eBooks

Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten

Schwerpunkt DaF/DaZ und Sprachlehr-/Spracherwerbsforschung

0415
2019
978-3-8233-9219-4
978-3-8233-8219-5
Gunter Narr Verlag 
Jörg Roche

Wissenschaftliches Denken, Lernen und Arbeiten erfordern in einer stark differenzierten und technologisierten Studien- und Forschungslandschaft vielfältige Grundkompetenzen in der Organisation und im Management von Wissen, in einer Vielzahl von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden, in Datenmanagement und Datenanalyse, in Statistik, in den Lern- und Arbeitsmedien und in der Kommunikation von Ergebnissen. Dieser Band liefert dazu eine grundlegende Einführung in gut verständlicher Sprache und mit Beispielen aus der aktuellen Erforschung des Spracherwerbs und der Sprachvermittlung.

<?page no="0"?> Wissenscha tiches Denken, Lernen, Arbeiten und Publizieren erfordern in einer stark differenzierten und technologisierten Studien- und Forschungslandschaft vielfältige Grundkompetenzen in der Organisation und im Management von Wissen, in einer Vielzahl von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden, in Datenmanagement und Datenanalyse, in Statistik, in den Lern- und Arbeitsmedien und in der Kommunikation von Ergebnissen. Dieser Band liefert dazu eine grundlegende Einführung in gut verständlicher Sprache und mit Beispielen aus der Erforschung des Erwerbs und der Vermittlung von Sprachen. 3 3 DaF/ DaZ 3 Kompendium DaF/ DaZ ISBN 978-3-8233-8219-5 Roche (Hg.) Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten Jörg Roche (Hg.) Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten Kompendium DaF/ DaZ 18219_Roche_Umschlag.indd 1,3 20.03.2019 10: 55: 09 <?page no="1"?> Kompendium DaF / DaZ Herausgegeben von Jörg Roche (München) Band 3 <?page no="2"?> Jörg Roche (Hg.) Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten Schwerpunkt DaF / DaZ und Sprachlehr-/ Spracherwerbsforschung <?page no="3"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen CPI books GmbH, Leck ISSN 2512-8043 ISBN 978-3-8233-8219-5 <?page no="4"?> 5 Inhalt Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Weiterbildung in DaF / DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Grundlagen, Aufbau und Ziele des Kompendiums DaF / DaZ (Jörg Roche) . . . 10 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen (Jörg Roche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3 Forschung für die Lehr- und Lernpraxis (Nicole Marx) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Allgemeines Wissensmanagement (Jasmin Bastian & Lena Groß) . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1 Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2 Wissensmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Akademisches Wissensmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.1 Wissen effizient erwerben (Günther Koch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.2 Information effizient sichern (Günther Koch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten (Christian Gill) . . . . . . . . . . 102 4. Akademisches Schreiben und Referieren (Daniela Sorrentino) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.1 Wissenschaftliches Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.2 Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache Deutsch . . . . . . . . . . . . . . 130 4.3 Wissenschaftliches Referieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5. Wissenschaftliches Präsentieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 5.1 Präsentationen vorbereiten (Günther Koch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5.2 Präsentationen durchführen (Günther Koch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten (Norbert Franck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 6. Datenanalyse in der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 .1 Methoden der Sprachlehrforschung (Ruth Albert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 .2 Daten, Variablen und Skalen (Ruth Albert & Nicole Marx) . . . . . . . . . . . . . . . . 201 .3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung (Ruth Albert & Nicole Marx) . . . . . . . 236 7. Instrumente der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 7.1 Empirie in der Lehrmethodik (Katsiaryna EL -Bouz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation (Caterina Mempel & Grit Mehlhorn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache (Patricia Boos) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 <?page no="5"?> 6 Inhalt 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung . . . . . . . 311 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest (Elisabetta Terrasi-Haufe, Martina Hoffmann, Daniela Huber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern (Jörg Roche, Stephanie Haberzettl, Giulio Pagonis, Moiken Jessen, Nicole Weidinger, unter Mitarbeit von Heike Behrens, Marcus Hasselhorn, Dirk Ifenthaler, Natalia Kapica, Gabriele Kecker, Wolfgang Klein, Karin Madlener, Maike Schug, Katrin Skoruppa, Elisabetta Terrasi-Haufe, Frank Thissen, Nicole Vogl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung (Jörg Roche, Stephanie Haberzettl, Giulio Pagonis, Moiken Jessen, Nicole Weidinger, unter Mitarbeit von Heike Behrens, Marcus Hasselhorn, Dirk Ifenthaler, Natalia Kapica, Gabriele Kecker, Wolfgang Klein, Karin Madlener, Maike Schug, Katrin Skoruppa, Elisabetta Terrasi-Haufe, Frank Thissen, Nicole Vogl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 9. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 10. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 11. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 <?page no="6"?> 7 Vorwort Trotz vieler neuerer Bemühungen um Kompetenz-, Aufgaben- und Handlungsorientierung kommen in der Praxis der Sprachvermittlung weiterhin verbreitet traditionelle Verfahren zur Anwendung, beispielsweise bei der Festlegung der Lehrprogression, den Niveaustufen, der Fehlerkorrektur und der Leistungsmessung. Mit der Weiterentwicklung der kognitiven Linguistik und weiterer kognitiv ausgerichteter Nachbardisziplinen beginnt sich nun aber auch in der Sprachvermittlung in vieler Hinsicht ein Paradigmenwechsel zu vollziehen. Die kognitionslinguistischen Grundlagen dieses Paradigmenwechsels werden in dieser Reihe systematisiert und anhand zahlreicher Materialien und weiterführender Aufgaben für den Transfer in die Praxis aufbereitet. Die Reihe Kompendium DaF / DaZ verfolgt das Ziel einer Vertiefung, Aktualisierung und Professionalisierung der Fremdsprachenlehrerausbildung. Der Fokus der Reihe liegt daher auf der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und Sprachlernforschung sowie auf deren Anwendung auf die Sprach- und Kulturvermittlungspraxis. Die weiteren Bände behandeln unter anderem die Themen Sprachenlernen und Kognition, Kognitive Linguistik, Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen, Unterrichtsmanagement, Medienwissenschaften und Mediendidaktik, Kulturwissenschaften, Mehrsprachigkeitsforschung. Durch die thematisch klar abgegrenzten Einzelbände bietet die Reihe ein umfangreiches, strukturiertes Angebot an Inhalten der aktuellen DaF / DaZ-Ausbildung, die über die Reichweite eines Handbuchs weit hinausgehen und daher sowohl in der akademischen Lehre als auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen behandelt werden können. Die Reihe wird von (fakultativen) flexibel einsetzbaren Online-Modulen für eine moderne Aus- und Weiterbildung begleitet. Diese Online-Module ergänzen den Stoff der Bücher und enthalten Zusatzlektüre und Zusatzaufgaben (www.multilingua-akademie.de). Das Digitale Lexikon Fremdsprachendidaktik (www.lexikon-mla.de) bietet darüber hinaus Erklärungen der wichtigsten Fachbegriffe und damit einen leichten Zugang zu allen aktuellen Themen der Fremdsprachendidaktik sowie der Sprachlehr- und -lernforschung und ihrer Bezugsdisziplinen. Möglich gemacht wurde die Entwicklung der Inhalte und der Online-Module durch die Förderung des EU Tempus-Projektes Consortium for Modern Language Teacher Education. Neben den hier verzeichneten Autorinnen und Autoren haben eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der editorischen Fertigstellung des Manuskriptes dieses Buches mitgewirkt, vor allem: Katsiaryna EL -Bouz, Tamara Schabka, Christina Bacher, Ruth Ho´aba und Kathrin Heyng (Gunter Narr Verlag). Ihnen allen gebührt großer Dank für die geduldige und professionelle Mitarbeit. Die Verlage Narr und Schöningh haben aus unterschiedlichen Publikationen zu propädeutischen Themen die Grundlagen für einzelne Lerneinheiten zur Verfügung gestellt. Dafür sei ihnen und den Autorinnen und Autoren gedankt. <?page no="8"?> 9 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Bei der Fülle an Wissen, das von jedem von uns in Alltag, Ausbildung, Studium und Gesellschaft verlangt wird, bei der Fülle an Informationen, die auf uns täglich einströmen, bedarf es besonders effizienter Verfahren des Wissens- und Informationsmanagements. Verlangt werden eine kritische Kompetenz zum Aussortieren und Bewerten dessen, was wirklich wichtig ist, und verschiedene Strategien und Techniken zum Managen des Wissens, zum Klassifizieren, zum Sortieren, zum Speichern oder Ablegen. In der Wissenschaft sind diese Anforderungen naturgemäß noch strikter ausgeprägt, denn hier geht es schließlich auch darum, die vielen Wissensquellen kritisch-- auch in Bezug auf die Methoden ihrer Gewinnung-- zu prüfen und zu belegen. Es bedarf also besonderer Verfahren und Instrumente des Wissensmanagements. Dieser Band beschäftigt sich mit folgenden Fragen: Was ist Wissen eigentlich, wie lassen sich die großen, unterschiedlichen Wissensbestände gut organisieren und welche Instrumente stehen dafür zur Verfügung? (Kapitel 2) Wie lässt sich Lernen optimieren und wie lassen sich für wissenschaftliches Arbeiten Quellen aus der Forschungsliteratur effizient nutzen? (Kapitel 3) Kapitel 4 und 5 behandeln weitere essentielle Aspekte der Wissenschaft: die Kommunikation ihrer Ergebnisse. Denn Wissenschaft kann ohne Sprache gar nicht existieren: durch Sprache werden Grundlagen und Methoden vermittelt, Forschungsdesigns erstellt, Ergebnisse klassifiziert und diskutiert, neue Forschungsergebnisse präsentiert und publiziert. Dabei sind Publikationen, also sprachliche Produkte, die eigentliche Währung der Wissenschaft. Die Anzahl und Qualität der Publikationen entscheiden über Karrieren, Drittmittel, Netzwerke und alles, was sonst noch wichtig ist im akademischen Betrieb. Kapitel 4 widmet sich daher dem wissenschaftlichen Schreiben, Kapitel 5 dem wissenschaftlichen Präsentieren, Kapitel  behandelt die Methoden des empirischen Arbeitens und beleuchtet die handwerklichen Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens stärker: die Generierung beziehungsweise Elizitierung von Daten, die Datenaufbereitung und die Datenanalyse. Es geht hier um die Frage, wie belastbar und wie aussagekräftig empirische Daten sein können und müssen. Wie entsteht theoretisches Wissen und welche Rolle spielt es bei der Generierung neuen Wissens durch die Forschung? Wie verhalten sich Theorie und Empirie? Das Wechselspiel von Theorie und Empirie wird in Kapitel 7 vor allem an Fragestellungen aus der Sprachlehr- und -erwerbsforschung und der Linguistik aufgezeigt. Zudem werden die wichtigsten Methoden der Forschung in diesen Bereichen vorgestellt und an Hand von konkreten Projekten illustriert. Abschließend präsentiert Kapitel 8 Fragestellungen aus der Spracherwerbs- und -lehrforschung anhand von 3 Forschungsprojekten, ihren Methoden und ihren Ergebnissen. Das Kapitel behandelt Themen aus der Sprachvermittlung (das zentrale Konzept der Handlungsorientierung) und der Leistungsmessung (Sprachstandsmessung bei Kindern mit Hilfe von medialen Serious Games-Umgebungen; Sprachtests für Mediziner). Eingeleitet wird dieser Band mit einem Kapitel zu den Inhalten der Reihe Kompendium DaF / DaZ und zum didaktischen Mehrwert von Online-Lernplattformen. Die Bücher der Kompendium-Reihe sowie die dazugehörige Moodle-Plattform (online unter https: / / multilingua-akademie.de) können als Lerngrundlage für einen kompletten Kurs oder für einzelne <?page no="9"?> 10 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Fort- und Weiterbildungskomponenten genutzt werden. Damit stellt dieses einführende Kapitel ein zunehmend an Bedeutung gewinnendes digitales Instrument des Wissenserwerbs und des Wissens- und Lehrmanagements vor, passt sich also auch in die fachliche Thematik dieses Bandes ein. 1.1 Grundlagen, Aufbau und Ziele des Kompendiums DaF / DaZ Jörg Roche Einführung, Lernziele In dieser Lerneinheit erfahren Sie, warum es heute so wichtig ist, sich professionell fort- und weiterbilden, oder gar ausbilden zu lassen, in den Bereichen Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache und der Fremdsprachendidaktik allgemein. Zunächst wird dabei die Rolle des Kompendiums DaF / DaZ und der begleitenden Online-Module erklärt. Im Anschluss daran werden wichtige Erfordernisse der interkulturellen Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung erörtert und die Grundlagen interkulturell ausgerichteter Sprachdidaktiken dargestellt. Da sich diese selbst in einem Entwicklungsprozess hin zu einer transkulturellen Ausrichtung befinden, werden sie in dieser Lerneinheit auch in der historischen Entwicklung der Fremdsprachendidaktik situiert. Schließlich wird skizziert, warum im Erwerb und im Lehren von Fremdsprachen künftig stärker als bisher die kognitiven Voraussetzungen und Prozesses des Lernens Berücksichtigung finden müssen, wenn die Optimierung des Sprachenlernens und -lehrens tatsächlich ein ernsthaftes Anliegen ist. Damit werden die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften und weitere kognitiv ausgerichtete Bezugsdisziplinen zur Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik. Ihre Bedeutung für den Spracherwerb und den Sprachunterricht soll in dieser Reihe ausführlich und anschaulich dargestellt werden. In dieser Lerneinheit möchten wir Ihnen einen Überblick über die Ausrichtung der Reihe geben und wichtige Grundlagen der Fremdsprachendidaktik skizzieren. 1.1.1 Die Reihe Kompendium DaF / DaZ Der Bedarf an solider Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Sprachvermittlung nimmt ständig zu. Immer stärker treten dabei spezialisierte Anforderungen zum Beispiel in Bezug auf Fach- und Berufssprachen, Kompetenzen oder Zielgruppen in den Vordergrund. Theoretisch fundiert sollten die entsprechenden Angebote sein, aber gleichzeitig praxistauglich und praxiserprobt. Genau diese Ziele verfolgen die Buchreihe Kompendium DaF / DaZ und die begleitenden Online-Module. In mehreren Modulen und Bänden soll hiermit eine umfassende Einführung in die Wissenschaft und in die Kunst des Sprachenlernens und Sprachenlehrens gegeben werden, weit weg von fernen Theorie- oder Praxiskonstruktionen und Lehr-Dogmen. Im Mittelpunkt des hier verfolgten Ansatzes steht das, was in den Köpfen <?page no="10"?> 11 1.1 Grundlagen, Aufbau und Ziele des Kompendiums DaF / DaZ der Lerner geschieht oder geschehen sollte. Sachlich, nüchtern, effizient und nachhaltig. Buchreihe und Online-Module sind eine Einladung zur Professionalität eines Bereichs, der die natürlichste Sache der Welt behandelt: den Sprachenerwerb. In diesen Materialien und Kursen werden daher Forschungsergebnisse aus verschiedenen Forschungsrichtungen zusammengetragen und der Nutzen ihrer Synthese für die Optimierung des Sprachenerwerbs und Sprachunterrichts aufgezeigt. 1.1.2 Aus-, Weiter- und Fortbildung Wer sich etwas eingehender darum bemüht zu verstehen, welche Rolle die Sprache im weiten Feld des Kontaktes von Kulturen spielt-- oder spielen könnte--, muss von den Gegensätzen, Widersprüchen und Pauschalisierungen, die die Diskussion in Gesellschaft, Politik und Fach bestimmen, vollkommen irritiert sein. Vielleicht lässt sich aus dieser Irritation auch erklären, warum dieser Bereich von so vielen resistenten Mythen, Dogmen und Praktiken dominiert wird, dass das eigentlich notwendige Bemühen um theoretisch fundierte Innovationen kaum zur Geltung kommt. Mangelndes Sprach- und Sprachenbewusstsein besonders in Öffentlichkeit und Politik führen ihrerseits zu einem ganzen Spektrum gegensätzlicher Positionen, die sich schließlich auch bis in die lehrpraktische Ebene massiv auswirken. Dieses Spektrum ist gekennzeichnet durch eine Verkennung der Bedeutung von Sprache im Umgang der Kulturen auf der einen und durch reduktionistische Rezepte für ihre Vermittlung auf der anderen Seite: Die Vorstellung etwa, die Wissenschaften, die Wirtschaft oder der Alltag kämen mit einer Universalsprache wie dem Englischen aus, verkennt die- - übrigens auch empirisch über jeden Zweifel erhabenen- - Realitäten genauso wie die Annahme, durch strukturbasierten Sprachunterricht ließen sich kulturpragmatische Kompetenzen (wie sie etwa für die Integration in eine fremde Gesellschaft nötig wären) einfach vermitteln. Als ineffizient haben sich inzwischen auch solche Verfahren erwiesen, die Mehrsprachigkeit als Sonderfall-- und nicht als Regelfall-- betrachten und daher Methoden empfehlen, die den Spracherwerb vom restlichen Wissen und Leben zu trennen versuchen, also abstrakt und formbasiert zu vermitteln. Der schulische Fremdsprachenunterricht und der Förderunterricht überall auf der Welt tendieren (trotz rühmlicher unterrichtspraktischer, didaktischer, struktureller, konzeptueller und bildungspolitischer Ausnahmen und Initiativen) nach wie vor stark zu einer solchen Absonderung: Weder werden bisher die natürliche Mehrsprachigkeit des Menschen, die Sprachenökologie, Sprachenorganik und Sprachendynamik noch die Handlungs- und Aufgabenorientierung des Lernens systematisch im Fremdsprachenunterricht genutzt. Stattdessen wird Fremdsprachenunterricht in vielen Gesellschaften auf eine (internationale) Fremdsprache reduziert, zeitlich stark limitiert und nach unterschiedlich kompetenten Standards kanalisiert. <?page no="11"?> 12 1. Weiterbildung in DaF / DaZ 1.1.3 Interkulturelle Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung In unserer zunehmend globalisierten Welt gehört die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen zu einem der wichtigsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgabenbereiche. Die Globalisierung findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: lokal innerhalb multikultureller oder multikulturell werdender Gesellschaften, regional in multinationalen Institutionen und international in transkontinentalen Verbünden, Weltorganisationen (unter anderem für Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Sport, Banken) und im Cyberspace. Dabei sind all diese Globalisierungsbestrebungen gleichzeitig Teil einer wachsenden Paradoxie. Der Notwendigkeit, die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme wegen der globalen Vernetzung der Ursachen auch global zu lösen, stehen andererseits geradezu reaktionäre Bestrebungen entgegen, der Gefahr des Verlustes der »kulturellen Identität« vorzubauen. Einerseits verlangt oder erzwingt also eine Reduktion wirklicher und relativer Entfernungen und ein Überschreiten von Grenzen ein Zusammenleben und Kommunizieren von Menschen verschiedener Herkunft in bisher nicht gekannter Intensität, andererseits stehen dem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft die gleichen Widerstände entgegen, die mit der Schaffung solcher Gesellschaften als überkommen geglaubt galten. Erzwungene, oft mit großer militärischer Anstrengung zusammengehaltene multikulturelle Gesellschaften haben ohne Druck keinen Bestand und neigen als Folge des Drucks vielmehr dazu, verschärfte kulturelle Spannungen zu generieren. Auch demokratisch geschaffene multikulturelle Gesellschaften benötigen meist viel Zeit und Energie, um sich aus der Phase der multi-kulturellen Duldung zu inter-kultureller Toleranz und interkulturellem Miteinander zu entwickeln. Die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und USA und die ethnischen Auseinandersetzungen in Afrika und Asien zeigen, dass es zuweilen gewaltig unter der Oberfläche gesellschaftlicher Toleranz- und Internationalisierungspostulate rumort. Ethnozentrismus, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, Rechtspopulismus, Rassismus, Diskriminierung, Terrorismus, Bürgerkrieg, Massen- und Völkermord sind durch politisch und wirtschaftlich bewirkten Multikulturalismus nicht verschwunden. Das verbreitete Scheitern von Multikulturalismus-Modellen zeigt, dass ein verordnetes oder aufgezwungenes Nebeneinander von Kulturen ohne Mediationsbemühungen eher Spannungen verstärkt, als nachhaltig Toleranz zu bewirken. Es mangelt an effizienten Verfahren der Vermittlung (Mediation) zwischen Kulturen. Den Sprachen kommt in dem Prozess der Mediation deswegen eine besondere Rolle zu, weil er mit der Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anfängt und auch nur durch diese am Laufen gehalten wird. Die Sprache kann nicht alle Probleme lösen, aber sie hat eine Schlüsselposition beim Zustandekommen interkulturellen Austauschs, die weit über die Beherrschung von Strukturen sprachlicher Systeme hinausgeht. Diese Funktion hat mehr mit Kulturvermittlung als mit strukturellen Eigenschaften sprachlicher Systeme zu tun und sie kann kaum durch eine einzige Lingua Franca erfüllt werden. Das Lernen und Lehren von Sprachen ist in Wirklichkeit eines der wichtigsten politischen Instrumente im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung. Sprachunterricht und Sprachenlernen werden aber von Lehrkräften und Lernern gleichermaßen oft noch als die Domäne des Grammatikerwerbs und nicht als Zugangsvermittler zu anderen Kulturen behandelt. Wenn kulturelle <?page no="12"?> 13 1.1 Grundlagen, Aufbau und Ziele des Kompendiums DaF / DaZ Aspekte im Fremdsprachenerwerb aber auf die Faktenvermittlung reduziert werden und ansonsten vor allem strukturelle Aspekte der Sprachen in den Vordergrund treten, bleiben wichtige Lern-und Kommunikationspotenziale ungenutzt. Dabei bleibt nicht nur der Bereich des landeskundlichen Wissens unterentwickelt, sondern es wird in erster Linie der Erwerb semantischer, pragmatischer und semiotischer Kompetenzen erheblich eingeschränkt, die für die interkulturelle Kommunikation essentiell sind. Wenn in der heutigen Zeit vordringlich interkulturelle Kompetenzen verlangt werden, dann müssen in Sprachunterricht und Spracherwerb im weiteren Sinne also bevorzugt kulturelle Aspekte der Sprachen und Kommunikation berücksichtigt werden. Dazu bedarf es aber einer größeren Bewusstheit für die kulturelle Bedingtheit von Sprachen und die sprachliche Bedingtheit von Kulturen. Diese müssen sich schließlich in kultursensitiven Lern- und Lehrverfahren manifestieren, die Mehrsprachigkeit nicht nur künstlich rekonstruieren und archivieren wollen, sondern die in Fülle vorhandenen natürlichen Ressourcen der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität organisch, dynamisch und effizient zu nutzen wissen. Das Augenmerk der künftigen Lern- und Lehrforschung ist daher verstärkt auf Aspekte der Ökologie und Ökonomie des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements zu richten. Das bedeutet aber, dass die Spracherwerbs- und die Mehrsprachigkeitsforschung sich nicht nur eklektisch wie bisher, sondern systematisch an kognitiven und kultursensitiven Aspekten des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements ausrichten müssen. Diesen Aufgabenbereich zu skizzieren, indem wichtige, dafür geleistete Vorarbeiten vorgestellt werden, ist Ziel dieser Reihe. 1.1.4 Interkultureller Fremdsprachenunterricht Als die Forschung begann, sich mit interkulturellen Aspekten in Spracherwerb und Sprachunterricht zu beschäftigen, geschah dies auf der Grundlage bildungspolitischer Zielsetzungen und hermeneutischer Überlegungen. Literarische Gattungen sollten den kommunikativen Trend zur Alltagssprache ausgleichen helfen und damit gleichzeitig frische, auf rezeptionsästhetischen Theorien basierende Impulse für das Fremdverstehen und die Fremdsprachendidaktik liefern (vergleiche Hunfeld 1997; Wierlacher 1987; Krusche & Krechel 1984; Weinrich 1971). Die anfängliche Affinität zu lyrischen Texten weitete sich auf andere Gattungen aus und verjüngte mit dieser Wiederentdeckung der Literatur im Fremdsprachenunterricht gleichzeitig das in den 1980er Jahren bereits zum Establishment gerinnende kommunikative Didaktikparadigma. Man vergleiche die Forderung nach einem expliziten interkulturellen Ansatz von Wylie, Bégué & Bégué (1970) und die bereits frühe Formulierung der konfrontativen Semantik durch Müller-Jacquier (1981). Für die auf Zyklen sozialisierte Zunft der Sprachlehre stand fest: das ist eine neue, die vierte Generation der Fremdsprachendidaktik, die interkulturelle, oder zumindest die Version 3.5, die kommunikativ-interkulturelle. Allerdings hat diese Euphorie nicht überall zu einer intensiveren, systematischen Reflexion interkultureller Aspekte in Bezug auf ein besseres Verstehen des Sprachenlernens und eine effizientere Ausrichtung des Sprachenlehrens geführt. Selbst in der Lehrwerksproduktion, deren Halbwertzeitzyklen seitdem immer kürzer werden, ist die Anfangseuphorie vergleichsweise schnell verflogen. Infolge des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen ( GER )-- und <?page no="13"?> 14 1. Weiterbildung in DaF / DaZ bereits seines Vorgängers, des Schwellen-Projektes (threshold level project) des Europarates-- scheinen sich aufgrund der (oft falsch verstandenen) Standardisierungen die starken Vereinheitlichungstendenzen zu einer Didaktik der Generation 3 oder gar 2.5 zurück zu verdichten. Die Aufnahme der Fremdperspektive in Lehrwerken beschränkte und beschränkt sich oft auf oberflächlich vergleichende Beschreibungen fremder kultureller Artefakte, und die Behandlung der Landeskunde unterliegt nach wie vor dem Stigma der vermeintlich mangelnden Unterrichtszeit. 1.1.5 Kleiner Rückblick auf die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts Der Fremdsprachenunterricht ist traditionellerweise vor allem von den bildungspolitischen, pädagogischen, psychologischen und soziologischen Vorstellungen der entsprechenden Epoche und ihren gesellschaftlichen Trends beeinflusst worden. Diese Aspekte überschreiben im Endeffekt auch alle sporadischen Versuche, den Fremdsprachenunterricht an sprachwissenschaftlichen oder erwerbslinguistischen Erkenntnissen auszurichten. So verdankt die Grammatik-Übersetzungsmethode ihre Langlebigkeit den verbreiteten, aber empirisch nicht begründeten Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Lerners, der Autorität des Inputs und der Bedeutung elitärer Bildungsziele. Mit den audio-lingualen und audio-visuellen Methoden setzt eine Ent-Elitarisierung und Veralltäglichung des Sprachenlernens ein. Die vorwiegend mit Alltagssprache operierenden Methoden sind direkte, wenn auch reduzierte Abbildungen behavioristischer Lernmodelle und militärischer Bedürfnisse ihrer Zeit. Der kommunikative Ansatz schließlich ist von den Demokratisierungsbestrebungen der Gesellschaften bestimmt. Sein wichtigstes Lernziel, die kommunikative Kompetenz, ist dem soziologischen Ansatz der Frankfurter Schule entlehnt (Habermas 1981). Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen stellt zwar keinen neuen didaktischen Ansatz dar, bildet aber über seine Ausrichtung auf den pragmatischen und utilitaristischen Bedarf eines zusammenwachsenden und mobilen europäischen Arbeitsmarktes den Zeitgeist des politisch und wirtschaftlich gewollten Einigungsprozesses in Europa ab und wirkt daher paradigmenbildend und auf den Unterricht stärker standardsetzend als alle didaktischen Ansätze zuvor. Er weist deutliche Parallelen zu den Proficiency-Guidelines des American Council of Teachers of Foreign Languages ( ACTFL ) auf, die ihrerseits-- wie bereits die audiolinguale Methode-- stark von den Bedürfnissen der Sprachschulen des US -Militärs beeinflusst wurden. Eine erwerbslinguistische oder stringente sprachwissenschaftliche Basis weist er nicht auf. Typisch für die zeitlichen Strömungen sind konsequenterweise auch all die Methoden, die in der Beliebigkeit des Mainstreams keine oder nur geringe Berücksichtigung finden können. Diese alternativen Methoden oder Randmethoden wie die Suggestopädie, Total Physical Response, Silent Way oder Community (Language Learning) Approach reflektieren die Suche des Sprachunterrichts nach zeitgemäßen Verfahren, die vor allem die vernachlässigte Innerlichkeit der Gesellschaft ansprechen oder die Kritik an ihrem Fortschrittsglauben ausdrücken sollen. Die gefühlte Wahrheit der Methoden bei gleichzeitigem Mangel an wissenschaftlich-kritischer Überprüfung der Annahmen ergibt ein inkohärentes Bild der Fremdsprachendidaktik und -methodik, das zwangsläufig zu vielen Widersprüchen, <?page no="14"?> 15 1.1 Grundlagen, Aufbau und Ziele des Kompendiums DaF / DaZ Rückschritten und Frustrationen führen muss. Die rasante Abkehr von der Sprachlerntechnologie der 0er und 70er Jahre, das Austrocknen der alternativen Methoden, die Rückentwicklung der kommunikativen Didaktik oder die neo-behavioristischen Erscheinungen der kommerziellen Sprachsoftware gehören zu den Symptomen dieses Dilemmas. Die anhaltende unreflektierte Verbreitung eklektischer Übungsformen der Grammatik-Übersetzungsmethode oder des Pattern Drills in Unterricht und Lehrmaterial illustriert, wie wenig nachhaltig offenbar die Bemühungen um eine theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte kommunikative Didaktik waren. Mit dem Auftauchen der interkulturellen Sprachdidaktik und der „vierten Generation von Lehrwerken“ (Neuner & Hunfeld 1993) schien sich eine Veränderung gegenüber den Referenzdisziplinen anzubahnen. Zunehmende Migration und Globalisierungstendenzen machten eine entsprechende Öffnung nötig. Aber auch diese anfänglichen Bestrebungen haben sich in der Breite des Lehrmaterials und des Sprachunterrichts genauso wenig durchgesetzt wie wissenschaftlich fundierte Modelle von Grammatik und Sprache. Stattdessen beschäftigt sich die Unterrichtsmethodik geradezu aktionistisch mit temporären Neuerungen (wie den neuen Medien, dem Referenzrahmen, der farbigen Darstellung grammatischer Phänomene) oder Wiedererfindungen bekannter Aspekte (wie dem Inhaltsbezug oder der Diskussion der Bedeutung mündlicher Texte), ohne sich ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Didaktik zu beschäftigen. Ein kurzer Rückblick auf die Vorschläge von Comenius zum inhaltsbezogenen Lernen aus dem 17. Jahrhundert etwa oder der Sprachreformer früherer Jahrhunderte sowie die Modelle aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts würde der neueren Diskussion des Content and Language Integrated Learning ( CLIL ) eine erhellende Perspektive bieten. Comenius hält unter Bezug auf einen christlichen Gelehrten bereits 123 fest: Die Kenntnis einer Sprache mache noch keinen Weisen, sie diene lediglich dazu, uns mit den anderen Bewohnern der Erdoberflache, lebenden und toten, zu verstandigen; und darum sei auch derjenige, welcher viele Sprachen spreche, noch kein Gelehrter, wenn er nicht zugleich auch andere nutzliche Dinge erlernt habe. (Comenius 1970: 29) Dabei verbindet Comenius bereits die Prozesse des Spracherwerbs und der allgemeinen Maturation (der Vision und des Intellekts des Kindes) und nimmt damit Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung sowie die in der Spracherwerbsforschung etablierten, kognitive Entwicklungsphasen repräsentierenden Konzepte der Erwerbssequenzen vorweg. Darüber hinaus produzierte er bereits ein Lehrbuch (orbis sensualium pictus), in dem er systematisch die Verwendung visueller Materialien beim Sprachenlernen und -lehren bedachte (Comenius 1981). Auch die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der industriellen und sozialen Umwälzungen entstandene, bildungspolitisch und methodisch motivierte Reformbewegung des Fremdsprachenunterrichts bildet zwar eine didaktische Brücke zwischen den Arbeiten von Comenius und den Elementen des inhaltsbezogenen und handlungsorientierten Lernens moderner didaktischer Ansätze, verfolgt jedoch keine wissenschaftlichen Ziele. Ihr geht es vielmehr darum: Fremdsprachen jedem zugänglich zu machen, anstatt sie einer exklusiven Elite vorzubehalten, den Fremdsprachenunterricht weit über den Unterricht klassischer Literatur hinaus zu erweitern, indem Inhalte des Alltags- und Berufslebens sowie schulischer <?page no="15"?> 16 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Fächer in den Fremdsprachenunterricht aufgenommen werden sollten, zum Beispiel in verschiedenen Verfahren des immersiven Lernens. Mitbegründer oder Anhänger dieser Bewegung wie Jesperson (1922), Passy (1899), Sweet (1899), Gouin (1892), Berlitz (1887), Viëtor (1882) prägten die Reformbewegung mit unterschiedlichen auf die Praxis ausgerichteten Ideen, Modellen und Unterrichtsverfahren. In seiner einflussreichen Einführung benennt Stern (1983) diese Phase wie folgt: The last decades of the nineteenth century witnessed a determined effort in many countries of the Western world (a) to bring modern foreign languages into the school and university curriculum on their own terms, (b) to emancipate modern languages more and more from the comparison with the classics, and (c) to reform the methods of language teaching in a decisive way. (Stern 1983: 98) Verschiedene Methoden sind in den 20er Jahren (bis in die 40er Jahre) des 20. Jahrhunderts als „praktische Antworten“ auf die vorangehende Diskussion entwickelt worden: darunter die vermittelnde Methode (England), die Lesemethode (England) und BASIC English (British/ American / Scientific / International / Commercial), ein Versuch, das Sprachenlernen zu vereinfachen und zu rationalisieren. Mit diesen Methoden beginnen die ersten Ansätze, das Unterrichtsgeschehen, die sprachliche Basis, das Testen von Fertigkeiten und das Lern- und Lehrverhalten mittels verschiedener Pilotstudien systematisch zu untersuchen (unter anderem die Modern Foreign Language Study der American and Canadian Committees on Modern Languages 1924-1928, siehe Bagster-Collins, Werner & Woody 1930). Dieser Trend wurde in den 40er und 50er Jahren mit der Profilierung der Linguistik noch intensiviert. Hierzu gehören Schlüsselereignisse wie die Veröffentlichung von Psycholinguistics: A Survey of Theory and Research Problems, herausgegeben von Osgood, Sebeok, Gardner, Carroll, Newmark, Ervin, Saporta, Greenberg, Walker, Jenkins, Wilson & Lounsbury (1954), Verbal Behavior von Skinner (1957) und Lados erste systematische Erfassung der kontrastiven Linguistik Linguistics across Cultures: Applied Linguistics for Language Teachers (1957). The American Army Method, deren Errungenschaften später heiß umstritten waren, versuchte nachzuweisen, dass Sprachunterricht auch ohne die traditionellen schulartigen Methoden und mit wesentlich größeren Gruppen und in kürzerer Zeit effizient durchgeführt werden kann. Als Folge der behavioristischen Ideologie wurden besonders in den USA die audiolingualen und in Frankreich die audiovisuellen Lehrverfahren entwickelt, die lange Zeit den Sprachunterricht dominierten und unter anderem auch dem Vormarsch der Sprachlabortechnologie Vorschub leisteten und-- trotz gegenteiliger empirischer Evidenz-- bis heute dem konditionierenden Einsatz elektronischer Medien zugrunde liegen (zum Beispiel in Programmen wie Rosetta Stone oder Tell me more). Die stetige Zunahme von linguistischen Studien und die Begründung der Psycholinguistik als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet leisteten später einen wesentlichen Beitrag zur Identifizierung der aus den Methoden der behavioristischen Verhaltensformung entstehenden Probleme des Spracherwerbs (zum Beispiel Rivers einflussreiches Buch The Psychologist and the Foreign Language Teacher 194). Als Folge der zunehmenden Kritik an den intuitiven Methoden gewann schließlich das kognitive Lernen-- bis heute weitgehend als das regelgeleitete, systematische Lernen missverstanden-- in der Diskussion um angemessene Ansätze <?page no="16"?> 17 1.1 Grundlagen, Aufbau und Ziele des Kompendiums DaF / DaZ an Gewicht. Chomskys nativistische Theorie auf der einen Seite und soziolinguistische und pragmalinguistische Strömungen auf der anderen haben im Anschluss daran vor allem die Erwerbsforschung und die Entwicklung neuer methodischer Verfahren geprägt. Chomskys Ausgangshypothese zufolge haben Kinder eine angeborene Fähigkeit der Sprachbildung (in der Muttersprache, L1). Wenn Kinder zum ersten Mal die Sprache hören, setzten allgemeine Prinzipien der Spracherkennung und Sprachproduktion ein, die zusammen das ergäben, was Chomsky den Language Acquisition Device ( LAD ) nennt. Der LAD steuere die Wahrnehmung der gehörten Sprache und stelle sicher, dass das Kind die entsprechenden Regeln ableite, die die Grammatik der gehörten Sprache bildeten. Dabei bestimmten Verallgemeinerungen, wie die Sätze in der entsprechenden Sprache zu bilden seien. Im Zweitsprachenerwerb werde die Reichweite des LAD einfach auf die neue Sprache ausgedehnt. Nativistische Theorien des Spracherwerbs haben jedoch wenig Einfluss auf die Entwicklung von Erwerbs- und Unterrichtskonzepten für Fremdsprachen gehabt. Den stärksten Einfluss haben sie in der Erforschung und Formulierung von Erwerbssequenzen ausgeübt. In deutlichem Kontrast dazu haben sich seit den 1970er Jahren parallel verschiedene Forschungsrichtungen ausgebildet, die sich an die Valenzgrammatik, die Pragmalinguistik (Sprechakttheorie, Diskursanalyse), die funktionale Linguistik, die Textlinguistik und die Psycholinguistik und andere Kognitionswissenschaften anlehnen. Mit wenigen Ausnahmen ist es aber auch dieser Forschung nicht gelungen, nachhaltig auf die Lehr- und Lernpraxis einzuwirken. Unter den Versuchen einer systematischen Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Entwicklung von Lehrmaterial und Lehrverfahren sind die folgenden zu nennen: ▶ ein kurzlebiger Versuch, die Valenzgrammatik als Grundlage einer didaktischen Grammatik einzuführen (zum Beispiel das DaF-Lehrwerk Deutsch Aktiv) ▶ die eklektische Nutzung von Elementen der pragmatischen Erwerbsforschung in der Lehrwerksproduktion (siehe die DaF-Lehrwerke Tangram, Schritte international) ▶ die Berücksichtigung von Aspekten der Interkomprehensionsdidaktik in Lehransätzen ( EUROCOM ) ▶ die Gestaltung des Sprachunterrichts nach handlungstheoretischen und konstruktivistischen Prinzipien (Szenariendidaktik, fallbasiertes Lernen, Fachsprachenunterricht). Fremdsprachenunterricht wird verbreitet noch als Domäne des Einzelerwerbs betrachtet. Die systematische Nutzung von Kenntnissen der Vorsprachen beim Erwerb weiterer Sprachen wird bisher nur ansatzweise bedacht und bearbeitet. In Begriffen wie Mehrsprachigkeitsdidaktik, Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will. 1.1.6 Zur kognitiven Ausrichtung Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert-- und darum geht es in dieser Buchreihe-- sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum <?page no="17"?> 18 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale während der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt. Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung. <?page no="18"?> 19 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen Jörg Roche Diese Lerneinheit hat eine doppelte Funktion: zum einen gibt sie einen Schritt-für-Schritt-Überblick über den Aufbau der Bände und der Online-Module dieser Reihe, ihr kleinschrittiges Lehr- und Lernkonzept, die Texte, die Aufgaben, die Experimente, die weiterführende Literatur und das optionale Zusammenspiel von Buchreihe und Lernplattform. Dabei ist zu beachten, dass Bücher und Lernplattform im Sinne eines Blended-Learning-Formats entwickelt sind, bei dem die einzelnen Komponenten auch eigenständig genutzt werden können, aber auch Mehrwerte aus der Kombination von Lehrmaterial (Bücher) und Kurs (Online-Module) entstehen können. Zum zweiten dient die exemplarische Darstellung des konkreten Materials auch als allgemeine Einführung in die Komponenten und den Aufbau moderner Lernplattformen und didaktisierter Lehr- und Lernkonzepte in der Sprach- und Kulturvermittlung. Zu diesem Zweck werden über die verwendete Lernplattform hinaus auch grundlegende Eigenschaften von Lernplattformen, ihre Entwicklung und verschiedene digitale Instrumente für die Fort- und Weiterbildung und den Sprachunterricht vorgestellt. Abschließend wird das Digitale Lexikon Fremdsprachendidaktik präsentiert, das Sie als dynamisches Glossar und Lexikon zu den Büchern dieser Reihe und den Online-Modulen verwenden können. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ den Aufbau der Bände kennenlernen; ▶ wichtige Funktionen und Komponenten von Lernplattformen kennen und effizient nutzen lernen. 1.2.1 Inhalt und Interaktion Die Bände, wie auch deren Einbettung in diverse Weiterbildungsangebote, haben zum Ziel, einen fachlich hoch aktuellen Wissensstand in gut verständlicher Sprache und immer mit Bezug auf die Praxis, in der Regel Ihre eigene Unterrichtspraxis, zu vermitteln. Daher gehen wir immer von konkreten Fragen aus der Praxis aus, präsentieren theoretisch fundierte und empirisch erprobte Erkenntnisse und projizieren diese mit Ihrer Hilfe auf die veränderte Praxis Ihres Unterrichts. Dazu soll die theoretische Darstellung durch selbst ausgearbeitete Konzepte in der Praxis erprobt, evaluiert und reflektiert werden. Die Bände können einzeln oder als Gesamtpaket über einen längeren Zeitraum bearbeitet werden. Für Fort- und Weiterbildungszwecke lassen sich aber auch einzelne Kapitel bearbeiten. Der modulare Aufbau erlaubt eine entsprechende Aufteilung, ohne dadurch die Kohärenz der Materialien zu gefährden. Die Nummerierung der Bände ist dabei nicht chronologisch; sie stellen in sich abgeschlossene Einheiten dar und sind in beliebiger Reihenfolge frei einsetzbar. Ein Band besteht jeweils aus acht Kapiteln, ein Kapitel aus drei Lerneinheiten ( LE ). <?page no="19"?> 20 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Um die Orientierung für Sie zu erleichtern, folgen alle Bände, Kapitel und Lerneinheiten der gleichen Struktur. In jeder Lerneinheit finden Sie daher folgendes: ▶ Die Einleitung beinhaltet einen Fließtext, der den thematischen Aufbau des gesamten Kapitels umfasst und die thematische Relevanz des Inhalts knapp erklärt. Es folgt dann eine Einführung in die Lerneinheit, die die Ziele darstellt und die Inhalte im Rahmen des Gesamtmoduls kontextualisiert. ▶ Die Lernziele sind letzter Bestandteil der Einleitung. Hier erfahren Sie genau, was Sie in der Lerneinheit bearbeiten und lernen sollen. Abbildung 1.1: Lernziele Das Text- und Bildmaterial stellt den Hauptteil der Lerneinheit dar. Die Texte basieren auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und -lernforschung und ihren Referenzdisziplinen. Sie stehen im gesamten Programm im Mittelpunkt und bilden damit das Leitmedium. Dabei orientiert sich die fachlich-wissenschaftliche Ausrichtung, wie bereits ausgeführt, soweit das geht an kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen, stellt also die Köpfe der Lerner ins Zentrum. Wesentliches Element des Ansatzes ist auch, dass hier die Theorie ausgehend von konkreten Fragen aus der Unterrichtspraxis und möglichst handlungsorientiert dargestellt wird, also praktischen Nutzen hat und von Ihnen entsprechend reflektiert werden soll. Die Schlüsselbegriffe sind fett hervorgehoben und werden im Gesamtglossar Digitales Lexikon Fremdsprachendidaktik sowie im Fließtext erläutert. Wo es sinnvoll erscheint, werden auch englischsprachige Fachbegriffe genannt. Fachtermini und komplexe Sachverhalte werden im Text auf eine verständliche Weise erklärt und gegebenenfalls durch illustrierende Beispiele, Grafiken und kleine Experimente veranschaulicht. Beispiele beziehen sich meist auf die deutsche oder englische Sprache, in besonderen Fällen können Beispiele aus anderen Sprachen verwendet werden. Diese sind dann metasprachlich erklärt, in lateinischer Schrift transkribiert und werden zum besseren Verständnis übersetzt. Experimente dienen der Anwendung des zuvor erworbenen Wissens. Sie benötigen in der Regel 30-40 Minuten für die Durchführung. <?page no="20"?> 21 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen Abbildung 1.2: Experiment Mit der Zusammenfassung schließt der inhaltliche Teil einer Lerneinheit ab. Sie versammelt stichwortartig die wichtigsten Ergebnisse der Lerneinheit. Abbildung 1.3: Zusammenfassung Im Literaturverzeichnis finden Sie alle Angaben zu der in den Lerneinheiten zitierten Literatur. Weiterführende Literatur ist in verschiedenen Aufgaben vermerkt und in Exzerpten auf der Plattform (https: / / multilingua-akademie.de) vorhanden. Auf eine Liste mit weiterführender Literatur wird daher verzichtet. Dennoch ist die weiterführende Lektüre jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer wärmstens empfohlen, nicht zuletzt, wenn man seine eigenen Interessen und Spezialisierungen verfolgen will. <?page no="21"?> 22 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Zur Festigung und Wissenskontrolle finden sich am Ende der Lerneinheit noch ein paar einfache Reproduktionsaufgaben, mit denen Sie Ihren Wissensstand überprüfen können. Die Musterlösungen dazu finden Sie auf der Online-Plattform sowie unter www.meta.narr. de/ 9783823382195/ Loesungen.pdf Abbildung 1.4: Aufgaben zur Wissenskontrolle Auf der Lernplattform finden Sie außerdem Aufgaben zur Inputverarbeitung, die das Textverständnis unterstützen, und zwar in Form unterschiedlicher Typen wie Multiple Choice, Ankreuzen, Linien ziehen, Forumsaufgaben, Einsetzübungen und weiteren. Die Aufgaben sind so platziert, dass sie ein gut getaktetes, möglichst aktives und interaktives Bearbeiten des Materials vorsehen, ähnlich einer interaktiven Bearbeitung in einem Kurs. Jede Lerneinheit wird mit einer Transferaufgabe abgerundet, in der erworbenes Wissen auf neue, authentische Situationen und Handlungszusammenhänge angewendet werden soll. Außerdem gibt es auf der Lernplattform videobasierte Unterrichtsstunden, Foren und Gruppenarbeit. Auf diese Weise können Live-Seminare modelliert werden. Noch ein paar Worte zum Sprachgebrauch: Das grammatische Genus gibt nur bedingt den natürlichen Sexus wieder. Sie finden im Text eine unterschiedliche Handhabung des Genus, aber in jedem Falle sind immer beide Geschlechter intendiert. Sie finden die Ausformulierung beider Formen (zum Beispiel Schüler und Schülerinnen), generische Ausdrücke (Lehrkräfte) sowie abwechselnd die feminine oder maskuline Form. Eine Lerneinheit erfordert im Kursbetrieb circa 10 Stunden Bearbeitungszeit. Die Lesezeit für den Text der Lerneinheit inklusive der Einführung und Zusammenfassung umfasst circa 3,5 Stunden. Die Aufgaben auf der Plattform und Experimente ergeben dementsprechend zusammen circa ,5 Stunden. Auf diese Weise erbringt jedes Kapitel 1 ECTS , sofern alle Aufgaben erfüllt sind. Eine einzelne Lerneinheit erbringt 1 / 3 ECTS , ein ganzes Modul beziehungsweise ein ganzer Band hat einen Umfang vom 10 ECTS , wenn alle Aufgaben erfüllt sind. 1.2.2 Lernplattformen Lernen erfolgt heute in unterschiedlichen Formaten, zu unterschiedlichen Zwecken und in der Regel in wesentlich flexibleren Formen, als das früher der Fall war. Auch wenn die wissenschaftliche Erarbeitung des Lernstoffes sich in Bezug auf die Intensität und Gewissenhaftigkeit prinzipiell wenig geändert hat, außer vielleicht hinsichtlich der Methoden, so geschieht seine Präsentation heute doch meist in portionierbaren Schritten und mit einer größeren Berücksichtigung von Verständlichkeit und unmittelbarer Relevanz für Studentinnen und Studenten. Das gilt insbesondere für weiterbildende Angebote, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern oft neben Beruf, Familie und vielen Verpflichtungen zu bearbeiten sind. So <?page no="22"?> 23 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen verfahren auch diese Module, die die Online-Plattform Moodle nutzen (Zugang über https: / / multilingua-akademie.de) (siehe als Beispiel Abbildung 1.5). Das nötige Kursmaterial ist auf der Plattform und in den Begleitbüchern versammelt, es kann aber durch eine entsprechende tutorielle Betreuung und in einem Klassenverbund aktualisiert werden. Natürlich lässt sich das Material auch selbstständig bearbeiten, aber es zeigt sich immer wieder, welche Vorteile eine interaktive Bearbeitung von Kursmaterialien hat. Diese Bearbeitung kann zum Beispiel in unterschiedlich gewichteten Blended-Learning-Formaten erfolgen, also in der Kombination von Online- und Präsenzphasen. Allerdings lassen sich klassische Präsenzphasen mit Hilfe der Technologien einer Lernplattform auch online vermitteln. Damit werden unterschiedliche Lernformen möglich: exploratives Lernen, handlungsorientiertes und produktorientiertes Lernen, kollaboratives Lernen, individuelles und autonomes Lernen. So lässt sich das Lernen medial optimieren. Die folgende Darstellung hilft nicht nur bei der Nutzung der Plattform für die begleitenden Kurse, sondern gibt gleichzeitig eine grundlegende Einführung in die Einsetzbarkeit von Lernplattformen in der Aus- und Weiterbildung. Weil Lernplattformen so wichtig für das wissenschaftliche Arbeiten heute sind, werden sie im Folgenden detailliert vorgestellt. Abbildung 1.5: Startseite der Lernplattform (Multilingua Akademie 2018) Begriff der Lernplattform Bevor die verschiedenen Phasen der Entwicklung und der Aufbau von Sprachlernplattformen präsentiert werden, soll der Begriff Lernplattform etwas genauer beschrieben werden. Nach Sander & Igelbrink (2010: 148) sind Lernplattformen Softwaresysteme, „mit deren Hilfe Inhalte bereitgestellt, Lernprozesse koordiniert und Kommunikationsprozesse von Lernern untereinander abgewickelt werden können“. Die heutigen Lernplattformen sind eine Mischung <?page no="23"?> 24 1. Weiterbildung in DaF / DaZ aus sogenannten Content-Management-Systemen ( CMS ) und Learning-Management-Systemen ( LMS ). Während bei den CMS die Erstellung, Verwaltung und Bearbeitung von Lerninhalten im Mittelpunkt stehen, geht es bei den LMS primär darum, die elektronisch unterstützten Lernprozesse zu fördern und zu verwalten, zum Beispiel durch das Strukturieren eines Lernplans, das Nachzeichnen von Lernaktivitäten, Erfolgskontrollen und dergleichen. Der Begriff ‚Lernplattform’ wird mittlerweile weit gefasst verwendet. Über die didaktische Qualität des Materials, des Programmes oder der Plattform sagt er nichts aus. Lernplattformen bieten in Bezug auf Inhalte und elektronische Kommunikationskanäle mittlerweile fast alles, was sich auch im oder für den Präsenzunterricht einsetzen lässt: Präsentationssysteme wie PowerPoint, Textverarbeitungssysteme, Autorenwerkzeuge zur Erstellung von Lehrmaterialien, Archive und Tafeln. Einige Funktionen können über E-Plattformen einfacher realisiert werden als im Präsenzunterricht: zum Beispiel die Archivierung von Lernerarbeiten und Korrekturen, die Lernerverwaltung sowie die Inhaltsverwaltung und -aufbereitung. Nur wenige E-Plattformen bieten hingegen Autorenwerkzeuge zur Erstellung aller kommunikativen Aufgaben für den handlungsbezogenen Fremdsprachenunterricht und elektronisch vermittelte Kommunikationsmöglichkeiten für die Interaktionsanforderungen des kommunikativen Unterrichts. Da Plattformen auch in Präsenzformaten verwendet werden können, ist räumliche Distanz nur ein sekundäres Merkmal für die Nutzung solcher Plattformen. Phasen der Entwicklung von Sprachlernplattformen Wie weit fortgeschritten die Technik der heutigen Lernplattformen ist, lässt sich am besten durch einen kurzen Rückblick auf die Geschichte erklären. Wir beginnen diesen Rückblick mit dem Durchbruch des Internets Mitte der 90er Jahre da die Entwicklung und die Verbreitung der neuen Medien und der Lernplattformen erst ab diesem Zeitpunkt exponentiell gewachsen sind. Die Phasen der Entwicklung von Lernplattformen, die im Folgenden erläutert werden, nehmen das Modell von Hampel (2007) als Grundlage. In einer ersten Phase wurden viele Programme auf CD - ROMS im Internet zur Verfügung gestellt. Das heißt, die alten elektronischen Medien nutzten das Internet für eine schnellere Bereitstellung und größeren Verbreitung der Materialien. Bezüglich der Interaktion zwischen dem Programm und dem Lerner hat sich aber nicht viel getan, denn letzten Endes sind die bereitgestellten Materialien in dieser Phase weder von der Lehrkraft noch von den Lernern veränder- oder erweiterbar. Daher erweist sich die sogenannte „Einwegkommunikation“ zwischen Material und Lerner nach Hampel (2007) als zentrales Merkmal der neuen Medien in dieser Phase. Die Adaptierbarkeit der Materialien an die individuellen Bedürfnisse der Lerner (vergleiche Leutner 2009) bleibt hier also definitiv aus, so dass die Materialien als statisch und die Lerner als reine Rezipienten zu bezeichnen sind. Die zweite Phase zeichnet sich dadurch aus, dass die Materialien zwar geschlossene Systeme darstellen, aber trotzdem über (relativ begrenzte) Komponenten der Lerner- und Materialverwaltung verfügen. So können Lehrkräfte zum Beispiel die Zugangsrechte für die Plattformen über plattforminterne Datenbanken managen. Auch für Lerner besteht die Möglichkeit, sich die Inhalte nach eigenem Ermessen zu strukturieren, auch wenn das nur sehr bedingt <?page no="24"?> 25 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen möglich ist. Die Lernplattformen in dieser Phase können ebenfalls die bereits bearbeiteten Aufgaben speichern, was eine Überwachung des Lernfortschritts ermöglicht. Die ersten Chats und Foren zur kooperativen Arbeit werden auch in dieser Phase implementiert. Insgesamt bieten also die Materialien einen gewissen Grad an Adaptierbarkeit, Individualität und Interaktivität, erweisen sich jedoch nach außen als relativ geschlossene Lernumgebungen (vergleiche Hampel 2007: 38). Ein ganz besonderes Merkmal der Lernplattformen der dritten Phase sind die ersten Schritte auf dem Weg zur sogenannten Interoperabilität (vergleiche Hampel 2007: 42). Damit ist sowohl der Import und Export von Materialien als auch die Übertragung von Lernerdaten und ganzer Klassen von einem System in das andere gemeint, was unter anderem durch die Entwicklung von Standards wie dem Sharable Content Object Reference Model ( SCORM ) ermöglicht werden sollte. Damit sollten sich die Lernplattformen gegenüber anderen Systemen öffnen und eine gewisse Kompatibilität herstellen. Trotzdem ist die Übertragung von Verwaltungsdaten und Inhalten in den seltensten Fällen gelungen. Auch die Fortschritte in Richtung Aufgabenkorrekturen, Anlegen von Lernpfaden durch die Lerner und Ähnliches sind an der mangelnden Umsetzung gescheitert. Schließlich weisen die Lernplattformen in der vierten Phase einen hohen Grad an Kompatibilität mit anderen Systemen auf, vor allem durch die Einbindung der so genannten Web 2.0-Anwendungen wie Wikis, Blogs, Instant-Messaging und Ähnliches. Diese plattformunabhängigen Werkzeuge sind in den meisten Lernplattformen dieser Phase über offene Schnittstellen integrierbar. Die Lernplattformanbieter entwickeln also diese Anwendungen nicht, sondern sie garantieren lediglich die Kompatibilität zwischen ihnen und der Plattform. Damit decken die Lernplattformen nicht nur die Begleitung des Lernprozesses und die eher statische Darstellung von Wissen ab, sondern sie fördern die kooperative Wissenskonstruktion, ganz im Sinne der konstruktivistischen Lehr- und Lernverfahren. So können Lerner zum Beispiel durch interaktive Whiteboards gemeinsam verschiedene Informationen zu einem Thema in Form einer Concept Map organisieren, diese speichern und eventuell zu einem späteren Zeitpunkt ergänzen und erweitern. Auch die Lernerverwaltung wird in dieser Phase viel weniger zentral gehandhabt als in der dritten Phase, so dass zum Beispiel verschiedene Institutionen die Zugänge ihrer eigenen Nutzer ab einer bestimmten Ebene selbst verwalten können. Auch bestimmte Lernerdaten können von der jeweiligen Institution gezielt ausgewertet werden, zum Beispiel die Anzahl der Zugriffe auf die Textseiten oder Aufgaben. Der Transfer von solchen Daten von einer Lernplattform auf eine andere bleibt trotz intensiver Bemühungen jedoch problematisch, unter anderem wegen der datenschutzrechtlichen Aspekte. Moderne Lernplattformen ermöglichen die (Selbst)Organisation von Daten, Inhalten und Prozessen auf verschiedenen Ebenen. So kann der Tutor (Lehrkraft im Online-Kurs) auf Plattformen der vierten Phase, wie zum Beispiel itslearning (online unter https: / / itslearning. com/ de) oder Fronter (online unter http: / / www.fronter.de), entscheiden, welche Werkzeuge, Ressourcen und Inhalte für Lerner verfügbar sein sollen und in welcher Form sie bearbeitet werden sollen (in Gruppen, mit Abgabefrist, nach einem bestimmten Lernpfad und Ähnliches). Aber auch Lerner können ihre eigenen Werkzeuge verwalten, indem sie zum Beispiel das eigene Portfolio pflegen, ihre Aufgaben auf dem persönlichen Blog veröffentlichen oder <?page no="25"?> 26 1. Weiterbildung in DaF / DaZ die Einstiegsseite nach eigenen Interessen gestalten. Zusammenfassend lassen sich die verschiedenen Möglichkeiten zur Selbstorganisation sowohl für Lerner als auch für Tutoren beziehungsweise Administratoren in Anlehnung an Schulmeister (2005: 11) und Hampel (2007: 54ff) auf den Ebenen der Administration, des Lernmanagements und des Content- Managements wie folgt darstellen: Ebenen der (Selbst-)Organisation Administration Lernmanagement Content-Management Tutor Lerner Tutor Lerner ✔ Benutzer ✔ Kurse ✔ Interface ✔ Kurse ✔ Kommunikation ✔ Kommunikation ✔ Lernmaterial ✔ Grunddesign ✔ Werkzeuge ✔ Werkzeuge ✔ Aufgaben ✔ Evaluationen ✔ Personalisierung ✔ Personalisierung ✔ Tests ✔ Portfolio ✔ Lernprodukte ✔ Lernerdaten Tabelle 1.1: Ebenen der (Selbst-)Organisation Diese Tabelle beschreibt die Komponenten einer voll ausgestatteten Lernplattform. Eine solche Lernplattform bietet auf der Ebene der Administration unter anderem die Verwaltung von Nutzergruppen (Rechtevergabe, Klassenbildung, Import beziehungsweise Export von Daten und Ähnliches), die Verwaltung der Zugangsdaten, das Zahlungssystem, Einstellung des Grunddesigns nach dem Corporate Design der Institution sowie das Einrichten neuer Kurse. Auf der Ebene des Lernmanagements kann der Tutor Einstellungen zum jeweiligen Kurs vornehmen (Kursrollen, Anzahl der Themen, Lernpfade und Ähnliches), die Kommunikationsräume im Kurs einrichten (Chat, Forum und Ähnliches), die zu verwendenden Werkzeuge und Funktionen festlegen (Lexika, Linksammlung, Whiteboard, Lerntipps, Blog-Funktion und Ähnliches) und die Lernerdaten verwalten (Abgabe und Korrektur von Aufgaben, Logfiles und Ähnliches). Lerner können auf dieser Ebene zwar nicht ihre eigenen Kursdaten verwalten, aber sie können ihre Lernfortschritte im Portfolio aufzeichnen, ihre eigene Kursansicht personalisieren und die Kommunikationsräume und Werkzeuge nutzen. Schließlich finden sich auf der Ebene des Content-Managements vorwiegend Funktionen für den Kurstutor, wie zum Beispiel die Einstellungen des Interface (Navigation) sowie die Erstellung und <?page no="26"?> 27 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen Verwaltung von Lernobjekten, Aufgaben und Tests. Der Lerner kann auf dieser Ebene jedoch auch seine eigenen Lernprodukte gestalten und zur Verfügung stellen, indem er zum Beispiel ein Referat als Audiodatei aufzeichnet und es auf dem eigenen Blog veröffentlicht. Was den finanziellen Aufwand der Einrichtung von Lernplattformen angeht, so ist zwischen kostenfreien Lernplattformen (zum Beispiel Moodle, OLAT , ILIAS und Ähnliches) und kostenpflichtigen Lernplattformen (Fronter, itslearning, Blackboard) zu unterscheiden. Hierbei ist einschränkend darauf hinzuweisen, dass die Einrichtung von kostenfreien Lernplattformen an sich zwar keinen finanziellen Aufwand mit sich bringt, dass sich aber bei der Wartung, Verwaltung und Weiterentwicklung (beispielsweise Einbindung neuer Funktionen, Durchführung von Updates und Ähnliches) sogenannte versteckte Kosten ergeben (können). Komponenten moderner elektronischer Lernplattformen Zu den wichtigsten Komponenten von Lernplattformen gehören: ▶ Autorenwerkzeuge zur einfachen Erstellung von Inhalten (Authoring Tools, siehe Abbildungen 1., 1.7), ▶ Inhaltsverwaltungssysteme (Content Management System), ▶ Interaktive Tafeln mit Ton und Bild (Virtuelles Klassenzimmer, Whiteboard), ▶ Kommunikationskanäle (Mail, Chat, Foren, BLOG s), ▶ Lernerverwaltungen (Learner Management System), ▶ Präsentationssysteme zur Verwaltung von virtuellen Lehrveranstaltungen wie Vorträgen, Vorlesungen (Presentations System, siehe Abbildung 1.8), ▶ Textverarbeitung (Texteditoren, Text Processing), ▶ Ressourcen, Werkzeuge und Links, ▶ Werkzeuge für natürliche Sprachverarbeitung (Spracherkennung, tutorielle Systeme, Natural Language Processing), ▶ Administrationswerkzeuge (Zugangsrechteverwaltung, Klasseneinrichtung), ▶ Soziale Medien (Social Media). <?page no="27"?> 28 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Abbildung 1.6: Frei verfügbare Autorensoftware Hot Potatoes zur Erstellung webbasierter, interaktiver Übungen für den Sprachunterricht (Hot Potatoes) Abbildung 1.7: Frei verfügbare Autorensoftware Hot Potatoes zur Erstellung webbasierter, interaktiver Übungen (Hot Potatoes) <?page no="28"?> 29 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen Abbildung 1.8: Abbildung einer virtuellen Vorlesung zum Thema Spracherwerb mit Vorlesungsmitschnitt, transkribiertem Text mit integrierter Suchfunktion und zusätzlichem Ressourcenfeld für Folien und ähnliches aus Grundlagen und Konzepte des DaF-Unterrichts (Fernlehrgang der Ludwig-Maximilians-Universität in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut) 1.2.3 Zusatzmaterial Auf der Plattform-Eingangsseite und im Servicebereich befindet sich das Glossar zum Kompendium in Form eines digitalen Lexikons des Fremdsprachenerwerbs (online unter http: / / www.lexikon-mla.de). Dieses eignet sich hervorragend als Lernwerkzeug und auch als Referenz- und Wiederholungswerkzeug für zwischendurch. Das Lexikon ist dynamisch angelegt: Es wird ständig bearbeitet und erweitert und Nutzer können in der Kommentarfunktion Ergänzungen vorschlagen, die vom Redaktionsteam geprüft werden. <?page no="29"?> 30 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Abbildung 1.9: Startseite des digitalen Lexikons (Digitales Lexikon Fremdsprachendidaktik 2018) Abbildung 1.10: Eintrag zum Thema Chunks / Chunking (Digitales Lexikon Fremdsprachendidaktik 2018) <?page no="30"?> 31 1.2 Kursstruktur und Lernplattformen 1.2.4 Zusammenfassung Nachdem Sie den Aufbau der Bände und die Funktionen einer Lernplattform kennengelernt haben, können Sie entweder gleich in eine Lerneinheit einsteigen oder, sofern Sie einen Zugang besitzen, in einer beliebigen Einheit auf der Plattform einfach die Aufgaben- und Bedienungsformate ausprobieren. Mit etwas Übung bekommen Sie Routine und erfahren, wie gut man mit digitalen Medien lernen kann. <?page no="31"?> 32 1. Weiterbildung in DaF / DaZ 1.3 Forschung für die Lehr- und Lernpraxis Nicole Marx Wissen ist - anders als viele glauben, anders als oft im schulischen Kontext unterrichtet und anders als in journalistischen Texten interpretiert - nie eine gegebene Größe, sondern entwickelt sich dynamisch. Dies gilt gleichermaßen für alltägliche und wissenschaftliche Gegenstände und liegt erstens daran, dass Wissen über vermeintliche Sachverhalte in der Regel lückenhaft ist. Es kommt selten vor, dass jemand alles über einen bestimmten Gegenstand, einen Prozess oder eine Situation weiß oder wissen kann (auch wenn manche der Meinung sind, sie wüssten alles). Zweitens müssen Informationen auch interpretiert und in bestehende Wissensbestände integriert werden. Das führt dazu, dass auch gleiche Daten aus der Perspektive unterschiedlicher Theorien konträr verstanden werden können. Und vor allem anderen ist Wissen auch immer dynamisch; neue Informationen, die zum Beispiel durch Forschungsstudien oder die Entwicklung neuer Theorien entstehen, ändern stets auch unser Verständnis der Welt. Diese neuen Informationen und die durch sie ausgelösten Umstrukturierungen und Umbewertungen der Wissensbestände sind die Grundlage für jede Art der Fort- und Weiterbildung. Zwar kann man Weiterbildung und Fortbildung primär als eine Sache der Umsetzungsmethodik betrachten - so wie das in den meisten Lehrerfortbildungen in den Zweit- und Fremdsprachen geschieht - aber die Reichweite neuer Tricks ist doch meistens beschränkt. Außerdem weiß man selten, ob das, was bei der einen Lehrerin funktioniert, auch bei den anderen genauso umgesetzt werden kann. Darüber hinaus haben wir es im Fremdsprachenunterricht mit vielen Mythen, Stereotypen und Glaubensgrundsätzen zu tun, die - in der Praxis oft unerkannt - einige Frustration erzeugen. Zu einem systemischen Zugang zu den Herausforderungen des Fremdsprachenlernens und -unterrichtens und einem systematischen Konzept von Unterricht führen sie nicht. Das aber soll nicht heißen, dass Erfahrungswissen von Expertinnen und Experten keine Bedeutung hätte. Es sollte aber - wie stets in der Forschung - systematisierbar sein. In dieser Lerneinheit wollen wir daher ganz grundlegend erklären, wie systematische theoretische und empirische Forschung vorgeht, auf welchen essentiellen Prämissen sie aufbaut, wo sich unterschiedliche Ansätze überschneiden und welche Zielsetzungen man damit verfolgen kann. Für die Weiterbildung im Zweit- und Fremdsprachenunterricht ist also von Interesse: Wie gelangt man zu fundiertem und belastbarem Wissen über das Fremdsprachenlernen und -lehren? Wie aktualisiert und erweitert man es? Die folgende Lerneinheit versucht daher, eine Einführung dazu zu geben, wie die Wissenschaft grundsätzlich zu Erkenntnissen gelangt und diese auch zur Weiterentwicklung eines Faches führen können. In späteren Kapiteln werden viele der hier angesprochenen Aspekte weiter vertieft, mit dem Ziel, Material für eine wissenschaftlich fundierte, für die Praxis relevante Aus- und Weiterbildung zur Verfügung zu stellen. Damit entsteht ein Zugang zu einer reflektierten Lehr- und Lernpraxis. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ kritisch rationale und empirische Herangehensweisen unterscheiden lernen und ihre Entstehung einordnen können; <?page no="32"?> 33 1.3 Forschung für die Lehr- und Lernpraxis 1.3.1 Wissensentwicklung Will man Lern- und Erwerbsprozesse, den Fremdsprachenunterricht, Lehrstile oder andere Themen, die das Fremdsprachenlernen und den -unterricht beeinflussen, erhellen, stehen unterschiedliche Herangehensweisen zur Verfügung. Dies gilt natürlich für alle möglichen wissenschaftlichen Disziplinen, wobei manche Disziplinen tendenziell ein bestimmtes Vorgehen bevorzugen. So arbeiten geisteswissenschaftliche Fächer wie zum Beispiel die Philosophie oder die Mathematik eher rational, naturwissenschaftliche Fächer wie Biologie oder Neurolinguistik häufiger empirisch. Wahrscheinlich kennen Sie solche Prinzipien deswegen auch aus anderen Fächern. Hier fokussieren wir aber nur die Sprachlehr- und -lernforschung. Die wichtigste Frage, die im Zentrum wissenschaftlicher Disziplinen steht, ist, wie man überhaupt zu neuem Wissen gelangt. Denn nur durch ständige Entwicklung, Expansion und Revision (und nicht zuletzt Disputation) von Grundannahmen, von Erkenntnissen und von Prinzipien kann sich ein Fach entwickeln. Die Disziplin, die sich mit dem Wesen von Wissen auseinandersetzt, ist die Epistemologie. Hier geht es im Kern darum, was wir als Wissen klassifizieren können und wie dieses entsteht. Was ist zum Beispiel nur Glaube, was kann-- zumindest vorübergehend-- als Fakt (sofern es diesen überhaupt gibt) verstanden werden? Was ist der Unterschied zwischen Hypothese und Erkenntnis? Ein Beispiel: Nehmen wir an, Sie wollen wissen, ob chinesische Deutschlerner und -lernerinnen Bitten höflicher formulieren als Personen, die Deutsch als Erstsprache sprechen. Sie wollen also zu einer Erkenntnis gelangen. Hierfür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, diese Informationen herauszustellen. So könnten Sie Bitten von Personen aus beiden Gruppen auf Tonband aufnehmen und die Anzahl der Partikel bitte zählen. Sie können den Gebrauch des Konjunktivs II beobachten. Sie können Unbeteiligte befragen, welche Bitten sie für höflicher halten, Sie können Probanden aus beiden Sprecher- und Sprecherinnengruppen Beispiele vorlegen und fragen, welche Aussagen sie für höflicher halten etc. Oder Sie können, weil Sie schon etwas über die unterschiedlichen Kulturräume zu wissen meinen, den (für Sie logischen) Schluss ziehen, dass Chinesen im Umgang mit anderen Personen meist höflicher sind als Deutschsprachige, und somit auch bei der Formulierung von Bitten stärker auf Höflichkeit achten. Das Problem besteht zunächst in der Trennung von faktischem und angenommenem Wissen. Denn diese ist nicht nur schwierig, sondern vielleicht gar nicht möglich. In unserem Beispiel muss man zuerst bestimmen, was überhaupt höflich ist-- und das ist ja nicht so einfach, wie es zum Beispiel Eltern ihren Kindern weismachen. Das zweite Problem folgt dann direkt: Wie kommen Sie zu Ihren Schlussfolgerungen bezüglich der Höflichkeit der beiden Gruppen? Mit dieser Frage beschäftigen wir uns im Folgenden. ▶ den Unterschied zwischen Begriffspaaren wie Induktion und Deduktion oder auch qualitativ und quantitativ verstehen; ▶ die Vorteile, aber auch die Gefahren der theoriebasierten Interpretation von Forschungsergebnissen kennen. <?page no="33"?> 34 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Seit gut dreihundert Jahren wird der Weg zur Erkenntnis als eine Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Möglichkeiten dargestellt, und zwar zwischen dem Empirismus und dem Rationalismus. Diese heute noch sehr einflussreiche Dichotomie stellt nach Engfer (199: 11) „eine der am besten etablierten und am häufigsten angewandten Ordnungskategorien zur Klassifikation philosophischer Positionen, Strömungen oder Schulen“ dar, die „die Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts so sehr beherrschten, daß sie ihr den Namen ‚Empirismus- Rationalismus‘ gaben“ (Engfer 199: 11). Kein Wunder, dass diese „einander entgegengesetzten erkenntnistheoretischen Standpunkte“ (Engfer 199: 11) sogar als historische Epochenbegriffe verwendet werden, führte doch die Differenzierung zu einem heftigen Diskurs. Eine einfache Unterscheidung kann wie folgt gemacht werden: Kommt man zur Erkenntnis dadurch, dass erfahrungsunabhängige, logische Schlüsse durch die Verwendung von Logik und Vernunft (ratio) gezogen werden, arbeitet man rationalistisch. Geht man davon aus, dass Erkenntnis nur durch das Sammeln und die Auswertung von beobachtbaren Erfahrungen erlangt werden kann, arbeitet man empirisch. Bezogen auf unser Höflichkeitsbeispiel von oben, bedeutet dies Folgendes: Wenn Sie das Vorkommen von bitte oder des Konjunktivs II zählen oder eine Befragung durchführen, arbeiten Sie empirisch. Wenn Sie auf Basis vorhandener Informationen (wie zum Beispiel Kulturunterschiede) einen logischen Schluss ziehen, arbeiten Sie rationalistisch. (Es gibt übrigens Kulturen, die eher rationalistisch orientiert sind, und Kulturen, die eher empiristisch orientiert sind. Aus der Schule kennen die meisten Personen die hochentwickelte logische Diskursstruktur der alten Griechen, die unter anderem die westliche Philosophie und Rechtsgeschichte nachhaltig geprägt hat. Dagegen die Pirah--Ureinwohner des brasilianischen Amazonas, die keine Begegebenheit als wahr akzeptieren, wenn nicht sie oder eine ihnen bekannte Person sie selbst erlebt hat (vergleiche Everett 2009)). Wie aber oben bereits problematisiert, muss-- bevor eine Schlussfolgerung gezogen werden kann- - zunächst geklärt werden, worüber man überhaupt spricht, oder zu welchen Konstrukten man forscht oder forschen will. Wie kommt man zum Beispiel zum Begriff Höflichkeit? Sogar die Begriffe Chinesen und Deutsche sind zu bestimmen-- und auch diese können auf empirische oder rationalistische Weise bestimmt werden. Engfer nennt, in Anlehung an Kant, sogar drei mögliche Ebenen des Erkenntniswegs: Orientiert man sich dabei an einem weitgefaßten Begriff, wie er beispielsweise von Kant verwendet wird, für den nicht erst Urteile, sondern schon Begriffe unter die Erkenntnisse zählen, dann kann man innerhalb der Sphäre der Erkenntnis drei Ebenen, die des Begriffs, der Aussage und des Schlusses, unterscheiden und auf jeder dieser drei Ebenen sowohl für [empirische] als auch für [rationale] Positionen eine grundlegende These formulieren. (Engfer 199: 11-12) Das heißt natürlich nicht, dass es sich hier um ein Entweder-Oder-Verhältnis handelt. In den meisten Fällen wird eher von der einen oder eher von der anderen Position ausgegangen. Dies betrifft laut Engfer vor allem die Ableitung von Begriffen in der rationalistischen Position: Wo der Empirist behauptet, daß alle unsere Begriffe und Urteile auf der Erfahrung beruhen, da steht dem auf rationalistischer Seite nicht etwa die ebenso allgemein auftretende Behauptung gegenüber, alle unsere Begriffe und Urteile stammten aus der Vernunft. Sondern der Rationalist kann durchaus akzeptieren, daß viele und vielleicht sogar die meisten unserer Begriffe und Urteile auf <?page no="34"?> 35 1.3 Forschung für die Lehr- und Lernpraxis irgendeine Weise von der Erfahrung abhängen, wenn nur daneben andere Begriffe und Aussagen als erfahrungsunabhängig und „rational" zugelassen bleiben. Auf dieser Ebene stehen sich empiristische und rationalistische Positionen nicht als einander ausschließende Gegensätze gegenüber, sondern überlappen einander. (Engfer 199: 12-13) In der Begriffsverwendung heutzutage wird meist nicht von den ersten und zweiten Ebenen gesprochen, sondern nur von der dritten und letzten Ebene des Schlusses, wenn von den Ergebnissen rationalistischer oder empirischer Forschungsprogramme gesprochen wird. Dass gerade diesbezüglich beide Erkenntniswege nicht unproblematisch sind, wird deutlich, wenn der Erkenntniswert sowie die Gültigkeit gezogener Schlüsse betrachtet werden: [A]uf der dritten Ebene des Ableitens von Urteilen aus Urteilen-[…] stellt sich für den Empiristen das Problem der Induktion und also die schwierige Frage, wie sich der Übergang von Einzelzu Allgemeinaussagen eigentlich rechtfertigen läßt; dagegen hat der Rationalist hier mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß sich durch logisches Deduzieren kein neuer Gehalt gewinnen läßt: Expliziert die conclusio eines Schlusses nur diejenige Information, die implizit schon in den Prämissen steckt, wie kann man dann hoffen, durch Deduktion zu neuen Erkenntnissen fortzuschreiten? (Engfer 199: 14) Wer sich häufiger mit Forschungsansätzen der Sprachlehr- und Sprachlernforschung auseinandersetzt oder selbst geforscht hat, wird schnell wahrgenommen haben, dass das Wort empirisch sehr häufig-- sogar in der Betitelung (eine empirische Untersuchung zu…)-- vorkommt. Das liegt daran, dass seit geraumer Zeit eine sogennante „empirische Wende“ auch die traditionellen geisteswissenschaftlichen Fächer erreicht hat. Oft wird angenommen, dass dies im deutschsprachigen Raum insbesondere durch internationale Vergleichsstudien wie PISA ausgelöst wurde; sie zeigt sich in der Fremdsprachenforschung in der verstärkten Verwendung von Erhebungsinstrumenten, um Informationen über Lernende, das Lernen und das Lehren von Fremdsprachen zu erhalten. Es wird in immer mehr Forschungsansätzen versucht, empirisch zu arbeiten. Dies sollte aber im Kontext derzeitiger wissenschaftsphilosophischer Strömungen verstanden werden, die auch Moden unterliegen, und nicht als generelles Urteil für den Empirismus oder gegen den Rationalismus. Gerade das Problem der Induktion stellt eine Hürde für viele empirisch vorgehende Ansätze dar, weswegen diese zweite Dichotomie im Folgenden in den Fokus rücken soll. 1.3.2 Induktivismus versus Deduktivismus Die Unterscheidung zwischen induktivem und deduktivem Vorgehen ist keine-- wie man zunächst vermuten könnte-- die zwischen empirischen und rationalistischen Erkenntniswegen trennt. Beide werden in empirischen Projekten relevant. Obwohl die Dichotomie länger besteht, wurde sie vor allem durch Popper (193 / 1994) geprägt. Die Begriffe Induktivismus und Deduktivismus werden (auch wenn nicht immer berechtigt) oft mit qualitativer und quantitativer Forschung gleichgesetzt. Auf diese Unterscheidung gehen wir jetzt ein. Davor aber zur Erinnerung: Hier besteht das gleiche schon genannte Problem: Woher wissen wir, was Wissen ist? Oder, wie Popper es selbst formulierte: <?page no="35"?> 36 1. Weiterbildung in DaF / DaZ [W]ir sollten den Gedanken von den letzten Quellen der Erkenntnis fallen lassen und zugeben, daß alle Erkenntnis menschlich ist; daß sie durchsetzt ist mit unseren menschlichen Irrtümern, unseren menschlichen Vorurteilen, mit unserem Sehnen und unserem Hoffen. Wir sollten uns damit zufriedengeben, nach der Wahrheit zu suchen, auch wenn sie uns immer unerreichbar bleiben sollte. (Popper 1994: 4, Hervorhebung N. M.) Popper ist vor allem dafür bekannt, eine neue Richtung in der Wissenschaftstheorie angestoßen zu haben. So warnte er davor, eine endgültige „Wahrheit“ finden zu wollen, denn diese sei sowieso unmöglich zu bestimmen. Stattdessen sollten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Antworten auf (interessante) Fragen suchen, denn diese Antworten können geprüft, getestet und bestätigt beziehungsweise verworfen werden. Hat man erst eine Frage gestellt, kann man darauf eine Antwort suchen-- der Weg hierzu ist nicht vorgegeben. Es bleibt: Man beginnt mit einem Problem, entwickelt daraufhin eine Frage, kommt (auf unterschiedliche Weise) zu einer Antwort, testet diese, und hat danach wieder ein anderes Problem, oder eine andere Frage, oder einfach eine Bestätigung, dass die erste Antwort (zumindest bislang) richtig zu sein scheint. Wie kommt man zu Antworten auf Fragen? Hier differenziert Popper zwischen zwei Herangehensweisen, die wir in ganz unterschiedlichen Kontexten wiederfinden (und nicht nur in psychologischen Tests). Nehmen wir zwei kleine Aufgabenbeispiele: Beispiel 1 Abbildung 1.11: Inductive Reasoning Test, Beispiel (1) (1,2,3 test 2018) <?page no="36"?> 37 1.3 Forschung für die Lehr- und Lernpraxis Beispiel 2 1. Eigennamen schreibt man im Deutschen mit einer Majuskel. 2. Hans Müller ist ein Eigenname. Logische Ableitung aus 1) und 2): Hans Müller schreibt man mit Majuskel. Das funktioniert natürlich nur, wenn man davon ausgeht, dass die ersten beiden Aussagen korrekt sind - auch wenn sie es nicht sind. Genauso funktioniert: (1) Eigennamen schreibt man klein. (2) Anna Fischer ist ein Eigenname. (3) anna fischer schreibt man klein. In Beispiel 1 (Abbildung 1.11) erzielt man auf Basis von Regelmäßigkeiten und Zusammenhängen-- in diesem Fall einer Musterbildung-- eine Erkenntnis. Wir wollen wissen, was zu Regelmäßigkeiten führt, und betrachten dabei besondere Situationen, Charakteristika oder Merkmale und versuchen, daraus eine Antwort auf eine Frage abzuleiten. (Das fehlende Zeichen in Abbildung 1.11 ist ein +). Im Beispiel 2 liegt uns die Gesätzmäßigkeit (die Antwort) bereits vor (Eigennamen schreibt man groß). Davon ausgehend können wir kategorisieren und herausfinden (testen), ob dieses Gesetz immer stimmt, oder ob es auch Ausnahmen gibt (zum Beispiel Anna von Mustermann). Diese beiden Herangehensweisen werden auch induktiv und deduktiv (auch: deduktiv-nomologisch) genannt. Sie fungieren nicht in Abwesenheit voneinander, sondern sind vielmehr komplementär im Sinne von sich gegenseitig unterstützend. Durch Beobachtung von Einzelfällen können Zusammenhänge entdeckt und Hypothesen aufgestellt werden, die dann durch eine deduktive Herangehensweise getestet und gerechtfertigt werden. Dies führt wiederum zu weiteren Vorhersagen und Auswirkungen auf die von Forschern und Forscherinnen gefundenen Antworten auf Forschungsfragen (siehe Abbildung 1.12): Abbildung 1.12: Zusammenhang von induktiven und deduktiven Verfahren. Angelehnt an Chalmers (1999: 46) <?page no="37"?> 38 1. Weiterbildung in DaF / DaZ Warum ist dies wichtig? Nehmen wir an, Sie interessieren sich (immer noch) für Höflichkeitsunterschiede zwischen chinesischen Deutschlernern und Personen mit Deutsch als Erstsprache. Nach einer eingehenden Literaturrecherche kommen Sie zum Ergebnis, dass diese Frage offenbar bislang niemanden interessiert hat. Was machen Sie? Denn Sie wissen nicht, ob, und wenn ja, wie sich die Sprechenden voneinander unterscheiden. Wahrscheinlich würden Sie dann damit anfangen, auf „Entdeckungsreise“ zu gehen. Vielleicht versuchen Sie, möglichst viele Sprecher und Sprecherinnen beider Gruppen unauffällig zu beobachten, oder vielleicht befragen Sie sie. Irgendwann haben Sie dann genug Informationen gesammelt, um eine Antwort auf Ihre Frage zu geben (zum Beispiel kann Gruppe 1 höflicher als Gruppe 2 sein). Die Antwort muss nicht unbedingt der absoluten Wahrheit entsprechen; wichtig ist hier der Erkenntnisweg. Sie sind gerade induktiv vorgegangen, haben also auf Basis von Einzelfallbeobachtungen eine Antwort auf Ihre Frage gesucht und (wenn Sie genug Personen beobachtet haben und meinen, keine neuen Erkenntnisse durch weitere Beobachtungen gewinnen zu können) eine sogenannte empirische Sättigung erreicht. Vielleicht haben Sie auch ganz neue Erkenntnisse gewonnen, zum Beispiel meinen Sie entdeckt zu haben, dass chinesische Männer höflicher als deutsche Männer seien, aber dass es sich bei Frauen umgekehrt verhält- - oder dass Personen mit niedrigeren Deutschkenntnissen höflicher sind als Personen mit höheren Deutschkenntnissen. Sind Theorien, Hypothesen oder einfach Antworten bereits vorgeschlagen worden, müssen sie geprüft werden, um zu sehen, ob ein Beweis gegen die (oft vorübergehend gültige) Antwort gefunden werden kann. Sehr oft, wenn wir in der Sprachlehr- und -lernforschung Fragen stellen und versuchen, diese zu beantworten, machen wir dies auf Basis bereits vorhandener Informationen und Theorien. Wir arbeiten daher nicht induktiv (theorieentwickelnd), sondern vor allem deduktiv, indem wir versuchen, bereits vorhandene Annahmen, die in Hypothesen oder Theorien eingebettet sind, zu bestätigen oder zu verwerfen. Dabei werden wir auch vom theoretischen Rahmen beeinflusst. Das ist sehr hilfreich; eine Theorie ist wie ein Boot, in das man sich setzen kann: Es bietet einen Interpretationsrahmen für Phänomene, die wir bislang nicht kennen. Es kann aber auch Probleme bergen. Im Alltag passiert dies recht häufig: Wir erwarten von jemandem ein bestimmtes Verhalten, und interpretieren das Resultat auf der Basis unserer Erwartungen. Auch die Forschung ist dagegen nicht gefeit, denn manchmal können auf Grund von spezifischen Ausrichtungen des Designs oder der Ergebnisinterpretation die bereits aufgestellten Hypothesen des Forschenden kaum abgelehnt werden. Dies kann besonders dann passieren, wenn innerhalb einer spezifischen Theorie oder eines spezifischen (Lern-)Modells gearbeitet wird: Man hat ja schließlich ein Interesse daran, dass die bevorzugten Theorien verifiziert werden. Ein sehr klares Beispiel eines solchen Effekts sind die Arbeiten von Dulay und Burt (1983), die die sogenannte Identitätshypothese aufstellten. Diese Hypothese besagt, dass man eine L2 ähnlich wie eine L1 erwirbt. Dulay und Burt erreichten im Rahmen ihrer Studie zwar eine empirische Unterstützung für ihre Hypothese-- und werden hierfür oft zitiert. Allerdings haben sie insbesondere solche Lernerdaten für ihre Sprachanalysen ausgewählt, die ihre Annahmen am ehesten unterstützen konnten. So wurden junge Kinder untersucht, die im zielsprachigen Raum (den USA ) aufgewachsen sind und die L2 (Englisch) in einer natürlichen Situation erworben haben- - ähnlich wie <?page no="38"?> 39 1.3 Forschung für die Lehr- und Lernpraxis beim Erwerb einer L1. Kein Wunder also, dass sie deutliche Unterstützung für die Identitätshypothese gefunden haben. Hätten sie stattdessen jugendliche oder erwachsene Lernende des Englischen in einem nicht englischsprachigen Land untersucht, wären ihre Ergebnisse ganz anders ausgefallen (es wären z. B. deutlich mehr negative Transfers aus der L1 zu verzeichnen gewesen). Heutzutage differenziert man auch deswegen zwischen dem frühen und dem späten Bilingualismus. Dieses Problem der „Theoriebrille“ ist stets zu berücksichtigen, wie auch der kognitive Psychologe und Leseforscher Stanovich mahnt: Each investigator- - emotionally wedded to his or her particular task(s)- - likes to believe that his or her variable (and associated theory) is the key to understanding [a particular phenomenon]. (Stanovich 198: 378) Gute empirische Forschung ist auch deswegen so wichtig, weil sie ungeachtet der theoretischen Rahmen und der zu prüfenden Hypothesen versucht, anhand erhobener Daten die gestellten Hypothesen zu bestätigen (oder zu verwerfen). Sie bemüht sich damit um Validität der Forschungsdaten und der Auswertung: Die Auswertung der erhobenen Daten entspricht den Tatbeständen der realen Welt, und nicht den Vermutungen oder den Wünschen der Forscher und Forscherinnen. Nicht nur die Wissenschaft bedient sich zwei verschiedener Herangehensweisen-- auch das Sprachenlernen ist ein Prozess der Wissenserzeugung. Dabei lenken Lehrmaterialien, Lehrpersonen und Lerner selbst das Lernen mehr oder weniger und erlauben ein eher deduktives oder ein eher induktives Vorgehen bei der Erforschung der neuen Sprache. Natürlich stellen die obigen Ausfühungen eine Vereinfachung von Forschungsprozessen dar, denn- - wie bei Lernprozessen- - spielen bereits bekannte Informationen stets eine wichtige Rolle, und zwar sowohl bei deduktiven als auch bei induktiven Herangehensweisen (siehe auch den Band »Kognitive Linguistik«). Dies ist eine wichtige Prämisse des lernpsychologischen Ansatzes des Konstruktivismus, der postuliert, dass alles Wissen auf vorhergehendes aufbaut und dabei neues Wissen aktiv konstruiert wird. Die grundlegende Prämisse des Konstruktivismus liefert zudem eine Erklärung dafür, warum die Dateninterpretation so fehleranfällig sein kann: Die Selektion und Interpretation von Daten sind als komplexe kognitive Tätigkeiten deshalb so anfällig für Fehlkonstruktionen, da ihnen theoretische Annahmen zugrunde gelegt werden. Um mögliche Fehlselektionen oder Fehlinterpretationen einem Fachpublikum zumindest sichtbar zu machen, ist es notwendig, Forschungsergebnisse in einer bestimmten Form zu präsentieren. Durch eine normierte Darstellung von theoretischen Annahmen, Forschungsfragen, Hypothesen, Design, Datenaufbereitung und Dateninterpretation können mögliche verzerrende Informationen besser offengelegt-- und somit vermieden werden, dass Probleme wie bei den Studien von Dulay und Burt entstehen. In der Regel sind vorausgehende Informationen jedoch selbstverständlich hilfreich, denn sie führen dazu, dass man-- einem bekannten deutschen Sprichwort folgend-- „das Rad nicht neu erfinden“ muss. <?page no="39"?> 40 1. Weiterbildung in DaF / DaZ 1.3.3 Qualitative versus quantitative Forschung Schließlich darf an dieser Stelle eine weitere Dichotomie nicht vernachlässigt werden: die Unterscheidung zwischen qualitativer und quantitativer Forschung. Obwohl die genaue Differenzierung oft unklar ist, wird sie in fast jedem Forschungsprojekt angesprochen beziehungsweise jedes Projekt wird in (mindestens) einem dieser Paradigmen verortet. Oft wird davon ausgegangen, dass qualitative Forschung induktiv vorgeht, quantitative Forschung deduktiv. Dass dies nicht der Fall sein kann, belegen mehrere Beispiele. Prinzipiell ist zu Beginn des Studiums folgende Differenzierung hilfreich: Quantitative Forschung zählt Merkmale, qualitative Forschung nicht. Immer da, wo Sie Zahlen zur Beschreibung von Phänomenen (wir nennen sie Variablen) finden, können Sie davon ausgehen, dass quantitativ vorgegangen wird. Es kann sich um ganz unterschiedliche Merkmale handeln-- Alter, Noten, Vergleiche in Testergebnissen bei unterschiedlichen Personengruppen, Anzahl gelernter Sprachen und vieles mehr. Wenn man dagegen versucht, nichtzählbare Merkmale oder Phänomene aufzudecken, zu sammeln und zu interpretieren, arbeitet man qualitativ. Dies trifft zum Beispiel zu, wenn man die Vorgehensweise beim Lesen eines fremdsprachigen Textes beschreibt oder Gefühle und Emotionen beim Fremdsprachenlernen unterschiedlicher Personen aufdecken will. Beide Herangehensweisen sind für die Untersuchung von Phänomenen des Fremdsprachenlernens und -lehrens wichtig; sie sind wie zwei Seiten einer Medallie, die sich-- wenn korrekt durchgeführt-- ergänzen können. Um Ihnen einen Einblick in vor allem deduktive empirische Herangehensweisen zu gewähren, wird in Kapitel  auf Empirie in der Sprachlehr- und -lernforschung eingegangen und häufige Datenerhebungsmethoden fokussiert und reflektiert. 1.3.4 Zusammenfassung Sie haben nun einen kleinen Einblick in unterschiedliche Herangehensweisen gewonnen, die für die Forschung insgesamt und somit auch für die Sprachlehrforschung relevant sind. ▶ Dabei ist immer darauf zu achten, dass Wissen dynamisch ist und interpretiert werden muss. ▶ Sie haben unterschiedliche Herangehensweisen zur Entwicklung von Wissen und einige Einsatzmöglichkeiten in der Forschung kennengelernt. ▶ Sie haben etwas über die für die Sprachlehr- und -lernforschung wichtigen wissenschaftstheoretischen Positionen des Induktivismus und Deduktivismus sowie deren typische Herangehensweisen gelernt. ▶ Sie können die Dichotomien Induktion-- Deduktion und qualitativ-- quantitativ in den Forschungsbereich einordnen. ▶ Sie haben die theoriebasierte Interpretation von Daten kritisch reflektiert. ▶ Sie sollten nun in der Lage sein, die Gefahren der theoriebasierten Interpretation von Forschungsergebnissen einzuschätzen und dies auf von Ihnen rezipierte oder entwickelte Studien zu beziehen. <?page no="40"?> 41 1.3 Forschung für die Lehr- und Lernpraxis 1.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was passt zusammen? Bitte ordnen Sie zu. (1) Eine Verhaltensweise aus der Perspektive der Beforschten nachvollziehen a) Epistemologie (2) Ein messbares Phänomen beschreiben, erklären und ermitteln b) empirische Forschung (3) Es wird untersucht, wie man zu Wissen gelangt. c) quantitative Forschung (4) Wissen wird auf Basis von Erfahrung entwickelt. d) qualitative Forschung 2. Warum, meinen Sie, arbeitet die Sprachlehr- und -lernforschung vor allem empirisch und nicht rational? 3. Nehmen wir an, Sie sollten Forschung auf einer Reihe von Gebieten, die unten in etwa beschrieben werden, betreiben. Welche Art der Forschung wäre am besten geeignet (qualitativ oder quantitativ), oder ist die Frage durch empirische Forschung nicht zu beantworten? Begründen Sie Ihre Entscheidung. a. Der Einfluss eines Besuchs von Weiberfastnacht auf die Arbeitsmotivation am Folgetag; b. die Beziehung zwischen Aussprache-Lernapps und Phonotaktik von DaF-Lernern; c. inwiefern die Schriften Tomasellos für die Entwicklung der Fremdsprachenlehr- und -lernforschung relevant sind; d. die Deutschkenntnisse norwegischer Germanistikstudentinnen und -studenten; e. die Verwendung von Höflichkeitsformen bei internationalen Verhandlungen. <?page no="42"?> 43 1.3 Forschung für die Lehr- und Lernpraxis 2. Allgemeines Wissensmanagement Bei der Fülle an Wissen, das von jedem von uns in Alltag, Ausbildung, Studium und Gesellschaft verlangt wird, bei der Fülle an Informationen, die auf uns täglich einströmen, bedarf es besonders effizienter Verfahren des Wissens- und Informationsmanagements. Verlangt werden auch bei alltäglichen Aufgaben eine kritische Kompetenz zum Aussortieren und Bewerten dessen, was wirklich wichtig ist, und verschiedene Strategien und Techniken zum Managen des Wissens, zum Klassifizieren, zum Sortieren, zum Speichern oder Ablegen. In der Wissenschaft sind diese Anforderungen dann naturgemäß noch strikter ausgeprägt, denn hier geht es schließlich auch darum, die vielen Wissensquellen kritisch-- auch in Bezug auf die Methoden ihrer Gewinnung-- zu prüfen und zu belegen. Es bedarf also besonderer Verfahren und Instrumente des Wissensmanagements. Dieses Kapitel widmet sich daher den folgenden relevanten Fragen zum allgemeinen Wissensmanagement: ▶ Wie erwirbt man Wissen? ▶ Welche Unterschiede gibt es zwischen persönlichem und akademischem Wissensmanagement? ▶ Mit welchen Methoden kann der Prozess der Wissensaneignung optimiert werden? ▶ Wie lässt sich Wissen am besten organisieren? An dieses Kapitel schliesst sich ein Kapitel zu den besonderen Heruasforderungen des Wissenserwerbs, der Wissenssicherung und der Recherchen in akademischen Bereichen an. <?page no="43"?> 44 2. Allgemeines Wissensmanagement 2.1 Wissen Jasmin Bastian & Lena Groß Ihr Wissen ist Ihre wertvollste Ressource, da sie Ihren Studienerfolg und Ihre berufliche Zukunft bestimmt. Es erleichtert Ihren Wissenserwerb, wenn Sie die unterschiedlichen Arten von Wissen kennen und deren Bedeutung im Studium einschätzen können. Auch mögliche Wissensressourcen an der Universität sollten Sie kennen und wissen, wie Sie diese nutzen können. Die Beschäftigung mit der Thematik Wissensmanagement soll zu einer Optimierung des bereits bestehenden Wissens sowie der Einbindung neuer Ressourcen beitragen. Dazu wird in dieser Lerneinheit die Wichtigkeit von Wissen anhand von studienrelevanten Beispielen erläutert. Anschließend werden der Prozess der Wissensaneignung und verschiedene Arten von Wissen transparent dargestellt. Neben dem universitären Kontext wird auch die konkrete Anwendung im Alltag thematisiert. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die theoretischen Grundlagen der Wissensaneignung kennenlernen; ▶ verschiedene Arten von Wissen voneinander abgrenzen, in konkreten Situationen erkennen und entsprechend verarbeiten können; ▶ erkennen, dass die Wissensvermittlung unabdingbar ist für die Wissensverarbeitung im Sprachunterricht. Der Text dieser Lerneinheit entstammt der folgenden Quelle: Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Auflage). Wien: Huter & Roth KG , 107-150. Didaktische Anpassungen (Formulierung der Lernziele, Zusammenfassung) wurden von Ruth Ho’aba und Katsiaryna EL -Bouz vorgenommen. 2.1.1 Lernen und Wissen Unsere Gesellschaft wird häufig als Wissensgesellschaft bezeichnet. Der Grund dafür ist, dass dem Wissen eine zentrale Bedeutung zukommt: Es wird neben den drei Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden als die wichtigste wirtschaftliche Ressource unserer Gesellschaft angesehen. Aus dieser Perspektive ist Wissen eine Art Rohstoff, mit dem es sorgsam umzugehen gilt. Das gilt auch für das Wissen, das Sie im Laufe Ihres Studiums erwerben. Dieses Wissen bildet die Grundlage für weitere Lernprozesse, die Ihnen im späteren (Berufs-) Leben begegnen. Es wird Ihnen wesentlich leichter fallen mit Problemsituationen angemessen umzugehen oder Lösungen zu finden, wenn Sie eine breite und gut organisierte Wissensbasis haben, auf die Sie immer zurückgreifen können. Nicht nur Faktenwissen ist dabei von Bedeutung, sondern <?page no="44"?> 45 2.1 Wissen auch die Fähigkeit, Probleme zu bearbeiten und die eigenen Kompetenzen angemessen anzuwenden, gehört in den Bereich des Wissens. Wissen stellt das Ergebnis eines Lernprozesses dar, wobei sich Lernprozesse oder Wissenserweiterungen nicht von Außenstehenden beobachten lassen. In bestimmten Zusammenhängen kann das erworbene Wissen wahrnehmbar werden, indem Sie beispielsweise ein Problem auf eine andere Weise lösen, in einer Hausarbeit eine neue Sichtweise vertreten oder einen Lösungsweg erklären können. In diesen Fällen wird auch für einen Außenstehenden erkennbar, was Sie dazugelernt haben. Von der Information zum Wissen Wissen ist nicht gleichzusetzen mit einer Sammlung von Informationen. Eine Information verändert sich bei ihrer Weitergabe nicht. Sie wird erst dann zu Wissen, wenn sie von Ihnen wahrgenommen und in Ihr schon vorhandenes Wissensgeflecht eingearbeitet wird. Dieser Prozess geschieht nicht immer bewusst, sondern Sie ordnen Informationen ganz unbewusst bestimmte Merkmale zu. Abbildung 2.1: Lernen und Wissen (Bastian & Groß 2017: 108) Wenn Sie beispielsweise in einer Sprache eine neue Vokabel lernen, verknüpfen Sie mit dieser zunächst bestimmte Bedeutungen, die Sie mit der Zeit erweitern oder präzisieren können. Lesen Sie das Werk eines Theoretikers, der Ihnen noch nicht bekannt war, setzen Sie es zu anderen, Ihnen bereits bekannten Theorien in Bezug und grenzen es ab. Jede neue Information hat dementsprechend einen Einfluss auf Ihre gesamte persönliche Wissensbasis. Da das Wissen eines jeden Menschen unterschiedlich ist, wird eine identische Information von jedem Individuum unterschiedlich bewertet. Aber auch Studentinnen und Studenten aus dem gleichen Fachbereich verknüpfen Informationen mit jeweils unterschiedlichem Vorwissen. Selbst Ihr eigener Umgang mit der gleichen Information ändert sich im Laufe der Zeit. Sie können dies selbst einmal austesten, indem Sie sich ein Jahr später noch einmal in die gleiche Vorlesung setzen oder einen Text lesen, den Sie vor längerer Zeit schon einmal gelesen haben. Sie werden merken, wie unterschiedlich Ihre persönliche Wahrnehmung trotz des identischen Inhalts ist. Ihr persönliches Wissen ist also das Ergebnis einer Vielzahl individuell durchlebter Lernprozesse. <?page no="45"?> 46 2. Allgemeines Wissensmanagement Eine Information löst unterschiedliche Reaktionen aus Die individuelle Wahrnehmung einer Information können Sie in alltäglichen Situationen gut beobachten. Achten Sie einmal darauf, wie unterschiedlich Menschen in Ihrem Umfeld auf die gleiche Information reagieren. Befindet sich beispielsweise ein Freund von Ihnen gerade in einer intensiven Lernphase und leidet zeitgleich unter einem ungewöhnlich starken Hautausschlag, wird dies von jedem Ihrer Bekannten unterschiedlich gedeutet. Ein befreundeter Psychologiestudent knüpft diese Körperreaktion beispielsweise an die psychische Belastung der Prüfungsphase, während einer Pharmaziestudentin direkt unterschiedliche Wirkstoffe in den Sinn kommen, die zu einer Linderung der Rötung verhelfen könnten. Achten Sie einmal darauf, wie Sie und andere mit der gleichen Information umgehen. Lernen Sie nicht einfach auswendig Es wird jedoch nicht jede Information dauerhaft in das persönliche Wissen integriert. Wenn Sie beispielsweise Inhalte stur auswendig lernen, ohne sich deren Bedeutung bewusst zu machen, verknüpfen Sie diese auch nicht mit Ihrem Vorwissen und sie bleiben bloßes Datenmaterial in einem beliebigen Bedeutungskontext. Achten Sie deshalb darauf, dass Sie sich die Bedeutung von Informationen, die Sie an der Universität lesen oder hören, bewusst machen. Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstehen, sonst können Sie keine Verknüpfungen zu Ihrem Wissen herstellen. Die einzelnen Schritte des Wissensaufbaus Jede Information, die Sie im Rahmen Ihres Studiums in Ihr Wissen aufnehmen, durchläuft einen bestimmten Prozess, den Sie sich auch in Form einer Treppe mit mehreren Stufen vorstellen können. Klaus North hat dazu das Modell der Wissenstreppe entwickelt: Abbildung 2.2: Wissenstreppe (nach North 1998: 41) Damit Sie Ihr Wissen später anwenden können, ist es wichtig, dass Sie alle Stufen dieser Treppe nehmen und nicht auf halber Höhe verharren. Am besten lässt sich dies anhand eines Beispiels nachvollziehen: Wenn Sie sich über Gefahren im Umgang mit dem Internet informieren, bewältigen Sie bei der Lektüre verschiedener Texte die drei untersten Stufen der Treppe fast intuitiv. <?page no="46"?> 47 2.1 Wissen ▶ Jeder Text besteht zunächst einmal aus Daten, wie Wörtern, Sätzen oder Formeln, welche sich wiederum aus einzelnen Zeichen (Zahlen, Buchstaben, Satzzeichen etc.) zusammensetzen und unabhängig von der Interpretation einer Person existieren. ▶ Wenn Sie jedoch einen Text lesen und die Daten logisch zueinander in Beziehung setzen, können Sie diese als Informationen aus dem Text entnehmen. Das kann zum Beispiel eine Information darüber sein, wie viele Menschen in Deutschland täglich das Internet nutzen. ▶ Diese Information wird von jedem Leser ganz individuell aufgenommen und in sein bereits vorhandenes Wissen integriert. Haben Sie beispielsweise ein Vorwissen, wie viele Menschen in Deutschland täglich fernsehen, so können Sie die Häufigkeiten zueinander in Relation setzen und einschätzen, welches Medium (Internet oder Fernsehen) häufiger genutzt wird. ▶ Damit das Wissen für Sie nutzbar wird, müssen Sie es in einem nächsten Schritt anwenden und in Können verwandeln. Dies geschieht, wenn Sie sich praktisch mit dem Internet beschäftigen, indem Sie darin aktiv werden oder ein Projekt durchführen, oder Sie nutzen die Gelegenheit, zu dem Thema eine Hausarbeit zu verfassen, wenden das Wissen also auf einer theoretischen Ebene an. ▶ Das angestrebte Ziel können Sie wiederum nur erreichen, wenn Sie das erworbene Wissen in eine Handlung überführen, indem Sie beispielsweise einen eigenen fundierten Text zum Umgang mit Medien verfassen. ▶ Je nach Angemessenheit Ihres Handelns stellt sich schließlich Ihre individuelle Kompetenz heraus. Eine schlecht recherchierte Hausarbeit, in der einseitig und ohne Beleg die Gefahren des Internets dargestellt werden, zeugt zum Beispiel nicht von fachlicher Kompetenz. Die strikte Ablehnung der Internetnutzung, um Gefahren zu vermeiden, wäre in Anbetracht der Tatsache, dass heutzutage fast alle beruflichen Tätigkeiten auf den Umgang mit diesem Medium angewiesen sind, sehr fragwürdig. Beim Umgang mit dem Wissen, wie beispielsweise beim Schreiben einer wissenschaftlichen Hausarbeit, den ersten Erfahrungen in einem Job oder im Rahmen eines Praktikums, können Ihnen anfangs Fehler unterlaufen. Lassen Sie sich davon jedoch nicht entmutigen. Versuchen Sie aus Ihren Fehlern zu lernen und Sie werden sehen, dass Sie mit der Zeit Situationen oder Problemen angemessen begegnen. 2.1.2 Arten von Wissen Wissen begegnet Ihnen an der Universität in verschiedenen Formen. Im Rahmen von Vorlesungen oder Seminaren wird häufig ein deklaratives Wissen vermittelt. Es handelt sich dabei um feststehende Informationen, wie bestimmte Fakten, Ereignisse oder komplexere Zusammenhänge. Dieses Wissen lässt sich leicht verschriftlichen und in Nachschlagewerken, Fachbüchern oder auch auf Webseiten nachlesen. Im Studium begegnet Ihnen jedoch nicht nur Faktenwissen, sondern auch Handlungswissen, welches auch als prozedurales Wissen bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um Wissen darüber, auf welche Art und Weise Dinge getan werden. <?page no="47"?> 48 2. Allgemeines Wissensmanagement Achten Sie darauf, dass Sie beide Wissensformen erwerben. Es genügt nicht, nur faktische Kenntnisse zu besitzen und diese nicht anwenden zu können. Sie brauchen Handlungswissen in den vielfältigsten Situationen, von der Berechnung mathematischer Formeln bis hin zur Anwendung von Forschungsmethoden. Deklaratives und prozedurales Wissen im Alltag Nicht nur an der Universität begegnen Ihnen Handlungs- und Faktenwissen, sondern auch in vielen alltäglichen Lernsituationen. Wenn Sie beispielsweise das Autofahren erlernen, eignen Sie sich zunächst die Verkehrsregeln an und Ihr Fahrlehrer erklärt Ihnen, wie Sie Kupplung, Gas und Bremse zu bedienen haben. Diese Informationen speichern Sie im deklarativen Gedächtnis ab. Das theoretische Wissen müssen Sie in einem nächsten Schritt in Handlungen überführen. Bei Ihren ersten Fahrversuchen entwickeln Sie entsprechende motorische Fähigkeiten und speichern dieses Wissen in Ihrem prozeduralen Gedächtnis ab. Wenn Sie einmal in einem Land mit Linksverkehr ein Auto mieten, wird Ihnen die tiefe Verankerung des prozeduralen Wissens vor Augen geführt, wenn Sie zum Beispiel irrtümlicherweise den falschen Hebel bedienen und den Scheibenwischer anstatt des Blinkers aktivieren. Wissen auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen Darüber hinaus kann Wissen auch nach dem Bewusstseinsgrad unterschieden werden: Als explizites Wissen wird ein transparentes und abrufbares Wissen bezeichnet, welches Sie erlangen, indem Sie bewusste kognitive Verknüpfungen herstellen. Dies geschieht beispielsweise beim Sprachenlernen, wenn Sie das Objekt Stuhl mit dem Wort ‚Stuhl‘ verknüpfen. Nachdem die Verknüpfung hergestellt wurde, wissen Sie wovon eine Person spricht, wenn sie das Wort ‚Stuhl‘ hören, selbst wenn das Objekt nicht in Ihrem Sichtfeld ist. Explizites Wissen kann unter anderem in Texten, Formeln oder Datenbanken festgehalten werden und ist dadurch einfach weiterzugeben und sprachlich leicht vermittelbar. Bei implizitem Wissen hingegen handelt es sich um persönliches Erfahrungswissen. Dieses Wissen kann nicht so leicht weitergegeben werden und wird häufig unbewusst erworben. Wenn Sie beispielsweise eine Handlung ausführen, die einzelnen Handlungsschritte jedoch nicht explizit benennen können und nicht erklären können, wie Sie die Handlung bewerkstelligen, handelt es sich um implizites Wissen. Typische Beispiele sind die Fähigkeit, Fahrrad zu fahren, oder die Fähigkeit, zu kommunizieren. Im Studium wird es viele Situationen geben, in denen es zu einem Zusammenwirken der beiden Wissensformen kommt. Explizites Wissen wird zu implizitem Wissen Wenden Sie explizites Wissen an. Die praktische Anwendung überführt explizites Wissen in implizites Wissen. Wenn Sie sich beispielsweise das Wissen über die Durchführung einer bestimmten Methode angelesen, es verstanden und abgespeichert haben, und diese Methode <?page no="48"?> 49 2.1 Wissen im Anschluss immer wieder praktisch anwenden, wird die Durchführung für Sie mit der Zeit so selbstverständlich werden, dass Sie sich Ihr Handeln nicht mehr bewusst machen müssen. Implizites Wissen wird zu explizitem Wissen Machen Sie sich implizites Wissen bewusst. Gerade in einer schriftlichen oder mündlichen Prüfung ist es wichtig, dass Sie Ihr Wissen nicht nur implizit abrufen können. Sie sollten einen Lösungsvorschlag nicht nur „aus dem Bauch heraus“ einbringen können, sondern diesen auch begründen und mit expliziten Begriffen beschreiben können. Achten Sie darauf, dass Sie Ihr Handeln oder Ihre Beispiele immer ausreichend erklären und begründen können. Explizites und implizites Wissen im Alltag Auch das explizite und implizite Wissen lässt sich am Beispiel des Autofahrens verdeutlichen. Wenn Sie als Fahranfänger in einem Auto sitzen, müssen Sie sich jede Handlung und jede Verkehrsregel stets bewusst in Erinnerung rufen. Einige Jahre später jedoch denken Sie gar nicht mehr bewusst darüber nach, sondern führen die notwendigen Handlungen einfach unbewusst aus. Sie haben in diesem Fall das in der Fahrschule erworbene explizite Wissen in implizites Wissen überführt. Träges Wissen Eine Form des Wissens, die Sie unbedingt vermeiden sollten, ist das träge Wissen. Es handelt sich dabei um explizites Wissen, das als bloße Information gespeichert wird und deshalb nur in den gelernten Zusammenhängen angewandt oder abgerufen werden kann. Werden Fachinhalte beispielsweise einfach auswendig gelernt, dann ist es häufig nicht möglich Transferleistungen zu vollbringen und die Informationen auf andere Problemsituationen zu übertragen. Auf diese Weise erworbenes Wissen ist für die spätere Anwendung im Beruf wertlos. Vermeiden Sie deshalb die Erzeugung von trägem Wissen durch reines Auswendiglernen unbedingt und versuchen Sie stattdessen Problemlösungen nachzuvollziehen und theoretisches Wissen in verschiedenen Kontexten anzuwenden. Eine solche Transferleistung erwarten viele Professoren auch in Ihrer Abschlussprüfung von Ihnen. Überlegen Sie sich deshalb beim Erwerb neuen Wissens: ▶ Wo können Sie dieses Wissen anwenden? ▶ Wofür ist es wichtig, genau das zu wissen? ▶ Wie würden Sie einem Fachfremden erklären, warum dieses Wissen in Ihrem Fachbereich wichtig ist? Scheuen Sie sich nicht nachzufragen, wenn Sie eine dieser Fragen nicht selbst beantworten können. <?page no="49"?> 50 2. Allgemeines Wissensmanagement Aus der Forschung Mit der Kluft zwischen Wissen und Handeln hat sich der Psychologe Diethelm Wahl bereits 1991 in seiner Studie Handeln unter Druck beschäftigt. Er bat Lehramtsstudentinnen und -studenten Falldarstellungen zu interpretieren. Auf die Frage, warum sie bei der Interpretation auf Alltagswissen, nicht aber auf wissenschaftliche Theorien zurückgriffen, wurde unter anderem die Antwort gegeben: Ich habe nicht gewusst, dass wir bei der Bearbeitung auf wissenschaftliche Theorien zurückgreifen müssen! Dieses Beispiel veranschaulicht, dass Studentinnen und Studenten wissenschaftliches Wissen häufig nicht von sich aus einsetzen, sondern nur, wenn sie ausdrücklich dazu aufgefordert werden. Wissen ist jedoch nur dann wertvoll, wenn Sie es auch anwenden können. Achten Sie deshalb in Ihrem Studium unbedingt auf die Verzahnung von Theorie und Praxis. Fragen Sie sich selbst, wo Ihr erworbenes Wissen Anwendung finden kann. Die verschiedenen Wissensarten, Wissensformen und Bewusstseinsebenen und die möglichen Träger von Wissen sind im folgenden Schaubild noch einmal zusammengefasst: Abbildung 2.3: Wissensformen, Bewusstseinsebenen und Träger von Wissen (Bastian & Groß 2017: 115) 2.1.3 Träger von Wissen Neben dem persönlichen Wissen gibt es auch ein kollektives Wissen. Dieses kollektive Wissen entsteht durch Diskurse zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft, so auch an den Universitäten. Das Wissen vieler Personen wird versprachlicht und mit der Zeit systematisiert. Für Sie, als neues Mitglied der Hochschule, gilt es, dieses kollektive Wissen, welches sich in den Regeln, Normen und Strukturen der Universität niederschlägt, kennenzulernen. <?page no="50"?> 51 2.1 Wissen Das kollektive Wissen ist jedoch oft nicht schriftlich fixiert. Sie werden ihm im Rahmen universitärer Veranstaltungen begegnen und es so mit der Zeit erwerben. Ein solches spezifisches Wissen der Universität ist zum Beispiel das Auf-den-Tisch-Klopfen als eine Form des Beifalls am Ende einer Seminarsitzung oder nach einem Vortrag. Im Gegensatz zum kollektiven Wissen ist das persönliche Wissen nur einer Person zugänglich. Sie entwickeln Ihr Wissen individuell und sind dafür verantwortlich Ihre Wissensbasis zu verwalten und zu organisieren. Während dies im Alltag häufig unbeabsichtigt geschieht, ist das Studium darauf ausgerichtet, dass Sie Ihr Wissen zielgerichtet erweitern. Die Fähigkeit des Nicht-Wissens So wichtig der Erwerb von Wissen auch ist, lassen Sie sich nicht davon entmutigen, wenn Sie zu Beginn Ihres Studiums bemerken, dass Sie viele Theorien noch nicht verstehen und große Wissenslücken in Ihrem Fach haben. Nicht-Wissen wird schnell mit mangelnder Kompetenz gleichgesetzt. Wenn Sie sich jedoch die Rolle des Nicht-Wissens bewusst machen, können Sie es durchaus positiv betrachten. Nicht-Wissen kann als ein Motor genutzt werden, der Sie dazu antreibt etwas Neues wissen zu wollen. Damit stellt es gewissermaßen die Ausgangslage für den Wissenserwerb dar. Wenn Sie an der Richtigkeit und Vollständigkeit Ihres vorhandenen Wissens zweifeln, führt dies dazu, dass Sie neues Wissen generieren. Gleichzeitig wächst mit neuem Wissen auch das Nicht-Wissen, denn mit jeder geklärten Frage entsteht eine Vielzahl neuer Fragen. Lassen Sie sich daher nicht von Ihrem Nicht-Wissen verunsichern, sondern sehen Sie es als Chance und gehen Sie gezielt auf die Suche nach neuem Wissen! Das Nicht-Wissen ist niemals ausgeschöpft und die Möglichkeit, neues Wissen zu generieren, ist prinzipiell immer vorhanden. 2.1.4 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie die theoretischen Modelle rund um das Thema Wissen und Wissensaufbau kritisch reflektiert. Dabei zeigt sich, dass der Weg von der reinen Information zum tatsächlich erworbenen Wissen lang ist und dass dessen Ergebnis oft nicht zu beobachten ist. In dieser Einheit haben Sie: ▶ die theoretischen Grundlagen der Wissensvermittlung kennengelernt, so dass Sie diese in Ihrem eigenen Unterricht berücksichtigen können; ▶ verschiedene Arten von Wissen kennen gelernt und voneinander abgegrenzt; ▶ sich mit unterschiedlichen Trägern von Wissen und deren Bedeutung auseinandergesetzt; ▶ gesehen, dass sich persönliches und universitäres Wissensmanagement nicht klar voneinander trennen lassen, da die Übergänge zwischen den Wissensbeständen fließend sind. <?page no="51"?> 52 2. Allgemeines Wissensmanagement 2.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was versteht man unter trägem Wissen? 2. Nennen Sie mindestens drei Faktoren, die bei der Wissensvermittlung eine Rolle spielen. 3. Wie lässt sich deklaratives Wissen und prozedurales Wissen unterscheiden? 4. Persönliches Wissen ist für jeden Menschen unterschiedlich. Erklären Sie den Prozess der Aneignung. <?page no="52"?> 53 2.2 Wissensmanagement 2.2 Wissensmanagement Jasmin Bastian & Lena Groß Der Begriff des Managements wird in seinem Ursprung vorrangig mit der Betriebswirtschaft und der Unternehmensführung verbunden und weniger mit dem Lernen an einer Hochschule. Seit einiger Zeit hat jedoch das Wissensmanagement seinen Weg auch an die Hochschulen gefunden. An der Universität erwerben Studentinnen und Studenten täglich auf individuelle Weise neues Wissen. Der Wissenserwerb wird nicht immer bewusst gesteuert, sondern Lernprozesse werden schon allein durch das Lesen eines Textes oder eine anregende Diskussion über fachliche Inhalte angestoßen. Es ist jedoch ein Unterschied, ob Sie den Erwerb von Wissen systematisch gestalten oder ihn einfach beiläufig geschehen lassen. Indem Sie Ihren Umgang mit Wissen bewusst steuern, können Sie zu einer Optimierung Ihres Wissenserwerbs beitragen sowie die Nutzbarkeit Ihres bereits vorhandenen Wissens verbessern. Der aus dem Englischen entlehnte Begriff des Managens, also des Lenkens oder Verwaltens, beschreibt solche Organisationsprozesse. In dieser Lerneinheit bekommen Sie detaillierte praktische Tipps zur Organisation Ihres Wissens. Anhand eines Modells zum Wissensmanagement werden die benötigten Bausteine erläutert. Die praktischen Methoden, die Ihnen dabei helfen können, diese Bausteine umzusetzen, sind Gegenstand der Lerneinheit 2.3 in diesem Band. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ erkennen können, dass Wissen endlos ist und somit immer prozesshaft zu verstehen ist; ▶ sich Techniken und Methoden erschließen können, um Ihr persönliches Wissensmanagement zu optimieren; ▶ die Trias von Wissen generieren, Wissen organisieren und Wissen publizieren als untrennbar für gute Lehre erkennen können, ▶ die Modelle des Wissensmanagements kritisch reflektieren und deren Grenzen aufzeigen können. Der Text dieser Lerneinheit entstammt der folgenden Quelle: Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 107-150. Didaktische Anpassungen (Formulierung der Lernziele, Zusammenfassung) wurden von Ruth Ho’aba und Katsiaryna EL -Bouz vorgenommen. 2.2.1 Universität und Wissensmanagement Ihr Wissensmanagement läuft nicht auf ein fertiges Produkt oder ein „Endwissen“ hinaus, sondern ist als ein Prozess zu verstehen, der immer weiter voranschreitet. Setzen Sie sich deshalb nicht unter Druck, wenn es darum geht, ein Wissensziel zu erreichen. Es gibt immer noch mehr zu wissen und Sie werden nie auslernen. Betrachten Sie vielmehr Ihr stetiges <?page no="53"?> 54 2. Allgemeines Wissensmanagement Weiterlernen und das fortwährende Managen Ihres Wissens als eine dauerhafte Investition in Ihre Zukunft. Die Universität spielt im Kontext der heutigen Wissensgesellschaft eine wesentliche Rolle, denn sie ist ein Ort, an dem bedeutende gesellschaftliche Probleme bearbeitet und neue Lösungen gesucht und gefunden werden, an welchem also ständig neues Wissen geschaffen wird. Wissen muss publiziert werden Das Wissen der gesamten Organisation Universität, besteht immer aus dem persönlichen Wissen vieler Einzelpersonen. In den Köpfen der Wissenschaftler versteckt, entfaltet dieses Wissen jedoch nicht seine ganze Wirkung. Es wird erst dann für die gesamte Organisation wertvoll, wenn es für die Allgemeinheit abrufbar und nutzbar gemacht wird. Arbeitsergebnisse aus Studien oder neue Theorien, die von einzelnen Universitätsmitarbeitern und Universitätsmitarbeiterinnen erarbeitet wurden, werden dazu in eine Form gebracht, in der sie für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich sind. Das kann beispielsweise eine Veröffentlichung in einem Buch oder einer Zeitschrift sein, oder auch ein Fachvortrag, der vor einem Publikum gehalten wird. Die hohe Kunst der Wissenschaft besteht also nicht nur darin, gute Ideen und Lösungen zu entwickeln, sondern auch darin, Gedanken, Lösungsprozesse und Argumentationen für andere nutzbar zu machen. Ein wissenschaftlicher Artikel, dessen Kernaussage nicht verständlich wird, ist nutzlos. Erst wenn es dem Autor gelingt, die eigenen Gedanken verständlich zu machen, kann sein Wissen auch von anderen genutzt werden. Wie können Sie vom universitären Wissen profitieren? Mit Ihrem Wissen tragen Sie dazu bei, dass das Gesamtwissen der Universität wächst. Gleichzeitig können Sie von dem an der Universität vorhandenen Wissen profitieren. Sie selbst sind dafür verantwortlich Ihr eigenes Wissen und den Erwerb von neuem Wissen bestmöglich zu managen. So lange Sie studieren, sind Sie ein Mitglied der Universität und wenden Ihr Wissen in diesem Kontext an. Wenn Sie die Universität verlassen, sollten Sie in der Lage sein, Ihr persönliches Wissen mitzunehmen und es in anderen Kontexten anwenden zu können. Damit Ihnen dies gelingt, werden Ihnen im Folgenden verschiedene Tipps und Hinweise gegeben, wie Sie Ihr Wissen effektiv managen können. 2.2.2 Persönliches Wissensmanagement Während das Wissensmanagement an der Universität von vielen unterschiedlichen Personen und zentralen Einrichtungen gesteuert wird, sind Sie für Ihr persönliches Wissensmanagement selbst verantwortlich. Es ist Ihre Aufgabe, Ihr vorhandenes Wissen zu verwalten und den Erwerb von neuem Wissen zu organisieren. <?page no="54"?> 55 2.2 Wissensmanagement Machen Sie sich bewusst, welche Bestandteile bei der Organisation von Wissen von Bedeutung sind. Das Wissensmanagementmodell von Probst, Raub & Romhardt (2010) unterscheidet acht Bausteine, die Ihnen dabei eine Orientierung bieten können. Diese Bausteine sind nicht als unabhängige Einzelteile zu verstehen, sondern sie sind eng miteinander verknüpft und bilden in ihrer Gesamtheit den Prozess des Wissensmanagements ab. Abbildung 2.4: Bausteine des Wissensmanagements nach Probst, Raub & Romhardt (2010: 28) ▶ Wissensziele: Was und zu welchem Zweck will ich etwas wissen? Ziele geben Ihrem Wissensmanagement eine Richtung. Denn durch sie wird festgelegt, auf welchen Ebenen welche Fähigkeiten aufgebaut werden sollen. ▷ Machen Sie sich Ihre Ziele deshalb zu Beginn und während eines Lernprozesses immer wieder bewusst. ▷ Prüfen Sie, ob Sie Ihre Ziele konstant verfolgen oder ob sie sich verändert haben. Überlegen Sie, was genau Sie wissen wollen und warum. ▶ Wissensidentifikation: Über welche Informationen verfüge ich bereits? Um an der richtigen Stelle ansetzen zu können, sollten Sie sich zunächst vergegenwärtigen, was Sie bereits wissen und über welche relevanten Informationen Sie schon verfügen. ▷ Schreiben Sie beispielsweise in Stichworten auf, was Sie zu dem Themengebiet wissen, welches Sie sich als Ihr Wissensziel gesetzt haben. ▷ Notieren Sie auch in welchen Ihrer Unterlagen Sie nachschlagen könnten. ▶ Wissenserwerb: Wer sind Wissensträger beziehungsweise welche Wissensprodukte gibt es? Überlegen Sie sich, auf welche Weise Sie am besten zu Ihrem Wissen kommen. ▷ Sind Sie darauf angewiesen Ihr Wissen vollständig selbst zusammenzutragen oder können Sie von bereits vorhandenen Problemlösungen profitieren? <?page no="55"?> 56 2. Allgemeines Wissensmanagement ▷ Welche Personen verfügen über das von Ihnen benötigte Wissen und wie können Sie selbst davon profitieren? ▷ Können Sie zum Beispiel mit einem Experten Kontakt aufnehmen oder relevante Unterlagen einsehen? ▶ Wissensentwicklung: Wie kann ich mir benötigtes Wissen aneignen? Überlegen Sie, wie Sie sich dieses Wissen am besten aneignen können. ▷ Müssen Sie beispielsweise einen bestimmten Artikel oder mehrere Bücher lesen oder ist es hilfreich, ein Gespräch mit einem Experten zu führen? ▷ Müssen Sie bestimmte Fähigkeiten erlernen, die Ihnen bei der Aneignung nützlich sein können, wie zum Beispiel Lese- oder Interviewtechniken? ▷ Notieren Sie für welche Methode(n) Sie sich entscheiden. ▶ Wissensverteilung: Wie kann ich mein Wissen verteilen? ▷ Teilen Sie Ihr Wissen. Traditionell wird Wissen vor allem in schriftlicher Form verteilt, beispielsweise in Büchern oder Texten. Aber auch das Internet, Video- oder Audioaufzeichnungen können der Verbreitung von Wissen dienen. Darüber hinaus kann Wissen auch mündlich weitergegeben werden, zum Beispiel in Vorträgen oder Gesprächen. ▷ Wenn Sie in einer Gruppe lernen und Ihr Wissen mit den Mitgliedern der Gruppe teilen möchten, können Sie sich digitale Medien zu Nutze machen, indem Sie beispielsweise Arbeitsergebnisse speichern, per Mail versenden oder digitalisiert präsentieren. ▶ Wissensnutzung: Wie kann ich Wissen produktiv einsetzen? Nutzen Sie Ihr Wissen. Die produktive Nutzung von Wissen hängt eng mit Ihren Wissenszielen zusammen. Überlegen Sie sich wo und wie Sie das erworbene Wissen über den direkten Kontext hinaus verwenden können. ▷ Gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, einen Vortrag zu dem Thema zu halten oder können Sie Ihre Abschlussarbeit darauf aufbauen? ▷ Sind Ihnen in anderen Seminaren anschlussfähige Themen begegnet? ▷ Können Sie Ihr Wissen in einem Praktikum oder einem Nebenjob anwenden? ▷ Können Sie sich vorstellen es in Ihrem späteren Beruf anzuwenden? ▶ Wissensbewahrung: Welche Techniken des Selektierens, Speicherns und Aktualisierens gibt es für mich? Bewahren Sie Ihr Wissen sorgfältig auf. ▷ Legen Sie ein Ordnungssystem in Ihrem Regal oder auf Ihrem Computer an, in dem Sie Informationen sammeln und Ihr abgelegtes Wissen auch wiederfinden. Zur digitalen Wissensbewahrung können Sie spezielle Softwareprogramme nutzen oder Ihre Dokumente mit Schlagworten versehen, sodass Sie diese über die Suchfunktion ausfindig machen können. ▷ Das Abspeichern von Wissen genügt jedoch nicht, sondern Sie müssen es auch regelmäßig aktualisieren. Überlegen Sie sich ein System dafür. Nutzen Sie zum Beispiel ein Notizheft für besondere Einfälle oder neue Informationen und ordnen Sie diese einmal wöchentlich in Ihr Ablagesystem ein. <?page no="56"?> 57 2.2 Wissensmanagement ▶ Wissensbewertung: Welche Qualität hat das Wissen, das ich sammeln möchte beziehungsweise gesammelt habe, und welche Maßstäbe kann ich anlegen? Zentral für die Bewertung ist, ob sich mit dem erlangten oder noch zu erlangenden Wissen Ihr ursprüngliches Wissensziel erreichen lässt. Aber auch individuelle Ansprüche, zum Beispiel wie detailliert Sie etwas wissen möchten, spielen eine wichtige Rolle. Versuchen Sie Ihr Wissen außerdem in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen: Überlegen Sie sich, welche Aussagen zentral sind und wie sich diese zueinander verhalten. ▷ Gibt es eine zentrale Position, die von vielen Wissenschaftlern vertreten wird? ▷ Ordnen Sie sich dieser Gruppe zu oder nehmen Sie eher eine Außenseiterrolle ein? ▷ In welchem Zusammenhang steht das erworbene Wissen mit Ihrem gesamten Studium? Die Bearbeitung der einzelnen Bausteine verschafft Ihnen einen ersten Eindruck, welche Schritte bei einem erfolgreichen Wissensmanagement notwendig sind. Methoden, die Ihnen dabei helfen, diese Schritte umzusetzen, werden in Lerneinheit 2.3 in diesem Band vorgestellt. 2.2.3 Grenzen des Wissensmanagements Das persönliche Wissensmanagement hat jedoch auch seine Grenzen. Die meisten Wissensmanagementmodelle gehen davon aus, dass der Erwerb von Wissen bewusst gesteuert werden kann. Emotionale und intuitive Prozesse treten dadurch in den Hintergrund, obwohl sie gerade im Bereich des Lernens eine wichtige Rolle spielen. Mit intuitivem Wissen sind Einfälle gemeint, deren Herkunft nicht immer logisch erklärbar ist. Im Alltag spricht man auch von einem Geistesblitz. Zu solchen spontanen Einfällen kann es kommen, wenn Sie sich intensiv mit einem Thema auseinandersetzen oder lange über die Lösung eines bestimmten Problems nachdenken. Vielleicht ist es Ihnen auch schon mal passiert, dass Ihnen bei einem Spaziergang oder bei einer anderen Tätigkeit, zum Beispiel beim Fensterputzen, spontan die Lösung für ein bestimmtes Problem eingefallen ist, obwohl Sie in diesem Moment nicht aktiv darüber nachgedacht haben? Sie können versuchen solche Einfälle durch verschiedene Methoden zu forcieren (vergleiche Lerneinheit 2.3 in diesem Band). Oft sind es jedoch unbeabsichtigte Kleinigkeiten, die zum Durchbruch bei einem Problem verhelfen und die auch durch ein noch so gutes Management nicht beeinflusst werden können. Der amerikanische Psychologe Jerome Bruner hat bereits in den 80er Jahren in seinen Studien intuitive Einfälle auf die Vertrautheit mit einem bestimmten Wissensgebiet zurückführen können. Durch die umfangreiche Beschäftigung mit einem Thema entsteht eine besondere Vertrautheit, die es dem Lerner erleichtert, Gedankengänge nachzuvollziehen, Zusammenhänge zu verstehen oder assoziative Verbindungen herzustellen. Machen Sie sich bewusst, dass nicht alle Lern- und Wissensprozesse bewusst gesteuert werden können. Auf viele Aspekte können Sie jedoch Einfluss nehmen, indem Sie beispielweise gezielt Methoden zum Lern- oder Wissensmanagement anwenden. <?page no="57"?> 58 2. Allgemeines Wissensmanagement 2.2.4 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben wir uns mit einem Konzept des Wissensmanagments und dessen Nutzen und Grenzen befasst. Dabei zeigt sich, dass ▶ das Wissensmanagementmodell von Probst, Raub & Romhardt (2010) eine sinnvolle Unterstützung bei der Organisation des persönlichen Wissens darstellt. Es hat eine sich verzweigende Struktur, ist somit uneingeschränkt erweiterbar und erlaubt es verschiedene Wissensbereiche miteinander zu verknüpfen. ▶ dieses Modell den intuitiven und emotionalen Teil des Wissenserwerbs nicht abbildet. ▶ an einer Universität neu generiertes Wissen erst dann seinen vollen Nutzen entfalten kann, wenn es für die Allgemeinheit zugänglich gemacht wird. ▶ die einzelnen Bausteine nicht als abgetrennte Sequenzen verstanden werden können, sondern sich zeitlich und prozedural überlappen können. 2.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was verstehen Probst, Raub & Romhardt (2010) unter Wissensmanagement? Nennen Sie die einzelnen Bausteine und erläutern Sie deren Zusammenhang. 2. Wie erklärt Bruner intuitives Wissen? 3. Überlegen Sie sich den Nutzen von Wissensmanagement. Notieren Sie mindestens drei Stichpunkte. 4. Nennen Sie Gründe, die eventuell gegen die Nutzung von Modellen des persönlichen Wissensmanagements sprechen können. <?page no="58"?> 59 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements Jasmin Bastian & Lena Groß Nachdem Sie in der Lerneinheit 2.2 schon die theoretischen Grundlagen des Wissensmanagements erarbeitet haben, folgt hier eine Lerneinheit zur Umsetzung in die Praxis. Um Ihr persönliches Wissen effektiv managen zu können, sollten Sie unterschiedliche Methoden kennen und beherrschen. Im Folgenden erhalten Sie einen Einblick in Methoden, die Ihnen dabei helfen können, Ihr Wissen zu strukturieren, zu erweitern, es mit anderen zu teilen und für Ihre Zukunft anwendbar zu machen. Digitale Medien können Ihr Wissensmanagement in vielen Bereichen unterstützen und vereinfachen, so etwa bei der Verwaltung oder beim Zugang zu Informationen. Probieren Sie die vorgestellten Tools aus und wählen Sie Ihre Favoriten für Ihr eigenes Wissensmanagement aus. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ durch konkrete methodische Vorschläge Ihr Wissensmanagement optimieren können; ▶ einschätzen können, für welche Phase des Wissensmanagements welche Methode am besten geeignet ist; ▶ die vorgestellten Methoden und Werkzeuge auch für Ihre späteren Lerner nutzbar machen können. Der Text dieser Lerneinheit entstammt der folgenden Quelle: Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 107-150. Didaktische Anpassungen (Formulierung der Lernziele, Zusammenfassung) wurden von Ruth Hilpert und Katsiaryna EL -Bouz vorgenommen. 2.3.1 Wie kann ich mein Wissen am besten managen? Damit Ihr persönliches Wissensmanagement gelingt, sollten Sie unterschiedliche Methoden kennen und beherrschen. Machen Sie sich vor der Auswahl einer Methode bewusst, zu welchem Zweck Sie diese einsetzen möchten: ▶ Möchte ich mein Wissen zunächst einmal identifizieren und strukturieren? ▶ Oder habe ich bereits einen Überblick über mein Wissen und meine Wissensziele und möchte vielmehr meine bisherigen Kenntnisse öffentlich kommunizieren und gemeinsam mit anderen konstruieren? ▶ Möchte ich mein Wissen besonders gut konservieren und damit auch für die Zukunft nutzbar machen? ▶ Oder möchte ich ganz neues Wissen generieren? <?page no="59"?> 60 2. Allgemeines Wissensmanagement Keine der folgenden Methoden dient jedoch nur einem bestimmten Zweck, sondern sie unterstützen unterschiedliche Prozesse des Wissensmanagements. Vorhandenes Wissen identifizieren und strukturieren Machen Sie Ihr persönliches Wissen greifbar, indem Sie es reflektieren und sich einen Überblick darüber verschaffen. Notieren Sie, was Sie zu einem Thema bereits wissen und was Sie noch lernen möchten. Erst wenn Sie Ihr Wissen auf diese Weise sichtbar gemacht haben, können Sie damit beginnen es zu strukturieren und Ihren Lernprozess gezielt steuern. Methode: Wissenslandkarte Das Erstellen einer Wissenslandkarte dient zur Identifikation bereits vorhandenen Wissens. Sie können sich dabei an der Mind-Map-Methode orientieren. Bei der Wissenslandkarte kommt es jedoch darauf an, nicht nur das Wissen an sich festzuhalten, sondern auch zu verzeichnen an welchem Ort dieses Wissen zu finden ist, also beispielsweise in einem bestimmten Text, einer Zusammenfassung, die Sie geschrieben haben, oder in einem Fachbuch. In einem weiteren Schritt visualisieren Sie, welches Wissen Sie noch erwerben möchten. Gehen Sie folgendermaßen vor: 1. Vorbereitung Entscheiden Sie zunächst, welches Wissen Sie auf Ihrer Landkarte festhalten wollen, denn danach richtet sich die Form Ihrer Karte: ▷ Möchten Sie beispielsweise komplexe Zusammenhänge und Relationen zwischen einzelnen Wissensgegenständen, wie Theorien oder Fachgebieten verdeutlichen? ▷ Oder möchten Sie Ihre eigene Wissensentwicklung festhalten und die einzelnen Schritte des Wissenserwerbs zu einem bestimmten Thema nachverfolgen? 2. Vorhandenes Wissen notieren ▷ Notieren Sie in Stichworten oder kurzen Sätzen, was Sie über ein Thema wissen. ▷ Eröffnen Sie für neue Aspekte ein Unterthema und setzen Sie es mithilfe von Pfeilen oder Linien mit den anderen Themen in Verbindung. So entsteht Schritt für Schritt eine immer weiter verzweigte Mind-Map, die Ihr Wissen zu einem bestimmten Themenbereich darstellt. ▷ Verwenden Sie für jeden Zeitabschnitt, beispielsweise für jedes Semester oder jeden Text, den Sie gelesen haben, unterschiedliche Farben. So können Sie immer erkennen, welches Wissen neu hinzugekommen ist. ▷ Nutzen Sie Symbole, um Strukturen und Zusammenhänge darzustellen. <?page no="60"?> 61 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements Abbildung 2.5: Mögliche Symbole für die Darstellung von Zusammenhängen (Bastian & Groß 2017: 128) 3. Wissensorte bestimmen ▷ Vermerken Sie, wo Sie das notierte Wissen finden können. Das kann eine Literaturangabe sein, ein Ordner, in welchem Sie eine Zusammenfassung abgeheftet haben oder auch der Hinweis, dass Sie die Informationen in einem Gespräch oder einem Vortrag erhalten haben. 4. Benötigtes Wissen identifizieren ▷ Zeichnen Sie abschließend ein, welches Wissen Sie noch benötigen. ▷ Verwenden Sie dafür eine andere Farbe, um es vom vorhandenen Wissen abzugrenzen. So haben Sie genau vor Augen, an welchen Stellen Sie weiterarbeiten müssen und welches Wissen für Sie bedeutsam ist. Abbildung 2.6: Beispiel Wissenslandkarte (Bastian & Groß 2017: 128) <?page no="61"?> 62 2. Allgemeines Wissensmanagement Was nützt Ihnen nun Ihre Wissenslandkarte? Wird eine Wissenslandkarte kontinuierlich geführt, können Sie anhand der farblichen Kodierung zurückverfolgen, wie sich Ihr Wissen mit der Zeit entwickelt. ▶ Hängen Sie Ihre Karte gut sichtbar auf, sodass das Wissen für Sie stets präsent ist. Besonders in Zeiten der Prüfungsvorbereitung oder wenn Sie sich intensiv mit einem Thema beschäftigen, rufen Sie sich auf diese Weise die dargestellten Aspekte immer wieder ins Gedächtnis und speichern sie durch die regelmäßige Wiederholung langfristig ab. ▶ Hinterlegen Sie neben der Karte am besten einen Stift, sodass Sie weitere Einfälle oder Ideen sofort notieren können. Auch in einer Gruppe können Sie mit einer Wissenslandkarte arbeiten. Diese bildet dann nicht nur Ihr individuelles Wissen ab, sondern verortet alle beteiligten Personen und deren Wissen in einem Gesamtbild. Egal ob allein oder in der Gruppe: Eine Wissenslandkarte fördert Ihre Motivation und Ihr Selbstbewusstsein, da Sie Ihnen verdeutlicht, wie umfangreich Ihr Wissen mit der Zeit geworden ist. Methode: Karten legen Die Methode des Kartenlegens eignet sich besonders, wenn Sie Ihr bereits vorhandenes Wissen sinnvoll ordnen möchten, zum Beispiel für einen Vortrag oder zur Verschriftlichung. ▶ Schreiben Sie sich Ihre Fragestellung auf eine Karteikarte. Eine konkrete Fragestellung ist leichter zu bearbeiten, als ein allgemeines Thema, denn Sie hilft Ihnen gezielt auf eine Antwort hinzuarbeiten. ▶ Notieren Sie in Stichworten (ein Thema pro Karte), welche Wissensbereiche Sie bereits schriftlich oder gedanklich erfasst haben. ▶ Ordnen Sie die Karten in einer logischen Reihenfolge an. Welcher Aspekt folgt auf welchen anderen Aspekt? Der Vorteil dieser Methode ist, dass Sie die Karten immer wieder neu anordnen und so verschiedene Strukturen ausprobieren können. ▶ Begründen Sie die Reihenfolge der Karten oder formulieren Sie direkt eine Überleitung. ▶ Probieren Sie auch einmal Konstellationen aus, die Ihnen auf den ersten Blick unpassend erscheinen. Durch das Verschieben der Karten werden Sie dazu angeregt, das Thema auch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten und nicht zwanghaft an der ersten Struktur festzuhalten. Methode: Tortendiagramm Mit dem Tortendiagramm können Sie Ihre Lern- und Arbeitszeit für ein Projekt planen. Das Erstellen eines Tortendiagramms eignet sich gut als Fortsetzung der Kartenmethode. Nachdem Sie mithilfe des Kartenlegens Ihrem Wissen eine Struktur gegeben haben, können Sie nun planen, wie viel Raum jeder Teilbereich im Verhältnis zum gesamten Projekt, Text <?page no="62"?> 63 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements oder Vortrag einnehmen soll. Ordnen Sie dafür jedem Teilbereich ein unterschiedlich großes Stück der Torte zu. ▶ Zeichnen Sie einen leeren Kreis mit Mittelpunkt. ▶ Starten Sie mit dem größten Stück und fügen Sie die weiteren Teile chronologisch an. ▶ Arbeiten Sie vorzugsweise mit dem Computer oder benutzen Sie Bleistift und Radiergummi, falls Sie bei den ersten Versuchen zunächst zu viele, zu wenige, zu kleine oder zu große Stücke einplanen. ▶ Berücksichtigen Sie bei Ihrem weiteren Vorgehen das Verhältnis der einzelnen Stücke zur ganzen Torte. Überlegen Sie zum Beispiel, ob es wirklich verhältnismäßig ist, für ein kleines Tortenstück sehr viel Zeit und Arbeitsaufwand zu investieren oder ob Sie sich nicht besser auf die großen Stücke der Torte konzentrieren sollten. Abbildung 2.7: Wissen im Tortendiagramm (Bastian & Groß 2017: 131) 2.3.2 Vorhandenes Wissen kommunizieren und gemeinsam konstruieren Teilweise zögern Studentinnen und Studenten ihr Wissen nach außen zu tragen, sei es aus der Angst heraus, inkompetent zu erscheinen, oder weil sie befürchten, dass andere ihre Ideen für eigene Zwecke weiterverwenden könnten. Befreien Sie sich von diesen Gedanken. Sie können Ihr Wissen nicht verlieren. Machen Sie sich stattdessen den Nutzen des gemeinsamen Austausches bewusst. Wenn in einer Gruppe jedes Mitglied sein Wissen einbringt und nicht nur von den anderen profitiert, verbessert sich die Leistung der ganzen Gruppe ebenso wie die jedes einzelnen Gruppen- <?page no="63"?> 64 2. Allgemeines Wissensmanagement mitgliedes. Durch gemeinsame Diskussionen festigen Sie Ihre Wissensbasis, erlangen mehr Klarheit über einen Themenkomplex und kommen auf neue Ideen. Gerade in Gruppen mit sehr unterschiedlichen Personen ist es wichtig die Stärken der einzelnen Gruppenmitglieder zu nutzen, anstatt sich über die Schwächen des anderen zu ärgern und so wertvolle Energien zu verschwenden. Die Methode der Communities of Practice ist ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedliche Personen ihre persönlichen Stärken in ein Projekt einbringen können. Methode: Communities of Practice Bei den Communities of Practice (CoP) handelt es sich um eine Gruppe von Personen, die sich freiwillig und informell zusammengeschlossen hat, um ein Thema zu bearbeiten. Die Mitgliedschaft in dieser Gruppe entsteht nicht durch Vorgaben von außen, sondern aufgrund des eigenen Interesses am Austausch. ▶ Legen Sie den Wissensbereich fest, in dem die Mitglieder relevante Themen, Aspekte oder Probleme zusammentragen wollen. ▶ Das zentrale Element in CoPs ist die praktische Zusammenarbeit. Dabei steht der Austausch von Lösungsansätzen im Mittelpunkt. ▶ Jedes Mitglied bringt sich in den Prozess der Wissenskonstruktion mit seinen spezifischen Fähigkeiten ein. Haben Sie es sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, ein Beratungsportal für Studieninteressierte einzurichten, so engagiert sich der Jurastudent bei der Erarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Webseite, eine Studentin der Erziehungswissenschaft gibt Tipps zur didaktischen Aufbereitung, ein Informatikstudent gestaltet die Plattform und Studentinnen und Studenten verschiedener Fächer erstellen Inhalte für ihre Fachbereiche. ▶ Fixieren Sie das Wissen aller Einzelpersonen und geben Sie es an die Gruppe weiter, beispielsweise durch Protokolle, Handouts oder Präsentationen. Abbildung 2.8: Community of Practice (Bastian & Groß 2017: 133) <?page no="64"?> 65 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements Die goldenen Regeln der CoP: ▶ Stellen Sie Fragen. ▶ Hören Sie aktiv zu. ▶ Bringen Sie Ihre Zielvorstellungen und Wünsche mit ein, wenn Sie gemeinsame Ziele festlegen. Das fördert Ihre Motivation. ▶ Tragen Sie auch etwas zum Lernen der anderen bei. Geben Sie Wissen preis. ▶ Gehen Sie respektvoll mit anderen um, auch wenn Sie anderer Meinung sind. Es ist schließlich das Ziel, Wissen auszutauschen, zu diskutieren und andere Perspektiven zu erfahren. Methode: Storytelling Das Storytelling ist eine Methode, die sich für die Arbeit in Communities of Practice gut eignet. Die Methode basiert darauf, dass eine oder mehrere Personen etwas zu einem bestimmten Thema berichten und eine Art Geschichte erzählen, die anschließend in der Gruppe analysiert und diskutiert wird. Solche Geschichten können beispielsweise Lernerfahrungen, Projektverläufe, Versuche oder praktische Erfahrungen dokumentieren, um diese besser greifbar zu machen. ▶ Suchen Sie eine Person, die ein relevantes Wissen über den Bereich hat und die sich bereit erklärt, dieses Wissen zur Verfügung zu stellen. Es muss sich dabei nicht um ein Mitglied der Gruppe handeln. Wenn es um geschichtliches Wissen geht, können Zeitzeugen eine gute Informationsquelle sein, aber auch Berichte aus einem Forschungsfeld oder der Praxis können interessant für eine Gruppe sein. ▶ Zeichnen Sie die mündlich vorgetragene Geschichte auf und verschriftlichen Sie diese für die Arbeit in der Gruppe. Der Text ermöglicht es Ihnen wichtige Passagen zu markieren oder in einer Diskussion schnell zu anderen Stellen zu wechseln. ▶ Markieren Sie zentrale Aussagen der Geschichte und ordnen Sie diese verschiedenen Themen zu. Arbeiten Sie dazu mit einem zweigeteilten Blatt: Während Sie auf der rechten Seite Originalzitate verwenden, nutzen Sie die linke Spalte, um das Thema des jeweiligen Zitats in eigene Worte zu fassen. So wird die persönliche Erzählung Schritt für Schritt in neuformuliertes Wissen überführt. ▶ Schreiben Sie die Erzählung abschließend in eigenen Worten neu und versehen sie diese mit einem Titel, einer kurzen Einleitung und den biografischen Daten des Erzählers. Die beiden Spalten behalten Sie bei. So können Sie in der rechten Spalte die Geschichte mit Rückgriff auf Originalzitate nachvollziehen, während die linke Spalte Ihre Anmerkungen, kurzen Analysen, Fragen und Einsichten enthält. ▶ Legen Sie die neuformulierte Geschichte dem Erzähler vor, um zu prüfen, ob Sie seine Gedanken in seinem Sinne verarbeitet haben. Die Methode des Storytelling wird auch in Unternehmen eingesetzt, um das Wissen einzelner Mitarbeiter für andere nutzbar zu machen und Lösungswege zu verdeutlichen. Ein Vorteil der Methode ist, dass Geschichten oft verständlicher und dadurch leichter zu verankern sind, als reine Fakten. <?page no="65"?> 66 2. Allgemeines Wissensmanagement Methode: Mentorenprinzip Ein Mentor ist eine Person, die über ein umfangreiches Wissen verfügt und dieses an andere, in der Regel jüngere oder unerfahrenere Personen aus dem eigenen Fachgebiet, weitergibt. Oft kann ein Experte Sachverhalte besser veranschaulichen, als dies der Fachliteratur gelingt. ▶ Nutzen Sie Mentorenprogramme. An einigen Universitäten werden spezielle Mentorenprogramme angeboten, in deren Rahmen Studentinnen und Studenten oder einer Gruppe von Studierenden ein Mentor zugeordnet wird. An diesen können die Studentinnen und Studenten sich mit ihren speziellen Fragen zum Studium oder zu ihrem Fach wenden. Oft bieten auch ältere Kommilitonen ihre Unterstützung an, werden jedoch dann häufig als Tutor bezeichnet. ▶ Suchen Sie sich selbst einen Tutor. Wenn im Rahmen Ihres Studiengangs kein Mentorensystem verankert ist, können Sie sich auch selbst einen Mentor suchen. Zum Beispiel kann Ihnen ein Student aus einem höheren Semester beschreiben, wie er sich auf die Abschlussprüfung vorbereitet hat, welche Schwierigkeiten ihm begegnet sind, welche Fehler ihm unterlaufen sind und wie er diese schließlich gemeistert hat. ▶ Nutzen Sie die Gelegenheit und stellen Sie Fragen, wenn Sie zum Beispiel in einer kleinen Runde mit einem Professor oder einem Dozenten zusammensitzen. ▶ Engagieren Sie sich als studentische Hilfskraft an Ihrem Institut. Durch die aktive Mitarbeit in laufenden Forschungsprojekten können Sie in direkter Zusammenarbeit mit erfahrenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen lernen. 2.3.3 Wissen für die Zukunft nutzbar machen Damit Sie einmal erworbenes Wissen auch zu einem späteren Zeitpunkt nutzen können, sollten Sie es systematisch reflektieren und Anwendungsmöglichkeiten dokumentieren. Methode: After Action Review Um aus eigenen Erfahrungen und Fehlern zu lernen, ist das After Action Review eine geeignete Methode. Mithilfe des After Action Reviews, welches als Reflexionsmethode im Rahmen der US -Army entstand, können Sie eine durchgeführte Handlung, wie zum Beispiel eine Prüfung, einen Vortrag oder Ähnliches rückblickend beurteilen. 1. Ermitteln Sie den Soll-Zustand: Was hätte passieren sollen? 2. Dokumentieren Sie den Ist-Zustand: Was ist wirklich passiert? 3. Bringen Sie den Sollmit dem Ist-Zustand in Vergleich: Warum gab es (keine) Abweichungen? 4. Formulieren Sie Ihre Erfahrungen: Was kann ich daraus lernen? <?page no="66"?> 67 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements Nehmen Sie sich nach wichtigen Situationen im Studium die Zeit, diese Methode anzuwenden. Legen Sie dazu ein kleines Heft oder einen Ordner an, worin Sie Ihre After Action Reviews dokumentieren. Wenn Sie später vor einer ähnlichen Situation stehen, können Sie Ihre Reflektionen wieder zur Hand nehmen, um besser einschätzen zu können, worauf es beim nächsten Lernen oder der Vorbereitung ankommt und welche Fehler Sie vermeiden sollten. Methode: Lessons Learned Statt das gesamte After Action Review zu durchlaufen, können Sie sich auch nur dem letzten Schritt widmen, den sogenannten Lessons Learned. Indem Sie die gelernten Lektionen nach einer abgeschlossenen Lernphase dokumentieren, legen Sie eine Basis für ein effizienteres Lernen in der Zukunft. ▶ Halten Sie alle Fehler fest, die Ihnen unterlaufen sind und alle Schwierigkeiten, die sich Ihnen gestellt haben. ▶ Beschreiben Sie, wie es zu dem Fehler oder der Schwierigkeit kam. ▶ Überlegen Sie, was Ihnen das nächste Mal in einer ähnlichen Situation helfen könnte. ▶ Notieren Sie Methoden, die Ihnen in Ihrem letzten Lernprozess geholfen haben. So erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mögliche Fehler nicht noch einmal begehen, und Sie vergessen Ihre Lösungswege auch dann nicht, wenn Sie einmal eine längere Pause im Studium einlegen, beispielsweise für ein Auslandssemester oder ein Praktikum. Methode: Mikroartikel Ein Mikroartikel ist eine Mischung aus einer Karteikarte und einem wissenschaftlichen oder journalistischen Artikel. Es handelt sich dabei um kurz und prägnant zusammengetragenes Wissen, auf das zu einem späteren Zeitpunkt schnell wieder zugegriffen werden kann. Wenn es schnell gehen soll und Sie sich Informationen kurz und prägnant notieren möchten, sodass sie diese zu einem späteren Zeitpunkt weiterverwerten können, ist das Verfassen eines Mikroartikels eine geeignete Methode. ▶ Formulieren Sie Inhalte oder Lernerfahrungen verständlich und klar. Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass Sie für eine Tageszeitung schreiben und jeder Leser und jede Leserin nachvollziehen soll, was Sie erlebt beziehungsweise in einer bestimmten Lernsituation erfahren haben. ▶ Orientieren Sie sich beim Schreiben Ihrer Mikroartikel an einem Leitfaden oder einem einheitlichen Raster, sodass diese übersichtlich bleiben und auch zu einem späteren Zeitpunkt leicht verständlich sind. Folgende Fragen helfen Ihnen bei der Orientierung: ▶ Was ist das Thema gewesen, mit dem Sie sich in der Lernsituation beschäftigt haben? ▶ Was war der Lernanlass? ▶ Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? <?page no="67"?> 68 2. Allgemeines Wissensmanagement ▶ Welche Folgerungen und Erkenntnisse gewinnen Sie daraus? ▶ Welche Fragen oder ungeklärten Probleme gilt es noch zu lösen? Achten sie darauf, dass Ihre Mikroartikel einen gewissen Umfang nicht überschreiten. Legen Sie für jede Frage einen bestimmten Umfang fest, beispielsweise eine Seite oder drei bis vier Sätze. So wird es Ihnen oder anderen später leichtfallen, die Mikroartikel zu lesen beziehungsweise gezielt nach bestimmten Punkten zu suchen. Methode: Best Practice Sharing Der Begriff Best Practice beschreibt Lösungswege, Modelle oder besonders gelungene Projekte, die bereits in der Praxis erprobt wurden. Nutzen Sie beispielsweise die Arbeit in der Gruppe, um solche bereits erarbeiteten Lösungswege mit Ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen auszutauschen. Aufwändige Lösungen für spezielle Probleme müssen nicht mehrmals entwickelt werden. ▶ Lesen Sie im Internet nach. Insbesondere im technischen Bereich gibt es unzählige Foren, in welchen spezielle Problemstellungen behandelt und Lösungswege dokumentiert werden. Davon können Sie auch in Ihrem Studium profitieren. Wenn Sie zum Beispiel ein Diagramm anfertigen wollen, es aber nicht so aussieht, wie Sie sich das vorstellen oder bestimmte Funktionen eingeschränkt sind, können Sie Hilfe in einem Internetforum suchen. Fast jedes Problem oder jede Frage wurde schon einmal gestellt. ▶ Halten Sie selbst Lösungsmodelle, die Sie in einer Lerngruppe erarbeitet haben, fest. So können Sie nicht nur schnell auf eine Lösung zurückgreifen, sondern es hilft Ihnen auch dabei Ihr Wissen zu sortieren, da Sie bemüht sind, die Inhalte zu vereinfachen und für andere verständlich darzustellen. ▶ Doch Vorsicht: Nicht alle guten Lösungen sind in einen anderen Kontext übertragbar. In vielen Fällen müssen Sie die Vorschläge anderer noch einmal prüfen und gegebenenfalls modifizieren. Die öffentliche Verbreitung von Wissen Das Thema Urheberrechte und der Umgang mit fremdem Gedankengut hat in jüngster Zeit eine erhöhte Aufmerksamkeit erfahren. Im Zeitalter der digitalen Medien ist das Veröffentlichen und auch das Kopieren von Inhalten einfacher geworden und vielen Personen ist nicht klar, in welchen Fällen sie Grenzen überschreiten. Grundsätzlich gilt: Die Übernahme von Texten oder Gedanken anderer muss immer gekennzeichnet werden! Häufig werden Inhalte im Internet geschützt, sodass andere Nutzer sie zwar lesen, aber nicht verbreiten dürfen. Im Sinne einer gemeinschaftlichen Nutzung und Verbreitung von Wissen, können Sie eigene Inhalte einem breiten Publikum zugänglich machen, indem Sie sie veröffentlichen und durch eine Creative Commons License schützen. Creative Commons ( CC ) ist eine Non-Profit-Organisation, die in Form vorgefertigter Lizenzverträge eine Hilfestellung für die Veröffentlichung und Verbreitung digitaler Medieninhalte anbietet. <?page no="68"?> 69 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements Tipp: Sie können auch eigene wissenschaftliche Arbeiten unter einer CC -Lizenz veröffentlichen. Informieren Sie sich dazu auf der Internetseite von Creative Commons über die Lizenzbedingungen: http: / / de.creativecommons.org./ (01. Februar 2018). 2.3.4 Neues Wissen generieren Durch alle zuvor dargestellten Methoden lässt sich gezielt neues Wissen entwickeln: Sie können vorhandenes Wissen systematisieren (zum Beispiel durch Mind- Maps, Wissenslandkarten etc.), Ihr Wissen weitergeben und mit anderen diskutieren (zum Beispiel im Rahmen von Communities of Practice, Storytelling etc.) oder auch Ihre persönlichen Erfahrungen aufarbeiten und Ihr Wissen so für die Zukunft nutzbar machen (zum Beispiel durch ein After Action Review etc.). Es soll Ihnen jedoch im Folgenden auch eine Methode vorgestellt werden, die explizit für die Wissensgenerierung geeignet ist. Methode: Analogietraining Durch die Bildung von Analogien, können Sie Ihr Wissen leichter für andere verständlich machen und selbst neue Ideen entwickeln. Eine Analogie wird in der Rhetorik als ein Stilmittel genutzt, um ähnliche Informationen oder Muster miteinander in Zusammenhang zu bringen. Bilder lassen sich leichter im Gedächtnis behalten, als abstrakte Formeln oder Zitate. Versuchen Sie Informationen aus Ihrem Studium in Analogien umzusetzen. Überlegen Sie: ▶ Wie können Sie das Gelernte auf Ihre Lebenswelt übertragen? ▶ Wo liegen Parallelen zwischen Situationen an der Universität, dem reinen Faktenwissen und Ihrem Alltag? ▶ Was macht das neue Konzept aus und wie unterscheidet es sich von anderen Ideen? 2.3.5 Wie unterstützen Medien mein Wissensmanagement? Im folgenden Abschnitt werden Sie die unterschiedlichen Möglichkeiten zum Einsatz digitaler Medien kennenlernen, durch die Sie Ihr Wissensmanagement unterstützen können. Zugang zu Informationen Im Zeitalter digitaler Medien stellt es weniger ein Problem dar, an Informationen zu gelangen, als vielmehr mit der Informationsflut im Internet richtig umzugehen. Die Masse an Informationen im Netz und die Fülle an Möglichkeiten zur Wissenserweiterung gehen weit über die Verarbeitungsfähigkeit eines Individuums hinaus. Wenn Sie mit digitalen Medien arbeiten, müssen Sie deshalb lernen gezielt nach Informationen zu suchen und diese bewusst auswählen. <?page no="69"?> 70 2. Allgemeines Wissensmanagement Beachten Sie bei der Recherche die folgenden Hinweise: 1. Setzen Sie sich Ziele: Sicher ist es Ihnen auch schon einmal so ergangen, dass Sie sich in den Weiten des Internets verloren haben. Sie kommen von einem Aspekt zum nächsten, der eine Link scheint interessant zu sein, jene Information wollten Sie schon immer einmal nachlesen, und schon haben Sie das eigentliche Ziel Ihrer Recherche aus den Augen verloren. Deshalb ist es wichtig, dass Sie sich bereits vor Beginn einer Recherche genau überlegen, nach welchen Informationen Sie suchen. Formulieren Sie dazu am besten konkrete Fragen oder klar umgrenzte Ziele. 2. Begrenzen Sie die Zeit: Da Sie im Internet immer noch mehr Material zu einem Thema finden können, müssen Sie die Zeit der Recherche eingrenzen. Nehmen Sie sich beispielsweise vor: In der nächsten halben Stunde werde ich zum Thema Erderwärmung nach aktuellen Meinungen und Forschungsergebnissen suchen und dabei besonders auf den Aspekt Massentierhaltung achten. 3. Prüfen Sie die Relevanz: Wenn Sie ein bestimmtes Thema erarbeiten wollen, haben Sie meist den Anspruch, sich möglichst schnell einen Überblick über das Themenfeld zu verschaffen und die wesentlichen Aspekte herauszuarbeiten. Damit Ihnen das gelingt, müssen Sie die Informationen aus dem Internet hinsichtlich ihrer Relevanz bewerten. Machen Sie sich dazu am besten Notizen. 4. Prüfen Sie die Vertrauenswürdigkeit: Darüber hinaus müssen Sie beurteilen, ob die Informationen vertrauenswürdig sind, also ob es sich um gesicherte Erkenntnisse oder eine nachvollziehbare Argumentation handelt. Sie sollten jede einzelne Quelle prüfen, um seriöse Informationen von unseriösen Angeboten zu unterscheiden. Teilweise sind bei Dokumenten aus dem Internet die Quellenangaben jedoch nur bruchstückhaft oder gar nicht vorhanden. Solche Informationen sind für wissenschaftliche Arbeiten unbrauchbar, da ihre Herkunft nicht überprüfbar ist. Überprüfen Sie: ▷ Wer ist der Verfasser? Wird er namentlich genannt? ▷ Ist der Verfasser als Spezialist oder Fachperson in dem Themenbereich bekannt? ▷ Wann wurde der Text geschrieben? Unterscheiden Sie zwischen erstmaliger Veröffentlichung und Datum der letzten Aktualisierung. ▷ Wer ist für die Seite verantwortlich (Institution oder Privatperson)? ▷ An wen richtet sich die Seite? ▷ Werden die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten (Zitation, Literaturliste, logische Argumentation, klare Gliederung)? 5. Prüfen Sie die Aktualität und machen Sie eine Kopie: Neben den Angaben über den Verfasser, müssen Sie auch die Aktualität der Artikel überprüfen. Da Texte im Internet jederzeit verändert oder entfernt werden können, ohne dass Sie es bemerken, werden sie auch als flüchtige Inhalte bezeichnet. Diese ständigen Neuerungen führen zu unterschiedlichen Suchergebnissen an verschiedenen <?page no="70"?> 71 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements Tagen oder sogar zu verschiedenen Tageszeiten. Wenn Sie Dokumente aus dem Internet für Ihre wissenschaftliche Arbeit verwenden, sollten Sie unbedingt eine Kopie der entsprechenden Internetseite speichern, um bei Rückfragen auf die verwendeten Daten zurückgreifen zu können. 6. Verwenden Sie unterschiedliche Suchmaschinen: Nutzen Sie bei Ihrer Recherche unterschiedliche Suchmaschinen. Jede Suchmaschine verwendet einen anderen Suchalgorithmus und zeigt die Ergebnisse in einer anderen Reihenfolge an. Das oberste Ergebnis ist daher nicht das Beste oder Aktuellste. Im wissenschaftlichen Kontext eignet sich auch die Suchmaschine Google-Scholar (online unter https: / / scholar.google.de/ . 29. Januar 2018), denn dort werden die Ergebnisse gefiltert und vor allem wissenschaftliche Titel angezeigt. Dennoch ist auch hier Vorsicht geboten und die Inhalte müssen von Ihnen selbst auf Seriosität geprüft werden. Informationen abonnieren Informationen lassen sich über einen speziellen Service im Internet abonnieren, das heißt, Sie bekommen neue Informationen wie bei einem Zeitschriftenabonnement digital zugeschickt. Viele Internetseiten bieten einen RSS-Dienst an (Really Simply Syndication; erkennbar an dem kleinen orangefarbenen Rechteck mit den weißen Wellen), welcher Veränderungen auf der Seite an alle Abonnenten meldet. Dies erspart Ihnen als Nutzer die zeitaufwändige Prüfung, ob auf einer Seite eine neue Meldung veröffentlicht wurde. Ein RSS-Dienst kann per Webbrowser, Email-Programm oder speziellem RSS-Reader genutzt werden. Am einfachsten ist die Nutzung über den Webbrowser, denn fast alle Browser zeigen das RSS-Symbol an, über das man das Abonnement starten kann. Eine andere Möglichkeit ist die Nutzung eines RSS-Readers. Über ein solches kostenloses Programm können mehrere RSS-Feeds abonniert, strukturiert und verwaltet werden. Kommunikation und Kooperation Digitale Medien eignen sich sehr gut zur Zusammenarbeit und zur orts- und zeitunabhängigen Kommunikation mit anderen. Anwendungen wie Foren, Blogs oder Wikis können dem Austausch von Wissen und Erfahrungen dienen und werden auch als Social Software oder Web . bezeichnet. Probieren Sie in Ihrem Studium einmal verschiedene Softwarelösungen und Techniken aus, um zu sehen, welche sich für die Organisation Ihres Wissens am besten eignen. Persönliches Wiki Ein persönliches Wiki basiert auf einem Hypertext-System, das heißt, es besteht aus Inhalten, die netzartig miteinander verknüpft sind. Dies bietet viele Möglichkeiten für das Wissensmanagement, zum Beispiel können Sie mit seiner Hilfe Inhalte miteinander verbinden, Begriffe recherchieren oder eine Wissenslandkarte anfertigen. Ein gut geführtes Wiki bietet Ihnen die Möglichkeit, über die Suchfunktion nach bestimmten Informationen zu suchen, wenn Sie beispielsweise für eine Hausarbeit zu einem bestimmten Thema recherchieren. <?page no="71"?> 72 2. Allgemeines Wissensmanagement 1. Beginnen Sie mit einem ersten Artikel. Sie können zum Beispiel einen Aufsatz exzerpieren oder alle Fakten zu einem bestimmten Themenbereich sammeln und diese zu einem Text zusammenfassen. 2. Wählen Sie einzelne Begriffe oder Fakten aus, die Sie weiter beleuchten möchten. In diesem Fall können Sie einen Link (englisch für ‚Verknüpfung‘) in den Text einfügen, der zu einem eigenständigen Artikel über diesen Begriff führt. 3. Sie können einen Artikel jederzeit bearbeiten. Es wird immer die alte und die aktualisierte Version des Textes gespeichert. So können Sie immer nachvollziehen, welche Änderungen wann und-- im Falle einer gemeinschaftlichen Nutzung in einer Gruppe-- von wem vorgenommen wurden. 4. Nutzen Sie das angeschlossene Forum, um mit anderen über die genaue Formulierung oder bestimmte Aspekte zu diskutieren. Schauen Sie sich beim wohl bekanntesten Online-Lexikon Wikipedia (online unter https: / / wikipedia.de/ . 29. Januar 2018) einmal den Entstehungsprozess eines Artikels und die dazugehörige Diskussion an. Oder verfassen Sie selbst einen Beitrag, beziehungsweise erweitern Sie einen Artikel, um die Funktionsweise eines Wikis kennenzulernen. Für die Erstellung eines persönlichen Wikis eignet sich zum Beispiel die Software Lexican (online unter https: / / www.lexican.de/ . 29. Januar 2018), die auch als eine Art digitaler Zettelkasten beschrieben werden kann. Weblog und E-Portfolio Ein Weblog, auch kurz Blog genannt, ist ein öffentliches oder teilöffentliches elektronisches Tagebuch oder Journal. Die Schreiber eines Blogs berichten meist aus der Ich-Perspektive über verschiedene Erlebnisse, Ereignisse oder Gedanken. Leser haben die Möglichkeit, über eine Kommentarfunktion Stellung zu dem Geschriebenen zu nehmen. Im wissenschaftlichen Kontext können Blogs dazu genutzt werden, über fachspezifische Inhalte zu schreiben. Da ein Blog keine offizielle Publikationsform ist, können darin auch Gedanken oder Hypothesen veröffentlicht werden, die noch näher geprüft werden müssen. Im Austausch mit anderen werden Ideen oder Modellskizzen weiterentwickelt. Nutzen Sie einen Blog beispielsweise dazu, erste Gedanken zum Thema Ihrer Abschlussarbeit zu formulieren und diese mit Kommilitonen beziehungsweise Kommilitoninnen und Freunden beziehungsweise Freundinnen zu teilen und von deren Anregungen zu profitieren. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, einen eigenen Blog kostenfrei einzurichten. Ein E-Portfolio ist eine spezielle Form des Blogs und wie ein herkömmliches analoges Portfolio eine Sammlung von Informationen und Gedanken zu einem Thema. Sie können ein Portfolio nicht nur im Rahmen eines Kurses führen, sondern auch alle Gedanken, Quellen, Texte etc. festhalten, die Ihnen im Laufe Ihres Studiums begegnen. Ein E-Portfolio stellt kein fertiges Produkt dar, sondern dokumentiert vielmehr Ihren (Lern-)Prozess. Im Bereich des Journalismus ist es sogar üblich, dass Journalisten ein eigenes E-Portfolio oder einen Blog führen, welchen Sie bei Bewerbungen als Referenz angeben. Über <?page no="72"?> 73 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements ein solches E-Portfolio können auch Personen aus Ihrem Fachbereich auf Sie aufmerksam werden. ▶ Richten Sie sich einen Account bei einem Anbieter ein und machen Sie sich mit den technischen Details vertraut. ▶ Überlegen Sie, zu welchem Zweck Sie ein Portfolio führen wollen und welche Lernprozesse Sie dokumentieren. ▷ Über was machen Sie sich Gedanken? ▷ Was interessiert Sie an Ihrem Fach beziehungsweise Kurs besonders? ▷ Gibt es Beispiele aus der Praxis, die Sie vor dem Hintergrund Ihres Studiums genauer betrachten möchten? ▷ Was ist das übergeordnete Thema Ihres Blogs? ▶ Sammeln Sie Schritt für Schritt Materialien und füllen Sie Ihr Portfolio. Dies können Texte, Filmausschnitte, Tondateien, Bilder, Links etc. sein. ▶ Verknüpfen Sie die Inhalte mit Schlagworten (sogenannte tags), so können Sie Ihre Sammlung ordnen und Aspekte zu einem Thema leichter finden. Legen Sie diese Begriffe nicht willkürlich fest, sondern überlegen Sie sich ein System. Mit einer kostenfreien Software, wie zum Beispiel Wordpress (online unter https: / / de.wordpress.com/ . 29. Januar 2018), lassen sich Weblogs sehr leicht aufbauen und pflegen. Social Bookmarks Social Bookmarks sind Lesezeichen für das Internet, die von mehreren Personen genutzt werden können. Jeder Nutzer kann eigene Lesezeichen hinzufügen, löschen, diese bewerten oder mit Schlagworten versehen. Der Vorteil von Social Bookmarks ist, dass sie sich nicht wie Ihre privaten Lesezeichen nur auf Ihrem eigenen Computer befinden, sondern auf einem Server hinterlegt sind, den Sie von jedem beliebigen Computer ansteuern können. Darüber hinaus können Sie Ihre Linklisten mit anderen Nutzern teilen. Indem Sie fremde Lesezeichen-Sammlungen als Ausgangspunkt für Ihre weitere Recherche verwenden, können Sie sich viel Zeit für die erste aufwändige Suche nach passenden Webangeboten sparen. Internetdienste wie Delicious (online unter https: / / del.icio.us/ . 01. Februar 2018) machen es möglich im Netz elektronische Lesezeichen zu setzen und Webseiten mit Schlagworten zu versehen. Gruppen-Softwaresysteme Zum Arbeiten in einer Gruppe eignen sich sogenannte Gruppen-Softwaresysteme, die der Kommunikation oder Kooperation dienen. Die einfachste Möglichkeit zum Austausch von Nachrichten über größere Distanzen hinweg ist der Versand von Emails. Es ist jedoch auch ein synchroner beidseitiger Austausch von Nachrichten zwischen zwei oder mehr Studentinnen und Studenten möglich, beispielsweise über Chats oder Instant Messenger sowie Audio- oder Videokonferenzsysteme. <?page no="73"?> 74 2. Allgemeines Wissensmanagement Anwendungen wie Trillian oder Skype bieten sich neben ihrer Funktion als Instant Messenger auch zur Durchführung von Audio- und Videokonferenzen an. Während einer solchen Konferenz können Sie zudem Dateien versenden oder Einzelpersonen private Nachrichten schreiben. Um mit Kommilitoninnen und Kommilitonen ortsunabhängig und kostenfrei kommunizieren zu können, bieten sich Softwareprogramme wie Skype (online unter https: / / www. skype.com/ de/ . 29. Januar 2018) oder Trillian (online unter https: / / www.trillian.im/ . 29. Januar 2018) an. Des Weiteren können Gruppen-Softwaresysteme die Wissenskooperation und Zusammenarbeit zwischen mehreren räumlich oder zeitlich voneinander entfernten Personen ermöglichen. Nutzen Sie bei der virtuellen Zusammenarbeit unterschiedliche Möglichkeiten der Visualisierung. Mithilfe von Brainstormingsystemen können Sie virtuell gemeinsam Ideen entwickeln oder ein Projekt wie auf dem Papier planen. Mind-Mapping-Systeme bieten Ihnen die Möglichkeit, gemeinsam Ihr Wissen über Themenfelder oder Begriffe grafisch darzustellen. Um Ihre Gedanken zu visualisieren, können Sie kostenfreie Mind-Mapping-Programme wie Mindmeister (online unter https: / / www.mindmeister.com/ de. 29. Januar 2018) verwenden oder auch Systeme wie XM ind (online unter http: / / www.xmind.net/ . 29. Januar 2018), die sich gleichzeitig zum Brainstorming eignen. In Seminaren und Vorlesungen werden Sie unterschiedliche Lernmanagementsysteme, wie beispielsweise Moodle (online unter https: / / moodle.de/ . 29. Januar 2018) oder Ilias (online unter https: / / www.ilias.de/ docu/ goto_docu_root_1.html. 29. Januar 2018), kennen lernen. Es handelt sich dabei um virtuelle Räume, in denen Ihre Dozenten und Dozentinnen die Seminarlektüre für Sie ablegen, die Sie aber auch zum Teilen eigener Dateien oder Präsentationen verwenden können. Wenn Sie im Rahmen eines Seminars die Chance haben eine solche Lernplattform zu nutzen, ergreifen Sie die Möglichkeit, dort Dateien oder eigene Arbeiten auszutauschen, sich ein gegenseitiges Feedback zu geben und Inhalte aus dem Seminar auch außerhalb der Präsenzzeiten zu diskutieren. Verwaltung Ordnen und strukturieren Sie alle elektronischen Dokumente auf Ihrem Computer rechtzeitig, um den Überblick darüber zu behalten. Unterschiedliche Programme unterstützen Sie dabei. Im Studium kommen Sie beispielsweise mit einer Fülle an Literatur in Kontakt, die Sie mithilfe von Literaturverwaltungsprogrammen verwalten können. Solche Verwaltungssysteme werden häufig von der Universität für Studentinnen und Studenten kostenlos zur Verfügung gestellt. Mithilfe dieser Systeme können Sie Ihre Literatur mit Schlagworten versehen, Kategorien bilden und zu den einzelnen Quellen Exzerpte hinterlegen. So vergessen Sie nicht, welche Texte Sie bisher gelesen haben, und können zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf diese zugreifen, wenn Sie beispielsweise gezielt nach geeigneten Textstellen für eine Hausarbeit suchen. <?page no="74"?> 75 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements Ein weiterer Vorteil solcher Programme ist es, dass Sie durch die Speicherung der Quellenangaben auf Knopfdruck eine Literaturliste erstellen können und auch Zitate und automatisch generierte Literaturverweise einfach in einen Text einfügen können. Wenn Sie Ihre Literatursammlung gut pflegen, ersparen Sie sich bei Abschluss einer wissenschaftlichen Arbeit die Mühe, alle Quellenangaben nochmals auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen zu müssen, und Sie können bei Bedarf mit einem Klick Ihre Zitationsweise ändern. Ein bekanntes Beispiel für ein kostenpflichtiges Literaturverwaltungsprogramm ist Citavi (online unter https: / / www.citavi.com/ . 29. Januar 2018), welches einige Universitäten ihren Studentinnen und Studenten jedoch kostenfrei zur Verfügung stellen. Als kostenfreie Alternative bietet sich das Verwaltungsprogramm Zotero (online unter https: / / www.zotero.org/ . 29. Januar 2018) an, welches Webseiten oder andere Informationen aus dem Netz in einer lokalen Datenbank speichert. Um Fundstücke, Links, Texte oder Bilder aus dem Internet abzulegen, sollten Sie sich auch ein virtuelles Notizheft zulegen. Es handelt sich dabei um eine Art virtuellen Ordner, in den Sie alle Dateien oder Bilder, die Sie im Internet finden oder anderweitig digitalisiert haben, zusammentragen können. Mit verschiedenen kostenfreien, und leicht zu bedienenden Programmen, wie beispielsweise Evernote (online unter https: / / evernote.com/ intl/ de/ . 29. Januar 2018), können Sie Ihre Sammlung mit Schlagworten versehen oder Kategorien bilden. Auch die bereits zuvor beschriebenen Wikis können genutzt werden, um Inhalte sortiert abzulegen und so Wissen zu sichern und systematisch auszubauen. 2.3.6 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie sich mit der konkreten Unterstützung der einzelnen Phasen des Wissensprozesses beschäftigt. Die große Vielfalt der Methoden bietet eine breite Varianz und die Möglichkeit die jeweils individuell am besten geeigneten Methoden auszuwählen. Die detaillierte Beschreibung ermöglicht eine einfache Übertragung auf die eigenen Lehr- und Lernkontexte. In der Lerneinheit haben Sie ▶ erfahren, dass der Wissensprozess sehr viele unterschiedliche konkrete Schritte beinhaltet; ▶ die einzelnen Methoden zur Unterstützung und deren Unterschiede in der Anwendungsweise kennen gelernt und jeweils einen Eindruck des Anwendungsgebietes bekommen; ▶ die Optimierung Ihres persönlichen Wissensmanagements auf analoge und digitale Weise erarbeiten können. 2.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Vorteile haben Wissenslandkarten? 2. Welche der vorgestellten Methoden wird auch in Unternehmen angewendet? Welche Vorteile bietet sie? <?page no="75"?> 3. Was beinhaltet die Methode After Action Review? Erklären Sie das Design. Aus welchen Teilen setzt sie sich zusammen? 4. Warum ist das Bilden von Analogien so hilfreich? <?page no="76"?> 77 2.3 Methoden und Tools des Wissensmanagements 3. Akademisches Wissensmanagement Das Kapitel Akademisches Wissensmanagement setzt sich mit der Frage auseinander, wie es Ihnen gelingen kann, im Verlauf Ihres Studiums Wissen und Kompetenzen sinnvoll aufzubauen. Es gliedert sich in die Lerneinheiten Effizienter Wissenserwerb, Effiziente Informationssicherung und Systematische Literaturrecherche und -bewertung. Diese drei Lerneinheiten bauen aufeinander auf, bilden eine zentrale Basis für Ihr Studium und helfen Ihnen, dieses erfolgreich zu absolvieren. Lerneinheit 3.1 widmet sich den Fragen, wie Sie sich neues Wissen besonders effizient aneignen. Es ist somit der wichtige erste Schritt, bevor Sie sich in Einheit 3.2 dem nachhaltigen Abspeichern neu erworbenen Wissens und somit dem dauerhaften Wissensaufbau widmen können. Lerneinheit 3.3 gibt Ihnen Hilfestellungen für die Organisation Ihrer Recherche mit dem Ziel, dass Sie sich der großen Zahl potentiell relevanter wissenschaftlicher Beiträge systematisch nähern. Dort erhalten Sie praktische Hinweise zur Rezeption empirischer Studien, die Sie direkt für die eigene Lern- und Forschungsarbeit nutzen können. <?page no="77"?> 78 3. Akademisches Wissensmanagement 3.1 Wissen effizient erwerben Günther Koch In der Regel erwerben Studentinnen und Studenten den Großteil ihres Fachwissens aus Vorlesungsveranstaltungen und Büchern. Allerdings gehen die meisten Studentinnen und Studenten dabei nicht wirklich strukturiert vor und verschenken wertvolle Zeit einerseits und wichtige Punkte in Klausuren anderseits. Aus diesen Gründen konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auch auf den Wissenserwerb aus Vorlesungen und Texten. Diese Lerneinheit widmet sich zunächst der Frage, was Sie als Studentin oder Student vor, während und nach Lehrveranstaltungen tun können, um maximal von diesen zu profitieren. Anschließend zeigt sie Ihnen auf, wie Sie das Studium von Texten besonders effizient gestalten. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Vorlesungen gezielt zum Wissenserwerb nutzen können; ▶ Texte besser verstehen und verschiedene Lernmethoden anwenden, um Inhalte nachhaltiger zu behalten und somit maximalen Nutzen aus dem Studium von Texten ziehen zu können. Die Ausführungen basieren in erster Linie auf Koch, Günther (2015a), Studieren mit Köpfchen. Paderborn: Schöningh, 46-62. 3.1.1 Wissen aus Vorlesungen erwerben Die Inhalte der Vorlesungen sind für die Vorbereitung auf Prüfungen und somit für den Erfolg im Studium besonders wichtig. Gerade in diesem Bereich wird jedoch an Hochschulen einiges von den Studentinnen und Studenten erwartet: ▶ aktives Zuhören, ▶ Wahrnehmen zentraler Aspekte, ▶ Aussieben unwichtiger Details, ▶ eigenständiges Anfertigen schlüssiger Aufzeichnungen. Deshalb zeigen Ihnen die folgenden Ausführungen, wie Sie durchdachte und übersichtliche Aufzeichnungen anfertigen und maximal von Vorlesungen profitieren. Die zehn klassischen Probleme der Studentinnen und Studenten 1. Desinteresse am Thema-- Schlechte Zuhörer oder Zuhörerinnen finden eine Thematik sehr schnell trocken und langweilig, weshalb sie ihre Aufmerksamkeit schon nach kurzer Zeit auf etwas anderes lenken und ihre Gedanken abschweifen lassen. Im Gegensatz dazu suchen gute Zuhörer oder Zuhörerinnen noch im zehnten Vortrag zu einem Thema nach <?page no="78"?> 79 3.1 Wissen effizient erwerben etwas für sie Neuem. Gute Zuhörer und Zuhörerinnen sind geradezu Jäger auf der Suche nach dem einen Aspekt eines Vortrags, der sie weiterbringt. 2. Kritik am Redner oder an der Rednerin-- Selbstverständlich gibt es an Hochschulen auch Dozenten und Dozentinnen, denen man am liebsten einen Ratgeber zu Rhetorik und Präsentation in die Hand drücken möchte. Aber gerade schlechte Zuhörer und Zuhörerinnen kritisieren den Redner oder die Rednerin besonders stark und ausufernd. Aussehen, Kleidung, Mimik und Gestik, aber auch Dialekt und andere Eigenarten werden kommentiert. Zwar kommentieren und kritisieren gute Zuhörer und Zuhörerinnen zu Beginn einer Veranstaltung besondere Auffälligkeiten oftmals auch, entscheiden sich jedoch schnell dafür, sich auf den Inhalt des Vortrags zu konzentrieren. Sie wissen, der Inhalt ist wichtiger als die Verpackung. Schon nach einigen wenigen Minuten haben gute Zuhörer und Zuhörerinnen sich an die Auffälligkeiten des Redners oder der Rednerin gewöhnt und lassen sich dadurch nicht mehr ablenken. 3. Überstimulierung-- Schlechte Zuhörer und Zuhörerinnen hängen sich oftmals an einem Aspekt des Vortrags auf und konzentrieren sich so stark auf diesen, dass sie andere Inhalte gar nicht wahrnehmen. Gute Zuhörer und Zuhörerinnen hingegen erkennen zwar ebenfalls einen zentralen Aspekt, lassen sich davon jedoch nicht von anderen ablenken. Sie bringen allerhöchstens ein Ausrufezeichen in ihren Aufzeichnungen an, um sich mit diesem Aspekt später noch intensiver auseinanderzusetzen. 4. Konzentration auf Fakten-- Auf den ersten Blick wirkt es seltsam, wenn es heißt schlechte Zuhörer und Zuhörerinnen konzentrieren sich vor allem auf Fakten. In der Tat ist es jedoch so, dass sie in einem Vortrag gar nicht alle Fakten aufnehmen, notieren und behalten können. Gute Zuhörer und Zuhörerinnen hingegen versuchen in erster Linie die Leitgedanken des Vortrags zu erfassen. Am Ende behalten sie ausgehend von diesen Leitgedanken sogar deutlich mehr Fakten. 5. Unflexibles Gliedern und Strukturieren-- Natürlich ist es eine gute Idee, während einer Vorlesung eine Gliederung des Vortrags zu erstellen. Allerdings folgt nicht jede Rede einer logischen, nachvollziehbaren Gliederung. Anders als schlechte Zuhörer und Zuhörerinnen sind gute Zuhörer und Zuhörerinnen flexibel und passen die Form ihrer Aufzeichnungen dem Stil des Vortrags an. 6. Aufmerksamkeit vorspielen- - In der Schule mag es funktioniert haben: Den Kopf erhoben, das Kinn auf die Hand gestützt und den Lehrer oder die Lehrerin fixierend nahm man Ihnen den hochkonzentrierten Zuhörer oder die hochkonzentrierte Zuhörerin ab; das perfekte Alibi für schlechte Zuhörer und Zuhörerinnen, um sich gedanklich auf Wanderschaft zu begeben. Aufmerksames Zuhören ist allerdings harte Arbeit und lässt keine Energie für schauspielerische Auftritte. 7. Ablenkungen suchen, finden und genießen- - Schwache Zuhörer und Zuhörerinnen sind leicht ablenkbar und neigen dazu, Ablenkungen aktiv herzustellen. Sie zeichnen, sprechen mit dem Nachbarn und der Nachbarin oder kramen im Rucksack. Gute Zuhörer und Zuhörerinnen hingegen ignorieren Ablenkungen; auch die gesprächswilligen Nachbarinnen und Nachbarn. <?page no="79"?> 80 3. Akademisches Wissensmanagement 8. Konzentration auf einfachste Aspekte-- Viele eher schwache Zuhörer und Zuhörerinnen haben zu einem bestimmten Thema schon etliche Vorträge im Fernsehen oder auf einem YouTube-Channel gesehen. Zu fast jeder Thematik gibt es eine Vielzahl einfach gehaltener, nicht wirklich wissenschaftlicher Beiträge. Lieber konsumieren sie weitgehend passiv zweit- oder drittklassiges Material, als sich aktiv auf schwere aber tiefgehende und erstklassige Inhalte einzulassen. 9. Überreaktion auf belastete Wörter- - Gerade (vermeintlich) hochengagierte Studentinnen und Studenten neigen dazu, sich an der Wortwahl Vortragender aufzuhängen. Gute Zuhörer und Zuhörerinnen nehmen es zur Kenntnis, wenn der Professor oder die Professorin genderunsensibel seine oder ihre Studenten und Studentinnen begrüßt. Der schwache, hochengagierte Zuhörer oder die schwache, hochengagierte Zuhörerin kann sich vor lauter Erregtheit nicht mehr auf die Vorlesung konzentrieren. Es ist sogar schon vorgekommen, dass eine junge Dame die Veranstaltung verlassen hat, da Studentinnen ja offenbar nicht willkommen seien. 10. Nur Ausgesprochenes hören- - Selbstverständlich können Zuhörer und Zuhörerinnen nur das hören, was der Redner oder die Rednerin auch wirklich ausgesprochen hat. Allerdings ist es so, dass Menschen-- vor allem vor Publikum-- deutlich weniger Wörter pro Minute sprechen, als ihre Zuhörer oder Zuhörerinnen auditiv aufnehmen können. Schlechte Zuhörer oder Zuhörerinnen empfinden dies als sehr angenehm und lehnen sich entspannt zurück. Geübte Zuhörer und Zuhörerinnen hingegen versuchen den nächsten Aspekt des Redners oder der Rednerin zu erahnen, rekapitulieren bisher Gesagtes und werfen einen Blick auf ihre Aufzeichnungen. Vorbereitung ist die halbe Miete Viele Studenten und Studentinnen stehen regelmäßig vor der Entscheidung, eine Vorlesung zu besuchen oder diese zu schwänzen. Anwesenheitspflicht besteht ja trotz der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge an Hochschulen nicht durchgängig. Gerade wenn Professoren und Professorinnen die Skripten zu ihren Veranstaltungen im Internet zum Download anbieten, verführt dies viele Studentinnen und Studenten, etwas länger zu schlafen, lieber einen Kaffee trinken zu gehen oder noch eine zusätzliche Stunde zu kellnern. Sinnvoll ist dies trotz zur Verfügung gestellter Skripten nicht: ▶ Sie verpassen die detaillierten Ausführungen und Erklärungen der Dozenten und für das Verständnis wichtige Beispiele. ▶ Viele Skripten sind umfangreich und allgemein gehalten, damit die Professoren ihre Schwerpunkte in den Vorlesungen flexibel setzen können. ▶ In vielen Fällen sind Skripten ohne eigene Anmerkungen und Notizen nutzlos. Die Aufzeichnungen anderer sind meist schwer zu verstehen und werden nicht immer bereitwillig herausgegeben. ▶ Meist dauert es länger, die Skripten zu Hause durchzuarbeiten, als die Veranstaltung zu besuchen. <?page no="80"?> 81 3.1 Wissen effizient erwerben Über den bloßen Besuch hinaus müssen Vorlesungen vorbereitet werden, um maximal von ihnen zu profitieren. Gerade wenn Dozenten und Dozentinnen auf Aufsätze, Skripten oder andere Texte verweisen, die zur nächsten Sitzung zu lesen sind, sollten Sie dies auch wirklich tun. Dadurch können Sie nicht nur den Ausführungen in der Veranstaltung besser folgen, sondern verschwenden keine Zeit mit dem Notieren von Einzelheiten, die bereits in Ihrem Skript vermerkt sind. Wenn Sie das nächste Mal gut vorbereitet zu einer Veranstaltung erscheinen, achten Sie doch einmal darauf, wie viele der anderen Diagramme und Tabellen fleißig von der Präsentation abzeichnen, obwohl diese sich genau so in Skript oder Buch befinden. Außerdem ist eine gründliche Vorbereitung wichtig, um aktiv zuzuhören, Schwerpunkte erkennen und den Ausführungen des Dozenten oder der Dozentin folgen zu können. Viele der Fragen, die sich bei der Lektüre der vorbereitenden Texte auftun, klären sich in der Vorlesung. Ohne Vorbereitung stellen sich diese erst in der unmittelbaren Prüfungsvorbereitung, und damit oftmals zu spät für eine Beantwortung. Wenn ein Professor oder eine Professorin Skripten oder PowerPoint-Präsentationen zum Download anbietet, sollten Sie nicht ohne diese zur Vorlesung erscheinen. Darüber hinaus sollten Sie ausreichend Papier und Stifte für Ihre Notizen bereithalten. Es klingt nebensächlich, aber bei vielen Studenten und Studentinnen scheitert das Anfertigen eigener Notizen bereits an dieser Kleinigkeit. Je nach Fachbereich und Dozent beziehungsweise Dozentin kann es sogar wie zu Schulzeiten sinnvoll sein, einen Ordner anzulegen, in dem Ausdrucke, Handouts, Notizen und kopierte Diagramme oder Abbildungen aus Aufsätzen und Büchern gesammelt werden. Ob Sie ein Notebook mitbringen, bleibt Ihnen überlassen. Aktives Zuhören Vor allem zu Beginn des Studiums fällt es vielen Studentinnen und Studenten schwer, wirklichen Nutzen aus Vorlesungen zu ziehen. Viele notieren einfach alles, was der Professor sagt. Ob die Informationen wirklich relevant sind, wie sie zusammenhängen oder ob sie sich vielleicht sogar im Skript finden, interessiert sie nur am Rande. Aktives Zuhören bedeutet deutlich mehr. Aktives Zuhören heißt, den Ausführungen des Dozenten oder der Dozentin geistig zu folgen, Wichtiges zu erkennen, sich selbst Fragen zu stellen und all dies in die eigenen Notizen einfließen zu lassen. Studenten und Studentinnen profitieren in den meisten Fällen dann besonders viel von Vorlesungen, wenn sie die folgenden Ratschläge berücksichtigen: ▶ Notieren Sie nicht einfach nur das, was der Dozent oder die Dozentin sagt oder an die Tafel schreibt. Versuchen Sie vielmehr seinem oder ihrem Gedankengang zu folgen und zu antizipieren, worauf er oder sie hinauswill. ▶ Achten Sie auf verbale Hinweise wie erstens-… viertens. Diese deuten auf eine Liste wichtiger Aspekte hin und können für die Strukturierung Ihrer Notizen verwendet werden. ▶ Fallen Ihnen Schlüsselbegriffe oder Aussagen auf, die mehrmals wiederholt werden? ▶ Auch deutlich gesetzte Pausen oder ein veränderter Tonfall deuten oft auf Wichtiges hin. <?page no="81"?> 82 3. Akademisches Wissensmanagement Viele Professoren oder Professorinnen und Dozenten oder Dozentinnen denken wie klassische Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen und gehen von Fragestellungen aus, die es nach und nach zu beantworten gilt. Diese Struktur zeigt sich auch in vielen Vorlesungen. Behalten Sie dies im Hinterkopf, um auch anspruchsvollen Vorlesungen folgen zu können. Überlegen Sie bereits bei Ihrer Vorbereitung der Vorlesung, welche zentrale Fragestellung im Mittelpunkt steht und welche untergeordneten Fragen sich daraus ableiten lassen. Das Frage-Antwort-Schema ist auch eine Möglichkeit, Ihre Aufzeichnungen zu strukturieren. Aufzeichnungen erstellen Weshalb sollten Sie Aufzeichnungen erstellen, wenn doch der Professor oder die Professorin den Download eines Skripts anbietet oder Sie die Inhalte der Vorlesung in der Bibliothek nachlesen können? Tatsächlich gibt es eine Reihe guter Gründe dafür: Notizen zu erstellen, zwingt Studentinnen und Studenten dazu, konzentriert zuzuhören und gibt eine erste Rückmeldung, ob das Gehörte auch wirklich verstanden wurde. Persönliche Notizen sind-- sofern systematisch und sorgfältig erstellt-- in der unmittelbaren Prüfungsvorbereitung besonders effektiv. Außerdem hilft das Notieren Ihnen, das Gehörte zu behalten. Sehen Sie Ihre Notizen einfach als ersten Schritt zum Lernen des neuen Wissens. Die Fähigkeit, Wichtiges schriftlich festzuhalten, wird Ihre Arbeitsweise und Ihren Lernprozess deutlich effizienter machen. Dabei geht es gar nicht darum, den Inhalt des Vortrags bis ins Detail verstanden zu haben, bevor Notizen erstellt werden. Oftmals stellt sich die Erkenntnis erst beim Aufschreiben ein. Außerdem entwickeln Sie nach und nach automatisch ein Gespür für Wichtiges und Unwichtiges und erhalten Ansatzpunkte für weitere Recherchen oder Nachfragen. Einige Ratschläge, basierend auf den Äußerungen befragter Studenten und Studentinnen, die das Erstellen sinnvoller Notizen erleichtern können: ▶ Schreiben Sie nicht einfach alles auf, was gesagt wird. Lernen Sie das wirklich Relevante zu erkennen. ▶ Ihre Notizen sollten aus Schlüsselwörtern und sehr kurzen Sätzen bestehen. Orientieren Sie sich an den Headlines der Bildzeitung. ▶ Bleiben Sie konkret und notieren Sie das wirklich Gesagte. Ändern Sie nicht den Sinn, auch wenn Sie Ihre eigenen Worte verwenden. ▶ Aufzeichnungen werden nicht zum Selbstzweck erstellt. Bemühen Sie sich um Aufzeichnungen, die zu einem späteren Zeitpunkt wirklich von Nutzen sein werden. ▶ Verwenden Sie ordentliches Papier-- Schmierzettel erhöhen nur die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Notizen umsonst erstellt wurden und sehr schnell in den Papierkorb wandern. ▶ Gewöhnen Sie sich ein System an Abkürzungen und Zeichen an. So können Sie besonders schnell notieren. ▶ Arbeiten Sie sehr großräumig und lassen Sie ausreichend Platz für spätere Ergänzungen und Anmerkungen. <?page no="82"?> 83 3.1 Wissen effizient erwerben Das System, von dem Studenten und Studentinnen im angelsächsischen Raum besonders stark profitieren, ist das Cornell-Note-Taking-System. Leider wird weder dieses noch ein vergleichbares an deutschen Schulen vermittelt. Es stellt eine Möglichkeit dar, Aufzeichnungen zu organisieren und zu komprimieren, ohne diese mehrmals stumpfsinnig abschreiben zu müssen. Bei dieser Methode wird eine Seite in drei Felder unterteilt. In Feld A werden während der Vorlesung möglichst ausführliche Notizen gemacht. Dabei kommen Abkürzungen, Symbole und Markierungen zum Einsatz. Hier werden falls nötig auch Diagramme gezeichnet. Feld B bleibt dabei noch leer. Möglichst bald nach Ende der Vorlesungen sollte hier eine knappe, stichpunktartige Zusammenfassung entstehen, indem Sie Schlüsselbegriffe notieren. Außerdem sollten hier Zusammenhänge vermerkt werden. Bei vielen Themen bietet es sich auch an, mögliche Testfragen zu entwerfen. Diese können später der Wiederholung und Prüfungsvorbereitung dienen. In Feld C sollten Sie jede einzelne Seite Ihrer Aufzeichnung in ein oder zwei kurzen Sätzen zusammenfassen. Englischsprachige Lerner haben es besonders einfach, sich die einzelnen Schritte der Cornell-Methode zu merken. Sie sprechen einfach von der R-Methode: Record Aufzeichnungen erstellen (Feld A) Reduce Aufzeichnungen so knapp wie möglich zusammenfassen (Feld B) Recite Aufzeichnungen abdecken und in eigenen Worten wiederholen Reflect den Aufzeichnungen einen Sinn geben, sie in das eigene Vorwissen einordnen und in ein oder zwei Sätzen zusammenfassen (Feld C) Review vor der nächsten Vorlesung anhand der Felder B und C zehn Minuten lang wiederholen Tabelle 3.1: 5R-Methode Gerade der letzte Schritt ist im Hinblick auf Prüfungen besonders wichtig, da regelmäßige Wiederholungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Wissen langfristig zu behalten. In vielen Fällen werden Sie somit auch den Vorlesungen besser folgen können. Vorlesungen nachbereiten So seltsam es klingen mag: Die Anfertigung eigener Aufzeichnungen endet nicht mit dem Ende der Vorlesung. Investieren Sie noch etwas Zeit, um Ihre Notizen zu überfliegen, gegebenenfalls zu ergänzen und zu sortieren. Notieren Sie zuverlässig das Datum auf Ihren Notizen und nummerieren Sie die einzelnen Seiten. Eine unmittelbare Wiederholung der Vorlesungsinhalte anhand eigener Notizen ist der erste Schritt zu einer erfolgreichen Prüfungsvorbereitung. Unterstreichen Sie dabei wichtige Elemente, verdeutlichen Sie Zusammenhänge mit Pfeilen und fügen Sie Nummerierungen hinzu. Versuchen Sie danach innerhalb von 48 Stunden die Inhalte nochmals durchzugehen. Einige wenige Minuten reichen dazu normalerweise. Diesem geringen Zeitaufwand steht ein enormer Nutzen gegenüber. Wenn Sie <?page no="83"?> 84 3. Akademisches Wissensmanagement dies allerdings länger als 48 Stunden aufschieben, wird daraus meist keine Wiederholung, sondern eher ein neues Lernen. Erstellen Sie eine Mindmap oder eine Zusammenfassung und überprüfen Sie diese anhand Ihrer Aufzeichnungen. Viele Studentinnen und Studenten profitieren davon, ihre Notizen mit denen anderer abzugleichen. Bilden Sie nicht erst kurz vor Ihrem Examen eine Lerngruppe, sondern profitieren Sie bereits während des Semesters davon. Sie kann Ihnen auch helfen, Fragen zu klären, die sich während der Vorlesung für Sie ergeben haben. Wenn sich eine Frage nicht klären lässt, haben Sie keine Scheu die Sprechstunde Ihres Dozenten oder Ihrer Dozentin zu besuchen oder ihn oder sie zu fragen, ob dieselbe Vorlesung zu einem anderen Zeitpunkt erneut gehalten wird und von Ihnen besucht werden kann. Zehn Gebote erfolgreicher Studentinnen und Studenten In den meisten Studiengängen sind Vorlesungen die zentrale Quelle neuen Wissens, aber nur wenige Studentinnen und Studenten profitieren wirklich davon. Ziehen Sie ab sofort maximalen Nutzen aus solchen Veranstaltungen! Folgen Sie diesen zehn Ratschlägen und werden Sie zum aktiven und zum guten Zuhörer: 1. Führen Sie sich vor Augen, weshalb das Gesagte wichtig für Sie ist. Ohne offensichtlichen Grund, einem Redner zuzuhören, sinken Motivation und Aufmerksamkeit unweigerlich. 2. Bereiten Sie sich auf Vorlesungen vor, indem Sie die empfohlenen Aufsätze und zur Verfügung gestellten Skripten lesen. 3. Vergessen Sie nie: Lernen ist immer Aufgabe des Lerners. Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr Interesse und Ihr Verstehen. Sitzen sie nicht passiv in der Vorlesung und lassen sich berieseln, nur um anschließend Kritik am Dozenten zu üben, der Ihnen nichts beibringen konnte. 4. Wählen Sie bewusst einen Sitzplatz, von dem aus Sie den Professor oder die Professorin gut hören und sehen können. Gehen Sie Ablenkungen von vornherein aus dem Weg. 5. Hören Sie dem Redner oder der Rednerin wirklich zu. Blenden Sie das Gesagte nicht aus, nur, weil es Ihnen inhaltlich nicht zusagt oder der Vortragende beziehungsweise die Vortragende Ihnen unsympathisch ist. Seien Sie erst absolut sicher, dass Sie etwas richtig verstanden haben, bevor Sie sich dafür entscheiden es nicht aufzunehmen und zu behalten. 6. Versuchen Sie möglichst schnell die Struktur des Vortrags zu erfassen. Eine anfangs eingeblendete Gliederung beispielsweise kann Sie durch eine gesamte Vorlesung führen. Sie werden deutlich mehr verstehen, wenn sie von vornherein wissen, worauf die Ausführungen hinauslaufen und welche Einzelheiten der Professor oder die Professorin auf dem Weg dorthin berücksichtigen wird. 7. Bemühen Sie sich, die Hauptidee der Vorlesung zu erfassen. Details und Fakten sind nur dann wichtig, wenn Sie diese richtig auf die Hauptidee beziehen können. 8. Vermeiden Sie Tagträume. Sobald Sie merken, dass Ihre Gedanken sich auf Wanderschaft begeben, rufen Sie sich in Erinnerung weshalb Sie dem Vortrag zuhören. <?page no="84"?> 85 3.1 Wissen effizient erwerben 9. Machen Sie sich während der Vorlesung Notizen. Selbst Studenten und Studentinnen, die meinen, das Gesagte behalten zu können, haben im Normalfall einen großen Teil bereits unmittelbar nach Ende der Vorlesung vergessen. Verwenden Sie dafür ein schlüssiges System. 10. Bereiten Sie Vorlesungen immer nach. Das Sortieren und Abheften der Aufzeichnungen und Skripten kann dabei nur der Anfang sein. 3.1.2 Wissen aus Büchern und Skripten erlesen Neben Vorlesungen sind es im Studium vor allem Bücher, aus denen Lerner ihre Informationen gewinnen. Anders als zu Schulzeiten handelt es sich dabei um wissenschaftliche Fachbücher und nicht um didaktisch aufbereitete Bücher, die Wissen in kleinen, verständlichen Häppchen servieren. Die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Fachliteratur kann eine wahre Herausforderung sein, die sich jedoch mit einem durchdachten Herangehen und den richtigen Techniken gut bewältigen lässt. Werden Sie zum aktiven Leser oder zur aktiven Leserin In vielen Interviews haben Studentinnen und Studenten angegeben, ihre Fachliteratur zu lesen, während nebenbei der Fernseher läuft oder sie über Soziale Netzwerke oder Nachrichtenmessenger mit Freunden kommunizieren. Dies ist es, was wir als passives Lesen bezeichnen. Wirklichen Nutzen ziehen Sie aus Fachbüchern nur dann, wenn Sie zum aktiven Leser oder zur aktiven Leserin werden: ▶ Treten Sie in einen inneren Dialog mit dem Text und setzen Sie sich bewusst mit seinem Inhalt auseinander. ▶ Kommentieren Sie das Gelesene für sich selbst oder stellen Sie sich Fragen dazu. ▶ Suchen Sie während des Lesens Schlüsselideen und zentrale Punkte sowie deren Begründungen. Konzentriertes Lesen schwieriger Texte ist harte Arbeit, und erfordert als solche einen anderen Rahmen als Sofa und TV -Gerät bieten können. Finden Sie einen Ort, an dem Sie weitgehend frei von Ablenkungen arbeiten können und schieben Sie potenziellen Störungen von vornherein einen Riegel vor. Schalten Sie doch beispielsweise Ihr Mobiltelefon einmal aus. Wenn Sie es gewohnt sind, auf dem Bett oder Sofa zu lesen, seien Sie kritisch mit sich selbst und überlegen Sie genau, ob dort wirklich konzentriertes Arbeiten möglich ist. Außerdem sollten Sie Ihren Biorhythmus beachten und die Zeiten herausfinden, zu denen Sie besonders leistungsfähig sind. Gerade bei schwer verständlichen Texten ermüden Studentinnen und Studenten in der Regel schnell, wenn diese früh am Morgen, spät abends oder direkt nach dem Mittagessen gelesen werden. Legen Sie rechtzeitig Pausen ein. Wenn Sie aufmerksam sind und sich selbst beobachten, werden Sie schnell merken, wenn Ihre Konzentration nachlässt. Im Idealfall haben Sie für diesen Zeitpunkt bereits eine kurze Pause eingeplant. Sie werden erstaunt sein, wie viel effizienter es ist, dreimal für je 20 Minuten zu <?page no="85"?> 86 3. Akademisches Wissensmanagement lesen, wenn Sie es eigentlich gewohnt sind, eine ganze Stunde am Stück zu lesen. Probleme und Aufgaben, die nichts mit dem Text zu tun haben, sollten Sie während des Lesens nicht beschäftigen. Verschieben Sie die Gedanken daran ganz bewusst auf die Pausen. Da das Lesen akademischer Texte große Flexibilität erfordert, sollten Sie sich verschiedene Techniken und Methoden angewöhnen. Im Folgenden lernen Sie einige besonders nützliche kennen, die Sie oft einsetzen können. Skimming Skimming bedeutet nichts anderes, als einen Text oder eine Textstelle kurz zu überfliegen, um einen ersten Eindruck von dessen Hauptaussage, den wichtigsten Punkten und Ideen des Autors oder der Autorin zu gewinnen. Im angloamerikanischen Raum, wo diese Technik deutlich systematischer angewandt wird als bei uns, unterscheidet man drei Varianten des Skimmings: ▶ Preview-Skimming geht meist einem weiteren Skimming oder einem vollständigen Lesen voraus. Es soll neben den Hauptaussagen auch einen Einblick in die Struktur des Textes geben und dient vor allem dazu, ein Buch aus mehreren auszuwählen oder geeignete Inhalte als Basis für einen eigenen Text zu finden. Dazu wird der erste Absatz der Textstelle vollständig gelesen, im Folgenden jedoch nur noch die ersten Sätze jedes Absatzes und die Überschriften. ▶ Overview-Skimming wird eingesetzt, wenn ein weiteres Lesen nicht geplant ist. Deshalb ergänzt es das Preview Skimming: Es werden weiterhin erster Absatz, Überschriften und erste Sätze gelesen, jedoch zusätzlich der Rest der einzelnen Absätze überflogen. Auf diesem Weg gewinnen Sie einen besseren Einblick in Zusammenhänge und Argumentationen und behalten mehr Details. ▶ Review-Skimming wird eingesetzt, wenn ein Text schon einmal gelesen wurde und Sie sich nochmals mit ihm vertraut machen möchten. Sie bereiten diese Form des Skimmings vor, indem Sie- - ohne den Text zu nutzen- - versuchen, möglichst viel des Inhalts zu rekapitulieren. In vielen Fällen erinnern wir uns an deutlich mehr Details als wir im ersten Moment glauben. Überfliegen Sie anschließend den Text und stoppen Sie lediglich, sobald Sie auf wichtige Details stoßen, die Sie notieren möchten, oder auf komplexe Ausführungen, die Sie genauer lesen möchten. Im Gegensatz zum meist an deutschen Schulen angewendeten, wenig konkreten Überfliegen bietet Ihnen Skimming für jede Situation die passende systematische Vorgehensweise. Scanning Scanning kann Ihnen große Dienste erweisen, wenn Sie einen Text nach Namen, Buchtiteln, Definitionen oder der Antwort auf spezifische Fragen durchsuchen. Scanning bedeutet, sich nicht ziellos auf die Suche zu begeben und zu hoffen, man werde schon irgendwie fündig dabei. Vielmehr beginnt Scanning schon vor dem eigenen Leseprozess, indem Sie sich eine klare Vorstellung von der gesuchten Information machen und versuchen sich vorzustellen, <?page no="86"?> 87 3.1 Wissen effizient erwerben in welcher Form diese im Text stehen könnte. Anschließend führen Sie Ihre Augen auf der Suche danach mit Ihrem Finger gerade oder im Zickzack in der Mitte der Seite nach unten. Lesestrategie SQ 3R Um ein Maximum an Wissen und Informationen aus einem wissenschaftlichen Text zu ziehen, ist es nötig, mit System an diesen heranzugehen. Eine international mit großem Erfolg angewendete Methode, um anspruchsvolle wissenschaftliche Texte zu verstehen und möglichst viel davon zu behalten, ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Sie trägt den seltsam klingenden Namen SQ 3R und besteht aus den fünf Phasen Survey, Question, Read, Recall und Review: 1. Erfolgreiche Leser und Leserinnen verschaffen sich zu Beginn einen ersten Eindruck von dem, was sie bei der Lektüre erwartet. Sie studieren Inhaltsverzeichnis, Abbildungen und Klappentext und bekommen so wertvolle Informationen über Aufbau, Inhalt und Schwierigkeitsgrad des Texts. Diese erste Phase hilft Ihnen sogar, ganze Bücher oder einzelne Kapitel von vornherein von der Lektüre auszuschließen. 2. Formulieren Sie daraufhin konkrete Fragen an den Text und halten Sie so Ihre Konzentration hoch. Als Basis dieser Fragen bieten sich neben Ihrem Vorwissen die Überschriften des Textes an. Überlegen Sie, welche Fragen ein Kapitel mit dieser Überschrift wohl beantworten wird und auf welche Fragen Sie Antworten suchen. Werden Sie durch die Formulierung von Fragen zum aktiven Leser oder zur aktiven Leserin. 3. Das eigentliche Lesen beginnen geübte Leser und Leserinnen erst nach Durchführung der ersten beiden Phasen. Um wirklich von der Lektüre zu profitieren, ist es notwendig, aktiv zu lesen. Unterstreichen Sie wichtige Aussagen, bringen Sie Hinweise und Markierungen an. In dieser Phase bemühen Sie sich auch, die zuvor gestellten Fragen zu beantworten. 4. Legen Sie spätestens am Ende eines Kapitels eine kurze Lesepause ein, um anhand Ihrer Markierungen und Unterstreichungen das Gelesene zu wiederholen. Erstellen Sie dabei eine knappe Zusammenfassung, am besten in Form einer graphischen Zeichnung. So bekommen Sie sofort eine Rückmeldung, ob das Gelesene auch wirklich verstanden wurde. 5. Abschließend betrachten Sie den gesamten Text und verbinden die Aussagen der einzelnen Kapitel miteinander. Erstellen Sie eine Zusammenfassung des ganzen Textes. Diese abschließende Phase sollten Sie bei der Vorbereitung auf Prüfungen mehrmals durchlaufen, um sicherzugehen, dass Sie die Inhalte auch wirklich verstanden und behalten haben. Speed Reading Eine unheimlich effiziente Methode, um gerade im Studium nicht nur deutlich stärker von Texten zu profitieren, sondern darüber hinaus enorm viel Zeit zu sparen, ist das Speed Reading. Hierbei handelt es sich um eine Technik, durch die Sie Ihre Lesegeschwindigkeit bei gleichbleibendem oder gesteigertem Textverständnis deutlich erhöhen können. Im Folgenden nach Koch (2015b) ein erster Einblick in die Wunderwaffe Speed Reading. <?page no="87"?> 88 3. Akademisches Wissensmanagement ▶ Stellen Sie zunächst fest, wie schnell Sie momentan lesen. Stoppen Sie die Zeit, die Sie für zwei Seiten eines Ihnen unbekannten Artikels benötigen und zählen Sie anschließend die dort enthaltenen Wörter. Teilen Sie die benötigte Zeit durch die Anzahl der Wörter und Sie bekommen Ihr momentanes Lesetempo in Words per Minute (WpM). So können Sie Verbesserungen feststellen und Ihre Motivation hochhalten. ▶ Schließen Sie sämtliche Ablenkungen von vornherein aus und schalten Sie Mobiltelefon, Computer und Klingel ab. ▶ Führen Sie Ihre Augen mit einer Zeigehilfe (Bleistift oder Ähnliches) über die Zeilen. ▶ Gewöhnen Sie es sich ab, im Text zurückzuspringen. ▶ Vermeiden Sie das sogenannte Subvokalisieren. Selbstverständlich reichen diese wenigen Zeilen nicht, um Speed Reading wirklich zu erlernen. Aber eventuell haben sie Ihr Interesse geweckt, sich diese Technik tatsächlich anzueignen. Bisher gelang es den meisten Seminarteilnehmern mit dieser Technik die eigene Lesegeschwindigkeit bei mindestens gleichbleibendem Textverständnis um mehr als 50 Prozent zu steigern. Der Umgang mit schwierigen Texten Früher oder später führt im Studium kein Weg daran vorbei: Besonders schwierige, kaum verständliche Texte sind zu lesen. Es ist dabei egal, ob der Autor oder die Autorin seinen oder ihren Artikel besonders kompliziert formulierte, um von inhaltlichen Schwächen abzulenken oder weil dies sein oder ihr persönlicher Stil ist. Sie müssen sich mit diesem Text auseinandersetzen. Aber keine Angst, es gibt einiges, das Sie tun können, um diese Auseinandersetzung produktiver und leichter zu gestalten: ▶ Die meisten Professoren nennen zu Beginn ihrer Veranstaltungen ein einführendes Grundlagenwerk. ▶ Lesen Sie einen kurzen Überblicksartikel über das Thema in einem Fachlexikon. ▶ Den Text laut zu lesen und die Wörter zu hören verringert zwar das Tempo, mit dem Sie lesen, aber es kann Ihr Textverständnis drastisch erhöhen. Leiern Sie ihn dabei jedoch nicht einfach nur herunter, sondern versuchen Sie ihn so zu betonen, dass ein Zuhörer Ihnen folgen könnte. ▶ Arbeiten Sie mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen. Lesen Sie den Text abwechselnd vor. Analysieren und erklären Sie sich die schwierigen Passagen gegenseitig. Schnell werden Sie merken, dass die Meinung anderer zur Klärung von Unverständlichem beitragen kann. ▶ Lesen Sie vorab besser verständliche Artikel, die das gleiche Thema behandeln. ▶ Suchen Sie ein auf das behandelte Themengebiet spezialisiertes Wörterbuch, um unverständliche Termini nachzuschlagen. ▶ Durchforsten Sie die Literaturangaben des Artikels oder Buchs auf der Suche nach besser verständlicher, themenverwandter Literatur. ▶ Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Professor oder ihrer Professorin und stellen Sie fest, ob Sie das nötige Vorwissen für das Seminar haben. Oftmals ist Ihren Dozenten nicht klar, was sie ihren Studenten abverlangen. <?page no="88"?> 89 3.1 Wissen effizient erwerben 3.1.3 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie sich mit dem Erwerb neuen Wissens aus Vorlesungen und Büchern oder Skripten auseinandergesetzt. Dabei sollten Sie vor allem die folgenden Aspekte berücksichtigen: ▶ Vorlesungen fordern von Ihnen aktives Zuhören, das Wahrnehmen zentraler Aspekte, das Aussieben unwichtiger Details und das Anfertigen schlüssiger Aufzeichnungen. ▶ Um von Vorlesungen zu profitieren, ist es notwendig, diese vorzubereiten, indem Sie einen Blick auf Download-Materialien und angegebene Literatur werfen. ▶ In den Vorlesungen selbst ist aktives Zuhören gefragt. Konzentrieren Sie sich mehr auf Gedankengänge und Zusammenhänge als wirklich jedes Wort der Dozentinnen und Dozenten erfassen zu wollen. ▶ Für das Erstellen von Aufzeichnungen in Vorlesungen ist es wichtig, sich ein sinnvolles System anzugewöhnen. Das Cornell-Note-Taking-System zum Beispiel ist ein sehr effektives. ▶ Der Inhalt einer Vorlesung sollte bis zur nächsten Veranstaltung wiederholt werden, um einen konstanten Wissenszuwachs zu ermöglichen und den Ausführungen der Dozentinnen und Dozenten folgen zu können. ▶ Der Wissenserwerb aus Büchern und Skripten erfordert aktives Lesen und die Anwendung bewährter Techniken. ▶ Beim Skimming überfliegen Sie den Text, um sich vor dem eigentlichen Lesen einen ersten Eindruck zu verschaffen, um sich ein detailliertes Lesen zu ersparen oder um sich bereits gelesene Texte nochmals in Erinnerung zu rufen. ▶ Um vom Studium wissenschaftlicher Texte wirklich zu profitieren, ist es notwendig, sich eine sinnvolle Lesestrategie anzugewöhnen. SQ 3R gilt als die Mutter aller Lesestrategien. ▶ Vom Speed Reading, der Kunst des Hochgeschwindigkeitslesens, profitieren Studentinnen und Studenten besonders stark. 3.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie vier Anforderungen, die Vorlesungen an Studenten und Studentinnen stellen. 2. Was versteht man unter aktivem Zuhören? Erklären Sie diesen Begriff und geben Sie dazu vier Ratschläge. 3. Nennen und erläutern Sie ein sehr effizientes System zur Organisation von Notizen während Vorlesungen. 4. Nennen und erläutern Sie die einzelnen Phasen der 5R-Methode. 5. Nennen Sie drei Merkmale eines aktiven Lesers. 6. Nennen und erläutern Sie die drei Varianten von Skimming, die im angloamerikanischen Raum unterschieden werden. 7. Wofür steht die Abkürzung SQ 3R? Nennen Sie die einzelnen Phasen. <?page no="89"?> 90 3. Akademisches Wissensmanagement 3.2 Information effizient sichern Günther Koch Nachdem Ihnen die erste Lerneinheit dieses Kapitels aufgezeigt hat, wie Sie neues Wissen besonders effizient erwerben, widmet sich diese zweite Lerneinheit der Frage nach dem nachhaltigen Abspeichern neuer Informationen. Dies ist besonders wichtig, da einerseits nur nachhaltiger Lernerfolg Kompetenzerwerb ermöglicht und da andererseits gute Zensuren in universitären Prüfungen aufgrund von Stoffumfang und -komplexität ein deutlich anderes Lernen als noch zu Schulzeiten erfordern. Die Tatsache, dass Tests häufig erst am Ende des Semesters stattfinden, erschwert die Vorbereitung zusätzlich. Diese Lerneinheit führt Sie zunächst in die Funktionsweise Ihres Gedächtnisses ein und stellt Ihnen das Drei-Speicher-Modell vor. Anschließend zeigt es Ihnen mit Akronymen und Akrosticha sowie Körperliste und Loci-Methode die für Studentinnen und Studenten sinnvollsten Merktechniken, bevor es die zeitgemäße Anfertigung und den sinnvollen Einsatz von Lernkarten aufzeigt. Abschließend erläutert es, wie Sie von Lerngruppen profitieren können und wie Sie die Arbeit in diesen am besten gestalten. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Gedächtnisprozesse verstehen und sich dieses Wissen zunutze machen können; ▶ Merktechniken gezielt einsetzen können; ▶ Lernkarten sinnvoll erstellen und nutzen können; ▶ aus Lerngruppen möglichst großen Nutzen ziehen können. Die Ausführungen gehen dabei auf Koch, Günther (2015a), Studieren mit Köpfchen. Paderborn: Schöningh, 63-80 zurück. 3.2.1 Gedächtnisprozesse verstehen Ein gutes Gedächtnis zu haben beinhaltet eigentlich zwei Aspekte: Speichern und Abrufen; Informationen müssen im Gedächtnis verankert sein und bei Bedarf wieder hervorgeholt werden können. Vielleicht erinnern Sie sich noch an eine Situation, in der Sie gut vorbereitet und sicher im Prüfungsstoff zu einer Klausur erschienen sind und feststellen mussten, dass Sie Ihr Wissen nicht abrufen konnten. Zwei Ursachen sind denkbar: ▶ Sie haben die Informationen nicht in Ihr Langzeitgedächtnis transferiert oder ▶ Sie konnten sie dort, aus welchem Grund auch immer, nicht wieder auffinden. Auch wenn in der Psychologie verschiedene Gedächtnismodelle zum Einsatz kommen, ist das Drei-Speicher-Modell am besten geeignet um aufzuzeigen, wie Lernen funktioniert, welche Lernstrategien gut geeignet sind und welche nicht. <?page no="90"?> 91 3.2 Information effizient sichern 3.2.2 Das Drei-Speicher-Modell Das Drei-Speicher-Modell geht davon aus, dass Gedächtnisprozesse drei unterschiedliche Speicher umfassen und drei unterschiedliche Prozesse beinhalten: Das Ultrakurzzeitgedächtnis (auch sensorischer Speicher) umfasst nur eine Zeitspanne von wenigen Millisekunden-- für eine Prüfungsvorbereitung also nicht wirklich interessant. Vielmehr dient es dazu, Sinneseindrücke für kurze Zeit aufzunehmen. Besonders wichtig innerhalb dieses Gedächtnisspeichers ist eine Art Selektionsprozess. Dieser filtert aus der Flut an Reizen und Informationen, der wir ständig ausgesetzt sind, die relevanten heraus. Er identifiziert für uns Wichtiges, Neues und Interessantes und gibt dieses weiter an das Kurzzeitgedächtnis. Die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses (auch primäres Gedächtnis) ist stark begrenzt und liegt deutlich unter der des Sensorischen Registers. Er kann in der Regel 7 ± 2 Informationseinheiten aufnehmen. Hier werden Informationen nur für bis zu einer Minute festgehalten. Sehr deutlich zeigt sich dies, wenn Sie eine neue Telefonnummer hören, diese aber nicht sofort aufschreiben können. Sieben Ziffern können wir uns weitgehend problemlos merken. Sobald die Ziffernfolge jedoch umfangreicher wird, müssen wir zu einem Trick greifen und uns die Nummer mehrmals vorsagen. Auf diesem Weg behalten wir die Telefonnummer im Kurzzeitgedächtnis. Sollen Informationen aus dem primären Gedächtnis in das Langzeitgedächtnis überführt werden, müssen diese zunächst weiterverarbeitet werden. Aus Sicht des Studenten ist es das Langzeitgedächtnis, das von besonderem Interesse ist. Hier werden die Fakten, Zahlen und Zusammenhänge abgespeichert, die das Prüfungswissen ausmachen. Auch wenn es uns nicht immer so vorkommt, ist die Kapazität des Langzeitgedächtnisses prinzipiell unbegrenzt. Anders als bei einer Computerfestplatte müssen Sie keine alten Lerninhalte löschen, um Platz für neue zu schaffen. Bei der Abspeicherung neuen Wissens im Langzeitgedächtnis sind Wiederholungen und Übungen wichtig. Aber auch Relevanz, Anzahl an Verknüpfungen und emotionale Bedeutung beeinflussen die Verankerung neuer Informationen. Ihr Ziel im Studium muss es natürlich sein, Informationen zuverlässig im Langzeitgedächtnis abzuspeichern und daraus abrufen zu können. Schlechtes Erinnern hingegen ist häufig auf einen Mangel an effektiven Lernstrategien zurückzuführen. Diese lassen sich grundsätzlich als übergeordnete Soft Skills oder Schlüsselqualifikationen unabhängig vom jeweiligen Fachgebiet schulen. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Lernen, (Das Lernen lernen) fördert eine Kompetenz, die in der heutigen Wissensgesellschaft unersetzlich für Erfolg in Studium und Beruf ist. Inwieweit die von Ihnen besuchte Schule dieser Aufgabe nachgekommen ist, können nur Sie allein beurteilen. 3.2.3 Merktechniken einsetzen Sicher haben Sie dies in einer Fernsehsendung auch schon gesehen und saßen staunend auf der Couch: Ein Gedächtniskünstler betritt die Bühne, stellt sich jedem einzelnen Zuschauer persönlich vor und lässt sich dabei von jedem neben Vor- und Zunamen auch Geburtsdatum und Adresse nennen. Anschließend kann er jeden beliebigen Zuschauer mit Namen anspre- <?page no="91"?> 92 3. Akademisches Wissensmanagement chen und dessen Adresse und Geburtsdatum nennen. Allein dies beweist: Das menschliche Gedächtnis ist zu unglaublichen Leistungen imstande. Es erlaubt uns eine Unzahl an Daten, Zahlen und Fakten langfristig abzuspeichern und bei Bedarf wieder abzurufen. Dennoch gelänge es nur den wenigsten, mit einem ähnlichen Kunststück bei Wetten Dass? ? ? oder Wer wird Millionär aufzutreten. Gerade in der Prüfungsvorbereitung jedoch wünscht sich so mancher Student ein ähnlich gutes Gedächtnis. Dabei bedienen sich Gedächtniskünstler einfach nur derselben Tricks und Techniken, die schon im antiken Griechenland von Philosophen, Rednern und Wissenschaftlern wie beispielsweise Platon und Aristoteles eingesetzt wurden: Mnemotechniken. Während in anderen Ländern selbst hoch angesehene Universitäten wie Cambridge und Harvard ihren Studenten den effizienten Einsatz dieser Techniken vermitteln, ist dies in Deutschland kaum der Fall. Nach eigener Auskunft lernen die meisten deutschen Studenten und Studentinnen durch stupide Wiederholung. Diese Lerntechnik wird klassischerweise in der Schule vermittelt und scheint zu funktionieren-- zumindest bis zu einem gewissen Grad. Spätestens im Studium jedoch, wenn der Stoff umfangreicher und komplexer wird, zeigen sich die Nachteile dieser Vorgehensweise: ▶ Das Lernen ist sehr zeitaufwändig. ▶ Nur ein Bruchteil der zu lernenden Informationen wird behalten. ▶ Gerade Daten, Fakten und Begriffe werden schnell vergessen. ▶ In der Prüfung selbst kostet es uns viel Zeit und Mühe, Gelerntes abzurufen. ▶ Bereits kurze Zeit nach der Prüfung ist der Inhalt wieder vergessen. Anders als stupides Wiederholen ist der Einsatz von Mnemotechniken effizient, nachhaltig und kann sogar Spaß machen. Im Grunde laufen derartige Techniken darauf hinaus, stabile und vielfältige Zugangsmöglichkeiten zu den einzelnen Inhalten des Lernstoffs zu schaffen. Sie eignen sich besonders gut für Faktenwissen: ▶ Personennamen und Sachbezeichnungen, ▶ Fachbegriffe und Fremdwörter, ▶ Knotenpunkte eines Prozesses , ▶ historische Ereignisse und Daten, ▶ aufgelistete Kennzeichen, Grundsätze und Eckdaten. Stellen Sie sich vor, wie entspannt Sie in Prüfungen agieren werden, wenn Sie Derartiges problemlos aus Ihrem Gedächtnis abrufen können! Natürlich ist der Einsatz von Gedächtnistechniken dann besonders einfach, wenn in einer Prüfung lediglich auswendig Gelerntes abgefragt wird. Aber auch in anspruchsvolleren Klausuren ist der Einsatz von Gedächtnistechniken sinnvoll. Organisieren Sie hierzu zentrale Aspekte des Lernstoffs in Listen und lernen Sie diese mithilfe von Mnemotechniken. <?page no="92"?> 93 3.2 Information effizient sichern Akronyme und Akrosticha Merkur Mein Venus Vater Erde erklärt Mars mir Jupiter jeden Saturn Sonntag Uranus unseren Neptun Nachthimmel Tabelle 3.2: Akrostichon zu den Planeten des Sonnensystems (Koch 2015a: 67) Bei diesem Beispiel handelt es sich um ein Akrostichon. Prinzipiell wird bei einem Akrostichon mit den Anfangsbuchstaben der einzelnen Schlüsselwörter ein neuer Satz, Vers oder Reim gebildet. Akronyme hingegen sind genereller Bestandteil unserer Sprache und uns deshalb besonders vertraut. Kaum jemand denkt bewusst darüber nach, dass das Akronym NATO für North Atlantic Treaty Organization steht oder ein Laser (light amplifikation by stimulated emission of radiation) ein durch stimulierte Emission von Strahlung verstärktes Licht ist. Bei Akronymen wird aus den Anfangsbuchstaben der zu lernenden Wörter ein neues Wort gebildet. Diese Anfangsbuchstaben-Techniken helfen Ihnen in vielerlei Hinsicht: ▶ Akronyme und Akrosticha geben dem zu lernenden Material einen Sinn. Statt neun Eigennamen, die keinen direkten Bezug zueinander haben, müssen Sie sich lediglich einen aussagekräftigen Satz oder ein Wort merken. ▶ Derartige Eselsbrücken fassen lange Listen an Begriffen zusammen und verringern somit den Lernstoff. ▶ Mithilfe dieser Gedächtnistechniken vereinfachen Sie das Abrufen der in Ihrem Gedächtnis gespeicherten Information. ▶ Diese Merktechnik gibt Ihnen einen eindeutigen Hinweis auf die Anzahl der abzurufenden Elemente. ▶ Außerdem stellt diese Vorgehensweise sicher, dass die einzelnen Elemente der Liste in der richtigen Reihenfolge wiedergegeben werden. Selbstverständlich bildet weder ein Akronym noch ein Akrostichon die ursprüngliche Information vollständig ab. Vielmehr liefern sie Ihnen lediglich Hinweise darauf. Wenn Sie sich eine derartige Merkhilfe eingeprägt haben, müssen Sie die zugrundeliegende Information in der Prüfung erst daraus ableiten. Üben Sie dies in der Prüfungsvorbereitung mehrmals, um sicherzugehen, dass Sie während der Klausur mehr als das aus den Anfangsbuchstaben zusammengesetzte Schlüsselwort beziehungsweise den Merksatz wissen. <?page no="93"?> 94 3. Akademisches Wissensmanagement Körperliste Eine äußerst effektive Mnemotechnik ist die Körperliste. Sie dient dazu, die Elemente einer Liste auswendig zu lernen. Strukturieren Sie also zuvor den Lernstoff und komprimieren Sie ihn auf einige Schlüsselwörter, die Sie behalten wollen. Da sie sich sehr einfach anwenden lässt, ist die Körperliste gerade für Studentinnen und Studenten gut geeignet, die zum ersten Mal Merktechniken einsetzen. Ein weiterer Vorteil liegt auf der Hand: Mit ihr haben Sie Ihre Merkhilfe stets dabei; dass einzelne Körperteile vergessen werden, ist in Prüfungen doch eher selten der Fall. Wenn Sie Ihren Körper als Lernhilfe einsetzen, unterscheiden Sie zehn Körperteile. Prägen Sie sich diese in der folgenden Reihenfolge ein: Füße, Knie, Oberschenkel / Schoß, Gesäß, Bauch, Brust, Schultern, Hals, Gesicht, Haare. Diese zehn Körperteile fungieren ab sofort als Ihre persönlichen Briefkästen, in denen Sie wichtige Schlüsselbegriffe oder andere Punkte einer Liste ablegen. Unabhängig davon, ob es sich um US -amerikanische Präsidenten, kindliche Entwicklungsphasen oder, wie in Tabelle 3.4 ersichtlich, um die Elemente eines Geschäftsplans handelt, erfordert dies zunächst einige Kreativität. Stellen Sie sich die beschriebenen Bilder bitte plastisch vor und schmücken Sie sie weiter aus, so dass überzeichnete, bizarre und abstruse Situationen vor Ihrem inneren Auge entstehen. Nur so prägen sie sich ein. Körperliste Bild Zehn US - Präsidenten Füße Mit den Eisensohlen Ihrer Sicherheitsschuhe treten Sie vor Wut gegen ein eisernes Tischbein. D. D. Eisenhower Knie Auf Ihrem Knie tanzt ein kleines grünes Männchen Polka - Sie fragen auf gut Bayerisch: „Kenn I Di? “ J. F. Kennedy Oberschenke/ Schoß In Ihrer vorderen Hosentasche befindet sich eine CD , aufgenommen vom Beatle John (Lennon) und dessen Sohn. L. B. Johnson Gesäß Auf Ihrem Gesäß tragen Sie die Tätowierung einer hübschen, kleinen Badenixe. R. Nixon Bauch Ihr Bauchnabel öffnet sich einem Garagentor gleich und ein riesiger Pickup fährt hinein - ein Fahrzeug der Marke Ford. G. Ford Brust Sie werden von einem aggressiven Kater attackiert, der Ihre Brust zerkratzt. J. Carter Schultern Sie spüren den prasselnden Regen auf Ihren Schultern. R. Reagan Hals Präsident Nummer 8 hing gegen Ende seiner Amtszeit vielen Menschen zum Hals heraus. G. Bush Mund / Gesicht Seit Präsident Nummer 9 wissen wir, dass mit dem Mund getane Dinge niemals Sex sind. B. Clinton Haare Anstelle von Haaren wächst auf Ihrem Kopf ein Dornbusch G. W. Bush Tabelle 3.3: Körperliste zu US -Präsidenten (Koch 2015a: 69) Die US -amerikanischen Präsidenten sind aufgrund Ihrer sprechenden Namen das Paradebeispiel für unterschiedliche Mnemotechniken. Dennoch funktionieren diese auch mit anderen, <?page no="94"?> 95 3.2 Information effizient sichern beliebigen Listen. Im Folgenden sehen Sie in Tabelle 3.4 eine Möglichkeit, die Elemente eines Geschäftsplans auf der Körperliste abzulegen. Hier werden die Verknüpfungen der einzelnen Bilder mit den Bestandteilen deutlich komplexer. Nutzen Sie die hier vorgegebenen Merkhilfen als Anregung, um eigene Eselsbrücken zu entwickeln. Körperliste Bild Elemente eines Geschäftsplans Füße Auf Ihrem Fuß sitzt eine grün schillernde Echse, die Sie abzuschütteln versuchen. Executive Summary Knie Auf Ihrem Knie findet ein Miniaturjahrmarkt statt und die Achterbahn fährt genau um Ihre Kniescheibe herum. Markt Oberschenkel / Schoß Natürlich hatte Ihr Neffe den Spielzeugbus, den Sie ihm abnehmen mussten, zuvor im Mund. Ihre Tasche, in die sie ihn stecken ist jetzt patschnass. Business Case Gesäß Überzeugt von Ihren Produkten haben Sie sich Ihr Produktangebot auf das Gesäß tätowieren lassen: … Produktangebot Bauch …Bauchnabelpiercings für übergewichtige Herren - die Vermarktung dieses Produkts fällt unerwartet schwer… Vermarktung Brust …und das, obwohl ganze Unternehmen sich doch sogar auf künstliche Brüste spezialisiert haben. Unternehmen Schultern Leider lastet dabei das gesamte Risiko auf Ihren Schultern. Risikomanagement Hals Sollte Ihre Finanzplanung jedoch funktionieren, trägt Ihre Partnerin bald eine neue Perlenkette um den Hals. Finanzplanung Tabelle 3.4: Körperliste zu Elementen eines Geschäftsplans (Koch 2015a: 70) Loci-Technik Die Loci-Methode geht der Sage nach auf Simonides von Keos zurück, der als einzig Überlebender einer Katastrophe die in einem Haus Verschütteten identifizieren konnte. Dies gelang ihm, indem er sich in Erinnerung rief, wo jede und jeder Einzelne zuletzt gesessen hatte. Im antiken Griechenland und Rom wurde diese Technik von Politikern und Rednern wie Cicero oder Quintilian verwendet, um freie Vorträge halten zu können und sich nicht auf Aufzeichnungen stützen zu müssen. Im Grunde funktioniert diese Mnemotechnik nicht wesentlich anders als die Körperliste: Auch sie nutzt Visualisierungen und Verknüpfungen, um Informationen zu organisieren und zuverlässig abzurufen. Grundlage hierfür ist allerdings weder die Körperliste noch eine andere, fiktive Liste. Vielmehr ziehen die Lerner den Bauplan eines vertrauten Gebäudes oder des Vortragsaals heran, in denen sie für sich fiktive Briefkästen einrichten, mit denen sie Schlüsselthemen- oder Wörter verbinden. Vorträge lassen sich mit der klassischen Loci-Technik frei von Stichwortzettel und Manuskript halten. Wenn Sie Ihren Vortrag planen und durchstrukturieren, werden Sie sich an verschiedenen Oberpunkten orientieren. Wenn Sie ihn dann halten, hangeln Sie sich von Oberpunkt zu Oberpunkt. Diese Mnemotechnik hilft, damit Ihnen dies ohne Stichwortkarten zuverlässig gelingt. Verdeutlichen wir dies an einem realen Vortrag zum effizienten Lernen, <?page no="95"?> 96 3. Akademisches Wissensmanagement den ich an einer privaten Businesshochschule gehalten habe. Er ließ sich auf die folgenden Schlüsselwörter reduzieren: ▶ Vergessen und Erinnern, ▶ Lernprozesse optimieren, ▶ Erschließen, ▶ Verarbeiten, ▶ Speichern, ▶ Wiederholen, ▶ Abrufen, ▶ Konzentrieren und Planen. Nun habe ich vor Vortragsbeginn an der Eingangstür des Raums beginnend acht Gegenstände oder Elemente ausgewählt. Wählen Sie Dinge aus, auf die Ihr Blick fällt, wenn Sie ihn im Uhrzeigersinn durch den Raum schweifen lassen. In unserem Beispiel gehen wir von dem realen Seminarraum aus, in dem besagter Vortrag gehalten wurde. Dort identifizierte ich die folgenden acht Gegenstände: ▶ linke Eingangstüre, ▶ Holzvertäfelung, ▶ rechte Eingangstüre, ▶ Garderobe, ▶ Stehpult, ▶ erhöhte Bühne für die Referenten, ▶ Publikumsreihen, ▶ letzte, etwas erhöhte Zuhörerreihen. Wenn Sie nun mit jedem dieser Gegenstände ein Oberthema oder ein Argument Ihres Vortrags verknüpfen, müssen Sie bei der Rede nur noch den Blick durch den Raum schweifen lassen. Sobald er auf einen dieser „virtuellen Briefkästen“ fällt, werden Sie an den nächsten Punkt Ihrer Rede denken (Tabelle 3.5): Briefkasten Verknüpfung / Bild Schlüsselwörter linke Eingangstüre Für diese Türe besitzt der Referent oder die Referentin keinen Schlüssel, dies ist insofern von Vorteil, als er oder sie ihn somit weder vergessen kann noch sich an ihn erinnern muss. Vergessen und Erinnern Holzvertäfelung Diese auffällige Wandvertäfelung wurde scheinbar mehrfach gestrichen. So sauber und ordentlich wie dies geschah, scheint jemand am Werk gewesen zu sein, der oder die das wirklich gelernt hatte. Lernprozess rechte Eingangstüre Sie rütteln kräftig, aber vergebens an dieser Tür. Sie ist verschlossen; stellen Sie sich darauf ein riesiges, durchgestrichenes V vor. So wird aus Verschließen ein Erschließen. Erschließen Garderobe Rütteln Sie an den Garderobenhaken; echte deutsche Wertarbeit! Sie sind sehr gut verarbeitet. Verarbeiten <?page no="96"?> 97 3.2 Information effizient sichern Briefkasten Verknüpfung / Bild Schlüsselwörter Stehpult An diesem Stehpult ist der Laptop des Referenten platziert; natürlich das neueste Modell mit extrem hoher Speicherkapazität. Speichern Bühne Auf der erhöhten Bühne bewegen sich die einzelnen Hochschuldozenten - und seien wir ehrlich, diese wiederholen sich doch sowieso ständig… Wiederholen Zuhörer …aber die armen Studenten sollen den Unsinn in der Prüfung dann abrufen können. Abrufen letzte Reihe Glück haben die Damen und Herren in der letzten Reihe! Diese können sich in aller Ruhe auf Ihren Spickzettel konzentrieren. Konzentrieren Tabelle 3.5: Loci-Methode zu den Elementen eines Vortrags (Koch 2015a: 72) Diese Methode funktioniert nicht nur mit Begriffen des Gedächtnistrainings, sondern-- etwas Fantasie vorausgesetzt-- mit jeder Thematik. Auch zur Prüfungsvorbereitung lässt sich die Loci-Technik sinnvoll nutzen. Bei dieser Variante der Loci-Methode schaffen Sie Verknüpfungen zwischen den Dingen, die Sie sich merken wollen, und einzelnen Stationen eines Ihnen bekannten Weges. Dies hat den Vorteil, dass Sie deutlich mehr als zehn Schlüsselwörter behalten können und Sie unabhängiger werden. Ein kurzfristiger Raumwechsel bringt Sie also nicht mehr aus der Ruhe. Gut geeignet ist der Weg durch die eigene Wohnung-- oder, falls deutlich größer, durch das elterliche Haus. Beginnen Sie im ersten Raum, der zu Ihrer Linken liegt, wenn Sie durch die Eingangstüre treten. Wählen Sie in diesem zehn Gegenstände aus, auf die Ihr Blick fällt, wenn Sie ihn im Uhrzeigersinn durch den Raum schweifen lassen. Das kann beispielsweise der Kleiderschrank sein, der gleich links hinter der Türe steht, der Schreibtisch, der auf ihn folgt und das Fensterbrett etc. Nehmen Sie sich anschließend Zimmer um Zimmer vor, bis sie jeden Raum mit zehn virtuellen Briefkästen versehen haben. Prägen Sie sich die Reihenfolge der Gegenstände gründlich ein und wiederholen Sie diese zu Beginn mehrmals. So stellen Sie sicher, dass Sie in einer anstrengenden Prüfung nicht Tante Gertruds scheußliche Vase in der Ecke vergessen; schade um das damit verbundene Schlüsselwort. Vermutlich werden Sie in dieser Phase etwas Zeit investieren müssen. Seien Sie sicher: Es lohnt sich! Auf diesem Weg gelingt es Ihnen mit ein wenig Übung, 0 oder 70 Begriffe dauerhaft abzuspeichern. In der Klausur gehen Sie nur durch die Ihnen vertrauten Räume und rufen sich an jedem Briefkasten den dort abgelegten Schlüsselbegriff in Erinnerung. In Verbindung mit Körper- und 20er-Liste kommen Sie so schnell auf einhundert Elemente. 3.2.4 Lernkarten erstellen und einsetzen Sowohl für das eigentliche Lernen als auch für das Wiederholen neu erworbenen Wissens bieten sich die klassischen Lern- oder Karteikarten an. Wenn Sie jetzt stöhnen und an die unhandlichen Karteikästen denken, die Sie zu Schulzeiten auf Geheiß Ihres Englischlehrers <?page no="97"?> 98 3. Akademisches Wissensmanagement einsetzen mussten, irren Sie. Lernkarten lassen sich heute am PC nicht nur kinderleicht und schnell erstellen, sondern auch vielfältig und flexibel einsetzen. Ihre Vorteile auf einen Blick: ▶ Beim Erstellen werden Sie gezwungen, Inhalte zu komprimieren. ▶ Lernkarten sind stets zur Hand und leicht zu ergänzen. ▶ Einzelne Themengebiete oder Schwerpunkte können separat herausgesucht und besonders intensiv gelernt werden. ▶ Die Einsatzmöglichkeiten für Lernkarten sind vielfältig. Das Lernkarten zugrundeliegende Prinzip ist relativ einfach: Anders als beim Vokabellernen finden Sie auf der einen Seite ein Stichwort, einen Oberbegriff oder die Bezeichnung eines Konzepts und auf der anderen Seite entsprechende Ausführungen, Unterpunkte, Definitionen oder Erklärungen. Erstellen Sie Lernkarten besonders ökonomisch am Computer. Schreiben Sie dazu in der Schriftgröße 18 oder größer und verwenden Sie für jede Vorder- und Rückseite eine neue Seite in einem Din-A4-Dokument (Querformat). Wenn Sie anschließend zwei Seiten auf ein Blatt drucken lassen, entstehen praktische Din-A5-Kärtchen, die Sie entweder falten, um beidseitige Lernkarten zu erhalten oder zerschneiden. Dies ist deutlich einfacher und weniger zeitaufwändig als mit beidseitigem Druck oder Ähnlichem zu hantieren. Da die meisten Dozenten und Dozentinnen ihre Skripten mittlerweile auch als PDF -Dokument zur Verfügung stellen, können Sie in den meisten Fällen Schlüsselwort und Erklärung, Begriff und Definition kopieren und per Copy-and-Paste in Ihr Dokument einfügen. Bei vielen Skripten bietet es sich an, jeden einzelnen Punkt des Inhaltsverzeichnisses auf der Vorderseite einer Karte zu notieren. Diese bringen Sie dazu, Ihr Wissen zu den einzelnen Themengebieten auszuführen. Auf die Rückseite schreiben Sie einzelne Unterpunkte anhand derer Sie die Vollständigkeit Ihrer Ausführungen überprüfen können. Die Arbeit am Computer hat außerdem den Vorteil, dass Sie die Lernkarten mit einer Kopf- und Fußzeile versehen können. So fällt eine Zuordnung zu Fach, Vorlesung und Themengebiet leicht. Einmal erstellt können diese Kärtchen zu jedem Zeitpunkt eingesetzt werden, um ein Thema alleine zu lernen und zu wiederholen. Ausgehend von der Vorderseite rufen Sie all Ihr Wissen zu diesem Punkt ab und kontrollieren sich selbst. In Lerngruppen können derartige Kärtchen als Stichwortgeber dienen, wenn Sie sich gegenseitig kurze Vorträge über einzelne Aspekte des Lernstoffs halten. Selbstverständlich stehen für das Lernen mit Karteikarten auch unterschiedliche Computerprogramme zur Verfügung. In der Praxis hat sich jedoch die simple Erstellung mit einem Textverarbeitungsprogramm als besonders effizient erwiesen. 3.2.5 In Gruppen arbeiten Von der Zusammenarbeit mit anderen Studentinnen und Studenten können Sie sehr stark profitieren. Dies gilt allerdings nur, wenn Sie Ihre Lerngruppe mit Bedacht zusammenstellen. Achten Sie von Beginn an darauf, dass die Chemie zwischen den Mitgliedern stimmt und die anderen ähnlich ambitioniert sind wie Sie selbst. Sie haben kein Interesse daran, sich in sowieso schon stressigen Prüfungszeiten mit wenig sympathischen, unzuverlässigen Kollegen herumzuärgern. Die ideale Studiengruppe wird bereits zu Beginn des Semesters gegründet <?page no="98"?> 99 3.2 Information effizient sichern und besteht aus drei oder vier Mitgliedern. Bereits ab fünf Mitgliedern sinkt die Effizienz und Sie profitieren nur wenig. Schon zu Beginn der Zusammenarbeit sollten Sie die ersten Arbeitstreffen vereinbaren und auch deren Zeitdauer festlegen. Als sinnvoll hat sich mindestens ein Treffen pro Woche erwiesen, da Sie alle auf diesem Weg regelmäßig Feedback über Ihr Lernen bekommen, die anderen Mitglieder kennenlernen und Schwierigkeiten sich bereits vor der Prüfungszeit erkennen und klären lassen. Legen Sie von Anfang an großen Wert darauf, dass alle Mitglieder der Gruppe zu den Treffen erscheinen und vorbereitet sind. Verteilen Sie dazu in den einzelnen Sitzungen Aufgaben, die bis zum nächsten Treffen zu erledigen sind. Sinnvoll kann es sein, wenn nach jedem Treffen einer der Teilnehmer oder eine der Teilnehmerinnen die Ergebnisse der Sitzung per E-Mail an den Rest der Gruppe versendet. Beachten Sie im Vorfeld der einzelnen Sitzungen einige Aspekte, um sicherzustellen, möglichst stark von den Gruppentreffen zu profitieren: Klären Sie gemeinsam, mit welchen Fragestellungen und Themen Sie sich auseinandersetzen möchten. Legen Sie so am Ende eines jeden Treffens die Schwerpunkte für die nächste Zusammenkunft fest. Auf diese Art und Weise hat jedes Mitglied der Gruppe die Möglichkeit sich vorzubereiten. Wenn Sie sich bereits während des Semesters einmal pro Woche treffen, sollten Sie die Zeit nutzen, um die besuchten Lehrveranstaltungen nachzubereiten. Verteilen Sie an jedes Mitglied eine Aufgabe, die bis zum gemeinsamen Treffen erledigt werden muss. Von Zusammenfassungen, Lernkarten oder selbsterstellten Prüfungsfragen profitiert jedes Mitglied. Eine gute Idee kann es sein, einen E-Mail-Verteiler einzurichten und sich die erstellten Materialien vor dem Treffen zuzuschicken. So können diese schon im Vorfeld gesichtet werden. Alternativ werden diese zu Beginn des Treffens vom jeweiligen Urheber kurz vorgestellt. Legen Sie von vornherein fest, wie lange jedes Treffen dauern soll. So kann jedes Gruppenmitglied planen und niemand „sitzt auf heißen Kohlen“ und hat ein schlechtes Gewissen, weil sie oder er einen Anschlusstermin nicht wahrnehmen kann. Strukturieren Sie die Treffen, um sie effizient zu gestalten, möglichst viel Prüfungsstoff zu behandeln und zielgerichtet arbeiten zu können. Beginnen Sie, indem Sie die Ergebnisse der vorherigen Sitzung kurz wiederholen und jedes Gruppenmitglied die von ihm erledigte Aufgabe vorstellt. Stellen Sie sicher, dass diese Phase nicht zu lange dauert und in Diskussionen ausartet. Bemühen Sie sich anschließend, seit dem letzten Treffen neu aufgetretene Fragen zu klären oder vergeben Sie dies als Aufgabe an einzelne Mitglieder für die nächste Sitzung. Nachdem Sie wie geplant die für das Treffen vereinbarten Themen abgearbeitet haben, nutzen Sie die letzten zehn Minuten, um Aufgaben zu verteilen und das nächste Treffen zu planen. Die folgenden Aktivitäten bieten sich als Aufgaben zwischen den Treffen an: ▶ Zusammenfassungen erstellen, ▶ fiktive Prüfungsfragen formulieren, ▶ Einzelaspekte recherchieren, ▶ Kontaktaufnahme mit dem Dozenten bei Unklarheiten, ▶ Lernkarten erstellen. <?page no="99"?> 100 3. Akademisches Wissensmanagement Während der Treffen selbst können folgende Aktivitäten durchgeführt werden: ▶ gegenseitiges Abfragen, ▶ Beseitigen von Unklarheiten bei einzelnen Mitgliedern, ▶ gemeinsames Erörtern von Themen, ▶ Besprechen erstellter Zusammenfassungen und Lernmaterialien, ▶ gemeinsames Erstellen von Mind- und Conceptmaps, ▶ Analysieren und Lösen älterer Prüfungsaufgaben. Auch wenn Lerngruppen Ihren Studienerfolg sehr stark positiv beeinflussen können, bestehen einige Gefahren: ▶ Gerade Gruppen, die sich besonders gut verstehen, verlieren eventuell die Ziele aus den Augen und nutzen die Treffen eher zum Zwecke der Freizeitgestaltung. Außerdem kommt es in ineffizienten Lerngruppen häufig vor, dass Gruppenmitglieder unvorbereitet erscheinen, keine Teilaufgaben übernehmen und nicht zum Erfolg aller beitragen. ▶ Problematisch werden Arbeits- und Lerngruppen auch dann, wenn die Treffen vor allem genutzt werden, um eigenem Ärger und eigener Prüfungsangst Luft zu machen. Dadurch ziehen sich die Mitglieder gegenseitig herunter und lähmen sich. ▶ Gesprächen mit Studentinnen und Studenten zufolge kommt es in vielen Gruppen außerdem vor, dass einzelne Gruppenmitglieder sehr dominant die Führung übernehmen. Dadurch fühlen sich einige der interviewten Studenten unwohl, gegängelt und haben den Eindruck, die Gruppe diene dem Nutzen eines einzelnen Mitglieds. ▶ Um Schwierigkeiten von vornherein zu vermeiden, sollten Sie von Anfang an offen und ehrlich über Erwartungen, Pflichten und Wünsche der einzelnen Mitglieder sprechen. Eventuell hilft es auch, Sitzungen so zu legen, dass die Gruppe im Anschluss daran etwas essen oder trinken gehen kann, um Privates zu besprechen und sich zwanglos zu unterhalten. 3.2.6 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie sich mit dem nachhaltigen Behalten neu erworbenen Wissens auseinandergesetzt. Dabei sollten Sie vor allem die folgenden Aspekte berücksichtigen: ▶ Das Drei-Speicher-Modell unterscheidet Ultrakurzzeitgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis. ▶ Für Studentinnen und Studenten ist vor allem das Langzeitgedächtnis von Bedeutung, da Wissen hier dauerhaft abgespeichert wird. ▶ Akronyme, Akrosticha, Körperliste und Loci-Methode sind besonders effiziente Merktechniken. ▶ Merktechniken oder Mnemotechniken eignen sich besonders gut, um Faktenwissen langfristig zu behalten. ▶ Bei einem Akrostichon wird aus den Anfangsbuchstaben der zu lernenden Begriffe ein ganzer Satz gebildet. <?page no="100"?> 101 3.2 Information effizient sichern 3.2.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie die drei Gedächtnisspeicher des Drei-Speicher-Modells. Wie lange verbleiben Informationen in den einzelnen Speichern? 2. Nennen Sie vier Mnemotechniken. 3. Nennen Sie möglichst viele Argumente, die gegen stures Wiederholen und Pauken als Lernmethode sprechen. 4. Was versteht man unter einem Akronym? Nennen Sie ein Beispiel. 5. Was versteht man unter einem Akrostichon? Nennen Sie ein Beispiel. 6. Welche Vorteile bieten Akronyme und Akrosticha dem Lerner? Nennen Sie vier Vorteile. 7. Nennen Sie die 10 Körperteile, die von der Körperliste als Lernhilfen und persönliche Briefkästen verwendet werden. 8. Was versteht man unter der Loci-Methode? Erläutern Sie Herkunft und Einsatz dieser Gedächtnistechnik. 9. Bei welchen beiden Aufgaben lässt sich die Loci-Methode besonders effizient einsetzen. 10. Welche Aufgaben bieten sich für Lerngruppen an? Nennen Sie Aufgaben, die bei den Treffen selbst anstehen sollten, und solche, die zwischen den Treffen erledigt werden können. ▶ Bei einem Akronym wird aus den Anfangsbuchstaben der zu lernenden Begriffe ein Wort gebildet. ▶ Die Merktechnik Körperliste arbeitet mit 10 persönlichen Briefkästen, die den folgenden Körperteilen zugeordnet sind: Füße, Knie, Oberschenkel / Schoß, Gesäß, Bauch, Brust, Schultern, Hals, Gesicht, Haare. ▶ Die Loci-Methode eignet sich sowohl für freie Vorträge als auch für Prüfungen. ▶ Lernkarten lassen sich mittlerweile am Computer besonders zeitsparend erstellen. ▶ Richtig zusammengestellt und sinnvoll organisiert können Lerngruppen in der Prüfungsvorbereitung sehr hilfreich sein. <?page no="101"?> 102 3. Akademisches Wissensmanagement 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten Christian Gill Um eine theoretisch fundierte und stringente Argumentation zu entwickeln, bedarf es einer intensiven und zielgerichteten Auseinandersetzung mit der Literatur. Erst dadurch entsteht ein stabiles Gerüst, das Sie im Theorieteil Ihrer Arbeit differenziert darlegen und für die Erstellung und Komposition eigener Erhebungsinstrumente nutzen können. Entscheidungen, sich an bestimmten Vorbildstudien zu orientieren oder etwa eine Zielgruppe als angemessen zu erachten, müssen anhand passender Quellen begründet werden. Die Recherchearbeit nimmt deswegen einen besonders wichtigen Stellenwert im Forschungsprozess ein, da sie das Vorhaben legitimiert und die Genese des Designs transparent macht. Es besteht allerdings die Gefahr, dass man aus der Vielzahl möglicher Quellen die falschen auswählt und zu viel Zeit durch ein unsystematisches Vorgehen verliert. Wie man die Literaturrecherche zielgerichtet und effektiv gestalten kann, erfahren Sie in den nächsten Abschnitten. Diese Lerneinheit gibt Ihnen Hilfestellungen für die Organisation Ihrer Recherche mit dem Ziel, dass Sie sich der großen Zahl potentiell relevanter wissenschaftlicher Beiträge systematisch nähern. Hierfür erhalten Sie praktische Hinweise zur Rezeption empirischer Studien, die Sie direkt für die eigene Lern- und Forschungsarbeit nutzen können. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Forschungsbeiträge mit Blick auf individuelle Schwerpunktsetzungen verorten können und ▶ darauf aufbauend empirische Studien hinsichtlich bedeutender Kennwerte analysieren und kritisch reflektieren können. 3.3.1 Orientieren und gezielt thematisch recherchieren Da die Qualität der eigenen Arbeit in großem Maße von der Qualität der verwendeten Quellen abhängt, ist es unabdingbar die recherchierte wissenschaftliche Literatur zu prüfen, die sich nach der Art ihrer Publikation in Primär-, Sekundär- und graue Literatur unterteilen lässt: Primärliteratur umfasst solche Quellen, die sich mit einem bestimmten Thema unmittelbar beschäftigen. Darunter fallen zum Beispiel wissenschaftliche Abhandlungen und Forschungsberichte, die eine spezifische Fragestellung mittels ausgewählter empirischer Methoden (vergleiche Kapitel  und 7) bearbeiten und die entsprechenden Ergebnisse darstellen. Im Gegensatz dazu widmet sich Sekundärliteratur nicht unmittelbar einer bestimmten Forschungsfrage, sondern verweist auf Primärquellen und fasst verschiedene Befunde zusammen, indem ein vergleichender Überblick über Inhalte von Originalarbeiten präsentiert wird. Eine selbständig verfasste Arbeit kann somit ebenfalls zu einer Sekundärquelle werden. Typische Formen umfassen allerdings unter anderem Fachlexika und -bücher (Monographien) zu einem bestimmten Thema oder auch Übersichtsartikel, sogenannte Reviews, in Fachzeitschriften <?page no="102"?> 103 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten oder Sammelbänden. Zu beachten ist dabei, dass Befunde aus Primärquellen komprimiert dargestellt werden und deswegen die eigene wissenschaftliche Argumentation nur begrenzt durch Sekundärzitate zu stützen ist. Im Allgemeinen nicht zitierfähig sind Quellen der grauen Literatur wie Hausarbeiten und Skripte, weil diese keine wissenschaftlichen Publikationen im eigentlichen Sinne darstellen und dementsprechend keine belastbaren Säulen der eigenen Arbeit bilden (vergleiche Stahl & Kipman 2012: 8f). Niedermair (2010: 28ff) weist einen weiteren Typ wissenschaftlicher Literatur aus: die Tertiärquellen. Diese umfassen unter anderem Lehrbücher, Handbücher und Enzyklopädien und dienen dazu, über Inhalte von Primär- und Sekundärliteratur zu informieren. Nach einer anderen Lesart werden Tertiärquellen auch Hilfsmittel für die Recherche wie Online-Kataloge und Suchmaschinen zugeordnet, deren Zweck vornehmlich darin besteht, Primär-, Sekundär- und weitere Tertiärquellen vereinfacht zu finden. Um für das eigene Forschungsprojekt passende Literatur recherchieren und sich dieser reflektiert widmen zu können, bedarf es zuallererst der Formulierung eines allgemeinen Erkenntnisinteresses und entsprechender Ziele. Dabei steht noch nicht die Festlegung auf eine konkrete Fragestellung im Vordergrund, sondern vielmehr eigene Interessen. Die zeit- und arbeitsintensive Beschäftigung mit einem bestimmten Thema stellt nicht nur Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler vor Herausforderungen und bedarf mitunter eines hohens Maßes an Frustrationstoleranz. Diese bewältigt man eher, wenn man interessengeleitet mögliche Forschungsgebiete erschließt (vergleiche Riemer 2010: 424). Um eine Zusammenstellung aktuell beforschter Themenfelder und empirischer Zugänge zu generieren, bieten sich verschiedene Quellen an. In Anlehnung an Caspari (201: 30) und Legutke (201: 372) umfassen diese in der Fremdsprachendidaktik beispielsweise: ▶ Fachlexika ▶ aktuelle Handbücher ▶ Forschungsüberblicke ▶ einschlägige Überblicksdarstellungen beziehungsweise Einführungen ▶ Fachzeitschriften (Eine Auswahl aktueller Fachzeitschriften unter anderem zu Deutsch als Zweitsprache und Fremdsprache sowie zur Sprachlehrforschung bietet die vom Lehr- und Forschungsbereich Deutsch als Fremdsprache der Universität Bielefeld erstellte Übersicht, deren URL im Literaturverzeichnis aufgeführt ist. Durch die Verlinkungen entsteht ein reichhaltiger Ideen- und Recherchepool für eigene wissenschaftliche Arbeiten.) ▶ die regelmäßig aktualisierte Chronologie der Dissertationen und Habilitationen in den fremdsprachendidaktischen Disziplinen von Klippel (201), siehe auch Doff, Königs, Marx & Schädlich (201) ▶ (inter-) nationale Fachdatenbanken (Derartige Datenbanken ermöglichen der oder dem Recherchierenden schnell und ohne große Aufwendungen den Zugang zu einem umfangreichen Korpus an wissenschaftlichen Publikationen. Die Verwendung selbst gewählter und gegebenenfalls themenverwandter Suchbegriffe sowie die Kombination etwa aus Autorennamen, Erscheinungsjahr und / oder Schlagwörtern schaffen eine Entlastung bei der Recherche. Niedermair (2010: 110ff) zeigt diesbezüglich Möglichkeiten <?page no="103"?> 104 3. Akademisches Wissensmanagement auf, um die Suche einzugrenzen, zu spezifizieren oder zu erweitern, und demonstriert anhand kurzer Beispiele die Verwendung logischer Operatoren.) Im Rahmen des Einstiegs in die Analyse des Themenfeldes wird oft auf das sogenannte Schneeballsystem als Recherchestrategie verwiesen (vergleiche zum Beispiel Niedermair 2010: 13). Hierfür nutzt man nach der ersten, groben Eingrenzung der Thematik insbesondere die Literaturverzeichnisse einschlägiger Publikationen dafür, weitere Titel zu finden und wiederum deren Literaturverzeichnisse durchzugehen. Neben diesen bieten auch die Sach- und Personenregister vielfältige Ausgangspunkte für die weitere Recherche. Eine solche pyramidenartige Suchstrategie ist nicht nur dann geeignet, wenn die oder der Recherchierende über noch sehr begrenzte Kenntnisse zur Thematik verfügt, sondern auch dann, wenn ein anderes Vorgehen etwa aufgrund örtlicher Einschränkungen nur bedingt möglich ist. Wegen des großen Suchradius besteht allerdings die Gefahr, in der Vielzahl ermittelter Beiträge den Überblick zu verlieren. Auch kann diese Strategie dazu führen, die eigenständige Auseinandersetzung mit der Originalliteratur zu vernachlässigen oder Perspektiven von Autorinnen und Autoren unreflektiert zu übernehmen, was die Sicht auf eine weite Recherche verstellt. Um hier entgegenzuwirken, ist es wichtig, im Laufe der intensiven Beschäftigung mit der Thematik eine konkrete Fragestellung zu entwickeln. Erst dann kann fortlaufend geprüft werden, inwieweit die ermittelte Literatur der spezifischen Forschungsfrage zuträglich ist. Gleiches gilt, wenn durch das parallele Sammeln relevanter Schlagwörter und deren Nutzung für Literaturdatenbanken, weitere Forschungsbeiträge gefunden werden (vergleiche Stahl & Kipman 2012: 10f). Von einer assoziativen Strategie gelangt man sukzessive zu einer gezielten, systematischen Recherche, die auf dem bereits erarbeiteten Überblickswissen aufbaut. Dennoch sollte das Schneeballverfahren im Forschungsprozess durchgängig ergänzend angewandt werden, indem man die in relevanten Publikationen zitierte Literatur hinsichtlich neuer Referenzen auswertet (vergleiche Niedermair 2010: 13). Das systematische Vorgehen der gezielten thematischen Recherche besteht nun darin, ermittelte Forschungsbeiträge anhand bestimmter Beurteilungskriterien möglichst vor einer vollständigen Lektüre grob zu verorten. Ziel ist es hierbei, deren Qualität sowie Eignung für die theoretische beziehungsweise empirische Fundierung der eigenen Arbeit einschätzen zu können. Der Forschungsprozess soll möglichst ökonomisch gestaltet werden, und zwar nicht nur durch eine allgemeine Verringerung des Lesestoffs, sondern vielmehr dadurch, dass dieser auf die individuelle Fragestellung bezogen eingedampft wird. Forschende können ihre Kapazitäten zielgerichtet einsetzen und mit Blick auf vorgegebene Bearbeitungszeiträume optimal nutzen. Durch die Verwendung eines Fragenkatalogs, wie er im Folgenden aufgezeigt wird, gelingt eine einfache und doch effektive Evaluation. 1. Wer hat den Beitrag verfasst? Wenn eruiert werden soll, inwieweit eine bestimmte Autorin oder ein bestimmter Autor die Forschungslandschaft prägt beziehungsweise über wissenschaftliche Seniorität verfügt, ist eine personenbezogene Recherche angeraten, die zunächst die Zahl der zu dem Thema veröffentlichten theoretischen und empirischen Beiträge zu ermitteln sucht. Auch die Alleinautorenschaft bedeutender Publikationen oder die (Mit-)Herausgeber- <?page no="104"?> 105 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten schaft von Sammelbänden, die sich der spezifischen oder einer übergeordneten Thematik widmen, sind Anhaltspunkte für die Tragweite des wissenschaftlichen Wirkens einer Person. Stifter (2002: 233f) verweist darauf, dass zur Zurechnung einer Publikation bei Mehrfachautorenschaft drei Strategien unterschieden werden: a. die volle Zurechnung der Veröffentlichung zu jedem der Autorinnen und Autoren, was allerdings dazu führen kann, dass die Produktivität derjenigen überschätzt wird, die weitestgehend Teamforschung betreiben; b. die ausschließliche Berücksichtigung der Erstautorin oder des Erstautors unter der Annahme, dass von dieser Person der größte Teil der Arbeit geleistet wurde-- eine Vorgehensweise, die bei einer alphabetischen Ordnung beteiligter Autorinnen und Autoren nicht zielführend ist; c. die der Zahl der Verfasserinnen und Verfasser entsprechende Zurechnung eines Bruchteils des Artikels, was zum Beispiel bei drei Personen zur Folge hat, dass jedem ein Drittel der Publikation zugeschrieben wird, wodurch der Arbeitsaufwand des Einzelnen allerdings nicht adäquat widergespiegelt werden muss. Jede der aufgeführten Strategien ist mit gewissen Einschränkungen behaftet, die der oder dem Recherchierenden bewusst sein müssen. Nach der Entscheidung für ein bestimmtes Vorgehen bei der Zurechnung von Publikationen ist diese Entscheidung zu begründen, Vor- und Nachteile transparent zu machen und die jeweilige Strategie durchgehend anzuwenden. Neben der Autorenschaft sind in die kriteriengeleitete Bewertung wissenschaftlicher Tätigkeit auch Vorträge auf Fachtagungen oder die Mitgliedschaft in Vorständen wichtiger Fachverbände einzubeziehen. Andere Kriterien zur Einschätzung der Qualität und Produktivität wissenschaftlicher Arbeit umfassen unter anderem Funktionen in der Wissenschaftsorganisation, Drittmitteleinwerbung oder Auszeichnungen (vergleiche Gesellschaft für Fachdidaktik 2009: 1). Dabei ist anzumerken, dass einerseits ein ganzheitliches, aussagekräftiges Bild erst durch die Verknüpfung möglichst unterschiedlicher Informationen zu einer Forscherin oder einem Forscher entsteht. Anderseits kann es mit Blick auf die anzustrebende Ökonomie in der Recherchearbeit nicht das Ziel sein, umfangreiche Steckbriefe sämtlicher Autorinnen und Autoren zu erstellen. Die oben aufgeführten Attribute reichen für eine erste Einschätzung des wissenschaftlichen Wirkens aus, lassen sich aber ergänzen, wenn dies für die eigene Forschungsarbeit notwendig ist. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur wird der erste grobe Zugang etwa mithilfe von Fachlexika oder Einführungswerken kontinuierlich feingliedriger hin zu einer theoretischen und forschungsmethodischen Beschäftigung mit Einzelaspekten des Themenfelds. Im Zuge dessen kann ermittelt werden, inwieweit Forschungsergebnisse einer Autorin oder eines Autors zitiert werden beziehungsweise die Grundlage für weitere Studien bilden. Als eine zentrale Anlaufstelle für eine personenbezogene, den skizzierten Kriterien entsprechende Recherche lassen sich bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an Universitäten und Hochschulen tätig sind, die jeweiligen Mitarbeiterseiten nutzen. Neben dem Lebenslauf wird dort in aller Regel eine chronologische Übersicht sämtlicher <?page no="105"?> 106 3. Akademisches Wissensmanagement oder der bedeutendsten Publikationen präsentiert. Das Feld der potentiell relevanten Autorinnen und Autoren vergrößert sich, wenn Arbeiten und Projekte aufgeführt sind, an denen weitere Personen mitwirken. Zu beachten sind hierbei erneut, die oben umrissenen Strategien zur Zurechnung einer Publikation bei Mehrfachautorenschaft. 2. Wo ist der Beitrag erschienen? Für die Qualitätsbewertung einer Publikation ist neben der Art ebendieser auch das Publikationsorgan entscheidend: Über die größte Reputation verfügen Fachzeitschriften mit sogenanntem Peer-Review und einem internationalen Publikum. Zur Verdeutlichung eines solchen Vorgehens wird der Beurteilungsprozess (refereeing process) der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht ( ZIF ) in Abbildung 3.1 dargestellt. Besondere Berücksichtigung findet dabei die externe Beurteilung. Abbildung 3.1: Beurteilungsprozess eingereichter Arbeiten durch die ZIF (2014: 4f) <?page no="106"?> 107 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten Kritisch zu hinterfragen ist stets, ob neue Forschungsergebnisse präsentiert werden oder der Beitrag mit ähnlichen inhaltlichen Schwerpunkten bereits anderweitig veröffentlicht wurde. Als hilfreiches Instrument zur Evaluierung von Publikationen, das unmittelbare Bezüge zur Präsenz beziehungsweise dem Gewicht einer oder eines Forschenden in der Scientific Community herstellt, kann zum Beispiel das tabellarisch angelegte Bewertungsraster der Gesellschaft für Fachdidaktik ( GFD ) (2009: 4) genutzt werden. Abbildung 3.2: Beschreibung und Klassifizierung von Publikationsorganen ( GFD 2009: 4) Die in der ersten Spalte aufgestellte Reihung ist entscheidend für die Bewertung von Forschungsbeiträgen: Artikel in Fachzeitschriften sind hinsichtlich ihrer Qualität vor denen in Sammelbänden und Buchreihen zu bewerten. Da Letztere meist angefordert, lediglich von der Herausgeberin oder dem Herausgeber geprüft und keinem stringenten Review-Verfahren unterzogen werden, sind sie leichter zu publizieren. Weiter unten folgen Tagungsbände, die häufig nur eine kursorische Überprüfung von Artikeln etwa nach formalen Fehlern vor der Publikation erfordern. Mit Blick auf eine wissenschaftliche Beurteilung stellen Schulbücher und sonstige Lehrbeziehungsweise Lernmaterialien im vorliegenden Kontext eher eine Ausnahme dar, weil sie die Forschungskompetenz der Autorin oder des Autors nicht aufzeigen. Will man derartige Publikationen begutachten, sind andere Verfahren notwendig, wie die im DaF-Bereich häufig angewandte Lehrwerkanalyse und -kritik (vergleiche zum Beispiel Krumm & Ohms-Duszenko 2001). Die verschiedenen Wissenschafts- und Fachdisziplinen sind durch unterschiedliches Publikationsverhalten gekennzeichnet, was zur Folge hat, dass etwa der Zeitschriftenaufsatz oder die Monographie den jeweils dominierenden Typus darstellen können. So ist das hier genutzte Beispiel als eine erste Annährung zu verstehen, die keineswegs Allgemeingültigkeit anstrebt. Prinzipiell führen Publikationsanalysen zu valideren Aussagen, wenn sie sich auf eine bestimmte wissenschaftliche Disziplin beziehen (vergleiche Stifter 2002: 233f). <?page no="107"?> 108 3. Akademisches Wissensmanagement Da die Zielgruppen von Publikationsorganen oft nicht anhand des Titels eindeutig bestimmt werden können beziehungsweise verschiedene Gruppen angesprochen werden sollen, ist zu empfehlen, dass ein solches Raster durch kurze Beschreibungen der Organe ergänzt wird. Im Zuge dessen erhält man eine annotierte Übersicht, die stetig ausgeweitet werden kann und künftige Recherchen vorentlastet. 3. Wann ist der Forschungsbeitrag erschienen? Wenn nicht auf eine historische Betrachtung spezifischer Sachverhalte abgezielt wird, sollte grundsätzlich aktuelle Forschungsliteratur für die Weiterarbeit an der eigenen Studie genutzt werden. Diese stützt sich auf ältere Ansätze und nimmt oft eine zusammenfassende Bewertung vor. Im Rahmen einer systematischen Recherche können dadurch nicht nur ältere Forschungsbeiträge ermittelt, sondern auch deren Bedeutung für die aktuelle Fachdiskussion unter Beachtung der oben skizzierten Einschränkungen eruiert werden. Liegen verschiedene Auflagen eines Werks vor, ist möglichst die aktuellste zu zitieren. Genaue Angaben von Zeiträumen, nach denen wissenschaftliche Publikationen als veraltet gelten, sind schwierig, zumal Unterschiede in den Fachdisziplinen bestehen. Eine Orientierung bietet hier die bibliometrische Halbwertszeit wissenschaftlicher Literatur, die durchschnittlich bei ungefähr fünf Jahren liegt. Nach dieser Zeit hat eine Arbeit die Hälfte ihrer Relevanz verloren und gilt somit nach zehn Jahren als veraltet. Wird auf solche Quellen Bezug genommen, ist umsichtig vorzugehen, da inzwischen Erkenntnisse überholt oder gar widerlegt sein können (vergleiche Sandberg 2017: 7f). Gleichzeitig ist zu unterstreichen, dass Klassiker-- respektive grundlegende Werke einer Fachdisziplin-- dem Maß nicht entsprechen. So stellt es eine Leistung der Literaturrecherche dar, zu ermitteln, welche Publikationen dieser Kategorie zuzurechnen sind. Im Verlauf der intensiven Auseinandersetzung mit verschiedenen Veröffentlichungen wird deutlich, auf welche älteren Werke häufig verwiesen wird. Oft werden solche Texte auch neu gedruckt und von anderen Personen herausgegeben, deren Namen dem Titel oder Untertitel hinzugefügt werden. 4. Wie ist der Untersuchungsgegenstand definiert? Untersuchungsgegenstände, die für empirische Forschung potentiell von Interesse sind, können sehr vielfältig sein, da verschiedenste Forschungslücken noch nicht bearbeitet sind oder sich bei der Lektüre der Literatur neue auftun. Im Kontext des Deutschen als Fremdsprache und Zweitsprache beispielsweise lassen sich Untersuchungsgegenstände auf folgenden Ebenen verorten: die Ebene des Lern- und Erwerbsprozesses beziehungsweise die des Lehr- oder Lernprozesses, die Ebene des Lerngegenstands und der Lernumgebung. Sowohl bei der Auseinandersetzung mit empirischen Forschungsarbeiten als auch bei der Planung der Operationalisierung eigener Forschungsfragen muss beachtet werden, dass Untersuchungsgegenstände zumeist multidimensional sind. So ist in die forschungsmethodischen Überlegungen stets eine Vielzahl sich gegenseitig beeinflussender Faktoren miteinzubeziehen (Faktorenkomplexion), nicht nur wenn das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen untersucht wird. Eine exakte Definition <?page no="108"?> 109 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten der Untersuchungsgegenstände und der zu untersuchenden Variablen ist demnach unerlässlich (vergleiche Kapitel 5). Erst dadurch können ausschließlich diese in den Fokus des weiteren Forschungsprozesses gerückt und entsprechend operationalisiert werden (vergleiche Riemer 2010: 24f). Die klare Eingrenzung, die zum Teil eigenständige Kapitel von Forschungsbeiträgen umfasst, ermöglicht es den Rezipienten genau nachzuvollziehen, welcher Ausschnitt der Wirklichkeit wie untersucht wird. Während der Explorationsphase sollte die für relevant erachtete vorhergehende Forschung zu ähnlichen Untersuchungsgegenständen überblicksartig zusammengetragen und gegenübergestellt werden. So lässt sich der aktuelle Forschungsstand nachzeichnen und die Konzeption des eigenen Designs begründen. 5. Wie wird auf den theoretischen Hintergrund Bezug genommen? Jede Forschungsarbeit baut auf bekanntem Wissen auf und versucht, dieses zu erweitern. Hierfür werden in der Regel zwei Formen des Literaturüberblicks genutzt, die als eigenständige Textsorte gefasst werden können. Der Literaturüberblick 1 verdeutlicht, dass vorhandenes Wissen nicht nur reproduziert, sondern originäre Forschung betrieben wird, indem er vier Funktionen erfüllt: (1) Positionierung im Forschungsfeld, (2) theoretische Fundierung, (3) Herausarbeiten von Forschungslücken und (4) Besetzung einer Forschungslücke. Hinsichtlich der Erschließung des theoretischen Hintergrunds und eines entsprechenden Vergleichs von Studien können hier unter anderem folgende Leitfragen hilfreich sein: ▷ Auf welche Ergebnisse wird Bezug genommen? ▷ Werden fehlende Forschungsergebnisse und Desiderate thematisiert? ▷ In welchem Umfang werden empirisch gewonnene Ergebnisse und theoretische Positionen genutzt? ▷ Welche Schwerpunkte werden in der Argumentation gesetzt? ▷ Wie werden verschiedene Positionen gegeneinander abgewogen und der Bezug zur Forschungsfrage hergestellt? ▷ Gibt es Anknüpfungspunkte für die eigene Studie? ▷ Lassen sich Traditionslinien nachzeichnen, die aufgenommen werden können? Der Literaturüberblick 2 fokussiert forschungsmethodologische Aspekte und begründet das Design sowie die einzelnen Erhebungsinstrumente (vergleiche Legutke 201: 370ff) und ist somit für die tiefergehende Analyse der Methodik, die im folgenden Abschnitt beleuchtet wird, von besonderer Bedeutung. Um Literaturüberblicke für die eigene Arbeit strukturiert zu gestalten, können die acht Leitsätze von Nunan & Bailey (2009: 35f) herangezogen werden (Abbildung 3.3). Außerdem lassen sich damit auch die theoretischen Darstellungen in Forschungsbeiträgen beurteilen. <?page no="109"?> 110 3. Akademisches Wissensmanagement Abbildung 3.3: Leitsätze zur Erstellung von Literaturüberblicken nach Nunan & Bailey (2009: 35f, aus dem Englischen übertragen von Gill) <?page no="110"?> 111 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten 3.3.2 Empirische Studien evaluieren Der vorgestellte Orientierungsrahmen, der fünf Fragen umfasst, dient der ersten Verortung und Evaluation von Forschungsbeiträgen und soll die Literaturrecherche strukturieren und möglichst ökonomisch gestalten. Auf dieser Grundlage erfolgt eine intensivere Auseinandersetzung mit den als relevant erachteten Studien, die weitere Kenndaten ermittelt. Ziele sind dabei, ▶ die individuelle Charakteristik anhand ausgewählter Beurteilungskriterien aufzuzeigen, ▶ einen Vergleich zu ermöglichen, ▶ mit Blick auf die Entwicklung eines eigenen Forschungsdesigns methodische Kompetenzen zu erweitern. Für das zuletzt genannte Ziel sollten Sie parallel intensiv forschungsmethodologische Fachliteratur wie zum Beispiel Albert & Marx (201) und Settinieri, Demirkaya, Feldmeier, Gültekin-Karakoç & Riemer (2014) konsultieren. Um die Rezeption empirischer Arbeiten zielgerichtet und effizient zu gestalten, kann das folgende Raster genutzt werden. Forschungskontext Autor(-en) Titel Publikationsorgan Jahr der Publikation Motivation für die Durchführung Forschungsfrage(-n) Forschungsansatz ☐ qualitativ ☐ quantitativ ☐ triangulierende Verfahren Hypothesen Ziel(-e) der Studie Forschungsdesign Relevante Merkmale der Untersuchungsteilnehmenden Zahl Alter Geschlecht Lernkontext […] Methodik Zeitrahmen Erhebungsinstrumente (Interpretation der) Forschungsergebnisse Ergebnisse der Studie <?page no="111"?> 112 3. Akademisches Wissensmanagement Vergleich mit Ergebnissen anderer Studien zu ähnlichem Untersuchungsgegenstand Schlussfolgerungen Kritische Reflexion Sind die Forschungsfragen verständlich formuliert? Ist das Design der Studie zur Beantwortung der Forschungsfragen geeignet? Genügt die Studie den Gütekriterien empirischer Forschung? Werden die Forschungsfragen beantwortet? Sind Interpretationen und Schlussfolgerungen nachvollziehbar? Sind Daten und Erhebungsinstrumente ausreichend dokumentiert? Wie werden störende Einflüsse kontrolliert? Worin liegt der Nutzen der Studie? Sind bei triangulierenden Verfahren sämtliche Methoden beziehungsweise Datensätze notwendig? Inwieweit stimmt die eigene Kritik an der Studie mit der der Autorin beziehungsweise des Autors überein? Alternative Ideen zur Untersuchung der Forschungsfrage Sonstiges zum Beispiel: Originalität der Studie Tabelle 3.6: Raster zur Beschreibung empirischer Studien in Anlehnung an Riemer (2010: 428) und Settinieri (2014: 70f) Zunächst ist der Forschungskontext zu beleuchten, wobei die Forschungsfrage(-n) und der gewählte Ansatz von besonderer Bedeutung sind: Wird qualitativ, also im Rahmen des explorativ-interpretativen Paradigmas (vergleiche Flick 2009) geforscht oder liegt eine quantitative, analytisch-nomologische Studie vor, die Hypothesen testet (vergleiche Albert & Marx 201)? Werden triangulierende Verfahren angewandt, gilt es zu überprüfen, welche Form der Triangulation genutzt wird (vergleiche Aguado 2014), um möglichst reiche Daten zu erheben, und ob hier ebenfalls hypothesenprüfend vorgegangen wird. Hinsichtlich des Forschungsdesigns sind neben der Methodik die Untersuchungsteilnehmenden herauszustellen, wobei die im Raster aufgeführten relevanten Merkmale individuell ergänzt werden können. Gerade wegen des Vergleichs zu anderen Studien, der im Theorieteil der eigenen Arbeit angestrebt wird, <?page no="112"?> 113 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten ist die komprimierte Darstellung der Forschungsergebnisse und der Schlussfolgerungen der Autorinnen und Autoren wichtig. Auf die vornehmlich beschreibenden Teile des Rasters folgt die kritische Reflexion der empirischen Güte und Darstellung. Anhand des Fragenkatalogs soll eine Evaluation ermöglicht werden, die zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit der Literatur aber transparent und intersubjektiv nachvollziehbar gestaltet wird. Man macht sich zunutze, dass Forschung durch einen genuin kooperativen Charakter gekennzeichnet ist, der sich auch in selbstkritischen methodologisch-methodischen Reflexionen der Autorinnen und Autoren zeigt (vergleiche Schramm 201: 378). Deren Kritik kann als Ausgangspunkt oder als Vergleichsgröße genutzt werden. Für das Ziel der Weiterarbeit an der eigenen Studie ist die fundierte Beurteilung der Operationalisierung in möglichen Vorbildstudien besonders wichtig. Ist diese Übersetzung der Forschungsfrage(-n) in ein Erhebungsinstrumentarium gelungen und wird tatsächlich das untersucht, was untersucht werden soll? Bei triangulierenden Verfahren ist zu eruieren, ob das Zusammenspiel der Datensätze so angelegt ist, dass es die Beantwortung der Fragestellung(en) erlaubt, und ob tatsächlich jeder Datensatz hierfür benötigt wird. Durch die systematische Recherche und kritische Lektüre einschlägiger Literatur wachsen spezifisches Fachwissen und methodische Kompetenzen fortwährend an. Dies wirkt sich in zweifacher Hinsicht positiv auf den selbst zu gestaltenden Forschungsprozess aus: Einerseits können empirische Beiträge immer präziser und schneller eingeschätzt und verglichen werden. Anderseits wird die Entwicklung des eigenen Forschungsdesigns durch die Verwendung des vorgestellten Kriterienrasters befördert. Die oder der Forschende hinterfragt damit getroffene Entscheidungen und gewonnene Daten, „denn was nützen die schönsten Daten, wenn sie trotz aller Umsicht keinen sinnvollen Beitrag für die Forschungsfrage liefern können“ (Riemer 2010: 431). 3.3.3 Rechercheergebnisse dokumentieren Nachdem Sie anhand der dargestellten Verfahrensweisen Forschungsbeiträge ausgemacht haben, die Sie für die Weiterarbeit an Ihrer Studie nutzen möchten, sind die Rechercheergebnisse in einer Leseliste zu dokumentieren. Entscheiden Sie sich für eine wissenschaftliche Angabe der Quellen und halten Sie diese durchgehend ein (vergleiche Schäfer & Heinrich 2010: 30ff). Auch recherchierte Links werden aufgenommen und inklusive des Datums des letzten Zugriffs festgehalten. Wenn die Quellen bereits in der Leseliste bibliographisch vollständig aufgelistet werden, können sie nach dem Lesen direkt in das Literaturverzeichnis der zu verfassenden Arbeit eingehen. Um den Überblick über den Inhalt der Quellen nicht zu verlieren und daraus möglichst treffsicher direkt oder indirekt zitieren zu können, muss die Literatur nicht nur formal, sondern auch inhaltlich dokumentiert werden. Hierfür bietet es sich zum Beispiel an, Fachtexte zu exzerpieren. Dabei werden wichtige Auszüge inklusive der Seitenzahlen wörtlich oder sinngemäß notiert. Sinnvoll ist es, den Textbausteinen Schlagwörter zuzuordnen und gegebenenfalls eigene Ideen zu ergänzen. Wenn möglich, sollte ein Literaturverwaltungsprogramm wie Citavi oder Refworks genutzt werden, da damit Quellen einfach und effizient sowohl formal als auch inhaltlich dokumentiert werden. Bei der Erstellung <?page no="113"?> 114 3. Akademisches Wissensmanagement der eigenen Arbeit kann man schnell auf diese detaillierten Übersichten zugreifen, was den Schreibprozess befördert (vergleiche Niedermair 2010: 17ff). 3.3.4 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie praktische Hilfestellungen für eine gezielte, thematische Recherche erhalten. ▶ Anhand eines Orientierungsrahmens, der fünf Fragen umfasst, ist es Ihnen nun möglich, Forschungsbeiträge mit Blick auf Ihre Fragestellung(-en) zu verorten: Sie nutzen Hinweise zur wissenschaftlichen Seniorität der Autorin oder des Autors, die Art des Publikationsorgans, das Alter des Forschungsbeitrags, die Definition des Untersuchungsgegenstands und die Qualität des Literaturüberblicks, um den Forschungsbeitrag zu evaluieren. ▶ Auf dieser Grundlage haben Sie ein Verfahren kennengelernt, mit dem man empirische Studien in komprimierter Form sowohl vergleichend beschreiben als auch mit Blick auf deren empirische Güte und Ergebnisdarstellung kritisch reflektieren kann. ▶ Kurze Hinweise zur Dokumentation der Rechercheergebnisse mit dem Verweis auf weiterführende Literatur können Sie für die nächsten Schritte Ihres Forschungsprozesses nutzen. 3.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Ergänzen Sie die folgende Checkliste zur gezielten thematischen Recherche. Orientierung ☐ Überblickswissen durch verschiedene Quellen erarbeitet ☐ Fachlexika ☐ Handbücher ☐ Fachzeitschriften ☐ Sammelbände […] ☐ Zahl der Publikationen durch Literaturverzeichnisse, Sach- und Personenregister vergrößert ☐ Autorinnen und Autoren ☐ personenbezogene Recherche durchgeführt 🡢 besonders wichtige Autorinnen & Autoren: ___________________________________________________________ ___________________________________________________________________________________________________ ☐ ☐ ☐ ausschließliche Berücksichtigung der Erstautorin/ des Erstautoren ☐ Publikationsorgan <?page no="114"?> 115 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten ☐ 🡢 Peer-Review? ☐ 🡢 online verfügbar: Links 🡢 kurze Beschreibungen der Fachzeitschriften erstellt Publikationszeitpunkt ☐ ☐ viel zitierte / neu erschienene Klassiker ermittelt 🡢 Beispiele (Autorin / Autor & Publikationsjahr): ________________________________________________________ ___________________________________________________________________________________________________ Protokoll der Recherche ☐ Literaturliste entsprechend bestimmter Quellenangaben angelegt ☐ ☐ 2. Charakterisieren Sie die Fachzeitschriften Informationen Deutsch als Fremdsprache (Info DaF), Fremdsprache Deutsch und Language Learning anhand der Merkmale Herausgeberinnen beziehungsweise Herausgeber, Erscheinungsintervall, Zielpublikum, Beurteilung eingereichter Artikel, digitaler Zugang oder freie Verfügbarkeit. 3. Bewerten Sie folgende Recherchestrategie: Ein Student der Germanistik möchte eine Bachelorarbeit im Bereich DaZ / DaF schreiben. Mit seiner Betreuerin hat er über Termine und die Organisation gesprochen und ihr mitgeteilt, dass er sich mit dem Thema Sprachstandsdiagnostik DaZ beschäftigen wird. Seitdem recherchiert er vor allem auf Google. Drei Einführungen, die allesamt vor 2005 veröffentlicht wurden, hat er in weiten Teilen durchgearbeitet. Nun möchte er so viele Artikel wie möglich finden, aus denen er zitieren kann. Dabei liegt sein Hauptaugenmerk auf der Aktualität. Die Forschungsbeiträge sollen maximal ein Jahr alt sein, da die Monographien schon vor über zehn Jahren erschienen sind. Er liest jeweils den kompletten Beitrag und entscheidet danach, ob dieser ungefähr zur ausgewählten Thematik passt. Ohne weitere Konsultation seiner Betreuerin beginnt er, den Theorieteil seiner Arbeit zu verfassen. 4. Nennen Sie die vier Funktionen des Literaturüberblicks. <?page no="116"?> 117 3.3 Literaturrecherche systematisieren und bewerten 4. Akademisches Schreiben und Referieren Daniela Sorrentino Das vorliegende Kapitel befasst sich in drei Lerneinheiten mit dem wissenschaftlichen Schreiben, wobei insbesondere das studentische Schreiben in der Fremdsprache Deutsch im Fokus steht. Darunter werden jene Formen universitärer Textproduktion verstanden, die als Übung zum Erlernen des wissenschaftlichen Schreibens dienen und sich vor allem in der Produktion von Haus- und Abschlussarbeiten konkretisieren. Lerneinheit 1 widmet sich dem akademischen Schreiben. Sie vermittelt einen Einblick in die vielfältigen Schreibtätigkeiten, die zum Bereich des akademischen Schreibens gehören, erläutert verschiedene studienrelevante wissenschaftliche und studentische Textsorten und die dafür einschlägigen sprachlichen Handlungen und zeigt anhand von authentischen Textbeispielen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den wissenschaftlichen Textsorten und den studentischen Realisationen davon auf. Lerneinheit 2 beschäftigt sich mit der Lernerperspektive. Sie behandelt die Anforderungen des wissenschaftlichen Schreibens in der Fremdsprache Deutsch in Bezug auf den Schreibprozess und auf das Schreibprodukt und geht dabei auch auf schreibrelevante Aspekte der Textstruktur und die sprachliche Ausgestaltung wissenschaftlicher Arbeiten ein. Ziel ist es, ein Bewusstsein für den Einfluss kulturspezifischer Charakteristika auf das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten in der Fremdsprache Deutsch zu vermitteln. Lerneinheit 3 beschäftigt sich vertieft mit dem schriftlichen Referieren, einer zentralen sprachlichen Funktion aller wissenschaftlichen Disziplinen. Ziel ist es, mithilfe wissenschaftspropädeutischer Lese- und Schreibübungen, grundlegende Fähigkeiten des wissenschaftlichen Schreibens einzuüben. Dieses Kapitel ist eine Einführung in das fremdsprachliche Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten, ausgehend von ausgewählten Bereichen, die DaF-Lernern erfahrungsgemäß besondere Schwierigkeiten bereiten und bei denen sie sich häufig eine didaktische Unterstützung wünschen. Methodisch spielt dabei die Rezeption und Reflexion authentischer Textbeispiele von Studentinnen und Studenten, sowie von Wissenschaftlern beziehungsweise Wissenschaftlerinnen eine wichtige Rolle. Durch die aktive Arbeit an und mit den Texten können die Lerner sich beispielsweise gewisse Strategien induktiv erarbeiten, die ihnen dann für die eigene Textproduktion zur Verfügung stehen. Durch die Verbindung von verstehendem und reflektierendem Lesen mit Schreibübungen wird die Entwicklung eines Bewusstseins für den angemessenen Gebrauch der Wissenschaftssprache und ihrer textgestaltenden Mittel gefördert. Auch wenn deren sichere Beherrschung letztlich nur auf dem Weg langjähriger Lese- und Schreiberfahrung sowie der Einarbeitung in disziplinspezifische Theorien und Forschungsmethoden erreicht werden kann, so möchten wir dennoch mit den folgenden Aufgaben die ersten Schritte auf diesem Pfad erleichtern. <?page no="117"?> 118 4. Akademisches Schreiben und Referieren 4.1 Wissenschaftliches Schreiben Schreiben im akademischen Bereich erfordert die Produktion eines sehr weiten und heterogenen Spektrums an Texten, die für verschiedene Adressaten und anlässlich vielfältiger Handlungszwecke verfasst werden. In der Regel werden akademische Texte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geschrieben, die an der Universität lehren und forschen. Aber auch Studentinnen und Studenten produzieren im Studium verschiedene akademische Texte. Schließlich schreiben auch Universitätsverwalterinnen und Universitätsverwalter Texte - zum Beispiel verfassen sie in der Regel die Studienbeziehungsweise Prüfungsordnungen, die für Studentinnen und Studenten, sowie für Dozentinnen und Dozenten die Rahmenbedingungen für das Studium an den jeweiligen Universitäten festlegen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ einen Einblick in die vielfältigen Schreibtätigkeiten erhalten, die zum Bereich des akademischen Schreibens gehören; ▶ dabei mit verschiedenen studienrelevanten wissenschaftlichen und studentischen Textsorten und dafür einschlägigen sprachlichen Handlungen vertraut werden; ▶ sich anhand von authentischen Textbeispielen mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen dem wissenschaftlichen Schreiben und dem studentischen Schreiben befassen. 4.1.1 Textsorten und Handlungszwecke Schriftliche akademische Texte können sehr unterschiedlichen Zwecken dienen. So lassen sich je nach Art des Umgangs mit dem im wissenschaftlichen Bereich entstandenen Wissen verschiedene Textsorten differenzieren. Experiment 1 - wissenschaftliche Textsorten Um welche Textsorten handelt es sich bei den unten aufgeführten Textauszügen (kommentierte Bibliographie, populärwissenschaftlicher Zeitungsartikel, wissenschaftlicher Aufsatz, Anleitung, Glossar)? Welche Funktionen haben sie? Überlegen Sie und vergleichen Sie dann Ihre Ergebnisse mit dem darunter stehenden Kommentar zu den Textbeispielen. Textbeispiel 1 Zur Modellierung der Entwicklung wissenschaftlicher Schreibfähigkeiten Hochdifferenzierte kulturelle Ordnungen, wie sie in der Wissenschaftskommunikation und den Konventionen von Fachsprachen vorliegen, führen unweigerlich zu Aneignungsproblemen. Diese Probleme werden vor allem in der Textproduktion manifest. Studierende benötigen viel Zeit, um sich in der Domäne Wissenschaft schreibend zurechtzufinden. Mit zunehmender Studienzeit und Schreiberfahrung gelingt es jedoch einem Großteil von ihnen, die Probleme zu bewältigen. Sie entwickeln erfolgreich wissenschaftliche Schreibfähigkeiten. Wie diese <?page no="118"?> 119 4.1 Wissenschaftliches Schreiben Entwicklung abläuft und beschrieben werden kann, ist weitgehend unklar und ein Desiderat der Forschung. Der folgende Beitrag legt den thematischen Akzent auf theoretische Fragen der Modellbildung und die Empirie der Entwicklung wissenschaftlicher Schreibfähigkeiten […]. (Feilke & Steinhoff 2003: 112) Textbeispiel 2 Vorwort Vor Ihnen liegt die zweite Auflage von „Schreiben im Studium“. Sie ist gestrafft. Aus dem „Trainingsprogramm“ der ersten Auflage ist ein „Leitfaden“ geworden, der dem Leser eine zweckmäßige Auffassung von Schreiben im Studium vermitteln will […]. Auch wenn sich die formalen Anforderungen an wissenschaftliche Texte in den Fächern unterscheiden, lassen sich doch gemeinsame Arbeits- und Schreibtechniken feststellen. Wir zeigen Ihnen deshalb verschiedene Wege auf, wie Sie sich Ihrer wissenschaftlichen Schreibarbeit nähern können und wie Sie Ihre Fertigkeiten nutzen sollten, um Ihre Texte zu verbessern. […]. Wer gerade eine Arbeit schreibt, kann die Tipps und Anregungen im Hinblick auf sein Anliegen anwenden und das Buch nutzen wie der Handwerker seinen Werkzeugkasten. Bitte verstehen Sie also unsere Hinweise nicht als Anweisungen, wie Sie schreiben müssen, sondern als Entscheidungshilfen, die Sie in Ihrer Praxis ausprobieren können […]. (Bünting, Bitterlich & Pospiech 2000: 7) Textbeispiel 3 Mit wissenschaftlichem Schreiben meint man das Weiterverarbeiten eigenen und fremden Wissens. Das Weiterverarbeiten von eigenem oder fremdem Wissen meint nicht nur, dass schon Gedachtes bzw. Wissen einfach aufgeschrieben wird, sondern vor allem, dass Schreiben ein Instrument ist, um auch Wissen entwickeln, das eigene Wissen erweitern zu können. Zum wissenschaftlichen Schreiben gehört ganz wesentlich die Beteiligung an einem wissenschaftlichen Diskurs. Der „Diskursraum“, der sich je nach Fach oder Domäne anders gestalten kann, legt spezifische Arbeitsmethoden, Schreibstrategien wie auch Textsorten teilweise fest. (Fachhochschule Nordwestschweiz Pädagogische Hochschule. Institut Forschung und Entwicklung. Zentrum Lesen | Schreibberatung, Wissenschaftliches Schreiben. [online unter http: / / www.schreiben.zentrumlesen.ch/ glossar.cfm? pkyTermId=374&action=detail. 04. Oktober 2017].). Textbeispiel 4 Brink, Alfred: Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten: Ein prozessorientierter Leitfaden zur Erstellung von Bachelor-, Master- und Diplomarbeiten in acht Lerneinheiten, 3., überarb. Aufl., München: Oldenbourg, 2007 (247 S.). Der Leitfaden, vom Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichsbibliothek der Universität Münster verfasst, bietet eine sehr ausführliche Anleitung. Schwerpunkte bilden die Gliederungstechnik und die Literaturrecherche. Die neuen Projektformen Bachelor- und Masterarbeiten werden in dieser Neuauflage umfassend berücksichtigt. Trotz der Expertise des Autors finden sich auch unsinnige Ratschläge: „Die Frage nach der Zitierfähigkeit von Quellen ist anhand der Verfügbarkeit für Dritte zu beantworten“ <?page no="119"?> 120 4. Akademisches Schreiben und Referieren (S. 209). ( BWL Uni München, Anhang IV. Kommentierte Auswahlbibliographie zum Thema „Wissenschaftliches Arbeiten“ [online unter http: / / www.bwl.uni-muenchen.de/ fakultaet/ personen/ emerprof/ theisen/ publikationen/ dokumente/ wa_anhangiv.pdf. 04. Oktober 2017]) Textbeispiel 5 Schreibberatung für Studenten Endlich schreiben lernen Vielen Studenten fällt es schwer, wissenschaftliche Texte zu verfassen. Helfen können Schreibzentren, wie sie an Amerikas Hochschulen längst üblich sind. In Deutschland gibt es davon aber erst wenige. Eine Schreibberatung für Studenten? Wer das Abitur in der Tasche hat und somit fit fürs Studium ist, der wird doch keine Scheu vor dem leeren Blatt Papier oder Bildschirm haben, könnte man meinen. Eine Befragung von Studenten, die der Bremer Linguist Hans Peter Krings durchgeführt hat, offenbart allerdings ein anderes Bild. Jeder zweite der 269 Befragten gab an: „Ich tue mich schwer, mit dem eigentlichen Schreiben anzufangen“ und „Ich bin unsicher, wie eng ich mich in meinem Text an die Quellen anlehnen darf“. […] „Das Schreiblerngeschäft ist eine Hürde“, sagt Krings. „Beim Sprechen tun wir uns nicht schwer; wir quasseln in Sitzungen ohne Ende. Aber wenn es darum geht, nachher ein Protokoll zu schreiben, herrscht oft Schweigen.“ Hinzu komme die Besonderheit wissenschaftlichen Schreibens. „Aus der Schule bringt man da nichts mit.“ […] Zusammen mit seinem Team hat Krings deshalb einen Online-Coach entwickelt […]. (vom Lehn 2012) Diese fünf Textauszüge referieren in jeweils eigener Weise auf das im wissenschaftlichen Bereich entstandene Wissen und dienen damit sehr unterschiedlichen Handlungszwecken. Das erste Textbeispiel gehört zur Textsorte wissenschaftlicher Aufsatz. Der Text wurde von Schreibforschern für andere Spezialistinnen und Spezialisten in der jeweiligen wissenschaftlichen Gemeinde verfasst und dient der Weiterentwicklung des Wissens in diesem besonderen Forschungsbereich. Inhaltlich geht es hier um ein Konzept zur Entwicklung wissenschaftlicher Schreibfähigkeiten. Das zweite Beispiel veranschaulicht die Textsorte Anleitung, hier in Form einer universitären Schreibanleitung. Diese wurde ebenfalls von Schreibforscherinnen und Schreibforschern verfasst, richtet sich jedoch an Studentinnen und Studenten (man könnte sagen: an angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler). Ihr primäres Ziel ist die Vermittlung von Wissen zum Schreiben im Studium. Das dritte Textbeispiel ist ein Auszug aus einem fachspezifischen Online-Glossar. Hier wird der Begriff wissenschaftliches Schreiben dargelegt. Dabei erfolgt also die Bereitstellung von Wissen über konkrete Begriffe der Schreibforschung. Das vierte Textbeispiel stammt aus einer kommentierten Bibliographie. Diese berichtet über Anleitungen zum wissenschaftlichen Schreiben und richtet sich hauptsächlich an Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler, sowie an Studentinnen und Studenten. Ziel einer solchen Bibliographie ist die Bewertung von Wissen, das in einem ausgewählten Werk zu diesem Thema vorgelegt wurde. <?page no="120"?> 121 4.1 Wissenschaftliches Schreiben Das fünfte Textbeispiel bezieht sich auf die Textsorte populärwissenschaftlicher Zeitungsartikel. Inhaltlich geht es ebenfalls um das Schreiben im Studium. Der Text wurde von einer Journalistin oder einem Journalisten verfasst, die oder der außerhalb des akademischen Bereichs schreibtätig ist. Im Artikel kommt jedoch auch ein Linguist (Krings) zu Wort, der über Schreibschwierigkeiten im Studium spricht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden häufig auch im journalistischen Bereich zitiert, vor allem wenn es darum geht, einen Transfer von Wissen aus dem akademischen Bereich hin zum Laien herzustellen. Diese verschiedenen Textsorten dienen also sehr unterschiedlichen Funktionen. Sie kennzeichnet jeweils das Vorherrschen unterschiedlicher Schreibhandlungen und sprachlicher Mittel: 1. Textsorte wissenschaftlicher Aufsatz, typische Sprachhandlung: Eristik ▷ Im ersten Textbeispiel findet sich neben verschiedenen Assertionen, und zwar Äußerungen mit Aussagencharakter, auch eine sogenannte eristische Handlung. Diese soll zur kritischen Konfrontation mit dem vorhandenen Wissen und zur Neugenerierung dieses Wissens führen (Ehlich 1993: 24). Typisch für diesen Handlungstyp ist, dass im Text auf eine vorhandene Forschungslücke hingewiesen wird, die das Vorhaben der Autorinnen und Autoren legitimiert: „Wie diese Entwicklung abläuft und beschrieben werden kann, ist weitgehend unklar und ein Desiderat der Forschung. Der folgende Beitrag legt den thematischen Akzent auf theoretische Fragen der Modellbildung und die Empirie der Entwicklung wissenschaftlicher Schreibfähigkeiten.“ ▷ Solche Handlungen fehlen in anderen Textsorten wie zum Beispiel universitären Schreibanleitungen, in denen es hauptsächlich um die Tradierung von kanonischem, etabliertem Fachwissen geht. 2. Textsorte Anleitung, typische Sprachmittel der Personaldeixis ▷ Im zweiten Textauszug wird die Leserin oder der Leser direkt angesprochen. Deswegen tritt Personaldeixis besonders häufig auf: „Vor Ihnen liegt die zweite Auflage von „Schreiben im Studium“- […] Wir zeigen Ihnen deshalb verschiedene Wege auf, wie Sie sich Ihrer wissenschaftlichen Schreibarbeit nähern können und wie Sie Ihre Fertigkeiten nutzen sollten, um Ihre Texte zu verbessern-[…].“ ▷ Auch alltagsnahe Vergleiche kommen vor: „Wer gerade eine Arbeit schreibt, kann die Tipps und Anregungen im Hinblick auf sein Anliegen anwenden und das Buch nutzen wie der Handwerker seinen Werkzeugkasten.“ ▷ Diese stellen typische Verfahren der didaktischen Wissensvermittlung dar (vergleiche Fandrych 1999). 3. Textsorte Glossar, typische Sprachhandlung: Definieren ▷ Im dritten Textbeispiel finden wir eine für diese Textsorte zentrale sprachliche Handlung, nämlich das Definieren von Begriffen: „Mit wissenschaftlichem Schreiben meint man…“ <?page no="121"?> 122 4. Akademisches Schreiben und Referieren 4. Textsorte kommentierte Bibliografie, typische Sprachhandlung: Bewerten ▷ Im vierten Textbeispiel finden sich verschiedene bewertende Handlungen, die sich auf gewisse positive wie negative Aspekte der kommentierten Arbeit beziehen. Dazu werden vor allem wertende Adjektive und Adverbien verwendet: „[…] bietet eine sehr ausführliche Anleitung-[…] werden in dieser Neuauflage umfassend berücksichtigt.-[…] finden sich auch unsinnige Ratschläge.“ 5. Textsorte Zeitungsartikel, typische Sprachmittel der Intertextualität ▷ Im fünften Textbeispiel werden Merkmale des typisch journalistischen Verfahrens zur Gestaltung intertextueller Bezüge im Text ersichtlich. Dazu gehört das Fehlen genauer Quellenangaben, denn es wird hier allgemein von einer nicht näher spezifizierten Befragung als Ursprung des referierten Wissens gesprochen: „Eine Befragung von Studenten, die der Bremer Linguist Hans Peter Krings durchgeführt hat, offenbart allerdings ein anderes Bild.“ ▷ In wissenschaftlichen Texten werden hingegen andere sprachliche Mittel und Verfahren zur Realisierung von Intertextualität verwendet. Akademische Texte sind nicht nur in publizierter Form vorzufinden. An der Universität werden studentische Texte häufig als Protoformen akademischer Texte verfasst, die ebenfalls unterschiedliche Möglichkeiten des Umgangs mit dem im universitären Bereich aufgenommenen Wissen erlauben. Experiment 2 - studentische Textsorten John, Antonio, Rita, Ana und Maria sind fünf ausländische Austauschstudentinnen und -studenten an einer deutschsprachigen Universität, die sich im Laufe ihres Studiums mit der Produktion verschiedener Texte befassen. Um welche Textsorten studentischer Produktion handelt es sich bei ihren Texten? Was ist ihre Hauptfunktion beim Umgang mit dem wissenschaftlichen Wissen? Stellen Sie Vermutungen an und vergleichen Sie dann Ihre Ergebnisse mit dem darunter stehenden Kommentar zu den Textbeispielen. John Abbildung 4.1: John Universität Trier, Proseminar: Einführung in die Sprachwissenschaft, Sommersemester 2014, Sitzung von 22. 05. 2014. Protokollant: John S. Was ist die Prosodie? Die Prosodie betrifft die suprasegmentale Dimension der Sprache, d. h. nicht nur Sprachlaute, sondern größere Einheiten wie Wörter und Sätze. Sie umfasst Aspekte wie: ▶ Ton und Intonation ▶ Akzent (Wortakzent, Satzakzent) ▶ Rhythmus ▶ Pausen ▶ Quantität […] <?page no="122"?> 123 4.1 Wissenschaftliches Schreiben Antonio Abbildung 4.2: Antonio Autorin und Titel des Aufsatzes 🡢 Lissette Mächler (Erwerb des wissenschaftlichen Schreibens in der Fremdsprache Deutsch. Exemplarische Analyse von intertextuellen Prozeduren. In: InfoDaF 39-5, 519-539) Hauptfragestellung 🡢 Wie sehen intertextuelle Prozeduren studentischer Arbeiten in der Fremdsprache Deutsch aus, die von spanischsprachigen Studenten geschrieben worden sind? Werden die bereits in der L1 Spanisch erworbenen intertextuellen Prozeduren auf das Schreiben akademischer Texte in der L2 Deutsch übertragen? Wie werden sie sprachlich realisiert? Verwendete Methode 🡢 Ihr Korpus umfasst Texte derselben Autoren auf unterschiedlichen Erwerbsstufen und sie benutzt dieselben Untersuchungskategorien von Steinhoff (2007): [Für meine Arbeit interessant, ich könnte methodisch ähnlich vorgehen]. Hauptergebnisse ihrer Untersuchung 🡢 [Wichtig! ], sie stellt fest, dass der Erwerbsprozess intertextueller Prozeduren mit zwei Prozessen beziehungsweise Strategien zu charakterisieren ist: „eine kontextadäquate Übertragung der im Spanischen erlernten intertextuellen Kompetenzen auf das Schreiben akademischer Texte in der L2 Deutsch“ (S. 537) und Bereicherung durch einen „Neuerwerb intertextueller Prozeduren“ (ebd.) Rita Abbildung 4.3: Rita Im Bereich der Sprachwissenschaft wird über die Rolle von Anglizismen in der deutschen Sprache kontrovers diskutiert. Gläser (1996: 150) steht stellvertretend für eine kritische Einstellung Anglizismen gegenüber, nach der Anglizismen eine Bedrohung für viele deutsche Ausdrücke darstellen. Im Gegensatz dazu betrachten andere Linguisten wie Kettemann (2002) und Hoberg (2000) Anglizismen als eine sprachliche Bereicherung für die deutsche Sprache, denn sie ermöglichen, gewisse Bedeutungsunterschiede auszudrücken. Die Verwendung von Anglizismen ist sicherlich in manchen Kommunikationsbereichen wie zum Beispiel im Sport oder in der Werbung übertrieben, andererseits sind - wie Miller (2003) zu Recht bemerkt - Entlehnungen aus anderen Sprachen unvermeidlich und sie stellen keine ernste Gefahr für die deutsche Sprache dar. <?page no="123"?> 124 4. Akademisches Schreiben und Referieren Ana Abbildung 4.4: Ana TITEL MEINER ARBEIT 🡢 Hauptschwierigkeiten ausländischer Studentinnen und Studenten beim Schreiben von Hausarbeiten in der Fremdsprache Deutsch ERKENTNISSINTERESSE 🡢 Mich interessiert die Frage, warum viele ausländische Studentinnen und Studenten das Schreiben wissenschaftlicher Texte in Deutsch als Fremdsprache als schwierig empfinden. VORGEHENSWEISE 🡢 Ich werde eine Umfrage in Anlehnung an Dittmann (2003) bei ausländischen Studentinnen und Studenten aus verschiedenen Ländern durchführen und anschließend einige Interviews machen STRUKTUR DER ARBEIT 🡢 Meine Arbeit besteht aus folgenden Teilen: ▶ Hintergrundinformationen zum Schreiben von Hausarbeiten in der Fremdsprache Deutsch (notwendige Kompetenzen und didaktische Strategien) ▶ Präsentation der Struktur des Fragebogens und des Interviewleitfadens ▶ Analyse und Interpretation der Daten ▶ Schlussfolgerungen und Vorschläge zur Unterstützung bei Schreibschwierigkeiten ausländischer Studentinnen und Studenten beim Schreiben von Hausarbeiten in der Fremdsprache Deutsch Der Text von John ist ein Beispiel für ein studentisches Protokoll. Er schreibt diesen Text zur schriftlichen Reproduktion des Wissens, das im Unterricht von seiner Dozentin oder von seinem Dozenten vermittelt wurde. Antonio schreibt ein Exzerpt, in dem er sich Notizen zu einem Aufsatz aus der Sekundärliteratur macht, die er für die Produktion einer Seminar- oder Abschlussarbeit braucht. Am Anfang macht er genaue Angaben zum gelesenen Aufsatz, er notiert die Hauptfragestellung sowie Beobachtungen über die verwendete Methode und Untersuchungskategorien, die durch eigene Kommentare ergänzt werden (Für meine Arbeit interessant, ich könnte methodisch ähnlich vorgehen, Wichtig). Schließlich finden sich auch paraphrasierende Übernahmen und wörtliche Zitate aus dem Bezugstext. In einem Exzerpt werden also die gelesenen Texte im Hinblick auf die eigene Fragestellung rezipiert und das aufgenommene Wissen wird somit nicht nur reproduziert, sondern auch selektiert und verarbeitet. Rita befasst sich mit der Produktion eines Kontroversenreferates, bei dem verschiedene Positionen über eine wissenschaftlich relevante Kontroverse zueinander in Beziehung gesetzt werden und auch kritisch kommentiert werden. Im Kleinen erfolgt in dieser wissenschaftspropädeutischen Textsorte das, was beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten später verlangt wird, nämlich nicht nur eine Bereitstellung von Wissen, sondern auch die Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen und ihre Bewertung. <?page no="124"?> 125 4.1 Wissenschaftliches Schreiben Der Text von Ana ist ein Exposé zur eigenen Abschlussarbeit, das Hinweise auf deren Zielstellung, Erkenntnisinteresse, Methode und Textablauf enthält und somit als Hilfestellung für die Wissensorganisation im eigenen Text dient. Daneben ermöglicht die Produktion eines solchen Textes einen forschenden, selbständigen Umgang mit dem wissenschaftlichen Wissen dank der Reflexion über zu verwendende Forschungsmethoden und über die Entwicklung der eigenen Forschungsfrage. Der Text von Maria ist eine Einleitung aus einer Seminararbeit, in der es um die selbständige Bearbeitung des Wissens aufgrund der Entwicklung einer Fragestellung innerhalb eines bestimmten Themengebietes geht. Exzerpt, Kontroversenreferat, Exposé und Seminararbeit können als besonders relevante wissenschaftspropädeutische Textsorten betrachtet werden, weil sie die Einübung zentraler Fähigkeiten des wissenschaftlichen Schreibens ermöglichen. Die Tätigkeit des Schreibens im akademischen Bereich kann sich also zusammenfassend auf vielfältige Schreibhandlungen beziehen, die sowohl das Schreiben von Expertinnen und Experten als auch das Schreiben von Studentinnen und Studenten betrifft, wobei weiter zwischen einzelnen Textsorten zu differenzieren ist. Zentral für die Ziele des vorliegenden Bandes sind in diesem Zusammenhang das wissenschaftliche Schreiben zur Produktion wissenschaftlicher Aufsätze beziehungsweise Monographien und das studentische Schreiben im Rahmen der Produktion von Haus- und Abschlussarbeiten. Hierauf wird im Folgenden begrifflich näher eingegangen. 4.1.2 Studentisches Schreiben Wissenschaftliches Schreiben und studentisches Schreiben sind eng miteinander verbunden. Dies ist auch in schreibdidaktischer Hinsicht relevant. Wissenschaftliches Schreiben bildet eine ideale Bezugsgröße für das studentische Schreiben, geht es doch beiden darum, eine Abhandlung zu einem fachspezifischen Thema zu verfassen, das am Stand der Forschung orientiert sein soll. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Wissenschaftlichkeitsgehalts des Geschriebenen. Während der Hauptzweck des wissenschaftlichen Schreibens in der Erweiterung beziehungsweise Neugenerierung des Wissensbestandes in der jeweiligen wissenschaftlichen Gemeinschaft besteht, stellt das studentische Schreiben, vor allem in der Anfangsphase, eine Form von „(vor)wissenschaftlichem“ (Hornung 2002: 197f) Schreiben dar. Dies berücksichtigt die Tatsache, dass studentische Texte nicht in erster Linie für die Publikation bestimmt sind. Sie dienen vielmehr als Übungstexte, um das wissenschaftliche Schreiben zu erlernen. Das Hauptziel einer studentischen Arbeit ist folglich nicht das Füllen einer realen Forschungslücke, sondern die mehr oder weniger eigenständige Bearbeitung eines eingegrenzten Aspekts des fachbezogenen Wissens durch die Formulierung einer Ausgangsfragestellung und deren Entwicklung anhand einer wissenschaftlichen Argumentation (vergleiche dazu Lerneinheit 4.2). Diese Unterschiede werden vor allem in Einleitungen wissenschaftlicher und studentischer Texte ersichtlich. In einer wissenschaftlichen Einleitung wird normalerweise die Leserin <?page no="125"?> 126 4. Akademisches Schreiben und Referieren oder der Leser ausgehend von der Formulierung eines offenen Problems beziehungsweise einer offenen Fragestellung im jeweiligen Forschungsfeld zum Thema der Arbeit hingeführt (vergleiche Thielmann 1999: 373). Insbesondere sind hier gewisse funktional-inhaltliche Teilschritte zu finden, die in Anlehnung an das von Gnutzmann & Lange (1990) entwickelte Modell wissenschaftlicher Einleitungen beschrieben werden können. Es sei dazu folgendes Textbeispiel angeführt, das ebenfalls aus dem thematischen Bereich des Schreibens im Studium stammt: Exzerpieren. Eine empirische Studie an Exzerpten von GymnasialschülerInnen der Oberstufe Textzusammenfassungen spielen in so gut wie allen Lebensbereichen eine Rolle, so in der privaten Kommunikation, wenn wir Freunden den Inhalt eines Films oder eines Romans erzählen, oder im Betrieb, wenn es gilt, Informationen aus unterschiedlichen Quellen für eine Präsentation aufzubereiten. Von unbestrittener Bedeutung sind Zusammenfassungen auch im wissenschaftlichen Bereich, wo das Abstract einen ersten Zugang zum Inhalt eines Artikels liefert oder der Forschungsstand bezüglich einer Fragestellung in Form kurzer Zusammenfassungen bereits vorliegender Studien referiert wird. Und nicht zuletzt auf dem Feld des "akademischen Schreibens" sind Zusammenfassungen omnipräsent, so bei der Vorbereitung von Referaten, Haus- und Abschlussarbeiten oder von mündlichen Prüfungen und Klausuren. Unter „akademischem Schreiben“ verstehen wir demgemäß mit Jakobs (1999: 173) die Formen des Schreibens im Studium, zum Beispiel von Hausarbeiten, die streng genommen noch kein wissenschaftliches Schreiben sind, sondern sich nur an der [sic] Normen der wissenschaftlichen Textproduktion orientieren (vergleiche auch Gruber et al. 200: 27ff zum "universitären Schreiben"). Die Forschung hat sich in den vergangenen Jahren auch mit Zusammenfassungen beschäftigt: So hat, um einige Beispiele zu nennen, Keseling (1993) Zusammenfassungen im Rahmen der 'prozessorientierten Schreibforschung' behandelt, Endres-Niggemeyer, Schott (1992) untersuchten die Strategien, die erfahrene SchreiberInnen beim Zusammenfassen anwenden, und Oldenburg (1992) analysierte Zusammenfassungen von Fachtexten, um so die linguistischen Grundlagen für eine effektive Gestaltung des fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts zu schaffen. Auch die große Bedeutung von Textzusammenfassungen für Studierende wurde in der Forschung durchaus gesehen (vergleiche unter anderem Dittmann et al. 2003; Ehlich 1981; Ehlich & Steets 2000a; Keseling 1993; Kruse & Jakobs 1999). Das studentische Exzerpt "als zusammenfassende Verschriftung eines wissenschaftlichen Textes" thematisiert Moll (2002), im empirischen Teil analysiert sie exemplarisch zwei Exzerpte. Auf diese Arbeit wird im Folgenden mehrfach eingegangen. Unseres Wissens hat man bislang noch nicht untersucht, wie gut AbiturientInnen bzw. StudienanfängerInnen die für sie so relevante Fähigkeit des Textzusammenfassens beziehungsweise Exzerpierens beherrschen. Die vorliegende Studie entwickelt das Design für eine entsprechende empirische Untersuchung und gibt anhand eines Exzerpt-Korpus' eine erste Antwort auf diese Frage. (Fix & Dittmann 2008: 17f) In diesem Einleitungstext lassen sich vier Hauptschritte auffinden, die relativ typisch für diesen Textteil sind: <?page no="126"?> 127 4.1 Wissenschaftliches Schreiben 1. Zunächst erfolgt die Einführung in den eigenen Untersuchungsgegenstand durch dessen Relevanzsetzung im jeweiligen Forschungsfeld. In diesem Beispiel wird dabei spiralförmig vom Allgemeinen zum Spezifischen übergeleitet, denn gleich am Anfang wird auf die Wichtigkeit des Themas im Alltagsleben hingewiesen. 2. Anschließend wird die Relevanz des Themas zunächst im allgemeinen wissenschaftlichen Bereich 3. und dann im spezifischen Forschungsfeld des akademischen Schreibens betont. 4. Das heißt, es geht darum, die Leserin oder den Leser von der zentralen Stellung des Themas zu überzeugen. Zentral auf sprachlicher Ebene sind der verbale Ausdruck eine Rolle spielen und die Nominalphrase von unbestrittener Bedeutung. Um in den eigenen Untersuchungsgegenstand einzuführen, kann dieser auch definiert oder durch die Angabe einschlägiger allgemeiner Charakteristika beschrieben werden. Im konkreten Beispiel erfolgt eine Definition des Begriffs ‚akademisches Schreiben‘ in Anlehnung an eine schon in der Forschung vorhandene Begriffsbestimmung. 5. Anschließend findet sich ein kurzer Literaturbericht zum bisherigen Forschungsstand durch den Hinweis auf dazu einschlägige Studien. 6. Davon ausgehend wird auf eine Forschungslücke aufmerksam gemacht. Wichtige sprachliche Indikatoren sind hierbei das Temporaladverb bislang und der auf ein Forschungsdefizit verweisende Ausdruck noch nicht untersucht. 7. Daran anschließend erfolgt die Vorstellung der eigenen Arbeit durch den Hinweis auf die Zielsetzung: „Die vorliegende Studie entwickelt-… und gibt-… eine erste Antwort auf diese Frage“ und auf die verwendete Methode: „anhand eines Exzerpt-Korpus'“. Zur Vorstellung der eigenen Arbeit kann auch die zusätzliche Angabe des Textablaufs gehören, was in diesem Textbeispiel jedoch nicht vorkommt. Einleitungen von Studentinnen und Studenten, vor allem von Novizen des akademischen Schreibens, sind häufig durch eine andere davon abweichende Hinführung zum eigenen Thema gekennzeichnet. Experiment 3 - studentische Einleitungen Analysieren Sie den folgenden studentischen Einleitungstext. Wie wird hier das eigene Vorhaben begründet? Inwieweit unterscheidet sich dieser Text von der oben aufgeführten wissenschaftlichen Einleitung? Überlegen Sie und vergleichen Sie dann Ihre Ergebnisse mit dem darunter stehenden Kommentar. Horoskope im kontrastiven linguistischen Vergleich Heutzutage werden Horoskope von Millionen Menschen gelesen. Einige glauben daran und andere lesen sie nur aus reiner Neugierde, aber sie spielen eine immer größere Rolle in unserer Unterhaltung. Aus diesem Grund beschäftige ich mich in der vorliegenden Arbeit mit der textsortenlinguistischen Analyse deutschsprachiger Horoskope. Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Analyse der verschiedenen strukturellen und sprachbezogenen Charakteristika dieser Textsorte. Das <?page no="127"?> 128 4. Akademisches Schreiben und Referieren Textmaterial, das empirisch untersucht wird, stammt aus verschiedenen deutschsprachigen Zeitschriften oder Internet-Seiten. Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Im ersten Kapitel werde ich einen Überblick über einige wichtige Merkmale, die typisch für die Horoskope im Allgemeinen sind, geben. Im zweiten Kapitel werden die Untersuchungskategorien und das Korpus von Horoskopentexten dargestellt. Schließlich werden im dritten und letzten Kapitel die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und kommentiert. (Unveröffentlichter studentischer Aufsatz aus einem Seminar der Autorin) Der Auszug stammt aus der ersten Hausarbeit, die eine DaF-Studentin im Fach deutsche Linguistik im Grundstudium an einer italienischen Universität verfasst hat. Das eigene Vorhaben wird hier durch den Hinweis auf die Relevanz des Themas im Alltagsleben begründet. Es wird also nicht-- wie oben-- auf die Relevanz des Themas im jeweiligen Forschungsfeld hingewiesen, auch fehlen generell Hinweise zum Stand der Forschung. Stattdessen wird unmittelbar die eigene Zielsetzung formuliert. Bei der Präsentation der eigenen Arbeit finden sich jedoch wichtige Teilschritte, die die Leserin oder der Leser einer wissenschaftlichen Arbeit erwartet, nämlich die Formulierung der Zielsetzung, Hinweise auf die Methode und auf den Textablauf. (Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: im ersten Kapitel werde ich einen Überblick über einige wichtige Merkmale, die typisch für die Horoskopen im Allgemeinen sind, geben. Im zweiten Kapitel werden die Untersuchungskategorien und das Korpus von Horoskopentexten dargestellt. Schließlich werden im dritten und letzten Kapitel die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und kommentiert). (Unveröffentlichter studentischer Aufsatz aus einem Seminar der Autorin) Erst in den höheren Stadien des Schreibentwicklungsprozesses- - bedingt auch durch die methodische und inhaltliche Einarbeitung ins eigene Fach- - nähert sich das studentische Schreiben immer mehr dem wissenschaftlichen Schreiben an. 4.1.3 Zusammenfassung ▶ In dieser Einheit haben wir Sie in die vielfältigen Tätigkeiten des Schreibens im akademischen Bereich eingeführt. ▶ Dabei haben Sie sich mit verschiedenen wissenschaftlichen und studentischen Textsorten befasst, die studienrelevant sind und deren Handlungszweck je nach Art des durch sie ermöglichten Umgangs mit dem wissenschaftlichen Wissen unterschieden wurde. ▶ Sie haben sich weiterhin mit den Begriffen des wissenschaftlichen und des studentischen Schreibens befasst, wobei Ersterer die ideale Bezugsgröße für Letzteren bildet. ▶ Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede zwischen den beiden Begriffen wurden durch die Arbeit an konkreten Beispielen von Einleitungen aus wissenschaftlichen Aufsätzen und studentischen Arbeiten beleuchtet. <?page no="128"?> 129 4.1 Wissenschaftliches Schreiben 4.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was wird unter dem Begriff Schreiben im akademischen Bereich verstanden? Wer produziert normalerweise schriftliche Texte im akademischen Bereich? 2. Was ist die Hauptfunktion eines Wörterbucheintrags? 3. Nennen Sie ein Beispiel für eine wissenschaftspropädeutische Textsorte studentischer Produktion und erläutern Sie, inwieweit sie das wissenschaftliche Schreiben fördern kann. 4. Was sind die Gemeinsamkeiten von und die Unterschiede zwischen wissenschaftlichem und studentischem Schreiben? 5. Wie wird normalerweise das eigene Vorhaben in einer Einleitung aus einem wissenschaftlichen Aufsatz begründet? ▶ Schließlich konnten Sie durch die Konfrontation mit verschiedenen authentischen Beispielen akademischer Texte auch einen ersten Einblick in Gestaltungsmöglichkeiten und typische sprachliche Handlungen sowie sprachliche Mittel verschiedener wissenschaftlicher und studentischer Texte erhalten. <?page no="129"?> 130 4. Akademisches Schreiben und Referieren 4.2 Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache Deutsch In der vorliegenden Lerneinheit werden Sie sich mit den Anforderungen an das wissenschaftliche Schreiben in der Fremdsprache Deutsch befassen und - damit verbunden - mit den schreibprozess- und textproduktbezogenen Herausforderungen, die daraus vor allem für DaF-Lerner entstehen. Neben einer Einführung zu den Komponenten des Schreibprozesses und der Rolle individualisierter Schreibstrategien werden Aspekte der Textstruktur und der sprachlichen Ausgestaltung wissenschaftlicher Texte thematisiert, wobei textuelle Strukturiertheit durch Kohärenz und Kohäsion sowie Textsorten- und Kulturorientierung im Vordergrund stehen. Dabei werden Sie sich sowohl rezeptiv als auch produktiv mit studentischen und wissenschaftlichen Texten beziehungsweise Auszügen daraus befassen, wobei wir nicht eine bloße Imitation vorgegebener Modelle, sondern eine selbständige Auseinandersetzung mit Möglichkeiten der Ausgestaltung wissenschaftlicher Arbeiten anregen wollen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ sich mit den Anforderungen des wissenschaftlichen Schreibens in der Fremdsprache Deutsch in Bezug auf den Schreibprozess und auf das Schreibprodukt befassen; ▶ sich mit schreibrelevanten Aspekten der Textstruktur und der sprachlichen Ausgestaltung wissenschaftlicher Arbeiten auseinandersetzen; ▶ ein Bewusstsein für den Einfluss kulturspezifischer Charakteristika beim Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten in der Fremdsprache Deutsch entwickeln. 4.2.1 Schreibprozess Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache Deutsch stellt insbesondere für DaF- Lerner eine komplexe, anspruchsvolle Aufgabe dar. Denn sie müssen die unterschiedlichen Komponenten des Schreibprozesses kompetent steuern, indem sie prozessbezogene Handlungen (Planen, Recherchieren, Strukturieren, Formulieren, Überarbeiten) vollziehen. Diese Handlungen sind rekursiv und nicht sukzessiv linear. So sind zum Beispiel das Reflektieren über bereits Geschriebenes und das Ordnen der Gedanken nicht nur beim vorausgehenden Planen, sondern auch während des ganzen Schreibprozesses wichtige Handlungen, mit denen Schreibende sich zunehmend mehr Klarheit über das eigene Wissen verschaffen und somit die erkenntnisgenerierende Funktion des Schreibens nutzen. Für den Schreibprozess in der Fremdsprache kommt hinzu, dass Formulierungsprozesse langsamer und mühsamer als in der Muttersprache verlaufen. Wegen ihres begrenzten Wissens in der Zielsprache stoßen Schreibende nämlich häufig auf das Problem der Diskrepanz zwischen dem, was sie sagen möchten und dem, was sie tatsächlich auszudrücken fähig sind. Folglich können sie dazu tendieren, eigene Äußerungen in der Fremdsprache unter Anwendung von Übersetzungsmechanismen, Vereinfachungs- und Vermeidungsstrategien <?page no="130"?> 131 4.2 Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache Deutsch zu formulieren (vergleiche Krischer 2000). An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass DaF- Lerner beim Verfassen studentischer Arbeiten in der Fremdsprache aus ihrer akkumulierten Schreiberfahrung in der Muttersprache profitieren können, vor allem, wenn sie zum Beispiel das wissenschaftliche Argumentieren schon geübt haben und wenn ihnen der Umgang mit der Forschungsliteratur und mit der Wissenschaftssprache in der Muttersprache schon relativ vertraut ist. Denn dies kann das Abrufen von Wissen im Schreibprozess sowohl bei der vorausgehenden planenden Textorganisation als auch bei der anschließenden sprachlichen Formulierung erheblich unterstützen. Einen wichtigen Einfluss auf den Schreibprozess kann auch der Rekurs auf gewisse verinnerlichte Schreibstrategien ausüben, die mit bestimmten in jedem Lerner verankerten Schreibertypen korrelieren. Es gibt zum Beispiel Schreibertypen, die keine Angst vor dem leeren Blatt empfinden und ihren Text spontan aus dem Bauch heraus schreiben, die jedoch oft keinen Überblick über ihr Schreibziel bekommen. Und es gibt Schreibertypen, die ihren Text aus zahlreichen Korrekturen auf lokaler Ebene entwickeln und zu viel Zeit in die Formulierung investieren. Auf der Basis von Aussagen Schreibender, die ihren Schreibprozess kommentieren sollten hat Ortner (2000) zehn Schreibertypen vorgeschlagen und damit verbunden zehn Schreibstrategien, als Verfahren der Bewältigung von Schreibanlässen und -schwierigkeiten in spezifischen Schreibsituationen: Die Antwort auf die Frage Welcher Schreibertyp bin ich? und das Bewusstsein der Vorteile und Nachteile, die damit verbunden sind, kann einen positiven Einfluss auf die Steuerung des Schreibprozesses in seinen einzelnen Komponenten haben, auch in Bezug auf die Produktion studentischer Textsorten. 4.2.2 Textproduktbezogene Merkmale Durch die kompetente Steuerung ihres Schreibprozesses sollten DaF-Lerner Texte verfassen, die gewisse, produktbezogene Textmerkmale aufweisen. Außer sprachlicher Richtigkeit sind textuelle Strukturiertheit durch Stiftung von Kohärenz und Kohäsion sowie kommunikativfunktionale Angemessenheit durch Textsorten-, Domänen- und Kulturadäquatheit zu beachten. Die Kohärenz betrifft die Herstellung logisch-thematischer Beziehungen im Text auf der Makroebene zwischen den verschiedenen Kapiteln, Paragraphen und Unterparagraphen, auf der Mesoebene zwischen Textteilen mittlerer Größe und schließlich auf der Mikroebene zwischen den einzelnen Sätzen. Die Kohäsion betrifft den expliziten Gebrauch sprachlicher Mittel, die Sätze im Text miteinander verbinden und die thematische Abfolge lokal kennzeichnen (Vater 2001: 32-41). Neben der Verwendung sprachlicher Ausdrücke der Rekurrenz, zum Beispiel durch Proformen (Pronominaladverbien wie davon, dabei, darin und Demonstrativpronomina), die auf eindeutige, von der Leserin oder dem Leser identifizierbare Referenten im Text verweisen sollen, spielen gewisse Konnektoren eine wichtige Rolle in wissenschaftlichen Texten und dienen zum Ausdruck bestimmter sprachlicher Handlungen (vergleiche dazu Graefen & Moll 2011: 83). <?page no="131"?> 132 4. Akademisches Schreiben und Referieren Experiment 1 - Konnektoren in wissenschaftlichen Texten Lesen Sie die folgenden drei Auszüge aus wissenschaftlichen Aufsätzen und überlegen Sie, wozu die vorkommenden Konnektoren im Text eingesetzt werden. Ergänzen Sie anschließend den darauffolgenden Lückentext. TEXT A Mein Beitrag ist folgendermaßen aufgebaut: Im ersten Abschnitt werde ich zunächst auf den Begriff Textsorte eingehen und diesen auf Beipackzettel anwenden. In den folgenden Kapiteln (3 und 4) wird dann ein Korpus von jeweils zehn Beipackzetteln auf Deutsch, Englisch und Italienisch analysiert. Schließlich werden die Ergebnisse dieses Vergleichs dargestellt. (aus einer studentischen fremdsprachlichen Abschlussarbeit) TEXT B Die Diskussion um die Texttypologisierung war lange durch eine Auseinandersetzung zwischen empirisch und theoretisch orientierten Ansätzen, zwischen ‚induktivem’ und ‚deduktivem' Vorgehen beherrscht. In Bezug auf die Gesprächsanalyse stellt für die einen, die Vertreter der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, die Beobachtung authentischer Dialoge den unhintergehbaren Ausgangspunkt dar, während es für die anderen, etwa die Vertreter der Dialoggrammatik, um die Rekonstruktion der Dialogkompetenz, des Musterwissens, geht, das aus authentischen Dialogen nicht (sauber) gewonnen werden könne. (Adamzik 2000: 205) TEXT C Häufig wird zwischen dem akademischen Schreiben (Schreiben im Studium) und dem wissenschaftlichen (Schreiben für ein Fachpublikum) unterschieden. Im vorliegenden Beitrag wird analog zum Titel des Themenschwerpunkts von wissenschaftlichem Schreiben gesprochen, zumal diese Bezeichnung auch als Oberbegriff für beide Formen angesehen werden kann. (Krekeler 2013: 514) Setzen Sie die folgenden Wörter (beziehungsweise Wortgruppen) in die Lücken im Text: Begründung- - zumal- - während- - Kommentierung- - zunächst, dann und schließlich- - Nachzeichnung In Textbeispiel A erfolgt die ________________ des eigenen Vorgehens und der eigenen Textstruktur seitens des Schreibers. Dazu verwendet er die drei Konnektoren ____________________, die zur Textgliederung dienen und somit eine textorganisierende Funktion haben. In Textbeispiel B erfolgt die __________________________ einer Debatte zu einer linguistischen Kontroverse. Durch den Konnektor ________________ werden gegensätzliche Positionen einander gegenübergestellt. In Textbeispiel C erfolgt die ______________________ einer eigenständigen Prägung eines Begriffs aus der Schreibforschung, die - nach einem kurzen Hinweis auf divergierende Positionen dazu im jeweiligen Forschungsfeld - durch den Konnektor __________ eingeleitet wird. <?page no="132"?> 133 4.2 Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache Deutsch Relevant sind also in wissenschaftlichen Texten vor allem ▶ Konnektoren, die eine textstrukturierende Funktion ermöglichen und zur Textgliederung dienen, wie zunächst / dann / schließlich, erstens / zweitens / drittens, zum einen / zum anderen; ▶ Konnektoren, die zum Ausdruck von Gegenüberstellung und Vergleich von Wissenselementen und Positionen dienen, wie während, hingegen, dagegen, allerdings, jedoch, einerseits / andererseits; ▶ Konnektoren, die Begründungen einleiten, wie zumal, da, weil, daher. Neben dem Umgang mit Begriffen können Begründungen auch der Rechtfertigung einer Fragestellung, sowie der Kritik an gewissen Theorien und Forschungspositionen dienen. DaF-Lerner sollten auch Texte verfassen, die gewisse, in der Zielsprache erwartete textsortenspezifische Merkmale aufweisen, aus denen ein kompetenter Umgang mit dem fachbezogenen Wissen hervorgeht. Sie betreffen die grundlegende Textstruktur wissenschaftlicher Arbeiten und-- damit verbunden-- deren sprachliche Ausgestaltung. Die Textstruktur einer wissenschaftlichen Arbeit ist gekennzeichnet durch: ▶ eine Einleitung, die zur eigenen Fragestellung hinführt und der Leserin oder dem Leser Hinweise auf Begründung, Zielsetzung, Methode und Aufbau der eigenen Arbeit gibt (vergleiche dazu Lerneinheit 4.1); ▶ einen Hauptteil, in dem die eigene Fragestellung entwickelt wird und zwar ausgehend von der Formulierung einer Hypothese und deren Begründung durch eine wissenschaftliche Argumentation, bei der das dargelegte Wissen durch Beobachtung und Dokumentation objektiv nachprüfbar sein soll. In einer studentischen Arbeit ist als Hypothese nicht unbedingt ein Vorschlag zur Lösung eines bestehenden wissenschaftlichen Problems zu erwarten, sondern eine durch die eigenständige Darstellung des jeweiligen Forschungsstandes und eventuell durch eigene empirische Analysen gefundene Antwort auf die Ausgangsfragestellung; ▶ einen Schluss, in dem gegebenenfalls das eigene Vorhaben wiederaufgenommen, die erzielten Ergebnisse zusammengefasst, Schlussfolgerungen gezogen und weitere Forschungsdesiderata formuliert werden (vergleiche Załęska 2010). Die sprachliche Ausgestaltung wissenschaftlicher Texte umfasst die jeweilige fach- und domänenspezifische Terminologie sowie Ausdrücke der sogenannten alltäglichen Wissenschaftssprache (Ehlich 1995: 341). Diese umfasst vor allem Verben und idiomatische Wortkombinationen, die typisch für das fachunabhängige wissenschaftliche Handeln sind und einerseits der Tradition der philosophischen und logisch-methodologischen Reflexion angehören, andererseits aus Wendungen der Alltagssprache bestehen, die jedoch um eine wissenschaftsmethodische Bedeutung ergänzt wurden, wie beispielsweise die Kollokation ein Ergebnis auswerten. <?page no="133"?> 134 4. Akademisches Schreiben und Referieren Experiment 2 - alltägliche Wissenschaftssprache Ausdrücke der alltäglichen Wissenschaftssprache werden vor allem in gewissen Handlungskontexten beim Schreiben gebraucht. Lesen Sie folgende zwei Einleitungstexte und überlegen Sie: welche Art von wissenschaftlichen Handlungen werden durch die unterstrichenen Ausdrücke der alltäglichen Wissenschaftssprache vollzogen? Vergleichen Sie dann Ihre Vermutungen mit dem darunter stehenden Kommentar. 1. Bevor ich auf den Nutzen der Facharbeit als Vorbereitung auf das universitäre Schreiben eingehen werde, möchte ich zunächst den Sinn von Wissenschaftspropädeutik in der Schule generell hinterfragen: Meines Erachtens sind nicht nur die das Schreiben betreffenden Lerninhalte ohnehin sehr umfangreich, so dass deren Vermittlung in der Schule schwierig ist. Statt zusätzlicher Schreibaufgaben würde ich gerne ein meiner Meinung nach weitaus wichtigeres Lernziel in den Blick der Lehrplan- / Lehrbuchentwickler und Lernstoffvermittler rücken, nämlich die Freude am Schreiben und durch Schreiben sowie die Freude am Schreiben als Lernmedium. Wenn das Schreiben von den Schülerinnen und Schülern nicht nur als Instrument gesehen wird, bei dem Wissen demonstriert werden soll, sondern u. a. auch als Möglichkeit, Wissen zu generieren, wäre aus meiner Sicht als Schreibberaterin an einer Universität viel gewonnen. (Wiethoff 2015: 80) 2. Die vorliegende Fallstudie beruht auf Beobachtungen in Seminaren zur Wirtschaftskommunikation, die an der Facoltà di Economia der Mailänder Universität Bicocca stattfinden. Bei der Produktion im Deutschen verwendeten die Studierenden Anglizismen, deren Gebrauch sich zwar im Italienischen etabliert hat, im Deutschen aber eher ungewöhnlich ist. Ebenso übersetzten die Studierenden deutsche Ausdrücke ins Italienische spontan mit einem Anglizismus. Darüber hinaus rezipierten sie Anglizismen aus deutschsprachigen Zeitungen zuweilen mit einer anderen Konnotation. Vor diesem Hintergrund geht die Studie der Frage nach, ob im Italienischen oder Deutschen beim Gebrauch von Anglizismen quantitative und / oder qualitative Differenzen feststellbar sind und wie diese sich erklären lassen. Die Studie berücksichtigt ausschließlich die lexikalische Ebene und bezieht sich auf britische und amerikanische Anglizismen. Nach einem kurzen Überblick über den Forschungsstand und der begrifflichen Eingrenzung des Themas werden anhand von Zeitungsausschnitten aus Sole 24 ore (Sole) und dem Handelsblatt (Hb) einzelne Anglizismen hinsichtlich ihrer Verwendung im Italienischen und Deutschen miteinander verglichen. Bei Unterschieden werden Paralleltexte aus den beiden Zeitungen gegenübergestellt, um zu ermitteln, welches Wort bzw. welche Wörter der einen Sprache dem Anglizismus in der anderen Sprache entsprechen. Die Ergebnisse werden mit den Einträgen in verschiedenen Wörterbüchern abgeglichen, um zu überprüfen, ob sich bei den deutschen und italienischen lexikographischen Einträgen derselben Anglizismen Unterschiede ergeben. (Vogler 2008: 173) Ausdrücke der alltäglichen Wissenschaftssprache finden sich vor allem bei der Formulierung textkommentierender Handlungen zwecks der Leserführung im Text beispielsweise durch Hinweise auf die Textstruktur, auf die Methode oder auf die Ankündigung gewisser Arbeitsschritte (Beispiele: Bevor ich auf-… eingehen werde, möchte ich-… hinterfragen; Nach einem <?page no="134"?> 135 4.2 Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache Deutsch kurzen Überblick über- … werden- … hinsichtlich- … miteinander verglichen; Die Ergebnisse werden mit-… abgeglichen, um zu überprüfen, ob sich bei-… Unterschiede ergeben). Sie finden sich außerdem bei argumentativen Handlungen, bei denen sich die Autorinnen oder die Autoren aktiv und kritisch mit dem vorhandenen Wissen befassen. Diese betreffen zum Beispiel die Formulierung von Stellungnahmen und Hypothesen bei der Bearbeitung der Fragestellung (Beispiele: meines Erachtens, meiner Meinung nach, würde ich gerne… in den Blick rücken) sowie die kritische Bewertung von Forscherhandlungen (eristische Handlungen, vergleiche dazu Lerneinheit 4.1.2). Ein wichtiger Aspekt, der mit dem Gebrauch der alltäglichen Wissenschaftssprache zusammenhängt, betrifft Möglichkeiten des sprachlichen Umgangs mit der eigenen Person im Text. Obwohl in wissenschaftlichen Texten zwecks der Sachlichkeit der Behandlung eher unpersönliche sprachliche Formulierungen vorherrschen, kann von einem „Ich-Tabu“ (Kretzenbacher 1995: 2) in der Wissenschaftssprache nicht mehr die Rede sein. Denn gerade bei textkommentierenden und argumentativen Handlungen, wie den oben aufgeführten, kommen sowohl persönliche (Ich-Form, Wir-Form) als auch unpersönliche sprachliche Mittel vor, (wie vor allem Passiv, Infinitiv plus zu und der sogenannte Subjektschub, bei dem fachliche Gegenstände, wie zum Beispiel die Studie, die Arbeit oder der Text die Person des Schreibenden ersetzen (vergleiche Steinhoff 2007: 29f) (Beispiele: Die vorliegende Fallstudie beruht auf, Die Studie berücksichtigt-… und bezieht sich auf). DaF-Lerner haben-- vor allem am Anfang ihres wissenschaftlichen Schreiberwerbs-- mit Ausdrücken der alltäglichen Wissenschaftssprache oft Schwierigkeiten. Wir haben uns bisher mit textsortenspezifischen Merkmalen wissenschaftlicher Texte befasst, die Aspekte der Textstruktur und der sprachlichen Ausgestaltung betreffen. Für die Textproduktion in der Fremdsprache spielt ein zusätzlicher Aspekt eine wichtige Rolle, nämlich derjenige der Domänen- und Kulturadäquatheit von Textprodukten. Fremdsprachliche Texte sollten für die jeweilige Zielkultur kommunikativ angemessen sein und deren besonderen Normen und Konventionen entsprechen. Insbesondere die Produktion wissenschaftlicher und studentischer Texte wird durch verschiedene soziokulturell bedingte Faktoren beeinflusst, wie beispielsweise Forschungs- und Lehrmethoden, Aufbau der Studiengänge und der Schreibdidaktik sowie durch Wissenschafts- und Stilideale des jeweiligen Hochschulsystems. Diese Faktoren schlagen sich in unterschiedlichen Erwartungen an wissenschaftliche und studentische Texte nieder, wobei sowohl Aspekte der inhaltlichen Textorganisation als auch der stilistischen Ausprägung betroffen sind (vergleiche Eßer 1997; Hufeisen 2008; Kaiser 2002; Sorrentino 2012). Es sei dazu folgendes Textbeispiel angeführt: Hinsichtlich des Quijote, als ein von menschlichem Geist produziertes Buch: es ist das menschlichste Buch, das heutzutage existiert. Die Geschichte des Ritters zu Pferde ist einfach bewegend. Viele Seiten haben wir gelesen und nochmals durchgesehen, die von verschiedenen Autoritäten geschrieben worden sind und die die Menschlichkeit, die Zärtlichkeit, die eindringliche Psychologie Cervantes' bei der Konzeption seiner unsterblichen Figuren loben. Aber wir selbst kamen nicht umhin, diskret das Taschentuch zu zücken, um eine hartnäckige Träne zu trocknen, als wir besagte Episode des Quijote und vor allem das geniale letzte Kapitel dieses berühmten Romans lasen. (Eßer 1997: 71ff) <?page no="135"?> 136 4. Akademisches Schreiben und Referieren Dieses Textbeispiel stammt aus der Magisterarbeit einer mexikanischen Studentin über den biblischen Einfluss im Don Quijote. Auffällig ist hier die Verwendung verschiedener wertender emotional aufgeladener Adjektive und Substantive („das menschlichste Buch“, „… ist einfach bewegend“, „die Menschlichkeit“, „die Zärtlichkeit“, „die eindringliche Psychologie Cervantes'“, „das geniale letzte Kapitel“, „Die Geschichte des Ritters zu Pferde ist einfach bewegend“) sowie die Verbalisierung eigener Gefühle („Aber wir selbst kamen nicht umhin, diskret das Taschentuch zu zücken, um eine hartnäckige Träne zu trocknen“). Solche Textmerkmale sind für literaturwissenschaftliche Arbeiten aus dem deutschsprachigen Bereich eher unüblich, weil sie mit einer extrem subjektiven Einstellung der Schreiberin korrelieren. Dieser Aspekt ist insbesondere für das studentische Schreiben in der Fremdsprache von großer Relevanz, denn Studentinnen und Studenten, die das Schreiben in der Fremdsprache nicht durch regelmäßiges Einüben lernen, tendieren dazu, vertraute Text- und Diskursmuster aus der Muttersprache auf die Fremdsprache zu übertragen. 4.2.3 Zusammenfassung ▶ In dieser Einheit haben Sie einen Eindruck von den komplexen Anforderungen des wissenschaftlichen Schreibens in der Fremdsprache Deutsch in Bezug auf den Schreibprozess und auf das Schreibprodukt bekommen. ▶ Sie haben sich mit Aspekten der Textstruktur und der sprachlichen Ausgestaltung wissenschaftlicher Arbeiten auseinandergesetzt, die schreibrelevant sind und insbesondere für DaF-Lerner häufig eine Hürde darstellen. ▶ Schließlich haben Sie sich mit der Rolle kulturspezifischer Charakteristika beim Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten in der Fremdsprache Deutsch befasst. ▶ Dabei wurden Sie mit authentischen Textbeispielen aus studentischen und wissenschaftlichen Texten konfrontiert und sich damit sowohl rezeptiv als auch produktiv beschäftigt. 4.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wozu dienen textkommentierende Handlungen? 2. Setzen Sie die fehlenden Verben ein, die in folgenden Textteilen zur Explizierung der eigenen Zielsetzung verwendet werden: a. Im Folgenden _____________ auf mögliche kulturspezifische Unterschiede bei der Textausgestaltung deutschsprachiger und englischsprachiger Seminararbeiten eingegangen werden. b. In meiner Arbeit _____________ ich eine Untersuchung von DaF-Lehrwerken im Hinblick auf Möglichkeiten der Entwicklung interkultureller Kompetenz durchführen. 3. Welche Rolle spielt der Aspekt der Kulturgeprägtheit von Textsorten für das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten in der Fremdsprache Deutsch? <?page no="136"?> 137 4.3 Wissenschaftliches Referieren 4.3 Wissenschaftliches Referieren In der vorliegenden Lerneinheit werden Sie sich mit Aspekten des wissenschaftlichen Referierens befassen. Dabei erhalten Sie die Möglichkeit, mithilfe wissenschaftspropädeutischer Lese- und Schreibübungen zentrale Fähigkeiten des wissenschaftlichen Schreibens einzuüben und Kenntnisse anzuwenden, die Sie in den vorhergehenden zwei Lerneinheiten erworben haben. Dies soll ein erster Schritt zum eigenständigen Verfassen wissenschaftlicher Texte sein. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ sich mit sprachlichen Ausdrücken und Verfahren des wissenschaftlichen Referierens befassen; ▶ wissenschaftspropädeutische Lese- und Schreibaufgaben zum wissenschaftlichen Referieren bewältigen können. 4.3.1 Konstruktion aus altem und neuem Wissen Wie schon in den ersten beiden Lerneinheiten erwähnt, entsteht in wissenschaftlichen Texten neues Wissen auf der Basis von bereits vorhandenem. Positionen und Theorien aus der jeweiligen Forschungsliteratur werden gemäß der eigenen Fragestellung selektiert, zusammengefasst und aufeinander sowie auf die eigene Argumentation bezogen, um diese zu stützen oder weil sie zum Gegenstand von Kritik werden. Das heißt, die eigene Stimme wird stets mit den vielfältigen Stimmen der Wissenschaft verflochten, so dass dadurch ein hoher Grad an Polyphonie entsteht. Wissenschaftliches Referieren stellt folglich eine zentrale Handlung wissenschaftlichen Schreibens dar (Feilke & Lehnen 2011: 34). Dazu werden etwa Quellen wortwörtlich zitiert oder Inhalte paraphrasiert wiedergegeben. Fremdes Gedankengut ist im eigenen Text als solches kenntlich zu machen und zu belegen. Bei der Gestaltung intertextueller Bezüge im eigenen Text können verschiedene sprachliche Mittel eingesetzt werden, die der sachlichen Wiedergabe von Wissen sowie der Bewertung und kritischen Einschätzung dienen. Es sei dazu ein Abschnitt aus dem Hauptteil eines wissenschaftlichen Aufsatzes zum linguistischen Vergleich von Anglizismen herangezogen: Definition von Anglizismen In der Sprachwissenschaft werden mit Anglizismen Ausdrücke aus dem Englischen bezeichnet, die in einer nicht-englischen Sprache verwendet werden. Zu Anfang der Anglizismenforschung wurde zwischen Britizismen und Amerikanismen (Fink 1970) differenziert. Doch da eine eindeutige Unterscheidung nicht immer möglich ist (Carstensen 1979b), wird heute weitgehend allein mit dem Oberbegriff Anglizismen gearbeitet. Den vielen verschiedenen Versuchen, Anglizismen zu definieren und zu klassifizieren, ist gemeinsam, dass sie an Betz‘ Modell zur Differenzierung des Lehnguts ergänzend oder modifizierend <?page no="137"?> 138 4. Akademisches Schreiben und Referieren anknüpfen. Dabei werden die Anglizismen unterschiedlichen Kategorien zugeordnet, die die Bandbreite von direkten Übernahmen des Englischen bis zu schwer erkennbaren indirekten Einflüssen abdecken. Auch wenn die Sprachwissenschaftler unterschiedliche Bezeichnungen verwenden, wie „Fremdwort“ (Betz 1970), „Nullsubstitution“ (Fink 1970) oder „äußeres Lehngut“ (Carstensen 1979a), sind sie sich bei der Bestimmung von aus dem Englischen direkt übernommenen unveränderten Ausdrücken weitgehend einig. Dagegen kommen sie aufgrund unterschiedlicher Kriterien bei der Kategorisierung der nicht direkten Übernahmen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bei Lexemen, die durch den Einfluss des Englischen ihre Bedeutung verändern, wie beispielsweise im Deutschen realisieren oder im Italienischen autorità, spricht Benz (1970: 137, 141ff) von Lehnbedeutung, Onysko (2007: 31, 80) dagegen von Inferenzen. Doch ist es nach Carstensen und Busse (Awb: 54, 1) nicht immer möglich, zwischen Lehnübersetzung, Lehnübertragung, Lehnbedeutung und Lehnschöpfung zu differenzieren, die daher im Awb [hier Anglizismenwörterbuch] in die Kategorie des „inneren Lehnguts“ mit dem Hinweis. „nach engl.“ zusammengefasst sind. Ebenso ist die Klassifizierung der Hybridbildungen im Deutschen wie z. B. einchecken problematisch, das entweder als ganz entlehnt bzw. äußeres Lehngut (von engl. to check in) oder aber als teilentlehnt betrachtet werden kann; denn einchecken ließe sich ebenso wie abchecken oder durchchecken als Derivation durch Präfigierung erklären. Kovtun versucht die Kategorisierung der Anglizismen zu vermeiden, indem sie ihre Definition auf direkte Übernahmen beschränkt und durch latente Einflüsse des Englischen ausgelöste sprachliche Entwicklungen in ihrer Untersuchung nicht berücksichtigt. So definiert sie Anglizismen als diejenigen “sprachliche[n] Ausdrücke…, die in unveränderter Form aus dem amerikanischen oder britischen Englisch übernommen worden sind, nach der früheren Terminologie von Carstensen also das ,äußerliche Lehngut‘. Die Ausdrücke aus dem ‚inneren Lehngut‘-… ‚Vollsubstitutionen‘, werden nicht berücksichtigt“. (Kovtun 2000: 21) Darüber hinaus verzichtet sie explizit auf die Unterscheidung zwischen „Fremdwort / Lehnwort“ und bezeichnet als Anglizismen die „sprachliche[n] Ausdrücke, die aus dem Englischen übernommen werden, unabhängig davon, ob sie sich dem Deutschen angepasst haben…“ (Kovtun 2000: 25) Zwar ist die Unterscheidung zwischen Fremd- und Lehnwörtern aufgehoben. Dennoch bleibt die Schwierigkeit, dass bei einer synchronen Sichtweise unter Berücksichtigung formal grammatischer Kriterien der englische Ursprung einiger direkten Übernahmen wie beispielsweise Test und von in der Flexion bereits assimilierten Lexemen wie Auditoren nicht evident ist. Daher sind selbst bei einer Beschränkung auf äußeres Lehngut diachrone Kriterien heranzuziehen, um Lexeme wie die angeführten Beispiele überhaupt noch als Anglizismen klassifizieren zu können. In der vorliegenden Studie werden Anglizismen als diejenigen im Deutschen und / oder Italienischen verwendeten Lexeme verstanden, deren Ursprung aus dem britischen oder amerikanischen Englisch an der Lautung und / oder an der Orthographie erkennbar ist. Lexeme, deren Bedeutung durch den englischen Einfluss variieren wie beispielsweise autorità oder die nach englischem Vorbild, jedoch mit erkennbar deutschen bzw. italienischen sprachlichen Mitteln gebildet werden wie z. B. deregolamentazione, werden hier nicht als Anglizismen behandelt. (Vogler 2008: 174ff) <?page no="138"?> 139 4.3 Wissenschaftliches Referieren Die Autorin setzt sich hier mit der begrifflichen Definition von Anglizismen auseinander. Sie liefert eine verallgemeinernde Begriffsdefinition aus der Sprachwissenschaft („In der Sprachwissenschaft werden mit Anglizismen Ausdrücke aus dem Englischen bezeichnet, die“) und fasst den Forschungsstand zusammen, indem sie einerseits auf Konsens abzielende Aspekte („Den vielen verschiedenen Versuchen, Anglizismen zu definieren und zu klassifizieren, ist gemeinsam, dass…“, „Auch wenn die Sprachwissenschaftler-… sind sie sich-… weitgehend einig“) und andererseits noch offene, problematische und kontrastierende Positionen darstellt („Dagegen kommen sie aufgrund unterschiedlicher Kriterien bei der Kategorisierung der nicht direkten Übernahmen zu unterschiedlichen Ergebnissen,…“, „spricht Benz (1970: 137, 141ff) von Lehnbedeutung, Onysko (2007: 31, 80) dagegen von Interferenzen“). Neben verbalen redeeinleitenden Ausdrücken der alltäglichen Wissenschaftssprache, die der sachlichen Wiedergabe des Wissens dienen (zum Beispiel „spricht“, „definiert“, „bezeichnet“), finden sich sprachliche Ausdrücke, die zum kritischen Umgang mit Forschungspositionen dienen. Dazu gehören verbale Formulierungen wie „verzichtet sie explizit auf “, die doppelte Konstruktion „zwar-dennoch“ und / oder bewertende Adjektive („problematisch“). Abschließend positioniert sich die Schreiberin selbst innerhalb der Debatte und formuliert einen eigenen Definitionsvorschlag, der sich durch unpersönliche passivische Konstruktionen auszeichnet („In der vorliegenden Studie werden Anglizismen als diejenigen im Deutschen und / oder Italienischen verwendeten Lexeme verstanden, deren Ursprung aus dem britischen oder amerikanischen Englisch an der Lautung und / oder an der Orthographie erkennbar ist.“). An diesem Beispiel wird deutlich, wie wissenschaftliche Texte aus der Verbindung von altem und neuem Wissen entstehen. Gleichzeitig zeigt sich die wichtige Funktion sprachlicher Formulierungen, mittels derer Forschungspositionen wiedergegeben, verglichen beziehungsweise einander gegenübergestellt sowie kritisch kommentiert werden und durch die die eigene Positionierung im Diskurs erfolgt. Bei der Gestaltung intertextueller Bezüge im eigenen Text spielen auch der Einsatz gewisser Präpositionalphrasen wie laut X, nach X sowie die Verwendung des Konjunktivs eine sprachlich relevante Rolle. Insbesondere wird der Konjunktiv I als „Referatskonjunktiv“ (Eisenberg in Steinhoff 2007: 312) hauptsächlich in paraphrasierenden Passagen bei der neutralen Redewiedergabe verwendet, der Konjunktiv II wird ebenfalls bei der Redewiedergabe verwendet und dient manchmal zum Ausdruck von Skepsis und Distanz zur referierten Originaläußerung (Steinhoff 2007: 312ff). Beim Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten müssen Sie selbst den Forschungsstand zum ausgewählten Thema rekonstruieren, indem Sie die im Hinblick auf Ihre Fragestellung relevantesten Informationen aus der Forschungsliteratur selektieren (vergleiche Lerneinheit 2.3) und die verschiedenen Stimmen dazu nicht nur darstellen, sondern auch aufeinander beziehen, miteinander vergleichen und kritisch einschätzen. Bei der Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand zum eigenen Thema sollten Sie sich innerhalb der Diskussion auch positionieren. Damit unterscheidet sich das wissenschaftliche Referieren von der reinen Zusammenfassung einzelner Texte, da bei Ersterem nur diejenigen Informationen aus einer Quelle zusammengefasst werden, die hinsichtlich der Bearbeitung der eigenen Fragestellung relevant sind; bei Letzterem werden die Hauptaussagen des gesamten Textes zusammengefasst. <?page no="139"?> 140 4. Akademisches Schreiben und Referieren 4.3.2 Produktion eines Kontroversenreferats Als hilfreich auf dem Weg zum selbständigen Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten kann sich weiterhin die Produktion eines Kontroversenreferats erweisen, eines wissenschaftspropädeutischen Textes, der es ermöglicht, wissenschaftliche Texte vergleichend und kritisch zu rezipieren und zu produzieren (vergleiche Lerneinheit 4.1). Zu dessen schriftlicher Bewältigung sollten die Lerner kognitive und sprachliche Fähigkeiten einsetzen, die für das wissenschaftliche Schreiben besonders wichtig sind. Dazu gehören das Erkennen der argumentativen Struktur der Ausgangstexte, das Trennen nötiger von unnötiger Information, das Vergleichen der darin vertretenen Positionen, das eigenständige Neuformulieren der Inhalte in einem Text sowie die anschließende Entwicklung einer eigenen Stellungnahme. Das sollte durch den angemessenen Einsatz von Vertextungsmitteln und sprachlichen Mitteln erfolgen, die zur adäquaten Benennung der sprachlichen Handlungen der Autoren im Ausgangstext sowie zur eigenen Positionierung dienen. Im Folgenden finden sich zwei Kommentare von Wissenschaftlern, die sich zu der aktuell umstrittenen Frage der Verwendung von Deutsch oder Englisch als Sprache der Wissenschaft und der Didaktik an deutschen Universitäten äußern. Es folgt das Beispiel eines studentischen Kontroversenreferates, in dem die zwei Positionen kritisch zusammengefasst werden: <?page no="140"?> 141 4.3 Wissenschaftliches Referieren Abbildung 4.6: Pro + Contra. Deutsch oder Englisch? (Müller & Ehlich 2005) <?page no="141"?> 142 4. Akademisches Schreiben und Referieren Kontroversenreferat In dem Artikel mit dem Titel „Deutsch oder Englisch? “ geht es um die Stellungnahme zweier Professoren der LMU über die Wahl der Wissenschaftssprache, die man im deutschen universitären Bereich verwenden sollte. Müller vertritt die Meinung, dass deutsche Universitäten, abhängend von dem jeweiligen Fach, englischsprachige Lehrveranstaltungen anbieten sollten. Wenn die Sprache in Seminaren und Vorlesungen Englisch sei, hätten die deutschen Studierenden laut Müller bessere Arbeits-und Publikationschancen, da die editoriale Welt dieser Disziplinen Englisch spreche. Deutschland solle demzufolge das Angebot an Studiengängen in ein weltweit vermarktbares Produkt verwandeln, so dass sich Dozenten und Absolventen international bewegen könnten. Außerdem würde das Ansehen des nationalen Wissenschaftsstandorts dank der Öffnung von Kursangeboten auch für exzellente, ausländische Studierende steigen. Im Gegensatz dazu ist Ehlich der Ansicht, dass die Einführung englischsprachiger Lehrveranstaltungen zu keiner Weiterentwicklung der deutschen Wissenschaftssprache führen würde. Damit würde die deutsche Gesellschaft von der Wissenschaftswelt abgeschnitten und isoliert, indem die Kreativität und Innovation der sprachlichen Ressourcen behindert würden. Um den „brain drain“ zu vermeiden und kein wissenschaftlicher Zulieferer für die USA zu werden, sollte sich Deutschland doch an seiner Sprache verankern. Ich vertrete die Auffassung von Müller, dass die deutschen Universitäten englischsprachige Lehrveranstaltungen anbieten sollten. Voraussetzung dafür ist aber, dass dieses Angebot fachgerecht ist, zum Beispiel wäre es sinnlos, deutsche Literatur auf Englisch zu lehren. Zweifellos scheint es zwar plausibel, was Ehlich über die wissenschaftliche Isolierung Deutschlands schreibt, laut Müller würde aber die Mobilität von Absolventen und Dozenten durch ein international anerkanntes Angebot auf Englisch zu Recht erhöht. Und damit würde auch die deutsche Wissenschaft weiter bekannt und geschätzt. (Unveröffentlichtes studentisches Kontroversenreferat aus einem Seminar der Autorin, zu didaktischen Zwecken leicht verändert) In den zwei Ausgangstexten werden eigene Positionen explizit formuliert und die zu deren Stützung vorgebrachten Argumente werden in beiden Texten jeweils durchnummeriert, so dass sie relativ einfach aufzufinden sind. Während im Text von Hermann Müller die Explizierung der eigenen Position gleich am Anfang stattfindet und ausschließlich Pro-Argumente zu deren Stützung angeführt werden, kennzeichnet den Text von Konrad Ehlich eine ausgeprägtere „dialogische Ordnung“ (Thüne 200: 203): Zunächst wird auf die Gegenposition eingegangen, anschließend erfolgen deren Zurückweisung und die Begründung der eigenen Position. Das darauf bezogene studentische Kontroversenreferat beginnt mit einer kurzen Einführung in das Hauptthema der Kontroverse. Anschließend werden die Positionen der beiden Wissenschaftler zusammengefasst, indem die relevantesten Elemente des jeweiligen Argumentationsstrangs fokussiert werden. Im nächsten Schritt erfolgt dann die eigene Positionierung innerhalb der Debatte, indem die Schreiberin sich einer der beiden Positionen anschließt und diese weiterentwickelt. Dabei findet ein angemessener Einsatz sprachlicher Mittel statt, die zur Wiedergabe der jeweiligen sprachlichen Handlungen („Müller vertritt die Meinung, dass-…“ „im Gegensatz dazu denkt Ehlich, dass…“), zu ihrer kritischen Kommentierung („zweifellos scheint es zwar plausibel, was Ehlich… schreibt“, „…laut Müller würde aber…“) sowie der eigenen Positionierung („Ich vertrete die Auffassung von Müller“) dienen. <?page no="142"?> 143 4.3 Wissenschaftliches Referieren Bei der Entwicklung der eigenen Stellungnahme bringt die Schreiberin eigene Argumente mit denen der zwei Wissenschaftler in Verbindung und greift dabei auch auf typische sprachliche Mittel des konzessiven Argumentierens zurück, um Kontraargumente zu entkräften und die eigene These durch das Anführen von Proargumenten zu stützen (vergleiche Steinhoff 2007: 329ff). Dazu wird im vorletzten Satz die doppelte Konstruktion zwar-aber in Verbindung mit den Kommentaradverbien zweifellos und zu Recht eingesetzt („Zweifellos scheint es zwar plausibel,-…laut Müller würde aber die Mobilität von Absolventen-… zu Recht erhöht“). Allmählich können dann im Studium komplexere und längere wissenschaftliche Aufsätze als Ausgangstexte für eine solche wissenschaftspropädeutische Lese- und Schreibaufgabe eingesetzt werden. 4.3.3 Zusammenfassung ▶ In der vorliegenden Lerneinheit haben Sie sich mit dem wissenschaftlichen Referieren auseinandergesetzt. ▶ Sie haben Beispiele für sprachliche Ausdrücke und Verfahren betrachtet, die dem kompetenten Umgang mit dem Forschungsstand dienen. ▶ Dabei haben Sie auch Kenntnisse angewendet, die Sie in den vorhergehenden zwei Lerneinheiten erworben haben und die sich auf das Lesen wissenschaftlicher Texte und auf das Schreiben wissenschaftspropädeutischer Texte bezogen haben. 4.3.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Durch welche Verfahren werden beim wissenschaftlichen Referieren intertextuelle Bezüge im eigenen Text gestaltet? 2. Welche der folgenden redeeinleitenden Ausdrücke können zur (1) neutralen Wiedergabe, (2) zum Vergleich und (3) zur kritischen Einschätzung von Forschungspositionen dienen? a. X verkennt b. zu Recht hebt X hervor, dass, c. Während X behauptet, kommt Y zu dem Ergebnis, dass d. Anders als X, vermutet Y, dass e. Beide stellen in den Vordergrund, dass f. X stellt die überzeugende These auf g. X untersucht h. X geht der Frage nach 3. Wozu dient der Konjunktiv I bei der Gestaltung intertextueller Bezüge? <?page no="144"?> 145 4.3 Wissenschaftliches Referieren 5. Wissenschaftliches Präsentieren Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört die Veröffentlichung der Ergebnisse, nicht nur in Form schriftlicher Publikationen in seriösen und anerkannten Zeitschriften und bei renommierten Verlagen, sondern auch im mündlichen Vortrag. Im Sinne der linguistischen Pragmatik spielen dabei natürlich Nachricht, Kontext und Adressaten eine essentielle Rolle. Zu erfolgreichem wissenschaftlichem Arbeiten gehört daher nicht mehr nur der Vortrag bei einer wissenschaftlichen Tagung, sondern eine Palette unterschiedlicher Textsorten: didaktische Textsorten (zum Beispiel Vorlesungen, Seminare / Unterrichtsstunden, Lehrerfortbildungen), wissenschaftliche Textsorten (zum Beispiel Sektionsvorträge, Plenarvorträge, Gutachterbeiträge, Prüfungen), allgemein-wissenschaftliche Textsorten (zum Beispiel Zeitungs-, Fernseh- und Radiobeiträge, Vorträge bei Verbänden, Interviews) und förderungsstrategische Textsorten (zum Beispiel Gremienbeiträge, Präsentationen bei Fördereinrichtungen, Kommissionen, Politikberatung). Je nach den Bedingungen einer Kommunikationssituation sind die Inhalte unterschiedlich aufzubereiten, zu strukturieren und zu präsentieren. Zunehmend spielen dabei auch digitale Medien, aber auch andere Instrumente, eine wichtige Vermittlungsrolle. Pauschale Rezepte kann es bei dieser Vielfalt nicht geben. Aber es gibt grundlegende Prinzipien, die zu berücksichtigen sind, und es gibt wichtige Strategien und Techniken, die bei der Umsetzung dieser Prinzipien helfen können. Diese werden in diesem Kapitel behandelt. Vor allem geht es um die folgenden Aspekte wissenschaftlichen Präsentierens: durchdachte Vorbereitung und multimediale Aufbereitung einer Präsentation (Lerneinheit 5.1); souveränes Vortragen mit angemessenem Einsatz der Körpersprache, Umgang mit Lampenfieber (Lerneinheit 5.2); erfolgreiche Beteiligung an einer wissenschaftlichen Diskussion und zielführende Steuerung einer Diskussion (Lerneinheit 5.3). Dieses Kapitel gibt eine Fülle praktischer Beispiele und Tipps für ein souveränes und erfolgreiches Management von Vorträgen und Diskussionsbeiträgen. <?page no="145"?> 146 5. Wissenschaftliches Präsentieren 5.1 Präsentationen vorbereiten Günther Koch Diese Lerneinheit widmet sich der konkreten Vorbereitung einer Präsentation. Eine durchdachte Vorbereitung hilft Ihnen, klassische Fehler zu vermeiden, zum Beispiel die Zuhörer und Zuhörerinnen zu langweilen oder mit Fragezeichen in den Augen zurück zu lassen. Ausgehend von Ihrer Entscheidung für eine konkrete Präsentationsart und ein dafür geeignetes Medium kommt der Vorbereitung eines Vortrags eine besonders wichtige Rolle zu, da fachliche Kompetenz, sozusagen der zu vermittelnde Inhalt, nur einen Aspekt einer erfolgreichen Präsentation darstellt. Ein zweiter zentraler Aspekt ist die Qualität des Vortrags, sozusagen die Qualität der Verpackung Ihres Wissens. Diese Lerneinheit vermittelt Ihnen zunächst grundlegendes Wissen über die Vorbereitung einer Präsentation, bevor Sie erfahren, wie Sie sich in sechs Schritten (1. Inhalt erarbeiten, 2. Brainstorming, 3. Einleitung und Schluss, 4. Vortrag vorbereiten, 5. Präsentations-Slides erstellen, 6. Handout erstellen) gezielt auf eine solche vorbereiten. Sie geht dabei nach Koch, Günther (2015a), Studieren mit Köpfchen. Paderborn: Schöningh, 129-150 vor. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ gelungene Präsentationen vorbereiten und halten können; ▶ diese mit ansprechenden (PowerPoint-)Folien unterstützen und dabei klassische Fehler vermeiden können. 5.1.1 Präsentationen strukturieren Planen Sie ausreichend Zeit für die Vorbereitung ein Gerade wenig erfahrene Rednerinnen und Redner neigen dazu, die Zeit zu unterschätzen, die benötigt wird, um sich in ein Thema einzuarbeiten, daraus einen Vortrag zu entwickeln und diesen mit PowerPoint-Präsentation, Handout und gegebenenfalls Moderatorenkärtchen vorzubereiten. Sogenannte Keynotespeaker, die für große Veranstaltungen gebucht werden, planen bis zu zwölf Stunden Vorbereitung für eine Stunde Redezeit ein. Selbstverständlich benötigt ein besonders wichtiger Vortrag, beispielsweise die Verteidigung Ihrer Dissertation vor großem, hochkarätigem Publikum, mehr Aufwand, als die kurze Ansprache vor einer kleinen Gruppe. Bis Sie ein gutes Gefühl für den Zeitaufwand entwickelt haben, sollten Sie vorerst lieber zu viel als zu wenig Zeit einplanen. Wenn Sie dann merken, dass Ihre Präsentation bereits 14 Tage vor dem Termin steht, haben Sie nichts verloren. Legen Sie sie zur Seite, widmen Sie sich anderen Dingen und holen Sie sie erst 24 Stunden vor der Veranstaltung wieder hervor. Unter den Punkt Vorbereitungszeit fällt es auch, den Raum, in dem die Präsentation stattfinden soll, vorab einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. <?page no="146"?> 147 5.1 Präsentationen vorbereiten Welche Medienausstattung ist vorhanden beziehungsweise kann besorgt werden? Wie ist das Rednerpult positioniert? Sind Sie mit der Sitzordnung zufrieden? Möchten beziehungsweise können Sie diese für Ihren Vortrag ändern? Verlieren Sie Ihr Publikum nicht aus den Augen Denken Sie schon während der ersten Schritte der Planung an diejenigen, für die Sie die Präsentation halten werden. Versetzen Sie sich in die Lage Ihrer Zuhörer und Zuhörerinnen. Dabei sollten Sie vor allem zwei Aspekte berücksichtigen. Wie gut kennt sich Ihr Publikum bereits in der Thematik aus? Müssen Sie bei Adam und Eva anfangen und grundlegende Begriffe erläutern, um überhaupt einen groben Überblick über das Themenfeld geben zu können? Oder lässt sich bereits einiges an Hintergrundwissen voraussetzen? Diese Einschätzung Ihres Publikums beeinflusst sowohl den Inhalt Ihrer Präsentation als auch Vortragsstil und Wortwahl. Vermeiden Sie es, Fachbegriffe zu verwenden, wenn diese nicht als bekannt vorausgesetzt werden können. Damit wirken Sie nicht besonders klug, sondern stellen sich eher ins Abseits und verlieren Ihr Publikum sehr schnell. Fragen Sie nicht nach, ob die Begriffe bekannt sind, da kaum eine Zuhörerin oder ein Zuhörer sich outen wird. Erläutern Sie Fachtermini von vornherein und führen Sie Definitionen an. Besonders wichtig ist es, sich Gedanken über die Motivation der Zuhörerinnen und Zuhörer zu machen. Ein Publikum, das Ihnen gezwungenermaßen zuhört und für das Ihre Präsentation keinen greifbaren Nutzen bietet, werden Sie sehr stark aktiv motivieren müssen. Bietet die Präsentation allerdings einen realen Nutzen, so werden Sie wenig zur Motivation der Zuhörerinnen und Zuhörer beitragen müssen. Diese haben ein hohes Eigeninteresse, Ihren Ausführungen zu folgen. Sie wollen ein Maximum an Informationen aufnehmen. Die folgenden Fragen können Ihnen helfen, das Publikum einzuschätzen: ▶ Kennt mich der Großteil der Zuhörer und Zuhörerinnen? ▶ Wie stehen die Zuhörer und Zuhörerinnen zu mir? ▶ Wie hoch ist ihre Motivation? ▶ Auf welche Art profitiert mein Publikum von dem Vortrag? ▶ Welches Vorwissen besitzt es bereits? ▶ Kenne ich die Einstellung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen zur referierten Thematik? Auch wenn sie diese Aspekte selbstverständlich berücksichtigen sollten, ergeben sich leider häufig Widersprüche mit dem Folgenden. Klären Sie Erwartungen und Möglichkeiten In den wenigsten Fällen werden Vorträge um ihrer selbst willen gehalten. Vielmehr verfolgen die meisten Veranstalter mit den Vortragsthemen eine bestimmte Absicht. Suchen Sie das Gespräch mit dem Veranstalter oder der Veranstalterin, um diese zu ergründen. So minimieren Sie von vornherein das Risiko, den an Sie gerichteten Erwartungen nicht gerecht zu werden. Klären Sie im Gespräch auf alle Fälle die folgenden Fragen: <?page no="147"?> 148 5. Wissenschaftliches Präsentieren ▶ Wie viel Zeit steht mir genau zur Verfügung? ▶ Werden in derselben Veranstaltung noch andere Präsentationen gehalten? ▶ Ist es gewünscht, dass ich Diskussionen, Einzel- und Gruppenarbeiten integriere? ▶ Soll ich abschließend eine Zusammenfassung geben oder möchte der Veranstalter das persönlich übernehmen? ▶ Wie stark ist das Themengebiet eingegrenzt? ▶ Gibt es zentrale Aspekte, auf die ich unter allen Umständen eingehen muss? ▶ Welche Medien stehen zur Verfügung? 5.1.2 Schritt für Schritt gelungen präsentieren Inhalt erarbeiten Auch wenn dies auf den ersten Blick selbstverständlich erscheint, kann es nicht oft genug betont werden: Arbeiten Sie sich gründlich in die Thematik ein. Studieren Sie die entsprechende Literatur, machen Sie sich Notizen und zögern Sie nicht, bei Unklarheiten Fachexperten zu Rate zu ziehen. Nur wenn Sie sicher im Stoff sind, können Sie auch darüber vor anderen souverän referieren. Verlassen Sie sich nicht auf Ihr rhetorisches Geschick und seien Sie sicher, Ihre eventuellen Lücken werden bemerkt werden. Brainstorming Jetzt wo Sie sicher im Stoff sind, gilt es diesen für Ihren Vortrag aufzubereiten. Am besten gelingt dies mit einer Art Brainstorming. Nutzen Sie dazu Post-its oder Karteikarten und notieren Sie darauf mögliche Inhalte und Aspekte Ihrer Präsentation. Schreiben Sie auf jeden Zettel nur einen Stichpunkt. Beschränken Sie sich in diesem Moment noch nicht, sondern lassen Sie die Gedanken fließen. Aussortiert wird erst später. Wenn Ihr Brainstorming beendet ist, müssen Sie noch sortieren. Gruppieren Sie zusammenhängende Ideen und finden Sie Überschriften. Ihr Ziel ist es nun, sich auf maximal fünf Hauptaspekte zu beschränken. Dies ist die Anzahl, die sich erfahrungsgemäß noch gut präsentieren lässt. Wenn Sie versuchen mehr Oberpunkte zu referieren, wird Ihre Präsentation die Struktur und Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer den Überblick verlieren. Sollten Sie noch immer mehr als fünf Punkte haben, überlegen Sie nochmals genau, ob sich diese nicht als Unterpunkte eignen oder sogar eliminieren lassen. Wenn Sie sich nun auf einige wenige Hauptaspekte festgelegt haben, die Sie Ihrem Publikum vermitteln möchten, werden Erklärungen, Vor- und Nachteile sowie Beweise und empirische Daten zu Unterpunkten. Sammeln Sie diese ebenso auf Post-its. Bringen Sie diese anschließend in eine logische Reihenfolge. Probieren Sie unterschiedliche Anordnungen aus und entscheiden Sie sich für die sinnvollste. <?page no="148"?> 149 5.1 Präsentationen vorbereiten Einleitung und Schluss Auch wenn eine gute Improvisationsfähigkeit bei Vorträgen von Vorteil ist, kann nichts und niemand eine detaillierte Planung und ein gutes Konzept ersetzen. Verwenden Sie für Ihre Grobplanung die übliche Dreiteilung in Einleitung, Hauptteil und Schluss. Wenn Ihr Brainstorming abgeschlossen ist und es daran geht, den Vortrag selbst zu entwickeln, beginnen Sie am besten mit Einleitung und Schluss. Diese bilden die Klammer, die Ihren Vortrag umschließt. Fallen diese beiden Teile qualitativ deutlich ab, so lässt sich dies vor dem Publikum nicht verbergen. Ihre Präsentation wird als qualitativ minderwertig wahrgenommen. Stehen aber erst einmal Einleitung und Schluss, so ergibt sich der Rest größtenteils von selbst. Helfen Sie Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen, dem Vortrag zu folgen-- geben Sie Ihnen einen roten Faden vor! Hierzu gehört, dass Sie Ihnen zunächst Vorgehensweise und grobe Gliederung vorstellen und diese im Raum dauerhaft visualisieren. Einfachste Möglichkeit ist, die Gliederungspunkte bereits vorab auf ein Flipchart zu notieren. Diese können Sie an der Seitenwand befestigen, damit Ihre Zuhörer und Zuhörerinnen sich orientieren können. Sie wissen stets, zu welchem Gliederungspunkt Sie gerade sprechen und welche noch folgen. Außerdem können Sie diese Übersicht als Stichwortgeber nutzen und somit (zumindest teilweise) auf Stichwortkarten verzichten. Überlegen Sie außerdem genau, was die wichtigsten Punkte Ihres Vortrags sind, die Ihr Publikum unbedingt behalten soll. Auf diese Punkte sollten Sie Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer in Ihrer Einleitung bereits einstimmen. Hierzu haben Sie unterschiedliche Möglichkeiten: Starten Sie mit einer Anekdote. Vielleicht haben Sie mit Ihrem kleinen Bruder und Ihrer Nichte etwas erlebt, dass sich auf Ihre Vortragsinhalte beziehen lässt: Letzte Woche wurde ich gebeten, mich um meine kleine Nichte zu kümmern und diese jeden Morgen in den Kindergarten zu bringen. Bereits am ersten Morgen weigerte sie sich beharrlich auf dem Parkplatz aus dem Auto zu steigen. Sie schrie, weinte und klammerte sich am Türgriff fest. Weder gutes Zureden noch der Hinweis, ich müsse dringend zur Uni, halfen. Erst als ich ihr mit einem Blick auf die Uhr versprach, mit ihr Süßigkeiten im Kiosk neben dem Kindergarten zu kaufen, erklärte sie sich großzügig bereit, den Wagen zu verlassen. In diesem Moment fiel mir ein Stein vom Herzen, auch wenn ich die Büchse der Pandora geöffnet hatte. Es gab nicht einen Tag in der folgenden Woche, an dem es nicht einer Handvoll Bonbons und Schokoriegel bedurft hätte, um meine Nichte zu bewegen, in den Kindergarten zu gehen. Auf die gleiche Weise öffnen wir als Führungskräfte die Büchse der Pandora, wenn wir in Verhandlungen mit Mitarbeitern und Zulieferern nicht konsequent bleiben. Wie also verhandeln wir unter Zeitdruck taktisch klug? Experiment - Anekdote Wählen Sie für einen eigenen Vortrag eine eigene Anekdote, die sich sinnvoll in Ihren Vortrag einbringen lässt. Bringen Sie Ihr Publikum zum Lachen: Humor ist eine großartige Möglichkeit, das Eis zu brechen und die Zuhörerinnen und Zuhörer von Anfang an in Ihren Bann zu ziehen. Seien Sie <?page no="149"?> 150 5. Wissenschaftliches Präsentieren aber vorsichtig. Ihr humorvoller Einstieg muss nicht allein zu Ihrer Person passen, sondern sich darüber hinaus auch logisch auf den Vortragsinhalt beziehen. Ein Witz, bei dem sich die Brücke zu Ihrem Referat nur mit Mühe schlagen lässt, ist fehl am Platz und führt letztendlich nur zu Kopfschütteln und gequältem Lächeln im Publikum. Außerdem ist es wichtig, dass Sie Ihren Humor dem Publikum anpassen. Vermeiden Sie es prinzipiell Witze über Geschlecht, Rasse oder Religion zu machen. Sobald Sie sich fragen, ob sie einen Witz wirklich erzählen sollen, haben Sie die Antwort bereits gegeben: Sie sollten es nicht tun! Beginnen Sie mit einer Frage: Wenn Sie Ihr Referat mit einer Frage einleiten möchten, haben Sie prinzipiell zwei unterschiedliche Möglichkeiten: ▶ Mit einer passenden, gut formulierten rhetorischen Frage gewinnen Sie die Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörer und Zuhörerinnen. Bei einer rhetorischen Frage handelt es sich um eine Frage, deren Antwort offensichtlich ist: Wer der hier Anwesenden interessiert sich für die Branche, in der man uns Wirtschaftswissenschaftlern die höchsten Durchschnittsgehälter zahlt? ▶ Auch mit einer tatsächlichen Frage lässt sich ein Vortrag gut einleiten. Allerdings besteht hier die Gefahr, dass ein Wichtigtuer oder eine Wichtigtuerin mit der Antwort herausplatzt. Stellen Sie am besten eine Frage, geben Sie zwei oder drei Antwortmöglichkeiten vor und bitten Sie Ihr Publikum um ein Stimmungsbild durch Handzeichen. Achten Sie allerdings darauf, dass jederzeit eindeutig ist, für welche Antwortmöglichkeit gerade die Hand gehoben wird. Zitieren Sie: Das passende Zitat vorausgesetzt, kann diese Variante ein sehr eleganter Einstieg sein. Zu diesem Zweck benötigen Sie allerdings ein eher kurzes, knackiges Zitat, das maximal zwei Sätze umfasst. Blenden Sie das Zitat über den Beamer ein und lesen Sie es betont langsam und deutlich vor. Zitate sind der einzige Text auf Ihren Slides, den sie wirklich eins zu eins ablesen sollten. Achten Sie darauf, dass Sie wirklich ein zum Inhalt passendes Zitat verwenden. Entscheiden Sie sich nicht für diese Form des Einstiegs und suchen dann erst nach einem geeigneten Zitat! Verwenden Sie diesen Einstieg dann, wenn Sie bei der Vorbereitung auf ein passendes Zitat stoßen, das Ihnen sofort ins Auge sticht. Provozieren und schockieren Sie: In einem Saal voller angehender Juristen und Juristinnen ist Ihnen die Aufmerksamkeit der Zuhörer und Zuhörerinnen sicher, wenn sie mit der folgenden Äußerung beginnen: Jeder dritte Berliner Taxifahrer hat ein erfolgreich abgeschlossenes Jurastudium hinter sich! Bei Ihrer folgenden, attraktive berufliche Alternativen aufzeigenden Präsentation wird man an Ihren Lippen kleben. Je nachdem wie Sie in Ihren Vortrag eingestiegen sind, lässt sich Ihr Schluss gestalten. Greifen Sie nochmals die Anekdote auf oder beantworten Sie die eingangs gestellte Frage. Sie können diese auch nochmals zur Abstimmung stellen und überprüfen, ob Ihr Vortrag etwas an der Einstellung Ihrer Zuhörer und Zuhörerinnen geändert hat. Nutzen Sie Ihren Schluss auch, um Ihre Hauptaspekte nochmals kurz zusammenzufassen. Machen Sie dabei nicht den Fehler vieler Redner: Diese konzentrieren sich in Ihrer Zusammenfassung oftmals auf den letzten ausgeführten Hauptaspekt und gehen nicht mehr auf die anderen ein. <?page no="150"?> 151 5.1 Präsentationen vorbereiten Vortrag vorbereiten Tell them what you are going to tell them, then tell them, then tell them what you told them. Diese Redewendung aus dem US -amerikanischen Raum wirkt ins Deutsche übersetzt zunächst einmal befremdlich: ‚Sagen Sie, was sie sagen werden…sagen Sie es und-…sagen Sie, was sie gesagt haben.‘ So seltsam diese Regel auch klingt, so wichtig ist sie jedoch für gelungene Vorträge. Vor allem bei wichtigen Informationen, die vom Publikum Ihrer Meinung nach unter allen Umständen mitgenommen werden sollen, ist dieser Dreischritt wichtig: ▶ Kündigen Sie an, dass Sie nun unumstößliche Argumente für das Freihandelsabkommen anführen werden. ▶ Nennen Sie die einzelnen Argumente. ▶ Erläutern Sie Ihrem Publikum, dass das Freihandelsabkommen aufgrund der genannten Argumente unumgänglich ist. Von diesem Dreischritt profitieren Sie und Ihr Publikum in zweierlei Hinsicht: Aufmerksamen Zuhörern und Zuhörerinnen fällt es leichter, die von Ihnen dargebotenen Informationen wahrzunehmen und zu behalten. Durch den ersten Schritt kann Ihr Publikum sich auf das nun Kommende einstellen. Schon beim ersten genannten Argument ist ihnen Sinn und Zweck, ist ihnen das große Ganze bekannt: Es geht darum, dass Freihandelsabkommen zu stützen. Aber auch der unkonzentrierte Zuhörer oder die unkonzentrierte Zuhörerin profitiert von diesem Dreischritt. Vielleicht behält er oder sie nicht jedes einzelne Argument, aber die dreimal ausgeführte Kernidee, das Freihandelsabkommen ist positiv, nimmt er oder sie definitiv wahr. Praktizieren Sie diesen Dreischritt sowohl bei Ihrer gesamten Präsentation als auch bei jedem einzelnen Hauptaspekt. Informieren Sie Ihre Zuhörer und Zuhörerinnen über das, worauf Sie gleich eingehen werden, vermitteln Sie die Informationen und fassen Sie diese abschließend nochmals knapp zusammen. Präsentations-Slides erstellen Steht Ihre Präsentation erst einmal konzeptionell, lässt sich die mediale Unterstützung leicht organisieren. Da in den meisten Fällen eine PowerPoint-Präsentation eingesetzt wird, soll an dieser Stelle nicht auf andere Hilfsmittel wie Flipchart und Overheadprojektor eingegangen werden. PowerPoint, Keynote oder andere Präsentationsprogramme unterstützen Ihre Präsentation und helfen Ihnen, Ihre Kernideen an den Mann oder die Frau zu bringen. Richtig eingesetzt werten sie Ihren Vortrag auf, erhöhen Aufmerksamkeit, Verständnis und Merkfähigkeit der Zuhörer oder Zuhörerinnen, und ermöglichen es Ihnen, sowohl auditive als auch visuelle Lerntypen anzusprechen. PowerPoint und Co. sind mittlerweile zu einem Standard geworden, dessen Einsatz bei einem Vortrag schon fast obligatorisch ist. In den meisten Fällen benötigen Sie wirklich gute Argumente, wenn Sie darauf verzichten möchten. <?page no="151"?> 152 5. Wissenschaftliches Präsentieren Dennoch wird PowerPoint nicht umsonst als die Software bezeichnet, die am häufigsten missbraucht wird. Heben Sie sich ab von der Vielzahl der Präsentationen, die aus Unmengen an Text, einfliegenden Objekten und bunten Zeichentrickfiguren bestehen! Berücksichtigen Sie einige grundlegende Regeln und erstellen Sie eine professionelle Präsentation- - Ihr Publikum wird es Ihnen danken! Die Funktion einer PowerPoint-Präsentation liegt nicht darin, dem Publikum den Text Ihres Vortrags zu servieren oder jedes einzelne Detail wiederzugeben. Die Funktionen, die PowerPoint zu erfüllen hat, entnehmen Sie dieser Tabelle: sinnvolle PowerPoint-Präsentationen… unsinnige PowerPoint-Präsentationen… … erhöhen die Aufmerksamkeit Ihres Publikums … wollen das Publikum mit Effekten beeindrucken … unterstreichen Ihre Worte … minimieren die Interaktion zwischen Redner oder Rednerin und Zuhörer oder Zuhörerin … steigern das Interesse … wollen mehr als einen Hauptaspekt pro Slide verdeutlichen … illustrieren Sachverhalte, die sich schwer verbalisieren lassen … sollen Ihnen die Arbeit abnehmen … dienen Ihnen als Stichwortgeber … nennen einfache Dinge, die sich in ein oder zwei Sätzen verbalisieren lassen Tabelle 5.1: Unterschiede bei der Gestaltung von PowerPoint-Präsentationen (Koch 2015a: 138) Einige Beispiele für gelungene PowerPoint-Folien finden Sie auf den folgenden Abbildungen: Abbildung 5.1: PowerPoint-Folie 1 (Koch 2015a: 144) <?page no="152"?> 153 5.1 Präsentationen vorbereiten Abbildung 5.2: PowerPoint-Folie 2 (Koch 2015a: 146) Denken Sie immer daran, dass trotz PowerPoint stets Ihre Person und Ihre Worte im Fokus stehen sollen. Halten Sie sich an die folgenden zehn Gebote guter Präsentationsfolien und heben Sie sich dadurch vom Mittelmaß ab: 1. Beschränken Sie sich auf einige wenige Slides: Ein häufiges Problem bei vielen Präsentationen ist die hohe Anzahl einzelner Slides. Bei vielen Rednern und Rednerinnen fällt auf, dass diese gar nicht so schnell auf Fernbedienung oder Tastatur klicken können, wie sie neue Folien herbeizaubern möchten. Gehen Sie von der Daumenregel aus, maximal eine Folie in 120 Sekunden zu präsentieren. Denken Sie daran: Die einzelnen Folien bilden lediglich den Hintergrund, vor dem Sie sprechen und sollten Ihren Vortrag deshalb jeweils für längere Zeit begleiten. 2. Minimieren Sie die (Spezial-)Effekte: Wenn die Überschriften von der Decke fallen, Objekte sich dreimal um die eigene Achse drehen und einzelne Stichpunkte Wort für Wort tanzend auf der Folie erscheinen, dann ist es vollbracht: Der Referent oder die Referentin hat PowerPoint wirklich bis zur letzten Funktion ausgereizt. Ganz nebenbei ist es ihm auch gelungen, sein Publikum in den Wahnsinn zu treiben. Kaum ein Hollywood-Blockbuster kommt ohne derartige Spezialeffekte aus, und dennoch sind diese in Vorträgen und Präsentationen fehl am Platz. Einfliegende Buchstaben und pfeifende Soundeffekte lenken Ihre Zuhörer und Zuhörerinnen vom Wesentlichen ab. Ihre Botschaft tritt in den Hintergrund. Setzen Sie die bei PowerPoint möglichen Effekte nur spärlich ein oder verzichten Sie am besten völlig auf diese. Verwenden Sie stattdessen ruhige und <?page no="153"?> 154 5. Wissenschaftliches Präsentieren einfach gehaltene Folien, mit denen Sie nicht um die Aufmerksamkeit Ihres Publikums konkurrieren müssen. 3. Formatieren Sie leserfreundlich: Um möglichst viele Informationen auf eine Folie zu packen, reduzieren viele Referenten und Referentinnen Schriftgröße und Zeilenabstand. Dass dabei die Lesbarkeit auf der Strecke bleibt, interessiert in der Vorbereitung nur die wenigsten. Im Vortrag selbst, wenn dieses Problem deutlich zutage tritt, ist es für Änderungen bereits zu spät. Die Mindestgröße für Text beträgt im Allgemeinen 28 pt, für etwas größere Vortragsräume sogar 3 pt. Überschriften sollten deutlich größer formatiert werden. Wollen Sie einzelne Textstellen besonders stark hervorheben, dann variieren Sie nicht ein, sondern zwei Merkmale der Schrift (kursiv und fett oder kursiv und farbig). Verzichten Sie darauf, die Schriftart zu variieren oder comicartige Schriften einzusetzen. Dies lässt Ihre Folie unruhig oder wenig ernsthaft erscheinen. 4. Halten Sie sich an die Erfolgsformeln x und 3x3: Zwei mathematische Formeln helfen, Ihre Folien zu strukturieren: Vermeiden Sie zu textlastige Slides, indem Sie nicht mehr als sechs Wörter pro Zeile und nicht mehr als sechs Textzeilen pro Slide verwenden. 3 Wörter sollte das absolute Maximum für eine Seite sein. In vielen Fällen kommen Sie sicherlich sogar mit zwei oder drei Begriffen aus. Eventuell kann eine aussagekräftige Abbildung Ihre Aussage unterstützen. 3x3 bedeutet, dass Sie jede Folie gleichmäßig in neun Sektoren einteilen, an denen Sie Ihren Inhalt ausrichten. 5. Verwenden Sie angemessene Templates: Die Gebote 4 und 5 für ansprechende Folien haben eines gemeinsam: Die hier beschriebenen Arbeiten können Sie sich eigentlich sparen, da Ihnen das bereits andere abgenommen haben! Unabhängig von der jeweiligen Präsentationssoftware, die Sie einsetzen, stehen Ihnen bereits fertige Vorlagen, sogenannte Templates zur Verfügung. Diese geben Ihren Folien einen einheitlichen Look, verhindern Brüche in Ihrer Präsentation und erleichtern Ihrem Publikum die Orientierung auf den einzelnen Slides. Ein Template stellt beispielsweise sicher, dass alle Überschriften identisch formatiert sind, durchgängig ein und dieselbe Schriftart verwendet wird und Abbildungen sinnvoll platziert werden. Wählen Sie Ihr Template mit Bedacht, denn viele der zur Verfügung stehenden Vorlagen sind für Ihre Zwecke eher ungeeignet: Bunt, verspielt und wenig ernsthaft eignen sie sich eher für die Präsentation von Urlaubsbildern und den Einsatz bei Hochzeitsgesellschaften. 6. Beschränken Sie sich pro Slide auf einen Oberpunkt: Abgesehen von einer geringen Schriftgröße führt der Wunsch nach möglichst aussagekräftigen, informationstragenden Slides auch zu überladenen Folien. Beschränken Sie sich bei jeder auf einen einzelnen Oberpunkt und konzentrieren Sie sich darauf, diesen eindeutig darzustellen. 7. Wählen Sie Ihre Farben mit Bedacht: Farben sind insofern ein kritischer Bestandteil der einzelnen Präsentationsfolien, als diese richtig eingesetzt stark zur Übersichtlichkeit beitragen, falsch eingesetzt dagegen große Unruhe erzeugen. Nutzen Sie Farben, um den Blick Ihrer Zuhörer und Zuhörerinnen zu leiten. Kennzeichnen Sie damit unterschiedliche Kategorien und heben Sie wichtige Informationen hervor. Beschränken Sie sich bei Ihrer Farbauswahl und verwenden Sie auf keinen Fall mehr als drei unterschiedliche Farben pro Slide. Wählen Sie dazu nach Möglichkeit Farben, die sich durch <?page no="154"?> 155 5.1 Präsentationen vorbereiten Ihre gesamte Präsentation ziehen. Benutzen Sie die Hauptfarbe eines Bildes auch für den daneben stehenden Text, sofern sie nicht zu hell oder zu blass ist. Dies ist mit wenig Aufwand verbunden, wirkt jedoch sehr stimmig und professionell. Dazu bieten Ihnen die unterschiedlichen Präsentationsprogramme kinderleichte Lösungen. 8. Setzen Sie Zwischenfolien ein: Überladene Folien kommen auch dadurch zustande, dass Referenten oder Referentinnen nicht nur inhaltliche Informationen abbilden wollen, sondern Ihrem Publikum auch die Orientierung innerhalb des Vortrags erleichtern möchten. Dieser Wunsch ist löblich, allerdings schlecht realisiert, wenn dadurch neben dem eigentlichen Inhalt noch die Überschriften . Geschichte der deutschen Sozialversicherung und . Leben und Wirken Reichskanzler Otto von Bismarcks untergebracht werden wollen. Kreieren Sie lieber eine Zwischenfolie, mit der Sie dem Publikum zeigen: Ab sofort geht es um die Geschichte der Sozialversicherung. So können Sie auf den nächsten Slides auf diesen Teil der Überschrift verzichten. 9. Diagramme: Die große Chance, die PowerPoint Ihnen bietet, ist die Visualisierung von Informationen, Daten und Zusammenhängen. Stellen Sie bei jedem eingesetzten Diagramm sicher, dass dieses eindeutig ist und von Ihrem Publikum auf einen Blick erfasst werden kann. Auch wenn Ihre Slides lediglich Ihren mündlichen Vortrag unterstützen sollen, müssen Abbildungen und Diagramme ohne umfangreiche Erklärungen verstanden werden. Dazu kann es nötig sein, beispielsweise bei einem Säulendiagramm lediglich Minimal- und Maximalwert anzugeben und sich so auf zwei Säulen zu beschränken. Der richtige Ort für das vollständige Diagramm mit allen Daten ist das Handout. Komplexe grafische Informationen verführen Ihr Publikum dazu, sich mehr mit diesen zu beschäftigen als Ihren Worten zuzuhören. Sie verlieren die Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörer und Zuhörerinnen. Auch bei Diagrammen gilt: Weniger ist mehr! Verzichten Sie beispielsweise auf dreidimensionale Effekte. Diese sind deutlich schwieriger zu lesen als zweidimensionale. 10. Bilder sinnvoll einbetten: Neben Diagrammen können passend gewählte und sinnvoll eingesetzte Bilder eine Präsentation stark aufwerten. Durchdacht gewählte Fotos illustrieren Ihre Aussagen und rufen bei Ihrem Publikum Emotionen und Assoziationen hervor. Beispielsweise kann das gut gewählte Bild eines Sternenhimmels Ihre Aussage unterstreichen, auch Start-up-Unternehmen sollten große Ziele verfolgen und nach den Sternen greifen. Je nach Inhalt der Präsentation kann es sinnvoll sein, die einzelnen Folien nur mithilfe von Fotografien und einzelnen Schlagworten zu gestalten. Dadurch stehen Sie als Redner oder Rednerin stärker im Vordergrund, bieten eine angenehme Abwechslung zu anderen Referenten oder Referentinnen und bleiben Ihrem Publikum nachhaltig in Erinnerung. Handout erstellen Ihre Rede, Ihre Präsentation und Ihr Handout sind drei unterschiedliche Dinge. Ein Referent oder eine Referentin, der oder die den Inhalt von Handout oder PowerPoint-Folien eins zu <?page no="155"?> 156 5. Wissenschaftliches Präsentieren eins wiedergibt, ist überflüssig. Weshalb sollte man ihm oder ihr zuhören, wenn man die identischen Informationen doch von der Leinwand ablesen kann? Verzichten Sie unter allen Umständen auf die Unsitte, Ihre Präsentation unverändert auszudrucken und als Handout zu verteilen. Auch das Einfügen von Leerzeilen unter der Überschrift für Notizen rechtfertigt dies nicht. Selbst wenn sich auf diese Art und Weise mit sehr wenig Arbeitsaufwand ein Handout erstellen lässt, sollten Sie darauf verzichten. Es wirkt schlampig und unvorbereitet und verfehlt seinen Zweck. Denn eigentlich dient ein Handout Ihren Zuhörern dazu, den Inhalt Ihres Vortrags zu einem späteren Zeitpunkt nachzuvollziehen oder einzelne Details genauer nachzulesen. Ihr Handout sollte der Struktur Ihres Vortrags folgen und diesen sinnvoll ergänzen. Wenn Sie sich in der Präsentation bei einem Diagramm auf Minimal- und Maximalwert beschränken, geben Sie im Handout das vollständige Diagramm mit allen Werten an. Zuhause und in Ruhe können die Zuhörer und Zuhörerinnen dieses studieren. Denken Sie daran, dass Sie nicht für Fragen zur Verfügung stehen, wenn Ihr Handout gelesen wird. Deshalb muss es so gestaltet sein, dass es sich leicht erschließen lässt: ▶ Gliedern und strukturieren Sie es schlüssig. ▶ Formulieren Sie Stichpunkte statt ganzer Sätze. ▶ Arbeiten Sie mit Ober- und Unterpunkten. ▶ Verwenden Sie Aufzählungslisten. ▶ Visualisieren Sie mit Diagrammen und Tabellen. Bei besonders umfangreichen Präsentationen kann es sinnvoll sein, die Zuhörer und Zuhörerinnen einzelne Aufgaben auf dem Handout bearbeiten zu lassen. Dies sorgt für Abwechslung und gibt Ihnen die Möglichkeit, kurz zu entspannen. Je nach Thema bieten sich beispielsweise die folgenden Aufgaben an: ▶ Formulieren Sie eine eigene Definition des Begriffs Gerechtigkeit. ▶ Sammeln Sie gemeinsam mit Ihrem Nachbarn Vor- und Nachteile des dreigliedrigen Schulsystems. ▶ Finden Sie sich in Dreiergruppen zusammen und diskutieren Sie die im Folgenden angeführten Behauptungen. Geben Sie sich bei der Formatierung und Gestaltung Ihres Dokuments Mühe und vermeiden Sie Rechtschreib- und Tippfehler. Ein schlampig gestaltetes Handout wertet den besten Vortrag und die beeindruckendste Präsentation ab. 5.1.3 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie sich mit der Vorbereitung von Präsentationen befasst. Dabei sollten Sie vor allem die folgenden Aspekte berücksichtigen: ▶ Die Vorbereitung einer gelungenen Präsentation erfordert mehr Zeit als viele ungeübte Redner oder Rednerinnen denken. <?page no="156"?> 157 5.1 Präsentationen vorbereiten 5.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Ordnen Sie die folgenden Schritte bei der Vorbereitung einer Präsentation den dabei anfallenden Aufgaben zu. A Inhalt erarbeiten, B Brainstorming, C Einleitung und Schluss, D Vortrag vorbereiten A B C D Inhalte auf Post-its oder Karteikarten notieren Gehen Sie in einer Art Dreischritt vor Fachliteratur studieren Stimmen Sie Ihre Zuhörer und Zuhörerinnen auf die wichtigsten Punkte der Präsentation ein Gegebenenfalls Experten zu Rate ziehen Beschränken Sie sich auf fünf Oberpunkte Erstellen Sie eine Gliederung für Ihre Zuhörer und Zuhörerinnen und visualisieren Sie diese ▶ Dabei muss von Anfang an das Publikum im Blick behalten werden. ▶ Sinnvoll ist es, im Vorfeld Erwartungen an die Präsentation und Rahmenbedingungen abzuklären. ▶ Informieren Sie sich zunächst über den Inhalt des zu präsentierenden Themas. ▶ Sammeln Sie im zweiten Schritt Ihre Ideen in einer Art Brainstorming und bringen Sie dabei Struktur in den Inhalt. ▶ Entwickeln Sie die besonders wichtigen Elemente einer gelungenen Präsentation mit Einleitung und Schluss. ▶ Bereiten Sie Ihren Vortrag vor. ▶ Planen Sie ein Vorgehen in drei Schritten: Informieren Sie Ihr Publikum über das Kommende; sagen Sie es; fassen Sie es nochmals zusammen. ▶ Vermeiden Sie bei der Erstellung von Präsentations-Slides die klassischen Fehler und halten Sie diese verständlich und ansprechend. ▶ Erstellen Sie ein detailliertes Handout, um sich in den Präsentations-Slides auf das Wesentliche beschränken zu können. <?page no="157"?> 158 5. Wissenschaftliches Präsentieren 2. Richtig oder Falsch? Kreuzen Sie an. RICHTIG FALSCH Sinnvolle PowerPoint-Präsentationen unterstreichen die Worte des oder der Vortragenden. Sinnvolle PowerPoint-Präsentationen verdeutlichen möglichst viele Hauptaspekte auf einem Slide. Sinnvolle PowerPoint-Präsentationen nehmen dem oder der Vortragenden die Arbeit ab, in dem sie seine beziehungsweise ihre Worte wiedergeben. Sinnvolle PowerPoint-Präsentationen dienen als Stichwortgeber. Sinnvolle PowerPoint-Präsentationen illustrieren schwer zu verbalisierende Sachverhalte. Sinnvolle PowerPoint-Präsentationen beeindrucken mit Soundeffekten. 3. Nennen Sie die drei grundlegenden Aspekte, die es in der Vorbereitung einer Präsentation zu berücksichtigen gilt. 4. Nennen Sie die Fragen bezüglich des Publikums, die Sie sich im Rahmen der Vorbereitung einer Präsentation stellen sollten. 5. Nennen Sie die Fragen, die Sie dem Veranstalter oder der Veranstalterin im Rahmen der Vorbereitung einer Präsentation stellen sollten. 6. Nennen Sie die einzelnen Schritte bei der Vorbereitung einer Präsentation. 7. Nennen Sie die zwei Informationsquellen, die Sie bei der Erschließung des Inhalts einer Präsentation nutzen sollten. 8. Was versteht man bei der Vorbereitung einer Präsentation unter Brainstorming? 9. Nennen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen für eine Einleitung zur Verfügung stehen. 10. Was bedeutet es, sich bei einer Präsentation an einem Dreischritt zu orientieren? 11. Nennen Sie die Funktionen von PowerPoint-Präsentationen. 12. Wie sollte ein Handout gestaltet sein, damit Zuhörer und Zuhörerinnen auch nach einer Präsentation maximal davon profitieren? <?page no="158"?> 159 5.2 Präsentationen durchführen 5.2 Präsentationen durchführen Günther Koch Nachdem Ihnen in der vorherigen Lerneinheit die sinnvolle Vorgehensweise bei der Vorbereitung einer Präsentation aufgezeigt wurde, geht es in dieser Lerneinheit um die konkrete Durchführung einer solchen. Zwar macht eine gründliche und durchdachte Vorbereitung bereits die Hälfte des Erfolgs aus, doch steht und fällt eine Präsentation natürlich mit deren Durchführung. Bei dieser müssen Sie zwei gänzlich unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden. Einerseits muss es Ihnen gelingen, den Inhalt anschaulich und verständlich aufzubereiten und zu vermitteln, andererseits gilt es für Sie, die Zuhörer zu fesseln und die Aufmerksamkeit des Publikums über längere Zeit auf sich zu ziehen. Mit anderen Worten: Fachkompetenz, Sicherheit im Inhalt und gründliche Vorbereitung sind zwar zentrale Voraussetzungen, alleine jedoch nicht ausreichend. Darüber hinaus sind Ihre Präsentationskompetenz, Ihr Auftreten vor Publikum und Ihr rhetorisches Geschick gefragt. Diese Lerneinheit zeigt Ihnen zunächst, wie Sie Sprache und Körpersprache gezielt einsetzen und den Ihnen zur Verfügung stehenden Raum nutzen, bevor Sie erfahren, wie Sie sinnvoll mit dem Publikum interagieren. Ein Notfallplan für (hoffentlich nie) auftretende Schwierigkeiten und der Umgang mit Lampenfieber schließen die Ausführungen ab. Diese orientieren sich an Koch, Günther (2015a), Studieren mit Köpfchen. Paderborn: Schöningh, 129-150. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ gelungene Präsentationen halten können; ▶ Sprache und Körpersprache gezielt einsetzen und den zur Verfügung stehenden Raum sinnvoll nutzen können; ▶ mit Lampenfieber und Schwierigkeiten souverän umgehen können. 5.2.1 Körpersprache und Raumnutzung beherrschen Sicher konnten Sie dies schon beobachten: Ein Vortragender oder eine Vortragende hält eine Präsentation, die einem Monolog gleicht, während er oder sie sich dabei am Pult sitzend hinter seinem 17-Zoll-Notebook versteckt. Unabhängig vom Inhalt der Präsentation wird diese alles andere als positiv in Erinnerung bleiben. In den meisten Fällen rückt dabei der Inhalt so stark in den Hintergrund, dass die Zuhörer und Zuhörerinnen ihn kaum noch wahrnehmen. Vielmehr werden sie in vielen Fällen aufgrund der mangelnden Präsenz des Referenten oder der Referentin schon nach einigen wenigen Minuten abschalten. Dass dies nicht Ihr Ziel sein kann, ist selbstverständlich. Nutzen Sie den Raum: auf einem Stuhl sitzend und hinter einem Laptop versteckt ist definitiv der falsche Ansatz, wenn Sie wahrgenommen werden wollen. Begrüßen Sie Ihre Zuhörer <?page no="159"?> 160 5. Wissenschaftliches Präsentieren und Zuhörerinnen zentral vor ihnen stehend. So sind Sie definitiv nicht zu übersehen und lenken die Aufmerksamkeit auf sich. Zentral vor Ihrem Publikum stehend-- das ist Position eins. Wenn sie für 20, 45 oder 90 Minuten in dieser Position verharren, werden allerdings nicht nur Sie sich zunehmend unwohl fühlen, sondern auch Ihr Erscheinungsbild wird eintönig werden. Wechseln Sie von daher mehrmals aus dieser in Position zwei, hinter dem Pult stehend oder auf einer Tischkante sitzend. Dies ist für Sie bequemer und hat den Vorteil, dass Sie und Ihr Vortrag entspannter wirken. Wechseln Sie während Ihrer Präsentation mehrmals zwischen Position 1 und 2 hin und her. Vor allem bei größeren Sälen haben Sie häufig den Vorteil, dass Sie während Ihres Referats leicht erhöht auf einer Art Bühne stehen und ein Stehpult zur Verfügung haben. In diesem Fall sollten Sie sich auch nicht kontinuierlich hinter diesem verstecken, sondern auf der Bühne unterschiedliche Standorte einnehmen. Unabhängig von Ihrem persönlichen Vortragsstil, den Sie im Laufe der Zeit bewusst und kontinuierlich weiter entwickeln sollten, empfehle ich zu Beginn neben diesen beiden Positionen lediglich eine dritte: an der Seite des Vortragsraums oder der Bühne stehend. In den meisten Vortrags- und Seminarräumen bietet es sich an, als Referent oder Referentin entspannt an Türe oder Fenster zu stehen oder zu lehnen. Sobald Sie diese Position einnehmen, treten Sie in den Hintergrund und signalisieren: Der Fokus liegt nun nicht auf Ihnen. Nehmen Sie diese Position ein, wenn die Zuhörer und Zuhörerinnen sich besonders intensiv auf einen Teil Ihrer medialen Präsentation konzentrieren sollen. Unter Umständen gilt es, die Aussage eines Diagramms zu erfassen oder im Handout eine etwas längere Passage zu lesen. Vielleicht haben Sie Ihre Zuhörer und Zuhörerinnen aber auch einfach nur aufgefordert, mit dem Nachbarn oder der Nachbarin zu diskutieren oder die eigenen Gedanken zu Papier zu bringen und wollen sich nun auch optisch zurücknehmen. Bei Reden vor größeren Gruppen lässt sich feststellen, dass viele Präsentierende sich mit Gesten sehr stark zurückhalten. Selbst Personen, die in der alltäglichen Kommunikation viel gestikulieren, nehmen sich bei Vorträgen zurück. Unbewusst scheinen sie unpassende Bewegungen dadurch vermeiden zu wollen, dass sie diese komplett unterlassen. Das ist insofern sehr schade, als Ihre Hände und Arme in der Kommunikation stark helfen können. Mit Gesten können Sie verstärken, was Sie gerade sagen oder die Zuhörer und Zuhörerinnen stärker auf Ihre Person fokussieren. Mit etwas Erfahrung gelingt Ihnen dies weitgehend automatisch. Dennoch sollten Sie bereits in der Vorbereitung einzelne Stellen Ihres Vortrags identifizieren, die sich besonders gut gestisch unterstreichen lassen: ▶ Zucken Sie mit den Schultern, wenn Sie eine offene Frage an das Publikum stellen. ▶ Zählen Sie mit den Fingern mit, wenn Sie eine genaue Anzahl Argumente aufführen. ▶ Deuten Sie ins Publikum, wenn Sie unterstreichen möchten, dass das Gesagte dieses persönlich betrifft. Auf diese Art und Weise verleihen Sie Ihrer Präsentation mehr Lebendigkeit und bleiben Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen nachhaltiger und positiver in Erinnerung. <?page no="160"?> 161 5.2 Präsentationen durchführen 5.2.2 Sprache als wichtigstes Werkzeug nutzen Denken Sie immer daran, dass Ihre Stimme das wichtigste Medium ist, mit dem Sie bei einer Präsentation Informationen transportieren. Anders als in einem privaten Gespräch sollten Sie von daher einige Dinge beachten, um Ihrem Publikum das Zuhören zu erleichtern: Beschränken Sie sich darauf, kurze Notizen, im Idealfall einzelne Schlüsselwörter auf Stichwortkarten zu vermerken. Wenn Sie sicher in der Thematik sind und wissen, worauf Sie hinauswollen, dann reicht ein gelegentlicher Blick darauf und Sie wissen, was Sie an dieser Stelle mitteilen wollen. Erfahrene Redner und Rednerinnen können sogar auf diese Kärtchen verzichten und nutzen die mittels PowerPoint präsentierten Bilder und Schlagwörter als Stichwortgeber für den eigenen Vortrag. Arbeiten Sie bewusst mit Pausen: Mit gezielt gesetzten Pausen lässt sich das Gewicht Ihrer Worte dramatisch erhöhen. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer und Zuhörerinnen steigt urplötzlich an, wenn Redefluss und wahrgenommene Informationen kurzzeitig zum Erliegen kommen. Setzen Sie kurze und lange Pausen, wie in der Tabelle 5.2 gezeigt, gezielt ein: kürzere Pausen (0,5-2 Sekunden) längere Pausen (3 Sekunden oder länger) geben Ihnen die Möglichkeit, die eigenen Gedanken zu sortieren erhöhen die Aufmerksamkeit des Publikums unterstreichen das Gesagte fokussieren das Publikum auf Ihre folgenden Worte ermöglichen es den Zuhörern und Zuhörerinnen, das Gehörte zu erfassen ermöglichen es den Zuhörern und Zuhörerinnen, das Gehörte kritisch zu durchdenken sollten regelmäßig zum Einsatz kommen sollten sparsam eingesetzt werden Tabelle 5.2: Gezielter Einsatz von Pausen (Koch 2015a: 152) 5.2.3 Mit dem Publikum interagieren Wenn keine Fragen mehr sind, dann bin ich jetzt fertig! Bitte beenden Sie Ihren Vortrag, anders als neun von zehn ungeübten Rednern, nicht mit diesem Satz. Alles was bei Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen ankommt ist Folgendes: Ich bin fertig-- bitte lasst mich in Ruhe! Gewöhnen Sie es sich von vornherein an, mit Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen zu interagieren. Ihre Präsentation endet nicht mit dem letzten PowerPoint-Slide. In vielen Fällen erwartet man von Ihnen, in einen direkten Austausch mit dem Publikum zu treten. Sie können jederzeit während Ihrer Präsentation Fragen zulassen und beantworten oder dies auf eine Frage-Antwort-Phase beschränken. Der Umgang mit Zwischenfragen ist ein wichtiger Indikator für die Souveränität eines Referenten und die Qualität eines Vortrags, will aber gelernt sein. Einige grundlegende Dinge helfen Ihnen dabei: Erklären Sie zu Beginn Ihrer Präsentation, zu welchem Zeitpunkt Sie Zwischenfragen beantworten werden. Es ist auch legitim, Fragen jederzeit zuzulassen, aber erst am Ende eines Vortrags näher darauf einzugehen. In diesem Fall bedanken Sie sich bei dem Fragesteller, <?page no="161"?> 162 5. Wissenschaftliches Präsentieren händigen ihm eine farbige Wortkarte aus und bitten ihn, seine Frage zu notieren und an einer Pinnwand zu befestigen. So geht keine Frage verloren und Sie können diese am Ende Ihres Referats gesammelt beantworten. Auf diese Weise zeigen Sie dem Fragesteller, dass Sie ihn ernst nehmen, lassen sich aber in Ihrem Vortrag nicht aus dem Konzept bringen. Außerdem ist ein derartiges Besprechen gesammelter Fragen ein guter Abschluss für jeden Vortrag. Sicherlich kennen Sie die Situation: Der Referent oder die Referentin fordert zu Fragen auf und stößt auf eisiges, unbehagliches Schweigen. Interpretieren Sie dies keinesfalls als Indikator für einen besonders gelungenen Vortrag nachdem keinerlei Fragen mehr offen sind. Vielmehr deutet dies einfach nur auf eine schlechte Moderation hin. Bauen Sie Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen eine Brücke und senken Sie ihre Hemmungen. Legen Sie vor und stellen Sie die erste Frage! Leiten Sie ein mit Bei diesem Thema stellt sich die Frage…, formulieren Sie selbst eine Frage und beantworten Sie diese anschließend. Dies sollte als Eisbrecher genügen. Halten Sie den Blickkontakt mit dem Fragesteller solange dieser spricht und zeigen Sie ihm, dass Sie sich auf ihn und seine Frage konzentrieren. Anschließend wiederholen Sie seine Frage in eigenen Worten und stellen so sicher, dass Sie und die anderen Teilnehmenden ihn richtig verstanden haben. Diese Technik wird besonders häufig von Politikern und Politikerinnen eingesetzt, da sie einen weiteren Vorteil hat: Die nochmalige Wiederholung der Frage verschafft etwas Zeit, über die Antwort nachzudenken. Nachdem Sie die Frage wiederholt haben, lösen Sie den Blickkontakt mit dem Fragesteller oder der Fragestellerin auf. Sie wollen nicht in einen Dialog mit ihm oder ihr treten, sondern sprechen für das gesamte Publikum. Stellen Sie sicher, dass sich jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin angesprochen fühlt. Stellt man Ihnen eine Frage, auf die Sie keine Antwort haben, sollten Sie dies deutlich sagen. Versuchen Sie keinen Bluff und vermeiden Sie es, mit Ausflüchten zu reagieren. Ansonsten setzen Sie Ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Bedanken Sie sich vielmehr für die „gute und wichtige“ Frage und bieten Sie an, sich dazu schlau zu machen. Unterbrechen Sie Ihr Gegenüber nicht und lassen Sie es ausreden, bevor Sie zu einer Antwort ansetzen. Dies gebietet nicht nur die Höflichkeit, sondern stellt auch sicher, dass Sie den Kern des Problems erfassen. Selbstverständlich kann es im Einzelfall notwendig sein, einem Teilnehmer oder einer Teilnehmerin das Wort abzuschneiden. Als Referent oder Referentin können Sie es nicht zulassen, dass ein Zuhörer oder eine Zuhörerin die Initiative an sich reißt und Ihnen die Zügel aus der Hand nimmt oder Sie sogar beleidigt. Nicht jede von Rhetoriktrainern und Rhetoriktrainerinnen empfohlene Reaktion passt zu Ihnen und Ihrer Persönlichkeit. Entwickeln Sie langfristig eine individuelle Strategie für den Umgang mit Störern und Störerinnen. Auf dem Weg dorthin probieren Sie ruhig die folgenden Ratschläge aus: ▶ Lassen Sie sich keinesfalls auf einen Streit ein. Selbst wenn Sie diesen gewinnen sollten, verlieren Sie wertvolle Redezeit und hinterlassen bei vielen Zuhörern und Zuhörerinnen einen negativen Eindruck. <?page no="162"?> 163 5.2 Präsentationen durchführen ▶ Schneiden Sie Ihrem Gegenüber mit einem kurzen Satz das Wort ab und machen Sie weiter mit ihrem Vortrag: Doch, dies ist der Stand der Wissenschaft. oder Nach meinem Wissen ist das so. sind geeignete Äußerungen. ▶ Bedanken Sie sich für die Nachfrage oder den kritischen Einwurf, weisen Sie aber darauf hin, dass dies zu weit führt. Gerne können Sie ein Gespräch im Anschluss an Ihren Vortrag anbieten, auf das der Störer oder die Störerin vermutlich sowieso keine Lust hat,-- unter vier Augen würde ihm oder ihr das Publikum fehlen. ▶ Handelt es sich um eine wirklich unverschämte Nachfrage oder Bemerkung, wissen Sie die anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf Ihrer Seite und können etwas deutlicher werden: Den Punkt, den Sie ansprechen, finde ich sehr wichtig. Allein die Art und Weise wie Sie ihn ansprechen, empfinde ich als unpassend. Und schon machen Sie weiter mit Ihrem Vortrag. Unabhängig von dem Thema, über das Sie sprechen, wird Ihnen das Publikum dann besonders aufmerksam zuhören, wenn Sie eine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen können. Außerdem wird man Sie wohlwollender betrachten, wird von Ihnen gestellte Arbeitsaufträge bereitwilliger erledigen und weniger Hemmungen haben, an geeigneter Stelle mit Ihnen in einen Dialog zu treten. Selbst wenn Sie das Publikum zum ersten Mal sehen, können Sie einiges tun, um die Distanz zu verringern und sich Verbündete zu schaffen: Nutzen Sie die Zeit, bevor die eigentliche Veranstaltung beginnt dazu, mit den anderen zu interagieren. Unter Umständen möchten Sie sich bei Vorträgen vor kleinerem Publikum an die Eingangstüre stellen und die Eintretenden begrüßen. Dies zeigt auf eine heute schon fast vergessene Art und Weise Höflichkeit. Darüber hinaus fühlen Sie sich Ihrem Publikum näher und sind deutlich sicherer, wenn Sie den Vortrag beginnen. Aber auch Ihr Publikum ist Ihnen wohlgesonnen und interessiert sich für das, was Sie zu sagen haben. Bauen Sie Nähe zu Ihrem Publikum auf, indem Sie bewusst den Augenkontakt suchen. Orientieren Sie sich dabei an der Drei-Sekunden-Regel: Blicken Sie während Sie sprechen einem Zuhörer oder einer Zuhörerin in die Augen und halten Sie den Blickkontakt über mindestens drei Sekunden. Wenn Sie kurz pausieren und innehalten lösen Sie den Blickkontakt, schauen einen anderen Zuhörer oder eine andere Zuhörerin an und reden weiter. Verteilen Sie Ihre Aufmerksamkeit gleichmäßig im Raum. Fixieren Sie abwechselnd Personen, die links und rechts sitzen, und Personen, die vorne und hinten sitzen. Durch das Anwenden der Drei-Sekunden-Regel gewinnt jeder Ihrer Zuhörer und Zuhörerinnen das Gefühl, wahrgenommen zu werden; Ihr Vortrag ist genau für ihn oder sie bestimmt. Außerdem vermeiden Sie durch diese Technik, Ihren Blick ziellos durch den Raum schweifen zu lassen. Dies wird von den meisten als unsicher und unkonzentriert interpretiert. Bewegen Sie sich während Sie sprechen durch den Raum und verringern Sie die Distanz zu Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen. Gerade Räume, in denen die Tische und Stühle in Hufeisenform angeordnet sind, sind ideal dafür. Wenn die PowerPoint-Folie in den Hintergrund tritt und Sie und Ihre Worte im Mittelpunkt stehen, sollten Sie nach vorne in das Hufeisen hineintreten. So sind Sie Ihrem Publikum näher. Vermeiden Sie es ein Rednerpult zu verwenden oder sich hinter Ihrem aufgeklappten Laptop zu verstecken. Beides wirkt wie eine Barriere und vergrößert die Distanz zwischen Ihnen und Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen. <?page no="163"?> 164 5. Wissenschaftliches Präsentieren Wenden Sie sich in Ihrem Vortrag auch inhaltlich an Ihre Zuhörer und Zuhörerinnen. Erläutern Sie beispielsweise nicht die Bedeutung befristeter Arbeitsverträge für Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen im Allgemeinen, sondern für Sie und Ihr Publikum persönlich. Ihr Publikum muss sich vorstellen, wie es sich anfühlt, lediglich einen befristeten Vertrag zu besitzen und im Halbjahresrhythmus auf der Straße zu stehen. Dadurch gewinnt Ihr Vortrag an Bedeutung und Sie ziehen das Publikum in Ihren Bann. 5.2.4 Notfallpläne entwickeln Sie sollten bei jedem Vortrag einen Notfallplan in der Tasche haben. Je wichtiger der Vortrag ist, desto detaillierter sollte dieser sein. Ein ausgefallener Beamer, ein kaputtes Lämpchen im Overhead-Projektor oder ein fehlender Stift für Flipchart und Whiteboard-- seien Sie auf all diese Unwägbarkeiten vorbereitet: Aktualisieren Sie in den Tagen vor Ihrem Vortrag Ihr Notebook und installieren Sie alle Updates. So kann es nicht passieren, dass ein Popup-Fenster Sie mitten im Referat fragt, ob Ihnen nicht gerade danach ist, ein Update zu installieren oder ein Backup zu erstellen. Bringen Sie ein Verlängerungskabel und verschiedene Adapter mit. Gerade Letztere sind besonders wichtig, da Sie niemals wissen, ob der zur Verfügung stehende Beamer nicht aus Ihrem Geburtsjahr stammt und sich eben nicht so ohne Weiteres an Ihr modernes Notebook anschließen lässt. Drucken und kopieren Sie Ihr Handout bereits am Vortag. Achten Sie darauf, dass Sie eine Möglichkeit haben, dies sorgfältig zu verstauen, um unschöne Knicke und Eselsohren zu vermeiden. Gerade einseitige Handouts werden erfahrungsgemäß von den wenigsten Referenten und Referentinnen ohne Schönheitsmängel verteilt. Einen guten Eindruck macht dies nicht. Eine gute Idee kann es sein, das Handout auf etwas stärkerem Papier (100g / m 2 und mehr) zu drucken. Auch lässt sich aus einem Blatt Papier im DinA4-Format mit etwas Geschick ein ansprechender Flyer im DinA5-Format machen, der Titelseite und Kontaktdaten enthält. Ziehen Sie Ihre Präsentation auf einen Memorystick oder einen anderen Datenträger, um so im Notfall auf ein Backup zurückgreifen zu können. Bei wichtigen Präsentationen sollten Sie diese auch als PDF -Dokument abspeichern und auf Folie drucken. Das PDF -Dokument sichert Sie für den Fall ab, dass Ihr Präsentationsprogramm Schwierigkeiten bereitet oder Sie auf einen anderen Rechner ausweichen müssen, und die Folien setzen Sie ein, wenn Sie auf den guten alten Overheadprojektor zurückgreifen müssen. Wussten Sie, dass sich ein PDF -Dokument sowohl mit Adobe Acrobat Reader als auch mit der Apple Vorschau ansprechend präsentieren lässt? Informieren Sie sich über die jeweilige Funktion! Sollte der Fall der Fälle eintreten, lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Informieren Sie Ihr Publikum darüber, teilen Sie ihm aber auch mit, dass es keinen Grund zur Sorge gibt. Auf diese Art und Weise kommunizieren Sie, dass sie vorbereitet sind und das Wohl Ihrer Zuhörer und Zuhörerinnen Ihnen am Herzen liegt. Es ist nicht Ihr Fehler und es ist nicht Ihre Schuld, wenn der Beamer im Hörsaal ausfällt oder die Lautsprecheranlage nicht funktioniert. Allerdings ist es sehr wohl Ihre Schuld, wenn Sie infolgedessen hilflos vor der Gruppe stehen. Halten Sie Ihre Präsentation auch ohne mediale Unterstützung, verweisen Sie an wichtigen <?page no="164"?> 165 5.2 Präsentationen durchführen Stellen auf das Handout und benutzen Sie Flipchart oder Tafel, um zentrale Zusammenhänge für alle gut sichtbar zu visualisieren. So nutzen Sie unerwartet auftretende Schwierigkeiten sogar, um bei Ihrem Publikum als besonders souveräner, kompetenter Redner oder besonders souveräne, kompetente Rednerin in Erinnerung zu bleiben. 5.2.5 Lampenfieber kontrollieren Angst, Unwohlsein und Nervosität bei Präsentationen vor größeren Gruppen oder in unbekannter Umgebung, das sogenannte Lampenfieber, kennen selbst erfahrene Redner und Rednerinnen. Gerade als Anfänger oder Anfängerin ist es ganz normal, sich bei einem weitgehend freien Vortrag vor anderen zunächst unsicher zu fühlen. Erfahrungsgemäß ist auch die Souveränität und Selbstsicherheit mit der manch ein Redner oder manch eine Rednerin auftritt eher eine Show oder Strategie, die eigene Nervosität zu überspielen oder zu umgehen. In den meisten Fällen ist das Lampenfieber bei einer Präsentation in der Vorbereitung am größten und verfliegt in dem Moment, in dem Sie das Publikum begrüßen und zu sprechen beginnen. Dennoch können Sie einiges dafür tun, Ihre Nervosität besser in den Griff zu bekommen: Ihre Sprechangst geht auf die Befürchtung zurück, Fehler vor anderen zu machen und in der Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden. Wenn Sie mit den Inhalten der Präsentation nicht ausreichend vertraut sind und wissen, dass Ihr Wissensvorsprung vor den anderen nur minimal ist, dann ist diese Furcht berechtigt. Minimieren Sie diese! Eine sorgfältige Vorbereitung und übungsweises Halten des Referats reduziert Lampenfieber entscheidend. Angst lähmt! Wenn Sie also nervös sind, dann machen Sie sich vor dem Beginn Ihres Referats locker. Erscheinen Sie frühzeitig zu Ihrem Vortrag, bauen Sie die Technik auf und legen Sie Ihre Materialien bereit. Anschließend ziehen Sie sich nochmals in den Nebenraum, zur Toilette oder zu einem entspannenden Spaziergang zurück. Alternativ kreisen Sie mit dem Kopf, heben und senken die Schultern und dehnen sich. Auch kleine Übungen aus dem Yoga können an dieser Stelle sehr effektiv sein. Manche professionellen Sprecher kauen vor ihrem Vortrag zur Entspannung sogar Kaugummi. Oft ist zu beobachten, dass nervöse Redner und Rednerinnen gerade in den ersten Minuten ihres Vortrags das Atmen vergessen. Atmen Sie einige Male tief durch, bevor Sie Ihren Vortrag beginnen, atmen Sie ganz regulär wie in einem normalen Gespräch und nutzen Sie gezielt gesetzte Pausen für weitere tiefe Atemzüge. Auf diese Weise geben Sie nicht nur Ihrer Stimme mehr Gewicht, sondern senken auch Ihre Nervosität. Sollten Sie in diesem Bereich größere Probleme haben, die Sie nicht alleine lösen können, schauen Sie einmal bei der nächsten Musikschule vorbei. Viele Gesangslehrer bieten nebenbei Sprechtraining an. Ein trockener Mund ist ein typisches Symptom von Lampenfieber, erschwert das Sprechen und vergrößert dadurch die Angst zusätzlich. Halten Sie deshalb stets ein Glas Wasser oder eine Flasche bereit. Trinken Sie in kleinen Schlucken, um sich nicht zu verschlucken. Die meisten professionellen Moderatoren oder Moderatorinnen und Redner oder Rednerinnen nehmen während Ihrer Vorträge Wasser oder kühlen Tee zu sich und verzichten auf Milch, Kaffee oder Alkohol. Es mag für manchen altmodisch klingen, aber aus einem Glas zu trinken wird im Normalfall vermutlich professioneller wirken, als an einer Flasche zu nuckeln. <?page no="165"?> 166 5. Wissenschaftliches Präsentieren Teilen Sie es Ihrem Publikum nicht mit, wenn Kleinigkeiten einmal schieflaufen sollten, und auch für Ihre Nervosität bitten Sie keinesfalls um Entschuldigung. Sie sind die einzige Person, die Ihr Skript beziehungsweise den geplanten Ablauf Ihrer Präsentation kennt. Kleine Abweichungen oder Versprecher und selbst Ihr Lampenfieber werden Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen in den meisten Fällen nicht auffallen, zumindest dann nicht, wenn Sie diese nicht selbst mit der Nase darauf stoßen. Gerade als Akademiker oder Akademikerin werden Sie im Laufe Ihres Berufslebens noch häufig vor größeren Gruppen sprechen. Stehen Sie erst einmal im Berufsleben und nehmen unter Umständen sogar eine Führungsposition ein, so können Sie sicher sein, dass der eine oder andere Zuhörer und die ein oder andere Zuhörerin Ihnen nicht wohlgesonnen, sondern vielmehr scharf auf Ihren Posten ist. Jetzt und hier jedoch sind Ihnen die meisten Zuhörer und Zuhörerinnen freundlich gesonnen. Sie alle sitzen im gleichen Boot, konkurrieren nur indirekt um gute Noten und haben kein Interesse daran, dass sich andere blamieren. Führen Sie sich dies vor Augen, das sollte Ihnen Sicherheit geben. 5.2.6 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie sich mit der Durchführung von Präsentationen befasst. Dabei sollten Sie vor allem die folgenden Aspekte berücksichtigen: ▶ Verstecken Sie sich bei Vorträgen nicht hinter Rednerpult und Notebook, sondern nutzen Sie den zur Verfügung stehenden Raum. ▶ Sinnvoll ist es, eine Position am Rande einzunehmen, wenn die Konzentration der Zuhörer und Zuhörerinnen sich auf die PowerPoint-Präsentation richten soll oder wenn diese sich mit ihrem Nachbarn oder ihrer Nachbarin besprechen. ▶ Beschränken Sie Ihre Notizen am besten auf einige Schlüsselwörter und notieren Sie diese auf Karteikärtchen. Alternativ nutzen Sie die Slides Ihrer Präsentation als Stichwortgeber. ▶ Gute Redner und Rednerinnen setzen Pausen gezielt ein. ▶ Um die Aufmerksamkeit des Publikums aufrecht zu erhalten, ist es notwendig, mit diesem zu interagieren. ▶ Fragen aus dem Publikum können gleich beantwortet werden oder aber im Anschluss an den Vortrag. In zweitem Fall sollten diese schriftlich auf Wortkarten fixiert und gesammelt werden. ▶ Wirken Sie Lampenfieber und Nervosität entgegen, indem Sie sich einerseits gründlich auf Ihren Vortrag vorbereiten und sich andererseits vor Beginn bewusst entspannen. 5.2.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie Möglichkeiten, als Redner oder Rednerin mithilfe von Körpersprache und Raumnutzung mangelnder Präsenz vorzubeugen. <?page no="166"?> 167 5.2 Präsentationen durchführen 2. Mit gezielten Pausen lässt sich Gesagtes gut unterstreichen. Nennen Sie die Vorteile kürzerer und längerer Sprechpausen. 3. Nennen Sie Möglichkeiten, wie Sie bei Vorträgen sinnvoll mit dem Publikum interagieren und mit Zwischenfragen umgehen können. 4. Nennen Sie die Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, um technischen Schwierigkeiten vorzubeugen. <?page no="167"?> 168 5. Wissenschaftliches Präsentieren 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten Norbert Franck Vier Szenen aus dem Hochschulalltag: Ein Seminar über Nachhaltige Entwicklung. Student A beendet sein Referat über Die Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Johannesburg. Die Professorin fordert zu Fragen auf. Student B meldet sich und fragt: Hältst du immer solche Referate? Student X im Diplomanden-Kolloquium zur Studentin Y, die ihre Diplomarbeit vorgestellt hat: Ich habe den Eindruck, dass du die internationalen Aspekte deines Themas vernachlässigt hast. Ein Romanistik-Seminar. Der Dozent fragt, ob es Fragen oder Widerspruch zu den Thesen über Jean-Patrick Manchette und die neue Generation französischer Kriminalromane gibt. Alle schweigen. Der Dozent ist ratlos und vertieft seine Ausführungen mit Hinweisen auf den néo-polar. Ein Einführungsseminar im Fach Kunstgeschichte. Anfangs diskutieren (fast) alle 14 Studentinnen und Studenten lebhaft mit. Doch nach und nach wird die Diskussion zum Gefecht zweier Studenten, die schwere verbale Geschütze auffahren. Die anderen Zwölf hören nur noch - mehr oder minder genervt - zu. Wissenschaft lebt von Kontroversen und entwickelt sich im Meinungsstreit. Diskussionen sind ein Medium des Erkenntnisgewinns. - Zeigen einige Szenen nicht das Gegenteil? Der Frage, wie man eine produktive Diskussion gestaltet, wollen wir in dieser Lerneinheit nachgehen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Methoden kennenlernen, die Sie befähigen, Ihre Diskussionsbeiträge zu optimieren, oder Sie dazu bringen, sich an einer Diskussion zu beteiligen; ▶ mit Störfaktoren in Diskussionen umgehen können und konkrete Vorschläge dazu an die Hand bekommen; ▶ anhand von klar strukturierten Etappen, Schritt für Schritt den Ablauf einer gelungenen Diskussion nachvollziehen und im Kurs umsetzen können. Der Text dieser Lerneinheit entstammt der folgenden Quelle: Franck, Norbert (2013), Diskussionen bestreiten und leiten. In: Franck, Norbert & Stary, Joachim (Hrsg), Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG , 267-292. Didaktische Anpassungen (Formulierung der Lernziele, Zusammenfassung) wurden von Ruth Ho‘aba und Katsiaryna EL -Bouz vorgenommen. <?page no="168"?> 169 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten 5.3.1 Allgemeines Studieren heißt: Einsichten in Zusammenhänge gewinnen. Ob Einsichten gewonnen wurden, lässt sich am besten im Gespräch, im Meinungsstreit prüfen. Lernen verläuft erfolgreicher, wenn Erkenntnisse nicht nur nachvollzogen, sondern in Diskussionen angewandt werden.-- Was aber, wenn geschwiegen wird? Argumentationsfähigkeit ist eine zentrale berufliche Anforderung. Diskussionen sind ein Medium, diese Fähigkeit zu lernen. Diskussionen sind zudem der Ort, eine zweite berufsrelevante Qualifikation zu erwerben: Teamarbeit.- - Ist es nicht häufig eher so, dass Diskussionen Kampf um Sieg oder Niederlage sind oder eine Bühne für Selbstdarstellungen, auf der mancher Dozent oder Student gerne den Dentisten spielt und anderen auf den Zahn fühlt? Diese Fragen und die vier kleinen Szenen in der Einleitung umreißen die Themen, um die es auf den nächsten Seiten geht: ▶ Wie kann ich mich in eine Diskussion einbringen, und was kann ich tun, um nicht überhört zu werden? ▶ Was kann ich unternehmen, wenn mich der Diskussionsverlauf oder das Verhalten anderer Diskussionsteilnehmer stört? ▶ Wie gehe ich souverän mit (Fang-)Fragen und Kritik im Anschluss an mein Referat um? ▶ Und: Wie leite ich eine Diskussion? 5.3.2 Strukturiert argumentieren und nicht überhört werden Ich kenne keine Studentin, die gerne das „stille Mäuschen“ spielt. Ich kenne keinen Studenten, der sich wohl fühlt, Diskussionen nur als stummer Gast zu verfolgen. Ich kenne viele Studentinnen und Studenten, die sich mit folgendem Problem herumschlagen: Sie würden sich gerne kontinuierlich an Diskussionen beteiligen-- aber ▶ sie wissen nicht, wie sie in eine Diskussion einsteigen können, ▶ sie sind unsicher, wie sie ihren Diskussionsbeitrag strukturieren sollen, ▶ oder sie befürchten, dass ihr Beitrag keine Resonanz findet. Was tun? Der Einstieg Eine Diskussion ist mehr als die Summe von Meinungsäußerungen. Diskussionen haben einen Inhalt, über den diskutiert wird, und Diskussionen sind ein Prozess, der von den Beteiligten bewusst oder unbewusst gesteuert wird. Auf beide Dimensionen, auf das Was und das Wie, kann man Einfluss nehmen. Je früher man etwas sagt, desto geringer ist die Gefahr, dass man den Einstieg verpasst, und desto mehr kann man das Klima und das Niveau einer Diskussion beeinflussen. Da es in Diskussionen nie nur um die Sache im engeren Sinne geht, gibt es keinen Grund, ausschließlich zur Sache zu reden-- und damit seine Beteiligungsmöglichkeiten einzuengen. Man kann und sollte: <?page no="169"?> 170 5. Wissenschaftliches Präsentieren 1. Vorschläge zum Vorgehen machen: Wie soll vorgegangen, in welcher Reihenfolge sollen die verschiedenen Aspekte eines Themas behandelt werden? 2. Den Diskussionsverlauf ansprechen: Vorschlagen, zum Thema beziehungsweise Problem zurückzukommen, wenn die Diskussion aus dem Ruder läuft. 3. Strukturieren: Meinungen zusammenfassen, auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hinweisen, Standpunkte verbinden oder Argumente weiterentwickeln. 4. Zustimmung oder Ablehnung äußern: Deutlich machen, dass und warum man einer Auffassung insgesamt oder nur zum Teil (nicht) zustimmt. 5. Fragen stellen: Bei unverständlichen Diskussionsbeiträgen fragen, was gemeint ist. Solche Nachfragen sind in der Regel auch im Interesse der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer (und bringen gelegentlich einen Bluffer ins Schwitzen). 6. Informationen und Schlussfolgerungen prüfen: Darauf hinweisen, dass Informationen unvollständig oder nicht korrekt sind, Schlussfolgerungen nicht schlüssig und folgerichtig. 7. Konsequenzen abwägen, die Machbarkeit von Vorschlägen prüfen: Kommentieren, welche Konsequenzen sich aus einer Schlussfolgerung oder einem Vorschlag ergeben. Abwägen, ob alle Vor- und Nachteile bedacht wurden, ob die Voraussetzungen zur Umsetzung eines Vorschlags gegeben sind. Der Argumentation eine Struktur geben Viele Studentinnen und Studenten versperren sich auf folgende Weise den Weg zu strukturierten Diskussionsbeiträgen: Sie beschäftigen sich zunächst mit einem guten Diskussionseinstieg und verwenden viel Energie darauf, sich den ersten Satz zurechtzulegen. Die Folge: Kommen sie zu Wort, nimmt ihr Einstieg keinen Bezug auf den Diskussionsverlauf; sie beginnen also nicht situationsangemessen. Und ihr gesamter Beitrag ist häufig unstrukturiert, weil er nicht zielorientiert aufgebaut ist. Vor allem aus dieser Beobachtung resultiert die Empfehlung, sich zunächst zu fragen, was ist das Ziel meines Diskussionsbeitrags, was will ich erreichen? Besteht darüber Klarheit, ist die Voraussetzung für eine strukturierte Argumentation gegeben. Dann geht es um Argumente, um Belege und Begründungen-- und erst zum Schluss um die Frage, wie kann ich an die bisherige Diskussion anknüpfen, situationsadäquat beginnen? Ich empfehle also folgenden Denkplan: Abbildung 5.3: Denkplan (Franck 2013: 270) Am Anfang der Überlegungen steht das Ziel eines Diskussionsbeitrags und am Ende der Beginn eines Beitrags. Umgekehrt steht am Anfang des Diskussionsbeitrags der Einstieg und am Ende der Zweckbeziehungsweise Zielsatz. Das ergibt folgenden Redeverlauf: <?page no="170"?> 171 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten Abbildung 5.4: Redeverlauf (Franck 2013: 270) Zwei Muster für klassische Argumentationsziele und den daraus folgenden Argumentationsaufbau: 1. Vorschlag, Problemlösung Steht eine Problemlösung, ein Vorschlag im Vordergrund, bietet sich für den Hauptteil folgende Argumentationsstruktur an: ▷ Situationsbeschreibung: Wie ist der augenblickliche Zustand? Wie war die Situation bisher? ▷ Perspektive: Wie sollte es sein? Welcher Zustand soll erreicht werden? Wie sieht eine bessere Situation aus? ▷ Lösungsmöglichkeiten: Wie kann das Ziel erreicht werden? Die gesamte Argumentation hat dann folgende Struktur: Abbildung 5.5: Argumentationsstruktur Problemlösung oder Vorschlag (Franck 2013: 271) <?page no="171"?> 172 5. Wissenschaftliches Präsentieren Ein Beispiel für den Redeverlauf: Einleitung Wenn alle schweigen und einer spricht, dann nennt man das Unterricht. Dieser auf die Schule gemünzte Satz beschreibt auch die Situation, die in vielen Seminaren anzutreffen ist. Hauptteil ▷ Situationsbeschreibung: Viele Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer kennen nur eine Unterrichtsmethode: Sie reden. Die Studentinnen und Studenten können allenfalls Fragen stellen. Die Monolog-Methode macht nicht fit für ein eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten und ist keine geeignete Vorbereitung auf das Berufsleben. ▷ Perspektive: Es geht auch anders. Studentinnen und Studenten übernehmen Verantwortung für die Gestaltung von Lehrveranstaltungen und beteiligen sich aktiv. Seminare sind problemorientiert statt stoffzentriert. In Diskussionen wird geübt, erworbenes Wissen anzuwenden. Kleine Präsentationen sind ein Übungsfeld für die verständliche Aufbereitung von Themen, Fragen und Problemen. ▷ Lösungsmöglichkeit: Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer sollten sich stärker als Moderatoren begreifen, die mit unterschiedlichen Arbeitsformen, Mitteln und Medien aktives Lernen ermöglichen. Studentinnen und Studenten müssen die Erwartungshaltung aufgeben, es genüge für eine qualifizierte Ausbildung, sich in Lehrveranstaltungen Wissen abzuholen. Schluss Die Fachschaft sollte beantragen, dass der Fachbereichsrat eine gemeinsame Fortbildung von Lerpersonen und Studentinnen und Studenten über aktivierende Seminarmethoden finanziert. 2. Standpunkt Steht die Begründung eines Standpunkts im Vordergrund, ist folgende Argumentationsstruktur sinnvoll: Abbildung 5.6: Argumentationsstruktur Standpunkt begründen (Franck 2013: 272) <?page no="172"?> 173 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten Ein Beispiel dafür: Einleitung Behauptung: Es besteht ein Widerspruch zwischen der Verfassungswirklichkeit und dem Verfassungsanspruch, dass niemand wegen des Geschlechts diskriminiert werden darf. Hauptteil Beleg und Beispiele: In der Wirtschaft, in der Politik, in allen Bereichen des öffentlichen Lebens sind Frauen in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert. Trotz des gestiegenen Qualifikationsniveaus von Frauen stagniert ihr Anteil an den Schaltstellen der Wirtschaft bei fünf Prozent. Im Öffentlichen Dienst sieht es nicht viel besser aus. An den Hochschulen zum Beispiel sind weniger als 20 Prozent aller Professuren mit Frauen besetzt. Schluss Schlussfolgerung: Schöne Reden und unverbindliche Absichtserklärungen ändern nichts an dieser Situation. Notwendig sind rechtlich verbindliche Maßnahmen zur tatsächlichen Gleichstellung der Frauen. Mehr als drei Beispiele sind zu viel des Guten: Die Zuhörenden verlieren entweder die Geduld oder den roten Faden und schalten ab. Entwickelt man seine Argumentation in der Auseinandersetzung mit den Beiträgen anderer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, werden in der Einleitung deren Meinungen oder Vorschläge aufgegriffen. Die Einleitung besteht dann aus zwei Teilen: Argumentation aufgreifen und eine Behauptung formulieren. Drei Beispiele: 1. Widerspruch äußern ▷ Anknüpfung: Barbara meint, an der Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt könne dadurch etwas geändert werden, dass Unternehmen sich freiwillig verpflichten, Frauen-Förderpläne aufzustellen. ▷ Behauptung: Ich meine, das ist nach aller Erfahrung mit freiwilligen Verpflichtungen der Wirtschaft faktisch ein Plädoyer für die Beibehaltung des Status quo. 2. Meinungen, Vorschläge verbinden ▷ Anknüpfung: Wir haben zwei Thesen gehört. These 1 lautet: Die Schule muss sich stärker auf ihren Erziehungsauftrag konzentrieren. In der Gegenthese wird die Auffassung vertreten, die Schule habe zu bilden. Erziehung sei Aufgabe der Eltern. ▷ Behauptung: Meine Synthese lautet: Die Schule kann sich ihre Aufgabe nicht aussuchen. Damit sie ihren Bildungsauftrag erfüllen kann, ist es erforderlich, sich mit der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen auseinanderzusetzen-- und das heißt auch: mit der Erziehung im Elternhaus und den gesellschaftlichen Werten und Normen. 3. Standpunkte verbinden und weiterentwickeln ▷ Anknüpfung: Autorin A betont die Notwendigkeit eines Studiums Generale. Autor В plädiert dafür, die Hochschulausbildung stärker an der Berufspraxis auszurichten. ▷ Behauptung: Ich meine, beide Auffassungen sind (a) keine Gegensätze und müssen (b) ergänzt werden. <?page no="173"?> 174 5. Wissenschaftliches Präsentieren Der Zwecksatz sollte wirklich der letzte Satz sein. Die Problemlösung, Aufforderung oder Schlussfolgerung soll wirken. Wird ein unbedeutendes Beispiel oder eine nebensächliche Bemerkung nachgeschoben, schmälert das die Wirkung der gesamten Argumentation. Keine Unsicherheitssignale senden Jede Kommunikation hat eine Inhalts- und eine Beziehungsdimension. Mit dem Inhalt einer Mitteilung wird zugleich-- durch Formulierungen, den Tonfall oder nonverbale Signale-- eine Beziehung zu den Gesprächspartnern oder Diskussionsteilnehmern und Diskussionsteilnehmerinnen hergestellt. Weichmacher vermeiden Es gibt eine Fülle von Formulierungen, die die Wirkung eines Diskussionsbeitrags schmälern können, weil sie als Signale der Unsicherheit aufgenommen werden. Was als höfliche Formulierung gedacht ist, kann auf andere wie eine Demutsgeste wirken. Auf fünf Weichmacher weise ich hin. Da sie oft unbewusst verwendet werden, führe ich zahlreiche Formulierungsbeispiele zur Selbstüberprüfung an. 1. Fragen statt Aussagen ▷ Diese These ist doch nicht haltbar, nicht wahr? ▷ Ist das nicht eine unzulässige Verallgemeinerung? Wer wissen möchte, ob eine These haltbar ist, sollte fragen. Wer der Auffassung ist, dass eine These nicht haltbar ist, sollte seine Meinung vertreten: ▷ Ich meine, dass diese These nicht haltbar ist, weil… ▷ Ich halte das für eine unzulässige Verallgemeinerung. Diese Formulierungen sind angemessen und selbstbewusst. In die Kategorie der Weichmacher, die signalisieren Ich brauche Zustimmung, gehören auch: ▷ Könnte es nicht sein-…? ▷ Meinst du nicht auch-…? ▷ Sollten wir nicht besser-…? 2. Demutskonjunktiv ▷ Ich würde sagen, Keynes geht es an diesem Punkt um-… ▷ Ich fände es besser,-… ▷ Eigentlich wollte ich-… In ‚Ich-würde‘-Sätzen wird der Konjunktiv falsch eingesetzt. Ein Sprachschnitzer ist kein Problem; die unausgesprochene Botschaft ist problematisch: Gestatten Sie mir, dass ich das sage. Ich bin bereit, es jederzeit anders zu sehen. Die selbstbewusste Alternative: Würdelos sprechen: ▷ Ich meine, Keynes geht es-… ▷ Ich finde es besser,-… ▷ Ich möchte (meine)-… 3. Wer bin ich denn schon? Entschuldigungen <?page no="174"?> 175 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten ▷ Das ist nur so eine Idee vor mir. ▷ Mehr fällt mir dazu nicht ein. ▷ Ich meine bloß. ▷ Ich weiß ja nicht, ob das jetzt passt (dazugehört). ▷ Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob-… ▷ Es tut mir leid, aber ich kann keinen Zusammenhang zwischen-… sehen. ▷ Vielleicht bringt uns das nicht weiter, aber-… Es gibt keinen Grund, Aussagen abzuschwächen, die eigene Meinung abzuwerten. Dementis dieser Art laden zur Kritik ein. Deshalb: ▷ Ich mache folgenden Vorschlag: -… (statt Das ist nur so eine Idee vor mir). ▷ Soweit meine Überlegungen zu diesem Punkt. (statt Mehr fällt mir dazu nicht ein). ▷ Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen-… (statt Es tut mir leid, aber ich kann-…). 4. Darf ich auch was sagen? ▷ Wenn ich auch einmal etwas dazu sagen darf. ▷ Ich würde gerne einmal fragen-… Ein Diskussionsbeitrag sollte nicht mit der Bitte um das Rederecht eröffnet werden. Dieses Recht haben alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen. 5. Wir statt ich ▷ Müssten wir nicht erst klären, ob-…? ▷ Vielleicht sollten wir-… ▷ Wir sollten wieder zum Thema zurückkommen. In diesen Aussagen wird die eigene Person versteckt; Meinungen werden als Frage formuliert. Selbstbewusst wirken Aussagen, wenn die Sprecherin oder der Sprecher Verantwortung übernimmt und sich keine Rückzugsmöglichkeiten offenhält: ▷ Ich möchte, dass wir zum Thema zurückkommen. ▷ Ich meine, wir müssen erst klären, ob-… Es gibt noch weitere Varianten des Verzichts auf die erste Person: ▷ namhafte Experten haben herausgefunden, ▷ neue Untersuchungen belegen, ▷ der Stand der Forschung zeigt. Die Vermeidung des Personalpronomens Ich mag wissenschaftlichen Stil kennzeichnen. In Diskussionsbeiträgen macht ein Ich Eindruck-- meine ich. Verstärker einsetzen Wer Weichmacher vermeidet, gewinnt Zeit für Verstärker, die einem Diskussionsbeitrag Nachdruck verleihen und dazu beitragen, nicht überhört zu werden. Mit Verstärker meine ich weder zusätzliche Hilfsmittel noch rhetorische Tricks-- und schon gar nicht herrisches Auftrumpfen oder Belehrungen. Mit Äußerungen wie Wie ja allgemein bekannt sein dürfte-… oder: Ich darf ja wohl voraussetzen, dass dir-… bekannt ist verstärkt man allenfalls Vorbehalte. Verstärker sind sprachliche Signale, die eine These oder Schlussfolgerung zum Klingen bringen. <?page no="175"?> 176 5. Wissenschaftliches Präsentieren Die wichtigsten verbalen Verstärker habe ich bereits vorgestellt: 1. problemstrukturierende Begriffe In Diskussionen verleihen vor allem folgende Strukturierungskategorien einem Diskussionsbeitrag Nachdruck: Behauptung, Begründung, Standpunkt, Schlussfolgerung. ▷ Ich behaupte-… Diese Behauptung begründe ich-… ▷ Aus diesen Überlegungen ziehe ich den Schluss-… ▷ Ich komme daher zu dem Ergebnis (der Schlussfolgerung)-… ▷ Diese Argumente verdichte ich in der These-… 2. Kurze, prägnante Sätze Wer in Absätzen spricht, hat es schwer, angemessen zu betonen. Ein klarer Satzbau und kurze Sätze sind gute Voraussetzungen, um eindringlich sprechen und Wichtiges deutlich hervorheben zu können. Die wichtigsten nonverbalen Verstärker im Überblick: Blickkontakt halten und gerade sitzen, die Unterarme auf dem Tisch, damit Diskussionsbeiträge mit Gesten unterstrichen werden können. Der Brustton der Überzeugung kommt zustande, wenn man ▷ mal lauter, mal leiser spricht (aber immer gut hörbar), ▷ mal langsamer, mal schneller spricht (aber nie zu schnell), ▷ Pausen macht. 5.3.3 Störungen souverän beheben Meinungsverschiedenheiten sind, werden sie sachlich ausgetragen, kein Problem. Der Austausch von Argumenten und der Streit um Meinungen können ein wichtiges Mittel des Erkenntnisgewinns sein. Können. Verlaufen Diskussionen anders, kommt es vor allem darauf an, weder in missmutiges Schweigen zu verfallen noch so viel Unmut zu „tanken“, dass man nur noch heftig reagieren kann. Deshalb ist es wichtig, rechtzeitig und präzise zu beschreiben, was aus welchen Gründen stört und was geändert beziehungsweise wie weiter verfahren werden soll: ▶ Wir haben verabredet, heute unsere Exkursion nach Berlin vorzubereiten. Uns bleibt nur noch eine halbe Stunde, und wir sind immer noch beim zweiten Tagesordnungspunkt. Ich beantrage, die Diskussion zu diesem Punkt jetzt zu beenden, damit noch genügend Zeit bleibt, die Exkursion vorzubereiten. ▶ Ulf, du unterbrichst mich zum dritten Mal. Ich möchte ungestört ausreden können. Bitte halte dich an die Redeliste und unterbrich mich nicht mehr. Und wenn Vielredner, Dauerkritiker oder Definitionsverliebte am Tisch sitzen? Freundlich bleiben-- und ihnen bestimmt sagen, wie man sich eine gelungene Diskussion vorstellt. Vielredner sollten darauf hingewiesen werden, dass Diskussionen nicht der Ort für Monologe sind. Wenn ein Student sein Steckenpferd reitet, statt zur Sache zu reden, kann zudem eine formale Regelung vorgeschlagen werden, zum Beispiel eine Begrenzung der Redezeit: <?page no="176"?> 177 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten ▶ Ich verstehe, dass du an dieser Frage sehr interessiert bist. Trotzdem bitte ich dich, die Diskussion über diesen Punkt zu beenden, weil wir viele wichtige Fragen noch nicht angesprochen haben. ▶ Ich möchte noch weitere Argumente hören und bitte Sie, zunächst andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Wort kommen zu lassen. ▶ Silkes Engagement ist mit Appellen nicht zu bremsen. Deshalb schlage ich vor, dass wir eine Redeliste führen, an die sich alle halten. Dauerkritiker: In Diskussionen gibt es gelegentlich einen Teilnehmer oder eine Teilnehmerin, die alles kritisiert und jeden Vorschlag ablehnt („in jeder Suppe ein Haar entdecken“). Fragen nach Vorschlägen beziehungsweise Alternativen sind die beste Schnelltherapie: ▶ Was schlägst du vor? ▶ Wie würden Sie es machen? ▶ Ich habe den Eindruck, vor Ihren Augen besteht kein Argument. Deshalb interessiert mich, welchen Sinn Sie in der Diskussion sehen. ▶ Welches Ziel verfolgst du mit deiner Kritik? Definitionsverliebte: Manche Zeitgenossen haben eine Vorliebe für Fragen nach Begriffen und Definitionen: Was verstehst du (eigentlich) unter-…? Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff- …? Wie definierst du- … Ich empfehle, Definitionsverliebte und Begriffe-Abfrager darauf hinzuweisen, dass es um die Klärung einer Frage, um das Verständnis eines Problems geht und nicht um Definitionswissen: ▶ Bei allem Respekt vor deiner Vorliebe für Definitionen, mir geht es im Moment darum-… ▶ Ich halte es mit Ludwig Marcuse: Die meisten Definitionen sind Konfessionen. ▶ Warum ist eine Definition so wichtig? Und wenn diese Anstrengungen vergeblich sind? Wenn sich im Laufe der Diskussion das Gefühl einstellt, das ist mir wirklich zu blöd? Dieses Gefühl kann ein Fluchthelfer sein: Andere werden dafür verantwortlich gemacht, dass man es nicht schafft, nachdrücklich die eigene Meinung zu äußern. Und dieses Gefühl kann ein zutreffendes Urteil unterstützen: Es lohnt wirklich nicht, sich ein Bein auszureißen. Für diese Situation rät Barbara Berckhan (1995: 22) zum „überraschenden Kompliment“- - statt sich über wiederholte Sticheleien, unsachliche Kritik oder polemische Fragen aufzuregen, ein Kompliment zu machen: ▶ Ich mag Ihren Humor. ▶ Sie sind ein wundervoller Gesprächspartner. Bleiben Sie so. Fünf Hinweise für Leserinnen An Diskussionen beteiligen sich Männer und Frauen- - mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Die folgenden Hinweise auf das Kommunikationsverhalten der Geschlechter sind keine Hinweise auf Personen. Ich vereinfache in praktischer Absicht: Mir geht es um Hinweise für ein selbstsicheres Auftreten in Diskussionen. Zur Bedeutung der Sprache beziehungsweise <?page no="177"?> 178 5. Wissenschaftliches Präsentieren des Gesprächsverhaltens für die soziale Konstruktion der Geschlechterdifferenz vergleiche unter anderem Luise F. Pusch (2008) und Dagmar Gaßdorf (2004). 1. Männer sind anders a. Die meisten Frauen signalisieren ihren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern: Ich höre zu. Sie schauen sie an, nicken etc. Männer halten sich mit solchen Signalen zurück. Aus diesem Unterschied im Gesprächsverhalten können sich Missverständnisse ergeben: Ein Mann ist verwundert, wenn eine Frau in der Diskussion mit dem Kopf nickt und ihm dann widerspricht. Frauen schließen aus dem Fehlen von Signalen der Zuwendung: Der Mann hört mir überhaupt nicht zu. Das Wissen um diese Differenz hilft, nicht von Ablehnung oder Desinteresse auszugehen, wenn die Signale ausbleiben, die Sie für angemessen halten. b. Männer gehen in Diskussionen häufig von festen Positionen aus, die sie hartnäckig verteidigen. Frauen formulieren ihre Positionen gewöhnlich offener, nicht als endgültige Meinung, sondern als Angebot zum gemeinsamen Weiterdenken. Offenheit, Impulse zum Weiterdenken geben-- das ist eine wissenschaftliche Tugend. Damit diese Tugend in Diskussionen nicht zum Standortnachteil wird, sollten Weichmacher strikt vermieden werden. 2. Männer haben einen Bonus Männer haben (nicht nur) in Diskussionen einen Bonus. Ihre Beiträge werden in der Regel mehr beachtet als die von Frauen, ihre Vorschläge finden eher Zustimmung. Männer nutzen diesen Bonus: Sie reden mehr als Frauen. Das Klischee von der geschwätzigen Frau und dem schweigsamen Mann trifft ebenso wenig zu wie der bösartige Spruch: Ein Mann ein Wort, eine Frau ein Wörterbuch. Männer verfügen über ein breites Spektrum von Strategien, Gespräche zu dominieren: Sie ▷ reden lauter als Frauen; ▷ sprechen bestimmt, auch wenn sie nicht sicher sind; ▷ unterbrechen Frauen häufiger als Männer; ▷ unterbrechen Frauen mit Bemerkungen, die sie gegenüber Männern nicht machen: mit Kommentaren, die sich auf das Aussehen, die Kleidung etc. beziehen. Und sie stellen Bewertungsfallen auf: Reden Frauen leise und zurückhaltend, werden sie nicht beachtet und nicht ernst genommen. Sprechen Frauen selbstbewusst und bestehen auf ihrer Meinung, gelten sie als aggressiv oder unweiblich. Selbst Zurückhaltung kann ein Dominanz-Mechanismus sein: Schweigen signalisiert, dass es sich um ein unwichtiges „Frauenthema“ handelt: Lass das mal die Frauen regeln. Die folgenden Hinweise können helfen, dass dieser Bonus Ihnen das Leben nicht unnötig schwermacht. 3. Für eine gleiche Gesprächsebene sorgen Startet ein Mann einen Versuchsballon um herauszufinden, ob er Sie von oben herab behandeln kann, ob er Sie ernst nehmen muss-- lassen Sie den Ballon platzen. Solche Versuchsballons sind Fragen folgenden Typs: Sind Sie auch so eine Feministin? (Haben Sie was gegen Männer? ) Geben Sie solche Fragen zurück: ▷ Was meinen Sie mit so eine Feministin? <?page no="178"?> 179 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten ▷ Worauf bezieht sich Ihre Frage? ▷ Aus welchem Grund fragst du das? ▷ Welcher Zusammenhang besteht zwischen deiner Frage und unserem Thema? Machen Sie deutlich: Ich kommuniziere nur auf gleicher Ebene; ich lasse mich weder verunsichern noch abwerten oder ausfragen. 4. Männer nicht in Watte packen Schwächen Sie Ihre Kritik nicht ab, wenn Sie einen Mann kritisieren. Kritisieren Sie nicht indirekt, verbinden Sie die Kritik nicht mit Komplimenten, und beziehen Sie sich nicht in die Kritik ein-- wie dies Alice Schwarzer mit folgenden Sätzen in einem Streitgespräch mit Rudolf Augstein tat: ▷ Sind Sie nicht auch einer der erfolgreichen Männer, die von der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern profitieren? (Frage und Kompliment). ▷ Unserer Auseinandersetzung hat jegliches Niveau gefehlt (Einbeziehung der eigenen Person). Wenn Frau Schwarzer der Auffassung ist, Herr Augstein profitiere von der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und habe keine Ahnung von den Ursachen und Folgen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung-- dann heißt „nicht in Watte packen“: ▷ Sie profitieren von der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. ▷ Ihnen fehlt in dieser Frage die Sachkenntnis. 5. Nicht mitlachen: Männer-Witze Es gibt Professoren und Studenten, die gerne Witze erzählen, in denen Frauen abgewertet werden. Das ist mehr als unhöflich und peinlich: Es geht dabei um Überordnung und Unterordnung: Wer darf über wen herziehen, wer darf auf wessen Kosten lachen? Verderben Sie denen, die solche Witze erzählen, den Spaß: Lachen Sie nicht mit. Sie gelten dann vielleicht als humorlos oder prüde. Aber ist das Urteil derer wichtig, die solche Witze erzählen? Sagen Sie diesen Witzbolden: Ich finde solche Witze nicht komisch, sondern diskriminierend. 5.3.4 Keine Angst vor Fragen und Kritik Ich komme auf eine der Szenen zurück, die ich zu Beginn dieses Kapitels geschildert habe: Ein Seminar über Nachhaltige Entwicklung. Student A beendet sein Referat. Die Professorin fordert zu Fragen auf. Student В meldet sich und fragt: Hältst du immer solche Referate? Richtig zuhören Student В hat eine Frage gestellt. Student A kann die Frage unterschiedlich auffassen. Er kann zum Beispiel Kritik hören: Dein Referat war ja wohl nichts! Was wir hören, liegt in unserer Verantwortung. Ein Beispiel: Mann und Frau beim Abendessen. Sie fragt ihn: Was ist denn das Grüne in der Suppe? Er antwortet: Wenn dir nicht schmeckt, was ich koche, kannst du ja essen gehen. Offenkundig hat der Mann Kritik gehört (Du kannst nicht kochen). Oder er hört die Nachricht Ich kann besser kochen als du. Der <?page no="179"?> 180 5. Wissenschaftliches Präsentieren Mann könnte die Frage auch wörtlich nehmen und antworten: Kapern. Zu den verschiedenen Aspekten einer Nachricht vergleiche ausführlicher Friedemann Schulz von Thun (2011). Zurück zum Seminar: Student В hat nicht gefragt, Hältst du immer so schlechte Referate? Deshalb gibt es keinen Grund, diese Nachricht zu hören. Als Empfehlung formuliert: Fragen, die keine expliziten Wertungen enthalten, wörtlich nehmen. Das erleichtert das Antworten erheblich. Hältst du immer solche Referate? Die Frage des Studenten ist unverständlich. Was sind solche Referate? Wenn eine Frage unverständlich ist, bittet man um Erläuterung: ▶ Was meinst du mit solche Referate? ▶ Ich verstehe nicht, was du mit solche Referate meinst. Jetzt ist Student В wieder an der Reihe. Nehmen wir an, er sagt: Na, so abstrakt. Das klingt nach Kritik. Der Satz muss aber nicht notwendig so gehört werden. Was ist mit abstrakt gemeint? Abstrakt, theoretisch oder kompliziert sind häufig unpräzise Bewertungen. Sie können zutreffen, und sie können Ausdruck mangelnder Anstrengungsbereitschaft derer sein, die diese Wertung vornehmen. Es gibt daher keinen Anlass, sich zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Student В hat sich unpräzise ausgedrückt. Die angemessene Reaktion ist deshalb eine selbstbewusste Nachfrage: Meinst du mit abstrakt die theoretische Verdichtung eines komplexen Sachverhalts? Fragen als Fragen und Bewertungen als eine Meinung hören, über die man sich auseinandersetzen kann-- diese Haltung schützt davor, eine ungünstige und anstrengende Rechtfertigungs- oder Verteidigungshaltung einzunehmen, in die Rolle der oder des Angeklagten zu schlüpfen. Ein Beispiel aus dem Ehealltag: Es ist Sonntagabend. Herr Schmidt sagt zu seiner Frau: Das ganze Wochenende hast du dich nur mit deinen Pflanzen beschäftigt. Frau Schmidt rechtfertigt sich: Ist ja überhaupt nicht wahr! Ich habe eingekauft, gekocht und Kerstin bei den Hausaufgaben geholfen! Richtig hören heißt: Der Mann übertreibt und sagt nicht, worum es ihm geht. Deshalb sollte er nicht aus der Verantwortung entlassen werden, sich präzise auszudrücken: Ja, ich habe mich mehrere Stunden mit meinen Pflanzen beschäftigt. Jetzt ist Herr Schmidt wieder an der Reihe. Ist er enttäuscht, dass seine Frau ihm nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat, soll er das sagen. Darüber lässt sich ein vernünftiges Gespräch führen. Ich übertrage dieses Beispiel: Nach einem Referat stellt mir jemand die Frage: War das nicht viel Empirie auf Kosten der Theorie? (oder umgekehrt). Ich bestätigte das, was zutrifft: Ich lege großen Wert darauf, meine Aussagen empirisch abzusichern (theoretisch zu fundieren). Kurz: Ich empfehle, der Tendenz zu widerstehen, nur mit dem „Kritik-Ohr“ zu hören und sich deshalb unnötig zu rechtfertigen. Das ist die erste Voraussetzung für einen gelassenen und souveränen Umgang mit Fragen und Kritik. Gelassen statt schlagfertig Die zweite Voraussetzung lautet: sich nicht den Zwang auferlegen, schlagfertig sein zu müssen. Man muss auf Fragen weder wie aus der Pistole geschossen antworten noch immer passend kontern. Diese Haltung hilft, gelassen zu bleiben. Gelassenheit hält den Kopf frei <?page no="180"?> 181 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten für sachliche Antworten-- mit denen man in Diskussionen Pluspunkte sammelt. Ein Schlagabtausch kann eine Diskussion spannend machen. Sympathie für die Kontrahenten weckt er in der Regel nicht. Schlagfertige Menschen haben vielleicht ehrfürchtige Gegnerinnen oder neidvolle Bewunderer-- aber wenige Freundinnen und Freunde. Wer in einer Diskussion auf Kosten anderer „Punkte macht“, bezahlt das mit der Sympathie der Unterlegenen. Wer dem Motto folgt Gelassenheit statt Schlagfertigkeit, stellt sich nicht unter Druck und kann sich Zeit nehmen für sachliche Antworten. Eine Pause signalisiert: Ich denke nach, um keine oberflächlichen Antworten zu geben. Ich stehe nicht unter Druck. Kurz: Denkpausen sind souverän. Zusätzliche Zeit zum Nachdenken kann man sich auf folgende Weise verschaffen: 1. Einen Überbrückungssatz formulieren: Lassen Sie mich kurz nachdenken, um Ihre Frage so konkret wie möglich beantworten zu können. 2. Die Antwort gliedern: Deine Frage spricht drei verschiedene Aspekte an. Ich will zunächst auf-… eingehen, dann auf-… und schließlich auf die Frage nach-… 3. Schmeicheleien: Das ist eine sehr wichtige (interessante, spannende, zentrale) Frage. 4. Eine Gegenfrage stellen: ▷ Kannst du deine Frage etwas präziser (konkreter) formulieren? ▷ Wie meinst du das? ▷ Was verstehen Sie unter Neuer Mitte? 5. Die Frage analysieren: ▷ Deine Frage enthält eine Voraussetzung (einen Gegensatz), die (den) ich nicht teile. Ich gehe aber gerne auf das angesprochene Problem ein. ▷ Wenn ich recht sehe, haben Sie drei Fragen gestellt. Ich antworte zunächst auf die aus meiner Sicht wichtigste Frage: -… 6. Zunächst Fragen sammeln und dann in der Reihenfolge antworten, die am leichtesten fällt. Bereitet eine Frage Schwierigkeiten, hat man drei Antwort-Möglichkeiten: 1. Die Frage einengen: Ich beantworte deine Frage an einem konkreten Beispiel. 2. Die Frage ausweiten: Ich ordne deine Frage in einen größeren Zusammenhang ein. 3. Schließlich kann man passen: Man kann und muss nicht alles wissen. Es ist keine Schande, eine Wissenslücke zuzugeben. Deshalb gibt es keinen Grund, sich herauszureden. Zumal Ausflüchte meist weitere Fragen provozieren, die „in die gleiche Kerbe hauen“. Nicht persönlich nehmen Es gibt Fragen, bei denen klar zu hören ist, hier geht es nicht um die Sache, das Thema, sondern diese Frage soll verunsichern-- zum Beispiel: ▶ Ist das eine ernsthafte These? ▶ Meinst du das wirklich? ▶ Sind Sie da ganz sicher? <?page no="181"?> 182 5. Wissenschaftliches Präsentieren Was tun? Unsachliche Fragen nicht persönlich nehmen. Die Fragende hat vielleicht schlecht geschlafen, oder der Fragende hat Schwierigkeiten mit kompetenten Menschen. Das sind Probleme der Fragenden. Warum sollte man sich von den Macken oder der schlechten Laune anderer Menschen abhängig machen? Diese Einsicht schont die Nerven und spart Energie; sie beugt zudem vor, unter Niveau zu reagieren und mit gleicher Münze heimzuzahlen. Wer mit dem Kaminkehrer ringt, wird schwarz-- egal, ob er oder sie gewinnt oder verliert. Das heißt mit Blick auf die drei rhetorischen Fragen: Schlicht und souverän mit Ja antworten-- und die Sympathie aller Anwesenden gewinnen. Diese Empfehlung ist nicht mit der Aufforderung verbunden, Gefühlen keine Beachtung zu schenken. Ich rate es anzusprechen, wenn unsachliche Fragen und Bewertungen in einer Diskussion nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind: Mir missfällt der Diskussionsstil. Ich habe nicht mehr den Eindruck, dass es um den Inhalt meiner Thesen geht, sondern darum, mir Unzulänglichkeiten nachzuweisen. Kritik nicht als Vorwurf formulieren: Du interessierst dich ja überhaupt nicht für meine Thesen, sondern willst mich nur… In einer emotional belastenden Situation ist es besonders schwer, schlagfertig zu reagieren-- und die richtige Antwort fällt häufig erst später ein. Die Folge: Man regt sich noch einmal auf oder schlimmer noch: Die Situation bleibt lange im Gedächtnis und nagt am Selbstwertgefühl. Deshalb ist es ratsam, das anzusprechen, was stört, um ▶ in der Situation die Denkblockade zu durchbrechen, die durch eine emotionale Beeinträchtigung entsteht, ▶ sich im Anschluss nicht vorwerfen zu müssen, ich habe mich nicht angemessen gewehrt (versagt). Ruhig Blut bei Kritik Ich werde nach einem Vortrag darauf hingewiesen, dass ich einen wichtigen neuen Aufsatz von ABC , erschienen in Journal für XYZ , nicht berücksichtigt habe. Mit diesem Versäumnis habe ich keine Schuld auf mich geladen. Wenn ich dafür kritisiert werde, bedeutet das keine Ablehnung meiner Person. Vielmehr erhalte ich eine wichtige Rückmeldung, die dazu führt, dass ich diesen Fehler nicht wiederhole. Für dieses Versäumnis rechtfertige ich mich nicht. Wegen dieses Fehlers geht die Welt nicht unter, denn ich mache schon mein ganzes Leben Fehler. Ich entschuldige mich bei einem Freund, wenn ich zu einer Verabredung zu spät komme. Und einem Freund erkläre ich, warum ich zu spät komme. Wenn ich einen Aufsatz übersehen habe, sage ich: Den habe ich übersehen (noch nicht gelesen). Oder: Gut, dass Sie mich darauf hinweisen. Das reicht. Schuld und Sühne ist ein großer Dostojewskij-Stoff. Umgang mit Kritik, die Reaktion auf Fehler, Irrtümer und Versäumnisse ist ein anderes Thema. Dieser Hinweis ist mir deshalb wichtig, weil ich auf zutreffende Kritik nicht weiter eingehe, sondern mich auf ein schwierigeres Feld begebe: unklare, versteckte, manipulative Kritik. Wenn Student X im Diplomanden-Kolloquium zur Studentin Y sagt: Ich habe den Eindruck, dass du die internationalen Aspekte deines Themas vernachlässigt hast, dann ist das eine <?page no="182"?> 183 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten unklare, manipulative Kritik: Wolf Wagner (1985: 5) nennt diese Kritik „Aspekt-Zwicke“. Sie gehört zur Kategorie der Mängel-Rügen: Andere beliebte Mängel-Rügen sind ▶ die Literatur-Schraube: Ich habe den Eindruck, dass du die neuere französische Literatur nicht berücksichtigt hast. ▶ die Differenzierungs-Spachtel: -…aber das müsste viel differenzierter angegangen werden. ▶ und die Relevanz-Klatsche: Das ist ja sehr originell, aber ich kann die Relevanz für das Thema nicht sehen. Die Mängel-Rüge beruht auf einem einfachen Trick: Es wird auf Mängel verwiesen, die nicht präzise benannt werden. Das macht es leicht, andere zu kritisieren. Auch wenn ich keine Ahnung von Nachhaltiger Entwicklung habe, kann ich anderen vorhalten, dass ▶ der internationale Aspekt stärker hätte berücksichtigt werden müssen, ▶ das Thema viel differenzierter behandelt werden müsste oder ▶ die Relevanz der Thesen (Daten, Fragestellung) für das Thema nicht deutlich wurde. Wie lässt sich souverän und gelassen reagieren? Zunächst gilt: Die Kritik nicht persönlich nehmen, sich nicht rechtfertigen und nicht mit gleicher Münze heimzahlen (Das musst du gerade sagen! Dein Referat letzte Woche hatte doch weder Hand noch Fuß! ). Dann kann man gelassen zwischen drei verschiedenen Antwort-Mustern wählen, die eine Gemeinsamkeit haben: Stets wird die eigene Leistung unterstrichen. 1. Den Einwand überhören Eine Antwort nimmt Bezug auf das, was gesagt wurde. Man hat allerdings die Wahl, auf welchen Teil einer Aussage man sich bezieht. Und man sollte, wenn es um die Diskussion des eigenen Referats geht, jede Chance nutzen, die eigene Leistung hervorzuheben. Ich habe den Eindruck, dass du die internationalen Aspekte deines Themas vernachlässigt hast. ▷ Mir war es besonders wichtig herauszustellen, dass-… ▷ Das ist ja sehr originell, aber ich kann die Relevanz für das Thema nicht sehen. ▷ Danke für das Kompliment. Ich bringe noch einmal auf den Punkt, worin meines Erachtens die Originalität meiner Arbeit besteht. 2. Nachfragen Jeder Variante der Mängel-Rüge kann mit einer Nachfrage begegnet werden. Zuvor sollte man die eigene Leistung hervorheben-- und dann die schöne Erfahrung machen, dass Bluffer ins Stottern geraten. Ich habe den Eindruck, dass du die neuere französische Literatur nicht berücksichtigt hast. ▷ Ich habe gezeigt, dass- … Welche Auffassungen finden sich dazu in der französischen Literatur? …aber das müsste viel differenzierter angegangen werden. ▷ Ich habe demonstriert, dass- … An welcher Stelle sehen Sie die Notwendigkeit einer Differenzierung? <?page no="183"?> 184 5. Wissenschaftliches Präsentieren Nachfragen ist Pflicht, wenn mit Andeutungen gearbeitet wird: Ich sehe einmal von den Schwächen Ihrer Argumentation ab und möchte zwei Fragen zu den von Ihnen präsentierten Daten stellen: -… Die Fragen nach den Daten sind zunächst uninteressant: Wer nur die Fragen beantwortet, akzeptiert die Andeutung als Fakt. Und es kann passieren, dass in der weiteren Diskussion andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf diesen Fakt verweisen und ihre Beiträge mit der Formulierung eröffnen, Auf die Schwächen der Argumentation von-… wurde ja bereits hingewiesen. Deshalb bei Andeutungen über Schwächen oder Ungereimtheiten stets umgehend fragen: ▷ Welche Schwächen? ▷ Kannst du das präzisieren? ▷ Welche Ungereimtheiten meinen Sie? Solche Nachfragen bringen alle ins Schwimmen, denen es nicht um eine sachliche Kritik geht, sondern um Einschüchterung. Hat eine Argumentation tatsächlich-- präzise zu beschreibende-- Schwächen, ist das kein Drama. Und es ist immer besser zu wissen, woran man ist, als eine Andeutung über Schwächen im Raum stehen zu lassen. 3. Aus Vorwürfen Vorzüge machen Man kann „in jeder Suppe ein Haar entdecken“. Man kann Student A kritisieren, er habe zu viel oder zu wenig Daten präsentiert. Man kann Studentin В vorhalten; sie hätte den geschichtlichen Hintergrund des Problems zu knapp oder zu ausführlich referiert. Anything goes und fast jedes Referat lässt sich verbessern. Das wissen vernünftige Menschen. Deshalb nehmen sie oft ungeprüft eine Bewertung als Kritik an. Es geht auch anders: Man hat sich Mühe gegeben, ein gutes Referat auszuarbeiten. Deshalb ist das Referat-- bis zum Beweis des Gegenteils-- gut. Sie haben mehr auf Verständlichkeit als auf Wissenschaftlichkeit geachtet. ▷ Mir ging es vor allem um den Nachweis, dass… Es freut mich, wenn meine Ausführungen verständlich waren. Du stützt dich zu sehr (oder: zu wenig) auf Zahlen. ▷ Die sorgfältige empirische Fundierung von Aussagen halte ich für unerlässlich. (Oder: Ich wollte Sie nicht mit Zahlen langweilen. Ich liefere gerne die Daten nach, die Sie noch interessieren.) Zusammengefasst: Wer richtig hört, auf sachliche Argumente statt aufs Kontern setzt und dreimal überlegt, bevor er oder sie eine Frage oder Kritik anderer persönlich nimmt, hat gute Chancen, Diskussionen gelassen und souverän zu bestreiten. 5.3.5 Diskussionen leiten An der Hochschule kann man sich nützliche Fähigkeiten aneignen. Zum Beispiel die Fähigkeit, eine Diskussion zu leiten. Als erste Übungsschritte bieten sich Diskussionen an, bei denen sich die Leitung darauf beschränkt, Wortmeldungen zu registrieren und auf die korrekte Reihenfolge der Redebeiträge zu achten. Der nächste Schritt sind Diskussionen, bei denen die Leitung eine größere Rolle spielt, die Diskussion strukturiert. Für diese Situation gebe ich <?page no="184"?> 185 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten Hinweise. Ich behandle auf den nächsten Seiten Diskussionen, die in einem eher förmlichen Rahmen stattfinden. Manche Erläuterungen gehen daher über die Anforderungen hinaus, die sich in einem Seminar stellen, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einander kennen. Drei Hinweise vorab: 1. Ich setze voraus, dass man eine Diskussion nur dann kompetent leiten kann, wenn man mit dem Thema vertraut ist, über das diskutiert werden soll. 2. Ich rate davon ab, die Diskussionsleitung zu übernehmen, wenn das eigene Referat im Mittelpunkt der Diskussion steht: Entweder überfordert man sich mit der Aufgabe, auf Fragen und Einwände einzugehen und für eine strukturierte Diskussion zu sorgen, oder man macht sich unbeliebt, weil man die Diskussion dominiert. 3. Unvorbereitet mag ein Brainstorming gelingen, eine Diskussion, in der erste Überlegungen über Probleme, Ziele oder Arbeitsweisen zusammengetragen werden sollen. Alle anderen Formen der Diskussion bedürfen der Vorbereitung. Wer die Leitung einer Diskussion übernimmt, braucht Klarheit, ▷ welches Ziel mit der Diskussion verfolgt wird, ▷ welche Fragen beziehungsweise Probleme im Mittelpunkt stehen sollen, ▷ in welcher Reihenfolge diese Fragen und Probleme besprochen werden sollen, ▷ welche Probleme und Zusammenhänge wie visualisiert werden können, ▷ wie viel Zeit für die einzelnen Themen beziehungsweise Fragen zur Verfügung steht. Diskussionen eröffnen Zur Einleitung einer Diskussion gehören die Begrüßung der Anwesenden und die Eröffnung der Diskussion. Ich empfehle, schlicht einzuleiten: Ich begrüße euch (Sie) sehr herzlich und eröffne die Diskussion. Kritik und Hinweise auf Selbstverständlichkeiten sind keine guten Eröffnungen: Ich freue mich, dass alle so pünktlich erschienen sind. Oder: Leider konnten wir wieder nicht pünktlich anfangen. Liegt eine Tagesordnung vor, folgt die Vorstellung der Tagesordnung: Welche Themen sollen in welcher Reihenfolge behandelt werden, wie lange dauert die Diskussion, wann ist eine Pause vorgesehen. Daran schließt sich die Frage an, ob es Änderungswünsche beziehungsweise Ergänzungsvorschläge gibt. Ist dies der Fall, und ist die Mehrheit für diese Änderungen beziehungsweise Ergänzungen, wird die Tagesordnung entsprechend verändert. (Gibt es keine feste Tagesordnung, sammelt die Diskussionsleitung Vorschläge zur Tagesordnung und zur Reihenfolge, in der die einzelnen Punkte behandelt werden sollen.) In der Überleitung zur eigentlichen Diskussion wird 1. kurz das (erste) Thema und das Ziel der Diskussion erläutert, 2. das Thema in Teilthemen gegliedert, 3. zu einem Teilthema hingeführt und 4. die eigentliche Diskussion mit einer Frage eröffnet. <?page no="185"?> 186 5. Wissenschaftliches Präsentieren Ein Beispiel: 1. Wir haben beim letzten Mal vereinbart, uns heute mit der Frage zu beschäftigen… Ziel unserer Diskussion ist… 2. Unser Thema hat verschiedene Aspekte: einen historischen, einen systematischen und einen aktuellen. 3. Da diese Aspekte zusammenhängen, sollten wir nicht diskutieren, mit welchem Aspekt wir anfangen, sondern gleich in die Diskussion einsteigen. Ich schlage vor, dass wir zunächst… diskutieren. 4. Meine Eingangsfrage lautet: Was-…? Die Eingangsfrage richtet sich an alle. Sie sollte kurz, verständlich und eine offene Frage sein. Offene Fragen können nicht mit ja oder nein beantwortet werden: Wie beurteilt ihr diese Feststellung? (statt: Stimmt ihr dieser Feststellung zu? ). Offene Fragen lassen unterschiedliche Antworten zu und geben den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Spielraum. Anstelle einer Frage kann die Diskussion auch mit einer These eröffnet werden, die zur Stellungnahme herausfordert. Diskussionen beenden Eine Diskussion wird in drei Schritten beendet: 1. Schlusswort Gelegenheit zu einem Schlusswort wird gewöhnlich Referentinnen oder den Teilnehmern einer Podiumsdiskussion gegeben. 2. Zusammenfassung (Beschlussfassung) ▷ Welche Ergebnisse wurden erzielt? ▷ Welche Übereinstimmungen und welche Differenzen haben sich gezeigt? ▷ Welche Fragen wurden geklärt und welche blieben offen? ▷ Welche Schlussfolgerungen können für die weitere Arbeit gezogen werden? Die Zusammenfassung sollte objektiv und sachlich sein. Das gilt besonders dann, wenn Abstimmungen folgen, wenn Beschlüsse zu fassen oder Entscheidungen zu fällen sind. 3. Abschluss Am Ende steht der- - schlichte- - Dank an alle Beteiligten: Ich beende die Diskussion. Vielen Dank für eure rege Beteiligung. Auf Wiedersehen (gute Heimfahrt, vergnügtes Wochenende). Diskussionen in Gang halten Für eine lebhafte und strukturierte Diskussion zu sorgen, ist weitaus schwieriger als die Eröffnung oder der Abschluss einer Diskussion. Auf fünf Anforderungen gehe ich ein. 1. Die Diskussion überschaubar machen: Die Beteiligten können einer Diskussion dann am besten folgen, wenn durch Zwischenzusammenfassungen deutlich gemacht wird, <?page no="186"?> 187 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten ▷ in welchen Punkten Übereinstimmung besteht, ▷ wo Differenzen liegen, ▷ welche Fragen geklärt und welche noch offen sind. 2. Ziel und Thema im Auge behalten: In engagiert geführten Diskussionen werden manchmal wesentliche Gesichtspunkte vergessen, oder das Diskussionsziel gerät aus dem Blick. Die Diskussionsleitung hat in einer solchen Situation die Aufgabe, ▷ an die Themenbeziehungsweise Zielstellung der Diskussion zu erinnern, ▷ zum Thema zurückzuführen, ▷ Fragen auszuklammern, die in der Diskussion nicht geklärt werden können, ▷ die Diskussion zwischen „Eingeweihten“ zu verhindern, die über die Köpfe der übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinwegreden. 3. Hilfestellungen geben: Alle sollten die Chance haben, sich gleichberechtigt an der Diskussion zu beteiligen. Das heißt zum einen: niemanden zu bevorzugen. Bevorzugung kann sehr subtil erfolgen. Aus der Unterrichtsforschung ist bekannt, dass man den Status von Mitgliedern einer Lerngruppe ermitteln kann, indem man beobachtet, wie häufig sie von anderen angeschaut werden. Deshalb: alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Diskussion anschauen. Das kann zum anderen bedeuten: Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zurückhaltend sind oder denen die Erfahrung mit Diskussionsrunden fehlt, durch Ermunterung und Formulierungshilfen zu unterstützen. Ermunterung: Wenn man den Eindruck hat, jemand möchte etwas sagen, zögert aber, sollte man die oder den Betreffenden ermuntern: ▷ Petra, du wolltest etwas sagen? ▷ Jens, hatten Sie sich gemeldet? Unangemessen sind direkte Aufforderungen: Torsten, jetzt sag doch mal etwas. Frau Kock, von Ihnen habe ich noch gar nichts gehört. Formulierungshilfen: Eine Diskussionsleiterin sollte helfen, wenn eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer nach einem treffenden Begriff sucht, wenn ihr oder ihm ein Satz verunglückt. Ein Diskussionsleiter sollte eine Interpretation anbieten, wenn nicht deutlich wurde, was die betreffende Person meint: Wenn ich dich richtig verstanden haben, bist du der Meinung, dass… Ein stiller Teilnehmer kann müde, eine schweigsame Teilnehmerin kann bedrückt sein. Und es gibt noch mehr gute Gründe, sich nicht an einer Diskussion zu beteiligen. Deshalb sollte eine Diskussionsleiterin zurückhaltend sein mit ▷ Typisierungen (der Schüchterne, die Schweigerin), ▷ Aufforderungen (Willst du nicht auch was sagen? ) oder ▷ wertenden Fragen (Langweilen Sie sich? ) 4. Stockungen überwinden: Gerät eine Diskussion ins Stocken, sollte der Diskussionsleiter ▷ die Themenbeziehungsweise Problemstellung noch einmal kurz erläutern, ▷ den Stand der Diskussion bilanzieren, ▷ fragen, was an einer weiteren Beteiligung hindert, ▷ durch Fragen die Diskussion wieder in Gang bringen. Hilfreich sind: offene, provokative und Informationsfragen. Nicht zweckdienlich sind banale Fragen (Wer gewann gestern die Landtagswahlen? ) und Suggestivfragen (Da wir <?page no="187"?> 188 5. Wissenschaftliches Präsentieren gerade beim Thema ‚Gefahren für die Demokratie‘ sind, was halten Sie von der Politik der CDU / CSU ? ). Vorsicht ist geboten bei gezielten Fragen, die viele unangenehm an die Schule erinnern (Was ist unter ‚Primärsozialisation‘ zu verstehen? ). 5. Für einen fairen Diskussionsstil sorgen: Die Diskussionsleiterin hat nicht die Aufgabe, Beiträge zu beurteilen beziehungsweise zu bewerten. Es ist die Aufgabe des Diskussionsleiters, Unterstellungen oder persönliche Angriffe zurückzuweisen: Bitte unterlassen Sie persönliche Angriffe. Um eine faire Diskussion zu gewährleisten, ist es auch gestattet, unsachliche Teilnehmerinnen oder Teilnehmer zu unterbrechen: Bitte bleib' sachlich und vermeide Unterstellungen. 5.3.6 Zusammenfassung Diese Lerneinheit verknüpft den universitären Kontext der Seminare mit den (späteren) beruflichen Anforderungen und sieht die Universität als perfekten Lernort für wichtige Fähigkeiten und Kompetenzen. So können Grundlagen erworben werden, die es im Beruf leichter machen im Team zu arbeiten und wichtige Gesprächsbeziehungsweise Diskussionsbeiträge angemessen anzubringen und ihnen Gehör zu verschaffen. In dieser Lerneinheit haben Sie: ▶ anhand anschaulicher Beispiele nachvollzogen, wie verschiedene Schwierigkeiten in einer Diskussion gemeistert werden können; ▶ konkrete Formulierungshilfen und Raster kennen gelernt, mit denen Sie in Ihrem Unterricht arbeiten können; ▶ den Umgang mit Störfaktoren kritisch reflektiert; ▶ den kompletten Ablauf einer Diskussion und dazugehörenden Optimierungsmöglichkeiten verfolgt. 5.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Warum empfehlen die Autoren beim Strukturieren eines Diskussionsbeitrages sich gedanklich erst mit dem Ziel zu beschäftigen, Belege und Begründungen anzufügen und sich erst am Ende zu fragen, wie an die bisherige Diskussion angeknüpft werden kann? 2. Was versteht man unter der Inhalts- und der Beziehungsdimension einer Kommunikation? 3. Wie reagieren Sie, wenn Sie nach einer von Ihnen gehaltenen Präsentation über die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses die Rückmeldung bekommen: Das war sehr theoretisch? 4. Nennen Sie Strategien, die in einer emotionsgeladenen Situation helfen mit Kritik souverän umzugehen. <?page no="188"?> 189 5.3 Diskussionen bestreiten und leiten 6. Datenanalyse in der Forschung Eine der Grundfragen der Erforschung von Sprache und Spracherwerb ist die nach dem Zugang zu möglichst authentischen Datenquellen. Da verschriftlichte Sprachdaten eine längere Planungs- und Bearbeitungszeit voraussetzen, sind sie zwar für Forscherinnen und Forscher leichter verfügbar, aber nicht unbedingt auch verlässlicher. Die Spracherwerbsforschung und große Bereiche der Linguistik sind nämlich vor allem an möglichst authentischen, unverstellten und unkorrigierten Sprachdaten interessiert. Es geht um die Sprache in ihrem natürlichen Umfeld, um Sprachvariation, um situativen Sprachgebrauch, um natürliche Sequenzen und um Kommunikationsabläufe. Wenn man wissen will, wie das Volk redet, dann müsse man ihm aufs Maul schauen, hat Martin Luther einmal gesagt. Das gilt vor allem auch dann, wenn die Schreibkompetenzen der Menschen gering oder gar nicht ausgeprägt sind. Dann sagt eine schriftliche Kodierung von Sprache wenig über die sprachlichen Kompetenzen der Betroffenen aus. Daher arbeiten Linguistik und Spracherwerbsforschung seit langem primär mit mündlichen Aufzeichnungen von Sprache. Diese sind schwer zu erstellen, weil natürliche Sprache nur mit bestimmten Geräten aufgezeichnet werden kann, die ihrerseits aber die Natürlichkeit der Kommunikation beeinträchtigen können. Sie kennen das sicher aus Situationen, in denen jemand von Ihnen oder anderen verlangt „Sag doch mal was…“ Dann fällt einem gar nichts ein oder man produziert etwas, was man vielleicht gar nicht sagen wollte. Hat man aber Aufzeichnungen erstellt (elizitiert), dann ist die nächste Frage, wie man diese am besten in eine Form bringt, mit der es sich arbeiten lässt, denn mündliche Sprache ist flüchtig und lässt sich kaum „online“, also während des Sprechens, analysieren. In der Linguistik wurden daher unterschiedliche Verfahren entwickelt, die sich für verschiedene Zwecke anwenden lassen und für die es unterschiedliche Instrumente gibt. Nicht jedes Verfahren ist für jedes Untersuchungsinteresse und jede Forschungsfrage gleichermaßen geeignet. Geht es um phonetische Fragen, dann benötigt man natürlich auch ein entsprechend genaues Analyseinstrument, mit dem sich phonetische Merkmale, Pausenstrukturen, Intonationskonturen u. a. darstellen lassen. Geht es dagegen um eine Untersuchung der Syntax, dann genügt vielleicht sogar eine leicht modifizierte orthographische Transkriptionsweise. Die erste Lerneinheit widmet sich Aspekten der quantitativen empirischen Forschung und skizziert damit die Spannbreite methodischer Ansätze in der Fremdsprachenerwerbsforschung. Die zweite und dritte Lerneinheit beschäftigen sich mit der Frage, wie man die dermaßen aufbereiteten Daten dann auch verlässlich (also valide, reliabel und objektiv) auswerten kann. Es werden qualitative und quantitative empirische Methoden präsentiert und diverse statistische Verfahren erläutert und an Beispielen illustriert: deskriptive und prüfstatistische. Der Einsatz von Skalen bei der Datenerhebung (zum Beispiel in Fragebögen) wird ebenso besprochen wie die Ermittlung von Signifikanzen bei der Datenauswertung. Schließlich geht es auch darum darzustellen, wie man empirisch ermittelte Ergebnisse effizient präsentiert. <?page no="189"?> 190 6. Datenanalyse in der Forschung 6.1 Methoden der Sprachlehrforschung Ruth Albert Diese Lerneinheit handelt von empirischen Untersuchungen, wie sie in der Sprachlehrforschung vorkommen. Sie erhalten einen Überblick darüber, was empirisches Arbeiten bedeutet, welche Verfahren es gibt und erste Hinweise darauf, wie man die Qualität von empirischen Arbeiten beurteilen kann. Außerdem können Sie für einige Beispiele selbst ausprobieren, wie Sie in einer empirischen Untersuchung vorgehen würden. Die Lerneinheit besteht aus folgenden Teilen: Definition, Gütekriterien, einzelne empirische Verfahren: Beobachtung, Befragung, Experiment. Dies wird ergänzt durch Hinweise zum Arbeiten mit Textkorpora. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die Qualität empirischer Arbeiten anhand von Gütekriterien beurteilen können; ▶ die wichtigsten Verfahren des empirischen Arbeitens in der Sprachlehrforschung kennen und anwenden können. 6.1.1 Was bedeutet empirisches Arbeiten? Nicht alle Fragen, die sich Sprachlehrforschende oder Linguisten und Linguistinnen stellen, sind nur mit empirischer Forschung zu beantworten. Angenommen, Sie würden wissen wollen, ob im Deutschen das prädikative Adjektiv-- wie etwa in den romanischen Sprachen, vergleichen Sie die Beispiele in (1)-- flektiert wird, so können Sie sich sicher auf Ihr eigenes Sprachvermögen als kompetenter Sprecher des Deutschen verlassen. Sie betrachten also ein paar Sätze mit prädikativen Adjektiven wie in (2). (1) Ce lecteur est intelligent / Cette lectrice est intelligente / Nos lecteurs sont intelligents. (2) Dieser Leser ist klug / Diese Leserin ist klug (*kluge)/ Unsere Leser sind klug (*kluge). Dabei können Sie feststellen, dass hier das Adjektiv nicht flektiert wird. Vorsichtshalber überprüfen Sie noch, ob klug denn überhaupt flektierbar ist (manche Adjektive wie lila zum Beispiel, werden ja von vielen Sprechern des Deutschen nicht flektiert). Aber da es für Sie eindeutig die kluge Leserin und die klugen Leser heißt und es keinerlei Anlass für die Annahme gibt, dass sich das bei irgendeinem kompetenten Sprecher des Deutschen anders verhält, ist die Frage beantwortet, ohne dass man eine repräsentative Auswahl von Sprechern des Deutschen hätte befragen oder endlose Textkorpora durchsuchen müssen. Leider sind aber nicht alle Fragen in der Sprachanalyse und in der Sprachlehrforschung so einfach durch Introspektion zu lösen. In diesen Fällen wendet man empirische Verfahren an. Damit ist gemeint, dass man eine systematisch zu erfassende Erfahrung zur Grundlage <?page no="190"?> 191 6.1 Methoden der Sprachlehrforschung macht, um die zu untersuchende Fragestellung zu lösen. Im weiteren Verlauf dieser Lerneinheit werden drei unterschiedliche Verfahren genauer erläutert: Beobachtung, Befragung und Experiment. Vorerst sollen jedoch die Gütekriterien als Grundlage jeglichen empirischen Arbeitens betrachtet werden. Gütekriterien für empirische Untersuchungen Von einer empirischen Untersuchung erwartet man vor allem drei Dinge: ▶ Reliabilität, das heißt Zuverlässigkeit oder Verlässlichkeit. ▶ Validität, das heißt, dass sie misst, was sie messen soll. ▶ Objektivität, das heißt, dass sie unabhängig von der Person, die die Untersuchung durchführt, auswertet oder interpretiert, stets dasselbe Ergebnis liefert. Darüber hinaus muss eine Untersuchung einen angemessenen Geltungsbereich haben, das heißt, dass sie über mehr als nur die konkret untersuchten Personen oder Situationen Aufschluss gibt. Dies klingt nach Selbstverständlichkeiten, ist jedoch im konkreten Einzelfall nicht immer leicht zu erreichen. Bei der Zuverlässigkeit oder Verlässlichkeit (Reliabilität) geht es darum sicherzustellen, dass das Ergebnis der Untersuchung bei Gleichheit aller relevanten Bedingungen immer gleich ist. Wenn ich die Länge meines Tisches mehrmals mit geeichten Zollstöcken oder Bandmaßen messe, sollte immer dieselbe Länge dabei herauskommen, und das unabhängig davon, ob ich morgens, abends oder nachts messe oder ob ich selbst messe oder eine andere Person mit denselben Instrumenten misst. Wenn ich jedoch mit einem Gummiband messe, dessen Länge ich hinterher durch Halten an ein Lineal ermitteln will, dann ist dieses Messverfahren unzuverlässig und ich kann bei verschiedenen Messungen verschiedene Ergebnisse erhalten. Die fehlende Verlässlichkeit eines Messverfahrens ist in der Linguistik und Sprachlehrforschung nicht ganz so offensichtlich, aber auch hier kann sich eine Untersuchung als nicht zuverlässig erweisen, weil bei dem Versuch, sie zu wiederholen, nicht dasselbe Ergebnis erzielt wird. Wenn ein Experiment bei einer Wiederholung nicht dasselbe Ergebnis hat, dann könnte es sein, dass der Zufall die Ursache für eins der erzielten Ergebnisse war, und deshalb besteht man auf der Wiederholbarkeit von Experimenten. Es kann auch sein, dass ein Untersuchungsergebnis zwar perfekt wiederholbar ist, aber dass die Untersuchung gar nichts über das aussagt, worüber sie etwas aussagen will, also keine Validität hat. Dieses Phänomen ist das Thema vieler Scherze, sogar ein humorvoller Erfinder eines Intelligenztests soll gesagt haben: Intelligenz ist das, was meine Tests messen. Auch bei linguistischen Untersuchungen kann es durchaus sein, dass man etwas anderes erforscht als das, was man erforschen will. Das kann zum Beispiel bei ungeschickt gemachten Befragungen passieren. Die Situation, bei vorgelegten Sätzen ein Urteil über die grammatische Richtigkeit abzugeben, ist für die befragten Personen recht ungewöhnlich. Es kann gut sein, dass die Sätze nach inhaltlichen Kriterien oder der Gebräuchlichkeit der verwendeten Wörter als gut oder schlecht beurteilt werden, und somit wird etwas ganz anderes gemessen, als das, was <?page no="191"?> 192 6. Datenanalyse in der Forschung man messen wollte. Generell ist es wichtig für die Planung einer Untersuchung, dass man sich überlegt, welche Ergebnisse möglich sind und ob sie geeignet sind, die Untersuchungsfrage zu beantworten. Auch kann man seine Daten so ungeschickt wählen, dass ein Faktor mit hereinspielt, der dafür sorgt, dass man etwas anderes misst, als man messen wollte. Gerade wenn man die Leistung von Sprachlernern beurteilen will, ist die Objektivität nicht immer einfach zu erreichen. Einzelne Beurteiler oder Beurteilerinnen sowie Sprachlehrpersonen werden zum Beispiel frei geschriebene Lernertexte unterschiedlich beurteilen. Dies kann man bis zu einem gewissen Grad reduzieren, wenn man sehr genaue Vorschriften für die Beurteilung macht. Trotzdem könnten noch Unterschiede zwischen den Ergebnissen mehrerer Beurteiler und Beurteilerinnen entstehen. Je stärker der Test für die Lerner standardisiert ist, umso größer ist die Objektivität, also zum Beispiel ein Test, bei dem es immer nur eine richtige Antwortmöglichkeit gibt, wäre objektiver als ein Prüfungsgespräch über ein Thema oder ein frei geschriebener Text. Wenn man eine empirische Untersuchung durchführt, muss außerdem das untersuchte Material so gut ausgewählt und so umfangreich sein, dass das gefundene Ergebnis für den Bereich gilt, über den man etwas aussagen will (Geltungsbereich). Begreiflicherweise wird sich niemand für eine Feststellung wie beispielsweise Die  Personen, die meinen Vokabeltest mitgemacht haben, hatten die besten Ergebnisse mit dem Lernen anhand von Mindmaps interessieren. Man möchte also seine Untersuchung so anlegen, dass man einen größeren Geltungsbereich abdeckt als die wenigen Personen, die tatsächlich an der Untersuchung teilgenommen haben. Von einer empirischen Untersuchung erwartet man normalerweise, dass sie eine Hypothese prüft. Daneben gibt es-- meist vorbereitende-- Arbeiten, die dazu dienen, dass man Hypothesen bilden kann, sogenannte explorative Studien. Für eine Hypothese, die man empirisch überprüfen kann, gelten gewisse Bedingungen: ▶ Es muss eine Aussage sein, nicht eine Frage. ▶ Sie muss durch die Datenerhebung in der Realität falsifizierbar sein. ▶ Alle Begriffe in der Aussage müssen eindeutig definiert und operationalisierbar sein. Für die Untersuchung müssen sie eindeutig operationalisiert werden. Dann müssen Sie sich überlegen, wie Sie sich die Möglichkeiten der Falsifizierung Ihrer Hypothese vorstellen. Angenommen, Sie stellen die Hypothese auf: Mädchen sprechen früher drei unterschiedliche Wörter als Jungen, dann könnte die genaue Formulierung sein: Wenn ein Kind ein Mädchen ist, dann spricht es früher drei unterschiedliche Wörter als jeder Junge. Ihre Hypothese wäre also schon falsifiziert, sobald Sie einen einzigen Jungen finden, der früher drei Wörter benutzt als das langsamste Mädchen der untersuchten Gruppe. Das ist aber wohl gar nicht gemeint, Sie möchten wissen, ob bei ansonsten gleichen Bedingungen die Mädchen der untersuchten Gruppe im Durchschnitt früher drei Wörter benutzen als die Jungen der untersuchten Gruppe. Die genaue Formulierung wäre also Im Durchschnitt liegt das Alter, in dem Mädchen ihr drittes Wort zum ersten Mal benutzen, vor dem Durchschnittsalter, in dem Jungen ihr drittes Wort zum ersten Mal benutzen. Diese Hypothese wäre falsifiziert, wenn sich herausstellt, dass es nicht so ist, dass die beobachteten Mädchen in statistisch signifikanter Weise früher drei Wörter sprechen als die beobachteten Jungen. <?page no="192"?> 193 6.1 Methoden der Sprachlehrforschung Methoden des empirischen Arbeitens Die Beobachtung Wenn wir etwas über Sprachverhalten oder Kommunikationsverhalten erfahren wollen, dann ist es ein naheliegender Gedanke, dass wir dieses Verhalten einfach dort untersuchen, wo es natürlicherweise stattfindet. Das würde heißen, wir nehmen an der Kommunikationssituation teil, über die wir Aufschluss haben wollen, oder wir bringen ein Aufzeichnungsgerät an den Ort, an dem das Geschehen stattfindet. Die beobachteten Daten in einer sinnvollen Form zu dokumentieren, zu klassifizieren und auszuwerten, ist sehr zeitaufwändig. Deshalb greift man meist nur dann zum Verfahren der Beobachtung, wenn Verfahren wie Befragung oder Experiment nicht in Frage kommen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die zu befragenden Personen durch eine direkte Frage nach ihrem Verhalten bereits beeinflusst würden oder wenn das zu untersuchende Phänomen nur im realen situativen Kontext vorkommt und nicht simulierbar ist. Bei der Beobachtung steht man generell vor einem Problem. Wir möchten das zu untersuchende Verhalten so beobachten, wie es stattfinden würde, wenn es nicht beobachtet werden würde (Beobachterparadox). Das ist aber nicht einfach, denn im Normalfall ändert sich das Verhalten, wenn es beobachtet wird. Die Veränderungen, die sich unter der Beobachtung ergeben, nennt man Beobachtereffekte. Es gibt verschiedene Tricks, um diese so gering wie möglich zu halten. Eine naheliegende Überlegung ist, die beobachtete Person nicht merken zu lassen, dass man sie beobachtet (verdeckte Beobachtung). Dies schafft aber moralische und legale Probleme. Privatpersonen in nicht öffentlichen Situationen ohne ihr Einverständnis auf Ton- oder Videoband oder Ähnliches aufzunehmen, ist nicht erlaubt. Und öffentliche Situationen lassen nur eingeschränkt Rückschlüsse auf das tatsächliche Verhalten in nicht öffentlichen Situationen zu, weil immer auch für das Publikum agiert wird. Übrigens sollte man, wenn man verdeckte Aufnahmen versucht, auch selbst am beobachteten Geschehen nur so wenig wie möglich teilnehmen, denn auch die beobachtende Forscherin beziehungsweise der beobachtende Forscher wird es nicht schaffen, sich so zu verhalten, als fände keine Aufzeichnung der Kommunikationssituation statt, wenn er oder sie das Gegenteil weiß. Die offene Beobachtung ist moralisch und legal weniger angreifbar, aber sehr anfällig für die erwähnten Beobachtereffekte. Eine Methode, um diese Effekte zu minimieren, ist, die wirklich auszuwertenden Beobachtungen erst nach einer Eingewöhnungsphase zu machen. Die fünfte Begegnung mit dem Videoteam im Unterricht ist nicht mehr so aufregend wie die erste, und allmählich stellt sich wieder das alltägliche Verhalten ein. Eine andere Möglichkeit, die Effekte auf das zu untersuchende sprachliche Verhalten möglichst gering zu halten, ist, einen anderen als den tatsächlichen Zweck der Untersuchung als Beobachtungsgrund anzugeben. Wenn man zum Beispiel untersuchen will, welche sprachlichen Interferenzen mehrsprachige Personen produzieren, kann man sie fragen, wie sie sich zwischen den Kulturen fühlen. Oder wenn man wissen will, wie Lehrpersonen Fehler korrigieren, kann man sagen, es gehe darum, Schülerantworten zu analysieren. Auch hier ist natürlich eine nachträgliche Aufklärung nötig mit einer Erklärung des Forschungsziels und der Bitte, das Material verwerten zu dürfen. <?page no="193"?> 194 6. Datenanalyse in der Forschung Dokumentation der Beobachtungsdaten Die reale Situation enthält weit mehr Informationen, als für die Untersuchung gebraucht werden. Dokumentiert werden sollte nur das, was Anlass zu Interpretationen in Bezug auf die Untersuchungsfrage geben könnte. Es geht darum, dass der oder die Forschende die Leser und Leserinnen in die Lage versetzen muss, die beobachtete Situation so gut zu verstehen, dass alle Interpretationen der Forscherin beziehungsweise des Forschers begreiflich werden, aber auch, dass alle Daten so gut dokumentiert sind, dass auch die Daten zugänglich sind, die zu abweichenden Interpretationen Anlass geben könnten. Die Beobachtung ohne Aufzeichnung auf Ton- oder Videoband, nur mit einem Beobachtungsbogen, ist erheblich weniger störend als das Anfertigen von Aufnahmen. Sie ist jedoch in der Sprachlehrforschung weniger verbreitet als die Dokumentation auf Band und anschließende Verschriftlichung des Beobachteten, das sogenannte Transkribieren. Das Problem des Findens von sinnvollen Beobachtungskategorien und des Klassifizierens von Beobachtungsdaten bleibt aber auch bestehen, wenn man die Daten aufnimmt und transkribiert. Nur ist dann noch etwas zu retten, wenn sich herausstellt, dass die Beobachtungskategorien nicht sinnvoll gewählt sind, und die Klassifizierung muss dann nicht in Echtzeit gelingen, sondern man hat reichlich Zeit dazu. Das ist natürlich ein großer Vorteil. Für die Überprüfbarkeit der Ergebnisse ist es wichtig, die benutzten Klassifizierungskriterien offen zu legen, denn nur so kann ein Leser oder eine Leserin herausfinden, ob er oder sie vielleicht zu anderen Klassifikationen gekommen wäre. Die Befragung Die einfachste Art der Datenerhebung ist die Befragung. Der Aufwand ist erheblich geringer als bei der Beobachtung und beim Experiment. Trotzdem gibt es bei der Befragung verschiedene Dinge zu beachten, wenn man verlässliche Ergebnisse haben will. Im Folgenden sollen zwei in der Linguistik und Sprachlehrforschung häufig vorkommende Arten von Befragungen besprochen werden-- weitere Befragungsverfahren mit ihren Vor- und Nachteilen werden in Albert & Marx (201: 1-80) diskutiert. a) Fragebogen-Befragungen zur Beurteilung der Akzeptanz von Unterrichtsverfahren b) Befragungen zum Elizitieren bestimmter Sprachmerkmale (zum Beispiel von Fehlern) Jede Befragung ist eine Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen; auf das Antwortverhalten wirkt sowohl der situative Kontext der Kommunikationssituation ein als auch die gegenseitigen Erwartungen zwischen dem oder der Fragenden und dem Befragtem oder der Befragten. Dadurch entstehen Beeinflussungen des Ergebnisses, sogenannte Interviewereffekte. Diese Effekte können durchaus auch bei schriftlichen Befragungen vorkommen. a) Fragebogen-Befragungen Befragungen werden in der Sprachlehrforschung am häufigsten zur Ermittlung von Präferenzen beim unterrichtlichen Vorgehen durchgeführt. Wenn man sich nicht ausschließlich auf <?page no="194"?> 195 6.1 Methoden der Sprachlehrforschung sein eigenes Urteil stützen will, dann ist es sinnvoll, eine gut ausgewählte Gruppe kompetenter Sprecher zu befragen. Das einfachste Verfahren dazu ist die Befragung mit einem Fragebogen. Vorteile eines Fragebogens sind: ▷ Die Befragten haben die Fragen genau vor Augen. ▷ Die Art der Fragestellung ist bei allen Befragten gleich. ▷ Die Art der Befragung ist gut dokumentiert. ▷ Wegen des im Vergleich zur Face-to-face-Befragung geringen Aufwandes kann man mehr Personen in derselben Zeit befragen. ▷ Außerdem ist es durch die gute Dokumentation leicht möglich, dass andere Forschende mit dem veröffentlichten Fragebogen arbeiten und mögliche Fehler entdecken können. Das ermöglicht Kritik und auch verbesserte Versionen der Befragung. Natürlich gibt es auch einige Nachteile, vor allem, wenn der oder die Forschende nicht anwesend ist, wenn der Fragebogen ausgefüllt wird. Dann ist nämlich nicht sicher, ob überhaupt die Person den Fragebogen ausgefüllt hat, die man befragen wollte, und auch nicht, ob sie ihn allein ausgefüllt hat. Ein weiteres Problem ist, dass man nicht immer alle Fragebögen zurückbekommt. Dadurch entsteht das, was man eine Selbstselektion der Stichprobe nennt. Vor allem diejenigen, die sich besonders für das Thema interessieren, schicken den Fragebogen zurück. Das sind bei Meinungsumfragen beispielsweise meist die besonders Begeisterten und die besonders Unzufriedenen. Der Fragebogen selbst ist auch eine mögliche Fehlerquelle. Es ist ganz wichtig, dass die erwarteten Antworten nicht aus der Anordnung oder Formulierung der Fragen zu ersehen sind. Die befragten Personen haben nämlich normalerweise kein besonderes Interesse an der zu untersuchenden Fragestellung, und so sind sie geneigt, den Forschern und Forscherinnen ihre Meinung zu bestätigen, wenn sie recht einfach aus dem Fragebogen zu ersehen ist. Durch die Anordnung der Fragen kann also ein Interviewereffekt hervorgerufen werden. In vielen Befragungssituationen empfiehlt es sich, die eigentliche Untersuchungsfragestellung nicht zu nennen. Das ist besonders dann der Fall, wenn man davon ausgehen muss, dass die Befragten eine Vorstellung davon haben, was das „richtige Verhalten“ (beim Lehren oder beim Lernen) sei. Man kann ein anderes Untersuchungsziel nennen und der Fragebogen kann Ablenkungsfragen (Distraktoren) enthalten, die auf eine falsche Fährte lenken, gerade unter den ersten Fragen. Wichtig für das Gelingen der Fragebogen-Befragung ist natürlich auch, welche Antwortmöglichkeiten für die Akzeptanz der untersuchten Sätze man vorgibt. Man könnte Antwortmöglichkeiten vorformulieren und ankreuzen lassen, also zum Beispiel völlig richtig-- okay-- so là là- - schlecht- - völlig unmöglich. Weil aber zwischen verbalisierten Abstufungen der Antwortmöglichkeiten keine völlig gleichen Abstände zu erreichen sind und somit die spätere statistische Auswertung erschwert wird, gibt man meist nur eine Formulierung für die Extremwerte und dazwischen anzukreuzende Zahlen, üblicherweise  oder , also zum Beispiel: völlig richtig----------------völlig unmöglich. <?page no="195"?> 196 6. Datenanalyse in der Forschung Der Grund, weshalb man eine ungerade Zahl von Antwortmöglichkeiten bevorzugt, ist, dass man den Befragten so eine mittlere Kategorie gibt, für den Fall, dass sie sich nicht entscheiden können. Wenn man sie zu einer Entscheidung zwingen will, ob sie eine Aussage eher gut oder eher schlecht finden, dann nimmt man eine gerade Zahlenmenge, also  oder . Dadurch haben sie keine mittlere Kategorie, auf die sie ausweichen können. Fragen, bei denen man die Antwortmöglichkeiten vorgibt, nennt man geschlossene Fragen. Die Befragten haben dann nur die Möglichkeit, sich für eine der vorgegebenen Antworten zu entscheiden. Wenn man sie ihre Antwort selbst formulieren lässt, sind es sogenannte offene Fragen. Solche Fragen sind oft nötig, um Sprachmaterial zu elizitieren. b) Interviews zum Elizitieren von sprachlichen Phänomenen Eine andere in der Linguistik häufig verwendete Technik sind persönliche Befragungen, bei denen im Unterschied zu sonstigen Interviews nicht der Inhalt, sondern die sprachliche Form der Antwort interessiert. Mit Elizitieren ist gemeint, dass man eine Person in eine Situation versetzt, in der sie mit genau der erwünschten sprachlichen Äußerung reagieren sollte, ein Herauslocken einer bestimmten sprachlichen Reaktion. Die Interviewfragen dienen also dazu, günstige Kontexte für die Verwendung des sprachlichen Phänomens, das man untersuchen möchte, zu schaffen. Dies kann durchaus auch vorkommen, wenn man untersuchen will, ob die Lerner ein bestimmtes im Unterricht vermitteltes Phänomen in der freien Rede anwenden können. In jeder Interviewsituation sollte man sich an generelle Regeln für Interviewer und Interviewerinnen zu halten. Das bedeutet höflich und interessiert zu wirken und darauf zu achten, nichts selektiv zu verstärken, auch nicht die gewünschte sprachliche Form-- wer weiß, ob es nicht doch einen Einfluss auf das sprachliche Verhalten haben könnte! Selektives Verstärken ist eine der Hauptursachen, weswegen-- völlig unbeabsichtigt von gutwilligen Befragenden-- Interviewereffekte erzeugt werden. Gemeint ist damit das Folgende: Während die befragte Person von Dingen spricht, die der Interviewer oder die Interviewerin erwartet oder die zu ihrer Hypothese passen, geschieht es leicht, dass er oder sie mehr nickt und mehr Hörersignale (hm, hmhm etc.) gibt als bei Passagen, die ihr oder ihm uninteressant erscheinen. Deshalb muss man sich als Interviewer beziehungsweise Interviewerin sehr unter Kontrolle halten, gleichmäßig Interesse zu signalisieren, was auch immer gesagt wird und-- besonders wichtig bei der Elizitierung sprachlicher Phänomene- - in welcher Form es gesagt wird. Natürlich kommen Interviewer-Effekte noch viel stärker beim Erfragen von Meinungen vor, also ist dabei noch viel mehr Vorsicht geboten. Das Experiment Experimentelle Forschung unternimmt man, wenn man den Einfluss eines Phänomens auf ein anderes untersuchen will. Dazu manipuliert man eine Variable und betrachtet, ob eine Änderung bei dieser Variablen (der unabhängigen Variable) eine Änderung bei der anderen (der abhängigen Variable) bewirkt. <?page no="196"?> 197 6.1 Methoden der Sprachlehrforschung Für die beiden Variablen müssen wir Messverfahren entwickeln, das heißt wir müssen unsere Untersuchungsfrage operationalisieren. Angenommen, wir wollen überprüfen, ob der Genuss von alkoholischen Getränken die Ausspracheleistung im Englischen als Fremdsprache beeinflusst, dann wäre unsere unabhängige Variable zum Beispiel die Anzahl von Gläsern Wein, die unsere Versuchsteilnehmer getrunken haben. Unsere abhängige Variable wären Noten, die die Probanden von Muttersprachlern des Englischen für ihre Aussprache bekommen. Das heißt, wir hätten eine Operationalisierung gefunden, nach der man die Variable Genuss von alkoholischen Getränken anhand der Anzahl von (gleich großen) Gläsern Wein (derselben Sorte) misst und die Variable Ausspracheleistung im Englischen als Fremdsprache in Form einer von Muttersprachlern erteilten Benotung auf einer Skala von 1 (hervorragend) bis  (nicht mehr verständlich). Natürlich wäre die Messung des Blutalkoholgehalts erheblich genauer als Operationalisierung, aber der Aufwand und die Belastung der Versuchsteilnehmer wären erheblich größer. Wir manipulieren die erste Variable, das heißt wir führen die entsprechenden Zustände herbei. Die-- nüchtern angekommenen-- Versuchsteilnehmer lesen zunächst mit 0 Gläsern Wein einen kurzen englischen Text vor, dann mit einem Glas Wein, dann mit 2 Gläsern Wein, dann mit 3 Gläsern Wein und so weiter. Wir haben also wiederholte Messungen bei jeweils denselben Personen. Jedes Mal wird die Ausspracheleistung den Muttersprachlern und Muttersprachlerinnen vom Band vorgespielt, wobei die Beurteilenden natürlich nicht wissen, wie viele Gläser Wein vor der entsprechenden Aufnahme getrunken wurden. Für beide Variablen haben wir bei jedem Versuchsteilnehmer dasselbe Messverfahren angewandt. Sie können sich das Ergebnis eines solchen Experiments sicher gut vorstellen. Nach einem Glas wird die Aussprache bei den meisten durch den Abbau von Hemmungen besser, bei einigen auch noch nach dem zweiten, danach wird die Aussprache mit steigendem Alkoholkonsum jedoch kontinuierlich schlechter, und sollten wir es mit dem Verabreichen von Wein zu weit getrieben haben, wird die Aussprache am Ende kaum noch verständlich sein. Wir hätten hier also einen Fall, in dem eindeutig von uns verursachte Änderungen (Manipulationen) bei der unabhängigen Variablen Änderungen bei der anderen, abhängigen Variable bewirken. Dieser Einfluss ist nicht linear, weil sich nicht einfach je mehr X (hier: Wein), umso mehr oder weniger Y (hier: Aussprachequalität) ergibt. Das ist durchaus möglich, der Einfluss einer Variablen auf die andere muss nicht unbedingt linear sein. Dieses einfache Beispiel sollte das Grundprinzip zeigen. Eine weitere Entscheidung, die man beim Experimentieren zu treffen hat, ist, ob es ein Labor- oder ein Feldexperiment werden soll. In einem Laborexperiment versucht man, alle Faktoren, die nichts mit der Untersuchungsfrage zu tun haben, entweder konstant zu halten oder gänzlich zu eliminieren. In einem Feldexperiment versucht man, in der Situation, in der das Erforschte normalerweise stattfindet, eine Variable zu manipulieren. Wenn wir zwei verschiedene mögliche Grammatikerklärungen zum selben Lernstoff im normalen Unterricht in zwei Klassen von Deutschlernen anbringen würden, dann wäre das ein Beispiel für ein Feldexperiment. Der Nachteil von Feldexperimenten ist, dass es ausgesprochen schwierig ist, in der echten, authentischen Situation alle möglichen Einflussfaktoren konstant zu halten. Wo bekomme ich zwei wirklich gleich gute und gleich lernfähige Schulklassen her, die noch dazu vom Wissen her auf demselben Stand sind? Und wenn ich sie finde, sind ihre Unter- <?page no="197"?> 198 6. Datenanalyse in der Forschung richtssituationen wirklich vergleichbar? Es gibt also meist verschiedene nicht kontrollierbare Elemente, die als sogenannte Störvariablen wirken können, so dass nicht nur der Einfluss der unabhängigen, sondern auch derjenige der Störvariable auf die abhängige gemessen wird, und das ist nicht Sinn der Sache. Deshalb weicht man oft auf Laborexperimente aus. Natürlich haben auch Laborexperimente Nachteile. Die Laborsituation ist so eingeschränkt und so künstlich, dass man nicht unbedingt sicher sein kann, dass in der realen Kommunikationssituation dieselben Strategien angewendet werden wie in der Testsituation. Somit kann ein Rückschluss auf das tatsächliche Sprachenlernen unter Umständen gewagt sein. Typische Laborexperimente arbeiten mit Reaktionszeiten als abhängiger Variable und laufen etwa so ab: Man setzt seine Versuchsteilnehmer vor einen Computer, der ihnen sprachliches Material präsentiert, und misst die Zeit, die sie für eine Aufgabe zu diesem sprachlichen Material brauchen. Dabei setzt man die Versuchsteilnehmer unter Zeitdruck. Das hat den Zweck, die für die Sprachverarbeitung schwierigen Aufgaben von den für die Sprachverarbeitung leichten Aufgaben zu trennen. Mit genügend Zeit wird alles richtig gemacht, werden alle Fehler erkannt und kommen überlegte, aber nicht spontane Reaktionen zustande. Nur die schnellen, unüberlegten Reaktionen sind aber aussagefähig hinsichtlich der mentalen Prozesse bei der Sprachverarbeitung, die wir untersuchen wollen. Nehmen wir an, es geht um Vokabeln, die mit unterschiedlichen Methoden gelernt wurden. Aufgaben könnten beispielsweise sein zu erkennen, ob es sich um ein Wort der gelernten Sprache handelt und einen entsprechenden Knopf zu drücken, oder das präsentierte Material zu übersetzen und so weiter. Das präsentierte Material wird als unabhängige Variable manipuliert (es werden Vokabeln präsentiert, die mit der einen Methode gelernt wurden, und Vokabeln, die mit der anderen Methode gelernt wurden) und die unterschiedlichen Reaktionszeiten für verschiedene Ausprägungen der unabhängigen Variablen werden verglichen-- es wird also überprüft, ob die Versuchsteilnehmer und -teilnehmerinnen bei den Vokabeln einer spezifischen Lernmethode schneller oder langsamer waren. Nicht alle Experimente brauchen so aufwändige technische Hilfsmittel. Auch mit Tonbändern oder nur Papier und Bleistift kann man Experimente durchführen. Satzergänzungstests können ganz verschiedene Ziele verfolgen. Man kann morphologische Formen von echten und von Kunstwörtern elizitieren, zum Beispiel indem man eine Zeichnung eines seltsamen Tiers präsentiert und sagt Das ist ein Wug. Der Wug ist ziemlich allein. Doch da kommt noch einer, jetzt haben wir zwei… Die Versuchsteilnehmer werden Wugs oder Wugen oder Wüge und so weiter ergänzen, und man kann durch die Vorgabe von verschiedenen Silbenstrukturen und von verschiedenem Genus überprüfen, welchen Regeln der deutschen Pluralbildung die Sprecher und Sprecherinnen folgen. Bei mehrsprachigen Sprechern wurden solche Tests in der Absicht benutzt zu beweisen, dass sie mit der Benutzung einer ihrer Sprachen auch kulturell geprägten Erwartungen der entsprechenden Sprachgemeinschaft folgen, zum Beispiel, wenn Sätze zu ergänzen waren wie Wenn ich anderer Meinung bin als meine Eltern, dann… Eine in Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen mehreren Sprachen, die ein Sprecher beherrscht, sehr beliebte Papier- und Bleistift-Testform ist das Aufschreiben von Assoziationen zu einem Wort. Die Versuchsteilnehmer erhalten Blätter, auf denen jeweils <?page no="198"?> 199 6.1 Methoden der Sprachlehrforschung oben ein Wort steht, und müssen unter Zeitdruck alles aufschreiben, was ihnen zu diesem Wort einfällt. Dabei zeigt sich, dass die ersten genannten Assoziationen meist zwischen Sprechern einer Sprache übereinstimmen, jedoch nicht immer zwischen einzelnen Sprachen. Auch diese Experimentform ermöglicht viele Variationen, zum Beispiel können nicht übersetzungsäquivalente, aber formähnliche Wörter (sogenannte falsche Freunde) sowie übersetzungsäquivalente und gleichzeitig formähnliche Wörter (wie Platz-- place oder Apfel-- apple), die tatsächlich die meisten übereinstimmenden Assoziationen bei Mehrsprachigen hervorrufen, in Relation gesetzt werden. 6.1.2 Arbeiten mit verfügbaren Textkorpora Das Arbeiten mit Textkorpora hätte man auch unter Beobachtung abhandeln können, es ist im Prinzip vom Verfahren her eine Beobachtung. Viele Forschende stellen sich für ihre Forschungsarbeit ein eigenes Textkorpus zusammen. Aber man kann auch Beobachtungsdaten benutzen, die schon andere Personen erstellt und aufbereitet haben und spart sich die Datenerhebung. Somit gelten bei der Auswertung der Daten keine anderen Bedingungen als für Beobachtungen allgemein. Aber Korpora, die für die allgemeine Nutzung zur Verfügung gestellt werden, haben viele praktische Vorteile. Anstatt mühsam Sammlungen von Fehlern seiner Lerner anzulegen, kann man beispielsweise auch vorhandene Korpora von Lernersprache auswerten. Ein linguistisches Korpus ist eine Sammlung von Texten, die je nach Größe ein paar Hundert oder viele Millionen von Wörtern umfassen kann (zu Korpuslinguistik vergleiche Scherer 200 und Lemnitzer & Zinsmeister 2015). Viele Korpora sind von einzelnen Forschern oder Forscherinnen für ihre eigene Forschung zusammengestellt und dann veröffentlich worden. Daneben gibt es Korpora, die von Anfang an für unterschiedliche Nutzungszwecke aufbereitet wurden, wobei es den Erstellern und Erstellerinnen darum ging, eine möglichst große und möglichst repräsentative Menge an Texten zu sammeln und deren Nutzung so einfach wie möglich zu machen. Wenn man mit einem Korpus arbeiten will, muss man sich natürlich überlegen, ob die in diesem Korpus als Stichprobe zusammengestellten Texte tatsächlich repräsentativ sind für die Grundgesamtheit, über die man Aussagen machen möchte. Zum Beispiel kann man schlecht für eine Erscheinung, die in der gesprochenen Sprache erheblich häufiger vorkommt als in der geschriebenen, auf ein Korpus zur geschriebenen Sprache zurückgreifen. Wozu kann man Korpora nutzen? Das hängt natürlich von der Art des Korpus ab. Am häufigsten werden Korpora verwendet, wenn man für bestimmte sprachliche Phänomene das tatsächliche Vorkommen in Texten untersucht. Man lässt also per Computer nach einzelnen Wörtern oder Wortverbindungen suchen und sich jeweils die Umgebung anzeigen, in der sie vorkommen. Man kann auch einfach suchen, wie häufig sie vorkommen, beispielsweise im Vergleich zu konkurrierenden Formen. Alle elektronisch nutzbaren Korpora bieten die Möglichkeit, die Textumgebung eines Wortes anzusehen, viele auch gleich eine statistische Analyse, welche anderen Wörter besonders häufig mit diesem Wort vorkommen. Diese <?page no="199"?> 200 6. Datenanalyse in der Forschung Möglichkeiten sind sehr praktisch, wenn man Varianten bei einem Wort, beispielsweise die Frequenz einzelner Lesarten von Verben feststellen will, für Lehrmaterial besonders typische Beispiele für die Verwendung eines Worts sucht und so weiter. Überhaupt können solche Frequenz-Analysen sehr gut für die Entwicklung von Lehrmaterial benutzt werden, denn begreiflicherweise sollte Deutsch-Lehrmaterial die häufig vorkommenden Erscheinungen vor den seltener vorkommenden behandeln. 6.1.3 Zusammenfassung Sie haben nun einen kleinen Einblick in das empirische Arbeiten in der Sprachlehrforschung gewinnen können. ▶ Dabei haben Sie zunächst einmal die sogenannten „Gütekriterien“, nämlich Reliabilität, Objektivität und Validität kennen gelernt. Das sind die Kriterien, anhand derer sie feststellen können, ob eine empirische Untersuchung tatsächlich aussagekräftig ist. ▶ Danach haben Sie die einzelnen Verfahren kennen gelernt, mit denen man üblicherweise in der Sprachlehrforschung empirische Untersuchungen durchführt, die Beobachtung, die Befragung, das Experiment und als eine Sonderform der Beobachtung das Arbeiten mit Textkorpora. ▶ Sie sollten nun in der Lage sein, wenn Sie eine Veröffentlichung über eine empirische Untersuchung lesen, wenigstens grobe Fehler zu erkennen. Und wenn Sie eine eigene empirische Untersuchung planen, sollten Sie Ideen für ein angemessenes Vorgehen entwickeln können, die Sie mit dem Betreuer oder der Betreuerin Ihrer Arbeit besprechen können. 6.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie einige Vor- und Nachteile von Interviews gegenüber schriftlichen Befragungen. 2. Erläutern Sie, was Interviewereffekte sind. 3. Erläutern Sie, was ein Experiment ist. 4. Erläutern Sie die Vor- und Nachteile von Feldexperimenten gegenüber Laborexperimenten in der Sprachlehrforschung. <?page no="200"?> 201 6.2 Daten, Variablen und Skalen 6.2 Daten, Variablen und Skalen Ruth Albert & Nicole Marx In dieser Lerneinheit besprechen wir die in der Sprachwissenschaft am häufigsten verwendeten statistischen Tests und die daraus zu berechnenden Werte. Es gibt noch viele andere, ebenfalls häufig verwendete statistische Tests in der Linguistik, auf die wir in dieser Lerneinheit nicht eingehen können. Weil es nicht immer einfach ist, zu entscheiden, welchen Test man verwenden soll, ist es empfehlenswert, vor der Datenerhebung das Design mit jemandem, der über Statistikkenntnisse verfügt, zu besprechen. Somit wird die Datenerhebung so gut wie möglich auf die spätere Auswertung abgestimmt. Es passiert nur allzu häufig, dass die Daten gesammelt werden, bevor man weiß, wie man sie später auswerten möchte - oder dass man aus Versehen oder Unkenntnis den falschen Test einsetzt. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ einen fundierten Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten der Datenauswertung bekommen; ▶ detailliertes Wissen über die einzelnen Methoden erwerben; ▶ einschätzen können, welche Berechnung zu welchem Forschungsziel passt; ▶ die Präsentation der Datenauswertungen für eigene Forschungsarbeiten erlernen. Der Text dieser Lerneinheit entstammt der folgenden Quelle: Albert, Ruth & Marx, Nicole (2016), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung. Tübingen: Narr, 107-144. Didaktische Anpassungen (Formulierung der Lernziele, teilweise die Zusammenfassung) wurden von Ruth Ho‘aba und Katsiaryna EL -Bouz vorgenommen. 6.2.1 Skalenniveaus In vielen Fällen hilft es zur Auswahl des richtigen Testverfahrens, sich von einer Skizze wie der folgenden unterstützen zu lassen. Wir haben hier nur die in dieser und der Lerneinheit .3 aufgenommenen Verfahren einbezogen. <?page no="201"?> 202 6. Datenanalyse in der Forschung Abbildung 6.1: Skizze zur Auswahl des passenden Testverfahrens (Albert & Marx 2016: 108) Bevor wir anfangen können, Daten zu analysieren (oder auch zu erheben), müssen wir zunächst einmal wissen, mit welcher Art von Variablen wir es zu tun haben. Die Art der Variable bestimmt die Art der Kodierung und somit die statistischen Analysen, die Sie später ausführen. Es gibt in der Linguistik und Sprachlehrforschung drei gängige Arten von Variablen und somit auch von Daten, mit denen wir arbeiten. Das möchten wir in dieser Lerneinheit anhand von Beispielen erklären. Wenn man annimmt, dass man einer kleinen Gruppe von Schülern und Schülerinnen einen Vokabeltest von 10 Wörtern gegeben hat, die ins Englische übersetzt werden sollten, kann man davon ausgehen, dass einige Schüler oder Schülerinnen alle oder die meisten Wörter richtig haben, andere werden schlechter abschneiden. Es gibt nun verschiedene Arten, das Resultat des Tests zu beschreiben. Die folgende Tabelle zeigt einige der Möglichkeiten. Name richtige Vokabeln korrekt (%) Rang bestanden? Note John 10 100 1 ja 1 Peter 9 90 2 ja 2+ Ellis 8 80 4 ja 3 Sara 8 80 4 ja 3 Martin 8 80 4 ja 3 <?page no="202"?> 203 6.2 Daten, Variablen und Skalen Name richtige Vokabeln korrekt (%) Rang bestanden? Note Matty 6 60 6,5 ja 4 Eve 6 60 6,5 ja 4 Nancy 5 50 8 nein 5 Adam 4 40 9 nein 5 Mike 2 20 10 nein 6 Tabelle 6.1: Darstellung von Testergebnissen (Albert & Marx 2016: 109) Die erste Spalte enthält die Namen der zehn Schüler und Schülerinnen, die den Vokabeltest geschrieben haben. Die zweite Spalte enthält das Resultat, das jeder Schüler beziehungsweise jede Schülerin erzielt hat, also die Anzahl der Wörter, die der Schüler oder die Schülerin korrekt übersetzt hat. In der dritten Spalte finden wir die Ergebnisse als Prozentzahl. Spalte 4 teilt die Schüler und Schülerinnen in eine Rangliste ein: John, der beste Schüler, erhält Platz eins. Peter ist der zweitbeste und erreicht so Platz zwei etc. In der fünften Spalte steht die Information, ob der Schüler oder die Schülerin bestanden hat oder nicht. Ob ein Schüler oder eine Schülerin bestanden hat oder durchgefallen ist, liegt an einer willkürlich festgelegten Grenze, in unserem Fall bei sechs korrekt übersetzten Wörtern von zehn. Ein Schüler oder eine Schülerin muss also mehr als 50 % richtig übersetzen, um den Test zu bestehen. Man hätte natürlich auch eine größere Anzahl von korrekt übersetzten Wörtern verlangen können, beispielsweise 70 %, dann hätten in unserem Fall nur fünf Schüler beziehungsweise Schülerinnen bestanden. Für die richtige Anwendung statistischer Verfahren ist es ausgesprochen wichtig zu wissen, dass die verschiedenen Spalten unterschiedliche Messskalen verwenden: Metrische (Verhältnis- und Intervall-), Ordinal- und Nominalskala. Diese basieren zunächst auf einer Differenzierung in den Variablenarten. Spalte zwei in Tabelle .1 präsentiert die Resultate auf einer Verhältnisskala. Hier sehen wir nicht nur die Information, wer der Beste und wer der Schlechteste ist, sondern auch die genaue Distanz (Intervall) zwischen den einzelnen Ergebnissen der Schüler und Schülerinnen und können somit sagen, wie weit ihre Leistungen voneinander entfernt sind. So liegen die Ergebnisse von Peter und Ellis genauso weit auseinander wie die Ergebnisse von Eve und Nancy; ebenso können wir sagen, dass John doppelt so viele Vokabeln richtig übersetzt hat wie Nancy. Die meisten Tests benutzen Verhältnisskalen, wie beispielsweise Wörter pro Minute in einem Lesetest, die Anzahl der Fehler in einem Grammatiktest etc. Andere Beispiele von Daten, die üblicherweise auf einer Verhältnisskala dargestellt werden, sind der Zeitumfang, in dem man eine Fremdsprache gelernt hat, oder das Alter der Lerner. Eine metrische Skala nimmt also an, dass die Messeinheiten in gleiche Intervalle unterteilt sind, wie beispielsweise Jahre. Diese Daten können in Punktzahlen, wie in Spalte zwei, oder in Prozent, wie in Spalte drei, dargestellt werden. Diese Skala basiert auf kontinuierlichen Variablen, die Ergebnisse in einem Kontinuum repräsentieren. Verhältnisskalen haben einen absoluten Nullpunkt (zum Beispiel das Alter-- man kann nicht jünger als 0 Jahre sein); Intervallskalen nicht (zum Beispiel die Temperaturmessung in Celsius). Beide Skalen werden in der statistischen Berech- <?page no="203"?> 204 6. Datenanalyse in der Forschung nung gleichbehandelt, weswegen wir in der Regel keine Unterscheidung dazwischen machen. Sie werden gemeinsam als metrische Skalen bezeichnet. In der Ranglistenspalte in Tabelle .1 haben wir dagegen eine Ordinalskala. John ist besser als Peter, der wiederum besser ist als Ellis- - aber wir können anhand dieser Spalte nicht sagen, um wie viel genau John besser ist, und es wäre auch unsinnig, einen Durchschnittsplatz zu berechnen. (Bei Matty und Eve haben wir den Fall, dass sie beide das gleiche Ergebnis erreicht haben. Um bei zehn Ergebnissen die Ränge eins bis zehn verteilen zu können und die beiden Schülerinnen trotzdem auf dem gleichen Platz zu halten, nehmen wir den Mittelwert der Ranglistenplätze sechs und sieben und geben beiden Schülerinnen den Rang ,5. Das sagt jedoch nichts über einen Durchschnitt aus.) Wir haben bei Ordinalskalen also nur eine Rangliste von am besten bis am schlechtesten oder am meisten bis am wenigsten ohne eine klar gegliederte Einteilung zwischen den einzelnen Maßeinheiten. Der Abstand zwischen den Plätzen auf der Skala ist nicht gleich, sie geben nur einen Rang an. Ein weiteres Beispiel für eine Ordinal- (oder Rang-) Skala sind die Noten in der letzten Spalte (reguläre Schulnoten sind ebenso ordinal skaliert). Der Abstand zwischen einer Zwei und einer Drei muss nicht derselbe sein wie der zwischen einer Eins und einer Zwei. Wenn man statistische Verfahren korrekt anwendet, muss man darauf Rücksicht nehmen, dass Schulnoten keine metrisch skalierten Daten sind. Üblicherweise wird jedoch mit Schulnoten so umgegangen, als wären es metrisch skalierte Daten, weil so erheblich mehr Möglichkeiten der statistischen Aufbereitung bestehen. Wenn Sie so etwas für Ihre eigene Arbeit vorhaben, weisen Sie zumindest darauf hin, dass es nicht ganz korrekt ist, sonst könnten die Beurteiler Ihrer Arbeit denken, Sie wüssten nicht über Skalenniveaus Bescheid. Das Gleiche gilt für sogenannte Rating-Verfahren, bei denen Experten spezifische Aspekte der Lernerproduktion auf einer Skala beurteilen sollen. Ebenso sind Daten, die mit Likert- Skalen erhoben werden, ordinal skaliert und nicht- - wie häufig fälschlich angenommen- - metrisch skaliert. Likert-Skalen gibt es häufig bei Befragungen. Die Befragten benutzen eine Skala zwischen stimme voll zu und stimme überhaupt nicht zu, der Zahlenwerte zugeordnet sind, zum Beispiel von 1 bis 5. Da nicht sicher ist, dass die Abstände zwischen den einzelnen Antwortmöglichkeiten von den Befragten als gleich groß empfunden werden, ist auch bei solchen Skalen das Berechnen von Mittelwerten und andere Verfahren, die ein metrisches Skalenniveau verlangen, nicht ganz korrekt, wenn auch gebräuchlich. Im Übrigen kann man metrische Daten immer in Ordinaldaten konvertieren, niemals aber umgekehrt. (Überlegen Sie sich an dieser Stelle ruhig einmal, warum das so ist.) Schulnoten oder Klassenstufen sind typische Beispiele für ordinal skalierte Daten, mit denen man in der Sprachlehrforschung zu tun hat. (Klassenstufen sind ordinal skaliert, weil man zum Beispiel vermutlich leichter vom 1. ins 2. Schuljahr als von der 11. in die 12. Klasse kommt.) Die bestanden / durchgefallen-Spalte- - sie zeigt eine dichotome Variable an- - präsentiert die Daten auf einer Nominalskala. Jedes Resultat fällt in eine Kategorie, entweder gut genug-- bestanden-- oder nicht gut genug-- durchgefallen. Ein bestimmtes Resultat kann nur in eine Kategorie eingeordnet werden. Nominalskalierte Daten sind deutlich seltener in der Linguistik und Sprachlehrforschung und werden nur dafür verwendet, um Zugehörigkeit zu bestimmten Kategorien anzugeben. Eine Person fällt bei nominalskalierten Daten somit <?page no="204"?> 205 6.2 Daten, Variablen und Skalen entweder in eine Kategorie, zum Beispiel männlich, oder in eine andere, zum Beispiel weiblich, aber mehr kann man mit diesen Daten nicht anfangen. Besonders häufig auftauchende Beispiele von Nominaldaten sind Geschlecht (eine dichotome Variable, da nur zwei differenziert werden) und Erstsprache oder besuchte Schulform (beide polytome Variablen). Es ist übrigens durchaus üblich, bei der Kodierung der Daten auch dichotome oder polytome Variablen wie Geschlecht, Schulform und Muttersprache mit Zahlen zu versehen, also zum Beispiel  für weiblich und  für männlich, aber ein Durchschnittsgeschlecht, eine Durchschnittsnationalität oder eine Durchschnittsschulform zu errechnen, ist unmöglich, während ein Durchschnittsergebnis bei einem Sprachtest uns meist ein aufschlussreiches Ergebnis liefert. Bei Sportwettkämpfen wie Kurzstreckenlauf oder Eisschnelllauf betrachten wir sowohl Daten auf metrischem als auch auf Ordinalskalenniveau. Die ersten geben die benötigte Zeit an, meist in Hundertstelsekunden, die zweiten den Rangplatz im Feld der Teilnehmer. Man kann zum Beispiel Erster werden mit einer Zeit von 9,3 Sekunden, Zweiter mit 9,55 und Dritter mit 9,5 Sekunden etc. Abbildung .2-- die zeigt, wie hoch jeweils der Prozentsatz der Einwohner der befragten 15 EU -Länder ist, die in der Lage sind, ein Gespräch in einer anderen Sprache als ihrer Erstsprache zu führen,-- gibt gleichzeitig Informationen auf zwei Skalenniveaus. Die Prozentzahlen sind metrisch skaliert, die Ordnung der Säulen von links nach rechts gibt den Rangplatz an (Ordinalskala) und zeigt, dass in Luxemburg die meisten Einwohner mehr als eine Sprache sprechen, in England die wenigsten: Abbildung 6.2: Beispiel eines Histogramms (Europäische Kommission 1999; Albert & Marx 2016: 112) <?page no="205"?> 206 6. Datenanalyse in der Forschung Eine metrische Skala gibt die präziseste Information und lässt uns gleichzeitig die Möglichkeit, die in ihr enthaltenen Daten jederzeit in Daten einer Ordinal- oder Nominalskala zu konvertieren. Eine solche Konvertierung hat allerdings nur in bestimmten Situationen Sinn, da schließlich viele Informationen verlorengehen. Angenommen, wir hätten die Daten über das Alter einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen exakt erhoben, dann könnten wir zum Beispiel einen Mittelwert berechnen und dabei herausfinden, dass sie im Durchschnitt zwölf Jahre alt sind. Aber vielleicht ist es interessanter zu wissen, wie viele Befragte jeweils in die einzelnen Altersgruppen (4- Jahre, 7-9 Jahre, 10-13 Jahre etc.) fallen, weil wir wissen wollen, ob sie wohl noch nicht eingeschult worden sind oder ob sie in der Grundschule, in der Sekundarstufe I oder bereits darüber sind. In diesem Fall würden wir die Altersangaben auf metrischem Skalenniveau in eine Gruppierung mit vier Kategorien auf Nominalskalenniveau umsetzen. Umgekehrt können wir natürlich keine Rückschlüsse auf das Alter machen: Wenn wir nur Informationen zur Schulform haben, können wir kaum sagen, dass sich von den 20 Grundschülern fünf in der ersten Klasse, fünf in der zweiten Klasse etc. befinden. 6.2.2 Beschreibung von Daten In diesem Teil behandeln wir die beschreibende Statistik, das heißt die Art von Statistik, die man benutzt, um die Daten von beispielsweise Sprachtests einfach und übersichtlich zu beschreiben. Das Gebiet der Statistik wird normalerweise eingeteilt in beschreibende und prüfende (inferentielle) Statistik. Beschreibende Statistik gibt einem nur die Ergebnisse an, während inferentielle Statistik überprüft, ob ein Zusammenhang oder Unterschied zwischen vorliegenden Daten dem Zufall zuzuschreiben ist oder nicht. Mit der beschreibenden Statistik versuchen wir Fragen zu beantworten wie: Wie häufig kommt ein bestimmtes Ergebnis in einem Datensatz vor? Was ist der mittlere Wert in einer Reihe an Daten? Wie unterschiedlich sind die Prüfungsergebnisse innerhalb einer Gruppe? Wer gehört zu den obersten 25 % einer Gruppe, wer zu den untersten? Wie hat Schüler X bei einem Test durchschnittlich abgeschlossen? Und wie weit liegt das Prüfungsergebnis von Schüler X vom Mittelwert entfernt? Häufigkeit Wenn wir die Testergebnisse einer Gruppe von Studentinnen und Studenten haben, sehen wir häufig, dass mehrere von ihnen dasselbe Ergebnis haben. Dies gibt uns die Möglichkeit, eine Häufigkeitsverteilung für die Testergebnisse zu erstellen. Die Häufigkeit ist wohl die einfachste Art und Weise, die Verteilung von Daten zu beschreiben, und wird meist verwendet, wenn man darstellen will, wie oft ein bestimmtes Phänomen oder ein bestimmtes Verhalten vorkommt. Gehen wir zurück zu unserem Beispiel des Vokabeltests vom Anfang der Lerneinheit. Nehmen wir an, wir haben nicht nur die zehn genannten Schüler und Schülerinnen getestet, sondern insgesamt 50. Tabelle .2 zeigt uns in der ersten Spalte, welche Punkte erreicht werden konnten, und in der zweiten Spalte eine Häufigkeitsverteilung der 50 Ergebnisse. <?page no="206"?> 207 6.2 Daten, Variablen und Skalen Diese Tabelle zeigt, dass von den 50 teilnehmenden Schülern und Schülerinnen niemand ein Ergebnis von 0,1 oder 3 hatte; ein Schüler (Mike) hatte ein Ergebnis von 2, zwei Schüler 4 etc. Die dritte Spalte zeigt die relative Häufigkeit jedes Ergebnisses. Diese relative Häufigkeit erhalten wir, indem wir die Häufigkeit dieses speziellen Ergebnisses durch die Anzahl der Ergebnisse (hier: 50) teilen. Das Ergebnis 10 wurde von 5 der 50 Schüler erreicht, die relative Häufigkeit dieses Ergebnisses ist also 5: 50-= 0,1-- anders ausgedrückt, 10 % aller Schüler haben dieses Ergebnis erreicht. (Wenn sämtliche Schüler klug genug gewesen wären, alle Fragen richtig zu beantworten, dann hätte das Ergebnis 10 eine relative Häufigkeit von 50: 50-= 1,0-- anders ausgedrückt, 100 % der Schüler hätten alle Fragen richtig beantwortet). Häufigkeitsberechnungen sind in der Sprachlehrforschung oft hilfreich, wenn man eine knappe und gut verständliche Präsentation der Daten braucht. Es ist manchmal sogar wichtig, die relative Häufigkeit der Ergebnisse zu wissen. Es kann zum Beispiel sein, dass in einer Prüfung Schüler oder Schülerinnen einen Durchschnittswert von 50 % erreichen; wenn aber die Hälfte davon 100 % und die andere Hälfte 0 % erreicht, sagt die Prüfung wenig über die Kompetenzen der Schüler und Schülerinnen aus. Wir müssten dann die Gründe für diese sehr eigenartige Verteilung anderswo suchen. Ein weiterer Vorteil von Häufigkeitsberechnungen ist, dass sie für alle Arten von Daten-- nominal, ordinal und metrisch skaliert-- berechnet werden können. Punkte Häufigkeit relative Häufigkeit 0 0 0,00 1 0 0,00 2 1 0,02 3 0 0,00 4 2 0,04 5 9 0,18 6 8 0,16 7 9 0,18 8 10 0,20 9 6 0,12 10 5 0,10 n = 50 Tabelle 6.2: Verteilung der erreichten Punkte (Albert & Marx 2016: 116) Maße der zentralen Tendenz: Modalwert, Median, Mittelwert Obwohl Häufigkeitsberechnungen für Überblicke sorgen können, ist es meist notwendig, nähere Informationen über die Daten herauszufinden. In der Linguistik und Sprachlehrforschung, wie in anderen Disziplinen der Sozialwissenschaften auch, errechnet man oft eins von drei Maßen der zentralen Tendenz: Den Modalwert, der einfach der am häufigsten vor- <?page no="207"?> 208 6. Datenanalyse in der Forschung kommende Wert ist, den Median (Zentralwert), der den mittleren Wert darstellt (wenn man alle Werte vom kleinsten bis zum größten aneinanderreiht und den in die Mitte fallenden nimmt), und den Mittelwert (x ̅ ), der das bekannteste Maß der zentralen Tendenz ist. Diese Werte wollen wir im Folgenden beispielhaft berechnen (siehe dazu auch die Lerneinheiten .1 und 7.1 in diesem Band). Wir kommen wieder einmal zu den Ergebnissen der zehn Schüler und Schülerinnen zurück, die einen 10-Wörter-Vokabeltest geschrieben haben. Sie finden in Tabelle .1 in der Spalte richtige Vokabeln relativ schnell den Modalwert (das am häufigsten anfallende Ergebnis), hier 8. Auch der Median lässt sich einfach bestimmen (weil wir es hier mit einer geraden Anzahl an Ergebnissen zu tun haben, nehmen wir den Durchschnitt des fünften und des sechsten Ergebnisses, also 7). Der Mittelwert unserer Verteilung ist die Summe aller Ergebnisse (), geteilt durch die Anzahl der Ergebnisse (10), also ,. Wenn wir das als Formel aufschreiben, sieht es wie folgt aus: Abbildung 6.3: Formel zur Errechnung des Mittelwertes der Verteilung (Albert & Marx 2016: 117) wobei Σ für Summe steht, x für das jeweilige Ergebnis und n für die Anzahl der Ergebnisse. Der Mittelwert ist also die Summe aller Ergebnisse, geteilt durch die Anzahl der Ergebnisse. Bei längeren Ergebnissätzen kann man übrigens den Mittelwert sehr bequem vom Computer berechnen lassen, zum Beispiel, wenn man ein Programm wie Excel benutzt-- Excel kann man für fast alle statistischen Berechnungen verwenden, die man in der Sprachlehrforschung durchführen muss, und das Programm bekommt man mit dem gängigen Software-Paket, das man beim Kauf eines Rechners erhält. Wenn Sie nähere Informationen dazu brauchen, finden Sie sie in der Hilfsfunktion des Programms oder in einem Handbuch dazu. Noch ein Hinweis: Normalerweise berichten wir über den Mittelwert, seltener über den Median. Allerdings hat der Median den Vorteil, dass er gut zu verwenden ist, wenn einige sehr untypische Ergebnisse (Ausreißer) vorkommen-- so zum Beispiel ein Ergebnissatz wie der folgende: 2-50-50-51-51. Der Mittelwert wäre hier 40,8; repräsentativer für die Ergebnisse wäre allerdings der Median 50. Der Mittelwert ist daher anfällig für sogenannte Ausreißer, der Median nicht. Auch sollte man bedenken, dass der Mittelwert erst bei metrischen Skalen einsetzbar ist, der Median aber schon bei einer Ordinalskala. Maße der Variabilität: Standardabweichung und Quartile Messungen der zentralen Tendenz sind hilfreich, wenn wir aus den Daten das typische Verhalten einer Gruppe von Menschen ersehen möchten. Allerdings erfahren wir dabei wenig darüber, wie sich die Personen individuell verhalten. Um uns davon ein Bild zu machen, können wir weitere nützliche Informationen errechnen, vor allem zur Variabilität. Hierbei werden am häufigsten die Standardabweichung sowie der Interquartilbereich angeführt. <?page no="208"?> 209 6.2 Daten, Variablen und Skalen Der nach dem Mittelwert wichtigste Wert der beschreibenden Statistik ist die Standardabweichung (s oder σ). Man kann sie als Maß der durchschnittlichen Abweichung vom Mittelwert definieren. Aus diesem Wert können wir ablesen, wie sich die Ergebnisse um den Mittelwert herum verteilen. An der als Standardabweichung errechneten Zahl können wir ersehen, ob die einzelnen Messwerte relativ eng beim Mittelwert liegen oder recht weit streuen. Die Standardabweichung berechnet man nach folgender Formel: Abbildung 6.4: Formel zur Berechnung der Standardabweichung (Albert & Marx 2016: 118) wobei gilt: σ Standardabweichung der Stichprobe n Anzahl der Ergebnisse x jedes Ergebnis x-x ̅ jede Abweichung vom Mittelwert ∑ (x-x ̅ ) 2 Summe aller quadrierten Differenzen Punkte x-x ̅ (x ̅ = 6,6) (x-x ̅ ) 2 10 (10-6,6) = +3,4 11,56 9 (9-6,6) = +2,4 5,76 … (…-6,6) = … … 4 (4-6,6) = -2,6 6,76 2 (2-6,6) = -4,6 21,16 Summe 54,40 Tabelle 6.3: Berechnung der Standardabweichung für den Vokabeltest (Albert & Marx 2016: 118) Wir berechnen jetzt zur Übung die Standardabweichung der zehn Ergebnisse beim Vokabeltest aus Tabelle .1. Es gibt zwei Formeln für die Berechnung der Standardabweichung, eine für eine Stichprobe der Grundgesamtheit und eine für die Grundgesamtheit. Die oben benutzte Formel ist die erste. Da wir es nur selten mit einer (ganzen) Grundgesamtheit zu tun haben, nehmen wir die zweite Formel hier nicht auf. Die Ergebnisse hatten einen Mittelwert von ,. Die Summe der quadrierten Abweichungen ist 54,4. Wenn wir dies durch (N-1), also 9, teilen, erhalten wir ,044. Nun ziehen wir noch die Quadratwurzel aus ,044 und erhalten unsere Standardabweichung von σ = 2,4. Noch einfacher ist es-- vor allem, wenn wir es mit mehreren Ergebnissen zu tun haben, die Berechnung von einem Kalkulationsprogramm ausführen zu lassen. Nachdem wir die Daten <?page no="209"?> 210 6. Datenanalyse in der Forschung (oben zum Beispiel aus der Spalte Punkte) eingegeben haben, klicken wir einfach in Excel auf eine leere Zeile. Dann geben wir die Formel zur Kalkulation der Standardabweichung ein: = STABW und benennen die Datenreihe (zum Beispiel STABW (A: A)). Wir erhalten dann ganz einfach den Wert σ = 2,4. Die Standardabweichung sagt uns also etwas über die Verteilung der Ergebnisse um den Mittelwert herum. Ein hoher Wert für die Standardabweichung (wenn zum Beispiel alle Ergebnisse zwischen 0 und 10 liegen, der Mittelwert der Ergebnisse , ist und σ = 4) bedeutet, dass die einzelnen Ergebnisse weit voneinander entfernt liegen, ein kleiner Wert für σ, dass alle Ergebnisse dicht um den Mittelwert herumliegen. Warum dies eine wichtige Information darstellt, sehen wir an einem Beispiel. Stellen wir uns vor, wir wollen herausfinden, wie viele Rechtschreibfehler pro 100 geschriebene Wörter in den Texten von vier kleinen Fördergruppen von jeweils sechs Schülern vorkommen. In Tabelle .4 sehen wir die Ergebnisse mit Mittelwert und Standardabweichung für jede Zahlenreihe. Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D 3 2 5 1 4 3 5 1 5 5 5 1 5 5 5 9 6 7 5 9 7 8 5 9 x ̅ 5 5 5 5 σ 1,41 2,28 0,00 4,38 Tabelle 6.4: Rechtschreibfehler pro 100 Wörter (Albert & Marx 2016: 119) Wenn wir nur den Mittelwert berechnen, sehen wir nur, dass alle Gruppen im Durchschnitt gleich viele Fehler machen. Bei einer Berechnung der Standardabweichung wird aber deutlich, dass die Schüler und Schülerinnen sich deutlich unterschiedlich verhalten: Während die Ergebnisse der Gruppe C offenbar sehr dicht beieinanderliegen, haben die Schüler und Schülerinnen in Gruppe D sehr unterschiedliche Ergebnisse. Die Standardabweichung ist daher nützlich, weil sie einen gewissen Überblick über die Reichweite gibt, in die die Ergebnisse fallen. Theoretisch gehen wir davon aus, dass die Hälfte aller Ergebnisse über dem Mittelwert liegt und die Hälfte unter dem Mittelwert. Der Anteil der Ergebnisse, die innerhalb einer Standardabweichung liegen, bleibt immer gleich, egal, welche Daten wir verwenden: In einer Normalverteilung liegen 34,1 % aller Ergebnisse zwischen dem Mittelwert und einer Standardabweichung über dem Mittelwert; 34,1 % liegen dann zwischen dem Mittelwert und einer Standardabweichung darunter. Wir können auch sagen, dass 8,2 % aller Ergebnisse zwischen Mittelwert ± einfache Standardabweichung liegen. Wir wollen das anhand eines Diagramms veranschaulichen (Abbildung .5): <?page no="210"?> 211 6.2 Daten, Variablen und Skalen Abbildung 6.5: Die Gaußsche Normalverteilung (Albert & Marx 2016: 119) Nehmen wir Gruppe В als Beispiel: Ein Mittelwert von 5 und eine Standardabweichung von 2,28 zeigen uns, dass die Mehrzahl aller Ergebnisse (8,2 %) normalerweise zwischen (5- -- 2,28- =) 2,72 und (5- + 2,28- =) 7,28 liegt. Die Werte 3, 5 und 7 liegen entsprechend alle innerhalb einer Standardabweichung vom Mittelwert. Wenn wir also irgendwo lesen, dass bei einer Untersuchung der Mittelwert der Ergebnisse 0 ist und die Standardabweichung 15, können wir erwarten, dass 8 % aller Ergebnisse zwischen 75 und 45 fallen. Wir können dann weiter berechnen, dass, wenn 95 % aller Ergebnisse zwischen Mittelwert ± doppelte Standardabweichung fallen, fast alle Ergebnisse in diesem Beispiel zwischen 90 und 30 liegen. Man muss jedoch mit der Standardabweichung ein wenig aufpassen. Wir haben sie hier aus Übungsgründen an sehr kleinen Gruppen angewandt. Es gibt aber Situationen, wo eine Berechnung der Standardabweichung wenig hilfreich ist; meistens sollte man Gruppengrößen von mindestens 30 Personen haben, wenn man die Standardabweichung berechnet. Ebenso ist dieser Wert nicht gerade hilfreich, wenn die Ergebnisse nicht normalverteilt sind, also, wenn sie so um einen Mittelwert verteilt liegen, dass kaum Werte nah beim Mittelwert liegen, sondern sie zum Beispiel aus vielen sehr niedrigen und vielen sehr hohen Werten bestehen-- oder, wenn sie alle genau dem Mittelwert entsprechen. Dann ergibt die Berechnung wenig Information über das tatsächliche Verhalten unserer Teilnehmer. Bei den oben genannten Gruppen C und D zum Beispiel hilft es uns wenig, zu wissen, dass in beiden Fällen 100 % der Teilnehmer innerhalb einer Standardabweichung vom Mittelwert liegen. Wir können wenig darüber sagen, wer deutlich besser oder deutlich schlechter ist als die anderen Teilnehmer. Das sehen wir auch einfach, wenn wir die Ergebnisse in einer Grafik darstellen (Abbildung .; Gruppe C wird mit einer gestrichelten Linie dargestellt, Gruppe D mit einer durchgezogenen): <?page no="211"?> 212 6. Datenanalyse in der Forschung Abbildung 6.6: Gruppen C (gestrichelte Linie) und D (durchgezogene Linie) (Albert & Marx 2016: 120) Ganz wichtig ist zudem, dass wir-- um die Standardabweichung zu berechnen-- den Mittelwert benötigen. Da ein Mittelwert nur für metrisch skalierte Daten berechnet werden kann, zeigt die Standardabweichung nur die Variabilität dieser Art von Daten an. Häufig haben wir es aber mit ordinal skalierten Daten zu tun. Aber auch für ordinal skalierte Daten oder für nicht-normalverteilte, metrisch skalierte Daten können wir einen sogenannten Streubereich berechnen, der uns zeigt, was normal ist, und was eher nicht normal. Der Interquartilbereich ist nichts Anderes als alle Daten, die nicht zu den kleinsten oder zu den größten Messungen gehören (inter-= zwischen; Quartil-= ¼). Hier sehen wir, welche Ergebnisse zwischen dem oberen Viertel der Daten und dem unteren Viertel der Daten liegen, also zu den mittleren 50 % aller Werte gehören. Der Interquartilbereich wird inzwischen sehr häufig in Arbeiten aus der Sprachlehrforschung angegeben, weil er ordinal skalierte Daten gut abbilden kann und für Ausreißer wenig anfällig ist. Er ist auch leicht zu berechnen. Hierfür muss man alle Daten in zwei Gruppen aufteilen, und zwar (1) alle Daten, die unter dem Median (nicht Mittelwert! ) der Ergebnisse liegen und (2) alle Daten, die über dem Median liegen. Der Streubereich ist dann das Ergebnis von (2) minus das Ergebnis von (1). Wir probieren dies wieder an dem Beispiel der zehn Schüler, die am Vokabeltest teilgenommen haben. Was ist der Interquartilbereich, also in welchem Bereich liegen 50 % aller Ergebnisse? Man berechnet den Median von allen Werten, die über dem Median (7) liegen, also (8, 8, 8, 9, 10-= 8) minus den Median von allen Werten, die unter dem Median liegen, also (2, 4, 5, , -= 5). Das bedeutet, dass 50 % aller Ergebnisse zwischen 5 und 8 liegen, und unser Interquartilbereich 3 Punkte beträgt. Die Quartile kann man auch grafisch darstellen, und zwar als sogenannten Boxplot, allerdings leider nicht mithilfe von Excel. Hierfür brauchen Sie ein anderes Programm, zum Beispiel R oder SPSS . Da dies unterschiedliche Schritte (und zum Teil kostenpflichtige Programme) benötigt, erklären wir an dieser Stelle nicht, wie Sie ein solches Diagramm erstellen können, sondern nur, wie Sie es verstehen. Eine Abbildung der Ergebnisse vom Vokabeltest (Tabelle .1) finden Sie in Abbildung .7: <?page no="212"?> 213 6.2 Daten, Variablen und Skalen Abbildung 6.7: Boxplot zur Darstellung des Interquartilbereichs (Albert & Marx 2016: 121) Hier sehen wir einen dunkleren Bereich (die Box), in den die mittleren 50 % aller Ergebnisse fallen (die Box reicht von 5 bis 8 Punkten, wie wir soeben berechnet haben). Der mittlere Strich ist der Median aller Ergebnisse (hier: 7). Die jeweils oberen und unteren Striche außerhalb der Box zeigen die jeweils 25 % der Ergebnisse, die entweder über der Box oder unter der Box liegen. (Es kann übrigens sein, dass auch kleine Sternchen oder Kreuze abgebildet werden, die noch weiter von der Box entfernt liegen. Dabei handelt es sich immer um Ausreißer, womit wir uns hier nicht beschäftigen.) Zusammenfassend kann man sagen: Sowohl die Standardabweichung als auch der Interquartilbereich können uns wichtige Informationen über das Verhalten von Ergebnissen in einem Datensatz liefern. Allerdings können wir die Standardabweichung nur in bestimmten Fällen berechnen. Auch deswegen ist der Interquartilbereich ein hilfreicher Wert, um Aussagen über die Variabilität von Ergebnissen zu ermöglichen. Transformierte Messwerte Bisher haben wir nur Werte besprochen, die einen ganzen Datensatz beschreiben, also wie sich eine gesamte Gruppe verhält. Manchmal will man aber herausfinden, wie sich ein Testwert einer Person zu den restlichen Testwerten verhält. Im Alltag sprechen wir hier von überdurchschnittlich und unterdurchschnittlich. Nun können wir einen Testwert auch transformieren, um herauszufinden, wie genau über- oder unterdurchschnittlich ein bestimmtes Ergebnis (eine bestimmte Person mit Bezug auf eine bestimmte Eigenschaft etc.) genau ist. Wenn wir bei einzelnen (metrisch skalierten) Daten wissen wollen, ob sie über oder unter dem Mittelwert liegen und auch, wie weit sie davon entfernt sind, berechnen wir einen sogenannten z-Wert. Diesen Wert (standard score) können wir auch später dafür verwenden, Werte mit einer unterschiedlichen Skalierung zu vergleichen (wenn zwei Sprachtests geschrieben wurden, wobei bei dem einen insgesamt 100 Punkte erreicht werden konnten und bei dem anderen insgesamt 70, zum Beispiel). Der z-Wert sagt uns genau, um wie viele Standardabweichungen ein Ergebnis vom Mittel der Stichprobe entfernt liegt. Die Formel hierfür ist recht einfach, und im Beispiel von Tabelle .2 (oben) wäre zum Beispiel der z-Wert vom ersten Ergebnis: <?page no="213"?> 214 6. Datenanalyse in der Forschung Abbildung 6.8: Formel zur Berechnung des z-Werts (Albert & Marx 2016: 122) Das Ergebnis 2 liegt daher 1,1 Standardabweichungen unter dem Mittelwert für die getestete Gruppe. Dass das Ergebnis unter dem Mittelwert liegt, sehen wir an dem Negativzeichen vor dem individuellen z-Wert. Die Darstellung der Daten Seitdem Softwareprogramme wie Excel überall vorhanden sind, kann praktisch jeder seine Daten auf ansprechende Art und Weise darstellen. Die am häufigsten benutzte Darstellungsweise ist immer noch die Tabellenform, von der wir oben schon einige Beispiele hatten. Andere Arten sind Grafiken, wovon die üblichsten Histogramme oder Polygone sind. Wenn wir zum Beispiel die Ergebnisse aus Tabelle .2 verbildlichen wollen, könnten wir die Grafik in Abbildung .9 erstellen: Abbildung 6.9: Histogramm (Häufigkeitsverteilung) (Albert & Marx 2016: 123) Wenn wir aber Ergebnisse präsentieren, die nicht (wie bei den Vokabeltestdaten) punktuell erhoben wurden, sondern einen Verlauf darstellen (wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn wir über einige Zeit die Ergebnisse von einer Person oder einer Gruppe von Personen erheben), dann können wir die Daten in einem Polygon (Liniendiagramm) verbildlichen. Dabei ist der Erhebungszeitpunkt immer auf der x-Achse zu finden, wie in Abbildung .10: <?page no="214"?> 215 6.2 Daten, Variablen und Skalen Abbildung 6.10: Polygon (Albert & Marx 2016: 123) Daten, die Häufigkeiten darstellen, können auch in Kuchen- oder Balkendiagrammen dargestellt werden. Balkendiagramme sind im Prinzip Histogramme, nur dass die Darstellung horizontal ist. Man sollte allerdings nicht der Versuchung erliegen und die Ergebnisse eines ernsthaften Forschungsprojekts in jeder Menge spezieller Grafiken untergehen lassen-- das sieht dann am Ende eher unseriös aus. 6.2.3 Beziehungen zwischen Daten und Variablen Bisher haben wir uns in dieser Lerneinheit mit Verfahren befasst, die versuchen, Tendenzen zu beschreiben. Jedoch kommt es häufig vor, dass wir nicht nur das Verhalten einer bestimmten Gruppe beschreiben wollen, sondern über die in einer einzigen Studie erhobenen Daten hinausgehen und auf andere Situationen generalisieren wollen. Man möchte nämlich inferieren, also aus einer bestimmten Stichprobe Schlüsse auf die Gesamtpopulation ziehen. Man stellt eine Hypothese darüber auf, wie sich die Population verhält, und prüft sie an einer Stichprobe. Aus diesem Grund wird die inferentielle Statistik manchmal auch Prüfstatistik genannt. Ein kleiner Hinweis zu den folgenden Ausführungen: Es gibt natürlich mehr statistische Tests als die, die wir hier behandeln. Wir haben eine Auswahl aus den in der Linguistik am häufigsten verwendeten Tests getroffen, um Ihnen ein Minimalhandwerkszeug bereitzustellen. Bevor Sie Ihre Daten erheben, sollten Sie das statistische Verfahren immer mit jemandem, der sich auskennt, besprechen. In dieser Lerneinheit sehen wir uns die Resultate von mehreren Tests und / oder mehreren Teilnehmergruppen und / oder mehreren Korpora an und fragen uns, ob es einen Zusammenhang zwischen den Testergebnissen gibt (Achtung: keine kausale Beziehung, sondern nur einen Zusammenhang). Dies wird als eine Zahl zwischen zwei Datenreihen repräsentiert. Der Wert für diesen Zusammenhang wird meist mit r (Pearsons Korrelationskoeffizient), aber auch mit ρ (Spearmans Rho) oder χ ² (Chi Quadrat), je nach statistischer Analyse, angegeben. Zusammenhangsberechnungen gehören zu den meistgenutzten statistischen Ansätzen und können unterschiedliche Beziehungen aufzeigen, zum Beispiel: <?page no="215"?> 216 6. Datenanalyse in der Forschung ▶ Im Allgemeinen neigen große Menschen dazu, schwerer zu sein als kleine Menschen. In anderen Worten: Je größer Menschen sind, desto mehr neigen sie dazu, schwerer zu sein. ▶ Im Allgemeinen ist es so: Wer viel liest, schaut weniger Fernsehen. ▶ Im Allgemeinen ist es so: Wenn alle anderen Bedingungen gleich sind, schneidet man umso besser bei den Klassenarbeiten ab, je mehr Zeit man mit Hausaufgaben für die Schule verbringt. ▶ Frauen tendieren dazu, mehr question tags (deutsch: ‚Frageanhängsel‘, zum Beispiel nicht wahr? , gell? , oder? ) zu verwenden als Männer. ▶ Im Allgemeinen ist das Leseverständnis umso besser, je mehr Wörter man in einer Fremdsprache kennt. Diese Beziehungen sind ziemlich offensichtlich und stimmen mit der intuitiven Auffassung überein, die die meisten Menschen über die Beziehung zwischen Dingen haben. Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass diese Beziehungen im Allgemeinen stimmen, dass es aber Ausnahmen geben könnte. Es gibt kleine Menschen, die schwerer sind als einige große Menschen, und es gibt Leute, die viel lesen und viel fernsehen. Und nicht jede Frau verwendet mehr question tags als jeder Mann. Manchmal existiert eine Beziehung, die absolut ist-- in dem Sinne, dass eine Eigenschaft sich genau abhängig von einer anderen verändert. Zum Beispiel geht umso mehr Benzin in den Tank, je größer dieser ist. Natürlich kann es auch zwischen zwei Dingen überhaupt keinen Zusammenhang geben. Es gibt beispielsweise wahrscheinlich keine Beziehung zwischen der Schuhgröße eines Menschen und seinen Ergebnissen in einem Sprachtest, oder zwischen der Menge des Regenniederschlags in einem Bundesland und der Höhe der dortigen Gewerbesteuern. In der Psycholinguistik und Sprachlehrforschung haben wir es je nach Skalenniveau mit unterschiedlichen Verfahren zur Berechnung einer Beziehung zwischen Daten zu tun, weswegen wir auf jedes Skalenniveau separat eingehen. Mehr Informationen hierzu finden Sie unter anderem bei Bachman (2004: 92) sowie Bortz & Döring (2009: 505-54). Beziehungen zwischen metrisch skalierten Daten Metrisch skalierte (kontinuierliche) Daten werden in der Praxis am häufigsten miteinander verglichen. Hierfür werden Korrelationen berechnet. Eine Korrelation kann man sich am besten vorstellen, wenn man die Ergebnisse in einem Streudiagramm darstellt. Nehmen wir an, wir untersuchen die Ergebnisse von sechs Studenten und Studentinnen in zwei Tests, einem Vokabeltest und einem Grammatiktest, beide mit zehn Aufgaben (siehe Tabelle .5). Vokabeln Grammatik John 1 3 Peter 2 4 Eva 3 5 <?page no="216"?> 217 6.2 Daten, Variablen und Skalen Vokabeln Grammatik Thomas 4 6 Moritz 5 7 Clara 6 8 Tabelle 6.5: Vergleich der Benotungen in zwei Tests Wenn wir die Ergebnisse in einer Grafik abbilden (Abbildung .11), sehen wir, dass alle Punkte auf einer geraden Linie liegen. Die gestrichelten Linien in Abbildung .11 zeigen, wo die Punkte für Eva und Clara liegen. Abbildung 6.11: Streudiagramm der Benotungen aus Tabelle 6.5 (Albert & Marx 2016: 127) Alle Punkte liegen auf einer geraden Linie (diese nennt man übrigens eine Regressionslinie), weil es in diesem erfundenen Beispiel eine perfekte lineare Korrelation zwischen den Benotungen für Vokabeln und Grammatik gibt, die uns zeigt, dass gute Noten im Vokabeltest mit guten Noten in der Grammatik zusammenhängen (wir schreiben dies als r = 1, auf die Notation kommen wir später zurück). Die Linie in Abbildung .11 hat eine positive Steigung, die darauf hindeutet, dass eine positive Korrelation besteht. Eine positive Korrelation bedeutet, dass wir sagen können: je mehr x, desto mehr y, also hier: je besser die Ergebnisse beim Vokabeltest, desto besser die Ergebnisse beim Grammatiktest. Eine solche Linie kann auch eine negative Steigung haben, die dann eine negative Korrelation zeigt. In unserem Beispiel vom Anfang zum Leseverhalten und Fernsehkonsum kann man sagen: Je mehr man liest, desto weniger schaut man fern. Die Beziehung ist dann eine von je mehr x, desto weniger y. In diesem Fall verläuft die Regressionslinie in umgekehrter Richtung, vergleiche Abbildung .12 (der Einfachheit halber gehen wir auch hier von einer perfekten negativen Korrelation, also r = -1, aus): <?page no="217"?> 218 6. Datenanalyse in der Forschung Abbildung 6.12: Streudiagramm einer perfekten negativen Korrelation (Albert & Marx 2016: 127) Normalerweise ist eine Korrelation natürlich nicht perfekt. Ein Streudiagramm wie in Abbildung .14 wäre viel normaler. Die Beziehung zwischen zwei Aspekten kann mithilfe des Korrelationskoeffizienten dargestellt werden, der als Zahl zwischen -1 (perfekte negative Korrelation) und +1 (perfekte positive Korrelation) angegeben wird. Wenn die Korrelation sich um Null bewegt, gibt es keine Beziehung zwischen den Ergebnissen (wie zum Beispiel zwischen Schuhgröße und IQ eines Erwachsenen). Korrelationen bei metrisch skalierten Daten berechnen Einen Korrelationskoeffizienten zwischen zwei Reihen metrisch skalierter Daten zu berechnen, ist recht einfach. Wir beschäftigen uns hier mit der Art der Korrelation, die mit dem Pearsons Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten (oder einfach r) gekennzeichnet wird. Dieses Verfahren wird nur benutzt, wenn es um Daten einer Intervallskala geht (wie in Tabelle .5). Dort finden wir die Ergebnisse von zwei Vokabeltests, die zehn Studenten geschrieben haben. Da dies kein Kurs im Rechnen, sondern in der Nutzung statistischer Verfahren ist, haben wir ein Beispiel mit einer kleinen Datenanzahl genommen. Übrigens wird das Pearson-Verfahren häufig für Noten verwendet, auch wenn diese streng genommen ordinal skaliert sind. Das sollte man aber lieber vermeiden. Die Tests bestanden aus jeweils 10 Fragen. Abbildung .14 stellt die Noten in einem Streudiagramm dar. (Weil wir später noch über ordinal skalierte Daten sprechen, berechnen wir hier auch die Rangwerte.) <?page no="218"?> 219 6.2 Daten, Variablen und Skalen Student Ergebnis Test A Ergebnis Test B Rangplatz Test A Rangplatz Test B 1 6 7 6 5,5 2 5 7 7,5 5,5 3 3 4 10 10 4 5 5 7,5 8,5 5 8 9 2,5 1 6 8 8 2,5 2,5 7 4 5 9 8,5 8 7 7 4,5 5,5 9 9 7 1 5,5 10 7 8 4,5 2,5 Tabelle 6.6: Daten für eine Korrelationsberechnung (Albert & Marx 2016: 128) Wie wir bereits gesehen haben, werden die Rangplätze für gleichwertige Ergebnisse als Mittelwert der Plätze berechnet. Weil zum Beispiel der Wert 5 beim Test 1 zweimal vorkommt, erhalten also beide Studenten den Rang 7,5 als Mittelwert von Rang 7 und Rang 8. Die einfachste Möglichkeit, den Korrelationskoeffizienten (die Zahl zwischen -1 und +1) für diese Ergebnisse zu berechnen, ist, ein Kalkulationsprogramm wie Excel zu benutzen. Man kann zwar die Korrelation auch per Hand berechnen, dies ist aber aufwändiger und eigentlich nicht nötig. <?page no="219"?> 220 6. Datenanalyse in der Forschung Abbildung 6.13: Excel-Arbeitsmappe zur Berechnung von Korrelationen (Albert & Marx 2016: 129) In einer Excel-Arbeitsmappe (siehe Abbildung .13) tippen Sie die Daten von oben ein. Spalte A enthält dann die Ergebnisse von Test A, Spalte В von Test B. In einer leeren Zeile verwenden Sie dann die Formel für die Berechnung von Korrelationen, = KORREL (Matrix1; Matrix2) (Eine Matrix ist der gesamte Satz von Ergebnissen eines Tests, also: ,A1: A10‘ bedeutet ‚alle Zeilen von A1 bis A10‘). Hier wäre das: = KORREL (A1: A10; B1: B10) Sie erhalten dann in der gleichen Tabellenzelle das Ergebnis: r-= 0,82935919, was wir für die Präsentation der Ergebnisse im Normalfall aufrunden zu: r-= 0,83. Der Korrelationskoeffizient beantwortet die Frage, ob es eine Beziehung zwischen zwei Variablen gibt oder nicht gibt, dahingehend, dass eine Variable dazu neigt, sich in einer zur anderen Variablen ähnlichen Art zu erhöhen oder zu verringern (allerdings sagt das nichts über die Ursache! ). In unserem Beispiel wollten wir also herausfinden, ob ein Student, der bei Test A ein gutes Testergebnis erzielt, bei Test В ein ebenso gutes Testergebnis erzielt (Paralleltest), und ob dies auch bei den mittelmäßigen und schlechten Ergebnissen der Fall ist. Ein r von 0,83 in dieser Art von Vergleich (Vergleich zweier Testsätze) ist akzeptabel, obwohl man eigentlich erwarten würde, dass der Korrelationskoeffizient etwas höher liegt. <?page no="220"?> 221 6.2 Daten, Variablen und Skalen Dass die Korrelation nicht perfekt ist (das heißt nicht 1), kann man im Streudiagramm in Abbildung .14 sehen. Das Diagramm zeigt auch, dass die meisten Punkte dicht an einer (fiktiven) aufsteigenden Linie liegen, dass also im Allgemeinen die Testergebnisse miteinander korrespondieren. Abbildung 6.14: Streudiagramm der Daten aus Tabelle 5 (r= 0,83) (Albert & Marx 2016: 129) Eine kleine Warnung: r ist für Ausreißer extrem anfällig-- ein Wert, der deutlich außerhalb der sonstigen Tendenz liegt, kann zu verzerrten Ergebnissen führen. Daher ist es immer sinnvoll, ein Streudiagramm zu erstellen und eventuell die Berechnung ohne die sehr weit entfernten Ergebnisse noch einmal durchzuführen. Das wäre im obigen Beispiel der Fall, wenn zum Beispiel ein Student oder eine Studentin in Test A das Ergebnis 9 und im Test В das Ergebnis 1 hätte. Für solche Korrekturen gibt es unterschiedliche Richtlinien, auf die wir hier nicht weiter eingehen können. Ebenfalls kann der Test mit Beziehungen, in denen ein Wendepunkt in der Korrelation existiert (kurvilineare Beziehungen) schlecht umgehen-- hierfür empfehlen sich andere Prüfmöglichkeiten, auf die wir in diesem Band ebenfalls nicht weiter eingehen können. Signifikanz: Wann ist die Korrelation hoch genug? Wie oben besprochen, bewegt sich der Wert des Korrelationskoeffizienten zwischen -1 und +1. Beträgt der Wert 0 oder bewegt er sich um 0, dann gibt es keine Beziehung, wie in unserem Beispiel von Schuhgröße und IQ . Aber wann ist die Korrelation hoch genug, um sagen zu können, dass es einen Zusammenhang zwischen zwei Variablen gibt? Ab welchem Punkt können wir zum Beispiel behaupten, es gibt eine positive Korrelation zwischen zwei Ergebnissätzen-- ab einem r-Wert von 0,? oder erst ab einem von 0,9? oder bereits ab r = 0,3? Und woher wissen wir, dass diese Ergebnisse nicht einfach dem Zufall zuzuschreiben sein könnten? Wir werden diesen Fragen auf zwei Arten begegnen, zuerst in inhaltlicher Hinsicht, indem wir sehen, wie hoch die Korrelationen sind, die für bestimmte Arten von Forschungsaussagen erwartbar sind, und dann in technischer Hinsicht, indem wir die statistische Signifikanz besprechen. <?page no="221"?> 222 6. Datenanalyse in der Forschung Zunächst will man wissen, ob eine Korrelation als hoch, mittel oder niedrig anzusehen ist. Dabei ist zu beachten, dass in einigen Forschungsfeldern eine wesentlich höhere Korrelation erwartet wird als in anderen. Ein Beispiel: Die Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen derselben Person in zwei Tests mit kurzem zeitlichen Abstand wird typischerweise bei 0,90 erwartet. Korrelationen zwischen Testergebnissen für Englisch am Ende der Grundschule und nach dem ersten Jahr der Oberstufe wären wahrscheinlich wesentlich niedriger. Und bei einer Korrelation zwischen dem PISA -Ergebnis für Mathematik und sozialer Angepasstheit (angenommen, es wäre möglich, soziale Angepasstheit ordentlich zu testen)? Wenn wir hier ein r von 0,30 bekämen, sähen wir dies als ein überaus interessantes Ergebnis an. Dasselbe gilt natürlich für negative Korrelationen, also ein r-Wert zwischen -0,90 und -1 bezeichnet eine sehr hohe negative Korrelation, einer zwischen -0,70 und -0,89 eine hohe negative Korrelation etc. Eine allgemeine Faustregel für die Interpretation des Wertes des Korrelationskoeffizienten im Hinblick auf die Stärke der Beziehung zwischen zwei Variablen ist folgende: Wert Interpretation 0,90-1 sehr hohe Korrelation, sehr starke Beziehung 0,70-0,89 hohe Korrelation, ausgeprägte Beziehung 0,40-0,69 mittlere Korrelation, substantielle Beziehung 0,20-0,39 schwache Korrelation, definitive, aber geringe Beziehung 0-0,19 keine bis leichte Korrelation Tabelle 6.7: Faustregel zur Interpretation des Korrelationskoeffizienten (Albert & Marx 2016: 131) In unserem Beispiel von vorhin könnten wir dann behaupten, dass der berechnete r-Wert von r = 0,83 eine hohe Korrelation anzeigt, es gibt also eine recht starke Beziehung zwischen den Ergebnissen bei Test A und Test В (vergleiche hierzu Effektgröße, siehe Lerneinheit .3 in diesem Band). Es reicht allerdings nicht aus, zu wissen, dass eine Korrelation schwach, mittel oder hoch ist. Wir müssen auch wissen, ob wir den Ergebnissen trauen können. Hierfür wird der statistische Signifikanzwert berechnet. Dieser gibt an, ob wir davon ausgehen können, dass unsere Ergebnisse nicht aus purem Zufall entstanden sind. Dieser wird detaillierter in der Lerneinheit .3 erklärt. Hier reicht es zu wissen, dass der statistische Signifikanzwert, der ungeachtet des Verfahrens mit p bezeichnet wird, normalerweise kleiner als 0,05 sein soll (p < 0,05). Die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis zufällig entstanden ist, das heißt nicht signifikant ist, ist dann 1 zu 20 oder 5 % (0,05 = 5 %). Der notwendige Wert wird vor der Berechnung der Ergebnisse von der Forscherin oder dem Forscher festgelegt. Da manche leicht zugänglichen Programme wie Excel zwar den Korrelationskoeffizienten (r), jedoch nicht die Signifikanz (p) angeben, ist es sinnvoll, zu wissen, wie man diese selbst nachschlagen kann. Hierfür führen wir die folgenden Schritte durch. <?page no="222"?> 223 6.2 Daten, Variablen und Skalen 1. Wir bestimmen schon vor der Datenerhebung, welche Signifikanz wir für akzeptabel halten. In der Praxis wird dieser Schritt oft nicht vollzogen; korrekt ist es jedoch, vor der Berechnung den benötigten Wert festzulegen. Wir entscheiden uns hier, den notwendigen Wert etwas konservativer zu setzen, und bestimmen, dass dieser p < 0,01 sein muss, um unsere Ergebnisse für signifikant zu halten. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass unser Ergebnis zufällig entstanden ist, weniger als 1 zu 100 oder 1% (0,01 = 1%) betragen muss. 2. Wir nehmen die Anzahl der gepaarten Daten (in unserem Beispiel sind die Paare jeweils die beiden Ergebnisse derselben Person in den beiden Tests), die in der Kalkulation des Korrelationskoeffizienten benutzt wurden, und subtrahieren davon die Anzahl der Gruppen, also 2. In unserem Fall von Tabelle . (r-= 0,83) hatten wir 10 gepaarte Daten (Wir hatten 10 Ergebnisse von Test А und 10 von Test B, was 10 gepaarte Daten ergibt). Wir ziehen 2 ab. Dies ergibt 8. Wir nennen diese Zahl df (‚Freiheitsgrade‘, englisch: degrees of freedom). Freiheitsgrade (df) zeigen, wie viele der Testwerte nicht feststehend sind. Das kann man sich so vorstellen: Bei einer Prüfung haben fünf Studenten mitgeschrieben. Die Summe ihrer Ergebnisse ist 80. Sobald wir wissen, was vier der Ergebnisse sind (zum Beispiel 20, 15, 5, 20), steht das fünfte Ergebnis fest: Es muss 20 sein. Die Anzahl 4 gibt unsere Freiheitsgrade an. Für jeden Test müssen Sie wissen, wie man die Freiheitsgrade berechnet (Sie sehen diese aber auch in der Datenausgabe, wenn Sie ein Statistikprogramm verwenden). Freiheitsgrade werden in der Darstellung von Ergebnissen immer (in Klammern) mit angegeben. 3. Wir sehen uns eine Tabelle zu Signifikanzniveaus beim Korrelationskoeffizienten an. Wir sehen zuerst in der Spalte, die mit df markiert ist, die df, die wir ausgerechnet haben, nach (in unserem Beispiel 8). In dieser Zeile finden wir 3 Zahlen: 0,32, 0,75 und 0,872. Diese sind die Korrelationskoeffizienten, die man für 10 gepaarte Ergebnisse (oder df = 8) mindestens haben sollte. Unser Korrelationskoeffizient (r = 0,83) liegt zwischen der zweiten und der dritten Zahl. Wenn wir uns nun die kleinere Zahl (0,75) ansehen, sehen wir, dass diese Spalte für zweiseitige Hypothesen mit 0,01 beschriftet ist. Somit haben wir unsere benötigte Signifikanz erreicht und schreiben dann (p < 0,01). Noch einfacher ist es natürlich, wenn Sie die Korrelationen mit einem Online-Statistikprogramm berechnen lassen-- dann wird der Signifikanzwert immer mit angegeben. Wichtig zu beachten ist: Ein p-Wert von 0,001 bedeutet nicht, dass die Ergebnisse bedeutsamer sind als bei einem p-Wert von 0,01 oder 0,05-- er bedeutet nur, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Ergebnisse zufällig sind, niedriger ist als bei höheren p-Werten. Wofür kann man Korrelationen sonst noch benutzen? Korrelationen zeigen, wie viel zwei Variablen miteinander gemeinsam haben. Insofern sind sie auch sehr nützlich, wenn wir uns vergewissern wollen, dass Ergebnisse zuverlässig sind. Mit Korrelationen können wir sowohl die Bewerterzuverlässigkeit als auch die Testzuverlässigkeit testen: <?page no="223"?> 224 6. Datenanalyse in der Forschung ▶ Im Allgemeinen würden wir eine hohe Übereinstimmung zwischen Prüfungsergebnissen erwarten, wenn wir zwei erfahrene Lehrkräfte bitten, die Prüfungen einer Gruppe von Studenten und Studentinnen auszuwerten, in dem Sinne, dass, wenn Lehrkraft A eine gute Note vergibt, Lehrkraft В ebenso eine gute Note gibt und umgekehrt (Bestimmung der Inter-Bewerterzuverlässigkeit: Da es sich hier um ein Einführungswerk handelt, nehmen wir zur Bestimmung der Inter-Bewerterzuverlässigkeit (interrater reliability) nur Korrelationen auf. Wenn man mit Ratingskalen arbeitet, wird normalerweise ein anderer Wert berechnet (Cohens Kappa). Wenn es keine Korrelation oder gar eine negative Korrelation zwischen den Noten gibt, könnte man daraus schließen, dass die Lehrkräfte ihre Arbeit nicht richtig erledigt haben (das wäre dann eine Nullkorrelation-- also keine Korrelation)). ▶ Im Allgemeinen erwartet man vergleichbare Ergebnisse, wenn man eine Studentengruppe einen bestimmten Test zweimal mit einer einwöchigen Pause dazwischen schreiben lässt (Testwiederholung zur Bestimmung der Testzuverlässigkeit). Dieser sogenannte Verlässlichkeitskoeffizient (test-retest-reliability) sollte bei mindestens r = 0,85 liegen. ▶ Beim Einsatz zweier paralleler Tests sollte der Verlässlichkeitskoeffizient ebenfalls berechnet werden. Beispielsweise kann man zwei Grammatiktests konstruieren, die sich sehr ähneln und die dieselbe Anzahl von Einheiten (sagen wir: 100) mit derselben Aufteilung in Kategorien (zum Beispiel 10 Einheiten Wortreihenfolge, 8 Einheiten Präsensformen unregelmäßiger Verben etc.) besitzen und in denen jeder Einheit des einen Tests eine Einheit mit demselben Schwierigkeitsgrad im anderen Test entspricht. Auch hier sollte der Verlässlichkeitskoeffizient (man nennt dieses Ergebnis auch konvergente Validität) bei mindestens r = 0,85 liegen. Interessant ist eine weitere Anwendung: Will man anhand der Ergebnisse auch Vorhersagen treffen, ist auch dies mithilfe des Korrelationskoeffizienten möglich. Wenn man zum Beispiel Informationen über eine Variable, aber nicht über die andere hat, kann man mittels einer bereits berechneten Regressionsfunktion, die man durch eine lineare Regressionsanalyse erhält, unbekannte Werte vorhersagen. Die Regression zeigt uns, inwiefern zwei Variablen linear verbunden sind. Das kann man sich so vorstellen, als würde man die Regressionslinie in einem Streudiagramm, wie zum Beispiel bei Abbildung .14, einfach weiter als das niedrigste Ergebnis nach unten und weiter als das höchste Ergebnis nach oben ausdehnen. Man würde dann davon ausgehen, dass neue Ergebnisse von Test A irgendwo auf der Regressionslinie platziert werden könnten-- dass das Ergebnis bei Test A das Ergebnis bei Test В vorhersagen kann. Natürlich ist eine solche Vorhersage immer zu einem gewissen Grade inakkurat, denn die Ergebnisse werden sich nie genau auf der Regressionslinie wiederfinden- - es sei denn, es besteht eine perfekte (+1 oder -1) lineare Korrelation zwischen zwei Variablen. Hierfür gibt es unterschiedliche Modelle (zum Beispiel: je nachdem, ob man nur eine unabhängige Variable oder mehrere hat). Das leichteste ist die einfache lineare Regression, die man anwenden kann, wenn nur zwei Variablen miteinander in Beziehung gesetzt werden. Häufiger in der Sprachlehrforschung ist die multiple Regression, die den Effekt mehrerer <?page no="224"?> 225 6.2 Daten, Variablen und Skalen Variablen (wie Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status) auf eine andere Variable (wie zum Beispiel das Ergebnis bei der Leseverstehenskomponente im PISA -Test) zeigen kann. Da dies etwas komplexer ist, gehen wir hier lediglich auf die einfache Regressionsanalyse ein und empfehlen bei entsprechender Datenanalyse zuerst weitere Lektüre zum Thema multiple lineare Regression. Bei der einfachen linearen Regression wollen wir versuchen, Ergebnisse vorherzusagen. Wenn Sie später Schüler testen, die zum Beispiel nur Test A durchführen, können Sie anhand der Regressionsfunktion die Ergebnisse beim Test В vorhersagen. Das funktioniert entweder umständlich per Hand oder weniger umständlich mithilfe einer Online-Statistik-Software, die wir hier vorziehen. Sehr einfach funktioniert dies mit: www.alcula.com/ calculators/ statistics/ linear-regression/ (11. Dezember 2018 ). Diese stellt für Sie folgende Berechnung her: unbekannter Wert-= Ŷ-= 0,72x + 2,5298 und erlaubt Ihnen sogar, fehlende Werte (x, das ist das bereits bekannte Ergebnis für Test A) einzutragen. Wenn also ein Schüler bei Test A das Ergebnis  erzielte, sagen wir für Test В das Ergebnis 3,875 hervor. Wie Sie sehen, kann die Regressionsanalyse nützlich sein, um (noch) unbekannte Werte vorherzusagen. Das funktioniert am besten, wenn wir eine noch recht starke, lineare Korrelation zwischen zwei Variablen haben. Weniger hilfreich ist dies jedoch, wenn es eine sehr hohe Streuung gibt (dann sind die Werte zu weit von der Regressionslinie entfernt-- in diesem Fall ist der Mittelwert meist der bessere Prädiktor), oder wenn die Regressionslinie nicht linear ist. Deswegen sollten Sie immer zuerst Ihr Streudiagramm überprüfen, bevor Sie eine Regressionsanalyse durchführen. Wie man Korrelationen präsentiert Es gibt mehr oder minder allgemein akzeptierte Arten und Weisen, wie man die Resultate von Korrelationsanalysen präsentiert. Im Folgenden geben wir ein Beispiel, wie man eine Korrelation mit den Daten in Tabelle . präsentieren kann. Wir nehmen an, dass es sich bei dem zu präsentierenden Ergebnis um einen Teil eines größeren Forschungsvorhabens handelt, in dem wir die Zuverlässigkeit des Tests überprüfen wollen. Um die Zuverlässigkeit des Tests zu überprüfen, haben wir einen Paralleltest durchgeführt. Die erreichten Durchschnittsnoten waren ,2 bei Test A und ,7 bei Test B, und die Korrelation zwischen den Ergebnissen war r = 0,83 (df (8), p < 0,01). Es hat sich also gezeigt, dass die Tests stark miteinander korrelieren. 6.2.4 Beziehungen zwischen ordinalskalierten Daten Assoziationen bei ordinal skalierten Daten berechnen: Spearman Rho Manchmal liegen einem keine intervallskalierten Daten vor, zum Beispiel, wenn man die Rangplätze bei unterschiedlichen Testverfahren hat, jedoch keine exakten Werte für mindestens eine der Variablen. In diesem Fall kann man einen Rangkorrelationskoeffizienten <?page no="225"?> 226 6. Datenanalyse in der Forschung (Spearman Rho, als ρ oder r s abgekürzt) berechnen. Weil ρ, also Rho, von uneingeweihten Lesern schnell als p, also Signifikanzwert, missverstanden werden kann, empfiehlt es sich, entweder r s oder Rho zu schreiben. Die Beziehung wird auch nicht mehr Korrelation genannt, sondern man spricht bei ordinalskalierten Daten von Assoziationen. Zur Berechnung von Rho bietet Excel keine einfache Formel. Man muss also-- wenn man kein anderes Statistikprogramm wie zum Beispiel SPSS verwendet-- den Rho entweder mühsam manuell berechnen oder eins von mehreren online kostenlos zur Verfügung stehenden Programmen benutzen. Wir versuchen eine Berechnung des Spearman Rho für die Rangwerte der Tests A und В in Tabelle .5 mit einem Online-Statistikprogramm (Wessa, Patrick (2013), Free Statistics Software, Office for Research Development and Education, Version 1. 1. 23-r7 [online unter http: / / www.wessa.net/ . 19. Juli 2013]). Hierfür müssen wir nur alle Werte aus der Spalte Rangplatz Test A in eine Online-Spalte (hier Data Y) hineinkopieren und alle Werte aus der Spalte Rangplatz Test B in die andere Spalte (zum Beispiel: Data X). Danach klicken wir auf compute: Abbildung 6.15: Spearman Rho-Rechner (Albert & Marx 2016: 135) Wir erhalten das Ergebnis: ρ-= 0,79 (p < 0,01), das wir genau so interpretieren wie Pearsons r. Das ist zwar nicht genau das Ergebnis, das wir durch eine Berechnung mit den intervallskalierten Daten hatten-- dafür aber, dass wir mit den Ordinaldaten weniger präzise Werte haben, ist der Wert sehr ähnlich. Wir sehen, dass ein Student oder eine Studentin, der oder die bei Test A einen höheren Rangplatz hat, tendenziell auch bei Test В einen höheren Rangplatz hat. Übrigens ist die Berechnung des Rho weniger anfällig für Ausreißer, denn ob ein Wert 2 Punkte oder  Punkte über dem nächsthöheren Wert liegt, ist unwesentlich- - in beiden Fällen ist er nur einen Rangplatz höher. Sobald gleiche Werte in den beiden Datenreihen vorhanden sind, muss man den Rho nach der Formel Rho mit Bindungen berechnen. Wie man Assoziationen präsentiert Die Präsentation des Rangkorrelationskoeffizienten ist ähnlich wie die von dem für intervallskalierte Daten. Für unsere Ergebnisse aus Tabelle .4 wäre eine Möglichkeit: Um die Zuverlässigkeit des Tests zu überprüfen, haben wir einen Paralleltest durchgeführt und die Rangwerte der Ergebnisse verglichen. Die Assoziation zwischen den Ergebnissen war ρ-= 0,79 (df(8), p < 0,01). Es hat sich also gezeigt, dass eine starke Assoziation zwischen den Testergebnissen besteht. <?page no="226"?> 227 6.2 Daten, Variablen und Skalen 6.2.5 Beziehungen zwischen nominalskalierten Daten Wenn wir es mit nominalskalierten Daten zu tun haben, zum Beispiel, wenn wir gezählt haben, wie oft etwas vorkommt oder wie viele Personen eine bestimmte Ansicht vertreten, wird meistens der Chi-Quadrat-Test (χ ² ) herangezogen. Weil Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler häufig mit nominalskalierten Häufigkeitsdaten zu tun haben und der Test zudem recht einfach ist, behandeln wir ihn ausführlich. Übrigens nennen wir hier die statistischen Beziehungen Kontingenzen. Kontingenzen werden oft berechnet, um aus Befragungen gewonnene Daten zu analysieren. Auf diese Weise stellt man zum Beispiel fest, ob es eine Beziehung zwischen der politischen Partei, die die Leute wählen, und ihrer Einstellung zur Euthanasie oder zur Drogenpolitik der Regierung gibt. Man kann so zu Aussagen wie SPD -Wähler befürworten die Legalisierung weicher Drogen eher als CDU -Wähler gelangen. Man kann natürlich einfach die Anzahl von Leuten zählen, die eine bestimmte politische Partei wählen, und dann herausfinden, wie ihre Einstellung zur Drogenlegalisierung ist, um zu berichten, dass 55 % der SPD -Wähler für eine Legalisierung sind, aber nur 45 % der CDU -Wähler. In diesem Fall könnte man aber nicht sicher sein, dass es eine signifikante Beziehung zwischen den zwei Variablen Vorliebe für eine politische Partei und Einstellung zur Drogenlegalisierung gibt, wenn man keinen Chi-Quadrat- Test durchführt. Ebenfalls berechnen wir Kontingenzen, wenn wir Verteilungen von bestimmten Personengruppen auf bestimmte Bereiche untersuchen wollen. Ein Beispiel für eine solche Forschungsfrage wäre, ob es eine Beziehung zwischen dem sprachlichen Hintergrund der Eltern (beide deutschsprachig, beide anderssprachig, einer deutschsprachig und einer anderssprachig) und der Schulart, die ihre Kinder nach der Grundschule besuchen (Hauptschule, Realschule, Gesamtschule, Gymnasium), gibt. Und schließlich werden diese Tests gern bei Korpusanalysen verwendet, wenn es darum gehen soll, zu untersuchen, wie häufig bestimmte Phänomene in bestimmten (Lerner-)Äußerungen oder Texten vorkommen. Kontingenzen berechnen: der Chi-Quadrat-Test Versuchen wir uns zunächst an einem Beispiel. Sie vermuten, dass in Ihrem Deutschunterricht Lerner aus Fernost mehr Vokabellernstrategien verwenden, die auf Memorieren zurückgreifen, als Lerner aus südamerikanischen oder europäischen Ländern. Sie kündigen einen Vokabeltest für die nächste Woche an, lassen ihn schreiben und verteilen danach einen Fragebogen an die Lerner. Diese sollen alle Strategien ankreuzen, die sie verwendet haben, als sie für die Prüfung gelernt haben (es gab in der Befragung auch Distraktoren, die Sie nicht berücksichtigen, Sie interessieren sich hier nur für die 5 Memorierungsstrategien). In jeder Herkunftsgruppe gibt es 10 Lerner. Sie zählen dann die angekreuzten Arten von Memorierungsstrategien zusammen und erhalten folgende Häufigkeitstabelle (englisch: frequency table): <?page no="227"?> 228 6. Datenanalyse in der Forschung Fernost Südamerika Europa 43 21 35 Tabelle 6.8: Häufigkeitstabelle zu den angekreuzten Arten von Memorierungsstrategien (Albert & Marx 2016: 137) Wenn die Herkunft überhaupt keinen Einfluss auf die Art der Strategie hat, würden Sie erwarten, dass alle Zellen in der Tabelle oben die Zahl 33 enthielten (das ist die durchschnittliche Häufigkeit der Nennungen von Memorierungsstrategien bei allen Gruppen). Das ist offensichtlich nicht der Fall. Woher wissen Sie aber, ob die beobachtete Häufigkeit der Memorierungsstrategien sich von der zu erwartenden Häufigkeit (33) signifikant unterscheidet? Wir berechnen den Test hier per Hand, da dies in der Tat recht einfach ist. Die Formel für den Chi-Quadrat-Test lautet: Abbildung 6.16: Formel für den Chi-Quadrat-Test (Albert & Marx 2016: 137) Setzen wir unsere Werte in die Formel ein, erhalten wir Abbildung 6.17: Ergebnisse des Chi-Quadrat-Tests (Albert & Marx 2016: 137) Wir müssen jetzt in einer Tabelle zur Signifikanz beim Chi-Quadrat nachsehen, ob der Wert signifikant auf unserem erwünschten Niveau (sagen wir p < 0,05) ist. Eine solche Tabelle findet sich online unter meta.narr.de / 978382338533 / 05SonderanhangSignifikanztabellenA4.pdf. Wir benötigen hierzu wieder die Freiheitsgrade. Die berechnen wir, indem wir 1 von der Anzahl der Gruppen (hier: nach Herkunft der Lerner) subtrahieren: df = 3-1-= 2. Nun sehen wir in der Tabelle nach, gehen dort zu df-=  und stellen fest, dass unser Wert 7,52 kleiner als der benötigte Wert für p < 0,01 ist. Somit ist unser Ergebnis signifikant mit p < 0,05. Mit anderen Worten: Die Verwendung der Memorierungsstrategien ist tatsächlich bei den verschiedenen Gruppen unterschiedlich stark ausgeprägt, der Zufall ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Ursache ausgeschlossen. <?page no="228"?> 229 6.2 Daten, Variablen und Skalen Natürlich brauchen Sie Chi-Quadrat nicht mit dem Taschenrechner auszurechnen, es gibt im Internet Chi-Quadrat-Rechner. Wichtig hierbei ist, dass man nur sagen kann, ob ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen besteht. Der Test sagt uns (noch) nicht, wo der Unterschied zu finden ist. Einige Dinge müssen bei der Anwendung des Chi-Quadrat-Tests besonders beachtet werden. Erstens ist es wichtig, dass beim Chi-Quadrat-Test die tatsächlich beobachteten Häufigkeiten verwendet werden müssen, nicht etwa Prozentzahlen. Sie können es ausprobieren: Wenn Sie das Ganze in Prozentzahlen umsetzen und dann den Test mit Prozentzahlen rechnen, bekommen Sie einen anderen Wert für Chi-Quadrat. Zweitens: Die Häufigkeiten müssen unabhängig sein, das heißt Erscheinungen oder Personen oder Antworten müssen genau einer Zelle zugeordnet werden (und nicht mehreren). Drittens: Die Größe der erwarteten Häufigkeit (nicht der beobachteten Häufigkeit) für jede Zelle darf nicht kleiner als fünf sein. Und viertens: Der Test sagt nur aus, ob ein Ergebnis auf den Zufall zurückzuführen ist oder nicht, aber nicht, warum. Bei geringen erwarteten Häufigkeiten verwendet man manchmal die Yates-Korrektur, die allerdings noch recht umstritten ist und hier deshalb nicht besprochen wird. Der Chi-Quadrat-Test bei Korpusanalysen und Lernerkorpora Der Chi-Quadrat-Test wird oft benutzt, um bei Korpusanalysen die Häufigkeit des Vorkommens von Erscheinungen zu vergleichen. Wir betrachten ein Beispiel aus dem Englischen: Das Adjektiv pretty kann als adjektivisches Attribut zu Substantiven gebraucht werden (a pretty flower), als intensivierender Modifikator in Nominalgruppen (pretty horrible weather) oder als intensivierender Modifikator von Adverbien (pretty clearly seen). Unsere Frage ist jetzt: Kommt das Wort in allen diesen Funktionen gleich häufig vor? Wir betrachten das anhand eines Korpus. Das Wort pretty kommt im London-Lund-Korpus 120-mal vor, und zwar wie in der folgenden Häufigkeitstabelle angegeben: adjektivisch als Intensivierer in Nominalgruppen als Intensivierer vor Adverbien 5 95 20 Tabelle 6.9: Häufigkeitstabelle zum Vorkommen des Wortes pretty im London-Lund-Korpus (Albert & Marx 2016: 138) Wenn die drei Funktionen gleichmäßig verteilt wären, dann wäre die zu erwartende Verteilung: adjektivisch als Intensivierer in Nominalgruppen als Intensivierer vor Adverbien 40 40 40 Tabelle 6.10: Erwartung bei einer gleichmäßigen Verteilung der drei Funktionen des Wortes pretty (Albert & Marx 2016: 138) <?page no="229"?> 230 6. Datenanalyse in der Forschung Wenn wir die Formeln anwenden, erhalten wir einen Chi-Quadrat-Wert von 11,25. Wenn wir im Sonderanhang (online unter meta.narr.de / 978382338533 / 05SonderanhangSignifikanztabellenA4.pdf) nachschlagen, sehen wir, dass dieser Wert höher ist als der am weitesten rechts stehende in der Reihe für 2 Freiheitsgrade. Das bedeutet, dass es einen signifikanten Unterschied in der Verteilung der drei Funktionen gibt (p < 0,001). Chi-Quadrat kann man auch benutzen, um zwei (oder mehr) Korpora miteinander zu vergleichen. Wir vergleichen jetzt den Gebrauch von pretty in zwei Korpora, dem London-Lund- Korpus und dem LOB Korpus ( LOB steht für Lancaster, Oslo, Bergen Korpus von Texten in britischem Englisch). Die Daten werden dann in einer Kontingenztafel (englisch: contingency table) präsentiert: adjektivisch als Intensivierer in Nominalgruppen als Intensivierer vor Adverbien LL 5 95 20 LOB 45 37 21 Tabelle 6.11: Der Gebrauch des Wortes pretty im London-Lund-Korpus verglichen mit dem LOB Korpus (Albert & Marx 2016: 139) Daraus ergibt sich die Frage: Gibt es eine Beziehung zwischen dem Gebrauch von pretty und der Art des Korpus? Oder anders formuliert: Gibt es einen Unterschied im Gebrauch von pretty in den beiden Korpora? Oder noch einmal anders formuliert: Gibt es einen Unterschied in der Distribution der einzelnen Funktionen von pretty in den beiden Korpora? Die Berechnung des Chi-Quadrat-Werts ist bei mehr als einer Ebene immer noch nicht sehr komplex, sie involviert aber mehrere Schritte. Auch in Excel können Sie den Wert berechnen lassen, auch dies ist etwas komplizierter. Das Einfachste ist, Sie verwenden eine Online-Kalkulation wie die von Georgetown Linguistics oder die von der University of Kansas (googeln Sie einfach Chi square web calculator). Wir verwenden hier ein Beispiel von der Vanderbilt University (Preacher 2001), online unter http: / / quantpsy.org/ chisq/ chisq. htm. 27. Juli 201), das uns erlaubt, bis zu zehn Reihen und zehn Spalten aufzunehmen. (Die folgende Abbildung haben wir an der Stelle der durchgezogenen Linie etwas gekürzt.) Sie müssen lediglich die Informationen aus der obigen Tabelle eingeben und auf calculate klicken: <?page no="230"?> 231 6.2 Daten, Variablen und Skalen Abbildung 6.18: Chi-Quadrat-Rechner (Albert & Marx 2016: 139) Wir erhalten einen Chi-Quadrat-Wert von 5,5 mit 2 Freiheitsgraden. Auch der p-Wert wird hier direkt berechnet: p = 0,00. Folglich können wir sagen, dass es eine Beziehung gibt zwischen der Art des Korpus und dem Gebrauch des Wortes pretty. Anders gesagt, der Gebrauch des Wortes pretty ist verschieden in den beiden Korpora. Ein weiteres Beispiel aus einer Korpusuntersuchung: Jemand hat untersucht, wie Fragen in zwei verschiedenen Fernsehsendungen gestellt wurden, in der Talkshow Oprah und in der politischen Diskussionssendung On the Record ( OTR ). Dabei stellte sich heraus, dass von allen gestellten Fragen insgesamt 15,3 % eine angehängte tag-question hatten (You agree that this is wrong, don't you? ). Die deutsche Entsprechung ‚Frageanhängsel‘ (nicht wahr? , ne? , woll? ) ist nicht exakt dasselbe, deshalb bleiben wir beim englischen Terminus. Die Verteilung der tagquestions war aber so, dass von den gesamten Fragen sich nur 0,9 % mit einer angehängten tag-question im Oprah-Korpus fanden, und 14,4 % in On the Record. Wenn wir mit einem Chi-Quadrat-Test ermitteln wollen, ob der Unterschied signifikant ist, müssen wir statt der Prozentzahlen die tatsächlichen Zahlen verwenden. Diese waren  beziehungsweise . Oprah OTR Fragen mit tag 4 67 Tabelle 6.12: Tatsächliche Zahlen für die Untersuchung mit dem Chi-Quadrat-Test (Albert & Marx 2016: 140) Mit diesen Daten können wir aber wenig anfangen. Wir wissen nicht, ob 7 wirklich viel mehr als 4 ist, wenn wir nicht wissen, wie viele Fragen denn in den beiden Programmen betrachtet wurden. Unterstellen wir einmal, dass in On the Record ( OTR ) 1-mal so viele Fragen untersucht wurden wie in Oprah. Dann wäre die Differenz zwischen 4 und 7 nicht sonderlich beeindruckend. Wir müssen also die Korpusgrößen in irgendeiner Weise vergleichbar machen in Bezug auf die Anzahl der Fragen. Das geht zum Beispiel so, dass wir die <?page no="231"?> 232 6. Datenanalyse in der Forschung Anzahl der Fragen mit und ohne tag-question in Betracht ziehen. Dabei stellte sich folgende Kontingenztafel heraus: Oprah OTR Fragen mit tag 4 67 Fragen ohne tag 234 160 Tabelle 6.13: Korpusgrößen anhand der Anzahl der Fragen mit und ohne tag-question vergleichbar gemacht (Albert & Marx 2016: 140) Wir könnten übrigens die Spalten und Reihen auch austauschen, so wie in der Tabelle unten. Das spielt für die Chi-Quadrat-Berechnung keinerlei Rolle. Fragen mit tag Fragen ohne tag Oprah 4 234 OTR 67 160 Tabelle 6.14: Umstellung der Spalten und Reihen der Tabelle (Albert & Marx 2016: 140) Wenn wir den Chi-Quadrat-Test auf diese Daten anwenden, dann ergibt die Rechnung ein Chi-Quadrat von 9,58 (p < 0,001). Mit anderen Worten, es gibt tatsächlich einen Unterschied im Gebrauch der tag-questions, der nicht auf den Zufall zurückzuführen ist. In der Sprachlehrforschung ist häufig von Interesse, ob bestimmte Lerner bestimmte Fehler häufiger machen als andere Fehler (oder andere Lerner). Hier helfen uns reine Prozentberechnungen wenig. Wollen wir zum Beispiel wissen, ob Schüler, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, mehr Akkusativals Dativfehler machen, dann müssen wir die Häufigkeiten dieser Fehlerarten miteinander vergleichen. Nehmen wir ein einfaches Untersuchungsdesign an, bei dem wir schriftliche Texte von DaF-Lernern erheben und zählen, wie häufig der Akkusativ korrekt markiert wird, wie häufig er inkorrekt gewählt wird, und wie es beim Dativ aussieht. Wir erhalten folgende Ergebnisse: Akkusativ Dativ korrekt 401 164 inkorrekt 34 59 Tabelle 6.15: Häufigkeit der korrekten beziehungsweise inkorrekten Markierung von Akkusativ und Dativ (Albert & Marx 2016: 141) Wir sehen, dass die Akkusativmarkierungen zu 92,4 % korrekt waren, die Dativmarkierungen zu 73,5 %. Um herauszufinden, ob der Unterschied in der Verwendung zwischen diesen beiden Kasus signifikant ist, führen wir einen Chi-Quadrat-Test aus. <?page no="232"?> 233 6.2 Daten, Variablen und Skalen Da wir es mit mehr als einer Ebene zu tun haben, verwenden wir wieder den Online- Rechner und sehen, dass der Chi-Quadrat-Wert 40,7 beträgt (p < 0,001). (Aufgrund der 2x2-Matrixstruktur wurde hier eine sogenannte Yates-Korrektur angewandt, worauf wir hier aber nicht weiter eingehen). Somit können wir behaupten, dass die Schüler häufiger Fehler in der Markierung des Dativs als in der Markierung des Akkusativs machen. Wie man Häufigkeitsdaten präsentiert Wie bei Korrelationsdaten gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Häufigkeitsdaten zu präsentieren. Wir nehmen hier an, dass wir nur die letztgenannte Statistik zu den Kasusmarkierungen im Rahmen einer größeren Studie präsentieren. Dies könnten wir wie folgt formulieren: Untersuchte DaF-Lerner beherrschen recht sicher die Akkusativmarkierungen, die zu 92,4 % korrekt waren. Aber auch Dative schienen besser als erwartet, beherrscht zu werden: In drei Vierteln (73,5 %) der Dativkontexte wurde der korrekte Kasus gewählt. Für die zwei Kasus Akkusativ und Dativ unterscheiden sich die Werte für korrekte Markierung signifikant, jedoch mit geringer Effektgröße (χ ² = 40,7, p < 0,001, Cramérs V = 0,25). Cramérs V behandeln wir in Lerneinheit .3 bei der Berechnung von Effektgrößen. 6.2.6 Zusammenhang bedeutet nicht Kausalität Man ist leicht versucht, eine kausale Beziehung zwischen zwei Variablen anzunehmen, für die man eine signifikante Beziehung gefunden hat. Wir sehen uns noch einmal einige der Beispiele vom Anfang dieser Lerneinheit an. Im Allgemeinen ist es so: Wer viel liest, schaut weniger Fernsehen. Es gibt tatsächlich eine hohe negative Korrelation zwischen den zwei Variablen Zeit, die man mit Lesen verbringt und Zeit, die man mit Fernsehen verbringt. Es ist verlockend, jetzt zu behaupten, dass die eine Variable (Lesen) eine direkte Auswirkung auf die andere (Fernsehen) hat, also, dass mehr Lesen dazu führt, dass man weniger Fernsehen schaut. Gleichermaßen ist es verlockend, in der folgenden Aussage eine kausale Beziehung zu sehen: Im Allgemeinen ist es so: Wenn alle anderen Bedingungen gleich sind, schneidet man umso besser bei den Klassenarbeiten ab, je mehr Zeit man mit Hausaufgaben für die Schule verbringt. Einmal angenommen, dass wir eine signifikante Korrelation zwischen den zwei Variablen (Zeit, die man mit Hausaufgaben verbringt, und Klausurergebnissen) finden, so scheint es offensichtlich zu sein, dass die erste die letzte kausal bedingt. Trotz dieser scheinbaren Kausalbeziehung ist es nicht erlaubt, auf der Basis einer Korrelationsanalyse zu behaupten, dass eine Variable durch die andere kausal bedingt ist. Um Kausalaussagen machen zu können, muss man andere Techniken anwenden wie beispielsweise die Pfadanalyse, auf die wir hier nicht eingehen. Wir können die Tatsache, dass eine Korrelation nichts über eine Kausalbeziehung aussagt, anhand von drei Beispielen illustrieren. Beispiel 1: Es gibt eine Korrelation zwischen der <?page no="233"?> 234 6. Datenanalyse in der Forschung Abnahme der Störche in den letzten 30 Jahren (die Anzahl der Störche ist in ganz Europa gesunken) und der Anzahl von Geburten (die auch gesunken ist). Damit ist die Rolle des Klapperstorchs für die Geburt von Kindern aber keineswegs bewiesen, offensichtlich kann man nicht sagen, dass das eine Phänomen das andere verursacht hat. Ein zweites Beispiel ist die Beziehung zwischen dem Konsumieren von Fernsehsendungen und dem Maß der Aggressivität bei Kindern. Es gibt eine Korrelation zwischen diesen zwei Phänomenen, aber das bedeutet nicht notwendigerweise, dass das Fernsehen Aggression bei Kindern verursacht. Man könnte sogar mit einiger Berechtigung sagen, dass aggressive Kinder dazu neigen, die im Fernsehen gezeigte Gewalt zu mögen, und daher mehr fernsehen als friedlicher veranlagte Kinder. Es gibt aber noch viele andere Möglichkeiten, die Korrelation zu interpretieren, zum Beispiel: Es könnte sein, dass Kinder, die wenig Zuwendung bekommen, aggressiv werden und dass diese Kinder auch-- mangels sonstiger Ansprache-- viel fernsehen. Dass in der Tat ein solcher kausaler Zusammenhang bestehen kann, ist bereits 193 von Badura gezeigt worden-- hier durch ein experimentelles Verfahren. Das bringt uns zu einem dritten Beispiel. Manchmal gibt es eine Korrelation zwischen zwei Erscheinungen, weil diese beiden Erscheinungen mit einer dritten Erscheinung korreliert sind. Nehmen wir zum Beispiel das folgende Phänomen. Es gibt eine positive Korrelation zwischen der Anzahl von Feuerwehrmännern bei einem Feuer und dem Schaden an dem brennenden Eigentum. Im Allgemeinen ist es also so, dass je mehr Feuerwehrmänner involviert sind, desto mehr Schaden entsteht. Diese positive Korrelation könnte eine kausale Beziehung zwischen den beiden Gegebenheiten dahingehend vorgaukeln, dass Feuerwehrmänner Schaden anrichten. Dies ist jedoch nicht (oder nicht notwendigerweise) der Fall. Tatsächlich gibt es nämlich einen weiteren verborgenen Faktor, nämlich die Größe des Feuers. Je größer das Feuer ist, desto mehr Feuerwehrleute sind notwendig. Ebenso gilt, dass je größer das Feuer ist, desto größer ist der Schaden, den es anrichtet. Daher: Je mehr Feuerwehrleute, desto mehr Schaden. Wenn die Größe des Feuers eine Konstante ist, das heißt, wenn wir uns nur mit kleinen Feuern oder nur mit großen Feuern beschäftigen, dann gibt es keine Korrelation zwischen der Anzahl der Feuerwehrleute beim Feuer und dem Schaden am in Brand geratenen Eigentum. Die Korrelation ist dann nicht real, sondern hängt von einem dritten, verborgenen Faktor ab-- eine Scheinkorrelation also. Besonders in der Sprachlehrforschung sollte man sich davor hüten, kausale Beziehungen aus Korrelationsdaten zu erschließen. Wir können zum Beispiel belegen, dass Kinder, die einen niedrigen sozioökonomischen Hintergrund haben, bei Studien wie PISA deutlich schlechtere Ergebnisse erzielen; das bedeutet aber nicht, dass, wenn die Eltern von einem dieser Kinder im Lotto fünf Millionen Euro gewinnen würden, das Kind bei einer Testwiederholung bessere Ergebnisse erzielen würde. <?page no="234"?> 235 6.2 Daten, Variablen und Skalen 6.2.7 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit wurde die Bedeutung von Datenauswertung in der Sprachforschung in ihrer ganzen Bedeutung sichtbar. Trotz der hier vermittelten Kenntnisse ist es sinnvoll, sich vor einem empirischen Forschungsvorhaben mit einer Person abzusprechen, die sich mit Statistik und Datenauswertung auskennt, um die richtigen Methoden auszuwählen und nicht viel Zeit zu investieren, die es an anderer Stelle gebraucht hätte. In dieser Lerneinheit haben Sie ▶ verschiedene Möglichkeiten der Datenauswertung, die in der Sprachwissenschaft am häufigsten vorkommen, kennen gelernt; ▶ Ihr Wissen bezüglich der unterschiedlichen Skalen erweitert; ▶ erfahren, wie Daten am besten präsentiert werden können; ▶ die Grenzen und Ergebnisse der Verfahren kritisch betrachtet. 6.2.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Nennen Sie Beispiele für Verhältnisskalen und formulieren Sie eine Definitionsmöglichkeit. 2. Nennen Sie Vor- und Nachteile von Häufigkeitsberechnungen. Was kann ausgesagt werden, was nicht? 3. Was unterscheidet Histogramme und Polygone? Wofür werden sie genutzt? 4. Erklären Sie den Begriff positive und negative Korrelation und geben Sie jeweils ein Beispiel. 5. Welcher Wert gibt an, ob Ergebnissen einer Berechnung vertraut werden kann? Begründen Sie. 6. Erläutern Sie die Unterschiede zwischen den metrischen Skalen und den Ordinalbeziehungsweise Nominalskalen. 7. Geben Sie für die Begriffe Median, Mittelwert, Modalwert eine kurze Definition. <?page no="235"?> 236 6. Datenanalyse in der Forschung 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung Ruth Albert & Nicole Marx In der vorigen Lerneinheit haben wir uns zum ersten Mal mit der inferentiellen Statistik befasst. Inferentielle Statistik ermöglicht unter anderem, Ergebnisse zum Verhalten einer relativ kleinen Gruppe von Menschen auf Tendenzen in der Gesamtpopulation zu übertragen. Nötig ist dazu die Auswahl eines angemessenen experimentellen Verfahrens und die richtige Wahl des statistischen Prüfverfahrens. Dabei ist es extrem wichtig, schon vor der Datenerhebung zu wissen, mit welchem statistischen Verfahren man die Daten später auswertet. Deswegen behandeln wir in diesem Kapitel die häufigsten Tests, die in experimentellen Studien der Linguistik und Sprachlehrforschung verwendet werden. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die verschiedenen Methoden des statistischen Prüfverfahrens kennenlernen und unterscheiden können; ▶ die wissenschaftliche schriftliche Präsentation der Ergebnisse beherrschen; ▶ den Zusammenhang zwischen Methoden und Forschungszielen erkennen und analysieren können. Der Text dieser Lerneinheit entstammt der folgenden Quelle: Albert, Ruth & Marx, Nicole (2016), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung. Tübingen: Narr, 145-167. Didaktische Anpassungen (Formulierung der Lernziele, die Zusammenfassung) wurden von Ruth Ho‘aba und Katsiaryna EL -Bouz vorgenommen. 6.3.1 Allgemeines Wenn wir ein Experiment durchführen, vergleichen wir die Daten verschiedener Zustände oder Ausprägungen der abhängigen Variablen. Tabelle .1 ist ein Beispiel für Daten, die aus verschiedenen Experimenten stammen. Forschungsfrage Zustand X Zustand Y Gibt es einen Unterschied zwischen Vokabellehrmethode X und Y? Ergebnisse bei einem Vokabeltest nach Lehrmethode X Ergebnisse bei einem Vokabeltest nach Lehrmethode Y Ergebnisse 4 5 4 8 2 7 2 6 7 8 <?page no="236"?> 237 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung Forschungsfrage Zustand X Zustand Y 5 8 4 Mittelwert 4 7 σ 1,73 1,26 Tabelle 6.16: Beispiele für Daten aus verschiedenen Experimenten (Albert & Marx 2016: 145) Leider sagt uns eine einfache Berechnung des Mittelwerts und der Standardabweichung jeder Gruppe wenig darüber, ob in der Tat bedeutsame Unterschiede zwischen den Gruppen bestehen. Auch die Erstellung einer Grafik mit den erhobenen Ergebnissen hilft uns wenig, genau zu wissen, ob wirklich Unterschiede zwischen den Mittelwerten der Gruppen bestehen (Abbildung .19): Abbildung 6.19: Mittelwerte der untersuchten Gruppen (Albert & Marx 2016: 146) Wenn wir etwas mehr über die Bedeutsamkeit des Verhaltens unserer Versuchsteilnehmer und Versuchsteilnehmerinnen wissen wollen (und das wollen wir natürlich), müssen wir uns für ein weiteres statistisches Verfahren entscheiden. Welches wir verwenden, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: ▶ Geht es um eine Gruppe, die zwei- oder mehrmals in den unterschiedlichen Zuständen untersucht wird (Abhängige-Gruppen-Design beziehungsweise Messwiederholungsdesign) oder um zwei oder mehr unterschiedliche Gruppen, die miteinander verglichen werden (Unabhängige-Gruppen-Design)? ▶ Was für Daten (abhängige Variable) werden wir erheben? Sind sie nominal, ordinal oder metrisch skaliert? ▶ Wie groß sind die Gruppen? (Kleinere Gruppen brauchen besondere Prüfverfahren.) <?page no="237"?> 238 6. Datenanalyse in der Forschung Eine vierte Frage, die häufig gestellt wird, ist: Sind die Ergebnisse normalverteilt? Eine Normalverteilung bedeutet, dass die Ergebnisse um den Mittelwert verteilt sind, wie Sie es von der Gaußschen Glocke kennen (siehe Lerneinheit .2). Wir sollten daher niedrige und hohe Werte haben, und die meisten Werte sollten dazwischenliegen. Allerdings finden Sie in neueren Statistikbüchern oft den Hinweis, dass eine Normalverteilung für den t-Test sowie für die Varianzanalyse gar nicht notwendig ist; beide Tests sind robust genug, auch mit nicht normalverteilten Daten-- wie sie oft bei kleinen Gruppengrößen vorkommen-- umzugehen. Wenn die Daten aus Tabelle .1 im Rahmen eines Messwiederholungsdesigns entstanden sind (die letzte Testperson ist im Laufe der Studie offenbar verlorengegangen), haben wir es zweimal mit einer Gruppe von  Personen zu tun. Haben wir dagegen zwei Gruppen von  beziehungsweise 7 Personen, also 13 Personen, unabhängig voneinander die Aufgaben lösen lassen (also 7 Personen lernen nach Lehrmethode X und  Personen nach Methode Y und absolvieren dann den Vokabeltest), dann haben wir ein Unabhängige-Gruppen-Design. Des Weiteren nehmen wir hier an, dass die Daten in Tabelle .1 auf einer metrischen Skala anzuordnen sind. Wenn wir uns die Durchschnittswerte für die zwei Zustände (4 und 7) ansehen, stellen wir einen Unterschied fest. Nun stellt sich die Frage, ob wir sagen können, dass sich der Mittelwert vom Zustand X wirklich vom Mittelwert des Zustands Y unterscheidet, denn wir finden natürlich immer Unterschiede, wenn wir die Ergebnisse von zwei Gruppen oder zwei Tests vergleichen: Ergebnisse sind praktisch nie exakt numerisch gleich. Wie wir in Lerneinheit .2 gesehen haben, gibt uns die inferentielle Statistik die Möglichkeit, zu testen, ob die von uns gefundenen Unterschiede signifikant sind, also ob die Gefahr, dass die Ergebnisse dem Zufall zuzuschreiben sind, nur sehr gering ist. Für die Auswahl des Tests gilt folgende Daumenregel: Bei metrisch skalierten Daten von zwei Gruppen (oder von einer Gruppe, die zweimal getestet wird) verwenden wir den t-Test. Bei mehr als zwei Gruppen verwendet man dann eine Variante der sogenannten ANOVA . Hat man es dagegen mit ordinal skalierten Daten (wie zum Beispiel Häufigkeitsdaten) zu tun, werden häufig entweder ein Mann-Whitney-U-Test oder ein Wilcoxon-Test verwendet. Bei nominal skalierten Daten nimmt man meist einen Chi-Quadrat-Test. Wir beschreiben in dieser Lerneinheit die Vorgehensweisen bei diesen häufig eingesetzten Tests. Für diese Lerneinheit brauchen wir wie bei der vorigen das Konzept der Freiheitsgrade (wenn Sie sich nicht mehr daran erinnern, schlagen Sie noch einmal nach). Außerdem müssen wir noch erläutern, was einseitige Hypothesen beziehungsweise zweiseitige Hypothesen sind. Hypothesen, die eine bestimmte Ergebnisrichtung voraussagen, sind einseitige Hypothesen. Diese behaupten also, dass der Unterschied nur in eine bestimmte Richtung gehen kann, dass zum Beispiel eine bestimmte Gruppe bessere Ergebnisse haben muss als die andere. Prüfverfahren, die von zweiseitigen Hypothesen ausgehen, überprüfen Hypothesen, die nur einen Unterschied vorhersagen, aber nicht eine bestimmte Richtung. Beim zweiten Beispiel in Tabelle .1 wäre eine zweiseitige Hypothese also: Es wird einen Unterschied geben zwischen der Gruppe, die nach Methode X unterrichtet wird, und der Gruppe, die nach Methode Y unterrichtet wird. Weil Prüfverfahren für zweiseitige Hypothesen konservativer sind, verwenden wir in diesem Buch nur diese- - auch wenn Hypothesen fast immer ge- <?page no="238"?> 239 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung richtet (einseitig) sind. Wenn wir zweiseitige Prüfverfahren verwenden, laufen wir weniger Gefahr, sogenannte Fehler 1. Art beziehungsweise α-Fehler zu machen. Dies passiert, wenn eine Hypothese fälschlich für wahr gehalten wird, wenn man zum Beispiel glaubt, dass eine Beziehung zwischen zwei Elementen besteht, die aber gar nicht vorhanden ist. Das Pendant dazu, der β-Fehler oder Fehler 2. Art, passiert, wenn man eine vorhandene Beziehung nicht findet, zum Beispiel, weil die Stichprobe zu klein ist, um statistische Signifikanz zu erreichen. Wenn Sie sich etwas mehr in die Statistiktheorie einarbeiten und einseitige Hypothesen aufstellen, können (und sollten) Sie einseitig testen. 6.3.2 Tests für metrisch skalierte Daten Voraussetzungen von Tests für metrisch skalierte Daten Mit Tests für metrisch skalierte Daten können wir Unterschiede zwischen Datensätzen nachweisen, aber nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Unter anderem sollen die Ergebnisse: ▶ tatsächlich metrisch skaliert sein, ▶ möglichst normalverteilt sein (dies ist aber nicht unbedingt notwendig). Es gibt zwei Tests, die normalerweise für metrisch skalierte Daten verwendet werden. Einen t-Test (der t-Test wird manchmal auch Student’s t-test genannt nach dem Pseudonym des Mathematikers, der ihn entwickelt hat) kann man benutzen, um zwei Datensätze zu vergleichen. Wenn man statt zwei Ergebnislisten drei oder mehr hat, weil man zum Beispiel drei unterschiedliche Gruppen vergleichen möchte oder eine Gruppe in drei oder mehr unterschiedlichen Zuständen (zum Beispiel in einer Längsschnittstudie), kann man den t- Test nicht benutzen. Wir dürfen auch nicht so vorgehen, dass wir X mit Y mit einem t-Test vergleichen, und dann Y mit Z und X mit Z. Wenn Sie mehr als zwei Datensätze haben, weil es mehr als eine unabhängige Variable gibt oder mehr als zwei Ebenen einer Variablen, müssen Sie eine Variante der Varianzanalyse (analysis of variance, ANOVA ) durchführen. Da diese Analyse etwas komplizierter und zudem bei Abschlussarbeiten oft nicht notwendig ist, besprechen wir nur eine häufig benutzte Variante, die ANCOVA , im Anschluss an die t-Tests. t-Test für abhängige Gruppen Der am häufigsten gebrauchte Test zur Überprüfung der Unterschiede zwischen zwei Datensätzen ist der t-Test. Davon gibt es zwei Varianten. Nehmen wir als Beispiel die Forschungsfrage 2 aus Tabelle .1: Gibt es einen Unterschied zwischen den Vokabellehrmethoden X und Y? Wir haben dieselben Personen nach beiden Methoden lernen lassen, es also mit einem Messwiederholungsdesign (Präbeziehungsweise Posttest) mit metrisch skalierten Daten (beispielsweise die Anzahl der richtig übersetzten Wörter) zu tun. In diesem Fall können wir einen t-Test für ein Messwiederholungsdesign verwenden, den t-Test für abhängige Stichproben. Dieser Test ergibt einen sogenannten t-Wert. <?page no="239"?> 240 6. Datenanalyse in der Forschung Um den t-Wert zu ermitteln, können wir (wie bei den Korrelationen) entweder per Hand mehrere Formeln durchrechnen, oder wir machen es uns mit einem Statistikprogramm einfacher. Bei Excel brauchen Sie für komplexere statistische Berechnungen das Excel Add-in Analyse Funktionen, das Sie aber kostenlos online finden, herunterladen und installieren können. Wenn Sie den t-Wert mit Excel (zum Beispiel Version 2010) ermitteln, müssen Sie (nachdem Sie die Daten eingegeben haben) bei Daten / Datenanalyse auf Zweistichproben t- Test bei abhängigen Stichproben klicken. Sie sehen dann einen Bildschirm, in den Sie einfügen sollen, was der Bereich Variable A ist (das ist Ihre erste Spalte mit Zahlen und dem Titel: A- A) und was der Bereich Variable B ist (das ist Ihre zweite Spalte mit Zahlen und dem Titel: B-B). Achten Sie darauf, dass Sie bei Excel nur die gepaarten Ergebnisse einbeziehen können (also die letzte Person fällt leider aus der Analyse heraus, weil Sie für diese Person keinen Vergleich mit der anderen Lehrmethode ziehen können). Ebenfalls müssen Sie bestimmen, welches Alpha Sie für die Analyse setzen möchten (wir bestimmen zu Übungszwecken ein Alpha von 0,05, das heißt wir legen ein Signifikanzniveau von 5 % fest). Klicken Sie dann in den Kreis vor Ausgabebereich, setzen Sie den Cursor in diesen Ausgabebereich und klicken Sie auf eine andere Zelle (zum Beispiel D) in Ihrem Excel-Arbeitsblatt. Dann wird D  ausgefüllt. Sie bekommen dann einen Bildschirm wie in Abbildung .20 (wir haben hier die drei für uns wichtigsten Werte der Einfachheit halber hervorgehoben): Abbildung 6.20: Ausgabe des t-Werts bei abhängigen Stichproben bei Excel 2013 (Albert & Marx 2016: 149) Wir erhalten somit einen t-Wert (t-Statistik) von t = -4,39 5 . (Das „-“ Zeichen bedeutet lediglich, dass der Mittelwert der ersten Gruppe unter dem der zweiten Gruppe liegt. Nun sagt uns der einfache t-Wert wenig darüber, ob es tatsächlich Unterschiede zwischen den Gruppen gibt. Wir hatten eine notwendige Signifikanz von 0,05 vorausbestimmt. Um herauszufinden, ob dieses Signifikanzniveau erreicht wurde, schauen wir in die Zeile P (T <= t) zweiseitig. Dieser Wert ist 0,007077. Da dieser Wert kleiner als 0,05 ist, können wir <?page no="240"?> 241 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung den p-Wert p < 0,05 feststellen. Ein Rechnerprogramm gibt für p den exakten Wert an. Wie in Lerneinheit .2 erwähnt, ist es besser, die benötigte Signifikanz vorher zu bestimmen und diese dann anzugeben, wenn sie erreicht wird. In der Ausformulierung in Forschungsberichten sieht man meist, ob der p-Wert kleiner ist als 0,001, 0,01 oder 0,05-- nicht aber, ob die Forscher oder Forscherinnen sich vorher Gedanken zum notwendigen Signifikanzniveau gemacht haben. Für unser Beispiel gilt also: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Differenz zufällig ist, ist geringer als 0,05 beziehungsweise 5 %; die Differenz ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durch Zufall bedingt. In der Ergebnisdarstellung schreiben wir dann: t(5) = 4,39, p < 0,05, wobei (5) die Freiheitsgrade angibt (wie man dies als Text zusammenfasst, sehen Sie beim t-Test für unabhängige Gruppen). t-Test für unabhängige Gruppen Wenn wir zwei unterschiedliche Gruppen vergleichen wollen- - also ein Unabhängige- Gruppen-Design vorliegt--, kann der t-Test ebenfalls verwendet werden, hat dann aber eine andere Form. Nehmen wir an, die Daten in Tabelle .1 am Anfang dieser Lerneinheit seien mit zwei (zufällig ausgewählten) Gruppen von Schülern beziehungsweise Schülerinnen entstanden. Gruppe X hat Vokabeln nach Methode X gelernt, Gruppe Y nach Methode Y, und am Ende haben wir sie einen Vokabeltest schreiben lassen. Obwohl wir mit jeweils zehn Schülern pro Gruppe anfingen, gehören den beiden Gruppen eine unterschiedliche Anzahl von Schülern an, da drei Schüler aus Gruppe X und vier Schüler aus Gruppe Y im Laufe des Experiments absprangen. Das ist ärgerlich, hindert uns aber nicht daran, statistische Berechnungen durchzuführen. Viele Studentinnen und Studenten denken, die untersuchten Gruppen müssten auf jeden Fall gleich groß sein, und lassen am Ende in der Auswertung Daten aus der größeren Gruppe weg, damit sie auf gleich große Gruppen kommen. Natürlich ist es sinnvoll, sein Experiment mit ungefähr gleich großen Gruppen anzufangen, aber für die statistische Auswertung bei unabhängigen Gruppen ist es nicht nötig. Um herauszufinden, ob die ermittelten Differenzen signifikant sind, führen wir einen t-Test für unabhängige Gruppen durch. Um diesen t-Wert zu ermitteln, geben Sie die Daten in ein Excel-Tabellenblatt ein und berechnen den t-Wert wie folgt: Klicken Sie bei Daten / Datenanalyse auf Zweistichproben t-Test unter der Annahme unterschiedlicher Varianzen. Wir nehmen den Test für unterschiedliche Varianzen, da wir nicht vorher überprüft haben, ob die Varianzen gleich sind. Bei so kleinen Gruppen sollte man prinzipiell immer den Test unter der Annahme unterschiedlicher Varianzen ausführen. Sie führen dann die gleichen Schritte wie für abhängige Gruppen durch, mit der Ausnahme, dass Sie alle Werte in den Spalten aufnehmen-- also auch die letzte Zeile. Sie bekommen dann die Ergebnisse wie in Abbildung .21 dargestellt (wir haben hier wie im letzten Beispiel die drei für uns wichtigsten Werte der Einfachheit halber hervorgehoben): <?page no="241"?> 242 6. Datenanalyse in der Forschung Abbildung 6.21: Ausgabe des t-Werts bei unabhängigen Stichproben bei Excel 2013 (Albert & Marx 2016: 1) Wir erhalten somit einen t-Wert (t-Statistik) von t = 3,0. Um die Signifikanz zu bestimmen, schauen wir wieder in die Zeile (P (T <= t) zweiseitig). Dieser Wert ist 0,004185. Er ist also wieder signifikant. Wir können dieses Ergebnis nun wie folgt im Teil Ergebnisse unseres Artikels oder unserer Arbeit präsentieren. Achten Sie darauf, dass sich die Freiheitsgrade vom t-Test für abhängige Gruppen unterscheiden: Die Ergebnisse für die zwei experimentellen Bedingungen wiesen signifikante Differenzen auf. Schüler und Schülerinnen, die nach Methode X unterrichtet wurden, erreichten mit einem Mittelwert von 4,0 wesentlich niedrigere Ergebnisse als die nach Methode Y (Mittelwert: 7,0) unterrichteten (t (11) = 3,0, p < 0,05). Dies legt nahe, dass Methode Y für diese Fremdsprachenlerner bevorzugt werden sollte. Alternativ kann man die Ergebnisse des t-Tests auch so aufschreiben: (t = 3,0, df = 11, p < 0,05). Sie haben gesehen: Die Auswahl eines t-Tests für abhängige oder für unabhängige Gruppen führt zu einem unterschiedlichen statistischen Ergebnis. Deswegen ist es sehr wichtig, dass Sie vor der Datenanalyse schon genau wissen, welchen Test Sie anwenden sollen. 6.3.3 ANCOVA für Präbeziehungsweise Posttestdesigns mit zwei Gruppen Was passiert nun, wenn ich nicht nur eine Gruppe zweimal teste (zum Beispiel in einem Präbeziehungsweise Posttestdesign) oder zwei Gruppen in unterschiedlichen Situationen teste? Dieser Fall kommt sehr häufig in Interventionsstudien vor. Das liegt daran, dass es aufgrund der individuellen Variablen der Versuchsteilnehmer beziehungsweise Versuchsteilnehmerinnen und der Situation viele Störfaktoren gibt, die eine Intervention beeinflussen (und somit nichtig machen können). Deswegen wählt man oft ein Design, in dem zwei Gruppen vor einer Intervention getestet werden, danach an der Intervention teilnehmen (beziehungsweise nicht teilnehmen), und am Ende ihr Lernzuwachs erhoben wird. Wenn wir die Studie so durchführen, ist die Gefahr, dass Unterschiede zwischen den Gruppen an der Besonderheit einer <?page no="242"?> 243 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung Gruppe oder an den Anfangskenntnissen der Gruppenmitglieder liegen, deutlich geringer. Das Design sieht etwa wie folgt aus: Gruppe X Test 1 🡢 Teilnahme an Intervention 🡢 Test 2 Gruppe Y Test 1 🡢 keine Teilnahme an Intervention 🡢 Test 2 Tabelle 6.17: Design für das Testen von Gruppen vor und nach einer Intervention (Albert & Marx 2016: 152) Nun erhalten wir aber vier Datenreihen: (1) die Ergebnisse von Test 1 (dem Prätest) für Gruppe X, (2) die Ergebnisse des gleichen Tests für Gruppe Y, (3) die Ergebnisse von Test 2 (dem Posttest) für Gruppe X, und (4) die Ergebnisse des gleichen Tests für Gruppe Y. Wie geht man damit sinnvoll um? Manche Leute meinen, man könnte einfach die Posttestergebnisse der beiden Gruppen vergleichen, oder nur die Differenz zwischen den Testergebnissen für jeden Teilnehmer beziehungsweise jede Teilnehmerin berechnen (indem man zum Beispiel das Ergebnis von Test 2 nimmt und davon das Ergebnis von Test 1 abzieht). Danach erhält man wieder zwei Datenreihen (Differenzwerte), nämlich eine für Gruppe X und eine für Gruppe Y, und vergleicht diese dann. Leider funktionieren beide Verfahren nicht, weil die Posttestergebnisse natürlich von den Prätestergebnissen etwas abhängig sind (und von anderen Faktoren). Deswegen gibt es ein besonderes Verfahren zur Berechnung von Unterschieden: die ANCOVA (analysis of covariance, zu Deutsch: ‚Kovarianzanalyse‘). Dieses Verfahren erlaubt es uns, Störfaktoren gewissermaßen auszublenden, sodass wir uns auf den Effekt der unabhängigen Variablen fokussieren können. Wir führen dies anhand eines Beispiels durch. Nehmen wir an, wir wollen sehen, ob es im DaF-Unterricht besser ist, den Dativ mithilfe von farblicher Hervorhebung der Formen oder ohne farbliche Hervorhebung zu unterrichten. Wir nehmen eine Kursgruppe und führen einen Test zu Dativmarkierungen durch. Wir teilen die Kursgruppe dann in zwei (möglichst ähnliche) Gruppen auf. Die eine Gruppe von 5 Schülern (Experimentalgruppe beziehungsweise Interventionsgruppe) erhält nun viele Übungen, bei denen Dativmarkierungen farblich hervorgehoben sind. Die andere Gruppe von 5 Schülern (Kontrollgruppe beziehungsweise Vergleichsgruppe) erhält dieselben Übungen ohne farbliche Hervorhebung. Nach einiger Zeit wird ein zweiter Test unter allen Teilnehmenden durchgeführt, um zu sehen, wer was gelernt hat. Wir erhalten folgende Daten (Tabelle .18): Gruppe Prätest (/ 10) Posttest (/ 10) Differenz Intervention 4 7 3 Intervention 3 5 2 Intervention 5 6 1 Intervention 4 6 2 Intervention 4 5 1 <?page no="243"?> 244 6. Datenanalyse in der Forschung Gruppe Prätest (/ 10) Posttest (/ 10) Differenz Vergleich 4 4 0 Vergleich 2 4 2 Vergleich 2 3 1 Vergleich 3 3 0 Vergleich 3 3 0 Tabelle 6.18: Ergebnisse eines Präbeziehungsweise Posttestdesigns mit zwei Gruppen (Albert & Marx 2016: 153) Wir versuchen keinesfalls, nur mit den Posttestergebnissen zu arbeiten, weil wir damit wichtige Informationen (Wie stand es um das Vorwissen der Testpersonen? ) ignorieren würden. Stattdessen versuchen wir zunächst, nur mit den Differenzwerten zu arbeiten und einen t-Test für unabhängige Gruppen durchzuführen, so erhalten wir das Ergebnis t(8) = 2,19, p = 0,0. Es sieht nicht so aus, als hätte die Intervention etwas bewirkt. Aber das kann auch daran liegen, dass hier der t-Test nicht das beste Prüfverfahren ist. Wir versuchen es ein zweites Mal, und zwar mit einer ANCOVA . Dies können Sie wieder nur sehr umständlich in Excel berechnen, dafür aber bequem online (zum Beispiel mit: http: / / vassarstats.net/ ancova2.html. 21. Juli 201). Dabei ist zu beachten, dass Sie für Sample A und Sample B die jeweiligen Prätestergebnisse in die Spalte CV (concomitant variable) einfügen und die Posttestergebnisse in die Spalte DV (dependent variable). Sie erhalten das Ergebnis F(1,7) = 11,70; p = 0,011. Dabei ist die Teststatistik F (dies gilt übrigens für alle Varianten von Varianzanalysen). Wir sehen also, dass die Ergebnisse statistisch signifikant sind (p- = 0,011, also p < 0,05). Es gibt also doch einen Unterschied zwischen der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe. Es hat sich also gelohnt, die Intervention durchzuführen. 6.3.4 Tests für ordinalskalierte Daten: U-Test und Wilcoxon-Test Die oben beschriebenen Tests (t-Tests und (Ko-)Varianzanalysen) werden für metrisch skalierte Daten verwendet. Haben wir es aber mit zwei Datenreihen von ordinal skalierten Daten zu tun, also mit Daten, die nicht in gleichen Abständen voneinander verteilt sind, verwenden wir häufig entweder den Mann-Whitney-U-Test (bei unabhängigen Gruppen) oder den Wilcoxon-Test (bei abhängigen Gruppen). Zwei weitere Tests für ordinal skalierte Daten behandeln wir hier nicht, weil sie seltener verwendet werden: den Friedman-Test (er wird gebraucht, wenn man eine Gruppe mindestens dreimal testet, also ein Abhängige-Gruppen- Design hat) und den Kruskal-Wallis-H-Test (er wird gebraucht, wenn man drei oder mehr unterschiedliche, also unabhängige, Gruppen vergleicht). In allen Fällen handelt es sich um sogenannte nonparametische (‚verteilungsfreie‘) Tests. Dies bedeutet lediglich, dass man sie auch anwenden kann, wenn man nicht davon ausgehen kann, dass die Daten normalverteilt sind (und das ist auch ein Grund dafür, dass bei kleinen <?page no="244"?> 245 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung Gruppengrößen normalerweise anstatt des t-Tests der U-Test verwendet wird-- also auch bei metrisch skalierten Daten). Leider kann Excel keinen dieser Tests durchführen, und die Handberechnung ist recht umständlich. Wir empfehlen eine Online-Version und besprechen hier zwei Beispiele, wann Sie welchen Test einsetzen sollten. Szenario 1: Unabhängige-Gruppen-Design: Wir untersuchen wieder zwei Gruppen, wobei Gruppe X mit einer neuen Vokabellernmethode unterrichtet wurde, Gruppe Y mit einer traditionellen Methode. Wir wollen sehen, welche Gruppe mit dem Kurs zufriedener ist. Dafür bitten wir die Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen, ihre Vokabellerneinheiten zu beurteilen, und zwar auf einer Likert-Skala von 1 (fand ich ganz schrecklich) bis 5 (fand ich ganz toll). Daten, die mit Likert-Skalen erhoben werden, sind ordinal skaliert, weswegen wir hier keinen t-Test durchführen können. Weil wir es mit unabhängigen Gruppen zu tun haben, führen wir hier den U-Test durch. Die Bewertungen der Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen ergeben folgende Daten (Tabelle .19): Gruppe X Gruppe Y 4 3 4 4 3 3 5 2 3 3 5 3 4 1 4 Tabelle 6.19: Ergebnisse der Likert-Skala-Umfrage: Wie hat Ihnen der Kurs gefallen? (Albert & Marx 2016: 154) Wenn Sie den U-Test online durchführen lassen (zum Beispiel unter http: / / www.socscistatistics.com/ tests/ mannwhitney/ . 21. Juli 201- - die Berechnung ist übrigens noch einfacher in SPSS ; sie ergibt natürlich dieselben Werte), können Sie die Daten direkt unter Population 1 (also alle Ergebnisse der Gruppe X) beziehungsweise Population 2 (alle Ergebnisse der Gruppe Y) eingeben. Dann bestimmen Sie das benötigte Signifikanzniveau (wir nehmen hier 0,05) und ob unsere resultierende Teststatistik U ein- oder zweiseitig berechnet werden soll (wir bleiben bei zweiseitig) und klicken auf Calculate U. Wir erhalten das Ergebnis: U-value: The U-value is . The critical value of U at p < . is . Therefore, the result is significant at p < .. Unser U-Wert war somit signifikant nach dem vorbestimmten notwendigen Signifikanzniveau. <?page no="245"?> 246 6. Datenanalyse in der Forschung Bei der Ergebnispräsentation müssen wir beim U-Test übrigens die jeweiligen Gruppengrößen dort angeben, wo wir ansonsten immer die Freiheitsgrade aufführen. Wir berichten über die Ergebnisse unserer Erhebung wie folgt: Ein Mann-Whitney-U-Test ergab signifikante Unterschiede in der Zufriedenheit, gemessen mit einer Likert-Skala von 1 (fand ich ganz schrecklich) bis 5 (fand ich ganz toll), mit dem jeweiligen Kurs. Dabei zeigte sich die Experimentalgruppe zufriedener mit dem Kurs als die Kontrollgruppe (U(n1-= 8, n2-= 7) = 8,00, p < 0,05). Szenario 2: Abhängige-Gruppen-Design: Sie möchten untersuchen, ob Aussprachekurse für Austauschstudenten sinnvoll sind. Sie lassen Muttersprachler einen von 14 Studenten vorgelesenen und auf Tonband aufgezeichneten Text mit den Noten 1,0 (muttersprachlich) bis ,0 (nicht verständlich) bewerten. Nach einem Semester, in dem die Probanden einen Aussprachekurs belegt haben, lassen Sie eine ähnliche Aufnahme durchführen und erhalten die folgenden Daten (Tabelle .20): Anfang Ende 2,3 1,7 3,0 2,7 4,0 2,7 3,7 3,7 3,0 3,0 5,3 5,0 2,7 2,3 Tabelle 6.20: Noten vor und nach einem Aussprachekurs (Albert & Marx 2016: 155) Weil wir es mit einem Abhängige-Gruppen-Design zu tun haben, müssen wir einen Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test (auch Wilcoxon-Test genannt) durchführen (zum Beispiel online unter https: / / vassarstats.net/ wilcoxon.html . August 2018). Wenn wir das Programm diesen Test berechnen lassen, erhalten wir als Teststatistik einen sogenannten z-Wert, hier: z = 1,7 (p-= 0,094), was nicht signifikant ist. Das bedeutet, dass der Aussprachekurs-- zumindest für unsere 14 Teilnehmenden-- die Aussprache nicht signifikant verbessert hat. (Das muss aber nicht das Aus für unsere Hypothese bedeuten-- eventuell wird das Ergebnis mit mehr Teilnehmenden signifikant, wie wir auch später noch sehen werden.) <?page no="246"?> 247 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung 6.3.5 Test für nominalskalierte Daten: Chi-Quadrat-Test Bislang haben wir Tests behandelt, die für metrisch skalierte (t-Tests sowie Varianzanalysen) oder für ordinal skalierte (Mann-Whitney-U-Tests und Wilcoxon-Tests) Daten verwendet werden. Bei nominal skalierten Daten (wie Geschlecht, Erstsprache, Haarfarbe, sozioökonomischer Status etc.) verwenden wir häufig den Chi-Quadrat-Test. Da wir diesen Test schon ausführlich in Lerneinheit .2 behandelt haben, werden wir uns hier auf die Anwendung des Tests bei experimentellen Verfahren beschränken. Nehmen wir als Beispiel die Forschungsfrage, ob man lange Kommentare über die Fehler in Schulaufsätzen schreiben sollte oder lieber sehr kurze. Lehrkräfte korrigieren Aufsätze häufig so, dass sie Kommentare an den Rand schreiben, wenn der Schüler oder die Schülerin einen Fehler gemacht hat. Diese Rückmeldung kann kurz oder ausführlich sein. Nehmen wir an, ein Schüler oder eine Schülerin schreibt: Beide Maler produzierten Selbstportraits, aber es sah gar nicht nach ihm selbst aus. Ein kurzer Kommentar wäre: Falsch; ‚es‘ ist unklar. Ein ausführlicher Kommentar könnte ungefähr so lauten: Inkorrekte Referenz von ‚es‘ und ‚ihm selbst‘. Im ersten Teil des Satzes beziehst du dich auf zwei Maler; auf was beziehen sich also ‚es‘ und ‚ihm selbst‘ ? Wir könnten die Aufsätze auch ohne jeden geschriebenen Kommentar zurückgeben und den Schülern und Schülerinnen sagen, dass in ihren Aufsätzen sehr viele Fehler sind und sie sie neu schreiben müssen. In diesem Fall haben wir zu den verschiedenen Fehlern gar keinen Kommentar gegeben. Die Frage ist nun, welcher der drei Ansätze der effektivste ist. Nachdem die Schüler und Schülerinnen ihre Aufsätze ohne Kommentare oder mit kurzen oder mit ausführlichen Kommentaren zurückerhalten haben, schreiben sie sie neu und geben sie wieder ab. Einige der überarbeiteten Sätze sind nun korrekt, andere nicht. Wir wollen nun herausfinden, ob kein Kommentar, kurzer Kommentar oder ausführlicher Kommentar zu mehr korrekten Sätzen geführt hat, das heißt wir wollen wissen, ob es eine Beziehung zwischen der Art der Rückmeldung und der Verbesserung gibt. Wir untersuchen alle Sätze in der überarbeiteten Version, die in der Originalfassung einen Fehler enthielten, stellen fest, wie viele jetzt korrekt und wie viele immer noch inkorrekt sind, und erhalten (bei ungefähr 80 Aufsätzen) die Verteilung in Tabelle .21. neugeschriebener Satz kein Kommentar kurzer Kommentar ausführlicher Kommentar inkorrekt 18 13 29 korrekt 2 67 55 Tabelle 6.21: Beobachtete Häufigkeiten (Albert & Marx 2016: 156) Der Tabelle .21 entnehmen wir, dass kurze Kommentare zu mehr korrekten Sätzen führen als ausführlichere Kommentare und dass die Methode, Aufsätze ohne Kommentar zurückzugeben, nicht sehr erfolgreich ist. Wir möchten aber feststellen, ob dies wirklich stimmt, das heißt, ob es tatsächlich eine Beziehung zwischen der Art der Rückmeldung und den Ergeb- <?page no="247"?> 248 6. Datenanalyse in der Forschung nissen der Schulaufsätze gibt, also die gefundenen Unterschiede nicht auch durch Zufall zu erklären sein könnten. Da wir bereits in der Lerneinheit .2 die Berechnung des Chi-Quadrat-Werts behandelt haben, gehen wir hier nicht gesondert darauf ein, sondern kommen direkt zu den Ergebnissen, die Sie nach einer Online-Berechnung erhalten würden. In diesem Fall beträgt der Chi-Quadrat-Wert 39,9 bei 2 Freiheitsgraden (df). Unser p-Wert erreicht den von uns vorher bestimmten Wert von p < 0,05. Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Differenz zufällig ist, ist sehr niedrig. Daher können wir sagen, dass es eine Beziehung zwischen der Art der Rückmeldung und der erzielten Verbesserung bei den Aufsätzen der Schüler gibt. Wollen wir die Ergebnisse für die oben erwähnte Studie präsentieren (mit der Forschungsfrage, ob man lange Kommentare über die Fehler in Schulaufsätzen schreiben sollte oder lieber sehr kurze), können wir sie etwa wie folgt beschreiben: Ein bei den Daten in Tabelle .21 angewandter Chi-Quadrat-Test zeigte, dass kurze Kommentare zu signifikant besseren Ergebnissen führten als ausführliche Kommentare [ χ²= 39,8, df = 2, p < 0,05). Dies ist ein erstaunliches Ergebnis, weil-[…] 6.3.6 Wann man welchen Test benutzt Wir fassen in Tabelle .22 die verschiedenen statistischen Tests für experimentelle Verfahren, die wir hier angesprochen haben, zusammen: Anzahl Datensätze Gruppen Skalenniveau Verfahren 2 abhängig metrisch t-Test für abhängige Gruppen unabhängig metrisch t-Test für unabhängige Gruppen abhängig ordinal Wilcoxon-Test unabhängig ordinal Mann-Whitney-U-Test 3+ unabhängig metrisch ANOVA oder MANOVA abhängig metrisch ANOVA mit Messwiederholung unabhängig ordinal Kruskal-Wallis-Test abhängig ordinal Friedman-Test 4 2 abhängige metrisch ANCOVA (Prä-/ Posttestdesign) unterschiedlich nominal Chi-Quadrat-Test Tabelle 6.22: Auswahl des richtigen Tests für experimentelle Verfahren (Albert & Marx 2016: 158) <?page no="248"?> 249 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung 6.3.7 Signifikanz versus Aussagekraft Interpretation des Signifikanzniveaus Bisher haben wir unterschiedliche Arten von statistischen Tests besprochen (Korrelationsberechnung, Chi-Quadrat-Test, t-Test, Mann-Whitney-U-Test und Wilcoxon-Test) und in jedem Fall bekamen wir einen Wert als Ergebnis unserer Berechnungen, zum Beispiel r-= 0,83, χ²(2) = 39,8, t(5) = -4,39, U(n 1 = 8, n 2 = 7) = 8,00, z-= 1,7. Dieser Wert, in Kombination mit der Anzahl der Freiheitsgrade (wo das nötig ist, hier wiedergegeben), ermöglicht dann die Berechnung der statistischen Signifikanz, das bedeutet die Wahrscheinlichkeit, mit der die Beziehung oder der Unterschied zwischen zwei oder mehr Variablen auf den Zufall zurückzuführen ist oder nicht. Wenn wir für eine Untersuchung bestimmt hatten, dass die Gefahr, dass unser gefundener Zusammenhang beziehungsweise unser gefundener Unterschied dem Zufall zuzuschreiben war, nicht größer als 1 % sein durfte, und wir dann gefunden haben, dass p < 0,01 war, waren wir zufrieden. (Sie erinnern sich: Den erwünschten α-Wert legt man vor der Datenanalyse fest.) Die statistische Signifikanz kann also zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Resultat nur zufällig entstanden ist, nicht sehr groß ist (zum Beispiel weniger als 1: 1000, also 0,1 %, weniger als 1: 100, also 1 %, beziehungsweise weniger als 1: 20, also 5 %). Die Signifikanzprüfung kann ebenfalls zeigen, dass wir Ergebnissen nicht trauen dürfen, weil die Gefahr, dass sie nur eine zufällige Relation oder einen zufälligen Unterschied zeigen, zu groß ist. Das wäre der Fall, wenn der p-Wert größer ist als der, den wir vorher als akzeptabel bestimmt hatten. Manche Anwender von statistischen Verfahren freuen sich über ein Signifikanzniveau von 0,001 mehr als über eins von 0,05, weil sie denken, dass das erste viel beeindruckender sei als das zweite, in dem Sinne, dass die gefundene Relation oder der gefundene Unterschied bedeutsamer sei. Aber dieser Gedanke entsteht dadurch, dass man zwei unterschiedliche Dinge verwechselt: 1. den Grad an Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis auf den Zufall zurückzuführen ist (Signifikanz, im Englischen statistical significance genannt)-- dies wird durch den p-Wert angegeben (p < 0,05 etc.). Man spricht hier auch von α-Niveau; ein α-Fehler ist, wenn man meint, Unterschiede zu finden, wo keine sind. 2. die Relevanz der Ergebnisse (Aussagekraft). Dies wird durch eine von zwei Möglichkeiten angezeigt und mit Assoziationsstärke (im Englischen strength of association) oder Effektgröße (englisch: effect size) bezeichnet. Dies sind zwei ganz verschiedene Aspekte. Ein Ergebnis kann signifikant sein, aber wenig Aussagekraft haben. Nehmen wir an, wir wüssten, dass es eine Korrelation zwischen dem IQ (gemessen mit einem der Standard- IQ -Tests) und den Examensnoten von Germanistikstudenten gibt. Selbstverständlich wäre diese Korrelation nicht perfekt, vermutlich ist sie nicht einmal besonders hoch. Nehmen wir an, wir haben hierzu den IQ und die Examensnoten von zwei unterschiedlich großen Gruppen erhoben. Bei einer Gruppe von 100 Studenten ist der Korrelationskoeffizient r-= 0,30. Dieser Wert ist auch signifikant (p < 0,001); bei einer zweiten Gruppe <?page no="249"?> 250 6. Datenanalyse in der Forschung von 10 Studenten ist er r-= 0, (p < 0,05). Die Frage ist jetzt: Erklärt der IQ Unterschiede in den Examensnoten? Und wenn er das tut, wie groß ist die erklärte Varianz? Beide r-Werte waren signifikant auf unterschiedlichen α-Niveaus (p < 0,001 und p < 0,05). Trotzdem steht r-= 0,33 für eine schwache Korrelation, eine definitive, aber geringe Beziehung (siehe die Faustregel in Lerneinheit .2), während r-= 0, auf eine substantielle Beziehung hinweist. Trotzdem besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass dieser zweite Korrelationskoeffizient mit p < 0,05 zufällig entstanden ist. Hätten wir unser benötigtes Signifikanzniveau als 0,01 festgelegt, wäre das Ergebnis nicht einmal statistisch signifikant gewesen. Wir können also einen niedrigen r haben und ein hohes Signifikanzniveau und umgekehrt. Das hängt ganz von der Größe der Stichprobe ab, das heißt von der Anzahl der Ergebnispaare. Die Aussagekraft einer gefundenen Korrelation hängt stärker davon ab, wie hoch die gefundene Korrelation ist, als davon, wie niedrig p ist. Der p-Wert gibt nur an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass unser Ergebnis (dass eine Korrelation besteht) nicht korrekt ist. Ob p kleiner als 0,001 oder als 0,05 ist, berührt die Größe von r nicht und sagt nichts über die Stärke der Korrelation. Deswegen berichten Studien neben der statistischen Signifikanz auch über die Aussagekraft der gefundenen Ergebnisse (wenn diese statistisch signifikant sind). Effektgröße In Untersuchungen gefundene Ergebnisse werden immer von weiteren Faktoren beeinflusst, die nicht in der Studie berücksichtigt sind. Die unabhängige Variable Testergebnis wird zum Beispiel auch von anderen Faktoren beeinflusst als Lehrmethode, selbst wenn nur diese manipuliert wurde. Die Aussagekraft zeigt, inwiefern eine Variable eine andere erklären kann (oder nicht erklären kann), oder wie stark die Auswirkung einer Variable auf eine andere ist. Die Aussagekraft eines Ergebnisses beruht auf zwei Konzepten. Zum einen handelt es sich um die Stärke der Beziehung zwischen Variablen. Diese kann sowohl bei Daten berechnet werden, die einen Zusammenhang aufweisen, als auch bei Daten, die Unterschiede nachweisen, und sie wird durch die erklärte Varianz beschrieben. Das zweite Konzept ist das der Mittelwertunterschiede- - also wie weit der Mittelwert einer Gruppe vom Mittelwert einer anderen Gruppe entfernt liegt. Beide Konzepte zeigen die Aussagekraft von Ergebnissen, ohne durch die Stichprobengröße beeinflusst zu werden-- das kann die p-Statistik nicht. Die Effektgröße erlaubt daher eine Antwort auf die folgenden Fragen: 1. In welchem Umfang erklärt die eine Variable die Varianz der zweiten Variablen (erklärte Varianz)? 2. Wie unterschiedlich sind die Mittelwerte der getesteten Gruppen? Wir gehen im Folgenden auf diese beiden Konzepte kurz ein. Wir beschränken uns hier auf jeweils nur eine der am häufigsten genannten Möglichkeiten, über die Effektgröße zu berichten. Man kann die diversen Mittelwertdifferenzen auch durch die Berechnung des Delta (Δ oder δ)-Maßes vereinheitlichen. Da dies weitere Schritte involviert und nicht unumstritten ist, weisen wir hier nur darauf hin (vergleiche Bortz & Döring 2009: 02f, 7f). Die Effektgröße kann sowohl für beziehungsprüfende Verfahren (Korrelationen) als auch für <?page no="250"?> 251 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung unterschiedsprüfende Tests (t-Test, ANOVA ) berechnet werden-- also für alle parametrischen Testverfahren (Tests, die davon ausgehen, dass die Daten normalverteilt sind). Sie kann auch für nichtparametrische Testverfahren wie Spearmans Rho, Chi-Quadrat oder Mann-Whitney- U-Tests und Wilcoxon-Tests berechnet werden. Hier sind die Verfahren allerdings umstritten, weswegen wir mit einer Ausnahme nur auf parametrische Verfahren eingehen. Da dies ein Einführungswerk ist, gehen wir nur exemplarisch auf jeweils ein Beispiel für jeden parametrischen Test, den wir in diesem Band einführen, ein. Erklärte Varianz: Korrelationen und r-Quadrat Die erklärte Varianz zeigt, wie viel Prozent der Varianz oder Streuung von Variable В durch Variable A erklärt werden kann. Sie kann für alle in diesem Buch eingeführten statistischen Testverfahren berechnet werden; wir gehen hier nur exemplarisch auf die erklärte Varianz bei korrelierenden Werten ein. Die Berechnung der erklärten Varianz zielt also darauf ab, zeigen zu können, wie viel von der Streuung in einem Merkmal durch die Streuung eines anderen erklärt werden kann. Im Beispiel oben hatten wir einmal für den Zusammenhang zwischen IQ und Examensnote eine geringe Korrelation (r = 0,30, p < 0,001) und einmal eine mittlere Korrelation (r = 0,, p < 0,05) gefunden. Wie gut erklärt aber das Ergebnis von Test A ( IQ ) das Ergebnis von Test В (Examensnote)? Eine Maßzahl ist der Determinationskoeffizient. Bei Korrelationen nehmen wir das Quadrat von Pearsons r, die wir dann als r ² bezeichnen. Im Beispiel von oben hätte r = 0,30 einen r ² -Wert von 0,09. Wenn wir dies mit  multiplizieren, erhalten wir den Prozentanteil der erklärten Varianz. Der Prozentsatz der erklärten Varianz ist also 0,30 x 0,30 x 100-= 9. Das bedeutet: 9 % der Unterschiede in den Examensnoten lassen sich mit der Intelligenz der Examenskandidaten erklären. Daraus lässt sich ableiten, dass der IQ zwar ein relevanter Faktor für die Examensnoten ist, dass jedoch andere Faktoren existieren, die die anderen 91 % der Varianz erklären. Beide Variablen messen sozusagen zu 9 % das gleiche Konstrukt. Beim zweiten Beispiel sieht es etwas anders aus: Hier war r = 0,, sodass r ² = 0,44. Die Varianz der ersten Variablen erklärt hier 44 % der zweiten. In der Interpretation der erklärten Varianz gehen wir davon aus, dass ein r ² ab 0,2 einen geringen Effekt zeigt, ab 0,5 einen mittleren Effekt und ab 0,8 einen erheblichen Effekt. Die Größe der Varianz der Examensnoten, die durch Intelligenz erklärt werden kann, ist also mit 0,09 zu gering, um wirklich ernst genommen zu werden. Versuchen wir, das Konzept grafisch darzustellen. Wir stellen uns vor, alle Werte jeder Variable sind in jeweils einem Kreis. Wie hoch ist die Überlappung der zwei Kreise in unserem Beispiel? Für die erklärte Varianz von Intelligenz und Noten im ersten Beispiel ist sie nicht groß: Es handelt sich letztendlich nur um 9 % der Varianz (Abbildung .22): <?page no="251"?> 252 6. Datenanalyse in der Forschung Abbildung 6.22: r = 0,30, r ² = 0,09 (Albert & Marx 2016: 164) Bei den Korrelationen ist die Formel zum Berechnen der erklärten Varianz recht einfach. Bei anderen statistischen Tests sind die Berechnungen etwas komplizierter-- und oft umstritten. Mittelwertunterschiede t-Test und Delta ( δ ) Den t-Test verwenden wir, wenn wir die Auswirkung von einer (unabhängigen) auf eine andere (abhängige, metrisch skalierte) Variable überprüfen wollen. Wir erhalten einen t-Wert sowie einen p-Wert (Signifikanz). Da Unterschiede zwischen den Gruppen aber logischerweise nicht nur der unabhängigen Variable zugeschrieben werden können, sollten wir auch hier berechnen, wie groß der Effekt der unabhängigen auf die abhängige Variable ist. Natürlich kann man hier auch einfach die Mittelwerte der zwei Gruppen anschauen und vergleichen. Wenn wir das Beispiel zu den Vokabellernmethoden vom Anfang der Lerneinheit .2 wieder aufgreifen, sehen wir, dass der Mittelwert der Gruppe nach Lehrmethode X 4,0 beträgt, der nach Lehrmethode Y 7,0. Wir haben gesehen, dass dieser Unterschied statistisch signifikant ist (t(11) = 3,0, p < 0,05). Aber ist der Unterschied von (nur) 3 Punkten hier bedeutend? (Wenn das maximal mögliche Ergebnis 10 ist, wird der Unterschied wahrscheinlich interessant sein; wenn das maximale Ergebnis aber 100 ist, ist ein Unterschied von 3 Punkten eher unbedeutend.) Für den t-Test kann die Effektgröße durch unterschiedliche Verfahren berechnet werden. Viele Ausführungen gehen auf Cohens d ein (Cohen 1992). Cohens d ist besonders bei Vergleichen im Rahmen von Metaanalysen, auf die wir hier jedoch nicht eingehen, hilfreich. Wir lehnen uns hier an Bortz & Döring (2009: 0) an und nehmen stattdessen das Delta (δ)-Maß. Dieses wird einfach berechnet mit der Formel: Abbildung 6.23: Formel zur Berechnung des δ -Maß‘ (Albert & Marx 2016: 165) (Wir berechnen also: der Mittelwert von Gruppe X minus den Mittelwert von Gruppe Y, geteilt durch die Standardabweichung der Kontrollgruppe beziehungsweise der getesteten Gruppe in der Kontrollsituation.) In unserem Fall wäre dies: <?page no="252"?> 253 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung Abbildung 6.24: Berechnung des δ -Maß‘ (Albert & Marx 2016: 165) In der Interpretation der Effektgröße gehen wir von denselben Werten wie für r ² aus. Somit zeigt ein δ von mehr als 0,2 einen geringen Effekt, ab 0,5 einen mittleren Effekt und ab 0,8 einen erheblichen Effekt (vergleiche Bortz & Döring 2009: 0). Das bedeutet: Je höher δ ist, desto weniger überschneiden sich die Verteilungen der Ergebnisse von Gruppe X und Gruppe Y. Eine sehr gute Erklärung hiervon finden Sie in Bortz & Döring (2009: 08). Dieses Ergebnis gibt man zusammen mit dem t-Wert an, wenn man die Ergebnisse präsentiert: Die Ergebnisse für die zwei Versuchsbedingungen wiesen signifikante Unterschiede auf. Wie die Tabelle zeigt, erreichten Schüler, die nach Vokabellernmethode X lernten, deutlich schlechtere Ergebnisse als diejenigen, die nach Methode Y lernten (t(5) = -4,39, p < 0,01, δ = -1,40). In diesem Beispiel ist δ übrigens recht hoch. Normalerweise findet man erheblich niedrigere Zahlen. Chi-Quadrat und Cramérs V Der Chi-Quadrat-Test ist der einzige nicht-parametrische Test, für den die Berechnung der Effektgröße relativ unumstritten ist. Deswegen nehmen wir ihn hier auf. Der Chi-Quadrat-Test ist ein nicht-parametrischer Test, der Beziehungen zwischen nominal skalierten Variablen herausstellt. Wenn χ ² signifikant ist, dann können wir von einer bestehenden Beziehung ausgehen. Aber auch in diesem Fall können wir uns fragen, wie stark diese Beziehung ist; es kann ja sein, dass die Signifikanz vor allem darauf beruht, dass wir sehr große Stichproben untersucht haben. Der p-Wert sagt, wie immer, nichts über die Stärke der Beziehung. Cramérs V dagegen ist ein Wert, der einen Hinweis auf die Stärke der Beziehung gibt; er kann für sämtliche Chi-Quadrat-Tests verwendet werden. Wir fragen uns also: Wie unterschiedlich sind die Mittelwerte der getesteten Gruppen? Cramérs V wird wie folgt berechnet: Abbildung 6.25: Formel zur Berechnung von Cramérs V (Albert & Marx 2016: 166) wobei n die Gesamtzahl der beobachteten Werte ist und r die kleinere Zahl der Spalten oder Reihen in der Kreuztabelle. Der gefundene Wert wird zwischen 0 und 1 liegen. Wir wenden diese Formel auf die Daten in unserem Beispiel in Lerneinheit .2 an: <?page no="253"?> 254 6. Datenanalyse in der Forschung adjektivisch als Intensivierer in Nominalgruppen als Intensivierer vor Adverbien LL 5 95 20 LOB 45 37 21 Tabelle 6.23: Beobachtete Häufigkeiten (Albert & Marx 2016: 139) Wir haben 3 Spalten und 2 Reihen bei unseren Originaldaten; insgesamt haben wir 223 beobachtete Werte, und Chi-Quadrat ist 5,54. Wenn wir diese Werte in die Formel einsetzen, ergibt sich Abbildung 6.26: Berechnung von Cramérs V (Albert & Marx 2016: 166) Die Interpretation von Cramérs V ist etwas Anderes als die von r ² und δ. So wird ab 0,1 ein geringer Effekt angenommen, ab 0,3 ein mittlerer Effekt und ab 0,5 ein erheblicher Effekt. Somit ist in unseren Daten ein erheblicher Effekt zu verzeichnen. In der Ergebnispräsentation nimmt man Cramérs V direkt nach dem Chi-Quadrat-Wert auf: Der Chi-Quadrat-Test zeigte, dass es einen Unterschied in der Distribution der einzelnen Funktionen von pretty in den beiden Korpora gibt (χ ² = 5,54, df = 2, p < 0,01; Cramérs V = 0,50). Dies ist ein erstaunliches Ergebnis, weil-[…] 6.3.8 Warum über die Effektgröße berichten? Wie bereits erwähnt, kann man nur durch Effektgrößenberechnungen bestimmen, ob eine unabhängige Variable tatsächlich einen bedeutsamen Effekt auf eine abhängige Variable hat, oder wie viel der Varianz von einer Variable durch eine andere erklärt wird. Der p-Wert sagt uns lediglich, ob der gefundene Effekt durch den Zufall erklärbar ist oder nicht, aber nicht, ob er auch für uns interessant sein könnte. Es gibt aber noch zwei weitere gute Gründe dafür, die Effektgröße auch zu berechnen und anzugeben. Der erste ist, dass wir mithilfe von Effektgrößen mehrere Studien vergleichen können. Gehen wir von der Situation aus, dass sowohl Sie als auch eine Kommilitonin oder ein Kommilitone dasselbe Experiment machen. Nur erscheinen zu Ihrer Erhebung nur 12 Versuchsteilnehmende, bei Ihrer Kommilitonin sind es aber 35. Es ist möglich, dass Sie beide ähnliche Ergebnisse erhalten, Ihre sind aber aufgrund der kleineren Stichprobe nicht statistisch signifikant, die Ihrer Kommilitonin dagegen schon (zum Beispiel p < 0,01). Wie am Anfang dieser Lerneinheit bemerkt, hängt statistische Signifikanz stark von den Gruppengrößen ab. Erst mithilfe der Effektgröße können Sie beide Experimente miteinander vergleichen <?page no="254"?> 255 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung und sehen, ob die Ergebnisse miteinander übereinstimmen-- das können Sie nicht leisten, wenn Sie nur die statistische Signifikanz betrachten. Der zweite Grund, warum man die Effektgröße in den Forschungsbericht aufnehmen sollte, ist ein sehr praktischer: Wollen Sie Ihre Ergebnisse veröffentlichen (und das sollten Sie möglichst tun, wenn diese für die Linguistik oder Sprachdidaktik relevant sein könnten), verlangen viele wissenschaftliche Zeitschriften Informationen über die Effektgröße-- unter anderem die Zeitschriften TESOL Quarterly und Language Learning; auch die American Psychological Association, (vergleiche unter anderem Publication Manual of the American Psychological Association 2001: 25, Language Learning  2000: xii, sowie TESOL Quarterly Information for Contributors). Letzgenannte legt die Standards für Publikationen in der Psychologie (und Psycholinguistik) fest und empfiehlt Effektgrößen in den Bericht aufzunehmen. 6.3.9 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben wir ▶ gesehen, dass für verschiedene Forschungsdesigns unterschiedliche Tests angewendet werden müssen, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen; ▶ die Signifikanz der ermittelten Unterschiede, also die Wahrscheinlichkeit, dass die gefundenen Ergebnisse auf den Zufall zurückzuführen sind, errechnet; ▶ die Art und Weise der wissenschaftlichen schriftlichen Präsentation von Forschungsergebnissen eingeübt und an ersten Anwendungsbeispielen vertieft; ▶ die Faktoren beleuchtet, die die in einer Studie erhobenen Daten beeinflussen, dort aber nicht berücksichtigt werden (können). 6. 3. 10 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist der Unterschied zwischen einem abhängige-Gruppen- und einem unabhängige- Gruppen-Design? 2. Was versteht man unter einem Fehler 1. Art und einem Fehler 2. Art? 3. Was wird mithilfe des t-Tests berechnet? 4. Was versteht man unter ANCOVA ? Erläutern Sie das Design. In welchen Situationen wird es angewendet? <?page no="256"?> 257 6.3 Prüfstatistik und Signifikanzermittlung 7. Instrumente der Forschung Das erklärte Ziel von Forschung ist die Erweiterung des Wissens, das-- so die Annahme-- immer nur begrenzt sein kann. Also geht es darum, möglichst unterschiedliche Quellen und Methoden zu nutzen, um einerseits Wissen zu erweitern, andererseits aber auch abzusichern gegen Fehler. Unter anderem auch Fehler, die dadurch entstehen, dass die Forscherin oder der Forscher vielleicht gar nicht die richtige Ausgangsbasis haben oder die Ergebnisse ihrer eigenen Forschung und der anderer gar nicht „richtig“ verstehen können. In diesem Kapitel soll daher betrachtet werden, wie sich Wissen genauer fassen und absichern lässt. Damit wird das eigene Forschungsfeld der Wissenskonstruktion, der Erkenntnistheorie und der Epistemologie behandelt. In diesem Kapitel beschränken wir uns vor allem auf die häufig angewandten Methoden der empirischen Fremdsprachenforschung und auf die Darstellung wissenschaftlicher Publikationsnormen, die sich auf die angewandten Methoden beziehen und diese abbilden. Praktische Einblicke in die Anwendung der Forschungsmethoden auf unterschiedliche Thematiken vermittelt das darauffolgende Kapitel. Damit sollen die Methoden unterschiedlicher empirischer Studien transparent gemacht und reflektiert werden. Gleichzeitig dient das dort vermittelte Wissen auch als Stimulus und Informationsquelle für eigene Lern- und Forschungsarbeiten. Ziel des Kapitels ist es also, Einblicke in die Fremdsprachenforschung zu ermöglichen sowie erste Ansätze kennenzulernen, die zu einer gelungenen und kritischen Rezeption erwerbslinguistischer und fremdsprachendidaktischer Forschung führen können. Dabei werden exemplarische Zugänge behandelt. Die erste Lerneinheit stellt anhand eines neuen kognitionslinguistischen und kognitionsdidaktischen Verfahrens exemplarisch dar, wie sich effiziente Forschungsmethoden ermitteln und anwenden lassen. In der zweiten und dritten Lerneinheit werden verschiedene Transkriptionssysteme dargestellt, von denen sich einige auch für eine digitale Auswertung eignen. Kapitel 8 dieses Bands nimmt die Thematik dann nochmals auf und erweitert die Bandbreite mit Darstellungen von neuesten Studien aus den Bereichen Spracherwerb und Kognition, Handlungsorientierung in der Sprachvermittlung, kompetenzbasiertes Prüfen und Testen sowie der sinnvollen Nutzung von Medien im Spracherwerb und beim Testen. <?page no="257"?> 258 7. Instrumente der Forschung 7.1 Empirie in der Lehrmethodik Katsiaryna EL -Bouz Im vorherigen Kapitel haben Sie unterschiedliche Methoden und Vorgehensweisen des empirischen Forschens in der Sprachwissenschaft kennengelernt. In dieser Lerneinheit erfahren Sie, wie die Effizienz eines neu entwickelten didaktischen Konzeptes in der Praxis überprüft werden kann. Dies wird am Beispiel eines Experimentes erläutert, in dem der Mehrwert von Grammatikanimationen zum Thema Modalverben getestet wurde. Für Informationen zum Konzept der Grammatikanimationen selbst können Sie im Band »Sprachenlernen und Kognition«, Kapitel 2 und 7 Genaueres recherchieren. An dieser Stelle soll das Konzept der Grammatikanimationen nur kurz aufgegriffen werden. Der Schwerpunkt dieser Lerneinheit wird auf die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung eines Experiments mit Erhebung der quantitativen Daten gelegt. Was sollte man sich bereits im Vorfeld überlegen und welche Fragen sollte man stellen? Welchen Gütekriterien muss eine Studie entsprechen? Welche Erhebungsinstrumente und statistischen Methoden kann man verwenden und was sollte man dabei beachten? Die Antworten auf diese Fragen sowie Denkimpulse für Ihre eigenen Studien werden Sie in dieser Lerneinheit finden. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ Hypothesen zu Ihren Forschungsfragen formulieren können; ▶ ein Experiment planen und durchführen können; ▶ wichtige Kriterien für die Gültigkeit eines Experimentes kennenlernen; ▶ die Varianzanalyse ANOVA für die Datenauswertung kennenlernen. Diese Lerneinheit basiert auf den Kapiteln 4 und 5 aus Kanaplianik (EL-Bouz), Katsiaryna (2016), Kognitionslinguistisch basierte Animationen für die deutschen Modalverben. Zusammenspiel der kognitiven Linguistik und des multimedialen Lernens bei der Sprachvermittlung. Berlin, Münster: Lit. 7.1.1 Studien zu Grammatikanimationen Für lange Zeit stand eine möglichst präzise, formale Sprachbeschreibung im Vordergrund der Sprachforschung und -vermittlung. Die Grammatik wurde dabei als ein besonders „trockener“ und schwer fassbarer Teil der Sprache betrachtet, der nichts mit dem alltäglichen Leben der Lerner zu tun habe und mit längeren metasprachlichen Erklärungen vermittelt wurde. Allerdings etabliert sich in den letzten Jahrzehnten eine alternative, realitätsnahe und holistische Darstellung der Sprache, die im Rahmen der kognitiven Linguistik postuliert wird (vergleiche Baldauf 1997: 31; Langacker 2008: ; de Rycker & de Knop 2009: 38). <?page no="258"?> 259 7.1 Empirie in der Lehrmethodik Die Grammatik wird dabei als ein bedeutungsvolles, schlüssiges und plausibles System dargestellt. Grammatische Strukturen werden mit den alltäglichen menschlichen Erfahrungen auf eine begründete und nachvollziehbare Art und Weise in Verbindung gesetzt und als Repräsentationen von natürlichen Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten der realen Welt erklärt. (Kanaplianik 201: 2) Für die Zwecke der Sprachvermittlung wurde ein besonderes Verfahren entwickelt, das die Postulate des kognitionslinguistischen Ansatzes um Erkenntnisse aus benachbarten Forschungsbereichen konsequent ergänzt und als kognitive Didaktik bezeichnet wird (vergleiche Roche 2013: 158; Roche & Suñer 2014: 125f; detailliert siehe Band »Sprachenlernen und Kognition« Kapitel 8). In diesem Rahmen werden grammatische Phänomene mit alltäglichen Erfahrungen in Verbindung gebracht und mit multimedialen Animationen visualisiert. Das geschieht mithilfe von grammatischen Metaphern; sie werden „als innovative konzeptuelle Metaphern definiert, die anhand von Situationen aus dem Alltag der LernerInnen die konzeptuelle Basis der Grammatik transparent machen“ (Roche & Suñer 2014: 133). Das lässt sich am folgenden Beispiel in Abbildung 7.1 erklären: Abbildung 7.1: Screenshot einer Grammatikanimation zum Verb dürfen (vergleiche Kanaplianik 2016: 177) In den traditionellen Grammatiken wird dürfen erklärt als „die Erlaubnis haben, berechtigt, autorisiert sein, etwas zu tun“ (Duden Online 2017). Im Rahmen der kognitiven Didaktik wird dieses Modalverb jedoch auch in Verbindung mit Kraft und Barriere gebracht- - den Konzepten, die uns allen aus dem Alltag gut bekannt sind. In der Situation aus Abbildung 7.1 können Sie sich den Polizisten als eine äußere Kraft vorstellen. Er besitzt die Autorität, um eine Handlung (in diesem Beispiel fahren) zu erlauben oder zu verbieten. Die Erlaubnis wird als die Öffnung einer imaginären Barriere durch eine äußere Kraft beziehungsweise den Polizisten dargestellt (Kanaplianik 201: 177; vergleiche auch Achard 1998: 147; Talmy 2000: <?page no="259"?> 260 7. Instrumente der Forschung 441; Johnson 1987: 51f). Da diese Handlung (Öffnung einer Barriere) dynamisch ist, kann die Situation mit einer Animation (einem beweglichen simulierten Bild) visualisiert werden. Die Animationen sind generell für die Vermittlung dynamischer Lerninhalte zu empfehlen, die Veränderungen in Raum und Zeit darstellen (Schnotz & Rasch 2009: 412; Roche 2013: 9; Roche & Scheller 2008: 208). Im Rahmen der Forschung von Kanaplianik (201) wurde auf dieser Basis ein ganzes multimediales Lernprogramm zum Thema Deutsche Modalverben entwickelt. Es ist nach dem Prinzip „Aktivierung der Vorkenntnisse- - angemessene Visualisierung der Erklärungen- - mannigfaltige Übungen“ in Anlehnung an das 5-Phasenmodell der interkulturellen Sprachdidaktik (Roche 2013: 242f) aufgebaut und beinhaltet circa 50 Animationen (detailliert siehe Kanaplianik 201: 171f). Die wichtigsten Animationen aus diesem Programm sind auf www. granima.de verfügbar. Ausgehend vom theoretischen Hintergrund hätte man behaupten können, dass die Animationen transparent und nachvollziehbar für die Lerner sind. Solche Vermutungen brauchen allerdings eine empirische Verifizierung, weil das entscheidende Kriterium für die Wirksamkeit eines Lernansatzes der damit erzielte Lernerfolg ist (Roche 2003: 101; Scheller 2009: 1). Aus diesem Grund wurde das entwickelte didaktische Konzept in einer empirischen Studie (in diesem Fall einem Experiment) getestet, die im Weiteren in Anlehnung an Kanaplianik ( EL -Bouz) (201) detailliert beschrieben und kommentiert wird. Das Ziel dabei ist, Ihnen einen Überblick zu gewähren, wie ein Experiment vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet werden kann. Außerdem sollen Sie einige Denkimpulse für Ihre eigenen Studien erhalten. 7.1.2 Studiendesign Bevor man Lernkonzepte überhaupt entwickelt und insbesondere im Vorfeld einer Studie erarbeitet, setzt man sich üblicherweise mit relevanten Theorien und Forschungsergebnissen auseinander. Daher kann man ungefähr vermuten, welche Wirkung das entwickelte Konzept erzielen kann und welche Schwierigkeiten entstehen könnten. Auf dieser Grundlage stellt man Hypothesen auf, die in der Studie überprüft werden sollen (vergleiche Kapitel ). Damit Sie die nachfolgenden Hypothesen besser verstehen, soll an dieser Stelle kurz das Forschungsdesign skizziert werden. Im Experiment wurden die folgenden Variablen gegenübergestellt: ▶ Erklärungsansatz (Inhalt): kognitionslinguistisch (anhand des oben dargestellten Konzepts von Kraft und Barriere) versus traditionell (anhand der üblichen Konzepte von Notwendigkeit, Möglichkeit, Erlaubnis, Verbot etc.); ▶ Darstellungsform: animiert versus statisch. Aus ihrer Kombination ergibt sich die folgende Aufteilung der Experimentalgruppen der Probanden: <?page no="260"?> 261 7.1 Empirie in der Lehrmethodik Erklärungsansatz (Inhalt) Darstellungsform animiert (A) statisch (S) Kognitionslinguistisch (K) KA KS Traditionell (T) TA TS Tabelle 7.1: Die geplanten Variablenkombinationen (nach Kanaplianik 2016: 165) Hinsichtlich der Leistung dieser vier Gruppen stellt Kanaplianik (201) die unten angeführten Hypothesen (E1-E3) auf. Jede Hypothese besteht aus einer kurzen theoretischen Hinführung und der eigentlichen Annahme. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass der kognitionslinguistische Ansatz grammatische Phänomene transparenter und plausibler für die Lerner darstellt als der traditionelle Ansatz. Ebenso wird angenommen, dass die lernförderliche Wirkung des kognitionslinguistischen Erklärungsansatzes-[…] durch die animierte Präsentationsform unterstützt wird.-[…] Im Einzelnen werden folgende Hypothesen aufgestellt: Hypothese E1 Die Arbeit mit den kognitionslinguistisch basierten Lernmaterialien führt zu einer Verbesserung der Lernleistung (Liamkina 2005; Lysinger 2009; Tyler 2008). Dabei sind die Animationen nicht immer gewinnbringend im Vergleich zu den statischen Bildern (Byrne, Catrambone & Stasko 1999; Hegarty, Kriz & Cate 2003; Narayanan & Hegarty 2004; Lewalter 1997, 2003; Price 2002). Vor diesem Hintergrund wird die folgende Hypothese aufgestellt: Für eine erfolgreiche Vermittlung der Modalverben als Ausdrucksmittel der Ereignismodalität ist der Erklärungsansatz und nicht die Darstellungsform entscheidend. Deshalb werden die Gruppen, die mit dem kognitionslinguistischen Erklärungsansatz arbeiten, eine größere Verbesserung der Lernleistungen aufweisen als die Gruppen, die mit dem traditionellen Erklärungsansatz arbeiten. Hypothese E2 Die Effizienz der Anwendung des kognitionslinguistischen Ansatzes in der Unterrichtspraxis konnte nicht immer bestätigt werden (Reif-Hülser 2012; Niemeier & Reif-Hülser 2008; Bielak & Pawlak 2011). Dagegen ist die animierte Darstellungsform besser als die statische dafür geeignet, Vorgänge zu visualisieren und Konstruktion dynamischer mentaler Modelle zu unterstützen (Betrancourt 2005; Grass 2013; Schnotz & Rasch 2009; Roche 2013; Roche & Scheller 2008). Vor diesem Hintergrund wird die folgende Hypothese aufgestellt: Für eine erfolgreiche Vermittlung der Modalverben als Ausdrucksmittel der Ereignismodalität ist die Darstellungsform und nicht der Erklärungsansatz entscheidend; dabei ist die animierte Form gewinnbringend. Deshalb werden die Gruppen, die mit der animierten Darstellungsform arbeiten, eine größere Verbesserung der Lernleistungen aufweisen als die Gruppen, die mit der statischen Darstellungsform arbeiten. <?page no="261"?> 262 7. Instrumente der Forschung Hypothese E3 Erst die Kombination des kognitionslinguistischen Erklärungsansatzes und einer medial adäquaten Umsetzung nach den Prinzipien des multimedialen Lernens (Engelkamp & Zimmer 200; Mayer 2005; Schnotz 2005) führt zu nachhaltig positiven Effekten beim Spracherwerb (Roche & Suñer 2014; Scheller 2009). Vor diesem Hintergrund wird die folgende Hypothese aufgestellt: Die Kombination vom kognitionslinguistischen Erklärungsansatz und der animierten Darstellungsform ergibt einen positiven Lernmehrwert bei der Vermittlung der deutschen Modalverben als Ausdrucksmittel der Ereignismodalität. Deshalb wird die Gruppe, die mit dieser Kombination arbeitet, eine größere Verbesserung der Lernleistungen aufweisen als die anderen Gruppen- […]. (Kanaplianik 201: 15-17) Eine empirische Studie muss drei wichtigen Gütekriterien entsprechen: der Reliabilität, der Validität und der Objektivität (siehe Lerneinheit .1). Mit Rücksicht auf diese Gütekriterien wird nun die Untersuchung detailliert geplant. Rufen Sie sich die Tabelle 7.1 noch mal im Gedächtnis auf. Wenn man nur eine Variable testen möchte (beispielsweise nur den kognitionslinguistischen Erklärungsansatz), sollte man trotzdem eine Vergleichsgruppe haben, die dasselbe Thema mit einem anderen (in diesem Falle dem traditionellen) Ansatz lernt. Auf diese Weise hat man eine Experimentalgruppe und eine Kontrollgruppe. Das ist insofern notwendig, als dass nach einer Unterrichtsstunde meistens ein Lerneffekt auftritt. Wenn Sie also nur eine Gruppe nehmen und sie nach dem kognitionslinguistischen Erklärungsansatz unterrichten, ist es höchst wahrscheinlich, dass die Probanden etwas lernen. Es könnte aber auch sein, dass sie diese Erklärung ziemlich verwirrt hat und dass sie dagegen mit dem traditionellen Ansatz viel mehr in dieser Zeit gelernt hätten. Um solche Effekte zu erfassen, braucht man eine Kontrollgruppe. Nachdem die Gruppen festgelegt sind, sollte man die Messzeitpunkte bestimmen- - die Zeitpunkte, wann die Leistungen der Probanden und Probandinnen getestet werden sollen. Kanaplianik (201: 190) hat sich für das folgende Design entschieden: Es lag ein zweifaktorieller Versuchsplan mit drei Messzeitpunkten vor: AxBxT(t1-t2-t3), der die Analyse von einzelnen Variablen „Erklärungsansatz“ und „Darstellungsform“ sowie von ihrer Interaktion im Laufe der Zeit erlaubte (Bortz & Döring 2002: 531; Scheller 2009: 141). Der erste Messzeitpunkt (t) war unmittelbar vor dem Treatment und diente als Ausgangsbasis für die Messung der Leistungsveränderungen der Untersuchungsteilnehmer. Der zweite Messzeitpunkt (t) war gleich nach dem Treatment und diente zur Messung kurzfristiger Lerneffekte. Der dritte Messzeitpunkt (t) war eine Woche nach dem Treatment; sein Ziel war die Erfassung längerfristiger Lerneffekte. Wenn Veränderungen festgestellt werden sollen-- also wie viel die Probanden und Probandinnen in der Zeit des Experiments gelernt haben-- muss der Lernbeziehungsweise Wissensstand vor dem Experiment gemessen werden, damit ein Ausgangspunkt festgelegt werden kann. In Relation zu diesem Punkt wird die Leistungssteigerung oder -senkung nach dem Experiment bestimmt. Es ergibt Sinn, die Leistungen der Probanden nicht nur gleich nach dem Experiment zu erfassen, sondern auch später, beispielsweise nach einer Woche, einem <?page no="262"?> 263 7.1 Empirie in der Lehrmethodik Monat oder einem Jahr. Damit können Sie feststellen, ob das Gelernte im Langzeitgedächtnis gespeichert oder gleich nach dem Experiment vergessen wurde. Der Messung vorausgehend sollten noch die Erhebungsinstrumente bestimmt werden, mit denen die Leistungen der Probanden und Probandinnen sowie gegebenenfalls weitere Daten erfasst werden. In der vorliegenden Studie (vergleiche Kanaplianik 201: 191-194) wurden zur Erhebung der Daten grammatische Tests ( GT ) sowie Fragebögen benutzt (Tabelle 4.2). Um eventuelle Übersetzungsschwierigkeiten zu vermeiden, wurden alle Materialien (Anleitungen zu Tests, Fragebogen, Lerneinheiten) in der Muttersprache der Teilnehmer (Russisch) angeboten. Vortest (t1) Nachtest 1 (t2) Nachtest 2 (t3) ▶ Fragen zu biographischen Daten ▶ GT 1: Lückentest (36 Items) ▶ GT 1: Lückentest (36 Items) ▶ GT 2: Transfertest (9 Satzpaare) ▶ GT 3: Bildunterstützter Test (10 Bilder) ▶ Fragebogen zur subjektoven Bewertung ▶ GT 1: Lückentest (36 Items) Tabelle 7.2: Erhebungsinstrumente Der Fragebogen zu den biographischen Daten der Teilnehmer umfasste 14 Fragen. Hier wurden die Teilnehmer nach den folgenden Informationen gefragt: Alter, Geschlecht, Muttersprache; Dauer, Art und Intensität des Deutscherwerbs; Selbsteinschätzung der Deutschkenntnisse; Interesse für die deutsche Grammatik; Gewohnheiten beim Grammatiklernen; Häufigkeit und Art der Arbeit mit dem Computer; Kenntnis anderer Fremdsprachen. Der Fragebogen zu den biographischen Daten sowie der Fragebogen zur subjektiven Bewertung wurden der Studie von Scheller (2009) entnommen und nach den Besonderheiten der vorliegenden Studie etwas modifiziert (zum Beispiel Fragen zur Muttersprache und zur Dauer und Art des Deutscherwerbs). Auf diese Art stellten sie empirisch erprobte Instrumente dar. Der Lückentest im Vortest bestand aus 3 Items (im Durchschnitt 5 Sätze pro Modalverb). Der Test wurde auf folgende Weise validiert: Nach einer Analyse von DaF-Lehrwerken und didaktischen Grammatiken wurden 100 Beispielssätze mit Modalverben ausgewählt (14-15 pro Modalverb). Daraus wurde ein langer Lückentest konstruiert, der von 30 Deutsch-Muttersprachlern ausgefüllt wurde. Aufgrund ihrer Antworten wurden 3 Fälle ausgewählt, in denen sich mehr als 70 % der Muttersprachler in der Wahl des Modalverbs einig waren. Diese Sätze wurden im Weiteren zur Konstruktion der Tests für die Studie verwendet. An dieser Stelle soll betont werden, dass die Testitems, obwohl sie oft als „Sätze“ bezeichnet werden, in der Tat ganze Situationen aus jeweils 2-3 Sätzen darstellten. Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Konstruktion der Tests mit Modalverben bestand darin, dass ein kontextloser Satz nichts über die Wahl des Modalverbs besagt. So kann zum Beispiel in den Satz Hans-… Auto fahren jedes Modalverb: müssen, sollen, können, dürfen, wollen und mögen-- eingesetzt werden. Deshalb wurde bei der Auswahl der Testitems für die Studie versucht, präzise Situationsbeschreibungen zu geben und möglichst eindeutige Fälle zu wählen. <?page no="263"?> 264 7. Instrumente der Forschung Der Vortest sollte die Vorkenntnisse der Teilnehmer vor der Arbeit mit den Lerneinheiten prüfen, damit ihr Fortschritt nach dem Treatment mit den Nachtests gemessen werden konnte. Die maximale Anzahl der Punkte betrug 3, bei der Auswertung wurde für jedes fehlerhafte Item (n) ein Punkt abgezogen, so dass die Punktzahl, die ein Teilnehmer für den Test bekam, 3-n betrug. Der Schwierigkeitsgrad der Items wurde an das Niveau der Teilnehmer (B1-C1) angepasst, zusätzlich gab es auf den Testblättern Übersetzungen einiger Vokabeln ins Russische. Der Nachtest 1, der von den Teilnehmern unmittelbar nach der Arbeit mit den Lerneinheiten ausgefüllt wurde, bestand aus drei grammatischen Tests und dem Fragebogen zur subjektiven Bewertung. Der erste grammatische Test wurde auf der Grundlage des Vortests konstruiert und stellte grundsätzlich denselben Lückentest mit 3 Items dar (die Übersetzung schwieriger Wörter wurde ebenso beibehalten). Um eventuelle Memorisierungseffekte zu vermeiden, wurde die Reihenfolge der Items variiert und viele Satzsubjekte wurden ausgetauscht (zum Beispiel das Mädchen durch die Mutter). Durch eine solche Gestaltung der Messinstrumente wurde die Vergleichbarkeit der Ergebnisse innerhalb der Gruppen selbst (ihr Fortschritt im Laufe der Untersuchung) sowie zwischen den Experimentalgruppen auf allen Etappen der Studie gewährleistet (Scheller 2009: 142). Das Ziel des Lückentests war die Überprüfung kurzfristiger Lerneffekte. Der zweite grammatische Test stellte einen Transfertest mit 9 Satzpaaren dar, die jeweils einen richtigen und einen falschen Satz mit einem Modalverb enthielten. Die Teilnehmer wurden gebeten, den richtigen Satz auszuwählen und ihre Entscheidung kurz auf Russisch zu begründen. Der Transfertest hatte zum Ziel, das Anwenden der gelernten Inhalte in neuen Kontexten zu überprüfen (vergleiche Mayer 2008: 35f) sowie einen Einblick in die Entscheidungsstrategien der Teilnehmer zu verschaffen, und hat sich im Weiteren als sehr nützlich erwiesen. Der dritte grammatische Test stellte einen bildunterstützten Test mit 10 Situationen dar. Er wurde nur der Hälfte der Teilnehmer angeboten, die mit den kognitionslinguistisch basierten Lerneinheiten gearbeitet hatten. In jeder Situation gab es einen vollständigen Satz mit einem Modalverb und ein Bild dazu, allerdings fehlten auf diesem Bild graphische Bezeichnungen für die Bedeutung von Modalverben (Wellen, Pfeile und Barrieren). Die Teilnehmer wurden gebeten, die Bilder je nach der Bedeutung des Satzes zu vervollständigen. Auf weitere Erklärungen musste in diesem Fall verzichtet werden, um die Lerner nicht zu beeinflussen. Das Ziel des bildunterstützten Tests war zu überprüfen, ob sich die gewählte graphische Darstellungsform für die kognitionslinguistischen Inhalte eignet. Der Fragebogen zur subjektiven Bewertung bestand aus 19 Fragen, die die folgenden Aspekte behandelten: allgemeine Einschätzung der Lerneinheit, Nachvollziehbarkeit der Regeln und Beispiele, Angemessenheit der Übungen, Motivation und Interesse der Lerner bei der Arbeit, Einschätzung der Bilder und Animationen. Die letzte Frage war offen: Die Teilnehmer wurden gebeten, in freier Form von ihren Eindrücken von der Arbeit mit der Lerneinheit zu berichten und eventuell Vorschläge zu ihrer Verbesserung zu machen. Der Nachtest 2 wurde eine Woche nach dem Treatment durchgeführt, um längerfristige Lerneffekte zu erfassen. Der Test bestand aus dem Lückentest mit 3 Items, der im Vortest <?page no="264"?> 265 7.1 Empirie in der Lehrmethodik und im Nachtest 1 verwendet wurde. Die Reihenfolge der Items und die Satzsubjekte wurden ebenso variiert, die Übersetzung einiger Vokabeln ins Russische wurde beibehalten. Nachdem die Hypothesen aufgestellt waren, das Design festgelegt wurde und die Erhebungsinstrumente entwickelt wurden, konnte das Experiment durchgeführt werden. 7.1.3 Durchführung Bei der Datenerhebung während des Experiments sollte für zwei wichtige Aspekte gesorgt werden: die Anonymisierung und die Randomisierung der Probanden und Probandinnen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist es unzulässig, die echten Namen der Probanden und Probandinnen für die Datenauswertung und vor allem für die Datenveröffentlichung zu verwenden. Stattdessen sollten Nick- oder Codenames etc. verwendet werden, sodass die Probanden und Probandinnen anonym bleiben können. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Probandenbeziehungsweise Probandinnengruppen möglichst identisch in Bezug auf Alter, Sprachniveau, Vorkenntnisse etc. sind. Stellen Sie sich vor, Sie möchten Ihr neues Unterrichtskonzept für Deutsch als Fremdsprache testen und bekommen dazu zwei Klassen: eine elfte Klasse in einem Gymnasium, die bereits fortgeschrittene Deutschkenntnisse besitzt, und eine siebte Klasse in einer Hauptschule, deren Deutschniveau nicht so hoch ist. Wenn Sie eine ganze Klasse zur Experimentalgruppe und die andere zur Kontrollgruppe machen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Unterschiede in ihrer Lernleistung nicht nur auf das Unterrichtskonzept zurückzuführen sind, sondern auf mehrere andere Faktoren. Das würde die Validität Ihrer Studie wesentlich beeinträchtigen; daher sollten Sie dafür sorgen, dass die Probandengruppen homogen bleiben. In Kanaplianik (201) wurde das folgendermaßen umgesetzt: An der Studie haben 118 Versuchspersonen teilgenommen. Das waren Studenten der philologischen Fakultät im 2.-8. Semester, von denen 53 Personen Germanistik für das Lehramt studierten und Deutsch schon in der Schule gelernt hatten und 5 Personen Anglistik für das Lehramt studierten und Deutsch erst an der Universität ab dem 5. Semester als zweite Fremdsprache zu lernen begonnen hatten. Dementsprechend gab es eine große Streuung bezüglich der Dauer des Deutscherwerbs: Sie lag zwischen 0,5 und 1 Jahren. Allerdings wurde durch das verwendete Verfahren der stratifizierten Randomisierung (siehe weiter im Text) dafür gesorgt, dass die Teilnehmer zwischen den Experimentalgruppen bezüglich der Dauer des Deutscherwerbs gleichmäßig verteilt wurden. Auf solche Weise wurde für die interne Validität und die Vergleichbarkeit der Gruppen gesorgt (Bortz & Döring 2002: 53, 58). Alle Daten wurden anonym erhoben. Zur Anonymisierung und gleichzeitig zur Randomisierung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurde ein System von Kennzeichen benutzt. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zogen ein Los aus einer Urne; jeder akademischen Gruppe, die an der Studie teilnahm, stand die gleiche Anzahl von Losen für jede Experimentalgruppe zur Verfügung. Mit diesem Kennzeichen sollten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen alle Untersuchungsunterlagen markieren, sodass eine konstante Zuordnung der Daten in den Experimentalgruppen möglich war. Nun soll der Ablauf des Experiments detailliert vorgestellt werden. <?page no="265"?> 266 7. Instrumente der Forschung Die ganze Untersuchungseinheit nahm circa 80 Minuten in Anspruch. Nach einer Begrüßung der Teilnehmer wurden der Kontext der Studie und ihre Ziele vorgestellt, allerdings sehr knapp und vorsichtig, um den Teilnehmern nicht zu viel zu verraten und sie nicht zu beeinflussen. Es wurde gesagt, es gehe um das Testen einer neuen Grammatikvermittlungsmethode, ohne auf die inhaltlichen Hypothesen der Studie einzugehen. Um die Teilnehmer zu motivieren, wurde hervorgehoben, dass sie die ersten Personen seien, die mit dem innovativen Ansatz arbeiteten, und dass ihr Einsatz deshalb sehr wichtig sei. Ebenso wurde betont, dass alle Ergebnisse der Untersuchung ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dienten und deshalb anonym erhoben wurden und die Bewertung des Studienerfolgs keinesfalls beeinflussten. Schließlich wurden die Teilnehmer ermutigt, sich bei allen Unklarheiten oder Fragen während der Arbeit beim Versuchsleiter zu melden. Daraufhin wurden die Teilnehmer durch das oben beschriebene Randomisierungsverfahren den Experimentalgruppen zugeordnet; im Endeffekt wurden die Studenten aller akademischen Gruppen gleichmäßig unter vier Experimentalgruppen verteilt. Die Teilnehmer wurden gebeten, ihr persönliches Kennzeichen sorgfältig aufzubewahren oder zu notieren und damit alle Fragebogen und Tests zu unterschreiben. Danach füllten die Teilnehmer den ersten Fragebogen aus (5 Minuten) und bearbeiteten den Vortest (10 Minuten). Anschließend fand die Lernphase statt, die 40 Minuten dauerte. Die Lernprogramme wurden so entwickelt, dass sie keine weiteren mündlichen Anleitungen erforderten: Alle notwendigen Arbeits- und Navigationsanweisungen wurden bereits auf den ersten Programmfolien gegeben. Trotzdem gab es ab und zu Fragen zur Navigation oder zur Übersetzung unbekannter Wörter. Im Anschluss an die Lernphase wurde der Nachtest 1 zur Überprüfung kurzfristiger Lerneffekte durchgeführt. Wegen der großen Anzahl von Bestandteilen (drei grammatische Tests) dauerte er 20 Minuten. Danach füllten die Teilnehmer den Fragebogen zur subjektiven Bewertung der Lerneinheiten aus (5 Minuten). Nach der Erhebung aller Daten blieben meistens noch ein paar Minuten übrig. Den Teilnehmern wurde für die Teilnahme an der Studie gedankt und sie wurden nach ihren Eindrücken von der Arbeit mit den Lernprogrammen gefragt. Von ihrer Seite folgten ebenso Dankesworte, positive Kommentare und einige bemerkenswerte Vorschläge zur Verbesserung der Navigation in den Lernprogrammen und zur graphischen Darstellung einiger Modalverben. Insgesamt haben die Lernprogramme ein sehr positives Feedback bekommen, was bei der Auswertung der Fragebogen zur subjektiven Bewertung auch bestätigt wurde. Nach einer Woche fand der Nachtest 2 zur Überprüfung längerfristiger Lerneffekte statt. Der Nachtest 2 wurde im regulären Unterricht der akademischen Gruppen durchgeführt und dauerte 10 Minuten. In der Zwischenzeit hatte keine der Gruppen im Unterricht am Thema Deutsche Modalverben gearbeitet. Im Laufe eines Experiments werden (oft sehr umfangreiche) Daten gesammelt. Diese müssen nun systematisiert und ausgewertet werden, damit die Forschungshypothesen bestätigt oder verworfen werden können. Einige diesbezügliche Verfahren werden im nächsten Abschnitt erläutert. <?page no="266"?> 267 7.1 Empirie in der Lehrmethodik 7.1.4 Auswertung der Ergebnisse An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es sehr viele statistische Verfahren gibt, über die ganze Bücher verfasst werden und deren Beschreibung den Rahmen dieser Lerneinheit sprengen würde. Daher werden hier einige Quellen empfohlen, die Sie bei Bedarf konsultieren können: Albert & Marx 201; Baltes-Götz 2013; Bortz & Döring 2002; Bortz & Schuster 2010; Gabriel 2003; Gonzalez-Marquez, Becker & Cutting 2007; Janssen & Laatz 2013; Larson-Hall & Herrington 2009. Im Folgenden wird nur exemplarisch auf die Auswertungsverfahren eingegangen, die im Experiment von Kanaplianik (201) verwendet wurden, ohne Anspruch auf eine vollständige Anleitung zur statistischen Auswertung der Daten zu erheben. Im Experiment von Kanaplianik (201) wurden mit den Erhebungsinstrumenten (Tests, Fragebögen) quantitative Daten erhoben. Deswegen wird im Weiteren auf die Auswertung der quantitativen Daten und die entsprechenden statistischen Verfahren eingegangen. Eine andere Möglichkeit ist, qualitative Daten zu erfassen, zum Beispiel mithilfe von Interviews. Dazu können Sie sich detaillierter in den oben angegebenen Quellen erkundigen. Alle Daten des Experiments von Kanaplianik (201) wurden mit dem Statistikprogramm SPSS (Versionen 22 und 23) ausgewertet; mit diesem Programm wurden auch die unten angeführten Schaubilder erstellt. Zuerst wurden die Daten (wie die Testergebnisse) deskriptiv (beschreibend) dargestellt und danach anhand inferenzstatistischer Verfahren analysiert. Eine deskriptive Darstellung ist im Grunde genommen eine einfache Beschreibung der Ergebnisse, wie zum Beispiel: Gruppe KL Strategie Animiert KL Strategie Statisch TradStrategie Statisch TradStrategie Animiert Mittelwert 13,5 15,2 15,0 12,8 Median 13,0 16,5 12,5 12,0 Standardabweichung 6,6 8,4 7,6 7,4 Minimum 0,0 3,0 3,0 1,0 Maximum 24,0 27,0 31,0 28,0 Tabelle 7.3: Ergebnisse im Vortest (nach Kanaplianik 2016: 219) Darüber hinaus bietet SPSS diverse Möglichkeiten einer graphischen Darstellung der Daten, wie zum Beispiel Boxplots: <?page no="267"?> 268 7. Instrumente der Forschung Abbildung 7.2: Ergebnisse im Vortest (Boxplot-Graphik) (nach Kanaplianik 2016: 219) An dieser Stelle soll kurz der Unterschied zwischen dem Mittelwert und dem Median erklärt werden. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Ergebnisse von zehn Tests und möchten wissen, wie gut diese Gruppe abgeschnitten hat. Die Ergebnisse sind wie folgt (1,0 ist die beste Note und ,0 die schlechteste): Proband Note 1 1,0 2 1,3 3 2,0 4 2,0 5 2,3 6 2,3 7 3,0 8 3,0 9 3,3 10 4,0 Tabelle 7.4: Beispiel einer Notenaufteilung Nr. 1 <?page no="268"?> 269 7.1 Empirie in der Lehrmethodik Wenn Sie jetzt den Mittelwert ausrechnen, addieren Sie alle Ergebnisse und teilen sie durch 10, als Ergebnis bekommen Sie 2,42. Für diese Gruppe wäre diese Note auch repräsentativ. Stellen Sie sich aber eine andere Notenaufteilung vor: Proband Note 1 1,0 2 1,0 3 1,0 4 1,0 5 1,0 6 1,0 7 1,3 8 1,3 9 1,3 10 6,0 Tabelle 7.5: Beispiel einer Notenaufteilung Nr. 2 In diesem Fall wäre der Mittelwert 1,59. Für diese Gruppe ist dieser Wert allerdings nicht repräsentativ, weil alle Probanden bis auf einen besser abgeschnitten haben. Gegenüber solchen Ausreißern ist der Median resistent- - der Zentralwert, „der den mittleren Wert darstellt (wenn man alle Werte von zum Beispiel klein bis groß aneinanderreiht und den in die Mitte fallenden nimmt)“ (Albert & Marx 201: 11). Für das Beispiel oben ist der Median 1,0, was die reale Situation auch abbildet. Nachdem Sie Ihre Daten deskriptiv dargestellt haben, sollten Sie nun überprüfen, inwiefern auf ihrer Grundlage eine Aussage nicht nur über Ihre Probanden- und Probandinnengruppen, sondern auch über eine größere Population von Menschen getroffen werden kann. Sie möchten doch sagen können, dass Ihr didaktisches Konzept beziehungsweise Ihre Methode nicht nur für die getesteten 50 Personen einen Mehrwert erzielt, sondern potenziell für mehrere, die damit lernen, oder? In diesem Zusammenhang wenden wir uns der inferentiellen Statistik zu. Inferentielle Statistik ermöglicht u. a., Ergebnisse zum Verhalten einer relativ kleinen Gruppe von Menschen auf Tendenzen in der Gesamtpopulation zu übertragen. Nötig ist dazu die Auswahl eines angemessenen experimentellen Verfahrens und die richtige Wahl des statistischen Prüfverfahrens. Dabei ist es extrem wichtig, schon vor der Datenerhebung zu wissen, mit welchem statistischen Verfahren man die Daten später auswertet; natürlich ist es auch extrem wichtig, dass man das passende experimentelle Verfahren auswählt. (Albert & Marx 201: 145) In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Signifikanz auch sehr wichtig, den Sie bereits in den Lerneinheiten .2 und .3 kennengelernt haben. <?page no="269"?> 270 7. Instrumente der Forschung In Kanaplianik (201) wurde die inferenzstatistische Analyse auf folgende Weise umgesetzt: Nachdem eine deskriptive Analyse gezeigt hatte, dass vier Variablenkombinationen zu unterschiedlich starken Lerneffekten geführt haben, wurden die Unterschiede zwischen den Experimentalgruppen anhand inferenzstatistischer Verfahren untersucht. Da in der Studie zwei Variablen getestet wurden (Erklärungsansatz und Darstellungsform), wurde für die statistische Analyse eine zweifaktorielle Varianzanalyse ( ANOVA ) gewählt: Varianzanalytische Verfahren erlauben, bei den Vergleichen zwischen mehr als zwei Gruppen eine irrtümliche Ablehnung der Nullhypothese zu vermeiden (Albert & Marx 201: 148; Bortz & Döring 2002: 532). Mit ANOVA wurde ein Modell konstruiert, das die Analyse sowohl von der Variableninteraktion als auch vom Einfluss einzelner Variablen (Haupteffekte) auf die Leistungen der Teilnehmer und die genaue Messung dieser Effekte anhand der Parameterschätzungen erlaubte. Oben wurden die Ergebnisse des Vortests (Tabelle 7.3, Abbildung 7.2) dargestellt. Sehen wir uns nun die Ergebnisse des Nachtests 2 an, der eine Woche nach dem Lernen durchgeführt wurde: Gruppe KL Strategie Animiert KL Strategie Statisch TradStrategie Animiert TradStrategie Statisch Mittelwert 20,8 20,1 17,8 18,3 Median 24,0 25,0 15,5 18,0 Standardabweichung 7,3 10,2 7,8 7,6 Minimum 7,0 1,0 6,0 3,0 Maximum 31,0 31,0 29,0 30,0 Tabelle 7.6: Ergebnisse im Nachtest 2 (nach Kanaplianik 2016: 221) <?page no="270"?> 271 7.1 Empirie in der Lehrmethodik Abbildung 7.3: Ergebnisse im Nachtest 2 (nach Kanaplianik 2016: 221) Hier können wir im Vergleich zum Vortest den folgenden Effekt beobachten: Die Gruppen, die die kognitionslinguistische Strategie ( KLS trategieAnimiert und KLS trategieStatisch) benutzen, scheinen davon längerfristig zu profitieren: Ihre Leistungen verbessern sich im Laufe der Zeit, während die Leistungen der Gruppen, die die traditionelle Strategie verwenden, nach einer Woche sinken. Nun soll mit den inferenzstatistischen Verfahren überprüft werden, ob dies auf Zufall basiert oder nicht. Das Ergebnis ist wie folgt: Eine ANOVA zeigte, dass der Einfluss von Interaktion der Variablen Angewandte Strategie und Darstellungsform auf die Testergebnisse signifikant war (F=,; p=,, p<,). Interessanterweise war der Einfluss der verwendeten Strategie allein (Haupteffekt A) ebenso signifikant (F=,; p=,, p<,). Die vorteilhafteste Kombination war Kognitionslinguistische Strategie + Animierte Darstellungsform: Die entsprechende Gruppe demonstrierte 11 Punkte Verbesserung im Vergleich zum Vortest. Danach folgten die Gruppen KLS trategieStatisch (8,5 Punkte), Trad- StrategieStatisch ( Punkte) und TradStrategieAnimiert (3 Punkte). In diesen Daten interessiert uns insbesondere der p-Wert, der über die Signifikanz der Ergebnisse entscheidet und den Grad an Wahrscheinlichkeit zeigt, dass die Testergebnisse auf einem Zufall basieren. Die vereinbarte Grenze dafür liegt bei ,. Wenn der p-Wert darunterliegt, zum Beispiel bei , oder ,, bedeutet das, dass diese Wahrscheinlichkeit sehr klein ist. Wenn der p-Wert größer ist, zum Beispiel , oder ,, ist diese Wahrscheinlichkeit dagegen groß. Bei den oben angeführten Daten liegt der p-Wert bei , und die Ergebnisse sind somit signifikant. Das heißt, dass der Lernzuwachs, der eine Woche nach dem Lernen <?page no="271"?> 272 7. Instrumente der Forschung beobachtet wurde, nicht auf Zufall basiert. Generell wurde in der Studie bestätigt (unter Berücksichtigung mehrerer anderer Faktoren, ausführlich siehe Kanaplianik 201), dass das didaktische Konzept zu den Grammatikanimationen einen Mehrwert erzielt und im Vergleich zum traditionellen Ansatz gewinnbringender ist. 7.1.5 Zusammenfassung ▶ Das entscheidende Kriterium für die Wirksamkeit von Lernansätzen ist der damit erzielte Lernerfolg. Aus diesem Grund sollten neu entwickelte didaktische Konzepte in empirischen Studien verifiziert werden. ▶ Im Vorfeld einer empirischen Studie setzt man sich üblicherweise mit relevanten Theorien und Forschungsergebnissen auseinander. Auf dieser Grundlage kann man bereits vermuten, welche Wirkung das entwickelte Konzept erzielen kann und welche Schwierigkeiten entstehen könnten. Davon ausgehend stellt man Hypothesen auf, die in der Studie überprüft werden sollen. ▶ Eine empirische Studie muss drei wichtigen Gütekriterien entsprechen: der Reliabilität (Zuverlässigkeit), der Validität (Gültigkeit) und der Objektivität. ▶ Bei der Datenerhebung während des Experiments sollte für zwei wichtige Aspekte gesorgt werden: die Anonymisierung und die Randomisierung der Probanden und Probandinnen. ▶ Wenn Veränderungen festgestellt werden sollen, muss der Wissenstand vor dem Experiment gemessen werden, damit ein Ausgangspunkt festgelegt werden kann. In Relation zu diesem Punkt wird die Leistungssteigerung oder -senkung nach dem Experiment bestimmt. Außerdem kann man Leistungen der Probanden auch später messen, um längerfristige Effekte zu erfassen. ▶ In einer empirischen Studie können quantitative und qualitative Daten erhoben werden, die mithilfe unterschiedlicher statistischer Verfahren ausgewertet werden können. Auf dieser Grundlage können die im Vorfeld aufgestellten Hypothesen bestätigt oder verworfen werden. 7.1.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welchen Gütekriterien muss eine empirische Studie entsprechen? Erläutern Sie diese Kriterien. 2. Warum braucht man bei einem Experiment eine Experimental- und eine Kontrollgruppe? 3. Warum sollte man auf die Anonymisierung und die Randomisierung der Probanden und Probandinnen achten? 4. Welche Bedeutung hat der p-Wert? <?page no="272"?> 273 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation Caterina Mempel & Grit Mehlhorn Einfach ein Gespräch aufzunehmen und mit wenigen Klicks als Text ausgegeben zu bekommen, ist wahrscheinlich der Wunsch all derjenigen, die mit mündlichen Daten arbeiten. Allerdings ist die derzeit auf dem Markt zu findende Spracherkennungssoftware für die Verschriftlichung von Interview- oder Interaktionsdaten, aber auch videographierten Daten des Lauten Denkens und Lauten Erinnerns wie auch Produktdaten (zum Beispiel Handy-Videos, Podcasts) für Forschungszwecke noch völlig ungeeignet (vergleiche Johnson 2011), so dass der Transkriptionsprozess weiterhin einen bedeutsamen Teil im gesamten Forschungsprozess einnimmt und damit auch das weitere Arbeiten mit dem Datenmaterial wesentlich prägt. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Transkription als Art der Datenaufbereitung und gehen dabei auf die Transkription verbaler Handlungen, die phonetische Transkription sowie die Verschriftung von Nonverbalem ein. Dabei werden wir die derzeit in der deutschsprachigen Fremd- und Zweitsprachenforschung geläufigen Transkriptionskonventionen und -programme überblicksartig vorstellen und auf die jeweiligen Internetseiten verweisen, auf denen Handbücher, Tutorials und Beispieltranskripte für Interessenten zur Verfügung stehen. Wir weisen beispielhaft auf einzelne Konventionen und Tools hin, gehen dabei aber nicht ins Detail, da die einzelnen Programme ständig weiterentwickelt werden. Ebenso hängt die Wahl der Konvention und des Transkriptionstools von verschiedenen Faktoren ab, so dass es eher darum gehen soll, Kriterien zu präsentieren, die bei deren Beurteilung helfen sollen. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ die theoretischen Grundlagen der Transkription kennen lernen; ▶ die unterschiedlichen Transkriptionskonventionen kennen lernen und anwenden können; ▶ einen ersten Überblick über die Tools zur computergestützten Transkription bekommen; ▶ je nach Ziel der Transkription die richtigen Schwerpunkte herausfinden und setzen können; ▶ die Schwierigkeiten und Grenzen der Transkriptionssysteme kritisch hinterfragen können; ▶ die Anwendungsgebiete in der Forschung kennen lernen. Der Text dieser Lerneinheit entstammt der folgenden Quelle: Mempel, Caterina & Mehlhorn, Grit (2014). Datenaufbereitung. Transkription und Annotation. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.), Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Eine Einführung. Paderborn: Schöningh, 147-166. Didaktische Anpassungen (Formulierung der Lernziele, teilweise Zusammenfassung) wurden von Ruth Ho‘aba und Katsiaryna EL -Bouz vorgenommen. <?page no="273"?> 274 7. Instrumente der Forschung 7.2.1 Theorie- und Gegenstandsabhängigkeit von Transkriptionskonventionen Transkription (von lateinisch transcribere, ‚umschreiben‘) bedeutet das Übertragen mündlicher Aussagen von einer Audio- oder Videoaufnahme in eine schriftliche Form. Ziel einer Transkription ist es, die Flüchtigkeit der gesprochenen Sprache zu überwinden, Mündlichkeit mit all den für sie typischen Phänomenen schriftlich festzuhalten und somit für Analysen zugänglich zu machen: ▶ die Abfolge der Gesprächsbeiträge beziehungsweise turns; ▶ die (unbereinigte) Notation des Gesprochenen (Satzabbrüche, Versprecher, Wiederholungen, Reparaturen etc.); ▶ die zeitlichen Eigenschaften der Kommunikation (Pausen, Sprechtempo); ▶ die prosodischen und stimmlichen Eigenschaften (Intonation etc.); ▶ nichtsprachliche Phänomene. An dieser Stelle möchten wir auf die Abteilung Pragmatik am Institut für Deutsche Sprache ( IDS ) in Mannheim verweisen (online unter http: / / www.ids-mannheim.de/ prag/ . 23. Januar 2018). Die Abteilung bietet eine Plattform sowie ein Archiv für die Forschungsgebiete Gesprochene Sprache und Gesprächsforschung im deutschen Sprachraum mit umfangreichen Korpora, aktuellen fachwissenschaftlichen Beiträgen und korpustechnologischen Hinweisen. Im gesprächsanalytischen Informationssystem ( GAIS ) (online unter http: / / prowiki.ids-mannheim.de/ bin/ view/ GAIS/ WebHome. 23. Januar 2018), welches der Abteilung angegliedert ist, findet sich unter anderem ein Überblick zum Thema Transkription. Neben generellen Fragen zum Transkribieren und zum Transkriptionsaufwand werden Konventionen und Editoren vorgestellt und weiterführende Lektüreempfehlungen gegeben. Bei der Entscheidung für eine Transkriptionskonvention müssen zwei entgegengesetzte Ansprüche zusammengeführt werden. Einerseits will man das Gesprochene so detailgetreu und facettenreich wie möglich wiedergeben, um dem Leser einen möglichst guten Eindruck vom Gespräch oder eine gute Basis für die Rekonstruktion desselben zu geben. Andererseits bewirken zu viele Details und Informationen, dass ein Transkript nur schwer lesbar wird. (Dresing & Pehl 2011: 13) Transkripte können jedoch nie die aufgenommenen Audio- oder Videodaten vollständig in ihrer Komplexität abbilden. Es muss eine Fokussierung auf die für die jeweilige Untersuchung relevanten Aspekte stattfinden. „Die Entscheidung für eine Transkriptionsform wird anhand von Forschungsmethodik, Erkenntniserwartung und auch aus forschungspragmatischen Gründen getroffen.“ (Dresing & Pehl 2011: 13). Folgende Fragen können im Entscheidungsprozess helfen: ▶ An welche Adressaten richtet sich das Transkript? ▶ Welches Forschungsziel wird verfolgt? ▶ Welche Informationen soll das Transkript enthalten? ▶ Wie genau beziehungsweise detailliert soll transkribiert werden? ▶ Welche Aufgabe hat das Transkript (Arbeits-, Feintranskript)? <?page no="274"?> 275 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation ▶ Wofür möchte ich die Transkription verwenden? ▶ Ist es die ausschließliche Auswertungsgrundlage? ▶ Wie hoch kann der Arbeitsaufwand für die Erstellung sein? Transkribieren bedeutet eine intensive Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial und kann dementsprechend als „Erkenntnis- und Bearbeitungsprozess angesehen und genutzt” (Langer 2010: 517) werden. Die Form der Transkription, der Grad an Detailliertheit und der Grad der Glaubwürdigkeit entscheiden über die Möglichkeiten der Auswertung (vergleiche Langer 2010). Folgende Kriterien können bei der Beurteilung der Qualität von Transkriptionskonventionen und -tools helfen (vergleiche auch Przyborski & Wohlrab-Sahr 2008: 14): ▶ Gegenstandsangemessenheit und Theoriekompatibilität ▶ Praktikabilität: Wie leicht (oder schwer) lässt sich die Transkription umsetzen? ▶ Ausbaufähigkeit und Flexibilität: Lassen sich gegebenenfalls alle relevanten Phänomene notieren? Wird die Software systematisch weiterentwickelt? ▶ Erlernbarkeit: Ist es autodidaktisch erlernbar? Wie schnell ist die Einarbeitung? Gibt es ausreichend Informationen, Anleitungen wie Hilfeforen und ähnliches? ▶ Bekanntheit und Lesbarkeit: Wie verbreitet sind die Konventionen und wie schnell beziehungsweise wie intuitiv ist das Transkript somit lesbar? Gegenüberstellung einzelner Transkriptionskonventionen Die Weiterentwicklung im Computerbereich eröffnet nicht nur für die Datenerhebung und -analyse, sondern auch im Bereich der Transkription qualitativer Daten neue Möglichkeiten. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von etablierten Transkriptionssystemen, so dass man als Forschender die Qual der Wahl hat. Man unterscheidet zwischen einfachen und detaillierten Transkripten (vergleiche Dresing & Pehl 2011). In einfachen Transkripten liegt der Fokus auf einer guten Lesbarkeit, leichter Erlernbarkeit und nicht zu umfangreicher Umsetzungsdauer. Sollen zum Beispiel Interviews schriftlich fixiert werden, liegt die Priorität zumeist auf dem Inhalt des Gesprächs. Dementsprechend finden sich in diesen von Umgangssprache und Dialekt geglätteten Texten neben den gesprochenen Beiträgen meist keine Angaben zu para- und nonverbalen Ereignissen. Beispiele hierfür sind die sozialwissenschaftlichen Regelsysteme von Kallmeyer & Schütze (197) und Kuckartz, Dresing, Rädiker & Stefer (2008). Sollen die Analysen jedoch nicht nur den semantischen Inhalt eines Gesprächs zum Thema haben, sondern verbale Handlungen, phonetische und paraverbale Phänomene oder auch die Verschriftung von Nonverbalem, so ist eine detaillierte Transkription nach komplexen Regelsystemen nötig. Klare Regeln helfen sowohl während des Transkriptionsprozesses als auch für die nachvollziehbare und eindeutige Präsentation der Ergebnisse. Bei der Erstellung eines Transkripts stellt sich daher die Frage, wie das Gesagte zu erfassen und in welchem Ausmaß das darüberhinausgehende Handeln, also das Paraverbale, Nonverbale und Proxemische, in die Transkription aufgenommen werden muss, um eine Sprachanalyse daran anknüpfen zu können (vergleiche Redder 2001: 1039). Um diesem Problem zu begegnen, wurden konven- <?page no="275"?> 276 7. Instrumente der Forschung tionalisierte Transkriptionssysteme entwickelt und erprobt, die wesentlichen Gütekriterien genügen. Hierzu gehören unter anderem folgende sprachwissenschaftliche Regelsysteme, die vornehmlich Dialoge, Diskurse und Konversationen fokussieren: ▶ CAT - = Conversational Analysis Transcription (vergleiche Atkinson & Heritage 1984). Dieser wissenschaftshistorische Vorreiter für spätere Systeme ist gerade im Bereich der Konversationsanalyse noch immer weit verbreitet. ▶ CHAT - = Codes for Human Analysis of Transcripts (vergleiche MacWhinney 2000a, b) wurde im Kontext der Spracherwerbsforschung entwickelt und ist ein spezielles System zur linguistischen Erfassung des Spracherwerbs von Kindern. ▶ GAT 2-= Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem  (vergleiche Selting, Auer, Barth- Weingarten, Bergmann, Bergmann, Birkner, Couper-Kuhlen, Deppermann, Gilles, Günthner, Hartung, Kern, Mertzlufft, Meyer, Morek, Oberzaucher, Peters, Quasthoff, Schütte, Stukenbrock & Uhmann 2009), stellt eine überarbeitete Version des linguistisch orientierten Systems GAT (Selting et al. 1998) dar. GAT 2 gibt detaillierte Anweisungen zum Erstellen konversationsanalytischer Transkriptionen auf drei Detailliertheitsstufen, dem Minimal-, Basis- und Feintranskript, sowie neue Vorschläge zur Darstellung komplexerer Phänomene in Sonderzeilen. ▶ HIAT - = Halbinterpretative Arbeitstranskription, ist ein von Ehlich & Rehbein (197) entwickeltes Transkriptionssystem (vergleiche auch Rehbein, Schmidt, Meyer, Watzke & Herkenrath 2004), welches vor allem im Rahmen der funktional-pragmatischen Diskursanalyse eingesetzt wird. Hier werden die verschiedenen Sprecher in Partiturschreibweise notiert, so dass die Synchronizität der Sprechakte erhalten bleibt. Gegenüberstellung einzelner Transkriptionstools für die computergestützte Transkription Der Suche nach dem angemessenen Transkriptionssystem folgt die Suche nach der passenden Software. In Musikabspielprogrammen wie Windows Media Player oder iTunes und gängigen Textverarbeitungsprogrammen wie Word oder OpenOffice fehlen wesentliche Funktionen, die den Prozess des Transkribierens unterstützen und verkürzen: so etwa die Verlangsamung der Abspielgeschwindigkeit ohne Tonhöhenänderung, das automatisch kurze Rückspulintervall beim Pausieren oder das Setzen von Zeitmarken (vergleiche Dresing & Pehl 2011: 34). Im Folgenden haben wir einige der derzeit in Deutschland gängigen Transkriptionstools aufgelistet. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie kostengünstig beziehungsweise kostenfrei im Internet zum Download zur Verfügung stehen, sowohl auf den gängigen Betriebssystemen lauffähig sind und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Alle Programme dienen der Transkription von Audio- oder Videoaufnahmen. Unter http: / / prowiki.ids-mannheim.de/ bin/ view/ AADG/ TranskriptionsMethodik (23. Januar 2018) sind einige Transkriptionseditoren aufgelistet und beschrieben. An dieser Stelle möchten wir auch auf Videograph verweisen, ein Multimedia-Tool für Windows XP / VISTA / , mit dem digitalisierte Video- oder Audiodateien abgespielt sowie gleichzeitig analysiert und ausgewertet werden können (online unter http: / / www.ipn.uni-kiel.de/ de/ publikationen/ <?page no="276"?> 277 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation videograph. 23. Januar 2018). Dieser Editor wird vor allem für pädagogisch / didaktische Auswertungen von Unterricht genutzt. EXMAR a LDA (Extensible Markup Language for Discourse Annotation) „ist ein Werkzeug zum Eingeben, Editieren und Ausgeben von EXMAR a LDA -Transkriptionen in Partitur- Notation“ (online unter http: / / exmaralda.org/ de/ partitur-editor-de/ . 02. Februar 2018). Der Partitur-Editor enthält Funktionen zum Datenaustausch mit anderen Systemen (wie Praat, ELAN, AIF, TASX, syncWRITER) und zum Segmentieren von Transkriptionsdaten nach gängigen Konventionen. Abbildung 7.4: Screenshot EXMAR a LDA -Partitur-Editor (Mempel & Mehlhorn 2014: 150) ▶ Der Transkriptionseditor FOLKER (online unter http: / / agd.ids-mannheim.de/ folker. shtml. 23. Januar 2018) wird seit 2009 für den Aufbau eines Forschungs- und Lehrkorpus am IDS Mannheim eingesetzt. FOLKER ist eine Weiterentwicklung des Editors EXMAR a LDA . ▶ F (Windows) und f (Mac) (online unter http: / / www.audiotranskription.de/ f4.htm. 23. Januar 2018) sind in der Phase der Datenaufbereitung aufgrund der einfachen Handhabung über eine Tastatursteuerung für Anfänger besonders benutzerfreundlich. Anders als viele Computer Assisted Qualitative Data Analysis Packages ( CAQDAS -Pakete; vergleiche Evers 2011; Silver & Patashnick 2011) wie TRANSANA (online unter http: / / www. transana.org/ . 23. Januar 2018), die sowohl die Datensammlung, Transkription als auch Analyse unterstützen, eignet sich f und f lediglich zur Datenaufbereitung. <?page no="277"?> 278 7. Instrumente der Forschung Abbildung 7.5: Screenshot f5 (Mempel & Mehlhorn 2014: 151) 7.2.2 Transkription verbaler Handlungen Die zwei gängigsten Arten der Notation sind die Partiturnotation und die Zeilenschreibweise. Die Partiturnotation beziehungsweise Partitur-Schreibweise ist in der deutschen Diskursanalyse und Funktionalen Pragmatik weit verbreitet. Ein Beispiel dafür ist HIAT (Halbinterpretative Arbeitstranskription) (vergleiche Abbildung 7.8). Die aus der Musiknotation entlehnte Schreibweise in Partituren erlaubt es, sowohl komplexe verbale als auch nonverbale Handlungen sowohl in ihrer Sequentialität als auch Synchronizität zu notieren. Dementsprechend können Diskurse mit mehreren Teilnehmenden, überlappende Sprech- und Handlungsanteile, Sprecherwechsel sowie unmittelbare Anschlüsse in den Redebeiträgen nachvollziehbar analog und übersichtlich präsentiert werden (vergleiche Rehbein, Schmidt, Meyer, Watzke & Herkenrath 2004). Im Gegensatz zur Textnotation ist sie jedoch aufgrund der den normalen Lesegewohnheiten entgegenlaufenden Darstellung schwerer lesbar (vergleiche Redder 2001: 101). Bei der Zeilennotation, zum Beispiel in GAT (Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem), werden die Beiträge der einzelnen Sprecher, ähnlich der Textnotation, untereinander notiert (vergleiche Abbildung 7.). Das Untereinander der Zeilen bildet dabei ikonisch das Nacheinander der Sprecherbeiträge ab. Während die Simultanität unberücksichtigt bleibt, wird die Sequentialität hierbei in den Vordergrund gestellt (vergleiche Redder 2001: 100 f). <?page no="278"?> 279 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation Abbildung 7.6: Beispiel GAT (Rossa 2010: 136) Weiter werden verschiedene Formen der Verschriftung unterschieden: Standardorthographie, literarische Umschrift und phonetische Umschrift (vergleiche Kowal & O’Connell 2000: 441). Die Verschriftung in Standardorthographie erleichtert durch die Orientierung an den Normen der geschriebenen Sprache das Transkribieren, lässt aber Besonderheiten, wie Auslassungen (sehn für sehen) oder Angleichungen von Lauten (haste für hast du) außer Acht (vergleiche Kowal & O’Connell 2000: 441). Bei der literarischen Umschrift (zum Beispiel HIAT ) werden diese Besonderheiten berücksichtigt und Dialektsprachliches wiedergegeben (vergleiche Kowal & O’Connell 2000: 441). Auf die phonetische Umschrift wird hier nicht näher eingegangen. Jedes Transkript sollte nach Dittmar (2009: 97) die notwendigen Angaben zur Identifikation von Sprechern, Kommunikationssituation, Transkription, Korpus etc. enthalten. In Standardtranskripten gibt der Transkriptionskopf einen Überblick über diese wesentlichen Metadaten, welche als Authentizitätsnachweis (Deppermann & Schütte 2008: 185) dienen. Dazu gehören in der Regel: ▶ der Kontext der Aufnahme (Aufnahmedatum, -ort, -dauer, Art der Daten, Name des Aufnehmenden); ▶ Angaben zu den Sprechenden unter Verwendung eines eindeutigen Alias (Geschlecht, L1, L2, Herkunft, Alter etc.); ▶ Angaben zum Gesprächsverlauf; ▶ Angaben zur Transkription (Transkriptionskonvention, -verhältnis, Name des Transkribierenden). Die meisten der gängigen CAQDAS -Pakete haben die Möglichkeit, die Metadaten zu verwalten. Der EXMAR a LDA -Corpus-Manager (Coma) ist zum Beispiel ein Werkzeug, um Transkriptionen und die dazugehörigen Aufnahmen mit Metadaten anzureichern und zu Korpora zusammenzufassen. Über Suchfunktionen lassen sich über diese Daten Teilkorpora zusammenstellen, die anderen EXMAR a LDA -Werkzeugen als Basis dienen können. Oftmals ist es wichtig, zur Beantwortung der Forschungsfrage im Analyseprozess noch weitere Aspekte <?page no="279"?> 280 7. Instrumente der Forschung wie phonetische Phänomene (siehe dazu 7.2.3) paralinguistische Signale oder nonverbale Verhaltensweisen (siehe dazu 7.2.4) zu berücksichtigen, auf welche wir im Folgenden eingehen. 7.2.3 Phonetische Transkription Die phonetische Transkription oder auch Lautschrift meint die schriftliche Darstellung von Lauten durch Lautsymbole. Aus der gesprochenen Form der Wörter werden einzelne Segmente identifiziert und diesen werden Transkriptionszeichen zugeordnet. Wichtig in der phonetischen Transkription ist die eindeutige Trennung von Buchstaben und Lautzeichen. Dafür wird in der Regel die folgende formale Konvention angewendet: Buchstaben werden, einzeln oder als Sequenz, in spitze Klammern gesetzt (zum Beispiel <so>), Lautzeichen in eckige Klammern (zum Beispiel [zoi]) (vergleiche auch Wiese 2010: 1). Für die phonetische Transkription eignet sich die heute am weitesten verbreitete Lautschrift, das Alphabet der International Phonetic Association (International Phonetic Alphabet, IPA ), die sogenannte internationale Lautschrift. Der Vorteil des IPA besteht darin, dass sich alle Sprachen der Welt damit darstellen lassen. Die Zeichen der internationalen Lautschrift bestehen aus lateinischen und griechischen Buchstaben sowie diakritischen Zeichen. Vokallänge wird zum Beispiel durch einen Doppelpunkt gekennzeichnet: [j: ]. Das Zeichen symbolisiert die Länge desjenigen Lautes, hinter den dieses Zusatzzeichen tritt. Laute ohne dieses Diakritikum sind kurz beziehungsweise nicht auffällig lang (Wiese 2010: 17). Die aktuelle Version der IPA -Lautschrift (online unter http: / / deacademic.com/ pictures/ dewiki/ 73/ IPA_chart_2005.png. 23. Januar 2018) stammt aus dem Jahr 2005. Zur korrekten Darstellung von Transkriptionssymbolen empfiehlt sich die Verwendung von Unicode-Fonts (online unter http: / / www.phon.ucl.ac.uk/ home/ wells/ ipa-unicode.htm. 23. Januar 208, mit ausführlichen Tabellen zu allen IPA -Transkriptionssymbolen). Anwendungsbereiche phonetischer Transkription Die phonetische Transkription von Daten gesprochener Fremdsprache findet traditionell vor allem in der Fehleranalyse Anwendung, wenn lautliche oder prosodische Abweichungen in der Lernersprache diagnostiziert werden. Aber auch zum Nachweis von Fortschritten im Ausspracheerwerb von Lernern ist die phonetische Transkription ein wichtiges Hilfsmittel. So sind Longitudinalstudien denkbar, die neben dem Zuwachs an Lexik, Grammatik sowie der Elaboriertheit und Flüssigkeit gesprochener Sprache auch die Aussprache der Lerner fokussieren (vergleiche die Radioprojekte bei Peuschel 2012). In Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern können Veränderungen in der Aussprache oder Intonation des Fremdsprachenlerners während des Gesprächsverlaufs untersucht werden. So könnte eine anfangs falsche Betonung eines mehrfach im Gespräch erwähnten Wortes, das später korrekt geäußert wird, ein Beleg für Sprachaufmerksamkeit und bewusstes Imitieren des Lerners sein. Aus linguistischer Sicht wäre es in diesem Fall ausreichend, jedes Auftreten des betreffenden Wortes in diesem Gespräch zu transkribieren. Aus fremdsprachenmethodischer Sicht könnten diese Daten mit introspektiven beziehungsweise retrospektiven Daten <?page no="280"?> 281 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation des Lerners kombiniert werden. In vielen Interaktionen kann es ausreichend sein, nur diejenigen Ausspracheabweichungen zu transkribieren, die zu inhaltlichen Missverständnissen führen (könnten), zum Beispiel, wenn aufgrund von Konsonantenausfall eine nicht intendierte Wortbedeutung wie Freude statt Freunde entsteht. Wenn die Aussprache der Lerner in solchen Studien nicht im Fokus steht, können auch Transkriptionskonventionen vereinbart werden, die lediglich auf die Tilgung von Lauten hinweisen (zum Beispiel Freu(n)de) und somit meist ohne phonetische Transkription auskommen (zum Beispiel HIAT ). Untersuchungen zur Verständlichkeit (intelligibility), zu Aussprachekorrekturen von Lehrerinnen und Lehrern, Imitationsversuchen sowie artikulatorischen Selbstkorrekturen von Lernern im Fremdsprachenunterricht werden jedoch nicht ohne phonetische Transkription auskommen. Richter (2008) untersucht in ihrer Studie zum Beispiel, ob Deutsch lernende Studentinnen und Studenten flexible Reduktionsgrade im Deutschen beherrschen und in der Lage sind, ihren Output den phonologischen Normen der Zielsprache folgend der Sprechsituation und dem Sprechtempo anzupassen. Phonetische Transkription dient auch zur Auswertung von Interkomprehensionsexperimenten, bei denen Probanden zu zweit einen Text in einer ihnen unbekannten Sprache entschlüsseln sollen. Anhand der Aussprache der artikulierten Wörter lässt sich feststellen, auf welche zuvor gelernten Sprachen die Probanden bei der Erschließung zurückgegriffen haben. Pseudotranskriptionen (zum Beispiel Ättenschn! für die Aussprache von englisch attention) finden sich häufig in belletristischen oder populärwissenschaftlichen Publikationen, sind jedoch für empirische Forschung in der Fremdsprachenforschung unseriös. Die phonetische Transkription von Lernersprache ist mit großem methodischem Aufwand verbunden. Sie erfordert phonetische Kenntnisse, ein trainiertes Gehör sowie Kontrollhörer zur Absicherung der Ergebnisse (intertranscriber consistency). Wer nicht unmittelbar an Ausspracheerwerb interessiert ist, sollte sich daher im Laufe des Forschungsprozesses die Frage stellen, inwieweit eine phonetische Transkription für die Erkenntnisinteressen zielführend ist. Richter (2008: 178) zufolge „macht es wenig Sinn, überfeine Unterschiede zu messen, die weder perzeptiv noch didaktisch relevant sein können“. Grob-und Feintranskription Phonetiker und Sprechwissenschaftler mit einem geschulten Gehör, sogenannte Ohrenphonetiker oder Expertenhörer, können Sprachaufnahmen oft allein mithilfe auditiver Darbietung transkribieren und analysieren. Sollen darüber hinaus bestimmte Parameter genau gemessen werden, zum Beispiel Silbendauer, Tonhöhenumfang oder Sprechgeschwindigkeit, sind Analysen im akustischen Sprachsignal erforderlich 7.3.3. Menschliche Äußerungen sind lautlich äußerst komplex. Neben den Wörtern selbst kann man erkennen, ob ein Sprecher schnell oder langsam spricht, ob er gerade einen Redebeitrag beenden möchte, welche Silben er betont, ob er eine regionale Färbung oder einen ausländischen Akzent hat. Unter sorgfältiger Verwendung der Symbole und Diakritika des IPA lassen sich viele dieser Details erfassen. Eine solche Transkription, die sich so weit wie möglich an der Sprechwirklichkeit orientiert, wird als eng (oder auch phonetisch) bezeichnet (vergleiche <?page no="281"?> 282 7. Instrumente der Forschung Rues, Redecker, Koch, Wallraff & Simpson 2013: 7). Soll dagegen nur gezeigt werden, welche Konsonanten und Vokale in den Wörtern eines Satzes verwendet werden, reicht oft eine breite (phonematische) Transkription, wie man sie zum Beispiel in Wörterbüchern findet. Aussprachewörterbücher geben lediglich Zitierformen einzelner Lexikoneinträge wieder, das heißt, wie man diese Wörter in Isolation (ohne Satzkontext) in der Standardsprache artikulieren würde. Für die phonetische Beschreibung einzelner Sprachen wird das IPA in modifizierter Form verwendet, um Diakritika zu vermeiden und damit die Transkription etwas zu erleichtern. So entsprechen die Laute in Einzelsprachen selten den Qualitäten der Konsonanten und Kardinalvokale im IPA und müssten in einer engen Transkription mit Diakritika modifiziert werden. Zum Beispiel werden im Deutschen und Englischen die stimmlosen Plosive [p], [t], [k] in bestimmten Positionen aspiriert ausgesprochen, was in einer engen Transkription mit dem Diakritikum [h] symbolisiert werden müsste. In einer breiteren Transkription werden aber die Konsonantensymbole ohne Diakritika verwendet, wohl wissend, dass diese im Deutschen und Englischen eine andere qualitative Bedeutung als die IPA -Symbole haben. Breite Transkriptionen kommen mit wenigen diakritischen Zeichen wie dem Wortakzent ['] und Längenzeichen [: ] aus (vergleiche die Symbole der Lautschrift für die deutsche Aussprache in den bekanntesten Aussprachewörterbüchern bei Mangold 2005: 12 und Krech, Stock, Hirschfeld & Anders 2009: 3f). Ob eine phonematische oder phonetische Transkription gewählt wird, ist abhängig vom Erkenntnisinteresse der jeweiligen Untersuchung. Da es auf Computertastaturen nur mit großem Aufwand möglich ist, phonetische Transkriptionssymbole einschließlich ihrer Diakritika einzutippen, wurde Ende der 1980er Jahre von dem Phonetiker John C. Wells ein neues Symbolinventar geschaffen: SAMPA (Speech Assessment Methods Phonetic Alphabet). Es kommt mit den 127 Zeichen des ASCII -Zeichensatzes aus, kann mit einer handelsüblichen Tastatur eingegeben und mithilfe spezieller Fonts beziehungsweise Konverter in IPA -Zeichen umgewandelt werden. Für jede zu transkribierende Sprache wurde eine Liste von tastaturfreundlichen und maschinenlesbaren Symbolen definiert, die den phonetischen Symbolen der jeweiligen Sprache entsprechen. SAMPA ist kein eigenständiges phonetisches Alphabet, sondern kodiert nur einen Teil des IPA für eine breite (phonematische) Transkription. Diese Teilmenge umfasst die Phonemsymbole einer speziellen Sprache, aber im Gegensatz zum IPA kaum Symbole für weitere Aussprachedetails. So wird in SAMPA auf suprasegmentale Symbole (außer Wortbetonung) und auf die meisten Diakritika verzichtet. Die SAMPA -Transkribierungskodes sind für verschiedene europäische Sprachen standardisiert (vergleiche https: / / www.phon.ucl.ac.uk/ home/ sampa/ . 23. Januar 2018). Falls der Glottisverschluss [ ˀ ] transkribiert werden soll, wird er in SAMPA durch [? ] dargestellt, das Betonungszeichen ['] sieht in SAMPA folgendermaßen aus: ["]. Das Wort beachten würde man daher wie folgt transkribieren: <beachten> IPA : [bә ˀ axtņ]-- SAMPA : [b@"? axt=n] <?page no="282"?> 283 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation Annotation im akustischen Sprachsignal am Beispiel des Programms Praat Eine phonetische Annotation ist eine zeitlich ausgerichtete (time aligned), symbolische Beschreibung eines akustischen Signals. Sie besteht aus einer Beschreibung (einem Label beziehungsweise Etikett), die mit einem bestimmten Zeitabschnitt des Signals assoziiert ist (Mayer 2011: 7). Zur phonetischen Annotation wird häufig Praat verwendet, ein kostenloses Open-Source-Programm (online unter www.praat.org. 23. Januar 2018), das von den Phonetikern Paul Boersma und David Weenink (Universität Amsterdam) entwickelt wurde und bis heute ständig gepflegt und verbessert wird. Es läuft sehr stabil und schnell, ist für alle gängigen Betriebssysteme erhältlich, unkompliziert zu installieren und wendet sich speziell an Phonetiker. Mayer (2011) bietet Nutzern ein deutschsprachiges Handbuch für den Praat- Einstieg. Man kann in Praat selbst Aufnahmen erstellen oder Audiodateien (zum Beispiel im wav-Format) in Praat laden. Dadurch wird ein Sound-Objekt generiert, das man abspielen, editieren und analysieren kann. Soll eine Aufnahme annotiert werden, erzeugt man ein sogenanntes TextGrid-Objekt. Zur Durchführung von Grundfrequenzanalysen wird ein Pitch- Objekt erstellt (von englisch pitch, ‚Tonhöhe‘). Im Folgenden wird anhand eines Beispiels gezeigt, wie gesprochene Sprache im Programm Praat transkribiert und annotiert werden kann. Als sprachliches Ausgangsmaterial soll ein Dialogausschnitt zwischen zwei Gesprächspartnern A und В dienen: () A: Tina ist doch in Leipzig, oder? ----B: Nee, sie wohnt jetzt in Bielefeld! Für die Analyse empfiehlt es sich, längere Aufnahmen in handhabbare Portionen aufzuteilen und diese wiederum als einzelne Dateien abzuspeichern. Die Äußerung des Gesprächspartners В ist eine solche handhabbare Portion, die zunächst aus der Gesamtaufnahme extrahiert und dann in Praat annotiert werden kann. Abbildung 7.7 zeigt eine Graphik, die aus drei Komponenten besteht: dem Oszillogramm (im oberen Drittel), der Intonationskontur (in der Mitte) und dem Textgrid, das wiederum in drei Zeilen (tiers) untergliedert ist: die Wortebene, Silbenebene und Lautebene. Die tiers werden vom Benutzer angelegt und müssen nicht immer so aussehen. Auch eine vierte Komponente, ein Sonagramm, kann dargestellt werden, worauf wir hier aus Platzgründen verzichten. Das Sprachsignal kann auf verschiedenen Beschreibungsebenen annotiert werden, zum Beispiel auf der Wortebene (orthographische Transkription in tier ), der Silbenebene (Silbengrenzen in tier ), der segmentalen Ebene (phonematische SAMPA -Transkription in tier ). Auch Annotationen auf der Intonations-, Betonungs-, Wortarten- oder syntaktischen Ebene wären-- abhängig vom Forschungsinteresse-- denkbar. Das in Abbildung 7.7 dargestellte Textgrid enthält Interval-tiers, da hier Ereignisse in der Zeit mit einem Anfangs- und Endpunkt etikettiert werden. Die senkrechten Balken (boundaries) in den tiers stellen die Grenzen zwischen zwei benachbarten Intervallen dar; dabei ist der Endzeitpunkt eines Intervalls gleichzeitig der Anfangszeitpunkt des folgenden Intervalls (Mayer 2011: 70). <?page no="283"?> 284 7. Instrumente der Forschung Abbildung 7.7: Graphikfenster in Praat mit Oszillogramm, Intonationskontur und annotiertem Textgrid (Mempel & Mehlhorn 2014: 156) Um die Äußerung von В zu annotieren, das heißt die sprachliche Information mit dem akustischen Signal zu verknüpfen, bietet es sich an, zunächst die Wortgrenzen zu markieren und die identifizierten Wörter orthographisch zu transliterieren. Bei der Markierung der Wortgrenzen ist es hilfreich, sich ein Breitband-Sonagramm anzeigen zu lassen. Man kann so vorgehen, dass man auf der Suche nach der Wortgrenze einen Abschnitt markiert (in Abbildung 7.7 zum Beispiel das Wort Bielefeld), ihn anhört, die Markierung gegebenenfalls korrigiert, den Abschnitt nochmals anhört und schließlich eine Grenze am Wortanfang einfügt (senkrechter Balken). Beim nächsten Durchgang können die entsprechenden Labels (einzelne Wörter) ergänzt werden. Falls die Äußerung wahrnehmbare Pausen enthält, können diese ebenfalls mithilfe von boundaries annotiert und somit auch die Pausenlänge gemessen werden. In der Regel stellen Wortgrenzen auch Silben- und Segmentgrenzen dar. Bei segmentalen Annotationen sollte man sich nicht allein auf sein Gehör verlassen, sondern sich am Sonagramm oder auch Oszillogramm orientieren. Dazu kann man eine starke Vergrößerung (Zoom in) einstellen, im Signal „blättern“ und gegebenenfalls die Grenzen der Intervalle korrigieren. Das Ergebnis der Segmentannotation stellt sich wie folgt dar: <?page no="284"?> 285 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation ()- IPA : -[ne: zi vo: nt jוt ̮ s וn ’bi: lǝf ɛ lt] SAMPA : -[ne: zi vo: nt jוts In “bi: l@fElt] Gegenüber den Zitierformen dieser Wörter (in einem Aussprachewörterbuch) fallen hier mehrere Unterschiede auf, die jedoch für die gesprochene deutsche Umgangssprache völlig normal sind: Das Wort <jetzt> [j ɛ ts ̮ t] befindet sich in unbetonter (schwachtoniger) Position und unterliegt dadurch der Reduktion: Der letzte Konsonant wird vollständig getilgt (Elision), der Vokalbuchstabe <e> wird als kurzes ungespanntes [I] realisiert. Bei der Artikulation des Pronomens <sie> [zi: ] wird die Vokalquantität des [i: ] zu [i] reduziert, wodurch der Vokal zwar noch gespannt bleibt, aber nicht mehr lang ist. Darüber hinaus entfällt der Glottisverschluss (fester Stimmeinsatz) [ ˀ ] vor dem Wort <in>; die Wortgrenze zwischen <jetzt> und <in> wird in der Realisierung von В überbunden. Das Programm Praat bietet zudem die Möglichkeit, Intonationskonturen einer Äußerung, gesprochen von einem Muttersprachler und einem Nichtmuttersprachler, in zwei Fenstern gegenüberzustellen und zu vergleichen, zum Beispiel in Bezug auf Sprechstimmumfang, Wortgruppenakzente, abweichende Intonationsmuster etc. und kann somit auch bei der Aussprachevermittlung, Fehleranalyse und in Sprachlernberatungen zum Einsatz kommen (vergleiche Mehlhorn & Trouvain 2007). Eine ausführliche Beschreibung zur Annotierung der deutschen Intonation bieten Grice & Baumann (2002). 7.2.4 Transkription von nonverbaler Kommunikation Nachdem in den vorherigen Abschnitten auf die Transkription gesprochener Sprache in all ihren Facetten eingegangen wurde, widmet sich der folgende Abschnitt der Erfassung von Nonverbalem. Im Zuge der empirischen Unterrichtsforschung (vergleiche Schramm & Aguado 2010) richtet sich der Fokus nicht mehr nur auf verbalsprachliche Daten, sondern durch den Einsatz von Video auch auf sichtbare Verhaltensweisen und Handlungen und somit die Berücksichtigung nichtsprachlicher Phänomene (unter anderem Mempel 2010). Die Arbeit mit Videomaterial stellt aufgrund der Überführung des Filmmaterials in Schriftsprache häufig besondere Anforderungen an die Forschenden. Im Folgenden zeigen wir, welche Möglichkeiten es gibt, Film- und Videomaterial während des Transkriptionsprozesses zu berücksichtigen und nonverbale Kommunikation zu verschriftlichen. Während der Datenaufbereitung und -analyse bietet es sich an, mit den Primärdaten, eingebunden in die jeweilige Transkriptionssoftware, zu arbeiten. Die Verschriftung nonverbaler Verhaltensweisen wird vor allem für die spätere Publikation notwendig (vergleiche 7.2.1-7.2.4). Synchronisation von Videodaten Es ist nie gänzlich möglich, alle auf dem Video sichtbaren Dimensionen im Transkript zu reproduzieren (vergleiche Evers 2011). Eine Möglichkeit, Eindeutigkeit, Verständlichkeit und Komplexität nonverbalen Verhaltens für den Analyseprozess sowie die Präsentation <?page no="285"?> 286 7. Instrumente der Forschung der Ergebnisse zu erfassen, ist die Verknüpfung und / oder Synchronisation mit Video- und Bilddateien. Wie bereits oben deutlich wurde, ist Transkription ein interpretativer, selektiver Prozess und dementsprechend fehleranfällig. Um nicht bereits im Transkriptionsprozess Informationen systematisch auszublenden, die sich für die spätere Analyse als unerlässlich herausstellen, bietet es sich an, die Primärdaten immer wieder einzubeziehen und auf die Verschriftung des nonverbalen Verhaltens zunächst zu verzichten. Für den computergestützten Transkriptions- und Analyseprozess kann das Transkript durch das Setzen von Zeitmarken mit der Audio- oder Videodatei verlinkt werden. Durch das Anklicken der jeweiligen Zeitmarke gelangt man unkompliziert und sekundenschnell zur passenden Stelle in den Primärdaten und kann diese abspielen. Zeitmarken haben ebenso das Potential, Schreibarbeit zu sparen. So weisen Dresing & Pehl (2011) darauf hin, dass es ratsam ist, zunächst vorläufige Teiltranskripte zu erstellen und „erst später, wenn klar wird, welche Passagen zur weiteren Arbeit herangezogen werden sollen, diese detailliert [zu] verschriftlichen“ (Dresing & Pehl 2011: 39). Obwohl Videos den für die Forschung unschätzbaren Vorteil haben, neben verbalsprachlichen Handlungen und Phänomenen die aufgezeichneten Situationen insgesamt und in ihrem zusammenhängenden Ablauf wieder und wieder betrachten zu können, sind für die Analyse, aber vor allem auch für die spätere Publikation der Untersuchungsergebnisse schriftliche Transkripte nach wie vor unverzichtbar, sei es aus forschungsethischen oder medialen Gründen. Laut Sager besteht das spezifische Problem der Verschriftung nonverbaler Kommunikation darin, „kinesische Einheiten im ,stream of behaviour‘ zu identifizieren, und diese dann-- ähnlich wie die Worte der verbalen Transkription-- als grafisch fixierbare Zeichen in ein Transkript einzufügen“ (Sager 2001b: 1071), worauf wir in den nächsten Abschnitten eingehen. Genauigkeitsgrad der Transkription Eine realistische und angemessene Analyse sollte nach Sager den „fundamentalen Charakter eines Gesprächs als eines grundsätzlich medial komplexen Geschehens“ (Sager 2001a: 1132) berücksichtigen, welches neben den verbalen Äußerungen sowie prosodischen Phänomenen vor allem auch das vielschichtige kinesisch-motorische Kommunikationsverhalten fokussiert (vergleiche Sager 2001a: 1133). Nonverbale Kommunikation umfasst im Unterschied zur verbalen Kommunikation nonverbale-vokale Kommunikation (Paralinguistik) sowie nonverbale-nonvokale Verhaltensweisen (Körpersprache), also jede bewusste (zum Beispiel Pantomimen, Standbilder, Signalgeber, Beziehungs- und Kontaktaufbau) oder unbewusste Bewegung (zum Beispiel Emotionen oder Impulse von innen und außen), die benutzt wird, um „der Außenwelt emotionale Botschaften zu übermitteln“ (Fast 2002: 9). Diese Verhaltensweisen offenbaren uns unter anderem Persönlichkeitsmerkmale, Kongruenz beziehungsweise Inkongruenz zu verbalen Aussagen, Einstellungen zum Gegenüber und zu Dingen oder Intentionen. Im Kontext der Fremd- und Zweitsprachenforschung ist es nicht notwendig, alle nonverbalen Verhaltensweisen zu verschriftlichen, sondern die für die Analyse relevanten dis- <?page no="286"?> 287 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation kursiven Phänomene zu identifizieren (vergleiche Rosenbusch 1995: 174). Ehlich & Rehbein (1981: 184) weisen darauf hin, dass „neutrale nonverbale Kommunikation“ beim halbinterpretativen Verfahren wie der Transkription nach HIAT keiner Markierung bedarf, sondern lediglich nonverbale Kommunikation mit „spezifischer Bedeutung“. In Anlehnung daran transkribiert Mempel nonverbale Kommunikation nur für Personen-[…], die an den jeweiligen Stellen aktiv an der Interaktion beteiligt sind, wobei jene Phänomene von Interesse sind, die für den emotionalen oder Handlungscharakter der Äußerung besonders relevant und auf dem Datenmaterial eindeutig zu erkennen sind. Beachtung finden dabei Mimik, Blickverhalten, Gestik, Körperbewegung und Proxemik. (Mempel 2010: 235) Dabei sollte eine Überfrachtung mit zu viel Information vermieden werden, um den Leser nicht zu überfordern (vergleiche Selting et al. 1998: 109). Insgesamt sollten folgende wesentliche Anforderungen nach Sager (2001b: 109f) in der Transkription des nonverbalen Verhaltens Berücksichtigung finden: ▶ Praktikabilität: Die Konventionen sollten leicht erlernbar, realisierbar, handhabbar und lesbar sein. ▶ Relevanz: Die Konventionen sollten die für die vorgesehenen Forschungszwecke interessierenden Phänomene angemessen erfassen. ▶ Adäquatheit: Die erfassten Phänomene sollten vollständig, trennscharf und eindeutig dargestellt werden. ▶ Neutralität: Es sollte so wenig wie möglich interpretiert werden und die Phänomene sollten so originalgetreu abgebildet werden wie möglich. ▶ Variabilität: Das System sollte die Erweiterung des Basisinventars durch weitere differenzierende Kategorien für neue Fragestellungen ermöglichen. Das Transkript in Abbildung 7.8 versucht diesen Anforderungen gerecht zu werden. <?page no="287"?> 288 7. Instrumente der Forschung Abbildung 7.8: Beispieltranskript für die Verschriftung nonverbalen Verhaltens nach HIAT und die Einbindung von Bildern ins Transkript (Mempel & Mehlhorn 2014: 159) Art der Bezeichnung Es gibt zwei typische Grundverfahren, Nonverbales im Transkript zu bezeichnen: die Symbolisierung und die Ikonisierung. Bei der Symbolisierung, wie es zum Beispiel die HIAT - Konventionen vorschlagen, „wird versucht, durch eine mehr oder weniger umfangreiche Umschreibung (durch ein einzelnes Wort oder eine verbale Phrase) das entsprechende kinesische Verhalten zu bestimmen“ (Sager 2001b: 1071; vergleiche Abbildung 7.8: „dreht Buch etwas nach oben“). Die Schwierigkeit einer solchen Umschreibung besteht darin, einheitliche Bezeichnungen für nicht herkömmliche, unbekannte Verhaltensformen oder die Wiedergabe von Ausdrucksqualitäten sprachlicher Realisierungen zu finden (vergleiche Ehlich & Rehbein 1981: 178; Sager 2001b: 1072). Ebenso weist Dittmar (2009: 177) darauf hin, dass für <?page no="288"?> 289 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation weniger bekannte und nicht herkömmliche Verhaltensweisen verbale Beschreibungen oftmals sehr zeitintensiv sind und diese die nonverbalen Phänomene nicht adäquat erfassen. Sager (2005: 22) kritisiert wiederum, dass bisherige Beschreibungsversuche zu stark auf alltagsweltliche Kategorien zurückgreifen, ohne Beschreibungsmöglichkeiten aus anderen Bereichen zu berücksichtigen. Verschiedene Autoren verzichten aus diesem Grund auf verbale Beschreibungen und greifen auf kodifizierte ikonische Zeichen zurück, welche „stärker an der äußeren wahrnehmbaren Erscheinungsgestalt des jeweiligen Displays orientiert“ (Sager 2001b: 1072), weniger interpretativ sind und in hochkomplexen, umfangreichen Zeichenkatalogen aufgeführt werden. Mittlerweile finden sich zahlreiche innovative und anregende Transkriptionssysteme (vergleiche zum Beispiel Bührig & Sager 2005; das Zeitreihenprinzip des Berner Systems zur Untersuchung nonverbaler Interaktion nach Frey, Hirsbrunner & Bieri-Florin 1979). Das Anwenden und Lesen derartiger Piktogramme ist jedoch relativ schwierig und zeitintensiv und macht dieses Darstellungsverfahren im Rahmen einer Qualifikationsarbeit vergleichsweise unpraktikabel. Ein Kompromiss zwischen beiden Verfahren ist die Anreicherung mit Standbildern aus dem Video bei „weniger bekannten, nicht herkömmlichen oder nicht eindeutigen Verhaltensweisen“ (Mempel 2010: 247), um sicherzustellen, dass der Interpretationsprozess rekonstruiert und nachvollzogen werden kann. Bei der Einbindung von Standbildern sollten nach Selting et al. (1998: 112) folgende Aspekte beachtet werden, um dem Leser komplexe oder nicht eindeutige Situationen transparent zu machen: ▶ Die beteiligten Personen werden im Bild durch die gleichen Namen beziehungsweise Namenskürzel identifiziert, die auch im Transkript verwendet werden; ▶ bei der Integration eines Standbildes in den Fließtext wird die Stelle im Transkript, an der im Verlauf einer Äußerung oder Handlung das Bild entnommen wurde, gekennzeichnet; ▶ wird das Bild direkt in das Transkript eingefügt, sollte darauf geachtet werden, dass es nicht zu klein und noch lesbar ist; ▶ Elemente oder Bildteile, die für die Ergebnispräsentation von besonderer Bedeutung sind, sollten grafisch hervorgehoben werden. Ein weiterer Mehrwert der Verknüpfung mit Bilddateien besteht unseres Erachtens darin, zum Beispiel Scans von Produktdaten der Untersuchungspersonen oder von anderen Materialien der jeweiligen Untersuchungssituation in das Transkript zu integrieren (vergleiche Abbildung 7.8). Die Anlage der Transkription Weiterhin zu bedenken ist, wie die verschiedenen Displays in Relation zueinander dargestellt werden sollen. An dieser Stelle sollen die Verfahren nicht im Einzelnen vorgestellt werden (vergleiche dazu Sager 2001b: 1073ff), sondern die Partiturschreibweise exemplarisch herangezogen werden. Im Zusammenhang mit der Transkription des nonverbalen Verhaltens <?page no="289"?> 290 7. Instrumente der Forschung wird eine solche Partiturtranskription zu einem Partitur-Zeilenblockverfahren erweitert. Für jeden Gesprächsteilnehmer kann neben der Verbalspur unter anderem eine Spur für nonverbale-nonvokale Verhaltensweisen (vergleiche Abbildung 7.9: [nv]) angelegt werden (also ein Zeilenblock). Bei Bedarf können diese Phänomene noch ausführlicher verschriftet und weitere Spuren eingerichtet werden, in denen verschiedene Displays wie Mimik, Gestik, axiale Orientierung erfasst sind (vergleiche Mempel 2010). Zeitliche Ausdehnung eines nonverbalen Phänomens Ein zentrales Problem liegt nach Sager (2001b: 1075) in der Analogie und Kontinuität kinesischen Verhaltens und in diesem Zusammenhang mit dessen Kategorisierung beziehungsweise Segmentierung und der Art, wie dies im Transkript erfasst und dargestellt werden kann. In der Praxis werden das Gestaltverfahren oder das Zeitreihenverfahren angewendet. Gestaltverfahren versuchen, „das Bewegungsgeschehen als ein gestalthaftes zu begreifen und entsprechend bestimmte Abschnitte aus dem stream of behaviour herauszugreifen und sie als funktional einheitliche Komplexe zu begreifen“ (Sager 2001b: 1077). Sie setzen ein gewisses Maß an Interpretations- und Deutungsleistung voraus und versuchen kommunikativ relevantes Verhalten zu identifizieren und zu interpretieren. Auch bei dieser Verfahrensweise ist es möglich, die zeitliche Ausdehnung zu markieren. Mempel (2010: 247) listet folgende Möglichkeiten am Beispiel von HIAT auf (vergleiche auch Abbildung 7.9): ▶ durch die Angabe von Sekunden beziehungsweise Minuten, wenn nicht-redebegleitende Phänomene in der Verbalspur notiert werden; ▶ durch (farbliche) Markierung im Transkript; ▶ durch das Setzen von Ereignisgrenzen; ▶ durch die Verknüpfung mit Videosequenzen; ▶ durch die Kombination mit Bildstaffeln. Beim Zeitreihenverfahren (vergleiche Frey et al. 1979: 200) wird das komplexe kontinuierliche Bewegungsgeschehen in seinen zeitlich aufeinander folgenden (jeweils statischen) Positionen protokolliert. Eine Bewegungsposition entspricht dabei einem Standbild, so dass eine Bildfür-Bild-Auswertung des Videomaterials möglich wird (vergleiche Sager 2001b: 1075). Im Unterschied zu komplexen Kodierschemata, welche versuchen, unterschiedliche Bewegungsvarianten im Verlauf festzuhalten, gibt es mittlerweile auch verschiedene Tools (zum Beispiel Feldpartitur-Software), die die Annotation des Videos zulassen, was eine aufwändige und leserunfreundliche ikonische Verschriftung unnötig macht. Die Feldpartitur-Software (online unter http: / / www.feldpartitur.de/ . 23. Januar 2018) ist ein neu entwickeltes System zur Videotranskription, welches bereits interdisziplinär innerhalb der Soziologie, Kommunikations- oder Bildungswissenschaft Verwendung findet. Videovermittelte, multikodale Informationen werden computerunterstützt in ein diagrammatisch-darstellendes System übertragen. Videodaten werden dabei sowohl linear in Textdaten (Kodewechsel) als auch als Prozessdaten in ihrer Gleichzeitigkeit erfasst (Partitur). <?page no="290"?> 291 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation Abbildung 7.9: Miniaturabbildung der Software Feldpartitur (2011): Die Abbildung zeigt den integrierten Videoplayer, die automatisch generierte Einzelbildleiste und Transkriptionen in der Feldpartitur in fünf Editier-Modi: frame-by-frame, Verbalumschreibung von Ereignissen, Transcript, Notation von Symbolen innerhalb eines definierten Bezugsrahmens, Codescript (Moritz 2009). Diese von Christine Moritz entwickelte Software findet innerhalb unterschiedlicher Phasen des Forschungsprozesses Verwendung (vergleiche Moritz 2012: 54), zum Beispiel zur sukzessiven und systematischen begrifflichen Identifikation relevanter Momente, zur Publikation oder Präsentation oder für weiterführende quantitative (Export in Excel, SPSS ) und qualitative Auswertungen (pdf-Export in Ma XQDA oder atlas.ti). 7.2.5 Analyse Unabhängig von der Wahl der Verfahrensweisen zur Verschriftung muss darauf geachtet werden, dass die genutzten Zeichen zur Darstellung von verbalen, paraverbalen oder nonverbalen Phänomenen auch für die computergestützte qualitative Analyse geeignet sind und von den entsprechenden Programmen erkannt beziehungsweise wiedergegeben werden können (vergleiche Langer 2010: 524). Soll das (verschriftete) Datenmaterial mit spezieller Software zur qualitativen Datenanalyse (sogenannte QDA -Programme) kodiert und weiterbearbeitet werden, sind durchgängig einheitliche Schreibweisen besonders wichtig, um deren Suchfunktionen entsprechend zu nutzen (vergleiche Langer 2010: 524). Zur Unterstützung ihrer Qualitativen Datenanalyse (engl. Qualitative Data Analysis, QDA ) nutzen Forschende zunehmend Computersoftware, sogenannte QDA -Software. Die Arbeit mit derartigen Softwaretools soll helfen, Einblicke in das Datenmaterial zu gewinnen, ohne dabei die inhaltliche Interpretation durch den Forschenden vorwegzunehmen. Sie erleichtern das Sortieren, Strukturieren und Analysieren großer Textmengen und helfen, die Interpre- <?page no="291"?> 292 7. Instrumente der Forschung tations- und Auswertungstexte zu verwalten. Im Unterschied zu reinen Transkriptionstools sind diese Programme meist nicht kostenfrei. Bereits vor der Transkription ist daher eine eingehende Auseinandersetzung mit den jeweiligen Programmen ratsam: ▶ MAXQDA (online unter http: / / www.maxqda.de/ . 23. Januar 2018) wie auch Atlas.ti (online unter http: / / www.atlasti.com/ de/ . 23. Januar 2018) sind Softwaretools zur computergestützten Auswertung und Interpretation von Daten und Texten. Sie sind an der Grounded Theory und der qualitativen Inhaltsanalyse ausgerichtet, verstehen sich aber auch als Werkzeug für die qualitative bis hin zur quantitativen Sozialforschung und werden dementsprechend in vielen Wissenschafts- und Praxisfeldern eingesetzt. ▶ Eine Alternative zu diesen beiden Programmen ist Transana (online unter http: / / www. transana.org/ . 23. Januar 2018), ein überschaubares Tool zur Verwaltung, Transkription und Analyse von Audio- und Videodaten, welches vor allem im Bereich der Konversationsanalyse eingesetzt wird. Durch die Möglichkeit, multiple simultane Medien zu synchronisieren und abzubilden, eignet sich diese Software für Forschende, die zum Beispiel Interaktionsdaten mit retrospektiven Daten oder digitalen Lernerdaten aufeinander beziehen möchten. 7.2.6 Video und Audio erfahrbar machen: Aufbereitung der Transkripte für Vorträge Während wir in den vorherigen Abschnitten vor allem darauf eingegangen sind, wie Transkripte leserfreundlich für wissenschaftliche Publikationen gestaltet werden können, möchten wir abschließend noch einige Hinweise zur mündlichen Präsentation geben. Transkriptionen sind nicht nur wichtige Analyseinstrumente, sondern helfen zudem, die Analyseergebnisse und somit oftmals sehr komplexe Sachverhalte einem interessierten Publikum anhand von Beispieltranskripten anschaulich zu vermitteln. QDA -Tools wie Transana lassen bereits auf der Oberfläche verschiedene Präsentationsmodi zu, indem die Darstellung auf die wesentlichen Fenster (Video-, Audio-, Transkriptions-, Datenbankfenster) beschränkt werden kann. Auch das Setzen von Zeitmarken hilft, die Präsentation für den Zuschauer angenehmer zu gestalten. Man gelangt dadurch sofort zur passenden Stelle, die dann vorgespielt wird. Durch die Möglichkeit des simultanen Abspielens des Videos kann dieses parallel zum Transkript betrachtet werden. Die Zuhörenden können sich dabei auf die wesentlichen Aspekte beschränken und mithilfe farblicher Hervorhebung der jeweiligen Redebeiträge (vergleiche Abbildung 7.10) die Transkription an der Leinwand verfolgen und müssen nicht zwischen dieser und dem Handout wechseln. <?page no="292"?> 293 7.2 Datenaufbereitung: Transkription und Annotation Abbildung 7.10: Screenshot Transana. Das Transkript wird hier parallel zum Video präsentiert (Mempel & Mehlhorm 2014: 164) Viele der in diesem Kapitel präsentierten Programme bieten weiterhin die Option, Audio- oder Video-Dateien in Form von Dateiverweisen direkt in die Transkription einzubinden und sie im Ausgabeformat HTML per Mausklick abzuspielen. Die Einbindung dieser Tools in die Präsentation ist unseres Wissens bisher noch nicht möglich. Zwischen den einzelnen Fenstern kann jedoch durch die Tastenkombination ALT + TAB hin- und hergewechselt werden. 7.2.7 Zusammenfassung Wie diese Lerneinheit zeigen konnte, ist die Transkription ein ganz wesentlicher Teil im Forschungsprozess, da er das weitere Arbeiten mit den Daten prägt. Vor Beginn dieses Arbeitsprozesses ist es daher erforderlich, sich unter Berücksichtigung der Forschungsfrage und des Erkenntnisinteresses damit zu beschäftigen, welche Parameter mit welchen Methoden im folgenden Arbeitsschritt analysiert werden sollen. In dieser Lerneinheit haben Sie ▶ einen theoretischen Einblick in die verschiedenen Tools der Transkription bekommen; ▶ sich die unterschiedlichen Arten der Transkription erarbeitet und erfahren, dass diese immer in Abhängigkeit vom Forschungsinteresse und von anderen Faktoren wie Zeit und Detailliertheit stehen; ▶ die Möglichkeiten der Transkription nonverbaler, verbaler und situativer Elemente kennen gelernt und deren Grenzen kritisch reflektiert; ▶ die Möglichkeit der weiteren Nutzung der Transkripte in Präsentationen und Vorträgen erfahren. <?page no="293"?> 294 7. Instrumente der Forschung 7.2.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Was ist das Ziel einer Transkription? 2. Erklären Sie den Begriff geglättet im Zusammenhang mit Transkriptionen. 3. Nennen Sie Gründe, warum die internationale Lautschrift für die phonetische Transkription von Vorteil ist. 4. Erklären Sie kurz die Besonderheit von SAMPA . 5. Beschreiben Sie kurz den Unterschied zwischen Ikonisierung und Symbolisierung. <?page no="294"?> 295 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache Patricia Boos In der vorangegangenen Lerneinheit haben Sie sich mit dem Transkribieren von Sprachdaten beschäftigt, eine Technik, die in der Sprachlehr- und -lernforschung ein zentrales Forschungsintrument darstellt. Dort haben Sie Einblicke in die phonetische Transkription und die Verschriftlichung von nonverbalen Handlungen gewonnen und kennen jetzt schon verschiedene Transkriptionsverfahren, -konventionen und -programme. Diese Lerneinheit soll den Transkriptionsprozess anhand eines konkreten Forschungsprojektes noch deutlicher veranschaulichen. Ausgehend von der Forschungsfrage, wie sich der Sprecherwechsel (turn-taking) im DaF-Unterricht organisiert, behandeln Sie hier exemplarisch jeden einzelnen Planungs- und -Durchführungsschritt mit dem Ziel, über das konkrete Beispiel die Anforderungen an eigene Forschungsvorhaben und deren Zeitaufwand besser einschätzen zu können. Sie lernen außerdem, wie man das Transkriptionsprogramm EXMARaLDA bedient, das durch seine Partiturschreibweise gut die Synchronizität parallel ablaufender verbaler und nonverbaler Handlungen abbilden kann. Im Anschluss daran stellen wir Ihnen noch die wichtigsten Korpora der deutschen Sprache (vergleiche dazu auch Lerneinheit 3.3 im Band »Berufs-, Fach- und Wissenschaftsprachen«) und die Datenbank für Gesprochenes Deutsch des IDS Mannheim vor. Hier können Sie sich mit den Recherchemöglichkeiten innerhalb der Datenbank vertraut machen, über die zahlreiche Transkripte aus verschiedenen Korpora für Sie kostenfrei zugänglich sind. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ ausgehend von einer Forschungsfrage alle wichtigen Schritte des Transkriptionsprozesses selbst planen und durchführen können; ▶ das Transkriptionsprogramm EXMARaLDA bedienen können; ▶ verschiedene online verfügbare Korpora des Deutschen kennen; ▶ die Datenbank für Gesprochenes Deutsch des IDS Mannheim für Ihre eigenen Projekte nutzen können. 7.3.1 Unterrichtskommunikation als Untersuchungsgegenstand Am Anfang einer Untersuchung steht stets eine Fragestellung. Wenn Sie sich selbst eine Forschungsfrage im Rahmen einer Seminararbeit überlegen, in der Sie mit eigenen Transkripten arbeiten wollen, sollte diese relativ eng sein, da Bearbeitungszeit und Umfang einer Seminararbeit stark begrenzt sind. In dieser Lerneinheit dient die Forschungsfrage „Wie wird der Sprecherwechsel im DaF-Unterricht organisiert? “ als illustrierendes Beispiel. Das vorgestellte Forschungsprojekt stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern bietet mithilfe von transkribierten Unterrichtssequenzen (Schart & Legutke 2012) einen Einblick in die im DaF-Unter- <?page no="295"?> 296 7. Instrumente der Forschung richt eingesetzten Verfahren zur Regelung des Sprecherwechsels während Phasen, in denen der Kurs im Plenum arbeitet. Den theoretischen Rahmen der Arbeit bildet die sogenannte funktional-pragmatische Diskursanalyse, deren Grundzüge kurz vorgestellt werden. Seit dem Einsetzen der sogenannten pragmatischen Wende in den 1970er Jahren wird zunehmend auch mündliche Kommunikation empirisch untersucht. Zunächst stand, angeregt durch den US -amerikanischen Soziologen Harold Garfinkel, vor allem die Frage nach sozialer Ordnung in Gesprächen im Mittelpunkt. Zu diesem Zweck wurden in sogenannten conversation analysis ( CA ) transkribierte authentische mündliche Daten empirisch auf wiederkehrende Muster untersucht. Sacks, Schlegoff & Jefferson (1974) beschäftigten sich unter anderem auch mit dem Sprecherwechsel (turn-taking) in Gesprächen und beschrieben als erste systematische Mechanismen und konventionelle Regeln, die einen geordneten Ablauf von Konversation zwischen zwei oder mehreren Personen garantieren können. Die empirische Vorgehensweise der conversation analysis wurde auch von der deutschen Linguistik schnell übernommen und vor allem im Rahmen der funktional-pragmatischen Diskursanalyse weiterentwickelt, auf welche bereits in der vorangehenden Lerneinheit verwiesen wurde. Die funktional-pragmatische Diskursanalyse bietet eine Analyseweise, „die sprachliches Handeln als Teil der gesellschaftlichen Praxis untersucht“ (Brünner & Graefen 1994: 14). Ein besonderes Interesse stellt dabei die Kommunikation in gesellschaftlichen Institutionen dar, wie beispielsweise im Krankenhaus, vor Gericht, in der Universität oder in der Schule (vergleiche Angermüller, Nonhoff, Herschinger, Macgilchrist, Reisigl, Wedl, Wrana, & Ziem 2014: 77). Analysiert werden Diskurse, „mündliche Kommunikation unter gleichzeitiger Anwesenheit der Interagierenden in einer gemeinsamen Sprechsituation“ (Angermüller et al. 2014: 77). Der Begriff Pragmatik gibt den Hinweis, „dass Sprache nicht in erster Linie als System, sondern als besondere Form menschlichen Handelns untersucht werden soll; funktional bedeutet, dass sprachliches Handeln vor allem durch seine Zweckbezogenheit geprägt gesehen wird“ (Ehlich 1991: 141). In der schulischen Praxis sind sprachliche Aktivitäten vorherrschend. In der Unterrichtskommunikation muss der Sprecherwechsel-- anders als in „natürlichen“ Gesprächen-- vor allem in großen Kursen strukturiert werden, um Ordnung gewährleisten zu können. Die Übergabe des Rederechts folgt nicht den Konventionen der Alltagskommunikation. Jede Lehrkraft hat ihre eigenen Gewohnheiten, wenn es um die Turnvergabe geht. Wichtig ist, dass sie prinzipiell jederzeit das Rederecht für sich beanspruchen kann, auch wenn sie es zuvor an einen Lerner abgegeben hat und ihn damit unterbricht (vergleiche Ehlich 2012: 343). Meist denkt man bei der Vergabe des Rederechts im Unterricht zunächst an diese Abfolge: Lehrerfrage, das „Fingerheben“ des Lerners, das „Aufrufen“ durch die Lehrkraft und ihr Feedback, doch gibt es auch weitere Formen des Sprecherwechsels im Unterricht, die den Kontrast zwischen alltäglicher, authentischer Kommunikation und Unterrichtskommunikation verringern können. Im DaF-Unterricht ist die deutsche Sprache gleichzeitig Lernobjekt und Unterrichtssprache. Die Lerner sollen lernen, Deutsch zu sprechen und dies kann nur gelingen, wenn sie möglichst viel Deutsch sprechen. Somit kollidiert im DaF-Unterricht die nötige Strukturierung des Unterrichts mit dem Anliegen, dass möglichst alle Lerner viel sprechen sollen. <?page no="296"?> 297 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache Auswahl des geeigneten Transkriptionssystems Bevor man mit der Transkription beginnen kann, muss man sich überlegen, welche Aspekte der Kommunikation man verschriftlichen möchte und wie detailliert die Transkription sein soll. Welche typischen Phänomene der Mündlichkeit will man festhalten und für die Analyse zugänglich machen? Steht einem bereits Datenmaterial zur Verfügung? Wenn ja, welche Qualität weist es auf ? Wenn nein, wie beschafft man sich geeignetes Material? Macht man selbst Aufnahmen oder gibt es bereits geeignetes Video- oder Audiomaterial? Welche Audiobeziehungsweise Videoausschnitte des Materials wählt man für die Transkription und anschließende Analyse und Interpretation aus? Ausgehend vom Erkenntnisinteresse, der bereits vorhandenen Forschungsliteratur, der aufgestellten Hypothese(n) und der zur Verfügung stehenden Zeit wählt man den genauen Gegenstandsbereich seiner Forschungsarbeit aus und somit die Informationen, die das Transkript enthalten soll. Je nachdem, welches Phänomen man untersuchen möchte, sind andere Aspekte zu beachten: zum Beispiel Wortschatzerwerb, Aussprache, Fehlerkorrektur oder eben turn-taking. Betrachtet man zunächst, wie der Sprecherwechsel in natürlicher, alltäglicher Kommunikation geregelt ist, kristallisiert sich heraus, welche Aspekte für die Organisation im DaF- Unterricht relevant sind und damit auch transkribiert werden müssen. Beispiel: Untersuchung des Sprecherwechsels Ein Sprecherwechsel erfolgt meist an einem Turn-Übergangspunkt, der durch folgende Merkmale angezeigt werden kann (vergleiche Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 4): ▶ syntaktisch-- durch systematische Vollständigkeit, zum Beispiel, wenn in einem Satz der zweite Teil der Verbklammer realisiert wird; ▶ intonatorisch-- durch ein Grenztonmuster wie zum Beispiel eine deutliche Pause; ▶ semantisch-- durch die Verbalisierung einer vollständigen Proposition; ▶ lexikalisch-- durch die Verbalisierung eines nachgestellten Sprecherhandlungsaugments wie zum Beispel ja, nicht wahr, ne mit steigendem Tonverlauf; ▶ kommunikativ-- durch die Realisierung einer Illokution; zum Beispiel einer Entscheidungsfrage; ▶ nonverbal-- durch Gestik, Mimik und Blick. Der aktive Sprecher hat die Möglichkeit, an einem „transition-relevance place of an initial turn-constructional unit“ (Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 704) den nächsten Sprecher auszuwählen (Fremdwahl), der dann das Recht hat zu sprechen. Falls er doch keinen Sprecher auswählt, kann sich ein anderer Sprecher selbst als nächster Sprecher bereithalten oder bestimmen (Selbstwahl). Der Sprecher, der als erstes das Wort ergreift, erlangt das Rederecht. Der ursprüngliche Sprecher kann aber auch fortfahren und sein Rederecht behalten, wenn er niemanden als nächsten Sprecher auswählt und niemand sich selbst auswählt. Bei jedem möglichen Turn-Übergangspunkt werden diese Regeln erneut relevant. Der Sprecherwechsel kann auf vier verschiedene Arten stattfinden: <?page no="297"?> 298 7. Instrumente der Forschung 1. Der glatte Sprecherwechsel, der sich ohne Pause und Überlappung vollzieht, ist hierbei die häufigste Form (vergleiche Brinker & Sager 200: 5f). 2. Wenn zwischen zwei Redebeiträgen eine deutliche Pause von mindestens 0,3 Sekunden liegt, wird von einem Sprecherwechsel mit Pause ausgegangen. Sehr kurze Denk- oder Entscheidungspausen nach Fragen werden nicht als Pausen gewertet (vergeiche Stadler 2007: 95f; zitiert nach Maier 2009: 10). 3. Entsteht bei einem Sprecherwechsel eine Simultansequenz, in der zwei oder mehrere Personen die Sprecherrolle übernehmen wollen, spricht man von Überlappungen (overlaps; zu overlapping talk siehe Schegloff 2000: 45). Diese entstehen häufig durch Fehlinterpretationen bei denen ein / mehrere Gesprächsteilnehmer fälschlicherweise annimmt / annehmen, der vorherige Gesprächsbeitrag sei zu Ende oder ein Sprecher verlängert seinen Gesprächsbeitrag unvorhergesehen. Da die simultan sprechenden Gesprächsteilnehmer wollen, dass die Konversation reibungslos verläuft, kommt es oft zu nur sehr kurzen Überlappungen und ein Sprecher erlangt durch das sofortige Abbrechen des anderen Redebeitrags / der anderen Redebeiträge das alleinige Rederecht. Es kommt in diesen Fällen nicht zu einer Störung der Konversation. 4. Bei einer Unterbrechung hingegen, bei der es auch zu einer Überlappung kommt-- hier meist über längere Zeit hinweg-- werden die allgemeinen Gesprächskonventionen verletzt, da der Redebeitrag des vorherigen Sprechers absichtlich unterbrochen wird. Entweder erlangt/ „erkämpft“ der Unterbrechende das Rederecht oder der Unterbrochene setzt seinen Beitrag fort, während der Andere seinen Redebeitrag abbricht (vergleiche Maier 2009: 11). Letzteres ist folglich nur ein Unterbrechungsversuch. Man könnte alle oben genannten, mit dem Sprecherwechsel verbundenen beziehungsweise ihn einleitenden verbalen und nonverbalen Phänome in die Analyse von Unterrichtssequenzen mit einbeziehen. Die Umsetzungsdauer und der Verschriftlichungsaufwand sollten jedoch dem Untersuchungszweck angemessen, also nicht zu hoch sein. Phonetische Transkriptionsverfahren sollten daher nur Anwendung finden, wenn bei der Forschungsfrage explizit die Aussprache im Vordergrund steht. Das ist bei der Untersuchung des Sprecherwechsels meist aber nicht der Fall. Relativ leicht zu verschriftlichen sind syntaktische, semantische, lexikalische und kommunikative Merkmale der Kommunikation, die einen Sprecherwechsel einleiten, da sie durch die orthographische Transkription erfasst werden können. Nonverbale Turnübergangspunkte sind schwieriger zu transkribieren, aber für den Sprecherwechsel relevant, da das Rederecht auch häufig durch Blickkontakt oder Handzeichen übertragen oder ausgehandelt wird. Auch die Länge der Pausen zwischen den verschiedenen Sprechakten sollte aus dem Transkript ablesbar sein, genauso wie die beim Sprecherwechsel häufig auftretenden Überlappungen und Unterbrechungen, bei denen mehrere Interaktanten gleichzeitig sprechen. Eine Entscheidung für HIAT , die Halbinterpretative Arbeitstranskription von Ehlich & Rehbein (197) (vergleiche auch Rehbein, Schmidt, Meyer, Watzke & Herkenrath 2004), bietet sich nicht nur an, weil der theoretische Rahmen der hier vorgestellten Thematik auf die funktional-pragmatische Diskursanalyse verweist. Vor allem können die häufig auftretende <?page no="298"?> 299 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache Synchronizität der Sprechakte gut mit diesem System abgebildet und die Sequentialität gut sichtbar gemacht werden. Insgesamt wurden sechs kurze Unterrichtssequenzen aus dem DaF-Unterricht von Schart & Legutke (2012) transkribiert (Deutsche Schule Sevilla, Deutsche Schule Barcelona, KHM Schule Neu Delhi, Goethe-Institut Neu Delhi, Goethe-Institut Berlin). Dies bot sich vor allem an, da in diesen der Sprecherwechsel gut zu beobachten ist. Außerdem spiegeln die Aufnahmen jeweils einen anderen kulturellen Hintergrund wider und somit auch unterschiedliche Lehr- und Lerntraditionen. Eigene Unterrichtsmitschnitte zu filmen, ist sehr aufwendig und erfordert die Zustimmung der Lehrkraft sowie der Lerner. Außerdem ist eine gute Qualität nur mit hervorragendem Equipment zu erzielen. Die Transkription mit EXMAR a LDA Nachdem man sich für ein Transkriptionssystem entschieden hat, folgt die Suche nach dem passenden Transkriptionsprogramm. Das im Rahmen der für die funktional-pragmatische Diskursanalyse entwickelte Verfahren der halbinterpretativen Arbeitstranskription ( HIAT ) wurde in den im Internet zum kostenlosen Download (http: / / exmaralda.org/ en/ release-version/ ) verfügbaren Partitur-Editor EXMARaLDA (Extensible Markup Language for Discourse Annotation) zur Transkription und Annotation von Video- und Audiomaterial integriert. EXMAR a LDA wird stetig weiterentwickelt, ist für alle gängigen PC -Betriebssysteme geeinget und bietet auf der dazugehörigen Website (http: / / exmaralda.org/ de/ ) zahlreiche Tutorials, Quickstart-Dokumente, technischen Support und sogar ein Demokorpus, mit dem der Umgang mit dem Programm geübt werden kann. Bevor man das ausgewählte Video- oder Audiomaterial mithilfe von EXMAR a LDA verschriftlichen kann, muss man sich näher mit den Konventionen von HIAT beschäftigen. Dadurch kann man mithilfe eines festen Regelsystems eine einheitliche Transkription erhalten, in der alle Phänomene und kritischen Fälle auf die gleiche Weise behandelt werden. Nur so kann auch die anschließende Analyse stichhaltige Ergebnisse liefern. Zusammengefasst sind dies die wichtigsten Aspekte, die man bei der Transkription mit HIAT beachten sollte (vergleiche HIAT -Kurzübersicht unter http: / / exmaralda.org/ wp-content/ uploads/ 2015/ 12/ General_Transcription_conventions_HIAT_Handout_DE.pdf): ▶ Normalerweise wird die orthographische Schrift verwendet, bei starken Ausspracheabweichungen jedoch die literate Umschrift: zum Beispiel Wir ham heute. ▶ Für Interjektionen wird die übliche Schreibweise verwendet: äh, ähm. ▶ Zahlen und Datumsangaben werden ausgeschrieben: Wir ham null null gespielt. ▶ Bei buchstabierten Wörtern setzt man jeweils ein Leerzeichen zwischen die Buchstaben: zum Beispiel M e y e r. ▶ Vermutungen über schwer verständliche Wörter oder Wortsequenzen werden in einfachen Klammern angegeben: Das is sicherlich (nich) in Ordnung. ▶ Unverständliche Passagen markiert man durch doppelte Klammern: ((unverständlich)). ▶ Paralinguistische Phänomene (nonverbale-vokale Kommunikation) werden in doppelten Klammern in der v-Spur annotiert: zum Beispiel ((lacht)). <?page no="299"?> 300 7. Instrumente der Forschung ▶ Nonverbale-nonvokale Verhaltensweisen werden in der nv-Spur annotiert: „winkt“ mit erhobenem Zeigefinger der linken Hand (anhaltende nichtsprachliche Handlungen werden in dieser Lerneinheit für eine bessere Darstellung der Synchronizität durch diese Symbole gekennzeichnet: o---geht im Raum auf und ab---o). ▶ 1-3 „Bullets“ stehen für geschätzte Pausen bis zu einer Sekunde: • • •; gemessene Pausen werden in doppelten Klammern angegeben: ((,s)). ▶ Für Äußerungesbegrenzungen werden gewöhnlich folgende Symbole verwendet: ▷ Punkt für Äußerungen im deklarativen Modus: Das passt schon. ▷ Fragezeichen bei Fragen: Oder nicht? ▷ Ausrufezeichen für Ausrufe, Anredeformen etc.: Das ham wir nicht! ▷ Auslassungspunkte für abgebrochene Äußerungen: Aber wenn… ▷ Hochgestellter Punkt für Äußerungen ohne Modus, wie Hörersignale: Hm˙ ▶ Äußerungsinterne Reparaturen werden mit Schrägstrichen wiedergegeben: ob das/ ob wir in der Zukunft. ▶ Alle weiteren Kommentare müssen in einer separaten k-Spur annotiert werden: zum Beispiel die standardsprachlichen Entsprechungen für dialektal ausgesprochene Wörter. In der folgenden Abbildung sehen Sie die Benutzeroberfläche von EXMARaLDA. Transkribiert wurde ein Ausschnitt aus einer Unterrichtsstunde in einem A1-Kurs für Erwachsene am Goethe Institut in Berlin, die eine deutsche Lehrerin abgehalten hat (Schart & Legutke 2012, Ausschnitt 14 / 14). Thema der Stunde ist die Einführung des Perfekts und „Urlaub und Reise“. Abbildung 7.11: Die Benutzeroberfläche des EXMARaLDA Partitur-Editors bei der Transkription einer Unterrichtssequenz <?page no="300"?> 301 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache Um Sprachdaten mit EXMARaLDA zu verschriftlichen, legt man zunächst eine neue Datei an, gibt die Meta-Informationen ein und lädt eine Audio- (am bestem im WAV -Format) und gegebenenfalls auch eine Video-Datei (am bestem im MPEG -Format) hoch. Die Audio-Datei wird als Oszillogramm (Wellenform) angezeigt, die Videodatei kann man im Audio-/ Video-Werkzeug einblenden. Unter dem Oszillogramm befindet sich die Partitur mit der Zeitachse (tiers) und den Spuren. Für jeden Sprecher wird in der Sprechertabelle eine v-Spur für vokales Verhalten angelegt, gegebenenfalls eine nv-Spur für nonverbales Verhalten sowie eine k-Spur für Kommentare. L steht in Abbildung 7.11. für die Lehrerin, SS für die Schülerinnen und Schüler als Gesamheit und S1, S2 und S3 für Schülerinnen und Schüler, die sich in der Unterrichsstunde einzeln äußern. Man unterteilt die Videodatei in geignetete Abschnitte und erhält so einzelne Ereignisse. In jeder Spur lassen sich Ereignisse teilen und zusammenführen, um sprachliche und nichtsprachliche Handlungen adäquat transkribieren zu können, die parallel ablaufen, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnen und enden. In Abbildung 7.11 ist beispielsweise der Ausschnitt markiert, in dem die Lehrerin ihre Frage Welche Reise war am schönsten? mit dem Wort schönsten beendet und dies mit einer deutlichen Geste unterstreicht. Die Auswertung der Ergebnisse Nachdem Sie die Transkription mit EXMARaLDA abgeschlossen haben, können Sie sich Ihre Transkripte über den output-button in untenstehender Form ausgeben lassen. Sie erhalten auf diese Weise Transkripte, die Sie für eine detaillierte Analyse nutzen können, die aber auch eine geeignete Präsentationsform für Forschungsarbeiten darstellen. So können Sie Ihre Ergebnisse anhand von konkreten Beispielen belegen und verbale und nonverbale Phänomene auch in schriftlicher Form veranschaulichen. Im Rahmen dieser Lerneinheit können nicht alle Transkripte zu den untersuchten Unterrichtssequenzen (siehe oben in dieser Lerneinheit) präsentiert werden. Es sei hier nur erwähnt, dass der Sprecherwechsel sich in allen analysierten Unterrichtsausschnitten deutlich von einem alltäglichen turn-taking unterscheidet. Es gibt jedoch verschiedene Unterrichtsverfahren, die dazu beitragen, dass möglichst viele Lerner sprechen, die Lehrkraft die Lerner weniger unterbricht und die Unterrichtsatmosphäre sich in größerem Maße authentischer Kommunikation annähert. So können in einem Kurs Konventionen ausgehandelt werden, wie zum Beispiel, Verständnisfragen immer frei und ohne vorheriges Melden zu stellen und die Fehlerkorrektur über bestimmte nonverbale Gesten erfolgen zu lassen. Zur Illustration wird hier das vollständige Transkript der Unterrichssequenz am Goethe-Institut in Berlin abgebildet und analysiert. <?page no="301"?> 302 7. Instrumente der Forschung <?page no="302"?> 303 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache Abbildung 7.12: Mit EXMARaLDA angefertigte Transkription einer Unterrichtssequenz am Goethe Institut in Berlin (basierend auf der Video-Aufnahme 14 / 14 von Schart & Legutke 2012). Hier wird besonders deutlich, wie sehr der Sprecherwechsel im DaF-Unterricht-- trotz der Bemühungen der Lehrkraft-- vom turn-taking in alltäglichen Gesprächen abweichen kann. Die Lehrkraft (L) gibt das Turnvergaberecht in diesem Unterrichtsausschnitt explizit an einen Lerner, Nataniel (S1), ab. Der Kurs hat in Gruppenarbeit Plakate zu verschiedenen Reisemöglichkeiten/ -zielen erstellt. Die Lerner kommen, nachdem sie sich die Plakate angesehen haben, an der Tafel zu einem Kreis zusammen (Sequenz 1-) und sollen sich darüber unterhalten, welche Reise ihnen am besten gefallen hat. Zunächst fragt die Lehrerin Nataniel, welche Reise für ihn am schönsten war (Sequenz 7-12) Nataniel hat die Reise, die er mit seiner Gruppe geplant hat, am besten gefallen (Sequenz 11-17). Nachdem er die Frage der Lehrerin beantwortet hat, soll er selbst eine Person fragen, welche Reise ihr am meisten zugesagt hat (Sequenz 18). Somit bekommt er von der Lehrerin das Recht übertragen, einen Turn zuzuweisen und wählt nach kurzem Zögern Paula (S2; Sequenz 19-20). Es ist aber so, dass Nataniel große Probleme hat, die Frage zu formulieren, sodass die Lehrerin ihm die ganze Frage vorsagen muss (Sequenz 21-32). Paula, der das Rederecht unfreiwillig übertragen wurde, wartet indes nicht ab, bis Nataniel die Frage aus- <?page no="303"?> 304 7. Instrumente der Forschung formuliert hat, sondern spricht mit (Sequenz 27-33; ist schön, war am schönsten). Sie richtet nun ihre Antwort nicht, wie das im Alltag üblich ist, an den Fragesteller, sondern blickt die Lehrerin an (Sequenz 33-35), die die Frage noch einmal wiederholt (Sequenz 34). So übergibt Paula das Rederecht wieder der Lehrerin, die ihr helfen soll und übernimmt es nicht ohne Umwege von Nataniel. Anschließend zeigt sie auf ein Bild, um so zu verdeutlichen, welche Reise ihr am besten gefallen hat (Sequenz 35-3; war mhm…das), anstatt Nataniel anzusehen und ihm direkt zu antworten. Paula gibt ihm nach ihrer Antwort nicht die Möglichkeit, ihr Rückmeldung zu geben oder Nachfragen zu stellen und somit das Rederecht wieder für sich zu beanspruchen, bevor sie einen anderen Lerner nach seiner Lieblingsreise fragt. Das Niveau dieses Kurses (A1) ist vermutlich noch zu niedrig, um eine solche Turnzuweisungsübertragung an Lerner vorzunehmen, auch wenn es sich dabei durchaus um ein angemessenes Thema für diese Stufe handeln würde. Es entstehen erhebliche Pausen und Unterbrechungen, die bei einem alltäglichen Gespräch oder einem Gespräch zwischen fortgeschritteneren Lernern nicht auftreten würden. Wenn Ihr transkribiertes Material einen überschaubaren Umfang aufweist, da es im Rahmen einer kleineren Forschungsarbeit erstellt wurde, ist die Anwendung von Computersoftware zur Unterstützung der qualitativen und / oder quantitativen Datenanalyse in der Regel nicht notwendig. Es sei aber auf die Lerneinheit 7.2 in diesem Kapitel verwiesen, in der sie auch Informationen zu sogenannter QDA -Software finden. Unerlässlich sind in jedem Fall ein übersichtliches, einheitliches Ablagesystem und eine genaue Dokumentation der Metadaten, Transkriptionskonventionen und Analysekriterien, um die transkribierten Sprachdaten gegebenenfalls im Rahmen anderer Forschungsvorhaben verwenden und um zusätzliche Annotationen erweitern zu können. Der EXMAR a LDA -Corpus-Manager (Coma; http: / / exmaralda.org/ de/ corpus-manager-de) bietet Ihnen beispielweise die Möglichkeit Ihre Transkripte zu eigenen Korpora zusammenzufassen und so zu kategorisieren. Im Folgenden werden Ihnen wichtige digitalisierte Korpora der deutschen Sprache, also online verfügbare Sammlungen von Sprachdaten, vorgestellt, die Sie für Forschungsarbeiten nutzen können und die Ihnen eigenständiges Transkribieren ersparen können, wenn für die Untersuchung Ihres Forschungsgegenstandes bereits geeignetes Material vorliegt. 7.3.2 Korpora des Deutschen „Ein Korpus ist eine Sammlung schriftlicher oder gesprochener Äußerungen“ (Lemnitzer & Zinsmeister 2015: 7). Korpora dienen als Sammlung linguistischer Daten, entweder in Form geschriebener Texte oder als Transkripte aufgenommener Sprachdaten, als Grundlage für sprachwissenschaftliche Untersuchungen. In den letzten Jahren werden digitale Korpora auch zunehmend im Sprachunterricht, in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften und Übersetzerinnen und Übersetzern im In- und Ausland genutzt. Korpora können beispielsweise aufzeigen, welche Wortverbindungen in der Zielsprache Deutsch häufig verwendet werden (Kollokationen). Sie zeigen, wie Sprache in konkreten, authentischen Kommunikationssituationen (zum Beispiel im Alltag, vor Gericht, im Unterricht) von Sprechern verschiedener Gruppen (beispielsweise Schweizerdeutsche, deutschsprachige Kinder oder Lerner des Deutschen) verwendet wird. Empirische Korpusanalysen ermöglichen es, „die im Sprach- <?page no="304"?> 305 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache gebrauch manifesten emergenten Strukturen systematisch aufzudecken, zu inventarisieren, zu interpretieren und theoretisch zu begründen“ (Belica 2001a, 2001b, 1995). Bei der Annotation von Korpora unterscheidet man grundsätzlich zwischen der Wortartenbestimmung (tagging) und der Bestimmung syntaktischer Strukturen (parsing). Häufig dienen folgende Korpustypen als Untersuchungsgrundlage: Referenzkorpora, spezialisierte Korpora (zum Beispiel zur Wissenschaftssprache), synchrone / diachrone Korpora (Sprachgebrauch zu einem bestimmten Zeitpunkt / Sprachwandel im Laufe der Zeit), geschriebene / gesprochene Korpora, multimediale Korpora, Lernerkorpora etc. Die verschiedenen Korpora können in ihrem Umfang stark variieren, wobei die Aussagekraft eines Korpus‘ mit seinem Umfang zunimmt. Man unterscheidet dabei zwischen der Anzahl von auftretenden Tokens und Types. Tokens sind die insgesamt zählbaren Textwörter innerhalb eines Korpus‘, Types die Anzahl unterschiedlicher Wörter. Der Satz Die Frau sah das Mädchen, aber das Mädchen hat sie nicht gesehen besteht beispielsweise aus 12 Tokens, beinhaltet aber nur 10 Types. Je größer die Textbasis ist, umso interessantere und verlässlichere Ergebnisse liefert das Werkzeug. Eine weitere wünschenswerte Eigenschaft des Korpus ist seine Ausbalanciertheit, das heißt eine möglichst breite Streuung und ausgewogene Verteilung der Texte über verschiedene Zeiträume und Textsorten. ( CLARIN -D 2017: 3) Hier werden Ihnen überblicksartig die wichtigsten digitalen, über das Internet frei zugänglichen Korpora der deutschen Sprache vorgestellt, bevor näher auf die Datenbank für Gesprochenes Deutsch des IDS Mannheim eingegangen wird. In Lerneinheit 3.3 im Band »Berufs- Fach- und Wissenschaftsprachen« finden Sie weitere Informationen, vor allem auch zu Korpora für Wissenschafts- und Fachsprachen (zum Beispiel Recht). ▶ Das Deutsche Referenzkorpus des IDS Mannheim (http: / / www1.ids-mannheim.de/ kl/ projekte/ korpora.html) kann als die weltweit größte Sammlung geschriebener deutscher Texte stichhaltige Aussagen über das deutsche Sprachsystem machen. Die Texte aus Gegenwart und jüngerer Vergangenheit beinhalten insgesamt 42 Milliarden Wörter (Stand 03. 02. 2018) und sind über COSMAS II (http: / / www.ids-mannheim.de/ cosmas2/ ) kostenlos abfragbar. Die verschiedenen Teilkorpora setzen sich aus belletristischen, wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Texten, einer großen Zahl von Zeitungstexten und weiteren Textarten zusammen. Das Korpus wird ständig weiterentwickelt und erweitert. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache ( DWDS ) (https: / / www. dwds.de/ ) umfasst neben 45 000 Wörterbucheinträgen (Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Duden, Etymologisches Wörterbuch, das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (Erstbearbeitung, openthesaurus)), historische Textkorpora und Textkorpora der neueren Vergangenheit bis zur Gegenwart (insgesamt fast 14 Milliarden Tokens; Stand Juli 2018). Das DWDS bietet drei unterschiedliche wortstatistische Auswertungsmöglichkeiten an (https: / / www.dwds.de/ stats): 1. Die Textkorpora decken einen Zeitraum von über 400 Jahren ab, wodurch sich Wortverlaufskurven für die diachrone Verwendung von Wörtern erstellen lassen (das Wort Stress nahm bei- <?page no="305"?> 306 7. Instrumente der Forschung spielsweise immer mehr an Bedeutung zu). 2. Das DWDS -Wortprofil liefert syntaktisch relevante Kollokationen (zum Beispiel schöne Bescherung). 3. Auch DiaCollo ermittelt Kollokationen, allerdings in diachroner Perspektive. So lässt sich der Bedeutungswandel von Wörtern anhand der in ihrer Umgebung frequent auftretenden Wörter untersuchen. ▶ Das historische KALI -Korpus (http: / / www.kali.uni-hannover.de) beinhaltet althochdeutsche und mittelhochdeutsche Texte mit einer Gesamtanzahl von 213 789 laufenden Textwörtern deutschen Ursprungs. Es dient als Grundlage für diachrone empirische Untersuchungen des Deutschen. Die Verben in den Texten wurden im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten bereits lemmatisiert und morphologisch annotiert. Für wissenschaftliche und nichtkommerzielle Zwecke kann das Korpus frei zugänglich genutzt werden und bietet vielfältige Suchfunktionen. ▶ Das Child Language Data Exchange System CHILDES (MacWhinney 2000; https: / / childes.talkbank.org/ ) ist eine online frei zugängliche Datenbank innerhalb des Talk- Bank-Systems für das Analysieren von Interaktionen zwischen Menschen (aber auch Tieren). CHILDES stellt Inhalte und Transkripte für das Erforschen des kindlichen mono- und bilingualen Erstspracherwerbs in verschiedenen Sprachen und mit verschiedenen Sprachkombinationen zur Verfügung. Die Transkription erfolgt nach den CHAT -Konventionen (vergleiche MacWhinney 2000). Für die Recherche und die Analyse der Daten kann das Programm CLAN verwendet werden (http: / / dali.talkbank.org/ clan/ ). Für die Untersuchung des kindlichen Spracherwerbs der deutschen Sprache sind unter anderem folgende Korpora bedeutend: Leo-Korpus, Weissenborn-Korpus, Manuela-Korpus, Szagun-Korpus, Rigol-Korpus, Miller-Korpus. ▶ Das Berliner Map Task Corpus (BeMaTac)( https: / / www.linguistik.hu-berlin.de/ de/ institut/ professuren/ korpuslinguistik/ forschung/ bematac/ bematac) ist ein Vergleichskorpus für die deutsche gesprochene Sprache (Instruktionsgespräche) mit einem L1-Subkorpus und einem identisch aufgebauten L2-Subkorpus mit Sprachdaten von fortgeschrittenen Lernern des Deutschen als Fremdsprache, das laufend weiter ausgebaut wird. BeMaTaC enthält als multimediales Korpus korrespondierende Transkriptionen zu Sprache und Gestik. Über das webbasierte Open-Source Such- und Visualisierungsprogramm ANNIS (Krause & Zeldes 201; https: / / korpling.german.hu-berlin.de/ annis3/ ) lässt sich das Korpus nach typischen Merkmalen der gesprochenen Sprache (zum Beispiel Reparaturen und Pausen) durchsuchen (vergleiche ausführlicher Lerneinheit 3.3 im Band »Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen«). ▶ Das Fehlerannotierte Lernerkorpus ( FALKO )(https: / / www.linguistik.hu-berlin.de/ de/ institut/ professuren/ korpuslinguistik/ forschung/ falko) ist ebenfalls frei zugänglich über ANNIS (siehe oben) durchsuchbar. FALKO setzt sich aus mehreren mit automatischen Wortart- und Lemma-Annotationen versehenen Einzelkorpora zur Lernersprache (häufig mit Vergleichskorpus) zusammen und ist in den vergangenen Jahren durch neue Sprachdaten mit leicht abgeänderten Parametern erheblich gewachsen. Im Essay- Kernkorpus finden Sie beispielsweise argumentative Aufsätze von fortgeschrittenen DaF- Lernern mit vielfältigem L1-Hintergrund sowie ein Vergleichskorpus mit Texten von Sprechern des Deutschen als Erstsprache, wodurch zielsprachliche Abweichungen iden- <?page no="306"?> 307 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache tifiziert werden können. Des Weiteren enthält FALKO das WHiG-Korpus, das Kobalt- DaF-Korpus, das KanDel-Korpus, das Zusammenfassungskorpus und das Georgetown- Longitudinalkorpus. Für weitere Informationen zu den Einzelkorpora siehe https: / / www. linguistik.hu-berlin.de/ de/ institut/ professuren/ korpuslinguistik/ forschung/ falko/ design. ▶ Das Gesprochene Wissenschaftssprache-Korpus (GeWiss) dient als ständig weiter ausgebautes Spezialkorpus der Untersuchung von Wissenschaftskommunikation in kontrastiver Perspektive. Als Vergleichskorpus umfasst es Sprachdaten aus wissenschaftlichen Diskursen in verschiedenen Sprachen. Nähere Informationen zu GeWiss finden Sie in Lerneinheit 3.3 im Band »Berufs-, Fach-, und Wissenschaftssprachen« und auf der Website des Projekts unter https: / / gewiss.uni-leipzig.de. 7.3.3 Die Datenbank für Gesprochenes Deutsch Die Datenbank für Gesprochenes Deutsch ( DGD ) des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim wird Ihnen nach einmaliger kostenloser Registrierung unter https: / / dgd.ids-mannheim.de/ dgd/ pragdb.dgd_extern.welcome für Forschungszwecke und den Einsatz in der Lehre kostenfrei bereitgestellt. Entwickelt wurde das seit Anfang 2012 online zugängliche Korpusmanagementsystem im Programmbereich Mündliche Korpora des IDS . Insgesamt stehen Ihnen derzeit 27 ausgewählte Korpora des Archivs für Gesprochene Sprache ( AGD ) zur Verfügung, unter anderem das Forschungs- und Lehrkorpus gesprochenes Deutsch ( FOLK 2003-2017), das Korpus Deutsche Mundarten (Zwirner-Korpus 1955-1970) und das Korpus Gesprochene Wissenschaftssprache ( GWSS 2009-2012). Beispielhaft soll hier näher auf das Forschungs- und Lehrkorpus gesprochenes Deutsch eingegangen werden, dessen Datenbasis kontinuierlich erweitert wird. FOLK wird seit 2008 vom IDS Mannheim aufgebaut und richtet sich vor allem an Forscherinnen und Forscher sowie Dozentinnen und Dozenten im Bereich der Gesprächsforschung und der Korpuslinguistik. Das FOLK -Korpus beinhaltet authentische, im deutschen Sprachraum erhobene Gesprächsdaten aus den unterschiedlichsten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Ziel ist es, damit im Bereich der Interaktionstypen eine möglichst breite Streuung zu erzielen. Die Erhebung der Sprachdaten findet in verschiedenen privaten (zum Beispiel Tischgespräche), institutionellen (zum Beispiel Kommunikation in der Berufsschule) und öffentlichen (zum Beispiel Podiumsdiskussionen) Kontexten statt. Außerdem wird zusätzlich darauf geachtet, dass die Teilkorpora bezüglich der Parameter regionale Herkunft, Alter und Bildungsstand ausgewogen sind. Die Sprachdaten werden mit dem Transkriptionseditor FOLKER nach den Konventionen für GAT-Minimaltranskripte verschriftlicht. Des Weiteren werden, um bestmögliche Suchergebnisse zu liefern, diese drei Annotationsebenen berücksichtigt: das Hinzufügen der orthographischen Schriftform, die Lemmatisierung und ein Part-Of-Speech- Tagging nach dem Stuttgart-Tübingen-Tagset. Die folgende Abbildung bietet einen Überblick, über den Umfang, die Aufzeichnungsobjekte und die Korpusbestandteile von FOLK . Weitere aktuelle Informationen zum Forschungs- und Lehrkorpus gesprochenes Deutsch finden Sie auch auf der Webseite des Projekts unter http: / / agd.ids-mannheim.de/ folk.shtml. <?page no="307"?> 308 7. Instrumente der Forschung Abbildung 7.13: Das FOLK -Korpus in der Datenbank für Gesprochenes Deutsch des IDS Mannheim ( DGD 2018) Die Datenbank für Gesprochenes Deutsch stellt Ihnen vielfältige Recherchefunktionen für die Analyse der Sprachdaten zur Verfügung. Sie können die verschiedenen Korpora nach bestimmten Begriffen, Parametern sowie Tokens durchsuchen. In der Volltext-Recherche können Sie in den Ereignisdaten, Sprecherdaten und Transkripten bestimmte Suchbegriffe recherchieren, um so für Sie relevante Transkripte und Auszüge aus Transkripten zu identifizieren. Sie können für Ihre Suchanfragen unter anderem auch sogenannte Wildcards verwenden. Dabei steht "_" beispielswiese für ein beliebiges Zeichen und "%" für eine Folge beliebiger Zeichen. Eine Suche nach "leb%" ergibt zum Beispiel Treffer für Leben, leben, Lebensstil usw. Geben Sie "Frieden&Europa" ein, werden Ihnen Treffer für Dokumente angezeigt, in denen beide Begriffe vorkommen. Bei einer Suche nach "Mühle|Müller", finden Sie Transkripte, in denen nur das Wort Mühle, nur der Name / die Berufsbezeichnung Müller oder beide Begriffe auftreten. Die struktursensitive Recherche liefert Ergebnisse, die die Struktur der Metadaten und Transkripte erfasst. Mit der struktursensitiven Metadatensuche können Sie mithilfe der zu den Transkripten gespeicherten Metadaten gezielt Sprechereignisse und Sprecher auffinden. Zunächst wählt man das Korpus / die Korpora aus, die man durchsuchen möchte. Anschließend legt man einen Deskriptor oder mehrere Deskriptoren mit den dazugehörenden Eigenschaften fest. Sie können die Ergebnisse Ihrer Metadatensuche dann als virtuelles Korpus abspeichern und auch dieses anschließend weiter durchsuchen. <?page no="308"?> 309 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache Folgende Abbildung zeigt beispielsweise das Ergebnis einer struktursensitiven Metadatensuche nach Alltagsgesprächen, an denen Kinder zwischen fünf und zehn Jahren teilgenommen haben. Gesucht wurde im FOLK -Korpus. Abbildung 7.14: Struktursensitive Metadatensuche im FOLK -Korpus ( DGD 2018) Die struktursensitive Tokensuche bietet Ihnen noch gezieltere Recherchemöglichkeiten, wie folgende Abbildung verdeutlicht. Abbildung 7.15: Informationen zur struktursensitiven Tokensuche in der DGD ( DGD 2018) <?page no="309"?> 310 7. Instrumente der Forschung Sie können in den Transkripten der Korpora nach transkribierten, normalisierten, lemmatisierten Wortformen suchen und auch nach bestimmten Part-Of-Speech-Tags. Sie können, wie schon in der Volltextsuche, bestimmte Wildcards einsetzten. Außerdem können Sie auch aktivieren, dass Sie bei Ihrer Suche reguläre Ausdrücke verwenden wollen. Reguläre Ausdrücke sind bestimmte Zeichen wie Wildcards, durch die Sie Ihre Suche ausweiten oder einschränken können. Suchen Sie beispielsweise Verben mit der Vorsilbe verliefert die Lemmasuche nach "(ver).*? en" Tokens wie vertauscht, verwenden, verstehe, versorcht (dialektal für versorgt) (für eine umfassende Übersicht über reguläre Ausdrücke siehe https: / / docs.oracle.com/ cd/ B12037_01/ appdev.101/ b10795/ adfns_re.htm10082). 7.34 Zusammenfassung In dieser Lerneinheit haben Sie ▶ die funktional-pragmatische Diskursanalyse mit den ihr zugehörigen Transkriptionskonventionen ( HIAT ) kennengelernt; ▶ erfahren, wie der Sprecherwechsel in alltäglichen Gesprächen ablaufen kann; ▶ gelernt, wie man ausgehend von einer konkreten Forschungsfrage die Transkription von Sprachdaten plant, durchführt und die Ergebnisse auswertet; ▶ sich mit den Anwendungsgebieten und der Bedienung von EXMARaLDA auseinandergesetzt; ▶ einen Überblick über die wichtigsten Korpora des Deutschen bekommen; ▶ sich mit den Recherchemöglichkeiten innerhalb der Datenbank für Gesprochenes Deutsch des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim vertraut gemacht. 7.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Beschreiben Sie die Grundzüge der funktional-pragmatischen Diskursanalyse. 2. Wie kann der Sprecherwechsel in alltäglicher Kommunikation erfolgen und warum stellt er im DaF-Unterricht ein interessantes Phänomen dar? 3. Beschreiben Sie die Benutzeroberfläche von EXMARaLDA. 4. Kategorisieren Sie die in der Lerneinheit beschriebenen Korpora nach folgenden Kriterien: ▷ Referenz-, Spezial-, Lernerkorpora, multimediale Korpora, ▷ gesprochene vs. geschriebene Sprache, ▷ diachron vs. synchron, historische Sprache vs. Gegenwartssprache, ▷ Umfang beziehungsweise Tokenanzahl, ▷ Digitale Verfügbarkeit, ▷ Aktualisierung und Erweiterung des Bestandes. <?page no="310"?> 311 7.3 Transkription von Unterrichtskommunikation / Korpora der deutschen Sprache 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Sie haben in den vorangegangenen Lerneinheiten viel über Arbeitstechniken in der Forschung, Wissensmanagement, Zugang zu Wissen, Transkriptionen, Korpora, Präsentation von Ergebnissen und anderes erfahren. In diesem Kapitel wollen wir die einzelnen Bereiche zusammenführen und anhand von neuesten Forschungs- und Entwicklungsprojekten aus dem Bereich Testen / Sprachstandsermittlung illustrieren. Diese Projekte betreffen Sprachstandsmessungen bei ganz unterschiedlichen Zielgruppen: bei Kfz-Mechatronikern und -Mechatronikerinnen, bei Ärzten und Ärztinnen im berufsfachlichen Bereich (Sprachkenntnisse ausländischer Mediziner und Medizinerinnen), bei ein- und mehrsprachigen Vorschulkindern, deren möglicher Förderbedarf ermittelt werden soll (Sprachstandsmessung bei Kindern am Übergang von der Kita in die Schule). Bei diesen Projekten geht es darum, die großen Lücken der (handlungsorientierten) Fremdsprachendidaktik durch solide, belastbare empirische Forschung zu schließen. Dazu verwenden Sie dem jeweiligen Ziel der Untersuchung (der Forschungsfrage) und der Zielgruppe angemessene, unterschiedliche Methoden. Deren Grundlagen, Leistungsfähigkeit und auch Begrenzungen sollen im Folgenden illustriert werden. Eine zentrale Rolle für die Überprüfung der Wirksamkeit von Unterricht spielt auch die Operationalisierung von Lernergebnissen. Handelt es sich dabei um sprachliche Handlungsfähigkeit, wie in den hier vorgestellten Studien, gilt es zu beachten, dass diese mehr beinhaltet als rein sprachliches Wissen und Können. Demzufolge kann sie durch traditionelle Sprachtest-Formate (vergleiche hierzu auch den Band »Unterrichtsmanagement« und das Kapitel 3 im Band »Sprachen lehren«) kaum erfasst werden. Das vorliegende Kapitel ist folgendermaßen gegliedert: Die erste Lerneinheit beschäftigt sich mit der Sprachstandsmessung im handlungsorientierten Sprachunterricht und der handlungsorientierten Messung von Sprachkompetenzen im Bereich der Kommunikation von und mit Ärzten und Kfz-Mechatronikern. Die beiden folgenden Lerneinheiten (8.2 und 8.3) stellen die vielfältigen Ziele und Methoden eines innovativen Verfahrens zur Sprachstandsermittlung im Elementarbereich (Kita) vor, das auf den spezifischen Bedarf von 4--jährigen Kindern mit Migrationshintergrund in ihrer besonderen Sprachsituation ausgelegt ist und sprachliche Fähigkeiten in authentischen Kommunikationskontexten prüft. Das Alter der Kinder, die Umgebung und der Übergang in die Schule stellen dabei ganz besondere Anforderungen an Forschungsmethodik und Studiendesign. In diesem Kapitel werden damit unterschiedliche forschungsmethodische Aspekte aus zentralen Bereichen des Sprachenerwerbs illustriert: Lernen / Unterricht, Messung von Sprachständen, Einstufungsverfahren, Einsatz digitaler Medien, funktionale und kognitive Beschreibungen sprachlicher Kompetenzen. <?page no="311"?> 312 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest Elisabetta Terrasi-Haufe, Martina Hoffmann, Daniela Huber Moderner Sprachunterricht strebt die Entwicklung sprachlicher Handlungsfähigkeit an. Doch wie kann überprüft werden, ob dies auch tatsächlich stattfindet? Insgesamt existiert wenig belastbare Forschung zur Wirksamkeit von Sprachunterricht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass diese Art von Forschung oft als Quasi-Experiment mit einer Test- und einer Kontrollgruppe durchgeführt wird. Die Wirksamkeit von Unterricht wird dort anhand standardisierter Pre- und Post-Tests gemessen, beziehungsweise aus dem daraus resultierenden Leistungsunterschied erschlossen. Dies entspricht allerdings nicht der konstruktivistischen Auffassung von Sprachenlernen, nach der jeder Mensch Unterrichtsangebote unterschiedlich nutzt und anders lernt. Die Ergebnisse solcher Studien (so zum Beispiel Rösch & Stanat 2011) bleiben meist vage und weisen darauf hin, dass einerseits bei Quasi-Experimenten in Lernkontexten nie alle Variablen ausgeschaltet oder berücksichtigt werden können und andererseits Lernen ein höchst individueller Prozess ist. Daneben darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Unterrichtsforschung vor allem wichtig ist, um Einblicke in die Lernprozesse der einzelnen Lerner zu gewinnen. Aus diesen Gründen sollten bei der Wirksamkeitsforschung verstärkt qualitative Aspekte berücksichtigt werden (siehe auch Roche, Reher & Šimi ć 2012). Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ für das Konzept der sprachlichen Handlungsfähigkeit sensibilisiert werden; ▶ Methoden zur Untersuchung von Unterrichtsprozessen und -ergebnissen kennenlernen; ▶ Einblick in die Gestaltung handlungsorientierten Testens gewinnen. Der Abschnitt 8.1.4 Messung sprachlicher Handlungskompetenz basiert auf Ergebnissen aus dem Projekt SAM - Entwicklung eines Sprachtests für ausländische Mediziner, das in enger Zusammenarbeit des Instituts für Deutsch als Fremdsprache (Projektleitung) und des Instituts für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin am Klinikum der LMU entstanden ist. Projektleitung: Jörg Roche, Martin Fischer. Projektmitarbeiter und -mitarbeiterinnen: Holger Lenz, Ansgar Opitz, Daniela Huber, Fabian Jacobs. 8.1.1 Sprachliche Handlungsfähigkeit Sprachliche Handlungsfähigkeit, bestimmt nach Roche & Terrasi-Haufe (2017: 72) als die Fähigkeit eines Individuums, sich grundlegend in der eigenen Lebenswelt zu orientieren und alle relevanten Situationen kommunikativ erfolgreich zu meistern, umfasst eine ganze Reihe von physiologischen und kognitiven Voraussetzungen sowie linguistische, soziale und methodische Kompetenzen. Sehr verkürzt bedeutet dies (für eine Darstellung der zentralen Prozesse von Sprachproduktion und -rezeption sowie der neurolinguistischen Grundlagen <?page no="312"?> 313 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest von Sprache siehe Roche 2013, vergleiche auch Kapitel 1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«), dass neben der Fähigkeit, Laute wahrzunehmen und zu artikulieren, auch jene gegeben sein muss, Konzepte auszubilden und Äußerungen zu entwerfen und zu formulieren. Dies allein befähigt Individuen allerdings noch nicht dazu, sprachlich angemessen zu handeln. Benötigt wird dazu auch jede Menge Welt- und Situationswissen, daneben prozedurales Wissen sowie kulturspezifisches Wissen zum Ablauf von Diskurspraktiken. Dieses umfasst sowohl sprachliche als auch soziale Kompetenzen. Letztere wiederum beinhalten auch die Fähigkeit zu erkennen, wann das eigene sprachliche Handeln nicht jenem der Gesprächspartner beziehungsweise ihren Erwartungen entspricht. In einer solchen Situation müssen strategische Kompetenzen aktiviert werden, die zur Anpassung der eigenen Handlungskompetenz beitragen, zum Beispiel indem fehlendes Wissen in Erfahrung gebracht wird. Menschen eignen sich Sprache über Erfahrungen in der Welt an und über Sprache Wissen über die Welt (vergleiche Kapitel 5 im Band »Kognitive Linguistik«). Dieser Prozess beginnt bereits im Säuglingsalter in der Interaktion mit Bezugspersonen. Mit zunehmendem Alter besuchen Kinder Bildungseinrichtungen und erwerben weitere sprachliche, soziale und kommunikative Kompetenzen, die ihnen neue Kontakte erschließen und ihnen helfen, immer differenziertere Situationen zu bewältigen: Sie spielen und lachen, streiten aber auch und verteidigen sich. Sie lernen und hinterfragen, vergleichen und debattieren. Neben der Familiensprache oder den Familiensprachen werden so weitere sprachliche Register entwickelt: Zum Beispiel Jugendsprache, Bildungssprache, Fach- und Berufssprachen (vergleiche hierzu auch Kapitel  im Band »Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb« sowie den Band »Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen«). Genauso werden Zweit- und Fremdsprachen gelernt und zwar durch das Meistern von authentischen Situationen, die für das eigene Wohlbefinden und jenes der Familienangehörigen und nahestehenden Personen von zentraler Bedeutung sind. Authentische Kommunikation kommt immer in einer Dreieckskonstellation zwischen Sender, Gegenständen beziehungsweise Sachverhalten und Empfänger vor, in der das sprachliche Zeichen nach Bühlers Organon-Modell (1934) die Funktion von Symbol, Symptom und Signal erfüllt (vergleiche Kapitel 2 im Band »Sprachen lehren«). Das Symbol bei der Darstellung oder Repräsentation von Gegenständen und Sachverhalten ist aber nicht objektiv oder neutral gegeben, sondern geschieht als subjektiver Ausdruck (Symptom) der Perspektive eines Sprechers oder Schreibers, kurz eines Senders, der damit (Signal) an einen Empfänger appelliert. Sprachliche Handlungsfähigkeit ist folglich eine relative und dynamische Entität, die eng mit dem Vollzug von Kommunikation in Situationen verbunden ist, die zur Erreichung individueller Ziele dient. 8.1.2 Dimensionen handlungsorientierten Sprachunterrichts Die moderne Sprachendidaktik geht davon aus, dass die Entwicklung sprachlicher Handlungsfähigkeit durch einen handlungsorientierten Sprachunterricht gefördert wird. Dieser ist laut Roche & Terrasi-Haufe (2017: 194ff) durch verschiedene Merkmale gekennzeichnet. Auf der didaktischen Ebene ist die Einbindung in aufgabenbasierte Ausgangs-Handlungssituationen mit echten Inhalten und Aufgaben, die zur Erstellung eines relevanten <?page no="313"?> 314 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung sprachlichen Produkts führen, von zentraler Wichtigkeit (vergleiche Kapitel 2 im Band »Sprachen lehren«). Lerner können in Rollenspielen, Lernszenarien, Fallstudien und Spielen unterschiedliche, jedoch für sie authentische, Rollen übernehmen, die vom Experten zum Laien variieren. Ein konsequent auf das Handlungsprinzip abgestimmter Unterricht verfügt über viele Möglichkeiten, den Anforderungen an moderne Ausbildungsstandards gerecht zu werden. Zum einen fördert er individuelle Talente und Kompetenzen durch relevante Inhalte und Aufgaben. Gleichzeitig fordert die Aufgabenorientierung Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Planung und liefert mittels konkreter Produktionen und Präsentationen eine authentische Rückmeldung auf individuelles Lern- und Arbeitsverhalten. Der Unterricht muss so gestaltet sein, dass sich für die Schülerinnen und Schüler aus der zielgerichteten Arbeit an konkreten Produkten multiple Rückmeldungen ergeben, aus denen positive Effekte für die Persönlichkeitsentwicklung der Lerner resultieren. Aus linguistischer Perspektive ist eine pragmalinguistische Betrachtung des Lerngegenstands Fach- und Berufssprache geboten. Dies setzt ein pragmatisches Verständnis von Kommunikation voraus, wie es Bühler entwickelt hat (siehe Abschnitt 8.1.1 in diesem Band und Kapitel 2 im Band »Sprachen lehren«). Für den Kommunikationserfolg spielen das Wissen über Fachinhalte und die Versprachlichung von Sachverhalten sowie die Bewältigung von Handlungsabläufen zusammen mit der Einschätzung der hierarchischen Position und den Aufgabengebieten von Sender und Empfänger eine ganz zentrale Rolle. Die Möglichkeit, Erfahrungen in solchen Situationen zu sammeln, sensibilisiert für angemessenes sprachliches Handeln mit unterschiedlichen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern. Kognitionstheoretisch gilt es, kognitive Planungsprozesse vor allem bei der Aktivierung von Skripts, mentalen Modellen, Bildschemata und dem mentalen Lexikon durch sprachliche Mittel (wie etwa Metaphern), gezielte Visualisierung und Medieneinsatz zu unterstützen und dadurch selbständiges, problemlösendes und nachhaltiges Lernen zu fördern (vergleiche hierzu auch die Bände »Kognitive Linguistik« und »Sprachenlernen und Kognition«). Die Lerner werden in die Planung der Abläufe mit eingebunden und zum Handeln in den verschiedenen Phasen des Problemlösungsprozesses angeleitet. Diese umfassen nach dem Prinzip der vollständigen Handlung (vergleiche auch Riedl 2011: 244) die Phasen: ▶ orientieren und informieren, ▶ planen und durchführen, ▶ präsentieren und dokumentieren, ▶ bewerten und reflektieren. Hierfür müssen den Lernern reichhaltige binnendifferenzierte Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, die im Endeffekt zur Entwicklung von Arbeits- und Lernstrategien beitragen sollen. Dies kann zum Beispiel der Einsatz kognitionsdidaktisch fundierter Grammatikdarstellungen sein (Animationen, vergleiche Lerneinheit 7.3 im Band »Sprachenlernen und Kognition« sowie Lerneinheit 7.1 in diesem Band), die in die sprachlichen Handlungen integriert sind, oder der Einsatz von Strategien des Mental Mappings (zum Beispiel Mindmaps) und in der Nutzung von konzeptuellen Kontrasten. <?page no="314"?> 315 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest Aus pädagogischer Perspektive soll der Umgang mit Differenz als Katalysator des Lernens und als Herausforderung und Strategie des Lebens neu konzeptualisiert werden. Das Potenzial von Differenz in Bezug auf Alter, Geschlecht, Ethnie und Vorbildung soll in vollem Maße ausgeschöpft werden, weil durch die unterschiedlichen Konstellationen von Sprechern und Adressaten in unterschiedlichen Situationen und mit unterschiedlichen Kommunikationszwecken variantenreiche Auseinandersetzungen entstehen. 8.1.3 Wirksamkeit handlungsorientierten Unterrichts In Zusammenhang mit der Frage nach der Wirksamkeit eines solchen Unterrichts muss in einem ersten Schritt überlegt werden, wie die Lernprozesse, die dadurch eingeleitet werden, überhaupt beobachtet werden können. Dafür existieren vielfältige Möglichkeiten. Hoffmann (2017) zeigt auf, wie die Kombination von Videografie, Portfolio und retrospektive Befragung zu einsichtsreichen Ergebnissen über die Wirksamkeit von handlungsorientiertem Unterricht für angehende Kfz-Mechatroniker/ -innen führen kann, der nach dem Prinzip der vollständigen Handlung aufgebaut ist. Wie Sie bereits in den vorherigen Kapiteln gelernt haben, spricht man in diesem Fall von Triangulation. Abbildung 8.1: Triangulierendes Forschungsdesign zur Erfassung von handlungsorientiertem Unterricht (Hoffmann, in Vorbereitung) In Hoffmann (2017) wird dargestellt, wie im Rahmen einer Pilotstudie das Forschungsdesign für eine umfassendere Wirksamkeitsstudie entwickelt und erprobt wurde. Zu Beginn erfolgte eine detaillierte Bedarfsanalyse. Im Anschluss daran wurde ein sprachlich-kommunikatives <?page no="315"?> 316 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Anforderungsprofil erstellt. Dies erfolgte durch curriculare Analysen und stichpunktartige Lehrwerkanalysen, Hospitationen im Unterricht und in Kfz-Werkstätten, Experteninterviews und Befragungen der Schüler und Schülerinnen. Ein Schülerfragebogen lieferte neben subjektiven Theorien auch Aufschluss über angewendete Lernmethoden und -strategien sowie Selbsteinschätzungen der Schüler und Schülerinnen zu ihren sprachlich-kommunikativen Kompetenzen. Auf der Basis dieses vielfältigen Datenmaterials fand die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien nach dem Konzept Berufssprache Deutsch [online unter http/ / / www. berufssprache-deutsch.bayern.de/ ] statt. Daneben wurde auf die Expertise erfahrener Kfz- Fachlehrkräfte zurückgegriffen. Die Erprobung fand in einer Kfz-Mechatroniker-Fachklasse an einer staatlichen Berufsschule in Bayern statt. Sie wurde durch Video- und Tonaufnahmen dokumentiert. Die Videographie von Unterricht (vergleiche 7.2) erlaubt eine lückenlose Dokumentation dessen, was im Klassenzimmer abläuft. Allerdings handelt es sich dabei um eine aufwendige Methode, für die neben technischem Geschick auch eine gute Ausstattung benötigt wird. Die größte Herausforderung bildet die Erfassung von allem, was gesagt wird, und das ist in einem handlungsorientierten, lernerzentrierten Unterricht viel. Das heißt alle müssen auf den Aufnahmen gut zu hören sein. Am besten kann dies gewährleistet werden, wenn alle mit Funkmikrophonen ausgestattet werden, was allerdings lange Vorbereitungszeiten sowie eine personelle und technische Ausstattung voraussetzt, die in den seltensten Fällen gegeben ist. Zentral für die Deutung von Unterrichtsinteraktion sind neben verbalen und paraverbalen auch nonverbale Abläufe (Mimik, Gestik und Proxemik). Um diese bei einer Klassengröße von 25 bis 30 Personen angemessen zu erfassen, werden mehrere Kameras gebraucht. Eine wird auf die Lehrkraft gerichtet, die anderen auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die im lernerzentrierten Unterricht normalerweise an Gruppentischen arbeiten. Zur Absicherung des Tonmaterials können zusätzlich Tischmikrophone aufgestellt werden. Wichtig für die anschließende Erfassung des Video- und Audiomaterials ist die Dokumentation der Aufnahmen. So muss im Vorfeld festgehalten werden, welche Geräte wo platziert wurden und welche Teilnehmerinnen und Teilnehmer in welcher Unterrichtsphase welche Position innehatten. In der Studie von Hoffmann (2017) wurden die Aufnahmegeräte so ausgerichtet, dass drei Kameras (K1, K2 und K3) auf die Schülerinnen und Schüler gerichtet waren. Die Kamera K4 nahm zusätzlich die Lehrkraft auf. Die Handlungen der Lehrkraft wurden durch eine ausführliche Unterrichtsverlaufsplanung vorab festgelegt. Daneben befand sich auf jedem Gruppentisch (M1, M2, M3, M4, M5) ein Tischmikrophon. <?page no="316"?> 317 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest Abbildung 8.2: Exemplarische Skizze zu den Positionen von Kameras (K) und Tischmikrophonen (M) Im Anschluss an die Aufnahme müssen Video- und Tondaten so erfasst werden, dass sie ausgewertet werden können. Hierfür existieren eine Reihe unterschiedlicher Transkriptionssysteme und -programme (siehe Lerneinheit 7.3 in diesem Band). Da die Verschriftlichung multimodaler Daten bereits eine erste Auswahl des auszuwertenden Materials voraussetzt, gilt es, bei der Wahl des Transkriptionssystems die Zielsetzung der Untersuchung zu berücksichtigen. In der hier exemplarisch abgehandelten Studie ging es darum, nicht nur das Unterrichtsgespräch, sondern vor allem die Aktivierung der Schüler und Schülerinnen, ihre Interaktionen untereinander in der Informations-, Planungs- und Durchführungsphase und die Rollenspiele, die als Produkt des Lernszenarios präsentiert werden sollten, zu erfassen. Zu diesem Zweck wurden die Daten nach HIAT und anhand der EXMARaLDA-Programme (vergleiche Lerneinheit 7.3 in diesem Band) transkribiert, annotiert und ausgewertet. HIAT bietet die Möglichkeit, nach dem Partitur-Format zu transkribieren. Das ist besonders wichtig, wenn man authentisches Sprechen erfassen will, das oft gleichzeitig erfolgt und von para- und nonverbalen Signalen begleitet wird. In Abbildung 8.3 wird die Abschlussphase eines Beratungsgesprächs dargestellt, das als Rollenspiel angesetzt war. Man sieht, wie sich die zwei Gesprächspartner und -partnerinnen durch Rückmeldungen ([9] okä), Wiederaufnahmen beziehungsweise Paraphrasen bei Unverständlichem ([10] tausend zig fahren das wissen Sie schon? , wieviel gefahren worden ist? , ja, wie viel) unterstützen beziehungsweise wie Schweigen und Lachen die Interaktion vorantreiben. <?page no="317"?> 318 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Abbildung 8.3: Auszug aus einem Rollenspiel-Transkript (Terrasi-Haufe 2018) In diesem Forschungsdesign dienen die Rollenspiele (also die aufgenommenen Beratungsgespräche) als Post-Tests. Das heißt, an ihnen wird abgelesen, inwiefern das Lernszenario die sprachlichen Kompetenzen der Schüler und Schülerinnen beeinflusst hat. Dies umfasst eine lernersprachliche Analyse der Rollenspiele durch die unterschiedlichen Lerner (vergleiche Terrasi-Haufe, im Druck). Der Fokus liegt dabei darauf, welche sprachlichen und interaktiven Mittel die unterschiedlichen Schüler und Schülerinnen im Beratungsgespräch eingesetzt, und welchen Erfolg sie dadurch erzielt haben. Die Reflexion und Bewertung der entwickelten Handlungsprodukte und der sprachlich-kommunikativen Kompetenzentwicklung fand aber auch durch die Schüler auf der Unterrichtsebene statt. In Gruppendiskussionen wurde die Authentizität der Lernsituation bewertet und die Relevanz von Beratungsgesprächen für den Ausbildungsberuf reflektiert. Daneben wurde darüber gesprochen, ob die benötigten Kompetenzen dazu bereits vorhanden seien beziehungsweise wie sie im Laufe des Unterrichts entwickelt wurden. In diesem Zusammenhang wurde auf die methodisch-didaktische Ausrichtung der Unterrichtseinheit eingegangen, in dem die Lerner dazu aufgefordert wurden, die Wirksamkeit der Aufgabenstellung, der Materialien und der eingesetzten Methoden zu bewerten. Zur Unterstützung erhielten sie Wortimpulse. Als prozessbegleitendes Evaluationsinstrument wurde auch ein Portfolio entwickelt, das einerseits die Rolle einer Dokumentenmappe übernimmt, in der die Unterlagen abgeheftet werden, die während des Szenarios bearbeitet wurden, andererseits aber auch Selbsteinschätzungen und Entwicklungstendenzen der Schüler und Schülerinnen abbildet. Zu jeder Unterrichtsphase wurde ihnen auch eine kleine Reflexionsaufgabe gestellt. Die Arbeit am Portfolio kann zeitlich entzerrt erfolgen und bietet somit eine viel individuellere Erfassung von Lernerfahrungen als sie in Gruppendiskussionen erfolgen kann. <?page no="318"?> 319 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest Abbildung 8.4: Exemplarischer Auszug aus dem prozessbegleitenden Portfolio (Hoffmann, in Vorbereitung) Anhand der in der Pilotierung erhobenen Daten konnte Hoffmann (2017: 314-318) bezüglich der Wirksamkeit der erprobten Materialien neben deren grundsätzlich aktivierenden und motivierenden Wirkung auch Erkenntnisse gewinnen, die zu deren Optimierung genutzt werden konnten. Sie betreffen die Aspekte der Binnendifferenzierung, der Förderung von Lernerautonomie und die Vermittlung von Grammatik. So haben die Schüler und Schülerinnen während der Orientierungs- und Informationsphase sehr unterschiedliches und oft nur geringes Vorwissen bezüglich der adressatenorientierten Kundenberatung geäußert. Dementsprechend ist bei der Materialgestaltung darauf zu achten, dass diese binnendifferenziert erfolgt, um die Auszubildenden individuell zu fördern. Diese Forderung ist auch aus den heterogenen biographischen Daten beispielsweise hinsichtlich der Schulabschlüsse abzuleiten. Nicht alle Schülerinnen und Schüler nahmen die Hilfestellungen zum Einsatz von Lesestrategien und zur integrierten Grammatikvermittlung von selbst wahr. Dies gilt es zu ändern. Die Funktion als Hilfsmittel für das Kundengespräch muss den Schülern und Schülerinnen gegenüber transparent gemacht werden, ein weiterer Optimierungsbedarf zeigte sich bei den Aufgabenstellungen und -formaten: sie müssen stärker an den Werkstattalltag angepasst werden Authentische handlungsorientierte Aufgabenstellungen spielen nicht nur bei der Überprüfung der Wirksamkeit von Unterricht eine zentrale Rolle, sondern auch bei der Messung sprachlicher Handlungskompetenz zu Zertifizierungszwecken. Wie dies in einem Projekt zur Feststellung der Deutschkenntnisse ausländischer Mediziner und Medizinerinnen erfolgt, wird im Folgenden dargestellt. <?page no="319"?> 320 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung 8.1.4 Messung sprachlicher Handlungskompetenz Die Messung sprachlicher Handlungskompetenz im beruflichen Umfeld lässt sich mithilfe von Multiple Mini-Interviews, die ähnlich wie Lernszenarien aufgebaut und konstruiert sind, realisieren. Dabei müssen die Prüflinge in einer Reihe von kurzen Kommunikationssituationen strukturierte Dialoge mit vorgegebener Aufgabenstellung absolvieren. Als Prüfungsverfahren eignet sich dafür eine Abwandlung des OSCE (objective structured clinical examination), einem gut beforschten Prüfungsformat, das international in der medizinischen Grundausbildung Anwendung findet (Koerfer, Obliers, Thomas & Köhle 2000; Roberts, Wass, Jones, Sarangi & Gillett 2003; Koerfer, Obliers, Thomas & Köhle 2005; Nikendei & Jünger 200). Bei einem objektiven, strukturierten medizinischen Test ( OSCE ) wird ein Höchstmaß an Objektivität dadurch erreicht, dass die Kommunikationssituationen- - die Aufgabenstellung sowie das Verhalten des Kommunikationspartners- - standardisiert sind, sodass die Prüfungsvoraussetzungen für jeden Prüfungsteilnehmer und jede Prüfungsteilnehmerin identisch sind. Darüber hinaus findet die Bewertung anhand einer standardisierten Bewertungsskala statt, die dem Erwartungshorizont vergleichbar vorab entwickelt wird und die alle für die Handlungen notwendigen Kompetenzen erfasst. Anders als bei den klinisch-praktischen Prüfungen im Medizinstudium, bei denen der Kommunikationspartner und die -partnerin die Bewertung während oder direkt im Anschluss an die Prüfung vornehmen, ist bei der Messung sprachlicher Handlungskompetenz eine asynchrone Bewertung zu bevorzugen, bei der ein Bewerterteam, das nicht Teil der Prüfungssituation war, anhand von Ton- oder Videoaufnahmen das Prüfungsgeschehen im Nachhinein bewertet (Kiehl, Simmenroth-Nayda, Görlich, Entwistle, Schiekirka, Ghadimi, Raupach & König 2014). Zur Vorbereitung einer Prüfung müssen zunächst relevante Handlungen für die zu testende Berufsgruppe identifiziert werden, die später bei der Sprachstandsmessung als Grundlage für die Szenarien im Test dienen. Da jedes Berufsbild das Kommunizieren mit unterschiedlichen Adressatengruppen beinhaltet-- Kollegen und Kolleginnen, Vorgesetzte, Kunden und Kundinnen, Klienten und Klientinnen, Patienten und Patientinnen, Angehörige etc.--, müssen die relevanten Handlungen für jede dieser Gruppen separat erhoben werden. In dem Sprachtest für ausländische Mediziner ( SAM ) geht es gemäß der gesetzlichen Regelungen der Gesundheitsministerkonferenz um drei Bereiche: die Arzt-Patientenkommunikation, die Arzt-Arztbeziehungsweise Arzt-Pfleger-Kommunikation und das Verfassen eines typischen Schriftstückes beziehungsweise Arztbriefes ( GMK 2014). Auf die Messung der schriftlichen Kompetenzen, die laut Vorgabe durch das „Anfertigen eines in der ärztlichen-[…] Berufsausübung üblicherweise vorkommenden Schriftstückes“ ( GMK 2014) getestet werden soll, wird hier nicht weiter eingegangen. Typische, im Berufsalltag relevante Kommunikationssituationen der beiden anderen Bereiche wurden mithilfe von Expertenbefragungen erhoben. Für die Arzt-Patienten-Kommunikation sind dies etwa ein Anamnesegespräch und ein Aufklärungsgespräch vor einer bevorstehenden Operation. Weitere mögliche Kommunikationssituationen wie das Überbringen einer Diagnose, Besprechung der Therapie oder Gespräche mit Angehörigen wurden für diesen Test als weniger gewichtig eingestuft. Bei der (inter-)professionellen Kommunikation wurden zwei Adressatengruppen definiert, <?page no="320"?> 321 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest neben Angehörigen derselben Berufsgruppe, also Ärzten und Ärztinnen, bilden Pfleger und Pflegerinnen die zweite wichtige Gruppe. Als relevante Kommunikationssituationen definierten die Experten und Expertinnen daher für das Testen von Handlungskompetenz in der professionellen Kommunikation die Patientenbeziehungsweise Patientinnenvorstellung, bei der der Prüfungsteilnehmer oder die -teilnehmerin einem oder einer Vorgesetzten (Chefarzt oder Chefärztin) einen Fall berichtet. In der interprofessionellen Kommunikation geht es um das Anweisen des Pflegepersonals zur Pflege von Patienten. Die sprachlichen Handlungen, die innerhalb dieser Kommunikationssituationen bewältigt werden müssen, wurden durch die Analyse der medizin-didaktischen Literatur festgelegt ( MFT 2015). Im Folgenden wird dies am Beispiel des Anamnesegesprächs skizziert. So gibt es für Struktur und Inhalte eines patientenorientierten Anamnesegesprächs klare Vorgaben, die von formalen Punkten wie der namentlichen Vorstellung mit Nennung der Funktion (zum Beispiel Stationsarzt oder -ärztin) und der eindeutigen Identifikation des Patienten oder der Patientin (Sie sind Herr Meier, richtig? ) bis zum fachlichen Ablauf (Erheben von Verlauf und Vorgeschichte der Beschwerden, Erheben der Sozialanamnese etc.) reichen. Darüber hinaus werden Gesprächstechniken wie das Öffnen eines Gesprächsraums für den Patienten beziehungsweise die Patientin oder empathisches Verhalten vorgegeben. Diese Abläufe bilden das Grundgerüst der Items für die Bewertungsskala, die um die linguistischen Kategorien der Fachsprachlichkeit (vergleiche den Band »Berufs-, Fach und Wissenschaftssprachen«) ergänzt werden. Abbildung 8.5 ist ein Auszug aus der Bewertungsskala des SAM -- Sprachtest für ausländische Mediziner-- für das Anamnesegespräch und die Bewertung der Kompetenzen, die in diesem Prüfungsteil bewertet werden. Abbildung 8.5: Auszug aus der Bewertungsskala Arzt-Patienten-Kommunikation (Anamnesegespräch) ( SAM ) Als Prüfungsaufgabe muss jeweils eine Kommunikationssituation (ein Szenario) konstruiert werden, die alle vordefinierten sprachlichen Handlungen umfasst. Im Fall des Anamnese- <?page no="321"?> 322 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung gesprächs für die Arzt-Patienten-Kommunikation ist dies eine Fallvignette (Szenario), die drei Teile umfasst: ▶ die Situationsbeschreibung, die die Rolle des Prüfungsteilnehmers oder der Prüfungsteilnehmerin im bevorstehenden Mini-Interview festlegt ▶ die Fallbeschreibung, die die Rolle des Kommunikationspartners (Patient oder Patientin) bestimmt ▶ die Aufgabenstellung mit konkreter Handlungsaufforderung (Führen Sie ein strukturiertes Anamnesegespräch bei Herrn Meier durch.) Parallel dazu muss ein Skript für den Kommunikationspartner oder die Kommunikationspartnerin erstellt werden, das klare Verhaltensanweisungen, gleichzeitig aber nicht zu viele Vorgaben enthält, die es der Prüfungsteilnehmerin oder dem Prüfungsteilnehmer ermöglichen würden, diesen Prüfungsteil durch einfache Wiedergabe der Anweisungen zu bestehen. Diese Konstruktionsaufgaben sind nicht immer leicht herstellbar, denn es müssen zwar Fach-, Fachsprachen- und Handlungskompetenzen vorausgesetzt werden, aber gemäß den Vorgaben der Ministerkonferenz muss der Test ein reiner Sprachtest sein. Um eine standardisierte Situation zu gewährleisten, werden daher in den Szenarien-Anweisungen auch Fragen vorformuliert, die der Kommunikationspartner (Schauspielpatient, Ärztin) in das Gespräch einfließen lässt, um bestimmte sprachliche Produkte beim Prüfungsteilnehmer zu evozieren. Der Kommunikationspartner oder die Kommunikationspartnerin muss zudem geschult werden, um bei allen Prüfungsteilnehmern und -teilnehmerinnen die gleichen Voraussetzungen zu garantieren. Im Fall des Sprachtests für ausländische Mediziner (und auch beim OSCE ) werden daher ausgebildete Schauspieler und Schauspielerinnen als Kommunikationspartner und -partnerinnen eingesetzt. Die sprachlichen Realisierungen, die eine gelungene Handlung repräsentieren, werden in einem Beiblatt zur Bewertungsskala fallspezifisch festgelegt, wie Abbildung 8. zeigt. Ideale Basis hierfür sind Aufnahmen und Transkripte realer Kommunikation. Im Fall des Sprachtests für ausländische Mediziner musste auf Materialien aus der linguistischen und medizinischen Lehre zurückgegriffen werden, da die Aufnahme von realen Arzt-Patienten- Gesprächen aus ethischen und datenschutzrechtlichen Gründen kritisch ist. Als gesprächsraumöffnende Strategien finden sich in der wissenschaftlichen Literatur etwa das Stellen offener Fragen, das Geben verbaler und nonverbaler Hörerrückmeldungen und wenige Unterbrechungen. Alternativ kann die Art der Beschwerden mit einer halboffenen Frage (inklusive Nennung von Optionen) abgefragt werden (Ist es eher ein stechender, drückender oder brennender Schmerz? beziehungsweise Beschreiben Sie den Schmerz genauer: ist er eher stechend, drückend oder brennend? ). Die Familienanamnese wird häufig mit geschlossenen Fragen erhoben (Gab es in Ihrer Familie bereits Fälle von Diabetes-Erkrankung? ). Da die Arzt- Patienten-Kommunikation eine Form der Experten-Laien-Kommunikation darstellt, ist auf lexikalischer Ebene darauf zu achten, dass bei der Anamnese und dem Vorbereitungsgespräch vor einer Operation fachsprachliche Ausdrücke aus der Medizin durch solche aus der Allgemeinsprache ersetzt werden. Auch diese sind im Beiblatt zur Bewertungsskala festgehalten <?page no="322"?> 323 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest (Herzinfarkt statt Myokardinfarkt oder myocadial infarctation; Blinddarm statt Zökum; Schilddrüsenüberfunktion statt Hyperthyreose). Abbildung 8.6: Auszug aus dem Beiblatt zur Bewertungsskala Arzt-Patienten-Kommunikation (Vorbereitungsgespräch vor einer Operation) ( SAM ) Bewertungsskalen und zugehörige Beiblätter werden mithilfe von Pre-Tests auf ihre Validität geprüft. Dafür wird das Prüfungssetting mit geschulten Kommunikationspartnern und -partnerinnen (zum Beispiel Schauspielern und Schauspielerinnen) sowie Prüfungsteilnehmern und -teilnehmerinnen aus der späteren Zielgruppe (ausländische Ärzte und Ärztinnen) durchgeführt. Als Kontrollgruppe kann eine Gruppe von Ärzten und Ärztinnen oder Medizinstudenten und -studentinnen mit muttersprachlichen Deutschkenntnissen eingesetzt werden. Die Bewertung wird von geschulten Bewerterteams, die je aus einem Linguisten oder einer Linguistin und einem oder einer Angehörigen derselben Berufsgruppe bestehen, vorgenommen. Zusätzlich kann eine Goldstandardsetzung durch die globale Bewertung von (mindestens zwei) Experten oder Expertinnen erfolgen. Mithilfe der Ergebnisse des Pre-Tests und der Goldstandardsetzung wird die Bestehensgrenze festgelegt, das heißt, wann die in der Prüfung realisierten sprachlichen Handlungen als gelungen beziehungsweise nicht gelungen zu bewerten sind und die Prüfung als bestanden oder nicht bestanden gilt. Dies ist besonders dann wichtig, wenn-- wie im Fall des SAM -- die Messung hinsichtlich einer Niveaustufe des GER (hier: C1) gefordert ist. Das Prüfungssetting der Multiplen Mini-Interviews zur handlungsorientierten Sprachstandsmessung sieht sowohl für die Pre-Tests als auch für den finalen Test wie folgt aus: Für mehrere Stationen werden Fallvignetten (Aufgabenstellungen) konzipiert und Kommunikationspartner und -partnerinnen geschult. Fallvignetten und Kommunikationspartner oder -partnerinnen befinden sich in einem Raum. Zur Aufnahme der Prüfung dienen Video-Kameras oder Audio-Aufnahmegeräte (Tischmikrofone), die so ausgerichtet sind, dass sie die gesamte Kommunikationssituation erfassen (ähnlich wie bereits oben im Kontext der beruflichen Szenarien beschrieben). Für jedes Mini-Interview werden maximal zehn Minuten veranschlagt, nach den zehn Minuten begibt sich der Prüfungsteilnehmer oder die <?page no="323"?> 324 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Prüfungsteilnehmerin in den nächsten Raum, um dort die nächste Kommunikationssituation zu meistern. Die relativ kurze Dauer pro Station beziehungsweise Raum, die kurze Taktung und der Raumwechsel sind im Fall des SAM der Routine im Arbeitsalltag von Ärzten und Ärztinnen sowie dem Testsetting im OSCE geschuldet. Bei anderen Berufsgruppen können Zeit und Taktung angepasst werden; der Raumwechsel empfiehlt sich jedoch auch hier. Die Bewertung findet asynchron statt, das heißt die Video- oder Audio-Daten werden den Bewertern nach Ende der gesamten Prüfung zur Verfügung gestellt. 8.1.5 Zusammenfassung ▶ Das Konstrukt der sprachlichen Handlungsfähigkeit umfasst eine ganze Reihe von physiologischen und kognitiven Voraussetzungen sowie linguistische, soziale und methodische Kompetenzen. ▶ Um diese ganzheitlich und nachhaltig zu fördern, muss Unterricht auf didaktischer, linguistischer, kognitionstheoretischer und pädagogischer Ebene auf Handlungsorientierung ausgerichtet werden. ▶ Zur Überprüfung der Wirksamkeit von handlungsorientiertem Sprachunterricht müssen triangulierende Forschungsdesigns eingesetzt werden, um sowohl die spracherwerbstheoretische Perspektive als auch die didaktisch-methodische zu untersuchen. ▶ In berufssprachlichen Situationen lassen sich sprachliche und fachliche Kenntnisse gemeinsam vermitteln. Diese stützen sich gegenseitig und können motivierende Funktionen haben. Die Messung handlungsorientierten Spracherwerbs erlaubt daher unterschiedliche Zugänge wie die Messung fachlicher und sprachlicher Zuwächse oder des sozial-kommunikativen Verhaltens. Bei Aufnahmen mündlicher Kommunikation zu Forschungszwecken ist besonders darauf zu achten, dass die unterschiedlichen Aspekte angemessen aufgezeichnet, identifiziert und ausgewertet werden können. ▶ Handlungsorientierte Sprachstandsmessung erfolgt durch Multiple Mini-Interviews, bei denen Prüfungsteilnehmer und -teilnehmerinnen konstruierte Kommunikationssituationen beziehungsweise Szenarien bewältigen müssen, in denen die Kommunikationspartner (gegebenenfalls Schauspieler und Schauspielerinnen), die Prüfungsinhalte und die Bewertung weitestgehend standardisiert sind, um die nötige Objektivität und Validität der Prüfung zu garantieren. 8.1.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Woraus setzt sich sprachliche Handlungsfähigkeit zusammen? 2. Nennen und skizzieren Sie die Dimensionen, die für die Gestaltung von handlungsorientiertem Sprachunterricht von grundlegender Relevanz sind. 3. Warum sind Quasi-Experimente wenig aussagekräftig, wenn es um Abläufe im Unterricht geht? 4. Was versteht man unter Triangulation? Welche Vorteile birgt sie? <?page no="324"?> 325 8.1 Handlungsorientierter Unterricht und Sprachtest 5. Was muss bei der Durchführung von Video- und Tonaufnahmen beachtet werden? 6. Wie werden relevante sprachliche Handlungen ermittelt, die in der handlungsorientierten Sprachstandsmessung Anwendung finden? 7. Wie können Bewertungsskalen auf ihre Validität überprüft werden? <?page no="325"?> 326 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern Jörg Roche, Stephanie Haberzettl, Giulio Pagonis, Moiken Jessen, Nicole Weidinger, unter Mitarbeit von Heike Behrens, Marcus Hasselhorn, Dirk Ifenthaler, Natalia Kapica, Gabriele Kecker, Wolfgang Klein, Karin Madlener, Maike Schug, Katrin Skoruppa, Elisabetta Terrasi-Haufe, Frank Thissen, Nicole Vogl Die Lerneinheiten 8.2 und 8.3 skizzieren ein Konzept zur Sprachstandsermittlung, das aufbauend auf Ergebnissen der gebrauchsbasierten Spracherwerbsforschung (vergleiche Kapitel 2 im Band »Sprachen lehren«) die sprachlichen Fähigkeiten von Vorschulkindern in quasi-natürlichen Gesprächssituationen misst. Den Maßstab bilden dabei die altersgemäßen Deutschkompetenzen mono- und bilingualer Kinder im Alter von 4; 6 bis 6; 0. Diese Lerneinheiten basieren auf Ergebnissen aus dem Projekt Ladenburger Kolleg: Sprachstandsermittlung bei Kindern mit Migrationshintergrund, das von der Daimler und Benz Stiftung gefördert wird (siehe Roche, Jessen, Weidinger, Behrens, Haberzettl, Hasselhorn, Ifenthaler, Kapica, Kecker, Klein, Madlener, Pagonis, Schug, Skoruppa, Terrasi-Haufe & Thissen (2016) für eine ausführliche Projektbeschreibung). Mit dem neuen Verfahren soll eine akkurate Bewertung der kommunikativen Kompetenzen der Kinder am Übergang zur Schule erfolgen, die eine systematische Benachteiligung mehrsprachig aufwachsender Kinder aufgrund von Vergleichen mit zielsprachlichen Erwachsenennormen vermeidet. Das neuartige Erhebungsverfahren liegt in Form einer digitalen Spielumgebung (App) vor, die eine Umsetzung der Prinzipien des handlungsorientierten Sprachenlernens erlaubt. Diese Lerneinheit gibt zunächst einen Überblick über die Vor- und Nachteile bestehender Verfahren zur Sprachstandsermitttlung im Elementarbereich, aus dem schließlich die Konsequenzen für die Entwicklung eines neuen interaktiven Verfahrens abgeleitet werden. Zur Entwicklung und Erprobung eines solchen Verfahrens sind viele forschungsmethodische Schritte notwenig: So muss neben einer sorgfältigen Literaturrecherche zum Sprachenerwerb der Zielgruppe eine sorgfältige Analyse bestehender Kindersprachkorpora erfolgen, um eine belastbare Datengrundlage zum Sprachverhalten von mono- und bilingualen Vorschulkindern schaffen zu können. Auf Basis dieser Erkenntnisse können wiederum die Aufgaben und Items des neuen Verfahrens gestaltet werden. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ ein neues hochinnovatives Projekt zur Sprachstandsermittlung im Elementarbereich kennenlernen; ▶ die Motivation des neuen Konzepts zur Sprachstandserhebung begreifen können; ▶ Vor- und Nachteile bestehender Verfahren für Vorschulkinder in Deutschland erkennen können; ▶ die verschiedenen Schritte bei der Entwicklung des neuen Konzepts aus forschungsmethodischer Sicht beschreiben können; ▶ Zugang zu bestehenden Kindersprachkorpora bekommen und diese zu analysieren lernen; ▶ Einblicke in Kindersprache erhalten. <?page no="326"?> 327 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern 8.2.1 Sprachstandsermittlungsverfahren im Elementarbereich Wie wichtig es ist, dass (pädagogischen) Fachkräften ein Verfahren zur Verfügung steht, das die sprachlichen Fähigkeiten gerade von mehrsprachigen Kindern fair messen kann, belegen Quellen des Statistischen Bundesamtes. Aus diesen Quellen geht hervor, dass circa die Hälfte der Kinder zwischen fünf und zehn Jahren, die derzeit in Deutschland leben, einen Migrationshintergrund aufweisen (vergleiche Statistisches Bundesamt 2014). Auch wenn diese Kinder die deutsche Sprache nicht zwangsläufig schlechter beherrschen als ihre monolingual deutschsprachigen Altersgenossen, so wird dies doch in der Praxis von den Entscheidungsträgern und -trägerinnen in den Bildungsinstitutionen oft unterstellt (vergleiche Reich 2008). Aus diesem Vorurteil können in der Folge massive Nachteile für den Lebens- und Bildungsweg der betroffenen Kinder, aber auch für die Gesellschaft, in der sie leben, entstehen. Um einem sprachlichen Rückstand durch wirksame Förderprogramme entgegen wirken zu können, bedarf es einer möglichst präzisen Einschätzung des jeweiligen sprachlichen Leistungsstands der einzelnen Kinder (vergleiche Redder, Schwippert, Hasselhorn, Forschner, Fickermann & Ehlich 2010). Ohne eine klare Vorstellung von den sprachlichen Problemen und Potenzialen der Kinder lassen sich weder der Förderbedarf noch etwaige Fortschritte durch die Förderung bestimmen. Diese Notwendigkeit wird inzwischen auch von den Verantwortlichen in Bund und Ländern durchweg eingesehen und mit hoher Priorität behandelt. Zur Ermittlung sprachlicher Probleme von Kindern im Vorschulalter sind daher in den letzten Jahren eine Vielzahl an Verfahren entwickelt worden (vergleiche Lengyel 2012; Redder et al. 2010; Reich 2005 für einen Überblick). 8.2.2 Kritik formbasierter Verfahren Im Zuge dieses gesteigerten Interesses an Sprachstandserhebungsverfahren hat die Mercator- Stiftung vor einigen Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, die die gängigen Verfahren für Kinder im Vorschulalter (vier bis sechs Jahre) auf ihre Qualität hin untersuchen sollte (Neugebauer & Becker-Mrotzek 2013). Zur Bewertung der Verfahren wurde hierfür ein spezieller Katalog an Qualitätsmerkmalen entwickelt. Dabei orientierte sich die Untersuchung des Testkonstrukts Sprache an den Basisqualifikationen, wie sie 2008 im Rahmen des PROSA - Projekts („Altersspezifische Sprachaneignung- - Ein Referenzrahmen“) festgelegt wurden (vergleiche Ehlich, Bredel & Reich 2008). Ferner wurden mit den Qualitätsmerkmalen auch die jeweiligen Erhebungsmethoden sowie die spracherwerbstheoretische Fundierung der ausgewählten Tests analysiert und beurteilt. Tabelle 8.1 zeigt, welche Basisqualifikationen die Verfahren abprüfen, die in dieser Lerneinheit exemplarisch zu Illustrationszwecken erwähnt werden. An dieser Stelle sei gesagt, dass alle genannten Verfahren viele wichtige Aspekte einer gelungenen Diagnostik aufweisen oder sich darum bemühen. <?page no="327"?> 328 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Die sprachlichen Basisqualifikationen Um sprachliche Kompetenzen bei Kindern besser erfassen und beschreiben zu können, setzte sich das Projekt PROSA (Ehlich et al. 2008) die Erstellung eines Referenzrahmens für Verfahren zur Sprachstandserhebung und für daran anschließende Konzepte der Sprachförderung zum Ziel. Im Rahmen des Projekts PROSA wurden aus einer Reihe unterschiedlicher Untersuchungen acht sprachliche Basisqualifikationen definiert, die in ihrem Zusammenwirken- - so die Annahme- - zu einem umfassenden sprachlichen Handeln qualifizieren beziehungsweise beim konkreten sprachlichen Handeln eng miteinander interagieren. Über diesen Referenzrahmen wurden für das jeweilige Alter typische Aneignungsprofile erstellt, indem die Normalitätserwartungen kindlicher Sprache zu den Zeitpunkten drei, fünf, sieben, neun und elf Jahren detailliert dargestellt wurden. Diese Klassifizierung erfolgte durch eine abstrakte Beschreibung der Kompetenzen als Metastudie über die zum damaligen Zeitpunkt vorliegende Fachliteratur. Folgende Basisqualifikationen wurden dabei identifiziert: die phonische Basisqualifikation, die semantische Basisqualifikation, die morphologischsyntaktische Basisqualifikation, die pragmatischen Basisqualifikationen I+ II , die diskursive Basisqualifikation sowie die literalen Basisqualifikationen I+ II . Basisqualifikationen in bestehenden Verfahren und Erhebungsmethoden In vielen bestehenden Verfahren zeigt sich eine Tendenz, hauptsächlich die morpho-syntaktische und die semantische Basisqualifikation zu messen. Im Gegensatz dazu werden die pragmatischen Basisqualifikationen und die diskursive Basisqualifikation deutlich seltener geprüft (vergleiche Tabelle 8.1; Ehlich 2005; Redder et al. 2010). Ein Grund für die enge Auswahl an sprachlichen Dimensionen, die durch die bisherigen Sprachstandserhebungsverfahren gemessen werden, kann unter Umständen in einem Mangel an stichhaltigen Befunden der Spracherwerbsforschung gerade für Vierbis Sechsjährige gesehen werden (siehe Geist 2013: 11f für einen kurzen Überblick). Ein weiterer Grund für die eingeschränkte Auswahl an Basisqualifikationen könnte aber auch in der Umsetzung beziehungsweise in der Natur der Erhebung liegen, denn die Abfrage bestimmter sprachlicher Strukturen, wie sie die morpho-syntaktische Basisqualifikation beschreibt, bringt klare Vorteile bei der Testerstellung mit sich: Die Items sind eindeutig bestimmbar und aufgrund einer richtig / falsch-Erwartung auch gut bewertbar. Gestellt werden Fragen nach solchen Strukturen oft mithilfe von Bildstimuli. Ein Beispiel aus LiSe-DaZ, entnommen aus dem Modul Sprachverstehen, illustriert das für viele Verfahren typische Vorgehen (vergleiche Schulz & Tracy 2011: 52f): Die Erzieherin betrachtet zusammen mit dem Kind ein Bilderbuch und stellt Fragen zu den einzelnen Bildern. Bei einer der Aufgaben finden die beiden Protagonisten, Lise und Ibo, einen kleinen Hund in einer Mülltonne. Der Testleiter oder die Testleiterin erzählt, dass die beiden den Hund retten wollen, damit sie ihn zum Spielen mitnehmen können und fragt dann das Kind Wen finden Lise und Ibo in der Mülltonne? - - Ein Hund, antwortet das fünfjährige Kind mit Migrationshintergrund (vergleiche Schulz & Tracy 2011: 182). Seine Antwort kann Aufschluss darüber geben, ob das Kind bereits ein zielsprachliches Verständnis für W-Fragen erworben oder noch Probleme <?page no="328"?> 329 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern mit der Zuordnung des W-Fragepronomens zum korrekten Satzteil hat. Im Protokollbogen wird die Reaktion entsprechend auf einer vierstufigen Skala als Richtiger Satzteil (zum Beispiel ein Hund), Anderer Satzteil (zum Beispiel Ibo), Ja-/ Nein-Antwort oder als Andere Antwort (zum Beispiel gleich spielen sie) bewertet. W-Fragen-- so die Autorinnen-- sind für den kommunikativen Erfolg der Kinder ausschlaggebend (vergleiche Schulz & Tracy 2011: 38). Aber: in der beschriebenen Testsituation wird der Hund von dem Testleiter oder der Testleiterin bereits zu Beginn des Tests vorgestellt. Später fragt sie mithilfe der W-Frage nach dem Hund, als ob es sich um eine neue, der Fragenden noch unbekannte Information handeln würde. Der oben genannte Vorteil einer präzisen Messbarkeit wird also oft durch die Nachteile einer unnatürlichen Kommunikationssituation konterkariert. Eine echte Kommunikationssituation, die das Kind zum authentischen Sprachhandeln ermuntert, bei der es also einen echten Redeanlass gibt, wird auf diese Weise nicht generiert. So bleibt offen, ob diese Art der Befragung mit Bildstimuli nach Aspekten der morpho-syntaktischen Basisqualifikation tatsächlich Aufschluss darüber geben kann, wie erfolgreich die Kinder in tatsächlicher Kommunikation sind. In anderen Verfahren erfolgt eine Erhebung spezifischer sprachlicher Strukturen häufig über ähnliche Mechanismen. Die Kinder sollen Fragen eines Testleiters oder einer Testleiterin zu Bildern oder Bildsequenzen beantworten und dabei beispielsweise Objekte auf Bildern lokalisieren (Deutsch für den Schulstart: Verwendung von Präpositionen), Bildergeschichten nacherzählen (zum Beispiel Deutsch für den Schulstart: Erzählfähigkeit, Havas 5, LiSe-DaZ, MAIN vergleiche Abbildung 8.7) oder abgebildete Gegenstände und Sachverhalte benennen ( CITO 3: passiver Wortschatz). Ziel der Testaufgaben ist es, bestimmte sprachliche Teilkompetenzen der Kinder zu erfassen. <?page no="329"?> 330 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Abbildung 8.7: Die Bildergeschichte Baby Goats aus MAIN (Gagarina, Klop, Kunnari, Tantele, Välimaa, Balčiūnienė , Bohnacker & Walters 2012: 39) Bei dieser Art der Erhebung entsteht jedoch zwangsläufig eine unnatürliche Gesprächssituation. Das Kind findet sich in einer ungewohnten (Test-)Lage wieder, in der es ausschließlich auf Fragen des Testleiters oder der Testleiterin reagieren muss (etwa bei der Bildergeschichte in Abbildung 8.7: Erzähle mir die Geschichte). Eine wechselseitige Kommunikation, in der sich zwei Sprecher beziehungsweise Sprecherinnen gegenüberstehen, ins Gespräch kommen und gemeinsam eine kommunikative Aufgabe lösen, ist damit nicht hergestellt. Ein echtes Gespräch in vertrauten Kontexten wäre aber wichtig, um eine gewisse Alltagsnähe zu gewährleisten und dem Kind die Möglichkeit zu geben, auf sein erworbenes Wissen zum Sprachhandeln in bestimmten Situationen zurückzugreifen. Dass vertraute Kontexte das kindliche Verhalten nicht unerheblich beeinflussen, drückt sich unter Anderem in der in Havas 5 thematisierten Sprachnot aus und auch in der Tatsache, dass bei der Pilotierung von VER - ES 11 % der Kita-Kinder und 35 % der Nicht-Kita-Kinder in der Testsituation ängstlich waren. Trotzdem können nur wenige der von der Mercator-Studie untersuchten Verfahren eine Alltagsnähe der Testsituation vorweisen (vergleiche Neugebauer & Becker-Mrotzeck 2013: 17-18). Dass die Notwendigkeit zur Alltagsnähe eingesehen wird, zeigt sich darin, dass die Aufgaben in einigen Verfahren mehr oder minder kindgerecht in spielerischen Umgebungen (Delfin 4, Mirola durch den Zauberwald) oder teilweise durch Handpuppen (LiSe-DaZ) ein- <?page no="330"?> 331 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern geführt werden. Diese Verfahren vermögen es allerdings nicht, echte Kommunikationsanlässe zu schaffen, in denen Sprache zum Ausgleich von Wissensbeständen genutzt wird. Das heißt, dass möglicherweise die kindliche Fähigkeit, mit Sprache in alltäglichen kommunikativen Situationen umzugehen, gar nicht gemessen wird. Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht DO - BINE . Dieses Verfahren hat zum Ziel, die Entwicklung von interaktiven und narrativen Kompetenzen bei Vorschulkindern zu erfassen, ausgehend von einer quasi-authentischen Erzählsituation, in der die Kinder ein von dem Testleiter oder der Testleiterin inszeniertes Ereignis wiedergeben. Allerdings misst dieses Verfahren aufgrund seines Designs (Erlebniserzählung) nur die diskursive Basisqualifikation. Auch das Beobachtungsverfahren Sismik, das das Sprachhandeln in alltäglichen, aber auch initiierten oder vorstrukturierten Handlungssituationen über einen längeren Zeitraum erfasst und Daten aus mehreren Quellen (Erzieher und Erzieherinnen, Eltern etc.) einbezieht, bildet eine Ausnahme unter den oben dargestellten Verfahren. Allerdings wird bei Sismik der Schwerpunkt der Analyse auf die Sprachlernmotivation und nicht die Beschreibung der sprachlichen Fähigkeiten der Kinder gelegt. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Mehrheit der vorliegenden Verfahren Daten in einer institutionell geprägten, instruktionistischen Prüfer-Prüfling-Situation erheben, in der ein Erwachsener dem Kind in einem meist dekontextualisierten Setting Materialien vorlegt und Fragen stellt, daneben dessen Reaktionen erfasst und auswertet. Die Ansprüche, aber auch die Freiheiten eines funktional ausgerichteten Sprachhandelns, werden in den Designs zur Testung und zur Auswertung nicht berücksichtigt. Hier ein Überblick über die abgeprüften Basisqualifikationen der im Text erwähnten Verfahren. Verfahrensart Phonische BQ Pragmat. BQ I Semant. BQ Morph.synt. BQ Diskursive BQ Pragmat. BQ II Literale BQ I+ II Pro Rez Pro Rez Pro Rez Pro Rez Pro Rez Pro Rez Pro Rez CITO T x x x x Delfin 4 T x x x x x x DOBINE x x Fit in Dt. T, I x x x x x x x x HASE T x x x x x HAVAS -5 T, B x x x x x x x x x x x x H-S-E-T T x x x x x x KISTE T x x x x x LiSe-DaZ T x x SISMIK B, I x x x x x x x x x x x x VER - ES T x x x x x x x x x Legende: B = Beobachtung, T = Testung, I = Interview., Pro = produktiv, Rez = rezeptiv Tabelle 8.1: Überblick der abgeprüften Basisqualifikationen der im Text erwähnten Verfahren (basierend auf Ehlich 2005; Redder et al. 2010; ergänzt durch eigene Recherchen) <?page no="331"?> 332 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Theoriefundierung Ein weiterer Kritikpunkt an bestehenden Verfahren ist, dass wichtige Erkenntnisse der jüngeren, gebrauchsbasierten Spracherwerbsforschung oft unberücksichtigt bleiben (vergleiche Neugebauer & Becker-Mrotzek 2013). Eine Grundannahme der gebrauchsbasierten Linguistik ist, dass Sprache aus der Interaktion entsteht, zum Ziel der Kommunikation eingesetzt wird und sich zudem graduell entwickelt: Was das Kind in einem Kontext beherrscht, kann es nicht zwangsläufig auf andere Fälle anwenden oder generalisieren (vergleiche zum Beispiel Behrens 2009; Tomasello 2003; siehe auch Kapitel 2 im Band »Sprachen lehren«). Daraus folgt, dass man aus der Reaktion auf wenige, zudem aus dem Kontext gerissene Sprachaufgaben nicht auf die sprachliche und kommunikative Kompetenz eines Kindes schließen kann, wenn die Auswertung ausschließlich auf (grammatische) Korrektheit, nicht aber auf kontextuelle Angemessenheit abzielt. Hinzu kommt, dass es allgemein an einer deskriptiven Basis der sprachlichen Kompetenzen für die Gruppe der Vierbis Sechsjährigen fehlt. So existieren eher wenige Studien, die auf einer Untersuchung von Korpora beruhen, zu dieser Altersgruppe (vergleiche Ehlich 2005: 40 sowie 7-75 für einen Überblick). Ein Blick auf die CHILDES -Datenbank zum Sprachenerwerb des Deutschen (vergleiche MacWhinney 2000) zeigt beispielsweise, dass sich von den aktuell 13 veröffentlichten Korpora insgesamt 12 auf Kinder unter drei Jahren beziehen. Diese aufgezeigte Wissenslücke wurde aber bereits erkannt und mittels wichtiger Grundlagenforschung bei Kindern im Vorschulalter zu schließen versucht (vergleiche dazu auch Abschnitt 8.2.4). So untersucht zum Beispiel das MILA -Projekt (vergleiche unter anderem Grimm & Schulz 2012) den ungestörten und gestörten Zweitsprachenerwerb des Deutschen und zielt auf die Identifikation von Anzeichen einer Sprachentwicklungsstörung bei 120 Kindern mit Deutsch als Zweit- und Muttersprache ab. Für die Entwicklung eines theoretisch fundierten Sprachstandserhebungsverfahrens sind derartige Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung (siehe hierzu den Band »Sprachenlernen und Kognition«) ebenso wie die ausführliche Analyse altersentsprechender Korpora unabdingbar. 8.2.3 Kriterien handlungsorientierter Verfahren Aus den Ergebnissen der Mercator-Studie (Neugebauer & Becker-Mrotzeck 2013) und der Kritik zur Erhebungsmethodik bisheriger Sprachstandserhebungsinstrumente ergeben sich folgende Desiderate für die Entwicklung eines neuen Verfahrens: Rückschlüsse auf die kindliche Sprachkompetenz sollten nicht auf der Grundlage isoliert gemessener, strukturell linguistischer Merkmale gezogen werden. Vielmehr sollte eine Einschätzung nach funktionalen- - semantisch-konzeptuellen, pragmatischen und diskursorientierten-- Kriterien erfolgen (vergleiche Redder et al. 2010). Ein solches Testkonstrukt würde den Fokus der Beobachtung weg von einer formbezogenen beziehungsweise formalen Beurteilung hin zu einer sozialorientierten Beurteilung lenken (vergleiche Reich 2005). Dieser Schritt kann dann gelingen, wenn ein Erhebungsverfahren (a) Sprache im Kontext echter Kommunikation elizitiert und (b) die Leistung der Kinder zu den Leistungen anderer (mehrsprachig aufwachsender) Kinder in Beziehung setzt. <?page no="332"?> 333 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern Um (a) gesprochene Kindersprache im Kontext echter Kommunikation zu erheben, muss man echte Kommunikationsanlässe schaffen. Eine Möglichkeit, eine Prüfer-Prüfling-Situation zu vermeiden, besteht darin, das Erhebungsverfahren als interaktive App zu gestalten, die das Kind allein, das heißt ohne Pseudo-Sprechanlässe eines Tests, spielen kann. Das Kind kann in einem Serious Game (vergleiche auch Kapitel 7 im Band »Sprachen lehren«) zum Beispiel als Experte dazu beitragen, dass ein Spielziel erreicht wird, indem es zusammen mit Spielfiguren Aufgaben löst. Als Mittel zur Lösung dieser Aufgaben muss das Kind seine sprachlichen Potenziale einsetzen. Eine direkte Beobachtung des Kindes bleibt dabei aus. Nicht zuletzt ist das Spielen einer App auf einem Tablet bei Kindern sehr beliebt. Die technischen Möglichkeiten eines Tablets können zudem gewinnbringend für die Aufzeichnung und Analyse gesprochener Sprache eingesetzt werden und sie erlauben die für Erhebungsverfahren nötige Standardisierung des Verfahrens. Um (b) die Testergebnisse der Kinder mit denen anderer Kinder ins Verhältnis setzen zu können, bedarf es einer ausführlichen Analyse ihrer gesprochenen Sprache. Nur so kann festgestellt werden, wie Kinder einer bestimmten Altersgruppe Sprache tatsächlich benutzen. Hierbei sollte insbesondere von der Schriftsprache und dem Erwachsenen als Norm Abstand genommen werden. Für die Entwicklung eines neuen Erhebungsverfahrens sind umfassende Korpusanalysen notwendig, die unter Einbezug vorliegender Ergebnisse der Grundlagenforschung die Basis für die Aufgabengestaltung bilden sollten. Im folgenden Abschnitt wird insbesondere auf Konsequenz (b) und die damit einhergehenden Schritte bei der Anaylse von Kindersprachkorpora als Grundlage für die Ermittlung der tatsächlichen Kompetenz von Kindern im Alter zwischen vier und sechs Jahren eingegangen. Der Frage, wie sich authentische Daten in einer echten Kommunikationssituation systematisch mit einer App erheben lassen (vergleiche Konsequenz (a)), widmen wir uns ausführlich in Lerneinheit 8.3. 8.2.4 Interaktivität Vorarbeiten beziehungsweise Grundlagen für die Aufgabengestaltung und Auswertung - Korpusanalyse Raum und Fragen Um die in Abschnitt 8.2.3 angesprochene, wenig belastbare Datengrundlage zum Sprachverhalten mono- und bilingualer Vorschulkinder auszubauen, wurden im Rahmen der Entwicklung des neuen Verfahrens in einem ersten Schritt longitudinale spontansprachliche und elizitierte narrative Daten von Kindern mit Deutsch als Muttersprache aus bestehenden Korpora sorgfältig mit Blick auf raumspezifische Elemente sowie Fragen und Antworten von Kindern und ihren Bezugspersonen analysiert. Diese Datenbasis (die Baseline 1) bildete eine wichtige Grundlage für die Ermittlung der Kompentenzen von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache sowie für die Entwicklung der Spielumgebung (vergleiche Lerneinheit 8.3). <?page no="333"?> 334 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Raum In einer Sprachstandserhebung ist die Domäne Raum aufgrund verschiedener Eigenschaften besonders geeignet: Raumerfahrung ist von Geburt an allgegenwärtig. Daher finden sich bereits in der von Kindern im Vorschulalter verwendeten Spontansprache häufig Raumausdrücke. Gleichzeitig ist die Domäne Raum konzeptuell komplex. Die Herausforderung für die Kinder besteht darin zu lernen, wie diese Komplexität versprachlicht werden kann. Viele einschlägige Studien haben zudem gezeigt, dass verschiedene Sprachen unterschiedliche Raumkonzepte in verschiedenen Kategorien versprachlichen (vergleiche zum Beispiel Slobin 199; siehe hierzu Kapitel 5 im Band »Kognitive Linguistik«). In Sprachen wie zum Beispiel dem Türkischen werden grundsätzlich die Bewegung und ihre Richtung (path, ‚Pfad’) im Verb ausgedrückt, zusätzliche Angaben der Art und Weise der Bewegung (wie deutsch hüpfen, flitzen, krabbeln) können optional in infiniten Verbformen genannt werden. Solche Sprachen werden verb-framed languages oder V-Sprachen genannt. Dazu gehören zum Beispiel auch Spanisch und Hebräisch. In Sprachen wie dem Deutschen hingegen wird typischerweise die Art und Weise der Bewegung im Verb ausgedrückt, die Richtung der Bewegung in sogenannten Satelliten, wie zum Beispiel Adverbien, Verbpartikeln oder Präpositionen. Solche Sprachen werden satellite-framed languages oder S-Sprachen genannt (vergleiche Talmy 2000). Andere S-Sprachen sind zum Beispiel Englisch und Dänisch. Laut Slobin (199, 2004) führen diese sprachlichen Unterschiede zu bestimmten Aufmerksamkeitseffekten bei der Versprachlichung von Bewegungsereignissen. Nur die Elemente der Dimension Raum geraten in den Fokus der Aufmerksamkeit, die in der Muttersprache auch versprachlicht werden können (thinking for speaking). Unterschiede in einer solchen erlernten selektiven Aufmerksamkeit für bestimmte Raumdimensionen lassen sich dann in der Produktion in der Zweitsprache unter Umständen als Abweichungen von der zielsprachlichen Norm bei Kindern beobachten (vergleiche zum Beispiel Engemann, Harr & Hickmann 2012; Ochsenbauer & Hickmann 2010; Bryant 2012). Solche früh erworbenen sprachspezifischen Unterschiede führen also dazu, dass Kinder mit Deutsch als Zweitsprache sich auch nach längerer Kontaktdauer von Kindern mit Deutsch als Muttersprache unterscheiden (vergleiche Bryant 2012). Diese Tatsache möchte sich das neue Verfahren zu Nutze machen. Korpusanalyse: Allgemeines Vorgehen Um zu ermitteln, in welchem Alter bestimmte Konstruktionen in der Spontansprache monolingual aufwachsender Kinder zu erwarten sind beziehungsweise in welcher Reihenfolge verschiedene Konstruktionen erworben werden (Baseline 1), bietet es sich zunächst an, die zur Verfügung stehenden Datensammlungen aus longitudinalen Fallstudien auszuwerten. Davon sind in den vergangenen Jahrzehnten viele entstanden und zum Teil interessierten Forschern online zugänglich gemacht worden. Von besonderer Bedeutung ist die CHILDES -Plattform (online unter http: / / childes.talkbank.org. 28. Januar 2018), auf der unzählige Korpora zu verschiedenen Altersgruppen, Zielsprachen und Schwerpunkten zur freien Verfügung stehen und auch der Erstspracherwerb des Deutschen vertreten ist (zum Beispiel Leo aus dem Leo-Korpus [online unter http: / / childes.talkbank.org/ browser/ index.php? url=German/ Leo. <?page no="334"?> 335 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern 28. Januar 2018] und Pauline aus dem Rigol-Korpus [online unter http: / / childes.talkbank.org/ browser/ index.php? url=German/ Rigol/ Pauline. 28. Januar 2018]). Experiment Betrachten Sie das folgende Transkript von Pauline aus dem Rigol-Korpus (online unter http: / / childes.talkbank.org/ browser/ index.php? url=German/ Rigol/ Pauline/ 041006.cha. 23. Januar 2018) und versuchen Sie, (a) den Kontext der Aufnahme zu rekonstruieren und (b) zu analysieren, mit welchen linguistischen Kategorien sich die Äußerungen von Pauline am besten beschreiben lassen. Abbildung 8.8: Transkript Pauline (Rigol-Korpus 1996) Die Transkripte im Hinblick auf deren Versprachlichung räumlicher Relationen auszuwerten, bedeutet zunächst, alle Redesituationen beziehungsweise Kontexte ausfindig zu machen, in <?page no="335"?> 336 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung denen die Kinder mehr oder weniger erfolgreich ausdrücken, wo sich ein Gegenstand oder eine Person befindet, wie eine Person oder ein Gegenstand an einen Ort gelangt, im Raum bewegt wird etc.-- oder in denen dies den Kindern eben entweder überhaupt nicht gelingt oder sie Konstruktionen bilden, in denen Wörter der Zielsprache deutlich anders verwendet oder kombiniert werden als in der Zielsprache. Weil gerade die Momente des Scheiterns oder lernersprachliche Konstruktionen mit unerwarteten, nicht zielsprachlich verwendeten Elementen dem Spracherwerbsforscher beziehungsweise der Spracherwerbsforscherin wichtige Einblicke in den Kompetenzaufbau der von ihm oder ihr untersuchten kindlichen Lerner bieten, genügt es auch nicht, systematisch per Suchbefehl nach allen Vorkommen bekannter Positions- oder Positionierungsverben, lokaler Adverbien oder Präpositionen etc. zu suchen, auch wenn dieses Vorgehen nützlich ist und in kürzester Zeit wichtige Ergebnisse bringt (wann zum Beispiel ein bestimmtes Bewegungsverb zum ersten Mal auftritt, in welchem Kontext, in Kombination mit welchen Relata etc.). So muss der Sprecher oder die Sprecherin bei der Versprachlichung räumlicher Information auswählen, welches das zu beschreibende Objekt, das sogenannte Thema, und welches das Relatum des Themas, das Referenzobjekt, sein soll (vergleiche von Stutterheim 1997: 153). Im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse, wie sie der Baseline des vorliegenden Projekts zugrunde liegt, und die nicht aus der automatischen Auswertung eines vorher umfassend annotierten Datensets besteht, muss der Forscher oder die Forscherin jedoch bei jedem Beleg prüfen, ob die entsprechende Kinderäußerung als Beleg für ein produktives Konstruktionsmuster gelten kann oder als reine Wiederholung einer vorher gehörten Äußerung des Gegenübers oder einer eigenen Äußerung ignoriert werden sollte. Schließlich sollen auch bei einer qualitativen Analyse Tendenzen ermittelt (und gegebenenfalls in darauffolgenden quantitativen Auswertungen umfangreicherer Korpora aus Querschnittsstudien geprüft) werden, und solche Tendenzen würden durch mitgezählte Wiederholungen verfälscht. Ebenfalls einzuklammern sind Äußerungen sogenannter Chunks, holistisch auswendig gelernter Wortkombinationen, die von den Kindern vermutlich nicht analysiert wurden und zum Teil auch im Zielsystem als eine lexikalische Einheit gelten (siehe Kapitel 2 im Band »Sprachen lehren« und Kapitel 3 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). So zum Beispiel die folgenden Belege aus dem CHILDES -Korpus von Pauline. Die Äußerung ins Bett gehen kann nicht als ein Beleg für die Kompetenz betrachtet werden, das Bewegungsverb gehen mit einer Präpositionalphrase im Akkusativ zu kombinieren. Bei der Phrase darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht kann mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Chunk ausgegangen werden. Pauline (4; 10.6) MUT : un(d) Pauline, was würdest du sagen, wenn du machen könntest, was du wolltest? CHI : dann ins Bett gehen. MUT : bitte, kannst du. CHI : -wenn ich nix vorhätte. CHI : -aber ich hab ja Gummi+Bärchen+Essen vor. RIG : -ach_so, das ka(nn) mer [man] nicht im Bett, nein? <?page no="336"?> 337 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern CHI : -hmhm. Pauline (2; 11.4) ROB : welche Federn von der aller Welt findest du am schönsten? CHI : darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht. Im Gegensatz dazu kann man aus der ungewöhnlichen Kombination von schießen und Matratze und aus der Aneinanderreihung der Versprachlichung verschiedener, gleichsam simultan beobachteter Bewegungsereignisse in den folgenden Beispielen plausibel auf produktive Bildungen schließen: Leo (4; 9.11) CHI : ich schieße auch vielleicht. MUT : ach so. CHI : -mit der Matratze. Pauline (4; 10.6) CHI : -gu(ck) ma(l), der rennt, fällt da rein, klettert wieder hoch, rennt da rein, klettert wieder hoch. Ergebnisse der Korpusanalyse: Erstellung der Baseline 1: Raum Für die Baseline 1 wurden Daten aus den CHILDES -Korpora (MacWhinney 2000) von monolingual deutschsprachigen Vorschulkindern analysiert, und zwar für die Domäne Raum in zwei unterschiedlichen Kontexten: Erstens in der Spontansprache von drei Kindern im Alter von 2;  bis 2; 11 und von 4; 00 bis 4; 11 Jahren (n= Raum-Äußerungen, Leo-Korpus, Behrens 200 und Rigol-Korpus), und zweitens in Erzählungen einer Bildergeschichte durch 48 Probandinnen im Alter von drei, fünf, neun und zwanzig Jahren (n= Raum-Äußerungen, Frog Story-Korpus, Bamberg 1994). Schauen wir uns nun an, welche Erkenntnisse zu Kindern mit Deutsch als Muttersprache im Vorschulalter gewonnen werden konnten. Mit zunehmendem Alter wurde vor allem eine Abnahme reiner Lokalisierungen (zum Beispiel Die Schere ist auf dem Tisch) und eine Zunahme komplexerer Bewegungsereignisse (intransitiv: Er klettert auf den Baum; transitiv: Leg den Stein auf den Laster) beobachtet. Typisch für jüngere Kinder (belegt in bis zu 40 % der Äußerungen von Dreijährigen) sind rein deiktische Orts- und Pfadbeschreibungen (hier, da; häufig mit Kopula: da ist X oder hochfrequentem Bewegungsverb: da kommt X). Deren Anteil nimmt erst gegen Ende der Kindergartenzeit zugunsten von komplexeren Elementen (zum Beispiel Präpositionalphrasen: hinter das Haus) ab. Auch die Anzahl und Vielfalt der räumlichen Elemente (zum Beispiel Bewegungsverben, Präpositionen, Partikeln etc.) nimmt mit dem Alter zu. Hier wurde eine Inventarliste mit sämtlichen spontan von Kindern gebrauchten Ausdrücken erstellt, die bei der Entwicklung des Verfahrens die Bewertung der Altersangemessenheit der zu prüfenden Elemente unterstützen soll. Vor allem aber kombinieren jüngere Kinder seltener als ältere Kinder oder erwachsene Sprecher und Sprecherinnen mehrere komplexe Konstituenten für mehrere konzeptuelle Bausteine (hier: Thema, Verb, Relatum) innerhalb einer global komplexen Äußerung miteinander (vergleiche Madlener, Skoruppa & Behrens 2017). Mit anderen Worten, Sätze wie <?page no="337"?> 338 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Der kleine Frosch klettert aus dem Glas (mit komplexer Thema-Nominalphrase, Bewegungsverb und Präpositionalphrase mit Relatum), wie sie in manchen traditionellen Tests bei Bildbeschreibungen erwartet werden, sind in spontansprachlichen und elizitierten Äußerungen von Vorschulkindern selten. Jüngere Kinder scheinen komplexere Äußerungen-- zum Teil auf Nachfrage-- gegebenenfalls über mehrere Äußerungen hinweg aufzubauen (zum Beispiel Da ein Hirsch. Und der jagt den Hund.). Aufgrund dieser Ergebnisse scheint es sinnvoll, in einem Erhebungsverfahren nicht auf alle konzeptuellen Bausteine auf einmal abzuzielen und den Kindern gegebenenfalls mehrere Möglichkeiten zur (Re-)Formulierung und Elaboration ihrer Produktionen zu geben. Fragen und Antworten Um eine Grundlage für den Entwurf eines möglichst realistischen Dialogs im Erhebungsverfahren zu schaffen, wurden zudem Frage- und Antwortsequenzen in der Spontansprache von vier Kindern im Alter von 4; 00-4; 11 Jahren (Leo-Korpus, vergleiche Behrens 200, und Sebastian, Pauline und Cosima im Rigol-Korpus siehe oben) im Dialog mit erwachsenen Bezugspersonen analysiert (Behrens, Madlener & Skoruppa 201). Die Erwachsenenfragen (n=) stellten sich bei dieser Analyse als grammatisch und pragmatisch wenig komplex und stark vorhersagbar heraus. Die typischen in traditionellen Tests vorkommenden W- Fragen, mit denen auf neue Informationen abgezielt wird (zum Beispiel Wo ist die Kinderschere? ), waren relativ selten. Stattdessen fanden sich einige Bestätigungsfragen zur Absicherung bereits erwähnter Information (Das war gestern, gell? ) sowie unspezifische Prompts zur Sprechaufforderung (Hm? ). Weiterhin fiel auf, dass fast die Hälfte der Kinderantworten nicht die vom Fragenden erwünschte Information lieferten (zum Beispiel Nichtreaktion Weiß ich nicht., Gegenfrage Welche Schere denn? ) und dass Erwachsene häufig längere Nachfrageketten bildeten (zum Beispiel Wo ist die Kinderschere? -… Hm? -… Weißt du das? -…), meist bis eine befriedigende Antwort gegeben wurde. Entsprechend vermeidet das hier vorgestellte Sprachstandserhebungsverfahren auch für typisch entwickelte monolinguale Vorschulkinder schwierige Fragetypen (zum Beispiel Alternativfragen) und enthält systematische Nachfrage- und Scaffoldingoptionen (das heißt: Hilfestellungen, die den Lernprozess unterstützen und Kinder zu mehreren und längeren Äußerungen motivieren sollen, vergleiche Behrens et al. 201: 7), um den Kindern maximal natürliche Interaktionsbedingungen für die Sprachproduktion zu bieten. <?page no="338"?> 339 8.2 Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern 8.2.5 Zusammenfassung ▶ Aus der Kritik an bestehenden Verfahren ergibt sich, dass das neue Verfahren Sprache im Kontext echter Kommunikation unter Einbezug tatsächlicher Kompetenz von Kindern im Alter zwischen vier und sechs Jahren elizitieren will. ▶ Die Domäne Raum ist geeignet, weil Kinder bereits vor der Einschulung zahlreiche Raumausdrücke verwenden und sich Raumkonzepte je nach Sprache unterscheiden. ▶ Die CHILDES -Datenbank stellt Transkriptionen und Analyse-Werkzeuge für die Erforschung des Spracherwerbs von Kindern zur Verfügung. ▶ Mit dem neu erstellten umfassenden Vergleichskorpus (Baseline 1) liegt eine fundierte Grundlage für eine Analyse von Kindersprache zu Raumausdrücken vor. ▶ Zusätzlich zeigt die Baseline 1 mögliche Kinderantworten auf W-Fragen an: Die Antwort ist erfolgreich, falls das Kind den richtigen Satzteil nennt. Alternativ kamen jedoch auch andere Satzteile oder Ja-/ Nein-Antworten in den Kinderäußerungen vor. ▶ Zwischen authentischer Kindersprache und der schriftsprachlichen Norm, die in bestehenden Erhebungsverfahren oft als Bewertungsgrundlage dient (vergleiche Cornelli, Schulz & Tracy 2013: 913-914), lassen sich nun gravierende Unterschiede konkret beschreiben. 8.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Welche Folgen haben die Ergebnisse der Mercator-Studie auf das Design des neuen Verfahrens? 2. Wie unterscheiden sich verb-framed- und satellite-framed-Sprachen? 3. Bestimmen Sie die Baseline 1 des neuen Verfahrens und beschreiben Sie deren Zielsetzung. 4. Warum eignet sich die Domäne Raum für ein Sprachstandserhebungsverfahren für ein- und mehrsprachige Kinder? <?page no="339"?> 340 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung Jörg Roche, Stephanie Haberzettl, Giulio Pagonis, Moiken Jessen, Nicole Weidinger, unter Mitarbeit von Heike Behrens, Marcus Hasselhorn, Dirk Ifenthaler, Natalia Kapica, Gabriele Kecker, Wolfgang Klein, Karin Madlener, Maike Schug, Katrin Skoruppa, Elisabetta Terrasi-Haufe, Frank Thissen, Nicole Vogl In der vorangegangenen Lerneinheit (vergleiche Lerneinheit 8.2) haben wir bereits die ersten Schritte in der Entwicklung des neuen interaktiven Verfahrens kennengelernt. Dazu zählte insbesondere die sorgfältige Korpusanalyse longitudinaler spontansprachlicher sowie elizitierter narrativer Daten von Vorschulkindern mit Deutsch als Muttersprache, auf deren Grundlage die Baseline 1 der Domäne Raum erstellt wurde (vergleiche Abschnitt 8.2.4). Diese Datenbasis bildete eine wichtige Erkenntnisgrundlage für die Gestaltung der Aufgaben zur Erhebung authentischer Kindersprache mit der App. In dieser Lerneinheit wird nun die Frage geklärt, wie sich mittels eines auf einer App basierenden Testverfahrens authentische Daten systematisch elizitieren lassen. Auf den Prinzipien der Serious Games aufbauend (siehe hierzu auch Kapitel 7 im Band »Sprachen lehren«) wurde ein App-Prototyp im PowerPoint-Format entwickelt, in dem die Testitems der Domäne Raum handlungsbezogen sinnvoll in einen Plot eingebettet sind. Die Pilotierungen dieses App-Prototyps, der schließlich die Vorlage für die App bildete, führten zu wichtigen Erkenntnissen hinsichtlich des Sprachenerwerbs bei Kindern mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache in der Domäne Raum. Lernziele In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie ▶ eine Methode kennenlernen, mit der man authentische Daten systematisch mit PowerPoint und einer App erheben kann; ▶ die zentralen Merkmale von Serious Games kennenlernen; ▶ die verschiedenen Schritte und methodischen Grundlagen bei der Entwicklung von Aufgaben und Items eines interaktiven Verfahrens beschreiben können; ▶ erkennen, welche technischen Möglichkeiten und Vorteile die Anwendung eines auf einer App basierenden Testverfahrens bietet; ▶ wissen, wie man Probanden und Probandinnen für eine Studie rekrutiert und was es dabei zu beachten gilt; ▶ einen Eindruck davon bekommen, wie man an Sprachaufnahmen von Kindern kommt und wie man die gewonnenen Daten transkribiert und auswertet; ▶ Einblicke in erste Analysen und Ergebnisse der Pilotierungen des PowerPoint gestützten App- Prototyps erhalten. <?page no="340"?> 341 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung 8.3.1 Spiel und Test Wie lassen sich nun authentische Daten in einer Kommunikationssituation mit Sprechern beziehungsweise Sprecherinnen und Adressaten beziehungsweise Adressatinnen systematisch mit einer App erheben? Bei der Entwicklung der Spielumgebung muss beachtet werden, dass das Kind mit dem Adressaten oder der Adressatin im Spiel sprechen will und es seine Expertenbeziehungsweise Expertinnenrolle zum sprachlichen Handeln motiviert. Außerdem müssen die Aufgaben authentisch sein, also bekannte Diskurstypen (wie etwa Erzählungen, Beschreibungen und Instruktionen) abbilden, die das Kind schon erlebt hat und in denen es beim Sprechen auf mehr oder weniger bekannte Strategien zurückgreifen kann. Für die Gestaltung einer solchen Spielumgebung, die die Kinder zu situativ motivierter und variierter Sprachproduktion animiert, orientiert sich die Entwicklung der App an den Prinzipien der Serious Games. Serious Games Ein zentrales Merkmal der Serious Games ist, dass sie nicht allein zur Unterhaltung entwickelt werden. Stattdessen steht die Vermittlung von Wissen im Vordergrund. Die Liste existierender Serious Games ist lang. Sie reicht von Flugsimulatoren wie Microsoft Flight Simulator über Spiele, die über verschiedene Aspekte der Biologie informieren wie History of Biology, bis zu Spielen, die zur Hilfe bei Dyskalkulie eingesetzt werden wie Meistercody. Wie bei allen Spielen sind auch bei den Serious Games die Aktionen des Spielers beziehungsweise der Spielerin wichtig, um das Spielgeschehen zu bestimmen. Es hat sich während der Entwicklung des PowerPoint-Prototyps für das hier vorgestellte Verfahren bestätigt, dass ein Erhebungsinstrument, das aus den Prinzipien und Erkenntnissen der Serious Games-Entwicklung Inspiration zieht, für die Erhebung authentischer Sprache sehr erfolgsversprechend ist. Dies wird durch die für Serious Games typische quasi-authentische Spielsituation erreicht, in der die Sprachhandlungen der Kinder Handlungskonsequenzen für den weiteren Verlauf des Spiels haben. Für das neue Verfahren heißt das konkret, dass die Sprachhandlungen der Kinder in der Interaktion mit dem Protagonisten der Rahmenhandlung, der (sprachlich) (re-)agieren kann, entscheiden, wie das Spiel weitergeht. Das erzeugt kleine Erfolgserlebnisse und motiviert zum Weiterspielen (vergleiche Loh, Sheng & Ifenthaler 2015; Roche, Reher & Šimić 2012). Die Geschichte / Der Plot und die Testitems Ziel des interaktiven Verfahrens war es, die Aufgaben handlungsbezogen sinnvoll in Form von Testitems in eine Rahmenhandlung einzubetten, die einer Realsituation nachempfunden ist. Das Kind interagiert mit der Spielfigur der Geschichte. Die Interaktion ist Mittel zum Erreichen des Spielziels. Die vom Kind auszuführenden Sprachhandlungen im Rahmen der Domäne Raum bilden diskursiv-pragmatische Kategorien (Deskription, Instruktion, Narration) sowie semantisch-konzeptuelle Kategorien (Bewegungsart des Themas, Orientierung in der Lokalisierung und Positionierung, Relation Thema / Relatum) ab (siehe Tabelle 8.2 für einen Überblick). Insgesamt wurden fünf Bewegungsverben sowie fünf Lokalisierungs- und Positionierungsverben in das Verfahren integriert. Dabei wurde darauf geachtet, dass jedes Verb in mindestens zwei Kontexten (vergleiche n=Token) mit zwei unterschiedlichen <?page no="341"?> 342 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Präpositionen beziehungsweise Partikeln abgeprüft wird. Zudem prüft das Sprachstandsermittlungsverfahren die Verwendung von insgesamt sechs Präpositionen beziehungsweise Partikeln ab, die (a) jeweils in mindesten drei Kontexten und (b) mit mindestens einem Bewegungsverb und einem Lokalisierungs- oder Positionierungsverb (die Ausnahme bildet hierbei durch) vorkommen. Bewegung (n) Lokalisierung (n) Positionierung (n) Relation Thema / Relatum (n) Diskurstyp (n) klettern (2) stehen (3) stellen (2) in (6) Deskription (5) hüpfen / springen (4) liegen (2) legen (3) auf (6) Instruktion (10) rutschen (2) stecken (2) durch (4) Narration (10) fallen (3) hinter (4) krabbeln (2) runter / unter (4) über (4) Tabelle 8.2: Iteminventar (n= Anzahl der Tokens) Des Weiteren wurden die folgenden beiden Aspekte in das Erhebungsinstrument eingearbeitet: Die Kanonizität beziehungsweise Gebräuchlichkeit wurde bei fünf Items variiert, um deren Einfluss auf die Versprachlichung räumlicher Information zu untersuchen. So wurden drei Items eingebaut, bei denen ein ungewöhnliches Relatum vorliegt (durch den gelben Stern rutschen, durch den Feuerring fallen, unter den Drachen stellen). Zudem lag bei zwei Items eine ungewöhnliche Semantik von Verb und Präposition vor (Ring auf den Drachenschwanz stecken, durch das Gras hüpfen). Auf diese Weise kann überprüft werden, ob die Kinder etwa bestimmte Verben und Präpositionen produktiv einsetzen können (vergleiche zum Beispiel Ring auf den Finger stecken versus auf den Drachenschwanz stecken; vergleiche dazu auch die Beschreibung zu Chunks in Abschnitt 8.2.4 in diesem Band sowie in Kapitel 2 im Band »Sprachen lehren« und Kapitel 3 im Band »Sprachenlernen und Kognition«). Die Ergebnisse der Baseline 1 zeigen, dass Kinder erst mit zunehmendem Alter Konstruktionen mit komplexen Konstituenten wie Nominalphrasen, Bewegungsverben sowie Präpositionalphrasen mit Relatum bilden und kombinieren (vergleiche Abschnitt 8.2.4). Diese Erkenntnis floss durch eine Steigerung der Komplexität bei sieben Items in das Verfahren mit ein. Bei fünf Items wurde dies durch die Veränderung der Variable Relatum erzielt (zum Beispiel in den großen Korb legen/ Kontext: daneben steht ein kleiner Korb, in den roten Sand stecken/ Kontext: daneben steht eine gelbe Sandkiste, hinter den blauen Topf legen/ Kontext: daneben steht ein schwarzer Topf). Nicht zuletzt enthält das Verfahren drei komplexe Richtungsbeziehungsweise Pfadangaben (etwa durch den gelben Stern in das Bällebad rutschen, durch den Feuerring ins Wasser fallen). Bei der Aufgabenentwicklung wurde in dem Projekt außerdem darauf geachtet, dass die zu benennenden Figuren und Relata für die Kinder nicht zu komplex (etwa in Bezug auf Wortfrequenz) sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit als den Kindern bekannt vorausgesetzt werden können. Dabei orientiert sich das Entwicklungsteam an dem Grundwortschatz von <?page no="342"?> Oomen (1980), der weiterhin aktuell ist (Oomen-Welke 2015). Wortreiche Umschreibungen und Sprechunflüssigkeiten bei unbekannten Wörtern sollen so minimiert werden. Um eine Spielumgebung zu konzipieren, zu pilotieren und zu optimieren, wurde ein Plot mit insgesamt 25 Testitems für die Domäne Raum (vergleiche Tabelle 8.2) entwickelt und als Prototyp im PowerPoint-Format mit integrierten Animationen realisiert (vergleiche Abbildung 8.10). Dieser App-Prototyp bildete schließlich die Vorlage für die App. PowerPoint stellt dabei ein günstiges Instrument für die Gestaltung der Spielszenen dar, das außerdem leicht erlernbar ist. Allerdings sind die Möglichkeiten zur Animation und die Integration von Ton in Form gesprochener Sprache bei PowerPoint begrenzt. Für die Rahmenhandlung des Spiels wurden in der Prototyp-Version in Absprache mit den Rechteinhabern Figuren aus dem Kinderfilm Room on the Broom (Lang & Lachauer 2012) oder deutsch Für Hund und Katz ist auch noch Platz entlehnt und einige Filmsequenzen übernommen. Für die App wurden jedoch eigene Charaktere entwickelt und eingesetzt. Einen Eindruck von der Spielumgebung der Kinder-App mit dem Hauptprotagonisten Wuschel, mit dem das Kind im Spiel interagiert, und seiner Freundin, Hexe Rita, vermittelt Abbildung 8.9. Abbildung 8.9: Spielumgebung der Kinder-App Die so entstandene Geschichte handelt von einer schusseligen Hexe, die permanent Dinge verliert. Ihr treuer Freund, der unbeholfene Hund (die Spielfigur), möchte ihr bei der Suche nach den Gegenständen helfen und findet im Kind einen Komplizen. Eine Bedrohung für die beiden Freunde stellen der gefährliche Drache im Wald sowie der wilde Willi, ein frecher Schelm, der ständig die Taten des Hundes sabotiert, dar. Die Spielfigur wendet sich im Spiel stets an das Kind und bittet es um Hilfe beim Auffinden verschiedener Gegenstände (zum Beispiel Hut und Zauberstab) und bei der Befreiung der Hexe mithilfe eines Zaubertranks, die in die Fänge des gefährlichen Drachens geraten ist. Die Reaktionen des Kindes dirigieren hierbei den Hund. Beim Lösen der Aufgaben orientiert sich die Spielfigur oft an der falschen Ecke oder bekommt nicht mit, wie der Gegenstand vom Wind weitergetragen oder vom Schelm geklaut wird. Das Kind beobachtet diese Vorfälle von außen und erhält so dem Hund gegenüber einen Wissensvorsprung. Um dem Hund zu helfen, muss es mit ihm sprechen: ihm erzählen, was passiert ist, ihn instruieren, wie er den Weg zum verloren gegangenen Gegen- 343 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung <?page no="343"?> 344 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung stand finden kann und ihm beschreiben, wo sich die verschiedenen Zauberzutaten für den Zaubertrank befinden. Die bisher getesteten Kinder reagieren ausgesprochen positiv auf die ihnen zugedachte Rolle und interagieren auf natürliche Weise mit dem unbeholfenen Protagonisten im Spiel. Durch diesen Plot lassen sich realistische, herausfordernde und motivierende Redeanlässe schaffen, die die Kinder als kompetente Experten und Expertinnen zur Interaktion herausfordern und damit authentische Sprache produzieren lassen. Abbildung 8.10: Bildbeispiele der spielerischen Erhebungsumgebung aus dem App-Prototyp im PowerPoint- Format Wie in verschiedenen Piloterhebungen des PowerPoint gestützten Prototyps mit insgesamt 33 Kindern mit Deutsch als Muttersprache und 33 Kindern mit Deutsch als Zweitsprache beobachtet werden konnte, bieten die dynamischen Suchbilder anregende Stimuli, die reiche und interessante Daten zur Domäne Raum (vergleiche Abschnitt 8.2.4) hervorbringen. Die Kinder spielen begeistert, sprechen dabei den Hund direkt an und sind sehr bemüht, ihrem tierischen Freund im Spiel zu helfen. Abbildung 8.10 zeigt eine Szene, in der der Hund mit dem Kind den verloren gegangenen Hut zurückholen soll. Dazu muss das Kind dem Hund helfen und ihm sagen, wie er zum Hut kommt; er denkt nämlich, er müsse durch den kalten See schwimmen, um zum Gegenstand zu gelangen. Dabei übersieht er die Möglichkeit, über die Steine zu springen. Das folgende Beispiel (siehe Tabelle 8.3) zeigt eine Interaktion zwischen Kind und Testleiterin zu dieser Szene. Die Testleiterin spielt in dieser Pilotumgebung die Rolle des Protagonisten in der Geschichte. <?page no="344"?> Hund (Testleiterin) Kind mit Arabisch als Erstsprache (Alter: 5; 3) Prompt 1: [Hund macht ein irritiertes Gesicht] Sound: Brrr Warum hast du Angst Hund. Nachfrage 1: Wie komme ich zum Hut? Du kannst dich auch doch schwimmen oder. Oder auf den Stein springen. Oder hast du Angst. Nachfrage 2: Wie denn jetzt? Du kannst dich *a* schwimmen. Oder auf dem Stein dann springen. nach Prompt: Ah, ein Glück. [Hund hüpft über die Steine.] Super Hund du hast geschafft. Tabelle 8.3: Transkript, Kind mit Deutsch als Zweitsprache Wie dem Beispiel zu entnehmen ist, ging es bei der Aufgabengestaltung nicht nur darum, die zu elizitierenden Ziel-Items (bestimmte Bewegungsverben in Kombination mit Richtungsangaben etc.) auszuwählen und lebensnahe Kontexte zu gestalten, sondern auch zu berücksichtigen, dass Kinder in authentischen Kommunikationssituationen oft ihre Äußerungen schrittweise ausbauen (vergleiche die Ergebnisse der Baseline 1 zu Fragen und Antworten: Abschnitt 8.2.4). Daher musste ihnen auch in einem Erhebungsverfahren die Möglichkeit gegeben werden, eine Konstruktion in mehreren Turns auszubauen. Die folgenden beiden Transkripte (siehe Tabelle 8.4) veranschaulichen, dass den Kindern stets drei unterschiedliche Möglichkeiten (vergleiche Prompt 1, Nachfrage 1, Nachfrage 2) gegeben wurden, um die Zielantwort zu produzieren. Hund (Testleiterin) Kind mit Deutsch als Erstsprache (Alter: 4; 10) Prompt 1: Sound: Mmh? Der hat den Hut in einen Korb gelegt. Nachfrage 1: Da war doch schon wieder der Wug. Was hat der gemacht? Den Hut in einen Korb gelegt. Nachfrage 2: Was war da los? Den Hut in den Korb gelegt. In den großen Korb. Hund (Testleiterin) Kind mit Deutsch als Erstsprache (Alter: 4; 11) Prompt 1: Sound: Schnüffeln Auf der Bank liegt es. Nachfrage 1: Wo ist nur das Zauberbuch? Auf der Bank vor dem Haus. Nachfrage 2: Wo? Auf der Bank vor dem Haus hinter dir. Tabelle 8.4: Transkripte, Kinder mit Deutsch als Erstsprache Die Daten, die auf diese Weise interaktiv und handlungsorientiert erhoben werden, unterscheiden sich deutlich von Daten, die anhand streng standardisierter und formorientierter Aufgaben oder Nacherzählungen beziehungsweise Bildbeschreibungen erhoben werden (vergleiche Abschnitt 8.2.2. Sie spiegeln authentische zielgerichtete Kommunikation wider und liefern die Grundlage für eine Analyse echter Sprachhandlungen. 345 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung <?page no="345"?> 346 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Experiment Beschreiben Sie in den folgenden Beispielen die Veränderungen der Reaktionen auf den ersten und - kurz darauf - auf den 2. Prompt und den 3. Prompt. Was schließen Sie daraus? Welches Verhalten hätten die Kinder bei typischen W-Fragen gezeigt? Item 20: Der Wug stellt die Kerze auf den Tisch Kind mit Deutsch als Erstsprache (Alter: 6; 5) Kind mit Deutsch als Erstsprache (Alter: 4; 11) Kind mit Deutsch als Erstsprache (Alter: 6; 4) Prompt 1: Sound: Hä? <> Da ist die Kerze. Dieser Hik hat eine Kerze auf den Tisch gestellt. Nachfrage 1: Da war doch schon wieder der nervige Wug. Was hat der gemacht? Der hat nur eine Kerze auf den Tisch gestellt. Die Kerze dir hingestellt. Auf den Tisch eine Kerze gestellt. Nachfrage 2: Nanu, was hat der gemacht? Der hat nur eine Kerze <auf dem> auf den Tisch gestellt. Der hat dir die Kerze hingestellt. <Auf so> auf den kleinen Tisch hat er eine Kerze drauf gestellt. Item 20: Der Wug stellt die Kerze auf den Tisch Kind mit Russisch als Erstsprache (Alter: 6; 4) Kind mit Türkisch als Erstsprache (Alter: 5; 8) Kind mit Arabisch als Erstsprache (Alter: 6; 1) Prompt 1: Sound: Hä? Guck. Was ist hier. <Die ist in d> Die Kerze ist in den Tisch. Ich kann die Kerze sehen. Nachfrage 1: Da war doch schon wieder der nervige Wug. Was hat der gemacht? Der hat die Kerze hierher hingestellt. Die Kerze ist in den Tisch. Der hat die Kerze hingelegt. Und dann ist der wieder weggegangen. Nachfrage 2: Nanu, was hat der gemacht? Die ist rein in diese Haus gegang. Und diese Kerse hierher hingestellt. Die Kerze ist in den <Ti> Tisch. <Der **han **de> Der hat die Kerze hingelegt. Und dann ist der wieder weggegangen. <?page no="346"?> Item 1: Du musst auf den Baum klettern Kind mit Deutsch als Erstsprache (Alter: 6; 3) Kind mit Deutsch als Erstsprache (Alter: 6; 5) Kind mit Deutsch als Erstsprache (Alter: 5; 9) Prompt 1: Sound: Schnüffeln: mh? <> Auf dem Baum ist der Hut, wenn du ihn suchst. <> Nachfrage 1: Wie komme ich zum Hut? Du musst raufklettern. Klettern. Du kannst klettern. Nachfrage 2: Oje, wie nur? Ich kapier’s nicht. Ja, Da bei den Hölzern. <> Auf die Bretter klettern. Item 1: Du musst auf den Baum klettern Kind mit Türkisch als Erstsprache (Alter: 6; 7) Kind mit Arabisch als Erstsprache (Alter: 4; 7) Kind mit Arabisch als Erstsprache (Alter: 6; 1) Prompt 1: Sound: Schnüffeln: mh? Der Buk ist <im> in dem Blätter drin. Der hat sich versteckt. Der Hut ist bein Baum oben. Die ist auf dem Baum. Nachfrage 1: Wie komme ich zum Hut? <Mit> Da sind Holzstücke. Mit denen kannst du klettern. Dann oben bist du schon. Mit die Leiter. Wenn **de **Hutt kannst auch. Und **wst klettern. Nachfrage 2: Oje, wie nur? Ich kapier’s nicht. <> Du kann mit die Leiter bei deinen Füßen hochgehen. Aber ich **gans. Gehen auf den Baum **un **dahaus **is **meisch. Geh nach hinten immer **um Baum immer. Wie diese Transkriptionen eindrücklich zeigen, bauen Vorschulkinder häufig ihre Äußerung nach jedem Prompt weiter aus, bis alle nötigen Informationen übermittelt werden. Durch die beiden Nachfragen bekommen die Kinder die Möglichkeit, ihre Antwortäußerung schrittweise zu formulieren. Standardisierte W-Fragen hätten vermutlich zu Ein-Wort-Äußerungen geführt, die die Fähigkeit der Kinder zu Sprachhandlungen nicht illustrieren können. 347 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung <?page no="347"?> 348 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Steuerung der Dialoge Ein entscheidender Unterschied zwischen der Testung mit dem PowerPoint-Prototyp und der App besteht darin, dass bei der Prototyp-Testung immer eine Testleiterin anwesend war, die die Rolle des Hundes gesprochen hat. Hierbei lag den Testleiterinnen ein präzises Skript mit der Rahmenhandlung und den Prompts zu den jeweiligen Items vor. In der App wird nur der Hund mit dem Kind sprechen; die Rolle der Testleiterin besteht nach einer Einführung in den Test darin, das Spiel der Kinder aus dem Hintergrund zu steuern. Das Kind soll das Spiel auf dem Tablet (iPad) ja allein spielen, eine sprachliche Interaktion soll nur mit den Charakteren, hauptsächlich mit dem Hund, stattfinden. Um diese Herausforderung zu lösen, wurde neben der Kinder-App eine parallele Testleiter-App entwickelt. Diese Testleiter-App kann man sich als Fernsteuerung für den Spielablauf vom iPhone oder iPod aus vorstellen. Die Testleiterin tritt also nicht direkt in Erscheinung, sondern kann aus der Ferne beobachten, wie das Kind sprachlich agiert und dann den weiteren Spielverlauf steuern. Dazu steht ihr eine Auswahl an Buttons zur Verfügung, über die sie die verschiedenen Prompts und Nachfragen sowie das Vorrücken zum nächsten Item steuern kann (vergleiche Abbildung 8.11). Der Spielverlauf mit den Reaktionen der Kinder wird live aufgezeichnet. Die so gewonnenen Audiodaten werden dann von den verschiedenen Erhebungsorten zu einem zentralen Datenspeicherungsort übertragen. Dort können die Daten zentral verwaltet werden. Es ist weiterhin möglich, Audioaufnahmen mit Transkripten der einzelnen Erhebungen zu speichern und zu verknüpfen. Abbildung 8.11: User-Interface der Testleiter-App <?page no="348"?> Technische Möglichkeiten Das Verfahren sieht für das Kind eine spielbare App und für die pädagogischen Fachkräfte ein leicht zu handhabendes Erhebungsinstrument vor. Das Format der App erfüllt zum einen den Anspruch, eine für das Kind prüfungsfreie Situation herzustellen und so eventuelle Angsteffekte zu vermeiden, und zum anderen hilft es, eine für die Bildungsinstitution leicht umsetzbare Erhebungssituation zu schaffen. Dies umfasst nicht nur die Erhebung an sich, sondern auch die Auswertung. In Bezug auf die technischen Anforderungen bedeutet das: Für die Kinder muss das Spiel ansprechend und leicht spielbar sein, mit Charakteren, die ein hohes Identifikationspotenzial haben. Für die Fachkräfte muss das Erhebungsverfahren besonders in der Durchführung und Auswertung leicht und zeiteffizient zu handhaben sein, was unter Umständen durch eine teilautomatisierte Auswertung der Daten gefördert werden könnte. 8.3.2 App-Technologie und Datenanalyse Die Entwicklung des PowerPoint-Piloten für die App (vergleiche Abschnitt 8.3.1) war mit der Erstellung und Pilotierung verschiedener Versionen des Verfahrens mit Kindern mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache verbunden. Die so gewonnenen Daten wurden sorgfältig ausgewertet, um eine finale-- maximal perfektionierte Version-- zu erhalten, die schließlich als Vorlage in die App-Entwicklung ging. Schauen wir uns jetzt einmal genauer an, wie man bei einem solchen Projekt überhaupt an Daten von Kindern kommt. Hier ist ja nicht nur der Analyseansatz innovativ und ungewöhnlich, weil nicht nur Elemente an der Oberfläche, also die Grammatik und die Anzahl der Wörter gemessen werden, sondern weil die Forscher und Forscherinnen versuchen, das konzeptuelle System zu verstehen. Schwierig ist zudem die Sammlung von Daten von Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren, die man nicht mit Fragebögen, stressigen Prüfungssituationen oder sonstigen ungeeigneten Instrumenten konfrontieren darf. In dem folgenden Abschnitt werden zuerst vier Arbeitsschritte erläutert, die nacheinander durchlaufen wurden, um von der Probanden- und Probandinnenauswahl und Akquise (Schritt 1) zur Analyse erwerbstyp-spezifischer Merkmale (Kinder mit Deutsch als Erstsprache versus Kinder mit Deutsch als früher Zweitsprache, Schritt 4) im Gebrauch von Raumausdrücken zu gelangen. Probanden- und Probandinnenauswahl und Akquise Eine zeitaufwendige Aufgabe bei der Planung und Umsetzung eines Projektes zum Sprachenerwerb von Kindern besteht darin, Zugang zu diesen Lernern zu finden. Typischerweise gelingt dies am besten, wenn entweder ein privater Kontakt zum Elternhaus einzelner Kinder besteht oder wenn über eine Bildungsinstitution wie zum Beispiel die Kindertagesstätte der Kontakt für ganze Gruppen hergestellt werden kann. In diesem Projekt wurde der zweite Weg gegangen. Hierzu war es zunächst notwendig, Kontakt zum Kinder- und Jugendamt der Stadt Heidelberg als Träger der städtischen Kindertagesstätten aufzunehmen. Erst über diese Instanz konnte die Genehmigung zum Zwecke der Aufnahme von Sprachdaten mit 349 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung <?page no="349"?> 350 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung ausgewählten Leitungen von Kindertagesstätten in Verbindung erwirkt werden. In einem zweiten Schritt wurden die Eltern der Kinder über die Untersuchung informiert und um die Erlaubnis zur Aufnahme von Audiodaten für wissenschaftliche Auswertungszwecke gebeten. Des Weiteren wurde den Eltern ein Begleitfragebogen zur Erfassung biographischer Daten ausgehändigt. Dieser speziell auf die Projektziele abgestimmte Fragebogen liegt in den Sprachen Deutsch, Russisch, Türkisch sowie Arabisch vor und wurde im Rahmen der Pilotierung des PowerPoint-Piloten miterprobt. Die Eltern wurden zu folgenden Aspekten befragt: (1) allgemeine Informationen zum Kind (zum Beispiel Geburtsdatum & -land, voraussichtlicher Einschulungstermin); (2) Entwicklung des Kindes (zum Beispiel Sprachentwicklung, Teilnahme an Sprachentwicklungsfördermaßnahmen); (3) Welche Sprachen mit dem Kind gesprochen werden (zum Beispiel durch Eltern, Großeltern, Geschwister); (4) Welche sprachlichen Themen in welcher Sprache wie häufig mit dem Kind behandelt werden (zum Beispiel Fernsehen, Hörspiele, Geschichten erzählen); (5) Informationen zu beiden Elternteilen (zum Beispiel Bildungs- und Sprachenhintergrund). Diese zusätzlich erhobenen Daten zum Hintergrund der Kinder stellen im späteren Verlauf des Projektes Variablen dar, deren Einfluss auf die Versprachlichung räumlicher Information überprüft werden soll. Ferner dient die Erfassung biographischer Daten dazu, die Stichprobe der Studie detailliert beschreiben zu können. Die Auswahl der Probanden und Probandinnen erfolgte in diesem Projekt gruppenweise: Kinder nichtdeutscher Erstsprache (in der Mehrzahl Kinder mit Migrationshintergrund, die zwar in Deutschland geboren waren, jedoch erst seit dem Eintritt in die Kindertagesstätte systematischen Kontakt zum Deutschen hatten), die von den pädagogischen Fachkräften als förderbedürftig identifiziert worden waren und infolgedessen in sogenannten Sprachfördergruppen gefördert wurden, nahmen kollektiv an der Datenerhebung im Projekt teil. Außerdem wurden Daten von monolingualen deutschen Kindern, die sich in einem vergleichbaren Alter befanden, erhoben. Tabelle 8.5 illustriert Meta-Daten für eine Auswahl der Probanden und Probandinnen, die bei der Auswahl wichtig waren. Kürzel Testversion Datum der Aufnahme Alter des Kindes (J; MM ) Kontaktdauer (J; MM ) L1 ElRu Ausflug_2 10. 04. 15 4; 11 3; 05 Russisch ViRu Ausflug_2 10. 04. 15 4; 11 3; 05 Russisch IgRu Ausflug_3 10. 07. 15 4; 08 1; 05 Russisch ReKu Ausflug_3 10. 07. 15 4; 08 0; 10 Kurdisch DaRu Ausflug_3 10. 07. 15 4; 09 1; 10 Russisch ElTü Ausflug_3 10. 07. 15 5; 02 0; 09 Türkisch Tabelle 8.5: Beispiel für die Auswahl der Probanden und deren Meta-Daten Datenerhebung in Kitas Die Datenerhebung im Rahmen der Pilotierungen des PowerPoint-Piloten selbst erfolgte in einem zweischrittigen Verfahren. Zunächst wurde für ein vertrautes Verhältnis zwischen <?page no="350"?> der Testleiterin und den Probanden und Probandinnen gesorgt, indem die Testleiterin die Kinder im Rahmen einer Hospitation in der Kindertagesstätte kennenlernte. Bei einer zweiten Begegnung (Testsitzung) wurde mit dem Kind eine Version des PowerPoint gestützten App-Prototyps gespielt. Bei den ersten Pilotierungen im Projekt wurde folgendermaßen vorgegangen: Die Testleiterin stellte den Kindern eine Handpuppe (Hund) vor, mit der sie gemeinsam ein Spiel an einem Laptop spielen sollten. Um sich jedoch der Dialogsituation der App zu nähern, wurde im Rahmen der weiteren Pilotierungen auf diese Handpuppe verzichtet und ein externer Bildschirm, auf dem das Kind das Spiel präsentiert bekam, eingesetzt. Die Testleiterin war hierbei für das Kind nicht sichtbar, steuerte über einen Laptop das Spiel und übernahm hier die sprachliche Rolle des Hundes. Die Reaktionen, die die Kinder im Dialog mit dem Hund spontan produzierten, wurden für anschließende Analyse aufgenommen. Transkription nach Konventionen Die Aufbereitung der so gewonnenen Sprachdaten des App-Prototyps erfolgte in einem ersten Schritt über die Transkription. Der nachfolgende Auszug zeigt, dass die Transkription auf orthographischer Grundlage erfolgte (keine Groß- und Kleinschreibung, Schrägstrich (/ ) zeigt Selbstabbruch an, vergleiche hierzu auch Lerneinheit 7.2 in diesem Band). Für die im Mittelpunkt der anschließenden Analyse stehenden Merkmale der Lernersprache schien dieses mit einem geringen Transkriptionsaufwand verbundene Vorgehen ausreichend. Pro Aufnahmestunde betrug der Transkriptionsaufwand immer noch circa fünf Stunden. Das Transkript wurde anschließend durch eine zweite Person gegengehört, so dass etwaige Fehler ausgeräumt werden konnten. Transkript zur Testversion „Ausflug mit Verlusten 2.2“ Ort: Heidelberg, Kita Musterbühl Datum der Aufnahme: 09. 04. 15 Dauer: 19 Minuten Kürzel: ElRu Alter: 4; 11 Muttersprache: Russisch Kontaktdauer: 3; 5 Folie 5: Hund: was? was ist passiert? ElRu: die hat seine mütze verlorn. Folie 6: Hund: und wo ist die jetzt? ElRu: die mütze ist runtergeflogen. Hund: und wo ist die jetzt? kannst du die sehen? 351 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung <?page no="351"?> 352 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Annotation Um Muster im Sprachgebrauch zu erkennen und Unterschiede zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern identifizieren zu können, wurde auf Grundlage des Transkripts für jede Lerneräußerung, die einen Raumausdruck enthielt, in einer Liste (vgl. Abbildung 8.12) notiert, welche der folgenden Merkmale in der Äußerung versprachlicht wurden: ▶ Verblemma (für Bewegungsverben wie fliegen, klettern; für Positionsverben wie sein, liegen, hängen; für Positionierungsverben wie stellen, legen) ElRu: nein. Hund: guck mal genau hin. ElRu: [zeigt] dahin ist die geflogen. Hund: oh, ich kann das von hier aus gar nicht sehen. kannst du mir beschreiben, wo die liegt? ElRu: mh. aber die liegt doch da [zeigt es]. Hund: ja, aber ich kann das nicht sehen, weil ich hier hinten stehen muss. Sag mal, kannst du mir das einfach beschreiben? ElRu: da musst du dahin gehen. Hund: und kannst du mir erstmal sagen, wo ich dann gucken muss? ElRu: äh, du musst/ mh - Hund: wo liegt die mütze denn? ElRu: die mütze liegt in/ der baum ist kaputt und die ist in den baum geflogen. Hund: aha, ok! und wie komm ich dahin? ElRu: du musst erst dahin gehen. Hund: mh, ok. ich geh jetzt mal rein, dann gucken wir mal, ok? [Hund erscheint im Bild] ich seh aber keine mütze, wo ist die denn? ElRu: dahin [zeigt]. Hund: ich bin zwar hier drin und ich kann deine stimme ganz gut hören, aber ich sehe dich überhaupt nicht von hier, weißt du? du darfst/ du kannst mir das nicht mit dem finger zeigen, sonst kann ich das gar nicht sehen. du musst mir beschreiben und erklären, wo die mütze/ wo der hut liegt. ElRu: ähm, das ist nur/ äh der baum, der keine blätter hatte und da ist sie. Hund: mh! und/ ach, ich sehs. und wie komm ich dahin? ElRu: du musst erster hinklettern. Hund: aha! das versuch ich jetzt mal. [Der Hut fliegt weg] oh! Folie 7: ElRu: die mütze ist geflogen! Hund: die ist wieder weggeflogen. ElRu: ja. Hund: oh, dann schnell hinterher. <?page no="352"?> ▶ Partikel ▶ Adverb ▶ Präposition. Die genannten Merkmale ergeben sich aus den Erkenntnissen zum durchschnittlichen Sprachgebrauch gleichaltriger monolingualer Vorschüler und Vorschülerinnen, der im Rahmen der Projektarbeit in einer Baseline 1 für Kinder mit Deutsch als Erstsprache beschrieben wurde (vergleiche Abschnitt 8.2.4): Es wurden diejenigen Strukturen und Formen gezielt annotiert, die von altersgemäß entwickelten monolingual-deutschen Kindern spontan und produktiv verwendet werden. Diese können anschließend analysiert und ausgewertet werden. Abbildung 8.12: Muster im Sprachgebrauch von ein- und mehrsprachigen Kindern (Eigene Abbildung) Die Äußerungen, die in den Pilotstudien des Erhebungsverfahrens gesammelt wurden, bilden die empirische Grundlage für die Baseline 2-- beziehungsweise für zwei Baselines 2, da nicht nur monolingual aufwachsende Kinder aufgenommen wurden, sondern auch Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen. Durch den Fokus auf den Funktionsbereich Raum und eine Transkriptionstabelle ergibt sich ein dichtes, rasch auswertbares Korpus, das Aufschluss darüber gibt, welche Items tatsächlich produziert werden, oder- - aus der Lernersprachenperspektive betrachtet-- mit welchen Ausdrucksmitteln die Probanden und Probandinnen bestimmte räumliche Konstellationen oder Konstellationswechsel kommunizieren. Ein Auswertungsraster, das aus den Befunden der Analyse der Baseline 1 (vergleiche Lerneinheit 8.2) abgeleitet wurde, bildete hierbei die Grundlage erster Analysen für die mit dem Prototyp erhobenen Daten. Die Äußerungen der Kinder mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache, die Raumausdrücke enthalten, wurden im Hinblick auf wichtige Elemente zur Raumbeschreibung überprüft, die aus der einschlägigen Literatur bekannt sind (vergleiche zum Beispiel Bryant 2012; Harr 2012; Slobin, Bowerman, Brown, Eisenbeiss & Narasimhan 2011). 8.3.3 Analysen und Ergebnisse Für die Analyse der kindlichen Raumreferenz wurden zunächst individuell auftretende Muster pro Kind betrachtet (individuelle Analyse), indem unter anderem folgende Parameter ermittelt wurden: 353 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung <?page no="353"?> 354 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung 1. Type-Token-Ratio bei den verwendeten Verben beziehungsweise Präpositionen, das heißt die Relation der verwendeten Verben insgesamt zur Anzahl der verschiedenen Verbformen (zum Beispiel hüpfen, krabbeln, stehen) 2. Fehlertypen beziehungsweise Auslassungstypen oder Übergeneralisierungen bei der Verwendung von Raumverben, Partikeln, Adverbien, Präpositionen In einem zweiten Schritt wurden die Muster im Sprachgebrauch monolingual-deutscher Kinder mit den Mustern von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache verglichen, um die Gruppenunterschiede im Gebrauch raumspezifischer Ausdrucksmittel bestimmen zu können (gruppenvergleichende Analyse). Vor diesem Hintergrund wurden spezifische Lernerstrategien (vergleiche die Lerneinheit zu Lernerstrategien im Band »Sprachen lehren«) sichtbar, die Kinder mit nichtdeutscher L1 gehäuft nutzten, um fehlende Ausdrucksmöglichkeiten in der Zweitsprache auszugleichen (zum Beispiel Verwendung von Dummy-Präpositionen wie in oder bei zum Ausdruck unterschiedlicher Raumrelationen). Während einige Unterschiede im Sprachgebrauch der beiden Gruppen über alle Testitems hinweg deutlich zutage traten (zum Beispiel wurden von der Gruppe der monolingualdeutschen Kinder mehr unterschiedliche Präpositionen gebraucht als von der Gruppe der Kinder mit Deutsch als Zweitsprache), war es in Bezug auf manche Strukturen notwendig, das sprachliche Verhalten in den einzelnen Elizitationskontexten (Testitems) eingehender zu analysieren. So zeigten sich beispielsweise im Hinblick auf die Type-Token-Ratio der insgesamt verwendeten Raumverben zunächst keine Gruppenunterschiede. Erst wenn das Verhalten der beiden Gruppen in Bezug auf spezifische Raumausdrücke hin verglichen wurde (zum Beispiel Lokalisierungs-Ausdrücke wie Die Mütze liegt auf den Baumstämmen), konnte ein Unterschied erfasst werden: Während die monolingual-deutschen Kinder Positionsverben präferierten (zum Beispiel Die liegt auf den Baumstämmen), verwendeten die Kinder mit Deutsch als Zweitsprache signifikant häufiger Kopulakonstruktionen (zum Beispiel Die ist da bei den Baum). Die nachfolgende Tabelle illustriert die Gruppenunterschiede, die sich bei einer der ersten Auswertungsrunden eines frühen PowerPoint-Piloten bezüglich Lokalisierungen (zum Beispiel stehen, liegen, hängen, sitzen) bei neun Kindern mit Deutsch als Erstsprache und bei zehn Kindern mit Deutsch als Zweitsprache gezeigt haben: <?page no="354"?> DaM Gesamtinventar DaM-Kind DaZ Gesamtinventar DaZ-Kind 6 types / 79 tokens: sein (31 / 79= 39,2 %) hängen (6x) kleben liegen sitzen stehen Ø 3,4 types / Kind: An_4; 9: sein (7x), stehen (2x), kleben 1x Fa_5; 1: liegen(2x), stehen(2x) Fe_5; 1: liegen (4x), sein (2x) stehen (1x), hängen(1x) Fr_5; 3: sein (7x), liegen, (1x), stehen (1x), hängen (1x) Ja_5; 0: sein (6x), kleben (1x), liegen (1x) La_5; 8: sein (2x), liegen (4x), stehen (3x), sitzen (1x) Le_5; 10: sein (6x), hängen (1x), sitzen (1x), liegen 1x) Me_5; 10: sein (2x), liegen (5x), stehen (6x), hängen (2x) Ti_5; 5: sein (2x), liegen (3x), hängen (1x) 6 types / 129 tokens: sein (107 / 129= 85 %) hängen (2x, unangemessen) liegen stehen wohnen sitzen Ø 1,9 types / Kind: DaRu: sein(6x), sitzen (2x) ElRu: sein (12x), liegen (4x), stehen (2x) ElTü: sein (11x) IgRu: sein (9x), wohnen (1x), hängen (1x, ohne Angabe der Lokalrelation! ) LiAl: sein (15 x) LoAl: sein (7x) MaRu: sein (10x) ReKu: sein (7x), hängen (1x statt liegt! ), liegen (2x) SaTü: sein (15x), (1x liegen geprimt! ) ViRu: sein (18x), liegen (3x), stehen (2x) ▶ DaM-Kinder verwenden Positionsverben in knapp 40 % aller mit Verb realisierten Lokalisierungskontexte (vgl. Bryant 2012, 21 Vorschüler mit DaM): Altersgruppe 4; 4 - in 41 % aller Kontexte, Altersgruppe 5; 4 - in 75 % aller Kontexte ▶ Kopulakonstruktionen zur Lokalisierung werden lediglich von einzelnen Kindern präferiert (Fr, Ja, La) treten häufig in untergeordneten wo-Sätzen auf (x-liegt da, wo y ist) ▶ DaZ-Kinder verwenden Positionsverben in nur 15 % aller mit einem Verb realisierten Lokalisierungskontexte (vgl. Bryant 2012, 21 Vorschüler mit DaZ): 10 % der Kontexte Russisch / Deutsch: 13 % Türkisch / Deutsch: 7 % ▶ 5 Kinder verwenden ausschließlich Kopulakonstruktionen! ▶ hängen wird nur 2x von 2 Kindern verwendet (Abweichungen von Zielsprache s. o.) Tabelle 8.6: Gruppenunterschiede bei Kindern mit Deutsch als Muttersprache (DaM-Kinder, linke Spalte) und Kindern mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ-Kinder, rechte Spalte) bezüglich Lokalisierungen 8.3.4 Diagnose und Bildungserfolg Wenn man feststellen will, wie gut jemand eine Sprache beherrscht, genügt es nicht festzustellen, wie viele Wörter er oder sie kennt und ob er oder sie den Plural oder den Konjunktiv richtig bilden kann. Man muss vielmehr feststellen, was mit diesen Ausdruckmitteln gemacht wird (Klein 2011: 3). Diese Aussage ist dem Projektteam ein wichtiger Ankerpunkt bei der weiteren Herausarbeitung der für eine Messung von Unterschieden zwischen Kindern mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache dienlichen Variablen. Wie aus den vorangegangenen Abschnitten deutlich wurde, versuchen sowohl Kinder mit Deutsch als Erstsprache als auch Kinder mit Deutsch als Zweitsprache mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, die sprachlichen Handlungsaufgaben des Serious Games zu lösen. Die Kinder bemühen sich mit sehr viel Eifer darum, dass die Verständigung mit dem Hund gelingt. Es geht schließlich darum, der liebenswürdigen Hexe zu helfen. Dabei stehen den Kindern mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache (je nach Erstsprache und Kontaktdauer) unterschiedliche sprachliche Mittel zur Verfügung. 355 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung <?page no="355"?> 356 8. Angewandte Forschungsmethodik am Beispiel der Sprachstandsermittlung Wie werden nun diese unterschiedlichen sprachlichen Mittel zum Zweck der Verständigung eingesetzt? Einige Unterschiede in der Verwendung sprachlicher Mittel wurden bereits in Abschnitt 8.3.3 dargestellt. Um diese Unterschiede in einer Sprachstandserhebung nutzbar zu machen, bedarf es einer Definition von Variablen, die diese Unterschiede abbilden können. Diese Variablen wären ungenügend, würden sie nur Unterschiede struktureller Natur messen, da beispielsweise Unterschiede in der syntaktischen Komplexität nicht immer einen Rückschluss darauf zulassen, wie inhaltsvoll oder situationsadäquat eine sprachliche Äußerung ist. Vielmehr müssen die zu bestimmenden Variablen messen können, wie jemand seine ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel zur Lösung einer betreffenden Aufgabe einsetzt. Zur Festlegung solcher Variablen liefern die Ergebnisse der verschiedenen Pilotierungen wertvolle Hinweise. So wurde deutlich, dass es wichtig ist, die für das Deutsche typischen Bewegungsartverben zusammen mit Präpositionen und Adverbien, die eine Richtung der Bewegung angeben, systematisch in die Items einzubetten. Das gelingt, indem man die Szenen und Prompts so gestaltet, dass sie eine Handlung eines Protagonisten im Verhältnis zu einem Relatum visuell gut und deutlich darstellen. Die Prompts müssen auf eine bestimmte Bewegungssituation hin zugespitzt sein. Das führt idealerweise zu einem gewissen Grad der Übereinstimmung in den Beschreibungen der Kinder mit Deutsch als Erstsprache. Hier muss einschränkend festgestellt werden, dass eine 100-prozentige Übereinstimmung nicht herzustellen oder anzustreben ist. Dafür gibt es zu viele Möglichkeiten, die Wirklichkeit zu konstruieren, wie sich auch an dem Beispiel Ist ein Glas halbvoll oder halbleer? zeigen lässt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Team große erste Schritte auf dem langen Weg der Entwicklung eines Erhebungsinstruments getan hat, das sowohl Regelmäßigkeiten als auch Lernerstrategien abbilden und die kommunikativen Fähigkeiten und Potenziale der Kinder an einem entscheidenden Übergang im Bildungssystem akkurat messen kann. Hieraus könnten sich grundsätzliche Folgen für Sprachstandserhebungsverfahren allgemein und für die vorschulische sprachliche Förderung von Kindern im Besonderen ergeben. <?page no="356"?> 8.3.5 Zusammenfassung ▶ Die Lerneinheiten 8.2 und 8.3 skizzieren ein Konzept zu einer neuartigen Sprachstandsermittlung und beschreiben erste Schritte, die von der Theorie und vom Konzept zu einer praktischen Umsetzung führen. ▶ Wichtige Neuerungen, die die neue Sprachstandsermittlung berücksichtigt, sind authentisches Sprachhandeln und eine Auswertung, die die klassischen strukturellen Merkmale ergänzt, indem sie Lernerstrategien erfassen kann. ▶ Schließlich ist auf Basis des PowerPoint-Prototyps des neuen Verfahrens, in dem die Aufgaben handlungsbezogen sinnvoll in Form von Items eingebettet sind, bereits eine App für mobile Endgeräte entwickelt worden. ▶ Diese App zeigt nicht nur, dass auf einem Tablet eine authentische Handlungssituation erschaffen werden kann, die das Kind aus eigener Motivation sprachlich bewältigen will, sondern auch, dass direkte Sprachaufnahmen und die Speicherung der Sprachdaten in einem zentralen Datenmanagement-System gewährleistet werden können. ▶ Damit könnte unter Umständen eine Auswertung für Fachkräfte erleichtert werden. 8.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle 1. Wie wurden die Ergebnisse der Baseline 1 in die Aufgabengestaltung eingearbeitet? 2. Warum wurde ein zusätzlicher Elternfragebogen eingesetzt? 3. Welche vorläufigen Ergebnisse zeigt die hier behandelte Studie in Bezug auf den Sprachenerwerb bei Kindern mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache in der Domäne Raum? 357 8.3 Serious Games in der Sprachstandsermittlung <?page no="358"?> 359 9. Literaturverzeichnis 9. Literaturverzeichnis Achard, Michel (1998), Representation of Cognitive Structures. Syntax and Semantics of French Sentential Complements. Berlin: de Gruyter. Adamzik, Kirsten (2000), Dialogerträge. Vorschläge für eine mehrperspektivische Gesprächsanalyse. Zeitschrift für germanistische Linguistik 28: 2, 185-20. Aguado, Karin (2014), Triangulation. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.), Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn: Schöningh, 47-5. Albert, Ruth & Marx, Nicole (201 [2010]), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht. Tübingen: Narr. Angermüller, Johannes; Nonhoff, Martin; Herschinger, Eva; Macgilchrist, Felicitas; Reisigl, Martin; Wedl, Juliette; Wrana, Daniel & Ziem, Alexander (Hrsg.) (2014), Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch (2 Bde.). Bielefeld: transcript Verlag. Atkinson, Maxwell J. & Heritage, John (1984), Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis. Cambridge, Paris: Cambridge University Press / Editions de la Maison des Sciences de l’Homme. Bachman, Lyle F (2004), Statistical Analyses for Language Assessment. Cambrigde: Cambridge University Press. Bagster-Collins, E. W., Werner, Oscar H. & Woody, Clifford (1930), Modern Foreign Language Study. Studies in modern language teaching. Reports prepared for the modern foreign language study and the Canadian committee on modern languages. New York: Macmillan. Baldauf, Christa (1997), Metapher und Kognition. Grundlagen einer neuen Theorie der Alltagsmetapher. Frankfurt am Main, New York: Peter Lang. Baltes-Götz, Bernhard (2013), Analyse von hierarchischen linearen Modellen mit der SPSS -Prozedur MIXED [Online unter https: / / www.uni-trier.de/ fileadmin/ urt/ doku/ hlm/ hlm.pdf. 05. Februar]. Bamberg, Michael (1994), Time, space, and agency in German narratives. The development of linguistic forms. In: Berman, Ruth & Slobin, Dan Isaac (Hrsg.), Different Ways of Relating Events in Narrative: A Crosslinguistic Study. Hillsdale, New Jersey: Lawrence Erlbaum, 189-238. Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 107-150. Behrens, Heike (200), The input-output relationship in first language acquisition. Language and Cognitive Processes 21, 2-24. Behrens, Heike (2009), Usage-based and emergentist approaches to language acquisition. Linguistics 47: 2, 383-411. Behrens, Heike; Madlener, Karin & Skoruppa, Katrin (201), The role of scaffolding in children's questions: Implications for (preschool) language assessment from a usage-based perspective. In: Goschler, Juliana & Niemeier, Susanne (Eds.), Yearbook of the German Cognitive Linguistics Association (Vol. 4). Berlin, Boston: Mouton de Gruyter, 237-20. Belica, Cyril (1995), Statistische Kollokationsanalyse und -clustering. Korpuslinguistische Analysemethode. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache. Belica, Cyril (2001a), Kookkurrenzdatenbank CCDB . Eine korpuslinguistische Denk- und Experimentierplattform für die Erforschung und theoretische Begründung von systemisch-strukturellen <?page no="359"?> 360 9. Literaturverzeichnis Eigenschaften von Kohäsionsrelationen zwischen den Konstituenten des Sprachgebrauchs. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache. Belica, Cyril (2001b), Kookkurrenzdatenbank CCDB -- V3.3 [Online unter http: / / corpora.ids-mannheim.de/ ccdb/ 12. Juli 2018]. BeMaTaC (2018), Ein tief annotiertes multimodales Map-Task-Korpus gesprochener Lerner- und Muttersprache [Online unter http: / / u.hu-berlin.de/ bematac 12. Juli 2018]. Berckhan, Barbara (1995), Die etwas gelassenere Art, sich durchzusetzen. Ein Selbstbehauptungstraining für Frauen. München: Kösel. Bernhard, Willi & Bettoni, Marco (2007), Wissensnetzwerke. Offene Zusammenarbeit im virtuellen Raum. In: Bergamin, Per & Pfander, Gerhard (Hrsg.), Medien im Bildungswesen. Medienkompetenz und Organisationsentwicklung. Bern: Hep, 95-117. Betrancourt, Mireille (2005), The animation and interactivity principles in multimedia learning. In: Mayer, Richard (Ed.): The Cambridge Handbook of Multimedia Learning. Oxford: Cambridge University, 287-29. Bielak, Jakub & Pawlak, Miroslaw (2011), Teaching English tense and aspect with the help of cognitive grammar: An empirical study. Studies in Second Language Learning and Teaching 1: 3, 35-400. Bortz, Jürgen & Döring, Nicola (2002), Forschungsmethoden und Evaluation. Für Human- und Sozialwissenschaftler (3. Aufl.). Berlin: Springer. Bortz, Jürgen & Döring, Nicola (2009), Forschungsmethoden und Evaluation. (4. Aufl.). Berlin: Springer. Bortz, Jürgen & Schuster, Christof (2010), Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler (7. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer. Brinker, Klaus & Sager, Sven F. (200), Linguistische Gesprächsanalyse: Eine Einführung (4. durchgesehene und ergänzte Auflage). Berlin: Erich Schmidt Verlag. Brünner, Gisela & Graefen, Gabriele (1994), Einleitung: Zur Konzeption der Funktionalen Pragmatik. In: Brünner, Gisela & Graefen, Gabriele. (Hrsg.), Texte und Diskurse. Methoden und Forschungsergebnisse der Funktionalen Pragmatik, 7-24. Bryant, Doreen (2012), Lokalisierungsausdrücke im Erst- und Zweitspracherwerb: typologische, ontogenetische und kognitionspsychologische Überlegungen zur Sprachförderung in DaZ. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Bührig, Kristin & Sager, Svend Frederik (2005), Nonverbale Kommunikation im Gespräch. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie ( OBST ) 70. Wiesbaden: VS Verlag. Bünting, Karl-Dieter, Bitterlich, Axel & Pospiech, Ulrike (2000), Schreiben im Studium: mit Erfolg. Ein Leitfaden. Cornelsen: Berlin. BWL Uni München, Anhang IV . Kommentierte Auswahlbibliographie zum Thema „Wissenschaftliches Arbeiten“ [Online unter http: / / www.bwl.uni-muenchen.de/ fakultaet/ personen/ emerprof/ theisen/ publikationen/ dokumente/ wa_anhangiv.pdf. 04. Oktober 2017]. Byrne, Michael; Catrambone, Richard & Stasko, John (1999), Evaluating animations as student aids in learning computer algorithms. Computers & Education 33, 253-278. Caspari, Daniela (201), Von der Idee zur Forschungsfrage. In: Caspari, Daniela; Klippel, Friederike; Legutke, Michael K. & Schramm, Karen (Hrsg.), Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Ein Handbuch. Tübingen: Narr, 359-34. Caspari, Daniela; Klippel, Friederike; Legutke, Michael K. & Schramm, Karen (Hrsg.) (201), Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Ein Handbuch. Tübingen: Narr. CLARIN -D (2017), DiaCollo-- Kollokationsanalyse in diachroner Perspektive. Ein Use Case des CLARIN -D-Zentrums an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ( BBAW ) <?page no="360"?> 361 9. Literaturverzeichnis [Online unter http: / / clarin-d.de/ images/ usecases/ diacollo/ DiaCollo-diachrone_Kollokationsanalyse.pdf 12. Juli 2018]. Comenius, Johann Amos (1970), Das Labyrinth der Welt und das Paradies des Herzens. Aus dem Tschechischen. Luzern: Bucher. Comenius, Johann Amos (1981), Orbis sensualium pictus. (zuerst 158). London: Bodley Head. Cohen, Jacob (1992), A power primer. Psychological Bulletin. 112,1: 155-159. Cornelli, Voet Barbara; Schulz, Petra & Tracy, Rosemarie (2013), Sprachentwicklungsdiagnostik bei Mehrsprachigkeit. Eine Herausforderung für die pädiatrische Praxis. Monatsschrift Kinderheilkunde 11, 911-917 [Online unter http: / / www.anglistik.uni-mannheim.de/ anglistik_i/ team/ prof_ dr_rosemarie_tracy_lehrstuhlinhaberin/ voetcornelli_schulz_tracy_2013/ voetcornelli_schulz_tracy_2013.pdf. 05. Februar 2018]. Datenbank für Gesprochenes Deutsch (2018), [Online unter https: / / dgd.ids-mannheim.de/ dgd/ pragdb.dgd_extern.welcome 21. Juli 2018] Deppermann, Arnulf & Schütte, Wilfried (2008), Data and transcription. In: Antos, Gerd; Ventola, Elija & Weber, Tilo (Eds.), Handbook of Interpersonal Communication. Berlin: de Gruyter, 179-213. de Rycker, Antoon & Knop, Sabine de (2009), Integrating cognitive linguistics and foreign language teaching-- historical background and new developments. Journal Of Modern Languages 19, 29-4. Dittmar, Norbert (2009), Transkription. Ein Leitfaden mit Aufgaben für Studenten, Forscher und Laien. Wiesbaden: VS . Doff, Sabine; Königs, Frank G.; Marx, Nicole & Schädlich, Birgit (201), Review of doctoral research in language education in Germany (2009-2013). Language Teaching 49: 2, 213-234. Dresing, Thorsten & Pehl, Thorsten (2011), Praxisbuch Transkription. Regelsysteme, Software und praktische Anleitungen für qualitative ForscherInnen. (3. Aufl.). Marburg: Eigenverlag. Duden Online (2017), dürfen [Online unter https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ duerfen. 05. Februar 2018]. Dulay, Heidi & Burt, Marina (1983), Goofing: indicator of children's second language learning strategies. In: Gass, Susan & Selinker, Larry (Eds.), Language Transfer in Language Learning. Rowley, Massachussets: Newbury House Publ., 54-8. DWDS (2018), Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache [Online unter https: / / www.dwds.de/ 21. Juli 2018]. Ehlich, Konrad & Rehbein, Jochen (197), Halbinterpretative Arbeitstranskriptionen ( HIAT ). Linguistische Berichte 45, 21-41. Ehlich, Konrad & Rehbein, Jochen (1981), Zur Notierung nonverbaler Kommunikation für diskursanalytische Zwecke (Erweiterte halbinterpretative Arbeitstranskriptionen HIAT 2). In: Winkler, Peter (Hrsg.), Methoden der Analyse von Face-to-Face-Situationen. Stuttgart: Metzler, 302-329. Ehlich, Konrad (1991), Funktional-Pragmatische Kommunikationsanalyse. Ziele und Verfahren. In: Flader, Dieter (Hrsg.), Verbale Interaktion. Studien zur Empirie und Methodologie der Pragmatik. Stuttgart: Metzler, 127-143. Ehlich, Konrad (1993), Deutsch als fremde Wissenschaftssprache. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 19, 13-42. Ehlich, Konrad (1995), Die Lehre der deutschen Wissenschaftssprache: sprachliche Strukturen, didaktische Desiderata. In: Kretzenbacher, Heinz Leo & Weinrich, Harald (Hrsg.), Linguistik der Wissenschaftssprache. Berlin, New York: de Gruyter, 325-351. Ehlich, Konrad (2005), in Zusammenarbeit mit Bredel, Ursula; Garme, Brigitta; Komor, Anna; Krumm, Hans-Jürgen; McNamara, Tim; Reich; Hans H.; Schnieders, Guido; Ten Thije, Jan D. & van den Bergh, Huub. Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung als <?page no="361"?> 362 9. Literaturverzeichnis Grundlage für die frühe und individuelle Förderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ehlich, Konrad; Bredel, Ursula & Reich, Hans H. (2008), Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung. Forschungsgrundlagen Band II . Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF . Ehlich, Konrad (2012), Unterrichtskommunikation. In: Becker-Mrotzek, Michael (Hrsg.), Mündliche Kommunikation und Gesprächsdidaktik. 2. korrigierte Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 327-348. Engelkamp, Johannes & Zimmer, Hubert (200), Lehrbuch der kognitiven Psychologie. Göttingen: Hogrefe. Engemann, Helen; Harr, Anne-Katharina & Hickmann, Maya (2012), Caused motion events across languages and learner types: Acquiring one or more first languages in childhood and a foreign language in adulthood. In: Filipović, Luna; Jaszczolt, Kasia & Tellings, Jos (Hrsg.), Space and Time II : Culture and Cognition. Amsterdam: John Benjamins, 23-287. Engfer, Hans Jürgen (199), Empirismus versus Rationalismus? Kritik eines philosophiegeschichtlichen Schemas. Paderborn: Schöningh. Eßer, Ruth (1997), „Etwas ist mir geheim geblieben am deutschen Referat.“ Kulturelle Geprägtheit wissenschaftlicher Textproduktion und ihre Konsequenzen für den universitären Unterricht von Deutsch als Fremdsprache. München: Iudicium. Everett, Daniel Leonard (2009), Don't sleep, there are snakes. Life and language in the Amazonian jungle. New York: Vintage Departures. Evers, Jeanine C. (2011), From the past into the future. How technological developments change our ways of data collection, transcription and analysis. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum Qualitative Social Research 12: 1, Art. 38. EXMAR a LDA (), Projektseite [Online unter http: / / exmaralda.org/ de/ 21. Juli 2018]. Fachhochschule Nordwestschweiz Pädagogische Hochschule. Institut Forschung und Entwicklung. Zentrum Lesen | Schreibberatung, Wissenschaftliches Schreiben. [Online unter http: / / www. schreiben.zentrumlesen.ch/ glossar.cfm? pkyTermId=374&action=detail. 04. Oktober 2017]. Falko (201), Ein fehlerannotiertes Lernerkorpus des Deutschen als Fremdsprache [Online unter https: / / www.linguistik.hu-berlin.de/ de/ institut/ professuren/ korpuslinguistik/ forschung/ falko/ standardseite 12. Juli 2018]. Fandrych, Christian (1999), Textuelle Strategien der Wissensvermittlung: Das Beispiel „Fernstudieneinheiten”. In: Barkowski, Hans & Wolff, Armin (Hrsg.), Materialien Deutsch als Fremdsprache 52, 10-193. Fast, Julius (2002), Körpersprache. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Feilke, Helmuth & Steinhoff, Torsten (2003), Zur Modellierung der Entwicklung wissenschaftlicher Schreibfähigkeiten. In: Ehlich, Konrad & Steets, Angelika (Hrsg.), Wissenschaftlich schreibenlehren und lernen. Berlin, New York: de Gruyter, 112-128. Feilke, Helmuth & Lehnen, Katrin (2011), Positionen wiedergeben und konstruieren-- wissenschaftlich referieren. Der Deutschunterricht 5, 34-45. Fix, Gefion & Dittmann, Jürgen (2008), Exzerpieren. Eine empirische Studie an Exzerpten von GymnasialschülerInnen der Oberstufe. Linguistik online 33: 1, 17-71 [Online unter http: / / www. linguistik-online.de/ 33_08/ fixDittmann.html. 0. Februar 2018]. Flick, Uwe (Hrsg.) (2009), Qualitative Sozialforschung: Ein Handbuch (7. Aufl.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuchverlag. <?page no="362"?> 363 9. Literaturverzeichnis Franck, Norbert (2013), Diskussionen bestreiten und leiten. In: Frank, Norbert & Stary, Joachim (Hrsg), Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG , 270. Frey, Siegfried; Hirsbrunner, Hans-Peter & Bieri-Florin, Herbert (1979), Vom Bildschirm zum Datenprotokoll. Das Problem der Rohdatengewinnung bei der Untersuchung der nichtverbalen Kommunikation. Zeitschrift für Semiotik 1, 193-209. Gabriel, Matthias (2003), Kurze Einführung in SPSS . [Online unter http: / / homepage.univie.ac.at/ Matthias.Gabriel/ SPSS_11Skript.pdf. 05. Februar 2018]. Gaßdorf, Dagmar (2004), Zickenlatein. Den Erfolg herbeireden. Frankfurt am Main: FAZ -Institut. Geist, Barbara (2013), Sprachdiagnostische Kompetenz von Sprachförderkräften. Berlin, Boston: De Gruyter. Gesellschaft für Fachdidaktik ( GFD ) (2009), Empfehlungen zur Evaluierung von Forschung und Entwicklung in der Fachdidaktik [Online unter http: / / www.dgff.de/ fileadmin/ user_upload/ dokumente/ Sonstiges/ GFD_Empfehlungen_zur_Evaluierung_von_Forschung_und_Entwicklung_in_der_ Fachdidaktik.pdf. 05. Dezember 2017]. GeWiss (2017), Projektseite [Online unter https: / / gewiss.uni-leipzig.de/ index.php? id=corpus_design 12. Juli 2018]. Gläser, Rosemarie (199), Anglizismen als Stilphänomene in den Printmedien der neuen Bundersländer. In: Fix, Ulla & Lerchner, Gotthard (Hrsg.), Stil und Stilwandel. Frankfurt am Main: Europäischer Verlag der Wissenschaften. GMK Gesundheitsministerkonferenz (2014), . Gesundheitsministerkonferenz  am ./ . Juni  in Hamburg. Eckpunkte zur Überprüfung der für die Berufsausübung erforderlichen Deutschkenntnisse in den akademischen Heilberufen. [Online unter https: / / www.gmkonline.de/ documents/ TOP73BerichtP_Oeffentl_Bereich.pdf. 0. Februar 2018]. Gnutzmann, Claus & Lange, Regina (1990), Kontrastive Textlinguistik und Fachsprachenanalyse. In: Gnutzmann, Claus (Hrsg), Kontrastive Linguistik. Frankfurt am Main: Lang, 85-117. Gonzalez-Marquez, Monica; Becker, Raymond & Cutting, James (2007), An introduction to experimental methods for language researchers. In: Gonzalez-Marquez, Monica (Eds.), Methods in cognitive linguistics. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins, 53-8. Graefen, Gabriele & Moll, Melanie (2011), Wissenschaftssprache Deutsch: lesen-- verstehen-- schreiben. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Frankfurt am Main: Lang. Grass, Anja (2013), Zur Veränderung mentaler Modelle beim Lernen mit Grammatikanimationen-- Ziele, Methoden und Ergebnisse einer Pilotstudie. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 18: 1, 99-109. Grice, Martine & Baumann, Stefan (2002), Deutsche Intonation und GT o BI . Linguistische Berichte 191, 27-298. Grimm, Angela & Schulz, Petra (2012), Das Sprachverstehen bei frühen Zweitsprachlernern: Erste Ergebnisse der kombinierten Längs- und Querschnittstudie MILA . In: Ahrenholz, Bernt (Hrsg.), Einblicke in die Zweitspracherwerbsforschung und ihre methodischen Verfahren. DaZ-Forschung. Deutsch als Zweitsprache, Mehrsprachigkeit und Migration . Berlin: De Gruyter, 195-218. Habermas, Jürgen (1981), Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Hampel, Thorsten (2007), Zukunft des E-Learning und der Wissensorganisation-- Interoperabilität durch serviceorientierte Architekturen. In: Roche, Jörg (Hrsg.), Fremdsprachenlernen medial-- Entwicklungen, Forschungen, Perspektiven. Berlin: LIT -Verlag, 32-0. Harr, Anne-Katharina (2012), Language-specific Factors in First Language Acquisition. The Expression of Motion Events in French and German. Berlin, Boston: De Gruyter. <?page no="363"?> 364 9. Literaturverzeichnis Haug, Wolfgang Fritz (1999), Sieben Tips fürs Schreiben. In: Narr, Wolf-Dieter & Stary, Joachim (Hrsg.), Lust und Last des wissenschaftlichen Schreibens. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 71-77. Hegarty, Mary; Kriz, Sarah & Cate, Christina (2003), The roles of mental animations and external animations in understanding mechanical system. Cognition and Instruction 21: 4, 325-30. HIAT -Kurzübersicht [Online unter http: / / exmaralda.org/ wp-content/ uploads/ 2015/ 12/ General_Transcription_conventions_HIAT_Handout_DE.pdf 21. Juli 2018]. Hoberg, Rudolf (2000); Sprechen wir bald alle Denglisch oder Germeng? In: Eichhoff-Cyrus, Karin & Hoberg, Rudolf (Hrsg.), Die deutsche Sprache zur Jahrtausendwende. Sprachkultur oder Sprachverfall? Mannheim u. a.: Dudenverlag. Hoffmann, Martina (2017), „Schau’ ma mal“: Pilotierung von Materialien zur Förderung der mündlichen Kompetenzen bei auszubildenden Kfz-Mechatronikerinnen und Kfz-Mechatronikern. In: Terrasi-Haufe, Elisabetta & Börsel, Anke (Hrsg.), Sprache und Sprachbildung in der Beruflichen Bildung. Münster: Waxmann, 303-320. Hoffmann, Martina (in Vorbereitung), Zur Entwicklung der mündlichen Kompetenz von Berufsschülerinnen und -schülern im sprachintegrativen handlungsorientierten Unterricht. Münster: Lit. Verlag. Hornung, Antonie (2002), Der saure Weg zur tesina oder: Wie italienische Studierende des Deutschen lernen, eine kleine (vor)wissenschaftliche Seminararbeit zu schreiben. In: Portmann- Tselikas, Paul R. & Schmölzer-Eibinger, Sabine (Hrsg.), Textkompetenz. Neue Perspektiven für das Lernen und Lehren. Innsbruck: Studienverlag, 197-231. Hufeisen, Britta (2008), Textsortenwissen-- Textmusterwissen-- Kulturspezifik von Textsorten. Fremdsprache Deutsch 39, 50-53. Hunfeld, Hans (1997); Zur Normalität des Fremden. Voraussetzungen eines Lehrplanes für Interkulturelles Lernen. In: BMW AG (Hg.). LIFE (Grundwerk). Ideen und Materialien für interkulturelles Lernen. Janssen, Jürgen & Laatz, Wilfried (2013), Statistische Datenanalyse mit SPSS . Eine anwendungsorientierte Einführung in das Basissystem und das Modul exakte Tests (8. Aufl.). Berlin: Springer. Johnson, Karen E. (2011), The Transformative Power of Narrative in Second Language Teacher Education. Tesol 45: 3, 48-509. Johnson, Mark (1987), The Body in the Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason. Chicago: University of Chicago Press. Kaiser, Dorothee (2002), Wege zum wissenschaftlichen Schreiben. Eine kontrastive Untersuchung zu studentischen Texten aus Venezuela und Deutschland. Tübingen: Stauffenburg. Kali-Korpus (2018), Leibniz Universität Hannover, [Online unter http: / / www.kali.uni-hannover.de 21. Juli 2018]. Kallmeyer, Werner & Schütze, Fritz (197), Zur Konstruktion von Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung. In: Wegner, Dirk (Hrsg.), Gesprächsanalysen, Vorträge, gehalten anläßlich des . Kolloquiums des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik. Hamburg: Buske, 159-274. Kanaplianik ( EL -Bouz), Katsiaryna (201), Kognitionslinguistisch basierte Animationen für die deutschen Modalverben. Zusammenspiel der kognitiven Linguistik und des multimedialen Lernens bei der Sprachvermittlung. Berlin, Münster: Lit. Kettemann, Bernhard (2002), Anglizismen allgemein und konkret: Zahlen und Fakten. In: Muhr Rudolf & Kettemann Bernhard (Hrsg.), Eurospeak. Der Einfluss des Englischen auf europäische Sprachen zur Jahrtausendwende. Frankfurt am Main: Lang, 55-8. Kiehl, Christoph; Simmenroth-Nayda, Anne; Görlich, Yvonne; Entwistle, Andrew; Schiekirka, Sarah; Ghadimi, Michael B.; Raupach, Tobias & König, Sarah (2014), Standardized and quality-assured <?page no="364"?> 365 9. Literaturverzeichnis video-recorded examination in undergraduate education: informed consent prior to surgery. Journal of Surgibal Research 191: 1, 4-73. Klein, Wolfgang (2011), Was wissen wir über den Spracherwerb, und was können wir daraus für die Sprachförderung ableiten? Einige Bemerkungen zu einem schwierigen Thema. In: Baden- Württemberg Stiftung (Hrsg.), Sag' mal was-- Sprachförderung für Vorschulkinder. Tübingen: Narr Francke Attempto, 32-38. Klippel, Friederike (201), Chronologie der Dissertationen und Habilitationen in den fremdsprachendidaktischen Disziplinen (Stand April 201) [Online unter www.dgff.de/ de/ qualifikationsarbeiten. html. 05. Dezember 2017]. Koch, Günther (2015a), Studieren mit Köpfchen. Paderborn: Schöningh. Koch, Günther (2015b), Speed Reading fürs Studium. Paderborn: Schöningh. Koch, Richard (1998), Das  / -Prinzip. Mehr Erfolg mit weniger Aufwand. Frankfurt am Main, New York: Campus. Koerfer, Armin; Obliers, Rainer; Thomas, Walter & Köhle, Karl (2000), Ausbildung in ärztlicher Gesprächsführung-- OSCE mit standardisierten PatientInnen. Medizinische Ausbildung 17: 2, 137. Koerfer, Armin; Obliers, Rainer; Thomas, Walter & Köhle, Karl (2005), Prüfung kommunikativer Kompetenz. OSCE mit standardisierten Patienten. Medizinische Ausbildung 22: 4, Doc. 149. Kowal, Sabine & O’Connell, Daniel (2000), Zur Transkription von Gesprächen. In: Flick, Uwe; von Kardoff, Ernst & Steinke, Ines (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek: Rowohlt- Taschenbuch Verlag, 437-44. Krause, Thomas & Zeldes, Amir (201), ANNIS 3: A new architecture for generic corpus query and visualization. in: Digital Scholarship in the Humanities 201, 31. [Online unter http: / / dsh.oxfordjournals.org/ content/ 31/ 1/ 118. 11. August 201]. Krech, Eva-Maria; Stock, Eberhard; Hirschfeld, Ursula & Anders, Lutz-Christian (2009), Deutsches Aussprachewörterbuch. Berlin: De Gruyter. Krekeler, Christian (2013), Wissenschaftliches Schreiben in der Fremdsprache, Kultur und Plagiat: empirische Perspektiven. InfoDaF 5, 513-538. Kretzenbacher, Heinz Leo (1995), Wie durchsichtig ist die Sprache der Wissenschaften? In: Kretzenbacher, Heinz Leo & Weinrich, Harald (Hrsg.), Linguistik der Wissenschaftssprache. Forschungsbericht. Berlin, New York: de Gruyter, 15-39. Krischer, Barbara (2000), Schlüsselkompetenz Schreiben. Überlegungen zum Textproduktionsprozess in Mutter- und Fremdsprache und Erläuterung von Übungsverfahren zur Förderung der Schreibfertigkeit in der L2. Zielsprache Deutsch 2-3, 11-19. Krumm, Hans-Jürgen & Ohms-Duszenko, Maren (2001), Lehrwerkproduktion, Lehrwerkanalyse, Lehrwerkkritik. In: Helbig, Gerhard; Götze, Lutz; Henrici, Gert & Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. 2. Halbband ( HSK 19,2). Berlin, New York: de Gruyter, 1029-1041. Krusche, Dietrich & Krechel, Rüdiger (1984), Anspiel. Konkrete Poesie im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Bonn: Inter Nationes. Kuckartz, Udo; Dresing, Thorsten; Rädiker, Stefan & Stefer, Claus (2008), Qualitative Evaluation: Der Einstieg in die Praxis. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Lado, Robert (1957), Linguistics across cultures. Applied linguistics for language teachers. Ann Arbor: University of Michigan Press. Lang, Max & Lachauer, Jan (2012), Für Hund und Katz ist auch noch Platz [Room on the Broom]. Drehbuch: Donaldson, Julia & Scheffler, Axel. UK , Deutschland: Magic Light Pictures. <?page no="365"?> 366 9. Literaturverzeichnis Langacker, Ronald W. (2008), Cognitive grammar as a basis for language instruction. In: Robinson, Peter & Ellis, Nick (Eds.), Handbook of Cognitive Linguistics and Second Language Acquisition. New York: Routledge, -88. Langer, Wolfgang (2010), Mehrebenenanalyse mit Querschnittsdaten. In: Wolf, Christof & Best, Henning (Hrsg.), Handbuch der sozialwissenschaftlichen Datenanalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 741-774. Larson-Hall, Jenifer & Herrington, Richard (2009), Improving data analysis in second language acquisition by utilizing modern developments in applied statistics. Applied Linguistics 31: 3, 38-390. Legutke, Michael K. (201), Literaturüberblick und Forschungsstand. In: Caspari, Daniela; Klippel, Friederike; Legutke, Michael K. & Schramm, Karen (Hrsg.), Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Ein Handbuch. Tübingen: Narr, 370-375. Lemnitzer, Lothar & Zinsmeister, Heike (2015), Korpuslinguistik.Eine Einführung (3., überarbeitete und erweiterte Auflage). Tübingen: Narr. Lengyel, Drorit (2012), Sprachstandsfeststellung bei mehrsprachigen Kindern im Elementarbereich. Expertise für das Projekt Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (Wi FF ). München: Deutsches Jugendinstitut e. V. ( DJI ). Leutner, Detlev (2009), Adaptivität und Adaptierbarkeit beim Online-Lernen. In: Issing, Ludwig J. Issing & Klimsa, Paul (Hrsg.): Online-Lernen. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. München: Oldenbourg, 115-124. Lewalter, Doris (1997), Lernen mit Bildern und Animationen. Studie zum Einfluss von Lernermerkmalen auf die Effektivität von Illustrationen. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. Lewalter, Doris (2003), Cognitive strategies for learning from static and dynamic visuals. Learning and Instruction 13, 177-189. Liamkina, Olga (2005), The Role of Explicit Meaning-Based Instruction in Foreign Language Pedagogy: Applications of Cognitive Linguistics to Teaching the German Dative Case to Advanced Learners. Georgetown University: Dissertation. Loh, Christian Sebastian; Sheng, Yanyan & Ifenthaler, Dirk (Eds.) (2015), Serious Games Analytics. Methodologies for Performance Measurement, Assessment, and Improvement. New York: Springer. Lysinger, Diana (2009), Teaching Case to L Students of German and Russian. University of California, Davis: Dissertation. MacWhinney, Brian (2000), The CHILDES Project (rd ed.), Vol. I: Tools for Analyzing Talk: Transcription Format and Programs. Mahwah, NJ : Lawrence Erlbaum Associates. MacWhinney, Brian (2000), The CHILDES Project (rd ed.), Vol. II : The Database. Mahwah, NJ : Lawrence Erlbaum Associates. Madlener, Karin; Skoruppa, Katrin & Behrens, Heike (2017), Gradual development of constructional complexity in German spatial language. Maier, Carsten (2009), Organisation von Sprecherwechsel in Gesprächen. Methodische Aspekte vor dem Hintergrund einer multimodalen Analyse des turn-taking. Magisterarbeit. Humboldt-Universität zu Berlin. [Online unter http: / / edoc.hu-berlin.de/ master/ maier-carsten-2009-11-03/ PDF/ maier.pdf 01. März 2017] Mangold, Max (2005), Duden-- Aussprachewörterbuch (Duden ) Bearbeitet von Mangold, Marc in Zusammenarbeit mit der Dudenredaktion (. überarbeitete und aktualisierte Aufl.). Mannheim: Dudenverlag. Mayer, Jörg (2011), Phonetische Analysen mit Praat. Ein Handbuch für Ein- und Umsteiger [Online unter http: / / lingphon.net/ das-praat-handbuch. 0. Februar 2018]. <?page no="366"?> 367 9. Literaturverzeichnis Mayer, Richard (2005), Cognitive theory of multimedia learning. In: Mayer, Richard (Ed.): The Cambridge Handbook of Multimedia Learning. Oxford: Cambridge University, 31-48. Mayer, Richard (2008), Research-based principles for learning with animation. In: Lowe, Richard & Schnotz, Wolfgang (Eds.), Learning with Animation. Research Implications for Design. Cambridge, New York: Cambridge University Press, 30-48. Mehlhorn, Grit & Trouvain, Jürgen (2007), Sensibilisierung von Lernenden für fremdsprachliche Prosodie. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 12: 2, 1-25. Mempel, Caterina (2010), Multimedia-Transkription nonverbaler Kommunikation am Beispiel der Bilderbuchbetrachtung im Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht. In: Aguado, Karin; Schramm, Karen & Vollmer, Helmut J. (Hrsg.), Fremdsprachliches Handeln beobachten, messen und evaluieren. Neue methodische Ansätze der Kompetenzforschung und Videographie. Berlin: Lang, 231-255. Mempel, Caterina & Mehlhorn, Grit (2014), Datenaufbereitung. Transkription und Annotation. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.), Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Eine Einführung. Paderborn: Schöningh, 147-1. MFT Medizinischer Fakultätentag der Bundesrepublik Deutschland e. V. (Hrsg.) (2015), Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin ( NKLM ) [Online unter http: / / www.nklm.de/ files/ nklm_final_2015-07-03.pdf. 0. Februar 2018]. Moritz, Christine (2012), Die Feldpartitur. Multikodale Transkription von Videodaten in der Qualitativen Sozialforschung. Berlin: Springer. Müller-Jacquier, Bernd-Dietrich (1981), Konfrontative Semantik. Weil der Stadt: Lexika. Multilingua Akademie [Online unter http: / / www.multilingua-akademie.de. 22. Januar 2018]. Murphy, Joseph (2008), Die Macht des Unterbewusstseins. Kreuzlingen, München: Ariston. Narayanan, Hari M. & Hegarty, Mary (2004), Multimedia design for communication of dynamic information. International Journal of Human Computer Studies 57: 4, 279-315. Neugebauer, Uwe & Becker-Mrotzek, Michael (2013), Die Qualität von Sprachstandsverfahren im Elementarbereich. Eine Analyse und Bewertung. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Neuner, Gerhard & Hunfeld, Hans (1993), Methoden des fremdsprachlichen Deutschunterrichts. Eine Einführung: Fernstudieneinheit . München: Langenscheidt. Niedermair, Klaus (2010), Recherchieren und Dokumentieren. Der richtige Umgang mit Literatur im Studium. Konstanz: UVK -Verlagsgesellschaft. Niemeier, Susanne & Reif-Hülser, Monika (2008), Making progress simpler? Applying cognitive grammar to tense-aspect teaching in the german EFL classroom. In: Dirven, René; Knop, Sabine de & Rycker, Teun de (Eds.), Cognitive Approaches to Pedagogical Grammar. A Volume in Honour of René Dirven. Berlin, New York: de Gruyter, 225-255. Nikendei, Christoph & Jünger, Jana (200), OSCE -- praktische Tipps zur Implementierung einer klinisch-praktischen Prüfung. Medizinische Ausbildung 23: 3, Doc. 4. North, Klaus (1998), Wissensorientierte Unternehmensführung. Wertschöpfung durch Wissen. Wiesbaden: Gabler. Nunan, David & Bailey, Kathleen (2009), Exploring Second Language Classroom Research. A Comprehensive Guide. Boston: Heinle Cengage Learning. Ochsenbauer, Anne-Katharina & Hickmann, Maya (2010), Children’s verbalizations of motion events in German. Cognitive Linguistics 21: 2, 217-238. <?page no="367"?> 368 9. Literaturverzeichnis Oomen, Ingelore (1980), Grundwortschatz für Ausländerkinder. In: Meiers, Kurt; Oomen, Ingelore; Pommerin, Gabriele & Schwenk, Helga (Hrsg.), Deutsch als Zweitsprache. Praxis Deutsch Sonderheft 80. Seelze: Friedrich Verlag, 37-39. Oomen-Welke, Ingelore (2015), Basiswortschatz I: Wortschatzaufbau und Wortschatzerweiterung bei Sachtexten-- in Erst- und Zweitsprache Deutsch. In: Kuhs, Katharina & Merten, Stefan (Hrsg.), Sprache und Sprachgebrauch untersuchen: Wortschatz. Trier: WVT , 11-29. Ortner, Hans Peter (2000), Schreiben und Denken. Tübingen: Niemeyer. Osgood, Charles Egerton; Sebeok, Thomas Albert; Gardner, John W.; Carroll, John B.; Newmark, Leonard D.; Ervin, Susan M.; Saporta, Sol; Greenberg, Joseph H.; Walker, Donald E.; Jenkins, James J.; Wilson, Kellogg & Lounsbury, Floyd G. (1954), Psycholinguistics: a survey of theory and research problems. The Journal of Abnormal and Social Psychology 49: 4, i-203. DOI : 10.1037 / h00355. Peuschel, Kristina (2012), Sprachliche Tätigkeit und Fremdsprachenlernprojekte. Fremdsprachliches Handeln und gesellschaftliche Teilhabe in radiodaf-Projekten. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. Popper, Karl (193 / 1994), Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis. Tübingen: Mohr Siebeck Preacher, Kristopher (2001), Calculation for the Chi-Square Test: An Interactive Calculation Tool for Chi-Square Tests of Goodness of Fit and Independence (Computer Software) [online unter https: / / quantspy.org 27. Juli 201]. Price, Sara (2002), Diagram Representation: The Cognitive Basis for Understanding Animation in Education. University of Sussex: Technical Report 553. Probst, Gilbert; Raub, Stefen & Romhardt, Kai (2010), Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen. Wiesbaden: Gabler. Przyborski, Aglaja & Wohlrab-Sahr, Monika (2008), Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. Berlin: De Gruyter. Pusch, Luise F. (2008), Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Redder, Angelika (2001), Aufbau und Gestaltung von Transkriptionssystemen. In: Brinker, Klaus; Antos, Gerd; Heinemann, Wolfgang & Sager, Svend Frederik (Hrsg.), Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Berlin, New York: De Gruyter, 1038-1059. Redder, Angelika; Schwippert, Knut; Hasselhorn, Marcus; Forschner, Sabine; Fickermann, Detlev & Ehlich, Konrad (2010), Grundzüge eines nationalen Forschungsprogramms zu Sprachdiagnostik und Sprachförderung (Bd. 1). Hamburg: Zentrum zur Unterstützung der wissenschaftlichen Begleitung und Erforschung schulischer Entwicklungsprozesse. Rehbein, Jochen; Schmidt, Thomas; Meyer, Bernd; Watzke, Franziska & Herkenrath, Annette (2004), Handbuch für das computergestützte Transkribieren nach HIAT . Hamburg: Sonderforschungsbereich 538. Reich, Hans H. (2005), Auch die „Verfahren zur Sprachstandsanalyse bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ haben ihre Geschichte. In: Gogolin, Ingrid; Neumann, Ursula & Roth, Hans-Jürgen (Hrsg.), Sprachdiagnostik bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Münster: Waxmann, 87-95. Reich, Hans H. (2008), Die Sprachaneignung von Kindern in Situationen der Zwei- und Mehrsprachigkeit. In: Ehlich, Konrad; Bredel, Ursula & Reich, Hans. H. (Hrsg.), Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung. Forschungsgrundlagen Band II . Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF , 13-19. <?page no="368"?> 369 9. Literaturverzeichnis Reif-Hülser, Monika (2012), Making Progress Simpler? Applying Cognitive Grammar to Tense-Aspect Teaching. Frankfurt am Main, New York: Peter Lang. Richter, Julia (2008), Phonetische Reduktion im Deutschen als L2. Eine empirische Querschnittsstudie. Perspektiven Deutsch als Fremdsprache 22. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Riedl, Alfred (2011), Didaktik der beruflichen Bildung (2. Aufl.). Stuttgart: Steiner. Riemer, Claudia (2010), Erste Schritte empirischer Forschung: Themenfindung, Forschungsplanung, forschungsmethodische Entscheidungen. In: Chlosta, Christian & Jung, Matthias (Hrsg.), DaF integriert: Literatur-- Medien-- Ausbildung. Tagungsband der . Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache . Göttingen: Universitätsverlag, 423-434. Rigol-Korpus (199), German / Rigol / Pauline / .cha [Online unter http: / / childes.talkbank.org/ browser/ index.php? url=German/ Rigol/ Pauline/ 04100.cha. 23. Januar 2018]. Rivers, Wilga (194), The Psychologist and the Foreign Language Teacher. Chicago: University of Chicago Press. Roberts, Celia; Wass, Val; Jones, Roger; Sarangi, Srikant & Gillett, Annie (2003), A discourse analysis study of 'good' and 'poor' communication in an OSCE : a proposed new framework for teaching students. Medical Education 37: 3, 192-201. Roche, Jörg (2003), Plädoyer für ein theoriebasiertes Verfahren von Software-Evaluation und Software-Design. Deutsch als Fremdsprache 2, 94-103. Roche, Jörg (2013), Mehrsprachigkeitstheorie. Erwerb-- Kognition-- Transkulturation-- Ökologie. Tübingen: Narr. Roche, Jörg; Jessen, Moiken; Weidinger, Nicole; Behrens, Heike; Haberzettl, Stefanie; Hasselhorn, Marcus; Ifenthaler, Dirk; Kapica, Natalia; Kecker, Gabi; Klein, Wolfgang; Madlener, Karin; Pagonis, Giulio; Schug, Maike; Skoruppa, Katrin; Terrasi-Haufe, Elisabetta & Thissen, Frank (201), Zur Entwicklung eines interaktiven Verfahrens der Sprachstandsermittlung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern - von der Idee zu ersten Umsetzungsschritten. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 21: 2, 127-142. Roche, Jörg; Reher, Janina & Šimić, Mirjana (2012), Focus on Handlung: Zum Konzept des handlungsorientierten Erwerbs sprachlicher, sozialer und demokratischer Kompetenzen im Rahmen einer Kinder-Akademie (Bd. ). Münster: LIT Verlag. Roche, Jörg & Scheller, Julija (2008), Grammar animations and cognition. In: Zhang, Felicia & Barber, Beth (Eds.), Handbook of Research on Computer-Enhanced Language Acquisition and Learning. Hershey: Information Science Reference, 205-218. Roche, Jörg & Suñer Muñoz, Ferran (2014), Kognition und Grammatik: Ein kognitionswissenschaftlicher Ansatz zur Grammatikvermittlung am Beispiel der Grammatikanimationen. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19: 2, 119-145. Roche, Jörg & Terrasi-Haufe, Elisabetta (2017), Sprachliche Handlungsfähigkeit. In: Günther, Hartmut; Kniffka, Gabriele; Knoop, Gabriele; Riecke-Baulecke, Thomas (Hrsg.), Basiswissen Lehrerbildung DaZ. Seelze: Kallmeyer in Verbindung mit Klett, Friedrich Verlag GmbH. Rösch, Heidi & Stanat, Petra (2011), Bedeutung und Form (BeFo): Formfokussierte und bedeutungsfokussierte Förderung in Deutsch als Zweitsprache. In: Natalia Hahn & Thorsten Roelcke (Hrsg.), Grenzen überwinden mit Deutsch. . Jahrestagung des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache an der Pädagogischen Hochschule Freiburg / Br. 2010. Göttingen: Universitäts-Verlag Göttingen, 149-11. Rosenbusch, Heinz S. (1995), Schule und Schulverwaltung-- Eine Reform der Schulverwaltung aus organisationspädagogischer Sicht. Schulmanagement 2: 4, 3-42.Rost, Friedrich (2010), Lern- und Arbeitstechniken für das Studium. Wiesbaden: VS . <?page no="369"?> 370 9. Literaturverzeichnis Rues, Beate; Redecker, Beate; Koch, Evelyn; Wallraff, Uta & Simpson, Adrian P. (2013), Phonetische Transkription des Deutschen. Ein Arbeitsbuch (., durchgesehene Auflage). Tübingen: Narr. Sacks, Harvey; Schegloff, Emanuel A. & Jefferson, Gail (1974), A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation. Language. Journal of the Linguistic Society of America 50: 4, 1, 9-735. Sager, Svend Frederik (2001a), Bedingungen und Möglichkeiten nonverbaler Kommunikation. In: Brinker, Klaus; Antos, Gerd; Heinemann, Wolfgang & Sager, Svend Frederik (Hrsg.), Text- und Gesprächslinguistik. HSK -Bd. .. New York, Berlin: De Gruyter, Art. 109. Sager, Svend Frederik (2001b), Gesprächssorte-- Gesprächstyp-- Gesprächsmuster. In: Brinker, Klaus; Antos, Gerd; Heinemann, Wolfgang & Sager, Svend Frederik (Hrsg.), Text- und Gesprächslinguistik. HSK -Bd. .. New York, Berlin: De Gruyter, Art. 138. Sager, Svend Frederik (2005), Ein System zur Beschreibung von Gestik. In: Bührig, Kristin & Sager, Svend Frederik (Hrsg.), Nonverbale Kommunikation im Gespräch. Editorial. Oldenburg: OBST , 5-17. Sandberg, Berit (2017), Wissenschaftlich Arbeiten von Abbildung bis Zitat. Lehr- und Übungsbuch für Bachelor, Master und Promotion. Berlin, Boston: de Gruyter. Sander, Wolfgang & Igelbrink, Christian (2010), Selbstbestimmt urteilen lernen. Schüler emotional stärken durch Metakognition und Urteilsbildung. Das Modellprojekt "Das ist gut für mich! ". Berlin, Münster: LIT -Verlag. Schäfer, Susanne & Heinrich, Dietmar (2010), Wissenschaftliches Arbeiten an deutschen Universitäten. Eine Arbeitshilfe für ausländische Studierende im geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich. München: Iudicum-Verlag. Schart, Michael & Legutke, Michael (2012), Lehrkompetenz und Unterrichtsgestaltung. Einheit 1. Goethe-Institut eV. München: Langenscheidt. (Mit CD -Rom und Lösungsschlüssel) Scheller, Julija (2009), Animationen in der Grammatikvermittlung. Multimedialer Spracherwerb am Beispiel von Wechselpräpositionen. Berlin, Münster: Lit. Scherer, Carmen (200), Korpuslinguistik. Heidelberg: Winter. Schegloff, Emanuel A. (2000), Overlapping talk and the organization of turn-taking for conversation. Language in Society 29: 1, 1-3. Schnotz, Wolfgang (2005), An integrated model of text and picture comprehension. In: Mayer, Richard (Ed.): The Cambridge Handbook of Multimedia Learning. Oxford: Cambridge University, 49-9. Schnotz, Wolfgang & Rasch, Thorsten (2009), Interactive and non-interactive pictures in multimedia learning environments: Effects on learning outcomes and learning efficiency. Learning and Instruction 19, 411-422. Schramm, Karen & Aguado, Karin (2010), Videographie in den Fachdidaktiken-- Ein Überblick. In: Aguado, Karin; Schramm, Karen & Vollmer Helmut J. (Hrsg.), Fremdsprachliches Handeln beobachten, messen und evaluieren. Neue methodische Ansätze der Kompetenzforschung und Videographie. Berlin: Lang, 185-214. Schramm, Karen (201), Gestaltung des Designs. In: Caspari, Daniela; Klippel, Friederike; Legutke, Michael K. & Schramm, Karen (Hrsg.) (201), Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Ein Handbuch. Tübingen: Narr, 37-382. Schulz von Thun, Friedemann (2011), Handbuch für Therapeuten, Gesprächshelfer und Moderatoren in schwierigen Gesprächen. Reinbeck: Rowohlt. Schulz, Petra & Tracy, Rosemarie (2011), Linguistische Sprachstandserhebung-- Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ). Göttingen: Hogrefe Verlag. <?page no="370"?> 371 9. Literaturverzeichnis Schulmeister, Rolf (2005), Lernplattformen für das virtuelle Lernen. Evaluation und Didaktik. München: Oldenbourg. Selting, Margret; Auer, Peter; Barth-Weingarten, Dagmar; Bergmann, Jörg; Bergmann, Pia; Birkner, Karin; Couper-Kuhlen, Elisabeth; Deppermann, Arnulf; Gilles, Peter; Günthner, Susanne; Hartung, Martin; Kern, Friederike; Mertzlufft, Christine; Meyer, Christian; Morek, Miriam; Oberzaucher, Frank; Peters, Jörg; Quasthoff, Uta; Schütte, Wilfried; Stukenbrock, Anja & Uhmann, Susanne (1998), Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem ( GAT ). Linguistische Berichte 173, 91-122. Selting, Margret; Auer, Peter; Barth-Weingarten, Dagmar; Bergmann, Jörg; Bergmann, Pia; Birkner, Karin; Couper-Kuhlen, Elisabeth; Deppermann, Arnulf; Gilles, Peter; Günthner, Susanne; Hartung, Martin; Kern, Friederike; Mertzlufft, Christine; Meyer, Christian; Morek, Miriam; Oberzaucher, Frank; Peters, Jörg; Quasthoff, Uta; Schütte, Wilfried; Stukenbrock, Anja & Uhmann, Susanne (2009), Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 ( GAT 2). Gesprächsforschung. Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 10, 353-402 [Online unter http: / / www.gespraechsforschung-online.de/ index.php? id=1&eID=dam_frontend_push&docID=59. 05. Februar 2018]. Settinieri, Julia (2014), Planung einer empirischen Studie. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.) (2014), Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Eine Einführung. Paderborn: Schöningh, 57-71. Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.) (2014), Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Eine Einführung. Paderborn: Schöningh. Silver, Christina & Patashnick, Jennifer (2011), Finding fidelity: advancing audiovisual analysis using software. Qualitative Research 11. Slobin, Dan Isaac (199), From “thought and language” to “thinking for speaking”. In: Gumperz, John Joseph & Levinson, Stephen Curtis (Hrsg.), Rethinking Linguistic Relativity. Studies in the Social and Cultural Foundations of Language (Vol. 17). Cambridge: Cambridge University Press, 70-9. Slobin, Dan Isaac (2004), The many ways to search for a frog: Linguistic typology and the expression of motion events. In: Strömqvist, Sven & Verhoeven, Ludo (Hrsg.), Relating Events in Narrative. Typological and Contextual Perspectives. Mahwah, New Jersey: Lawrence Erlbaum, 219-257. Slobin, Dan Isaac; Bowerman, Melissa; Brown, Penelope; Eisenbeiss, Sonja & Narasimhan, Bhuvana (2011), Putting things in places: Developmental consequences of linguistic typology. In: Bohnemeyer, Jürgen & Pederson, Eric (Eds.), Event Representation. Cambridge: Cambridge University Press, 134-15. Sorrentino, Daniela (2012), Studentisches Schreiben italienischer Lernender in der Fremdsprache Deutsch-- Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Münster: Waxmann. Stahl, Johanna & Kipman, Ulrike (2012), Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten. Schwerpunkt empirische Forschung. Ein Leitfaden für Studierende. [Online unter www.oezbf.at/ cms/ tl_files/ Forschung/ Masterthesen,%20Bakkalaureatsarbeiten/ Skriptum_Wiss_Arbeiten_komplett_2013-02-28. pdf. 05. Dezember 2017]. Stanovich, Keith (198), Matthew effects in reading: some consequences of individual differences in the acquisition of literacy. Reading Research Quarterly 21: 4, 30-407. Statistisches Bundesamt (2014), Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus  [Online unter https: / / www.destatis.de/ DE/ Publikationen/ Thematisch/ Bevoelkerung/ MigrationIntegration/ Migrationshintergrund.html. 05. Februar 2018]. <?page no="371"?> 372 9. Literaturverzeichnis Steinhoff, Torsten (2007), Wissenschaftliche Textkompetenz. Sprachgebrauch und Schreibentwicklung in wissenschaftlichen Texten von Studenten und Experten. Tübingen: Niemeyer. Stern, Henry (1983), Fundamental concepts of language teaching. Oxford / New York: Oxford University Press. Stifter, Eva Patricia (2002), Qualitätssicherung und Rechenschaftslegung an Universitäten. Evaluierung universitärer Leistungen aus rechts- und sozialwissenschaftlicher Sicht. Wien: Böhlau. Talmy, Leonard (2000), Toward a cognitive Semantics: Typology and Process in Concept Structuring. Cambridge, Massachusetts: MIT Press. Terrasi-Haufe, Elisabetta (2018), Sprachentwicklung und Sprachförderung von Neuzugewanderten in der beruflichen Ausbildung: eine Fallanalyse. In: Dewitz, Nora von; Terhart, Henrike & Massumi, Mona (Hrsg.), Übergänge in das deutsche Bildungssystem: Eine interdisziplinäre Perspektive auf Neuzuwanderung. Weinheim: Beltz Juventa 251-27. The International Phonetic Alphabet (2005), IPA -Lautschrift [Online unter http: / / deacademic.com/ pictures/ dewiki/ 73/ IPA_chart_2005.png. 23. Januar 2018]. Thielmann, Winfried (1999), Begründungen versus advance organizers. Zur Problematik des Englischen als lingua franca in der Wissenschaft. Deutsche Sprache 4, 370-378. Thüne, Eva-Maria (200), Argumentative Texte im DaF-Unterricht an italienischen Universitäten. In: Marina Foschi Albert, Marianne Hepp & Eva Neuland, (Hrsg), Texte in Sprachforschung und Sprachunterricht. Pisaner Fachtagung  zu neuen Wegen der italienisch-deutschen Kooperation. München: iudicium 200, 19--205. Tomasello, Michael (2003), Constructing a Language: A Usage-Based Theory of Language Acquisition. Cambridge: Harvard University Press. Tyler, Andrea (2008), Cognitive linguistics and second language instruction. In: Robinson, Peter & Ellis, Nick (Eds.), Handbook of Cognitive Linguistics and Second Language Acquisition. New York: Routledge, 45-488. Universität Bielefeld, Lehr- und Forschungsgebiet Deutsch als Fremdsprache (2015), Fach: Deutsch als Fremdsprache-- Links: Zeitschriften. Fachzeitschriften [Online unter: www.uni-bielefeld.de/ lili/ studium/ faecher/ daf/ links/ zeitschriften.html. 05. Februar 2017]. Vater, Heinz (2001), Einführung in die Textlinguistik. Struktur und Verstehen von Texten. München: Fink. Vogler, Stefanie (2008), Einzelsprachliche Verwendungsvarianten von Anglizismen in der italienischen und deutschen Wirtschaftssprache. In: Di Meola, Claudio; Gaeta, Livio; Hornung, Antonie & Rega, Lorenza (Hrsg.), Perspektiven Drei. Akten der . Tagung Deutsche Sprachwissenschaft in Italien. Frankfurt am Main: Lang, 173-184. vom Lehn, Birgitta (2012), Schreibberatung für Studenten. Endlich Schreiben lernen. Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, 11. 01. 2012 [Online unter http: / / www.faz.net/ aktuell/ beruf-chance/ campus/ schreibberatung-fuer-studenten-endlich-schreiben-lernen-11593828.html. 25. Januar 2017]. von Stutterheim, Christiane (1997), Zum Ausdruck von Zeit- und Raumkonzepten in deutschen und englischen Texten. Zeitschrift für Germanistische Linguistik 25: 2, 147-1. Wahl, Diethelm (1991), Handeln unter Druck. Der weite Weg vom Wissen zum Handeln bei Lehrern, Hochschullehrern und Erwachsenenbildnern. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag. Wagner, Wolf (1985), Diskussionswaffen. Kassandra . Weinrich, Harald (1971); Literatur für Leser. Essays und Aufsätze zur Literaturwissenschaft. Stuttgart: Kohlhammer. Wessa, Patrick (2013), Free Statistics Software, Office for Research Development and Education, Version 1. 1. 23-r7 [Online unter http: / / www.wessa.net/ . 19. Juli 2013] <?page no="372"?> 373 9. Literaturverzeichnis Wierlacher, Alois (Hg.) (1987), Perspektiven und Verfahren interkultureller Germanistik. Akten d. I. Kongresses d. Ges. für Interkulturelle Germanistik. München: Iudicium. Wiese, Richard (2010), Phonetik und Phonologie. München: Fink. Wiethoff, Maike (2015), Wissenschaftspropädeutik durch sinnvolle Textformen. In: Schindler, Kirsten & Fischbach, Julia (Hrsg.), Zwischen Schule und Hochschule: Akademisches Schreiben. Eine Kontroverse. Zeitschrift Schreiben, 80-82. Wylie, Laurence William, Bégué, Armand & Bégué, Louise (1970), Les Français. Englewood Cliffs, NJ : Prentice-Hall. Załęska, Maria (2010), Schluss ohne Schlussfolgerungen? Schlussabschnitte sprachwissenschaftlicher Artikel im Vergleich. In: Heller, Dorothee (Hrsg.), Deutsch, Italienisch und andere Wissenschaftssprachen. Schnittstellen ihrer Analyse. Frankfurt am Main: Lang, 151-179. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht ( ZIF ) (2014), Formatvorlage [Online unter http: / / static.ulb.tu-darmstadt.de/ ojs/ ZIF_Formatvorlage.pdf. 05. Februar 2017]. Zifonun, Gisela; Hoffmann, Ludger & Strecker, Bruno (1997), Grammatik der deutschen Sprache. Schriften des Instituts für deutsche Sprache, 7.3. Berlin / New York: deGruyter. <?page no="374"?> 375 10. Abbildungsverzeichnis 10. Abbildungsverzeichnis 1.1: Lernziele; Eigene Abbildung. 1.2: Experiment; Eigene Abbildung. 1.3: Zusammenfassung; Eigene Abbildung. 1.4: Aufgaben zur Wissenskontrolle; Eigene Abbildung. 1.5: Startseite der Lernplattform am Beispiel der Lernplattform, die die Bände dieser Reihe begleitet [Online unter https: / / kurse.multilingua-akademie.de/ . 01. März 2018]. 1.: Frei verfügbare Autorensoftware Hot Potatoes zur Erstellung webbasierter, interaktiver Übungen [Online unter https: / / www.hotpotatoes.de/ . 01. März 2018]. 1.7: Frei verfügbare Autorensoftware Hot Potatoes zur Erstellung webbasierter, interaktiver Übungen [Online unter https: / / www.hotpotatoes.de/ . 01. März 2018]. 1.8: Abbildung einer virtuellen Vorlesung zum Thema Spracherwerb mit Vorlesungsmitschnitt, transkribiertem Text mit integrierter Suchfunktion und zusätzlichem Ressourcenfeld für Folien und ähnliches aus aus Grundlagen und Konzepte des DaF-Unterrichts (Fernlehrgang des Goethe-Instituts in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität); Eigene Abbildung. 1.9: Startseite des digitalen Lexikons; Digitales Lexikon Fremdsprachendidaktik [Online unter http: / / www.lexikon-mla.de/ . 01. März 2018]. 1.10: Eintrag zum Thema Chunks / Chunking; Digitales Lexikon Fremdsprachendidaktik [Online unter http: / / www.lexikon-mla.de/ lexikon/ chunkschunking/ . 01. März 2018]. 1.11: Inductive Reasoning Test, Beispiel (1) (1,2,3 test 2018) 1.12: Zusammenhang von induktiven und deduktiven Verfahren, Angelehnt an Chalmers, Alan (1999), Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie (3. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer, 4. 2.1: Lernen und Wissen; Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 108. 2.2: Wissenstreppe (nach North 1998); North, Klaus (1998), Wissensorientierte Unternehmensführung. Wertschöpfung durch Wissen. Wiesbaden: Gabler, 41. 2.3: Wissensformen, Bewusstseinsebenen und Träger von Wissen; Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 115. 2.4: Bausteine des Wissensmanagements nach Probst; Raub & Romhardt; Probst, Gilbert; Raub, Steffen & Romhardt, Kai (2010), Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen. (. überarbeitete und erweiterte Aufl.). Wiesbaden: Gabler, 28. 2.5: Mögliche Symbole für die Darstellung von Zusammenhängen; Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 128. 2.: Beispiel Wissenslandkarte; Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 128. 2.7: Wissen im Tortendiagramm; Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 131. 2.8: Community of Practice; Bastian, Jasmin & Groß, Lena (2017), Lerntechniken und Wissensmanagement (2. überarbeitete Aufl.). Wien: Huter & Roth KG , 133. 3.1: Beurteilungsprozess eingereichter Arbeiten durch die ZIF ; Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht ( ZIF ) (2014), Formatvorlage, 4f [Online unter http: / / static.ulb.tu-darmstadt.de/ ojs/ ZIF_Formatvorlage.pdf. 05. Dezember 2017]. 3.2: Beschreibung und Klassifizierung von Publikationsorganen gemäß den Vorgaben der Gesellschaft für Fachdidaktik; Gesellschaft für Fachdidaktik ( GFD ) (2009), Empfehlungen zur Evaluie- <?page no="375"?> 376 10. Abbildungsverzeichnis rung von Forschung und Entwicklung in der Fachdidaktik, 4 [Online unter http: / / www.dgff.de/ fileadmin/ user_upload/ dokumente/ Sonstiges/ GFD_Empfehlungen_zur_Evaluierung_von_Forschung_und_Entwicklung_in_der_Fachdidaktik.pdf. 05. Dezember 2017]. 3.3: Leitsätze zur Erstellung von Literaturüberblicken nach Nunan & Bailey; Nunan, David & Bailey, Kathleen (2009), Exploring Second Language Classroom Research. A Comprehensive Guide. Boston: Heinle Cengage Learning, 35 f. 4.1: John; Eigene Abbildung. 4.2: Antonio; Eigene Abbildung. 4.3: Rita; Eigene Abbildung. 4.4: Ana: Eigene Abbildung. 4.5: Maria: Eigene Abbildung. 4.: Pro + Contra. Deutsch oder Englisch? ; Müller, Hermann & Ehlich, Konrad (2005), Pro + Contra. Deutsch oder Englisch? MünchnerUni.Magazin, Zeitschrift der Ludwig-Maximilians-Universität 2005: 2, 28 [Online unter https: / / www.uni-muenchen.de/ aktuelles/ medien/ mum/ archiv/ 2005/ mum_02_05.pdf. 29. Januar 2018]. 5.1: PowerPointfolie 1; Koch, Günther (2015a), Studieren mit Köpfchen. Paderborn: Schöningh, 144. 5.2: PowerPoint-Folie 2; Koch, Günther (2015a), Studieren mit Köpfchen. Paderborn: Schöningh, 14. 5.3: Denkplan; Franck, Norbert (2013), Diskussionen bestreiten und leiten. In: Frank, Norbert & Stary, Joachim (Hrsg), Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG , 270. 5.4: Redeverlauf; Franck, Norbert (2013), Diskussionen bestreiten und leiten. In: Frank, Norbert & Stary, Joachim (Hrsg), Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG , 270. 5.5: Argumentationsstruktur Problemlösung oder Vorschlag; Franck, Norbert (2013), Diskussionen bestreiten und leiten. In: Frank, Norbert & Stary, Joachim (Hrsg), Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG , 271. 5.: Argumentationsstruktur Standpunkt begründen; Franck, Norbert (2013), Diskussionen bestreiten und leiten. In: Frank, Norbert & Stary, Joachim (Hrsg), Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG , 272. .1: Skizze zur Auswahl des passenden Testverfahrens; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 108. .2: Beispiel eines Histogramms; Europäische Kommission (1999), Prozentsatz der Personen, die abgesehen von ihrer Muttersprache, eine andere Sprache gut genug sprechen, um sich darin zu unterhalten. Eurobarometer. Die öffentliche Meinung der Europäischen Union. Bericht Nr. . Umfragen: Oktober-November , 108 [Online unter http: / / ec.europa.eu/ commfrontoffice/ publicopinion/ archives/ eb/ eb50/ eb50_de.pdf. 02. Februar 2018]. In: Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 112. .3: Formel zur Errechnung des Mittelwertes der Verteilung; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 117. .4: Formel zur Berechnung der Standardabweichung; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 118. <?page no="376"?> 377 10. Abbildungsverzeichnis .5: Die Gaußsche Normalverteilung; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 119. .: Gruppen C (gestrichelte Linie) und D (durchgezogene Linie); Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 120. .7: Boxplot zur Darstellung des Interquartilbereichs; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 121. .8: Formel zur Berechnung des z-Werts; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 122. .9: Histogramm (Häufigkeitsverteilung); Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 123. .10: Polygon; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 123. .11: Streudiagramm der Benotungen aus Tabelle 5; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 127. .12: Streudiagramm einer perfekten negativen Korrelation; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 127. .13: Excel-Arbeitsmappe zur Berechnung von Korrelationen; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 129. .14: Streudiagramm der Daten aus Tabelle 5 (r= ,); Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 129. .15: Spearman Rho-Rechner; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 135. .1: Formel für den Chi-Quadrat-Test; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 137. .17: Ergebnisse des Chi-Quadrat-Tests; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 137. .18: Chi-Quadrat-Rechner; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 139. .19: Mittelwerte der untersuchten Gruppen; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 14. <?page no="377"?> 378 10. Abbildungsverzeichnis .20: Ausgabe des t-Werts bei abhängigen Stichproben bei Excel 2013; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 149. .21: Ausgabe des t-Werts bei unabhängigen Stichproben bei Excel 2013; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 151. .22: r-= ,, r² = ,; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 14. .23: Formel zur Berechnung des δ-Maß‘; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 15. .24: Berechnung des δ-Maß‘; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 15. .25: Formel zur Berechnung von Cramérs V; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 1. .2: Berechnung von Cramérs V; Albert, Ruth & Marx, Nicole (201), Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachenforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr, 1. 7.1: Screenshot einer Grammatikanimation zum Verb dürfen; Kanaplianik ( EL -Bouz), Katsiaryna (201), Kognitionslinguistisch basierte Animationen für die deutschen Modalverben. Zusammenspiel der kognitiven Linguistik und des multimedialen Lernens bei der Sprachvermittlung. Berlin, Münster: Lit., 177. 7.2: Ergebnisse im Vortest (Boxplot-Graphik); nach Kanaplianik ( EL -Bouz), Katsiaryna (201), Kognitionslinguistisch basierte Animationen für die deutschen Modalverben. Zusammenspiel der kognitiven Linguistik und des multimedialen Lernens bei der Sprachvermittlung. Berlin, Münster: Lit., 219. 7.3: Ergebnisse im Nachtest 2; nach Kanaplianik ( EL -Bouz), Katsiaryna (201), Kognitionslinguistisch basierte Animationen für die deutschen Modalverben. Zusammenspiel der kognitiven Linguistik und des multimedialen Lernens bei der Sprachvermittlung. Berlin, Münster: Lit., 221. 7.4: Screenshot EXMAR a LDA -Partitur-Editot; Mempel, Caterina & Mehlhorn, Grit (2014). Datenaufbereitung. Transkription und Annotation. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.), Einführung in empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn: Schöningh, 150. 7.5: Screenshot f5; Mempel, Caterina & Mehlhorn, Grit (2014). Datenaufbereitung. Transkription und Annotation. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.), Einführung in empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn: Schöningh, 151. 7.: Beispiel GAT ; Rossa, Henning (2010), Was messen Hörverstehensaufgaben? Ansätze zur Konstruktvalidierung von Sprachtestaufgaben als Beitrag zur Qualitätssicherung in der Kompetenzforschung. In: Aguado, Karin; Schramm, Karen & Vollmer, Helmut J. (Hrsg.), Fremdsprachliches Handeln beobachten, messen, evaluieren. Neue methodische Ansätze der Kompetenzforschung und der Videographie. Frankfurt am Main: Lang, 119-152. <?page no="378"?> 379 10. Abbildungsverzeichnis 7.7: Graphikfenster in Praat mit Oszillogramm, Intonationskontur und annotiertem Textgrid; Mempel, Caterina & Mehlhorn, Grit (2014). Datenaufbereitung. Transkription und Annotation. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.), Einführung in empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn: Schöningh, 15. 7.8: Beispieltranskript für die Verschriftung nonverbalen Verhaltens nach HIAT und die Einbindung von Bildern ins Transkript; Mempel, Caterina & Mehlhorn, Grit (2014). Datenaufbereitung. Transkription und Annotation. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin- Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.), Einführung in empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn: Schöningh, 159. 7.9: Miniaturabbildung der Software Feldpartitur (http: / / www.feldpartitur.de): Die Abbildung zeigt den integrierten Videoplayer, die automatisch generierte Einzelbildleiste und Transkriptionen in der Feldpartitur in fünf Editier-Modi: frame-by-frame, Verbalumschreibung von Ereignissen, Transcript, Notation von Symbolen innerhalb eines definierten Bezugsrahmens, Codescript; Moritz, Christine (2009), Die Feldpartitur. System zur Abbildung realzeitlicher Handlungsprozesse auf der Basis audiovisuellen Datenmaterials. Postersession, . Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung [Online unter http: / / www.qualitative-forschung.de/ methodentreffen/ archiv/ poster/ poster_2009/ moritz.pdf. 05. Februar 2018]. 7.10: Screenshot Transana. Das Transkript wird hier parallel zum Video präsentiert; Mempel, Caterina & Mehlhorn, Grit (2014). Datenaufbereitung. Transkription und Annotation. In: Settinieri, Julia; Demirkaya, Sevilen; Feldmeier, Alexis; Gültekin-Karakoç, Nazan & Riemer, Claudia (Hrsg.), Einführung in empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn: Schöningh, 14 7.11: Die Benutzeroberfläche des EXMARaLDA Partitur-Editors bei der Transkription einer Unterrichtssequenz; EXMARaLDA 2018 [Online unter: https: / / exmaralda.org/ de/ 10. Juli 2018]. 7.12: Mit EXMARaLDA angefertigte Transkription einer Unterrichtssequenz am Goethe Institut in Berlin (basierend auf der Video-Aufnahme 14 / 14 von Schart & Legutke 2012); EXMARaLDA 2018 [Online unter: https: / / exmaralda.org/ de/ 10. Juli 2018]. 7.13: Das FOLK -Korpus in der Datenbank für Gesprochenes Deutsch des IDS Mannheim ( DGD 2018) [Online unter: https: / / dgd.ids-mannheim.de/ dgd/ pragdb.dgd_extern.corpora? v_session_id=- 2115DBD9F71B19578B23BE3A4FCF3F2&v_doctype=c&v_corpus=FOLK 08. Juli 2018]. 7.14: Struktursensitive Metadatensuche im FOLK -Korpus (Datenbank für Gesprochenes Deutsch 2018) [Online unter: https: / / dgd.ids-mannheim.de/ DGD2Web/ jsp/ StructuredMetadataQuery. jsp? v_session_id=F94AF03A2EF35ABAAF8BDF537F0F8 9. 07. 2018]. 7.15: Informationen zur struktursensitiven Tokensuche in der DGD (Datenbank für Gesprochenes Deutsch 2018) [Online unter: https: / / dgd.ids-mannheim.de/ DGD2Web/ jsp/ StructuredTokenQuery.jsp? v_session_id=F94AF03A2EF35ABAAF8BDF537F0F8 09. Juli 2018]. 8.1: Triangulierendes Forschungsdesign zur Erfassung von handlungsorientiertem Unterricht; Hoffmann, Martina (in Vorbereitung), Zur Entwicklung der mündlichen Kompetenz von Berufsschülerinnen und -schülern im sprachintegrativen handlungsorientierten Unterricht. Münster: Lit. Verlag. 8.2: Exemplarische Skizze zu den Positionen von Kameras (K) und Tischmikrophonen (M); Eigene Abbildung. 8.3: Auszug aus einem Rollenspiel-Transkript; Terrasi-Haufe, Elisabetta (im Druck), Sprachentwicklung und Sprachförderung von Neuzugewanderten in der beruflichen Ausbildung: eine Fallanalyse. In: Dewitz, Nora von; Terhart, Henrike & Massumi, Mona (Hrsg.), Übergänge in das deutsche Bildungssystem: Eine interdisziplinäre Perspektive auf Neuzuwanderung. Weinheim: Beltz Juventa. <?page no="379"?> 380 10. Abbildungsverzeichnis 8.4: Exemplarischer Auszug aus dem prozessbegleitenden Portfolio; Hoffmann, Martina (in Vorbereitung), Zur Entwicklung der mündlichen Kompetenz von Berufsschülerinnen und -schülern im sprachintegrativen handlungsorientierten Unterricht. Münster: Lit. Verlag. 8.5: Auszug aus der Bewertungsskala Arzt-Patienten-Kommunikation (Anamnesegespräch); Zur Verfügung gestellt von SAM -- Sprachtest für Ausländische Mediziner. 8.: Auszug aus dem Beiblatt zur Bewertungsskala Arzt-Patienten-Kommunikation (Vorbereitungsgespräch vor einer Operation); Zur Verfügung gestellt von SAM -- Sprachtest für Ausländische Mediziner. 8.7: Die Bildergeschichte Baby Goats aus MAIN ; Gagarina, Natalia; Klop, Daleen; Kunnari, Sari; Tantele, Koula; Välimaa, Taina; Balčiūnienė, Ingrida; Bohnacker, Ute & Walters, Joel (2012), MAIN : Multilingual Assessment Instrument for Narratives. ZAS Papers in Linguistics , 39. [Online unter http: / / www.zas.gwz-berlin.de/ fileadmin/ material/ ZASPiL_Volltexte/ zp5/ MAIN_pictures.pdf. 20. Dezember 2018] 8.8: Transkript Pauline; Rigol-Korpus (199), Datei German / Rigol / Pauline / .cha [Online unter http: / / childes.talkbank.org/ browser/ index.php? url=German/ Rigol/ Pauline/ 04100.cha. 23. Januar 2018]. 8.9: Spielumgebung der Kinder-App; Zur Verfügung gestellt vom Projekt „Sprachstandsermittlung bei Kindern mit Migrationshintergrund“. 8.10: Bildbeispiele aus dem App-Prototyp der spielerischen Erhebungsumgebung; Zur Verfügung gestellt vom Projekt „Sprachstandsermittlung bei Kindern mit Migrationshintergrund“. 8.11: User-Interface der Testleiter-App; Zur Verfügung gestellt vom Projekt „Sprachstandsermittlung bei Kindern mit Migrationshintergrund“. 8.12: Muster im Sprachgebrauch von ein- und mehrsprachigen Kindern; Eigene Abbildung. <?page no="380"?> 381 11. Register 11. Register abhängige Variable 19 alltägliche Wissenschaftssprache 133 Aussagekraft 250 BBaseline 333 Basisqualifikationen 327 belastete Wörter 80 beschreibende Statistik 20 Beziehungsdimension 174 bibliometrische Halbwertszeit 108 Biorhythmus 85 Brainstorming 148 CCHILDES-Datenbank 332 Communities of Practice (CoP) 4 DDeduktivismus 35 Diakritika 281 Diskurs 29 Eeinseitige Hypothesen 238 Elizitieren 19 empirisch 34 Empirismus 34 Epistemologie 33 explizites Wissen 48 explorative Studien 192 Exposé 125 Exzerpt 124 FFalsifizierung 192 Fehler 1. Art 239 Fehler 2. Art 239 flüchtige Inhalte 70 Fokus 10 Fragestellung 102 funktional-pragmatische Diskursanalyse 29 GGeltungsbereich 191 Glossar 120 Goldstandardsetzung 323 Hhalbinterpretative Arbeitstranskription (HIAT) 299 Hypothese 192 implizites Wissen 48 Indikator 11 Induktivismus 35 inferieren 215 International Phonetic Alphabet, IPA 280 intertextuelle Bezüge 137 Introspektion 190 intuitives Wissen 57 KKanonizität 342 Keynotespeaker 14 Kohärenz 131 Kohäsion 131 kollektives Wissen 50 Kollokationen 304 kommentierten Bibliographie 120 Kontroversenreferat 124 Korpus 199 Korrelation 21 Kurzzeitgedächtnis 91 LLangzeitgedächtnis 91 Lemmatisierung 307 Lernerkorpora 305 Lernmanagementsysteme 74 lineare Regressionsanalyse 224 MMedian 28 Medium 11 Mehrfachautorenschaft 105 Mercator-Studie 330 Mindmap 84 Mnemotechniken 92 multimediale Korpora 305 Multiple Mini-Interviews 320 multiple Regression 224 Nnonverbale Kommunikation 285 Normalverteilung 238 OObjektivität 192 offene Beobachtung 193 offene Frage 18 P <?page no="381"?> 382 11. Register paraphrasieren 137 Partiturnotation 278 Part-Of-Speech-Tagging 307 Peer-Review 10 phonematische Transkription 282 Pilotierung 319 populärwissenschaftlicher Zeitungsartikel 121 Pragmatik 29 Präsentationsprogramm 151 Prompt 338 Protokoll 124 prüfende Statistik 20 p-Wert 223 Qqualitative Forschung 40 quantitative Forschung 40 Rrational 34 Rationalismus 34 Recherchestrategie 104 Referenzkorpora 305 reguläre Ausdrücke 310 Reliabilität 191 retrospektive Befragung 315 rhetorische Frage 150 Ssatellite-framed languages 334 Scaffoldingoptionen 338 Scanning 8 Scheinkorrelation 234 Schlüsselqualifikation 91 Schreibertypen 131 Seminararbeit 125 Serious Game 341 Signifikanz 29 Skimming 8 Slide 150 Social Bookmarks 73 Social Software 71 Soft Skills 91 Speed Reading 87 spezialisierte Korpora 305 Sprecherwechsel 295 SQ3R 87 Störvariable 198 studentisches Schreiben 125 Subvokalisieren 88 TTagesordnung 185 Template 154 Testitems 341 Textstruktur 133 thinking for speaking 334 Token 305 träges Wissen 49 Transkribieren 194 Turn-Übergangspunkt 297 Type 305 Type-Token-Ratio 354 UÜbergeneralisierung 354 Ultrakurzzeitgedächtnis 91 unabhängige Variable 19 universitäre Schreibanleitung 120 VValidität 191 Variable 19 verb-framed languages 334 verdeckte Beobachtung 193 WWildcard 308 Wissen 44 wissenschaftlicher Aufsatz 120 wissenschaftliche Seniorität 104 wissenschaftliches Schreiben 120 Wissenserwerb 57 Wissensmanagement 53 Zzweiseitige Hypothesen 238 <?page no="382"?> Wissenscha tiches Denken, Lernen, Arbeiten und Publizieren erfordern in einer stark differenzierten und technologisierten Studien- und Forschungslandschaft vielfältige Grundkompetenzen in der Organisation und im Management von Wissen, in einer Vielzahl von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden, in Datenmanagement und Datenanalyse, in Statistik, in den Lern- und Arbeitsmedien und in der Kommunikation von Ergebnissen. Dieser Band liefert dazu eine grundlegende Einführung in gut verständlicher Sprache und mit Beispielen aus der Erforschung des Erwerbs und der Vermittlung von Sprachen. 3 3 DaF/ DaZ 3 Kompendium DaF/ DaZ ISBN 978-3-8233-8219-5 Roche (Hg.) Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten Jörg Roche (Hg.) Propädeutikum wissenschaftliches Arbeiten Kompendium DaF/ DaZ 18219_Roche_Umschlag.indd 1,3 20.03.2019 10: 55: 09