaktik und eine Reihe einschlägiger Referenzen kennengelernt; ▶ verschiedene Ansätze zur Kulturvermittlung und Landeskunde im Fremdsprachenunterricht kritisch reflektiert; ▶ Illustrationen von Lehrmaterialien und einen mehrstufigen Vermittlungsansatz für die Praxis kennengelernt und kritisch begutachtet. 1.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was verbirgt sich hinter dem paradox klingenden Begriff Inkompetenzkompensationskompetenz? 2. Was besagen neuere Studien zum Austausch von Schülern und Studenten in Bezug auf die Entwicklung interkultureller Kompetenzen? 3. Illustrieren Sie anhand des 5-Phasenmodells, wie ein Annäherungsprozess durch multiperspektivisches Lernen in der interkulturellen Sprachdidaktik möglich ist. 4. Welches sind die in dieser Lerneinheit deutlich gewordenen unterschiedlichen Schwerpunkte der kulturvermittelnden Ansätze? <?page no="57"?> 57 1.3 Interkulturelle Hermeneutik 2 Transkulturation und Transdifferenz Interkulturelle Kommunikation ist ein etablierter Begriff in der Alltagssprache, in Lehrplänen, in vielen wissenschaftlichen Disziplinen und in populären Firmentrainings. Dennoch ist nicht klar festgelegt, was genau damit gemeint ist. War es in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts notwendig, in der aufkommenden postkolonialen, zunehmend multikulturell geprägten Zeit auch passende Begriffe zu besitzen, so sind zunehmend Zweifel an der Umsetzbarkeit multi- und danach interkultureller Gesellschaftsmodelle aufgetreten. Das hat vor allem mit der Erkenntnis zu tun, dass Kontakt alleine noch keinen Austausch und kein Verstehen bewirkt, sondern oft sogar die Gegensätze verschärft. Im Zuge dieser Diskussion lassen sich unterschiedliche Strömungen feststellen: die eine, die munter einem vagen Multi- und Interkulturalismus-Konzept verschrieben ist, dessen hermeneutische Prämissen um das Fremde und Eigene, Perspektivenwechsel und Toleranz kreisen. Eine andere, die gerade diese hermeneutischen Prämissen hinterfragt und sich damit auch von den frühen Begrifflichkeiten der Debatte distanziert. In diesem Kapitel geht es darum, dieser zweiten Strömung Platz einzuräumen. Es wird daher dargestellt, welche Weiterentwicklung das Konzept der Transkulturation und das der Transdifferenz gegenüber statischen Modellen der kulturellen Begegnung darstellen, inklusive dem der Transkultur. In diesem Zusammenhang wird auch das vermeintliche Gegenstück zu interkultureller Kommunikation, die Verwendung eines vermeintlich universellen, linguakulturunabhängigen Instrumentes beleuchtet, wie es in einer Lingua Franca gegeben scheint. Im Mittelpunkt der Behandlung steht die Frage, wie sich individuelle Identitätskonstruktionen mit vorherrschenden gesellschaftlichen vereinbaren lassen, ohne dass es zu Auflösungserscheinungen kommen muss (Lerneinheit 2.1). Lerneinheit 2.2 stellt die Grundlagen des Verstehensmodells Transdifferenz ausführlich dar. Lerneinheit 2.3 befasst sich schließlich mit der Rolle der Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen. <?page no="58"?> 58 2 Transkulturation und Transdifferenz 2.1 Kulturtransfer und Identität Jörg Roche Wer mit Sprache kommuniziert, nimmt bekanntlich unterschiedliche Rollen an, weil er damit Unterschiedliches ausdrücken kann. Über diese in sozialer Interaktion ausgehandelten Rollen konstituiert ein Sprecher also unterschiedliche Identitäten. Wie aber verändern sich diese Rollen über sprachkulturelle Grenzen hinweg, wie lassen sie sich nebeneinander organisieren, ohne zu Interferenzen oder Konflikten zu führen? Die Frage der sozialen Identität eines Sprechers führt gleichzeitig zu grundsätzlichen Fragen des Kontaktes und Austausches von Kulturen. Inwiefern führt der Kontakt zu Konvergenzen, inwiefern zu Divergenzen? Handelt es sich dabei um Eigenschaften oder Zustände, wie es die Bezeichnungen Transkultur beziehungsweise transkulturell suggerieren oder eher um dynamische Prozesse der Transkulturation? Wie lassen sich diese ergebnisoffenen Prozesse sinnvoll im Unterricht einsetzen? Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Konstitutionsprozesse sozialer Identität durch Sprache verstehen; ▶ die Mechanismen der mehrfachen Kollektivzugehörigkeit von Sprechern kennenlernen; ▶ die Prozesse von Konvergenz und Divergenz in transkultureller Kommunikation erkennen; ▶ die Konzepte Transkultur und Transkulturation kritisch betrachten; ▶ sich mit der skeptischen Hermeneutik als didaktischem Ansatz des Fremdsprachenunterrichts auseinandersetzen. 2.1.1 Kommunikative Steuerung sozialer Identitätsprozesse Mit der Sprache konstruieren Sprecher und Sprecherinnen ihre Rolle in der sozialen Interaktion und kommunizieren diese an ihre Gesprächspartner beziehungsweise Gesprächspartnerinnen und die Außenwelt. Quist und Jørgensen (2009: 38) weisen darauf hin, dass selbst die “most monolingual speakers” Code-Wechsel betreiben, um damit den Wechsel von einer Rolle zur anderen zu markieren. Dieser Wechsel muss nicht situativ oder kontextuell, sondern kann auch metaphorisch sein. Unzählige Studien verweisen auf den Zusammenhang von Sprache und Identität und den identitätsstiftenden Charakter der Sprache bei Mehrsprachigen: Pavlenko (200); Pavlenko & Blackledge (2004); Panayiotou (2004); Piller (2002); Bamberg (1997). Eine Zusammenfassung qualitativer und quantitativer Studien findet sich in Dewaele (2009), ein Überblick über die Forschungsentwicklung in Baquedano-López & Kattan (2007). Die soziale Konstruktion kann ihren Ausdruck in unterschiedlicher sprachlicher Form finden oder sie kann durch Registermarkierungen unterstützt werden. Zu den Markierungen gehören syntaktische, morphologische oder phonetische Markierungen. Quist und Jørgensen <?page no="59"?> 59 2.1 Kulturtransfer und Identität (2009) zeigen, wie etwa durch den Wechsel von einem labio-dentalen / w/ zu einem dentalen Verschlusslaut / v/ in dänischer Jugendsprache eine Markierung als ausländisch beziehungsweise Ausländer oder Ausländerin entsteht und welche Folgen diese sprachliche Identitätskonstruktion bewirkt. Hierzu gehören etwa auch lexikalische Markierungen eines Registerwechsels: zum Beispiel in der deutschen und dänischen Kanaksprak isch schwör oder Dänisch jeg sværger, (Quist & Jørgensen 2009: 383) im Sinne von ‚ehrlich‘, ‚ich sags dir doch‘ oder ‚wonn isch dirs doch saach‘ (Hessisch). Nicht jeder Sprecher oder jede Sprecherin greift jedoch auf diese Konstruktionsmittel zurück. Die Markierung des Wechsels verlangt eine Bereitschaft, Sensibilisierung, und persönliche Anlage und Kompetenz für die Konzeptualisierung beim Sprecher, eine hinreichende Salienz in der Kommunikation sowie eine entsprechende Einschätzung der sozialen Bedeutung durch den Sprecher. Auer und Dirim (2003) zeigen in ihrer Studie, wie Jugendliche in Hamburg Strategien zur Identitätskonstruktion und Markierung von Gruppenzugehörigkeiten verwenden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die aus einer der beteiligten Sprachen entlehnten Elemente reale Wörter oder Chunks dieser Sprache sind. Sie können auch als Anlehnungen an diese Sprachen zur Markierung der Fremdsprachigkeit oder eines Identifizierungs- oder Distanzverhältnisses zu einer Sprache verwendet werden. Damit kann man sich von dieser Sprache oder von einer Gruppe abgrenzen, der man die Sprache zuordnet, zum Beispiel indem man sich über sie lustig macht (vergleiche Hinnenkamp 2003). Jørgensen (2004) nennt dieses Verfahren languaging und Wächli (2005) bezeichnet den Vorgang der Neu- oder Umbenennung mittels fremdsprachiger Elemente in Anlehnung an Kreolisierungsprozesse der Relexifizierung relexicalisation. Auch als foreignizing kann man dieses Verhalten bezeichnen (siehe Abschnitt 3.3.1 und Lerneinheit 4.3). Wie Lo (1999) anhand des heteroglossischen Verhaltens asiatischer Jugendlicher in Los Angeles zeigt, bedarf es aber trotz der genannten sprachlichen Identifikationsmittel immer noch der Ratifizierung und Legitimierung der sozialen Rolle der Jugendlichen durch das soziale Umfeld. Die soziale Legitimierung ergibt etwa die Aufnahme in die Ingroup und die Übernahme bestimmter Rollen. Wo sprachliche und soziale Identität nicht korrespondieren, bedarf es oft weiterer Legitimierungsprozesse. 2.1.2 Kollektivzugehörigkeit als Ausdruck von pluraler Identität Wie lassen sich die pluralistischen Rollenzuschreibungen eines Individuums darstellen und vereinbaren? Hansen (2011) entwickelt hierzu ein Modell, das versucht, die intragesellschaftliche Heterogenität so abzubilden, wie es im Bereich der Soziolinguistik die Variations- und Registerforschung tut (vergleiche auch die Prolegomena von Lüdi 2003 zu den mehrsprachigen Repertoires und pluriellen Identitäten von Migranten). Hansen (2011) unterscheidet aus guten Gründen systematisch zwischen dem traditionellen ethnologischen und einem wissenschaftlichen Kulturbegriff, für den er das Konzept des Kollektivs verwendet. Das Kollektivsystem sei demnach nicht als fertiges System vorhanden, sondern bilde sich aus ungeplanten Konventionen der Beteiligten und könne sich beliebig differenzieren und proliferieren, sei also dynamisch. Normen und Standardisierungen der Kollektive entstehen aus Konventionen, die sich ihrerseits aus präkollektiven Elementen <?page no="60"?> 60 2 Transkulturation und Transdifferenz entwickeln. Die Gültigkeit der Normen für ein bestimmtes Kollektiv konstituiere keine Gültigkeit für andere. Individuen gehören nicht nur einem Kollektiv, sondern einem System der Multikollektivität an. Die Identität eines Individuums entsteht somit aus dem Profil der verschiedenen Subkollektive, zu denen ethnische Kollektive, also auf pankollektiven Komponenten wie Nationalität, Religion, Sprache oder ethnischer Gruppe basierende Schicksalskollektive, und Interessenskollektive wie Arbeit und Freizeit gehören. Hansen unterscheidet ferner zwischen verschiedenen Ebenen von Kollektiven, nämlich denen des ersten Grades, die Individuen betreffen, und denen des zweiten Grades, die die Organisation verschiedener Kollektive untereinander bezeichnen. Jedes Kollektiv bildet auf diese Art eine eigene Kultur aus. Hansens Kulturmodell teilt Nationalkulturen damit in eine flexible, untereinander organisierbare Menge von Kollektiven auf, die mehr oder weniger deutlich trennbar bleiben. So erlaubt das Modell, Individuen als multikollektiv auszuweisen. Wie das Individuum diese Dynamik kognitiv verarbeitet oder transkollektiv organisiert, klärt es nicht. Ein ähnliches Kollektivitätsprinzip, das das Management der Kollektive aber stärker in den Blick nimmt, stellt die Cultural Theory von Douglas (1992) dar. Es differenziert die Kollektive dadurch, dass neben die Kollektivitätsdimension (group) eine Individualitätsdimension (grid) tritt. Mit der group dimension nehmen die Gruppenbindung und die damit verbundenen Schwierigkeiten des Zugangs (durch steigende Anforderungen) zur Gruppe zu, mit der stärkeren Zuordnung zur grid dimension steigt die Einschränkung der individuellen Wahlmöglichkeiten des Zugangs zu Gruppen. Nach Karmasin (2002: 840) ergeben sich daraus vier prototypische Kulturen: die Individualisten, die Fatalisten, die Egalitären und die Hierarchisten. Die prototypischen Kulturen lassen sich wie folgt genauer charakterisieren (Karmasin 2002: 84): Abbildung 2.1: Einteilung von Kollektiven nach Individualitäts- (Grid) und Gruppendimension (Group) in der Cultural Theory nach Douglas (Karmasin 2002: 840) <?page no="61"?> 61 2.1 Kulturtransfer und Identität Dieses Modell sieht starke (interne) kollektive Normierungen (Viabilisierungen) der Gruppe im Sinne von Wendt (199) vor, die aber kaum externen Restriktionen der Gesellschaft unterliegen. Es handelt sich um ein Modell, in dem die Gruppenzugehörigkeit von sozialen und kommunikativen Prozessen gesteuert wird und das, wie auch das Modell von Hansen, multiple Zugehörigkeiten zu und Ausprägungen von Kollektiven erlaubt. Die Dimensionen sind dynamisch veränderbar. Durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen, unter Umständen konträren Kollektiven entstehen jedoch auch Probleme der Zuordnung und Vereinbarkeit. Wie die daraus entstehenden kognitiven Dissonanzen vom Individuum bewältigt werden können, wird in dem Modell nicht geklärt. 2.1.3 Konvergenz und Divergenz im Kulturkontakt Kulturkontakt steht bekanntlich im Spannungsfeld von Ablehnung und Skepsis auf der einen Seite und Glorifizierung und Romantisierung auf der anderen. Auf der skeptischen Seite des Feldes ergibt sich gelegentlich der Verdacht, Kulturkontakt könne Interferenzen in den beteiligten sprachlichen und kulturellen Systemen erzeugen, die sich in unterschiedlichen hybriden Erscheinungen ausdrücken. Das Verdachtsspektrum reicht von der Angst vor Konturenverlust aller oder eines der beteiligten Systeme (doppelte Halbsprachigkeit beziehungsweise doppelte Halbkulturalität) über die Angst vor Identitätsverlust der beteiligten Personen und die Angst vor Beliebigkeit und Auflösung von Kulturen bis hin zu der Angst vor pathologischen Erscheinungen und geistigen Verwirrungen, wie sie in segregierenden und totalitären Systemen propagiert werden (Rassenwahn, Apartheit, ethnic cleansing). Auf der anderen Seite des Spannungsfeldes stehen dagegen Multikulturalismus- und Toleranzkonzepte, die sich als gesellschaftliches Ideal einer One World-Philosophie verstehen. Diese Konzepte basieren auf einem idealisierten Verständnis von der Machbarkeit eines multikulturellen Nebeneinanders, das sich unter anderem in der Zielsetzung Globalisierung und den daraus resultierenden bildungspolitischen (Lehr-)Zielsetzungen ausdrückt (world citizens, global village). Dieses idealisierte Verständnis funktioniert leicht auf folkloristischkulinarischer Ebene, scheitert aber in der übrigen Lebenspraxis meist am mangelnden Diskurs über den Austausch der Kulturen. Die Folge sind kulturelle Spannungen-- unter und auf der Oberfläche- - sowie gesellschaftspolitische Fehleinschätzungen der Abwehrreaktionen. Es stellt sich also die Frage, inwieweit sich die kulturellen Differenzen durch Maßnahmen der interkulturellen Vermittlung überwinden oder vereinbaren lassen, beziehungsweise inwieweit Differenzen bestätigt, gepflegt oder betont werden müssen, damit Gesellschaften funktionieren. Zwei Paradigmen bieten sich dafür an: einerseits Konvergenz der Kulturen herzustellen (Konvergenzhypothese), andererseits Divergenz zwischen ihnen bestehen zu lassen (Divergenzhypothese). In der gesellschaftspolitischen Praxis markieren diese beiden Paradigmen jedoch nur scheinbar gegenläufige Strömungen: Konvergente Kommunikations- und Handlungssysteme sind eine elementare Grundlage für die Umsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen, erfordern aber gleichzeitig-- zur Wahrung des sozialen Friedens-- Freiräume für die Toleranz des Fremden. Damit wird die Divergenzbetonung über den Toleranzbegriff zu einem konstitutiven Teil von Konvergenzverfahren. In dieser Funktion läuft <?page no="62"?> 62 2 Transkulturation und Transdifferenz sie aber Gefahr, multikulturelles Beiwerk mit Wohlfühlcharakter zu bleiben (heritage cultures, heritage languages, multiethnic workforce, diversity, Folklore). Das dominant folkloristische Verständnis interkultureller Begegnungen in Veranstaltungen von öffentlichen Institutionen und Kulturverbänden, bei Preisverleihungen und in der Werbung (vor allem die Darstellung kultureller Vielfalt durch Metaphern der Farbigkeit in Essen, Tanz, Aussehen und Kleidung) belegt diese Gefahr genauso wie der oberflächliche Eingang, den interkulturelle Lehrziele im Geist der Globalisierung und Integration in Lehrpläne und die Sprachenpolitik vieler industrialisierter Länder gefunden haben. Mit der Globalisierung wird das Lehrziel und Toleranzkriterium interkulturelle Kompetenz daher auch zu einem nach innen gerichteten Mittel der Integration in eine Gesellschaft, die sich interethnische Spannungen weder ökonomisch noch aus Gründen internationaler Öffentlichkeit leisten kann (diversity management). Die zuvor beschriebene Spannungslage lässt sich mit den dargestellten Konvergenz- und Divergenzverfahren-- wie gezeigt-- temporär verdrängen, aber nicht nachhaltig bewältigen. Solange die „Therapie“ der Spannungen aber nicht die Wurzeln einschließt, wird sie kaum über symptomorientierte Erfolge hinausreichen. Taylor (1992) fordert aus diesem Grund einen entideologisierten, offenen und direkten Umgang mit fremden Kulturen, der die Realitäten der begrenzten Erkenntnisfähigkeiten akzeptiert-- und konstruktiv nutzt. We only need a sense of our own limited part in the whole human story to accept the presumption. It is only arrogance, or some analogous moral failing, that can deprive us of this. But what the presumption requires of us is not peremptory and inauthentic judgments of equal value, but a willingness to be open to comparative cultural study of the kind that must displace our horizons in the resulting fusions. What it requires above all is an admission that we are very far away from that ultimate horizon from which the relative worth of different cultures might be evident. This would mean breaking with an illusion that still holds many ‘multiculturalists’-- as well as their most bitter opponents-- in its grip. (Taylor 1992: 73; für die deutsche Übersetzung siehe Taylor 1997) Die Abkehr von illusorischen Konvergenz- und Divergenzmaßnahmen ergibt sich für Taylor aus der Komplexität der erforderlichen Normenveränderungen, die aus der Aufgabe der Vereinbarung nicht mehr kontrollierbarer Uneindeutigkeiten, Brüche und Grenzüberschreitungen resultieren, die die Multikulturalität moderner Gesellschaften und die Globalisierung charakterisieren. Für die Transformation der Normen verweisen sie im Sinne interkulturellhermeneutischer Ansätze auf die Erkenntnispotenziale der Horizonterweiterung und auf das organische Wachstum des Horizontes im Laufe der Erkenntnisgewinnung. Dass eine direkte Auseinandersetzung mit kultureller Diversität notwendig ist, stellt eine allgemeine Entwicklung zu einem kritischen Multi- und Interkulturalismusdiskurs dar, angefangen bei der postmodernen Aufhebung und Auflösung kommunikativer Idealisierungen (vergleiche Deleuze 2000; Foucault 197; Derrida 1972) bis hin zu den durch Lyotard (1979) ausgelösten Reflexionen gesellschaftlicher Pluralisierungen in der Soziologie und den vielfältigen Parallelen im amerikanischen postkolonialen Multikulturalismusdiskurs. We learn to move in a broader horizon, within which what we have formerly taken for granted as the background to valuation can be situated as one possibility alongside the different background <?page no="63"?> 63 2.1 Kulturtransfer und Identität of the formerly unfamiliar culture. The ‘fusion of horizons’ operates through our developing new vocabularies of comparison, by means of which we can articulate these contrasts. So that if and when we ultimately find substantive support for our initial presumption, it is on the basis of an understanding of what constitutes worth that we couldn’t possibly have had at the beginning. We have reached the judgement partly through transforming our standards. (Taylor 1992: 7; für die deutsche Übersetzung siehe Taylor 1997) Die durch Pluralismus ermöglichte Horizontverschmelzung, die Sie bereits in der Lerneinheit 1.3 in diesem Band kennengelernt haben, besteht demnach nicht in der Assimilation im Sinne einer Überschreibung, Verwässerung oder Eliminierung verschiedener Horizonte, sondern in der hermeneutischen Produktivität ihrer-- allerdings aufzulösenden-- Distanz. Im Prozess der Horizontverschmelzung bilden sich gebrochene oder zumindest modifizierte, wechselnde Positionen des Eigenen und des Fremden, also auch modifizierte Positionen der Wahrnehmung des Eigenen durch das Fremde und des durch das Eigene wahrgenommenen Fremden, die gesellschaftlichen Normen, individuellen Dispositionen und der Interaktion aus beiden geschuldet sind. Auf Grundlage welcher kognitiven Mechanismen und Prozesse diese Produktivität erreichbar ist, ist damit jedoch noch nicht geklärt. Institutionelle Dokumente erläutern bisher wenig, wie das verarbeitende Individuum diese verschiedenen Positionen nebeneinander organisieren kann und soll. Das aber ist die eigentliche und schwierige Aufgabe im Kulturkontakt. 2.1.4 Transkulturalität und kulturelle Figuration Mit dem Konzept Transkulturalität soll der Prozesscharakter der Begegnung von Kulturen von der Binarität und Statik multi- und interkultureller Konzepte abgelöst werden. Offenheit, Flexibilität und Dynamik sind die entscheidenden Merkmale des begonnenen Paradigmenwechsels. Das viel zitierte Transkulturkonzept von Welsch (2005), das diesen Paradigmenwechsel markieren soll, ist in neuerer Zeit selbst stärker in die Kritik geraten, weil sich hinter den Begriffen der transkulturellen Identitätsbildung und der transkulturellen Identitätsmuster der Begriff der Kultur als Einzelkultur verberge (Merz-Benz 2007: 200f). Den konzeptuellen Widerspruch, Transkulturalität als Zustand abzubilden (etwa in „transkulturelle Gesellschaft“) und nicht als kontinuierlichen Prozess zu verstehen, kann das etablierte Transkulturkonzept in der Tat nicht auflösen. Ein erreichter transkultureller Zustand kann konsequenterweise nur ein kurzzeitiges Ergebnis sein, das zum Ausgangspunkt für weitere Prozesse der transkulturellen Entwicklung werden muss, wenn es nicht im Sinne von Merz-Benz (2007) zu einer Einzelkultur erstarren soll. Die darin implizierte Statik des Kulturbegriffs vermeidet der von Ortiz (1995 [1947]) eingeführte Begriff Transkulturation, indem er den Prozesscharakter der Kulturentwicklung und -konstruktion betont. Transkulturation wird damit als Konstruktion und Aushandlung individueller Bedeutungen von Kulturen verstanden. Mit Onuki und Pekar können Kulturen somit als Figurationen und Defigurationen von sich prozessual konstituierenden (figurierenden) Einheiten verstanden werden, die sich <?page no="64"?> 64 2 Transkulturation und Transdifferenz zugleich in einer ständigen Veränderungsbewegung befinden. Veränderbarkeit und Dynamik sprengen die Grenzen gängiger, auch transkultureller Kulturkonzepte (Onuki & Pekar 200a). Und weil sich zum anderen, in Hinsicht auf unsere eigene kulturelle ‚Verortung‘ (oder auch ‚Ortlosigkeit‘), jede spezifische Kultur selbst als eine ‚Figuration‘ begreifen lässt, d. h. als eine prozessual sich konstituierende Einheit, die sich jedoch in einer ständigen Veränderungsbewegung befindet. Die Rede von ‚Figuration‘ (kultureller Figuration) soll darauf aufmerksam machen, daß sich jede Kultur in einem permanenten und unaufhebbaren Spannungsfeld von De- und Refiguration befindet. Dieser besondere zeitlich-dynamische Aspekt unterscheidet im übrigen ‚Figuration‘ am klarsten von Begriffen wie Struktur, Gestalt, Form etc. (Onuki & Pekar 200a: 9) Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ein radikal konstruktivistisches Modell der Subjektkonstitution, wie es gerne zur Begründung eines autonomen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Handelns herangezogen wird, im Konflikt mit dem ebenfalls angestrebten gesellschaftlichen Ziel Transkulturalität steht, weil das Selbst in diesem Modell als abgeschlossenes, auf sich selbst bezogenes (selbstreferenzielles) Subjekt verstanden werden müsste. Bei dieser Subjektorientierung könnte Verstehen nur durch Rekurrenz auf das Eigene erklärt werden. Es entstünde eine pluralistisch-relationale Einstellung, die nur eine reduzierte Auseinandersetzung mit der Außenwelt ermöglichen würde und damit der Transkulturation abträglich wäre. Kultur ist kein autopoietisches System, das in ausschließlicher Selbstbezüglichkeit die eigenen Elemente selbst produziert und in diesem Prozessieren die konstitutive System / Umweltgrenze affirmiert und perpetuiert, sondern ein prozessuales Produkt der Interaktion von Systemen, deren Grenzen freilich erst in diesem Austauschvorgang gezogen und beständig revidiert werden. (Lösch 2005: 33) Die Austauschvorgänge der Transkulturation erfordern ein dynamisches Subjekt, das sich (im Sinne des sozial-interaktionistischen Konstruktivismus) im Wechselspiel mit der Umwelt weiterentwickelt. Kultur ist demzufolge als die denotative Bedeutungsebene von sozialer und sprachlicher Interaktion zu definieren. Sozialisations-, Akkulturations-, und Integrationsprozesse sowie letztlich auch Individuationsprozesse im Sinne soziokultureller Selbstwahrnehmung beruhen auf der Viabilisierung konnotativer Bedeutungen in gesellschaftlichen Kontexten. (Wendt 2002: 42) Die Bereitstellung denotativen Wissens alleine, zum Beispiel durch die Kontrastierung von Bekanntem und Neuem kann diesen Austausch nicht ersetzen, weil sie den Selbstbezug nicht durchbricht. Wie aber kann das Wechselspiel mit dem Neuen beziehungsweise Fremden in der Umwelt aussehen, wenn die Präsentation denotativen Wissens nicht genügt? <?page no="65"?> 65 2.1 Kulturtransfer und Identität 2.1.5 Die Normalität des Fremden in der skeptischen Hermeneutik Schon sehr früh und nachdrücklich wehrt sich Hunfeld gegen alle Versuche, Fremdheit zu verharmlosen, zu verwaschen oder auflösbar zu machen und plädiert dagegen für ein Konzept der Affirmation und des Erhalts (Normalität) des Fremden. Bewusst distanziert sich dieser Ansatz von jeder „optimistischen Verstehenslehre“ (Hunfeld 2004: 487), die davon ausgeht, dass man den Fremden verstehen könne, wenn man nur sorgfältig seine Sprache und Kultur lernte. Diese einfache Grunderkenntnis der Hermeneutik widerspricht der gängigen Euphorie, die der Sprache zutraut, sie könne zwischen allen alles vermitteln (Hunfeld 1998: 85). Diese Normalität des Fremden erfordere eine neue Haltung, die den fremden Anderen in seiner Eigenheit wahrnehme und anerkenne, zugleich aber eine respektvolle Nähe und Distanz ermögliche und so die Bedingungen für einen interkulturellen Dialog schaffe, der von gleichwertigen Partnern und Partnerinnen geführt werde. „Solange das Fremde noch auffällig ist, wird es nicht als Normalität wahrgenommen“ (Hunfeld 2004: 488). Die Schwierigkeiten des Fremd-Verstehens führt Hunfeld unter anderem auf folgende traditionelle und weiter in die Gegenwart wirkende Tendenzen zurück: ▶ die Inbesitznahme des Fremden aus der eigenen Interessensperspektive; ▶ die Neigung, Fremdes in die je eigenen Verstehensbegriffe überzuführen; ▶ die Fiktion, das Fremde vom Eigenen her abzubilden; ▶ die Befangenheit im a priori als richtig verstandenen Urteil über den Anderen; ▶ die Eingeschränktheit in der eigenen Wahrnehmung; ▶ die Unfähigkeit, das Andere als Anderes gelten zu lassen; ▶ das autoritäre Sprechen mit dem Fremden, das zu seiner Verstummung führt. (vergleiche Hunfeld 2004: 45) „Wenn das Fremde in der gewährten Nähe das Verschiedene bleiben kann“, werde der Tendenz vorgebeugt, es „vollständig in das eigene Verständnis zu bekommen“ (Hunfeld 1998: 0). Damit komme es auch nicht zu der oft befürchteten Auflösung der Perspektiven in transkulturellen Prozessen. Hunfelds darauf aufbauendes Konzept der skeptischen Hermeneutik betont die nicht auflösbare Begrenztheit des Verstehens. Verstehen erfordere demnach eine mühsame Verstehensübung, die diese Begrenztheit beachte, denn das Nichtverstehen sei konstitutiver Bestandteil jeder Anstrengung des Verstehens (siehe Hunfeld 2004: 45). Kapumba Akendas Entwurf des Modells eines ethischen Universalismus (2004), der wie Hunfelds skeptische Hermeneutik von einer praktischen, Verstehensgrenzen überschreitenden Anerkennung von Pluralität, Ungleichheit und Dissens ausgeht, hebt hervor, dass diese Anerkennung keinen Verzicht auf das Verstehen als Ziel, sondern einen Verzicht auf das Verstehen als Bedingung interkulturellen Handelns darstelle. Sie kommt ohne eine theoretische und argumentative Homogenisierung aus und erzeugt dadurch eine Gleichheit der Bedingungen für ungleich verstandenes und kulturbezogenes Handeln (Kapumba Akenda 2004: 284). <?page no="66"?> 66 2 Transkulturation und Transdifferenz Der Normalfall des Nichtverstehens besteht nach Kogge (2002) folglich darin, dass zwischen dem Aufkommen eines Zweifels bis zu seiner Beseitigung konstruktive Verstehensprozesse ausgelöst werden. Der skeptischen Hermeneutik geht es in diesem Sinne nicht um die Auflösung oder Verwässerung unterschiedlicher Positionen oder eine vordergründige Kompromissbereitschaft (Toleranz), sondern gerade um die Wahrung des Rechts auf, und die Betonung der Notwendigkeit von Differenz und Dissens. Folgerichtig entwickelt die skeptische Hermeneutik aus der Affirmation von Differenz und Dissonanz auch für den Unterricht die Forderung, Fremdheit als Lernimpuls aktiv nutzen zu sollen, anstatt sie auflösen zu wollen. Ein anderes Verständnis von Verstehen führe nicht wirklich zu einer Anerkennung der Andersartigkeit. Will man diesen Ansatz im Fremdsprachenunterricht produktiv umsetzen, genügt es folglich nicht mehr, in der Landeskunde fixierte Normen vorzugeben, nachzustellen oder zu deuten. 2.1.6 Zusammenfassung ▶ Anhand verschiedener Bereiche der Jugendsprache konnte gezeigt werden, wie soziale Identität in der Kommunikation konstituiert wird und dass die sprachlich konstituierten Gruppenzugehörigkeiten zudem der sozialen Sanktionierung bedürfen. ▶ Die unterschiedlichen Rollen, zwischen denen Menschen in der Kommunikation hin- und herwechseln, lassen sich durch unterschiedliche Zugehörigkeiten zu größeren und kleineren Kollektiven erklären. ▶ Allerdings lässt sich durch diese Zuschreibungen nicht erklären, in welchem Wechselverhältnis die unterschiedlichen Kollektive sich beeinflussen. ▶ Kritisch reflektiert wurden zudem die Konvergenz- und Divergenzhypothese im Kontext der transkulturellen Kommunikation. ▶ Um die inhärente Statik und Binarität dieser Hypothesen und anderer Konzepte zu überwinden, die die interkulturelle Kommunikation beherrschen, wurde der Begriff der Transkulturation als Prozessbegriff erläutert. ▶ Schließlich ging es darum zu zeigen, wie sich die ständigen Austauschprozesse von Eigenem und Fremdem mit der skeptischen Hermeneutik („Normalität des Fremden“) als didaktischem Ansatz des Fremdsprachenunterrichts umsetzen lassen. 2.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie verhält sich Languaging zu Kreolisierungsprozessen? 2. Welche Auswirkungen hat die Divergenzhypothese in Bezug auf sprachliche Förderprogramme und Sprachenpolitik? 3. Inwiefern unterscheiden sich die Konzepte Transkultur und Transkulturation? 4. Wie beschreibt Hunfeld die wichtigsten Schwierigkeiten des Fremd-Verstehens? <?page no="67"?> 67 2.2 Transdifferenz 2.2 Transdifferenz Jörg Roche Wie Sie bereits an mehreren Stellen sehen konnten, ist interkulturelle Kommunikation weitaus mehr als die Beschäftigung mit Alterität und die Überwindung von vermeintlich kulturellen Unterschieden. Auch kann es nicht nur um ein toleranzbasiertes Verständnis im Sinne von Akzeptanz des Fremden gehen, wenn dieses Bedingung für die interkulturelle Begegnung und nicht Ergebnis von Verstehensprozessen sein soll. Es geht vielmehr um die Sichtbarmachung - und Nutzung - teilweise unbewusster Verstehensprozesse von Menschen in mehrkulturellen und mehrsprachigen Gesellschaften und um den produktiven Umgang mit dem Fremden. Dabei geht es nicht um einzelne Bereiche einer mehr oder weniger definierbaren Kultur, sondern um den grundsätzlichen Umgang mit Wissen. Es ist davon auszugehen, dass unser gesamtes Wissen nicht in statischen Schubladen (oder Speichern) abgelegt ist, sondern sich vielmehr dynamisch organisiert und daher ständig in verschiedenen Akkomodations- und Assimilationsprozessen verändert. Bemerkenswert ist, dass trotz aller Dynamik auch ältere Wissensbestände (Einstellungen, Werte, Meinungen, …) weiterhin zugänglich bleiben und unser Handeln unterschiedlich beeinflussen können. So kommt es oft auch zu widersprüchlichen Einstellungen und Handlungen bei derselben Person. Statt also von statischen Konzepten von Wissen und Kultur auszugehen, empfiehlt es sich, dynamische Konzepte zugrunde zu legen und entsprechend künftig auch passende Begriffe dafür zu verwenden. Die Begriffe Inter- und Transkultur stehen dagegen im Verdacht, im Grunde doch statische Zustände von Kulturen abzubilden. Dagegen versucht der Begriff Transdifferenz die ständige Veränderung mentaler Modelle und Schemata und ihre wechselseitigen Einflüsse zu fassen. Damit werden Begriff und Konzept von Transdifferenz gerade für den Umgang mit einer Literatur nutzbar, die unterschiedliche Kultur- und Perspektivenwechsel zu behandeln versucht. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Entwicklung des Konzepts von Transdifferenz kennenlernen; ▶ die kritische Perspektive auf schwammige Begrifflichkeiten im Kontext von Kulturkontakten vertiefen; ▶ den Zusammenhang zwischen skeptischer Hermeneutik und dem Transdifferenzansatz herstellen können; ▶ die Veränderungsprozesse und Beziehungen kognitiver Schemata und Modelle verstehen, beschreiben und auf den Kulturkontakt beziehen können; ▶ die Verbindung von theoretischem Ansatz und einer praktischen Aufgabenorientierung im Unterricht nachvollziehen und nutzen können; ▶ die Veränderungen von Einstellungen und Perspektiven im Kulturkontakt in literarischen Texten nachvollziehen, erklären und im Unterricht umsetzen können. <?page no="68"?> 68 2 Transkulturation und Transdifferenz 2.2.1 Transdifferenz Die Begrenzungen und Widersprüche traditioneller Ansätze des interkulturellen Verstehens lassen sich- - wie dargestellt- - im Rahmen binärer Kulturkonzepte nicht aufheben. Meist scheitern sie an kommunikativen und kognitiven Vorbedingungen, die im Prozess des Verstehens eigentlich erst zu etablieren wären. Das begrenzt ihre Wirkungsmöglichkeiten bei der Umsetzung anspruchsvoller interkultureller Ziele. Die begrenzte Wirksamkeit binärer Systeme von Eigenem und Fremdem zeigt sich umso deutlicher dort, wo Bildungssysteme von authentischem Multikulturalismus und natürlicher Mehrsprachigkeit geprägt sind und die Berücksichtigung von variantenreicher authentischer Fremdheit konstitutiv für die Gesellschaft und das Bildungssystem ist. Das gilt vor allem für die Berücksichtigung der Mehrkulturalität und Mehrsprachigkeit als Gegenstände der Lehrpläne: Sie haben schließlich die Funktion, gesellschaftliche Verhältnisse-- wie die ethnographische Zusammensetzung einer Bevölkerung und ihre Migrationsbewegungen-- abzubilden. Das gilt aber auch als Bedingung des Lernens und der Wissensvermittlung: Allzu oft liegt Bildungssystemen-- und damit auch dem Sprachunterricht- - die Annahme zugrunde, dass die Schülerinnen und Schüler, also die Lerner, fremdsprachen- und fremdkulturunerfahren seien. Diese Annahme trifft heute aber zumindest im deutschsprachigen Raum nicht mehr oder nur auf einen Teil der Lerner zu. Lerner und Lehrkräfte leben heute zunehmend unter transkulturellen, multikollektiven Bedingungen, die sie reflektiert wahrnehmen oder unbewusst erleben. Umso erstaunlicher ist es, dass trotz dieser lebensweltlichen Realität in Bildungssystemen und Unterricht weitgehend unberücksichtigt bleibt, wie Menschen mit den durch Kulturen- und Sprachenkontakt auftretenden kognitiven Dissonanzen produktiv umzugehen haben. Das Konzept der Transdifferenz ist aus einer intensiven Auseinandersetzung mit diesem Kernproblem transkultureller Kommunikation entstanden. Die dargestellten Restriktionen und Widersprüche kulturhermeneutischer Ansätze vom Verstehen des Eigenen und des Fremden können damit-- so das Ziel-- überwunden werden. Der Normalität des Fremden als Katalysator für Lernen wird zur Geltung verholfen. Lag zu Beginn der Entwicklung des Konzeptes der Transdifferenz, das vor allem durch Breinig und Lösch (200) geprägt wurde, der Fokus noch auf dem Verstehen, mit dem ähnlich dem Gadamerschen Konzept der Horizontverschmelzung (Gadamer 1975 [190]) eine „Verflüssigung der Differenzen“ (Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005: 21) einherging, so rückten nach der Kritik an der Fokussierung auf das Verstehen auch Nichtverstehen und Missverstehen ins Blickfeld. Diese neue Ausrichtung machte es möglich, die Aufmerksamkeit auf die Differenzen zu legen, womit wiederum eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zu einer ‚produktiven Transdifferenz‘ gegeben war. (Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005: 21) Dem Transdifferenzansatz geht es also wie der skeptischen Hermeneutik oder dem Modell des ethischen Universalismus darum, die durch die Dynamik der Figuration und Transkulturation entstehenden Differenzen anders zu denken, sie nicht auflösen zu müssen (vergleiche Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005). <?page no="69"?> 69 2.2 Transdifferenz In einem allgemeinen Sinn- - und im Anschluss an die Bedeutung ‚quer, hindurch‘ der Vorsilbe ‚trans‘- - bezeichnet Transdifferenz all das Widerspenstige, das sich gegen die Einordnung in die Polarität binärer Differenzen sperrt, weil es gleichsam quer durch die Grenzlinien hindurch geht und die ursprüngliche eingeschriebene Differenz ins Oszillieren bringt, ohne sie jedoch aufzulösen. (Lösch 2005: 27) Differenzen sind vorübergehende Erscheinungen, die instabil werden. Sie haben eine orientierungsstiftende Funktion, sollen in dieser Funktion erhalten bleiben und durch eine Komponente Transdifferenz ergänzt werden (siehe Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005: 17). Mit der Begrifflichkeit von Differenz und Transdifferenz wird gleichzeitig versucht, die Unbestimmtheit und Veränderbarkeit kultureller Erscheinungen so zu fassen, dass die „dialogische Qualität von kollektiven Identitätsnarrationen“ (Hildebrandt 2005: 351) weder zu einer normierenden Synthese noch zu einer Auflösung von Differenzen, wie in der traditionellen interkulturellen Hermeneutik, führt. Insgesamt erfolgt hierbei eine „Umstellung auf ein dynamisches Identitätskonzept, in dessen Zentrum die Frage danach steht, ‚wer ich werde‘“ (Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005: 18), und nicht, ‚wer ich bin‘. Die kontinuierlichen Austausch- und Änderungsprozesse von Kulturen führen damit zu einer Komplexitätssteigerung postnationaler Identitäten und ermöglichen trotz zunehmender Fragmentarisierung des Selbst die „Teilhabe an mehreren Kollektiv-Intersubjektivitäten“ (Hildebrandt 2005: 351). Wie sich die Fragmentarisierung, das heißt die Komplexitätssteigerung und Veränderung im kognitiven Apparat, verstehen lässt, soll im Folgenden anhand eines Modells dargestellt werden, mit dem die Entwicklungen messbar und darstellbar werden. 2.2.2 Veränderung und Koordination kognitiver Schemata und Modelle Viele der zuvor dargestellten Ansätze aus der Erwerbslinguistik, der Psycholinguistik und der Landeskundeforschung behandeln Wissenserweiterungen und Veränderungen zwar gezielt und viele Lehrpläne sprechen diese Änderungen als Desiderate des Unterrichts direkt an, bleiben aber in Bezug auf die Einlösbarkeit und Messbarkeit eher vage. Wenn aber die Wissensgenerierung und- - wie etwa bei den Stereotypen im Landeskundeunterricht- - die Veränderung von Einstellungen, Schemata und Modellen explizit angemahnt wird, dann sollte auch konkretisierbar sein, wie das geschehen kann, welche Ergebnisse zu erwarten wären und wie der Prozess im Unterricht gegebenenfalls gesteuert oder begleitet werden kann. Wohlgemerkt, die Veränderungen mentaler Modelle und Schemata betreffen prinzipiell Spracherwerb, Sprachmanagement und Transkulturation (und damit auch die Landeskunde) gleichermaßen. Die Fähigkeit, sich neues Wissen anzueignen, das heißt, sich mit Fremdem auseinanderzusetzen, ist eine essentielle (instinktive) Grundlage der menschlichen Existenz und gehört zur Grundausstattung jedes Menschen. Durch Sozialisation und Enkulturation ist ein Rahmen gegeben, der für die Abstimmung und Viabilisierung von Wissensbeständen verantwortlich ist. Sozialisationsagenten wie die Eltern, die Schule, die Freunde und Kollegen (das Umfeld) haben somit einen entscheidenden Einfluss auf den Prozess des Wissenserwerbs und <?page no="70"?> 70 2 Transkulturation und Transdifferenz damit gleichermaßen Auswirkungen auf die Agenten. Gesteuert wird dieser Prozess durch pragmatische, ökologische und ökonomische Prinzipien. Die Prozesse der Wissenskonstruktion können im kognitiven Sinne als Entwicklungs- und Veränderungsprozesse mentaler Schemata und bereits etablierter mentaler Modelle aufgefasst werden. Insofern können auch der Spracherwerb, die Interaktion von Sprachen bei Mehrsprachigen und die Prozesse der Transkulturation als Entwicklungen und Veränderungen mentaler Modelle und Schemata aufgefasst werden. Wissen wird erworben, konstruiert und ändert sich ständig. Es wird in unterschiedlichem Ausmaß von Mitgliedern verschiedener Gemeinschaften geteilt und ist ihnen zugänglich. Wissen umfasst enzyklopädische, prozedurale und emotionale Komponenten. Ein Individuum, das sich neues Wissen aneignet, verändert die bestehende Basis, ohne sie jedoch notwendigerweise aufzulösen. Die Frage ist, wie sich mentale Modelle erforschen und darstellen lassen und wie sich die Änderungen messen lassen. Schematheorien bieten für die Darstellung der dynamischen Wissenskonstruktion und -umstrukturierung, die auch zur Ausbildung sich verfestigender Schemata in mentalen Modellen führen kann, einen operationablen Rahmen an. Es zeigt sich dabei zum einen, dass sich mentale Modelle durch Wiederholungen etablieren und stabilisieren können, dass aber externe, deklarative Information zur Veränderung der Schemata und Modelle von Nutzen sein kann. Eine Effizienzsteigerung bei der Veränderung mentaler Modelle lässt sich vor allem dann erreichen, wenn die neue Information an die vorhandenen subjektiven mentalen Modelle andockt. Wie die Messung der Modellveränderungen (Wissenserwerb) erfolgen kann, versucht Ifenthaler (200) im Rahmen des HIMATT -Projektes (Highly Integrated Model Assessment Technology and Tools) mit Konzeptkarten computertechnisch zu operationalisieren. Der Ablauf der Schemaaktivierung in Folge einer Aufgabenstellung kann hierzu vereinfachend folgendermaßen dargestellt werden: Abbildung 2.2: Prozessmodell zur Veränderung mentaler Modelle und der Restrukturierung kognitiver Schemata nach Ifenthaler (2006) <?page no="71"?> 71 2.2 Transdifferenz Bei Passgenauigkeit führt die Aktivierung der Schemata unmittelbar zur Lösung (Assimilation). Ist die Schemaaktivierung nicht ausreichend zur Bearbeitung der Aufgabe, erfolgen Reorganisations- und Revisionsprozesse der Schemata und mentalen Modelle (Akkomodation). Durch diese Prozesse kann ein Schema erweitert (accretion) oder angepasst (tuning) werden. Genügen diese Prozesse nicht für die Lösung der Aufgabe oder sind die mentalen Modelle nicht adäquat, setzen Reorganisationsprozesse der mentalen Modelle ein. Diese können zu einer Revision der Modelle und damit zu einer Lösung führen, aber auch erfolglos bleiben. Die Erfolgsaussichten für die Lösung einer Aufgabe lassen sich erhöhen, wenn alternative Schemata und Modelle bereits zur Verfügung stehen. Auch diese können zu einer unmittelbaren Lösung der Aufgabe führen oder in die Reorganisationsprozesse einfließen. Schemata sind zwar empirisch nicht immer leicht zu fassen (Ifenthaler 2010), ihre Entstehungsprozesse, ihre Funktionen und ihre Veränderbarkeit lassen sich modellhaft dennoch gut darstellen. Am Beispiel der Schemaveränderungen bei Wechselpräpositionen durch eine animierte Grammatik (siehe Band »Sprachenlernen und Kognition«, Kapitel 2) konnte gezeigt werden, wie sich mittels der heute bereits verfügbaren Instrumente weitreichende Konsequenzen mentaler Modellierungen messen lassen. Mit diesen Instrumenten lassen sich auch die orientierenden und kategorisierenden Funktionen von Vorurteilen und Stereotypen wie auch deren Veränderbarkeit abbilden. In vorherigen Lerneinheiten wurde bereits illustriert, wie die kognitiven Kategorisierungen der Lerner durch kulturspezifische mentale Modellierungen beeinflusst werden. Dabei ist davon auszugehen, dass die kognitiven Kategorien weniger universell ausgeprägt sind, als verbreitet angenommen wird. Sie sind variabel, abhängig von kulturspezifischen semantischen Eigenschaften und spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung allgemeiner kognitiver Fähigkeiten. Rather than cognitive categories being universal and giving rise to universal semantic categories, as is typically supposed, it seems that cognitive categories are variable and they align with crosslinguistically variable semantic categories. This work therefore contributes to the emerging view that language can play a central role in the restructuring of human cognition. (Majid, Bowerman, Kita, Haun & Levinson 2004: 113) Gumperz und Levinson (199) postulieren, dass diese kulturspezifischen Denkmodi im (ontogenetischen) Spracherwerb für das Sprechen erworben werden. Die Denkmodi reflektieren die linguakulturellen Differenzen und beeinflussen die kognitive Kategorisierung. In this theory, two languages may ‘code’ the same state of affairs utilizing semantic concepts or distinctions peculiar to each language; as a result the two linguistic descriptions reflect different construals of the same bit of reality. These semantic distinctions are held to reflect cultural distinctions and at the same time to influence cognitive categorization. (Gumperz & Levinson 199: 7) Die Aufgabe, die Schemata verschiedener Provenienz in den gleichen kognitiven Strukturen zu vereinbaren und mittels kognitiver Prozesse zwischen ihnen vermitteln zu müssen, also Kategorisierungen unterschiedlicher Art nebeneinander zu verwalten, die gleichzeitig veränderbar sind und sich gegenseitig beeinflussen können, kann der Lerner beziehungsweise <?page no="72"?> 72 2 Transkulturation und Transdifferenz die Sprecherin oder der Sprecher lösen, wenn der Wissenszuwachs nicht zu einer Auflösung bestehender Modelle führt. Der Ansatz der Entwicklung konzeptueller Modelle geht zwar von einer Akkomodation bestehender Schemata und Modelle aus, steht aber nicht im Widerspruch zur Koexistenz und Interdependenz verschieden geprägter mentaler Modelle. Vergleiche auch Slobin (199) und die kognitive Anthropologie von Goodenough (1970) und Goodenough (194). Wie gezeigt wurde, löst der Transdifferenzansatz das Problem der kognitiven Dissonanz nicht durch ein binäres System oder eine dritte oder höhere Qualität, sondern durch ein dynamisches Nebeneinander mehr oder weniger interagierender und temporärer Positionen und Einstellungen. In den Modellen von der Drittkultur (Bhabha 1994) oder dem Dritten Ort (Bennett 1993; Kramsch 199) kommt diese Dynamik weniger zum Tragen und ist dort auch nicht unter kognitiven Aspekten behandelt worden. Nach dem Transdifferenzansatz stören die Differenzen die binäre Ordnung, aber substituieren sie nicht, sondern komplementieren sie (Lösch 2005: 28). Durch die dynamische Integration des Fremden in bestehende und sich verändernde Wissensbestände wird die binäre Trennung in Eigenes und Fremdes obsolet. Zwar sind unterschiedliche Wissensbestände identifizierbar, aber weder bleibt die Trennung bestehen noch muss es zu einer diffusen Hybridisierung kommen. Die daraus entstehende transkulturelle Qualität der Wissensorganisation, die sich in Transdifferenz manifestiert, entwickelt sich nicht global, sondern selektiv nach Bedarf und Disposition in Domänen (Provinzen). Bemerkenswert daran ist, dass sich die Entwicklung transkultureller Kompetenzen als Komponente des Wissenserwerbs im Bereich dieser besonderen Interessen oder Interessensinseln bei günstigen Bedingungen sukzessiv sowohl auf andere Provinzen übertragen als auch auf globale Kompetenzen ausdehnen lässt. Das Funktionieren dieses sukzessiven Transferprozesses illustriert van Es (2004) am Beispiel der Entwicklung transkultureller Erscheinungen in Provinzen-- wie der Musik-- und ihrer anschließenden Übertragung auf andere Provinzen-- wie den Sport oder die Mode--, bevor sie zu einer globalen Erscheinung werden. Provinzen können zu Themen wie Arbeitsplatz und Beruf, Sport, Musik, Folklore oder wissenschaftlichen Themen oder jedem anderen beliebigen Themengebiet gebildet werden. Die Übertragung von transkulturellen Kompetenzen, die in einer Provinz erworben und praktiziert werden, auf andere Bereiche geschieht nicht automatisch. Auch sie bedarf der Vermittlung, Reflexion und Einübung. Nicht in der Einebnung oder Vermeidung dieser komplex erscheinenden Prozesse liegt die Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts. Vielmehr ist er mit einer größeren Herausforderung konfrontiert, nämlich mit der Aufgabe, auch diese natürlichen Prozesse mit der richtigen Relevanz und Größe der Provinzen (Themen, Interessensgebiete) und dem richtigen Anspruchsniveau (Aufgabenstellungen) operationabel zu machen. Die im Transdifferenzansatz angelegte multiple und dynamische Perspektivierung und die daraus resultierende Veränderung kognitiver Modelle lässt sich gerade in der Arbeit mit literarischen Texten und anderen Textgattungen nutzbar machen, und zwar dann, wenn die Lesart von Texten, das heißt die Perspektive auf eine Geschichte wie bei dynamischen Hypertexten erfolgt. <?page no="73"?> 73 2.2 Transdifferenz 2.2.3 Konstruktion und Relationalität des Fremden Die für die Einnahme einer anderen Perspektive nötige Veränderung der Einstellung gegenüber dem Fremden verlangt Bochner (1982) zufolge eine Umstrukturierung der kognitiven Kategorien der Individuen, wodurch sie tatsächlich „andere Menschen“ würden. Essentiell ist dabei laut Brière, dass interkulturelles Verstehen als die Fähigkeit verstanden wird, das Fremde tatsächlich als kulturelles Subjekt und nicht als kulturelles Objekt zu betrachten (Brière 198: 204). Wendt (199) spricht hier von „mentalen Interpretaten“. Mit dieser Definition zeigt sich, dass Innen- und Außenperspektiven nicht fixierte („wahre“) Perspektiven sind, sondern auf Konstruktions- und Produktionsprozessen basieren, die vom gleichen kognitiven System des Lerners bewältigt werden. Interkulturelles Lernen beruht-[…] auf der Einsicht, dass die eigene Wirklichkeit und die des anderen Konstruktionen sind und keiner die ‚wahre‘ Wirklichkeit besitzt. (Wendt 2000: 28) Hieraus ergibt sich ein Modell der interpretativen Gemeinschaften, das selbständiges Handeln für Interpretation und Kompetenzmanagement erfordert. Es braucht die notwendige Strategienkompetenz (das savoir comprendre, Byram 1997) beziehungsweise eine „kritische Kompetenz“ (Roche & Roussy-Parent 200; Roche & Webber 1995), die zum Beispiel die Auswahl, Bewertung und Kontextualisierung des Wahrgenommenen regelt (vergleiche Lösch 2003). Krusche stellt in diesem Konstruktions- und Managementprozess die eigentlich relationale Qualität der diffusen Kategorie ‚Fremdheit‘ in den Fokus, die auf „Differenzen, Distanzen, Verschiedenheiten, Unterschiede“ (Krusche 1985a: 13) gerichtet sei. Nicht das Fremde an sich stehe im Mittelpunkt, sondern der Bezug zum Eigenen (Alterität). Zwangsläufig entstehen aus diesem relationalen Konzept Be- und Verfremdungen, die es gelte, im Sprach- und Literaturunterricht konstruktiv zu nutzen. Wie dieses relationale Konzept mittels verschiedenster Textgattungen, von der konkreten Poesie bis zu Romanen, umgesetzt werden kann, illustriert Krusche an einer umfangreichen Sammlung von Materialien für den Unterricht (Esselborn 2010, Krusche & Krechel 1984). 2.2.4 Zur Rolle literarischer Texte und anderer (medialer) Textgattungen Mit literarischen Texten als Verdichtungen komplexer kultureller Systeme und mit unterdeterminierten lyrischen Texten als Impulse für kreative Denk- und Versprachlichungsprozesse wird versucht, eigene und fremde Kulturen zu rekonstruieren oder zu ergründen. Konkrete Poesie eignet sich unter anderem deshalb so gut, weil inhaltsschwere und aussagekräftige Texte auch von Lernern produziert werden können, die noch nicht über ein reichhaltiges Inventar sprachlicher Strukturen verfügen. Ähnlich ist auch in Literacy-Programmen-- oft bereits im vorschulischen Alter-- der Übergang vom Zuhören und Lesen zum eigenen Erzählen konstitutiv angelegt. Nach dem Verfahren von Ehlers ist zwischen „innerer und äußerer Kontextualisierung“ zu unterscheiden, bei dem eine einem Text zugrundeliegende Situation zunächst in eine konzeptuelle Repräsentation (innere Kontextualisierung) umgewandelt und dann in Beziehung <?page no="74"?> 74 2 Transkulturation und Transdifferenz zu ihren nichtsprachlichen Kontexten (äußere Kontextualisierung) gesetzt wird (Ehlers 1989: 179f). Aus diesem an die Prinzipien der Rezeptionsästhetik angelehnten Verfahren ergibt sich eine Vermittlung zwischen zielkulturellem Konstrukt und der Interpretation des Lerners. Die wechselseitigen Vermittlungsprozesse, die im Wesentlichen auf der Interpretation des Betrachters beziehungsweise der Betrachterin oder des Lerners basieren, führen nur bedingt zu einer Rekonstruktion der Situation im Sinne zielkultureller Normen, sondern tragen zu der Ermittlung der ‚kulturellen Bedeutung‘ eines Konzeptes bei. Um Beliebigkeit zu verhindern, bedarf es dazu unter Umständen der Hilfe von außen, da eine konzeptuelle Repräsentation von kulturspezifischen Modellen abhängig ist. Ein vergleichendes Verfahren zur Erarbeitung literarischer Texte mittels Hypo- und Hypertexten schlagen Nolden und Kramsch (199) vor. Die kulturspezifisch geprägten und idiosynkratisch realisierten Perspektiven auf eine Geschichte lassen sich auf der Basis von grundlegenden, unter Umständen aus den Vorsprachen bekannten Konzepten und Texten (Hypotext) in selbst produzierten Hypertexten der Lerner wiedergeben (vergleiche Genette 1982). Hypo- und Hypertexte können im Anschluss-- wie bei den digitalen Ethnographien-- verglichen werden und als Grundlage für interkulturelle Reflexionen dienen. Lernerproduktionen zu Grimm- oder Anderson-Märchen, die in das Stamminventar vieler internationaler Erzählkulturen eingegangen sind, sind hierfür gute Illustrationen. In den Fassungen der Studentinnen des Fortgeschrittenen-Deutschkurses einer kanadischen Universität auf der begleitenden Webseite zeigt sich, dass die von ihnen produzierten Varianten Ableitungen einer konventionalisierten englischsprachigen Übertragung (Little Red Riding Hood) der Grimm’schen Vorlage (Rotkäppchen) sind. Den Studentinnen waren ebenfalls Versionen der Grimm’schen Vorlage bekannt. Diese Ableitungsvariation kann folgendermaßen dargestellt werden (vergleiche dazu auch die Fassungen von Rotkäppchen in der Verwaltungs-, Chemiker- oder Linguistensprache bei Ritz 2000): Abbildung 2.3: Hypertextvarietäten (Ableitungen) mit unterschiedlichen Schnittmengen der Varietäten untereinander und mit dem zugrunde liegenden Hypotext am Beispiel von Rotkäppchen-Variationen im Englischen <?page no="75"?> 75 2.2 Transdifferenz Nicht berücksichtigt in der Darstellung sind jedoch Mischformen aus den beiden Hypertextsequenzen, die je nach Disposition der Produzentin oder des Produzenten beliebig konstruiert werden können. Das Verfahren entspricht dem, was Wendt (199) als Ansatz der semantischen Intertextualität bezeichnet. Das Modell von Nolden und Kramsch (199) lehnt sich damit an textwissenschaftliche Perspektiven an, in denen Kultur als eine semiotische Konstellation von (Hyper-)Texten betrachtet wird, über die ein Ausgleich verschiedener Wissensbestände- - über kulturelle Grenzen hinweg-- bewirkt werden kann. Für die Behandlung unterschiedlicher Textgattungen und ihrer medialen Realisierungen sowie als Instrument für die Bearbeitung von Texten und die Darstellung unterschiedlicher Perspektiven (Konstruktionen) bieten sich zunehmend elektronische Medien an. Die besondere Eignung elektronischer Medien und die Bedingungen ihres Einsatzes weisen einige Studien zum Medieneinsatz beim interkulturellen Lernen und Kommunizieren aus: ▶ Die Studien von Beers (2011), Goldman-Segall (1998) und Fischhaber (2002) zur digitalen Ethnographie erläutern die Grundlagen konstruktionistischen interkulturellen Lernens und illustrieren sie anhand verschiedener Lernprojekte, zum Beispiel am kulturkontrastiven Thema Wasserwelten (Beers 2011). ▶ Mit der Bewusstmachung medialer Einflüsse auf Wahrnehmung, Wahrheitsabbildung und Kommunikation beschäftigen sich unter anderem Kramsch und Andersen (1999). Anhand einer medial vermittelten Gerichtsverhandlung in Südamerika zeigen sie die durch kulturelle Prädispositionen geprägten Zensur- und Vorverurteilungsmechanismen auf und geben Hinweise auf die Nutzung des Verfahrens in der Sprach- und Kulturvermittlung. ▶ Schlickau (2009) liefert instruktive Einblicke in die- - oft subtile- - interkulturelle Gestaltung und Wirkung elektronisch vermittelter Werbung und in die Prozesse ihrer Rezeption. ▶ Die kulturspezifischen Präferenzen beim online-vermittelten Lernen erforschen unter anderem Reeder, Macfadyen, Roche & Chase (2004), Roche & Macfadyen (2004) und Chase, Macfadyen, Reeder & Roche (2002). Dabei gelingt es ihnen unter anderem, Kulturspezifika der öffentlichen versus privaten Kommunikation beim Lernen im Cyberspace herauszuarbeiten. ▶ Die Arbeit von Todorova (2009) relativiert optimistische Annahmen zur Kulturspezifik des online-gestützten Lernverhaltens und zeigt, dass die beobachteten Leistungsunterschiede stärker von individuellen motivationalen Variablen als von kulturspezifischen Lerndispositionen beeinflusst sind. ▶ Verschiedene- - bereits dargestellte- - Internetportale bemühen sich um den interkulturellen Austausch mittels elektronischer Kommunikationsmittel (E-Tandems, Cultura) und nutzen die Portale gleichzeitig für Forschungszwecke. ▶ Elektronische Hypertexte haben sich als besonders geeignet zur Darstellung der Dynamiken von Textrezeption und Textproduktion erwiesen (siehe Band »Sprachenlernen und Kognition«, Lerneinheit 5.3). <?page no="76"?> 76 2 Transkulturation und Transdifferenz 2.2.5 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben wir gesehen, dass ▶ das Konzept von Transdifferenz die Binarität von Eigenem und Fremden überwindet und die Dynamik der Wissensorganisation zu fassen in der Lage ist; ▶ Wissensaneignung immer auch eine Auseinandersetzung mit dem temporären Fremden ist und damit das gesamte Wissenssystem in Bewegung gerät, dennoch frühere Bestände aktivierbar bleiben; ▶ Fremdheit eine Konstruktion und somit relational ist, je nachdem welcher Zugriff auf Wirklichkeit (also welche Perspektive) gewählt wird; ▶ kognitive Schemata und Modelle veränderbar sind und alternative Schemata wirksam oder entwickelt werden, wenn mentale Aufgaben durch bestehende Schemata nicht lösbar sind; ▶ durch die Verarbeitung literarischer Texte mittels Hypertexten kulturspezifische Perspektiven auf eine Geschichte sichtbar gemacht und interkulturelle Reflexionen angeregt werden können; ▶ durch unterschiedliche mediale Textgattungen Erweiterungen in den Wissensbeständen hergestellt werden, die (sprach- und kulturübergreifend) zu Transdifferenz führen. 2.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was unterscheidet das Konzept der Transdifferenz von bisherigen Kulturauffassungen? 2. Wie hat sich das Konzept der Transdifferenz entwickelt? 3. Wie verläuft der Prozess der Veränderung von mentalen Modellen? 4. Welche Rolle spielen literarische Texte bei der Rekonstruktion von Wissensbeständen? 5. Inwiefern sind Textgattungen der elektronischen Medien geeignet, um unterschiedliche Perspektiven darzustellen? <?page no="77"?> 77 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen Jörg Roche Alle Welt redet von Globalisierung. Und sie tut es meist auf Englisch. Mit dem Versuch, größere Teile unserer Welt wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch und wissenschaftlich zusammenzubringen, korrespondiert auf sprachlicher Ebene das Streben nach einer globalen Lingua Franca. Eine solche Lingua Franca kann mehr oder weniger künstlich geschaffen, wie das Esperanto oder das Volapük, oder von einer existierenden Sprache abgeleitet sein. In beiden Fällen lehnt sich die Lingua Franca jedoch an kulturell geprägte sprachliche Systeme an, mehr oder weniger explizit und bewusst, und perpetuiert diese durch die existierenden Strukturen und sprachlichen Standardisierungsverfahren. Die Erforschung der Lingua Franca Englisch zeigt jedoch, dass die kulturspezifischen Bezüge eine wesentlich größere sprachliche Variation produzieren, als weit verbreitet angenommen wird. Daher empfiehlt es sich auch hier, den Plural Englishes zu verwenden. In dieser Lerneinheit sollen diese Variationsaspekte in der internationalen Kommunikationskultur daher vor allem aus zwei Perspektiven thematisiert werden. Den beiden Perspektiven liegt dabei ein Konzept zugrunde, das weit verbreitet (auch in der anglophonen Welt) den von Humboldt geprägten Begriff der Weltsicht trägt. Zum einen geht es um kulturelle Geprägtheit der Sprache und des Denkens, zum anderen um disziplinäre. Damit soll gezeigt werden, dass das Prinzip der kulturellen Geprägtheit konstitutiv für das Funktionieren einer Lingua Franca ist, dass es gerade dort in verschiedenen Schattierungen seine Mechanismen besonders deutlich werden lässt. Diese Lerneinheit basiert teilweise auf Roche, Jörg (2007), Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen - Zur Kommunikationskultur in einer pluralistischen Wissensgesellschaft. In: Rieger, Caroline; Plews, John; Lorey, Christoph (Hrsg.), Interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht/ lntercultural Literacies and German in the Classroom. München: ludicium, 279-298. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ verstehen, wie sehr sich kulturelle Aspekte in der Sprache abbilden, in einer Nationalsprache genauso wie in einer Fachsprache; ▶ wissen, wie variantenreich und heterogen eine Lingua Franca wirklich ist und woher diese Variation kommt; ▶ reflektieren, wie Sprache und Denken sich gegenseitig bedingen; ▶ erklären können, wie und warum automatische Übersetzungsmaschinen immer versagen; ▶ begründen können, warum fachliche Kommunikation gegenüber kulturspezifischen Einflüssen nicht immun ist; ▶ beschreiben können, dass Wissenschaft ohne Sprache nicht existieren kann; ▶ warum eine Lingua Franca dennoch eine Gefahr für die Bildungs- und Allgemeinsprache sein kann. <?page no="78"?> 78 2 Transkulturation und Transdifferenz 2.3.1 Lingua Franca Es ist einer der am weitesten verbreiteten Mythen, dass Sprache eine Eins-zu-eins-Abbildung der Sachverhalte darstelle und nicht zwischen die Sachen und das Denken zu treten habe, quasi transparent wie Glas sein müsse. Wenn man sich die mangelnde Sensibilisierung bezüglich Sprachenbewusstheit in der weiten Öffentlichkeit der Gesellschaften und in den gebildeten Kreisen der Wissenschaftsgemeinschaften ansieht, dann kann man das Ausmaß eines großen Dilemmas erahnen. Savory (197) gibt dieser reduktionistischen Auffassung in einem Motto Ausdruck, das seinem Buch The Language of Science vorangestellt ist, indem er behauptet: “There can be no doubt that science is in many ways the natural enemy of language”. Wenn diese Position auch besonders typisch für die Naturwissenschaften sein mag, so ist sie doch nicht die einzige. Die folgende von Heisenberg (195 [1959]) formulierte Aussage differenziert wesentlich genauer: [D]ie existierenden wissenschaftlichen Begriffe passen jeweils nur zu einem sehr begrenzten Teil der Wirklichkeit, und der andere Teil, der noch nicht verstanden ist, bleibt unendlich. (Heisenberg 195 [1959]: 19f) Worin drückt sich das mangelnde Sprachbewusstsein der Öffentlichkeit im Allgemeinen und der Wissenschaft im Besonderen aus und welche Auswirkungen hat es? Es ist zum Beispiel erkennbar in der äußerst sparsamen Bereitschaft von Wirtschaftsunternehmen, in funktional und kulturell adäquate Übersetzungen zu investieren. Es zeigt sich aber auch in anglisierten Studiengängen in nicht-englischsprachigen Ländern und in anglisierten Publikationsorganen, in denen eine Veröffentlichung auf Englisch gar nicht plausibel erscheint (zum Beispiel in der Germanistik). Was sind die Folgen dieses linguistischen Imperialismus? Sie werden häufig zwar sehr schmerzhaft erlebt, aber nur selten auf die kommunikativen Ursachen zurückgeführt. Um die Reichweite zu ermessen, könnte man durchaus an die Bereiche der Politik und Gesellschaft denken. Politische und gesellschaftliche Konflikte entstehen zum Beispiel durch kommunikative Konflikte, und verhängnisvolle Entscheidungen für die Menschheit können aus mangelnder kultureller Sensibilität resultieren. Stellvertretend sei hier nur an die Entscheidung des Europäischen Patentamtes in München vom Dezember 1999 erinnert, mit der ein Verfahren der Universität Edinburgh zur genetischen Veränderung von Stammzellen von Säugetieren geschützt wird. Dieses Verfahren schließt potenziell verheerende menschliche Genexperimente wie das Klonen von Menschen mit ein, und zwar unbeabsichtigter Weise. Man übersah, dass der englische Begriff animal im Gegensatz zum Deutschen ‚Tier‘ oder ‚tierisch‘ nicht zwischen ‚human‘ beziehungsweise ‚non-human‘ unterscheidet. Nur wenn man glaubt, dass es die besagte Eins-zu-eins-Abbildung der Wirklichkeit gibt, kann man nämlich annehmen, dass die entsprechende Übertragung in eine andere Sprache ein einfacher mechanischer Vorgang per Wörterbuch sein kann. Dann würde es auch keine Rolle spielen, in welcher Sprache man veröffentlicht. Die Problematik soll im Folgenden zunächst an einem alltagssprachlichen Text illustriert werden, einem Text, der nicht nur kulturelle Feinheiten thematisiert, die meist weder expliziert noch bewusst wahrgenommen werden, sondern einem Text, der auch die Problematik der sprachlichen Codierung und Variation auf mehreren Ebenen artikuliert und illustriert. <?page no="79"?> 79 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen Es handelt sich hier gattungsmäßig um eine (Kanadiern sehr vertraute) Bierwerbung im Fernsehen. Sie nutzt die in Kanada ständig präsente Abneigung und Zurückhaltung gegenüber dem großen Nachbarn im Süden als Mittel der Identitätskonstitution der anvisierten Kundschaft. Die kurze Präsentation fasst exemplarisch und in äußerst subtiler Protestform den Nationalcharakter englischsprachiger Kanadier zusammen, wie er sich im Kontrast zu den Bewohnern der USA definiert. Kanadische Bierwerbung „I Am Canadian“ [Online unter https: / / www.youtube.com/ watch? v=WMxGVfk09IU. 07. Dezember 2017]. Zur Situation: ein schüchtern wirkender junger Mann tritt auf die Bühne, fast zufällig, wie es scheint. Er geht zum Mikrofon, das in der Mitte einer weiten Bühne steht, und beginnt zu sprechen. Auf der Leinwand hinter ihm werden jeweils Bilder eingeblendet. Er redet mit zunehmender Emphase und Ekstase. Hey-... I'm not a lumberjack, or a fur trader-... and I don't live in an igloo or eat blubber, or own a dogsled-... and I don't know Jimmy, Sally or Suzy from Canada, although I'm certain they're really, really nice. I have a Prime Minister, not a President. I speak English and French, NOT American. and I pronounce it ‘about’, NOT ‘a boot’. I can proudly sew my country’s flag on my backpack. I believe in peace keeping, NOT policing, diversity, NOT assimilation, AND THAT THE BEAVER IS A TRULY PROUD AND NOBLE ANIMAL. A TOQUE IS A HAT, A CHESTERFIELD IS A COUCH, AND IT IS PRONOUNCED ‘ZED’ NOT ‘ZEE’, ‘ZED’! ! CANADA IS THE SECOND LARGEST LANDMASS! THE FIRST NATION OF HOCKEY! AND THE BEST PART OF NORTH AMERICA! MY NAME IS JOE! ! AND I AM CANADIAN! ! ! <?page no="80"?> 80 2 Transkulturation und Transdifferenz Je nachdem, wie gut Sie die kanadischen Verhältnisse kennen, werden Sie in diesem Text beziehungsweise Film einige Überraschungen erleben: zum Beispiel Widersprüche zu eigenen Stereotypen (Heterostereotypen über eine andere Kultur) und gelegentlich auch Unverständnis wegen mangelnden landeskundlichen Wissens. Schließlich sind nicht alle Kanadier Holzhacker, Pelzhändler oder Iglubesitzer. Auch die Schüchternheit des Sprechers einerseits und seine Ekstase und Aggression andererseits haben Sie vielleicht irritiert. Das zurückhaltende, oft entschuldigende Verhalten der Kanadier gilt aber unter Kanadiern selbst als prototypisches Merkmal kanadischer Kultur, als Autostereotyp. Um dieses zu durchbrechen, bedarf es eines massiven Anlasses, zum Beispiel der langfristigen Akkumulation von Frustrationen. Die Art der sprachlichen Variation im Englischen, die hier in symbolischer Weise erkennbar wird, findet sich aber ähnlich in unzähligen Begriffen und sprachlichen Strukturen der Alltagssprache. Diese Beobachtung aber lässt Zweifel daran entstehen, dass es sich bei dem Englischen um eine einheitliche oder monolithische Varietät handeln könnte, wie sie sowohl in den Positionen der Befürworter und der Gegner der Lingua Franca Englisch verbreitet postuliert wird. Erst die jüngere Diskussion der Begrifflichkeit für die Lingua Franca Englisch reflektiert das wachsende Bewusstsein um das breitere Variationsspektrum der Lingua Franca Englisch (vergleiche Erling 2005). Das Verhältnis des core English, und was dazu gehört, zu den internationalen Varietäten drückt sich unter anderem in den Bezeichnungen international, global, general oder literate English aus. Kritische Aspekte der Bezeichnung sind dabei neben der Varianz in der Regionalität der englischen Sprache ( US -, Britisches, Kanadisches, Australisches Englisch etc.) die ownership der internationalen Nutzer, die ihrerseits stark von dem politischen Status des Englischen in einer Gesellschaft mit Englisch als zweiter offizieller Landessprache, der Medialität (literate English, Wallace 2002), dem Fachgebiet sowie dem Spezialisierungsgrad und damit auch den Korrektheitsnormen abhängig ist. Hier findet man alles: vom Grammatikfehler (auf meinem backpack) über ungewöhnliche Orthografie (zum Beispiel Kleinschreibung), die Nicht-Erkennung von Konstituenten (Wichtigsten Ministeren), fehlgeleitete Inferenzen (Sally = Sales = ‚Verkauf ‘), innovative Konnotationen (Frieden Behalten) und lexikalische Begriffe, direkte Übertragungen von Kategorien (Landmass, Erste Nation) bis hin zur Übersetzungsverweigerung zahlreicher Begriffe (chesterfield, dogsled, lumberjack etc.). Man braucht dabei gar nicht auf alle Einzelheiten einzugehen. In diesem Text gibt es insgesamt vielleicht mehr falsche als korrekte Elemente. Von effizienter Kommunikation kann dabei kaum die Rede sein, es sei denn der Zweck der Übersetzung wäre die Erzeugung von Komik oder die Illustration einer linguistischen Fragestellung. Auch wenn dieses Beispiel übertrieben erscheinen mag, so kann man angesichts vieler Aufbauanleitungen, Fehlübersetzungen und schlechter Vorträge davon ausgehen, dass das hier illustrierte, authentische (wenn auch maschinell unterstützte) Verfahren weder in der Alltagskommunikation noch in der Wissenschaftskommunikation gänzlich ungewöhnlich ist. So wie in dieser rudimentären maschinellen Übersetzung bedeutet auch Lingua Franca häufig schlechte Übersetzung, Rudimentärsprache oder Kauderwelsch. Für eine Lingua Franca wie das Englische gibt es dennoch bekanntlich eine ganze Reihe quantitativer und qualitativer Gründe: Es besteht ein Bedarf an internationalen Kommuni- <?page no="81"?> 81 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen kationsmitteln, die Anzahl und geografische Verteilung der anglophonen Erst- und Zweitsprachensprecher ist signifikant (nach Ethnologue circa 372 Millionen L1-Sprecher und -Sprecherinnen, circa 11 Millionen L2-Sprecher und -Sprecherinnen [Online unter https: / / www.ethnologue.com/ language/ eng. 7. Dezember 2017]), anglophone Länder stellen eine enorme Wirtschaftsmacht dar und haben einen enormen politischen Einfluss und ein großes Innovationspotenzial. Aber Einiges lässt sich mit rationalen Mitteln weniger gut erfassen, ist daher eher dem Bereich der Emotionalität zuzuschreiben. So entstehen bei der Anlehnung an das Englische auch ganz bizarre Dinge, die mit Kommunikationseffizienz nicht unbedingt etwas zu tun haben. Die zahlreichen Verdrängungen etablierter und hinreichend scharfer Begriffe aus der deutschen Alltags- und Fachsprache durch gleichwertige oder gar weniger spezifische sind hier beispielhaft zu nennen (zum Beispiel by-pass statt ‚Umgehungsstraße‘, City Management statt ‚Stadtverwaltung‘ oder DB Cargo statt ‚Fracht‘ oder ‚Gütertransport‘). Immerhin lassen sich natürlich einige solcher mit der Exotik des Fremden behafteten Bezeichnungen durch politische oder wirtschaftliche Marketinginteressen motivieren, entbehren also nicht ganz einer gewissen Rationalität, und wieder andere, wie etwa Start beziehungsweise starten, erfahren im Deutschen eine deutliche Bedeutungserweiterung (hier etwa in einen Tag starten, ein Flugzeug startet, einen Wettkampf starten). Wie stark die Anziehungskraft des Englischen ist, zeigt sich vor allem auch an der Akzeptanz von Fehlübersetzungen (zum Beispiel Administration statt ‚Regierung‘ für Englisch administration). Selbst die sogenannten Scheinentlehnungen gehören dazu. Hier handelt es sich um eine zunehmende Anzahl von Neologismen, die nach nur scheinbar existierenden Mustern im Englischen gebildet werden, auch wenn diese für (Englisch-)Muttersprachler und -sprachlerinnen unverständlich oder komisch wirken, wie zum Beispiel Aircondition statt korrekt air conditioning ( AC ), Handy statt cell (phone) oder Servicepoint (Deutsche Bahn) statt customer service. Dass die Kritik an derartigen modischen Übernahmen und pseudo-englischen Kreationen nicht nur in Bezug auf die fehlende Korrektheit, sondern auch in Bezug auf die vermeintliche Wirksamkeit dieser Begriffe berechtigt ist, hat unter anderem eine im Jahre 2005 durchgeführte Befragung deutscher Kunden zu einschlägigen Werbeslogans ergeben, über die die überregionale Presse berichtete. Dabei stellte sich heraus, dass die überwältigende Mehrheit der potenziellen deutschen Kunden englische Werbeslogans, die nach hypothetisierten Attraktivitätskriterien gebildet oder aus dem Englischen entliehen wurden, in Wirklichkeit völlig falsch verstand. So meinte die Mehrheit der Befragten, die Einladung einer deutschen Drogeriekette come in and find out bedeute, die Kunden sollten den Weg hinein und dann wieder aus dem Geschäft herausfinden, ähnlich der in Deutschland populären Labyrinthe in Maisfeldern. Der Slogan einer deutschen Autofirma powered by emotion wurde gar als Kraft durch Freude interpretiert, was technisch gesehen auch gar nicht so falsch wäre, wenn der Begriff nicht historisch so stark belastet wäre, und zwar zur Bezeichnung eines Propaganda-Instruments der Nationalsozialisten (Freizeitwerk im Dritten Reich). In vielen Fällen, bedeutet Lingua Franca möglicherweise eine Veränderung der eigenen Sprache, von der Diversifizierung und Mehrsprachigkeit bis hin zu Reduktion, Ersatz, Verarmung und Fehlverstehen. <?page no="82"?> 82 2 Transkulturation und Transdifferenz 2.3.2 Wissensstrukturen - Denkstrukturen - Sprachstrukturen Spätestens seit Wilhelm von Humboldt sind die kulturelle Bedingtheit von Sprache und die sprachliche Bedingtheit von Kultur Fixpunkte geisteswissenschaftlichen Arbeitens (vergleiche dazu auch die Lerneinheit 1.1 in diesem Band). Häufig wird jedoch verkannt, wie weit diese dialektische Interdependenz reicht. Man kann sie an dem Bereich der Jurisprudenz gut illustrieren. Angesichts der zunehmenden Anzahl internationaler Organisationen und angesichts internationaler Einrichtungen der Rechtsprechung (zum Beispiel der Internationale Gerichtshof in Den Haag) könnte man ja geneigt sein, anzunehmen, dass sich der Bereich des Rechts international gut normieren ließe. Dennoch trifft diese leichtfertige Annahme so nicht zu. Da das Recht eine formalisierte Erfassung von Beziehungen darstellt, Beziehungen der Menschen untereinander, Beziehungen der Menschen zu Sachen und Beziehungen der Menschen zum Staat, ergibt sich ein entsprechend großes individualistisches und kulturspezifisches Potenzial der Rechtsregelung und -auslegung. Demnach lassen sich allein in Westeuropa oder im föderalen Kanada signifikante Unterschiede in der Rechtskonzeption beobachten: auf der einen Seite der auf der römischen Rechtsauffassung basierende Typ der prozessualen Dominanz, wie er sich etwa im Common Law Großbritanniens und Irlands wiederfindet, auf der anderen Seite der Typ subjektiv-rechtlicher Dominanz, wie er im zeitgenössischen deutschen oder französischen Recht realisiert ist. Auf diesen konzeptuellen Grundlagen basiert konsequenterweise das gesamte Denken des Rechts und seine Sprache. Hierzu gehören ebenfalls gänzlich unterschiedliche Auffassungen zur Ausbildung der Juristen. Während die Ausbildung in Systemen des zweiten Typs detailliert geregelt ist, etwa durch die französischen Écoles nationales de la Magistrature oder durch deutsche Ausbildungsverfahren mit Studium, Referendariat und zwei juristischen Staatsprüfungen, fehlt es in Common Law Systemen an einer fachspezifischen Juristenausbildung (Autexier 2000: 120; und weitere Literatur zur Rechtsvergleichung, übrigens auch der deutschsprachigen Varianten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, vergleiche Nussbaumer 1997). Natürlich bedingen die Unterschiede im Konzeptualisieren der Welt auch unterschiedliche Arbeits- und Forschungsmethoden. So unterscheidet man etwa in der vergleichenden Politikforschung zwischen vier methodischen Hauptströmungen: einem pluralistischen Forschungsansatz, der vor allem auf Ungleichgewichte in der Interessenaggregation und -artikulation abhebt, einem behaviouristischen Ansatz, dessen Interesse den Differenzen im Beteiligungsverhalten der unterschiedlichen politischen Systeme und Subsysteme gilt, einem systemtheoretischen Ansatz, der die funktionale Betrachtungsweise und damit ein systemneutrales Analyseraster eingeführt hat, und einem Korporatismusansatz, der das Entscheidungsverhalten zwischen politischen Akteuren analysiert (Nassmacher 2000: 88f). Die differenzierte Methodik erlaubt somit eine akkuratere Beschreibung von gesellschaftlichen Strukturen, die ja immer von der Weltsicht geprägt sind, statt der Verwendung einer international nivellierten Politik-Matrix. Durch die Koexistenz des Methodenmixes entstehen in der Folge innerhalb der Politikwissenschaft verschiedene Subsprachen, deren Variablen und Ergebnisse jeweils ausführlich begründet werden müssen, wenn sich die verschiedenen Richtungen verstehen sollen. Nicht jedes Forschungsergebnis führt demnach automatisch zu einer allgemein ver- <?page no="83"?> 83 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen ständlichen und allgemein akzeptierten Aussage. Mit anderen Worten, erst durch die jeweilige Explizierung der Ansätze, ihrer Hintergründe, Verfahren und Ergebnisse könnte man versuchen, eine der Fachsprachen als verbindliche Norm einzuführen. Was hier unter Rückgriff auf die Politikwissenschaft illustriert wurde, gilt in ähnlicher Weise für jede Wissenschaft. Es gilt auch für die Sprachwissenschaften mit ihren einzelnen Fachsprachen zu Strukturalismus, generativer Grammatik, funktionalen und pragmatischen Ansätzen, Kategorialgrammatik, Textlinguistik und anderen. Dennoch könnte niemand ernsthaft behaupten, die Linguistik allgemein müsse die Sprache eines ihrer Subsysteme zur Lingua Franca der gesamten Sprachwissenschaft erklären. Zima (2000) fasst die Problematik der Codefindung in den Wissenschaften in dem Einleitungsbeitrag zu dem von ihm herausgegebenen Buch Vergleichende Wissenschaften treffend zusammen: Vergleichende Konstruktionen sind-- wie alle Objektkonstruktionen in den Sozialwissenschaften-- kulturell und politisch bedingt, weil jede Kultur, jede Ideologie bestimmte Relevanzkriterien, Klassifikationen und Begriffsbestimmungen begünstigt, andere hingegen ausblendet oder gar tabuisiert. Deshalb erscheint es wichtig, die eigene Objektkonstruktion nicht für neutral oder gar objektiv zu halten, sondern in ihr das eigene kulturell und ideologisch bedingte Erkenntnisinteresse zu erkennen, um dieses mit anderen Erkenntnisinteressen und Konstruktionen dialogisch vergleichen zu können. (Zima 2000: 27) Die wissenschaftsspezifischen Objektivationen, ihre Verfahren und Ergebnisse schlagen sich nicht nur in begrifflichen, sondern auch in textuellen Strukturen nieder. Damit beschäftigt sich vor allem die vergleichsweise junge Disziplin der kontrastiven Textologie (zu kontrastivtextologischen Perspektiven in Fachsprachen ausführlich und detailliert in Kapitel 3 im Band »Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen«). Die Darstellung von Eigenheiten verschiedener Wissenschaftskulturen impliziert nicht, dass eine Übertragung von einer Kultur in eine andere nicht möglich oder wünschenswert wäre. Im Gegenteil, es können sich dadurch-- wie ja auch bei lexikalischen Entlehnungen-- wesentliche Bereicherungen für eine Kultur ergeben. So hat die deutsche Wissenschaftskultur und -sprache viel aus anderen Kulturen und Sprachen entlehnt und selbst anderen (Wissenschafts-)Kulturen massiv Hilfestellung geleistet, etwa im Bereich der Rechtssprache, der Medizinersprache, der Archäologiesprache und der Chemikersprache, die noch heute als internationale Verkehrssprache gebraucht wird. Fremde Fachsprachen wie etwa die japanische Medizinersprache, die chilenische Rechtssprache oder die ungarische Wissenschaftssprache orientieren sich stark an den Mustern der deutschen Fachsprachen, da sie auf die wissenschaftlichen Grundlagen deutscher Lehre und die Konzepte deutscher Standardwerke (wie etwa des Bürgerlichen Gesetzbuches) zurückgreifen. <?page no="84"?> 84 2 Transkulturation und Transdifferenz 2.3.3 Lingua Franca als Ausdruck des Dritten Ortes Das Englische ist im Kontext der Lingua-Franca-Diskussion als hegemonistische oder imperialistische Sprache viel kritisiert worden, weil es die Kulturspezifika einer bestimmten Sprachkultur (oder Gruppe von Sprachkulturen) auf eine kulturübergreifende Ebene transportiert, damit die kulturspezifischen Konzepte und Begriffe anderer an der Lingua Franca beteiligter Sprachen verdrängt und diese weder abbilden könnte noch den Anschein gibt, es tun zu wollen. In den Situationen, in denen die Lingua Franca Englisch als normiertes und normierendes Kommunikationsmedium dient, wie etwa in der (schriftlichen) Wissenschaftssprache, liegt eine derartige Standardisierung in der Tat vor, nicht notwendigerweise jedoch in der internationalen Alltagssprache, wenn keine Englisch-Zielsprachensprecher beteiligt sind. Pölzl (200) zeigt anhand eines diversifizierten Korpus, wie in dieser instabilen Kommunikationsform kulturspezifische und internationale Identitäten je neu und unter intensivem Rückgriff auf die Ausgangskulturen der Beteiligten ausgehandelt werden und die Dynamik internationaler Kommunikation prägen können (vergleiche hierzu auch Meierkord 2002: 119ff). Dazu unterscheidet sie verschiedene Funktionen der Weltsprache Englisch. Erstens ihre Rolle als lingua culturae der anglophonen Sprecher, zweitens ihre Funktion als lingua converta in mehrsprachigen Kulturen und drittens ihre Funktion als Lingua Franca in interkultureller Kommunikation. In der lingua culturae spiegelt sich demnach die Kultur einer Sprachgemeinschaft in direkter sprachkulturtypischer Weise wider. Als lingua converta fungiert eine fremde Sprache, wenn sie als Amtssprache statt oder neben einer angestammten Sprache verwendet wird. Damit wird also vor allem die postkoloniale Mehrsprachigkeit vieler Länder bezeichnet. Ob und inwiefern sich eine lingua converta im Laufe der Zeit zu einer lingua culturae entwickelt oder mit einer solchen gleichberechtigt oder nur in bestimmten funktionalen Teilbereichen koexistiert, hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab. In der Regel markiert eine lingua converta aber eine unterschiedliche Perspektive auf Sachverhalte, Ereignisse oder Handlungen. Ähnlich verhält es sich auch mit der Verwendung einer Sprache wie dem Englischen als Lingua Franca in internationaler Alltagskommunikation (English as Lingua Franca in Intercultural Communication, ELFIC ). Auch wenn die sprachliche Oberfläche dieser Lingua Franca eine größere internationale Homogenität und Standardisierung suggeriert, und damit eine weitgehend sprachkulturtypische Leere, weist sie in Wirklichkeit sowohl multiple Vernetzungen zu den kulturspezifischen Begriffs- und Vorstellungswelten der Beteiligten als auch Referenzen zu international standardisierten und normierten Konzepten auf. So werden internationale Chunks unaufgelöst übernommen und mit kulturspezifischer Bedeutung unterlegt: Ein englisches public viewing trägt im Deutschen die Bedeutung einer öffentlichen Vorführung einer Übertragung oder eines Filmes, bedeutet aber eigentlich ‚Leichenschau‘. Für den Sprecher bedeutet dies auch ein ständiges Wechselspiel zwischen kulturspezifischer und internationaler Identität, in dem er sich je unterschiedlich positionieren will und kann. Das geht laut Pölzl (200) in folgender Weise: ▶ Neue sprachkulturspezifische Konventionen können spontan und ad hoc, je nach Bedarf, eingeführt werden. Dabei können sich die Sprecher sowohl auf die interkulturellen <?page no="85"?> 85 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen Identitäten als auch auf ihre eigene Ausgangskultur beziehen und zwischen diesen unmarkiert hin- und herwechseln. ▶ Neue sprachkulturelle Konventionen können bewusst in die Dritte-Ort-Kultur, die interkulturelle Identität, eingeführt werden, um die eigene Ausgangskultur in der interkulturellen Identität zu verorten (und ihr Raum zu geben) und diese mit anderen zu teilen. ▶ Sprachkulturelle Normen können sich zu interkulturellen Normen entwickeln, wenn die entsprechenden Bezüge von allen oder den meisten Teilnehmern verstanden, geteilt und akzeptiert werden. Dabei gibt es entsprechend der Komplexität des Verstehens Abstufungen zwischen simplifizierter und elaborierter Form. Es können auch sprachkulturell typische Normen einer externen Umgangssprache aufgenommen oder antizipiert werden, und zwar zur Schaffung von Solidaritätsbezügen, ohne dass die Teilnehmer dieser Kultur anwesend sind, und ohne dass diese Solidarität permanent bestehen müsste. Pölzl (200) geht davon aus, dass Sprecher zwei (oder mehrere) Identitäten haben, die unterschiedlich repräsentiert werden: die sprachtypische und sprachkulturelle, die sich in der Funktion der lingua culturae ausdrückt, und die interkulturelle als Ausdruck eines Dritten Ortes. Sprecher können beliebig zwischen den Kulturen wechseln. Die internationale Alltagssprache zeigt in besonders deutlicher Weise, dass Sprachkulturen immer in Bewegung und ständigen Veränderungsprozessen unterzogen sind. Im Gegensatz zur Wissenschaftssprache existiert sie demnach nicht als eine einheitliche und fixierte Variante, wie in Folge der kritischen Diskussion des Englischen als genormter Lingua Franca in den Wissenschaften unterstellt wurde, sondern immer als je spezifische Mischung von internationalem Repertoire und individuellen und situativ variierenden Einflüssen der Umgebungs- und Teilnehmerkulturen und deren Sprachen. Sie weitet die innere Mehrsprachigkeit auf die äußere (internationale) aus. Diese internationale Lingua Franca ist also eher ein in Entwicklung begriffenes, heterogenes (grammatisch mehr oder weniger korrektes) und instabiles Pidgin, das auch bei vergleichsweise stabil erscheinender Oberfläche durch konstante Aushandlungsprozesse geprägt ist, als eine verfestigte oder sich verfestigende Kreolsprache (zu Pidgins und der Entstehung von Kreolsprachen ausführlich Lerneinheit 7.3 im Band »Mehrsprachigkeit«). Fach- und Wissenschaftssprachen beziehen sich aufgrund ihrer Normierungsdynamik im Gegensatz zur internationalen Alltagskommunikation nur bedingt auf kulturspezifische Konzepte anderer Sprachen. Der Ausschnitt der Welt, der thematisiert wird, ist schließlich ein begrenzter, fachspezifischer, in dem die Aushandlung von Gegenständen, Methoden, Begriffen und Normierungsverfahren bereits relativ weit fortgeschritten ist. In den komplexeren fachsprachlichen Schichten haben sich daher vergleichsweise stabile, teilweise gesetzlich fixierte Referenzsysteme entwickelt. Die internationale Kommunikation funktioniert hinlänglich. Fachkulturen schaffen sich damit, wohl in Unkenntnis der dialektischen Prozesse von Standardisierung und Innovation, fachliche und sprachliche Mechanismen zur Abwehr fremder und neuer Impulse. Stringente methodische Vorschriften für Publikationen in einigen anglophonen wissenschaftlichen Zeitschriften gehören dabei zu den wirksamsten. Sie könnten dagegen von der Dynamik und Variabilität internationaler Kommunikation <?page no="86"?> 86 2 Transkulturation und Transdifferenz profitieren, wie dies beispielsweise verschiedene europäische und kanadische Zeitschriften mittels multilingualer Standards tun. Dass die Prozesse der Standardisierung zumindest von den Proponenten einer einheitlichen Lingua Franca nur wenig durchschaut werden, mag auch daran liegen, dass für eine große Gruppe der Sprecher die Lingua Franca (Englisch) gleichzeitig ihre lingua culturae ist oder die beiden so ähnlich erscheinen, dass die Sprecher zwischen den beiden Funktionen nicht unterscheiden können. Für andere mag der Grund vorauseilender Gehorsam oder Mode sein. 2.3.4 Sprachenvielfalt - Sprachenpolitik Sprachenvielfalt ist also auch Kultur- und Wissenschaftsvielfalt, und Kultur- und Wissenschaftsvielfalt ist Sprachenvielfalt. Beide sind dialektisch miteinander verbunden und stellen damit ein Bereicherungspotenzial und nicht Rückständigkeit dar. Weinrich (1994) hat an mehreren Stellen darauf hingewiesen, dass Wissenschaft überhaupt nur aus Sprache bestehe, ohne diese gar nicht denkbar sei (siehe dazu auch Lerneinheit 8.3 in diesem Band). Wissenschaft ohne Veröffentlichung, also Bezug auf veröffentlichte Ergebnisse und Erkenntnisse, ohne Versprachlichung in Schrift oder Wort, sei im Prinzip gar keine Wissenschaft, weil erst die Veröffentlichung wissenschaftliche Primate, wie das der Überprüfbarkeit, ermögliche. Aber auch der Prozess der Erkenntnisgewinnung läuft durch und durch über Sprache, von der Aufnahme der Forschungsergebnisse anderer Kollegen und Kolleginnen, über die Kommunikation im Labor, die kritische Diskussion in Konferenzen und auf Tagungen bis hin zur Verfertigung von Lehrbüchern. Hier zeigt sich deutlich, dass die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung durch und durch und von Anfang an ein kommunikativer Prozess ist, an dem die sprachliche Fassung einen wesentlichen Anteil hat. Und das gilt für alle Wissenschaften, nicht nur für die notorisch sprachförmigen Geisteswissenschaften (Weinrich 1994: 13). Wenn es insgesamt eine so weitreichende gegenseitige Abhängigkeit von Sprache, Kultur und Wissenschaft gibt, dann ist das Konzept der Lingua Franca ein differenzierteres, als es die Sprachen- und Bildungspolitik in vielen Ländern wahrnimmt. Aus einer differenzierteren Sicht ergeben sich folglich nicht nur sprach- und kulturdidaktische Konsequenzen, sondern gravierende Auswirkungen auf die Sprachen- und Bildungspolitik. Einsprachigkeit, auch in Form einer Verkehrssprache (und ersten Fremdsprache) wie dem Englischen oder gar dem kulturfremden Esperanto, führt nicht automatisch zu Fortschritten oder internationalem Anschluss in Bildung, Wissenschaft und Alltag. Es gibt offensichtlich natürliche gesellschaftliche Gründe für die bereits existierende kulturelle und sprachliche Vielfalt. Also ist nicht Einsprachigkeit, sondern die Kultivierung der Kulturen zu fördern, und zwar gerade dadurch, dass Maßnahmen der Vermittlung zwischen Kulturen und die Entwicklung daraus entstehender weiterer (zweiter, dritter, vierter und fünfter) Perspektiven angestrebt werden. Darin eingeschlossen sind Dritte-Ort-Kulturen, die sich in interkulturellen Alltagssituationen manifestieren und im Wechselspiel mit den Ausgangskulturen ihrer Mitglieder stehen. <?page no="87"?> 87 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen Eine Förderung derart verstandener Multikulturalität könnte folgendermaßen geschehen: Durch eine Sprachen-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die nicht Einsprachigkeit (oder einsprachige Fremdsprachigkeit) im Sinne eines naiven Verständnisses von Globalisierung propagiert, sondern den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und hermeneutischen Nutzen geistesgeschichtlicher Pluralität erkennt. Die also in Arbeits- und Lebenseinheiten wie etwa der Europäischen Union mehrere Verkehrssprachen fördert, mehrere Arbeitssprachen in die Lehrpläne aufnimmt und auch den Bestand an Regionalsprachen fördert (vergleiche hierzu auch die Vorschläge von Seidlhofer (2001) und die phonologischen Untersuchungen von Jenkins (2000)). Um dafür Ressourcen zu schaffen, könnte sich der Englisch-Fremdsprachenunterricht viel stärker als bisher auf die Vermittlung der Varianten der Lingua Franca Englisch konzentrieren, die ohnehin zunehmend Allgemeingut werden, und den Anteil der lingua culturae Englisch in den Lehrplänen ähnlich gewichten, wie den anderer Verkehrs- oder Regionalsprachen auch. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen und einige Lehrpläne europäischer Länder haben diese Intentionen in Richtung einer Mehrsprachigkeit zwar formell in der einen oder anderen Weise aufgenommen, aber bei der Umsetzung einer gelebten, brauchbaren Mehrsprachigkeit durch die Schulen-- zum Beispiel durch eine Mehrsprachendidaktik oder qualitativ hochwertigen Output-- fehlt es noch weit. 2.3.5 Zusammenfassung Aus den vorangegangenen Überlegungen ergeben sich also die folgenden Schlussfolgerungen: ▶ Eine Lingua Franca kann, zumal im Wissenschaftsbereich, ein effizientes Mittel zur Abbildung einer Fachkultur sein. Diese Fachkultur ist aber tatsächlich eine Kultur, die in der Regel sehr weit (von außen) standardisiert ist und eine Einflussnahme der Ausgangskulturen der Sprecher und Sprecherinnen im Sinne eines Dritten Ortes kaum zulässt. ▶ Sprachvariation. Die Frage nach der Norm ist zu beantworten. Welche Varietät einer Lingua Franca ist eigentlich für welche Zwecke die Normgebende? Welchen Aushandlungsprozessen unterliegt sie, welche lässt sie zu? ▶ Lingua Franca ist im internationalen Gebrauch oft Rudimentärsprache und wird damit wissenschaftlichen Differenzierungsnormen nur bedingt gerecht. ▶ Eine Lingua Franca kann auch eine Gefahr der Verarmung der eigenen Sprache bewirken, wenn die lebensnotwendige Rückkoppelung an die Allgemeinkultur und -sprache (zum Beispiel über die Schulbildung) nicht gegeben ist. ▶ In der Alltagskommunikation bietet die internationale Lingua Franca jedoch enormen Spielraum sowohl für die Schaffung einer gemeinsamen Basis als auch für kulturspezifische Differenzierungen. Sie hat das Potenzial, die innere Mehrsprachigkeit des Menschen (Wandruszka 1979) auf Fremdsprachen auszudehnen und dabei als internationales Register eine Brückenfunktion zu erfüllen. ▶ Wissenschaftsstrukturen drücken sich in verschiedenen Sprachstrukturen (linguistischen Bereichen) aus, die sich oft nur schwer in fremde Sprachen übertragen lassen oder <?page no="88"?> 2.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Formen des Englischen gibt es? 2. Welche vier forschungsmethodischen Ansätze werden in der vergleichenden Politikwissenschaft unterschieden? 3. Was versteht man unter den Begriffen lingua culturae und lingua converta? eine Einheitlichkeit vorgeben, die in Wirklichkeit nicht gewährleistet ist. Das spricht für funktionale Mehrsprachigkeit, auch wenn diese nur in partiellen Bereichen erzielt wird. Das spricht auch für kulturspezifische Differenzierungen, im Sinne einer kreativen (nicht nur passiv übernommenen und erzwungenen) global ownership, auch in den stärker normierten Bereichen der wissenschaftlichen Lingua Franca. Hier könnten die dargestellten dynamischen Prinzipien der internationalen allgemeinsprachlichen Lingua Franca Impulse und Vorbilder für die fachsprachliche Kommunikation liefern. ▶ Wissenschaft ohne Versprachlichung ist keine Wissenschaft. Es muss also darauf geachtet werden, dass Wissenschaft auch allen an ihr Beteiligten sprachlich zugänglich ist, bis hin in die Lehre an den Schulen. ▶ Die Variationsvielfalt in der Lingua Franca Englisch und neuere Mehrsprachigkeitskonzepte verlangen nach curricularen Konsequenzen. <?page no="89"?> 89 2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz Bei der Vermittlung von fremden Sprachen und Kulturen kann es immer wieder zu schwierigen Situationen kommen, wenn Lehrkräfte und Schülerinnen beziehungsweise Schüler oder auch Schülerinnen und Schüler untereinander unterschiedliche Werte, Ziele, Verhaltensregeln oder Anschauungen haben und diese verhandeln müssen. Neben den je individuellen Differenzen von Menschen, auch innerhalb der gleichen Kultur, beeinflussen in der Regel auch kulturspezifische Präferenzen (Konventionen) bewusst oder unbewusst die Kommunikation. In jeder Gesellschaft gelten schließlich andere Regeln, gibt es andere Vorstellungen von Höflichkeit, von den Geschlechterrollen, von Distanz und Nähe, von dem was gut, schön und richtig oder aber schlecht, schmutzig und verboten ist, und wie man mit differenten Einstellungen umgeht. Solche Unterschiede prallen in der Lehr-Lernsituation oft unvorbereitet und unreflektiert aufeinander und können zu Missverständnissen, zu Ablehnung oder gar zu offenen Konflikten führen, gerade weil die ihnen zugrundeliegenden Praktiken so alltäglich sind und jedem so selbstverständlich erscheinen. Es geht dann nicht so sehr darum, ob die Präpositionen mit Akkusativ gelernt werden müssen, sondern vielleicht um die Frage, wann und mit welchen (Hand-)Zeichen man sich im Unterricht meldet, wie man sich kleidet, welche Themen angesprochen werden dürfen und welche nicht, welche Hygienestandards man pflegt oder wie man widerspricht, korrigiert, lobt oder mahnt. Und es geht auch um (als selbstverständlich angenommene) Tabus, die Lehrerinnen und Lehrer ebenso wie Lerner-- meist ohne es zu bemerken-- verletzen können. Mit solchen Situationen, mit Sensibilisierungen für die Thematik und mit Lösungswegen und Methoden dafür beschäftigen sich die folgenden drei Lerneinheiten. In zwei Lerneinheiten gegliedert finden Sie hier eine Einführung in eine Systematik für den Umgang mit kritischen Situationen: die Behandlung von critical incidents, den sogenannten kritischen Interaktionssituationen. Das entsprechende Verfahren gibt es schon seit 75 Jahren, und es ist in der Didaktik und im Sprachunterricht schon vielfach empfohlen worden. Allerdings verlangt es auch Fingerspitzengefühl, weil niemand frei von Emotionen mit Tabus umgehen kann. Gerade im Unterricht sollten Tabus, ihre Entstehung und ihre Wirkung behandelt werden, man muss dabei aber auch viel Rücksicht auf die Schülerinnen und Schüler oder andere Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer und sonstige Beteiligte nehmen. Der schwierigste Fall unter allen schwierigen Situationen besteht darin, dass man selber (oder jemand anderes) etwas getan hat, das allgemein als absolut verboten gilt: ein Tabu zu brechen. Auch das passiert aus Versehen immer wieder im Unterricht. Unvermittelt und unbehandelt kann es aber zu einem GAU (im Sinne von ‚Unfall‘) im Unterricht führen: Spannungen erzeugen, Hürden aufbauen, statt sie zu bewältigen, Vertrauen und Autorität verspielen. Lerneinheit 3.1 beschäftigt sich daher mit den Grundlagen von kritischen Interaktionssituationen und ihrer Didaktik. Lerneinheit 3.2 vertieft diese Darstellung mit Blick auf ihren Einsatz im Unterricht. Lerneinheit 3.3 behandelt die Entstehung und den Umgang mit Tabus in interkultureller Kommunikation. <?page no="90"?> 90 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz 3.1 Critical Incidents I - Kritische Interaktionssituationen Ulrich Bauer In diesem Kapitel geht es um critical incidents (CI), auf Deutsch: kritische Interaktionssituationen ( KI ). Dies ist ein sehr anwendungsbezogener Teil der interkulturellen Kommunikation, aus dem man - im Unterschied zu manchen anderen Bereichen - meist unmittelbaren Nutzen ziehen kann, wenn man zum Beispiel in der Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen Konflikte oder Unsicherheiten erlebt, deren Ursache auch kulturell sein könnte. Im ersten Teil wird die Entstehung dieses Schemas beschrieben und wie Sie es anwenden können. Dabei wird anhand von Beispielen aus der alltäglichen Praxis erläutert, welche Situationen man als kritische Interaktionssituation beschreiben kann, und wie man diese zur besseren Erkenntnis der Situation nutzen sowie anhand eines hier vorgestellten Schemas auch im DaF- oder Fremdsprachenunterricht bearbeiten kann. Es wird vorgestellt, welche Inhalte Sie selbst in der Unterrichtspraxis verwenden können. Außerdem wird auch eine zusätzliche Rolle vorgeschlagen, die Sie als Dozentin oder Dozent im Fremdsprachenunterricht einnehmen können: die eines Coaches bei der Bewältigung von kritische Interaktionssituationen. Sie sollten in diesem Kapitel vor allem über den kritischen (prüfenden) und analytischen Umgang mit eigenen Erfahrungen nachdenken und wie man in der Fremdbegegnung den üblichen Weg vom Stereotyp zum abwertenden Vorurteil umdrehen kann, um daraus eine Analyse zu machen, in der die erlebten Irritationen zum Ausgangspunkt für eine neue Erkenntnis werden. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ zunächst die Geschichte und Herkunft des Schemas critical incident beziehungsweise kritische Interaktionssituation kennen; ▶ sich mit den Herausforderungen einer nicht gefestigten Terminologie auseinandersetzen; ▶ grundlegende theoretische Konzepte im Umfeld der kritischen Interaktionssituationen kennen; ▶ sehen, dass man nicht jede kritische Interaktionssituation auf Kultur zurückführen kann, beziehungsweise darf; ▶ Aufgaben entwickeln können, die solche kritische Interaktionssituationen thematisieren; ▶ eine Methode benutzen lernen, mit der man in der (konfliktiven) Situation einer kritische Interaktionssituation nach möglichen Ursachen und angemessenen Lösungen fragt; ▶ ein Tagebuch der Selbstentdeckung führen. <?page no="91"?> 91 3.1 Critical Incidents I - Kritische Interaktionssituationen 3.1.1 Theoretische Grundlagen Die Definition von critical incidents beziehungsweise kritischen Interaktionssituationen, die Abgrenzung der kulturellen von sprachlichen und anderen Problemen, die Relativierung eigener Werte sowie die Entwicklung von Regeln aus erlebten incidents sind die Schritte, die jetzt vor Ihnen liegen. Während in der Lerneinheit 3.1 eine eher allgemeine und praxisbezogene Einführung erfolgt, sollen Sie in Lerneinheit 3.2 genauer mit der Terminologie umgehen lernen und diese-- gegebenenfalls auch für die eigene Forschung-- exakt anwenden können. Auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation gibt es bis heute eine Vielfalt von Begriffen, theoretischen Modellen und Ansätzen, die nicht klar definiert oder voneinander abgegrenzt sind. Als vergleichsweise junge Wissenschaft mit nur wenigen Jahrzehnten Geschichte (vergleiche dazu die Fachgeschichte der interkulturellen Kommunikation bei Bolten 2007: 245-23), deren terminologischer Konsolidierungsprozess noch andauert, ist diese Fachdiskussion dadurch gekennzeichnet, dass sie einen äußerst zerstreuten Bestand an theoretischen Zugängen und Begriffen aufweist. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn man sich im Laufe der Beschäftigung mit dem Thema unsicher fühlt, weil einzelne Termini sich zu widersprechen scheinen. Dem ist nämlich tatsächlich so. In der interkulturellen Kommunikation konnten sich bisher keine allgemein anerkannten Definitionen der meisten Phänomene durchsetzen. So kommt es, dass Begriffe wie zum Beispiel Interkulturalität oder Multikulturalität in mehreren unterschiedlichen Interpretationen und Definitionen bestehen, welche um die Deutungshoheit konkurrieren. Es lässt sich allerdings feststellen, dass sich die Forschung und die Publikationen in den letzten 30 Jahren immer mehr in Richtung der Anwendung und der Nutzbarmachung der Forschung und der Theoriebildung der interkulturellen Kommunikation verschieben. Die Ursprünge der systematischen Befassung mit der interkulturellen Kommunikation entstanden in den USA um 1935. Sie kamen aus der Ethnologie (vergleiche Hall (19); dazu auch Lerneinheit 1.2 in diesem Band). Erst in den 1980er Jahren entstand dieses Forschungsfeld in Deutschland und hier vor allem in der Germanistik, der Geschichtswissenschaft, der Soziologie und Politikwissenschaft, der Religionswissenschaft und der Kunstgeschichte. Diese hermeneutischen Zugänge treten heute in den Hintergrund, und ins Zentrum rücken Publikationen aus den wirtschaftswissenschaftlichen und soziologischen Bereichen. Man kann in der interkulturellen Kommunikation grundsätzlich unterscheiden zwischen solchen Modellen, in denen es um das tiefere Verstehen geht (mit Geduld, Einfühlungsvermögen und Zuwendung) und solchen Modellen, in denen „nur“ Konflikte ausgeräumt werden sollen, und die Handlungsfähigkeit von Einzelnen oder Teams so schnell wie möglich wiederhergestellt werden soll. Zwischen diesen beiden Ansätzen herrscht bis heute ein heftiger Streit, wie wir in Lerneinheit 3.2 sehen werden. Der Begriff und das Schema der kritischen Interaktionssituation (critical incidents) gehört eher zur zweiten Gruppe: Sie sind geeignet für Situationen, in denen bestimmte Handlungen, ein Erlebnis, ein Vorfall, eine Kommunikation etc. dazu führen, dass eine oder mehrere Personen durch diesen Vorfall, diese Situation irritiert sind, vielleicht die Reaktion ihres Gegenübers nicht verstehen und die ihnen vertrauten Interpretationsmuster erkennbar nicht <?page no="92"?> 92 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz funktionieren. Die Entwicklung des Konzeptes der critical incidents geht auf den Zweiten Weltkrieg zurück, als in der US -amerikanischen Luftwaffe ein Forschungsprojekt im Bereich der Arbeitspsychologie gegründet wurde: Es sollte helfen, in besonders anspruchsvollen Situationen, die mit den normalen Routinen nicht zu bewältigen waren, möglichst schnell gute Handlungsoptionen zu entwickeln. Dazu wurde eine stark anwendungsbezogene critical incident technique entwickelt. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass es in Kommunikation und Handeln immer wieder einmal zu Situationen kommen kann, in denen die gesammelten Erfahrungen und die erlernten Routinen nicht helfen, ja sogar schädlich sind, weil sie auf diese besondere Situation nicht anwendbar sind. Solche Situationen zeichneten sich vor allem dadurch aus, dass normalerweise an sich kompetente Akteure für diese speziellen Lagen eindeutig inkompetent waren. Daher entwickelte man ein Ablaufschema, das den Ärger oder Schreck, die Verwunderung, die Frustration und die Hilflosigkeit in so einer Situation ersetzen sollte durch eine strukturierte Problemlösung. Dieses Verfahren- - es handelt sich im Kern um ein vorgegebenes Handlungsschema mit der systematischen Suche nach Ursachen und Lösungen-- erwies sich später als sehr hilfreich auch für andere kommunikative Situationen. Es wurde daher schon in den 1950er Jahren in die zivile Arbeitspsychologie übertragen. Hier verwendet man es für Situationen, in denen eine andere Person nicht so reagiert, wie man es erwartet. Erst nach 1990 wurde es jedoch auch in Deutschland verwendet, als der Psychologe Alexander Thomas (1993) es in die Psychologie des interkulturellen Handelns einführte (Layes 2007: 384). Als hilfreiches Schema für die Bewältigung von konfliktbeladenen Situationen, die ursprünglich aus Unverständnis und Missverständnissen herrühren, hat es sich sehr bewährt und ist heute vor allem bei Fortbildungen in der Industrie ein nicht mehr wegzudenkendes Instrument. Eine zentrale Problematik in der interkulturellen Kommunikation ist die Frage, welche Missverständnisse und Konflikte überhaupt einen kulturellen Ursprung haben. Viele Konflikte werden nicht durch kulturelle Prägung, sondern durch einfache sprachliche Missverständnisse, durch fehlendes Wissen, durch individuelle Haltungen oder durch technische oder andere Ursachen verursacht (dazu ausführlicher in Lerneinheit .1). Das ist für Sie als Sprach- und Kulturmittler oder Sprach- und Kulturmittlerin deshalb besonders wichtig, weil oftmals Missverständnisse kulturalisiert werden, die tatsächlich nur sprachliche (grammatische) Ursachen haben, wie zum Beispiel die Häufigkeit und die Form des gegenseitigen Unterbrechens: Sie ist viel stärker von der syntaktischen Position des sinntragenden Verbs abhängig als von unterstellten kulturellen Mustern. Ein großer Vorteil der Methode der kritischen Interaktionssituation ist die Tatsache, dass das Schema der kritischen Interaktionssituation sowohl für kulturelle, als auch für nicht-kulturelle Ursachen anwendbar ist. Oft ist das Erleben einer kritischen Interaktionssituation auch mit Emotionen, vor allem mit Unsicherheit, Angst oder Ärger verbunden. Die Irritation über die „komische“ Reaktion des Gegenübers kann so weit gehen, dass man von handfesten Konflikten oder von der Unmöglichkeit zueinander zu finden, sprechen kann. In der Entwicklung des Faches interkulturelle Kommunikation hat man von Anfang an solche Missverständnisse als zentrales Thema bearbeitet. Man hat lange Zeit den Fokus vor allem darauf gelegt, inwieweit solche Missverständnisse hermeneutisch interpretiert werden können, und was sie über die <?page no="93"?> 93 3.1 Critical Incidents I - Kritische Interaktionssituationen Beziehung zwischen den Beteiligten und die damit verbundenen, offensichtlich unterschiedlichen Erwartungshaltungen aussagen. Vor allem aber stand im Zentrum der Forschung die Frage, was die einzelnen Beteiligten wohl wirklich hatten sagen wollen. Heute würde man weniger das philologische oder philosophische Erkenntnisinteresse ins Zentrum rücken, als vielmehr die praktische Lösung solcher Missverständnisse in der allgemeinen Geschäftskommunikation und im Management. Das hat einen einfachen Grund: Forschung- - auch linguistische Forschung- - findet oft in Themenfeldern statt, wo dies auch bezahlt wird. In einer globalisierten Welt gibt es im Management täglich unzählige kommunikative Herausforderungen, die ihre Ursache in kulturspezifischen Normalitätsannahmen haben, weshalb zunehmend mit Anwendungsbezug geforscht wird. Wie kann man sich nun Missverständnisse auch didaktisch nutzbar machen? Fremdheit hilft, das Eigene besser zu verstehen, weil dieses oftmals erst durch die Abhebung (Unterscheidung) vom Fremden sichtbar wird. Im ältesten bekannten europäischen Text zu diesem Thema heißt es: Das Weib sah, dass die Früchte des Baumes gut zu essen wären und lieblich anzusehen und begehrenswert um Einsicht zu gewinnen. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab davon auch ihrem Mann. Nun gingen beiden die Augen auf und sie sahen, dass sie nackt waren. (Jerusalemer Bibel, Genesis 3,f zitiert nach Arenhoevel, Deissler & Vögtle 198) Dies hat nichts mit Sexualität zu tun, sondern bedeutet, dass beide bemerkt haben, dass sie verschieden waren. Erst durch die Wahrnehmung des Du entsteht das Ich und so wird in der Bibel die Entstehung des Individuums also des nicht weiter Teilbaren erzählt. Wenn man die Aufmerksamkeit also auf die Differenzen fokussiert, schafft man eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zu einer Erkenntnismöglichkeit, die man sonst nicht hätte: Nur dadurch, dass ein Erlebnis meine eigenen Gewissheiten verletzt, kann ich diese erst erkennen und sie zum Gegenstand meines Nachdenkens machen. Im Grunde geht es also um die Vorstellung, dass solche Missverständnisse einen besonderen diagnostischen Wert haben und auf bestimmte Erwartungshaltungen bei mir selbst ebenso wie bei meinem Gegenüber schließen lassen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass keineswegs alle kritischen Interaktionssituationen in der Kommunikation aufgrund von kulturellen Differenzen entstehen. Sie können auch im unterschiedlichen Alter, im Geschlecht, im sozialen Status, in der Lebenserfahrung, der Muttersprache oder anderen Faktoren begründet sein. Dies wollen wir hier ausklammern und uns auf solche kritischen Interaktionssituationen konzentrieren, die (im Wesentlichen oder hauptsächlich) einen kulturellen Hintergrund haben. Für den Anfang des Nachdenkens über eine unverständliche Reaktion des Gegenübers sind sogar stereotype Zugänge zu anderen Kulturen als Ausgangspunkt brauchbar. Sie sollten jedoch im Laufe der Begegnung fortlaufend weiter ausdifferenziert und der (komplexen) vorfindlichen Realität angepasst werden. Gewiss werden Unterschiede wie in Geschlechterrollen, dem Respekt vor dem Alter, bei sozialem Kapital etc. je nach kulturellem Hintergrund unterschiedlich konstruiert, ausgedrückt und wahrgenommen. Uns interessieren hier jedoch zunächst diejenigen kritischen Interaktionssituationen, die man wahrscheinlich-- und manchmal ganz sicher-- auf Unterschiede in Handlungsmustern, Verhaltensstandards und Werten zurückführen kann, die vor <?page no="94"?> 94 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz allem kulturell geprägt sind. Typisch für solche Unterschiede sind beispielsweise kulturell geprägte Formen der Kommunikation, der Höflichkeit, der Konfliktvermeidung, des Ausdrucks von Widerspruch etc. bei denen es zu Situationen kommt, die man umgangssprachlich als Missverständnisse bezeichnen könnte. Falls Sie beruflich auch einmal außerhalb des Sprachunterrichts tätig sein sollten, zum Beispiel als Übersetzer oder Übersetzerin, als Coach oder Kommunikationstrainer, werden Sie staunen, wie stark die Weltbilder von Entscheidern in Industrie und Politik vereinfacht sind. Die akademische Diskussion bezüglich der Gefahr der Reifizierung (Verdinglichung) von Kulturkonzepten oder einer exzessiven Komplexitätsreduktion der wirklichen Welt wird im Management, in der Politik und beim Militär nur mit Unverständnis beobachtet: Hier muss man in unverständlichen Situationen schnell zu einer hinreichenden Handlungsfähigkeit kommen und vereinfacht daher schnell und stark. Die Ruhe der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bei der abgewogenen Suche nach möglichen Bedeutungen hat man hier nicht. Daher ist es einerseits sehr wichtig, dass Sie die hier genannten Herausforderungen einer angemessenen (also nicht übertriebenen) Komplexitätsreduktion, der Kontingenz von Modellen und Inhalten oder der Operationalisierbarkeit von Modellen kennen und akademisch beurteilen können. Sie sollten aber andererseits diese Überlegungen in ihrer Wirkung auf die Welt außerhalb des Elfenbeinturmes nicht überschätzen. Das wäre der Punkt, an dem der Begriff des „Blickwinkels“ (Wierlacher & Stötzel 199) einzuführen wäre. Jeder Mensch hat einen eigenen Blickwinkel auf die Welt, der durch eine ganze Reihe von Parametern geprägt wird. Dazu gehören in der Regel das Geschlecht, das Alter, der Habitus, die Lebenserfahrung, die Enkulturation, die eigene Kultur und Einiges mehr. 3.1.2 Viele Missverständnisse sind (nur) sprachlicher Natur Wenn man Fremdheit in einer Person, einer Handlung oder einer Bewertung erlebt, so ist dies ein Anzeiger an der kommunikativen Oberfläche, der zunächst nur signalisiert, dass meine Erwartungshaltung enttäuscht wird. Die andere Seite reagiert nicht so, wie ich es erwarte, ohne dass ich verstehe, warum das so ist. Man könnte sagen, dass unterhalb der erlebten Missverständnisse ein Konflikt liegt, welcher durch die kritische Interaktionssituation an der Oberfläche erst sichtbar wird. Nicht alle schwierigen Situationen in der Kommunikation mit Menschen aus anderen Kulturen sind jedoch kulturbedingt. Oft sind es nur sprachliche Missverständnisse, wie am Beispiel der Dialogentwicklung oben gezeigt wurde. Die Theorie der Linguistic Awareness of Culture, kurz LAC (Müller-Jacquier 2000), wurde entwickelt um solche eher linguistischen Missverständnisse von kulturell bedingten zu unterscheiden (dazu ausführlicher in Lerneinheit .1). In der Tat ist eine solche Unterscheidung deshalb schwierig, weil sie im strengen Sinne voraussetzen würde, dass man die Sprache von der Kultur als Untersuchungsgegenstand trennen kann. Das ist nicht möglich, da die kulturspezifischen Standards sich zum Teil sprachlich ausdrücken beziehungsweise auch umgekehrt sprachliche Möglichkeiten und Beschränkungen auf die kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten zurückwirken. Ein gutes Beispiel dafür sind die Modalpartikeln im Deutschen. Hier sind nicht alle Inflexibilia gemeint, sondern-- im Anschluss an Helbig (1990)-- diejenigen unflektierbaren Wörter, die <?page no="95"?> 95 3.1 Critical Incidents I - Kritische Interaktionssituationen etwas ausdrücken, was nicht im semantisch-lexikalischen Sachverhalt ausgedrückt wird, sondern darüber hinaus geht, also eine illokutive beziehungsweise perlokutive Funktion hat. Diese Funktion dient in der deutschen Sprache häufig dazu, Höflichkeit und Emotionen sehr genau und situationsbezogen zu formulieren. Der deutsche Ausdruck Der Ton macht die Musik bezieht sich darauf, einen Ausdruck so fein und präzise abzustufen, dass sein emotionaler Gehalt und seine soziale Verbindlichkeit genau dem entsprechen, was in der kommunikativen Situation an Beziehung zwischen den Beteiligten hergestellt werden soll. Das Beispiel Komm her! ist eine Aufforderung (eine direktive Illokution), Komm bloß her! dagegen eine Drohung. Die Illokution beim ersten Sprechakt ist direktiv, beim zweiten Sprechakt dagegen eigentlich das Gegenteil, nämlich Wage es nicht, her zu kommen! Die enorme Bedeutungsvielfalt dieser Partikeln ist in verschiedenen Listen gut erfasst (Helbig 1990). Ein zentrales kommunikatives Problem, das regelmäßig zu kritischen Interaktionssituationen führt, liegt darin, dass viele andere Sprachen, vor allem aber das Englische, nicht über solche Modalpartikeln verfügen. Die Situation kann sich daher in zwei Richtungen kritisch entwickeln: Einerseits verfügen deutsche Muttersprachler und -sprachlerinnen in Fremdsprachen nicht über ihr gewohntes Werkzeug, um sich registeradäquat (zum Beispiel höflich, empathisch, drängend, geduldig, drohend, warnend, grob und so weiter) und / oder emotional auszudrücken. Da sie in der Regel im Fremdsprachenerwerb entsprechende Werkzeuge in anderen Sprachen nicht erlernen (im Englischen wäre das eine Kombination aus Konjunktiv, idiomatischen Formeln, please und weiteren Elementen), klingen sie grob oder unhöflich, ohne das zu wollen und ohne das überhaupt zu bemerken. Dies liegt meist nicht daran, dass sie grob und unhöflich sind, was im Einzelfall schon sein mag, sondern daran, dass in der Zielsprache einfach die entsprechenden Werkzeuge fehlen, um sich so auszudrücken, wie sie es in ihrer Muttersprache könnten. Was noch problematischer ist: Ihnen fehlt auch das Bewusstsein dafür, dass ihnen das gewohnte Werkzeug fehlt und sie folglich ein gravierendes Defizit im Ausdruck haben. Sie sind also grob und merken es nicht einmal; es sei denn an der Reaktion ihres Gegenübers, das von der “deutschen Grobheit” irritiert ist. Hier hätten wir ein Phänomen, das zwischen einem sprachlichen Problem und einem kulturellen Problem liegt, denn die kulturspezifische Form des (sprachlichen) Höflichkeitsausdrucks im Deutschen konnte sich nur so entwickeln, weil es Modalpartikeln gibt. Andererseits werden die Modalpartikeln im DaF-Unterricht bis heute nicht so gelehrt, wie es wünschenswert wäre (nur geringe Berücksichtigung in Lehrwerken, teilweise auch nicht ausreichende Beherrschung durch die Lehrkraft selber), sodass DaF-Lerner bei aller Sympathie für das Deutsche auch glauben können, sie lernten eine grobe Sprache. Sie wissen oft erst sehr spät (und manchmal auch nie) um den Nuancenreichtum für den Ausdruck von Emotionen jeder Art im Deutschen. Während die koordinierende Konjunktion aber im Wörterbuch steht, wird die Modalpartikel aber in Fall aber nicht hin! ebenso wenig zu finden sein wie Pass aber auf ! Erstere Partikel aber drückt Mitgefühl und Sorge aus, zweitere steht eher für eine Drohung oder Warnung. Es ist ein ganz zentrales Problem beim Erlernen der deutschen Sprache, dass der mangelnde Zugang zu Modalpartikeln fast zwangsläufig dazu führt, dass dann (phantastische) Zuschreibungen ethnographischer Art erfunden werden, um für die immer und immer wieder erlebte Grobheit der Deutschen, deren Modalität man nicht <?page no="96"?> 96 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz versteht, eine befriedigende Erklärung zu finden. Nur sehr wenige Lerner und auch nicht viele Lehrerinnen und Lehrer haben das linguistische Rüstzeug, um diesen Irrtum aufzuklären. Experiment 1 Sammeln Sie eine Liste von mindestens fünf Missverständnissen, die Sie auf sprachliche Ursachen zurückführen würden und prüfen Sie, welcher Fall sich wie erklären lässt. Suchen Sie dabei vor allem zwischen Ihrer Muttersprache und dem Deutschen und legen Sie in Ihrem Reflexionstagebuch eine Liste mit solchen Beispielen an. Sie können auf diese Weise eine kleine persönliche komparative Pragmatik aufbauen, die Ihnen später im Unterricht immer wieder helfen kann. Fragen Sie dazu auch andere Lerner mit dem gleichen sprachlichen Hintergrund wie Sie und diskutieren Sie deren Beispiele. Experiment 2 Sprechen Sie mit anderen Lernern über deren Erfahrungen mit Missverständnissen und stellen Sie dazu Hypothesen auf: Wie viele Lerner haben sich schon Gedanken darüber gemacht, was hinter solchen Irritationen stecken könnte, welche Vermutungen haben sie angestellt und mit wie vielen Personen haben sie darüber gesprochen, um die eigenen Vermutungen zu klären? Die Ergebnisse Ihres Experiments werden Ihnen wahrscheinlich einen guten Eindruck der individuellen Selbstaufklärung geben. Unsere Hypothese ist, dass über 80 % der Befragten keine befriedigenden Ergebnisse erreicht haben, solange sie ohne kompetente Hilfe versuchen, die Erfahrungen zu analysieren. Können Sie diese Hypothese widerlegen? Soweit Missverständnisse tatsächlich kulturelle Ursachen haben, bietet sich für deren Bearbeitung das Instrument der kritischen Interaktionssituation an. Das Bearbeitungsschema sieht vor, dass man zunächst die Oberfläche des irritierenden Erlebnisses möglichst genau beschreibt. Man kann sie räumlich und zeitlich eingrenzen, man kann die Beteiligten definieren, man kann die eigene Rolle beschreiben und das eigene Vorwissen, wenn ein Konflikt sich zuspitzt und sichtbar wird. Diese Beschreibung kann helfen, die Situation zunächst von ihrer negativen Belastung zu befreien und sie dann der Analyse zugänglich zu machen. Dazu muss man aber erkennen, dass das Erlebte nur Teil einer komplexeren Struktur ist, wie wir im Folgenden sehen werden. 3.1.3 Die drei Ebenen eines Critical Incident Unter der kommunikativen Oberfläche (meist gesprochene Sprache) wird also auf einer zweiten Ebene (Emotionen) ein Konflikt sichtbar, der meist durch Überraschung, Unverständnis oder Ärger (seltener durch Freude) angezeigt wird. Eine dritte, weiter unten angesiedelte Ebene (Einstellungen) ist die der zugrunde liegenden und normalerweise unreflektierten Werte, Annahmen und Gewohnheiten. Besonders wichtig ist für uns in diesem Kontext <?page no="97"?> 97 3.1 Critical Incidents I - Kritische Interaktionssituationen zunächst die Auseinandersetzung damit, dass Menschen unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was richtig und subjektiv normal sei. Diese sind meist völlig unreflektiert und werden als Normalitätsannahmen bezeichnet. Solche Normalitätsannahmen entstehen in den ersten zehn bis 15 Jahren unseres Lebens, wenn wir durch unsere Familie, unsere Eltern, Geschwister, Freunde, Verwandte, aber auch Lehrer und Lehrerinnen, Medien, Vorbilder etc. kontinuierlich und ohne darüber nachzudenken lernen, was in unserem (kulturellen) Umfeld als richtig und normal gilt. Dieser Lernprozess der ersten kulturellen Prägung wird als Enkulturation bezeichnet. Wenn wir etwas erleben, das den Werten und Regeln unserer Enkulturation widerspricht und wir das nicht erklären können, dann stören wir uns daran und können diese Situation oft mit dem Schema der kritischen Interaktionssituation beschreiben. Dazu versuchen wir einerseits Hypothesen zu bilden, wie sich diese Situation entwickelt haben könnte. Außerdem sollten wir unsere eigenen Emotionen und die eigene Enkulturation berücksichtigen, um zu erkennen, woran wir uns stören. Schließlich versucht man in einem dritten Schritt Szenarien zu entwickeln, wie diese Situation konstruktiv aufgelöst werden könnte. Das kann man an folgendem Schema erkennen: Abbildung 3.1: Ablaufschema für die Bearbeitung einer kritischen Interaktionssituation Die Ebene ① , also die Kommunikation selbst ist oft recht einfach zu beschreiben. Sie kann auch dokumentiert werden (gefilmt, aufgenommen etc.). Ebenso ist die Ebene ② meist nicht schwer zu beschreiben. Die kritische Interaktion löst bezüglich ihres Ursprungs Unsicherheit <?page no="98"?> 98 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz oder Ärger aus (Warum ist das passiert? Was will der eigentlich? So eine aggressive Art! ) und bezüglich der Zukunft Unsicherheit (Was mache ich denn jetzt? ). Viel schwieriger ist die Beschreibung und Analyse dessen, was auf Ebene ③ passiert, weil diese nicht einfach zu erfassen ist: Hier geht es um Konzepte und Werte, die man höchstens über Modelle darstellen kann. Dazu bildet man Hypothesen, die verschiedene Möglichkeiten einer Erklärung darstellen. Oft wird man nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können, welche Hypothese am wahrscheinlichsten ist. Wir gehen hier davon aus, dass die große Mehrheit der Menschen heutzutage sehr wohl noch in einem bestimmten, relativ verbindlichen Wertekanon aufwächst. Auch wenn es heute-- in absoluten Zahlen-- eine Menge von Individuen gibt, die schon in mehreren Kulturen gelebt haben beziehungsweise noch leben, die mehrere Sprachen sprechen, und die sich selber nicht mehr eindeutig einer Kultur zuordnen möchten, so ist erstens diese Gruppe ein sehr kleiner Anteil von den acht Milliarden Menschen auf der Welt. Zweitens haben auch diese Menschen vor ihren multiplen Akkulturationen, also bevor sie nach der ersten kulturellen Prägung in Kindheit und Jugend eine oder mehrere weitere Prägungen (meist) als Jugendliche oder Erwachsene in anderen Ländern erlebten, in der Regel eine kulturell recht eindeutig geprägte Enkulturation, also eine erste kulturelle Prägung als Kinder erlebt, in der sie unter anderem den Homogenisierungsmechanismen ihres jeweiligen Nationalstaates ausgesetzt waren. Diese Mechanismen greifen durch die öffentlichen Erziehungssysteme (Kindergärten, Schulen, öffentlich geförderte Vereine, staatliche Universitäten etc.) ebenso homogenisierend in die Identitätsbildung ein wie zum Beispiel medial über den öffentlichen Rundfunk und das staatliche Fernsehen, über das nationale Medienrecht und darüber hinaus auch legal durch das Rechtssystem eines Landes mitsamt seinen exekutiven und administrativen Erzwingungsmechanismen und Anreizsystemen. Selbst wenn man also als Migrant oder als Kind von Migranten einer Familie einer anderen Herkunftskultur angehört, ist man der diachronen und der synchronen Kollektivbildung ausgesetzt, die diachron (Geschichtsunterricht, Erinnerungsorte, Helden, Vorbilder etc.) und synchron (Peer-Group, Sportverein, Heimatstadt, politische Heimat, landschaftliche Umgebung etc.) ständig auf einen wirkt und damit Auswirkungen auf die fortlaufende Ausbildung von Einstellungen und Handlungsmustern hat. Dieser Prozess ist je individuell verschieden und von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die unterschiedliche Wirkungen aufeinander haben. Für uns ist es aber hier ausreichend, den Anpassungsprozess global zu betrachten. Er kann zur Anpassung von Migranten an die neue Kultur führen, die man Akkulturation nennt. Obwohl in ihrer Familie zunächst die alten Werte weiter bewahrt werden und vielleicht sogar noch stärker betont werden, weil man meint, sie verteidigen zu müssen, gibt es bald einzelne Situationen und später ganze Handlungsketten, in denen sich die alten Werte mit den neuen vermischen und es entstehen darüber hinaus öffentlichere Handlungsdomänen (Arbeit, Schule, Verein), in denen eher schon die neuen Werte und Kulturstandards dominieren und andererseits privatere Handlungsdomänen (Küche, Familienfeiern, Zeremonien), in denen noch die alten Werte und Standards gelten. Dies ist eine domänenspezifische Akkulturation. Wir erlernen während unserer Enkulturation vor allem unbegründete Normen, Verhaltensstandards und Werte, von denen wir als Kinder nur gehört haben: Das macht man nicht! oder: <?page no="99"?> 99 3.1 Critical Incidents I - Kritische Interaktionssituationen Das macht man so! , ohne dass dies weiter erklärt wurde. Ebenso oft haben wir bestimmte Werte und Verhaltensmuster nicht einmal explizit gesagt bekommen, sondern einfach nur das nachgemacht (imitiert), was (fast) alle anderen um uns herum auch machen. Viele dieser Handlungsmuster und Normen sind nur aus der Geschichte zu verstehen und oftmals auch überhaupt nicht mehr zu begründen, weil zum Beispiel die historischen Gründe weggefallen sind, aber die Norm weiterhin besteht. Viele Normen sind ohnehin nur praktische Konventionen, die überhaupt nie einen tieferen Sinn hatten. Ob man das Essen komplett aufessen soll oder die Hälfte wegwerfen, ob man bei einer Hochzeit oder bei einer Beerdigung rülpsen darf, wie sparsam man mit seinem Geld umgeht, wie sehr man auf die Solidarität Anderer, der Familie, des Staates, der Religionsgemeinschaft etc. vertraut: Alle diese und viele andere Annahmen erlernen wir während der sogenannten Enkulturation, also dem Erwerb unserer ersten kulturspezifischen Regeln und Normen. Über diese erste Enkulturation, also über dieses erste Set von Verhaltensmustern, Regeln und Annahmen, denken wir kaum jemals nach. Das ist für uns so sichtbar wie das Wasser für die Fische: Es ist einfach da, und solange sich alle nach den gleichen Regeln verhalten, bemerken wir nicht einmal, dass es solche Regeln gibt. Sichtbar werden diese Regeln, deren Einhaltung wir erwarten, erst dann, wenn jemand sie verletzt oder gegen sie verstößt. Wenn das bei Menschen aus unserer eigenen Kultur der Fall ist, werden wir dem mit sozialen oder formalen Sanktionen begegnen: Wer bei einer Beerdigung mehrfach laut und gar vorsätzlich rülpst, wird in bestimmten Kulturen, zum Beispiel im deutschen Kontext auf gruppenspezifische Abwehr stoßen. Wenn wir mit Menschen Umgang haben, die eine andere Enkulturation erlebt haben als wir, und deren Werte, Normen und Verhaltensmuster sich von unseren eigenen unterscheiden, dann wird es sehr häufig zu Situationen kommen, in denen unsere eigenen Normalitätsannahmen verletzt werden. Hat man nun in einer schwierigen Situation, in der man mit unverständlichen Reaktionen konfrontiert wird, die Kommunikation beschrieben und mögliche Hypothesen für die Ursachen aufgestellt, sollte man dies mit allen Beteiligten besprechen und auf Plausibilität prüfen. Das kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle Beteiligten ohne Vorwürfe und Beschuldigungen möglichst höflich und freundlich eingeladen werden, ihre eigenen Normalitätsannahmen zu überdenken. Soweit solche Normen mit einer ausgeprägten religiösen Autorität hinterlegt sind, und etwa eine Herkunftskultur impliziert ist, in der Staat und Religion um die Entscheidungshoheit konkurrieren, wird dieses freundliche Überdenken sehr schwer oder gar unmöglich sein. Das Schema der kritischen Interaktionssituation setzt eigentlich die Werte der Aufklärung-- vor allem sachliches und selbstkritisches Nachdenken-- immer schon voraus. Im nächsten Schritt sollten nun-- alleine oder gemeinsam-- mögliche Szenarien für eine Lösung der kritischen Interaktionssituation überlegt werden. Wie schon bei den Hypothesen ist es auch hier sinnvoll, mehrere Optionen zu entwickeln. Diese können dann nach ihrer Wahrscheinlichkeit beurteilt werden. Das Ziel ist dabei immer die möglichst konfliktarme Lösung der Situation. Hier wird der gesamte Ablauf des Schemas noch einmal grafisch dargestellt. <?page no="100"?> 100 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz Abbildung 3.2: Ablaufschema für die Bearbeitung einer kritischen Interaktionssituation, Gesamtansicht 3.1.4 Zusammenfassung ▶ In der Kindheit und Jugend gelernte Verhaltensmuster, Werte und Regeln (Enkulturation) sind je nach Kultur verschieden. ▶ Werden sie von anderen verletzt, so kann man das als kritische Interaktionssituation beschreiben. ▶ Zu ihrer möglichst schnellen und konstruktiven Lösung kann das Schema der kritischen Interaktionssituation verwendet werden. ▶ Es teilt sich in einen zeitlichen Ablauf für die Suche nach Ursachen (in der Vergangenheit) und möglichen Lösungsszenarien (in der Zukunft) ▶ Irritation, Verwunderung oder Unverständnis können also Anzeiger dafür sein, dass wir bestimmte Annahmen in einer Situation getroffen haben, die sich nicht durch die Reaktion unseres Gegenübers bestätigt haben. ▶ Das systematische oft auch regelmäßig wiederkehrende Frustrieren unserer Annahmen macht diese eigenen Erwartungen überhaupt erst sichtbar. ▶ Kritische Interaktionssituationen sind zunächst einmal vor allem wertvolle Hinweise dafür, wie wir selber wahrnehmen, denken und beurteilen, ohne dass uns das immer bewusst wäre, und ohne dass wir selbst darüber Rechenschaft ablegen. <?page no="101"?> 101 3.1 Critical Incidents I - Kritische Interaktionssituationen 3.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Beschreiben Sie, wo der Begriff der kritischen Interaktionssituation entstanden ist, und wie er in den Fremdsprachenunterricht Eingang gefunden hat. 2. Was zeichnet eine kritische Interaktionssituation typischerweise aus? 3. Warum werden unverständliche Reaktionen des Gegenübers, die einen fremdkulturellen Hintergrund haben, in der Wirtschaft, in Politik und Militär kaum jemals systematisch analysiert? 4. In welcher Lebensphase findet die Enkulturation statt, und wer sind normalerweise die Bezugspersonen dabei? 5. Wie gliedert sich das Schema der kritischen Interaktionssituationen? Erstellen Sie eine Skizze. <?page no="102"?> 102 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz 3.2 Critical Incidents II - Begriffe und Modelle Ulrich Bauer Die Lerneinheiten zu critical incidents beziehungsweise kritischen Interaktionssituationen gehören thematisch zur kulturwissenschaftlichen Landeskunde. In dieser Lerneinheit geht es um kritische Interaktionssituationen, aber diesmal mit stärker theoretisch ausgerichtetem Fokus. Sie werden Fachbegriffe kennenlernen, die Sie vielleicht noch nicht oder noch nicht so definiert benutzt haben. Sie sollten auch das Digitales Lexikon Fremdsprachendidaktik [Online unter http: / / www.lexikon-mla.de/ ] nutzen, um sich weitere Begriffe zu erschließen. Schließlich sollen Sie sich mit der Vermittlung des Modells und mit seiner Bewertung auseinandersetzen. Ein Modell zur zeitlichen Gliederung von kritischen Interaktionssituationen haben Sie bereits in der Lerneinheit 3.1 dieses Kapitels kennengelernt. Die Modelle, die nun in der zweiten Lerneinheit angesprochen werden, behandeln eine Hierarchisierung von Kompetenzen für die interkulturelle Kommunikation sowie die Beschreibung von Kultur in vier Kategorien. Dazu wird eine Reihe von wichtigen Begriffen diskutiert. Schließlich wird noch einmal ein Modell für die Erarbeitung von kritischen Interaktionssituationen vorgestellt, in dem es um die Plausibilität von Handlungsmöglichkeiten geht. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ durch die Auseinandersetzung mit kritischen Interaktionssituationen dazu befähigt werden, später in beruflichen Kontexten in verschiedenen Ländern und Kulturen andere Sprach- und Kulturmittler aus- oder fortzubilden sowie Führungspositionen in diesem Bereich zu übernehmen; ▶ nicht nur die DaF-spezifischen Vermittlungskontexte sowie die einschlägigen Theorien, Modelle, Autoren und Thesen kennen, sondern vor allem für eine zukünftige praktische Verwendung auch über Methoden entsprechend begründeter Komplexitätsreduktion sowie Informationsgewinnung verfügen, um die zu vermittelnden Kulturen vereinfachen und didaktisieren zu können; ▶ verstehen, dass sowohl Wege für künftige Wissenschaftler bereitet werden, als auch fähige Multiplikatoren ausgebildet werden müssen, die auf einer soliden theoretischen Basis andere Sprach- und Kulturmittler ausbilden; ▶ für deren Einsatz Konzepte schreiben können, ohne unwissenschaftliche Hilfskonstruktionen aus dem Alltagsleben wie „Mentalität“ oder Ähnliches verwenden zu müssen; ▶ einige terminologische Überlegungen nachvollziehen und durchdenken können; ▶ Modelle kennenlernen, mit denen Sie eine kritische Interaktionssituation beschreiben und gliedern können; <?page no="103"?> 103 3.2 Critical Incidents II - Begriffe und Modelle 3.2.1 Stufen interkultureller Kompetenz Hier wollen wir uns vertieft damit auseinandersetzen, wie man mit kritischen Interaktionssituationen umgeht, und wie und wozu sie genutzt werden können. Dies werden wir in einem Kontext tun, der sehr anwendungsbezogen ist, also nicht hermeneutisch oder philosophisch, sondern vor allem ganz handlungspraktisch. Bei der Beschäftigung mit kritischen Interaktionssituationen muss man darauf achten, dass man bei den vier Ebenen der interkulturellen Kompetenz nicht auf der untersten Ebene der Verhaltenstrainings stehen bleibt. Diese unterste Ebene, auf der man lernt wie sich Menschen in anderen Kulturen im förmlichen Umgang miteinander verhalten, ist eine hilfreiche und wichtige Ebene, weil sie es uns häufig ermöglicht, Konflikte zu vermeiden. Sie ist aber nicht die einzige Ebene. Darüber kommt die Ebene der kommunikativen Kompetenzen und der interkulturellen Kompetenzen. Als höchste Ebene kann man schlussendlich die Fähigkeit zur Weiterentwicklung der eigenen Identität beschreiben, die durch diese kritischen Interaktionssituationen entstehen kann. Die Möglichkeit durch den Fremdsprachenunterricht auch zu reflektieren und seine eigene Identität mithilfe der Irritation durch andere weiterzuentwickeln, ist einer der stets unterschätzten Aspekte dieses Unterrichts. Hier eine schematische Darstellung der Ebenen: ▶ Sie etwas über forschungspraktische Überlegungen zur Verlässlichkeit von landeskundlichen Aussagen erfahren; ▶ sich mit dem Einsatz des Modells der kritischen Interaktionssituation vertraut machen; ▶ und sich dabei die Argumente beider Seiten in einer kontroversen Debatte um interkulturelle Trainings aneignen und sich selbst ein Urteil bilden können. <?page no="104"?> 104 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz Abbildung 3.3: Stufen interkultureller Kompetenz zur Bearbeitung einer kritischen Interaktionssituation 3.2.2 Grade von Komplexität Zu den Erfahrungen, die man am häufigsten macht, wenn man mit Menschen aus anderen Ländern und aus fremden Kulturen kommuniziert, gehört nicht nur, dass man Schwierigkeiten mit ihrer Sprache hat, sondern auch, dass es viele Missverständnisse gibt. Diese kleinen und großen Konflikte, die die kulturübergreifende Kommunikation in besonderem Maße charakterisieren und die oft genug zu Streit, Verstimmungen und langfristigen Konflikten führen, können mit dem Schema der kritischen Interaktionssituationen beschrieben und analysiert werden, wie wir in der Lerneinheit 3.1 bereits gesehen haben. Wenn schon die Kommunikation mit Menschen aus anderen Kulturen schwierig sein kann, weil diese andere Normalitätsannahmen haben, meine Werte nicht teilen und meine Identität infrage stellen, so sind solche Situationen doppelt problematisch, weil sie auch noch die Emotionen von Konflikten und Verunsicherung in sich tragen. Darum ist es besonders schwierig, angemessen und erfolgreich mit ihnen umzugehen, und die häufigste Reaktion auf solche kritischen Interaktionssituationen ist eine sehr starke Vereinfachung der Situation und vor allem des Gegenübers, das nicht selten in die statische Zuschreibung bestimmter (meist erfundener) Charakteristika mündet: Der verhält sich so blöd, weil er eben so und so ist. Hierfür wurden und werden dann je nach Tradition und Umgebung wahlweise klimatische, religiöse, geografische, pädagogische, psychologische, biologische oder andere Gründe herangezogen, die dem Anderen die Verantwortung, ja die Schuld für die Situation geben. <?page no="105"?> 105 3.2 Critical Incidents II - Begriffe und Modelle Die Gefahr ist groß, dass wir, nachdem wir angeblich wissen, dass der Andere schuld ist, uns bequem zurücklehnen und unsere übervereinfachten Stereotype weiter pflegen. Abbildung 3.4: Grade der Vereinfachung bei der Beschreibung der Welt in Modellen 3.2.3 Begriffe und Modelle Für die sinnvolle und hinreichend genaue Beschreibung einer kritischen Interaktionssituation ist es unbedingt notwendig, angemessene Modelle und Begriffe für die Beschreibung zu haben. Bereits in der vorangehenden Lerneinheit 3.1 haben Sie die Begriffe Schema, Komplexitätsreduktion, Kontingenz sowie Normalitätsannahme kennengelernt. Die Arbeit an der Terminologie soll hier weiter vertieft werden. Wo die Themen und Begriffe der Wissenschaft so nahe am Alltagsleben stehen-- wie bei allen landeskundlichen Themen-- ist das doppelt wichtig. Weil es für viele Begriffe in der Theorie der interkulturellen Kommunikation sowohl eine alltagssprachliche Bedeutung als auch eine wissenschaftliche Bedeutung gibt, glauben viele Leute, sie verstünden, wovon die Rede ist, weil sie das betreffende Wort schon einmal gehört haben. Im Unterschied zur Physik oder zur Chemie, bei denen auf den ersten Blick erkennbar ist, dass es sich um eine wissenschaftliche (Formel-)Sprache handelt, ist das bei den meisten kulturwissenschaftlichen Äußerungen, also ganz generell bei allen landeskundlichen Themen, nicht der Fall. Viele Begriffe sind am Ende einer langen und komplexen wissenschaftlichen Diskussion in einer ganz bestimmten Weise gefasst worden, und diese Definitionen sind von entscheidender Bedeutung, wenn diese Begriffe in Beziehung zu anderen Begriffen gesetzt werden sollen. Viele vermeintlich hilfreiche Begriffe wie zum Beispiel „Mentalität“ werden in der wissenschaftlichen Diskussion kaum oder gar nicht verwendet, <?page no="106"?> 106 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz und der entsprechende Begriff des ‚kollektiven Gedächtnisses‘ (mémoire collective), den der französische Wissenschaftler Maurice Halbwachs geprägt hat (siehe dazu die Lerneinheiten 5.2 und 5.3 in diesem Band), besagt etwas ganz Anderes als es ‚Mentalität‘ meinen könnte. Dass man wissenschaftlich gefestigte Begriffe gebrauchen sollte, ist manchmal schwer zu verstehen, vor allem dann, wenn man sich mit selbst erlebten Ereignissen auseinandersetzt, über die man doch authentisch sprechen kann. Aber ebenso wie die unreflektierte Sprache ist auch das unreflektierte eigene Erleben ein Hindernis auf dem Weg zur besseren Erkenntnis: Gerade, wenn man eigene Erfahrungen mit kulturell anders geprägten Menschen macht, ist die Gefahr groß zu meinen, man wisse schon etwas und habe nun die Situation, den anderen und sich selber verstanden, nur, weil man es selber erlebt hat. Das eigene Erleben selbstkritisch als lediglich anekdotisch einzustufen, fällt schwer. Wir halten die Authentizität unseres eigenen Erlebens oftmals für den Garanten von Richtigkeit, aber erst, wenn wir das Anekdotische- - so authentisch es auch sein mag- - daraufhin hinterfragen, ob es auch repräsentativ, handlungsrelevant, aktuell, in seiner Komplexität reduzierbar und informativ belegbar sowie hinreichend interpretationsfähig ist, erst dann können wir es auch verwenden. Sonst war unser Erlebnis wohlmöglich nur ein Einzelfall oder, noch schlimmer, wir haben durch die sogenannte selektive Wahrnehmung überhaupt nur das wahrgenommen, was unsere vorher schon feststehende Meinung erneut bestätigt. Um mitreden zu können, muss man also zuerst das Werkzeug dafür in die Hand nehmen: Begriffe, Methoden und Theorien. Eine für Lerner geeignete Darstellung der Diskussion um Begriffe finden Sie bei Bauer (2015). Für unsere Zwecke ist ein ethnologisch-soziologisch konstituierter Kulturbegriff als Arbeitshypothese sinnvoll, der als System aus verschiedenen (dynamischen) Faktoren angenommen wird: Kultur verstehen wir hier als ein offenes, dynamisches und in sich teilweise widersprüchliches, konstruiertes System (Konstruktivismus). 1. Die Basis bilden historisch gewachsene (mémoire collective) Werte und Normen: Was wird von der Gesellschaft als gut und was als schlecht definiert? Wie ist die Moral? 2. Aus diesen Werten ergibt sich in der Regel ein bestimmtes, von der Mehrheit so gewünschtes staatliches System (Gesetze, Exekutive, Rechtsstaatlichkeit etc.) 3. Sichtbar werden etablierte Regeln und Verhaltensmuster einer Großgruppe, zum Beispiel der Bürger und Bürgerinnen eines Landes (wie grüßt man, welche Hygiene pflegt man,-…) 4. Schließlich sind Fakten und beschreibbare einzelne Tatsachen in einem Land (Bevölkerungsdichte, Verteilung des Vermögens, Bildungsgerechtigkeit, Wohnungsgrößen, technischer Standard etc.) zur Beschreibung der kritischen Interaktionssituation wichtig und hilfreich. <?page no="107"?> 107 3.2 Critical Incidents II - Begriffe und Modelle Abbildung 3.5: Ethnologisch-soziologisch konstituierter Kulturbegriff Diese vier Elemente werden im Wesentlichen geteilt, was die Orientierung und das Handeln in der gemeinsamen Kultur einfacher und vorhersagbarer macht, und sie sind historisch, religiös, sozial etc. begründet und vielfach auch kontingent (zufällig) zustande gekommen. Das grundlegende, erste Element in dieser Definition sind geteilte Werte (etwa wie der Begriff Moral von lateinisch mos, mores: ,Sitten und Gebräuche ‘), die von den meisten Kulturträgern zwar in ihrer applicatio, nicht aber in ihrer Genese oder Begründung erklärt werden können. Zur Beschreibung einer kritischen Interaktionssituation ist eine wesentliche Voraussetzung, dass man die Werte und die Moral der involvierten Personen kennt beziehungsweise erfragt. Das System, in dem Menschen leben, ist der zweite wichtige Faktor. Hier ist besonders die Frage wichtig, ob dieses System den Einzelnen schützt oder nicht. Anhand des Korruptionsindex und des Gini-Koeffizienten sowie weiterer Aussagen zum Beispiel über Pressefreiheit und das Justizwesen erfahren Sie, ob Ihr Gegenüber davon ausgeht, sich frei äußern und bewegen zu können. Aus den ① Werten sowie der Geschichte einer Großgruppe und dem ② staatlichen System von Rechtsnormen oder Machtstrukturen und Durchsetzungsinstanzen, in dem alle Individuen handeln, ergeben sich ③ die von den Individuen befolgten konkreten Verhaltensregeln, die teilweise sichtbar sind. Die Summe von ④ Fakten, Normen, impliziter Anerkennung derselben und historischer Entwicklung kann man zur Beschreibung einer Kultur ergänzen um die faktischen Gegebenheiten an ihren Wirkorten, die eine Basis <?page no="108"?> 108 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz für alles Handeln sowohl historisch als auch aktuell sind. Dazu gehören verschiedenste Bereiche: von der Bevölkerungsdichte über den Urbanitätsgrad bis zu Wetterbedingungen und der Vermögensverteilung in einer Gesellschaft, von der Alphabetisierungsquote über die Pressefreiheit bis zur Rechtssicherheit etc. Zur Beschreibung einer kritischen Interaktionssituation kann man die Werte der involvierten Personen erfragen, das System am Ort der Handlung analysieren und die offensichtlich gültigen Regeln beobachten. Ergänzt man diesen systematischen Ansatz um soziale, wirtschaftliche und andere Fakten, so kommt man schon zu einer recht genauen Beschreibung. Die mémoire collective ist ein Schlüsselkonzept für uns, weil es erstmals ein Modell für ein sozial geprägtes Gedächtnis darstellt. Von Maurice Halbwachs entwickelt und 1935 erstmals in seinem Buch Les cadres sociaux de la mémoire (auf Deutsch: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen) sowie in dem 1950 posthum veröffentlichten Buch Das kollektive Gedächtnis dargestellt, ermöglicht uns dieses Konzept eine Theorie von dem sozial geprägten Gedächtnis des Individuums. Halbwachs wurde 1945 von den Deutschen ermordet. Dieser Begriff macht alle vorwissenschaftlichen und alltagssprachlich beliebten Ideen wie Mentalität etc. überflüssig, weil er sehr präzise fasst, wie eine Gedächtnisgemeinschaft sozial konstituiert wird. Jan Assmann erweiterte in den 1980ern diese Theorie um die Differenzierung zwischen einem kommunikativen Gedächtnis- - im Gespräch zwischen Menschen- - und einem kulturellen Gedächtnis, das in Form von Monumenten etc. länger als 80 Jahre überleben kann, jedoch fortlaufend neu interpretiert wird. Dazu werden Sie ausführlicher auch in didaktischer Perspektive in der Lerneinheit 5.3 erfahren. Erinnerung-- auch individuelle Erinnerung-- ist sozial bedingt und hängt von dem ab, was wir in unserer Kindheit und Jugend erlernen und was uns über frühere Zeiten berichtet wird (Enkulturation). Die mémoire collective reicht etwa 80 Jahre zurück, da wir selten weiter als bis zu unseren Großeltern wirklich wesentliche Aussagen machen können. Die mémoire collective „wandert“ mit den Jahren mit, der Zeitraum verschiebt sich also jedes Jahr um ein Jahr. <?page no="109"?> 109 3.2 Critical Incidents II - Begriffe und Modelle Abbildung 3.6: Mémoire collective Experiment Sie haben in der Einführung zu den kritischen Interaktionssituationen gesehen, dass der eigentliche Konflikt unter der Oberfläche der Sprache liegt. Noch tiefer darunter liegen die Gründe dafür. Definieren Sie ein Thema aus Ihrer eigenen Kultur, dass Sie gut kennen und beherrschen und lassen Sie diese Situation von Personen, die Ihre Kultur nicht gut kennen, beschreiben und begründen. Sie können zum Beispiel ein Foto oder einen Videoclip zeigen, auf dem etwas zu sehen ist, das man typischerweise in Ihrer Kultur tut, das Fremden aber wenig verständlich ist. In Deutschland könnte man das Aufstellen eines Maibaumes, das Warten an der roten Fußgängerampel oder einen Hochzeitstisch im Kaufhaus zeigen. Es gibt unendlich viele Beispiele. Nun lassen Sie die andere Person erklären, was da passiert und warum es passiert. Obwohl in den meisten Fällen die Hintergründe nicht bekannt sind, werden sie vermutet, erfunden, behauptet. Analysieren Sie, wie das geht und prüfen Sie danach, wie Sie selber das bei fremden Kulturen auch machen. <?page no="110"?> 110 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz Wenn Sie dieses Kapitel durcharbeiten, sollen Sie sicherstellen, dass alle Aussagen, die Sie über eine Kultur- - auch Ihre eigene- - machen, einen hinreichenden Grad an Komplexität und Differenziertheit erreichen, und dass beobachtete Phänomene zumindest historisch in Zusammenhänge eingeordnet werden können und nicht fortlaufend fundamentale Attributionsirrtümer passieren. Auch für die im weiteren Verlauf notwendige Darstellung der eigenen Kultur gegenüber Fremden ist eine gute Grundlage an Wissen über historische, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge im eigenen Land unabdingbar. Selbstverständlich haben alle Menschen, die in so einer Kultur leben, ausgeprägte Idiosynkrasien, das System ist nicht geschlossen, sondern offen, in sich widersprüchlich und auf Austausch mit anderen Systemen angelegt. 3.2.4 Modell zur Strukturierung eines Critical Incident In der Einführung zum Thema critical incidents beziehungsweise kritische Interaktionssituationen (Lerneinheit 3.1) haben Sie gesehen, wie man Werte und Kulturstandards, die den Äußerungen zugrunde liegen, und welche eine kritische Interaktionssituation anzeigen, modellhaft darstellen kann. Dabei handelt es sich einerseits um eine synchrone Betrachtung, die als Modell helfen soll, nicht nur den Vorfall selbst, sondern vielmehr auch die darüber liegende Kommunikation und die darunter liegenden Werte und Standards in den Blick zu nehmen. Ein solches Modell zeigt einem vor allem, wo man wenig oder gar nichts weiß und darum zunächst weitere Informationen suchen muss, um das Ganze besser zu verstehen. Sie haben auch schon gesehen, dass man den Verlauf auch zeitlich gliedern kann. Eine solche diachrone Ansicht kann neben der synchronen Analyse der Hintergründe als zweites Werkzeug dienen, um den weiteren Verlauf besser handhaben zu können. Dazu gehen wir davon aus, dass eine kritische Interaktionssituation immer schon einen Vorlauf hat, wenn sie passiert und wir sie bemerken. Dieser Vorlauf seinerseits fußt auf einer Ausgangssituation, die wir versuchen, möglichst genau zu beschreiben. Sie merken schon: Was zuerst in einfacher Form vertikal dargestellt wurde, wird nun-- deutlich komplexer-- horizontal dargestellt. Die X-Achse ist unser Zeitstrahl, auf dem sich alles entwickelt. In dem Moment wo eine kritische Interaktionssituation passiert, beginnen wir darüber nachzudenken, wie es dazu gekommen ist. Wir können den Vorfall genau beschreiben (was wir oftmals auch tun sollten), und wir können einige Details aus der Ausgangslage beschreiben, weil wir landeskundliches Wissen haben. Was nun fehlt, ist die überzeugende und möglichst wahrscheinliche Brücke zwischen der Ausgangslage und dem Vorfall. Für diesen fehlenden Schritt stellen wir Vermutungen an. Wir entwickeln also mehrere Hypothesen, die uns die Entwicklung des Vorfalls so gut wie möglich beschreiben. Dazu müssen wir unser gesamtes landeskundliches Wissen mobilisieren und zwar sowohl auf der Seite der Person aus einer fremden Kultur als auch auf unserer eigenen Seite. Nehmen wir an, Sie haben sich auf 1: 00 Uhr verabredet und warten eine halbe Stunde vergebens. Eine kritische Interaktionssituation, von der Sie nicht genau wissen, warum sie passiert ist. <?page no="111"?> 111 3.2 Critical Incidents II - Begriffe und Modelle Nun beginnen Sie zunächst einmal die kritische Interaktionssituation genau zu beschreiben: Ich war um :  Uhr dort und habe  Minuten gewartet. Ich konnte die erwartete Person nicht kontaktieren-- Batterie meines Handys war leer. Der Ort der Verabredung war klar. War er das? Es ist der richtige Tag-- sicher? Die Verabredung ist bestätigt worden-- Missverständnis? Ich habe mich geärgert! Oh ja! Dann versuchen Sie, die Ausgangslage zu beschreiben: Wir beherrschen die gemeinsame Sprache hinreichend gut; beide kennen sich aus und können den Ort finden; die Absprache war klar; man kann um die geplante Uhrzeit dorthin gehen; wir waren beim letzten Kontakt noch gute Freunde; wir wissen gegenseitig etwas über unsere Kulturen,-… Diese Liste von Fakten zur Ausgangslage kann ziemlich lang sein. Wir haben sie in der Lerneinheit 3.1 kennengelernt. Als nächstes versuchen Sie, die Kluft zwischen dem beobachteten Vorfall und Ihrem Wissen über die Ausgangslage zu überbrücken. Dazu müssen Sie-- weil Sie nicht sicher sein können-- am besten einige Hypothesen aufstellen. Sie vermuten also, dass es zu der kritischen Interaktionssituation kam, weil-… Hypothesen sind in diesem Modell rückwärts gerichtete Vermutungen, die es Ihnen ermöglichen sollen, die aktuelle Situation besser und treffender einzuschätzen. Sie sollten im nächsten Schritt Ihre Hypothesen nach der Wahrscheinlichkeit ordnen. ▶ Hypothese A: Mein Freund kann die Uhr nicht lesen. (nicht wahrscheinlich) ▶ Hypothese B: Wir haben ein technisches Problem. Sein Zug ist verspätet. (möglich) ▶ Hypothese C: Ich hätte- - nach seinen Kulturstandards- - die Einladung bestätigen müssen, weil sie sonst „automatisch“ als nicht ernst gemeint gilt. (möglich) ▶ Hypothese D: Ich hätte früher da sein müssen, weil mein Freund seit 15: 50 Uhr auf mich gewartet hat und um 1: 08 Uhr gegangen ist. (je nach Kultur gut möglich) ▶ Hypothese E: Bei unserem letzten Kontakt gab es einen Konflikt, den ich gar nicht bemerkt habe; darum kommt er nicht. (wenig wahrscheinlich) ▶ Hypothese F: Mein Freund ist eben unpünktlich. (unterkomplexer Grund) Man kann weitere und vor allem bessere und genauere Hypothesen aufstellen, wenn man die Situation tatsächlich kennt. Wichtig ist hier zu beachten, dass Sie nicht glauben sollten, nur wegen Ihrer technischen Ausrüstung (Ich kann doch jederzeit anrufen) sei eine solche Situation nicht wahrscheinlich. Trotz Handy passieren solche Situationen häufig. <?page no="112"?> 112 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz Abbildung 3.7: Hypothesen über die Genese von kritischen Interaktionssituationen Wenn wir unter den Hypothesen zur Genese des Vorfalles einige gefunden haben, die uns sinnvoll, wahrscheinlich oder doch möglich erscheinen, beginnen wir mit dem nächsten Schritt: Nun entwickeln wir mögliche Szenarien, wie sich die Sache weiter entwickeln kann. Der Sinn dieser Überlegung ist einfach die Frage: Was muss ich tun, damit das Szenario eintritt, das ich mir am ehesten wünsche und das am besten hilft, aus einer kritischen Situation (daher der Name) wieder herauszukommen? Die Szenariotechnik ist im Unterschied zu den Hypothesen zeitlich vorwärts gerichtet. Sie benötigt zu ihrer sinnvollen Umsetzung die gleichen Informationen wie schon die rückwärtsgerichtete Hypothesenbildung, nämlich möglichst viel Information über alle Beteiligten. 3.2.5 Vermittlungspraxis der kritischen Interaktionssituation Bereits in Kapitel 3.1 wurde angedeutet, dass das Instrument der kritischen Interaktionssituation in der Fachdiskussion heftig umstritten ist. Es gibt zwei Lager, die sich bei der Bewertung des Schemas unversöhnlich gegenüberstehen. Auf der einen Seite die Vertreter einer wissenschaftlichen Herangehensweise. Diese zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie viel Zeit und keinen Handlungsdruck hat. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen können in der Ruhe ihrer Studierstuben überlegen, wie man die Welt, den Anderen, eine kritische Interaktionssituation besser verstehen und noch komplexer beschreiben kann. Auf <?page no="113"?> 113 3.2 Critical Incidents II - Begriffe und Modelle der anderen Seite die Manager und Managerinnen, die weltweit in solche kritischen Interaktionssituationen kommen, und die damit umgehen müssen. Sie müssen schnell handeln und dafür auch noch die Verantwortung übernehmen. Wie das zu bewerten ist, sehen wir unter 3.2.7. Als Kulturmittler müssen Sie in der Situation der Vermittlung des Modells der kritischen Interaktionssituation jedenfalls wissen, dass es diesen Dissens gibt. Das Modell der kritischen Interaktionssituation lässt sich als schematischer Ablauf leicht vermitteln. Seine grafische Darstellung auf einer X-Achse und einer Y-Achse erlaubt die systematische Gliederung und Vereinfachung von zunächst sehr komplexen und unübersichtlichen Situationen. Die grafische Aufarbeitung sollte in der Vermittlung mit möglichst vielen Beteiligten gemeinsam passieren, weil im Prozess dieser Aufarbeitung auch jeweils eigene Normalitätsannahmen sichtbar werden. Eine großflächige Erarbeitung, zum Beispiel an einer Pinnwand, hat sich hierfür sehr bewährt. Der Vermittlungsprozess selbst gibt nicht nur viele authentische Sprechanlässe, in denen vor allem Ausdrücke der Befindlichkeit aber auch Adjektive geübt werden können, er gibt auch vielfältige Möglichkeiten zur Gruppenarbeit, zur Vor- und Nachbereitung und zur Auseinandersetzung mit der Fremdwahrnehmung. Besonders in einer fremdsprachlichen Umgebung, also beim Erwerb von Deutsch als Zweitsprache in Europa, können so fortlaufend Erfahrungen der Lerner mit der deutschsprachigen Umgebung thematisiert und auf diese Weise auch begleitet werden. Die Vermittlung des Schemas einer kritischen Interaktionssituation kann bereits in einem sehr frühen sprachlichen Stadium beginnen, da sie schon mit wenig Vokabular bewältigt werden kann. Ein entsprechendes Vermittlungsschema könnte im Unterrichtsraum aufgehängt bleiben, um so immer wieder als Schema genutzt zu werden. Auf diese Weise kann eine Entlastung von Missverständnissen systematisch mit dem Spracherwerb und dem Training von interkulturellen Kompetenzen kombiniert werden. Wenn es Ihnen gelingt, neben dem Fokus auf die direkte Anwendungsorientierung in der geschützten Situation der Sprach- und Kulturvermittlung, auch die Selbstaufklärung und das Erkennen eigener und anderer Normalitätsannahmen zu fördern, und wenn Sie in der Vermittlungssituation auch das Transferpotenzial sichtbar machen können (Liebe Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen, dieses Modell können Sie auch auf andere Situationen anwenden), dann haben Sie einen guten Mittelweg zwischen dem hermeneutischen und dem anwendungsbezogenen Umgang mit dem Modell der kritischen Interaktionssituation gefunden. <?page no="114"?> 114 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz Abbildung 3.8: Didaktisches Modell zur Aufarbeitung einer kritischen Interaktionssituation an der Pinnwand 3.2.6 Der Wert des Schemas der kritischen Interaktionssituation Der Wert dieses Schemas wird in der Welt des Lehrens und Lernens vermutlich oft geringer angesetzt als in der Welt der Arbeit, des Managements, der Politik oder des Militärs. Während in der akademischen Auseinandersetzung immer wieder davor gewarnt wird, dass eine hohe Anwendungsorientierung immer Gefahr läuft, die Komplexität der vorfindlichen Welt zu stark zu reduzieren, ist der Nutzen unter dem Zeitdruck in der Realität außerhalb der Akademie unbestritten. Gewiss läuft man in der praktischen Anwendung immer Gefahr, die Vielschichtigkeit der hier zugrundeliegenden Konzepte und Theorien nicht hinreichend zu berücksichtigen. Andererseits muss man sich nur einmal mit der Primitivität vieler am Markt erfolgreichen interkulturellen Trainings befassen, um zu erkennen, wie gering das Interesse an einer tatsächlich tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema in der Wirtschaft ist. In der Welt der Akademie trägt man normalerweise keine Verantwortung für die Folgen von kritischen Interaktionssituationen. Hier ist es bequem, ausführlich darüber zu debattieren, wie das Gegenüber wohl angemessen zu verstehen sei. Es ist verführerisch, den Anwendungsbezug von praktischen Modellen wie dem der kritischen Interaktionssituation auch <?page no="115"?> 115 3.2 Critical Incidents II - Begriffe und Modelle gleich zu denunzieren als Instrument zur Durchsetzung von Macht. Es ist komfortabel, die Tatsache, dass dieses Modell aus den USA kommt und ursprünglich beim Militär entwickelt wurde, als weiteren Grund zu sehen, um es abzulehnen. Solche Haltungen sind typisch für Menschen, die keine multikulturellen Teams unter Zeitdruck und bei großer Verantwortung führen müssen. Man kann gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass, wer so spricht, noch nie darüber nachgedacht hat, wie die Handlungsalternativen von Managern und Managerinnen aussehen würden, wenn sie solche Modelle nicht hätten: noch einfacher und noch unstrukturierter. Es muss auch nicht jedes Modell, das in der wirklichen Welt außerhalb der Seminare eingesetzt wird, unbedingt als Forschungsinstrument geeignet sein. Das Modell der kritischen Interaktionssituation ist ein Schema einer strukturierten Problemlösung und kein Forschungsdesign. Es ist aber sehr wohl zur systematischen Selbstaufklärung geeignet. Das sollte man zur Kenntnis nehmen, wenn man sich damit in der Lehre befasst. Lange Zeit ist das Modell der kritischen Interaktionssituation vor allem ein integraler Bestandteil von Trainings für Manager und Mangerinnen gewesen, die unter dem Namen culture assimilator bekannt wurden. Die ursprünglich behaviouristischen Grundlagen dieser Trainings kann man ablehnen, aber damit sollte man nicht automatisch auch die kritische Interaktionssituation gleich ablehnen, die für die Lösung schwieriger Situationen ein beachtliches Potenzial besitzen. In der Welt der Industrie, des Geldes und der Macht hat man weder Interesse noch Zeit, sich mit den begrifflichen Feinheiten und Widersprüchen der akademischen Diskussion auseinanderzusetzen. Vielleicht liegt es ja an der Tatsache, dass sich manche Lehrerinnen und Lehrer von der geistigen Einfachheit vieler Manager beziehungsweise Managerinnen und Politiker beziehungsweise Politikerinnen beleidigt fühlen, dass wider besseres Wissen fortgesetzt eine komplexere Auseinandersetzung mit dem Thema der Sprach- und Kulturmittlung gefordert wird. Tatsächlich sollte man dankbar sein, wenn wenigstens ein so stark vereinfachtes und schematisiertes Instrument wie das der kritischen Interaktionssituation auch außerhalb der Akademie Anwendung findet. Manager und Managerinnen in der Wirtschaft schätzen den Wert eines Modells wie der kritischen Interaktionssituation sehr hoch ein. Sie interessieren sich nicht für lerntheoretische Grundannahmen, für epistemologische Fragen und für die Aporien (altgriechisch ἡ ἀπορία he aporía, deutsch ‚die Ratlosigkeit‘, eigentlich ‚Ausweglosigkeit‘, ‚Weglosigkeit‘, von ὁ πόρος ho pόros, deutsch ‚der Weg‘ mit Alpha privativum: ἄπορος ὤν áporos on, deutsch ‚ohne Ausweg seiend‘, ‚ausweglos‘) der Xenologie. Merken Sie etwas? Man kann die Sachen sehr kompliziert machen. Das ist in der Wissenschaft oft angemessen, aber im wahren Leben nicht. Seit Alexander Thomas das Konzept in die deutschsprachige Welt eingeführt hat (Thomas 1993), wird es dort in Anwendungskontexten hochgeschätzt. Man sollte auch nicht unterstellen, dass Manager und Managerinnen nicht ernsthaft daran interessiert sind, ihre kulturell fremden Gegenüber besser zu verstehen, weniger zu verletzen und erfolgreicher mit ihnen zusammenzuarbeiten. Viele Aspekte der Kritik an der kritischen Interaktionssituation vonseiten der Wissenschaft erscheinen recht naiv, wenn es um die Zielsetzungen und Wünsche <?page no="116"?> 116 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz bezüglich der Anwendung des Modells geht. Das Modell der kritischen Interaktionssituation ist ein typisches Beispiel für die Hermetik des Elfenbeinturms. Es kann daher nur dringend empfohlen werden, die Diskussion um die begriffliche Festigung von Konzepten innerhalb der akademischen Welt gerne weiter zu führen, aber zugleich mit stark schematisierten und vereinfachten Modellen und Konzepten in der Öffentlichkeit, mit Lernern und in den Medien erste Schritte zu fördern, die einen Umgang mit Fremdheit und mit anderen Kulturen etwas differenzierter angehen als nur mit manichäischer Einfalt (reduziert auf eine schwarz-weiß-Einteilung). Modelle wie das der kritischen Interaktionssituation sind besonders geeignet, die Kluft zwischen der akademischen, hermeneutisch inspirierten Diskussion einerseits und der extrem vereinfachten Realität in der Welt außerhalb der Akademie andererseits zu überbrücken. Das macht sie besonders wertvoll. Wenn dann die praktischen Erfahrungen aus dem Management auch noch zur Grundlage weiterer Forschung werden, hilft das beiden Seiten. 3.2.7 Zusammenfassung Sie sollten in dieser Einheit gesehen und kennengelernt haben, ▶ welche Begriffe von zentraler Bedeutung für die Arbeit mit kritischen Interaktionssituationen sind; ▶ woher sie kommen und wie man sie zueinander in Beziehung setzen kann; ▶ wie man das Glossar nutzt und wie man sich weitere Begriffe selbständig erarbeitet; ▶ wie die Arbeit mit einem Modell, das in vier Ebenen gegliedert ist, zur Beschreibung und Analyse von kritischen Interaktionssituationen vermittelt werden kann; ▶ wie man sich je nach Position, Handlungsdruck und Verantwortung mit der Bewertung dieses 4-Ebenenmodells sehr unterschiedlich befassen kann. 3.2.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum ist es im Bereich der Sprach- und Kulturwissenschaften so schwierig, die richtige Verwendung angemessener Fachbegriffe durchzusetzen? 2. Nennen Sie die vier Stufen, auf denen sich eine kritische Interaktionssituation beschreiben lässt. Nennen Sie zu jeder Stufe eine Quelle. 3. Welche Quellen sind zur Beschreibung eines staatlichen Systems besonders geeignet? 4. Was ist mit dem Ausdruck hoch kontextualisiert gemeint? <?page no="117"?> 117 3.3 Tabuthemen 3.3 Tabuthemen Ulrich Bauer Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Wörtern, Konzepten und Dingen, über die man nicht spricht. Es hat sich als unmöglich erwiesen, tabuisierte Ausdrücke völlig zu vermeiden, auch wenn es nur in geringem Umfang geschieht. Wen die Rede über Fäkalien, sexuelle Derbheit oder religiöse Witze persönlich belasten, der sollte dieses Kapitel überspringen. Politische Korrektheit zeigt sich in der Haltung und nicht in den verwendeten Begriffen. Sie darf niemals so weit gehen, dass das Reden über Tabus unmöglich wird. Tabus und Tabusprache werden aus metasprachlicher Sicht behandelt. Die Beschäftigung damit ist wichtig, weil gerade in der Vermittlung von Fremdsprachen und der Vermittlung von Zugängen zu fremden Kulturen den Mittlern mögliche Tabus und der Umgang damit bekannt sein sollten. Zum einen, um die Einstellungen der fremden Kultur besser zu verstehen und zum anderen, um für das Problem des Tabus überhaupt sensibilisiert zu sein. Außer einem wegweisenden Eintrag im Handbuch Interkulturelle Germanistik zum Thema Tabu (Schröder 2003) gibt es wenige einschlägige Quellen im Umfeld des Deutschen als Fremdsprache. Das Handbuch Fremdsprachenunterricht (Bausch 2016) hat auf 700 Seiten nicht einmal ein Schlagwort Tabu. Die Frage, warum das Thema „Tabu“ im Fremdsprachenunterricht so wenig behandelt wird, lässt sich nur spekulativ beantworten: Vielleicht liegt es auch daran, dass das Sprechen über Tabubrüche selbst vielfach tabuisiert ist (Sedlaczek & Winder 2015: 150). Andererseits ist aber in den letzten Jahrzehnten eine enorme Flut an Publikationen zum Thema Tabu entstanden. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet heute fast 1300 Monografien mit dem Begriff Tabu im Titel und über 1800 Titel, die mit Tabu verschlagwortet sind. Dazu kommt ein Mehrfaches an Aufsätzen - mit anderen Worten: Das Sprechen über das Tabu ist geradezu in Mode gekommen und Tabubrüche werden immer häufiger, je weniger soziale Kontrolle zu befürchten ist. Das Internet leistet dazu einen nicht zu überschätzenden Beitrag, da hier Tabubrüche anonym erfolgen können. Wer das Tabu bricht, bricht also im eigentlichen Sinne gar kein Tabu, denn er muss für die sozialen Folgen nicht einstehen. Für unseren Zweck - also die Auseinandersetzung mit dem Tabu im Fremdsprachenunterricht - ist es unabdingbar, die Vielfalt der Äußerungen und Meinungen zu perspektivieren und in ein System zu bringen. Dabei gehen wir davon aus, dass ein Tabu nicht einfach ein Verbot ist, sondern ein sozial erzwungenes Verhalten, das sich einerseits auf das Handeln und andererseits auf das Sprechen beziehen kann. Im Unterricht geht es nicht nur um die Frage, welche Vokabeln beispielsweise erklärt und verwendet werden dürfen oder sollen und welche nicht, oder welcher Grad an Explizitheit bei hygienischen oder religiösen Themen erlaubt ist, sondern auch um die Frage, welche Verhaltensformen in der Lehre (Noten geben, bloßstellen, eine eigene Meinung verlangen, körperlich züchtigen, und so weiter) angemessen sind, ohne Beteiligte zu verletzen. Schließlich geht es aber ebenso um die Grenzen der Toleranz der Lehrkräfte wie der Lerner, <?page no="118"?> 118 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz 3.3.1 Tabu - eine Einführung Das Lexem Tabu ist über das französische tabou und das englische taboo- - also immer [ta'bu: ] oder [ta'pu: ] aus dem Polynesischen entlehnt, das im Südpazifik gesprochen wird. Der britische Kapitän James Cook (1728-1779) war dreimal als Forscher dort unterwegs, wobei er vielfältige kartographische, ethnologische und linguistische Aufzeichnungen machte. Bei seiner zweiten Reise wurde er von Georg Forster begleitet, der 1772 bis 1775 mit ihm dort unterwegs war und der zum Beispiel in seinen Reisebeschreibungen ebenfalls vom Tabu berichtet. Da die weltweiten Entdeckungen im 18. Jahrhundert vor allem von Briten und Franzosen gemacht wurden (Spanien und Portugal spielten schon keine Rolle mehr) und da es keine deutsche Seemacht gab, die solche Fahrten unternommen hätte, wurden die „mitgebrachten“ Wörter zunächst auf Englisch oder auf Französisch publiziert. 3.3.2 Der Begriff Tabu - Abgrenzung vom Verbot Ein Tabu ist etwas anders als ein Verbot. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass man über Verbote öffentlich und offen sprechen kann (und ständig spricht, schreibt, streitet), während über das Tabu nicht offen gesprochen wird. Ebenso ist ein Verbot in aller Regel funktional (und rational) begründet-- Tempolimit vor der Schule oder Copyright für geistiges die stets neu ausgehandelt werden müssen. Nur weil zum Beispiel bestimmte Lerner ein Tabu aus ihrer Kultur mitbringen, muss das nicht unbedingt von allen erkannt oder gar respektiert werden. Es gibt im Verhalten miteinander im Kurs immer wieder Elemente, die aus deutscher Sicht schlicht gar nicht verhandelbar sind: Dazu gehören zum Beispiel rechtliche Normen eines modernen Staates (Gleichberechtigung, Freiheit des Wortes, und so weiter), ganz gleich, welche kulturellen Tabus sie möglicherweise verletzen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Herkunft von Lehnwörtern am Beispiel des Wortes Tabu stellvertretend nachvollziehen können; ▶ den Begriff Tabu linguistisch-semantisch in die sieben vorgestellten Bedeutungsfelder einordnen können; ▶ Bereiche identifizieren können, in denen sich Tabus manifestieren; ▶ den Unterricht betreffend die Ebenen Didaktik, Methodik und Inhalt in Bezug auf Tabus kennen und sich entsprechend umsichtig verhalten können; ▶ die sprachliche Manifestation von Tabu und Tabudiskurs aus linguistischer Sicht ansprechen und Tabus thematisieren können und den Umgang mit Tabus im Unterricht behandeln können. <?page no="119"?> 119 3.3 Tabuthemen Eigentum- - während ein Tabu keine ohne Weiteres erkennbare funktionale Begründung hat, sondern sozusagen aus sich heraus wirkt. Schließlich sind Verbote in der Regel genau bestimmt (oft in Zahlen ausgedrückt), während Tabus von der Unbestimmtheit des Unzulässigen charakterisiert sind, die auch eine stets kontingente Interpretation durch die Wahrer (oder: Hüter) des Tabus ermöglicht. Daraus folgt unmittelbar, dass Tabus nur über direkten sozialen Zwang durchgesetzt werden können, was sie folglich den staatlichen (öffentlichen) Diskursen entzieht. Sozialer Zwang wird über die Familie, die Gruppe, die Religionsgemeinschaft, die Nachbarschaft etc. ausgeübt und nicht durch den Staat. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Tabu eine unausgesprochene Vorschrift, eine sittlich-soziale Konvention ist, über bestimmte Dinge nicht zu sprechen, beziehungsweise sie nicht zu tun, dann fragt man sich ja sofort: Und woher soll ich wissen, was dann tabu ist und was nicht? Im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen und Sprachen wird das noch schwieriger. Folgendes stark vereinfachte Schaubild soll helfen, das besser zu verstehen; wir unterscheiden hier zwei verschiedene Bereiche des sozialen Handelns: einmal (links im Bild) den öffentlichen Bereich, in dem die Regeln alle ausgesprochen und bekannt sind (Gesetze, Verkehrszeichen, Steuersätze, technische Anweisungen, und so weiter). Es ist eine Errungenschaft der Aufklärung und der Französischen Revolution, dass alle Regeln allen bekannt sein können und sollten und sie immer für alle gelten. Artikel drei des Deutschen Grundgesetzes sagt dazu in Absatz eins: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Hier gibt es keine Tabus, da Regeln nicht geheim gehalten werden. Die Gewaltenteilung ist in dem Schema durch Legislative (Gesetze), Exekutive (Polizei) und Judikative (Gerichte) angedeutet. Die meisten Regeln haben einen nachvollziehbaren, funktionalen Grund (ohne Steuern zu erheben, kann kein Krankenhaus bezahlt werden), alle Regeln werden expliziert, und es handelt sich um eine typische low context Kommunikation, um es mit Edward Hall (197) zu formulieren (siehe dazu auch die Lerneinheit 8.1 in diesem Band). <?page no="120"?> 120 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz Abbildung 3.9: Unterscheidung von Tabu und Verbot Auf der rechten Seite sehen wir den privaten Bereich. In der Kommunikation sind hier viel weniger Regeln vorhanden als im öffentlichen Bereich, weil der private Bereich sehr viel kleiner ist. Ihm gehören eine Familie, eine Gemeinde, eine Nachbarschaft, ein Kollegenkreis und so weiter an. Hier sind keineswegs alle Menschen gleich an Rechten und Pflichten. Onkel Ole hat zum Beispiel noch nie geholfen, Blumen im Garten zu pflanzen. Es gibt dafür keinen vernünftigen Grund, sondern es ist einfach so, dass er keine Blumen pflanzt. In der kleineren sozialen Gemeinschaft gibt es unendlich viele Spielregeln, die keinen nachvollziehbaren Grund haben (Das macht man so! Das war schon immer so! Das war schon immer Deine Aufgabe, und so weiter). Hier gibt es ungeschriebene Gesetze, deren Nichteinhaltung sozial geahndet und bestraft wird. Links ist der moderne Staat angedeutet: Jeder erlernt während seiner Enkulturation- - also in Kindheit und Jugend- - sowohl förmliche und explizite (staatliche) Regeln als auch informelle und implizite (familiäre) Regeln (siehe dazu auch Lerneinheit 3.2). Es gibt jedoch im sozialen Kontext-- im Unterschied zum Staat-- auch keine Gewaltenteilung, sondern die gleichen Verwandten und Freunde, die Regeln aufstellen und deren Einhaltung einfordern, werden sie auch durchsetzen. <?page no="121"?> 121 3.3 Tabuthemen Das Tabu - Funktionswandel vom Sakralen zum Profanen Wenn man heute die deutschsprachigen Medien betrachtet, so gibt es wohl keinen Tag, an dem nicht über Tabu, Tabubruch, Tabuisierung und so weiter geschrieben wird. Angesichts dieser Häufigkeit und Allgegenwart des Tabubegriffes muss man sich fragen, wie man vor 1800 eigentlich ohne solch ein Wort ausgekommen ist. Die Antwort darauf ist komplex: Es gab erstens keine so freie öffentliche Meinung, die Tabus diskutieren, kritisieren und brechen konnte. Zweitens gab es ganz andere Institutionen, Methoden und Erzwingungsmechanismen, um dafür zu sorgen, dass das Unaussprechliche auch unaussprechlich blieb. Drittens war mit der Aufklärung erst um 1800 der Begriff der Kritik so weit entwickelt, dass Diskursfreiheiten entstanden, die vor nichts mehr haltmachten, ja deren Tendenz jedwede diskursiven Grenzen endlich niederzureißen, den eigentlichen Kern der neuen Freiheit ausmachten. Der von Kant so klar formulierte Kern der Aufklärung war: sapere aude. Immerhin heißt der Imperativ aude auf Deutsch: ‚wage es‘. Hier schließt die Frechheit der Freiheit des Denkens den Tabubruch (jedenfalls teilweise) ein. 3.3.3 Tabus in modernen Gesellschaften, geordnet nach sieben thematischen Bereichen Tabus sind heute Handlungs- oder Sprechverbote, die von bestimmten gesellschaftlichen (größeren oder kleineren) Gruppen geteilt werden, und deren Nichtbeachtung zu sozialen Sanktionen (Strafen) führt. Eine soziologisch gefasste, enge Definition des Tabubegriffes schlägt Reimann (1989) vor. Er versteht unter Tabu die intensive soziale Markierung von Personen und Gegenständen, „die Macht und Gefährdung signalisiert und ein entsprechend angepasstes (vorsichtiges) Verhalten bei einer Begegnung“ erfordert. Nach Reimann sind Tabus gesellschaftliche ‚Selbstverständlichkeiten‘ und erhalten so eine wichtige soziale Funktion der Verhaltensregulierung, der Etablierung von Grenzen, der Anerkennung von Autoritäten z. B. zur Sicherung von Eigentums-, Herrschaftsverhältnissen und bestimmter sozialer Ordnungen. (Reimann 1989: 421) Besonders deutlich wird das in der frühen Enkulturation von Kindern. Hier werden durch nicht begründete Verbote und damit verbundene Sanktionsdrohungen (Das ist schmutzig, Das gehört sich nicht, und so weiter) zum Beispiel im Umgang mit dem (eigenen) Körper, mit Nahrung oder mit Angehörigen schon sehr früh bestimmte Handlungen und Berührungen untersagt. Diese Definition ist allerdings insofern zu eng gefasst, als sie kommunikative Tabus, die weder mit Sakralität noch mit Macht oder Unreinheit zu tun haben, nicht erfasst. Man kann in vielen westlichen Kulturen stundenlang mit verschiedenfarbigen Socken oder einem offenen Hosenstall herumlaufen, ohne dass man darauf hingewiesen würde, weil auch das Ansprechen solcher Schicklichkeiten in vielen Kulturen-- auch in der deutschen-- ein Tabu ist, ohne dass die betreffende Person deshalb Macht oder Gefahr ausstrahlen müsste. Kommunikative Tabus setzen also auf einer sehr niedrigen Schwelle an, und man kann auch schon von Tabu sprechen, wenn man nicht wie Ödipus erst seinen Vater tötet und dann mit seiner Mutter schläft. <?page no="122"?> 122 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz Die von Tabus heute möglicherweise erfassten Themen lassen sich in Gruppen zusammenfassen (siehe Abbildung 3.10). Wir schlagen hier eine Gliederung in sieben Gruppen vor, die wir heuristisch nach Verwendung und semantischer Beziehung bilden. Es handelt sich-- in absteigender Reihenfolge-- um (1) Sprache & Ideologie, (2) Körper & Krankheit (3) Sexualität, (4) Religion, (5) Alltagshandlungen () Gewalt & Tod sowie (7) Armut & Ungleichheit. Sicherlich könnte man das feiner aufgliedern oder anders gruppieren, aber diese Anordnung lässt eine einfache Operationalisierung der Themen zu. Abbildung 3.10: Bedeutungsfelder von Tabus Neue Tabuisierungen Zugleich zu den zunehmenden Tabubrüchen, mit denen man sich auch im Fremdsprachenunterricht befassen muss, lässt sich eine gegenläufige Tendenz ausmachen, die man als neue Tabuisierung beschreiben könnte, und die vor allem in dem hier als erstem Feld definierten Themenbereich Sprache und Ideologie manifest wird. Es handelt sich um eine neue Sakralisierung von eingeforderten Werten in der Kommunikation, die unter dem Schlagwort Political Correctness bekannt geworden sind. Nach der weitgehenden Profanierung des Politischen seit der Französischen Revolution, hat sich in den letzten Jahrzehnten eine neue <?page no="123"?> 123 3.3 Tabuthemen Sakralisierung von politischen Ideen entwickelt, die-- ausgehend von den USA -- den Schutz des Einzelnen vor die Wohlfahrt der Gesellschaft stellt. Hier geht es vor allem darum, die Verwendung von bestimmten Gedanken, Ausdrücken oder Konzepten, die Einzelne benachteiligen könnten, als Tabubruch zu markieren und der kollektiven Bestrafung auszusetzen (vergleiche dazu Zöllner 1997). Wie schon früher bei älteren Formen, werden auch diese neuen Tabuisierungen regelmäßig zur Durchsetzung von Machtansprüchen eingesetzt-- und oft genug auch missbraucht. Der damit einhergehende quasi-religiöse Anspruch auf das Wahrheitsmonopol erinnert sehr an die ursprüngliche Funktion des Tabus, alle jene in ihrer Existenz zu bedrohen, die eine eingeforderte und nicht weiter begründete Regel nicht voller Ehrfurcht befolgen und am besten auch die weitere Verbreitung dieser Regel noch durch Schweigen, Feigheit oder Opportunismus befördern. Wie früher die Kirche zum Beispiel mit der Inquisition hat auch heute die moderne Gesellschaft wieder Erzwingungsmechanismen geschaffen, die Tabubrecher sanktionieren und in manchen Fällen sogar existentiell bedrohen können. Viele der neu geschaffenen Institutionen sind nicht originär dafür gedacht gewesen und werden auch nicht generell dafür verwendet, aber Ämter wie Gleichstellungsbeauftragte und ähnliche eignen sich durchaus für die Herstellung von institutionellem und gesellschaftlichem Druck, der gravierende Folgen haben kann. Wie auch früher, ist hier eine Mehrheit an Zuschauern, die entweder dem Tabu zustimmen, oder die sich feige oder opportunistisch verhalten, der notwendige Hintergrund auf der Bühne des sozialen Geschehens. Ist eine politische oder sprachliche Bewegung aber einmal groß genug, wird der Tabubruch unter dem Lemma Man wird ja wohl noch sagen dürfen-… eine nicht mehr sanktionierbare Dynamik. Wie immer kommt es bei den ungeschriebenen Regeln darauf an, dass möglichst alle daran glauben und diese teilen. Um dem entgegenzuwirken, haben sich moderne Schweigemechanismen und Erzwingungsinstanzen außerhalb des staatlichen Rechtssystems gebildet, die in ihrer systemischen Ungenauigkeit und bedrohlichen Ungreifbarkeit ihren historischen kirchlichen Vorbildern in nichts nachstehen. Zu den neuen Tabuisierungen gehören auch sprachliche Entwicklungen, die George Orwell in seinem Roman Nineteen Eighty-Four unter dem Begriff „Neusprech“ fasste. Kriege sind immer noch Kriege, heißen aber jetzt ,Operationen‘, ökologische Katastrophen heißen jetzt ,Herausforderungen‘ und Kündigungen heißen jetzt ,Freisetzungen‘. Diese zum Teil von der Politik, zum Teil von der Wirtschaft erfundenen und zum Teil kontingent und komplex entstandenen Verschleierungen sind auf das Engste mit Political Correctness verbunden. Obwohl sich viele Abläufe und Funktionen in den Gesellschaften nicht ändern, ändert sich aber kontinuierlich das erlaubte Sprechen darüber. Was jeweils erlaubt ist, kann unter dem Begriff „sozialer Takt“ zusammengefasst werden. <?page no="124"?> 124 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz 3.3.3 Bezüge zum Tabu im Deutsch als Fremdsprache-Unterricht Analysiert man das Thema Tabu bezüglich seines möglichen Auftauchens in der Unterrichtspraxis, so kann man es aus mehreren Perspektiven betrachten. Zunächst ist die grundsätzliche Frage zu stellen, ob, wo, wie und wie weit man Tabus und Tabubrüche überhaupt thematisieren kann. Aus der linguistischen Perspektive des sprachlichen Umgangs mit Tabus und mit Tabubrüchen kann man deskriptiv fragen, wie sich die vorhandenen Formen vor allem phonetisch, lexikalisch, syntaktisch und semiotisch beschreiben lassen. Dies gehört im engeren Sinne zum linguistischen Handwerkszeug der Lehrkräfte und ist von Balle (1980) umfassend beschrieben worden. Weiterhin gibt es die methodische Perspektive auf den Umgang mit Tabus im Miteinander des Unterrichts, also im sogenannten classroom management sowie die didaktische Perspektive auf das Tabu in den behandelten Unterrichtsthemen selbst und schließlich die explizite Befassung mit dem Tabu als Thema. Als letzte Perspektive soll der planvolle Umgang mit dem Tabubruch als Teil der Unterrichtspraxis angesprochen werden, der von vielen Dozenten (nicht immer maßvoll) praktiziert wird, und der in einigen Situationen unumgänglich ist. Danach wird systematisch durchgearbeitet, welche Beteiligten an der Fremdsprachenvermittlung in welcher Form mit Tabus zu tun haben können. Die hier möglichen Konstellationen hängen wesentlich davon ab, ob man seine eigene Sprache oder eine fremde Sprache lehrt, ob man zur Vermittlung und im classroom management eine dritte Sprache, beispielsweise Englisch, verwendet, ob man weitere Sprachen einsetzt oder gar falsche Schlüsse aus faux amis zieht, und so weiter. Es hängt auch davon ab, ob man eine plurizentrische Sprache mit einem plurizentrischen Tabu-Haushalt lehrt. DaF, EFL , und so weiter werden in ganz verschiedenen Ländern, auf verschiedenen Kontinenten und in verschiedenen historischen, sozialen und politischen Kontexten verwendet, die jeweils eigene, zum Teil sehr unterschiedliche Tabus pflegen. Folglich kann man von „den Tabus“ der deutschen Sprache gar nicht sprechen. Handelt es sich hingegen um eine im Wesentlichen monozentrische Sprache wie Norwegisch oder Polnisch, ist das durchaus möglich. Nehmen wir an, eine DaF-Lehrkraft, deren Muttersprache und Kultur der Eltern nicht Deutsch ist, unterrichtet Deutsch. Sie benutzt zur Vermittlung und Erklärung als Unterrichtssprache zum Beispiel Englisch, Spanisch oder Russisch, weil ihre Lerner diese Sprache schon als Fremdsprache gelernt haben. Die Muttersprache der Lerner ist aber zum Beispiel Japanisch, Portugiesisch oder Georgisch. Erst recht finden wir solche mindestens dreisprachigen Vermittlungssituationen in DaF-Kursen in Deutschland vor, wo DaZ-Dozenten und Dozentinnen mit einer Hilfssprache wie Englisch sprachlich heterogene Gruppen (Muttersprache Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Farsi, und so weiter) gemeinsam unterrichten. Dann kann es-- und wird es-- zu der Situation kommen, dass den Lernern zwar die Tabus der eigenen Sprache und Kultur bekannt sind, aber schon die der Vermittlungssprache nicht mehr. Wenn beispielsweise Lerner die Vermittlungssprache (nicht aber DaZ) besser können als die Dozenten und Dozentinnen, dann können Lehrerinnen und Lehrern schon hier schwerwiegende Tabubrüche unerkannt unterlaufen. Noch schwieriger ist es aber für solche Lehrkräfte, die Tabus in der Zielsprache und ihren Kulturen angemessen <?page no="125"?> 125 3.3 Tabuthemen zu thematisieren. Die ausgeführten Sprachkonstellationen im Klassenraum lassen sich in der folgenden Grafik systematisieren: Abbildung 3.11: Perspektiven von Tabus Didaktische Tabus Wir beginnen die Entfaltung der unterrichtspraktischen Aspekte mit der eher randständigen Frage, ob es nicht auch Tabus in der Didaktik gibt. Wir verstehen Didaktik als die Wissenschaft, die die Lehrinhalte festlegt. Sie wählt sie aus, grenzt sie ein und bestimmt ihre Reihenfolge. Dabei begründet sie diese Inhalte zugleich. Sie bestimmt wie gründlich diese Inhalte bearbeitet werden, und wie sie gewichtet werden. Didaktik bestimmt diese Inhalte auch bezüglich ihrer erwarteten Anwendung in der Zukunft und muss daher auch die Zeit in Rechnung stellen, die bis zur Anwendung des Gelernten vergeht; sie muss Eigenheiten der Arbeitswelt und der Kommunikation der Zukunft einschätzen und festlegen mit welchem Ziel welche Inhalte unterrichtet werden sollen und dies begründen. Aufbauend auf dieses Verständnis darf man unterstellen, dass es auch in der Didaktik grundsätzlich Tabus gibt, etwa die vorsätzliche Auswahl von erwartbar sinnlosen Inhalten oder von lernpsychologisch ungeeigneten Progressionsfolgen. Im Sinne eines nicht weiter dis- <?page no="126"?> 126 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz kutierten und nie hinterfragten Das tut man nicht! wird wohl im modernen Fremdsprachenunterricht die kommunikative Funktion der Fremdsprache so weit verabsolutiert, dass andere Lernmotivationen gar nicht mehr diskutiert werden (dürfen). Die ökonomiegetriebene Ethik unserer Zeit erlaubt jedoch nur noch funktionale Begründungszusammenhänge für den Erwerb von Fremdsprachen und tabuisiert andere. Methodische Tabus Leichter abzuhandeln, weil handlungsbezogen und praktisch, sind die methodischen Tabus. Sie beziehen sich vor allem auf das erwartete Verhalten für ein gutes classroom management, die Vergabe von Noten, die Verteilung der sozialen Rollen im Unterricht und so weiter. Hier gibt es eine Reihe von Regeln, die explizit und vielfach veröffentlicht sind (zum Beispiel: keine Benachteiligung Einzelner, keine persönlichen Angriffe), deren Ausgestaltung jedoch reichlich Spielraum gibt. Hier ergänzen Tabus förmliche Regeln oft komplementär. So sind (sexuelle) Beziehungen zu Lernern in der Regel nicht gesetzlich verboten, solange alle Beteiligten volljährig sind. Dennoch werden sie in den meisten Lehr-Lernsituationen als Tabu betrachtet. Viele Handlungen, die rechtlich nicht durch Gesetze oder Verordnungen eingegrenzt sind, werden dennoch als absolut undenkbar angesehen, zum Beispiel das Thematisieren von bestimmten- - je nach Umgebung- - politischen, historischen, ethnischen, sexuellen, hygienischen oder anderen Zuständen. Solche Handlungstabus haben weniger mit Political Correctness zu tun als mit dem Grad an möglichen Verletzungen, die damit verursacht werden können. Es ist fast überall ein Tabu, dass Lehrkräfte den Lernern Verletzungen zufügen. Umgekehrt gilt das nicht in diesem Umfang. Inhaltliche Tabus Ich lerne Deutsch, um Hitlers ‚Mein Kampf ‘ im Original zu lesen! -- jede DaF-Dozentin oder jeder DaF-Dozent, die oder der so etwas schon einmal gehört hat, muss sich mit der Frage beschäftigen, welche inhaltlichen Tabus sie in ihrem Unterricht durchsetzen möchten. Dazu gehören nicht nur die möglicherweise doch zu thematisierenden Bereiche (vergleiche unten: Tabu als Thema), sondern tatsächlich die inhaltlichen Tabus, die auch nicht verhandelbar sind. Das Privatleben der Lehrperson, der Lerner und weiterer persönlich bekannter Personen gehören hierzu ebenso wie zum Beispiel Inhalte, die als verfassungsfeindlich gelten können oder die als volksverhetzend wahrgenommen werden können. Es liegt an der Lehrperson, hier sofort und hinreichend klar zu verdeutlichen, dass ein Tabubruch nicht hingenommen würde. In der Regel kann man diese Grenze auch ethisch oder historisch begründen, wobei das gerade beim Thema Drittes Reich nicht immer gelingen wird, auch angesichts der unterschiedlichen Perspektiven auf diesen Zivilisationsbruch in der deutschen Geschichte (je nach Ausgangskultur). Ein besonderes Augenmerk ist auf eine Form von inhaltlichen Tabus in der Kultur der Kursteilnehmer zu richten, die den Lehrkräften selbst kaum oder gar nicht auffallen könnte: Es handelt sich um alle identitätsstiftenden Symbole der anderen Person, die vor allem re- <?page no="127"?> 127 3.3 Tabuthemen ligiös oder auf deren Nation bezogen sein können. Der Begriff Nation bedeutet die Ideologie, die ein Staat als Grundlage seiner Existenzberechtigung nutzt. Nation ist also das Gefühlte und Staat ist das Organisierte, die Gesetze und so weiter. Daher spricht man da, wo beides zusammenkommt vom sogenannten Nationalstaat. Gerade Deutsche, die sowohl in puncto Religion als auch bezüglich der Nation eine oft sehr distanzierte Haltung einnehmen, werden gar nicht erwarten, dass lockere Bemerkungen über sakralisierte Orte, Personen oder Symbole ein Tabu berühren könnten. Aus der Perspektive des modernen, aufgeklärten Demokraten ist es gewiss befremdlich, wenn historische Figuren-- so wichtig sie auch waren-- völlig der kritischen Beleuchtung entzogen sind. Helden der Revolution, Urväter von Nationen oder Autoren von kanonisierten Texten (Nationalhymnen, heroische Romane, Großschriftsteller und so weiter) sind solche Personen aus anderen Ländern, über die man am besten gar nicht spricht, solange man nicht weiß, welcher unreflektierte Nationalismus den Lernern in ihrer kindlichen und jugendlichen Enkulturation eingetrichtert wurde. Wenn man globale Vergleiche von Nationalstolz ansieht, kann man unschwer erkennen, wo der am wenigsten reflektierte Umgang mit solchen Symbolen herrscht. Wer in weitgehender Distanzlosigkeit zu solchen Heldenfiguren erzogen wurde, der tut sich mit einer historisch-kritischen Auseinandersetzung besonders schwer, weil diese an seine Identität rührt. Auch die kritische Rede über deutsche „Helden“ wie Goethe oder Bismarck-- so berechtigt die kritische Einordnung ihrer Verdienste heute ist-- kann bereits zu einer Übertragung und zu Angst vor der Berührung anderer Tabus führen. Wenn die Lehrkräfte zu offen die eigenen kanonisierten Figuren kritisieren, wird schnell befürchtet, sie könnten nun auch solche Figuren aus dem Land der Lerner kritisieren. Auch der kritische Umgang mit sakralisierten Orten (darunter auch die Erinnerungsorte, siehe dazu die Lerneinheiten 5.2 und 5.3 in diesem Band), typischerweise solche, durch die Millionen von Schulkindern geschleift werden, ist in der Regel entsprechend mit Tabu belegt. Der Umgang mit Tabus: Tabudiskurse Das Vorhandensein von Tabus wird oftmals durch Unsicherheit und Aggression bei den Kommunikationspartnern und -partnerinnen spürbar, ohne dass man damit schon wüsste, um welche Tabus es sich handelt, oder wo sie tatsächlich gebrochen würden. Das Wort Tabu wird in den meisten Wörterbüchern als 'bildungssprachlich' markiert. In der Tat erfordert der angemessene sprachliche Umgang mit Tabus, der sogenannte Tabudiskurs, einen sehr differenzierten Umgang mit der Sprache, der in der Regel höhere Register, ein umfangreicheres Vokabular und komplexe sprachliche Strategien voraussetzt. Muttersprachler, die in ihrer eigenen Kultur zu Hause sind, haben vielfältige Wege gefunden, mit Tabus umzugehen, indem sie diese anzeigen, ohne sie zu berühren. Wir können in unserer eigenen Sprache andeuten, umschreiben, beschönigen und vieles mehr und uns auf diese Weise über tabuisierte Bereiche verständigen, ohne die Konventionen zu verletzen. In bestimmten Situationen kann sehr wohl über tabuisierte Handlungen, Gegenstände, Institutionen und Personen kommuniziert werden. Dies muss jedoch sprachlich so markiert werden, dass daraus keine Tabuverletzung entsteht. Grundsätzlich bestehen die vier Möglichkeiten, <?page no="128"?> 128 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz ▶ das Tabu zu vermeiden (Abbruch des Gespräches), ▶ das Tabu zu umgehen (zum Beispiel durch Euphemismen), ▶ das Tabu zu thematisieren (Darüber kann man nicht offen sprechen) oder ▶ es zu verletzen. Soll oder muss ein Tabu angesprochen werden, ohne verletzt zu werden, so stehen dafür eine ganze Reihe von sprachlichen Realisierungsmöglichkeiten zur Verfügung, wie wir sehen werden. Das Tabu wird auf jeden Fall sprachlich etikettiert, um es nicht zu brechen, das heißt es wird mit sprachlichen Ersatzmitteln umschrieben. Sprachliche Manifestationen von Tabus im Deutschen Wer Tabus in Tat und Sprache thematisieren will, der verwendet Andeutungen und Umschreibungen. Tatsächlich wird das Unaussprechliche sehr wohl angesprochen, jedoch ohne dass es auch ausgesprochen wird. Das geschieht mit bestimmten sprachlichen Mitteln, die verbale oder nonverbale Bewältigung von Tabus wird Tabudiskurs genannt. Typische sprachliche Phänomene für die Umgehung des Tabus sind im Deutschen zum Beispiel lautliche Veränderungen, Pronomina mit impliziter Bedeutung, Antonyme, die Ellipse, der Tabuplural, euphemistische Kontaminationen (Wortkreuzungen), Sinnesstreckungen, satzhafte Umschreibungen (Wunschsatz und umschreibender Relativsatz), die captatio benevolentiae (wörtlich: ‚das Erheischen des Wohlwollens des Gegenübers‘, zum Beispiel durch rhetorische Formeln der Anerkennung, des Lobes, und so weiter) sowie die Flucht in die Allgemeinheit (Generalisierungen; vergleiche hierzu linguistisch ausführlich Balle 1980). Außerdem lassen sich aus der Diskurslinguistik verschiedene Formen des indirekten beziehungsweise verdeckten Sprechens als sprachliche Mittel zum Verschleiern einer Aussage beschreiben. Hier wird grundsätzlich unterschieden zwischen dem sprechen müssen und dem sprechen wollen über das Nicht-Sagbare. Auch Metaphern, die Verwendung von Euphemismen und Fachvokabular, die Agensbetonung und -aussparung, die Redewiedergabe und Rollenspezifikation, die Wortvermeidung und Vagheit, zusätzliche Angaben zur Einschränkung von Aussagen und die Verwendung von Proformen sind vielfach nachgewiesen. Der Grad der Direktheit (Wie stellt sich der Sprecher selbst dar? ) und der Explizitheit (Wie wird das tabuisierte Thema dargestellt? ), der-- bei ausreichender Sprachbeherrschung-- von Muttersprachlern und -sprachlerinnen sehr fein nuanciert werden kann, gibt Annäherungsmöglichkeiten an das Tabu, ohne es zu verletzen. Der Grad der Direktheit-- also die Stellung des Sprechers zum Tabu kann hier von radikaler Distanzierung bis zu völliger Akzeptanz reichen. Der Grad der Explizitheit hingegen von vagen Andeutungen bis zu detailreicher Genauigkeit und gegebenenfalls derber und drastischer Präzision. Unter den üblichen Strategien zum Umgang mit Tabus finden sich vor allem Wortersatzformen, die sich zum Teil über Jahrhunderte tradieren. Besonders häufig sind Wortersatzformen, die vor allem im Bereich der religiösen Begriffe eine lange Tradition haben. Aus Herr Jesus wird Herrje, aus dem Sakrament wird Sapperment oder gar ein Sack Zement und aus dem Teufel wird der Leibhaftige oder der Gottseibeiuns. Manche dieser Ersatzformen operieren allerdings selber schon wieder genussvoll mit einem (neuen) Tabubruch. So ist man sich <?page no="129"?> 129 3.3 Tabuthemen bei verkackt oder verfickt anstelle von verflucht heutzutage nicht mehr ganz sicher, welche Variante nun schlimmer ist. Ältere Wortersatzformen wie der Allerwerteste für das Gesäß sind heute im Unterricht kaum noch zu vermitteln, weil das der Wortersatzform zugrundeliegende Tabu weggefallen ist. Wenn im öffentlichen deutschen Fernsehen förmlich mit Schlips und Kragen gekleidete Menschen zueinander Sätze sagen wie Du bist so beschissen-- Du könntest höchstens als Geruch auf einem Fischkutter arbeiten (Süddeutsche Zeitung 2012), dann fragt man sich, welche Sprechtabus es im medialen Raum überhaupt noch gibt. Dennoch sind viele ältere sprachliche Formen als idiomatische Wendungen noch immer in Gebrauch und müssen daher auch gelehrt werden. Dazu gehören sprachliche Formen wie die Auslassung bei einem heute obsoleten Tabu. Die Frage Wer hat da einen fahren lassen? (Bedeutung: ‚Wem sind Darmwinde entfahren? ‘) ist eine idiomatisch noch immer verwendete Form, auch wenn der elliptisch getilgte Furz schon fast salonfähig geworden ist. Sehr häufig kommen Pronomina mit impliziter Bedeutung vor, besonders deiktische Formen, die ins Nichts verweisen. Unsere Katze hat ES schon wieder gemacht lässt allen mit der Situation Vertrauten die Interpretation offen, dass sie das Katzenklo zum wiederholten Male nicht benutzt hat. Dieser Film ist so explizit! Schrecklich! Sie haben DAS in allen Details gezeigt wird-- je nach Film-- typischerweise eine sexuelle Konnotation haben oder sich auf explizite Gewalt beziehen. Pronomina mit impliziter Bedeutung bedürfen lediglich eines vorgegebenen Interpretationsrahmens, also zum Beispiel der Kenntnis einer bestimmten Katze oder eines bestimmten Films. Das Internet als Ort des Tabubruches Wir haben gesehen, dass die Durchsetzung von Tabus der eigenen sozialen Gruppe obliegt. Mit dem Internet hat sich jedoch in der letzten Generation ein Kommunikationsmedium entwickelt, das zwar soziale Gruppen vorspielt, aber letztlich nur für das Verhalten im Netz (Netiquette) auch den Referenzrahmen für das individuelle Verhalten darstellt. Auch zeigt sich, dass Angriffe (Shitstorm) und Mobbing (Cybermobbing) online sehr viel ungebremster ausgeführt werden als in einer persönlichen Begegnung. Man kann sich in der Regel direkten Sanktionsmechanismen entziehen und das Schlimmste, was passieren kann, ist die Löschung eines Posts. So kommt es, dass Tabubrüche ohne die Befürchtung der damit sonst verbundenen Sanktion dort viel einfacher sind, häufiger vorkommen und schwerer ausfallen. Das oftmals völlige Fehlen von sozialen Korrekturmechanismen senkt die Hemmschwelle für jede Art von Posts dort, weshalb zumindest alle öffentlichen (und sehr viele private) Anbieter von Foren alle eingehenden Posts zunächst von einer elektronischen Kontrolle und darüber hinaus noch von einem Moderator kontrollieren lassen. Interessanterweise greifen auch hier die gleichen oder sehr ähnliche Wortverfremdungsmechanismen wie schon vor 500 Jahren. Aus Scheiß wird Schice, aus Arsch wird Arxx und so weiter und damit ist das Kontrollprogramm schon umgangen. Das Internet ist auch deshalb für Tabus und Tabubrüche von Bedeutung, weil viele Lerner sich dort selbst mit Informationen über Deutschland versorgen. Wer bei Youtube beispielsweise das Schlagwort Deutsche Musik sucht, findet wahlweise Marschmusik, die von Schüt- <?page no="130"?> 130 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz zenkompanien und Militärkapellen intoniert wird, oder aggressiven Rap wie Marteria Kids (Alle ham nen Job-- ich hab Langeweile) oder Alligatoah (Willst Du mit mir Drogen nehmen? ) und vieles Ähnliches-- das ist weder repräsentativ für Deutschland noch frei von den verschiedensten Tabuverletzungen. Tabu und Register Heute dienen diese Sprechtabus kaum noch dem Erhalt von sozialem Status. Mit dem weitgehenden Verschwinden der Arbeitsplätze für Ungelernte aus der westlichen Welt seit den 1980ern, das durch die fortschreitende Globalisierung mit Arbeitsplatzverlagerungen noch immer zunimmt, entstand eine sogenannte „neue Unterschicht“ (Nolte 2004). Konstituierendes Merkmal dieser Unterschicht ist nicht nur-- wie bei der klassischen Unterschicht die Bildungsferne, sondern vor allem ihre dauerhafte Chancenlosigkeit. Wenn über mehrere Generationen hinweg kein Zugang zum qualifizierten Arbeitsmarkt und zu sozialem Aufstieg mehr möglich scheint, dann erübrigt sich die (sozialdemokratisch und gewerkschaftlich über hundert Jahre geförderte und geforderte) Bildungsanstrengung, und man kann auf jegliche Sprachtabus dauerhaft verzichten. Diese seit über 30 Jahren andauernde Entwicklung hat nicht nur zu einer stabilen Kundengruppe für das Privatfernsehen geführt, sondern verursacht offensichtlich eine für Deutschland neue Orientierung im sozialen Verhalten: Während sich die Unterschicht noch im neunzehnten Jahrhundert an der Mittelschicht (also nach oben) orientierte und einen sozialen Aufstieg erhoffte, und oft auch erlangte, orientieren sich seit wenigen Jahrzehnten große Teile der Mittelschicht an der neuen Unterschicht, also nach unten. Zugleich entsteht für sie ein auch sprachlich angepasstes Medienangebot, das die Enttabuisierung nicht als Programm betreibt, sondern bereits für Normalität hält. Die neue Unterschicht als eine heterogen zusammengesetzte Gruppe von Personen, die langfristig- - auch über mehrere Generationen-- nicht mehr am Beschäftigungssystem teilhaben, konsumiert ein dauerhaft vorgehaltenes und an ihren Bedürfnissen orientiertes Unterhaltungsprogramm, das auch von DaF-Lernern über die elektronischen Medien weltweit zu verfolgen ist. Sendungen an jedem Werktag ab 15: 00 Uhr mit Inhalten, die vor einer Generation noch auf Sendeplätze nach 22: 00 Uhr verbannt worden wären, sind heute Normalität. Von daher sollten sich Lehrkräfte frühzeitig auf mögliche Überraschungen einstellen. Tabu und interkulturelle Kommunikation In der interkulturellen Kommunikation und in jeder Lehr-Lernsituation von Fremdsprachen liegt ein zentrales Problem darin, dass die Grenzen für Sprechtabus kulturspezifisch unterschiedlich gezogen werden. Vielfach weiß man also nicht, wo diese Grenzen bei anderen liegen. Dazu kommt, dass Metakommunikation über Tabus meist auch tabuisiert ist: Man kann also nicht über das Nicht-Sprechen sprechen. Die vermeintlich einfachen Fragen: Warum sprechen Sie nicht darüber? oder Warum sagen Sie nicht einfach ‚nein‘, wenn Sie das doch meinen? berühren ein Sprechtabu, dessen Verletzung für den Tabubrecher-- nach seiner Ansicht und in seiner Kultur-- zu Gesichtsverlust und sozialen Sanktionen führen wird. Die Tatsache, dass man selber den Verhaltenskodex und die Taburegeln und -sanktionen für <?page no="131"?> 131 3.3 Tabuthemen andere Kulturen nicht kennt, ja nicht einmal wahrnimmt, bedeutet nicht, dass sie nicht (für den jeweils anderen) existieren. Folgen eines ungewollten Tabubruches in einer interkulturellen Situation können schwerwiegend sein, sie können aber auch völlig entfallen, weil die Fremdheit (soweit sie erkannt wird) den Tabubrecher unter Umständen schützt. Im Fremdsprachenunterricht muss zumindest darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeit einer nachträglichen Reparatur bestehen kann, sofern man seine gutwillige Unkenntnis glaubhaft versichern kann. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Bereitschaft auf beiden Seiten, auch unbekannte Tabus und unverstandene Erklärungen dafür beim jeweils anderen hinzunehmen. Wichtig ist ferner die Fähigkeit, diese fremden Tabus auch mit Gleichmut hinzunehmen und nicht zu kritisieren oder ins Lächerliche zu ziehen, was wegen der offensichtlich fehlenden funktionalen Begründung nahe liegen könnte. Gerade im Bereich der Tabubrüche werden in der interkulturellen Kommunikation die Gründe für Tabus und den Umgang damit der jeweiligen Gegenseite nur selten offenbart. Eine interkulturelle Kompetenz ist es daher auch, unverstandene Zusammenhänge ernst zu nehmen, wenn sie einem als wichtig vermittelt werden. Man muss daher schon früh in der Vorbereitung auf interkulturelle Situationen die Verwendung von Euphemismen, von vorsichtigen Umschreibungen, von Reparaturangeboten und die Glaubhaftmachung der eigenen Ignoranz thematisieren und üben. Umgekehrt kann man in der Theorie der Sprechakte die Benennung eines Sprechtabus immer als Vorwurfs-Sprechakt interpretieren. Eine Ausnahme mögen die sexuellen Bezüge sein, wo die Bezeichnung tabulos eher werbend denn als Vorwurf gebraucht wird. Tabus und Tabubrüche im Unterricht Die Unterrichtssituation selbst ist schon durch eine ganze Reihe von Tabus charakterisiert, über die man kaum jemals nachdenkt. Diese betreffen den Umgang beziehungsweise den Nicht-Umgang miteinander, die Rolle der Lehrperson und die Rolle der Lerner. Das Problem in der interkulturellen Lehr-Lernsituation ist aber, dass die Beteiligten nicht immer wissen können, was man nicht machen soll, worüber man nicht reden soll beziehungsweise nur in einer besonderen Weise sprechen darf. Da Tabuformulierungen und -begründungen selbst tabuisiert sind, erfahren Lehrkräfte wie Lerner eigentlich nur durch die Verletzung eines Tabus und deren Folgen darauf von ihrem Fehlverhalten. Tabus und Tabubrüche zeigen sich im Unterricht einerseits in den behandelten Themen. Auch vermeintlich einfache und unverfängliche Themen wie Ess- und Tischgewohnheiten, vermeintlich grundlegende Hygiene, Kleidung und Mode sowie alle für selbstverständlich erscheinenden Alltagssituationen-- also die jeweils zugrunde liegenden Normalitätsannahmen (siehe dazu die Lerneinheiten 3.1 und 3.2)-- können für Menschen aus einer anderen Kultur mit Tabus behaftet sein und in der Folge unwissentlich zu Tabubrüchen führen. Auch scheinbar ganz sachliche Themenbereiche wie Zahlen, Farben oder Tiere, die Funktion einzelner Zimmer im Haus oder die (immer schwierige) Grenze zwischen innen und außen in privaten Wohnungen sind anfällig für Verletzungen. Tabus und Tabubrüche zeigen sich im Unterricht anderseits auch über das classroom management. Dazu gehört nicht nur die Sprache, sondern <?page no="132"?> 132 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz auch der komplexe Bereich der nonverbalen Kommunikation. Hier werden die Wirkungen nicht erkannter Tabus besonders schnell deutlich. Dazu gehören nicht nur Tabu-Gesten als solche, die außerhalb der westlichen Welt ganz andere Formen annehmen als man sich hier vorstellt. Vielmehr können dazu auch häufige Gesten aus dem classroom management gehören wie zum Beispiel das Heranwinken einer Person, das Deuten auf jemanden, Gesten für Ablehnung und so weiter. Schnell werden hier Tabus gebrochen, wenn man zum Beispiel Menschen mit der nicht adäquaten Handstellung heranwinkt, die sich-- aus ihrer kulturellen Sicht-- wie ein Hund behandelt fühlen. Das Schnippen mit den Fingern, das in Deutschland zum Alltag der Grundschule gehört, kann in anderen Ländern eine mit Tabu belegte Geste der sexuellen Inbesitznahme oder der Herablassung sein. Umgang mit Tabus lehren Angesichts der beschriebenen rasanten Veränderungen steht zu befürchten, dass viele Lehrkräfte überhaupt nicht wissen, wie schnell die in Deutschland heute gültigen Tabus sich verändern. Diese Geschwindigkeit führt sicherlich auch zu einem Generationenbruch, wenn Lehrkräfte über 40 glauben, einen riskanten Tabubruch zu begehen, weil in einem Musikfilm Sexualität thematisiert wird, während ihre Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen zur gleichen Zeit Videos sehen, in denen sich koksende und kotzende Jugendliche zu gut gemachtem Mainstreampop umbringen (also nicht ein Film über Kokain und Suizid, sondern vor allem ein Musikvideo). Wie soll man sich mit Tabus im Unterricht beschäftigen? Für die meisten Lerner wird es keiner expliziten Aufforderung bedürfen, die Tabus der Zielsprache zunächst einmal anzuerkennen, auch wenn ihnen diese oft nicht erklärt und ihre Herkunft nicht plausibel gemacht werden kann. Tatsächlich gibt es ja Themen, über die man unter Umständen sprechen muss, ob man will oder nicht. Wenn elementare Befindlichkeiten des gemeinsamen Lernens betroffen sind (typischerweise Hygiene) oder wenn ein Arztbesuch unausweichlich ist, dann müssen Tabus gebrochen und thematisiert werden. Daher ist der Umgang mit Tabus sehr wohl ein Thema. Eine praktische Einführung in das Thema Tabu könnten heute in vielen Ländern der Welt die Harry-Potter-Romane sein. Sehr viele Menschen-- gerade jüngere-- kennen sie und hier gibt es ein Namenstabu, das sich durch alle Filme und Bücher zieht: Der Name des Bösewichts Voldemort darf nie genannt werden. Wenn also die Verständnisfrage zu klären ist, was ein Tabu eigentlich sei, so ist der Name des Zauberers Voldemort ein guter Ausgangspunkt, um ein von vielen gekanntes Sprechtabu (und den Umgang damit einschließlich seiner Überwindung) zu lehren. Dieses Tabu vereint alle üblichen Elemente, also die Markierung von besonderer Kraft, die Bedrohung bei Missachtung des Tabus, das allgemeine Wissen über das Tabu, ohne dass es sich aber um ein förmliches Verbot handeln würde. Tabu als Thema im Unterricht Darf man sich mit Tabu als Thema beschäftigen? Warum soll man sich überhaupt mit Tabus beschäftigen? Zunächst ist die Notwendigkeit offensichtlich, dass die Aufklärung über nicht erklärte und nicht erklärbare Sprech- und Handlungsverbote ein wichtiger Teil des Fremd- <?page no="133"?> 133 3.3 Tabuthemen sprachenunterrichtes sein muss, wenn die Lerner sich nicht nur sprachlich, sondern auch sozial angemessen verhalten können sollen. Hätten Sie die Freundlichkeit, mir den Weg zum Scheißhaus zu weisen? ist nicht nur ein inadäquater Registerwechsel, sondern stellt den Sprecher oder die Sprecherin auch wegen eines Tabubruches bloß. Eine solche Aufklärung kann aber bereits durch die systematische Abgrenzung oder Ausgrenzung geschehen, also durch Vermeidung. Damit bestätigt die Lehrperson das Tabu. Sie unterliegt vielleicht nicht der Sanktionsdrohung durch die soziale Gruppe, aus der das Tabu kommt: DaF-Dozentinnen oder Dozenten, die zum Beispiel in Argentinien explizit über die deutschen Konzepte und Begriffe von Fäkalien, Sex und Voodoo sprechen, werden in Deutschland nicht geächtet. Sie können aber einer Sanktionierung (a) durch die Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen oder (b) durch die Institution, in der sie lehren oder (c) durch ihre Kolleginnen und Kollegen erfahren. Daher ist der sicherste Umgang mit tabuisierten Wörtern, Dingen und Konzepten deren komplette Vermeidung. Der sicherste Umgang mit den Tabus ist aber in den meisten Fällen nicht der beste und auch nicht der sinnvollste. Eher gilt es abzuwägen, welche Risiken und Konflikte es geben könnte. Dies hängt von wenigen, meist klar zu definierenden Faktoren ab, weshalb Lehrkräfte diese Entscheidung oftmals sehr wohl selber treffen können. Entscheidend sind vor allem ▶ die soziale Umgebung des Unterrichtes; ▶ das Alter der Lerner (Vorsicht in der Adoleszenz); ▶ die Zusammensetzung der Lernergruppe; ▶ die Bedingungen der Lehrinstitution (religiös? konservativ? Steht gerade in der Kritik? -…); ▶ die eigene fachliche Beherrschung des Themas-- linguistisch und soziologisch; ▶ die Herkunftskultur der Lerner; ▶ die rechtliche Situation der Lehre. Wenn man Tabus schon ansprechen möchte, dann sollte man dies auch sukzessiv tun. Musikfilme wie Ist der Ruf erst ruiniert oder Isch liebe disch von Tic Tac Toe, die den Tabubruch als einziges Thema haben, und in denen masturbierende Frauen entsprechende Texte brüllen, zu denen sie Priestern unter die Soutane greifen und Polizisten erschlagen, sind da noch nicht einmal das obere Ende der Fahnenstange, wenn die Themen Sexualität, Gewalt, Religion und Staat in einem poppigen Potpourri vorgeführt werden. Wie eine solche vorsichtige Progression aussehen könnte, müssen Lehrkräfte jeweils selbst entscheiden. Der methodische Hinweis scheint aber angemessen, nicht den Wünschen einzelner Lerner nachzugeben, deren Motivation zum Tabubruch im Unterricht oft eher die Lust am Tabubruch als die Wissbegierde sein dürfte. Übrigens kann ein überzogener Tabubruch im Unterricht auch schnell zu rechtlichen Konsequenzen für die Lehrperson führen. Daher ist ein weiterer wichtiger Aspekt zu bedenken: Was geschieht mit dem durch Tabubruch erworbenen und nun zur Anwendung bereiten Wissen später außerhalb des Kurses? Es sind Fälle bekannt, in denen beispielsweise adoleszente Lerner im Ferienkurs ihre Dozentin so lange um die nähere Erläuterung von derben Ausdrücken baten, bis diese schließlich die gewünschten Ausdrücke erklärte und die Lerner <?page no="134"?> 134 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz diese dann zu Hause bei der Gastfamilie ausprobierten. Das hat sicher schon mehr als eine Lehrperson ihren Job gekostet. Werden Tabus und Tabubrüche im Unterricht tatsächlich aktiv thematisiert, so sollten folgende Ziele in den Mittelpunkt gestellt werden: ▶ möglichst keine Tabus so brechen, dass Andere unnötig verletzt werden; ▶ außereuropäische Tabus, die westliche Werte betreffen (Frauen dürfen nicht die gleichen Rechte wie Männer haben und so weiter) müssen gebrochen werden. Die deutsche Verfassung ist eine rote Linie, an der die freundliche Rücksicht mit dem Fremden aufhört; ▶ Tabus jedoch nicht alle fürchten, da nur der Tabubruch sie erst sichtbar macht und so zum Ausgangspunkt für ein gemeinsames Nachdenken darüber werden kann; ▶ Lehrkräfte und Lerner möglichst für das Thema sensibilisieren; ▶ Reflexion bezüglich der eigenen Tabus anregen und deren Funktion und Genese an ausgewählten Beispielen erkennen (und zum Beispiel selber referieren); ▶ die aktive Toleranz aller Beteiligten bezüglich Tabus fördern; ▶ an Beispielen den Umgang mit Tabus sprachlich üben (Euphemismen, Ellipsen und so weiter); ▶ ein ausreichend großes Repertoire von sprachlichen Mitteln für den Umgang mit Tabus vermitteln; ▶ für Fälle von Tabubruch auch metakommunikative Reparaturmechanismen vermitteln. Ziel muss es vor allem sein, im Falle unbeabsichtigter Tabuverletzungen den Abbruch der Kommunikation verhindern zu können. Tabubruch als Thema im Unterricht Als letztes Thema sei noch der Tabubruch im Unterricht angesprochen. Als Thema ist er je nach Zusammensetzung der Lernergruppe unter Umständen ab der Mittelstufe möglich. Die Auseinandersetzung mit einem Tabubruch kann jedoch so viele Emotionen, vor allem Ängste, auslösen, dass ausreichend viele sprachliche Mittel vorhanden sein sollten, bevor das Thema aufgenommen wird. Frustrierte Lerner, die sich durch die Diskussion eines Tabubruches verletzt fühlen, ist sicher kein Ausweis guter Lehre. Ein für den Unterricht wichtiges Thema ist der Tabubruch aus Unwissenheit beziehungsweise dessen Vermeidung. So zeigt sich eine reiche dialektale Vielfalt an Tabuwörtern innerhalb der plurizentrischen Sprache Deutsch. Gut belegt und auch für Germanisten noch überraschend (weil bisher nie dokumentiert) beschreiben erstmals Sedlaczek und Winder (2014) eine große Zahl von Wörtern, die in manchen deutschsprachigen Regionen als arglos verwendbar gelten und die woanders völlig tabuisiert sind. Große Unterschiede gibt es etwa zwischen dem österreichischen Deutsch und den norddeutschen Dialekten. In Hamburg mag man das Verb pudern für ein reflexives Verb halten, das mit dem Abtönen des Gesichts gegen zu viel glänzenden Schweiß (für das Foto im Studio) zu tun hat. Österreicher verwenden das Verb eher transitiv für Geschlechtsverkehr. <?page no="135"?> 135 3.3 Tabuthemen Auch für die Fäkalsprache gibt es eine große Zahl von Wörtern, die selbst Lehrkräfte unangemessen einsetzen könnten, wenn sie nur die arglose Bedeutung ihrer jeweiligen regionalen Variante kennen. So wird das Verb pissen in Deutschland als derb angesehen und in der gehobenen Sprache vermieden. Dagegen ist es in Wien offensichtlich hochsprachlich in Gebrauch: Die öffentlichen Wiener Hundeklos sind mit Autoreifen ausgestattet, an denen die Hunde (als Ersatz für einen Baum) urinieren können, und diese heißen Pissreifen. Dem Tabubruch durch Unwissenheit steht der planvolle Tabubruch gegenüber, der spätestens seit der Aufklärung seinen festen Platz in der westlichen Kulturgeschichte hat. Tabus, die nicht regional gelten, sondern die als allgemein anerkannt unanständig gelten, und die vor allem aus den Bereichen der Sexualität und der Fäkalsprache stammen, wurden-- hier als Schmankerl für die Germanisten- - schon von Autoren wie den Brüdern Grimm oder von Goethe gezielt gebrochen. Wie weit die gezielte Verletzung solcher als Tabuwörter und Tabuvorstellungen allgemein anerkannter Themen historisch zurückreicht, lässt sich zum Beispiel in Goethes Venezianischen Epigrammen nachlesen, bei denen er im Vorwort das Heil der erotischen Dichtung evoziert. Einige dieser Epigramme, zum Beispiel das hunderteinundvierzigste würde ihn heute gewiss hinter Gitter bringen. (Online auffindbar bei römischer Schreibweise der Zahl. Das setzt schon wieder eine gewisse Belesenheit voraus). Der Tabubruch als Thema kann immer dann gerechtfertigt sein, wenn Tabus der Lerner etwa mit den Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland in Konflikt geraten. Rechtliche und religiöse, sexuelle und Genderfragen sind solche Bereiche. Hier ist stets darauf zu achten, dass vonseiten der Lehrkräfte nicht zu viel auf einmal versucht wird. Tabubrüche, die die Identität der Lerner berühren, sind an sich nicht schlecht-- man kann daran reifen, wenn die eigenen Selbstverständlichkeiten infrage gestellt werden. Aber Tabubrüche, die die Identität der Lerner fundamental gefährden, wie zum Beispiel der Einsatz von Mohammed- Karikaturen bei muslimischen Lernern ist nicht nur unangemessen, sondern wird sich in den meisten Fällen als kontraproduktiv erweisen. Tabubruch als Methode im Unterricht Der Tabubruch als Handlung im Unterricht durch die Lehrperson kann eine bestimmte didaktische und methodische Zielstellung haben. Was hier als modern intendiert ist, kann jedoch in vielen Kontexten als zu stark und zu verletzend erfahren werden. Solche denkbaren Tabubrüche sind zum Beispiel der kritische Umgang mit politischen oder religiösen Symbolen, der in Deutschland sehr wohl möglich ist, aber in anderen Kontexten als ungeheuerlich erfahren wird. Ein authentisches Beispiel ist der Versuch, sich der Nationalhymne zum Beispiel über eine künstlerische Verfremdung zu nähern. Das Lied Gott erhalts von Hubert von Goisern (1994) zum Beispiel verwendet das Kaiserquartett von Haydn als Grundlage und macht daraus eine (österreichische) Kaiser-Franz-Hymne, in der es aber nicht um den habsburgischen Kaiser Franz II , sondern eher um Franz Beckenbauer geht. Lerner, die die Geschichte des Kaiserquartetts nicht kennen, werden auch die entsprechende habsburgische Vorlage nicht erkennen, sondern (durchaus fälschlich) unterstellen, dass hier die deutsche Nationalhymne verunglimpft werde. Das kann statt zu heiterer Auseinandersetzung mit den <?page no="136"?> 136 3 Critical Incidents und Tabus, Vermittlungswege interkultureller Kompetenz vielen historischen Etappen des heutigen Deutschlandliedes eher zu fassungslosem Unverständnis über die Respektlosigkeit gegenüber einem Symbol führen, das im eigenen Kontext noch sakral hypostasiert ist und dessen kritische oder künstlerische Verwendung vielleicht tabuisiert oder sogar förmlich verboten ist. Es gibt Phänomene, die den Tabubruch sowohl als Thema des Unterrichts, als auch als Handlung im Unterricht realisieren. Das geschieht dann, wenn ein Tabubruch begangen wird und er gleichzeitig thematisiert wird, also ähnlich wie auf der Bühne und vielen Manifestationen moderner Kunst. Ein eher komisches Phänomen ist der vermeintliche Tabubruch im Fremdsprachenunterricht. Noch immer hören viele junge Menschen auch außerhalb von Deutschland einen Musikstil, der als Neue deutsche Härte ( NDH ) vor allem durch tiefen deutschen Gesang und einen in Aussprache und Bilderwelt an das Dritte Reich erinnernden Stil gekennzeichnet ist. Die Aufnahme solcher NDH -Musik in die Programme von Sony-Music, Airola, EMI und so weiter hat schnell zu einer weltweiten Vermarktung und Verbreitung geführt, und so ist es tatsächlich nicht selten, dass außerhalb Deutschlands über solche Musik und deren Bilder und Inhalte eben Verbindungen zu Deutschland hergestellt werden. Die Unterstellung, es handle sich hier um einen Tabubruch, der die Lehrkräfte schrecklich beeindrucken müsste, entspringt dabei meist der (auch sprachlichen) Unkenntnis der etwas einfachen Texte. Aber Tabus, die keine sind, kann man gut brechen. Das wird vor allem von denen bewundert, die auch nichts darüber wissen. 3.3.4 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie verschiedene Aspekte von Tabus kennengelernt. Dabei wurde auf die Herkunft des Begriffes und des Konzeptes eingegangen sowie die Behandlung von Tabus im Unterricht. Mit der Bearbeitung dieser Lerneinheit können Sie ▶ die Herkunft des Begriffs Tabu beschreiben und stellvertretend auch auf andere Lehnwörter übertragen; ▶ die Rolle von Tabus in der modernen Gesellschaft beschreiben; ▶ die sieben Bedeutungsfelder identifizieren, in denen sich Tabus manifestieren. Dazu gehören (1) Sprache & Ideologie, (2) Körper & Krankheit (3) Sexualität, (4) Religion, (5) Alltagshandlungen () Gewalt & Tod sowie (7) Armut & Ungleichheit; ▶ den Umgang mit Tabus in den Fremdsprachenunterricht integrieren; ▶ den Umgang mit Tabus und Tabubrüchen im Fremdsprachenunterricht reflektieren; ▶ den Einsatz von Tabus als Methode im Fremdsprachenunterricht reflektieren. 3.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. In welche thematischen Bereiche (Bedeutungsfelder) lassen sich Tabus in modernen Gesellschaften gliedern? <?page no="137"?> 137 3.3 Tabuthemen 2. Nennen Sie bitte die wesentlichen Unterschiede zwischen Verboten und Tabus. 3. In der Unterrichtspraxis stoßen verschiedene Tabu-Haushalte aufeinander: Lehrpersonen und Lerner haben oft ganz verschiedene Tabus und kennen diejenigen der jeweils anderen nicht. Bitte skizzieren Sie die möglichen Konstellationen. 4. Bitte nennen Sie mindestens je zwei Beispiele für didaktische und für methodische Tabus im Unterricht. 5. Nennen Sie bitte einige Beispiele dafür, wie Sie Tabus im Unterricht thematisieren. Beginnen Sie mit den theoretischen und metasprachlichen Zugängen. <?page no="139"?> 139 3.3 Tabuthemen 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Die interkulturelle Literaturdidaktik ist ein wichtiger Ansatz in der Didaktik des Deutschen als Fremdsprache und Impulsgeber für einen differenzierten Umgang mit Texten von Autoren und Autorinnen mit anderer Herkunftssprache als Deutsch und einem biografisch bedingten Perspektiven- und Kulturwechsel. Somit wird durch diese Autorengruppe unter Bedingungen interkultureller Existenz und interkultureller Lebensumstände das Literaturverständnis auch weiter gefasst als bei der herkömmlichen Arbeit mit literarischen, oftmals auch kanonischen Texten aus rein literaturwissenschaftlicher Sicht: Interkulturelle Literatur dient somit nicht nur der Sprach- und Kulturvermittlung, sondern schafft gleichzeitig vielfältige Anlässe zur Auseinandersetzung mit gesellschaftsbezogenen Fragen im Zusammenhang mit Identität(en), Rollenwechseln und Integration, kurz: in Bezug auf Inter- und Transkulturalität. Darüber hinaus ist der kreative und durch Mehrsprachigkeit geprägte Umgang mit Sprache(n), der auch Sprachmischungen, darunter türkisch geprägte Varietäten der deutschen Literatursprache (zum Beispiel bei Feridun Zaimoglu) und Ähnliches beinhaltet, Teil der Sensibilisierung für Sprach-, Literatur- und Kulturkontakt. Die Lerneinheit 4.1 beschäftigt sich zunächst mit den Preisträgern und Preisträgerinnen der sogenannten Chamisso-Literatur (darunter Feridun Zaimoglu, Ilja Trojanow und José F. A. Oliver), einem Literaturpreis, der 1985 auf Initiative des Instituts für Deutsch als Fremdsprache der Ludwig-Maximilians-Universtität München und mithilfe der Robert Bosch Stiftung ins Leben gerufen wurde. In der Lerneinheit 4.2 geht es dann um terminologische Abgrenzungen von interkultureller Philologie und interkultureller Hermeneutik im Hinblick auf Translationsprozesse, die die theoretischen Grundlagen für die interkulturelle Text- und Verstehensarbeit bilden. Dabei spielen kultur- und wissenssoziologische Theorien eine wichtige Rolle, vor allem im Umgang mit Pluralität. Die das Kapitel Interkulturelle Literatur und Didaktik abschließende Lerneinheit 4.3 widmet sich den Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik, wobei zunächst mehrere Dialogkonzepte vorgestellt werden, um diese dann in einem konkreten Unterrichtentwurf von José F. A. Oliver zu exemplifizieren. Dabei stehen Überlegungen zur Planung des eigenen interkulturellen Literaturunterrichts für Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache im Vordergrund. Auch diese Einheit bietet viele Ansätze für die Gestaltung (und Optimierung) des eigenen Literatur- und Sprachunterrichts. <?page no="140"?> 140 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik Gesine Lenore Schiewer Der Gegenstand der vorliegenden Lerneinheit ist eine in jüngerer Zeit zunehmend diskutierte Thematik, bei der es sich um Grundfragen der Arbeit mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht handelt - exemplarisch ist hier auf einen 2014 von Nils Bernstein und Charlotte Lerchner herausgegebenen Band zu verweisen (vergleiche Bernstein & Lerchner 2014). Wenn dabei die Frage der Einbeziehung literarischer Texte im genannten Zusammenhang in der Deutsch als Fremdsprache-Forschung verstärkte Aufmerksamkeit findet, wird oft ein umfassenderes Verständnis von Literatur und ihrem kulturvermittelnden Potenzial angestrebt, während früheren Auffassungen zufolge literarische Texte vor allem als sogenannter Sprechanlass akzentuiert wurden. Mittlerweile werden demgegenüber die Funktionen von Literatur in sprach- und kulturbezogenen Lehr- und Lernprozessen gerade im Kontext von Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache untersucht (vergleiche zum Beispiel Wintersteiner 2006). Besondere Berücksichtigung finden dabei literarische Texte, die als interkulturell bezeichnet werden. Im Anschluss an die aktuellen Forschungsdiskussionen im Fach Deutsch als Fremdsprache, in der interkulturellen Germanistik und Literaturwissenschaft sowie der Fremdsprachendidaktik wird dieses Thema hier mit Vorschlägen für neue Impulse der Einbindung literarischer Texte in den Fremdsprachenunterricht verbunden. In der hier vorliegenden Lerneinheit werden zwei spezifische Leitfragen behandelt, die auf die Fundierung und zugleich auf die Konkretisierung des angesprochenen umfassenderen Verständnisses von Literatur und ihres kultur- und natürlich auch sprachvermittelnden Potenzials abzielen. Dabei ist von einer allgemeiner beziehungsweise grundsätzlicher angelegten Frage auszugehen und hieran anschließend wird die konkrete Arbeit mit Literatur im Unterricht thematisiert: ▶ Welche Art von Literatur kann für die Arbeit mit literarischen Texten im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht als besonders geeignet betrachtet werden? ▶ Wie kann mit dieser Literatur im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht gearbeitet werden? In diesen Fragen bildet sich zugleich die Gliederung der vorliegenden Lerneinheit ab, die sich auf Schiewer (2015) bezieht. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ erklären können, was unter interkultureller Literatur und der Literatur der Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträger zu verstehen ist; ▶ erkennen, was Texte für die Arbeit im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht besonders geeignet macht; ▶ mit entsprechenden literarischen Texten im DaF- und DaZ-Unterricht arbeiten können. <?page no="141"?> 141 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik 4.1.1 Welche Literatur ist für den Deutsch- und Fremdsprachenunterricht geeignet? Als Prämisse ist davon auszugehen, dass die Arbeit mit literarischen Texten ▶ eine gezielte Schulung deutscher Sprachkompetenz im Erst-, Zweit- und Fremdsprachenunterricht auf verschiedenen Schulstufen und Kompetenzniveaus erlaubt; ▶ das sprachliche Ausdrucksvermögen zu fördern vermag; ▶ das Verständnis semantischer Differenzierung unterstützen und der Kommunikations- und Gesprächsfähigkeit sowie der Dialogfähigkeit unter anderem im Sinne interkultureller Vermittlungsarbeit zugutekommen kann; ▶ einen angemessenen Umgang mit gesellschaftsbezogenen Fragen zu fördern erlaubt, etwa im Zusammenhang der Integrationsthematik, aber auch des Arbeitsmarktes und allgemein des Sozialen wie zum Beispiel urbaner Multi-, Inter- und Transkulturalität. In der Erläuterung der Frage, welche Literatur für den Deutsch- und Fremdsprachenunterricht besonders geeignet ist, wird zunächst dargestellt, was unter interkultureller Literatur und den Texten der Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträger zu verstehen ist. Interkulturelle Literatur und Literatur der Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträger im Aufriss Für interkulturelle literarische Texte wurde im deutschsprachigen Raum ein Literaturpreis eingeführt, um besondere Leistungen von Autorinnen und Autoren zu würdigen, die zum Beispiel vor dem Hintergrund ihres eigenen Sprach- und Kulturwechsels auf Deutsch schreiben-- man spricht dabei auch von Chamisso-Literatur. Der Preis ist nach dem französischen Autor Adelbert von Chamisso benannt, der 179 nach Berlin übersiedelte und bedeutende Werke wie Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1814) in deutscher Sprache publiziert hat. Bei dem erwähnten Preis handelt es sich um den viel beachteten Adelbert-von-Chamisso Preis, der 1985 auf Initiative des Instituts für Deutsch als Fremdsprache der LMU München und mithilfe der Robert Bosch Stiftung ins Leben gerufen wurde. Ergänzt wird der jährlich bis 2017 vergebene Preis um jeweils bis zu zwei Förderpreise und seit 1997 um eine Ehrengabe, sodass es inzwischen um die achtzig Chamisso-Autorinnen und -Autoren gibt. Heute werden diese Preisträgerinnen und Preisträger ebenso wie Verfasserinnen und Verfasser interkultureller Literatur generell als besonders bedeutende Impulsgeber und Impulsgeberinnen für die neueste deutsche Literatur betrachtet. Zum Beispiel die Werke von Rafik Schami, SAID , Feridun Zaimoglu, Zehra Cirak und vielen weiteren werden zunehmend in den Lektürelisten der Schulen, in Hochschulseminaren und in der internationalen Forschung behandelt. Zur Eignung von interkultureller Literatur für den Deutschunterricht innerhalb und außerhalb des deutschen Sprachraums (Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache) Im folgenden Abschnitt wird interkulturelle Literatur im Hinblick auf mögliche Sensibilisierungen für Bedingungen interkultureller Existenz und interkultureller Lebensumstände er- <?page no="142"?> 142 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik läutert, einschließlich der damit einhergehenden möglichen Bedingungen der Mehrsprachigkeit und des Fremd- und Zweitsprachenerwerbs. Dabei findet auch das Thema des Sprach-, Literatur- und Kulturkontakts Berücksichtigung. Zu den Autorinnen und Autoren interkultureller Literatur gehören einerseits solche, die im deutschsprachigen Raum leben, aber andererseits auch solche, die in den verschiedensten Ländern der Welt beheimatet sind. Insofern ist hier keineswegs von Migrantenliteratur oder Ähnlichem zu sprechen, zumal bei diesem Begriff in der Regel an die eingeschränkte und oft wenig spezifische Begriffsauffassung im Sinne der Arbeitsmigration nach Deutschland seit der Zeit um 190 gedacht wird (vergleiche für einen Überblick über die Begriffe Hofmann 200). Gemeinsam ist den entsprechenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern vielmehr, dass sie Aspekte der interkulturellen Existenz und des Kulturkonflikts thematisieren beziehungsweise sprachkünstlerisch gestalten. Inhaltlich-thematisch, aber insbesondere auch in sprachlich-formalästhetischer Hinsicht werden in diesen Texten vielfach Formen der Auseinandersetzung mit sprach- und kulturübergreifenden Gegebenheiten zu einem wichtigen Gestaltungsprinzip: Denken, Sprechen, Kommunizieren, Verständigung, aber auch Aspekte des Lebens, Arbeitens, Forschens, Lehrens und Lernens etc. werden unter der Prämisse sprach- und kulturübergreifender Bedingungen literarisch bearbeitet. Interkulturelle Literatur beziehungsweise Texte der Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträger oder Chamisso-Literatur ist für schulische Curricula gerade auch wegen der gesellschaftlichen Relevanz ihrer Themen (zum Beispiel individuelle Fremderfahrungen, weltweite Migrationsdimensionen, Flucht, Mehrsprachigkeit, Prozesse der Heterogenität von Gesellschaften oder der Integration) fächerübergreifend besonders wertvoll. Dies soll an einem Beispiel illustriert werden, und zwar anhand eines kurzen Ausschnitts aus einem der besonders bekannten Texte der Chamisso-Literatur, dem Band Kanak Sprak von Feridun Zaimoglu, zuerst 1995 erschienen. Der einheimische hat für´n kümmel ja zwei reservate frei: entweder bist du´n lieb-alilein,´n recht und billiger bimbo eben, der doch wunderschön seine kopfsteuer an´n staat blecht und pranken in´n schoß bettet, ´n blechkamerad mit´m kopp in der schlinge, und denn warten auf´n magischen akt, auf´n madonnenwunder. Da kommen denn die förderfreunde und geben dir´n klaps auf die schulter, und die sagen dir: mann, das betrifft mich jetzt volle kante, dass du´n armes schwein bist. […] Dann gibt’s noch’n zweites reservat, in dem der fremdländer den part des verwegenen desperados übernimmt, ein richtiger mannskerl eben, der wie´n blitz aus der hüfte schießt, und sonst auch´n feiner stecher is, und in diesem reservat lümmeln sich die goldkettchen-bimbos und die schneuzerkümmel und machen jagd auf blonde weibchen, weil die krücke brauchen und jede menge stützgeräte, um auf den beinen zu bleiben. In beiden fällen, bruder, wirst du als luschengaul ins tote rennen geschickt, und du musst da auch nicht die zielgerade erreichen, wichtig ist nur, dass du deine meilen lahm abtrabst, und dann steckt man dir mürbe zuckerwürfel ins maul und krault dich herrisch an der mähne. (Zaimoglu 1995: 31f) Dieser frühe Text Zaimoglus hat sehr polarisiert im Hinblick auf die Verwendung einer türkisch geprägten Varietät des Deutschen als Literatursprache, aber diese Polarisierung und <?page no="143"?> 143 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik deren Hintergründe sollen an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Vielmehr dient der Textausschnitt hier als ein Beispiel für die inhaltliche und formal-sprachliche Reflexion von Leben und Sprechen unter sprach- und kulturübergreifenden Gegebenheiten. Insofern handelt es sich um einen literarischen Text, der durch eine bewusste Ausgestaltung des Deutschen gekennzeichnet ist. Die Lektüre von Texten wie Kanak Sprak kann die Voraussetzungen für eine interkulturelle Kommunikationsfähigkeit und Dialogbereitschaft fördern, weil und indem dafür nötige Einblicke-- in diesem Fall-- in die Art des möglichen Sprechens von Menschen türkischer Herkunft in Deutschland und in deren Formen der Selbstwahrnehmung ihrer möglichen gesellschaftlichen Rollen in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts gewährt werden. Es ist nun darüber nachzudenken, ob bei diesem Text und anderen Beispielen interkultureller Literatur beziehungsweise der Chamisso-Literatur vom Gebrauch des Deutschen als einer internationalen Literatursprache zu sprechen ist. Mit diesem Begriff wird darauf hingewiesen, dass die literarische Verwendung und Gestaltung des Deutschen in der Gegenwart, wie selbstverständlich auch in der Vergangenheit, kontaktlinguistische Dimensionen hat, auch wenn dieser Aspekt in der Kontaktlinguistik und Mehrsprachigkeitsforschung bislang eher-- und wohl zu sehr-- am Rande behandelt wird. Die deutschsprachige Literatur wird mit anderen Worten ohne Frage von anderssprachigen Literaturen beeinflusst und wirkt ihrerseits auf andere. Darüber hinaus bezieht sich der Begriff internationale Literatursprache auch darauf, dass das Deutsche über nationale Grenzen hinweg literarisch verwendet wird und dabei natürlich auch stetig variiert und fortentwickelt wird. Dass Sprachen im Kontakt mit anderen stetig variiert und fortentwickelt werden, ist der Punkt, der in einer Formulierung eines weiteren Chamisso-Preisträgers, Ilija Trojanow, als eine „Nomadisierung der Moderne“ bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um ein sprachpoetisches Programm: Integration sollte nicht Anpassung, sondern Anreicherung bedeuten. Wenn also unser Wortschatz und unsere Idiomatik erweitert werden durch die Anteilnahme von Redenden und Schreibenden, die ursprünglich aus anderen Regionen stammen, handelt es sich in keiner Weise um ‚Überfremdungstendenzen‘, sondern um einen natürlichen und notwendigen Prozess der Vermischung, um ein Grundgesetz kultureller Entwicklung, in dessen großen Fluß und Zusammenfluss jeder von uns nur einen kleinen Wirbel darstellt. (Trojanow 2008: 82) Deutlich differenziert Trojanow dabei zwischen Anreichung des Deutschen im Rahmen des grammatisch Möglichen einschließlich der Wortbildungsgrammatik des Deutschen einerseits und der Übernahme insbesondere von Anglizismen andererseits: Wenn aber unsere Sprache von dem globalisierten Englischen überlaufen wird, handelt es sich um einen Akt ökonomischer Dominanz und profitablen Opportunismus. Wer überfremdet also wen, und wer wehrt sich dagegen? Die Fronten sind nicht so eindeutig gezogen, wie manch ein Leitartikel glauben machen will. Ich jedenfalls bin in diesem Fall intolerant. (Trojanow 2008: 82) Trojanow sieht in einer solchen „Nomadisierung der Moderne“ eine positive Chance für die Literatur und die Literatursprache des Deutschen. Damit meint er: In der Epoche der <?page no="144"?> 144 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Moderne der Literatur des 20. Jahrhunderts wurde das formal-sprachliche Moment von Literatur stark forciert und dabei gelegentlich der Literatur vielleicht ein etwas angestrengt Experimentelles verliehen. Die Nomadisierung, das heißt die oben beschriebene „Anreicherung“ kann aus Trojanows Sicht hier korrigierend eingreifen und gewissermaßen einen „experimentellen Unterhaltungsroman“ ermöglichen. „Anreicherung“ bedeutet für Trojanow vor allem die Arbeit im Bereich der Wortbildung, die Schaffung neuer Komposita, die im besten Fall nicht nur neue Metaphern sind, sondern darüber hinaus das Potenzial zur relativen Motivierung im Sinne von Ferdinand de Saussure haben und zugleich wohlklingend sind: Ich richte mein Ohrenmerk auf mögliche Komposita, ergötze mich an Flammenschrift oder Schwebestil oder Kabelsalat oder Engelszungen. Die beiden letzteren kennen Sie gewiß, denn erfolgreiche Komposita setzen sich durch. Ein jedes hat die faire Chance, in den Kanon des Wörterbuches gewählt zu werden. Gewiß, manche Komposita sind schrullig und uns daher lieb wie die Eigenheiten einer Geliebten,-[…]. Wir kennen ein ‚derweil‘ und ein ‚dieweil‘, stolpern allerdings über ‚dasweil‘. (Trojanow 2008: 81f) Die somit klar fixierte Auffassung sprachlicher Anreicherung, die Trojanow auch durchaus positiv wertet, ist jedoch in seiner Sicht keineswegs zu verwechseln mit konfliktlosen Prozessen kulturellen Austauschs beziehungsweise interkultureller Harmonie. Der Literaturwissenschaftler Gregor Streim betont, dass Trojanows Texte stets „die Szene des konfliktreichen Aufeinandertreffens verschiedener Sprachen, Verhaltensweisen und Techniken, die Vermischungen und Verwerfungen im Moment des Zusammenpralls der Kulturen“ fokussieren. Die „naive Vorstellung, solch ein ‚kultureller Wandel‘ könne sich konfliktfrei vollziehen“ werde kritisiert: Zeiten „regen kulturellen Austauschs“ seinen „nicht unbedingt von Heiterkeit und gegenseitigem Verständnis“ geprägt und oft die Folge gewaltsamer Umbrüche, von „Krieg, Invasion, Versklavung“ gewesen (Trojanow & Hoskoté 2007: 22f; vergleiche auch Streim 2010: 75). Trojanow schlägt so die Brücke von der kontaktlinguistischen Perspektive sprachlicher „Anreicherung“, die beim literarischen Autor „aus Liebe zu einer Sprache“ erfolgt, zur gesellschaftlichen Ebene mit den unterschiedlichen historischen Voraussetzungen kulturellen Austauschs (die auch in den individuellen Schriftstellerbiographien keineswegs immer einfach und harmonisch verlaufen) und den auch keineswegs immer konfliktfreien Folgen. Der Blick auf die Sprache als solche verbindet sich hier zu Recht mit den gesellschaftlich-pragmatischen Aspekten der Sprachverwendungsbedingungen. Auf diesen Punkt ist im Zusammenhang der zweiten zentralen Frage dieser Lerneinheit zurückzukommen. Als kurz gefasstes Zwischenfazit zu diesem Abschnitt kann festgehalten werden, dass die kreativen und assoziativen Schreibweisen, die oft in interkultureller Literatur und in den Texten vieler Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträger anzutreffen sind, zwei- und mehrsprachige Kompetenzen sprachkünstlerisch fruchtbar machen. Sie stellen die Basis für die Ausbildung eines stilistisch sensibilisierten Ausdrucks dar und schärfen das Bewusstsein für die Vielfalt der Textsorten in Literatur und Alltag. Neben literarischen Gattungen wie zum Beispiel Erzählungen, Romanen, Gedichten, Kinderbüchern geht es daher auch um die Textsorten des Essays, des journalistischen Schreibens und verschiedener Gebrauchstexte des Alltags. <?page no="145"?> 145 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik Zu den Merkmalen von interkultureller Literatur und von Chamisso-Literatur gehört auch, dass die Autorinnen und Autoren vielfach insofern für ihre Werke einstehen, als sie eine Vorbildrolle ausüben, Stellung nehmen und mit ihrer Persönlichkeit ein offenes, lernbereites Bewusstsein für die maßgebliche gesellschaftliche Rolle von Sprachen verkörpern. Diese Rolle wird von der Robert Bosch Stiftung und seitens des Internationalen Forschungszentrums Chamisso-Literatur ( IFC ) an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Bayreuth gezielt durch eine Förderung von Lesungen, Workshops und Anderem an Schulen und durch die Entwicklung einer Didaktik des Dialogs unterstützt. Viele der Autoren und Autorinnen haben es sich deswegen zur Aufgabe gemacht, ihre schriftstellerischen Talente in Lesungen, Workshops, Seminaren und Meisterklassen an eine interessierte Leserschaft zu vermitteln, darunter insbesondere auch an Schülerinnen und Schüler und an Studentinnen und Studenten. Gepaart mit ihrer schriftstellerischen Prominenz und literaturvermittelnden Erfahrung leisten die interkulturellen und Chamisso-Autoren und -Autorinnen damit einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Text- und Schreibkompetenz junger Menschen sowie zu ihrer Hinführung zur Literatur. 4.1.2 Wie kann mit Literatur im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht gearbeitet werden? Zunächst ist zu betonen, dass bereits didaktische Konzepte für die Arbeit mit interkultureller Literatur und sogar einzelner literarischer Autoren in Publikationen vor allem für Lehrkräfte verfügbar sind. Besonders hervorzuheben ist der Band des Chamisso-Preisträgers José F. A. Oliver, der 2013 im Verlag Klett Kallmeyer unter dem Titel Lyrisches Schreiben im Unterricht. Vom Wort in die Verdichtung erschienen ist. José F. A. Oliver ist Lyriker und beherrscht unter anderem Deutsch, Spanisch und Andalusisch. Geboren wurde er 191 in Deutschland. Wichtig ist, sich hier zunächst mit einigen Grundauffassungen José F. A. Olivers vertraut zu machen, der keineswegs eine Standarddidaktik für kreatives Schreiben vorlegt. Vielmehr überträgt er seine Einsichten in sprachlich-linguistische Prinzipien in eine gezielte Förderung des Umgangs von Schülerinnen und Schülern mit Sprache. Literatur ist für Oliver erst einmal so etwas wie eine allgemein menschliche Anlage oder eine anthropologische Gegebenheit: „[…] ich will behaupten, dass jeder Mensch Poetisches und dessen Gesten in sich birgt. Die beste Voraussetzung, sich einem unbeschriebenen Blatt Papier anheim zu geben. Sich zuzutrauen“ (Oliver 2013: 11f). Im Zentrum steht für ihn die Arbeit am Wort und am individuellen Wortschatz: Das Vermögen, zu sagen, was der Einzelne erlebt, fühlt und denkt, hängt unmittelbar mit dem Wortmaterial zusammen, das ihm zur Verfügung steht. Oft wird-- wenn es um die (deutsche) Sprache geht-- bei Schülern das ‚Defizitäre‘ im Umgang mit ihr hervorgehoben. Ich stelle mich in meinen Schreib- und Textwerkstätten lieber auf eine bejahende Art und Weise den Gegebenheiten: Jede scheinbar noch so ‚mangelhaft‘ wahrgenommene und als solche sanktionierte Sprache birgt Schönheit und die Qualität des Abenteuers. <?page no="146"?> 146 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Wie schön, dass der Ausdruck ‚Wortschatz‘ auch andere Blickweisen zulässt als lediglich die der rohen Quantität der Fehler. Ein einzelner Wortfund kann ein Schatz sein. (Oliver 2013: 12) Angestrebt wird ein verfeinertes Bewusstsein für den Umgang mit Sprache und auf diese Weise eine Fortentwicklung des Bewusstseins für sich selbst beziehungsweise die eigene Person: Ausgangspunkt meiner Anregungen für Schüler ist immer das Wort und die wahr: nehmungen, ihrer wahr: nehmungen, die das Wort begleiten. Das eigene Wort und das andere. Das fremde, das fremdgebliebene, das fremdgemachte, das fremdgewordene. Wird das Wort hernach bedachter vernommen, erfahren und gewählt, schenkt Sprache dem Menschen eine simultane Beziehung zu den Wörtern und eine bewusstere Identität, so meine Hoffnung. (Oliver 2013: 12f) Die sprachtheoretische Basis der Arbeit Olivers konzentriert sich auf die Sensibilisierung für Konnotationen, die Bedeutungen neben der eigentlichen Wörterbuchbedeutung beziehungsweise „Bedeutungshöfe“-- diesen Begriff verwendet Oliver, um auszudrücken, dass Wörter vielfach sowohl mehrdeutig als auch in ihren Bedeutungen vage und veränderlich sind. Er geht von dem Beispiel des Wortes Tafelsüße, einer Form des Zuckerersatzes, aus und beschreibt seine persönlichen Assoziationen: der Schultafel, die ihm näher liegt als der ihm ebenfalls in den Sinn kommende Tafelspitz. Da in seinem Buch das lyrische Schreiben im Schulunterricht beschrieben wird, stellt er in den Raum, ob Tafelsüße in diesem Zusammenhang eine mögliche Metapher sei. Dies lässt er zunächst offen, sieht darin aber durchaus eine Option (vergleiche Oliver 2013: 11). Hieran schließt er folgende Reflexion an: Zumindest steht die eigenwillige Konnotation [der Schultafel] gleichnishaft vor einer offenen Tür. Ein Zugang in die erste flüchtige Draufschau dessen, wie inspirierend Bedeutungshöfe sind, wenn sich Wörter aufs Unerwartete mit den ungestümen oder selbstverständlichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Alltagsrealien verbinden. In meinem Fall ‚Frühstück‘ und ‚Tafelsüße‘ oder ‚Zuckerersatz‘ und ‚Schule‘. Seien die Wörter nun aus dem Alltäglichen entnommen, quasi eins zu eins abgebildet, oder auf eine scheinbar rätselhafte Weise sprachlich aus ihnen ins Entlegene verschoben. Das Ziel seiner Arbeit im Unterricht besteht hierin: Seit Jahren versuche ich bei Schülern aller Schularten, den feinsinnigen und experimentierfreudigen Umgang mit Sprache zu fördern und nehme deshalb die jungen Menschen beim Wort.-[…] Deshalb wäre mein Vorschlag, die Sprache jedes Einzelnen im Deutschunterricht mit einfachen Übungen und Methoden nicht ‚abzurufen‘, sondern zu erkunden: Vom Wort in den Satz. Vom Satz in die Verdichtung. Aus der Verdichtung in den Vers. Vom Vers vielleicht in ein Gedicht. (Oliver 2013: 12f) Im hier Folgenden werden nun die fachübergreifenden und gesellschaftlichen Dimensionen von José F. A. Olivers eigener Arbeit im Unterricht und seiner Anregungen für Lehrkräfte für das lyrische Schreiben dargestellt. Worin bestehen mit anderen Worten die fachübergreifenden und gesellschaftlichen Dimensionen einer solchen Einübung in das lyrische Schreiben mit der Ausbildung eines vertieften Bewusstseins für Konnotationen und Bedeutungshöfe? <?page no="147"?> 147 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik Die Erklärung dieses Punktes verlangt, an dieser Stelle ein wenig auszugreifen und dabei auch auf theoretische Fragen zu verweisen. Es geht-- in aller Kürze zusammengefasst-- um das Vermögen, sich in unterschiedlichen Situationen und verschiedenen thematischen Zusammenhängen differenziert auszudrücken, Stellung zu nehmen und zum Beispiel in Argumentationen seinen Standpunkt deutlich zu machen, ohne sich durch rhetorische Winkelzüge des Gegenübers irritieren zu lassen, unter Umständen sich auch öffentlich zu äußern und gegebenenfalls an gesellschaftlich relevanten Diskursen zu beteiligen. All dies erfordert ein entwickeltes Bewusstsein für semantische Feinarbeit, das heißt für die bereits erwähnten Konnotationen und Bedeutungshöfe. Man spricht unter anderem in der Diskursanalyse und Diskurslinguistik in diesem Zusammenhang auch von „Deutungshoheit“ (vergleiche hierzu zum Beispiel Spitzmüller & Warnke 2011; Kuße 2012). Darunter versteht man das erfolgreiche Besetzen von Semantiken. Auch der unter anderem sowohl soziologisch als auch kommunikationswissenschaftlich bestimmte Begriff der Macht ist in diesem Zusammenhang sehr präsent-- so spricht man auch von „Kommunikationsmacht“ (vergleiche Reichertz 2009). Dieser Aspekt beschreibt, dass zum Beispiel Denkmuster und Meinungen beeinflusst werden können, indem etwa bestimmte Ereignisse mit einem bestimmten Begriff belegt werden; so ist es beispielsweise ein Unterschied, ob man von einer Diskussion, einer Meinungsverschiedenheit oder einer Auseinandersetzung spricht. Wichtig ist auch, wer sich mit seiner Wortwahl in einer Situation durchsetzen kann. Besonders anschauliche Beispiele findet man dafür im Zusammenhang von Translationen, seien es Übersetzungen oder gedolmetschte Texte: die Entscheidung, die baskische ETA entweder als Befreiungsorganisation, als Unabhängigkeitsorganisation oder als Terrororganisation zu bezeichnen, geht mit dem einher, was man als Ausübung von Deutungshoheit bezeichnet (vergleiche Valdeón 2007). Sympathisierende Gruppen sprechen natürlich eher von Befreiungsorganisation oder Unabhängigkeitsorganisation, während distanziert-kritische Stimmen zu Terrororganisation neigen. Es kommt mit anderen Worten darauf an, in alltäglichen und anderen Situationen, in Zweiergesprächen (in der Soziologie als Mikro-Ebene bezeichnet) oder auch in Unterrichtsgesprächen (die der soziologischen Meso-Ebene angehören) ▶ solche Deutungshoheiten zu erkennen und zu benennen; ▶ sich gegebenenfalls mittels semantischer Differenzierung dagegen wehren zu können; ▶ eigene Positionen zu vertreten. Konkret erfolgt dies in kommunikativen Prozessen einseitiger semantischer Bedeutungshoheit und das heißt einseitiger Weltdeutungshoheit soll entgegen gewirkt werden durch kommunikative Arbeit im Sinne dessen, was als ‚Aushandlung von Bedeutungen‘ bezeichnet wird. Dies ist auch die Basis von kommunikationstheoretisch und interkulturell anspruchsvoll fundierten Modellen des Dialogs der Kulturen. Kaum jemals werden dabei reine Informationen „verschoben“; auch wenn geläufige Kommunikationsmodelle dieser Auffassung Vorschub leisten, wenn in technizistischem Duktus von Sendern und Empfängern, Kanälen und Störquellen etc. gesprochen wird. Vielmehr handelt es sich um Bemühungen darum, sich <?page no="148"?> 148 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik verständlich zu machen, zu angemessenen Deutungen zu gelangen, sich durch Rückfragen zu vergewissern, mittels Paraphrasen das bereits Gesagte in anderer Formulierung des gemeinten beziehungsweise aufgefassten Inhalts erneut begreiflich zu machen und dergleichen mehr. Zu den kommunikationstheoretischen Grundlagen Hier stellt sich nun die Frage nach der adäquaten Theoriebildung für die Einbindung kommunikativer Kompetenzen in interkulturelle und fremdsprachliche Lernprozesse. Dabei ist von einem konzisen kommunikationstheoretischen Überblick mit der Unterscheidung von drei Strömungen auszugehen, da in diesem Bereich viele Missverständnisse bestehen. Eine erste, einflussreiche Strömung wurde 1949 geprägt durch das bekannte informationstechnische Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver. Ausgeklammert wurde hier bekanntlich aber die Ebene der Semantik. Dies hatte zur Folge, dass in vielen Adaptionen des Modells an menschliche Kommunikation, anknüpfend an die maßgeblich von Rudolf Carnap mitgeprägte Tradition des Wiener Kreises, allein die konventionelle und denotative Bedeutung der natürlichen Sprache berücksichtigt wurde. So kam es zur dominanten Akzentuierung der Gemeinsamkeiten der Lebenswelt (vergleiche Waldenfels 1997: 54ff). Damit einhergehend ist charakteristisch, dass die Bedeutungsvielfalt im Zeichen reduziert und-- uniformiert-- wurde. Man kann dies so verstehen, dass der Mensch sein Mitteilungsbedürfnis diszipliniert, indem er sich an konventionelle Strategien der Versprachlichung hält. Der kommunizierende Mensch wird mit anderen Worten als jemand gesehen, der sich konventioneller Ausdrucksformen bedient und sich ihnen zugleich unterordnet. In einem noch weitergehenden Schritt rückt Jürgen Habermas (1981) die Diskursrationalität mit dem sogenannten „besseren Argument“, auf das sich alle Partner und Partnerinnen auch gegen ihre individuellen Interessen einigen können, ins Zentrum seiner Theorie des kommunikativen Handelns. Es geht um die Einhaltung von Regeln, die dann auch im Fremdsprachenunterricht im Vordergrund stehen. Seit den neunziger Jahren wird dieses Modell aber unter anderem von Seyla Benhabib unter Hinweis auf die Problematik einer Reduktion des Menschen auf den Aspekt der Rationalität in Frage gestellt (vergleiche Benhabib 1992). Eine zweite, entgegengesetzte kulturtheoretische Richtung stellen poststrukturalistische Orientierungen dar. Sie zielen mit dem von Jacques Derrida geprägten Begriff der Dekonstruktion auf frei fluktuierende Bedeutungen ab. Hier wird die Möglichkeit, sprachliche Semantik überhaupt eindeutig zu fixieren, in Frage gestellt. Es geht stattdessen um hochgradig variable Bedeutungszuschreibungen; die Probleme dieses Denkens für das Fach Deutsch als Fremdsprache hat zum Beispiel Claus Altmayer beschrieben (vergleiche Altmayer 2004). Bei dieser zweiten Strömung handelt es sich, wie auch bei der ersten, um einen sehr spezifischen Standpunkt: Eine technizistisch-reduktive Auffassung im ersten Fall und eine sich Verbindlichkeiten entziehende, polyseme Auffassung von Bedeutung im zweiten Fall. Es lässt sich sagen, dass im ersten Modell das kommunikative Handeln in seiner subjektiven Sinnhaftigkeit vernachlässigt wird. Kulturelle und konnotative Merkmale werden nicht erfasst. Dieses Manko wird insbesondere in der interkulturellen Wortschatzarbeit problematisch, da Differenzen von Semantiken gerade in sprachübergreifenden Zusammenhängen zu Verständnis- und Verständigungsschwierigkeiten führen können. <?page no="149"?> 149 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik Im zweiten Modell wird die soziale Verbindlichkeit kommunikativen Handelns vernachlässigt. Kulturübergreifender Austausch wird somit ausgeklammert, da im Grunde genommen überhaupt jeder feste Bedeutungsbezug in Frage gestellt wird. Dieser auf Differenz angelegte Ansatz legt daher die Inkommensurabilität-- oder Unvergleichbarkeit-- verschiedener Kulturen nahe. In einem Zwischenfazit ist nun festzuhalten: Obwohl beide Ansätze in anderen Zusammenhängen durchaus ihre Berechtigung haben, sind solche Einseitigkeiten zu vermeiden, wenn es darum geht, kommunikative Lernprozesse theoretisch zu fundieren und didaktisch zu modellieren. Der aus der Sicht interkulturellen kommunikativen Lernens defizitären Theorielage ist Rechnung zu tragen, indem die tatsächlichen Gegebenheiten des kommunizierenden Menschen in der Komplexität seines Sprachhandelns Berücksichtigung finden. In dieser theoretischen Abklärung besteht eine wichtige Positionsbestimmung auch des Faches Deutsch als Fremdsprache, in dessen Zentrum der sprachenlernende Mensch steht. Dazu ist der Blick auf eine dritte Strömung hilfreich, die erst im Bereich der Kulturmodelle die erforderlichen Perspektiven eröffnet. Es handelt sich um die interpretative Richtung der Kulturtheorie. Für das Fach Deutsch als Fremdsprache ist diese Richtung erhellend, weil sie der Komplexität des Sprachhandelns entspricht. Es existieren unter anderem folgende Strömungen und Richtungen: ▶ eine forciert interaktions- und bedeutungstheoretische Ausrichtung hat sie schon in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der anthropologischen Kommunikationstheorie von Gerold Ungeheuer (1983) erhalten; ▶ hervorzuheben sind hier auch die Ansätze von Jens Loenhoff (1992), der interkulturelle Kommunikationskonzepte in der Tradition Ungeheuers fortentwickelt; ▶ die hermeneutische Wissenssoziologie, die gewisse Überschneidungen mit dem interessanten Konzept von Klaus Lösch (2005), unter anderem der Kulturdifferenz, aufweist; ▶ die Interaktionale Soziolinguistik und Kontextualisierungstheorie von John Gumperz. (vergleiche unter anderem Gumperz 1982) Um was geht es im Wesentlichen? Die Umrisse der Theoriebildung können in aller Kürze so dargestellt und am Beispiel illustriert werden: Entsprechende Ansätze umfassen in der Regel mündliche ebenso wie schriftliche Kommunikation. Die Einseitigkeiten der zuvor genannten Konzepte werden vermieden, indem die Art, wie Menschen ihre objektiven Lebensgegebenheiten mittels Sprache gestalten-- die denotative Bedeutung-- ebenso berücksichtigt wird wie der subjektiv gemeinte Sinn mit seinen kulturellen Dimensionen. Rechnung getragen wird also sowohl den Freiheiten der Sprachverwendung-- das heißt der individuellen oder kreativen Sinngebung- - als auch der verständigungssichernden Norm- und Regelorientierung des Sprachgebrauchs. Akzentuiert wird die von allen beteiligten Partnern und Partnerinnen geleistete kognitive, emotionale und vor allem sprachlich-semantische Arbeit. Im Zentrum steht die interaktive Abklärung des jeweils Gemeinten durch die Kommunikationspartnerinnen und -partner im Verlauf eines Gesprächs oder der Produktion und Rezeption eines Textes. Es geht mit anderen Worten um den emergenten Prozess der sozialen Aushandlung von Bedeutungen. <?page no="150"?> 150 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Besonders hinzuweisen ist hier für eine vertiefende Lektüre und einen Anschluss an die aktuelle Fortführung dieser Überlegungen auf den Band von Ilja Srubar mit dem Titel Kultur und Semantik aus dem Jahr 2009. Srubar entwickelt im Anschluss an die maßgeblichen Grundlagen der Wissenssoziologie der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mit den das Fach dauerhaft prägenden Ansätzen von Georg Simmel, Alfred Schütz, Karl Mannheim und anderen das bei Gerold Ungeheuer dann kommunikationstheoretisch zugespitzte Problem der unaufhebbaren semantisch-kommunikativen Unschärfe. Dazu gehören auch die damit einhergehenden Fragen, die sich unter anderem in der Gegenwart in komplexen multikulturellen und mehrsprachigen Gesellschaften, in spezifischer Konzentration vielfach in stark wachsenden Metropolregionen und Megacities, ergeben. Exkurs: Das Beispiel eines Chat-Protokolls Sehen wir uns hier ein konkretes, wenngleich sehr einfaches Beispiel interaktiver Bedeutungsaushandlung an (vergleiche Platten 2001: 39ff). Es ist das Protokoll eines Chat-Mitschnitts aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache. Deutlich wird hier auch, dass soziale Aushandlung von Bedeutung keineswegs nur auf sehr hohem Lernniveau möglich ist. Die Chat-Tutorin unterhält sich mit einem spanischen Zivildienstleistenden (auf die für den Chat typische Problematik der Textkohärenz werden wir hier nicht eingehen): <hier> jetzt mache ich mein Soziale Dienstung <Admin> was ist das? <Admin> […] <hier> Es ist eine Dienstung man gibt wenn er keine Militar Dienstung machen will […] <Admin> das gibt es bei uns in Deutschland auch, es heisst Zivildienst hier <hier> aha […] <Admin> Bei uns ist das meistens Arbeit mit alten Menschen oder Behinderten <hier> was ist Behinderten? […] <hier> hier kann man wahlen und ich wahlte diese Schule […] <Admin> Behinderte sind Menschen, die zum Beispiel nicht laufen oder nicht sehen oder nicht sprechen und hoeren koennen. <Admin> Und die gehen oft in eine besondere Schule <hier> vielen Danke fur die Information Die unterschiedlichen Bedeutungen eines solchen Dienstes in den beiden Ländern werden durch Nachfrage abgeklärt und erörtert. Dies ist ein emergenter Prozess der sozialen Aushandlung von Bedeutungen und nicht, wie Eva Platten in ihrer Untersuchung des Chats meint, in erster Linie ein Perspektivwechsel; zwar weist sie darauf hin, dass am Ende dieses Beispiels die Verschmelzung von der Aushandlung von sprachlicher und inhaltlicher <?page no="151"?> 151 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik Bedeutung zu beobachten sei, akzentuiert demgegenüber aber den Aspekt des Perspektivwechsels-- hierin bestehen Ähnlichkeiten zum Tandemlernen, bei dem der L1-Sprecher oder die L1-Sprecherin ebenfalls die im weitesten Sinn landeskundlichen Besonderheiten erklärt; siehe dazu auch die Lerneinheit 7.2 von Agnieszka Pawlowska-Balcerska in diesem Band. Im Mittelpunkt dieser Aushandlung stehen nämlich Fragen, die sich auf lexikalisch-semantische Aspekte beziehen. Die Entwicklung interkultureller Kompetenz hat damit einen zentralen Ansatzpunkt in der Wortschatzarbeit und der Semantisierung. Denn ein Kernproblem der Wortschatzarbeit bezieht sich darauf, wie in einer Sprach- und Kulturgemeinschaft die Welt überhaupt wahrgenommen und in Begriffe gefasst wird. Bemerkenswert ist im Beispiel oben, dass die Tutorin zuerst um eine Erklärung bittet: „[I]ch mache Soziale Dienstung“-- „[W]as ist das? “ „[W]as ist Behinderten? “ Am Beispiel zeigt sich, was die Theorie beschreibt: Ein wichtiger Aspekt interkulturellen Lernens besteht im Erwerb dieser Aushandlungskompetenz. Kulturübergreifende Verständigung bedeutet dem dritten Ansatz zufolge, mit Sprache als grundsätzlich konventionell verankertem Kommunikationsmittel kulturelle Unterschiede und semantische Besonderheiten in der aktuellen Interaktion herauszuarbeiten und greifbar zu machen. Was sind dabei konkrete Prinzipien der Verständigungssicherung? Im Hinblick auf die Instrumente der Aushandlung sind verschiedene Prinzipien der Verständigungssicherung zu nennen. Dazu gehören: Nach- und Rückfragen sowie alle Formen interaktiver Vergewisserung unter Verwendung von Wiederholungen, Paraphrasen, der Herausstellung des inhaltlich Wichtigsten, zum Beispiel bei Wegauskünften (Zerstückelungsprinzip nach Volker Hinnenkamp 1989), veranschaulichenden Metaphern, kommunikativen Reparaturen wie Selbstkorrekturen, Signalisierung von Zweifel und Nichtverstehen oder sogar markierten Formen des Schweigens. Das semantische Spektrum jeweils möglicher Bedeutungen auf Wort-, Satz- und transphrastischer Ebene wird somit interaktiv im Austausch der Dialogpartnerinnen und -partner herausgearbeitet. Übergreifend können diese Prinzipien in der Terminologie der bis heute anregenden Prager Schule (Roman Jakobson und andere) mit dem Begriff der Entautomatisierung veranschaulicht werden: Es geht darum, das Bedeutungsspektrum möglichst deutlich ins Bewusstsein zu rücken. Solche Formen der Entautomatisierung sind für die fremdsprachliche Kommunikation typisch, weil hier die Sprachbeherrschung nur teilweise automatisiert und insofern nicht selbstverständlich ist. Alle Formen der Vergewisserung sind in weitaus größerem Umfang kommunikativ legitimiert als in den meisten anderen Sprachverwendungssituationen. Ja, die Sprachlernsituation ist sogar Voraussetzung dafür, dass es möglich ist, in einem so kurzen Abschnitt gleich mehrere Präzisierungen einzufordern. Und gerade die Vergewisserung ist es, die den kulturübergreifenden Austausch ermöglicht. Die „Lizenz zum Fragen“-- zur Rückversicherung und Bitte um Erklärung-- ist ein Privileg von Sprachlernern. Hierin besteht auch ein wichtiger Freiraum des Fremdsprachenunterrichts gegenüber vielen anderen Kommunikationssituationen, in denen solche Fragen jedenfalls nicht so gehäuft gestellt werden, da sie eine Behinderung des Ablaufs und irritierend wären. <?page no="152"?> 152 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Demgegenüber bleiben in anderen Situationen divergierende Bedeutungszuschreibungen, die es auf allen Ebenen persönlicher, institutioneller und internationaler Kommunikation durchaus gibt, oft verdeckt. Die im Chat-Beispiel hervortretende kulturelle Variation von Wortbedeutungen verweist auf die Wortschatzarbeit. Nicht immer müssen sich die Klärungen auf lexikalische Bedeutungen beziehen. Sie spielen aber eine wichtige Rolle und können auch im Fremdsprachenunterricht ein geeigneter Ausgangspunkt sein. Daraus resultierende unaufgeklärte Unterschwelligkeiten können-- wie oben mit Blick auf urbane Planungs- und Steuerungsprozesse erläutert-- das Thema von Macht und Konflikt berühren, indem es zur semantischen Deutungs- und Welthoheit kommt beziehungsweise zur kommunikativen Verweigerung, da die Kommunikation als nicht lohnend betrachtet wird. Pointiert formuliert: Einer unter Umständen gewaltsamen Austragung- - der „Lizenz zum Töten“- - kann die „Lizenz zum Fragen“ entgegengesetzt werden. Denn unzureichend abgesicherte Verstehens-, Verständnis- und Verständigungsprozesse führen nicht selten zu Konfliktsituationen, die eskalieren können und unter Umständen gewaltsame Auseinandersetzungen nach sich ziehen können. Dem kann vorsorglich oft begegnet werden, indem fragend innegehalten wird und vermeintliche oder tatsächliche Aggressionen möglichst kommunikativ bearbeitet werden. Mit diesem theoretischen Hintergrund liegen nun die aktuellen Aufgaben des Fremdsprachenunterrichts auf der Hand. Und zwar ergeben sich aus der zentralen Rolle interaktiver Aushandlung Konsequenzen, die die Rolle der Interaktion unter den Lernern und damit alle Formen der Partner- und Gruppenarbeit betreffen. Man spricht auch von der Ausrichtung auf eine interkulturelle Wortschatzarbeit, die etwa mit der Forschung von Sigrid Luchtenberg (2000) zu verbinden ist, beziehungsweise auf eine kultursensitive Lexikographie, wie von Peter Kühn (2002) akzentuiert wird. Wichtige Impulse gingen für diese Orientierungen von den Ansätzen Fritz Hermanns für eine linguistische Mentalitätsgeschichte und von der historischen Semantik aus, für die die Historiker Conze, Brunner und Koselleck anregend gewirkt haben. Im Zentrum steht dabei die Einübung der Prinzipien der Verständigungssicherung. Zu erwähnen ist, dass die Untersuchung und das Training in dieser Weise theoretisch fundierter lohnender Kommunikation dazu beitragen können, urbane soziale Inklusion und Identität zu schaffen, gesellschaftliche Spannungen zu verringern und negative Auswirkungen kommunikativer Verweigerung zu vermeiden. Und zwar wird in der aktuellen wissens-, wissenschafts- und techniksoziologischen Innovationsforschung deutschsprachigen und anglo-amerikanischen Zuschnitts (science and technology studies) die Frage diskutiert, inwiefern kulturelle und gesellschaftlich-soziale Faktoren als entscheidende Voraussetzung technischer Innovation zu sehen sind (vergleiche Sismondo 2010). Dies ist unter anderem darin begründet, dass sich die Bedeutung von Dienstleistungen, zum Beispiel im Bereich der Ernährung, in gegenwärtigen Gesellschaften sowohl der entwickelten Länder als auch der sogenannten Schwellenländer in der Vergangenheit erheblich gewandelt hat und sich weiterhin in einer für die betreffenden Gesellschaften markanten Umbruchphase befindet (vergleiche Howaldt & Schwarz 2010: 99). Es geht etwa um solche Fragen wie die nach den Lebensstilen in einer Gesellschaft, nach der Interaktion von an Innovationsprozessen beteiligten öffentlichen, politischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Akteuren sowie um <?page no="153"?> 153 4.1 Interkulturelle Literatur I: Interkulturelle Literaturwissenschaft und interkulturelle Literaturdidaktik Fragen nach den institutionellen Kontexten von politischen, staatlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen. Aus diesem Grund spricht man von sozialer beziehungsweise inklusiver Innovation. Bereits ein knapper Aufriss aktueller Ausrichtungen der Innovationsforschung lässt die zentrale Stellung der Auseinandersetzung mit Diskursen erkennen (vergleiche Howaldt & Schwarz 2010: 100). Hier ist eine pointierte Zusammenfassung angebracht: Mit Bezug auf den Fremdsprachenunterricht kann von einem Kommunikationslabor gesprochen werden. An dieser Stelle geht es darum zu zeigen, was den entscheidenden Kern entsprechender Kommunikationsarbeit ausmacht und auf welcher theoretischen Basis sinnvollerweise gearbeitet werden kann. Besonders ist darauf abzuzielen, die verbreitete Deutungshoheit, die Eliten-- hier im soziologischen Sinn für spezifische Gruppen einer Gesellschaft, wie zum Beispiel die sogenannten Funktionseliten oder Leistungseliten-- so für sich reklamieren und durchsetzen, zu durchbrechen, indem implizite Semantiken kommunikativ aufgedeckt und damit verhandelbar werden. Dies setzt die entsprechende kommunikative Schulung voraus, die- - wie gezeigt wurde-- gerade und in dieser forcierten Form womöglich nur im Fremdsprachenunterricht geleistet werden kann. 4.1.3 Zusammenfassung Die Eignung von Literatur und insbesondere von interkultureller Literatur im Fremdsprachenunterricht wurde hier hinsichtlich ihrer spezifischen sprachlichen Merkmale aufgezeigt. Die wichtigsten Ergebnisse sind: ▶ Die Arbeit mit literarischen Texten ist Grundlage für ein methodisch und theoretisch anspruchsvolles Verständnis interkultureller Kommunikationsfähigkeit, die sich auch in schwierigen Situationen mit Konfliktpotenzial bewährt. ▶ Die didaktisch orientierte Arbeit schließt eng an die gezielte Förderung des Bewusstseins für semantische Differenzierung an, das insbesondere von José F. A. Oliver akzentuiert wird. ▶ Formen sprachlicher Verfremdung sind besonders geeignet, den Umgang mit semantischer Differenzierung zu schulen, indem ein „Denken wie üblich“ hinterfragt und eindimensionale Sprachformen aufgebrochen werden. Auf diese Weise kann ein Beitrag zur Befähigung zum multiperspektivischen Denken geleistet werden, das ein Durchspielen von Optionen erlaubt und somit reflektierte Haltungen fördert, die differenziert geäußert und vertreten werden können. 4.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Inwiefern umfasst der Terminus interkulturelle Literatur die Texte von Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträgern? Inwiefern ist dies nicht der Fall? <?page no="154"?> 154 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik 2. Inwiefern können sprachlich-formalästhetische Merkmale literarischer Texte dazu beitragen Aspekte interkultureller Existenz und des Kulturkonflikts zu gestalten? 3. Was ist unter dem Begriff internationale Literatursprache zu verstehen? 4. Inwiefern kann eine Anreicherung des Deutschen eine Bereicherung darstellen? Inwiefern kann man dies bezweifeln? 5. Worin unterscheidet sich eine Standarddidaktik für kreatives Schreiben von einer gezielten Förderung des Umgangs von Schülerinnen und Schülern im Rahmen des lyrischen Schreibens im Unterricht? 6. Worin bestehen die gesellschaftlichen Dimensionen einer Einübung in das lyrische Schreiben? 7. Was kann ein entwickeltes Bewusstsein für Konnotationen und Bedeutungshöfe bewirken? 8. Bitte erläutern Sie die kommunikationstheoretischen Grundlagen für die Einbindung kommunikativer Kompetenzausbildung in interkulturelle und fremdsprachliche Lernprozesse. 9. Inwiefern ist die dritte kommunikationstheoretische Strömung im Bereich der Kulturmodelle besonders interessant? 10. Was ist unter dem Begriff Aushandlungskompetenz zu verstehen? <?page no="155"?> 155 4.2 Interkulturelle Literatur II: Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik 4.2 Interkulturelle Literatur II : Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik Gesine Lenore Schiewer Wie bereits aus der Lerneinheit 4.1 hervorging, ist die Diskussion von Fragestellungen, Zielsetzungen und Methoden der Erforschung interkultureller Literatur ein wesentlicher Teil der interkulturellen Literaturwissenschaft. Weitgehend unstrittig ist dabei die Rolle, die interkulturell bezeichneten literarischen Texten zugesprochen wird im Hinblick auf die Förderung des Fremdverstehens anderer Kulturen beziehungsweise des Verstehens der Denk-, Verhaltens-, und Kommunikationsgepflogenheiten von Menschen anderer Sprach- und Ethniezugehörigkeit. In dieser Lerneinheit wird von zwei grundsätzlichen Orientierungen innerhalb der interkulturellen Literaturwissenschaft ausgegangen und zwar - wie in der vorherigen Lerneinheit bereits indirekt erläutert - von der interkulturellen Philologie und der interkulturellen Hermeneutik. Interkulturelle Philologie wird als ein Konzept der Textarbeit begriffen und interkulturelle Hermeneutik als eines der Verstehensarbeit. Beide Konzepte sind theoretisch unterlegt und zwar zum einen durch Verweis auf translationswissenschaftliche Ansätze und zum anderen durch Bezugnahme auf Theoriebildungen der Wissenssoziologie, das heißt Ansätze, die eine methodisch gut fundierte Verstehensarbeit erlauben (vergleiche zur translationswissenschaftlichen Dimension Schiewer 2009b). Exemplarisch fokussiert wird dabei zunächst das Augenmerk, das in Translationsprozessen des Übersetzens und Dolmetschens auf Fragen semantischer Detailarbeit zu richten ist. Denn gerade literarische Übersetzungen können maßgeblich zum präzisen Umgang mit sprach- und kulturbezogenen Spezifika im Bedeutungsspektrum beitragen. Eine derartige Schulung, die es erlaubt, auch mit subtilen Facetten des Semantischen angemessen umzugehen, wird nämlich als wesentliche Voraussetzung der Verstehensarbeit betrachtet. Denn die sorgsame formale Analyse stellt eine unerlässliche Basis des Verstehens von Kunstwerken in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Bedingtheit dar, wie in Orientierung an dem wissenssoziologischen Stilbegriff Karl Mannheims gezeigt wird, in dem die formale Analyse von kulturellen Phänomen, Kunstwerken und literarischen Texten unter anderem mit gesellschaftlichen Gegebenheiten methodisch angeleitet verbunden wird. Auf der Basis von theoretisch solide abgestützter Text- und Verstehensarbeit kann die Auseinandersetzung mit literarischen Texten einen Beitrag zur interkulturellen Kommunikation und Verständigung leisten (vergleiche Schiewer 2011). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ erklären können, was unter interkultureller Philologie und unter interkultureller Hermeneutik zu verstehen ist; ▶ die Prinzipien der Text- und der Verstehensarbeit erklären und anwenden können; ▶ die entsprechenden wissenssoziologischen Grundlagen nachvollziehen können; ▶ Grundlagen und Methoden interkultureller Philologie für die Entwicklung von fremdkulturellen Verstehenskompetenzen und interkulturellen Kommunikationskompetenzen fruchtbar machen können. <?page no="156"?> 156 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik 4.2.1 Interkulturelle Philologie: Textarbeit Die Frage, was interkulturelle Philologie für die konkrete Textarbeit bedeutet, wird in dieser Lerneinheit mit Bezug auf aktuelle translationswissenschaftliche Konzepte illustriert, da dies ein besonders geeigneter Zugang ist, um den Begriff der Textarbeit und entsprechende Vorgehensweisen zu verdeutlichen. An dieser Stelle ist zunächst jedoch eine etwas ausführlichere Vorbemerkung zu machen, die den Komplex von Prozessen der Globalisierung einschließlich der betreffenden optimistischen ebenso wie kritischen Positionen in den Blick nimmt und auf den in verschiedenen Forschungsbeiträgen auch Texte der Gegenwartsliteratur bezogen werden (vergleiche zum Beispiel Schmeling, Schmitz-Emans & Walstra 2000; Amann, Mein & Paar 2010). Und zwar wird in bisherigen textsortenbezogenen Unterscheidungen von Wissenschaft und Literatur- - sei es in der Wissenschaftstheorie, der linguistischen Fach- und Wissenschaftssprachforschung oder in der Literaturwissenschaft- - ebenso wie in grundlegenden translationswissenschaftlichen Orientierungen von folgender Annahme ausgegangen: Bestimmten Kommunikationsbereichen mit eindeutigen und definitorisch festschreibbaren Terminologien stehen andere Bereiche gegenüber, in denen dies weniger oder nicht der Fall ist. Literatur und literarische Übersetzungen werden dabei in jedem Fall zum zweiten Bereich gerechnet. Es wird in dieser Lerneinheit gezeigt, dass literarische Texte gerade deswegen im Zusammenhang des oben bereits angesprochenen, heute vielfach artikulierten Lernziels des Fremdsprachenunterrichts, dem Erwerb interkultureller Kompetenz, eine wichtige Rolle spielen können. Denn für interkulturelle Kommunikationssituationen wird vielfach von der Anfangsvermutung ausgegangen, dass hier mit Schwierigkeiten des Verstehens und der Verständigung zu rechnen ist. Dennoch- - oder paradoxerweise eher: gerade deswegen- - ignorieren die in der Diskussion interkultureller Kommunikationskompetenz häufig präferierten konsensorientierten Dialogkonzepte und Konfliktlösungsstrategien das Bestehen semantischer Differenzen und die sich daraus ergebenden oft anspruchsvollen Kommunikationsaufgaben. Dies gilt zum Beispiel für einen seitens der Vereinten Nationen stark gemachten Ansatz, bei dem es sich um eine sogenannte rationale Diskursauffassung und namentlich die von Jürgen Habermas vertretene konsensorientierte Kommunikationstheorie handelt. Solchen Auffassungen sind theoretische Grundannahmen inhärent, die auf eine Annahme der Äquivalenz von quell- und zielsprachlichen Semantiken beziehungsweise derjenigen von Sprechern und Sprecherinnen, Schreibern und Schreiberinnen, Hörern und Hörerinnen beziehungsweise Lesern und Leserinnen hinauslaufen (vergleiche Schiewer 2009a). Dass es ein unterschiedliches Verständnis von Wort-, Satz- und Textbeziehungsweise Äußerungssemantiken geben kann, wird hier also weitgehend ausgeblendet. Demgegenüber können insbesondere literarische Texte jedoch selbst subtile semantische Unterschiede offenlegen, wobei die Einbettung in Erzählungen eine wichtige Rolle spielt oder auch die sprachformale Gestaltung, wie etwa in lyrischen Texten. Dies verdient nicht wegen einer möglicherweise feinsinnigen Detailverliebtheit Beachtung, sondern aus unter Umständen äußerst handfesten Gründen. In der präzisen Auseinandersetzung mit dem <?page no="157"?> 157 4.2 Interkulturelle Literatur II: Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik Bedeutungsspektrum aller Ebenen einer Sprache mit ihrem Lexikon und ihren Schlüsselwörtern, Redeweisen, Ausdrucksnuancierungen, Stilebenen, kommunikativen Gattungen etc. besteht eine zentrale Voraussetzung für das Gelingen sprach- und kulturübergreifender Kommunikation: Denn das genaue Verständlichmachen und die exaktestmögliche Abklärung des Gemeinten steht nun einmal vielfach im Zentrum kommunikativer Bemühungen. Damit scheint hier ein Weg auf, der es erlaubt, zwei verbreitete Aporien von Globalisierungstheorien zu vermeiden: Einerseits die Annahme, dass durch die Globalisierung wirtschaftliche und kulturelle Konkurrenz in einer Weise gefördert werde, die mit einer Infragestellung jeder Gemeinsamkeit einhergehe und so zu einem Kampf der Kulturen führe (vergleiche Huntington 1997 [199]); andererseits die der erwähnten rationalen und konsensorientierten Kommunikationstheorien, die das „bessere Argument“ fokussieren und auf dieser Basis eine sogenannte globale Dialogfähigkeit auf uniformer Basis zu begründen suchen (vergleiche zum Beispiel Habermas 197 und 1988; Habermas & Derrida 2004; Annan 2001b). Die Einbindung literarischer Texte in den Fremdsprachenunterricht mit dem Ziel, interkulturelle Kompetenzen zu erhöhen, erhält hiermit ihre methodische Fundierung. Translatorische Dimensionen im Rahmen von Deutsch als Fremdsprache Ohne Frage spielen Übersetzungen schon grundsätzlich für interkulturelle Literatur eine ganz erhebliche Rolle. Sei es, dass deutschsprachige Texte im Fremdsprachenunterricht behandelt werden, in dem Lerner zumindest gelegentlich auf zweisprachige Wörterbücher oder vorliegende beziehungsweise eigene Übersetzungen zurückgreifen werden. Sei es, dass fremdsprachige und fremdkulturelle Texte ins Deutsche übersetzt werden, was zum Beispiel bei der Literatur von Autoren und Autorinnen mit Migrationshintergrund vor allem der jeweils ersten Generation der Fall sein kann. Sei es, dass nicht-muttersprachliche Autoren und Autorinnen in deutscher Sprache schreiben, wobei sie ihrerseits gelegentlich auf zweisprachige Wörterbücher zurückgreifen mögen oder ihre muttersprachlichen literarischen Traditionen-- mehr oder weniger unterschwellig-- in den deutschsprachigen Text einfließen lassen können. Ein konkreter Blick auf die Übersetzungsthematik soll im Folgenden darüber hinaus verdeutlichen, worin der Beitrag zur philologischen Textarbeit besteht. Zur deutschen Übersetzung von Crossing the Divide: Dialogue among Civilizations Anhand eines Beispiels soll nun sinnfällig gemacht werden, wie vielfältig die Dimensionen sein können, die sich vor dem Hintergrund divergierender Semantiken für die Translation ergeben. Als geeignetes Beispiel erweist sich hier ausgerechnet die Übersetzung des Titels einer für das Dialogkonzept der Vereinten Nationen zentralen Schrift, dem von Kofi Annan initiierten Band Crossing the Divide: Dialogue among Civilizations (2001a). Obwohl es sich nicht um einen literarischen Text handelt, ist hier viel zu lernen. Eine möglichst wörtliche Übersetzung ins Deutsche könnte zum Beispiel lauten: ‚Das Trennende überwinden. Dialog unter den Zivilisationen‘ oder-- weniger elegant--, aber dem englischen Wortlaut womöglich noch näher kommend: ‚Über die Kluft hinweggehen. Dialog unter den Zivilisationen‘. Tatsächlich gewählt wurde von den Übersetzern Klaus Kochmann <?page no="158"?> 158 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik und Hartmut Schickert folgende Lösung für die Benennung des deutschsprachigen Bandes, der im Geleitwort des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer geradezu euphorisch begrüßt wurde: ‚Brücken in die Zukunft. Ein Manifest für den Dialog der Kulturen. Eine Initiative von Kofi Annan‘. Es wäre sicher interessant gewesen, mit den Übersetzern ein Interview zu führen, um etwas über ihre Diskussionen und Überlegungen zu dieser Übertragung zu erfahren. Leider ist das aber nicht mehr möglich, denn beide sind laut Verlagsauskunft im Jahr 2011 damals schon vor einigen Jahren verstorben. Es wurden also gegenüber dem Original Veränderungen vorgenommen. Gerade bei der Übersetzung von Titeln ist das keineswegs unüblich oder gar unzulässig, nur wenn man den Band mit einem kommunikations- und translationswissenschaftlich geschärften Blick liest und vor Augen hat, dass dort semantische Differenzen keinerlei Berücksichtigung finden, ja offenkundig sogar für systematisch vernachlässigbar gehalten werden, dann kann und muss man stutzen (vergleiche Annan 2001a und 2001b). Hier können eine Reihe von Detailbeobachtungen gemacht werden, von denen vier zu akzentuieren sind: Erstens ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in der Übertragung zu Recht die nicht endgültig entwirrbaren semantischen Unterschiede der Begriffe civilization, ‚Zivilisation‘, culture und ‚Kultur‘ berücksichtigt werden. Der Übersetzer Holger Fliessbach von Samuel Huntingtons viel diskutiertem Band Clash of Civilizations respektive im Deutschen Kampf der Kulturen-- dem Text, auf den sich der von Kofi Annan herausgegebene Band in hohem Maß, wenngleich in kritischer Absetzung, bezieht-- hat hierzu sogar eine Vorbemerkung gemacht, in der er auf diese Schwierigkeit aufmerksam macht. Trotzdem können die entsprechenden Passagen in der deutschen Übertragung des Buches als so etwas wie ein „übersetzerischer Spießrutenlauf “, also eine besonders schwierige Aufgabe, bezeichnet werden (vergleiche Huntington 1997 [199]: 14, 50ff). Weiterhin trifft zweitens der deutschsprachige Leser im Obertitel anstelle des crossing the divide, bei dem das Trennende und die Aufgabe, es zu meistern, gerade nicht verschwiegen werden, auf ein positives Signal zukünftiger Entwicklungen, das geeignet ist, eine entsprechende Erwartungshaltung zu erzeugen (‚Brücken in die Zukunft‘). An diese Zukunftsorientierung schließt drittens die in der Übersetzung neu eingeführte Textsorten- oder Gattungsbezeichnung des Manifests an, die im Original gar nicht vorkommt. Damit wird hier zugleich der Bereich von Kunst und Literatur unmittelbar berührt. Es fragt sich, wie die Einführung des Gattungsbegriffs erklärt werden kann und was sie möglicherweise bewirkt. Allgemein handelt es sich bei einem Manifest ja um eine öffentliche Erklärung von Zielen oder Absichten, die sich entweder auf ein Kunstprogramm beziehen oder-- wie hier-- politischer Natur sind. Eine vergleichende Bewertung der Bedeutung des Manifests als politisch-programmatischer Textsorte im anglo-amerikanischen und im deutschen Sprachraum ist allerdings nicht einfach-- es fehlt hier weitgehend an interkulturell-komparatistischer Forschung; ein Desiderat, das auf die konkreten Forschungsaufgaben und -ziele interkultureller Literaturwissenschaft verweist. Aber es gibt doch einschlägige Einzeluntersuchungen sowohl einerseits für den anglo-amerikanischen als auch natürlich andererseits für den deutschsprachigen Raum. <?page no="159"?> 159 4.2 Interkulturelle Literatur II: Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik Stellvertretend für ersteren sei hier auf die Darstellung von Janet Lyon verwiesen: “[T]he manifesto-[…] is a complex, ideologically inflected genre that has helped to create modern public spheres” (Lyon 1999: 2). Für den deutschsprachigen Raum betont Jan Grüttemeier „die gegenwärtige, postmodern geprägte Bewertung des Manifests als einer autoritätsträchtigen Artikulationsform“ (van den Berg 1998: 208). Dass in der Übersetzung auf die im deutschsprachigen Raum zumindest nicht uneingeschränkt positive Gattung des Manifests zurückgegriffen wird, kann im Zusammenhang mit dem auf dem Bucheinband auch optisch nachdrücklich akzentuierten Hinweis auf die „Initiative Kofi Annans“ erklärt werden. Kofi Annans Name, der auf dem Cover (siehe Abbildung 4.1) wesentlich mehr ins Auge fällt als der Untertitel Ein Manifest für den Dialog der Kulturen, steht für die hier positive Autorität des Vorbilds. Auf dem Buchrücken erscheinen sogar nur der Obertitel und Eine Initiative von Kofi Annan. Die über das Cover verteilten Namen der beteiligten Persönlichkeiten signalisieren zusätzliche Autorität und Internationalität des gesamten Projekts, bei dem es darum geht, das hier vertretene Dialogkonzept beliebt zu machen. So wird das Manifest hier durch eine Kopplung mit der Erwartung positiver Zukunftsentwicklungen (Brücken in die Zukunft) und der Autorität von Persönlichkeiten, die hohe Wertschätzung genießen, für die Gegenwart neu konnotiert. Abbildung 4.1: Kofi Annan Crossing the Divide: Dialogue among Civilizations (2001a) und die deutsche Ausgabe Brücken in die Zukunft. Eine Initiative von Kofi Annan. Ein Manifest für den Dialog der Kulturen (2001b) Die Translationswissenschaftlerinnen Christina Schäffner und Beverly Adab sprechen in so einem Fall der Verschiebung geläufiger Textsorten aufgrund des interkulturellen Kommunikationsprozesses von einer Übersetzung von „hybriden Texten“. Hybride Texte resultieren <?page no="160"?> 160 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik ihnen zufolge aus einem bewusst reflektierten Übersetzungsprozess und weisen Merkmale auf, die-- zu diesem Zeitpunkt-- in der Zielkultur in irgendeiner Weise ungewöhnlich sind. Solche Texte können in ihren Merkmalen mit den Konventionen der Zielkultur konfligieren beziehungsweise sich in Konkurrenz befinden, indem sie zu ihnen in einem gewissen Widerspruch stehen (vergleiche Schäffner & Adab 1997). Das heißt aber keineswegs, dass es in der Zielkultur keine Bereitschaft geben kann, das neue Muster des betreffenden hybriden Textes zu akzeptieren. Der Konfliktbegriff wird hier zunächst auf die konfligierenden Textsortennormen bezogen. Denkbar ist nämlich sehr wohl die Einnahme einer sogenannten Defizithaltung, die es der Zielkultur erlaubt, neue Formen als Bereicherung der eigenen Kultur um fremde Elemente zu betrachten. Auf diesen Effekt werden vermutlich die Übersetzer Kochmann und Schickert gesetzt haben. Genauso ist es aber auch möglich, dass einige zielsprachliche Rezipienten und Rezipientinnen eine eher gleichgültige und damit die von Schäffner und Adab als transkulturell bezeichnete Haltung einnahmen. Wieder andere mögen schließlich gegenüber einem solchen Versuch einer positiven Neubelegung der Textsorte Manifest ablehnend reagieren und sie werden das Buch dann vermutlich gar nicht zur Hand nehmen. Aber selbst wenn der hybride Text seitens einer Zielkultur begrüßt wird, da zum Beispiel ein Bedarf an neuen Formen besteht, ist Schäffner und Adab zufolge nicht zu übersehen, dass die Ausübung eines gewissen Drucks auf die Zielsprache in jedem Fall unvermeidlich ist; der Transfer geht nämlich mit einer gewissen „Gewaltausübung“ einher. Dem liegen in irgendeiner Weise asymmetrische Machtverhältnisse zugrunde, wie sie im Hinblick auf die Translation in ihrer kulturvermittelnden Funktion unter anderem von Michaela Wolff erforscht werden. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage solcher Themen und Diskursgegenstände, die mit einer Translation in die Zielkultur überhaupt erst eingebracht werden. Wolff plädiert für eine Sensibilisierung des Translators beziehungsweise der Translatorin für das Phänomen, dass Dominanzstrukturen unter verschiedenen Sprach- und Kulturräumen auch dadurch zustande kommen, dass bestimmte Themenfelder einseitig eingebracht, aufgegriffen und in der Art und Weise, wie die Auseinandersetzung mit ihnen stattfindet, von der Quellkultur geprägt sein kann (vergleiche Wolff 1997). Im konkreten Fall der hier diskutierten Übersetzungslösung des „Brücken-Bandes“ ist vor dem Hintergrund dieser theoretischen Stellungnahmen nicht zu übersehen, dass der Thematik im Vergleich mit dem Original hinsichtlich der Zukunftsorientierung sowie der Programmatik in der deutschsprachigen Fassung Nachdruck verliehen wird. Herkömmliche Gattungsmerkmale des Begriffs Manifest werden dabei zugleich bestätigt, indem auch hier auf Autoritäten Bezug genommen wird, als auch umgedeutet, indem die im deutschsprachigen Raum verbreitet negative Belegung von Autorität positiv umgewertet wird. Dafür werden die Person Kofi Annans und eine Phalanx weiterer Persönlichkeiten in Anspruch genommen. Viertens ist schließlich an dieser Stelle eine weitere Übersetzungsentscheidung hervorzuheben: Dialogue among civilizations wird zu ‚Dialog der Kulturen‘. Die hier nicht verwendete Variante ‚Dialog zwischen den Kulturen‘ entspräche jedoch der aktuellen Terminologiedatenbank des deutschen Übersetzungsdienstes der Vereinten Nationen in New York (www.un.org/ <?page no="161"?> 161 4.2 Interkulturelle Literatur II: Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik Depts/ german/ ). Die Verwendung der Präposition zwischen kann dabei auf eine Wechselbeziehung hinweisen und ‚den Kulturen‘ so gewissermaßen Eigenständigkeit im grammatischen Sinn eines Satzgliedes verleihen. Akzentuiert wird auf diese Weise die Eigenständigkeit der verschiedenen beteiligten Akteure sowie Akteurinnen und das damit verbundene Erfordernis, das Trennende unter ihnen auszuloten und abzuschätzen. Diese nicht gewählte Formulierung entspräche dem Obertitel des amerikanischen Originals Crossing the Divide. Stattdessen wurde aber mit der Form ‚Dialog der Kulturen‘ die Lösung mit einem Genitivattribut (Genitivus subiectivus) bevorzugt. Da eine wesentliche Funktion von Attributen darin besteht, das vom Substantiv Gesagte nur noch näher zu bestimmen, wird hier der Dialog als solcher beziehungsweise das Moment des Dialogischen akzentuiert; die beteiligten Akteure und Akteurinnen (mit ihren eigenen Standpunkten und Interessen, so ist hinzuzufügen) treten dabei eher in den Hintergrund. Die gewählte deutsche Übersetzung ‚Dialog der Kulturen‘ akzentuiert somit das Dialogische als solches im Sinn eines von den betreffenden Akteuren und Akteurinnen abgelösten Prozesses beziehungsweise-- in den Kategorien des Soziologen Niklas Luhmann gesprochen-- eines eigenen Systems, während die beiden am Dialog beteiligten und ihn gestaltenden Parteien möglicherweise mehr oder weniger vorauszusetzende Bereitschaft ebenso wie die nachfolgenden Handlungen in den Hintergrund treten. Damit wird der gesamte Komplex, der sich auf die beteiligten Akteure und Akteurinnen bezieht, in der gewählten Übersetzung ‚Dialog der Kulturen‘ der Tendenz nach ausgeblendet. In einem Zwischenfazit ist an dieser Stelle somit festzuhalten, dass hier insgesamt eine Übertragung vorliegt, die- - natürlich, so ist zu ergänzen- - mit einer ganzen Reihe an semantischen Verschiebungen und Implikationen einhergeht und insofern das Dialogkonzept, das in dem Band vertreten wird, konterkariert, ja, konterkarieren muss. Diese Theorie und ihre Praxis werden auch in anderen Fällen nicht vereinbar sein und es sind insbesondere literarische Texte, die, wollte man sie nicht als Sonderfall im Spektrum sämtlicher kommunikativer Gattungen im kommunikativen Haushalt einer Gesellschaft (vergleiche Luckmann 198, 1988), sondern als Lehrstück betrachten, das Bewusstsein für die Komplexität der Relationen von Referenz, sprachlicher Bedeutung und Zeichenform wach zu halten und zu schärfen vermögen. Von der literarischen Übersetzung lernen Dass nämlich wort-, satz- und textsemantische Vagheit, Implizitheit, Ambiguität und Ähnliches unter anderem aufgrund metaphorischer Sprachverwendungsformen für viele literarische Textsorten-- nach wie vor-- typisch sind, versteht sich von selbst. Dies liegt insofern in der Natur der Sache, als Literatur wesentlich durch die Schaffung jeweils individueller Ausdrucksformen zu charakterisieren ist. Schon im Quelltext spielt daher die Herstellung semantisch vager „Virulenzen“ sowie komplexer Referenzlagen-- wobei die Fiktionalitätsdebatte hier gar nicht eröffnet werden kann und soll- - eine herausragende Rolle, womit natürlich die Offenheit der Verstehens- und Deutungshorizonte literarischer Texte einhergeht. Die Gedichte von José F. A. Oliver können <?page no="162"?> 162 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik hier als Beispiel dienen, etwa badekur, nachschöpfendes gedicht [nach einer Zeichnung von George Grosz ] (Oliver 200: 18): Totenkopf. Sich wärmend im bade- Mantel. Kragenweite uniform „Mir ist der Krieg wie eine Badekur bekommen“ das schmucke für die berichter stattung / fällt mir ein: bestattung des wortes Im Text werden semantische Mehrdeutigkeiten etwa bezüglich Uniform- - uniform und radikaler noch bezüglich der Wortbildungen mit stattherausgearbeitet. Semantische Differenzierung und Detailarbeit kann mit Blick auf interkulturelle Literatur also besondere Aufmerksamkeit verdienen. Mit Bezug auf literarische Texte ist zudem sowohl von einer besonderen Zuspitzung semantischer Offenheit als auch größter kultureller Variabilität von Stilen, Gattungen sowie inhaltlich im jeweiligen historischen Kontext Erlaubtem und Erwarteten auszugehen. Dabei ist zu betonen, dass die translatorische Kompetenz des adäquaten Umgangs mit differierenden Semantiken selbstverständlich sämtliche Textsorten und kommunikative Gattungen betrifft und insofern weit über den Bereich des Literarischen und der literarischen Übersetzung hinausweist- - hier aber auch immer wieder eingeübt werden muss. Denn nicht nur die dringend erforderliche Reformulierung von Dialogkonzepten, deren Praxisferne sich schon in der Übertragung der eigenen Grundsatztexte wie im Fall des von Kofi Annan initiierten Bandes erweist, kann von einem geschärften Bewusstsein für sprachlich und kulturell geprägte Variablen ihren Ausgang nehmen. Sondern auch die interkulturelle Kommunikations- und Dialogpraxis in Politik, Wirtschaft, Religion und anderen Feldern wird niemals ohne eine beständige Arbeit an offenen und insbesondere verdeckten semantischen Anders- und Umdeutungen auskommen. Diese Dimension translatorischer Praxis ebenso wie translationswissenschaftlicher Forschung und Konfliktforschung gilt es, in ein breites Bewusstsein zu rücken. Denn asymmetrische Konstellationen bedürfen ebenso wie Konfliktanalysen und -aushandlungen einer möglichst weitgehenden Klärung der jeweiligen Positionen und dies ist nicht ohne die Möglichkeit einer Offenlegung von Standpunkten, Überzeugungen und weltanschaulich gefärbten Haltungen denkbar; dieser Schwierigkeit ist auch durch die Verwendung einer Lingua Franca allein nicht zu begegnen. Nur eine intensive beständige Arbeit an semantischen Differenzen kann auch solche Diskursstrategien aufdecken, die Kooperation, Verstehen und Verständigung gar nicht anstreben, sondern indirekt zu unterlaufen suchen. Die übersetzerische Arbeit an der Vermittlung literarischer Texte ist daher prototypisch für die Schwierigkeiten und Möglichkeiten kulturübergreifender Kommunikationsprozesse, die es zu realisieren und nicht zu überdecken gilt. Die literaturwissenschaftliche Dignität der interkulturellen Philologie mit ihrer zentralen und wie hier gezeigt wurde überaus lohnenden Aufgabe der Textarbeit steht damit ebenso <?page no="163"?> 163 4.2 Interkulturelle Literatur II: Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik außer Frage wie ihre gesellschaftlich-politische Relevanz im Zusammenhang der zu bewältigenden Herausforderungen des interkulturellen Austausches. 4.2.2 Interkulturelle Hermeneutik: Verstehensarbeit Im zweiten Teil dieser Lerneinheit geht es nun um die Frage, wie in der interkulturellen Literaturwissenschaft die Verstehensarbeit theoretisch zu fundieren ist. Auf dieser Basis kann das methodische Vorgehen in konkreten Unterrichtsprojekten gegründet werden, aber auch didaktische Konzepte für den Fremdsprachenunterricht bedürfen eines theoretisch durchdachten Konzepts. Dabei erweist es sich als sinnvoll und erforderlich, auf die Wissenssoziologie der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zurückzugreifen und sie einer Sichtung auf nach wie vor wegweisende Überlegungen zu unterziehen. Aus dem umfangreichen Schrifttum von Wissenssoziologen wie Max Weber, Alfred Schütz und anderen sind die Werke Karl Mannheims, die bis in die aktuelle Wissens- und Kultursoziologie der Gegenwart teilweise große Aufmerksamkeit genießen, besonders anregend. Im Zentrum der folgenden Überlegungen steht die Einsicht, dass mit einer sorgsamen Textarbeit, die im Vorangehenden stark gemacht wurde, der Prozess des Verstehens natürlich keineswegs zur Bagatelle wird. Vielmehr muss das Prinzip der interkulturellen Philologie, die Textarbeit, ergänzt werden um das der interkulturellen Hermeneutik und das bedeutet, um eine theoretisch fundierte und methodisch geleitete Verstehensarbeit. Hierfür finden sich bei Karl Mannheim mit einer wesentlichen Differenzierung des Verstehensbegriffs maßgebliche Anregungen. Allerdings handelt es sich bei Karl Mannheims Ansatz um ein komplexes Konzept, dass hier nur in einigen im Hinblick auf die Belange interkultureller Literaturwissenschaft relevanten Facetten skizziert werden kann, nicht aber unter ausführlicher Berücksichtigung der Mannheim-Forschung seit den frühen zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Für einen Überblick über seinen wissenschaftlichen und biographischen Werdegang ist auf die Einführungs- und Forschungsliteratur zu verweisen (vergleiche zum Beispiel Barboza 2009). Zunächst ist hervorzuheben, dass Mannheim schon aufgrund der beiden Schwerpunktsetzungen seiner Arbeit, der Kultursoziologie und der Wissenssoziologie, das Interesse der interkulturellen Literaturwissenschaft verdient. Sein Denken kreist wesentlich um die Frage, wie Wissen durch jeweilige gesellschaftliche Bedingungen und Gegebenheiten geprägt wird. Dieser Ansatzpunkt führt unmittelbar auf das Relativismusproblem in der Behandlung verschiedener Denkstile-- ein Begriff, der bei Mannheim eine wichtige Rolle spielt und auf den noch zurückzukommen ist- -, womit schon gleich der auch in aktuellen Interkulturalitätsdiskursen wichtige Aspekt des Umgangs mit kulturellen Besonderheiten berührt ist. Mannheim beantwortet diese Frage in Ideologie und Utopie, entstanden in mehreren Auflagen seit 1929, mit der Auffassung eines Relationismus. Relativismus versus Relationismus können prägnant auf folgende Opposition gebracht werden: Während es im ersten Fall um das Vertreten von Werten geht und sei es auch im Sinne der Vertretung ihrer Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit, geht es im Fall des Relationismus nach Mannheim um das Verstehen <?page no="164"?> 164 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik von Werten, indem das jeweilige Denken „zu einem bestimmten sozialen Standort in Bezug gesetzt (‚relationiert‘) [wird], von dem aus es als konsequente Wahrnehmung der Situation erscheint“ (Barboza 2009: 94; vergleiche auch Endreß 2007: 84ff). Ein weiterer Begriff ist hier zu nennen, und zwar Mannheims Begriff der Aspektstruktur, der „die Art, wie einer eine Sache sieht was er an ihr erfasst und wie er sich einen Sachverhalt im Denken konstruiert“ bezeichnet und ein zentrales Thema dieses wissenssoziologischen Ansatzes betrifft (Mannheim 1931: 2, 234, zitiert nach: Endreß 2007: 80). Er zielt darauf ab, die den betreffenden Gemeinschaften jeweils selbstverständlich erscheinenden Standpunkte auf ihre „Seinsverbundenheit“ und das heißt den entsprechenden sozio-historischen Kontext zu beziehen. Somit ist grundsätzlich jedes Denken Mannheim zufolge als perspektivisch zu betrachten. Dies gilt auch für vermeintlich so objektiv-neutrale Paradigmen wie das mathematisch-naturwissenschaftliche Denken und seine im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts aufgrund der informationstechnischen Möglichkeiten in immer weitere gesellschaftliche Bereiche eindringenden Strukturen. Die blinde Selbstverständlichkeit, mit der Paradigmen und so auch dieses sich jeweils in den betreffenden Umfeldern durchsetzen, und die Folgen für die Einengung des jeweiligen Vorstellungshorizonts beschreiben Boike Rehbein und Hermann Schwengel mit Blick auf die Theorien der Globalisierung anschaulich am Beispiel des Brandings: Branding bedeutet die Standardisierung von globalen Deutungsmustern, also der Erwartungen, die Konsumenten in der ganzen Welt an die Inszenierung von Produkten und Dienstleistungen haben, an die globalen Unternehmen und deren Methoden, die von der Beschaffung der Rohstoffe über die Produktion zu den billigsten Bedingungen und die Verletzung von Umwelt- und sozialen Standards bis zum Stil der Präsentation und Verbreitung reichen. Die Ambivalenz dieses Prozesses war und ist an Wahlkämpfen zu beobachten, von denen man eigentlich erwarten sollte, dass sie das Für und Wider von globalem Marketing als Gegenstand politischer Auseinandersetzung wählen. Tatsächlich aber unterwerfen sie sich selbst der Markenpolitik. Heute erfasst das Branding selbst die (deutschen) Hochschulen: Man spricht zunehmend von Wissenschaftsstandorten, Wissensproduktion, Bildungswettbewerb. Bald werden wir Phänomene nicht mehr verstehen können, die nicht nach den Mustern der kapitalistischen Kultur funktionieren. (Rehbein & Schwengel 2008: 119f) Dieses Beispiel macht einen wichtigen Aspekt des Potenzials der Theorie Mannheims für die interkulturelle Literaturwissenschaft augenfällig. Eine kluge Einbettung seiner kultur- und wissenssoziologischen Begriffe, Zielsetzungen und Methoden erlauben eine markante Positionierung interkultureller Literaturwissenschaft: Sie kann aufgrund ihres Blicks auf die Pluralität von Denkstilen, Wahrnehmungs- und Lebensweisen die Einseitigkeit des Denkens durchbrechen und gleichzeitig verschiedene Standpunkte zugleich verstehend beleuchten, ohne einer nur vermeintlich wertfreien Relativierung in die Hand zu spielen (vergleiche zu Mannheims Ausgang von der krisenhaft wahrgenommenen Pluralität in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts Barboza 2009: 21). Anknüpfend an die Unterscheidung von Relativität und Relationalismus betont Mannheim, dass beim kultur- und wissenssoziologischen Umgang mit Pluralität zwischen Was und Wie zu differenzieren ist. Es geht nicht um die Frage, was in einer sozial-historischen <?page no="165"?> 165 4.2 Interkulturelle Literatur II: Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik Konstellation für wahr und richtig gehalten werde- - und relativierend alles für wahr und richtig Gehaltene als gleichermaßen berechtigt zu erklären--, sondern um die Frage, wie das für wahr und richtig gehaltene im Alltag hergestellt werde. Wie mit anderen Worten „entstehen Orientierungen, Haltungen, Weltanschauungen im interaktiven und sozialisationsgeschichtlichen Herstellungsprozess? “ (Bohnsack 2007: 180). Daher unterscheidet Mannheim zwischen den beiden Formen kommunikativer (beziehungsweise überkonjunktiver) Erfahrung und konjunktiver Erfahrung, die verschiedene Formen des Denkens und Verstehens mit sich bringen. Bei der kommunikativen Erfahrung geht es um Erfahrungen und Denkweisen, bei denen die Verbundenheit mit einer Gemeinschaft, die genetische Gebundenheit an einen bestimmten Erfahrungsraum getilgt sind. Kommunikativen Erfahrungen korrespondiert daher die Was-Einstellung mit der Beurteilung von Äußerungen und Handlungen nach Kriterien der faktischen Wahrheit und normativen Richtigkeit (vergleiche Bohnsack 2007: 180ff). Verstehen im konjunktiven Sinn bedeutet hingegen-- entsprechend der Wie-Einstellung-- das Eindringen in einen gemeinschaftlich gebundenen Erfahrungsraum, in dessen Sinngebilde und deren existentielle Unterlagen. Die konjunktive Erfahrung ist dadurch charakterisiert, dass sie vom Gegenüber oder einem Gegenstand nur eine Seite, nur eine Perspektive abgewinnt und zwar eine Perspektive, die eingebettet ist in alle jene persönlichen Dispositionen, mit denen man an das Ding oder an das Gegenüber herantritt. Zu diesen Dispositionen gehört, dass Menschen Wesen sind, die durch Sinnesorgane erfahren, dass Menschen hic et nunc, der und der sind und dass in einer Situation Menschen für andere etwas ihren jeweiligen Interessen und Begierden entsprechendes bedeuten (vergleiche Mannheim 1980: 155ff). Solche Formen perspektivischen Erkennens sind Mannheim zufolge immer dann unhintergehbar, wenn existentielle Erfahrungen im Spiel sind. Dies kann die Erfahrung einer Landschaft sein, ebenso wie die von Menschen. Solche Erfahrungen können sprachlich insbesondere in Erzählungen wiedergegeben werden. Aber Menschen können auch sich selbst nach Mannheim nur soweit erkennen, als sie in existentielle Beziehungen zu anderen geraten. Die Vorbedingung der Selbsterkenntnis ist die soziale Existenz: weil wir uns nur durch diese in menschlich existentielle Beziehungen versetzen können, weil jeder Mensch eine andere Seite unseres Selbst in Aktualität bringt, weil wir uns leichter durch die Augen und in der Perspektive eines anderen als von uns selbst her zu sehen imstande sind. Existentielle Verbundenheit ist daher eng mit einem gemeinsamen Erfahrungsraum verknüpft. Dies bezieht Mannheim auch auf die Verwendung und das Verstehen von Sprache: Wörter können Dinge oder Menschen in ihrer einmaligen Beziehung zu uns bezeichnen und dabei auf den gemeinsamen Erlebnisraum bezogen sein, wie zum Beispiel im Fall von Kosenamen, der Kindersprache, aber auch von Revolutionsreden, deren Wirkung in hohem Maße auf den inzwischen gut erforschten Phänomenen der Massenveranstaltung gründet. Die betreffenden Bedeutungen können nur erschlossen werden, wenn man die Äußerungen rückverankert in jenen existentiellen Bezug aus dem und für den sie entsprungen sind. Wie können nun solche Formen konjunktiven Wissens methodisch abgesichert, verstehend erschlossen werden, wenn der Beobachter oder die Beobachterin nicht selbst an der kon- <?page no="166"?> 166 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik junktiven Erfahrung teilgenommen hat? Mannheim hat diese Frage mit der Entwicklung der auch in der aktuellen sozialempirischen Forschung wichtigen Methode der dokumentarischen Interpretation beantwortet. Sie geht davon aus, dass Äußerungen und Handlungen nur verständlich werden, wenn man den dazugehörigen Erfahrungsraum beziehungsweise den Kontext kennt (vergleiche Bohnsack 2007: 187 und Schiewer 2002). Die praktische Anwendung der dokumentarischen Methode umfasst zwei zentrale Verfahrensweisen, den Vergleich und die Stilanalyse. Dem Vergleich kommt große Bedeutung zu, da er Voraussetzung dafür ist, Typisches als solches methodisch abgesichert korrekt zu erfassen. So wurden beispielsweise von Ralf Bohnsack: in einer Falluntersuchung über biografische Orientierungen jugendlicher Migranten die herausgearbeiteten Orientierungsmuster erst dann als migrationstypische generalisiert, nachdem wir kontrolliert hatten, ob es sich nicht etwa um Orientierungen handelt, die ganz allgemein typisch für die junge Generation (Generationstypisches) oder für die Adoleszenzphase (Alters- und Entwicklungstypik) oder für männliche Jugendliche (Geschlechtstypik) sind. (Bohnsack 2007: 187) Überträgt man dieses Verfahren auf methodische Fragen der interkulturellen Literaturwissenschaft, so wird die Bedeutung von Textvergleichen deutlich; erst ein sorgfältig zusammengestelltes kleineres oder größeres Korpus literarischer Texte erlaubt korrekte Schlussfolgerungen auf einen Erfahrungsraum, auf den die Texte zu beziehen sind. Die Festlegung der Kriterien, nach denen das jeweilige Korpus erstellt wird, hängt dabei vom jeweiligen konkreten Interessenschwerpunkt ab. Die Arbeit mit jeweils einem einzigen Text, sei es in der Forschung oder auch im Fremdsprachenunterricht, muss vor diesem Hintergrund hingegen als bedingt ergiebig betrachtet werden, wenn es darum geht, auf den betreffenden Erfahrungsraum zu schließen. Eine entsprechende Auswahl kann zum Beispiel auf die Texte der Chamisso- Preisträgerinnen und -Preisträger zurückgreifen, die sich selbst gelegentlich als eine Art Familie bezeichnet haben, was mit ihren zum Teil ähnlichen persönlichen biographischen Erfahrungen in Verbindung gebracht wird. Die Stilanalyse ist ein von Mannheim besonders ausführlich erörtertes Verfahren und kann hier ebenfalls nur in knapper Skizze thematisiert werden, wenngleich es ganz unmittelbar mit der Methodik der Kunstgeschichte, wenngleich der der darstellenden Kunst verbunden ist. Die Stilanalyse ist das zentrale Instrument des Relationismus, das es erlauben soll, verschiedene inhaltliche und formale Eigenschaften-- Denkstile-- im Bezug zu ihrer Seins- und Standortgebundenheit zu erkennen (vergleiche Barboza 2007: 94). Stilforschung zielt daher auf einen weiteren Begriff Mannheims ab, den der Weltanschauung. Das bedeutet, dass Stilanalysen auf Weltanschauungen verweisen, die durch in irgendeiner Weise vergleichbare „stilistische Formen und Tendenzen in verschiedenen Bereichen einer Gesellschaft zum Ausdruck gebracht werden“ (Barboza 2007: 95). Der in der aktuellen Literaturwissenschaft nicht unbedingt prominente Stilbegriff erhält bei Mannheim, ähnlich wie schon bei Georg Lukács, eine herausragende Bedeutung. Die Formanalyse ist hier keineswegs Selbstzweck, sondern verweist auf Denkstile und Lebenshaltungen (vergleiche Schiewer 2002). Denn die Kategorie des Stils ist Mannheim zufolge „eine ästhetische und eine soziologische Kategorie zugleich“ (Mannheim 1980: 95). Diese Sicht ist nun für eine interkulturelle Literaturwissen- <?page no="167"?> 167 4.2 Interkulturelle Literatur II: Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik schaft, die mit dem Begriff der Interkulturalität eine eindeutige-- wenngleich bislang im Fach kaum profund realisierte und reflektierte-- Verwurzelung in der Soziologie hat, von hochrangigem Interesse. Mannheim stellt den Zusammenhang an einem Beispiel dar, das hier in einem ausführlicheren Zitat wiederzugeben ist: Einmal stammt das Wort aus der an der Ästhetik orientierten Kunstgeschichte; es entspricht einer immanenten Einstellung den Kunstwerken gegenüber. ‚Stil‘ bezeichnet dann: ein in vielen, derselben Richtung angehörigen Werken vorkommendes und wiederkehrendes kompositionelles Moment.-[…] Aber in eine noch so exakte ästhetische kunstgeschichtliche Konzeption und Anwendung des Stilbegriffes spielt bereits die soziologisch-funktionelle Anwendung (Verschiebung des Begriffes) hinein. Man kann zwar anfangen, in bestimmten Werken vorkommende formale Momente (wie [gotische GLS ] Spitzbogen usw.) zu ordnen und diese Gemeinsamkeiten zur Grundlage eines Stilbegriffes zu machen, bald wird man aber merken, daß diese Klassifikation die immanente Ebene verläßt. Man wird vor Gebilde gestellt werden, die äußerliche Merkmale gar nicht oder nur zum Teil aufweisen und die dennoch den ‚gotischen Geist‘, wie man sagt, verraten. […] Man überführt allmählich die rein formale Charakteristik des gotischen Stils in das dahinterstehende ‚gotische Prinzip‘, man greift bis zu jenem typischen Erlebniszusammenhang zurück, dessen ‚Folge‘ es ist, daß bezüglich der Formgebung ganze Generationen aus derselben Sichtbarkeits- und Darstellungsproblematik heraus schaffen konnten. Wir möchten diese Art der Erweiterung des Begriffsgehaltes, die den Inhalt des Begriffes nicht mit neuen Merkmalen, sondern mit dem hinter den Merkmalen stehenden Funktionalitätsbezug bereichert, eine Transzendierung des Begriffsgehaltes nennen. (Mannheim 1980: 95f) Methodisch sind solche Analysen Mannheim zufolge zum Beispiel auf Bedeutungsanalysen bestimmter Begriffe zu stützen; dem korrespondiert die im ersten Teil dieser Lerneinheit im Ausgang von der Translation dargestellte Textarbeit. Weiterhin können Stilanalysen etwa auch auf der Analyse von Gegenbegriffen oder dem Fehlen bestimmter Begriffe gründen (vergleiche Barboza 2007: 97). Im Zentrum des ersten analytischen Schrittes stehen damit jedoch nie die inhaltlichen, sondern immer die formalen Eigenschaften der untersuchten Kulturgebilde beziehungsweise der literarischen Texte, die jedoch nicht rein ästhetisch betrachtet, sondern als Dokumente von Weltanschauungen ausgewertet werden (vergleiche Barboza 2009: 57f). Dies entspricht vielen als interkulturell bezeichneten literarischen Texten insofern, als sie sich häufig durch formal-sprachliche Besonderheiten wie zum Beispiel spezifische Weisen der Mehrsprachigkeit auszeichnen. Allzu oft werden in Forschung und Unterricht aber auch allein inhaltliche Merkmale betrachtet, was-- will man Mannheims Theoriebildung folgen-- als problematisch zu bezeichnen ist. 4.2.3 Text- und Bildmaterial Die Trägerin des Adelbert-von-Chamisso-Preises 201 Uljana Wolf befasst sich intensiv unter anderem mit Fragen literarischer Übersetzung. Einige ihrer entsprechenden Überlegungen werden hier zusammengestellt. <?page no="168"?> 168 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Theresa Hak Kyung Cha wurde 1951 in Busan, Südkorea, geboren. Chas Mutter wurde in der Mandschurei geboren, wohin ihre Eltern vor der japanischen Besetzung Koreas geflüchtet waren. Der Koreakrieg und die repressive Politik der Militärregierung nach den Demonstrationen gegen die Regierung 191 zwangen die Familie zum häufigen Ortswechsel und schließlich zur Emigration. 192 reisten zuerst Chas Mutter und ein älterer Bruder nach Hawaii, der Rest der Familie folgte 193. Ein Jahr später siedelten die Chas nach San Francisco über. Theresa und ihre Schwester Elizabeth besuchten die katholische Klosterschule zum Heiligen Herzen (Convent of the Sacred Heart) in San Francisco. Sie lernten Französisch und Englisch.-[…] Cha schrieb Gedichte, Texte, Skizzen für Ausstellungen, die sie auch als eigenständige Texte veröffentlichte, darunter die Arbeiten Exilée und Temps Morts, die 1980 in einer Anthologie mit Texten bildender Künstler- - u. a. auch von Jenny Holzer und Laurie Andersen- - im Verlag Tanam Press erschienen. Ihre Texte spielen mit Bedeutungsverschiebungen, sie sind zum Teil minimalistische, translinguale Botschaften-- mehrsprachig und translatorisch.-[…] Als mir das Buch vor einigen Jahren in New York zum ersten Mal in die Hand fiel, war es, als erhielte ich eine Sendung, eine Sprachnachricht, die ich nicht verstand. Sie blieb in meiner Hand, diese Sendung, denn es scheint wohl, dass ich auf der Suche war und bin nach Wegen-- nicht aus dem Nichtverstehen, sondern aus den Arten des Verstehens, die mir mitgegeben wurden, Karten, Umschläge, verborgene Worte. Aus meinen Wegen als vielleicht ost-, vielleicht postost-, vielleicht mehrdeutschliche Schriftstellerin, aus den Wegen zwischen Entfremdung und Nichtentfremdung, die nicht erst zwischen New York und Berlin zu pendeln begannen. Wege, die ins Gedicht führen, in die Verkehrung von Haben und Sagen, ‚einer Sage, die ich nicht habe‘. Von weit her Ferne welche Nationalität welche Abstammung oder Bluts oder Verwandtschaft welche Blutlinien aus Blut welche Strippen oder Sippen welche Rasse Klasse Gen / eration welcher Clan Stamm Stammung Bestand welches Haus Geschlecht welche Kaste Konfession welche Familie Zucht Sorte Brut Art welche Streuung Störung Verschollung Tertium Quid nicht dies nicht das Tombe de nues de Transplantat eingebürgert aufgeräumt zu was […], so entwickelt Dictée mit großer Intensität die Themen und Verfahren von Chas Werk: die Kombination von fragmentierter multilingualer Sprache mit dem Scheitern von Übersetzung, von dokumentarischem Material mit der Unmöglichkeit des Zeigens, Sagens, einstimmigen Erinnerns. Es sind Verfahren, die die Leserin einbeziehen, aber nicht unbedingt die Leserin, die es schon gibt, sondern die, die durch das Buch erst erfunden wird. Erfunden wird man, in dem man Beziehungen herstellt, relations knüpft-- was sowohl ‚Erzählung‘ als <?page no="169"?> 169 4.2 Interkulturelle Literatur II: Interkulturelle Philologie und interkulturelle Hermeneutik auch ‚Verwandtschaft‘ heißen kann. Poesie der Beziehungen (Glissant), die Gemeinschaft stiftet. Und das ist möglich, weil es einerseits um ein spezifisches Exil, Entwurzelung, Sprachlosigkeit geht, um die Geschichte koreanischer Unterdrückung. Aber auch, weil Chas Werk eine Sprechhaltung oder Spracherfahrung entwirft, die universell ist, und die-[…] nachvollziehbar macht: Wie es ist, jemand zu sein, eine Sprache zu haben, die nicht die richtige ist, die nicht die eigene ist, die nicht ‚ursprünglich‘ oder die uneigentlich ist, die nur auf einem phantasierten, entfernten, im besten Falle: selbstgemachten Stempel existiert. Ein Stempel vielleicht wie: Heimat. Wie: Nation. Wie: Muttersprache (Wolf 201: 9-13). 4.2.4 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit konnte vor dem Hintergrund der beiden hier herangezogenen Disziplinen, der Translationswissenschaft und der Wissenssoziologie, Folgendes dargestellt werden: ▶ Begrifflichkeiten und theoretische Ansätze wurden diskutiert, die die Herausforderungen der Arbeit an und mit literarischen Texten in der Forschung und, in zu didaktisierender Form, auch im Fremdsprachenunterricht greifbar machen. ▶ Die theoretische Durchleuchtung legt zugleich offen, dass es kein Luxus ist, Literatur im Fremdsprachenunterricht zu behandeln, den man sich leisten kann oder nicht. ▶ Für die Entwicklung einer differenzierten Fremdsprachenkompetenz sowie einer angemessen komplexen Auffassung fremdkulturellen Verstehens sind literarische Texte unverzichtbar. ▶ Diese Dimensionen der Text- und Verstehensarbeit müssen in der Forschung klar erkannt, theoretisch fundiert und anschließend in didaktische Prozesse eingebunden werden. 4.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie spielen Textarbeit und Verstehensarbeit zusammen? Bitte zeigen Sie dies an einem selbstgewählten Beispiel. 2. Bitte erklären Sie die beiden Aporien von Globalisierungstheorien. 3. Bitte beschreiben Sie, inwiefern translationswissenschaftliche Grundlagen den Begriff der Textarbeit erhellen. 4. Bitte erläutern Sie die Grundbegriffe der Wissenssoziologie Karl Mannheims: Denkstil, Relationismus, Seinsverbundenheit, konjunktive Erfahrung, Stilanalyse, Erlebniszusammenhang. <?page no="170"?> 170 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik Jörg Roche und Gesine Lenore Schiewer, mit Beiträgen von Hebatallah Fathy Die vorliegende Lerneinheit beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen einer Dialogdidaktik, wie sie im heutigen Literaturunterricht im Rahmen der Förderung von sozialen Kompetenzen in Lernprozessen in verschiedenen Kontexten zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Nachdem Sie sich einleitend mit der allgemeinen Rolle von Literatur in Bildungsprozessen in individueller, sozialer und kultureller Hinsicht beschäftigen, werden Sie in die verschiedenen Dialogkonzepte aus historischer Perspektive eingeführt. Unter anderem geht es auch um die kritische Reflexion von Dialogkonzepten, die in idealisierter Form gegebene Wissensasymmetrien und kulturell bedingte Kommunikationsschwierigkeiten verschleiern. Alternativ wird hier das Konzept der Transdifferenz vorgestellt, in dem statt der unrealistischen Binarität von Verstehen und Nicht-Verstehen die graduellen Übergänge und deren Bedingungen zwischen beiden Positionen fokussiert werden. Daran anschließend wird das Unterrichtskonzept von José F. A. Oliver als Beispiel sprach- und dialogdidaktischer Arbeit vorgestellt. Zum Schluss behandeln wir ein konkretes Beispiel aus der Unterrichtspraxis zum Thema Identität, indem die vorher dargelegte Dialogdidaktik zum Einsatz kommt. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Ihren eigenen Literaturunterricht rekonstruieren und kritisch evaluieren können; ▶ die Bedeutung und das Potenzial von literarischen Texten im (fremd-)sprachlichen Unterricht beschreiben können; ▶ Prinzipien traditioneller Literaturdidaktiken reflektieren und benennen können; ▶ die verschiedenen Dialogkonzepte (in der Antike, im 17. und 20. Jahrhundert) unterscheiden können; ▶ verschiedene Konzepte interkulturellen Dialogs kritisch reflektieren können; ▶ Wissensasymmetrien und Herausforderungen der interkulturellen Begegnung anerkennen und als Basis für einen konstruktiven Dialog nehmen können; ▶ die Grundlagen der Dialogdidaktik sowie den Zusammenhang mit dem Transdifferenzansatz erläutern können; ▶ einen Didaktisierungsvorschlag zu einem literarischen Text von José F. A. Oliver als Beispiel für Ihren eigenen Literaturunterricht evaluieren und mögliche Handlungsanweisungen für Ihre Lerner ableiten können. <?page no="171"?> 171 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik 4.3.1 Prinzipien der Literaturdidaktik Die Ziele eines Einsatzes von literarischen Texten im schulischen Sprachunterricht haben sich über die Jahrzehnte hinweg grundsätzlich gewandelt. Ging es anfänglich aus nationaler Perspektive um die geschärfte Wahrnehmung des eigenen kulturellen Erbes und der Behandlung eines fixen literarischen Kanons, sowie der Einübung in eine stilistisch geschliffene Sprache (vergleiche Esselborn 2010: 3), so änderte sich der Status literarischer Texte im Sprachunterricht grundlegend durch eine zunehmende Subjektivierung des Umgangs mit Literatur. Ein literarischer Text spricht uns an, initiiert Denkprozesse und motiviert uns, Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen. Die theoretische Grundlage für diesen persönlichen Zugang zur Literatur lieferte vor allem die Rezeptionsästhetik, wie sie Hans Robert Jauß und Wolfgang Iser geprägt haben. Hans Robert Jauß plädierte in seiner Antrittsvorlesung 197 Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz, in Übertragung des Begriffs des Erwartungshorizonts (Karl Mannheim) für eine „Literaturgeschichte des Lesers“. Literarische Texte entfalten demnach erst in ihrer Lektüre ihre vollkommene Bedeutung. Wichtig wäre daher festzustellen, wie Texte gelesen, aufgenommen und rezipiert werden. Mit dem Leseprozess an sich beschäftigt sich konkreter Wolfgang Iser. Ihm zufolge ist Lesen ein aktiver Prozess. Es soll in jedem literarischen Text sogenannte Leerstellen geben, der Text habe eine Appellstruktur, auf die der Leser mit bestimmten Sinnbildungen reagiere, indem er die Leerstellen mit Bedeutung fülle. Experiment 1 Führen wir ein kleines Experiment durch (vergleiche Bischof, Kessling & Kreuchel 1999: 17). Lesen Sie folgenden Textausschnitt von Bertolt Brecht und reflektieren Sie, welche Textstelle am meisten bedeutungstragend ist. Was ist Ihrer Meinung nach die Botschaft des literarischen Textes? Diskutieren Sie verschiedene Optionen im Kurs (gegebenenfalls über Blogs) und entwickeln Sie die Geschichte entsprechend etwas weiter. Das Wiedersehen Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht geändert.“ „Oh! “ sagte Herr K. und erbleichte. Wenn Sie die Blogbeiträge von allen nochmals lesen, werden Sie vermutlich feststellen, dass wir den Text unterschiedlich verstehen und interpretieren. Daraus schließen wir Folgendes: ▶ Literarische Texte werfen Fragen auf, für die wir aufgrund unserer unterschiedlichen Wissenshintergründe, Persönlichkeiten und Lebenserfahrungen Antworten suchen. ▶ Literarische Texte sprechen uns nicht nur kognitiv, sondern auch emotional an, sie bewegen uns und provozieren uns zur Annahme differenter Perspektiven. ▶ Literarische Texte sind mehrdeutig und lassen mehrere Auslegungen zu und sensibilisieren für die Nuancen der Sprache und die Möglichkeiten des Wortspiels. <?page no="172"?> 172 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Was bedeutet das für den Literaturunterricht? Das bedeutet, dass mit entsprechenden didaktischen Konzepten Literatur zur Reflexion, Identitätsbildung, Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation wesentlich beitragen kann. Literarische Texte gehören in diesem Zusammenhang einem gesamten Handlungsfeld Literatur an und gewinnen nach Ulf Abraham und Matthis Kepser (200: 13f) hierdurch in den drei folgenden Bereichen an Bedeutsamkeit. Individuelle Bedeutsamkeit hat Literatur insbesondere für heranwachsende Kinder und Jugendliche, die sich in der Lektüre mit alternativen Lebensentwürfen identifizieren oder sie verwerfen, in fremde Welten eintauchen und auf fiktive Figuren ihre Träume, Wünsche und Zukunftsentwürfe projizieren. Soziale Bedeutsamkeit hat Literatur besonders in Kontexten, in denen Lesende über einen gemeinsam rezipierten Text ins Gespräch kommen. Hier ergibt sich eine Vielfalt von Möglichkeiten der Lektüre sowie des Austausches über persönliche Deutungsmuster der Handlung. Hier kann es zur Bestätigung, Revidierung oder gar Verwerfung von eigenen Deutungsmustern kommen. Wie jede Kunstform besitzt schließlich auch die Literatur innerhalb einer Gemeinschaft kulturelle Bedeutsamkeit, da sie einen Teil ihres kulturellen Gedächtnisses ausmacht. Über literarische Texte erfahren wir, welche historischen Ereignisse, politischen Entwicklungen und sozialen Wandlungen eine Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt geprägt haben. Vor allem der dritte Bereich gewinnt im fremdsprachlichen Literaturunterricht an Bedeutung, da über die Lektüre von literarischen Texten der Zielkultur sich Wege des Kulturdialogs öffnen. Für das Zustandekommen dieses Dialogs muss innerhalb des Literaturunterrichts Raum geschaffen werden, in dem die Literatur der Zielkultur nicht ausschließlich als Quelle landeskundlichen Wissens gesehen wird, sondern durch entsprechende Didaktisierungen Brücken zwischen muttersprachlicher und fremdsprachlicher Literatur geschlagen werden. In diesem Zusammenhang sind Lerneraktivitäten, die zum Erproben und Experimentieren mit eigenen literarischen Schreibversuchen anregen, ein wesentlicher Schritt zur Eröffnung des interkulturellen Dialogs. Am Ende dieser Einheit lernen Sie ein konkretes Unterrichtskonzept kennen, das die Möglichkeiten und das Potenzial dieses Dialogs aufzeigt. Im Folgenden beschäftigen wir uns aber zunächst mit theoretischen Grundlagen einer Dialogdidaktik im fremdsprachlichen Literaturunterricht. 4.3.2 Grundlagen einer Dialogdidaktik Was ist unter Dialog zu verstehen? Diesem Begriff haftet in der alltäglichen Wahrnehmung häufig etwas Abgehobenes an. Denn wer führt schon einen Dialog innerhalb der Familie, mit Freunden, Nachbarn, Verkaufspersonal, Behörden oder im Berufsleben? Eher sind in alltäglichen und beruflichen Kommunikationssituationen das Gespräch, die Besprechung, das Meeting, die Diskussion, der Small Talk, allenfalls die inzwischen etwas altmodisch anmutende Konversation als typische Textsorten anzutreffen. <?page no="173"?> 173 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik In politischen Kontexten, in Forschung und Wissenschaft ist Dialog ein Begriff, der mit einer Reihe von ▶ unterschiedlichen, unter Umständen konträren theoretischen Positionen (zum Beispiel als politisches Instrument der Konfliktlösung oder als Mittel in der Wissensvermittlung); ▶ variablen Auffassungen von universellen Aspekten und von kultureller Vielfalt mit relativen Aspekten (Dialog der Kulturen); ▶ differierenden praktischen Anwendungsfeldern der Verständigung und Mediation verbunden sein kann. Über Jahrhunderte war es die Philosophie, in der der Dialog seine grundlegende wissenschaftliche Verortung fand. Dabei verdeutlicht schon ein kursorischer Blick auf die Begriffsgeschichte die Breite seines Spektrums unterschiedlicher Auffassungen. So ist in der Antike und im Mittelalter Dialog in erster Linie eine wichtige Form des mündlichen und schriftlichen Erkenntnisgewinns, das heißt eine dialogisch ausgestaltete Textgattung, in der Erkenntnis im Austausch erzielt wurde. Sie erlaubte es, unterschiedliche Positionen gegeneinander abzuwägen. Der sokratisch-philosophische Dialog etwa kann als „praktizierte Form der Wahrheitssuche und Wissensbildung“ beschrieben werden (Schlaeger 199: 421ff). 4.3.3 Kognition und Dialog Ganz anders wird demgegenüber im 17. Jahrhundert mit René Descartes’ prinzipieller Unterscheidung zwischen der denkenden und der ausgedehnten Substanz (oder auch zwischen Geist und Körper) und mit seiner Auffassung des cogito ergo sum (‚ich denke, also bin ich‘) das Denken im für sich raisonnierenden Subjekt begründet. Damit wird der andere Mensch „als Redepartner allenfalls in rhetorischer, für die Wahrheitssuche subsidiären Form“ benötigt (Schlaeger 199: 421ff). Ja, sogar die Erkenntnis eines anderen Menschen überhaupt- - im äußerlich wahrnehmbaren Körper- - als „ein anderes denkendes Ich“ wird auf einen Analogieschluss gegründet, also der Annahme des Bestehens von Ähnlichkeiten von eigenem und fremdem Ich (vergleiche Heinrichs 1972: 22). Nur aufgrund der hypothetischen Unterstellung, der Andere denke wie man selbst, kann man ihn Descartes zufolge überhaupt erkennen und sich mit ihm verständigen. Der Dialog tritt hier in seiner Bedeutung also in den Hintergrund beziehungsweise wird als „ein stiller Dialog der Seele mit sich selbst“ verstanden. Dies ist eine Auffassung, die aber auch schon in der Antike bei Platon anzutreffen war (vergleiche Meyer 200: 8). Für die Dialogphilosophie des 20. Jahrhunderts geht es in Anlehnung an Martin Buber um „ein Gespräch, das durch wechselseitige Mitteilung zu einem interpersonalen ‚Zwischen‘, das heißt zu einem den Partnern gemeinsamen Sinnbestand führt“ (Heinrichs 1972: 22). Hier wird von einer Form gesprochen, „die das Miteinander der Wahrheitssuche vor die Vernunft des Einzel-Ichs stellt, für die Wissensbildung ein unabschließbarer kommunikativer Vollzug und nicht die Entfaltung eines Denksystems nach ehernen logischen Gesetzen ist“ (Schlaeger 199: 421ff). <?page no="174"?> 174 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik In der Tradition von Bubers Grundausrichtung der Dialogphilosophie steht im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts die dialogische Hermeneutik Hans-Georg Gadamers mit der besonderen Berücksichtigung von Prozessen des Verstehens und angemessenen Deutens. Später nimmt sich, vor allem in Bezug auf die interkulturelle Kommunikation, die interkulturelle Literaturwissenschaft und die interkulturelle Sprachdidaktik, auch die interkulturelle Hermeneutik dieser Problematik an, indem sie das ‚Fremdverstehen‘ als einen dialektischen-- und damit dialogischen-- Prozess zwischen Kulturen zu fassen versucht, statt ihn als historischen Prozess wie in der Hermeneutik zu betrachten. Es geht dabei, wie Charles Taylor (1992) es im Anschluss an Gadamer nennt, um eine Horizontverschmelzung (‚fusion of horizons‘) aus eigenen und fremden Horizontkomponenten (vergleiche dazu auch die Lerneinheiten 1.3 und 2.1). In diesem Prozess bilden sich modifizierte Positionen der Wahrnehmung des Eigenen durch das Fremde und der Wahrnehmung des Fremden durch das Eigene. Die daraus entstehenden Positionen sind gesellschaftlichen Normen, individuellen Dispositionen und der Interaktion aus beiden geschuldet. Begriffe wie Perspektivenwechsel, das Eigene und das Fremde, interkulturell oder auch der Dritte Raum (Bhabha 1994) sind diesem Ansatz verpflichtet (vergleiche hierzu Lerneinheit 5.1 in diesem Band). 4.3.4 Diskursethik In den letzten Jahrzehnten wurden insbesondere zwei Positionen prominent: eine optimistische mit der Diskursethik von Jürgen Habermas, und eine entgegengesetzte von Samuel P. Huntington mit der Auffassung eines zu erwartenden Kampfes der Kulturen. Erstere, die Diskursethik, hat die Orientierung auf den sogenannten Dialog der Kulturen maßgeblich beeinflusst. Auf Initiative des damaligen iranischen Präsidenten Mohammad Chatami wurde für das Jahr 2001 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Jahr des Dialogs der Kulturen beschlossen. Unter anderem erschien daraufhin im Oktober 2001 der vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, initiierte Band Crossing the Divide: Dialogue among Civilizations (2001a). In deutscher Übersetzung wurde er unter dem Titel Brücken in die Zukunft. Ein Manifest für den Dialog der Kulturen (2001b) noch im selben Jahr publiziert. Vorgestellt wird in dem prominent präsentierten Band ein Rahmenkonzept, das für die Praxis des interkulturellen Dialogs auf sämtlichen politischen, institutionellen und gesellschaftlichen Ebenen geeignet sein soll (vergleiche Schiewer 2010 und Lerneinheit 4.2). Auch vom Auswärtigen Amt in Deutschland wurde der Ansatz aufgegriffen. Der Arbeitsstab Globale Fragen befasste sich mit dem Schutz der natürlichen Umwelt und ihrer Erhaltung für zukünftige Generationen, wobei davon ausgegangen wird, dass die betreffenden Probleme nicht mehr allein auf nationaler Ebene gelöst werden können. Daher werden die zwischenstaatliche Zusammenarbeit und gemeinsame internationale Bemühungen als unabdingbar erachtet. Es geht somit um Dialog zwischen Regierungen und Zivilgesellschaften, das heißt zwischen staatlichen Akteuren und nichtstaatlichen Organisationen, Stiftungen, Kirchen, Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. <?page no="175"?> 175 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik Der zentrale Ansatzpunkt ist darauf fokussiert, eine Gegenposition zu Samuel Huntingtons These vom Kampf der Kulturen einzunehmen und im Dialog der Kulturen- - als kultureller Idee der globalen Verständigung-- die Chance für eine friedliche Zukunft zu sehen. Grundlegend soll dabei die Auseinandersetzung mit einer neuen Auffassung von Vielfalt sein. Anlässlich eines Runden Tisches am Sitz der Vereinten Nationen im September 2000 erklärten der Generalsekretär, zwölf Staats- und Regierungschefs sowie die Außenminister verschiedener Länder übereinstimmend, dass mithilfe eines solchen Dialogs zwischen den Kulturen alle Nationen in der Lage seien, Feindschaft und Konfrontation durch Gespräch und Verständnis zu ersetzen. Es knüpfen sich also sehr weitreichende Hoffnungen an das Projekt. Worauf aber gründet sich die Hoffnung, dass das vorgestellte Konzept diese umfassenden Erwartungen erfüllen kann? Wie also wird hier der Dialogbegriff bestimmt? Im Vorwort erklärt Kofi Annan seine Überzeugung, „dass Dialog über Streit obsiegen kann“ (Annan 2001b: 11), womit Dialog und Streit hier in Opposition zueinander gesetzt werden. Der persönliche Beauftragte Annans, Giandomenico Picco, betont in der anschließenden Danksagung (Annan 2001b: 13): „Vielleicht wird die Brutalität derjenigen, die nicht an einen Dialog der Kulturen glauben, andere- - wie uns- - ermutigen, die Aufgabe [eines Dialogs der Kulturen-- Anmerkung der Verfasserin] ernster zu nehmen.“ Selbstverständlich bezieht sich diese Äußerung auf das Attentat in New York vom 11. September 2001. Wörtlich genommen wird hier allerdings denjenigen Brutalität unterstellt, die-- aus welchen Gründen auch immer-- nicht an einen, an diesen Dialog der Kulturen glauben. Der Dialogbegriff wird in diesem Abschlussdokument weiterhin an die Hoffnung gebunden, eine- - wie vermutet wird- - bestehende Furcht vor Vielfalt zu überbrücken. Der Dialog der Kulturen solle der Vielfalt die angenommene Angstbesetztheit nehmen und sie in einen positiv empfundenen Wert verwandeln. Die Voraussetzungen werden dabei auf das Individuum projiziert: Es nehme Vielfalt gelegentlich als Bedrohung wahr, gleichzeitig fühle es jedoch auch die verbindende Gemeinschaftlichkeit zwischen den Menschen. Daher beginne der Dialog „in unserem Inneren“ (Annan 2001b: 35). Dementsprechend wird wiederholt an die Verantwortlichkeit des Einzelnen appelliert (vergleiche Annan 2001b: 40). Als zentrale Charakteristika dieses Dialogs werden genannt: respektvolle Kommunikation, gegenseitiges Verständnis, Gerechtigkeit und die Goldene Regel der Gegenseitigkeit. Er müsse offen geführt werden und auf Sachkenntnisse gegründet sein. Wichtig sei insbesondere, weder überreden noch bekehren zu wollen (Annan 2001b: 8), sondern zuzuhören und zu lernen (Annan 2001b: 82). Unter dem Stichwort „Weisheit“ werden Geduld und Aufnahmebereitschaft als entscheidende Aspekte des Zuhörens betont: Inhalt und subtile Bedeutungsnuancen seien sowohl rational als auch emotional zu erfassen (Annan 2001b: 103). Auf der Basis eines solchen Dialogs werde die Würdigung unterschiedlicher Auffassungen und Perspektiven möglich (Annan 2001b: 8f). Der Dialog der Kulturen solle von der Vielfalt menschlicher Kulturen und der Anerkennung von Gleichheiten und Unterschieden ausgehen. Der Dialog erlaube durchaus Skepsis und eine kritische Haltung-- ein Aspekt, der wohl als Absicherung gegen den eventuellen Vorwurf, es werde hier stark harmonisierend argumentiert, zu werten ist. Die rationale Entscheidung für das Vertrauen, so heißt es weiterhin, sei jedoch zur Überwindung der Angst vor der Vielfalt unabdingbar (Annan 2001b: 83). <?page no="176"?> 176 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Nicht zu übersehen ist hier die Anlehnung an andere idealisierte Konzepte interkulturellen Verstehens, die auf Perspektivenwechseln und idealisierten kommunikationstheoretischen Vorannahmen basieren (vergleiche etwa die Kommunikationsmaxime von Grice 1975). Es handelt sich also auch hier um einen normativ-programmatischen Ansatz, der dazu tendiert, faktisch in aller Regel gegebene Asymmetrien, Macht- und Interessenlagen zu verschleiern und die Konfliktlösung als rationalen Automatismus eines Austauschs von klar definierbaren und offenen Positionen zu präsentieren. Wenn schon 2001 durchaus berechtigte Zweifel geäußert werden konnten, ob die hohen Erwartungen tatsächlich zu erfüllen seien, dann kann kaum geleugnet werden, dass es inzwischen hierzu noch weitaus mehr Anlass gibt. Stimmen, die von einem Kampf der Kulturen sprechen, sind, trotz aller mit oft guten Argumenten vorgetragenen Kritik an den Begründungen Samuel P. Huntingtons, eher noch lauter geworden. In Anbetracht der Dringlichkeit, auf internationalen wie nationalen Ebenen in politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen, religiösen Umfeldern und insbesondere in allen Bereichen des Schul- und Bildungswesens realistische Dialogpraxen vermitteln und einsetzen zu können, besteht ein großer Bedarf an theoretisch-konzeptuellen Grundlagen, bei denen auf den idealistischen Impetus interkultureller Verständigung vielleicht nicht ganz verzichtet werden muss, die aber den erwähnten faktisch existierenden Asymmetrien, Machtungleichheiten und divergierenden Interessenlagen nolens volens Rechnung tragen. Es ist, mit anderen Worten, nach einem Ansatz zu suchen, der den tatsächlichen Dialogbedingungen Rechnung trägt und real erfahrbare Probleme der Kommunikation nicht übergeht oder minimiert. Denn ein wirklicher, echter, wahrer Dialog, der immer wieder beschworen wird, kann nur gefördert werden, wenn bestehende Asymmetrien und Machtstrukturen, die in nahezu jeder Auseinandersetzung-- wenn nicht sogar in überhaupt jedem und auch dem privaten menschlichen Austausch- - unvermeidlich sein dürften, greifbar werden. Ein politisch, gesellschaftlich und ökonomisch relevanter, effektiver Dialog der Kulturen wird daher darum bemüht sein müssen, die Einseitigkeit rational-diskursiver Kommunikationstheorien zu vermeiden. Vielmehr sind gegenüber letztlich ethnologisch gegebenen Verhaltensfacetten des Menschen, welche mit Fragen von Interesse, Macht, Status und Emotionalität einhergehen, die Augen und Ohren nicht zu verschließen. 4.3.5 Zur Wissensasymmetrie des Dialogs Aus diesem Grund sind solche Dialogbedingungen zu unterstützen, die Asymmetrien nicht zu überdecken suchen, sondern möglichst offenkundig werden lassen, damit sie behandelt werden können. Es gilt demnach, die unhintergehbare Perspektivik jedes Teilnehmers mit ihren lebensweltlichen und historischen Bedingungen sowie die Schwierigkeit, das Gelingen von Verständigung zu überprüfen, ernst zu nehmen. Auch das Wissen um ein potenzielles Misslingen von Kommunikation ist daher konstruktiv zu nutzen, trägt es doch zu einer Sensibilisierung in Bezug auf die Vielfalt möglicher Ursachen von Missverständnissen und Scheitern von Verständigung bei, unter anderem infolge von semantischen Divergenzen zwischen den Sprachen. Wenn diese potenziellen Hindernisse als möglich akzeptiert werden, kann erkennbar werden, ob Verständigung überhaupt angestrebt wird und wo ihre jeweiligen <?page no="177"?> 177 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik Schwierigkeiten liegen, oder ob es nur um Scheingefechte geht, die der verdeckten Ausnutzung von Machtverhältnissen und der indirekten Durchsetzung von Interessen dienen. Die Rahmenbedingungen eines Dialogformats, das die skizzierte Offenheit akzeptiert, sind durch zumindest folgende Aspekte gekennzeichnet: ▶ Es sollte eine grundsätzliche freiwillige Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten vorhanden sein, die auch für alle Beteiligten erkennbar sein sollte. ▶ Vor diesem Hintergrund muss es in einem Dialog Optionen und Mechanismen nicht nur für Konsens geben, sondern auch für Dissens, Vertagung und nicht zuletzt einen Abbruch. Konsens ist dabei nicht mit Freundschaft zu verwechseln, Dissens nicht mit Feindbildern zu identifizieren. ▶ Erforderlich sind fundierte Kenntnisse verschiedener Gesprächsstile und kulturell geprägter Dialogformen und -typen, um über Kriterien zu verfügen, die es erlauben, sowohl das Bestehen kulturell bedingter Wissensasymmetrien als auch Formen der verdeckten Kooperationsverweigerung zu erkennen und zu unterscheiden. 4.3.6 Was sind die Grundlagen einer Didaktik des Dialogs? Der Transdifferenzansatz Trotz der oben skizzierten idealisierten Voraussetzungen haben sich auf breiter Ebene im Bereich der Dialog-Konzepte konsensorientierte Ansätze etabliert, die im Wesentlichen auf der von Jürgen Habermas begründeten rationalen Diskursethik fußen. Zumindest im Hinblick auf eine Dialogdidaktik für Schülerinnen und Schüler ist dies jedoch als ein reduktionistisches Konzept zu betrachten, das mit zu starken programmatisch-normativen Vorannahmen bezüglich kommunikativer Prozesse und Dialogsituationen einhergeht. Eine angemessene Dialogdidaktik verlangt in jedem Fall nach Ergänzungen dieses konsensorientierten Ansatzes und nach alternativen Konzepten. Hierfür geeignet ist der Ansatz der Transdifferenz. Die Entwicklung des Transdifferenzansatzes geht auf ein Graduiertenkolleg zurück (Breinig & Lösch 2002). Dialog wird hier auf die Prozesse der Kommunikation, des Verstehens und der Verständigung, also die Sprachverwendung, gegründet. Damit setzt auch die Dialogdidaktik bei der erst-, zweit- und fremdsprachlichen Spracharbeit an, die im Unterricht erfolgen muss. In knapper Skizze geht es bei dem bereits diskutierten Transdifferenzansatz um Folgendes (siehe dazu auch Lerneinheit 2.2): ▶ Zu Beginn der Entwicklung des Ansatzes der Transdifferenz lag der Fokus noch auf der unhinterfragten Annahme gelingenden Verstehens. ▶ Nach einer ersten kritischen Auseinandersetzung rückten auch das Nichtverstehen und Missverstehen in den Blick. ▶ Um eine krude und unrealistische Binarität zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen zu vermeiden, wurde die Aufmerksamkeit auf Differenzen gelegt, und darauf, was sie jeweils ausmacht. Auf diese Weise können Gesprächspartner und -partnerinnen dafür sensibilisiert werden, dass sie Äußerungen ihres Gegenübers kaum jemals zu 100 % oder <?page no="178"?> 178 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik zu 0 % so verstehen, wie er sie gemeint haben mag, sondern dass es Übergänge zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen gibt, die graduell sind. ▶ Die Auseinandersetzung mit Differenzen ist die Voraussetzung für den Zugang zu einer positiven Transdifferenz. ▶ Dem Transdifferenzansatz geht es also darum, Differenzen anders zu denken, sie auszuhandeln und nicht in Verstehen oder Nicht-Verstehen-- vollkommene Nachvollziehbarkeit oder komplette Unzugänglichkeit-- auflösen zu müssen. Klaus Lösch beschreibt dies so: In einem allgemeinen Sinn- - und im Anschluss an die Bedeutung ‚quer hindurch‘ der Vorsilbe ‚trans‘- - bezeichnet Transdifferenz all das Widerspenstige, das sich gegen die Einordnung in die Polarität binärer Differenzen sperrt, weil es gleichsam quer durch die Grenzlinien hindurchgeht und die ursprüngliche eingeschriebene Differenz ins Oszillieren bringt, ohne sie jedoch aufzulösen. (Lösch 2005: 27) Die Reflexion der Relativität von Weltanschauungen, die an unterschiedliche soziale Standorte gebunden sind, die ein Individuum in seiner Biografie durchläuft, dient ebenso bereits Karl Mannheim 1929 zur Illustration der Auflösung der vermeintlichen Homogenität individuellen Wissensvorrats in eine zeitliche Sequenz von ungewissen Wahlen und Entscheidungen. Viel wichtiger ist jedoch, dass die wissenssoziologische Arbeit Mannheims paradigmatisch „die Gesellschaft“ in eine Vielfalt von Denkstandorten verwandelt, die sich durch eine beschreibbare Eigenlogik auszeichnen und zwischen denen Übersetzungsprozesse stattfinden müssen, sollen Gesellschaftssysteme nicht zusammenbrechen (Srubar 2009: 131f). Handlungen erscheinen vor diesem Hintergrund prinzipiell als Zeichen, die anderen zur Deutung auferlegt sind. Die Ungewissheit der Referenz kennzeichnet auch die Zeichensysteme selbst. Aus dem Phänomen der unaufhebbaren kommunikativen Unschärfe resultiert die Erfahrung der Differenz, auf die auch der Begriff der Transdifferenz zielt. Denn binäre Systeme aus Eigenem und Fremdem sind nur begrenzt wirksam. Ein Perspektivenwechsel (siehe auch Lerneinheit 1.2) unterstellt, dass es sich um klar definierbare Perspektiven und nicht um offene Wahrnehmungen handelt. Der zugrundeliegende Kulturbegriff geht von trennbaren, eigenständig existierenden Systemen mehr oder weniger stark ausgeprägter Homogenität aus. Unberücksichtigt bleiben dabei kognitive Aspekte der Wahrnehmung: Wie sollen Perspektivenwechsel stattfinden, wenn der kognitive Apparat des Betrachters beziehungsweise der Betrachterin oder Lerners der gleiche bleibt? Wenn zu unterstellen ist, dass der gleiche kognitive Apparat Eigenes und Fremdes getrennt voneinander wahrnehmen kann, dann wäre er nicht lernfähig, und damit wäre das Ziel interkulturellen Verstehens a priori unrealistisch. Anleihen fand der Transdifferenzansatz in dem Konzept der Transkulturation, das zuvor von dem kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz (1995 [1947]) formuliert wurde. Es betont den Prozesscharakter der Kulturentwicklung und -konstruktion. Anders als der Begriff Transkulturalität, der das (statische) Ergebnis von oft nicht genauer bestimmten Transkulturationsprozessen bezeichnet, wird unter Transkulturation der Prozess der Konstruktion und <?page no="179"?> 179 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik Aushandlung individueller Bedeutungen von Kulturen verstanden. Nach Atsuko Onuki und Thomas Pekar (200b) können Kulturen somit als Figurationen und Defigurationen von sich prozessual konstituierenden (figurierenden) Einheiten gefasst werden, die sich zugleich in einer ständigen Veränderungsbewegung befinden. Diese Veränderbarkeit und Dynamik sprengt die Grenzen gängiger transkultureller Kulturkonzepte und ist Grundlage des Transdifferenz-Konzeptes. Und weil sich zum anderen, in Hinsicht auf unsere eigene kulturelle ‚Verortung‘ (oder auch ‚Ortlosigkeit‘), jede spezifische Kultur selbst als eine ‚Figuration‘ begreifen lässt, d. h. als eine prozessual sich konstituierende Einheit, die sich jedoch in einer ständigen Veränderungsbewegung befindet. Die Rede von ‚Figuration‘ (kultureller Figuration) soll darauf aufmerksam machen, dass sich jede Kultur in einem permanenten und unaufhebbaren Spannungsfeld von De- und Refiguration befindet. Dieser besondere zeitlich-dynamische Aspekt unterscheidet im übrigen ‚Figuration‘ am klarsten von Begriffen wie Struktur, Gestalt, Form etc. (Onuki & Pekar 200b: 9) Im Sinne von Lösch (2005: 33) ist Kultur damit kein abgeschlossenes, auf sich selbst bezogenes System: Kultur ist kein autopoetisches System, das in ausschließlicher Selbstbezüglichkeit die eigenen Elemente selbst produziert und in diesem Prozessieren die konstitutive System-/ Umweltgrenze affirmiert und perpetuiert, sondern ein prozessuales Produkt der Interaktion von Systemen, deren Grenzen freilich erst in diesem Austauschvorgang gezogen und beständig revidiert werden. Kultur ist demzufolge als die denotative Bedeutungsebene von sozialer und sprachlicher Interaktion zu definieren. Sozialisations-, Akkulturations- und Integrationsprozesse sowie letztlich auch Individuationsprozesse im Sinne soziokultureller Selbstwahrnehmung beruhen auf der Viabilisierung konnotativer Bedeutungen in gesellschaftlichen Kontexten. (Wendt 2002: 42) Mit der Begrifflichkeit von Transdifferenz und Differenz soll also die Unbestimmbarkeit und Veränderbarkeit kultureller Erscheinungen so gefasst werden, dass es weder zu einer normierenden Synthese noch zu einer Auflösung von Differenzen kommt (vergleiche dazu auch die Lerneinheiten 2.1 und 2.2 in diesem Band). Der Transdifferenzansatz löst das Problem der kognitiven Dissonanz also durch ein dynamisches Nebeneinander mehr oder weniger interagierender und temporärer Positionen und Einstellungen. Differenzen komplementieren die binäre Ordnung. Durch die dynamische Integration des Fremden in bestehende und sich verändernde Wissensbestände wird die binäre Trennung in Eigenes und Fremdes obsolet. Mit diesem Verstehensmodell einher geht eine Umstellung auf ein dynamisches Identitätskonzept. Nicht die Frage: Wer bin ich? , sondern die Frage: Wer werde ich? steht im Mittelpunkt der Identitätskonstitution (Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005: 18). Die vielfältigen Austausch- und Veränderungsprozesse von Kulturen im Kontakt beziehungsweise im Zeitalter der Globalisierung können zu einer Komplexitätssteigerung von Identitäten führen, die als postnational bezeichnet werden können. Bei einer gewissen Fragmentarisierung des Selbst findet, so wird angenommen, eine „Teilhabe an mehreren Kollektiv-Intersubjektivitäten“ statt (Hildebrandt 2005: 351). <?page no="180"?> 180 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik Wie aber werden die Kompetenzen erworben, die für den Umgang mit solcher Komplexität nötig sind? Es ist davon auszugehen, dass sich die transdifferente Qualität der Wissensorganisation am besten selektiv nach Bedarf und Disposition in bestimmten thematischen Domänen entwickelt, die für ein Individuum relevant sind. 4.3.7 Der Ansatz sprach- und dialogdidaktischer Arbeit mit literarischen Autorinnen und Autoren Die Eignung von Spracharbeit unter Anleitung von literarischen Autorinnen und Autoren im Deutschunterricht wird von Joé F. A. Oliver hinsichtlich ihrer spezifischen sprachlichen Merkmale aufgezeigt (vergleiche Lerneinheit 4.1 in diesem Band). Die entsprechende Kompetenzförderung im Deutschunterricht ist Grundlage für ein methodisch und theoretisch anspruchsvolles Verständnis interkultureller Kommunikations- und Dialogfähigkeit, die sich auch in schwierigen Situationen mit Konfliktpotenzial bewährt. Die didaktisch orientierte Arbeit schließt eng an die gezielte Förderung des Bewusstseins für semantische Differenzierungen an, die insbesondere von José F. A. Oliver akzentuiert wird. Formen sprachlicher Verfremdung sind dabei besonders geeignet, den Umgang mit semantischer Differenzierung zu schulen, indem ein ‚Denken wie üblich‘ hinterfragt und eindimensionale Sprachformen aufgebrochen werden. Auf diese Weise kann ein Beitrag zur Befähigung zum multiperspektivischen Denken geleistet werden, das ein Durchspielen von Optionen erlaubt und somit reflektierte Haltungen fördert, die differenziert geäußert und vertreten werden können. Solche Formen der Spracharbeit können-- auch fachlich institutionalisiert-- in der internationalen Germanistik und dem Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache fruchtbar gemacht werden. In dem vorgelegten Unterrichtsbeispiel geht es über Sprechanlässe hinaus um ein umfassenderes Verständnis von Literatur und ihres kulturvermittelnden Potenzials. Das können interkulturelle Literatur und Texte der Chamisso-Preisträgerinnen und -Preisträger in besonderer Weise leisten, unter anderem, weil hier ein spezifisches poetisches Programm wichtig ist, in dem die Sprache mit Aspekten wie der Schaffung von „Bedeutungshöfen“ kontinuierlich fortentwickelt wird. 4.3.8 Ein Beispiel aus der Praxis: Unterrichtseinheit Identität A. Günter Eich: Inventur (1945) Dies ist meine Mütze, dies ist mein Mantel, hier mein Rasierzeug im Beutel aus Leinen. <?page no="181"?> 181 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik Konservenbüchse: Mein Teller, mein Becher, ich hab in das Weißblech den Namen geritzt. Geritzt hier mit diesem kostbaren Nagel, den vor begehrlichen Augen ich berge. Im Brotbeutel sind ein Paar wollene Socken und einiges, was ich niemand verrate, so dient es als Kissen nachts meinem Kopf. Die Pappe hier liegt zwischen mir und der Erde. Die Bleistiftmine lieb ich am meisten: Tags schreibt sie mir Verse, die nachts ich erdacht. Dies ist mein Notizbuch, dies meine Zeltbahn, dies ist mein Handtuch, dies ist mein Zwirn. Das sprachlich einfach gestaltete Gedicht von Günter Eich Inventur kann als Einstieg in eine Diskussion mit Schülern über die Bedeutung von Gegenständen in unserem Leben genutzt werden. Hier wird zunächst eine grundsätzlich menschliche Erfahrung sprachlich reflektiert, wobei in einem weiteren Schritt die kontextuellen historischen Bezüge (Zweiter Weltkrieg in Deutschland, Verlusterfahrungen, Flucht und Exil, Verarbeitung oder Verdrängung von traumatischen Erlebnissen) systematisch erarbeitet werden können. Angesichts jüngster politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen hat die Thematik eine anhaltende Aktualität und verspricht im Unterricht eine interessierte Beteiligung. Als Übergang zum nächsten Schritt ist es in dieser Phase wichtig, Interesse für die Thematik Gegenstände und Identität und deren literarische Darstellung zu wecken, sodass in einem weiteren Unterrichtsabschnitt ein persönlicher Bezug zu diesem thematischen Komplex hergestellt werden kann. <?page no="182"?> 182 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik B. José F. A. Oliver: Die Dinge / Die Wörter-- Die Wörter / Die Dinge Wer gestaltet mein Ich? Wie verhält sich dieses Ich zum Du? Dinge sind dabei mehr als nur alltägliche Versatzstücke. Sie sind Symbole, Zeichen, Metapher. (Oliver 2017, ohne Seite) Der Chamisso-Preisträger José F. A. Oliver entwickelt in seinen Schreibwerkstätten mit Schülern Lerneraktivitäten, die sprachlich und dialogfördernd zugleich gestaltet sind. Durch die sprachliche Beschreibung identitätsstiftender Gegenstände in unserem Leben werden Denkprozesse ausgelöst, die sowohl für eine differenzierte Selbstwahrnehmung als auch Auseinandersetzung mit den Lebenswelten Anderer konstruktiv sein kann. Lesen Sie die folgenden Lernschritte und Beschreibung von Lerneraktivitäten und bringen Sie sie in eine sinnvolle Reihenfolge. Aufgabenstellung O: Hast du etwas, das du niemals wegwerfen würdest? Schreibe einen kurzen Text darüber. Erzähle uns, was es ist, von wem du es bekommen hast und weshalb du es niemals wegwerfen würdest. Aufgabenstellung E: Nachdem wir jetzt ausführlich über einige Texte gesprochen und die mitgebrachten Dinge gesehen haben, wollen wir erneut darüber schreiben. Sucht euch zwei Sätze aus eurem Text raus und schreibt darüber. Aufgabenstellung I: Stellt euch vor die Klasse und präsentiert eure Texte, Fragen und Antworten. Jeder fasst den Text des jeweils anderen zusammen, zeigt die Fragen auf, die er an den Text hatte, und gebt die Antworten des anderen wider. Aufgabenstellung L: Setzt euch zu zweit zusammen und stellt drei Fragen an den Text des anderen. Beispielsweise: Wo bewahrst du den Gegenstand auf ? Holst du ihn manchmal raus? Was machst du dann? Aufgabenstellung V: Bringt die Gegenstände in der nächsten Stunde mit und beschreibt sie. Erzählt die Geschichte, die euch mit dem Gegenstand verbindet, den ihr dabei habt. Danach lest ihr den Text, der in der letzten Unterrichtsstunde entstanden ist, noch einmal vor. Aufgabenstellung R: Lest jeweils eure Sätze laut vor und begründet, weshalb ihr euch für diese Sätze entschieden habt. Die richtige Reihenfolge ergibt das Lösungswort OLIVER . C. Kistenwörter und eine gemeinsame Klassengeschichte Kistenwörter sind Bezeichnungen für Gegenstände, die wir zu Hause an einem besonderen Ort aufbewahren. Die Schüler sammeln ihre Kistenwörter und tragen sie in einer rhythmisierten musikalischen Form vor. Dabei soll in gemeinsamen Diskussionen entschieden werden, warum eine bestimmte Reihenfolge der Wörter sich besser eignet als eine andere für den rhythmisierten Vortrag. Im Anschluss schreibt die Klasse an einer gemeinsamen Geschichte mit den gesammelten Kistenwörtern. Gehen Sie die richtige Reihenfolge der Lernschritte im Unterricht nochmals sowie die gesamte Unterrichtsplanung mit den Einheiten A, B und C durch. <?page no="183"?> 183 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik Überlegen Sie: Welche Ziele einer dialogfördernden Didaktik und einer transdifferenten Einstellung sind durch die beschriebenen Aktivitäten realisiert. Sammeln Sie Ihre Ideen im Forum! 4.3.9 Verbindung zwischen den theoretischen Überlegungen zur Dialogdidaktik, der Transdifferenz und dem Unterrichtsvorschlag Oliver geht in seiner Arbeit mit Schülern immer grundsätzlich von den persönlichen und individuellen Erlebniswelten, der subjektiven Wahrnehmung der Welt in Sprache, in Wortschatz aus. Darüber haben Sie bereits in Lerneinheit 4.1 erfahren. Dadurch schafft er einen individualisierten Zugang zu universellen Kulturthemen wie Identität, Familie, Freundschaft und Liebe. Der Austausch mit einem Lernpartner oder -partnerin führt in einer dialogisierenden Form zu einer Erkundung anderer Perspektiven auf eigene Gewohnheiten, Vorlieben und Rituale. Die Erfahrung von Differenz durch Dialog wird also hier nicht verdrängt, sondern in vielfältigen Variationen zum expliziten Thema des Unterrichts gemacht. Dem Dialog schließt sich eine Phase sprachlicher Verdichtung an, bei der Oliver davon ausgeht, dass jedem der literarische Ausdruck über seine persönliche Lebenswelt durch gezielte Schreibaktivitäten möglich ist. Der Kreis des Austausches über wechselseitige Wahrnehmungen erweitert sich durch die Aktivität „Kistenwörter“ und die gemeinsame Klassengeschichte, da im Rahmen der Ausführung dieses Schreibauftrages Diskussionen stattfinden, die Räume schaffen für Abstimmungen, Aushandlungen und Kompromissschließung. 4. 3. 10 Zusammenfassung In der vorliegenden Lerneinheit haben Sie ▶ sich sowohl mit den theoretischen Grundlagen einer Dialogdidaktik im Literaturunterricht als auch mit konkreten Unterrichtsplanungen zu diesem Konzept auseinandergesetzt; ▶ von der Bedeutung dieser Verbindung erfahren, da die Dialogdidaktik, die sich an dem Ansatz der Transdifferenz orientiert, in der gesellschaftlichen Realität zunehmend an Relevanz gewinnt; ▶ sehen können, dass die vorgeschlagene Unterrichtseinheit in ihrer Umsetzung im Literaturunterricht zur Entwicklung transdifferenter Haltungen im Umgang mit anderen Denk- und Lebensformen beitragen kann; ▶ das vom Chamisso-Preisträger José F. A. Oliver entwickelte Unterrichtskonzept zur Bedeutung von Gegenständen für die Identitätsbildung in verschiedenen Kulturen als Anregung für Ihren eigenen fremdsprachlichen Literaturunterricht kennengelernt. Weitere Unterrichtsvorschläge finden Sie in Roche und Schiewer (2017, Band II und Band III folgen). <?page no="184"?> 184 4 Interkulturelle Literatur und Didaktik 4. 3. 11 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie verhalten sich das denkende Ich und seine Dialogpartner und -partnerinnen im Sinne von Descartes? 2. Welche Rolle spielt der Dialog im Denken des 20. Jahrhunderts nach Buber? 3. Welche Rolle spielt der Dialog in der Hermeneutik Gadamers und den darauf fußenden interkulturellen Hermeneutiken? 4. Skizzieren Sie die wichtigsten Elemente des Transdifferenzansatzes in Bezug auf die Literaturdidaktik. <?page no="185"?> 185 4.3 Grundlagen einer dialogischen Literaturdidaktik 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Dieses Kapitel befasst sich mit dem Thema Erinnerungskultur im engeren und im weiteren Sinne. In drei Lerneinheiten werden die Erinnerungsorte in interkulturell-literaturdidaktischer und historisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet und auf ihren didaktischen Nutzen für den Fremdsprachen- und den DaF-Unterricht untersucht. Ähnlich wie bei dem in Lerneinheit 1.1 dargestellten weiteren Kulturverständnis (Kultur als Text) können auch literarische Texte als Erinnerungsorte verstanden werden. Damit ergeben sich eine ganze Reihe von Verbindungslinien zwischen unterschiedlichen Disziplinen. Die Lerneinheit 5.1 greift daher zunächst auf Kapitel 4 zurück, in dem es darum geht, wie durch interkulturelle Literatur Bedeutung sowie semantische Differenzierung generiert wird. Die Lerneinheiten 5.2 (Geschichte und Kultur I) und 5.3 (Geschichte und Kultur II ) bauen direkt aufeinander auf und legen den Fokus auf den Erinnerungscharakter von Geschichte. Die Lerneinheit 5.2 beschäftigt sich dabei mit der Konzeption von Gedächtnis und Erinnerung und der Begründung von Geschichte als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts. Hier werden auch didaktische Überlegungen zu ihrer Vermittlung angestellt. Die Lerneinheit 5.3 konzentriert sich auf diverse Erinnerungsorte, wie sie in DaF-Lehrwerken thematisiert werden. Da Erinnerungsorte ein großes interkulturell-didaktisches Potenzial entfalten können, berücksichtigt die Lerneinheit vor allem die europäische Dimension von gemeinsamen Erinnerungsorten. Das Thema Erinnerungskultur ist in der heutigen Zeit besonders deshalb relevant, weil es verbreitet an Geschichtsbewusstsein und Geschichtskenntnissen mangelt, nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, wie Bildungsstudien immer wieder belegen, sondern auch bei Erwachsenen, bei Institutionen und-- wie man sehen muss-- bei politischen Gruppierungen und ihren Vertreterinnen und Vertretern. Die Konzepte zu Erinnerung und Gedächtnis, Erinnerungsorten und interkulturellen Zugängen zu literarischen Texten bieten sich aber auch deshalb an, weil sie eine Schnittstelle zwischen dem Schulfach Geschichte und den landeskundlichen Elementen des Fremdsprachenunterrichts bilden. Somit erfährt die Beschäftigung mit geschichtlichen Ereignissen eine wesentliche Erweiterung für das inter-, oder besser transkulturelle Lernen. Hieraus ergeben sich die vielfach gewünschten erweiterten Perspektiven auf Gesellschaften und ihre Geschichten und Kulturen. <?page no="186"?> 186 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur 5.1 Interkulturelle Literatur in der Lehr- und Lernpraxis Hebatallah Fathy Die vorliegende Lerneinheit versteht sich als programmatische Einführung in die Planung und Umsetzung von didaktischen Einheiten mit interkultureller Literatur in Kontexten von Deutsch als Fremdsprache. Einleitend reflektieren Sie Ihre eigenen Erfahrungen, die Sie als Schüler mit dem Literaturunterricht gemacht haben und erfassen positive Aspekte eines erfolgreichen Literaturunterrichts. Daraufhin wird der Begriff der Interkulturalität im Kontext des Rezeptionsprozesses auf den Autor, den Text und den Leser bezogen, um dann entsprechend relevante Fragestellungen für die Lehr- und Lernpraxis zu erörtern. Hier soll der interdisziplinäre Schnittstellencharakter der interkulturellen Literaturdidaktik zwischen interkultureller Literaturwissenschaft, interkultureller Pädagogik sowie mutter- und fremdsprachlicher Literaturdidaktik herausgearbeitet werden. Anschließend behandeln wir den Stellenwert von (interkultureller) Literatur im DaF-Unterricht aus historischer Perspektive sowie die Zielkompetenzen, die sich mit der Behandlung von interkultureller Literatur verbinden. Abschließend folgen Überlegungen zur konkreten Planung des Unterrichtsablaufs. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ aus eigenen Lernerfahrungen Merkmale eines guten Literaturunterrichts ableiten können; ▶ die Merkmale interkultureller Literatur kennenlernen und das interkulturelle Potenzial literarischer Texte anhand verschiedener Kriterien beschreiben können; ▶ den Begriff der Interkulturalität im Leseprozess auf den Autor, den Text und den Leser beziehen und entsprechende Fragen für Ihre Unterrichtsplanung reflektieren können; ▶ den interdisziplinären Charakter der interkulturellen Literaturdidaktik begründen können; ▶ die Rolle der (interkulturellen) Literatur in verschiedenen methodischen Konzepten des DaF- Unterrichts erläutern können. ▶ zwischen den Zielkompetenzen der Behandlung von interkultureller Literatur im DaF-Unterricht (sprachlich, ästhetisch-symbolisch und interkulturell) und den Unterrichtsphasen sinnvolle Verbindungen herstellen können. 5.1.1 Was ist interkulturelle Literatur? Interkulturelle Literatur wird in der Regel definiert durch die literarische Produktion von Autoren, die in ihrer Biographie und in ihren Lebenserfahrungen durch einen Sprach- und Kulturwechsel geprägt sind. Die daraus folgenden dynamischen Überschneidungspositionen geben Anlass für ästhetische Formen der Wirklichkeitsdarstellung, in denen interkulturelle Begegnungen für die dargestellten Handlungen oder persönlichen Entwicklungen der Protagonisten eine wesentliche Rolle spielen. <?page no="187"?> 187 5.1 Interkulturelle Literatur in der Lehr- und Lernpraxis Eine konkrete Beschreibung, wie sich interkulturelle Literatur uns als Leser in unterschiedlichen Formaten präsentieren kann, gibt Karl Esselborn (2007: 10f), die hier in einer zusammengefassten Form wiedergegeben wird. Interkulturelle Literatur definiert sich demnach durch: ▶ eine Form der sprachlichen Interkulturalität durch die Vermischung mehrerer Sprachen oder literarischer Formen; ▶ thematische Interkulturalität (auch ohne Sprachenwechsel) aufgrund von Fremdheitserfahrungen; ▶ unterschiedliche Formen interkultureller Biographien der Autoren wie Migration, Exil oder die Zugehörigkeit zu Minderheiten. Wie gestaltet sich aber die thematische Interkulturalität beziehungsweise was ist für interkulturelle Literatur thematisch charakteristisch? Aglaia Blioumi (2002) hat anhand des Romans Selim oder die Gabe der Rede von Sten Nadolny versucht, das interkulturelle Potenzial eines literarischen Textes genauer zu umschreiben. Dafür legt sie vier Kriterien fest (Blioumi 2002: 31). Die Texte gehen nicht von essentialistischen Kulturvorstellungen aus, in denen es etwa eine leitende und eine untergeordnete Kultur gibt, sondern vielmehr liegt ihnen ein „dynamischer Kulturbegriff “ zugrunde (1). Kulturen sind in interkulturell geprägten literarischen Texten Wandlungsprozessen unterzogen, wodurch starre nationale Zuschreibungen gar nicht möglich sind (2). Daraus ergeben sich Möglichkeiten der „selbstkritischen Wahrnehmung“-- das zweite Merkmal interkultureller Texte-- die habitualisierte Wahrnehmungen, Handlungen und Praktika hinterfragen. Das kann auch Einfluss nehmen auf die Persönlichkeitsbildung und die Identitätskonstruktion der literarischen Figuren. „Hybridität“ beziehungsweise „Identitäten in multikulturellen Mischformen“ prägen den literarischen Text (3). Als letztes Kriterium (4) nennt Blioumi die „doppelte Optik“, die auf das Eigene und das Fremde aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt und schließlich zur De-Automatisierung von Sichtweisen führen kann. 5.1.2 Interkulturalität im Rezeptionsprozess und die Interdisziplinarität der interkulturellen Literaturdidaktik Den Begriff der Interkulturalität können wir im Entstehungs-, Lese- und Rezeptionsprozess auf verschiedene Instanzen beziehen. Je nach Fokussierung von Autor, Text oder Leser ergeben sich verschiedene Fragestellungen, die für die Didaktisierung von interkulturellen Texten im DaF-Unterricht relevant sein können. <?page no="188"?> 188 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Abbildung 5.1: Interkulturalität im Leseprozess 1 Interkulturelle Biographien von Autoren können unterschiedlichste Formen annehmen. Oft sind Autoren durch einen Migrations-, Exilhintergrund oder durch die Angehörigkeit zu einer Minderheit in der ersten oder zweiten Generation für die Behandlung interkultureller Themen in verschiedenen Ausformungen sensibilisiert. Das Spektrum reicht von der Kulturdistanz bis hin zu verschiedenen Nuancen des Kulturkontakts (Esselborn 2007: 11). Sprachlich weisen die literarischen Texte auch verschiedene Grade der Mehrsprachigkeit auf. In dem Gedicht „meine heimat ist meine sprache“ von Gabriela Hofmann La Torre thematisiert die Autorin genau diese Problematik des Verhältnisses zur Mehrsprachigkeit im Gedicht. Den verschiedenen Sprachen sind verschiedene Identitäten zugeschrieben. Das Verhältnis dieser unterschiedlichen Sprachen zueinander etwa beeinflusst Entscheidungen des Sprachenwechsels oder der Vermischung mehrsprachiger Elemente innerhalb des sprachlichen Textes. Oft wirkt sich auch die Mehrsprachigkeit des Autors auf einen kreativen Umgang mit der Literatursprache Deutsch aus, die durch die Verwendung ungewohnter Metaphern und Wortspiele im Text zum Ausdruck kommen (stellvertretende Beispiele sind hier die Chamisso- Preisträger und -Preisträgerinnen, vergleiche Lerneinheit 4.1 von Gesine Lenore Schiewer zur Chamisso-Literatur). Abbildung 5.2: Interkulturalität im Leseprozess 2 <?page no="189"?> 189 5.1 Interkulturelle Literatur in der Lehr- und Lernpraxis Die Geschichte einer interkulturellen deutschen Literatur würde aber nicht bei der zeitgenössischen Migrations- oder Exilliteratur ansetzen, denn die Thematisierung von Begegnungen mit anderen Kulturen in literarischen Texten ist so alt wie die deutschsprachige Literatur selbst. Zwar liegt noch keine Literaturgeschichte der deutschsprachigen interkulturellen Literatur vor, aber es gibt beachtenswerte Versuche in diesem Zusammenhang, überzeugende Konzepte aus historischer Perspektive zu liefern. Begegnungen mit anderen Kulturen und Religionen sind bereits in der mittelalterlichen Kreuzzugsliteratur, in Reise- und Pilgerberichten und in den mittelalterlichen Heldenepen präsent (Hofmann & Patrut 2015: 23). Texte wie Gotthold Ephraim Lessings Drama Nathan der Weise (1779) oder Johann Wolfgang von Goethes West-östlicher Divan (1819) bezeugen ein aufrichtiges Interesse an einem konfliktfreien und bereichernden Kulturdialog. Auch die Dichter der Romantik suchten im Kontakt zu orientalischen Kulturen nach neuen Formen der philosophischen Erkenntnis. Hier wirft sich im Kontext des fremdsprachlichen Unterrichts die berechtigte Frage auf, inwieweit die genannten Beispiele mit ihrem sprachlich anspruchsvollen Niveau geeignet sind. Dass hier durch angemessenes sprachliches Didaktisieren von Auszügen aus sprachlich anspruchsvoller Literatur im DaF-Unterricht eine Behandlung durchaus realisierbar ist, führen wir unter Abschnitt 5.1.4. an. Abbildung 5.3: Interkulturalität im Leseprozess 3 Lektüre und Rezeption von interkultureller Literatur ist in den unterschiedlichsten Lehr- und Lernkontexten denkbar: an Schulen im muttersprachlichen Sprachunterricht, in heterogenen Klassen, in Sprachkursen, in der Erwachsenenbildung, in Kontexten von Fremdsprachenerwerb im Ausland an Sprachinstituten und -schulen und schließlich in der Germanistik im internationalen Kontext. Dass wir es hier mit verschiedenen kulturellen Kontexten des Lesens und Sinnkonstruierens zu tun haben, die dann unterschiedliche Ausprägungen von Rezeptionen beeinflussen, ist vor allem Gegenstand der interkulturellen Hermeneutik. Die Konstanzer Schule der Rezeptionsästhetik mit den Namen Hans Robert Jauß und Wolfgang Iser hat hier der interkulturellen Hermeneutik wesentliche theoretische Impulse gegeben. <?page no="190"?> 190 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Hans Robert Jauß plädierte in seiner Antrittsvorlesung 197 Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz, in Übertragung des Begriffs des Erwartungshorizonts (Karl Mannheim), für eine „Literaturgeschichte des Lesers“. Literarische Texte entfalten demnach erst in ihrer Lektüre ihre vollkommene Bedeutung. Wichtig wäre daher festzustellen, wie literarische Texte aufgenommen und rezipiert werden. Mit dem Leseprozess an sich beschäftigt sich konkreter Wolfgang Iser. Ihm zufolge ist Lesen ein aktiver Prozess. Es gibt in jedem literarischen Text sogenannte „Leerstellen“, der Text hat eine „Appellstruktur“ (Iser 1970) auf die der Leser mit bestimmten Sinnbildungen reagiert und die Leerstellen mit Bedeutung füllt (vergleiche Lerneinheit 4.3). Kulturbedingte Leseunterschiede in fremdsprachlichen Kontexten beobachtete Manfred Krusche (1985b) bei der Lektüre von fremdsprachlichen Texten, denen wir mit einer größeren Offenheit begegnen und im Leseprozess nicht unbedingt auf das ausschöpfende Verstehen beharren: So erhält der Text, was seine potentielle ‚Andersheit‘ angeht, eine größere Vorgabe. Wir sind bereit weitere Lese-Wege zu gehen, ehe wir auf 'Verstehen' zu insistieren beginnen. Auch wenn es befremdlich klingt: der ‚fremde‘ Text hat-- möglicherweise--, gerade dadurch, daß wir uns seiner kulturhistorischen Fremde bewußt sind, eine größere Chance, uns zu 'bewegen'. (Krusche 1985b: 139) Die nur empirisch durch Leser-Gespräche erfassbare kulturdifferente Lektüre exemplifiziert Krusche anhand einer Auswahl von literarischen Texten, die in ihrer Interpretation Deutungsspielräume erfahren, die sich von einer muttersprachlichen Lektüre im Wesentlichen unterscheiden. Wie sich diese kulturdifferenten Lektüren im Einzelnen gestalten, wurde anhand der Vermittlung von Johann Gottfried Kellers Novelle Pankraz der Schmoller in verschiedenen Kulturkreisen erprobt. Dabei haben sich in der Deutung der Fremdheitserfahrung, der Frauenrolle, der sozialen Reintegration nach der Rückkehr des Protagonisten kulturspezifische Deutungshorizonte gezeigt. Eine ausführliche Dokumentation dieses Projektes findet sich im Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 18 (Eggers 1992: 373-540). Mit der Darstellung der oben beschriebenen Felder hat sich herausgestellt, dass sich die interkulturelle Literaturdidaktik im Schnittpunkt verschiedener Fächer befindet, deren Forschungsfragen und vor allem Ergebnisse auch das Fach profilieren und prägen (vergleiche hierzu Esselborn 2010: 12f). Mit dem interkulturellen Potenzial literarischer Texte und seiner ästhetischen Ausgestaltung beschäftigt sich die interkulturelle Literaturwissenschaft. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sind impulsgebend für didaktische Konzepte in der muttersprachlichen Didaktik und interkulturellen Pädagogik, die mit der Behandlung dieser Texte auf die interkulturelle Sensibilisierung und die Förderung des Empathievermögens und des Perspektivenwechsels in heterogenen Klassen an Schulen zielen (einer interkulturellen Pädagogik, die sich speziell mit der Zielgruppe von Kindern mit Migrationshintergrund befasst, widmet sich Wassilios Baros Lerneinheit 8.2). Die für die interkulturelle Pädagogik beschriebenen Lehr- und Lernziele sind im DaF-Unterricht ebenso relevant, doch beschäftigt sich das Fach Deutsch als Fremdsprache darüber hinaus mit der sprachlichen Komponente, die oft durch den hohen Grad an Schwierigkeit ästhetisch-symbolische Zugänge zum Text erschweren kann. In diesem Zusammenhang sind <?page no="191"?> 191 5.1 Interkulturelle Literatur in der Lehr- und Lernpraxis didaktische Konzepte erstrebenswert, die literarische Texte in ihrer spezifisch künstlerischen Gestaltung fokussieren und sie nicht lediglich als Quelle landeskundlichen Wissens oder gar als Demonstrationsobjekt grammatischer Strukturen degradieren. Die Aufgabe der interkulturellen Literaturdidaktik besteht also nicht nur darin, den aktuellen Forschungsstand der dargestellten Fächer in ihren Konzepten zu berücksichtigen, sondern vor allem den Brückenschlag zur Praxis in dem Maße zu leisten, dass die Umsetzung im DaF-Unterricht ihre Ziele in ihrer Komplexität aus sprachlichen, ästhetischen und interkulturellen Komponenten gerecht werden kann. 5.1.3 Die Rolle von (interkultureller) Literatur im DaF-Unterricht Die Methoden des DaF-Unterrichts haben je nach ihrer konzeptuellen Ausrichtung der Literatur im Unterrichtsgeschehen sehr verschiedene Rollen zugewiesen. Galt sie in der Grammatik-Übersetzungsmethode als Übungsmedium für grammatische Strukturen und das stilistisch gehobene Schreiben, so wurde sie im Rahmen des audiolingualen und audiovisuellen Unterrichts gänzlich aus den Curricula verbannt, da diese sich hauptsächlich der mündlichen Sprache widmeten (vergleiche hierzu Honnef-Becker 200: 119). Die kommunikative Wende der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sah den Einsatz literarischer Texte im DaF-Unterricht eher skeptisch. Sie wurden durch dialogische Gebrauchstexte ersetzt, da der sprachliche, ästhetische und kultursemantische Anspruch von Literatur als erschwerend empfunden wurde. Vielmehr tauchten literarische Texte in Lehrwerken, wenn überhaupt, als Quelle landeskundlichen Wissens auf. Sie galten dann der Präsentation der deutschsprachigen Literatur oder als Vorlage für Sprachspiele und Aufgaben zum generativen Schreiben. Die interkulturelle Wende im DaF-Unterricht ermöglichte der Literatur neue Zugänge, in deren Rahmen die ästhetische Qualität des literarischen Textes und vor allem das interkulturelle Potenzial wieder im Mittelpunkt stehen. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts finden sich sogar Lehrwerke, deren Lernprogression gänzlich auf der Arbeit mit literarischen Texten aufbaut. So beispielsweise das Lehrwerk Die Suche (1993), an dessen Konzeption der Autor Hans Magnus Enzensberger mitwirkte. Eine Fortsetzung fand dieses Konzept mit dem Lernroman Der Auftrag, der vom Langenscheidt Verlag 2004 herausgegeben wurde. Ziele des Einsatzes von interkultureller Literatur im DaF-Unterricht Der Einsatz von interkulturellen literarischen Texten im DaF-Unterricht sollte also über die Förderung der sprachlichen Kompetenz hinaus weitere Lehr- und Lernziele verfolgen, die die ästhetische Spezifik von Literatur und das interkulturelle Potenzial der Texte vordergründig ausschöpft. Selbstverständlich entscheidet die Zusammensetzung und Beschaffenheit der Zielgruppe (Alter, homogene und heterogene Gruppen, Interessen und Motive des Spracherwerbs etc.) über die Auswahl und Didaktisierung der Texte. Doch verbinden sich aus den bisher dargestellten Aspekten mit der Behandlung von interkultureller Literatur im DaF-Un- <?page no="192"?> 192 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur terricht zwei Kernkompetenzen, die sich je nach Zielgruppe noch differenzierter gestalten lassen: die ästhetisch-symbolische Kompetenz und die interkulturelle Kompetenz. In der Forschungsdiskussion um Literaturvermittlung im Kontext von DaF ist in den letzten Jahren die Kategorie der „Literarizität“ in den Fokus geraten (Riedner 2010: 1550). Dass literarische Texte mit Sprache und Bedeutungen spielen, dass sie die Wirklichkeit nicht abbilden, sondern eine Perspektive auf die Wirklichkeit aushandeln, sind Aspekte, die bei der Auseinandersetzung mit den Texten Berücksichtigung finden sollten. Diese Form der Beschäftigung zielt auf die Förderung symbolischer Kompetenz, für die Claire Kramsch in ihrem Artikel „Symbolische Kompetenz durch literarische Texte“ (Kramsch 2011) bei der Vermittlung fremdsprachlicher Literatur plädiert: Dadurch sollten die Studierenden lernen, die poetischen, gefühlsmäßigen und ideologischen Dimensionen von Texten wahrzunehmen und zu deuten. Letztendlich sollen sie in der Auseinandersetzung mit fremden literarischen Texten die Fähigkeit entwickeln, sich andere mögliche Darstellungen ihrer geschichtlichen beziehungsweise kulturellen Umwelt vorzustellen und unter diesen möglichen Darstellungen ihre eigene Haltung zu finden. Darunter verstehe ich nicht bloß die individuelle Meinung, sondern die ganz persönliche Art, mit Widersprüchen oder gar Inkompatibilitäten zurechtzukommen. Diese symbolische Komponente, die zu der kommunikativen beziehungsweise interkulturellen Kompetenz hinzukommen sollte, hat drei Aspekte, die den von Karl Bühler identifizierten drei Funktionen der Sprache entsprechen: Darstellung, Appell, Ausdruck. (Kramsch 2011: 3) Nicht unabhängig von der beschriebenen symbolischen Kompetenz, die zur Wahrnehmung von Differenzen, Widersprüchen und Inkompatibilitäten in einer sprachlich besonderen Form befähigen soll, ist die interkulturelle Kompetenz zu betrachten. Denn mit Mitteln der Sprache sucht ja der Autor in seinem literarischen Text zur interkulturellen Sensibilisierung des Lesers beizutragen. Angesichts globaler Migrationsprozesse und hybrider Lebenswelten hält Irmgard Honnef-Becker die interkulturelle Kompetenz als soziale Kernkompetenz für eine unentbehrliche Schlüsselqualifikation im 21. Jahrhundert (Honnef-Becker 2008: 125). Zugleich verweist sie auch auf den Erwerb der interkulturellen Kompetenz als einen vielschichtigen Lernprozess, der in einer Abfolge von Phasen realisierbar ist: ▶ Erkenntnis der generellen Kulturgebundenheit; ▶ Identifikation fremdkultureller Muster und Dezentrierung; ▶ Identifikation eigener Kulturstandards und Einsicht in Einwirkung auf die Kommunikation; ▶ erweitertes Deutungswissen über bestimmte Fremdkulturen; ▶ Erweiterung der eigenen kulturellen Optionen; ▶ Aufbau interkultureller Beziehungen; ▶ konstruktiver Umgang mit interkulturellen Konflikten. (vergleiche hierzu Auernheimer (2005), Einführung in die interkulturelle Pädagogik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 125; hier zitiert nach Honnef-Becker 2008: 12f) Bei der Beantwortung der Fragen ist Ihnen bestimmt aufgefallen, dass wir bei der Arbeit mit literarischen Texten eine Vielzahl von Aspekten berücksichtigen müssen. Wir haben <?page no="193"?> 193 5.1 Interkulturelle Literatur in der Lehr- und Lernpraxis Lehrziele, aber unsere Lerner haben auch unterschiedliche Interessen. Wie lässt sich die Beschäftigung mit literarischen Texten unter Berücksichtigung all der erwähnten Aspekte in der Unterrichtspraxis umsetzen? Dass literarische Texte für die Realisierung der oben genannten kulturell differenzierenden Wahrnehmungsformen besonders gut geeignet sind, beschäftigt uns im folgenden Abschnitt. Unterrichtsplanung - ein Beispiel aus der Praxis Mit interkultureller Literatur sollte also im Idealfall ein komplexes Lernziel aus sprachlichen, ästhetisch-literarischen (symbolischen) und interkulturellen Teilkompetenzen verfolgt werden. Hier stellt sich nun im Rahmen der Unterrichtsplanung die Frage, wie die Förderung dieser Kompetenzen im Unterrichtsablauf konkret erfolgen kann. Schauen wir uns zunächst beispielhaft einen interkulturellen literarischen Text an: Franz Hohler Die blaue Amsel Amseln sind schwarz. Normalerweise. Eines Tages aber saß auf einer Fernsehantenne eine blaue Amsel. Sie kam von weither, aus einer Gegend, in der die Amseln blau waren. Ein schwarzer Amselmann verliebte sich in sie und bat sie, seine Frau zu werden. Zusammen bauten sie ein Nest, und die blaue Amsel begann, ihre Eier einzubrüten während ihr Amselmann abwechselnd zu fressen brachte oder für sie die schönsten Lieder sang. Einmal, als der Mann auf Würmersuche war, kamen ein paar andere Amseln, vertrieben die blaue Amsel aus dem Netz und warfen ihre Eier auf den Boden, dass sie zerplatzten. ‚Wieso habt ihr das getan? ‘, fragte der Amselmann verzweifelt, als er zurückkam. ‚Weil wir Amseln schwarz sind‘, sagten die anderen nur, blickten zur blauen Amsel und wetzten ihre gelben Schnäbel. (Hohler 2007: 94) Der Text eignet sich sprachlich für eine homogene jugendliche Lerngruppe auf dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens. Darüber hinaus ist dieses Textgenre einer Fabel mit parabelhaftem Charakter in allen Kulturkreisen bekannt. Einführend wäre es sinnvoll, eventuell wichtiges Schlüsselvokabular vor der Beschäftigung mit dem literarischen Text zu behandeln. Hierfür können die Lerner beispielsweise eine Tonaufnahme oder ein Video mit Vogelgezwitscher hören beziehungsweise sehen und an der Tafel Wortschatz zum Thema Vögel (Arten, Stimmen und Lebensraum) sammeln. Die konkrete, in dem kurzen Prosatext beschriebene Situation lässt sich bildlich anhand von zwei Szenen gut darstellen, die die Lerner in einem Puzzle von zwei Bildern zusammensetzen. Dann vermuten sie einen möglichen Handlungsablauf, dessen Varianten an der Tafel festgehalten werden. Die Lerner lesen anschließend den Text und vergleichen den Handlungsablauf mit ihren Vermutungen. Dann bearbeiten sie zur Verständnissicherung ein Arbeitsblatt mit Richtig oder Falsch-Aussagen. Ihre Auswahl sollten sie mit Stellen im Text belegen und begründen können. Hier ist eine weiterführende Diskussion über Formen der Wahrnehmung des Fremden und der Diskriminierung möglich, die dann auch zum nächsten Lernschritt überleitet. Die Lerner werden dann in Gruppen aufgeteilt und erhalten Arbeitsaufträge für Gruppendiskussionen mit vorgegebenen Themen. Eine Gruppe beschäftigt sich mit dem Parabelcharakter der Fabel. Eine weitere Gruppe diskutiert die Farbensymbolik im Text. Eine dritte <?page no="194"?> 194 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Gruppe diskutiert ähnliche menschliche Verhaltensweisen und deren Motive. Für das Gelingen der Gruppendiskussionen ist es wichtig für die einzelnen Themen jeweils ein Arbeitsblatt vorzubereiten, das den Ablauf des Austausches in der Gruppe strukturiert. Dazu gehören ein Fragenkatalog, eine Liste mit Redemitteln zur Meinungsäußerung und eine vorgegebene Form, wie die Gruppen ihre Ergebnisse präsentieren sollen. Abschließend ist ein Lernschritt geplant, in dem die Lerner zu den verschiedenen Figuren (Amselmann, Amselfrau, Gruppe von Amseln) innere Monologe schreiben oder sie erfinden einen alternativen Handlungsablauf beziehungsweise ein anderes Ende. Dann werden die Ergebnisse der Projektarbeit präsentiert. In der Präsentationsphase der Ergebnisse ist es für die gegenseitige Aufmerksamkeit sinnvoll, den anderen Gruppen, die nicht präsentieren, einen Arbeitsauftrag zu geben, möglicherweise auch ein Arbeitsblatt mit Fragestellungen oder Redemitteln, mit dem sie die Präsentation bewerten und der präsentierenden Gruppe auch eine Rückmeldung geben können. Im DaF-Unterricht kann man sich als Lehrerin und Lehrer bei der Planung an verschiedenen Phasenmodellen orientieren (siehe Band »Unterrichtsmanagement«). Für die Arbeit mit literarischen Texten eignet sich das 4-Phasenmodell mit den Abschnitten Einführen, Präsentieren, Semantisieren und Transfer. Analog gäbe es auch die Unterrichtsphasen vor, während und nach dem Lesen, wobei Aktivitäten vor dem Lesen der Phase Einführen, Aktivitäten während des Lesens den Phasen Präsentieren und Semantisieren und Aktivitäten nach dem Lesen der Phase Transfer zuzuordnen sind. Sie haben mögliche Lerneraktivitäten zur Behandlung des interkulturellen Textes Die blaue Amsel kennengelernt. Einleitend haben wir in dieser Lerneinheit die Frage gestellt, in welchen Phasen des Unterrichts die oben beschriebenen Teilkompetenzen der sprachlichen, ästhetisch-symbolischen und interkulturellen Kompetenz gefördert werden können. Betrachten wir im Folgenden die Ziele der einzelnen Lerneraktivitäten aus der Lehrer- und Lehrerinnenperspektive. In der Einführungsphase, in der es um die Förderung der sprachlichen Kompetenz der Lerner geht, ist es wichtig, dass die geplanten Lerneraktivitäten den literarischen Text thematisch und sprachlich vorentlasten. Zum vorliegenden Text sollte also für den Themenkomplex „Wir und die anderen“ der entsprechende Wortschatz vorhanden sein beziehungsweise müsste dieser zunächst erarbeitet werden. Textbezogenes unbekanntes Vokabular ist in der Einführungsphase ebenso zu behandeln. Methodisch bieten sich hier Assoziationsspiele, Visualisierungen mit Bildern oder Videoausschnitten an. In der Präsentationsphase ist zu beachten, dass die Darbietung des literarischen Textes mit einer Lerneraktivität verbunden ist, die über das bloße Lesen beziehungsweise Vorlesen hinausgeht. Das Lesen ist also begleitet von einem Arbeitsauftrag, der das globale Leseverständnis absichern soll. Hier bietet sich eine Vielzahl von Aktivitäten an: Textschnipsel in eine sinnvolle Reihenfolge bringen, Text in Sinnabschnitte gliedern, einen passenden Titel finden, Lücken ergänzen, Richtig-oder-Falsch-Aussagen zum Text bearbeiten, Multiple-Choice-Aufgaben bearbeiten etc. In der Semantisierungsphase ist es wichtig, dass sich die Lerner mit der Spezifik der literarischen Textgattungen beschäftigen. Aufgaben in dieser Phase fokussieren den Symbol- <?page no="195"?> 195 5.1 Interkulturelle Literatur in der Lehr- und Lernpraxis charakter von literarischer Sprache und sollten ermutigen, den Text in seiner ästhetischen Dimension zu erschließen. Wofür stehen handelnde Figuren, wie verhalten sie sich zueinander? Wie nehmen sie sich gegenseitig wahr? Was für eine Rolle spielt Kultur für diese Wahrnehmung? Das sind mögliche Fragestellungen, die auf Empathie sowie Perspektivenwechsel zielen und die Kulturgebundenheit unserer Sichtweisen bewusstmachen wollen. Für die Transferphase beziehungsweise die Phase nach dem Lesen ist für eine gezielte Förderung der interkulturellen Kompetenz die Auswahl von handlungs- und produktionsorientierten Verfahren maßgebend für eine gelungene Unterrichtseinheit. Interkulturelle Kompetenz muss sich in einem demonstrierten Verhalten äußern. Hier sind vor allem Rollenspiele beziehungsweise szenische Darstellungen alternativer Handlungsabläufe möglich. Der kreative Umgang mit dem Text selbst, den man neu schreibt, weiterschreibt oder gänzlich umstellt, sorgt für eine Verinnerlichung der gewonnenen Erkenntnisse über kulturelle Verschiedenheit und Möglichkeiten beziehungsweise Chancen des interkulturellen Dialogs. 5.1.4 Zusammenfassung In der vorliegenden Lerneinheit haben Sie ▶ sich mit dem interkulturellen Potenzial von literarischen Texten in Kontexten von Deutsch als Fremdsprache beschäftigt; ▶ von theoretischen Überlegungen zum Begriff der interkulturellen Literatur, der Interkulturalität und methodischen Reflexionen zum Umgang mit interkultureller Literatur in der Lehr- und Lernpraxis ausgehend die Planung einer konkreten Unterrichtseinheit kennengelernt; ▶ die Verbindung der geplanten Aktivitäten mit kompetenzorientierten Lernzielen und die Phasen des Unterrichtsablaufs erfasst. 5.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie drei Beispiele interkultureller Literatur aus Ihrer eigenen Lektüre (in verschiedenen Sprachen) und begründen Sie Ihre Auswahl, in dem Sie Kriterien von Interkulturalität in diesen literarischen Texten beschreiben. 2. Erläutern Sie die Rolle von Literatur in verschiedenen methodischen Ansätzen des DaF- Unterrichts (Grammatik-Übersetzungs-Methode, kommunikative Wende und interkulturelle Wende). 3. Welche Kompetenzen werden mit der Behandlung von interkultureller Literatur im DaF-Unterricht gefördert? 4. Nennen Sie Beispiele für handlungs- und produktionsorientierte Verfahren bei der Arbeit mit literarischen Texten. <?page no="196"?> 196 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur 5.2 Geschichte und Kultur I Daniel Reimann Jede Schülerin und jeder Schüler, die oder der Deutsch erlernt, weiß sicherlich, dass die deutsche Nationalflagge aus den Farben Schwarz - Rot - Gold besteht und die Hauptstadt Deutschlands Berlin ist, die man am Brandenburger Tor erkennen kann. Ferner hat sie oder er vermutlich die Begeisterung der Deutschen für Fußball wahrgenommen und vielleicht sogar Currywurst mit Pommes bei einem Bundesliga-Abend gegessen. Aber auch die dunkleren Seiten sollten bekannt sein: Das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg und die daraus resultierende deutsche Schuld. Doch was bedeuten diese Orte und Monumente, Symbole, Einrichtungen und Bräuche für Deutsche? Inwiefern lassen sich hier Vorwissen und die Möglichkeit zur konkreten Anschauung mit den Zielen der historischen Bildung und der Formung einer europäischen Identität verbinden? Dazu werden in dieser Lerneinheit Ansätze zu einer Konzeption von Gedächtnis und Erinnerung vorgestellt und besonders auf das kulturelle, kommunikative und kollektive Gedächtnis eingegangen. Sodann erfolgt eine Begründung von Geschichte als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts, die in didaktischen Überlegungen zur ihrer Vermittlung mündet. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Konzeption von Gedächtnis und Erinnerung in Abgrenzung zur Geschichte nach Halbwachs und den Ansatz von Warburg in Grundzügen erklären können; ▶ zwischen dem kulturellen, kommunikativen und kollektiven Gedächtnis unterscheiden und erklären können, was unter den Begriffen zu verstehen ist; ▶ begründen können, warum Geschichte Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts sein sollte; ▶ didaktische Überlegungen zur Vermittlung von Geschichte im Fremdsprachenunterricht benennen können. 5.2.1 Konzeption von Gedächtnis und Erinnerung Frühe Beiträge zu Erinnerungskulturen Die Auseinandersetzung mit dem Gedächtnis ist seit ihrer Entstehung ein konstituierender Teilbereich der Kulturwissenschaften (vergleiche Raulff & Smith 1999; Fauser 2004: 117ff). Insofern versucht dieser Beitrag exemplarisch anzudeuten, was eine vertiefte Auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen Inhalten für die Fremdsprachendidaktik leisten könnte. Frühe Beiträge zu Erinnerungskulturen aus dem romanophonen und germanophonen Raum stammen von Maurice Halbwachs und Aby Warburg. Das Konzept der mémoire <?page no="197"?> 197 5.2 Geschichte und Kultur I collective (‚kollektives Gedächtnis‘) von Maurice Halbwachs (1877-1945) geht davon aus, dass jede persönliche Erinnerung sozial bedingt ist. Er unterscheidet zwischen den Bereichen der Erinnerung und des Gedächtnisses und der Geschichte, wobei er die zeitliche Reichweite der Erinnerung und des Gedächtnisses auf den Austausch zwischen Zeitzeugen und deren Nachkommen eingrenzt; was jenseits der Erinnerung des ältesten Mitglieds einer Gruppe liegt, ist bei Halbwachs Teil der Geschichte. Die Erinnerung orientiere sich an den Bedürfnissen der Gegenwart und sei partikular, während die Geschichte universal sei. Insofern stehen im Bereich der Erinnerung Kontinuitäten im Vordergrund, aus denen sich durch Konstruktionen Identitäten herleiten, während die Geschichte Gegensätze und Brüche in der Entwicklung von der Vergangenheit zur Gegenwart hervortreten lasse. Dies kann wie folgt veranschaulicht werden: Abbildung 5.4: Erinnerung und Geschichte bei Maurice Halbwachs (1877-1945) (Reimann 2014a: 30) In La topographie légendaire des évangiles en Terre Sainte (Halbwachs 2003 [1941]) prägt Halbwachs indes einen Begriff der Gedächtnisorte, welche der kollektiven Identitätsbildung dienen, wodurch die Reichweite des Gedächtnisses über die unmittelbare Tradierung von erlebter Vergangenheit hinausreicht; damit weist er bereits auf das Konzept des kulturellen Gedächtnisses bei Jan und Aleida Assmann voraus (vergleiche zum Beispiel Erll 2008: 158ff; Erll 2011: 1ff). Aby Warburg (18-1929) verdankt die kulturwissenschaftliche Forschung indes die Denkfigur, dass sich Erinnerung in literarischen Texten, Bräuchen und in der Alltagskultur materialisieren kann und deren Gedächtnispotenzial an anderen Orten, zu einer anderen Zeit und unter veränderten Umständen wiedergegeben werden kann. Dabei fokussierte Warburg als Kunsthistoriker sein Interesse vor allem auf das kollektive Bildgedächtnis als ein soziales Gedächtnis und ging induktiv vom künstlerischen Detail aus vor. Insbesondere bestimmte Visualisierungselemente wie die sogenannten „Pathosformeln“ der Malerei konzipierte er so als „kulturelle Engramme“, die jederzeit reaktiviert werden könnten und so zur Bildung eines sozialen Gedächtnisses führten (vergleiche zum Beispiel Erll 2008: 11ff; Erll 2011: 21ff). Der Blick auf das Detail ist es auch, der dazu führt, dass Aby Warburg zum Beispiel bei Carlo <?page no="198"?> 198 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Ginzburg im Kontext der microstoria seit den 190er Jahren rezipiert wird. Auf diese bezieht sich wiederum die „archäologische“ beziehungsweise „minimalistische Ästhetik“ etwa eines Italo Calvino oder eines Gianni Celati (vergleiche zum Beispiel Reimann 2005 und 200). Wenn es sich bei den Modellen von Halbwachs und Warburg auch um grundsätzlich verschiedene Ansätze handelt, so haben sie doch den Grundgedanken gemeinsam, dass sie Kultur und Tradition als Artefakte sehen, wodurch sie sich von in den 1920er Jahren dominanten atavistischen und darwinistischen Ansätzen abgrenzen (vergleiche zum Beispiel Erll 2008: 13). Indem sie der Erinnerung und dem Gedächtnis konstituierende Funktion für die Entwicklung von Kulturen zuschreiben, deuten sie auf Pierre Noras Ansatz aus den 1980er Jahren voraus. 5.2.2 Kulturelles, kommunikatives und kollektives Gedächtnis Als grundlegende Referenzen zur Gedächtniskultur gelten heute die Beiträge des Ägyptologen Jan Assmann (vergleiche besonders Assmann 1988 und 1997 [1992]). Er definiert das kulturelle Gedächtnis als den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten-[…], in deren ‚Pflege‘ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart stützt. (Assmann 1988: 15; vergleiche Wetzel 2003: 19) Innerhalb des kollektiven Gedächtnisses (mémoire collective) unterscheidet Assmann zwei Teilbereiche: das kommunikative Gedächtnis einerseits und das kulturelle Gedächtnis andererseits. Das kommunikative Gedächtnis konstituiere sich über die Alltagsinteraktion von Zeitgenossen und habe mithin einen Zeithorizont von etwa 80 bis 100 Jahren (vergleiche Abbildung 5.5); konsequenterweise ist es veränderlich. Dieses Konzept erinnert an Maurice Halbwachs' Gedächtnistheorie. Das kulturelle Gedächtnis hingegen, das im Zentrum der Forschungen Jan und Aleida Assmanns steht, sei an feste Objektivationen gebunden und stark kodifiziert (vergleiche zum Beispiel Erll 2008: 171f; Erll 2011: 30ff): <?page no="199"?> 199 5.2 Geschichte und Kultur I Abbildung 5.5: Kommunikatives und kulturelles Gedächtnis bei Jan und Aleida Assmann (Reimann 2014a: 31) Als Voraussetzungen für ein Funktionieren des kollektiven Gedächtnisses nennt Assmann die Gruppenbezogenheit, die potenzielle Gegenwartsbezogenheit, die textuelle, bildliche oder rituelle Formung, die organisierte Pflege und die aus dieser resultierenden Verbindlichkeit der Inhalte des kulturellen Gedächtnisses einer Gruppe (Assmann 1988: 13f; Wetzel 2003: 19ff). Isnenghi definiert Erinnerungsorte (lieux de mémoire) im Vorwort zu den von ihm herausgegebenen Bänden in Anlehnung an Nora als „punti di condensazione della memoria-[…] che non vanno intesi in senso solo materiale“ (‚Kondensationspunkte des Gedächtnisses-[…], die nicht nur materiell verstanden werden dürfen‘; vergleiche Isnenghi 199: VII , Übersetzung von Reimann). Dennoch stimmen Nora und Isnenghi mit Assmann darin überein, dass es im Allgemeinen sichtbarer Zeichen, Symbole oder Denkmäler bedarf, um kollektive Erinnerungen wach zu halten („I luoghi-[…] implicano quindi, congiuntamente, una localizzazione materiale e una geografia dell'immaginario“- - ‚Die Orte- […] implizieren also zugleich eine materielle Lokalisierung und eine imaginierte Geographie‘; Isnenghi 199: IX , Übersetzung von Reimann; vergleiche Wetzel 2003: 14). 5.2.3 Begründung von Geschichte als Gegenstand für den DaF-Unterricht Die Reflexion hierüber erfolgt vor dem Hintergrund, dass seitens der Lehrerinnen und Lehrer zunehmend ein mangelndes Geschichtsbewusstsein unserer Schülerinnen und Schüler beklagt wird; dieses betrifft in besonderem Maße die Geschichte unserer Nachbarstaaten, deren Fremdsprachen sie erlernen: Mit deren Vergangenheit werden sie im Allgemeinen im Geschichtsunterricht nur episodenhaft vertraut gemacht. Der Mangel an Geschichtsbewusstsein und -kenntnis der jüngeren Generationen ist aber keineswegs auf diese beschränkt: Sie geht einher mit einer in der gesamten Gesellschaft festzustellenden Tendenz zur Gegenwartsorientierung. Mit der Tendenz zur Internationalisierung und zur Globalisierung und dem <?page no="200"?> 200 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Verlust an Erinnerung wurde in mehreren westeuropäischen Kulturnationen-- Frankreich, Italien, Deutschland-- nach und nach das Bedürfnis verspürt, der jeweils eigenen Identität in ihrer historischen Genese wieder nachzuspüren. Den Grundstein dazu legte Pierre Nora mit den sieben von ihm herausgegebenen Bänden zu den lieux de mémoire (1984-1992), den nationalen Gedächtnisorten Frankreichs: Ihm ging es nicht mehr um das Schreiben einer linear-teleologisch ausgerichteten Geschichte, aber auch nicht um die Konstruktion eines starren Systems der Erinnerungsorte Frankreichs, sondern um den Versuch, ein nationales Geschichtsbewusstsein zu bewahren, indem viele einzelne Mosaiksteinchen-- in der Summe 130: Orte, Ereignisse, Personen, Monumente, Institutionen, Feiern, Begriffe, Symbole etc.-- zusammengetragen wurden, welche die französische Identität repräsentieren. In Anlehnung an Pierre Noras monumentale lieux de mémoire und noch vor den unter französischer Beteiligung entstandenen Deutschen Erinnerungsorten (François & Schulze 2009 [2001]) hat zunächst der in Venedig lehrende Historiker Mario Isnenghi in den drei Bänden I luoghi della memoria (199, 1997a und 1997b) mit insgesamt 74 Einträgen versucht, Orte des kollektiven Gedächtnisses der Italiener zusammentragen zu lassen. Neben wichtigen Orten, Ereignissen, Daten, Institutionen und Persönlichkeiten der italienischen Geschichte wurden auch Symbole, Gedenkstätten, Mythen und Alltagsgegenstände des geeinten Italiens untersucht. Es entsteht so ein heterogenes Korpus von nicht in allen Fällen in ihrer Bedeutung vergleichbaren Erinnerungsorten (die methodologische Problematik des Ansatzes kann an dieser Stelle nicht vertieft diskutiert werden, es sei auf die Vor- und Nachworte der Herausgeber in Nora 1984, 198, und 1992; Isnenghi 199, 1997a und 1997b; François & Schulze 2009 [2001] sowie einführend auf Petri 2000 und Wetzel 2003 verwiesen). Diese befassen sich unter anderem mit Garibaldi, Il Giro d'Italia oder La piazza. François und Schulze legten dann 2001 auch ein Werk mit deutschen Erinnerungsorten vor, das insgesamt aus drei Bänden besteht. Bereits in der Einleitung des ersten Bandes gehen sie der Frage nach, warum die Deutschen ihre „Vergangenheit eher als eine Last [sehen], der man sich nicht entziehen kann, denn als eine ‚Wahl des Vergangenen‘, auf das man aktiv zurückgreifen kann“ (François & Schulze 2009 [2001], Band 1: 10). Sie machen drei Momente beziehungsweise Gründe fest: ▶ der Nationalsozialismus und der Völkermord von Deutschen und im deutschen Namen; ▶ die Wiedervereinigung; ▶ Neuformierung Deutschlands als Nationalstaat mit der Erneuerung Europas und mit einer neuen Etappe im Prozess der europäischen Einigung. (vergleiche François & Schulze 2009 [2001]: 10f) Gerade die zwei Diktaturen und schließlich das Verständnis von Auschwitz als das „absolute Böse“ (François & Schulze 2009 [2001]: 12) tragen-- so die Herausgeber-- zur Schwere der deutschen Vergangenheit bei. Als Ausgangspunkt für die Anlage des dreibändigen Werkes zu den deutschen Erinnerungsorten dienen Noras Bände Les lieux de mémoire I- III , wobei sich Auswahl und Form deutlich unterscheiden: Die Auswahl der deutschen Erinnerungsorte repräsentiert stärker das 19. und 20. Jahrhundert und ist europäisch ausgerichtet. Herausgekommen sind so insgesamt 122 Essays, die jeweils einem von 18 Oberbegriffen wie Bildung, <?page no="201"?> 201 5.2 Geschichte und Kultur I Leistung oder Zerrissenheit zugeordnet sind (für eine vertiefte Einsicht in die Methodik der Auswahl und der Form sei auf die zitierte Einleitung im ersten Band von François & Schulze (2009 [2001]) verwiesen). 5.2.4 Didaktische Überlegungen zur Vermittlung von Geschichte Europabildung wurde von der bundesdeutschen Kultusministerkonferenz ( KMK ) in einer entsprechenden Empfehlung aus dem Jahr 2008 wieder-- die ursprüngliche Fassung des Dokuments stammt aus dem Jahr 1978-- zu einem übergeordneten Bildungs- und Erziehungsziel erhoben. So heißt es in den Empfehlungen unter anderem: „Die Schule hat die Aufgabe, die Annäherung der europäischen Völker und Staaten und die Neuordnung ihrer Beziehungen bewusst zu machen“ ( KMK 2008: 5); weiterhin liest man in der zitierten Empfehlung: Ziel der pädagogischen Arbeit an Schulen muss es sein, in den jungen Menschen das Bewusstsein einer europäischen Identität zu wecken und zu fördern. Hierzu gehört auch die Vorbereitung der jungen Menschen darauf, ihre Aufgaben als Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union aktiv wahrzunehmen. ( KMK 2008: 7) Bei der Herausbildung einer europäischen Identität können Erinnerungsorte in der Folge der einleitend angestellten Erwägungen eine bedeutende Rolle spielen. In der Auswahl der Untersuchungsgegenstände, aber auch in der Pluralität der methodischen Perspektiven, in denen man sich dem kulturellen Gedächtnis Deutschlands beziehungsweise Europas nähern kann-- so hat zum Beispiel Isnenghi neben Historikern unter anderem auch Philologen, Musik- und Kommunikationswissenschaftler, Ethnologen und Soziologen in sein Projekt einbezogen- -, steht der Diskurs um die Erinnerungsorte an einer Schnittstelle zwischen Geschichtswissenschaft, traditioneller Landeskunde und europäischer Ethnologie. Diese Disziplinen werden auch in Zukunft ein privilegiertes Bezugsfeld eines kulturwissenschaftlich ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts bilden. In Analogie zu diesem Befund kann im Hinblick auf die unterrichtliche Erschließung besagter Forschungen vorab festgehalten werden, dass sie sich an einer Schnittstelle zwischen den Inhalten des Schulfachs Geschichte einerseits und den traditionellen landeskundlichen Anteilen des Fremdsprachenunterrichts andererseits bewegt. Folglich zeichnen sich auch für Fremdsprachenforschung und Methodik aus der Berücksichtigung kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse neue Perspektiven ab. Historische Elemente der Landeskunde können im Kontext ihrer kulturellen Bedingtheit und in ihrer pragmatischen Bedeutung für die Kommunikation vermittelt werden. Insofern resultiert aus einer Vertrautheit mit den Erinnerungsorten anderer europäischer Nationen eine erhöhte interkulturelle und idealerweise transkulturelle kommunikative Kompetenz, die bekanntlich zu den Hauptzielen des Fremdsprachenunterrichts in Europa zählen (vgl. z. B. Reimann 2017, 50-53). Im Wesentlichen ergibt sich aus einer Vertrautheit mit deutschen Erinnerungsorten für die Schülerinnen und Schüler-- vereinfacht gesprochen-- demnach eine zweifache didaktische Perspektive: <?page no="202"?> 202 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Abbildung 5.6: Erinnerungsorte und ihr fremdsprachendidaktisches Potenzial (Reimann 2014a: 37) Mithin leisten Erinnerungsorte sowohl einen Beitrag zum interkulturellen Verstehen im Sinne Bredellas (zum Beispiel Bredella 1999) als auch zur transkulturellen kommunikativen Kompetenz qua sprachliche und kulturelle Grenzen überwindender Verständigung, wie in Fortschreibung des Modells von Michael Byram zur interkulturellen kommunikativen <?page no="203"?> 203 5.2 Geschichte und Kultur I Kompetenz als ideales, übergeordnetes Ziel eines jeden Fremdsprachenunterrichts postuliert ist (vergleiche Reimann 2014b). Zu der Abbildung interkultureller Kompetenz in Lehrplänen siehe auch die kritischen Ausführungen in den Kapiteln 1 und 4. Vorschläge für die praktische Arbeit im Unterricht finden Sie besonders in Schmidt und Schmidt (2007) sowie in Roche und Webber (1995). 5.2.5 Zusammenfassung ▶ Halbwachs unterscheidet zwischen Erinnerung und Gedächtnis und Geschichte, wobei sein Konzept der mémoire collective sozial bedingt ist. ▶ Nach Warburg kann sich Erinnerung in literarischen Texten, Bräuchen etc. manifestieren, vor allem aber im kollektiven Bildgedächtnis. ▶ Innerhalb des kollektiven Gedächtnisses unterscheidet Assmann die Teilbereiche kommunikatives Gedächtnis und kulturelles Gedächtnis. ▶ Es ist die Tendenz zu erkennen, dass häufig über das mangelnde Geschichtsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler geklagt wird. ▶ Bei der Herausbildung einer europäischen Identität können Erinnerungsorte eine bedeutende Rolle spielen. 5.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie stehen die Begriffe Erinnerung, Gedächtnis und Geschichte im Ansatz von Halbwachs zueinander? 2. Worauf legt Warburg den Fokus in seinem Ansatz? 3. Was ist das Gemeinsame an den Modellen von Halbwachs und Warburg? 4. Was ist jeweils mit dem kulturellen, kommunikativen und kollektiven Gedächtnis gemeint? 5. Wie wird Geschichte als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts begründet? 6. Nennen Sie exemplarisch einige Werke, die zu Erinnerungsorten veröffentlicht wurden. 7. Welche didaktischen Überlegungen zur Vermittlung von Geschichte im Fremdsprachenunterricht gibt es? <?page no="204"?> 204 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur 5.3 Geschichte und Kultur II Daniel Reimann In der vorausgehenden Lerneinheit wurden die Konzeption von Erinnerung und Gedächtnis und Geschichte und das kollektive, kulturelle und kommunikative Gedächtnis dargelegt. Dann wurde auf das didaktische Potenzial von Erinnerungsorten eingegangen, das nun in dieser Lerneinheit fortgeführt und vertieft werden soll. In dieser Lerneinheit wird zunächst die Konzeption von Erinnerungsorten nach Nora dargelegt und nach deren Einführung in der Lerneinheit 5.2 nun vertiefend diskutiert. Sodann wird die Brücke zum Fremdsprachenunterricht geschlagen und für einen europäischen Erinnerungsraum plädiert. Die Arbeit mit Erinnerungsorten wird danach lernpsychologisch begründet und es wird eine Kategorisierung der Erinnerungsorte vorgeschlagen. Die Lerneinheit schließt mit praktischen Beispielen, wie die Arbeit mit Erinnerungsorten im Fremdsprachenunterricht angebahnt werden kann. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Pierre Noras Konzeption der Erinnerungsorte erklären und Beispiele nennen können, worin sich diese Erinnerungsorte manifestieren; ▶ begründen können, warum ein Curriculum europäischer Erinnerungsorte einen Mehrwert für den Fremdsprachenunterricht darstellt; ▶ Kategorien bestimmen können, nach denen man Erinnerungsorte aussucht und einordnet; ▶ Beispiele aufzählen können, die aufzeigen, wie im Unterricht mit Erinnerungsorten gearbeitet werden kann. 5.3.1 Erinnerungsorte Da nunmehr auch materialisierte Gedächtnisorte in Vergessenheit zu geraten drohen oder zumindest ihre Funktion als Erinnerungsstützen nicht mehr tatsächlich ausüben, unternimmt Nora den Versuch, ihnen ihrerseits ein Denkmal zu setzen. Sein Ansatz hat also sozusagen, wenn kein pädagogisches, so zumindest ein andragogisches Anliegen. In diesem Sinne tritt die konstruktivistische Sammlung von Erinnerungsorten an die Stelle linear-teleologischer Geschichtsschreibung. Hermann H. Wetzels Resümee soll aufgrund seiner Prägnanz hier aufgegriffen werden: Nora konstruiert einen Gegensatz zwischen der ‚wahren‘, emotionalen, unreflektierten Mémoire, einer Art ‚lebendiger Erinnerung‘, und der distanzierten, analysierenden Histoire der Geschichtswissenschaft,-[…]. Die Erinnerungsorte bilden eine Art Verbindungsglied zwischen mémoire und <?page no="205"?> 205 5.3 Geschichte und Kultur II histoire, und die Verkörperung der abstrakten Geschichte im Konkreten wird für die emotionale Bindung an die Nation für nötig erachtet. (Wetzel 2003: 15) Hierin manifestiert sich auch aus Sicht der Geschichtswissenschaft die Originalität von Noras Ansatz (vergleiche Petri 2000: 78). Wie Halbwachs zwischen Erinnerung, Gedächtnis und Geschichte unterscheidet, so beschreibt Nora in meta-historiographischer Abfolge den Übergang von einer nation historique zu einer nation mémorielle in der postkolonialen Zeit. Während in der nation historique gerade des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts eine Einheit von Geschichte und Nation angenommen werden konnte, sich die Nation also über kollektives Gedächtnis und Geschichte konstituierte, überwiegen in der nation mémorielle partikulare Erinnerungen. An die Stelle der Einheit von Gedächtnis und Geschichte tritt seit etwa den 1970er Jahren das künstliche Substitut des Gedenkens (commémoration). Denn das einst natürliche kollektive Gedächtnis, das sozial, spontan und allumfassend war, wird nunmehr von einem bewussten, individuellen und subjektiven Gedächtnis abgelöst. Hatte das spontane kollektive Gedächtnis der nation historique einen Bezug zu Gegenwart und Zukunft, so wird Vergangenheit in der nation mémorielle als einzig eben der Vergangenheit zugehörig wahrgenommen. Im Rahmen der commémoration kommt nun den lieux de mémoire (‚Erinnerungsorte‘) mnemotechnisch stützende Funktion zu. Man könnte folgern, dass Erinnerungsorte das künstliche kollektive Gedächtnis der nation mémorielle darstellen. Graphisch ließe sich das wie folgt abbilden: Abbildung 5.7: Erinnerungsorte als künstliches kollektives Gedächtnis bei Pierre Nora (1984) (Reimann 2014a: 33) <?page no="206"?> 206 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur In seinem maßgeblichen, die Sammlung der lieux de mémoire einleitenden Beitrag Entre histoire et mémoire (1984) definiert Nora Erinnerungsorte als Kristallisationspunkte des kollektiven Gedächtnisses. Lieux de mémoire beziehungsweise Erinnerungsorte können nach Nora physische, topographische Orte sein, aber auch Symbole, Monumente, Begriffe, Feiern, Ereignisse, Personen oder Institutionen. Abbildung 5.8: Manifestationen von Erinnerungsorten bei Pierre Nora (1984) (Reimann 2014a: 33) Der Katalog von 130 Erinnerungsorten, den Nora sodann vorlegt, weist einen stark konstruktivistischen Charakter auf. Den „relativ hohen Grad von Beliebigkeit“ in der Typologisierung der Erinnerungsorte bei Nora hat auch Petri mehrfach unterstrichen („die Organisation und der Ein- oder Ausschluss von Gedächtnisorten [sind] genau in dem Rahmen beliebig, in dem auch das kollektive Gedächtnis frei war und ist“; Petri 2000: 85, vergleiche 89f, 98). Er ist auch dem italienischen und dem deutschen Folgeprojekt, die sich offenkundig an der Methode Noras orientieren, eingeschrieben. Ihm wird bei der Auswahl der im Unterricht zu behandelnden Orte Rechnung zu tragen sein, für die mithin kein verbindlich umschriebenes Curriculum vorgegeben werden kann, wenn es auch als legitim angesehen werden darf, zu versuchen, eine didaktisch und pädagogisch relevante Auswahl vorzuschlagen (siehe unten). In der die Bereiche der histoire und der mémoire verbindenden Funktion liegt das Neuartige des Ansatzes von Pierre Nora begründet: Auch vor Noras Lieux sind symbolgeschichtliche Probleme des nationalen Gedächtnisses vielfach behandelt worden-[…]. Das Neue an Noras Konzept besteht in dem Bemühen, ein Werk zu gestalten, das die komplexen Prozeduren des kollektiven Gedächtnisses gewissermaßen in sich historiographisch abbildet und sich deshalb von den Schemata monothematischer Abhandlungen und ihrer narrativen oder analytischen Struktur lösen muss. (Petri 2000: 78) <?page no="207"?> 207 5.3 Geschichte und Kultur II Unter anderem aus der von Wetzel angesprochenen affektiven Komponente schöpfen die Erinnerungsorte ihr pädagogisches Potenzial. Zu Recht verweist Wetzel auch auf folgende Schwäche in Noras Darstellung der lieux de mémoire, aus deren konstruktiver Überwindung sich allerdings ebenfalls pädagogische und didaktische Perspektiven ergeben: […] doch wird die Frage nicht weiter thematisiert, ob denn nach wie vor unbedingt die Nation die Bezugsgruppe sein muß und ob nicht andere, größere und kleinere Bezugsgruppen gleichzeitig denkbar sind.-[…] Die-[…] grundsätzliche Frage also lautet: Welche Art von Identität werden die Bürger eines in weltweite ökonomische und politische Prozesse eingebundenen Vereinten Europas haben und welche Rolle sollen in Zukunft die alten nationalen und die nicht mehr bloß nationalen Gedächtnisorte haben? -[…]. (Wetzel 2003: 15f) Tatsächlich beschränkt sich zum Beispiel auch Isnenghi (siehe Lerneinheit 5.2 in diesem Band)-- eben in dem Bemühen, ein italienisches Nationalbewusstsein zu stärken-- ausdrücklich auf die luoghi seit der Entstehung des italienischen Nationalstaates (vergleiche die Titel der einzelnen Bände). Dabei bleibt der Aspekt, dass gerade Italien sich bis heute auch mit seinem antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erbe, aber auch mit seiner Landschaft, seiner Sprache und seiner Literatur identifiziert, außen vor (vergleiche Petri 2000: 82, 87, 92f). Als Beispiele für darüberhinausgehend bereits seit Jahrhunderten supranational vereinnahmte Gedächtnisorte, die daher mehr als für eine nationale im Hinblick auf die Herausbildung einer übernationalen, mithin europäischen Erinnerungskultur prädestiniert sein könnten (vergleiche Assmanns Kriterium der Gruppenbezogenheit), nennt Wetzel gerade die italienischen luoghi della memoria (‚Erinnerungsorte‘) insbesondere der Zeit vor der Einigung Italiens, also etwa die Gedächtnisorte der römischen Antike: Vielleicht lassen sich einige der Schwierigkeiten, mit denen die italienischen Luoghi zu kämpfen haben, solange man versucht, sie in den Dienst einer italienischen Nation zu stellen, dadurch lösen, daß man sie als Identifikationsangebot für andere Gruppen als die italienische Nation sieht und sie so zu zukunftweisenden Keimzellen einer europäischen oder gar globalen Identität avancieren läßt. (Wetzel 2003: 1) Gleichzeitig verweist Wetzel darauf, dass andere italienische Erinnerungsorte eher von regionaler Bedeutung sind, was wiederum dem zweifachen Aspekt postnationaler Identitätsbildung entgegenkommt: Diese konstituiert sich einerseits durch über die jeweils eigene Nation hinausgreifende Bezugspunkte, andererseits durch ein Wiedererstarken regionaler Referenzen, die in dem weiteren Rahmen Geborgenheit versprechen: Und ist nicht gerade diese Verbindung von regional und supranational die Voraussetzung dafür, dass diese Orte als Gedächtnisorte für zukünftige Formen der Identität in Europa dienen können? Gerade der ‚Mangel‘ an eindeutig nationalen Gedächtnisorten verschafft Italien einen unschätzbaren Vorsprung gegenüber fast allen Staaten Europas, dadurch daß es wahrhaft europäische, ja weltumspannend wirkende Orte des Gedächtnisses aufzuweisen hat, die gleichzeitig auch einer starken regionalen Verankerung seiner eigenen Bürger dienen. (Wetzel 2003: 178) <?page no="208"?> 208 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Hier liegt im Vergleich zu anderen westeuropäischen Schulsprachen ein offensichtlicher Mehrwert des Faches Italienisch im Hinblick auf eine europäische Identitätsbildung begründet; dennoch gibt es auch französische, spanische und deutsche Erinnerungsorte, die zweifelsohne als zu einer europäischen Identitätsbildung beitragend gelten dürfen. 5.3.2 Europäische Erinnerungsorte im Fremdsprachenunterricht als konstruktivistisches Supplement des Geschichtsunterrichts Folglich kann die (vernetzte) Summe der gespeicherten Gedächtnisorte verschiedener Nationen im Gehirn der einzelnen Lerner zur mentalen Repräsentation einer europäischen Identität werden, die ihrerseits als eines der übergeordneten Ziele aller europäischen Bildungssysteme in der heutigen Zeit gelten darf. Mehreren Nationen-- gegebenenfalls traditionell in unterschiedlicher Perspektivierung-- gemeinsame Erinnerungsorte werden zu europäischen Erinnerungsorten im engeren Sinne, zum Beispiel Versailles; Rom nicht nur als Kapitale der Antike, sondern auch als Ort der Kaiserkrönung Karls des Großen und des Abschlusses der Römischen Verträge von 1957 etc.; eine exemplarische Umsetzung findet im 200 gleichzeitig in Frankreich und Deutschland erschienenen und in beiden Ländern zugelassenen deutschfranzösischen Geschichtsbuch statt (Le Quintrec & Geiss 200: 302f), impliziert dort freilich passim. In der Summe könnte man von einem europäischen Erinnerungsraum sprechen. Abbildung 5.9: Vereinfachtes und exemplarisches Modell mentaler Repräsentation europäischer Identität durch Kenntnis von Erinnerungsorten bei deutschen Schülerinnen und Schülern mit den Fremdsprachen Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch (Reimann 2014a: 42) <?page no="209"?> 209 5.3 Geschichte und Kultur II Die Beschäftigung mit Erinnerungsorten im (schulischen) Fremdsprachenunterricht kann und soll den systematischen, nach wie vor überwiegend chronologisch und ereignis-geschichtlich ausgerichteten Geschichtsunterricht nicht ersetzen, sie kann aber im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien eine exemplarische Vertiefung und Veranschaulichung ausgewählter Momente europäischer Geschichte und Identität bieten. Die Beschäftigung mit Erinnerungsorten kann unter verschiedenen Gesichtspunkten als lernpsychologisch besonders geeignet erachtet werden. Zum einen impliziert sie nachhaltiges, da vernetztes und (zum Beispiel durch Visualisierungen) mehrkanaliges Lernen von geschichtlichen und landeskundlichen Inhalten: Dem Konzept der Erinnerungsorte ist seit seiner Begründung der Rekurs auf die sogenannte loci-Technik eingeschrieben. Bekanntlich bedienten sich bereits die antiken Redner zum Memorieren ihrer Vorträge der bildlich und räumlich vernetzten Speicherung der Inhalte im Gehirn, indem sie diese gedanklich in verschiedenen Räumen eines Hauses „ablegten“, mit bestimmten Stellen dieses virtuellen Raumes verbanden und so beim Vortrag der Rede nur in Gedanken die einzelnen Stellen „abschreiten“ mussten. Dieses mnemotechnische Prinzip, das im Projekt der Erinnerungsorte auf eine Gesellschaft in ihrer Gesamtheit übertragen wird, lässt sich natürlich auch für das einzelne Individuum nutzbar machen: Wenn man Daten und Ereignisse der Geschichte konsequent mit Bildern und geographischer Situierung verknüpft, diese zumindest exemplarisch auf Studienfahrten und Schüleraustausch etwa gar mit eigenen Augen wahrnehmen oder in handlungsorientierten Aufgaben im wahrsten Sinne des Wortes entdecken lässt, kann sich ausgehend von Erinnerungsorten ein anschauliches und exemplarisches Gerüst an historischem Wissen über Deutschland und Europa entwickeln. Zudem ist den emotionalen Konnotationen der Erinnerungsorte bei der Vermittlung Rechnung zu tragen; sie können für einen affektiv gestützten Lernprozess nutzbar gemacht werden. Eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung der skizzierten kulturwissenschaftlichen Erkenntnisse und ihrer fachdidaktischen Implikationen in der Unterrichtspraxis ist freilich zugleich eine zusätzliche Herausforderung für die Lehrer- und Lehrerinnenbildung. Diese muss kulturwissenschaftliche Inhalte verstärkt vermitteln und in Prüfungen einfordern. Um für die weitere didaktische Reflexion im Sinne einer historisch fundierten europäischen Identitätsgewinnung ein System zu gewinnen, wird hier in Anlehnung an Petri 2000 folgende noch stärker reduzierte Gliederung vorgeschlagen (für deutsche Erinnerungsorte kann das bereits in Lerneinheit 5.2 beschriebene dreibändige Werk Deutsche Erinnerungsorte hinzugezogen werden, das von François und Schulze im Jahr 2001 herausgegeben wurde): Beispiele für Deutschland (1) Ereignisse und Persönlichkeiten Goethe, Brüder Humboldt, Nietzsche, Mauerfall (2) Orte und Räume Weimar, Berlin, Auschwitz, Kölner Dom (3) Symbole, Texte, Institutionen Faust, Duden, die Loreley, Made in Germany (4) Orte, Einrichtungen und Objekte des Alltagslebens Karneval, Schlager, Bundesliga, Bier, Wurst (5) Manifestationen von 1 und 2 Mahnmale, Straßennamen Tabelle 5.1: Beispiele für Erinnerungsorte in Deutschland (François & Schulze 2009 [2001]) <?page no="210"?> 210 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur In der didaktischen Progression bietet sich im Allgemeinen eine Entwicklung vom Alltäglichen-Konkreten zum Abstrakten und historisch Komplexen an, das heißt, man wird im Anfangsunterricht eher von den Kategorien (4) und (5) der Übersichten ausgehen. Hier bietet sich unter anderem eine Thematisierung der Fixierung von Erinnerungsorten in der Pragmatik des täglichen Sprachgebrauchs an, etwa in Sätzen wie Wir sehen uns beim Bäcker, oder auch die Vertrautheit mit der urbanen Toponomastik (Namen von Straßen und Plätzen, vergleiche Abschnitt 5.3.3). Eine intensive Auseinandersetzung mit Erinnerungsorten der jeweiligen Kultur findet gerade auch im populären Film statt, man denke nur an Filme wie Das Wunder von Bern, Good Bye Lenin oder Das Leben der Anderen. Sie werden auch in den Schülern und Schülerinnen zugänglichen Filmproduktionen thematisiert, so etwa in dem spanischen Animationsfilm Donkey Xote (2007). Verstärkt ab dem dritten Lernjahr eines vertieften Sprachlehrgangs sollten sich die Schülerinnen und Schüler auch der Bedeutung der Kategorien (1) mit (3) sowie der in Tabelle 5.1 genannten Inhalte für das kollektive Gedächtnis bewusstwerden. 5.3.3 Arbeit mit Erinnerungsorten in der Kulturvermittlung (Beispiele) Im Folgenden sollen einige Beispiele für die Praxis des Unterrichts im Deutschen gegeben werden, die auf verschiedenen Niveaustufen durchgeführt werden können. Inhaltlicher Fokus: Erinnerungsorte in der Urbanistik Bereits im Anfangsunterricht (das heißt in den Jahrgangsstufen 8 und 9 der dritten Fremdsprache beziehungsweise 10 und 11 der spät beginnenden Fremdsprache, entspricht dem Niveau A1) kann folgende Aufgabe zu Spuren von Erinnerungsorten in der (Namens-)Struktur von Städten durchgeführt werden. Die Schülerinnen und Schüler erhalten ein Arbeitsblatt, auf dem Auszüge aus drei deutschen Stadtplänen enthalten sind. Die Aufgabe ist in zwei Schritte gegliedert. In einem ersten Schritt sollen drei Namen von Straßen und Plätzen, die in allen drei Städten existieren, gefunden werden. In einem zweiten Schritt sollen Informationen über die Personen, die Daten etc., nach denen die Straßen und Plätze benannt sind, gesucht werden. In einer dritten Teilaufgabe soll nach dem Ursprung der Namen zweier weiterer Straßen beziehungsweise Plätze im Internet recherchiert werden. Der zweite und dritte Teil kann gegebenenfalls als Hausaufgabe erteilt werden, oder als Recherche in Schulbibliothek oder -mediathek und Internet durchgeführt werden. Aufgabe: Die Straßennamen a) Sucht drei Namen von Straßen, Plätzen, die in allen drei Städten existieren. b) Sucht Informationen über die Person, das Ereignis, das Datum etc., nach denen die Straßen, Plätze und so weiter benannt sind. c) Sucht in jeder Stadt zwei weitere Namen von Straßen oder Plätzen und sucht nach deren Ursprung. <?page no="211"?> 211 5.3 Geschichte und Kultur II Abbildung 5.10: Auszug aus einem Stadtplan von Köln Abbildung 5.11: Auszug aus einem Stadtplan von Aachen <?page no="212"?> 212 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Abbildung 5.12: Auszug aus einem Stadtplan von München Medialer Fokus: Erinnerungsorte im Lehrwerk In einigen Lehrwerken wird bereits früh auf Erinnerungsorte eingegangen. Zwar erfolgt diese Einbeziehung bisher noch unsystematisch, einzelne Übungen dürfen aber bereits als vorbildlich gelten. Hier liegt es an der Lehrkraft, durch weiterführendes Nachfragen und ergänzende Hinweise das in den Lehrbuchmaterialien vorhandene Potenzial auszuschöpfen. Ein Beispiel stellt das Lehrwerk prima B (konzipiert für Deutsch als Fremdsprache in der Mittelstufe) (Jin, Michalak, Rohrmann & Voß 2012) dar. In einer Übung sollen berühmte Persönlichkeiten präsentiert werden (Jin et al. 2012: 9). Die Schülerinnen und Schüler sehen ein Bild, das Fotos von mehreren berühmten Persönlichkeiten von Martin Luther bis Angelina Jolie darstellt. Sie sollen einige Fotos auswählen und diese Personen vorstellen. Auf diese Weise werden die Schülerinnen und Schüler hier mit bekannten deutschsprachigen Persönlichkeiten von Brecht bis Vettel vertraut gemacht. Zugleich werden im Sinne eines transkulturellen Fremdsprachenunterrichts auch Persönlichkeiten aus anderen Ländern miteinbezogen. Auch die Markenlogos deutschsprachiger Unternehmen als mit Geschichte und Erinnerung aufgeladene Symbole können dazu dienen, Erinnerungsorte zu thematisieren. In einer weiteren Übung sind mehrere Logos dargestellt und die Schülerinnen und Schüler werden gefragt, welche Unternehmen sie bereits kennen und woher sie bekannt sind (Jin et al. 2012: 125). Erinnerungsorte müssen nicht nur für sich alleine stehen, sondern können auch in Hörverstehensaufgaben integriert werden, wie zum Beispiel in der Aufgabe Touristen in Berlin (Jin et al. 2012: 121). Hier werden neben einem Hörtext einige Bilder von Berliner Sehenswürdig- <?page no="213"?> 213 5.3 Geschichte und Kultur II keiten (beispielsweise der Reichstag, das Brandenburger Tor, die Weltzeituhr am Alexanderplatz) präsentiert. Die Schülerinnen und Schüler hören sich den Text an und beantworten die Fragen, wie lange die Leute in Berlin bleiben und welche Orte auf den Fotos erwähnt werden. Die in der Hörverstehensaufgabe genannten Orte können in einem weiteren Schritt dazu dienen, über sie zu sprechen, sodass weitere Arbeitsmöglichkeiten gegebenenfalls in Form von Gruppenpräsentationen möglich sind. Solch einen ähnlichen Zugang bietet die nächste Aufgabe zur deutschen Geschichte: Eine kleine Fotostrecke zu historischen Ereignissen zur Zeit des zweigeteilten Deutschlands dient als inhaltliche Hinführung zur Erzählung Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus von F. C. Delius (Jin et al. 2012: 12). Die Abbildungen zu den beschriebenen Übungen finden sich auf der Webseite vom Cornelsen Verlag sowie im Lehrbuch prima B. Methodischer Fokus: Erinnerungsorte im Projekt Gerade im Fremdsprachenunterricht der Oberstufe (ab Niveau B2) bietet es sich an, Referate zu einem oder mehreren einander thematisch nahestehenden Erinnerungsort(en) zu vergeben. Gegebenenfalls kann auch eine multimediale Präsentation zum Thema Reise in die deutsche Geschichte (aufgeteilt nach Epochen) an Kleingruppen vergeben werden, in welcher der Verbindung von Geschichte und (Erinnerungs-)Orten besondere Bedeutung zugemessen werden soll. Erinnerungsorte eignen sich ferner in besonderem Maße als Thema eines Studien- oder Projekttages oder aber in der Oberstufe. Dass dies bereits mit Jugendlichen in einem frühen Lernjahr möglich ist, zeigte ein Unterrichtsversuch in einer Französischklasse des zweiten Lernjahres: Hier wurden für den als EU -Projekttag zu gestaltenden Deutsch-Französischen Tag (vergleiche zum Beispiel http: / / www.kmk.org/ presse-und-aktuelles/ pm2007/ europa-verstehen-chancen-erkennen-und-wahrnehmen.html. . Feburar 2013) nach der Durchführung einer mehrsprachigen Einheit über die Römischen Verträge (vergleiche Reimann 2007) von den Schülerinnen und Schülern unter anderem Kurzpräsentationen zu den Themen L'histoire de l'Union Européenne (‚Die Geschichte der Europäischen Union‘), Les institutions de l'Union Européenne (‚Die Institutionen der Europäischen Union‘) und L'Europe, c'est nous (‚Europa, das sind wir‘) erarbeitet, wobei dort, wo möglich, Erinnerungsorte einbezogen werden sollten. <?page no="214"?> 214 5 Interkulturelle Literatur und Erinnerungskultur Im Rahmen der letztgenannten Präsentation wurden daher unter anderem die Motive der französischen Euro-Münzen berücksichtigt: Abbildung 5.13: Auszug aus einer Schülerpräsentation zum Thema L'Europe, c'est nous: Erinnerungsorte auf französischen Euromünzen Ähnliches kann auch mit den Rückseiten der deutschen Euro-Münzen gemacht werden. Sie zeigen einen Eichenzweig, der das einheitliche, deutsche Währungssystem symbolisiert, das Brandenburger Tor, das eng mit Ereignissen wie der Zweiteilung und Wiedervereinigung Deutschlands verknüpft ist und den Bundesadler, das Staatswappen der Bundesrepublik Deutschland. Abbildung 5.14: Rückseiten der deutschen Euromünzen <?page no="215"?> 215 5.3 Geschichte und Kultur II 5.3.4 Zusammenfassung Zusammenfassend können für diese Lerneinheit die folgenden Aspekte festgehalten werden: ▶ Nora beschreibt den Übergang von einer nation historique zu einer nation mémorielle in der postkolonialen Zeit. ▶ Dabei wird das natürliche kollektive Gedächtnis von einem bewussten, individuellen, subjektiven Gedächtnis abgelöst und durch das Gedenken (commémoration) ergänzt. ▶ Manifestationen von Erinnerungsorten sind zum Beispiel Orte, Personen und Ereignisse, aber auch Symbole und Begriffe. ▶ Unter lernpsychologischen Aspekten bieten sich europäische Erinnerungsorte im Fremdsprachenunterricht besonders für eine Vertiefung und Vernetzung historischer Inhalte an, die den Geschichtsunterricht ergänzen können. ▶ Zur vereinfachten Strukturierung von Erinnerungsorten dienen die Kategorien (1) Ereignisse und Persönlichkeiten, (2) Orte und Räume, (3) Symbole, Texte und Institutionen, (4) Orte, Einrichtungen und Objekte des Alltagslebens und (5) Manifestationen von 1 und 2. ▶ Bei der Arbeit mit Erinnerungsorten im Fremdsprachenunterricht kann der Fokus zum Beispiel auf den Inhalt, das Medium beziehungsweise die Methode gelegt werden. 5.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was unterscheidet die nation mémorielle von der nation historique? 2. Worin manifestieren sich Erinnerungsorte nach Nora? 3. Was ist das Neue an Noras Ansatz? 4. Wie wird ein Curriculum europäischer Erinnerungsorte aus lernpsychologischer Perspektive begründet? 5. Welche Kategorien von Erinnerungsorten gibt es? 6. Welche Aspekte können bei der Erstellung von Unterrichtsmaterial zum Thema Erinnerungsorte im Fokus stehen? <?page no="217"?> 217 5.3 Geschichte und Kultur II 6 Angewandte Interkulturwissenschaften Das vorliegende Kapitel Angewandte Interkulturwissenschaften vereint auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Aspekte kulturwissenschaftlich relevanter Texte und Textsorten, die aber jeweils eine mediale Spezifik aufweisen, nämlich mündlich realisierte Kultureme in Sprachhandlungen (Lerneinheit .1), multimodale Werbetexte in verschiedenen Medien (Lerneinheit .2) und Erinnerungsfilme (Lerneinheit .3). Das verbindende Element ist die interkulturelle Perspektive auf Texte im weitesten Sinne und die interkulturelle Lesart (auch der darin angelegte Vergleich). In Lerneinheit .1 wird noch einmal der Zusammenhang zwischen Kultur und sprachspezifischen Handlungsmustern in interkulturellen Begegnungssituationen aufgegriffen und am Beispiel der verschiedenen Dimensionen von Behavioremen zur Realisierung von Kulturemen (Oksaar 1998) illustriert. Der sprachgebundene Ansatz der Linguistic Awareness of Cultures (Müller-Jacquier) soll dabei helfen, eine Sensibilisierung für das Sprachhandeln in seiner Kulturspezifik zu vermitteln. Die Beschäftigung mit Werbung im interkulturellen und sprachorientierten Landeskunde- Unterricht in Deutsch als Fremdsprache bei gleichzeitiger textlinguistisch-kontrastiver Ausrichtung steht im Fokus der Lerneinheit .2 Hier wird im Rahmen von Spracharbeit auch auf die diskursspezifischen Metaphorisierungsprozesse und Verfremdungseffekte im Bereich der Werbesprache eingegangen, um dann die Anwendungsmöglichkeiten im DaF-Unterricht in kontrastiver Perspektive zu beleuchten. Nationale oder auch gemeinsame Erinnerungsorte bilden den Anlass für eine mediale Aufarbeitung in den sogenannten Erinnerungsfilmen (Lerneinheit .3), durch die das bereits in den Lerneinheiten 5.2 und 5.3 thematisierte kollektive Gedächtnis aktiviert und mittels Aktualisierung ein neuer, medialer Diskurs geschaffen wird. Der Vergleich zweier solcher Erinnerungsfilme und ihrer Rezeption in Deutschland und China ist hier der Versuch, die Potenziale von kulturwissenschaftlichen Ansätzen in den Nachbardisziplinen wie der Film- und Literaturwissenschaft zu veranschaulichen. Zur Beschreibung und Analyse von Kulturtransferprozessen in und durch Medien können immer mehrere Ebenen des Vergleichs herangezogen werden. Kulturtransferprozesse zeichnen sich nämlich durch ihre zeitliche und räumliche Distanz aus. In Kapitel  wird also der Versuch unternommen, aus unterschiedlichen Perspektiven die didaktische Nutzbarmachung von Kulturkontakt und Kulturtransferprozessen durch und in Medien für den interkulturellen Fremdsprachenunterricht zu vermitteln und an zahlreichen Text- und Filmbeispielen zu veranschaulichen. Hieraus wird ersichtlich, welche enormen Mehrwerte interkulturelles Arbeiten im Sprachunterricht für die Wahrnehmung und das Verstehen der Welt um uns herum, und damit für das Verstehen und Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen in dieser Welt, generieren kann. Es geht also auch hier (fachpolitisch gesprochen) um den Sprachunterricht als Katalysator für interkulturelles Verstehen. <?page no="218"?> 218 6 Angewandte Interkulturwissenschaften 6.1 Kultureme und Kommunikation Thomas Schmidtgall In dieser Lerneinheit werden wir uns mit der Frage beschäftigen, wie und auf welchen Ebenen wir miteinander, vor allem in interkulturellen Kontexten, kommunizieren. Hierzu werden zunächst die Grundbedingungen kommunikativer Akte erläutert und dann die Dimensionen der Kommunikation identifiziert und vorgestellt, die über die rein sprachliche Ebene hinausgehen, aber dennoch jeden - auf den ersten Blick rein sprachlichen - zwischenmenschlichen Kommunikationskontakt prägen. Im Anschluss wird der Zusammenhang zwischen Kultur und Kommunikation anhand der identifizierten kommunikativen Dimensionen erläutert. Abschließend werden wir näher betrachten, wie Kultur im Sinne von Werten, Denk- und Verhaltensweisen (vergleiche Straub 2007: 15; Lüsebrink 2012: 10; Thomas 2005: 22) sich in konkreten Kommunikationsprozessen äußert beziehungsweise wie Kultur in Sprechsituationen (mit-)realisiert wird und damit auch ein Potenzial für kulturelle Missverständnisse bietet. Die in dieser Lerneinheit behandelten Fragen knüpfen an Kapitel 1 dieses Bandes und das dort dargelegte Verständnis von Kultur als Wissens- und Bedeutungssysteme sowie an die erläuterten Prozesse des Lernens und Verstehens von fremden Kulturen an. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Grundbedingungen kommunikativer Akte beschreiben können; ▶ alle kommunikativen Dimensionen über die sprachliche Ebene im engeren Sinne hinaus benennen und erklären können; ▶ den Zusammenhang zwischen Kultur und Kommunikation erläutern können; ▶ beschreiben können, wie sich Kultur in konkreten Kommunikationssituationen äußert (unter Berücksichtigung des Kulturremmodells von Oksaar und des Prinzips der Linguistic Awareness of Cultures von Müller-Jacquier); ▶ an konkreten Beispielen auch für den DaF-Unterricht relevante Sprechsituationen eruieren, die interkulturell unterschiedlich realisiert werden. 6.1.1 Der kommunikative Akt als Ort der Realisierung von Kultur Egal, wie sehr wir uns anstrengen, ob wir stillhalten, die Augen schließen, uns möglichst unauffällig und auf neutrale Weise kleiden oder gar den Raum verlassen: Es ist einfach unmöglich, nicht zu kommunizieren. Das hat Paul Watzlawick in dem berühmten Satz: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick, Beavin & Jackson 2007: 50f) zum Ausdruck gebracht. Als menschliche Wesen vollziehen wir ständig kommunikative Handlungen, auch wenn wir im Prinzip im Moment gar nichts tun. Denn eben auch das Stillhalten, das Schließen <?page no="219"?> 219 6.1 Kultureme und Kommunikation der Augen, die neutrale Kleidung etc. „kommuniziert“ die Botschaft: Ich will jetzt nicht kommunizieren! Voraussetzung ist natürlich, dass dies in Anwesenheit oder zumindest unter der Wahrnehmung mindestens einer weiteren Person geschieht. Ob wir wollen oder nicht, wir interagieren dann mit dem Gegenüber unaufhörlich in einem kommunikativen Akt. Der kommunikative Akt bezeichnet nach Els Oksaar „den gesamten Aktionsrahmen, in dem die Sprechhandlung stattfindet“ (Oksaar 1988: 24). Dieser ändert, verschiebt, verlagert sich zwar ständig, wir sind aber nur sehr bedingt in der Lage, ihn bewusst zu steuern und die eigentliche Sprache hat nur einen bestimmten, wenn auch häufig von uns als besonders bedeutsam bewerteten Anteil. ‚Bedingt in der Lage‘ heißt hier, dass dies partiell, aber nicht vollständig gelingt, vor allem der „normale“ Sprecher beziehungsweise Sprecherin, der oder die zum Beispiel kein Rhetorikseminar besucht hat und der oder die kein DaF- oder Kulturexperte beziehungsweise -expertin ist, hat nicht gleichzeitig alle kommunikativen Dimensionen unter Kontrolle. Bereits innerhalb unserer eigenen Kultur kennen wir alle die Situation, in der wir eine Gesprächspartnerin oder einen Gesprächspartner als zum Beispiel aufdringlich und unsympathisch oder im Gegenteil besonders zurückhaltend oder sympathisch wahrnehmen, ohne dass wir diesen Eindruck auf das inhaltlich Gesagte zurückführen können oder den Grund für diese Wahrnehmung unmittelbar benennen können. Diese Wahrnehmung erfährt im interkulturellen Kontext häufig noch eine Verstärkung. Erst wenn wir über die Kommunikationssituation nachdenken, fällt uns auf, dass unser Gegenüber aus unserer Sicht zu laut, zu leise gesprochen hat, uns während des Gesprächs nicht angeschaut hat oder im Gegenteil uns durchdringend angestarrt hat, dass unsere Gesprächspartnerin oder unser Gesprächspartner sehr gut gekleidet war, uns während des Gesprächs zu nahe gekommen ist etc. In jedem Fall erfordert eine adäquate Situationsbeurteilung von uns einen gewissen Grad der Bewusstmachung und Reflexion, um den kommunikativen Zeichengebrauch (vergleiche Nothdurft 2007: 2) unseres Interaktionspartners beziehungsweise unserer Interaktionspartnerin einzuordnen. Das bedeutet gleichzeitig, dass ein gewisser Anteil unserer Kommunikation unbewusst abläuft. Gerade in interkulturellen Interaktionssituationen können folglich Missverständnisse auftreten, die nicht mit der Sprache im engeren Sinne zu tun haben, sondern mit vom Sprecher beziehungsweise der Sprecherin falsch oder nicht ausgeführten oder vom Empfänger beziehungsweise der Empfängerin nicht oder falsch interpretierten kulturellen Sprech- oder Handlungskonventionen (vergleiche Kammhuber 2000: 95f). In der bereits geschilderten Situation kann es passieren, dass wir zum Beispiel am Anfang des Gesprächs zunächst eine wohlwollende Haltung einnehmen, zunehmend jedoch den Eindruck gewinnen, dass unsere Gesprächspartnerin oder unser Gesprächspartner auf uns unsympathisch wirkt, oder aber wir fühlen uns plötzlich nicht wohl. Daraufhin ändern wir unter Umständen unser Verhalten. Wir sprechen nur noch kurze Sätze und vermeiden selbst den Blickkontakt, gehen auf Abstand und Ähnliches. Hier greift ein zweiter Aspekt von Kommunikation, der bereits weiter oben angedeutet wurde und in unserem Zusammenhang von Bedeutung ist: Kommunikative Akte sind immer dynamisch und situativ. Es gibt quasi keine identischen kommunikativen Akte, denn sie unterliegen einer ständigen Neuausrichtung und Entwicklung während des Kommunikationsverlaufs und sind von der jeweiligen Situation <?page no="220"?> 220 6 Angewandte Interkulturwissenschaften (Ort, Zeit, Personen, etc.) abhängig. Sie sind folglich das „Produkt eines wechselseitigen Interpretations- und Anpassungsprozesses“ (Müller-Jacquier 2000: 25). Das gilt im besonderen Maße für Situationen, die über sprach-kulturelle (lingua-kulturelle) Grenzen erfolgen, in interkultureller Kommunikation also. 6.1.2 Kommunikative Interaktion und Kultureme Die verschiedenen Ebenen und Dimensionen kommunikativer Interaktion lassen sich am besten anhand kommunikativer Akte, also konkreter Interaktionssituationen, beobachten und analysieren. Der kommunikative Akt beinhaltet nach Els Oksaar „verbale, parasprachliche, nonverbale und extraverbale Verhaltenssysteme“ (Oksaar 1988: 24). Diese Definition zeigt bereits wie komplex ein kommunikativer Akt sein kann. In ihm realisieren sich nicht nur kommunikative Akte im engeren Sinne, also Sprache, Mimik, Gestik etc., sondern auch die Beziehung zwischen Sprecher und Empfänger, und damit verbundene affektive Elemente, die die kommunikative Beziehung entsprechend prägen. Nur die Berücksichtigung aller beteiligten Dimensionen des kommunikativen Aktes können eben jenen „gesamten Aktionsrahmen“, von dem Els Oksaar in ihrer Definition spricht, erfassen und lassen ein adäquates Verständnis der Kommunikation zu, wobei einzelne Dimensionen durchaus eine „funktionale Dominanz“ (Oksaar 1988 25) in einem konkreten kommunikativen Akt aufweisen können. Das heißt zum Beispiel, dass der Mimik einer Person mehr Bedeutung zukommt als der Gestik, weil sich in ihr zum Beispiel Ärger ablesen lässt und in Verbindung mit einer lauten Stimme, diese emotionale Äußerung unterstreicht, während die Gestik unter Umständen nur eine sekundäre Rolle spielt. Bereits an dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, wie wichtig die adäquate Beurteilung kommunikativer Interaktion für den kommunikativen Erfolg beim Aufeinandertreffen von Angehörigen unterschiedlicher Kulturen sein kann. Denn ist diese kulturadäquate Interpretation nicht gegeben, machen die Interaktionspartnerinnen und Interaktionspartner eventuell falsche Annahmen über Haltungen und psychologische Einstellungen der Gesprächspartnerin oder des Gesprächspartners, obwohl diese nur auf eine falsche Deutung des Interaktionsprozesses zurückzuführen ist. So betont auch Müller-Jacquier die Bedeutung „real ablaufende[r] Kommunikationsprozesse“ und der „Bewusstmachung der vielfältigen kommunikativen Ausdrucksformen“ (Müller-Jacquier 2000: 21). Diese gilt es- - so Müller- Jacquier- - noch vor der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Werten, Normen oder Einstellungen zu erfassen, zu verstehen und richtig einzuordnen. Aber machen wir an dieser Stelle einen Schritt zurück, um einen genaueren Blick auf den kommunikativen Akt zu werfen. Zur besseren Erfassung und Analyse solch komplexer Kommunikationssituationen hat Els Oksaar den Begriff des Kulturems geprägt, den sie wie folgt definiert: „Eine Reihe von Verhaltensweisen werden einem Mitmenschen gegenüber aktiviert. Sie lassen sich als eine soziokulturelle Kategorie zusammenfassen. Ihre Einheiten sind die Kultureme“ (Oksaar 1988: 27). Kultureme sind demnach abstrakte Einheiten, wie zum Beispiel Grüßen, Kritik üben, Sich bedanken, aber auch Tabus vermeiden und Themen ansprechen. Sie sind deshalb abstrakt, weil <?page no="221"?> 221 6.1 Kultureme und Kommunikation sie in allen Kulturen existieren, ihre Realisierung jedoch sehr unterschiedlich erfolgt: Wie wir grüßen, wann, wie und wo und an wem wir Kritik üben, wie wir uns bedanken und wann dies angebracht ist, welche Tabus existieren oder welche Themen wir in welcher Situation ansprechen, all diese Fragen werden von verschiedenen Kulturen beziehungsweise von den Sprecherinnen und Sprechern eben dieser bisweilen sehr unterschiedlich beantwortet. Insbesondere der Frage nach Tabus wurde in Lerneinheit 3.3 bereits gesondert nachgegangen. Das Wie der Realisierung von Kulturemen erfasst Els Oksaar mit dem Begriff Behaviorem. Behavioreme sind dabei auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt. Im konkreten Kommunikationsakt können so auch mehrere Behavioreme gleichzeitig zum Einsatz kommen und zusammenspielen oder sich auch auf ein Behaviorem beschränken. Die verschiedenen Dimensionen von Behavioremen konstituieren so den kommunikativen Akt. Es lassen sich vier Dimensionen unterscheiden (Oksaar 1988; 2003: 39): ▶ Die verbale Dimension: Diese bezieht sich auf die eigentliche Anwendung der Sprache, die im Fremdsprachenunterricht häufig den Schwerpunkt bildet. Wörter, grammatikalische Struktur, Redewendungen, mündliche und Schriftsprache etc. bilden einen wesentlichen Bestandteil des kommunikativen Aktes. Dieser gestaltet sich häufig in seiner Realisierung deutlich bewusster, als die anderen Dimensionen. ▶ Die nonverbale Dimension: Nonverbale Elemente umfassen Mimik, Gestik, Proxemik (Körperdistanz), aber auch Haptik (Fühlen) und Olfaktorik (Geruch). ▶ Die paraverbale Dimension: Faktoren wie Lautstärke, Intonation oder auch Pausen beim Sprechen haben unmittelbaren Einfluss auf das Gesagte, obwohl sie nicht direkt mit der Sprache an sich in Verbindung stehen. ▶ Die extraverbale Dimension: Während Behavioreme der Dimensionen eins bis drei von Els Oksaar als „ausführend“ bezeichnet werden, versteht sie extraverbale Behavioreme als „regulierend“. Zu ihnen gehören der Raum, die Zeit oder auch soziale Faktoren, die den kommunikativen Akt regulieren und so die drei ersten Behavioreme determinieren. 6.1.3 Linguistic Awareness of Cultures (nach Müller-Jacquier) Wie Sie bereits gesehen haben, sind wir im alltäglichen sprachlichen Handeln nicht immer aller Dimensionen, die unser Kommunikationsverhalten prägen, bewusst und wir erkennen häufig nur die rein sprachliche Dimension. Innerhalb einer Kultur bemerken wir Kultureme und ihre Realisierung in Form von Behavioremen häufig gar nicht. Sichtbar werden vor allem die Behavioreme erst in der Interaktion mit Angehörigen anderer Kulturen. Dann nämlich sind die eigenen Behavioreme nicht mehr situationsadäquat und es kann zu interkulturellen Missverständnissen in der Kommunikation kommen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sich eine Person aus dem asiatischen Kulturraum zur Begrüßung vor uns verbeugt, anstatt-- wie wir es vielleicht gewohnt sind-- uns die Hand zu schütteln. Müller-Jacquier betont diesbezüglich mit Bezug auf Auer (vergleiche Müller-Jacquier 2000: 21; Auer 1992: 4), dass in interkulturellen Dialog- und Interaktionssituationen zunächst Sprechhandlungen, die zwischen den Kommunikationspartnern und -partnerinnen voll- <?page no="222"?> 222 6 Angewandte Interkulturwissenschaften zogen werden, erfasst und ihr Kontext zugänglich gemacht werden muss, noch bevor Rückschlüsse auf psychologische Haltungen und Ansichten gemacht werden können, auch wenn Letztere durchaus eine Rolle spielen können. Hierfür hat Müller-Jacquier ein Analyseraster entwickelt, das es ermöglicht, kommunikative Akte zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen sichtbar zu machen. Da es vor allem darum geht, sich aller Ebenen der Kommunikation bewusst zu werden, bezeichnet er sein Analyseraster folgerichtig als Linguistic Awareness of Cultures ( LAC ). Es trägt damit der Tatsache Rechnung, dass Kultureme in verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Behavioremen realisiert werden. Müller-Jacquier formuliert diesen Sachverhalt folgendermaßen: Die meisten Menschen wenden in interkulturellen Kommunikationssituationen unbewusst primär die eigenen Regeln der Kommunikation an und interpretieren das fremdkulturelle Handeln auch auf dieser Grundlage. (Müller-Jacquier 2000: 2) Müller Jacquiers als interkulturelle Trainingsmaßnahme zur Sensibilisierung für kulturelle Unterschiede konzipiertes Analyseraster hebt demnach die oben genannten, häufig unbewussten Dimensionen zwischenmenschlicher Kommunikation auf die bewusste Ebene, indem konkrete, interkulturelle Interaktionssituationen mit der Hilfe des Analyserasters systematisch untersucht und „Typen interkultureller Kommunikationsprobleme“ (Müller- Jacquier 2000: 25) identifiziert werden, die letztlich auf kulturell abweichende Behavioreme zurückzuführen sind. Genau wie Oksaar geht es Müller-Jacquier folglich nicht um die reine Beschäftigung mit dem eigentlichen Sprachsystem, sondern um das „kommunikative Handeln“ (Müller-Jacquier 2000: 2) beziehungsweise den kommunikativen Akt als Ganzes. Er versteht sein Analyseraster somit auch als „Verbindungsglied zwischen einem handlungsbezogenen Fremdsprachenunterricht-[…] und einem kulturstandard- und landeskundebezogenen interkulturellen Training“ (Müller-Jacquier 2000: 44). Anhand des hier beschriebenen Analyserasters lassen sich zehn Typen interkultureller Kommunikationsprobleme unterscheiden, die in der Interaktion auftreten können (vergleiche Müller-Jacquier 2000: 27). Interkulturelle Missverständnisse können durch die unterschiedliche soziale Bedeutung von Begriffen, von Müller-Jacquier auch Lexikon genannt, hervorgerufen werden. Es handelt sich dabei um bestimmte soziale Vorstellungsmuster, die mit bestimmten Wörtern verbunden und häufig kulturspezifisch sind. Müller-Jacquier spricht auch von sozialen Repräsentationen, also kognitiven und emotionalen Prägungen eines Begriffs, die über die lexikalische Bedeutung im engeren Sinne hianusgehen. Ein Beispiel wäre der Begriff Familie, der in manchen Kulturen nur die Kernfamilie (Mutter, Vater, Kinder) umfasst, in anderen Kulturen wiederum die Großfamilie (Großeltern, Tanten, Cousinen etc.). Auch Begriffe wie Freundschaft, Freiheit oder Höflichkeit und die damit verbundenen Konzepte gehören dazu. Auch sie sind in verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Vorstellungen verbunden und beinhalten mitunter abweichende soziale Vorstellungsmuster. In Bezug auf Begriffe, die einer besonders starken kulturellen Prägung unterliegen, spricht Hans-Jürgen Heringer in diesem Zusammenhang dann von hot words, also Wörtern und Begriffen, die kulturell so stark aufgeladen sind, dass sie ‚heiß‘ sind. Das heißt, sie „behandeln brennende Fragen der Kultur“, <?page no="223"?> 223 6.1 Kultureme und Kommunikation sind oft „strittig“, „benennen kulturelle Brennpunkte“ und sind „aktuell“ (Heringer 2007: 174). Als Beispiel führt Heringer das deutsche Wort Heimat an, das in semantischer Hinsicht zum Beispiel eng mit der europäischen Geschichte verbunden ist und nicht nur ein Ort, sondern auch ein Gefühl oder ein Gegenstand sein kann. Ein Blick in die Etymologie des Wortes zeigt: Heimat f. Ort, Land, wo man geboren, wo man zu Hause ist, Vaterland. Die nur auf das dt. Sprachgebiet beschränkten Formen ahd. heimōti n. (11. Jh.), mhd. heimuot(e), heimōt(e), heimōde f. n., mnd. hēmōde f. n. sind Bildungen zu dem unter ↗ Heim (s. d.) behandelten Substantiv mit dem Suffix westgerm. -ōðja-, ahd. -ōti (s. ↗ Einöde sowie ↗ Armut, ↗ Kleinod, ↗ Zierat). Heimat (mit Wandel von ō zu ā) begegnet seit dem 15. Jh. und wird vom 1. Jh. an vorherrschend. Neutrales Genus ist bis ins 17. Jh. gebräuchlich, danach nur noch in Mundarten. heimatlich Adj. in der Heimat vorhanden, die Heimat betreffend, zu ihr gehörend (18. Jh.). (Digitales Wöterbuch der deutschen Sprache 2017; Hervorhebung im Original) Eine Übersetzung in eine andere Sprache fällt häufig schwer oder bedarf einer ausführlicheren Umschreibung, die alle Bedeutungskomponenten umfasst (vergleiche Heringer 2007: 174f). Das heißt natürlich nicht, dass jeder Sprecher beziehungsweise jede Sprecherin, derartige Begriffe in gleicher Weise versteht und verwendet. Auch stellt sich bei genauer Betrachtung die Frage, welche Wörter einer Sprache zu den Hot Words gehören und ob nicht alle Wörter im Prinzip Hotwörter sein könnten. Nicht selten fungieren sie jedoch als kulturelle Deutungsmuster, die Claus Altmayer als „Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses“ versteht. „In ihnen verfestigen sich“, so Altmayer, „die Sedimente gemeinsamer Erinnerung und gemeinsamer Erfahrung zu allgemeinen und konstanten Schemata-[…]“. „Die überindividuelle Gemeinsamkeit der Gedächtnisinhalte besteht dann vor allem in deren Funktionalität in Bezug auf die Konstruktion einer kollektiven Identität und in Bezug auf die soziale Handlungsorientierung und -koordinierung“, so Altmayer weiter (Altmayer 2002: 18). Bestimmte Begriffe enthalten also häufig eine spezifische „Wissenstruktur“, in der „‚kollektive‘ Erfahrungen abgelagert sind“ (Altmayer 2002: 18) und damit letztlich Teil des kollektiven Gedächtnisses (Schmidtgall 2014: 39ff). Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ansatz von Altmayer findet sich in der Lerneinheit 1.2 von Jörg Roche in diesem Band. Auch Sprechhandlungen oder Sprechhandlungssequenzen können Ursprung eines fehlinterpretierten Kommunikationsverlaufs sein, da Sprechen auch immer Handlungen realisiert. Nicht selten entstehen Sprechhandlungen dabei in einem komplexen Gefüge aus verbalen, nonverbalen, paraverbalen und auch extraverbalen Faktoren. Wenn eine Person vor dem Altar in der Kirche vom Pfarrer zum Beispiel gefragt wird, ob sie die Person X heiraten möchte, und die Frage mit Ja, ich will! beantwortet, so drückt sie damit nicht nur den Wunsch zu heiraten aus, sondern vollzieht damit die Heirat, was vor allem an den extraverbalen Faktoren (in der Kirche, vor dem Pfarrer am Altar in Hochzeitskleidern etc.) liegt. Die Aussage Musst Du immer so viel reden? ist im deutschen Kontext mehr als Vorwurf mit feststellendem Charakter denn als Frage zu verstehen, wobei häufig noch die Intonation und Lautstärke (paraverbal) oder die Mimik (nonverbal) den Vorwurfscharakter verstärken beziehungsweise bestätigen. Diesen Vorwurfscharakter zu erkennen, ist für eine Person, die Deutsch als Fremdsprache lernt und die dieses Zusammenspiel verschiedener kommunikativer Ebenen <?page no="224"?> 224 6 Angewandte Interkulturwissenschaften nicht beherrscht, unter Umständen schwierig bis unmöglich. Es ist gut möglich, dass sie auf eine solche Frage mit Nein, an sich zwingt mich niemand dazu, aber ich rede sehr gerne ohne eine Spur von Ironie antworten wird. Experiment Sammeln Sie weitere Beispiele aus unterschiedlichen Sprachen, die den Handlungscharakter sprachlicher Handlungen illustrieren, und solche, die andere Sprechakte darstellen, als es ihre formale Oberfläche erscheinen lässt (zum Beispiel Vorwurf statt Frage). Kommunikative Akte unterliegen in verschiedenen Kulturen einer mitunter sehr unterschiedlichen Strukturierung, die sich in der Gesprächsorganisation oder den Konventionen des Diskursablaufs äußert: Wie ein Gespräch aufgebaut und organisiert ist, hängt häufig von bestimmten kulturellen Konventionen ab. So verlaufen beispielsweise Geschäftsverhandlungen nach sehr unterschiedlichen Mustern. Wie viel Zeit während einem beruflichen Treffen dem Smalltalk gewidmet wird, ob Tagesordnungspunkte einmal besprochen und dann abgehakt werden oder immer wieder auf selbige zurückgekommen wird, ob humorvolle Kommentare oder private Themen erlaubt sind, etc., all das kann in verschiedenen Kulturen unterschiedlich sein. So zeigt Marion Keup (2010) wie unterschiedlich sich zum Beispiel Deutsche und US -Amerikaner bei geschäftlichen Präsentationen verhalten können. Demnach sprechen Deutsche tendenziell länger und ausführlicher, während sich US -Amerikaner beziehungsweise US -Amerikanerinnen eher kurz fassen (vergleiche Keup 2010: 99). Aber auch einfache, kurze private Gespräche können unterschiedlich strukturiert sein. Viele Deutsche hören als Kind von den Eltern den Satz Unterbrich mich nicht! Den Gesprächspartner beziehungsweise die -partnerin zu unterbrechen, bevor dieser oder diese den Satz beendet hat, gilt als unhöflich. Das liegt auch an der deutschen Grammatik: Da das Verb häufig am Ende des Satzes steht, ist es notwendig, abzuwarten, bis das Gegenüber den Satz beendet hat, um das Gesagte vollständig zu erfassen. Müller-Jacquier verweist hier auf eine Studie von Katharina von Helmholt, die feststellt, dass in anderen Kulturen Unterbrechungen häufiger sind (vergleiche von Helmholt 1997: 81). Sie gelten sogar als Zeichen für Interesse an einem aktiven Austausch und Gespräch. Zum Beispiel ist es im Französischen und anderen romanischen Sprachen nicht notwendig, den Satz bis zum Ende abzuwarten, da das Verb sich in der Satzstruktur relativ am Anfang befindet, und so das Gesagte erfasst werden kann, noch bevor der Satz zu Ende gesprochen wurde (vergleiche von Helmholt 1997: 81). Häufig hängt die Wahl der Gesprächsthemen beziehungsweise deren Tabuisierung stark von extraverbalen Faktoren, wie der Art der sozialen Beziehung, des Alters, Anlasses und Raums des Gesprächs ab. So ist es in lockeren US -amerikanischen Kontexten wie zum Beispiel bei Partys tendenziell eher üblich (Abweichungen sind immer mitgedacht), einem bis dato völlig Fremden seine sexuellen Erlebnisse zu schildern, was im deutschen Kontext eher unüblich bis irritierend wirkt. Genauso bewirken das Sprechen über den eigenen Reichtum oder gar die offene Thematisierung des monatlichen Einkommens bei Deutschen, Franzosen und vielen anderen Europäern eher „Fremdschämen“, während dies in vielen US -amerikanischen, <?page no="225"?> 225 6.1 Kultureme und Kommunikation aber auch chinesischen Kontexten einen durchaus akzeptablen Vorgang darstellt. Die Frage, welche Themen in welchen Situationen, zu welchem Zeitpunkt und von wem angesprochen werden, kann von Kultur zu Kultur stark variieren. Müller-Jacquier gibt hier einige Beispiele: Deutsche wundern sich, dass und wie leicht manche US -Amerikaner in informellen Gesprächen eigene therapeutische Situationen einbringen. Ausländischen Studierenden fällt auf, dass Deutsche in eher privat definierten Situationen gern politische Themen anschneiden und untereinander teilweise heftig und mit deutlichem Dissens diskutieren; dies wirkt auf Außenstehende ungewöhnlich, gemessen an den aufgefassten bestehenden Beziehungen zwischen den Beteiligten. (Müller-Jacquier 2000: 31) Auch das Maß an Direktheit beziehungsweise Indirekteit der Kommunikationspartner und -partnerinnen kann deren gegenseitige Wahrnehmung beeinflussen. Je nach der eigenen Herkunftskultur können Angehörige anderer Kulturen hinsichtlich ihres Kommunikationsverhaltens als eher direkt oder indirekt wirken. Es besteht ein Unterschied darin, ob wir sagen: Könntest Du mich in Deinem Auto mit in die Stadt nehmen oder ob wir mit der gleichen Redeintention formulieren: Ich weiß jetzt gar nicht, wie ich in die Stadt komme. Wie machst Du das denn? In beiden Fällen wünschen wir uns, dass die Gesprächspartnerin oder der Gesprächspartner, uns mitnimmt. Augenscheinlich kommunizieren wir im zweiten Fall diese Botschaft eher indirekt. Dieser Annahme liegt jedoch eine Wahrnehmung zugrunde, die sich auf die rein verbale Ebene konzentriert. Die Sprecherin oder der Sprecher signalisiert auch im zweiten Fall wahrscheinlich mithilfe von nonverbalen Zeichen (Mimik, Gestik, etc.) oder paraverbalen (Intonation, etc.) die Botschaft ebenso deutlich. Können wir als Empfänger beziehungsweise Empfängerin diese Zeichen jedoch nicht adäquat deuten, erreicht uns die Botschaft nicht, vor allem, wenn wir aus einer Kultur stammen, die überwiegend direkte, verbale Kommunikation fokussiert. Tendenziell komplex in der Umsetzung ist für Fremdsprachenlerner häufig die korrekte Wahl des sprachlichen Registers. Darunter fallen zum Beispiel Fragen des Duzens oder Siezens genauso, wie Form, Inhalt und Dauer von Small Talk. Auch hier spielen besonders extraverbale Faktoren wie die Situation, die soziale Beziehung, das Alter oder die Stellung der Interaktionspartnerin oder des Interaktionspartners sowie das soziale Geschlecht eine Rolle. Das Erlernen sozialer Register erfordert häufig eine gewisse Interaktionserfahrung und bewusstes Beobachten seitens des Fremdsprachenlerners oder der Fremdsprachenlernerin. Die bereits oben im Rahmen der Kulturemtheorie von Oksaar dargestellten paraverbalen Faktoren der Kommunikation führt auch Müller-Jacquier als potenzielle Ursache interkultureller Kommunikationsprobleme an: Missverständnisse zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen resultieren mitunter aus der falschen Deutung paraverbaler Zeichen. Die tendenziell höhere Lautstärke einiger romanischer Sprachen wird von Deutschen zum Beispiel häufig als Ausdruck von besonderem Temperament oder Emotionalität gedeutet, obwohl dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Ähnlich wie im Fall der paraverbalen Kommunikation kann auch ein sich auf nonverbaler Ebene unterscheidendes Kommunikationsverhalten zu Missverständnissen führen. Auch nonverbale Faktoren betrachtet Müller-Jacquier deshalb als zu berücksichtigende Komponen- <?page no="226"?> 226 6 Angewandte Interkulturwissenschaften ten im interkulturellen Kommunikationsprozess. Während zum Beispiel in vielen Kulturen ein Kopfnicken, Zustimmung signalisiert, wobei der Kopf von hinten nach vorne bewegt wird, gibt es Kulturen, in denen eine ähnliche Kopfbewegung eine Negierung beziehungsweise ein Nein bedeutet. Müller-Jacquier nennt aber auch kultur-spezifische Werte beziehungsweise Einstellungen, die interkulturelle Kommunikationssituationen beeinflussen, auch wenn diese häufig vorschnell in den Vordergrund gestellt werden, anstatt zunächst die kommunikativen Aspekte des Aufeinandertreffens genauer zu betrachten. Zumal derartige kulturspezifische Werteorientierungen und Einstellungen in kommunikativen Akten zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen im Gegensatz zu intrakulturellen Aufeinandertreffen aufgrund einer anderen Dynamik auch unterschiedlich realisiert werden können, anders zum Ausdruck kommen, oder je nach Konstellation über- oder unterbetont werden. Ein Beispiel wäre die Frage, ob eine Kultur tendenziell dem Individuum mit seinen Wünschen und Bedürfnissen mehr gesellschaftliche Bedeutung zuspricht und folglich individualistischer orientiert ist, oder ob das Wohl der Gruppe und damit eine kollektivistische Haltung im Vordergrund steht (vergleiche Hofstede 1993; Lüsebrink 2012: 21). Zu erwähnen ist jedoch auch, dass die Zuschreibungen derartiger die Mehrheit der Mitglieder einer Kultur umfassenden Tendenzen, die auf einer kulturvergleichenden Studie von Geert Hofstede beruhen, ohnehin wissenschaftlich betrachtet nicht unstrittig sind (vergleiche Schugk 2004: 132). Schließlich identifiziert Müller-Jacquier kulturspezifische Handlungen (einschließlich der Rituale) und Handlungssequenzen als in interkulturellen Kommunikationssituationen wirksam. Hierunter lassen sich Einzelhandlungen fassen, die an sich aus den anderen Typen resultieren, jedoch von Angehörigen anderer Kulturen als besonders auffallend und damit isoliert wahrgenommen werden. So werden zum Beispiel auf der Straße essen, Händepumpen beziehungsweise ein sehr kräftiger Händedruck in Begrüßungssituationen von Angehörigen einiger Kulturen als „typisch deutsch“ aufgefasst (Müller-Jacquier 2000: 40). Dass es bei dieser Art der Interpretation und der nationalen Zuweisung von Typischem zu Stereotypisierungen kommt beziehungsweise kommen kann, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Reale kommunikative Akte im Sinne von konkreten kommunikativen Situationen sind ihrer Natur nach und aufgrund der genannten Dynamik natürlich sehr komplex. Die genannten Typen von Kommunikationsproblemen können häufig nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Viele stehen miteinander in Verbindung und bedingen einander, was die Komplexität der Interpretation kommunikativer Akte erhöht. So können zugrundeliegende Werte den Gesprächsablauf steuern, indirekte Kommunikation erfolgt häufig über paraverbale Elemente etc. <?page no="227"?> 227 6.1 Kultureme und Kommunikation 6.1.4 Zusammenfassung ▶ Zwischenmenschliche Kommunikation erfolgt zu einem großen Teil unbewusst und unterliegt immer einem dynamischen Prozess permanenter Neuausrichtungen. ▶ Kommunikative Interaktion erfolgt deshalb in immer neuen kommunikativen Akten, die per definitionem einzigartig sind und in denen sich auch immer die Kultur der interagierenden Personen manifestiert. ▶ Kultur wird auf sehr unterschiedliche Weise realisiert und wird meist erst dann als Einflussfaktor wahrgenommen, wenn Abweichungen in der Kommunikation auftreten, wie zum Beispiel beim Aufeinandertreffen von Angehörigen unterschiedlicher Kulturen. ▶ Kommunikative Akte beinhalten immer gleichzeitig eine verbale, eine nonverbale, eine paraverbale und eine extraverbale Dimension. ▶ Eine Reihe von Verhaltensweisen lassen sich dabei in soziokulturellen Kategorien, den Kulturemen, zusammenfassen, die in verschiedenen Kulturen zwar existieren, häufig jedoch unterschiedlich realisiert werden. ▶ Ihre Realisierung erfolgt durch Behavioreme, die sich von Kultur zu Kultur auf der verbalen, nonverbalen, paraverbalen und extraverbalen Ebene unterscheiden können. ▶ Die genaue Betrachtung der Realisierung von Kulturemen in Form von Behavioremen hat bei der Analyse von interkulturellen Kommunikationssituationen gegenüber Rückschlüssen auf psychologische Haltungen und Werten zunächst Vorrang. ▶ Mithilfe des Analyserasters Linguistic Awareness of Cultures von Müller-Jacquier lassen sich zehn Typen von Problemen in interkulturellen Kommunikationssituationen identifizieren, die in der kommunikativen Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen auftreten können. ▶ Häufig bedingen die verschiedenen Typen von kommunikativen Problemen einander und verbinden psychologische Aspekte mit linguistisch-interaktionistischen, die sowohl die kommunikativen Voraussetzungen als auch den Kommunikationsverlauf berücksichtigen und so der Komplexität kommunikativer Akte Rechnung tragen. 6.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie drei Grundbedingungen jedes kommunikativen Aktes. 2. Was versteht man unter einem kommunikativen Akt? 3. Welche vier Dimensionen weisen kommunikative Akte auf ? 4. Was sind Kultureme und wie werden diese durch Behavioreme realisiert? Erläutern Sie beiden Begriffe und beschreiben dabei, wie diese miteinander verknüpft sind. 5. Erläutern Sie hinsichtlich der Analyse von kommunikativen Interaktionssituationen das Verhältnis zwischen der Untersuchung von Kulturemen und Behavioremen sowie möglicher Rückschlüsse auf psychologische Haltungen und kulturspezifische Werte. 6. Nennen Sie zehn Typen von Problemen, die in interkulturellen Kommunikationssituationen auftreten können. <?page no="228"?> 228 6 Angewandte Interkulturwissenschaften 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung Elisabeth Venohr In den vorangegangenen Lerneinheiten haben Sie sich mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskursen beschäftigt, die sich in mentalen Bildern (auch Sprach- und konzeptuellen Metaphern und Bildschemata) ausdrücken oder gesellschaftlich gebundene Wissensbestände widerspiegeln (zum Beispiel der Tabu-Diskurs). Im Band »Sprachenlernen und Kognition« wurde gezeigt, wie weit diese Metaphorik verbreitet ist, wie sie wirkt und wie sie sowohl physische als auch kulturell-kontextuelle Aspekte der Welt abbildet. Insofern überrascht es nicht, dass diese metaphorischen Prinzipien auch in der Werbesprache und zwar in ganz spezifischer, dynamischer Weise wirken. Damit wird gleichzeitig aber auch deutlich, wie unterschiedliche Sprachkulturen (Linguakulturen) agieren und wie Sprache in Text und Bild grundsätzlich funktioniert. Das Erschließen einer Sprache - der eigenen, aber auch der fremden - erfolgt vor allem über eine Dekodierung der Metaphorik. Der interkulturelle Vergleich unterschiedlicher Metaphorisierungsstrategien ist also in Bezug auf den Spracherwerb genauso relevant wie in Bezug auf das Verstehen der fremden Kulturen. In den meisten Fällen sind es soziale Konventionen und kommunikative Routinen, die sich in kulturgeprägten Textsorten als Problemlösungsmuster manifestieren. Auch wenn man nicht von Werbung als einer einzigen Textsorte sprechen kann (es sind bedingt durch Schriftlichkeit und Mündlichkeit vielmehr verschiedene Textsorten mit unterschiedlicher Medialität), so ist diese multimodale Textform - bestehend aus Text und Bild oder Text und Ton (zum Beispiel Musik) und Schrift, gegebenenfalls auch Geruch und Geschmack - doch musterhaft und lässt sich mit textlinguistischen Werkzeugen beschreiben. Werbung verfolgt je nach Produkt und Zeitpunkt ganz unterschiedliche Werbestrategien und will in erster Linie überzeugen. Diese Appellfunktion kann aber nur in Abhängigkeit mit den lebensweltlichen Rahmenbedingungen wirksam realisiert werden. Daher müssen Werbetexte an die Zielkultur und die jeweiligen Wahrnehmungsgewohnheiten der Rezipienten und Rezipientinnen angepasst beziehungsweise kulturell adaptiert werden. Gleichzeitig kann Werbung als Ausgangspunkt für die Analyse einzelsprachlicher Symbolsysteme dienen und somit eine wichtige didaktische Funktion bei der Vermittlung interkultureller Kompetenz erfüllen (dazu auch Zeuner in der Lerneinheit 7.1 in diesem Band). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Metaphorisierungsprozesse im Bereich der Werbung erkennen und vergleichen können; ▶ Werbung und die dazugehörigen Textsorten in funktional-stilistischer Sicht unterscheiden können; ▶ verschiedene Werbestrategien kontrastiv beschreiben können; <?page no="229"?> 229 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung 6.2.1 Werbung und ihre Sprache in verschiedenen Textsorten Das wohl wichtigste Merkmal von Werbetexten ist das Handlungsmuster des Bewertens, das immer auch einhergeht mit einer gewissen Informationsvergabe. „Die Grenzen zwischen Bewerten und Informieren (mittels Beschreiben) sind fließend. Deshalb sind Bewertungstexte auch nicht scharf von informierenden Texten abzugrenzen“ (Sandig 2004: 185). Das zu bewerbende Produkt und dessen Qualitätsmerkmale stehen dabei in der Regel immer im Vordergrund und sind durch sprachliche Übertreibungen gekennzeichnet (weißer als weiß bei Ariel, Die beste Erfindung seit es Schokolade gibt bei Ritter Sport und Nichts ist unmöglich bei Toyota). Ein in der deutschen Werbesprache häufiges Wortbildungsphänomen ist die Kontamination, auch Wortverschmelzung genannt; dazu gehören die Kaufregung bei Karstadt aus dem Jahre 2002 und die Bezeichnung für die aktuelle Wochenendaktion Framstag des Lebensmitteldiscounters Penny. Neben diesen zumeist Okkasionalismen, die aus dem Sprachgebrauch nach kürzester Zeit wieder verschwinden, gibt es aber Wortneuschöpfungen mit bewusstem Regelverstoß, die sich weiterentwickeln. Das wohl bekannteste Beispiel ist das Qualitätsadjektiv unkaputtbar, das Coca-Cola zur Einführung der ersten PET -Mehrweg- Flasche verwendete (1991 beziehungsweise 1992). Dieses analoge Muster findet sich inzwischen als Attribut zu besonders stabilen Fahrradreifen, die als unplattbar bezeichnet werden. Wortneuschöpfungen und andere Merkmale von Werbesprache bestimmen in erster Linie die Headlines oder Slogans einer Werbeanzeige, die durch Prägnanz und Kürze, Wortspiele und Superlative gekennzeichnet sind. Dazu gehören auch solche Werbesprüche wie Es liegt was in der Luft, ein ganz besonderer Duft, Melitta Kaffeeduft aus den 1980er beziehungsweise 1990er Jahren. Der Phraseologismus in der Luft liegen ist hier eine orientierende Metapher (nach Wildgen 2008: 80). Orientierende Metaphern sind Wortinhalte mit bestimmten Präpositionen oder Adjektiven wie oben- - unten, innen- - außen, vorne- - hinten, dran und weg, woraus sich auf der Basis räumlicher Orientierungen metaphorische Konzepte formulieren lassen. (Rakhimzhanova 2014: ) Der im deutschen Werbediskurs-Gedächtnis fest verankerte (Aus-)Spruch des rauchenden HB -Zeichentrickmännchens Wer wird denn gleich in die Luft gehen? (Fernsehspot aus den 1970er Jahren für die Zigarettenmarke HB ) verweist auf die übertragene Bedeutung von ‚in die Luft gehen‘ (hier: ‚vor Wut platzen‘), das sich aber auch mit dem aufsteigenden Rauch einer Zigarette konkretisieren lässt. Hier zeigt sich einerseits die Metaphorik von Sprache als ▶ interkulturelle Werbung als Phänomen des Kulturtransfers verstehen; ▶ internationale Werbekampagnen und ihre kulturelle Adaptation auf sprachlicher und diskursiver Ebene vergleichen können; ▶ Werbung im interkulturell orientierten Fremdsprachenunterricht zur Sensibilisierung für sprachgebundene Symbolsysteme und einzelsprachliche Textmuster einsetzen können. <?page no="230"?> 230 6 Angewandte Interkulturwissenschaften Raum-Konzept, gleichzeitig aber auch die übertragene Bedeutung eines Phraseologismus und zwar in seiner spezifischen, einzelsprachlichen Motiviertheit. Die Motivation ist ein zentraler Begriff der kognitiven Semantik. Von der Motiviertheit der Phraseologismen sprechen wir in Anlehnung an Dobrovol’skij / Piirainen 199: 104, wenn die feste Wortverbindung von einem erwachsenen muttersprachlichen Sprecher intuitiv als prinzipiell interpretierbare, also transparente Kette verstanden wird, wobei von den Forschern betont wird, dass ein und derselbe Phraseologismus von verschiedenen Sprechern als in unterschiedlichem Maße motiviert empfunden werden kann, was mit dem Alltags- und Bildungswissen des Einzelnen zusammenhängt. (Bergerová 200: 18) Werbesprache enthält neben metaphorischen Konzepten auch immer bewertende Elemente. Das Bewerten findet aber auch in weniger direkter Form und nicht ausschließlich über das übergeordnete Muster des Argumentierens, unter anderem in der eher informationsbezogenen Anzeigenwerbung statt. Hier überwiegt der Fließtext in seiner sekundären Appellfunktion mit Expertenmeinungen und Statistiken, die der Werbung eine vermeintlich fachliche Note verleihen (beispielsweise Ernährungstabellen bei Brotaufstrich-Werbung). Einen besonderen landeskundlichen Wert haben die der Werbung funktional gesehen benachbarten Textsorten wie die Restaurantkritik und der Hotelprospekt als Teil eines länderspezifischen Werbediskurses. Auch die auf den ersten Blick informationsbetonte Textsorte Speisekarte enthält in ihrer ursprünglichen Funktion als preisauszeichnende Liste inzwischen zu einem großen Teil werbestrategisch bewertende Teiltexte. In ihrer Studie über die noch relativ junge, wenig standardisierte Textsorte Tourismusprospekt im polnischen Werbediskurs im Vergleich zu dem seit langem etablierten österreichischen Textmuster bei Smykala (2010) zeigt sich, dass sich die Handlung des LOBENS (als Variante des BEWERTENS ) ganz explizit auf das eigene Land bezog, was aufgrund der Textsortenspezifik (informieren-appellativer Texttyp) eine positive Bewertung des Objekts nach sich zieht (österreich. Bsp.: Auf zu den Pisten des Südens! Welch ein Genuss (Smykala 2010: 228)). Dabei zeigt sich, dass die polnische Realisierung eher rational-überzeugende und eine weniger persuasiv-überredende Strategie verfolgt (polnisches Bsp.: Das Gebiet der heutigen Woiwodschaft Lublin bildet seit Jahrhunderten den Schauplatz wichtiger historischer Ereignisse (ebd.)). (Venohr 2012: 24) Ein weiteres in der Werbung häufig verwendetes stilistisches Mittel ist die Textsortenmischung als Spielart von Intertextualität, meist mit einer kreativen Verfremdung des eigentlichen Texttyps. „Beliebt sind in der Werbung umfassende Nachahmungen werbungsfremder Textsorten“ (vergleiche Janich 1999: 19). Dazu gehören auch andere Textträger, wie das folgende Beispiel einer auf den ersten Blick anmutenden Arzneimittelwerbung zeigt. <?page no="231"?> 231 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung Das beworbene Produkt (hier: Sport) zeigt sich in Form eines einzunehmenden Medikaments, nämlich als Fußbälle: Abbildung 6.1: Sport tut Deutschland gut, Plakatwerbung des Deutschen Sportbunds (aus Venohr 2007: XII ) Die Wirkung dieser Werbung liegt vor allem im Verfremdungseffekt, der durch die Textmustermischung einer Packungsbeschriftung als medizinischem Fachtext (Instruktionstext) mit einem Werbetext- - in Form einer rationalen Argumentationsstrategie (Bei regelmäßig dosiertem Sport wird das Wohlbefinden und die gute Laune gefördert! )-- entsteht. Das landeskundlich relevante Hintergrundwissen über den Stellenwert des Fußballs in Deutschland als Breitensport mit vielen ehrenamtlich organisierten Fußballvereinen ist ebenfalls wichtig, um den spezifischen medizinischen Sport- und Gesundheitsdiskurs (inklusive dem indirekten Anti-Doping-Verweis) in der Werbebotschaft zu erkennen. <?page no="232"?> 232 6 Angewandte Interkulturwissenschaften In den meisten Werbebotschaften wird also erst durch die Text-Bild-Relation die sprachliche Präposition verständlich, wie folgendes Beispiel illustriert: Abbildung 6.2: Französische Werbung für eine Lebensversicherung der Firma NOVACY (deutsche Übersetzung: ‚Sparer, wie fühlen Sie sich 6 Monate, nachdem Sie den Vertrag Ihrer Lebensversicherung unterzeichnet haben? ‘; Venohr 2007: III ) In dieser Werbung liegt eine komplementäre Text-Bild-Relation vor: Die Antwort auf die in der Headline gestellte Frage soll durch den Bildtext gegeben werden. Dieser zeigt einen Hund, der an ein Straßenschild angeleint an einer menschen- und autoleeren Straßenkreuzung sitzt. Die zu füllende Leerstelle ist, dass dieser hilflose Hund vom Menschen ausgesetzt, also ‚im Stich gelassen‘ wurde. Hier wirken die so genannten visuellen Schlüsselattribute emotionaler Konzepte (zum Beispiel Hund und das Konzept der Treue), die als Metonymien für eine bestimmte Emotion stehen. „Die Kenntnis kultureller Metonymien ist für die Enkodierung intendierter Information zentral“ (Müller 1997: 223). Aber auch die Wegmetapher ist ein in der Werbung weit verbreitetes Motiv, das aber in der Regel positive Assoziationen weckt und oft mit dem Konzept Lebensweg gleichgesetzt wird (vergleiche Werbung für Kapitalanlagen Wir machen den Weg frei von Volksbanken Raiffeisenbanken (Venohr 2007: 10)). Für einen interkulturellen Textsortenvergleich von Werbung (auch in kulturwissenschaftlicher Perspektive), <?page no="233"?> 233 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung der über mögliche Dekodierungsschwierigkeiten beim Entschlüsseln einer Werbebotschaft Aufschluss geben könnte, müsste man also zunächst die Äquivalenz-Relation der frequenten Bild-Metapher im Zusammenhang mit Altersvorsorge, aber vor allem die Schlüsselattribute zu Hund (beispielsweise im Kontrast zum arabischen Kulturraum, in dem der Hund nicht automatisch eine positive Konnotation aufweist) eruieren (siehe hierzu auch die Erklärung des Konzeptes der Transferdifferenz und der Kompetenzen zu ihrer Bewältigung, die konzeptuelle Kompetenz in Lerneinheit 2.2 in diesem Band). Im Band »Sprachenlernen und Kognition« wird das Verhältnis von konzeptuellen und linguistischen Metaphern erläutert. Erinnern Sie sich? Sonst lesen Sie die folgende Erklärung dazu. Inwiefern hilft Ihnen diese Unterscheidung, um die Verstehbarkeit und Verständlichkeit der oben genannten Werbesprüche und Begriffe zu erklären? Experiment 1 Sehen Sie sich diese Liste der nachhaltigsten Werbesprüche an: ▶ Mit gebremstem Schaum. (Dixan) ▶ Da weiß man, was man hat. (Persil) ▶ Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn. (Calgonit) ▶ Aus Erfahrung gut. ( AEG ) ▶ Bauknecht weiß, was Frauen wünschen. (Bauknecht) ▶ Er hat überhaupt nicht gebohrt! (Colgate) ▶ Nie war er so wertvoll wie heute. (Klosterfrau Melissengeist) ▶ Die feine englische Art. (After Eight) ▶ Quadratisch. Praktisch. Gut. (Ritter Sport) ▶ Mann, sind die dick, Mann. (Dickmanns) ▶ Ich will so bleiben, wie ich bin. (Du darfst) ▶ Nicht immer, aber immer öfter. (Clausthaler) ▶ Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben. (Attica) ▶ Wer wird denn gleich in die Luft gehen. ( HB ) ▶ Der Duft der großen weiten Welt. (Peter Stuyvesant) ▶ Neckermann macht’s möglich. (Neckermann) ▶ Dahinter steckt immer ein kluger Kopf. ( FAZ ) ▶ Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an! (Esso) ▶ Alle reden vom Wetter. Wir nicht. ( DB ) ▶ Er läuft, und läuft, und läuft … ( VW ) ▶ Nichts ist unmöglich. (Toyota) (zitiert nach Preidel 2008) Wodurch zeichnen sich die Slogans oder Claims aus? Wählen Sie mindestens 5 davon aus und analysieren Sie diese nach ihren sprachlichen Besonderheiten. Welche sind nicht ohne Kontext oder auch Episodenwissen zu dekodieren? <?page no="234"?> 234 6 Angewandte Interkulturwissenschaften Im Band »Sprachenlernen und Kognition« wird dargestellt, ausgehend von den Postulaten der kognitiven Linguistik, dass die gesamte Sprache, mit der wir die Welt konzeptionalisieren, metaphorisch strukturiert ist (vergleiche Lakoff & Johnson 1980). „Folglich sind sie [Metaphern] Bestandteile sowohl der generellen linguistischen Kompetenz als auch unserer welterkennenden Strategien“ (Kertész 2004: 41). Nachdem wir nun gesehen haben, wie bedeutend die Metaphorik auch in der Werbesprache ist, und wie sie dort bei der Entstehung neuer Konzepte und sprachlicher Markierungen wirkt, wenden wir uns nun den konzeptuellen Unterschieden der Sprachen zu. Diese kann man summarisch als Transferdifferenz bezeichnen. Die Aufgabe eines Sprach-Kultur-Lerners ist es nämlich im Endeffekt, diese konzeptuellen Differenzen zwischen den Sprachkulturen auszugleichen, ohne sie jedoch aufzulösen. 6.2.2 Was ist interkulturelle Werbung? Bevor man sich nun die Frage nach der interkulturellen Adaptierbarkeit von Werbung stellt, muss zwischen internationaler Werbung und interkultureller Werbung unterschieden werden: Internationale Werbung ist eine Strategie des internationalen Marketings, die auf die Vereinheitlichung von Werbemitteln abzielt. Wenn Werbemittel in mehreren Ländern eingesetzt werden, dann wird unterschieden in differenzierte Werbung (Werbemittel für ein Produkt unterscheiden sich in Text und Bild) und standardisierte Werbung (Werbemittel für ein Produkt unterscheiden sich nicht (lediglich in der Sprache (Text)). (Wille 2017) Der Adaptationsgrad an das Zielland und somit auch die von den Empfängern und Empfängerinnen verinnerlichten Wertesysteme können bei global angelegten Werbestrategien stark variieren. Dazu hier einige Beispiele aus der Werbekampagne des spanischen Fremdenverkehrsamtes (www.spain.info), zunächst aus dem Jahre 2002 in Der Spiegel (Venohr 2012: 25): Beispiel (1) deutsch: „Spanien prägt Sie.“ [Bildtext: ein menschlicher Fuß, der schmerzt-- ausgedrückt durch einen Verband, im Hintergrund ein Wanderstab] Beispiel (2) russisch: „Ispanija ostavljaet sled“, (deutsche Übersetzung: ‚Spanien hinterlässt eine Spur‘) [Bildtext: eine Gruppe von Menschen um einen reich gedeckten Tisch in freier Natur] Auf lexikologisch-sprachlicher Ebene bedient sich der Textproduzent eines in beiden Sprachen vergleichbaren Bildes und bleibt somit auf einer vergleichbaren Isotopie-Ebene (hier: die Wegmetapher, sprachlich ausgedrückt durch Spur im Russischen und das visuell zu inferierende Gehen des Jakobsweges im deutschen Text). Hier zeigt sich die Idee der interkulturellen Werbung mit kultureller Adaptation bei gleichzeitiger Einhaltung des Grundkonzepts. Dass diese Kognitionsmetapher vom Textproduzenten beziehungsweise der Textproduzentin als einzelsprachenübergreifendes Äquivalent gewählt wurde, heißt aber nicht automatisch, dass die mittransportierten Konnotationen wirklich dem sprachlich evozierten Konzept in beiden Diskursgemeinschaften entsprechen. Mit dieser Werbekampagne rekurrieren die Textproduzenten auf den Camino de Santiago (den ‚spanischen Jakobsweg‘), der besonders zahlreich von Deutschen gegangen wird: Dabei spielt auch die Etablierung sowie Popularisierung des deutschen Jakobswegs und die öffent- <?page no="235"?> 235 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung liche Aufmerksamkeit durch entsprechende Sachliteratur prominenter Autoren eine entscheidende Rolle. Die gleiche Werbekampagne für eine russischsprachige Zielgruppe suggeriert hingegen das Interesse des russischen Touristen bei seiner Spanienreise an gutem Essen und Geselligkeit im Datscha-Stil. Besonders die wie eine Definition des spanischen Lexems Tapas formulierte Äußerung (russisch: malen´kie zakuski, kotorymi prijatno delit´sja za stolom, deutsch: ‚kleine Vorspeisen, die sich sehr angenehm am Tisch teilen lassen‘) weist darauf hin, dass Spanien mit seiner Esskultur noch nicht zum Allgemeinwissen russischsprachiger Touristen gehört (ausführlicher dazu Venohr 2012: 27). Dass Tapas einen wichtigen Werbefaktor in der internationalen Verbreitung des Spanien-Bildes darstellen, zeigt die aktuelle Werbung auf der Startseite des spanischen Fremdenverkehrsamtes (hier in der polnischen Version): Abbildung 6.3: Polnischer Werbetext (deutsche Übersetzung: ‚Spanien ist das, was du willst. Spanien ist das, was du brauchst. Am 15. Juni wird der Internationale Tapas-Tag begangen. Merke dir diesen Tag im Kalender vor und probiere die typische spanische „Miniatur-Küche“‘ (wortwörtlich: ‚Küche in Miniatur‘)) (Turespaña 2017) Das verbale Äquivalent in deutscher Sprache wäre: Beispiel (3): ‚Spanien hat alles, was Sie sich wünschen. Spanien hat alles, was Sie brauchen. Am 15. Juni ist Internationaler Tapas-Tag. Markieren Sie sich diesen Tag in Ihrem Kalender und genießen Sie die typisch spanische „Miniaturküche“‘. An diesem auf den ersten Blick übersetzten Beispiel lassen sich gleich mehrere länderspezifische Adaptationen erkennen: Während in der polnischen Version der Empfänger in der 2. Person Singular angesprochen wird (hier: chcesz, deutsch: ‚du willst‘), wird im deutschen Text die Höflichkeitsform Sie in der 2. Person Plural verwendet. Neben diesem funktional-grammatischen Unterschied wird auch ein lebensweltlicher Bezug hergestellt, indem nämlich in der polnischen Version die Aufforderung Kommt zu den Tapas! zum Weiterklicken einlädt, während in der deutschen Version die Wahlmöglichkeiten Berlin, Frankfurt, München und Stuttgart angeboten werden. Diese Art der Informationsvergabe suggeriert die Verbreitung dieser typisch spanischen Ess-Kultur (so auch im Werbetext mit die typisch spanische ‚Miniaturküche‘) in Deutschland im Gegensatz zur polnischen Realität. Darüber hinaus funktioniert das spanische Tapas-Konzept in der Übersetzung nicht; es existiert in dem bereits lexikalisierten Fachbegriff der Kulinaristik als cocina en miniatura und erfährt <?page no="236"?> 236 6 Angewandte Interkulturwissenschaften mit ‚Miniaturküche‘ im deutschen und kuchni w miniaturze im polnischen Text eine wortwörtliche Übersetzung, die allerdings mangels Tapas-Kultur gerade in kuchni w miniaturze kein äquivalentes polnisches Translat kennt. Es wird zwar durch die Großschreibung von ‚Internationaler Tag‘ (polnisch: Światowy Dzień) präsupponiert, dass es sich hier um einen offiziellen und wie einen Eigennamen aufzufassenden Begriff handelt, jedoch wird dadurch der Inhalt nicht kontextualisiert. Lediglich auf das sprach- und kulturgebundene Wissen über bestimmte Feiertage, die als Eigennamen den Regeln der Großschreibung unterliegen, kann hier zurückgegriffen werden, nicht aber auf die eigentliche inhaltliche Referenz. Dass es bei Werbebotschaften oft nicht um die wortwörtliche Übersetzung gehen kann, zeigt die folgende Gegenüberstellung von Originalanzeige und Adaptation: Abbildung 6.4: Zum Problem von Originaltext und Adaptation bei der Übersetzung am Beispiel von PIZ - BUIN ® (Dönike 2005: 75) <?page no="237"?> 237 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung Es fällt unter anderem auf, dass der deutsche Slogan für PIZ - BUIN ® elliptischer ist als das englische Original (taking the hassel out of looking good versus ‚mühelos gut aussehen‘). Das gilt aber nicht für den Fließtext, der in der deutschen Adaptation die Satzbezüge viel expliziter herstellt (‚denn unser neuer Selbstbräunungsschaum trocknet in nur 5 Minuten‘). Die hier vorgestellte sprachbezogene Übersetzungsarbeit beinhaltet jedoch noch keine im eigentlichen Sinne kulturelle Adaptation, sondern verweist eher auf sprachsystembedingte Unterschiede (der bestimmte Artikel bei Personennamen muss im Standarddeutschen wegfallen) und mögliche stilistische Präferenzen, die auch stark vom Übersetzer abhängen können. Im Bereich der interkulturellen Kommunikation beschäftigen sich die Wirtschaftswissenschaftler vorrangig mit der Frage nach der kulturellen Adaptierbarkeit von Werbebotschaften beziehungsweise der Möglichkeit interkulturell standardisierte Werbung für international agierende Unternehmen zu kreieren. Adaptationen können dabei als Ergebnis von Kulturtransferprozessen im weitesten Sinne verstanden werden: Kulturtransferprozesse betreffen die interkulturellen Vermittlungsformen zwischen Kulturen, d. h. jene Kulturgüter und -praktiken, die transferiert und in der Zielkultur rezipiert werden. (Lüsebrink 2001: 213) Trotz zunehmenden Kulturkontakts zeichnet sich nur in wenigen Bereichen eine interkulturelle Homogenisierung der Werbung ab. Sogar der weltweit verbreitete IKEA -Katalog, der als „Werbefenster“ für schwedische Lebens- und Wohnkultur gilt (auch ausgedrückt in dem viel zitierten und bereits mehrfach abgewandelten IKEA -Slogan Wohnst du noch oder lebst du schon? ), enthält länderspezifische Besonderheiten: Dazu gehören, dass im Gegensatz zur deutschen Ausgabe im polnischen IKEA -Katalog die Anglizismen nicht beibehalten, sondern ins Polnische übersetzt werden, und dass auf eine „unernste Themenentfaltung“ beziehungsweise jede Form von Humor und spielerischem Umgang mit Sprache zugunsten einer klaren und unmissverständlichen Sprache verzichtet wird (hier die Studien von Fleischer & Uścinowicz 2000 und Makarczyk-Schuster, Schuster & Neca 2010, zitiert in Petkova-Kessanlis 2014: 135). Das liegt insbesondere an dem sehr unterschiedlich ausgeprägten Informationsbedürfnis des Werberezipienten in Abhängigkeit von der jeweiligen Lebenswelt. Somit kann Werbung unter bestimmten Umständen auch eine belehrende Funktion haben: Nach dem Zerfall der Sowjetunion und mit der Öffnung der Märkte in den 1990er Jahren war vor allem Einführungswerbung für neue Produkte mit einer starken Aufklärungsfunktion gefragt, die auf Glaubwürdigkeit basierte: Rossiskij potribitel´ja ne priemlet reklamu, osnovannoj na kul´tirovanii racionalizma i pragmatizma, merkantil´nost´ i financobogo effekta, egoizma i elitarnosti, stracha i žestokosti, obmana i sijuminutoj vygody. Dlja rossiskogo mentaliteta bolee priemlema, ogranična informacija o tovarov. Odnoj iz sochranjajušichsja osobennostej rossiskogo obšestva javlaetsja konservatizm. / ‚Der russische Konsument akzeptiert keine Werbung, die auf der Kultivierung von Rationalismus und Pragmatismus, von Merkantilismus und Finanzeffekten, von Egoismus und elitärem Verhalten, Angst und Härte, Betrug und momentanem Vorteil aufgebaut ist. Für die russische Mentalität ist die umfassende Information über die Waren akzeptabler. Eine der bleibenden Besonderheiten der russischen Gesell- <?page no="238"?> 238 6 Angewandte Interkulturwissenschaften schaft scheint der Konservatismus zu sein‘. (Baranova 2000: 22 in Venohr 2007: 135; Übersetzung der Verfasserin) Somit sind auch der Umgang mit Werbetexten und die Erwartungen an diese immer sprachraum- und kulturabhängig, wobei sich auch hier je nach Produkt inzwischen auch eine Globalisierungstendenz erkennen lässt. Experiment 2 Machen Sie eine Umfrage unter Ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen, um herauszufinden, welche Merkmale und Funktionen Werbung zugeschrieben werden, indem Sie folgenden Satz vervollständigen lassen: Gute Werbung muss … sein. Vergleichen Sie die Antworten und erstellen Sie eine möglicherweise kulturraumgebundene Präferenz für bestimmte Merkmale. Diskutieren Sie dann mit Ihren Kommilitonen, ob die deutsche Bier-Werbung für Jever Pilsener aus dem Jahr 2006 [Online unter https: / / www.youtube.com/ watch? v=A3p0-Uf2WXU. 4. Dezember 2017] die zuvor aufgestellten Kriterien erfüllt. Anders als bei der Anzeigenwerbung mit Text- und Bildteilen können Werbespots in Fernsehen und Kino narrative Elemente enthalten, die durch bewegte Bilder visualisiert werden. Der ästhetische Aspekt dieser Bilder (stimmungsvolle Natur, Freiheit und Ähnliches) erscheint hier eher kulturübergreifend zu wirken. 6.2.3 Verschiedene Lebenswelten in Werbetexten Je nach Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft sind die Erfahrungen im Umgang mit dem Textmuster Werbung zu berücksichtigen. Das zeigt sich auch im visuellen Lesen einer Werbeanzeige. Insbesondere Farbbedeutungen variieren von Sprachraum zu Sprachraum, sodass unter Umständen auch unerwartete oder unerwünschte Konnotationen mittransportiert werden können. Die Farbe in Bildtexten funktioniert als semiotisches System, das soziale Realität in einem bestimmten Bereich widerspiegelt. Für eine Textanalyse mit lebensweltlichem Ansatz eignet sich daher der sprachraumspezifische kitchen-discourse (vergleiche Kress & van Leeuwen 2001: 38), da die Darstellung dieses Lebensbereichs zahlreiche soziokulturelle Implikationen enthält. Diese betreffen einerseits die Gegenstände der Kücheneinrichtung, andererseits aber auch die soziale Funktion bzw. den Stellenwert für den Verbraucher. Gleichzeitig werden bei bildlichen Darstellungen auch die Lebensart und nicht selten ein geschlechtsspezifisches Rollenverhalten in diesem ‚Lebensraum‘ semiotisch mitgeliefert. Deshalb ist soziales Handeln auch immer semiotisch enkodiert. (Venohr 2007: 18) Die Art der Einrichtung (Farbgebung, Materialien etc.) verweist auf lebensweltliche Praktiken und hat somit eine große Aussagekraft für die möglichen Unterschiede in den Lebensformen von Ausgangs- und Zielsprachenland. Dies bestätigt auch die Untersuchung zu den länder- <?page no="239"?> 239 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung spezifischen, das heißt den kulturell adaptierten IKEA -Katalogen im deutsch-bulgarischgriechischen Vergleich bei Petkova-Kessanlis (2014). Sie stellt fest, dass die im deutschen Katalog angebotene Küchen-Grillpfanne in der bulgarischen und griechischen Version fehlt. Gegrillt wird in der Regel im Freien- […]. In Griechenland bildet sich dann oft eine Grillgesellschaft-[…]. Anstelle der Grillpfanne ist im bulgarischen und griechischen Katalog ein Plastikbehälter abgebildet. Auch diese Entscheidung der Katalogmacher hat einen kulturellen Hintergrund und ist somit nachvollziehbar: Denn in beiden Ländern wird sehr oft in großen Mengen gekocht, so dass immer etwas übrig bleibt. (Petkova-Kessanlis 2014: 139) Nimmt man nun Werbung für Küchengeräte als Ausgangspunkt für eine am Lebenswelt-Konzept orientierte Textanalyse, dann sind neben den länderspezifischen Ess- und Kochgewohnheiten beziehungsweise deren Suggerierung durch das jeweilige Interpretationsangebot des Werbetextes auch der Stellenwert dieser technischen Geräte in der jeweiligen Gesellschaftsform zu bestimmen. Das soll an folgendem Beispiel exemplarisch illustriert werden: Abbildung 6.5: Russischer Werbetext für Stinol-Kühlschränke (Lisa N° 41 / 2001; Venohr 2007: XVII ) <?page no="240"?> 240 6 Angewandte Interkulturwissenschaften Die auf den ersten Blick unernste Modalität der Zettel-Nachricht On rabotaet, prosto očen´ ticho. (transliteriert aus dem Kyrillischen ins Deutsche: ‚Er arbeitet / funktioniert, [aber] einfach sehr leise‘) deckt sich nicht mit der bis dahin vorherrschenden informationsbetonten Tradition russischer Werbeanzeigen. Die interkulturelle Verstehensleistung liegt darin, dass man die Mangelwirtschaft und die dadurch hohe Wertschätzung für funktionierende Geräte zu Zeiten des Kommunismus in der Sowjetunion, die hier nicht explizit genannt, aber 2001 immer noch mitgedacht wird, inferiert. Die Füllung des Kühlschranks lässt allerdings wieder Rückschlüsse auf eine eher traditionell-natürliche russische Lebenswelt zu (vor allem frische Grundnahrungsmittel statt abgepackter Ware), gleichzeitig aber auf die Werbepraxis in Russland (keine versteckte Werbung für andere Produkte). 6.2.4 Didaktische Funktionen von interkultureller Werbung im DaF-Unterricht Über den Einsatz von Werbung im DaF-Unterricht gibt es zahlreiche Arbeiten, die sich insbesondere auf das Phänomen der Stereotypisierung beziehen (Welche Klischees werden aktiviert oder dekonstruiert? ), aber auch hinsichtlich landeskundlicher Hintergrundinformationen, die das Dekodieren der Werbebotschaft erst ermöglichen (vergleiche dazu auch Zeuner 2002). Lernen in der Reflexion auf Werbetexte operiert somit grundsätzlich mit dem Merkmal der Fremdheit des (allzu) Vertrauten. ‚Kultur‘ wird in ihrer Zeichenhaftigkeit bewusst, indem das unerkannte, weil vertraute kulturelle Objekt unvertraut wird. (Kuße 2007: 11) Somit liegen die Lernziele sowohl im Bereich des visuellen Lesens in einem fremdkulturellen semiotischen System (hier: Symbole und Ähnliches), aber auch im Perspektivenwechsel: […] durch die Arbeit an fachlichen Texten und Werbetexten [soll-- Anmerkung der Verfasserin] der Studierende für den Zusammenhang zwischen Sprache und Kultur sensibilisiert und befähigt werden, sprachliche Äußerungen auf die hinter ihnen stehende Kultur zu befragen. (Zeuner 2001: 175) Werbung hat den didaktischen Vorteil, dass sich nahezu alle Fertigkeiten (auch das Seh-, Hörverstehen) mittels unterschiedlicher Werbeträger trainieren lassen. Diese mediale Dimension erhöht auch die Lernmotivation, da Wahrnehmungsmuster über mehrere Kanäle aktiviert werden. Die interkulturell ausgerichtete Spracharbeit sollte aber insbesondere im Fremdsprachenunterricht im Vordergrund stehen. Da sich Spracharbeit auch durch Farb-Konzepte in Phraseologismen einer Einzelsprache wie beispielsweise in sich schwarz ärgern oder blau machen äußert, kann diese durch die Multimodalität von Werbetexten noch hervorgehoben werden. Wenn jemand rot sieht, dann lässt sich dieses Gefühl von Wut sowohl durch den Gesichtsausdruck als auch durch das konkrete Sehen eines roten Gegenstandes visualisieren. Diese Metaphern werden als semitransparent bezeichnet. Auch Der Duft von Freiheit und Abenteuer, der jahrzehntelang die Werbung von Marlboro- Zigaretten bestimmt hat (eigentlich im olfaktorischen Bereich des Geruchssinns angesiedelt), <?page no="241"?> 241 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung kann durch das Bild von Natur aufgrund von Erfahrungen realisiert werden (Natur repräsentiert Freiheit und Natur wird verbunden mit Duft beziehungsweise Geruch). Je nach Herkunftsland und prototypischer Vorstellung von Natur und den damit assoziierten Düften (Tannenwaldluft oder salzige Meeresbrise) können hier mithilfe der interkulturellen oder auch konfrontativen Semantik fremdsprachendidaktische Ziele verfolgt werden, darunter das Erkennen von einzelsprachlichen Konnotationen von Adjektiven (im Russischen bedeutet njedaleko (hier transliteriert; deutsch: ‚nicht weit‘), dass man diesen Ort mit dem Nachtzug erreichen kann). An dieser Stelle darf aber auch auf den regionalen Charakter von Werbung hingewiesen werden, der den vermeintlich einheitlichen Diskurspraktiken im deutschen Sprachraum eine intrakulturelle Differenzierung entgegensetzt. Dass Dialekte in ihrer mündlichen Sprachrealisation auch in der Werbung die „Sprache der Nähe“ dar- - und somit den Bezug zur eigenen Lebenswelt herstellen, soll an folgendem Plakat (Außenwerbung) der saarländischen Firma Karlsberg Urpils illustriert werden: Abbildung 6.6: Mutter schafft… Werbung von Karlsberg Urpils ( HDW 2018) Neben der zu inferierenden Bild-Botschaft, dass sich deutsche Männer um die Kinderbetreuung kümmern, während die Mütter arbeiten (hier: schaffen bedeutet in vielen süddeutschen Dialekten ‚arbeiten‘) kollidiert mit dem im DaF-Unterricht sprachsystematisch erlernten Wortbildungsmuster für Substantivsuffigierung auf -schaft. Hier zeigt sich auch das Prinzip von Laut-Buchstaben-Zuordnung und orthografischer Umsetzung (hier: Homophonie), das gerade für DaF-Lerner eine große Herausforderung darstellt. Gleichzeitig lässt sich an diesem Textbeispiel zeigen, dass sprachliche Varietäten wie Dialekte in Werbung-- auch in Form von Sprachspielen-- eine Rolle spielen können. Unter Umständen könnten in diesem Rollenbild <?page no="242"?> 242 6 Angewandte Interkulturwissenschaften auch ironische Momente mitwirken, die unter bestimmten Rezeptionsbedingungen auch zu einer Ablehnung aufgrund sexistischer Interpretationsmuster führen. Im interkulturellen Fremdsprachenunterricht ließe sich hier auch die Frage nach der political correctness stellen. Dass Werbung mit Klischees (auch mit Nationenbildern) arbeitet, um diese sogleich wieder aufzulösen, zeigt eine aktuelle Außenwerbung von SWISSA ir (Berlin, Adenauerplatz 31. März 2017; eigene Aufnahme der Verfasserin; siehe Abbildung rechts): Die in weißer Schriftfarbe formulierte Frage Schweizer sind langsam? wird in der darauffolgenden Zeile beantwortet mit Dann sind Sie noch nie in Zürich umgestiegen. Genießen Sie kürzeste Umsteigezeiten am Flughafen Zürich. (in roter Schriftfarbe). Somit ist hier die farbliche Entsprechung zu den Nationalfarben ikonografisch (Abbildung des rot-weißen Kreuzes als Schweizer Nationalemblems) und typografisch (durch die zwei Schriftfarben) ausgedrückt. Die zweite Informationsebene ist die Visualisierung von Bewegung durch die Abbildung eines Reisenden auf der Rolltreppe, der sichtlich entspannt seinem nächsten Flug entgegensieht, da er diesen pünktlich erreichen wird. Hier ist einerseits die Frame-Leerstelle des Umsteigens auf Reisen zu inferieren, während gleichzeitig das sprachliche Bild „pünktlich wie eine Schweizer Uhr“ beim Betrachter oder der Betrachterin aktiviert wird. 6.2.5 Zusammenfassung ▶ Werbung ist durch verschiedene Textsorten und Medien ein in textlinguistischer Sicht zu differenzierender Diskurs mit gesellschaftlicher Relevanz. ▶ Werbung ist ein Spiegelbild gesellschaftlicher Diskurse und der darin virulenten Themen. ▶ Das Handlungsmuster des Bewertens wird in verschiedenen Sprach- und Kulturgemeinschaften unterschiedlich realisiert. ▶ Der Bild-Code kann von Kultur zu Kultur stark variieren, insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Metonymien und Schlüsselattribute. ▶ Metaphorisierung und Konzeptualisierung durch und in Sprache werden in kreativen Werbetexten ganz besonders häufig als Stilmittel verwendet und können je nach Ziel- und Ausgangsprache zu Dekodierungsproblemen führen. ▶ Auch internationale Werbekampagnen unterliegen kulturellen Adaptationsmechanismen. ▶ Lebensweltliche Bezüge bestimmen die meisten Werbetexte, die auf Erfahrungen mit dem Textmuster, aber auch den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beruhen. ▶ Werbung hat im interkulturell orientierten Fremdsprachenunterricht eine wichtige landeskundliche Funktion (insbesondere im Hinblick auf die Funktion von und den Umgang mit Stereotypen). <?page no="243"?> 243 6.2 Interkulturelle Aspekte von Werbung Abbildung 6.7: Außenwerbung von SWISSA ir <?page no="244"?> 244 6 Angewandte Interkulturwissenschaften 6.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was versteht man unter interkultureller Werbung? 2. Warum sind Kognitionsmetaphern in Werbung-- auch im Sprachvergleich-- besonders wichtig für das Dekodieren der Werbebotschaft? 3. Wie funktioniert eine komplementäre Text-Bild-Relation? 4. Welche Rolle spielt der Bild-Code bei der Entschlüsselung einer Werbebotschaft? 5. Welche Arten des Bewertens kann man in Werbetexten unterscheiden? 6. Welchen Einfluss haben lebensweltliche Bezüge auf den Werbediskurs? 7. Warum eignet sich Werbung für den interkulturellen DaF-Fremdsprachenunterricht? <?page no="245"?> 245 6.3 Film als kulturelles Medium 6.3 Film als kulturelles Medium Barbara von der Lühe Die vorliegende Lerneinheit basiert auf der Publikation Erinnerungsorte und Erinnerungsfilme im DaF-Studium: Das Massaker von Nanking im deutschen und chinesischen Spielfilm (von der Lühe 2012) und beschäftigt sich mit einer vergleichenden Analyse zweier Erinnerungsfilme zum Nanking-Massaker 1937: John Rabe (Deutschland 2009, Regie: Florian Gallenberger), und City of Life and Death (Volksrepublik China 2009, Regie: Lu Chuan). Das Ziel ist es, die unterschiedliche mediale Wahrnehmung des Nanking-Massakers im kollektiven Gedächtnis in China und Deutschland herauszuarbeiten und Lerner für die Bedeutung der Medien für das kollektive Gedächtnis zu sensibilisieren. Das Nanking-Massaker begann am 13. Dezember 1937, als japanische Truppen im Verlauf des zweiten japanisch-chinesischen Krieges (1937 bis 1945) Chinas damalige Hauptstadt Nanking besetzten und innerhalb von sechs Wochen 250.000 bis 300.000 Zivilisten und Kriegsgefangene umbrachten. Das Massaker beeinflusst die öffentliche Meinung Chinas gegenüber Japan bis heute. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Bedeutung des Films als kulturelles Medium des kollektiven Gedächtnisses verstehen und erläutern können; ▶ einige Beispiele für Erinnerungsfilme kennenlernen und diese analysieren können; ▶ Filme als kulturelle Medien in Ihren Unterricht einbetten und eigene Unterrichtssequenzen zu ihrer Analyse erstellen können. 6.3.1 Erinnerungsorte, Erinnerungsfilme Der Begriff Erinnerungsort-- eigentlich Gedächtnisort (lieux de mémoire, siehe Lerneinheit 5.2)-- stammt von dem Historiker Pierre Nora. Er bezeichnet damit die kollektive Gedächtnisleistung einer Gruppe von Menschen (vergleiche Nora & François 2005). Über die Abgrenzung von Erinnerung und Geschichte sowie die unterschiedlichen Gedächtnis-Arten nach Assmann haben Sie bereits einiges in den Lerneinheiten 5.2 und 5.3 in diesem Band erfahren. Hier soll es aber vielmehr um die Funktion von Medien als Träger von Erinnerung beziehungsweise Erinnerungen gehen. Diese Erinnerungsorte haben eine besonders symbolische Bedeutung mit identitätsstiftender Funktion- - die kollektiven Erinnerungen der Gruppe können in einem Ort, einer Persönlichkeit, einer mythischen Gestalt, einem Ritual oder in einem Symbol manifestiert sein (vergleiche François & Schulze 2009 [2001]). Das von Maurice Halbwachs (1991 [1985, 197]) geprägte Konzept des kollektiven Gedächtnisses wurde von Aleida und Jan Assmann <?page no="246"?> 246 6 Angewandte Interkulturwissenschaften (1999) weiter differenziert: Das kommunikative Gedächtnis liefert mündlich weitergegebene Erfahrungen und Traditionen, es ist alltagsnah und gruppengebunden. Es umfasst einen Zeitraum von etwa drei Generationen nach dem Zeitpunkt des Geschehens, schätzungsweise 80 Jahre. Das kulturelle Gedächtnis ist dagegen nicht an Personen gebunden, sondern an Speichermedien, zum Beispiel schriftliche Erinnerungen, die auf diese Weise für viele Generationen und über lange zeitliche Perioden erhalten bleiben. Jan Assmann (1997 [1992]) hebt in diesem Zusammenhang die wichtige Rolle der Medien als Träger des kulturellen Gedächtnisses hervor. Erst in jüngerer Zeit hat sich die Forschung des Films als Medium des kollektiven Gedächtnisses angenommen. Im Kern geht es darum, Filme nicht nur als Speichermedien, sondern auch als Verbreitungsmedien des kollektiven Gedächtnisses zu untersuchen, da sie kurz- oder langfristig das Geschichtsbild einer Gesellschaft prägen können. Aus erinnerungskulturwissenschaftlicher Perspektive richtet sich das Interesse sowohl auf die filmimmanente als auch auf die filmtranszendierende Analyse, die auf die „Wirkung des Films in konkreten Erinnerungskulturen“ (Erll & Wodianka 2008: ff) abzielt: Um das Potenzial eines Erinnerungsfilms einschätzen zu können bedarf es der Analyse von Marketingstrategien, Auszeichnungen, der Rezeption des Films bei Politikern oder Politikerinnen, Wissenschaftlern beziehungsweise Wissenschaftlerinnen, Kritikern oder Kritikerinnen, des Publikums, der öffentlichen Diskussion in den Medien, der Verwertung im Fernsehen, der DVD -Distribution und des Einsatzes in pädagogischen Einrichtungen. Diese plurimedialen Netzwerke sind entscheidend dafür, ob ein Film im kollektiven Gedächtnis prägend wirkt, ob man also von einem Erinnerungsfilm sprechen kann (vergleiche Erll & Wodianka 2008: ff). Grundsätzlich eignen sich Film- und Fernsehproduktionen aller Genres als Erinnerungsfilme, doch oft sind es Werke mit historischen Inhalten, die als Erinnerungsfilme gelten können. Generell verzeichnen historische Themen in Spielfilmen, Dokudramen und Dokumentationen seit den 1980er Jahren international einen Boom, in Deutschland fokussiert auf die NS -Zeit, den Zweiten Weltkrieg und die Shoah. Die beiden Filme, um die es hier geht, sind Erinnerungsfilme und können sehr gut für eine vergleichende Analyse eingesetzt werden. Beide Filme wurden fast zur gleichen Zeit in China gedreht und kamen im April 2009 im Abstand von einer Woche in die chinesischen Kinos. Sie setzen sich aus der Perspektive der Produktionsländer mit dem Massaker von Nanking auseinander, verhandeln die jeweiligen Erinnerungsdiskurse des schrecklichen Geschehens in China und in Deutschland und entfachten damit lebhafte politische Diskussionen. Beide Filme berufen sich inhaltlich auf authentische Berichte, insbesondere Tagebücher von Zeitzeugen und erhielten nationale sowie internationale Auszeichnungen, hatten ein breites nationales und-- aufgrund der Distribution in Asien, Europa sowie in Nord- und Südamerika- - ein internationales Medienecho. In Japan wurden sie bisher nicht im Kino gezeigt. City of Life and Death war in China ein Box-Office-Hit und löste eine hohe Medienresonanz, insbesondere im Internet aus. John Rabe wurde von den chinesischen Kritikern und beim Publikum überwiegend mit positivem Feedback aufgenommen. In Deutschland ist John Rabe zunächst im Februar 2009 auf der Berlinale und ab 2. April 2009 im Kino gezeigt worden. Trotz einer glamourösen <?page no="247"?> 247 6.3 Film als kulturelles Medium Uraufführung während der Filmfestspiele, einer langfristigen PR -Kampagne, einer umfangreichen, kontrovers geführten Diskussion in den Medien und hohen Auszeichnungen, war der Film kein Publikumserfolg. City of Life and Death kam in Deutschland gar nicht in die Kinos, am 11. Oktober 2010 wurde der Film als Direct-to-Video auf DVD und Blu-Ray unter dem Titel City of Life and Death-- Das Nanjing Massaker auf den Markt gebracht. Entsprechend gering war die Reaktion seitens der deutschen Fachpresse und der Öffentlichkeit. Mehr öffentliche Aufmerksamkeit fand die neueste Produktion des in Deutschland populären Regisseurs Zhang Yimou, die sich ebenfalls mit dem Massaker von Nanking auseinandersetzt, die Romanverfilmung The Flowers of War (Yan 2007), die auf der 2. Berlinale im Februar 2012 Europa-Premiere hatte. In diesem Film spielt der deutsche Kaufmann John Rabe jedoch keine Rolle. 6.3.2 Das Massaker von Nanking: Historischer Hintergrund Zum Verständnis der Filmanalyse sollten historische Vorkenntnisse vermittelt werden, die hier nur angedeutet werden können. Nanking-- oder Nanjing (südliche Hauptstadt)-- zählt zu den ältesten und historisch bedeutendsten Städten Chinas. Nanking war Hauptstadt mehrerer chinesischer Dynastien und ist heute die Hauptstadt der Provinz Jiangsu. Von hier aus brach zu Beginn der Ming-Dynastie ab 1405 der chinesische Seefahrer und Entdecker Zheng He zu insgesamt sieben Erkundungsreisen gen Westen auf. Am Ende des ersten Opiumkrieges begannen mit dem Vertrag von Nanking 1842 die erzwungene politische Öffnung Chinas und der Niedergang des chinesischen Kaiserreiches. Nach dem Sturz der Qing-Dynastie wurde Nanking 1912 unter dem republikanischen Präsidenten Sun Yatsen (18-1925) Hauptstadt der Republik. 1927 etablierte Chiang Kai-shek (1887-1975) in der Stadt am Yangtse das von ihm geführte nationalkonservative Nanking-Regime. Zehn Jahre später verließ Chiang Kaishek die Stadt während des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges (1937-1945) und verlegte den Regierungssitz weiter westlich zunächst nach Wuhan und dann nach Chongqing. Seit dem 9. Dezember 1937 wurde Nanking von japanischen Truppen belagert. Als die chinesischen Soldaten sich der geforderten Kapitulation verweigerten, eröffneten die japanischen Streitkräfte eine massive Offensive und drängten bis zum 12. Dezember die Mehrheit der chinesischen Truppen aus der Stadt auf die andere Uferseite des Jangtse. Am 13. Dezember 1937 besetzten japanische Truppen Nanking und verübten an der Zivilbevölkerung und an Kriegsgefangenen sechs Wochen lang ein grausames Massaker. Schätzungen gehen von 250.000 bis zu 300.000 Todesopfern aus (vergleiche Makino 2009), etwa 20.000 Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt, viele wurden als comfort women zur Prostitution gezwungen. Die meisten Ausländer und Ausländerinnen waren bereits aus der Stadt geflüchtet, als sich die japanische Armee von Shanghai aus näherte. Von denen, die noch blieben, richteten einige das Internationale Komitee für die Nanking Sicherheitszone als Zufluchtsort für Zivilisten ein. Die meisten Komitee-Mitglieder waren Geschäftsleute und Missionare beziehungsweise Missionarinnen, aber auch Wissenschaftler beziehungsweise Wissenschaftlerinnen, Diplomaten und Diplomatinnen, ein amerikanischer Arzt und eine Lehrerin wirkten an der Rettungsaktion mit. Zum Vorsitzenden wurde der deutsche Geschäftsmann <?page no="248"?> 248 6 Angewandte Interkulturwissenschaften John Rabe gewählt, da man hoffte, dass er als Deutscher und Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ( NSDAP ) Einfluss auf die japanischen Militärs nehmen könne. In der knapp vier Quadratkilometer großen Schutzzone im Stadtzentrum wurden Flüchtlingslager eingerichtet, in denen zeitweise 200.000 bis 250.000 Menschen lebten. Am 1. Dezember 1937 forderte der Bürgermeister die Zivilisten auf, sich in die Sicherheitszone zu begeben, er selber verließ die Stadt am 7. Dezember. Die meisten noch verbliebenen Ausländer und Ausländerinnen versuchten nun Nanking mit Schiffen zu verlassen, die jedoch am 12. Dezember von japanischen Tieffliegern angegriffen wurden. Dabei wurde das Flusskanonenboot der United States Navy, die USS Pernay, versenkt, drei Menschen starben. Als Nanking erobert wurde, waren nur wenige Komiteemitglieder unter der Leitung von John Rabe geblieben. Ihnen war es überlassen, den Schutz der Einwohner und Einwohnerinnen so weit wie möglich zu organisieren. 6.3.3 Das Massaker von Nanking: Erinnerungsdiskurse in der Volksrepublik China und in Deutschland In China gab es seit 1949 und auch nach dem gemeinsamen Kommuniqué der japanischen Regierung und der Regierung der Volksrepublik China vom 29. September 1972 aus politischen Gründen kaum eine öffentliche Debatte über das Massaker. Während des Kalten Krieges war man bemüht, mit Japan zu kooperieren (vergleiche Chang 1997: 11). Erst allmählich entwickelte sich nach dem Tod Mao Tse Tungs (197) und dem Ende der Kulturrevolution der Erinnerungsdiskurs über die Kriegsverbrechen: 1985 wurde die Memorial Hall for Compatriots killed in the Nanjing Massacre by Japanese Forces of Aggression im Stadtteil Jiangdongmen eröffnet, wo sich Massengräber der Massakeropfer befanden. 1995 wurde die Gedenkstätte erneuert und vergrößert. 1997 kam die chinesische Übersetzung von Rabes Tagebüchern in die Buchläden, die, anders als die deutsche Edition, Rabes Eintragungen während der Belagerung und der Besetzung Nankings vollständig enthält. Das Gedenken an die Opfer gehört spätestens seit der Verlautbarung des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao im Jahr 2004 zur patriotischen Erziehung der Jugend. Über das Verhalten der damaligen Regierung, der Leitung der Stadt und des chinesischen Militärs vor und während des Massakers von Nanking gibt es in der Volksrepublik China kontroverse Diskurse, insbesondere zu der Frage, warum keine geordneten Maßnahmen zur Verteidigung der Stadt und zur Rettung der Bevölkerung ergriffen wurden. Damit ist das Problem des Gesichtsverlustes verbunden, dass die Einwohner von Nanking als wehrlose Opfer und die Soldaten in ihrer Niederlage ohne Gegenwehr in Erinnerung bleiben. Die Leugnung der Kriegsverbrechen durch Mitglieder der japanischen Regierung ist ein ständiger Konfliktstoff zwischen der Volksrepublik China und Japan sowie zwischen Südkorea und Japan. Sehr kritisch wird in der Volksrepublik China der problematische Umgang Japans mit der Verantwortung, Wiedergutmachung und Reue für die Kriegsverbrechen in China und Korea diskutiert (vergleiche Makino 2009; Seraphim 2004; Pfeiff 2009). Unterschiedlich bewertet wurde seit 1949 der Beitrag westlicher Ausländer und Ausländerinnen zur Rettung der Bevölkerung. Ungeachtet dessen war und ist John Rabe in China einer der bekanntesten Deutschen. Mit Dankbarkeit erinnert man sich seit den 1990er Jahren <?page no="249"?> 249 6.3 Film als kulturelles Medium seines Bemühens um das Leben der bedrohten und verfolgten Bevölkerung von Nanking. Nachdem Bundespräsident Johannes Rau während seines Staatsbesuches in Nanking 2003 John Rabes Verdienste gewürdigt hatte, wurde Rabes ehemaliges Haus renoviert und 200 als Gedenkstätte eröffnet. Generell gilt Deutschland in China als vorbildlich im Umgang mit der NS -Vergangenheit und der Shoah- - ganz besonders im Gegensatz zur Leugnung von Kriegsverbrechen an Chinesen und Koreanern von japanischer Seite. Aus deutscher Sicht steht im Mittelpunkt des Erinnerungskurses über das Nanking-Massaker der Siemens-Manager John Rabe, der „Oskar Schindler Chinas“, der „deutsche lebende Buddha“. John Rabe war ein deutscher Kaufmann aus Hamburg, der drei Jahrzehnte in China lebte, bei der Firma Siemens in China Karriere machte-- und seit 1934 Mitglied der NSDAP war. 1931 wurde Rabe Geschäftsführer der Nanking-Vertretung von Siemens. Rabe war als Leiter des Internationalen Komitees der Nanking Sicherheitszone von Dezember 1937 bis März 1938 maßgeblich an den Rettungsaktionen beteiligt. Sein Wohnsitz, unmittelbar neben der Nanking Universität gelegen, war ebenfalls eine Aufnahmestätte, die über 00 chinesische Flüchtlinge beherbergte. Im März 1938 verließ Rabe Nanking auf Veranlassung der Siemens-Zentrale. In Deutschland wollte er über die Gräueltaten des japanischen Militärs berichten, dies war im nationalsozialistischen Deutschland jedoch unerwünscht, da dieses sich Japan politisch immer weiter annäherte. 1950 starb John Rabe an einem Schlaganfall, verarmt und vergessen in seiner Ein-Zimmer-Parterre-Wohnung in Berlin-Siemensstadt. Erhalten blieben seine Tagebücher, in denen er detailliert die Belagerung und Besetzung Nankings beschreibt. Neben anderen Unterlagen dienten diese Darstellungen dem Internationalen Militärgerichtshof Fernost als Zeugnis, der nach Kriegsende von den Alliierten in Tokio initiiert wurde. Danach hielt Rabes Familie die Tagebücher bis Mitte der 1990er Jahre unter Verschluss. So war John Rabe in Deutschland lange Zeit nur Wenigen ein Begriff. Eine kleine Wende brachte 1997 Erwin Wickerts Edition an Auszügen der Tagebücher von John Rabe. Ausführlich setzte sich Wickert im Nachwort der Tagebuchedition mit der Frage auseinander, ob Rabe ein Nazi gewesen sei: Dieser habe, so Wickert, von China aus den Nationalsozialismus gründlich missverstanden, er habe Hitler nicht durchschaut-- ein Nazi sei Rabe jedenfalls nicht gewesen, lautet Wickerts Urteil (vergleiche Wickert 1997: 370). 1997 veröffentlichte Iris Chang (198-2004) das Buch The Rape of Nanking (1988), in dem sie auch John Rabe würdigt, „The Nazi who saved Nanking“. Die deutsche Übersetzung erschien 1999 unter dem Titel Die Vergewaltigung von Nanjing. Die deutschen Medien nahmen zunächst aber kaum Notiz von Rabes Tagebüchern. Ein weiterer Schritt zur Rehabilitierung Rabes in der deutschen Öffentlichkeit war die Rede von Bundespräsident Johannes Rau während seines Staatsbesuchs in Nanking 2003, in der er an den „deutschen Schindler“ erinnerte und mit Zeitzeugen des Massakers sprach. Wenig später richtete Rabes Familie in Heidelberg ein Dokumentationszentrum ein. Doch erst 70 Jahre nach dem Nanking-Massaker brachten der Produzent Mischa Hoffmann und der Regisseur Florian Gallenberger mit ihrem Film das Gedenken an John Rabe und der Opfer japanischer Kriegsverbrechen in China auch in das Bewusstsein der breiten deutschen Öffentlichkeit. <?page no="250"?> 250 6 Angewandte Interkulturwissenschaften 6.3.4 Der Film John Rabe Inhalt und Figuren Die Filmhandlung beginnt Ende November 1937, als John Rabe (gespielt von Ulrich Tukur) und seine Frau (gespielt von Dagmar Manzel) ihre Rückkehr nach Deutschland vorbereiten. Rabes Abschiedsfest wird durch einen japanischen Fliegerangriff unterbrochen. Um die schutzsuchenden Menschen auf dem Siemens-Werksgelände zu retten, öffnet Rabe die Tore des Firmengeländes und spannt eine riesige Hakenkreuzfahne auf, die japanische Piloten von weiteren Tieffliegerangriffen abhält. Als am nächsten Tag ein Komitee zur Bildung einer Sicherheitszone für Zivilisten in Nanking gebildet wird, wählt man Rabe auf Vorschlag der französischen Lehrerin Valérie Dupres (gespielt von Anne Consigny) zum Vorsitzenden des Komitees. Ungeachtet seines persönlichen Schmerzes über den vermeintlichen Tod seiner Frau beim Untergang eines Flüchtlingsschiffes, widmet er sich dem Komitee und der Rettung der Zivilbevölkerung, dabei setzt der Diabetiker Rabe das eigene Leben und seine Gesundheit aufs Spiel. Immer wieder kommt es zu Gräueltaten der japanischen Truppen auch in der Sicherheitszone. Der Film endet mit Rabes Abschied von Nanking. Am Hafen von Nanking wird er von der chinesischen Bevölkerung als Retter bejubelt. Zuletzt kommt es zu einem Wiedersehen mit seiner Frau, die das Schiffsunglück glücklicherweise überlebt hat. So endet der Film optimistisch mit einem Happy End-- ganz entgegen der grausamen außerfilmischen Realität. Erzählperspektive Die Erzählperspektive wechselt zwischen Ich-Erzähler und neutralem Erzähler, dieser vermittelt den Eindruck des unmittelbaren Beobachters. Die Kamera schwenkt zwischen Pointof-View-Shots, das heißt, die Kamera zeigt das Filmgeschehen aus der Perspektive der erzählenden Figur, und der Außenperspektive, die das Geschehen aus der Sicht eines neutralen Erzählers darstellt. Die Darsteller und Darstellerinnen werden überwiegend in totalen, halbtotalen und halbnahen Einstellungen gezeigt, auch in Naheinstellungen. Groß- und Detaileinstellungen, die eine starke Empathie der Zuschauer bewirken, werden seltener verwendet. Im Mittelpunkt der Filmerzählung steht John Rabe. Von den chinesischen Charakteren werden zwei hervorgehoben, Rabes Fahrer Chang (gespielt von Ming Li) und die Schülerin Langshu (gespielt von Jingchu Zhang), aus deren Sicht die Grausamkeiten der japanischen Besetzer geschildert werden. Außer Langshu sind die chinesischen Charaktere durchweg durch stereotype Verhaltensweisen gekennzeichnet. Die Darstellung der Japaner als grausame Besatzer ist ebenfalls geprägt von Stereotypen, wobei einige Charaktere eine abweichende, auch kritische Haltung gegenüber den Verbrechen zeigen. In mehreren Szenen wird das Geschehen aus der Perspektive des Prinzen Asaka Yasuhiko (gespielt von Teruyuki Kagawa) geschildert, einer historischen Persönlichkeit: Als Kommandeur der Streitkräfte, die Nanking eroberten, war er für das Massaker maßgeblich verantwortlich, wurde dafür aber nie zur Rechenschaft gezogen. <?page no="251"?> 251 6.3 Film als kulturelles Medium Genre Die Filmerzählung bedient gängige Konventionen des Melodrams wie zum Beispiel: Held oder Heldin im Kampf gegen eine Übermacht, Rivalität, Polarisierung moralischer Standpunkte und Märtyrertum. Vom Genre her ist John Rabe also eher ein Melodram als ein Kriegsfilm, da im Mittelpunkt Rabes emotionale und seelische Konflikte vor dem Hintergrund der menschlichen Katastrophe in Nanking stehen. Die Verbrechen der japanischen Soldaten an der chinesischen Bevölkerung und an den Kriegsgefangenen werden ebenfalls dargestellt, mit Szenen von Straßenkämpfen, Exekutionen und Massenmorden. Das pathetische Ende mit den jubelnden Menschen und dem Wiedersehen Rabes mit seiner Frau steigert die gefühlvolle Stimmung des gesamten Filmes ins Extreme, was eine Entsprechung in der sich emotional steigernden Filmmusik (Score) hat. Produktion und Distribution Der Film John Rabe wurde nach vierjähriger Vorbereitungszeit von Oktober 2007 bis Februar 2008 überwiegend in Shanghai unter der Regie von Florian Gallenberger gedreht. Der Münchner Regisseur, Jahrgang 1972, zählt zu den erfolgreichsten jüngeren deutschen Filmemachern. Die Welturaufführung von John Rabe fand auf der 59. Berlinale am 7. Februar 2009 statt, am 2. April 2009 startete der Streifen in den deutschen Kinos. Der Film erhielt hohe Auszeichnungen. In China kam John Rabe nach der Erstaufführung in Peking am 29. April 2009 in die chinesischen Kinos, eine Woche nach dem Start von City of Life and Death. Auf dem Shanghai Film Festival im Juni 2009 erhielt er den Shanghai Film Critics Award in der Kategorie Film of Merit. Thematische Annäherung: John Rabe als Erinnerungsfilm Der Film von Florian Gallenberger basiert auf John Rabes Tagebüchern und beansprucht insofern aus der Zeitzeugenperspektive historische Authentizität. Allerdings entsprechen die gesprochenen Texte aus Rabes Tagebuch nicht den originalen Eintragungen, welche in der veröffentlichten Tagebuchedition zu lesen sind. In die Filmhandlung des in Farbe gedrehten Films ist häufig dokumentarisches schwarz-weiß Material über die Kriegsereignisse aus der Filmsammlung von John Gillespie Magee hineingeschnitten, der Mitglied des Internationalen Hilfskomitees war. Regisseur Gallenberger sah es als schwierige Verantwortung, einen Film über ein so politisch brisantes Thema zu machen. Ihn interessierte vor allem die Frage nach der Psyche der Deutschen im NS -Staat. Dass Rabe in Deutschland nach dem Gestapo-Verhör Zweifel und Kritik am NS -Staat entwickelte, rechtfertigte schließlich für Gallenberger das Filmprojekt. Und dass die Ikone der Vernichtung-- das Hakenkreuz-- auch ein Symbol für Zuflucht gewesen sei, bewegte Gallenberger ungemein (Ertel 2008). Eine der eindrucksvollsten Szenen zeigt John Rabe, der eine überdimensionale Hakenkreuzfahne aufspannt und mit diesem Symbol des Schreckens das Leben von Chinesen vor japanischen Tieffliegern schützt. Die Argumentation fügt sich in Konventionen des deutschsprachigen Films über die nationalsozialistische Zeit, die sich häufig auf Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen konzentrieren. Rabes <?page no="252"?> 252 6 Angewandte Interkulturwissenschaften Wandlung vom Nationalsozialisten zu einem Mann, der am Nationalsozialismus zweifelt, zählt ebenfalls zu den Schemata des deutschsprachigen Films über die NS -Zeit. Der Typus des „gutbösen Nazis“ ist seit Steven Spielbergs Film Schindlers Liste häufig variiert worden, und nicht umsonst wird John Rabe mit Oskar Schindler verglichen. Produzent Jan Mojto konstatierte Ende Oktober 2011 anlässlich der TV -Premiere von John Rabe, dass „der Typus des tüchtigen, offenen, internationalen und anständigen Deutschen, den es ja tatsächlich gab, in den Filmen über den Zweiten Weltkrieg in den Hintergrund geraten“ sei (Ehrenberg 2011). Das Schicksal des aus einer jüdischen Familie stammenden Botschaftsrats Dr. Rosen-- den es wirklich gab-- steht für das Thema der Judenverfolgung im Nationalsozialistischen Staat. Um das Filmgeschehen so realistisch wie möglich zu gestalten, engagierte man ein internationales, prominentes Schauspielerteam aus Deutschland, den USA , Frankreich, der Volksrepublik China und Japan. 6.3.5 Der Film City of Life and Death Inhalt und Figuren Der Film beginnt im Juli 1937 mit Bildern von Postkarten in englischer Sprache und mit kurzen Voice-over-Berichten (Kommentare eines unsichtbaren Sprechers) über den Verlauf des zweiten chinesisch-japanischen Krieges bis zur Einnahme von Nanking. Solche Postkarten in Form von inserts (Einblendung von Texten oder Zwischentiteln) kommentieren auch im Folgenden den Handlungsverlauf. Die eigentliche Filmhandlung setzt im Dezember 1937 unmittelbar vor der Eroberung von Nanking ein und wird aus der Perspektive des jungen japanischen Offiziers Kadokawa (gespielt von Hideo Nakaizumi) erzählt. Es folgt ein Perspektivwechsel zu dem chinesischen Offizier Lu (gespielt von Liu Ye), der sich in der Stadt mit seinen schlecht ausgerüsteten Soldaten vergeblich der Flucht chinesischer Truppen widersetzt. Diese fliehen durch ein Stadttor zum Fluss Yangtse und geraten in den Hinterhalt der japanischen Streitkräfte. Lu kämpft mit seinen Männern einen verzweifelten Straßenkampf gegen die Invasoren, bis er in japanische Gefangenschaft gerät und auf Befehl eines japanischen Offiziers zusammen mit Hunderten Kriegsgefangenen erschossen wird. Nicht alle japanischen Offiziere sind mit diesen Massakern einverstanden, können sie aber auch nicht verhindern. Die dritte Geschichte erzählt das Schicksal der wohlhabenden Familie Tang, die anfangs mit Rikschas durch die zerstörte Stadt in die Sicherheitszone flieht. Herr Tang (gespielt von Wei Fan) ist Übersetzer für John Rabe, er versucht mit den japanischen Offizieren zu verhandeln und dabei für sich und seine Familie Vorteile zu erlangen. Aber er kann nicht verhindern, dass seine kleine Tochter und seine Schwägerin (gespielt von Yao Di) ermordet werden; eine der schockierenden Szenen des Films zeigt, wie ein japanischer Soldat Tangs kleine Tochter aus dem Fenster wirft. Tang opfert sich am Schluss für einen chinesischen Kollegen, der mit Rabe die Stadt verlässt, er selber wird von den Besatzern erschossen; seine schwangere Frau (gespielt von Qin Lan), die ebenfalls mit Rabe ausreisen darf, überlebt als einzige der Familie das Massaker. Die vierte Geschichte erzählt das Schicksal der engagierten jungen Lehrerin Jiang (gespielt von Yuanyuan Gao), die mutig und tatkräftig das Leben in der Sicherheitszone koordiniert. <?page no="253"?> 253 6.3 Film als kulturelles Medium Sie versucht Menschen zu retten und ihre Schülerinnen vor Vergewaltigung und Ermordung zu beschützen-- schließlich wird auch sie Opfer der Willkür japanischer Soldaten. Das Leiden und die Ermordung von comfort women, Mädchen und Frauen, die von den japanischen Streitkräften zur Prostitution gezwungen werden, ist ein eigener Erzählstrang. Prostitution soll aufgrund der Zensurbestimmungen in der Volksrepublik China nicht in Filmen thematisiert werden, ist aber in diesem Fall ein wichtiger Bestandteil der Story, da der Diskurs über comfort women in der chinesischen Öffentlichkeit ganz offen geführt wird und die Frauen im Film zu den Opfern des Massakers zählen. Die chinesische Zensurbehörde genehmigte in diesem Zusammenhang auch Szenen des Abtransports unbekleideter ermordeter Frauen durch japanische Soldaten, obwohl die Darstellung von Nacktheit in chinesischen Filmen nicht gestattet ist. Auch diese Szenen tragen zur starken Emotionalisierung des Publikums bei. Die westlichen Ausländer und Ausländerinnen, allen voran John Rabe (gespielt von John Paisley) und die Leiterin des Girls College, Minnie Vautrin (gespielt von Beverly Peckous), sind nur in wenigen Szenen zu sehen: Sie erscheinen völlig machtlos, passiv, ängstlich, chaotisch und unfähig der chinesischen Bevölkerung zu helfen. John Rabes Abschied wird als Verrat an seinen chinesischen Schutzbefohlenen interpretiert. Eine weitere Erzählung handelt von einem kleinen chinesischen Jungen, offenbar ein Waise, der in die Kampfhandlungen gerät und durch Zufall eine Massenhinrichtung von Kriegsgefangenen überlebt. Am Ende schließt sich der Kreis: Kadokawa soll den Jungen und einen älteren Chinesen außerhalb der Stadt erschießen. Zutiefst erschüttert von der Brutalität des Krieges und voll Mitleid mit der chinesischen Bevölkerung lässt er die beiden aber fliehen. Mit seinem Revolver begeht Kadokawa Selbstmord. Der Film endet mit langen Einstellungen auf die beiden Überlebenden und auf die Leiche des jungen japanischen Offiziers, die in einer blühenden Wiese liegt. Erzählperspektive Die Erzählperspektive wechselt zwischen auktorialem und neutralem Erzähler, selten wird aus der Ich-Perspektive erzählt. Die Postkarten zum Kriegsverlauf kommentieren ähnlich wie die Zwischentitel (inserts) im Stummfilm die Handlung an entscheidenden Stellen und leiten oft von einem Handlungsstrang zum anderen über. Es sind Postkarten ungenannter Zeitzeugen aus westlichen Ländern, die die Kriegsereignisse aus einer auktorialen Perspektive beschreiben. Lu Chuans Film schildert die schrecklichen Ereignisse in Nanking auch aus der Perspektive des jungen japanischen Offiziers Kadokawa, der, in einer Missionsschule erzogen, seine Menschlichkeit bewahrt-- die Zuschauer und Zuschauerinnen können Empathie für ihn entwickeln. Über seine Innensicht erfährt der Zuschauer beziehungsweise die Zuschauerin allerdings nichts, es gibt keine inneren Monologe aus dem Off. Ebenso wie bei dem chinesischen Offizier Lu wird durch Point-of-View-Einstellungen nur bildlich die Erzählerperspektive von Kadokawa deutlich. Die Geschichten der Familie Tang und der comfort women werden aus der Perspektive des neutralen Erzählers dargestellt. Die Emotionalisierung der Zuschauer und Zuschauerinnen wird durch die intensive Verwendung von Groß- und Detailaufnahmen und durch extreme Kameraperspektiven aus der Unter- und Obersicht <?page no="254"?> 254 6 Angewandte Interkulturwissenschaften intendiert. Kurze Einstellungen, schnelle Schwenks und Zooms sorgen für ein großes Tempo und Dynamik im Stil eines Actionfilms. Genre City of Life and Death ist ein Kriegsfilm, die Kampfszenen und die Perspektive der chinesischen und japanischen Soldaten bestimmen die Erzählung. Stilistisch orientiert sich der Regisseur deutlich an zwei Filmen Steven Spielbergs: Schindlers Liste (1993) und Saving Private Ryan (1998). Neben dem durch mise-en-scene (die räumliche Anordnung von Figuren und Dingen im Bild), Bild und Ton stark wirkenden Realismus wirkt Lu Chuans Film auch durch die Suggestion einer beinahe dokumentarischen filmischen Authentizität durch die Verwendung der Handkamera und des schwarz-weiß Films. Wie Spielberg bei Schindlers Liste und Saving Private Ryan geht es Lu Chuan um den Umgang mit kontroversen Thematiken, um die Aktualisierung bekannter beziehungsweise verdrängter Vergangenheit. Hinzu kommt eine moralische Argumentation mit allgemeiner Aussagekraft, nämlich Menschlichkeit, Triumph des Guten über das Böse und Authentizität durch Anlehnung an wahre Begebenheiten (vergleiche Corell 2009). Und wie bei Spielberg ist es die Gewalt der Bilder, die dem Publikum im Gedächtnis bleibt, ebenso wie die eindrucksvolle Musik. Produktion und Distribution Der Regisseur Lu Chuan, Jahrgang 1970, ist einer der erfolgreichsten jüngeren chinesischen Regisseure, die seit Mitte der 1990er Jahre, beziehungsweise im neuen Jahrtausend die Filmszene Chinas betreten haben. Diese „. Generation“ beschäftigt sich kritisch mit der Vergangenheit und Gegenwart des Landes. The City of Life and Death ist Lu Chuans dritter Spielfilm. Mit einem für China ungewöhnlich hohen Budget von 11,7 Millionen Dollar (80 Millionen Renmenbi) und mehr als 20.000 Komparsen entstand in einer vierjährigen Produktionszeit dieses Monumentalwerk, dessen ursprünglicher Titel Nanjing! Nanjing! lauten sollte. Der Film wurde ab Oktober 2007 nördlich von Peking in der Küstenstadt Tianjin und in den Filmstudios in Changchun im Norden der Volksrepublik China gedreht. Am 22. April 2009 war der Kinostart in China; der Film spielte einen sensationellen Erfolg mit geschätzten Einnahmen von 10,2 Millionen Dollar (70 Millionen Renmenbi) in nur fünf Tagen und etwa 20 Millionen Dollar (150 Mio Renmenbi) in den ersten zweieinhalb Wochen ein. City of Life and Death wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Thematische Annäherung: The City of Life and Death als Erinnerungsfilm Der Film ist „dem Gedenken der 300.000 Landsleute gewidmet, die beim Nanking-Massaker getötet wurden“, so lautet die Information, die in weißer Schrift auf schwarzem Grund dem Film vorangestellt ist. Die Vorgeschichte der Eroberung Nankings und der Verlauf des Massakers werden anhand von Postkarten mit Schreibschrift in englischer Sprache erzählt: Eine Stimme aus dem Off berichtet über den Inhalt der Karten, die im Bild zu sehen sind. Hier kommen aus dem Off namenlose Zeitzeugen aus westlichen Ländern zu Wort, die im <?page no="255"?> 255 6.3 Film als kulturelles Medium Film auf diese Weise die Rolle eines auktorialen Erzählers übernehmen. Lu Chuan bedient sich also nicht der Tagebucheintragungen von John Rabe. Damit setzt sich der Regisseur von dem gleichzeitig produzierten deutschchinesischen Film ab und konstituiert zugleich einen aus chinesischer Sicht objektiven westlichen Zeitzeugen. Die Innensicht der chinesischen Opfer und der japanischen Täter kommt im Film nicht verbal zum Ausdruck. An keiner Stelle wird aus Tagebucheintragungen japanischer Soldaten zitiert, obwohl die Lektüre solcher Dokumente den Regisseur nach eigenen Angaben zu dem Film inspiriert hat, die ein neues Licht auf die japanischen Invasionstruppen werfen. Autor und Regisseur Lu Chuan schuf mit der Figur des Kadokawa einen positiven Charakter, der nicht mittun will an dem Töten und Quälen, der Scham für die Taten der japanischen Soldaten empfindet und der versucht, die Leiden der Menschen inmitten des unmenschlichen Krieges zu lindern. Mit dieser positiven Charakterisierung eines japanischen Soldaten verstieß Regisseur Lu gegen ein bis dato ungeschriebenes Tabu in China-- den japanischen Feind menschlich zu zeichnen. Mit seinem Film will Lu helfen, die alten Wunden zwischen den früheren Kriegskontrahenten zu heilen, ließ Lu mehrfach in Interviews wissen (Lu 2009). Die Rettungsaktionen der Europäer und Europäerinnen werden als Nebenhandlung dargestellt: John Rabe und den anderen werde ein „angemessener Platz“ im Film gegeben, meinte Regisseur Lu. Hauptthema des Films seien die beiden Kriegsparteien China und Japan. Lu meinte dazu: Ich schätze Rabe und andere Europäer, welche uns halfen. Doch das Wichtigste im Krieg waren, meiner Meinung nach, nicht Europäer die hunderttausende Chinesen retteten, sondern die Chinesen und Japaner. Wir sind es nämlich, die die Geschichte aufarbeiten und von ihr lernen müssen. (Lu 2009) Die Rettung und Selbstrettung seiner Vorfahren und der Geist, der dahinterstand, trage China bis heute. Dies sei für ihn „die eigentliche Motivation für diesen Film“ sagte Lu (2009). Besonders am Herzen lag ihm daher die Ehrenrettung der chinesischen Bevölkerung und Soldaten, die keineswegs-- wie oft behauptet-- wie Schafe zur Schlachtbank gegangen seien, sondern im Rahmen ihrer Möglichkeiten gekämpft und Widerstand geleistet hätten (Lu 2009: 04-1, 23: 43: 5). Aus dieser Perspektive werden der unerschrockene Kampf des chinesischen Offiziers Lu (gespielt von Liu Ye) und sein Martyrium in einer Massenexekution erzählt: Diese Figur hat wenige Dialoge, wirkt aber durch Körperhaltung und Mimik besonders stark, sie nimmt häufig eine statuarische Pose ein. Die Kampfszenen der chinesischen Soldaten der Stadt und ihre Hinrichtung nehmen in der ersten Hälfte des Films den breitesten Raum ein, bevor sich der Schwerpunkt des Filmgeschehens auf das Schicksal der Zivilisten und auf die Gräueltaten der japanischen Soldaten an der Zivilbevölkerung verlagert. 6.3.6 Vergleich der beiden Filme Beide Filme hatten in China im April 2009 im Abstand von einer Woche Premiere und liefen einige Zeit gleichzeitig in den Kinos. Auch sonst gibt es Gemeinsamkeiten: Beide Regisseure sind beinahe gleichaltrig und zählen zur preisgekrönten jungen Generation der Filmemacher ihrer Länder. Für beide war es die erste Blockbuster-Produktion. Beide Filme haben <?page no="256"?> 256 6 Angewandte Interkulturwissenschaften Hollywoodformat, was aber ganz unterschiedlich umgesetzt wird: Auf der einen Seite großes Gefühlskino, die Geschichte von John Rabe als Melodram. Ein Film, der von den Bildern aber auch von den Dialogen lebt-- und von der Musik, die in ihrer Emotionalität oft kritisiert wurde. Auf der anderen Seite spricht der fast semidokumentarische Stil des chinesischen Streifens für sich, der zwar auch an die Emotionen der Zuschauer appelliert, der aber facettenreich aus mehreren Perspektiven erzählt. Im Mittelpunkt stehen die Sichtweisen von Chinesen und Japanern, der Opfer und Täter, die „Westler“ bleiben außen vor. John Rabe verlässt die Stadt in Demutshaltung, nicht im Triumph wie in Gallenbergers Film. Es gibt wirkungsvolle Bilder, vergleichsweise wenige Dialoge, schockierende Toneffekte und eine unsentimentale, aber wirkungsvolle Musik. Beide Filme beschäftigen sich vor allem mit den jeweils eigenen Geschichtsbildern und kontroversen Fragen zur nationalen Identität. Beide Filme wollen zur aktuellen Diskussion über Tabuthemen der Geschichte und Politik beitragen. Das Massaker von Nanking bildet dafür die Folie: Im Mittelpunkt des deutschen Films John Rabe steht die Frage nach dem Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit-- die Frage, ob das Schema des „bösen Nationalsozialisten“ zu durchbrechen ist ohne unreflektiert in die gegenteilige Deutung zu verfallen. Interessanterweise kam diese Ambivalenz beim deutschen Publikum nicht sehr gut an. Im chinesischen Film City of Life and Death von Lu Chuan geht es um ein Trauma der chinesischen Geschichte. Aus chinesischer Sicht stellen sich Fragen, die lange tabuisiert waren: Wie konnte das Massaker in diesem Ausmaß stattfinden? Wo war der Widerstand der chinesischen Armee und der Bevölkerung? Wie sollte man mit der Tatsache umgehen, dass Ausländer zumeist aus westlichen Ländern dazu beitrugen, hunderttausende der Einwohner Nankings vor dem Schlimmsten zu bewahren? Aufschlussreich ist Lu Chuans Einschätzung der japanisch-chinesischen Beziehungen: Entweder wir zerstören Japan, Japan zerstört uns, oder wir versuchen, einander zu verstehen. Ich glaube, letzteres wäre die beste Lösung. Die Japaner sollten sich für das Massaker entschuldigen und die Chinesen sollten sich darüber klar werden, warum so etwas möglich war und was sie verloren. (Lu 2009) 6.3.7 Hinweise zur Aufgabenerstellung Da filmanalytische Methoden vielen Lernern nicht vertraut sind, sollte vom Lehrer beziehungsweise der Lehrerin zunächst eine kurze Einführung in die Filmanalyse anhand der angegebenen Literatur (Hickethier 2007; Mikos 2008) erfolgen. Ausgehend davon können die Lerner und Lernerinnen zur Einarbeitung kurze Szenen aus Filmen analysieren, dabei kann auf exemplarische Analysen (zum Beispiel Jost & Kammerer 2012; Volk 2009; Beicken 2004; Werner 2004) zurückgegriffen werden. Zur Vertiefung der historischen Kenntnisse ist es empfehlenswert, vor dem Beginn der vergleichenden Analyse der beiden hier besprochenen Filme Arbeitsmaterialien über die nationalsozialistische Zeit, über das Massaker von Nanking und den chinesisch-japanischen Krieg (1937-1945) sowie über Erinnerungsdiskurse zu dieser <?page no="257"?> 257 6.3 Film als kulturelles Medium Thematik in Deutschland, China und Japan auszugeben und zu diskutieren. Auf dieser Basis können die Lerner folgende Arbeitsschritte vollziehen: Im Seminar werden die beiden Filme jeweils als Ganzes gezeigt, im Anschluss an jeden Film folgt eine Diskussion, in der Eindrücke über die Handlung, die Figuren und ihre Beziehung zueinander, den Stil der Filme und deren Wirkung auf die Studenten und Studentinnen geschildert und diskutiert werden. Diese Diskussionen können mithilfe von asynchronen Kommunikationsmitteln auch online gestaltet werden, indem die Studenten und Studentinnen ihre Beiträge beispielsweise in einem Forum veröffentlichen und gleichzeitig die Beiträge von den anderen Studenten und Studentinnen kommentieren. Dann beginnt die sukzessive Analyse unter folgenden Aspekten: Beginn des Films: Erzählweise Von jedem Film werden jeweils die ersten 15 Minuten zweimal gezeigt. Die Studenten und Studentinnen notieren Stichworte zu folgenden Fragen: ▶ Wer erzählt? ▶ Welche Personen handeln? ▶ Welche Themen werden behandelt? ▶ Welche inhaltlichen Schwerpunkte gibt es? Ende des Films: Erzählweise Von jedem Film werden jeweils die letzten 10 Minuten zweimal gezeigt und einzeln analysiert. Die Studenten und Studentinnen notieren Stichworte zu folgenden Fragen: ▶ Wer erzählt? ▶ Welche Personen handeln? ▶ Welche Themen werden behandelt? Anschließend sollen die Lerner aufgrund der bisherigen Analysen dazu angehalten werden, das Ende des Films John Rabe mit dem Ende des Films City of Life and Death zu vergleichen. Figurengestaltung Die Studenten und Studentinnen bilden Gruppen; jede Gruppe befasst sich mit einer oder zwei Figuren aus einem der beiden Filme. Jede Gruppe präsentiert Porträts dieser Figur(en) mit entsprechenden Filmausschnitten im Plenum. Gemeinsam werden die Porträts analysiert und diskutiert. Rezeption Die Studenten und Studentinnen recherchieren Kritiken aus verschiedenen Ländern über die Filme und analysieren die Texte unter unterschiedlichen Aspekten, zum Beispiel: Wird in der Kritik der Inhalt des Films dargestellt, welche Themen werden hervorgehoben, welche <?page no="258"?> 258 6 Angewandte Interkulturwissenschaften Thematik wird nicht erwähnt? Welche anderen Themen (außer dem Inhalt) werden in der Kritik besprochen beziehungsweise analysiert? Was wird an dem Film positiv, was negativ bewertet? Argumentiert die Kritik inhaltlich oder formal? Werden in der Kritik Vergleiche mit anderen Filmen gezogen? Welche Erinnerungsdiskurse werden in der Filmkritik angesprochen? Die Stichpunkte aus den verschiedenen Kritiken können anschließend anhand von digitalen Postern (zum Beispiel mit dem webbasierten Tool Glogster) als Ergebnisse der Recherchearbeit im Plenum präsentiert und kommentiert werden. 6.3.8 Vorschläge für Prüfungsaufgaben und Fragestellungen in der Schlussdiskussion ▶ Vergleichen Sie für beide Filme die Charaktere, welche die Handlung bestimmen. ▶ Welche Rolle spielen John Rabe und die Mitglieder des Sicherheitskomitees in beiden Filmen? Welche Unterschiede bestehen? ▶ Wie wird das Verhältnis zwischen den Mitgliedern des Sicherheitskomitees zu den chinesischen Einwohnern von Nanking in beiden Filmen dargestellt, welche Unterschiede gibt es? ▶ Wie wird das Verhältnis zwischen den Mitgliedern des Sicherheitskomitees zu den japanischen Offizieren und Soldaten in beiden Filmen dargestellt? Welche Unterschiede gibt es? ▶ Welche Rolle spielen chinesische Soldaten in beiden Filmen? ▶ Welche Rolle spielt die chinesische Zivilbevölkerung in den Filmen? ▶ Wie werden die japanischen Offiziere in beiden Filmen charakterisiert? ▶ Wie werden die Kriegsverbrechen in den Filmen geschildert? ▶ Welche Botschaften vermitteln die beiden Filme? ▶ Vergleichen Sie die Standpunkte der Regisseure zu ihren Filmen. 6.3.9 Schlussbemerkung Das Spezifikum der vergleichenden interkulturellen Medienanalyse liegt darin, dass Informationen audiovisuell übermittelt werden, wodurch nicht nur auf der auditiven, sondern auch auf der visuellen Ebene sowohl ein Sachsowie Gefühlswechsel in Gang gesetzt wird, der den Lerner alternative Sichtweisen und Interpretationen von Realität in verschiedenen Kulturen nachempfinden und herstellen lässt. Das Verstehen der der Medienanalyse zugrundeliegenden Begrifflichkeiten und Methoden schärft die Beobachtungsgabe gegenüber Gestik, Mimik und Stimme, was den Lerner für die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen und mit anderen Kulturen trainiert. Semantische Kompetenz als Teil der interkulturellen Kompetenz verstärkt die Fähigkeit, Gestaltung und Bildsymbolik in verschiedenen Kulturen wie ein native zu empfinden und gleichzeitig kritisch bewerten zu können. <?page no="259"?> 259 6.3 Film als kulturelles Medium 6. 3. 10 Zusammenfassung ▶ Erinnerungsorte haben eine besondere symbolische Bedeutung mit identitätsstiftender Funktion-- die kollektiven Erinnerungen der Gruppe können in einem Ort, einer Persönlichkeit, einer mythischen Gestalt, einem Ritual oder in einem Symbol manifestiert sein. Sie werden im kommunikativen sowie im kulturellen Gedächtnis verankert. ▶ Das kommunikative Gedächtnis liefert mündlich weitergegebene Erfahrungen und Traditionen, es ist alltagsnah und gruppengebunden. Es umfasst einen Zeitraum von etwa drei Generationen nach dem Zeitpunkt des Geschehens, schätzungsweise 80 Jahre. ▶ Das kulturelle Gedächtnis ist dagegen nicht an Personen gebunden, sondern an Speichermedien. ▶ Medien, darunter auch Erinnerungsfilmen, kommt eine wichtige Rolle beim Speichern und Verbreiten des kulturellen Gedächtnisses zu. Grundsätzlich eignen sich Film- und Fernsehproduktionen aller Genres als Erinnerungsfilme, doch oft sind es Werke mit historischen Inhalten, die als Erinnerungsfilme gelten können. ▶ Erinnerungsfilme können sehr produktiv im Unterricht eingesetzt werden, um die Lerner für Erinnerungsdiskurse zu sensibilisieren und ihre historischen Kenntnisse und (inter-)kulturelle Kompetenz zu vertiefen. 6. 3. 11 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Worin besteht der Unterschied zwischen dem kulturellen und dem kommunikativen Gedächtnis? 2. Welche Rolle kommt den Medien beim Speichern und Verbreiten des kulturellen Gedächtnisses zu? 3. Wie können Erinnerungsfilme im Unterricht eingesetzt werden? 4. Worin bestehen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Filmen John Rabe und City of Life and Death? Nennen Sie jeweils zwei bis drei Aspekte und führen Sie diese aus. <?page no="261"?> 261 6.3 Film als kulturelles Medium 7 Interkulturelles Lernen In diesem Kapitel werden weitere theoretische Grundlagen zum interkulturellen Lernen präsentiert. Hier geht es zunächst um zentrale Begriffe wie interkulturelle Kompetenz als übergeordnetes Lernziel, aber auch um Themen wie die interkulturelle Landeskunde, Stereotype und Nationenbilder. Eine solide theoretische Fundierung ist immer die Grundlage für eine funktionierende Anwendungsperspektive, die auch hier-- wie in allen anderen Kapiteln-- das Ziel ist. Das Besondere an interkulturellen Perspektiven (wie immer man den Begriff dann auch fasst) ist das Ziel, Verstehensprozesse besser zu verstehen. Dafür bedient man sich der Deutlichkeit willen gerne der Fremdheit- und Fremdheitserfahrung, durch die Kontraste und ihre Vermittlung oft deutlicher werden. Die in diesem Kapitel behandelten Sozialformen des Unterrichts schließen klassische Unterrichtssituationen (Lerneinheit 7.1) sowie bilaterale Tandemkontexte (Lerneinheit 7.2) ‒ mit oder ohne Kopräsenz der Interaktanten-- ein. In der Lerneinheit 7.1 werden interkulturell relevante Themen der Kulturwissenschaften vorgestellt, und zwar unter Berücksichtigung der kulturspezifischen Ausprägungen von ähnlichen Wahrnehmungskategorien. Auch hier ist bereits der Ausblick auf die Projektarbeit (inklusive autonomes Lernen) gegeben, die vielfältige Formen und Möglichkeiten der Begegnung mit dem Anderen, mit Fremden und mit Fremderfahrungen auch außerhalb des Zielsprachenlandes als Voraussetzung für interkulturelles Lernen ermöglicht. In dieser Lerneinheit werden auch Grundlagen der interkulturellen Sprachdidaktik behandelt. Die Lerneinheit 7.2 stellt mehrere Organisationsformen von Tandems als Begegnungsinstrumente in interkultureller Kommunikation vor, darunter Präsenz- und Distanztandems. Die Einheit weist auf das Potenzial dieser Begegnungsmöglichkeiten zur Stärkung interkultureller Handlungskompetenzen hin. Die bereits in Lerneinheit 7.1 geforderte Handlungsorientierung im interkulturellen Unterricht setzt sich hier auch außerhalb des Unterrichts fort, gerade indem eine authentische Kommunikation erzielt wird, und zwar im selbstgesteuerten Lernen mit großen Lern-Freiräumen. Tandems eignen sich für die reale Kommunikation genauso wie für unterrichtlich vermittelte handlungsorientierte Kommunikationsaufgaben. So kann auch eine Verzahnung der beiden Sphären erfolgen. Als Non-plus-Ultra der Internationalisierung, besonders in Hochschulen, und des interkulturellen Kennenlernens und Austauschs von Schülern und Studenten gelten Auslandsaufenthalte im Ziel- oder Partnerland. Diesem Thema widmet sich daher die Lerneinheit 7.3 mit kritischer, empirisch fundierter Distanz. Hier werden unter anderem die Entwicklung unterschiedlicher Eigen- und Fremdstereotype sowie deren Veränderungen und Verfestigungen auf der Basis empirischer Daten betrachtet, konkretisiert und exemplifiziert an verschiedenen Gruppen japanischer Austauschstudentinnen und -studenten in Deutschland. Es zeigt sich, dass die naiven Vorstellungen von Begegnungen als Katalysator für interkulturelles Verstehen und von einer linearen Entwicklung hin zu einem „besseren“ Verstehen irreführend sind. Einstellungen können durch eine spezifische Kontaktsituation während eines Studienaustauschaufenthaltes im Ausland sowohl aufgebrochen als auch verfestigt oder negativ verändert werden. Das betrifft Einstellungen gegenüber der eigenen wie auch einer fremden Kultur. Diese Lerneinheit bietet darüber hinaus einen Leitfaden, eine Checkliste, für die Konzeption und das Management internationaler Austauschprogramme. <?page no="262"?> 262 7 Interkulturelles Lernen 7.1 Interkulturelle Landeskunde Ulrich Zeuner In dieser Lerneinheit wird der interkulturelle Ansatz von Landeskunde zunächst kurz charakterisiert. Im Folgenden werden Lernziele der interkulturellen Landeskunde und mögliche Themen und Inhalte zur Arbeit an diesen Zielen vorgestellt und methodische Ansätze beschrieben, mit denen an den Lernzielen gearbeitet werden kann. Zwei Beispiele aus der Unterrichtspraxis sollen verdeutlichen, wie in diesem Landeskundeansatz gearbeitet werden kann. Dazu wurde ein Beispiel aus einem interkulturellen Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache aus dem Jahr 1987 gewählt, da aus dieser Zeit die ersten und wichtigsten Lehrwerke dieser Generation stammen. Das zweite Beispiel beschreibt ein E-Mail-Projekt zwischen deutschen und internationalen Studentinnen und Studenten. In einem dritten Beispiel wird an einem Text über Eindrücke in Deutschland gearbeitet. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ erklären können, was interkulturelle Landeskunde ist; ▶ Ziele interkultureller Landeskunde erklären können und mögliche Themen, Inhalte und Methoden nennen können, mit denen diese Ziele erreicht werden; ▶ mithilfe der Beispiele verstehen und erklären können, wie Methoden für interkulturelles Lernen angewendet werden. 7.1.1 Der interkulturelle Ansatz von Landeskunde Wenn man sich in einer fremden Sprache verständigen will, reichen allein Kenntnisse in Wortschatz und Grammatik und deren korrekte Verwendung in Kommunikationssituationen nicht aus. Ohne kulturelles Hintergrundwissen ist ein angemessenes Verstehen und Verwenden von Sprache nicht möglich. Diese Erkenntnis führte dazu, dass sich die Fremdsprachendidaktik seit Beginn der 1980er Jahre verstärkt für die gegenseitige Abhängigkeit von sprachlichem und kulturellem Lernen interessierte. Damit erhielt die Landeskunde eine Aufwertung, denn Kulturverstehen und Fremdverstehen (das heißt die eigene und die fremde Kultur besser begreifen zu lernen) trat als gleichberechtigtes Lernziel neben das Ziel fremdsprachlich-kommunikativer Kompetenz. Neben einer Erweiterung des Gegenstandsbereiches der Landeskunde, der Bewusstmachung der eigenen Perspektive auf die Welt, um die Fremdperspektive der anderen Kultur verstehen zu können nennt Pauldrach (1992: 11-12) die konfrontative Semantik als wichtigen Aspekt interkultureller Landeskunde. Die konfrontative Semantik geht davon aus, dass sich der wirkliche Bedeutungsumfang von Wörtern erst dann ergibt, wenn man die hinter den <?page no="263"?> 263 7.1 Interkulturelle Landeskunde Wörtern stehenden unterschiedlichen Konzepte der Wahrnehmung der Welt berücksichtigt, die sich auch in den Bedeutungen von Wörtern manifestieren (vergleiche Roche & Roussy- Parent 200: 228). Wahrnehmung und Konstruktion von Bedeutungen sind kulturell geprägt. Wortbedeutungen werden entweder als Bedeutungsinhalte (propositionale Repräsentation von Bedeutung) oder schematisch (Schema-Repräsentation von Bedeutung) im Langzeitgedächtnis gespeichert. Bedeutungsinhalte lassen sich als Einheiten aus einzelnen Bedeutungselementen verstehen, die den Inhalt als lineare Kette oder als Netzwerk darstellen. Sie können in Form von Assoziationen bewusst gemacht werden. Bei der schematischen Speicherung werden Bedeutungen in Form typischer Konzepte, Kategorien oder Muster, sogenannter Prototypen, im Langzeitgedächtnis festgehalten. Auch im interkulturellen Ansatz von Landeskunde ist Wissen über eine fremde Kultur wichtig; ohne Wissen kann man nichts begreifen. Aber: Zum einen wird dieser Wissensstoff nicht aufgrund möglichst vollständiger Landesbilder wie bei anderen landeskundlichen Ansätzen gewonnen, sondern interkulturelle Landeskunde nutzt andere Selektionskriterien für ihre Inhalte. Zum anderen bleibt interkulturell ausgerichtete Landeskunde nicht bei der Wissensvermittlung stehen und will auch nicht in erster Linie Informationen vermitteln. Es geht ihr vor allem um die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kulturen und Gesellschaften. Die eigene Lebenswelt wird vor dem Hintergrund der fremden Lebenswelt-- und umgekehrt-- gedeutet. Dadurch sollen ethnozentrische Sichtweisen relativiert und Vorurteile abgebaut werden. Die fremde Welt-- die Kultur der Zielsprache--, der der Lerner beim Lernen der Fremdsprache begegnet, trifft nicht auf Lerner ohne Vorerfahrung. Das Wissen über die fremde Welt wird immer vor dem Spiegel der in der eigenen Herkunftskultur geprägten Erfahrungen des Lerners gewonnen. Bekannte und eingeübte Lebenskontexte des Alltags (Kommunikationssituationen, Rollen, Verhalten) werden konfrontiert mit den relevanten Alltagskontexten für das Handeln in der fremden Sprache und Kultur. Der Lerner sollte sich fragen (und dieses Fragen muss er lernen- - dazu ist Landeskunde unter anderem da): „Sind hier die mir aus meinem bisherigen Leben bekannten und vertrauten Rollen und Verhaltensmuster noch gültig oder muss ich neue Handlungsmuster beachten? “ Interkulturelle Landeskunde will also an der Erkenntnis arbeiten, dass man die fremde Welt der Zielsprache immer durch die Brille der eigenen Lebenserfahrungen wahrnimmt und interpretiert. Aus dieser Erkenntnis heraus sollen Strategien für das Verstehen dieser fremden Welt und für das Handeln in ihr entwickelt werden. 7.1.2 Ziele interkultureller Landeskunde Zentrales Anliegen interkultureller Landeskunde ist das Anstoßen interkultureller Lernprozesse. Nach Thomas findet interkulturelles Lernen statt, wenn eine Person bestrebt ist, im Umgang mit Menschen einer anderen Kultur deren spezifisches Orientierungssystem der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns zu verstehen, in das <?page no="264"?> 264 7 Interkulturelles Lernen eigenkulturelle Orientierungssystem zu integrieren und auf ihr Denken und Handeln im fremdkulturellen Handlungsfeld anzuwenden. (Thomas 1993: 382) Ein Lernziel eines am Fremdverstehen orientierten Landeskundeunterrichts ist die Vermittlung interkultureller Kompetenz (zur Vertiefung vergleiche Rathje 200). Diese interkulturelle Kompetenz geht über rein affektive Lernziele wie den Aufbau von Empathie, Offenheit und Toleranz weit hinaus und beinhaltet nach Schinschke (1995: 3 ff) folgende eng miteinander verbundenen Fähigkeiten: ▶ Die Fähigkeit, eigenkulturelle Konzepte zu reaktivieren, das heißt einerseits die Bewusstwerdung eigenkultureller Verstehensvoraussetzungen und andererseits das Verstehen der fremden Kultur aus der Sicht ihrer Angehörigen. ▶ Die Fähigkeit zur Vermittlung zwischen eigener und fremder Kultur. Dies setzt die Bereitschaft und Fähigkeit voraus, die Eigenständigkeit und Andersartigkeit der anderen Kultur zu akzeptieren und zu respektieren, wobei man auch mit sich und seiner kulturellen Herkunft identisch bleiben soll. ▶ Die Fähigkeit, mit den aus verschiedenen Lebenswelten resultierenden Erwartungen und Verhaltensweisen umgehen und zwischen ihnen kommunikativ vermitteln zu können, das heißt ein bestimmtes Kommunikationsverhalten zu beherrschen. Es geht dabei um ein Aushandeln von Fremdheit, das heißt zum Beispiel unterschiedliche Wertvorstellungen, unterschiedliche Verwendungen von Begriffen, unterschiedliche kommunikative Verhaltensweisen und so weiter zu thematisieren. Als übergreifendes Lernziel wird auch Fremdverstehen im Sinne eines verstehenden Umgangs mit kommunikativen Handlungen einer anderen Sprach- und Kulturgemeinschaft genannt. Altmayer (2004) beschreibt in der folgenden Definition vier Schritte, die zum Fremdverstehen führen können: ‚Fremdverstehen' heißt-[…], dass Fremdsprachenlerner • bereit und in der Lage sind, die eigenen individuellen und / oder kulturellen kognitiven Schemata der Welt- und Wirklichkeitsdeutung zu relativieren und in Frage zu stellen; • die eventuelle ‚Fremdheit' und Unverständlichkeit von fremdsprachlichen Texten und Äußerungen prinzipiell auf diesen Texten/ Äußerungen möglicher Weise zugrunde liegende andere und unbekannte kognitive Schemata zurückführen können; • die ‚fremden' Schemata als potenzielle Gründe, die für die mit fremdsprachlichen Texten und Äußerungen erhobenen Geltungsansprüche sprechen könnten, rekonstruieren können; • auf der Basis dieser Rekonstruktion der rationalen Gründe von Geltungsansprüchen dazu begründet Stellung nehmen, d. h. die Gründe als hinreichend akzeptieren oder als inakzeptabel zurückweisen können. (Altmayer 2004: 70-71) Fremdverstehen in diesem Sinne ist als ein Prozess der Auseinandersetzung mit dem Fremden zu sehen, der auch kritisch sein kann (vergleiche Altmayer 2004: 71, siehe dazu auch den Transdifferenzansatz in Lerneinheit 2.2 in diesem Band). <?page no="265"?> 265 7.1 Interkulturelle Landeskunde 7.1.3 Themen interkultureller Landeskunde Schon in den ABCD -Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht (Herder-Institut Leipzig 1990) hieß es, dass Landeskunde dynamisch und prozesshaft gesehen und damit auf Vollständigkeit der Informationen im Hinblick auf ein Landesbild bewusst verzichtet wird. Wichtigste Aufgabe der Landeskunde sei nicht die Information, sondern die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kulturen. Unbestritten ist, dass sich solche Fähigkeiten und Strategien nicht ohne Inhalte, sondern nur im Rahmen bestimmter Themen entwickeln können. Bei der Suche nach solchen Themen sollte eine interkulturelle Landeskunde von der Erfahrungs- und Lebenswelt der Lerner ausgehen und in diesem Kontext Themen wählen, die für den Einzelnen und die Einzelne beziehungsweise die konkrete Gruppe von Bedeutung sind. Es handelt sich dabei um Themen, aus denen sich im Laufe der Kursarbeit immer wieder andere relevante Themen ableiten lassen. Im Verlauf des Unterrichts kann dazu ein Themennetz entstehen (vergleiche Badstübner-Kizik & Radziszewska 1998: 13-14). Konkrete Themen für interkulturelles Lernen lassen sich mithilfe sogenannter anthropologischer Grundkategorien finden, die elementare Daseinserfahrungen des Menschen benennen. Neuner (1994: 23) nennt zum Beispiel folgende elementare Daseinserfahrungen: 1. Geburt und Tod 2. Personale Identität (Ich, Existenz, sowie personale Eigenschaften) 3. Leben in einer Familie (Verwandschaftssysteme, private Gemeinschaften: Wir, Ähnlichkeitsbeziehungen und Zugehörigkeit) 4. Leben in einer größeren politischen Gemeinschaft (Sozialordnung beziehungsweise Sozietätsorganisation: Wir) 5. Partnerbeziehungen (Freundschaft und Liebe: Beziehungen der Geschlechter) 6. Wohnen 7. Umwelt (Physische Eigenschaften, Umweltbezug und -relationen) 8. Arbeiten (Existenzsicherung) 9. Ausbildung und Erziehung 10. Erholung und Kunst (Handlungen ohne unmittelbare materielle Zwecke; Freizeit und Unterhaltung) 11. Versorgung und Konsum 12. Verkehrsteilnahme und Mobilität (Erfahrung von Raum) 13. Kommunikation (Benutzung von Zeichensystemen und Medien) 14. Gesundheitsfürsorge (Gesundsein-- Kranksein, sowie Hygiene) 15. Erfahrung von Norm- und Wertsystemen (Ethik, Religion, Sinnsysteme) 16. Erfahrung von Geschichtlichkeit (Zeiterfahrung) 17. Erfahrung geistiger und psychischer Dimensionen (Reflexion und innere Repräsentation von Realität und Imagination, Erinnerung, Selbstreflexion, Emotionalität etc.) Die konkreten Ausprägungen dieser Grundkategorien in der Zielkultur und die Auswirkungen dieser konkreten kulturspezifischen Ausprägungen auf das Leben, Denken und Fühlen <?page no="266"?> 266 7 Interkulturelles Lernen ganz konkreter Menschen können zu Themen werden, die vergleichbar sind mit den konkreten Ausprägungen der Grundkategorien der Ausgangskultur der Lerner. Claus Altmayer, der diesen Ansatz für die Themenfindung prinzipiell als sinnvoll ansieht, hält die Liste mit den 17 Daseinserfahrungen jedoch für zu unübersichtlich und unsystematisch. Er geht davon aus, dass Kultur uns Orientierung in vier sehr grundlegenden Bereichen gibt, nämlich Identität, Raum, Zeit und Werte. Auf diese Bereiche möchte er landeskundliche Themenplanung stützen und schlägt als Beispiele folgende Themen vor (vergleiche Altmayer 2007: 20): Identität Raum Zeit Werte nationale Identität soziale Identität regionale Identität lokale Identität Geschlechteridentität Generationenidentität … Heimat Regionen Bundesländer Stadt - Land Himmelsrichtungen Grenzen … Vergangenheit Zukunft Jahreszeiten Wochentage Termine Pünktlichkeit Arbeitszeit - Freizeit Tradition Modernität … Glück Individuum vs. Gemeinschaft Menschenwürde Freiheit Gesundheit … Als spezifische Lerninhalte für interkulturelles Lernen sind auch Fragen und Probleme denkbar, die durch unterschiedliches Kommunikationsverhalten entstehen. Dazu gehören unter anderem beispielsweise: 1. Sprachliche Indikatoren für den Kulturvergleich: Hinterfragen von Begriffsinhalten; Kommunikationsabläufe und kommunikative Stile; Register und Textsorten; 2. Nonverbales Kommunikationsverhalten; 3. Interaktionsrituale wie zum Beispiel Begrüßungsrituale oder Verabschiedungsrituale; 4. Die gegenseitige Wahrnehmung der Kommunikationspartner beziehungsweise -partnerinnen und deren Auswirkung auf Kommunikationsabläufe; 5. Sprachliche Mittel und Abläufe von Metakommunikation zur Bewältigung und Analyse kommunikativer Situationen (vergleiche Müller-Jacquier 1994). 7.1.4 Methoden interkultureller Landeskunde Krumm nennt Begegnung als grundlegendes Konzept interkultureller Landeskunde: „Gleich ob Begegnung als reale Face-to-Face-Situation oder über Simulationen, Texte, Lehrwerke passiert, sie bildet ein Grundelement für landeskundliches Arbeiten“ (Krumm 1998: 528). Er führt weiter aus, dass interkulturelle Landeskunde Begegnung über drei klassische Zugänge zur Landeskunde organisiert: Den Zugang über die Sprache, den Zugang über die Menschen und ihr Handeln sowie den Zugang über exemplarische Manifestationen, das heißt über das Aufsuchen „derjenigen institutionellen, historischen, kulturellen Gegebenheiten, die das Beziehungsgefüge für unsere Alltagskultur herstellen“ (Krumm 1998: 537). <?page no="267"?> 267 7.1 Interkulturelle Landeskunde Zugang über die Sprache zur Kultur lässt sich gewinnen durch die Vermittlung von Wissen über sprachliche und kulturelle Kommunikationsnormen und -gewohnheiten (zum Beispiel in Rollenspielen) sowie Sprachaufmerksamkeitsübungen (vergleiche House 199), durch das Hinterfragen der kulturellen Bedeutungsebene von Wörtern (vergleiche Müller 1994), und durch das Entdecken kulturbedingter Unterschiede in Textstrukturen (vergleiche unter anderem Clyne 1993: 9 ff). Texte eröffnen außerdem über das unter ihrer Oberfläche liegende Wissen, das zu ihrem Verständnis vorausgesetzt wird, Zugang zur Kultur, in der sie entstanden sind (vergleiche Altmayer 2002). Dazu eignen sich unter anderem Werbetexte, weil sich bei dieser Textsorte der Zusammenhang zwischen Kultur und Text besonders gut sichtbar zeigt (vergleiche Zeuner 2002, ausführlicher dazu bereits in Lerneinheit .2 in diesem Band). Fremderfahrungen im interkulturellen Lernprozess lassen sich im Unterricht besonders gut über handlungsorientiertes Arbeiten organisieren. Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und lerneraktiver Unterricht, in dem die zwischen der Lehrkraft und den Lernern vereinbarten Handlungsprodukte die Gestaltung des Lernprozesses leiten, sodass Kopf- und Handarbeit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden (vergleiche Jank & Meyer 1991). Eine wichtige Methode handlungsorientierten Arbeitens ist die Projektarbeit (vergleiche dazu unter anderem Krumm 1991: 5f), die vielfältige Formen und Möglichkeiten der Begegnung mit dem Anderen, Fremden und Fremderfahrungen als Voraussetzung für interkulturelles Lernen ermöglicht. Über Internetprojekte lassen sich auch Kontakte zu Menschen der Zielkultur herstellen, wenn der Fremdsprachenunterricht nicht im Zielland stattfindet (vergleiche zum Beispiel Richter 1998 und Schlickau 2001). Exemplarische Manifestationen beschreibt Krumm als diejenigen institutionellen, historischen und kulturellen Gegebenheiten, die das Beziehungsgefüge für unsere Alltagskultur herstellen. Als Beispiel nennt er die Mauer in Deutschland: Zweiter Weltkrieg und Teilung, Ostpolitik und Wiedervereinigung, Fall der Mauer, Mauer im Kopf, Wohlstandsgraben (Krumm 1998: 537). Solche exemplarischen Manifestationen treten dem Fremdsprachenlerner vor allem in Form von authentischen Texten und Bildern entgegen, wobei literarische Texte eine besondere Rolle spielen können (vergleiche zum Beispiel Bischof, Kessling & Krechel 1999). Die folgende kleine Fabel von Günther Anders zeigt zum Beispiel schlaglichtartig die Problematik interkultureller Begegnungssituationen: Der Löwe Als die Mücke zum ersten Mal den Löwen brüllen hörte, da sprach sie zur Henne: „Der summt aber komisch.“ „Summen ist gut“, fand die Henne. „Sondern? “, fragte die Mücke. „Er gackert“, antwortete die Henne. „Aber das tut er allerdings komisch.“ (Anders 1988: 7) Ein weiteres wichtiges methodisches Feld für interkulturelle Landeskunde ist die Arbeit mit Stereotypen, das heißt mit dem Bild vom Zielsprachenland, das die Lerner (durch eigene Erfahrungen, Medien oder Unterricht vermittelt) im Kopf haben und in den Unterricht mitbringen. Dabei geht es darum, die Lerner <?page no="268"?> 268 7 Interkulturelles Lernen zu einer selbstreflektierenden und intersubjektiven Herangehensweise [an Stereotype] anzuregen und ihnen somit zu ermöglichen, die Faktoren, Mechanismen und Reaktionen besser zu verstehen, welche innerhalb der interkulturellen Kommunikation zum Tragen kommen. (Lipiansky 199) Eine weitere wichtige Methode ist das Vergleichen. Damit ist nicht der alltägliche Vergleich, wie ihn Menschen ständig mehr oder weniger bewusst vollziehen, gemeint: Der Vergleich beherrscht zwar unser Alltagsdenken und ist insofern auch praktische Voraussetzung von Fremdsprachenunterricht, er sollte aber gerade nicht als Methode zur Erkenntnisgewinnung behauptet werden. Er hat vielmehr seinen Platz am Ende des Verstehens- und Verständigungsprozesses zwischen zwei Gesellschaften und Kulturen, er ist sein Ziel. Ein Ergebnis einer solchen reflektierten (und nicht vorschnellen) Vergleichsdidaktik wird dann auch die Erkenntnis sein, daß viele Erscheinungen in anderen Kulturen / Gesellschaften eben- […] nicht vergleichbar, sondern anders sind: Das Fremde wird als Fremdes erkennbar und bleibt-- fremd und anziehend zugleich. (Pauldrach 1992: 13) 7.1.5 Interkulturelle Landeskunde in der Anwendung Abbildung 7.1: Sprachbrücke (Mebus, Pauldrach & Rall 1987: 53) <?page no="269"?> 269 7.1 Interkulturelle Landeskunde Das erste Beispiel stammt aus Sprachbrücke, einem Deutsch-als Fremdsprache-Lehrwerk für Anfänger. Es zeigt, wie man über den Zugang zu Kultur über die Sprache schon auf dem Anfängerniveau für die kulturelle Ebene der Wortbedeutung sensibilisieren kann, Grundlage sind Erkenntnisse der konfrontativen Semantik: Hinter dem Wort Familie und den sprachlichen Äquivalenten dieses Wortes in den jeweiligen Herkunftssprachen der Lerner steht jeweils ein bestimmtes kulturelles Konstrukt. Dieses Konstrukt wird deutlich, wenn bei der Übersetzung in die Muttersprache Unterschiede zum Deutschen sichtbar werden oder wenn das deutsche Schema nicht 1: 1 in die Muttersprache übertragen werden kann. Das machen hier auch die beiden Kommentarfiguren am rechten Rand der Seite deutlich. Im Handbuch für den Unterricht heißt es dazu: „In den asiatischen Sprachen gibt es zum Beispiel verschiedene Bezeichnungen für den älteren und jüngeren Bruder, ebenso im Maya (Mexiko). Die slawischen Sprachen benennen den ‚Mutterbruder‘ anders als den ‚Vaterbruder‘- […]“ (Rall 1990: 8). Zweites Beispiel: Abbildung 7.2: Frauen- und Männerbilder in der Werbung <?page no="270"?> 270 7 Interkulturelles Lernen Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt eines Dossiers, das eine Dresdner Studentin gemeinsam mit einer Studentin aus Vilnius in einem E-Mail-Projekt Interkulturelle Bewusstheit erarbeitet hatte. In diesem Projekt ging es um Frauenbilder und Männerbilder in der Werbung. Die Studentinnen suchten dafür Beispiele in Dresden und in Vilnius, analysierten die Werbetexte und verglichen ihre Ergebnisse. In diesem Vergleich ging es darum, Ähnliches, aber auch Unterschiedliches zu entdecken und aus der jeweiligen kulturellen Perspektive heraus zu kommentieren. Mit diesem E-Mail-Projekt Interkulturelle Bewusstheit kann gezeigt werden, wie in einem handlungsorientierten Ansatz in einem Projekt an interkulturellen Lernzielen gearbeitet wurde und gearbeitet werden kann. Das Projekt wurde als Seminar vom Wintersemester 1998 bis zum Wintersemester 2007 an der TU Dresden durchgeführt (vergleiche dazu Zeuner 2012). Teilnehmer und Teilnehmerinnen waren Deutsch-als-Fremdsprache-Studenten beziehungsweise -Studentinnen in Dresden und Germanistikstudentinnen und -studenten unter anderem aus den USA , Frankreich, Bulgarien und Uganda, die jeweils an ihrer Universität vor Ort teilnahmen. Am Beispiel von Inhalten deutscher Kultur sollten die Projektteilnehmer und -teilnehmerinnen die fremde Perspektive des jeweils anderen Partners zur Kenntnis nehmen und sie versuchsweise und zeitweise übernehmen, um sich damit in eine perspektivische Betrachtung einer anderen Kultur einzuüben. Dabei sollte zugleich Wissen sowohl über die eigene Kultur als auch über die Herkunftskultur des ausländischen E-Mail-Partnerstudenten oder der -Partnerstudentin als fremde beziehungsweise eigene Kultur erweitert werden. Der Schwerpunkt der Arbeit im Projekt war die Anfertigung eines Dossiers in internetbasierter Partnerarbeit zwischen dem deutschen und dem nichtdeutschen E-Mail-Partner oder der -Partnerin. Die Ergebnisse dieser Partnerarbeit wurden als Webseite im Internet dargestellt. Dazu wurden in Dresden zu Beginn erste Schritte in der HTML -Programmierung durchgeführt. Zur theoretischen Verständigung zu Fragen des interkulturellen Lernens (Kultur; Stereotype; Manifestationen kultureller Unterschiede; Dimensionen von Nationalkulturen und anderes) diente das Lesen und Bearbeiten von Texten, die im Internet in einem Kursbuch zur Verfügung standen. Über die Bearbeitung dieser Texte tauschten sich die E- Mail-Partner und -Partnerinnen gegenseitig aus, dieser Austausch wurde durch Aufgabenstellungen zu den Texten in Gang gebracht. Das dritte Beispiel ist ein kurzer Text einer Studentin aus Spanien, in dem sie in einem Seminar in Dresden ihre Eindrücke über Deutschland beschreibt: Ich kam das erste Mal 2002 nach Deutschland. Die Straßen waren viel sauberer und ruhiger als bei mir. Die Cafés waren ganz anders, aber viel gemütlicher: Kerzen, Holztische, die Musik viel leiser, die Leute waren auch viel leiser. Alles fand ich angenehm. Die Preise nicht zu hoch. Die Straßenbahnen und Busse sind immer pünktlich und sauber. Fast kein Stau und kaum Luftverschmutzung. Das Fahrrad finde ich eine tolle Idee, umweltfreundlich und schnell und bequem. Alle Deutsche können gut Fahrrad fahren und sind nicht gefährlich für die Fußgänger. Die Leute nutzen kaum Schmuck, sie schminken sich kaum und sie besuchen selten den Frisör. Sie sind sehr sehr pünktlich und wenig spontan. Die Regeln sind für die Deutsche sehr wichtig, sie sind oft ernst und diszipliniert. Ich singe in einem Chor seit sechs Monate und manche Leute tun so, als ob sie mich nie gesehen hätten. Sie sind überrascht wenn ich ‚Hallo‘ sage, weil wir ‚kennen uns nicht‘. Es ist schwierig sich mit den Deutschen zu unterhalten. Sie halten sich zurück. <?page no="271"?> 271 7.1 Interkulturelle Landeskunde Sie sind sehr direkt, wenn sie etwas konkret wollen, sie fragen konkret. Die Deutschen küssen sich nie. In Spanien küssen wir uns ständig. Ihr Humor ist ganz anders. Das Essen: Ich finde die deutsche Küche lecker aber sehr langweilig, immer gleich: Kartoffeln, Fleisch und Gemüse. Sie machen sich nicht Mühe um das Essen vorzubereiten. Viele Nudeln und Brot mit Käse, weil es einfach ist. Ich vermisse die Märkte, wo man jeden Tag frisches Essen kaufen kann. Der Kaffetrinken ist eine ganz fremde Tradition für mich. Das Abendessen ist immer kalt, das finde ich auch seltsam. Ich hatte mir gedacht, dass Deutschland reicher wäre. Aber ich fand normale Leute, auch mit ökonomischen Problemen. An diesem Text könnte man mit den folgenden Aufgaben und Fragen weiterarbeiten: ▶ Markieren Sie die Stereotype über Deutschland und die Deutschen, die im Text zu finden sind. An welchen sprachlichen Mitteln haben Sie die Stereotype erkannt? ▶ Woher kommen diese Stereotype Ihrer Meinung nach? ▶ Welche eigenen Stereotype über Deutschland und die Deutschen erkennen Sie im Text wieder? ▶ Markieren Sie mit einer anderen Farbe Vergleiche im Text. An welchen sprachlichen Mitteln erkennen Sie diese Vergleiche? ▶ Womit vergleicht die Studentin Ihrer Meinung nach? 7.1.6 Zusammenfassung ▶ Interkulturelle Landeskunde will Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kulturen und Gesellschaften entwickeln. ▶ Eigenes wird vor dem Hintergrund der fremden Lebenswelt-- und umgekehrt-- gedeutet und reflektiert. ▶ Ziel der interkulturellen Landeskunde ist die Entwicklung von interkultureller Kompetenz und Fremdverstehen in einem Prozess interkulturellen Lernens. ▶ Fremdverstehen erfolgt in drei Schritten: Relativierung der eigenen Sicht auf die Welt ‒fremdes unverständliches Verhalten als sinnhaft erkennen-- Wissen erwerben darüber, welchen Sinn oder welche Bedeutung dieses Verhalten für den Anderen hat. ▶ Mögliche Themen für interkulturelles Lernen sind: Ich und die Anderen; Heimat; Regionen in Deutschland; Tradition und Moderne; Arbeitszeit und Freizeit; Glück; Freiheit; Individuum und Gemeinschaft. ▶ Das methodische Grundprinzip im Kontext der interkulturellen Landeskunde und des interkulturellen Lernens ist das Organisieren von Fremderfahrungen durch Begegnung mit dem Fremden. ▶ Interkulturelle Begegnung sollte über drei Zugänge organisiert werden: den Zugang über die Sprache, den Zugang über die Menschen und ihr Handeln und den Zugang über exemplarische Artefakte oder Situationen, in denen Aspekte der Alltagskultur sichtbar werden. ▶ Eine wichtige Methode beim interkulturellen Lernen ist die Projektarbeit. <?page no="272"?> 272 7 Interkulturelles Lernen 7.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was sind die wichtigsten Merkmale interkultureller Landeskunde? 2. Welche grundlegenden Lernziele hat interkulturelle Landeskunde? 3. Welche Schritte können zum Fremdverstehen führen? 4. Auf welchem Weg lassen sich konkrete Themen finden, mit denen am Lernziel Fremdverstehen gearbeitet werden kann? 5. Welche spezifischen Lerninhalte sind für die interkulturelle Landeskunde auch möglich? 6. Durch welche methodischen Zugänge zur Landeskunde lässt sich Begegnung mit dem Fremden ermöglichen? Was sind wichtige Methoden? <?page no="273"?> 273 7.2 (Inter-)Kulturelles Lernen im Tandem 7.2 (Inter-)Kulturelles Lernen im Tandem Agnieszka Pawłowska-Balcerska Sie haben bereits gelernt, dass es nicht ausreicht, die fremdsprachliche Grammatik, Lexik und Aussprache zu beherrschen, um mit Mitgliedern einer anderen Sprach- und Kulturgemeinschaft effizient zu kommunizieren. Außerdem kennen Sie die Hauptziele des interkulturellen Lernens beim Sprach- und Kulturlernen (siehe dazu auch die Lerneinheit 7.1). Das interkulturelle Lernen als Methode kann diese Lernziele im Fremdsprachenunterricht auf verschiedene Art und Weise fördern. Dazu gehört auch das Tandem-Lernen, das das interkulturelle Lernen um einen relevanten Aspekt der Interaktion mit Angehörigen einer anderen sprachlich-kulturellen Gemeinschaft erweitert und demzufolge bereichert. Wie kann also interkulturelles Lernen beim Tandem-Lernen zum Tragen kommen und in welchem Verhältnis stehen dabei Sprache und Kultur? Dies sind Fragestellungen, mit denen sich die vorliegende Lerneinheit auseinandersetzt. Wir greifen zunächst die bereits an mehreren Stellen diskutierte Einheit von Sprache und Kultur auf, um in den nächsten Schritten auf das interkulturelle Lernen und dessen Spezifikum im Tandem-Lernen einzugehen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ den Zusammenhang von Sprache und Kultur beschreiben und dessen Konsequenzen in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht (insbesondere in Bezug auf das Sprachenlernen in unterschiedlichen Tandemausprägungen) erklären können; ▶ adressatenspezifische Mittel zur Förderung interkulturellen Lernens nennen können; ▶ Tandem als Ort für interkulturelles Lernen charakterisieren können; ▶ Tandem-Lerner für Stärken und Schwächen des Sprachenlernens im Tandem sensibilisieren können; ▶ adressatenspezifische Aufgaben zur Förderung interkulturellen Lernens im Tandem erstellen können. 7.2.1 Sprache oder Kultur? Oder vielleicht doch Sprache und Kultur? Immer noch ist unter Lernern die Vorstellung verbreitet, dass Fremdsprachenlernen ausschließlich dem Beherrschen von Aussprache, Grammatik und Lexik gleichzusetzen ist. Dabei übersehen sie allerdings leicht, dass jene nur teilweise Garanten für einen erfolgreichen Umgang mit Vertretern anderer Sprach- und Kulturgemeinschaften darstellen. Denn eine effiziente Kommunikation erfordert weit mehr als prozedurales und deklaratives Wissen im Bereich sprachlicher Subsysteme oder gut entwickelte Sprachfertigkeiten. Der Erwerb von Mehrsprachigkeit lässt sich keinesfalls als „grammatikbasierte Sequenz von kontextlosen Fertigkeiten darstellen“ (Roche 2013: 18). <?page no="274"?> 274 7 Interkulturelles Lernen Als zukünftiger DaF-Lehrer oder -Lehrerin müssen Sie sich zwangsläufig Gedanken darüber machen, was einer effizienten Kommunikation mit Zielsprachesprechern zugrunde liegt. Es sind eine gewisse Sensibilität und Offenheit zugleich für das Andere, Fremde, Neue, Unbekannte und somit nicht Vertraute genauso wie die Distanzierung vom Eigenen, auf die unter anderem im fremdsprachlichen Unterricht großer Wert gelegt werden soll. Dies ist damit zu erklären, dass erst der gelungene Kulturkontakt Sprachenkontakt ermöglicht. Und umgekehrt: Sprachenkontakt zieht Kulturkontakt nach sich (siehe dazu Pawłowska 2014a; Pawłowska 2015). Die Untrennbarkeit von Kultur und Sprache beziehungsweise deren Bezogenheit aufeinander, Gebundenheit aneinander, Abhängigkeit voneinander oder schlicht Verankerung ineinander sind Charakteristika des Wechselverhältnisses zwischen den beiden, dem Sie vermutlich auch schon mal im Alltag begegnet sind (zur theoretischen Auseinandersetzung siehe die Lerneinheiten 1.1 und 1.2). In diesem Sinne warnt auch Bechtel (2003: 140) als einer der Vertreter der deutsch-französischen Tandem-Methode nachdrücklich davor, Sprache bloß als eine durch grammatische Regeln strukturierte Ansammlung von Begriffen zu verstehen, zumal sie von Menschen gebraucht wird und daher nicht isoliert von ihnen erlernt werden darf. Dies ist umso wichtiger, da Sprache gerade zum Handeln benutzt wird und nicht unabhängig von ihren geschichtlichen, sozialen und kulturellen Zusammenhängen zu betrachten ist. Dies wird auch beim Tandem-Lernen sichtbar und zwar immer dann, wenn Tandempartner und -partnerinnen in ihrer Diskussion verschiedene Themen aufgreifen, deren Aspekte oft bereits bei oberflächlicher Betrachtung zahlreiche kulturbedingte Differenzen aufweisen. Nach Roche (2005: 221-222) erwächst die Sprache aus kulturellen Gegebenheiten und sei zugleich daran beteiligt, sie zu schaffen. So benennt der Mensch die für ihn wichtigen Elemente der Welt und erzeugt auf diese Weise mentale Bilder. Der Verfasser veranschaulicht dabei den engen Zusammenhang von Sprache und Kultur am Beispiel der Metapher (zum Beispiel die Rolle des Herzens beziehungsweise des Magens als Bildspender im Deutschen im Vergleich zur Bedeutung der Leber im Türkischen): Ähnliche sprachliche Mittel werden also in Sprachen unterschiedlich genutzt. In vielen Fällen fehlen auch Äquivalente. Sprachliche und außersprachliche Mittel werden stets vor dem Hintergrund der eigenen Sprach- und Konzeptwelt interpretiert. (Roche 2005: 221-222) So verweist Roche zugleich darauf, dass die genannte Verbindung nicht ausschließlich auf Metaphern, sondern auf alle Wörter beziehungsweise sprachlichen Mittel zutrifft. Dieses Thema wird in verschiedenen Lerneinheiten im Band 1 »Sprachenlernen und Kognition« aufgegriffen. Auch Eßer (2000: 1) verdeutlicht die enge Verbindung zwischen Kultur und Sprache. Sie begreift Kultur als ein für eine gesellschaftliche Gruppe geltendes Ensemble von gleichen, selbstverständlichen und funktionalen Verhaltens- und Existenzformen sowie als Ergebnis eines historischen Entwicklungsprozesses. Zwar prägt die Kultur die sprachlichen Ausdrucksformen, aber gerade die Sprache stellt dasjenige Instrument dar, durch welches die Kultur zum Ausdruck kommt. Deswegen können sich mündliche und schriftliche Texte derselben Textsorte von Kultur zu Kultur in ihrem Textmuster oft nicht unerheblich unterscheiden, was <?page no="275"?> 275 7.2 (Inter-)Kulturelles Lernen im Tandem wiederum zu Schwierigkeiten oder Missverständnissen bei der fremdsprachlichen Textproduktion beziehungsweise Textrezeption führen kann. Ausführlicher wird auf dieses Thema in der Lerneinheit 8.1 eingegangen. Zu den Prinzipien interkulturellen Lehrens und Lernens gehören Integration durch Emanzipation, Einbeziehen der Muttersprache, Nachbarschaftsorientierung, Dialogförderung, Kreativitätsförderung, Umgang mit ästhetischen Strukturen, Wahrnehmen von Gefühlen und Fremdheit, Vermittlung von Innen- und Außenperspektive, Entwicklung der Fähigkeit zum Überschreiten von nationalen und ethnischen Grenzen, Verstehen, Nachdenken, Vergleichen, Kulturvergleich als Voraussetzung für ein besseres Verständnis der Fremdkultur, Handlungsorientierung, aber auch ferner Situationsbezug (Błażek 2008: 38). Dies kann auch beim Tandem-Lernen erreicht werden, indem Tandempartnern und -partnerinnen entsprechende Aufgaben gestellt werden. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, ist interkulturelles Lehren und Lernen ein facettenreicher Begriff, der mit mannigfachen Inhalten gefüllt wird. Dies deutet wiederum auf seine Komplexität hin und stellt zugleich hohe Anforderungen an den Fremdsprachenunterricht. Viele-- wenn nicht die meisten der oben genannten Aspekte-- können gerade beim Sprachenlernen im Tandem zum Tragen kommen. Unter dem Blickwinkel der Interkulturalität lassen sich auch im Hinblick auf Stereotype einige wichtige Lernziele formulieren (Pieklarz 200: 115), zumal man auch beim Sprachenlernen im Tandem oft stereotypem Denken begegnet. Schließlich weisen Stereotype-- auch wenn sie oft unberechtigt sind-- eine gewisse Allgegenwärtigkeit in mannigfachen Lebensbereichen auf. Daher wird unterschieden zwischen: ▶ affektiven Lernzielen (Reflexion über Auto- und Heterostereotype, Sensibilisierung für einen interkulturellen Sichtwechsel, Selbst- und Fremdbilder, Eigen- und Fremdkultur, Vollzug einer Veränderung der affektiven Einstellung gegenüber Eigen- und Fremdkulturellem); ▶ kognitiven Lernzielen (Erwerb von Kenntnissen und Einsichten über diachronische beziehungsweise synchronische Beziehungen von Auto- und Heterostereotypen, Eigen- und Fremdkultur, Selbst- und Fremdbildern, über die „kollektiven Wissensvorräte“ im Hinblick auf eigene und fremde Perspektiven sowie über soziale Interaktionsformen und -rituale in der Fremdkultur); ▶ handlungsorientierten Lernzielen (Sensibilisierung für beziehungsweise Kenntnisse über eigene und fremdkulturelle Wissensvorräte, was die Grundlagen für handlungsorientierte Lernziele bildet, das heißt für die Entwicklung von Investigations-, Interpretations- und Relationsfertigkeiten). Nun ist zu fragen, ob die zu entwickelnde interkulturelle Kompetenz allein für eine erfolgreiche Verständigung reicht. Nach all dem, was wir bereits zum Zusammenhang von Sprache und Kultur festgestellt haben, müssen wir die Frage gezwungenermaßen eindeutig verneinen. Die Förderung der kommunikativen Kompetenz-- wie bereits veranschaulicht-- bildet nicht das alleinige Lernziel des modernen Fremdsprachenunterrichts. Lieber sollten wir daher die Förderung der interkulturellen kommunikativen Kompetenz (auch die Förderung der <?page no="276"?> 276 7 Interkulturelles Lernen interkulturellen Kommunikationskompetenz oder der interkulturell-kommunikativen Kompetenz) anstreben (siehe dazu auch Adamczak-Krysztofowicz 2005; Bechtel 2003; Błażek 2008). Vermutlich können Sie bereits zahlreiche Mittel auflisten, mit denen interkulturell ausgerichtete Ziele erreicht werden können. Adamczak-Krysztofowicz (2005: 9) stellt folgende zusammen: ▶ Fernsehsendungen und Filme, die Lernern helfen, ihre Außenperspektive zu verlassen, um in die Innenperspektive der fremden Kultur einzudringen; ▶ Projektarbeit mit jeweils landes- und kulturkundlichen sowie soziokulturellen Themen; ▶ literarische Texte sowie authentische Sach- und Gebrauchstexte aller Art, mit deren Hilfe Fremderfahrungen auf der Wort-Satz-Textebene ausgedrückt werden (fremde Bedeutungen, fremder Satzbau, fremde Wissenssysteme und Diskursstrukturen, fremdes sprachliches Verhalten); ▶ direkte Kontakte mit den Angehörigen anderer Sprachen und Kulturen (zum Beispiel durch Schüleraustausch, Studienfahrten, Tandem-Lernen). Wie Sie bereits gesehen haben, stehen vielfältige, vor allem im Fremdsprachenunterricht zu beschreitende und zur interkulturellen kommunikativen Kompetenz führende Wege offen. Allerdings ist eines mit Nachdruck zu betonen: Die interkulturelle Kompetenz ist nur schwer zu erfassen und zu evaluieren. Das liegt daran, dass sie nicht eindeutig quantifizierbar ist. Im Folgenden werden wir auf das Tandem eingehen, um an diesem Beispiel das Wesen interkulturellen Lehrens und Lernens noch besser beschreiben zu können. 7.2.2 Tandem als …? Von vielen Fachvertretern wird die Realitätsferne des Fremdsprachenunterrichts beklagt. Wie ist allerdings jene Kluft zwischen Unterricht und Alltag gerade im fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozess zu überbrücken? Wie kann für hautnahes Erleben der fremden Sprache und Kultur und somit für eine authentische Kommunikation gesorgt werden? Wie sind zwischen Theorie und Praxis-- vor allem aus der Lernerperspektive-- dauerhafte Brücken zu schlagen? Wie kann man beim Fremdsprachenlernen Bedeutungen und (Kommunikations-)Ziele aushandeln? Auf alle diese Fragen versuchen wir am Beispiel des Tandems Antworten zu geben. Tandem - Begriffserläuterung und Grundprinzipien Die Tandem-Idee reicht bis in die 190er Jahre zurück. Zu jenem Zeitpunkt wurden Sprachprogramme für deutsch-französische Jugendbegegnungen für den außerschulischen Bereich in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk ( DFJW ) entwickelt. Auch das 1970 vom DFJW organisierte Kolloquium leistete einen nicht zu übersehenden Beitrag zur Verbreitung jener Idee. Weiterentwickelt wurde das Konzept des Tandem-Lernens von Jürgen Wolff (Bechtel 2003: 20ff). In der einschlägigen Literatur wird oft gerade von dem vom Alltag her bekannten Tandembegriff ausgegangen (dazu siehe Pawłowska 2014b; 2014c). So betont Lainé (2000: 108), dass <?page no="277"?> 277 7.2 (Inter-)Kulturelles Lernen im Tandem ein Tandem zunächst ein Fahrrad für zwei Personen ist, die ein gemeinsames Ziel haben. Daher treten sie in die Pedale und sind gezwungen, sich auf einen gemeinsamen Rhythmus zu verständigen, weil das Tandem von der Gleichrichtung beider Kraftvektoren lebt. Gelingt jene Bündelung von Einzelenergien, ergeben sich daraus synergetische Effekte. Überträgt man jene Idee auf das Fremdsprachenlernen, geht es um eine Form partnerschaftlichen Lernens, bei dem Fortschritte des einen nicht unwesentlich vom Engagement und Einfühlungsvermögen des anderen abhängen. Im Hinblick auf das Fremdsprachenlernen handelt es sich um weit mehr als um die gegenseitige Abhängigkeit und Hilfe beim gemeinsamen Vorankommen. Denn zwei Lerner unterstützen sich gegenseitig beim Erlernen der Sprache des anderen, wobei die Erstsprache des einen die Zielsprache des anderen ist. So übt sich jeder in seiner Fremdsprache und hilft dem anderen in der Sprache, die für ihn Muttersprache ist. Zu den konstitutiven Elementen des Tandems zählen: ▶ Individuum 1 (je nach Rolle Fremdsprachenlerner oder Muttersprachler beziehungsweise Muttersprachlerin); ▶ Individuum 2 (je nach Rolle Fremdsprachenlerner oder Muttersprachler beziehungsweise Muttersprachlerin); ▶ Gegenstand der Kommunikation, der gleichzeitig als Lerngegenstand fungiert; ▶ zwei unterschiedliche Sprachen: Kommunikationssprache 1 und / oder Sprache 2 (gleichzeitig Medium und Lerngegenstand), die je entweder Mutter- oder Fremdsprache ist; ▶ zwei unterschiedliche Kulturen beziehungsweise Orientierungssysteme 1 und 2; ▶ ein Lehr-Lernkontext beziehungsweise Erwerbskontext; ▶ ein bestimmter Lern- und Kommunikationsort: Je nach Herkunft befinden sich die Tandempartner und -partnerinnen in einer muttersprachlichen oder fremdsprachlichen Umgebung; ▶ ein beiderseitiges Sprachlerninteresse: Die Sprache des Einen ist die Zielsprache des Anderen und umgekehrt. Dagegen versteht Schmelter (2004: 104) unter Tandem „[…] eine von zwei Interaktanten bewusst für die wechselseitige Aneignung sprachlicher und kultureller Kenntnisse geschaffene, besonderen Konventionen und Regeln-[…] unterliegende Interaktionsform“. Zugleich fügt der Verfasser hinzu, dass Interaktanten über unterschiedliche Erfahrungen verfügen, die zu verschiedenen Kompetenzen geführt haben. Diese sind auf differenzierte Referenz- und Orientierungssysteme zurückzuführen und äußern sich in verschiedenen Symbolsystemen (Sprache, Gestik, Mimik) sowie in verschiedenen Wahrnehmungs- und Handlungsmustern. Demzufolge stellt das Tandem-Lernen ein stetiges Aushandeln von Bedeutungen und (Kommunikations-)Zielen in der Interaktion dar. Eine der Hauptaufgaben von Tandempartnern und -partnerinnen besteht somit darin, dem Gegenüber zu helfen, die sprachlich und kulturell bedingten Differenzen wahrzunehmen und zu überbrücken. Dabei bedient man sich als Tandemlerner der interlanguage (Selinker 1972) beziehungsweise der Interimsprache (Raabe 1974), die Merkmale der Ausgangs- und Zielsprache aufweist und zugleich auch solche Merkmale, die weder der Erstnoch der Zielsprache zuzuordnen sind. Diese ermöglicht zwar die Verständigung, ist jedoch keine Zielsprache. <?page no="278"?> 278 7 Interkulturelles Lernen Die bereits angedeutete starke Gebundenheit der Tandem-Lerner aneinander-- schließlich will jeder Partner oder Partnerin von den Fähigkeiten und Fertigkeiten seines Gegenübers profitieren und zugleich von ihm unterstützt werden-- macht sie auch für den (Miss-)Erfolg des jeweils anderen mitverantwortlich. Hinzu kommt noch, dass der jeweilige Lerner imstande sein muss, unter anderem seine Lernwege und Lernziele selbständig zu bestimmen-- nur so kann er vom Gegenüber eine gezielte Hilfe erwarten. Dementsprechend soll der Tandemlerner auch bereit sein, für seinen eigenen Lernprozess (Vorbereitung, Durchführung und Evaluation) die Verantwortung zu übernehmen. Erst dann wird das Gegenseitigkeits- und Autonomieprinzip im Tandem befolgt. Tandemausprägungen Schmelter (2004: 148) nennt vier Tandemausprägungen: ▶ Begegnungssituationen mit Personen aus zwei unterschiedlichen Ländern, in denen das Tandem als Teil eines umfassenden pädagogisch-didaktischen Konzepts betrachtet wird; ▶ Tandemkurse, die beispielsweise von Universitäten angeboten werden; ▶ Kursbegleitende Individualtandems, auf deren Ergebnisse im begleitenden Kurs mehr oder weniger stark eingegangen wird; ▶ Individualtandems mit unterschiedlich stark ausgeprägtem didaktischem Umfeld. Im Rahmen des Individualtandems differenziert man zwischen Präsenztandem (Tandempartner und -partnerinnen lernen voneinander an demselben Ort) und Distanztandem (Tandem-Lerner befinden sich an unterschiedlichen Orten und kommunizieren, beispielsweise via Internet). Ziele des Sprachenlernens im Tandem Neben den auf sprachliche Subsysteme und Fertigkeiten bezogenen Zielen führen Künzle und Müller (1990: 189) einige weitere an, die der Erweiterung der kulturellen und sozialen Kompetenz verpflichtet sind und im Tandem angestrebt werden können. Hierzu zählen: ▶ Abbau persönlicher Vorurteile; ▶ Vertiefung von Wissen über fremde Länder; ▶ Vergrößerung von Integrationschancen durch intensiven Kontakt mit anderen; ▶ Erwerben der Sicherheit in der Fremdsprache im Umgang mit Muttersprachlern beziehungsweise Muttersprachlerinnen; ▶ Entdecken kultureller Unterschiede im alltäglichen Verhalten. Das in der Schule Gelernte kann in authentischen Kommunikationssituationen angewendet werden, wobei die Bewusstheit des Bestehens unterschiedlicher Verhaltensmuster und Konventionen, die im eigenen Land (nicht) gelten, genauso wichtig ist. Damit haben wir die eingangs gestellten Fragen allerdings nur teilweise beantwortet, denn erst jetzt, nachdem geklärt wurde, was Tandem aus fremdsprachendidaktischer Sicht (nicht) ist, können wir detailliert auf (inter-)kulturelles Lernen im Tandem eingehen. <?page no="279"?> 279 7.2 (Inter-)Kulturelles Lernen im Tandem (Inter-)kulturelle Aspekte im Tandem Für das Tandem als idealen Ort für interkulturelles Lernen sprechen viele Gründe, die wir weiter unten anführen. So hebt beispielsweise Bechtel (2003: 12) hervor: Als Anwendungs- und Erprobungsfeld für interkulturelles Lernen ist das Tandem auch insofern von Interesse, als es sich um eine Sonderform direkter, interkultureller Kommunikation handelt, bei der analog zum beiderseitigen Sprachlerninteresse von einem beiderseitigen ‚Kulturinteresse‘ ausgegangen werden kann und ein Lehr-Lern-Kontext zugrunde liegt. Auch Schmelter (2004: 121) gibt zu: „Letztendlich sind die Grenzen zwischen Lern- und Anwendungssituation im Tandem fließend, weil der Partner immer schon Teil derjenigen Handlungsgemeinschaft ist, in der der Lerner kompetent agieren will“. Das Sprachenlernen im Tandem ermöglicht Fremdsprachenlernern eine authentische Kommunikation mit Muttersprachlern und Muttersprachlerinnen und demzufolge die Erprobung eigener (außer-) sprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten. Tandem-Lerner lassen sich dagegen folgendermaßen charakterisieren: Neben den allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen besitzen sie [Tandempartner] allgemeine und spezifische Wissensbestände, verfügen über Werte, Normen und Bewertungsmaßstäbe. Sie haben bestimmte Wahrnehmungs- und Handlungsmuster sowie bestimmte Meinungen über die Phänomene des eigenen Umfeldes, der politischen und sozialen Verhältnisse im eigenen Land, die in ihrer oder anderen (Sub-)Gruppen üblichen Verhaltensformen. Sie verfügen über bestimmte Vorerfahrungen mit der anderen Kultur (indirekt vermittelt durch Schule und Medien, direkt erlebt durch Aufenthalte im anderen Land), die ihre Erwartungen ihren Tandempartnern gegenüber beeinflussen. Im Tandem kommen nun zwei Individuen mit dieser eben beschriebenen kulturellen Prägung zusammen, woraus eine direkte sprachliche und kulturelle Überschneidungssituation entsteht. (Bechtel 2003: 89) Damit kommt dem Tandempartner oder -partnerin die Rolle eines Experten beziehungsweise einer Expertin für sein oder ihr Land, dessen Kultur und Sprache zu, durch den oder die etwaige Hypothesen (oder auch stereotype Vorstellungen) über das Zielsprachenland einer Verifizierung oder Falsifizierung unterzogen werden können. Dadurch kann sich der Tandem-Lerner der Zielsprache und -kultur annähern. Schließlich ist der Partner oder die Partnerin in der sprachlichen und kulturellen Umgebung aufgewachsen, die sein oder ihr Gegenüber möglichst umfangreich kennenlernen und in der er oder sie (außer-)sprachlich effizient handeln möchte. In diesem Zusammenhang ist auf eine webbasierte Initiative zur Förderung des interkulturellen Verständnisses (Cultura) hinzuweisen, deren wichtige Voraussetzung auch für das Sprachenlernen im Tandem gelten kann und folgendermaßen formuliert wurde: Cultura basiert eindeutig auf der Prämisse, dass man eine Kultur nicht einfach verstehen lernt, indem man Fakten und Wissen sammelt, sondern dass ein dynamischer Prozess der Konstruktion und Ko-Konstruktion erforderlich ist. Hier sind die Lernenden offen engagiert in einem Prozess des Entdeckens, Erkundens und Hinterfragens, der einen konstruktivistischen Lernansatz fördert, in dem <?page no="280"?> 280 7 Interkulturelles Lernen Studenten-- mithilfe ihrer Kommilitonen und ausländischen Partner-- Schritt für Schritt ein immer komplexeres und vielseitigeres Verständnis für die andere Kultur entwickeln. (Fürstenberg 2012: 7) Da Lerner oft spontan dazu neigen, ihre Aussagen anhand von konkreten Beispielen aus ihrem direkten Erfahrungsschatz zu illustrieren, ermöglichen sie einen direkten Einblick in ihre eigene Kultur (Fürstenberg 2012: 5). Bereits Bechtel (2003: 322ff) hat darauf hingewiesen, dass Tandempartner gerade in der Funktion des Vermittlers zwischen den Kulturen und als Experten für die eigene Kultur gern gesehen werden. Wenn es darum geht, sich die Annahmen über die fremde Kultur bestätigen oder korrigieren zu lassen, würden sie als solche herangezogen. Dabei gelte das Motto: Über dein Land weißt du natürlich besser Bescheid als ich. Des Öfteren berichteten die Personen jedoch nicht nur über persönliche Alltagserfahrungen, sondern machten Aussagen über ihr Land mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit. So würden sie nicht als Experten für ihren Alltag, sondern auch als Experten für das jeweilige Land auftreten. An dieser Stelle ist allerdings ergänzend einzuräumen, dass dahinter die Gefahr steckt, allzu schnelle Schlussfolgerungen aus den Äußerungen des Tandempartners zu ziehen, die wiederum zum Entstehen eines vereinfachten, oberflächlichen Bildes vom Zielsprachenland führen können. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich im Tandem stets ein Wechsel zwischen der Darstellung einer Innen- und Außenperspektive auf ein und denselben Sachverhalt vollzieht, auf den interaktiv durch die Aufeinanderfolge von Beiträgen der Tandempartner Bezug genommen wird (Bechtel 2003: 333f). In seiner dem interkulturellen Lernen im Tandem gewidmeten Dissertation verweist Bechtel (2003: 35-39) auch auf dessen Stärken und Schwächen. Zu den ersten zählt der Verfasser unter anderem die folgenden: ▶ Beide Tandempartner bringen ihre persönlichen Alltagserfahrungen mit der eigenen Kultur als authentischen und individuellen Wirklichkeitsausschnitt der Gesamtkultur in die Tandeminteraktion ein. Eine Voraussetzung ist allerdings, vom Gegenüber als Insider und Experte für sein Land akzeptiert zu werden. ▶ Beide Lerner haben im Tandem als Anwendungs- und Erprobungsfeld für interkulturelles Lernen die Möglichkeit, eigene Perspektiven einzubringen und fremde zu verstehen. So kann einem sein Partner mitteilen, inwiefern das Bild von der fremden Kultur mit der Wirklichkeitserfahrung des Zielsprachensprechers beziehungsweise mit dem Bild, das der Muttersprachler oder die Muttersprachlerin von der eigenen Kultur hat, übereinstimmt. In der zweiten Gruppe platziert Bechtel (2003: 35-39) dagegen Folgendes: ▶ Im Tandem gibt es prinzipiell kein Richtig und Falsch. Bei der Vermittlung landeskundlicher Informationen stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die von den Tandempartnern gegebenen Antworten richtig, repräsentativ und vollständig sind. Hinzu kommt noch, dass die Weitergabe von jenen Informationen in den Tandemphasen vom Kursleiter nicht steuerbar, vom Wissen der Partner über das angesprochene Thema sowie von der Fähigkeit, dieses zu vermitteln abhängig ist. <?page no="281"?> 281 7.2 (Inter-)Kulturelles Lernen im Tandem ▶ Sind die Partner nicht bereit, etwas von sich zu erzählen und sich mitzuteilen, gelangen sie schnell an eine Grenze für interkulturelles Lernen. ▶ Kommen sie allzu schnell an einen Punkt, an dem sie sich einig sind, dass es in beiden Kulturen „doch das Gleiche“ sei, obgleich sie bis zu den subtilen kulturellen Differenzen gar nicht vorgedrungen sind, erreichen sie ebenfalls jene Grenze. In Anlehnung an Byrams Modell der interkulturellen Kompetenz (1997) schlägt Woodin (2005: 47-49) Entwicklungsmöglichkeiten im Tandem in den folgenden Bereichen vor: ▶ Einstellungen (Selbstrelativierung, Wertschätzung anderer-- savoir étre)-- Informationen über das Alltägliche austauschen; ▶ Wissen (über sich selbst und andere, über individuelle und gesellschaftliche Interaktion-- savoirs)-- über nationale beziehungsweise regionale Symbole, über nationale Feiertage diskutieren; ▶ Fähigkeiten (zu interpretieren und zu relativieren-- savoir comprendre und zu entdecken und / oder zu interagieren- - savoir apprendre beziehungsweise faire)- - ein Dokument oder ein Ereignis einer anderen Kultur interpretieren, erklären und es auf Dokumente der eigenen Kultur beziehen (zum Beispiel Zeitungsnachricht, Werbeanzeige); Gestik von Menschen an öffentlichen Plätzen beobachten und deren Rolle beziehungsweise Bedeutung in den beiden Ländern vergleichen; ▶ Erziehung (politische Erziehung, kritische kulturelle Bewusstheit-- savoir s’engager)-- für die beiden Kulturen gemeinsame, historische Ereignisse diskutieren. An dem bereits Präsentierten konnten Sie sicherlich sehen, dass (inter-)kulturelles Lernen im Tandem unvorhersehbar ist, da es stark vom Individuum abhängt. Schließlich bilden zwei Tandempartner, die zwar als Vertreter der jeweiligen Sprache und Kultur sowie als Vermittler zwischen der eigenen und fremden (Sprach-)Wirklichkeit zugleich fungieren, eine in ihrer Art einmalige Konstellation. Inwiefern sich (interkulturell ausgerichtete) Lernziele im Tandem erreichen lassen, hängt demnach in großem Maße von ihnen selbst ab. Denn erst ihr beiderseitiges Engagement ermöglicht es, in die mentalen Bilder des jeweils anderen Einblick zu gewinnen und sprachlich-kulturelle Differenzen zu überwinden. Sprachenlernen im Tandem organisieren Bisher haben wir versucht, das Sprachenlernen im Tandem aus möglichst vielen Blickwinkeln zu charakterisieren. Im Zusammenhang damit sollten wir allerdings noch auf einen anderen aus der Sicht des Fremdsprachenlehrers beziehungsweise der Fremdsprachenlehrerin interessanten und zugleich sehr relevanten Aspekt eingehen: Wie organisiert man das Sprachenlernen im Tandem? Im Tandem fungieren beide Partner und / oder Partnerinnen als Lehrperson und Lerner zugleich. Abwechselnd übernehmen sie die Rolle des Muttersprachlers oder der Muttersprachlerin und des Fremdsprachenlerners. Dies bedeutet wiederum, dass sie selbst- - wie bereits betont- - besonders viel Verantwortung für die Vorbereitung, Durchführung und <?page no="282"?> 282 7 Interkulturelles Lernen Evaluation des Lehr- und Lernprozesses übernehmen. Demzufolge wird ihnen auch viel Selbständigkeit abverlangt. Obschon das Autonomie-Konzept die Diskussion um Ziele der Fremdsprachendidaktik bereits seit mehreren Jahrzehnten prägt, bereitet allen Interessierten die Umsetzung der Autonomie-Idee in die Praxis nach wie vor einige Schwierigkeiten. Dies trifft auch auf das Tandem zu, da nicht jedem (Tandem-)Lerner die gleiche Autonomie gegeben ist, das heißt, der Grad ihrer Ausprägung variiert von Individuum zu Individuum. Daher müssen Tandempartnern zahlreiche Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden, die ihnen den Einstieg in eine (des Öfteren vollkommen neue) Situation des Tandem-Lernens erleichtern. Brammerts & Kleppin (2005: 109) plädieren hier sogar dafür, für Tandems per Internet weltweit zugängliche schriftliche Hinweise bereitzustellen, die nicht nur über bestehende Lernmöglichkeiten informieren, sondern auch die Abstimmung der Partner über gemeinsame Arbeitsmodalitäten anstoßen und erleichtern könnten. Diesem Prinzip entsprechen die Handreichungen des Deutsch-Französischen Jugendwerks, in denen auf aus der Lehrer- und Lernerperspektive relevante Fragestellungen zu Tandemsprachkursen (unter anderem auf Charakteristik und Grundsätze des Tandem-Lehrens und -Lernens, auf Vorschläge für Tandemaufgaben etc.) eingegangen wird. Fehlerkorrektur im Tandem Einen wichtigen Aspekt eines jeden Fremdsprachenlehrens und -lernens stellt die Fehlerkorrektur dar (dazu siehe Pawłowska 2014c). Auch sie bedarf im Tandem gemeinsamer Überlegungen und dementsprechend Entscheidungen beider Partner oder Partnerinnen. Da es kaum möglich ist, alle Fehler des Anderen zu verbessern, brauchen Tandemlerner Hinweise. Little (2005: 21) stellt im Zusammenhang damit gezielte Fragen, die Tandempartner zur Diskussion stellen sollen: Wie soll man entscheiden, welche Fehler zu verbessern sind? Wie soll der Prozess der Fehlerberichtigung gehandhabt werden? Ist in Face-to-Face-Tandempartnerschaften das Gegenüber unaufdringlich zu korrigieren, indem seine fehlerhaften Äußerungen im Laufe der Unterhaltung neu formuliert werden? Oder soll lieber eine Liste häufiger Fehler angelegt werden, um am Ende der Sitzung besprochen zu werden? Ist es besser, in E-Mail-Tandempartnerschaften den Muttersprachler oder die Muttersprachlerin darum zu bitten, auch Grammatik- und Rechtschreibregeln zu nennen? Oder sollen Sätze schlicht neu formuliert werden? Der Verfasser weist zugleich darauf hin, es gäbe keine allgemeinverbindlichen Antworten auf die erwähnten Fragen. Brammerts (2005: 15) warnt allerdings Fremdsprachenlehrer und -lehrerinnen davor, allzu viele Planungen vorzunehmen. Ist man bemüht, auch kleinste Lernschritte und Lernschrittfolgen festzulegen, verzichtet man auf das wichtigste Potenzial des Lernkontextes Tandem. In erster Linie ist damit die Möglichkeit der Kombination authentischer Kommunikation mit selbstgesteuertem (individualisiertem) Lernen gemeint. Freiwillige und selbständige Arbeit würde dagegen meist zu verbessertem Lernerfolg führen. Tandempartnern und Tandempartnerinnen sollte demzufolge möglichst viel Freiraum gelassen werden. <?page no="283"?> 283 7.2 (Inter-)Kulturelles Lernen im Tandem 7.2.3 Zusammenfassung In diesem letzten Abschnitt wollen wir die bisherigen Ausführungen über interkulturelles Lernen im Tandem zusammenfassen: ▶ Sprache und Kultur gehören zusammen, weshalb Fremdsprachenlernern deren enge Verbindung auch im Tandem stets vergegenwärtigt werden soll. ▶ Interkulturelles Lernen bedeutet unter anderem Anderes, Neues, Unbekanntes wahrzunehmen, über Eigenes und Fremdes zu reflektieren, nicht Vertrautes zu verstehen und anzuerkennen (versuchen), länderübergreifend zu denken und zu handeln, eigene Innen- und Außenperspektive auf einen Sachverhalt zu präsentieren und zu hinterfragen. ▶ Interkulturelles Lernen lässt sich auf mannigfache Art, unter anderem im Rahmen der Tandemarbeit fördern, mit der realitätsnahes Erleben einer fremden Sprache und Kultur und zugleich die Verbindung von Theorie und Praxis gewährleistet werden können. ▶ Interkulturelles Lernen im Tandem ist ein interaktiver Prozess, in dem Bedeutungen und (Kommunikations-)Ziele stets ausgehandelt werden. ▶ Interkulturelles Lernen im Tandem stellt nicht nur ein Potenzial dar, denn es kann einige Gefahren mit sich bringen, deren man sich als Lehrperson oder Lerner bewusst sein soll, unter anderem schnelle beziehungsweise auch vereinfachte Schlussfolgerungen über sprach- und kulturbedingte Zusammenhänge. 7.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum sind Sprache und Kultur nicht separat zu behandeln? 2. Was zählt zu den Prinzipien interkulturellen Lernens? 3. Auf welche Weise kann interkulturelles Lernen gefördert werden? 4. Wie lässt sich Tandem vor dem fremdsprachendidaktischen Hintergrund definieren? 5. Was ist der Unterschied zwischen Präsenz- und Distanztandem? 6. Was zählt zu den Schwächen interkulturellen Lernens im Tandem? 7. Wo liegen die Stärken interkulturellen Lernens im Tandem? 8. Was gilt bei der Organisation der Tandemarbeit aus der Lehrer- und Lehrerinnensicht zu beachten? 9. Was trifft auf Präsenztandem (P) und was auf E-Mail-Tandem (E) als Form von Distanztandem zu? (Die Aufgabe basiert auf Brammerts & Calvert 2005: 28-31). P / E 1. Die Kommunikation verläuft vorwiegend mündlich, obgleich auch auf schriftliches Material zurückgegriffen werden kann. 2. Zu beliebiger Zeit kann der Partner unterbrochen werden, um Hinweise, Korrekturen etc. gebeten werden. 3. Die Kommunikation verläuft zeitversetzt. <?page no="284"?> 284 7 Interkulturelles Lernen P / E 4. Meist kommt eine unmittelbare Reaktion aufeinander zustande. 5. Mimik und Gestik erleichtern die Interpretation des Gesagten. 6. Anders als Face-to-Face-Tandem 7. Absprachen werden schnell getroffen und Missverständnisse leicht vermieden beziehungsweise geklärt. 8. Tandempartner stehen nicht unter Zeitdruck. 9. Der fremdsprachliche Input ist flüchtig und es bedarf einer großen Anzahl von Wiederholungen im Laufe von Gesprächen, damit neue sprachliche Elemente rezeptiv beziehungsweise produktiv nutzbar werden. 10. Bei der Produktion von Aussagen kann man sich Zeit nehmen und Nachschlagewerke zu Rate ziehen. 11. Bei der Formulierung und beim Verständnis kann der Partner nicht unmittelbar helfen. 12. Die Kommunikation verläuft schnell und synchron. 10. Kleiner Verstehenscheck: Was trifft hier zu? Trifft zu (X) 1. Sprache und Kultur gehören ausschließlich im Fremdsprachenunterricht zusammen, denn im Alltag besteht dazwischen kaum eine Verbindung. 2. Bei interkulturellem Lernen kommt es darauf an, die Eigenperspektive zur Geltung zu bringen und jene des Gegenübers außer Acht zu lassen. 3. Im Tandem begegnen sich immer an demselben Ort zwei verschiedensprachige Personen, um die Sprache des jeweils anderen zu lernen. 4. Die Kommunikation im Präsenztandem verläuft zeitgleich. 5. Im Tandem fungiert der Zielsprachensprecher immer als Experte für seine Sprache und Kultur und wird auch als solcher akzeptiert, weshalb er mit seinen Behauptungen den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben darf. <?page no="285"?> 285 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen Manuela Sato-Prinz In den vorangehenden Kapiteln haben Sie bereits wichtige Theorien und Begrifflichkeiten in den Bereichen Kultur und Interkulturalität kennengelernt und wir haben uns mit der Frage der Vermittlung interkultureller Strategien und Kompetenzen zum Beispiel in Form der interkulturellen Landeskunde befasst (siehe Lerneinheit 7.1 in diesem Band). Bei der Umsetzung im Unterricht werden Sie jedoch oft vor dem Dilemma stehen, dass interkulturelles Lernen im Unterrichtsraum zwar einerseits voraussetzt, dass ein möglichst vielseitiges, dynamisches, ungefiltertes Bild des Landes der Zielsprache und seiner Bewohnerinnen und Bewohner dargeboten wird (vergleiche Levine 2008; Roche 2007). Andererseits ist dieses Desiderat aus verschiedenen Gründen nicht immer realisierbar und Sie als Lehrerin oder Lehrer werden eine Vorauswahl treffen müssen bezüglich der Informationen, die Sie Ihren Lernern zur Verfügung stellen. Eine sehr willkommene Alternative stellen Aufenthalte im Land der Zielsprache dar, die es den Lernern erlauben, im direkten Kontakt interkulturelle Erfahrungen zu sammeln und sich ein eigenes Bild des Ziellandes zu formen. Warum Sie sich als Fremdsprachenlehrerin oder -lehrer mit (Studienaustausch-)Aufenthalten im Ausland befassen sollten, was vor Ort mit Ihren Lernern und deren Vorstellungen vom Gastland passiert und wie Sie und Ihre Institution diese Erfahrung beeinflussen und gewinnbringend aufgreifen können, werden wir in dieser Lerneinheit erarbeiten. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ nachvollziehen können, wie sich Austauschaufenthalte im Land der Zielsprache auf die Lerner auswirken können; ▶ darlegen können, was Nationenbilder, im Sinne interkultureller Wahrnehmungsmuster, sind und wie sie sich verändern können; ▶ Strategien und Methoden entwickeln können, um unterschiedliche Facetten von Auslandsaufenthalten im Fremdsprachenunterricht vor- und nachzubereiten. 7.3.1 Gründe für eine Beschäftigung mit Austauschprogrammen Vielleicht haben Sie sich beim ersten Überfliegen des Inhaltsverzeichnisses dieses Bandes gefragt, weshalb Sie sich überhaupt mit Austauschprogrammen befassen sollen. Gibt es dafür nicht die International Offices der Universitäten, Schüleraustauschorganisationen und so weiter? Ja und nein. Ja, weil in der Tat der Großteil der administrativen Aufgaben im Zuge von Austauschaufenthalten im Bildungskontext von solchen und anderen Serviceeinheiten abgedeckt wird. Nein, weil die Tätigkeiten dieser Institutionen oftmals nicht über die Koordination und formale Abwicklung der Programme hinausreichen. Ihnen als Fremdsprachen- <?page no="286"?> 286 7 Interkulturelles Lernen lehrerin oder Fremdsprachenlehrer können im Hinblick auf einen Lerner mit dem Ziel Austauschaufenthalt mindestens drei wichtige Funktionen zukommen: Erstens werden Sie als kompetente Sprecherin oder kompetenter Sprecher der Zielsprache, ob Sie wollen oder nicht, als Mittlerin oder Mittler wahrgenommen, und werden im Zweifelsfall zur Anlaufstelle für programmbezogene Fragen, die Sprachkompetenz in der Landessprache oder sonstiges Expertenwissen voraussetzen. Zweitens bereitet sich ein Großteil der Studentinnen und Studenten mit Sprachkursen in der Sprache des Ziellandes bereits im Heimatland auf den Studienaufenthalt im Ausland vor. Damit sind Sie, drittens, nahe an den mobilen Studentinnen und Studenten dran und haben im Sinne der Einheit von Sprache und Kultur (vergleiche Roche 2013: 12ff) die optimale Ausgangsposition, um die Auslandsaufenthalte Ihrer Lerner in interkultureller Hinsicht aufzugreifen. Im Folgenden werden wir uns auf diesen dritten Aspekt konzentrieren. Mit der Fokussierung auf interkulturelles Lernen, dies soll am Rande erwähnt sein, werden verschiedene andere Bereiche ausgeblendet, in denen Auslandsaufenthalte ebenfalls Veränderungen und Entwicklungen begünstigen, wie Persönlichkeitsmerkmale (vergleiche Zimmermann 2012) oder natürlich den Bereich der (linguistischen) Fremdsprachenkompetenz (vergleiche Coleman 199; Watson & Wolfel 2015). 7.3.2 Nationenbilder als Teilbereich interkultureller Lernerfahrung in und durch Studienaustauschaufenthalte Interkulturelles Lernen und interkulturelle Kompetenz- - das zeigen die vorangegangenen Kapitel- - sind vielschichtige, umfangreiche Konzepte. Der Bereich der Wahrnehmungsmuster im interkulturellen Kontext ist für die Fremdsprachenphilologien und Kulturwissenschaften seit jeher von Interesse (vergleiche Altmayer & Koreik 2010: 1383). Aufgrund seiner Alltagsnähe ist er besonders gut geeignet, um darzustellen, inwiefern Auslandsaufenthalte interkulturelles Lernen begünstigen können. Hierfür hat sich der Begriff der Nationenbilder etabliert. Nationenbilder können als eine Art von übergeneralisierender Wahrnehmung bezeichnet werden, zu denen auch Stereotype und Vorurteile gezählt werden (vergleiche Allport 19; Kleinsteuber 1991; Löschmann 1998; Zerdick 2000). Es herrscht kein Konsens darüber, wie sich diese drei Begrifflichkeiten voneinander abgrenzen, und ob sie überhaupt auseinandergehalten werden sollen. Löschmann definiert Nationenbilder in Abgrenzung von Stereotypen wie folgt: Das Bild, das wir von etwas-- zum Beispiel vom Zielsprachenland-- haben, ist auf jeden Fall mehr als nur etwa ein Bündel von Stereotypen. Es ist eher eine komplexe Vorstellung, eine mehr oder weniger strukturierte Ganzheit, in die Wahrnehmungen, Vorstellungen, Erfahrungen, Kenntnisse und Erkenntnisse, Ideen, Vermutungen, Gefühle und natürlich auch Stereotype und Vorurteile eingehen. Anders ausgedrückt, läßt sich Bild als subjektiv gewertetes, aber sozial verarbeitetes Bild der Wirklichkeit begreifen, das unabhängig vom Beobachter existiert, aber keineswegs in dem Sinne objektiv ist, daß es mit der Realität übereinstimmen muß. Von hier aus wird auch einsichtig, daß sich ‚Nationenbilder‘ viel schneller wandeln können als Stereotype. (Löschmann 1998: 21f) <?page no="287"?> 287 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen Nationenbilder bestehen damit aus individuellen, subjektiven Anteilen wie persönlichen Erfahrungen oder Emotionen sowie aus tradierten Bestandteilen. In ihren tradierten Teilaspekten ähneln sie, beziehungsweise bestehen sie, aus Stereotypen und beziehen deshalb einen Teil ihrer Qualitäten von Stereotypen. Stereotype können als “category-based generalizations that link category members to typical attributes” (Correll, Judd, Park & Wittenbrink 2010: 4) definiert werden. Sie gelten als wertfrei, wohingegen Vorurteile tendenziell als negativ behaftet definiert werden (vergleiche Correll et al. 2010: 4). Stereotype beziehen sich auf jede Art von sozial definierbarer Gruppe. So gibt es nicht nur Stereotype über Nationen (Deutsche trinken Bier), sondern auch über andere Gruppen (Frauen können schlecht einparken, Männer nicht zuhören; vergleiche Pease & Pease 2008). Stereotype beziehen sich nicht zufällig auf Gruppen: Sie helfen, durch die Zuschreibung von Attributen Abgrenzungen vorzunehmen. Dadurch werden Gruppen nach innen und außen stabilisiert. Im Rahmen von Studienaustauschprogrammen zeigt sich dies zum Beispiel nicht selten daran, dass sich selbst unbekannte Studentinnen und Studenten gleicher Nationalität zu Gruppen formieren. Das Merkmal Nationalität wirkt in diesem Falle ein- und ausgrenzend. Weiter erfüllen Stereotype und Nationenbilder wichtige Funktionen für Individuen, in dem sie durch die Bereitstellung von Ordnungsstrukturen helfen, die Komplexität der wahrgenommenen Wirklichkeit zu ordnen. Diese Funktion von Stereotypen ist zum Beispiel in Gefahrensituationen essentiell, wenn wir nicht genügend Zeit haben, um eine Situation in ihrer gesamten Komplexität wahrzunehmen (vergleiche Zerdick 2000: 13). Kommt zum Beispiel ein torkelnder Mann mit einer abgebrochenen Bierflasche in der Hand auf uns zu, reichen uns die Merkmale torkelnder Gang und scharfer Gegenstand in der Hand, um die Situation als gefährlich einzustufen. Andere, irrelevante Merkmale der Situation wie die Haarfarbe oder die Kleidung können wir in dieser Situation ausblenden. Nationenbilder treten in der Regel gepaart auf im Sinne eines Bildes über die eigene und eine andere nationale Gruppe (vergleiche Schneider 2004: 24). Dies hat zur Folge, dass Nationenbilder immer in Relation zu betrachten sind. So schwingt mit der Aussage Die Deutschen trinken Bier mit, dass dies ein erwähnenswerter Unterschied ist im Vergleich zu anderen Nationengruppen, vor allem der eigenen Gruppe der Betrachterin oder des Betrachters. Attribute, die allen Menschen gemein sind, werden in der Konsequenz nicht zu einem Teil eines Nationenbildes. <?page no="288"?> 288 7 Interkulturelles Lernen Experiment 1 Wenn Sie Deutschland hören, an was denken Sie dann spontan? ▶ Notieren Sie die drei Begriffe, die Ihnen spontan als erstes in den Sinn kommen. ▶ Erstellen Sie mit den anderen Kurteilnehmerinnen und Kursteilnehmern ein Ranking der zehn häufigsten Assoziationen. ▶ Diskutieren Sie das Ergebnis Ihres Rankings. Hat es Sie überrascht? Welche Ihrer Top-3- Nennungen wurde(n) nur von Ihnen genannt und was könnte der Grund dafür sein? Vergleichen Sie damit nun folgende Liste: Was verbinden internationale DaF-Lerner mit Deutschland? (N gibt die absolute Zahl der Nennungen eines Begriffs an) Abbildung 7.3: Die Entwicklung von Nationalstereotypen im Globalisierungsprozess (Bolten 2006: 5) Warum eignen sich jedoch gerade Austauschaufenthalte dazu, eine Veränderung solcher Wahrnehmungsmuster einzuleiten und wie gestaltet sich diese Veränderung? Auslandsaufenthalte werden im Allgemeinen als Chance betrachtet, vermehrt in Kontakt mit Menschen des Gastlandes zu kommen. Kontakt wiederum hat das Potenzial, Einstellungen zu und Vorstellungen von einer Kultur und ihren Angehörigen zu verändern. Die theoretische <?page no="289"?> 289 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen Grundlage für diese Behauptung ist die erstmals 1954 von Allport formulierte und 1998 von Pettigrew konkretisierte Kontakthypothese. Die Kontakthypothese besagt, dass Kontakt zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Personengruppen unter bestimmten förderlichen Bedingungen eine Veränderung im Umgang mit Stereotypen und Vorurteilen bewirken kann. Zu den förderlichen Bedingungen zählt, dass die beteiligten Personen von gleichem gesellschaftlichem Status sein müssen und im Rahmen des Kontakts gemeinsame Ziele verfolgen, die durch Kooperation und nicht durch Wettkampf zu erreichen sind. Dadurch soll in letzter Konsequenz die Entstehung von Freundschaften möglich sein. Weiter sollte eine Autorität dieses Handeln überwachen (vergleiche Allport 19: 281; Schneider 2004: 430). Die Veränderung in der Einstellung und im Umgang mit Stereotypen verläuft idealtypisch über drei Stufen (vergleiche Pettigrew 1998): ▶ Während der Anfangsphase des Kontakts nehmen die interagierenden Personen sich als Individuen wahr, unabhängig von ihrer (kulturellen) Gruppenzugehörigkeit (decategorization). ▶ Im Verlauf des Kontakts sollen durch die Kooperation Unsicherheit ab- und positive Gefühle aufgebaut werden, bevor den beteiligten Personen in einem zweiten Schritt bewusst gemacht wird, dass sie eigentlich zu unterschiedlichen (kulturellen) Gruppen gehören (salient categorization). ▶ Da nun aber positive Erfahrungen auf individueller Ebene vorhanden sind, wird davon ausgegangen, dass diese positiven Wahrnehmungen auf die (kulturelle) Gruppe der anderen Beteiligten übertragen wird (vergleiche Stürmer 2009: 28f). In der Konsequenz wird in Schritt drei ein neues Gruppenverständnis, ein Wir-Gefühl, ausgebildet (recategorization). Die genannten Bedingungen implizieren und empirische Studien belegen, dass Kontakt jedoch nicht gleich Kontakt ist. Kontakterfahrungen, die dazu führen, dass die mobilen Individuen mit Mitgliedern anderer Gruppen selbständig und aktiv in Interaktion treten und gemeinsam etwas tun müssen, beinhalten ein hohes Potenzial, Wahrnehmungsveränderungen hervorzurufen (vergleiche Allport 19: 27; Chen 2008: 188f; Ellis 2011: 238ff; Koester 1985: 0). Hierzu gehören zum Beispiel Aufenthalte im Rahmen von Freiwilligenarbeit, selbständig organisierte Studienaufenthalte, Studienaufenthalte im Rahmen von Austauschprogrammen oder Individualreisen (vergleiche Chen 2008: 188f; Koester 1985: 0). Studienaustauschaufenthalte können definiert werden als Aufenthalte im Kontext von Bildung, für die eine nationale Grenze überschritten wird, die zeitlich begrenzt sind und nicht mit dem Erwerb eines Studienabschlusses einhergehen. Viele andere Rahmenkomponenten von Studienaustauschaufenthalten sind sehr unterschiedlich geregelt. In dieser Lerneinheit gehen wir davon aus, dass Studienaustauschaufenthalte von einzelnen Studentinnen und Studenten an einer Hochschule im Land der Zielsprache für mehrere Monate ohne Begleitung der Lehrkraft durchgeführt werden. Vor allen anderen Aufenthaltsformen bieten im Hochschulkontext reguläre Studienaustauschaufenthalte den Vorteil, dass die mobilen Studentinnen und Studenten ihre Erfahrungen im Gastland unmittelbar an ihre Lebenswirklichkeit anknüpfen können, denn die Grundkonstellation Studium bleibt erhalten (vergleiche Sato-Prinz 2017: 27f). <?page no="290"?> 290 7 Interkulturelles Lernen 7.3.3 Veränderung von Nationenbildern - Empirische Ergebnisse Studien, die sich mit Nationenbildern und möglichen Veränderungen befassen, gibt es unüberschaubar viele, und so werden Sie vielleicht auch für Ihre Konstellation aus Heimat- und Zielland eine oder mehrere Studien zu diesem Thema finden. Weiter werden Sie feststellen, dass die Ergebnisse der unterschiedlichen Studien diffus sind. So gibt es Studien, die zu dem Fazit kommen, dass sich Nationenbilder durch Auslandsaufenthalte im Bildungskontext verbessern (vergleiche zum Beispiel Medina 2008; Nguyen & Kellogg 2010; Seebauer 2009), verschlechtern (vergleiche zum Beispiel Coleman 199; Papatsiba 200; Tsai 2011) oder gar nicht verändern können (vergleiche zum Beispiel Sutton, Miller & Rubin 2007; Teichler & Opper 1988; Williams o. J.). Als mögliche Gründe für diese unterschiedlichen Ergebnisse kristallisieren sich zwei heraus: Erstens könnte das Untersuchungsdesign zu den widersprüchlichen Ergebnissen beitragen, denn so finden Sie unter den bestehenden Studien viele, die allein am Ende eines Mobilitätsprogramms versuchen, zum Beispiel über einen Vergleich mit nicht-mobilen Studentinnen und Studenten Aussagen über Lerneffekte der zurückgekehrten Studentinnen und Studenten zu treffen (vergleiche Chieffo & Griffiths 2004; Coleman 199; Sato-Prinz 2011). Tatsächlich können jedoch nur Studien im Längsschnitt eine Veränderung untersuchen. Zweitens sprechen die verschiedenen Studien unterschiedliche Ebenen von Nationenbildern an: den Inhalt (Kognition beziehungsweise Wissen), die damit verbundene und zum Ausdruck kommende Einstellung (Affekt beziehungsweise Einstellung) und den Umgang mit Generalisierungen im Rahmen der Bildbeschreibungen (Verhalten beziehungsweise Fähigkeiten). Diese Dreiteilung findet sich im Übrigen auch in der Literatur zur Einstellungsforschung und zur interkulturellen Kompetenz (vergleiche Edwards 1982: 20; Meyer-Lee & Evans 2007: 4f) und es bietet sich an, sie auf den Bereich der Nationenbilder zu übertragen (vergleiche Sato-Prinz 2017: 4f). Im Folgenden betrachten wir exemplarisch an den Ergebnissen einer Longitudinalstudie im Bereich des Studienaustauschs von japanischen Studentinnen und Studenten nach Deutschland, welche Veränderungen in diesen Teilbereichen stattfinden können (vergleiche Sato-Prinz 2017). Inhalt: Parallele Existenz tradierter und individueller Bildbestandteile Auf der inhaltlichen Ebene von Nationenbildern sind bei mobilen Studentinnen und Studenten unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten. Diese entstehen in dem Gefüge zwischen tradierten und individuellen Bildbestandteilen sowie der Kontrastierung früherer Vorstellungen über das Zielland und der vor Ort wahrgenommenen Realität. Einerseits ermöglichen Austauschaufenthalte neue und persönliche Erfahrungen, die tradierte Inhalte und frühere Vorstellungen vom Land der Zielsprache verdrängen können. Andererseits werden tradierte Inhalte aber nicht vollständig ersetzt. In Sato-Prinz (2017: 223ff) zeigt sich beispielsweise, dass eine Gruppe japanischer Austauschstudentinnen und -studenten in Deutschland zwar sowohl zu Beginn als auch am Ende ihres Aufenthalts in Deutschland Bier und Wurst am meisten mit Deutschland assoziieren. Sehr stereotype Assoziationen bleiben somit bestehen. Gleichzeitig nimmt jedoch die Anzahl an individuellen Assoziationen, die nur eine Testperson nennt, <?page no="291"?> 291 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen deutlich zu. Auch hinsichtlich der Charakterisierung deutscher Personen bleiben pünktlich und ernst als stereotype Zuschreibungen über die gesamte Untersuchung hinweg von Bedeutung. Gleichzeitig erneuern sich etwa drei Viertel der inhaltlichen Bestandteile der Attribute zu deutschen Menschen unabhängig davon, ob eine Studentin oder ein Student an einem Studienaustauschprogramm teilnimmt oder nicht. Innerhalb des verbleibenden Viertels sind es jedoch nur die Austauschstudentinnen und -studenten, die frühere Bildbestandteile auch widerlegen und als nicht mehr zum eigenen Deutschlandbild passend empfinden. Wie kann es jedoch sein, dass offensichtlich plakativ geäußerte Bildbestandteile trotz individueller Erfahrungen durch Auslandsaufenthalte nicht aus den Nationenbildern eliminiert werden? Lassen Sie uns, um diese Frage zu beantworten, das Thema wechseln und einen Blick auf personengruppenbezogene Witze werfen. Eine Vielzahl von auf Personengruppen bezogenen Witzen funktioniert nur deshalb, weil über verschiedene Gesellschaftsschichten hinweg stereotype Zuschreibungen bekannt sind, auch wenn sie von einem großen Teil der Zuhörerinnen und Zuhörer nie aktiv ausgesprochen werden würden (vergleiche Riehl 2000: 420; Roche 201: 12). Auch Assoziationsexperimente wie sie in der Psychologie und der kognitiven Semantik gängig sind, zeigen, dass stereotype, von einer großen Gemeinschaft geteilte und sehr individuelle Assoziationen zu einem Begriff grundsätzlich gleichzeitig vorkommen (vergleiche Ait Ramdan 2013; Roche & Roussy-Parent 200). Es ist deshalb nur folgerichtig, anzunehmen, dass diese Feststellung auch für den Bereich der Nationenbilder Gültigkeit hat. Tradierte, stereotype und reflektierte, individuelle Bildbestandteile schließen sich somit generell nicht aus. Vielmehr wird deutlich, dass sich die semantischen Konzepte der Lerner hinter den Länderbezeichnungen oder Nationengruppen in großen Teilen verändern und individualisieren. Solche Veränderungsprozesse werden als semantische Akkommodationsprozesse bezeichnet, und Austauschaufenthalte scheinen diese Prozesse zu stimulieren. Weiter spricht die parallele Existenz verschiedener Bildbestandteile für ein dynamisches Verständnis von Wahrnehmungsmustern (vergleiche Roche 201: 11f; Sato-Prinz 2017: 231ff), in dem Bildbestandteile bewusst und unbewusst ausgeklammert, reaktiviert oder bevorzugt werden können (vergleiche Grupp 2014: 323ff; Schneider 2004: 31f). Dass dabei tradierte, stereotype Inhalte präferiert werden, ist umso wahrscheinlicher, über je weniger Erfahrungswissen eine Person verfügt (vergleiche Ertelt-Vieth 2005: 171). Experiment 2 Der Himmel ist dort, wo die Briten die Polizisten sind, die Franzosen die Köche, die Deutschen die Mechaniker, die Italiener die Liebhaber, und organisiert wird alles von den Schweizern. Die Hölle ist dort, wo die Briten die Köche sind, die Franzosen die Mechaniker, die Schweizer die Liebhaber, die Deutschen die Polizisten, und organisiert wird alles von den Italienern. ▶ Kennen Sie einen ähnlichen Witz, der auf Stereotypen gegenüber anderen Personengruppen basiert? Stellen Sie den anderen Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern Ihren Witz vor. ▶ Analysieren Sie, welche Stereotype durch den Witz bei Ihnen und anderen aktiviert werden. <?page no="292"?> 292 7 Interkulturelles Lernen Einstellung: Relativierung früherer Deutschlandbilder und Kontrastierung mit der wahrgenommenen Wirklichkeit Obwohl die affektiv-emotionale Komponente von Nationenbildern sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann, gibt es eine Tendenz, dass die meisten Studentinnen und Studenten, die vor einem Austauschaufenthalt stehen, eine positive Grundhaltung gegenüber ihrem Zielland haben, denn andernfalls würden sie sich in der Regel nicht für einen mehrmonatigen Aufenthalt vor Ort entscheiden. Ein überzogen positives Bild kann jedoch einer Realität mit Vor- und Nachteilen nicht standhalten. Davon ausgehend, besteht eine Tendenz dahingehend, dass sich die Einstellungskomponente zumindest phasenweise verschlechtert. Dies kann sich dergestalt äußern, dass zum Beispiel emotional-negative Gefühle und Bildbestandteile nicht mehr kategorisch ausgeschlossen werden (vergleiche Sato-Prinz 2017: 225f). Im Gegenzug verbessern sich nicht selten die Einstellungswerte gegenüber dem eigenen Heimatland (vergleiche Budke 2003; Carlson, Burn, Useem & Yachimowicz 1991). Solche Veränderungen verlaufen normalerweise parabelförmig und lassen sich mithilfe dreier ähnlicher Modelle beschreiben: ▶ dem Modell der phasenhaften Entwicklung interkultureller Sensibilität (vergleiche Bennett 1993); ▶ Lysgaards (1955) U-Kurve; ▶ Obergs (190) Kulturschockhypothese. Abbildung 7.4: Parabelförmiger Verlauf des Kulturschocks, dargestellt in Anlehnung an die Kulturschockhypothese Obergs (1960), die U-Kurve Lysgaards (1995) und die Theorie der interkulturellen Sensibilisierung Bennetts (1993) <?page no="293"?> 293 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen Der parabelförmige Verlauf umfasst positiv gestimmte, euphorische Phasen der ersten Annäherung, die sich über eine Entfremdungsphase zu einer Stufe mit hohem Missverständnispotenzial bis hin zur Eskalation negativ wandeln können, bevor über Phasen der Anpassung und Integration Verständigung und damit eine Verbesserung von Einstellungswerten möglich wird. Abbildung 7.4 stellt diesen Prozess vereinfacht dar. Die Einstellung zur eigenen nationalkulturellen Gruppe verhält sich tendenziell jeweils komplementär zum Entwicklungsstand hinsichtlich der Einstellung zum Gastland. Obwohl diese Entwicklungen faktisch zunächst eine Verschlechterung darstellen, werden sie von vielen mobilen Personen nicht ausschließlich als Verschlechterung wahrgenommen, sondern als Bereicherung des eigenen Wissens im Sinne einer realitätsnahen, eher neutralen Vorstellung des Ziellandes (vergleiche Sato-Prinz 2017: 178ff). Um eine Wertung zu vermeiden, bietet es sich an, davon zu sprechen, dass die sehr positiven Nationenbilder mobiler Studentinnen und Studenten relativiert werden können. Ähnliche Prozesse, einen Eigenkulturschock eingeschlossen, können auch nach der Rückkehr in das vertraute Heimatland nach einem längeren Auslandsaufenthalt ablaufen. Die U- Kurve kann deshalb zur W-Kurve erweitert werden (vergleiche Gullahorn & Gullahorn 193). Umgang mit den Bildbeschreibungen: Generalisierungstendenz und beginnende Infragestellung nationaler Kulturen Betrachtet man, wie die mobilen Lerner über ihre Gastländer und deren Bevölkerung sprechen, deutet sich an, dass die nach einer Austauscherfahrung neu formierten Nationenbilder sprachlich weniger differenziert dargestellt und dadurch weniger zur Disposition gestellt werden. So stellen die Austauschstudentinnen und -studenten in Sato-Prinz (2017) am Ende ihrer Erfahrung ihre Bilder weniger als subjektive Meinung oder Wahrnehmung und weniger als eingeschränkt gültig dar als noch zu Beginn oder während des Aufenthalts. Es entsteht deshalb der Eindruck, dass die Austauscherfahrung als Legitimation verstanden wird, allgemeingültig über das Gastland und seine Bewohnerinnen und Bewohner zu urteilen (vergleiche Keller 1998). Andere Äußerungsarten wie Vergleiche zu anderen Nationengruppen oder das Beziehen von Aussagen auf Subgruppen innerhalb der Bevölkerung des Ziellands (zum Beispiel einheimische Studentinnen und Studenten) gewinnen ebenfalls an Bedeutung. Im Rahmen der Bildbeschreibungen zeigt sich ferner, dass einerseits die statischen Nationalkulturen für die Studentinnen und Studenten weiterhin präsent sind und Orientierung geben. Andererseits zeichnet sich ab, dass diese die Lebenswirklichkeit der Studentinnen und Studenten nicht mehr vollständig abbilden können, denn es wird für die Studierenden immer schwieriger, Menschen und ihre Verhaltensweisen im Sinne einer Entweder-Oder- Entscheidung einer statischen, abgegrenzten Kultur zuzuordnen. Alternative Erklärungskonzepte von Kultur wie die in Lerneinheit 7.2 vorgestellten Konzepte der Transkulturation oder Transdifferenz, die dieses Dilemma aufheben könnten, fehlen den Studentinnen und Studenten jedoch häufig (vergleiche Sato-Prinz 2017: 207ff). Wir sehen somit, dass in allen drei Teilbereichen interkultureller Wahrnehmung Veränderungen stattfinden können. Diese müssen jedoch nicht in einem systematischen Zusammenhang stehen. Vielmehr bestehen individuelle, vielfältige und stereotype, positive und <?page no="294"?> 294 7 Interkulturelles Lernen negative sowie differenzierte und generalisierende Bildbestandteile parallel nebeneinander und werden in einem als dynamisch zu vermutenden Gefüge situativ aktiviert. Positive oder negative Entwicklungen einer Person in einem Teilbereich erlauben deshalb keine Schlussfolgerung über die Richtung der Entwicklungen in den anderen Teilbereichen. Ferner müssen Sie davon ausgehen, dass sich die Nationenbilder Ihrer mobilen Lerner auch nach der Rückkehr in ihr Heimatland weiter verändern werden (vergleiche zum Beispiel zum Thema Umgang mit Generalisierungen Sato-Prinz 2011). 7.3.4 Möglichkeiten zur Förderung der interkulturellen Lernerfahrungen mobiler Lerner sowie deren Integration in Ihren Unterricht Vielleicht fragen Sie sich nun, ob und wie die interkulturellen Lernerfahrungen der mobilen Lerner unterstützt werden können. Die Antwort lautet auch an dieser Stelle: Ja, es gibt Möglichkeiten, wie Sie die Erfahrung Ihrer Lerner positiv beeinflussen können. Zunächst beeinflusst die Gestaltung der Austauschprogramme die Entwicklungsmöglichkeiten der Studentinnen und Studenten. Jedoch ist die Liste möglicher Einflussfaktoren lang, und vermutlich können Sie als Fremdsprachenlehrerin oder Fremdsprachenlehrer nur bedingt darauf einwirken. Dennoch kann Ihnen Wissen um mögliche Einflussfaktoren helfen, um beispielsweise Empfehlungen für Programme auszusprechen. In Sato-Prinz (2017) haben sich die folgenden der untersuchten Cluster an Einflussfaktoren als relevant herausgestellt: ▶ die Aufenthaltsdauer; ▶ die Vorerfahrung mit Deutschland im Sinne früherer Aufenthalte oder einer Beschäftigung mit Deutschen, Deutschland und der Sprache Deutsch und damit in Verbindung stehend die Sprachkompetenz im Deutschen; ▶ die Integration am Gasthochschulort im Sinne guter Kontakte zu Deutschen, einer Identifikation mit der Gasthochschule sowie eines subjektiven Wohlbefindens in Deutschland. Hinsichtlich der Aufenthaltsdauer finden sich zunächst keine Belege, die klar gegen einen Ein-Semester-Aufenthalt sprechen, jedoch steigern Jahresaufenthalte die Chance, dass die Lerner das Tal der U-Kurve beziehungsweise der Kulturschockkurve überwinden können (vergleiche Sato-Prinz 2017: 243f). Auch gibt es eine Vielzahl von Studien, die selbst Kurzzeitaufenthalten von wenigen Wochen positive Lerneffekte attestieren (vergleiche zum Beispiel Ertelt-Vieth 2005; Nam 2011). Studentinnen und Studenten, die sich vor einem Auslandsaufenthalt kaum oder gar nicht mit der Zielsprache, dem Zielland und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern befasst haben, müssen vor allem das Ziel vorbereitender oder begleitender Maßnahmen sein, denn sie durchlaufen mit größter Wahrscheinlichkeit eine affektiv-emotionale Verschlechterung ihrer Deutschlandbilder und verharren am längsten in der Tal-Phase des Kulturschocks (vergleiche Sato-Prinz 2017: 245). Neben Sprachkursen erscheinen solche Veranstaltungen als sinnvoll, die den Lernern eine realitätsnahe Erfahrung des Ziellands ermöglichen. Dadurch kann das Zusammenstoßen von tendenziell positiver Vorstellung und (wahrgenommener) Realität mit positiven und negativen Aspekten vorverlagert werden in <?page no="295"?> 295 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen das Heimatland beziehungsweise Ihren Unterricht, wo Sie unterstützend zur Seite stehen (vergleiche Sato-Prinz 2017: 28f). Eine wichtige Rolle spielt dabei im Sinne der Kontakthypothese der persönliche, regelmäßige, freundschaftliche Kontakt zu Menschen des Ziellands und anderen internationalen Menschen. Dies gilt natürlich auch für die Zeit des Aufenthalts im Gastland und hat den positiven Nebeneffekt, dass sich die Studentinnen und Studenten durch die Kontaktmöglichkeiten im Gastland wohlfühlen (vergleiche Sato-Prinz 2017: 28). Als Vor- oder Nachbereitung, oder gar begleitend, sind solche Betreuungsmaßnahmen förderlich, die die Studentinnen und Studenten mit modernen Konzepten von Kultur und Interkulturalität vertraut machen (vergleiche Sato-Prinz 2017: 28f). Vielleicht denken Sie nun zuerst an die allseits populären und bereits in mehreren Lerneinheiten genannten interkulturellen Trainings. Diese werden jedoch mit ihrer zumeist einfachen Aneinanderreihung von Dos and Don‘ts nicht dem gerecht, was Ihre Studentinnen und Studenten vor Ort im Land der Zielsprache erwartet. Dynamische und fluide Konzepte von Kultur und Identität, wie zum Beispiel das der Transdifferenz, können die wahrgenommene Realität besser erklären. Sie können den Studentinnen und Studenten helfen, ihre Erfahrungen besser einzuordnen und wirken auf diese Weise verständnisfördernd (vergleiche Sato-Prinz 2017: 28f). Damit Ihre Lerner mit stereotypen Wahrnehmungsmustern brechen können, müssen Sie sie für deren Funktionsweisen, ihre Automatisiertheit sowie ihre subjektive und kulturelle Geprägtheit sensibilisieren. Ein Modell von Wahrnehmung, das nicht im Sinne einer Entscheidung zwischen guten, da reflektierten, erfahrungsbasierten Bildern und schlechten, da tradierten, pauschalisierenden Bildern argumentiert, könnte dabei helfen (vergleiche Sato-Prinz 2017: 29). Auf diese Weise vermeiden Sie, dass die Studentinnen und Studenten am Ende des Aufenthalts beginnen, ihre persönlichen Erfahrungen zu übergeneralisieren. Ferner helfen vorgelagerte oder begleitende Informations- und Beratungsangebote zum Thema Kulturschock, entsprechende Symptome einzuordnen, nicht überzubewerten und motivieren im besten Falle zum Durchschreiten emotional kritischer Phasen (vergleiche Sato-Prinz 2017: 185). Studienaustauschaufenthalte einzelner Ihrer Lerner haben ferner das Potenzial, auf Ihren Fremdsprachenunterricht im Gesamten zurückzuwirken. Hierbei kommt zum Tragen, dass Austauschstudentinnen und -studenten sich nicht nur selbst verändern, sondern durch Erzählungen und Gespräche auch Einfluss auf die Nationenbilder ihrer Kommilitonen zuhause nehmen können (vergleiche Meyer-Lee & Evans 2007: 8; Sato-Prinz 2017: 29). Da ein solcher Austausch zwischen Freundinnen und Freunden in der Regel sowieso stattfindet, können Sie dieses Potenzial auch in Ihrem Unterricht zur Entfaltung bringen und damit gewinnbringend nutzen. So könnten Unterrichtseinheiten im Gesamten oder eklektisch auf den Erfahrungen der zurückgekehrten Austauschstudentinnen und -studenten aufbauen (vergleiche Sato-Prinz 2017: 29). Dies hätte Informationscharakter für alle Studierenden, vorbereitenden Charakter für zukünftige Austauschstudentinnen und -studenten und würde zudem den Kontext bilden für die praxisnahe Einführung von Metawissen zu den Themen Kultur und interkulturelle Kommunikation. Zugleich schaffen Sie auf diese Weise mit entsprechender Anleitung den Raum für eine nachbereitende Reflexion der Austauscherfahrungen für die heimgekehrten Lerner. <?page no="296"?> 7.3.5 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie Studienaustauschaufenthalte im Land der Zielsprache die interkulturellen Lernprozesse der mobilen Lerner beeinflussen. Die Hauptaussagen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: ▶ Austauschaufenthalte im Land der Zielsprache bieten Zugang zu einer ungefilterten Realität des Ziellandes und können interkulturelle Lernprozesse initiieren. ▶ Austauschaufenthalte können unterschiedliche Veränderungen auf den drei Ebenen von Nationenbildern, dem Inhalt, der Einstellung sowie dem Umgang mit Nationenbildern, herbeiführen. ▶ Vor- und nachbereitende Maßnahmen müssen an der Basis interkulturellen Lernens ansetzen: den Konzepten von Kultur, Interkulturalität und Kulturschock. Vorbereitende Maßnahmen müssen vor allem solche Personen im Fokus haben, die keine oder wenig Erfahrung mit dem Zielland, seiner Bevölkerung oder der Zielsprache haben. Nachbereitende Maßnahmen können auch für solche Lerner nutzbar gemacht werden, die selbst nicht am Austauschprogramm teilnahmen. 7.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum haben Auslandsaufenthalte das Potenzial, interkulturelle Lernprozesse in den mobilen Personen zu stimulieren, und weshalb sind Studienaustauschaufenthalte besonders geeignet, um interkulturelles Lernen zu fördern? 2. In welchen Teilbereichen können sich Nationenbilder verändern? 3. Wie kann die parallele Existenz sehr stereotyper und gleichzeitig sehr differenzierter und individueller Bildbestandteile erklärt werden? 4. Welche Gefahr bergen Auslandsaufenthalte im Hinblick auf den Umgang mit Nationenbildern und welche Möglichkeit zur Vorbeugung gibt es? 5. Wie können mobile Lerner in ihren interkulturellen Lernprozessen unterstützt werden? <?page no="297"?> 297 7.3 Kulturelles Lernen in Austauschprogrammen 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Im abschließenden Kapitel dieses Bandes sollen unterschiedliche Aspekte institutioneller Kontexte vertieft betrachtet werden. Es geht zum einen um eine Art Institutionenkunde, zum anderen aber auch darum zu beleuchten, wie diese kultur(ver)mittelnden Institutionen eigentlich arbeiten und kommunizieren. Politisch betrachtet handelt es sich hierbei um den Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ( AKBP ), ein wichtiger, oft allerdings von der DaF-Gemeinschaft zu wenig beachteter Arbeitsbereich, in dem DaF-Absolventen beziehungsweise -Absolventinnen und andere Sprach- und Kulturwissenschaftler beziehungsweise -wissenschaftlerinnen ihre Kompetenzen einbringen und berufliche Karrieren aufbauen können. In der Bundesrepublik Deutschland gilt dieser Bereich neben der Wirtschafts- und Verteidigungspolitik als dritte Säule der deutschen Außenpolitik. Lerneinheit 8.1 geht auf Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen ein, inklusive möglicher Irritationen bei direktem Kulturkontakt im Auslandsstudium und Ähnlichem, die trotz Globalisierung und internationalem Kulturaustauch immer noch durch nationale Bildungstraditionen geprägt sind. Lerneinheit 8.2 beleuchtet die Bildungskonzepte, auf die die Politik gerne rekurriert, ohne immer alle Konsequenzen bei der Umsetzbarkeit und Umsetzung zu bedenken. Es geht hier um das Konzept der interkulturellen Bildung und neuste Forschungsansätze im Bereich der interkulturellen Pädagogik, die die Fremden nicht nur als Objekt, sondern vielmehr als Partner, und die Bewältigung von Fremdheit nicht als einen Einbahnsondern einen wechselseitigen Prozess betrachten. Ihnen geht es also um Chancen, Talente und Gerechtigkeit. Präsentiert wird hier daher ein neuer (theoretischer) Ansatz, der den Gerechtigkeitsgedanken im Sinne von Verwirklichungschancen eines Individuums in einem bestimmten Bildungssystem als Ausgangspunkt nimmt. Diesem Capabilities-Ansatz geht es in der Praxis darum, Möglichkeiten zur besseren Integration von Schülern und Schülerinnen zu schaffen und ihr kulturelles Kapital, ihre Talente und Kompetenzen besser zu fördern und zu nutzen. In diesem Zusammenhang werden auch Migrationsursachen aufgezeigt und transnationale Bildungsräume untersucht. In der Lerneinheit 8.3 wird der in Lerneinheit 8.1 behandelte Aspekt der Kulturspezifik von Wissensvermittlung im Hinblick auf die Institutionalisierung des internationalen Wissenschaftsaustauschs und die Förderung des Deutschen als Wissenschaftssprache erweitert. Neben den hier diskutierten Positionspapieren der wichtigsten Kulturmittlerorganisationen im Bildungs- und Hochschulbereich (unter anderem das Goethe-Institut ( GI ) und der Deutsche Akademische Austauschdienst ( DAAD )) werden - teilweise auch gemeinsame- - Initiativen zur Attraktivitätssteigerung des Studienstandortes Deutschland und der Zugang zu exzellenter Lehre in internationalen, meist aber englischsprachigen Studiengängen vor dem Hintergrund der Ziele der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ( AKBP ) vorgestellt. Ähnlich wie auch in der Lerneinheit 8.2 (in Abkehr vom Defizitgedanken) geht es dabei im interkulturellen Austausch vor allem um Partizipation (Stärkung der Zivilgesellschaften) und Partnerschaft auf Augenhöhe. <?page no="298"?> 298 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 8.1 Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen Elisabeth Venohr Fremdheitserfahrungen manifestieren sich in interkulturellen Begegnungssituationen auf unterschiedlichen Ebenen, beispielsweise auf der konzeptionellen Wahrnehmungsebene oder aber in der direkten Interaktion durch differierende Kommunikationsmuster. Im einzelsprachlichen universitären Seminarkontext sowie bei der damit verbundenen Art der Wissensvermittlung treffen durch Internationalisierung und Wissenschaftsaustausch ebenfalls verschiedene Lernerkulturen aufeinander, die trotz vergleichbarer Studienorganisation (zum Beispiel im Bologna-Prozess zur Modularisierung von Bachelor- und Masterstudiengängen) je nach Herkunfts- und Zielkultur immer wieder für Irritationen bei Lernern und Lehrkräften sorgen. Auch in der Bewertung von studentischen Texten, die in der fremden Wissenschaftssprache (hier: Deutsch) verfasst werden, lassen sich in unterschiedlichen Ländern neben den kultur- und disziplinenübergreifenden Wissenschaftskriterien, darunter vor allem das sachbezogene Argumentieren und die Verwendung von Fachterminologie, auch kulturspezifische Besonderheiten im Verständnis von Wissenschaftlichkeit feststellen. Häufig ist das durch die schulische Sozialisation mitgebrachte Wissen über die Techniken und Standards des wissenschaftlichen Arbeitens in der Wissenschaftskultur der Erstsprache nicht mit dem in der Fremdsprache deckungsgleich. Das gilt auch für den Stellenwert der muttersprachlichen Schreibkompetenz innerhalb einer Lernerkultur und den daraus resultierenden Schreibpraxen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ zwischen verschiedenen Lern(er)kulturen unterscheiden können; ▶ die schulische Sozialisation als wissenschaftspropädeutische Grundlage für die universitäre Seminarpraxis verstehen; ▶ die Art der Wissensvermittlung in der universitären Praxis am Beispiel typischer Textsorten in kontrastiver Perspektive erklären können; ▶ die Kulturgeprägtheit wissenschaftlicher Kommunikation im Bereich des Sprechens (hier: im Seminargespräch) durch critical incidents beziehungsweise kritischen Interaktionssituationen erklären können; ▶ die Bewertung von Texten mit der jeweiligen einzelsprachlichen Wissenschaftskultur in Verbindung setzen können; ▶ in Ihrem eigenen DaF-Unterricht Unterschiede zwischen Lernerkulturen thematisieren beziehungsweise bei Ihrer eigenen Unterrichtsplanung berücksichtigen. <?page no="299"?> 299 8.1 Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen 8.1.1 Lerner- und Studienkultur in der Einzelsprache Wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass „das kollektive kulturelle Wissen-[…] durch Erziehung und Unterweisung weitergegeben [wird] (vergleiche zum Beispiel Stigler & Hiebert 1999)“ (Eßer 200: ), dann müssen wir uns gleichermaßen die Frage stellen, wie diese Wissensvermittlung im jeweiligen nationalen Kontext realisiert wird; je nachdem, ob die Weitergabe von enzyklopädischen Wissen (auch im Sinne von kanonischem Wissen eines Kollektivs) oder aber die Anleitung zur Reflexion über das Erlernte sowie das selbständige (Weiter-)Lernen im Zentrum der universitären Lehre das übergeordnete Lernziel darstellen. Daraus ergeben sich spezifische Lehr-Lern-Formen, die von Land zu Land variieren können: Lerner-[…] bringen ihre eigenkulturell bedingten Lernerfahrungen und -vorstellungen immer mit in den Unterricht. Sie haben bestimmte Rollenvorstellungen von sich selbst, bestimmte Erwartungen an den Lehrer, an den Unterricht, an Methoden, also an das, was und wie sie lernen wollen oder sollten, an Inhalte, Arbeits- und Übungsformen-[…]. (Eßer 200: 11) Im deutschen Hochschulkontext wird insbesondere in den Geisteswissenschaften auch weiterhin auf das Humboldt´sche Modell des lehrenden Forschens und forschenden Lehrens zurückgegriffen, also auf die Einheit von Forschung und Lehre, was zu einer Integration der Forschung in die Lehre führt und Studentinnen und Studenten zum eigenen Forschen anregen soll. Hier entsteht allerdings ein für die in Deutschland Studierenden und in der Wissenschaftssprache Deutsch Schreibenden doppeltes Problem, das man auch als Als-Ob- Status bezeichnet: In vielen seiner Texte muss der Student die Rolle dessen einnehmen, der einen Wissensvorsprung vor dem Leser hat, während in Wirklichkeit der einzig reale Leser, nämlich der Seminarleiter oder Gutachter, einen hohen Wissensvorsprung und nicht selten einen ausgeprägt geringen Informationsbedarf hat. (Pieth & Adamzik 1997: 34) Die Studentin oder der Student muss also so tun, als ob sie oder er für die scientific community, also einen öffentlichen Expertendiskurs schreiben würde, während sie oder er selbst noch den Status des Nicht-Experten einnimmt. Allerdings ist die allmähliche Aneignung wissenschaftlicher Text- und Schreibkompetenz durch die studentische Textsorte Seminararbeit (Steinhoff 2007), die als Vorform des wissenschaftlichen Artikels gilt und sich sowohl in der Struktur als auch in der verwendeten Wissenschaftssprache daran orientiert (Stezano Cotelo 2008), eine Spezifik für die progressive Wissenschaftssozialisation im deutschen Bildungssystem. Die Grundlagen dafür werden bereits in der gymnasialen Oberstufe gelegt: Die konsequente Weiterführung der Textsorten von der gymnasialen Oberstufe bis zum Studium in den geisteswissenschaftlichen Fächern-- die Anforderungen an eine Facharbeit in der Oberstufe kommen denen an eine Proseminararbeit im Grundstudium sehr nahe‘ (Kaiser 2002: 82)-- ist für das deutsche akademische Ausbildungssystem charakteristisch. (Venohr 2009: 57) In anderen Bildungssystemen wird die Förderung der muttersprachlichen Schreibkompetenz mit der Schulung des logischen Denkens und Argumentierens gleichgesetzt: „Das Bestreben, <?page no="300"?> 300 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik die Muttersprache Französisch-- auch schriftlich-- perfekt zu beherrschen, ist in der französischen Tradition stark verankert“ (François 2004: 17). Aus diesem Grund wird auch noch in universitären Seminaren die zunächst als Schultextsorte eingeführte dissertation (nicht zu verwechseln mit der deutschen Dissertation, die mit der Promotionsschrift gleichzusetzen ist), die als argumentativer Texttyp am ehesten mit der deutschen Erörterung zu vergleichen ist, als Schreibaufgabe in nahezu allen geisteswissenschaftlichen Studienfächern fortgesetzt. Das damit verbundene Streben nach Perfektion im Ausdruck führt im französischen Wissenschaftsdiskurs auch dazu, dass sich eine Kultur des rhetorischen, stilvollen Schreibens etabliert hat. Stilfragen (im Sinne des schönen Formulierens) werden hingegen in deutschen wissenschaftlichen Texten zugunsten einer stärkeren Sachorientierung eher vernachlässigt. Gleichzeitig lassen deutsche Wissenschaftstexte typischerweise auch sprachliche Mittel zur Leserorientierung vermissen, die im angelsächsischen Sprachraum in der Tradition des academic writing fest verankert sind. Beim Schreiben im Englischen als L2, das aufgrund seines Status als weltweite Wissenschafts- und Publikationssprache besonders häufig mit anderen (nationalen) Schreibstilen verglichen wird, zeigen sich einige Spezifika, wie der folgende Vergleich mit finnischen Darstellungsmustern in wissenschaftlichen (Experten-)Texten zeigt, wenn auch hier etwas stereotyp und stark verallgemeinernd formuliert: Finns, from a homogeneous, well-educated society, may tend to view their readers as informed colleagues who will work hard to understand a text. Good Anglo-American writers may seem to be ‘packaging’ or even ‘marketing’ their texts; they are actually trying to write so clearly that a busy, tired, easily bored reader can absorb their full meaning in only one rapid reading. The Anglo-American writer leads the reader by the hand, but the Finnish writer often expects readers to find their own way. (Norris 201: 5) Anleitungs- oder auch Ratgebertexte zum wissenschaftlichen Schreiben geben wichtige Orientierungshilfen bei der Produktion von Expertentexten in kontrastiver Perspektive, also im Hinblick auf das Schreibprodukt (zu kontrastiven Studien im Bereich der Wissenschaftskommunikation siehe auch Kapitel 3 im Band »Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen«); sie sagen aber wenig über mögliche kulturdifferierende Konstellationen in interkulturellen Lehr- Lern-Kontexten an Universitäten aus. Darum soll es in den nun folgenden Ausführungen gehen. 8.1.2 Interkulturelle Lehr-Lern-Situationen Sowohl für die schriftliche als auch für die mündliche Sprachproduktion lassen sich gerade im DaF-Bereich an Universitäten fachspezifische und institutionell bedingte Merkmale festmachen, die bei der Vermittlung interkultureller Kompetenz in Wissenschaftsdiskursen unbedingt berücksichtigt werden sollten: Es gibt verschiedene universitäre Kontexte, die eine cross-cultural-Situation darstellen und in denen sich Unterschiede in der Erwartung an die zu produzierenden Texte in der Fremdsprache Deutsch zeigen. Dazu gehört das studentische Schreiben während des Auslandssemesters in Deutschland, in deutschsprachigen Studiengängen an ausländischen Universitäten oder im Seminar des DAAD - Lektors. (Venohr & Neis 2013: 3) <?page no="301"?> 301 8.1 Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen Ihre besonders aufschlussreichen Beobachtungen zu kulturell heterogenen Studentengruppen an deutschen Universitäten fasst Eßer treffend in dem Titel eines Aufsatzes zusammen, der Deutsche Lehrer reden weniger und fragen mehr-… lautet (Eßer 200). Damit ist die geringere Lehrerzentrierung als Wissensgeber-- bereits erkennbar an der Bezeichnung Lehrer statt Dozent-- bei gleichzeitiger eristischer (also ‚streitender‘) Diskursorientierung in universitären Lehrveranstaltungen in Deutschland (dazu ausführlicher bei Ehlich 1995) gemeint. Die damit einhergehende besondere Funktion mündlicher Kommunikationsformen, insbesondere die Textsorte Seminargespräch in der deutschen Wissenschaftssozialisation und das Problem möglicher interkultureller Nicht-Äquivalenz in der Ausgangssprache und -kultur, werden im Laufe dieser Lerneinheit noch ausführlicher besprochen. Erfahrungsberichte aus der Perspektive deutscher Gastdozentinnen und -dozenten an ausländischen Universitäten zeigen, dass auch in scheinbar benachbarten Universitätskulturen unterschiedliche Auffassungen von Wissensvermittlung und -erarbeitung in der Lehre sichtbar werden: Während wir [die deutschen Lektoren- - Anmerkung der Verfasserin] einerseits darüber erstaunt waren, welch enormes Faktenwissen polnische Studierende aufweisen konnten, waren wir andererseits überrascht, wie schwer sie sich manchmal mit Interpretationsaufgaben taten. Viele hätten gerne die Meinung des Dozenten gewusst, bevor sie ihre eigene äußerten. Während in Polen-- trotz zunehmender Amerikanisierung und Liberalisierung des Studiensystems-- positivistische Vorgehensweisen noch immer gängig sind, ist das Studium in Deutschland eher methodologisch orientiert und gibt den Studierenden mehr Freiheiten. (Kneip 2011: 30) Diese vermeintliche Freiheit kann bei ausländischen Studentinnen und Studenten allerdings auch zu Missverständnissen bis hin zu Ablehnung führen. Gleiches gilt für die Rolle, die eine Studentin oder ein Student in der Seminarkommunikation einzunehmen gewohnt ist (aktivpassiv, direkt-indirekt und Ähnliches). Dies zeigt folgende kritische Interaktionssituation aus der Datenbank des durch die Volkswagen Stiftung geförderten MuMiS-Verbundprojekts (Universität Siegen, Universität Hamburg, Universität Kassel), in dem Instrumente zur Lösung von Problemen entwickelt werden, die mit Mehrsprachigkeit und Multikulturalität im Studium (MuMiS 2011a) erarbeitet wurden: Maryvonne ist eine französische Austauschstudentin, die einen Teil ihres Studiums in Deutschland absolvieren möchte. Sie belegt einen Kurs über die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen, weil das Thema sie besonders interessiert. Während der ersten Stunde gibt die Dozentin eine Einführung in das Thema und stellt den Studenten Fragen zu ihren Vorkenntnissen und Einstellungen. Viele Studenten äußern ihre Meinung und berichten, was sie über die deutsch-französischen Beziehungen wissen. Schließlich wird auch Maryvonne direkt von der Dozentin angesprochen und gebeten, ihre Kenntnisse und Einschätzungen zu dem Thema vorzustellen, Maryvonne ist überrascht und bringt in der Aufregung keinen Ton hervor, obwohl sie die deutsche Sprache schon gut beherrscht. Sie ist es aus französischen Seminaren nicht gewohnt, frei ihre Meinung zu äußern und möchte in diesem Seminar auch lieber in der Rolle einer Zuhörerin bleiben. Als die deutsche Dozentin im Verlauf des Seminars jedoch immer wieder versucht, Maryvonne einen Kommentar zu <?page no="302"?> 302 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik entlocken, fühlt sich die französische Studentin schließlich regelrecht bedrängt und verzichtet auf den weiteren Besuch der Veranstaltung. (MuMiS 2011b) Diese kritische Interaktionssituation (critical incident) (vergleiche Lerneinheiten 3.1 und 3.2 in diesem Band) steht stellvertretend für andere, vergleichbare Situationen und zeigt ein prototypisches Interaktionsmuster im mündlichen Seminardiskurs an deutschen Universitäten, genauer: das diskursive, auch kooperative Erarbeiten von Wissen (versus abfragbares Wissen). In Bildungssystemen, die auf einer autoritativen Wissensvergabe basieren, ist diese Form des Aushandelns während der Wissensaneignung eher unüblich. Das zeigt auch die anschließende Aufgabe zur direkten Gegenüberstellung der akademischen Lehr-und Lernkultur in Deutschland und in der Herkunftskultur der ausländischen Studentin (hier: Frankreich) im konkreten Fallbeispiel Maryvonne. Diese Abstraktion kann durch vorherige wissenserarbeitende Fragen gelenkt beziehungsweise vorbereitet werden: ▶ Was könnte Maryvonne daran hindern, sich an der Seminardiskussion zu beteiligen? ▶ Was erwartet die deutsche Dozentin von der französischen Studentin? Weshalb stellt sie ihr so viele Fragen? (MuMiS 2011c) Aus den Antworten lassen sich Merkmale für bestimmte Lehr- und Lernstile in der Seminarkommunikation für beide Länder ableiten (Deutschland-Frankreich): Abbildung 8.1: Kognitive Irritationsanalyse, Übung zu A03 Maryvonne / Frankreich/ Geschichte (MuMiS 2011b) Die Tatsache, dass es sich bei dem Seminarthema um die deutsch-französischen Beziehungen im Fach Geschichte handelt, wird bei dieser Art von Fokussierung auf die kritische Interaktionssituation jedoch eher übersehen. Je nach schulisch vermittelter Geschichtsauffassung sowie der Art und Weise der möglichen kollektiven Erinnerung, eventuell auch gemeinsamer Erinnerungsorte (siehe hierzu auch die Lerneinheit 5.2 von Reimann in diesem Band), ist <?page no="303"?> 303 8.1 Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen die Zurückhaltung der Studentin auch als die eigene Perspektive auf den hier diskutierten Gegenstand interpretierbar. Somit wäre bei diesem Fallbeispiel auch die fehlende interkulturelle Kompetenz der Dozentin im Hinblick auf die allgemein identitätsstiftende Funktion von historischen Symbolen und der Art des öffentlichen Geschichtsdiskurses in Frankreich zu nennen. Die Komplexität von interkultureller Kommunikation wird durch diese Art von Schematisierung also nicht ausreichend abgebildet. Der Zusammenhang zwischen Diskurskonventionen (in Anlehnung an die Kulturstandards von Thomas 1993) und den zu vermittelnden Lerninhalten sowie den damit verbundenen Methoden kann allerdings immer nur indirekt erschlossen werden. Ein direkter Vergleich von französischen und deutschen Diskurskonventionen könnte dennoch verdeutlichen, dass die Präferenz für bestimmte Handlungsmuster auch den wissenschaftlichen Expertendiskurs prägt, der dann wiederum in Form von Publikationen als Vorbild und Zitier-Quelle für studentische Seminararbeiten steht. Die für den mündlichen Diskurs gültigen Kategorien beziehungsweise Standards sind aber auch für die spätere Verschriftlichung oder auch für studentische Mitschriften ausschlaggebend, da die Informationsvergabe mehr oder weniger explizit erfolgt und somit auch auf bereits vorhandene Wissensbestände rekurriert wird. Das konsequente Mitschreiben im französischen Universitätskontext (französisch: prise de notes) und die dazugehörigen Techniken sind auch deshalb sehr ausgeprägt, weil der Dozentendiskurs die Quelle für das relevante (auch prüfungsrelevante) Wissen darstellt. Das bedeutet aber auch, dass Studentinnen und Studenten mit Französisch als Muttersprache (L1) im Gegensatz zu den ausländischen Studentinnen und Studenten sprachübergreifende Schreibkompetenzen mitbringen (dazu auch Venohr & Neis 2013: 10), die auch in der fremdsprachlichen Schreibpraxis nutzbar gemacht werden sollten (ausführlicher dazu Abschnitt 8.1.4). Die hier beschriebene Dominanz der schriftsprachlichen Textproduktion (ähnlich auch wie in vielen anderen Lernerkulturen) geht einher mit einem präskriptiven (Bildungs-)Anspruch, bei dem grammatische Korrektheit das eigentliche Lernziel darstellt. Insbesondere im asiatischen Kulturraum ist die Gefahr des Gesichtsverlusts in der Gruppe bei Regelverstößen (und das gilt auch für Fehler in der fremdsprachlichen Kommunikation) besonders groß. Diese Gruppenorientierung schließt die in Deutschland eingeforderte kritische Diskursfähigkeit, und zwar bereits bei Studenten und Studentinnen, nahezu aus. Zeilinger warnt allerdings davor, von einem oder dem typischen (ost-)asiatischen Lerner zu sprechen, da diese aus westlicher Sicht scheinbare Heterogenität von Japanern, Koreanern und Chinesen und die vermeintlichen Gemeinsamkeiten sehr verschiedenen Ursprungs sind (Zeilinger 200: ). Die in konfuzianisch ausgerichteten Gesellschaften oftmals beobachtete Übernahme fremden Gedankengutes als Allgemeingut, ohne dieses als solches zu kennzeichnen, ist nicht automatisch mit unserem Verständnis von Plagiat gleichzusetzen, sondern gilt unter Umständen als Anerkennung und Lob. Eine ähnliche, aber dennoch anders motivierte Art der Wissensverarbeitung und -präsentation zeigt sich auch in Vorträgen russischer Wissenschaftler, in denen nur schwer auszumachen ist, wo die Eigenleistung beginnt. Vorträge müssen nicht immer etwas „Neues“ beinhalten (ausführlicher dazu Kotthoff 2002), sodass das im deutschen Kontext so wichtige Verorten als Sprachhandlung wegfallen kann. <?page no="304"?> 304 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Vergleicht man nun das Rollenverständnis zwischen Studenten und Studentinnen und Hochschuldozentinnen und Hochschuldozenten in China in der direkten Interaktion, dann wird gemäß dem Senioritätsprinzip der Lehrer oder die Lehrerin als Respektsperson angesehen, was aber nicht bedeutet, dass-- wie im vergleichbaren deutschen Kontext-- zwischen Privatem und Beruflichem beziehungsweise Öffentlichem unterschieden wird. Die Machtdistanz (Kulturdimension nach Hofstede 1991) gilt bei diesem Ansatz jedoch als viel größer als in der deutschen (Geschäfts-)Kommunikation, deren Hierarchie eher als flach bezeichnet werden kann. Das hat auch Auswirkungen auf die Verarbeitung von Sekundärliteratur und dem durch Autoritäten gesicherten Wissen in studentischen Arbeiten (Wer wird zitiert? Wird die Literatur referiert oder auch kritisiert? ). Kehren wir also noch einmal versuchsweise und zur Illustration zu den-- durchaus auch kritisch zu sehenden-- Kulturstandards von Thomas (1993) zurück und übertragen diese auf das Vortragsverhalten im akademischen Bereich: Abbildung 8.2: Unterschiede in den Diskurskonventionen französisch-deutsch (Schumann 2010: 23) <?page no="305"?> 305 8.1 Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen Ganz besonders auffällig und mitunter in französischer Rezeptionsperspektive als „störend“ empfunden ist das vergleichsweise starke Kontextualisierungsbedürfnis im deutschen Wissenschaftsdiskurs (siehe Low-Kontext-Kommunikation bei Schumann 2010), das auch eine Art Verortung beziehungsweise Abgrenzung von bereits bestehendem Wissen darstellt. Hier zeigt sich, dass der Umgang mit Wissen und die Art der Wissensaufbereitung beziehungsweise -präsentation auch das bereits erwähnte kulturelle Verständnis und die gesellschaftliche Funktion von Wissensbeständen widerspiegeln: Während im deutschen Schul-/ Ausbildungssystem (immer noch) das selbstreflektierende Wissen im Vordergrund steht, ist der Stellenwert von reproduzierbarem, enzyklopädischem Wissen im französischen Bildungskontext eindeutig höher (Barmayer 2001 in Anlehnung an Lüger / Große 1993), so dass-[…] in der französischen Gesellschaft auch ein breites Wissen im Sinne eines ‚kollektiven Wissensbestandes‘ abrufbar ist. Hierin könnte einer der Gründe für ein geringeres Kontextualisierungsbedürfnis französischsprachiger Textproduzenten liegen. (Venohr 2018: 155) Die Tatsache, dass im deutschen Wissenschaftsdiskurs mehr kontextualisiert werden muss, als in anderen Lern(er)kulturen erwartet wird, bestimmt nicht nur die mündlichen Textsorten wie Vorträge oder Referate, sondern zeigt sich auch in schriftlichen Texten, die Studentinnen und Studenten während ihrer Studienzeit in Form einer Seminararbeit mehrfach zu produzieren haben. 8.1.3 Sprachgebundenes Textsortenwissen (am Beispiel der deutschen Seminararbeit) Etwas ist mir geheim geblieben am deutschen Referat, so lautet der Ausspruch eines mexikanischen Austauschstudenten (gleichnamiger Titel bei Eßer 1997, zur Kulturspezifik von Textsorten siehe auch Fix, Habscheid & Klein 2001), der mit den Konventionen der deutschen Seminararbeit (gemeint ist hier das verschriftlichte Referat), vor allem aber mit der Textfunktion nicht vertraut ist. Dieses Missverhältnis resultiert aus dem Textmusterwissen der L1 des Studenten, das nicht automatisch mit dem in der Zielsprache übereinstimmt: Dem gegenüber fällt die mexikanische Textfunktion [des Essays, E. V.] durch Information über einen ‚objektiven‘ Sachverhalt und eine ‚subjektive‘ Einstellung auf; der Textinhalt wird durch eine eingegrenzte, konkrete Praxisdarstellung mit wenig Theorie gefüllt; die Textstruktur ist stark deskriptiv mit koordinierender Themenentfaltung, und den Textstil hat Eßer als persönlich, leserbezogen, begrifflich und ästhetisch (mit rhetorischen Figuren) analysiert (S. 78). (Hufeisen 1998: 2) Ausgehend von dieser Beschreibung studentischer Textproduktion im mexikanischen Universitätskontext lassen sich grundlegende Unterschiede in den Textmustererwartungen im Vergleich zu denen der deutschen Seminararbeit zugrunde liegenden Textmustererwartungen ableiten. Dazu gehört, dass das Beschreiben durch einen eher persönlich geprägten Textstil die sachliche Darstellung, die sich in der deutschen Wissenschaftssprache durch unpersönliches Formulieren auszeichnet, vermissen lässt. Bei der Begutachtung oder Bewertung durch einen deutschen Dozenten oder eine deutsche Dozentin, der oder die Deagentivierungsformen (Passiv- und Partizipialkonstruktionen und andere sprachliche Mittel) als Kriterium für <?page no="306"?> 306 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wissenschaftliche Text-und Schreibkompetenz ansieht (siehe hierzu auch Hennig & Niemann 2013: 35, zur Wissenschaftssprache Deutsch siehe auch Graefen & Moll 2011), würde dieser Text mit großer Wahrscheinlichkeit als unwissenschaftlich wahrgenommen und entsprechend schlechter bewertet als von dem ausländischen Studenten erwartet. Dass es diese Irritationen auch dann geben kann, wenn die bereits angeführte „wissenschaftliche Fiktionalität“ (vergleiche hier auch den Als-Ob-Status von studentischen Seminararbeiten) von ausländischen Studentinnen und Studenten missverstanden wird, soll folgende Episode, die sich in dieser Form so zugetragen hat, zeigen: Eine japanische DaF-Studentin an einer deutschen Universität verschriftlicht ihr auffallend hörerfreundliches Referat, das zuvor von der Dozentin [der Verfasserin] mit ‚gut‘ bewertet wurde. In der schriftlichen Version fehlen jedoch sämtliche in der mündlichen Präsentation korrekt angeführten Definitionen und Zitate. Aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Kontextualisierung und Positionierung entspricht der Text nicht den Anforderungen an eine deutsche Seminararbeit (hier: Einordnung in den thematischen Gesamtkontext und Forschungsstand, Integration verschiedener Ansätze und deren Gewichtung). In der anschließenden Sprechstunde von der Dozentin auf die wissenschaftlichen Mängel angesprochen, erklärt die Studentin: ‚Aber Sie als Seminarleiterin wissen das doch alles schon. Das wäre doch unhöflich, wenn ich Ihnen Dinge erkläre, die Ihnen bekannt sind. Außerdem kann ich die gelesenen Ideen nicht schön in eigenen Worten ausdrücken.‘ (eigene Quelle der Verfasserin 2010) Das Fremdheitsgefühl lag somit auf mehreren Ebenen, vorrangig aber ausgelöst durch den Wissensvorsprung der Dozentin sowie die unnatürliche Adressatenspezifik. Darüber hinaus sind die Unsicherheiten auch durch sprachliche Defizite in der fremden Wissenschaftssprache Deutsch begründet. Aber auch deutsche Studenten und Studentinnen empfinden den wissenschaftlichen Stil als fremd; sie können allerdings durch den direkten Zugriff auf den sprachlichen Vorrat aus der Gemeinsprache zur „alltäglichen Wissenschaftssprache“ (Graefen 2002) übergehen. Die sprachlichen Routinen für wissenschaftstypische Handlungen, darunter Hervorheben, Abgrenzen, Verweisen und andere sind in der Fremdsprache nur mit einem größeren (Lern-)Aufwand zu leisten. Aus der Perspektive der interkulturellen Textsortenforschung (ausführlicher dazu Lerneinheit 5.2 im Band »Sprachenlernen und Kognition« und Kapitel 3 im Band »Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen«; außerdem in Roche 2013) ist das sprachliche Formulierungsinventar in der hier beschriebenen funktionalen Hinsicht besonders relevant (zu indirekten Sprachhandlungen in der Wissenschaftskommunikation siehe auch Venohr 2008). Bereits der Textsortenname verrät etwas über die Textsortenfunktion: Beim Referat ist dieses Präsignal allerdings etwas irreführend, da die Handlung des Referierens nicht im Sinne des reinen Zusammenfassens verstanden werden darf. Auch das Vortragen eines vorformulierten Textes entspricht nicht der Hörererwartung im Seminardiskurs. Daneben ist die Bezeichnung Seminararbeit nicht eindeutig, da oftmals auch Hausarbeit synonym dazu gebraucht wird. Spezifisch für eine bestimmte universitäre Lernerkultur sind auch die lineare Reihung mit anderen Textsorten (Referat-Seminararbeit) sowie die funktionalen Bezüge der Textsorten <?page no="307"?> 307 8.1 Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen untereinander (Power-Point-Präsentation-Mitschrift-Seminarprotokoll). Auch diese sollten den ausländischen Studenten und Studentinnen explizit vermittelt werden. Experiment Machen Sie eine Umfrage unter Ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen, um herauszufinden, welche Erfahrungen sie mit der Textsorte Seminararbeit im Auslandsemester beziehungsweise -studium oder in Seminaren von deutschen Gastdozenten und -dozentinnen an ihrer Universität gemacht haben. Unterscheiden Sie dabei zwischen sprachlichen, adressatenbedingten und textsortenspezifischen Aspekten. Auf welcher Ebene sind die Schwierigkeiten am deutlichsten sichtbar? Machen Sie Vorschläge, wie diese Probleme durch gezielte Übungen thematisiert werden könnten. Informieren Sie sich auch in der Reihe Campus Deutsch (Buchner 2015) über die behandelten Textsorten. Sehen Sie sich weitere Textsorten im Schreibtrainer der Universität Duisburg-Essen an [Online unter https: / / www.uni-due.de/ schreibwerkstatt/ trainer/ trainer/ start.html. 5. Dezember 2017]. Welche würden Sie mit Ihren DaF-Studentinnen und Studenten besonders üben oder aber mit welchen Textsorten in Ihrer eigenen Lernerkultur vergleichen? Beachten Sie dabei auch die Ausführungen im Band »Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten« und die Lerneinheiten 5.3 und 8.2 im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb«. 8.1.4 Didaktische Konsequenzen für den universitären DaF-Unterricht Nachdem wir also gesehen haben, dass auch das Textsortenwissen (Funktionen, Adressatenspezifik und andere Textsortenmerkmale) in der L1 zu falschen Annahmen über Textmuster und deren Funktionen in der Zielsprache führen kann, soll es abschließend um didaktische Überlegungen zur Integration von interkulturellen Fragestellungen in universitären DaF- Kursen gehen. Deutschen Studentinnen und Studenten stehen seit einigen Jahren eine große Anzahl von Ratgeber- und Anleitungstexten zum wissenschaftlichen Schreiben zur Verfügung (Kruse 2002, Esselborn-Krumbiegel 2002 und viele andere). Diese enthalten allerdings keine Modelltexte, sondern eher Tipps zur (allmählichen) Entwicklung von Schreibkompetenz, indem Strategien zur eigenständigen Recherche und muttersprachliche Formulierungsübungen angeboten werden. Für einen ausländischen Studenten oder eine ausländische Studentin erscheint diese Ratgeberpraxis eher als „Umweg“ und die Ratgebertexte entsprechen unter Umständen in Funktion und Ausrichtung nicht den Lesegewohnheiten, die aus der eigenen Studienpraxis bekannt sind. Dass es hier sehr große Unterschiede in der Art der Nachschlagewerke und anderer Hilfsmittel beispielsweise im Germanistikstudium gibt, haben die Untersuchungen zu dem im Grundstudium verwendeten Material an Schweizer Universitäten von Pieth & Adamzik (1997) im deutsch-französischen Vergleich gezeigt: <?page no="308"?> 308 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik In der Germanistik entfallen nämlich gegen zwei Drittel der Titel auf forschungsaufbereitende Literatur und Hilfsmittel für die wissenschaftliche Arbeit wie Bibliographien, Nachschlagewerke, Grammatiken, Einführungen, Literaturgeschichten oder auch Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten. Dieselben Textsorten haben in der französischen Romanistik einen viel geringeren Stellenwert (unter 20 %). Dort wird sehr viel mehr eigentliche Forschungsliteratur genannt, nicht zuletzt Werke von Autoren mit großen Namen, ‚Klassiker‘. Die Hilfsmittel bleiben im Hintergrund- […]. (Pieth & Adamzik 1997: 32) Daraus lässt sich schließen, dass die Wissensvermittlung im Seminar (Unterricht) eine andere Rolle spielt als im deutschen Umfeld: „[…] im französischen Kontext [ist man] viel stärker auf die Lehrperson und den Besuch von Veranstaltungen angewiesen-[…] als im deutschen.“ (Pieth & Adamzik 1997: 33). Das bedeutet aber auch, dass bei Einhaltung der direkten Vorgaben des Dozenten oder der Dozentin das Seminarziel erreicht wird. Der ausländische Student oder die ausländische Studentin muss sich im deutschen Universitätskontext unter Umständen erst mit der Gesprächstextsorte Sprechstunde vertraut machen, in der Hilfestellungen zur Erarbeitung des Referatsthemas gegeben werden (siehe dazu auch die Lerneinheit .1 in diesem Band). Dies geht allerdings mit der Erwartungshaltung des deutschen Dozenten oder der deutschen Dozentin einher, dass bereits vorab eine eigenständige Suche nach relevanter Sekundärliteratur für das gewählte Thema vom Studenten oder der Studentin geleistet wurde. Dieses implizite Handlungswissen kann bei Austauschstudenten und -studentinnen nicht automatisch vorausgesetzt werden. Ein erster Schritt-- auch im studienbegleitenden DaF-Unterricht-- wäre die Vermittlung typischer Ablaufschemata dieser alltagssprachlichen Wissenschaftskommunikation in sogenannten Studienstrategiekursen. Mehlhorn (2005: 34) schlägt in diesem Zusammenhang folgende typische Sprachhandlungsabfolge für Sprechstunden an deutschen Universitäten vor: Dozenten begrüßen, sich eventuell vorstellen und Kontext herstellen, Anliegen formulieren, Fragen stellen, Interesse bekunden, um Hilfe bitten, nachfragen, Gesprächsergebnis zusammenfassen, sich bedanken und sich verabschieden. Diese Sprachhandlungen in der Fremdsprache Deutsch in den Diskurskonventionen angemessen zu realisieren, ist keine rein sprachliche Vermittlungsarbeit. Es geht vielmehr um das Rollenverständnis und die damit verbundenen Teil-Handlungen in typischen universitären, interkulturellen Begegnungssituationen. Da bereits auf dieser Stufe beidseitige Irritationen auftreten können, sind Simulationsübungen solcher Situationen unbedingt auch in den DaF-Unterricht zu integrieren (siehe dazu auch die Sprechstundenbeispiele auf der Begleit- CD von Mehlhorn 2005). Hier sollte es dann vorrangig darum gehen, die Versprachlichung (Stichwort: Ausdruck von verbaler und nonverbaler Höflichkeit in verschiedenen Sprachen) interaktiv zu üben beziehungsweise unter Berücksichtigung der eigenkulturellen Handlungsmuster anzuwenden. So kann die aufgrund fehlender „pragmatischer Kompetenz“ zu direkt formulierte Bitte einer ausländischen Studentin oder eines ausländischen Studenten im Imperativ Geben Sie mir bitte die Texte für das Referat statt einer eher indirekten Sprachhandlung in Frageform Hätten Sie vielleicht Texte zur Hand, die für die Vorbereitung auf mein Referat sinnvoll wären? vom deutschen Dozenten <?page no="309"?> 309 8.1 Unterschiede in Lern(er)- und Wissenschaftskulturen oder der deutschen Dozentin als eine statusbedingt unangemessene Aufforderung missverstanden werden (zu Anliegensformulierungen siehe auch Rost-Roth 2003). Darüber hinaus sollte eine Beratungspraxis für ausländische Studentinnen und Studenten (vergleiche auch Zeilinger 200 für ostasiatische Studentinnen und Studenten) etabliert werden, die eine vergleichende Perspektive einnimmt. Die Erwartungshaltungen auf Dozenten- und Studentenseite, aber auch die Anforderungen im deutschen Studienkontext müssen explizit gemacht werden, um Missverständnisse aufgrund fehlenden Handlungswissens in der jeweils anderen Lernerkultur zu minimieren. Hierzu dienen auch die Darstellungen im Band »Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten« und die umfangreichen Lernprogramme der Deutsch-Uni Online (Roche 2004) zur Wissenschaftssprache und Wissenschaftskultur Deutsch. 8.1.5 Zusammenfassung ▶ Auch im vermeintlich sachorientierten und neutralen wissenschaftlichen Diskurs muss Bewusstheit für kulturelle Differenz geschaffen werden. ▶ Das jeweilige schulische Bildungssystem bereitet die Grundlage für Präferenzen und Erwartungen an Textnormen und Stil im universitären Lehr-Lerndiskurs. ▶ National geprägte Diskurskonventionen bestimmen die Art der Wissensvermittlung und -präsentation in Texten in Mündlichkeit und Schriftlichkeit. ▶ Die deutsche Seminararbeit bereitet durch ihre Orientierung an Expertentexten und der „wissenschaftlichen Fiktionalität“ eine besondere Schwierigkeit (nicht nur für ausländische Studentinnen und Studenten). ▶ Das deutsche Seminargespräch gehört typischerweise zur diskursiven Erarbeitung von relevantem Wissen, an der sich- - anders als in anders organisierten Veranstaltungsformen an ausländischen Universitäten-- Studentinnen und Studenten aktiv beteiligen müssen. ▶ Das Rollenverhalten in der universitären Lehre differiert von Lernerkultur zu Lernerkultur und sollte durch Simulation von kritischen Interaktionssituationen, aber auch differenziert geübt werden. ▶ Die angemessene Verbalisierung von (wissenschaftlichen) Sprachhandlungen setzt interkulturelle Kompetenz voraus. ▶ Bewertung(en) von Wissenschaftlichkeit in der universitären Lehre ist beziehungsweise sind immer auch in Abhängigkeit von der jeweiligen Wissenschaftskultur zu verstehen. ▶ Der DaF-Unterricht kann dazu beitragen, dass die Sensibilisierung für interkulturelle Diskurskonventionen und Interaktionsmuster auch im universitären Kontext stärker beachtet und sprachlich erarbeitet wird. <?page no="310"?> 310 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 8.1.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum gilt im deutschen Wissenschaftskontext ein persönlicher Stil als unwissenschaftlich? 2. Welche kommunikativen Besonderheiten sind im Veranstaltungstyp Seminar an deutschen Universitäten zu beachten? 3. Inwiefern sind kritische Interaktionssituationen zur Sensibilisierung von interkulturellen Missverständnissen in der Hochschulkommunikation sinnvoll? 4. Nennen Sie mögliche Schwierigkeiten, die ausländische Studentinnen und Studenten beim Verfassen von Seminararbeiten haben könnten. 5. Wie lassen sich Unterschiede in Lernerkulturen begründen? 6. Inwiefern können Sprachhandlungen in schriftlichen und mündlichen Texten im DaF- Studium an einer ausländischen Universität zu Irritationen führen? <?page no="311"?> 311 8.2 Interkulturelle Bildung 8.2 Interkulturelle Bildung Wassilios Baros Im Sinne der interkulturellen Bildung gilt es, Sie als zukünftige Professionelle zu befähigen, Kinder und Jugendliche nicht nur hinsichtlich ihrer internen Fähigkeiten zu fördern, sondern auch einen möglichen Mangel an Verwirklichungschancen, der dem erstrebten Leben des Einzelnen im Wege steht, zu verhindern. Hierzu gilt es zunächst das Gegenstandsverständnis sowie das Wissensideal und Aufgabenverständnis des hier favorisierten Forschungsansatzes zu verstehen, der sich von dem bisher gängigen Ansatz der Migrationsforschung abwendet. Mithilfe des capability-approachs des Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften Amartya Sen erfolgt eine Reformierung beziehungsweise Neuausrichtung der interkulturellen Pädagogik. In einem zweiten Schritt wird erörtert, inwiefern der neue Ansatz soziale Gerechtigkeit fördern kann. Die verschiedenen Ebenen der Deprivation illustrieren hierbei mögliche Stellen der Intervention von Professionellen. Zuletzt richten wir unser Augenmerk auf die Ursachen der Migration. Am Beispiel der interkulturellen Kommunikation werden abschließend die Probleme Migrationsanderer aufgezeigt und eine Reflexion des eigenen Denkens und Agierens evoziert. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ referieren können welche Aspekte die Entstehung der interkulturellen Pädagogik bedingt haben; ▶ die unterschiedlichen Forschungsansätze der interkulturellen Bildungsforschung verstehen und eventuelle Vor- und Nachteile benennen können; ▶ den capability-approach und seine Relevanz für die interkulturelle Bildung erklären können; ▶ die unterschiedlichen Ursachen für Migration referieren und die Problematiken der verschiedenen Gruppen darlegen können; ▶ anhand der interkulturellen Kommunikation Schwierigkeiten in der gemeinsamen Interaktion aufzeigen können. 8.2.1 Migrationsforschung Der tiefgreifende soziale und kulturelle Wandel unserer Gesellschaft im Zuge der Modernisierung führt zu einer Pluralisierung der Lebensformen (vergleiche im Folgenden insbesondere Baros & Reinhardt 2018). Folglich findet eine zunehmende gesellschaftliche Differenzierung statt, die mit einem Bruch von traditionellen Lebenskonzepten einhergeht. Massiv wird dabei die alltägliche Praktik der individuellen Lebensführung beeinflusst. An diesem Punkt findet vermehrt eine Diskussion über das soziale Phänomen der Migration und die mit ihr einhergehenden Folgen und Herausforderungen für die jeweilige Gesellschaft statt. Diese <?page no="312"?> 312 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gesellschaftliche Entwicklung einer allgemein zunehmenden, individuellen und grenzüberschreitenden Mobilität hat einen direkten Einfluss auf die Lebenslage von Kindern und Jugendlichen, was eine theoretische und praktische Auseinandersetzung mit Bildungs- und Erziehungsfragen erforderlich macht (vergleiche Gogolin & Krüger-Potratz 2010). Ansätze, die auf diese veränderte Lebensweise eingehen, gewinnen zunehmend an Relevanz. Dazu kann auch die vergleichsweise junge Subdisziplin der interkulturellen Pädagogik gezählt werden, die seit den 1980er Jahren vermehrt in das wissenschaftliche und öffentliche Interesse gerückt ist. Um der umfassenden pädagogischen Herausforderung des Umgangs mit Heterogenität angemessen zu begegnen, muss zunächst ein evidentes Wissen über die aktuelle Gesellschaft vorhanden sein. Folglich ist für die interkulturelle Bildungsforschung ein Transfer von Wissen aus anderen Disziplinen unerlässlich. Die interkulturelle Pädagogik ist eng mit den Forschungsergebnissen der soziologischen Migrationsforschung verbunden. Die Idee einer interkulturellen Bildung resultiert aus der Notwendigkeit, pädagogische Antworten auf Problemlagen zu finden, die im Zuge der weltweiten Wanderungen entstehen. Wissen über diese aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Prozesse und dadurch über die Gesellschaft insgesamt stellt somit eine Grundvoraussetzung für pädagogisches Handeln dar. Während zum Beispiel die Soziologie beziehungsweise die Migrationssoziologie das Ziel verfolgt, dieses Wissen zu generieren, verbindet die Pädagogik mit diesen „rekonstruktiven“ Aussagen einen interventionsorientierten Ansatz für zukünftige Handlungsmöglichkeiten (vergleiche Llaryora 1994). Dadurch kommt es zu einer wissenschaftlichen Verflechtung zwischen beiden Disziplinen. Ausgehend von soziologischen Erkenntnissen können gesellschaftliche und soziale Schieflagen erkannt werden, die Anlass für erziehungswissenschaftliche Analysen und Debatten liefern. 8.2.2 Transmigrant und Transnationalismus Waren in der Migrationssoziologie bis in die späten 1980er Jahre noch „bipolare Denkmodelle“ (vergleiche Han 2010) einseitig fließender Migrationsströme zwischen Immigrations- und Emigrationsland weit verbreitet, änderte sich diese Sichtweise mit dem allmählich aufkommenden neuen Forschungsansatz des Transnationalismus. Auslöser für diese neue Perspektive der „transnationalisierten“ Migrationen waren Beobachtungen, die bei den Wanderungsbewegungen zwischen Mexiko und den USA gemacht wurden (vergleiche Yildrim-Krannig 2014). Aus diesen transnationalen Migrationen (Pries 2010) formierten sich neue transnationale Räume, die in das Erkenntnisinteresse rückten. Obwohl Forschungen über solche Migrationsnetzwerke eine längere Tradition aufweisen, besteht die Innovation der aktuellen Forschungen in ihrer neuen räumlichen Dimension (vergleiche Oswald 2007). Das Forschungskonzept des Transnationalismus bietet einen Untersuchungsrahmen, in dem Migrationsnetzwerke hinsichtlich ihrer sozioökonomischen, politischen und kulturellen Komponenten staatenübergreifend untersucht werden können. Es stellt eine „wissenschaftliche Konstruktion“ (Han 2010) dar, die dazu dient, ein begriffliches Werkzeug für die Theoretisierung der empirischen Befunde des „neuen“ Migrationstypus bereitzustellen. Auch die Analyse der sozialen Netzwerke im transnationalen Raum steht im wissenschaftlichen Interesse dieses <?page no="313"?> 313 8.2 Interkulturelle Bildung relativ jungen Ansatzes, der sich dezidiert vom methodologischen Nationalismus abwendet (vergleiche Pries 2010). Beschäftigte sich die klassische Migrationsforschung noch mit Fragen nach den Folgen der Migration für die Aufnahmegesellschaft beziehungsweise für den jeweiligen Nationalstaat, rücken heute Fragen bezüglich der sich generierenden transnationalen Wirklichkeit der Migranten und Migrantinnen in das Erkenntnisinteresse. Hierauf nimmt auch die empirische Bildungsforschung Bezug, indem sie transnationale Lehr- und Lernräume-- „transnationale Bildungsräume“ (Gogolin & Pries 2004) untersucht. 8.2.3 Das Gegenstandsverständnis, Wissensideal und Aufgabenverständnis der interkulturellen Bildungsforschung Bei der Formulierung der die interkulturelle Pädagogik interessierenden Fragen sind wir bei dem jeweiligen einer Wissenschaft zugrundeliegenden Gegenstandsverständnis angelangt: Während das Erkenntnisinteresse die Frage betrifft, welches die Aufgaben der Wissensbildung sein sollen, bezieht sich das Gegenstandsverständnis auf die Arten der Fragen, die als angemessen gelten. Unmittelbar daran knüpft sich das Wissensideal, welches die Art von Antworten fokussiert, die als zufriedenstellend erachtet werden. Schließlich geht es beim Aufgabenverständnis einer Wissenschaft darum, die Frage zu klären, welche Art von Praxis das Wissen überhaupt ermöglichen soll (Kempf 2003: 2ff). Die Orientierung der Aufgabe von Wissensbildung an der technischen Verwertbarkeit von Erkenntnissen war für einen Großteil der deutschen Migrationsforschung in den 1970er und 1980er Jahren charakteristisch: Als Auftragsforschung zu administrativen Zwecken war sie darauf ausgerichtet, möglichst rasch zu einer effektiven Lösung des „Ausländerproblems“ beizutragen. Die unmittelbare Folge dieses übereilten Vorgehens war es, dass Forschung betrieben wurde, bevor die involvierten Wissenschaften ein eigenes Erkenntnisinteresse entwickeln konnten (vergleiche Tsiakalos 1982; Baros 2008). Im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses stand die Kontrolle des Verhaltens von Migranten und Migrantinnen. Daraus ergibt sich als favorisierter empirischer Zugang der Forschung ein objektwissenschaftlicher Ansatz, der mit statistisch-induktiven Erklärungsmodellen operiert. Es wird also nicht nach den Ursachen des zu erklärenden Phänomens gesucht, sondern nach den Bedingungen, unter denen mit ihm wahrscheinlich zu rechnen ist (Kempf 2003: 8). Dieses methodologische Vorgehen sowie das ihm zugrundeliegende, durchaus legitime Kontrollinteresse bedeutet jedoch immer eine Sichtweise von außen auf die Migranten und Migrantinnen und entspricht einem Erkenntnisinteresse, welches man-- zugespitzt formuliert-- in der folgenden Frage zusammenfassen kann: Was kann man tun, damit die Aufnahmegesellschaft mit den Migranten und Migrantinnen weniger Probleme hat? Die Kurzsichtigkeit dieses Forschungsinteresses wird erst vor dem Hintergrund eines erweiterten Gegenstandsverständnisses offensichtlich, in welchem nicht Fragen nach Bedingungen im Vordergrund stehen, sondern solche, die subjektive Präferenzen, Lebensorientierungen und Vorstellungen fokussieren, die die Migranten und Migrantinnen selbst von einem guten Leben haben. Dieses erweiterte Gegenstandsverständnis wird von einem Erkenntnisinteresse <?page no="314"?> 314 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik geleitet, welches auf die Gewinnung emanzipatorischen Reflexionswissens abzielt, etwa in der Form: Wie können Menschen in der Migrationsgesellschaft an Autonomie gewinnen und in die Lage versetzt werden, sich frei für die Art des Lebens zu entscheiden und ein Leben zu führen, für welches sie Gründe haben, zu schätzen? Dieser Frage inhärent ist der Verwirklichungschancenansatz (capability-approach nach Sen 1999 und Nussbaum 1999), den wir für die interkulturelle Pädagogik vorschlagen (vergleiche den nachfolgenden Abschnitt 8.2.4, Gerechtigkeitstheoretische Perspektiven). Er setzt genau an der Schnittstelle zwischen den gesellschaftlichen Möglichkeiten und dem subjektbezogenen Raum der individuellen Fähigkeiten des Einzelnen an. Während die erste Frage mehr auf die Ebene des Subjekts abzielt, ergibt sich infolge der Bindegliedposition des Ansatzes eine weitere signifikante, empirische Schlüsselfrage: Sind die für die Entfaltung von Vermögen notwendigen, externen Verwirklichungsbedingungen (auf struktureller, sozial-kontextueller und personeller Ebene) vorhanden, und wenn nicht, wie können sie geschaffen werden? Abschließend lassen sich also das Gegenstandsverständnis, das Wissensideal sowie das Aufgabenverständnis der interkulturellen Bildungsforschung wie folgt mit wenigen Worten formulieren: Das Gegenstandsverständnis einer subjektbezogenen Migrationsforschung fokussiert Fragen, die nach den subjektiven Handlungsbegründungen und Lebensinteressen der Migranten und Migrantinnen forschen. Dieses Gegenstandsverständnis geht mit einem Erkenntnisinteresse einher, welches die Aufgaben der Wissensbildung nicht mit Fokus auf die technische Verwertbarkeit des Wissens definiert, sondern auf die Gewinnung emanzipatorischen Reflexionswissens abzielt. Orientiert sich die Aufgabe der Wissensbildung an der Gewinnung emanzipatorischen Reflexionswissens und richtet man entsprechend das Wissensideal an dieser Aufgabe aus, dann ändert sich entsprechend radikal auch das Gegenstandsverständnis und auch das jeweilige Untersuchungsdesign von Migrationsstudien. Die Untersuchung der gesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Subjektivität steht dabei im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses im Forschungsprozess (vergleiche Baros 2008). 8.2.4 Gerechtigkeitstheoretische Perspektiven Gerechtigkeitstheoretischen Perspektiven kommt in der interkulturellen Bildung ein besonderer Stellenwert zu. Besonders in einer Zeit, in der sich die interkulturelle Erziehungswissenschaft gezielt der Frage nach der sozialen Ungerechtigkeit widmen muss, um ihre Ziel- und Handlungsorientierung konkretisieren und die Voraussetzungen dafür bestimmen zu können, dass Kinder und Jugendliche unter gerechten Bedingungen aufwachsen können. Was ist aber unter sozialer Gerechtigkeit zu verstehen? Soziale Gerechtigkeit kann gemäß der Capability-Perspektive nicht dadurch gewährleistet werden, dass jedem Individuum unabhängig von seinen individuellen Bedürfnissen ein gewisses Maß an Mitteln zur Verfügung gestellt wird. Eine gerechte Umverteilung von Gütern bilde eine zwar notwendige, jedoch nicht hinreichende Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit, denn dadurch könne noch nichts darüber ausgesagt werden, ob und inwieweit die Einzelnen die Fähigkeiten und die Freiheiten besitzen, aus diesen Mitteln für sich Möglichkeiten zu entwickeln und / oder gewünschte <?page no="315"?> 315 8.2 Interkulturelle Bildung Ziele zu erreichen (Levitas 2004; Sen 1995). Die Capability-Perspektive bestimmt menschliches Wohlergehen als die Reichweite und Qualität des Spektrums und als die Menge effektiv realisierbarer, hinreichend voneinander unterscheidbarer Möglichkeiten und Fähigkeiten von Menschen, für ihre eigene Konzeption eines guten Lebens wertvolle Handlungen und Daseinszuständen (doings and beings) realisieren zu können. Infolgedessen lässt sich soziale Gerechtigkeit eher anhand der Verwirklichungschancen beurteilen, wobei die Bandbreite der individuell realisierbaren Möglichkeiten Auskunft darüber gebe, inwiefern der Einzelne die Freiheit besitzt, ein Leben nach seinen Wertmaßstäben zu führen (vergleiche Sen 1999). Das Prinzip der Handlungsfähigkeit und -freiheit nimmt in der Capabilities-Perspektive insofern einen zentralen Stellenwert ein, als es darum geht, „größere Freiheit zu haben, um die Dinge zu tun, die zu schätzen man Gründe hat“ (Sen 2000: 30). Unter dem Begriff human agency wird genau diese menschliche Fähigkeit gefasst, seine Handlungen an Zielen auszurichten, die eine Bedeutung für einen selbst haben (Alkire 2005). Capabilities sind nicht mit Fähigkeiten oder Kompetenzen zu verwechseln. Vielmehr sind sie als Vermögen im Sinne von kombinierten Fähigkeiten (compined capabilities) zu begreifen, die sich in dem Passungsverhältnis zwischen Dispositionen (i-Capabilities) und wesentlichen, externen Verwirklichungsbedingungen (e-Capabilities) konstituieren (vergleiche Otto & Schrödter 2009). Die Mehrfachbenachteiligung von migrationsanderen Schülern und Schülerinnen im deutschen Bildungssystem ist durch eine Gleichheit der Startbedingungen nicht zu beenden. Erforderlich ist eine Gerechtigkeitsperspektive, die sich mit ungleichen Lebens- und Entfaltungschancen für Heranwachsende auseinandersetzt und die Chancengleichheit als Gleichheit der Verwirklichungschancen und als Befähigungsgerechtigkeit (Baros & Otto 2010) definiert. Es ist die Aufgabe der interkulturellen Pädagogik jene Fähigkeiten zur gleichberechtigten Partizipation zu vermitteln. Im Sinne des capability-approach soll Erziehung demnach aktiv zur Mitgestaltung des häufig prekären Prozesses des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen beitragen. Insbesondere soll an jenen Aspekten kindlicher und jugendlicher Identität und Lebensführung angesetzt werden, die aus einer gesellschaftlichen Perspektive problematisch oder riskant erscheinen. Mit problematisch sind vor allem Bedingungen und Konstellationen gemeint, die eine Entfaltung der kognitiven, körperlichen, emotionalen, moralischen und sozialen Möglichkeiten und Fähigkeiten und damit effektiv die realen Lebenschancen der Betroffenen beeinträchtigen. Am Beispiel des von Nussbaum (1999; 2000) beschriebenen Vermögens an Zugehörigkeit, Mitgliedschaft, Solidarität als Grundvoraussetzung für Handlungsfähigkeit lässt sich ferner die Notwendigkeit verdeutlichen, Bedingungen zur Förderung wechselseitiger Anerkennungsprozesse zu schaffen: Einerseits geht es allgemein um die Befähigung, mit anderen Menschen zu leben, sie anzuerkennen. Andererseits geht es darum, dass Menschen über die sozialen Grundlagen für Selbstachtung und Würde verfügen und als Individuen behandelt werden, die Würde besitzen und deren Wert dem aller Anderen gleich ist. Daraus ergibt sich die grundlegende Frage: Auf welche Weise sind welche wesentlichen, externalen Verwirklichungsbedingungen zu erweitern und gegebenenfalls neu zu gestalten, sodass die Entfaltung dieses Vermögens ermöglicht wird? Dazu gehören zweifelsohne ein institutionell gewährter Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der Religionszugehörigkeit, der ethnischen Zu- <?page no="316"?> 316 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gehörigkeit und der nationalen Herkunft sowie die Schaffung weiterer institutioneller Rahmenbedingungen, welche Formen von positiver Gemeinschaft im oben beschriebenen Sinne erst entstehen lassen und systematisch fördern. Methodologisch betrachtet, liegt das analytische Potenzial des capability-approachs in seiner präzisen Terminologie, welche die genaue Differenzierung zwischen strukturellen und empirischen Theorieanteilen ermöglicht. Die begriffliche und logische Ableitung des Passungsverhältnisses zwischen wesentlichen externalen Verwirklichungsbedingungen und individuellen Dispositionen (Kompetenzen) als notwendiger Voraussetzung für die Ausbildung kombinierter Fähigkeiten (capabilities) bildet einen strukturellen Theoriekern, dessen Wahrheitsgehalt keiner empirischen Prüfung bedarf. Welche Güter (commodities) werden von den Subjekten angesichts ihrer besonderen personalen und sozialen Bedingungen tatsächlich angeeignet und werden entsprechend zu Verwirklichungschancen (Sen 1980)? Diese Frage bildet eine entscheidende (empirische) Schlüsselfrage des capability-approachs. Dabei werden Güter und Opportunitäten nicht mechanisch zu Verwirklichungschancen für die Subjekte. Aneignungsprozesse können auf unterschiedlichen Ebenen misslingen (capability deprivation). Es seien hier vier Analyseebenen skizziert, die eine Explikation des Theoriekerns leisten und einen empirischen Zugang zum komplexen Prozess der Ermöglichung beziehungsweise Deprivation von Verwirklichungschancen ermöglichen können: Opportunities for the realization of desirable aims Knowledge/ Awareness The person does not know the existence of specific opportunities (access to information) / is not aware that they concern him - that they are really appropriate for him and her. Means Absence of already realized capabilities, which serve in the realization of others (instrumental role of capabilities). External factors Under power asymmetry conditions the potential development of the person is constrained. Aims of action Experiencing dilemma circumstances that arise from priority conflicts, the person rejects a specific opportunity as of secondary significance for him and her. Tabelle 8.1: Levels where obstruction of the conversion process can take place (nach Baros & Manafi 2009) Mit Rekurs auf die gerechtigkeitstheoretische Perspektive gelingt es, homogenisierende Perspektiven aufzubrechen. Im Mittelpunkt steht nicht (nur) die Frage nach den Folgen von Einwanderung für die Aufnahmegesellschaft, sondern die bildungsrelevante Frage: Wie entstehen Mobilitätsfigurationen in der neoliberalen Weltordnung, wie werden sie von den betroffenen Personen subjektiv beziehungsweise kollektiv erfahren und bewältigt und wie kann die Einwanderungsgesellschaft ihrerseits Migrationsanderen mit ethischer Verantwortung begegnen? <?page no="317"?> 317 8.2 Interkulturelle Bildung 8.2.5 Globale Ungleichheiten und Migration Analysen zum Zusammenhang von Migration und Bildung aus einer Gerechtigkeitsperspektive haben stets das Zusammenwirken von globalwirtschaftlichen, ökologischen, sozialstrukturellen und kulturellen (Diskurs-)Verhältnissen zu berücksichtigen. Personelle, sozial-kontextuelle und gesellschaftliche Ursachen bei der Erklärung des Mangels an Verwirklichungschancen sind vor dem Hintergrund der Befähigungs- und Verwirklichungsperspektive gleichermaßen zu berücksichtigen und immer in Anbetracht globaler Zusammenhänge kritisch zu würdigen. Solange man Gerechtigkeitsfragen nur lokal (an-)diskutiert und deren globale Dimension in der Weltgesellschaft nicht erkennt, läuft man Gefahr, lediglich eine verengte Perspektive einzunehmen und in eine „Insulationslogik“ zu verfallen, aus der heraus „epochaltypische Schlüsselprobleme“ (Klafki 1985: 5) sowie globale wirtschaftliche Spannungsverhältnisse zwangsläufig in den Hintergrund geraten. Bedingt durch die bereits genannten Faktoren (globalwirtschaftlich, ökologisch, sozialstrukturell, kulturell) verändert sich das Bild der europäischen Gesellschaft ständig durch zunehmende Migrationsbewegungen. Wenn man von der zirkulären Migration, bedingt durch Werkverträge und zeitlich begrenzte Dienstleistungen, absieht, so verändern inzwischen primär zwei Migrationsbewegungen das Bild der europäischen Gesellschaft, nicht nur Deutschlands (Auernheimer & Baros 2018). Neben der Fluchtmigration von außerhalb Europas auch durch die Zuwanderung von Menschen aus der südeuropäischen Peripherie im Zuge der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise. Bei dem (aktuellen) Flüchtlingsdiskurs ist die weitverbreitete Assoziation zwischen dem Flüchtling-Werden und den in den Herkunftsländern stattfindenden Umbrüchen systematisch in Frage zu stellen. Louis-Henri Seukwa (2007) arbeitet in seinem richtungsweisenden Beitrag heraus, dass während sich die Ursachen und Folgen transnationaler Migrationsbewegungen global nachvollziehen ließen, die ‚Produktion‘ dessen, was ‚Flüchtling‘ genannt wird, den gesetzlichen Kodifizierungen und dem politischen Handeln der Aufnahmeländer zuzuschreiben sei. Fluchtmigrationen bilden oft die Konsequenz militärischer Interventionen, bei denen die völlige Destabilisierung von Staaten von Afghanistan bis Libyen billigend in Kauf genommen wurde. Menschen fliehen vor Krieg, Bürgerkrieg und dem Terror fanatisierter Milizen. Ein weiteres Kontingent von Flüchtlingen kommt vorwiegend aus Subsahara-Afrika. Sie sind in der Mehrheit Opfer einer neoliberalen Handelspolitik, denen die landeseigenen wirtschaftlichen Strukturen nicht gewachsen waren, verstärkt durch eine verzerrte gesellschaftliche Modernisierung, die zu strukturellen Verwerfungen geführt hat (beispielweise akademische Ausbildungsquoten über dem Bedarf). Hinzu kommen teils autoritäre beziehungsweise diktatorische Regime, teils labile politische Verhältnisse und nicht selten ein Erbe des Kolonialismus als Fluchtgründe. Bei der Wanderung der Indignados (Baros 2014) aus der südeuropäischen Peripherie handelt es sich meist um gut ausgebildete Jugendliche oder junge Erwachsene, aus Griechenland, Spanien etc., die nach Mittel- und Nordeuropa ziehen, um der Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern zu entfliehen. Das heißt, indignationsbedingte Auswanderung stellt einen spezifischen Reaktionsmodus auf einen Mangel an Verwirklichungschancen dar, auf den die <?page no="318"?> 318 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Betroffenen mit berechtigter Empörung reagieren. Dieser zeigt sich in materieller Armut und Prekarität als verkörperter Erfahrung von Ambivalenzen (Tsianos & Papadopoulos 200) sowie in Aberkennungsprozessen (Garz 200), welche als Zugriffe „von außen auf das Leben der Betroffenen“ (Garz 200: 59) verstanden werden können und subjektiv so wahrgenommen werden, dass die auf das eigene Leben bezogenen Zustandslagen unumkehrbar sind-- man denke an das Problem der Jugendarbeitslosigkeit von über 0 % in sogenannten Krisen-Ländern. All diese Migrantengruppen haben wenig gemeinsam mit den Arbeitsmigranten und ihren Familien aus dem vorigen Jahrhundert. Die neuen Migranten und Migrantinnen sind häufig gut ausgebildet und gut informiert. Flüchtlinge haben auf ihrem Fluchtweg größte Risiken überstanden und ihre Überlebenskunst unter Beweis gestellt. Manche sind hoch qualifiziert. Trotzdem ist es auch für sie schwierig, Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden, selbst nachdem sie als Asylbewerber und Asylbewerberinnen anerkannt sind. Flüchtlinge stehen in der Regel vor dem Nichts, was für Flüchtlingsfamilien doppelt belastend ist. Dagegen sind die Indignados aus den Mittelmeerländern meist Stellenangeboten gefolgt und können relativ rasch hier Fuß fassen, zumal ihre soziale Integration mit Sprachkursen gefördert wird. Sie werden vermutlich auch nicht als Fremde wahrgenommen und müssen sich wenig mit Stereotypisierungen auseinandersetzen. Sie leiden allenfalls unter der erzwungenen Auswanderung und müssen eventuell um gleiche Chancen auf dem hiesigen Arbeitsmarkt kämpfen. Die hier skizzierte Pluralisierung der Migrationsursachen in der gegenwärtigen Welt akzentuiert die Bedeutung der interkulturellen Bildung. Ihre Aufgabe ist es, den Mehrheitsangehörigen (Aufnahmegesellschaft) die Migrationsursachen zu verdeutlichen, sodass ein Verständnis für die Situation der Migranten und Migrantinnen entsteht und Vorurteile beseitigt werden können. Das Sprechen über Migrationsursachen ermöglicht auch die Gewinnung emanzipatorischen Reflexionswissens, welches in die Fähigkeit mündet, sich die Frage des je eigenen Anteils an der Entstehung, Reproduktion und Legitimation von Verhältnissen globaler Ungerechtigkeit und deren Folgen zu stellen: Bin ich als Mitglied der hiesigen Migrationsgesellschaft in der Lage, an dem Dasein einer zugewanderten Person nicht nur individuelle Schicksale, sondern auch die Verkörperung globaler Ungleichheiten auch zwischen Nationalstaaten zu sehen? Die Idee entspricht auch der Forderung Klaus Mollenhauers (198), der mithilfe von wissenschaftlichen Forschungsbefunden zweierlei erreichen wollte: Einfluss auf die bildungspolitische Diskussion nehmen und Ausbreitung eines kritischen Bewusstseins unter den zukünftigen Pädagogen. Zum kritischen Bewusstsein gehört es auch, erkennen und reflektieren zu können, wie Kultur in der sozialen und politischen Kommunikation jeweils ins Spiel gebracht oder artikuliert wird. In einer Gesellschaft, für die kulturelle Mixturen charakteristisch sind, ist statt dem bloßen Wissen über die verschiedenen Kulturen demnach die Fähigkeit kulturelle Bedeutungen und Verhaltenserwartungen auszuhandeln signifikant. Dafür kann es hilfreich sein, ein Bewusstsein der eigenen Kulturgebundenheit zu schaffen. Neben der Sensibilität für fremde Kulturmuster sind aber vor allem Sensibilität für die Asymmetrie von Beziehungen, Empathie, Aufmerksamkeit für negative Kollektiverfahrungen und die Reflexion der eigenen Fremdbilder gefragt. <?page no="319"?> 319 8.2 Interkulturelle Bildung 8.2.6 Interkulturelle Kompetenz als migrationsgesellschaftliche Kompetenz Im Folgenden soll insbesondere auf die interkulturelle Kommunikation als Basis der interkulturellen Kompetenz (vergleiche im Folgenden Auernheimer 2002) einerseits sowie als substanzielles Merkmal der interkulturellen Bildung (Prinzip des Dialogs) andererseits eingegangen werden. Georg Auernheimer zufolge entstehen Kommunikationsstörungen durch divergente Erwartungen in der interkulturellen Kommunikationssituation zumeist auf der Beziehungsebene. Entgegen der gängigen Annahme, die Störungen seien meist auf die Differenz der kulturellen Codes zurückzuführen, werden vier weitere Dimensionen herausgearbeitet, die Einfluss auf das Gelingen der Kommunikation haben: Machtasymmetrien, Kollektiverfahrungen, Fremdbilder sowie die Differenz der Kulturmuster. Zu Fremdbildern und Stereotypen Unsere Bilder von Anderen bedingen unsere Erwartungen und Erwartungserwartungen (Der andere denkt sicher, dass ich…) und steuern damit unsere Aktionen und Reaktionen. Aufgrund der Plausibilität dieser Aussage wird hier auf weitere Ausführungen verzichtet. Akzentuiert werden soll jedoch die Überlieferung und Vermittlung von Stereotypen und Vorurteilen durch die Gesellschaft (Sozialisation), der projektive Charakter von Fremdbildern sowie die Ethnisierungstendenz der Überlegenen respektive Privilegierten in der Kommunikation. Über Drehbücher des Alltagslebens Aufschlussreich ist das in der Konversationsanalyse verwendete Konzept der Scripts (Drehbücher). Zugrunde liegt die Annahme, dass Kommunikation nach konventionell vorgegebenen Drehbüchern, die gemeinhin unbewusst sind, erfolgt. Eine Thematisierung dieser Scripts ist irrelevant, weil alle Mitglieder einer Kulturgruppe, eines Milieus oder einer Institution sie kennen. Folglich bestimmen die Drehbücher unsere Normalitätserwartungen. Werden diese nicht erfüllt, kommt es zu Irritationen. Das Konzept der Scripts macht auch verständlich, dass für Fremde das Erlernen des korrekten Kommunikationsstils schwierig ist. Denn der situationsspezifische Charakter der Drehbücher verlangt ein Gespür für die jeweiligen Feinheiten oder situativen Spezifika des jeweiligen Kontexts. Gut nachvollziehbar wird das daran, dass wir alle uns in einer uns fremden Institution oder in einem fremden Milieu unsicher bewegen. Machtasymmetrien und Diskriminierungserfahrungen Interkulturelle Beziehungen sind oft durch eine Ungleichheit bezüglich des rechtlichen und sozialen Status gekennzeichnet. Eine Asymmetrie ergibt sich somit bereits in Folge einer unzureichenden Kenntnis der verwendeten Sprache oder der üblichen kulturellen Scripts. Infolgedessen lässt sich Macht als ein Mehr an Ressourcen bedingt durch den sozialen oder rechtlichen Status und ein Mehr an Wissen (Informationen) definieren. Ferner impliziert der Begriff diskursive Macht das Privileg der Themenwahl, welches bei den bereits thematisierten unzureichenden Kenntnissen sofort eine Asymmetrie in der Kommunikationssituation bedingt. Somit obliegt es auch dem überlegenen Kommunikationspartner, die Beziehung <?page no="320"?> 320 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu bestimmen. Das Zurückweisen und Aushandeln der-- meist stillschweigend vorgenommenen-- Beziehungsdefinitionen ist bei vorliegender, starker Asymmetrie immer erschwert, wenn nicht unmöglich (Schulz von Thun 1992). Die fragwürdigen Verhaltensweisen, zu denen Machtasymmetrien mitunter verleiten, können bei den Unterlegenen verständlicherweise problematische Reaktionen evozieren. Dabei sind neben der aktuellen Kommunikationssituation immer auch zurückliegende Unrechts- oder Diskriminierungserfahrungen des Einzelnen oder seiner Gruppe relevant. Nach Auernheimer (2002) zeigen sich vor diesem Hintergrund folgende Reaktionstendenzen: ein generalisiertes Misstrauen, Überempfindlichkeit aufgrund von Diskriminierungserfahrungen, Rückzugstendenzen bis hin zur „erlernten Hilflosigkeit“ beziehungsweise eine „Sprache der Opfer“ (vergleiche Banning 1995) und schließlich eine Aggressivität, die nach außen, aber auch nach innen gewendet sein kann. Gerade in asymmetrischen Konstellationen werden frühere Erfahrungen mit Machtinstanzen leicht auf die aktuelle Beziehung übertragen, sodass diese durch Misstrauen, Unterwürfigkeit, Aufsässigkeit etc. belastet werden kann. Experiment ▶ Versetzen Sie sich in eine der folgenden alltäglichen Situationen und versuchen Sie, Ihre jeweiligen Handlungsscripts so genau wie möglich zu notieren. Vergleichen Sie Ihre Notizen mit anderen Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern. ▶ In welchen anderen Ländern und Kulturen wären Ihre Scripts funktional, in welchen eher nicht? ▶ Inwieweit spielen Machtasymmetrien und Diskriminierungserfahrungen dabei möglicherweise eine Rolle? Tauschen Sie Ihre Ergebnisse mit denen Ihrer Kommilitonen und Kommilitoninnen im Kurs aus. Situationen: ▶ Restaurantbesuch ▶ Anmeldung eines Wohnsitzes in einer neuen Stadt ▶ Angehalten werden von der Polizei ▶ Besuch eines öffentlichen Bades <?page no="321"?> 321 8.2 Interkulturelle Bildung 8.2.7 Zusammenfassung ▶ Bis in die 1980er Jahre dominierte in der deutschen Migrationsforschung ein objektwissenschaftlicher Ansatz, dem ein Kontrollinteresse (Verhalten der Migranten und Migrantinnen) zugrunde lag. ▶ Der hier vorgestellte Forschungsansatz, basierend auf dem capability-approach, ist subjektwissenschaftlich ausgerichtet und sein Ziel ist die Gewinnung politischen Reflexionswissens. ▶ Durch den capability-approach wird der Fokus der Forschung auf die Verwirklichungschancen gerichtet und somit die Ablesbarkeit von sozialer Gerechtigkeit ermöglicht. ▶ Ziel der interkulturellen Pädagogik ist es, die Fähigkeiten zur gleichberechtigten Partizipation zu vermitteln und auf der Subjektebene sowie auf der Gesellschaftsebene positive Verwirklichungschancen zu schaffen. ▶ Die Pluralisierung der Migrationsgründe in der heutigen Welt erfordert eine besondere Sensibilisierung der Aufnahmegesellschaften, da viele verschiedene Faktoren Flucht oder Migration bedingen können. ▶ Unterschieden werden zwei primäre Gruppen von Migranten und Migrantinnen: einerseits Flüchtlinge aus Krisengebieten (Krieg oder Wirtschaft) und anderseits EU -Bürger, die aufgrund der Lage in ihren Heimatländern nach Mittel- und Nordeuropa gehen. ▶ Neben der Sensibilität für fremde Kulturmuster sind in den Aufnahmegesellschaften vor allem Sensibilität für die Asymmetrie von Beziehungen, Empathie, Aufmerksamkeit für negative Kollektiverfahrungen und die Reflexion der eigenen Fremdbilder gefragt. 8.2.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche andere Disziplin ist für die interkulturelle Pädagogik von besonderer Bedeutung? 2. Welche Aspekte haben die Entstehung der interkulturellen Pädagogik bedingt? 3. In den 1970er und 1980er Jahren wurde Migrationsforschung zumeist als Auftragsforschung zu administrativen Zwecken verstanden. Welche Implikationen gehen damit einher? 4. Inwiefern kann das Gegenstandsverständnis des „neuen“ Forschungsansatzes als erweitert bezeichnet werden? 5. Was ist der Verwirklichungschancenansatz und welche Bedeutung hat er für die interkulturelle Pädagogik? 6. Was sind das Wissensideal sowie das Aufgabenverständnis der interkulturellen Bildungsforschung? 7. Was ist soziale Gerechtigkeit vor dem Hintergrund des capability-approach? 8. Welche unterschiedlichen Gründe gibt es für die Migration? 9. Welche Rolle spielt die interkulturelle Bildung in Bezug auf die Mehrheitsangehörigen? 10. Welche Problematiken können in einer interkulturellen Kommunikation entstehen? <?page no="322"?> 322 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Elisabeth Venohr In den vorangegangenen Kapiteln wurden das Thema Kulturaustausch und die daraus resultierenden Arten interkultureller Kommunikation beziehungsweise das interkulturelle Lernen aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Viele Begegnungssituationen sind institutionell initiiert und somit gesteuert, zum Beispiel durch binationale Austauschprogramme (Schüleraustausch und Jugendbegegnung, vergleiche hierzu auch die Tandem-Methode in der Lerneinheit 7.2 von Pawlowska-Balcerska in diesem Band) oder im Studienaustauschaufenthalt im Rahmen von internationalen Studentenmobilitätsprogrammen (siehe Lerneinheit 7.3 von Sato-Prinz in diesem Band). Aber auch in den Zielländern zeigt sich auf vielen Ebenen die Kultur- und Spracharbeit als Instrument der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ( AKBP ). Die Kernaufgabe aller durch das Auswärtige Amt finanzierten Partner - auch als Kulturmittlerorganisationen bezeichnet -, darunter das Goethe-Institut ( GI ), der Deutsche Akademische Austauschdienst ( DAAD ), die Zentralstelle für das Auslandschulwesen (ZfA) und andere ist es, politisch formulierte Zielvorgaben durch kulturelle Formate im In-und Ausland mit Inhalten zu füllen und zu unterstützen. Im Zentrum jeglicher internationaler Verbindungsarbeit steht immer auch die Förderung der deutschen Sprache weltweit. Die bildungs- und sprachpolitischen Ziele auswärtiger Kulturpolitik umfassen somit auch direkte Lernerfahrungen in einem fremdkulturellen Kontext. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die auswärtige Kulturpolitik als eine Säule der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland verstehen; ▶ die Arbeit der Kulturmittlerorganisationen vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Kulturbegriffs und globaler Herausforderungen einordnen können; ▶ die Rolle des Englischen als Lingua Franca in der Wissenschaft kritisch beleuchten können; ▶ Initiativen zur mehrsprachigen Wissenschaft und zur Stärkung des Deutschen als Wissenschaftssprache kennen und bewerten können; ▶ sprachfördernde Maßnahmen der Kulturmittlerorganisationen im Kontext von Globalisierung und Regionalisierung (Deutsch in Grenzregionen, Deutsch als Minderheitensprache und Deutsch als Zweitsprache) im eigenen Fremdsprachenunterricht berücksichtigen; ▶ Argumente für Deutsch (bei der Fremdsprachenwahl) anführen können; ▶ die Förderung der Germanistik im Ausland (inklusive der Lehrer- und Lehrerinnenfortbildung) an ausgewählten Beispielen kennenlernen. <?page no="323"?> 323 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 8.3.1 Die auswärtige Kulturpolitik als „dritte Säule“ der deutschen Außenpolitik Auswärtige Kulturpolitik wird in der Bundesrepublik als dritte Säule der deutschen Außenpolitik- - neben der Diplomatie und der Außenwirtschaftspolitik- - bezeichnet und zwar spätestens mit der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt. Für seine Entspannungs- und Versöhnungspolitik „zwischen alten Feindländern“-- so die Begründung der Osloer Kommission-- erhielt Willy Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. Diesem auf Völkerverständigung und Dialog ausgerichteten Prinzip folgt die deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ( AKBP ) auch heute noch. In den letzten Jahrzehnten werden auch verstärkt die Zivilgesellschaften in den Blick genommen und somit die gesellschaftliche Entwicklung vor Ort durch Unterstützung konkreter Projekte gestärkt: Sie [die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, AKBP ] leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur deutschen Außenpolitik, denn sie stärkt die Zusammenarbeit mit anderen Zivilgesellschaften. Zudem schafft die AKBP weltweit Vertrauen in Deutschland-- damit gewinnen unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Politik wichtige und verlässliche Partner. (Bundesregierung 201) In der heutigen auswärtigen Kulturpolitik geht es zunehmend auch um bildungspolitische Ziele, die durch die fortschreitende Globalisierung und Vernetzung immer wichtiger werden. Das Kernanliegen der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ( AKBP ) ist es, den Zugang zu Kultur und Bildung weltweit zu verbessern und so politische Freiräume für Dialog und Diskurs, für Kreativität und Verständigung zu schaffen [sowie] Menschen weltweit neue berufliche Perspektiven und Bildungschancen zu eröffnen, globale Partnerschaften zu fördern und den Geist der internationalen Zusammenarbeit zu stärken. (Deutscher Bundestag 2017: 5) Diese vielseitigen Aufgaben werden in Deutschland über die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik von einem breit angelegten Netzwerk von Kulturmittlern getragen: Über die Jahrzehnte hat sich zur Umsetzung Auswärtiger Kulturpolitik eine spezifische Infrastruktur herausgebildet, in deren Zentrum die globalen Netzwerke deutscher Mittlerorganisationen stehen. Akteure des Politikbereichs selbst verweisen regelmäßig auf das besondere ‚deutsche Modell‘ dieser formell unabhängigen Kulturmittler. Dies betrifft zunächst die dauerhaften Hauptpartner des Auswärtigen Amtes, die in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern eine einzigartige Position besitzen- […]. (Adam 201: 35) Die Aufgabenverteilung und Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Kulturmittler können folgendermaßen zusammengefasst werden (Anheier 2017: 1): ▶ Kultur und Sprache (Goethe-Institut, Institut für Auslandsbeziehungen und andere); ▶ Bildung und Wissenschaft ( DAAD , Alexander von Humboldt-Stiftung, Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, Pädagogischer Austauschdienst und andere); ▶ Kommunikation und Medien (Deutsche Welle, DW Akademie). Die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Kulturmittlern sind vielfältig, die Übergänge teilweise fließend, wenn es beispielsweise um die sprachlichen Anforderungen und Rah- <?page no="324"?> 324 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik menbedingungen in Schule, Studium und Wissenschaft geht, die sowohl in den Bereich der Sprachals auch der Bildungsarbeit reichen und somit das Goethe-Institut ( GI ), die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) und den Deutschen Akademischen Austauschdienst ( DAAD ) gleichermaßen tangieren. Daher gibt es zahlreiche Initiativen, in denen die Expertise aller Kulturmittlerorganisationen gebündelt wird (ausführlicher dazu Abschnitt 8.3.3). Neue Herausforderungen, darunter die Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt und der erleichterte Zugang dieser Studierendengruppe zur deutschen Hochschule, führen auch zu einer Zielgruppenspezifik, die eine Neudefinition von Zuständigkeiten erfordert (hier auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ( BAMF ) in Nürnberg, das über den Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen entscheidet). Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den europäischen Nachbarländern wird der auswärtigen Kulturpolitik eine ähnlich wichtige Rolle zugewiesen, jedoch mit anderen Schwerpunktsetzungen, wie folgende Übersicht zeigen soll: Abbildung 8.3: Ziele und Kontext der AKBP der Vergleichsländer (hier Deutschland, Frankreich, Großbritannien) im Überblick (Anheier 2017: 5) Der Dialog auf Augenhöhe ist in der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik-- anders als bei den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien- - ein wichtiger Baustein in der internationalen Zusammenarbeit. Dieses Prinzip spiegelt sich auch im Umgang mit den sogenannten Bildungsexporten wider, die im Rahmen von deutschen Hochschulprojekten im Ausland (Stichwort: Transnationale Bildung, TNB ) durch den DAAD gefördert werden (zur Sprachenwahl in diesen internationalen Studiengängen, siehe ausführlicher dazu Abschnitt 8.3.4). Hier geht es nicht um „Bildungskolonialismus“, also eine <?page no="325"?> 325 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik standortunabhängige Kopie eines bestehenden Studienganges oder einer deutschen Hochschulstruktur, sondern um kooperative Hochschulprojekte, die durch den DAAD neben der Anschubfinanzierung auch eine Beratung auf Hochschulmanagement-Ebene erhalten. Dadurch sollen nachhaltige Strukturen geschaffen werden, die die Entwicklung des Hochschulstandortes sur place fördern (Beispiele dafür sind die Deutsche Universität in Kairo, Ägypten oder die Deutsch-Jordanische Hochschule in Amman, Jordanien). Gleichzeitig muss jede auswärtige Kulturpolitik zur Umsetzung der sich gesteckten kulturpolitischen Ziele ihr eigenes Verständnis von Kultur festlegen. Dieser der deutschen AKBP zugrunde liegende Kulturbegriff versteht sich zunächst als politikfrei, beinhaltet aber auch spätestens seit den 1970er Jahren (und dem erweiterten Kulturbegriff als soziale Praxis) keine rein ästhetische Ausrichtung mehr, sondern nimmt auch gesellschaftliche Themen in ihrer sprachlich-kulturellen Vielfalt in den Kanon der zu vermittelnden Inhalte auf. Der erweiterte Kulturbegriff geriet Anfang der 1990er Jahre jedoch durch seine ihm anhaftende Beliebigkeit und Grenzenlosigkeit in die Diskussion, da die Kulturmittler diesen als Grundlage für eine auswärtige Kulturpolitik nicht für geeignet hielten (vergleiche Beirat Deutsch als Fremdsprache 1992: 112). Der darauf folgende offene Kulturbegriff führte zu einer Rückbesinnung auf ästhetische Akzentuierung und die Betonung der Menschenrechte (Überblicksdarstellung für das Fach Deutsch als Fremdsprache bei Altmayer 1997). Ein differenziertes Deutschlandbild wird einerseits durch die deutsche Wiedervereinigung erforderlich, ergibt sich aber auch aus der Plurizentrik der deutschen Sprachen (spätestens mit den ABCD -Thesen 1990 zur Landeskunde im deutschsprachigen Raum, siehe dazu auch die Lerneinheit 7.1 von Zeuner in diesem Band): Mit den ABCD -Thesen erfolgt ein Umdenken zugunsten der Vielfalt der kulturellen und sozialen Realitäten im deutschsprachigen Raum (vergleiche These 5), zugunsten einer verstärkten Zusammenarbeit (vergleiche These 7) sowie zugunsten einer Betonung der Plurizentrik der deutschen Sprache (vergleiche These 12). (Badstüber-Kizik, Burka, Hägi & Schweiger 2013: 2) Die Doppelfunktion der Kulturarbeit in der AKBP , auch unter dem Oberbegriff kulturelle Programmarbeit subsummiert, nämlich die Darstellung von Kunst und Kultur bei gleichzeitiger Vermittlung von Informationen über Deutschland, zeigt sich besonders auch in den Ausstellungen des Goethe-Instituts und des Instituts für Auslandbeziehungen (ifa). Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Tourneeausstellungen dieser beiden Kulturmittlerorganisationen legt erstmals Denscheilmann (2013) für den Zeitraum 1990-2010 mit ihrer Monografie Deutschlandbilder. Ausstellungen im Auftrag Auswärtiger Kulturpolitik vor. Darin wird auch die Imagepflege durch ein bestimmtes Landesbild (in Abgrenzung zum Stereotyp) und die Kritik an der Verbindung von Politik und kultureller Programmarbeit durch die Konzeption  als das zweite außenkulturpolitische Konzept thematisiert (Denscheilmann 2013: Kapitel 2.3). An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass sich auch österreichische und schweizer Kulturmittler für die Förderung der deutschen Sprache in einem mehrsprachigen Europa einsetzen, darunter das 1997 gegründete Österreich Institut mit neun Standorten in Mittel-Ost- und Südeuropa sowie die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die sich für die Kulturförderung <?page no="326"?> 326 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in der Schweiz und in Europa engagiert und die wichtigste Schnittstelle zwischen Kulturförderung und Künstlern in der mehrsprachigen Schweiz darstellt. Daneben verfügt auch der Österreichische Akademische Austauschdienst mit seinen 120 germanistisch orientierten Lektoraten weltweit über ein wichtiges Instrument österreichischer Kultur- und Wissenschaftsvermittlung im Hochschulbereich im Ausland. Das DAAD -Lektorenprogramm ist mit rund 500 Standorten und vier Lektoratstypen, darunter das germanistische Regellektorat, das IC -Lektorat als regionale Servicestelle des DAAD , das Fachlektorat für nicht-germanistische Fächer wie Jura, Geschichte und Politik und das zbV-Lektorat zur Mitarbeit an einer DAAD -Außenstelle, ein weltweites Netzwerk und das traditionsreichste Förderprogramm des DAAD (seit den 1950er Jahren). Die Spracharbeit des DAAD in der germanistischen Hochschullehre wird heute allerdings durch eine gestiegene Nachfrage nach anwendungsbezogenem Deutsch im Hochschulbereich, unter anderem auch Fach- und Berufssprachen, bestimmt. Ähnliches gilt auch für das Goethe-Institut mit seinen 159 Standorten in 98 Ländern, die neben der Spracharbeit an ausländischen Schulen (siehe ausführlicher dazu Abschnitt 8.3.3.) auch zunehmend berufsbezogenen DaF-Unterricht (ab der Niveaustufe B1) oder Anfängerunterricht mit dem A1- Sprachnachweis (durch die GI -Sprachprüfung StartDeutsch) für den Familiennachzug sowie Au-Pair-Mädchen nach Deutschland anbietet. 8.3.2 Die Förderung der deutschen Sprache im In- und Ausland Sprachpflege und Sprachloyalität Sprachpolitik, von vielen aufgrund von Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeitskontexten zu Recht als Sprachenpolitik bezeichnet, verfolgt sehr unterschiedliche Ziele. Sprach(en) politische Maßnahmen können sich nämlich einerseits auf Fragen der Sprachnorm (Was entspricht der Sprachnorm? ) und Sprachpflege (Wie schützen wir unsere Sprache vor dem Einfluss anderer Sprachen? ) beziehen- - so der Kampf des Vereins Deutsche Sprache gegen Anglizismen mit dem sogenannten Anglizismenindex, einer frei zugänglichen und erweiterbaren Liste für alternative deutschsprachige Wörter. Andererseits zielt Sprachenpolitik aber auch auf die Stärkung und positive Entwicklung der deutschen Sprache im In- und Ausland in ihrer Wechselwirkung ab, wie sie beispielsweise der 2003 gegründete Deutsche Sprachrat (bestehend aus Goethe-Institut, Institut für Deutsche Sprache (IdS), Gesellschaft für Deutsche Sprache (gfds) und dem DAAD ) auf mehreren Ebenen verfolgt: Das Erlernen der deutschen Sprache im Ausland zu fördern ist ein Kernanliegen des Deutschen Sprachrats. Dieses Ziel verfolgt er im Bewusstsein eines Systems von Wechselwirkungen: Die Wahrnehmung der deutschen Sprache im Ausland beginnt im Inland. Der Gebrauch der deutschen Sprache im Inland strahlt in die Sprachvermittlung und das Erleben der deutschen Sprache im Ausland aus, so wie die Wahrnehmung von Deutsch im Ausland immer wieder Rückwirkungen auf die Auseinandersetzung mit unserer Sprache im Inland haben wird. (Deutscher Sprachenrat 2017) <?page no="327"?> 327 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Die Attraktivität einer Sprache wie der deutschen nach außen hänge auch von ihrem Zustand im Inneren ab, so Greule (1999: 423). In diesem Zusammenhang kritisiert er die mangelnde Sprachloyalität und führt diese auf das „Defizit an Sprachkultur“ in Deutschland zurück, womit ein Desinteresse und geringe Sprachsensibilisierung der deutschen Sprachgemeinschaft, zumindest noch Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts einhergehen (Greule 1999: 424). Sprachloyalität bezeichnet hingegen die positive Einstellung von Sprechern ihrer Muttersprache gegenüber und bedeute mehr als nur Sprachbewusstheit. Die Sprachenwahl auf wissenschaftlichen Tagungen, die häufig zugunsten des Englischen ausfällt, sei eine der Auswirkungen für mangelnde Sprachloyalität. Die Beobachtung, dass nicht nur deutsche Geschäftsleute, sondern auch Vertreter von Kulturmittlerorganisationen-- oftmals auch aus pragmatischen Gründen, da durch das Englische als Lingua Franca (ausführlicher dazu die Lerneinheit 2.3 von Roche in diesem Band) die Zeit und der Aufwand für die Übersetzung eingespart würden, so die gängige Begründung-- auf ihre eigene Muttersprache verzichten, wird im nichtenglischsprachigen Ausland nicht selten als störend wahrgenommen: Zahlreiche Deutsche, die nach Rußland zu verschiedenen geschäftlichen Verhandlungen oder wissenschaftlichen Konferenzen kommen, bedienen sich der englischen Sprache bzw. eines englischsprachigen Dolmetschers, obwohl deutschsprachige Dolmetscher in Menge da sind. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es bei vielen Deutschen zum guten Sozialstil gehört, sich auch im nichtenglischen Ausland durch die englische Sprache auszuweisen. (Debus 1999: 18 in Greule 1999: 42) Durch diesen sozialen Habitus wird indirekt auch die Auslandgermanistik geschwächt, die die Ausbildung zum Übersetzer und Dolmetscher nur dann attraktiv halten kann, wenn sich daraus auch realistische Berufsperspektiven ableiten lassen. Der Sprachunterricht hat immer auch eine instrumentelle Dimension, die sehr stark auch vom Gebrauchswert einer Sprache abhängt. Die direkte Sprachanwendung beziehungsweise der Kulturkontakt (das gilt insbesondere auch für Grenzregionen und ihre Nachbarschaftssprachen) schafft spezifische Sprachkonstellationen und -praxen, darunter die rezeptive Mehrsprachigkeit und den polyglotten Dialog. Hier hat das Deutsche mit über 100 Millionen Sprecherinnen und Sprechern als die Sprache mit den meisten Muttersprachlerinnen und -sprachlern in Europa eine sehr gute argumentative Ausgangslage. Die aktuellen Deutschlernerzahlen, die durch Netzwerk Deutsch (koordiniert durch die Deutschen Botschaften in Zusammenarbeit mit den Kulturmittlerinnen und -mittlern vor Ort) im 5-Jahres-Rhythmus erhoben werden, zuletzt 2015, belegen dies. Die meisten Deutschlerner gibt es mit 9,4 Millionen in Europa und in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ( GUS ) mit 3,1 Millionen (Auswärtiges Amt 2015: ). Die neueste Entwicklung zeigt, dass es ein zunehmend „instrumentelles Interesse“ an Deutschunterricht (neben dem bildungsorientierten Deutschunterricht an Schulen) gibt, sodass die Lernmotivation nicht in erster Linie durch ein kulturelles Interesse an Deutschland begründet ist und es dabei auch große regionale Unterschiede gibt. Dennoch gelten auch weiterhin die Richtlinien der Konzeption  des Auswärtigen Amtes für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ( AKBP ): <?page no="328"?> 328 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Die Förderung der deutschen Sprache im Ausland ist eine Kernaufgabe der Auswärtigen Kulturpolitik. Viele ihrer Maßnahmen dienen diesem Ziel direkt durch Sprachunterricht und Aus- und Fortbildung von Deutschlehrern, aber auch indirekt durch deutschsprachige Wortveranstaltungen, Theateraufführungen und Filmvorführungen oder durch Stipendien an ausländische Studenten und Wissenschaftler zu Studien- und Forschungsaufenthalten in Deutschland. Bezieht man die deutschen Auslandsschulen mit ein, so wird rd. die Hälfte des Kulturhaushalts für die Förderung der deutschen Sprache eingesetzt. (Auswärtiges Amt 2000: 11) Spracharbeit des Goethe-Instituts an Schulen am Beispiel von PASCH Die Kulturarbeit oder kulturelle Programmarbeit, die das Goethe-Institut als seine zentrale Aufgabe ansieht, ist immer auch eng verbunden mit der Spracharbeit. An der Schnittstelle sind auch Maßnahmen zur Stärkung von Übersetzertätigkeit im Bereich literarischer Übersetzungen und Lesungen zu nennen, die auch den dritten Arbeitsbereich innerhalb der Struktur des Goethe-Instituts, die Bibliotheks- und Informationsarbeit, betreffen. Übersetzerworkshops richten sich aber nicht nur an Experten, sondern sind auch im schulischen Bereich angesiedelt. Diese Verbindungslinien zeigen sich ganz besonders deutlich in dem 2008 ins Leben gerufenen Programm Schulen: Partner der Zukunft ( PASCH ), mit rund 1.800 Schulen in den Schwerpunktregionen Asien, Naher und Mittlerer Osten sowie Mittel- und Osteuropa (insgesamt circa 00.000 Schüler und Schülerinnen; Auswärtiges Amt 2015). PASCH ist eine Initiative des Auswärtigen Amtes in Zusammenarbeit mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA), dem Goethe-Institut ( GI ), dem Deutschen Akademischen Austauschdienst ( DAAD ) und dem Pädagogischen Austauschdienst ( PAD ) der Kultusministerkonferenz. PASCH ist mit anderen Initiativen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vernetzt, etwa dem Freiwilligendienst Kulturweit, der Außenwissenschaftsinitiative und der Initiative Deutsch- - Sprache der Ideen. Regionen mit hoher PASCH -Dichte garantieren, dass auch weiterhin Deutsch an Schulen- - auch außerhalb Europas- - gelernt wird, indem Bildungsperspektiven über das Deutsche vermittelt und die Qualität des Deutschunterrichts durch zahlreiche Maßnahmen erhöht werden (beispielsweise durch Beratung und Qualifizierung der örtlichen Lehrkräfte durch deutsche Kollegen und Kolleginnen). Das Goethe-Institut ist über seine Experten für Unterricht insbesondere für die Betreuung der PASCH -Schulen und für die damit verbundene Lehrer- und Lehrerinnenfortbildung zuständig. Darüber hinaus initiieren die GI -Auslandsinstitute auch landeskundlich ausgerichtete Projekte, darunter die Deutsch-Olympiade mit Berücksichtigung aller deutschsprachigen Länder oder Projekte zu bilingualem Sachfachunterricht in verschiedenen Schulfächern (auch als CLIL -Ansatz, Content and Language Integrated Learning, im Bereich der Mehrsprachigkeitsdidaktik bekannt). Die zunehmende Orientierung der Kulturmittler an jungen Deutschlernern (und deren langfristige Bindung an Deutschland), die sich ein eigenes Bild von Deutschland (auch über Online-Angebote) machen können, wird in der PASCH -net-Rubrik Lesetexte Mehr über das Leben in Deutschland erfahren auf mehreren Niveaustufen (A2-C1) deutlich. Gleichzeitig sind diese Seiten auch eine wichtige Quelle für DaF-Lehrkräfte, die hier landeskundlich relevante Inhalte in adaptierten Lesetexten finden: <?page no="329"?> 329 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Abbildung 8.4: Rubrik Lesetexte - Jugendthemen auf den Internetseiten von PASCH Dass es langfristig bei diesen Landeskunde-Texten auch darum geht, dass die „Besten Köpfe“ Deutschland frühzeitig auch als Studienstandort kennenlernen sollen, zeigt das PASCH net-Angebot Studieren in Deutschland, das gut sichtbar auch mit den anderen deutschen Kulturmittlern ( DAAD , Goethe-Institut) verlinkt ist. Anders als bei den PASCH -Schulen, die gleichzeitig auch das durch die Kultusministerkonferenz ( KMK ) anerkannte Deutsche Sprach- <?page no="330"?> 330 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik diplom ( DSD II ) als Äquivalent zum Sprachzeugnis Deutsche Sprache für den Hochschulzugang ( DSH ) der Studienkollegs in Deutschland verleihen (entspricht dem Sprachniveau C1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens), versucht man seit 2015 auch Schüler und Schülerinnen aus Ländern ohne direkte Hochschulzugangsberechtigung ( HZB ) mit dem Ausgangsniveau A2 auf ein Studium in Deutschland vorzubereiten: Bislang konnten Schulabgänger aus Russland, der Ukraine, Kasachstan und Georgien nicht direkt nach dem Schulabschluss an deutschen Universitäten studieren. Sie mussten entweder ein Jahr an einer einheimischen Universität abschließen oder sich an einem Studienkolleg in Deutschland auf ein Studium vorbereiten. Nachdem das Bundesland Nordrhein-Westfalen die Zulassung nun an die Studierfähigkeitsprüfung bindet, können die Studienbewerber direkt ein Studium aufnehmen-- vorausgesetzt sie nehmen erfolgreich an der ‚Studienbrücke Deutschland‘ teil. (Goethe-Institut 2017) Das Stipendienprogramm Studienbrücke für Schüler und Schülerinnen der 9. Klassen mit sehr guten Schulleistungen in den sogenannten MINT -Fächern (Mathematik-Informatik-Naturwissenschaften-Technik) ist eine gemeinsame Initiative mehrerer Kulturmittlerorganisationen, deren Kompetenzen unterschiedlich verteilt sind (konkret: sprachliche Vorbereitung durch das Goethe-Institut, Studienberatung durch den DAAD ). Bereits im Positionspapier des Auswärtigen Amtes Konzeption  wurde die Akzentuierung von Wissenschaft und Forschung gefordert: Besondere Betonung erhält in der ‚Konzeption 2000‘ die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Im Zeitalter der Globalisierung könne diese nur gesichert werden, wenn Deutschland seine Leistungen als Wissenschafts- und Studienstandort auch im Ausland unter Beweis stellen kann. Deshalb komme der Öffnung und Zusammenarbeit im Bereich Wissenschaft und Hochschulen künftig noch größere Bedeutung zu. (Auswärtiges Amt 2000: 28f; Singer 2003: 32) Roche (2015) hat- - auch im Hinblick auf die Dominanz des Englischen als Wissenschaftssprache- - institutionenpolitische Konsequenzen auf unterschiedlichen Ebenen aufgezeigt, die alle auf die Steigerung der Attraktivität Deutschlands als Forschungs- und Studienort durch gezielte Maßnahmen zur Schaffung einer Mittlerkultur mit sehr unterschiedlichen Akteuren abzielen: Wirtschaft und Wissenschaft benötigen langfristig qualifizierte Kulturvermittlerinnen und -vermittler, die nicht nur die limitierten Dimensionen eines statischen Kulturvergleichs (Interkulturelles Training) kennen, sondern das Inventar transkultureller Vermittlung und Verständigung virtuos und reflexiv beherrschen und eine aufgeschlossene Begegnungseinstellung verinnerlichen. Solche Vermittlerinnen und Vermittler besitzen ein hohes Sympathiepotenzial, das gezielt auch in der Wissenschaftsadministration (Werbeaktionen, Auslandsämter der Hochschulen, Personalqualifikation in Mittlerorganisationen), aber auch in allen anderen Bereichen vom Tourismus über die Wirtschaft, die Kulturorganisationen bis hin zu den internationalen Forschungsorganisationen zum Tragen kommen kann.- […] Die universitäre Ausbildung von Kulturmittlerinnen und -mittlern ist daher qualitativ und quantitativ zu intensivieren (Einrichtung internationaler Studiengänge, Stipendienprogramme). (Roche 2015: 98) <?page no="331"?> 331 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 2015 studierten 321.000 ausländische Studentinnen und Studenten an deutschen Hochschulen, so lauten die offiziellen Zahlen der Studie Wissenschaft weltoffen ( DAAD 201), im Wintersemester 2015 / 1 waren es bereits 340.000. Die Gründe für einen Studienaufenthalt in Deutschland liegen auch in der Mobilitätsförderung durch verschiedene Stipendienprogramme ( DAAD , Erasmus+, Katholischer Austauschdienst ( KAD ) und zahlreiche, nicht nur politische Stiftungen, siehe hier auch die Stipendiendatenbank funding-guide des DAAD ). 8.3.3 Deutsch als Wissenschaftssprache oder „English only“? In die Monolingualismus-Debatte darüber, dass Englisch als die dominierende Wissenschaftssprache auch eine Bedrohung für das Deutsche als Wissenschaftssprache darstellen könnte, mischt sich eine andere Perspektive, die Deutschland als Studien- und Forschungsstandort in den Blick nimmt und dabei den Mehrwert des Deutschen im internationalen Wissenschaftsaustausch hervorhebt. Diese Position haben auch die wichtigsten deutschen Kulturmittler im Bereich Sprache und (Hochschul-)Bildung eingenommen, wie die Gemeinsame Erklärung der Präsidenten von Alexander von Humboldt-Stiftung, DAAD , Goethe-Institut und Hochschulrektorenkonferenz aus dem Jahr 2009 zeigt: Die Attraktivität eines Standorts für Forschung und Lehre hat weitreichende Auswirkungen auf die Verbreitung der Sprache, die an diesem Standort inner- und außerhalb der Hochschulen gesprochen wird. In einigen Regionen der Welt erkennen Studierende und Wissenschaftler auch in den Natur- und Ingenieurwissenschaften mit wachsendem Interesse, dass das Erlernen der deutschen Sprache einen Mehrwert darstellt.-[…] Die Zusammenarbeit der Organisationen soll dafür weiter verstärkt werden. (Schwarz, Hormuth, Lehmann & Wintermantel 2009) Dass verschiedene Sprachen auch verschiedene Zugänge zu wissenschaftlichen Forschungsgegenständen ermöglichen und somit möglicherweise den Unterschied machen, stand auch im Zentrum des 2011 durchgeführten Kreativwettbewerbs Deutsch schafft Wissen, der vom Goethe-Institut und dem DAAD gemeinsam durchgeführt wurde. <?page no="332"?> 332 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Abbildung 8.5: Kreativwettbewerb Deutsch schafft Wissen (Goethe-Institut & DAAD 2011), 3. Platz Nico Liebe Ein wichtiger Aspekt wird in diesem Beispiel durch die notwendigerweise verkürzte Darstellung von Ähnlichkeit und Differenz nicht berücksichtigt und zwar die fehlende Äquivalenz von science im Englischen beziehungsweise science im Französischen (nicht nur in translatorischer Perspektive) im Vergleich zum deutschen Wort ‚Wissenschaft‘. Die Einteilung der Disziplinen in sciences dûres (Naturwissenschaften) und lettres (Geisteswissenschaften) im französischen Wissenschaftssystem wird in der deutschen übergeordneten Bezeichnung Wissenschaft für alle wissenschaftlichen Disziplinen nicht abgebildet. Somit ist durch die Sprachenwahl bereits ein anderer Zugriff auf die Wissenschaftsorganisation und das damit verbundene Selbstverständnis gegeben. Ob der Autor dieses Plakates nur auf die morphologische Unähnlichkeit-- sozusagen als Alleinstellungsmerkmal-- abzielte oder auch die Unterschiede in den Wissenschaftskulturen im Blick hatte, bleibt an dieser Stelle unbeantwortet. Der 2007 gegründete Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache ( ADAWIS ) ist ein Verbund von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die sich darüber hinaus für den Erhalt von Wissenschaftssprachen im Allgemeinen einsetzen. Die Forderung, dass Verlage bei der Übersetzung ins Englische unterstützt werden sollten, ist eine der Forderungen des ADAWIS , damit das Publizieren in der (eigenen) nationalen Wissenschaftssprache attraktiv bleibt, denn: Der a u s s c h l i e ß l i c h e Gebrauch von Englisch, wie er zum Beispiel in der Lehre an deutschen Hochschulen immer kompromissloser durchgesetzt wird, gefährdet die Verankerung der Wissenschaft in der sie tragenden Gesellschaft, beschädigt den Status der Landessprache als das wichtigste verbindende Element aller gesellschaftlichen Bereiche und verhindert die Integration der ausländischen Studenten und Dozenten, die langfristig bei uns bleiben möchten und die auf unserem Arbeitsmarkt dringend gebraucht würden. Die Förderung der internationalen Zusammenarbeit setzt interkulturelles Verständnis voraus und benötigt daher das Nebeneinander von Englisch und anderen Sprachen. Daher unterstützen wir Mehrsprachigkeitskonzepte, in denen auch die Landessprache eine tragende Rolle spielt. ( ADAWIS 2017a) <?page no="333"?> 333 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik „Die Spitzenforschung spricht Englisch“, erklärte bereits 198 Hubert Makl, aber wie Glück (2008) zurecht bemerkt, gelte dies auch schon für Breitenforschung (Glück 2008: 5). Neben der Forschungspraxis geht es aber auch um die Forschungsprinzipien nach Disziplinen. Das heißt nämlich, dass die geistige Durchdringung eines Forschungsgegenstandes, die sprachgebunden ist (Glück 2008: 8), ein wichtiges Grundprinzip der Geistes- und Sozialwissenschaften bildet und somit Sprache nicht nur reines Werkzeug zur Kommunikation unter Forschern und Forscherinnen ist. Er plädiert daher für einen europäischen Zitierindex (Glück 2008: 14), um auch die Vielfalt der (traditionsreichen) europäischen Wissenschaft zu operationalisieren. Die unaufhaltsame Zunahme von englischsprachigen Studiengängen in Deutschland (circa 1.300 laut Hochschulkompass, Stand Juli 2017) ist der Internationalisierung und Mobilitätsprogrammen in Studium und Wissenschaft geschuldet und findet daher auch seine Widerspiegelung im Englischen als Studiensprache: Englisch ist in fast allen Ländern der Welt mindestens eine der Sprachen der Lehre und in den angelsächsischen Ländern ist es die einzige. Selbst im sprachstolzen Frankreich gab es trotz des Verbots schon vor über zehn Jahren mehrere hundert englischsprachige Studiengänge und in Deutschland wird Englisch in immer mehr Fächern als eine der Sprachen der Lehre eingeführt. (Ammon 2004 in Degener 2014) Im Umgang mit funktional sehr unterschiedlichen Sprachen in mehrsprachigen Wissenschaftsdiskursen und der mehrsprachigen Schule mit dem ihr zugeschriebenen Mehrwert an Sprach- und Kulturwissen (siehe dazu auch die Lerneinheit 8.2 von Baros) zeigt sich auch die interkulturelle Dimension von Wissenschaftsaustausch: Wissenschaft ist in besonderer Weise befähigt, den interkulturellen Austausch voranzubringen, denn sie erzieht zu Toleranz, gedanklicher Offenheit und Neugier. Mit nur einer einzigen Sprache bleibt der Blick auf denjenigen Kulturkreis begrenzt, für den diese Sprache steht. ( ADAWIS 2017b) Darüber hinaus sind die in Sprache(n) eingelassenen Konzepte und Wahrnehmungsmuster kognitionslinguistischer Natur und bestimmen mentale Wissensverarbeitungsprozesse (siehe dazu Kapitel 1 in diesem Band). Der Erkenntnisgewinn ist daher durch verschiedene Wissenschaftssprachen höher als in einer einzigen, uniformen Sprache, die unter Umständen auch für den Nichtmuttersprachler oder die Nichtmuttersprachlerin nur eine begrenzte (Sprach-) Variation und geringere Ausdrucksfähigkeit bereithält. Wenn von Lingua Franca die Rede ist, bezieht sich diese Bezeichnung in der Regel auf das Englische als Weltsprache (siehe hierzu auch die Lerneinheit 2.3 von Jörg Roche). In einer anderen Lesart-- und bezogen auf einige, ausgewählte Disziplinen-- könnte aber auch das Deutsche diese Funktion übernehmen. Ammon (1998: 2) konstatiert: „Lingua [F]ranca meint hier jede beliebige Sprache, die Sprechern verschiedener Sprachen zur Überbrückung ihrer Sprachdifferenzen dient.“ Ein weiteres Beispiel für die Dominanz des Deutschen als Fachsprache zeigt sich in den Rechtswissenschaften, wo das nationale Recht aufgrund der Rechtsauslegung in hohem Maße sprachgebunden ist, sodass bei der Übernahme bestimmter Rechtssysteme auch die jeweilige Gebersprache zur eigentlichen Lingua Franca wird. Dazu gehört das georgische Zivilrecht, das auf dem Bundesgesetzbuch ( BGB ) basiert <?page no="334"?> 334 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und deshalb die universitäre juristische Ausbildung häufig mit Deutschland verbunden ist. Auch das japanische Zivilrecht orientiert sich an den Strukturprinzipien des deutschen BGB , sodass hier die (deutsche) juristische Fachsprache und der Studienstandort Deutschland mit deutschsprachigen Studiengängen (auch Bildungsexporten) eine wichtige Mittlerfunktion übernehmen. Dass Englisch heute in den meisten Disziplinen als wissenschaftliche Lingua Franca gilt, hat auch mit den englischdominierten Publikationsindices zu tun, die die Reichweite und somit die wissenschaftliche Relevanz messen sollen. Da in Deutschland Lehre und Forschung immer noch stark miteinander verknüpft sind, ist nicht nur die Wahl der Publikationssprache, sondern auch die rezipierende Sekundärliteratur in universitären Seminaren ausschlaggebend für eine mehrsprachige Wissenschaft. In der Praxis internationaler Studiengänge (im In-und Ausland), an denen deutsche Hochschulen beteiligt sind, beispielsweise in DAAD -geförderten Hochschulprojekten zur Transnationalen Bildung ( TNB ) im Ausland, werden deutsche Hochschulen bei Double Degree Masterprogrammen (teils in englischer Sprache, aber auch-- je nach Fachrichtung-- mit Anteilen auf Deutsch) sowie bei deutschsprachigen Studiengängen mit Stipendien und Fachexpertise unterstützt. Diese Programme werden auch als „Bildungsexport“ bezeichnet. Warum der Bildungsimport für viele Länder an Attraktivität gewonnen hat, zeigt folgende Einschätzung aus dem entsprechenden TNB -Positionspapier des DAAD (vergleiche dazu auch Althaus, Kleppin & Roche 2014): In der Wissensgesellschaft steigen die Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten von Arbeitnehmern; die Zahl der Arbeitsstellen, die kein oder nur wenig Wissen voraussetzen, sinkt stetig. Die Wertschätzung von Bildung für die Realisierung individueller Lebensentwürfe nimmt zu. Entsprechend steigt die Nachfrage nach höherer Bildung. Gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern sind die Bildungssysteme durch die erhöhte Nachfrage aber oft überfordert, und es entstehen Kapazitätsengpässe. ( DAAD 2012: 5) Bei der Implementierung von Bildungsexporten spielt die Sprachenwahl eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund muss auch über mehrere Modelle von Sprachkombination bis hin zu English only diskutiert werden, bei denen unter anderem ein begleitendes Deutschprogramm als Alleinstellungsmerkmal hervorgehoben werden kann, um die Bindung an Deutschland nachhaltig zu gestalten: Selbst bei Studiengängen, die vom Studienbeginn bis zum Ende des Studiums komplett auf Englisch studiert werden, sollten Stunden und / oder ECTS oder andere ortsübliche Studienpunkte für einen wenigstens rudimentären Deutscherwerb reserviert werden-- mit einer stärkeren Gewichtung der rezeptiven Fertigkeit Lesen (Textlektüre). Hierüber wird ein wichtiger Deutschlandbezug hergestellt, der seine Nachhaltigkeit in der nachgewiesenen stärkeren Bindung an Deutschland keineswegs nur in kulturell-geschichtlicher oder politischer, sondern auch und vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht zeigt. (Althaus, Kleppin & Roche 2014: 2) Es lässt sich also festhalten, dass Monolingualismus in Wissenschaftsdiskurs und universitärer Lehre nicht dem Prinzip von mehrsprachiger Wissenschaft entspricht, das von den deutschen <?page no="335"?> 335 8.3 Institutionen der Kulturvermittlung: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Kulturmittlerinnen und Kulturmittlern und ihren Partnern im In- und Ausland aktiv unterstützt wird. Dennoch haben rückläufige Deutschlernerzahlen weltweit (mit weiterhin großen regionalen Unterschieden) dazu geführt, dass nicht alle möglichen Interessierten den Zugang zur deutschen Hochschule über das Deutsche haben und somit auf englischsprachige Programme angewiesen sind. Experiment Machen Sie eine Umfrage unter Ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen, in der Sie ihnen mindestens fünf Argumente beziehungsweise Vorschläge zur Stärkung des Deutschen als Wissenschaftssprache (auch neben Englisch) anbieten, die von Ihnen gewichtet werden sollen. Anschließend sollen sich Interessengruppen bilden, die jeweils einen Kulturmittler (seine Positionen) vertreten und in der Diskussion weitere Argumente austauschen. Als Resultat dieser Diskussion soll ein kurzes Positionspapier entstehen (in Form eines Protokolls), in dem auch die Länderspezifik der Sprachwahl beziehungsweise -förderung berücksichtigt wird. 8.3.4 Schwerpunkte der Spracharbeit nach Regionen Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist immer auch regionenspezifisch ausgerichtet und orientiert sich an den vorhandenen (Sprach-)Ressourcen und den daraus resultierenden Bedürfnissen an sprachpolitischer Unterstützung in einem bestimmten geografischen Raum: Mitteleuropa ist unter anderem deshalb als eine besondere Region anzusehen, weil hier fast überall jahrhundertelang Deutsch vor Ort, in direkten Kontakten, in persönlichem Umgang mit Deutschen kennengelernt werden konnte und tatsächlich auf diese Weise gelernt wurde. (Grucza 1998: 31) Auch wenn die Wachstumsregionen für Deutsch als Fremdsprache derzeit in Asien, Lateinamerika und dem Nahen und Mittleren Osten liegen-- allerdings in Gesamtzahlen vielerorts gering aufgrund des niedrigen Ausgangsniveaus (siehe Auswärtiges Amt 2015: 4)- - ist das historisch begründete Interesse an Deutsch in den heutigen GUS -Staaten und ehemaligen Ostblock-Ländern immer noch hoch. Teilweise sind die demografische Entwicklung und die Einführung des Englischen als erste obligatorische Fremdsprache an Schulen Gründe für den Rückgang der Deutschlernerzahlen weltweit, aber es gilt auch weiterhin: „13,4 Mio. (87 %) der weltweit erfassten Deutschlerner sind Schüler.“ (Auswärtiges Amt 2015). In Polen lernen mit 2,3 Millionen weltweit die meisten Menschen Deutsch, davon 2,1 Millionen an Schulen (Auswärtiges Amt 2015: 19; vergleiche auch Netzwerk Deutsch 2010). Deutsch als Begegnungssprache ist in vielen Regionen Süd- und Mittelosteuropas immer auch eine Ressource für interkulturellen Austausch, wie das Beispiel Ungarn zeigt: Man kann wohl davon ausgehen, dass die Kommunikationsweisen und Diskursnormen der Ungarndeutschen-- mit den entsprechenden Kulturmustern-- heute eine Mittelposition zwischen denen der (weitgehend unilingual und unikulturell) binnendeutschen und der ungarischen Kommunikations- <?page no="336"?> 336 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gemeinschaft einnehmen. Diese Dimension dürfte auch im Hinblick auf die Theorie der sog. interkulturellen Kommunikation nicht ohne Bedeutung sein. (Földes 2002: 353) In der Grazer Erklärung der XIII . Internationalen Deutschlehrertagung ( IDV 2005) wird diese Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt einerseits als europäische Normalität, andererseits aber auch als ein immer wieder sprachpolitisch explizit zu behandelndes Thema proklamiert: Sprachliche Monokultur ist auf die Dauer keine tragfähige Basis für die Gestaltung einer Grenzen überschreitenden und überwindenden Kommunikation.-[…] Jeder Einzelne wünscht sich Optionen und jede Gesellschaft braucht vielfältige sprachliche Ressourcen zur Erweiterung der Kontaktchancen mit Menschen unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Herkunft. ( IDV 2005: 1) Deutsch als Minderheitensprache und ihre Angehörigen könnten hier eine wichtige Brückenfunktion bei konkreten Mehrsprachigkeitskonzepten, unter anderem auch bei der Unterstützung von Konzepten zur bilingualen Erziehung und frühen Fremdsprachenunterricht, übernehmen (beispielhaft dafür ist der Elternratgeber für zweisprachige Erziehung in seiner deutsch-polnischen Version im Projekt Bilingua des Hauses der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in Gliwice, Polen [Online unter www.bilingua.haus.pl. 5. Dezember 2017]). Das Goethe-Institut unterstützt in 15 Ländern die deutschen Minderheiten außerdem mit zahlreichen Maßnahmen, darunter auch durch Beschaffung von Lehrmitteln für Bibliotheken und Kulturorganisationen sowie der Unterstützung von Eigeninitiativen deutscher Minderheitenorganisationen vor Ort. Diese und andere Projekte sollten gebündelt und als Best-Practice-Beispiele verbreitet werden. In den Ländern mit deutschen Minderheiten stellt hier das Ifa Mind_Netz eine zeitgemäße, vernetzte Dokumentation von Aktivitäten der deutschen Kulturmittler im Ausland und ihrer Partner in den Zivilgesellschaften dar: Mind_Netz informiert und vernetzt deutsche Minderheiten und alle, die sich für eine alternative Sicht auf das aktuelle Zeitgeschehen in den osteuropäischen Ländern, die deutsche Sprache und Minderheiten interessieren. Die Mind_Netz-Redaktion scannt täglich mehr als 40 Onlinemedien, Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsendungen der deutschen Minderheiten- - aus dem östlichen Europa und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Das Redaktionsteam wählt anschließend Beiträge aus und verbreitet sie auf Facebook, Twitter, YouTube und VK ontakte. (ifa Mind_Netz 2017) In der bereits erwähnten Vergleichsstudie der Hertie School of Governance (Anheier 2017) wird neben den Herausforderungen in den einzelnen Vergleichsländern auch die zentrale Rolle von Minderheiten für die AKBP , hier beispielsweise die deutschsprachige „Diaspora und Expat-Gemeinden“ als Zielgruppe in Brasilien genannt (Anheier 2017: 2). Diese Öffnung geht einher mit der Forderung nach stärkerer medialer Präsenz (Radio und online), was den digitalen Hör- und Sehgewohnheiten vor allem jüngerer Mediennutzer entspricht. Hier zeigt sich, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auf gemeinsame, europäische Ressourcen zurückgreifen muss, um eine größere Sichtbarkeit, auch in der Stärkung der Landessprache-- einem Ziel vieler europäischer Partnerländer-- zu erzielen. Gleichzeitig gilt <?page no="337"?> 337 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik es auch immer, das kulturpolitische Deutschlandbild so aktuell und gleichzeitig so differenziert wie möglich zu halten, da gerade über die Medien Bilder (mit-)transportiert werden, die dem Landesbild und der entsprechenden auswärtigen Kulturpolitik zuwiderlaufen. Dies zeigt sich in der Zuwanderungsdebatte, die in den europäischen Ländern angesichts der Flüchtlingskrise und Aufnahme von Menschen aus Kriegsgebieten zu einem uneinheitlichen Europa-Bild geführt hat. 8.3.5 Stärkung der Auslandsgermanistik Durch zahlreiche Förderprogramme, insbesondere das weltweite Lektorenprogramm des DAAD , aber auch durch DAAD -geförderte Germanistische Institutspartnerschaften mit deutschen Hochschulpartnern sowie binationale oder TNB -Studiengänge mit einem hohen Deutschlernanteil, erhöht sich nicht nur die Nachfrage nach einem differenzierten Deutschlehrangebot. Es geht auch um eine verstärkt (fach-)praxisnahe Deutschlehrerausbildung bei gleichzeitiger Sicherung von Qualitätsstandards in neuen beziehungsweise zu reformierenden, modularisierten Studiengängen in der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung. Diese Lücke in der Ausbildung künftiger Deutschlehrerinnen und -lehrer an Schulen und Hochschulen weltweit wollen die vorliegende Reihe Kompendium DaF/ DaZ und die dazugehörigen Online-Module der Multilingua-Akademie mit ihrem forschungsaktuellen, didaktisierten und interaktivem Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebot schließen. Davon inspiriert entwickelt der DAAD mit verschiedenen Partnern im Projekt DaF-Studienmodule (Dhoch3) ein Online-Angebot mit Lektürematerial und exemplarisch bearbeiteten Unterrichtsvorschlägen für verschiedene DaF-relevante Themen. Das in acht Modulen aufgebaute Online-Angebot für interessierte Partnerhochschulen im Ausland ist kostenlos verfügbar. Zielgruppen sind Hochschullehrerinnen und -lehrer und Master-Studentinnen und -Studenten, deren Lehrerausbildung sich gerade im Auf- oder Umbau befindet. Eine Betreuung durch Dozentinnen und Dozenten ist außerhalb der eigenen Hochschule nicht vorgesehen. In dem Programm des Goethe-Instituts zur Fort- und Weiterbildung von DaF-Lehrkräften im Ausland Deutsch Lehren Lernen ( DLL ) hingegen rücken der eigene Unterricht und die Reflexion über Lehr-Lernprozesse in den Mittelpunkt. Der Bezug zum täglichen Handlungsspektrum von DaF-Lehrkräften weltweit wird durch die sogenannten Praxiserkundungsprojekte ( PEP s) in Form von Unterrichtsmitschnitten explizit hergestellt und der Austausch unter den DaF-Lehrkräften über neueste Unterrichtsmethoden intensiviert. Außerdem fördert der DAAD durch Sur-Place-Fachkurse den germanistischen Nachwuchs im Bereich der Fachsprachenvermittlung und benachbarter Themengebiete. In Ländern mit deutschen Minderheiten vergibt der DAAD darüber hinaus Stipendien für ein Fortbildungssemester an einer deutschen Partnerhochschule in den Bereichen Deutschausbildung, Deutsch als Fremdsprache sowie Deutsch als Minderheiten- und Muttersprache. Die Sichtbarkeit germanistischer Forschung an Auslandinstituten wird auch durch den seit 2011 jedes Jahr verliehenen Jacob-und Wilhelm-Grimm-Preis des DAAD an junge, ausländische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für herausragende Arbeiten auf den <?page no="338"?> 338 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Gebieten der germanistischen Literatur- und Sprachwissenschaft, Deutsch als Fremdsprache sowie Deutschlandstudien erhöht. 8.3.6 Zusammenfassung ▶ Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ( AKBP ) ist neben der Diplomatie und der Außenwirtschaftspolitik die dritte Säule der deutschen Außenpolitik. ▶ Die deutschen Kulturmittlerorganisationen arbeiten in einem dichten Netzwerk zusammen und bilden somit das „deutsche Modell“ bei der Umsetzung der außenkulturpolitischen Ziele. ▶ Mit einem sich wandelnden Kulturbegriff verändert sich auch die Arbeit der Kulturmittler im Ausland. ▶ Im Gegensatz zu anderen Vergleichsländern (in Europa) setzt die deutsche AKBP auf vorpolitischen Dialog, Stärkung von Zivilgesellschaften in den Zielländern und auf europäische Integration. ▶ Deutsch als Fremdsprache wird an Schulen weltweit gelernt und hat mit der PASCH -Initiative neue Wachstumsregionen (Asien, China, Lateinamerika) erschlossen. ▶ Die Lehrer- und Lehrerinnenaus- und -fortbildung im Bereich Deutsch als Fremdsprache muss reformiert und um innovative Lehrkonzepte erweitert werden (inklusive frühes Fremdsprachenlernen). ▶ Der Studienstandort Deutschland gewinnt einerseits durch die Stärkung des Deutschen als fremder Wissenschaftssprache in In- und Ausland als auch durch das Angebot an internationalen, meist englischsprachigen Studiengängen zunehmend an Attraktivität für ausländische Studentinnen und Studenten. ▶ Englisch als Lingua Franca darf nicht zu einer mangelnden Sprachloyalität führen, sondern muss dort eingesetzt werden, wo es keine Übersetzungsangebote gibt und der Einsatz anderer Sprachen zu Verständnisschwierigkeiten führt. ▶ Studienvorbreitende Sprach- und Fachkurse im Ausland, aber auch Online-Angebote vor Studienbeginn (hier: Deutsch-Uni Online zur fachsprachlichen Vorbereitung; siehe Roche 2004) erleichtern den Zugang zum deutschen Hochschulmarkt. ▶ Durch die Flüchtlingskrise und die Herausforderungen an einen globalen Arbeitsmarkt verschieben sich auch die Ziele der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zugunsten von gesellschaftlicher Partizipation im Inland und gleichberechtigter Partnerschaft im Ausland. 8.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist mit der dritten Säule der Außenpolitik Deutschlands gemeint? 2. Wie unterscheidet sich die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ( AKBP ) Deutschlands von der anderer (europäischer) Länder? <?page no="339"?> 339 8 Interkulturelle Bildung und Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 3. Welche Aufgabenfelder und Schwerpunkte haben die einzelnen Kulturmittler im Ausland ( GI , DAAD , ZfA und ifa)? 4. Was ist das Besondere an der PASCH -Initiative? 5. Welchen Stellenwert nimmt das Deutsche als Wissenschaftssprache in der Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik ein? 6. Welche Rolle spielt die Sprachloyalität in öffentlichen Diskursen für den Stellenwert einer Landesprache im Vergleich zur Lingua Franca (hier: Englisch)? 7. Wie erfolgt die Stärkung der Germanistik im nicht-deutschsprachigen Ausland? <?page no="341"?> 341 9 Literaturverzeichnis 9 Literaturverzeichnis Aarsleff, Hans (1982), From Locke to Saussure: Essays on the Study of Language and Intellectual History. 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