Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart
Festschrift für Marcus Reinfried
0716
2018
978-3-8233-9240-8
978-3-8233-8240-9
Gunter Narr Verlag
Hélène Martinez
Franz-Joseph Meißner
Mit intellektueller Originalität, wissenschaftlicher Strenge und theoretischer Prägnanz hat Marcus Reinfried die Didaktik der romanischen Sprachen geprägt. Er ist für seine Forschungsarbeiten zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts sowie im Bereich der Methoden, der Medien-, Mehrsprachigkeits- und Landeskundedidaktik bzw. Interkulturalität national wie international be- und anerkannt. Seinen 65. Geburtstag haben FreundInnen, KollegInnen und SchülerInnen zum Anlass genommen, ihn und sein Schaffen mit einem Band zu würdigen, der die Forschungsfelder dieses geschätzten Wissenschaftlers wiedergibt. Die Beiträge lassen sich zwei großen Themen zuordnen: Fremdsprachenunterricht in historischer Perspektive und Facetten neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts.
<?page no="1"?> Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Hélène Martinez / Franz-Joseph Meißner (Hrsg.) Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart Festschrift für Marcus Reinfried <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8240-9 <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis Tabula Gratulatoria ......................................................................................................IX Hélène Martinez/ Franz-Joseph Meißner Vorwort ............................................................................................................................. 1 Walter Kuhfuß Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers ............................................................................................................................. 5 Christiane Fäcke Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? Ein Blick auf die Internationale Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch ................................ 25 Andreas Rauch Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu ................................. 41 Laurenz Volkmann Grundthemen der Lexisvermittlung im Englischunterricht: Historische Dimensionen, aktuelle Perspektiven ....................................................................... 63 Franz-Joseph Meißner Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe der rezeptiven Mündlichkeit ............................................................................................. 77 Javier Suso López Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère : quelques exemples en territoire allemand ............................................................ 107 Marie-Christine Kok Escalle Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895- ... 133 Gérard Vigner Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? Regards sur Le congrès intercolonial de l’enseignement dans les colonies et dans les pays d’Outre-mer tenu à l’occasion de l’Exposition coloniale de 1931 ........... 153 Friederike Klippel Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses .......................................................................................................175 Hermann Funk Glanz und Elend Neuphilologischer Verbandsarbeit - vom ADNV über den FMF zum GMF .....................................................................................................209 <?page no="8"?> VIII Daniel Coste Note sur quelques aspects des rapports entre linguistique et linguistique appliquée dans les années 1960 en France ............................................................ 221 Frank G. Königs Ein Plädoyer für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht - und gegen den Hang zur Verabsolutierung .................................................................. 233 Jürgen Mertens Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken der (neo-)kommunikativen Ära .............................................................................. 245 Mark Bechtel Die Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassen ................................. 275 Inez De Florio-Hansen Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext der Digitalisierung ..... 291 Ingeborg Christ Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 im Spiegel politischer Karikaturen ............................................................... 303 Steffi Morkötter Schülerseitige Aushandlungsprozesse bei der Bearbeitung sprachenübergreifend gestalteter Aufgaben ........................................................ 337 Dagmar Abendroth-Timmer « Je veux quʼà la fin ils se sentent un peu plus à lʼaise de parler »: Die Sicht von Tutor/ innen auf das Lehren und Lernen in Konversationskursen eines universitären Sprachenzentrums ............................................................................ 355 Marcus Reinfried: Curriculum vitae ........................................................................ 379 Marcus Reinfried: Schriftenverzeichnis .................................................................. 380 <?page no="9"?> IX Abendroth-Timmer, Dagmar, Siegen Bär, Marcus, Wuppertal Bechtel, Mark, Osnabrück Blume, Otto-Michael, Hilden Brunzel, Peggy, Gießen Christ, Ingeborg, Düsseldorf Costadura, Edoardo, Jena Coste, Daniel, Paris (Frankreich) Dahmen, Wolfgang, Jena De Florio-Hansen, Inez, Kassel Fäcke, Christiane, Augsburg Finkbeiner, Claudia, Kassel Funk, Hermann, Jena García, Marta, Göttingen Giesler, Tim, Bremen Hammerschmidt, Claudia, Jena Haßler, Gerda, Potsdam Kahn, Gisèle, Paris (Frankreich) Käsebier, Bernd, Osnabrück Klippel, Friederike, München Koch, Corinna, Paderborn Kok Escalle, Marie-Christine, Utrecht (Niederlande) Königs, Frank G., Marburg Kuhfuß, Walter, Trier Martinez, Hélène, Gießen McLelland, Nicola, Nottingham (Großbritannien) Meißner, Franz-Joseph, Gießen Melo-Pfeifer, Silvia, Hamburg Mertens, Jürgen, Ludwigsburg Morkötter, Steffi, Rostock Neveling, Christiane, Leipzig Pfeiffer, Alexander, Halle (Saale) Rauch, Andreas, Chemnitz Reimann, Daniel, Essen Rück, Nicola, Einbeck Santos, Ana Clara, Faro (Portugal) Schädlich, Birgit, Göttingen Schiffler, Ludger, Berlin Schlösser, Rainer, Luckenwalde Schmelter, Lars, Wuppertal Schröder-Sura, Anna, Rostock Tabula Gratulatoria <?page no="10"?> Schumann, Adelheid, Siegen Smith, Richard, Coventry (Großbritannien) Suso López, Javier, Granada (Spanien) Tesch, Bernd, Kassel Vigner, Gérard, Paris (Frankreich) Volkmann, Laurenz, Jena <?page no="11"?> Vorwort 1 Vorwort Hélène Martinez / Franz-Joseph Meißner Es war Freunden und Kollegen ein Bedürfnis, Marcus Reinfried anlässlich seines 65. Geburtstags angemessen zu würdigen. Mit der vorliegenden Festschrift möchten die Herausgeber - gemeinsam mit den Autoren - den Jubilar für seine fachliche Leistung und sein großes fachdidaktisches Engagement in Fachverbänden ehren. Mit intellektueller Originalität, wissenschaftlicher Strenge und theoretischer Prägnanz hat Marcus Reinfried die romanistische Fremdsprachendidaktik der letzten Jahrzehnte mitgeprägt. Die Arbeitsschwerpunkte des Jubilars reichen von der Methodengeschichte und Methodik über die Medien-, Mehrsprachigkeits- und Landeskundedidaktik bzw. Interkulturalität bis hin zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts. Besonders der Begriff ,Geschichte‘ ist mit der Person Marcus Reinfried - der neben Romanistik und Germanistik auch Geschichte studiert hat - verbunden. Der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts ist er in zahlreichen Publikationen nachgegangen und er selbst schreibt die Geschichte der Fremdsprachendidaktik weiter. Der Titel für die vorliegende Festschrift lag auf der Hand! Marcus Reinfrieds Interesse für historische Fragestellungen offenbart sich bereits in seiner mit dem Straßburg-Preis prämierten Promotionsarbeit Das Bild im Fremdsprachenunterricht (1992), in der er den Einsatz von Bildern im Fremdsprachenunterricht über Jahrhunderte hinweg, speziell im Französischunterricht, beleuchtet. Seit dem Anfang der 90er Jahre legt er weitere Studien zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts vor, darunter: „Les origines de la méthode directe en Allemagne“ (1990) , „Et l’image vint - le mouvement réformiste du XIXe siècle en Allemagne et l’enseignement par l’aspect“ (1993) , „Landeskundliche Abbildungen in Französischlehrbüchern“ (1994). Dass sein fremdsprachendidaktisches Interesse nicht bei Fragen bildlicher Darstellungen und ihrer Funktion im Fremdsprachenunterricht verharrte, belegen die Aufsätze „Psycholinguistische Überlegungen zu einer sprachbezogenen Landeskunde“ (1995), „Die Ausbildung zum neusprachlichen Gymnasiallehrer: eine Reform ist überfällig“ (mit Blick auf Baden-Württemberg) (1997), „Von der Realienzur Kulturkunde: frankreich- <?page no="12"?> 2 Hélène Martinez / Franz-Joseph Meißner kundliche Paradigmen als dialogische Konstrukte im deutschen Französischunterricht“ (1999), „L’enseignement du français subit-il une crise ? Regards sur son évolution en Allemagne depuis le Traité de l’Elysée“ (2002), „Die romanischen Schulsprachen im deutschen Schulwesen des Dritten Reichs: sprachenpolitische Maßnahmen und bildungsideologische Diskurse“ (2013), „Institutionnalisation et concurrence : la langue française et anglaise dans les écoles secondaires en Allemagne“ (2014), „Geschichte des Fremdsprachenunterrichts bis 1945“ (2016), „The historiography of modern language teaching: from national views to a European Perspective“ (2018) - um nur einige Titel zu nennen, die Marcus Reinfried z. T. neben seinem Schuldienst erstellte. Als einer der wenigen Experten für die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in Deutschland ist Marcus Reinfried nicht nur ein aktives Mitglied der Société Internationale d’Histoire du Français Langue Etrangère et Seconde (SIHFLES), sondern er war auch deren Präsident. Beides erklärt seine Mitgliedschaft im comité scientifique der international reputierten Zeitschrift Documents pour l’Histoire du Français Langue Étrangère et Seconde . Auf welche Weise er die wissenschaftliche fachdidaktische Diskussion und die neuere Geschichte des Fremdsprachenunterrichts weiterhin prägt, belegen die von ihm herausgegebenen Sammelbände, die wiederum insgesamt von einem breiten Interesse zeugen, welches wichtige Bereiche der fremdsprachendidaktischen Forschung umfasst. Zu nennen wären der vielzitierte Band Mehrsprachigkeitsdidaktik. Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Sprachen (zus. mit F.-J. Meißner) (1998), Bausteine für einen neokommunikativen Fremdsprachenunterricht (ebenfalls) (2001), Frühes Fremdsprachenlernen im Blickpunkt (zus. mit A. Kierepka, R. Krüger und J. Mertens) (2004), Innovative Entwicklungen beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen (zus. mit N. Rück) (2011), Medien im neokommunikativer Fremdsprachenunterricht. Einsatzformen, Inhalte, Lernerkompetenzen (zus. mit L. Volkmann) (2012). In dem sehr deutschen Diskurs zur Rolle des Radikalen Konstruktivismus für die Theorie des Lehrens und Lernens fremder Sprachen wies Reinfried darauf hin, dass das Paradigma der ,autopoetischen‘ Verarbeitung mentaler Daten wichtige Fragen offenließ. Der in Fremdsprachen Lehren und Lernen (1999) erschienene Aufsatz „Der Radikale Konstruktivismus: eine sinnvolle Basistheorie für die Fremdsprachendidaktik? “ wurde in verschiedenen Fassungen mehrfach nachgedruckt. Unter dem Neologismus eines ,neokommunikativen‘ Ansatzes hat er versucht, Klärung in das begriffliche Wirrwarr des vorherrschenden Methodensynkretismus zu bringen. Eine konsistente Theorie des heutigen Lehrens und Lernens fremder Sprachen entwickelt Marcus Reinfried aus den Begriffen und der Zahl ihrer Belege in der Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht. So gelingt es ihm 42 fachdidaktische Neologismen in einem Tableau bzw. Groß- <?page no="13"?> Vorwort 3 konzept zusammenzuführen, das unter den Oberbegriffen Handlungsorientierung, fächerübergreifendes Lernen, ganzheitliche Spracherfahrung und Lernerorientierung Begriffe aus zwei untergeordneten Stufungen zusammenfasst. Wie folgerichtig das Prozedere erscheint, dokumentiert beispielhaft das folgende Bild: Der knappe Ausschnitt zum Knoten ‚Fächerübergreifendes Lernen‘ und seine neben- und nachgeordneten Verknüpfungen verdeutlichen die gegenseitige Abhängigkeit (Komplexion) der didaktischen Steuerungs- und Kontextbegriffe und ihre semantischen Überlappungen, und zwar auf allen drei Ebenen. Reinfrieds aus der Marburger Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht generiertes Schaubild spiegelt den Gang des fremdsprachendidaktischen Diskurses im Berichtszeitraum. Reinfried selbst erkennt die hierin liegende Relativierung und betont damit die Notwendigkeit einer ständigen Weiterführung. Das in sich keinesfalls abgeschlossene Paradigma des neokommunikativen Fremdsprachen- Abb. 1: Begriffsknoten „Fächerübergreifendes Lernen“ (nach Reinfried 2001) <?page no="14"?> 4 Hélène Martinez / Franz-Joseph Meißner unterrichts bedarf also in der Tat ständiger Aktualisierung. Dies zeigen schon die heute zentralen Bewegungsbegriffe des Fremdsprachenunterrichts, etwa: Kompetenzen, Sprach- und Sprachlernbewusstheit, Text und Medien in unterschiedlichen Kotexten, Sprachmittlung, Hörsehverstehen , neue Lehrerrollen ( Lernberater, language learning facilitator ) usw. Marcus Reinfried hat sich in vielfacher Weise, wie bereits deutlich wurde, für die deutsch-französischen Beziehungen auf dem Feld der historischen Forschung zum Fremdsprachen-, insbesondere zum Französischunterricht, hervorgetan. Hierzu gehört sein langjähriges Engagement im erweiterten Vorstand der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer, als Vorsitzender des VdF-Landesverbandes Baden-Württemberg und nicht zuletzt in der Redaktion der Zeitschrift französisch heute, zu deren Etablierung in der Fachliteratur Reinfried maßgeblich verhalf. Die Französische Republik hat ihn dieser vielen Verdienste wegen mit der Aufnahme in den Orden der Palmes Académiques geehrt. Den Autorinnen und Autoren, die sich an dieser Hommage beteiligt haben, sei noch einmal herzlich für Ihre Mitarbeit gedankt. Einige, die aus zeitlichen Gründen verhindert waren, und viele andere, die sich Marcus Reinfried verbunden fühlen, finden sich in der Tabula gratulatoria. Ein besonderer Dank gilt auch allen Mitwirkenden bei der Erstellung der Festschrift, insbesondere Sophie Engelen (Gießen), Nevena Stamenkovic (Gießen) und Anja Hastrich (Gießen). Die Beiträger dieses Sammelbandes sind mit Marcus Reinfried auf die eine oder andere Weise beruflich und freundschaftlich mehr oder weniger, z. T. über Jahrzehnte hinweg verbunden. Dies gilt zuvorderst für Hélène Martinez und Franz-Joseph Meißner, die dem Jubilar mit der vorliegenden Festgabe für die Freundschaft und den gemeinsam gegangenen Weg danken möchten. Und für den neuen Lebensabschnitt gilt: Vivat, crescat, floreat ad multos annos . Gießen, im Februar 2018 Hélène Martinez und Franz-Joseph Meißner <?page no="15"?> Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers Walter Kuhfuß Um 1700 enthalten die Lehrbücher des Französischen in der Regel keine Illustrationen, schon gar nicht solche, welche die Lernprozesse der Sprachenschüler unterstützen. Erst in Basedows Elementarwerk und in seinem auf der sinnlichen Anschauungsmethode basierenden Unterricht am Dessauer Philanthropin wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Bild systematisch benutzt, um dem Lerner einen direkten Zugang zu der Bedeutung eines Wortes bzw. eines Satzes zu ermöglichen (Reinfried 1992, 135). Deshalb verwundert es nicht, dass die Lektionen in dem ab 1689 am häufigsten verkauften Lehrbuch des Französischen, Des Pepliers‘ Grammaire Royale et Françoise 1 , ganz ohne veranschaulichende Bilder auskommen. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Lehrbüchern des Französischen in dieser Zeit enthalten viele (geschätzt zwischen 50 und bis zu 100) Auflagen der Grammaire eine Illustration gegenüber dem Titelblatt, ein Frontispiz: eine kostspielige Investition des Verlegers, die nur bei dem zu erwartenden hohen Absatz des Buches getätigt werden konnte, schließlich musste der Kupferstecher bezahlt und das Bildprogramm entwickelt und künstlerisch umgesetzt werden. Nicht die Lernunterstützung der Sprachschüler war das Motiv für diese Illustrationen, sondern die Visualisierung des zentralen Anliegens von Des Pepliers‘ Grammaire Royale und damit die Werbung für den Kauf des Buches. Im Lauf des 18. Jahrhunderts und mit dem Wechsel der Verlage verändern sich freilich die Frontispize in aufschlussreicher Weise und demonstrieren den kulturellen Wandel eines mythologischen, politischen und pädagogischen Bild- und Ideenprogramms. Das soll am Beispiel einiger ausgewählter Illustrationen gezeigt werden. 1 Seit der Ersterscheinung des Lehrbuchs 1689 haben sich Titel, Inhalte, Erscheinungsorte und die Frontispize stark verändert. Diese komplexe Publikationsgeschichte kann hier nicht aufgearbeitet werden; schon in Edmund Stengels Verzeichnis französischer Grammatiken sind 69 Einträge verzeichnet (vgl. Stengel/ Niederehe 1976, 59 ff.). Vgl. auch die Digitale Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek, die 19 Digitalisate der Grammaire Royale aufweist und der ich für die freundliche Erlaubnis danke, die verschiedenen Frontispize (siehe Bildnachweise) in diesem Beitrag zu veröffentlichen. <?page no="16"?> 6 Walter Kuhfuß 1 Französischlernen à la Cour Die Titelformulierung in Des Pepliers‘ Lehrbuch Grammaire Royale in der Auflage von 1693 begründet die autobiographische Legende, die der Autor selbst geschaffen hat: „Des Hertzogs von Burgund Hofmeister“. Mit dem Duc de Bourgogne konnte in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur Louis, Dauphin von Frankreich, Herzog von Burgund (* 6. August 1682 in Versailles; † 18. Februar 1712 in Marly-le-Roi), der älteste Sohn des französischen Thronfolgers Louis de Bourbon und der älteste Enkel Ludwigs XIV. gemeint sein. 2 Außer dieser Selbstzuschreibung weiß man nichts von Des Pepliers‘ Leben und deshalb darf man dieser Tätigkeitszuschreibung stark misstrauen. 3 Der Autor spielt mit dem höchsten Berufsbild für einen zeitgenössischen Sprachmeister, denn eigentlich hatte Fénelon, der Erzbischof von Cambrai, für die hervorragende Erziehung des jungen Prinzen gesorgt. In diesen hocharistokratischen Kreis zielt Des Pepliers mit seiner autobiographischen Angabe; auch die Titelformulierung Grammaire Royale (,royal‘ heißt im zeitgenössischen Sprachgebrauch königlich, aber auch exzellent 4 ) und die Illustration gehen in die gleiche Richtung - ohne ihn allerdings zu genau festzulegen: Eine kalkulierte Uneindeutigkeit. Das Frontispiz (Abb. 1) zeigt die pädagogische Urkonstellation: Lehrer, Zögling und ,Stoff‘ in einer spezifischen Form, der Prinzenerziehung. Dargestellt werden die Göttin Athene, die Göttin der Weisheit, ein Prinz, der das Lehrbüchlein ergreift, und ein modisch gekleideter À-la-mode-Kavalier mit Justeaucorps-Überrock, Allonge-Perücke und zierlichem Menuett-Schritt, der dem Prinzen das Lehrbuch entgegenstreckt, und der daher der Sprachmeister (und „Erzieher des Duc de Bourgogne“) ist. Die Szene spielt vor einem wuchtigen barocken Portal, durch das der Prinz über einen pappelbestandenen (Des Pepliers! ) Weg zu einem Schloss schreitet, das mit seinen Dachstatuen an die 2 Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches trug neben anderen Titeln ebenfalls den eines Herzogs von Burgund, den Kaiser Maximilian I. durch seine Heirat mit Maria, der Tochter Karls des Kühnen und Erbin von Burgund, 1477 erworben hatte. 3 In der Erstauflage von 1689 heißt die Berufsbezeichnung noch „Informateur de Monseigneur le Duc de Bourgogne“. In der Ausgabe von 1693 wird diese Berufsangabe als „Hofmeister“ eingedeutscht, in den folgenden Auflagen ganz gestrichen und durch „der Akademie Mitglied“ ersetzt. Allerdings bleibt unklar, um welche Akademie es sich handelt (Académie française? ). Diese Bezeichnung bleibt in den Neuauflagen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestehen. Misstrauen zeigte bereits 1689 ein Berufskollege Des Pepliers‘, der Sprachmeister Pierre Canel: „Ein gewisser [! ] Jean Robert des Pepliers, der seinen Namen ein bisschen zu großzügig einer französischen Grammatik verpasst hat…“ Königliche Teutsche Grammatic, 1689, Vorrede (zitiert nach Glück et al. 2013, 333). 4 Dictionnaire universel françois et latin, communément appelé «Dictionnaire de Trévoux» 1740, 1667: „Royal, se dit de tout ce qui est grand, pompeux, magnifique, excellent en son genre.” <?page no="17"?> Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 7 Gartenfront des Schlosses von Versailles oder/ und (wohl sehr wahrscheinlich) an die Lustgartenseite des zeitgenössischen Berliner Stadtschlosses erinnern soll - ohne diese allerdings präzise abzubilden 5 : Die Ambivalenzen sind durchaus gewollt. 5 Die Proportionen der Fenster auf der Illustration z. B. entsprechen nicht den realen des Versailler Schlosses. Die Ähnlichkeit mit dem Berliner Schloss wird deutlich, wenn man das Frontispiz mit den Kupferstichen aus Lorenz Begers (1653-1705) Thesaurus Brandenburgicus von 1701 (Band 3, 2 f.) vergleicht, die eine Idealansicht von Schlüters Entwurf von der Lustgartenseite zeigen. Die Kombination von Pallas Athena-Darstellung im Vordergrund vor der Schlossfassade verstärkt die Vermutung, dass sich der Kupferstecher des Frontispizes von Schlüters Idealentwurf hat inspirieren lassen. (Freundliche Mitteilung von Dr. Hans-Günter Langer, dem ich auch für die kritische Durchsicht des Manuskriptes danke. Für weitere Informationen danke ich Wolfgang Meter und Dr. Werner Müller.) Die Anregungen, die sich Andreas Schlüter vom römischen Palazzo Madama holte, verdeutlichen, wie sehr es sich bei der Schlossabbildung im Frontispiz um einen komplexen europäischen Kulturtransfer handelt. Abb. 1: Des Pepliers, Grammaire Royale . Berlin: Völcker 1693. <?page no="18"?> 8 Walter Kuhfuß Der Speer der Athene weist mit seiner Spitze über den Architrav hinaus zur Portalinschrift: „Grammaire Royale par M.‘ I.R. des Pepliers“ im Giebel, der von Voluten gekrönt ist - ein Import klassisch-französischer Architektur in diese Berliner Publikation. Die Botschaft ist überdeutlich. Auf dem Weg zum Zentrum der politischen Herrschaft muss sich der Prinz, geleitet von der göttlichen Lehrerin, dem Lehrbuch und dem Sprachmeister mit kontinuierlichem Fleiß dem Studium der königlich-exzellenten Grammatik hingeben. Die Berufsbezeichnung als Prinzenerzieher des möglichen Nachfolgers Ludwigs XIV., der Titel des Lehrbuchs und das Frontispiz: Für den Verkauf des Lehrbuchs waren das starke Argumente bei einer Schülerklientel aus den deutschen Oberschichten. Der Illustrator spielt augenscheinlich mit Elementen, die im Versailler bzw. höfischen Kontext angesiedelt sind: das Schloss als kulturelles und politisches Zentrum der französischen Monarchie, die modische (und teure) Kleidung des Sprachmeisters, der außer der französischen Sprache auch französisch-höfisches Benehmen weitergeben möchte. Hinzu kommen der Titel des Lehrbuchs und die autobiographischen Elemente einschließlich des muttersprachliche Kompetenz signalisierenden Namens Des Pepliers, der zudem in die Ikonographie des Frontispizes aufgenommen wurde. 6 Und doch veranschaulicht die Szene eher deutsche Wunschvorstellungen als einen realen Kulturtransfer. Denn die Szene verbirgt eine grundlegende Ambivalenz. Es bleibt ungewiss, ob der dargestellte Prinz auf den Weg zur politischen Herrschaft geführt werden sollte, nämlich französischer König zu werden; die auf dem Umhang des kleinen Prinzen aufgebrachten heraldischen Blumenelemente sehen nur aus der Ferne wie Bourbonenlilien aus, sind aber bei näherem Hinschauen unspezifische Dekorelemente. Das Lehrbuch, das der Lernende in der Hand hält, war schließlich nicht für einen französischen Prinzen gedacht, sondern für deutsche Schüler; sie sollten durch das Erlernen der Fremdsprache Französisch in die (imaginierte) Nähe des Sonnenkönigs gelangen. Sprachliche Hilfestellung versprach ihnen der Autor in seiner vollständigen Berufsbezeichnung auf dem Titelblatt: „Informator der Frantzösisch und Teutschen Sprache“. Er bot sich also auch als Sprachmeister für die deutsche Sprache an. 6 Auch die Angabe, das Werk sei „gedruckt nach dem Parisischen Exemplar“ darf man in Zweifel ziehen: Im Katalog der Bibliothèque Nationale zumindest ist kein solches Exemplar nachgewiesen. <?page no="19"?> 2 Die Ursituation: Telemachos, Athene und Mentor Ab der sechsten Auflage 7 von 1701 (Abb. 2) ist die Fassade des Schlosses im Hintergrund wegretuschiert; das Bild zeigt eine nicht mehr lokalisierbare Gartenlandschaft, in der ein Brunnen sprudelt. Auch die hochstaplerische Berufsangabe „Des Hertzogs von Burgund Hofmeister“ fällt weg. Bestehen bleibt die mythologisch-allegorische Lehrsituation vor barocker Kulisse. Athene, die antike Schutzgöttin der Lehrer, führt einen Knaben an der Hand in die Mittelachse der Abbildung, in der eine Lehrperson im langen Gewand ihm ein Buch entgegenstreckt. Auch dieser Knabe ist durch Hermelinumhang und Krone als Prinz und durch das Personal als Lernender gekennzeichnet. Der Prinz ergreift das Buch, in dessen Verlängerung, im Schnittpunkt der Diagonalen, sich der Brunnen (der Weisheit oder der Erkenntnis) befindet, zu dem der Mentor mit dem Lehrbuch den kleinen Prinzen führt. Der Prinz muss die wuchtige Toranlage durchschreiten, welche die Grammaire Royale bildet und auf der immer noch die Allegorien von Fleiß und Ausdauer stehen. Gegenüber dem modischen Höfling aus dem ‚Versailles‘ von 1693 ist Mentor nun deutlich bescheidener gekleidet, mit längerem, einfacherem Gewand und einer Körpersprache, die statt der zierlich-galanten Tanzschritte eine angemessene Demutshaltung dem höher gestellten jungen Mann gegenüber ausdrückt: Das ist der Beginn einer schrittweisen Demontage des Sprachmeisters, die schließlich mit seiner vollständigen Entfernung aus den Frontispizen endet. In der Hochphase des französischen Kultureinflusses in Deutschland bringt diese Illustration die Werbestrategie des französischen Sprachmeisters höchst anschaulich zum Ausdruck. Die Szene illustriert einen Französischunterricht, wie ihn sich der zeitgenössische Französischlehrer im ausgehenden 17. Jahrhundert erträumte und auf dessen Wirkung bei den adligen (und zunehmend den bürgerlichen) Lernern er zusammen mit dem Verlag Völcker in der preußischen Hauptstadt setzte. Sie zielt auf die zentralen Motivationen für das Fremdsprache-Lernen in der Prinzenerziehung: Sie ist die Inszenierung einer hochprivilegierten Distinktion und Bildung. In dieser Sphäre des Pompös-Mythologischen sieht sich der Sprachmeister als unentbehrlicher Mitspieler. Er ist es, der den fürstlichen Knaben zu Erkenntnis und Wissen führt. Und es ist ein modernes Wissen, das kaum mehr etwas mit der lateinischen Sprache zu tun hat, die als Wissenschaftssprache immer noch dominierte. Nur die alteuropäischen Lerntugenden der Constantia und Diligentia erinnern die Lernenden noch daran, dass es ohne hartnäckigen, immerwährenden Fleiß beim Fremdsprachenlernen 7 Also zu dem Zeitpunkt, zu dem der preußische König in seine Berliner Barockresidenz einzieht. Die Interpretation dieser Abbildung ist weitgehend entnommen aus Kuhfuß 2014, 634 f. Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 9 <?page no="20"?> 10 Walter Kuhfuß nicht ging. In diesem Milieu der adligen und hochbürgerlichen Lerner ist man sich des Beistandes der Götter und des irdischen Herrschers gewiss. Über allem schwebt das Wappentier des Hauses Hohenzollern, der heraldische Adler, der von vorne mit gespreizten Flügeln zu sehen ist und Unsterblichkeit und irdische Macht symbolisiert. Zum ersten Mal dringt in dieser Veröffentlichung des Berliner Völcker-Verlags das symbolische Repertoire eindeutig preußischer, nicht französischer Machtrepräsentanz in die Illustration. Unsterblichkeit und Macht gelten zugleich dem Schutz gewährenden brandenburgisch-preußischen Herrscherhaus und dem Lehrbuch der französischen Sprache, eine ungewöhnliche Usurpation des Machtanspruchs und eine höchst selbstbewusste Werbung für ein Lehrbuch. Das Frontispiz, welches das Lehrbuch in den Auflagen von 1701 und 1702 schmückt, hat einen subtilen Subtext. Wie die autobiographische Bezeichnung Des Pepliers‘ als Hofmeister des Duc de Bourgogne spielt das Frontispiz an Abb. 2: Des Pepliers, Grammaire Royale . Berlin: Völcker, 7. Auflage 1702. <?page no="21"?> auf den Abenteuer-, Reise- und Bildungsroman Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse des französischen Schriftstellers François Fénelon. Dieser wurde von Ludwig XIV. zum Erzieher seines Enkels und eventuellen Thronfolgers, des Duc de Bourgogne bestimmt. Das 1699 veröffentlichte Buch war dem Illustrator der Ausgabe von 1693 allerdings noch nicht bekannt; erst die Auflagen von 1701 und 1702 konnten darauf Bezug nehmen. Darin führt der Autor den jungen Odysseus-Sohn Telemachos und dessen Lehrer Mentor (in dem sich Minerva alias Athene verbirgt und der das Sprachrohr Fénelons ist) durch diverse antike Staaten, die ähnliche Probleme hatten wie das in Kriege verstrickte und verarmende Frankreich der 1690er Jahre. Das Buch wurde nicht nur von Fénelon zur Erziehung des Herzogs von Burgund benutzt, sondern war auch ein überragender Erfolg in ganz Europa, nach dem schnell überall Französisch gelernt wurde. Mit Athene, Mentor und Télémaque erhält die Illustration eine sowohl antike, auf die Odyssee als auch eine zeitgenössisch französische, auf Versailles bezogene und mit dem Hohenzollern-Adler eine mit dem preußischen Herrscherhaus verbundene Dimension. Diesen dreifachen Kontext aktiviert das Lehrbuch für eine Klientel, die zunehmend die französische Sprache als Vehikel für die Annäherung an griechische Mythologie 8 und an französische Elitenkultur sowie für die Identifikation mit der erstarkenden europäischen Mittelmacht Brandenburg-Preußen betrachtete, denn 1701 wird Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg zum König in Preußen gekrönt. Mit dem Kauf von Des Pepliers’ Lehrbuch tritt der Schüler in die Fußstapfen des lernenden Prinzen und erfährt eine Ansehenserhöhung, die ihm der Autor in der Identifikation mit Télémaque bzw. mit der Annäherung an den von Fénelon unterrichteten Duc de Bourgogne verspricht. Die suggestive Wirkung der Illustration wird durch die Rückenansicht der zentralen Figur erzeugt; sie ist seit Giotto ein bewährtes Gestaltungsprinzip der europäischen Kunstgeschichte und lädt den Betrachter ein zu einer Gleichsetzung mit dem lernenden Prinzen eine geniale Marketingaktion, die man durchaus bei der Frage nach dem durchschlagenden und langanhaltenden Erfolg dieses Lehrbuches mit heranziehen kann. Mentor, der Prinzenerzieher und Sprachmeister, versinnbildlicht mit der Übergabe des Lehrbuchs eine moderne Bildung, die sich von den lateinischen Inschriften der Allegorien abhebt. Gegenüber der Hauptinschrift „Grammaire Royale“ im Mittelpunkt der Abbildung ist die lateinische Sprache an den Rand gerückt. Das moderne Französisch steht im Zentrum und wird durch die Allianz von Distinktion und Bildung mit einer pomphaft-mythologischen Aura 8 Fénelons Les aventures de Télémaque wurden im 18. Jahrhundert zu Lehrbüchern des Französischen aufgearbeitet, die benutzt wurden, um neben der französischen Sprache griechische Mythologie zu lehren. Vgl. beispielsweise Fénelon 1790, 1798. Dazu Christ 2003, 11-27. Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 11 <?page no="22"?> 12 Walter Kuhfuß versehen. Erworben wird freilich das Lehrbuch von einer zahlungskräftigen Kundschaft. Die Diskrepanz zwischen dem angezielten Versprechen im mythologischen Gewand und der im Bild unterschlagenen banalen Realität der Kauferwartung gibt der Darstellung etwas Zwiespältiges, wenn nicht gar Verlogenes. Nichts war der ökonomischen Lage eines Sprachmeisters in Deutschland entfernter als der Luxus und die Verschwendung des Sonnenkönigs. Schon eine teure Allonge-Perücke hätte er sich kaum leisten können. Als meist ,ungelernte‘ Arbeitskräfte und ,Ausländer‘ hatten Sprachmeister eine in Deutschland häufig unsichere Position und vielfach keine Zunft- oder Bürgerrechte, dafür aber ein hohes Interesse daran, ihre soziale Position durch die Zuweisung prestigefähiger Berufsbezeichnungen und Tätigkeiten sowie ihren Lebensunterhalt durch die Auflagenhöhe ihrer Lehrbücher zu verbessern. Französischlernen bezieht um 1700 seine soziale und individuelle Kraft aus dem Wunsch der Lernenden und des Erziehungspersonals nach Identifikation mit der fremden Hochkultur und ihren Leitfiguren. Das Versprechen, der Französisch lernende Mensch werde zu einem Franzosen, zumindest könne er Französisch so authentisch sprechen lernen, dass man ihn nicht mehr von einem muttersprachlichen Franzosen unterscheiden könne, begleitet die Unterrichtsgeschichte seit 1600; als hohes Lob für einen Fremdsprachenschüler hat es in Deutschland seine Gültigkeit bis heute nicht ganz verloren. Bereits der Kölner Sprachlehrer Doergang verspricht 1604 dem eifrigen Schüler die Verwandlung in einen jungen Franzosen („Gallus eris“) als Ziel seines Französischunterrichts (Doergangius 1604, 23). Und noch in der Ausgabe der Grammaire Royale von 1794 wird dem Französischschüler als Ziel seiner Anstrengungen versprochen, ,ein Franzosen=ähnlicher Deutscher‘ zu werden, eine nun durch das aufkommende nationalstaatliche Paradigma des Französischunterrichts vorgenommene Eingrenzung des Zielversprechens. Das Identifikationsversprechen ist Ausdruck eines Französischunterrichts um 1700, dessen übereinstimmende Elemente in den Wünschen der Lernenden bestanden nach Übernahme des Kulturmodells des zentralistischen Absolutismus, der Sprache und Kultur des französischen Hofes in Versailles und der großbürgerlichen Salons in Paris. Mit dem Erlernen der französischen Sprache verbanden viele Lernende aus den deutschen Oberschichten den Wunsch nach Aneignung des aristokratischen Leitbildes der Honnêteté und des distinguierten galanten Verhaltens ( conduite galante ). Sie lernten ein Französisch, in dem das Mündliche (neben dem Briefeschreiben) dominierte und übernahmen damit zugleich eine gesellschaftlich hoch angesehene Gesprächskultur. Die Gründe für den Transfer der französischen Sprache und Kultur in die Oberschichten im Alten Reich sind bekannt: Französisch bedeutete Modernität im Vergleich mit dem Lateinischen. Vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg <?page no="23"?> wollten sich die Fürsten allmählich von den alten Reichsinstitutionen absetzen, deren Amtssprache das Latein war. Französisch bedeutete Wiederaufbau des Landes durch Nachahmung der Franzosen, Aufgeschlossenheit für den kulturellen Glanz, der aus Versailles und Paris herüberstrahlte, und es bedeutete schließlich für die Territorialfürsten auch die Übernahme von Elementen des französischen Modells eines zentralistischen Absolutismus in ihre zum Teil kleinen und kleinsten Duodez-Fürstentümer mit all den repräsentativen Bauten, ob sie Monrepos oder Sanssouci heißen, mit dem französischen Hofzeremoniell oder einer französischen Theatertruppe. Die Offenheit der Landesherren der französischen Kultur und dem politischen Modell des zentralistischen Absolutismus gegenüber stimulierte auch die Bereitschaft in ihrem Umkreis, die französische Sprache zu lernen, und diese Offenheit bezog sich nicht nur auf die Sprache selbst, sondern auch auf deren Vermittler. Die Vorbehalte gegenüber dem Typus des ,windigen und unmoralischen Tanz- und Sprachmeisters‘ waren allerdings untergründig bereits lange vorhanden; so galt es, sich als Repräsentanten einer überlegenen Kultur darzustellen, die man mit der Sprache für seine Kinder einkaufte. 3 Unter dem Schutz des Landesherrn: Sachsen Die Zahl der kleinen Prinzen und Prinzessinnen im Alten Reich war bei weitem nicht groß genug, um die enormen Verkaufszahlen des Lehrbuchs zu erklären. Die vielen adligen und bürgerlichen jungen Leute, dazu neuerdings auch ,die Frauenzimmer‘ und solche, die kein Latein konnten, mussten zum Kauf des Lehrbuchs animiert worden sein. Die beginnende Expansion des lernenden Publikums 9 drückt das nächste Frontispiz (Abb. 3) aus: Es weitet die Zahl der Lernenden über den Erbprinzen aus auf den kindlichen Hofstaat, mit dem sich der Nachwuchs des kleinen und mittleren Adels identifizieren konnte - und auf alle die bourgeois gentilhommes , die es nicht nur in Molières Komödie gab. Der Schriftzug „Grammaire Royale“ verschwindet aus der Illustration und macht Platz für ein übergroßes Bildnis des Landesherrn. Der Landesherr vergab nicht nur das Druckprivileg, er verkörperte zugleich die Vorzüge des Französischlernens und lokalisierte es am Hof als dem sozialen Ort, von dem der Sprachmeister und der Verlag sich die größte Attraktivität für ihre Kundschaft versprachen. Ausweislich des Druckprivilegs des Weidmann-Verlags muss es sich um August den Starken handeln, der auf seiner 23 Monate dauernden Grand Tour von Ludwig XIV. in Versailles in Audienz empfangen wurde und in Paris Französisch 9 Zuerst in der Auflage Leipzig: Gleditsch und Weidmann 1713. Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 13 <?page no="24"?> 14 Walter Kuhfuß lernte, der des Französischen in Wort und Schrift mächtig war und der ein elegantes, wenn auch reichlich fehlerhaftes Französisch schrieb. Damit trug die aktuelle Illustration des Lehrbuchs der starken Stellung des Landesherrn Rechnung, der die Herrschaftsgewalt in seinem Territorium ausübte und bei juristischen Auseinandersetzungen, die bei dem Erfolg des Lehrbuchs nicht ausblieben 10 , hoheitlichen Schutz gewähren konnte. Diesen juristischen Schutz benötigte der Leipziger Verleger dringend, denn der Berliner Verleger Johann Christoph Papen, der 1723 vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. das Druckprivileg erhielt, machte ihm die Druckrechte streitig. Allerdings: Berlin 10 Zu den juristischen Auseinandersetzungen vgl. Caravolas 2000, 463-482. Abb. 3: Des Pepliers, Grammaire Royale . Leipzig: Weidmann 1740. <?page no="25"?> war preußisch und die Messestadt Leipzig sächsisch. Deshalb konnte der Weidmann-Verlag unter dem Schutz des sächsischen Landesherrn seine lukrativen Versionen des Lehrbuchs noch lange (z. B. mit den Auflagen von 1765 und 1767, d. h. auch noch nach der Schwächung des sächsischen Kurfürstenstaates im Siebenjährigen Krieg) weiter publizieren. 4 Vom Hof zur Stadt oder: von Ludwig XIV. zu Friedrich dem Großen Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geht die Integration des Bildprogramms in die kulturpolitischen Verhältnisse des Alten Reiches weiter. Insbesondere der Gründungsmythos der Grammaire Royale , der direkte Bezug auf die Télémaque-Szene, wird im Frontispiz der Berliner Auflage von 1742 nicht mehr realisiert. Der Sprachmeister, der daher auch nicht mehr Mentor ist, wird Abb. 4: Des Pepliers, Grammaire Royale . Berlin: Haude 1742. Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 15 <?page no="26"?> 16 Walter Kuhfuß ganz aus dem Arrangement entfernt, ebenso die klar strukturierte barocke Portalarchitektur und die beiden Allegorien von Diligentia und Constantia. Nur die Tafel an der Bildbasis und das darauf abgelegte Lehrbuch verweisen noch auf Des Pepliers‘ Grammaire Royale . Die Göttin Athene wird verfremdet zu einer Frauenfigur, die im Mittelgrund auf einer Säule museal erstarrt ist und daher den rechten Weg zum Lehrbuch nicht mehr weisen kann. Der Prinz ist nun von der Last des Buchwissens und dessen mühevoller Aneignung befreit, weil ihm eine modische Rokoko-Dame mit anliegender jupe und flatterndem Mantel den direkten Weg zum Herrscherportrait weist, in dem wir wahrscheinlich den zum preußischen König aufgestiegenen Friedrich Wilhelm I. identifizieren können. Er ist in Lederkürass dargestellt, mit Schärpe, Kurzperücke und hochtoupierter Lockenrolle über dem Stirnansatz. 11 Die Devise „Sub umbra alarum tuarum“ [protege me] (Psalm 17, 8. Lutherübersetzung: „Beschirme mich unter dem Schatten deiner Flügel“) appelliert an den Schutz der Druckrechte garantierenden Landesherrn. Eine ähnliche Prachtuniform trägt der wenig individuell dargestellte Prinz, in dem wir uns den jungen Friedrich II. denken können, der widerwillig die militärische Erziehung seines Vaters ertrug, sich jedoch mit großer Freude die französische Sprache und Literatur aneignete. Statt der mythologischen Göttin Athene werden nun Putten in das Gestaltungskonzept einbezogen. In kindlicher Begeisterung für die Standards der französischen Sprache zeigt die größere Engelgruppe rechts auf eine aufgeschlagene Buchseite, auf der links ein Hinweis auf das Buch der Richter (Kap. 12, v. 4.6) steht, daneben der Spruch „Si volet usus“. Mit dem Horaz (Ep. ad Pis. 70-72) entlehnten Spruch (etwa: „wie es dem Sprachgebrauch/ der Sprachnorm entspricht“) versichern Autor und Verleger, dass die Käufer mit diesem Lehrbuch eine zeitgemäße französische Sprache erwerben konnten (die Distinktion und Prestige verhieß). Welche Gefahr diejenigen liefen, die nicht den richtigen, sozial privilegierten Akzent des Französischen (gemeint ist: mit einem anderen Lehrbuch und einem 11 Eine Gouvernante, die berühmte Mme Roucoule (die auch den Kronprinzen Friedrich II. in der französischen Sprache unterrichtete), hatte ihm bereits früh die französische Sprache beigebracht, in der er sich mit seiner Mutter Sophie Charlotte unterhielt. Allerdings war er bei weitem nicht so sprachbegabt wie sein Sohn Friedrich. Der habsburgische Doppeladler über seinem Haupt mit der Königskrone macht für das preußische Territorium allerdings wenig Sinn. In den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts waren die Frontispize der Verlage Weidmann und Haude weitgehend identisch: Nur die Herrscherportraits, die Verlagsangaben in der Kartusche sowie die Stadtveduten im Hintergrund wurden ausgetauscht; in den sächsischen Ausgaben des Weidmann-Verlags war daher die Stadtansicht von Dresden zu sehen. Der sächsische Kurfürst konnte mit Recht den habsburgischen Doppeladler heraldisch verwenden, denn er war Erzmarschall des Heiligen Römischen Reiches. <?page no="27"?> anderen Sprachmeister) erwerben, wird mit nichts weniger als einer Szene aus dem Alten Testament anschaulich gemacht. Im Kapitel 12 des Buchs der Richter wird der Kampf zwischen den israelitischen Stämmen der Gileaditer und Ephraimiter geschildert. Die flüchtenden Ephraimiter, die das Wort Schibboleth nicht mit kanaanäischem „th“ aussprechen konnten (und sich somit als Feinde zu erkennen gaben) wurden von den Gileaditer am Ufer des Jordans niedergemetzelt. Zunächst darf man das als die Androhung schlimmer Folgen für den Lernenden verstehen, falls er Des Pepliers Lehrbuch nicht benutzen würde: „und konnte es [i.e. das „th“] nicht recht reden; alsdann griffen sie ihn [und] schlugen ihn“ ( Judic. Kap. 12, v. 6). Mit den „Flüchtigen Ephraims“ konnten nach Lage der Dinge in Berlin nur die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) aus dem Frankreich Ludwigs XIV. geflüchteten Hugenotten gemeint sein. Der ab der zweiten Generation erhobene Vorwurf, die Hugenotten sprächen ein korrumpiertes Französisch, einen jargon colon-germanisé 12 , wird in Des Pepliers‘ Lehrbuch als ein falsches Schibboleth zurückgewiesen. Der Verleger Ambroise Haude 13 , dessen Name in selbstbewusst großen Buchstaben auf der Kartusche vermerkt ist, war selbst Hugenottenabkömmling und Freund Friedrichs des Großen, dessen Bibliothek er in einem Raum seiner Buchhandlung vor dem drohenden Zugriff des Soldatenkönigs schützte. Als politische Implikation war zugleich eine lobende Adresse an den Großen Kurfürsten (der den Hugenotten in Brandenburg-Preußen Asyl gewährt hatte) wie eine kritische Distanz zum französischen König gemeint, der diesen Exodus reformierter französischer Christen veranlasst hatte. Nun forderte das Frontispiz nicht mehr wie 1689 dazu auf, sich mit der Kenntnis der französischen Sprache dem Versailles des Sonnenkönigs zu nähern, sondern plädierte dafür, das Trennende im konfessionellen Sprachen- und Glaubenskampf zu überwinden. Dazu trägt das Lehrbuch der französischen Sprache bei, denn mit ihm lernt man den richtigen Akzent („Si volet usus“) und vermeidet das erneute, falsche Schibboleth. Mit nichts Geringerem als dem Alten Testament und dem Schutz des Landesherrn, dessen Porträt mehr als das obere Drittel des Blattes einnimmt, wirbt nun das Frontispiz für das auflagenstärkste Lehrbuch seiner Zeit, allerdings fehlt ein direkter Bezug zur französischen Kultur. Stattdessen hat die lateinische Sprache auf den Tafeln und unter dem Herrscherportrait ihren angestammten Platz zurückerobert. Zugleich wird der Ort, an dem und für den die französische Sprache erlernt werden soll, über den Hof in die Stadt ausgeweitet. Zusätzlich zu der höfischen Klientel wird nun die urbane in den Blick genommen. Der Hof öffnet sich zur 12 Zur Problematik des style réfugié vgl. Kuhfuß 2014, 306. 13 Der renommierte Ambroise Haude-Verlag hatte mit dem Neuarrangement der Bildelemente den Kupferstecher Georg Paul Busch (? -1765) beauftragt. Die Buchhandlung befand sich direkt gegenüber dem Schloss, ,an der Schlossfreyheit‘ n° 9. Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 17 <?page no="28"?> 18 Walter Kuhfuß Stadt, die sich im Mittelgrund als Bühne für das vordergründige Geschehen ausbreitet. Und es ist nicht irgendeine Stadt, sondern wahrscheinlich die kurfürstliche Residenzstadt Berlin mit ihren zahlreichen Kirchtürmen, dem Berliner Schloss mit Balustrade und Statuen (nach dem Entwurf Schlüters) und einer barocken Gartenanlage, die auf das höfische Bühnengeschehen im Vordergrund führt. Die Titelankündigung in der Kartusche im Vordergrund wird mit der selbstbewusst großen Verlags- und Ortsangabe Berlin, chez Ambroise Haude versehen. 1742 konnte man die Verlagsangabe, wie bereits in der Ausgabe von 1693, durchaus in französischer Sprache formulieren. Immerhin war einer von fünf Bewohnern Berlins Franzose, waren seit zwei Generationen die hugenottischen Flüchtlinge in der Stadt; um die Mitte des 18. Jahrhunderts vervielfachten sich die Zahlen deutscher Schüler am Collège royal français, weil immer mehr Berliner Kinder Französisch lernen sollten. Das Frontispiz sprach die Hugenotten an, die ihre Muttersprache zur Grundlage eines Berufs machten und dafür geeignete Lehrmaterialien benötigten. Das Lehrbuch Des Pepliers‘ wurde von dem Verleger Ambroise Haude veröffentlicht, der die Nähe zu den Hugenotten bereits in seinem französischen Namen verriet, der um 1742 nicht nur eine Berliner Medienmacht repräsentierte, sondern seinen Veröffentlichungen durch die persönlichen Kontakte zum preußischen König Friedrich dem Großen eine besondere Wirkung verlieh. 5 Französisch am aufklärerischen Wissensort: die Bibliothek Mit einer neuen Bildsprache 14 versucht das Frontispiz der Ausgabe von 1746 bzw. von 1753 des Haude Verlags auf die Lektionen der Grammaire Royale vorzubereiten. Um die Mitte des Jahrhunderts sind die Elemente der ursprünglichen Szene vom ausgehenden 17. Jahrhundert reduziert auf die Allegorien „Diligentia“ und „Constantia“ im rechten Hintergrund. Die überdimensional große Athene, die, der aufkommenden Graecophilie geschuldet, wieder im Frontispiz auftritt, hat allerdings ihren Speer abgelegt und führt den fürstlichen Knaben an jenen Ort, an dem der optimistische Fortschrittsglaube der Epoche seine aufklärerische Wissensbasis findet, die Bibliothek. Die preußische Schlossbibliothek, 1658 nach dem Dreißigjährigen Krieg vom Großen Kurfürsten eingerichtet, um das vorhandene Wissen zu sammeln, wird nun in einen Zusammenhang mit dem Erlernen der französischen Sprache gesetzt. Das Lehrbuch Des Pepliers‘ ermöglicht unter der Führung der Göttin Athene den Zugang zur französischen Sprache und er- 14 Das Arrangement verlangte einen neuen Graveur, den der ebenso geschäftstüchtige wie kluge Verleger Haude in Jacob Andreas Friedrich (1684-1751) fand. <?page no="29"?> Abb. 5: Des Pepliers, Grammaire Royale . Berlin: Haude 1753. schließt damit sogar das universelle Wissen der Epoche. Der Prinz, der die französische Sprache lernen und damit Zutritt zu einem aufgeklärten Wissen erhalten soll, weist mit der linken Hand zugleich zurück auf ein Puttenpaar, das den auf Horaz zurückgehenden poetologischen Leitspruch „charmant et utile“ anzeigt - eine Rokoko-Variante des didaktischen Topos vom nützlichen und angenehmen Fremdsprachenlernen ,en riant‘. Der Prinz trägt den Schwarzen Adlerorden und ist nun ebenso deutlich individuell dargestellt wie der Landesherr 15 in einem Kranz von Lorbeer, Beeren, Pauken, Trompeten, Degen und Kanonen. Mit modischem Dreispitz, Jabot und Haarzopf, mit Harnisch und Schärpe, trägt er die Züge Friedrichs Wilhelm I., des Soldatenkönigs. Die Adlerköpfe über ihm haben deutlich aggressive Züge angenommen. Der junge Prinz hat die Prunkuniform abgelegt, ist sozusagen dem militärischen Drill seines Vaters entkommen 15 Zum Zeitpunkt der Publikation dieser Auflage war Friedrich der Große, der 1740 gekrönt wurde, allerdings bereits König. Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 19 <?page no="30"?> 20 Walter Kuhfuß und deutet in seinem modischen justeaucorps und dem zierlichen Tanzschritt auf die schöngeistigen Interessen des Kronprinzen und das von ihm angestrebte Verhaltensideal des honnête homme . Kronprinz Friedrich II., der spätere König Friedrich der Große, eignete sich als der frankophilste Repräsentant der Hohenzollern-Dynastie perfekt als Vorbildfigur für das Erlernen der französischen Sprache. Schon als Kronprinz hatte er eine reiche Bibliothek zusammengetragen, in der die Autoren des Grand Siècle und die Hauptwerke der Frühaufklärung dominierten. Fénelons Abenteuer des Télémaque, an denen der Kronprinz seinen farbigen und bildkräftigen Stil schulte, waren allerdings nur noch ein Band in der Bibliothek, keine anschaulich dargestellte Szene mehr. Der Leitspruch „ charmant et utile“ auf der rechten Bildtafel charakterisiert auch das klassische und aufklärerische Stil- und Eloquenzbewusstsein des Kronprinzen. Damit ist das Frontispiz in einer preußischen Gegenwart angekommen, ab der es allmählich aus dem Fremdsprachenlern-Diskurs verschwinden wird. Allerdings, die pädagogisch-mythologische Dreiecksgeschichte, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus den Titelkupfern des Lehrbuchs zugunsten einer panegyrischen Darstellung des Landesherrn verschwindet, lebt weiter im Französischunterricht als eine bevorzugte pädagogische Lektüre. Als Einführung in die griechische Mythologie sowie als repräsentatives Werk der französischen Klassik und als eine innerfranzösische Kritik am autoritären und aggressiven Absolutismus Ludwigs XIV. zieht Fénelons Télémaque in die preußische Gelehrtenschule 16 ein. Und noch um die Wende zum 19. Jahrhundert ist Fénelons Télémaque zusammen mit Voltaires Versepos La Henriade dort das am häufigsten benutzte Werk in den frühen schriftlichen und mündlichen Abiturprüfungen, bis es schließlich ganz aus dem Französischunterricht verschwindet (Kuhfuß 2012, 75-86). 6 Fazit Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, mit den neuen Idealen der Französischen Revolution und dem Rückgang der Verkaufszahlen fallen die Illustrationen ganz weg. 17 Das Lehrbuch mit einem auf sozialer Identifikation basierenden Geschäftsmodell wird im aufkommenden nationalstaatlichen Paradigma des 16 Mit Schulbüchern wie Fénelon/ Ehrenreich (1732, 1740): Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse und Fénélon et al. (1790, 1798): Les Avantures [Aventures] De Telemaque, Fils D’Ulysse, par feu Messire François de Salignac, de la Motte [Mothe] Fenelon, & c. & c. oder wunderbare Begebenheiten Telemachs, worinnen zum Nutzen der Jugend durch deutsche Anmerkungen schwere Wörter, Redensarten und Constructionen, Gallicismen, Antiquitäten, Mythologie, Historie und Geographie deutlich erklärt und erläutert werden . Vgl. hierzu Kuhfuß 2014, 572-579. 17 Die Ausgabe (Raubdruck) aus dem Trattner-Verlag (Wien 1794) weist kein Frontispiz mehr auf. Nach Caravolas datiert die letzte Ausgabe von 1811. Vgl. Caravolas 2000, 469. <?page no="31"?> Fremdsprachenlernens als obsolet empfunden. Und doch kann man von einem herausragenden Beispiel für die Macht der Bilder im Alten Reich sprechen. Das Frontispiz bleibt über ein Jahrhundert lang attraktiv, weil die Inhalte sich geschmeidig den jeweiligen Zeitumständen, den verschiedenen Machtkonstellationen und den Wunschvorstellungen der Käufer, ihren sich wandelnden Träumen vom sozialen Aufstieg und den zugrundeliegenden Motivationen anpassen und damit von den externen Bedingungen des Französischlernens und deren Veränderungen erzählen. Die Entwicklung, soweit sie in den Frontispizen anschaulich wird, verläuft vom archimedischen Bezugspunkt des Französischlernens im Versailles des französischen Sonnenkönigs gegen Ende des 17. Jahrhunderts zum Preußen Friedrichs des Großen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, von den klaren Strukturen der barocken Portalarchitektur, denen eine cartesianische Logik und die clarté de la langue française entsprechen, zu den verschnörkelten Rocaille-Mustern eines imaginären Innenraums um die Jahrhundertmitte. Sie verlagert ihren Schwerpunkt von Versailles und Paris nach Preußen und Sachsen und geht mit einer zunehmenden Zerstörung der ursprünglichen mythologischen Erziehungssituation einher. Die französische Sprache entwickelt sich von der Sprache de la partie la plus saine de la cour zur lingua franca in den Städten, mit einer zunehmenden Ausweitung der bürgerlichen Schülerklientel. Für die Sozialgeschichte des Berufsstandes ist besonders bedeutsam der Wandel des Fremdsprachenlehrerbildes von einer angemaßten Hofmeisterposition im Umkreis des Sonnenkönigs zur schrittweisen Entfernung der prekären Sprachmeisterfiguren aus den dargestellten Zentren der Macht. Welch ein Niedergang von Mentor, der sich in die göttliche Athene verwandelt und der zugleich Erzieher des Herzogs von Burgund ist, zu einer Figur, die im Verkaufsgeschehen des Lehrbuchs schließlich keine darstellenswerte Rolle mehr spielt. Für die bürgerlichen Schüler in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts freilich war das Geschehen, das in den Frontispizen attraktiv gemacht wird, ebenso entfernt wie die mythologische Szene von 1693. Die Frontispize zielen immer auf die Hoffnungen und Wünsche der Klientel. Sie finden ihr übergreifendes Element in der Darstellung des lernenden Prinzen als Identifikations- und Leitfigur für den Französischunterricht im Alten Reich. In den akademisch gebildeten deutschen Sprachmeistern erwächst den muttersprachlichen Franzosen gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein bedeutsamer Gegentypus, der sich mit der Grammatik-Übersetzungsmethode auf Meidingers Practische franzoesische Grammatik (1783) als den neuen Bestseller stützt. Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 21 <?page no="32"?> 22 Walter Kuhfuß Literatur Beger, Lorenz (1701): Thesaurus Brandenburgicus selectus. Coloniae Marchicae: typis et impensis electoralibus. Caravolas, Jean Antoine (2000): „Johann Theodor Jablonski (1654-1731) et La Parfaite Grammaire Royale de Des Pepliers“. In: De Clerq, Jan/ Lioce, Nico/ Swiggers, Pierre (Hrsg.): Grammaire et enseignement du français, 1500-1700. Leuven: Peeters, 463-482. Christ, Herbert (2003): „Télémaque annoté ou un texte littéraire comme manuel de français“. In: Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde 31, 11-27. Des Pepliers, Robert Jean de (1689): Grammaire Royale françoise & allemande. Contenant Une Methode nouvelle & façile pour apprendre en peu de temps la langue françoise, Avec Une Nomenclature, des Dialogues noveaux, Bouquet des Sentences, des Lettres & billets galants de ce temps . Berlin: Völcker. http: / / resolver.sub.uni-hamburg. de/ goobi/ PPN722584083 (20/ 07/ 2017). Des Pepliers, Robert Jean de (1693): Nouvelle Grammaire Royale Françoise et Allemande . Berlin: Völcker.* Des Pepliers, Robert Jean de (1701, 1702): La Parfaite Grammaire Royale, Françoise Et Allemande . Berlin/ Frankfurt a. d. O.: Völcker. Des Pepliers, Robert Jean de (1713): La Parfaite Grammaire Royale Françoise & Allemande . Leipzig: Gleditsch und Weidmann. Des Pepliers, Robert Jean de/ Buffier, Claude (1742): Nouvelle Et Parfaite Grammaire Royale Françoise et Allemande . Berlin: Haude. Des Pepliers, Robert Jean de (1753): Nouvelle et parfaite grammaire royale Françoise et Allemande . Berlin: Haude. Des Pepliers, Robert Jean de/ Buffier, Claude (1794): Nouvelle Et Parfaite Grammaire Françoise Et Allemande . Wien: Trattner. Dictionnaire universel françois et latin (1740). Nancy: Pierre Antoine. http: / / www.cnrtl. fr/ dictionnaires/ anciens/ trevoux/ menu1.php (20/ 7/ 2017). Doergangius, Henricus (1604): Institutiones in linguam Gallicam, admodum faciles, quales ante hac nunquam visae . Coloniae: Author. Fénelon, François de Salignac/ Ehrenreich, Joseph Antoine von (1732, 1740): Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse. Nouvelle édition . Ulm: Wohler. Fénélon, François de Salignac/ Ehrenreich, Joseph Anton von/ Köhler, Johann Ludwig (1790, 1798): Les Avantures [Aventures] De Telemaque, Fils D’Ulysse, par feu Messire François de Salignac, de la Motte [Mothe] Fenelon, &c. &c. oder wunderbare Begebenheiten Telemachs, worinnen zum Nutzen der Jugend durch deutsche Anmerkungen schwere Wörter, Redensarten und Constructionen, Gallicismen, Antiquitäten, Mythologie, Historie und Geographie deutlich erklärt und erläutert werden . Ulm: Wohler. Glück, Helmut/ Häberlein, Marc/ Schröder, Konrad (Hrsg.) (2013): Mehrsprachigkeit in der Frühen Neuzeit . Wiesbaden: Harrassowitz. Kuhfuß, Walter (2012): „Die Abiturprüfungen in Französisch in den preußischen Gelehrtenschulen zwischen 1788 und 1806“. In: Bär, Marcus et al. (Hrsg.): Globalisierung <?page no="33"?> - Migration - Fremdsprachenunterricht . Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 75-86. Kuhfuß, Walter (2014): Eine Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit. Französischlernen am Fürstenhof, auf dem Marktplatz und in der Schule . Göttingen: V & R. Reinfried, Marcus (1992): Das Bild im Fremdsprachenunterricht. Eine Geschichte der visuellen Medien am Beispiel des Französischunterrichts . Tübingen: Narr. Stengel, Edmund/ Niederehe, Hans-Josef (1976): Chronologisches Verzeichnis französischer Grammatiken vom Ende des 14. bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts nebst Angabe der bisher ermittelten Fundorte derselben . Amsterdam: Benjamins. * Alle Ausgaben der Grammaire Royale sind, sofern nicht anders vermerkt, unter http: / / www.mdz-nbn-resolving.de/ urn/ resolver.pl (20/ 07/ 2017) online verfügbar. Bildnachweise Abb. 1: Bayerische Staatsbibliothek, 921940 L.lat.f. 217 921940 L.lat.f. 217, Bl. 6, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10587504-4. Abb. 2: Bayerische Staatsbibliothek, 921941 L.lat.f. 218 921941 L.lat.f. 218, Bl. 4, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10587505-0. Abb. 3: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, A/ 294010, Bl.6, urn: nbn: de: bvb: 12bsb10587506-5. Abb. 4: Bayerische Staatsbibliothek, 921946 L.lat.f. 220 l 921946 L.lat.f. 220 l, Bl. 8, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10587512-9. Abb. 5: Bayerische Staatsbibliothek, 921948 L.lat.f. 221 m 921948 L.lat.f. 221 m, Bl. 6, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10587515-5. Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers 23 <?page no="35"?> Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? Ein Blick auf die Internationale Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch Christiane Fäcke 1 Einleitung Dass man ,aus der Geschichte lernen‘ und die Gegenwart nur aus einem vertieften Verständnis der Vergangenheit verstehen könne, sind Wahrheiten, die bereits oft formuliert wurden. Zu Recht. Diese Wahrheiten gelten auch für den Fremdsprachenunterricht der Gegenwart, dessen aktuelles Selbstverständnis, didaktische Ansätze, Methoden und Unterrichtsmaterialien auf einer langen Tradition fußen und von dieser wesentlich beeinflusst sind, auch wenn wir uns heute die Entwicklung unserer Vergangenheit nicht permanent in Erinnerung rufen. Vor diesem Hintergrund ist die Rückbesinnung auf die Geschichte des Unterrichts der modernen Sprachen ein wichtiges Unterfangen. Die Erforschung historischer Zusammenhänge stellt sicher nicht den umfangreichsten Forschungsschwerpunkt in der Fremdsprachendidaktik dar, wird jedoch seit Jahrzehnten kontinuierlich verfolgt (z. B. Christ 1983, 2005; Flechsig 1962; Glück et al. 2013; Klippel 1994; Kuhfuß 2014; Schröder 1969, 1987-1999) und hat wichtige Erkenntnisse hervorgebracht, zu denen Marcus Reinfried mit seinen Forschungen (z. B. Reinfried 1992, 1999, 2014) einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. Im 19. Jahrhundert vollzieht sich die Konstituierung und Professionalisierung des Unterrichts der modernen Sprachen sowie ihre Verfestigung im Schulsystem. 1 Dazu gehört auch die Publikation zahlreicher Lehrmaterialien, d. h. Lehr- 1 Ein kommunikationsorientierter Fremdsprachenunterricht ohne institutionelle schulische Einbettung besteht hingegen in langer Tradition, wie der Berufsstand der Sprachmeister seit der Frühen Neuzeit, ihr Unterrichten und ihre Lehrbücher verdeutlichen. Beispielhaft sei hier auf Matthias Kramer (Cramer) und seine Lehrmaterialien für Französisch, Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Niederländisch verwiesen (vgl. Glück et al. 2013, 155 ff.). <?page no="36"?> 26 Christiane Fäcke gänge und Grammatiken. Während der Fremdsprachenunterricht dieser Zeit häufig auf eine Imitation des Lateinunterrichts und auf die Grammatik-Übersetzungs-Methode verkürzt wird, stellt sich diese Entwicklung bei genauerer Ansicht weit differenzierter dar. Im Folgenden geht es daher exemplarisch um eine mehrsprachige Grammatik, d. h. um die Internationale Grammatik das Italienische, das Französische und das Deutsche, eine, zwei, oder alle drei Sprachen zu erlernen , die erstmals in Zürich erschien (Deutsch 1871) und wenige Jahre später auch in Deutschland (Deutsch 1875) publiziert wurde. 2 Französischunterricht im 19. Jahrhundert Das Erlernen des Französischen als Fremdsprache vollzieht sich in Deutschland in mehreren Etappen. Erste Belege für Materialien zum Lehren und Lernen von Französisch stammen vom Ende des 15. Jahrhunderts (vgl. Abendroth-Timmer 2017, 492). Die Institutionalisierung des Französischunterrichts setzt im 16. Jahrhundert ein (vgl. Christ 1983, 95; Kuhfuß 2014) und ist im 17. Jahrhundert durch den Einfluss der französischen Klassik und des bon usage geprägt. Französisch wird in Ritterakademien, Bürgerschulen und Gymnasien unterrichtet, entwickelt sich zur wichtigsten Fremdsprache und wird als Sprache der Diplomaten, im Handel und im Bankwesen genutzt (vgl. Reinfried 2014, 258). Im 18. Jahrhundert bildet Französisch nicht nur die Sprache des europäischen Adels, sondern wird auch in der aufstrebenden Mittelschicht erlernt. Am Ende des Jahrhunderts ist „Französisch in der Regel in allen deutschen Ländern Gegenstand des Gymnasialunterrichts“ (Christ 1983, 97). Diese Ausweitung erfährt einen Bruch durch die sich ändernden politischen Verhältnisse, d. h. durch Restauration, Widerstand gegen die Ideen der Französischen Revolution und vor allem gegen Napoleon. Im Lauf des 19. Jahrhunderts erfolgt jedoch erneut eine Ausweitung des Lernens von Französisch auf andere Bevölkerungsschichten und die Etablierung als Unterrichtsfach in den höheren Schulen (vgl. Reinfried 2014; Willems 2013, 17 ff.). Deutschland ist in diesem Jahrhundert noch kein in sich geschlossener Nationalstaat, sondern besteht aus einzelnen Staaten, darunter vor allem aus den Königreichen Preußen und Bayern sowie etlichen kleineren Staaten mit jeweils eigenen Bildungssystemen. In diesen Zeitraum fallen u. a. die Entwicklung des staatlichen preußischen Schulsystems, die Ausdifferenzierung gymnasialer Schultypen verschiedener Ausprägung neben den Lateinschulen und die Ausweitung des Bildungssystems auf breite Bevölkerungsschichten (vgl. Willems 2013, 44 ff.). Das dominierende Bildungsverständnis in der Tradition Humboldts impliziert einen starken Fokus auf Latein und Griechisch, während Französisch zunächst den Rang eines Wahlfachs einnimmt und in den 1830er <?page no="37"?> Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? 27 Jahren in Preußen zu einem zweistündigen Pflichtfach entwickelt wird (vgl. Christ 1983, 99). Fächer wie Englisch und Französisch nehmen in den neben den Gymnasien bestehenden Realklassen einen größeren Stellenwert ein als Latein und Griechisch. In den 1860er Jahren erfolgt eine Ausweitung der Stundentafel für Französisch dahingehend, dass die Sprache mit einer Gesamtwochenstundenzahl von 27 am Gymnasium und von 34 an der Realschule unterrichtet wird. Im Vergleich dazu liegt die Gesamtwochenstundenzahl für Latein am Gymnasium bei 86 (vgl. Willems 2013, 49). 1882 erfolgt schließlich eine Reform des höheren preußischen Schulwesens, die zur Anerkennung der lateinlosen höheren Schulen als gleichberechtigt neben den Gymnasien führt (vgl. Christ 1983, 99). Die modernen Fremdsprachen müssen sich in ihrem Stellenwert im 19. Jahrhundert an den alten Sprachen messen, denn Latein und Griechisch gelten als das Herz der Vermittlung von Bildung und wirken sich damit auch auf Französisch und Englisch aus. Dies zeigt sich auch am Ringen um verschiedene Methoden, d. h. um verschiedene Ansätze und etliche Mischformen. So lassen sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere Methoden unterscheiden (vgl. Reinfried 1999, 3). Dazu gehört zunächst die Grammatik-Übersetzungs-Methode, wie sie u. a. in den Grammatiken von Johann Valentin Meidinger (1792) und Carl Ploetz (1887) vertreten wird. Diese Methode ist gekennzeichnet durch deduktive Grammatikvermittlung und Präsentation von Vokabeln sowie durch anschließende Übersetzungsübungen vom Französischen ins Deutsche und umgekehrt in jeweils einzelnen, unabhängig voneinander bestehenden Sätzen. Daneben besteht die holistisch angelegte analytische Interlinearmethode nach Hamilton und Jacotot (Pfau 1844) auf der Basis eines eher intuitiven Spracherwerbs und unter Nutzung authentischer Texte. Ausgehend von einem Text in der Fremdsprache und seiner zwischen den Zeilen abgedruckten Übersetzung sollen Lernende Bedeutung und grammatischen Gehalt erschließen und erklären. Im Anschluss erfolgen Kompositionen, in denen sie in Übungen zum Schreiben in der Fremdsprache ihre Kenntnisse eigenständig umsetzen (vgl. Klippel 1994, 221 ff.). Auch das Prinzip der Anschauung wird in den Französischunterricht hineingetragen. Ausgehend von Überlegungen des französischen Methodikers François Gouin wird Sprachenlernen durch sprachliches und physisches Handeln sowie sprachliche Lautgestaltung und sinnlich Erfahrbares praktiziert (vgl. Christ 1983, 106). Damit deuten sich hier bereits Ansatzpunkte zur Direkten Methode an. Während die Grammatik-Übersetzungs-Methode vor allem an Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen dominiert, wird in Realschulen und <?page no="38"?> 28 Christiane Fäcke Töchterschulen eher der Ansatz der Direkten Methode vertreten (vgl. Doff 2002), die durch Einsatz konkreter Gegenstände aus dem Zielsprachenland und durch Bildmaterial anschauliche und praktische Dimensionen in den Französischunterricht hineinträgt (vgl. zur Anschauungsmethode auch Reinfried 1992, 87 ff.). Anstelle eines grammatischen Regelwissens und metasprachlicher Abstraktion geht es um einsprachige Vermittlung mit dem Ziel der Anwendung der Sprache in konkreten Kontexten (vgl. Reinfried 1999, 3). So prägt die neusprachliche Reformbewegung vor allem die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und votiert massiv für praktische Sprachbeherrschung und mündliche Beteiligung der Schüler anstelle metasprachlichen Wissens. 3 Fremdsprachenlehrer und ihre Methoden Die Entwicklung des Französischunterrichts im 19. Jahrhundert steht in engem Zusammenhang mit denjenigen, die diesen Unterricht nun erteilen, mit ihrem Selbstverständnis, ihrer Ausbildung und ihren Sprachkenntnissen. So vollzieht sich eine grundlegende Veränderung vom Sprachmeister zu Beginn des Jahrhunderts hin zum Neuphilologen an dessen Ende (Christ 2005). Ein Sprachmeister durchläuft noch keine spezifische Ausbildung für den Beruf als Lehrer, verfügt über eine sehr individuelle Spracherwerbsbiographie und manifestiert seine eigene Methodik in zahlreichen Publikationen - Grammatiken, Lehrbüchern, autobiographischen Texten (vgl. Christ 2005, 3 f.). Die Sprachmeister weisen durchaus heterogene Biografien auf, z. B. als Bewohner aus Grenzregionen und insofern in zwei Sprachen und Kulturen sozialisiert, als verarmte Handwerker, umfassend gebildete Professoren, Abenteurer oder französische Protestanten im Exil (vgl. Suso Lopez/ Universidad de Granada 2005, 3; Glück et al. 2013, 137 ff.). Sie sind damit häufig nicht Deutsche und verfügen über recht hohe sprachliche Kompetenzen. In der Mitte des Jahrhunderts durchläuft ein Französischlehrer bereits eine umfangreichere Ausbildung, zu der ein zu dieser Zeit übliches Abitur und ein noch nicht konkret auf sein Fach bezogenes und breit angelegtes Studium gehören. Diese Entwicklung steht in Zusammenhang mit der Einführung eines verpflichtenden Universitätsstudiums für die Lehrer an höheren Bildungsanstalten, so z. B. in der preußischen Prüfungsordnung von 1831 (vgl. Christ 1983, 112). Die angehenden Gymnasiallehrer werden noch nicht nach einem Fachlehrerprinzip in ihren Fächern ausgebildet, sondern müssen einem humanistischen Bildungsverständnis zufolge verschiedene Fächer studieren, so u. a. Latein, Geschichte, Geographie, Mathematik, Philosophie und eben auch Französisch. In den folgenden Jahrzehnten werden die fächerspezifischen Spezialisierungen ausgebaut, die modernen Fremdsprachen in die Prüfungsordnungen auf- <?page no="39"?> Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? 29 genommen und die Prüfungskommissionen entsprechend ausgerichtet. Damit entwickelt sich das Berufsprofil gegen Ende des Jahrhunderts hin zu einem für sein Fach ausgebildeten Neuphilologen mit einer universitären Ausbildung und einem Selbstverständnis, das stärker auf - in diesem Fall - Französisch bzw. die Romanistik bezogen ist (vgl. Christ 2005, 3 f.). Mit der Ausbildung an den Universitäten auch für Französisch und der Etablierung der Neuphilologien kann eine fachbezogene Ausbildung realisiert werden (vgl. Willems 2013, 47). In diesem Zusammenhang erklären sich zunächst auch geringere Sprachkompetenzen der wissenschaftlich ausgebildeten Romanisten im Vergleich zu den Sprachmeistern, ihr Interesse an der Praktizierung der Grammatik-Übersetzungs-Methode und ihre Ablehnung der Direkten Methode. Ein Charakteristikum derjenigen, die in diesem Jahrhundert Französisch unterrichten, ist ihre vergleichsweise hohe und intensive Publikationstätigkeit. Anders als es unter Französischlehrkräften der Gegenwart üblich ist, verfassen die Lehrer des 19. Jahrhunderts ihre eigenen Französischmethoden und Grammatiken und manifestieren darin ihr eigenes Verständnis vom Lehren und Lernen dieser Sprache. Einige der Lehrbücher und Grammatiken erfahren eine große Resonanz (z. B. Ploetz 1887), andere werden praktisch nur für die eigene Schule verfasst. Helmut Niederländer (1981, 17) geht beispielsweise von 300-400 Grammatiken aus, von denen ein Großteil jedoch nicht erhalten geblieben seien. Eine gründliche methodisch-didaktische Reflexion und deren schriftliche Fixierung bildeten somit einen selbstverständlichen Bestandteil im Leben eines Lehrers. Das Spektrum der Publikationen des 19. Jahrhunderts ist umfangreich und die darin erkennbaren methodisch-didaktischen Schwerpunktsetzungen sind breit (vgl. zur Analyse von Lehrbüchern z. B. Klippel 1994 und zur Analyse von Grammatiken z. B. Niederländer 1981). Dieses Forschungsfeld ist jedoch bei weitem noch nicht erschöpfend analysiert, so dass ich dem im Folgenden einen weiteren Aspekt hinzufüge und mich auf die exemplarische Analyse einer bislang wenig beachteten Grammatik konzentriere, die sich durch ihren mehrsprachigen Ansatz deutlich von den meisten Grammatiken (vgl. Abel 2005, 170 f.) unterscheidet und vermutlich einen geringeren Bekanntheitsgrad erreicht hat. 4 Die Internationale Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch Die Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch erschien erstmals 1871 in Zürich und wurde mit leicht verändertem Titel in Berlin 1875 nachgedruckt. Das zentrale Charakteristikum ist ihre mehrsprachige Ausrichtung auf drei Sprachen: Das Italienische, das Französische und das Deutsche, wobei die ersten beiden Sprachen als Fremdsprachen vermittelt werden und Deutsch als Erstsprache der anvisierten Lerner gilt. <?page no="40"?> 30 Christiane Fäcke Die Grammatik wendet sich in deutscher Sprache an Deutschsprachige: Die Anrede an die Leser erfolgt im Vorwort, im Inhaltsverzeichnis, in den Überschriften und in den Regelerklärungen auf Deutsch. Deutschsprachige Passagen sind in Fraktur gedruckt, italienische und französische Sätze in lateinischer Schrift. Konzepte der Mehrsprachigkeit und der Interkomprehension bilden einen wichtigen Bestandteil aktueller fremdsprachendidaktischer Diskurse (z. B. Meißner/ Reinfried 1998) und finden hier einen frühen Vorläufer. Im Vorwort stellt der Autor sein methodisch-didaktisches Verständnis des Lehrens und Lernens der genannten Sprachen dar: Ganz im Geist der Zeit spielt die Übersetzung zwischen den Sprachen in dieser Grammatik eine große Rolle, doch wird darüber hinaus auch der Sprachvergleich explizit anvisiert, der anders als in etlichen Grammatiken des 19. Jahrhunderts nicht auf Latein bezogen ist, sondern zwei romanische Fremdsprachen anvisiert. (Deutsch 1871, III) (ebd.) <?page no="41"?> Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? 31 Überlegungen im Sinne einer Anwendungsorientierung, wie sie in der Interlinearmethode und in der Direkten Methode formuliert sind, deuten sich in diesen Zeilen ebenfalls an und werden in der Folge weiter vertieft: Im Einzelnen umfasst die Grammatik 145 Seiten und fällt damit vergleichsweise kurz aus. 2 Sie ist in 222 Paragraphen gegliedert, die sich wiederum in weitere Teilbereiche unterteilen. Die Grammatik schließt sich an einen Repetitionskurs an, so dass zu Beginn eine kurze Wiederholung des ersten Kurses, d. h. die Flexions- oder Formenlehre (ebd., 1-7), erfolgt. Im Einzelnen werden die Declination und die Conjugation (Präsens Indikativ und Konjunktiv, Futur, Perfekt) thematisiert. Die Wortfügung ist in drei Abschnitte unterteilt: die Fälle (§ 3-76), die Einstimmung (§ 77-118) sowie den Modus und die Zeit (§ 120-147) (vgl. ebd., 8), im Anschluss finden sich die Satzlehre (§ 152-186) und die Topik (§ 187-211) sowie der äußere Satzausdruck und die Orthographie (§ 212-222). Eine vorgeschaltete Aussprachelehre und eine Formenlehre bzw. Wortbildungslehre gibt es nicht, da dieser Band sich als zweiter Teil und Aufbau auf einen vorangegangenen Kurs versteht. Die einzelnen Paragraphen sind jeweils gleich aufgebaut: Einer streng deduktiv angelegten Regelerklärung folgen illustrierende Beispielsätze, wobei die Grammatik deutlich an der Struktur der lateinischen Grammatik orientiert ist, wie das folgende Beispiel verdeutlicht: 2 Die Schulgrammatik von Ploetz (1887) ist mit über 500 Seiten mehr als dreimal so lang. (ebd.) (ebd., 7) <?page no="42"?> 32 Christiane Fäcke Der Paragraph ist insgesamt in eine deduktive Regelerklärung und anschließende Illustration durch Anwendung auf bestimmte Beispiele unterteilt. Die Beispielsätze stehen jeweils für sich, sind inhaltlich nicht miteinander verbunden und parallel in den drei Sprachen wiedergegeben. Weitere Anregungen zum Transfer und weitere Beispiele finden sich im Anschluss an die Paragraphen zum adverbialen Dativ und zum verbalen Dativ. Die zusätzlichen Beispielsätze liegen nur auf Deutsch vor und sollen von den Lernenden übersetzt werden. Dabei sind sie mit Erklärungen und Übersetzungshilfen ins Französische und Italienische kombiniert und stehen in einem engeren thematischen Zusammenhang als die Beispielsätze zur Illustration der jeweiligen Grammatikregel: (ebd., 18 f.) (ebd., 22) <?page no="43"?> Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? 33 Insgesamt handelt es sich um eine lehrwerkunabhängige methodisch-systematische Grammatik (vgl. Niederländer 1981, 145), in der der Übungsteil im Vergleich zu den systematischen Passagen der Grammatikerklärung recht kurz ausfällt. Die verwendete Terminologie ist an Deutsch und Latein orientiert, italienische und französische Begriffe finden sich nicht. So verwendet Friedrich Gottlieb Deutsch Begriffe wie das „Beiwort“ (Deutsch 1871, 58), das „Mittelwort“ (ebd., 59) oder das „persönliche Fürwort“ (ebd., 77) neben lateinischen Begriffen wie der „adverbiale Factitiv“ (ebd., 26), der „Modalis“ (ebd., 45) oder „elliptische Conditionalformen“ (ebd., 92). An einigen Stellen fällt die kombinierte Verwendung von Latein und Deutsch auf: „Der negative Satz, die Negation“ (ebd., 103). Interessanterweise wird nicht einmal in den Fällen mit Begriffen der romanischen Sprachen operiert, in denen sich konzeptuelle Unterschiede zum Deutschen finden, wie z. B. beim Konjunktiv und dem subjonctif : Die im 19. Jahrhundert dominierende Orientierung am Latein wird darüber hinaus auch in der durchgehenden Deklination der Fälle deutlich (ebd., 1 ff.). Während diese Deklination für Latein und Deutsch Sinn macht, berücksichtigt deren Übertragung auf das Italienische und das Französische nicht die Struktur der beiden romanischen Sprachen. Das in den Satzbeispielen vermittelte Register des Französischen und des Italienischen ist auf der Ebene einer distinguierten, eloquenten Standardsprache angesiedelt, die aus heutiger Sicht antiquiert wirkt und vermutlich auch vor 150 Jahren nur zum Teil einem alltagssprachlichen Register angenähert war. Die Satzbeispiele sind z. T. in Alltagssituationen angesiedelt, verweisen jedoch auch auf Kontexte mit wenig Alltagsbezug. Insgesamt handelt es sich um geschriebene, nicht um gesprochene Standardsprache (vgl. z. B. die Bezugnahme auf den subjonctif de l’imparfait , ebd., 6). Mögliche historische oder literarische Quellen werden an keiner Stelle angegeben: (ebd., 82) <?page no="44"?> 34 Christiane Fäcke Während das zweite Satzbeispiel in ähnlicher Form in Grammatiken der Gegenwart enthalten sein könnte, wirken die in den ersten beiden Satzbeispielen angeführten Inhalte wenig alltagsnah. Die Darstellung und Erklärung der Vergangenheitstempora macht Unterschiede zu Grammatiken der Gegenwart deutlich. Während heute üblicherweise der Unterschied in der Verwendung des passé composé und des imparfait thematisiert wird, im fortgeschrittenen Französischunterricht das passé composé und das passé simple in ihrer Funktion praktisch gleichgesetzt werden und lediglich in der Anwendung, d. h. das passé simple als literarische Schriftsprache und das passé composé als übliche Vergangenheitssprache, Unterschiede benannt werden, erklärt Friedrich Gottlieb Deutsch die Unterschiede zwischen den drei Vergangenheitszeiten auf anderer Ebene: Im sich anschließenden Paragraphen wird die Unterscheidung zwischen imparfait und passé simple erklärt und als „das Descriptiv“ und „das Narrativ“ bezeichnet (ebd., 95). Unterscheidungen zwischen mündlichem und schriftlichem Gebrauch des passé composé und des passé simple werden nicht erwähnt, so dass an dieser Stelle ein deutlicher Unterschied zu aktuellen Grammatiken sichtbar wird. (ebd., 42) (ebd., 45) (ebd., 93) <?page no="45"?> Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? 35 Die Besonderheit dieser Grammatik besteht jedoch vor allem in dem angebotenen Sprachvergleich, der als ein früher Vorläufer einer Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit gelten kann, selbst wenn aktuelle Überlegungen einer Didaktik der Mehrsprachigkeit (vgl. Meißner/ Reinfried 1998) oder eines Verständnisses von English als Gateway to Languages (Schröder 2009) kaum umgesetzt werden. So finden sich keine expliziten Hinweise auf bestehende Parallelen zwischen den romanischen Sprachen, auf Transferbasen, Inferenzen oder Interferenzen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Italienisch und Französisch lassen sich lediglich individuell aus den Beispielsätzen schlussfolgern. Der Bezug auf Französisch und Italienisch ist jedoch für diese Grammatik konstitutiv und stellt fast ein Alleinstellungsmerkmal im Gefüge der Schulgrammatiken des 19. Jahrhunderts dar. So lassen sich die Grammatiken nach verschiedenen Sprachbetrachtungsmodellen unterscheiden, die in der Regel miteinander vermischt vorliegen. Helmut Niederländer (1981, 182 ff.) nennt systemgrammatische, historische, logische, ästhetisch-stilistische, psychologische, vergleichende oder deskriptive Betrachtungsweisen oder auch ein Verständnis von Sprache als Beziehungslehre. So habe es zwischen 1880 und 1910 Ansätze in der Entwicklung der französischen Schulgrammatik gegeben, in denen Vergleiche zwischen den indogermanischen Sprachen eine gewisse Rolle gespielt hätten. Kontrastive oder komparative Vergleiche hätten sich jedoch letztlich primär auf Latein und Griechisch in einer synchronen Perspektive und noch mehr auf einen Vergleich mit der Muttersprache in einer diachronen Perspektive bezogen, um Interferenzen zu vermeiden (vgl. Niederländer 1981, 185). Vor diesem Hintergrund hebt sich die Internationale Grammatik deutlich und grundsätzlich von den üblichen Schulgrammatiken ab. Hier werden zwei romanische Sprachen - das Französische und das Italienische - gleichgewichtet nebeneinandergestellt und die damit einhergehende Optimierung von Lernprozessen hervorgehoben. 5 Zwischen Grammatik-Übersetzungs-Methode und Mehrsprachigkeit-— Fremdsprachenunterricht im 19.-Jahrhundert zwischen Tradition und Innovation Dass der Fremdsprachenunterricht des 19. Jahrhunderts maßgeblich durch die oben genannten Methoden, insbesondere durch die Grammatik-Übersetzungs-Methode und durch die Direkte Methode geprägt war, ist in der Forschung heute unumstritten. Doch wie steht es um die Mehrsprachigkeitsdidaktik? <?page no="46"?> 36 Christiane Fäcke Fritz Abel (2005, 162 f.) stellt für Grammatiken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, d. h. in den in ihnen angeführten Beispielen, landeskundliches Desinteresse an Frankreich und der frankophonen Welt, einen starken Fokus auf die Antike, das Fehlen eines pragmatischen Zielbewusstseins und die Intention einer moralischen Erziehung vor allem im Geist des Christentums fest. In den von ihm untersuchten Grammatiken kann er jedoch keine Bezüge zur Mehrsprachigkeitsdidaktik erkennen: Weder wird in nennenswertem Ausmaß die Chance zur gegenseitigen Stützung des Unterrichts verschiedener Sprachen genutzt, indem Beispiele aus anderen Sprachen angeführt werden, noch wird durch Beispiele aus den Schülern unbekannten Sprachen wie dem Italienischen und Spanischen der motivierende Beleg dafür geliefert, dass, wer eine romanische Sprache lernt, sich immer zugleich auch eine gewisse Kompetenz in anderen romanischen Sprachen aneignet. (Abel 2005, 170 f.) In dieser Hinsicht stellt die hier vorgestellte Internationale Grammatik (Deutsch 1871) eine bemerkenswerte Ausnahme dar. Ihr Verbreitungsgrad lässt sich nicht mit dem der Grammatik eines Karl Ploetz (1887) vergleichen, da beide Grammatiken Friedrich Gottlieb Deutschs (1871, 1875) nur in einer einzigen Auflage erschienen. Zwar stellt diese Grammatik keinen Einzelfall dar, jedoch bilden mehrsprachige Lehrmaterialien eher eine seltene Ausnahme (Rius Dalmau 2009). Im europäischen Kontext erscheinen dennoch immer wieder mehrsprachige Materialien, wie die in Paris erschienene mehrsprachige Grammatik von Simon Jost (1840) beispielhaft deutlich macht, in der Englisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Französisch und Hebräisch gemeinsam thematisiert werden. Auch in den Niederlanden finden sich etliche Beispiele der Vermittlung mehrerer Sprachen und in der Folge mehrsprachiger Lehrmaterialien. Hier werden 1863 die Sprachen Französisch, Englisch und Deutsch als obligatorische Fremdsprachen im Sekundarschulwesen festgelegt. Neben mehrsprachigen Lehrkräften gibt es auch einige Belege für eine Didaktik der Mehrsprachigkeit, die sich aus der gesellschaftspolitischen Situation des Landes erklärt. Die mehrsprachigen Lehrgänge zielen auf schulische Kontexte und darüber hinaus auf Handelsreisende. Diese utilitaristische Zielsetzung visiert konkrete Sprachkontakte in den Zielsprachen an und ist damit methodisch-didaktisch an Mündlichkeit, Aussprache und Konversation interessiert (Kok Escalle 2009). Friedrich Gottlieb Deutsch publiziert seine Internationale Grammatik zunächst 1871 in Zürich und somit in der Schweiz; eben auch in einem Land, in dem Mehrsprachigkeit eine größere Rolle spielt als in Deutschland. Die zweite Publikation seiner Grammatik erfolgt jedoch nur wenige Jahre später in Berlin, so dass auch hier ein Zielpublikum bzw. eine anvisierte Käufergruppe bestanden haben muss. <?page no="47"?> Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? 37 Französisch bildet in der Tat eine im Schulwesen etablierte Fremdsprache und Italienisch wird zumindest auf freiwilliger Ebene ebenfalls angeboten. Vergleicht man die mehrsprachigen Grammatiken des 19. Jahrhunderts mit denen des 20. Jahrhunderts, dann fällt auf, dass die Anzahl der mehrsprachigen Grammatiken der Gegenwart die der Vergangenheit keineswegs überschreitet. Im Gegenteil. Trotz aller Plädoyers für Mehrsprachigkeit und aller Ansätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik resultieren daraus bis heute keine zahlreichen konkreten Umsetzungen in den Lehrmaterialien der Schulbuchverlage. Zwar finden sich in Lerngrammatiken heute vereinzelte Verweise auf andere Sprachen, doch gibt es in Deutschland aktuell nur eine einzige Grammatik, die sich explizit und konsequent als mehrsprachig versteht und die neben Spanisch Verweise auf Französisch und Englisch enthält (Dorn/ Navarro González/ Strathmann 2015). Im Blick auf methodisch-didaktische Schwerpunkte fallen einige Unterschiede zu der Internationalen Grammatik (Deutsch 1871) auf: Neben einem deutlich ansprechenderen Layout und größerer Lesbarkeit durch Übersichtlichkeit zeichnet sich die mehrsprachige Spanischgrammatik der Gegenwart durch direkte Ansprache der Lernenden, durch altersangemessene erklärende Passagen und vor allem durch situative Einbettungen der konkreten Beispiele aus. Während Friedrich Gottlieb Deutsch 1871 vorwiegend entkontextualisierte Einzelsätze anführt, die inhaltlich nicht aufeinander bezogen sind und damit auf das Verständnis erleichternde Aspekte verzichtet, nutzt die Spanischgrammatik (Dorn/ Navarro González/ Strathmann 2015) konsequent aufeinander bezogene Sätze und Kontexte. 6 Ausblick Die Geschichte des Französischunterrichts des 19. Jahrhunderts ist trotz der zahlreichen oben angeführten Publikationen noch nicht abschließend erforscht. Der genauere Blick auf die Entwicklungen, auf Lehrmaterialien, methodischdidaktische Schwerpunkte und Zielsetzungen eröffnet ein facettenreiches Bild, das trotz aller zeitlichen Distanz auf langfristige Auswirkungen bis in die Gegenwart verweist. Daher erscheint es begründet, diesem Bild weitere Puzzleteilchen hinzuzufügen, um zu einem differenzierten Wissen über den Fremdsprachenunterricht und über didaktische Entwicklungen des 19. Jahrhunderts zu kommen. Die oben dargestellte Internationale Grammatik (Deutsch 1871) stellt in diesem Gefüge ein interessantes Puzzleteilchen dar, das eine bislang weitgehend unbekannte Facette eröffnet. Überlegungen zur Mehrsprachigkeitsdidaktik und zu den Stärken eines Fremdsprachenlernens, das bewusst auf die Parallelen zwischen den romanischen Sprachen rekurriert, sind offensichtlich weit älter <?page no="48"?> 38 Christiane Fäcke als die Didaktik der Mehrsprachigkeit heute erahnen lässt. Sie reichen weiter zurück als ins 19. Jahrhundert und sind bereits vorangegangenen Jahrhunderten nachweisbar (vgl. Glück et al. 2013), wie die polyglotten Gesprächsbücher der Frühen Neuzeit illustrieren, so beispielsweise der Orbis Sensualium Pictus von Comenius (vgl. Reinfried 1992, 33 ff.) oder das italienisch-deutsche Sprachbuch von Georg von Nürnberg (vgl. Schröder 1989, 133 ff.). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Spurensuche in der Geschichte als spannendes und lohnendes Unterfangen. Literatur Abel, Fritz (2005): „‘ Quia nominor leo . Je suis un exemple de grammaire.’ Zu den Beispielen in deutschen Französischgrammatiken aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit einem Nachtrag zur Grammatik von Collmann/ Diez (1849)“. In: Hüllen, Werner/ Klippel, Friederike (Hrsg.) unter Mitarbeit von Sabine Doff: Sprachen der Bildung - Bildung durch Sprachen im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts . Wiesbaden: Harrassowitz, 153-183. Abendroth-Timmer, Dagmar (2017): „Sprachmittlung zwischen Renaissance und Innovation? “ In: Hardy, Stéphane/ Herling, Sandra/ Sälzer, Sonja (Hrsg.): Innovatio et traditio - Renaissance(n) in der Romania. Festschrift für Franz-Josef Klein zum 65. Geburtstag . Stuttgart: ibidem, 491-517. Christ, Herbert (1983): „Zur Geschichte des Französischunterrichts und der Französischlehrer“. In: Mannzmann, Anneliese (Hrsg.): Geschichte der Unterrichtsfächer I. Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Latein, Griechisch, Musik, Kunst . 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Fremdsprachenunterricht für Mädchen im 19. Jahrhundert . München: Langenscheidt-Longman. Dorn, Rudolf/ Navarro González, Javier/ Strathmann, Jochen (2015): ¡Gramática! de la lengua española. Mit Vergleichen zur englischen und französischen Grammatik. Stuttgart: Klett. <?page no="49"?> Mehrsprachige Grammatiken im 19. Jahrhundert? 39 Flechsig, Karl-Heinz (1962): Die Entwicklung des Verständnisses der neusprachlichen Bildung in Deutschland . Göttingen: Dissertation. Glück, Helmut/ Häberlein, Mark/ Schröder, Konrad (2013): Mehrsprachigkeit in der Frühen Neuzeit. Die Reichsstädte Augsburg und Nürnberg vom 15. bis ins frühe 19. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz. 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Schröder, Konrad (1987-1999): Biographisches und bibliographisches Lexikon der Fremdsprachenlehrer des deutschsprachigen Raumes, Spätmittelalter bis 1800. Augsburg: Universität. Bd. 1-6. (Augsburger I & I - Schriften) Schröder, Konrad (1989): Biographisches und bibliographisches Lexikon der Fremdsprachenlehrer des deutschsprachigen Raumes, Spätmittelalter bis 1800 . Augsburg: Universität. Bd. 2. (Augsburger I & I - Schriften) Schröder, Konrad (2009): „English als Gateway to Languages “. In: Fäcke, Christiane (Hrsg.): Sprachbegegnung und Sprachkontakt in europäischer Dimension . Frankfurt a. M.: Lang, 69-85. Suso López, Javier/ Universidad de Granada (2005): Le rôle des «maîtres» dans la construction du français langue étrangère comme discipline scolaire, Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde . http: / / dhfles.revues.org/ 1702 (12/ 10/ 2017). Willems, Aline (2013): Französischlehrwerke im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Eine Analyse aus sprachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und kulturhistorischer Perspektive . Stuttgart: ibidem. <?page no="51"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu Andreas Rauch 1 Einleitung Das Thema Musik im Französischunterricht erfreut sich seit den 1950er Jahren und besonders seit der ,kommunikativen Wende‘ der 1970er Jahre zunehmender Beliebtheit. Vor 1945, ja vor der neusprachlichen Reformbewegung wurde das Thema bisher kaum beachtet und untersucht (vgl. Rauch 2017, XXVIII-XXIX). Der vorliegende Beitrag gliedert sich in drei Teile, wobei die neusprachliche Reformbewegung (etwa 1880-1905) im Zentrum der Darstellung steht: Zunächst werden frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht vor der neusprachlichen Reformbewegung untersucht. Im Mittelpunkt des Beitrags steht der Musikeinsatz im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung. Die komplexe Anwendung des Liedeinsatzes durch Integration verschiedener Medien innerhalb der direkten Methode bildet den Abschluss dieses Artikels. Nach einem Aphorismus des deutschen Philosophen Odo Marquart „Zukunft braucht Herkunft” 3 speist sich ein tiefgründiges Verständnis der Gegenwart, also des modernen Französischunterrichts, aus einer profunden Kenntnis und Analyse der historischen Zusammenhänge in ihrer diachronen Evolution. Deshalb soll abschließend mit dem vorliegenden Beitrag auch gezeigt werden, dass heute gängige, verbreitete Konzepte und Unterrichtsformen beim Einsatz von Musik im Französischunterricht keinesfalls Produkte des 21. Jahrhunderts sind, sondern sich bereits in Ansätzen in der über 500-jährigen Geschichte des Fremdsprachenunterrichts manifestieren (vgl. auch Kelly 1969). 3 Vgl. den Titel des gleichnamigen Buches: Marquart (2003). Vgl. dazu Heit (2007, 20). <?page no="52"?> 42 Andreas Rauch 2 Frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht 2.1 Die Reformation und der Musikeinsatz im Französischunterricht Bereits bei Martin Luthers Bildungskonzeption spielt der Musikeinsatz im Unterricht eine zentrale Rolle: Das Singen der Schulchöre diente dem Lob Gottes, und dazu sollten alle Gläubigen angehalten werden, in ihrer Muttersprache mitzusingen. Luthers Bedeutung für das Kirchenlied mündet in die Rolle der Reformation als Singbewegung. 4 Er dichtete 36 Kirchenlieder, bei mindestens 20 dieser Lieder stammen die Melodien sicher von ihm selbst. Viele Kirchenlieder von Luther greifen nach dem Prinzip der Kontrafaktur 5 vorreformatorische deutsche Lieder, aber auch lateinische Gesänge der katholischen Kirche, wie Hymnen sowie Volks- und Gesellschaftslieder, auf. Hierbei wird das didaktische Konzept ‚Vom Eigenen zum Fremden‘ 6 angewendet. Da viele (vormals katholische) Choräle und Volkslieder bekannt waren und zum Allgemeingut gehörten, konnte Luther diese erfolgreich verbreiten und für den protestantischen Kirchenchoral nutzen. Ein bekanntes Beispiel ist das Kirchenlied Ein feste Burg ist unser Gott , dessen Text von Martin Luther zwischen 1527 und 1529 geschrieben wurde und bis heute zum Reformationstag in den evangelischen Gemeinden gesungen wird. 7 Die Rezeption und musikalische Fortentwicklung des Lutherschen Reformationschorals ist für den zeitgenössischen Französischunterricht sehr interessant. Das Kirchenlied, das fester Bestandteil des evangelischen Gottesdienstes war, ist vermutlich auch zu Tischgebeten in den protestantischen Familien gesungen worden und wurde auch ins Französische übersetzt. Ein Beispiel dafür ist die Interlinearversion des Lutherchorals in einer zweisprachigen 4 Block (2002, 24) prägt diesen Begriff und spricht von einer „Revolution von unten“. Der Terminus „Singbewegung“ wurde in den 1920er Jahren innerhalb der Jugendbewegung verwendet. In der DDR der 1960er Jahre formierte sich als Antwort auf die Folkbewegung in den USA dann die „Singebewegung“, die zunehmend von der FDJ vereinnahmt wurde (vgl. Rauch 2012). 5 Als Kontrafaktur (lat. contrafacere = umwenden, ins Gegenteil verkehren) wird eine Umdichtung eines Gesangstexts unter Beibehaltung der Melodie bezeichnet (zit. n. Thiel 1963, 326). Beim Kirchenlied wurde oft ein weltliches Gedicht für geistliche Zwecke unter Beibehaltung der Melodie umgedichtet. Der Begriff wird auch für den umgekehrten Vorgang benutzt, d. h. die Umdichtung und spätere oftmals triviale Verwendung religiöser Texte zu weltlichen Zwecken. Dabei werden Bezüge zur Intertextualität deutlich. Das Prinzip der Kontrafaktur beinhaltet einen Wiedererkennungs- und Aha-Effekt, der gezielt von der Werbeindustrie und auch der (politischen) Satire und Karikatur genutzt wird. Dasselbe Prinzip liegt in der modernen Unterhaltungsmusik vor, wenn ein Titel neu „arrangiert“, also „gecovert“ wird (vgl. Rauch 2008, 36). Siehe auch zur Geschichte des Begriffs Verweyen/ Witting (1987, 11 ff.). 6 Vgl. zum didaktischen Konzept ‚Vom Eigenen zum Fremden‘ Reinfried (1999, 205). 7 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Guicharrousse (1995, 230 f.). <?page no="53"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu 43 Ausgabe von Mömpelgard/ Montbéliard 1618 mit dem Titel Gesangbüchlein/ Teutsch und Frantzösisch nebeneinander gesetzt (Luther/ Foillet 1618, 174 f.). Die Interlinearversion des Mömpelgarder Gesangsbüchleins ist sofern aufschlussreich, da es ein Zeugnis für die Zweisprachigkeit der Enklave ist. Eine interessante parallele Entwicklung stellt die Evolution der Sprach- und Kulturassimilation der Hugenotten in Preußen dar. Seit 1560 nannte man die Evangelischen reformierten Bekenntnisses huguenots. 8 Mit dem Revokationsedikt von Fontainebleau 1685 durch Ludwig XIV. wurde das Edikt von Nantes aufgehoben und das reformierte Bekenntnis verboten. Dies löste einen Exodus der Glaubensflüchtlinge aus. Dabei kam die Aufnahme der Hugenotten in Preußen der „fürstlichen Einwanderungs-, Wirtschafts- und Peuplierungspolitik entgegen, die darauf gerichtet war, die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges zu überwinden und das kulturelle und wirtschaftliche West-Ost-Gefälle in Europa auszugleichen“ (Kuhfuß 2014, 302). Kuhfuß (ebd.) schreibt, dass sich 1672 die ersten Hugenotten in Berlin niederließen; 1688 erhielten sie Versammlungsfreiheit in den Kirchen der Stadt und ab 1700 verfügten sie über eine eigene Kirche. Die Hugenottenprivilegien umfassten wirtschaftliche und kulturelle Vorrechte (ebd., 304). Das Französische wurde besonders gepflegt und zur offiziellen Sprache in den Domänen Kirche, Familie sowie Schule. Noch vor dem Aufbau eines Elementarschulwesens erhielten die Hugenotten mit dem Collège royal françois 1689 ein erstes eigenes Gymnasium, wobei der Unterricht auf Französisch stattfand (vgl. Roosen 2008, 190). Die weltoffene, frankophile Politik Friedrichs II. favorisierte französische reformierte Glaubensflüchtlinge als Lehrer und Erzieher (vgl. Kuhfuß 2014, 308). 9 Der Psalm galt für die Reformierten als gesungenes Gebet und der Hugenottenpsalter als wichtiger Bestandteil hugenottischer Frömmigkeit. Die Psalmen wurden seit dem 16. Jahrhundert auch im Unterricht gesungen. Noch im Jahr 1783 hatte das Berliner Konsistorium im Bereich des Liedgutes und Psalmengesangs eine Neuauflage der vom hugenottischen Pastor Hauchecorne 10 herausgegebenen Psalmensammlung beschlossen (vgl. Böhm 2010, 223). 8 Vgl. zur Etymologie und Bedeutung des Wortes Kramer (1992, 71 f.). - Als Wallonen werden die Evangelischen reformierten Bekenntnisses und französischer Sprache aus den spanischen Niederlanden bezeichnet. „ Waldenser waren eine vorreformatorische Reformbewegung, die ihren Ausgang um 1174 von Waldes aus Lyon nahm.“ Vgl. dazu Kiefner (1993, 39 f.). 9 Voltaire spottete über den style réfugié der Berliner Hugenotten und kritisierte deren Archaismen, Dialektismen und Provinzialismen als Abweichung vom „bon usage“ (vgl. ebd., 306). 10 Frédéric Guillaume Hauchecorne wuchs zweisprachig auf und war zudem als bedeutender Pädagoge praktisch an allen wichtigen Erziehungsinstituten der Französischen Kirche Berlins tätig. <?page no="54"?> 44 Andreas Rauch 2.2 Grundlegende Reformideen der Dessauer Philanthropen und die-Auswirkung auf den Musikeinsatz im Unterricht Hauchecorne spielt nicht nur eine wichtige Rolle als Theologe, sondern auch als Pädagoge und Erzieher. Er kann als einer der „umtriebigsten Pädagogen der französischen Kolonie“ bezeichnet werden (Böhm 2011, 304). Unter seinen Schülern soll auch Heinrich von Kleist gewesen sein (vgl. Hauchecorne 1820, 5 ff.). Seine Lehrbücher zeigen bereits realienkundliche Inhalte (vgl. dazu Kuhfuß 2014, 443), die später in Kerschensteiners Arbeitsschule und der Waldorfpädagogik Anwendung finden. Außerdem wird Hauchecornes Nähe zu den Philanthropen deutlich. Die Bewegung wurde von Johann Bernard Basedow initiiert, den Hauchecorne in Dessau persönlich kennen lernte. Basedow hatte dort 1774 das berühmte Philanthropin gegründet, eine „Werkstätte der Menschenfreundschaft“ (Reinfried 1992, 56). Es handelt sich um eine Versuchsschule mit Internat, deren Entwicklung von der an pädagogischen Reformen interessierten Öffentlichkeit verfolgt wurde. Nach Basedows Vorbild errichtete der Schulreformer Friedrich Eberhard von Rochow auf seinem Gut Reckhan eine Musterschule. Ein bisher noch wenig berücksichtigter Aspekt ist Rochows Wertschätzung des Singens als Teil der Elementarbildung. Auch die Mädchenbildung wurde gefördert. 1776, also zwei Jahre nach Eröffnung des Basedowschen Philantropins und von Hauchecornes Pensionatsschule erscheint von Rochows Kinderfreund (vgl. Rochow 1776). Schon im Titel wird die Rousseausche Konzeption des Autors deutlich. Hauchecorne überträgt das pädagogische Werk zusammen mit dem hugenottischen Pfarrer Samuel Henri Catel ins Französische. Es erscheint 1778 in Berlin in der französischen Kolonie bei Starcke unter dem Titel L’Ami des enfans à l’usage des écoles in zwei Bänden. Hauchecorne verweist darauf, dass Rochows Lehrbuch sowohl im Muttersprachals auch Fremdsprachenunterricht angewendet werden kann. Deshalb empfiehlt er auch kontrastive intertextuelle und interkulturelle Vergleiche, bei denen sich die Schüler individuell korrigieren können. Der zweite Band enthält nachgestellte Unterrichtssequenzen mit Bezügen zu entsprechenden Bibelstellen . In einige Parabeln wurden Kirchenlieder eingebettet, bei denen komplexe soziale und moralisch-ethische Zusammenhänge kindgemäß nahegebracht werden sollen. 2.3 Musikalische Elemente in Salons, Konversationszirkeln und Damenorden Das Französische wurde in Deutschland in der Mitte des 17. Jahrhunderts zur „mit großem Abstand wichtigsten neueren Fremdsprache - eine Position, die es zweieinhalb Jahrhunderte lang halten sollte“ (Reinfried 2016, 620). Die französische Sprache nahm eine wichtige Stellung als langue véhiculaire des <?page no="55"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu 45 europäischen Adels ein und fungierte am kursächsischen Hof in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts als lingua franca der Aristokratie. Koldau (2005, 297 f.) und Kuhfuß (2014, 90) berichten über frankophile Damenkränzchen am anhaltinischen Hof von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen. Am Hof wurde die Bildung in verschiedenen europäischen Sprachen durch französische Konversation und die Lektüre französischsprachiger Literatur gepflegt, wozu ‚Damenorden‘ gegründet wurden. Als Gegenentwurf zur männlich dominierten Fruchtbringenden Gesellschaft erfolgte am 21.10.1617 die Gegengründung der frankophilen Noble Académie des Loyales (Dünnhaupt 1983, 384 ff.) durch Fürstin Anna von Anhalt-Bernburg, die Schwägerin von Fürst Ludwig I. Es handelt sich um eine geheimgehaltene Gesellschaft, die exklusiv Frauen und Angehörigen von Adelsfamilien vorbehalten war. „Die adligen Damen sangen in gemeinsamer Runde auch gerne französische Lieder“, stellt Kuhfuß (2014, 90) fest. 2.4 Musikeinsatz in Französischlehrwerken und Grammatiken für-weibliche Lernende Die Kultur der exklusiv weiblichen Sprachzirkel erlebte einen Höhepunkt mit Französischlehrwerken für weibliche Lernende. Mädchen und Frauen lernten im 16. Jahrhundert meist Französisch und Italienisch. Sie beherrschten kein Latein, während die jungen Männer in Latein als erster Fremdsprache unterrichtet wurden (Kuhfuß 2014, 188). Das Zitat verweist auf zwei ausgebildete Hauptrichtungen des Fremdsprachenunterrichts, die von Marcus Reinfried (2016, 621) folgendermaßen beschrieben werden: • Eine hauptsächlich vom traditionellen Lateinunterricht inspirierte deduktive Richtung (vgl. Streuber 1914: 20 ff.). Sie begann mit dem Auswendiglernen von (in Deutschland während des 17. Jhs. auch noch in vielen Grammatiken neuerer Sprachen lateinisch formulierten) Grammatikregeln und den dazu gehörigen zielsprachlichen Beispielsätzen. Zur Textlektüre kam es bei diesem Unterrichtsverfahren erst in einem fortgeschrittenen Stadium. • Eine eher imitative Richtung, die keine zuvor erworbenen Lateinkenntnisse voraussetzte und entweder mit verschriftlichten Dialogen oder einfacheren zielsprachlichen Texten begann. [...] Diese Richtung setzte Grammatik im Anfangsunterricht nur sehr reduziert ein. In dieser imitativen, auf die Sprachpraxis hin orientierten Perspektive wurde eine Vielzahl von Lehrwerken speziell für Lateinunkundige konzipiert. Mit den Grammaires des Dames entstand damit ein neuartiges Genre von Lehrmaterialien (vgl. Beck-Busse 2014, 249). Der Stoff wird darin auf ,angenehme Weise‘, also ,unakademisch‘ vermittelt und eignet sich für das Selbststudium. Die Eigen- <?page no="56"?> 46 Andreas Rauch schaften der utilitaristischen Verwendung des Lernstoffs und der Fokussierung auf die praktische, konkrete Anwendung und Realisierbarkeit des Lernziels für das nicht gelehrte, also lateinunkundige Publikum zeigen die Linie zur späteren Entwicklung der Realienbildung und der vor allem auf praktische Sprachfertigkeiten ausgerichteten Realschule auf. Die Grammaires des Dames sind also funktionale Gebrauchsgrammatiken (vgl. Polzin-Haumann 2001, 131 ff.). 11 Die lernunterstützende Rolle der Musik im Grammatikunterricht wird illustriert auf der Frontispizseite 12 von La Grammaire en vaudevilles, ou lettres à Caroline (Simmonin 1806, Abb. 1). Die hier beschriebene Szene bezieht sich auf Barthélémys Motto: „Il est agréable d’apprendre sa langue en chantant.“ (Barthélémy 1788, Préface, xi). Es werden drei junge Damen dargestellt, die anhand von Gesang die Grammatik wiederholen: in der Mitte des Bildes spielt eine junge Dame die Laute, rechts lehnt sich eine junge Dame mit verschränkten Armen an die Lautenspielerin und hört ihr andächtig zu, während die links gegenüber sitzende junge Dame die Hände wie eine Dirigentin im Takt der Melodie wiegt. Als Subtext steht unter der Abbildung: „Elles répètent leur grammaire en s’accompagnant de la guitare“ (ebd., Frontispiz). Diese Szene illustriert zwei interessante Aspekte zum Liedeinsatz: einerseits handelt es sich erstmalig um eine inhärente didaktische Funktion der Musik, andererseits wird mit dem Wiederholen und Nachahmen im Sinne der imitativen Richtung die zunehmende Bedeutung der Artikulation und Aussprache deutlich. 3 Der Musikeinsatz im Französischunterricht im Rahmen der-neusprachlichen Reformbewegung 3.1 Viëtors Trompetenstoß und das Vordringen von Sprech- und Gesangstechniken im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung Der Einsatz von musischen Elementen im Französischunterricht wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zugunsten der Grammatik-Übersetzungs-Methode weitgehend zurückgedrängt, wobei die zentrale Bedeutung der Grammatik durch die formale Bildungstheorie gerechtfertigt wurde (vgl. Reinfried 1992, 91 f.). Parallel dazu etablierte sich im Gegensatz zum holistischen Einsprachigkeitsprinzip bei den Philanthropen (vgl. Reinfried 1990) und den Grammaires 11 Beck-Busse (2014, 179 f.) fügt zur Polarität „Gebrauchsgrammatik“ vs. „Gelehrte Grammatik“ die Polarität „Soziable Grammatik“ vs. „Gelehrte Grammatik“ hinzu, wobei die „Soziable Grammatik“ durch „Aspekte wie Eleganz, Grazie, Ungezwungenheit, Kommunikativität, kurz Soziabilität“ ergänzt werden. 12 Beck-Busse (2012, 43) stellt das Zitat von Barthélémy direkt unter das Bild, um die Parallele zu verdeutlichen. <?page no="57"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu 47 Abb. 1: Antoine-Jean-Baptiste Simmonin (1806): La Grammaire en vaudevilles, ou lettres à Caroline sur la grammaire française. Paris: Barba An XIV, Frontispiz. <?page no="58"?> 48 Andreas Rauch des Dames 13 eine konsequente Zweisprachigkeit. Das zeigte sich im zeitgenössischen Französischunterricht darin, dass hauptsächlich übersetzt wurde. Marcus Reinfried fasst dieses Spannungsfeld folgendermaßen zusammen: Das methodische Spektrum zwischen der kognitiven Durchdringung der Zielsprache und der ganzheitlichen Sprachpräsentation konstituierte sich nun in einer neuen Weise: Die synthetische Grammatik-Übersetzungs-Methode, die es bereits in vorangegangenen Jahrhunderten gegeben hatte, bildete nach wie vor (in verbesserter Form) den einen Eckpfeiler des Spektrums. Die sogenannte ,analytische Methode‘, eine streng wörtliche Übersetzungsmethode, bildete nun den neuen Eckpfeiler; sie steht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland für den ganzheitlichen Pol beim schulischen Fremdsprachenlernen (vgl. Reinfried 2007, 263). Viëtors 1882 unter dem Pseudonym Quo usque tandem 14 erschienene Streitschrift Der Sprachunterricht muß umkehren (Viëtor 1886) stellt einen Paradigmenwechsel dar, der als „début de la Querelle des Anciens et des Modernes en didactique des langues“ (Reinfried 1997, 184) für den modernen Fremdsprachenunterricht in die Geschichte eingegangen ist. Viëtors Pamphlet ist von Breymann als „Trompetenstoß der Reform“ 15 bezeichnet worden. Die Schrift „setzte Signale, wie sie in der Fremdsprachendidaktik seither wohl nie wieder von einer Publikation im Umfang eines Zeitschriftenaufsatzes gesetzt worden sind“ (Schröder 1984, 6); „30 Jahre vor Saussures Cours de linguistique générale rückt Quo usque tandem damit das Sprechen ins Zentrum des Interesses“ (ebd., 27). Moritz Trautmann konstatierte bereits 1878 in einem Aufsatz: „[...] die aussprache des englischen und französischen, welche bis jetzt in der grossen mehr- 13 Die Grammaires des Dames können vor allem der (imitativen) Lese-Übersetzungs-Methode des 18. Jahrhunderts zugeordnet werden. Es werden hauptsächlich Versions eingesetzt, ein Bildeinsatz wie bei den Dessauer Philanthropen findet noch nicht statt. Deshalb könnte bei den Grammaires des Dames von einem moderaten Einsprachigkeitsprinzip und bei den Philanthropen Wolke und Basedow von einem konsequenten Einsprachigkeitsprinzip gesprochen werden. 14 Viëtors Pseudonym leitet sich vom Incipit , dem Beginn der ersten vier Reden Ciceros gegen Catilina, ab: „Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? “ („Wie lange noch, Catilina, wirst du unsere Geduld noch missbrauchen? “). 15 Breymann zitiert hierbei Münch: „Viëtors Verdienst ist es, die nspr. Reformbewegung, wenn auch nicht veranlasst, so doch ganz wesentlich gefördert zu haben. Seine Schrift, so sagte einmal Münch, wirkte wie ein Trompetenstoss, zum Aufrütteln von Schläfern sehr gut geeignet.“ (Breymann 1895, 6). Die mittlerweile zum geflügelten Wort unter Fachdidaktikern avancierte berühmte Metapher stammt aus Wilhelm Münchs Rezension zu Julius Bierbaums Schrift Die Reform des fremdsprachlichen Unterrichts (1886, 61): „Der Trompetenstoss ‘Quo usque tandem’ war, das muss auch der nur halb Zustimmende sagen, eine tüchtige That; der Gedanke originell und kühn, der Ton, so wie er zum Aufrütteln von Schläfern am geeignetsten ist; das Schriftchen hat Bedeutendes gewirkt, alle Ehre dem Verfasser (Viëtor)! “ <?page no="59"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu 49 zahl unserer schulen gehört wird, ist wahrhaft grauenvoll“ (Trautmann 1878, 598). Trautmann nahm die Parallele von Sprache und Musik auf und erklärt die Lautphysiologie der Vokale anhand von Noten: Die vokale sind eigentümlich gefärbte töne unserer Stimme. Die eigentümliche färbung wird dadurch erzeugt, dass wir bei hervorbringung der verschiedenen vokale unserer mund- und rachenhöhle verschiedene anordnungen geben. [...] Die verschiedenen mundstellungen dienen dazu, die mundhöhle auf verschiedene resonanzen abzustimmen. [...] Die resonanzen der mundhöhle haben den zweck, sich mit den tönen der stimme zu verbinden und auf diese weise vokale zu erzeugen. (ebd., 587 f.) Der Phonetiker, Dialektologe und Vater der experimentalen Phonetik Jean-Pierre Rousselot kreiert ebenfalls eine Analogie zwischen Sprache und Musik, zwischen maître de langue und maître de piano (vgl. Aubin 2008, 105): „Le maître lui [à l’élève, A. R.] met le doigt sur la touche qui correspond à la note demandée. Pourquoi le maître de langue ne ferait-il pas de même? “ (Galazzi 1993, 74). Zur Veranschaulichung der Lautbildung und zur Einübung der Laute entwickelten die Französischdidaktiker zahlreiche Erklärungsmodelle. So läßt der Didaktiker Max Walter, um den Unterschied stimmhaften und stimmlosen Lauten durch besondere Merkzeichen hervorzuheben, [...] die Schüler einen Finger an den Kehlkopf legen und sie dann die verschiedenen Laute wiederholen. Hierbei fanden sie selbst heraus, dass sie bei den ersten Lauten ein Erzittern des Kehlkopfs gemerkt hätten, bei letzteren nicht. (Walter 1887, 10) Max Walter (1931, 7 f.) erweitert diesen kontrastiven Vergleich, indem er die Schüler in einer Simulation selbst erkennen läßt, dass man stimmlose Laute nicht singen kann. Walter zitiert u. a. das Beispiel des stimmhaften alveolaren Frikativs [z] am Beispiel des Geräuschs einer großen Schmeißfliege und beschreibt die sich anschließende Artikulationsgymnastik im Französischunterricht. Der Reformer Herrmann Klinghardt setzt bei der Artikulationsgymnastik kleine Taschenspiegel ein, die er in seiner Klasse verteilt und so eine sofortige, bessere Kontrolle der Artikulation seiner Schüler ermöglicht. 3.2 Systematische Lauteinführung und -einübung mit Hilfe von Liedern In der zeitgenössischen fachdidaktischen Literatur gab es eine Vielzahl methodischer Ansätze zu Ausspracheübungen, wobei besonders auf das musikalische Gehör verwiesen wird. Die Beispiele des Durakkords von Viëtor und Trautmann haben gezeigt, dass die Phonetiker der Musikalität der Sprache eine besondere <?page no="60"?> 50 Andreas Rauch Bedeutung zuschreiben und die neusprachliche Reformbewegung meiner Auffassung nach auch als „musikalische Reform“ bezeichnet werden kann: Beim Klassenunterricht kann man - die beste Befähigung des Lehrers vorausgesetzt - nur mit denjenigen Schülern etwas Vortreffliches in der Aussprache leisten, welche ein feinfühlendes musikalisch empfängliches und empfindliches Ohr haben. Dieses Laut-recipierende Organ ist überhaupt viel wichtiger als die Laut-producierenden Organe und doch ist von dem Ohre und dessen Schulung bei den Phonetikern kaum die Rede. (Seitz 1889, 222 f.) Marcus Reinfried unterscheidet hierbei „deux approches: une approche atomiste et une approche globaliste “ (Reinfried 1997, 190 f.), die „dans la pratique, pouvaient se succéder à l’intérieur d’une seule unité d’enseignement“ (ebd., 190). Reinfried definiert beide Ansätze wie folgt: „L’approche atomiste se basait sur la communication de sons isolés ou de mots qui servaient de modèles articulatoires. [...]. L’approche globaliste par contre partait d’un texte entier“ (ebd., 190 f.). Typisch für den Beginn der neusprachlichen Reformbewegung war vor allem im Anfangsunterricht des Französischen die approche atomiste mit der Ausspracheschulung und Übung isolierter Laute. Im Rahmen des Phonetischen Vorkurses wurden in vielen Lehrwerken der neusprachlichen Reformbewegung die Sprechwerkzeuge in einem Schaubild abgedruckt (vgl. Engelke/ Meyer 1929, 1). 16 Karl Quiehl und Max Walter 17 entwickeln dabei das Lautschema im Lehrer-Schüler-Gespräch an der Wandtafel und weisen „an der Lauttafel auf das Zeichen des Lautes“ (Quiehl 1887, 36) hin. Nach dem Vor- und Nachsprechen der Laute nutzen Engelke/ Meyer zur Festigung und zum Einschleifen der vier Nasalvokale [œ̃ ], [ɔ̃ ], [ɛ̃ ], [-] (Engelke/ Meyer 1929, 2 f.) 18 den C-Dur-Akkord ‚c-eg-c‘ und kommentieren „On apprend mieux les voyelles nasales en chantant“ (ebd., 2 f.). 19 Hierbei werden die vier Nasalvokale als isolierte Laute einzeln 16 Zur Schulung der französischen Satzmelodie wurden die Intonation und die rhythmisch-metrische Ordnung als ein in Takte unterteiltes Notensystem mit Achtel-, Sechzehntelnoten, halben Noten dargestellt (ebd., 12 f.). 17 Max Walter (1887, 13) geht folgendermaßen vor: „Um zu prüfen, ob der Lautwert aller Laute richtig vom Gehör der Schüler aufgefasst wird, spreche ich die verschiedenen Laute ausser der Reihe vor und lasse sie von der Klasse bestimmen und an der Lauttafel zeigen. Dasselbe thun dann die Schüler unter sich. Dann werden die Laute nach der auf der Tafel gegebenen Reihenfolge und nach beliebiger Zusammenstellung artikuliert und der Unterschied zwischen stimmhaften und stimmlosen Lauten stets genau hervorgehoben.“ 18 Die beiden Lehrbuchautoren geben als Vorentlastung zu jedem der vier Nasalvokale Beispiele zunächst in phonetischer Umschrift, dann in klassischer Orthographie (ebd., 2 f.). 19 Zur Festigung der Nasalvokale lassen sich Wortgruppen wie „un bon vin blanc“ zur kontrastiven Fehleranalyse gut einsetzen. Der gerundete halboffene Vorderzungennasalvokal [œ̃ ̃ ] wird jedoch heute zunehmend durch den ungerundeten halboffenen Vorderzungennasalvokal [ɛ̃ ] ersetzt. Vgl. auch das Questionnaire der Schülerin von André Martinet, <?page no="61"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu 51 gesungen und schließlich im Refrain des bekannten Kanons Frère Jacques den Noten zugeordnet. Anhand von Karl Quiehls Veröffentlichungen lässt sich die Entwicklung der approche atomiste anhand des prototypischen Uhlandschen Volkslieds „Ich hatt’ einen Kameraden“ exemplarisch nachvollziehen. Fünf Jahre nach Viëtors „Trompetenstoß“ skizziert Quiehl auf dem Zweiten Allgemeinen Deutschen Neuphilologentag 1887 in Frankfurt am Main (vgl. Quiehl 1887, 33 ff.) erstmals nach einer Zusammenfassung der Vorzüge des Liedeinsatzes im französischen Anfangsunterricht den Einsatz der französischen Kontrafakturversion „J’avais un camarade“ zur Lautschulung und Festigung: Als erstes zusammenhängendes Stück wähle ich ein Gedicht; ein solches prägt sich vermöge der gebundenen Form und des Reims besonders gut ein. Da die genaue Wiedergabe der Einzellaute zunächst die Hauptsache ist, 20 so wird ein Lied singend geübt. Beim Gesange werden die Laute länger gehalten, was besonders den Nasalvokalen zu gute kommt. (Quiehl 1887, 37) 3.3 Max Walthers integrative Formen des Liedeinsatzes Max Walter betont im Vorwort zu seinem Grundbuch für Sexta, „daß das Französische eine lebende Sprache ist, die sich an die Schüler persönlich wendet“ (Walter 1927a, V). So integriert Walter bereits ab der ersten Unterrichtsstunde Musikelemente in seinen Französischunterricht. Unter der Rubrik Texte in Lautschrift (ebd., 8 ff.) bzw. Ausspracheübungen setzt Walter (1933, 45 ff.) das von ihm komponierte bə a ba - Lied ein (Abb. 2 auf S. 52). Anhand von für die approche atomiste prototypischen chansons didactiques entwickelt und illustriert Walter seine sprachpädagogischen Betrachtungen: Das Liedchen wirkt zunächst als solches auf die Kinder sehr drollig und wird von ihnen gerne und rasch aufgenommen. Sechs der einfachen Vokale können hier zu scharfer Erfassung gebracht werden. Wenn der Lehrer mit kurzen Schlägen des Taktstocks in geeigneter Weise taktiert, wird er einmal erreichen, daß die Vokale nicht nach deutscher Gewohnheit zerdehnt, sondern kurz und scharf geschnitten gesungen werden, ferner aber auch die Bindung zwischen Vokalen unter Vermeidung des Knackgeräusches üben können. Seine Hauptrolle spielt dies vielseitig verwendbare Liedchen bei der Einübung des Stimmlauts bei b, d, g. (Walter 1927b, 6) Walter vergleicht die Lautübungen der approche atomiste mit den (täglichen) Fingerübungen in der Musik beim Lernen eines neuen Instruments: Ruth Reichstein, zu den gefährdeten Oppositionen im heutigen französischen Vokalsystem in Reichstein (1960, 55 ff.). 20 Das entspricht der Definition der approche atomiste . <?page no="62"?> 52 Andreas Rauch Abb. 2: Max Walter (Hrsg.) (1933): Manuel de français. Französisches Unterrichtswerk für höhere Schulen. Knaben-Ausgabe Teil I. Grundbuch für Sexta. 3. Aufl. Frankfurt a. M.: Diesterweg, 44. <?page no="63"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu 53 Man wird natürlich alle einzelnen Lautübungen, die meist in Verbindung mit Vokalen so zu gestalten sind, daß der betreffende Laut als Anlaut, Auslaut und Inlaut auftritt (z. B. ba, ab, aba; za, az, aza usw.), nicht allein wochenlang fortsetzen, was ja schließlich langweilig und ermüdend wäre; indessen wird man gerade wie bei der Musik bei den Fingerübungen auch diese so wichtigen Artikulationsübungen in der vielfachsten Abwechslung mit den anderen weiter zu besprechenden Hör- und Sprechübungen während des ganzen Anfangsunterrichts anstellen müssen. (Walter 1931, 9) Zuweilen wurden sowohl die approche atomiste als auch die approche globaliste innerhalb eines Lehrwerks angewandt. Dieser Kunstgriff gelingt Walter mithilfe seiner selbst komponierten chanson didactique ‘ À Paris’ (Abb. 3, S. 54). À Paris ist rein zu sprachpädagogischen Zwecken geschaffen und längst in alle Welt gewandert. 21 Seine Melodie soll der Erfassung des französischen Tonfalls eine Hilfe sein. Auch hier ist scharf darauf zu achten und beim Taktieren zu unterstreichen, daß die Vokale knapp und kurz abgehackt herauskommen und jedes Legato vermieden wird. (Walter 1927b, 7) Max Walter stellt in seiner didaktischen Begleitschrift eine Methodik des Liedeinsatzes 22 vor: Der Lehrer erklärt - deutsch - so anschaulich und in so kindlicher Form wie nur möglich 23 , was vorgeht, unter Benutzung der beigegebenen Bildchen (vgl. Walter 1933, 49). 24 Sieht das Kind mit seiner lebhaften Einbildungskraft die Umwelt und den Vorgang des betreffenden Stoffes klar vor sich, so geht es sofort an das Singen des Liedchens. Alles, was daran durch Anschauung 25 verdeutlicht werden kann, wird herange- 21 Das Waltersche Kinderlied ist so populär, dass es in Liedersammlungen bis heute verwendet und der Name des Verfassers nicht mehr genannt wird. Es ist nunmehr als Volkslied zum Gemeingut geworden. 22 Walter äußert sich in seiner Methodik des neusprachlichen Unterrichts in einer Art captatio benevolentiae über seine ursprüngliche Motivation, eine chanson didactique zur Ausspracheschulung zu komponieren: „Bei der Zusammenstellung dieser Melodie habe ich nur versucht, die Sprechweise auf die Musik zu übertragen. Das einfache kleine Lied, dessen Einübung von der dritten oder vierten Stunde an beginnt und an dem die Schüler ihren ersten französischen Text studieren, macht ihnen viel Freude.“ (Walter 1931, 10). Max Walter knüpft hier an die Viëtorsche Lesebuchmethode an. 23 Die Anschaulichkeit der Erklärung und die kindgemäße Empathie erinnern an die Philanthropen. 24 Max Walter steht hier in der Tradition der Anschauungsmethode. Er „vereinigt“ die Lesebuch- und die Anschauungsmethode als (vormals oft konkurrierende) Strömungen der neusprachlichen Reformbewegung „in harmonischem Ausgleich“ (Steuerwald 1932, 11). 25 Für Walter sind neben Bildern die Melodie als Folge von Tönen sowie der Rhythmus als Gliederung in kurze oder lange Tondauer die Eckpfeiler bzw. Stützen seines schüler- und handlungsorientierten Unterrichts. <?page no="64"?> 54 Andreas Rauch Abb. 3: Max Walter (Hrsg.) (1933): Manuel de français. Französisches Unterrichtswerk für höhere Schulen. Knaben-Ausgabe Teil I. Grundbuch für Sexta. 3. Aufl. Frankfurt a. M.: Diesterweg, 49. <?page no="65"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu 55 zogen. Die Melodie und der Rhythmus sind mächtige Stützen. Bald wird das Liedchen von der Klasse frei gesungen werden können, falls erforderlich nach der phonetischen Niederschrift an der Wandtafel. Der Lehrer sorgt durch entsprechendes Taktieren für straffe Artikulation und richtiges Tempo. Alles ist auf das anschauliche Erleben und Erfassen einzustellen. Auf keinen Fall wird der Lehrer vom Schüler verlangen, daß er diese Lieder übersetze; 26 er wird ihn auch nicht mit sprachlichen Erläuterungen beschweren. Das Lied ist Selbstzweck. 27 Die Lieder müssen so sehr zum festen Besitz des Schülers werden, daß ihm das Fremdartige daran kaum noch zu Bewußtsein kommt. Dazu ist es erforderlich, daß der Lehrer sich gerne und freudig auf das kindliche Gemüt einstellt und die Kinder nicht zu Antwortautomaten, sondern zu frei und fröhlich mitschaffenden Gefährten erzieht und so vom Spielerischen der Unterstufe eines Tages ganz unmerklich zum freien Arbeitsbetrieb 28 überzuleiten vermag. Man fürchte nicht für die Schulzucht! Der Schüler, der sich so gründlich und vielseitig im Unterricht selbst betätigen kann, hat keine überschüssigen Kräfte oder unausgenutzten Trieb übrig, um Unfug zu treiben. (Walter 1927b, 7) So sollen die Schüler sich am Ende der ersten Strophe des Lieds Ainsi font, font, font dreimal um sich selbst drehen. Am Ende der zweiten Strophe „stemmen sie die Hände in die Seiten und springen“ (Walter 1933, 46 f.). Max Walter kann als précurseur der kinästhetischen Lieder im Fremdsprachenunterricht bezeichnet werden. Diese action songs waren in den 1980 und 1990er Jahren zuerst im Unterricht der Begegnungssprache Englisch (vgl. Böttcher 1992, 13 f.) für die Klassen 3 und 4 außerordentlich populär, da sie „dem Bedürfnis jüngerer Schüler nach Bewegung und Aktivität“ (Rauch 2001, 99 f.) entsprechen. Anhand des folgenden, allen Schülern bekannten französischen Volkslieds Sur le Pont d’Avignon antizipiert Walter bereits die méthode par le mouvement (vgl. Germain 1993, 261 ff.), die zuerst von Harold und Dorothée Palmer (1925) 29 beschrieben und von James J. Asher (vgl. Asher 1986) in seiner Methode des TPR ( Total Physical Response ) weiterentwickelt wurde. Dabei wird ein Kommando in der Fremdsprache zuerst vom Lehrer gestisch bzw. mimisch umgesetzt, in späteren 26 Walter folgt detailgetreu dem Einsprachigkeitsprinzip der direkten Methode. Weiterhin werden die vier Nasalvokale geübt und der stimmlose bilabiale Plosiv [p] im Gegensatz zur hessischen Realisierung als stimmhafter bilabialer Plosiv [b] (Walter 1931, 11). 27 Hier bezieht sich Walter auf die Kantsche „Selbstzweckformel“ des kategorischen Imperativs. 28 Hier werden bereits in nucleo Ansätze des Arbeitsunterrichts deutlich. 29 Siehe die detaillierte, zweibändige Dissertationsschrift von Smith (2004). Auf Palmer geht auch das Verfahren des Pattern Drills zurück. Böttchers Beispiel des Einschleifens der irregular verb forms in seiner Sing Grammar steht in dieser Tradition. Das Verfahren ist aber schon älter. Darauf verweist auch Reinfried (1992, 251). <?page no="66"?> 56 Andreas Rauch Phasen auch von einzelnen Schülern erteilt und anschließend ausgeführt. 30 Im vorliegenden Beispiel führen die Schüler „bei jeder Strophe die entsprechenden Bewegungen aus“ (Walter 1933, 48). 4 Die Integration verschiedener Medien innerhalb der direkten Methode als komplexe Anwendung des Liedeinsatzes In Anlehnung an Marcus Reinfrieds Metapher der médias visuels qui devinrent ‘des fenêtres censées supprimer la cloison étanche qui sépare la salle de classe de la vie’ (Reinfried 1992, 3) [...] [ c’est avec ] la chanson, qui est la mise en musique de la poésie [ que ] nous pourrions ajouter que la mélodie en donne son âme . (Rauch 2015, 124) Zur Besprechung des Frühlingsbilds von Eduard Hölzel stellt Karl Quiehl im Kapitel Mündliche Übungen intertextuelle und intermediale Bezüge vor: Bei der Besprechung von Bildern wird man finden, dass die Einbildungskraft der Kinder sich darin gefällt, Beziehungen zwischen den einzelnen Personen, die auf den Bildern vorkommen, herauszufinden. Der Lehrer darf dieser Neigung nachgeben und wohl erdachte Bestimmungen durch seine Zustimmung festlegen. Die Personen treten den Schülern menschlich näher, wenn ihnen Namen beigelegt, wenn ihr Verwandschafts- und Freundschaftsverhältnis näher bestimmt wird, wenn sie nach Stand, Beschäftigung und Wohnort beschrieben werden. Ja, man kann sie sogar in den nebenher gehenden Lesestücken weiter auftreten lassen. [...]. Durch solche Verknüpfung gewinnen die Personen und Gegenstände auf dem Bilde an Interesse, und es wird ein einheitliches Band geschaffen, das den ganzen Unterrichtsstoff zusammenhält. (Quiehl 1921, 161) Auf diese Weise ergeben sich intertextuelle Verknüpfungen zwischen dem Frühlingsbild von Hölzel 31 , das im Unterricht anhand von Sprechübungen interpretiert wurde, und mehreren fiktionalen narrativen Handlungssträngen. So singen die spielenden Kinder ein Frühlingslied, das in Kühns Lesebuch als 30 Es handelt sich hier um eine Form des Reiz-Reaktions-Lernens im Rahmen des von John B. Watson und Burrhus F. Skinner beschriebenen Behaviorismus. Beim Liedeinsatz von Si tu as de la joie au cœur klatschen die Schüler „in die Hände, trampeln mit den Füßen, schnippen mit den Fingern, schnalzen mit der Zunge [...]. Total Physical Response bietet den Vorteil, dass Aktionen unmittelbar mit den entsprechenden fremdsprachigen Bezeichnungen verknüpft werden, was der Forderung der direkten Methode entspricht; durch rhythmisches Sprechen oder durch Singen wird außerdem das (bei manchen Schülern schwache) akustische Gedächtnis verbessert, und die Schüler erfahren intensiver die französische Intonation und Prosodie.“ (Reinfried 2006, 50). 31 Die Jahreszeitenbilder erschienen ab 1885 im Wiener Hölzel-Verlag. <?page no="67"?> Musik im Französischunterricht. Ein historisches Aperçu 57 Frühlingsgedicht von Charles Marelle: Le voilà, le printemps (vgl. Kühn 1889, 27 f.) abgedruckt wurde. Unter der Rubrik Melodien zu einigen Liedern erscheint Marelles Frühlingsgedicht als von Max Walter komponiertes Frühlingslied mit beigefügter Melodie. 32 Eines der abgebildeten Kinder ist le petit Pierre als Hauptfigur des gleichnamigen Gedichts (vgl. Kühn 1889, 13) von Boucher de Perthes und erscheint als Lied im Kühnschen Lehrbuch für Mittelschulen (vgl. Kühn 1911, XX). Die Geschichte spielt auf dem abgebildeten Schloss eines Edelmanns, das Mittelpunkt der Erzählung 37. Erreur d ’ un paysan im Kühnschen Lesebuch ist (vgl. Kühn 1889, 16). Der intermediale Bezug zwischen Hölzelbildern, Texten, Gedichten und Liedern wird von Paul Schramm durch ein System der Vokabelanordnung in konzentrischen Kreisen dargestellt: Wohl gibt es schon derartige Werkchen, die sogar die Vokabeln „methodisch geordnet“ bieten. Trotz alledem sind sie für den Gebrauch in der Hand des Schülers unpraktisch, da die Vokabeln eines Bildes, zu kleinen Gruppen vereinigt, hintereinander geboten werden, und dem Lehrer nach wie vor die Arbeit nicht erspart bleibt, entweder die betreffenden Vokabeln an die Tafel zu schreiben und dieselben am Schluß der Stunde von den Schülern abschreiben zu lassen [...]. Ein Büchlein, welches die Vokabeln nun so brächte, wie sie in den verschiedenen Jahren des französischen Unterrichts nach dem jeweiligen Stande der grammatischen Kenntnisse und nach der geistigen Reife für den Schüler passend wären [...], würde [...] recht am Platze sein. Diese Lücke ausfüllen zu helfen, soll die Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein. Sie glaubt die gestellte Aufgabe zu lösen, indem sie für die drei ersten Jahre französischen Unterrichtes die Vokabeln für die vier Jahreszeiten in konzentrischen Kreisen angeordnet bietet, dabei nach Möglichkeit die Schwierigkeit der Wörter, den jeweiligen Stand grammatischer Kenntnisse und den Anschauungskreis der Schüler zu berücksichtigen. (Schramm 1908, Vorwort, III) 5 Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag gibt ein historisches Aperçu über die historische Entwicklung in einem fachgeschichtlichen und -didaktischen Spezialbereich. Er geht zuerst einmal der Frage nach, welche musikalischen Formen und Liedtexte im deutschen Französischunterricht bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs eingesetzt worden sind. Im Laufe des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit wurden in deutsch-französischen Enklaven, die ab dem 17. Jahrhundert vor allem von Hugenotten mit französischem Migrationshintergrund bewohnt wurden, vor allem Kirchenlieder in beiden Sprachen im Religions- und Fremd- 32 Walters Komposition erscheint auch in Kühn (1911, XXI ) und Kühn (1926, 40). <?page no="68"?> 58 Andreas Rauch sprachenunterricht vermittelt. Die Hochzeit des musikalischen Einsatzes im Französischunterricht setzt jedoch mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. An den Real- und höheren Mädchenschulen wird die Unterweisung im Französischen zu einem Hauptfach, auf das viele Unterrichtsstunden entfallen. Gleichzeitig erfolgt eine allmähliche Abwendung von der Grammatik-Übersetzungs-Methode und die Hinwendung zu einer „naturgemäßen“ Reformmethode, die an die bereits seit dem 16. Jahrhundert existente Lese-Übersetzungs-Methode anschließt und schließlich in die elaborierte direkte Methode (mit ihren zahlreichen Unterrichtstechniken) um 1900 einmündet. Von großem Einfluss auf diese neusprachliche Reformbewegung ist die Ausbildung der artikulatorischen Phonetik, die zu einer erheblichen Verbesserung des Aussprache-Unterrichts führt. Darauf gründet sich der zunehmende Liedeinsatz im Französischunterricht des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der vor allem in seiner Anfangsphase der Erlernung der fremden Aussprache dienen soll und nach phonetisch-kontrastiven Kriterien durchgeführt wird. Mit der Jahrhundertwende gewinnt allerdings eine landeskundliche Ausrichtung des Liedeinsatzes an zusätzlicher Bedeutung; in den letzten Jahren vor Beginn des Ersten Weltkriegs bildet sich - nach dem Abklingen der neusprachlichen Reformbewegung - eine vermittelnde Sprachlehrmethode aus, in deren Kontext der Musikeinsatz eine neue Funktion gewinnt, indem ihm zunehmend als eine authentische Textform ein kultur- und wesenskundlicher Wert beigemessen wird. Literatur Asher, James J. (1986): Learning another language through Actions. The complete teacher’s guidebook . Los Gatos, Cal.: Sky Oaks Productions. Aubin, Sophie (2008): „Maître de langue, professeur de langue et enseignement de la musique du français“. In: Synergies Espagne n°1, 101-112. Baillot (Hrsg.) (2011): Netzwerke des Wissens. Das intellektuelle Berlin um 1800 . Bd. 1. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag. 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Es ist aufschlussreich, dass es auf dem Gebiet der Grammatikvermittlung weiterhin eine hohe Zahl an kontroversen Grundproblemen gibt, zu denen die Vertreter und Vertreterinnen der jeweiligen didaktischen Schulen oder Ausrichtungen jeweils entsprechende Ansichten äußern (vgl. die Monografie von Keßler und Plesser 2011). Zum Thema der Lexisvermittlung hat sich hingegen spätestens seit der Kommunikativen Wende der 1970er Jahre ein weit verbreiteter Konsens ergeben. Gerne wird ein Satz von Michael Lewis zitiert, der eine deutliche Priorisierung ausdrückt: „Language consists of grammaticalised lexis, not lexicalised grammar“ (Lewis 1993, vi). Ähnlich formulierte ein deutscher Fremdsprachendidaktiker: Man kann sich in einer fremden Sprache auch dann verständigen, wenn man ihre Grammatik nur rudimentär beherrscht. Fehlen einem aber die Wörter, ist Kommunikation unmöglich. Wortschatzarbeit ist also eine der zentralen Aufgaben im Englischunterricht. (Quetz 1998, 272) In Anlehnung an die vielstimmig vorgetragene Betonung der Notwendigkeit lexikalischer Kompetenzen und deren Vermittlung im Fremdsprachenunterricht <?page no="74"?> 64 Laurenz Volkmann unternimmt dieser Beitrag eine historische Fokussierung. Zunächst werden anhand von ausgesuchten, illustrativen historischen Beispielen bis ins Mittelalter zurückreichende, geschichtlich bestimmte Praxen der Lexisvermittlung bis zu dem ‚Paradigmenwechsel‘ der Kommunikativen Wende um 1970 beschrieben und konzeptuell verortet. Anschließend soll der von der Kommunikativen Wende nicht unbeeinflusste Versuch dargelegt werden, die Lexisvermittlung im Sinne eines lexical turn in den 1980er und 1990er Jahren in den Mittelpunkt didaktischer Erörterungen und Vermittlungsdiskurse zu schieben und zu etablieren. Dass dies nicht uneingeschränkt gelang, soll im letzten Teil des Beitrags ausgeführt werden. Es wird kurz erklärt, welche Gründe verantwortlich sind für eine gewisse Aufwertung der systematischen Vermittlung von Lexis bei gleichzeitig anhaltender tendenzieller Überlagerung des Themas durch andere Schwerpunktthemen des Fremdsprachenunterrichts. Dabei sollen wesentliche, historisch gewachsene Grundfragen der Lexisvermittlung beschrieben werden. 2 Mönchische Sprachexerzitien oder kaufmännische Lexisbeherrschung? Wer sich Praktiken der Fremdsprachenvermittlung aus der historischen Perspektive annähert, stößt zunächst häufig auf die Vorstellung eines Jahrhunderte währenden uneingeschränkten Primats der Grammatik-Übersetzungsmethode. Deren Usancen werden entsprechend in gängigen Handbüchern und einschlägigen Einträgen in (Online-) Enzyklopädien ausgeführt. Dort, wie beispielsweise im Wikipedia-Eintrag zu dieser Sprachlernmethode, wird das Primat der Förderung analytisch-kognitiver Fähigkeiten bei der Übersetzung schriftlicher Texte sowie der Vermittlung umfassender lexikalischer Kenntnisse und grammatikalischer Systeme beschrieben (Wikipedia, Art. „Grammatik-Übersetzungsmethode“). Evoziert wird das Bild mönchischer Sprachexerzitien beim Übersetzen von Bibelpassagen in eine Fremdsprache sowie beim Auswendiglernen grammatikalischer Regeln - beispielhaft mit Hilfe der berühmten Ars Grammatica , die bereits im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung verfasst wurde. Bekanntlich bestimmte der Lateinunterricht bis ins 19. Jahrhundert und prägte bis ins 20. Jahrhundert hinein den Fremdsprachenunterricht in Europa und den europäisch beeinflussten Erdteilen. In Deutschland erfuhr die mit ihm verbundene Grammatik-Übersetzungsmethode erstmals entscheidend durch die neusprachliche Reformbewegung unter Wilhelm Viëtor gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Infragestellung. Dennoch vollzog sich ein Paradigmenwechsel hin zum Lehren und Lernen der modernen Fremdsprachen als lebendige, in lebensweltlichen Kommunikationssituationen einzusetzende linguistische ‚Werkzeuge‘ im Grunde erst im Zuge der Kommunikativen Wende um 1970. <?page no="75"?> Grundthemen der Lexisvermittlung im Englischunterricht 65 Die einseitige Perspektive auf die klösterliche bzw. von Jesuiten getragene Instruktion in der lingua franca des Mittelalters, verbunden mit Negativbildern des ,Einpaukens‘ von Grammatikregeln und stupidem Auswendiglernen von Vokabellisten, ist allerdings durch die weitere Perspektive auf eine parallel verlaufende Tradition der Fremdsprachenvermittlung zu ergänzen. Denn diese erfolgte nicht nur mittels beispielhafter Bibelpassagen, die in die jeweilige Muttersprache oder Zielfremdsprache übersetzt bzw. zurück übersetzt wurden und mit Hilfe derer induktiv oder deduktiv vor allem grammatikalische Regelhaftigkeiten gelehrt werden sollten. Vielmehr entwickelte sich in historisch unterschiedlich verlaufenden Schüben eine praxisorientierte, auf mündliche Kommunikationsfähigkeit setzende Tradition, welche auf Beherrschung von Lexis setzte. Diese ist vor allem auf dem Gebiet der durch das Mittelalter hindurch ansteigenden internationalen Handelsbeziehungen zu finden. Kaufleute, Fernhändler und im Seehandel tätige Unternehmer eigneten sich auf unterschiedlichste, oftmals autodidaktische Weisen vor allem mündliche Skills an, die sich vor allem auf aktive Sprachhandlung und dem jeweils eigenen Metier affine Lexikbereiche erstreckten. Vom Privattutorium durch Muttersprachler, die als reisende Lehrkräfte ihre Dienste anboten (‚Sprachmeister‘), bis zum geschäftsbezogenen Auslandsaufenthalt in der Kindheit oder Jugend zum Erlernen des metierbezogenen Sprachgebrauchs beim Handelspartner (‚Kavalierstouren‘) erstreckte sich die Bandbreite der Vermittlungskontexte, die von der Quellenlage her nur akzidentiell und schwierig zu erfassen ist (Glück 2002). Die von Helmut Glück durchgeführte Recherche zu Sprachbüchern der frühen Neuzeit belegt, dass diese fast durchgehend auf die funktionalen Bedürfnisse von Kaufleuten oder Handelsmaklern ausgerichtet waren (ebd., 88). Interessant sind dabei zur Lexis folgende Ausführungen: Die Fremdsprachenkenntnisse, die ein Kaufmann braucht, sind spezieller Art. Es geht im Kern nicht darum, die andere Sprache vollständig zu erwerben, sondern darum, in ihr Gegenstände von Handelsgeschäften benennen und Handelsgeschäfte sprachlich bewältigen zu können. Dazu gehören u.a. Bezeichnungen von Handelswaren und ihre ggf. unterschiedlichen Qualitäten, die Grund- und Ordnungszahlen, Ausdrücke für Maße, Gewichte und Währungen, Farb- und Qualitätsadjektive sowie deren Komparation, Namen der Wochentage und der Monate, Rechtsbegriffe sowie einige Verben und deren Flexion. Die Kenntnis der Wortschätze anderer Domänen war sicherlich von Nutzen, insbesondere wenn sie Bezug zum Handel hatten, etwa das Transportwesen, die Nahrungsmittel, das Finden einer Unterkunft, religiöse Begriffe usw. (ebd., 88) <?page no="76"?> 66 Laurenz Volkmann 3 Lexis im berufsbezogenen Kontext: Eine hybride Methode des Mittelalters Betrachten wir diese funktionalen, pragmatischen Vokabelkenntnisse im Mittelalter kurz genauer und konsultieren dabei eine historische Quelle, die bisher in Didaktikerkreisen kaum bekannt ist. Interessanter Weise passt sie nicht so recht in das Bild des Primats der Grammatik-Übersetzungsmethode in mönchischen Lebenswelten. Sie spiegelt vielmehr als hybrid zu bezeichnende, dialogbestimmte Praktiken in englischen Klöstern des Mittelalters. Es handelt sich um das Lernkompendium des angelsächsischen Mönchs Ælfric (ca. 955-1020). Der Verfasser von Homilien und Heiligenviten war zugleich der Autor einer kleinen Lernfibel, welche als lateinisches Colloquium und altenglisches Colloquy überliefert ist. Präsentiert wird eine typisierte und idealisierte Lehr-Lernsituation, in welcher der unterrichtende Magister seine Schüler, die Mönche, dazu bringt, in die Persona des jeweiligen Berufsvertreters zu schlüpfen. In einem lateinischen Übungsgespräch üben die Lernenden die für das jeweilige Berufsfeld typischen Vokabelfelder ein, unter anderem als Hirte, Weber, Salzsieder, Fischer, Jäger, Schmied und Kaufmann (lateinisch mercator/ altenglisch mancgere ). Auch wenn Ælfrics Colloquy bisweilen als realitätsgetreue Abbildung der Stände des englischen Hochmittelalters verstanden wurde, geht es in diesem Lateinübungsbüchlein eher um eine interessante Mischung aus dem Vorlesen und freien Vorsprechen auswendig gelernter Dialoge einerseits, andererseits dem Einüben berufstypischer Sprechakte und sogar von Spezialvokabular der jeweiligen Profession. Der folgende Auszug aus dem Colloquy gibt den gesamten Musterdialog zwischen dem fragenden Mönch und dem antwortenden Kaufmann als Rollendialog wieder. Die Passage wird der Einfachheit halber in der deutschen Übersetzung zitiert (im Original im Lateinischen und Altenglischen, Ælfric1940, 138/ 141): Was sagst du, Kaufmann? - Ich sage, daß ich dem König, den Adeligen, den Reiche und dem ganzen Volk nützlich bin. - Auf welche Weise? - Ich begebe mich auf ein Schiff und segle mit meinen Waren über das Meer in ferne Länder und tausche meine Waren gegen Kostbarkeiten, die es hierzulande nicht gibt. Ich bringe sie unter großer Gefahr zurück und erleide mitunter Schiffbruch; dann verliere ich all meine Habe und rette kaum das nackte Leben. - Welche Dinge bringst du uns? - Purpurne und seidene Stoffe und Gewänder, Edelsteine und Gold, Wohlgerüche, Wein und Öl, Elfenbein und Kupfer, Erz und Zinn, Schwefel und Glas und eine Menge andere Sachen. - Verkaufst du diese Dinge zu dem Preis, zu dem du sie gekauft hast? - Nein. Was brächten mir dann meine Mühen ein? Ich verkaufe teurer, als ich selber gekauft habe, um einen gewissen Gewinn zu erzielen und um meine Frau und meine Kinder ernähren zu können. <?page no="77"?> Grundthemen der Lexisvermittlung im Englischunterricht 67 Wenngleich die Musterdialoge in der lingua franca des Mittelalters, dem Lateinischen, aus heutiger Sicht eher schematisch wirken, deuten sie doch an, dass auch in Klöstern und Gelehrtenrunden nicht allein die Grammatik-Übersetzungsmethode vorherrschte. Mit zunehmender Bedeutung des Handelswesens und der wachsenden Kulturkontakte sowie der Genese europäischer Nationalstaaten am Ende des Mittelalters und in der frühen Neuzeit wuchs zugleich die Kritik an weltfremden Vermittlungstechniken von Fremdsprachen. 4 Richtungsweisende Stimmen der Renaissance und frühen Neuzeit Beispielhaft sei die Kritik des tschechischen Gelehrten Johann Amos Comenius (1592-1670) genannt. Er beklagte die Ineffektivität der Grammatik-Übersetzungsmethode mit Bezug auf das Fremdsprachenlernen, verlangte motivierendere Lehrbücher und Lerninhalte und verfolgte den Gedanken der Lernprogression vom Einfachen zum Komplexen. Er betonte die Notwendigkeit ganzheitlichen Lernens gerade bei der Vermittlung von Lexis in bedeutungstragenden Kontexten sowie die Verwendung von altersgemäßen Themen, Bildern und Geschichten in didaktisch strukturierten Lehrbüchern. Berühmt wurde sein Bonmot zur Bildung, welches er direkt auf das monotone Auswendiglernen von Vokabellisten münzte: „Wir bilden Menschen, nicht Papageien.“ (Comenius 1971 [1642], 129) Daraus folgt, daß die Wörter nicht unabhängig von den Sachen gelernt werden sollen, da die Sachen abgesondert weder existieren noch verstanden werden können, sondern nur in ihrer Verbindung (mit den Wörtern) hier und dort vorkommen, dies und jenes bewirken. (ebd.) Comenius erstrebte eine Verbindung von systematischer Fremdspracheninstruktion mit lebensweltbezogener Kommunikationsfähigkeit, für welche er sogar immersive Auslandsaufenthalte empfahl (Musumeci 2011, 54 ff.). In engem Zusammenhang mit den fortschrittlichen Ideen Comenius‘ sind die Gedanken des einflussreichen britischen Philosophen John Locke (1632-1704) zu nennen. Zwar betonte dieser in seinem Bildungspamphlet Some Thoughts Concerning Education (1693) in aufklärerischer Manier die Bedeutung der kognitiven Grammatik-Übersetzungsmethode für Lernexerzitien mit Bezug auf die griechischen und lateinischen Klassiker. Zugleich riet er aber zu einem frühen Beginn beim Erlernen von Fremdsprachen (für Locke speziell des Französischen, der ‚Modesprache‘ des 17. und 18. Jahrhunderts). Basierend auf der Erkenntnis, dass Fremdsprachenlernen am effizientesten in Imitation der Erwerbsprozesse der Muttersprache geschieht sowie angesichts der Praxisdefizite institutionalisierten Fremdsprachenerwerbs empfahl Locke immersive Programme und Ge- <?page no="78"?> 68 Laurenz Volkmann spräche in der Zielsprache mit Muttersprachlern. Tutoren und Gouvernanten sollten Lehrmethoden verwenden, die im Wesentlichen eher auf spielerischen Vermittlungsmethoden als auf monotonen ‚Nachplappermethoden‘ beruhen. Lockes Vorstellungen zum spielerischen Habitualisieren von Skills sowie zu modellartiger Präsentation von praxisnahen Sprechakten konnten wesentlich die deutsche Reformbewegung unter Viëtor sowie den Behaviorismus beeinflussen. 5 Die These einer ‚weiblichen Tradition‘ des Fremdsprachenerwerbs durch Konversation im 19. Jahrhundert Bei genauerem Lesen der Aussagen des englischen Philosophen zum Fremdsprachenlernen fällt auf, wie Locke tendenziell Geschlechterunterschiede bei den Inhalten sowie der Methode markiert (vgl. Locke 1963, §168). Die Arbeit mit den altsprachlichen Klassikern empfiehlt er zur Schärfung des Geistes und zur Bildung nach wie vor seinen männlichen Lernern, preist aber zugleich das Erlernen der modernen Fremdsprachen mit der für ihn eher weiblich konnotierten Methode der Konversation. Er drückt damit stellvertretend ein Verständnis des Fremdsprachenlernens aus, welches beispielsweise in der Studie von Sabine Doff zum Fremdsprachenerwerb im Deutschland des 19. Jahrhunderts anhand von Dokumenten des wilhelminischen Zeitalters eingehend diskutiert wird (Doff 2002). Doff beschreibt detailliert, wie sich in dieser Epoche Gendervorstellungen mit Bezug auf das Fremdsprachenlernen verhärteten. Paradigmatische Bedeutung erhält hier ein Originalzitat, demzufolge sich die logisch und analytisch strukturierten alten Sprachen „mehr für den männlichen Geist [eignen], die neueren entsprechen mehr der Eigenart des weiblichen Geistes“ (ebd., 359). Für Doff entwickelte die weiblich beeinflusste Neusprachendidaktik früh ‚alternative‘, auf Gleichwertigkeit drängende Lehr- und Lernformen sowie Inhalte, welche als „durch die Lehrerinnen geprägte Konstante“ (ebd., 339) bis in die Jetztzeit hinein kontinuierlich wirken. Dies zeigt sich etwa in der Betonung des Mündlichen oder der Kommunikationsfähigkeit, welche früher mit dem Terminus der weiblichen ‚Parlierfähigkeit‘ versehen oder von männlicher Arroganz als ‚Plappermethode‘ abgekanzelt wurde (ebd., 398). Eingeübt wurde sie traditionell in sogenannten Konversationsstunden, in denen Mädchen sich während leichter Handarbeiten in der Fremdsprache unterhielten, wobei sie häufig ein ‚Sprachmeister‘ bzw. eine Gouvernante anleitete. In diesem Zusammenhang formuliert Doff die These einer „eigenständigen weiblichen Didaktik des Unterrichts in den neueren Fremdsprachen“ (ebd., 377), wie sie von Gouvernanten, Hauslehrerinnen und schließlich „Oberlehrerinnen“ entwickelt und tradiert wurde. Diese alternativen Traditionen haben frühe Methoden der Reformer <?page no="79"?> Grundthemen der Lexisvermittlung im Englischunterricht 69 des Englischunterrichts am Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend geprägt. Es gab starke konzeptuelle Ähnlichkeiten mit und Einflüsse auf Formen des Fremdsprachenunterrichts, wie er „an den höheren Mädchenschulen schon seit Jahren, zum Teil seit Jahrzehnten erprobt und optimiert worden war“ (ebd., 385). 6 „Sensualistische“ Positionen der Reformbewegung um 1880 Dass die so genannte Parliermethode allerdings nicht allein weiblich konnotiert war, zeigt der hier nur skizzenhaft vorgetragene Rückblick weiter oben zum Fremdsprachenlernen in den Kreisen von Kaufleuten und Händlern. Sprachmeister waren zudem seit dem 18. Jahrhundert an den meisten Universitäten in Deutschland tätig. Mit dem Wachsen der wirtschaftlichen Bedeutung Großbritanniens im Zeitalter der Industriellen Revolution konnte Englisch dann bekanntlich im 19. Jahrhundert seine erste Verbreitung als Wahlfach an Schulen erlangen und wurde Mitte das 19. Jahrhunderts Pflichtfach an preußischen Real- und höheren Bürgerschulen (die Gymnasien schlossen sich in den 1890er Jahren an). Die Reformbewegung der 1880er Jahre, wie die Etablierung des Englischunterrichts an höheren Schulen gewissermaßen eine Reaktion auf den Pragmatisierungsdruck der sich rasant verbreitenden Industrialisierung und Internationalisierung im späten 19. Jahrhundert, gipfelte in dem viel beachteten Traktat Viëtors Der Sprachunterricht muss umkehren von 1882. Sie stellte sich, wie Hüllen (1987, 32) es formulierte, gegen die vorherrschende „rationalistische“ Position und trat dagegen für eine „sensualistische“ Position ein. Sie betonte sprachpraktisches Handeln in kontextualisierten Lehr-Lernsituationen vermittels ‚direkter‘ Methoden, vor allem im Umgang mit Kommunikationsmitteln sowie durch Präsentieren bzw. Wahrnehmen und Üben (vgl. ebd.). In der propagierten direkten Methode erhielten Lexiskenntnisse einen größeren Stellenwert als Grammatikkenntnisse, der neue Wortschatz sollte idealerweise durch natürliche Interaktion angeeignet werden, unterstützt durch Bilder, Imitation und Realien. Die in fortgeschrittenen Lernphasen eingeführten abstrakten Wörter sollten beispielsweise nach semantischen Feldern gruppiert werden. Über die Verwerfungen der Weltkriege und der Naziherrschaft hinaus ergab sich im Grunde genommen bis in die 1970er Jahre eine Gemengelage von drei konkurrierenden Verfahren: die Lektüre von Originaltexten der großen Literatur, welche wir im nächsten Abschnitt beispielhaft skizzieren werden; die Konversationsmethode mit praxisnahen Übungen; und schließlich konventionelle Formen einer Gedächtnis- und Grammatiklernmethode, die „über das Auswendiglernen von Vokabeln und Grammatikregeln auf Lernfortschritte“ setzte (Gehring 2004, 10). <?page no="80"?> 70 Laurenz Volkmann 7 Sinnerschließung mit Literatur und/ oder Fremdsprachenerwerb? Eine weitere Kernfrage der Fremdsprachenvermittlung bis in die Gegenwart hinein betrifft die Rolle der Literatur bei deren Vermittlung. Hier gab die Grammatik-Übersetzungsmethode eine richtungsweisende Antwort: Vermittelt wurde die Fremdsprache durch die Lektüre von und Arbeit an den jeweiligen kulturtragenden Textzusammenstellungen, die sich historisch aus der Bibel und kanonisierten christlichen Texten speisten und sich im voranschreitenden Zeitalter des Säkularen aus literarisch-ästhetischen Texten der ‚Höhenkammliteratur‘ zusammensetzten. Sie galten als sprachliche wie bedeutungstragende Exemplaria - an ihnen wurden Sprachregeln erschlossen und man führte Sinnexegese durch. Praktiziert wurde dies bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nicht allein in der Zielsprache (vgl. eingehender Volkmann 2016). Literatur wurde eher einer erweiterten Definition gemäß für den kommunikationsorientierten Unterricht brauchbar gemacht, gerade mit Bezug auf die von Hellwig so bezeichneten ‚Einfachen Formen‘. Karlheinz Hellwig (2000, 23 f.) betont, dass bereits in der Renaissance Sentenzen, Prosastücke, nursery rhymes und Lerngedichte verwendet wurden, die im 17. bis zum 19. Jahrhundert in Großbritannien beispielsweise durch so genannte chap books ergänzt wurden. Mit Hilfe von Kurztexten, unterstützt von kleinen Bildgeschichten und anderen visuellen scaffoldings , bot man damit Lernhilfen an. Der folgende Textauszug aus einem Lernbüchlein des Jahres 1840 diente offenkundig dem Lernen des Alphabets: A was an apple-pie B bit it C cut it, D dealt it, E Eat it, F fought for it, G got it, H had it, I inspected it, J jumped for it, K kept it, […] (ebd., 23) Es sollte nicht vergessen werden, dass auch die Vertreter der Reformbewegung gerade die hochrangige Literatur als Sprech- und Diskussionsanlass verstanden (vgl. die Ausführungen hierzu in Volkmann 2016). Allerdings wurde mit der zunehmenden, sich in historischen Schüben vollziehenden Hinwendung zur Vermittlung pragmatischer und funktionaler Fremdsprachenkenntnisse vor allem in den 1960er bis 1980er Jahren eine Konfliktlage entlang eines Bildung- <?page no="81"?> Grundthemen der Lexisvermittlung im Englischunterricht 71 gegen-Ausbildung-Gegensatzes offenkundig und in entsprechenden fremdsprachendidaktischen Organen diskutiert. Zugespitzt formuliert Brusch (1996, 140) diese Inkompatibilität als in der damaligen Zeit so erkannte Unmöglichkeit, im Fremdsprachenunterricht die großen Werke der Literatur mit den beschränkten kommunikativen Fähigkeiten der Lernenden in der Fremdsprache zu behandeln - die Prinzipien „des Bildungswertes und des Gebrauchtwertes“ von Literatur schienen inkongruent (Hüllen 1970, 367). Die Diskussion der 1960er bis 1980er war damit im Grunde genommen eine Wiederholung der Gegensätze von pragmatischen Fremdsprachenkompetenzen und analytischer Auseinandersetzung mit Bildungsgut, wie sie sich als Konflikt zwischen Reformern und Traditionsbewussten am Ende des 19. Jahrhunderts zugespitzt hatte. Einerseits beklagten fortschrittliche Didaktiker den Mangel an kommunikativen Fähigkeiten bei deutschen Schülerinnen und Schülern und benutzten den pejorativen Begriff des ‚Schulenglischen‘, welches in der realen Welt wenig zu verwenden sei. Andererseits mokierten sich die nach altphilologischen Usancen sozialisierten Gymnasialprofessoren und -professorinnen dieser Jahrzehnte, die die philologisch exakte, bisweilen immer noch in deutscher Sprache vollzogene Interpretation einer Shakespeare-Tragödie in der Oberstufe als krönenden Abschluss der Schullaufbahn definierten, über ein allzu idiomatisches Allerweltsenglisch und taten es als ‚Oberkellner-Englisch‘ ab (Brusch 1996, 187). Derart obsolete Vorstellungen verloren dann über die nächsten Jahrzehnte zunehmend ihre Salonfähigkeit in didaktischen Debatten. Sukzessiven Bedeutungsverlust erlebten sie in den Schüben der Kommunikativen Wende, der Hinwendung zum interkulturellen Lernen, der Forderung nach Pragmatisierung und Outputorientierung sowie dem neuen Paradigma der interkulturellen kommunikativen Kompetenz und den Ausrichtungen der neokommunikativen Methodenpluralität (Reinfried 2001) - so dass die Literaturdidaktik gegenwärtig eher unter einem gewissen Legitimationsdruck mit Bezug auf Kompetenzorientierung steht. 8 Das neue Paradigma: Mentales Lexikon und Semantisierungstechniken Die audio-linguale Methode mit ihrem behavioristischen Ansatz sowie kognitive Ansätze und pragmatische Kommunikationstheorien à la Noam Chomsky, Dell Hymes und Jürgen Habermas mündeten, stark vereinfacht formuliert, in die pragmatische Kommunikative Wende der 1970er Jahre. Die Aufwertung lexikalischer Kompetenzen in den folgenden Jahrzehnten erscheint als eine logische Konsequenz des neuen praxisbezogenen Paradigmas, welches in Deutschland vor allem durch den Gießener Didaktiker Hans-Eberhard Piepho vertreten wur- <?page no="82"?> 72 Laurenz Volkmann de. Die neue Aufmerksamkeit gegenüber und Berücksichtigung psycholinguistischer sowie zunehmend neurobiologischer Forschungen schlug sich in zwei eng miteinander verknüpften Konzepten zur Lexisvermittlung nieder. Es setzte sich die Vorstellung des ‚mentalen Lexikons‘ (Aitchison 1987; Wolff 2002) durch, als Metapher für die Aneignungs-, Memorisierungswie Anwendungsleistungen des Gehirns von Fremdsprachenlernern. Zugleich entwickelten sich vielfältige Konzepte ‚gehirnadäquater‘, kongenialer Vermittlungstechniken von Vokabular mit Hilfe einer breiten, systematisch einzusetzenden Palette von ‚Semantisierungstechniken‘ (vgl. im Überblick Doyé 1971; Quetz 2007; Hutz 2012). Interessanter Weise wären heutzutage, im Zeitalter des Internets, Beschreibungen des mentalen Lexikons noch plastischer möglich: mit Verweisen auf virtuelle Sinnkonfigurationen von Hypertexten und Endlosverlinkungen. Anstatt der Metapher des Lexikons wäre in der Tat die bisweilen synonym verwendete Netzmetapher geeigneter, verweist diese doch auf das dicht geknüpfte, paradigmatisch und syntagmatisch sowie vielfach intrikat sich ausformende semantische Netzwerk, welches der Sprachbenutzer sukzessive aufbaut. Die Verknüpfungsleistungen gilt es zu fördern, indem bei der Einführung und dem ‚Umwälzen‘ von Lexis vielfältige lautliche, semantische, morpho-syntaktische und pragmatische Bezüge hergestellt werden. Möglichst alle Sinnesorgane sollten beteiligt werden, damit neue Lexis (kurz- oder besser) langfristig zur Verfügung steht. Die Didaktik widmete sich so in Publikationen immer genauer durchdachten und differenzierteren Formen von altersadäquaten Semantisierungstechniken und verband diese mit Überlegungen zur systematischen Progression bei der Wortschatzarbeit (Bausch/ Christ 1995; Kieweg/ Kieweg 2002; Kieweg 2006; Quetz 2007; Hutz 2012). Erklärungstechniken wurden nach visuellen bis verbalen Möglichkeiten aufgeschlüsselt (vgl. Quetz 2007, 277), von ganzheitlichen Begegnungen mit konkreten Gegenständen über das Zeigen bis zu kontrastiven und erklärenden (definierenden bis ableitenden) Verfahren. Neue Ordnungsprinzipien ergaben sich durch die Beachtung unterschiedlicher Lernertypen und unterschiedlicher pragmatischer Bedürfnisse. Aufgegriffen wurden Ansätze zur Vermittlung von ‚Textbausteinen‘ ( chunks ) sowie zur Lernerautonomie, beispielsweise beim Einüben von Bedeutungserschließungstechniken und dictionary skills (vgl. Börner/ Vogel 1993; Kieweg/ Kieweg 2002, 7; Hutz 2012). Zunehmend gerieten ausdifferenzierte Theorien zu Lernertypen in den Fokus, wie beispielsweise bei Maria Kieweg (1996), die Angebote auflistet für Lernertypen im Bereich visuelle, auditive, audio-visuelle, haptische, abstrakt-verbale, einsichts-und sinnanstrebende (kontrastive), kontaktbzw. handlungsorientierte Präferenzen. Hinzu kommen neue Empfehlungen in Bereichen wie beispielsweise bildgesteuerte und bildgestützte Vokabelarbeit, gehirnadäquate Aneignung <?page no="83"?> Grundthemen der Lexisvermittlung im Englischunterricht 73 von Lern- und Memorisierungstechniken (Hutz 2012), Lexis-in-Kontext-Ansätze, Überlegungen zum aktiven oder passiven Wortschatz, den es am sinnvollsten für Schülerinnen und Schüler altersadäquat und zielgruppenkonform zu vermitteln gilt. Dazu kommt spielerisches, inzidentelles Erlernen und Anwenden neuer Lexis in vielfältigen realen und virtuellen Kontexten (Stichworte: Digitalisierung, Gameification, vgl. Grimm/ Meyer/ Volkmann 2015, Kap. 10). So kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass wesentliche Fragen der Lexisvermittlung weiterhin vor dem Horizont neuer Forschungsfragen wie Fremdsprachenfrühbeginn, Heterogenität und Inklusion sowie der digitalen Herausforderung diskutiert werden (vgl. Reinfried/ Volkmann 2012) und teilweise in den gängigen Lehrbüchern Eingang finden. Zweifellos gilt nach wie vor eine Feststellung, welche Herbert Christ (1995, 48) bereits vor der Jahrtausendwende äußerte: […] Wortschatzvermittlung und Wortschatzlernen sind in jedem Augenblick des Fremdsprachenunterrichts gefragt; sie sind für alle Gegenstandsbereiche von Bedeutung, ob es sich um Literaturunterricht oder um Landeskundeunterricht, um interkulturelles Lernen oder um Grammatikunterricht, Unterricht in Allgemeinsprache oder Fachsprache, um das Erlernen von Korrespondenz oder Konversation handelt. Bleiben dennoch eher kritische Beobachtungen aus dem gleichen Zeitraum bestehen? So konstatierte Peter Scherfer (1989, 193): „Spezifische Wortschatzübungen werden im Fremdsprachenunterricht eher stiefmütterlich behandelt“. Und im Jahre 1993 hieß es in einer Publikation zu Wortschatz und Fremdsprachenerwerb , dass sich die „‘Wortschatzwende’ noch nicht vollzogen hat“ (Schneider 1993, 89). Auch in jüngeren Publikationen wird - teilweise auf der Basis lokaler empirischer Untersuchungen - angedeutet, dass in der Unterrichtspraxis beim Vermitteln von Lexis noch deutlicher Optimierungsbedarf herrscht (Tschirner 2004; Hutz 2012; Grimm/ Meyer/ Volkmann 2015; vgl. auch Schmitt 2016, 15, vor allem zum Thema Aussprache als „Cinderella of language teaching“). Beklagt wird das Vorherrschen von Grammatikübungen in Schulbüchern, die Auffassung, Vokabellernen sei primär eine typische Hausaufgabe (Börner/ Vogel 1993, 88), sowie die fortgeführte Tradition der starren ‚Vokabelabfrage‘ am Beginn der Stunde (Kieweg/ Kieweg 2002, 27). Deutlich wird auch, dass die Vermittlung von Lexis eher im englischsprachigen Raum ein Forschungsthema bleibt (Schmitt 2000; Thornbury 2002; Nation 2008; vgl. für die Forschung in Deutschland Stein 2002; Tschirner 2004). Angesichts dieser Gravamina erscheint es nach wie vor wichtig, auf die anhaltende Bedeutung der Arbeit am mentalen Lexikon hinzuweisen. Sie ist und bleibt eine Grundvoraussetzung für die Fähigkeit, pragmatische Kommunikationsstrategien zu verwenden und kommunikative Kompetenzen zu entwickeln und zu verbessern. Hierfür sollten die von der Fremdsprachendidaktik ausführlich <?page no="84"?> 74 Laurenz Volkmann vorgestellten und in entsprechenden Rezeptologien zur Verfügung gestellten Hinweise zum Lexislernen und zu Semantisierungsverfahren noch stärker beachtet und umgesetzt werden. Literatur Ælfric. Colloquy. In: Raith, Josef (1940) (Hrsg.): Altenglisches Lesebuch (Prosa). München: Max Hueber, 52-56, 136-142. 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In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 55, 1-14. <?page no="87"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe der rezeptiven Mündlichkeit Franz-Joseph Meißner 1 Aufriss Statt mit einer Einleitung eröffnet dieser Aufsatz mit einigen Bemerkungen zum Begriff Hörverstehen (hinfort HV) im schulischen Fremdsprachenunterricht der Jahre vor 1975. In Deutschland erreicht in diesem Jahr die psycholinguistische und didaktische Konzeption von HV schon einen Stand, der im Wesentlichen eine angemessene pädagogische Steuerung in HV-Aufgaben erlaubte (vgl. Meißner 2016b; Rossa/ Meißner 2017). Doch hatte das HV die Unterrichtspraxis noch nicht in der Breite erreicht. Wilhelm Brockhaus notiert damals: (Die) Ausbildung des Hörverstehens (listeningskill; speechperception) wird weithin als von selbst sich einstellendes Nebenprodukt eines normalen Unterrichts angesehen. Der Lehrer begründet seine Ansicht mit der täglichen Erfahrung, daß seine Schüler ihn und ihre Mitschüler verstehen. Die Erfahrung ist richtig, die Deduktion ist falsch: die Schüler verstehen alles, was der Lehrer sagt, aber er sagt nur, was die Schüler verstehen. (Brockhaus 1975, 229) Drei Jahre zuvor nannte Franz Kaufmann den wohl frühesten Beleg für das Konzept HV. Er fand ihn bei Lado (1961), der es in die Formel auditory comprehension gekleidet hatte: Die umfassendere Hörverstehensfertigkeit (auditory comprehension) „means recognition control of signaling elements in communication situations” (Lado 1961, 206), also die Fähigkeit, den natürlichen Lautstrom zu segmentieren und so den Sinn einer Äußerung zu erfassen. (Kaufmann 1972, 190) Es geht also, plakativ gesagt, um das Verstehen von Zeichen in (mündlicher Kommunikation). Dabei wird die Komplementarität von verbalen Hör- und Sehzeichen, wie sie sich z. B. in der Gestik vollzieht, nicht eigens erwähnt. Offensichtlich sei die Entwicklung zu korrigieren: <?page no="88"?> 78 Franz-Joseph Meißner Wiederum zwei Jahre später liest man die Forderung nach einer Aufnahme von HV in die Richtlinien des Fremdsprachenunterrichts, so bei Konrad Schröder (1974, 405): Die Fremdsprachendidaktik der vergangenen Jahrzehnte ist stets davon ausgegangen, daß Sprechfertigkeit auf allen Leistungsniveaus und Schulstufen das eigentliche Ziel […] sei. […] (Es) stellt sich die Frage, ob […] nicht gezielter auf Hör - und vielleicht auch Leseverstehen […] ausgerichtet werden sollte. Hervorzuheben ist die völlig neue Begründung für die Förderung der mündlichen Kompetenzen: die Kommunikationsfähigkeit zwischen den Bürgerinnen und Bürgern des zusammenwachsenden Europa. Doch wie stand es in den Jahrzehnten zuvor um das HV im schulischen Fremdsprachenunterricht? Werner Hüllen (vgl. auch Reinfried 2006) fasst mit Blick auf das 19. und beginnende 20. Jahrhundert den Status der rezeptiven Mündlichkeit wie folgt zusammen: Im Gegensatz zu den alten Sprachen wird für das Französische und das Englische z. B. immer die Bedeutung einer guten Aussprache betont. Neben der Natürlichkeit dieser Forderung wird darin auch die Wertschätzung der damals neu entstehenden experimentellen Phonetik erkennbar. Viele Lehrpläne schlagen einen kurzen Lautierkurs vor. Bei dem allgemein geforderten Hörverständnis wird häufig erklärt, dass Teilhabe an Konversation nur im Ausland selbst erworben werden könne. Die Begegnung mit der fremden Sprache vollzog sich vor allem im Lesen. (2005, 89) Diese und Schröders Beschreibung bestätigen Unterrichtsberichte im Rahmen der oral history (Meißner 2008a). So wurde laut Erinnerung der Klassenkameraden des Autors in ihrem Englisch- und Französischunterricht zwischen 1957 und 1968 kein einziges Mal ein Ton- oder Filmmedium eingesetzt 1 . Auch die Nutzung eines Sprachlabors ist ihnen nicht erinnerlich. Der zielsprachliche Input blieb rein graphisch basiert. Die lautliche Seite der Zielsprachen wurde über das Vorlesen der Lehrbuchtexte durch die Lehrperson und das abwechselnde Vorlesen der Mitschüler bei gleichzeitigem stummem Mitlesen transportiert (reproduziert). Fragen zu Verständnis und Verstehen bezogen sich allein auf die ,(mit)gelesenen’ Lektionstexte. Authentische Hörvorlagen zum gesprochenen Englisch/ Amerikanisch oder Französisch fehlten. Hörverstehen war offensichtlich kein Lehrziel. 1 Die Lehrwerke legten auch den Einsatz von Ton und Filmträgern nicht immer nahe. Allerdings existierte die Möglichkeit der Verwendung der Schallplatte, vgl. Ladwein (1964): „Zu diesem Band ist eine SCHALLPLATTE erschienen, auf der die wichtigsten Texte von Franzosen in vorbildlicher Weise gesprochen sind.“ Der Text lädt auch Lerner dazu ein, selbstständig die Platte zu benutzen, um eine „einwandfreie Aussprache und Intonation zu erreichen“. Zur Geschichte des Kurses vgl. Barbré/ Barbré (1934/ 35). <?page no="89"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 79 2 Unterrichtstechnische, bezugswissenschaftliche und soziokulturelle Rahmung Die fremdsprachenunterrichtliche Methodik ist hochgradig durch technische Entwicklungen bestimmt. Dies zeigen gerade das HV und das Hörsehverstehen (HSV) der Zielsprache: Zunächst ist hierzu die Erfindung von Tonträgern in Erinnerung zu rufen. Tonband, Film und Videotechnik erweiterten das Spracherlebnis um das Zusammenspiel von bewegten Bildern, gesprochenen und/ oder geschriebenen Texten und Ton, wobei der Anteil originär nicht-lehrintentionalen Sprachmaterials stetig zunahm. Zeitgleich entdeckten die Linguistik und die Diskursanalyse die Mündlichkeit als Gegenstand der Forschung und damit auch die extraverbale Kommunikation, die Gestik, das sog. face work sowie die interkulturelle Kommunikation. All dies erklärt die Erweiterung des Begriffs Hörverstehen zu Hörsehverstehen in unserer Gegenwart. Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen: lehren, lernen, bewerten (Europarat 2001) verband zudem die Mündlichkeit mit der Sprachmittlung und der Text- und Medienkompetenz . Beide Begriffe setzen HVbzw. HSV-Kompetenz voraus; sind jedoch nur mittelbar an rein sprachliche Ressourcen gebunden (und werden daher in diesem Aufsatz nicht behandelt). Das Internet ,demokratisierte’ das Erlebnis der audiovisuellen Präsentation. Die Neuerung umfasst inzwischen sowohl die Rezeption als auch die Produktion fremder Sprachen. Das Netz veränderte zudem die sozialen Implikationen von Lernen, indem es interpersonale Lernarrangements beförderte, die dem (interkulturellen) Lernen auf Gegenseitigkeit verpflichtet sind. Hier lehrt ein jeder seine Muttersprache und lernt die des Partners. Solche Lerntandems können in ihrem Aufbau dialogisch oder polylogisch, bi- oder plurikulturell angelegt sein; sie können sich an einer oder zwei Zielsprachen orientieren oder auch an der Mehrsprachigkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Techniken wie SKYPE bzw. Videotelephonie erlauben ein umfassendes Spracherlebnis, welches alle Teilkompetenzen umfassen kann. Historischer Vorlauf: Wie groß indes der Bedarf nach authentischen Hörvorlagen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein war - man hatte keine explizite Vorstellung vom HV (passim: Jespersen 1904 [1961, 11. Aufl.]; Münch 1910; Aronstein 1917; Hübner 1933 [Nachdruck 1969, sic]; Bornemann 1967; Leisinger 1966, 1980; Achtenhagen 1969; Pelz 1975) - indiziert der zwischen den Zeilen der Quellen lesbare Wunsch nach: • […] Zeugnissen (spontan) gesprochener Sprechsprache aus unterschiedlichen Textsorten, sprachlichen Varietäten und kommunikativen Situationen. Kommentar: Zwar hatte die Entwicklung der phonetischen Transkription <?page no="90"?> 80 Franz-Joseph Meißner Fortschritte gemacht - etwa Koschwitz (1911) 2 -, doch waren sie für die Optimierung der Praxis des Französischunterrichts von eher geringem Wert 3 , weil Transkriptionen nicht der Erfahrung entsprechen, dass Klangmuster über das Ohr viel lernwirksamer greifen als phonetische Umschreibungen über das Auge. Auch erfüllten die Texte nicht das Kriterium der Unterschiedlichkeit der Textsorten und Kontexte. • […] kommunikationsrelevanten Inventaren, aus denen pädagogische Materialien generiert werden konnten. Kommentar: Zuvor wurde mehrfach ein Auseinanderklaffen zwischen der künstlichen Mündlichkeit von Lehrwerkwortschätzen und dem authentischen Vokabular der Zielsprachen im Alltag beklagt. Als Zeugen hierfür lassen sich bereits in den 1860er Jahren der Französischlehrer Césaire Villatte (Meißner 2016a) anführen, der eine starke Diskrepanz zwischen dem schulfranzösischen Wortschatz und nativ-hexagonaler Mündlichkeit beklagte, sowie August Prein (1921), der nach dem Ersten Weltkrieg eine ähnliche Kritik auf den Vergleich der Syntax aus französischen Soldatenbriefen mit der in deutschen Lehrbüchern stützte. Ähnliches hat Mindt (1995) auf der Grundlage computerlinguistisch gewonnener Daten des Englischen für die deutschen Schulgrammatiken nachgewiesen und hernach eine ,empirische‘ Englischgrammatik vorgelegt. Doch sind die Gründe für den ‚Rückstand’ nicht allein in der Fremdsprachendidaktik zu suchen (vgl. Neuner 1983), sondern auch in den Bezugswissenschaften. So ist die Voraussetzung für die Lehrbarkeit einer Sprache oder sprachlichen Varietät ihre hinlängliche Beschreibung durch die Linguistik. Vor diesem Hintergrund kann für die Lehrbarkeit mündlicher Kompetenzen die Wirksamkeit einschlägiger Bestseller, wie etwa Sölls Gesprochenes und geschriebenes Französisch (1974; Söll-Hausmann 1985) und weiterer, kaum überschätzt werden (auch Stammerjohann 1983). 1973 erschien Rattundes code oral und code écrit im Französischunterricht (Diesterweg) als eine für den Französischunterricht aufbereitete Schrift . Derlei Studien popularisierten auch zahlreiche Kommunikationsmodelle, die, wie das von Weaver und Shannon (1949), neben Sender und 2 Für Koschwitz‘ Le parler parisien (1911) gilt die Beobachtung von Howatt/ Smith (2014, 89): „the ‘spoken language’ was understood […] as the spoken version of a written text, understanding and ‘retelling’ […] was […] central“. Es wäre jedoch falsch, Koschwitz‘ Werk deshalb mit einer Kritik zu überziehen, deren Grundlagen zu seiner Zeit gar nicht vorlagen. Das Ziel des Werkes lag in der Verbesserung der Aussprache des Standardfranzösischen, deren Notwendigkeit bereits Viëtor (a. a. O.) angemahnt hatte. Das HV des français parlé oral war nicht intendiert. 3 Allerdings entsprach das von zeitgenössischen Fremdsprachendidaktikern mehrfach gelobte Werk, welche auf der linken Seite einen alphabetischen Text bietet, dem die phonetische Umschrift auf der rechten Seite gegenübergestellt wird, nicht dem, was der Titel - parler parisien - verspricht (vgl. passim Bauche 1920). <?page no="91"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 81 Empfänger auch den ,Kanal‘, also implizit die Mündlichkeit, als wesentliches Element beschreiben (vgl. Leisinger 1966, 8 f.). Das Interesse an der Oralität war aus der Neugierde auf die Sprache des Volkes erwachsen (die Zola literarisch salonfähig gemacht hatte). Schließlich hatte sich die Linguistik der Gegenwartssprache und ihren Varietäten zugewandt (Bally 1913; zum französischen Substandard: Bauche 1920; zuvor das durch die ‚Argot’-Lexikographie bezeugte wachsende Interesse an der Alltags- und Umgangssprache (vgl. Meißner 2016a); zum Italienischen: Spitzer 1922; zum Spanischen: Beinhauer 1958). Vor dem Hintergrund solcher longue durée- Wirkungen nimmt Colette Stourdzé 1968 in Le français dans le monde den französischen Substandard aus der Anrüchigkeit des argot, indem sie das Lehrziel Kommunikationsfähigkeit an ein français relâché bindet, und Daniel Coste fragt 1969 Quel français enseigner? Zu dieser Zeit war das rein aus mündlichen Quellen kompilierte Français fondamental bereits über ein Jahrzehnt im didaktischen Gespräch (Mouchon 1994; Meißner 2006) . An solchen Inventaren konnte sich auch die Lehrwerkentwicklung ausrichten, wie Herbert Christ (2006) am Beispiel von Salut gezeigt hat. Auch für das Spanische und das Portugiesische wurden nach französischem Muster entsprechende Wortlisten kompiliert; ebenfalls mit Wirkungen auf die Lehrwerksentwicklung (Venâncio Peixoto da Fonseca 1966; Rojosastre et al. 1968, 9, zum Español fundamental ). Das Lehrziel HV liegt auch in der Tradition des linguistischen Interesses an der Mündlichkeit. Die Angewandte Linguistik fand in dieser Zeit zu neuen Fragestellungen - mit erheblichen Konsequenzen für die Theorie und Praxis der HV-Schulung. So führten die Forschungen zur Kombinierbarkeit von Wörtern (Okkurrenzen), also zum sog. freechoice (semantische Autonomie) und zum idiom principle (Sinclair 1991; Hausmann 1993), zu Anforderungen an Test- und Übungsformate für das HV - erlaubt doch erst die Kenntnis möglicher Kookkurrenzen das Ausnutzen von semantischen Redundanzen und die Reparatur von HV-Lücken noch während der mentalen Verarbeitung der Lautkette. Auch das Fehlen von für die Theoriebildung relevanten Studien zur mentalen Sprachverarbeitung erklärt das (z. T. bis heute beobachtbare) didaktische Unverständnis für die rezeptive Mündlichkeit. Dies änderte sich in den späten 1960ern, vor allem seit den 1970er Jahren grundlegend (u. a. Lenneberg 1967 4 ; Lyons 1975; Flores d’Arcais/ Levelt 1969/ 1970 und viele andere mehr). Zur mentalen Verarbeitung sprachlicher und bildlicher Informationen nennt allein das Sammelwerk von Bufe et al. (1984) weit über 40, vor 1980 erschienene psycholinguistische Publikationen, die oft eine Beziehung zwischen HV, zu bildlicher und filmischer Repräsentation und 4 Vgl. Marx (1977). Lennebergs Werk Biological Foundations wurde in viele Sprachen übersetzt. <?page no="92"?> 82 Franz-Joseph Meißner zu Gedächtnis- und Speicherungsmodellen sowie Lernen und Lehren herstellen. Wie praxisrelevant solche Forschungen für die didaktische Theorie des HV sein mochten, signalisieren einige Zitate aus Lenneberg (engl. 1967, dt. 1977, 116): „Die meisten Erwachsenen sind in der Lage, pro Minute bis zu 500 Silben zu sprechen“ (ebd., 117), oder: „14 Phoneme pro Sekunde“ (ebd., 118); oder: „Wenn ein Engländer medicine ausspricht, mag er tatsächlich nur zwei Silben artikulieren“ (ebd.). Oder: „So ist die Beliebigkeit von Lautkombinationen durch die phonologische Struktur natürlicher Sprachen beschränkt“ (etwa: Ausschluss von engl. -tnach -f-). Eingebettet ist die didaktische Perzeption dieser Studien in eine wachsende Aufmerksamkeit für die Psycholinguistik generell, was allerdings Missverständnisse nicht verhinderte (passim Wolff 1993, 1994). Schließlich haben die Ergebnisse der sich entwickelnden Kognitionswissenschaften in der Fremdsprachenforschung nachhaltig Aufmerksamkeit gefunden 5 . All diesen Studien war gemeinsam, dass sie empirisch arbeiteten. Der Wunsch nach empirischer Belastbarkeit fachdidaktischer Aussagen sollte seither die Forschungsmethodik weiter Strecken der Wissenschaft von Lernen fremder Sprachen bestimmen. Im Zuge dieser Entwicklung verlangten Albert Raasch 1972 und Horst Arndt die konsequente Berücksichtigung empirischer Standards in der Lehr- und Lernforschung. Wolff notiert 1994: „[…] daß es nicht angehen kann, Theorien, die sich auf ideale Sprecher/ Hörer beziehen, mit empirischen Verfahren an realen Hörern/ Sprechern zu identifizieren“ (Arndt 1972; bei Wolff 1994, 110) 6 . In der Didaktik selbst begegnen seit ca. 1980 zunehmend Arbeiten zu Fernsehen, Film und Video im Fremdsprachenunterricht (etwa Heinrichs 1978; Leupold 1980; passim: Segermann 1992, 134-157). Sie geben dem bis dahin statischen Bild eine neue Qualität (zu dessen Geschichte: Reinfried 2016). Galten Schallplatte, Tonband, Filmabspielgeräte als im Alltag schulischen Unterrichts nur schwer handhabbare Medien und stand das Sprachlabor in der Geschäftigkeit schulischer Arbeit oft nicht zur Verfügung, so änderte der 1963 auf der West-Berliner Funkausstellung vorgestellte Audiorekorder die Situation: Tondokumente wurden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten im Handumdrehen 5 Im deutschsprachigen Raum stand diese - wohl mehr als anderswo - in Auseinandersetzung mit konstruktivistische Ansätzen (Wolff 1994; Wendt 1996; Bleyhl 2000; Königs 2005). 6 Das Postulat der Empirie betrifft in den Augen des Koordinierungsgremiums im DFG-Schwerpunkt Sprachlehrforschung (1983) „quantifizierende Verfahren der empirischen Sozialforschung“, „hermeneutisches Sinnverstehen“ bzgl. der Dateninterpretation und „theoriegeleitetes Argumentieren“, „Komplexionsreduktion“ um forschungstechnische Handhabbarkeit herzustellen, Rückbindung von experimentellen Projekten an die Unterrichtsforschung mit explizitem und beispielhaftem Bezug zu den unten erwähnten Projekten von Bufe, Deichsel/ Dethloff zum Hörsehverstehen und weiteren. <?page no="93"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 83 in den Unterricht integrierbar; Lehrbücher von Lehrwerken abgelöst, bestehend u. a. aus Lehrbuch und Tonkassette; später auch ergänzt um Sehmaterialien. In den Englisch- und Französischunterricht gelangten nun Dokumente der verschiedensten landeskundlichen Inhalte - und mit ihnen das français parlé ( écrit phonique oder parlé phonique ; vgl. Meißner 2016b), das français relâché und die spoken Englishes (sic) usw. Den vielleicht stärksten Eingang in den Französischunterricht fand das français parlé über die Behandlung von Chansons (Christ 2002). In der 6. Auflage von Heimann et al. (1972) Unterricht. Analyse und Planung - dem Vademecum der damaligen Referendare -, schreibt Peter Doyé (ebd. 141): Der Erwerb von Fertigkeiten ist das eigentliche Ziel des Fremdsprachenunterrichts. Da der Schüler die Sprache als Kommunikationsmittel erwerben soll, muß er im passiven und aktiven Umgang ihr, d. h. im Verstehen und eigenen Gebrauch geschult werden. (Es geht) um den Erwerb von vier Fertigkeiten: • Verstehen der gesprochenen Sprache • Verstehen der geschriebenen Sprache • Sprechen • Schreiben 3 Hörverstehen im internationalen Diskurs Ähnlich wie Lados Formel der „ auditory comprehension “ (1961) wurde auch „ listening comprehension “ der amerikanischen Fremdsprachendidaktikerin Wilga M. Rivers (1966, 196) international rezipiert: Teaching language as communication has become an accepted aim of the foreign language teacher throughout the world. […] What has been less emphasized, however, is that communication is a process involving at least two people. Speaking does not itself constitute communication unless what is said is comprehended by another person. The greatest difficulty for a traveler in a foreign country is not primarily that he cannot make himself understood; […] his first difficulty, and one that leads to considerable emotional tension and embarrassment, is that he cannot understand what is said to him and around him. […] As a result, there is no communication and the traveler’s speaking skills cannot be exercised to great advantage. […] Teaching the comprehension of spoken speech is therefore of primary importance if the communication aim is to be achieved. A long-neglected area, listening com- <?page no="94"?> 84 Franz-Joseph Meißner prehension has its peculiar problems which arise from the fleeting, immaterial nature of spoken utterances. (Rivers 7 1966, 196; Fettsetzung durch Meißner) Deuten Rivers Äußerungen implizit das Vorhandensein eines (Fremd)sprachenerwerbsmodells an, so erläuterte Lado zwei Jahre zuvor für ein anglophones oder Englisch lesendes Publikum (1964) das Folgende. In der deutschen Übersetzung heißt es wiederum drei Jahre später (1967, 55): Beim Hören verläuft dieser Prozeß teilweise in umgekehrter Reihenfolge […] Auch das Hören der Umgangssprache in einer Zweitsprache ist etwas anderes als die bloße Aneignung theoretischer Kenntnisse über eine Fremdsprache. Bei der aktiven Spracherlernung geht es wesentlich um Sprechen und Hören, und an diesem komplexen Vorgang sind neben linguistischen und psychologischen auch andere Komponenten beteiligt. Um eine Theorie der Zweitsprachenerlernung erstellen zu können, muß zunächst erörtert werden, wie der Sprech- und Hörprozeß abläuft; daraus läßt sich dann folgern, wie er erlernbar ist. Der Vorgang des Sprechens und Hörens. […] Ausgangspunkt ist eine Motivation, durch die ein Mensch zum Sprechen veranlaßt wird; damit wird die Aufmerksamkeit auf den Sprechinhalt gelenkt. Die Assoziation dieses Inhalts mit sprachlichem Ausdruck führt zur Bildung von Sätzen, die Wörter, Intonation, Phoneme usw. enthalten. In der Umgangssprache vollzieht sich dieser Vorgang mit einer Geschwindigkeit von 500 Lauten in jeder Minute. Um diese Leistung vollbringen zu können, bedarf es einer großen sprachlichen Geläufigkeit und eines guten Gedächtnisses, um die Sätze und Satzfolgen ohne Verletzung sprachlicher Strukturgesetze vollenden zu können. Beim Hören verläuft dieser Prozeß teilweise in umgekehrter Reihenfolge […] Auch das Hören der Umgangssprache in normaler Sprechgeschwindigkeit erfordert große sprachliche Geläufigkeit, und ebenso muß das Gedächtnisvermögen angemessen ausgebildet sein, um den Inhalt des Gehörten […] aufnehmen zu können. Auf den folgenden Seiten erläutert Lado breit den HV-Prozess unter Hinweis auf „Gedächtnis, Geläufigkeit, Sprechgeschwindigkeit, Einheiten und Satzbaumuster“ (ebd., 56). Es geht ihm allerdings um mehr als um das HV im engeren Sinn. So widmet er der Lernpsychologie ganze Kapitel und formuliert grundlegende Prinzipien zu: Lerntheorie und Lerngesetzen, Zweitsprachenerlernung mit Ausdruck und Inhalt, Lernen durch Erfahrung, Geläufigkeit, Vorwissen, Erleichterung und Störung, totale und unvollkommene Spracherfahrung, Wollen und Lernen, Motivation, Gedächtnisvermögen und Überwachungsfunktion, Antwortreaktion 7 Im Jahre 1978 wird Der Französischunterricht. Ziele und Wege, übersetzt von Heribert Walter (Frankfurt a. M.: Diesterweg) erscheinen (engl. A Practical Guide to the Teaching of French , Oxford 1975; … to the Teaching of German , 1975). <?page no="95"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 85 und Erinnerungszeit und individuellen Unterschieden. Hier legt Lado wichtige Orientierungen für einen zeitgemäßen Fremdsprachenunterricht vor 8 . Natürlich sind seine Ausführungen bibliographisch breit untermauert. Sie greifen weit in englischsprachige Publikationen verschiedener Bezugswissenschaften hinein. Zum Teil finden sich die Titel in deutschen Publikationen wieder. Mit einem expliziten Verständnis von HV traten alsbald dessen methodische Anforderungen ins Bewusstsein. Auch Mackey kritisiert eine einseitige Förderung der schriftlichen Fertigkeiten und notiert (1972, 356) (in französischer Übersetzung): Alors que des méthodes peuvent prescrire une pratique abondante et soutenue en compréhension écrite […] du langage […], peu de cours songent à proposer une pratique comparable en compréhension auditive. Le matériel proposé se limite souvent au même vocabulaire et aux mêmes situations présentées dans la section du cours consacrée à l’expression orale. […] Mais si l’on veut exercer l’élève à comprendre tout ce qu’il entend, il devra éventuellement être amené à écouter plus de langue qu’il n’est capable d’en formuler. La compréhension auditive met en cause la compréhension à la fois de la forme et de la signification des énoncés. On peut l’exercer grâce à (1) des exercices d’écoute, (2) des exercices du type regarder-et-écouter (contexte extérieur) et (3) des exercices du type lire-et-écouter (contexte intérieur). Mit dem Übungstyp regarder-écouter nennt Mackey avant la lettre eine grundlegende Komponente des HSV. 4 Hörverstehen in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik: begriffliche Füllung und Verbreitung Zwischen 1970 und 1976, vor allem zwischen 1972 und 1975, publizieren die bundesrepublikanischen Fachzeitschriften zahlreiche Artikel zum HV (Freudenstein 1970 9 ; Beile 1971; Kaufmann 1972; Reisener 1972a, 1972b; Schulz 1972; Bufe/ Dethloff 1972; O’Neill 1973; Neuner bzw. Autorenkollektiv 1973; Schaefer 8 Mihms (1972, 319) Behandlung des HVs zeugt aus heutiger Sicht von einem doch eher begrenzten Verständnis für dessen Relevanz für interkulturelle Kommunikation (vgl. Meißner 2000). Im Zusammenhang mit dem ,maschinellen‘ und dem ,Laborunterricht‘ (des Sprachlabors) bemerkt er mit Verweis auf Lado (1966): „[…] Insbesondere die amerikanische Schulphilologie hat der sogenannten Hör-Verstehensübung ( Listening Comprehension Practice ) überragende Bedeutung beigemessen und aus diesem Grunde rein audiopassive Laboratorien eingerichtet. Der Lernerfolg in einem solchen Labor ist jedoch sehr begrenzt.“ 9 Für die Sprachlaborarbeit waren das Sprechen und die Aussprache zentrale Lernziele. Die Hörvorlagen entsprachen nicht dem Typ parlé oral und ihre Produktion war von einer didaktischen Absicht her ‚konditioniert’. <?page no="96"?> 86 Franz-Joseph Meißner 1975; Günter 1973; Brockhaus 1975; Günter et al. 1975; Vogel 1975; Urban 1975; Christ, I. 1976) 10 . Die dort geäußerten Vorstellungen erscheinen zeitgleich mit Ausführungen zu benachbarten fachdidaktischen Schwerpunkten, deren Autoren z. T. auf Ausführungen zum HV offen oder versteckt Bezug nehmen: der Sprachlaborarbeit (z. B. Freudenstein 1970, 1975) und der audiovisuellen Methode (die ja ein Sammelsurium unterschiedlicher Fragestellungen umfasste); der direkten Methode und der Sprechförderung; den Sprachtests, ihrer Konstruktion und ihrer Objektivität bzw. Reliabilität; den pädagogischen Sprachinventaren; der Operationalisierbarkeit von Lernzielen, dem Kommunikativen Ansatz u. a. m. 11 . Die in der Didaktik übliche hohe Vernetztheit fachdidaktischer Teilbereiche - bedingt durch einen einheitlichen Handlungskontext und ein einheitliches übergeordnetes Lehrlernziel - unterstützt die Popularisierung von (fachdidaktischen) Fachbegriffen. Den zentralen Bezugspunkt stellte international wie im deutschsprachigen Raum das Lehrziel Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache (vgl. Meißner 2000). Zum Verhältnis von Kommunikation und HV betont Reisener (1972a, 200) (ähnlich wie Doyé und zuvor Rivers) „(die) Fähigkeit zur interaktiven Kommunikation in der Fremdsprache kann nur soweit erreicht werden, als auch die Fähigkeit zur rezeptiven Kommunikation vermittelt und erworben ist.“ Zugleich weist er in einer Skizze aus, dass HV genauso viele relevante Anwendungsgelegenheiten zählt wie das Leseverstehen (ebd., 201). Robert O’Neill weist in der Zielsprache Englisch (1973) auf die Bedeutung der „Listening practice“ für fremdsprachliche Kommunikationsfähigkeit hin. Er unterstreicht, dass jemand, der ausschließlich Oxford-Englisch verstehe, weniger 10 Die unterrichtsmethodischen Innovationen fallen in Jahre einschneidender Bildungsreformen: Die Einführung der gymnasialen Oberstufe aufgrund einer Vereinbarung der Kultusministerkonferenz vom 7. Juli 1972 erbrachte die Öffnung der Oberstufe für eine Verbreiterung des Fremdsprachenangebots (hiervon profitierten Spanisch, Italienisch und weitere Sprachen); Dem ging die Einführung von grundschulischem Englischunterricht und die Entwicklung einer entsprechenden Didaktik voraus. Schließlich ist die Erneuerung der Referendarausbildung im Sinne Klafkis nach dem sog. Berliner Modell zu nennen (Doyé 2004). 11 Liest man diese Artikel, so wird oft sehr deutlich, dass die Autoren das HV und seine Theorie zumindest in Grundzügen zur Kenntnis genommen haben und verarbeiten. Als ein erstes Beispiel sei allein die Definition des Leseverstehens von Reinhard Schulz (1974, 429) in Erinnerung gerufen: „Unter Lesen versteht man das Erkennen und die Synthese des Lautgefüges einer Sprache aus Buchstaben, Buchstabengruppen und Satzzeichen; man versteht darunter das Erfassen des morphologischen Systems geschriebener Sprache. Lesen verlangt die Bedeutungserschließung des Geschriebenen und das Erkennen von Absichten des Schreibers durch den Leser.“ Offensichtlich ist die Definition an Vorlagen zum HV angelehnt (wie die bloße Substitution von ,Buchstaben‘ durch ,Phone/ Phoneme‘, ,geschrieben‘ durch ,gesprochen‘ und ,Schreiber‘ durch ,Sprecher‘ belegt). <?page no="97"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 87 als zwei Prozent der Anglophonen verstehen könne. Die Fähigkeit zur Kommunikation in der polyzentrischen Weltsprache Englisch erfordere selbstredend eine viel breitere HV-Kompetenz: Neben den großen diatopischen und diastratischen Varietäten schlösse diese auch besondere Sprechweisen nativer Sprecher ein (Krankheit, Trunkenheit, Nuscheln usw.) 12 . In der von dem Jubilar langjährig mitherausgegebenen Zeitschrift französisch heute fordert Johannes Kramer 1979 mit Blick auf den Französischunterricht die Berücksichtigung der großen diatopischen Varietäten, worauf der Verfasser im Sinne der diatstratischen repliziert hat (Meißner 1980, auch 2008a). Doch wie stand es um das Konzept von HV selbst? Die Jahre um 1975 markieren, wie eingangs angedeutet, in der Geschichte des HV einen erheblichen Fortschritt. Um diesen zu ermessen, ist ein kurzer Blick zurück angetan. Noch bei Leisinger (1966/ 1971, 141) hatte es 1966 zu ,Hörverständnis‘ und ,Hörschulung‘ geheißen: Hörschulung. Die angeborene Fähigkeit, Vorgesprochenes nachbilden zu können, bewährt sich im Fremdsprachenunterricht. Sie besteht aus zwei Faktoren: das Gesprochene richtig zu vernehmen und das richtig Aufgefaßte richtig zu bilden. ,Hörverständnis‘ (also nicht HV) meint hier allein die Fähigkeit, phonetische Muster sprechend zu reproduzieren. Die Machart der sprachlichen Vorlagen blieb von einer lautschulenden Absicht dominiert; die sprachlichen Vorlagen waren unauthentisch. An anderer Stelle (ebd., 210) behandelt Leisinger das ,Hörverständnis‘ (ausschließlich) unter der Überschrift „Textverständnis und Texterschließung“. HV an sich ist im Jahre 1966 noch kein wirkliches, angemessen differenziertes Thema. Immerhin umfasste die audiovisuelle Methode die konsequente Verbindung von Bild, Text und Ton. Die Kombination folgte laut Werbekatalog des Schöningh Verlages für das dreistufige Lehrwerk How do you do (1969) drei Prinzipien „1 Sprache ist Kommunikation […], 2 Sprache ist Reaktion auf Situationen […], 3 Sprache als Struktursystem“. Die Steuerung verlief vom Sehen und dem gleichzeitigen Aufbau einer simplen inhaltsgerichteten situativen Hörerwartung (der Begriff taucht nicht auf), den „phonetic drills“ und der „Aktivierung der eingeübten Patterns “. Spielszenen leiteten die Schüler zur Reproduktion der „Audio-Visual Dialoges“ (sic) an. Ein Flyer vom 1.7.1969 nennt die Folge „Sehen/ Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben“. In der Literatur zum Sprachlabor blieben, soweit geprüft werden konnte, die morphosemantische Merkmalsextraktion 12 Dem wäre heutzutage angesichts der weltweiten Bedeutung von Englisch als Zweit- und Fremdsprache hinzufügen, dass Lerner eigentlich auch lernen müssten, Zweitsprachensprecher des Englischen zu verstehen. <?page no="98"?> 88 Franz-Joseph Meißner aus der Lautkette und der Vorgang der auditiven Sinnkonstruktion unerwähnt. Immerhin unterstützte die audiovisuelle Methode die auch für das HV relevante Unterscheidung zwischen graphischen und phonischen Strukturen (wie es für die Identifikation von Sinneinheiten (Morphemgrenzen) innerhalb einer Lautkette notwendig ist). In Kowalewska et al. (o. J., Livre du professeur, 6) liest man: Auch hier zeigt sich so etwas wie ein Konzept von HV in statu nascendi . - In Vous avez la parole entfaltet der Schüler folgende Aktivitäten: 1° il écoute en suivant les images ; 2° il écoute en suivant le texte écrit ; 3° a) il ne répète pas mais se met en condition ; b) il répète en suivant la transcription phonétique ; 4°il répète, soit de mémoire, soit en se reportant aux images, soit en s’aidant de la transcription phonétique, ou du texte écrit. Cela au gré du professeur et selon les aptitudes de l’élève. 5° a) il retrouve l’image, b) il reconstitue le texte en s’appuyant sur l’image, c) il écoute la correction, d) il se corrige ou bien répète la phrase qu’il vient d’entendre. (Kowalewska, o. J., Livre du professeur, 6; Reinfried 1997) Die Rolle der Lehrperson besteht derweil u. a. in folgenden Schritten: schülerseitige Reaktionen überwachen: Inhaltsverstehen überprüfen, und zwar entweder in der Mutter- oder der Zielsprache (sic); Bedienen des Tonträgers, um die Aussprache des Schülers zu überprüfen/ durch Wiederholung verbessern; morphologische Kontraste markieren und erklären ( l’enfant, les enfants ); die „modulation de la phrase“ kontrollieren (Rhythmus und Intonation); Überwachen und Korrigieren der schülerseitigen Reproduktion. Die deutsche Rezeption zum Sprachlabor schloss eng an französisch- und englischsprachige Publikationen an. Wie die Beispiele zeigen, trainiert die audiovisuelle Methode - konsequent verwendet - durch das intensive sehgestützte Hören allenfalls implizit das auf die sprachliche Oberfläche bezogene HV (vgl. Quetz 1979), auch wenn ihr Schwerpunkt bei der Aussprache- und Sprechschulung liegt und die einzelnen Lehrlernschritte nicht mit der HV-Methodik konform sind. Dass die Methode gegenüber dem traditionell ,tonlosen’ Fremdsprachenunterricht einen Fortschritt darstellte, ist augenfällig. Dies gilt umso mehr, desto näher die Hörvorlagen den Ansprüchen der HV-Methodik Genüge tun konnvous me le redirez dans le train <?page no="99"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 89 ten. Allerdings war dem Sprachlabor in schulischen Lernkontexten kein Erfolg beschieden 13 . Doch zurück zum HV. Reisener führt 1972 beide Seiten des HVs, die die Sprachform und die Bedeutungen umfassen, zusammen. Er erklärt sehr explizit: Hören […] als das registrierende, diskriminierende, kontrastierende und selektierende Wahrnehmen von Schallgebilden im phonemischen, rhythmischen und intonatorischen Bereich der Sprache. Hören ist auch das Wiedererkennen gleicher Laute und Lautgruppen, auch in Verschleifungen und Reduktionsformen. Hören ist Selektion zwischen signifikanten und redundanten Lautgruppen. (1972b: 656) Bedeutungsseitig findet er: Verstehen […] als die Übertragung physikalisch wahrgenommener Schallgebilde in geistig vorstellbare Bedeutungsinhalte. Verstehen ist die Speicherung der auditiv wahrgenommenen Signaleinheiten. Verstehen ist das automatisch-spontane Reagieren, nämlich die Situations- und Intentionserfassung. Verstehen ist die kombinatorische Texterfassung als intraverbale und situative Unterscheidung struktureller - meist lautlich reduzierter - Elemente von den semantischen. Verstehen ist die Ermittlung der Bedeutung unbekannter (oder ungenau wahrgenommener) Elemente der Äußerung aus der Kontexterfassung und der Kontextbeurteilung. (ebd.) Eckbegriffe von HV sind nach Reisener: „Agglutination“, „Phonemik“, „Redundanz“, „Rhythmus“, „Reduktion“, „Geschwindigkeit“ (Sprechtempo), „Tonhöhe“, „Intonation“. Im Vergleich zum aktuellen elaborierten mainstream -Verständnis von HV fehlen Merkmale der mentalen Verarbeitung, etwa die wichtige Trennung von aszendierenden ( bottom up , von der sprachlichen Zeichenoberfläche zu den Inhalten) und deszendierenden ( top down , Plausibilitätsproben von den möglichen Inhalten und einer Analyse der Sprechsituation zur der sprachlichen Zeichenoberfläche) Operationen. Möglich ist hier natürlich auch das völlige Ausblenden der sprachlichen Oberfläche mit dem Kurzschließen von Situationsanalyse und erratener Botschaft. In diesen Fällen ist der Spracherwerb qua HV reduziert. 13 Den wesentlichen Grund nennt Freudenstein (1990) im Zusammenhang mit der Einrichtung von Fachräumen: „Was von diesen Planungen blieb, war die Einrichtung des Sprachlabors, die aber weniger als Fremdsprachenlehrräume konzipiert wurden, sondern nur in einem Teilbereich fremdsprachlicher Unterweisung - nämlich dem formalen Übungsbereich - einsetzbar waren. Das scheint der wichtigste Grund dafür zu sein, warum sie im allgemeinbildenden Schulwesen inzwischen zur Bedeutungslosigkeit abgewertet worden sind, nicht hingegen überall dort, wo das Lernziel ‘Kommunikationsfähigkeit’ wirklich ernst genommen wird und erreicht werden soll. […] Die meisten Fremdsprachenlehrer in der Schule haben offensichtlich nicht das Bedürfnis, in sprachenspezifischen Fachräumen zu unterrichten.“ (Freudenstein 1990, 119) <?page no="100"?> 90 Franz-Joseph Meißner Neben Carol van Parreren (1969) greift auch Ludger Schiffler in Deutschland auf empirische Arbeiten zurück. Schiffler bemerkt aufgrund eigener Untersuchungen mit Schülern der Sekundarstufe und der Erfahrungen Passys, dass „schon eine Erhöhung der Sprechgeschwindigkeit um 20-30 Wörter in der Minute genügt, um die Fremdsprache für den Schüler unverständlich werden zu lassen“ (1973, 26; 1969, 421). Es ist vom „ abstrakten Hören “ die Rede (ebd. 1969, 421), dem HV ohne visuelle Unterstützung (Telephonat, Radio usw.). Schiffler wendet sich (ohne diesen zu nennen) gegen den sog. Situational Approach (Hornbys 1950; s. Howatt/ Smith 2014, 87): die lehrseitige Semantisierung durch Gestik und Handlungen bei der Einführung von Vokabular. Im Jahr 1972 ist die Aufmerksamkeit für das HSV bereits angelegt: „extralinguistische(n) Elemente, die das Verstehen erleichtern“ - liest man in dem schon erwähnten Aufsatz von Kaufmann (1972, 190). Kaufmann übernimmt das HV-Modell Carol van Parrerens, welches dieser im Zusammenhang mit dem „Mitlesen“ (von Laut- und Schriftbild im Anfangsunterricht) vorgestellt hatte (1969, 363): 1. Der Strom von akustischen Einheiten soll gedeutet (kategorisiert, ‚kodiert‘) werden als eine Sequenz von Phonemen bzw. Phonemkomplexen. 2. Die Sequenz von Phonemen muss zu einer Aufeinanderfolge von Morphemen werden […]. 3. Die Aufeinanderfolge von Morphemen soll in der Weise strukturiert, organisiert werden, dass sich sinnvolle, gegliederte Sätze ergeben und die Intention des Sprechers klar wird. Van Parreren nennt sehr konkret die Schwierigkeiten, welche sich beim HV in fremden Sprachen ergeben, und warnt: „Der Unterricht ohne Hilfe der Schrift ist zwar intensiv, jedoch für den Schüler (und auch den Lehrer) sehr ermüdend“ (ebd., 360). Zuvor hatte Rivers notiert: „Teachers using the purely oral approach expect a degree of accuracy in auditory perception which students do not even possess in their native language.” (Rivers 1964, 109) HSV würde hier also meinen: Visuelle Unterstützung des code écrit oral bezogenen HV durch gleichzeitige Verarbeitung des code écrit graphique . Dies ist eine äußerste Engführung des heute üblichen Begriffs. Die HV-Vorlage ist rein pädagogisch komponiert und alles andere als ‚natürlich-zielkulturell-sprechsituativ’. Besondere Schwierigkeiten ergäben sich, so Kaufmann, aus der Begrenztheit des Zeitfensters, innerhalb dessen sich der HV-Vorgang vollzieht; aus dem écart zwischen der gewohnten Aussprache der Lehrperson und nativen Sprechern sowie dem unterschiedlichen Sprechtempo. <?page no="101"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 91 Schaefer (1975, 265) nennt unter Rückgriff auf Beile (1971) vier Hörformen: „(a) directed listening for detail, (b) directed listening for gist, (c) undirected listening for detail und (d) undirected listening for gist.“ Damit ist auch die Unterscheidung zwischen Grob- oder Globalverstehen und Detailverstehen angelegt. Zu gist wird verdeutlicht: „[…] in understanding the gist, or broad outline of a passage - by listening out for familiar words and patterns“ (Beile 1971, 204). Es begegne das auf die Lautkette und das auf Inhaltliches „gerichtete Hören“ (Aufgabentyp : Du fährst nach Portugal, was sagt der spanische Wetterbericht? ). 1975 stellen Günther und Vogel jeweils eine Liste für „Fehlerquellen“ (Vogel 1975, 205 f.) beim HV zusammen: „Störungen des Kanals“ (Geräusche, situative, psychische Faktoren), „Interferenzen durch die Muttersprache“ und das Schriftbild, „Unfähigkeit‚ ‘Superzeichen’ zu bilden“ (unterentwickeltes „Globalverständnis“), „Unfähigkeit, relevante Zeichen einer Nachricht zu selektieren, d. h. Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen“, „[…] Assoziationen zu aktivieren bei der Erschließung unbekannten Wortmaterials und sprachliche Phänomene analogisch zu interpretieren“, „[…] längere Sprachäußerungen in der Fremdsprache zu behalten“, „[…] dem originalen Sprechtempo […] zu folgen“, „[…] sprachliche Einheiten zu diskriminieren und zu identifizieren“, „[…] die der Fremdsprache inhärente Redundanz […] auszunutzen“, „mangelnde Rate- und Kombinationsfähigkeit bei der Rekonstruktion fremdsprachiger Äußerungen“ sowie „mangelnde Sprachkenntnisse“. Sodann stellt Vogel eine Lernzieltaxonomie zum HV auf. Den „Fernzielen“ „1. Befähigung zur Kommunikation mit französischen Sprechern, 2. Förderung der Fähigkeit der Informationsaufnahme und -verarbeitung“ gesellt er „3. Bereitschaft zur Kommunikation und Entschlüsselung unbekannter französischer Texte, 4. Anregung zur Reflexion über Sprache als Kommunikationsmittel und 5. Verstehen von Eigentümlichkeiten der französischen Sprache“ hinzu. Vogels damalige Ausführungen sind in bemerkenswerter Nähe zum heutigen Kompetenzbegriff und seinen Ressourcen aus den interagierenden Feldern von Wissen, Können und Volitionalität. Dies zeigen auch die sog. Fernlernziele zur Aktivierung von lingualen Ressourcen: „phonetisch-phonologische Elemente diskriminieren können, semantischlexikalische Einheiten […] in der „chaîne parlée“ voneinander abgrenzen und erkennen […], morpho-syntaktische Relationen (Redundanzen) wahrnehmen können, den Text global und im Detail hörend verstehen; von Ressourcen zum Bereich Bereitschaft/ Volitionalität: das „Behalten längerer Satzeinheiten“, „die Bedeutung unbekannter Wörter erschließen“, „Texte global und im Detail verstehen“ wollen sowie „motiviert werden“, „Freude am Kombinieren, Raten und Konstruieren sprachlicher Einheiten“; „Freude am Raten, am zunehmenden Verstehen der Texte, durch Information“. Auch die der Nachhaltigkeit untergeordnete ‘Sprachaufmerksamkeit’ kommt zu ihrem Recht: „Erweiterung des <?page no="102"?> 92 Franz-Joseph Meißner Wortschatzes, Habitualisierung grammatischer Strukturen, Lernen multipler Diskriminationen […], Begriffslernen, […], Problemlösen, u. a. m. In den Lehrplänen der DDR begegnet die Formel verstehendes Hören schon 1966 als Verstehen der für den Unterrichtsgebrauch festgelegten Aufforderungen, Fragen und Wendungen. Erfassen einfacher Äußerungen, die vom Lehrer, von Mitschülern und von Personen mit Französisch als Muttersprache (Tonbandaufzeichnungen) vorgetragen werden, im Rahmen des bekannten und rezipierbaren Sprachmaterials (Frage, Antwort, kurzes Gespräch und kurze Darstellung eines Handungsablaufs). (Ministerrat 1.9.1966; in Zapp/ Schröder 1883, 313) Spätestens 1973 ist - so für Gerhart Neuner und ein Autorenkollektiv - das verstehende Hören eine eigenständige Fertigkeit. Inzwischen wurde die einschlägige Literatur international und ‚innerdeutsch’ rezipiert. (Im Russischunterricht) wurden zwischen den einzelnen Zielfertigkeiten und -fähigkeiten Hören, Sprechen, (stilles) Lesen und Schreiben Abstufungen vorgenommen, die vor allem darauf beruhen, - […] daß im Kommunikationsprozeß das Hören und Sprechen die vergleichsweise schwierigsten und in ihrer Entwicklung zeitaufwendigsten Sprachtätigkeiten sind. (Autorenkollektiv 1973; in Zapp/ Schröder 1983, 277) Günther unterstreicht (1975, 268 f.) die Parallelität unterschiedlicher „Teilprozesse“ beim HV. Günther et al. (1975) nennen: das „lautrichtige“ Hören; „Lautkomplexe, die eine Aussage bilden“ identifizieren; die Verfasser trennen „Wortlautverstehen“ und „Wortsinnverständnis“, zwischen denen eine Wechselwirkung festgestellt wird; des Weiteren findet Günther eine „Filterfunktion des Kontextes“ - allerdings ohne klare Unterscheidung zwischen Kotext und Kontext; gemeint ist auch die Identifikation von Satzbaumustern. Von einer notwendigen semantischen Disambiguierung ist - freilich mit anderen Worten - die Rede: Es geht um „Beziehungserfassen“, nicht zuletzt von Satzbauteilen. Hier wird implizit deutlich, dass HV-Aufgaben auch zur Förderung syntaktischer Schemata genutzt werden können. Schließlich zählt das Autorenkollektiv eine Vielzahl von praktischen Leitsätzen „für die Entwicklung des verstehenden Hörens“ (ebd., 269 ff.) und die Konstruktion von Übungen auf. Die Überprüfung des HVs erfolgt nach der Vorgabe des Lehrplans (vgl. Dornhof 1994). Dass es trotz der konzeptionellen Anreicherung der didaktischen Theorie des HVs um dieses im Unterricht vor 1980 (und darüberhinaus? ) nicht zufriedenstellend bestellt war, belegen Peter Bayers Beobachtungen (1981). Vom HV heißt <?page no="103"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 93 es: „weiße(r) Fleck auf dem Feld der deutschen Forschung“ (Urban 1975, 195), „Aschenputtel der sprachlichen Fertigkeiten“ (Raasch 1976, 37). 5 Hörsehverstehen (audio-visual reception, comprensión audiovisual) Die im Diskurs zum HV verwandten Begriffe ergänzen das Autorenkollektiv im Zusammenhang mit dem Einsatz von Fernsehen bzw. Bild mit Ton. Zugleich begegnet der Begriff der „Komponentenübung im intuitiv-kombinierenden Hören“ (ebd., 273). International (siehe unten) spricht man von „Bikodierung“. Betroffen sind vor allem „außersprachliche Mittel (die im Fernsehbild enthalten sind)“. Die „Teilzieltätigkeiten des Hörens“ setzen „Automatisierungsvorgänge“ in Gang, so die Autoren weiter. Facework -bezogene und gestische Stützen ergeben sich mit der Präsentation des Vokabulars durch Lehrpersonen, oft im Rahmen von Ausspracheübungen (ähnlich zuvor bei Leisinger; vor allem Doyé 1971). Zusammen mit den Aussprechübungen werden (unbeabsichtigt? ) visuelle Signale geboten, welche die sprachformbezogene Dekodierung der Lautkette unterstützen: sprachtypische Mimik, Körpersprache, Gestik und Stimmführung. Offen bleibt allerdings, ob diese visuellen Stützen extraverbale Zeichen ersetzen können, wie sie natives Sprechen begleiten, oder nur verdeutlichende Semantisierungsstrategien darstellen. Zusammen mit dem intuitiv-kombinierenden, inhaltlichen Hören deutet sich in solchen Passagen - schon 1975 - eine Entwicklung an, die zur Bezeichnung Hörsehverstehen führen wird. Hierauf deutet auch Bufe/ Dethloffs Feststellung (1972; wiederholt in Batz/ Ohler 1984, 80), dass „das Fernsehen als Trägermedium der HV-Schulung sich traditionellen Unterrichtsmedien als überlegen erweist“. Der Neologismus Hörsehverstehen 14 begegnet erstmals im Titel eines Aufsatzes von Richard Batz & Peter Ohler „ Hörsehverstehen. Reflexionen im Umfeld eines Forschungsprojekts“ (1984, 79, 81 und weitere). Dass sich das Kompositum 1984 noch nicht durchgesetzt hat, signalisiert die Überschrift des DFG-Projektes selbst: „ Hörverstehen (sic) im fernsehgestützten Fremdsprachenunterricht“. Es geht um Kommunikation, Pragmatik, situative Einbettung von Rede durch im Fernsehen dargestellte zielkulturelle Wirklichkeit und um deren didaktisches Potential. Konkret definieren sie den Begriff als „integrative(n) Bestandteil des Fremdsprachenerwerbs“, der „zur Ausbildung einer sprachlichen Globalkompetenz beitragen (kann)“ (ebd.). Der Begriff versammelt alle Teilkompetenzen, wie sie für mündliche Kommunikation benötigt werden. HSV 14 Vgl. auch die Bemerkung: „ Hörsehverstehen hat in der Fachrichtung Romanistik der Universität des Saarlandes eine mehr als zehnjährige Tradition.“ (ebd., Anm. 3). <?page no="104"?> 94 Franz-Joseph Meißner gilt hier also nicht - wie in den heutigen Bildungsstandards - als eine eigenständige Kompetenz. Der ‘Hörseher’ muß informative Signale, die ihm über mehrere Sinnesorgane zugeführt werden und die zudem unterschiedlichen semiotischen Systemen angehören, aufnehmen und zu sinnvollen Bewußtseinsinhalten verschmelzen bemerkt Scherer im gleichen Band (1984, 20). Was mit „unterschiedlichen semiotischen Systemen“ gemeint ist, umreißt Scherer durch eine Aufzählung: „Muttersprache, eine oder mehrere Fremdsprachen, musikalische Notationssysteme, stenographische Kürzel, die Emblematik der Handwerksberufe […], die Volkswirtschaft eines Staates, unser tägliches Wetter“ usw. (ebd., 22, 20). Dies impliziert die Erkenntnis: Franzosen ,sehen’ (verstehen ihre) hexagonale Kultur anders als z. B. Deutsche: Deutsche Lerner des Französischen müssen daher (je nach Lernziel) lernen, die französische Kultur und den französischen Habitus mit den Augen von Franzosen zu deuten. - Die dienende Funktion von HSV (und HV) für das interkulturelle Lernen bzw. das Fremdverstehen ist hier unübersehbar. Bufe (1991, 388) formuliert mit Blick auf die Erreichbarkeit des französischen Fernsehens und dessen Vorteile für das Französischlernen: […] such programs […] offer richer socio-cultural variety than educational TV - they reinforce the learner’s motivation - an audio-visual approach seems to be superior to a purely audio-lingual one in listening comprehension . Und zu „language learning by video“ liest man (ebd., 400 ff.): „to combine verbal and non-verbal behavior, […] to reinforce the cultural contact with the native speakers“. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Fernsehen liefert für Muttersprachler eine in Qualität und Quantität virtuell offene Menge von Texttypen, die als globales Referenzmodell für die Heterogenität konkreter oder potentieller Wirklichkeitserfahrung des Adressaten anzusehen sind. Der Text mit seinen vielgestaltigen Komponenten affiziert den native hearer global/ komplex und wirkt auf ihn in Abhängigkeit von seinen Erwartungs- und Bedürfnishorizonten, die durch Ausbildungsniveau, gesellschaftliche Funktion, Weltanschauungsmuster, Muttersprachkompetenz, Sachkenntnis und Denkvermögen bedingt und definierbar sind. Seine Rezeptionskompetenz befähigt ihn in der Regel, diatopische und diastratische Varianten zu ‘meistern’; gravierende Kompetenzunterschiede bei muttersprachlichen Hörern resultieren […] aus textsortenbedingten Kompetenzschwankungen und aus Faktoren, die mit der ‘komplexen Voraussetzungssituation’ zusammenhängen. Demgegenüber ist beim L2-Hörer in erster Linie das Kriterium der Sprachbeherrschung, der Sprachkenntnisse für das Verstehen von Texten maßgebend. (Bufe et al. 1984, 11) <?page no="105"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 95 Doch hinter der ,ersten Linie’ erwartet - je nach Sprachlernintention - den Lerner eine weitere. Ihr Überschreiten lässt den reinen Spracherwerb gegenüber der wachsenden Vertrautheit mit der Zielkultur zurücktreten. Ähnlich wie die Muttersprache bei der Enkulturation Pate steht, so führt auch die Fremdsprache zur Begegnung mit einer ‚neuen‘ Kultur und (möglicherweise) zu einem Hineinwachsen in diese. Aber anders als die mittels der Muttersprache gewonnene Kulturhaftigkeit geben uns fremde Sprachen die Freiheit einer mehrfachen Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen (vgl. Knapp-Potthoff 1997) und hierbei liefern uns Fernsehen und Internet, HV und HSV die Fenster, durch die wir auf die fremden Kulturen schauen können: „[…] foreign language teaching needs to pay attention to education for citizenship, to extend the focus of citizenship education from the national into the international“ (Byram 2012, 24). Die Kenntnis des fremdkulturellen Standortes erlaubt den relativierenden Rückblick auf die Positionen der eigenen Kultur. Videotelephonie und Skype sowie plurilokale Lebenspraxen erlauben es heutigen und künftigen Generationen von Sprachenlernern mehr denn je zuvor, audiovisuell begründetes Fremdverstehen mit interkulturell-dialogischen oder polylogischen Kommunikationsarrangements zu erfahren. 6 Ergebnisse Die Begriffe Hörverstehen, hörendes Verstehen ( listening-/ auditory comprehension, compréhension auditive/ orale ) und Hörsehverstehen und ihre Verbreitung innerhalb der Fachlehrerschaft haben viele Mütter und Väter. Man findet ihrer umso mehr, desto weiter man in die Bezugswissenschaften hineinblickt (vgl. Neuner 1983). Die zwischen 1960 und 1975 in den einschlägigen Fachzeitschriften befindlichen Schlüsselbegriffe zum HV umreißen den damaligen Stand des Diskurses und seiner Terminologie - ein im Jahr 1975 schon sehr differenziert anmutender Diskurs, dem freilich die jüngsten Forschungen vor allem psycho- und neurolinguistischer Provenienz, aber auch die Ergebnisse des Testwesens noch fehlen (passim: Grotjahn/ Tesch 2010; Meißner 2016b). Im deutschsprachigen Raum werden das HV bzw. der HV-Vorgang zwischen 1972 und 1975 mehrfach mit folgenden Merkmalen verbunden: Bedeutung des HVs für zielsprachliche Kommunikationsfähigkeit; das HV selbst mit (in alphabetischer Reihenfolge): abstraktes vs. situatives Hören, Agglutination, Bedeutungsermittlung unbekannter Elemente, begrenzte Rezeptionszeit, Behalten, Beziehungserfassen, Bikodierung, Detailverstehen ( listening for detail ), directed und undirected listening , diskriminierend, Erschließen unbekannter Wörter, Gedächtnis, Geschwindigkeit und Sprechtempo, Globalverständnis (sic) ( listening <?page no="106"?> 96 Franz-Joseph Meißner for gist ) 15 , Hören und Verstehen, individuelle Sprechgewohnheit, Intonation, intraverbale und situative Aufmerksamkeit, kombinatorisches Texterfassen, kombinieren, Kontexterfassung und Kontextbeurteilung, kontrastierend, listening comprehension , Parallelität der Prozesse/ Teilprozesse, raten, Reduktion, registrierend, rezeptive vs. interaktive Kommunikation, Rhythmus, segmentieren, selektierend, sequentielles Hören (im Sinne des kollokativen Prinzips), speichern, spontanes Reagieren, Tonhöhe, Verschleifungen, Verstehen, verstehendes Hören, Wiedererkennen gleicher Laute und Lautgruppen, Wortlautverstehen, Wortsinnverständnis. Zugleich ist eine Öffnung zum français parlé oral/ spoken English bzw. den Registern der Mündlichkeit ( familier, français relâché, colloquial ) und der Sprechsprachenforschung und ihren unterschiedlichen Feldern unverkennbar, und zwar sowohl auf der metadeskriptiven als auch der deskriptiven Ebene. Im Jahre 1973 erscheint Werner Arnolds Fachdidaktik Französisch. Das Werk, über die vierte Auflage im Jahre 1989 hinaus ein Vademecum der Französisch-Referendare, behandelt die „ compréhension orale/ auditive “ (ebd., 10) unter der Überschrift „Der Umgang mit der Sprache als code oral “ (ebd., 11). Seither fehlen Erklärungen zu HV in keiner Fachdidaktik. Lenkte schon vor 1975 die inhaltliche und zunehmend prozessbezogene Beschreibung von HV die Aufmerksamkeit auf die visuellen Stützen des auditiven Verstehens, so machte die weite Verbreitung von Bildmit Tonträgern (Video, Fernsehen, später: Satelliten-TV, Internet) die Erweiterung des HVs zu HSV unumgänglich. Die Integration beider Rezeptionsformen (wenn man HV und HSV denn konzeptuell voneinander trennen will) wurde von zahlreichen psycho- und neurolinguistischen bzw. kognitionswissenschaftlichen Studien zu den mentalen Prozessen von Wort- und Satzerkennung und Sinnkonstruktion begleitet. Zugleich begegnete in der Fremdsprachendidaktik vielfach das Orientierungsdatum ‚der Prozess ist das Produkt’ . Außerhalb der Fremdsprachendidaktik war inzwischen im Zusammenhang mit Qualitätsentwicklung und Audits von ‚Prozessqualität’ die Rede. Eine relevante Frage betrifft die Durchsetzung von Neuerungen im Fremdsprachenunterricht, soweit dies in der Literatur allein ablesbar erscheint: Wenn HV allgemein, zunehmend auch HSV, fester Bestandteil des methodischen Repertoires von sog. best practice -Publikationen sind, gilt dies nicht für alle Lernkontexte und Steuerungskomponenten in gleichem Maße: Es gilt vor allem viel weniger für eher als schwierig handhabbar angesehene Übungs- und 15 Entscheidend für die Zuordnung eines Beitrages in den deutschsprachigen Kontext ist nicht die benutzte Sprache, sondern die reguläre Sprache der veröffentlichenden Fachzeitschrift, die ja auf ein bestimmtes Publikum, hier ein deutschsprachiges, zielt. <?page no="107"?> Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe 97 Testformate. Dies kennzeichnet insbesondere die Förderung von Aufgaben und Übungen zur Identifikation detaillierter sprachlicher Oberflächenmerkmale, die 1975 schon im Begriff ,Detailverstehen‘ angelegt waren. Ähnliches war vor dem kritischen Datum 1970 im Rahmen der Ausspracheschulung in Gestalt der Lautierungsmethode begegnet. Zwischen 1975 und 2015 zeigen sich ausweislich der Fachzeitschriften und Lehrwerke in diesem Bereich nur selten Fortschritte: Auf sprachliche Oberfläche bezogenes Feinhören, Heraushören bestimmter Lautmerkmale, bleibt oft ignoriert (vgl. Meißner 2016b). Ähnliches gilt für das HSV: Augenfällig oft wird der Neologismus inhaltsbezogen im Zusammenhang mit W-Fragen zur kommunikativen (dargestellten) Situation genannt: Wen, wo, was siehst du? - Fragen erleichtern die Interpretation der akustischen Botschaft, sie sensibilisieren aber nicht unbedingt für die kulturell-typischen Eigenschaften der verbalen und extraverbalen Signale. Übersehen werden oft proprio rezeptorische Merkmale (welche physiologische und kinetische Eigenheiten beim Sprechen signalisieren): typische Mundstellung bei der Produktion von Lauten, Blickweisen, das Gesamt des facework , die Art, sich bei bestimmten Gelegenheiten darzustellen, die kulturspezifische Gestik im Zusammenhang mit Sprechformeln […] werden eher ausgeklammert (Reimann 2000), obwohl entsprechende Grundlagenforschung vorliegt. Literatur Achtenhagen, Frank (1969): Didaktik des fremdsprachlichen Unterrichts. Grundlagen und Probleme einer Fachdidaktik . Weinheim: Beltz (2. Aufl. 1971, 3. Aufl. 1973). Appel, Joachim (Hrsg.) (2004): Aufschwung im Rückblick. Fremdsprachendidaktik der sechziger Jahre . Berlin/ München: Langenscheidt. Arndt, Horst (1972): „Fragestellungen in der neueren linguistischen Forschung und deren Anwendbarkeit im Fremdsprachenunterricht“. In: Die Neueren Sprachen 72, 391-406. Arnold, Werner (1973): Fachdidaktik Französisch . Stuttgart: Klett. 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Heine à propos de ses professeurs de français ( Jean-Baptiste Daulnoye, professeur de français entre 1790 et 1820 en Allemagne, et Monsieur le Grand, cf. Christ 1992, 9, 18-23) Ces recherches ont permis de constater que, de par les exigences sociales auxquelles ils devaient répondre, les maîtres de langue se sont posé des questions au sujet de leur tâche, ne serait-ce que pour vanter leurs mérites face à des rivaux éventuels, mais aussi parce qu’enseigner la langue française était bien plus qu’enseigner un simple « outil de communication », pour employer des termes actuels. Les maîtres de langues - pour la plupart d’entre eux - possédaient au XVIII e siècle (cf. notre étude : « La composante culturelle dans la construction de la discipline ‘français langue étrangère’ (XVIII e -XIX e siècles) », Suso López 2019, à paraître) une vision du français (c’est-à-dire une idéologie de la langue) comme langue unique (sans variations, fixée une fois pour toutes dans les moules du classicisme), élitaire, mais à la fois universelle, langue de la culture littéraire et de la formation intellectuelle. Cette vision s’accordait bien au public habituel <?page no="118"?> 108 Javier Suso López qui voulait apprendre le français ainsi qu’au contexte d’enseignement (privé, en tête-à-tête) 1 . Nous abordons dans cette étude la question de savoir quel va être l’impact chez les maîtres et professeurs de FLE de la confrontation de cette représentation (ou idéologie) de la langue qu’ils enseignaient à une nouvelle réalité sociale, induite par l’introduction du français comme matière facultative dans certains établissements d’enseignement au cours du XVIII e siècle. D’autant plus que, comme le souligne Ch. Puren, « [l]es LVE [langues vivantes étrangères] se [retrouvaient] dès le départ [du processus d’institutionnalisation de leur enseignement] du côté des sciences et des techniques contre les langues anciennes, du côté d’une éducation ‘ moderne’ , à orientation utilitaire 2 , contre l’éducation ‘ classique’ dont l’objectif de formation générale se veut au contraire ‘ désintéressé’ » (1988, 47). 1 Le contexte de la profession naissante-: professeur de français Nous allons limiter nos réflexions à la période qui va de la seconde moitié du XVIII e siècle au début du XIX e siècle, où l’on voit surgir une réflexion de la part des auteurs/ professeurs de « français (langue étrangère) » (FLE) sur leur matière et sur leur rôle en tant que professeurs, réflexion qui nous montre qu’une attitude éthique est au cœur de leurs préoccupations. Au cours du XVIII e siècle, une première institutionnalisation du FLE se produit dans la plupart des pays de l’Europe par son introduction comme matière facultative dans des établissements d’enseignement destinés aux nobles (‘Séminaires de Nobles’) ainsi que dans l’enseignement technique ou supérieur professionnel (Académies des Sciences, Écoles Militaires, Écoles de Chirurgie, Écoles Navales…) 3 , mais aussi, suite à la disparition progressive des vieilles écoles la- 1 Bien sûr, nous simplifions : dans les actuels Pays-Bas et l’Angleterre, dans la seconde moitié du XVI e siècle, des maîtres de langue tels que G. Meurier et Cl. de Sainliens (Hollyband) enseignaient respectivement le français pour des besoins essentiellement pratiques (même si des contenus culturels y étaient présents). 2 Comme c’était le cas des mathématiques ou le dessin, matières qui étaient appropriées « aux besoins des professions commerciales, agricoles, industrielles et manufacturières » (H. de Vatimesnil, Rapport du 26 mars 1829 , in Puren 1988, 47). 3 Voir à cet égard Fernández Fraile/ Suso López (1999, 59-72), et également B. Lépinette (2000, 47-78, chapitre 2, intitulé « Contexte historique : le français et son enseignement »). Rappelons qu’en Italie (cf. Carla Pellandra, 1990, et de Anna Maria Mandlich, 1991), les Séminaires (collèges) de Jésuites destinés aux nobles introduisent le français « dans tous les collèges d’éducation entre 1670 et 1680 » parmi les matières optionnelles, ce qui sera le cas en Espagne également au début du XVIII e siècle (dans le ‘Real Seminario de Nobles’ de Madrid), suite à l’arrivée des Bourbons au trône. En Espagne, le français est introduit comme matière scolaire (facultative) dans les Écoles Militaires (Ávila; Real Academia de Caballeros Cadetes del Regimiento de Infantería de Reales Guardias Españolas), <?page no="119"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 109 tines - surtout en Écosse, en Hollande, en Suède et en Allemagne, comme l’ont établi R. Wakely (1990), E. Hammar (1988 et 1990), H. Christ (1996) ou F. R. Weller (1990) -, le français est introduit comme matière dans des institutions d’enseignement secondaire (appelées Realschule et Gymnasium en Allemagne). Ainsi, en Allemagne, « le nombre d’établissements secondaires qui offrent le français augmente considérablement au cours du XVII e et du XVIII e siècles. À la fin de la période que nous étudions, l’enseignement du français s’est généralisé dans les collèges. Le français est devenu une matière à côté des autres » (Christ 1996, 70) : à titre d’exemples, la Heckersche Realschule de Berlin est créée en 1747 (par J. J. Hecker), le Philanthropium de Dessau, en 1774, la Schulz’sche Handlungsschule de Berlin, en 1791 (cf. Weller 1990) 4 . En Écosse, les écoles secondaires (appelées « Académies ») avaient « un programme plus étendu et plus moderne » (Wakely 1990, 6, 82-102). Et, comme l’indique F. R. Weller : D’une part, les conceptions sur les buts des établissements d’enseignement secondaire évoluent, c’est-à-dire que l’on se tourne vers les tâches concrètes qu’il faut maîtriser dans l’exercice d’un métier et à l’intérieur d’une classe sociale. On ne voulait plus seulement former des savants, mais avait tout des membres de la société bien intentionnés et ‘utilisables’ […] Le changement des buts de l’éducation exigeait d’autre part des modifications dans les matières enseignées […] les ‘nouveaux’ élèves durent apprendre les langues des peuples avec lesquels on avait le plus de relation de ‘commerce’ ( Verkehr ) au sens large. (1990, 6, 103-104) Ce processus fait apparaître un nouveau cadre pour la constitution d’une éthique professionnelle : l’institution privée ou publique correspondante, qui exerce une influence sur le métier de manière directe et exigeante. Aussi, plus concrètement, les professeurs commencent à se poser des questions sur leur tâche au sein de cette institution, la place de leur matière et de leur contribution à la formation des étudiants. Nous employons le terme professeur parce que c’est comme professeurs qu’ils commencent (et aiment) à se voir, faisant partie d’une institution. Le remplacement terminologique de « maître de langues » par « professeur » marque précisément un changement du statut de la profession, ou encore dans la Escuela de Náutica de Málaga, créée en 1785, mais également dans des établissements d’éducation parrainés et soutenus par des ‘ilustrados’ (ainsi, la Sociedad Económica Vascongada , qui ouvre le ‘Seminario’ de Vergara en 1776 (Calle Carabias 1990, 135-136), ou encore le Real Instituto de naútica y mineralogía créé à Gijón par Jovellanos en 1794 (Sarrailh 1957, 224). 4 « […] en créant en 1787 le Oberschulkollegium , l’État prussien se donna une administration scolaire propre pour réformer le système éducatif tout entier […] les conceptions sur les buts des établissements d’enseignement secondaire évoluent, c’est-à-dire que l’on se tourne vers les tâches concrètes qu’il faut maîtriser dans l’exercice d’un métier et à l’intérieur d’une classe sociale » (Weller 1990, 6, 104). <?page no="120"?> 110 Javier Suso López de l’image sociale de celle-ci et donc également de la conscience professionnelle de ces nouveaux agents éducateurs. Au XIX e siècle, le processus d’institutionnalisation de la matière (FLE) s’étend à l’enseignement secondaire de la plupart des pays européens, à mesure que celui-ci est établi par les divers gouvernements. Le déroulement d’un tel processus est impossible à consigner ; contentons-nous d’une vision d’ensemble 5 : • en Allemagne, « le français ne deviendra matière obligatoire dans les Gymnasien prussiens qu’en 1831 (Reinfried 1990, 143). Par contre, les langues modernes dont le français, continuent à avoir un rôle privilégié dans les Realschulen et dans l’enseignement aux filles (Christ 1990, 176-178) » (Pellandra 1998, 31) » ; • en Suède, « en 1807, le français entre, avec l’allemand, dans les deux dernières classes du Gymnasium , comme enseignement facultatif » (Pellandra 1998, 31, qui cite Hammar 1993, 11-12 et 1995, 9 f.) ; • « Aux Pays-Bas, avec le retour de l’indépendance en 1815, on assiste […] à une nouvelle expansion de la langue française » (Pellandra 1998, 30) ; • en Angleterre, « dans les ‘Mechanics Institutes’ fondés à Londres et en province à partir de 1825 et destinés aux ouvriers, on ouvre des cours de langues vivantes : la langue française est apprise par un public important qui se destine aux professions commerciales » (Gerbod 1988, 10-11 ; Wakely 1990, 92) ; • en France, « introduites à titre facultatif par une ordonnance de 1829, rendues obligatoires en 1838, mais occupant toujours une position marginale, les langues étrangères durent à la défaite de 1870 la prise de conscience de l’intérêt que pouvait représenter leur apprentissage » (Vigner 2001, note 29) ; • en Espagne, les langues étrangères sont intégrées comme matière scolaire de manière volontaire (à la demande des étudiants) dans le ‘Plan de Estudios’ de 1845, puis de manière obligatoire dans la ‘Ley Moyano’ de 1857 (Fernández Fraile/ Suso López 1999, 82-83 et 210-211) ; • en Italie, passée la période napoléonienne (pendant laquelle, « d’après le règlement des Lycées, on enseigne […] le français avec le latin et l’italien »), « les princes des différents États de la péninsule font des politiques scolaires différentes […] L’enseignement du français fera son entrée officielle dans un cours de l’école secondaire italienne […] à partir de 1859, avec la loi Casati ». (Pellandra 1994, 14, 92-93) 5 Pour connaître plus de détails, voir Pellandra 1998, 30-31, d’où nous avons tiré ces données. <?page no="121"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 111 2 La matière « français » aux yeux des maîtres et professeurs au XVIIIe siècle L’institutionnalisation du français comme matière va fournir une dimension éthique tout autre au métier, puisque celui-ci change de nature (le français devient une matière scolaire) et, ainsi, le rapport du maître (dorénavant « professeur ») à sa matière est modifiée : en sortant du cadre familial ou privé, il acquiert un rôle social tout autre. Cette dimension nouvelle du métier va se manifester - comme dans toute éthique - dans son rapport aux autres (donc, à ses élèves, en classe ; à ses collègues de profession), mais également dans son rapport à lui-même et à sa profession (sa représentation de la matière : à quoi elle sert ou bien à quoi elle doit servir ; donc, la détermination de l’objet-langue « français » comme discipline scolaire (quels contenus faut-il proposer), et également, quelles pratiques de classe sont choisies pour arriver au but escompté). Avec H. Christ (1993, 12, 5), nous évitons d’appliquer au XVIII e siècle l’appellation de « méthode grammaire-traduction » (Puren 1988), de « méthode traditionnelle » ou de « traduction-analyse grammaticale » (Düwell 1988, 2, 5), étant donné que ces termes renvoient à des façons de faire qui caractérisent plutôt la deuxième moitié du XIX e siècle ; de même, les appellations de ‘méthode déductive’, ‘inductive’, ‘analytique’ ou ‘synthétique’ n’impliquent pas la totalité de la démarche pédagogique mise en œuvre par les professeurs, et ne la caractérisent donc que partiellement. Nous estimons préférable de parler des pratiques d’enseignement du français, en y distinguant trois catégories, comme le propose K. Macht (1989, 4, 8-13) : la conversation, la lecture (version), l’enseignement de la grammaire. Ces pratiques de classe étaient mises en œuvre à l’aide d’un matériel langagier (employé comme support aux effets de l’enseignement de la langue), qui peut être regroupé également en trois grands groupes, correspondant à autant de « portes d’entrée » linguistiques : • les mots (sous forme de vocabulaires ordonnés en listes thématiques, comme dans les nomenclatures, ou bien classés en ordre alphabétique, comme dans les dictionnaires), • les dialogues (regroupements de vocabulaire et d’expressions toutes faites sous forme de dialogues situationnels ou « colloques », expressément conçus à des effets d’enseignement langagier) et les textes (normalement des prières, des fragments d’ouvrages historiques et des textes littéraires, ayant une existence indépendante de leur utilisation comme matériel d’enseignement), • les règles (qui régissent la forme - morphologie - et l’ordre - syntaxe - des mots et des dialogues et qui sont contenues dans les grammaires, arts, méthodes, etc., composés par certains maîtres de langue). <?page no="122"?> 112 Javier Suso López Ces types de matériel ne se correspondaient pas exactement aux types de pratiques de classe indiquées antérieurement, de telle façon que les maîtres de langue combinaient selon leurs propres choix l’usage de ces matériels d’enseignement/ apprentissage et les pratiques de classe dans des variantes multiples, en tenant compte de la situation d’enseignement spécifique où ils exerçaient leur métier (types d’apprenants, âges, groupes d’élèves en situation scolaire ou privée). Étant donné ces nouveaux contextes, nous revenons à notre question initiale : quelles modifications produira la transformation progressive du français en discipline scolaire (dans les institutions signalées antérieurement) ? Comment vont répondre les professeurs de français (pour certains d’entre eux, auteurs de grammaires également) aux nouveaux contextes d’enseignement de la matière signalés plus haut ? Quels bouleversements se produisent dans les représentations (des professeurs) sur la matière, sur les rapports aux autres (élèves, collègues), mais aussi sur le type d’institution, et donc de formation, et donc des élèves qui y sont accueillis ? Existe-t-il un rapport entre « type » d’institution (école de savants : Séminaire de nobles ou École technique supérieure d’un côté ; école de citoyens : Realschule , de l’autre) et démarche méthodologique adoptée par les professeurs ? Si oui, au nom de quels principes éthiques est faite cette adaptation ? Disons tout d’abord qu’en situation d’enseignement privé (précepteur, demoiselle, maître de langue particulier ou en petits groupes chez soi), la classe de français se déroulait principalement sous forme de conversation, plus ou moins libre ou naturelle, à partir du matériel linguistique adapté à ce contexte (listes de mots, dialogues, textes, quelques règles) étant donné que, souvent, le disciple ne possédait point de connaissances latines, mais aussi parce qu’il n’avait pas été soumis à une discipline scolaire nécessaire pour permettre la mise en place d’un travail trop exigeant. Nous trouvons ici des cas particuliers, extrêmement intéressants, tel celui de Jeanne-Marie Leprince de Beaumont, qui compose un matériel langagier adapté à ses étudiant(e)s (ainsi, l’ Éducation complète , 1753, et le Magazin des enfans , 1756-57) ; ou encore des grammaires qui proposent de faire apprendre la prononciation non pas par des règles (par lesquelles on détermine la valeur - i. e. le son - de chaque lettre), mais grâce à un système de représentation phonétique qui, quoique rudimentaire, n’en constitue pas moins une innovation importante (telle la Llave de A. Galmace, 1748), ou encore l’enseignement de la langue et de la grammaire à travers des chansons (voir La cantatrice grammairienne , de Louis Barthélémy, 1788). À cet égard, les différentes réalisations de la « grammaire des dames » constituent un bel exemple d’adaptation du matériel linguistique et des pratiques de classe aux caractéristiques des <?page no="123"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 113 élèves, et donc de conscience professionnelle 6 . Ces réalisations ne manqueront pas d’exercer leur influence sur les pratiques d’enseignement dans les contextes d’enseignement réglés. En tout état de cause, le long du XVIII e siècle, il se produit un renforcement de l’outil grammatical dans les représentations sur la matière « français » et dans les pratiques de classe : on ne conçoit pas un enseignement du français en excluant la grammaire ; et la place que prend la grammaire dans l’enseignement du français devient de plus en plus centrale. Ainsi, la publication de grammaires à l’époque connaît une prodigieuse accélération, dans tous les pays, causée par la prédominance prise par l’idée qu’il faut apprendre une langue par principes 7 , selon la formule : « Les langues ont beau se former sans système et sans délibération, elles n’en sont pas moins systématiques ni moins fondées en raison » (Abbé Girard 1747, 246). L’idée relayée par les prises de position de nombreux auteurs, qui montre le climat intellectuel de l’époque, sera la suivante : si les langues sont constituées par des éléments organisés selon une cohérence interne logique, quoi de plus raisonnable que d’offrir à l’apprentissage (donc, enseigner) cette organisation même à travers une démarche progressive basée sur l’exposé de l’ordre même de la grammaire ? Ainsi, Colom du Clos « souligne l’importance des règles et de la syntaxe pour les débutants » (in Düwell 1988, 2, 2). Le débat entre ‘méthode régulière’ et ‘méthode irrégulière’, qui surgit dès le XVI e siècle (cf. Caravolas 1995) se résout en faveur de l’utilisation de la Grammaire comme outil de compréhension et d’analyse de la langue : La Logique, par le secours de l’abstraction, vient à bout d’analyser en quelque sorte la pensée, toute indivisible qu’elle est, en considérant séparément les idées différentes qui en sont l’objet, & la relation que l’esprit apperçoit entre elles. C’est cette analyse qui est l’objet immédiat de la parole ; & c’est pour cela que l’art d’analyser la pensée, est le premier fondement de l’art de parler, ou en d’autres termes, qu’une saine Logique est le fondement de la Grammaire ( Encyclopédie , article ‘Grammaire’). 6 Voir la ‘bibliographie raisonnée de manuels de langue français à l’usage de la jeunesse féminine’, établie par Gabriele Beck-Busse (1994), ainsi que le ‘Répertoire bibliographique’ de matériels linguistiques conçus pour l’enseignement du français aux dames, établi par Eugenia Fernandez Fraile (2011-2012, 56-64). 7 Comme l’indique P. Swiggers, « En donnant ce titre à l’ouvrage [ Les vrais principes de la langue française ], Girard se place dans une tradition qui commence en 1684, Les véritables principes de la langue Françoise pour la savoir écrite et parler en peu de temps , anonyme), et qui à travers Charbonnet (1699), Du Fourc (1708) ; Restaut (1730) ; De Colom du Clos (1745) aboutira à De la Veaux ( Les Vrais Principes de la langue française oder neue Grammatik für die Teuschen von einer Gesellschaft Gelehrter bey der Nationen , 1785), Barbier ( Principes de la langue française , 1786) » (Swiggers 1982, 64). Nous pouvons ajouter à cette liste d’autres auteurs, tels que Jean-Léonor Le Gallois de Grimarest (1712) et Noël François de Wailly ( 11 1803), pour comprendre l’importance de ce phénomène. <?page no="124"?> 114 Javier Suso López La Grammaire possède encore un nouvel atout pour répondre au statut du français en tant que matière scolaire : elle constitue également un outil objectif et pré-donné d’organisation des apprentissages, question essentielle dans un contexte d’enseignement institutionnel de la langue française. Si des discussions il y a, il s’agit en tout cas de la place que la grammaire doit occuper dans l’enseignement, plus ou moins étendue (des rudiments à la grammaire complète) : Chantreau (1781, Prólogo, XVII-XVIII) classe ainsi le contenu grammatical en trois niveaux, en fonction du niveau initial-moyen-supérieur des élèves et de sa place par rapport aux autres pratiques de classe. Un premier courant d’opinion défend ainsi qu’il faut commencer par la grammaire : l’élève doit connaître tout d’abord les « principes » de la langue ; il faut donc aborder leur étude avant les activités d’analyse de la langue, et, en tout cas, avant la lecture-conversation (schéma traditionnel, qui répond à la logique rationnelle d’ordre déductif: il faut savoir avant d’être capable de ‘voir’ le réel ; ainsi, il faut savoir distinguer un substantif d’un verbe avant d’analyser un texte). C’est la ‘méthode’ que défend l’Encyclopédie de Diderot/ D’Alembert (1751 à 1772), en affirmant expressément la priorité temporelle de la grammaire : 1°. Les langues vivantes, comme le françois, l’italien, l’espagnol, l’allemand, l’anglois, &c. se parlent aujourd’hui chez les nations dont elles portent le nom : […] ces langues peuvent nous entrer dans la tête par les oreilles & par les yeux tout-à-la-fois. Voilà le fondement de la méthode qui convient aux langues vivantes, décidé d’une maniere indubitable. Prenons pour les apprendre, des maîtres nationaux : qu’ils nous instruisent des principes les plus généraux du méchanisme & de l’analogie de leur langue ; qu’ils nous la parlent ensuite & nous la fassent parler ; ajoutons à cela l’étude des observations grammaticales, & la lecture raisonnée des meilleurs livres écrits dans la langue que nous étudions. La raison de ce procédé est simple : les langues vivantes s’apprennent pour être parlées, puisqu’on les parle ; on n’apprend à parler que par l’exercice fréquent de la parole ; & l’on n’apprend à le bien faire, qu’en suivant l’usage, qui, par rapport aux langues vivantes, ne peut se constater que par deux témoignages inséparables, je veux dire, le langage de ceux qui par leur éducation & & leur état sont justement présumés les mieux instruits dans leur langue, & les écrits des auteurs que l’unanimité des suffrages de la nation caractérise comme les plus distingués ( Encyclopédie , article ‘Méthode’). De ce modèle de représentation découle le schéma de classe suivant : • un court fragment de contenu grammatical est exposé ou lu par le professeur (habituellement en langue maternelle pour sa compréhension), répété, mémorisé par l’élève, réexposé par celui-ci au maître ; • puis un fragment de texte en LE (prières, fragments de textes historiques ou religieux, anecdotes…) est lu (à voix haute), corrigé, relu, analysé (l’élève <?page no="125"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 115 devait dire les caractéristiques morphologiques de chaque mot), traduit en LM (mot à mot d’abord, puis par phrases, puis sous forme de traduction libre) ; • ces pratiques de classe se complétaient par la mémorisation de longues listes de vocabulaire et d’expressions idiomatiques (ou phraséologie), ainsi que de courts fragments de conversation thématiquement ordonnées, qui étaient reproduits face au professeur ; le passage à l’expression plus libre était recommandé (par exemple, Chantreau 1781, Método), bien que nous puissions douter de sa généralisation comme pratique de classe habituelle ; • au niveau « supérieur », des textes littéraires de toute sorte étaient abordés, dans deux langues (parmi eux, citons le Télémaque , par exemple). Les élèves disposaient donc d’un matériel linguistique composé normalement d’une grammaire, à laquelle s’ajoutaient des ouvrages littéraires en version bilingue ; mais très souvent, la grammaire comprenait une diversité de matériel linguistique pour en faire un outil autosuffisant (voir par exemple l’Arte de Chantreau, 1781, dont le Suplemento double (en nombre de pages) la partie grammaticale, pourtant très « complète »). Et, de façon globale, les élèves acquéraient un savoir sur la langue (des règles de grammaire, du lexique), ainsi qu’une habileté de compréhension écrite, mais nullement une habileté à comprendre la langue orale ou à la parler. Un deuxième courant d’opinion défend par contre que l’étude de la grammaire doit venir après l’apprentissage de la langue : c’est le cas de l’Abbé Pluche (1751), qui défend le couplage enseignement pratique (la lecture de textes, la traduction-version, la conversation) - enseignement théorique (les règles), dans cet ordre-là. On peut y voir la manifestation d’une tendance éclectique, sous forme d’une réunion nécessaire (sous forme de deux phases consécutives) entre une démarche pratique (ou par la routine) et une démarche régulière (les règles venant étayer après coup l’apprentissage naturel). Il est certain que nous devons voir dans cette idée l’influence des principes pédagogiques hérités de Locke et de Comenius, comme le signale F. R. Weller : « la méthode inductive, l’importance de la pratique et l’expérience spécifique du monde que possède l’apprenant, voilà des principes pédagogiques qui, en fait, remontent à Comenius et qui ont été introduits dans la pédagogie du 18 e siècle, par exemple de manière concrète dans les institutions philanthropiques » (1990, 6, 106) 8 . Ce débat méthodologique, qui implique une conception de la langue, mais également un rapport à soi (à son rôle en tant que professeur) et à ses rapports aux élèves dans leur apprentissage, donc une idéologie et une éthique, une 8 Il est abusif pour nous de dire que le schéma défendu par Pluche est d’ordre inductif et nous réservons ce terme à l’activité d’induction des règles grammaticales à partir d’un texte, document ou corpus préparé ad hoc . <?page no="126"?> 116 Javier Suso López manière d’être professeur, intéressera spécialement les territoires allemands, où la ‘méthode’ d’enseignement du français deviendra un lieu de réflexion et d’application, par le statut institutionnel privilégié dont jouit le français dans la seconde moitié du XVIII e siècle (comme nous l’avons vu). L’introduction du français dans un enseignement destiné à former des ‘citoyens’ (et non pas des ‘savants’, ou des élites) met à l’épreuve les différentes démarches proposées jusque-là dans l’enseignement du français ( Grammaire de Port-Royal, Pluche, Encyclopédie de Diderot/ D’Alembert, Girard, Restaut, Wailly…) en les confrontant à de nouvelles idées pédagogiques (Basedow et Wolke, voir Caravolas 2001, 148-151). Ainsi, C. Trapp ( Über den Unterricht in Sprachen , 1788) 9 fait état de l’application effective de l’enseignement du français dans certains collèges allemands, « qui n’a pas le même air philosophique que dans la classe de latin. Mais cette méthode est plus naturelle et même plus vite au but, à savoir l’aptitude mécanique à comprendre, à parler et à écrire » (repris par K.H. Flechsig 1962, 52-58, et cité par Weller 1990, 6, 108). 3 Quatre cas-: Johan Valentin Meidinger, Charles de Laveaux, Jean-Baptiste Daulnoye, Charles de Villiers 10 Nous allons nous limiter à exposer le cas de quatre professeurs : J.-V. Meidinger, Ch. de Laveaux, J.-B. Daulnoye et Ch. de Villiers. Ils ont tous exercé en Allemagne pendant la période temporelle ciblée, et montrent quatre attitudes différentes, représentatives à notre avis de la manière dont les professeurs envisagent leur métier. Le choix de ces quatre cas se justifie par leur confrontation au nouveau statut du français qui se produit en Allemagne dès la seconde moitié du XVIII e siècle : nous aurions pu prendre également comme source d’analyse d’autres professeurs, qui exerçaient dans d’autres pays, mais l’étude aurait dû intégrer d’autres variables. 3.1 Johan Valentin Meidinger Meidinger produit une innovation méthodologique de taille dans son manuel ( Praktische französische Grammatik , 1783), qui va bouleverser les pratiques de classe dans toute l’Europe au XIX e siècle, et ce, dans toutes les langues, à travers des continuateurs ou adaptateurs (Seidenstücker, Ahn, Ollendorff, Plötz…), en constituant ce que Ch. Puren appelle les « cours traditionnels à objectifs pratiques » (1988, 62-75, avec les types de grammaire-traduction, traduction-grammaire). 9 Cet ouvrage est reproduit par K. H. Flechsig (1962), et la citation en question a été traduite par Franz-Rudolf Weller (1990, 6, 107-108). 10 Nous utilisons la graphie française communément employée ; en allemand, c’est sous la forme de « Villers » que cet auteur est connu. <?page no="127"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 117 Comme l’indique Konrad Macht, les manuels de Meidinger surpassent la contradiction entre méthode pratique et méthode grammaticale en ajoutant « à chaque groupe de règles un nombre de phrases allemandes que l’élève doit traduire en français. Chacun de ces exercices de traduction limite les difficultés linguistiques aux règles apprises auparavant » (1989, 4, 9). Macht marque également le rapport de ces manuels de français avec les objectifs de formation institués dans les écoles allemandes à caractère réaliste et pratique ( Heckersche Realschule à Berlin, 1747 ; Philanthropium à Dassau, 1774 ; Schulzche Handlungsschule à Berlin, 1791). Ainsi, sa grammaire pratique comporte une réduction drastique du contenu grammatical (qui comprend pour l’ensemble des neuf parties du discours, dix pages dans l’édition de 1799, 19-29) ; en deuxième lieu, au lieu de s’étendre indéfiniment sur l’usage de chacune des parties du discours, comme dans les grammaires antérieures dans une partie qu’elles intitulaient « syntaxe », il propose des séries d’exercices progressifs (19 séries en tout) pour que les étudiants apprennent cet usage, non plus de manière théorique (par une mémorisation des cas) mais pratique, à travers l’ « emboîtage » des articles dans de courts énoncés ou phrases en allemand que les élèves doivent traduire en français et qui se complexifient progressivement par l’introduction des nouveaux cas et usages à petites doses savamment réglées. Nous reproduisons comme illustration la série nº 3 11 : L’apprenant est amené ainsi à « parler » en français, construisant toujours des phrases simples qui mettent en jeu progressivement les principales difficultés du français pour un étudiant allemand. 11 Nous tirons cette image de l’édition de 1834, qui reproduit de manière exacte celle de 1799 (du moins sur ce point). Nous n’avons point pu consulter l’édition de 1783. <?page no="128"?> 118 Javier Suso López Si nous ajoutons à cela l’élimination des textes pour la lecture-version (dialogues, textes d’histoire, textes littéraires) et leur substitution par une sélection du vocabulaire qui est introduit peu à peu dans ces exercices, nous ne pouvons que déduire la profonde innovation produite par la grammaire pratique de Meidinger : la caractéristique majeure de la « méthode pratique » antérieure était précisément le contact avec la langue à travers les textes, ce qui suppléait (en partie) aux yeux de ses partisans le contact direct dans le pays. Plusieurs raisons peuvent être invoquées pour expliquer l’élimination des lectures dans cette démarche pratique : entre autres, comme l’indique K. Macht, « la crainte d’exposer les élèves aux idées révolutionnaires par le contact avec des Français et des lectures actuelles » (1989, 4, 13). L’innovation de Meidinger dépasse le cadre méthodologique et produit un changement important dans la représentation du français (en tant que langue et en tant que matière) : • le contenu grammatical est nettement réduit ; • les « règles d’usage » sont étayées par l’observation de phrases construites ex professo , que l’élève doit assimiler effectivement par leur traduction ; • le rôle de la mémorisation n’y est qu’augmenté et toute réflexion explicite sur le fonctionnement grammatical disparaît ; • c’est une langue hautement grammaticalisée qui y est présentée, bien plus que dans les textes (souvent en version bilingue) qui servaient d’appui aux exercices de lecture-version dans les démarches antérieures ; dorénavant, c’est le thème qui deviendra l’exercice-roi ; • au lieu de la lecture de textes (simples, bilingues, « authentiques ») et de la conversation sur la base de dialogues « naturels », les élèves pratiquent la langue à travers la traduction (thème) de phrases d’une langue artificielle, abstraite, séparée des conditions de réalisation ; • les contenus culturels disparaissent donc totalement, dans un premier niveau d’enseignement. 3.2 Jean-Charles Thibault de Laveaux Jean-Charles Thibault de Laveaux est l’un des grands maîtres de français de la fin du XVIII e siècle 12 . Il compose plusieurs ouvrages destinés à l’enseignement du français: le Cours théorique et pratique de langue et de littérature française (2 12 Né à Troyes (1749-1827), maître de français à Bâle, professeur de littérature française à Stuttgart, où il « acquit une réputation méritée comme possédant toutes les difficultés, toutes les délicatesses de la langue française, et s’entendant à merveille à la faire comprendre aux Allemands, dont il savait la langue à fond » (Michaud 1854, t. 23, 409), il est appelé à Berlin par Frédéric II pour y enseigner le français. À la mort de celui-ci en 1786, il se rend à nouveau à Stuttgart pour enseigner à la Hohe Karlsschule, puis à Strasbourg <?page no="129"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 119 volumes, (1784-85)), Les vrais principes de la langue françoise (1785) , Leçons méthodiques de langue françoise pour les Allemands (1787) et la Nouvelle Grammaire Françoise à l’usage des étrangers particulièrement des Allemands (1792). Sa pensée méthodologique est répartie dans les préfaces de ces ouvrages. Il défend ainsi expressément que pour enseigner une langue étrangère, « ‘il faut commencer par la routine’. La connaissance de l’usage doit précéder ‘la raison’, c’est-à-dire la règle. Le premier pas à faire dans l’enseignement d’une langue étrangère, c’est d’accoutumer l’oreille à la prononciation de cette langue » (Préface « Dissertation sur la meilleure méthode pour enseigner la langue françoise », in Weller 1990, 6, 113) 13 . Mais pas n’importe quel usage : un jeune homme peut passer trois ans à traduire du Télémaque , et à l’apprendre par cœur, il ne sera pas pour autant « en état de demander un poulet dans une auberge » (ib., 114) ! Aussi, « la première partie du deuxième livre élémentaire [des Leçons méthodiques ] contient le texte intégral d’une comédie didactique : La Curieuse de Stéphanie-Félicité Comtesse de Genlis (1746-1830) et quelques contes moralisateurs de cette femme de lettres et pédagogue de la fin du XVIII è siècle, ainsi que les Traits historiques des Mémoires de l’abbé Raynal (1711-1796) et quelques extraits de l’Encyclopédie » (Weller 1990, 6, 120). Dans son Cours théorique et pratique de langue et de littérature française (1784- 1785), il s’étend longuement (plus de 80 pages) sur les causes de la décadence de la langue française en Allemagne, sur les moyens pour y remédier, et expose également des considérations sur le génie particulier de la langue française qu’elle ne devrait pas perdre. Il indique ainsi qu’une des causes tient à la mauvaise méthode d’enseignement qui y est pratiquée. Il écrit : « Il est ridicule de nous faire apprendre les règles de la grammaire sur une langue que nous ne savons pas. Une grammaire, quelconque, n’est qu’une suite d’observations sur une langue » (1784 : 18). Laveaux ne pense pas qu’il suffise d’être natif pour bien enseigner le français (la qualité du français des expatriés laissait beaucoup à désirer) ; il faut posséder une méthode solide ( ib ., 116) et une culture de la langue exigeante. Il se montre consterné par le fait que : Le style des écrivains françois semble dégénérer de jour en jour : la langue françoise, cette langue si noble, si douce, si claire, si élégante, perd tous les jours quelque chose de cette pureté qui la rendoit si recommandable dans le siècle de Louis XIV. (1784, Avant-propos, Aij) et à Paris. Voir à son sujet Weller (1990, 6, 111-114), Hassler (2005, 33-34, 27), et surtout Labbé (2017). 13 Le texte de Laveaux cité par Weller est tiré de la Préface des Leçons méthodiques de langue françoise pour Allemands […], qui porte comme sous-titre : « Dissertation sur la meilleure méthode pour enseigner la langue françoise ». <?page no="130"?> 120 Javier Suso López Pour bien parler, il est nécessaire de bien penser, et il propose ainsi un traité sur l’art de penser (de plus de 60 pages), avant d’arriver aux exercices pratiques (au tome deuxième) où des phrases isolées ou de courts textes littéraires (tirées de la littérature gréco-latine pour la plupart) sont analysés pour mettre en relief leur organisation interne, c’est-à-dire la division en idées principales et idées secondaires (ou modifications), et défendre, en fin de compte, une façon de parler et de rédiger conformément au « génie de la langue française ». Il faut ainsi : Présenter les parties principales sur le devant, rapprocher autant qu’il est possible de chacune de ces parties toutes les idées qui les modifient : voilà les deux grands principes de la langue françoise ; voilà les véritables sources de sa clarté, de sa netteté, de sa précision. C’est de ces deux principes que dérivent toutes les règles du langage & du style françois. Tout ce que nous allons dire n’en sera que l’application & le développement. (Laveaux 1792, 71) Laveaux partage une vision du français comme une langue unique (sans variations, fixée une fois pour toutes dans les moules du classicisme), élitaire, mais à la fois universelle, langue de la culture littéraire et de la formation intellectuelle. Cette vision s’adapte fort bien au contexte berlinois où Laveaux enseigne le français, par la forte présence du français comme langue seconde dans la communication politique, dans l’enseignement, dans la culture…, étant donné le grand nombre des descendants du second refuge (protestants qui quittent la France suite à la révocation de l’édit de Nantes par Louis XIV en 1685) ou des exilés à cause de la révolution française, cf. Schröder 1994, 14, 188-210). Précisément, Frédéric II « le nomma professeur de l’Académie Militaire avec un salaire de 800 Rthl en le chargeant de travailler à l’épuration de la langue française des écrivains et des pasteurs. C’est ce qu’il fit avec ce célèbre ouvrage périodique […] qui parut sous le titre de Cours théorique et pratique de la langue et de la littérature française » (Labbé, en ligne). L’élite de la société devait posséder la langue française dans sa perfection, selon le modèle établi par l’Académie française : voilà la mission que Frédéric II lui avait confiée. 3.3 Jean-Baptiste Daulnoye H. Christ nous dresse le portrait professionnel de Jean-Baptiste Daulnoye, professeur de français entre 1790 et 1820 en Allemagne, à partir du témoignage de H. Heine (dont il avait été l’élève), en soulignant que « Daulnoye se veut professeur de français, non pas maître de langues » (Christ 1992, 9, 21). Daulnoye partage à nos yeux une vision totalement classique du métier de professeur de français : « il part d’une solide instruction grammaticale, les parties du discours, la syntaxe et le style - voilà les trois étapes de son enseignement - nourri de <?page no="131"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 121 deux sources : de l’histoire ancienne moderne et contemporaine et de la littérature, notamment des textes oratoires et poétiques » (Christ 1992, 9, 20-21). Ce type de positionnement (théorique et pratique) s’adapte aux institutions éducatives de type nobiliaire ou supérieur, qui accueillaient en principe des élèves ayant suivi une formation latine, élèves qui s’accommodaient parfaitement à un schéma exigeant du travail scolaire décrit plus haut. Bien d’autres maîtres et professeurs de français de l’époque le partageaient à grands traits, bien sûr. 3.4 Charles Dominique de Villiers et la Lettre à Mademoiselle D.S. (1797) Nous devons considérer les réflexions de Charles Dominique de Villiers - contenues dans sa Lettre à Mademoiselle D.S. sur l’abus des grammaires dans l’étude du français, et sur la meilleure méthode d’apprendre cette langue (1797) 14 - comme un dernier cas emblématique des questionnements qui se produisent à l’époque chez certains maîtres et professeurs de français, dans leur représentation sur la matière (la langue qui est enseignée, le bien-fondé de l’orientation méthodologique commune à l’époque), et de l’appel éthique auquel il répond. Nous allons nous étendre davantage sur cet auteur, par l’intérêt indiscutable de son positionnement, où la composante éthique de sa réflexion se montre au grand jour. Jean Caravolas estime que les propositions de Villiers (la « méthode de lecture ») rentrent dans le courant de l’approche naturelle, et rappellent « sur nombre de points, la méthode de Du Marsais et celle de Radonvilliers », et que « l’influence des didacticiens allemands (philantropistes et néohumanistes) est aussi évidente » (2001, 146-148). Sa Lettre constitue ainsi un point charnière de la pensée didactique du XVIII e siècle. La Lettre à Mademoiselle D.S. fut d’abord écrite en allemand, puis traduite en cinq langues par D. de Villiers même (comme nous révèle l’éditeur de 1797, dans une note à la page 4). Colom du Clos (professeur d’éloquence française à l’Université de Gottingue) eut l’idée de l’insérer dans son ouvrage Modèles de lettres sur toutes sortes de sujets (4 vols.), « tant il jugeait que sa lecture pouvait être profitable au public des diverses nations » (1797, 4-5), même s’il n’était pas d’accord avec son contenu, puisqu’il défendait quant à lui « l’importance des règles et de la syntaxe pour débutants » (Düwell 1988, 2, 2). De Villiers ne compose pas un essai ni un traité, mais une Lettre à une demoiselle 15 , en adoptant une forme dialoguée. La conversation, sous la forme de 14 Une étude sur ce document a été réalisée par H. Düwell (1988, 2, 2-5). Tout en nous basant sur ses commentaires, nous entreprenons une analyse d’un tout autre point de vue. 15 Il met en parallèle de façon ironique sa lettre avec le « traité d’astronomie au clair de la lune » que le galant Fontenelle avait composé pour une marquise ; ou bien le fait que « M. de Maupertuis a écrit à une demoiselle sur le mouvement des comêtes, et qu’il a fait pour Lycoris un traité sur un art bien autrement sérieux que celui de la parole », de <?page no="132"?> 122 Javier Suso López question-réponse (« je vous le jure », p. 10 ; « vous me demanderés peut-être… », p. 10 ; « entendons-nous pourtant, Mademoiselle », p. 11 ; « Revenons, et faites attention, je vous supplie », p. 16 ; « ne me trahissés pas », p. 16, etc.) se déroule sur un ton culte mais naturel (style conversationnel poli) et met en jeu un rapport éthique, sous la forme du rapport à l’autre : une jeune fille lui demande conseil ; il répond à ses questions. La question de savoir si cette Mademoiselle D. S. a vraiment existé et si elle a écrit une lettre à Charles de Villiers, ou bien s’il agit d’un recours ou d’un artifice littéraire (une Iris en l’air, comme le dit l’éditeur) est secondaire. Même si cette demoiselle n’a point existé, le lecteur (les lecteurs) existe(nt) vraiment et constitue(nt) le pôle vers qui les inquiétudes de Ch. De Villiers vont s’adresser. Le rapport établi avec Mademoiselle D. S. par le texte même est tout d’abord de type professoral, plein de respect pour une jeune fille qui possède certainement une haute position sociale (« vous me faites l’honneur de m’écrire que vous apprenés le français », p. 7). Ce rapport professoral est continuellement rappelé (« Revenons, et faites attention, je vous supplie », p. 16). Il la guide dans le raisonnement : « C’est ce que vous allés voir clairement démontré, si vous avés la patience… » (p. 18) ; « Entrons en matière » (p. 18) « vous comprenés déjà, Mademoiselle, que… » (p. 19) ; « vous en ferés autant si vous m’en croyés, Mademoiselle, jettés votre grammaire au feu » (p. 28). De Villiers évite de tomber dans un faux égalitarisme, qui banaliserait ses propos : c’est lui l’expert. Mais ce rapport est vite complexifié : ce n’est pas uniquement une leçon professorale qu’il prétend donner à Mademoiselle D. S. et, à travers elle, à l’ensemble de ceux qui apprennent (ou enseignent) le français. Il veut aussi en faire son alliée, sa confidente, et même sa complice : […] et vous saurés, Mademoiselle, qu’il est toujours plus beau de nommer une chose par son nom latin, que par son nom vulgaire ; attendu qu’on fait croire par là aux ignorans qu’on fait une chose qu’ils ne savent pas, et ce n’est qu’un mot latin qu’on fait plus qu’eux. Croyés-moi, il est dans le monde bien d’autres charlatans que les médecins. Je vous dis-là le secret de la confrairie ; ne me trahissés pas. (p. 16) Il s’excuse devant elle d’utiliser un proverbe « trivial » : « c’était, et pardonnés-moi ce proverbe trivial, atteler la charrue devant les bœufs ». (p. 24) Évidemment, tout cela fait partie des stratégies de l’argumentation mises en place : le rapport éthique n’y est pas moins présent. L’enjeu de ce rapport est telle façon que « cela a mis le beau sexe en gout de philosophie, et il n’y a presque pas une jeune personne bien élevée à qui un savant de sa connaissance n’ait adressé pour le moins quelque petite dissertation métaphysique » (p. 38). <?page no="133"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 123 que cette demoiselle soit convaincue de ses propos et suive ses conseils, donc change sa conduite : Vous en ferés autant si vous m’en croyés, Mademoiselle, jettés votre grammaire au feu, prenés-moi le Télémaque , les Lettres péruviennes , les jolis Contes de Marmontel, la Vie de Marianne par Marivaux, quelques-unes de ses comédies : prenés-moi enfin des livres bien écrits qui vous interessent et vous amusent : ils ne vous manqueront pas en français. (p. 24) Dans ce rapport à l’autre, le maître présumé de langue française de la demoiselle y est également pris à partie (et à travers lui, l’ensemble des maîtres qui font comme lui). Le ton employé combine le respect (puisque c’est un collègue, un membre de la ‘confrérie’), la prudence, la modestie, l’invitation, le souhait. Les conseils prodigués constituent toute une méthode d’enseignement du français, qui complètent la méthode d’apprentissage exposée auparavant : Si j’avais l’avantage, Mademoiselle, de connaitre votre maitre de français, je lui donnerais quelques conseils qui ne vous seraient peut-être pas inutiles. D’abord je l’engagerais prudemment à supprimer gérondis et supins . Je l’inviterais à vous faire lire, et à lire devant vous des phrases françaises qu’il traduirait ensuite mot pour mot en allemand, vous faisant (30) observer la construction différente des deux langues ; en quoi elles se rapportent, en quoi elles diffèrent. Après avoir rendu la phrase française dans l’ordre où les mots sont rangés en français, il vous en donnerait la version en bon allemand, c’est-à-dire, l’équivalent des locutions françaises, ou des façons de parler familière à cette langue. (p. 30-31) Ces conseils ne cachent point une haute considération du maître de langues de l’époque, et constituent un portrait idéal du maître de langues : un tel homme doit avoir beaucoup lû, beaucoup observé ; il doit connaitre à fond la nation dont il enseigne la langue, en connaitre surtout la bonne compagnie, être en état d’expliquer toutes les allusions si fréquentes dans le langage ; il doit être métaphysicien, philosophe, littérateur : l’homme qui n’est pas tout cela ne mérite pas le nom de maitre de langue. Mais on croit qu’un pauvre hère, parce qu’il est né en France, et qu’il écorche le français, va vous apprendre ce qu’il ignore lui-même. (p. 31) Dans la Lettre , comme dans tout rapport éthique, y est inhérent également un rapport éthique de soi à soi : au moyen de cette Lettre , De Villiers s’institue en expert, qui descend à l’arène (c’est-à-dire, en subissant des risques éventuellement) pour donner un avis et fixer une conduite à suivre dans une question qui intéresse tous ceux qui apprenaient (ou enseignaient) le français à l’époque, donc, un très large public : de là le format même choisi (une lettre, non pas un essai). A travers ce moyen, il s’engage de manière nette en faveur de <?page no="134"?> 124 Javier Suso López « sa » vérité : il prétend avec la Lettre tirer de vaste public de l’erreur dans laquelle les entretenait la « confrérie » des grammairiens/ intellectuels/ philosophes de l’époque. Cet engagement prend donc une double valeur : en faveur des apprenants (pour les guider dans une voie nouvelle d’apprentissage) et contre l’ensemble des professeurs/ grammairiens. À cet effet, il oppose - en plus de sa « science » : les vérités, les arguments logiques utilisés - son éthique : il se pose comme garant de la « vérité » de ce qu’il affirme (« je vous le jure ») ; il est fermement convaincu de ce qu’il dit ; il est sincère. Il parle du plus profond de ses convictions, malgré les risques encourus : Car faire comme les autres est une grande loi qui fait faire bien de sottises sur notre planète. Si mes confrères, Mademoiselle, lisaient ma lettre, ils publieraient partout que je ne suis qu’un âne ; aussi je vous supplie de la communiquer à personne. - Il est bien vrai cepandant que Locke, Condillac, et quelques ânes de cette espèce, ont déjà dit à-peu-près les mêmes choses, mais le monde est bien méchant, et il est vaut mieux se taire. (p. 38) Le souci éthique de De Villiers concerne également l’objet d’enseignement (la matière : où des questions grammaticales prennent une place trop grande, de là le titre : « les abus de la grammaire »), donc de la représentation qu’il se fait de la langue : il s’agit pour nous d’un rapport de soi à soi indirect, qu’il explicite sous forme d’un objet externe à soi (la grammaire, la langue, la meilleure façon d’apprendre une langue…), mais qui constitue le fondement de son idéologie, de sa manière de voir les choses et donc de son « être là dans le monde ». Nous n’allons pas reproduire la vérité scientifique de De Villiers, mais uniquement mettre en relief, pour mieux comprendre les divers positionnements de l’époque sur cette question, les moyens rhétoriques utilisés dans son argumentation : • la mise à jour des divergences entre les tenants des positions en faveur de la grammaire ; • la mise en ridicule (« ce barbare étalage », « ce burlesque appareil » utilisés dans la terminologie : modes personnels et impersonnels, aoriste, futur conditionnel, génitifs, ablatifs, copulatifs, disjonctifs ) ; • des affirmations axiomatiques (« c’est une science des mots, qui coute beaucoup, et n’apprend rien » (p. 10), et ne sert qu’à « surcharger [..] la mémoire », p. 8) ; • l’ironie : « Il est bien vrai cepandant que Locke, Condillac, et quelques ânes de cette espèce, ont déjà dit à-peu-près les mêmes choses, mais le monde est bien méchant, il est vaut mieux se taire » (p. 38) ; • des vérités générales pleines de respect et nullement blessantes : (pourquoi « tant d’honnêtes hommes » s’appliquent à enseigner ou à apprendre une <?page no="135"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 125 langue de cette façon ? « Je vous répondrai, que les hommes sont ainsi faits, qu’ils ont la manie des mots, et qu’en apprenant des mots, la plupart pensent fermement apprendre des choses ; que d’ailleurs la coûtume est établie de la sorte […] » (p. 11) ; • la comparaison à des cas célèbres qui étayent ses propos (on peut parler une langue et même apprendre une langue sans besoin de grammaire, tel que Michel de Montaigne avec le latin ou cette demoiselle même avec l’allemand : « les personnes qui j’ai rencontrées dans vie parlant mieux le français, n’étaient pas, je vous le jure, celles qui avaient le plus feuilleté l’abbé Desmarets, ni le Père Bouhours » (p. 10) ; • une délimitation nette de son opinion : entendons-nous pourtant, Mademoiselle ; car vous pourriés penser que je réprouve également, et dans tous les cas, la grammaire et les grammairiens. Non, je respecte fort la grammaire en plusieurs points ; je regarde la grammaire générale du langage comme une science métaphysique très ingénieuse et très importante ; les grammaires particulières, comme des espèces de tarifs qui fixent pour le moment la valeur des denrées. C’est le tableau d’une langue, telle qu’on la parle aujourd’hui (p. 11-12). Une fois ces moyens rhétoriques utilisés, vient le cœur de la vérité de De Villiers, un exposé scientifique des fondements de sa manière de voir ces questions, axé sur les composantes suivantes : • le positionnement empiriste-sensualiste de Locke-Condillac (formation des idées particulières par observation, puis des idées abstraites, à partir des facultés de l’homme: « faculté de recevoir des idées, de les comparer, de les généraliser », p. 19), processus donné comme naturel quant aux rapports des hommes à la réalité extérieure et donc à l’apprentissage : Quelle est donc la marche à suivre pour enseigner une langue ? - Celle de la bonne nature, celle de l’esprit humain, qui ne saute pas du premier bond aux abstractions et aux généralités, mais qui veut d’abord passer par toutes les idées individuelles nécessaires pour se former ensuite les idées générales […]. (p. 26) • une théorie de la formation des langues : Outre la faculté de recevoir des idées, de les comparer, de les généraliser, les hommes ont encore celle de se les transmettre les uns aux autres, et de les exprimer par les sons. Ils ont inventé des mots pour tous les objets qui leur tombaient sous les sens […] Voilà comment se sont formé les langues, nées du besoin de se communiquer, et de l’aptitude qu’ont nos organes à articuler des sons (p. 19) ; • une explication de l’apparition des grammaires (« Une grammaire n’est donc autre chose que l’usage écrit. Si l’usage change, il faut que la grammaire <?page no="136"?> 126 Javier Suso López change aussi. Vouloir fixer l’usage d’après les règles de la grammaire, c’est imiter celui qui prétendait fixer l’heure en arrêtant sa pendule », p. 22 ; et : [nos grammairens] s’étaient institués comme les législateurs du langage. Ils classaient, divisaient, subdivisaient, se disputaient entre eux, personne n’y prenait garde, et tout allait for bien jusques-là », p. 23) ; • l’absurde situation actuelle où […] nos Docteurs se figurèrent un jour que la grammaire, bonne pour débrouiller une langue que l’on sait, était bonne aussi pour apprendre une langue que l’on se sait pas. Ils firent donc étudier leur grammaire aux enfans, et aux étrangers. - C’était prendre le contrepié de la nature ; présenter les idées générales avant les idées particulières ; c’était vouloir faire classer des idées à gens qui n’avaient encore aucunes idées à classer ; c’était, et pardonnés-moi ce proverbe trivial, atteler la charrue devant les boeufs (p. 23-24). La conclusion n’est que mieux comprise, où il insiste sur ce que la demoiselle (donc tout apprenant) doit faire pour apprendre une langue : Lisés, parlés, écrivés : apprenés le français, Mademoiselle, comme vous avés appris l’allemand, par l’usage, et non par les règles qui n’en sont que la copie. Quand vous saurés l’un, vous saurés de reste les autres ; mais quand vous aurés appris avec beaucoup de peine toutes les règles, vous ne serés pas encore en état de faire une phrase qui ait du sens. La lecture des bons auteurs, et la conversation des gens qui parlent bien, peuvent seules vous donner le pli d’une langue. Il en est de cela comme du reste de notre éducation. (p. 29) Il complète cet exposé par d’autres remarques sur la question de la prononciation (par imitation de la prononciation du professeur), de l’importance de l’analyse comparative de la construction des phrases (syntaxe de la phrase), de l’importance qu’il faut donner au lexique et aux expressions figurées (donc, à la mémorisation), du rapport des mots aux choses (culture), de l’adaptation des lectures à l’âge et aux centres d’intérêt des apprenants (« Surtout ne lisés dans une langue étrangère et que vous voulés apprendre, rien que vous ne comprissiés très facilement s’il était écrit dans la vôtre », p. 28), du passage à l’écriture (aux compositions) une fois uniquement qu’est acquise « l’intelligence de la langue. Et il est évident qu’il faut comprendre ceux qui parlent et qui écrivent, avant que de se mettre soi-même à écrire et à parler » (p. 34), ou encore, le travail exigé de l’apprenant. En définitive : Toute la méthode que j’ai l’honneur de vous proposer, Mademoiselle, se réduit donc à beaucoup lire, à beaucoup écrire, écouter et parler. Vous concevés qu’une societé habituelle où l’on parlerait purement le français, vous serait d’un grand secours, et <?page no="137"?> Éthique professionnelle et disciplinarisation du français langue étrangère 127 seconderait puissament votre maitre, car c’est l’usage qui est le grand maitre, et c’est là que vous le trouverés (p. 36). Conclusion L’institutionnalisation naissante du français entraîne dans son sillage une réflexion des professeurs, où ils cherchent - par différentes voies, pouvons-nous constater - une adaptation de leur matière et de leurs pratiques à cette nouvelle réalité (cadre d’enseignement, public, finalités), même si certains restent attachés à une conception de la langue française élitaire et à un idéal de formation humaniste de plus en plus difficile à faire partager par les nouvelles couches de la population qui accèdent à l’éducation. Ces professeurs ne se limitent pas à reprendre un héritage et de l’habiller sous une forme nouvelle ; deux d’entre eux, même, prennent la parole au sujet de leur métier. Leurs positionnements idéologiques ou leurs convictions, qui débouchent sur une pratique (en classe, mais également en composant des ouvrages), mettent en jeu une éthique professionnelle, qui les conduit à une série d’engagements personnels, divers. Meidinger, d’un côté, conforte le rôle de la grammaire tout en changeant les pratiques traditionnelles d’assimilation pour le public des écoles de citoyens ; mais, de l’autre, en limitant le vocabulaire à apprendre et en simplifiant la langue à des phrases toutes simples, sa ‘méthode’ gagne sûrement en efficacité et stimule l’apprenant qui voit rapidement ses progrès. Laveaux, qui adapte ses manuels aux différents publics, rassemble une méthode pratique (niveau débutants) avec une vision de langue classique et élitaire (niveau supérieur). Daulnoye continue de partager une vision totalement classique du métier de professeur de français. De Villiers, dont le positionnement comprend explicitement une composante socio-politique (par ses références à la ‘confrérie’ des grammairiens), propose une pratique didactique alternative aux manières de faire de l’époque, qu’il étaye de solides arguments scientifiques. Ils veulent tous, à leur façon, améliorer l’état des choses et répondre aux nouveaux contextes où leur métier doit s’exercer, métier qui n’est pas seulement leur gagne-pain : leur engagement nous montre qu’il constitue en grande partie leur raison d’être. <?page no="138"?> 128 Javier Suso López Bibliographie Sources premières Barthélémy, Louis (1788) : La cantatrice grammairienne, ou l’art d’apprendre l’Orthographe françoise seul, sans le secours d’un maître, parle moyen de chansons érotiques, pastorales, villageoises, anacréontiques, etc. Genève, et se trouve à Lyon, chez Joseph-Sulpice Grabit. Chantreau, Pierre Nicolas (1781) : Arte de hablar bien francés . Madrid : De Sancha. Galmace, Antonio de (1748) : Llave nueva y universal para aprender con brevedad, y perfección la Lengua Francesa . Madrid : Imprenta del Reino. Girard, Gabriel (1747) : Les vrais principes de la langue françoise ou La parole réduite en méthode conformément aux lois de l’usage . Paris : Chez Le Breton. 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Marie-Christine Kok Escalle 1 L’Alliance Française pour la propagation de la langue française, dans les colonies françaises et à l’étranger, a été fondée à Paris en 1883 (le 21 juillet) par Paul Cambon, avec pour premier secrétaire général, Pierre Foncin (ses statuts datent de 1884 et elle est reconnue d’utilité publique en 1886). Son nom a été calqué sur celui de l’Alliance israélite universelle, association créée en 1860 à Paris par des Juifs de France pour développer par la langue française l’émancipation des Juifs du bassin méditerranéen. 1 1895 Création du Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam Dès la fondation de l’Alliance Française, dans ces années ’80 du XIX e siècle, des Néerlandais sont devenus membres de l’Alliance Française de Paris ; les premiers membres seront nommés délégués pour leur ville. Ainsi, C.A. Hofman, directeur d’école primaire supérieure à La Haye, le premier adhérent, est nommé délégué pour La Haye 2 dès 1884, ensuite M. Baale est nommé délégué pour Amsterdam en 1886 3 , puis Anton Gerard van Hamel 4 le sera pour Groningue et 1 ICON, Université d’Utrecht ; M.C.J.Kok-Escalle@uu.nl. 2 « La Haye. - Adhérent : M. Hofman, directeur d’école primaire supérieure » Bulletin de l’Alliance Française BAF 2 , décembre 1884, 13. 3 « M.L.M. Baale (53, P. C. Hoofstraat), professeur de français a adhéré à l’Alliance. Il est le directeur d’une savante revue bibliographique, la Taalstudie, destinée à rendre en Hollande le goût des langues étrangères et notamment du français. Nos éditeurs auraient grand intérêt à y faire connaître leurs publications nouvelles. [...] M. Baale [...] est professeur de français dans une école secondaire, membre de la commission d’examen pour les diplômes de professeur, et ancien membre du Consistoire de l’église wallonne » BAF 8-9, novembre 1885-janvier 1886, 8-9 ; « Amsterdam. M. L.M. Baale (53, PC Hooftstraat) professeur de français, directeur de la Revue Taalstudie, a bien voulu accepter la fonction de délégué de l’alliance française » ( BAF 10, 1 mars 1886, 59). 4 « Groningue. - M. van Hamel, professeur de littérature française à la Faculté des Lettres de l’Université veut bien être notre délégué dans cette ville » ( BAF 10, 1 mars 1886, 59). En 1880, van Hamel habite alors à Paris et suit les cours de Gaston Paris à l’École pratique des Hautes Études, ceux de Paul Meyer à l’École des Chartes, et ceux d’Arsène Darmesteter à la <?page no="144"?> 134 Marie-Christine Kok Escalle Louis Bresson pour Rotterdam (Cohen 1913-1914, 15) ; il y a neuf adhérents en 1887, dont le Marquis de Montclar, consul général de France à Amsterdam qui adhère à l’automne 1886. Considérés comme délégués par Paris, ils pouvaient organiser des activités dans le pays et recruter de nouveaux membres. C’est ce qu’ils firent en organisant des conférences sur la littérature française. Les premiers Comités se sont officiellement constitués en 1890 à La Haye (comptant 132 adhérents en 1891 et presque 500 en 1908, avec une chute notoire du nombre des membres autour de 1900), en 1893 à Rotterdam (avec 343 membres) ; le Comité de Groningue est créé en 1894 sous le nom de « Comité du Nord des Pays-Bas », accueillant dès le départ 60 membres et en comptant 150 un an plus tard. Leeuwarden, Arnhem, Utrecht connaissent des comités d’Alliance Française avant que celui d’Amsterdam ne soit fondé en 1895. La constitution du Comité d’Amsterdam et son inauguration sont relatées dans le Bulletin : Le Comité d’Amsterdam vient d’être définitivement constitué grâce à M. Baale, notre délégué. Nous adressons toutes nos félicitations à ce vaillant pionnier de l’Alliance française dans la capitale du pays si sympathique à la France. - M. le professeur Van Hamel a inauguré ce nouveau Comité le 26 janvier par une très belle conférence. L’éloge du savant et éloquent professeur n’est plus à faire. Après l’allocation de M. Van Hamel, M. Georges Rodenbach a pris la parole. Il a parlé sur l’Ame flamande et la Littérature flamande . Puis il a donné lecture de son drame Le Voile qui, n’étant pas encore imprimé, avait le charme de l’inédit. Nos félicitations sincères aux organisateurs de ce Comité nouveau et de ces belles conférences ( BAF 53, janv-fév 1895, 79). Le Bulletin suivant donne des précisions, informant en détail sur la composition du comité dont le président d’honneur n’est autre que le Consul général de France à Amsterdam et dont beaucoup de membres sont professeurs, mais aussi sur les activités que sont les conférences : Amsterdam. Voici la composition du Comité récemment formé : Pr. D’h. : M. Auguste Jacquot, consul général de France ; Pr. : M. Allard Pierson, professeur à l’Université ; V.-pr. : MM. C-D Le Lorrain, président de la Chambre de commerce française ; F. Rode, Sorbonne, lorsqu’il publie son premier article dans de Gids de Février 1880, une recension du livre de Jan Ter Brink sur Zola ; suivront d’autres articles de critique littéraire (sur Victor Hugo, Sully Prudhomme). Premier titulaire d’une chaire de philologie française dans une université néerlandaise (Groningue, 1884) il est considéré comme le fondateur de l’Alliance Française en Hollande. Sa leçon inaugurale à l’université de Groningue « la chaire de français dans une université néerlandaise » (septembre 1884) et son discours sur « l’âme française », prononcé en tant que Rector magnificus ont l’ambition d’être plus qu’un discours académique et d’avoir une portée politique et sociale. Pour plus d’information, voir la nécrologie de van Hamel par van Hall et Salverda de Grave dans la revue De Gids 1907. <?page no="145"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 135 professeur à l’École de commerce ; et Armand Sassen, directeur de la Caisse d’Épargne postale ; Secr. : M. H.-C.-P. Dirks, directeur de l’École de commerce et professeur à l’école normale d’instituteurs ; Secr. : Melle VeenValk ; Trés. : M. A. Fernen, ancien inspecteur primaire aux Indes néerlandaises ; Memb. : MM. De Block, consul général de Turquie ; S. Debry et F. -E. Pouget, pasteurs de l’Église wallonne ; M.-G. van Leghem, homme de lettres ; A.-G. -C. de Vries et Melle F.-S. Spengler, professeur au lycée de jeunes filles ; Dél. Secr. Gén. : M. L.-M. Baale. [...] La série de conférences, ouverte par le poète Georges Rodenbach, a été continuée par M. Rougnon, qui a parlé de Victor Hugo poète épique et humanitaire, et a été fort applaudi. [...] Le 18 mars dernier, M. Charles Fuster, de Paris, a fait une conférence qui a eu un plein succès. Le 8 avril, M. van Hamel en a fait une à son tour sur la Langue parlée et la langue des poètes. L’éloge de l’orateur n’est plus à faire. 500 personnes environ sont venues témoigner leur sympathie à l’éminent professeur. Après un entr’acte, M. van Hamel a lu le petit drame de Maeterlinck, intitulé l’ Intérieur . Toutes nos félicitations à MM Fuster et van Hamel qui ont bien voulu mettre leur éloquente parole au service de l’œuvre de l’Alliance française ( BAF 54, mars-avril 1895, 113-114). Le lien avec l’église wallonne est mentionné dès le départ, tant aux Pays-Bas qu’à Paris (via le BAF ) : « Les écoles wallonnes d’Amsterdam (auxquelles l’Alliance française n’a jamais accordé que des subventions en livres) continuent à être en grand progrès » ( BAF 54, 1995, 114) ; la progression de l’Alliance Française est aussi mise au service de l’enseignement en français à Amsterdam, comme on peut le lire dans le BAF : « Dans la Hollande septentrionale, le comité d’Amsterdam avec ses 336 adhérents, grâce à M. Baale, est toujours très prospère. Il a fondé une école du dimanche pour les enfants wallons » ( BAF 63, 1 er janvier-15 mars 1897, 27), école dont l’effectif augmente rapidement : « Amsterdam. [...] 70 élèves de la section wallonne des écoles du dimanche » ( BAF 70, 15 juillet 1898, 126). Quelques années plus tard, le BAF 95 du 15 janvier 1904, 14 souligne la bonne santé de cette école en français : « Hollande, Amsterdam. L’école du Dimanche, dirigée par M.M. Elisée Pouget et Etienne Girau, pasteurs de l’église wallonne contribue avec efficacité à la propagation de notre langue. Elle compte 170 élèves. En outre, un cours d’adultes a été institué ». Écoles du dimanche et écoles tout court, en français, semblent donc se renforcer comme le précise le BAF 89 du 15 juillet 1902 ([19 e année], 7-8, 25 Hollande) : Amsterdam. « Les écoles françaises d’Amsterdam comptent, à l’heure actuelle, 160 élèves divisés en cinq classes. Dans les deux classes inférieures, nos institutrices enseignent du français par la méthode naturelle ; dans les deux classes moyennes, la leçon a lieu en français avec des traductions orales fréquentes ; dans la classe supérieure, la leçon donnée par deux Français qui ne savent pas <?page no="146"?> 136 Marie-Christine Kok Escalle le hollandais, est faite exclusivement en français. Les résultats obtenus jusqu’à maintenant donnent toute satisfaction. » Dans ces années du début du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam, le BAF mentionne très régulièrement les progrès en nombre de membres et le succès des conférences. 2 1899-1908 Influence de l’Affaire Dreyfus En l’espace de 10 ans, 14 comités ont été formés et la croissance de l’Alliance Française des Pays-Bas est manifeste jusqu’à ce que l’Affaire Dreyfus et la publication de J’accuse par Zola en janvier 1898 mobilise les Néerlandais contre la France, sa langue et son image. La condamnation de Zola provoque au sein de l’Alliance, des mouvements d’opposition à la France. Dès le 27 février 1898, de Laigue, le consul de France à Rotterdam, mentionne la proposition des comités de l’Alliance Française en Hollande « de se détacher du comité central de Paris » et de prendre « le nom de Société des Amis de la Langue Française », pour cause d’indignation suscitée par les réactions françaises à la condamnation de Zola. Le consul de France à Amsterdam, Jacquot, lui, y voit « pensée secrète de quelques huguenots militants » et « suicide », lui qui a pris soin de faire entrer au comité d’Amsterdam - de façon à neutraliser les intolérances - trois membres catholiques et « des Juifs de marque », sans doute pour faire contrepoids aux nombreux francophones issus de l’Église wallonne. Le professeur van Hamel, Chevalier de la Légion d’Honneur, Officier de l’Instruction Publique, président du comité de Groningue et de l’Alliance Française des Pays-Bas est selon Jacquot, responsable de la proposition de scission. Jacquot y voit l’expression d’« un vieux levain protestant » hostile à l’alliance du sabre et du goupillon, et des « suggestions venues de certains milieux parisiens ». Il n’y aura pas sécession mais de nombreux membres de l’Alliance Française donneront leur démission, ce que l’Ambassadeur ou Ministre de France aux Pays-Bas, Bihourd, déplore (26 septembre 1899, Archives diplomatiques, MAE). Gustave Cohen 5 l’explique comme « le contrecoup que l’ Affaire a eu en Hollande, où l’immense majorité de la population avait franchement adhéré à la cause de la révision ». 5 Gustave Cohen est le premier titulaire de la chaire de Langue et Littérature françaises à l’Université d’Amsterdam, créée en 1912. En 1919, il la quittera pour aller à l’Université de Strasbourg, redevenue française. En mai 1930, il publie dans la revue de La Haye De Haagsche maandblad un article « een maison de France in Amsterdam », programme pour ce qui sera la Maison Descartes, créée dans un bâtiment du Museumplein, 11 à Amsterdam en octobre 1933 et inaugurée par la princesse Juliana, future Reine des Pays-Bas. Ce bâtiment est abandonné en 1971 au profit de l’Hospice wallon situé au Vijzelgracht 2, acheté en 1966 par l’État pour y héberger la Maison Descartes jusqu’à la vente de celui-ci en 2016. <?page no="147"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 137 Certains comités disparaissent en effet, puis réapparaissent quelques années plus tard. Cohen parle de « courbe ascendante jusque vers 1899, descendante à partir de ce moment, mais de nouveau ascendante depuis 1908 à peu près » (Cohen 1914, 15). Le comité d’Amsterdam compte 170 membres en 1913 (Cohen 1914, 17) et se maintient à côté du Cercle français de l’université fondé par des élèves de Gustave Cohen pour « des leçons synthétiques suivies de discussions sur les principaux problèmes de l’histoire de la littérature française » (Cohen 1914, 18). Cohen précise que les membres engagés dans les comités, que ce soient les présidents ou les secrétaires ne sont pas des « Français résidant aux Pays-Bas », mais bien des Hollandais dont la moitié sont des professeurs de français qui « prennent sur leurs maigres loisirs le temps d’organiser ces fêtes de la pensée française et veillent à ne pas laisser l’idée française s’endormir autour d’eux » (Cohen 1914, 19). Cohen s’inscrit dans la ligne des congrès de la langue française organisés en Belgique en 1905, 1909 et 1913 qui affirment rechercher un « réveil des énergies françaises », face à la concurrence des autres langues, et il loue en le citant (Cohen 1914, 22) Paul Hazard (1913, 20-21) dans son discours sur la langue française qui lui vaudra le prix d’éloquence 1912 de l’Académie française : « parce que l’idée même de l’hégémonie intellectuelle a disparu, a disparu l’hégémonie de notre langue... elle ne prétend plus asservir les autres en despote ; mais elle peut prendre place à côté des autres en amie : et par là, se voir encore universellement adoptée. Elle s’impose moins : mais on la demande davantage ». À la veille de la Première Guerre mondiale, Gustave Cohen, actant proéminent de la diffusion du français aux Pays-Bas, exprime donc avec un siècle d’avance, une position étonnamment contemporaine face à la francophonie aujourd’hui où le français est vu comme « une langue en partage » et une langue en contexte plurilingue. Mais, présentant la situation du français aux Pays-Bas, il souligne que depuis 1912, le français est représenté dans quatre universités (un professeur à Groningue depuis 1986, un lecteur à Leyde, un professeur à Amsterdam depuis 1912, un privat-docent à Utrecht), et ce qu’il trouve « un fait remarquable, probablement unique [c’est] que presque toutes les villes de Hollande possèdent un groupe d’Alliance française ou une institution analogue dans le but d’organiser chaque hiver plusieurs conférences. » On peut pourtant se demander si Amsterdam ne fait pas bande à part car le Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam ne semble pas être partie prenante de la réunion présentée dans le BAF comme l’assemblée des différents Comités de l’Alliance Française aux Pays-Bas, qui s’est tenue à Utrecht le 11 juin 1911, sous la présidence de J.J. Salverda de Grave, professeur à l’Université de Groningue (Cohen n’est pas encore nommé à l’université d’Amsterdam et la seule chaire est celle de Groningue). <?page no="148"?> 138 Marie-Christine Kok Escalle Il y avait 12 délégués représentant les Comités de Almelo, Assen, Breda, Deventer, Dordrecht, Groningue, La Haye, Leyde, Nimègue, Rotterdam, Utrecht et les comités de Haarlem et Maestricht de l’Association française, et donc pas Amsterdam. L’assemblée a décidé la constitution d’un Comité général des conférences françaises en Hollande composé de trois membres qui répartiront les fonctions entre eux. Pour la première fois, les Comités d’Utrecht, Rotterdam et Leyde désigneront chacun un délégué et chaque année il y aura un membre sortant qui sera remplacé à tour de rôle par un nouveau membre d’un des autres Comités. Ce Comité général se chargera de la correspondance avec les différents comités et avec les conférenciers, de manière à ce qu’il puisse organiser des tournées pour les conférenciers et pour les différentes villes. M. O Genouy, président de notre Comité d’Utrecht a bien voulu assumer provisoirement les fonctions de secrétaire ( BAF 125, 15 juillet 1911, 262-263). Il est intéressant de noter que cette même année 1911 voit naitre l’association des professeurs de langues vivantes, association encore aujourd’hui très active et utile pour la formation continue des enseignants de langues, en didactique. 3 1914-1919 Mise en sourdine La période de la Première Guerre mondiale voit les comités de l’Alliance Française de Hollande hiverner d’une certaine manière, en tout cas sur le plan des activités culturelles. Si le contact est maintenu avec l’Alliance de Paris c’est plutôt pour des raisons politiques, d’un côté la voix de la France qui se profile comme victime, d’un autre côté la voix des Néerlandais francophiles qui justifient la neutralité dans laquelle se trouve leur pays. Dès le 1 er novembre 1914, le Bulletin de l’Alliance française qui émane de Paris, va, durant la guerre, paraître tous les quinze jours et à partir du numéro 3 (décembre 1914) le Bulletin paraît dans diverses langues, en allemand, anglais, néerlandais, espagnol, italien, portugais, grec, danois, norvégien et suédois. Il y a donc une édition néerlandaise dès décembre 1914 (numéro 3). La publication en est ainsi justifiée par le président de l’Alliance Française, « Au milieu de la douloureuse épreuve que traverse la France, l’ Alliance française a le devoir de maintenir étroitement serré le lien qui l’unit à ses Comités et à ses adhérents à l’étranger » ( BAF 1 er novembre 1914, 1, lettre de Jules Gauthier). Dès le premier Bulletin de guerre en néerlandais (3, décembre 1914), on voit s’opposer l’humanité et l’inhumanité qui cohabitent chez les actants de la guerre. À la rubrique « comment les Allemands font la guerre » ( Bulletin de guerre 3, 1914, 7-11), on réfère à la presse néerlandaise qui souligne la bestialité de certains comportements individuels, alors que des correspondances manifestent justement la grande humanité de certains soldats dont on loue le courage. Ainsi : <?page no="149"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 139 Le Temps, 22 octobre. Le correspondant du journal hollandais Tijd fait le récit suivant : Parmi quelques blessés français, trois Anglais, sérieusement atteints, étaient couchés sur la paille. Leur état semblait excessivement grave. On me dit qu’ils n’avaient pas eu à manger depuis cinq jours. Devant la porte ouverte, se tenaient deux ou trois cents soldats allemands, les uns légèrement blessés et pouvant encore marcher, les autres hommes de corvée venus pour servir la soupe. Et ces trois cents hommes insultaient ces trois malheureux Anglais blessés, qui n’avaient rien mangé et gisaient sans défense sur de la paille sale dans un wagon à bestiaux. On leur montrait les gamelles pleines de soupe chaude, tout en leur criant : ‘vous voulez manger, cochons, ces choux ? on vous tuera ! on vous tuera ! C’est tout ce que vous aurez ! C’est tout ce que vous aurez ! ’ Mais les actes d’humanité ne manquent pas. Depuis deux mois et demi que dure la guerre, les soldats des deux armées ont appris à s’estimer. Un professeur français actuellement en convalescence, écrivait récemment à un ami : ‘Au front, on est à l’abri de la haine ; il y a parité de sort des deux côtés et une espèce de confraternité assez étonnante. Les histoires de blessés français bien traités par les Allemands sont innombrables.’ La correspondance d’un officier allemand, faisant campagne près de Noyon, correspondance publiée par le journal de Gênes, le Lavoro , renferme ces lignes : ‘Les Français se battent comme des lions. Comme ils sont très loyaux, nous traitons les prisonniers français avec beaucoup d’égards et d’attentions’. La question de la neutralité néerlandaise fait l’objet de discussion et les francophiles francophones néerlandais tentent de la justifier. À la rubrique Correspondance de ce même premier Bulletin de guerre (1914, 15-16), se trouve une lettre « du Secrétaire d’un de nos Comités de Hollande » qui tente de dissiper un malentendu « je dois vous écrire pour réfuter une accusation grave, portée contre mon pays [...] à Paris on est très mal disposé contre la Hollande, parce que l’on croit que nous avons permis aux troupes allemandes de passer notre frontière au commencement de la guerre » (15). Et de donner la parole aux Néerlandais pour expliquer en néerlandais 6 que la neutralité morale crée des obligations qui dépassent les intérêts matériels ou encore que le respect des valeurs chrétiennes justifierait une défense de toute la nation. 4 1920-1930 Coopération des Comités de l’Alliance Française La période de la Première Guerre mondiale est donc peu favorable aux relations culturelles franco-néerlandaises et la reprise des Comités de l’Alliance Française en Hollande se fera lentement à partir de 1919. Dix ans plus tard, un ouvrage 6 « wat in de neutrale landen wordt gezegd » (1914, 1, 43 Holland.) ; « De publieke opinie in Nederland » (1914, 1, 109-112). <?page no="150"?> 140 Marie-Christine Kok Escalle rétrospectif sur la décennie écoulée et dont l’introduction est rédigée par le président du Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam G.L. de Vries Feyens, fait l’éloge de l’Alliance Française de Hollande dont les membres passent de 1661 en 1920 à 5180 en 1930 : Dix années de culture française en Hollande 6 juin 1920-1930 Alliance Française, avec comme sous titre une phrase de Paul Fort : « La France court l’espace, court l’éternité ». Et l’auteur, président du Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam s’explique : La période inaugurée par cette mémorable réunion du 6 juin 1920 a été fructueuse pour la pensée française en Hollande. Une grande cérémonie marquait l’ouverture de cette saison : l’apposition d’une plaque commémorative dans la façade de la maison où René Descartes a habité à Amsterdam en 1634. Dans une belle réunion, au grand auditoire de l’université, M. René Doumic de l’Académie française, flanqué par MM. Mendes Da Costa, recteur de l’Université d’Amsterdam et Gustave Cohen alors professeur à Strasbourg, a pu développer les idées de Descartes dont la clarté et la précision se rattachent avec tant d’évidence aux grandes qualités de l’esprit français ( Dix années ... 1930, 13). <?page no="151"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 141 Après l’armistice du 11 novembre 1918, les Français résidant en Hollande ont en effet peu à peu rétabli le contact avec l’Alliance Française de Paris, surtout à l’initiative de Gustave Cohen ; et des conférenciers viennent dès 1919, à la suite de Gaston Rageot « délégué en titre de l’Alliance française, colombe de paix ou messager olympique apportant la promesse d’une renaissance latine dans notre pays » ; si Paul Fort « a trouvé un accueil enthousiaste dans toutes les villes où il a passé », les premiers conférenciers « parlaient devant des auditoires très peu nombreux et [...] à chaque conférence il fallait faire un effort pour éviter à l’hôte du jour le triste spectacle des bancs vides » ( Dix années ... 1930, 9). D’après de Vries Feyens, président du Comité d’Amsterdam, « les douze comités de l’Alliance Française existant alors en Hollande ne se connaissaient pas » et c’est au ministre de France à La Haye, Charles Benoist qui « a vu tous les inconvénients de cette incohérence [...] et s’est souvenu de l’Union d’Utrecht » que l’on doit « la coopération fructueuse » mise en place le 6 juin 1920, une « collaboration entre les différents comités de l’Alliance Française en Hollande et un Bureau chargé d’organiser des tournées de conférences et de présenter un programme pour la saison à venir » ( Dix années ... 1930, 10). Le président de l’Alliance Française d’Amsterdam souligne par ailleurs la difficulté rencontrée par le Ministre de France pour convaincre les bonnes volontés de se rassembler car « le patriotisme local en Hollande accepte difficilement une direction unique. C’est une vieille tradition républicaine du 16 e et du 17 e siècle qui travaille encore dans les arrières petits fils des familles régentes qui ont fait la grandeur de nos villes de commerce » ( Dix années ... 1930, 10). Il souscrit à la Mission civilisatrice de la France, « idée [à laquelle] se rattache l’œuvre de l’Alliance Française », précisant que la Hollande, pays d’une ancienne civilisation, ne demande qu’à entretenir les liens d’amitiés qu’ont contractés les ancêtres, à se réchauffer au grand cœur de la France, qui sait verser le bien-être dans les régions du nord un peu froides et d’esprit par trop austère. Ceux qui travaillent à l’Alliance Française le font dans un véritable esprit national, inspirés par le désir que le flambeau de la civilisation et de la latinité, que la France n’a cessé de porter à travers le monde, continue à illuminer la Hollande ( Dix années ... 1930, 19). Les activités du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam pendant cette décennie 1920-1930, répertoriées dans ce recueil, sont d’abord une dizaine de conférences par saison, à majorité littéraire (gens de lettres comme Henry Bordeaux, Lucie Delarue Mardrus ou Paul Valéry ; hommes de science comme Jean Calmette pour le centenaire de la naissance de Pasteur, historiens ou historiens de l’art avec Émile Sorel, Louis Madelin, Louis Gillet, Daniel Halévy, Louis Hourticq). S’y ajoutent des pièces de théâtre, des concerts et festival de <?page no="152"?> 142 Marie-Christine Kok Escalle musique française, des soirées de danse et de chansons françaises, enfin des cours de littérature française en 1922, 23, 24, 26, donnés tant par des Français (Etienne Guilhou ou J. Sauveur) que par des Néerlandais ( J. Fransen, W. Timmermans). 5 Dans les années ’30, abondance de conférences à Amsterdam Dans les années trente, les comités de l’Alliance Française en Hollande publient un Bulletin de l’Alliance française en Hollande 7 , mensuel dont nous avons trouvé et consulté à la Koninklijke Bibliotheek, les numéros de 1935 à 1940 ; ce Bulletin ( BAFH ) permet de se faire une idée de l’activité des comités néerlandais de l’Alliance, et du comité d’Amsterdam en particulier. On y trouve en effet le programme pour chaque saison, le programme des conférences - il y en a souvent plusieurs par mois, des cérémonies commémoratives, des soirées artistiques, des représentations théâtrales. Et en fin de saison, une rétrospective des activités. Les conférenciers qui font l’objet d’une présentation assez étendue dans chaque Bulletin , sont invités par les comités de l’Alliance Française de Hollande, sur proposition de l’Alliance Française de Paris qui organise le voyage et le séjour de ces personnes, en interaction avec Amsterdam. On parle de ‘tournée’, lors desquelles les conférenciers offrent souvent plusieurs sujets qu’ils présentent dans une demi-douzaine de villes du pays. Le Bulletin est d’une certaine façon entre les mains du Comité d’Amsterdam puisque le rédacteur en est G.L. de Vries Feyens, président du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam, assisté de E.J. Korthals Altes, le secrétaire du comité d’Amsterdam (460 Heerengracht) et père de Frits (Frederik), homme politique, ministre de la justice de 1982 à 1989 et président du Sénat de 1997 à 2001. Dans l’éloge des conférenciers ou des personnes décédées (il y a régulièrement des chroniques nécrologiques de personnalités françaises qui ont fait des tournées aux Pays-Bas), le rédacteur souligne leur lien avec la Hollande et le succès remporté auprès de leurs auditoires, comme on peut le lire dans les quelques exemples qui suivent. La saison 1935-1936 s’ouvre avec la conférence de Paul Vitry, conservateur du Louvre, sur Jean Goujon. Son succès a été tel « que l’Administrateur de la Maison Descartes 8 a prié M. Vitry à donner sa deuxième conférence dans les 7 Le Bulletin du 1 er octobre 1923 est consultable en ligne sur Gallica <http: / / gallica.bnf. fr/ ark: / 12148/ bpt6k931690s? rk=21459; 2> (consulté le 14 juillet 2017). En outre certains numéros de 1923 à 1940 sont disponibles à la B.N.F. en Rez de jardin. 8 La Maison Descartes, Institut français créé à l’initiative de Gustave Cohen, avec le soutien de Jean Marx, directeur des œuvres françaises et du ministre de Hollande à Paris, <?page no="153"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 143 salons de son admirable institution où il a parlé devant un auditoire attentif et ravi » ( Bulletin de l’Alliance Française en Hollande mai 1936, 3). Maurice Garçon, annoncé pour novembre 1935, avec une conférence sur le thème de l’avocat à la Cour d’Assises « connait la Hollande depuis sa première jeunesse quand il y accompagna son père, le professeur de droit pénal, qui avait de nombreuses relations dans le monde universitaire de notre pays » ( BAFH novembre 1935, 3). Tant les hommes que les sujets sont reliés au contexte néerlandais. Ainsi, Pierre Lyautey, qui en décembre 1935 parle de au Maroc sous les ordres du Maréchal Lyautey (son oncle), « a retrouvé dans l’œuvre de son oncle les traces des principes dont se sont toujours inspirés les Hollandais aux Indes », à savoir qu’il « n’imposait pas [mais] pacifiait » ( BAFH mai 1936, 5). Avec pour sujet le Pèlerinage de Saint Jacques de Compostelle, jadis et naguère, avec des projections lumineuses en janvier 1936, André Mabille de Poncheville est présenté comme poète et pèlerin, disciple de Barrès ; or, « il a voulu établir un lien entre la Flandre et les Latins » ( BAFH janvier 1936, 2). Le mois suivant, en février 1936, Augustin Fliche, doyen de la Faculté des Lettres de Montpellier, historien et connu pour son catholicisme fervent traite de Montpellier au 17e et au 18e siècle . Jean Albert Sorel parle en mars des Navigateurs-explorateurs français du 15e et du 16e siècle . Si la saison a bien commencé, elle se termine en « apothéose » quand en avril 1936 le comte Guy de Pourtalès, historien de la musique et romancier offre avec la pianiste Magda Tagliafero, une soirée Franz Liszt : « une soirée exquise » ( BAFH avril 1936, 2), « Cette soirée de clôture, se terminant par la Tarantella de Venezia e Napoli, d’une saison déjà chargée de succès a été une apothéose que nous devons à la bienveillance et à l’empressement de l’éminent conférencier et de l’incomparable artiste » ( BAFH mai 1936, 8). À bien regarder la liste des conférenciers, on peut se demander si les personnalités invitées sont politiquement marquées à droite car dans les portraits des conférenciers, il est fait souvent référence à Barrès : Lyautey dont Barrès fait l’éloge pour Le drame oriental couronné par l’Académie française en 1923 ( BAFH décembre 1935, 2), Poncheville, Thibaudet. Et la liste des sujets renvoie plus au nationalisme, semble-t-il qu’à l’internationalisme ; la force que représentent les intellectuels rassemblés dans le Comité de Vigilance des intellectuels antifascistes créé en 1934 semble peu présente. Loudon est pensée comme un centre culturel français aux Pays-Bas, le pendant du Pavillon néerlandais de la Cité Universitaire Internationale de Paris (Boulevard Jourdan), avec pour fonction d’accueillir les artistes, hommes de sciences et écrivains (artistes en résidence) afin de développer les échanges entre Néerlandais et Français dans tous les domaines de l’art, des sciences et des techniques. <?page no="154"?> 144 Marie-Christine Kok Escalle 6 Langue et culture / Culture et langue-: rapports avec la Maison Descartes Théâtre, poésie, littérature romanesque, musique, beaux-arts ou géographie, les thèmes des conférences sont variés et traitent de beaucoup d’aspects de la culture française ; ils renvoient parfois à l’actualité, coloniale ou à celle des commémorations. L’intérêt pour la langue française est manifeste, dans son rapport avec la culture en particulier, mais avec la création de la Maison Descartes en 1933, les objectifs du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam se voient soumis à une concurrence partielle par cette nouvelle institution. Les quatre années qui précèdent l’Occupation des Pays-Bas par les troupes allemandes voient une grande activité culturelle au sein du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam. La « soirée de poésie [donnée par Madame Dussane et Madame Berthe Bovy] est devenue le grand événement de la saison [...] une soirée délicieuse » peut-on lire ( BAFH mai 1936, 6-7). La saison 1936-1937 accueille des conférenciers et des sujets fort divers. Ainsi, André Demaison divulgue les secrets de la vie africaine le 16 octobre 1936. Les thèmes d’actualité sont à l’affiche avec « l’Exposition de 1937 » par Henry Asselin le 17 novembre 1936 ou avec Descartes qui a donné son nom à la nouvelle Maison représentant la France à Amsterdam : « Le 2 décembre 1936, le Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam a organisé une commémoration du Discours de la Méthode [...] M. Albert Rivaud n’a pu se rendre qu’à Amsterdam, la ville cartésienne par excellence que l’auteur du Discours a tant admirée » ( BAFH juin 1937, 7). Le 26 janvier 1937, Joseph Canteloube illustre le folklore français et quelques jours plus tard, le 3 février, ce sont des projections de photos sur l’Afrique romaine par Eugène Albertini professeur au Collège de France ; Robert Garric présente François Mauriac le 15 février 1937. Enfin les grands auteurs sont à l’honneur avec, le 19 mars, Arthur Rimbaud présenté par Marie Jeanne Durry, de l’Université de Caen, puis « Marcel Proust tel que je l’ai connu » par la Princesse Bibesco le 13 avril 1937. Pour la saison 1937-1938, les célébrités sont à l’affiche et se succèdent à un rythme très soutenu puisque tous les quinze jours il y a une offre de « culture française » faite par le comité de l’Alliance Française d’Amsterdam. Paul Hazard professeur au Collège de France depuis 1925, futur académicien et auteur réputé de La crise de la conscience européenne 1680-1715 présente le cinquantenaire du symbolisme, le 15 octobre 1937, puis Louis Hourticq, professeur à l’École des Beaux- Arts parle de l’École de Barbizon le 30 octobre 1937, Bernard Frank de « Sous la grand’voile » le 10 janvier 1938, Daniel Halévy traite de Gambetta le 15 février 1938, et le géographe Raoul Blanchard (12 mars 1938) professeur à l’université de Grenoble, présente les Préalpes, du Vercors au Chablais ( BAFH mars 1938, 17). <?page no="155"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 145 La langue française est vue comme une partie de la culture avec André Therive et sa conférence sur « la langue française comme élément de culture », le 11 avril 1938 ( BAFH mars 1938, 17). Mais aussi, et le rédacteur en est très fier, l’Alliance Française de Hollande accueille pour la première fois un président de l’Alliance Française. Georges Duhamel, nouveau président de l’Alliance Française depuis 1937 s’est en effet rendu en Hollande à l’automne, invité par l’université d’Amsterdam qui l’a nommé docteur honoris causa, à l’occasion du tricentenaire de la naissance de Vondel ( BAFH janvier 1938, 3). Il fait pour le comité de l’Alliance Française d’Amsterdam le 8 octobre 1938 une conférence sur « Quelques secrets de la langue française ». En outre, une attention particulière est portée au théâtre en langue française, tant pour les adultes que pour les jeunes. Ainsi, les visites de troupes de comédiens permettent aux comités, en particulier à celui d’Amsterdam, d’organiser des représentations de théâtre classique français auxquelles sont invités les élèves des classes supérieures des écoles secondaires et lycées « complément de l’enseignement du français dans les classes » ( BAFH mai 1936, 8). Dans le Bulletin , on trouve d’autres rubriques avec les expositions, les Chroniques littéraires et dramatiques. Et avec les Informations pratiques on peut connaître le montant de la cotisation annuelle qui est en 1935 de 25 florins pour les donateurs, de six florins pour les adhérents, de quatre florins pour les étudiants et tous ceux qui sont attachés à l’enseignement. En 1939 et 1940 les activités du Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam se poursuivent, malgré la menace de guerre qui devient réalité. En mai 1939, le Bulletin indique que « l’Alliance Française aux Pays-Bas a organisé cet hiver 91 conférences, 18 représentations de théâtre, et 12 concerts et soirées artistiques » ( BAFH mai 1939, 1), ce qui représente une forte activité en cette période d’incertitude politique et de menace de guerre. Cette menace est bien présente, à lire le poème de J.B. Besançon, reproduit dans ce BAFH 1939, 156, intitulé « Septembre 1939 » et fort éloquent : « Il le faut, il n’y a pas à dire, / Il faut être esclave ou soldat, / [...] La folie gouverne le monde. [...] Maintenant c’est l’horrible face / De la Mort qui fuit devant nous, [...] ». Mais dans le Bulletin de mai 1940, le constat des activités de l’année écoulée est étonnant puisque 80 conférences ont été organisées. La commémoration de Racine semble avoir occupé le Comité d’Amsterdam dont le président écrit : « l’activité de l’Alliance Française semblait destinée à être suspendue et plusieurs de nos comités se préparaient à accepter la fatalité d’un sommeil prolongé. Les événements se sont déroulés d’une façon tout à fait inattendue et nous avons eu une fort belle saison » ( BAFH mai 1940, 245). Quelques semaines avant l’invasion, le Comte de la Varende disserte sur « Le Pays d’Ouche, terre inconnue » ... On croit rêver ! <?page no="156"?> 146 Marie-Christine Kok Escalle À la lecture des Bulletins on peut noter une collaboration entre le comité de l’Alliance Française d’Amsterdam et la Maison Descartes ; celle-ci accueille par exemple des élèves de Gustave Cohen, « la petite troupe d’élèves de la Sorbonne » venue jouer Rutebeuf, Villon, Le Bossu en soirées théâtrales. Étienne Guilhou qui, tout en étant professeur à l’Université d’Amsterdam comme l’était Cohen, est Directeur de la Maison Descartes, fait régulièrement des conférences dans les comités de l’Alliance Française de Hollande et pas seulement pour le comité d’Amsterdam. Dans cette période de l’immédiat avant-guerre, une attention spéciale est portée aux cinq ans de la Maison Descartes, son premier « lustre », qui sera fêté avec un peu de retard le 27 février 1939 « en présence de hautes personnalités françaises et néerlandaises » (Cohen 1939, 224). Le BAFH d’avril 1939 <?page no="157"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 147 lui consacre cinq pages que complète, sur deux pages, la liste des conférences données à la Maison Descartes, de Paul Hazard à Henri Hauser. La Maison Descartes y est présentée comme « un foyer d’élite, il ne s’agit pas d’y faire des conférences populaires à la portée de tout le monde, [...] et les sujets ne peuvent qu’intéresser les spécialistes » ( BAFH avril 1939, 2). Le président du Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam, rédacteur de cet article, n’hésite pas à poser les éléments du débat, à illustrer une question qui nous occupe aujourd’hui encore dans les relations concernant la France aux Pays-Bas : on reproche parfois à la France de vouloir imposer sa culture, de travailler à ce qu’on appelle d’un vilain nom la pénétration pacifique. [...] Une culture étrangère ne s’impose pas. [...] L’élite des Pays-Bas accueille avec son sens critique tout ce que la France peut lui apporter dans les divers ordres de l’esprit, elle rejette certaines idées, elle en applique d’autres qui sont conformes aux siennes, mais avant tout elle reste bien néerlandaise, elle tient à son indépendance, à ses conceptions nationales. Ce qui nous attire vers la France c’est l’intelligence, l’ordonnance de la pensée [...] Le besoin de voir clair, la probité scientifique ont été de tout temps parmi les plus nobles aspirations des savants de ce pays et c’est par là que s’explique cet échange fécond d’idées entre les Pays-Bas et la France si solidement enraciné dans notre histoire. A travers la Maison Descartes se prolonge une tradition plusieurs fois séculaire et la route de Paris à Amsterdam reste toujours la route de l’intelligence. [...] ( BAFH avril 1939, 3). Dans l’article de la Revue des Deux Mondes (1 er mars 1939) que Gustave Cohen consacre au bilan des cinq premières années de la Maison Descartes, l’éloge de la Maison de France à Amsterdam est dithyrambique et méprisante pour l’Alliance Française : « véritable foyer de rayonnement de notre pensée [car] invitant les maitres de la science française [...] Il y a là comme une encyclopédie parlée de la science française où le speaker était souvent un des maîtres et un des découvreurs de la discipline qu’il exposait. Nous voilà loin du temps, que j’ai encore connu jadis, où les comités d’Alliance Française réclamaient surtout un conférencier bon diseur et capable au besoin d’égayer son exposé par des chansonnettes » (Cohen 1939, 229-230). La Maison de la France qui s’occupe de philosophie, science et art, et qui en cinq ans a « presque entièrement réalisé » l’immense programme « qui s’offrait à notre Institut d’Amsterdam » ( ibidem , 228), fait concurrence au comité de l’Alliance Française d’Amsterdam et la concurrence s’amplifiera lorsque les deux institutions se donneront pour tâche l’enseignement de la langue française, dans l’après-guerre 9 . 9 Sur l’évolution du rapport langue/ culture dans les institutions d’enseignement du français langue étrangère aux Pays-Bas, voir Kok Escalle 1999. <?page no="158"?> 148 Marie-Christine Kok Escalle 7 Après la guerre, priorité donnée à l’enseignement de la langue Si pendant la guerre, les comités de l’Alliance Française de Hollande ont été dissous sur l’ordre de l’occupant, après 1945, les activités reprennent à Amsterdam sous la présidence d’E. J. Korthals Altes. La collaboration s’intensifia avec la Société « Nederland-Frankrijk » 10 qui à Amsterdam fit programme commun avec l’Alliance Française. L’annonce de l’événement ci-dessous renvoie peutêtre à l’année 1947 (qui compte un mercredi 16 avril). Et dans les années ’60, la collaboration se poursuit, donnant visibilité et offrant un public de qualité à l’Alliance Française d’Amsterdam. Les activités se diversifièrent, faisant place aux films, à l’organisation d’expositions (1955, la vie de Baudelaire), mais aussi à des cours de langue qui dès le milieu des années ’50 complétaient les activités culturelles. Or, à Amsterdam, des cours sont organisés à la Maison Descartes et le conseiller culturel, responsable du service culturel de l’ambassade de France, installé dans les locaux de 10 Cette société a été créée à l’initiative de J.J. Salverda de Grave le 12 mars 1916 à Amsterdam, vue la nécessité due à la guerre, de rétablir un équilibre entre l’influence allemande et l’influence française sur les sciences et l’art. C’est un acte non de haine mais d’autodéfense nationale (Salverda de Grave1917, 81, 354-364). Un an plus tard naîtra le comité d’Utrecht. <?page no="159"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 149 la Maison Descartes depuis 1946, souhaite coordonner les cours de langue de l’Institut Français (Maison Descartes) et de l’Alliance Française d’Amsterdam. Dans les années ’60, les tentatives d’intégration, encouragées par les autorités françaises ministérielles et locales, n’aboutissent pas, l’Alliance Française de Hollande voulant conserver son autonomie et se profiler à sa façon. Les discussions sont en effet vives au sein de l’Alliance Française de Hollande 11 . De nouveaux statuts sont adoptés lors de l’Assemblée générale de 1969, avec pour objectifs, l’organisation des cours puis celle de conférences. La tendance qui se précise est peut-être favorable aux comités du pays qui y voient une source de développement et de génération de revenus, mais elle ne l’est pas pour le Comité d’Amsterdam, étant données les activités d’enseignement que développait l’Institut Français Maison Descartes. Dans les années ’70, les comités néerlandais sont incités à organiser des cours, sinon des centres de cours, et après de longues discussions et à l’initiative de W. Werner, président du comité central de l’Alliance Française de Hollande, l’assemblée générale de 1975 fait de l’enseignement de la langue française, l’occupation principale des comités. Les activités culturelles qui étaient l’objectif premier des comités depuis la création de l’Alliance Française des Pays-Bas en 11 L’Alliance Française de Hollande conserve son appellation jusqu’à ce que, lors de l’Assemblée générale de 1981, le nom d’Alliance Française des Pays-Bas soit adopté. <?page no="160"?> 150 Marie-Christine Kok Escalle 1888, deviennent un prolongement des cours, un lieu de pratique linguistique et de stimulation des études, un complément. Les cours de l’Alliance s’adressent désormais aux jeunes et aux adultes, visant une éducation permanente plutôt que le maintien d’un certain élitisme qui a longtemps été une réalité. Pour le Comité de l’Alliance Française d’Amsterdam, il s’agit de se profiler dans des activités différentes de celles de la Maison Descartes et en particulier dans les activités artistiques comme les soirées de chanson française au caféthéâtre « De Suikerhof ». Le festival annuel de chansons, organisé à Amsterdam en 1981-82, donna naissance en 1984 au premier concours de la chanson française sous le nom de Concours Charles Trénet, initié par une chanteuse professionnelle Henriëtte Tukkers qui deviendra présidente du Comité d’Amsterdam en 1987- 1988. Ce concours de la chanson française pour amateurs et semi-professionnels qui se tenait au théâtre De Kleine Comedie à Amsterdam est devenu le « Concours de la chanson Alliance Française des Pays-Bas » et se tint pour la 33 e fois en 2017, au théâtre Diligentia à La Haye. Dans la liste des Comités citée dans le livre publié à l’occasion du centenaire de l’Alliance Française des Pays-Bas, en 1988 (p. 61), le bureau du comité d’Amsterdam est composé ainsi : « Présidente : Madame H. Tukkers ; Secrétaire et Trésorière Madame J. van Duffelen ; Membre Monsieur M. Engelberts ». Et la seule activité indiquée dans la liste pour l’année, est une conférence de Claude Duneton en novembre 1988. Le comité touche en effet à sa fin. Avec le départ de Madame Tukkers qui quitte Amsterdam en 1988 pour l’Est du pays, le Comité va se dissoudre et disparaitre tacitement. En 1991, le magazine En Route fondé par Hetty Hurkmans-Vermeulen et qui se fait le porte parole de l’Alliance Française parle des 37 comités de l’Alliance Française des Pays-Bas dont la liste ne comprend plus Amsterdam. Amsterdam s’est trouvé une nouvelle fonction avec l’accueil d’un Délégué général de l’Alliance Française, Marcel Taillefer, envoyé par Paris en 1989 ; celui-ci travaille à l’image de l’Alliance Française et a confectionné un « dossier-programme, antenne de la culture française » ( En Route , 25, sept-oct 1991, 24). « L’Institut Français à Amsterdam a fermé ses portes au public. Le Service de Coopération et d’action Culturelle de l’Ambassade de France aux Pays-Bas (SCAC) poursuit ses actions de coopération » peut-on lire aujourd’hui sur le site web de l’Institut Français des Pays-Bas (institutfrancais.nl). En effet, la fermeture, le 30 juin 2016, de la Maison Descartes signifie que les activités linguistiques (cours de français pour un millier d’élèves) et culturelles (conférences, débats, expositions artistiques, colloques ou journées d’étude) qui se tenaient sous l’égide de l’Institut français des Pays-Bas, ont cessé à la Maison Descartes, bâtiment vendu en 2017. Les enseignants de français qui travaillaient pour le centre de cours de l’Institut français et ont ainsi perdu leur emploi, ont aussitôt <?page no="161"?> Regard sur l’histoire du comité de l’Alliance Française d’Amsterdam 1895-... 151 créé de nouveaux lieux d’enseignement du français à Amsterdam, avec l’École de français, le Studio Lingua et l’École wallonne, par exemple, qui fonctionnent depuis l’été / l’automne 2016. Si les activités d’enseignement de la Maison Descartes ont finalement porté préjudice au Comité de l’Alliance française d’Amsterdam jusqu’à le faire disparaître, la suppression des cours et la fermeture de la Maison Descartes a pour pendant, la renaissance d’un comité de l’Alliance Française à Amsterdam, que les autorités françaises ont appelé de leurs vœux. Il y a presque 30 ans lorsque la Fédération Alliance Française des Pays-Bas célébrait son centenaire en 1988, elle comptait 38 Comités. En 2017, les 33 Comités de l’Alliance Française des Pays-Bas existant en voient naitre un 34 e , avec le nouveau comité d’Amsterdam dont la tâche est d’enseigner la langue, un marché que l’on se partage aisément entre différents acteurs. L’idéal de médiation et de transfert culturel des comités d’Alliance Française d’antan a fait place au commerce linguistique. Bibliographie Bulletin de l’Alliance Française (BAF) depuis le numéro 1, Paris, 1884. Bulletin de guerre (BAF) 1914-1919, en néerlandais, Imprimerie de Vaugirard, 13 impasse Romain, Parijs. Bulletin de l’Alliance Française en Hollande (BAFH) 1923-1940, van Munster’s Uitgever Maatschappij Amsterdam. 1888 Centenaire 1988 [Rédaction F. Eijkhout, J.J. Faucher, G. van Leeuwen], Alliance Française des Pays-Bas, Keizersgracht 708, 1017 EW Amsterdam. Cohen, Gustave (1914) : « La langue française en Hollande », dans : Congrès international pour l’extension et la culture de la langue française, 3e session. Gand 11-14 septembre 1913 . Paris : Éd. Édouard Champion, 1-22. [Section de Propagande, A. Le français dans le monde]. (1 er congrès à Bruxelles en 1905, 2 e à Arlon-Luxembourg-Trèves les 20-23 septembre 1908). Cohen, Gustave (1939) : « La Maison Descartes à Amsterdam. Essais et Notices. », Revue des deux mondes mars 1939, 224-230. Dix années de culture française en Hollande 6 juin 1920-1930 . Amsterdam : Alliance Française 1930. En Route (1985 - ) Hall, Jacob Nicolaas van, Jean-Jacques Salverda de Grave : « Anton Gerard van Hamel (1842-1907) », De Gids 1907, Jaargang 71, p. I-X [entre 192 et 193]. Hazard, Paul (1913) : Discours sur la langue française . Prix d’éloquence 1912, Académie française. Paris : Hachette. Kok Escalle, Marie-Christine (1999) : « Du culturel dans l’enseignement du français aux Pays-Bas », dans : Abry, Dominique / Bouchard, Robert (éd) : L’apport des centres de français langue étrangère à la didactique des langues . Grenoble : Presses Universitaires de Grenoble, 47-55. <?page no="162"?> 152 Marie-Christine Kok Escalle Salverda de Grave, Jean-Jacques (1917) : « waarom het Genootschap ‘Nederland Frankrijk’ isopgericht », De Gids 81, 354-364. <?page no="163"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies-? Regards sur Le congrès intercolonial de l’enseignement dans les colonies et dans les pays d’Outre-mer tenu à l’occasion de l’Exposition coloniale de 1931 Gérard Vigner L’Exposition coloniale internationale et des pays d’outre-mer qui se tint à Paris du 6 mai au 15 novembre 1931 n’a guère laissé de trace dans l’imaginaire collectif des Français, si ce n’est, comme trace matérielle, le bâtiment de l’actuel Musée de l’Histoire de l’Immigration, autrefois Musée des Colonies, et destiné dans la suite de cette exposition, à entretenir l’image d’un empire auquel les Français n’étaient que médiocrement attachés 1 . Le maréchal Lyautey, ancien Résident général au Maroc, grande figure de la colonisation, fut nommé Commissaire général de l’Exposition, à charge pour lui de donner à l’événement tout l’éclat souhaité. Si un certain nombre de travaux ont été consacrés à l’évènement proprement dit, en revanche la tenue du Congrès L’Adaptation de l’enseignement dans les colonies, 25 au 27 septembre 1931, organisé dans le cadre de l’Exposition, n’a que faiblement attiré l’attention des chercheurs 2 alors que cette exposition fut aussi l’occasion, le fait est suffisamment rare pour être noté, d’organiser pour la seule fois dans l’histoire de la colonisation française un congrès consacré aux questions de l’instruction des enfants indigènes et corrélativement à la place et à la forme de l’enseignement du français 3 . 1 Tout au plus peut-on signaler le roman L’Exposition coloniale, d’Erik Orsenna, prix Goncourt 1988, mais qui n’aborde qu’à la marge le thème de l’Exposition. 2 On citera cependant les travaux de l’historien Charles-Robert Ageron (1990, 2005) ainsi que l’ouvrage spécifiquement consacré à l’exposition de Catherine Hoder et Michel Pierre (1991). 3 Les travaux du congrès ont été repris dans l’ouvrage L’Adaptation de l’enseignement dans les colonies - Rapports et compte rendus du Congrès international de l’Enseignement dans les Colonies et les pays d’Outre-mer (cf. Congrès intercolonial de l’enseignement dans les colonies et les pays d’Outre-mer (éd.) (1932)). <?page no="164"?> 154 Gérard Vigner Couverture du Guide officiel de l’Exposition coloniale internationale, éd. Mayeux, Paris 1931 <?page no="165"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 155 Compte tenu du mode particulier de gestion de l’espace colonial qui relevait de l’autorité de trois ministères différents, le ministère des Affaires étrangères pour la Tunisie, le Maroc et les territoires du Levant, le ministère de l’Intérieur pour l’Algérie - territoire rattaché à la France depuis 1848 -, le ministère des Colonies pour tous les autres territoires, nous nous poserons la question de savoir si le congrès était en mesure de proposer une doctrine pour un enseignement qui jusqu’alors n’avait jamais fait l’objet d’une réflexion d’ensemble. Ce congrès a-t-il marqué une étape dans une réflexion déjà entamée depuis au moins un demi-siècle, quand se constitue ce que l’on a appelé le « deuxième empire colonial » 4 ? 1 Un empire déjà fragilisé 1931 est le moment de la plus grande extension de l’empire colonial français. Il s’étend sur plus de 12 millions de km2 et abrite un peu plus de 100 millions d’habitants. Au Maroc, rattaché à l’empire par la signature du traité francomarocain de Fès, du 30 mars 1912, il convient d’ajouter, juste après la fin de la Première Guerre mondiale, les territoires placés sous mandat de la Société des Nations en 1919, la Syrie et le Liban pour les pays du Levant, gérés par le ministère des Affaires étrangères et le Cameroun et le Togo pour l’Afrique noire, par le ministère des Colonies. Hormis le quotidien « L’Humanité » organe du Parti communiste français qui titre dans son numéro du 7 mai 1931 « Tandis qu’en Annam le sang coule... La foire de Vincennes a été ouverte par le discours impérialiste de Paul Reynaud », ainsi que l’hebdomadaire satirique « Le Canard Enchaîné», hostile à l’entreprise, toute la presse, conservatrice comme celle de gauche, ne cesse de louer la grandeur de cette « plus grande France de cent millions d’habitants » pour reprendre une expression en usage à l’époque. L’Echo de Paris, du même jour titre ainsi : « L’inauguration de l’exposition coloniale - La cérémonie s’est déroulée sous un soleil radieux » avec en manchette « Lyautey ou le sens de la grandeur ». De même, Le Figaro qui à la même date titre plus sobrement « Le Président de la République a inauguré l’Exposition coloniale. ‹ Notre avenir est outre-mer › déclare le Maréchal Lyautey ». Le Populaire, quotidien socialiste, Léon Blum en étant le directeur politique, commence plus prudemment par un éditorial intitulé : « Moins de fêtes et de discours. Plus d’intelligence humaine » tandis que l’inauguration proprement dite est présentée de façon plus ambiguë 4 L’expression désigne ce second mouvement de colonisation qui prend la succession du « Premier empire colonial » construit sous l’Ancien Régime et dont le Congrès de Vienne, en 1815, ne laissa subsister que quelques territoires, les Antilles, les comptoirs du Sénégal et l’île de la Réunion. <?page no="166"?> 156 Gérard Vigner sous le titre : « Monsieur Doumergue a inauguré militairement l’exposition au son du canon ». Un ensemble de vaste étendue, présent dans toute les parties du monde, ce qui ne peut que flatter l’orgueil national des Français, mais dont on ne veut pas entendre les premières montées de protestations, ainsi que la demande partout reprise de s’émanciper de la tutelle coloniale : actions conduites par la société secrète VVS à Madagascar dès 1916 ; troubles en Indochine avec la mutinerie de Yên Bài organisée par le Parti nationaliste vietnamien (VNQDD) le 10 février 1930, violemment réprimée et les prises de position du leader communiste Ho Chi Minh, ou encore les incidents du 1er mai 1931 à Saïgon ; création en Algérie de La Société des Oulémas musulmans algériens , par Abdelhamid Ben Badis, fondatrice du nationalisme algérien, au moment même où la France célèbre en grande pompe le centenaire de sa présence en Algérie ; la terrible guerre du Rif au Maroc, conduite par Abd-el-Krim qui met en péril le système colonial espagnol et menace des villes comme Fès et Oujda dans le Maroc français ; révoltes de tribus berbères dans le Tafilalet et l’Anti-Atlas, qui ne seront réduites que dans le début des années 30. A cette longue liste de troubles et d’agitations diverses, on doit ajouter le concert de protestations en provenance des différents territoires, pensons à l’ouvrage d’André Gide, Voyage au Congo (1927) , dans lequel il stigmatisait l’action des entreprises concessionnaires au Congo, ou encore au reportage d’Albert Londres Terre d’ébène (1929) , dans lequel était dénoncée la condition des noirs victimes du travail forcé. Une exposition en trompe-l’œil, à la gloire d’une entreprise déjà menacée. 2 Congrès, expositions universelles et expositions coloniales C’est dans un tel contexte que se tient le congrès qui nous intéresse ici. Il était d’usage courant, à l’occasion des expositions universelles ou des expositions coloniales, d’organiser des congrès qui permettaient de rassembler toutes sortes de spécialistes ou d’acteurs économiques pour traiter d’une question considérée à ce moment-là comme importante. Et l’Exposition coloniale de 1931 ne déroge pas à la règle avec plus de 200 congrès, 700 séances et que seront publiés plus de 3000 rapports. Mais c’est la première fois qu’un congrès est consacré à la question de l’enseignement dans les colonies, le fait mérite d’être relevé. L’intitulé du congrès ne doit rien au hasard, et fait directement écho à la circulaire du 10 octobre 1920 signée d’Albert Sarraut (cf. Ministère des Colonies 1920), à l’époque ministre des Colonies, intitulée« Circulaire ministérielle au <?page no="167"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 157 sujet du développement de l’éducation indigène », 5 adressée à l’ensemble des Gouverneurs généraux des colonies et aux commissaires de la République du Cameroun et du Togo. Texte relativement long qui associe une réflexion sur la mise en valeur des colonies au développement de l’instruction : L’instruction a d’abord pour effet d’améliorer largement la valeur de la production coloniale, en multipliant dans la foule des travailleurs coloniaux la qualité des intelligences et le nombre des capacités ; elle doit, en outre, parmi la masse laborieuse dégager et dresser les élites d’auxiliaires qui (...) suppléeront à l’insuffisance numérique des Européens. Ce qui conduit Albert Sarraut à insister un peu plus loin, remarque significative, sur : « l’utilité économique de l’instruction ». Mais il rappelle surtout la nécessité : [...] d’organiser partout, dans le domaine placé sous votre autorité, la diffusion de l’enseignement, en adaptant, dans chaque colonie, au caractère des besoins locaux comme aux mentalités des races différentes, la variété des programmes et de méthodes pédagogiques dont une application identique et uniforme en tout lieu est une lourde erreur condamnée par l’expérience [...]. Instructions qui s’inscrivent tout à la fois dans une vision différentialiste largement répandue à l’époque, soucieuse de tenir compte de l’inégal développement des races, terme régulièrement en usage en ces temps-là pour désigner des populations supposées partager des formes de civilisation communes, et de promouvoir une formation qui ne saurait en aucun cas revêtir les formes de l’éducation européenne. Albert Sarraut, c’est un fait constant, ne manqua cependant jamais d’accorder une grande attention aux questions de l’éducation auprès des populations indigènes. Ainsi en Indochine, en 1917, il réorganisa les structures scolaires et les politiques éducatives, élaborées jusque-là de façon particulièrement empirique, au gré des contraintes de situation. Et il publia à cet effet le Règlement Général de l’Instruction publique , vaste texte cadre qui organisait l’ensemble des services et actions de formation sur l’ensemble de 5 Albert Sarraut (1872-1962), occupa une place importante dans l’univers politique français. Membre influent du Part radical, il exerça de nombreuses fonctions ministérielles, dont celle de ministre des Colonies de janvier 1920 à juillet 1924 et de juin 1932 à septembre 1933. Il fut auparavant deux fois Gouverneur général de l’Indochine de novembre 1911 à janvier 1914 et de janvier 1917 à mai 1919. Singulièrement attaché à l’entreprise coloniale, il publia deux ouvrages sur la question : La Mise en valeur des colonies françaises (cf. Sarraut 1923) et Grandeur et servitude coloniale (cf. Sarraut 1931). A ces différents titres, on peut considérer qu’Albert Sarraut, dans les années 20, constitue une figure majeure ce que l’on a appelé le « Parti colonial ». Voir notamment Lagana (1990). <?page no="168"?> 158 Gérard Vigner l’Indochine. 6 Par ailleurs, dans cette même circulaire, il annonce la création d’un poste d’inspecteur-conseil destiné, dans le cadre du ministère des Colonies, à coordonner l’action du ministère et celle du ministère de l’Instruction publique, poste qui sera attribué à Paul Crouzet (voir infra). Albert Charton, spécialiste de l’enseignement en Afrique noire, prendra sa succession en 1936. 3 La place de la langue française dans les politiques de colonisation Une politique de la langue française s’est-elle installée d’emblée dans l’espace colonial français ? On se gardera de toute illusion rétrospective en la matière. Certes le français a progressivement gagné du terrain et en 1931 sa position est infiniment plus solide qu’elle ne l’était au début du siècle. Mais dans les premiers temps, l’installation de rudiments d’école fut le fait de missions religieuses pour lesquelles la visée d’évangélisation l’emportait sur tout autre considération, le relais pris par les écoles publiques, peu nombreuses et ne scolarisant qu’un nombre limité d’élèves, vectrices beaucoup plus assuré d’un enseignement du français, assuré par des maîtres rémunérés par le gouvernement local, ne le fut que bien plus tard. Ce que l’on a appelé le « parti colonial », incarné à son origine par des hommes tels qu’Eugène Etienne, député d’Oran (1844-1921) et Auguste d’Arenberg (1837-1924) 7 , n’était d’ailleurs que faiblement intéressé par les questions de développement de la scolarisation dans les colonies. Les préoccupations portaient d’abord sur les problèmes de « mise en valeur » des territoires. Les questions qui se sont très vite posées étaient de savoir si oui ou non il fallait scolariser les enfants indigènes, et si oui, dans quelles perspectives (enseignement analogue à celui de la métropole ou enseignement de base à visée pratique) et dans ces conditions quelle place il convenait d’accorder à l’enseignement de la langue française. Les choix ne se firent pas toujours au profit d’un enseignement exclusif en français. En Indochine par exemple, les partisans d’un enseignement partiel ou entier du quoc-ngu 8 obtinrent souvent satisfaction et les hésitations des autorités françaises sur la place du malgache dans les écoles de Madagascar furent significatives à cet égard. Louis Machuel maintint l’enseignement de l’arabe en Tunisie et l’enseignement de cette langue disposait encore d’une place, limitée certes, dans les programmes des écoles indigènes d’Algérie 9 . Nombreux débats, nombreuses incertitudes qui doivent 6 Pour une présentation, voir Bezançon (2002). 7 Sur les grandes figures du « parti colonial », voir d’Andurain (2008) et Lagana (1990). 8 Procédé d’écriture en alphabet romanisé de la langue vietnamienne. 9 Pour une présentation de ces programmes et de leur contexte d’élaboration, voir Vigner (2015). <?page no="169"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 159 relativiser l’affirmation selon laquelle : « dans le dernier quart du 19e siècle, la diffusion de la langue nationale à l’ensemble des indigènes a fait l’objet d’un large consensus politique et pédagogique » (Goheinex-Polanski 2013). Ainsi Louis Salaün (1847-1914), chef de bureau au ministère des Colonies et auteur de l’article « Colonies » dans le Nouveau dictionnaire de pédagogie et d’instruction primaire publié sous la direction de Ferdinand Buisson (1911, rééd.) ne manqua pas de déclarer : L’enseignement primaire [qui doit être constitué le plus fortement au milieu des populations d’ordinaire assez arriérées] a pour première question à résoudre celle du langage. L’emploi exclusif de la langue française ne sera possible aux colonies que là où les langues indigènes d’une valeur trop médiocre pour se défendre. Dans tous les autres cas, la langue française pourra être juxtaposée comme dans tous les établissements de l’Inde et dans les diverses écoles musulmanes, ou simplement superposées, comme en Indochine, où elle constitue la langue savante, et par conséquent disparaît des programmes de l’enseignement primaire. (p. 314) Il est significatif à cet égard que Paul Crouzet (1924) dans son article publié dans la Revue universitaire et intitulé « L’Enseignement dans les colonies françaises depuis la guerre », n’ait fait nulle allusion à la question du français, mettant plutôt l’accent sur l’effort de scolarisation entrepris en reconnaissance de la contribution des colonies à la victoire de 1918 : D’un côté la participation des colonies à la victoire nous obligeait à développer les bienfaits de l’instruction pour ceux qui avaient combattu dans nos rangs, et d’un autre côté, la situation économique depuis la guerre nous imposait de plus en plus la mise en valeur des colonies, laquelle devait trouver une aide indispensable dans une instruction plus étendue et toujours mieux appropriée. (p. 3) Nous sommes ainsi loin de la vision messianique d’une Alliance Française « collaboratrice de l’État français aux colonies », dans sa première mission, telle que l’exprimait Victor Duruy dès 1885 : Si l’épée soumet les corps, si la charrue enrichit les peuples, c’est le livre qui conquiert des âmes. Derrière chaque régiment il faut un instituteur, auprès de chaque fort une école pour préparer : à nos négociants des agents qui puissent les aider, à notre administration des interprètes qui servent de lien entre elle et les indigènes, à nos troupes des éclaireurs qui assurent leur marche en pénétrant devant elle dans le pays ennemi... Quand les indigènes apprennent notre langue, ce sont nos idées de justice qui entrent peu à peu dans leurs esprits ; ce sont des marchés qui s’ouvrent à notre industrie ; c’est la civilisation qui arrive et qui transforme la barbarie. (cité par Froidevaux 1900, 20) <?page no="170"?> 160 Gérard Vigner Les grands élans civilisateurs laissaient place à une approche plus pragmatique de la langue française, dans la diversité de ses usages et de ses fonctions. 4 Assimilation ou association En fait, ce débat sur les formes à donner à l’enseignement du français s’inscrivait dans la continuité d’une interrogation de plus vaste portée (à laquelle la circulaire d’Albert Sarraut faisait d’ailleurs écho) qui, dans la fin du XIXe siècle opposa partisans de l’assimilation à ceux qui préconisaient de s’en tenir à une simple politique d’association, notamment à l’occasion de deux congrès tenus en 1889 et 1890 10 . On observera que ce débat portait d’abord sur les colonies d’Afrique du nord, Tunisie et Algérie (même si les statuts juridiques dans leur relation à la métropole sont très différents), suite notamment à la politique de rattachement administratif conduite en Algérie. A l’assimilation que certains considéraient comme problématique, c’est à dire enseigner le français comme il pouvait l’être en métropole, on opposa un principe plus vague, celui d’association (assimilation d’un degré inférieur pour reprendre les propos de certains). Les figures antithétiques de pédagogues tels Irénée Carré et Louis Machuel quelque part incarnaient ces différences de choix. La problématique de l’association dans les colonies, à laquelle les radicaux dont A. Sarraut, étaient particulièrement attachés, trouve dès ce moment-là son origine et montre combien la question de l’enseignement du français était loin de faire l’unanimité et que même s’il était rituellement rappelé que la France relevait d’une civilisation supérieure dans laquelle elle avait le devoir de faire pénétrer les populations indigènes, le choix des conditions d’accès étaient loin d’avoir été clairement définies. La justification de l’entreprise coloniale, qui entrait pour bonne partie en contradiction avec les valeurs de la IIIe République naissante, s’organisa autour de trois grands thèmes, le premier lié à « la mission civilisatrice de la France » exposée plus particulièrement par Jules Ferry dans son discours à Chambre du 28 juillet 1885 11 ; le deuxième que l’on retrouve fréquemment dans l’expression de « conquête morale » 12 , expression couramment en usage à l’époque pour 10 Pour une restitution des débats, on se reportera à l’article de Noriyuki Nishiyama (2011). 11 « Messieurs, il y a un second point, un second ordre d’idées que je dois également aborder, le plus rapidement possible, croyez-le bien : c’est le côté humanitaire et civilisateur de la question. Messieurs, il faut parler plus haut et plus vrai ! Il faut dire ouvertement qu’en effet les races supérieures ont un droit vis-à-vis des races inférieures […]. Je répète qu’il y a pour les races supérieures un droit, parce qu’il y a un devoir pour elles. Elles ont le devoir de civiliser les races inférieures. » ( Journal officiel de la République française, 29 juillet 1885, p. 1668.) 12 Voir l’ouvrage de Georges Hardy (1917), premier directeur de l’enseignement en AOF. <?page no="171"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 161 justifier une domination non plus fondée sur la force ou la violence, mais sur le caractère intrinsèquement supérieur de la langue et de la culture françaises, bénéfices dont il ne saurait être question de priver les populations indigènes. Enfin, dernière thématique, celle de « mise en valeur », particulièrement promue par le parti colonial, les colonies devant apporter de la sorte leur contribution au développement économique de la métropole. De fait, l’école indigène et l’enseignement de la langue française vont s’inscrire en permanence dans ce triple éclairage différemment décliné selon les lieux et les époques. 5 Le Congrès de l’Alliance Française L’Alliance Française (l’AF) avait coutume de faire coïncider, quand cela se révélait possible, son congrès annuel avec la tenue d’une exposition coloniale. Ainsi, lors de l’Exposition coloniale de Marseille de 1922 l’AF organise sa rencontre sur le thème « Notre langue dans le bassin méditerranée ». Nul intitulé spécifique en revanche pour le congrès de 1931, qui se tient du 15 au 22 juillet, à une date distincte de celle de la tenue du congrès portant sur l’adaptation de l’enseignement dans les colonies qui se tiendra du 25 au 27 septembre. Les deux événements ne sauraient se confondre. Un lieu commun, l’exposition de Vincennes, mais un engagement commun ? On pourrait croire que l’AF apporte de la sorte, dans cette revue de la présence française dans le monde, sa contribution à ce vaste panorama de l’action de la France en matière d’enseignement du français, qu’il s’agisse de l’espace colonial ou des zones autres, celles qui sont regroupées sous l’appellation « étranger traditionnel ». Mais à y regarder de plus près, on s’aperçoit que l’AF évite soigneusement d’intervenir sur les territoires relevant de l’espace colonial traditionnel, Afrique du nord, Afrique noire et Océan Indien, Indochine, l’AF signalant de la sorte sa volonté de fait de se dissocier de la politique coloniale française. 6 La Mission Laïque Française La Mission Laïque Française (MLF), créée en 1902, sur des objectifs proches de ceux de l’AF, mais dans une perspective délibérément laïque, s’était après la guerre, détournée de l’espace colonial français, dans un parcours proche de celui de l’AF. Cependant, elle offre appui et accueil à la tenue de ce congrès et le secrétaire général de la Mission, Edmond Besnard, présente durant le congrès l’action de la MLF sous l’intitulé « Rapport sur les établissements de la Mission laïque en Orient ». Long exposé d’une action dont les contours géographiques se situent en dehors de l’espace colonial français à proprement parler. Aucune référence géographique précise, ni à la Syrie, ni au Liban, territoires cependant <?page no="172"?> 162 Gérard Vigner placés sous mandat de la SDN (Société des Nations) ; si ce n’est une brève allusion à l’ouverture du lycée franco-persan de Téhéran en 1928, comme si la MLF en s’en tenant à l’action de formation dans ses seuls établissements scolaires, ne voulait pas s’associer à une politique plus large de diffusion du français en direction des établissements syriens et libanais. En revanche Edmond Besnard développe longuement le thème de l’adaptation par rapport aux programmes, notamment d’histoire, de géographie et de sciences naturelles, mais pour ce qui est du français en situe la place par rapport à la langue du pays : Il résulte qu’une école étrangère se doit de réserver à cette langue [la langue du pays] une place éminente dans son programme d’enseignement, de la mettre à la base même de son système d’éducation et quelque place que, dans la suite des classes, elle doive donner à la langue étrangère dont elle fait la langue véhiculaire, ne jamais négliger une étude qui, plus que toute autre, maintient le contact de l’élève avec son milieu, son passé. (p. 59) Position favorable à un bilinguisme qui ne dit pas ici son nom, mais qui reprend une thématique déjà présente dans la Revue de l’enseignement colonial 13 avant la guerre de 1914, mais dont la réflexion de fait ne porte plus que sur les « écoles françaises de l’étranger ». 7 Paul Crouzet, maître d’œuvre du Congrès Paul Crouzet (1873-1952) va être le maître d’œuvre du congrès. Inspecteur de l’Académie de Paris il a été nommé en 1920 par Albert Sarraut inspecteur-conseil de l’Instruction publique au ministère des Colonies, chargé, comme le prévoit le texte de la circulaire du 10 octobre 1920 14 de la relation entre le ministère des Colonies et celui de l’Instruction publique. Il y restera en fonction jusqu’en 1936 15 . Il y sera chargé notamment de la gestion des dossiers des personnels enseignants. Il quittera la fonction quand la création d’une direction du personnel le privera de cette responsabilité. Il poursuivra une carrière d’inspecteur général de l’Instruction publique et publiera de nombreux ouvrages pédagogiques pour l’enseignement secondaire, consacrés notamment à l’enseignement du grec et du latin. 13 Revue créée par la Mission laïque qui porte cet intitulé de 1904 à 1907 pour devenir Bulletin de la Mission laïque française jusqu’en 1919, devenue Revue de l’enseignement français hors de France , ainsi dénommée jusqu’en janvier 1940. L’évolution des intitulés est à la mesure de la distance prise par la MLF à l’égard de l’enseignement dans les colonies. 14 Mais existait déjà un poste de directeur des Services de l’enseignement, ce qui confirme l’intérêt que le ministère accordait à cette partie de son action. 15 Sur sa biographie, voir Guy Caplat (1997). <?page no="173"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 163 Différentes réunions préparatoires furent tenues sous sa responsabilité, ce qui atteste le pouvoir d’initiative du ministère des Colonies en la matière. Un comité d’organisation est officiellement constitué le 16 juin 1931 qui comprend des responsables à des degrés divers des services d’éducation dans les colonies. Paul Crouzet présidera l’ensemble des séances du congrès. Dans le même temps, à quelques journées près, le 28 et le 29 septembre, se tient encore le Congrès de l’enseignement colonial en France, symétrique du premier, qui rassemble les écoles supérieures qui en France engagent des programmes de recherche et forment un personnel approprié, tel l’exposé se rapportant à « L’Enseignement colonial à l’École libre des Sciences politiques » présenté par René Seydoux, mais encore des responsables de l’enseignement primaire et secondaire en France qui se plaignent de la très faible place accordée dans les programmes français à l’enseignement du fait colonial (voir Le Figaro , 29 et 30 septembre 1931). Le ministre en titre, Mario Roustan, se fait représenter par son chef de cabinet, Henri Gauthier, qui préside la première séance et que Paul Crouzet salue par des remerciements convenus. Absence qui dénote l’intérêt limité manifesté par le ministère de l’Instruction publique en direction de l’action d’enseignement dans les colonies, au-delà de la simple mise à disposition de personnels d’enseignement volontaires pour un départ dans les colonies. D’ailleurs, le soin jaloux mis par les gouverneurs généraux des colonies à gérer directement « leur école », avec ses programmes propres, ses différents cursus, son mode de formation des personnels peut aussi expliquer cette indifférence, au moins de façade. Font l’objet d’un rapport les territoires suivants, sous l’intitulé « Colonies et mandats français » : États du Levant, Guyane, Maroc, Togo, AOF, Madagascar, Nouvelle-Calédonie, La Réunion, Guadeloupe, Établissements français d’Océanie, Tunisie, Inde française, La Martinique, Algérie, Cameroun, Indochine, Côte des Somalies, dans lesquels sont aussi mêlées, ce que l’on appelait les « vieilles colonies » - Martinique, Guadeloupe, Réunion, Guyane, Inde française, Saint- Pierre-et-Miquelon - rétrocédées à France par l’Angleterre (traité de Paris de 1814) et les « nouvelles » colonies, pour l’essentiel conquises après 1870. Comme nations représentées figurent aussi le Portugal, les États-Unis, la Belgique, les Pays-Bas, la Malaisie et le Danemark avec le Groenland. Les rapporteurs, pour ce qui est de la France, sont tous des enseignants ou des responsables éducatifs exerçant ou ayant exercé dans les colonies. Il semble que les personnes retenues l’aient été en fait parce qu’elles étaient soit en congé statutaire en métropole, ou parce qu’elles étaient depuis en poste en France (ce qui était ainsi le cas du rapporteur pour l’Algérie, M. de Paemalaere, inspecteur primaire de la Seine et ancien inspecteur primaire en Algérie), pour de la sorte n’occasionner que le minimum de frais de déplacements. Aucun personnel <?page no="174"?> 164 Gérard Vigner d’encadrement indigène n’est ici présent, alors même que le nombre d’enseignants indigènes est à ce moment-là dans nombre de colonies bien supérieur à celui des enseignants métropolitains. 8 Langue française et langues indigènes La question qui revient souvent chez les congressistes est de savoir si l’enseignement du français est profitable à tous les publics d’élèves, notamment à ceux du monde rural qui n’auront pas ou peu de contacts dans la suite de leur vie avec des locuteurs du français. Dans la plupart des cas, Indochine exceptée, le rapporteur ne reprend cette question que pour argumenter dans un sens opposé, celui de la plus large diffusion possible de la langue française. André Davesne, rapporteur pour l’AOF, dans l’annexe à son rapport consacre un long développement à la question de l’enseignement en langues indigènes dans l’Afrique noire, dans lequel il oppose les arguments en faveur de l’enseignement en langue française à ceux préconisant un enseignement en langue indigène. Bien évidemment, il va longuement soutenir les arguments favorables à un enseignement en langue française 16 . Mais il est bien obligé de rapporter, même pour la réfuter, une argumentation qui commence à se faire jour : L’argument essentiel des partisans de cet enseignement [en langue indigène] est le suivant : dans les écoles, on perd un temps énorme à enseigner le français ; on pourrait même dire que tout le temps de la scolarité (notamment dans les écoles préparatoires et les écoles élémentaires) est consacré à l’enseignement du français, de sorte que l’enfant qui quitte l’école n’a rien appris qui lui soit réellement utile dans la vie, rien qui contribue à améliorer ses conditions d’existence. Il sait tout juste parler un français estropié qu’il ne tardera guère à oublier. Il aurait mieux valu, dès son arrivée à l’école, lui donner dans son dialecte habituel, tous les enseignements pratiques susceptibles de le faire participer dans la mesure du possible aux bienfaits de la civilisation. (p. 104) Argumentation, rapportée pour être condamnée, mais que l’on retrouve aussi chez le rapporteur de l’enseignement à Madagascar, Louis Devaux : Peut-on espérer que Madagascar puisse devenir un pays de langue française ? On peut se demander si ce n’est pas en vain que l’on se donne tant de peine et que l’on consacre un temps aussi long à enseigner la langue française à de jeunes élèves qui, 16 André Davesne (1898-1978), auteur avec Joseph Gouin d’une grande série à succès de manuels de français pour l’Afrique, publiée sous l’intitulé de Mamadou et Bineta (cf. Davesne 1931). <?page no="175"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 165 après avoir quitté l’école, n’auront peut-être plus l’occasion de s’en servir et, par suite, l’oublieront fatalement. (p. 143) Seul le rapporteur de l’enseignement en Indochine, Georges Taboulet, chef du Service de l’Enseignement en Cochinchine, adoptera une position plus nette : J’estime que l’apprentissage du français dans le tout premier âge est un poids mort extrêmement lourd à porter. Je crois que si on fait passer avant tout l’intérêt de l’enfant, si on veut inculquer en peu de temps des connaissances pratiques, des notions utilisables, il faut aller à l’enfant directement en employant la langue que sa mère lui a apprise. Je vous laisse le soin d’imaginer les résultats que donnerait en France l’emploi constant et exclusif de l’anglais, de l’allemand ou de l’italien dans nos écoles primaires ! (p. 306) Au-delà d’une argumentation qui s’appuie sur le fait que l’enfant qui a appris quelques bribes de français : « considère qu’il ne saurait pratiquer le métier de son père sans déchoir, qu’il doit aller à la ville pour y exercer des fonctions pour lesquelles il n’a nullement les aptitudes qu’il croit avoir » (ibid. p. 306) et qui renvoie aussi à la problématique des « déclassés » 17 , G. Taboulet élève le débat d’un point de vue « plus philosophique », pour reprendre les termes de l’auteur : A supposer même que nous ayons les moyens matériels de répandre rapidement et complètement la connaissance de la langue française dans les masses indigènes, la question se poserait de savoir si nous devrions employer ces moyens, si nous avons le droit et le devoir de répandre ainsi notre langue, de chercher à dénationaliser les peuples qui ont uni notre destinée à la nôtre en leur inculquant nos concepts, nos habitudes mentales, tout notre bagage intellectuel et moral à la place du leur. (p. 307) Citations un peu longues, mais qui toutes montrent que loin d’une vision triomphaliste de la diffusion du français dans les colonies, un certain nombre d’acteurs s’interrogent sur le bien-fondé de son enseignement et que l’unanimité sur cette question est loin d’être faite. Seul le rapporteur pour l’Algérie adopte un point de vue différent en insistant sur le fait que le français doit être au centre de l’enseignement : L’instruction des indigènes de l’Algérie doit comprendre avant tout l’enseignement de la langue française ; c’est le point de départ indispensable. A l’école tous les autres enseignements sont subordonnés à celui-là ; après l’école, ce sera la langue française qui facilitera les relations entre français et indigènes, et qui seule rendra possible 17 Georges Hardy, dans son ouvrage consacré à l’école en AOF, n’avait pas manqué d’appeler en effet à la prudence en la matière. Il convient : « d’éviter que l’enseignement des indigènes ne devienne un instrument de perturbation sociale. » (Hardy 1917, 19) <?page no="176"?> 166 Gérard Vigner entre eux le rapprochement que tous désirent. Il est superflu de faire remarquer que l’école primaire n’a pas pour mission d’initier les jeunes indigènes aux beautés de notre langue littéraire, aux richesses de notre langue scientifique, aux spécialités de notre langue industrielle et commerciale, ni même aux exigences savantes de notre grammaire. (p. 20) Propos qui rappellent que l’Algérie, rattachée à la France depuis 1848, et qui dispose d’un réseau dense d’écoles européennes, a mis en place un réseau restreint d’écoles pour enfants indigènes, sans connexions possibles avec les écoles européennes à programmes français 18 . Réseau d’enseignement dual destiné à dispenser une formation minimale, d’ordre pratique, préoccupation qui est d’ailleurs partout attestée, dans une vision d’un enseignement du français centré sur des visées étroitement fonctionnelles. Le rapporteur pour l’Algérie, dans les débats, voudra cependant concéder que l’effort consenti était loin d’être à la hauteur des ambitions : Pour une population d’environ 5 millions d’individus, il y avait en 1929, 60 000 indigènes dans les écoles. Nous n’avons pas scolarisé, il est vrai, tous les enfants indigènes. Il faut avoir eu la charge de créer les écoles en Algérie, il faut avoir eu à lutter contre l’inertie de la population pour savoir combien il est difficile d’amener les enfants à l’école. (p. 297) Les choix de l’Algérie étaient de ce point de vue-là très différents de ceux adoptés en Tunisie ou au Maroc, dans lesquels l’arabe était enseigné, à côté des réseaux d’école de l’Alliance israélite universelle. Certes les publics étaient soigneusement répartis en réseaux scolaires distincts, mais rien qui ne corresponde aux choix d’une Algérie française peu soucieuse en réalité de développer un enseignement en direction des populations indigènes. Les « vieilles colonies » (voir supra) ont fait l’objet de la part des rapporteurs d’un traitement descriptif distinct. On y expose les politiques d’extension du réseau scolaire, une certaine diversification des filières, mais sans que jamais la question de la langue d’enseignement ne soit abordée. L’usage du français semble y aller de soi et nulle allusion à la problématique des créoles n’est à un moment évoqué, à l’image de ce qu’aurait pu être une présentation du réseau scolaire dans un département de métropole. On peut penser que la plus grande ancienneté de l’effort de scolarisation entrepris dans ces colonies, dès le retour de ces territoires dans le giron français, peut expliquer une telle représentation, alors que les habitants, pour une partie beaucoup plus importante que dans les « nouvelles colonies », avaient rang de citoyen français. L’école s’y inscrit dans 18 Pour une présentation de ces programmes, voir Vigner (2015). <?page no="177"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 167 une politique d’assimilation voulue notamment par les populations d’origine européenne. 9 L ’ enseignement des langues dans les autres systèmes coloniaux Lyautey avait rêvé à une Europe réconciliée, après le traumatisme de la Grande Guerre, autour de l’entreprise coloniale. Tous les pays sollicités ne répondirent cependant pas à l’invitation, dont la Grande-Bretagne, à la grande déception de Lyautey, qui en 1924 avait déjà organisé son British Empire Exhibition, à Wembley, et ne percevait guère l’intérêt qu’il y aurait eu pour elle à s’associer à la célébration de l’empire colonial d’une puissance rivale, au moins en ce domaine. D’autres pays répondirent présent et un certain nombre de rapporteurs intervinrent à l’occasion du Congrès, le Portugal, les États-Unis, la Belgique, la Malaisie, les Pays-Bas et le Danemark. L’intérêt de leurs interventions résida dans le fait qu’étaient exposées d’autres politiques en matière du choix des langues à enseigner, choix qui ne manquèrent pas d’interpeller un public français pour lequel l’enseignement de la langue du colonisateur, doit partout s’affirmer, même si les langues indigènes trouver leur place à l’école. Ainsi les déclarations du rapporteur pour le Congo belge (M. Koelman) sont dénuées de toute ambiguïté : Puisque l’enseignement sert à préparer les indigènes à la vie dans leur milieu propre, il est vain d’inculquer à la généralité des élèves la langue européenne. Cette connaissance n’est utile qu’à une élite appelée à devenir les collaborateurs directs de l’européen. Il ne serait pas raisonnable d’imposer cet effort aux artisans indigènes. La langue véhiculaire de l’enseignement sera la langue indigène. Là où pour des raisons d’ordre pratique, il a fallu opter pour une lingua franca, il convient d’en venir aussitôt que possible au dialecte local. (p. 232) Réflexions qui rejoignent les remarques de certains rapporteurs de Madagascar ou d’Indochine, qui doutent de l’intérêt d’enseigner le français à des populations d’élèves dont les modes et les lieux de vie ne leur donneront que peu l’occasion de faire un usage utile de cette langue. Des matériels d’enseignement spécifique seront élaborés à cette fin, plus particulièrement par les missions religieuses auxquelles seront déléguées l’essentiel des actions de formation. Le rapporteur belge ajoute d’ailleurs que, la Belgique étant un pays bilingue, cette façon de penser l’enseignement des langues au Congo ne lui pose pas de problèmes particuliers, avec en sous-entendu la différence ainsi relevée en direction des Français, porteurs d’une culture d’enseignement monolingue. Le rapporteur de l’enseignement dans les Indes néerlandaises (Sumatra et Java) présente brièvement l’organisation des écoles : écoles populaires où l’on <?page no="178"?> 168 Gérard Vigner dispense un enseignement de base en langue indigène, les écoles indigènes de deuxième classe, avec un enseignement un peu plus approfondi en direction des enfants des classes moyennes (commerçants et artisans) en langue indigène, et l’école hollando-indigène pour les enfants de l’aristocratie indigène dans laquelle les cours sont donnés en hollandais et en langue indigène. Un service central a été créé pour la publication de manuels scolaires à l’usage des élèves. Écoles stratifiées donc dans lesquelles la langue du colonisateur n’intervient que pour les publics de milieux sociaux considérés comme supérieurs et de ce fait plus influents à terme. Choix qui politiquement n’étaient pas fondamentalement différents de ceux adoptés par la France, celle-ci cependant sauf rares exceptions, en Indochine notamment, associant toujours, dès les premiers niveaux le français à la langue locale. Le rapporteur américain pour les Philippines en revanche fait état d’une politique de scolarisation donnée exclusivement en anglais, sans égard aux langues locales, ni à l’espagnol longtemps présent dans ce territoire : L’un des objectifs du système d’écoles publiques étant de doter le peuple des Iles Philippines d’une langue commune, l’anglais, tout l’enseignement dans ces écoles est donné dans cette langue et, en conséquence, on réserve dans les écoles primaires à la lecture et à la grammaire plus de place qu’aux États-Unis. (p. 282) Les deux rapporteurs pour les colonies portugaises font état de choix identiques. 10 Des perspectives-? Le Congrès ne connut qu’un écho limité au-delà du cercle restreint des institutions et personnes chargées de diffuser le français hors de France. Le Figaro du 28 septembre 1931 lui consacre un article, en p. 4, relativement développé et qui présente le programme du Congrès. Il rend compte d’un certains nombres de rapports, ceux présentés dans la journée du 27 septembre, en l’absence cependant d’une analyse d’ensemble, au-delà de ces simples comptes rendus. Rappelons que ce congrès n’avait cependant pas pour objectif de produire un certain nombre de recommandations comme il est d’usage dans ce genre de rencontre, mais : « de se contenter de faire l’exposé des opinions qui ont été exprimées et des solutions diverses qui ont été données à ces problèmes » (p. 309). Le concept d’adaptation 19 fut brièvement défini sans qu’une orientation soit clairement adoptée : 19 Concept qui ne manqua pas de soulever une remarque légèrement teintée d’ironie, de la part de Georges Hardy, directeur de l’École coloniale au moment de l’exposition et qui dans la préface d’un manuel à destination des élèves des écoles africaines écrit : « Adaptation, voilà si l’on y réfléchit bien, un mot terriblement vague. Adaptation à <?page no="179"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 169 L’adaptation peut s’entendre de trois façons différentes. Ce peut être l’adaptation aux besoins des populations tels que ces populations les conçoivent ; ce peut être l’adaptation de l’enseignement aux besoins des populations tels que la puissance le conçoit ; ce peut-être l’adaptation aux intérêts de la puissance colonisatrice. (p. 308) En fait ce sont les deux dernières définitions qui semblent avoir été privilégiées dans la mesure où il n’a été que rarement fait allusion aux besoins des colonisés tels que ceux-ci pouvaient les appréhender. Dans tous les cas aucun d’entre eux n’avait été invité à prendre la parole. Et ceci d’autant plus que les territoires en question relevaient de ministères aux orientations politiques différentes. Tenter de définir une politique commune pour le français eût été dans ces conditions peu raisonnable quand on connaît le soin jaloux mis par chaque ministère à préserver son pré-carré. S’agissant des congressistes, libre à eux, de retour dans leurs territoires de mettre en œuvre tel ou tel aspect des orientations exposées. Sur la question de la langue d’enseignement, le rapport général conclut ainsi : La question de la langue a été fort débattue. Mais l’on peut dire que le choix de cette langue est bien plutôt un fait de politique générale qu’un problème pédagogique. Les solutions varient selon les colonies et selon les puissances colonisatrices. Toutes les puissances non françaises ayant participé au Congrès (Portugal, Pays-Bas, Grande-Bretagne, Belgique, Danemark) distribuent, plus que nous, aux populations indigènes un enseignement élémentaire en langue indigène. Cet enseignement en langue indigène n’est connu, dans l’Empire colonial français, qu’à Madagascar et en Indochine ; c’est en Indochine que ce type d’enseignement a pris sa plus grande extension. Dans tout le reste de l’Empire Colonial français, le français est le véhicule de l’enseignement. Dans les établissements français de l’Inde les conditions locales, très particulières, font que l’enseignement élémentaire est donné en langue indigène ; au-dessus de l’enseignement élémentaire, l’anglais occupe une place plus importante que le français. (p. 309) Constats prudents, mais qui reconnaissent le caractère non-universel de l’enseignement du français, au moins dans les premières étapes. Sur la question de la méthode d’enseignement, un rappel désormais classique : Sur la méthode d’enseignement dans les classes primaires des pays coloniaux, l’accord est fait : la méthode directe est universellement appliquée. (p. 310) quoi ? A tout, à la capacité des esprits aux besoins du pays, aux traditions du milieu social, au programme de colonisation, etc. Il ne s’agit pas seulement de remplacer, dans les livres de lecture, Gaston par Mamadou et, dans les problèmes, le coupage des vins par la fabrication de l’huile de palme ; il faut que le moindre exercice achemine l’écolier dans une voie très déterminée, qu’il le préserve des brusques écarts et des excursions sans issue. » (dans Davesne 1931). <?page no="180"?> 170 Gérard Vigner Cela étant, dans un article consacré à l’enseignement dans les colonies, Denise Bouche (2000) s’était posé la question de savoir dans quelle mesure Paris avait voulu diriger l’enseignement colonial. Les réponses qu’elle y apporta, dans la période qui va de 1814 à 1960, montrent la diversité des politiques adoptées selon les époques, préoccupations qui pour l’essentiel allaient dans deux directions, d’abord la construction d’un système éducatif propre aux territoires colonisées, ce qui fut en gros le cas entre 1880 et 1914, puis la définition d’une politique qui oscillait entre association et assimilation, autrement dit entre des programmes propres aux territoires concernés et programmes qui seraient la transposition directe des programmes de la métropole. La diffusion du français, et la différence de tonalité par rapport aux travaux rapportés dans le congrès conjoint de l’Alliance Française, est à cet égard significative. Il s’agit moins de diffuser la langue en soi que de faire en sorte qu’elle contribue à légitimer « une conquête morale » pour reprendre une expression en vogue à l’époque, et à diffuser des savoirs qui permettront aux populations ainsi éduquées d’accéder au progrès et aux valeurs de la civilisation qui vont avec. L’enseignement du français dans les espaces coloniaux au moment où nous l’appréhendons veut marquer des choix fondé sur un modèle scolaire particulier, celui qui au nom de l’adaptation permet de mettre en place des réseaux d’écoles différenciés, qui visent à donner une formation de base en vue de favoriser un ancrage local, dans les zones rurales notamment, ce qui explique la place donnée, sinon concédée, aux langues indigènes, et de façon plus générale, un enseignement destiné à former un personnel subalterne, de qualification restreinte et ne pouvant de ce fait accéder aux postes d’encadrement dans les colonies, réservés aux fonctionnaires métropolitains. Ces choix, notamment en Afrique occidentale française, seront fortement contestés par les élites africaines nouvellement formées, qui préconisent un modèle assimilationniste, dans lequel l’école coloniale se fond dans la logique générale de formation de l’école de la métropole. Le discours de clôture de Blaise Diagne, sous-secrétaire d’État aux Colonies 20 , partisan d’une politique d’assimilation, est significatif à cet égard. A aucun moment il n’évoque le terme d’adaptation et plaide pour un enseignement aux visées ambitieuses. S’adressant aux congressistes, il leur rappelle ceci : Votre champ d’action s’exerce sur les cerveaux humains, c’est à dire sur ces écrans qui gardent toujours au fond d’eux-mêmes les images qu’une fois ils ont reflétées. Et qui 20 Blaise Diagne (1872-1934) fut le premier député africain élu à la Chambre des députés. Il a été sous-secrétaire d’État aux colonies dans les trois gouvernements de Pierre Laval, de 1931 à 1932. Farouche partisan de l’assimilation, il est resté proche de certains réseaux coloniaux. <?page no="181"?> Une doctrine pour l’enseignement du français dans les colonies ? 171 plus est, ces écrans que l’on confie à vos soins et à votre sollicitude ne sont point ceux qu’un film cent fois répété a blasés, usés, fatigués au point de ne plus exciter en eux qu’une réaction à peine perceptible ; non, ce sont des tableaux tout neufs, avides de recevoir le maximum de perceptions qu’ils sentent éparses alentour, ardents à intégrer toutes les influences et à les retenir pendant très longtemps. (p. 304) Appel à une ambition plus grande, associée, la demande va de pair, à l’accès à des diplômes équivalents à ceux de la métropole, mais appel qui ne sera entendu qu’après la Deuxième Guerre mondiale, quand le ministère de l’Éducation nationale prendra progressivement le contrôle de l’enseignement dans les colonies, en dépossédant de la sorte les autorités locales de leurs prérogatives en la matière 21 . En fait, l’adaptation, exprime certainement le refus d’une extension dans les colonies des principes universalistes à l’origine de l’école de la IIIe République ; non seulement pour des raisons de coûts (on sait que la dépense solaire devait être prise sur le budget de la colonie 22 ), mais aussi par crainte des effets déstabilisateur sur l’autorité colonisatrice d’une éducation trop largement répandue. Au projet politique d’association correspond ainsi son pendant pédagogique, celui de l’adaptation. Le développement d’un « capital humain », pour reprendre ici pour des raisons de commodité, une terminologie contemporaine, l’emporte sur celui d’une citoyenneté à dominante politique, étendue à tous les « sujets » de l’empire. La problématique de la mise en valeur l’emporte, avec un accent délibérément mis sur un enseignement de base à visée pratique. On ne peut qu’être sensible en définitive à la cohérence relative d’un projet qui, à rebours de ce que l’on pense ordinairement de l’administration française et de sa tradition centralisatrice, laisse aux acteurs dans les territoires une très large autonomie, une action qui quelque part se situe entre une politique de diffusion et une politique de dissémination. La visée générale est bien de diffuser l’usage de la langue française dans l’école et dans les territoires des colonies, mais sans instance centrale de diffusion. A charge pour chaque territoire dans la sensibilité des différents acteurs de procéder à la mise en œuvre de politiques d’enseignement appropriées. On s’inscrit plus alors dans une politique de dissémination. 21 Sur la mise en place des réformes assimilationnistes en Afrique occidentale française, on se reportera à Harry Gamble (2010). 22 En effet, par l’article 33, de la loi de finances du 13 avril 1900, les colonies acquièrent leur autonomie financière, fonctionnant désormais sur leurs ressources propres. Cependant le caractère limité de ces ressources eut pour effet de restreindre l’effort de scolarisation en direction des enfants indigènes et de favoriser assez rapidement le recrutement d’un personnel d’enseignement indigène, infiniment moins payé que celui issu de métropole. <?page no="182"?> 172 Gérard Vigner Le projet aura cependant du mal à tenir. Le refus d’une école de base, à cursus stratifiés, sans accès aux diplômes de la métropole, sera de plus en plus manifeste ainsi qu’une demande d’assimilation scolaire à laquelle la France d’après 1945, la France d’Outre-mer, tentera de répondre, dans l’espoir bien vain, par un effort de scolarisation partagé entre enfants de métropole et enfants des colonies, de s’attacher de manière définitive les populations colonisées. Bibliographie Ageron, Charles-Robert (1990) : « Les Colonies devant l’opinion publique française (1919-1930) », Revue d’Histoire d’Outre-mer 286, 31-73. Ageron, Charles-Robert (2005) : « L’Exposition coloniale de 1931 : mythe républicain ou mythe impérial » Dans : Ageron, Charles-Robert (dir.) : De « l’Algérie française » à l’Algérie algérienne . Volume 1. Saint-Denis : Éditions Bouchène, 369-386. Bezançon, Pascale (2002) : Une colonisation éducatrice ? L’expérience indochinoise (1860- 1945). Paris : L’Harmattan. 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In der fremdsprachendidaktischen, historiographischen, epochenübergreifenden Forschungsliteratur stützt man sich zumeist auf nur wenige Kerntexte, wie etwa die frühe Schrift „Der Fremdsprachenunterricht muss umkehren! “ (Viëtor 1882) oder Sallwürck (1898); für die Untersuchung von Einzelaspekten wie Bilder und Anschauung (Reinfried 1992) oder Medien (Schilder 1977) werden die Zeitschriften zwar intensiver ausgewertet; diese Studien stellen jedoch immer nur einen Ausschnitt der damaligen Fachdiskussion dar. Will man jedoch zu einem differenzierten und differenzierenden Urteil über diese wichtige Epoche in der Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts und der Fremdsprachendidaktik gelangen, so ist es unabdingbar, die Fäden der Diskussion aus den Zeitschriftenbeiträgen, auch den kleineren, heraus zu präparieren. Einen ersten Versuch, einige Schwerpunkte und die Charakteristika des fremdsprachendidaktischen Diskurses in den ersten Bänden von Die Neueren Sprachen darzustellen, liefert der folgende Beitrag. Angesichts des großen Umfangs der ersten sieben Bände der Zeitschrift (ca. 4400 Seiten) muss jedoch auch dieser Überblick sich auf wenige Aspekte beschränken. 1 Der Kontext Die Neusprachliche Reformbewegung in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kann in vielfacher Hinsicht als ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des Unterrichts in den modernen Fremdsprachen gesehen werden. Das betrifft etwa die Unterrichtsmethode, die Gestaltung und Auswahl <?page no="186"?> 176 Friederike Klippel von Lehr- und Lernmaterialien, die Bestimmung von Unterrichtszielen und -inhalten, die Aus- und Weiterbildung der Lehrer und nicht zuletzt den internationalen Austausch über all diese Fragen. Dennoch darf man diese Periode nicht zu eng lediglich als einen Abschnitt einer linearen Weiterentwicklung von Unterrichtsmethoden sehen (so wie z. B. Howatt/ Widdowson 2004; dazu kritisch: Linn 2016, 16), denn bestimmte Ideen zum Lernen und Lehren von Sprachen, etwa das Kriterium der Naturgemäßheit der Vermittlungsmethode oder das Verfahren der Imitation, lassen sich sowohl früher als auch später finden. Vielmehr war die Neusprachliche Reformbewegung genau das, was ihr Name sagt, eine von zahlreichen Neuphilologen in Schulen und Universitäten mit Enthusiasmus getragene als auch heftig bekämpfte Bewegung zur Veränderung der unterrichtlichen Praxis, die sich dadurch auszeichnet, dass es zum ersten Mal in der Geschichte des Sprachunterrichts einen breiten, internationalen Diskurs zu fremdsprachendidaktischen Fragen gab, der sich in zahlreichen Publikationen manifestiert. Eine solche Bewegung kann nur dann entstehen, wenn günstige Kontextbedingungen vorliegen: eine ausreichend große Gruppe von Menschen, die sich interessiert und engagiert; Zustände, die Widerspruch erregen und nach Veränderung rufen; Ideen, die entwickelt, geteilt und verbreitet werden; Möglichkeiten der Kommunikation nach innen und außen. Solche Kontextbedingungen waren zu Beginn des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts gegeben. Die demographische Entwicklung und der Ausbau des Schulwesens seit Beginn des Jahrhunderts in den deutschen Staaten, aber auch in anderen europäischen Ländern, führten zu einer Erhöhung der Schüler- und Lehrerzahlen in den höheren Schulen und zu einer Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts. Das lag vor allem an dem starken Ausbau der Realanstalten (vgl. Klippel 1994, 288 ff.), an denen von den alten Sprachen nur Latein eine sehr geringe Rolle spielte, während die modernen Sprachen, vor allem Französisch und Englisch, daneben aber auch regional unterschiedlich Spanisch und Italienisch, breit unterrichtet wurden. Französisch blieb im gesamten 19. Jahrhundert trotz der graduellen Zunahme des Englischunterrichts, der erst 1901 auch in Gymnasien Pflichtfach wurde, die wichtigste moderne Fremdsprache. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bestand demnach eine Praxis des neusprachlichen Unterrichts, die von einer Lehrerschaft mit unterschiedlicher Ausbildung und Sprachkompetenz sowie methodisch-didaktischer Ausrichtung gestaltet wurde. Vielfach beklagte man das geringe fremdsprachliche Können vieler Lehrkräfte (vgl. Asher 1881, 1-19; Kraenkel 1872, 29), das u. a. auf die ausschließlich philologisch, d. h. sprachgeschichtlichund literaturgeschichtlich, ausgerichteten Universitätsstudien zurückgeführt wurde, bei denen eine praktische Sprachbeherrschung unwichtig sei (Asher 1881, 2 f.). Die ungenügen- <?page no="187"?> Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 177 den Kompetenzen in den Fremdsprachen innerhalb der Lehrerschaft führten wiederum dazu, dass der Unterricht weitgehend in deutscher Sprache erfolgte und sich vornehmlich auf die Vermittlung grammatischer Regeln und auf die Übungsform der Übersetzung konzentrierte. Beides ließ sich gut vorbereiten und verlangte keine spontanen sprachlichen Auskünfte oder Leistungen. Die Praxis des Sprachunterrichts mit ihren „Einpaukmethoden“, bei denen die formalen Gesetzmäßigkeiten der Sprache im Zentrum standen, wurde daher gegen Ende der 1870er Jahre von immer mehr Fachleuten als sehr unbefriedigend empfunden (vgl. Rülcker 1969, 16). Wilhelm Viëtors Streitschrift „Der Sprachunterricht muss umkehren“ (Viëtor 1882) übte vernichtende Kritik an diesen Zuständen und gilt bis heute als ein wichtiger Auslöser für die neusprachliche Reformbewegung. Diejenigen, die sich mit den geschilderten Zuständen im Fremdsprachenunterricht der 1870er Jahre nicht zufrieden geben mochten, fanden Argumente für notwendige Veränderungen sowohl in der sich neu etablierenden Wissenschaft der Phonetik, deren herausragender Vertreter Henry Sweet war, als auch in einem neuen Blick auf Sprache als psychologisches Phänomen (etwa Paul [1886] 1960; oder Steinthal, vgl. dazu Rülcker 1969; Hüllen 2005, 104 ff.) sowie in den veränderten gesellschaftlichen und technischen Umständen, die es viel stärker als jemals zuvor gestatteten, in andere Länder zu reisen, mit Menschen dort rasch und zuverlässig brieflich zu kommunizieren und Informationen sowie Publikationen zu erhalten (vgl. dazu Schleich 2015, 50 ff.). Die neusprachliche Reform war eine internationale Bewegung, in der ein wissenschaftlicher Austausch und die Kenntnisnahme der jeweiligen professionellen Aktivitäten über Ländergrenzen hinweg ebenso selbstverständlich waren wie gegenseitige Unterrichtshospitationen, internationale Ferienkurse für Sprachlehrer oder der internationale Schülerbriefwechsel (dazu Schleich 2015). Die neusprachliche Reformbewegung profitierte zudem von der bis 1900 erreichten Professionalisierung innerhalb der Lehrerschaft. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts schlossen sich Lehrer organisatorisch zusammen, gründeten zahlreiche pädagogische und fachlich gebundene Zeitschriften, verfassten in immer größerer Anzahl Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien, etablierten Seminare für die stärker unterrichtsbezogene Ausbildung (so z. B. das Seminar von Ludwig Herrig in Berlin; vgl. dazu Klippel 2010) und profilierten sich in den jährlich erscheinenden Schulprogrammen mit wissenschaftlichen Beiträgen (vgl. Klippel 1994, 311 ff.). Da in der Neuphilologie die Einrichtung entsprechender Professuren erst um die Mitte des Jahrhunderts langsam einsetzte, waren es de facto die Lehrer, die zuerst einen fachlichen Diskurs in den modernen Sprachen in Gang brachten und aufrechterhielten; dieser Diskurs umfasste unterrichtsbezogene und schulorganisatorische Fragen ebenso wie rein philologische. Die Zeit der <?page no="188"?> 178 Friederike Klippel neusprachlichen Reformbewegung brachte zahlreiche weitere Zeitschriftengründungen mit sich (z. B. Neuphilologisches Centralblatt ab 1888; Phonetische Studien 1888 bis 1893, dann Beiheft zu DNS; Die Neueren Sprachen (DNS) ab 1893) und im Jahr 1880 die Formierung eines Fachlehrerverbandes ( Verein für Neuere Sprachen zu Hannover ), aus dem im Jahr 1886 der Allgemeine Deutsche Neuphilologenverband hervorging, der bis heute als GMF ( Gesamtverband Moderne Fremdsprachen ) weiter besteht. Die beiden von Wilhelm Viëtor begründeten und herausgegebenen Zeitschriften Phonetische Studien und Die Neueren Sprachen galten und gelten als ‚Sprachrohr‘ der Reform. Die Tatsache, dass es neben den wenigen Professoren für Neuphilologie vor allem Lehrer waren, die sich sowohl mit wissenschaftlichen Fragen der Neuphilologie - in heutiger Terminologie: der Romanistik und Anglistik - als auch mit Fragen der Sprachvermittlung und der Sprachlehrerbildung befassten, lässt erwarten, dass in den Fachzeitschriften der Zeit Veröffentlichungen zu sprachwissenschaftlichen oder literaturhistorischen Aspekten ebenso enthalten sind wie solche zu Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts. Anders als heute waren die damaligen neuphilologischen Zeitschriften ebenso wie die Neuphilologie noch nicht in die Teildisziplinen Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Fachdidaktik differenziert, so dass sie Leser aus Wissenschaft und Schule in gleicher Weise informierten. Interessant ist dabei zum ersten die Frage, welchen Raum rein philologische auf der einen und stärker unterrichtsbezogene, d. h. fachdidaktisch-theoretische und fachdidaktisch-praktische Beiträge auf der anderen Seite einnehmen. Das ist der quantitative Aspekt der Analyse. Zum zweiten gilt es zu untersuchen, welche Aspekte in den fachdidaktischen Beiträgen besonderes Gewicht haben. 2 Die Neueren Sprachen 1894 bis 1900 Der erste Band der Zeitschrift „Die Neueren Sprachen“ (im Folgenden als DNS abgekürzt) erscheint 1894 und enthält neun Hefte, die den Zeitraum von April 1893 (Heft 1) bis Januar 1894 (Heft 9) umfassen; als weitere Herausgeber dieses Bandes zeichnen neben Wilhelm Viëtor auch Franz Dörr und Karl Kühn. Ab dem zweiten Band 1895 geben Wilhelm Viëtor, Franz Dörr und Adolf Rambeau die Zeitschrift heraus; sie enthält dann jeweils zehn Hefte pro Jahrgang. Die „Phonetische[n] Studien“, als „Vorläufer-Zeitschrift“ von Wilhelm Viëtor herausgegeben, werden als einmaliges Beiheft pro Band von DNS weitergeführt (bis einschließlich Band 5, 1898). Die Bände 1 (1894) bis 7 (1899/ 1900) von DNS liegen der folgenden Analyse zugrunde. Das Gründungsjahr von DNS fällt im Urteil von Hermann Breymann, des wohl besten Kenners und Bibliographen der Reformbewegung (dazu Breymann <?page no="189"?> 1895 und 1900), bereits in die zweite Phase der Reformdiskussion, in der - laut Breymann - kaum etwas gedanklich Neues publiziert wird, das über bereits geäußerte Theorien und Erfahrungen hinausgeht: Und ist die Reform-Literatur seit 1876, wie an Quantität so auch an Qualität beständig gewachsen? Wer könnte auf diese Frage eine freudig bejahende Antwort geben? Gewiss sind in den letzten drei bis vier Jahren noch einige wenige Schriften erschienen, die Niemand missen möchte, da sie nach Inhalt und Form eine gleich wertvolle Bereicherung und Förderung unserer Einsicht bedeuten. Aber, von ihnen abgesehen, wird man sich der Erkenntnis kaum verschliessen können, dass die Gedankenarbeit auf diesem Gebiete, im grossen und ganzen nach Ablauf der ersten 12-14 Jahre erschöpft ist. (Breymann 1895, 103) Laut der bei Breymann (1895, 101) angegebenen Zahlen sind von 1876 bis einschließlich 1893 insgesamt 493 Schriften, und zwar Zeitschriftenbeiträge, Aufsätze in Programmschriften und selbstständige Publikationen zur Reform des neusprachlichen Unterrichts erschienen, das heißt reformfreundliche, reformfeindliche und abwägende Publikationen. Ausgeschlossen hat Breymann dabei Beiträge zur Mädchenbildung, Ausführungen zu denjenigen neuen Vermittlungsmethoden, die „die phonetische Seite unberücksichtigt lassen“ (Breymann 1895, 101), zur Phonetik als Wissenschaft und Beiträge in pädagogischen Lehr- und Handbüchern (Breymann 1895, 102). Die Bibliographie Breymanns führt zwar Lehrbücher für das Französische, nicht jedoch für andere Sprachen auf (aber keine Lesebücher und Schlüssel); deren Zahl beläuft sich auf 56 für die Zeit von 1876 bis 1893 (vgl. Breymann 1895, 101). Bei Gründung von DNS liegt demnach bereits ein erheblicher Fundus an Literatur zur Reformbewegung vor. Im zweiten Heft seiner Bibliographie (Breymann 1900), das den Zeitraum von 1894 bis 1899 umfasst, erweitert sich die Zahl der Beiträge zur Reformbewegung um weitere 215 sowie durch Nachträge auf insgesamt 739. Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass ein Blick auf die 46 fachdidaktischen Beiträge in DNS aus den Jahren 1893 bis 1900 nur einen kleinen Ausschnitt aus der Debatte liefern kann. Die einzelnen Hefte von DNS sind in Rubriken unterteilt, wenngleich nicht jedes Heft immer alle Rubriken enthält, da es verlagsseitig offenbar bestimmte Umfangbeschränkungen einzuhalten gab. Neben Aufsätzen finden sich als Rubriken „Berichte“, „Rezensionen“, „Zeitschriftenschau“ und „Vermischtes“. Die Zeitschriftenschau wird ab Heft 3 im 2. Jahrgang ( Juni 1894) eingestellt; sie dokumentiert bis zu diesem Zeitpunkt die Inhaltsverzeichnisse einiger einschlägiger deutscher und internationaler Zeitschriften, zu denen stärker pädagogisch ausgerichtete wie Die Mädchenschule oder The School Review und eher philologische Zeitschriften gehören. Unter den letzteren finden sich ausländische Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 179 <?page no="190"?> 180 Friederike Klippel Zeitschriften, wie Modern Language Notes, Le Maître Phonétique oder Bollettino di Filologica Moderna , neben deutschen, etwa Englische Studien, Neuphilologische Blätter oder Zeitschrift für französische Sprache und Literatur. Beachtenswert ist der internationale Blick in die Zeitschriften, der es der Leserschaft von DNS ermöglichte, zumindest oberflächlich zu erfahren, was jenseits der Grenzen diskutiert wurde. Die übrigen Rubriken, also „Berichte“, „Rezensionen“ und „Vermischtes“ bestehen über den gesamten Untersuchungszeitraum. 3 Die philologischen und fachdidaktischen Beiträge Jedes Heft von DNS enthält mindestens einen längeren rein philologischen oder einen unterrichtsbezogenen, d. h. im weitesten Sinne fachdidaktischen, Beitrag. Einige dieser Beiträge sind recht umfangreich, so dass sie in Fortsetzungen über mehrere Hefte verteilt erscheinen, etwa Meyer „Über französischen Unterricht“ (1894) über acht Hefte, Kron „Die Methode Gouin“ (1896) über sechs oder Aronstein „England um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte“ (1896) über drei Hefte. Das Verhältnis von philologischen zu fachdidaktischen Aufsätzen schwankt in Gesamtumfang und Anzahl zwischen 1894 und 1900 ganz erheblich, wie Tabelle 1 zeigt. So nehmen in den Jahren 1894 und 1896 die fachdidaktischen Aufsätze etwa den doppelten Umfang der philologischen ein; in den übrigen Jahren ist das Verhältnis etwa ausgewogen, so 1895, 1897 und 1898/ 1899, oder aber die philologischen Beiträge dominieren; das ist 1898 und 1899/ 1900 der Fall. Ob man dies als ein Anzeichen dafür werten kann, dass fachdidaktische Aspekte der Reformbewegung ,ausdiskutiert‘ sind, wie es die oben zitierte Bemerkung von Breymann (1895, 103) suggerieren könnte, sei dahingestellt. Band Philologische Beiträge Umfang in Seiten Fachdidaktische Beiträge Umfang in Seiten Band 1 1894 Schroer Krummacher MacGowan Kühn 17 830 3= 58 S. Meyer Findlay Jaeger Würzner Schmidt Flemming 102 11 22 12 815 = 170 S. <?page no="191"?> Band 2 1895 Schroer Banner Glöde 17 21 46 = 84 S. Rambeau (2) Beyer Scheffler Müller Walter Wickerhauser Schild Tupschewsky 35 10 913 55512 = 94 S. Band 3 1896 Aronstein 48 = 48 S. Kron Hengesbach (2) Ackerknecht Müller Kabisch Gundlach Schmidt Rossmann 146 30 15 712 13 10 11 = 244 S. Band 4 1897 Caro Höfer Aronstein Hummel Mackay 14 69 61 10 9= 163 S. Viëtor Wilke Rossmann Münch Müller Hengesbach Wunder 27 11 38 24 816 8= 132 S. Band 5 1898 Brunnemann (2) Bretegnier Viëtor Finck Flemming Lovera Hervieu 23 815 45 18 11 7= 127 S. Hartmann Heuser 560 = 65 S. Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 181 <?page no="192"?> 182 Friederike Klippel Band 6 1898/ 1899 Meyer, E.A. (2) Finck Atkinson Brunnemann 69 51 14 910 = 153 S. Fassbender Meier Wendt Walter Hartmann Kemény Herberich Block 20 35 14 11 6669= 108 S. Band 7 1899/ 1900 Münch Aronstein Hoffmann Oswald Lloyd Lindner Mangold 31 111 45 47 11 616 = 234 S. Ziehen Viëtor Reichel (2) Wendt Höft 617 64 14 31 = 132 S. Gesamt Beiträge Seiten 32 900 S. 47 945 S. Tab. 1: Umfänge der philologischen und fachdidaktischen Beiträge (Namen in kursiver Schrift kennzeichnen Autoren, die in beiden Kategorien vertreten sind.) Das thematische Spektrum der philologischen Beiträge ist breit, was eventuell Rückschlüsse auf die wissenschaftlichen Interessen der Leserschaft von DNS erlauben könnte. So werden zumeist sprachwissenschaftliche Aspekte, und zwar sowohl synchrone als auch diachrone für die englische und für die französische Sprache behandelt; es finden sich aber auch landeskundliche und kulturgeschichtliche Beiträge zu beiden Zielländern. Aus dem Rahmen fallen ein sehr ausführlicher germanistischer Beitrag in Form von acht Vorträgen „Über den deutschen Sprachbau als Ausdruck deutscher Weltanschauung“ (Finck 1897- 1899), ein Aufsatz zur schlesischen Mundart (Hoffmann 1899-1900) sowie eine Studie zu Gedichten Friedrichs des Großen (Mangold 1899/ 1900). Man kann allerdings nur spekulieren, warum eine Zeitschrift, die sich vor allem der Verbreitung des Gedankenguts der neusprachlichen Reformbewegung widmet und von führenden Reformern herausgegeben wird, diesen Themen Raum gibt, die so gar nichts mit dem fremdsprachlichen Unterricht zu tun haben. <?page no="193"?> 4 Schwerpunkte des fachdidaktischen Diskurses: Themen und Aspekte Die vielfältigen Aspekte des neusprachlichen Unterrichts sowie die Ausbildung und Fortbildung der Lehrer bilden zweifelsohne den thematischen Schwerpunkt von DNS; sie werden in wissenschaftlichen Beiträgen, in Berichten, in Rezensionen und auch in Kurztexten verhandelt, die in der Rubrik „Vermischtes“ abgedruckt sind. Die Herausgeber, Wilhelm Viëtor, Franz Dörr und Adolf Rambeau treten in DNS sowohl als Verfasser größerer Beiträge, als Rezensenten, Autoren von Berichten zu Versammlungen oder Veranstaltungen und Kurznachrichten in der Abteilung „Vermischtes“ hervor. Insbesondere Wilhelm Viëtor ist in jedem Band mehrfach als Autor vertreten. Wirft man einen Blick auf die Verteilung der Themen in den ersten sieben Jahren der Zeitschrift, dann fallen vier große Schwerpunkte ins Auge, denen sich die Beiträge zuordnen lassen: Lehrer und Lehrerbildung, Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts nach Reformprinzipien, Methodik des Unterrichts, Professionelles Umfeld (s. Tabelle 2). Quer zu diesen Themenschwerpunkten liegen zwei Aspekte, die wie rote Fäden die fachdidaktischen Beiträge durchziehen: Internationalität und Verknüpfung von Theorie und Praxis. Ein Grenzen überschreitender Blick, der durchaus nicht nur auf Europa beschränkt ist, charakterisiert die Berichte zum Fremdsprachenunterricht in anderen Ländern. International sind auch die Anstrengungen in der Lehrerbildung, durch Auslandsaufenthalte und Muttersprachler die Voraussetzungen für den Reformunterricht zu schaffen. Gesamtschau auf Fremdsprachenunterricht und Ausbildung MacGowan (1894a), Banner (1895), Rambeau (1895b), Viëtor (1897), Münch (1897), Walter (1898/ 99) Lehrer und Lehrerbildung Lehrerbildung: Neuphilologie und Studium Breul (1895), Münch (1897), Viëtor (1899/ 1900) Auslandsaufenthalt und Ferienkurse Findlay (1894), Wandschneider (1894), Kabisch (1896), Wähmer (1896), Caro (1896), Block (1896a und 1896b), Sarrazin (1896), Rossmann (1897), Prollius (1897), Watson (1897), Schnell (1898), Kissling (1898/ 99), Borbein (1898/ 99), Thiergen (1898/ 99), Kupka (1898/ 99), Imendörfer (1899/ 1900), Freund (1899/ 1900) Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 183 <?page no="194"?> 184 Friederike Klippel Ausländische Lehrer Rossmann (1896), Kémeny (1898/ 99b), Viëtor (1898/ 99), Hartmann (1898/ 99a und 1898/ 99b) Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts nach Reformprinzipien Erfahrungsberichte aus der Praxis Jaeger (1894), Freudenthal (1894), Junker (1894), Dörr (1894), Nader (1894), Wickerhauser (1895), Kühn (1895b), Gundlach (1896), Wickerhauser (1896), Gerhardt (1897), Schenck (1897), Wendt (1898/ 99a) Fremdsprachenunterricht in deutschen Ländern: Stand der Reform Württemberg (Wagner 1894), Baden (Fath 1894), Bayern (Herberich 1898/ 99), Hessen-Nassau (Harnisch 1898/ 99 und Harnisch/ Heuer/ Kressner/ Theisen/ Zergiebel 1899/ 1900 und Zergiebel 1899/ 1900) Fremdsprachenunterricht in anderen Ländern Holland (van Hamel 1894), Spanien (Araujo 1894), Finnland (Deutsch als Fremdsprache, Freudenthal 1894), Australien (Tilley 1894), Schweden (Hoppe 1894a), Holland (de Beer 1894), Finnland (Gustafsson 1894), Russland ( Ječinac 1894), Amerika (Viëtor 1894d), Belgien (Viëtor1894f), Frankreich (Twight 1895), Chile (Lenz 1895), Nordamerika (Rambeau 1895c), Finnland (Freudenthal 1895), Finnland (Lewin 1895), Russland ( Ječinac 1895), Kanada (Viëtor 1895b), Russland ( Ječinac 1897), Italien (Lovera 1897), Kanada (Fraser 1897), Vereinigte Staaten von Amerika (Bright 1897), Chile und Brasilien (Lenz und Nobiling 1898), Frankreich (Meier 1898/ 99) Französischunterricht Meyer (1894), Schmidt (1894), Müller (1895), Kühn (1895b), Hengesbach (1896a), Köcher (1896) Englischunterricht Junker (1894), Nader (1894), Würzner (1894a) Reform: Argumente für und wider Meyer (1894), Viëtor (1894b), Gundlach ((1895) zu Lateinunterricht), Wendt (1898/ 99a und 1898/ 99b), Wendt (1899/ 1900a und 1899/ 1900b), Schmidt (1899/ 1900) Geschichte der Reformbewegung Pomezny (1898) <?page no="195"?> Methodik Methode Gouin Kron (1896a und 1896b), Eykman (1896), Knorr (1896), Kron (1896), Kron (1897), Knorr (1898), Traugott (1898/ 99), Knorr (1898/ 99), Höft (1899/ 1900) Lektüre/ Literatur Scheffler (1895), Müller (1896), Hengesbach (1896b), Schmidt (1896), Müller (1897), Gautheydes Gouttes (1897), Wunder (1897), Heuser (1898), Müller (1898/ 99), Kanonausschuss (1898/ 99), Reichel (1899/ 1900a) Realien/ Landeskunde Wendt (1894), Würzner (1894a), Wendt (1895), Wendt (1896), Mackay (1897), Aronstein (1897), Noelle (1897), Kaiser (1897) Bilder/ Anschauung Viëtor (1894a), Würzner (1894a), Flemming (1894), Wickerhauser (1894), Scheffler (1895), Schild (1895), Flemming (1896), Wilke (1897), Flemming (1897), Bohnstedt (1898/ 99), Schmidt/ von Roden (1898/ 99) auditive Medien Kémeny (1898/ 99a) Phonetik/ Aussprache Schmidt (1894), Rambeau (1895a), Beyer (1895), Tupschewsky (1895), Ackerknecht (1896), Mörch (1896), Bretegnier (1898) Grammatik Knigge (1898) Lehrbuch/ Lehrmaterial Hornemann (1898), Fassbender (1898/ 99), Ziehen (1899/ 1900), Reichel (1899/ 1900b) Übungs- und Prüfungsformen Walter (1895), Gerhardt (1895), Klinghardt (1899/ 1900) Schülerbriefwechsel Hartmann (1898), Massoul (1898), Block (1898/ 99), Petri (1898/ 99), Hartmann (1898/ 99c), Mann (1899/ 1900) Professionelles Umfeld Vereine (Auszug) Modern Language Association (MacGowan 1894b), Société des Parlers de France (Röttgers 1894) etc. Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 185 <?page no="196"?> 186 Friederike Klippel Versammlungen (Auszug) Philologen und Schulmänner (Würzner (1894b und 1894c), 5. Allgemeine Versammlung der Lehrer und Lehrerinnen an den höheren Mädchenschulen Schwedens (Hoppe 1894b), Neuphilologentag Karlsruhe (Viëtor 1895a), Hengesbach (1897) Fachzeitschriften Revue de l’enseignement des langues vivantes (Hengesbach 1894) Bildungspolitisches: Prüfungsordnungen, Lehrpläne Klinghardt (1894), Viëtor (1894c und 1894e), Viëtor (1897) Tab. 2: Thematische Felder der längeren Beiträge in DNS (1894-1900) Auch wenn sich die Neusprachenreformer in ihrem Selbstverständnis als „Mitglieder einer einheitlichen Bewegung verstanden haben“ (so sieht es Rülcker 1969, 17), die bestimmte Grundannahmen teilten, so gab es doch auch innerhalb dieser Gruppe durchaus noch kontroverse Ansichten. Breymann schreibt im zweiten Heft seiner Bibliographie im Jahr 1900: Hat denn, so wird man weiter fragen, die Reformbewegung auch den Erfolg gehabt, die Lehrerschaft an Schule und Universität zu einer Gemeinsamkeit der Ansichten, mithin zu der Befolgung derselben Methode zu führen? […] Man kann zugeben, dass über einzelne, wenige Punkte im grossen und ganzen ein Einverständnis erzielt ist. Aber über die meisten Fragen herrscht heute noch die lebhafteste Meinungsverschiedenheit. (Breymann 1900, 60; Hervorhebung i. O.) Diese Meinungsverschiedenheit zeigt sich auch in den Beiträgen zu DNS. Rein äußerlich wird dies dadurch deutlich, dass Autoren auf die Beiträge anderer direkt Bezug nehmen und sich so zuweilen Diskussionen mit mehrfachen Gegenreden über mehrere Hefte entwickeln (vgl. etwa Schipper 1895 und Kühn 1895a). 5 Schwerpunkt Lehrerbildung: Ausländische Lehrerinnen und Lehrer im Ausland Ein solches Thema ist beispielsweise die Anstellung ausländischer Lehrer, heute würde man sagen von Muttersprachlern oder native speakers , an deutschen Schulen. In Heft 2-3 des 6. Bandes taucht zum ersten Mal der Vorschlag auf, „eingeborne lehrer“ auf der höheren Stufe des Unterrichts in den modernen Sprachen einzusetzen (Kémeny 1898/ 99b, 177). Kémeny argumentiert, dass das fremdsprachliche Können der deutschen Lehrer sehr unterschiedlich sei: „In der wirklichkeit jedoch herrscht da ein unglaubliches vielerlei in den abstufungen <?page no="197"?> der aussprache, in der praktischen redegewandtheit und in der unbeholfenheit des selbständigen schriftlichen ausdrucks“ (Kémeny 1898/ 99b, 178). Sein Vorschlag lautet daher, akademisch gebildete Franzosen und Engländer in der Oberstufe unterrichten zu lassen, die sowohl in der eigenen als auch der deutschen Sprache als Lehrer ausgebildet sind. Auch aus Deutschland und Österreich sollten Lehrer, die die Unterrichtsbefähigung für Deutsch und eine moderne Fremdsprache besitzen, im Gegenzug nach Frankreich oder England gehen, um dort Deutsch zu unterrichten. Seine Vision lautet: Aus der reihe dieser geprüften kandidaten, und zwar der vorzüglichsten und gleichsam als auszeichnung, wäre nun alljährlich oder innerhalb grösserer zeiträume die auswahl zu treffen und eine art von staatlich beaufsichtigtem und garantiertem lehrer-austausch zu bewerkstelligen, mit genauer und gegenseitiger regelung der gehalts- und dienstverhältnisse. (Kémeny 1898/ 99b, 179) Im darauffolgenden Heft (Heft 4/ 5) berichtet Viëtor (1898/ 99) von einem Antrag in der Danziger Stadtverordnetenversammlung, Mittel dafür bereitzustellen, junge Lehrer aus Frankreich und England nach Danzig zu holen, die mit geringer Wochenstundenzahl und unter Oberaufsicht des betreffenden Fachlehrers einen Teil des Sprachunterrichts, insbesondere Wortschatzarbeit und Konversationsübungen, an den Schulen der Stadt erteilen könnten. Dieser Antrag wurde in Danzig kontrovers aufgenommen, und Viëtor bittet daher die Leser der DNS um Meinungen. Dieser Bitte folgt Martin K.A. Hartmann in Heft 6 (Hartmann 1898/ 99a), indem er zunächst eine englische Meinung, nämlich die des Direktors der Privatschule in Harrow zitiert, der konstatiert: „[…] it is desirable, and indeed necessary, to entrust the highest part of the teaching of a modern language to a native of the country in which the language is being spoken“ (Hartmann 1898/ 99a, 373). Im Folgenden aber widerspricht Hartmann dem Vorschlag Kémenys ausdrücklich. Zwar sei die Beherrschung der zu unterrichtenden Sprache ein wichtiges Argument, doch sei dies nicht das allein ausschlaggebende Element für den Unterrichtserfolg. Er schildert aus eigener Anschauung den Französischunterricht durch einen deutschen und einen muttersprachlichen Lehrer und resümiert: So gering das praktische können, so matt die beteiligung der schüler dieses geborenen franzosen war, so lebhaft und feurig fand ich die gemeinsame arbeit der zöglinge des deutschen lehrers der stadt, […]. Der erfolg hängt eben noch von ganz anderen faktoren ab als dem sprachlichen können des lehrers. Dass ein deutscher von vornherein besser weiss als ein ausländer, wie er deutsche schüler zu nehmen hat, wie er ihnen am sichersten beikommt, was er bei ihnen voraussetzen kann und dass er auf grund der ihm als deutscher ohne weiteres zu gebote stehenden kenntnis ihres ganzen ge- Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 187 <?page no="198"?> 188 Friederike Klippel fühls- und gemütlebens einen vorsprung hat, mit dem kein ausländer in wettbewerb treten kann, dies dürfte nicht im ernste zu bestreiten sein. (Hartmann 1898/ 99a, 375 f.) Laut Hartmann seien die Schüler einfach nicht reif genug, um von einem Ausländer unterrichtet zu werden, dessen sprachliche Überlegenheit zudem dazu führen könne, dass die Autorität der deutschen Sprachlehrer in den Augen der Schüler untergraben würde und dadurch die deutschen Lehrer zu solchen „zweiter klasse“ degradiert werden könnten (Hartmann 1898/ 99a, 378). Des Weiteren sei zweifelhaft, ob sich ausländische Lehrer in das deutsche Lehrerkollegium einordnen könnten. Daher sehe er es als vorrangig an, die „sprachliche leistungsfähigkeit der deutschen neuphilologen mehr und mehr zu erhöhen“ (Hartmann 1898/ 99a, 377). Dazu wäre in jeder Stadt die Einrichtung einer durch öffentliche Gelder finanzierten Beratungsstelle günstig, die mit je einem französischen und englischen muttersprachlichen Lektor pro Stadt besetzt sein könnte. Auf diese ablehnende Stellungnahme zur Frage ausländischer Lehrkräfte reagiert Romeo Lovera einige Monate später (Lovera 1898/ 99). Er beklagt, dass Hartmann aufgrund einer einzigen, unzulässig verallgemeinerten Beobachtung zu falschen Schlüssen gelangt sei, die jeglicher wissenschaftlicher Basis entbehrten. Schließlich erfolge in den slawischen Staaten der Sprachunterricht oft durch Muttersprachler und sei dort sehr erfolgreich. Er schlägt vor, die Anstellung ausländischer Lehrkräfte so vorzunehmen, dass sich der deutsche und der ausländische Lehrer ergänzen, ähnlich wie auch die Arbeitsaufteilung zwischen Professoren und Lektoren an der Universität gegeben sei. Es gehe schließlich um den Nutzen für die Schüler. Hartmanns Erwiderung (1898/ 99b) auf die Einwände Loveras folgt direkt im Anschluss, indem er ihm erstens als in Deutschland lebenden Ausländer eine gewisse Parteilichkeit unterstellt. Sodann bekräftigt er zweitens seine Sorge um das öffentliche Ansehen des neusprachlichen Unterrichts und wehrt sich gegen den Vorwurf, kein breites empirisches Beweismaterial vorgelegt zu haben. Dies sei einem Einzelnen unmöglich. Schließlich kommt er auf sein Hauptargument zurück, dass nämlich der deutsche Lehrer auf der Basis der eigenen Sprachlernerfahrung die Lernvoraussetzungen seiner Schüler besser einschätzen und sich wegen des gemeinsamen kulturellen Hintergrunds besser in die Schüler einfühlen könne. Als Unterstützung für seine Ansichten zitiert Hartmann neuere Bestrebungen aus England, wo man die Zahl der ausländischen Lehrer kürze. Zudem hätten englische Bildungspolitiker, die Deutschland bereist und sich hier mit dem Schulsystem befasst haben, seine - Hartmanns - Meinung unterstützt: „Ein sehr kompetenter engländer schrieb mir sogar, es sei seine überzeugung, dass der ganze erfolg des neusprachlichen unterrichts in Deutschland bedingt sei durch die ausschließliche verwendung deutscher lehrer“ (Hartmann 1898/ 99b, 669). <?page no="199"?> Dieses Beispiel illustriert zum einen die von Breymann (1900, 60) erwähnte Meinungsverschiedenheit innerhalb der Anhänger der neusprachlichen Reform, zu denen sowohl Hartmann, der den internationalen Schülerbriefwechsel ins Leben rief, und Lovera zählen. Es zeigt zum anderen, dass man über Sinn und Möglichkeiten des Einsatzes muttersprachlicher Lehrkräfte nicht erst seit der kommunikativen Wende in den 1970er Jahren diskutiert. Worin sich jedoch dieser Meinungsaustausch deutlich von heutigen, in Fachzeitschriften ausgetragenen Kontroversen unterscheidet, sind der nach heutigem Empfinden harsche Duktus, der von deutlicher Kritik und auch Unterstellungen nicht frei ist, und der Nachdruck, mit dem ein eigener Standpunkt über mehrere Beiträge hinweg zäh vertreten wird. Das zeigt sich auch an vielen Repliken auf Rezensionen, in denen die Verfasser der rezensierten Werke den Rezensenten Fehlurteile nachzuweisen suchen. Insofern dient DNS nicht nur der Dissemination von Reformideen, sondern auch - stärker als das heute der Fall für Fachzeitschriften ist - dem offenen und harten Meinungsaustausch innerhalb der Neuphilologenschaft. Nicht nur der Einsatz muttersprachlicher Französisch- und Englischlehrer wird heftig diskutiert, auch die Möglichkeiten von Auslandaufenthalten für deutsche Neuphilologen werden immer wieder thematisiert. Es ist nicht neu, dass Sprachenlehrer das Land besuchen, dessen Sprache sie vermitteln. Schon im 18. Jahrhundert reisten junge Universitätsabsolventen als Hauslehrer mit ihren adligen Zöglingen nach Italien oder England, lernten dort die Sprachen und befassten sich nach der Rückkehr mit der Publikation von Sprachlehrbüchern und Sprachunterricht, so etwa Karl Franz Christian Wagner (vgl. Schröder 1995, 266-273; Klippel 2014, 11). Da in der neusprachlichen Reformbewegung jedoch zwei Unterrichtsziele in den Vordergrund rückten, die es erforderlich machten, dass Lehrer sowohl über eine gute Aussprache und eine flüssige Beherrschung der Fremdsprache insbesondere im Mündlichen als auch über genauere Kenntnisse der fremden Kultur verfügten, erhielt für angehende und bereits tätige Lehrkräfte der Auslandsaufenthalt, bei dem man sein Sprachkönnen verbessern und Wissen über die Alltagskultur im Zielland erwerben konnte, ein wesentlich größeres Gewicht. Die Forderung nach einer strukturellen Ermöglichung und finanziellen Unterstützung von längeren Auslandsaufenthalten durchzieht die Diskussionen in der Reformzeit. In DNS gehören daher Informationen zu Auslandsaufenthalten und Berichte über Ferienkurse und andere Auslandsaktivitäten zu den wiederkehrenden Inhalten (z. B. Wandschneider 1894; Caro 1896; Kissling 1898/ 99). Solche Ferienkurse dienten aber nicht nur dazu, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen im Zielland etwas über Kultur, Literatur und Sprache erfahren und sich im rezeptiven und produktiven Gebrauch der Sprache üben konnten, sie fungierten teilweise auch als reformorientierte Lehrerfortbildung im Inland, wie beispielsweise der französische Ferienkurs in Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 189 <?page no="200"?> 190 Friederike Klippel Frankfurt 1895 (s. Wähmer 1896), der unter der Leitung des Reformers Max Walter zusammen mit französischen Muttersprachlern durchgeführt wurde. Während des elftägigen Kurses erhielten Teilnehmerinnen und Teilnehmer neben Einführungen in die Phonetik (durch Wilhelm Viëtor und Max Förster), unterschiedlichen Übungszirkeln für die französische Sprache, Hospitationen an den Reformschulen in Frankfurt und intensiven Diskussionen auch Einblicke in eine breite Palette von Lehr- und Anschauungsmaterialien sowie die neusprachliche Reformliteratur (Wähmer 1896). Es ist ein nachhaltiges Verdienst der Reformer, dass sie sich so unermüdlich für den Auslandsaufenthalt eingesetzt haben. Breymann konstatiert: Die neuere Methode und zum Teil auch bereits die meisten staatlichen Prüfungsordnungen verlangen bekanntlich von dem Lehrer der neueren Sprachen ausser den auf den Universität erworbenen philologisch-historischen Kenntnissen einen hohen Grad technischer Fertigkeit. eine sichere Beherrschung der lebenden Sprache in Wort und Schrift, zugleich aber auch eine gründliche Kenntnis des fremden Volkstums, seiner staatlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse, seiner Sitten und Bräuche, Gewohnheiten und Einrichtungen. Daher muss denn auch den Lehrern seitens des Staats und der Gemeinden ausreichende Gelegenheit geboten werden, sich alle jene Dinge im Auslande durch eigne Anschauung und lebendigen Verkehr mit den fremden Volksangehörigen anzueignen. Ja, man kann, ohne begründeten Widerspruch befürchten zu müssen, sogar behaupten, dass die gesteigerten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Lehrers einen wiederholten Aufenthalt im Auslande zur unbedingten Notwendigkeit für ihn machen. (Breymann 1900, 67 f.; Hervorhebungen i. O.) Es ist heute, mehr als hundert Jahre später, immer noch nicht selbstverständlich, dass alle angehenden oder bereits unterrichtenden Fremdsprachenlehrer zu Aufenthalten im zielsprachigen Ausland verpflichtet sind, wenngleich durch die kommunikative Wende der 1970er Jahre ein noch größeres Gewicht auf flüssige Sprachbeherrschung und interkulturelle Kompetenz der Lehrkräfte gelegt wurde. 6 Neuphilologie: Wissenschaft und Praxis Neben der Frage des Auslandsaufenthaltes für Fremdsprachenlehrer und der Debatte um muttersprachliche Lehrer im Fremdsprachenunterricht spielten im Untersuchungszeitraum auch Überlegungen zur inhaltlichen Gestaltung des Fremdsprachenstudiums zur Ausbildung der Lehrer eine große Rolle. Insbesondere Wilhelm Viëtor hat sich dazu in unterschiedlichen Publikationen immer wieder geäußert (z. B. Viëtor 1903). Auch in seiner Zeitschrift nimmt er sich dieses Themas an und erweitert es zur generellen Frage nach dem Verhältnis <?page no="201"?> der jungen Wissenschaft der Neuphilologie zu ihren Aufgaben in der Lehrerbildung. Im 7. Band erscheint der Abdruck einer Rede, die Viëtor anlässlich einer Feierstunde zu Kaisers Geburtstag an der Marburger Universität zum Thema „Wissenschaft und Praxis in der neueren Philologie“ (Viëtor 1899/ 1900, 1-17) gehalten hat. Zwei Dinge sind bemerkenswert: Zum ersten die Tatsache, dass ein Professor - Viëtor war von 1884 bis 1894 außerplanmäßiger Professor und von 1894 bis 1918 Lehrstuhlinhaber für Neuphilologie an der Universität Marburg - sich eines solchen praxisorientierten Themas annimmt, zum zweiten, dass dies bei einer hochoffiziellen Feierstunde für die gesamte Universität geschieht. Beides zeigt, dass Fragen von Schule und Lehrerbildung und solche der Selbstdefinition der Wissenschaftsdisziplinen gegen Ende des 19. Jahrhunderts von allgemeinem Interesse waren und nicht allein als die Domäne der jeweiligen Lehrerschaft oder des Faches verstanden wurden. Ausgangspunkt der Ausführungen Viëtors sind die Reaktionen einiger Universitätsprofessuren auf die Vorschläge von Waetzold (1892) und Rambeau (1893) zur Gestaltung des Lehramts-Studiums und der Anpassung der Anforderungen an die veränderten Umstände des neusprachlichen Unterrichts, etwa die Einrichtung praktischer Seminare für - modern gesprochen - fachdidaktische, sprachpraktische sowie aktuelle literaturwissenschaftliche und kulturelle Studieninhalte, die Einführung eines obligaten Auslandsaufenthaltes vor Abschluss des Studiums, Ferienkurse und Ableistung eines Teils des Probejahrs im Ausland. Rambeau (zitiert in Viëtor 1899/ 1900, 6) fordert zudem, die Phonetik zum verpflichtenden Prüfungsbestandteil zu machen und jedes neuphilologische Fach durch zwei Professuren vertreten zu lassen, von denen eine sich mit der neueren Periode, die andere mit der älteren in Sprache und Literatur befassen solle. Gegen diese Vorschläge haben sich einige Universitätsprofessoren empört verwahrt. Stengel, ein bekannter Romanist, wird von Viëtor mit folgendem Ausspruch zitiert: „Wenn die heute morgen erwähnten pläne [Waetzolds, F.K.] thatsache werden sollten, dann ist es nicht nur mit unserer neueren philologie, sondern auch mit unserer deutschen wissenschaft vorbei“ (Viëtor 1899/ 1900, 8). Die Sorge, dass eine zu starke Beachtung der Bedürfnisse derer, die man für ein bestimmtes Berufsfeld ausbildet, die Wissenschaft verwässern könnte, war also selbst in einer so jungen Wissenschaft wie der Neuphilologie präsent. Auch heute treffen Fremdsprachendidaktiker an Universitäten noch zuweilen auf ähnliche Ansichten. Wenn man jedoch bedenkt, dass die Neuphilologie ihre Etablierung an den Universitäten genau jenem Berufsfeld verdankt, in dem seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Bedarf nach Fremdsprachenlehrern ständig gestiegen ist, erscheint diese Sorge der ,reinen‘ Wissenschaftler, die die Lehrerbildung nicht als ihre Aufgabe ansehen mögen, wenngleich der überwiegende Teil ihrer Studenten diesen Beruf anstrebt, wenig angemessen. Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 191 <?page no="202"?> 192 Friederike Klippel Viëtor hingegen sieht einen unauflöslichen Zusammenhang zwischen der Wissenschaft und der Praxis: „Dass der neusprachliche Unterricht der Philologie nicht entraten kann, unterliegt für mich keinem Zweifel. Aber auch die philologische Betätigung würde gut dabei fahren, wenn sie sich - mehr als neuerdings schon - moderneren, sogar ,praktischeren‘ Stoffen zuwenden wollte.“ (Viëtor 1903, 102; Fußnote 2). Auch Münch (1897) argumentiert ähnlich, wenn er beklagt, dass Studiendauer und Nutzen des Studiums für die spätere Unterrichtspraxis in einem wenig „harmonischen Verhältnis“ stehen (Münch 1897, 334). Daher muss es Aufgabe der Zukunft sein, alle Epochen der Geschichte der Sprachen und Literaturen im Studium zu behandeln, die Studierenden zu mehr Selbsttätigkeit zu führen und einen vermittelnden Weg zwischen Idealvorstellungen (von Studium und Lehrertätigkeit) und den tatsächlichen Bedürfnissen der Praxis zu finden (vgl. Münch 1897, 345). 7 Blicke in die Praxis Die Berücksichtigung von Theorie oder Wissenschaft einerseits und Praxis andererseits ist auch ein zentrales Anliegen von DNS. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, spielen Berichte aus der Unterrichtspraxis im In- und Ausland eine wichtige Rolle. Insbesondere in den ersten Jahrgängen sind zahlreiche Beiträge zu finden, in denen Lehrer darlegen, wie sie an ihrer Schule die neuen Verfahren erprobt und welche Erfahrungen sie dabei gemacht haben, so z. B. Jaeger in Cannstadt ( Jaeger 1894) oder Junker in Bockenheim ( Junker 1894). In beiden Fällen erfolgten diese „Lehrversuche“ ( Junker) an Realanstalten, was unterstreicht, wie wichtig gerade dieser Typ von höheren Schulen für die Umsetzung der Reform waren. Auch die Mädchenschulen spielten für die Verbreitung der Reformgedanken eine nicht unwichtige Rolle, hatte doch in deren Fremdsprachenunterricht die Unterweisung in formaler Grammatik nie dieselbe Bedeutung besessen wie in den Knabenschulen. Wickerhauser (1895, 1896) stellt in zwei kurzen Beiträgen in allen Einzelheiten dar, wie sie in einer Mädchenklasse eines Gymnasiums in Agram (heute: Zagreb) mit dem Lehrwerk von Viëtor/ Dörr (1900) während zwei Schuljahren gearbeitet hat. Die abgedruckten Schülerarbeiten (insgesamt neun verschiedene Arbeiten von acht Schülerinnen; vgl. Wickerhauser 1896, 488) zeigen ein für heutige Maßstäbe erstaunliches Niveau für die ersten beiden Lernjahre, dies auch angesichts der Tatsache, dass den Schülerinnen kaum häusliche oder andere außerschulische Hilfe zuteil werden konnte. Diese oft sehr detaillierten Schilderungen des Fremdsprachenunterrichts in ganz unterschiedlichen Kontexten und Umständen, zu denen im Übrigen auch die im Buchformat erschienenen Berichte von Klinghardt (1888 und 1892) zählen <?page no="203"?> (dazu Klippel 2013), erfüllen eine doppelte Funktion. Zum ersten liefern sie Argumente für oder gegen methodische Verfahren, die von der Reformbewegung vorgeschlagen wurden, dazu Ideen zur Verbesserung, Ergänzung und Anpassung von Unterrichtstechniken und beleben dadurch die Diskussion der Unterrichtsmethodik. Zugleich dienen sie der Bestärkung der Reformideen, indem durch empirische Belege wie Schülerarbeiten oder Unterrichtsabläufe demonstriert werden kann, dass sich die Reformideen praktisch und erfolgreich umsetzen lassen und zu Resultaten führen, die denen der alten Methode nicht nachstehen oder diese sogar übertreffen. Die zweite Funktion liegt in der internationalen Vernetzung, denn wie die Übersicht in Tabelle 2 zeigt, geht es nicht nur um Berichte aus deutschen Schulen, sondern auch aus anderen Ländern. Dieser internationale Gedankenaustausch ist ein wichtiges und innovatives Merkmal der neusprachlichen Reformbewegung, das durch die vielen Berichte in DNS eindrucksvoll bestätigt wird. 8 Hilfen für die Praxis Eine Fachzeitschrift, die sich an Lehrer und an Wissenschaftler wendet, muss beiden Gruppen etwas bieten. Durch alle hier untersuchten Bände von DNS zieht sich ein starker Strang von Beiträgen, die man als „Hilfen für die Praxis“ umschreiben könnte. Dazu zählen zuerst die in jedem Heft enthaltenen, überaus detailreichen und gründlichen Rezensionen von wissenschaftlichen Werken, Sprachlehrbüchern aller Art, Lektüren für den Schulgebrauch, Werken zur Landes- und Realienkunde der Sprachenfächer, Bildern für den Unterricht, Studienführern und anderen relevanten Schriften. Auch bei den Rezensionen sind Werke aus dem Ausland vertreten. Im Kontrast zu vielen Rezensionen in heutigen Fachzeitschriften steht die Akribie, mit der Rezensenten die Publikationen genau durchsehen und beurteilen, wobei man sich vor kritisch harten Äußerungen nicht scheut. Der in jedem Heft enthaltene Berichtsteil ist eine wahre Fundgrube an hilfreichen Informationen für Fremdsprachenlehrer. So finden sie hier Besprechungen von internationalen und nationalen Ferienkursen, Adressen für Aufenthalte im zielsprachigen Ausland, Berichte zu regionalen, nationalen und übernationalen Tagungen und Versammlungen von Neuphilologen, Informationen zu aktuellen Gegebenheiten in den Zielländern sowie Berichte über Fremdsprachenunterricht und Vereinigungen von Fremdsprachenlehrern in anderen Ländern. Auch über den internationalen Schülerbriefwechsel wird informiert. Zusätzlich gibt es vielfach kürzere Beiträge in der Rubrik ‚Vermischtes‘, die sich mit einer Vielzahl von Aspekten beschäftigen; der 2. Band von 1895 mag hier als Beispiel dienen: Verfahren der Leistungsmessung in Finnland, eine neusprachliche Zeit- Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 193 <?page no="204"?> 194 Friederike Klippel schrift in Italien, die „English School“ in Oxford, Hölzels Bilder, Alt- und Neuenglisch auf deutschen Universitäten, ein französisch-englisches Auskunftsbüro in Paris, Englisch als erste Fremdsprache vor Französisch, um nur einige Themen zu nennen. Insgesamt ergibt sich der Eindruck einer sehr lebendigen, auf Austausch und Diskussion, Weiterlernen und ständiger Verbesserung bedachten Kommunikation innerhalb der Neuphilologen. Diese genannten Informationsangebote werden ab dem Jahr 1897 um eine neue Facette erweitert. In diesem Jahr gründet der Sächsische Neuphilologenverband die „Zentralstelle für Anfragen und Berichtigungen zur Förderung der fremdsprachlichen Lektüre“ (Meier 1898, 428). Diese setzt sich zum Ziel, die fremdsprachliche Lektüre im Fremdsprachenunterricht dadurch zu fördern, dass sie Fragen beantwortet, Anregungen und Berichtigungen sammelt und veröffentlicht. Gerade für Lehrer, die außerhalb der Großstädte arbeiten und keine Bibliotheken zur Verfügung haben, sei es hilfreich, Auskünfte zu Textinhalten und deren sprachlicher Gestaltung einholen zu können. Schon wenige Monate später druckt DNS die Reaktionen der Zentralstelle auf erste Anfragen ab (DNS 1898/ 99, 91 ff.). Sowohl zu französischen als auch englischen (meist literarischen) Texten werden auf der Basis von Anfragen aus der Lehrerschaft Begriffe erläutert, Übersetzungshilfen gegeben, sachliche Unrichtigkeiten in Unterrichtsmaterialien berichtigt, historische Zusammenhänge knapp erklärt oder Gedichtverse interpretiert. Es ist erstaunlich, mit welchem Recherche-Enthusiasmus und welchem profunden philologischem, literatur- und kulturgeschichtlichem Wissen hier Textarbeit betrieben wird. Die Lektüre zusammenhängender Texte ist ein Hauptziel des Unterrichts im Sinne der Reform; es ist daher sofort einsichtig, dass man denen helfen muss, die sich im Studium nun gerade nicht mit der Literatur der Gegenwart oder jüngeren Vergangenheit beschäftigen konnten, die sie im Unterricht jedoch behandeln müssen und wollen. Um die Lektüre geht es auch bei einer weiteren Aktivität des Neuphilologenverbandes, die des Kanonausschusses. Auf dem 8. Neuphilologentag in Wien im Jahre 1898 berichtet Müller, dass der Ausschuss über 2000 Gutachten von Lehrkräften zur Brauchbarkeit von französischen und knapp 1000 Gutachten zu englischen Lektüren durchgesehen hat. Da diese Arbeit von nur wenigen Kollegen nicht zu leisten sei, plädiert Müller für eine Aufteilung des Ausschusses in eine französische und englische Abteilung mit je 30 bis 40 Mitgliedern (Verhandlungen 1898, 107 f.). Das Resultat der Arbeiten dieses erweiterten Kanonausschusses ist neben einer Liste der Mitglieder in DNS veröffentlicht (Müller 1898/ 99). Die französischen Lektüren werden mit Angaben zu Titel, Autor, Bearbeiter, Verlag und Preis, zu geeigneter Schulart und Klassenstufe sowie mit ihrer Eignung für statarisches oder kursorisches Lesen gelistet. Für die Hand des Französischlehrers ist dies eine unschätzbare praktische Hilfe. <?page no="205"?> 9 Methodik Es überrascht nicht, dass zahlreiche Beiträge in DNS sich mit methodischen Fragen befassen, schließlich ist die ,neue‘ Methode der Kern der Neusprachenreform. Betrachtet man die einzelnen Bereiche der Methodik in Tabelle 2 (s. o.), dann fallen die Schwerpunkte, aber auch die Leerstellen ins Auge. Intensiv erfolgt die Auseinandersetzung mit der Methode Gouin, was vor allem zwei Autoren zuzuschreiben ist; Kron und Knorr. Breymann (1895, 1900) hat diese Beiträge nicht in seine Bibliographie aufgenommen, da die Gouin’sche Methode auf eine gezielte Ausspracheschulung verzichtet und somit der Phonetik keinen Platz gibt. Zwei weitere Schwerpunkte betreffen die Anschauung im Fremdsprachenunterricht, wozu vor allem die ab dieser Zeit in vielfachen Ausfertigungen verfügbaren (Wand-)Bilder dienen, und die Lektüre, worunter im heutigen Sprachgebrauch sowohl die unterrichtliche Textarbeit zu verstehen ist als auch die häusliche oder Privatlektüre. Es wird deutlich, dass man damals den Fremdsprachenunterricht anders konzeptuell verstanden hat. Die Breitenwirkung der neuen Wissenschaft der Phonetik führt zwar dazu, dass man Fragen der Ausspracheschulung breit praktisch und theoretisch erörtert (Schmidt 1894; Rambeau 1895a; Beyer 1895; Tupschewsky 1895; Ackerknecht 1896; Mörch 1896; Bretegnier 1898), doch werden andere, im heutigen Verständnis ebenbürtige Teilbereiche wie Wortschatz- und Grammatikvermittlung nicht oder nur ganz am Rande thematisiert. Viele Beiträge betreffen die Methodik als Gesamtansatz und erörtern sie mit Blick auf den konkreten Englisch- oder Französischunterricht an bestimmten Schulformen oder -stufen (z. B. Meyer 1894; Müller 1896). Auf die vielen Facetten der Unterrichtsmethodik und ihre zum Teil kontroverse Diskussion kann ein kurzer Beitrag wie dieser jedoch nicht näher eingehen, zumal zu einzelnen Aspekten, etwa zur Anschauung (Reinfried 1992) bereits gute Studien vorliegen. 10 Aufbruchstimmung Wenn man sieben Bände einer Zeitschrift durchsieht, viele Beiträge liest und überfliegt, dann gewinnt man einen guten Eindruck vom Duktus, der in ihr herrscht. Was DNS in diesen ersten Jahren auszeichnet, ist eine in fast allen Beiträgen zu entdeckende Begeisterung für die unterschiedlichen Aspekte des neusprachlichen Unterrichts und für die Neuphilologie, für den intensiven Austausch mit anderen Neuphilologen und für den Blick über die Grenzen. Die Herausgeber sehen ihre Aufgabe nicht nur darin, interessante Aufsätze zu redigieren, sondern auch darin, selbst recherchierend und kommentierend tätig zu sein, eigene Beiträge beizusteuern und in Kontroversen mit einem eigenen Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 195 <?page no="206"?> 196 Friederike Klippel Standpunkt vertreten zu sein. Dabei ist es keineswegs so, dass nur Beiträge, Berichte und Rezensionen in DNS zu finden sind, die der harten Reformlinie entsprechen; es gibt durchaus unterschiedliche Gewichtungen. Im Vergleich zu heutigen fremdsprachendidaktischen Zeitschriften in Deutschland fallen zwei Dinge besonders auf: Internationalität und Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis. Man wollte wissen, wie anderswo Fremdsprachen unterrichtet und Fremdsprachenlehrer ausgebildet werden. So führte Wilhelm Viëtor im Auftrag des 6. Neuphilologentages in Karlsruhe zusammen mit Kollegen eine Umfrage in außerdeutschen Ländern durch, die klären sollte, wie dort die Ausbildung inhaltlich und strukturell gestaltet ist und unter welchen Bedingungen Sprachenlehrer arbeiten (vgl. Viëtor 1897). Auch die im deutschen Kontext und in DNS immer wieder diskutierten Fragen des Auslandaufenthalts und der Ferienkurse wurden eruiert. Wie nicht anders zu erwarten, waren die Unterschiede ganz enorm, wobei die Neuphilologie in den skandinavischen Ländern stärker etabliert sei als in den romanischen. Nach Viëtors Ansicht könne man in Deutschland am meisten von Frankreich, Skandinavien, Finnland (dies wird separat genannt), Kanada und Chile lernen. Auch im Ausland werde die Entwicklung in Deutschland aufmerksam verfolgt (vgl. Viëtor 1897, 199). Dieses Eingebundensein in einen internationalen Diskurs unterscheidet DNS von anderen neuphilologischen oder pädagogischen Zeitschriften der Zeit und wird auch dadurch offenbar, dass nicht-deutschsprachige Beiträge und solche von zahlreichen außerdeutschen Autoren und Autorinnen abgedruckt werden. Das zweite hervorstechende Charakteristikum ist der reflektierte Umgang mit der Unterrichtspraxis und deren wissenschaftlicher Fundierung. Zum ersten Mal in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts besteht eine ausreichend große Diskursgemeinschaft, in der Sprachlehrer über ihre Erfahrungen im Unterricht berichten, diese mit Blick auf traditionelle oder reformerische Konzepte überprüfen, mit dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand abgleichen und sich der Meinung des professionellen Umfelds stellen können. Es ist ein moderner, ein empirischer Zugriff, der in dieser Zeit insbesondere unter den Reformern zu finden ist. Sie beobachten sich selbst als Unterrichtende, dokumentieren ihre Verfahren, Materialien und die Schülerleistungen, um dann zu überlegen, inwieweit das gewählte Vorgehen effektiv, lernfördernd und motivierend war. Es wäre sicherlich aufschlussreich, diese Praxisberichte einer gründlichen Analyse zu unterziehen. Die ersten Jahrgänge von DNS liefern uns wichtige Erkenntnisse zu dieser Epoche der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts; sie lassen spüren, mit welchem hohen Arbeitseinsatz, missionarischem Eifer gepaart mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und beachtlicher fremdsprachlicher Kompetenz sich <?page no="207"?> die Neusprachenreformer für die Verbesserung von Unterricht und Lehrerbildung eingesetzt haben. Dass sie bei den eher traditionell eingestellten Gymnasiallehrern, deren aktives Sprachkönnen oftmals wenig flüssig und korrekt war, damit Widerstand auslösten und Verunsicherung schufen, steht außer Frage. Ebenso ist unstrittig, dass sich die Reformgedanken nicht in der Breite durchsetzen konnten; hier könnte man eine Parallele zur Umsetzung des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts knapp hundert Jahre später sehen. Die beiden letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts bilden dennoch eine für den modernen Fremdsprachenunterricht grundlegende Epoche, die es verdient, noch genauer erforscht zu werden. Literatur Ackerknecht, J. (1896): „Die bindung im französischen unterricht“. In: Die Neueren Sprachen 3, 393-408. Araujo, Fernando (1894): „L’enseignement linguistique en Espagne“. In: Die Neueren Sprachen 1, 41-44. Aronstein, Philipp (1896): „England um die mitte des 18. jahrhunderts. Ein beitrag zur kulturgeschichte“. In: Die Neueren Sprachen 3, 216-228, 288-299 und 341-366. Aronstein, Philipp (1897): „Die entwicklung der höheren knabenschulen in England“. In: Die Neueren Sprachen 4, 457-476, 513-544 und 577-595. Aronstein, Philipp (1899/ 1900): „Samuel Pepys und seine zeit“. 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Die Neueren Sprachen (1894 bis 1900): Schwerpunkte des Reform-Diskurses 207 <?page no="219"?> Glanz und Elend Neuphilologischer Verbandsarbeit-- vom ADNV über den FMF zum GMF Hermann Funk Zu den Themen, mit denen sich Marcus Reinfried vermehrt in den letzten Jahren befasst hat, gehört auch die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts. Zu seinen vielseitigen verdienstvollen Tätigkeiten gehört sein Engagement für den Fachverband der Französischlehrkräfte, die VdF. In diesem Beitrag zu seiner Festschrift verbinde ich diese beiden Themen zu einer Längsschnittbetrachtung, die eine Verortung der neuphilologischen Verbandsarbeit der Gegenwart ermöglicht, die sich in den vergangenen Jahren in Richtung einer politischen und fachpolitischen Bedeutungslosigkeit verändert hat. Die Form der Festschrift erscheint dabei als geeignete Form eines Blicks zurück, mit dem Ziel aktuelle Entwicklungen verständlicher zu machen. Die Arbeit der Fachverbände der Fremdsprachenlehrkräfte ist traditionell ein verbindendes Element zwischen Theorie und Praxis des Faches, deren Vertreterinnen und Vertreter in Tagungen und Projekten gemeinsam fachlich und fachpolitisch tätig sind. An erster Stelle sind dabei die Fachverbände der Englisch- und Französischlehrkräfte zu nennen, die jeweils mit vierstelligen Mitgliederzahlen - zu diesem Thema wird noch Genaueres zu sagen sein - Kongresse gestalten und zwar sowohl einzelsprachliche überregionale Fachkongresse als auch regionale Fachtagungen bzw. Landessprachenkongresse. In den letzten 15 Jahren haben sich die Verbände und ihre Zusammensetzung in vielfacher Weise gewandelt, zum Teil im Gleichklang und in der Folge gesellschaftlicher Entwicklungen der Entsolidarisierung und dem Wandel traditioneller Formen der organisierten Interessenvertretungen, wie sie auch die politischen Parteien und die Gewerkschaften in schwindenden Mitgliederzahlen verspüren, zum Teil aber auch durch interne Querelen und das Unvermögen, den Wandel zu gestalten. Die sich verändernde Form gesellschaftlichen Engagements lässt sich nicht unbedingt mit Desinteresse, zunehmender Individualisierung und abnehmender Bereitschaft, Anstrengungen auf sich zu nehmen, erklären. Auch lässt die Entwicklung des Spendenaufkommens in Deutschland nicht darauf schließen, dass es keine Bereitschaft gäbe, weiterhin Mitgliedsbeiträge zu einem Fachverband zu entrichten, wenn dies als nützlich angesehen würde. Engagement vollzieht <?page no="220"?> 210 Hermann Funk sich allerdings zunehmend spontaner, schneller und zielgerichteter, durch die sozialen Netzwerke gestützt. Langfristige Bindungen wie Dauermitgliedschaften werden dabei eher vermieden. Die Dramatik der gegenwärtigen Situation soll hier durch einen Rückblick auf die Interessenvertretung der Neuphilologen in den 20er Jahren veranschaulicht werden. 1 Verbandsarbeit in der Weimarer Republik-- reaktionäre Moderne und organisatorische Innovation Die Vielfalt der Verbandsarbeit jener Jahre, in denen Französisch in Preußen 1. Fremdsprache war, kann in diesem Rahmen nicht gewürdigt werden, ihre Qualität soll aber hier in der Person des damaligen Vorsitzenden Adolph Bohlen verdeutlicht werden, unter dessen Führung sich der damalige Allgemeine Deutsche Neuphilologenverband (ADNV), Vorläuferorganisation des Fachverbandes Moderne Fremdsprachen und des späteren Gesamtverbandes Moderne Fremdsprachen von einer berufsständischen Organisation in einem spätfeudalen Ständestaat, dem Deutschen Kaiserreich, hin zu einer modernen Interessenvertretung entwickelte, die alle Ebenen der neuphilologischen Theorie und Praxis umfasste - von der besoldungs- und beamtenrechtlichen Seite bis hin zur Entwicklung der Theorien des Faches, der Kulturkunde bis hin zur Schulorganisation und der Curriculumarbeit. In der Fachliteratur ist bisher fast nur Adolf Bohlens Rolle als 1. ADNV-Vorsitzender nach 1945 und Verfasser fremdsprachendidaktischer Aufsätze und Monographien gewürdigt worden. Trotz seines großen Einflusses nach 1945 dürfte er in der Öffentlichkeit in der Weimarer Zeit bekannter gewesen sein. In bisherigen Darstellungen der Verbandsgeschichte wird Bohlens Einfluss nur implizit deutlich oder unterbewertet (vgl. Hamburger 1974; Heinemann 1977; Kunz 1984). Bohlen begann seine Lehr- und Verbandstätigkeit als Studienassessor im westfälischen Münster. 1922 war er, den Weggefährten wie Paul Hartig später als „eine Persönlichkeit von äußerster Dynamik; [...]“ bezeichneten 23 , bereits Vorsitzender des Westfälischen Philologenverbandes. Gleichzeitig leitete er die an den Westfälischen Philologenverein angegliederte ,Nachrichtenstelle für Beamtenbesoldung‘. Vor allem die letztere Tätigkeit, der Ausbau der ,Nachrichtenstelle‘ zu einem durch gezielte publizistische Tätigkeit öffentlichkeitswirksamen Instrument der Verbandspolitik machte Bohlen überregional bekannt. Sein Spezialthema ,Besoldungsfragen‘ - es war angesichts von Reichsfinanzreform, Bildungsreformen und Etat-Kürzungen auch ein Schwerpunkt der Verband- 23 „[...] er war von sich selbst durchdrungen, er duldete nicht gern Widerspruch“ (Hartig 1981, 70). <?page no="221"?> Glanz und Elend Neuphilologischer Verbandsarbeit-- vom ADNV über den FMF zum GMF 211 stätigkeit insgesamt - trug zu seinem raschen Aufstieg bei. Bohlen, der außer dem Westfälischen automatisch auch dem Preußischen und dem Deutschen Philologenverband angehörte, vertrat die Philologenverbände ab 1923 auch im Vorstand des Reichsbundes der Höheren Beamten. In dieser Organisation wurde der 1. Vorsitzende des Preußischen Philologenverbandes, Wilhelm Bolle, in Berlin auf den rührigen Besoldungsexperten aus Münster aufmerksam. Bohlens insgesamt nahezu 100 Artikel zu Besoldungsfragen in den Jahren 1922 bis 1933 waren stets ebenso sachkundig wie drastisch und nicht selten polemisch. 1922 schon sah er die Philologen in einem „Endkampf “ um die „gleitende Gehaltsskala“ (Bohlen 1922a, 41). In einer Kontroverse mit dem sozialdemokratischen „Vorwärts“ versuchte er nachzuweisen, dass ein Dachdecker finanziell bessergestellt war als ein Regierungsrat (Bohlen 1923a, 245). Als Gegner im Besoldungskampf machten die Philologen neben der Reichsregierung auch die Gewerkschaften aus: „Es ist seit langem die Taktik der Arbeitergewerkschaften, sich an die Rockschöße der Beamten zu hängen und diesen jeden Wiederaufstieg unmöglich zu machen.“ (ebd.) Als im Krisenjahr der Republik 1923, die ursprünglich vierteljährliche, dann monatliche vorübergehend auf eine wöchentliche Gehaltsvorauszahlung umgestellt werden sollte, urteilte Bohlen: Wir stehen heute auf dem Trümmerhaufen des Berufsbeamtentums! In Scherben liegt alles. Nach dem Wegfall der Vierteljahreszahlung jetzt sogar die Wochenzahlung, die in Wirklichkeit zu einer täglichen geworden ist. Nichts unterscheidet uns mehr von einem Tagelöhner als der Lohn selbst, und zwar fällt die Unterscheidung zu unseren Ungunsten aus. (Bohlen 1923b, 339) 24 1926 holte Bolle, der nach einem Autounfall in der Verbandsarbeit zurücksteckte, den Studienrat aus Münster nach Berlin, wo er als hauptberuflicher Interessenvertreter seine publizistische Tätigkeit verstärkte und bald eine Vielzahl von Funktionen auf sich vereinigte: 1927 wurde er zum Vorsitzenden des preußischen Landesverbandes des Reichsbundes höherer Beamter gewählt, 1928 wurde er Stellvertreter Bolles im Vorstand des Preußischen Philologenverbandes, im gleichen Jahr 3. Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes. Auf der Verbandstagung in Wien 1929 - nach einem „temperamentvolle(n) Referat“ (so die Anmerkung im Tagungsprotokoll, Dt. Phil ., 1929, 325) wurde er dann 2. Vorsitzender des Verbandes. Die Ämterhäufung war kein Zufall, sondern Teil einer Strategie der Interessenvertretung, die Bohlen theoretisch begründete und praktisch personifizierte und die die Verbandsarbeit in der Weimarer Zeit 24 Die Besoldungskämpfe der Weimarer Zeit beschreibt Hamburger 1974, u. a. 200 ff. und 247 ff. <?page no="222"?> 212 Hermann Funk erheblich von der Verbandsarbeit vor dem Weltkrieg unterschied. Bohlen selbst wies 1922 auf die Unterschiede hin. Im Kaiserreich waren die meisten Verbandsfunktionen ehrenamtlich tätig. Die Aufgaben hatten sich in den Regionen auf Tagungsvorbereitungen und in der Verbandsspitze auf Kontakte mit den Ministerien beschränkt. Die „große Mehrzahl“ der Vertreter waren „im Amt ergraute Philologen“ (Bohlen 1925a, 394). Sie vor allem forderte Bohlen zum Umdenken auf, da politische und publizistische Tätigkeit im neuen Staat zugenommen hätten und hauptberufliche Interessenvertreter verlangten. Wenn Bohlen nun von „unserer schlagkräftigen Organisation“ (Bohlen 1922a, 42) sprach, so waren das für viele Verbandsvertreter neue Töne. Bohlen: Jede Zeit hat ihre besonderen Methoden: das werden sich auch jene sagen müssen, die lieber die ‚gute alte Zeit’ preisen und eine Wiederkehr ihrer Organisationsformen im kleinen wie im großen sehnlichst herbeiwünschen. (Bohlen 1922b, 153) Im Sinne der Effektivierung der Verbandsarbeit wünschte sich Bohlen konsequenterweise auch die Einheitsorganisation der Beamten; ihre Mobilisierung im Alltag und ihre Politisierung. „Hinein in die politischen Parteien! “, so zitiert Bohlen eine Parole des Philologenverbandes (Bohlen 1929a, 179). Mehr noch, er gab seinen Kollegen auch Tipps, wie man die Verbandsinteressen in Wahlkampfveranstaltungen vertreten sollte. Bohlen selbst engagierte sich im Deutschnationalen Lehrerbund. In diesem Zusammenhang ist der beispiellos hohe Organisationsgrad der Philologen bemerkenswert: Bohlen geht für das Schuljahr 1926/ 27 etwa von 30.000 Mitgliedern aus, das sind, wie ein Vergleich mit der Reichsschulstatistik zeigt, mehr als 90% der vollbeschäftigten Lehrer an den höheren Schulen. Vergleicht man die Zahl mit den insgesamt 100.000 höheren Beamten im Deutschen Reich, so lässt sich daraus auf das Gewicht der Philologen und ihrer Vertreter im Reichsbund schließen. 25 Der Organisationsgrad spiegelt sich auch in den Teilnehmerzahlen an den Verbandstagen. Dazu ein Beispiel: An der von Adolf Bohlen Anfang 1925 in Münster selbst veranstalteten regionalen „Pädagogische Woche“ zum Thema „Auswirkungen der preußischen Schulreform“ - so auch der Titel der von Bohlen (1925) herausgegebenen Tagungsdokumentation - nahmen mit 1200 Teilnehmern mehr Philologen an einer derartigen Veranstaltung teil als jemals zuvor, wie Bohlen im Vorwort zur Dokumentation vermerkt. Das waren etwa ebenso viele wie auf dem FMF-Bundeskongress 1996 in Kassel. Zum Vergleich: Derzeit kommen Bundeskongresse des GMF auf ca. 500 Teilnehmende. 25 „100000 höhere Beamte gibt es in Deutschland. Wenn nur ein erheblicher Bruchteil von ihnen seine Pflicht tut, [...] so wird sich die gute Wirkung bald zeigen.“ (Bohlen 1924, 51) <?page no="223"?> Glanz und Elend Neuphilologischer Verbandsarbeit-- vom ADNV über den FMF zum GMF 213 Abb. 1: Deutsches Philologenblatt , Anzeigen, 6. u. 27. Januar 1932. Dass die Innovationen in Form und Inhalt philologischer Interessenvertretung in den 20er Jahren, nicht von allen Verbandsvertretern widerspruchslos nachvollzogen wurden, wird in einem lesenswerten Grundsatzartikel Bohlens, in dem er „Gedanken über Organisationsführung“, so der Titel, anstellt deutlich (Bohlen 1930, 511). In dem Artikel fordert er „Disziplin“ und den „Vorrang der Taktik“ (ebd., 512). Adolf Bohlen propagierte das Prinzip einer effektiven Führung nicht nur, er demonstrierte es in vielfacher Weise. Die Verbandsaktivitäten beschränkten sich unter seiner Regie, wie bereits angedeutet, keineswegs auf Artikel in Fachzeitschriften und Termine beim zuständigen Ressortminister. Beispielsweise sollten Fachtagungen stärker publizistisch genutzt werden. Hierzu empfahl er Einflussnahme auf die Redaktionen vor Ort. Falls dort kein Interesse vorhanden wäre, empfahl er den Kollegen „[...] etwas nachzuhelfen“ (Bohlen 1926, 386) und mahnte: „Die Presse ist kein Automat, in dem man nur seinen Bezugspreis zu werfen braucht, um die gewünschten Artikel lesen zu können; [...] “ (ebd.) Öffentlichkeitswirksam waren sicher auch Bohlens Kontroversen mit dem Reichstagsabgeordneten, Gewerkschaftsvorsitzenden und späteren CSU-Mitbegründer Stegerwald (Bohlen 1927, 709). Eine ganze Reihe weiterer ungewöhnlicher, publizistisch wirksamer Aktivitäten - etwa ein Telegramm an Reichspräsident Hindenburg über das das Deutsche Philologenblatt in seiner Juni-Ausgabe 1932 berichtet - könnten noch als neue, effektive Formen philologischer Interessenvertretung gewürdigt werden, die größtenteils auf Adolf Bohlens Initiative zurückgingen. Nach einem längeren Englandaufenthalt würdigte Bohlen schon 1925 die „Erziehung von Führerpersönlichkeiten“ (Bohlen 1925b, 506) sowie die vormilitärische Ausbildung in den Schulen („systematischer militärischer Drill“) (ebd., 507). Die für die philologische Verbandsarbeit der Weimarer Zeit so typische <?page no="224"?> 214 Hermann Funk Verbindung zwischen wirksamer Mobilisierung und Politisierung und Vernetzung einerseits und konservativ-reaktionärer Programmatik andererseits kann an weiteren Beispielen veranschaulicht werden. Im September 1928 organisierte der „Westfälische Philologenverein“ beispielsweise eine Vortragsreihe im Rahmen einer Verbandstagung zum Thema „Die höhere Schule im Dienste der Volksgemeinschaft“ auf der neben Bohlen, der eine „[...] Überwindung parteipolitisch Differenzen“ und eine „[...] Einordnung in die Volksgemeinschaft [...]“ (Bohlen 1928, 598) forderte, die Reichstagsabgeordneten Hugo und Joos 26 sprachen. Schon 1922 hatte Bohlen „die deutlichen Symptome eines schwer kranken Volkskörpers“ (Bohlen 1922b, 152) diagnostiziert. Häufig wurde die politische Zersplitterung in der Weimarer Republik bedauert. Wilhelm Bolle beklagte als Ursachen des verlorenen Krieges „zu geringes Artbewußtsein und Mangel an innerer Geschlossenheit“ (Bolle 1922, 113). Staat und Gewerkschaften, Arbeiter und angeblich beamtenfeindliche Kräfte in Parlament und Regierung - dieser Front sahen sich die Philologen nach eigenem Bekunden in der Republik gegenüber. Ihr galt der Aufbau einer schlagkräftigen Organisation, deren Selbstbewusstsein bemerkenswerte Formen annahm, wie die Äußerung Bohlens in einem Referat 1929, dass man mit dem deutschen Staat „Auf der Grundlage der Gleichberechtigung“ verhandele (Bericht über den Verbandstag in Wien, Dt. Phil ., 1929, 325), andeutet. Vom Dienstverhältnis der „Beamtenführer“ - so Bohlen über sich und seine Kollegen (Bohlen 1929b, 346) - ist in dieser Äußerung nichts zu spüren. Soweit aus veröffentlichten Berichten über Gespräche zwischen den Verbandsspitzen und dem preußischen Kultusministerium im Philologenblatt nachvollziehbar ist, nahm Adolf Bohlen auch als Mitglied im „Siebener-Ausschuß“ der Philologen zur Beratung des Ministeriums an der Vorbereitung der preußischen Schulreformen teil (vgl. Bolle 1924; Bohlen 1924). Die Beteiligung der Philologen an den Richertschen Reformen 1924 stellte sicher, dass die kultur- und deutschkundlichen Ziele zum inhaltlichen Kernpunkt der gymnasialen Bildung in Preußen wurden. Inhaltliche Arbeit, politische Vernetzung und mediale Modernität bei hohem Organisationsgrad. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte gab es eine effektivere Verbandsarbeit der Neuphilologen als in der Weimarer Zeit. Zunehmend wurden in der Verbandsarbeit auch die Möglichkeiten der neuen Medien für die Interessenpolitik der Philologen erkannt und genutzt, wie die folgenden Ankündigungen im Deutschen Philologenblatt 1932 belegen: 26 MdR Hugo war Syndikus der Bochumer Industrie- und Handelskammer und sprach zu einem Thema, dem auch Bohlen zahlreiche Artikel widmete: „Moderne Wirtschaft und höhere Schule“; MdR Joos gehörte wie Stegerwald den christlichen Gewerkschaften an. <?page no="225"?> Glanz und Elend Neuphilologischer Verbandsarbeit-- vom ADNV über den FMF zum GMF 215 Wesentliche Grundprinzipien des NS-Staates finden sich in den politischen Äußerungen der ranghöchsten Neuphilologen in der Verbandshierarchie der Philologen der 20er Jahre wieder: die Idee der Volksgemeinschaft, die Überwindung parteipolitischer Differenzen, die Expansion eines starken deutschen Nationalstaates und die Anerkennung des Führerprinzips machten im inhaltlichen Bereich einen bruchlosen Übergang in den NS-Staat möglich. Vor diesem Hintergrund kann nicht verwundern, wie reibungslos sich dieser 1933 vollzog, wenngleich die Hoffnung auf eine organisatorische Selbstständigkeit sich bald als Illusion erweisen sollte. Bohlens Bekenntnis zum Führerprinzip spricht auch aus einem Kommentar zur nationalsozialistischen Machtübernahme 1933, mit dem er einen Artikel über Geländesport - ein Thema, zu dem der Sportlehrer in den 20er Jahren übrigens häufiger als zu neuphilologischen Fragestellungen veröffentlichte - schloss: Die energische Staatsführung, deren wir uns erfreuen, bietet die Gewähr dafür, dass nunmehr auch auf dieser Linie der Vormarsch nach festen Zielen angetreten wird. Alle, die vor dem Krieg ein solches Ziel ersehnten, es im Kriege erreicht glaubten und es nach der Revolution verschüttet sahen, sind von neuem Hoffen erfüllt und zur Mitarbeit bereit. Vorwärts für Deutschland. (Bohlen 1933, 206) Bolle, ebenfalls in Verbands- und Vorstandsfunktionen seit Beginn der 20er Jahre, bemerkte treffend: „Der Reichsbund ist die einzige Gesamtbeamtenorganisation der Weimarer Zeit […], die ihre Vergangenheit nicht zu verleugnen braucht und die ohne Bruch ihrer Tradition von dem alten in den neuen Staat hinüberführt.“ (Bolle 1934, 13) Die in den 20er Jahren geforderte Einheitsorganisation der Philologen und Beamtenverbände hatte mit der nach 1933 durchgesetzten Einheitsorganisation nichts gemein. Sie wirkte in die Gegenrichtung: ein Instrument der Durchsetzung der Interessen des Staates gegenüber den Philologen. 2 Philologische Verbandsarbeit nach 1945-- Restauration, Wandel und Niedergang Die Verbandsarbeit in den Jahren nach 1945 kann in diesem Rahmen nur kurz skizziert werden und bedürfte einer weiteren Aufbereitung. Sie kann in drei Phasen unterteilt werden: • Die Phase der Restauration in den ersten 20 Nachkriegsjahren mit einem hohen Grad an personeller Kontinuität. Bohlen, Münch, Hartig und andere Philologen, die vor 1945 zu Führerprinzip und rassischer Grundlage der Bildung publiziert hatten, standen nach dem Krieg auch für den Neuaufbau des ADNV in den Gründungsjahren der Bundesrepublik und für die Restauration kulturkundlicher Prinzipien der 20er Jahre, unter <?page no="226"?> 216 Hermann Funk Verleugnung ihrer deutschkundlichen-deutschnationalen Genese. Eine Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit der Philologen und ihrer Verbände fand ebenso wenig statt wie bei Medizinern und Juristen. • Die Phase der beginnenden wissenschaftlichen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts in den 60er Jahren. Während noch in den 50er Jahren führende Verbandvertreter (hier ist die ausschließlich männliche Form gerechtfertigt) jene Tradition der Personalunion zwischen Lehrplangestaltung, fachlicher Arbeit und z. T. auch noch Lehrwerkautorenschaft verkörperten, die für die Jahre bis zum Kriegsbeginn 1939 so prägend und aus Sicht der Neuphilologie erfolgreich war, ging diese Konstellation in der Folge des Ausbaus der wissenschaftlichen Didaktik und Lehrerbildung rasch zu Ende. Die fachliche ,Deutungshoheit‘ ging vom Verband an die Universitäten über, deren Fachvertreterinnen und Vertreter in den Verbänden zunehmend aktiv mitwirkten. Durch die Ausweitung des Englischunterrichts auf die Hauptschulen nach dem Hamburger Abkommen 1961 konnte die gymnasial geprägte Fremdsprachendidaktik keine universelle Gültigkeit mehr beanspruchen und keine verbandspolitische Bindungskraft mehr entwickeln. Der sich in den 70er Jahren entwickelnden Fremdsprachendidaktik mit ihrem anfangs politisch motivierten emanzipativen Anspruch in der Folge der 68er Bewegung und ihrer Nähe zur Gesamtschule standen die meisten Philologen jener Jahre zunächst kritisch bis ablehnend gegenüber. Die Politisierung der Debatten um jene fachdidaktischen aber auch schulpolitischen Fragen, wie sie die Einrichtung von Gesamtschulen war - anders als beispielsweise in England, wo in den 70er Jahren die Einrichtung von Comprehensive Schools kaum kontrovers debattiert wurde - Ausgangspunkt langer schulpolitischer Auseinandersetzungen, in denen sich die Philologen traditionell ,gymnasial‘ positionierten. De facto gaben sie damit ihren Anspruch auf Vertretung aller Fremdsprachenlehrkräfte auf und trugen damit zum eigenen Bedeutungsverlust bei. Die Mehrzahl der jüngeren Lehrkräfte, z. T. ohne Beamtenstatus, sahen sich in den traditionellen Verbänden nicht mehr vertreten. In den neuen Bundesländern konnten nur in Sachsen- Anhalt und Thüringen und punktuell in Sachsen neue FMF-Landesverbände - in Thüringen beispielsweise mit weniger als 200 Mitgliedern - entstehen. Der Landesverband existiert inzwischen nicht mehr. 3 Auflösung des FMF und fachpolitische Marginalisierung des GMF Vergleicht man die Gegenwart der Verbandsarbeit mit den 20er Jahren vorgenannten Phasen der Vergangenheit, so wird der Abstieg in Stufen bis zur Bedeutungslosigkeit offensichtlich. Verzeichnete der FMF-Bundeskongress in <?page no="227"?> Glanz und Elend Neuphilologischer Verbandsarbeit-- vom ADNV über den FMF zum GMF 217 Kassel 1996 noch ca. 1200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, halbierten sich diese Zahlen in den Folgejahren. So wie der Name Adolf Bohlens für den Aufstieg der Fachvertretung zu einer professionellen Organisation steht, steht der Name Konrad Schröders, des letzten und langjährigen Vorsitzenden des FMF für deren Niedergang. Die jahrelangen Bemühungen um eine Vereinigung des Deutschen Spanischlehrerverbandes , der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer sowie des FMF zu einem mehrsprachigen Gesamtverband waren insgesamt notwendig und folgerichtig. Der gewählte Weg war allerdings fatal. Da die VdF nicht dem mehrheitlich aus Englischlehrkräften bestehenden FMF beitreten wollte, wählte man 2006 nicht ohne Bedenken den Weg der Auflösung des FMF und der Neugründung eines Verbandes für Englischlehrkräfte, der allerdings Jahre brauchte, um wenigstens eine dreistellige Mitgliederzahl zu erreichen - der FMF hatte am Ende ca. 4000 Mitglieder gehabt. Der Organisationsgrad der Lehrerschaft, die ihrerseits viel stärker als in der Vergangenheit in eine Reihe von Statusgruppen zerfällt, was ihre Interessenvertretung erschwert, war damit an einem historischen Tiefpunkt. Gemessen an der Gesamtzahl der Lehrkräfte dürfte der Organisationsgrad seitdem unter 1 % liegen. Dass auch die Gewerkschaften und die politischen Verbände und Parteien parallel dazu einen drastischen Rückgang ihrer Mitgliederzahlen zu beklagen haben, erklärt die Entwicklung nur zum Teil. Ein anderer wesentlicher Faktor dürfte die Unsichtbarkeit der handelnden Verbandsvertreter und -vertreterinnen im fachwissenschaftlichen Diskurs sein. Sie haben nichts zu sagen, weil sie nichts zu sagen haben. Von den 20er bis in die 70er Jahre hinein waren die führenden Verbandsvertreter - auch hier ist die männliche Form zutreffend - in Personalunion Lehrplangestalter, Lehrwerkautoren und führende Autoren in den Publikationen und Zeitschriften ihres Faches. Namen wie Strohmeyer und Bohlen, und später Münch und Hartig und viele andere nach ihnen, prägten das Fach und seine Diskurse. Seit den 60er Jahren und dem Beginn der wissenschaftlichen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts ist die ,Deutungshoheit’ des Faches zunehmend von den Fachvertreterinnen und -vertretern an den Universitäten übernommen wurden - nicht selten, aber nicht notwendigerweise, in einem Spannungsverhältnis zur Praxis. Das Engagement des universitären Lehrpersonals ging in den letzten 20 Jahren kontinuierlich zurück und findet derzeit vor allem in der DGFF ( Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung ) statt. Die Amtszeit des letzten GMF-Vorstandes, in dem mit Franz-Joseph Meißner, Hélène Martinez und dem Autor dieses Beitrags drei universitäre Fachdidaktiker vertreten waren, endete 2011. In der Zeitschrift Die Neueren Sprachen , einem über 130 Jahre alten Traditionsorgan der Neuphilologen, in den 90er Jahren eingestellt und von dem genannten Vorstand neu herausgegeben, wurden in der Liste der ehemaligen Vorstände die Namen der drei Vorstände einfach getilgt. Die Zeit- <?page no="228"?> 218 Hermann Funk schrift, die in der genannten Amtszeit einen Re-Launch als Jahrbuch erlebte, erscheint seitdem nur noch unregelmäßig. Die Führung des Gesamtverbandes erwies sich für die ersten beiden Vorsitzenden Franz-Joseph Meißner und Hermann Funk als überaus schwierig, vor allem da die VdF zu keiner Zeit zu sprachenpolitisch gemeinsamem Handeln bereit war. Trotz einer Reihe von Erfolgen, wie der formalen Neugründung und Eintragung des Gesamtverbandes 2009, zweier auch finanziell erfolgreicher Kongresse - der zweite in Augsburg wurde bereits von der VdF boykottiert - und einer Reihe von fachpolitischen Positionspapieren - sie sind auch 2018 noch auf der Internetseite des Verbandes sichtbar, aber nicht mehr aufrufbar - kam es nie zu einer handlungsfähigen Führung mit fachpolitischen Handlungsoptionen. Mit dem von der VdF erzwungenen weitgehendem Rückzug der universitären Fremdsprachendidaktiker wurde der Gesamtverband wieder von Schullehrkräften geführt. Sprachpolitische oder fachwissenschaftliche Initiativen des GMF sind seit jener Zeit nicht mehr zur verzeichnen. Die Internetseite wirkt ungepflegt. Da der Verband über kein systematisches Archiv verfügt, dürfte eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Verbandsgeschichte und der hier beschriebenen Prozesse kaum zu bewältigen sein. Bohlens Einschätzung von 1922, dass der Verband wenig professionell von im Amt ergrauten Schulleuten verwaltet werde, hat 100 Jahre später wieder Gültigkeit. Postscriptum: Anfang Dezember 2017 fand in der Französischen Botschaft am Pariser Platz ein Abendessen im kleinen Kreis statt. Eingeladen hatte die Botschafterin. Thema des Abends und ihrer Tischrede war neben der auswärtigen Kulturpolitik der Regierung Macron der Stand des Französischunterrichts in Deutschland und mögliche Mehrsprachigkeitsinitiativen im Bereich der beruflichen Bildung, insbesondere auf der EU-Ebene. Die Verbände waren nicht beteiligt, VdF und GMF waren dem neuen, engagierten Botschaftspersonal völlig unbekannt. Literatur Bohlen, Adolf (1922a): „Die gleitende Gehaltsskala“. In: Deutsches Philologenblatt (i. d. F. als Dt. Phil .), Jg. 18, 41-42. Ders. (1922b): „Organisation und Ehrenamt“. In: Dt. Phil ., Jg. 18, 152-153. Ders. (1923a): „Dachdecke und Regierungsrat“. In: Dt. Phil ., Jg. 19, 244-246. Ders. (1923b): „Aktive und passive Beamtenpolitik“. In: Dt. Phil ., Jg. 19, 339-341. Ders. (1924): „Kommt die Aufbesserung der Goldgehälter? “. In: Dt. Phil ., 51-52. Ders. (1925a): „Staat und Wirtschaft“. In: Dt. Phil ., Jg. 21, 392-394. Ders. (1925b): „Eindrücke aus England“. In: Dt. Phil ., 505-507. <?page no="229"?> Glanz und Elend Neuphilologischer Verbandsarbeit-- vom ADNV über den FMF zum GMF 219 Ders. (1926): „Der Eindruck des Erfurter Tages“. In: Dt. Phil ., 386-387. Ders. (1927): „In eigener Sache“. In: Dt. Phil ., 709. Ders. (1928): „Die höhere Schule im Dienste der Volksgemeinschaft“. In: Dt. Phil. , 507- 599. Ders. (1929a): „Um die Zukunft des Akademikertums“. In: Dt. Phil ., 177-179. Ders. (1929b): „Die Standespolitischen Aufgaben des Deutschen Philologenverbandes“. In: Dt. Phil ., 345-349. Ders. (1930): „Gedanken über Organisationsführung“. In: Dt. Phil ., 511-512. Ders. (1933): „Erfahrungen im Geländesport“. In: Dt. Phil ., 204-206. Bolle, W. (1922): „Zwei Denkschriften des Preußischen Unterrichtsministeriums“. In: Dt. Phil ., 113-114. Ders. (1924): „Die Stellung des Deutschen Philologenverbandes zur Schulreform. Vortrag am 12. Juni 1924 auf dem Philologentag in Göttingen“. In: Dt. Phil ., 221-223. Ders. (1934): „Die Auflösung des Reichsbundes der Höheren Beamten“. In: Dt. Phil ., 13-14. Funk, Hermann (2010): „Die Neueren Sprachen - zur Erneuerung einer Traditionszeitschrift und zu den Herausforderungen des Gesamtverbandes Moderne Fremdsprachen“. In: Die Neueren Sprachen 1, 2-5. Hamburger, Franz (1974): Lehrer zwischen Kaiser und Führer. Der Deutsche Philologenverband in der Weimarer Republik . Phil Diss: Heidelberg. Hartig, Paul (1981): Lebenserinnerungen eines Neuphilologen . Augsburg: Universität Augsburg. Heinemann, Manfred (Hrsg.) (1977): Der Lehrer und seine Organisation . Stuttgart: Klett-Cotta. Kunz, Lothar (1984): Höhere Schule und Philologenverband . Frankfurt a. M.: Haag + Herchen. „Tagungsprotokoll der Wiener Verbandstagung des Deutschen Philologenverbandes (1929)“. In: Dt. Phil ., 325. <?page no="231"?> Note sur quelques aspects des rapports entre linguistique et linguistique appliquée dans les années 1960 en France Daniel Coste C’est autour de l’année 1967 que je voudrais situer cette brève contribution en hommage à Marcus Reinfried. Un demi-siècle nous sépare de cette date et, sans fétichisme des périodisations historiques, un coup d’œil rétrospectif est de nature à intéresser aussi ce qui concerne la didactique des langues et le français langue étrangère. Je m’en tiendrai ici à quelques rappels et commentaires concernant la scène française. Sans doute y aurait-il sens à mettre en regard la situation dans d’autres contextes nationaux et singulièrement en République Fédérale d’Allemagne dans les mêmes années, mais je n’ai pas les connaissances qu’exigerait ce type d’étude comparative. Il me semble toutefois qu’il y a là des chantiers pour la recherche qui pourraient être utilement prospectés 1 . 1 La linguistique à l’honneur Un an avant les « événements » de 1968, qui auront d’importantes conséquences dans le champ universitaire, la prestigieuse Revue de l’Enseignement supérieur , à parution habituellement trimestrielle, publie de fait deux numéros doubles tout entier consacrés à la linguistique. Le numéro 1-2, dont la coordination a probablement été assurée par André Martinet, porte pour titre « La linguistique », le numéro 3-4, présenté par Bernard Pottier, s’intitule « La recherche en linguistique ». C’est la première et la dernière fois qu’une année entière de publication porte sur une seule discipline. On mesure là l’importance prise par la linguistique et le chemin parcouru depuis le début de la décennie et 1 On notera, dans cette perspective, la livraison du tome XXXIII, fascicule 1 (2011) de la revue Histoire Épistémologie Langage , coordonné par A. Linn, D. Candel et J. Léon et intitulé „Linguistique appliquée et disciplinarisation“ où différentes traditions et contextes nationaux sont pris en considération. En relation à la présente contribution, on y trouvera en particulier les articles de Danielle Candel et de Michel Berthet. <?page no="232"?> 222 Daniel Coste la parution - majeure mais isolée - des Éléments de linguistique générale d’André Martinet (Martinet 1960). Ces numéros de 1967 de la Revue de l’Enseignement supérieur s’inscrivent dans une séquence consacrée aux sciences humaines et sociales : la psychologie, la sociologie, les sciences politiques ont déjà eu leur tour les années précédentes, mais aucune avec autant de place que la linguistique. Une telle consécration présente au demeurant une dimension rassembleuse, voire œcuménique. Il ne s’agit ni d’un manifeste ni d’une affirmation triomphale du structuralisme, mais d’une sorte de vaste panorama sous l’égide de la figure tutélaire qu’est alors devenu Martinet, auteur de l’article « La linguistique » (cf. Martinet 1967) qui ouvre Le premier volume 2 qui s’ordonne en deux grandes sections : • « Aspects de la linguistique », où sont regroupées des contributions portant sur la linguistique comparative, la phonétique, la pathologie du langage, linguistique et traduction, linguistique et traduction automatique, linguistique appliquée à l’enseignement des langues; • et, deuxième section, « Liaisons interdisciplinaires », où les auteurs marquent les relations de la linguistique avec l’archéologie, l’ethnologie, la sociologie, la psychologie, la rhétorique, la logique, la quantification. Quant au deuxième volume, introduit par Bernard Pottier qui y présente « L’organisation générale de l’enseignement et de la recherche en France » (cf. Pottier 1967), il parcourt quelques domaines géolinguistiques et typologiques : le français, le latin, le grec, la linguistique romane, la linguistique celtique, la linguistique basque et caucasique, la linguistique germanique, la linguistique slave, la linguistique aryenne. Pour chacun de ces chapitres, les auteurs sont des spécialistes reconnus et établis. Il est aisé de constater que cette somme des deux volumes marque l’affirmation territoriale large d’une discipline alors conquérante et le ralliement sous la bannière de la linguistique de nombre de secteurs et d’universitaires qui, peu avant, ne s’y seraient pas rangés. Une telle réunion (ou faut-il parler d’amalgame ? ), si elle tient de la démonstration de force, ne se caractérise pas par la recherche d’une cohérence transversale ou d’interrogations épistémologiques et méthodologiques partagées. Les enjeux tiennent plus à des intérêts communs au moment où la linguistique vient d’obtenir une reconnaissance institutionnelle universitaire majeure, des filières de licence et de maîtrise ayant été rendues possibles en 1966 3 . 2 C’est aussi Martinet qui dirige le volume Le langage qui paraît en 1968 dans l’Encyclopédie de la Pléiade (cf. Martinet 1968), et, en 1969, La linguistique : guide alphabétique (Paris : Denoël-Gonthier) (cf. Martinet 1969). 3 Je rappelle que la délivrance des licences et des maîtrises universitaires dépend alors de l’habilitation officielle, par le ministère central, de la discipline considérée et des <?page no="233"?> Note sur quelques aspects des rapports entre linguistique et linguistique appliquée 223 Il faut aussi relever que, dans le déroulement des chapitres du premier volume, la linguistique comparative (c’est-à-dire la grande tradition indo-européaniste développée au XIXème siècle) vient en tête et que la linguistique appliquée ferme la marche. Qui plus est, une distinction apparaît entre « linguistique et traduction automatique » et « linguistique appliquée à l’enseignement des langues », alors que, quelques années auparavant, la dénomination « linguistique appliquée » recouvrait l’ensemble et que, dans l’espace international, l’A.I.L.A., créée en 1965, a aussi une portée qui est loin de se limiter à l’enseignement des langues. Dans la section suivante, je vais revenir sur ces variations, qui importent aussi pour le développement de la didactique des langues et du secteur du français langue étrangère. La fin du deuxième volume 1967 de la Revue de l’Enseignement supérieur comporte une annexe qui rend compte de la situation de la linguistique dans les universités au lendemain des réformes intervenues en 1966. Une licence de linguistique a ainsi été ouverte dans une dizaine de facultés et une maîtrise dans trois ou quatre. Le mouvement s’accélérera considérablement après 1968 et les réformes impulsées par le ministre Edgar Faure, suite aux « événements ». Dans les années qui précèdent, on avait assisté à une montée en puissance de la linguistique sous ses formes novatrices, tant dans la conceptualisation que dans les modèles et les procédures, inspirées souvent de la linguistique structurale et distributionnelle nord-américaine, mais inscrite aussi dans une vision plus étendue du structuralisme et du langage. Le recueil des Problèmes de linguistique générale d’Émile Benveniste date de 1966, même année que le premier numéro de la revue Langages (cf. Barthes et al. 1966). 1965 a vu paraître La linguistique , revue créée par Martinet (cf. Martinet 1965) - décidément très actif dans cette période - et publiée aux Presses Universitaires de France. Le premier volume de la Grammaire structurale de Jean Dubois est aussi publié en 1965 4 , un an après la Grammaire Larousse du français contemporain de Chevalier, Arrivé, Blanche-Benveniste et Peytard (1964) et un an avant le Dictionnaire Larousse du français contemporain que dirige Dubois (1967). Et la liste des parutions marquantes de ces mêmes années ne manque pas de frapper. Pour n’en ajouter que quelques-unes : Sémantique structurale - Recherche de méthode (Algirdas Julien Greimas, 1966), Les Mots et les choses (Michel Foucault, 1966), Littérature et signification (Tzvetan Todorov, 1967), cependant que - amorce de nouvelles évolutions - Nicolas Ruwet donne à paraître en 1967 La linguistique générative . En bref, au moment où la linguistique devient discipline universitaire de plein exercice après n’avoir longtemps occupé qu’une position marginale dans les maquettes de formation également déterminées au niveau central. 4 Les suivants paraissent respectivement en 1967 et 1969 (cf. Dubois 1967, 1969). <?page no="234"?> 224 Daniel Coste facultés face aux études littéraires et philologiques, elle est déjà très présente à l’intérieur du bouillonnement scientifique et intellectuel de ce milieu des années 1960. Et cette reconnaissance disciplinaire dans l’espace universitaire, elle la doit aussi aux relations entretenues avec la linguistique appliquée ; et cela dans un mouvement dont l’enjeu majeur est la définition du territoire de la linguistique générale. C’est ce sur quoi je voudrais revenir et insister maintenant. 2 La linguistique appliquée comme adjuvant et argument À la fin des années 50, la linguistique appliquée est apparue sur la scène française sous deux espèces distinctes mais dans un même environnement. Les deux espèces, datées de 1958, sont : • le Centre de linguistique appliquée de Besançon (C.L.A.), créé par Bernard Quemada, tourné vers l’enseignement des langues et où, initialement, le laboratoire de langues et les techniques audio-visuelles importent plus que des références linguistiques; • l’A.T.A.L.A., Association pour la traduction automatique et la linguistique appliquée , dont l’intitulé est clair et qui, à l’origine, n’illustre pas non plus une théorisation linguistique particulière. Mais des projets de recherche et des expériences de faisabilité sont engagés dans diverses universités (Grenoble, Nancy, Paris). L’environnement commun est celui d’une confiance moderniste dans des supports techniques ayant à voir avec une mécanisation et une rigueur de type mathématique des traitements. Les influences américaines ne sont évidemment pas absentes dans l’un et l’autre cas mais une sorte de spécificité française se marque quelque temps, à l’origine, par le poids donné au lexique. Tant, pour ce qui est de l’enseignement des langues, en raison du succès rencontré par le français « élémentaire » 5 , que, pour ce qui est de la traduction automatique, en raison d’une conception initialement plus lexicaliste que syntacticienne des procédures à mettre en place. Le rapprochement se renforce, mais avec une tonalité différente, quand les linguistes universitaires et/ ou intéressés par l’implantation de la linguistique dans les universités font de la linguistique appliquée un argument de promotion de leur discipline 6 . Tout se passe comme si, collectivement, les linguistes 5 Les listes de mots du Français élémentaire ont été publiées en 1954, résultat de la grande enquête menée, à l’École normale supérieure de Saint-Cloud, par le Centre d’étude du français élémentaire, dirigé par Georges Gougenheim et Paul Rivenc. 6 Cette formulation un peu sommaire ne signifie évidemment ni que les dits linguistes ne s’intéressent pas à la linguistique appliquée en tant que telle, ni qu’il y ait là de leur part des calculs individuels très conscients ! <?page no="235"?> Note sur quelques aspects des rapports entre linguistique et linguistique appliquée 225 considéraient alors, au tout début des années 1960, que le progrès d’une linguistique appliquée présentait plutôt des avantages pour la linguistique elle-même, sous réserve que l’inscription universitaire de cette linguistique appliquée ne se poursuive que là où la linguistique est déjà en place ou peut se mettre en place à cette occasion, sous réserve aussi que les linguistes aient fortement leur mot à dire dans ce que fait cette linguistique appliquée et que les positions soient occupées par des gens solidement formés en linguistique. Une rencontre comme celle qui se tient en 1961 au Centre International d’Études Pédagogiques (CIEP) de Sèvres, que j’ai jadis décrite ailleurs (Coste 1998) est particulièrement significative à cet égard 7 . Il n’est pas excessif de dire que (tout se passe comme si) les linguistes se déclaraient prêts alors à « coiffer » et à réorienter une linguistique appliquée naissante et quelque peu floue : lui donner forme et tirer parti du dynamisme qu’elle représente, des moyens qu’elle permet d’obtenir et du levier qu’elle constitue pour faire bouger une université largement dominée par les littéraires et les philologues. Parler de « linguistique appliquée » (comme on avait pu, plus tôt et aussi ailleurs, mettre en avant une psychologie appliquée ou une sociologie appliquée), c’est en effet présupposer que la linguistique existe et qu’elle obtient des résultats susceptibles d’être appliqués à autre chose. Comme toute science à la fois respectable et productrice, ses recherches fondamentales ont des retombées socialement utiles. Et l’analogie avec la psychologie et la sociologie est d’autant moins arbitraire que ces deux disciplines ont eu elles aussi, avant la linguistique, à trouver, en tant que disciplines de l’homme (plus « littéraires » que les sciences de la nature), une insertion et une assise universitaire et ont, à un moment ou à un autre, joué aussi alors la carte d’une application, preuve à la fois de la scientificité et de l’importance de la discipline « mère ». Pour donner quelques balises supplémentaires, on peut rappeler que, dans le contexte américain, des revues comme Journal of Applied Psychology, Journal of Educational Psychology et Journal of Educational Sociology : a Magazine of Theory and Practice datent respectivement de 1917, de 1910 et de 1927. Noter aussi que la linguistique, dans son établissement universitaire, aura à la fois à s’inspirer des précédents que constituent la psychologie et la sociologie, à faire jusqu’à un certain point cause 7 Cette rencontre, initiée par Guy Capelle, directeur du BEL, rassemble des linguistes de différentes générations (dont Martinet, Dubois, Pottier), invités par de hauts responsables du ministère de l’Éducation (dont la direction de l’enseignement supérieur) à examiner quel concours leurs travaux peuvent apporter à la diffusion du français hors de France. La réponse est positive et, comme en retour, la perspective d’une reconnaissance et d’un renforcement de la linguistique dans les programmes universitaires est clairement évoquée par le directeur de l’enseignement supérieur. « Donnant donnant » en quelque sorte. Voir le compte rendu que fait Dubois dans Le français dans le monde (Dubois 1962). <?page no="236"?> 226 Daniel Coste commune mais aussi à se démarquer de l’une comme de l’autre, en particulier pour ce qui est de l’autonomie des modèles et des critères de scientificité. C’est le début de ce mouvement que des Journées comme celles de 1961 à Sèvres mettaient en évidence. Avec d’ailleurs des tendances assez nettes : ceux qui parlent alors le plus de linguistique appliquée sont aussi ceux qui parlent le moins de psychologie et de sociologie (ce qui peut paraître paradoxal si la linguistique appliquée doit aussi être un lieu de rencontre entre diverses disciplines, mais ne surprend guère s’il s’agit aussi de « placer » universitairement la linguistique qui peut se trouver en concurrence avec ces autres sciences humaines à l’intérieur des Facultés des Lettres) ; ceux qui parlent le moins de linguistique appliquée sont aussi ceux qui se réfèrent le plus à la psychologie et à la sociologie. Quand les linguistes, en ce début des années 1960, s’intéressent plus largement à la linguistique appliquée, ils semblent le faire en mettant en avant le structuralisme et une linguistique descriptive qui a recours à cette conception de l’analyse : phonologie et syntaxe vont alors assez vite, notamment pour ce qui est des applications à l’enseignement des langues, prendre le pas sur le lexique et ce dernier, s’il reste pris en considération, se voit traité dans ses relations à la syntaxe et à la morphologie d’une part, dans l’organisation structurale du sens d’autre part. Évolutions qui marquent des infléchissements sensibles par rapport à l’époque du français élémentaire et aussi par rapport aux premiers travaux (moins strictement linguistiques, moins nettement structuralistes) des équipes de Quemada à Besançon. Pour autant, les initiatives pionnières de Quemada s’adaptent en partie à cette évolution de la linguistique appliquée : sortie, début 1962, du premier numéro des Études de linguistique appliquée (cf. Galisson 1962), présentation affirmée du Centre de linguistique appliquée en termes de recherche ; sortie chez l’éditeur Didier, dans une collection « de linguistique appliquée » de l’Université de Besançon (sur la couverture) et comme publication du Centre de linguistique appliquée (sur la page de titre) de la thèse de Pierre Léon, Laboratoire de langues et correction phonétique , toujours en 1962. C’est ce dernier ouvrage qui marque l’entrée en force des références à la linguistique appliquée américaine (la bibliographie comporte une section « Linguistique appliquée » où apparaissent notamment les noms de Leonard Bloomfield - mentionné aussi, bien entendu, en linguistique générale -, Nelson Brooks, John B. Carroll, Pierre Delattre, Charles C. Fries, Robert Lado, Robert L. Politzer, Edward M. Stack, Benjamin F. Skinner, Albert Valdman). Reste qu’on assiste peu à peu à des déplacements d’initiative. À hauteur de 1964-1966, parallèlement et en quelque sorte complémentairement aux publications linguistiques marquantes que j’ai rappelées plus haut (Benveniste, <?page no="237"?> Note sur quelques aspects des rapports entre linguistique et linguistique appliquée 227 Greimas, Martinet, Dubois), divers événements coïncident qui peuvent être lus comme autant de développements plausibles des orientations et intentions affichées à l’occasion des Journées de Sèvres, quelques années plus tôt : l’Association Internationale de Linguistique Appliquée (AILA) est fondée fin 1964, à l’issue d’une rencontre internationale organisée à l’Université de Nancy et le premier président en est Bernard Pottier, qui était un des rapporteurs de la rencontre de 1961 ; l’Association Française de Linguistique Appliquée (AFLA) est créée en 1965 et est présidée par Antoine Culioli, linguiste et angliciste 8 . L‘AFLA organise à Besançon en 1965 le premier Séminaire de linguistique appliquée (bon nombre des Français qui assurent des cours pour ce séminaire se trouvaient aux Journées de Sèvres en 1961 : François Bresson, Guy Capelle, Emmanuel Companys, Antoine Culioli, Jean Dubois). La revue Le français dans le monde consacre en 1966 un numéro spécial, dirigé par Pierre Delattre, aux exercices structuraux (figurent au sommaire, entre autres : Pierre Léon, Albert Valdman, Simon Belasco) (cf. Delattre 1966). En 1966 toujours, le deuxième séminaire de l’AFLA se tient à Grenoble. Le premier se disait « de linguistique appliquée », le second se présente comme « de linguistique générale et appliquée ». Nuance significative ? Oui, si on pose l’hypothèse que, par-delà l’affirmation d’une linguistique appliquée prise en compte et en charge par des linguistes et à la veille d’une filiarisation universitaire de la linguistique, se joue aussi la question de ce que seront les positions dominantes dans le champ des sciences du langage. Dans une analyse « à la Bourdieu », distinguant dans ce champ « dominants » et « prétendants », les dominants après la deuxième guerre mondiale, en termes notamment - mais pas seulement - de prestige restent les indo-européanistes, à l’image de ce qu’avait pu être Antoine Meillet et de ce que représente Émile Benveniste (qui avait été un des étudiants de Meillet) 9 . André Martinet marque une transition et amorce, avec ses Éléments de linguistique générale (cf. Martinet 1960) un déplacement et une redéfinition de la linguistique générale vers une forme de structuralisme 10 . Pour lui comme pour des spécialistes de langues 8 Le mouvement s’étend, dans ces mêmes années : création de la BAAL ( British Association of Applied Linguistics ) en 1967, de la GAL ( Gesellschaft für Angewandte Linguistik ) en 1968. Aux États-Unis, pourtant pionniers dans le domaine , l’American Association for Applied Linguistics ne date que de 1977. On notera que le terme « angewandte Sprachwissenschaft » avait été utilisé en 1931 par Eugen Wüster (voir notamment sur ce point Candel 2011). 9 Le titre de recueils de travaux de Meillet est Linguistique historique et linguistique générale (tome 1, 1921 et tome 2, 1936). Benveniste intitule Problèmes de linguistique générale un volume d’études (1966). À certains égards, le titre Éléments de linguistique générale du livre de Martinet (1960) constitue un coup de force. 10 Nul besoin de rappeler que Ferdinand de Saussure avait tenu et articulé les deux voies : études indo-européennes et conception structurale du système de la langue. <?page no="238"?> 228 Daniel Coste étrangères tels que Culioli (angliciste) ou Pottier (hispaniste), le passage par la linguistique appliquée conforte cette conception revisitée de la linguistique générale. D’autres linguistes suivront dans cette voie. 3 Prises de distance-? A la fin des années 1960 et dans le prolongement de mai 1968, le paysage aura commencé à se transformer et on peut caractériser cette transformation comme une double prise de distance à l’égard de la linguistique appliquée, double prise de distance qui semble assez spécifique de la scène française : distance de la part des spécialistes d’un secteur de français langue étrangère qui s’affirme progressivement, mais distance aussi de la part des linguistes désormais établis dans les filières universitaires diplômantes reconnues. Pour ce qui est du français langue étrangère, je retiens en particulier la position très tôt arrêtée de Paul Rivenc, directeur du CREDIF (Centre de Recherche et d’Étude pour la Diffusion du Français). Dès avant 1965, il se distingue du courant d’inspiration Applied Linguistics américaine que représente Guy Capelle à la direction du BEL (Bureau d’Étude et de Liaison). Pour quelqu’un comme Rivenc, la linguistique appliquée a surtout pris le visage outre-atlantiste d’une irruption excessive dans la classe de techniques d’analyse linguistique et de conceptions de l’apprentissage qui lui semblent dangereusement oblitérer des dimensions à ses yeux fondamentales de la communication et de l’acquisition. Autant il est prêt à dialoguer avec les linguistes, autant il se méfie de cette linguistique appliquée envahissante qui, outrepassant son domaine initial de compétence, en est venue à régenter les progressions et à recommander tel ou tel type d’exercice. Ses préventions à l’endroit d’un structuralisme formaliste se trouvent renforcées par l’usage pédagogique qu’il en voit faire. Et au moment où Francis Debyser prend la direction de ce qui est devenu, en 1967, le BELC ( Bureau pour l’Enseignement de la Langue et de la Civilisation françaises à l’étranger ), c’est un mouvement de même direction qui s’engage à son initiative. De même, on peut penser que nombre de linguistes généralistes en viennent à considérer que la linguistique appliquée à l’enseignement des langues, telle que réinterprétée par certains « praticiens », prend l’allure d’une fabrique d’exercices. De là à estimer que ces odeurs de cuisine pédagogique risquent de nuire à une linguistique dont la reconnaissance scientifique est par ailleurs en très bonne voie et dont les modèles sont « appliqués » ou du moins empruntés par assez de domaines divers pour qu’elle n’ait plus à faire la preuve de sa fécondité épistémique et de son utilité sociale, il n’y a pas loin. De 1960 à au-delà de 1970, tout est allé très vite et les linguistes se retrouvent portés par une vague structuraliste dont le succès dépasse largement leur discipline mais dont celle-ci peut <?page no="239"?> Note sur quelques aspects des rapports entre linguistique et linguistique appliquée 229 tirer parti sans plus avoir à trop cultiver ses relations avec la pédagogie ou sans du moins entretenir activement une linguistique appliquée dont les entreprises peuvent devenir à terme compromettantes. Inversion de signe que je souligne sans doute ici trop brutalement mais qui me paraît à même de rendre compte du caractère finalement assez météorique des relations entre linguistique et linguistique appliquée en France. Certes, la linguistique appliquée a acquis droit de cité universitaire et donne lieu à des certificats propres, dans divers lieux, à l’intérieur de licences ou de maîtrises, à côté et à part des études littéraires et de la philologie aussi bien que des départements universitaires de langues étrangères. Mais tout se passe en fait comme si l’on assistait à une remarginalisation de la linguistique appliquée : plutôt maintenue en province, prise en charge par de nouveaux venus, elle commence à apparaître comme une étiquette plus dévaluée que valorisante. À ce phénomène, on peut attribuer différentes causes qui se combinent : • Les travaux relatifs à la traduction automatique n’ont pas répondu tout à fait aux espoirs qu’ils avaient initialement fait naître : Nancy et Paris ont interrompu leurs activités dans ce domaine et Grenoble poursuit sur des bases sensiblement différentes. • La linguistique appliquée à l’enseignement des langues n’a pas réussi à trouver un équilibre net : les spécialistes du français langue étrangère ne sont pas unanimes à son endroit, non plus que les enseignants de langues vivantes en France. • La linguistique appliquée au sens « applicationniste » et accueillant du terme se trouve d’autant plus fragilisée qu’elle est remise en cause de l’intérieur par les évolutions de l’association qui en est le porte-parole en France. Sous l’influence d’Antoine Culioli, l’Association Française de Linguistique Appliquée (AFLA) va progressivement adopter des positions tendant à redéfinir le rapport entre linguistique générale et linguistique appliquée, à l’intérieur d’un modèle théorique où les applications n’ont guère de place et où le rapport à l’Association internationale (AILA), dont Pit Corder devient président en 1969, est de plus en plus problématique et tournera à une rupture durable des relations. • L’introduction de la grammaire générative à la fin des années 1960 en France ne se présente pas comme une rupture : même si le succès médiatique et transdisciplinaire de Chomsky est moins généralisé et moins marqué que celui du structuralisme aux multiples facettes, il déborde très largement le cercle des producteurs du champ linguistique. Le débat avec Piaget, l’influence exercée sur la psycholinguistique et certaines formes de la sociolinguistique, les interrogations d’ordre biologique mais aussi philosophique et épistémologique, les relations avec la psychanalyse, tout concourt à maintenir la linguistique <?page no="240"?> 230 Daniel Coste au centre de circulations et de débats multiples et donc à lui préserver une position de force : il lui suffit d’être ce qu’elle est pour se trouver nécessairement impliquée dans une réflexion fondamentale et dans des questions plus empiriques qui concernent aussi d’autres domaines. À quoi bon, si l’on est à ce point incontournable, s’appliquer à être appliqué ? Ceci ne veut évidemment pas dire que les linguistes se détachent tous des relations avec l’enseignement/ apprentissage d’une langue, même s’ils s’intéressent à la grammaire générative. Tout au contraire, certains, tel Jean-Claude Chevalier, témoigneront, au tournant des années 70, d’un très vif intérêt pour les questions pédagogiques, en particulier pour l’enseignement de la langue maternelle. Mais ils le feront alors « en prise directe », sans prôner le développement ou la simple poursuite du rôle un temps réputé intermédiaire d’une linguistique appliquée. Dans le champ du français langue étrangère, la linguistique appliquée s’est vite heurtée à une tendance à l’autonomisation de la réflexion didactique, la linguistique devenant alors non une science surplombante mais une discipline « contributrice » parmi d’autres. Robert Galisson, par de nombreuses publications, est de ceux qui ont théorisé cette relation redéfinie et ont, un temps, occupé le terrain de la linguistique appliquée, terrain plus ou moins déserté par les linguistes (Galisson 1972, 1974). Il s’agissait notamment pour Galisson de distinguer entre deux secteurs complémentaires et articulés l’un à l’autre : la linguistique appliquée et la méthodologie de l’enseignement des langues 11 . C’est ainsi qu’il était d’abord prévu que le dictionnaire consacré à l’affirmation du domaine porte pour titre « Dictionnaire de linguistique appliquée et de méthodologie de l’enseignement des langues ». Ce sera le Dictionnaire de didactique des langues (Galisson/ Coste 1976) et Galisson s’attachera plus tard à promouvoir une « Didactologie des langues-cultures » (Galisson 1986). 4 Dernier mot Cinquante ans plus tard, l’année 1967 et son entour immédiat apparaissent comme un moment marquant, en France, pour la linguistique, la linguistique appliquée et, indirectement, pour l’évolution du domaine du français langue étrangère. Le petit retour en arrière que j’ai proposé ici reste évidemment très incomplet et, sur bien des points, demanderait à être nuancé. Les linguistes dont il est fait mention sont abusivement réduits à un aspect de leur œuvre et de leur histoire 12 ; les mouvements rapportés présentent plus de complexité que ne 11 Galisson produit en 1969, au BELC, un Petit lexique d’initiation à la linguistique appliquée et à la méthodologie de l’enseignement des langues (multigraphié). 12 Ne serait-ce que pour la courte période ici considérée, voir le très stimulant ouvrage que Jean-Claude Chevalier a produit avec Pierre Encrevé à partir d’entretiens avec nombre <?page no="241"?> Note sur quelques aspects des rapports entre linguistique et linguistique appliquée 231 le donnent à voir les pages qui précèdent. Pour autant, je reste convaincu que beaucoup se joue et se noue au cours de ces quelques années. À l’intérieur bien sûr d’une durée plus longue, mais avec des accélérations et des intensifications (qu’on me pardonne ces termes sans grand sens en histoire ! ) qui sont probablement assez propres à la situation française de l’époque et appelleraient, comme mentionné au début de cette contribution, des regards similaires contrastifs sur d’autres contextes. Références bibliographiques Barthes, Roland/ Dubois, Jean/ Greimas, Algirdas Julien/ Pottier, Bernard/ Quemada, Bernard/ Ruwet , Nicolas (coord.) (1966) : Langages . N° 1. Paris : Armand Colin. Benveniste, Émile (1966) : Problèmes de linguistique générale . Paris : Gallimard. Berthet, Michel (2011) : « La linguistique appliquée à l’enseignement des langues secondes aux États-Unis, en France et en Grande-Bretagne. », Histoire Épistémologie Langage , Tome XXXIII, fascicule 1, 83-97. Candel, Danielle (2011) : « ‘Linguistique appliquée’ : parcours définitoires et lexicographiques. », Histoire Épistémologie Langage , Tome XXXIII, fascicule 1, 99-115. Chevalier, Jean-Claude/ Blanche-Benveniste, Claire/ Arrivé, Michel/ Peytard, Jean (1964) : Grammaire Larousse du français contemporain . Paris : Larousse. Chevalier, Jean-Claude/ Encrevé, Pierre (2006) : Combats pour la linguistique de Martinet à Kristeva. Essai de dramaturgie épistémologique . Lyon : ENS Éditions. Coste, Daniel (1998) : « Recherche universitaire et enseignement du français langue étrangère. À propos d’une rencontre de 1961. », Langue française 117, 82-97. Delattre, Pierre (dir.) (1966) : Le français dans le monde . Numéro spécial sur les exercices structuraux, n° 41. Dubois, Jean (1962) : « Recherche universitaire et enseignement du français langue étrangère. », Le français dans le monde 9, 16-19. Dubois, Jean (1965) : Grammaire structurale du français : nom et pronom. Paris : Larousse. 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Paris : Larousse. <?page no="243"?> Ein Plädoyer für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht-- und gegen den Hang zur Verabsolutierung Frank G. Königs 1 Einleitung In den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts gab es in der Fremdsprachendidaktik das, was man heute einen ,Hype‘ nennen würde: Die Begründung der Kommunikativen Kompetenz als oberstes Lernziel für den Fremdsprachenunterricht gab sowohl dem Fremdsprachenunterricht als auch seiner Erforschung eine neue Ausrichtung. Bald kam kein Statement zum Fremdsprachenlernen mehr ohne ein (Lippen-)Bekenntnis zum kommunikativen Fremdsprachenunterricht aus, und auch die Lehrpläne - so etwas gab es damals noch! - rankten sich um das ‚neue’ Lernziel. In gewisser Weise hat dieser Hype bis heute angehalten, wie es scheint. Ernsthafte Statements gegen einen kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterricht würde man vergeblich suchen; tatsächlich sucht sie aber auch wahrscheinlich niemand. Bei der Begründung für die Notwendigkeit eines Wandels von einem eher am grammatischen System orientierten hin zu einem kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterricht spielten nicht selten historische Argumente eine wesentliche Rolle: Durch den Blick zurück wurde offenbar, dass der Wechsel von einer Fokussierung auf das Sprachsystem zu einem kommunikativen Fremdsprachenunterricht nicht nur gesellschaftlichen Veränderungen folgte, bei denen die Mündigkeit des Bürgers (und die Mündigkeit der Lerner) eine Rolle spielte, sondern auch den Blick dafür schärfte, was in der Vergangenheit im fremdsprachlichen Klassenzimmer geschehen war und was daran kritikwürdig war. Gerade die historische Blickweise trug und trägt dazu bei, aktuelle Entwicklungen differenzierter und z. T. auch mit einer gewissen Distanz, bisweilen auch mit einer unverhohlenen Skepsis zu betrachten. Marcus Reinfried hat in zahlreichen Arbeiten eindrucksvoll gezeigt, dass man die Gegenwart fremdsprachendidaktischer Forschung und fremdsprachlichen Lehrens und Lernens nur <?page no="244"?> 234 Frank G. Königs angemessen erfassen kann, wenn man die historische Dimension der Forschung und/ oder des Fremdsprachenunterrichts nicht gänzlich ausblendet (exemplarisch bereits in seiner Dissertation von 1992). Im Zusammenhang mit dem angesprochenen Hype um den kommunikativen Fremdsprachenunterricht führte dies zu einem Plädoyer für den neokommunikativen Fremdsprachenunterricht (Reinfried 2001) und damit zu einer weniger pauschalisierten Sichtweise auf das ,neue methodische Paradigma‘. Bereits einige Jahre vorher war von einer ,postkommunikativen‘ Phase die Rede gewesen (Königs 1991), ein erster Versuch, ein gewisses Unbehagen um den entstandenen kommunikativen Hype mit der notwendigen Veränderung des Unterrichts in Richtung ‚Kommunikation’ zum Ausdruck zu bringen. So zeigen die genannten Arbeiten denn auch, dass die genannte Ausrichtung auf einen kommunikativen Fremdsprachenunterricht zwar einerseits ihre Berechtigung hatte und sogar einer gewissen Notwendigkeit folgte, andererseits aber auch die Gefahr heraufbeschwor, - wieder einmal - das Kind mit dem Bade auszuschütten und durch eine vorschnelle Verabsolutierung gewonnener Erkenntnisse diese selbst in Frage zu stellen. Gerade weil das ,kommunikative Paradigma‘ für den Fremdsprachenunterricht und seine Erforschung so bedeutsam geworden ist, lohnt es sich, hier etwas genauer hinzusehen und der Frage nachzugehen, worauf sich das Unbehagen gründet, das sich aus den begrifflichen Differenzierungen und den ihnen zugrundeliegenden Argumenten ergibt. Dazu soll in einem ersten Schritt gezeigt werden, worin das Unbehagen an einer Verabsolutierung insgesamt und insbesondere an einer Verabsolutierung der kommunikativen Idee besteht (2.). Im Anschluss daran soll es um die Frage gehen, welche Folgen die Verabsolutierung des kommunikativen Gedankens für den Fremdsprachenunterricht und/ oder seine Erforschung hatte (3.). Schließlich soll in einem Fazit festgehalten werden, welche Konsequenzen man aus der vorangehenden Diskussion ziehen kann (4.). 2 Das Unbehagen an einer Verabsolutierung des kommunikativen Ansatzes Wenn man erfassen will, was es mit dem kommunikativen Ansatz auf sich hat, erscheint es zunächst notwendig, auf seine zentralen Anliegen und Merkmale in der gebotenen Kürze einzugehen. Worin bestand also der Hype um den kommunikativen Fremdsprachenunterricht und welches waren die Anliegen, die sich mit ihm verbanden? Die Entstehung des kommunikativen Ansatzes speist sich fraglos aus mehreren Quellen, von denen mir allerdings zwei zentral zu sein scheinen: Zum einen wird unter dem Stichwort der ‚Kommunikativen Kompetenz’ das Recht auf Teilhabe aller Mitglieder einer Gesellschaft an deren Kommunikation gefasst. <?page no="245"?> Ein Plädoyer für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht 235 Freie Mitglieder einer Gesellschaft müssen in die Lage versetzt werden, durch ihre kommunikativen Ressourcen ihre Interessen zu artikulieren und an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. In Deutschland hat sich u. a. Habermas (1971) für diese Auffassung eingesetzt, die - wenn man so will - den Zeitgeist nicht nur traf, sondern Ausdruck dieses Zeitgeistes war und verbunden damit das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe durch Teilnahme an der Kommunikation betonte. Flankiert wurde diese Position durch das Aufkommen und Erstarken der linguistischen Pragmatik, die den Blick nicht so sehr auf strukturelle Aspekte der Sprachbetrachtung legte, sondern eher auf funktionelle. Von daher wurde ‚Kommunikative Kompetenz’ auch Gegenstand der Betrachtung der Angewandten Linguistik (vgl. hierzu vor allem Hymes 1971). Sprache und Sprachbetrachtung wurden damit nicht so sehr als strukturelles Werkzeug gesehen, sondern als wirksames Mittel zur Artikulation eigener Interessen im Rahmen der Meinungsbildungsprozesse einer Gesellschaft oder einer gesellschaftlichen Gruppe. Zum Zweiten war im Laufe der Zeit die Erkenntnis gewachsen, dass die rein systemische Betrachtung von Sprache, wie sie in der Grammatik-Übersetzungsmethode üblich war, nicht zur angemessenen Beherrschung der fremden Sprache durch die Lernenden führte. Als Ursache für diesen Mangel wurde die an Regeln interessierte, anwendungsferne Sprachbetrachtung ausgemacht, die man nun durch eine Stärkung der mündlichen kommunikativen Fertigkeiten ersetzen wollte; Erfahrungen mit der audiolingualen und der audiovisuellen Methode nährten diese Hoffnung. Vor diesem Hintergrund konnte Hans-Eberhard Piepho (1974) seine Vorstellungen von einem kommunikativen Englischunterricht entwickeln, die in zentralen Punkten mit den traditionellen Vorstellungen und Methoden des Fremdsprachenunterrichts brachen. Es sollten so viele Sprechanlässe wie möglich geschaffen werden, um den Lernenden die Möglichkeit zu eröffnen, die fremde Sprache in möglichst vielen, ihren realen Situationen angenäherten Gesprächskontexten aktiv und ihren kommunikativen Interessen und Bedürfnissen folgend zu nutzen. Dieses Verständnis von Kommunikativer Kompetenz war vielerorts Anlass für Missverständnisse. Bisweilen wurde angenommen, dass es nur noch um Kommunizieren ginge und strukturelles Wissen und Können keine Rolle mehr spiele. Das hatten die Protagonisten der Kommunikativen Kompetenz nie ernsthaft behauptet. Ihnen ging es vielmehr um eine lernerbezogene Mischung von kommunikations- und sprachbezogenen Phasen (vgl. Butzkamm 1973, 2004), bei der erstere quantitativ zwar überwiegen, die zweite genannte Phase aber nicht obsolet machen sollten. Auch die Verankerung der Kommunikativen Kompetenz als zentrales Lernziel in den meisten Curricula ließ voreilige und unbedarfte Betrachter zu dem Schluss gelangen, dass es fortan weniger um systematische <?page no="246"?> 236 Frank G. Königs Arbeit an und mit Sprache und ihren Regularitäten gehen sollte, sondern um möglichst vielfältiges Anwenden sprachlichen Wissens in kommunikativ relevanten Situationen. 1 So führte die vorschnelle und häufig unhinterfragte Verabsolutierung einer missverstandenen Auffassung von Kommunikativer Kompetenz zu Kurzschlüssen beträchtlicher Reichweite: • So ging die eigentlich im Begriff angelegte Differenzierung verloren, indem Kommunikative Kompetenz nicht selten auf ‚wenig reflektiertes Sprechen’ reduziert wurde. • Gleichzeitig wurde damit der Begriff der Kommunikativen Kompetenz verkürzt. • Der Bildungsgedanke von Fremdsprachenunterricht geriet in Vergessenheit, zumindest ins Hintertreffen. Fremdsprachenlernen wurde reduziert auf Sprechenkönnen in der Fremdsprache. Von daher ist es wenig erstaunlich, dass erst in jüngerer Zeit dem Gedanken verstärkt nachgegangen wird, welcher Bildungs- und Erziehungsauftrag sich mit schulischem Fremdsprachenunterricht verbindet (vgl. dazu jetzt Küster/ Plikat 2018). Während sich die Fremdsprachenforschung hier in der Vergangenheit eher zurückgehalten hat, hat die Schulpädagogik die grundsätzliche Frage nach dem Bildungs- und Erziehungsauftrag, der sich mit einzelnen Unterrichtsfächern verbindet, viel eher gestellt und auch intensiver zu beantworten versucht, und zwar einerseits schulartenbezogen, andererseits fachdidaktisch gewendet, insbesondere beim Auftauchen neuer Fächer wie z. B. Informatik (vgl. exemplarisch Trabert/ Ramsauer 2014). • Die einseitige Orientierung hin auf Kommunikation und Sprechen hat die Fremdsprachenlehrkräfte zunächst einmal allein gelassen. Die Fokussierung auf ein verkürztes Verständnis von Kommunikativer Kompetenz ließ lehrerseitig bisweilen die Auffassung entstehen, dass das Unterrichten von Fremdsprachen insbesondere und vor allem darin besteht, die Schülerinnen und Schüler zum Sprechen zu bewegen. Lehrkräfte sahen folglich ihre Aufgabe insbesondere darin, einen Unterricht zu gewährleisten, der das Sprechen ermöglicht. Sprechanlässe sollten damit einen doppelten Zweck erfüllen: Auf der einen Seite sollten Sprechhemmungen abgebaut und Anlässe zur mündlichen Sprachproduktion geschaffen werden; gleichzeitig sollte der Sprechanteil der Lernenden deutlich erhöht werden, und dies alles in der Annahme, dass die erhöhte Sprechaktivität allein nicht nur den sprachlichen Umsatz, sondern auch das fremdsprachliche Lernen fördert. 1 Es wäre vor diesem Hintergrund eine interessante Aufgabe für die Forschung, der Frage nachzugehen, ob der allenthalben diagnostizierte Verfall im differenzierten Umgang mit (Mutter- und Fremd-) Sprache hier zumindest teilweise eine ihrer Ursachen hat. <?page no="247"?> Ein Plädoyer für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht 237 • So gesehen trug der kommunikative Ansatz - wohl eher ungewollt - dazu bei, die Diskussion über Lerntypen einschlafen zu lassen. Während in den 80er Jahren durchaus noch diskutiert wurde, welche Lerntypen im Fremdsprachenunterricht anzutreffen sind und wie man sie unterstützen kann, verschwindet diese Diskussion in der Folgezeit fast völlig. Vordergründig kann man dieses Verschwinden mit der Schwierigkeit begründen, eine eindeutige, empirisch angemessene Lernertypologie zu entwerfen. Allerdings kann man diese Entwicklung auch so interpretieren, dass angenommen wurde, durch vermehrte Sprechanlässe alle Lerner(typen) zu erreichen. Dies wiederum würde eine deutliche Verminderung möglicher fremdsprachlicher Lernertypen bedeuten, könnte man daraus doch ableiten, dass Fremdsprachenlernen bei allen Lernenden dann funktioniert, wenn hinreichend Sprechanlässe geschaffen werden. Neben dem Unbehagen, das sich bei der Verabsolutierung des Begriffs der Kommunikativen Kompetenz einstellt, lassen sich natürlich auch Vorzüge ausmachen: So wird der Fremdsprachenunterricht zweifelsohne von einer Grammatikzentrierung befreit, die ihm über einen längeren Zeitraum zu eigen war. Ferner lässt sich konstatieren, dass wir eine Handlungsorientierung ausmachen können, die dem Fremdsprachenunterricht vor Augen führt, dass Sprache ein Mittel zur Ausgestaltung von Handlungen ist und dass der Fremdsprachenunterricht der Ort ist, an dem fremdsprachliches Handeln geübt wird. Schließlich wird dadurch das Sprachmaterial authentischer, das Einzug in den Fremdsprachenunterricht hält - was freilich nicht bedeutet, dass damit einvernehmlich geklärt wäre, was denn Authentizität im Fremdsprachenunterricht bedeutet. Nun resultieren aus der beschriebenen Verabsolutierung des Kommunikationsbegriffs einige Folgen für die Betrachtung des Fremdsprachenunterrichts, denen ich mich im folgenden Abschnitt zuwenden möchte. 3 Die Verabsolutierung des Kommunikationsbegriffs und ihre Folgen Man kann ohne Übertreibung feststellen, dass die Entdeckung des Lernziels ‚Kommunikative Kompetenz’ eine Art Hype ausgelöst hat. In den 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts drehte sich Vieles, wenn nicht alles um die Kommunikative Kompetenz und ihre Verankerung im Fremdsprachenunterricht. Maßgeblich daran beteiligt waren natürlich vor allem die Lernziele und Curricula, in denen ‚Kommunikative Kompetenz’ als prominentes Ziel des Fremdsprachenunterrichts auftauchte. Bei Licht betrachtet war es indes mehr als ein Lernziel, ging es doch um ein Prinzip für die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts. Mit diesem Prinzip verbunden war die Abkehr von einem <?page no="248"?> 238 Frank G. Königs eher grammatikzentrierten ‚traditionellen’ Fremdsprachenunterricht und die Hinwendung zu einem auf kommunikatives Handeln ausgerichtetes fremdsprachliches Unterrichten. Damit erfüllte die Diskussion um Kommunikative Kompetenz eine wichtige Voraussetzung für eine Art Paradigmenwechsel 2 : Es wurde kräftig an einer Seite des Pendels gezogen, um bestehende, scheinbar festzementierte Orientierungen zu hinterfragen oder ganz aufzugeben (vgl. Gnutzmann/ Königs 1992). Kommunikative Kompetenz wurde so ungeachtet der inhaltlichen Füllung des Begriffs zum Synonym für die Abkehr von einem Fremdsprachenunterricht alter und altsprachlicher Prägung, den man nunmehr überwunden zu haben glaubte. Vor dem Hintergrund der hier nur grob skizzierten Begriffsentwicklung mutet es schon etwas seltsam an, wenn im Zuge der Kompetenzentwicklung die Konzentration auf das, was Schülerinnen und Schüler tatsächlich können, als neue Errungenschaft gepriesen wird. Denn in der Tat zielte ja auch die Kommunikative Kompetenz auf die Feststellung dessen, was Schülerinnen und Schüler kommunikativ zu leisten im Stande waren. Allerdings war sie mit einer methodisch-didaktischen Neuorientierung aufs Engste verbunden, da der ‚traditionelle’ Fremdsprachenunterricht als ungeeignet angesehen wurde, die kommunikativen Könnensbestände der Schülerinnen und Schüler aufbzw. auszubauen und in das Zentrum des Unterrichtsgeschehens zu stellen. Möglicherweise liegt in der Wahrnehmung vieler Praktiker in der Kompetenzorientierung aktueller Prägung die Fortschreibung eines längst etablierten Fokus auf lernseitiges Können wiederzuerkennen, die Ursache für die häufig anzutreffende Zurückhaltung gegenüber einer praktischen Umsetzung des Kompetenzgedankens. Mit anderen Worten: ‚Hatten wir das nicht schon längst? ’ Die Fokussierung auf ‚Kommunikation’ im Zusammenhang mit Kommunikativer Kompetenz hat vielfach der Auffassung Nahrung gegeben, dass Reflexion im Fremdsprachenunterricht - nach wie vor? - wenig hilfreich sei. Nur allzu oft wird im Zusammenhang mit dem Lernziel der Kommunikativen Kompetenz die Meinung vertreten, dass sich somit ein Nachdenken über Sprachenlernen und über fremdsprachliche Regularitäten mehr oder weniger strikt verbiete. Damit wird dann ein Lernverständnis fortgeschrieben, wie es sich im Zuge der Direkten, der Audiolingualen und der Audiovisuellen Methode herausgebildet hatte: Die Aneignung einer fremden Sprache bedürfe nur sehr partiell der Bewusstmachung von Regularitäten auf Lernerseite; sie werde vielmehr erleichtert durch stetige Anwendung sprachlicher Strukturen in kommunikativen Zusam- 2 An dieser Stelle soll und kann nicht diskutiert werden, ob die Einführung des Begriffs der Kommunikativen Kompetenz die Voraussetzungen für einen Paradigmenwechsel im Kuhnschen Sinne erfüllt (vgl. Kuhn 1967). <?page no="249"?> Ein Plädoyer für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht 239 menhängen. Interessant an dieser Sichtweise ist zweierlei: Zum einen hätte sie eigentlich dazu führen müssen, das Interesse an Fragen der Didaktischen Grammatik und damit des Umgangs mit Grammatik im Fremdsprachenunterricht zu senken. Das trifft aber für die 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts gar nicht zu. 3 In diesen Kontext gehört auch, dass mit dem Konzept der Language Awareness (Gnutzmann 2010) gerade ein Konzept für Unterricht insgesamt favorisiert wird, das Sprache - in allen Schulfächern - zum Reflexionsgegenstand macht und das darauf abzielt, Lernende dazu anzuregen, über Regelhaftigkeiten von Sprachen und Sprachgebrauch nachzudenken und dabei auch zu reflektieren, welche lernfördernden Aspekte sich daraus für den eigenen Spracherwerb ergeben. Zum Zweiten hätte der Ausschluss der Reflexionstätigkeit wohl kaum zur Entwicklung einer Mehrsprachigkeitsdidaktik geführt, die in wesentlichen Teilen auf der Fähigkeit des Lernenden beruht, sprachliche Regularitäten zu erkennen und dieses Erkennen für den eigenen Spracherwerb nutzbar zu machen (vgl. exemplarisch Meißner/ Reinfried 1998). Nun hebt gerade die Mehrsprachigkeitsdidaktik sehr auf die Erfahrungen von Lernenden und die Reflexion der Lernenden darüber ab. Sie betont damit die Bedeutung, die dem Lernen der ersten Fremdsprache für weiteres Fremdsprachenlernen zukommt, indem sie dazu anregt, diese Erfahrungen als Lernpotenzial anzusehen und für den Erwerb weiterer Fremdsprachen nutzbar zu machen. Schaut man dabei auf die ersten Fremdsprachen, so ergibt sich ein durchaus heterogenes Bild: Englisch ist in den meisten Fällen in Deutschland die erste schulische Fremdsprache. Ob Englischlehrkräften immer klar ist, welch wegweisende Funktion ihr Unterricht für die Aneignung weiterer Fremdsprachen besitzt, könnte durchaus Gegenstand einer für die Fremdsprachendidaktik wichtigen Untersuchung werden. 4 Augenfällig dürfte aber sein, dass ein Englischunterricht, der den ausschließlich kommunikativen Aspekten der kommunikativen Kompetenz folgt, Lernende auf ein anderes Gleis des fremdsprachlichen Lernens setzt, als es Schülerinnen und Schüler mit Französisch oder gar Latein als erster Fremdsprache kennen gelernt haben. 5/ 6 3 Und selbst für die Zeit kann man durchaus diskutieren, ob es tatsächlich angemessen ist, von einer ,Wortschatzwende‘ zu sprechen (Gnutzmann 1995). 4 Für Deutsch als Fremdsprache existieren derartige Untersuchungen bereits; verwiesen sei exemplarisch auf das Themenheft „Deutsch als zweite Fremdsprache“ der Zeitschrift Fremdsprachen Deutsch 1/ 1999. Überhaupt ist es erstaunlich, dass sich das Fach Deutsch als Fremdsprache diesen Realitäten viel eher gestellt hat als andere schulische Fremdsprachen. 5 Dass Latein nur in seltenen Ausnahmefällen noch die erste Fremdsprache ist und sich diesen Status häufig mit dem Englischen teilt, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt, machte aber die oben angeregte Untersuchung keineswegs obsolet. 6 Hier sei auf die aktuelle Diskussion in Nordrhein-Westfalen verwiesen: Die seit Frühjahr 2017 im Amt befindliche Landesregierung animiert nicht nur die Gymnasien zur <?page no="250"?> 240 Frank G. Königs Nun ist es mitnichten meine Absicht, die Verdienste des Konzepts der Kommunikativen Kompetenz in Zweifel zu ziehen. Zumal unbestreitbare Vorzüge und Verdienste ja auch auf der Hand liegen. Den vielleicht nachhaltigsten Effekt können wir im Kontext des Phänomens ‚Mündlichkeit’ beobachten. Es darf der Kommunikativen Kompetenz als Verdienst angerechnet werden, dass wir mittlerweile über eine differenzierte Auffassung von Mündlichkeit verfügen (vgl. Burwitz-Melzer/ Königs/ Riemer 2014) und dass es hinsichtlich des Primats der Mündlichkeit im Unterricht in den modernen Fremdsprachen wohl kaum noch einen Dissens gibt. Allerdings gebietet die Redlichkeit den Hinweis, dass als Konsequenz daraus der Aspekt der Schriftlichkeit zu kurz kommt. Schriftliche Kompetenzen spielen nicht selten eine eher untergeordnete Rolle im Fremdsprachenunterricht. 7 In den vorangehenden beiden Kapiteln sollte gezeigt werden, dass im Kontext des Konzepts der Kommunikativen Kompetenz Verabsolutierungen zu beachten waren und sind, die dem Konzept selbst und der Auffassung von Fremdsprachenlernen eher geschadet haben. Versuchen wir, im letzten Abschnitt eine Art Fazit zu ziehen. 4 Fazit Vor dem Hintergrund der hier entfalteten Diskussion stellt sich die begriffliche Diskussion möglicherweise in Teilen neu dar: Schaut man z. B. auf das Konzept des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts, wie es Reinfried (2001) entworfen hatte, so drängen sich bestimmte Feststellungen auf: Mit dem von Reinfried verwendeten Terminus wird darauf hingewiesen, dass die kommunikative Grundorientierung des Fremdsprachenunterrichts einerseits sinnvoll und wünschenswert ist, dass es jedoch andererseits unangemessen ist, das Kind mit dem Bande auszuschütten. Vielmehr deutet bereits Reinfried die Notwendigkeit an, die lernerseitige Reflexionsfähigkeit stärker konzeptuell sichtbar zu machen. Fremdsprachenlernen - so lässt sich aus zahlreichen Arbeiten Reinfrieds folgern - ist dann besonders erfolgreich, wenn Lernende ihre Lernerfahrungen einbringen und reflektieren können und wenn sie unter Rückkehr zu G9, sondern plädiert auch dafür, den Beginn der zweiten Fremdsprachen wieder von der 6. auf die 7. Klasse zurückzuverlegen mit dem Argument, man müsse den Schüler/ innen hinreichend Zeit und Gelegenheit geben, ihre Erfahrungen mit der ersten Fremdsprache zu verarbeiten. 7 Vergleichbare Klagen hört man seitens der Lehrkräfte im Deutschunterricht und im Germanistikstudium. Ob die Ursache hierfür in curricularen Veränderungen der Fächer liegt oder in den zweifelsohne gegebenen Veränderungen des öffentlichen Sprachverhaltens (Stichwort: Soziale Netzwerke), wäre gleichfalls eine Untersuchung wert. <?page no="251"?> Ein Plädoyer für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht 241 Anleitung lernen können, an welchen Stellen und in welchem Umfang sie diese Erfahrungen nutzen können. Das ist aber nur möglich, wenn nicht einseitige schlagwortartige Verkürzungen gut gemeinter Konzepte diesen Weg verstellen. Das bedeutet gleichzeitig, dass man den kommunikativen Ansatz nicht als Abkehr von lernerseitiger Reflexion und einseitiger Hinwendung zur schülerseitigen, ggf. unreflektierten kommunikativen Aktivität missverstehen darf. Bereits das Votum für den neokommunikativen Fremdsprachenunterricht unterstreicht das lernreflektierende Paradigma. Fremdsprachenlernen besteht demnach in einem auf die persönlichen Erfahrungen und Bedingungen des einzelnen Lerners zugeschnittenen Rückgriff auf vorhandene Ressourcen, seien sie sprachlicher oder lernreflektierender Art. Und davor muss man auch keine Angst haben (Königs 2015). Von daher bereitet auch der Terminus des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts auf die Auffassung von fremdsprachlichem Lernen vor, wie es unter mehrsprachigkeitsdidaktischem Aspekt typisch ist: Lernende werden mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen ernst genommen, und Fremdsprachenlernen ist mehr als das Ausgesetztsein (eigener oder fremder) fremdsprachlicher Kommunikation. Gleichzeitig bestätigt die Beschäftigung mit dem kommunikativen Ansatz die Vermutung, dass die Zeit geschlossener methodischer Konzepte vorbei ist (Königs 2004) und dass unsere Vorstellung von fremdsprachlichem Lernen einem Plädoyer für Individualität und Reflexivität auf Lernerseite gleichkommt. Das im Unterricht angemessen umzusetzen, bedeutet die eigentliche Herausforderung. Darauf und auf die Gefahren einer missverständlichen Auffassung von kommunikativem Fremdsprachenunterricht bereits früh hingewiesen zu haben, ist ein Verdienst, das dem Konzept des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts zukommt, wie es von Marcus Reinfried skizziert worden ist. So gesehen erweist sich sein begrifflicher Ansatz als durchaus vorausschauend! Literatur Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Riemer, Claudia (Hrsg.) (2014): Perspektiven der Mündlichkeit. Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts . Tübingen: Narr. Butzkamm, Wolfgang (1973): Aufgeklärte Einsprachigkeit. Zur Entdogmatisierung der Methode im Fremdsprachenunterricht . Heidelberg: Quelle/ Meyer. Butzkamm, Wolfgang (2004): Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Eine neue Methode für den Fremdsprachenunterricht . Tübingen: Francke. Gnutzmann, Claus (1995): « Brauchen wir eine Wortschatzwende im Fremdsprachenunterricht? “. In: Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Erwerb und Vermittlung von Wortschatz im Fremdsprachenun- <?page no="252"?> 242 Frank G. Königs terricht. Arbeitspapiere der 15. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts . Tübingen: Narr, 73-81. Gnutzmann, Claus (2010): „Language Awareness“. In: Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik . Seelze-Velber: Klett/ Kallmeyer, 115- 119. Gnutzmann, Claus/ Königs, Frank G. (1992): „Methodische und politische Dimensionen des Fremdsprachenunterrichts zu Beginn eines neuen Jahrzehnts“. In: Gnutzmann, Claus/ Königs, Frank G./ Pfeiffer, Waldemar (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im internationalen Vergleich - Perspektive 2000 . Frankfurt a. M.: Diesterweg, 9-47. Habermas, Jürgen (1971): „Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz“. 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Dessen einst beschworener Tod konnte bislang allerdings nicht festgestellt werden, auch wenn Debyser in den 70er Jahren eine methodische Ermüdung unter den Lehrerinnen und Lehrern im Hinblick auf das Lehrwerk auszumachen meinte. Lehrwerke stellen weiterhin die operationalisierte Form der Bildungspläne dar und konfektionieren immer noch, zumindest in groben Zügen, den Unterricht. Und gerade im Fremdsprachenunterricht sind sie, vor allem in den ersten Jahren des Lehrgangs das „Leitmedium des Fremdsprachenunterrichts“ (Grünewald 2011, 64) par excellence. Es ist daher folgerichtig, dass sich die didaktische Forschung immer wieder diesem zentralen Medium zuwendet (z. B. Michler 2005; Grünewald 2011; Martinez 2011; Mertens 2011; Fäcke/ Mehlmauer-Larcher 2017; Schleicher 2017), um Rückschlüsse aus den intendierten bzw. tatsächlich erfolgten Praxistransfers fremdsprachendidaktischer Prinzipien ziehen zu können. Von den drei Grobrichtungen, in die die lehrwerksbasierte Forschung zielt - Lehrwerksanalyse und -kritik, Lehrwerkswirkungsforschung, Lehrwerkentwicklung (vgl. Kurtz 2011, 3) - widmet sich dieser Beitrag dem ersten Aspekt am Beispiel der Vokabelverzeichnisse. In der Einleitung zu seiner historisch ausgerichteten Studie mit dem Titel Das Bild im Fremdsprachenunterricht. Eine Geschichte der visuellen Medien am Beispiel des Französischunterrichts (1992) stellt Marcus Reinfried fest, dass im Gegensatz zum Englischunterricht der „traditionsreiche Französischunterricht […] insgesamt weniger erforscht“ sei als der Englischunterricht (1992, 17). Diesem damaligen Desiderat hat Marcus Reinfried seit dem Erscheinen seiner Dissertation selbst durch zahlreiche Arbeiten abgeholfen; auch sind andere Arbeiten zu Teilaspekten in den letzten 25 Jahren erschienen (z. B. Willems 2013; Kuhfuß 2014). Dennoch gibt es weiterhin den einen oder anderen unbearbeiteten <?page no="256"?> 246 Jürgen Mertens „weißen Flecken“ (Reinfried 1992, 17) innerhalb der methodengeschichtlichen Forschung. Das Thema der Vokabelverzeichnisse soll daher in einem bescheidenen Umfang historisch in diesem Beitrag aufgearbeitet werden. Methodisch folgen wir dabei einem historisch-genetischen Forschungsansatz (vgl. Reinfried 1992, 19), mit all seinen Implikationen für eine gegenstandsadäquate Betrachtung des Forschungsgegenstandes. In diesem Hinblick wurde das der Untersuchung zugrunde liegende Datenmaterial „räumlich und zeitlich eingeschränkt“ (Reinfried 1992, 19), um den Rahmen nicht zu sprengen (siehe 3.). Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind die lektionsbezogenen Vokabelverzeichnisse von Französischlehrbüchern für die Sekundarstufe I des Gymnasiums. Für die Untersuchung sind folgende Fragen leitend: • Welche Darstellungsformen weisen die Vokabelverzeichnisse in diesem Zeitraum auf ? • Welche Funktionen kommen den Vokabelverzeichnissen in der jeweiligen Periode zu? Bezugspunkt für die Beantwortung dieser Leitfragen sind die Leitprinzipien des neo-kommunikativen Fremdsprachenunterrichts (Reinfried 2001, 10). Diese sollen im Folgenden kurz skizziert werden. 2 Der neo-kommunikative Fremdsprachenunterricht Unter neo-kommunikativem Fremdsprachenunterricht versteht Reinfried eine „neue Methodenkonzeption“ (Reinfried 2001, 8), die • „sich aus der kommunikativen Methode heraus entwickelt […]“, • diese „ab Mitte der achtziger Jahre durch zusätzliche methodische Konzepte erweitert und überformt“, und • „eine große Pluralität von Lehr- und vor allem Lerntechniken auf[weist].“ (Reinfried 2001, 8 f.). Reinfried leitet auf der Basis einer Analyse des Erstvorkommens fachdidaktischer Verschlagwortungen in einer Fachbibliographie vier Grundprinzipien ab, die für das neo-kommunikative Makroparadigma stehen (vgl. Reinfried 2001, 8): • Handlungsorientierung : Gerafft ist darunter die Hinwendung zum Lerner, seinen individuellen Voraussetzungen, Vorkenntnissen und Interessen zu verstehen, die methodisch in Blick genommen werden sollen. Es gehören ebenfalls zu diesem Oberbegriff projektartige und kreative Arbeitsformen. Reinfried subsumiert unter diesem Punkt das kooperative Lernen, kreative Arbeitsformen, Lernen durch Lehren und Projektunterricht (vgl. Reinfried 2001, 9 ff.). • Fächerübergreifendes Lernen : Das zweite Leitprinzip zeigt sich in Ansätzen, wie dem Bilingualen Unterricht oder der Mehrsprachigkeitsdidaktik, bei <?page no="257"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 247 denen der herkömmliche Fremdsprachenunterricht sich in unterschiedlicher Weise öffnet, zum einen durch die Überwindung der Sprachgrenze hin zu anderen, verwandten Sprachen; zum anderen, durch die Überwindung der Fachgrenzen hin zu einem expliziten Fokus auf Inhalte (vgl. Reinfried 2001, 10 f.). • Ganzheitliche Spracherfahrung : Im Zusammenhang mit diesem Leitprinzip kommt der Komplexität der Lernsituation eine wichtige Rolle zu. Als Teilaspekte werden genannt: Authentizität, Emotion, Körperlichkeit, beiläufiges Lernen (,inzidentelles Lernen’). • Lernerorientierung : Hierunter ist der Fokus auf die Individualität des Lerners zu verstehen: z. B. sein Lerntyp, sein Lernstil, das Zugeständnis von selbstbestimmtem Lernen, das Hinführen zu Autonomie, die Befähigung zum bewussten Umgang mit der Wirkung seines sprachlichen Tuns ( language awareness ). Bei der nachfolgenden Beschreibung und Analyse der Beobachtungen an den Vokabelverzeichnissen soll immer wieder auf die vier genannten Leitprinzipien rekurriert werden. 3 Zur Eingrenzung des Gegenstands 3.1 Das der Untersuchung zugrunde liegende Korpus Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich auf Französischlehrwerke für das Gymnasium (Unter- und Mittelstufe), die ab 1970 bis heute in Deutschland erschienen sind. Die zeitliche Eingrenzung orientiert sich an den in Reinfrieds Aufsatz „Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht: ein neues methodisches Paradigma“ definierten Eckdaten: den Ausgangspunkt stellt das Aufkommen des kommunikativen Ansatzes in Deutschland dar, den wir mit der Veröffentlichung von Piephos Standardwerk Kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Lernziel (1974) datieren. Aufgrund des prozessualen Charakters der Reinfried’schen Konzeption wird das Erscheinungsjahr des letzten, in dieser Analyse berücksichtigen Bandes (2016) als vorläufiges Ende des Betrachtungszeitraums gesetzt. Wir gehen über die damals betrachtete, bis zur Jahrtausendwende sich erstreckende Periode hinaus, ist es doch zu vermuten, dass die Weiterentwicklung des neo-kommunikativen Fremdsprachenunterrichts in den vergangenen 20 Jahren vorangeschritten ist. Das erste Lehrwerk, das in die Analyse miteinbezogen wird ( Etudes Françaises , Klett) liegt mit seinen Erscheinungsdaten 1971 bzw. 1972 außerhalb dieser kommunikativen Ära, sein Einsatz im Französischunterricht fällt jedoch in eine Zeit, als der kommunikative Ansatz im Unterricht Einzug hielt. Als ein konzep- <?page no="258"?> 248 Jürgen Mertens tuell sehr traditionell gestaltetes Lehrwerk bilden Etudes Françaises 1 und 2 somit einen geeigneten Bezugspunkt, um die zu untersuchenden Veränderungen im Laufe der Zeit darzustellen. Für die Zeit vor 1989 beschränken wir uns auf die in der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland erschienenen Französischlehrwerke, um den Rahmen der Darstellung nicht zu sprengen. Diesem Grund ist auch die Tatsache geschuldet, dass die Lehrwerke nur immanent betrachtet werden und ein Teil der Kontextbedingungen der jeweiligen Epoche, die die Entwicklung von Lehrwerken maßgeblich beeinflusst, v. a. die Stundentafel des Faches, ausgeblendet bleibt. Die Untersuchung bezieht sich auf Lehrwerke, die weitgehend für Französisch als zweite Fremdsprache am Gymnasium (Sek. I) konzipiert worden sind. Der Hauptanteil des Französischunterrichts entfällt auf diese Lernerkontingente, so dass sich ein Fokus auf die zweite Fremdsprache anbot. Die Untersuchung beschränkt sich des Weiteren auf die Sekundarstufe I, da der Unterricht in den ersten vier bis fünf Lernjahren in der Regel lehrgangsbezogen stattfindet. Die Analyse erfolgt anhand von Lehrwerken der beiden Marktführer Cornelsen und Klett. Es wird davon ausgegangen, dass die editorische Kontinuität in diesen beiden Verlagen die didaktische Weiterentwicklung des Französischunterrichts ab den 1970er Jahren in der Praxis besonders deutlich widerspiegelt. 1 Dem Korpus liegen sämtliche Schülerbücher der betreffenden Reihen Etudes Françaises/ Echanges/ Découvertes (Klett) und Étapes/ À plus! (Cornelsen) zugrunde. Insgesamt wurden 34 Einzelbände (zumeist als Jahresband konzipiert, außer Erdle-Hähner/ Klein 1971 und 1972, die zwei Schuljahre abbildeten) in die Untersuchung einbezogen. Um eine Vergleichbarkeit zu erhalten, werden die seit der 2000er Generation schon im Titel mit , Charnière ’ bzw. , Passerelle ’ als Übergangsbände zur gymnasialen Oberstufe charakterisierten Abschlussbücher der Französischlehrgänge nur der Vollständigkeit halber erwähnt (s. Tab. 1). 1 Französischlehrwerke aus dem Haus Diesterweg, die unter den Reihennamen Voici (Berwanger et al. 1974-1977) bzw. Passages (1998 ff.) erschienen sind, werden aus diesem Grund nicht miteinbezogen, wenngleich v. a. Passages eine wichtige Etappe der Lehrwerksentwicklung darstellt durch die Umsetzung der Storyline-Prinzips in den Lehrbuchtexten. <?page no="259"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 249 GENE- RATION Jahr Reihe CORNELSEN Jahr Reihe KLETT 1970er Jahre -- -- 1971 Etudes Françaises 1 -- -- 1972 Etudes Françaises 2 1980er Jahre -- -- 1981 EF Echanges 1 -- -- 1983 EF Echanges 2 -- -- 1984 EF Echanges 3 -- -- 1985 EF Echanges 4 1990er Jahre 1989 Étapes 1 1994 EF Découvertes 1 1990 Étapes 2 1995 EF Découvertes 2 1991 Étapes 3 1996 EF Découvertes 3 1992 Étapes 4 1997 EF Découvertes 4 2000er Jahre 2004 À plus! 1 2004 Découvertes 1 2005 À plus! 2 2005 Découvertes 2 2006 À plus! 3 2006 Découvertes 3 2007 À plus! 4 2007 Découvertes 4 (2008 À plus! 5 Charnières ) (2008 Découvertes Passerelle ) 2010er Jahre 2012 À plus! 1 (NE) 2012 Découvertes 1 2013 À plus! 2 (NE) 2013 Découvertes 2 2014 À plus! 3 (NE) 2014 Découvertes 3 2015 À plus! 4 (NE) 2015 Découvertes 4 (2016 À plus! 5 Charnières ) (2016 Découvertes Passerelle ) Tab. 1: Dem Korpus zugrunde liegende Französischbücher <?page no="260"?> 250 Jürgen Mertens Im Betrachtungszeitraum lassen sich insgesamt fünf Lehrwerksgenerationen unterscheiden. Sie erscheinen in einem zeitlichen Abstand von rund 10 Jahren, wobei der Eindruck entsteht, als werde der Erneuerungsdruck seit den letzten drei Generationen stärker. Die Bücher wurden einer quantitativen und qualitativen Analyse unterzogen. Auf diese soll nachfolgend eingegangen werden. 3.2 Vokabelverzeichnisse „Es gibt kein ernst zu nehmendes Schülerbuch als Grundlage eines geschlossenen Lehrwerks zum Erlernen einer Fremdsprache, das ohne Vokabelanhang und zusätzlich zu jeder Unterrichtseinheit gehörende Wortschatzangebote auskommt“ lautet Gerbers (2013, 63) nicht zu leugnende Feststellung. Als Bestandteil der Peripherie eines Lehrwerks, die heutzutage immer mehr an Umfang gewinnt, mit Anleitungen zu Lerntechniken, Grammatikresümees, landeskundlichen Mini-Glossaren, usw., bedeutet Vokabelverzeichnis die vollständige Auflistung des im Lehrgang vermittelten Vokabulars in Verbindung mit einer Auswahl an Lemmaangaben zur Förderung des Wortschatzerwerbs. Es lassen sich hierbei zwei Grundtypen des Vokabelverzeichnisses unterscheiden: • das alphabetische Wörterverzeichnis (seit den 90er Jahren): die Lexik wird in alphabetischer Reihenfolge in beiden Übersetzungsrichtungen angeboten, so dass die Lerner bei Bedarf nachschlagen können. Zugleich erfüllt diese Art der Wortschatzpräsentation den Zweck der Heranführung an die Benutzung eines zweisprachigen Wörterbuchs. In der Regel sind die Lemmaangaben auf die zweisprachigen Wortgleichungen begrenzt; die Mikrostruktur des Lemmas ist spärlich. 2 2 Für beide Übersetzungsrichtungen bieten die Lehrwerke beispielsweise der 2010er Jahre knappe Vokabelgleichungen und, fast ausschließlich nur im frz.-dt. Teil, Kollokationen oder geläufige Wendungen an. Ihrem Charakter als „abgespeckte Wörterbücher“ (Gerber 2013, 65) entsprechend, leisten diese Wörterlisten in der Übersetzungsrichtung Frz.-Dt. den Lernern schnelle Dienste beim Nachschlagen semantisch nicht mehr präsenter Lexik. Insofern sind sie in nuce eine geeignete Vorbereitung auf den Umgang mit komplexen zweisprachigen Wörterbüchern und im Besonderen die Gelegenheit, sich in deren alphabetische Grundstruktur einzuarbeiten. Differenzierter als Gerber (2013, 65) muss man diese positive Einschätzung jedoch in Bezug auf die gegenläufige Richtung Dt.- Frz. sehen. Beide Lehrwerke überzeugen nicht durch die aufgebotene Mikrostruktur der Lemmata; diese beschränkt sich weitgehend auf die fremdsprachliche Übersetzung, den Verweis auf das erste Vorkommen des französischen Lexems und auf spärliche, die Mikrostruktur betreffende Hinweise (i. d. R. grammatische Angaben). In letztere Kategorie gehörten auch Hinweise zur Konstruktion, v. a. von Verben und deren kollokative Verwendungen. An Explizität bezüglich der Kollokierbarkeit mangelt es beiden Lehrwerken in besonderem Maße, so dass die Wortschatzlisten mit Blick auf die Sprachproduktion <?page no="261"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 251 • das lektionsbezogene Wörterverzeichnis : die Lexik des jeweiligen Bandes wird in Unterteilungen präsentiert, die dem Vorkommen in der jeweiligen Lektion entsprechen. Die Darstellungsform ist daher chronologisch, jedoch nicht thematisch oder sprachstrukturell motiviert. In dieser Untersuchung wenden wir uns der letztgenannten Variante des Vokabelverzeichnisses, dem lektionsbezogenen Wörterverzeichnis zu. 4 Quantitative Betrachtung des Wortschatzes der Vokabelverzeichnisse 4.1 Bemerkungen zur Methodik In einem ersten Schritt sollten die Vokabelverzeichnisse auf die Quantität des eingeführten Wortschatzes untersucht werden. Methodisch war diese Auszählung anhand der Lektionslisten nicht ganz so einfach und eindeutig wie zunächst angenommen. Wie sollte mit dem Wortschatz verfahren werden, der in gesonderten Kästen innerhalb des Vokabelverzeichnisses dargestellt war? Sind morphologische Varianten z. B. von Adjektiven oder Substantiven zusammen oder jeweils einzeln zu berücksichtigen? Handelt es sich bei unterschiedlichen Registern angehörigen Lexemen wie colonie de vacances oder colo um eine oder um zwei Vokabeln? Ist ein konjugiertes Verb einfach oder jede Verbform einzeln zu zählen? Recht unterschiedlich verfahren die Lehrwerke mit Eigennamen, seien es Vor- oder Familiennamen, Bauwerke oder geographische Bezeichnungen. Bisweilen werden sie im Vokabelverzeichnis aufgeführt, zum Teil werden sie in andere Teilbereiche des Schülerbuchs ausgelagert (als Namensliste, als landeskundliches Lexikon, o. ä.). Für die Auszählung stellte sich des Weiteren der Umstand als Problem heraus, dass die Lehrwerke nicht konsequent eine einmal gewählte Unterscheidung des Wortschatzes über die Jahre beibehalten hatten. So treffen alle untersuchten Lehrwerke die Unterscheidung zwischen obligatorischem und fakultativem Wortschatz, zum Teil differenzieren sie jedoch auch zwischen rezeptivem und (nicht explizit so genanntem) aktivem Wortschatz. für die Lerner nur von geringem Nutzen sein dürften. In abgewandelter Formulierung kann man mit dem Altmeister der Lexikographie Franz Josef Hausmann (1977, 58) von „sträflich fehlkonstruierten“ Wortschatzlisten sprechen, die ihre Funktion als Formulierungshilfe, zumal bei einer der approche actionnelle verpflichteten Konzeption, nicht erfüllen. Im Grunde sind in den alphabetischen Wortschatzlisten die Verhältnisse umzukehren: „Das herübersetzende Wörterbuch (sprich: frz.-dt. Wortschatzliste; Anm. JM) braucht eine möglichst extensive Makrostruktur, das Hinübersetzende eine möglichst intensive Mikrostruktur“ (Hausmann 1977, 58). <?page no="262"?> 252 Jürgen Mertens Eine weitere Schwierigkeit für die Auszählung ergibt sich aus der (Teil-)Modularisierung der seit ungefähr den 1990er Jahren auf den Markt gekommenen Bände. Unter Modul versteht man aus den Lektionen ausgelagerte Lerninhalte (damit auch des Vokabulars), die zur Wahl gestellt werden, sei es, dass der jeweilige Bildungsplan diese Inhalte verpflichtend einfordert, sei es als Angebot, um weitere Inhalte individuell vertiefen zu können. Die Unterscheidung nach obligatorisch und fakultativ kann im Grunde in solchen Bänden nicht eindeutig vollzogen werden. Aus pragmatischen Gründen wurde stets so verfahren, dass • das Layout den Ausschlag für die Zählung gab: wurden Varianten (z. B. un conducteur/ une conductrice ) aufeinanderfolgend, quasi in einem Abschnitt präsentiert, zählte das Lexem einfach; waren sie hingegen durch vertikale Spatien voneinander abgesetzt, wurden sie jeweils für sich gerechnet; • Eigennamen, die im Vokabelverzeichnis verzeichnet waren, als Vokabel gezählt wurden; • die Übersichtskästen nicht in die Zählung miteinbezogen wurden. Es handelt sich hier meist um bekannten Wortschatz, der in anderer Form erneut präsentiert wird; • der Wortschatz in den Modulen zum fakultativen Wortschatz gezählt wurde, so dass im Gesamtergebnis der Auszählung ein Mindestwortschatz eruiert werden konnte; • beim Pflichtwortschatz die Unterscheidung zwischen aktivem und rezeptivem Wortschatz nicht berücksichtigt wurde, da sowohl der aktive wie auch der rezeptive Wortschatz, wenn auch in unterschiedlicher Weise, zum Lernwortschatz gehörte. 4.2 Die Untersuchungsergebnisse: Quantität des Wortschatzes Der obligatorische Wortschatz hat, so muss die schlichte Feststellung lauten, im Untersuchungszeitraum drastisch abgenommen. Legt man die absoluten Zahlen von Etudes Françaises (Erdle-Hähner/ Klein 1971, 1972) zugrunde, so beläuft sich der Pflichtwortschatz in den ersten 4 Lernjahren auf rund 5200 Einheiten. 3 Verfolgt man die quantitative Entwicklung innerhalb der Lehrwerke der einzelnen Generationen, so zeigt sich folgendes Bild: 3 Nur zum Vergleich die Anzahl bei Voici (1974-1977): 6769. <?page no="263"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 253 Abb. 1: Die Entwicklung des Wortschatzes seit den 70er Jahren (absolut) (4 Bände) Nimmt man Etudes Françaises (Erdle-Hähner/ Klein 1971, 1972) als Bezugspunkt für die Entwicklung des Pflichtwortschatzes, so hat sich dieser in den letzten Lehrwerksgenerationen konstant verringert. Pauschal gesagt vermittelt die gymnasiale Sekundarstufe I gegenwärtig gerade einmal halb so viel Vokabular im Französischunterricht wie in den 70er Jahren. Auffallend ist, dass in beiden Lehrwerksreihen der Wortschatz konstant von Generation zu Generation abnimmt. Dieser Prozess verläuft in den Französischlehrgängen der beiden Verlagshäuser - wie die Grafik zeigt - parallel, wobei die absolute Anzahl der Vokabeln bei Cornelsen leicht höher ist. Abb. 2: Die Entwicklung des Wortschatzes (4 Bände) (prozentual) <?page no="264"?> 254 Jürgen Mertens Nur wenig ändert sich, wenn man berücksichtigt, dass ab der 2000er Generation ein fünfter Band angeboten wird, der den Übergang zur Oberstufe vorbereitet. Rechnet man diese Bände mit ein, so ergibt sich folgendes Bild: Der Abwärtstrend ist auch dann feststellbar, wenn ein weiteres Schuljahr in das Gesamtvokabular einberechnet wird. Die Abnahmekurve ist im Vergleich zu Abb. 1 etwas flacher. In Prozentzahlen wird der Rückgang jedoch auch hier augenfällig. Abb. 3: Die Entwicklung des Wortschatzes seit den 70er Jahren (absolut) (5 Bände) Abb. 4: Die Entwicklung des Wortschatzes in Prozent (5 Bände) <?page no="265"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 255 Abb. 5: Der fakultative Wortschatz in Lehrwerken (absolut) Bei beiden Lehrwerken ist die Differenz zum Vergleichslehrwerk der 70er Jahre aus der vorkommunikativen Ära groß. In der jüngsten Lehrwerksgeneration liegt der vermittelte Wortschatz zwischen einem Drittel (60,3%) bis beinahe der Hälfte (52,7%) unter dem von vor 40 Jahren. Die Bilanz wird durch den Einbezug des fakultativen Wortschatzes nicht günstiger. Abbildung 5 zeigt auf, dass dessen Anteil auf rund ein Drittel zurückgegangen ist und in einzelnen Lehrwerksreihen gar nicht mehr im Vokabelverzeichnis ausgewiesen wird. Dieser Befund ist jedoch etwas differenzierter zu betrachten, da die Lehrwerke z. T. dazu übergegangen sind, den nicht verpflichtenden Wortschatz im lektionsbezogenen Teil der Schülerbücher in Randleisten oder Fußnoten zu präsentieren. 4.3 Fazit Die Ergebnisse dieser quantitativen Analyse scheinen, auch wenn man sie aufgrund der eingangs genannten methodischen Probleme zurückhaltend betrachten sollte, eine mögliche Begründung für die negativen Befunde bei Wortschatztests gymnasialer Lerner zu liefern (Bürgel/ Siepmann 2010, 201). Auch mag diese Analyse zur Klärung der Feststellung beitragen, dass die „ältere Generation über bessere Wortschatzkenntnisse verfügt“ (Bürgel/ Siepmann 2010, 201). Bürgel/ Siepmann hatten in ihre Untersuchungen zur Wortschatzkompetenz neben Lehramtsstudierenden auch aktive Lehrkräfte miteinbezogen und <?page no="266"?> 256 Jürgen Mertens festgestellt, dass die aktiven Lehrkräfte im Vergleich zu den Lehramtsstudierenden bessere Testergebnisse hatten. Sie erklärten dieses Ergebnis damit, dass die Lehrkräfte in der Lage sind, ihren Wortschatz während des aktiven Schuldienstes weiter auszubauen oder aber, dass sie von vorne herein einen umfangreicheren Wortschatz erlernt haben. Letztere These scheint durch unsere Analyse der Lehrwerke gestützt zu werden. Sicherlich muss ein größeres Angebot an Wortschatz nicht notwendigerweise mit einem umfangreicheren, beherrschten Wortschatz korrelieren; die These aber, dass die Schülerinnen und Schüler bei einem größeren Lernangebot eine andere Qualität der Wortschatzkompetenz entwickeln, ist naheliegend. Man muss Bürgel et al. (2016, 9) zustimmen, wenn sie fordern: „Deshalb muss dem Aufbau der rezeptiven Wortschatzkompetenz im schulischen Französischunterricht deutlich mehr Raum gegeben werden, als es bisher der Fall ist.“ Und das bedeutet ein reichhaltigeres Angebot an Wortschatz, in Form von lexikogrammatischen Basiseinheiten. 5 Qualitative Betrachtung der lektionsbezogenen Vokabelverzeichnisse 5.1 Bemerkungen zur Methodik Mit der Beschränkung auf einen Aspekt, das lektionsbezogene Vokabelverzeichnis, verbindet sich einerseits der Vorteil, ein Phänomen isoliert genau betrachten, darstellen und einschätzen zu können; zum anderen verhindert diese Beschränkung aber, die Interdependenz der Einzelteile eines Lehrwerks aufzeigen zu können. Sie führt dazu, dass Evidenzen, die man im Untersuchungsgegenstand zu suchen gedenkt, dort jedoch nicht findet, leicht als Desiderate moniert werden. Als komplexes didaktisch-methodisches Materialkonstrukt ist das Lehrwerk aufgrund seiner Abhängigkeit von diversen Einflussfaktoren, dem Bildungsföderalismus, wirtschaftlichen Erwägungen, den Marktbedingungen, dem erwarteten Käuferverhalten, usw. immer ein Kompromissprodukt, bei dem sich die isolierte Kritik, im Sinne eines pars pro toto im Grunde verbietet. Jedes Einzelelement in einem Lehrwerk steht nie für sich allein, sondern ist bedingt durch seine Interdependenz mit anderen. Unter dieser Prämisse soll der Untersuchungsgegenstand hier isoliert betrachtet werden, die Herangehensweise ist jedoch neutral deskriptiv, und auf die Herausarbeitung von Bezügen zu den in 3. skizzierten neo-kommunikativen Leitprinzipien ausgerichtet. <?page no="267"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 257 5.2 Deskriptive Analyse der Vokabelverzeichnisse Als Vokabelverzeichnis im eigentlichen Sinne wird die lektionsbezogene Darstellung verstanden, die - wie ein Blick in die Französischbücher zeigt - die Lehrwerksgeschichte durchzieht. Folgende Merkmale der Vokabelverzeichnisse können unterschieden und beschrieben werden: 5.2.1 Merkmal: chronologische Darbietung Das Merkmal der Chronologie, das dieses ,eigentliche’ Vokabelverzeichnis kennzeichnet, erstreckt sich zum einen auf die Darbietung des Vokabulars, die der Abfolge der Lektionen im Buch folgt; zum anderen auf die Reihenfolge des Vorkommens der Lexik innerhalb der Lektion. Es zeigt sich an dieser Stelle ein entscheidender konzeptioneller Unterschied zwischen den Lehrwerken der beiden Verlagshäuser. Während das Berliner Verlagshaus weitgehend darauf achtet, neues Vokabular textbezogen einzuführen, findet sich bei den Büchern des Stuttgarter Verlags die Strategie, neues Vokabular nicht nur in den Texten, sondern auch in den Übungen - innerhalb der Arbeitsanweisungen wie auch der Übung selbst - einzuführen. In Découvertes 2 (Bruckmayer et al. 2013) beläuft sich der auf den Übungsapparat entfallende Anteil der neuen Lexik auf nahezu ein Viertel. 4 5.2.2 Merkmal: Lemmaangaben Die Vokabelangaben werden in den Französischlehrbüchern des Korpus in der Regel als frz.-dt. Vokabelgleichung präsentiert und durch Angaben erläutert. Diese Lemmaangaben sind typisch für die meisten Wörterbücher (vgl. Hausmann 1977, 17). In den schulischen Wortschatzverzeichnissen liegt der Fokus auf zwei Aspekten: a) den grammatischen (und zum Teil ,stilistischen’) Angaben und b) den Ausspracheangaben. a) Grammatische und diasystematische Angaben Bei den grammatischen Angaben kann zwischen einer expliziten und einer impliziten Darbietungsform unterschieden werden. Während beispielsweise das Genus der Substantive mit konsonantischem Anlaut durch die durchgängige Setzung eines bestimmten Artikels indirekt markiert wird (z. B. le problème , Erdle-Hähner/ Klein 1971, 159), wird bei denen mit vokalischem Anlaut der unbestimmte Artikel verwendet ( une allure, Erdle-Hähner/ Klein 1971, 173) oder aber das Genus wird terminologisch mit einem Kürzel explizit benannt 4 Die damit verbundene Häufung von Schwierigkeiten - Grammatik und Lexik - in den Übungen muss kritisch gesehen werden. <?page no="268"?> 258 Jürgen Mertens ( l’anglais , m., Erdle-Hähner/ Klein 1971, 180). Eine Variante der impliziten Präsentation ist die Angabe von Genus- und Numerusmorphemen ( fameux, euse , Erdle-Hähner/ Klein 1971, 190). Relativ selten ist die explizite Kennzeichnung der Wortart, wie etwa bei: „dessous Adv.“ (Erdle-Hähner/ Klein 1971, 185). Die Schulbuchgeneration der 70er Jahre verfährt mit diesen Angaben relativ spärlich. Die explizite Benennung grammatischer Informationen, sei es die Wortart oder das Genus, etc., ist auf wenige Lemmata beschränkt. Der weitaus größte Teil an Grammatikinformation wird implizit vermittelt und erfordert von den Lernern ein hohes Maß an grammatischer Bewusstheit, um die Angaben deuten zu können. Die Folgegeneration der 80er Jahre (Grunwald et al. 1981, 1983, 1984, 1985) verwendet explizite Grammatikinformationen (z. B . f. oder plur. , Grunwald et al. 1983; „les Etats-Unis (m)“, Grunwald et al. 1984) in noch spärlicherer Weise. Auch in diesem Lehrwerk überwiegen implizite Angaben zur Lexik in Form von Hinweisen auf die Morphologie (unregelmäßiger Plural, weibliche Form des Adjektivs). Dieses Prinzip wird auch in den späteren Bänden dieser Lehrwerksgeneration beibehalten. Die Palette an Angaben wird der Progression entsprechend ausgeweitet, so dass es im vierten Band auch Hinweise auf den Modus nach bestimmten Konjunktionen gibt (z. B. après que + ind. , Grunwald et al. 1985). Ab dem vierten Band berücksichtigt Etudes Françaises Echanges (Grunwald et al. 1985) auch die diasystematische Markiertheit von Sprachen (vgl. Hausmann 1977, 112 ff.). So wird beispielsweise mit ,fam.’ und ,littéraire’ auf die Sprachniveaus von „43 ans aux fraises“ (Grunwald et al. 1985) und „la nue“ (Grunwald et al. 1985) verwiesen. Weitere diasystematische Markierungen (diatopisch, diastratisch, …) finden sich indes nicht. Die Generation der 90er Jahre führt diesen Trend zur Kennzeichnung des Sprachniveaus fort. Gegenüber der Vorgängergeneration ist in Découvertes (Beutter et al. 1994, 1995, 1996, 1997) die Zunahme an Wortschatz auffallend, der von den Autoren und Autorinnen mit familier markiert wird. Meist handelt sich dabei um apokopierte Substantive. Was die grammatischen Angaben angeht, so sind diese wie in den vorhergehenden Generationen marginal. Diese Aussage trifft auch für das Lehrwerk Étapes zu, das in den 90er Jahren seinen Markteintritt hatte (Héloury et al. 1989, 1990, 1991, 1992). Es finden sich allerdings Angaben zur stilistischen Markierung der Lexeme. Étapes scheint durch die Unterscheidung von zwei Substandardregistern ( pop./ fam .) die Bandbreite des Wortschatzes offensiver nutzen zu wollen, wobei diese Differenzierung nirgendwo erläutert wird. So scheint aus heutiger Sicht die Bewertung von „le bistro“ mit populaire (Héloury et al. 1991, 127) nicht (mehr? ) gerechtfertigt. <?page no="269"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 259 Ab der 2000er Generation wird den expliziten Angaben zur Lexik mehr Aufmerksamkeit beigemessen. Dies trifft insbesondere auf À plus! zu. Dieses Lehrwerk (Bächle et al. 2004, 2005; Gregor et al. 2006, 2007) kennzeichnet die Wortarten mit der entsprechenden Abkürzung ( adj., prép., adv., conj. ). Das Genus und Numerus wird, wie bereits erwähnt, im Einzelfall (v. a. bei vokalischem Anlaut) markiert. Grammatische Information wird bereitgestellt, beispielsweise bei der Konjugation des reflexiven Verbs und der Verben der Bewegungsrichtung in den zusammengesetzten Zeiten. Das jeweilige Lemma verweist auf das Hilfsverb - durch ein hochgestelltes Kürzel (ê) (vgl. Gregor et al. 2007). Découvertes (Bruckmayer et al. 2004; Almargot et al. 2005, 2006, 2007) geht weiterhin sparsam mit expliziten Hinweisen zur Grammatik um. Umgangssprachliches Vokabular wird wenig verwendet, so dass Registermarkierungen selten gekennzeichnet werden. Die aktuelle Generation der 2010er Jahre führt die bisherigen Verfahren in der jeweiligen Tradition der Verlage fort. Beide Lehrwerke entwickeln aber in Teilbereichen die Kennzeichnung grammatischer Inhalte weiter. Bei Découvertes (Bruckmayer 2012, 2013, 2014, 2015) erfolgt die explizite Angabe des Genus meist dann, wenn dieses am Lemma nicht erkennbar ist, wie bei „faires les courses (f.) (pl.)“. Auffallend ist die generelle Markierung femininer Substantive mit dem unbestimmten Artikel - selten dem bestimmten Artikel -, der zudem rot gedruckt ist. Das Lehrwerk setzt dem Anschein nach auf die signalgrammatische Wirkung der Farbsymbolik zur Förderung des Lernprozesses. Ähnlich verfährt À plus! Nouvelle Edition (Blume et al. 2012, 2013, 2014; Gregor et al. 2015) in diesem Fall. Die Farbsymbolik wird bei diesem Lehrwerk konsequent für vokalisch anlautende Substantive angewandt, wobei allerdings das gesamte Lexem inklusive des elidierten bestimmten Artikels entweder blau (für männliche Substantive) oder rot (für weibliche Substantive) gedruckt wird. Zur impliziten Kennzeichnung grammatischer Aspekte (unregelmäßiger Plural, abweichende Orthographie bei Verben auf -ger oder -cer ) wird bei À plus! Nouvelle Edition ebenfalls farbig markiert. b) Lautschriftangaben Das Lehrwerk Etudes Françaises Echanges als Vertreter der 80er Jahre baut darauf, dass die Lerner im Laufe des Lehrgangs die korrekte Aussprache aus der Schrift abzuleiten in der Lage sind. Wird im ersten Band (Grunwald et al. 1981, 1983, 1984, 1985) noch jedes Wort mit der Lautschrift angegeben, die zudem durch eine eigene Spalte hervorgehoben wird, so nehmen diese Angaben bis zu Band 4 konsequent bis auf ganz wenige ab. Die Lehrwerkgeneration der 80er Jahre setzt somit dieselbe Strategie fort, die bereits in den 70er Jahren ( Etudes Françaises 1 und 2 ; Erdle-Hähner/ Klein 1971, 1972) zum Einsatz kam. <?page no="270"?> 260 Jürgen Mertens Bei den beiden Lehrwerken der 90er Jahre ist die Lautschrift als Information in der Regel vorhanden. Allerdings verfahren die beiden Lehrwerke damit in unterschiedlicher Weise. Etudes Françaises Découvertes (Beutter et al. 1994, 1995, 1996, 1997) nimmt wie seine Vorgängergeneration die Anzahl der Lautschriftangaben im Laufe der 4 Bände zurück. Während in Band 1 nahezu jedes Lemma mit der Lautschrift versehen wird, trifft dies in Band 4 nur noch vereinzelt zu. Nicht immer ist jedoch nachvollziehbar, welche Kriterien für die jeweiligen Entscheidungen maßgebend waren. Weder bei ,les vendanges‘ noch bei ,raisin‘ (Beutter 1997) sollten m. E. Aussprachebesonderheiten vorhanden sein, sieht man einmal von der im Lehrwerk nicht angedachten Möglichkeit zum harmonisierten [re] bei ,raisin’ ab. Étapes (Héloury et al. 1989, 1990, 1991, 1992) scheint diese Art von Progression wie sie bei Découvertes festgestellt werden konnte in seiner Konzeption nicht vorgesehen zu haben. Wie auch die beiden nachfolgenden Lehrwerksgenerationen der 2000er und 2010er Jahre wird das Lemma konsequent bei allen Einträgen um die Lautschrift ergänzt und die Lerner werden sowohl über die Rechtschreibung wie auch die Aussprache informiert. 5.2.3 Merkmal: tabellarische Darbietung Die tabellarische Auflistung des Vokabulars ist ein über die Jahrzehnte hinweg konstantes Merkmal der Vokabelverzeichnisse. Allerdings variiert die Darstellungsweise im Laufe der Jahrzehnte sowohl in formaler wie auch in inhaltlicher Hinsicht. Die Generation der 70er Jahre: Aus dieser Lehrwerksgeneration wird Etudes Françaises 1 und 2 (Erdle-Hähner/ Klein 1971, 1972) untersucht. In diesem zweibändigen Lehrwerk ist das Vokabelverzeichnis zweispaltig französisch-deutsch, wobei auf einer Schulbuchseite zwei solcher zweisprachiger Wortlisten abgedruckt sind. Die Seitenmitte ist durch eine vertikale Linie klar markiert, so dass die zusammengehörenden Teile layouttechnisch anschaulich gegliedert sind. Der französische Wortschatz steht jeweils in der linken Spalte und ist durch Fettdruck optisch hervorgehoben. Die neu eingeführte Lexik ist in den Spalten jeweils linksbündig ausgerichtet, wodurch sich eine übersichtliche Seitenanordnung ergibt. Der fakultative Wortschatz in dieser Generation wird nicht tabellarisch, sondern linear fortlaufend (frz. Wort - dt. Übersetzung - frz. Wort - dt. Übersetzung - …) präsentiert. Die unterschiedliche Gewichtung des obligatorischen und des fakultativen Wortschatzes ist augenfällig durch die divergierende Anordnung; dennoch bleibt die optische Darstellung durch den Fettdruck der französischen Lexeme leserfreundlich. <?page no="271"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 261 Die Generation der 80er Jahre: Das Lehrwerk dieser Generation ( Etudes Françaises Echanges 1-4; Grunwald et al. 1981-1984) ist dreispaltig, und die Seitenaufteilung in zwei Doppelspalten wurde aufgegeben. Die Lesbarkeit und Übersichtlichkeit der Seite wird dadurch, wie auch durch die Linksbündigkeit der Spaltenausrichtung erhöht. Ab Band 2 wird diese großzügige Anordnung, die die mittlere Spalte der Lautschrift zugestanden hatte, wieder aufgegeben. Der Seitenaufbau ist vierspaltig, die linke Spalte informiert über das französische Lexem und z. T. über die Aussprache. Im Verlauf der Bände nimmt die Kennzeichnung der Lautschrift stetig ab. Es ist anzunehmen, dass das Lehrwerk auf den allmählichen Aufbau von Graphem- Phonem-Korrespondenzen bei den Lernern setzt. Die Generation der 90er Jahre: Das Vokabelverzeichnis bei Étapes (Héloury et al. 1989-1992) ist dreispaltig auf einer Seite, wobei die linke Spalte das französische Wort und jeweils die Lautschrift präsentiert. Durch Fettdruck wird das französische Wort hervorgehoben, durch Kursivsetzung der fakultative Wortschatz vom obligatorischen unterschieden. Aufgrund der sehr kleinen Schriftgröße und des engen Zeilenabstands ist die Leser- und damit vor allem die Lernerfreundlichkeit der Darstellung gering. Bei Etudes Françaises 1-4 (Beutter et al. 1994-1997) ist das Vokabelverzeichnis dreispaltig in allen Bänden. Das Layout unterstützt durch Fettdruck, geeignete Schriftgröße und eine großzügige Seitenplanung die Lesbarkeit. Die Generation der 2000er Jahre: À plus! (Bächle et al. 2004, 2005; Gregor et al. 2006-2008) verfügt über ein dreispaltiges Vokabelverzeichnis. Die Darstellung ist klar, durch Fettdruck des französischen Lexems und Linksbündigkeit unterstützt. Dezente Farbigkeit, die spaltenübergreifend Aspekte hervorhebt (z. B. landeskundliche Informationen, Zusammenstellungen ausgewählter Lexik) sowie der maßvolle Einsatz von Illustrationen lockern die Seitengestaltung auf, ohne ihre Ordnung zu stören. Der Zeilenabstand ist so gewählt, dass eine klare Trennung der Lemmata optisch hervortritt. Die Lesbarkeit der Seiten ist gegenüber der Vorgängergeneration verbessert. Das Vokabelverzeichnis in Découvertes (Bruckmayer et al. 2004; Alamargot et al. 2005-2007) ist weiterhin dreispaltig mit den bereits beschriebenen Attributen (Fettdruck, Ausrichtung, Schriftgröße). Die klare Aufteilung wird durch neue visuelle Elemente (z. B. Farbe, Illustrationen) und spaltenübergreifende Fonds unterbrochen (z. B. die Präsentation des gesamten Verbparadigmas in der mittleren und rechten Spalte; siehe bspw. Alamargot et al. 2005, 161). <?page no="272"?> 262 Jürgen Mertens Die Generation der 2010er Jahre: À plus! Nouvelle Edition (Blume et al. 2012-2014; Gregor et al. 2015) ist dreispaltig. Die Attribute der Vorgängerversion wurden beibehalten (Fettdruck, Linksbündigkeit, großzügiger Zeilenabstand, maßvolle Bebilderung und farbige Fonds). Die Grundfärbung der Seiten wurde dezent in einem gelblichen Pastellton gewählt. Eine weitere Entwicklung ist die Unterlegung durch eine Lineatur, die über die Spalten hinweg den Zusammenhalt der Informationen (frz. Lexem/ Lautschrift - dt. Übersetzung - Beispielsatz) gewährt. Dieses Layoutmerkmal wurde in den Bänden 3 und 4 aufgegeben. Découvertes (Bruckmayer et al. 2012-2016) weist ebenfalls einen dreispaltigen Ansatz auf. Während die linke Spalte das Lemma sowie die Lautschrift beinhaltet, bietet die mittlere Spalte die deutsche Übersetzung. Was die rechte Spalte angeht, so unterscheiden sich die beiden Lehrwerksreihen leicht: zum einen bezüglich der Breite wie auch bezüglich des Gesamtlayouts. Bei À plus! erstrecken sich die drei Spalten sowohl was die Breite als auch das Layout angeht, gleichmäßig über die Seite. Découvertes hingegen fokussiert optisch die rechte Spalte, indem dieser mehr Raum - fast die Seitenhälfte - sowie ein blauer Fond zugewiesen wird. Von diesen Layout bedingten Unterschieden abgesehen, hat die dritte Spalte in den beiden Lehrbüchern eine jeweils andere Funktion. Bei Découvertes dient sie zum einen dazu, paradigmatische Lexikbeziehungen (z. B. Antonyme, Wortfamilie, Verweis auf das Englische, …) aufzuzeigen, 5 zum anderen finden sich hier wörtlich aus den jeweiligen Lehrbuchtexten entnommene Sätze mit ihrer Übersetzung. 6 Über die Funktion kann spekuliert werden: Soll es eine differenzierende Maßnahme sein, um schwächeren Schülern einen besseren Zugang zum Text zu verschaffen? Sollen es Redemittel sein, die in den aktiven Sprachgebrauch eingefügt werden sollen? Die Funktion der rechten Spalte ist in À plus! eindeutiger bestimmbar. Beispielsätze mit Lücke erlauben in Verbindung mit der mittleren Spalte, die den Hinweis auf das Wort auf Deutsch liefert, das neue französische Wort zu üben. Die am Ende der Lektion angegebenen Lösungen ermöglichen eine schnelle Selbstkontrolle, so dass das Vokabelverzeichnis an dieser Stelle den Charakter des bloßen Info-Pools übersteigt und Lern- und Übungspotential aufzeigt. 7 Trotz der relativ starken Konsistenz des Merkmals tabellarische Anordnung ist seit den 2000er Jahren erkennbar, dass die strenge Gliederung der Wortschatzpräsentation zunehmend aufgebrochen wird. Gestalterische Elemente wie 5 Diese Angaben finden sich bei À plus! in der linken Spalte, direkt beim Lemma. 6 Nicht immer sind diese Übersetzungen gelungen: „Ils ne savent pas faire les listes ou quoi? Sie können keine Listen machen oder was? “(sic! ) (Bruckmayer 2013, 142). (Anstatt: Können sie denn keine Listen machen? ) 7 Zur Kritik an Découvertes in dieser Hinsicht, siehe Gerber 2013, 63. <?page no="273"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 263 Farbe und Illustrierung sowie thematisch ausgerichtete Präsentationsweisen sorgen für eine Auflockerung des Seitenbildes (siehe hierzu 5.2.4 und 5.2.5). 5.2.4 Merkmal: Farbe als Gestaltungsmittel Ab den 2000er Jahren ist in den Lehrwerken die Tendenz zum vermehrten Einsatz von Farbe als Gestaltungsmittel erkennbar. In 5.2.3 hatten wir diesen Aspekt im Zusammenhang mit den Angaben zu den grammatischen Aspekten der Lemmata gestreift. Es ist zu vermuten, dass die technischen Möglichkeiten in Verbindung mit einer akzeptablen Kostenkalkulation in den Vorgängerversionen dazu noch nicht gegeben waren. Farbe wird auch zur Hervorhebung separater Teile des Vokabelverzeichnisses einsetzt. So finden sich in den beiden letzten Generationen vermehrt mit farbigem Fond unterlegte Kästen, die ausgewählte, sprachliche Aspekte in den Fokus nehmen. So verfolgt bspw. das Lehrwerk Découvertes (Bruckmayer et al. 2012-2015) die Strategie, auf dunkel gelbem Fond sämtliche Verbformen zu präsentieren. In Band 1 ist dies zumeist das Präsensparadigma, im Abschlussband wird auf ein Ankerverb derselben Kategorie verwiesen und zum Teil auf Sonderformen, z. B. subjonctif hingewiesen ( s’asseoir , Bruckmayer et al. 2015, 156). 8 Farbe als Gestaltungsmittel ist ebenfalls in Kombination mit der Tendenz zur Illustrierung des Vokabelverzeichnisses zu sehen. 5.2.5 Merkmal: Illustrierung Die Illustrierung als gestaltendes Mittel beim Vokabelverzeichnis setzt ernsthaft in der Generation der 2000er Jahre ein, von ein paar vereinzelt in Etudes Françaises Découvertes (Beutter et al. 1994, 1995, 1996, 1997) vorfindbaren Versuchen abgesehen. Die Illustrationen dienen vornehmlich zur Semantisierung von Lexemen, aber auch zur wiederholenden Präsentation von Wortfeldern. Die beiden Lehrwerke messen der Illustrierung, so der Anschein, unterschiedlichen Wert bei. Während Etudes Françaises Découvertes über die Bände hinweg regelmäßig Illustrationen streut und als didaktisches Mittel einsetzt, nimmt die Anzahl der Bebilderung in À plus! ab Band 2 stark ab. Diese Tendenz ist auch gegenwärtig bei À plus! Nouvelle Edition (Blume et al. 2012, 2013, 2014; Gregor et al. 2015) festzuhalten. Illustrationen, z. T. auch in Form von Fotografien, dienen weniger der Semantisierung von Einzelwörtern, sondern vielmehr der Hervorhebung von spezifischen sprachlichen Schwierigkeiten in blau unterlegten Kästen (z. B. jouer de vs . jouer à, Blume et al. 2013, 175). 8 In ähnlicher Weise, allerdings weitaus spärlicher in À plus! Nouvelle Edition (Blume et al. 2012-2014; Gregor et al. 2015). <?page no="274"?> 264 Jürgen Mertens Découvertes (Bruckmayer et al. 2012, 2013, 2014, 2015) baut den Einsatz visueller Gestaltungsmittel in den 4 Bänden aus. Das Bild ist überwiegend auf der rechten Seitenhälfte platziert und ergänzt bei ausgewählten Lexemen die in der linken und mittleren Spalte gegebenen verbalen Informationen, die des französischen Worts und die deutsche Übersetzung, um die optische Komponente. Auffallend ist die zunehmende Verwendung von Fotos statt Zeichnungen. Dies kann damit gedeutet werden, dass auch im Vokabelverzeichnis eine Tendenz zur ,authentischen’ Darstellung eingeschlagen wurde, wie dies Reinfried bereits für die Lektionsteile in Étapes festgestellt hatte (Reinfried 1992, 277). Ganz profan kann man allerdings auch vermuten, dass der Zugriff auf Fotodatenbanken eine günstigere Lösung darstellt als die Beauftragung eines Zeichners. 5.2.6 Merkmal: Verweissystem Ab der Generation der 2000er Jahre, ansatzweise bereits in der Vorgängergeneration, entwickeln die Lehrwerke zunehmend eine Reihe von Instrumentarien, um Verknüpfungen im Vokabelverzeichnis aufzuzeigen. Beide Lehrwerke weisen daher ab den 2000er Jahren eine Art Verweissystem auf, mit dessen Hilfe Querverbindungen innerhalb der Lexik hergestellt werden. Bei À plus! (Blume et al. 2012-2014; Gregor et al. 2015) werden diese Angaben in der linken Spalte platziert und mit Symbolen, dem Ungleichheitszeichen (≠), zum Verweis auf Antonyme und einem Pfeil zum Verweis auf die bekannte Lexik derselben Wortfamilie markiert. Eine britische Flagge verweist auf interlinguale Kognaten. In der mittleren Spalte findet sich der Verweis auf das Muster der Verbkonjugation wie auch auf weiterführende landeskundliche Informationen im Petit Dictionnaire de Civilisation . 9 Das Lehrwerk Découvertes (Bruckmayer et al. 2012-2015) geht, was die Verweise anbelangt, einen anderen Weg. Die Zusatzinformationen sind weitgehend in die rechte, blau unterlegte dritte Spalte integriert. Auch hier finden sich durch Symbole gekennzeichnete Antonyme oder Hinweise auf Orthographiebesonderheiten, die in der Regel durch einen Stift markiert sind. 10 Insgesamt ergibt sich in dieser dritten Spalte der Eindruck, als sei des Guten zu viel getan oder aber die diversen Anmerkungen, die sich hier finden, in ihrer didaktisch-methodischen Darbietung nicht genügend reflektiert worden. So setzt das Lehrwerk vielfach auf metasprachliche Erläuterungen von Sprachinformationen („Achte auf die Aussprache“, Bruckmayer et al. 2013, 145), die aber nicht immer konsequent zu Ende gedacht sind: so ist der Hinweis auf courses/ cour/ cours eine 9 Découvertes (Bruckmayer et al. 2012-2015) liefert diese landeskundlichen Hinweise in sogenannten Vis-à-vis -Kästen, die bei Bedarf in die linke Spalte eingestreut werden. 10 Worin allerdings die Schwierigkeit bei „französisch/ englisch: possible “ (Bruckmayer et al. 2013, 143) liegen soll, entzieht sich der Fantasie des Verfassers. <?page no="275"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 265 Reaktion auf eine im Unterricht immer wieder festzustellende Interferenz bei den Lernern. Die Interferenzgefahr ist jedoch nicht allein im Hinblick auf die Orthographie gegeben, sondern vor allem auf die Aussprache. Diese wird jedoch den Lernern an dieser Stelle (Bruckmayer et al. 2013, 155) vorenthalten. Fazit: Während sich À plus! auf einige relevante Hinweise beschränkt, erscheint Découvertes im Bemühen, möglichst viele Hinweise geben zu wollen, überfrachtet. Das Layout ist im Gegensatz zu einer im übrigen Buch aufgeräumten, gefälligen optischen Darstellung recht unübersichtlich, vor allem durch die Multifunktionalität der Normalschrift, die sowohl die metasprachlichen Erläuterungen wie auch die Übersetzungen von Beispielsätzen abbilden muss. Daran ändert auch ein weiteres gestalterisches Mittel, die Markierung der Lemmata durch eine horizontale Trennlinie, nur wenig. 5.2.7 Merkmal: Spiralcurricularer Ansatz und Individualisierung Ein weiteres Merkmal ist seit den 2000er Jahren der Trend, den Wortschatz nicht nur linear zu präsentieren, sondern ihn innersprachlich mit anderen Lexemen zu verknüpfen. Die aktuelle Lehrwerksgeneration hat diesen Trend, den Lektionswortschatz auszudifferenzieren und spiralcurricular aufzubereiten, fortgesetzt und ausgebaut. Découvertes (Bruckmayer 2012-2015) bietet eine ganze Reihe an Möglichkeiten auf, diesen spiralcurricularen Ansatz umzusetzen, allerdings sind im Detail nicht alle Varianten geglückt. So wurden beispielsweise zwei Rubriken „Auf einen Blick“ (s. u.) sowie „Mon dico personnel“ geschaffen. Letzteres sind thematisch zusammengestellte Wortfelder (z. B. „Des fruits et légumes“, Bruckmayer et al. 2013, 159), die über den Wortschatz des Buches hinausgehen, jedoch individuell verwendbares Sprachmaterial bereitstellen sollen; der Bezug zum lektionsbezogenen Teil des Lehrbuches ist dabei nicht immer klar erkennbar. Was die deutschen Überschriften angeht, so ist deren Zusammenhang mit der französischen Hauptüberschrift nicht erkennbar. Zum Teil führen diese die französische inhaltlich fort, wie z. B. bei „Ce soir, on va avoir des invités! Da gibt es viel zu bedenken“ (157), z. T. ist es eine gelungene pragmadidaktisch formulierte Zusammenfassung des Kastens („Eine Geschichte in die richtige Reihenfolge bringen“, 150), z. T. ist es eine Übersetzung („Hier, aujourd’hui et demain/ Gestern, heute und morgen“, 159), z. T. sind es aber auch in diesem Zusammenhang merkwürdig anmutende dictons , die in einem losen thematischen Zusammenhang stehen („Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“, 154), und teils fehlen sie gänzlich (z. B. Auf einen Blick , 172; jeweils Bruckmayer et al. 2013). Bei À plus! (Blume et al. 2012-2014; Gregor et al. 2015) entspricht das ,Dico personnel’ den banques de mots (Blume et al. 2013, 172 f.). Auf einer klar strukturierten Doppelseite zu sechs Themenfeldern wird visuell unterstützte Zusatz- <?page no="276"?> 266 Jürgen Mertens lexik bereitgestellt. Konzeptionell ist hier eine direkte Anbindung an die Lernaufgabe der jeweiligen Lektion gegeben. Eine Neuerung bei Découvertes , die auch im Rahmen eines spiralcurricularen Ansatzes gesehen werden kann, ist die Rubrik Tu te rappelles? am Anfang des Vokabelverzeichnisses einer jeden Lektion. In Form von deutsch-französischen Vokabelgleichungen wird den Lernern bereits bekannte, in der kommenden Lektion notwendige Lexik erneut präsentiert. Bei Auf einen Blick handelt es sich ebenfalls um thematisch gruppierte Redemittel, die in Übersichtskästen innerhalb des restlichen Vokabelverzeichnisses unregelmäßig platziert sind. Die Aufbereitung dieser Merk-/ Lernkästen ist von unterschiedlicher Qualität. Während eine Auflistung von apokopierten Nomen ( info, perm, ordi ; Bruckmayer et al. 2013, 152) überzeugt, vermitteln andere den Eindruck einer Bleiwüste (Bruckmayer et al. 2013, 149); wiederum andere würden layouttechnisch überzeugen - z. B. auf S. 163 durch blaue Hervorhebung von Syntagmen - bei näherem Hinsehen jedoch zeigt sich, dass die blaue Farbgebung lediglich die hier erstmals erscheinende Lexik markieren soll. 5.2.8 Merkmal: Peripherieofferten Eine weitere Tendenz besteht wiederum seit der aktuellen Lehrwerksgeneration darin, über das Lehrbuch hinausgehende Lernangebote bereitzuhalten. So wird bei Découvertes (Bruckmayer et al. 2012-2015) die Aussprache neben der symbolisch-visuellen Darbietung in Form der phonetischen Umschrift sowie vereinzelten Hinweisen auf Aussprachebesonderheiten in der rechten Spalte die akustische Variante der Lernwörter per Webcode zur Verfügung gestellt. À plus! (Blume et al. 2012-2014; Gregor et al. 2015) bietet eine solche Möglichkeit in anderer Form bei den TING-Stift fähigen Vokabeltaschenbüchern. Ein anderes Beispiel für die Weiterentwicklung der Vokabelverzeichnisse von einem Nachschlageinstrumentarium zu einem Lernwerkzeug zeigt sich in der Bereitstellung von downloadbaren Übungsblättern bei À plus! 6 Funktionen des Vokabelverzeichnisses 6.1 Funktion: Materialsammlung zur Texterschließung und zum Wortschatzerwerb In den ersten drei hier analysierten Lehrwerksgenerationen diente das Vokabelverzeichnis weitgehend als lexikalische Materialsammlung und durch die konsequente Darbietung in Form von zweisprachigen Vokabelgleichungen zur Verständnissicherung des Lektionstextes. Auch die nachfolgende Lehrwerksgeneration der 80er Jahre war dieser Funktion verpflichtet. Die Darbietung des Vokabulars wird jedoch ausgeweitet. <?page no="277"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 267 War in der Generation der (,vor’kommunikativen) 70er Jahre die Vokabelgleichung das Grundgerüst des Vokabelverzeichnisses gewesen, so ergänzen innerlexikalische Querverweise (z. B. Antonyme) und vor allem Beispielsätze oder Kurzdefinitionen den Zugang zum Einzellexem. Möglicherweise ist hierin ein Indiz für die Hinwendung zu einem kommunikativen Verständnis des Sprachenlernens zu sehen. Das fremdsprachliche Lexem ist nicht mehr nur in seinem Kontrast zur Bezugssprache, sondern in seiner innersystemischen Verankerung zu sehen, die vom Lerner zu erwerben ist, will er die Sprache rezeptiv und produktiv nutzen können. Diese erste Funktion des Vokabelverzeichnisses, die zur Texterschließung, wurde erst ab der Generation der 90er Jahre durch weitere ergänzt. 6.2 Funktion: Pool kontextbezogener Wortschatzübungen Wenn man Handlungsorientierung versteht, als den Umgang mit Sprache im Kontext, auch außerhalb echter oder simulierter Handlungszusammenhänge, so kann man deren Umsetzung im Vokabelverzeichnis ab der Generation der 90er Jahre ausmachen. Festmachen kann man diese Tendenz an der Umfunktionierung von (ausgewählten) Beispielssätzen zur lexikalischen Mini-Übung. In À plus! (Blume et al. 2013) sind Beispielsätze (in der rechten Spalte) mit Lücken versehen und erlauben in Verbindung mit der mittleren Spalte, die den Hinweis auf das Wort auf Deutsch liefert, das französische Wort zu üben. Die am Ende der Lektion angegebenen Lösungen ermöglichen eine schnelle Selbstkontrolle, so dass das Vokabelverzeichnis den Charakter des bloßen Info-Pools übersteigt und den Schülern Unterstützung beim Vokabellernen bietet. Erstmalig präsentiert wurde diese Neuentwicklung in der Generation der 90er Jahre ab Étapes 1 (Héloury et al. 1989). Das zeitversetzt in den Markt eingetretene Découvertes (Beutter et al. 1994, 1995, 1996, 1997) übernimmt diese Idee und ergänzt sie durch die Lösungen (meist als Fußnote), wo zur Vervollständigung der Beispielssätze ein Lexem angepasst werden musste (z. B. Plural oder konjugiertes Verb). Bei Étapes war darauf noch lediglich mit einem Asterisk hingewiesen worden. In Découvertes 2 (Bruckmayer 2013, 157) findet sich als Weiterentwicklung ein bildgesteuertes Übungsangebot, bei dem im Zusammenhang mit der Kollokation ,mettre la table’ die Frage gestellt wird: „Qu’est-ce qu’il faut pour mettre la table? “ 6.3 Funktion: Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen (Lerntyp, Lernstrategien) Dieser Ansatz, Vokabelverzeichnis mit Übungscharakter, wird in der aktuellen Lehrwerksgeneration vor allem in Découvertes (Bruckmayer et al. 2012, 2013, 2014, 2015) ausgebaut. Pro Lektion wird in Form von einem ,Tipp’ den Lernern <?page no="278"?> 268 Jürgen Mertens Strategiewissen für konsequentes Wortschatzlernen vermittelt. Zugleich wird im Sinne eines spiralcurricularen Lernens in der dem Lektionswortschatz vorangestellten Rubrik „Tu te rappelles? “ Wortschatzwiederholung betrieben. Die z. T. sehr konkreten Hinweise für erfolgreiches Wörterlernen appellieren an kooperatives, emotional positiv besetztes Lernen (z. B. Bruckmayer 2015, 159) und bilden die Makroparadigmen der Handlungsorientierung, der Ganzheitlichkeit und der Lernerorientierung ab. 6.4 Funktion: Bindeglied zu anderen Sprachen Während die Verknüpfung des Französischen mit dem Deutschen bzw. deren Divergenzen, z. B. in Form der sogenannten faux amis (Mertens 2001) bereits früh in den Vokabelverzeichnissen thematisiert wurde (z. B. Beutter et al. 1994, 1995, 1996, 1997), finden sich ab den 2000er Jahren auch Bezüge zur Lexik weiterer (Schul-)Sprachen. Découvertes (Bruckmayer et al. 2004; Alamargot et al. 2005, 2006, 2007) berücksichtigt die Sprachen Englisch, Spanisch und Italienisch, indem bei ausgewählten Lexemen (meist Substantiven) auf das entsprechende Wort in der für die Erläuterungen vorgesehenen Spalte hingewiesen wird (z. B. une exposition à I: esposizione , SP: exposición , Alamargot 2007, 95). Das Makroparadigma des fächerübergreifenden Lernens, das Reinfried (2001) als eines der Merkmale eines neo-kommunikativen Fremdsprachenunterrichts ausgemacht hatte, scheint in Form einer (in Ansätzen) auf Mehrsprachigkeit ausgerichteten Vokabelarbeit an dieser Stelle umgesetzt worden zu sein. Während À plus! ab der 2000er Generation (Bächle et al. 2004, 2005; Gregor et al. 2007, 2008; Blume et al. 2012, 2013, 2014; Gregor et al. 2015) einen, wenn auch eingeschränkten Ansatz hin zu Mehrsprachigkeit andeutet (Verweis auf Englisch), wird diese konzeptuelle Linie beim Stuttgarter Verlagshaus ( Découvertes , Bruckmayer et al. 2012, 2013, 2014, 2015), zumindest innerhalb des Vokabelverzeichnisses, nicht weiterverfolgt. In À plus! ändert sich die Strategie insofern, als in den 2000er Jahren durch ein Symbol (eine Lupe mit britischer Flagge) auf die Wortverwandtschaft hingewiesen wurde, ohne allerdings das englische Lexem explizit zu benennen. Dies erfolgt ab der aktuellen Generation, bei der das englische Lexem mit vorangestelltem Union Jack expressis verbis genannt wird. 6.5 Funktion: Servicecharakter des Vokabelverzeichnisses Über die Lehrwerksgenerationen hinweg betrachtet lässt sich feststellen, dass das Kriterium der Lernerorientierung zunehmend an Bedeutung auch in den Vokabelverzeichnissen gewinnt. Drei Aspekte stechen dabei heraus: • die Auswahl des Wortschatzes : wenn dieser Aspekt in der vorliegenden Studie auch nur oberflächlich betrachtet werden kann, so orientiert sich die Wortschatzauswahl doch deutlich erkennbar an der Lebenswelt und den Interes- <?page no="279"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 269 sen der Lerner. Die Lehrwerke greifen auf von der neutralen Standardsprache abweichende Lexik zurück (siehe die Registermarkierungen), öffnen sich der gesprochenen Sprache (siehe die apokopierten Lexeme) und reduzieren den Anteil an bildungssprachlichem Vokabular, das vor allem noch zu Beginn des hier untersuchten Zeitraums vermittelt worden war; 11 • die Individualisierung des Wortschatzes : an Rubriken wie Banque de mots (Blume et al. 2013, 172 f., auch Band 1 und 3) oder dico personnel (Bruckmayer et al. 2013, 159) zeigt sich die Tendenz, Wortschatz bereitzustellen, der es den Lernern ermöglichen soll, individuelle Kommunikationsanliegen im Rahmen eines aufgabenorientierten Ansatzes zu versprachlichen; • die Autonomisierung der Lernenden : gerade die im Découvertes der 2010er Jahre eingeschlagenen Richtung, die Lerner konsequent auch über das Vokabelverzeichnis in Lernstrategien einzuführen, deutet darauf hin, dass Lernerorientierung, im Sinne einer Befähigung zum Wortschatzlernen verstanden und methodisch umgesetzt wird. Gegenläufige Tendenzen sind jedoch auch erkennbar, wenn beispielsweise die Schüler und Schülerinnen vielfach die fertige Lösung genannt bekommen, ohne dass sie sich selbst anstrengen müssen, um selbst zu einer Erkenntnis zu gelangen (z. B. grundsätzliche Markierung des weiblichen Genus in Bruckmayer et al. 2012-2015; ausführliche verbale Benennung von Ausspracheunterschieden bei identischen frz. und engl. Wörtern, z. B. art ). Auch der Trend zur expliziten Benennung interlingualer Verknüpfungen beim Wortschatz (siehe À plus! , Blume et al. 2012-2014; Gregor et al. 2015) kann als Beispiel angeführt werden. Dieser Servicecharakter des Wortschatzverzeichnisses zeigt sich auch an der immer mehr ausgebauten und umfassenderen Information über Wortschatz, in Form von Registerhinweisen, Zuordnung zu Verbklassen, durchgehender Lautschriftmarkierung, Verknüpfung von lexikalischer mit grammatischer Information (z. B. „Il faut du sucre“ vs. „Il faut un citron“, Bruckmayer et al. 2013, 156). Hatte in den ersten Lehrwerksgenerationen der (neo-)kommunikativen Ära eine weitgehend implizite Erwartungshaltung an die Lerner bestanden, die in großem Umfang eigenständige kognitive Leistungen der Schüler vorausgesetzt hatten, so finden sich in den letzten zwei Generationen immer mehr Unterstützungsangebote. Wird beispielsweise die Lautschrift in den heutigen Lehrwerken grundsätzlich angegeben, so war sie im Lehrwerk der 70er Jahre Etudes Françaises ab der zweiten Hälfte von Band 1 sukzessive zurückgefahren worden, sodass einfach vorausgesetzt wurde, dass die Schüler und Schülerinnen die 11 Eine empirisch gesicherte Studie zur thematisch-inhaltlichen Gliederung des Schülerwortschatzes in Lehrwerken steht m. W. noch aus. <?page no="280"?> 270 Jürgen Mertens entsprechenden Graphem-Phonem-Korrespondenzen einfach selbstständig sich anzueignen hatten. 12 Der Servicecharakter des Lektionsverzeichnisses zeigt sich auch in einer zunehmenden Ergänzung der lexikalischen durch landeskundliche und sprachbezogene Informationen. Meist sind diese Zusatzangaben in Kästen in die Textseite eingestreut: • Metalexikalische Hinweise (z. B. Wortbildung, Gregor et al. 2007, 129); • Redewendungen, Kollokationen, Wortfelder (z. B. Verwandtschaftsbezeichnungen, Gregor et al. 2007, 126); • Geographische, literarische etc. Hinweise (z. B. „Vis-à-vis“, Bruckmayer 2013) etc. 7 Fazit und Ausblick Über die vergangenen 40 Jahre hinweg haben die Vokabelverzeichnisse ein breites Spektrum an Formen und Funktionen ausgebildet. Die vier Reinfried’schen Makroparadigmen konnten erst ab den 90er Jahren in den Vokabelverzeichnissen ausgemacht werden. Hervorstechend ist sicherlich die Berücksichtigung des Kriteriums Lernerorientierung, das sich vor allem in einer aufwendigen farblichen Gestaltung zeigt und damit die Attraktivität des Vokabelverzeichnisses für die Lerner steigern soll. Deutlich tritt auch die Aufbereitung der mannigfaltigen Informationen rund um die Lexik hervor, deren Aneignung durch eine lernförderliche Präsentation unterstützt werden soll. Im Vergleichslehrwerk der 70er Jahre war die Darstellung layouttechnisch nüchtern und was den Informationsgehalt angeht, knapp gewesen. Man kann vereinfachend sagen, dass die damals übermittelten Angaben einzig das Lexem, seine Orthographie und seine ausgangssprachliche Bedeutung waren. Die in heutigen Lehrwerken noch zusätzlich fokussierten Informationen (Aussprache, Grammatik, Landeskunde, zwischensprachliche Bezüge, …) wurden überwiegend ausgeblendet bzw. in die Zuständigkeit der Lerner verwiesen. Das Vokabelverzeichnis hat, wie wir zeigen konnten, mehrere neue Funktionen innerhalb des Lehrwerks übernommen. Die Materialsammlung, die es einst gewesen war und das Textverständnis garantieren sollte, hat sich zu einem vielfältig gegliederten Instrumentarium entwickelt, das den Wortschatzerwerb wie auch den Aufbau interkultureller kommunikativer Kompetenz unterstützen will. Der Lerner wird in diesem Peripherieteil des Lehrwerks zur Kenntnis genommen, angesprochen und zum autonomen Tun, zum Umgang mit Lexik befähigt. 12 Bis in die 1990er Generation hinein wurde die Lautschrift im Laufe des Sprachkurses nur noch bei ausgewählten Vokabeln angegeben. <?page no="281"?> Formen und Funktionen von Vokabelverzeichnissen in Lehrwerken 271 In ihrer aktuellsten Ausgabe legen beide Lehrwerke differenzierte Vokabelverzeichnisse vor, die insgesamt anschaulich gestaltet sind und sowohl als Nachschlagewerk und Instrumentarium für individualisierendes Lernen dienen sollen. Es ist dabei zu beobachten, dass Découvertes dazu neigt, den Lernern Lösungen metasprachlich formuliert vorzugeben, 13 und ihnen Anregungen zum entdeckenden Lernen weitgehend vorenthält. À plus! geht hier z. T. einen anderen Weg, indem vielfach die Möglichkeit zur Selbstüberprüfung gegeben wird. Der Umgang mit dem Vokabelverzeichnis erscheint bei À plus! aktiver, und man gewinnt den Eindruck, als seien die Lerner hier eher als Subjekt des Lernens denn als Objekt der Unterweisung anzusehen. Auf die optische Gestaltung legt Découvertes hingegen weitaus größere Sorgfalt als À plus! Was die Mikrostruktur angeht, so finden sich bei beiden Anbietern im Vokabelverzeichnis, von den Zusammenstellungen abgesehen, so gut wie keine Kollokationen, die aber als Formulierungshilfe im aufgabenorientierten Lehrwerk eingefordert werden müssen. 14 Angesichts eines um die Hälfte verminderten Wortschatzes im Vergleich zu den 70er Jahren ist gerade diesem Aspekt, dem konsequenten Verknüpfen von Lexik zur Realisierung einer Vielzahl an Redeakten, ein besonderes Augenmerk zu schenken. Die Vokabelverzeichnisse haben in der (neo-)kommunikativen Ära große Fortschritte gemacht und spiegeln die konzeptuellen Weiterentwicklungen der neo-kommunikativen Ära (und darüber hinaus) wider, doch sind auch sie nicht „frei von internen Widersprüchen“, wie Marcus Reinfried es für die neo-kommunikative Methodenkonzeption im Ganzen festgestellt hatte (Reinfried 2001, 14). Literatur Bürgel, Christoph/ Siepmann, Dirk (2010): „Was können Französischlerner und -lehrer? Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen auf dem Prüfstand“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 21 (2), 191-216. Bürgel, Christoph/ Siepmann, Dirk/ Mittag, Henning/ Wicher, Oliver (2016): „Rezeptive Wortschatzkompetenzen von Französischschülerinnen und -schülern auf dem Prüfstand“. In: französisch heute 47 (4), 5-11. Debyser, Francis (1973): „La mort du manuel et le déclin de l’illusion méthodologique“. In: Le Français dans le Monde 100, 68-73. 13 Die Erläuterungen in der Muttersprache sind Legion. Z. B. „ inv. “ steht für invariable und bedeutet, dass das Wort „unveränderlich ist“ (153); „Statt permanence kann man auch perm sagen.“ (151) etc. Im einen Fall hätte ein Verweis auf das Abkürzungsverzeichnis gereicht (s. S. 141); auf das zweite wäre jeder Lerner selbst gekommen; eine Angabe zum Sprachregister - perm als mündlicher Schülerjargon - bleibt den Schülern vorenthalten. 14 Zum Teil wird diese Funktion von den „On dit“-Kästen bzw. den „Qu’est-ce qu’on dit? “-Zusammenstellungen im Korpus des Lehrwerks übernommen. <?page no="282"?> 272 Jürgen Mertens Fäcke, Christiane/ Mehlmauer-Larcher, Barbara (Hrsg.) (2017): Fremdsprachliche Lehrmaterialien - Forschung, Analyse und Rezeption. Frankfurt a. M.: Lang. Gerber, Regina (2013): „Zur Nutzung von Lexika und lexikalischen Listen“. In: Küster, Lutz/ Krämer, Ulrich (Hrsg.): Mythos Grammatik? Kompetenzorientierte Spracharbeit im Französischunterricht . Stuttgart: Kallmeyer, 62-70. Grünewald, Andreas (2011): „Förderung der Interkulturellen Kompetenz in Französisch- und Spanischlehrwerken“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 40 (2), 64-82. Hausmann, Franz-Josef (1977): Einführung in die Benutzung der neufranzösischen Wörterbücher . Tübingen: Niemeyer. 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Erdle-Hähner, Rita/ Klein, Hans-Wilhelm (unter Mitwirkung von K. De Clerck und Charles Muller) (Hrsg.) (1972): Etudes Françaises, Ausgabe B, Teil 2. Stuttgart: Klett. Lehrwerksgeneration der 1980er Jahre Grunwald, Bernd/ Lamp, Monique/ Lamp, Reinhard/ Rolinger, Hermann (Hrsg.) (1981): Etudes Françaises. Echanges. Edition longue 1 . Stuttgart: Klett. Grunwald, Bernd/ Lamp, Monique/ Lamp, Reinhard/ Rolinger, Hermann (Hrsg.) (1983): Etudes Françaises. Echanges. Edition longue 2 . Stuttgart: Klett. Grunwald, Bernd et al. (Hrsg.) (1984): Etudes Françaises. Echanges. Edition longue 3 . Stuttgart: Klett. Grunwald, Bernd et al. (Hrsg.) (1985): Etudes Françaises. Echanges. Edition longue 4 . Stuttgart: Klett. Lehrwerksgeneration der 1990er Jahre Héloury, Michèle/ Mößer, Thomas/ Schenk-Gonsolin, Sylvie/ Wernsing, Armin Volkmar (1989): Étapes 1 . Berlin: Cornelsen. Héloury, Michèle/ Mößer, Thomas/ Schenk-Gonsolin, Sylvie/ Wernsing, Armin Volkmar (1990): Étapes 2 . Berlin: Cornelsen. Héloury, Michèle/ Mahnert, Detlev/ Mößer, Thomas/ Schenk, Sylvie (1991): Étapes 3 . Berlin: Cornelsen. Héloury, Michèle/ Mahnert, Detlev/ Mößer, Thomas/ Schenk, Sylvie (1992): Étapes 4 . Berlin: Cornelsen. Beutter, Monika et al. (1994): Etudes Françaises Découvertes 1. Série verte. Stuttgart: Klett. Beutter, Monika et al. (1995): Etudes Françaises Découvertes 2. Série verte. Stuttgart: Klett. Beutter, Monika et al. (1996): Etudes Françaises Découvertes 3. Série verte. Stuttgart: Klett. Beutter, Monika et al. (1997): Etudes Françaises Découvertes 4. Série verte. Stuttgart: Klett. <?page no="284"?> 274 Jürgen Mertens Lehrwerksgeneration der 2000er Jahre Bächle, Hans/ Gregor, Gertraud/ Héloury, Michèle/ Schenk, Sylvie (2004 ): À plus! 1. Cycle long. Lehrwerk für den Französischunterricht an Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Bächle, Hans/ Gregor, Gertraud/ Jorißen, Catherine/ Schenk, Sylvie (2005): À plus! 2. Cycle long. Lehrwerk für den Französischunterricht an Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Gregor, Gertraud/ Jorißen, Catherine/ Schenk, Sylvie (2006): À plus! 3. Cycle long. Lehrwerk für den Französischunterricht an Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Gregor, Gertraud/ Jorißen, Catherine/ Schenk, Sylvie (2007): À plus! 4. Cycle long. Lehrwerk für den Französischunterricht an Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Gregor, Gertraud/ Jorißen, Catherine/ Schenk, Sylvie (2008): À plus! Cycle long. Charnières. Lehrwerk für den Französischunterricht an Gymnasien. Berlin: Cornelsen (unter Mitwirkung von Dr. Hans-Ludwig Krechel und Catherine Mann-Grabowski). Bruckmayer, Birgit et al. (2004): Découvertes 1. Stuttgart: Klett. Alamargot, Gérard et al. (2005): Découvertes 2 . Stuttgart: Klett. Alamargot, Gérard et al. (2006): Découvertes 3 . Stuttgart: Klett. Alamargot, Gérard et al. (2007): Découvertes 4 . Stuttgart: Klett. Alamargot, Gérard et al. (2008): Découvertes Passerelle . Stuttgart: Klett. Lehrwerksgeneration der 2010er Jahre Blume, Otto-Michael/ Gregor, Gertraud/ Jorißen, Catherine/ Mann-Grabowski, Catherine (2012): À plus! 1. Nouvelle Edition. Französisch für Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Blume, Otto-Michael/ Gregor, Gertraud/ Jorißen, Catherine/ Mann-Grabowski, Catherine (2013): À plus! 2. Nouvelle Edition. Französisch für Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Blume, Otto-Michael et al. (2014): À plus! 3. Nouvelle Edition. Französisch für Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Gregor, Gertraud et al. (2015): À plus! 4. Nouvelle Edition. Französisch für Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Gregor, Gertraud et al. (2016): À plus! Charnières. Nouvelle Edition. Französisch für Gymnasien. Berlin: Cornelsen. Bruckmayer, Birgit et al. (2012): Découvertes 1. Série Jaune. Stuttgart/ Leipzig: Klett. Bruckmayer, Birgit et al. (2013): Découvertes 2. Série Jaune. Stuttgart/ Leipzig: Klett. Bruckmayer, Birgit et al. (2014): Découvertes 3. Série Jaune. Stuttgart/ Leipzig: Klett. Bruckmayer, Birgit et al. (2015): Découvertes 4. Série Jaune. Stuttgart/ Leipzig: Klett. Bruckmayer, Birgit et al. (2016): Découvertes 5. Série Jaune. Passerelle . Stuttgart/ Leipzig: Klett. <?page no="285"?> Die Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassen Mark Bechtel Eine exemplarische Aufgabenanalyse 1 Einleitung Seit der Einführung der Bildungsstandards hat Sprachmittlung neben den vier traditionellen kommunikativen Fertigkeiten Hörverstehen, Leseverstehen, Sprechen und Schreiben einen festen Platz in den curricularen Vorgaben gefunden (vgl. KMK 2003). Die bildungspolitische Relevanz verbindet sich mit einer alltagsweltlichen. Sprachmittlung ist beispielsweise dann gefragt, wenn ein Fremdsprachenlerner in eine Mittlerrolle kommt zwischen zwei Personen, die sich aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse nicht oder nur ansatzweise verstehen - eine Situation, die sich sowohl im Zielsprachenland als auch im Herkunftsland ergeben kann. Die deutschsprachige fremdsprachendidaktische Literatur zum Thema Sprachmittlung ist mittlerweile stark angewachsen. Kolb (2016, 22-26) weist in ihrer Monographie darauf hin, dass neben konzeptuellen Beiträgen (z. B. Königs 2016, Reimann/ Rössler 2013, de Florio-Hansen 2013, Caspari 2013, Phillip/ Rauch 2010, Hallet 2008, Glaboniat et al. 2005) zahlreiche Beiträge mit einem unterrichtspraktischen Schwerpunkt vorliegen (z. B. Philipp/ Rauch 2014, Katelhön 2013, Caspari/ Schinschke 2010, Kolb 2010, Kieweg 2008, Kolb 2008). Auch die Lehrbuchverlage haben reagiert und Aufgaben zur Förderung von Sprachmittlung in die aktuelle Lehrwerksgeneration integriert. 1 Ziel des Beitrags ist es, einen gängigen Kriterienkatalog für Sprachmittlungsaufgaben mit den Beschreibungskategorien des Sprachmittlungsmodells von Kolb (2016, 137) zu füllen, um ihn - in dieser Weise angereichert - exemplarisch für eine detaillierte Analyse einer ausgewählten Sprachmittlungs- 1 Für den Französischunterricht sind das beispielsweise Découvertes Série jaune (Bruckmayer et al. 2013) bzw. À plus! Nouvelle édition (Blume et al. 2012). <?page no="286"?> 276 Mark Bechtel aufgabe zu nutzen und daraus Vorschläge für eine Modifikation der Aufgabe abzuleiten. Nach der Klärung begrifflicher und konzeptueller Aspekte von Sprachmittlung (Kap. 2) erläutere ich die zentralen Faktoren des Modells von Kolb (2016, 137-152), das m. E. die Komplexität der Sprachmittlungssituation bislang am genauesten darstellt (Kap. 3). In einem weiteren Schritt greife ich den Kriterienkatalog für Sprachmittlungsaufgaben von Philipp/ Rauch (2010) auf und ordne die von Kolb aufgeführten Faktoren den jeweiligen Kriterien zu (Kap. 4). Danach folgt die exemplarische Analyse einer Sprachmittlungsaufgabe, die aus dem zweiten Band des Lehrbuchs Découvertes Série jaune (Bruckmayer et al. 2013) stammt (Kap. 5). Abschließend wird diskutiert, inwieweit die Verbindung des Modells von Kolb mit einem Kriterienkatalog zur Erstellung gelungener Sprachmittlungsaufgaben einen Mehrwert für die Analyse gebracht hat. 2 Sprachmittlung — Was ist das? Wozu dient es? Was genau mit Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht gemeint ist, ist nach Kolb (2016, 28) nicht eindeutig, und zwar sowohl hinsichtlich der Begriffsbestimmung als auch der fachdidaktischen Kategorisierung. Während für den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) Sprachmittlung (engl. mediation , frz. médiation , span. mediación ) der Oberbegriff für formelles mündliches Dolmetschen und schriftliches Übersetzen einerseits und informelles mündliches bzw. schriftliches Zusammenfassen und Paraphrasieren andererseits ist, wird in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik nach Reimann/ Rössler (2013, 11) Sprachmittlung dagegen als „informelle, alltägliche und nicht-professionelle Aktivität in mündlichen und schriftlichen Kommunikationssituationen verstanden, in denen eine sinngemäße interlinguale Vermittlung von Inhalten einer Ausgangssprache in eine Zielsprache und gegebenenfalls vice versa notwendig wird“. Die Definition von Sprachmittlung als „sinngemäße Übertragung sprachlicher Inhalte von einer Sprache in die andere“ (Nieweler 2006, 110; vgl. Königs 2016, 111) wird von Philipp/ Rauch (2010) um den wichtigen Aspekt erweitert, dass Sprachmittlung stets einen Situations- und Adressatenbezug beinhaltet. Philipp/ Rauch (2010, 4) verstehen Sprachmittlung als die adressaten-, sinn- und situationsgerechte Übermittlung von ausgewählten mündlichen und schriftlichen Informationen von einer Sprache in eine andere mit dem Ziel, fremdsprachige Informationen für Kommunikationspartner nutzbar zu machen, welche sie aufgrund fehlender Fremdsprachenkenntnisse nicht oder nur ansatzweise verstehen. <?page no="287"?> Die Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassen 277 Teilweise wird als Synonym für Sprachmittlung der vom englischen mediation abgeleitete Begriff der ,Mediation‘ verwendet, was jedoch kritisch gesehen wird, da dies im Deutschen vor allem eine besondere Art der Konfliktlösung bezeichne, wie Königs (2016, 112) anmerkt. Reimann/ Rössler (2013, 16) betonen in diesem Zusammenhang allerdings, dass Sprachmittlung stets „Mittlung und Vermittlung“ bedeute und somit zumindest teilweise auch Elemente der Konfliktlösung beinhalte. Um das Besondere der Sprachmittlung herauszustellen, wird sie oft von Übersetzung abgegrenzt, so beispielsweise bei Philipp/ Rauch (2010, 3). Während bei einer Übersetzung im Unterricht die Aufgabenstellung nicht kontextualisiert sei, der Ausgangstext detailgetreu übertragen, die sprachlichen Strukturen bewahrt, die Textsorte und stilistischen Mittel beibehalten und ggf. mit einem zweisprachigen Wörterbuch gearbeitet werden müsste, sei bei der Sprachmittlung die Aufgabenstellung durch Vorgabe der Kommunikationssituation und der Adressaten kontextualisiert, vom Ausgangstext müsse inhaltlich nur das übertragen werden, was dem Interesse der Adressaten entspreche, man könne sich von der sprachlichen und textuellen Struktur lösen und würde im Allgemeinen ohne Wörterbuch arbeiten. 2 Was die Bestimmung der fachdidaktischen Kategorisierung von Sprachmittlung angeht, wird diskutiert, ob es sich um eine ,Fertigkeit‘, eine ,Aktivität‘ oder eine ,komplexe Kompetenz‘ handelt (vgl. Kolb 2016, 29). Während in den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache für den Mittleren Bildungsabschluss Sprachmittlung als fünfte funktional-kommunikative ,Fertigkeit’ aufgeführt ist (vgl. KMK 2003, 8), stellt sie für Rössler (2008), die sich auf den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (Europarat 2001, 57) beruft, eine ,Sprachaktivität‘ dar. Rössler hält die Kategorisierung als Fertigkeit für unpassend, da eine Fertigkeit nach Portmann (1993, 96, zit. n. Rössler 2008, 60) „die grundsätzlich möglichen Weisen, einen sprachlichen Ausdruck und einen Sinn, eine Intention miteinander zu verbinden“ bezeichnet und isoliert als rezeptiv (Hörverstehen, Leseverstehen) bzw. produktiv (Sprechen, Schreiben) konzipiert sei, während die Realisierung von Sprachmittlung weit darüber hinaus gehe, da sie die „Beherrschung je verschiedener Kombinationen produktiver und rezeptiver Fertigkeiten“ verlange, was diese zu einer Sprachaktivität mache, die „Fertigkeiten als Voraussetzung“ habe (Rössler 2008, 60). Wegen ihrer Komplexität betrachten andere wie beispielsweise Hallet (2008, 3), Philipp/ Rauch (2010, 5), Katelhön/ Nied Curcio (2013, 153) und Kolb (2016, 161-179) Sprachmittlung als eigenständige Kompetenz. 2 Siepmann (2013, 190) hält diese Abgrenzung dagegen für nicht sinnvoll und kann keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Sprachmittlung und Übersetzung erkennen. Dieser Auffassung schließen sich auch Abendroth-Timmer/ Plikat (2017) an. <?page no="288"?> 278 Mark Bechtel Das didaktische Potential von Sprachmittlung für den Fremdsprachenunterricht wird vor allem in drei Bereichen gesehen (vgl. Philipp/ Rauch 2010, 5; Rössler 2008): der Förderung sprachlich-kommunikativer, methodischer und interkultureller Kompetenzen. Bei den sprachlich-kommunikativen Kompetenzen in der Fremdsprache kommt das didaktische Potential dann zum Tragen, wenn fremdsprachliche Hörbzw. Lesetexte (entsprechend des Sprachmittlungsauftrags) erschlossen werden müssen bzw. Informationen eines deutschen Textes (dem Sprachmittlungsauftrag entsprechend) in die Fremdsprache übertragen werden müssen. Da bei der Sprachmittlung sowohl die Fremdsprache als auch die Muttersprache gebraucht wird, bedeutet das gleichzeitig - auch wenn dies banal ist -, dass in den Momenten, in denen ein zu mittelnder muttersprachlicher Text rezipiert bzw. Informationen eines fremdsprachlichen Textes in der Muttersprache wiedergegeben werden, die sprachlich-kommunikativen Kompetenzen in der Fremdsprache eben nicht gefördert werden. Im Bereich der methodischen Kompetenzen liegt das Potential der Sprachmittlung im Einsatz von Lernstrategien und Lerntechniken. Beim Übertragen von der Fremdsprache in die Muttersprache besteht das didaktische Potential (dem Sprachmittlungsauftrag entsprechend) in der Schulung von Strategien des globalen, selektiven oder kursorischen Leseverstehens bzw. des globalen oder selektiven Hörverstehens. Beim Übertragen von der Muttersprache in die Fremdsprache werden Sprechstrategien (Umschreibungsstrategien bei unbekanntem Wortschatz, wie beispielsweise das Nutzen von Synonymen, Antonymen, Paraphrasen, Gestik/ Mimik bzw. Kompensationsstrategien wie das Ausweichen auf einfachere Satzstrukturen) oder Schreibstrategien (Umschreibungs- und Kompensationsstrategien sowie die Nutzung von Paralleltexten) geschult (vgl. auch Zweck 2010, 8 f.; Rössler 2008, 65). Was die interkulturellen Kompetenzen angeht, liegt das didaktische Potential der Sprachmittlung für Philipp/ Rauch (2010, 5) darin, dass sich die Schülerinnen und Schüler „soziokulturelles Wissen darüber [aneignen], was ein Sprecher der anderen Sprache nicht wissen kann und was ihm erklärt werden muss“ sowie mit Verweis auf Caspari/ Schinschke (2010) „Wissen um Sprachkonventionen, Höflichkeitsformen, das angemessene Sprachregister“. Für Sarter (2010, 85) ist damit vor allem eine „kulturelle Erklärkompetenz“ verbunden, bei der es um „explizite Erklärungen [geht], die die Besonderheiten der diskursiven Sprachverwendung in der anderen Kultur herausarbeiten“, was auch „(…) den expliziten Vergleich mit der eigenen Kultur (…) einschließen (sollte).“ Kolb (2010, 181) und Rössler (2008, 67) heben dabei insbesondere auf die interkulturelle Wortschatzarbeit ab. Rössler (2008, 67) verweist auf die Notwendigkeit, die konnotative Bedeutung von Wörtern durch Paraphrasieren zu erklären und ggf. klarzumachen, warum eine Übersetzung nicht möglich oder inwiefern sie problematisch sei, während Kolb (2008, 77) auf die Erklärung von <?page no="289"?> Die Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassen 279 Wörtern abhebt, die ein kulturspezifisches Phänomen bezeichnen, das in der anderen Kultur nicht vorkommt (z. B. ,Schultüte‘). Wichtiger als die Aneignung solcher Wissenselemente ist für Kolb (2010, 181) jedoch, dass die Schülerinnen und Schüler ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass es kulturelle und sprachliche Unterschiede gibt und dass sie nie auf alle Situationen vorbereitet sein können, sondern dass sie flexibel reagieren, sich in die Gesprächspartner, zwischen denen sie vermitteln, hineinversetzen und mit interkulturellen Unterschieden rechnen müssen. Das bedeute auch, dass sie „bei Missverständnissen zwischen den Gesprächspartnern ausgleichen müssen und selbst tolerant und für Fremdes offen sein sollten“ (Kolb 2010, 181). 3 Modellierung von Sprachmittlung Um das Spezifische der Sprachmittlungssituation und ihre Komplexität zu fassen, sind eine Reihe von Modellierungen der Interaktionssituation entwickelt worden, so beispielsweise von Hallet (2008, 6), Sarter (2010, 86), Kolb (2014, 100), Caspari (2013, 39) und Abendroth-Timmer/ Plikat (2017). Kolb (2016, 126) diskutiert die Stärken und Schwächen der einzelnen Modellierungen und entwickelt aufgrund partieller Unvollständigkeit ein „situatives Modell der Sprachmittlung, das versucht, alle relevanten Aspekte zu integrieren“ (Kolb 2016, 136). In einem Schaubild illustriert Kolb (2016, 137) das Modell und erläutert ausführlich die einzelnen Faktoren (Kolb 2016, 137-152). Bestandteile der unmittelbaren Sprachmittlungssituation sind die Akteure (Kommunikant 1, Kommunikant 2 und Sprachmittler) mit ihren entsprechenden Rollen, die von ihnen verwendete Sprache (Sprache 1, Sprache 2) mit den jeweiligen Textfunktionen und Textmerkmalen, der Ort, die Zeit, der Kommunikationsbereich und die Kommunikationsform sowie Anlass und Zweck der Sprachmittlung. Den Rahmen für die konkrete Sprachmittlungssituation bildet der (inter-)kulturelle Kontext. An anderer Stelle stellt Kolb (2016, 203) in einer Auflistung die einzelnen Faktoren zusammen und verdeutlicht dabei die Merkmale, die innerhalb eines Faktors variieren können. Im Folgenden werden die einzelnen Faktoren kurz erläutert: Richtung: Die Sprachmittlung kann entweder einseitig von der Fremdsprache in die Muttersprache erfolgen, einseitig von der Muttersprache in die Fremdsprache oder wechselseitig von einer in die andere Sprache. Modus/ Kanal: Der Ausgangstext kann schriftlich oder mündlich vorliegen (Modus), dieser kann entweder mündlich oder schriftlich gemittelt werden (Kanal), wodurch sich vier Varianten von Sprachmittlung ergeben; der Ausgangspunkt kann auch ein visueller sein (beispielsweise ein Foto). <?page no="290"?> 280 Mark Bechtel Sprache: Der Ausgangstext kann konzeptuell mündlicher Natur (spontane Äußerung) oder schriftlicher Natur (Zeitungsartikel) sein. Akteure/ Rollen: Es handelt sich um eine „triadische Konstellation mit ausgangssprachlichem Sender, zielsprachlichem Empfänger sowie partiell zweisprachigem Sprachmittler“ (Kolb 2016, 138) 3 . Insbesondere bei mündlicher Kommunikation können die Kommunikanten aber auch mehrfach besetzt sein (z. B. Eltern, mehrere Verkäufer, Gruppe von Touristen). Hinsichtlich des Rollenverhältnisses der Kommunikanten 1 und 2 muss der Sprachmittler berücksichtigen, ob dieses Verhältnis symmetrisch oder asymmetrisch ist, wie ausgeprägt die Kenntnisse in der jeweils anderen Sprache sind, wie vertraut die Kommunikanten einander sind und ob es sich um Laien oder Experten handelt. Ort/ Zeit: Die Akteure können gleichzeitig physisch an demselben Ort anwesend sein oder es können allein ihre Produkte vorliegen, wie z. B. bei einem schriftlich fixierten Text (E-Mail, Broschüre) oder bei einem mündlich realisierten Text (Fernsehbeitrag). Sind die Akteure physisch anwesend, muss der Sprachmittler zusätzlich auf nonverbale Elemente wie Mimik, Gestik, Prosodie und Proxemik achten, die Informationen über das Gemeinte enthalten. Die Sprachmittlung kann zeitlich versetzt (schriftlich) oder (fast) gleichzeitig (mündlich) stattfinden, was einen Einfluss auf den Zeitdruck hat, dem der Sprachmittler unterliegt. Bereich: Die Sprachmittlung kann im privaten, öffentlichen oder offiziellen Bereich verortet sein. Anlass/ Funktion/ Zweck: Der Anlass zur Sprachmittlung kann vom Sender oder vom Empfänger ausgehen; Funktion und Zweck der Sprachmittlung können explizit genannt oder implizit gegeben sein, sie können stark begrenzt (Übertragung einzelner Informationen) oder sehr weitreichend sein (Übertragung der gesamten Informationen). Auftrag: Die vom Sprachmittler kognitiv zu erbringenden Leistungen können unterschiedlich anspruchsvoll sein, von Einzelinformationen dem Ausgangstext entnehmen ( remember ), über Informationen auswählen in Abhängigkeit vom Adressaten ( understand ), eine Kategorisierung, einen Vergleich, eine Zuordnung oder Kontrastierung vornehmen ( analyze ), ein Problem lösen oder eine Schwierigkeit bewältigen ( apply ), ein Problem einschätzen und beurteilen ( evaluate ) bis zur Verwendung, Integration und Neuanordnung der Informationen des Ausgangstextes in einem eigenen Text ( create ). 3 Diese Definition berücksichtigt jedoch nicht, dass durch einen Wechsel der Richtung bei der Sprachmittlung (siehe Faktor „Richtung“) der Sender nicht nur ein ausgangssprachlicher, sondern auch ein zielsprachlicher sein kann; das gilt auch für den Empfänger. <?page no="291"?> Die Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassen 281 Rolle des Sprachmittlers: Seine Rolle kann darin bestehen, etwas schlicht zu übermitteln, etwas zu erklären, interkulturell zu vermitteln oder einen Konflikt zu vermeiden. Textsorte: Beim Ausgangstext kann es sich z.B. um eine wenig oder stark normierte Textsorte handeln. Textinterna: Textinterne Faktoren des Ausgangstextes beeinflussen die Anforderung an den Sprachmittler wie beispielsweise das Thema (alltäglich vs. speziell), der Inhalt (wenig, konkret, explizit vs. viel, abstrakt, implizit), die Länge (kurz vs. lang) und die Struktur des Wortschatzes (einfach, beschränkt, allgemein vs. komplex, breit, speziell). Kultur: Gegenstand der Sprachmittlung können verschiedene kulturelle Elemente sein, sie können von Realia, über Denotate/ Konnotate, Stereotype, Verhaltensweisen bis zu Überzeugungen reichen. Die vom Sprachmittler zu berücksichtigenden kulturellen Unterschiede können auf einer Skala von offensichtlich bis verborgen liegen. Hilfsmittel: Die Anforderung an die Sprachmittlungssituation kann insofern variieren, als dass der Sprachmittler ohne Hilfsmittel auskommen kann, ein Wörterbuch nötig ist oder auf andere Texte oder Experten zurückgegriffen werden muss. Im folgenden Kapitel werden die hier aufgeführten Faktoren in einen Kriterienkatalog für gelungene Sprachmittlungsaufgaben integriert. 4 Kriterienkatalog für gute Sprachmittlungsaufgaben Mittlerweile liegt eine Reihe von Kriterienkatalogen für Sprachmittlungsaufgaben vor, so beispielsweise von Pfeiffer (2013), Rössler (2012), Katelhön/ Nied Curcio (2012) und Philipp/ Rauch (2010). Ich greife hier auf den Kriterienkatalog von Philipp/ Rauch (2010, 4) zurück. Jedes Kriterium wird zunächst im Wortlaut zitiert. In einem zweiten Schritt mache ich einen Vorschlag, welche Faktoren des Modells von Kolb dem jeweiligen Kriterium zugeordnet werden können. Damit sollen die nicht näher ausgeführten Kriterien von Philipp/ Rauch inhaltlich gefüllt und somit präzisiert werden. Der inhaltlich so angereicherte Kriterienkatalog dient in Kapitel 5 der exemplarischen Analyse einer ausgewählten Sprachmittlungsaufgabe. Kriterium 1: Sprachmittlungsaufgaben „sollten eine authentische Handlungssituation abbilden“. Wenn man „authentisch“ hier in dem Sinne versteht, dass die Handlungssituation in der realen Welt vorkommen könnte, dann wären zu einer detaillierten <?page no="292"?> 282 Mark Bechtel Analyse die Faktoren „Richtung“, „Modus/ Kanal“, „Sprache“, „Akteure/ Rollen“, „Ort/ Zeit“ und „Bereich“ hilfreich. Kriterium 2: Sprachmittlungsaufgaben „orientieren sich an Situationen, in die Schülerinnen und Schüler tatsächlich kommen können (etwa auf Reisen oder im Rahmen von Schul- oder E-Mail-Partnerschaften für die Sek. I oder bei Praktika und Jobs für die Sek. II)“. Bei diesem Kriterium geht es um die Relevanz der Sprachmittlungssituation als solcher für die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler sowie um die Frage, wie relevant für sie die Rolle ist, die sie darin einnehmen sollen. Dieser Aspekt wird im Modell von Kolb nicht berücksichtigt. Das scheint damit zusammenzuhängen, dass in Kolbs (2016) Modell der Fokus auf der Sprachmittlungssituation an sich liegt, nicht aber auf dem Einüben und dem Simulieren der Sprachmittlungssituation im unterrichtlichen Kontext. Kriterium 3: Sprachmittlungsaufgaben „zeichnen sich durch einen Arbeitsauftrag aus, der präzise formuliert, welche Inhalte gemittelt werden sollen (Was will der Gesprächspartner wissen? Geht es die Hauptaussagen des Textes, um bestimmte Details oder nur um Informationen eines bestimmten Textabschnitts? )“. Hier geht es um die Analyse des Anlasses, der Funktion und des Zwecks der Sprachmittlung. Für eine genauere Analyse können hier die Faktoren „Anlass/ Funktion/ Zweck“ und „Auftrag“ des Modells von Kolb (2016, 203) herangezogen werden. Das Kriterium verlangt, dass Anlass und Zweck in der Aufgabenstellung explizit angegeben sein müssen. 4 Kriterium 4: Die Sprachmittlungsaufgaben „gehen von authentischem Material aus, z. B. Verbotsschilder, Fahrpläne, Wetterberichte in der Zeitung und im Radio, Zeitschriftenartikel, Gespräche… jedoch keinesfalls von kontextlosen Einzelsätzen“. Das Kriterium hängt eng mit Kriterium 1 zusammen, da die Handlungssituation an Realitätsnähe gewinnt, wenn in ihr Material eingesetzt wird, so wie es in der Realität vorkommt. Hierbei kann auf die Faktoren „Textsorte“ und „Textinterna“ aus Kolbs Modell zurückgegriffen werden (vgl. Kolb 2016, 144-150, 203). 4 In realen Alltagssituationen können Anlass und Zweck der Sprachmittlung auch lediglich implizit vorliegen und müssen in solchen Fällen vom Sprachmittler erschlossen werden. <?page no="293"?> Die Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassen 283 Kriterium 5: Sprachmittlungsaufgaben „geben je nach Lernstand höchstens einige wenige Vokabelhilfen, jedoch in der Regel kein Wörterbuch“. Mit dem Kriterium kann geprüft werden, ob durch die Aufgabenstellung, die didaktische Aufbereitung des Materials und den Wörterbuchgebrauch den Schülerinnen und Schülern zu viele Hilfestellungen gegeben werden, was die eigentliche Herausforderung untergraben würde, (auch) Äußerungen und Texte zu verstehen bzw. zu mitteln, die über dem eigenen Sprachniveau liegen. In Kolbs Modell ist das Kriterium mit dem Faktor „Hilfsmittel“ erfasst (Kolb 2016, 203). Kolb hat dabei jedoch weniger die Aufgabenstellung und die Didaktisierung des Materials im Sinn als vielmehr die Frage, ob der Sprachmittler die Zeit hat, sich bestimmter Hilfsmittel zu bedienen (z. B. bei zeitlich versetzter Sprachmittlung die Vorbereitung durch Paralleltexte in der einen und anderen Sprache 5 ). Kriterium 6: Sprachmittlungsaufgaben „sollten in die Unterrichtsthematik eingebettet werden, da so auf andere Texte zum gleichen Thema zurückgegriffen werden kann, entsprechende Wortfelder aufgebaut sind bzw. erweitert werden, die Textsorten den Schülerinnen und Schülern weitestgehend bekannt sind“. Mit diesem Kriterium kann geprüft werden, ob eine Passung der Sprachmittlungsaufgabe mit der Unterrichtsthematik vorliegt, die Schülerinnen und Schüler inhaltlich und lexikalisch vorbereitet wurden und die verwendeten Textsorten bekannt sind. Im Modell von Kolb (2016) kommt dieses Kriterium nicht vor, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass es sich um eine Modellierung der Sprachmittlung als Interaktionssituation im Alltag handelt und nicht um die Modellierung der Lehr- und Lernsituation zur Förderung der Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. 5 Lehrbuchanalyse Es liegen verschiedene kleinere Untersuchungen vor, die Sprachmittlungsaufgaben in Lehrwerken, Lehrplänen bzw. Prüfungen analysieren, so beispielsweise von Schädlich (2012), Fäcke (2013) und Schöpp (2015). Die vorliegende Analyse möchte diese Beiträge ergänzen und, mit einem durch die Faktoren des Modells von Kolb angereicherten Kriterienkatalog, einen Beitrag zu einer möglichst differenzierten Analyse solcher Aufgaben leisten. Die Aufgabe heißt „Le ‚Buttermilch‘, tu connais? “ und stammt aus dem zweiten Band des Französisch-Lehrbuchs Découvertes (Bruckmayer et al. 2013, 65). Zunächst wird geprüft, ob die Sprachmittlungsaufgabe eine authentische Hand- 5 Zum Arbeiten mit Paralleltexten bei der Sprachmittlung siehe Philipp/ Rauch (2010). <?page no="294"?> 284 Mark Bechtel lungssituation abbildet (Kriterium 1). Die triadische Konstellation ist dadurch bestimmt, dass die deutsche Austauschschülerin Lena zwischen ihrem französischen Brieffreund Léo (Kommunikant 1) und einem deutschen Text (Kommunikant 2), den Léo im Internet gefunden hat, aber nicht richtig versteht, als Sprachmittlerin fungiert. Die Situationsbeschreibung inklusive Arbeitsanweisung lautet: „Léo montre à Lena un texte qu’il a trouvé sur Internet. Ce texte est difficile pour lui. Léo veut savoir: Qui a écrit ce texte? Quel est le problème de cette personne? Qu’est-ce que c’est, le ‚Buttermilch‘? Lena explique. Qu’est-ce qu’elle dit? “ (Bruckmayer et al. 2013, 65). Die Schülerin/ der Schüler soll sich in die Rolle von Lena versetzen und sprachmittelnd tätig werden. Die Sprachmittlung stellt eine Situation dar, die in Frankreich im privaten Bereich situiert ist. Während Empfänger und Sprachmittlerin physisch anwesend sind, ist dies beim Sender nicht der Fall. Der Gegenstand der Sprachmittlung ist ein auf Deutsch verfasster Blogeintrag einer seit einigen Jahren in Frankreich lebenden Deutschen darüber, was ihr in Frankreich fehlt (nämlich die Buttermilch). 6 Der Ausgangstext liegt schriftlich vor (Modus), kombiniert mit einem visuellen Element (neben dem Blogeintrag ist ein Foto einer Buttermilch trinkenden jungen Frau zu sehen); gemittelt werden muss der Text mündlich (Kanal). Die Sprachmittlerin weiß, dass Sender und Empfänger einander nicht vertraut sind und der Empfänger Deutsch in einem französischen collège lernt, also Sprachkenntnisse zwar vorhanden, diese aber begrenzt sind. Das gilt auch für sein Wissen in Bezug auf kulturspezifische Realia. Alle Beteiligten sind Laien. Es handelt sich um ein alltägliches Thema (Ess- und Trinkgewohnheit), der Inhalt ist konkret und explizit. Was die Richtung der Sprachmittlung angeht, soll von der Muttersprache in die Fremdsprache gemittelt werden. Da die Äußerung des Senders zeitversetzt ist und schriftlich vorliegt, kann die Sprachmittlung hinsichtlich der Richtung nur einseitig sein. Insgesamt liegt eine reale Handlungssituation vor. Was die Relevanz der Sprachmittlungssituation für 12bis 13-jährige Schülerinnen und Schüler angeht (Kriterium 2), so ist durchaus denkbar, dass sich ein gleichaltriger, Deutsch lernender Austauschschüler auf die Internetseite des Deutsch Französischen Jugendwerks (DFJW) begeben hat und dort auf einen deutschen Text gestoßen ist, der ihn interessiert, der aber über seinem Niveau liegt, und daher eine gleichaltrige deutsche Muttersprachlerin, die zu Besuch 6 Der Blogeintrag lautet: „Was mir fehlt: Mein Name ist Jeanette K., ich bin Deutsche und lebe seit knapp 3 Jahren in Frankreich. Was mir fehlt, ist mein Lieblingsgetränk Buttermilch. Ich kann gar nicht verstehen, dass die Franzosen das noch nicht kennen. Die haben so viele Käsesorten, Milchprodukte, aber Buttermilch hab‘ ich hier noch in keinem Supermarkt gefunden. Es ist etwas zwischen Joghurt und Milch. Es entsteht nämlich bei der Herstellung von Butter. Hmmmm… Am allerliebsten trink‘ ich die Buttermilch ohne Glas, direkt aus dem Becher.“ (Bruckmayer et al. 2013, 65) <?page no="295"?> Die Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassen 285 in Frankreich ist, um Hilfe bittet. Hinsichtlich der Aufgabenstellung kann festgestellt werden, dass Anlass und Zweck explizit genannt werden. Der Lehrbuchjunge Léo möchte von seiner Austauschpartnerin wissen, wer den Text geschrieben hat, was für ein Problem die Person hat und was ,Buttermilch‘ bedeutet. Während die beiden letzten Aufträge realistisch erscheinen, wirkt der erste Sprachmittlungsauftrag wenig plausibel, da sich Léo die Frage nach der Herkunft der Person mit seinen (zwar begrenzten, aber dennoch vorhandenen) Deutschkenntnissen hätte selbst beantworten können. Hinsichtlich der Authentizität des eingesetzten Materials (Kriterium 3) lässt sich sagen, dass der mit 78 Wörtern relativ kurze deutsche Ausgangstext als Blogeintrag auf den ersten Blick authentisch wirkt. Das liegt daran, dass die Sprache konzeptuell zwar schriftlicher Natur ist, jedoch der Textsorte entsprechend Elemente gesprochener Sprache enthält (Wortkürzungen wie „hab’s“, Interjektionen wie „Hmmmm“). Der Text weist eine insgesamt einfache Struktur des Wortschatzes auf, enthält aber auch einige erwartbare fachsprachliche Elemente (Käsesorten, Milchprodukte, Buttermilch, Herstellung). Wenig authentisch wirkt jedoch der Adressatenbezug. Wenn sich der Blogeintrag an ein deutsches Publikum richten sollte, stellt sich die Frage, warum die Autorin ,Buttermilch‘ („Es ist etwas zwischen Joghurt und Milch“) für Personen erklärt, die das Produkt ja bereits kennen. Sollte der Text an ein Deutsch verstehendes (französischsprachiges) Publikum adressiert sein, wäre die Ansprache wegen der unterstellten Ignoranz nicht angemessen („ich kann gar nicht verstehen, dass die Franzosen das noch nicht kennen“). Anzunehmen ist, dass es sich um einen fabrizierten Text handelt, mit dem den Schülerinnen und Schülern exemplarisch gezeigt werden sollte, wie man einen kulturspezifischen Begriff, für den es keine Entsprechung in der anderen Sprache gibt, durch Umschreiben erklären kann, was hier allerdings auf Kosten der Authentizität des Textes geht. Was das Kriterium des (möglichst weitgehenden) Verzichts auf Hilfestellung angeht (Kriterium 4), so ist festzustellen, dass keine Vokabelerklärungen für die deutschen Begriffe auf Französisch gegeben werden. Dies ist folgerichtig, geht es doch darum, Strategien anzuwenden, die dem Umschreiben von Wörtern aus der Muttersprache dienen, die im Französischen noch nicht bekannt sind, durch einen Oberbegriff, eine Erklärung, einen Vergleich oder die Nennung des Gegenteils (vgl. Bruckmayer et al. 2013, 65, Übung Nr. 8). Hinsichtlich des Kriteriums der Einbettung in die Unterrichtsthematik (Kriterium 5), lässt sich sagen, dass die Sprachmittlungsaufgabe am Ende der Einheit „Fou de cuisine“ steht, bei der um Ess- und Trinkgewohnheiten geht. Die Schülerinnen und Schüler wurden lexikalisch (Zutaten, Ess- und Trinkgewohnheiten ausdrücken) und methodisch (Strategien zur Umschreibung unbekannter Wörter) auf die Sprachmittlungsaufgabe vorbereitet. <?page no="296"?> 286 Mark Bechtel Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der kognitive Anspruch der Sprachmittlungsaufgabe im rezeptiven Bereich gering ist, da der Ausgangstext in der Muttersprache vorliegt und dort dem Sprachmittlungsauftrag entsprechend überschaubare Einzelinformationen entnommen werden müssen. Die Herausforderung liegt im produktiven Bereich. Sie besteht vor allem darin, die vom Empfänger gewünschten Informationen sinngemäß in die Fremdsprache zu übertragen. Es werden keine Hilfsmittel gegeben, so dass der Sprachmittler bzw. die Sprachmittlerin aufgefordert ist, bei fehlenden Wörtern Strategien zur einsprachigen Bedeutungsvermittlung zu nutzen. Die Sprachmittlung besteht darin, in der Fremdsprache in eigenen Worten wiederzugeben, was eine junge Deutsche meint. Das didaktische Potential, selbst zu versuchen, ein eigenkulturelles Phänomen jemandem zu erklären, der dieses nicht kennt, und dabei seinen kulturellen Hintergrund mit einzubeziehen, wird hier allerdings verschenkt, da die Erklärung einer anderen Person schlicht wiedergegeben werden muss, anstatt selbstständig eine eigene Erklärung zu formulieren. Die Sprachmittlung besteht also darin, Informationen zu übermitteln, nicht aber diese zu erklären und interkulturell zu vermitteln. Die Modifikation der Aufgabe könnte darin bestehen, einen anderen Ausgangstext heranzuziehen. Dieser müsste kulturspezifische Begriffe enthalten, die im Text selbst nicht näher expliziert werden, da sie bei den Adressaten unhinterfragt als selbstverständlich vorausgesetzt werden können. Der Anlass zur Sprachmittlung müsste sich auf die Erklärung dieser Begriffe beziehen. Gefordert wäre vom Sprachmittler dann eine explizite Erklärung für eine Person, die einen anderen kulturellen Hintergrund hat. Die Einbettung in den Unterricht müsste eine vorbereitende exemplarische Sensibilisierung für kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten beinhalten, die sich in kulturspezifischen Begriffen niederschlagen. 6 Fazit und Ausblick In der exemplarischen Analyse einer Aufgabe zur Förderung von Sprachmittlung konnte gezeigt werden, dass die Faktoren des Modells von Kolb (2016) geeignet sind, die Kriterien für Sprachmittlungsaufgaben von Philipp/ Rauch (2010) inhaltlich zu füllen. Die Aspekte, die für das jeweilige Kriterium ausschlaggebend sind, konnten beim vorliegenden Aufgabenbeispiel anhand der Faktoren präzise beschrieben und analysiert werden. Zum einen wurde dabei deutlich, dass es sich bei der ausgewählten Aufgabe um eine in der Realität durchaus anzutreffende Sprachmittlungssituation handelt, in der die Schülerinnen und Schüler eine plausible Rolle als Sprachmittler in einer ebenso plausiblen Dreiecks-Konstellation ausfüllen sollen. Zum anderen machte die Analyse einzelner Kriterien (z. B. Authentizität des Materials) auf Schwächen der Aufgabe aufmerksam, wie beispielsweise Unstimmigkeiten beim Adressatenbezug des <?page no="297"?> Die Komplexität von Sprachmittlungsaufgaben erfassen 287 Ausgangstextes und das verschenkte didaktische Potential beim interkulturellen Lernen. Der Versuch, einen Kriterienkatalog für gelungene Sprachmittlungsaufgaben mit den von Kolb beschriebenen Faktoren, die eine Sprachmittlungssituation ausmachen, zu füllen, führte zu der Erkenntnis, dass das Modell von Kolb zwar die Sprachmittlungssituation als außerunterrichtliche Alltagssituation umfassend darzustellen vermag, aber kein Modell ist, das Sprachmittlung im Kontext des Fremdsprachenunterrichts abbildet. Ein solches Modell müsste die Rolle der Lernziele, der Lernenden, der Lehrkraft und die Aspekte der methodischen Umsetzung im unterrichtlichen Kontext einbeziehen und näher bestimmen. Nur so kann genauer geklärt werden, welche Teilkompetenzen bei welcher in einer simulierten Sprachmittlungssituation im Fremdsprachenunterricht vom Lerner eingenommenen Rolle durch welches methodische Vorgehen gefördert werden kann. Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar/ Plikat, Jochen (2017): „Sprachmittlung - Warum gute Praxis gute Theorie braucht“. In: Hispanorama 155, 10-16. Blume, Otto-Michael et al. (2012): À plus! Nouvelle édition. Lehrwerk für den Französischunterricht an Gymnasien . Berlin: Cornelsen. Bruckmayer, Birgit et al. (2013): Découvertes Série jaune Bd. 2. Stuttgart: Klett. Caspari, Daniela (2013): „Sprachmittlung als kommunikative Situation. Eine Aufgabentypologie als Anstoß zur Weiterentwicklung eines Sprachmittlungsmodells“. In: Reimann, Daniel/ Rössler, Andrea (Hrsg.), 27-43. Caspari, Daniela/ Küster, Lutz (Hrsg.) (2010): Wege zu interkultureller Kompetenz. Fremdsprachendidaktische Aspekte der Text- und Medienarbeit . Frankfurt a. M.: Peter Lang. 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In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 108, 8-17. <?page no="301"?> Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext der Digitalisierung Inez De Florio-Hansen Medienbildung und Medienkompetenz Mit meinem Beitrag zur Festschrift für Marcus Reinfried verfolge ich zwei übergeordnete Ziele: Zum einen mache ich auf die verbindlichen gesetzlichen Vorgaben zur Medienerziehung und Medienkompetenz aufmerksam, die auch für den Fremdsprachenunterricht Gültigkeit haben (vgl. KMK-Strategie: „Bildung in der digitalen Welt“, 2016). Zum anderen unterstreiche ich die Bedeutung von Medienerziehung im Fremdsprachenunterricht, die über das Lernen mit Hilfe von Medien hinausgeht. Anhand von zwei Beispielen für den Englischunterricht wird gezeigt, wie dieses Lernen über Medien in der Praxis gestaltet werden kann. 1 Einleitung Jedes neue Medium wird, insbesondere wenn es um seinen Einsatz im schulischen Unterricht geht, zunächst skeptisch betrachtet. Wie steht es um den Mehrwert hinsichtlich der spezifischen Ziele des jeweiligen Unterrichtsfachs? Oft wird die Verwendung neuer Verfahren, seien es nun neue Lehr- und Lernstrategien oder Medien, abgelehnt. Die Gründe sind vielfältig. Oft spielen mangelnde Kenntnisse hinsichtlich der Neuerung bzw. die fehlende Motivation, sich damit auseinanderzusetzen, eine entscheidende Rolle. Skepsis und Ablehnung der Digitalisierung sollte man gerade beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen nicht erwarten. Niemals zuvor war es so einfach wie heute, sich über die Gegebenheiten der Zielsprache, ihre Sprecher und ihre Kulturen aus erster Hand zu informieren. Niemals zuvor konnten Fremdsprachenlernende im und außerhalb des Unterrichts so leicht einen direkten kommunikativen Kontakt zu den Sprechern anderer Sprachen aufbauen wie mit Hilfe digitaler Werkzeuge. Darüber hinaus steht außer Zweifel, dass der Fremdsprachenunterricht mehr als die meisten anderen Schulfächer von der Digitalisierung profitieren könnte. <?page no="302"?> 292 Inez De Florio-Hansen Das gilt für den Französisch- und den Spanischunterricht in besonderem Maß. Während das Englische, ob als Mutter- oder Zweitsprache bzw. als Lingua franca , weltweit präsent ist, begegnet man authentischen Dokumenten in den anderen Schulsprachen nicht in gleicher Häufigkeit. Hier bieten sich digitale Informations- und Kommunikationsmedien als Überbrückung bisher fehlender Zugänge geradezu an. Gleichwohl werden digitale Medien nicht in wünschenswertem Umfang und in angemessener Weise genutzt, obwohl viele Schülerinnen und Schüler sich dies durchaus wünschen. Als Gründe für die Abstinenz werden meist die fehlende Ausstattung und der hohe Aufwand bei der Erstellung entsprechender Lernumgebungen genannt. Im Folgenden gehe ich auf zwei grundlegende Fragenkomplexe im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht ein: • Was beinhaltet Medienpädagogik? Was unterscheidet Medienbildung bzw. Medienerziehung von Medienkompetenz? Welche gesetzlichen Vorgaben dazu gibt es im Hinblick auf Schule und Unterrichtsfächer? Auf welche Forschungsergebnisse stützen sich diese Empfehlungen und Richtlinien? • Was bedeutet fremdsprachliches Lehren und Lernen mit Hilfe digitaler Medien in der Praxis? Wie können wir Szenarien für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts gestalten, die zum Lernen über Medien beitragen? 2 Gesetzliche Vorgaben zur Medienpädagogik in Schule und Unterricht 2.1 Medienpädagogik: Medienerziehung und Medienkompetenz Wenn Fremdsprachenlehrkräfte an die Nutzung digitaler Medien denken, fragen sie sich beispielsweise: Inwieweit gestattet der Einsatz eines E-Mail-Projekts oder eines Chats bessere Ergebnisse hinsichtlich der angestrebten Ziele? Einmal abgesehen von der meist höheren Motivation der Schülerinnen und Schüler beim Arbeiten mit digitalen Medien, ist diese Frage unzureichend. Sie müsste lauten: Welche höhergesteckten Ziele können wir erreichen, wenn wir uns nicht auf analoge Verfahren beschränken, sondern digitale Medien nutzen? Ausgangspunkt sind stets die anvisierten Ziele; sie lassen sich aber leicht ergänzen und erweitern, wenn man digitale Medien von vornherein als Option einbezieht. Es geht nicht nur darum herauszufinden, ob und wie man die bisherigen Zielsetzungen mit und ohne digitale Medien erreichen kann. Der Fremdsprachenunterricht hat die Aufgabe - und zwar in höherem Maß als z. B. naturwissenschaftliche Fächer - die Lernenden in die Lage zu versetzen, digitale Medien zur Information und Kommunikation über Sprache, Sprecher und ihre Kulturen adäquat und zielführend einzusetzen. Medienkompetenz bezieht sich <?page no="303"?> Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext der Digitalisierung 293 dabei selbstverständlich nicht ausschließlich auf digitale Medien, sondern stützt sich auf den Multiliteracy -Ansatz (vgl. Cope/ Kalantzis 2009). Multimediales Lernen spricht möglichst viele Sinne an, ist also multimodales Lernen mit Bezug auf textuelle, visuelle, auditive und audiovisuelle Kommunikationsformen. Zur Multimodalität tritt die Multikodierung hinzu: Mono-… Multi-… Medium Monomedial: Buch PC Multimedial: PC + DVD-Player PC + WLAN Codierung Monocodal: nur Text nur Bilder nur Zahlen Multicodal: Text mit Bildern Grafik mit Beschriftung Sinnesmodalität Monomodal: nur visuell (Text, Bilder) nur auditiv (Rede, Musik) Multimodal: audiovisuell (Video, Lernsoftware mit Bild und Ton) Abb. 1: Raster zur differenzierteren Beschreibung medialer Angebote (Weidenmann 2011, 76) Die meisten bisherigen Einführungen in E-Learning im Fremdsprachenunterricht (vgl. Rösler 2010) oder zum Computer-Assisted Language Learning (CALL, vgl. Heim/ Ritter 2012; zur neueren Ausrichtung von CALL vgl. Thomas et al. 2012) stellen die verschiedenen Möglichkeiten des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen mit Hilfe digitaler Medien sachgerecht und umfassend dar. Sie gehen aber, wenn überhaupt, nur am Rande auf Medienerziehung ein. Medienerziehung befasst sich mit dem Lernen über Medien, d. h. der kritischen Auseinandersetzung mit den Veränderungen, die ihre Nutzung für den einzelnen und die Gemeinschaft mit sich bringt. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit rechtlichen Fragen: Wie kann eine Abbildung aus dem Internet für ein Referat bzw. eine Präsentation im und außerhalb des Unterrichts genutzt werden? Wie steht es mit dem Copyright bei Auszügen aus Internet-Lexika wie Wikipedia bei einem klassen- oder gar länderübergreifenden E-Mail-Projekt? Vor allem geht es bei der Medienerziehung auch um den sachgemäßen oder zumindest achtsamen Umgang mit den Gefahren: Wie schütze ich meine Privatsphäre? Wie gehe ich mit Hackerangriffen um? Was können Lehrende und Lernende mit Fall von Cyberbullying tun? <?page no="304"?> 294 Inez De Florio-Hansen Wieso sollen diese Fragen im Fremdsprachenunterricht erörtert werden? Ist dafür nicht besser ein übergreifendes Fach wie z. B. informatische Grundbildung der geeignete Ort? Es hat sich inzwischen herausgestellt und ist durch Forschungsergebnisse belegt, dass die Fragen zum Lernen über Medien trotz fächerübergreifender Aspekte in vielen Fällen fachspezifisch sind. Die Einbindung der Digitalisierung ist in jedem Fach gesondert zu gestalten, denn „die Strategien zur Lösung von Problemen und die Bearbeitungsprozesse in den verschiedenen Fächern sind unterschiedlich“ (KMK 2012, 12). Daher sind sie angemessen in den Fremdsprachenunterricht einzubeziehen. Vor allem können sie, unabhängig von der jeweiligen Ausstattung, in jedem Fremdsprachenunterricht behandelt werden. Betrachtet man die Ausprägungen der digitalen Welt und ihre rasante Entwicklung, so wird klar, dass das Lernen über Medien weit über das Lernen von Fremdsprachen mit Medienunterstützung hinausweist. Medienkompetenz ist ein wichtiger Aspekt der medienpädagogischen Ausrichtung von Schule und Unterricht. Medienerziehung muss aber eine mindestens genauso bedeutende Rolle im Unterricht, auch im Fremdsprachenunterricht, spielen, wenn wir Schülerinnen und Schüler zur Teilhabe in demokratischen Gesellschaften befähigen wollen. Lehrpersonen haben nicht die Möglichkeit, für oder gegen die Digitalisierung zu votieren. Sie sind vielmehr angehalten, ihre Lernenden bestmöglich auf die digitale Welt und die Auseinandersetzung mit dem digitalen Zeitalter vorzubereiten. Für den Fremdsprachenunterricht heißt das auch: Sich über die Grenzen hinweg über Digitalisierung - ihre Möglichkeiten und Gefahren - auszutauschen. 2.2 KMK-Strategie: „Bildung in der digitalen Welt“ Auf der Grundlage zahlreicher Vorläufer-Papiere hat die Kultusministerkonferenz Ende 2016 ein ca. 50-seitiges Strategie-Papier veröffentlicht, welches sich mit Erziehung und Unterricht in der digitalen Welt detailliert auseinandersetzt und auch die Lehrerbildung einbezieht (vgl. auch zum Folgenden De Florio-Hansen 2017a, 2018). Das Dokument basiert auf zahlreichen einschlägigen Studien und hat Reaktionen seitens der Ministerien und der ihnen nachgeordneten Landesinstitute sowie von Stiftungen und Wissenschaftlern hervorgerufen. Eine wichtige Studie, auf die die KMK sich bei der Entwicklung des Strategie-Papiers stützt, stammt von der Europäischen Kommission, und zwar von Anusca Ferrari et al. aus dem Jahre 2013 : DIGCOMP: A Framework for Developing and Understanding Digital Competence in Europe . Das übergeordnete Ziel der KMK-Strategie besteht darin, Lehrpersonen für eine angemessene Bildung im Bereich der digitalen Medien zu sensibilisieren. Um dem Ziel einer adäquaten (Aus-)Bildung im Bereich der digitalen Medien <?page no="305"?> Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext der Digitalisierung 295 möglichst umfassend näherzukommen, weist das KMK-Papier (KMK 2016, 9) in der Präambel sechs wichtige Handlungsfelder aus: • Bildungspläne und Unterrichtsentwicklung, curriculare Entwicklungen • Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erziehenden und Lehrenden • Infrastruktur und Ausstattung • Bildungsmedien, Content • E-Government, Schulverwaltungsprogramme, Bildungs- und Campusmanagementsysteme • Rechtliche und funktionale Rahmenbedingungen In der Präambel weisen die Experten außerdem nachdrücklich darauf hin, dass die rasant fortschreitende Digitalisierung in allen Lebensbereichen vorrangig im beruflichen Sektor, es nicht länger gestattet, digitale Medien mit allen ihren Konsequenzen für Schule und Unterricht lediglich als Anhängsel zu betrachten (KMK 2016, 9). In einer Welt der Informations- und Kommunikationsmedien ist die Digitalisierung ein zentrales Thema jeden Unterrichts. Außer der Präambel und einem zusammenfassenden Ausblick besteht das KMK-Strategie-Papier aus zwei großen Teilen. Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Bildungsauftrag der allgemeinbildenden Schulen und der beruflichen Bildung, während der zweite Teil die Anforderungen an die Hochschulen beschreibt. Die Universitäten sind angehalten, eine Vorreiterrolle beim Lehren und Lernen mit digitalen Medien zu spielen, sollen vor allem aber durch entsprechende Forschungsprojekte die Implementierung digitaler Medien unterstützen. Für die allgemeinbildenden Schulen und die berufliche Bildung weist das Dokument zwei übergeordnete Ziele aus: 1. Die Länder beziehen in ihren Lehr- und Bildungsplänen sowie Rahmenplänen, beginnend mit der Primarstufe, die Kompetenzen ein, die für eine aktive, selbstbestimmte Teilhabe in einer digitalen Welt erforderlich sind. Dies wird nicht über ein eigenes Curriculum für ein eigenes Fach umgesetzt, sondern wird integrativer Teil der Fachcurricula aller Fächer. Jedes Fach beinhaltet spezifische Zugänge zu den Kompetenzen in der digitalen Welt durch seine Sach- und Handlungszugänge. Damit werden spezifische Kompetenzen erworben, aber auch grundlegende (fach-)spezifische Ausprägungen der Kompetenzen für die digitale Welt. Die Entwicklung der Kompetenzen findet auf diese Weise (analog zum Lesen und Schreiben) in vielfältigen Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten statt. 2. Bei der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen werden digitale Lernumgebungen entsprechend curricularer Vorgaben dem Primat des Pädagogischen folgenden systematisch eingesetzt. Durch eine an die neu zur Verfügung stehenden Möglichkeiten angepasste Unterrichtsgestaltung werden die Individu- <?page no="306"?> 296 Inez De Florio-Hansen alisierungsmöglichkeiten und die Übernahme von Eigenverantwortung bei den Lernenden gestärkt. (KMK 2016, 11 f.) Ergänzend zur KMK-Strategie hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2016 eine „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ veröffentlicht. Die Strategie des BMBF besteht vor allem in der Verbesserung der technischen Ausstattung der einzelnen Bildungsreinrichtungen, insbesondere der Schulen. Welche (Teil-)Kompetenzen sollen die Lernenden in allgemeinbildenden Schulen und in der beruflichen Bildung im Einzelnen erwerben? Die Kompetenzbereiche - die KMK hat im Strategie-Papier sechs Felder festgelegt - werden ausführlich benannt und im Detail beschrieben (KMK 2016, 15 ff.): 1. Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren 1.1 Suchen und Filtern 1.2 Auswerten und Bewerten 1.3 Speichern und Abrufen 2. Kommunizieren und Kooperieren 2.1 Interagieren 2.2 Teilen 2.3 Zusammenarbeiten 2.4 Umgangsregeln kennen und einhalten (Netiquette) 2.5 An der Gesellschaft aktiv teilhaben 3. Produzieren und Präsentieren 3.2 Entwickeln und Produzieren 3.2 Weiterarbeiten und Interagieren 3.3 Rechtliche Vorgaben beachten 4. Schützen und sicher Agieren 4.1 Sicher in digitalen Umgebungen agieren 4.2 Persönliche Daten und Privatsphäre schützen 4.3 Gesundheit schützen 4.4 Natur und Umwelt schützen 5. Problemlösen und Handeln 5.1 Technische Probleme lösen 5.2 Werkzeuge bedarfsgerecht einsetzen 5.3 Eigene Defizite ermitteln und nach Lösungen suchen 5.4 Digitale Werkzeuge und Medien zum Lernen, Arbeiten und Problemlösen nutzen <?page no="307"?> Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext der Digitalisierung 297 5.5 Algorithmen erkennen und formulieren 6. Analysieren und reflektieren 6.1 Medien analysieren und bewerten 6.2 Medien in der digitalen Welt verstehen und reflektieren Diese Auflistung zeigt, dass das Lehren und Lernen mit Hilfe digitaler Medien nicht ausschließlich im Vordergrund steht. Vielmehr geht es darum, sich mit Vorzügen und Gefahren der Digitalisierung fachbezogen vertraut zu machen und eine konstruktiv-kritische Haltung zu entwickeln. Dies ist sicher nicht so explizit dargelegt, wie es sich einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wünschen. Man kann aber nicht behaupten, das Lernen über Medien, also die Medienerziehung, spiele keine Rolle (vgl. Bastian 2017). Im Mittelpunkt der Überlegungen der KMK steht ein umfassender Kompetenzbegriff (in Anlehnung an Weinert 1999): Neben Wissen und Können sollen Einstellungen entwickelt bzw. Haltungen ausgebildet werden. Das ist mit Blick auf jedes einzelne Unterrichtsfach zu leisten. Dabei wird die Gewichtung im Fremdsprachenunterricht sicher anders ausfallen als in Mathematik und den Naturwissenschaften. Wie zu Beginn des Abschnitts 2.2 erwähnt, stützt sich die KMK auf zahlreiche Studien. Sie untersuchen aber bisher nicht die einschlägigen Fragestellungen. Das zeigt auch der Überblick über Forschungsarbeiten und Forschungsmethoden von Bastian (2017, 154 ff.). Zum Bereich des Lernens über Medien, also zur Medienerziehung, liegen bisher keine Studien vor. Aber auch die Forschungsergebnisse zum Lernen mit Hilfe digitaler Medien gestatten nur eingeschränkte Rückschlüsse. Das liegt zu einem großen Teil an den verwendeten Methoden; sie beschränken sich auf Befragungen und seltene Beobachtungen. Auch Bastians Vorschlag, ethnographische Methoden und Video-Analysen ins Spiel zu bringen zeigt, wie weit wir in diesem Bereich von empirisch-experimenteller Forschung entfernt sind. Zwei Beispiele bekannterer Untersuchungen zeigen, wie weit wir von Aussagen, die in die Unterrichtspraxis einfließen können, entfernt sind. Im Jahre 2014 hat Bardo Herzig im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine wissenschaftliche Untersuchung vorgelegt, die eine Antwort auf die Frage: „Wie wirksam sind digitale Medien im Unterricht? “ geben soll. In der Zusammenfassung geht es aber nicht um Unterrichtsfaktoren, sondern darum, welche Voraussetzungen und Eigenschaften Schülerinnen und Schüler mitbringen sollten, um im Unterricht vom Einsatz und Umgang digitaler Medien zu profitieren (Herzig 2014, 20 f.). Eindeutigere Daten liefern die jährlich durchgeführten Studien des BMBF: ICILS (International Computer and Information Literacy Study). In der Studie von 2013 mit dem Titel „Computer- und informationsbezogene Kompetenzen <?page no="308"?> 298 Inez De Florio-Hansen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich“, die dem KMK-Strategie-Papier zugrunde liegt, sind die Lernenden an deutschen Schulen im Vergleich zu 20 anderen Ländern lediglich im Mittelfeld zu finden (vgl. Bos et al. 2014 1 ). 3 Beispiele zum Lernen über digitale Medien im Englischunterricht Eine entscheidende Botschaft des Strategie-Papiers besteht, wie in 2.2. dargelegt, in der (eher am Rande getroffenen) Unterscheidung des Lernens mit und über digitale Medien, obgleich beide Bereiche ineinandergreifen (KMK 2016, 11). Es ist also keineswegs damit getan, dass die Schülerinnen und Schüler den Laptop oder das Smartphone benutzen, um bestimmte Informationen aufzusuchen, um Präsentationen mit Hilfe digitaler Medien zu gestalten und um untereinander bzw. mit anderen Klassen und Schulen zu kommunizieren. Eine wichtige Aufgabe jeden Unterrichts besteht darin - unter Wahrung pädagogischer Aspekte - eine konstruktiv-kritische Haltung gegenüber der Digitalisierung anzuregen und aufzubauen. Generell wird immer wieder darauf hingewiesen, dass grundlegende Veränderungen nötig sind und es mit einer einfachen Anpassung nicht getan ist. Eine entsprechende Veränderung der KMK-Bildungsstandards sowie der Bildungs- und Lehrpläne der Länder wird ebenso gefordert wie die Umgestaltung des Unterrichts. Die beiden folgenden Beispiele aus der Praxis des Englischunterrichts zeigen, wie Lernen über Medien gestaltet werden kann. Dabei habe ich die Vorschläge so gewählt, dass sie auch von Lehrpersonen, die digitale Medien in ihrem Unterricht bisher gar nicht oder nur sporadisch eingesetzt haben, leicht nachvollzogen werden können (Beispiele für den Französischunterricht vgl. De Florio-Hansen 2017b). 3.1 Beispiel: Electronic devices-- curse or blessing? Das folgende Exzerpt stammt aus der Unterrichtseinheit Measuring your Media (Klewitz 2017, 79 ff.). Sie ist für Schülerinnen und Schüler konzipiert, die Englisch im 2./ 3. Jahr lernen. Sie sollen angeregt werden, über ihren Gebrauch digitaler Medien zu reflektieren. Klewitz fokussiert dabei auf unterrichtliches Scaffolding , der Bereitstellung eines nach und nach zurücknehmbaren ,Lernge- 1 Einen neuen internationalen Vergleich gibt es erst wieder 2018; für jährliche Vergleiche der Bundesländer siehe ICILS. <?page no="309"?> Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext der Digitalisierung 299 rüsts’; es bezieht sich auf die Gestaltung von Überblicken und Graphiken. Das erste der drei Arbeitsblätter der Unterrichtseinheit trägt den Titel: Task 1: Warm up: Brainstorm with other students what kind of electronic devices you are using and what you would do if you had to quit for one day/ one week. Then, check in groups of four, whether you have any of the following and when you got it first: (Chart: list of devices - yes or no - first acquired) Task 2: Estimate the amount of time you spend daily on each activity shown in the chart below. Label each of your answers in minutes or hours. In the second column indicate which activity is typically part of any multitasking you do - that means you tend to do it while doing other activities at the same time. (Chart: list of activities - hours/ minutes - multitasking) Task 3: Read the following study report in class, and then focus on the following activities. Describe why the authors were shocked. Explain possible negative results of heavy media use. Discuss how the study’s results compare with your own media consumption as shown in task 1). “If your kids are awake, they’re probably online” - according to the Kaiser Family Foundation average young Americans spend every waking minute - except for the time at school - using a smart phone, computer, television or other electronic device. The study’s findings from 2010 shocked the authors and confirmed the fears of many parents whose children are constantly hooked on by media devices. They found, moreover, that heavy media use can have negative consequences such as behaviour problems, loss of concentration and lower grades in school. Finally: Design a word cloud with media key words and mark positive (blue) and negative (red) aspects. Task 4: Create a survey about electronic devices in your class/ school/ club/ family. Work out a questionnaire in groups, conduct the survey and enter results in a chart. The following scaffolding will give you some ideas of which questions to ask: <?page no="310"?> 300 Inez De Florio-Hansen Scaffolding type of smart phone; favourite video games; play stations; TV programs and viewing time; social networking; facebook and twitter; smart phones allowed at school; making, losing friends; getting hooked When evaluating your questionnaire, you need to consider, how valid the results are, how representative they can be if interviewees are not classified, what problems might arise by collecting the information and which tendencies can be shown by your findings. Finally: Compare your personal media use with that of your peers. (Klewitz 2017, 82 f.) 3.2 Beispiel: How real are you on social media? Das folgende Beispiel basiert auf einem Vorschlag des Learning Network der New York Times zum problem- und projektorientierten Lernen. Es stammt von Michael Gonchar (December 2, 2015) und trägt den Titel: „How real are you on social media? “ Ausgangspunkt ist ein Artikel in der New York Times, der sich um Essena O’Neil, einen 19 Jahre alten Instagram-Star aus Australien, dreht. Nach vielen Überlegungen und großen Anstrengungen, die Essena in ihr gutes Aussehen auf Selfies auf Instagram und Facebook investiert hat, spricht sie sich dezidiert gegen soziale Netzwerke aus: „Socialmedia is not reallife“. Sie beschreibt die Qualen, die sie durchgemacht hat, um die Bilder möglichst spontan aussehen zu lassen: „There is nothing real about this.“ Das Learning Network der New York Times nimmt diesen Artikel zum Ausgangspunkt für eine Unterrichtsaktivität, die zu einem Projekt führen kann, in dem Schülerinnen und Schüler allein, in Tandems oder in Kleingruppen ihre Erfahrungen und Ansichten in Form einer Empfehlung für Peers zusammenfassen: „How to be real on social media.“ Gonchar (2015) proposes the following questions: • How real are you on social media? Why? • Do you try to capture the best moments and most flattering images to post on Facebook, Instagram and other social media? Do you keep your most real and personal moments private? • How real do you think your friends - or the celebrities you follow - are on social media? • Do Facebook and Instagram ever make you feel bad? Do the popular social networking sites sometimes make you feel as if everyone else is having more fun than you? Or that they are happier or leading better lives? <?page no="311"?> Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext der Digitalisierung 301 • Would you want to create a fake Instagram account, or “finstagram”, that presents a truer portrayal of what your life is really like […]? • Have you ever consciously decided to take a break from social media because you were tired of reading about how great everyone else’s life is - or because you were exhausted from trying to keep up with your own accounts? 4 Schlussbemerkung Obgleich seit dem Erscheinen des Buches von Marcus Reinfried und Laurenz Volkmann zu Medien im neokommunikativen Fremdsprachenunterricht im Jahr 2012 erst wenige Jahre vergangen sind, hat sich die Entwicklung rasant fortgesetzt. Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht ist - wie dargelegt - um einige Facetten reicher geworden. Dadurch stellt er höhere Anforderungen an Fremdsprachenlehrende. Um die Lernenden in der von Digitalisierung geprägten Welt nicht zu benachteiligen, sind alle Verantwortlichen in der Pflicht, möglichst bald geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Literatur Bastian, Jasmin (2017): „Lernen mit Medien - Lernen über Medien? Eine Bestandsaufnahme zu aktuellen Schwerpunktsetzungen“. In: Die Deutsche Schule 2, 146-162. Bos, Wilfried et al. (Hrsg.) (2014): ICILS 2013. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann. https: / / www.waxmann.com/ fileadmin/ media/ zusatztexte/ ICILS_2013_Berichtsband.pdf (14/ 10/ 2017). Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2016): Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft. Strategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. https: / / www.bmbf.de/ files/ Bildungsoffensive_fuer_die_digitale_Wissensgesellschaft.pdf (14/ 10/ 2017). Cope, Bill/ Kalantzis, Mary (2009): „Multiliterarcies: New Literacies, New Learning“. In: Pedagogies: An International Journal 4 (3), 164-195. De Florio-Hansen, Inez (2017a): „Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter“. In: Impulse. Zeitschrift des Gesamtverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen in Hessen e. V. 3, 4-6. De Florio-Hansen, Inez (2017b): Unterrichtseinheiten Französisch für die Praxis. Tübingen: Narr. De Florio-Hansen, Inez (2018): Teaching and learning English in the digital age. Münster: Waxmann. Ferrari, Anusca/ Punie, Ives/ Brečko, Barbara N. (Hrsg.) (2013): DIGCOMP: A Framework for Developing and Understanding Digital Competence in Europe. http: / / ipts.jrc.ec.europa.eu/ publications/ pub.cfm? id=6359 (14/ 10/ 2017). <?page no="312"?> 302 Inez De Florio-Hansen Gonchar, Michael (2015): „How Real are You in Social Media? ” https: / / learning.blogs. nytimes.com/ 2015/ 12/ 02/ how-real-are-you-on-social-media/ ? mcubz=3 (15/ 09/ 2017). Heim, Katja/ Ritter, Markus (2012): Teaching English: Computer assisted Language Learning. Paderborn: Schöningh. Herzig, Bardo (im Auftrag der Bertelsmann Stiftung) (2014): Wie wirksam sind digitale Medien im Unterricht? Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https: / / www. bertelsmann-stiftung.de/ de/ themen/ aktuelle-meldungen/ 2014/ november/ wie-wirksam-sind-digitale-medien-im-unterricht/ (14/ 10/ 2017). Klewitz, Bernd (2017): Scaffolding im Fremdsprachenunterricht. Unterrichtseinheiten Englisch für authentisches Lernen . Tübingen: Narr. KMK (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland) (2012): Medienbildung in der Schule . Berlin: KMK. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_ beschluesse/ 2012/ 2012_03_08_Medienbildung.pdf (14/ 10/ 2017). KMK (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland) (2016): Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ pdf/ PresseUnd- Aktuelles/ 2016/ Bildung_digitale_Welt_Webversion.pdf (14/ 10/ 2017). Reinfried, Marcus/ Volkmann, Laurenz (Hrsg.) (2012): Medien im neokommunikativen Fremdsprachenunterricht: Einsatzformen, Inhalte, Lernkompetenzen. Frankfurt a. M.: Lang. Rösler, Dietmar (2010): E-Learning Fremdsprachen - eine kritische Einführung. Tübingen: Stauffenburg. Thomas, Michael/ Reinders, Hajo/ Warschauer, Mark (Hrsg.) (2012): Contemporary computer-assisted language learning. London/ New York: Bloomsbury Contemporary Linguistics Series. Weidenmann, Bernd (2011): „Multimedia, Multicodierung und Multimodalitätbeim Online-Lernen“. In: Klimsa, Paul/ Issing, Ludwig (Hrsg.): Online-Lernen: Planung, Realisation, Anwendung und Evaluation von Lehr- und Lernprozessen online. München: Oldenbourg, 73-86. Weinert, Franz Emanuel (1999): Konzepte der Kompetenz . Paris: OECD. <?page no="313"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 im Spiegel politischer Karikaturen Ingeborg Christ 1 Einleitung Die Rolle von Bildern im Französischunterricht hat Marcus Reinfried in mehreren Publikationen beleuchtet, in denen er die Geschichte der visuellen Medien in ihrer Bedeutung für den Französischunterricht verfolgt und ihre vielfältigen Funktionen für das Sprachenlernen darstellt. Bilder motivieren, sie sind ,Bedeutungsmittler’, ,Stellvertreter’ landeskundlicher Realien und ,Türöffner’ zu interkultureller Begegnung. Sie geben Impulse für sprachliche Produktionen und tragen insgesamt zur Ausbildung von Bildlesekompetenz bei. In dieser Perspektive macht Reinfried auch Vorschläge für methodische Verfahren zu ihrem Einsatz im Unterricht. Immer wieder bezieht er Karikaturen und satirische Zeichnungen in die Untersuchungen ein. Bei den folgenden Ausführungen, die auf den Arbeiten Reinfrieds fußen, werden Karikaturen/ dessins de presse zu den französischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2017 als Gegenstand des Französischunterrichts im Mittelpunkt stehen. 2 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2017 in Frankreich Das politische Leben in Frankreich war im ersten Halbjahr 2017 von den Wahlen des Staatspräsidenten (23. April/ 7. Mai 2017) und der Nationalversammlung (11./ 18. Juni 2017) bestimmt. Diese bewegten die Menschen nicht nur in Frankreich. Der Wahlkampf enthielt Unwägbarkeiten und brachte manche Überraschung. Bereits die Aufstellung der Liste der Kandidatinnen und Kandidaten für die Präsidentschaftswahl war turbulent. Bei den zu diesem Zweck durchgeführten ,primaires présidentielles‘, Vorwahlen, in denen das Wahlvolk seine Präferenzen bezüglich der Kandidaten äußern kann, gab es Unstimmigkeiten <?page no="314"?> 304 Ingeborg Christ innerhalb der Parteien und Gruppierungen. Dazu kamen Skandale, die zum Rückzug des Favoriten der rechtskonservativen Gruppe LR (La République) führten. Entsprechend schwankend erschienen die Stimmungen des Wahlvolkes in den Vorhersagen. In Deutschland und Europa wurde der Wahlkampf mit Sorge verfolgt. Infolge des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union (Brexit) und der zeitweiligen Popularität rechtsextremer Kandidaten in anderen europäischen Ländern (Niederlande, Österreich), befürchtete man, dass auch in dem für die deutsche und die europäische Politik so wichtigen Land Frankreich nationalistische, europafeindliche, antideutsche und populistische Kräfte die Oberhand gewinnen könnten. Der Wahlsieg des amerikanischen Präsidenten drohte solche Tendenzen zu befördern. In Deutschland wurden die französischen Wahlen auch als ein Gradmesser für europafeindliche Neigungen im Hinblick auf die Wahlen im September 2017 in der Bundesrepublik angesehen. Das Echo war daher nicht nur in den französischen, sondern auch in den internationalen Medien groß. In Texten, Fernsehsendungen, Pressebildern, in Karikaturen und ,dessins de presse‘ wurden die Ereignisse täglich gespiegelt. Entsprechend groß war dann die Erleichterung, als der liberale, europa- und deutschfreundlich orientierte Kandidat Emmanuel Macron der Bewegung EM (En Marche) siegreich aus der Präsidentschaftswahl hervorging und seine zentristische Partei LREM (La République en Marche) bei den wenig später folgenden Wahlen für die Nationalversammlung eine Mehrheit für seine Politik errang. 3 Karikaturen/ Dessins de presse Karikaturen spiegeln die Wirklichkeit in zugespitzter oder übertriebener Weise. Ihr Ziel ist es, gesellschaftliche Zustände kritisch zu beobachten, zeichnerisch zu kommentieren und die Aufmerksamkeit für kritikwürdiges Verhalten zu wecken. Sie wirken durch Mittel der Satire wie Verzerrung, Übertreibung, Lächerlichmachen und Spott, verbunden mit humoristischen Elementen und vor allem mit Witz und Pointierung. Der Begriff Karikatur (frz. caricature ) 1 , der ursprünglich überladene, überzeichnete Portraits, ,Zerrbilder‘ und ,Spottbilder‘ von Personen 2 bezeichnet (Päge 2007, 19 ff.), wird in Frankreich meist in diesem engen Sinn verstanden. Für Zeichnungen, die in Tageszeitungen das 1 In der Renaissance waren Karikaturen Neben- und Spaßprodukte der Vorzeichnungen für Portraits. So wie in idealisierenden Portraits das perfekt Schöne ( la perfetta belleza ) angestrebt wurde, suchte man auch das perfekt Hässliche ( la perfetta deformitá ) gleichsam als „belleza de la deformitá“ (Päge 2007, 20) zu erreichen. 2 Die Begriffe ,Zerrbild‘ und ,Spottbild‘ ersetzen in Grimms Wörterbuch von 1854 das noch nicht enthaltene Wort Karikatur (Päge 2007, 24). Nach Brockhaus Wahrig (1980, 79) be- <?page no="315"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 305 politische und gesellschaftliche Leben satirisch begleiten, wird in der Regel die Bezeichnung ,dessin de presse‘ verwendet (Trisson-Chieux 2013). ,Cartoon‘ bezeichnet eine unpolitische lustige Zeichnung, die gesellschaftliche Peinlichkeiten und komische Situationen aufgreift, für Bildstreifen und Bildgeschichten wird der Begriff ,Comic‘ bevorzugt. ,Dessins de presse‘ haben die doppelte Funktion, zu nutzen und zu erfreuen, indem sie aufklärend wirken und gleichzeitig die Leser erheitern, entspannen und durch den Wechsel von Schrift und Bild deren Aufmerksamkeit wach halten sollen. Für einen Zeichner muss es „die Höchststrafe (…) sein, wenn seine Karikatur nichts weiter ist als ein optischer Reiz, die Auflockerung einer Textseite (…), die auch kaum mehr Anstoß erregt, kämpferisch wirkt, verändern will.“ (Päge 2007, 230). Denn, so fand Päge in einer Recherche (2007, 187 ff.) zum Selbstbild der Pressezeichner heraus, diese fühlen sich beiden Bereichen, der Kunst ebenso wie dem Journalismus, zugehörig. Als „journalistisch arbeitende Künstler“ kommentieren sie aktuelles Geschehen, wobei sie das Lesepublikum durch Witz und Lachen zum Nachdenken bringen und über Missstände aufklären wollen (Päge 2007, 202). 3 Für Németh/ Thümmel (2009) sind Zeichner „Seismographen“, die sensibel auf Anzeichen reagieren und sie anzeigen. Für Keim (Kindermann 2012) sind politische Karikaturen „Röntgenbilder und Fassadenbeleuchtung zugleich“, das heißt, man sieht die dargestellte Wirklichkeit gleichzeitig von außen und von innen. „Als Zeitdokumente reißen sie Verkleidungen ab, sie geben kritische Denkanstöße, die zum Schmunzeln oder zum Nachdenken auffordern“ (ebd.). Als Rezipient wird man ihnen demnach gerecht, wenn man sie in ihrer Doppelfunktion wahrnimmt und die visuellen, die intentionalen und die formal-künstlerischen Elemente zusammen liest. 4 4 Die Wahlen 2017 in Frankreich im Spiegel der dessins de presse Die Wahlperiode 2017 bot den Zeichnern verschiedentlich Anlass zu satirischen Kommentaren, wie im Folgenden anhand einiger Schwerpunkte ausgeführt wird. Zum Verständnis sind Grundinformationen zum Wahlsystem (Direktwahl, absolute/ einfache Mehrheit, Stichwahl) und zum Verlauf der Wahlen (Vorwahlen, Fernsehdebatten, Personal, Sieger, Wahlbeteiligung, Nationalversammlung) zeichnet ,Karikatur‘ im Deutschen die Darstellung eines „Menschen (…) oder eines Vorgangs“. 3 Die Fragen 28 und 29 zu ihrem Selbstbild wurden von 58 bzw. 55 Karikaturisten beantwortet (Päge 2007, 201 f.). 4 Zum Einsatz von Karikaturen und Pressebildern im Französischunterricht finden sich weiterführende Hinweise beim Landesinstitut für Schulentwicklung Stuttgart (2017). <?page no="316"?> 306 Ingeborg Christ vorausgesetzt, die im Unterricht durch Lehrerinformation, ergänzende Texte sowie Anregung zu eigener Recherche verfügbar gemacht werden sollten. 5 4.1 Die Häufung der Wahlgänge — Wahlmüdigkeit Ein Thema satirischer Zeichnungen war die Vielzahl von Wahlgängen im Wahlhalbjahr 2017 (je zwei bei den Vorwahlen der Rechten und der Linken, je zwei bei den Präsidentschafts- und den Parlamentswahlen, das waren 8 Wahlgänge). Mit der Zeichnung „La ronde électorale“ spielt Plantu schmunzelnd hierauf an (Le Monde.fr 10/ 06/ 2017): Zwei Bäume sind dargestellt, der eine ist umgeben von Wahlplakaten, die Krone des anderen ist behängt mit geschlossenen Umschlägen. Ein Reigen von Franzosen mit blau-weiß-roten Schärpen umtanzt ihn. Verstreute Herzchen verweisen auf eine euphorische Stimmung. Noch sind die Wahlumschläge verschlossen, es ist der Tag vor den Parlamentswahlen, es gibt Chancen, zu den Siegern zu gehören. Der Baumstamm, der an eine menschliche Figur erinnert, wirkt allerdings eher besorgt: Ein Ast in Form eines Armes endet in einer Hand, die sich nachdenklich am Kinn kratzt, das als Fragezeichen gestaltet ist. Die Ungewissheit kann auch ängstigen, man weiß nicht, wie alles enden wird (https: / / www.plantu.blog.lemonde.fr/ page7 / 10/ 06/ 2017, Bon vote) (15/ 11/ 2017). Eine weniger euphorische Stimmung fängt Pétillons Zeichnung „Une campagne trop longue? “ ein ( Le canard enchaîné 21/ 06/ 2017, 3): Zwei Männer auf einer Mole, den Kopf mit Hut gegen die Hitze geschützt, unterhalten sich gelangweilt, die Füße im Wasser der eine, die Hände in den Taschen der andere. „Il était temps que ça finisse, j’en ai marre de m’abstenir“. Sie haben sich an keinem der Wahlgänge beteiligt, aus Unlust vermutlich, aber selbst das Nicht-Wählen ist schließlich langweilig. Die Leser werden vielleicht angeregt, die Konsequenzen der hohen Wahlenthaltung zu bedenken. 6 Wer sich allerdings bei allen Wahlgängen beteiligte, konnte in Stress geraten, wie eine von Chaunu gezeichnete Frau, die mit letzter Kraft, faktisch auf dem Bauch, die Urne des letzten Wahlgangs erreicht (https: / / www.francetv.fr/ elections/ legisatives/ enimages-legislatives-le-second-tour-resume-en-10-dessins-de-presse_2242881. html) (15/ 11/ 2017). 5 Informationen zur Wahl enthält die Internet-Seite des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg: https: / / www.dfi.de/ de/ Archiv_Erster_Wahlgang.shtml; https: / / www.dfi. de/ de/ Wahlen.shtml (15/ 11/ 2017). Ggf. sind auch Hinweise auf das Wahlverfahren in Deutschland angebracht. 6 Die Wahlbeteiligung bei der Parlamentswahl betrug 48,7 % (1. Wahlgang), 43,4 % (Stichwahl). <?page no="317"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 307 4.2 Die Kandidatinnen und Kandidaten Bevor die Liste feststand, bewegte die Frage, ob sich die ehemaligen Präsidenten Sarkozy und Hollande erneut zur Wahl stellen würden. In der Karikatur kündigt Sarkozy Mäßigung an, „je m’adoucirai“, Hollande Härte, „je me durcirai“. Man erinnert sich, Sarkozy wurde Umtriebigkeit ohne Nachhaltigkeit, Hollande zu große Weichheit und Ergebnislosigkeit seiner Bemühungen vorgeworfen (sein Spottname war ,Flamby‘ - Pudding). Beide verzichteten auf eine Kandidatur. Anlässe zu satirischen Zeichnungen gaben insbesondere drei Fernsehdebatten, in denen die Kandidatinnen und Kandidaten ihr Programm vorstellen sollten. Bei der ersten Runde am 20. März waren nur die fünf wichtigsten Namen vertreten. Aufgrund heftiger Kritik wurden zu der zweiten alle 11 Kandidatinnen und Kandidaten geladen. Allerdings freuen sich in der Karikatur von Placide (05/ 04/ 2017) nur die ,kleinen Kandidaten‘ über die Möglichkeit, sich zu profilieren, und sie sparen nicht mit Kritik an den ,großen‘ Konkurrenten („Jour de gloire des petits candidats“). Das Fernsehpublikum erscheint in den Zeichnungen wenig von dem Getümmel auf dem Bildschirm angetan. Die einen verwechseln bei der Menge die Kandidaten, „Je suis un peu perdu“ (Kak 04/ 04/ 2017), andere erinnert die Zahl 11 an ein Fußballspiel, und sie feuern die ,Spieler‘ an (Na! und Rodho 04/ 04/ 2017). Mancher schläft auch gelangweilt ein, denn die Debatte dauert drei Stunden (Alex 05/ 04/ 2017) (http: / / www.francetvinfo.fr/ elections/ presidentielle/ en-images-presidentielle-le-grand-debat-endix-dessins-de-presse-droles-et-moqueurs_2129923.html) (15/ 11/ 2017). © Olivier Ménégol, www.ledessindelasemaine.fr <?page no="318"?> 308 Ingeborg Christ Die dritte Fernsehdebatte vor der Stichwahl war beherrscht von der Aggressivität Marine Le Pens. In den satirischen Bildern bewirft sie ihr Gegenüber Emmanuel Macron mit Messern, verschießt Kugeln aus Schusswaffen aller Art und spuckt im wahrsten Sinne Gift und Galle (Laplace: Blitzkrieg) 7 . Marianne, die Verkörperung Frankreichs, verhüllt sich aus Fremdscham und Trauer das Gesicht (Nawak 04/ 05/ 2017). Das Verhalten Le Pens in dieser Debatte wird ihren Sieg als Präsidentin in der Stichwahl vereiteln (https: / / www.francetvinfo. fr/ politique/ emmanuel-macron/ en-images-presidentielle-le-grand-debat-lepen-macron-sur-france-2-et-tf1-resume-en-dessins-de-presse-droles et moqueurs_2173914.html) (15/ 11/ 2017). 4.3 Die zerstrittene Linke Bei den Vorwahlen der Linken erhielt überraschend der Sozialist Benoît Hamon Unterstützung seiner Kandidatur. In der Zeichnung „Benoît Hamon pour le PS! “ von Oli (30/ 01/ 2017) erscheint er als Neuling, brav, zierlich, geschniegelt, das rote Röschen der Sozialisten vor sich her tragend sowie ein Plakat mit der Auf- 7 La Blitzkrieg (fem.): Germanismus für die militärische Strategie eines unerwarteten Vorstoßes, die besonders zu Beginn des 2. Weltkrieges von der deutschen Armee angewandt wurde. © Eric Laplace/ Placide <?page no="319"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 309 schrift „revenu universel“, Hauptpunkt seines Programms. 8 Ein Candide in der Reihe gewiefterer Konkurrenten. Hamon erhielt nur 6 % bei der Wahl (https: / / www.humeur.be/ tag/ 2017) 9 (15/ 11/ 2017). Als Hauptgrund für die Niederlage gilt Uneinigkeit in der Parteiengruppe der Linken. In dieser Situation stellte sich der extreme Altkommunist Mélenchon, gestützt auf seine Partei LFI (La France Insoumise), überraschend selbst als Kandidat für die Präsidentschaftswahl auf, aus der er mit 19,6 % hervorging, an vierter Stelle, nach Fillon. Plantu (Le Monde 24/ 04/ 2017, 1) stellt die Unstimmigkeiten im Bild eines gegenläufigen Tandemrades dar: Hamon tritt kräftig in die Pedale und lenkt das Rad in die eine Richtung, Mélenchon tut das gleiche, nur zielt sein Lenkrad in die entgegengesetzte Richtung (https: / / www.plantu.blog. lemonde.fr/ 2017/ 02/ 20/ hamon-melenchon-la-machine-a-perdre-le-dessin-dumonde-de-ce-lundi-20-fevrier) (15/ 11/ 2017). Beiden laufen Schweißtropfen der Anstrengung über das Gesicht, die sich mit Tränen der Niederlage verbinden. Die Mühen sind vergeblich, sie sitzen auf einer „machine à perdre“, wie der Titel heißt. Der Zeichner Bidu zeigt die Nieder- 8 Das Projekt, jeder Erwachsene solle monatlich eine Summe (600€) erhalten, revidierte Hamon mehrfach, bis es nicht mehr ,universel‘ war, sondern nur für bestimmte Adressaten galt, deren Auswahl, so der Vorwurf im eigenen Lager, zu kompliziert war. 9 Der Zeichner Oli (Olivier Pirnay) ist Karikaturist der belgischen frankophonen Zeitung Sudpresse . © Plantu <?page no="320"?> 310 Ingeborg Christ lage der Sozialisten in den nachfolgenden Parlamentswahlen als frisches Grab, in dem noch die Grabschaufel steckt, „la pelle du 18 juin“, neben einem Grabkreuz mit der Inschrift „P.S.“ Die Bewegung En Marche (EM) hat den Sozialisten das Grab geschaufelt. (https: / / www.francetvinfo.fr.elections/ legislatives/ enimages-legislatives-le-second-tour-resume-en-10-dessins-de-presse: 2242881. html/ 18juin) (15/ 11/ 2017). Die zerstörten Hoffnungen der Grünen, im Konzert der Linken eine Rolle zu spielen, drücken sich in einem Gummibaum mit abfallenden Blättern aus, der vor einer roten Wand mit der Aufschrift GAUCHE steht: Niemand wird die Pflanze bewässern, lautet die Sprechblase. Der Europa feindlich gesinnte Mélenchon hatte der Gruppe EELV (Europe-Ecologie-Les Verts) unzumutbare Bedingungen für ein Zusammengehen gestellt (Le Monde 05/ 05/ 2017, 9). © Bidu <?page no="321"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 311 4.4 Fillon — Kandidat der Konservativen Fillons Skandale, Scheinbeschäftigungen seiner Frau und seiner Kinder im Politikapparat sowie die Annahme zweier teurer Anzüge als Geschenke, wurden Anlass unzähliger satirischer Zeichnungen. Unter dem Titel „La veste de François Fillon“ zeichnet Chaunu nach dem ersten Wahlgang zum Präsidentenamt Macron und Le Pen in Siegerpose, Arme und Finger zum V-Zeichen hoch gestreckt. Fillon hingegen tritt ab, indem er mit betrübter Miene auf sein Jackett (la veste) weist und sagt: „Celle-là elle m’aura coûté cher“. Das Geschenk hat ihn den Präsidentschaftsposten gekostet (https: / / www.francetvinfo.fr/ elections/ presidentielle/ en-images-le-premier-tour-de-la-presidentielle-vu-par-les-dessinateurs-de-presse_2159602.html/ 24avril) (15/ 11/ 2017). © Chaunu <?page no="322"?> 312 Ingeborg Christ Auf mehreren Zeichnungen zieht Fillon einen Kochtopf (casserole) hinter sich her. Jemandem in der französischen Sprache nachzusagen, er ziehe einen Kochtopf hinter sich her, „traîner une casserole“, bedeutet, er stehe unter der Wirkung einer früheren Tat oder eines Ereignisses, das in der Gegenwart noch Folgen hat. 10 In politischen Zusammenhängen bedeutet die Redewendung, dass Erinnerungen ausgegraben werden, meist um zu einem bestimmten Zeitpunkt jemandem zu schaden. Fillon beklagte sich bis zuletzt hierüber. In einer Zeichnung von Ménétol hält er einen Kochtopf hoch und bezeichnet ihn als „arme de destruction massive“: Politische Intrigen, für die er die Skandalvorwürfe hält, können die zerstörerische Kraft von Massenvernichtungsmitteln entwickeln. Die Uneinsichtigkeit in seine eigenen Fehler, die ihm hier durch die Übertreibung (Massenvernichtungsmittel) bescheinigt wird, wurde Fillon von der Öffentlichkeit vielfach vorgeworfen und war vielleicht, weniger als die Vergehen selbst, der eigentliche Grund für seinen Popularitätsverlust. Der Name „Pénélope“ von Fillons Ehefrau regte manche Phantasie an 11 : Kak (25/ 01/ 2017) zeichnet einen Webrahmen mit einem Stück Tuch, in das die Auf- 10 Die Redewendung hat ihren Ursprung in dem grausamen Spiel von Kindern, die einem Hund ein Metallgefäß an den Schwanz hängen. Der Hund, erschrocken über den Lärm, den er erzeugt, wird immer hektischer und erzeugt umso größeren Lärm. Deutscher Ausdruck, allerdings mit etwas anderer Konnotation: ,Eine Leiche im Keller haben‘. 11 Man spricht von Pénélopegate-Skandal in Anlehnung an den Watergate-Skandal in Amerika. © Kak (Dessins de Kak pour „L’Opinion“ France) <?page no="323"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 313 schrift „FILLON 2017“ eingewebt ist. Das Schriftbild ist am unteren Ende allerdings unvollständig. „Dis-donc, Pénélope“, fragt Odysseus-Fillon, „c’est juste une impression ou la tapisserie est moins avancée qu’hier ? " - „C’est pas moi", lautet die Antwort Pénélopes. Das sich auflösende Tuch ist Sinnbild für die schwindende Popularität Fillons, und diese hat der Politiker selbst zu verantworten, ist die Meinung seiner Frau und gewiss die des Zeichners (https: / / www. lopinion.fr/ blog/ qui-se-moque-t-on/ dessin/ penelopegate-mauvaise-passe-fillon-119088) (15/ 11/ 2017). 4.5 Le Pen Marine Le Pen war mit dem Ziel der Dediabolisierung, der Entteufelung ihrer Partei, in den Wahlkampf eingetreten. In dieser Absicht hatte sie sich bereits früher von ihrem radikalen Vater, dem vormaligen Parteichef des Front National, abgesetzt. Es gelang ihr, mit Macron in die Stichwahl um das Präsidentenamt zu kommen. Eine Zeichnung von Oli zeigt nach dem ersten Wahlgang eine stattlich-dominante Le Pen im Braunhemd, das an die Nazi-Uniform erinnert, eine weiße Binde mit den Initialen FN am Ärmel. Ihre schwarzen Hosenbeine stecken in glänzenden Uniformstiefeln, die Gürtelschließe ziert ein Hakenkreuz. Das Äußere verweist auf Le Pens Xenophobie und ihren Antisemitismus. Sie steht in einer Reihe mit einem zierlichen Hamon, mit Fillon, der die „Pénélopecasserole“ schleppt, und einem körperlich kleinen Macron. Angesichts dieser Konkurrenz ist sie mit breit-lachendem Mund des Sieges gewiss: Le Pen: „Je’le sens bien le second tour, là …“. Macron allerdings antwortet: „Moi aussi… ". Er wird es mit ihr aufnehmen, und man kennt das Ergebnis (http: / / www.humeurs. be/ tag/ 2017/ 30.1.2017; 6. Bild) (15/ 11/ 2017). <?page no="324"?> 314 Ingeborg Christ 5 Der Sieger im Wahlkampf-- Macron in der Karikatur Der raketenhafte Aufstieg des Kandidaten Emmanuel Macron und der Zulauf aus allen politischen Richtungen und Parteien zu seiner Bewegung EM und seiner Partei LREM erregten die Presse und die Zeichner in besonderem Maße. Bezüglich des Namens der Bewegung zitiert Anne Fulda (2017a, 194) in ihrer Biographie den Großrabbiner Frankreichs, Haïm Korsia, der sich oft mit Macron unterhalte und den sie als „résolument séduit par le candidat (Macron)“ bezeichnet: Ce nom, En Marche! (…) n’est pas anodin. C’est une allusion à une phrase de Saint-Exupéry dans ‘Vol de nuit’: ‘Dans la vie, il n’y a pas de solutions. Il y a des forces en marche: il faut les créer et les solutions suivent.’ C’est aussi une référence à la sculpture de Giacometti, ‘L’homme qui marche’, ou à Dieu qui dit à Abraham: ‘Quitte les certitudes, mets-toi en marche.’ Sortir de l’Egypte, c’est sortir de l’étroitesse, de l’enfermement. Außerdem dürften allerdings auch die Initialen Macrons, E.M., eine Rolle gespielt haben. Macron trat an unter der Devise, nicht rechts, nicht links zu sein, © Oli <?page no="325"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 315 sondern die Politik von der bürgerlichen Mitte her zu erneuern. Er war dem Publikum zunächst wenig bekannt. Mit 39 Jahren ist er jünger als alle bisherigen Bewerber um das Präsidentenamt. Er wird deswegen mit Napoléon Bonaparte und Louis Napoléon (später Napoléon III) verglichen, die beide jung zu hohen Ehren kamen. 12 Da er Stil in Wort und Haltung zeigte und das Zeremoniell schätzt, wurde er verschiedentlich auch mit de Gaulle und Mitterrand verglichen. Sein Charisma, mit dem er seit seiner Jugend Menschen gewinnt 13 , wirkte auch im Wahlkampf, und seine Selbstbeherrschung in Situationen heftiger verbaler Aggression, wie in der Fernsehdebatte mit Marine Le Pen, brachten ihm große Anerkennung ein. Viel beachtet wurde sein Bekenntnis zur Europäischen Union, als er bei seinem Gang über den Louvre-Platz am Abend nach der Wahl die Europahymne noch vor der Marseillaise spielen ließ, wie auch sein deutliches Bemühen um die deutsch-französische Beziehung. 14 5.1 Macron — Nicht rechts, nicht links Der Zeichner Pétillon (Le Canard enchaîné 10/ 05/ 2017, 7) zeigt ihn auf dem Weg zum Louvre-Platz durch ein Tor schreitend (erinnert es schon an einen Triumphbogen? ), wobei zwei Fotografen ihn so dirigieren, dass er nicht zu sehr nach links oder rechts driftet, sondern die Mitte hält. Die als Unbestimmtheit kritisierte Politik der Mitte wird in vielen Zeichnungen aufgegriffen: Hollande und Valls, die Spitze der Sozialisten, sitzen in einem Auto ohne Räder fest. Macron ist ausgestiegen und geht mit dem Benzinkanister in der Hand weg: Macron ist ,en marche‘. Seine sozialistische Episode (Macron war drei Jahre lang Wirtschaftsminister bei Hollande) ist Vergangenheit, jetzt zählt nur seine ,Bewegung‘ (http: / / www.lanouvellerepublique.fr/ Loir-et-Cher/ Actualite/ Politique/ n/ Contenus/ Articles/ / 2016/ 04/ 19/ la-Macron-mania-pietine-en-Loir-et- Cher-2689994) (15/ 11/ 2017). Der Zeichner Pierre Kroll stellt Macron an ein Rednerpult, vor ihm sein Publikum: Er neigt sich doch immerhin nach rechts, meint ein Zuhörer. Ja, von 12 Bonaparte wurde mit 30 Jahren Erster Konsul. Louis Napoléon, mit 40 Jahren Präsident der französischen Republik, machte sich vier Jahre später per Staatsstreich zum Kaiser Napoléon III. 13 Zur Persönlichkeit Macrons siehe die Biographie der Journalistin Anne Fulda (2017a, 2017b). Im Unterricht könnte beispielsweise der „Prologue“ (2017a, 9-13) gelesen werden. 14 Macron hat sich mit mehreren Ministern umgeben, die die deutsche Sprache beherrschen. Ministerpräsident Etienne Philippe lebte mehrere Jahre in Deutschland. Eine erste Entscheidung war die Wiedereinführung der classes bilangues zugunsten der Fremdsprache Deutsch. Präsident Macrons erste Auslandsreise führte ihn am 16. Mai 2017 nach Berlin. <?page no="326"?> 316 Ingeborg Christ hier aus gesehen, antwortet die Nachbarin, aber von ihm aus gesehen neigt er sich nach links (http: / / blogs.letemps.ch/ laurent-horvath/ page/ 3) 15 (15/ 11/ 2017). 5.2 Macron — der Unbekannte, triumphierend Der vielfach fotografierte Gang über den Louvre-Platz am 7. Mai wurde auch von Zeichnern gedeutet. Plantu bringt die Szene in Zusammenhang mit dem unbekannten Soldaten, dem Präsident Hollande am 8. Mai den alljährlichen Gedenkkranz widmet. Seine Huldigung gilt auch dem unbekannten Präsidenten: „8 mai: hommage au président inconnu“. Dieser hat sich allerdings schon abgewendet und den Louvre-Platz des Ruhmes unter blau-weiß-rotem Konfetti-Regen und Musiknoten-Dreiklang betreten (http: / / www.plantu.blog.lemonde. fr/ 2017/ 05/ 08/ 8-mai-hommage-au-president-inconnu-le-dessin-au-monde-dece-lundi-8-mai-2017) (15/ 11/ 2017). 15 S. dort unter Eintrag „Egypte“. © Pierre Kroll <?page no="327"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 317 5.3 Macron — aus dem Ei gesprungen Macron ist nicht ohne politische Erfahrung, er war unter Hollande Minister. Dennoch wird er zuweilen als ,Neuling‘ betrachtet (francetvinfo.fr/ elections/ presidentielle/ emmanuel-macron-portrait-d-un-nouveau-venu-en-politique_2181535.html) (15/ 11/ 2017). In einer Zeichnung von Plantu springt er dynamisch und mit Victory-Zeichen aus dem Ei. Dieses trägt Züge des Gesichts von Hollande, der sich in der Wahlepoche gern als väterlicher Freund seines Nachfolgers präsentierte. In der Zeichnung steht allerdings eine kleine Marianne neben der Geburtsszene und streicht mit roter Farbe den Kopf von Hollande aus. Hollande gibt es nicht mehr, und rot ist nur noch die Farbe des Wegstreichens. Das Rot der Sozialisten gibt es auch nicht mehr (http: / / www.plantu. blog.lemonde.fr/ 2017/ 05/ 07/ emmanuel-macron-elu-president-de-la-republique) (15/ 11/ 2017). © Plantu <?page no="328"?> 318 Ingeborg Christ 5.4 Das Wunder des Erfolgs In der Satirezeitschrift Charlie Hebdo geht Macron (wie Jesus in der Bibel) über das Wasser, wobei ihn sein (Selbst-)Vertrauen trägt: „Il suffit d’y croire“. Der Zeichner schreibt ihm auch hypnotische Kräfte zu, indem er als Magier seinem Publikum suggeriert, die Linke hinter sich zu lassen, sodann auch die Rechte und nun über allem zu schweben (Willem, Charlie Hebdo 10/ 05/ 2017, 9). Auch Heilsbringer für alle von Politikern und Parteien Enttäuschten ist er: „Salut, les déçus, bienvenue chez Macron! “ (ebd.). Im Kontext der kritischen Zeitschrift Charlie Hebdo besagen die Zeichnungen allerdings weniger Bewunderung als Warnung vor Irrationalität und Verführung. 5.5 Macron — das politische Schwergewicht Karl Lagerfeld, der in Paris lebende Modeschöpfer deutscher Herkunft, der jeden Monat in dem „FAZ-Magazin“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine ,Karlikatur’ zum politischen oder gesellschaftlichen Leben bietet, zeichnet Macron als stärksten Mann Frankreichs. Mit Muskeln und tätowiertem Herzchen über dem Namen seiner Frau Brigitte auf der Brust, als Mann mit Stil, der über dem nackten muskulösen Oberkörper einen weißen Kragen und eine Krawatte trägt, ist er „Mister Europa 2022? “, dies allerdings mit Fragezeichen, als Anspielung, dass man die Zukunft noch nicht kennen kann. Denn, so kommentiert der Journalist der Zeitung, der jugendliche Präsident wird hier „in der Pose des Halbstarken auch verjuxt.“ (FAZ Magazin 06/ 2017, 15). 5.6 Bilder der Kraft und Dynamik Als Surfer erklimmt Macron eine hohe Welle mit dem Surfbrett (Coco, Charlie Hebdo 14/ 06/ 2017, 16). Als Gentleman-Schläger hat er seine Widersacher niedergeschmettert, er selbst streicht mit der flachen Hand nur ein paar Flocken Schmutz von der Schulter des unversehrt gutsitzenden Anzugs (Kak, le Figaro 05/ 08/ 2017). (https: / / www.lefigaro.fr/ culture/ 2017/ 05/ 08/ 03004-20170508ART- FIG00115-macron-president-les-dessinateurs-ne-lui-accordent-pas-d-etat-degrace.php/ 7) (17. Bild) (15/ 11/ 2017). Als glamouröser Musketier (,flamboyant‘ versus ,flamby‘), galoppiert er dahin mit gezogenem Schwert (Coco, Charlie Hebdo 10/ 05/ 2017, 2), und er handelt als dynamischer Rasenmäher, dem gewiss einige Pflanzen gegen ihren Willen zum Opfer fallen werden (Riss, Charlie Hebdo 10/ 05/ 2017, 3). <?page no="329"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 319 5.7 Macron — Tout-Puissant Das Titelbild „Macron tout-puissant“ der Zeitschrift Courrier international vom 22.-28. Juni 2017 parodiert das bekannte Deckenfresko „Die Erschaffung Adams“ von Michelangelo. Gott hat gerade Adam erschaffen. Dieser ist körperlich bereits vollkommen gestaltet, liegt aber noch kraftlos auf der Erde. Der über ihm schwebende Gott streckt den Zeigefinger nach der Hand seines Geschöpfes aus, um ihm mit der Berührung seinen göttlichen Geist, Kraft und Leben zu übertragen. In der Parodie von André Carrilho liegt Macron wie Adam in der linken Bildhälfte, allerdings im typischen dunkelblauen Anzug, mit weißem Hemd und Krawatte. Sein Blick ist nicht scheu wie im Original, sondern offen, wirkt selbstbewusst. Sogar im Liegen geht Dynamik von ihm aus, denn seine Hand hat die Gottes mit festem Griff umschlossen. 16 Ein Funkenkranz um die vereinigten Hände deutet auf die Übertragung der übernatürlichen Kraft, der „Toute-Puissance“, hin. 16 Man erinnert sich an die allerdings erst später in der Wirklichkeit eingetretene, viel fotografierte Szene des Händedrucks zwischen Macron und Trump, zwei gleichermaßen machtbewussten Politikern. © Kak (Dessin de Kak pour „L’Opinion“ France) <?page no="330"?> 320 Ingeborg Christ 5.8 Macron — ein Geschenk für Europa Der in Europa mit Erleichterung aufgenommene Erfolg des europafreundlichen Macron wird als Geschenk gezeichnet, das in einem riesigen Paket mit blauweiß-roter Schleife und dem Portrait des neuen Präsidenten auf dem Deckel (Courrier international 22.-28/ 06/ 2017) aus Frankreich eintrifft. Der Postbote trägt es zum Haus Europa, in dessen geöffneter Tür Angela Merkel und andere MIGRANTS — CHAOS EN MÉDITERRANÉE ÉCONOMIE — DESTINS CROISÉS DU LIBRE-ÉCHANGE VOYAGE — LES PILOTES, BEAUX PARLEURS 3’: HIKNLI=XUX^U\: ? b@n@j@k@a"; M 03183 - 1390 - F: 3,90 E macron tout-puissant La nouvelle concentration des pouvoirs en France fascine autant qu’elle inquiète la presse étrangère Afrique CFA 3 200-FCFA Algérie 480-DA Allemagne 4,50-€ Andorre 4,50-€ Autriche 4,50-€ Canada 6,95 $CAN DOM 4,90-€ Espagne 4,50-€ É-U 7,50-$US G-B 3,80-£ Grèce 4,50-€ Irlande 4,50-€ Italie 4,50-€ Japon 800-¥ Maroc 38-DH Pays-Bas 4,50-€ Portugal cont. 4,50-€ Suisse 6,20-CHF TOM 850-XPF Tunisie 6,50-DTU N o 1390 du 22 au 28 juin 2017 courrierinternational.com France-: 3,90-€ 1390 p.01 vendredi soir.indd 1 20/ 06/ 2017 17: 24 © Dessin d’André Carrilho / Portugal <?page no="331"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 321 Europäer freudig die Gabe in Empfang nehmen (Ammer, Courrier international 22.-28/ 06/ 2017, 16 f.). 6 Erfolg von LREM bei den Parlamentswahlen in der Zeitungskarikatur Wo es früher in der Nationalversammlung ein linkes und ein rechtes Parteienspektrum gab, das sich in der Mitte traf, hat sich durch die Wahlen 2017 die neue Mitte bis auf kleine (extreme) Ränder ausgebreitet. In der satirischen Wochenzeitung Le Canard enchaîné (Lindingre 21/ 06/ 2017, 7) ist Macron, in Anspielung auf das alljährliche Musikfest ,France musique‘, der Flöte spielende Anführer eines Menschenzuges. „Fête de la musique: Le Palais Bourbon change de disque“, lautet die Legende. 17 Macron, der das französische Volk in seiner Vielfalt in der neuen Nationalversammlung vertreten sehen wollte, hatte mit Erfolg alle gesellschaftlichen Kreise aufgefordert, sich für die Abgeordnetensitze seiner Partei LREM bei den parlamentarischen Direktwahlen zu bewerben. Als reines Mitläufertum verspottet der Zeichner Juin den Zulauf, indem er der Menschenmasse anstelle von Köpfen Fußsohlen aufsetzt (Charlie Hebdo 14/ 06/ 2017, 16). In der neuen Nationalversammlung finden sich Abgeordnete, die aus anderen Parteien übergetreten sind, neben politischen Neulingen. Beide Gruppen geben Anlass zur Karikatur. Plantu bezeichnet den Sieg von LREM als „une victoire vraiment écologique“, da die Abgeordneten besiegter Parteien in der Partei Macrons sozusagen recycelt werden („Recyclés“) (http: / / www.francetv. fr/ elections/ legislatives/ en-images-legislatives-le-second-tour-resume-en-10dessins-de-presse_2242881.html) (9. Bild) (15/ 11/ 2017). Le Canard enchaîné (21/ 06/ 2017, 7) persifliert die politisch Unerfahrenen: Ein neuer Abgeordneter will an der Eglise de la Madeleine aus dem Taxi steigen, wird aber vom Taxifahrer anders belehrt. Ein aus der Provinz angereister Abgeordneter in Touristen-Look sucht verzweifelt nach seiner Gruppe: „Vous n’avez pas vu mon groupe? J’ai perdu mon groupe“ (ebd., 8). Der gewollt hohe Anteil an Frauen in der Nationalversammlung führt zur Karikierung auch sexistischen Verhaltens, indem Stereotypen umgekehrt werden: Die Frauen pfeifen hinter den Abgeordneten her, die die Stufen des ,Hémicycle‘ der Assemblée Nationale hinuntersteigen, und machen Bemerkungen über die Figur ihrer männlichen Kollegen (ebd., 1). 17 In Deutschland würde man an den Rattenfänger von Hameln denken. <?page no="332"?> 322 Ingeborg Christ 6.1 Masken und Klone Besonders zu beunruhigen scheint die mangelnde parlamentarische Opposition: Der Frontgiebel des Palais Bourbon, des Sitzes der Nationalversammlung, wird anstatt von Säulen, von den Buchstaben EN MARCHE getragen (Le Canard enchaîné 26/ 06/ 2017, 5). 18 Der Zeichner Chaunu setzt allen Abgeordneten auf dem Weg dorthin die gleiche Maske auf: jugendliches Gesicht, große runde Augen, siegessicheres Lächeln, Merkmale Macrons, der sie anführt. „C’est le nouveau visage de l’Assemblée“, lautet der Titel. Eine ähnliche Gruppe von 18 In Deutschland, das seit Jahren mit einer großen Koalition lebt, sieht man dieses für Frankreich große Problem anders, man erstrebt Konsens, weniger die Auseinandersetzung. Helene Bubrowski nennt die Mitte einen „Sehnsuchtsort“ der Deutschen („Ab durch die Mitte“, in: FAZ 31/ 08/ 2017, 10). © Chaunu <?page no="333"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 323 Klonen wird, in ironischer Anspielung an die „Konvention zur Biodiversität“, in der Nationalversammlung vom Vorsitzenden 19 freudig begrüßt: „Vive la diversité“ (https: / / www.lest-eclair.fr/ 30506/ article/ 2017-07-02/ l-actualite-du-jourvue-parchaunu) (15/ 11/ 2017). Auch Plantu (Le Monde 27/ 06/ 2017, 1) versieht die Abgeordneten 20 mit gleichen Gesichtern, aber bei ihm sind es kleine Napoleon-Figuren, die eine große Napoleon-Figur umgeben, erkenntlich am Dreispitz mit Cocarde, an der Uniform mit Schulterklappen und der legendären Geste der vier unter der Knopflochleiste des Uniform-Jacketts versteckten Finger. Haaransatz, Haarfarbe und Ausdruck der Willensstärke um das kantige Kinn verweisen auf Macron. Man kann Hypothesen bilden, welche Assoziationen durch den Vergleich mit Napoléon geweckt werden sollen (http: / / www.plantu.blog.lemonde.fr/ page / 6) (15/ 11/ 2017). 6.2 „Mouvement Godillot“ Bei der Zeichnerin Floh (Florence Debray) sitzt eine Versammlung mit Macron zusammen in einem riesigen Schuh. Diese ,Start-Up-Godasse‘ des innovativen Jungunternehmers Macron ähnelt einem Schlauchboot, dem Luft mit der Kenn- 19 François Rugy, Président de l’Assemblée nationale. 20 Sie tragen die blau-weiß-rote Schärpe als Symbol ihrer Würde als Abgeordnete. © Plantu <?page no="334"?> 324 Ingeborg Christ zeichnung „abstentions“ entweicht, ein Hinweis auf die geringe Wahlbeteiligung, die das Boot zum Sinken bringen könnte. Die Bezeichnung „mouvement Godillot“ 21 in der Legende verweist jedoch ironisch auf die Stärke der ,Bewegung‘ EM sowie gleichzeitig auf unbedingte Treue der Gefolgsleute. 22 Floh persifliert Massenbewegung, Gleichschritt („au pas, tout le monde“) und Ansätze, Frankreich wie ein Wirtschaftsunternehmen führen zu wollen (Floh’s CariMail 19/ 06/ 2017). 23 6.3 Schnelles Vergessen Der Ausgang der Wahlen und der sogenannte Macronismus haben in der Öffentlichkeit schnell das Vergangene verdrängt. In Le Canard enchaîné erinnert ein Bild von Macron in Überblendung von Portraits mehrerer anderer Politiker daran, dass er nicht aus dem Nichts und ganz allein zu seiner Position gekommen ist, sondern dass auch günstige Umstände und Konstellationen dazu bei- 21 Der Schuhfabrikant Alexis Godillot (1816-1893) belieferte die französische Armee mit besonders kräftigen Militärschuhen. 22 Die Bezeichnung ,mouvement Godillot‘ war in den 60er Jahren geläufig für Parlamentarier (zunächst von de Gaulle), die ihrem Chef unbedingt folgten. 23 www.flohdebray.de/ bio/ index.html; CARImail, Flohs wöchentliche E-Mail-Zeichnung. © Floh/ Florence Debray <?page no="335"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 325 getragen haben: „Je pourrais peut-être (les) remercier“, meint die hybride Figur (21/ 06/ 2017, 4). Der Zeichner Plantu verbindet das Wahlergebnis mit einem archäologischen Fund von 315.000 Jahre alten Menschenknochen, der im Juli 2017 in Marokko gemacht wurde und die Menschheit älter macht, als bisher angenommen. Er lässt einen Archäologen in einer Höhle auf Schädel stoßen, die mit dem Zeichen LR (La République, Fillons Partei) und einer Rose (Symbol der sozialistischen Partei) tätowiert sind. Überrascht stellt der Wissenschaftler fest, es habe vor dem ,homo macronibus‘ offensichtlich schon menschliches Leben gegeben (Le Monde 09/ 07/ 2017, 6). 7 Erste Enttäuschungen/ Erste Kritiken Die Praxis entspricht nicht immer den Vorhaben. Macron erfährt bei der Zusammensetzung seines Regierungskabinetts, dass nicht alle gewünschten Mitglieder seinem politischen Ideal der ,moralischen Erneuerung‘ genügen. So werden führende Politiker, unter anderem François Bayrou, nicht zum Kabinettstisch zugelassen, da sie im Verdacht stehen, Scheinbeschäftigungen getätigt oder geduldet zu haben. Plantu zeichnet ein Symphonieorchester, aus dem Macron den Musiker Bayrou samt Cello hinauskickt (Le Monde 21/ 06/ 2017, 1). Bei La Combe (Sinémensuel 20/ 08/ 2017) steht eine leere Stuhlreihe für die Regierung nach der Anwendung des Moralisierungsgesetzes. 24 Die Popularität des neuen Präsidenten wurde durch erste Entscheidungen bereits stark gemindert. Die Zeichnerin Coco (Charlie Hebdo 26/ 07/ 2017, 5) zeigt ihn über Treibsand („sables mouvants“) gehend, wie ein Warnschild kündet. Noch immer ruft er die Devise „En marche toujours! “ Wie gefährlich der Weg ist, verrät ein aus dem Boden ragender Arm eines bereits versunkenen Mannes. „Macron rattrapé par la réalité“, lautet der Titel einer Zeichnung von Georges Million, auf der Macron als Handballspieler in blau-weiß-rot umrandetem Trikot den Ball „EM“ vor bedrängenden Spielern in rotem Trikot mit den Aufschriften „Chômage“ und „Sondages“ zu retten sucht. Das Spiel „Le Casse-Macron“ (Coco, Charlie Hebdo 26/ 07/ 2017, 5) lädt ein, Büchsen, auf denen für Macron typische Attribute wie runde Augen, rot-blonder Haaransatz und auffallende Zahnreihen aufgemalt sind, mit einer Schleuder abzuwerfen. 25 24 Loi sur la moralisation de la vie publique adoptée le 3 août 2017 par l’Assemblée nationale . 25 Die weiteren Entwicklungen kommentiert immer aktuell und auch in deutsch-französischer Perspektive das Deutsch-Französische Institut Ludwigsburg (http: / / www.dfi.de). <?page no="336"?> 326 Ingeborg Christ National und international viel beachtet und kommentiert wurde die Rede Macrons am 26. September 2017, in der er vor Studentinnen und Studenten der Pariser Universität Sorbonne seine Vorstellungen zur Weiterentwicklung des geeinten Europa darlegte. 26 Der Zeichner Chaunu sieht Macron als Visionär, Träumer, Wegweiser, Idealist, der ein neues Europa schaffen will, während Angela Merkel nach der Wahl in der Bundesrepublik mit der für sie vordringlichen, erdgebundenen Aufgabe der Koalitionsbildung mit eher skeptisch, wenn nicht 26 „Le plan de Macron pour l’Europe résumé en dix ponts“ (https: / / www.lefigaro.fr/ politique/ le-scan/ 2017/ 09/ 26/ 25001-20170926ARTFIG00105) (15/ 11/ 2017); „Discours d’Emmanuel Macron: Initiative pour l’Europe“ (https: / / www.de.ambafrance.org/ Discours-d-Emmanuel-Macron-Initiative-pour-l-Europe) (15/ 11/ 2017). © Coco <?page no="337"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 327 ablehnend dreinblickenden Partnern befasst ist (https: / / twitter.com/ chaunuShow/ status/ 912960128642625536) (15/ 11/ 2017). 8 Einige sprechende bildnerische Elemente In einer Karikatur ist jedes gezeichnete Element von Bedeutung. Die Details geben Hinweise für die Deutung des Ganzen, die Hypothesen zur Gesamtaussage finden Bestätigung oder Falsifizierung durch Beobachtung und Deutung der Details. Gleichzeitig überschaubar und komplex, eignet sich die politische Karikatur in besonderer Weise, das deutende Lesen von Bildern zu üben. Es bedarf hierzu eines notwendigen Hintergrundwissens, wie im Verlauf dieser Ausführungen deutlich wurde, es bedarf aber auch der Kompetenz des Lesens und Deutens von Bildelementen. Wenn mehrere Bilder zu einem Thema vorliegen, erkennt man zuweilen ähnliche Elemente auch bei verschiedenen Zeichnern. Dieser Wiedererkennungseffekt erleichtert das Verstehen, und es bieten sich Anregungen zum Vergleichen, wodurch die Beobachtungskompetenz wiederum geschärft wird. © Chaunu <?page no="338"?> 328 Ingeborg Christ 8.1 Bildnerische Kennzeichnung von Personen Für die Kennzeichnung von Personen sind die Situation, in denen sie handeln, ihre Kleidung, ihr Gesichtsausdruck, ihre Körperhaltung von Bedeutung sowie auch die Attribute, mit denen sie ausgestattet sind. Solche Elemente dienen dem Erkennen und Wiedererkennen auch ohne Worte, nur durch das Bild, sie lassen aber auch auf die Intention des Zeichners schließen. Für sich genommen sind die Elemente nicht immer eindeutig, aber im Gesamtkontext der Zeichnung, der Intention und dem größeren Zusammenhang der Zeitung und dem soziokulturellen Umfeld reduziert sich die Mehrdeutigkeit. Zuweilen liefert auch eine Legende den Schlüssel. Für Fillon sind ein typisches und wiederkehrendes Element die schwarzen buschigen Augenbrauen sowie das Attribut des Kochtopfes (casserole). Hamon ist kenntlich an einer besonderen Form der Ohren und der roten Rose, für Le Pen sind blonde Haare, maskuline Kleidung und herausfordernde Körperhaltung und Gestik kennzeichnend. In diesem Zusammenhang sind Ausführungen der Journalistin Sabrina Champenois aufschlussreich, die einige Zeichner zu der Schwierigkeit generell befragt hat, ein Gesicht zu erfassen und zu zeichnen. Zu Macron wird festgestellt, dass die Ebenmäßigkeit seiner Gesichtszüge es besonders schwer mache, den individuellen, kennzeichnenden Ansatzpunkt für die Zeichnung zu finden, dies umso mehr, als er seinen Gesichtsausdruck und sein Körperverhalten sehr unter Kontrolle habe (http: / / www.liberation.fr/ politiques/ 2017/ 05/ 17/ emmnuel-macron-obscur-objet-du-dessin) (15/ 11/ 2017). 8.2 Typische Bildelemente für Macron Dennoch kehren einige Ansatzpunkte bei verschiedenen Zeichnern wieder. Abweichungen bieten Anlässe zum Vergleich der Bildsprachen. Ein Wiedererkennungsmerkmal ist Macrons Haaransatz. Ein weiteres Element sind seine Augen, die offen und rund gezeichnet werden, bei farbigen Karikaturen in klarem Blau, sowie weiße Zähne, die kleine Zwischenräume aufweisen. Diese Elemente sind schon so sehr kennzeichnend, dass Coco sie als Teile eines Puzzles (Wurfspiel „Le Casse-Macron") hinlegen kann und die Zuordnung ganz ohne die Figur (zumindest für den informierten Leser) eindeutig ist (Charlie Hebdo 26/ 07/ 2017, 5). Abweichend hiervon hebt Plantu kantige Gesichtskonturen mit ausgeprägtem Kinn hervor. In der Zeitschrift Charlie Hebdo wird häufig die kräftige Nase betont und überbetont. Bei der Deutung durch den Leser werden alltagspsychologische Annahmen wirken und im Unterricht zur Sprache kommen. Die Wirkung der groß geöffneten Augen kann entsprechend der Intention der Zeichner unterschiedlich sein: Offenheit und Lebendigkeit des Geistes (Courrier International), quasi hypno- <?page no="339"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 329 tische Kräfte (Charlie Hebdo), herausfordernde oder gar aggressive Wirkung (ebd.). Bei den ,Klonen’ in der Nationalversammlung deuten die immer gleich rund geöffneten Augen auf Enthusiasmus der Sympathisanten hin. Das kantige Kinn, das Plantu zeichnet, dürfte auf Energie und Durchsetzungsfähigkeit verweisen und vielleicht auf eine gewisse Härte, die Macron nach seinen ersten Maßnahmen nachgesagt wird. © Coco <?page no="340"?> 330 Ingeborg Christ Die in der Zeitschrift Charlie Hebdo immer wieder betont hervortretende und überlange Nase ist in deren kritischem Kontext gewiss als Zeichen von hohem Persönlichkeitsanspruch und starkem Selbstwertgefühl zu deuten. Zu beachten ist, dass eine überlange Nase in Zeichnungen generell kein unschuldiges Detail ist. Man mag sich an die Nase der Kinderbuchfigur Pinoccio von Carlo Collodi erinnern, von der man weiß, dass sie umso länger wird, je mehr er lügt. Eine Karikatur Macrons mit ausgeprägter Nase auf Twitter, die aus dem Kreis der Partei der Republikaner (LR) kam, erregte in der französischen Öffentlichkeit heftige Kritik, da sich Leser an antisemitische Karikaturen der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts (das Klischee des jüdischen Bankers) erinnert fühlten (s. Google: Macron. Caricature antisémite) (25/ 09/ 2017). 9 Zeitungskarikaturen — ,Türöffner‘ und ,Herausforderung‘ Als Bilder sprechen Zeitungskarikaturen direkt an und laden zur Entzifferung und zur Deutung ein. Als authentische Zeitzeugnisse sind sie „Türöffner“ auf gesellschaftliche und politische Zusammenhänge (Reinfried 2013). Ihre Entschlüsselung bietet für den Fremdsprachenlerner allerdings Schwierigkeiten, denn sie setzen Kenntnisse voraus, über die der im Lande lebende muttersprachliche Leser in der Regel verfügt, die für den fremdsprachlichen Lerner aber weniger nahe liegen. Der Witz wird sich nicht immer sofort erschließen, das Lachen oder die Erhellung sich erst nach einem unter Umständen längeren Verstehensprozess einstellen. Des Weiteren sind Bilder grundsätzlich nicht immer eindeutig, sondern werden von unterschiedlichen Betrachtern mit unterschiedlichem Informations- und Erfahrungshintergrund auch unterschiedlich gedeutet. Andererseits sind diese Schwierigkeiten sprachpädagogisch ein Gewinn, da sie Kommentierung der Bilder und Austausch von Deutungsvermutungen verlangen, zum Beschreiben als Seh- und Verstehensversuch anregen und Anlässe zum Fragen, zum Raten, zum Hypothesenbilden und zum Stellungnehmen geben. 9.1 Erwerb von Sehkompetenz Nach Seidl (2007, 4) kennzeichnet den Menschen als „homo significans“ grundsätzlich seine „Tendenz zur Bedeutungsstiftung“. Reinfried (2007, 418) sieht einen besonderen Anreiz darin, dass „authentische Bilder aus den Zielländern (…) ein so hohes Maß an Mehrdeutigkeit aufweisen, dass sie die Neugierde und Phantasie der Betrachter mobilisieren“. Philipp (2014, 38) stellt fest: „Karikaturen fordern heraus“. Sie machen neugierig, lassen staunen, irritieren, aber sie bringen auch zum Schmunzeln und „aktivieren die für den Lernprozess so bedeutsame affektive Dimension“. Aus solcher Neugier können auch Impulse zum Weiterforschen zu den Inhalten erwachsen. <?page no="341"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 331 Nicht alle Karikaturen sind gleichermaßen komplex. Man kann eine Progression finden, insbesondere da das Material zahlreich ist. Beim Umgang mit politischen Karikaturen zu einem Themenkreis werden „Wahrnehmungsschärfung und Wissen“ sowohl im landeskundlichen Sinne als auch bezüglich der Bildgestaltung wachsen, sodass das „Zusammenspiel von Darstellungsmitteln und Bildwirkung“ (Reinfried 2016, 38) zunehmend von den Schülerinnen und Schülern verstanden und auch kritisch reflektiert werden kann. Der Erwerb von Sehkompetenz (Reinfried 2016, 38) setzt ein Lesen auf verschiedenen Ebenen voraus, der Ebene der Beschreibung, der Deutung des Gesehenen und der Wertung mit Blick auf die Intention des Zeichners. Für den Unterricht schlägt Philipp (2014, 41) ein fünfschrittiges Analyseschema S-D-I-I-I vor: Sujet, Description, Intention du caricaturiste, Impression du spectateur, Idées/ Questions du spectateur . 27 Er beobachtet, dass dieses methodische Werkzeug den Schülerinnen und Schülern erlaubt, zunehmend selbstständig ausgewählte Karikaturen zu kommentieren und in kleinen Vorträgen im Rahmen einer ,Besichtigung‘ oder ,Ausstellung‘ (promenade au musée) anderen vorzustellen (Philipp 2014, 40). Vertiefend äußert sich Hecke (2010, 159 ff.) zum Erwerb visueller Kompetenz als „Fähigkeit zur kompetenten Bildinterpretation“ und stellt eine Progression von der Identifikation der Bildinhalte bis hin zum kritischen Hinterfragen von Bildaussagen und -wirkungen in ihrem kulturellen Kontext und zu kreativen Arbeiten vor. 9.2 Sprachproduktive Herausforderung Dass der Erwerb von Sehkompetenz gleichzeitig eine sprachproduktive Herausforderung darstellt, soll hier nur angedeutet werden. Bei Planungen für den Unterricht ist mitzudenken, dass in den Erwerb von Sehkompetenz der Erwerb der entsprechenden sprachproduktiven Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Verbalisierung des Gesehenen und der Deutung zu integrieren ist, indem die notwendigen Sprachhandlungsmuster, Textformate und Redemittel des Beschreibens, Analysierens und Deutens sowie das notwendige Themenvokabular verfügbar gemacht werden. 9.3 Kreative Aufgaben Auch bei politischen Karikaturen bieten sich Gelegenheiten für die von Reinfried (1997) vorgeschlagenen Verfremdungen und Verrätselungen, die den Blick für die Intention des Bildes schärfen. Hierbei wird zunächst ein Teil des Bildes zugedeckt und erst, nachdem Vermutungen zur möglichen Ergänzung geäußert wurden, aufgedeckt (vgl. Reinfried 1997, 186; 2007, 418). Auf einer Zeichnung 27 Verfahren in drei Schritten finden sich bei Seidl (2007). <?page no="342"?> 332 Ingeborg Christ von Coco (Charlie Hebdo 14/ 06/ 2017) wird Macron auf dem Surfbrett auf den Gipfel einer hohen Welle getragen. Das darunter sichtbare Dorf wird in den nächsten Minuten überflutet sein: „Un village socialiste englouti pendant les legislatives“, lautet die Legende. Man könnte den unteren Teil des Bildes bzw. die Legende verdecken und Vermutungen zur Ergänzung äußern lassen. Das Bild der Welle erscheint auch auf einer Zeichnung von Plantu. Macron schreitet würdevoll auf dem Louvre-Platz über den roten Teppich seines Wahltriumphes. Die Pyramide hinter seinem Rücken verwandelt sich in hohe Wellenberge, auf denen Wellenreiter mit den Gesichtszügen Macrons und Insignien der Abgeordneten seiner Partei LREM auf Surfbrettern zur Nationalversammlung getragen werden. Dieser Teil der Zeichnung könnte verdeckt und den Schülerinnen und Schülern zur Hypothesenbildung übergeben werden. Vermutlich werden sie die exakte Lösung nicht finden, aber sie werden sich andere Ergänzungen ausdenken, und es wird sie motivieren, das Gesamtbild zu kennen und zu deuten (https: / / www.plantu.blog.lemonde.fr/ page/ 5/ articles plus anciens, 13 juin 2017) (15/ 11/ 2017). Ein Portrait Marine Le Pens (Le Monde 03/ 05/ 2017, 23) zeigt sie mit der Zunge des Vaters Jean-Marie im weit geöffneten Mund. Man könnte dieses Detail verdecken und Vermutungen äußern lassen, was aus dem geöffneten Mund heraustritt. Es könnten aggressive Worte, Dolche oder spitze Zungen sein. Die © Plantu <?page no="343"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 333 originale Lösung gibt Anlass, das Thema des Front National anzusprechen oder zu vertiefen. Auch kleine Dialoge oder innere Monologe bieten sich an sowie Standbilder, die Verhalten, Gestik und Mimik der dargestellten Personen oder Gruppen imitieren und dadurch bewusst machen. Selbst das von Blume (2014, 8) vorgeschlagene Erstellen eines ,Elfchengedichts‘ zu einem Bild (1 Wort - 2 Wörter [Eigenschaften] - 3 Wörter - 4 Wörter - 1 Wort) lässt sich im Zusammenhang von politischen Karikaturen denken und führt vielleicht zu einer kleinen Satire (z. B. le candidat (la candidate) / fier, confiant / ne craint rien / je gagnerai sans doute / victoire ). In diesem Sinne lassen sich ,dessins de presse‘ im Französischunterricht für den Erwerb visueller Kompetenz in all ihren Aspekten einsetzen (vgl. Hecke 2010, 159 f.). 10 Fazit Zeitungskarikaturen ( dessins de presse ) können den Französischunterricht in ihrer doppelten Eigenschaft als journalistisches und als künstlerisches Genus vielfältig bereichern. Die Übung, Karikaturen zu politisch und gesellschaftlich aktuellen Ereignissen im Rahmen thematischer Reihen wie hier zum Thema der Wahlen 2017 28 oder als aktuelle ,dessins du jour/ de la semaine‘ 29 regelmäßig in den Unterricht einzubeziehen, ermöglichen auf ansprechende Weise Teilhabe am gegenwärtigen Leben Frankreichs. Das Lesen, Kommentieren und Interpretieren politischer Zeichnungen fördert die Bildlesekompetenz, denn Zeitungskarikaturen sind bewusst gestaltete Bilder, in denen die zeichnerischen Mittel im Sinne einer Intention eingesetzt sind und auch künstlerischen Gesetzen gehorchen. Das Deuten verlangt und ermöglicht darüber hinaus vielfältige sprachliche Äußerungen, die vom Beschreiben über das Analysieren und Kommentieren bis hin zu kreativen Aktivitäten gehen können. Gewiss sind politische Karikaturen manchmal schwierig zu lesen, denn sie setzen Leserinnen oder Leser voraus, denen die Zusammenhänge vertraut sind. Aber sie reduzieren und vereinfachen die Wirklichkeit auch bis hin zum Klischee. Dies kann eine Gefahr darstellen, wenn die Wirklichkeit mit dem Klischee in eins gesetzt wird. Aber Karikaturen spitzen auch zu und komprimieren in geglückten Beispielen den Inhalt einer umfangreichen Abhandlung in einer Pointe. Die Wahlen in Frankreich bestimmten das öffentliche Leben im ersten Halbjahr des Jahres 2017 weit über die Grenzen des Landes hinaus und fanden auch 28 Karikaturen zum Thema deutsch-französisches Verhältnis finden sich bei Christ (2016). 29 Google: „le dessin du jour“; http: / / www.ledessindujour; http: / / www.dessindujour (15/ 11/ 2017). <?page no="344"?> 334 Ingeborg Christ in Deutschland und Europa Widerhall. Entsprechend groß war das Echo in den öffentlichen Medien, so dass Materialien in Fülle und in allen Komplexitätsgraden zu finden sind. Die Beschäftigung damit öffnet exemplarisch den Weg zur Teilhabe am öffentlichen Leben in Frankreich. Marcus Reinfried ist zu danken, dass für den Einsatz solcher ,dessins de presse‘ im Französischunterricht die theoretischen Begründungen zur Entwicklung von Sehkompetenz sowie methodische Konzepte und Anregungen für die Unterrichtsgestaltung zur Verfügung stehen. Literatur Blume, Otto-Michael (2014): „Sehen als Verstehen“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 127, 2-8. Brockhaus Wahrig (1980): Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden . Wiesbaden: F.A. Brockhaus/ Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt. Christ, Ingeborg (2016): „Bilder sprechen - über Bilder sprechen. Karikaturen zum deutsch-französischen Verhältnis“. In: Klein/ Reinfried (Hrsg.), 45-103. Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg (Hrsg.): Aktuelle Frankreich Analysen . (mehrmals im Jahr). https: / / www.dfi.de/ de/ Veroeffentlichungen/ Serien/ Veroeffentlichungen_afa.shtml. (15/ 11/ 2017) Fulda, Anne (2017a): Emmanuel Macron, un jeune homme si parfait. Le vrai visage du nouveau président . Paris: Plon. Fulda, Anne (2017b): Emmanuel Macron. Die Biographie . Aus dem Französischen von Nicola Denis, Felix Mayer, Bettina Sund und Volker Zimmermann. Mit einem Vorwort von Elisabeth Raether. Berlin: Aufbau Verlag. Hecke, Carola (2010): „Mit Bildern zu visueller Kompetenz im Französischunterricht“. In: französisch heute 4, 158-164. Kindermann, Rotger (2012): Nachruf für Professor Walther Keim. Ein Leben für die politische Karikatur. Vereinigung Europäischer Journalisten e.V., Berlin. http: / / vej-aej.de/ Report 6.4.2012 (15/ 11/ 2017). Klein, Erwin/ Reinfried, Marcus (Hrsg.) (2016 ): Bilder im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht. Akten des GMF-Sprachentages Aachen 2013 . Gießen: Giessener Elektronische Schriften 2016. http: / / geb.uni-giessen.de/ geb/ volltexte/ 2016/ 12258/ Volltext (15/ 11/ 2017). Landesinstitut für Schulentwicklung, Stuttgart (Hrsg.) (2017): Landesbildungsserver Baden-Württemberg. http: / / www.schule-bw.de/ faecher-und-schularten/ sprachen-und-literatur/ franzoesisch/ informationen-zum-fach-hebdo/ Lien du moment: Karikaturen (17/ 04/ 2018). Németh, Maria/ Thümmel, Vera (2009): „Karikaturenausstellungen: Warum gerade Karikaturen? “ In: Dialog International e.V. http: / / www.ausstellungen.dialog-international.org/ Warum gerade Karikaturen? (15/ 11/ 2017). <?page no="345"?> Bilder im Französischunterricht: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 335 Päge, Herbert (2007): Karikaturen in der Zeitung: engagierter Bildjournalismus oder opportunistisches Schmuckelement? Aachen: Shaker Media. http: / / books.google.de/ books? isbn=3940459070/ html (15/ 11/ 2017). Philipp, Dirk-W. (2014): „Regards croisés sur les relations franco-allemandes“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 127, 38-41. Reinfried, Marcus (1997): „Unterrichtsgespräch über Cartoons von Sempé. 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Im vorliegenden Artikel werden erste Erfahrungen aus einem Forschungsprojekt dargestellt, das sich mit schülerseitigen Interaktionsprozessen bei der Bearbeitung mehrsprachigkeitsdidaktisch ausgerichteter Aufgaben befasst. 1 Schülerseitige Aushandlungsprozesse-- Untersuchungen und Begriffe In der Mehrsprachigkeitsdidaktik sind Untersuchungen zu Aushandlungsprozessen bislang insbesondere im Kontext mehrsprachiger (und mehrkultureller) Kommunikation angesiedelt. Melo-Pfeifer (2006) hat Chatsequenzen von romanischsprachigen Teilnehmer/ innen auf der Plattform GALANET mit der Fragestellung untersucht, wie diese Interkomprehension in encontros interculturais plurilingues (EIP) aushandeln und gemeinsam konstruieren. Sie konnte folgende Dimensionen von EIPs herausarbeiten (zitiert aus Prokopowicz 2017, 51): • sozio-affektiv (z. B. Thematisierung der Sprachen(lern-)biographie, eigene Mehrsprachigkeit, Erfahrungen mit mehrsprachiger Kommunikation), • kognitiv-verbal (z. B. Umgang mit Verständnisproblemen), • linguistisch-kommunikativ (z. B. in Form von Sprachwechseln). <?page no="348"?> 338 Steffi Morkötter Diese miteinander interagierenden Dimensionen zeigen die Vielschichtigkeit interkultureller mehrsprachiger Kommunikationssituationen, beispielsweise in der Form, dass sich bisherige Erfahrungen mit mehrsprachiger Kommunikation (sozio-affektiv) auf das Verhalten bei Verständnisproblemen auswirken dürften. Für den linguistisch-kommunikativen Bereich konnte Melo-Pfeifer (2006) ermitteln, dass „Vorstellungen über Sprache die Mobilisierung des sprachlichen und kommunikativen Repertoires hemmen oder fördern können“ (Prokopowicz 2017, 52). Die Bedeutung der sozio-affektiven Dimension konnte auch Prokopowicz (2017, 174) in ihrer Untersuchung zu mehrsprachiger Kommunikation zwischen germano- und romanophonen Teilnehmer/ innen, ebenfalls auf der Plattform GALANET, bei deutschsprachigen Lernenden feststellen: Der Kontakt zu Muttersprachlern auf der Plattform löste bei Marco einerseits negative Reaktionen in Form von Sprachhemmungen und Angst aus, führte aber andererseits auch zu positiven Reaktionen, wie dem Gefühl von Integration und motivierenden Momenten. Eine umfassende Untersuchung zu schülerseitigen Aushandlungsprozessen bei sprachenübergreifenden (interkomprehensiven) Aufgaben in hiesigen schulischen Kontexten liegt bislang nicht vor. Bär (2009) konnte in seiner Untersuchung zu interkomprehensivem Lernen bei Schülern 1 der Jahrgangsstufe 9 einerseits feststellen, dass „kein Austausch von Lernwegen und -ergebnissen zwischen den beiden Schülerinnen [erfolgt]; statt eines gemeinsamen Vorgehens ist zunächst jede für sich beschäftigt“ (ebd., 347). Andererseits zeigt sich in diesem Datensatz im Bereich der Schüler-Schüler-Interaktion auch (ebd., 369): ein Musterbeispiel für die Effektivität eines autonomen (aber nicht einsamen) Vorgehens bei der Erschließung eines Textes. Die beiden muttersprachlichen Französischsprecher S12 und S16 unterstützen sich gegenseitig (z. B.: Regarde,… ; Mais attends, … ) und bringen beide ihre Ideen ein. Allerdings sind Aushandlungsprozesse von Schülern in Partner- oder Gruppenarbeit nicht der Fokus von Bärs Erkenntnisinteresse 2 . 1 Begriffe zur Bezeichnung von Personen oder Personengruppen wie ,Lerner‘, ,Schüler‘ usw. werden im Folgenden aus Gründen der Leserfreundlichkeit in der generisch männlichen Form verwendet. 2 Bär (2009, 102) fasst sein Haupterkenntnisinteresse folgendermaßen zusammen: „1) Inwieweit ist ein Interkomprehensionsunterricht […] in der Lage, die Bewusstheit der Schüler in Hinsicht auf ihr deklaratives und prozedurales Wissen zu fördern? 2) Wie vollziehen sich im deutschsprachigen Lernkontext interkomprehensive Lernprozesse von Schülern beim Erlernen einer zweiten oder dritten romanischen Sprache? “ <?page no="349"?> Schülerseitige Aushandlungsprozesse 339 Bei der Analyse der Bedingungen solcher schülerseitiger Interaktionsprozesse zeigt sich eine größere Nähe zu den oben genannten - nicht auf Mehrsprachigkeit(sdidaktik) ausgerichteten ‒ Untersuchungen und Modellen (Eckerth 2003; Bonnet 2004, 2007, 2009; Troschke 2007; Pesce 2010; Tesch 2010) als zu jenen zu Interkomprehension in mehrsprachigen Kommunikationssituationen. Dies wird unter anderem in der Bedeutung affektiver Faktoren bei mehrsprachiger (und interkultureller) Kommunikation deutlich, die Prokopowicz herausarbeiten konnte (s. o. und vgl. exemplarisch die Stellungnahme einer ihrer Probanden in einem Interview über seine Erfahrungen auf der Plattform: „So ein bisschen Angst, so ein bisschen Hemmnis dann was zu schreiben, dass man vielleicht Fehler machen kann.“ (ebd., 174 f., Herv. im Orig. ). Doch spielt die soziale (bzw. sozio-affektive) Ebene selbstverständlich in allen Untersuchungskontexten eine Rolle (vgl. auch Teschs (2010, 322) Kritik an der starken Fokussierung auf kognitive Prozesse in Eckerths Untersuchung), d. h. die Unterschiede sind eher graduell. Denn: Auch Schüler derselben Lerngruppe im Kontext einer Partner- oder Gruppenarbeit sind (sprachlich) selbstverständlich niemals ‚identisch‘, was umso deutlicher wird, wenn herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit ebenfalls berücksichtigt wird. Zieht man die Dimension sprachlicher (As)symmetrie (im Sinne von native speaker-non-native speaker -Interaktion) heran, ist die Situation jedoch auch im Falle herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit eine andere, da sich Herkunftssprachen selten mit schulischen Fremdsprachen decken (etwa die Situation: Ein Schüler mit der Herkunftssprache Polnisch und ein monolingual Abb. 1: Dimensionen kooperativer Kompetenz (Bonnet 2009, 5) <?page no="350"?> 340 Steffi Morkötter deutscher Schüler lesen interkomprehensiv einen französischen Text). Darüber hinaus ist auch die Beziehungsebene (Sym- oder Antipathie) zu berücksichtigen. Aus diesem Grund wird der in diesem Beitrag vorgestellten Untersuchung das Modell kooperativer Kompetenz von Bonnet (2009, 5, s. Abb. 1) zugrunde gelegt. In der fremdsprachlichen Dimension ist darauf hinzuweisen, dass, wie erwähnt, Bonnets Modell im Kontext des bilingualen Sachfachunterrichts entstanden ist (zur interaktionalen Kompetenz vgl. auch Bonnet 2007, 102) und hier vor allem die mündliche kommunikative Kompetenz meint, fachbasierte Beobachtungen und Hypothesen in der Fremdsprache zu verbalisieren. Im Rahmen von Interkomprehension ist in dieser Dimension dagegen insbesondere die Fähigkeit gemeint, (fremd)sprachliches Wissen und Können für ein erfolgreiches Lese- oder Hörverstehen mobilisieren zu können, wobei die Metasprache bei der Verbalisierung von Beobachtungen und Hypothesen meist die stärkste Sprache bzw. Muttersprache der Probanden ist 3 . So weist Bär (2009, 70) darauf hin, dass „die Wahl der Laut-Denk-Sprache […] dabei den Lernenden überlassen bleiben [sollte], die diese bei Bedarf auch wechseln können.“ 4 In inhaltlicher Dimension ist bei einer Bearbeitung interkomprehensiver Aufgaben (aber selbstverständlich nicht nur dort) zu fragen, ob und wenn dies der Fall ist, wie Wissen über das Textthema top-down für das Textverständnis herangezogen wird. Interaktionale Kompetenz umfasst nach Bonnets (2009, 5) Modell eine soziale und eine metakognitive Dimension. Auf sozialer Ebene unterscheidet er einen Partizipationsaspekt („Beteiligung an der Interaktion regeln“) und einen Beziehungsaspekt („Antipathie und Sympathie“). Die metakognitive Dimension umfasst einen Organisationsaspekt („Projektmanagement“) und Argumentationsaspekt („Schlussregeln und Stützungen“). Im Bereich des Argumentationsaspekts ist im Rahmen von Interkomprehension(sforschung) von Interesse, inwieweit Lerner in der Lage sind, sprachliche Beobachtungen und Hypothesen dem anderen gegenüber zu erläutern und zu vertreten, bzw. inwieweit sie dies überhaupt tun. So weist Eckerth darauf hin, „dass [bei der dialogischen Aufgabenausführung; StM] zwar in der Regel der gesamte Lösungsprozess artikuliert, beim gegenseitigen Einvernehmen der Interaktanten aber nicht unbedingt begründet werden muss.“ (vgl. Eckerth 2003, 154 f.; meine Hervorhebung). Eine solche 3 So auch in den Untersuchungen von Pesce (2010) und Tesch (2010). 4 Hiermit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass nicht auch Interkomprehensionsunterricht in der Fremdsprache durchgeführt werden kann, was ich in Bezug auf Unterrichtsgespräche und in Anlehnung an Schrader (1998, 479) als eine Abkehr von einer „ Quels sont les mots que vous ne connaissez pas ? -Praxis“ hin zu Fragen wie: « Quels sont les mots que vous connaissez ? ; Quels sont les mots que vous comprenez ? ; Pourquoi est-ce que vous les comprenez ? » usw. bezeichnet habe (Morkötter 2016, 534 f.). Zu lautem Denken als Forschungs- und als Unterrichtsmethode der Interkomprehensionsdidaktik vgl. auch ebd., 145 ff. <?page no="351"?> Schülerseitige Aushandlungsprozesse 341 (‚zusätzliche‘) Begründung ist mit dem Begriff der „intensive[n] Bedeutungsaushandlungen“ (Bonnet 2007, 96) vereinbar, in denen Lernende „nicht nur die Konklusionen , sondern auch die Daten […], Schlussregeln und Stützungen explizit verhandeln“ (ebd.; Hervorhebungen im Original). Kooperation und Kollaboration Mit Bezug auf den Partizipationsaspekt („Beteiligung an der Interaktion regeln“) kann zwischen „kollaborativen Arbeitsformen“ und „kooperativem Lernen“ im engeren Sinne unterschieden werden, an das bestimmte Kriterien geknüpft sind (vgl. Johnson/ Johnson 2008, 18): • face-to-face-interaction • das Verfolgen gemeinsamer Ziele • positive Abhängigkeit • individuelle Verantwortlichkeit • gegenseitige Unterstützung • angemessener Einsatz sozialer Kompetenzen • Reflexion der Gruppenprozesse Während die Kriterien der face-to-face-interaction , des Verfolgens gemeinsamer Ziele, des angemessenen Einsatzes sozialer Kompetenzen und (insbesondere auch) der Reflexion der Gruppenprozesse für interkomprehensive Kontexte unstrittig sind, ist zu spezifizieren, wie jene der positiven Abhängigkeit, der individuellen Verantwortlichkeit und der gegenseitigen Unterstützung bei mehrsprachigkeitsdidaktischen Aufgaben gefasst werden können. Positive Abhängigkeit ist gegeben, „wenn die Gruppenmitglieder ihr Ziel nur mit anderen erreichen können und sich infolgedessen unterstützen“ (Preska 2014, 10). Zu diesem Kriterium und jenem der individuellen Verantwortlichkeit führt Bonnet (2009, 3) aus, dass „jede/ r einzelne Lernende eindeutig zuständig für einen Teil der Arbeit ist und alle gemeinsam für das Gesamtergebnis gerade stehen“. Bei mehrsprachigkeitsdidaktischen Aufgaben, die im Rahmen von Sprachmittlung angesiedelt sind, könnte eine Aufgabenverteilung darin bestehen, dass beispielsweise herkunftsund/ oder schulsprachliches Material zu einem bestimmten Rahmenthema (z. B. Umweltschutz) zusammengetragen wird, woraus eine gemeinsame Präsentation entsteht. Bei gemeinsamem interkomprehensiven Arbeiten hingegen kann der Reiz gerade darin bestehen, zusammen mit anderen Schülern, die über andere sprachliche Kenntnisse verfügen, sich neuem ‚unbekannten‘ Material zu nähern und durch diese Annäherung (voneinander) zu lernen. So ist ein gemeinsames Erschließen eines katalanischen Textes durch einen Französisch- und einen Spanischlerner möglicherweise erfolgreicher als durch zwei Französischlerner und es ist auch nicht unwahrscheinlich (und wünschenswert), dass schülerseitige Aushandlungsprozesse durch diese <?page no="352"?> 342 Steffi Morkötter unterschiedlichen sprachlichen Vorkenntnisse befruchtet werden. Somit sind die Kriterien der individuellen Verantwortung und der positiven Abhängigkeit im Falle von Interkomprehension eher im Bereich der individuellen Grundlagen als in einer Zuständigkeit für eine bestimmte Teilaufgabe zu sehen. Letzteres ist selbstverständlich auch möglich, etwa wenn sich ein Lernender dem mehrsprachigen Wörterbuch widmet, während sich sein Mitschüler mit der Hypothesengrammatik befasst, unerlässlich wäre jedoch der anschließende Austausch über die Entdeckungen und Überlegungen, denn dieser steht bei Interkomprehension gerade im Vordergrund. Daher wird der vorliegenden Untersuchung eine weite Auffassung des Begriffs ,Kooperation‘ zugrunde gelegt. Mit diesen Ausführungen soll nicht unterstellt werden, dass kooperatives Lernen per se Erfolg versprechend oder ‚besser‘ ist 5 . Zwar ist davon auszugehen, dass sich „Lernen einzelner Individuen […] neben monologischen Konstruktionsprozessen vor allem in sozialen Kontexten und damit in Interaktionen [vollzieht].“ (Rabenstein/ Reh 2007, 11), doch konnte Bonnet (2004) in seiner Untersuchung zur Frage des Kompetenzaufbaus durch Interaktion im bilingualen Chemieunterricht die Bedeutung interaktionaler Kompetenz für einen erfolgreichen Verlauf von Gruppenarbeit herausarbeiten (ebd., 13; vgl. auch Bonnet 2007). Es ist daher von Interesse, der Frage nachzugehen, wie sich interaktionale Kompetenz (in sozialer und metakognitiver Dimension) bei interkomprehensivem Arbeiten darstellt und wie sie mit der fremdsprachlichen und inhaltlichen interagiert. 2 Zur vorliegenden Untersuchung Das Erkenntnisinteresse des hier in einem Auszug dargelegten Forschungsprojekts bezieht sich somit auf die Ausprägung verschiedener Dimensionen kooperativer Kompetenz in der Interaktion von Schülern und auf ihr Zusammenspiel: • Welche Aushandlungsprozesse zwischen Lernenden lassen sich auf der inhaltlichen, fremdsprachlichen und interaktionalen Dimension beobachten? • In welcher Weise interagiert insbesondere die interaktionale (soziale und metakognitive) Dimension mit den anderen beiden? • Welche Aussagen lassen sich über die mehrsprachige Kompetenz der Schüler treffen? 5 Dass dem auch nicht unbedingt aus Schülersicht so ist, zeigt exemplarisch eine Stellungnahme aus Bärs (2009, 495) Abschlussfragebögen zur Beurteilung des Projekts: „Auf der einen Seite gut, denn so kann man sehen wie man selbst/ andere denken, andererseits nicht gut, denn ich überlege gerne für mich selbst“. <?page no="353"?> Schülerseitige Aushandlungsprozesse 343 Um diesen Fragen nachgehen zu können, wurden in einem Forschungsprojekt, das mit dem Schuljahr 2017/ 2018 begonnen wurde, bislang Aufnahmen mit Schülern der Sekundarstufe I durchgeführt, die in Partnerarbeit italienische und spanische Texte interkomprehensiv erschließen. Bei Spanisch liegt der Fokus auf Lernenden des Spanischen als zweiter Fremdsprache nach Englisch (van Iersel, in Vorbereitung). Als weitere Zielsprachen sollen Englisch, Französisch und Niederländisch zum Einsatz kommen. Die Partnerarbeit wird audioaufgezeichnet, transkribiert 6 und sequenzanalytisch ausgewertet. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Interaktion zweier Schülerinnen, die mit einem italienischen Text arbeiten. Zu Beginn der Untersuchung wurde ihnen ein Fragebogen zur Sprachlernbiographie ausgehändigt, in der sie Angaben zu Sprache(n) der Familie, der Umgebung und die in der Grundschule erlernten Sprachen machen sollten. Außerdem wurden Kontakte zu Schülern fremder Sprachen und Länder erfragt. Eine weitere Frage zielte auf das Sprachwahlverhalten ab, d. h. warum sich die Schülerinnen in der 7. Klasse für Französisch oder Latein entschieden haben. Auch durch die Fragen, was ihnen in welcher Sprache besonders leicht und was schwer falle und was ihnen in welcher Sprache besonderen Spaß mache, sollten die Schülerinnen zu einer selbstbezogenen sprach(lern)vergleichenden Reflexion angeregt werden. Die Probandinnen Die Schülerinnen besuchen die achte Klasse eines Gymnasiums, lernen seit der ersten Klasse Englisch und befinden sich zum Zeitpunkt der Aufnahme zu Beginn des zweiten Lernjahres der zweiten Fremdsprache (in einem Fall Französisch, im anderen Latein). Die Französischlernerin Johanna 7 begründet im Fragebogen ihre Sprachenwahl damit, dass sie „die Sprache spannend fand“, was sie nicht weiter ausführt. Außerschulische Kontakte zu anderssprachigen Personen gibt sie nicht an. Bei den Fragen zu Schwierigkeitsempfinden und Interesse bezieht sie sich ausschließlich auf Englisch und erwähnt in diesem Zusammenhang englische Zeitformen und Filme. Die Latein lernende Schülerin Marie gibt 6 Es wurden folgende Transkriptionszeichen verwendet: Kursivdruck = Wörter oder Textstücke in einer Fremdsprache, vermutete Bedeutungen; (…) = unverständlicher Redebeitrag; (X) = Redebeitrag X wird vermutet, ist aber nicht sicher; Doppelklammer = Para- und Nonverbalia, Beschreibungen und Vermutungen, z. B. ((überlegt)). Die Transkription ist aus Gründen der Leserfreundlichkeit im Wesentlichen orthographisch. Darüber hinaus dienen die Kommata der Strukturierung der Redebeiträge. 7 Bei den verwendeten Namen handelt es sich um Pseudonyme. Die Klasse setzt sich aus 23 Französisch lernenden und sieben Latein lernenden Schülern zusammen. Bei der Bildung der Paare wurde darauf geachtet, dass die sieben Lernenden mit Latein jeweils mit einem Mitschüler zusammenarbeiten, der Französisch lernt. <?page no="354"?> 344 Steffi Morkötter bei außerschulischen Spracherfahrungen ein ,Englisch 8 -Day-Camp‘ in einem Hort an. In der Begründung ihrer Sprachenwahl bezieht sie sich explizit auf die Möglichkeit der Bedeutungserschließung auf der Grundlage lateinischer Transferbasen: „Ich habe Latein gewählt, weil viele Fremdwörter/ alltägliche Wörter sich aus dem Lateinischen ableiten und weil es eine interessante Sprache ist.“ Entsprechend führt sie auch zu der Frage, was ihr beim Sprachenlernen Spaß mache, aus: „wenn man neue Vokabeln kennenlernt, die man im Deutschen auch benutzt. Man weiß dann, warum man das überhaupt sagt.“ Zum Textmaterial Keine der Schülerinnen hatte zum Zeitpunkt der Datenerhebung Italienisch formal gelernt oder in einem zielsprachlichen Kontext erworben. Es handelt sich im vorliegenden Fall um einen nicht lehrintentionalen Text über den Film Jurassic World , der vierte Teil in der Jurassic Park -Filmreihe 9 : Jurassic World è un film americano del 2015 diretto da Colin Trevorrow, quarto capitolo della serie cinematografica Jurassic Park. Steven Spielberg rimane come produttore esecutivo. La musica di Jurassic World è firmata da Michael Giacchino. Un film ricco di effetti speciali e azione. Jurassic World ha fatto un incasso totale (a livello mondiale) di circa 511 milioni di dollari. Nel primo weekend è stata ufficializzata la cifra totale di 204,6 milioni di dollari. Il protagonista del film è Owen Grady. Wie deutlich wird, enthält der Text sowohl deutsch- und englischals auch lateinisch- und französischsprachige Transferbasen. Darüber hinaus werden Eigennamen und transparente Ziffern genannt, die das Textverständnis erleichtern können. Die Schüler waren aufgefordert, den Text schriftlich ins Deutsche zu übertragen. Impulse zu lautem Denken wie „Sprich bitte alles aus, was dir in den Sinn kommt und durch den Kopf geht, während du die Aufgabe löst.“ (Heine/ Schramm 2007, 178) wurden bewusst nicht gegeben, da es zum Erkenntnisinteresse gehört, ob und wenn dies der Fall ist, welche Aushandlungsprozesse sich ohne einen expliziten Stimulus, ausgelöst durch die Aufgabe, zwischen den Schülern beobachten lassen. 8 Die Angaben in den Fragebögen werden hier im Originalwortlaut zitiert. 9 In Anlehnung an: <http: / / www.optimaitalia.com/ blog/ 2015/ 06/ 15/ jurassic-world-incassi-polverizzati-e-lacrime-a-comando/ 208294> (22/ 02/ 2018). Der Text wurde von zwei Bildern begleitet, die das Logo des Films und ein Foto von den Dreharbeiten zeigen. Da die Schülerinnen nicht auf das Bildmaterial eingegangen sind, wird es hier nicht wiedergegeben. <?page no="355"?> Schülerseitige Aushandlungsprozesse 345 3 Schülerseitige Aushandlungsprozesse-— erste Ergebnisse Vor Beginn der Partnerarbeit wurde der Text einmal laut vorgelesen, um den Schülern einen Eindruck vom Lautbild bzw. von der Graphem-Phonem-Korrespondenz zu verschaffen. Die erste Schwierigkeit stellt für die Schülerinnen Johanna und Marie das Partizip diretto im ersten Satz („ Jurassic World è un film americano del 2015 diretto da Colin Trevorrow“) dar, obwohl hierfür durchaus ihnen bekannte Transferbasen angenommen werden könnten. Die in diesem Zusammenhang erfolgversprechendste Transferbasis wäre das engl. directed by gewesen (vgl. dt. „einen Film drehen “, frz. „ tourner un film“) 10 . Es gelingt ihnen aber, es mit Hilfe des unmittelbaren Kontextes und ihres Weltwissens zu übertragen: Ein längerer Dialog ergibt sich aus der Angabe im Text, dass es sich um den vierten Teil der Jurassic Park -Filmserie („quarto capitolo della serie cinematografica Jurassic Park“) handelt: 10 Eine Partnergruppe hatte sich diretto über dt. ,Dirigent‘ korrekt hergeleitet. Johanna: Ein Film, der von Colin Dingsbums geschrieben wurde. […] Marie: Geschrie- , hä, der, der schreibt doch keinen Film. Der schreibt, wenn, dann ein Drehbuch. Johanna: Diretto , würde ich jetzt gesagt, gedreht wurde. Marie: Ja. Komm, wir schreiben gedreht . (Z. 19, 32-35) Johanna: Un, dos, tres, cuatro . Uno, dos, tres , ja, cuatro. Vier . Marie: Sicher? Johanna: Na ja, also auf Spanisch un, dos, tres, cuatro . Und im Französischen un, deux, trois, quatre , also schätze ich mal, das ist auch vier. Marie: Aber da steht ja quarto , ach ja, wegen dem c Johanna: Capitolo della serie … Marie: ((kichert)) Ich habe erst gedacht, das heißt Kapital. Johanna: ((kichert)) Also … Marie: Das heißt, das heißt … Johanna: … vier . Marie: Das heißt Kino und das heißt Serie. ((lacht)) Nee, warte, hier steht noch was von Jurassic Park . Ähm - keine Ahnung. Sag an. Johanna: Na ja, ich würde sagen, vier Teile der Kinoserie Jurassic Park ? ((Kichern)) Na, also capitolo. <?page no="356"?> 346 Steffi Morkötter Es verwundert etwas, dass die Französisch lernende Schülerin Johanna zunächst auf Spanisch zählt, bis sie zur Zahl vier gelangt, obwohl die spanische Sprache an keiner Stelle im Fragebogen zu ihrer Sprachlernbiographie erwähnt wird. Erst als ihre Mitschülerin skeptisch fragt, ob sie sicher sei, führt sie zur Untermauerung ihrer Hypothese zusätzlich die französischen Zahlen von eins bis vier hinzu. Marie ist zunächst dennoch nicht ganz überzeugt und weist Johanna darauf hin, dass im italienischen Text „quarto“ und nicht „quatro“ stehe (Z. 52), liefert jedoch noch in demselben Satz selbst eine Erklärung, jene, dass es an dem nachfolgenden Substantiv capitolo liegen könne. Obwohl die Schülerinnen hier schon auf dem richtigen Weg sind, d. h. erkennen, dass es sich um die Ordnungszahl „vierte/ r/ s“ und nicht die Grundzahl handelt, verfolgen sie diese Spur nicht weiter und widmen sich stattdessen der Bedeutung von capitolo . Marie bringt zunächst durch ihr Kichern zum Ausdruck, dass ihre erste Hypothese, es bedeute „Kapital“ (Z. 54), nicht zutrifft. Sie geht im Folgenden sehr systematisch vor, indem sie versucht, die Wörter in der Umgebung von capitolo zu übertragen, und anschließend explizit an das Weltwissen ihrer an Film interessierten Mitschülerin appelliert: „Das heißt Kino und das heißt Serie. ((lacht)) Nee, warte, hier steht noch was von Jurassic Park . Ähm - keine Ahnung. Sag an.“ (Z. 58 f.). Als diese daraufhin entgegnet, dass es um vier Teile der Kinoserie Jurassic Park gehe, vergewissert sich Marie („Gibt es davon vier Teile ? “, Z. 62) und fragt ihre Mitschülerin schließlich auch nach der Quelle dieses Wissens („Woher weißt du das? “, Z. 64). Sie zeigt insgesamt eine etwas stärkere top-down- Orientierung bei der Annäherung an den italienischen Text als ihre Mitschülerin (vgl. auch Marie: Gibt es davon vier Teile ? Johanna: Ja, von Jurassic Park gibt es mehrere Teile. Jurassic World . Marie: Woher weißt du das? Johanna: Ja, Jurassic Park , glaube ich. Ich habe Jurassic World nicht geguckt, aber Jurassic Park . Also vier . Marie: Was heißt das? Johanna: Capitolo , na ja, Kapitel oder Film , was auch immer, Abschnitte, Abschnitt , schreibst (du es bitte auf), Kapitel, oder? Marie: Ein Film hat doch keine Kapitel . (Man nenne das einfach Abschnitt ) Vier Abschnitte . Was ist das? Johanna: Der, della , ich würde sagen, der Se- , nee warte … Marie: Okay, wir schreiben der, der Kinoserie . Johanna: Genau. Marie: Jurassic Park ? Johanna: Ja. (Z. 48-76) <?page no="357"?> Schülerseitige Aushandlungsprozesse 347 ihren Hinweis oben, dass man keine Filme schreibe). Dies wird auch in ihrer Betonung deutlich, dass ein Film keine Kapitel habe als Antwort auf den Übertragungsvorschlag von Johanna, die sich verglichen mit Marie etwas stärker bottom-up an den vorhandenen Daten orientiert. In dieser Hinsicht können die Herausforderungen zu einer Plausibilitätsprobe durch ihre Mitschülerin („Ein Film hat doch keine Kapitel. “, Z. 70) eine Ergänzung darstellen. Die Schülerinnen spüren, dass die deutsche Transferbasis „Kapitel“ in diesem Zusammenhang nicht verwendet werden kann, und einigen sich zunächst auf die Übertragung mit „Abschnitt“, die sie schließlich in „der vierte Teil der Kinoserie“ korrigieren. Zum Textabschnitt „Steven Spielberg rimane come produttore“ äußern sich die Schülerinnen wie folgt: Marie: Jetzt kommt irgendwas mit Steven Spielberg , so wird der doch ausgesprochen, oder? Johanna: Ja. Steven Spielberg . Marie: Steven, das schreiben wir einfach schon mal hin, okay? Steven Spielberg . Johanna: Das weiß ich … Marie: Remain. Johanna: Rimane - come pro- … Marie: Ja, vielleicht kommt das irgendwo aus dem Englischen oder so. Sieht nämlich voll englisch aus irgendwie. Johanna: Okay. Marie: Oder? Sieht doch voll englisch aus. Come . Hier, komm, irgendwas mit came, come . Schreib (…) Das ist Produktion . - ((lachen)) Johanna: Spielberg remained (…) Mann. Wir sind cool. Marie: Das wissen wir nicht und das heißt … Johanna: Die Musik von Jurassic … Marie: Nein, warte, wir spielen, Steven Spielberg - führte die (…) Produktion . ((lachend)) Ste-, geh mal, da. Steven Spielberg … Johanna: Ich würde das einfach nur lassen. Marie: Ich schreibe jetzt einfach leitete die Produktion . (Z. 91-110) Nachdem die Aussprache des den Schülerinnen bekannten Eigennamens Steven Spielberg geklärt wurde, wird Johanna von Marie unterbrochen, die für rimane die englische Transferbasis remain aktiviert. Sie untermauert ihre Hypothese mit ihrem Eindruck, dass das Verb „voll englisch“ aussehe. Dass ihre Mitschülerin diese Vermutung teilt, bringt sie zum Ausdruck, indem sie an das von Marie genannte Interlexem ein englisches Suffix anfügt und es hierdurch in die simple <?page no="358"?> 348 Steffi Morkötter past -Form bringt: „Spielberg remained “ (Z. 104). Allerdings gerät der gemeinsame Erschließungsprozess hier ins Stocken, entweder weil keine der Schülerinnen die Bedeutung von engl. remain abrufen kann oder weil sie - ähnlich wie bei diretto und capitolo zuvor - kein in den Kontext passendes deutsches Wort hierfür finden können. Auch in diesem Ausschnitt werden die stärker globalen als analytischen Fähigkeiten von Marie im Umgang mit dem Text deutlich. So ist die Aktivierung der englischen Transferbasis zur Textpassage „rimane come produttore” für das Verb rimane , wie oben dargelegt, erfolgreich, doch führt sie den datengeleiteten Erschließungsprozess weiter, indem sie die unregelmäßigen Verbformen für engl. come aus ihrem mentalen Lexikon abruft (“ Come . Hier, komm , irgendwas mit came, come .“, Z. 102 f.), obwohl sie auf syntaktischer Ebene hätte bemerken können, dass in der Textpassage „rimane come produttore“ das Wort „come“ wahrscheinlich kein weiteres Verb ist. Als im Folgenden Johanna, die ebenfalls Probleme mit diesem Textstück hat, zum nächsten Satz übergehen möchte („Die Musik von […]“; Z. 106), hält Marie sie auf und mobilisiert nun ihre Fähigkeiten zur top down- Verarbeitung, was zum Erfolg führt, denn beide Vorschläge, „führte die Produktion“ und „leitete die Produktion“ sind im vorliegenden Kontext inhaltlich akzeptabel. Die Verwendung der Vergangenheitsform kann hierbei einerseits durch die vorangegangene simple past -Verwendung beim englischen Interlexem („remained“) durch ihre Mitschülerin oder durch den Kontext (die Produktion des Films ist abgeschlossen) ausgelöst worden sein. Im folgenden Satz „La musica di Jurassic World è firmata da Michael Giacchino.” erkennt Johanna das Partizip firmata zwar als ein solches, es fällt ihr jedoch zunächst schwer, eine deutsche Entsprechung zu finden: Johanna: La musica di Jurassic World , also die Musik von Jurassic World - hm, wurde von - ähm - Michae l Irgendwas - hergestellt , geschrieben ? Marie: Komponiert ? Johanna: Geschrieben. Komponiert , gut. (Z. 112-115) Es kann vermutet werden, dass sich Johanna hier an den ihr bekannten Satzelementen, d. h. vor allem am transparenten Interlexem musica und den Eigennamen Jurassic World und Michael, in Kombination mit der Satzstruktur orientiert und weniger an ihren Französischkenntnissen, da das Passiv wahrscheinlich im Unterricht noch nicht angesprochen wurde. Es fällt auf, dass auch sie die Vergangenheitsform verwendet („wurde“), was darauf hindeutet, dass sie sich hier wie ihre Mitschülerin auf den Inhalt (die Filmmusik liegt fertig vor) konzentriert. Die beiden Schülerinnen sammeln deutschsprachige Partizipien, die in Frage kämen, und einigen sich schließlich auf „komponiert“. <?page no="359"?> Schülerseitige Aushandlungsprozesse 349 Die Textpassage „Un film ricco di effetti speciali e azione“ bereitet ihnen keinerlei Schwierigkeiten: Marie: Un film ricco di effetti speciali et azione . Bin ich nicht gut? Johanna: Ein Film mit vielen Spezialeffekten ? Marie: Okay, wir schreiben erst mal Effekte. Johanna: Spezialeffekt e. Marie: Ja, okay. Ach so. Ja, warte. Ein Film Johanna: Ricco di … Marie: Ein Film mit vielen Spezialeffekten. Johanna: Effekten und Akt -, also mit vielen Spezialeffekten und action ? Azione ? Marie: ((kichern)) Johanna: Es tut mir leid, was denn sonst? Marie: Okay, das schreiben wir da rauf. Ein Film … Johanna: Mit . Marie: Mit viel Spezialeffekten und action . (Z. 121- 133) Obwohl - wie sich im Unterrichtsgespräch im Anschluss an die Partnerarbeit herausstellte - keinem der Französisch lernenden Schüler der Klasse das französische Adjektiv riche bekannt war, das als Transferbasis für ricco hätte fungieren können, gelingt es Johanna, eine inhaltlich akzeptable Übertragung von ricco zu finden. Bei effetti speciali ist sie etwas genauer als Marie und korrigiert „Effekte“ in „Spezialeffekte“ (Z. 124). Lediglich bei der Übertragung von azione mit engl. action zeigt sie durch Frageintonation eine Unsicherheit, die durch das Kichern ihrer Mitschülerin verstärkt wird. Sie wehrt sich schließlich, indem sie die Frage aufwirft, was azione „denn sonst“ (Z. 130) hier bedeuten solle, was darauf hinweist, dass auch sie datengeleitetes Vorgehen mit einer Plausibilitätsprobe verbinden kann. Auch bei der Textpassage „ Jurassic World ha fatto un incasso totale (a livello mondiale) di circa 511 milioni di dollari. Nel primo weekend è stata ufficializzata la cifra totale di 204,6 milioni di dollari.” gelingt es den Schülerinnen, das Gemeinte weitestgehend zu erschließen: Johanna: Also bei incass-, incasso totale hätte ich jetzt gesagt, entweder, also, was er eingebracht hat , der Film. Marie: Ja hier, 511 Millionen , nee, kostet. <?page no="360"?> 350 Steffi Morkötter Zunächst ist sich Johanna nicht sicher, ob mit „un incasso totale … di circa 511 milioni di dollari“ das Geld gemeint ist, das der Film eingespielt hat (Z. 140 f.), oder jenes, das hierfür ausgegeben wurde (Z. 145). Letztere Hypothese wurde durch den Übertragungsvorschlag ihrer Mitschülerin „kostet“ (Z. 142, 144) ausgelöst oder zumindest untermauert (vgl. die Formulierung „entweder“ in Z. 140). Da sie sich nicht sicher ist, geht sie im Text weiter bis zur transparenten Ziffer „204,6 milioni di dollari“. Mit der Vermutung von Marie, „Das [204,6 Millionen Dollar] haben sie eingenommen und das [511 Millionen Dollar] mussten sie ausgeben.“ (Z. 149 f.), ist sie nicht einverstanden, da man in dem Fall mit dem Film „Minus gemacht“ (Z. 151) hätte. Auch hier wird deutlich, dass Johanna trotz ihrer verglichen mit ihrer Mitschülerin etwas stärkeren bottom up -Orientierung Johanna: Nee, warte. Marie: Vielleicht Jurassic World kos-, kos- … Johanna: Also, dass die so viel dafür ausgegeben haben. Marie: Ja. Johanna: Nee, warte, nel primo weekend è stata ufficializzata la cifra totale di circa - und was ist dann mit, hier, mit 204,6 milioni di dollari ? Marie: Keine Ahnung. Das haben sie eingenommen und das mussten sie ausgeben . Johanna: Dann haben die ja Minus gemacht mit ihrem Film. […] Johanna: Ja, ich würde sagen, die müssen ja irgendwie Plus mit dem Film gemacht haben, oder? Marie: Keine Ahnung. Johanna: Also würde ich sagen, so viel haben die eingenommen , also hat der eingebracht, und so viel haben die dafür ausgegeben . Marie: Jurassic World hat ca. 511 Millionen Dollar eingenommen. ((kichert)) So, eingenommen. Johanna: So. Nel primo weekend . Marie: Weekend, Wochenende . Johanna: Ja, Wochenende . Marie: Das heißt primo … Johanna: Ja, vielleicht hat der … Marie: Primo, in Latein heißt (eher) … Johanna: Vielleicht hat der am ersten Wochenende , als er ausgestrahlt wurde, schon … Lehrerin: Selbst, selbst wenn ihr jetzt … Johanna: so viel Geld eingebracht . (Z. 140-151, 188-204) <?page no="361"?> Schülerseitige Aushandlungsprozesse 351 Übertragungen auch top down auf Wahrscheinlichkeit überprüfen kann. Ihre Rückbindung der Plausibilitätsprobe an den konkreten Text und genauer den Satzanfang „ Nel primo weekend” (Z. 195) ist hier sehr zielführend, denn durch die sofort aktivierbare Transferbasis weekend aus dem Englischen durch ihre Mitschülerin gelingt es den beiden schließlich, gemeinsam das Gemeinte (insgesamt hat der Film 511 Millionen Dollar eingespielt und bereits am ersten Wochenende 204, 6) ko-konstruktiv zu verstehen. 4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die Analyse der Interaktion der Schülerinnen zeigt Fälle von „intensive[n] Bedeutungsaushandlungen“ (Bonnet 2007, 96; s. Abschnitt 1), in denen Hypothesen und ihre Untermauerung explizit verhandelt werden. Diese betreffen sowohl die fremdsprachliche als auch die inhaltliche Dimension (Bonnet 2009: 5; s. o.). Insbesondere Marie ist diejenige, die während der Partnerarbeit ihre Mitschülerin immer wieder herausfordert: „der schreibt doch keinen Film. Der schreibt, wenn, dann ein Drehbuch.“; „ Un, dos, tres, cuatro. Uno, dos, tres, ja, cuatro. Vier. - Sicher? “; „Aber da steht ja quarto “; „Gibt es davon vier Teile ? “; „Woher weißt du das? “; „Ein Film hat doch keine Kapitel. “. Hierdurch zwingt sie ihre Mitschülerin, ihre Hypothesen entweder zu stützen (beispielsweise durch Hinzufügen der französischsprachigen Zahlenreihe bis vier) oder zu revidieren (wie etwa bei capitolo ). Auf die soziale Ebene des Beziehungsaspekts (Bonnet 2009, 5) scheint sich dieses Verhalten nicht negativ auszuwirken. Auch hinsichtlich des Partizipationsaspekts (ebd.) sind die Redeanteile relativ ausgeglichen. Die Dynamik in der Interaktion der beiden Schülerinnen entsteht weniger durch ihre unterschiedlichen sprachlichen Vorkenntnisse (einmal Latein und einmal Französisch als zweite Fremdsprache) als vielmehr durch ihre tendenziell unterschiedliche Präferenz in der Herangehensweise an den italienischen Text. Während Johanna stärker bottom up am konkreten Text orientiert ist, zeigt Marie eine stärker ganzheitliche, globale Vorgehensweise. Auch wenn hier nur von einer Tendenz gesprochen werden kann, so deutet sich dennoch an, dass die Schülerinnen durch diesen Unterschied voneinander profitieren können. Dies zeigt sich im oben analysierten Transkript exemplarisch an turns wie jenen, in denen Marie explizit an das Weltwissen ihrer Mitschülerin appelliert („Nee, warte, hier steht noch was von Jurassic Park . Ähm - keine Ahnung. Sag an.“). Umgekehrt profitiert diese von der Genauigkeit von Johanna, was in Korrekturhandlungen wie „wir schreiben erst mal Effekte . - Spezialeffekte . - Ja, okay.“ deutlich wird. Marcus Reinfried hatte bereits vor zwanzig Jahren betont, dass die „Strategie des lexikalischen Inferierens […] somit prinzipiell in einem Spannungsfeld zwischen linearer und ganzheitlicher, zwischen logischer und <?page no="362"?> 352 Steffi Morkötter intuitiver Vorgehensweise [steht].“ (1998, 40). Diese Ausprägungen zeigen sich teilweise auch intraindividuell. So verbindet Johanna eine Analyse des Kotextes der beiden transparenten Ziffern im Text mit der Vermutung, dass ein Film aus der Jurassic Park -Reihe keinen Verlust gemacht haben kann. Es ist zu fragen, ob interaktive Sprachverarbeitung, d. h. die Fähigkeit, bottom-up - und top-down -Prozesse zu kombinieren, durch interkomprehensive Partner- und Gruppenarbeit gefördert werden kann, bei der sich die Lernenden durch Unterschiede in sprachlichem und inhaltlichem Vorwissen und durch ihr bevorzugtes Vorgehen unterscheiden. Die Fragestellung ist vor allem mit Bezug auf jüngere, noch weniger sprachlernerfahrene Schüler von Interesse, denn eine interaktive Verarbeitung wird eher fortgeschritteneren Lernern zugeschrieben (Haastrup 1991, 70) 11 . Von großer Bedeutung ist in jedem Fall, in einer Ergebnissicherung die individuellen und ko-konstruktiven Vorgehensweisen anzusprechen und zusammenzuführen, um sie für Schüler bewusst(er) und zugänglich(er)zu machen. Literatur Bär, Marcus (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10 . Tübingen: Narr. Bonnet, Andreas (2004): Chemie im bilingualen Unterricht - Kompetenzerwerb durch Interaktion . Opladen: Leske und Budrich. Bonnet, Andreas (2007): „‘Hol’s dir da hinten raus und halt die Klappe! ’ Von Kooperation in aufgaben-basierten Lernumgebungen im Chemieunterricht, ihrem Scheitern und wie man beides erforschen kann“. In: Rabenstein/ Reh (Hrsg.), 87-108. Bonnet, Andreas (2009): „Kooperatives Lernen“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 43 (99), 2-8. Eckerth, Johannes (2003): Fremdsprachenerwerb in aufgabenbasierten Interaktionen . Tübingen: Narr. Haastrup, Kirsten (1991): Lexical Inferencing Procedures or Talking about Words . Tübingen: Narr. Heine, Lena/ Schramm, Karen (2007): „Lautes Denken in der Fremdsprachenforschung: Eine Handreichung für die empirische Praxis“. In: Vollmer, Helmut Johannes (Hrsg.): Synergieeffekte in der Fremdsprachenforschung. Empirische Zugänge, Probleme, Ergebnisse . Frankfurt a. M.: Lang, 167-206. 11 Eine Studie zur Förderung von Sprachlernkompetenz zu Beginn der Sekundarstufe (Morkötter 2016) konnte jedoch zeigen, dass auch junge Lerner in der Lage sein können, eine Vielzahl unterschiedlicher Strategien einzusetzen und top down- und bottom up -Verarbeitungsprozesse zu kombinieren. <?page no="363"?> Schülerseitige Aushandlungsprozesse 353 Johnson, David W./ Johnson Roger T. (2008): „Wie kooperatives Lernen funktioniert. Über die Elemente einer pädagogischen Erfolgsgeschichte“. In: Friedrich Jahresheft 2008: Individuell lernen - kooperativ arbeiten , 16-21. Melo-Pfeifer, Sílvia (2006): Emergência e Negociaç-o de Imagens das Línguas em Encontros Interculturais Plurilingues em Chat . Aveiro: Universidade de Aveiro. Morkötter, Steffi (2016): Förderung von Sprachlernkompetenz zu Beginn der Sekundarstufe. Untersuchungen zu früher Interkomprehension . Tübingen: Narr. Pesce, Silvia G. (2010): Löse- und Lernprozesse bei der Bearbeitung grammatisch-kommunikativer Lernaufgaben: eine Studie am Beispiel des Spanischen als Fremdsprache . Tübingen: Narr. Preska, Alexander (2014): Bedingungen für den Erfolg kooperativer Lernformen. Forschungsstand, Lernwirksamkeit und die Methode des Gruppenpuzzles . Hamburg: Diplomica Verlag. Prokopowicz, Tanja (2017): Mehrsprachige kommunikative Kompetenz durch Interkomprehension. Eine explorative Fallstudie zu Mehrsprachigkeit aus der Sicht deutschsprachiger Studierender . Tübingen: Narr. Rabenstein, Kerstin/ Reh, Sabine (Hrsg.) (2007): Kooperatives und selbstständiges Arbeiten von Schülern. Zur Qualitätsentwicklung von Unterricht . Wiesbaden: VS-Verlag. Reinfried, Marcus (1998): „Transfer beim Erwerb einer weiteren romanischen Fremdsprache. Prinzipielle Relevanz und methodische Integration in den Fremdsprachenunterricht“. In: Meißner, Franz-Joseph/ Reinfried, Marcus (Hrsg.): Mehrsprachigkeitsdidaktik. Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Fremdsprachen . Tübingen: Narr, 23-43. Schrader, Heide (1998): „‘Quels sont les mots que vous ne connaissez pas? ’ - Über den Umgang mit Fremdheit in literarischen Texten“. In: Letzelter, Michèle/ Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.): L’enseignement de deux langues partenaires. Der Unterricht zweier Partnersprachen . Tübingen: Narr, 279-291. Tesch, Bernd (2010): Kompetenzorientierte Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht: konzeptionelle Grundlagen und eine rekonstruktive Fallstudie zur Unterrichtspraxis (Französisch). Frankfurt a. M.: Lang. Troschke, Randi Charlotte (2007): „Analyse interaktiver Gesprächsprotokolle: inhaltliche, sprachliche und soziale Aushandlungsprozesse beim kollaborativen Problemlösen“. In: Vollmer, Helmut Johannes (Hrsg.): Synergieeffekte in der Fremdsprachenforschung. Empirische Zugänge, Probleme, Ergebnisse . Frankfurt a. M.: Lang, 237-255. van Iersel, Melanie (in Vorbereitung): Schüler-Schüler-Interaktion in sprachenübergreifendem Unterricht (Arbeitstitel) . Dissertationsprojekt, Universität Rostock. <?page no="365"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler »: Die Sicht von Tutor/ innen auf das Lehren und Lernen in Konversationskursen eines universitären Sprachenzentrums Dagmar Abendroth-Timmer 1 Kontext und Fragestellung der Studie Nachfolgend wird eine Interviewstudie mit Tutor/ innen eines Sprachenzentrums an einer naturwissenschaftlichen Universität in Frankreich vorgestellt. Das Projekt MOTAUME „Motivation et autonomie dans des dispositifs multimédia d’apprentissage des langues / Motivation und Autonomie in multimedialen Sprachlernumgebungen“ geht der Frage nach, wie autonome Sprachlernprozesse unterstützt werden können. Auf Grundlage der Ansätze reflexiver Lehrerforschung (vgl. Abendroth-Timmer 2017) stand in einer ersten Erhebung die Sicht der am Sprachenzentrum beschäftigten Tutor/ innen auf ihre Tätigkeit im Mittelpunkt. Diese betreuen die Studierenden während der Öffnungszeiten des Selbstlernzentrums und führen zudem Konversationskurse durch. Dabei wird nachfolgend untersucht, welchen Prinzipien eines neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts diese Konversationskurse folgen. Relevant für die nachfolgend unternommene Datenanalyse sind dabei folgende Fragen: • Über welche Vorstellungen verfügen die Tutor/ innen zum eigenen Spracherwerb? • Welche Sprach(lern)bewusstheit liegt dem zugrunde, d. h. welche Überlegungen stellen die Tutor/ innen zur Struktur, zur autonomen oder angeleiteten Aneignung und zum Gebrauch der unterrichteten Sprache an? • Welche Selbstkonzepte als Sprachentutor/ innen weisen sie auf ? • Wie meinen sie, die Studierenden zum Sprechen motivieren und damit kommunikative Fertigkeiten im Sinne eines neokommunikativen Unterrichts entwickeln zu können? Sprachenzentren ändern sich im Zuge der Digitalisierung zunehmend (Demaizière/ Achard-Bayle 2003, 15). Sie integrieren hybride Lernarrangements (d. h. <?page no="366"?> 356 Dagmar Abendroth-Timmer Sprachlernkurse mit integrierten autonomen Multimedia-gestützten Phasen), Lernräume für kooperative und online-tutorisierte fremdsprachliche Projektarbeiten und hierauf bezogene kulturelle Angebote. Diesen Entwicklungen soll das hier beforschte, zum Erhebungszeitpunkt neu eingerichtete, Selbstlernzentrum in einem bereits etablierten Sprachenzentrum nachkommen. An einen Computerraum grenzt ein für das kollaborative Arbeiten eingerichteter Raum unmittelbar an. Die Studierenden der naturwissenschaftlichen Universität sind verpflichtet eine Fremdsprache, zumeist Englisch, im Rahmen ihres Studiums nachzuweisen, und besuchen daher zertifikatsorientierte Kurse im Sprachenzentrum. Im Selbstlernzentrum finden sie zusätzliche kursbegleitende Materialien und Medien für ihre Vorbereitung. Während der Öffnungszeiten stehen ihnen Tutor/ innen bei technischen und eventuell sprachlichen Fragen zur Seite. Die Tutor/ innen sind (internationale) Promovierende in den Naturwissenschaften. Im Rahmen ihrer Promotion haben sie eine Lehrverpflichtung, die sie wahlweise an ihrem Lehrstuhl durch die Anleitung von Laborübungen oder durch eine Tätigkeit im Sprachenzentrum erbringen können. Im Sprachenzentrum übernehmen sie zum einen Präsenzzeiten während der Öffnungszeiten des Selbstlernzentrums. Zum anderen bieten sie zusätzlich zum regulären Kursangebot Konversationskurse an. Einige der Studierenden unterrichten ihre L1, andere beherrschen die Sprache des Konversationskurses auf einem sehr hohen Niveau. Angeboten werden Konversationskurse vornehmlich für Englisch, aber auch für Deutsch, Italienisch oder Spanisch. Die Gruppe der Tutor/ innen verfügt zumeist nicht über fremdsprachendidaktische Kenntnisse, in einigen Fällen hingegen über vorherige Lehrerfahrungen in der eigenen Disziplin oder im sprachlichen Nachhilfebereich. Im Sprachenzentrum haben sie aber Ansprechpartner/ innen, die zu Semesterbeginn eine Einführung geben und Themenlisten für die Konversationskurse bereitstellen. Nachfolgend soll der theoretische Rahmen der Studie dargelegt werden, wobei eingangs die Prinzipien des neokommunikativen Unterrichts fokussiert werden und sodann die im Projekt zentralen Prinzipien der Autonomie und Motivation, und schließlich überleitend zum Forschungsdesign der Ansatz der Lehrerforschung beleuchtet werden. 2 Theoretischer Rahmen 2.1 Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht Der neokommunikative Unterricht „bezeichnet eine (offene und breit angelegte) Methodenkonzeption“ (Reinfried 2017, 265; 1999, 336) und schließt an den kommunikativen Unterricht der 1970er Jahre an (vgl. Reinfried/ Volkmann 2012, <?page no="367"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 357 9 ff.). In diesem überwogen in den Anfängen simulierte kommunikative Situationen, wobei die Ziele die Kommunikation, das sprachliche Handeln und das Handeln mit anderen waren (vgl. Piepho 1990, 124; Puren 2006, 37). Eine häufige Verkürzung des kommunikativen Ansatzes beschreibt Piepho (1990, 124), wenn er feststellt: Schließlich fehlte in den Diskussionen des kommunikativen Ansatzes bei überspitzter Betonung von Sprechfunktionen und konstruierten Handlungsabläufen die Berücksichtigung der eigenweltlichen Erfahrung, des Vorwissens über die Zielkultur und die Notwendigkeit, gerade diese Bereiche und die Beunruhigung oder das Befremdlichkeitserlebnis zum Lese-, Hör-, Rede- und Schreibanlaß zu machen. Gleichwohl bescheinigt Kurtz (2013, 87; vgl. auch Reinfried/ Volkmann 2012, 9 ff.) dem Ursprung des kommunikativen Unterrichts in Deutschland einen Bildungsauftrag als „Befähigung zur Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung“, der weiterhin zu verfolgen ist. Dennoch standen zunächst eine ganzheitliche und handlungsorientierte Öffnung des Unterrichtsraums und Prozesse der Kognitivierung und Autonomisierung noch nicht so im Blickfeld wie in der weiteren Entwicklung hin zu einem neokommunikativen Unterricht. Zudem ist von unterschiedlichen subjektiven Auslegungen des kommunikativen Ansatzes durch Lehrende auszugehen (vgl. Kurtz 2013, 88; Reinfried 2001, 2). Ausgangspunkt der Neuorientierung und der konzeptionellen Überlegungen zu einem neokommunikativen Unterricht, der dann solche Prinzipien berücksichtigte, bildeten der erwähnte Artikel von Piepho (1990), ein Artikel von Königs (1991) sowie eine empirisch basierte Ausdifferenzierung von Prinzipien durch Reinfried (2001). Diese überschneiden sich bisweilen inhaltlich oder sind miteinander verbunden. In neueren Publikationen werden sie zudem noch etwas ausdifferenziert und gestalten sich wie folgt aufgelistet (vgl. Reinfried 2017, 266; Reinfried/ Volkmann 2012, 17): 1. Handlungsorientierung a. Kooperatives Lernen b. Kreative Arbeitsformen c. (LdL) Lernen durch Lehren 2. Fächerübergreifendes Lernen a. Projektunterricht b. Mehrsprachigkeitsdidaktik c. Bilingualer Sachfachunterricht 3. Ganzheitlichkeit a. Inhaltsorientierung b. Authentizität c. Inzidentelles Lernen <?page no="368"?> 358 Dagmar Abendroth-Timmer d. Aufgabenorientierung e. Affektives Lernen f. Bewegtes Lernen 4. Lerner- und Prozessorientierung a. Lernerautonomie b. Binnendifferenzierung/ Individualisierung des Lernprozesses c. Lernbewusstheit (Lernstrategien und -techniken) Diese Prinzipien - ebenso wie der „kommunikative Denkstil“ grundsätzlich (Appel 2017, 77) - prägen den fremdsprachendidaktischen Diskurs. „Zentrale Annahme des kommunikativen Denkstils ist der Primat des Sprachgebrauchs und des Inhalts vor der Sprachform“ (ebd., 94). Zugleich dürfen die sprachliche Kognitivierung und der focus on form nicht ausgeschlossen werden (vgl. Wu 2008, 50). Die oben aufgeführten Komponenten eines neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts stützen das vorrangige Ziel der kommunikativen Kompetenz und können der ursprünglich zugrunde gelegten sozialphilosophisch-emanzipatorischen Funktion des kommunikativen Unterrichts nachkommen (vgl. Kurtz 2013, 90). Gleichwohl untergraben u. U. standardorientierte Ausrichtungen den kommunikativen Unterricht (vgl. Kurtz 2013, 90; Appel 2017, 94; Reinfried 2017, 266). Umgekehrt werden die Prinzipien mit immer weiteren Aspekten angereichert. So umfasst Individualisierung zwischenzeitlich inklusive Unterrichtskontexte. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze schließen hieran deutlicher an, da lebensweltliche Mehrsprachigkeit und Interkulturalität eine immer größere Rolle spielen. Authentische Lernsituationen zeigen sich verändert in virtuellen Lernumgebungen und medial gestützten Lernprozessen (auch im Sinne der Autonomisierung über (e-)Portfolios und in neu gestalteten Selbstlernzentren etc.), wobei die Grenzen zwischen unterrichtlicher und außerunterrichtlicher Realität verschwimmen und sich Interaktionen und Interaktionspartner verändern (durch den Zugriff auf Lern-Apps an mobilen Endgeräten, interaktive multimediale Präsentations- und Lernmedien im Unterrichtsraum, virtuelle Begegnungsprojekte u. ä.) (vgl. Legutke/ Rösler 2005, 174 f.; vgl. Reinfried/ Volkmann 2012, 19 ff.). Demgemäß stellt Meißner (2005, 5 f.) fest, dass digitale Medien neokommunikativem Unterricht „eine neue Dimension verleihen, in der ‚authentische interkulturelle Kommunikation‘, z. T. sogar face to face , hergestellt und das Phänomen der ‚inhaltsarmen Kommunikation zum Zweck des Spracherwerbs‘ stark gemildert wird“. Bleyhl (2005, 61) bezieht all diese Prinzipien eines neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts folgendermaßen aufeinander: Spracherwerb, auch im schulischen Rahmen, ist kulturelles Lernen, ist ein fortwährender Kreiselprozess des auf seinen Körper angewiesenen Lerners, bei dem sich dessen <?page no="369"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 359 kulturelle Kompetenz zusammen mit seiner Kognition und seinem Sprachvermögen in der sozialen Interaktion in der Welt entwickelt. Im Setting des MOTAUME-Projektes sind einige der Prinzipien relevant. Ziel der tutoriell geleiteten Konversationskurse ist es, die mündliche Kommunikationskompetenz in einem anderen als dem progressionsorientierten Sprachkurs zu fördern, also einen weiteren Lernort im Sinne der vorherigen Definitionen zu schaffen. Die fachliche, kulturelle und sprachliche Vielfalt der Tutor/ innen sowie der Lernenden bietet besondere Sprechanlässe. Diese erfordern eine zurückhaltende Rolle der Tutor/ innen als , co-communicator ’ (Sreehari 2012, 89), eine Vielfalt von inhaltlich interessanten und sprachlich angemessenen Aktivitäten, basierend auf authentischen Materialien, die zur Interaktion der Teilnehmer/ innen beitragen (vgl. ebd.; Reinfried 2001, 15). Dabei wird die Frage aufgeworfen, wie die Tutor/ innen meinen, die Studierenden bei ihren autonomen Lernprozessen zu unterstützen und zum Spracherwerb und zum Sprechen der Sprache zu motivieren. Diese Begriffe sollen nachfolgend konzeptualisiert werden. 2.2 Autonomie und Motivation Lernerautonomie, so betont Martinez (2005, 76), ist eine wichtige Komponente des neokommunikativen Unterrichts. Bezogen auf die Tätigkeit der Tutor/ innen im Selbstlernzentrum wiederum ist der zugrunde gelegte Autonomiebegriff zu definieren. Hier ist das dynamische Autonomiemodell nach Tassinari (2010) hilfreich, da es im universitären Kontext entwickelt wurde und die einzelnen Komponenten (Motivation, Planung, Durchführung, Kooperation, Evaluation etc.) auf den Kontext des MOTAUME -Projektes anwendbar sind. Martinez betont des Weiteren, dass Lernerautonomie als „(individuell) konstruktiv, reflexiv und sozio-interaktiv“ (2005, 76) zu verstehen ist. Zudem plädiert sie für eine Aneignungsperspektive und den Begriff der Autonomisierung. In der Tat ist das im MOTAUME -Projekt betrachtete hybride Lernsetting (tutoriell unterstütztes Selbstlernen, tutoriell angeleitete Konversationskurse neben progressionsorientierten Sprachkursen etc.) an diesen Konzepten ausgerichtet. Die Tutor/ innen gehen mit den Studierenden eine kontextspezifische soziale Interaktion ein und leiten sprachliche Interaktionen an (vgl. Martinez 2005, 67, 69). Die von Martinez (2005, 69) angeführte philosophische und (kritisch)-politische Dimension von Lernerautonomie (verstanden als Machtverhältnisse) spielt in das MOTAUME -Projekt hinein, wenn Tutor/ innen bewusst oder unbewusst gegenüber den Lernenden in den Konversationskursen oder im Selbstlernzentrum eine andere hierarchische Rolle einnehmen als die Fremdsprachenlehrkräfte der regulären Sprachkurse gegenüber den Lernenden. <?page no="370"?> 360 Dagmar Abendroth-Timmer Des Weiteren stellt sich die Frage, wie die Tutor/ innen aus ihrer Sicht die Studierenden im Selbstlernzentrum und in den Konversationskursen zum Sprachgebrauch motivieren. Hierbei spielen die im Selbstlernzentrum verfügbaren Medien ebenso eine Rolle wie die Gestaltung der Konversationskurse. Nach Dörnyei (2001) und Ushioda (2011) ist Motivation ein dynamischer Komplex individueller Motive, die sich im Verlauf der Ontogonese und Soziogenese des Individuums herausbilden. Auf die Motivation wirken Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Selbstkonzepte im Sinne des Aktual- oder Idealselbst. Diese sind von Einfluss auf die Motivation der Studierenden in den Konversationskursen. Umgekehrt spielt die Lehrmotivation der Tutor/ innen eine Rolle; d. h. ihre Motivation für die Tätigkeit als Tutor/ innen und die motivationale Wirkung ihrer Lehrerfahrungen in den Konversationskursen. Es wird demzufolge der Frage nachgegangen, wie sich die Tutor/ innen in ihrer Aufgabe sehen, die Studierenden in ihrem Lernprozess zu unterstützen, bzw. welches Selbstkonzept sie haben. Dies führt abschließend zu Fragen der Lehrerforschung. 2.3 Lehrerforschung Das Projekt siedelt sich im Rahmen von Lehrerforschung an (vgl. Abendroth- Timmer 2017; Abendroth-Timmer/ Aguilar Río 2013; Blell/ Lütge 2012; Farrell 2016; Korthagen 2010; Legutke/ Schart 2016a), auch wenn es sich bei der untersuchten Gruppe um Lehrende in einem weiten Sinne handelt. Für die Entwicklung hybrider Lernumgebungen ist es relevant zu überprüfen, welche Impulse diese spezifische Gruppe den Lernenden für ihren Fremdsprachenerwerb am Sprachenzentrum geben kann. Reflexive Lehrerbildung geht von der Dynamik der beruflichen Identität von Lehrenden aus, die sich konstruiert und rekonstruiert. Äußere Impulse sind ebenso erforderlich für die Selbstreflexion und berufliche Weiterentwicklung, wie ein innerer Antrieb hierzu. Für ihre Tätigkeit benötigen Lehrende sprachliches, kulturelles und didaktisches Wissen sowie didaktische, sprachliche, pädagogische und persönliche Kompetenzen, die sie in der Ausbildung sowie durch ihre Unterrichtserfahrung und ihre Reflexion hierüber entwickeln. Auf diese Weise und in ihrem Handeln entwickeln Lehrende subjektive Theorien, die sich aus handlungsleitenden Kognitionen und Emotionen konstituieren (Woods 1996, 296 ff.). Die Entwicklung der eigenen Lehrerrolle und der beruflichen Identität wird als Professionalisierung verstanden (Legutke/ Schart 2016b, 26). Im MOTAUME -Projekt wird daher betrachtet, welche Vorstellungen die Tutor/ innen von ihrer Rolle, ihren Kompetenzen und ihrer Tätigkeit haben und inwieweit diese Vorstellungen einen Bezug zu der von ihnen dargestellten Gestaltung der Konversationskurse haben. Einige Tutor/ innen sind internationale Studierende und unterrichten ihre L1, andere beherrschen eine LX auf hohem <?page no="371"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 361 Niveau. Dewaele (2017) unterscheidet zwischen einer L1 oder Muttersprache und einer LX als weiterer Sprache. Als L1 oder Muttersprache kann nach Kramsch verstanden werden (2011, 20) „the language of the mother, of childhood affections, or attachment to shared cultural community“. Gerade der dritte Teil dieser Definition verweist auf die Dynamik von Sprachen im Sinne einer LX nach Dewaele, und so stellt Kramsch fest, dass ein , non-native immigrant ’ auch ein , native speaker ‘ sein kann (2011, 24). Der mehrsprachige Sprecher muss in einer mehrsprachigen Gesellschaft daher neu gedacht werden. Das damit einhergehende Konzept einer LX betont die Dynamik von Spracherwerbsprozessen und hebt die Dichotomie auf, welche durch die Begriffe Mutter-, Zweit- oder Fremdsprache entsteht, und die oft ein höheres Kompetenzniveau für die L1 und Defizite für die weiteren Sprachen suggeriert (Hilton 2017; sozio-historische Begründungen siehe bei Derivry-Plard 2015, 69 ff.). Welche Faktoren im Einzelnen die sprachenbezogenen Erwerbsprozesse individuell beeinflussen können, schlüsseln Hufeisen (2003) und Hufeisen/ Marx (2005, 148) auf, worauf an dieser Stelle verwiesen sei. Derivry-Plard (2015, 75 ff., 118 ff.) führt des Weiteren das Konzept des „enseignant plurilingue dans un monde multilingue“ an, welches diversifizierte dynamische Lebenswege in einer globalisierten Gesellschaft berücksichtigt und die Legitimation als Sprachenlehrende neu fasst. Daneben zeigt jedoch Valadez Vazquez (2014, 412, 418), dass sprachliche Unsicherheiten der Lehrperson durchaus auch negativen Einfluss auf das Selbstvertrauen und die berufliche Identität haben können (Varghese et al. 2005). In diesem Sinne stellt auch Kramsch (2011, 29) fest: The multilingual individual has to deal with sometimes excrutiating questions of legitimacy, identity, and personal integrity. Some of the little mentioned fears of non-native multilingual speakers, besides the fear of not sufficiently mastering their various linguistic codes and not being able to communicate with others, is the fear of not being entitled to use these codes the way monolingual speakers do . Unmittelbare Lehrsituationen, in denen all dies zur Wirkung gelangen kann, bestehen im MOTAUME -Projekt in den Konversationskursen. Die eingangs benannte Forschungsfrage zum Selbstkonzept der Tutor/ innen ist somit auch dahingehend zu beleuchten, welche Rolle für die Tutor/ innen die Tatsache spielt, dass sie in der Regel über keine professionelle fremdsprachendidaktische Grundbildung verfügen, und welche Rolle ihr Status als L1- oder LX-Sprecher/ innen in der unterrichteten Sprache spielt. Im Folgenden wird die Sichtweise der befragten Tutor/ innen auf ihre Tätigkeit anhand eines Einzelfalls dargestellt. Zunächst wird das Forschungsdesign erläutert. <?page no="372"?> 362 Dagmar Abendroth-Timmer 3 Forschungsdesign Von den 15 am Sprachenzentrum zum Erhebungszeitpunkt beschäftigten Tutor/ innen wurden neun Personen interviewt. Eine weitere Person beantwortete die gleichen Fragen über einen online-Fragebogen (siehe Anhang). Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht zu den Interviewten: Pseudonyme L1 Unterrichtete Sprache/ n Chemstudent Englisch Englisch Christopher Deutsch Deutsch/ Englisch Elisa Italienisch Englisch Emily Französisch/ Englisch Englisch Jacob Englisch Englisch Lina Deutsch Englisch Manuela Spanisch/ Baskisch Englisch/ Spanisch Snoopy Französisch Englisch Sophie Englisch Englisch Vincent Französisch/ Englisch Englisch Tab. 1: Pseudonyme, L1 und unterrichtete Sprachen. Die Interviews erfolgten leitfadengestützt und waren entlang folgender Themen- und Fragenkomplexe strukturiert: A) Akademischer Werdegang und Sprachlernbiographie, B) Betreuungstätigkeit im Selbstlernzentrum, C) Fragen zu den Konzepten Autonomie und Motivation, D) Fragen zur Unterrichtstätigkeit in den Konversationskursen, E) Perspektiven auf Ausbildungs- und Angebotsbedarfe. Die Interviews dauerten im Durchschnitt eine Stunde, wurden auf Französisch durchgeführt und auf Video aufgezeichnet. Alle Befragten mit anderer L1 als Französisch erhielten die Gelegenheit, eine abschließende Zusammenfassung oder Ergänzungen in ihrer L1 zu formulieren. Die Interviews wurden transkribiert und in MAXQDA für die weitere Codierung und Analyse eingelesen. 1 Zu allen Interviews wurden Einzelfallanalysen erstellt. 1 Ich danke Ibrahim Kaddoura für die Unterstützung bei der Aufbereitung und Analyse der Daten. <?page no="373"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 363 Für den vorliegenden Artikel wurden die Daten daraufhin untersucht, welche Konzepte eines neokommunikativen Unterrichts und welche Vorstellungen zur Förderung einer fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit den Interviewdaten zugrunde liegen. Zunächst wurden der akademische Werdegang und die Sprachlernbiographie der einzelnen Interviewpartner/ innen aus den Daten herausgearbeitet. Weiterhin wurde erfasst, welche Repräsentationen bei den Tutor/ innen davon vorliegen, wie einzelne kommunikative Kompetenzen entwickelt werden können. Hierzu war im Interview gefragt worden, wie aus der Sicht der Interviewpartner/ innen die Kompetenzen Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben sowie der Erwerb sprachlicher Mittel gefördert werden können. Die Daten der Interviewten geben Aufschluss darüber, wie sie Sprachlernprozesse reflektieren und lassen sich teils rückbeziehen auf die Vorstellungen zur Gestaltung der Konversationskurse. In einem zweiten Schritt wurden die Prinzipien eines neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts nach Reinfried (2001, 10; 2017, 266) und Reinfried/ Volkmann (2012, 17) als deduktive Kodes an die Daten angelegt. Auf dieser Basis wurde sodann in Form von Einzelfallanalysen inhaltsanalytisch folgenden Fragen nachgegangen: • Welche Repräsentationen zum eigenen Sprachenlernen, zur unterrichteten Sprache, zum autonomen (medial gestützten) Fremdsprachenlernen und zu eigenen persönlichkeitsbezogenen, sprachlichen und professionellen Kompetenzen liegen bei den Tutor/ innen vor? • Welche Rolle spielen diese Repräsentationen bei der Beschreibung der Gestaltung der Konversationskurse durch die Tutor/ innen und inwieweit spiegelt dies Prinzipien des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts wider? • Wie werden Autonomie und Motivation unterstützt? • Wie kann das Selbstkonzept als Tutor/ in beschrieben werden? Nachfolgend wird ein exemplarischer Einzelfall präsentiert. Die Wahl fiel auf die Tutorin Lina, da ihre Datenanalyse umfangreiche Kodierungen zu einer Vielzahl der Kodes ergab. Im Schlussteil folgt dann zur Ergänzung ein Querschnitt durch die weiteren Interviews. 4 Einzelfallanalyse 4.1 Sprachlernbiographie-- Sprachlernbewusstheit Die Tutorin Lina kommt aus Deutschland und leitet Konversationskurse für die Sprache Englisch. Ihr Fachgebiet ist die Physik. Neben Deutsch als L1 beherrscht sie Englisch, Französisch und Spanisch und verfügt damit über umfas- <?page no="374"?> 364 Dagmar Abendroth-Timmer sende Sprachlernerfahrungen (vgl. Lina, 19 2 ) sowie über Auslandserfahrungen in Singapur, Südamerika, der französischen Schweiz und Frankreich. Schon zu Beginn des Interviews betont sie die Bedeutung persönlicher Kontakte für den Spracherwerb: […] j’ai été pas mal en contact avec les gens international, alors c’était là où j’ai appris encore plus le/ l’an-/ l’anglais au niveau de conversation, pas que écrire et genre la grammatique on est / qu’on apprend normalement à l’école. Et euhm surtout après j’ai passé euh six mois à Sing-/ Singapour, et là aussi c’est euh le/ le/ la langue officielle c’est l’anglais. Euhm et après la français j’ai/ j’ai vraiment appris ici, en / quand j’ai travaillé ici 3 (ebd., 19). Sie betont des Weiteren, dass die Situation der Immersion für sie sehr hilfreich ist (vgl. ebd., 23). Neben diesen allgemeinen Aussagen hat Lina Vorstellungen darüber, wie einzelne kommunikative Fertigkeiten entwickelt werden können. In Bezug auf die Lesekompetenz stellt sie die Wichtigkeit eines großen Wortschatzes ins Zentrum (vgl. ebd., 27). Spezifische Lesestrategien, welche eine Defizitorientierung vermeiden, scheinen ihr nicht bewusst zu sein, wenn sie Folgendes äußert: „(…) quand je lis un livre, je parfois / alors chaque fois je / j’essaie de/ de regarder les mots que je connais pas“ (ebd., 27). Zugleich bescheinigt sie dem Lesen einen höheren Lerneffekt als dem Hör- oder Hörsehverstehen, wenn sie anmerkt: Moi j’ai toujours du mal à/ à/ à comprendre ehm les choses qui se passent à la télé française, parfois. Mais ça devient de plu- / de mieux en mieux, mais en live c’est/ c’est/ c’est plus facile pour moi, et j’pense c’est vraiment là où j’ai appris euh / Oui (ebd., 31). Im Hinblick auf Schreib- und Sprechkompetenzen betont Lina das Erfordernis, eine Korrektur zu erhalten (vgl. ebd., 29, 33). Hierbei erwirbt sie Vokabeln und Grammatik (vgl. ebd., 35). Durch Übungen und Korrektur bzw. insgesamt durch Kognitivierung entwickelt sie ihrer Aussage nach ein besseres Sprachverständnis: 2 Die Zahlen verweisen auf die Abschnittsnumerierung der Transkripte in MAXQDA. 3 Die Interviewaussagen wurden sprachlich ungeglättet übernommen. <?page no="375"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 365 Alors pour moi, c’est que j’écris quelque chose c’est avec plein de fautes, plein d’erreurs et / mais après je donne à quelqu’un qui le lit et il me corrige et on discute des trucs et euh j’essaye de comprendre pourquoi on a change / on a changé les formulations (ebd., 29). Lina lernt darüber hinaus mit einem online-Sprachprogramm und versucht so, ihr Schulspanisch autonom aufzufrischen (vgl. ebd., 134). Ihrer Meinung nach ist ein Ziel erforderlich, um motiviert zu sein. Sie ist aber, wie in den vorherigen Aussagen angeklungen, der Einschätzung, dass der Erwerb einer Sprache nicht komplett autonom erfolgen kann, sondern ein sprachliches Korrektiv durch eine Person notwendig ist, welche die Sprache sehr gut beherrscht (vgl. ebd., 29, 33, 35). Dies leitet über zu ihren Vorstellungen zum Lernen im Selbstlernzentrum und zur Gestaltung ihrer Konversationskurse sowie zu der Frage, inwieweit sich Prinzipien des neokommunikativen Unterrichts nachweisen lassen. 4.2 Gestaltung der Konversationskurse und Prinzipien neokommunikativen Unterrichts Im Sinne einer Handlungsorientierung führt Lina in ihren Konversationskursen regelmäßig Partner- oder Gruppenarbeiten durch (vgl. ebd., 178), um alle Teilnehmenden gleichermaßen zu aktivieren und zum Sprechen zu motivieren. Zugleich werden die einzelnen Arbeitsergebnisse am Schluss im Plenum ausgetauscht: Moi j’trouve c’est aussi important de informer les gens en même temps, et du coup euh alors on discute de ça en petit groupe. Ehm alors euh plutôt normalement à deux, trois maximum, pour que tout le monde ait plus le temps de parler parce que sinon dans un grand groupe euh, oui. Chaque personne parle un peu moins. Et après euhm avant de finir on fait une grande discussion de tout le monde pour que tout le monde peut partager euh genre les « résultats » (ebd., 178). Für die Auswahl der Inhalte für die Diskussionen bemüht sich Lina um eine fachliche Nähe zu den naturwissenschaftlichen Disziplinen der Teilnehmenden und damit um eine Inhalts- und Lernerorientierung. Lina wählt keine vorgegebenen Themen, sondern - im Sinne von Lerngelegenheiten (vgl. Piepho 1990, 131) - vielmehr authentische Gesprächsanlässe, die auch sie interessieren oder über die sie gern im Sinne einer partnerschaftlichen authentischen Interaktion von den Lernenden mehr erfährt (vgl. ebd., 190). Lina erklärt dies wie folgt: <?page no="376"?> 366 Dagmar Abendroth-Timmer Mmh et après normalement on discute de quelque chose qui se passe dans les médias actuellement. […] et souvent il y a vraiment beaucoup des opinions (ebd., 178). Neben der Gruppenbildung, dem gemeinsamen Plenum und der lernerorientierten Themenwahl verfolgt Lina die kreative Lehrstrategie, polarisierende Themen zu finden und Pro- und Contra-Positionen zuzuweisen, um die Diskussion zu verstärken (vgl. ebd., 108). Dennoch bemerkt Lina, dass der Verlauf der Diskussionen auch von den einzelnen Gruppen abhängt (vgl. ebd., 242). Wie zuvor angemerkt sind in Linas Sprachlernprozess Schriftlichkeit, Feedback und Kognitivierung wichtig. Dies überträgt sie auf die Gestaltung der Konversationskurse. So händigt sie Vokabelblätter und vorab zu lesende informative Texte oder Statistiken zur Vorbereitung auf die Diskussionen aus. Während der Gruppendiskussionen macht sie sich Notizen und greift ggf. im Nachgang sprachliche Fragen auf (vgl. ebd., 180). Durch ihre mehrsprachigen Kenntnisse vermag Lina ferner Verbindungen im englischen und französischen Wortschatz für die Teilnehmenden aufzuzeigen: J’ai l’impression que parfois les mots très ‘difficiles’ (fait le signe des guillemets avec ses mains) vient de/ en anglais vient du français, alors pour eux c’est plus facile de s’exprimer avec des mots comme ça. Pour moi, c’est plutôt un mot un peu ‘class-fancy’ (fait le signe des guillemets avec ses mains) parce que c’est moins proche de/ de (ebd., 172). Sie stellt an dieser Stelle darüber hinaus fest, dass sie mit Deutsch als L1 auf andere Schwierigkeiten im Englischen stößt als Teilnehmende mit Französisch als L1. Darüber hinaus reflektiert Lina die Bedeutung des Englischen für die Teilnehmenden. Sie beginnt mit der Erklärung des Kontaktmotivs (ebd., 122) und dem Wunsch, sich bei einem längeren Auslandsaufenthalt in einem anglophonen Land mit den Menschen zu verständigen. Ferner finden Teile des naturwissenschaftlichen Studiums der Teilnehmenden auf Englisch statt. Schließlich verwenden die Teilnehmenden Englisch in Frankreich regelmäßig als ,Lingua Franca’. Viele Studierende interessieren sich außerdem für den Klang der englischen Sprache und versuchen, sich einen regionalen Akzent anzueignen (ebd., 140): <?page no="377"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 367 Darüber hinaus räumt Lina ein, dass manche Lernende gern Filme im Original sehen wollen (ebd., 146). Lina orientiert sich an dem Wunsch der Lernenden, zeigt aber eine zurückhaltende Haltung, die auf ihre Statements zu ihren persönlichen bevorzugten Lernstrategien und ihren Schwierigkeiten im Hör-/ Hörsehverstehen verweist. 4.3 Autonomie und Motivation Im Hinblick auf ihre tutorielle Betreuung im Selbstlernzentrum hebt Lina wiederum die Wichtigkeit von Feedback hervor, wenn sie anmerkt: „C’est utile pour eux que y’a des gens comme nous qui sont là pour […] les aider“ (ebd., 55). Diese Unterstützung ist aus ihrer Sicht jedoch auch von Lernenden im Selbstlernzentrum abhängig, die Hilfe einfordern müssen (ebd., 67). Im Interview (ebd., 57) zeigt sich, dass Motivation, Autonomie und Leistung laut der Befragten wichtige Komponenten für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen sind. Im Selbstlernzentrum können die Lernenden das Tempo, den Lerninhalt und die Betreuung individuell bestimmen (ebd., 82, 140). Lina bemerkt, dass die Studierenden generell gut am Computer lernen und in der Regel ihre gewünschten Ziele erreichen (ebd., 140). Dennoch stellt Lina im Hinblick auf ihre Rolle als Tutorin fest, dass auch in diesen autonomen und fakultativen Lernszenarien wie dem Selbstlernzentrum oder den Konversationskursen der Grad und die Art der Motivation der Lernenden für den Lernerfolg wichtig sind. Während die Studierenden im Selbstlernzentrum zumeist obligatorische Aufgaben zur Zertifikatsvorbereitung motiviert erledigen (ebd., 57), absolvieren sie die Konversationskurse freiwillig außerhalb des regulären Kursplans. Für Lina macht diese Motivierungsarbeit einen Teil ihrer Selbstbestätigung in ihrer Rolle aus: Mais je sais que mes collègues, les autres moniteurs ils utilisent parfois les vidéos […]. Mmh, à un moment aussi, j’ai/ j’ai fait des/ des petits trucs en audio pour euh genre parce qu’ils voulaient vraiment aussi apprendre / euh c’était un groupe où / qui voulait écoutait / entendre les/ les accents différents, genre euh le/ le/ de Grande-Bretagne, des/ de/ des États-Unis […] donc on a écouté des choses et euh, mais sinon, bah j’sais que y’a les / dans les salles de/ de/ de cours de langue, y’a vraiment/ y’a vraiment tout ce qu’il faut. Et euh, mais après j’sais pas comment les/ les autres profs l’utilisent (ebd., 140). <?page no="378"?> 368 Dagmar Abendroth-Timmer Alors tout le monde peut participer, tout le monde à une / quelque chose à dire, par contre j’suis pas satisfait si y’a/ y’a des gens qui pouf ça marche pas du tout, et si j’arrive pas à leur motiver. Ça pour moi c’est un petit échec […] (ebd., 214). Umgekehrt ist sie motiviert, wenn die Teilnehmenden motiviert sind (ebd., 216). Unter Motivation versteht Lina dabei Volition „vouloir faire quelque chose“ (ebd., 80). Zugleich will sie die intrinsische Motivation in ihren Konversationskursen fördern: „plaisir de/ de parler“ (ebd., 108). Dazu erprobt sie immer wieder neue Methoden und reflektiert diese im Nachgang (ebd., 104). Im Selbstlernzentrum hofft sie weiterhin darauf, dass die Studierenden wiederkommen, wenn sie positive Erfahrungen mit der tutoriellen Betreuung gemacht haben (ebd., 120). 4.4 Selbstkonzept von Lina als Tutorin Im Hinblick auf ihre Lehrtätigkeit erscheint Lina durchaus reflektiert, ohne dass sie bewusst auf fachdidaktische Konzepte zurückgreifen kann. Als Tutorin sieht sie ihre Rolle darin, alle Teilnehmenden in ihrer Individualität wahrzunehmen und zu motivieren: Et euhm, j’ai l’impression que ici comme il faut vraiment motiver les gens et vraiment c’est/ c’est plus professeur euh à l’école et y’a vraiment tout le monde. Il y a pas que les gens qui sont super motivés, même s’il y a les autres qu’il faut pousser un peu, donc j’pense c’est/ c’est plus une expérience comme/ comme une vraie prof et comme motiv-/ motiveur (ebd., 39). Zugleich grenzt sie sich in ihrem Selbstkonzept als Tutorin explizit von der Rolle als Fremdsprachenlehrkraft ab: „Donc ils savent que je suis doctorante, et pas enseignant de/ de/ de/ d’anglais, mais après oui, j’essaye d’être euh proche et pas, oui, un prof qui est loin“ (ebd., 198). Sie sieht sich als Doktorandin und damit als den Studierenden näher als eine reguläre Lehrkraft. Sie teilt mit den Studierenden einen ähnlichen fachlichen Hintergrund, hat ein vergleichbares Alter und damit vergleichbare lebensweltliche Erfahrungen. Dies erleichtert die Themenwahl für die Konversationskurse und mindert gegebenenfalls die Hemmschwelle der Teilnehmenden bei der Sprachproduktion. Dabei sieht Lina sich in einer Vorbildrolle, wenn sie selbst LX-Sprecherin der unterrichteten Sprache Englisch ist: „je suis là pour leur faire parler et pour avoir des conversations et que oui quand même je suis un exemple de quelqu’un qui a appris l’anglais“ (ebd., 210). <?page no="379"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 369 Zugleich gesteht sie ihre Grenzen bei der Erklärung sprachlicher Phänomene ein, mit denen sie aber sehr unbefangen umgehen kann: Alors parfois il y a des questions que je peux pas répondre, parce que tout / c’est quand même pas ma langue maternelle (ebd., 94). […] J’dis/ j’dis/ je dis que j’suis pas sûre, mais que je vais regarder et je / on va en discuter la semaine après (ebd., 204). Insgesamt wird in Linas Selbstkonzept das Potential von Tutor/ innen für Konversationskurse deutlich, wenn eine besondere persönliche, (sprach)lernbiographische, fachliche und hierarchische Nähe zu den Lernenden gegeben ist. Ferner werden bei Lina Bezüge zwischen persönlich bevorzugten Lernstrategien und der Gestaltung der Konversationskurse sichtbar, die sie aber reflektiert und zugunsten einer Lernerorientierung zurückzustellen vermag. Lina reflektiert weiterhin die Rolle des Englischen, die Motivation und Interessen der Lernenden und stellt sich auf diese ein. Lerner- und Handlungsorientierung, fachbezogene und authentische Themen und Materialien, mehrsprachigkeitsdidaktische Bezüge sowie kreative Lernarrangements als Prinzipien des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts finden sich in den Darstellungen zur Kursgestaltung wieder. 5 Abschließender Blick auf die Interviewdaten im Querschnitt 5.1 Lernerorientierung durch fachspezifische Themen Im Querschnitt der neun Interviews, die abschließend vertiefend herangezogen werden, sind hinsichtlich der Prinzipien des neokommunikativen Unterrichts zwei Schwerpunkte herauszuarbeiten. Zunächst bemühen sich die Tutor/ innen um eine starke Lernerorientierung bis hin zu einer starken inhaltlichen Fachspezifik der Konversationskurse. Sophie betrachtet dies als Erleichterung bei der Themenwahl: „En général, c’est les étudiants en science. Donc, ähm, ça me aide parce que je peux donner des exemples dans le biologie […] c’est de, d’être dans le même speciality“ (Sophie, 120). Der Tutor Jacob (116) betont ebenfalls, dass bei vielen Themen sogleich ein fachlicher Bezug hergestellt werden kann und dadurch die Studierenden schnell eine eigene Meinung äußern können. Gleichwohl sind die Tutor/ innen gewillt, ihre inhaltlichen Interessen zugunsten einer Lernerorientierung zurückzustellen, wie die Aussage von Emily zeigt: „Euh que j’essaye de lancer donc un débat en particulier sur un sujet euh qui ne me passionne pas forcément (rire)“ (Emily, 220). <?page no="380"?> 370 Dagmar Abendroth-Timmer Ferner stellt Jacob bezüglich der fachlichen Zugehörigkeit der Studierenden unterschiedlich geprägte Lernstrategien fest, die sich auf den Spracherwerb auswirken: […] l’eux qui fait beaucoup de biologie parlent mieux comme l’eux qui fait mathématique. / Mhm (bejahend)./ Parce que les, les biologistes, ils lisent beaucoup, / Ah, d’accord. Mhm (bejahend)./ ils lisent beaucoup et les eux qui fait le mathématique, c’est formules. Donc, c’est ça que moi, j’ai vu dans, ähm, les cours de conversation […] ( Jacob, 138). 5.2 Motivation zum Sprechen durch Diskussionen und Debatten Neben der Themenwahl steht im Mittelpunkt der Überlegungen der Tutor/ innen des Weiteren die Frage, wie die Studierenden zum Sprechen motiviert werden können. Im Vergleich der methodischen Möglichkeiten zur Förderung kommunikativer Kompetenzen (vgl. Nunan 2004) ist festzustellen, dass vornehmlich Diskussionen und Debatten angezielt werden. Dies jedoch geschieht auf recht unterschiedliche Weise. Während Christopher (144) komplett ohne Materialien arbeitet und auch Chemstudent (151) sich überwiegend darauf beschränkt, einen inhaltlichen Impuls zu geben, liefert die Tutorin Snoopy unterschiedliche Sprechanlässe: „C’est que premier cours j’faisais présentation, le deuxième j’essayais d’faire un débat, le troisième j’amenais un article avec moi […] sur lequel on discutait“ (Snoopy, 175). Snoopy ermöglicht damit eine Vorbereitung und stellt eine textuelle Basis bereit. Ähnlich verfährt Manuela (308), die - wie auch Jacob (110) - Videos als Einstieg verwendet. Ebenso geht Emily strukturiert vor und lässt die Studierenden hin und wieder etwas vorbereiten: […] et du coup ça va s’organiser d’cette manière: euh donc j’vais leur demandais déjà si ils ont qu- / Je leur envoie en avance, qu’ils aient le temps de lire euh de s’poser des questions, ehm donc on va commencer par est-ce qu’il y a des questions de vocabulaire, euh est-ce qu’il y a des choses qu’ils ont pas compris. Ehm ensuite faire une sorte de/ de résumé en fait, voir un peu c’que tout le monde a compris dans c’texte et c’qui en suit, et euh, et une fois qu’on a euh soit bah bien résumé le texte soit bien tiré les idées d’une vidéo ou d’un / en général c’est quand même texte ou vidéo (Emily, 168). <?page no="381"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 371 Vincent (267) zielt Debatten erst für die letzten Sitzungen an und baut zuvor gern ,ice-breaking’-Aktivitäten und je nach Wunsch der Lernenden auch Grammatikthemen in die Konversationskurse ein, ohne jedoch Grammatikübungen anzubieten: […] ils me posent des questions généralement, ça se fait sous forme de rappel et euh ça engendre des questions, entre eux, auxquelles je réponds […] on passe ensuite à une activité, et l’activité que j’utilisais c’était euh (claquement de la langue) autour des/ des souvenirs. Euh et parler des souvenirs dans différents contextes pour généralement pour précisément utiliser ces temps du passé. Euh et on essayait toujours d’utiliser les temps du passé que l’on voyait ensemble. Euh et ça leur donnait euh donc de / une manière de euh l’appliquer directement. (claquement de langue) Au/ au sein d’une conversation (Vincent, 269). Sophie weist darauf hin, dass erst einmal Sprechängste abgebaut werden müssen. Hierauf nimmt auch Chemstudent (115) Bezug, der daher gemischte Gruppen bildet. Sophie schlägt mit dem gleichen Ziel die Nutzung außerinstitutioneller Lernorte vor: […] j’essaie avec eux devant le cours de conversation, je faisais de temps en temps des sorties. On sort, on parle des choses à la parque ou nous prenons un café ensemble et c’était beaucoup plus, plus agréable et, ähm, j’ai trouvé que les étudiants me parlent plus. Donc, si les étudiants, ils fait des sorties (unv.) au musée, ils peut aller au musée. Et après ensemble pour parler de les tables en anglais. Ou ils peut aller pour voir une exposition avec une, une artiste anglaise ou parler, ähm, de une exposition américaine, pour parler des expositions en anglais, je pense que ça (unv.) un aspect très important et intéressant que de, que parler dans le bâtiment dans une salle du cours. C’est pas toujours le meilleure endroit pour apprendre (Sophie, 140). Der Querschnitt verweist auf eine große Vielfalt an Zugängen zu den Konversationskursen, obgleich Einigkeit bezüglich der inhaltlichen Lernerorientierung und des Fokus auf Diskussionen herrscht. 5.3 Selbstkonzepte der Tutor/ innen Bezüglich der Selbstkonzepte als Tutor/ innen kann abschließend festgestellt werden, dass die Tutor/ innen sich selbst von ausgebildeten Lehrkräften abgrenzen. Während Lina selbstbewusst erscheint, zeigen sich andere Tutor/ innen <?page no="382"?> 372 Dagmar Abendroth-Timmer hierdurch verunsichert. So äußert Manuel (356): „Tu dois tout savoir, mais c‘est pas le cas“. Grundsätzlich haben alle Tutor/ innen jedoch eine umfassende Vorstellung davon, wie Fremdsprachen gelernt werden können und ziehen auf Nachfrage im Interview auch Verbindungen zu Arbeits- und Lernstrategien in ihren naturwissenschaftlichen Disziplinen. Darüber hinaus merken einige Interviewpartner/ innen mit Englisch als LX an, dass sie verhältnismäßig viel Zeit für die Vorbereitung aufbringen müssen und der Unterricht auf einem etwas niedrigeren Level erfolgt. Gegenteilige Aussagen finden sich in den Interviews der L1-Sprecher des Englischen. Diese jedoch verweisen ebenfalls auf Schwierigkeiten bei der Erklärung sprachlicher Phänomene in ihrer L1 und vermeiden daher gern die Behandlung von Grammatik. Selbstkonzepte als , enseignant/ e plurilingue ’ sind nicht nachzuweisen, sondern die Tutor/ innen verharren überwiegend in der Dichotomie ,Mutter-/ Fremdsprachensprechende‘. Die Tutor/ innen, die ihre L1 unterrichten, betonen ihre kulturellen oder persönlichen Bezüge. Dies drückt Sophie wie folgt aus: „j’explique pas que qu’est-ce que ça veut dire mais aussi, ähm, qu’est-ce que ça veut dire pour moi qui, ähm, les connotations. […] Et les idées qui vont avec les phrases“ (Sophie, 128). Christopher, der sowohl seine L1 als auch seine LX unterrichtet, relativiert dies und stellt fest, dass er durch den Erwerb verschiedener Sprachen viel über den Spracherwerb weiß, und meint, dass auch Personen mit einer hohen LX-Kompetenz, insbesondere aufgrund eines Auslandsaufenthaltes, ebenso gut sprachliche wie kulturelle Inhalte vermitteln können (vgl. Christopher, 52, 98). Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Tutor/ innen das Spektrum der Angebote im Sprachenzentrum durch die Stärkung einzelner Prinzipien des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts durchaus erweitern. Entwicklungspotential gibt es sicherlich in der stärkeren kognitiven Durchdringung der Sprache, in der Entwicklung eines Selbstkonzeptes als , enseignant/ e plurilingue ’ und in der Auseinandersetzung mit einem spezifischen Methodenrepertoire auf Basis der Beschäftigung mit fremdsprachendidaktischen Konzepten. Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar (2017): „Reflexive Lehrerbildung und Lehrerforschung in der Fremdsprachendidaktik: Ein Modell zur Definition und Rahmung von Reflexion“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 28 (1), 101-126. Abendroth-Timmer, Dagmar/ Aguilar Río, Jose I. (2013): „Reflecting Professional Identity: An International Jointly-run Blended Course to Train Future Language Teachers“. In: The European Journal of Applied Linguistics and TEFL 2 (1), 119-134. <?page no="383"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 373 Appel, Joachim (2017): „Der kommunikative Denkstil“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 28 (1), 77-100. 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Est-ce comparable à la manière d’apprendre dans votre spécialité ? 7. Parmi vos traits de caractère et de vos compétences, lesquels sont utiles pour le travail de moniteurs ? 8. Quelles est votre motivation pour travailler comme moniteur ? 9. Avez-vous déjà donné des cours de langue avant votre arrivée à l’université ? 10. Enseignez-vous votre langue maternelle ? 11. Avez-vous suivi une phase préparatoire pour le travail comme moniteur ? B) Les questions suivantes concernent votre travail pendant les permanences à l’Espace-Langues 1. Décrivez les apprenants (typiques) qui viennent à l’Espace-Langues. 2. Est-ce qu’un auto-apprenant à l’Espace-Langues se distingue d’un participant dans un cours de conversation ? Décrivez. <?page no="386"?> 376 Dagmar Abendroth-Timmer 3. Quels types d’apprenant a du succès / fait des progrès dans l’apprentissage de la langue à l’Espace-Langues ? 4. Si vous deviez embaucher un moniteur, quels seraient vos critères ? 5. Quelles sont vos activités / tâches à l’Espace-Langues ? 6. Comment savez-vous qu’un étudiant à l’Espace-Langues a besoin de soutien ? 7. Y a-t-il des situations où vous vous sentez maladroit / pas-peu sûr(e) de vous ? Décrivez. 8. Réfléchissez-vous sur votre pratique en tant que moniteur à l’Espace-Langues ? Avec qui ? Quand ? Comment ? 9. Y a-t-il des interlocuteurs auxquels vous pouvez vous adresser si vous avez des questions pédagogiques, techniques, etc. ? 10. Y a-t-il un travail d’équipe des moniteurs concernant l’Espace-Langues ? 11. Qu’est-ce qui vous rend satisfait dans le travail à l’Espace-Langues ? C) Les questions suivantes traitent l’autonomie et la motivation des étudiants 1. Les étudiants à l’Espace-Langues apprennent en autonomie. Comment comprenez-vous le terme d’autonomie ? Donnez une définition. 2. Quelle est la motivation des étudiants de venir soit à l’Espace-Langues soit aux cours de conversation ? Expliquez. 3. Qu’est-ce que vous comprenez par le terme de motivation ? Donnez une définition. 4. Comment un étudiant peut-il organiser son apprentissage d’une langue à l’Espace-Langues ? 5. Peut-on apprendre une langue uniquement en autonomie ? 6. Quel est le rôle des médias dans l’apprentissage en autonomie ? 7. Quels sont les facteurs de motivation / démotivation des étudiants ? Décrivez des situations concrètes. 8. Quel(s) rôle(s) jouent les médias dans la motivation ? 9. Quel(s) rôle(s) jouent les moniteurs dans la motivation ? 10. Quel rôle jouent les moniteurs pour rendre les étudiants plus autonomes ? 11. Qu’est-ce que vous faites exactement quand les étudiants travaillent devant les ordinateurs à l’Espace-Langues ? 12. Est-ce qu’il y a différents types d’auto-apprenants à l’Espace-Langues ? Des étudiants plus ou moins ouverts aux conseils, plus ou moins préparés, etc. ? Expliquez. 13. Comment décririez-vous la relation que vous avez avec les étudiants et l’ambiance de travail ? <?page no="387"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 377 D) Les questions suivantes concernent les ateliers de conversation 1. Quelle langue enseignez-vous ? Comment fonctionne la langue que vous enseignez ? Qu’est-ce que vous aimez quant à la langue ? 2. Quels sont les aspects difficiles de cette langue ? 3. Est-ce que les participants du cours vous ont déjà fait remarquer un aspect de la langue dont vous n’étiez pas conscient avant ? Expliquez. 4. Comment préparez-vous vos cours de conversation ? Ensuite, comment un cours de conversation se déroule-t-il ? Expliquez en détail. 5. Comment trouvez-vous les ressources et développez des exercices ? 6. Comment vous choisissez les sujets que vous traitez dans le cours ? 7. Quels sont les savoirs que vous voulez transmettre ? 8. Quel rôle jouent les domaines de spécialité des étudiants ou le vôtre dans un cours de conversation ? 9. Vous donnez des explications de grammaire ? Expliquez. 10. Vous faites des exercices de grammaire ou de vocabulaire dans les cours de conversation ? Décrivez. 11. Vous donnez des devoirs ? Expliquez. 12. Réfléchissez-vous sur votre pratique en tant que moniteur de cours de conversation ? Avec qui ? Quand ? Comment ? 13. Y a-t-il un travail d’équipe entre les moniteurs ? 14. Êtes-vous en contact avec les enseignants de la langue que vous enseignez (les enseignants qui donnent les cours généraux) ? Décrivez. 15. Quel est votre statut par rapport aux participants ? (enseignant / doctorant / collègue / étudiant). Décrivez. 16. Quel rôle joue le fait d’être enseignant natif / non-natif pour les participants ? Pour vous ? 17. Qu’est-ce qui vous rend satisfait dans le cours de conversation ? 18. Quand est-ce que vous êtes motivé dans le cours de conversation ? E) Perspectives 1. Comment pourriez-vous améliorer votre pratique de moniteurs ? 2. De quel soutien aimeriez-vous bénéficier pour le travail à l’Espace-Langues ou dans les cours de conversation ? 3. Quelle sorte de formation aimeriez-vous avoir ? 4. Qu’est-ce qu’on pourrait encore développer comme offre de formation pour les étudiants ? 5. Après avoir rempli ce questionnaire, qu’est que vous aimeriez encore rajouter par rapport à votre travail en tant que moniteur ? <?page no="389"?> « Je veux qu‘à la fin ils se sentent un peu plus à l‘aise de parler » 379 Marcus Reinfried Curriculum vitae 1953-1971 Kindheit und Jugend in Karlsruhe, Stuttgart, Fontainebleau und Mannheim 1971 Abitur am Lessing-Gymnasium in Mannheim 1972-1979 Studium der Romanistik, Germanistik, Geschichte und Filmwissenschaft an den Universitäten Mannheim und Paris. Fernsehhospitationen, Autor und Regisseur von Dokumentarfilmen 1980-1981 Studienreferendariat in Heilbronn. 2. Staatsexamen in Französisch, Deutsch, Geschichte 1981-1992 Unterrichtstätigkeit am Mannheimer Liselotte-Gymnasium und an der Helene-Lange-Schule 1992 Promotion an der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Mannheim zum Thema Das Bild im Fremdsprachenunterricht (Straßburg-Preis) 1992-1994 Postdoktorandenstipendium am Gießener Graduiertenkolleg Fremdverstehen 1994-1996 Fortsetzung der Unterrichtstätigkeit am Mannheimer Elisabeth- Gymnasium 1996-2001 Vertretung der Professur für Didaktik der romanischen Sprachen an der PH bzw. Universität Erfurt 1999 Habilitation an der Universität Kassel für das Fachgebiet ‚Romanistik/ Fremdsprachenlehr- und -lernforschung‘ sowie Verleihung der akademischen Bezeichnung ‚Privatdozent‘ 2001-2008 Fortsetzung der Unterrichtstätigkeit am Mannheimer Elisabeth- Gymnasium 2005 Ernennung zum außerplanmäßigen Professor an der Universität Kassel 2008 Ernennung zum Professor für Didaktik der romanischen Schulsprachen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena <?page no="390"?> 380 Marcus Reinfried Mitglied- und Herausgeberschaften 1999-2014 Mitherausgeber und Koredakteur der Zeitschrift französisch heute . Informationsblätter für Französischlehrerinnen und -lehrer in Schule und Hochschulen. Verbandsorgan der Vereinigung der Französischlehrer. Seelze: Kallmeyer (bis 2008) und Fronreute: magma grafik (ab 2009). 1999-2014 Mitglied des Comité de lecture von Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde . Paris: Société Internationale pour l’Histoire du Français Langue Étrangère ou Seconde (SIH- FLES). 2001-2003, 2007-2009 Vice-Président der SIHFLES ( Société Internationale pour l’Histoire du Français Langue Etrangère ou Seconde ) 2010-2013 Président der SIHFLES ( Société Internationale pour l’Histoire du Français Langue Etrangère ou Seconde ) 2010-2013 Directeur de Publication der Zeitschrift Documents pour l’Histoire du Français Langue Étrangère ou Seconde (DHFLES) 2011 Chevalier dans l’ordre des Palmes Académiques seit 2014 Mitglied des Comité scientifique der Zeitschrift Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde (DHFLES) seit 2014 Vice-Président der SIHFLES ( Société Internationale pour l’Histoire du Français Langue Etrangère ou Seconde ) Schriftenverzeichnis 1 Bücher (1992): Das Bild im Fremdsprachenunterricht. Eine Geschichte der visuellen Medien am Beispiel des Französischunterrichts . Tübingen: Narr. (1998) (Hrsg. mit Franz-Joseph Meißner): Mehrsprachigkeitsdidaktik. Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Sprachen . Tübingen: Narr. (2001) (Hrsg. mit Franz-Joseph Meißner): Bausteine für einen neokommunikativen Französischunterricht. Lernerzentrierung, Ganzheitlichkeit, Handlungsorientierung, Interkulturalität, Mehrsprachigkeitsdidaktik. Akten der Sektion 13 auf dem 1. Frankoromanistentag in Mainz, 23.-26.09.1998 . Tübingen: Narr. (2004) (Hrsg. mit Adelheid Kierepka, Renate Krüger und Jürgen Mertens): Frühes Fremdsprachenlernen im Blickpunkt: Status quo und Perspektiven . Tübingen: Narr. <?page no="391"?> Schriftenverzeichnis 381 (2006) (Hrsg. mit Hélène Martinez, unter Mitarbeit von Marcus Bär): Mehrsprachigkeitsdidaktik gestern, heute und morgen. Festschrift für Franz-Joseph Meißner zum 60. Geburtstag . Tübingen: Narr. (2006) (mit Andreas Grünewald, Jürgen Mertens, Andreas Nieweler, Ricarda Lusar): Fachdidaktik Französisch. Tradition, Innovation, Praxis . Hrsg. von Andreas Nieweler. Stuttgart: Klett Sprachen. 8. Nachdruck 2016. (2011) (Hrsg. mit Nicola Rück): Innovative Entwicklungen beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Festschrift für Inez De Florio-Hansen . Tübingen: Narr. (2012) (Hrsg. mit Laurenz Volkmann): Medien im neokommunikativen Fremdsprachenunterricht. Einsatzformen, Inhalte, Lernerkompetenzen. Beiträge zum IX. Mediendidaktischen Kolloquium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (18.-20.09.2008) . Frankfurt a. M. u. a.: Lang. (2016) (Hrsg. mit Erwin Klein): Bilder im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht. Akten des GMF-Sprachentages Aachen 2013 . Universität Gießen: Giessener Elektronische Bibliothek. (2017) (mit Andreas Grünewald, Veit Husemann, Ulrike C. Lange, Andreas Nieweler): Fachdidaktik Französisch . 2., neubearbeitete Ausgabe: Das Handbuch für Theorie und Praxis . Hrsg. von Andreas Nieweler. Stuttgart: Klett Sprachen. 2 Herausgeber- und Redaktionstätigkeiten 2.1 Herausgabe von Zeitschriften Mitherausgeber und Koredakteur von französisch heute. Informationsblätter für Französischlehrerinnen und -lehrer in Schule und Hochschule . Verbandsorgan der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer. Seelze: Kallmeyer. Von 30. Jg., 1999, Heft 3 bis 45. Jg., 2014, Heft 4. Mitglied des Comité de lecture von Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde . Paris: Société Internationale pour l’Histoire du Français Langue Étrangère ou Seconde (SIHFLES). Von Nr. 23, Juni 1999 bis Nr. 52, Juni 2014. Directeur de Publication von Documents pour l’Histoire du Français Langue Étrangère ou Seconde , op. cit., Nr. 44, Juni 2010 bis Nr. 51, Dezember 2013. Mitglied des Comité scientifique von Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde . Paris: Société Internationale pour l’Histoire du Français Langue Étrangère ou Seconde (SIHFLES). Ab Nr. 53, Dezember 2014. 2.2 Koordination von Zeitschriften/ Themenheften (1999) (Koord. mit Norbert Becker): „La littérature de jeunesse“. französisch heute 30 (4). (2000) (Koord.): „Frühbeginnender Französischunterricht“. französisch heute 31 (4). (2002) (Koord. mit Norbert Becker): „Motivieren und Projektunterricht“. französisch heute 33 (2). (2003) (Koord. mit Norbert Becker): „La France en Allemagne“. französisch heute 34 (1). <?page no="392"?> 382 Marcus Reinfried (2003) (Koord. mit Norbert Becker): „Historische Ausblicke auf Frankreich“. französisch heute 34 (3). (2004) (Koord. mit Hans-Ludwig Krechel): „Bilingualer Unterricht“. französisch heute 35 (2). (2010) (Koord.): „Bilder im Französischunterricht“. französisch heute 41 (4). (2011) (Koord.): „Literatur im Anfangsunterricht“. französisch heute 42 (1). (2011) (Koord.): „Geschichte des Französischunterrichts“. französisch heute 42 (2). (2012) (Koord. mit Maike Hansen und Antje Luderer): „Spiele im Französischunterricht“. französisch heute 43 (1). (2012) (Koord. mit Sarah Besser und Inez De Florio-Hansen): „Leseförderung im Französischunterricht“. französisch heute 43 (2). (2012) (Koord. mit Marie-Christine Kok Escalle und Nadia Minerva): „Histoire internationale de l’enseignement du français langue étrangère ou seconde: problèmes, bilans et perspectives“. Le français dans le monde. Recherches et applications 52. (2012) (Koord. mit Jürgen Mertens): „Der deutsch-französische Vertrag: Entstehung und Bilanz“. französisch heute 43 (4). (2013) (Koord. mit Ulrike C. Lange): „Digitales Lernen im Französischunterricht“. französisch heute 44 (3). (2013) (Koord. mit Bettina Deutsch und Stéfanie Witzigmann): „Bilingualer Sachfachunterricht Französisch“. französisch heute 44 (4). (2014) (Koord. mit Ulrike C. Lange): „Sprachmittlung im Französischunterricht“. französisch heute 45 (1). (2014) (Koord. mit Corinna Koch und Ulrike C. Lange): „ La Grande Guerre 1914-1918 “ . französisch heute 45 (2). (2014) (Koord. mit Manfred Overmann und Ulrike C. Lange): „ Le Maghreb “ . französisch heute 45 (3). (2014) (Koord. mit Bernd Schmidt): „ Französisch für den Beruf “. französisch heute 45 (4). (2014) (Koord.): „Français, anglais et allemand : trois langues rivales entre 1850 et 1945. French, English and German: Three languages in competition between 1850 and 1945. Actes du colloque tenu à Essen du 13 au 15 septembre 2012“ . Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde 53. 3 Artikel und Aufsätze (1980): „Die Sprache der Verwaltung“. In: Hadwig Schlink-Arnold/ Michael Ronellenfitsch (Hrsg.): Methoden und Techniken geistiger Arbeit in der Verwaltung . Regensburg: Walhalla und Praetoria Verlag, 65-85. (1986): „Eine Schule im Wandel der Zeiten“. In: 75 Jahre Liselotte-Gymnasium Mannheim . Mannheim, 13-66. (1990): „Bilder als Bedeutungsmittler im Fremdsprachenunterricht“. In: Lehren und Lernen 16 (6), 45-80. (1990): „Les origines de la méthode directe en Allemagne“. In: Herbert Christ/ Daniel Coste (Hrsg.): Contributions à l’histoire de l’enseignement du français. Actes de la <?page no="393"?> Schriftenverzeichnis 383 section 3 du Romanistentag d’Aix-la-Chapelle du 27 au 29 septembre 1989 . Tübingen: Narr, 126-156. (Der Sammelband ist auch erschienen als Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde 6, Paris: SIHFLES.) (1992): „Visuelle Semantisierung im französischen Fremdsprachenunterricht“. In: Gabriele Birken-Silverman/ Gerda Rössler (Hrsg.): Beiträge zur sprachlichen, literarischen und kulturellen Vielfalt in den Philologien. Festschrift für Rupprecht Rohr zum 70. Geburtstag. Stuttgart: Steiner, 408-433. (1993): „Et l’image vint. Le mouvement réformiste du XIX e siècle en Allemagne et l’enseignement par l’aspect“. In: Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde 11, 3-13. (1994): „Landeskundliche Abbildungen in Französischlehrbüchern. Eine historische Darstellung“. In: Internationale Schulbuchforschung 16, 465-503. (1994): „Par delà la méthodologie synthétique et analytique: Carl Mager et sa méthode génétique“. In: Herbert Christ/ Gerda Haßler (Hrsg.): Regards sur l’histoire de l’enseignement des langues étrangères. Actes du colloque de la SIHFLES au Romanistentag de Potsdam du 27 au 30 septembre 1993 (Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde , 14). Paris, 45-56. (Der Sammelband ist auch mit dem veränderten Untertitel Actes de la section 8 du Romanistentag de Potsdam du 27 au 30 septembre 1993 in Tübingen: Narr, 1995 erschienen.) (1995): „Psycholinguistische Überlegungen zu einer sprachbezogenen Landeskunde“. In: Lothar Bredella/ Herbert Christ (Hrsg.): Didaktik des Fremdverstehens . Tübingen: Narr, 51-67. (1995): „Bilder als Stimuli für die Textproduktion im Französischunterricht“. In: Fremdsprachen und Hochschule 44, 55-72. (1996): „«La Tour»: eine literarische bande dessinée“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 30 (22), 28-34. (1996): „Unterrichtsgespräche über Cartoons von Sempé - eine Möglichkeit der Schüleraktivierung“. In: Fachverband Moderne Fremdsprachen/ Landesverband Baden-Württemberg: Mitteilungsblatt 9, 45-55.(Wieder abgedruckt in überarbeiteter Form unter dem geringfügig modifizierten Titel „Unterrichtsgespräche über Cartoons von Sempé. Eine Möglichkeit zur Schüleraktivierung im Französischunterricht“, in: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 44, 1997, 178-188.) (1997): „La phonétique et le mouvement réformiste dans l’enseignement du français en Allemagne“. In: Elisabet Hammar (Hrsg.): Phonétique et pratiques de prononciation. L’apprentissage de la prononciation: chemin parcouru jusqu’à nos jours. Actes du colloque de Linköping/ Vadstena du 22 au 25 mai 1996 . Paris: SIHFLES ( Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde , 19), 184-197. (Ebenfalls abgedruckt in: französisch heute 28, 1997, 366-374.) (1997): „Die Ausbildung zum neusprachlichen Gymnasiallehrer: eine Reform ist überfällig“. In: Fachverband Moderne Fremdsprachen/ Landesverband Baden-Württemberg: Mitteilungsblatt 10, 21-36. (Wieder abgedruckt mit einigen Ergänzungen in: französisch heute 28, 1997, 210-227; und erneut erschienen in einer nochmals umgearbeite- <?page no="394"?> 384 Marcus Reinfried ten Fassung in: Wolfgang Zydatiß (Hrsg.): Fremdsprachenlehrerausbildung - Reform oder Konkurs. München u. a.: Langenscheidt 1998, 248-270.) (1998): „Konstruktion als Erkenntnisproblem. Eine fächerübergreifende Unterrichtseinheit“. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Französisch 32 (32), 43-46. (1998) (mit Franz-Joseph Meißner): „Mehrsprachigkeit als Aufgabe des Unterrichts romanischer Fremdsprachen“. In: Franz-Joseph Meißner/ Marcus Reinfried (Hrsg.): Mehrsprachigkeitsdidaktik. Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Sprachen . Tübingen: Narr, 9-22. (1998): „Transfer beim Erwerb einer weiteren romanischen Fremdsprache. Prinzipielle Relevanz und methodische Integration in den Fremdsprachenunterricht“. In: Franz-Joseph Meißner/ Marcus Reinfried (Hrsg.): Mehrsprachigkeitsdidaktik. Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Sprachen . Tübingen: Narr, 23-43. (1998): „Die Funktion von Bildern in Lehr- und Lernmaterialien“. In: Udo O. H. Jung (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer . 2., verbesserte und erweiterte Auflage, Frankfurt a. M. u. a.: Lang, 137-142. (Unverändert wieder abgedruckt in 3. Auflage, 2001.) (1999): „Handlungsorientierung, Lernerzentrierung, Ganzheitlichkeit: Neuere Prinzipien in der Französischmethodik“. In: französisch heute 30, 328-345. (1999): „Medien im Fremdsprachenunterricht, ihre Analyse und Evaluation“. In: Karl- Richard Bausch/ Herbert Christ/ Frank G. Königs/ Hans Jürgen Krumm (Hrsg.): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lernens und Lehrens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts . Tübingen: Narr, 176-188. (1999): „Von der Realienzur Kulturkunde. Frankreichkundliche Paradigmen als dialogische Konstrukte im deutschen Französischunterricht“. In: Herwart Kemper/ Siegfried Protz/ Detlef Zöllner (Hrsg.): Schule, Bildung, Wissenschaft. Dia-Logik in der Vielfalt. Rudolstadt/ Jena: Hain, 199-234. (1999): „Forschungsbericht: Innerromanischer Sprachtransfer“. In : Grenzgänge 6 (12), 96-125. (1999): „Le mouvement réformiste et la méthode directe en Allemagne: développement, fondement théorique, variations méthodologiques“. In: Maria José Salema/ Gisèle Kahn/ Luis Filipe Teixeira (Hrsg.): L’enseignement de la langue et de la littérature françaises dans la seconde moitié du XIXème siècle. Actes du Colloque organisé à Sintra-Portugal du 1 au 3 octobre 1998 (Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde , 23). Paris, 204-226. (1999): „Der Radikale Konstruktivismus: eine sinnvolle Basistheorie für die Fremdsprachendidaktik? “. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 28, 162-180. Von Fritz-Wilhelm Neumann ins Englische übertragene Fassung: „Can Radical Constructivism Achieve a Viable Basis for Foreign Language Teaching? - A Refutation of the ‚Wolff-Wendt’ Theorem”, in: Erfurt Electronic Studies in English 8/ 2000, http: / / webdoc.gwdg.de/ edoc/ ia/ eese/ (20/ 03/ 2018), 15 Seiten. (Wiederabdruck der deutschsprachigen Fassung mit einigen Modifikationen und Ergänzungen in: Gerhard Bach/ Britta Viebrock (Hrsg.): Die Aneignung fremder Sprachen: Perspektiven - Konzepte - <?page no="395"?> Schriftenverzeichnis 385 Forschungsprogramm ( Kolloquium Fremdsprachenunterricht , Bd. 10). Frankfurt a. M. u. a.: Lang, 2002, 29-50.) (1999) (mit Norbert Becker): „Zur Einführung [in das Themenheft ‚La littérature de jeunesse‘]“. In: französisch heute 30, 384-386. (1999) (mit Henri Besse, Herbert Christ, Nobutaka Miura, Noriyuki Nishiyama, Ngoc- Anh Tran, Gérard Vigner, Moderation: Thérèse Ploquin): „De la spécialisation des didactiques“. In: Le Français dans Le Monde 302, 36-38. (2000): „Audio-visual language teaching“. In: Michael Byram (Hrsg.): Routledge Encyclopedia of Language Teaching and Learning . London/ New York: Routledge, 61-64. (Mehrfach nachgedruckt. In überarbeiteter und aktualisierter Form erneut erschienen in: Michael Byram/ Adelheid Hu (2012) (Hrsg.): Routledge Encyclopedia of Language Teaching and Learning . London/ New York: Routledge, 67-70. (2000): „Zur Einführung [in das Themenheft ‚Frühbeginnender Französischunterricht‘]“. In: französisch heute 31, 382-385. (2001): „Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht: ein neues methodisches Paradigma“. In: Franz-Joseph Meißner/ Marcus Reinfried (Hrsg.): Bausteine für einen neokommunikativen Französischunterricht. Lernerzentrierung, Ganzheitlichkeit, Handlungsorientierung, Interkulturalität, Mehrsprachigkeitsdidaktik. Akten der Sektion 13 auf dem 1. Frankoromanistentag in Mainz, 23.-26.09.1998 . Tübingen: Narr, 1-20. (2001): „Französischunterricht im Dritten Reich: Rahmenbedingungen, Inhalte, Unterrichtsmethoden“. In: Reinhard Dithmar/ Wolfgang Schmitz (Hrsg.): Schule und Unterricht im Dritten Reich. Ludwigsfelde: Ludwigsfelder Verlagshaus, 125-151. (Unverändert wieder abgedruckt in 2. Auflage, 2003.) (2001) (mit Franz-Joseph Meißner, Frank G. Königs, Eynar Leupold, Ulrike Senger): „Zur Ausbildung von Lehrenden moderner Fremdsprachen. Ergebnisse einer Reflexionstagung zur Lehrerbildung (23./ 24. März 2000, Schloß Rauischholzhausen)“ (Red.). In: französisch heute 32, 212-227. (Unverändert wieder abgedruckt in: Frank G. Königs (Hrsg.): Impulse aus der Sprachlehrforschung. Marburger Vorträge zur Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern. Tübingen: Narr, 2001, 159- 181.) (2002): „Frühbeginn, Anwendungsorientierung, Verzahnung. Neuere Entwicklungstendenzen des Fremdsprachenunterrichts an allgemeinbildenden Schulen“. In: Karl- Richard Bausch/ Herbert Christ/ Frank G. Königs/ Hans Jürgen Krumm (Hrsg.): Neue curriculare und unterrichtsmethodische Ansätze und Prinzipien für das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 21. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts . Tübingen: Narr, 145-155. (2002): „Motivationsförderung im Französischunterricht: Möglichkeiten und Grenzen“ . In: französisch heute 33, 182-197. (2002) (mit Arlette Kosch): „L’enseignement du français subit-il une crise? Regards sur son évolution en Allemagne depuis le Traité de l’Élysée“. In: Allemagne d’aujourd’hui 162, 121-134. (Wieder abgedruckt - in einer deutschsprachigen, überarbeiteten und gekürzten Fassung - unter dem Titel „Sprachvermittlung in der Krise? Die Entwicklung des Französischunterrichts in Deutschland seit dem <?page no="396"?> 386 Marcus Reinfried Élysée-Vertrag". In: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog 59 (1), 2003, 17-27.) (2002): „Der Unterricht des Französischen in Deutschland“. In: Ingo Kolboom/ Thomas Kotschi/ Edward Reichel (Hrsg.): Handbuch Französisch: Sprache - Literatur - Kultur - Gesellschaft. Für Studium, Lehre, Praxis . Berlin: Schmidt, 143-154. (Wieder abgedruckt in 2., verbesserter Auflage 2008, 148-159.) (2002) (mit Werner Bleyhl, Moderation: Eynar Leupold): „Ist eine konstruktivistische Wende im Fremdsprachenunterricht sinnvoll? Ein kontroverses Gespräch“. In: französisch heute 33, 506-521. (2003): „Visuelle Medien“. In: Karl-Richard Bausch/ Herbert Christ/ Hans-Jürgen Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht , 4., vollständig neu bearbeitete Auflage. Tübingen/ Basel: Francke, 416-420. (Unverändert wieder abgedruckt in 5. Auflage, 2007.) (2003): „Geschichte des Fremdsprachenunterrichts: Ein internationaler Überblick über die Literatur“. In: Karl-Richard Bausch/ Herbert Christ/ Hans-Jürgen Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht , 4., vollständig neu bearbeitete Auflage. Tübingen/ Basel: Francke, 622-626. (Unverändert wieder abgedruckt in 5. Auflage, 2007.) (2004) (mit Hans-Ludwig Krechel): „Ein Weg zu Zweisprachigkeit und Bikulturalität“. In : französisch heute 35, 116-117. (2004) (mit Renate Krüger): „Vorwort“. In: Adelheid Kierepka/ Renate Krüger/ Jürgen Mertens/ Marcus Reinfried (Hrsg.): Frühes Fremdsprachenlernen im Blickpunkt: Status quo und Perspektiven. Tübingen: Narr, 7-10. (2005) (mit Jürgen Mertens): „Sprache des Nachbarn oder ein Fach neben anderen? Zur Situation des Französischen an baden-württembergischen Schulen und Hochschulen“. In: französisch heute 36, 77-84. (2006) (mit Hélène Martinez): „Vorwort“. In: Hélène Martinez/ Marcus Reinfried (Hrsg.): Mehrsprachigkeitsdidaktik gestern, heute und morgen. Festschrift für Franz-Joseph Meißner zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr, XI-XIV. (2006): 11 Beiträge in Andreas Nieweler (Hrsg.): Fachdidaktik Französisch. Tradition, Innovation, Praxis . 1. Auflage. Stuttgart: Klett, 15-54, 76-80, 141-142, 174-189 und 252. Mit den Unterrichtsmaterialien 1-14 und 47 auf der begleitenden CD-ROM. (Zahlreiche Nachdrucke: 1. Nachdruck 2006, 8. Nachdruck 2016.) (2006): „Motivation und Motivierung im Fremdsprachenunterricht“. In: Udo O. H. Jung (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer . 4., vollständig neu bearbeitete Auflage. Frankfurt a. M. u. a.: Lang, 349-356. (Unverändert wieder abgedruckt in 5. Auflage, 2009.) (2007): „Die direkte Methode im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung. Ein historisch-genetischer und systemtheoretischer Beschreibungsansatz“. In: französisch heute 38, 256-272. (2008): „Vom ‚Stellvertreter‘ zum ‚Türöffner‘: Bilder in Fremdsprachen-Lehrwerken“. In: Gabriele Lieber (Hrsg.): Lehren und Lernen mit Bildern. Ein Handbuch zur <?page no="397"?> Schriftenverzeichnis 387 Bilddidaktik . Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 198-211. (Wieder abgedruckt in überarbeiteter und ergänzter Neuauflage 2013, 199-212.) (2009): „Profil: Prof. Dr. Marcus Reinfried“. In: Zeitschrift für romanische Sprachen und ihre Didaktik 3 (1), 253-262. (2010): „Zwischen wörtlichem und sinngemäßem Verstehen. Muttersprachenbasierte Semantisierungstechniken in der Fremdsprachenvermittlung des 19. und 20. Jahrhunderts“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 39, 68-87. (2010): „Bilder in neueren Lehrwerken: Formen und Funktionen“. In: französisch heute 41, 149-157. (2010): „Visuelle Medien“. In: Wolfgang Hallet/ Frank G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik . Seelze-Velber: Klett/ Kallmeyer, 277-280. (Mit einer kleinen Ergänzung wieder abgedruckt in 2. Auflage, 2014.) (2010): „Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht“. In: Carola Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe . Stuttgart/ Weimar: Metzler, 232-233. (Wieder abgedruckt in 2., aktualisierter und erweiterter Auflage, 2017, 265-266.) (2010): „Transfer“. In: Carola Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe . Stuttgart/ Weimar: Metzler, 307-308. (Wieder abgedruckt in 2., aktualisierter und erweiterter Auflage, 2017, 348-349.) (2011): „Französischunterricht im Dritten Reich: durchdrungen von Nazi-Ideologie? “. In: französisch heute 42, 74-86. (2011) (mit Nicola Rück): „Vorwort“. In: Marcus Reinfried/ Nicola Rück (Hrsg.): Innovative Entwicklungen beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Festschrift für Inez De Florio-Hansen. Tübingen: Narr, XI-XV. (2011): „Grandseigneur der Französisch-Didaktik: Nachruf auf Herbert Christ“. In: französisch heute 42, 52-54. (2011): „Un grand didacticien et connaisseur de l’histoire du FLE. Hommage à Herbert Christ“. In: La Lettre de la SIHFLES 67, hiver 2011/ 2012, 3-7. (2012) (mit Laurenz Volkmann): „Medien im neokommunikativen Fremdsprachenunterricht: Einsatzformen und Nutzungsmöglichkeiten“. In: Marcus Reinfried/ Laurenz Volkmann (Hrsg.): Medien im neokommunikativen Fremdsprachenunterricht. Einsatzformen, Inhalte, Lernerkompetenzen. Frankfurt a. M. u. a.: Lang, 9-39. (2012) (mit Nadia Minerva): „Les domaines à explorer et l’évolution historique“. In: Histoire internationale de l’enseignement du français langue étrangère ou seconde: problèmes, bilans et perspectives. Le français dans le monde. Recherches et applications 52, 14-28. (2012) (mit Enrica Galazzi): „Supports visuels, supports auditifs, enseignement du Français langue étrangère“. In: Histoire internationale de l’enseignement du français langue étrangère ou seconde: problèmes, bilans et perspectives. Le français dans le monde. Recherches et applications 52, 146-159. (2012): „Der Französischunterricht und seine quantitative Entwicklung an den deutschen Schulen (1965-2012)“. In: französisch heute 43, 178-189. <?page no="398"?> 388 Marcus Reinfried (2012) (mit Marie-Christine Kok Escalle, Nadia Minerva): „Présentation“. In: Marie-Christine Kok Escalle/ Nadia Minerva/ Marcus Reinfried (Koord.): Histoire internationale de l’enseignement du français langue étrangère ou seconde: problèmes, bilans et perspectives. Le français dans le monde : Recherches et applications 52, 7-10. (2013): „Ein Verband zur Förderung des Französischunterrichts. Betrachtungen zur Geschichte der VdF“. In: Ulrike C. Lange/ Andreas Nieweler/ Bernd Schmidt (Hrsg.): Festschrift zur Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer e.V. zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Vertrages. Französisch heute in Deutschland: Zu den Früchten des Elysée-Vertrages für den Französischunterricht. Stuttgart: Klett, 16-25. (2013): „L’historiographie du français langue étrangère en Allemagne. Un abrégé de son évolution“. In: Marie-Christine Kok Escalle/ Karène Sanchez-Summerer (Hrsg.): Usages et représentations du français hors de France. 25 ans d’études historiques au sein de la SIHFLES (actants, outils, pratiques. ( Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde , 50). Paris, 203-219. (2013): „Die romanischen Schulsprachen im deutschen Schulwesen des Dritten Reichs: Sprachenpolitische Maßnahmen und bildungsideologische Diskurse“. In: Friederike Klippel/ Elisabeth Kolb/ Felicitas Sharp (Hrsg.): Schulsprachenpolitik und fremdsprachliche Unterrichtspraxis. Historische Schlaglichter zwischen 1800 bis 1989. Münster: Waxmann, 29-47. (2013): „Einführung: Bilingualer Sachfachunterricht Französisch“. In: französisch heute 44, 152. (2014): „Bildeinsatz im elementaren Französischunterricht“. In: Hans-Günter Egelhoff (Hrsg.): Moderne/ Digitale Medien im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht. Jahrestagung des Carolus-Magnus-Kreises vom 07.11. - 11. 11. 2013 in Erfurt . o. O, 42-49. (2014): „Institutionnalisation et concurrence. La langue française et anglaise dans les écoles secondaires en Allemagne (1837-1945)“. In: Marcus Reinfried (Hrsg.): Français, anglais et allemand : trois langues rivales entre 1850 et 1945. French, English and German: Three languages in competition between 1850 and 1945. Actes du colloque tenu à Essen du 13 au 15 septembre 2012 ( Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde 53). Paris, 11-32 . (2014): „European History of Romance Language Teaching“. In: Christiane Fäcke (Hrsg.): Manual of Language Acquisition . Berlin/ Boston: de Gruyter, 255-273. (2014): „Vorwort“. In: Walter Kuhfuß (Hrsg.): Eine Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit. Französischlernen am Fürstenhof, auf dem Marktplatz und in der Schule. Göttingen: V & R unipress, 11-13. (2014): „Préface“. In: Marcus Reinfried (Hrsg.): Français, anglais et allemand: trois langues rivales entre 1850 et 1945. French, English and German: Three languages in competition between 1850 and 1945. Actes du colloque tenu à Essen du 13 au 15 septembre 2012. Documents pour l’histoire du français langue étrangère ou seconde 53, 5-10. (2016): „Bilder in der Lehrwerkphase im Französisch- und Spanischunterricht“ In: Erwin Klein/ Marcus Reinfried (Hrsg.): Bilder im kompetenzorientierten Fremdsprachen- <?page no="399"?> Schriftenverzeichnis 389 unterricht. Akten des GMF-Sprachentages Aachen 2013. Universität Gießen: Gießener Elektronische Bibliothek, 5-43. (2016): „Geschichte des Fremdsprachenunterrichts bis 1945“. In: Eva Burwitz-Melzer/ Grit Mehlhorn/ Claudia Riemer/ Karl-Richard Bausch/ Hans-Jürgen Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6. Auflage. Tübingen: Francke, 619-625. (2017): 10 Beiträge in: Andreas Nieweler (Hrsg.): Fachdidaktik Französisch. Das Handbuch für Theorie und Praxis. 1. Auflage. Stuttgart: Klett, 21-37, 64-84, 107-111, 147- 148, 151-156 und 176-199. Mit den Online-Materialien 3-8 und 15-17. (2018): „The historiography of modern language teaching: from national views to a European Perspective.“ In: Richard Smith/ Nicola Mc Lelland (Hrsg.): The History of Language Learning and Teaching , Part 1: 16th - 18th Century Europe . Oxford: Legenda. Erscheinen für Mai 2018 angekündigt.