Pragmatische Bedingungen der Topikalität
Zur Identifizierbarkeit von Satztopiks im Deutschen
0617
2019
978-3-8233-9260-6
978-3-8233-8260-7
Gunter Narr Verlag
Detmer Wulf
Auch neuere pragmatisch orientierte Ansätze zur Informationsstruktur greifen für die Explikation der Satztopik-Kategorie auf die traditionelle Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage zurück und deuten das Satztopik - unter Rückgriff auf bestimmte kognitive und kommunikative Strukturierungsprinzipien - als Bestandteil der sogenannten Aboutness-Relation: Prädizierende Sätze lassen sich aufgliedern in dasjenige, worüber etwas ausgesagt wird, und dasjenige, was darüber ausgesagt wird. Ausgehend von der These, dass es im Deutschen keine explizit ausgewiesene syntaktische Position für Satztopiks gibt, geht dieser Band der Frage nach, welche diskursiven Bedingungen für die Aboutness-Relation vorausgesetzt sein müssen und über welche Eigenschaften Diskursreferenten mit Topikstatus verfügen.
<?page no="0"?> Detmer Wulf Pragmatische Bedingungen der Topikalität Zur Identifizierbarkeit von Satztopiks im Deutschen 1 <?page no="1"?> Pragmatische Bedingungen der Topikalität <?page no="2"?> Herausgegeben von Prof. Dr. Eva Eckkrammer (Mannheim) Prof. Dr. Claus Ehrhardt (Urbino/ Italien) Prof. Dr. Anita Fetzer (Augsburg) Prof. Dr. Frank Liedtke (Leipzig) Prof. Dr. Konstanze Marx (Greifswald) Prof. Dr. Jörg Meibauer (Mainz) Die Bände der Reihe werden einem single-blind Peer-Review- Verfahren unterzogen. Bd. 1 <?page no="3"?> Detmer Wulf Pragmatische Bedingungen der Topikalität Zur Identifizierbarkeit von Satztopiks im Deutschen <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2628-4308 ISBN 978-3-8233-8260-7 (Print) ISBN 978-3-8233-9260-6 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0166-0 (ePUB) <?page no="5"?> 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Historische Ansätze: psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Die Prager Schule und der Begriff der Funktionalen Satzperspektive 24 2.3 Firbas’ Begriff des Kommunikativen Dynamismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.4 Halliday: Theme vs. Given . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.5 Molnár: Topik - Thema - Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3 Topik und Aboutness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.1 Strawson: Topiks als „centers of current interest“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.2 Reinhart: Topiks als „referential entries“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.3 Gundel: referentielle vs. relationale Givenness/ Newness . . . . . . . . . . . 68 3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4 Topik und Präsupposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.1 Topikalität und Identifizierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4.2 Fokus/ Hintergrund und die presupposition/ assertion- Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5 Topik-Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.2 Adressierung und Assertion: Semantische vs. pragmatische Ebene der Prädikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5.4 Topikalität und diskursive Salienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 <?page no="6"?> 6 Inhaltsverzeichnis 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6.2 Quaestio und Topikalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 6.3 Feste Topik-Position im Mittelfeld? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 7 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 <?page no="7"?> Vorwort Dies ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Mai 2016 unter dem gleichen Titel an der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig eingereicht habe. Ohne vielseitige Unterstützung und Förderung wäre der erfolgreiche Abschluss der Arbeit nicht möglich gewesen. Mein besonderer Dank geht zunächst an die Betreuer meiner Dissertation, Prof. Dr. Frank Liedtke (Leipzig) und Univ.-Prof. Dr. Dietrich Busse (Düsseldorf). Das Vertrauen, das sie mir entgegenbrachten, und auch die Freiheit, die sie mir in wissenschaftlicher Hinsicht ließen, waren für mich von großer Bedeutung. Die Arbeit wurde in Leipzig eingereicht, ist aber in Düsseldorf verfasst worden. Darum möchte ich mich noch einmal bei Dietrich Busse für die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken sowie dafür, dass er - auch und gerade während meiner Zeit als Projektmitarbeiter im Sonderforschungsbereich 991 - die für das Gelingen meiner Dissertation bestmöglichen Rahmenbedingungen geschaffen hat. Mein Dank geht auch an Freunde und Kollegen, die mich in der einen oder anderen Form unterstützt haben. Für Feedback (nicht nur) in fachlicher Hinsicht danke ich insbesondere Brigitte Schwarze und Robert Mroczynski. Christian Horn und Doris Gerland haben in unserer (wenn auch nur kurz bestehenden) Schreibgruppe dazu beigetragen, dass diese Arbeit an einem kritischen Punkt wieder ‚in die Spur‘ gekommen ist. Für moralische Unterstützung (und Ablenkung) sorgten Michaela Felden, Lars Inderelst und Nansaa Tsagaan. Den Herausgeberinnen und Herausgebern der „Studien zur Pragmatik“ danke ich schließlich für die Aufnahme der Arbeit in die vorliegende Reihe. Düsseldorf, im April 2019 Detmer Wulf <?page no="9"?> 1 Einleitung 9 1 Einleitung Terminological profusion and confusion, and underlying conceptual vagueness, plague the relevant literature to a point where little may salvageable. (Levinson 1983, x) Diese Arbeit widmet sich der Kategorie des Satztopiks, für die innerhalb funktional-grammatischer Ansätze häufig (mehr oder weniger verdeckt) die traditionelle Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage zugrunde gelegt wird. Der Satztopik-Kategorie liegt die Idee zugrunde, dass sich (prädizierende) Sätze aufgliedern lassen in dasjenige, worüber etwas ausgesagt wird und dasjenige, was darüber ausgesagt wird. Diese Unterscheidung kommt auch in Hocketts einflussreicher Topik-Definition zum Ausdruck: „The most general characteristic of predicative constructions is suggested by the terms ‘topic’ and ‘comment’ for their ICs: the speaker announces a topic and then says something about it“ (Hockett 1958, 201). Hockett geht es hierbei jedoch nicht um eine Identifizierung der Topik/ Kommentar-Unterscheidung in der Subjekt-Prädikat-Struktur - so wie etwa in (1), wo Topik und Subjekt zusammenfallen; denn eine ganze Reihe von Fällen - so wie bspw. in (2) - lassen auch andere Deutungen zu (vgl. Hockett, ebd.): (1) John ran away. (2) That new book by Thomas Guernsey I havent’t read. Hockett deutet die vorangestellte Objektkonstituente als Topik, den restlichen Teil als Kommentar und somit prädizierenden Bereich des Satzes, der hier auch noch das Subjekt enthält. Dies ist natürlich alles andere als eine neue Entdeckung. Schon die traditionelle Unterscheidung von psychologischem vs. grammatischem Subjekt bzw. Prädikat (vgl. etwa Paul 1880) beruhte auf der Beobachtung, dass sich auch andere Satzglieder als das Subjekt als das ‚Worüber‘ eines Satzes deuten lassen. Aus den Kategorien psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat ist dann in der weiteren Entwicklung u. a. die Thema/ Rhema-Dichotomie der sogenannten ‚Funktionalen Satzperspektive‘ hervorgegangen (als historischen Überblick vgl. Daneš 1974), deren Ziel es war, Wortstellungsvarianten funktional zu beschreiben und die Voranstellungen von Objektkonstituenten, so wie etwa die in (2), als Indikator für Thematizität gedeutet hat. An diese Tradition schließen <?page no="10"?> 10 1 Einleitung auch zeitgenössische, pragmatisch orientierte Ansätze an (etwa Gundel 1988b, Lambrecht 1994), die den Topik-Begriff - auch unter Rückgriff auf bestimmte kognitiv-kommunikative Prinzipien - als Bestandteil der sogenannten Aboutness-Relation deuten. Die Topik-Kategorie stellt sicherlich, zusammen mit ihren Komplementär-Kategorien ‚Fokus‘ oder ‚Kommentar‘, eine der zentralen informationsstrukturellen Kategorie-Konzepte dar, trotz der von Levinson beklagten Terminologie-Fülle - und vielleicht auch Verwirrung (siehe das oben vorangestellte Zitat aus Levinson 1983). Der Grund für diese Terminologie-Fülle mag auch in den unterschiedlichen analytischen Zugriffen liegen. So zielen einige Ansätze mit ihren terminologischen Unterscheidungen zunächst primär auf die Benennung oder Beschreibung bestimmter syntaktischer Strukturen ab. Dies ist etwa der Fall in Diks (1981) Unterscheidung zwischen ‚Theme‘ und ‚Topic‘, die er für die Analyse von Satz-Konstruktionen mit Linksherausstellungen in Anspruch nimmt. Während ‚Topic‘ als Bestandteil der Subjekt-Prädikat-Struktur des Matrix-Satzes bestimmt ist, wird ‚Theme‘ auf die nach links herausgestellte Konstituente bezogen. 1 Ein weiteres Beispiel ist Vallduvis (1992) link -Begriff, mit dem er auf die seiner Meinung nach allgemein bestehende Funktion satzinitialer Konstituenten als „address pointer“ abzielt, d. h. als diejenige Konstituente, die den Gegenstand denotiert, auf den die durch den Satz ausgedrückte Information zu beziehen ist (Vallduvi 1992, 48). Demgegenüber werden in anderen Ansätzen informationsstrukturelle Kategorien zunächst unabhängig von ausdrucksseitigen Aspekten als kognitiv-kommunikative Kategorien expliziert und erst dann hinsichtlich ihres Niederschlags in der Struktur von Sätzen (unterschiedlicher Sprachen) untersucht. Für diese Vorgehensweise stehen m. E. Ansätze wie etwa die von Gundel (1988a; 1988b) oder Lambrecht (1994), die Topikalität nicht auf Konstituenten, sondern auf Diskurs referenten beziehen, die in einer besonderen Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition stehen. So ist etwa nach Lambrecht ein durch einen Satz realisierter Referent genau dann „topic of a proposition“, wenn „in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i.e. as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent“ (Lambrecht 1994, 131). Die pragmatische Perspektive einer solchen Explikation besteht somit zunächst vor allem darin, dass sie die Aboutness-Relation auf der Basis des Sprecher-Hörer-Verhältnisses deutet: Topik ist derjenige Diskursgegenstand, über den der Sprecher dem Hörer etwas Neues bzw. Relevantes mitteilen möchte. Wie sich diese Relation (in den jeweiligen Sprachen) ausdrucksseitig nieder- 1 Vgl. etwa die Beispiele in Dik (1981, 132 f.): (i) That guy (theme) , he (topic) is a friend of mine. (ii) As for Paris (theme) , the Eiffel tower (topic) is really spectacular. <?page no="11"?> 1 Einleitung 11 schlagen kann, ist dann eine daran anschließende Frage (vgl. u. a. Gundel 1988a; Lambrecht 1994). Auch für das Deutsche ist die Frage nach den ausdrucksseitigen Indikatoren für Topikalität nach wie vor Gegenstand der Diskussion. So wird etwa Satzinitialität als Topik-Indikator aufgefasst (Molnár 1991; 1993; Welke 2005); es wird vermutet, dass Topiks vornehmlich durch (Agens-)Subjekte realisiert werden (von Stutterheim/ Carroll 2005, Modrián-Horváth 2016); es werden bestimmte Herausstellungsstrukturen (Linksversetzungen) als Topik- oder Thema-indizierende Strukturen gedeutet (Selting 1993; Frey 2005; Endriss 2009); oder es wird die These vertreten, dass es im Mittelfeld des Deutschen eine feste Topik-Position gibt (Frey 2000; 2004). Ebenso wird aber auch auf die notorischen Schwierigkeiten hingewiesen, die insbesondere Satzabfolgen bei der Topik-Identifizierung bereiten (Cook/ Bildhauer 2013). In dieser Arbeit wird die These vertreten, dass es im Deutschen keine eindeutig ausgewiesene Position für Aboutness-Topiks gibt. Die Deutung eines Diskursreferenten als Topik (eines Satzes) beruht vielmehr auf spezifischen diskursiven (Situations-)Bedingungen, in denen der (aktuell geäußerte) Satz eingebettet ist. Ausgehend von dem pragmatischen Topik-Verständnis Lambrechts (1994) und Gundels (1988b) möchte ich der Frage nachgehen, wie diese Bedingungen genau aussehen und über welche Eigenschaften Diskursreferenten verfügen müssen, damit sie sich plausibel als Topiks deuten lassen. In der Arbeit wird drei zentralen Fragen nachgegangen. Die erste Frage bezieht sich auf den spezifischen Charakter der Aboutness-Relation. Wodurch genau zeichnet sich diese Relation aus und wie wird sie in den unterschiedlichen Ansätzen expliziert? Die zweite Frage bezieht sich auf das für Referenten mit Topikstatus immer wieder hervorgehobene Verhältnis von Topikalität und Präsupposition. Was genau ist darunter zu verstehen, wenn man sagt, dass Topiks präsupponiert sind? Die dritte Frage ist mit der zweiten eng verwandt und zielt auf die diskursiven Bedingungen für Topikalität und auf die Eigenschaften von Diskursreferenten mit Topikstatus ab: Welche diskursiven Bedingungen müssen für die Aboutness-Relation vorausgesetzt sein und über welche Eigenschaften müssen Diskursreferenten verfügen, wenn sie Topikstatus haben? Wie sich zeigen wird, sind es Frage/ Antwort-Kontexte, auf deren Basis sich die ‚Ideal‘-Bedingungen für die Identifizierbarkeit und die Eigenschaften ‚zweifelsfreier‘ Topiks am besten rekonstruieren lassen. Und wie sich des Weiteren zeigen wird, gestaltet es sich bzgl. der Identifizierbarkeit z.T. deutlich schwieriger, wenn man versucht, diese Bedingungen auf Satzabfolgen (d. h. auf Texte) zu übertragen. Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Das folgende Kapitel (Kap. 2) bietet zunächst einen kurzen Abriss älterer und neuerer Ansätze zur Informations- <?page no="12"?> 12 1 Einleitung struktur. In Kap. 3 sollen die jeweiligen Explikationsvorschläge der Autoren bezüglich des Aboutness-Begriffs vorgestellt werden. Bei der Diskussion der in manchen Punkten ähnlichen, sich im Detail aber auch deutlich unterscheidenden Ansätze soll das Hauptaugenmerk auf zwei Problemfelder gerichtet werden: zum einen auf die Frage nach dem Verhältnis von Topikalität und ‚Givenness‘, zum anderen auf die Frage, wie sich die Topik-Kategorie zur Fokus-Kategorie verhält. Ist die Fokus-Kategorie ebenfalls auf Diskursreferenten zu beziehen? Es wird sich zeigen, dass es Lambrechts Ansatz am besten gelingt, diese Problemfelder zufriedenstellend in den Griff zu bekommen. Wie wir sehen werden, zeichnet sich Lambrechts Ansatz durch zwei zentrale Merkmale aus: zum einen durch seine Unterscheidung zwischen Topik-Relation und Fokus-Relation, die beide in jeweils spezifischer Weise auf die durch den Satz ausgedrückte Proposition bezogen sind, und zum anderen durch seine Unterscheidung dreier „pragmatischer Gliederungstypen“ ( pragmatic articulations ), zu denen er neben dem Topik/ Kommentar-Typ auch den Satzfokus-Typ und den sogenannten Argumentfokus-Typ zählt. Die Unterscheidung dieser drei Typen wird in der Arbeit eine wesentliche Rolle spielen. In Kap. 4 wird das Verhältnis von Topikalität und Präsupposition genauer unter die Lupe genommen. Dieses Verhältnis wird häufig auf die (sprecherseitige) Präsupposition (adressatenseitiger) Identifizierbarkeit (Givenness) des Topik-Referenten ( Topic-Familiarity Condition , vgl. Gundel 1988a) reduziert. Zunächst soll darum noch einmal genauer gezeigt werden, dass das Vorhandensein dieser (sprecherseitigen) Voraussetzung für die Bestimmung der Topik-Relation allein nicht hinreicht. Dies ist nicht nur in Lambrechts Abgrenzung des Topik/ Kommentar-Typs von den zwei anderen von ihm vorgeschlagenen Gliederungstypen reflektiert, sondern gilt auch für seine Unterscheidung zwischen pragmatic presupposition und pragmatic assertion , innerhalb der das Kriterium hörerseitigen Identifizierungswissens keine unterscheidungsrelevante Rolle spielt. Der genaue Charakter dieser allen Gliederungstypen zugrunde liegenden Unterscheidung wird diskutiert, mit besonderem Augenmerk auf den Umstand, dass Präsupposition und Assertion propositional aufzufassen sind. Zum Abschluss des Kapitels werden die präsuppositionalen Eigenschaften von Diskursreferenten mit Topikstatus genauer bestimmt, deren Charakterisierung als hörerseitig „familiar“ bzw. „identifizierbar“ bei Lambrecht durch die Annahme weiterer Präsuppositionen (Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition) eine Präzisierung erfährt. Diese präsuppositionalen Eigenschaften stellen die Basis für meine Ausformulierung der Topik-Eigenschaften in Kap. 5 dar. Den Ausgangs- und Bezugspunkt bildet hierbei die Position, dass Topik-Referenten hörerseitig vorhersehbare ( predictable ) bzw. erwartbare ( expectable ) und daher aktivierte, d. h. <?page no="13"?> 1 Einleitung 13 vorerwähnte „Argumente der Prädikation“ sind (Lambrecht/ Michaelis 1998). Letzteres, nämlich die Position, dass Topiks als „Argumente der Prädikation“ aufzufassen sind, findet sich auch in Ansätzen, die, wie ich zeigen werde, einen ‚weiten‘ Topik-Begriff zugrunde legen (u. a. Jacobs 2001, Erteschik-Shir 2007). Das zentrale Konzept ‚weiter‘ Topik-Ansätze ist m. E. der Adressen -Begriff (siehe etwa Jacobs 2001). Topiks stellen nach dieser Auffassung die sogenannte ‚Adresse der Prädikation‘ dar, d. h. Topik ist derjenige ‚Gegenstand‘, auf den die Prädikation abzielt und in Hinblick auf den der durch den Satz ausgedrückte propositionale Gehalt hinsichtlich seines Wahrheitswerts „überprüft“ ( assessed ) wird (Reinhart 1981; Erteschik-Shir 2007). Wie gezeigt wird, unterscheiden sich Adressierungsansätze von ‚engen‘ Topik-Ansätzen (Gundel, Lambrecht) insbesondere darin, dass sie auf das Kriterium der (vorausgesetzten) Hörerfamiliarity verzichten und das Spezifizitätskriterium für die Eignung eines Ausdrucks als Topik-Ausdruck für ausreichend halten. Wie ich zeigen werde, ergeben sich aus diesem Zugriff jedoch gewisse Konsequenzen für das Verständnis von Topikalität als Relation der Aboutness, dem auch ‚weite‘ Topik-Ansätze grundsätzlich verhaftet bleiben. Eine Konsequenz ist, dass mit der Beschränkung der Aboutness-Relation auf die, wie ich es nennen werde, semantische Ebene der Prädikation die Unterscheidbarkeit der drei Lambrecht’schen Gliederungstypen (Topik/ Kommentar, Argumentfokus, Satzfokus) hinfällig wird. Die wesentliche Konsequenz der Gleichsetzung von Topikalität und Adressierung besteht jedoch darin, dass es so nicht gelingt, die Topik- (bzw. Aboutness-)Relation auf der Basis der pragmatischen Unterscheidung von Präsupposition und Assertion zu explizieren. So können etwa Prädikationsadressen auch zur Assertion gehören, was in bestimmten Argumentfokus-Kontexten der Fall ist. Würde man einen solchen Zusammenfall von Topik und Fokus zulassen, so wäre damit in der Konsequenz aber auch die Herleitung der Aboutness-Relation aus der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion (und ebenso ihr Verständnis als Spezialfall dieser Unterscheidung) hinfällig. Zwar möchte ich das Adressenkonzept für die Charakterisierung von Topiks übernehmen, jedoch mit der Einschränkung versehen, dass Topiks zwar immer die Adresse der Prädikation bilden, aber Prädikationsadressen nicht notwendig Topikstatus haben müssen. Den Status von Topiks als Adressen und ‚centers of current interest‘ (Strawson) möchte ich über den Begriff der diskursiven Salienz fassen. Anhand einer Reihe von (konstruierten) Beispielen werde ich zeigen, auf welche Faktoren die Salienz eines Referenten zurückgeführt werden kann. So ist die Salienz eines Referenten nicht nur durch seine adressatenseitige Zugänglichkeit, sondern auch durch bestimmte diskursive Aspekte bedingt. Auf der Basis dieser Faktoren lassen sich Topiks dann als Adressen charakterisieren, die diskursiv salient, aktiviert und (somit notwendig auch) adressatenseitig zugäng- <?page no="14"?> 14 1 Einleitung lich sind. Zum Abschluss des fünften Kapitels werde ich noch auf einige Konsequenzen eingehen, die sich aus der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Position ergeben, dass Topikalität eine Status-Eigenschaft von Diskurs referenten ist. Wie die in Kap. 5 diskutierten Beispiele zeigen werden, sind es vor allem Frage/ Antwort-Kontexte, in denen sich leicht rekonstruieren lässt, ob einem Referenten die oben genannten Eigenschaften zugesprochen werden können oder nicht. Der wesentliche Grund hierfür ist, dass Frage/ Antwort-Kontexte über eine vergleichsweise hohe diskursive ‚Transparenz‘ verfügen: Durch die (vorausgesetzte) Frage ist nicht nur festgelegt, welcher Referent (bzw. welche Referenten) als aktiviert und adressatenseitig zugänglich gelten kann (bzw. können), sondern es ist darüber hinaus auch in hohem Maße durchsichtig, welche Elemente im Antwortsatz zur Assertion (im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion) gehören. Diese (Fragekontext-induzierte) Transparenz kann für Satzabfolgen jedoch nicht vorausgesetzt werden. Dennoch wird auch für Texte vorgeschlagen, die darin enthaltenen Sätze als Antwortsätze zu deuten. So setzen auch einschlägige Topik-Identifizierungstests (vgl. Götze et al. 2007) voraus, dass sich prinzipiell jeder assertierende Satz (isoliert ebenso wie innerhalb von Satzabfolgen) als Antwort auf eine (implizit) vorausgesetzte Frage analysieren lässt. Wie ich im sechsten Kapitel zunächst zeigen werde, ist dieser Analysezugriff aber durchaus problematisch - weswegen fragebasierte Identifizierungstests (aber nicht nur diese! ) schnell an ihre Grenzen kommen. Auch der sogenannte Quaestio-Ansatz (Klein/ von Stutterheim 1992; von Stutterheim 1997) geht von der These aus, dass die einen Text konstituierenden Sätze als Antworten auf implizit vorausgesetzte Fragen deutbar sind. Dies ist auch die Auffassung von van Kuppevelt (1995), der in seinem Ansatz die These vertritt, dass Satzabfolgen sogenannte „topic-forming questions“ generieren. Diese zwei Ansätze werde ich in Kap. 6.2 kritisch diskutieren und zeigen, dass sich aus Satzabfolgen keine eindeutigen Frage/ Antwort-Kontexte ableiten lassen, weswegen die so generierten Fragen nichts zur Topik-Identifizierung beitragen können. Die mit den einschlägigen Identifizierungstests (die sich letztlich alle als Wohlgeformtheitstests erweisen) einhergehende Vermutung ist (u. a.), dass sich Topikalität (auch) syntaktisch niederschlägt. Hiervon geht (eingeschränkt) auch Frey (2000; 2004) aus, der für das Mittelfeld eine feste Topik-Position annimmt. Dass dies m. E. nicht der Fall ist, werde ich in Kap. 6.3 diskutieren. Zum Abschluss des sechsten Kapitels werde ich diskutieren, auf welche Anhaltspunkte für die Topik-Identifizierung rekurriert werden kann, wenn, wie in Satzabfolgen, Frage/ Antwort-Kontexte wegfallen. Die Frage ist dann, wie gut die daraus abgeleiteten Topik-Bedingungen auf Texte übertragbar sind und wie <?page no="15"?> 1 Einleitung 15 erfolgreich die Eigenschaften ‚idealer‘ Topiks auch bei Textreferenten nachgewiesen werden können. Anhand einer Reihe von authentischen Text-Beispielen werde ich zeigen, dass dies - wenn auch mit gewissen Abstrichen - durchaus möglich ist: Auf der Basis der in Kap. 5 ermittelten Bedingungen und Eigenschaften lassen sich drei Parameter ( Zugänglichkeit , Adressenstatus sowie Gliederungstyp-Zuordnung ) formulieren, die in Kombination miteinander Kriterien für die Topikstatus-Zuschreibung liefern können, sodass sich der Topikstatus eines Textreferenten kategorisch ausschließen lässt oder ein Textreferent sich als ‚gutes‘, ‚weniger gutes‘ oder u. U. sogar ‚schlechtes‘ Topik erweist. <?page no="17"?> 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur Das Kapitel beginnt mit einem kurzen historischen Abriss über die aus meiner Sicht zentralen Entwicklungsstufen informationsstruktureller Kategorienbildung. Diese Entwicklung hat ihre Anfänge im 19. Jahrhundert mit Henri Weils Unterscheidung zwischen „mouvement objectif“ und „mouvement subjectif“ und wird um die Wende zum 20. Jahrhundert mit der Unterscheidung zwischen psychologischem vs. grammatischem Subjekt bzw. Prädikat von Georg v. d. Gabelentz und Hermann Paul weitergeführt. Sie erreicht um die Mitte des 20. Jahrhunderts ihren ersten Höhepunkt mit dem u. a. von Vilém Mathesius, einem Mitbegründer der sogenannten ‚Prager Schule‘, geprägten Konzept der ‚Funktionalen Satzperspektive‘, durch die das bekannte Terminologie-Paar ‚Thema/ Rhema‘ geprägt wurde. Im Anschluss an diesem kurzen historischen Abriss werde ich drei zeitgenössischere Ansätze vorstellen, zunächst den von Jan Firbas entwickelten und stark in der Tradition der Prager Schule stehenden Begriff des ‚Kommunikativen Dynamismus‘ (ausführlich dargestellt in Firbas 1992), in dem versucht wird, die ‚Thema/ Rhema‘-Dichotomie durch ein graduelles Konzept zu ersetzen. Danach stelle ich zwei Ansätze vor, die eine Ebenen-Unterscheidung vornehmen, zunächst das Modell von Halliday, der ein Zwei-Ebenen-Modell vorschlägt, das zwischen der Satzgegenstand/ Satzaussage-Ebene ( Theme / Rheme ) und einer (im engeren Sinne) „informationsstrukturellen“ Ebene unterscheidet, die allein auf die bekannt/ neu-Dichotomie ( given / new ) abzielt (vgl. ausführlich Halliday 1985). Zum Abschluss des ersten Kapitels wird das Drei-Ebenen-Modell von Molnár (1993) vorgestellt, in dem neben der Satzgegenstand/ Satzaussage-Ebene (Topik/ Kommentar) und bekannt/ neu-Ebene (in Molnárs Terminologie: Thema/ Rhema) noch eine dritte Ebene (Fokus/ Hintergrund) hinzukommt, mit der sie auf sprecherseitige Relevanz-Setzungen abstellt und die ihrer Meinung nach relativ unabhängig von den zwei anderen Ebenen operiert. Inwieweit die Unabhängigkeit und Unterscheidbarkeit dieser verschiedenen Ebenen gewährleistet ist, werde ich insbesondere anhand dieses Modells diskutieren. Es wird sich zeigen, dass die Schwierigkeiten, die hierbei zutage treten, auf Problemen basieren, die uns auch noch in den nachfolgenden Kapiteln begleiten werden. <?page no="18"?> 18 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur 2.1 Historische Ansätze: psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat Als einer der frühesten Ansätze zur Analyse von Äußerungen unter kommunikativen Gesichtspunkten kann Henri Weils Essay De l’ordre des mots dans les langues anciennes comparées aux langues modernes (1844) gelten. Ausgehend von der Feststellung, dass eine klassische Sprache wie das Lateinische eine wesentlich freiere Wortstellung aufweist als beispielsweise die aus ihr hervorgegangenen romanischen Sprachen, entwickelt er Ideen zur Funktion der Stellung der Satzglieder in Abgrenzung zu den von ihnen ausgedrückten syntaktischen Relationen. Weil unterscheidet hierbei zwischen einem „mouvement objectif, qui est exprimé par les rapports syntaxiques“ und einem „mouvement subjectif, qui est exprimé par l’ordre des mots“ (Weil 1844, 21). Während die ‚objektive‘ Ebene der syntaktischen Relationen sich auf die äußeren Dinge bezieht - „la syntaxe se rapport aux choses, à l’extérieur“ -, steht die ‚subjektive‘ Ebene in Relation zum Sprecher, „au sujet qui parle“. Die „succession des mots“ orientiert sich dabei an den Bedingungen der Äußerungssituation: Il y a donc un point de départ, une notion initiale, qui est également présente et à celui qui parle et à celui qui écoute, qui forme comme le lieu où les deux intelligences se rencontrent; et une autre partie du discours, qui forme l’énonciation proprement dite. Cette division se retrouve dans presque tout ce que nous disons. (Weil 1844, 20) Hier finden sich im Kern schon alle wesentlichen Aspekte, die in unterschiedlicher Begrifflichkeit auch in späteren Ansätzen immer wieder auftauchen werden. Weil unterteilt den Satz in zwei Bereiche: Der satzintiale Teil als Basis und Ausgangspunkt ( point de départ ) der Äußerung umfasst das, was Sprecher und Hörer „gegenwärtig“ ist, mit anderen Worten: was an Bekanntes anknüpft. Der daran anschließende Teil bildet die „eigentliche Aussage“ ( énonciation proprement dite ), d. h. die neue Information, um derentwillen der Sprecher den Satz äußert. Weil spricht in diesem Zusammenhang an anderer Stelle auch vom „but du discours“ (Weil 1844, 21). Die Kennzeichnung der Satzelemente im Hinblick auf ihren kommunikativen Status als alte bzw. neue Information durch ihre Stellung im Satz - für Weil ein hervorstechendes Merkmal der klassischen Sprachen - demonstriert er anhand von Beispielen aus dem Lateinischen, in dessen freier Wortstellung er die funktionale Differenzierung zwischen „mouvement objectif“ und „mouvement subjectif“ deutlich ausgeprägt sieht (vgl. ebd., 20 f.). Wortstellungsvarianten wie beispielsweise Romulus condidit Romam und condidit Romam Romulus , die hinsichtlich ihrer syntaktischen Relationen identisch sind - beide benennen ‚objektiv‘ denselben Sachverhalt - sind ‚subjektiv‘ auf verschiedene Kommunika- <?page no="19"?> 2.1 Historische Ansätze: psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat 19 tionskontexte zu beziehen, in denen jeweils anderes als bekannt vorausgesetzt ist. Weil deutet die erste Variante als Aussage über die Person Romulus, wobei die satzinitiale Stellung das Subjekt als bekannt auszeichnet, und die zweite Variante Auskunft darüber, wer Gründer der Stadt Rom ist, sodass das Subjekt als Träger der neuen Information an den Schluss des Satzes rückt. Weils Ansatz, zusätzlich zur Ebene der syntaktischen Relationen eine zweite, kommunikativ orientierte Ebene anzunehmen, ist von späteren Autoren aufgegriffen, jedoch in unterschiedlicher Weise inhaltlich bestimmt worden. Während sich Weil in seiner funktionalen Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Ebene noch an einzelsprachlichen Strukturmerkmalen orientiert 2 - die Beziehung der Satzglieder zueinander wird morphologisch, ihre Beziehung zur Äußerungssituation über die Wortstellung markiert - erhält die Interpretation des von Weil so genannten „mouvement subjectif“ bei Georg v. d. Gabelentz (1891) eine von der sprachlichen Ebene losgelöste, psychologische Interpretation. 3 V. d. Gabelentz analysiert die Struktur von Sätzen bzw. Äußerungen auch hinsichtlich ihres Informationsstatus, wobei er seine Bestimmung informationsstruktureller Kategorien an den Bedingungen der Informationsübermittlung festmacht. Wie lässt sich nun der Informationsstatus der einzelnen Redebestandteile bestimmen? V. d. Gabelentz nimmt hierfür eine adressatenorientierte Perspektive ein. Ziel einer Äußerung ist es nämlich, das eigene Vorstellungsbild in gleicher Form beim Hörer zu erzeugen. Diesen Vorgang vergleicht v. d. Gabelentz mit dem Beschreiben eines Papierstreifens in einem Telegraphenapparat, wobei die beschriebene Rolle „immer stärker anschwillt“ und der Papierstreifen „der noch vollgeschrieben werden soll […], zur anderen Rolle hinübergleitet“ (v. d. Gabelentz 1891, 369). Der Sprecher kennt den gesamten Vorstellungsinhalt, in der vom Autor gewählten Metapher also den beschriebenen sowie den unbeschrieben Teil des Papierstreifens; der Hörer muss die Vorstellung im Verlauf der Äußerung erst noch vervollständigen. Einen solchen Akkumulationsprozess stellt sich v. d. Gabelentz als durchaus sprechergelenkt vor. Der Sprecher „leitet 2 Weil entwickelt seine Begrifflichkeit auf der Basis der Strukturmerkmale der klassischen Sprachen und möchte sie auch nur auf diese anwenden. So beurteilt er etwa die Struktur der modernen romanischen Sprachen als rein „objektiv“. Die subjektive, sprecherbezogene Ebene sei dort mit derjenigen der grammatischen Relation zusammengefallen. Das Subjekt habe dort auch die Funktion des „point de départ“ übernommen: „Nos langues tendent de plus en plus à remplacer cette double marche de la phrase par une seule marche. […] nos langues tendent à faire du sujet le point de départ de la pensée même“ (Weil 1844, 28). 3 Georg von der Gabelentz, Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse . Leipzig 1891. (Zitiert nach dem Nachdruck der 2. Auflage von 1901, Tübingen 1972). <?page no="20"?> 20 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur […] mit dem ersten Worte des Anderen Denken auf eine gewisse Vorstellung und dann weiter und immer weiter, immer neue Erwartungen jetzt weckend, jetzt, gleich darauf, befriedigend“ (ebd., 369). V. d. Gabelentz’ Pointe ist es nun, den Zusammenhang zwischen schon Gehörtem und Erwartetem im Verlauf der Äußerung in Analogie zu den grammatischen Kategorien Subjekt und Prädikat zu bestimmen: Ich nenne zuerst dasjenige, „was mein Denken anregt, mein psychologisches Subject, und dann das, was ich darüber denke, mein psychologisches Prädicat“ (ebd., 369 f.). Das, worüber man etwas mitteilt und das, was man darüber mitteilt, also psychologisches Subjekt bzw. Prädikat, kann den jeweiligen grammatischen Kategorien entsprechen, es kann aber auch ganz anderen grammatischen Einheiten zugeordnet sein, wie v. d. Gabelentz anhand zahlreicher Beispiele demonstriert (vgl. 370 f.). So lässt sich etwa in einem Satz wie (1) Gestern war mein Geburtstag. die adverbiale Bestimmung gestern unter bestimmten Bedingungen als psychologisches Subjekt auffassen, nämlich dann, wenn „ich von einem gewissen Tage [rede] und […] von ihm aus[sage], dass er mein Geburtstag war“ (ebd., 370). Und in einem Sprichwort wie (2) Mit Speck fängt man Mäuse. übernimmt die satzinitiale Adverbialbestimmung ( mit Speck ) die Rolle des psychologischen Subjekts, denn, so v. d. Gabelentz, nicht vom grammatischen Subjekt man sei hier die Rede, sondern das Mittel (der Speck) bilde den Gegenstand der Äußerung, von dem dann ausgesagt werde, was man damit macht, nämlich Mäuse zu fangen (vgl. ebd., 370). Im Rahmen seiner Ausführungen zur Funktion der Intonation beschreibt v. d. Gabelentz des Weiteren Phänomene, die in heutiger Terminologie als Fokus- oder Kontrastakzent bezeichnet werden: Was wir für’s Ohr betonen, für’s Auge unterstreichen oder typographisch auszeichnen lassen, ist also dasjenige, worauf es uns besonders ankommt, was uns das wichtigste ist. Wichtig ist es uns in Rücksicht auf einen vorhandenen oder vorgesetzten Gegensatz. (373) Hier kommt v. d. Gabelentz einer adressatenorientierten Perspektive recht nahe; einen systematischen Zusammenhang zu seinem Verständnis der psychologischen Subjektsbzw. Prädikatsebene stellt er jedoch nicht her. Explizit weist er diese Kategorienebene der Wortstellung zu: <?page no="21"?> 2.1 Historische Ansätze: psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat 21 Nicht die Betonung, sondern die psychologischen Subjects- und Prädicatsverhältnisse entscheiden über die bevorzugte Stellung der Satzglieder, und das seelische Verhalten, das sich in der Betonung äussert, hat mit jenem Verhältnisse nichts zu thun. (376) Das, worüber gesprochen werden soll, ist im Verlauf der Äußerung des Satzes zuerst zu nennen. Was darüber ausgesagt wird, muss dann daran angeschlossen werden. 4 Mit seiner Metapher vom Telegraphenapparat will v. d. Gabelentz verdeutlichen, dass diese Reihenfolge zwingend aus den Bedingungen der Kommunikationssituation hervorgeht, wobei er diese nicht dialogorientiert, also im Hinblick auf wechselseitige Äußerungsabfolgen zwischen zwei Gesprächsteilnehmern betrachtet, sondern unter dem Aspekt der Mitteilung von Information an einen Adressaten. Die Satzgliedstellung hat für ihn somit eine informationsstrukturierende Funktion: Sie zeigt an, welche Elemente als das ‚Worüber‘ des Satzes zu verstehen sind, unabhängig von ihren oberflächengrammatischen Relationen. In heutige Terminologie lässt sich v. d. Gabelentz’ psychologisches Subjekt und Prädikat wohl am besten mit den Begriffen Satzgegenstand und Satzaussage übersetzen. Seine Perspektive ist zwar adressatenorientiert, sie bleibt hierbei aber wesentlich der Linearität der Äußerungsabfolge in ihrer sprachlichen Realisierung und deren Perzeption durch den Hörer verhaftet. Hieraus erklärt sich wohl seine Auffassung, dass das psychologische Subjekt dem psychologischen Prädikat immer vorauszugehen habe. Hermann Paul (1880), der ebenfalls die Begriffe psychologisches Subjekt bzw. Prädikat verwendet, 5 folgt ihm in diesem Punkt nicht, und dies hat seinen Grund vor allem darin, dass er hinsichtlich der Informationsstrukturierung von Äußerungen weitere Aspekte mit in den Blick nimmt. Seine Definition ist dabei zunächst ähnlich wie die von Georg v. d. Gabelentz von wahrnehmungspsychologischen Begriffen geleitet: Das psychologische Subjekt ist die zuerst in dem Bewusstsein des Sprechenden, Denkenden vorhandene Vorstellungsmasse, an die sich eine zweite, das psychologische Prädikat anschliesst. Das Subjekt ist […] das Apperzipierende, das Prädikat das Apperzipierte. (Paul 1880, 124 f.) 4 In seinem Aufsatz „Ideen zu einer vergleichenden Syntax“ von 1869 schreibt er: „Die Stellung jener beiden psychologischen Hauptteile des Satzes ist nun meines Erachtens naturgemäß die, daß das Subjekt zuerst, das Prädikat zu zweit steht. […] Man muß uns eben den Gegenstand zeigen, wenn wir ihn betrachten“ (379). 5 Siehe das 6. Kapitel seiner Prinzipien der Sprachgeschichte (1880), Nachdruck Tübingen (1972). Zitiert nach der 10. Auflage des Nachdrucks, Tübingen (1995). <?page no="22"?> 22 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur Grammatisches Subjekt und Prädikat sind aus diesen psychologischen Kategorien abgeleitet zu denken, sie „beruhen auf einem psychologischen Verhältnis“ (ebd., 124). Zwar bestimmt auch Paul den Satz als Ausdruck der „Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen in der Seele des Sprechenden“ (ebd., 121) und wie bei v. d. Gabelentz ist auch für ihn der Satz „das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hörenden zu erzeugen“ (ebd.), jedoch müssen diese nicht in jeder Redesituation vollständig ausgedrückt werden. Paul erläutert dies im Rahmen seiner Diskussion der Subjekt-Prädikat-Abfolge. Kritisch wendet er sich gegen v. d. Gabelentz’ Annahme, dass das psychologische Subjekt ausnahmslos die erste Position einnehme. Zwar gesteht er zu, dass dies in vielen Fällen zutreffe, insbesondere „bei ruhiger Erzählung oder Erörterung“ (ebd., 127), die umgekehrte Reihenfolge sei jedoch eine „nicht wegzuleugnende und nicht gar seltene Anomalie“ (ebd.). Das psychologische Subjekt […] ist zwar immer früher im Bewusstsein des Sprechenden, aber indem er zu sprechen anfängt, kann sich der bedeutsamere Prädikatsbegriff schon so in den Vordergrund drängen, dass er zuerst ausgesprochen und das Subjekt erst nachträglich angefügt wird. (ebd., 127) Dies ist etwa der Fall, „wenn der Subjektsbegriff schon vorher im Gespräche da gewesen ist“ (ebd.). Als Beispiel hierfür nennt Paul den folgenden Dialog (siehe ebd.): (3) Müller scheint ein verständiger Mann zu sein. - Ein Esel ist er. In einem Frage-Antwort-Dialog wie: Was ist mit Maier? - Kaufmann (ist er). (vgl. ebd., 127) hat der Angeredete „in der Regel, während er das Prädikat hört, schon das dazu gehörige Subj. im Sinne, welches daher auch manchmal eben so gut wegbleiben kann“ (ebd.). Derartige Beispiele weisen für Paul eine Verwandtschaft mit Sätzen auf, „in denen überhaupt nur das Präd. ausgedrückt wird“ (ebd.). Dies ist nach Paul etwa dann der Fall, wenn die Antwort nur aus einem psychologischen Prädikat besteht, da sein Gegenstück, das psychologische Subjekt, in der vorangegangenen Frage enthalten ist oder der gesamte Fragesatz als psychologisches Subjekt gelten kann (vgl. ebd., 129): (4) Wer hat dich geschlagen? - Max. (5) Bist du das gewesen? - Ja. Diese „dem sprachlichen Ausdruck nach eingliedrigen Sätze“ (ebd.) sind also darum kommunikativ adäquat, weil die Zweigliedrigkeit der psychologischen <?page no="23"?> 2.1 Historische Ansätze: psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat 23 Ebene im Kontext des Frage-Antwort-Dialogs verankert ist. Entsprechend können dann auch eingliedrige Sätze wie Feuer! oder Hilfe! auf der psychologischen Ebene als zweigliedrig analysiert werden, weil dort die Äußerungssituation das psychologische Subjekt bildet. Aus diesem Grund stehen syntaktisch eingliedrige Äußerungen auch nicht in Konflikt mit seiner Definition vom Satz als Ausdruck miteinander in Verbindung stehender „Vorstellungsgruppen“ (ebd., 121), denn ihre kommunikative Adäquatheit ist immer durch die Mehrgliedrigkeit der psychologischen Ebene, mit der sie assoziiert sind, gewährleistet. Nicht nur weil er sich von der Betrachtung des isolierten Satzes löst und ebenfalls kontextuelle und situative Faktoren mitberücksichtigt, geht Paul über v. d. Gabelentz hinaus, auch sein Verständnis des psychologischen Subjekts und Prädikats erfährt eine Neuausrichtung. Ist v. d. Gabelentz’ Verständnis noch von der Gegenüberstellung von Satzgegenstand und Satzaussage geprägt, so lässt sich bei Paul vor allem für das psychologische Prädikat eine weiterreichende Bestimmung ausmachen. So führt er etwa an, dass sich das Prädikat als der „bedeutsamere“ Bestandteil des Satzes „in den Vordergrund drängen“ kann (s. o.) und im 16. Kapitel der Prinzipien heißt es: Am schärfsten von den übrigen Gliedern des Satzes sondert sich […] das psychologische Präd. ab als das wichtigste, dessen Mitteilung der Endzeck des Satzes ist, auf welches daher der stärkste Ton fällt“ (Paul 1880, 283). Paul veranschaulich dies an dem Satz Karl fährt morgen nach Berlin , in dem nahezu jedes Wort intonatorisch als psychologisches Prädikat ausgezeichnet werden kann. Je nach der vom Sprecher vorausgesetzten „Disposition des Angeredeten“ (ebd.), d. h. je nach dem, was ein Sprecher im jeweiligen Äußerungskontext als bekannt voraussetzt, weist er das betonte Element als die neue Information aus, auf deren Mitteilung die Äußerung abzielt. Die in dem Beispielsatz möglichen Betonungsvarianten lassen sich dann als Antworten auf vier verschiedene Fragen verstehen, in denen jeweils etwas anderes erfragt wird (vgl. ebd, 283): (6a) Wohin fährt Karl morgen? Karl fährt morgen nach Berlin. (6b) Wann fährt Karl nach Berlin? Karl fährt morgen nach Berlin. (6c) Wie reist Karl nach Berlin? Karl fährt morgen nach Berlin. (6d) Wer fährt morgen nach Berlin? Karl fährt morgen nach Berlin. Die Beispiele zeigen nicht nur, dass prinzipiell jedes Satzglied die Rolle des psychologischen Prädikats einnehmen kann; selbst dort, wo psychologisches und grammatisches Prädikat zusammenfallen - wie in (6c) - sind die zwei Ebenen nicht völlig identisch. So lässt sich für die Antwortvariante in (6c) ein Frage- <?page no="24"?> 24 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur kontext konstruieren, in dem die Tatsache, dass Karl nach Berlin reist, schon bekannt ist „und nur noch nicht, ob er dahin geht oder reitet oder fährt“ (ebd.). Wie die Beispiele zeigen, ist die Realisierung des psychologischen Prädikats (bzw. Subjekts) nicht auf eine bestimmte syntaktische Position festgelegt. Dennoch gibt es auch syntaktische Strategien zur Kenntlichmachung des psychologischen Prädikats. Diese greifen etwa dann, wenn es gilt, den „Widerspruch zwischen grammatischem und psychologischem Prädikat […] durch eine umständlichere Ausdrucksweise [zu] vermeiden“ (ebd., 285). Hierzu zählt er „Herausstellungskonstruktionen“ (vgl. Altmann 1981) wie etwa die folgende, die in heutiger Terminologie als Spaltsatz bezeichnet wird (vgl. ebd.): (7) Christen sind es, die es getan haben. Der „Widerspruch“ entsteht Paul zufolge durch die Tendenz, die psychologische Subjektbzw. Prädikatsebene mit der grammatischen zu identifizieren. Dass dies so ist, führt Paul auf sprachgeschichtliche Prozesse zurück. Im Zusammenhang mit der Spezialisierung von Ausdrücken für bestimmte syntaktische Funktionen, etwa der Kopula als „Bindeglied“ (ebd., 293) zwischen psychologischem Subjekt und Prädikat, kommt es dann zu einer Verfestigung der Konstruktion: „Indem gewisse Wörter regelmässig so verwendet werden, wird die psychologische Kategorie zu einer grammatischen“ (293 f.). Soll nun aber das grammatische Subjekt als das in kommunikativer Hinsicht „bedeutsamere“ Element der Äußerung herausgestellt werden, so müssen Sprecher zu Ausweichkonstruktionen greifen. Durch die Spaltsatz-Konstruktion in (7) wird das grammatische Subjekt dann gewissermaßen als psychologisches Prädikat ausgewiesen. 6 2.2 Die Prager Schule und der Begriff der Funktionalen Satzperspektive Die Analyse von Sätzen unter informationsstrukturellen Gesichtspunkten hat in den Ansätzen der sogenannten Prager Schule ihre Fortführung gefunden. Aber im Gegensatz zu Paul und v. d. Gabelentz, deren Terminologie, wie wir gesehen haben, wesentlich auf einem psychologisch geprägten Satzverständnis fußt, entwickelt die Prager Schule eine an sprachlichen Strukturen orientierte Perspekti- 6 Dies ist so natürlich nicht ganz korrekt, denn im ‚abgespaltenen‘ Kopulasatz ist das grammatische Subjekt ja das semantisch leere expletive es , und das nominale Element ( Christen ) bildet zusammen mit der Kopula auch dort das grammatische Prädikat. Die Satzspaltung bewirkt also, dass das psychologische Prädikat grammatisches Prädikat des Kopulasatzes ist! <?page no="25"?> 2.2 Die Prager Schule und der Begriff der Funktionalen Satzperspektive 25 ve. Dies zeigt sich etwa daran, dass dort verstärkt die strukturellen Unterschiede zwischen den Sprachen in den Blick genommen werden. So entwickelt Vilém Mathesius, der als einer der Begründer des Prager Linguistenkreises gilt, seine Bestimmung informationsstruktureller Kategorien vor allem auf der Grundlage kontrastiver Untersuchungen. Mathesius’ Einsichten bilden die Basis für Konzepte, die bei seinen Nachfolgern unter dem Titel „Funktionale Satzperspektive“ bzw. „Thema-Rhema-Gliederung“ firmieren. Den Anlass seiner Überlegungen zur Informationsstruktur von Sätzen bilden für ihn die Unterschiede im Tschechischen, Deutschen und Englischen hinsichtlich der Möglichkeit freier Wortstellung. Während sich die Wortfolge des Tschechischen durch ihre „Plastizität“ (Mathesius, 1929a, 6) auszeichnet, weist das Englische eine feste Wortstellung auf, und diese strukturellen Unterschiede möchte er einer funktionalen Deutung unter kommunikativen Gesichtspunkten unterziehen. In seinem Aufsatz „Die Funktionale Linguistik“ aus dem Jahr 1929 führt Mathesius hierfür den Begriff der aktuellen Satzgliederung ein: 7 „Der eigentliche Wortfolgefaktor im Tschechischen ist das Moment der aktuellen Satzgliederung“ (1929a, 6). Und mit explizitem Bezug auf die Terminologie von Paul und v. d. Gabelentz bestimmt er diese hinsichtlich informationsstruktureller Kategorien: Jede zweigliedrige Mitteilung zerfällt in zwei Teile. Der erste von ihnen ist der Teil, der etwas verhältnismäßig Neues ausdrückt und in dem das konzentriert ist, was man in dem Satz behauptet. Dieser Teil des Satzes wird manchmal auch als psychologisches Prädikat bezeichnet, wir aber bezeichnen ihn lieber als Mitteilungskern, um ihn von dem grammatischen Prädikat deutlicher zu unterscheiden, mit dem er nicht immer zusammenfällt. Der zweite Teil des Satzes enthält die Basis der Mitteilung oder Thema, nach der älteren Terminologie das psychologische Subjekt, d. h. die ver- 7 Der Aufsatz erschien zuerst in tschechischer Sprache unter dem Titel „Funkční linguistika“. Der Begriff „aktuelle Satzgliederung“ ist eine wörtliche Übersetzung des tschechischen Originalterminus „aktuální členění větné“; das Wort „členění“ entspricht dem deutschen Wort „Gliederung“. (Zur Terminologiegeschichte vgl. Daneš et al. 1974). Die Terminologie in Mathesius’ Schriften ist alles andere als einheitlich. Einer der Gründe für die begriffliche Unübersichtlichkeit ist wohl auch der Umstand, dass ursprünglich in tschechischer Sprache verfasste Schriften in ihren posthumen Übersetzungen terminologisch dem aktuellen Gebrauch angepasst wurden. Dies gilt besonders für Übertragungen ins Englische. So wird der Begriff in der englischen Version des Aufsatzes (in: Vachek (Hg.) 1983, 121-142) mit dem heute gebräuchlichen Terminus „functional sentence perspective“ wiedergegeben, eine Begriffsvariante, die laut Daneš et al. zuerst von Firbas gebraucht wird. Auch Mathesius verwendet schon den Begriff der Satzperspektive, und zwar in seinem in deutscher Sprache verfassten Aufsatz „Zur Satzperspektive im modernen Englisch“ (1929b). <?page no="26"?> 26 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur hältnismäßig bekannten oder auf der Hand liegenden Dinge, von denen der Sprecher ausgeht. (1929a, 6 f.) 8 Der „Mitteilungskern“, der hier auf etwas irreführende Weise als „erster“ Teil eingeführt wird, nimmt allerdings nicht die erste Position ein. Im Normalfall, so Mathesius, gehe das Thema dem Mitteilungskern voraus; dies ist die sogenannte „objektive Abfolge“. Bei einer „erregten Behauptung“ kann jedoch auch der umgekehrte Fall vorliegen, in diesem Fall spricht er von einer „subjektiven Abfolge“ (ebd., 7). Für das Tschechische ist es nach Mathesius charakteristisch, dass grammatische Kategorien dort in weitaus geringerem Maße als etwa im Englischen mit informationsstrukturellen Kategorien wie Thema bzw. Mitteilungskern zusammenfallen. Das heißt, wenn andere grammatische Kategorien als das Subjekt das Thema des Satzes bilden, dann nehmen diese an seiner Stelle die erste Position im Satz ein. Die Wortfolge des Tschechischen ist somit nicht im strikten Sinne „frei“, sondern lässt sich auf der Basis der „aktuellen Satzgliederung“ funktional deuten. Die Erklärung für den Verlauf vom Bekannten zum Neuen findet sich nach Mathesius in der Hörerorientierung der Äußerungshandlung. In der posthum erschienenen Monographie „A functional analysis of present day English on a general linguistic basis“ (1975) führt er hierzu aus: When we realize the relation between the speaker and the hearer we find that the order theme - rheme takes into account the hearer. The speaker starts from what is known and proceeds to what is new. […] Above all, the arrangement to be avoided is the choice of a theme that has not yet been stated in the preceding sentence, and secondly, the rhematic elements should not be introduced too early since they might be misinterpreted by the hearer (or reader), who expects that rhematic elements will constitute the culmination of the sentence. (82 f.) 9 Abgesehen von der Ersetzung der alten, psychologischen Terminologie scheinen Mathesius’ Ausführungen in den hier zitierten Passagen noch auf der Linie von Hermann Paul zu bleiben und nicht über dessen Ansätze hinauszugehen. Sein Aufsatz „Zur Satzperspektive im modernen Englisch“ (Mathesius, 1929b) zeigt jedoch deutlich die funktionale Perspektive seines Ansatzes. Dort analysiert er die Funktion des grammatischen Subjekts im Englischen und weist 8 In der englischen Version findet sich das von Mathesius selbst noch nicht verwendete Begriffspaar ‚Thema - Rhema‘ (vgl. a. a. O., 127), das in dieser Bedeutung im Deutschen zuerst von Ammann (1928) gebraucht wurde. Vgl. Ammann (1928, 141). 9 Es handelt sich hierbei um ein nachgelassenes, in tschechischer Sprache verfasstes Manuskript. Das tschechische Original wurde 1961 herausgegeben. Die ins Englische übertragene Version von 1975 weist wieder die von Mathesius selbst noch nicht verwendete Terminologie auf. <?page no="27"?> 2.2 Die Prager Schule und der Begriff der Funktionalen Satzperspektive 27 auf Unterschiede im Vergleich zu anderen Sprachen hin. Mathesius geht von der Annahme aus, dass es zwei Hauptfunktionen des grammatischen Subjekts gibt, die von Sprache zu Sprache unterschiedlich ausgeprägt sein können. Das Subjekt könne zum einen „den Urheber der durch das Prädikatsverbum ausgedrückten Handlung“ bezeichnen und zum anderen „das Thema der durch das Prädikat ausgedrückten Aussage“ (1929b, 202). Für das Englische gelte nun, dass dort im Vergleich zum Deutschen oder Tschechischen „die thematische Funktion des grammatischen Subjekts besonders stark hervortritt“ (ebd.). Im Englischen mache sich „die Tendenz klar fühlbar, das Thema der Satzaussage womöglich zum grammatischen Subjekt des Satzes zu machen“ (ebd.) Mathesius führt weiter aus: Wenn sich zwei Vorstellungen als durch die Situation gegeben darbieten, wird diejenige von ihnen zum grammatischen Subjekt gemacht, die mehr Aktualität besitzt oder als etwas Bestimmteres erscheint. Diese Eigenschaften treffen besonders häufig bei einem persönlichen Subjekte zu. (ebd.) Mathesius’ Bestimmung des Themas als den bekannten Teil der Mitteilung findet sich hier - wenn auch mit anderer Akzentuierung - wieder. Das „persönliche Subjekt“ - er meint damit das als Subjekt realisierte Personalpronomen der ersten Person - ist aus der Sicht des Hörers das Element mit besonders hoher Referenten-Zugänglichkeit. Darum besitzt es „mehr Aktualität“ oder erscheint es „als etwas Bestimmteres“ - Eigenschaften, die es zu einen besonders geeigneten Kandidaten für die Realisierung des Satzthemas machen. Den ‚thematischen‘ Charakter des pronominalen Subjekts macht Mathesius nun für bestimmte strukturelle Besonderheiten des englischen Satzbaus verantwortlich. Dass die ‚thematische‘ Funktion des Subjekts im Englischen so deutlich ausgeprägt ist, zeigt sich für Mathesius in Konstruktionen, in denen das Personalpronomen der ersten Person der Träger eines im Prädikat ausgedrückten psychischen oder physischen Zustands ist (vgl. ebd., 206): (8) I am warm enough. Es ist mir warm genug. I am extremely sorry. Es tut mir leid. Ein Vergleich der englischen Konstruktionen mit ihren deutschen Entsprechungen, in denen das Personalpronomen nicht die Subjektstelle besetzt, sondern als Dativ erscheint, ist für Mathesius ein Hinweis darauf, dass in der englischen <?page no="28"?> 28 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur Konstruktion nicht Agentivität, sondern Thematizität der ausschlaggebenden Faktor für die Besetzung der Subjektstelle ist. 10 Die strukturellen Besonderheiten einiger englischer Passivkonstruktionen sind für Mathesius ein weiterer Beleg für seine These von der thematischen Funktion des Subjekts im Englischen (vgl. 1929b, 203): (9) I was told […]. Es wurde mir gesagt, […]. I have been given the advice […]. Es ist mir der Rat gegeben worden, […]. Während im Deutschen die Intransitivität von sagen und die Nicht-Akkusativität des Ziel-Arguments von geben die Realisierung des Personalpronomens als Subjekt unterbindet, erlaubt das Englische die Subjektrealisierung. Dass im Englischen persönliche Passivkonstruktionen möglich sind, in denen das Subjekt nur indirekt von einer Handlung betroffen ist, öffnet den Raum für bestimmte, für das Englische typische Passivkonstruktionen. Bei dem von Mathesius so genannten Possessivpassiv handelt es sich um eine Konstruktion mit to have , auf dessen Objekt ein Partizip im Präsens oder Perfekt bezogen ist (vgl. 1929b, 203): (10) Everywhere he had crowds hanging on his lips. (11) Even great lords and ladies have their mouth sometimes stopped. In (10) bezeichnet das Akkusativobjekt ( crowds ) den eigentlichen Handlungsträger, der auf das nominale Element im Adverbialkomplement ( on his lips ) einwirkt, und das Subjekt ist lediglich indirekt, als ‚Possessor‘ der in der Adverbialergänzung genannten Sache, von der Handlung betroffen. In (11) ist das Akkusativobjekt von der im Partizip Perfekt genannten Verbalhandlung affiziert und auch dort kann das Subjekt nicht als direktes Patiens der Handlung gelten, sondern lässt sich - vermittelt über to have - durch ein Possessiv-Verhältnis zum Akkusativobjekt charakterisieren. 10 Hieraus sollte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass es die Nicht-Agentivität des durch das Personalpronomen repräsentierten Referenten ist, die in der deutschen Entsprechung dessen Subjektrealisierung unterbindet. Denn verallgemeinern lässt sich dies für das Deutsche jedenfalls nicht. So lassen Wahrnehmungsverben wie z. B. hören , sehen , riechen ein „persönliches“ Subjekt zu, und ebenso Vorgangsverben, die einen Prozess bezeichnen, den der Subjekt-Referent an sich erfährt ( erkranken , ermüden , erwachen , einschlafen etc.). <?page no="29"?> 2.3 Firbas’ Begriff des Kommunikativen Dynamismus 29 2.3 Firbas’ Begriff des Kommunikativen Dynamismus Trotz seiner Ausrichtung auf die strukturellen Eigenschaften von Einzelsprachen speist sich Mathesius’ Konzept - ebenso wie Pauls und v. d. Gabelentz’ psychologisches Subjekt und Prädikat - aus zwei Quellen. Mit seiner Gliederung des Satzes in Thema oder Basis auf der einen Seite und Mitteilungskern auf der anderen Seite zielt er auf die Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage ab. Mit seiner Bestimmung des Satzthemas als das Bekanntere oder „Bestimmtere“ situiert er den Satz in den Äußerungskontext und nimmt die Beziehung zwischen Sprecher und Hörer in den Blick. Die Spannung zwischen diesen zwei Perspektiven prägt die an Mathesius anschließende Diskussion im Grunde noch bis heute. Dies zeigt sich besonders an dem Bemühen um eine genauere Explikation der Thema-Rhema-Dichotomie: Aufgrund welcher Kriterien können Satzelemente der einen oder der anderen Seite zugeschlagen werden? Damit zusammen hängt schließlich auch die Frage, ob die Dichotomie als ein Phänomen der Oberflächenstruktur von Sätzen anzusehen ist, das in der Abfolge der Satzglieder oder in bestimmten Intonationsmustern zu Tage tritt oder als ‚interpretative‘ Kategorie aufgefasst werden muss. Der letzteren Position kann J. Firbas zugeordnet werden, der in einer Vielzahl von Publikationen (ausführlich in Firbas 1992, als kurze Überblicksdarstellung siehe auch Firbas 1999) seine Theorie des kommunikativen Dynamismus (CD) in detaillierter Form entwickelt hat. Firbas’ Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er die Thema-Rhema-Dichotomie zugunsten eines graduellen Konzepts aufbricht, in dem neben thematischen und rhematischen auch transitorische Bereiche im Satz angenommen werden. Der jeweilige Grad der Thematizität bzw. Rhematizität von Satzelementen 11 ergibt sich nach Firbas aus ihrem Beitrag zum Fortgang des Kommunikationsprozesses: By the degree of CD [communicative dynamism] carried by a sentence element we understand the extent to which the sentence element contributes to the development of the communication, to which it ‘pushes the communication forward’, as it were. (Firbas 1966, 270) Firbas’ Konzept ist interpretativ insofern, als den Satzelementen unabhängig von ihrer Position, allein auf der Basis ihres Beitrags zum Fortgang der Kommunikation, ein bestimmter CD-Grad zukommt. Die Verteilung der CD-Grade auf 11 Firbas fasst den Begriff des Satzelements sehr allgemein: „Any linguistic element - a clause, a phrase, a word, a morpheme or even a submorphemic feature […] can become a carrier of CD on account of the meaning it conveys“ (1992, 17). Insofern auch Kontrastakzente Bedeutung tragen, können nicht nur Konstituenten, sondern auch suprasegmentale Merkmale als CD-Träger in Frage kommen (vgl. ebd.). <?page no="30"?> 30 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur die sie tragenden Elemente im Satz (distributional field of CD) ist nach Firbas nämlich abhängig von verschiedenen miteinander in Wechselwirkung stehenden Faktoren (vgl. Firbas 1992, 10 f.). 12 Firbas führt weiter aus: It is obvious that elements conveying new, unknown information show higher degrees of CD than elements conveying known information. But even within a sentence section made up entirely of elements conveying new information, the degrees of CD are not the same (homogeneous). (ebd.) Der letzte Punkt ist von besonderer Bedeutung. Firbas bestimmt Thematizität nicht absolut über Kriterien der Bekanntheit oder den Status bestimmter Elemente als Satzgegenstand, sondern relativ zum CD-Grad der anderen Satzelemente: „[…] the information conveyed by the theme will always carry the lowest degree(s) of communicative dynamism (CD) within the sentence“ (Firbas 1987, 138). Niedrige Grade kommunikativer Dynamik verknüpft Firbas nur indirekt mit dem Kriterium der Bekanntheit. Geringer kommunikativer Dynamismus von Satzelementen lässt sich nach Firbas nämlich nicht in allen Fällen auf die Bekanntheit oder diskursive Zugänglichkeit (in Firbas’ Terminologie: context dependence; vgl. Firbas 1987, 145 f.) der von ihnen repräsentierten Diskursgegenstände zurückführen. Auch neu eingeführte, „kontextunabhängige“ (vgl. ebd.) Satzelemente können - aufgrund ihres im Verhältnis zu anderen Elementen im Satz niedrigeren CD-Grades - dem thematischen Bereich zugeordnet sein. So weisen etwa kontextunabhängige Orts- oder Zeitadverbiale einen geringen CD-Grad auf, wenn sie innerhalb des Satzes als „Setting“ oder Ausgangspunkt fungieren. 13 Eine solche „foundation-laying function“ (vgl. Firbas 1992, 69) kommt adverbialen Bestimmungen häufig, aber nicht immer, zu. 12 Das „actual linear arrangement“ eines Satzes ist nach Firbas nur zum Teil auf die kommunikative Dynamik seiner Elemente zurückzuführen. Er unterscheidet darum zwischen „linear arrangement“ und „interpretative arrangement“ (vgl. Firbas 1992, 12). Welche Faktoren Firbas für die Verteilung der „degrees of CD“ im Satz verantwortlich macht, werde ich weiter unten darstellen. 13 Firbas’ Dichotomie ‚kontextabhängig - kontextunabhängig‘ ist ebenfalls nicht deckungsgleich mit der ‚bekannt/ neu‘-Dichotomie. „Context-dependence and context-independence […] is to be understood in the narrowest possible sense“ (1987, 146). In Firbas (1992, 31) definiert er die Dichotomie auf der Basis der Zugänglichkeit im unmittelbar relevanten Kontext: „[…] the expressions ‘context-dependent’ and ‘context-independent’ are to be understood […] as retrievable and irretrievable from the immediately relevant context, respectively.“ Somit versteht er ‚kontextabhängig‘ im Sinne von ‚unmittelbar vorerwähnt‘ und schließt Bekanntheit im Sinne von Weltwissen aus. Des Weiteren bestimmt er bekannte Elemente als kontextunabhängig, wenn sie nach längerer Nicht-Erwähnung erneut in die Kommunikation eintreten (re-entering) oder wenn sie im unmittelbar relevanten Kontext in kontrastierender Weise verwendet werden (siehe auch Firbas 1981, 38 ff.). <?page no="31"?> 2.3 Firbas’ Begriff des Kommunikativen Dynamismus 31 „Foundation-laying elements“ bilden den Ausgangspunkt der Kommunikation, wohingegen „core-constituting elements“ (ebd.) diejenigen Elemente sind, auf die hin die Kommunikation orientiert ist und die sie ‚abschließen‘: „The element towards which a sentence […] is oriented conveys the information that completes the development of the communication taking place within the sentence […]“ (Firbas 1992, 6). Indem „core-constituting elements“ die Kommunikation abschließen, konstituieren sie die Orientierungsrichtung und Perspektive des Satzes: […] the point of orientation is the element that contributes most to the development of the communication and in this way consummates or completes it. […] Used in this sense the words orient and orientation […] explicate the meaning in which perspective is employed in my writings. (ebd.) Der Begriff der Perspektive ist in Firbas’ Ansatz von zentraler Bedeutung, denn über diesen Terminus expliziert er sein Konzept des kommunikativen Dynamismus. In einem Überblicksaufsatz (Firbas 1999) erläutert er seinen Begriff der Perspektive anhand des folgenden Beispielsatzes: (12) John has come to the dining room. Für diesen Satz konstruiert Firbas zwei Verwendungskontexte: (a) Setzt man John als das unmittelbar zugängliche (und damit kontextabhängige) Satzelement voraus, ist die Perspektive auf die adverbiale Bestimmung ( to the dining room ) ausgerichtet. (b) Setzt man die adverbiale Bestimmung als kontextabhängig voraus, ist der Satz auf John hin perspektiviert. Der Unterschied der zwei Perspektivierungen erschöpft sich jedoch noch nicht in der vorausgesetzten Zugänglichkeit bzw. Nichtzugänglichkeit der jeweiligen Elemente. Die Varianten unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer „dynamic semantic functions“ (1999, 5): In (a) ist die Kommunikation orientiert auf die Zuschreibung von Eigenschaften: Über einen Diskursgegenstand ( John) wird etwas ausgesagt, nämlich dass er den in der adverbialen Bestimmung angegebenen Ort betreten hat. In (b) ist die Kommunikation orientiert auf die Präsentation eines Diskursgegenstands ( John) innerhalb eines bestimmten Settings (the dining room). Entsprechend der jeweils eingenommenen Perspektive ordnet Firbas den Satzelementen bestimmte „dynamic semantic functions“ (DSFs) zu (vgl. Firbas 1999, 6): (12a) Perspektive: Spezifizierung eines Diskursgegenstands John has come to the dining room Bearer of quality (B) quality (Q) specification (Sp) <?page no="32"?> 32 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur (12b) Perspektive: Präsentation eines Diskursgegenstands in einem Setting John has come to the dining room phenomenon to be presented (Ph) presentation (Pr) setting (Set) Das kommunikative Ziel, oder auch: der kommunikative Zweck (communicative purpose) ergibt sich so aus der jeweils eingenommenen Perspektive: 14 In (12a) ist es die Spezifizierung einer Qualität, die einem bearer of quality zukommt. In (12b) ist es ein Phänomen, das in einem setting präsentiert wird. 15 Auf der Basis der kommunizierten Perspektive bestimmt Firbas den thematischen und den nicht-thematischen Bereich der zwei Varianten: 16 (12a) Thema: John (B), Nicht-Thema: has come (Q) to the dining room (Sp) (12b) Nicht-Thema: John (Ph) has come (Pr), Thema: to the dining room (Set) Den höchsten CD-Grad weisen somit diejenigen Elemente auf, auf die hin die Varianten jeweils perspektiviert sind. In (12a) ist es die adverbiale Bestimmung, in (12b) ist es das Subjekt, wobei sich in der jeweiligen „dynamic semantic function“ auch die spezifische rhematische Funktion zeigt. Und auch für die Elemente mit dem niedrigsten CD-Grad lassen sich spezifische thematische Funktionen angeben: In (12a) fungiert das Subjekt als bearer of quality , in (12b) bildet die adverbiale Bestimmung das setting . 17 14 Vgl. Firbas (1992, 74): „As I see it, the perspective of a sentence towards a particular element acting as rheme proper reveals a communicative purpose.“ 15 (12b) ist zugleich ein Beispiel für das Auseinanderfallen von ‚interpretative‘ und ‚linear arrangement‘, das in gesprochener Sprache durch das besondere Intonationsmuster signalisiert wird. In der ‚gleichlaufenden‘ Variante (a) liegt der Akzent auf dining room , in (b) auf John . 16 Für komplexe Sätze schlägt Firbas eine hierarchisierte CD-Analyse vor. Auf der Ebene des Matrixsatzes ist die subordinierte Konstituente (z. B. ein Objekt- oder Subjektsatz) als Ganzes Träger eines bestimmten CD-Grades. Auf der Ebene der Elemente der Konstituente eröffnet sich dann ein hierarchisch niedriger stehendes „distributional subfield“ (1992, 17). Auf die gleiche Weise möchte er komplexe Nominalphrasen analysieren (ebd., 83), für deren „distributional subfield“ er eine Perspektivierung auf die attributiven Elemente annimmt. Die Perspektivierung subordinierter Konstituenten hat nach Firbas keinen Einfluss auf die Perspektive der Sätze, in die sie eingebettet sind. So bliebe z. B. in der Variante (12a) die thematische ‚Bearer of quality‘-Funktion auch dann bestehen, wenn die Konstituente durch zusätzliche attributive Elemente ergänzt würde. 17 Settings sind nicht auf die ‚präsentierende‘ Perspektive beschränkt. In Kombinationen mit einer Bearer-Funktionen können sie auch das Thema für eine spezifizierende Perspektive bilden: At midnight (set) the cafe (B) was crowded (Q) / The policemen (B) on the beat (Set) moved (Q) up the avenue (Sp). (Beispiele in Firbas 1992, 40.) Da B-Element und Set-Element hinsichtlich ihrer kommunikativen Dynamik unterschiedlich gewichtet sein können, etwa wenn das B-Element kontextabhängig und das Set-Element kontext- <?page no="33"?> 2.3 Firbas’ Begriff des Kommunikativen Dynamismus 33 Das verbale Element steht hinsichtlich seines CD-Grades zwischen dem thematischen und dem rhematischen Pol. Sein CD-Grad ist zwar höher anzusetzen als die thematischen Elemente, jedoch schließt es den Satz nicht ab. Dies bleibt den rhematischen Elementen vorbehalten, d. h. den Elementen, auf die hin der Satz perspektiviert ist: „The element towards which a sentence […] is oriented conveys the information that completes the development of the communication taking place within the sentence“ (s. o.). Da das Verb zwischen Ausgangspunkt und Abschluss des im Satz kommunizierten Gehalts angesiedelt ist, lässt es sich als transitorisches Element begreifen. Innerhalb der Dynamik der Kommunikationsprozesses hat es entweder die Quality -Funktion oder die Presentation -Funktion und perspektiviert entsprechend seiner jeweils unterstellten Rolle den Satz entweder in Richtung auf die zusätzliche Spezifikation durch die adverbiale Bestimmung oder in Richtung auf das präsentierte Subjekt: Either the subject or the adverbial completes the development of the communication, conveying an essential amplification of the information conveyed by the notional component of the verb and acting as its successful competitor. (Firbas 1999, 7) Insofern das Verb über einen „successful competitor“ verfügt - was nicht notwendig der Fall sein muss - ist es als transitorisches Element aufzufassen. „Successful competitors“ können, je nach eingenommener Perspektive, kontextunabhängige direkte oder indirekte Objekte sein, sowie - wie in dem oben diskutierten Beispiel - Subjekte als Ph-Elemente oder adverbiale Bestimmungen in Sp-Funktion. 18 Auf der Basis des bis hierhin Gesagten lässt sich nun festhalten, welche „dynamic semantic functions“ dem thematischen und dem nicht-thematischen Bereich zugeordnet sein können: unabhängig ist, unterteilt Firbas den thematischen Bereich noch einmal in ‚eigentliches‘ Thema (theme proper) und ‚Rest‘ des Themas. Auch innerhalb des transitorischen und rhematischen Bereichs nimmt er Unterschiede hinsichtlich der kommunikativen Dynamik an und differenziert entsprechend zwischen transition und transition proper sowie rheme und rheme proper (vgl. 1992, 79-83). 18 Damit haben Verben im Rahmen der kommunikativen Dynamik laut Firbas genau zwei Funktionen: die des Qualifizierens und die des Präsentierens. Diese Funktionen kommen ihnen jedoch nicht inhärent, d. h. aufgrund ihrer jeweiligen Semantik zu, sondern ergeben sich aus den Eigenschaften ihrer Mitspieler. So findet sich etwa die Presentation - Funktion nur in Subjekt-Perspektivierungen: A cold blue light filled the window panes. / A dumb and grumbling anger swelled his bossom. (Beispiele in Firbas 1992, 61). In den Beispielen ergibt sich die Perspektivierung aus der Kontextunabhängigkeit des indefiniten Subjekts und der Kontextabhängigkeit des definiten direkten Objekts. <?page no="34"?> 34 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur Ein Thema wird konstituiert durch: • ein kontextabhängiges oder kontextunabhängiges setting • einen kontextabhängigen oder kontextunabhängigen bearer of quality Ein Nicht-Thema wird konstituiert durch: • einen conveyer of the phenomenon to be presented • einen conveyer of quality • einen conveyer of presentation • conveyer(s) of specification Zusammenfassend lässt sich also sagen: Settings und Bearers of quality sind immer thematisch. 19 Alle anderen DSFs stehen im nicht-thematischen Bereich. Hinsichtlich der ‚kontextabhängig/ kontextunabhängig‘-Dichotomie gilt: Sowohl kontextabhängige als auch kontextunabhängige Elemente können thematisch sein. Nicht-thematische Elemente sind immer kontextunabhängig. Welchen Zusammenhang sieht Firbas zwischen dem Arrangement der Satz-Elemente und ihrem jeweiligen CD-Grad? Es wurde schon erwähnt, Firbas unterscheidet zwischen „interpretative arrangement“ und „linear arrangement“. Ersteres bezieht sich auf die Anordnung der Elemente im Satz „in accordance with a gradual rise in CD“ (1992, 12); letzteres bezieht sich auf das ‚tatsächlich‘ realisierte Arrangement der Oberflächenstruktur. Zwar räumt er ein, dass der kommunikative Dynamismus einen gewissen Einfluss auf die Position der Elemente im Satz ausübt: „Sentence linearity is not inactive. It is endowed with modificatory power“ (1999, 2). Und mit Berufung auf D.L. Bolingers Diktum „gradation of position creates gradation of meaning“ (Bolinger 1952, 1125) geht er von einer Art Basisverteilung mit dem höchsten CD-Wert am Ende des Satzes aus. 20 Jedoch merkt er einschränkend an: „[…] but it cannot be claimed that the 19 Die Liste der möglichen Thema-konstituierenden Satzelemente ist hier noch nicht ganz vollständig. Um die Konsistenz seines Konzepts zu wahren, muss Firbas jedes als kontextabhängig geltende Element dem thematischen Bereich zuordnen, so wie er es bspw. für die pronominalen Elemente in dem Satz Ich begegnete ihm voraussetzt (vgl. Firbas 1999, 3). Da der Satz somit weder auf das Subjekt noch auf das Dativobjekt hin perspektiviert ist, verfügt das Verb über keinen „successfull competitor“ und bildet selbst das Rhema. Welcher „dynamic semantic function“ muss dann aber das pronominale Objekt zugeordnet werden? Firbas (1992, 71) listet für kontextabhängige Elemente folgende mögliche DSFs auf: „Context-dependent B-elements and Set-elements and context-dependent elements that have acquired the Set-status through context dependence “ (Hervorhebung von mir). Auf die Frage, inwiefern die Interpretation des pronominalen Objekts als Setting problematisch ist, werde ich in der abschließenden Bewertung des Firbas’schen Konzepts eingehen. 20 Vgl. Firbas (1992, 9) „[…] there is evidence of a tendency to arrange the sentence elements in accordance with a gradual rise in CD […].“ <?page no="35"?> 2.3 Firbas’ Begriff des Kommunikativen Dynamismus 35 actual linear arrangement of sentence elements is always in perfect agreement with a gradual rise in CD“ (1992, 8). Da ein solches Arrangement nur einen ‚Idealfall‘ darstellt und die Oberflächenstruktur eines Satzes als Resultat eines komplexen „interplay of factors“ angesehen werden muss, bleibt die Funktionale Satzperspektive für Firbas letztlich eine interpretative Kategorie. So ist die Satzperspektive zwar auf die in kommunikativer Hinsicht dynamischsten Elemente hin orientiert, aber in deren Positionierung im Satz schlägt sich dies nicht notwendig nieder. Die Verteilung der CD-Grade im Satz wird durch drei Faktoren beeinflusst: Kontext, Semantik und „linear modification“ (1987, 138), 21 und diese Faktoren stehen nicht nur in einem Wechselverhältnis („interplay“), sondern auch in einem Hierarchieverhältnis zueinander. Der Kontextfaktor ist den zwei anderen Faktoren übergeordnet und operiert durch das Kriterium der „retrievability or irretrievability of information from the immediately relevant context.“ (Firbas 1999, 3). Das heißt, unabhängig von der Position im Satz nimmt jedes Element, sofern es im unmittelbar relevanten Kontext zugänglich ist, den Status des niedrigsten CD-Grades an. 22 Die zweite Stelle in der Hierarchie nimmt der semantische Faktor ein. In semantischer Hinsicht entscheidend für die Verteilung der CD-Grade im Satz ist laut Firbas die „dynamic semantic function“ des Verbs (Q-Funktion oder Pr-Funktion) sowie die Rolle seiner „successfull competitiors“ (Sp-Funktion oder Ph-Funktion). 23 Insgesamt bedeutet dies also, dass das lineare Arrangement der CD-Grade im Satz immer durch die Faktoren Semantik und Kontext ‚überschrieben‘ werden können. Wie der semantische Faktor den der Linearität dominieren kann, zeigt der schon oben diskutierte Beispielsatz aus Firbas (1999, 6), der hier noch einmal in (13) wiedergegeben ist: (13a) John (B) has come (Q) to the dining room (Sp). (13b) John (Ph) has come (Pr) to the dining room (Set). Wie schon erwähnt lassen sich für einen solchen Satz zwei Lesarten konstruieren. In seiner Variante (a) fungiert die adverbiale Bestimmung als spezifizierendes Element, auf die hin der Satz perspektiviert ist und die kommunikative Dynamik spiegelt sich im Arrangement der Satzglieder als ein „gradual rise in 21 Zu den drei Faktoren Kontext, Semantik und „linear modification“ kommt in mündlicher Kommunikation der Faktor der Intonation hinzu (vgl. Firbas 1999, 3). 22 Dies ist etwa der Fall in dem schon angeführten Beispiel Ich begegnete ihm (s. o.), in dem aufgrund der Zugänglichkeit der Subjekt- und Objektstelle das an mittlerer Stelle stehende Verb den höchsten CD-Grad aufweist. 23 Vgl. Firbas (1992), Kap. 4. <?page no="36"?> 36 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur CD“ wider: Das in kommunikativer Hinsicht dynamischste Element steht am Ende des Satzes. In Variante (b), mit der Perspektive auf die erste Konstituente, ist das „distributional field of CD“ genau gegenläufig. Die Perspektive des Satzes zeigt sich, wie schon erwähnt wurde, nicht nur an der vorausgesetzten Kontextunabhängigkeit des Subjekts, sondern auch an den spezifischen „dynamic semantic functions“ seiner Elemente. Das Subjekt ist nicht ‚Bearer‘, sondern ‚Phenomenon‘ und dem Verb ist die ‚Presentation‘-Funktion zugewiesen. Insofern also der Wechsel zur ‚Presentation‘-Funktion die Perspektive auf das Subjekt lenkt, dominiert die Semantik über die Linerarität. Die ‚Presentation‘-Interpretation bestimmt die Zuordnung der CD-Grade und damit die eingenommene Perspektive. 24 Die Frage ist jedoch, inwieweit sich die zwei konzeptuellen Orientierungen seines Ansatzes - die Herleitung der kommunikativen Perspektive eines Satzes zum einen aus seinen dynamisch-semantischen Funktionen und zum anderen aus der Kontextabhängigkeit bzw. Kontextunabhängigkeit seiner Elemente - widerspruchsfrei aufeinander beziehen lassen. Dass Firbas dem Kontextfaktor einen entscheidenden Einfluss auf die Perspektivierung eines Satzes beimisst, wurde schon herausgestellt. Jedes im unmittelbar relevanten Kontext zugängliche Element hat, unabhängig von seiner Position im Satz, einen niedrigen CD-Grad und gehört zum thematischen Bereich. Zu den in diesem Sinne kontextabhängigen Elementen will Firbas auch pronominale Elemente in Objektposition zählen, sofern sie nicht in kontrastierender Weise gebraucht werden. So beeinflusst etwa ein im unmittelbar relevanten Kontext zugängliches pronominales Objekt die im Satz ausgedrückte Perspektive dahingehend, dass es aufgrund seines niedrigen CD-Grades nicht als „successful competitor“ des Verbs in Frage kommt. In dem schon angesprochenen Beispielsatz aus Firbas (1999, 3) soll dies der Fall sein: (14) Ich begegnete ihm. Der Satz ist darum nicht in Richtung auf das pronominale Dativobjekt perspektiviert, sondern auf das Verb, das als einziges kontextunabhängiges Element die Kommunikation abschließt. Welche DSF soll dem pronominalen Objekt nun zugeordnet werden? Wie schon erwähnt listet Firbas für kontextabhängige Elemente folgende DSFs auf: „B-elements and Set-elements and context-dependent elements that have acquired the Set-status through context dependence“ (1992, 24 „[…] if unhampered by the contextual factor, the semantic factor either permits or does not permit linear modification to assert itself. In this respect it is hierarchically superior to linear modification“ (1999, 4). <?page no="37"?> 2.3 Firbas’ Begriff des Kommunikativen Dynamismus 37 71). Somit ist das pronominale Objekt nach Firbas als Setting aufzufassen und bildet zusammen mit dem ebenfalls kontextabhängigen pronominalen Subjekt als ‚bearer of quality‘ die Basis (foundation-laying function), während das Verb als ‚conveyer of quality‘ die Kommunikation abschließt. Subjekt und Objekt zusammen als „foundation-laying elements“ aufzufassen, erscheint zumindest kontraintuitiv. Dieser kontraintuitive Eindruck lässt sich m. E. darauf zurückführen, dass Firbas’ DSF-Kategorien allesamt in Relation zum Satz stehen, 25 während seine Kategorie der Kontextabhängigkeit, die er ja hinsichtlich der Zugänglichkeit im unmittelbar relevanten Kontext bestimmt, eine referentielle Perspektive impliziert. Ob etwa ein Subjekt - so wie in John has come to the dining room - als B-Element oder als Ph-Element aufzufassen ist, ergibt sich eindeutig nur aus den Rollen der anderen Mitspieler, nicht aber aus dem Kriterium der Kontextabhängigkeit bzw. Kontextunabhängigkeit. Wie wir wissen, korreliert Firbas den CD-Grad eines Satzelements nur indirekt mit dem Kriterium der Zugänglichkeit: „[…] even within a sentence section made up entirely of elements conveying new information, the degrees of CD are not the same […]“ (Firbas 1966, 270). Ob also ein Subjekt als B-Element (niedriger CD-Grad) oder Ph-Element (hoher CD-Grad) aufzufassen ist, ist vom Kriterium der Zugänglichkeit unabhängig. Ebenso können adverbiale Bestimmungen unabhängig von ihrer Zugänglichkeit als Setting (niedriger CD-Grad) oder als Specification (hoher CD-Grad) fungieren. Bestimmt man nun den CD-Grad von Satzelementen auf der Basis der Rolle der DSFs als kommunikationseröffnend oder kommunikationsabschließend unabhängig vom Kriterium der Zugänglichkeit, so sind kommunikationseröffnende Subjekte in Bearer-Funktion und adverbiale Set-Elemente in dieser Hinsicht unproblematisch. Sie können sowohl kontextabhängig als auch kontextunabhängig sein. Sp-Elemente, Ph-Elemente sowie die verbalen Q- und Pr-Elemente sind aufgrund ihrer generellen Kontextunabhängigkeit ebenfalls unproblematisch. Lediglich die kontextabhängigen Satzelemente in Objektposition entziehen sich der relationalen Perspektive. Bei ihnen leitet sich die DSF nicht aus dem Bezug zu den DSFs der anderen Mitspieler im Satz ab, sondern allein aus ihrer Zugänglichkeit im unmittelbar relevanten Kontext. Die Folge ist, dass die Bestimmung ihrer DSF eher stipulativen Charakter hat. Derartige Fälle seien, so heißt es in Firbas (1992), „context-dependent elements that have acquired the Set-status through context dependence“ (s. o.). 25 Dies zeigt sich daran, dass Firbas seine DSFs stark an die syntaktischen Relationen anbindet. Dies gilt besonders für die B- und die Ph-Kategorie, die beide funktional an die Subjektposition gebunden sind. Die Sp-Funktion kann zwar von Objekten und adverbialen Bestimmungen erfüllt werden, sie steht aber in Relation zur B-Funktion des Subjekts und zur Q-Funktion des verbalen Elements. <?page no="38"?> 38 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur Firbas’ Begriff des kommunikativen Dynamismus weist somit zwei Dimensionen auf, die er in einem integralen Konzept vereinen möchte: Zum einen die referentielle Dimension, innerhalb der das Kriterium der Zugänglichkeit im unmittelbar relevanten Kontext maßgeblich ist. Hieraus ergibt sich die Bestimmung der Satzelemente als kontextabhängig oder kontextunabhängig, wobei gilt, dass nur kontextunabhängige Elemente die Kommunikation im Firbas’schen Sinne abschließen können. Zum anderen die relationale Dimension, innerhalb der die kommunikative Perspektive des Satzes aus den dynamisch-semantischen Funktionen seiner Elemente abgeleitet wird. In relationaler Hinsicht ergibt sich aus den dynamisch-semantischen Rollen der Satzelemente der spezifische Charakter der jeweiligen Satzperspektive: entweder im Sinne der Spezifizierung einer bestimmten Qualität oder im Sinne der Präsentation eines Gegenstands in einem Setting. Im CD-Grad möchte Firbas beide Dimensionen zu einem integralen Wert zusammenfassen: In ihm drückt sich dann der Beitrag eines Satzelements zum Fortgang des Kommunikationsprozesses aus. Beide Dimensionen lassen sich aber offensichtlich nicht bruchlos aufeinander beziehen, was nicht ohne Folgen für die Bestimmung des Thema-Begriffs bleibt: Thematizität wird damit zum Teil referentiell, zum Teil relational expliziert. Auch was den so oft herausgestellten graduellen Charakter des kommunikativen Dynamismus betrifft, so muss dieser m. E. relativiert werden. Firbas löst sich in seinem Ansatz durchaus nicht von dichotomischen Konzepten. Dichotomien bilden die Grundlage sowohl für die referentielle als auch für die relationale Dimension. In referentieller Hinsicht ist die Unterscheidung von kontextabhängigen und kontextunabhängigen Elementen grundlegend, in relationaler Hinsicht die Unterteilung des Satzes in „foundation-laying“ und „core-constituting elements“. Ein Ausweg aus der offensichtlich inkonsistenten Zusammenführung der relationalen und referentiellen Dimension bestünde möglicherweise darin, beide Ebenen kategorial voneinander zu trennen. Einen solchen Weg beschreitet Halliday, der zwischen Thematizität und Givenness unterscheidet. 2.4 Halliday: Theme vs. Given Wie wir gesehen haben, umfasst die Thema/ Rhema-Dichotomie, so wie sie im Rahmen der Prager Schule zunächst von Mathesius ausformuliert wurde, zwei Aspekte der Informationsstrukturierung: einerseits die Unterscheidung von bekannter und neuer Information (given-new), andererseits die Gegenüberstellung von Satzgegenstand und Satzaussage. Auch Firbas versucht, wie gezeigt wurde, zwei Aspekte in ein einheitliches Konzept zu integrieren. Die <?page no="39"?> 2.4 Halliday: Theme vs. Given 39 mit der given-new-Dichotomie verwandte Unterscheidung kontextabhängiger und kontextunabhängiger Satzelemente und die eher auf den Mitteilungsaspekt abzielende, aber durchaus mit der Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage verwandte Aufteilung des Satzes in „foundation-laying“ und „core-constituting elements“ vereint Firbas in seinem Konzept des kommunikativen Dynamismus. M.A.K. Halliday, der im Rahmen seines funktionalen Grammatikkonzepts ebenfalls mit Kategorien der Informationsstruktur operiert, schlägt einen anderen Weg ein (vgl. Halliday 1967, 1970, 1985). Halliday unterscheidet begrifflich zwischen ‚Thema vs. Rhema‘ und ‚given vs. new‘. Obwohl er beide Dichotomien der „textuellen“ Funktion ‚Theme‘ zuordnet, 26 plädiert er für eine kategoriale Trennung. Beides falle zwar häufig, jedoch nicht notwendig zusammen (vgl. Halliday 1970, 162). Die Thema/ Rhema-Dichotomie bestimmt Halliday im Sinne der Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage. Ein Satz in seiner Funktion als Mitteilung („message“) lässt sich zerlegen in den satzinitialen thematischen Bereich und den daran anschließenden rhematischen Bereich, wobei das Thema als „point of departure“ (1985, 38) fungiert: „[…] the Theme is the starting-point of the message; it is what the clause is going to be about“ (ebd., 39). 27 Thematisch in diesem Sinne können nach Halliday neben einfachen und komplexen Nominalphrasen in Subjektposition und satzinitialen adverbialen Ergänzungen auch die Vorfeld-Elemente von Cleft-Sätzen sein. Vgl. Halliday (1970, 161) und (1985, 60): Theme Rheme I don’t know. People who live in glasshouses shouldn’t throw stones. Yesterday we discussed the financial arrangements. It was his teacher who persuaded him to continue. Die Thema/ Rhema-Struktur grenzt Halliday ab von der Ebene der ‚Informationsstruktur‘, die er funktional der given/ new-Dichotomie zuordnet. Dabei nimmt er die Unterscheidung von ‚aboutness‘ und ‚givenness‘ nicht nur in 26 Halliday unterscheidet drei grundlegende, für die grammatische Struktur eines Satzes relevante Sprachfunktionen („basic functions of language“, vgl. Halliday 1970, 142 f.): (i) die auf die Repräsentation abzielende ideationale Funktion ( transitivity ), die sich auf die im Verbalgeschehen ausgedrückten Prozesse und die damit einhergehenden Teilnehmer (Täter, Ziel etc.) und Umstände (räumlich, zeitlich etc.) bezieht, (ii) die auf Sprecher-Hörer-Interaktion abzielende interpersonale Funktion ( mood ) von z. B. deklarativen, interrogativen oder imperativen Satzmodi und schließlich (iii) die auf Situation und Diskurs abziele textuelle Funktion ( theme ). 27 Siehe auch Halliday (1970, 161): „The theme […] is as it were the peg on which the message is hung, the theme being the body of the message.“ <?page no="40"?> 40 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur funktionaler Hinsicht vor, sondern auch hinsichtlich der Mittel ihrer sprachlichen Signalisierung (vgl. 1970, 160 f.): Die Thema/ Rhema-Struktur wird über die Wortstellung realisiert, wobei Halliday für das Englische die strikte Regel formuliert, dass das Thema die satzinitiale Position einnimmt (siehe die o. a. Beispiele), wohingegen die Informationsstruktur durch Intonation ausgedrückt wird, indem ‚neue‘ Elemente durch Akzentuierung markiert werden. Eine Konsequenz dieser strikten Bestimmung ist, dass Halliday auch die satzinitialen Elemente in Frage- und Imperativsätzen als thematisch bestimmen muss. So versucht Halliday die Thematizität des Fragepronomens oder des finiten Verbs als Erstelemente im Fragemodus mit Bezug auf seine Themabestimmung als das, „what the sentence is about“ zu rechtfertigen: „The natural theme of a question […] is ‘what I want to know’“ (1985, 47). 28 Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, Thematizität allein an topologischen Kriterien festzumachen, unterscheidet Halliday zwischen Realisierung und Funktion: „First position in the clause is not what defines the Theme; it is the means whereby the function of Theme is realized , in the grammar of English“ (1985, 39). Halliday betont zwar ausdrücklich, dass er die strikte Erstposition nur für das Englische behauptet, die satzinitiale Position des Themas hat für ihn letztlich aber doch universalen Charakter: […] if in any given language the message is organized in Theme-Rheme structure, and if this structure is expressed by the sequence in which the elements occur in the clause, then it seems natural that the position for the Theme should be at the beginning, rather than at the end or at some other specific point. (Halliday 1985, 39) Die kategoriale Trennung von Thema/ Rhema-Struktur und informationeller Struktur beruht jedoch nicht nur auf ihren unterschiedlichen Funktionen und den jeweils spezifischen Mitteln ihrer Signalisierung (Theme/ Rheme: Wortstellung; Given/ New: Intonation), sondern auch auf dem Umstand, dass sich die Kategorien auf unterschiedliche Einheiten beziehen. Während Thema und Rhema (einfachen oder komplexen) Konstituenten des Satzes entsprechen, ordnet Halliday ‚given‘ und ‚new‘ sogenannten ‚Informationseinheiten‘ („information units“) zu: 28 Hallidays Rechtfertigung erscheint fragwürdig und ist wohl nur seiner rigiden Anbindung der Thema/ Rhema-Dichotomie an die Satztopologie geschuldet. Demgegenüber orientiert sich Firbas (1992) in seiner Analyse der Thema/ Rhema-Struktur von Fragen am Kriterium der Kontextabhängigkeit bzw. Kontextunabhängigkeit ihrer Elemente. Da Firbas Thematizität und Rhematizität im Rahmen seines CD-Konzepts unabhängig von der Wortstellungsebene bestimmt und ausdrücklich auch den Aspekt der Zugänglichkeit mitberücksichtigt, können für ihn Erstelemente unter bestimmten kontextuellen Voraussetzungen auch rhematisch sein (vgl. Firbas 1992, 97 ff.). <?page no="41"?> 2.4 Halliday: Theme vs. Given 41 The information unit consists of an obligatory ‘new’ element - there must be something new, otherwise there would be no information - and an optional ‘given’ element; the main stress (‘tonic nucleus’) marks the end of the ‘new’ element, and anything that is ‘given’ precedes it, unless with good reason. (Halliday 1970, 163) Im ‚unmarkierten‘ Fall umfasst eine Informationseinheit einen ganzen Satz, wobei sich das den Hauptakzent („main stress“) 29 tragende Element im rhematischen Bereich befindet und die Informationsstruktur - komplett oder zumindest partiell - mit der Thema/ Rhema-Struktur zusammenfällt: 30 (15) / / John painted the shed / / Im ‚markierten‘ Fall, wie etwa im folgenden Beispiel (Halliday 1970, 163), ist die Entsprechung von Satz und Informationseinheit, der Gleichlauf von Informationsstruktur und Thema/ Rhema-Struktur und auch die Abfolge ‚given > new‘ nicht gegeben: (16) / / this gazebo / / can’t have been built by Wren / / theme rheme new new given Gemäß seiner Definition, nach der eine Informationseinheit aus (obligatorischen) neuen Elementen - mindestens einem - und (fakultativen) bekannten Elementen besteht, wobei die neuen Elemente intonatorisch von den bekannten abgehoben sind, muss Halliday für diesen Satz zwei „message blocks“ 31 annehmen, die sich jeweils über den NP- und den VP-Bereich erstrecken. Das Auseinanderfallen von Informationsstruktur (d. h. ‚Given/ New‘-Struktur) und Thema/ Rhema-Struktur - neue Elemente befinden sich sowohl im thematischen als auch im rhematischen Bereich - ergibt sich aus dem spezifischen kommunikativen Kontext, in dem die Äußerung dieses Satzes eingebettet ist: „I 29 Halliday markiert die Grenzen der ‚information units‘ mit doppelten Schrägstrichen. Das den Hauptakzent tragende Element ist fett markiert. 30 Weder müssen neue Elemente den gesamten rhematischen Bereich umfassen, noch müssen sie sämtlich durch Intonation indiziert sein. Halliday hebt hervor, dass der Akzent lediglich einen Grenzbereich der neuen Elemente markiert, jedoch nicht, wo sie beginnen (oder enden): „[…] we cannot tell on phonological grounds whether there is a Given element first, or where the boundary between Given and New would be“ (1985, 275). Im aktuellen Redezusammenhang bleibe dies aber unproblematisch: „In real life we do not usually meet with text out of context, so there is other evidence for interpreting the information structure“ (ebd., 276). 31 „Message block“ versteht Halliday im Sinne von „information unit“ (vgl. Halliday 1967, 211). <?page no="42"?> 42 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur am talking (theme), specifically, (new) about this gazebo: the fact is (rheme) that your suggestion (given) that Wren built it is actually quite impossible“ (Halliday 1970, 163). Die ‚Given/ New‘-Struktur des Satzes ist also der Reflex auf die (vom Sprecher unterstellte) Überzeugung des Adressaten, dass es sich um ein von Christopher Wren entworfenes Pavillon handelt. 32 Die Thema/ Rhema-Struktur ist demgegenüber sprecherbezogen: Given and new thus differ from theme and rheme, though both are textual functions, in that ‘given’ means ‘here is a point of contact with what you know’ (and thus is not tied to elements in clause structure), whereas ‘theme’ means ‘here is the heading to what I am saying’. (Halliday 1970, 163) 33 Halliday bestimmt ‚new‘ allgemein im Sinne hörerseitig unzugänglicher Information - was von der der Frage der Zugänglichkeit oder Nicht-Zugänglichkeit eines Diskursreferenten unabhängig ist: „The function ‘new’ means ‘treated by the speaker as non-recoverable information’: information that the listener is not being expected to derive for himself from the text or situation“ (1970, 163). Die intonatorische Herausstellung ‚neuer‘ Satzelemente nennt Halliday „information focus“. Der Informationsfokus indiziert intonatorisch einen bestimmten Bereich („domain“) innerhalb der Informationseinheit als neu und grenzt ihn von ‚given elements‘ ab: „What lies outside that domain can be said to have the function ‘given’“ (1967, 207). Was fokussiert wird, unterliegt dabei der Sprecherwahl und reflektiert die kommunikativ-situative Verankerung der Äußerung (vgl. 1967, 207 f.): 34 (17a) / / John painted the shed yesterday / / (17b) / / John painted the shed yesterday / / (17c) / / John painted the shed yesterday / / (17d) / / John painted the shed yesterday / / 32 Halliday denkt bei der ‚Neuheit‘ der ersten Informationseinheit in (16) offenbar an einen Kontrastakzent (in der Funktion einer Korrektur oder eines Alternativenausschlusses). ‚New‘ heißt für Halliday also nicht Ersterwähnung oder hörerseitige Unzugänglichkeit des Diskursreferenten: this gazebo ist zugänglich im unmittelbaren Kontext (im Sinne von Firbas). 33 Vgl. auch Halliday (1985, 278): „[…] although they are related, Given + New and Theme + Rheme are not the same thing. The Theme is what I, the speaker, choose to take as my point of departure. The Given is what you, the listener, already know about or have accessible to you.“ 34 Vgl. Halliday (1967, 204): „Information focus reflects the speaker’s decision as to where the main burden of the message lies. […] Information focus is one kind of emphasis, that whereby the speaker marks out a part (which may be the whole) of a message block as that which he wishes to be interpreted as informative.“ <?page no="43"?> 2.4 Halliday: Theme vs. Given 43 Für (17a) bis (17c) gibt Halliday auf der Basis des klassischen Fragetests spezifische Kontexte an, in denen die Sätze jeweils als Antworten fungieren können: (a) als Antwort auf die Frage, wer die Hütte gestrichen hat, (b) auf die Frage, was mit der Hütte gemacht wurde und (c), wann sie gestrichen wurde. Passen die Sätze mit ihrem jeweiligen Intonationsmuster nur zu spezifischen Fragekontexten, so wie in (a) bis (c), spricht Halliday von markiertem Fokus. Lässt sich ein Satz auf der Basis seines Intonationsmusters einem kommunikativ-situativen Kontext nicht eindeutig zuordnen, handelt es sich um einen unmarkierten Fokus. Ein solcher Fall liegt seiner Meinung nach in (d) vor. Was diesen Satz informationsstrukturell ‚unmarkiert‘ macht, ist der Umstand, dass der Informationsfokus dort hinsichtlich der Frage nach dem Umfang seiner Domäne ambig bleibt. Sie kann entweder innerhalb des rhematischen Bereichs bleiben ( What did John do? ) oder sich auf den gesamten Satz beziehen ( What happened? ): „An item with unmarked focus may thus be represented as being ambiguous, as having the structure either given - new or simply new“ (1967, 208). 35 Den Unterschied zwischen markiertem und unmarkiertem Informationsfokus expliziert Halliday folgendermaßen: A distinction may […] be made between unmarked focus, realized as the location of the tonic on the final accented lexical item, which assigns the function ‘new’ to the constituent in question but does not specify the status of the remainder, and marked focus, realized as any other location of the tonic, which assigns the function ‘new’ to the focal constituent and that of ‘given’ to the rest of the information unit. (Halliday 1967, 208) Damit sind die möglichen kommunikativen Kontexte der sogenannten markierten Informationsfoki aber noch nicht erschöpft. In anderen Diskurszusammenhängen lassen sich die Informationsfoki in (17a)-(17c) auch im Sinne eines Korrekturfokus denken. Ihre ‚non-recoverability‘ besteht dann nicht darin, dass sie die von der jeweiligen Frage eingeforderte Information darstellen oder dass, wie im ‚unmarkierten‘ Fall des Gleichlaufs von thematischer und informationeller Struktur, bekannter Information neue Information hinzugefügt wird, die dann im weiteren Verlauf als gemeinsame Diskursbasis gelten kann. Sie besteht vielmehr darin, dass im Fall der Korrektur die Geltung bestimmter Sachverhalte als gemeinsamer Diskurshintergrund zurückgewiesen wird, wobei es die Funktion des Fokus ist, das entsprechende Element als Korrektur auszuweisen, wohinge- 35 Oder aber der Informationsfokus ist, wie in dem folgenden Beispiel Hallidays (vgl. 1967, 208), unspezifisch hinsichtlich des Umfangs der neuen Elemente, das heißt, hinsichtlich der Frage, wo ‚given‘ endet und ‚new‘ beginnt: ( what do they do? ) / / they teach classics / / vs. ( what do they teach? ) / / they teach classics / / . Je nach vorausgesetztem Fragekontext gehört das Verb zur Domäne des Informationsfokus oder nicht. <?page no="44"?> 44 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur gen die nicht fokussierten Elemente nicht nur als bekannt gelten sondern auch als gemeinsame Diskursbasis akzeptiert sind: (18) Diskursbasis: Mary and John resored the shed. A: Mary painted the shed. B: No, John painted the shed. ‚Neu‘ im Sinne von „non-recoverable“ ist das fokussierte Element hier also nicht im Hinblick auf die Erweiterung der gemeinsamen Diskursbasis durch neu hinzugefügte Information, sondern hinsichtlich seiner Ausweisung als nicht akzeptierte Diskursbasis. 36 In Analogie zum unmarkiertem vs. markierten Fokus unterscheidet Halliday auch zwischen unmarkiertem und markiertem Thema. Der Standardfall eines unmarkierten Themas ist das Subjekt als Thema im Deklarativsatz (1985, 45). Ein markiertes Thema bestimmt Halliday folgendermaßen: „A Theme that is something other than the Subject, in a declarative clause, we shall refer to as a Marked Theme“ (ebd.). Hierzu zählen satzinitiale Adjektive ( today , suddenly etc.) oder Präpositionalgruppen ( at night , in the corner , without much hope u. ä.) in adverbialer Funktion, aber auch vorangestellte nicht-verbale Elemente des Prädikats ( White as snow was its fleece. ) sowie Konstruktionen mit vorangestelltem Objekt ( This responsibility we accept wholly. ), die Halliday als „most marked“ charakterisiert (ebd., 45). Markierte Themen haben, ähnlich wie beim markierten Fokus, die Funktion der Herausstellung und Kontrastierung: „Marked theme represents a foregrounding of the speaker’s point of departure […]“ (1967, 214). Das „foregrounding“ des Themas, das sonst, d. h. im unmarkierten Fall den Hintergrund (background) bildet, findet seinen Niederschlag in einer spezifischen Informationsstruktur, und zwar insofern, als das markierte Thema für sich selbst eine durch Intonation indizierte „information unit“ bildet - im Gegensatz zu Sätzen mit unmarkiertem Thema wie etwa in (15), wo sich eine „information unit“ über den gesamten Satz erstreckt. Vgl. die Beispiele für „marked themes“ in Halliday (1967, 214): (19) (a) / / tomorrow / / John’s taking me to the theatre / / (b) / / that / / I don’t know / / 36 ‚Non-recoverability‘ ist für Halliday somit nicht beschränkt auf den Fall der Ersterwähnung. Vgl. Halliday (1985, 277): „What is treated as non-recoverable may be something that has not been mentioned; but it may be something unexpected, whether previously mentioned or not.“ Auch durch Kontrastbetonung („contrastive emphasis“) hervorgehobene situativ zugängliche, deiktische Elemente sind für Halliday ‚non-recoverable‘: / / you can go if you like / / I’m not going / / (ebd.). <?page no="45"?> 2.4 Halliday: Theme vs. Given 45 Die intonatorische Hervorhebung indiziert das satzinitiale Adverbial tomorrow und das vorangestellten Objekt that als ‚new‘ im Sinne von ‚non-recoverable‘. Was aber macht diese Elemente thematisch? Die Funktion des „foregrounding“ ist offenbar die ‚Thematisierung‘ sonst, d. h. im unmarkierten Fall, nicht-thematischer Elemente: Sie werden durch die satzinitiale Stellung zum „point of departure“ des Sprechers, zum „starting-point of the message“, zu dem „what the clause is going to be about“. Hinsichtlich der Frage, was es im Rahmen der textuellen Funktion theme denn heißen soll, dass bestimmte Elemente des Satzes den „point of departure“ oder das „Worüber“ des Satzes bilden, finden sich bei Halliday allerdings nur allgemeine Aussagen mit zum Teil metaphorischem Charakter. Das Thema wird begriffen als „that which is the concern of the message“ (1985, 33), als „peg on which the message is hung“, es gilt als „body of the message“ (1970, 161). Diese Formulierungen erinnern an die klassische Unterscheidung zwischen Satzgegenstand und Satzaussage, auch an Firbas’ Unterscheidung zwischen „foundation-laying“ und „core-constituting elements“. Weitere Andeutungen finden sich in Hallidays Bemerkungen zur textuellen Funktion des Themas: „The choice of Theme, clause by clause, is what carries forward the development of the text as a whole.“ (1985, 315). Halliday hat damit wohl eine wiederaufnehmende Funktion des Themas im Sinn: „In narrative and expository texts it is quite likely for the same participant […] to remain as topical Theme for a certain stretch of discourse“ (ebd.). 37 Die textuelle Funktion des (unmarkierten) Informationsfokus ist es demgegenüber, dem Text neue Information hinzuzufügen: „The choice of information focus, by contrast, expresses the main point of the information unit, what it is that the speaker is presenting as news“ (ebd.). Hier werden Thema und Fokus praktisch in traditioneller Weise als Komplementärkategorien verstanden, ohne die an anderen Stellen als so zentral herausgestellte Unterscheidung von ‚Thema vs. Rhema‘ und ‚given vs. new‘ zu berücksichtigen, die ja ein Zusammenfallen von Thema und Fokus ausdrücklich zulässt. Die genaue Funktion des „foregrounding“ von im unmarkierten Fall nicht-thematischen Fokus-Elementen bleibt demgegenüber im Dunkeln. Was genau rechtfertigt es, die nach Halliday fokussierten Elemente in (19) als thematisch aufzufassen, wenn es sich aufgrund des Zusammenfalls von Thema und (markiertem? ) Fokus nicht um den Standardfall thematischer Wiederaufnahme handeln kann? Ebenso unklar bleibt der Unterschied zwischen Fällen markierter Thematizität wie in (19) und Fällen fokussierter unmarkierter Thematizität wie 37 Unter „topical Theme“ versteht Halliday den ‚Standardfall‘ der Subjektkonstituente als „unmarkiertes Thema“ im Deklarativsatz (vgl. 1985, 56), die im Fall textueller Wiederaufnahme auch ‚Given‘-Status hat. <?page no="46"?> 46 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur etwa in (17a): John painted the shed. Hier liegt ebenso ein Zusammenfall von Thema und Fokus vor, sodass sich Thematizität auch hier nicht im Sinne thematischer Wiederaufnahme deuten lässt. Thematizität bleibt in Hallidays Ansatz somit eine außerordentlich blasse Kategorie. 38 Bolkestein (1993, 344) zieht in ihrer kritischen Bewertung des Ansatzes von Halliday darum den Schluss, dass Hallidays ‚Theme‘ letztlich eine rein formale Kategorie bleibt: Alleiniges Kriterium für die Thematizität einer Konstituente ist ihre Erstposition im Satz. 2.5 Molnár: Topik - Thema - Hintergrund Auch Molnár (1993) plädiert für eine kategoriale Aufspaltung der klassischen Dichotomie. Sie geht über Hallidays Zwei-Ebenen-Modell (Theme/ Rheme vs. Given/ New) hinaus und schlägt ein Drei-Ebenen-Modell vor, mit eigenen kategorialen Bestimmungen und terminologischen Festlegungen. Zunächst zu ihrer Terminologie: Anders als Halliday nennt sie die ‚Worüber‘-Kategorie nicht Thema, sondern Topik. Auch bei Molnár ist ‚Fokus‘ kein Komplementärbegriff zur ‚Worüber‘-Kategorie, steht jedoch auch nicht der Givenness gegenüber, sondern bildet die Komplementärkategorie zum sogenannten Hintergrund. Hierdurch ergeben sich in Molnárs Modell drei Dichotomie-Ebenen - Topik/ Kommentar, Thema/ Rhema und Hintergrund/ Fokus - für deren Unterscheidung funktionale und ausdrucksseitige Kriterien geltend gemacht werden. Für die funktionale Unterscheidung der drei Ebenen greift Molnár auf die Bühler’schen Sprachfunktionen ‚Ausdruck‘, ‚Appell‘ und ‚Darstellung‘ zurück (Molnár 1993, 164). Die „sachbezogene“ Ebene der ‚Darstellung‘ bezieht sich auf die Gliederung der Äußerung in Topik (im Sinne des ‚Worüber‘) und den darauf bezogenen Kommentar . Die „empfängerbezogene“ Ebene des ‚Appells‘ zielt auf den „Kenntnisgrad des Adressaten“ ab. Relevant hierfür ist das Kriterium ‚bekannt vs. neu‘, wofür in Molnárs Modell die Termini Thema und Rhema reserviert sind. Auf der „senderbezogenen“ Ebene des ‚Ausdrucks‘ unterscheidet Molnár zwischen Hintergrund und Fokus . 39 38 Dies trifft in noch stärkerem Maße auf Hallidays Rhema zu, der Komplementärkategorie zu seiner Thema-Kategorie. Weder liefert Halliday eine Explikation des Rhemas, noch finden sich bei ihm Ausführungen zum Verhältnis von Rhema und Fokus. 39 Molnárs „drei Ebenen der kommunikativen Strukturierung“ - Darstellung, Empfänger und Sender - haben mit den Bühler’schen Sprachfunktionen ‚Darstellung‘, ‚Appell‘ und ‚Ausdruck‘ m. E. nicht das Geringste zu tun. Besonders augenfällig wird dies, wenn man die empfängerbezogene Ebene mit Bühlers Appellfunktion vergleicht. Bühler expliziert die drei Funktionen bekanntlich über sein Verständnis des sprachlichen Zeichens als Symbol, Symptom und Signal. Signal ist es „kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres und inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen“ (Bühler 1934, 28). <?page no="47"?> 2.5 Molnár: Topik - Thema - Hintergrund 47 Ausdrucksseitig korrelieren die drei Ebenen mit jeweils spezifischen „Formmitteln“. Für den Ausdruck der Kategorie des ‚Worüber‘ auf der Topik/ Kommentar-Ebene ist ihrer Meinung nach das syntaktische Kriterium der Satzinitialität charakteristisch. Die Verwendung voller und komplexer oder pronominaler Ausdrücke kann auf die ‚bekannt/ neu‘-Unterscheidung der Thema-Rhema-Ebene zurückgeführt werden. Und für die Fokus-Hintergrund-Gliederung macht Molnár - wohl in Anlehnung an Halliday - intonatorische Ausdrucksmittel geltend, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass hier auch „das komplizierte Verhältnis zwischen Prominenz und Fokusinterpretation“ zu beachten sei (1993, 164). Hier spielt sie wohl auf einen Sachverhalt an, den schon Halliday angesprochen hat: dass nämlich die Fokusdomäne oft über den Bereich der intonatorisch hervorgehobenen Elemente hinausgeht. In einer zusammenfassenden Übersicht ergibt sich so das folgende Schema: Darstellung: Topik - Kommentar (Aboutness) Empfänger: Thema - Rhema (bekannt vs. neu) Sender: Hintergrund - Fokus (Relevanz) Bemerkenswert an Molnárs Drei-Ebenen-Modell ist zunächst, dass sie den Fokusbegriff nicht auf der Basis des Kriteriums der ‚Neuheit‘ bestimmt. Die Unterscheidung von Fokus und Hintergrund beruhe vielmehr auf einer „vom Sender entschiedenen ‚Relevanz‘ […], die vom Kenntnisgrad des Adressaten relativ unabhängig ist“ (1993, 164). Ein Hinweis darauf, was Molnár damit meint, findet sich ihrer Bemerkung, dass die kommunikative Strukturierung wesentlich auf einer „zweifachen Anforderung“ beruhe, nämlich „Kohärenz und Informativität“ in „bestmöglicher Weise“ zu erfüllen (ebd., 164 f.). In einer Fußnote hierzu (vgl. ebd., 165) beruft sie sich auf zwei von Strawson formulierte Prinzipien der Kommunikation, nämlich (i) das „principle of the presumption of knowledge“ und (ii) das „principle of relevance“ (vgl. Strawson 1971a). Kohärenz und Informativität ist sichergestellt, wenn der Sprecher - wie in dem in der Literatur zur Informationsstruktur immer wieder bemühten prototypischen Fall - an etwas Bekanntes anknüpft, worüber er dann etwas Neues mitteilt. 40 Dass Molnár ihren Fokusbegriff dennoch nicht über das ‚bekannt/ neu‘-Kriterium bestimmt und Molnárs Empfänger-Ebene, der sie die bekannt/ neu-Dichotomie zuordnet, hat jedoch keinerlei ‚Signal‘-Charakter, sondern reflektiert vielmehr die vom Sprecher unterstellte hörerseitige Zugänglichkeit der im Satz realisierten Diskursreferenten. 40 Strawson fußt den Informativitätsaspekt allerdings auf ein weiteres Prinzip, das sogenannte „principle of the presumption of ignorance“, das auf den Umstand abzielt, dass der Sprecher etwas mitteilen möchte, von dem er annimmt, dass der Hörer es noch nicht weiß. Mehr zu Strawsons Prinzipien in Kap. 3.1. <?page no="48"?> 48 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur zwischen Rhema und Fokus unterscheiden möchte, rechtfertigt sie mit der Beobachtung, dass offensichtlich auch vorerwähnte und damit bekannte (d. h. in Molnárs Terminologie thematische) Diskursreferenten fokussiert sein können. Molnár führt für einen solchen Fall u. a. das folgende Beispiel an (vgl. Molnar, 1993, 171): (20) Wer spielt Klavier, Peter oder Eva? [PEter] Thema = Fokus spielt Klavier. Wenn ich mich nicht täusche, spielt EVa GEIge. Die Subjekt-Konstituente muss wegen der Vorerwähntheit ihres Referenten im vorangegangen Fragesatz als thematisch gelten. Über den Status von Prädikat und Objekt wird nichts gesagt - rhematisch im Sinne ihres Verständnisses können sie nicht sein, da beides vorerwähnt ist. Damit bleibt ihre Analyse im Großen und Ganzen auf die Fokus-Hintergrund-Ebene beschränkt: Die Subjekt-Konstituente ist Fokus und fällt mit dem Thema zusammen, der Rest des Satzes ist Hintergrund. 41 Die durch die Fokussierung indizierte ‚Relevanz‘ der vorerwähnten Subjekt-Konstituente ergibt sich aus der für diesen Satz geltenden Funktion des Fokus als Alternativenausschluss. Relevant im Sinne des Kriteriums der Informativität ist das fokussierte Element, weil es indiziert, welche der beiden (in der vorangegangenen Frage genannten) Personen Klavier spielt. Da Ersterwähnung somit keine notwendige Bedingung für die Möglichkeit der Fokussierung von Diskursreferenten ist, möchte Molnár die Fokus-Kategorie nicht auf der Basis des ‚bekannt/ neu‘-Kriteriums bestimmen: Die Fokuskategorie ist nämlich insofern „relativ unabhängig“ (s. o.) vom Kriterium der Neuheit, als „die vom Sender beabsichtigte Relevanz des Gliedes innerhalb der Aussage […] entweder mit der ‚Neuheit‘ des Gliedes selbst oder nur mit seiner ‚neuen‘ Beziehung zur Umgebung korreliert“ (Molnar 1993, 172). Es gibt also zum einen den Zusammenfall von Ersterwähnung (neu = rhematisch) und Fokussierung, zum anderen aber auch den Zusammenfall von Vorerwähnung (bekannt = thematisch) und Fokussierung. 42 41 Auskunft darüber, ob der Satz über ein Topik verfügt, gibt Molnár an dieser Stelle ebenfalls nicht. Da aber Topikalität bei ihr an Satzinitialität gebunden ist (siehe Molnár 1993, 178) und sie satzinitialen „minimal fokussierten“ Konstituenten - so nennt sie Konstituenten, die als einzige im Satz den Fokus-Akzent tragen - Topik-Fähigkeit abspricht, dürfte der Satz nach Molnár über kein Topik verfügen. (Zu Molnárs Bedingungen für die Fokus-Fähigkeit von Topiks gleich mehr.) 42 Molnárs ‚bekannt/ neu‘-Unterscheidung bleibt somit auf das (referentielle) Kriterium der Vorerwähntheit bzw. Nicht-Vorerwähntheit beschränkt. Demgegenüber zeigen Hallidays Ausführungen zu seinem Begriff des markierten Fokus, dass sein Verständnis von ‚neu‘ als ‚non-recoverable‘ beide Aspekte umfasst: im Sinne von ‚nicht vorerwähnt‘ und im Sinne von Molnárs ‚Relevanz‘. <?page no="49"?> 2.5 Molnár: Topik - Thema - Hintergrund 49 Molnárs Unterscheidung zwischen Fokus/ Hintergrund (Relevanz) und Thema/ Rhema (bekannt/ neu) erinnert an eine Unterscheidung, die Gundel (1988a) vorgeschlagen hat: die Unterscheidung zwischen referentieller Givenness/ Newness und relationaler Givenness/ Newness (siehe auch Gundel/ Fretheim 2004). Gundel führt diese Unterscheidung ein, um - ähnlich wie Molnár - Fälle angemessen beschreiben zu können, in denen vorerwähnte Elemente fokussiert sind. Peter in Beispiel (20) ist in Gundels Terminologie referentiell ‚given‘ - aufgrund der Vorerwähntheit seines Referenten - und relational ‚new‘ - aufgrund des Status des Ausdrucks als relevante Information in Bezug auf die vorangegangene Frage. Die Ähnlichkeit mit Gundels Unterscheidung bleibt allerdings auf den Aspekt der ‚Newness‘ beschränkt, die Unterscheidung zwischen referentieller und relationaler ‚Givenness‘ hat in Molnárs Terminologie keine Entsprechung. Zwar lässt sich Molnárs Thema-Begriff mit Gundels Verständnis von referentieller Givenness gleichsetzen; für Gundels Begriff der relationalen Givenness, in dessen inhaltliche Bestimmung ihr spezifisches Verständnis von Aboutness einfließt, das ausdrücklich an das Kriterium der hörerseitigen Zugänglichkeit bzw. Bekanntheit gebunden bleibt, gibt es bei Molnár keine Entsprechung. Weder Molnárs Topik-Kategorie noch ihr Hintergrund-Begriff lassen sich mit Gundels relationaler Givenness gleichsetzen. 43 Um zeigen zu können, warum dies so ist und welche Konsequenzen sich daraus für Molnárs Ansatz ergeben, muss zunächst noch ein weiterer Punkt in ihrem Drei-Ebenen-Modell angesprochen werden, nämlich ihre Auffassung zum Verhältnis von Topik und Fokus. Ebenso wie Thema und Fokus sind auch Topik und Fokus für Molnár keine Komplementärkategorien. Allerdings ist die Fokus-Fähigkeit des Topiks bei ihr an bestimmte Bedingungen der Fokus/ Hintergrund-Gliederung gebunden. Die Fokus-Fähigkeit des Topiks hat für Molnár zur Voraussetzung, dass sich der Fokus-Bereich über mehr als nur eine „minimal fokussierte“ Konstituente erstreckt (1993, 168). Dies ist etwa der Fall in diskursinitialen Sätzen, die nach Molnár als Ganzes den Fokus bilden, da sie aufgrund ihrer Diskursinitialität über keine Hintergrund-Elemente verfügen. Diskursinitialen Sätzen kann nach Molnár aber auch eine Topik/ Kommentar-Gliederung zugesprochen werden (vgl. Molnár 1993, 167). Um die Diskursinitialität im folgenden Beispiel plausibel zu machen, bindet sie den Satz in einen Fragekontext ein: 44 43 Mehr zu Gundels Verständnis von Aboutness als ‚relationale‘ Givenness in Kap. 3.3. 44 Das Beispiel ist der erste Satz eines Artikels zur Asylrechtsproblematik, den Molnár dem Spiegel entnommen hat (Spiegel vom 30. November 1992, S. 89). Der Folgesatz lautet: So lapidar und so unzureichend steht es im Grundgesetz . <?page no="50"?> 50 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur (21) Steht was Neues in der Zeitung? [[Politisch Verfolgte] Topik [genießen Asylrecht.] Kommentar ] Fokus Ein weiteres - von Molnár konstruiertes - Beispiel (ebd.) verfügt zwar über einen Hintergrund, weil dort bestimmte Gehalte der vorausgesetzten Frage in der Antwort wieder aufgegriffen werden; der Antwortsatz hat aber mehr als nur eine fokussierte Konstituente, weswegen auch dort die fokussierte Subjekt-Konstituente als Topik in Frage kommen kann: (22) Was ist das für eine Demonstration? [[Umweltschützer] Fokus ] Topik [[demonstrieren] Hintergrund [gegen den Brückenbau.] Fokus ] Kommentar Demgegenüber ist die vorangestellte, ‚topikalisierte‘ Objekt-Konstituente in (23) (vgl. Molnár 1993, 168) kein Topik, da sie den „einzigen minimalen Fokus“ des Satzes bildet: (23) Wen besucht Peter in Bonn? [Seinen BRUder] Fokus [besucht er.] Hintergrund Dieser Fall eines „minimalen“, satzinitialen Fokus, der nicht topikfähig ist, verhält sich ihrer Meinung nach analog zu den folgenden Beispielen aus Gundel (1988b, 34), die über die vorangestellte ‚What about? ‘-Frage für diese Fälle die Inkompatibilität von Topik und Fokus belegen sollen: 45 (24) What about Archie? (a) *ARchie rejected the proposal. (b) *It was Archie who rejected the proposal. Hier sind es das durch Kontrastakzent fokussierte Subjekt in (a) und die Fokussierung durch Linksspaltung in (b), die als einzige und damit „minimale“ 45 Molnárs Beispiel in (23) verhält sich m. E. nicht analog zu den in (24) wiedergegebenen Beispielen. Molnár übersieht offenbar, dass die vor dem finiten Verb stehende Objekt-Konstituente - anders als bspw. die Subjekt-Konstituente in (24a)! - mit zur Prädikation gehört. Vgl. die folgende Variante: A: Wen besucht Peter in Bonn? B: Er besucht seinen Bruder. In dieser Variante hätte wohl auch Molnár nichts dagegen einzuwenden, wenn man der Subjekt-Konstituente Topikstatus zuspricht. Bezüglich ihrer Informativität ist diese Variante mit der Antwort in (23) jedoch vollkommen gleichwertig. Nur der Umstand, dass die Subjekt-Konstituente in Molnárs Version nicht satzinitial ist, blockiert für sie den Topikstatus. Dies ist ein Hinweis darauf, dass es problematisch ist, für Topiks im Deutschen strikt Satzintialität anzunehmen. <?page no="51"?> 2.5 Molnár: Topik - Thema - Hintergrund 51 Foki die Topik-Fähigkeit unterbinden. Dass die fokussierten Elemente nicht als Topiks gelten können, hängt mit dem Fragekontext zusammen, in den sie eingebettet sind: Auf eine Frage, die auf Informationen über Archie abzielt, kann nur eine Antwort folgen, in der Archie genauso die Rolle desjenigen innehat, über den etwas mitgeteilt wird. Anders als in (24) sind die in (22) von Molnár als Topik ausgewiesenen Umweltschützer nicht schon in der Frage als Gegenstand vorausgesetzt, über den Informationen erbeten werden, sondern gehören zu den weiterführenden Details, die über die Art der Demonstration Auskunft geben. 46 Fassen wir zusammen: Neben dem Zusammenfall von Topik und Hintergrund gibt es nach Molnár auch die Möglichkeit des Zusammenfalls von Topik und Fokus. Fokusfähig sind Topiks in Sätzen, die aufgrund ihres diskursinitialen Charakters keinen Hintergrund haben - so wie in (21) - oder in Sätzen, in denen das ‚fokussierte‘ Topik nicht das einzige fokussierte Element des Satzes ist - so wie in (22), wo neben dem Subjekt auch Elemente fokussiert sind, die zur Prädikation gehören. Lässt es sich aber überhaupt rechtfertigen, in Fällen wie in (21) und (22) eine Topik/ Kommentar-Gliederung anzunehmen, die unabhängig von der auf sprecherseitige Relevanz abzielenden Fokus/ Hintergrund-Gliederung operiert? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir noch einmal auf Molnárs Explikation der Topik-Kategorie eingehen und zu klären versuchen, worin sich die ihrem Verständnis nach „sachbezogene“ (s. o.) Ebene der Topik/ Kommentar-Gliederung von der auf den Aspekt der „Relevanz“ abzielenden Fokus/ Hintergrund-Gliederung unterscheiden soll. Auch Molnárs Topik-Begriff orientiert sich am klassischen Aboutness-Konzept. Durch die Topik/ Kommentar-Gliederung wird der Satz hinsichtlich seines „Mitteilungsaspekts“ aufgeteilt in (i) das „worüber etwas gesagt wird“ und (ii) das, „was darüber ausgesagt wird“ (1993, 162). Des Weiteren möchte sie Topikalität als ein „grundsätzlich pragmatisches Konzept“ (1993, 163) verstehen: Mit Verweis auf T. Reinharts (1981) Begriff der „pragmatic assertion“ 47 deutet sie das Topik als „eine der Komponenten der im pragmatischen Sinne gedeuteten Prädikation, wobei es sich um eine satzinterne Relation zwischen Satzgegenstand und Satzaussage handelt“ (ebd.). Neben dieser auf den Satz bezogenen 46 Allerdings ist die Frage in (22) auch keine ‚What about? ‘-Frage wie in (24). Und die von Molnár als fokussiertes Topik ausgewiesene Subjekt-Konstituente stellt dort auch keine Information dar, die von der Frage eingefordert wurde. (22) ist darum auch insofern bemerkenswert, als dass dort in der Antwort mehr Information geliefert wird, als eigentlich nötig gewesen wäre. Eine Äußerung wie z. B. Das ist eine Demonstration gegen den Brückenbau hätte die Frage auch schon erschöpfend beantworten können. 47 Auch Reinhart deutet Topiks als Gegenstand der Prädikation im pragmatischen Sinne: Topik ist derjenige Gegenstand, über den durch einen Satz im aktuellen Kontext etwas (pragmatisch) assertiert wird. Mehr zu Reinharts Topik-Verständnis in Kap. 3.2. <?page no="52"?> 52 2 Ältere und neuere Ansätze zur Informationsstruktur Explikation weist Molnár noch darauf hin, dass „bestimmte Aspekte der Topikalität […] nur durch den Bezug auf einen größeren Diskurszusammenhang zu klären [sind]“ (ebd.). Wie sieht im Verhältnis dazu ihr Verständnis der Fokus/ Hintergrund-Gliederung aus? Wie oben ausgeführt wurde, fußt Molnár die Fokus-Kategorie auf ihr Konzept der „vom Sender entschiedenen Relevanz“ (s. o.). Molnárs knappe Ausführungen hierzu legen nahe, dass sie sich hierfür auf zwei von Strawson formulierte Prinzipien bezieht: das „principle of the presumption of knowledge“ und das „principle of relevance“. Diese Prinzipien tragen nach Molnár wesentlich zur Herstellung von Kohärenz und Informativität in der Kommunikation bei: Der Sprecher knüpft an etwas Bekanntes an ( presumption of knowledge ), worüber (! ) er dann etwas Neues und damit für den Hörer Relevantes mitteilt ( principle of relevance ). 48 Hier zeigt sich: die zwei von Molnár für die Fokus/ Hintergrund-Gliederung ins Spiel gebrachten Prinzipien zeichnen sich dadurch aus, dass sie der Aboutness-Relation, die sie der Topik/ Kommentar-Gliederung zugrunde legt, außerordentlich ähnlich sind. Strawsons Prinzipien können nämlich genauso gut auch auf die Ebene der Topik/ Kommentar-Gliederung angewendet werden - mit dem Topik als dem ‚Worüber‘ der „im pragmatischen Sinne gedeuteten Prädikation“ (s. o.). Was über dieses ‚Worüber‘ ausgesagt - „pragmatisch assertiert“ - wird, sichert dann die Informativität der Äußerung im Sinne der Strawson’schen ‚presumption of ignorance‘. 49 Wenn aber die im Sinne der ‚presumption of ignorance‘ zum Fokusbereich zählenden Subjektkonstituenten in (21) und (22) zu dem gehören, was in diesen Sätzen pragmatisch assertiert wird, wie können sie dann zugleich Gegenstand der Satzaussage im pragmatischen Sinne sein? Der zentrale Widerspruch in Molnárs Drei-Ebenen-Modell ist also, dass sie fokussierte Topiks in der Konsequenz sowohl als Satzgegenstand als auch zur Satzaussage gehörig deutet. Nun ist es aber dennoch so, dass sich die satzinitialen Konstituenten in (21) und (22) - anders als in (23) - durchaus als ‚Gegenstand‘ der Prädikation deuten lassen - jedoch nicht, wie Molnár meint, „im pragmatischen Sinne“ (s. o.). In Kap. 5.2 werde ich darum dafür plädieren, zwischen der semantischen und der pragma- 48 Molnár missversteht Strawsons ‚principle of relevance‘ allerdings in diesem Punkt. Strawson zielt hiermit nicht auf die ‚neue‘ Information ab, sondern auf das Topik als „center of current interest“ (vgl. Strawson 1971a, 97 f.). Im Zusammenhang mit dem Aspekt der Informativität wäre es darum angemessener gewesen, auf Strawsons ‚principle of the presumption of ignorance‘ zu rekurrieren. 49 Darum hat man sich in der Literatur zur Informationsstruktur im Zusammenhang mit der Explikation von Aboutness häufig auf Strawson berufen. Beispiele hierfür finden sich in Reinhart (1981), Gundel (1988b) und Lambrecht (1994). In nächsten Kapitel werde ich diese Ansätze vorstellen. <?page no="53"?> 2.5 Molnár: Topik - Thema - Hintergrund 53 tischen Ebene der Prädikation zu unterscheiden. Diese Unterscheidung erlaubt es, auch in Fällen wie in (21) und (22) von einer auf die jeweiligen Subjekt-Konstituenten abzielenden Prädikation zu sprechen, die dort jedoch kontextbedingt nicht auf einer Relation zwischen „pragmatic assertion“ und „pragmatic presupposition“ (Lambrecht 1994) beruht. Wie ich im nächsten Kapitel zeigen möchte, ist es aber genau diese Unterscheidung, auf deren Basis sich das Konzept der Aboutness explizieren lässt. <?page no="55"?> 3.1 Strawson: Topiks als „centers of current interest“ 55 3 Topik und Aboutness Innerhalb neuerer pragmatisch orientierter Ansätze zur Informationsstruktur finden sich häufig Rückgriffe auf Ideen, die der Philosoph P. F. Strawson in seinem Aufsatz „Identifying reference and truth-values“ formuliert hat (Strawson 1964). 50 Die Attraktivität der Ideen Strawsons für pragmatisch orientierte Ansätze zur Informationsstruktur besteht vor allem darin, die klassische Satzgegenstand/ Satzaussage-Unterscheidung aus einer Perspektive zu betrachten, die die diskursiven Voraussetzungen der Äußerung von Sätzen mitberücksichtigt. Darum ist Strawson besonders für diejenigen Ansätze inspirierend gewesen, die das Verhältnis der Topik-Kategorie zu seinen Komplementärkategorien als Relation der Aboutness verstehen möchten und sich um eine Klärung des Aboutness-Begriffs bemühen. Bezugnahmen auf Strawson finden sich etwa bei Gundel (1988a; 1988b), Lambrecht (1994) und Reinhart (1981). 51 Im Folgenden sollen die jeweiligen Explikationsvorschläge der Autoren bezüglich des Aboutness-Begriffs chronologisch, beginnend mit Strawson, vorgestellt werden. Bei der Diskussion der in manchen Punkten ähnlichen, sich im Detail aber auch deutlich unterscheidenden Ansätze soll das Hauptaugenmerk auf zwei Problemfelder gerichtet werden, die auch schon in den vorangegangen Abschnitten angesprochen wurden: zum einen die Frage nach dem Verhältnis von Topikalität und Givenness, zum anderen die Frage, wie sich die Topik-Kategorie zu ihren Komplementär-Kategorien verhält. Zum Abschluss des Kapitels wird gezeigt, dass es Lambrechts Ansatz am besten gelingt, diese Probleme zufriedenstellend in den Griff zu bekommen. 3.1 Strawson: Topiks als „centers of current interest“ Strawson geht es in „Identifying reference and thruth-values“ nicht in erster Linie um den Begriff der Aboutness. Seine Ausführungen stehen vielmehr in Zusammenhang mit der Debatte um die Frage, wie Sätze, in denen sich für einen 50 Wiederabgedruckt in: Steinberg & Jakobovits 1971, 86-99. Im Folgenden zitiert als Strawson 1971a. 51 Wie wir gesehen haben, rekurriert auch Molnár im Rahmen ihres Drei-Ebenen-Modells auf Strawson, jedoch nicht im Zusammenhang mit ihrer Topik/ Kommentar-Ebene, die auch sie auf der Basis des Aboutness-Begriffs deutet, sondern zur Explikation ihrer Fokus/ Hintergrund-Ebene. <?page no="56"?> 56 3 Topik und Aboutness referierenden Ausdruck kein Referent angeben lässt, in denen also die Existenzpräsupposition verletzt wird, im Hinblick auf ihren Wahrheitswert zu interpretieren sind. Lässt sich bspw. eine Behauptung wie „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig“ - so das klassische, von Russell (1905) stammende Beispiel - als ebenso unzutreffend bezeichnen wie eine Behauptung über eine real existierende Person, der fälschlicherweise Kahlköpfigkeit zugeschrieben wird? Oder weist eine solche Behauptung Defizite auf, die ihre Beurteilung im Hinblick auf Wahrheit oder Falschheit unmöglich macht? Anhänger der letzteren Position verweisen traditionell darauf, dass nur Aussagen über Dinge, deren Existenz als gegeben vorausgesetzt (präsupponiert) werden können, hinsichtlich ihrer Wahrheit oder Falschheit beurteilbar sind. Behauptungen über nicht existierende Dinge, Sachverhalte oder Personen (wie eben der ‚gegenwärtige‘ König von Frankreich) sind nicht etwa falsch, sondern „missglückt“ ( infelicious ) im Sinne Austins und verfügen daher über eine sogenannte „Wahrheitswert-Lücke“ ( truth-value gap ) (Quine). Auch Strawson ist dieser Auffassung. Für Strawson kommt jedoch noch ein entscheidender Aspekt hinzu: Die Zuweisbarkeit eines Wahrheitswerts ist nicht allein schon durch die Verletzung der Existenzpräsupposition unterbunden, sondern erst dann, wenn sie in Kombination mit einer bestimmten kommunikativen Rolle auftritt, die der entsprechende Referenzausdruck im Vollzug der Äußerung innehat. Dies ist der Zusammenhang, in dem Strawson den Begriff der Aboutness in die Diskussion einbringt. Zunächst zu Strawsons Argumenten gegen die Auffassung, dass derartige Sätze wahrheitswertfähig seien: Strawson führt das Missglücken solcher Sätze auf die Nicht-Einhaltung bestimmter Sprecherannahmen und kommunikativer Prinzipien zurück. Wenn etwa jemand die Auskunft gibt: „All John’s children are asleep“, so kann er dies sinnvoll nur unter der Voraussetzung tun, dass John Kinder hat, und die Frage, ob diese Behauptung zutrifft oder nicht, stellt sich nach Strawson überhaupt nicht, wenn John in Wirklichkeit gar keine Kinder hat (vgl. Strawson 1952, 173 ff.): „We can, and normally should, say that, since John has no children, the question does not arise. […] The more realistic view seems to be that the existence of children of John’s is a necessary precondition not merely of the truth of what is said, but of its being either true or false“ (ebd.). Für Strawsons Position ist es von zentraler Bedeutung, dass er die Frage nach der Wahrheit oder Falschheit von Sachverhalten nicht an Sätze, sondern an deren Äußerung bindet. 52 Hier kommen nun die von Strawson formulierten kommunikativen Prinzipien ins Spiel: Sprecher vollziehen Äußerungen auf der 52 Vgl. Strawson (1971b, 180): Die Angabe von Wahrheitsbedingungen für einen Satz ist nicht zu verstehen als Angabe von Bedingungen, unter denen der Satz wahr ist, sondern als Angabe von Bedingungen, unter denen „different particular utterances of it will issue in different particular truths“. <?page no="57"?> 3.1 Strawson: Topiks als „centers of current interest“ 57 Basis bestimmter Annahmen ( presumptions ) über den (oder die) Adressaten ihrer Äußerungen (Strawson 1971a, 86). Ein Typ von Annahmen bezieht sich auf den Umstand, dass der Zweck assertiver Sprechhandlungen zuallererst darin besteht, dem Hörer etwas mitzuteilen, das er noch nicht weiß: Since there is no point in […] informing somebody of something of which he is already apprised, the making of an assertive utterance or statement […] implies a presumption (on the part of the speaker) of ignorance (on the part of the audience) of some point to be imparted in the utterance. (Strawson 1971a, 86) Dem aus dieser Annahme abgeleiteten „principle of the presumption of ignorance“. stellt er ein weiteres Prinzip zur Seite: das „principle of the presumption of knowledge“. Strawson begründet die Notwendigkeit für dieses zweite Prinzip mit einem weiteren Typ von Sprecherannahmen: […] when an empirically assertive utterance is made with an informative intention, there is usually or at least often a presumption (on the part of the speaker) of knowledge (in the possession of the audience) of empirical facts relevant to the particular point to be imparted in the utterance. (1971a, 87) Strawson hat hierbei eine ganz bestimmte Art von Hörerwissen im Sinn: Das Wissen, von dem Sprecher annehmen, dass es seitens des Hörers vorausgesetzt werden kann, ist ein sogenanntes Identifizierungswissen ( identifying knowledge ). Sprecher gehen davon aus, dass bestimmte, in der Äußerung erwähnte (Diskurs-)Gegenstände auch für den Hörer zugänglich sind: When people talk to each other they commonly and rightly assume a large community of identifying knowledge of particular items. Very often a speaker knows or assumes that a thing of which he has such a knowledge is also a thing of which his audience has such a knowledge. (1971a, 87 f.) Unter dem Begriff des Identifizierungswissens versteht Strawson das Vermögen, auf Dinge perzeptuell zugreifen und sie von anderen Dingen unterscheiden zu können, wobei Grad wie auch Art und Weise dieses Identifizierungsvermögens recht unterschiedlich ausfallen können: […] a person may be able to pick a thing out in his current field of perception. Or he may know there is a thing (not in his current field of perception) to which a certain description applies which applies to no other thing […]. Or he may know the name of a thing and be able to recognise it when he encounters it, even if he can normally give no identifying description of it […]. If a man satisfies any of these conditions in respect to a certain particular, I shall say he has identifying knowledge of this particular. (1971a, 87) <?page no="58"?> 58 3 Topik und Aboutness Die sprachliche Bezugnahme auf Gegenstände, von denen der Sprecher seitens des Hörers Identifizierungswissen voraussetzt, nennt Strawson identifizierende Referenz ( identifying reference ). Im Vollzug von Äußerungen wird die identifizierende Referenz durch Ausdruckstypen wie definite Kennzeichnungen, Eigennamen sowie Personal-, Demonstrativ- oder Possessivpronomen geleistet. Strawson stellt heraus, dass der Zweck identifizierender Referenz nicht darin zu sehen ist, den Hörer über die Existenz des Gegenstands, auf den referiert wurde, zu informieren. Seine Existenz wird nicht behauptet, vielmehr wird vorausgesetzt, dass für ihn hörerseitiges Identifizierungswissen schon besteht. 53 Darum sind Fälle, in denen behauptet wird, dass Johns Kinder schlafen, obwohl John gar keine Kinder hat, oder in denen über einem nicht existierenden König von Frankreich ausgesagt wird, dass er kahlköpfig ist, nicht als falsche Behauptungen ( false statements ) zu werten, sondern als Fälle „vollständig misslingender Referenz“ ( radical reference-failure ) (vgl. Strawson 1971a, 89). Derartige Fälle sind missglückt in dem Sinne, dass sie dem „principle of the presumption of knowledge“ nicht Folge leisten, da die identifizierende Referenz dort hörerseitig nicht erfüllbar ist. 54 53 Die Existenzpräsupposition sollte jedoch nicht mit der Präsupposition hörerseitigen Identifizierungswissens gleichgesetzt werden. Zwar impliziert Letzteres immer auch Ersteres, aber umgekehrt folgt aus der Präsupposition, dass es einen Gegenstand gibt, der mit dem aktuell verwendeten Referenzausdruck intendiert ist, nicht notwendig, dass der Sprecher in Bezug auf diesen Gegenstand auch adressatenseitiges Identifizierungswissen voraussetzt. Dies ist der Fall bei jeder Verwendung einer indefiniten NP, die einen neuen Diskursgegenstand etabliert (vgl. Prince 1981, 235), welcher dann im Anschluss mit einer definiten NP wiederaufgenommen wird. Wenn aber unstrittig ist, dass die wiederaufnehmende definite NP mit einer Existenzpräsupposition assoziiert sind, dann sollte man dies auch der damit koreferenten indefiniten NP zuerkennen können. Wird also eine indefinite NP, etwa zu Beginn einer „anaphorischen Kette“, referentiell verwendet (vgl. Chastain 1975, 202 ff.), dann wird auch präsupponiert, dass es einen Gegenstand gibt, den der Sprecher mit der indefiniten NP intendiert. Ob ein Ausdruck mit einer Existenzpräsupposition assoziiert ist, ist also weniger eine Frage des Ausdruckstyps (etwa ob der Ausdruck eine definite NP, ein Pronomen oder ein Eigenname ist), sondern hängt davon ab, ob der Ausdruck referentiell verwendet wird, d. h. ob der Sprecher damit einen (Diskurs-)Referenten intendiert. Auch Strawson (1950, 341) weist darauf hin, dass Sprecher auch dann referieren, wen sie in Bezug auf den von ihnen intendierten Referenten kein hörerseitiges Identifizierungswissen voraussetzen. 54 Die hier an verschiedenen Stellen verwendete Redeweise von (in Wirklichkeit) nicht existierenden Dingen ist insofern nicht ganz glücklich gewählt, als sie den Eindruck erweckt, dass auch bei fiktionalen Referenzobjekten von reference-failure gesprochen werden muss. Als besonders gravierend müssen dann Fälle erscheinen, in denen die Fiktionalität von Diskursgegenständen sogar behauptet wird - etwa wenn jemand seinen Gesprächspartner darüber in Kenntnis setzt, dass der Weihnachtsmann nicht existiert. Es wäre sicherlich vollkommen unangemessen, wenn man eine solche Äußerung als missglückt im Sinne einer reference-failure betrachten würde. Der Begriff der Existenzprä- <?page no="59"?> 3.1 Strawson: Topiks als „centers of current interest“ 59 Allerdings führt nicht jede ‚reference-failure‘ zu einem Missglücken in der eben beschriebenen Weise. Die oben diskutierten Beispiele zeichnen sich nämlich durch eine gemeinsame Eigenschaft aus. Die ‚reference-failure‘ betrifft dort Ausdrücke innerhalb einer bestimmten syntaktischen Position: sowohl all John’s children als auch der gegenwärtige König von Frankreich stehen in Subjekt-Position. Wie sind aber Fälle zu bewerten, in denen die ‚reference-failure‘ Ausdrücke betrifft, die nicht in Subjektposition stehen? Strawson macht die Anwendbarkeit des wahr/ falsch-Kriteriums auf Behauptungsäußerungen nämlich nicht allein an der gelingenden bzw. misslingenden Referenz auf einen Diskursreferenten fest, sondern auch an der kommunikativen Rolle, die dem Referenten des von ‚reference-failure‘ betroffenen Ausdrucks jeweils zukommt. Angenommen, man würde über eine tatsächlich stattfindende Kunstausstellung - in einem Fall also, in dem die identifizierende Referenz nicht misslingt - die Aussage machen, dass diese vom gegenwärtigen König von Frankreich besucht worden sei, so ist dies für Strawson durchaus noch beurteilbar hinsichtlich des wahr/ falsch-Kriteriums. Strawson stellt die folgenden Varianten gegenüber (vgl. 1971a, 96): (1a) The exhibition was visited yesterday by the king of France. (1b) The king of France visited the exhibition yesterday. Je nachdem, ob die ‚reference-failure‘ Ausdrücke in Subjektposition betrifft oder nicht, ergeben sich für Strawson Unterschiede hinsichtlich der Anwendbarkeit des wahr/ falsch-Kriteriums. Der Passiv-Variante in (1a) kann ein Wahrheitswert zugewiesen werden: Sie liefert falsche Informationen über die Kunstausstellung - trotz des von ‚reference-failure‘ betroffenen, Existenz präsupponierenden Referenzausdrucks innerhalb der Prädikation -, wohingegen Variante (1b), in der das Subjekt von der ‚reference-failure‘ betroffen ist, sich einer wahr/ falsch-Beurteilung entzieht. Dies ist der Punkt, an dem Strawson den Begriff der Aboutness ins Spiel bringt. Die Erklärung für den Unterschied zwischen (1a) und (1b) macht Strawson in dem jeweils vorausgesetzten „Interessenschwerpunkt“ ( center of current supposition ist darum besonders vor dem Hintergrund derartiger Beispiele unglücklich, da er suggeriert, dass die Präsupposition der Existenz ausschließlich im Sinne ‚realer‘ Existenz zu verstehen ist. In Bezug auf einen Referenten als Diskurs gegenstand ist es aber vollkommen irrelevant, ob dieser real, fiktional oder bloß eingebildet ist. Strawsons Begriff des Identifizierungswissens, dessen Vorliegen für ihn die Bedingung für gelingende Referenz darstellt (vgl. das oben angeführte Zitat, Strawson 1971a, 87), lässt sich m. E. auch ohne Probleme auf fiktionale Referenzobjekte anwenden. <?page no="60"?> 60 3 Topik und Aboutness interest ) aus, den er versteht als das, „what the statement is about“ (vgl. 1971a, 96 f.) und dessen Indizierung durch die Subjekt-Realisierung erfolgt: Statements, or the pieces of discourse to which they belong, have subjects, not only in the relatively precise senses of logic and grammar, but in a vaguer sense with which I shall associate the words ‘topic’ and ‘about’. (1971a, 97) Während der Interessenschwerpunkt in (1a) auf der (tatsächlich stattfindenden) Ausstellung liegt, und der entsprechende Referenzausdruck somit nicht von ‚reference-failure‘ betroffenen ist, fällt er in (1b) mit der misslingenden Referenz zusammen. Darum lässt sich die Passiv-Variante in (1a) Strawson zufolge noch als falsche Behauptung beurteilen: Die ‚reference-failure‘ betrifft dort nicht das Topik der Behauptungsäußerung, sondern lediglich den Bereich, der als Information über ihr Topik fungiert: We may still judge the statement as putative information about its topic and say, perhaps, that the failure of reference has the consequence that it is misinformative about its topic. (1971a, 98) In (1b) hingegen ist eine Deutung der Äußerung als falsche Information über ihr Topik ausgeschlossen: If we know of the reference-failure, we know that the statement cannot really have the topic it is intended to have and hence cannot be assessed as putative information about that topic. It can be seen neither as correct, nor as incorrect, information about its topic. (ebd.) Die oben diskutierten Beispiele, in denen das Topik immer durch das Subjekt-Argument repräsentiert wird, erwecken vielleicht zunächst den Eindruck, dass Strawson das Subjekt generell als Indikator für Topikalität begreifen möchte. Diese Auffassung kann ihm jedoch nicht zugeschrieben werden, wie die folgenden Beispiele zeigen (vgl. 1971a, 96): (2a) A: What examples are there of famous contemporary figures who are bald? B: The king of France is bald. (2b) A: What outstanding events, if any, have occurred recently in the social or political field? B: The king of France married again. Beiden Antworten lässt sich Strawson zufolge ein Wahrheitswert zuordnen. Sie sind als falsch beurteilbar, trotz des von ‚reference-failure‘ betroffenen Subjekt-Ausdrucks. Diesen Befund führt er auf den jeweils vorausgesetzten Fragekontext zurück: „The question in each case represents the antecedent center of interest as a certain class“ (1971a, 96). Die Antwort in (2a) möchte Strawson <?page no="61"?> 3.1 Strawson: Topiks als „centers of current interest“ 61 darum als eine Behauptung über die in der Frage erwähnte Klasse kahlköpfiger Berühmtheiten deuten, zu der auch ein gegenwärtiger König von Frankreich gehören soll. Da dies nicht der Fall sein kann, lässt sich die Antwort von B als falsche Antwort auf die Frage nach gegenwärtigen kahlköpfigen Berühmtheiten auffassen. Auch die Antwort in (2b) lässt sich laut Strawson durch den Fragekontext als falsch deuten: Dort wird behauptet, dass ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat: nämlich die Heirat des (gegenwärtigen) Königs von Frankreich - was ebenfalls nicht der Fall gewesen sein kann. 55 Strawson hat den Topik-Begriff in die Diskussion um referenztheoretische Fragen eingebracht, um darauf hinzuweisen, dass bei der Frage nach der Zuweisbarkeit von Wahrheitswerten auch die kommunikative Rolle der in den Behauptungsäußerungen genannten Diskursgegenstände zu berücksichtigen ist - und damit der diskursive Kontext, in den die Äußerungen jeweils eingebettet sind. Dass eine Frage wie die, ob es zutrifft, dass Johns Kinder schlafen, schlicht „nicht aufkommt“ ( does not arise ), wenn John gar keine Kinder hat (vgl. das oben angeführte Beispiel), erklärt sich einfach daraus, dass kein Äußerungskontext vorstellbar ist, in dem sich eine solche Frage sinnvoll stellen ließe. Denn dass ein Diskursgegenstand - wie etwa Johns Kinder - im Rahmen eines Frage-Antwort-Kontexts als „center of current interest“ gelten kann, setzt voraus, dass für diesen Gegenstand seitens des Sprechers und Hörers das vorliegt, was Strawson Identifizierungswissen nennt. Auf diesem Umstand beruht nicht nur Strawsons Intuition, dass Topiks Teil dessen sein müssen, was sprecher- und hörerseitig präsupponiert wird, sondern auch seine Einsicht, dass eine Behauptung wie 55 Insofern lassen sich die Subjekt-Argumente in den Antwortsätzen durchaus als fokussiert bzw. als dem Fokusbereich zugehörig auffassen: In (2a) behauptet der Sprecher, dass es der König von Frankreich ist, der zu der in der Frage erwähnten Klasse von kahlköpfigen Berühmtheiten gehört. Und die Antwort in (2b) ließe sich als ‚event-reporting‘ im Sinne Lambrechts deuten (vgl. Lambrecht 1994, 137 ff.), da sie als Antwort auf die Frage danach, was kürzlich passiert ist, fungiert. Zwar verfügt Strawson über keine Komplementär-Termini zu seinem Topik-Begriff, aber in beiden Fällen zählt er die Subjekt-Argumente zum Behaupteten: Da die Antworten darauf abzielen, dass der Subjekt-Referent in (2a) und die erwähnte Heirat in (2b) zu den in den Fragen erwähnten Referenten-Klassen gehören (sollen), müssen sie seiner Auffassung nach als Information über diese jeweiligen Klassen begriffen werden, sodass der Referent der Subjekt-Argumente nicht mehr als „center of current interest“ deutbar ist. Bemerkenswert sind die Beispiele auch aus dem folgenden Grund: Da Strawson die Antworten als relevante Information über die jeweiligen Referenten-Klassen deuten möchte, stünden sie somit in Relation zu einem ‚Topik‘, das ausdrucksseitig (d. h. als Topik-Ausdruck in der Antwort-Äußerung selbst) keine Entsprechung hat. Wie wir weiter unten sehen werden, bietet Lambrechts Ansatz eine alternative Analyse für derartige Fälle an. Aus der Perspektive dieses Ansatzes drücken die Antworten keine Aboutness-Relation aus, sondern sind anderen „focus-presupposition articulations“ zugehörig. Zu den von Lambrecht vorgeschlagenen ‚Gliederungstypen‘ siehe Kap. 3.4 sowie ausführlich Kap. 4.2. <?page no="62"?> 62 3 Topik und Aboutness etwa die, dass Johns Kinder schlafen, erst durch ihre In-Beziehung-Setzung zu einem aktuellen „center of interest“ Informativität erhält: We do not, except in social desperation, direct isolated and unconnected pieces of information at each other, but on the contrary intend in general to give or add information about what is a matter of standing or current interest or concern. (1971a, 97) In diesen Zusammenhang ist Strawsons ‚principle of relevance‘ zu stellen, das er seinem ‚principle of the presumption of knowledge‘ als Komplementärprinzip zur Seite stellt (vgl. 1971a, 97 f.): Eine Behauptungsäußerung ist nicht nur allein dadurch informativ, dass sie dem Hörer etwas Neues mitteilt ( presumption of ignorance ), sondern auch dadurch, dass die neue Information auf den Diskursgegenstand zu beziehen ist, der als „center of interest“ aktuell die Topik-Rolle innehat. 3.2 Reinhart: Topiks als „referential entries“ Strawsons Explikation der Aboutness-Relation als Relation zwischen Äußerung und im Diskurs verankertem „center of current interest“ erfährt bei T. Reinhart eine kognitive Deutung (vgl. Reinhart 1981). Hierfür greift sie zunächst auf seine Diskussion der kommunikativen Voraussetzungen für die Beurteilbarkeit der Wahrheitswerte von Behauptungsäußerungen zurück. Strawsons Einsicht, dass die Beurteilbarkeit assertiver Äußerungen hinsichtlich ihrer Wahrheit oder Falschheit zu einem nicht geringen Umfang auch Topik-gesteuert ist, reformuliert Reinhart folgendermaßen: […] the selection of a topic for a given assertion in a given context may be viewed as a selection among the various ways to assess it - it will be verified by checking what we know about the topic. (Reinhart 1981, 60) Angewendet auf eines der Beispiele Strawsons lassen sich Reinharts Ausführungen folgendermaßen verstehen: Wenn beispielsweise über eine aktuelle Ausstellung ausgesagt wird, dass sie von einer bestimmten Person besucht worden ist, dann wird im Fall einer Einschätzung ( assessment ) des Wahrheitsgehalts dieser Behauptung in aller Regel auf Wissensbestände über die Ausstellung zurückgegriffen, etwa ob für die Ausstellung tatsächlich zutrifft, dass sie von der in Rede stehenden Person besucht worden ist - und eher nicht auf Wissen über die Person, etwa ob zutrifft, dass sie die Ausstellung besucht hat. Kurz: Einschätzungen des Wahrheitsgehalts von Behauptungen sind nach Reinhart <?page no="63"?> 3.2 Reinhart: Topiks als „referential entries“ 63 immer zu verstehen als Einschätzungen des Wahrheitsgehalts von Behauptungen über ein Topik. 56 Hierauf beruht Reinharts Verständnis pragmatischer Aboutness. Aboutness ist als Mittel zur Organisation und Strukturierung des Diskursverlaufs zu verstehen. Mit Stalnaker (1978) begreift sie Diskurse als Prozesse der Anreicherung von Information, die Sprechern und Hörern im weiteren Verlauf des Diskurses als gemeinsames propositionales Wissen zur Verfügung steht, auf das ggf. zurückgegriffen werden kann und das somit als sprecher- und hörerseitig bekannt vorausgesetzt (präsupponiert) werden kann. Die im Diskurs zu einem gegebenen Zeitpunkt angesammelte ‚Menge‘ der (als bekannt vorausgesetzten) Propositionen nennt Reinhart unter Rückgriff auf Stalnaker „context set“: […] the context set of a given discourse at a given point [is] the set of the propositions which we accept to be true at this point. […] The effect of each new assertion in a discourse is to add the proposition expressed by it to the presuppositions in the context set. A discourse can be described, then, as a joint-procedure of constructing a context set. (Reinhart 1981, 78 f.) Reinhart stellt heraus, dass die im ‚context set‘ angesammelte Information nicht als unverbundene Aneinanderreihung isolierter Propositionen zu verstehen ist. Vielmehr kommt es im Diskursverlauf zu einer Strukturierung und In-Beziehung-Setzung der Einzelpropositionen, um die Verarbeitung neu hinzukommender Information zu erleichtern. Wie diese Verarbeitung vor sich gehen soll, veranschaulicht sie anhand einer Metapher: Die Menge der im ‚context set‘ enthaltenen Propositionen ist in der Art eines Schlagwort-Katalogs ( subject catalogue ) einer Bibliothek organisiert. Die Organisation der zum ‚context set‘ neu hinzukommenden Information geschieht dabei auf der Basis zweier kognitiver Strukturierungsprinzipien. Neu hinzukommende Information wird immer im Hinblick auf ein Topik bewertet ( assessment ) und im Anschluss als Information über dieses Topik abgespeichert ( storage ): „Assess by what you already know about the topic, store under an entry corresponding to this topic“ (Reinhart 1981, 80). Vor dem Hintergrund ihrer Katalog-Metapher lässt sich Reinharts Topik-Begriff somit folgendermaßen verstehen: Topiks fungieren als kognitive 56 Vgl. hierzu die Beispiele, die Reinhart in diesem Zusammenhang diskutiert und wo das jeweilige Topik durch Linksherausstellung indiziert wird (Reinhart 1981, 60): (i) As for Felix, he invited Rosa to dance with him. vs. (ii) As for Rosa, Felix invited her to dance with him. Trotz identischer Wahrheitswerte wird im Assessment -Fall eine jeweils spezifische Perspektive eingenommen: Während in (i) überprüft wird, ob auf Felix zutrifft, dass er Rosa zum Tanzen eingeladen hat, ist das ‚Assessment‘ in (ii) auf Rosa perspektiviert, nämlich ob auf sie zutrifft, dass sie von Felix eine Einladung zum Tanzen bekommen hat. <?page no="64"?> 64 3 Topik und Aboutness ‚Adresse‘ für die in den Propositionen enthaltene (neue) Information. 57 Sie sind der Ort, unter dem die jeweils neu hinzugekommene Information abgelegt wird: The propositions admitted into the context set are classified into subsets of propositions, which are stored under defining entries. At least some such entries are defined by NP-interpretations. NP sentence-topics, then, will be referential entries under which we classify propositions in the context set and the propositions under such entries in the context set represent what we know about them in this set. (Reinhart 1981, 80) Referierende NP-Ausdrücke mit Satztopik-Status stellen hierbei den ausdrucksseitigen Aspekt dieses Organisationsprozesses dar: Sentence-topics, within this view, are one of the means available in the language to organize, or classify the information exchanged in linguistic communication - they are signals for how to construct the context set, or under which entries to classify the new proposition. (ebd.) Aboutness ist im Rahmen dieser Perspektive also gewissermaßen ein ‚Effekt‘ kognitiver Strukturierungsprinzipien: Aus der Zuordnung neu hinzukommender Propositionen zu einem ‚Schlagwort-Eintrag‘ ergibt sich die für den jeweiligen Satz geltende „pragmatische Assertion“ (Reinhart 1981, 80 f.), wodurch einer Konstituente der Status des ‚Worüber‘ der im Satz ausgedrückten Assertion zugewiesen wird. Unter Berücksichtigung der von Reinhart angenommen kognitiven Strukturierungsprinzipien lässt sich dies folgendermaßen paraphrasieren (vgl. Reinhart 1981, 81): Dass ein Satz S, geäußert in einem Kontext C, als Satz über einen Diskursgegenstand a gilt, heißt zunächst, dass die im Satz ausgedrückte Proposition hörerseitig im Hinblick auf die anderen Propositionen, die bereits unter dem Eintrag für a gelistet sind, überprüft wird ( assessment ), und dann, sofern diese Proposition nicht zurückgewiesen worden ist, den anderen Einträgen unter a hinzugefügt wird ( storage ). Dies entspricht dem ‚Standardfall‘, wo für den Diskursgegenstand als ‚alter‘ Information schon ein Eintrag besteht, der als ‚Ablageort‘ fungieren kann. Reinhart betont jedoch ausdrücklich, dass Topikalität - „despite its apparent intuitive appeal“ - nicht mit ‚alter‘ Information gleichzusetzten sei (vgl. Reinhart 1981, 72 f.). Dennoch gilt auch für sie, „that only individuals (or sets of individuals) whose existence has been established may serve as entries in the context set“ (Reinhart 1981, 82). Um nachvollziehen zu können, wie Reinhart 57 Zur sogenannten Adressierungsfunktion von Satztopiks siehe auch Jacobs (2001, 650 ff.). Ausführlich zum Konzept der Adressierung siehe Kap. 5.1. <?page no="65"?> 3.2 Reinhart: Topiks als „referential entries“ 65 ihre Ablehnung der Gleichsetzung von Topik und alter Information mit ihrer Überzeugung in Einklang bringt, dass die Referenten von Topik-Einträgen „etabliert“ sein müssen, sind zwei Punkte zu klären: erstens, was Reinhart unter ‚alter‘ Information versteht, und zweitens, worüber ihrer Meinung nach Topikalität ausgesagt werden kann. Zunächst zum ersten Punkt: Neben der oben angesprochenen Funktion als ‚Adresse‘ für die Ablage neu hinzukommender Information kommt Topiks nach Reinhart auch die Funktion zu, diese Adresse zu eröffnen: In such cases the assertion of S opens a new NP-interpretation entry in the context set, whose member, the proposition expressed in S, is now available for assessment of future assertions about this entry. (Reinhart 1981, 82) Der Fall, dass eine NP mit Topikstatus den entsprechenden Topik-Eintrag erst eröffnet, liegt Reinhart zufolge in dem folgenden Beispiel vor (vgl. Reinhart 1981, 76). In diesem Textausschnitt, einer Passage aus einem Artikel, den sie einem Szene-Magazin für die Stadt Los Angeles entnommen hat, geht es um die Auswirkungen des Zuzugs reicher Geschäftsleute auf den öffentlichen Raum in einem eher armen Stadtviertel: (3) The public benches that used to be west of their restaurant are gone also, it has been rumoured that the removal of the benches has been brought about by pressure from certain business people to discourage those who can’t afford to get drunk in public behind iron work railings from annoying those who can. Of course, one of the consequences is that the tenants of 1415 Ocean Front Walk don’t have their benches to sit on […]. Im ersten Satz wird über die Entfernung der öffentlichen Bänke berichtet und es werden die Gründe dafür genannt. Im zweiten Satz werden die Konsequenzen, die sich daraus für die Anwohner ergeben, benannt. Reinhart argumentiert dafür, dass im zweiten Satz die NP, die auf die Anwohner (tenants) referiert, Topikstatus hat - obwohl auch die Bänke dort noch einmal wiederaufgenommen werden. (Sie weist noch darauf hin, dass es im weiteren Textverlauf um einen der Anwohner gehen wird.) Die NP the tenants of 1415 Ocean Front Walk eröffnet hier einen neuen Eintrag, der nun für das ‚assessment‘ anschließender Assertionen über diesen Eintrag zur Verfügung steht. 58 58 Vgl. Reinhart (1981, 76): „Although the benches are still mentioned in this sentence, by the intuitive aboutness criterion for topichood, the tenants, rather than the benches are its topic.“ Diese Interpretation begründet sie u. a. damit, dass die Linksherausstellung von the tenants hier möglich ist: One of the consequences is that the tenants of 1415 Ocean Front Walk, they don’t have their benches to sit on . Dass die als Topik-Ausdruck interpretierte <?page no="66"?> 66 3 Topik und Aboutness Aus dem Beispiel wird deutlich, was Reinhart unter dem Begriff der alten Information verstehen möchte. Reinhart weist in diesem Zusammenhang auf die von Strawson diskutierten Folgen fehlgeschlagener Referenz hin: Fälle, in denen die entsprechende NP „fails to refer“, haben zur Konsequenz, „[that] we can neither find an entry for it nor open a new entry for it in the context set “ (Reinhart 1981, 82; Hervorhebung von mir). Somit gilt offensichtlich auch für sie die Bedingung, dass die Referenten von Topik-Ausdrücken im Sinne der Strawson’schen „presumption of knowledge“ präsupponiert sein müssen. Denn: „only individuals […] whose existence has been established may serve as entries in the context set“ (s. o.). In welcher Hinsicht also können die an dieser Stelle erstmalig genannten tenants als „etabliert“ gelten? Zwar führt Reinhart nicht genauer aus, unter welchen Bedingungen ein Diskursgegenstand als etabliert gelten kann; in einer Fußnote zu dem diskutierten Beispiel merkt sie hierzu jedoch an: Of course, one may argue that the tenants are old information because they are related to or ‘inferrable’ from the general discourse topic […]. A definition of old information that would allow that would be, however, too broad to be of any use at all, since it is hard to imagine what information in a given context would not meet this requirement. (Reinhart 1981, 88 f.) Erstens gilt also, dass die Anwohner als etabliert gelten können, weil sie aus dem „general discourse topic“ „ableitbar“ sind (denn es handelt sich um die Anwohner aus dem in Rede stehenden Stadtviertel); und zweitens hält Reinhart fest, dass Etabliertheit aufgrund von Ableitbarkeit nicht mit alter Information gleichzusetzen sei. Reinhart möchte also offensichtlich nur dann von alter Information sprechen, wenn für die referierende NP schon ein ‚Schlagwort-Eintrag‘ im ‚context set‘ besteht. Die Kriterien dafür, dass ein Diskursgegenstand als etabliert gelten kann, sind bei Reinhart offenbar ähnlich weit gefasst wie Strawsons Kriterien für das Vorliegen von Identifizierungswissen, für das schon genügt, dass der Adressat „may know there is a thing (not in his current field of perception) to which a certain description applies […].“ (Strawson, 1971, 87). Somit sind die Anwohner zwar etabliert, da für sie adressatenseitig Identifizierungswissen im Sinne Strawsons vorausgesetzt werden kann; jedoch sind sie keine ‚alte‘ Information, weil für sie noch kein ‚Schlagwort-Eintrag‘ besteht. Reinhart möchte ‚alte Information‘ also im Sinne von ‚vorerwähnt im (unmittelbar) vorangegangenen Diskursabschnitt‘ verstehen; und insofern Referenten NP im Prädikativsatz zwar grammatisch zur Prädikation gehört, jedoch nicht semantisch, begründet Reinhart so: Die Subjekt-NP one of the consequences ist nicht als Gegenstand der Prädikation zu deuten, sondern als semantisches Mittel der Satzverknüpfung: „The last sentence is connected to the previous with the semantic connector of consequence“ (ebd.). <?page no="67"?> 3.2 Reinhart: Topiks als „referential entries“ 67 etabliert im Sinne eines vorausgesetzten Identifizierungswissens sein können, ohne vorerwähnt zu sein, lässt sich mit Reinhart sagen, dass Topikalität nicht auf das Kriterium der alten Information angewiesen ist. Bis hierhin beziehen sich Reinharts Argumente gegen die Gleichsetzung von Topikalität mit alter Information auf ihre Position, dass Etabliertheit nicht Vorerwähntheit voraussetzt. Ihr entscheidendes Argument ist jedoch der Umstand, dass Ausdrücke, deren Referenten aufgrund von Vorerwähntheit etabliert sind, nicht notwendig Topikstatus haben. Dieses Argument betrifft den noch zu klärenden Punkt, nämlich die Frage, worüber Reinhart zufolge Topikalität ausgesagt werden kann. Hier könnte man zunächst vermuten, es ginge ihr lediglich darum, darauf hinzuweisen, dass wiederaufnehmende Ausdrücke auch fokussiert sein können. 59 Als besonders problematisch erweisen sich jedoch Fälle wie das folgende Beispiel (vgl. Reinhart 1981, 72): (4) A: Who did Felix praise? B: Felix praised HIMSELF. Probleme bereitet dieses Beispiel aus dem folgenden Grund: In dem Beispiel ist der Referent von himself nicht nur vorerwähnt, sondern durch den Fragekontext auch als Topik-Referent ausgewiesen: Über Felix wird in der Antwort von B ausgesagt, dass er sich selbst gelobt hat. Wenn man aber über den Referenten des Eigenamens Felix sagt, dass er Topikstatus hat, wie verhält es sich dann mit dem Referenten des Pronomens himself ? Hier würde man sich - aufgrund der Referenzidentität von Felix und himself - in Widersprüche verwickeln, wenn man Kategorien wie Topik und Fokus auf den Referenten bezöge, denn dies hätte zur Folge, dass Felix in der Antwort von B nicht nur Topik-, sondern auch Fokus-Status zugesprochen werden müsste. Reinhart zieht aus diesem Befund den Schluss, dass Topiks nicht auf der Basis dessen bestimmt werden können, „what we know about their referents“ (Reinhart 1981, 73) und hält kategorisch fest: „Topichood cannot be defined on referents“ (ebd., 72). Darum ist sie um eine nicht-referentielle Definition bemüht und bestimmt Satztopiks ‚inhaltsseitig‘ als „referential entries“ für „NP-interpretations“ (Reinhart 1981, 80). 60 Dementsprechend muss auch Rein- 59 Vgl. etwa das Beispiel, das Molnár im Rahmen ihres Drei-Ebenen-Modells als Begründung für ihre Unterscheidung zwischen Thema/ Rhema-Ebene und Fokus/ Hintergrund-Ebene anführt: A: Wer spielt Klavier, Peter oder Eva? B: PETER spielt Klavier . 60 Siehe ihre oben angegebene Topik-Definition: „NP sentence-topics, then, will be referential entries under which we classify propositions in the context set“ (Reinhart 1981, 80). Reinhart hält sich jedoch nicht strikt an diese Bestimmung. Während Topiks an dieser Stelle noch explizit als „referential entries“ definiert sind, stehen sie wenige Zeilen <?page no="68"?> 68 3 Topik und Aboutness harts Aboutness-Begriff als nicht-referentieller Explikationsversuch begriffen werden: Die Aboutness-Relation besteht für sie nicht wie bei Strawson zwischen der Äußerung und einem Diskursreferenten in der Rolle des aktuellen „center of interest“, sondern ist als Relation zwischen Schlagwort-Eintrag und Proposition im ‚context set‘ zu denken. Es ist allerdings fraglich, ob Reinharts Explikation in dieser Hinsicht überzeugend ist, denn letztlich bleibt auch ihr Topik-Begriff auf Diskursreferenten bezogen, wenn Satztopiks als „referential entries“ für „NPinterpretations “ verstanden werden, und somit auf Entscheidungen darüber beruhen, auf welchen Diskursreferenten ein NP-Ausdruck aktuell zu beziehen ist. Ebenso gut könnte man von „referential entries“ für Diskursreferenten sprechen. Und so ist Reinharts Deutung von Satztopiks als „referential entries“ letztlich nur eine kognitivistische Metapher für den Fall, dass bestimmte Diskursreferenten (aktuell) Topikstatus haben. Dennoch bleibt die Lösung des Problems, das Reinharts Beispiel aufwirft, von entscheidender Bedeutung für eine widerspruchsfreie Explikation der Aboutness-Relation. Wir werden nun im Anschluss sehen, welche Lösung J. Gundels Ansatz für dieses Problem anbietet und uns fragen, ob es ihr besser gelingt, Fälle wie (4) in den Griff zu bekommen. 3.3 Gundel: referentielle vs. relationale Givenness/ Newness Eine der zentralen Herausforderungen für eine adäquate Bestimmung des Aboutness-Begriffs besteht in der Beantwortung der Frage, auf welche Einheiten - bzw. auf welche Ebenen - die Aboutness-Relation zu beziehen ist. Reinhart fasst den Unterschied zwischen ihrer Explikation und anderen, auf Diskursreferenten bezogenen Deutungen folgendermaßen zusammen: […] while the first (aboutness) views topichood as a relation between an argument and a proposition relative to a context, the second (old information) views it as a property of the referents denoted by linguistic expressions in a given context. (Reinhart 1981, 61) Reinharts Gegenüberstellung erinnert an eine Unterscheidung, die J. Gundel vorgeschlagen hat: die Unterscheidung zwischen referentieller und relationaspäter lediglich in Relation dazu und scheinen eher mit dem entsprechenden NP-Ausdruck identifiziert zu werden. In Zusammenhang mit den von ihr postulierten Verarbeitungsprinzipien, die die neu hinzukommenden Propositionen im Hinblick auf ein Topik strukturieren, heißt es dort nämlich: „Assess by what you already know about the topic, store under an entry corresponding to this topic “ (Hervorhebung von mir). <?page no="69"?> 3.3 Gundel: referentielle vs. relationale Givenness/ Newness 69 ler Givenness/ Newness (vgl. Gundel 1988a; Gundel/ Fretheim 2004). Anders als Reinhart expliziert Gundel die Aboutness-Relation wieder in größerer Nähe zu Strawson auf der Basis des Sprecher-Hörer-Verhältnisses. Hierfür greift sie auf die traditionelle Given/ New-Dichotomie zurück, differenziert dabei jedoch zwischen zwei verschiedenen Arten der Givenness bzw. Newness (vgl. Gundel 1988a; Gundel/ Fretheim 2004): Während referentielle Givenness/ Newness auf die Beziehung zwischen sprachlichem Ausdruck und außersprachlichem Referenzgegenstand im Hinblick auf hörerseitige Zugänglichkeit abzielt (Gundel/ Fretheim 2004, 176 f.), beinhaltet relationale Givenness/ Newness a partition of the semantic/ conceptual representation of a sentence into two complementary parts, X and Y, where X is what the sentence is about […] and Y is what is predicated about X. […] Relational givenness-newness thus reflects how the informational content of a particular event or state of affairs expressed by a sentence is represented and how its truth value is to be assessed. […] Topic and focus […] are thus relationally given and new, respectively. (Gundel/ Fretheim 2004, 177) Die referentiell/ relational-Unterscheidung wird zunächst mit dem mittlerweile vertrauten Argument begründet, dass es problematisch ist, Topikalität allein auf der Basis des (referentiellen) Kriteriums der Zugänglichkeit zu bestimmen, da Ausdrücke, in Bezug auf deren Referenten hörerseitige Zugänglichkeit besteht, nicht selten zum Bereich der Prädikation über ein X gehören (vgl. das folgende Beispiel aus Gundel/ Fretheim 2004, 177): (5) A: Who called B: Pat said SHE called. Das Pronomen she , das den Subjekt-Referenten anaphorisch wiederaufnimmt und ihn damit als maximal zugänglich ausweist, gehört hier zur Prädikation. In der Terminologie von Gundel ist der Referent an dieser Stelle darum referentiell ‚given‘, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Prädikation jedoch relational ‚new‘. Nach Gundel/ Fretheim ist referentielle Givenness von relationaler Givenness insofern klar abgrenzbar, als referentielle Givenness allein über das Wissen und den Aufmerksamkeitszustand ( attention state ) des Adressaten bestimmt ist - und nicht über ihre Rolle innerhalb der Aboutness-Relation. Als Kategorie hörerseitiger Zugänglichkeit sei referentielle Givenness darum kein spezifisch sprachliches Phänomen: 61 61 Auch wenn darauf hingewiesen wird, dass sich referentielle Givenness zwar insofern ausdrucksseitig niederschlägt, als die Wahl des referierenden Ausdruckstyps vom vorausgesetzten Givenness-Status seines Referenten abhängt - z. B. im Fall pronominaler Referenz, wo für den Referenten in der Regel hohe Zugänglichkeit voraussetzt ist - und <?page no="70"?> 70 3 Topik und Aboutness Thus, one can just as easily characterize a visual or non-linguistic auditory stimulus, for example a house or a tune, as familiar or not […]. In contrast, the topic-focus partition can only apply to linguistic expressions, specifically sentences or utterances and their interpretations. (Gundel/ Fretheim 2004, 178) Allerdings findet sich die referentielle Perspektive auch auf der relationalen Ebene wieder. So ist die ‚topic-focus partition‘ laut Gundel/ Fretheim zwar nur auf „sentences or utterances and their interpretations“ anwendbar, aber Gundels Definition der Topik-Kategorie, die sie im Sinne der relationalen Givenness versteht und entsprechend als Bestandteil der pragmatischen Aboutness-Relation bestimmt, ist ebenfalls mit klarem Bezug auf den Referenten formuliert: An entity, E, is the topic of a sentence, S, iff in using S the speaker intends to increase the addressee’s knowledge about, request information about, or otherwise get the addressee to act with respect to E. (Gundel 1988a, 210) Einerseits also ist relationale Givenness/ Newness auf Äußerungen von Sätzen und deren Interpretationen bezogen und somit als satzbzw. äußerungsinterne Relation formuliert. Aber andererseits wird das Topik selbst als eine auf (außersprachliche) Entitäten bezogene Statuskategorie expliziert, die angibt, in Hinblick auf welchen Diskursgegenstand der Sprecher (aktuell) hörerseitigen Wissenszuwachs bewirken möchte. Unscharf bleibt in Gundels Bestimmung also die genaue Natur der Aboutness-Relation: Handelt es sich um eine Relation zwischen Diskursgegenständen und (Äußerungen von) Sätzen? Handelt es sich um eine Relation zwischen Diskursgegenständen und Lesarten (interpretations) von (geäußerten) Sätzen? Oder handelt es sich um eine Relation zwischen Elementen von Sätzen? Bezogen auf den Begriff der relationalen Newness führt die Vermengung referentieller und relationaler Perspektiven sogar zu einem konzeptionellen Widerspruch. Dies wird deutlich, wenn wir das Konzept der relationalen Newness auf das Beispiel Reinharts anwenden, das hier der Übersicht halber noch einmal aufgeführt ist: (4) A: Who did Felix praise? B: Felix praised HIMSELF. die sprachliche Ebene insofern eine Rolle spielt, als es in der Entscheidung des Sprechers liegt, ob und worauf er referiert, so bleibe seine Wahl letztlich doch „predetermined by the hearer’s knowledge and attention state at the given point in the discourse“ (vgl. Gundel/ Fretheim 2004, 193). <?page no="71"?> 3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation 71 Wenn wir relationale Newness, analog zur relationalen Givenness, auf den Diskursreferenten beziehen und sagen, der Referent von himself - dem aufgrund des vorausgesetzten Fragekontextes ja auch Topikstatus zukommen soll - sei in relationaler Hinsicht neu, dann hat das zur Konsequenz, diesem Diskursgegenstand (aktuell) sowohl Topikals auch Fokus-Status zuschreiben zu müssen. Bedeutet dies nun, dass Reinharts Skepsis gegenüber referenzorientierten Explikationen doch berechtigt ist? Zumindest kann bis hierhin festgehalten werden, dass Gundels Unterscheidung zwischen referentieller und relationaler Givenness bzw. Newness offensichtlich nicht dazu in der Lage ist, Reinharts Beispiel widerspruchsfrei zu analysieren. Dass Gundels Unterscheidung an Reinharts Beispiel scheitert, liegt allerdings weniger an ihrer unscharfen Bestimmung der Aboutness-Relation, sondern vielmehr daran, dass die Vermengung referentieller und relationaler Perspektiven unausgesprochen auch ihrem Begriff der relationalen Newness zugrunde liegt. Dies muss zu widersprüchlichen Status-Zuschreibungen führen, solange unklar bleibt, worüber Fokussiertheit ausgesagt wird und der Fokus-Begriff unausgesprochen auch auf die Referenten fokussierter Ausdrücke bezogen ist. Schauen wir uns nun an, welche Lösung sich in Lambrechts Ansatz (vgl. Lambrecht 1994) für dieses Problem findet. 3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation Was den Topik-Begriff anbelangt, so weist Lambrechts Explikation zunächst deutliche Parallelen zu Gundels Ansatz auf: A referent is interpreted as topic of a proposition if in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i.e. as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent. (Lambrecht 1994, 131) Die Nähe zu Gundels Topik-Bestimmung zeigt sich nicht nur im z.T. gleichen Wortlaut, sondern vor allem darin, dass Lambrecht ebenso wie Gundel für einen Topik-Begriff optiert, der auf den Referenten bezogen ist. Lambrechts Bestimmung gelingt es jedoch, die Unschärfe in Gundels Bestimmung zu vermeiden, indem er Aboutness als Relation zwischen Diskursreferent und Proposition expliziert und so eine ‚Lesarten‘-Deutung nahelegt. Der entscheidende konzeptionelle Unterschied besteht jedoch im Folgenden: Lambrecht bestimmt die Topik-Kategorie zwar ebenso wie Gundel als Statuskategorie für Diskursreferenten; anders als Gundel deutet er die Aboutness-Relation selbst jedoch nicht als „partition of the semantic/ conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ (vgl. oben, Gundel/ Fretheim 2004, <?page no="72"?> 72 3 Topik und Aboutness 177). Dies wird deutlich, wenn wir uns Lambrechts Fokus-Definition anschauen, die - anders als seine Topik-Bestimmung - explizit nicht -referentiell formuliert ist: Lambrecht bestimmt Fokus intensional als „the semantic component of a pragmatically structured proposition whereby the assertion differs from the presupposition“ (Lambrecht 1994, 213). Hieraus ergibt sich der wesentliche Unterschied zu Gundels Ansatz, denn das, was innerhalb der „pragmatically structured proposition“ die Komplementär-Komponente zur „pragmatic assertion“ bildet, ist nicht das Topik, sondern die „pragmatic presupposition“ (vgl. Lambrecht 1994, 52). Insofern ist Gundels Verständnis der relationalen Version ihrer Given/ New-Unterscheidung als „partition of the semantic/ conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ eher mit Lambrechts Aufgliederung der „pragmatically structured proposition“ in „pragmatic presupposition“ und „pragmatic assertion“ vergleichbar, und nicht mit seiner Topik/ Fokus-Unterscheidung. Topik und Fokus stellen für Lambrecht keine Komplementärkategorien dar, sondern bilden jeweils eigenständige Relationen aus, die nicht miteinander deckungsgleich sind: Die Topik-Relation ist als Relation zwischen Topik-Referent und Proposition im Sinne der Aboutness definiert. Die Fokus-Relation ist demgegenüber propositions intern verortet und erwächst aus der Differenz zwischen „pragmatic presupposition“ und „pragmatic assertion“. Ebendies ist der Grund dafür, dass Lambrecht Topik und Fokus nicht als Komplementärkategorien konzipiert. Fokus steht nicht in Relation zum Topik, sondern - ebenso wie das Topik - in Relation zur Proposition: Thus when we say that [a] phrase […] is the focus [of a sentence] what we mean is that the denotatum of this phrase stands in a pragmatically construed relation to the proposition such that its addition makes the utterance of the sentence a piece of new information. (Lambrecht 1994, 210) 62 Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Die Aboutness-Relation - bzw. in Lambrechts Terminologie: die Topik-Relation - gilt lediglich für einen bestimmten Typ „pragmatischer Gliederungen“ ( pragmatic articulations ), der von anderen, davon abgrenzbaren Typen zu unterscheiden ist. Lambrecht erläutert die verschiedenen Typen anhand des Beispielsatzes „Die Kinder sind in die Schule 62 Wenn es bei Lambrecht heißt, das Denotat stehe in Fokus-Relation zur Proposition, so ist dies nicht referentiell zu verstehen. Das Denotat ist nicht der Referent des Fokus-Ausdrucks, sondern entspricht derjenigen semantischen Komponente der pragmatisch strukturierten Proposition, „whereby the assertion differs from the presupposition“ (s. o.). Vgl. auch Lambrecht (2001, 474): „The focus of a proposition […] is that denotatum whose presence in the sentence makes the utterance into an assertion, that is, makes it possible for the sentence to convey new information to the addressee.“ <?page no="73"?> 3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation 73 gegangen“ (vgl. Lambrecht 1994, 121 ff.). Wenn der Satz etwa als Antwort auf die Frage danach fungiert, was die Kinder getan haben, liegt eine sogenannte Topik/ Kommentar-Gliederung vor: Die Kinder sind aktuelles „center of interest“ im Sinne Strawsons und stehen in Aboutness-Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition, dass sie in die Schule gegangen sind. 63 Eine solche Frage-Antwort-Konstellation ist zu unterscheiden von dem Fall, in dem der Satz eine Antwort auf die Frage darstellt, wer in die Schule gegangen ist. Den dieser Konstellation zugeordneten Typ nennt Lambrecht Argumentfokus-Gliederung. 64 In diesem Fall sind die Kinder nicht Topik, sondern die auf die Kinder referierende NP die Kinder bildet den Argumentfokus-Ausdruck und gehört zur ‚pragmatic assertion‘, die sich abgrenzen lässt von der hier zugrundeliegenden ‚pragmatic presupposition‘, dass jemand in die Schule gegangen ist. 65 Der Unterschied zur Topik/ Kommentar-Gliederung besteht nicht nur darin, dass die Kinder keinen Topikstatus haben; Lambrecht stellt heraus, dass der Satz innerhalb einer solchen Frage-Antwort-Konstellation überhaupt kein Topik hat, da sich das hier präsupponierte Hörer-Wissen, dass jemand in die Schule gegangen ist, im Rahmen der Argumentfokus-Gliederung nicht als ‚Gegenstand‘ des Diskurses im Sinne der Aboutness begreifen lässt, d. h. als Gegenstand, über den ausgesagt wird, dass die Kinder es sind, die in die Schule gegangen sind. 66 Dieser Punkt berührt den wesentlichen Unterschied zu den anderen diskutierten Deutungen der Aboutness-Relation: Dadurch, dass Lambrecht die Topik/ Kommentar-Gliederung als einen spezifischen Typ begreift, der von anderen Typen pragmatischer Gliederungen zu unterscheiden ist, geht die Aboutness-Relation nicht mehr in der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion 63 Den ‚Kommentar‘-Teil des Satzes - sind in die Schule gegangen - nennt Lambrecht Prädikatfokus (vgl. Lambrecht 1994, 222). 64 Den dritten Typ, der dem Fall entspricht, in dem der Satz als Antwort auf die Frage fungiert, was passiert ist, nennt Lambrecht Satzfokus (vgl. Lambrecht 1994, 222 f., 233 ff.). Mehr zu Lambrechts Typologie pragmatischer Gliederungen und ihrem Verhältnis zur ‚pragmatic assertion‘ und zur ‚pragmatic presupposition‘ in Kap. 4.2. 65 Dass der Argumentfokus-Ausdruck die Kinder zur ‚assertion‘ gehört, ist eine verkürzte Redeweise dafür, dass das ‚Denotat‘ von die Kinder diejenige semantische Komponente der pragmatisch strukturierten Proposition dieses Satzes bildet, „wodurch sich die ‚assertion‘ von der ‚presupposition‘ unterscheidet“ (vgl. Lambrechts oben angegebene Fokus-Definition). Lambrecht deutet die ‚assertion‘ propositional, d. h. die ‚assertion‘ lässt sich - ebenso wie die ‚presupposition‘ - in Form von Propositionen reformulieren. Zu Lambrechts propositionalem Verständnis von ‚pragmatic assertion‘ und ‚pragmatic presupposition‘ gleich mehr. 66 Dieser Punkt steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem referentiellen Charakter des Lambrecht’schen Topik-Begriffs, d. h. seiner Grundposition, dass Topiks Diskursreferenten sind. Dies schließt jedoch nicht aus, dass auch Sachverhalte, Geschehnisse etc. als ‚Gegenstand‘ des Diskurses konzeptualisiert sein können. Mehr hierzu in Kap. 5.5. <?page no="74"?> 74 3 Topik und Aboutness auf. Das heißt, das Verhältnis des Präsupponierten zum Assertierten lässt sich dann nicht mehr allgemein im Sinne der Aboutness-Relation deuten - so wie es etwa bei Strawson der Fall ist, dessen Verhältnis von ‚ignorance-presumption‘ und ‚knowledge-presumption‘ allgemein auf ein bestimmtes aktuelles ‚center of interest‘ abzielt, oder wie es Gundel macht, wenn sie Topik und Fokus als allgemein geltende „partition of the semantic/ conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ begreift, die zueinander in einer Aboutness-Relation stehen. Mit Lambrechts Entscheidung für die Annahme verschiedener Gliederungstypen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von ‚pragmatic presupposition‘ und ‚pragmatic assertion‘ somit erneut: Wie lässt sich dieses Verhältnis charakterisieren, wenn es sich dabei nicht - so wie es die traditionelle Sichtweise nahelegt - um eine Relation der Aboutness handelt? Wir werden uns der Antwort auf diese Frage nähern, indem wir uns anschauen, wie sich Reinharts Beispiel mithilfe der Lambrecht’schen Topik- und Fokus-Konzeption analysieren lässt. Hier noch einmal das Beispiel: (4) A: Who did Felix praise? B: Felix praised HIMSELF. Zunächst zur Topik-Relation: Durch die vorangestellte Frage ist Felix als derjenige Diskursgegenstand ausgewiesen, über den Informationen erbeten werden, sodass er in der anschließenden Antwort auf die Rolle desjenigen festgelegt ist, über den Informationen mitgeteilt werden, die im Hinblick auf ihn relevant sind und das hörerseitige Wissen über ihn erhöhen. Die für diesen Satz geltende Topik-Relation können wir dann folgendermaßen formulieren: Der Diskursreferent Felix ist Topik im Sinne eines ‚center of current interest‘ (Strawson) und steht in einer Relation der Aboutness zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition, dass er sich selbst gelobt hat. Nun zur Fokus-Relation: Fokus ist nach Lambrecht die semantische Komponente einer pragmatisch strukturierten Proposition „whereby the assertion differs from the presupposition“. Versuchen wir, Lambrechts Explikation auf Reinharts Beispiel anzuwenden. Hierfür müssen wir angeben, wodurch sich in der Antwort von B das Assertierte vom Präsupponierten unterscheidet. Nach Lambrecht lässt sich ein Antwortsatz wie der vorliegende im Hinblick darauf analysieren, was im Vollzug seiner Äußerung präsupponiert und was assertiert wird. Beides lässt sich, wie schon erwähnt wurde, mittels Propositionen explizit machen. Da die vorausgehende Frage darauf abzielt, wen Felix gelobt hat, kann die der Antwort zugrundeliegende Präsupposition folgendermaßen wiedergegeben werden: <?page no="75"?> 3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation 75 • Pragmatische Präsupposition : Es wird präsupponiert, dass Felix jemanden gelobt hat . Entsprechend lässt sich die durch den Satz ausgedrückte Assertion durch die folgende Proposition wiedergeben: • Pragmatische Assertion : Es wird assertiert, dass Felix sich gelobt hat . Der Ausdruck himself ist es also, der die durch den Satz ausgedrückte Assertion von seiner Präsupposition unterscheidbar und zu einem „piece of new information“ macht (Lambrecht 1994, 210). An anderer Stelle heißt es bei Lambrecht: The pragmatic assertion expressed by a sentence can be thought of as the effect the utterance of the sentence has on a hearer’s knowledge or belief state. The focus of a proposition […] is that denotatum whose presence in the sentence makes the utterance into an assertion, that is, makes it possible for the sentence to convey new information to the addressee. (Lambrecht 2001, 474) 67 In diesem Abschnitt findet sich die Antwort auf die oben aufgeworfene Frage, wie sich das Verhältnis von ‚pragmatic presupposition‘ und ‚pragmatic assertion‘ allgemein charakterisieren lässt. Der „Effekt“ der ‚pragmatic assertion‘ ist nach Lambrechts Überzeugung nicht darin zu sehen, dass der Hörer etwas über einen (für ihn zugänglichen) Diskursgegenstand erfährt, das er noch nicht weiß. Der Effekt der pragmatic assertion ist vielmehr darin zu sehen, dass die Äußerung für den Hörer überhaupt informativ ist. Genau hierin besteht die Funktion des Fokus: Der Fokus ‚macht‘ den geäußerten Satz informativ, d. h. der Fokus „makes it possible for the sentence to convey new information to the addressee“ (s. o.). Wenn man also mit Lambrecht sagt, dass ein Satz dadurch informativ ist, dass sich die Assertion von der Präsupposition unterscheidet, so ist dies insofern eine allgemeinere und grundsätzlichere Charakterisierung, als die Anforderung, informativ zu sein, nicht nur für Sätze gilt, die dem Topik/ Kommentar-Typ zuzuordnen sind, sondern auch für Sätze, die zum Argumentfokusbzw. zum Satzfokus-Typ gehören. Aus dem Umstand, dass Lambrecht Topik und Fokus als eigenständige Relationen konzipiert, die sich beide auf die durch den Satz ausgedrückte Proposition beziehen, und die darum unabhängig voneinander zu betrachten sind, ergibt sich auch die Lösung für das Problem, das Reinharts Beispiel aufwirft. Die Lösung besteht darin, dass bei der Frage nach dem Topik bzw. nach dem 67 Siehe auch Lambrecht (1994, 207): „The focus is that portion of a proposition expressed by a sentence in a given utterance context which cannot be taken for granted at the time of speech. It is the unpredictable or pragmatically non-recoverable element in an utterance.“ <?page no="76"?> 76 3 Topik und Aboutness Fokus einer durch einen Satz ausgedrückten Proposition zwei verschiedene Perspektiven impliziert sind, die auf unterschiedliche Ebenen abzielen. Während die Frage nach dem Topik darauf abzielt, welcher Diskursgegenstand aktuell in Aboutness-Relation zur ausgedrückten Proposition steht, zielt die Frage nach dem Fokus darauf ab, welcher Teil der durch den Satz ausgedrückten Proposition die Informativität der Äußerung bewirkt. Darum ist es unproblematisch - und führt auch nicht zu Widersprüchen -, wenn der Referent des Fokus-Ausdrucks in Reinharts Beispiel aktuell Topikstatus hat; denn schließlich ist es nicht der Referent, der die Äußerung informativ macht, sondern der Fokus-Ausdruck, dessen „presence in the sentence“ es möglich macht „to convey new information to the addressee“ (s. o.). Dass der Ausdruck himself dies in Reinharts Beispiel leisten kann, ist also nicht davon abhängig, dass für seinen Referenten gelten muss, dass er nicht vorerwähnt ist oder dass seinem Referenten aktuell kein Topikstatus zukommt, sondern ist auf die Rolle zurückzuführen, die der Ausdruck in der Äußerung spielt und die darin besteht, die durch den Fragekontext präsupponierte „offene Proposition“ (vgl. Lambrecht 1994, 210) ‚Felix praised X‘ zu füllen. Lambrechts Konzept der Fokus-Relation, das auf der Unterscheidung von ‚pragmatic presupposition‘ und ‚pragmatic assertion‘ beruht, hat wesentliche Konsequenzen für das Verständnis von Topikalität. Eine Konsequenz ist der schon erwähnte Umstand, dass die Topik-Relation nicht mehr in der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion aufgeht, d. h. dass sich das Verhältnis des Präsupponierten zum Assertierten nicht mehr allgemein im Sinne der Aboutness deuten lässt. Hieraus folgt, gewissermaßen als Komplementär-Konsequenz, dass sich aus der Antwort auf die Frage, was durch eine Äußerung assertiert wird, weder allgemein ableiten lässt, worüber die Äußerung etwas assertiert, noch, dass die Äußerung überhaupt ein Topik hat, über das sie etwas assertiert. Und hiermit entfällt eine entscheidende Prämisse, von der einer der klassischen heuristischen Tests zur Identifizierung von Satztopiks - der sogenannte Fragetest - ausgeht: nämlich dass sich aus der Angabe dessen, was durch eine Behauptungsäußerung assertiert wurde, immer auch der Gegenstand der Assertion ableiten lässt. 68 Wenn also die Aboutness-Relation nicht mehr in der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion aufgeht, stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis der Topik-Kategorie zum pragmatisch Präsupponierten neu: Wie ist dieses Verhältnis gestaltet? Geht im Fall der Topik/ Kommentar-Gliederung das Topik vollständig in der pragmatic presupposition auf oder ist es lediglich 68 Oder anders: dass sich assertive Sätze immer als Antworten auf eine Frage über ein Topik deuten lassen. Mehr hierzu in Kap. 6.1 und 6.2. <?page no="77"?> 3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation 77 Bestandteil derselben? Was genau ist dann damit gemeint, wenn man - wie Lambrecht - der Auffassung ist, dass Topiks präsupponiert sind? Diesen Fragen werde ich mich im folgenden Kapitel zuwenden. <?page no="79"?> 3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation 79 4 Topik und Präsupposition Dass für Topik-Referenten hörerseitige Zugänglichkeit oder Bekanntheit vorausgesetzt (präsupponiert) sein muss, ist eine Position, die nicht nur von den im vorangegangenen Kapitel diskutierten Ansätzen vertreten wird. Es sei hier noch einmal an den traditionellen Thema-Begriff der Funktionalen Satzperspektive erinnert, in dem das Kriterium der Bekanntheit eine zentrale Rolle spielt. Ansätze wie die von Halliday und Molnár, in denen versucht wird, das Kriterium der Bekanntheit vom Topik-Begriff abzulösen und als eigenständige Kategorie zu etablieren, führen demgegenüber zu einer gewissen Konturlosigkeit des Topik-Begriffs: bei Halliday dahingehend, dass sein „Theme“ zu einer rein topologischen Kategorie der Satzinitialität verblasst, deren Funktion als „point of departure“ nur sehr vage umrissen bleibt, und bei Molnár dahingehend, dass es ihr nicht überzeugend gelingt, darzulegen, inwiefern ihre Topik/ Kommentar-Ebene unabhängig von ihrer Fokus/ Hintergrund-Ebene operieren kann. Selbst für Reinhart, die eine Gleichsetzung von Topikalität mit ‚alter‘ Information dezidiert ablehnt, gilt noch als Mindestvoraussetzung, dass die Referenten von Topik-Ausdrücken „etabliert“ sind, d. h. aus einem (aktuell vorausgesetztem) „general discourse topic“ ableitbar sein müssen. Für Gundel, die mit der Unterscheidung zwischen referentieller und relationaler Givenness arbeitet, besteht sogar ein unmittelbares Bedingungsverhältnis zwischen diesen zwei Aspekten: Damit ein Referent im Rahmen der Assertion als Topik fungieren kann (relationale Givenness), muss er für den Adressaten zugänglich sein (referentielle Givenness). Gundel formuliert diese Bedingung als Topic-Familiarity Condition : „An entity, E, can successfully serve as a topic, T, iff, both speaker and addressee have previous knowledge of or familiarity with E“ (Gundel 1988a, 212). Auch Lambrecht bindet die Eignung von Diskursreferenten als Topik einer Proposition an das klassische Givenness-Kriterium und folgt hiermit wie Gundel - und letztlich auch Reinhart - Strawsons Position, dass für Topiks hörerseitig „Identifizierungswissen“ vorausgesetzt sein muss. Strawson kann somit durchaus als Vorläufer der Topik-Familiarity -Position gelten - wobei er sein Konzept des „Identifizierungswissens“ eng an den klassischen Begriff der ‚Existenzpräsupposition‘ anlehnt. Aber auch schon Strawson ist sich darüber im Klaren, dass Identifizierbarkeit kein exklusives Merkmal von Diskursreferenten mit Topikstatus ist. Darum soll zunächst noch einmal genauer gezeigt werden, dass das Kriterium hörerseitigen Identifizierungswissens für die Bestimmung der Topik-Relation allein nicht hinreicht. Dies ist in <?page no="80"?> 80 4 Topik und Präsupposition Lambrechts Abgrenzung des Topik/ Kommentar-Typs von den zwei anderen von ihm vorgeschlagenen Gliederungstypen (Argumentfokus, Satzfokus) reflektiert, gilt aber auch für seine Unterscheidung zwischen ‚pragmatic presupposition‘ und ‚pragmatic assertion‘, innerhalb der das Kriterium hörerseitigen Identifizierungswissens keine unterscheidungsrelevante Rolle spielt. Darum wird es im Anschluss um den genauen Charakter seiner presupposition/ assertion-Unterscheidung gehen, mit besonderem Augenmerk auf einige Konsequenzen aus dem Umstand, dass Präsupposition und Assertion nach Lambrecht propositional aufzufassen sind. Abschließend wird es dann um die präsuppositionalen Eigenschaften von Diskursreferenten mit Topikstatus gehen, deren Charakterisierung als hörerseitig „familiar“ (Gundel) bzw. „identifizierbar“ (Strawson) bei Lambrecht durch die Annahme weiterer Präsuppositionen (Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition) eine Präzisierung erfährt. 4.1 Topikalität und Identifizierbarkeit Wie schon im vorangegangen Kapitel erwähnt wurde, stehen Strawsons Ausführungen zum Topik-Begriff in Zusammenhang mit der Debatte um das Wesen sprachlicher Referenz. Anders als Russell, der die Position vertreten hat, dass mit der Verwendung von Referenzausdrücken eine implizite Existenz behauptung einhergeht (Russell 1905), steht Strawson in der Tradition Freges. Schon für Frege gilt, dass der Zweck identifizierender Referenz nicht darin besteht, den Hörer über die Existenz eines Gegenstands zu informieren, sondern dass dessen Existenz „vorausgesetzt“ wird. So heißt es bei Frege: Wenn man etwas behauptet, so ist immer die Voraussetzung selbstverständlich, daß die gebrauchten einfachen oder zusammengesetzten Eigennamen eine Bedeutung haben. Wenn man also behauptet, „Kepler starb im Elend“, so ist dabei vorausgesetzt, daß der Name „Kepler“ etwas bezeichne. (Frege 1892, 40) 69 Vorausgesetzt ist nach Frege, dass es jemanden gibt, auf den der Referenzausdruck Kepler referiert. Frege gelangt zu dieser Einsicht u. a. durch seine Beschäftigung mit Nebensätzen in ‚referierenden‘ Verwendungen. So kann etwa anstelle des Eigennamens Kepler ein Nebensatz stehen (vgl. Frege 1892, 40): 69 Zu beachten ist hier Freges Verständnis von ‚Bedeutung‘. Die ‚Bedeutung‘ eines Referenzausdrucks (d. h. eines Eigennamens oder einer definiten Kennzeichnung) ist der Gegenstand, auf den der Ausdruck referiert: „Ein Eigenname (Wort, Zeichen, Zeichenverbindung, Ausdruck) drückt aus seinen Sinn, bedeutet oder bezeichnet seine Bedeutung. Wir drücken mit einem Zeichen dessen Sinn aus und bezeichnen mit ihm dessen Bedeutung“ (Frege 1892, 31). <?page no="81"?> 4.1 Topikalität und Identifizierbarkeit 81 (1) Der die elliptische Gestalt der Planetenbahn entdeckte, starb im Elend. Man könnte hier, so Frege, den Eindruck haben, dass durch den Nebensatz der „Gedanke“ ausgedrückt wird, „daß es einen gab, der die elliptische Gestalt der Planetenbahnen zuerst erkannte“ (Frege 1892, 39). 70 Frege gibt jedoch zu bedenken, dass im Nebensatz „das grammatische Subjekt ‚der‘ keinen selbständigen Sinn hat, sondern die Beziehungen auf den Nachsatz ‚starb im Elend‘ vermittelt“ (Frege 1892, 39). 71 Daher sei der „Sinn des Nebensatzes kein vollständiger Gedanke“, der bzgl. seiner Wahrheit oder Falschheit beurteilbar wäre, sondern er habe lediglich eine ‚Bedeutung‘, d. h. einen Referenten, nämlich Kepler (vgl. ebd.). Wenn aber stattdessen die Funktion des Nebensatzes darin bestünde, die Existenz seines Referenten zu behaupten und ihm dadurch der Charakter eines „vollständigen Gedankens“ (oder, in moderner Terminologie: einer Proposition) zukäme, so hätte dies zur Konsequenz, dass im Fall seiner Falschheit auch der Gegenstand abhandenkäme, in Hinblick auf den sich angeben ließe, ob das, was über ihn prädiziert wird, wahr oder falsch ist. In gleicher Weise dürfte dann auch für den Satz ‚Kepler starb im Elend‘ „die Verneinung nicht lauten ‚Kepler starb nicht im Elend‘, sondern ‚Kepler starb nicht im Elend, oder der Name ‚Kepler‘ ist bedeutungslos‘“ (Frege 1892, 40). Frege zieht daraus den Schluss: „Daß der Name ‚Kepler‘ etwas bezeichne, ist […] Voraussetzung ebenso für die Behauptung ‚Kepler starb im Elend‘ wie für die entgegengesetzte“ (ebd.) - womit Frege das aus heutiger Sicht zentrale Charakteristikum (semantischer) Präsuppositionen formuliert: ihre Konstanz unter Negation. 70 Eine solche Deutung käme der Position Russells in On Denoting (1905) sehr nahe. Russell hat gegen Frege die Position vertreten, dass die Existenz des Referenten einer definiten Kennzeichnung nicht vorausgesetzt, sondern behauptet wird, nämlich insofern, als dem Referenzausdruck im seinem Beispielsatz „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig“ eine Existenzaussage zugrunde liege, sodass sich der Satz in die folgende, seiner Überzeugung nach semantisch gleichwertige Paraphrase überführen ließe: „Es gibt genau einen König von Frankreich und der ist kahlköpfig“. Mit dieser Strategie wollte Russell das Problem der Wahrheitswert-Zuweisung für derartige Sätze lösen: Da die in der Paraphrase enthaltene Existenzbehauptung falsch ist, lässt sich so auch für die Gesamtaussage sagen, dass sie falsch ist (vgl. Russell 1905, 490 f.). 71 Syntaktisch liegt hier die Besonderheit vor, dass der Nebensatz der die elliptische Gestalt der Planetenbahn entdeckte Subjekt des Gesamtsatzes ist und ihm damit die gleiche Funktion wie der Eigenname Kepler zukommt, nämlich den Gegenstand der Prädikation starb im Elend zu bezeichnen, dass aber auch das Subjekt des Nebensatzes selbst, das Pronomen der , aufgrund der Einbettungsstruktur der Gesamtkonstruktion den Gegenstand der Prädikation starb im Elend bezeichnet. <?page no="82"?> 82 4 Topik und Präsupposition Die Voraussetzung, dass es einen Gegenstand gibt, den der Ausdruck bezeichnet, ergibt sich für Frege also aus seiner Funktion als Referenzausdruck. Auf diesen Sachverhalt weist auch Strawson hin: We obviously cannot correctly talk of the expression ‘the king of France’ being used to express a true or false proposition, since in general only sentences can be used truly or falsely […]. Instead, we shall say in this case that you use the expression to mention or refer to a particular person in the course of using the sentence to talk about him. (Strawson 1950, 326) Strawson geht allerdings insofern über Frege hinaus, als er auch die kommunikativen Prinzipien benennt, die in der Regel mit derartigen Präsuppositionen einhergehen: Dass mit der Äußerung eines Satzes wie etwa „All John’s children are asleep“ die Existenz von Johns Kindern vorausgesetzt werden kann, hängt auch damit zusammen, dass in der Regel Identifizierungswissen bezüglich der Kinder besteht, d. h. dass der Sprecher davon ausgeht, dass der Hörer weiß, dass John Kinder hat ( principle of the presumption of knowledge ), sodass er ihn über diesen Sachverhalt auch nicht mehr in Kenntnis setzen muss; weswegen der vom Sprecher eingeschätzte hörerseitige Informationsbedarf ( principle of the presumption of ignorance ) nur im Hinblick darauf besteht, dass Johns Kinder (alle) schlafen - und nicht auch noch im Hinblick darauf, dass er Kinder hat. 72 Ein möglicher Verwendungskontext für einen solchen Satz ist dann beispielsweise eine Situation, in der die Kinder als „center of current interest“ (schon) etabliert sind, sodass sie als Gegenstand fungieren können, über den die Information mitgeteilt wird, dass sie alle schlafen. Es sind sicherlich Verwendungssituationen wie diese, die die Grundlage für die Intuition bilden, dass Topiks als sprecher- und hörerseitig bekannt vorausgesetzt werden ( presumption of knowledge ), d. h. präsupponiert sind, wohingegen dasjenige, das über ein Topik 72 Wie schon im letzten Kapitel kurz erwähnt wurde, bindet Strawson die Präsupposition der Existenz sehr eng an sein Konzept des Identifizierungswissens. Auch in Freges Kepler-Beispiel kann Identifizierungswissen im Sinne Strawsons vorausgesetzt werden. Dass der Begriff der Existenzpräsupposition traditionell an Eigennamen und definiten Kennzeichnungen festgemacht wird, ist sicherlich auch der Rezeption Freges geschuldet. Und da die Verwendung des definiten Artikels oft (aber nicht immer; siehe etwa die Beispiele in Hawkins 1978, 130 ff.) hörerseitiges Identifizierungswissen voraussetzt, scheint die Deutung der Existenzpräsupposition als Präsupposition hörerseitiger Identifizierbarkeit nahezuliegen. Hierbei gerät jedoch aus dem Blick, dass die ‚Existenz‘ eines sprecherseitig intendierten Gegenstands i. d. R. hörerseitig auch dann nicht in Frage steht, wenn der Hörer in Bezug auf den Gegenstand kein Identifizierungswissen hat. Für die Präsupposition der Existenz reicht somit aus, dass der Sprecher einen (Diskurs-)Gegenstand intendiert - und dies ist zweifelsfrei auch bei spezifischen Verwendungen indefiniter Kennzeichnungen der Fall. Auch schon für Strawson steht außer Frage, dass indefinite Kennzeichnungen referentiell verwendet werden können (vgl. Strawson 1950, 341 f.). <?page no="83"?> 4.1 Topikalität und Identifizierbarkeit 83 ausgesagt wird, die neue Information darstellt, d. h. zur Assertion der Äußerung gehört ( presumption of ignorance ). Dass aber aus Beispielen wie diesen nicht der Schluss gezogen werden kann, dass (im Sinne der Existenzpräsupposition) präsupponierte Diskursreferenten notwendig Topiks sind, wurde in vorangegangen Abschnitten schon durch eine Reihe von Beispielen gezeigt: Referenzausdrücke, die für ihre Referenten hörerseitiges Identifizierungswissen indizieren, lassen sich auch im Bereich der zur Assertion gehörenden Elemente finden. Auch Strawson ist sich dessen bewusst, wie sich aus seiner Analyse des im vorangegangenen Kapitel diskutierten Beispiels (1a): The exhibition was visited yesterday by the king of France ableiten lässt. Dass diesem Satz auch unter heutigen Äußerungsbedingungen ein Wahrheitswert zugewiesen werden könne, begründet Strawson wie schon erwähnt damit, dass der von ‚reference-failure‘ betroffene, Existenz präsupponierende Ausdruck zum Bereich der Prädikation über die Ausstellung gehört. Somit gilt auch schon für Strawson, dass sich aus dem Vorliegen hörerseitigen Identifizierungswissens in Bezug auf einen Referenten (und der damit einhergehenden Präsupposition seiner Existenz) nicht ableiten lässt, dass der Referent Topikstatus hat. Der Umstand, dass Ausdrücke, für deren Referenten Identifizierungswissen vorausgesetzt wird, zum Bereich der Assertion gehören können, bildet auch das Hauptmotiv für Gundels Unterscheidung zwischen referentieller und relationaler Givenness/ Newness; vgl. etwa das folgende Beispiel aus Gundel/ Fretheim (2004, 177), in dem der „relational neue“ Referent der definiten Kennzeichnung in der Antwort von B präsupponiert im Sinne der Existenzpräsupposition ist: (2) A: Did you order the chicken or the pork? B: It was the PORK that I ordered. Dass für den Referenten des in B’s Antwort 73 enthaltenen Fokus-Ausdrucks the pork Identifizierungswissen vorausgesetzt werden kann, ist aufgrund seiner Vorerwähntheit in der Frage von A unmittelbar einsichtig. Identifizierungswissen besteht jedoch nicht nur allein aufgrund von Vorerwähntheit, wie das folgende Beispiel, das ebenfalls Gundel/ Fretheim (2004) entnommen ist, zeigt: 73 Aus der Sicht der Lambrecht’schen Typologie pragmatischer Gliederungen lässt sich B’s Antwort in (2) dem Argumentfokus-Typ zuordnen. Die Antwort ist aufgrund der Frage mit einer präsupponierten ‚offenen‘ Proposition assoziiert, etwa in der Art ‚B hat X bestellt‘ (wobei die möglichen ‚Füllungen‘ der propositionalen Leerstelle aufgrund des disjunktiven Fragekontexts stark eingeschränkt sind). Mehr zu Lambrechts Gliederungstypen im nächsten Abschnitt. <?page no="84"?> 84 4 Topik und Präsupposition (3) A: Who did the Red Sox play? B: The Red Sox played the YANKEES. Hier sind die Red Sox durch die Frage-Antwort-Konstellation auf ihre Rolle als Topik und ‚center of current interest‘ festgelegt. Sie sind präsupponiert (im Sinne der Existenzpräsupposition), d. h. für sie besteht Identifizierungswissen im Sinne Strawsons bzw. sie sind ‚familiar‘ im Sinne Gundels. 74 Sie verfügen somit über die Eigenschaften, die sie zum geeigneten Kandidaten für das Topik im Rahmen der Aboutness-Relation machen, und somit zu dem Gegenstand, über den die Information mitgeteilt wird, dass sie gegen die Yankees gespielt haben. Aber auch auf die Yankees trifft das Kriterium des Identifizierbarkeit zu: Trotz ihrer Ersterwähnung kann der Sprecher (im Normalfall) davon ausgehen, dass auch für sie hörerseitig Identifizierungswissen besteht. 75 Dass der Sprecher hinsichtlich der Yankees beim Hörer ‚familiarity‘ unterstellt, lizensiert die Verwendung der definiten Nominalphrase - was aber den hörerseitigen Informationswert ihrer Erwähnung in keiner Weise schmälert: Der Hörer weiß jetzt, um welches Team es sich handelt, das gegen die Red Sox gespielt hat. Somit handelt es sich auch hier - ebenso wie in (2) - um das Zusammenfallen referentieller Givenness mit relationaler Newness im Sinne Gundels. (3) ist darum ein weiterer Beleg für den (unkontroversen) Sachverhalt, dass die Präsupposition hörerseitigen Identifizierungswissens kein Alleinstellungsmerkmal für Referenten mit Topikstatus ist. Selbst noch in Satzfokus-Kontexten, in denen für die dort involvierten Referenten laut Lambrecht keine Aboutness-Relation zu der im Satz ausgedrückten Proposition besteht, ist es vollkommen unproblematisch, wenn für einen Referenten Identifizierungswissen vorausgesetzt werden kann - so wie etwa in dem folgenden Beispiel (das an Lambrecht 2000, 614 orientiert ist): (4) A: Warum ist Claudia heute nicht zur Arbeit gekommen? B: Ihr EHEMANN ist krank. 74 Vgl. die familiarity -Definition in Gundel/ Hedberg/ Zacharski (1993, 278): „The addressee is able to uniquely identify the intended referent because he already has a representation of it in memory (in long-term memory if it has not been recently mentioned or perceived, or in short-term memory if it has).“ 75 Die Art der referentiellen Givenness der Referenten ist jedoch nicht identisch. Für die Red Sox kann nicht nur Identifizierbarkeit vorausgesetzt werden, sie sind auch unmittelbar vorerwähnt, für die Yankees kann allein Identifizierbarkeit vorausgesetzt werden. Lambrecht unterscheidet darum zwischen Identifiability - und Consciousness -Präsuppositionen (Lambrecht 2000, 613). Die Red Sox sind consciousness - und identifiability -präsupponiert, die Yankees sind lediglich identifiability -präsupponiert. Mehr zu dieser Unterscheidung in Kap. 4.3. <?page no="85"?> 4.1 Topikalität und Identifizierbarkeit 85 Weder ist es hier der Fall, dass der Referent von ihr Ehemann durch den Fragekontext als ‚center of current interest‘ ausgewiesen ist, noch kann seine Prädikation ( ist krank ) als Element einer präsupponierten ‚offenen‘ Proposition (X ist krank) aufgefasst werden, da die Frage auf die ‚Füllung‘ einer solchen Proposition gar nicht abzielt. 76 Dennoch kann hörerseitiges Wissen bzgl. des Referenten präsupponiert sein, wie auch Lambrecht festhält. 77 So kann etwa vorausgesetzt sein, dass dem Hörer der Referent von ihr Ehemann bekannt ist, sodass er eine bestimmte Person ‚vor Augen hat‘, die durch die Verwendung des Ausdrucks evoziert worden ist. Auch wenn der Ausdruck keine bestimmte Person evoziert, kann es zumindest der Fall sein, dass der Hörer weiß, dass Claudia verheiratet ist (etwa weil des Öfteren schon einmal vom Claudias Ehemann die Rede war). Auch dann lässt sich nach Strawson (1971a, 87) sagen, dass bzgl. des Referenten von ihr Ehemann Identifizierungswissen besteht. Während die Beispiele (2) und (3) noch einmal den mittlerweile vertrauten Sachverhalt illustrieren, dass Ausdrücke, die hörerseitige Zugänglichkeit präsupponieren, zum Fokus-Bereich gehören können, ist (4) vor allem dahingehend bemerkenswert, dass Satzfokus-Fälle mit Präsuppositionen assoziiert sein können, obwohl sie doch üblicherweise als vollständig frei von präsuppositionalen Eigenschaften charakterisiert werden. So gilt etwa auch für Lambrecht, dass in Satzfokus-Kontexten wie in (4) „both the predicate and the subject are in focus, i.e. the proposition lacks a focus-presupposition articulation“ (Lambrecht 2000, 612). Bedeutet dies also, dass Präsuppositionen, die auf hörerseitiges Identifizierungswissen bezogen sind, von der „focus-presupposition articulation“ auszunehmen sind? Lambrecht ist offenbar dieser Auffassung. So sei in Satzfokus-Kontexten zwar generell „no pragmatic presupposition […] formally evoked“, allerdings „except for some […] non-distinctive presuppositional features […]“ (ebd.). Bei den Beispielen, die er hierfür anführt (vgl. ebd.), handelt es sich durchweg um Fälle vorausgesetzten hörerseitigen Identifizierungswissens. „Nicht-distinktiv“ ist hörerseitiges Identifizierungswissen offensichtlich deshalb, weil sich Referenzausdrücke, die dieses Wissen indizieren, in allen drei von Lambrecht angenommen pragmatischen Gliederungstypen (Topik/ Kommen- 76 Da die Frage von A eigentlich auf eine Auskunft über Claudia abzielt, könnte man hier einwenden, dass auch die Antwort von B über Claudia geht, zumal sie dort indirekt, vermittelt durch das Pronomen in der auf den Ehemann referierenden Subjekt-NP repräsentiert ist. Darum, so könnte man argumentieren, ließe sich die Antwortäußerung von B vielleicht insofern als Auskunft über Claudia auffassen, als über Claudia ausgesagt wird, dass ihr Ehemann krank ist. Für Lambrecht ist aber offenbar ausschlaggebend, dass zumindest der substantivische Teil der referierenden NP nicht vorhersagbar ( unpredictable ) ist, was sich ausdruckseitig dahingehend niederschlägt, dass er intonatorisch herausgestellt wird (vgl. Lambrecht 2000, 614). 77 Vgl. Lambrecht (2000, 671; Fußnote 4). <?page no="86"?> 86 4 Topik und Präsupposition tar-Gliederung, Argumentfokus, Satzfokus) finden lassen, so dass sich aus deren Vorliegen allein noch keine spezifischen präsuppositionalen Charakteristika der jeweiligen Gliederungstypen ableiten lassen. Wodurch zeichnen sich die präsuppositionalen Eigenschaften der jeweiligen Gliederungstypen also stattdessen aus? 4.2 Fokus/ Hintergrund und die presupposition/ assertion- Unterscheidung Wie schon in im vorangegangenen Kapitel angesprochen wurde, steht Lambrechts presupposition/ assertion-Unterscheidung in enger Beziehung zu seinem Fokusbegriff: Fokus ist diejenige semantische Komponente einer pragmatisch strukturierten Proposition, durch die sich die Assertion von der Präsupposition unterscheidet (vgl. Lambrecht 1994, 213). Die Frage nach dem Fokus zielt darum zunächst allgemein darauf ab, welcher Teil der durch den Satz ausgedrückten Proposition die Informativität der Äußerung bewirkt. Fokus und Assertion stehen daher zueinander in einer Art Ursache-Wirkungs-Zusammenhang: The focus of a proposition […] is that denotatum whose presence in the sentence makes the utterance into an assertion, that is, makes it possible for the sentence to convey new information to the addressee. (Lambrecht 2001, 474) Die pragmatische Assertion definiert Lambrecht als „the proposition expressed by a sentence that the speaker expects the hearer to know or believe or take for granted as a result of hearing the utterance […]“ (Lambrecht 2001, 474). Pragmatische Präsuppositionen definiert er allgemein als „the set of propositions lexico-grammatically evoked in a sentence that the speaker assumes the hearer already knows or believes or is ready to take for granted at the time the sentence is uttered […]“ (ebd.). Lambrechts Definitionen zeigen, dass er die presupposition/ assertion-Unterscheidung propositional verstehen möchte. Im vorangegangenen Kapitel habe ich diese Verständnisweise mit den Worten paraphrasiert, dass die mit einer pragmatisch strukturierten Proposition assoziierten Präsuppositionen - sowie die durch die Äußerung ausgedrückte Assertion 78 - als propositionale Gehalte reformulierbar sind, oder mit anderen Worten: dass sie für die jeweilige Äußerung mit Bezug auf den jeweiligen Äußerungskontext propositional explizit gemacht werden können. Diese Redeweise soll deutlich machen, dass propositionale Gehalte von pragmatischen Präsuppositionen bzw. pragmati- 78 Hiermit ist nicht die Sprechaktklasse der Assertion gemeint! Hierzu gleich mehr. <?page no="87"?> 4.2 Fokus/ Hintergrund und die presupposition/ assertion-Unterscheidung 87 schen Assertionen nicht mit propositionalen Gehalten von geäußerten Sätzen gleichzusetzen sind, da sie lediglich wiedergeben, welche präsupponierten Wissensbestände mit der durch den Satz repräsentierten Proposition assoziiert sind, sowie, welche (neuen) Wissensbestände durch die Äußerung des Satzes beim Hörer erzeugt werden sollen. Lambrecht korreliert seine drei Gliederungstypen mit jeweils für sie charakteristischen Fokus/ Hintergrund-Strukturen. Die Gliederungstypen seien hier noch einmal anhand eines Beispiels dargestellt, das sich an Lambrecht (2000, 614) orientiert: (5) (Warum ist Claudia heute nicht zur Arbeit gekommen? ) (a) Sie hatte einen Unfall. Prädikatfokus (b) Ihr Ehemann ist der Grund dafür. Argumentfokus (c) Ihr Ehemann ist krank. Satzfokus In (a) ist, vorbereitet durch die vorausgesetzte Frage, der Referent von sie , also Claudia, als Topik der Antwortäußerung ausgewiesen, so dass über Claudia die im Hinblick auf sie relevante Information mitgeteilt wird, dass sie einen Unfall hatte. 79 In (b) ist die Subjekt-NP ihr Ehemann als ‚Füllung‘ einer ‚offenen‘ Proposition aufzufassen, etwa in der Art: ‚Irgendetwas ist der Grund (für Claudias Fernbleiben)‘, die bedingt ist durch die mit der Frage ( Warum ist Claudia nicht zur Arbeit gekommen? ) einhergehenden Vermutung, dass es für Claudias Fernbleiben irgendeine Ursache geben muss. Darum kann die mit der Antwortäußerung assoziierte offene Proposition als hörerseitig präsupponiert aufgefasst werden. Bei (c) handelt es sich um das schon im vorangegangenen Abschnitt diskutierte Beispiel. Es handelt sich um den Satzfokus-Typ, für den gelten soll, dass weder der Referent des Subjekt-Arguments ( ihr Ehemann ) noch die ihm zugewiesene Prädikation ( ist krank ) aufgrund des vorausgesetzten Fragekontexts „vorhersagbar“ ( predictable ) ist - weswegen sich die durch den Satz repräsentierte Proposition als ‚all-new‘ charakterisieren lässt (vgl. Lambrecht 2000, 614). Die drei Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich hinsichtlich ihrer jeweiligen „focus-presupposition articulation“ recht klar unterscheiden lassen. In (a) erfüllt der Referent des Pronomens sie in vorbildlicher Weise Gundels ‚Topic-Familiarity Condition‘ und stellt problemlos eine Aboutness-Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition her. 79 ‚Prädikatfokus‘ ist Lambrechts alternativer Terminus für die Topik/ Kommentar-Gliederung. In dieser Bezeichnung kommt Lambrechts Festlegung zum Ausdruck, dass im Fall der Topik/ Kommentar-Gliederung die gesamte Prädikation über das Topik im Fokus steht. Auf die Konsequenzen dieser Festlegung werde ich weiter unten eingehen. <?page no="88"?> 88 4 Topik und Präsupposition In (b) haben wir einen fokussierten Referenzausdruck in Subjektposition und eine darauf bezogene, präsupponierte Prädikation. Es gibt dort nichts, womit sich sinnvoll eine Aboutness-Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition herstellen lässt: Der mit dem Satz assoziierten, präsupponierten Proposition entspricht kein außersprachlicher Referent - so wie es etwa bezüglich des Referenzausdrucks sie in (a) der Fall ist -, und die fokussierte referierende Subjekt-NP ihr Ehemann füllt die durch den Fragekontext aufgeworfene Leerstelle auf - sodass weder die Subjekt-NP, noch die darauf bezogene (präsupponierte) Prädikation ( ist der Grund ) als Topik-Ausdruck in Frage kommen können. (c) zeichnet sich dadurch aus, dass mit der durch den Satz ausgedrückten Proposition keinerlei präsupponierte Gehalte assoziiert sind - sofern man von möglichem hörerseitigem (Identifizierungs-)Wissen bzgl. des Referenten der Subjekt-NP absieht. Weder ist der Referent der Subjekt-NP ( ihr Ehemann ) durch den Fragekontext als Topik ausgewiesen, noch kann der Gehalt der auf die Subjekt-NP bezogenen Prädikation ( ist krank ) als adressatenseitig bekannt vorausgesetzt werden. Darum trifft auf dieses Beispiel der für den Satzfokus-Typ geltende Sachverhalt zu, dass „the assertion extends over the entire proposition“ (vgl. Lambrecht 1994, 233). Die Beispiele zeichnen sich des Weiteren dadurch aus, dass sich Hintergrund und Fokus klar auf die jeweiligen Konstituenten beziehen lassen. Gibt man für die Beispielsätze an, welche Elemente jeweils zum Fokusbereich und welche zum Hintergrundbereich gehören, ergibt sich das folgende Bild: ( Warum ist Claudia nicht zur Arbeit gekommen? ) (a) Sie hatte einen Unfall. Hintergrund Fokus Prädikatfokus (b) Ihr Ehemann ist der Grund dafür. Fokus Hintergrund Argumentfokus (c) Ihr Ehemann ist krank. Fokus Satzfokus Dass die Konstituenten sich hier so klar als Fokusbzw. Hintergrund-Konstituenten charakterisieren lassen, erweckt den Eindruck, dass es sich bei der Angabe präsupponierter bzw. fokussierter Gehalte gewissermaßen um eine Art Subtraktion handelt: Die zum Präsupponierten gehörenden Elemente lassen sich ermitteln, indem man die zum Fokusbereich gehörenden Elemente von der (pragmatisch strukturierten) Proposition abzieht. 80 80 Von diesem Idealbild lässt sich sicherlich auch der klassische Fragetest zur Ermittlung der Topik-Konstituente leiten: Die konstruierte Frage gibt praktisch vor, welche Elemente <?page no="89"?> 4.2 Fokus/ Hintergrund und die presupposition/ assertion-Unterscheidung 89 Das Verhältnis von Präsupposition und Fokus kann sich jedoch wesentlich komplexer gestalten als die Beispiele in (5) suggerieren. Ich möchte dies im Folgenden anhand eines Beispiels illustrieren, das ebenfalls Lambrecht entnommen ist (vgl. Lambrecht 1994, 58): (6) A: Warum hast du das getan? B: Ich habe das getan, weil du mein Freund bist. Vorausgesetzt sei hier, dass beide in der Äußerung von B ausgedrückten Sachverhalte - (i), dass A X getan hat sowie (ii), dass A B’s Freund ist - hörerseitig, d. h. dem Fragenden A, bekannt und auch unbestritten sind. Lambrecht hält bzgl. der durch die Antwort-Äußerung von B ausgedrückten Assertion fest: „The assertion […] consists in the establishment of a relation of causality between two previously unrelated presupposed propositions“ (1994, 58 f.) Diese Charakterisierung darf jedoch nicht so verstanden werden, dass die Assertion darin bestünde, den Hörer darüber in Kenntnis zu setzten, dass zwischen den zwei Propositionen eine Relation der Kausalität besteht. Dies kann darum nicht der Fall sein, weil ja schon die Frage auf B’s Beweggründe abzielt und A somit schon voraussetzt, dass es für B’s Tun einen Grund gibt, der dann in der Antwortäußerung mittels des kausalen Adverbialsatzes angegeben wird. Wie verhält es sich mit der im Kausalsatz enthaltenen Proposition? Zwar ist der durch die Proposition des weil -Satzes repräsentierte Sachverhalt (dass A B’s Freund ist) als hörerseitig bekannt vorausgesetzt, seine Erwähnung ist hier aber insofern informativ, als A zum Zeitpunkt seiner Frage ja noch nicht weiß, welcher Sachverhalt der Grund für B’s Tun gewesen ist. Für die Informativität der Antwortäußerung von B spielt es daher überhaupt keine Rolle, ob der Sachverhalt selbst hörerseitig schon bekannt ist oder nicht. Gehört die Proposition, dass A B’s Freund ist, damit nicht auch zur Assertion? Wie ist dann aber mit der Position umzugehen, dass Assertion und Präsupposition nicht zusammenfallen können? 81 Ein Problem bezüglich des Verhältnisses von Präsupposition und Assertion ist, dass bei der Angabe des Präsupponierten und Assertierten in Form von propositiodes zu analysierenden Satzes die von der Frage eingeforderte Information liefern können. In (a) ist dies die auf die Subjekt-NP bezogene Prädikation, sodass die Subjekt-NP als Topik-Konstituente übrigbleibt. Das Idealbild zeichnet also zum einen dadurch aus, dass sich die zum Präsupponierten und die zum Fokusbereich gehörenden Elemente klar trennen lassen, und zum anderen, dass der Fragekontext die pragmatische Strukturierung der Antwortäußerung vorgibt. Aber schon die Beispiele in (5) zeigen, dass ein und derselbe Fragekontext drei verschiedene „focus-presupposition articulations“ zulässt, was klar zeigt, dass der vorausgesetzte Fragekontext den jeweiligen Gliederungstyp überhaupt nicht determinieren kann. 81 Vgl. Lambrecht (1994, 58): „[A]n assertion cannot coincide with a presupposition […]“. <?page no="90"?> 90 4 Topik und Präsupposition nalen Gehalten nicht durchsichtig ist, worauf Präsupposition und Assertion jeweils zu beziehen sind. Auch Lambrecht ist sich dieser Unschärfe bewusst: What a speaker assumes a hearer knows or takes for granted are strictly speaking not propositions but states of affairs, situations, events etc., i.e. the kind of things which may be denoted by propositions. (Lambrecht 1994, 53) Das heißt, für Präsuppositionen gilt zwar, dass sie propositional definiert sind, doch das, was sie präsupponieren, ist nicht die Proposition, sondern der propositional repräsentierte Sachverhalt . Dass der Sachverhalt, der im Kausalsatz propositional repräsentiert ist, hörerseitig als bekannt vorausgesetzt werden kann, ist für die Rolle seiner propositionalen Repräsentation innerhalb der pragmatischen Assertion somit irrelevant. In dieser Hinsicht können Assertion und Präsupposition also nicht zusammenfallen: Sachverhalte sind immer unterscheidbar von den Propositionen, die sie repräsentieren. Entscheidend ist jedoch der folgende Punkt: Die Assertion zielt oft gar nicht darauf ab, den Hörer über einen in der Proposition repräsentierten Sachverhalt in Kenntnis zu setzten. Angenommen, ein Sprecher reagiert auf eine soeben gemachte Behauptung seines Gegenübers mit der Äußerung in (7): (7) Du lügst! so ist sich der Sprecher natürlich darüber im Klaren, dass der in der Äußerung ausgedrückte Sachverhalt dem Hörer bekannt ist. Was der Hörer aber nicht weiß, ist, dass dies auch dem Sprecher bewusst ist. Der Zweck der Äußerung besteht also nicht darin, den Hörer darüber zu informieren, dass er lügt, sondern darin, dass der Sprecher sein Wissen über diesen Sachverhalt explizit macht. 82 Zweck der Äußerung in (7) ist die Herstellung eines „Common Ground“ (vgl. Stalnaker 1974) bezüglich des gemeinsamen Wissens 83 um den in der Proposition repräsentierten Sachverhalt. 84 82 Vgl. Lambrecht (1994, 59 f.), der dieses Beispiel ebenfalls anführt: „What is communicated […] is not [the] propositional content but the fact that the speaker knows a proposition which he assumes the adressee did not think he knew.“ 83 Stalnaker deutet pragmatische Präsuppositionen als ‚Common Ground‘: „A proposition P is a pragmatic presupposition of a speaker in a given context just in case the speaker assumes or believes that P, assumes or believes that his addressee assumes or believes that P, and assumes or believes that his addressee recognizes that he is making these assumptions, or has these beliefs“ (Stalnaker 1974, 200). Für ‚Common Ground‘-Propositionen gilt also nicht nur, dass sie zum Wissensbestand von Sprecher und Hörer gehören, sondern darüber hinaus auch, dass Sprecher und Hörer wissen, dass sie zum gemeinsamen Wissensbestand gehören. Die Leistung der pragmatischen Assertion besteht damit nicht nur in der Etablierung hörerseitigen Wissens, sondern darüber hinaus auch in der Etablierung hörerseitigen Wissens über den gemeinsamen Wissens(be)stand von Sprecher und Hörer. 84 Dies gilt auch dann noch, wenn man die Proposition als verdeckte Prädikation über die gemachte Behauptung deutet: Das ist ein Lüge! <?page no="91"?> 4.2 Fokus/ Hintergrund und die presupposition/ assertion-Unterscheidung 91 Das vermeintliche Zusammenfallen von Präsupposition und Assertion in Beispiel (6) lässt sich allerdings nicht einfach dadurch entwirren, dass man sagt, es ginge hier um die Etablierung eines „Common Ground“ bezüglich der gemeinsamen Kenntnis des in der Proposition repräsentierten Sachverhalts, dass A B’s Freund ist, denn dass dies zwischen Sprecher und Hörer unstrittig ist, wurde ja vorausgesetzt. Dass die Proposition für den Hörer informativ ist, beruht nicht darauf, dass A nun weiß, dass auch B weiß, dass A sein Freund ist - was in einem solchen Fall auch recht merkwürdig wäre -, sondern darauf, dass die Proposition die ‚Leerstelle‘ füllt, die in der präsupponierten offenen Proposition, dass es für B’s Tun einen Grund gab, enthalten ist. (Wie ich gleich zeigen möchte, wird dies bei der Frage, welchem Gliederungstyp sich die Antwort-Äußerung von B am besten zuordnen lässt, eine wichtige Rolle spielen.) Ein weiterer Punkt, der u. U. Quelle für Verwirrungen sein kann, ist Lambrechts Verständnis des Begriffs der Assertion. Assertion ist nicht im Sinne assertiver Sprechakte zu verstehen (vgl. Lambrecht 1994, 54 f.). Während Sprecher mittels assertiver Sprechakte Sachverhalte behaupten , repräsentiert die pragmatische Assertion die durch die Äußerung modifizierten hörerseitigen Wissensbestände : „The pragmatic assertion expressed by a sentence can be thought of as the effect the utterance of the sentence has on a hearer’s knowledge or belief state“ (Lambrecht 2001, 474). Die Modifizierung hörerseitiger Wissensbestände ist durchaus kein Alleinstellungsmerkmal von Behauptungsäußerungen. Auch z. B. kommissive Sprechakte haben bestimmte Effekte auf hörerseitige Wissensbestände und Einstellungen, etwa bzgl. der Kenntnis der im propositionalen Gehalt ausgedrückten Handlung - was die Voraussetzung dafür ist, dass der Hörer die Erwartung ausbilden kann, dass der Sprecher diese Handlung in der Zukunft ausführt. Lambrechts Begriff der pragmatischen Assertion ist somit zum einen bestimmt als äußerungsbedingter ‚Effekt‘; und zum anderen als „the proposition which the hearer is expected to know as a result of hearing a sentence […]“ (1994, 58). Zwar wird in dieser Explikation der so wichtige Aspekt der Etablierung eines ‚Common Ground‘ eher wieder verdunkelt - denn nur auf der Basis des ‚Common Ground‘-Konzepts lässt sich erklären, warum Sachverhalte, die präsupponiert sind, dennoch assertiert werden können. Sie weist jedoch darauf hin, dass sich - ebenso wie präsupponierte Sachverhalte, Situationen, Geschehnisse usw. propositional expliziert werden können - auch die Modifizierungen hörerseitiger Wissensbestände propositional explizit machen lassen. Der Unterschied zwischen Assertion und Fokus besteht in Folgendem: Die Assertion ist der propositional reformulierte - oder auch: propositional explizit gemachte - informative Gehalt der Äußerung. Die Assertion (ebenso wie die <?page no="92"?> 92 4 Topik und Präsupposition Präsupposition) ist somit propositional vollständig, 85 während Fokus lediglich die semantische Komponente der Äußerung umfasst, die sie informativ macht. Das heißt, für Fokus-Konstituenten (bzw. deren Denotat) ist propositionale Vollständigkeit nicht gefordert. 86 Die mit der Antwortäußerung von B in (6) assoziierten Präsuppositionen sowie die durch die Äußerung ausgedrückte Assertion sind im Folgenden noch einmal aufgelistet: Pragmatische Präsuppositionen: • Es wird präsupponiert, dass B H getan hat . (Knowledge Presupposition) 87 • Es wird präsupponiert, dass A B’s Freund ist . (Knowledge Presupposition) • Es wird präsupponiert, dass es einen Grund für B’s Tun von H gab . (Präsupponierte offene Proposition (vgl. Lambrecht 1994, 210): B hat H getan, weil X ) Pragmatische Assertion: • Es wird assertiert, dass A’s Freundschaft zu B der Grund B’s Tun ist . Bezüglich der Zuordnung der Konstituenten zum Fokus- und Hintergrundbereich ergibt sich so zunächst das folgende Bild: 85 Mit propositionaler Vollständigkeit ist gemeint, dass Propositionen wahrheitswertfähig sind. Vgl. etwa Stalnaker (1978, 316), der Propositionalität im diesem Sinne expliziert: „A proposition - the content of an assertion or belief - is a representation of the world in a certain way.“ Insofern sind Propositionen schon per se vollständige Repräsentationen von Sachverhalten - anders als etwa syntaktisch vollständige Sätze, die in propositionaler Hinsicht auch unvollständig sein können. Darum wird das Kriterium der propositionalen Vollständigkeit an anderer Stelle (etwa Bach 1994) auf Sätze bezogen. Sätze sind aus dieser Perspektive genau dann propositional vollständig, wenn ihnen ein Wahrheitswert zugewiesen werden kann. Zur Frage propositionaler Vollständigkeit bzw. Unvollständigkeit von (syntaktisch vollständigen) Sätzen siehe Bach (1994): Conversational Impliciture . 86 „Focus […] is the element of information whereby the presupposition and the assertion differ from each other“ (Lambrecht 1994, 207). Da im Beispiel (6) der propositional vollständige Kausalsatz zum Fokusbereich gehört, kommt dieser Unterschied dort nicht zum Tragen. Vgl. aber demgegenüber die Analyse von (5a): A: Warum ist Claudia nicht zur Arbeit gekommen? B: Sie hatte einen Unfall . Fokus-Konstituente: hatte einen Unfall ; assertierte Proposition: dass sie einen Unfall hatte . 87 Auf Sachverhalte bezogene Präsuppositionen nennt Lambrecht „knowledge presuppositions“: „A proposition is knowledge-presupposed if the speaker assumes the hearer already knows or believes it or is ready to take it for granted at the time the sentence is uttered“ (Lambrecht 2000, 613). Nicht immer sind Präsuppositionen auf propositionales Wissen (bzw. auf die propositional repräsentierten Sachverhalte) bezogen. Präsuppositionen anderen Typs sind nicht auf Sachverhalte (bzw. Zustände Situationen, Geschehnisse) bezogen, sondern auf die dabei involvierten Diskursreferenten. Mehr zu diesen Unterscheidungen im nächsten Abschnitt. <?page no="93"?> 4.2 Fokus/ Hintergrund und die presupposition/ assertion-Unterscheidung 93 Ich habe das getan, weil du mein Freund bist. Hintergrund Fokus Strittig ist vielleicht, ob auch die kausale Konjunktion mit zum Fokusbereich zu zählen ist. So ist sie zwar semantisch mit der durch den Fragekontext evozierten Präsupposition, dass es für B’s Tun einen Grund gibt, assoziiert, jedoch besteht ihre Relevanz für die Äußerung gerade darin, die Beziehung auszudrücken, die zwischen der im Kausalsatz enthaltenen Proposition und derjenigen im Hauptsatz besteht. Ohne die Konjunktion wäre die im Hauptsatz enthaltene Proposition redundant und diskursiv funktionslos: Sie wäre allein nicht in der Lage, einen inhaltlichen Bezug zur Folgeproposition herzustellen und würde lediglich wiederholen, was schon durch die Frage von A präsupponiert ist. 88 Dass die im Kausalsatz enthaltene Proposition zum Fokusbereich gehört, ist, wie schon dargelegt wurde, nicht darauf zurückzuführen, dass der durch die Proposition repräsentierte Sachverhalt bisher hörerseitig unbekannt war, sondern darauf, dass dessen Rolle als Grund für B’s Tun unbekannt war. Und dass das hörerseitige Wissen um diese Rolle durch die bloße Nennung des präsupponierten Sachverhalts hergestellt werden kann, funktioniert wiederum nur darum, weil die Äußerung mit einer weiteren, durch die Frage bedingten Präsupposition in Beziehung steht: dass es nämlich für B’s Tun einen Grund gegeben hat. 89 Das Beispiel zeigt, dass die für den Satz vorgeschlagene Zuweisung der Konstituenten zum Fokusbzw. Hintergrundbereich nur sehr wenig über das komplexe Verhältnis von Präsupposition und Assertion verrät, das mit diesem Satz assoziiert ist. Entsprechend schwer zu bestimmen ist darum zunächst auch, welchem Gliederungstyp (Prädikatfokus, Argumentfokus oder Satzfokus) sich der Satz am besten zuordnen lässt. (Lambrecht gibt diesbezüglich keine Empfehlung.) Eine Zuordnung zum Prädikatfokus-Typ kommt sicherlich nicht in Frage, denn wie die im Hauptsatz ausgedrückte Proposition ‚Gegenstand‘ der im Kausalsatz enthaltenen Proposition im Sinne einer Aboutness-Relation sein kann, ist praktisch nicht vorstellbar. Weder weist der im Hauptsatz repräsentierte Sachverhalt die für Topik-Referenten charakteristische ‚Diskursreferent‘-Eigenschaft auf, noch lässt sich die im Kausalsatz ausgedrückte Proposition als eine auf den Hauptsatz bezogene Prädikation auffassen. Ebenso wenig in Frage kommt die Zuordnung zum Satzfokus-Typ, weil aufgrund der vorangegangenen 88 Vgl. die folgende, pragmatisch nicht akzeptable Variante: A: Warum hast du das getan? B: * Ich habe das getan. Du bist mein Freund . 89 Weswegen auch die folgende Variante möglich wäre: A: Warum hast du das getan? B: Du bist mein Freund. Hierzu gleich mehr. <?page no="94"?> 94 4 Topik und Präsupposition Frage nicht beide im Gesamtsatz enthaltenen Propositionen zur Assertion gehören können. Es bleibt also noch der Argumentfokus-Typ. Für die Zuordnung zu diesem Typ spricht zunächst, dass der für diesen Satz zugrunde gelegte Äußerungskontext Argumentfokus-Kontexten wie etwa in (5b) nicht unähnlich ist. Was den Antwort-Äußerungen in (6) und in (5b) gemeinsam ist, ist die Eigenschaft, dass beide mit einer präsupponierten offenen Proposition assoziiert sind, die durch die vorangegangene Frage aufgeworfen wurde und deren ‚Leerstelle‘ durch die jeweilige Antwortäußerung ‚gefüllt‘ werden kann. In (5b) erfolgt die Füllung durch die referierende Subjekt-NP, indem der Ehemann als Grund für Claudias Fernbleiben genannt wird; in (6) erfolgt die Füllung durch die im Kausalsatz enthaltene Proposition, wodurch der im Kausalsatz repräsentierte Sachverhalt als Grund für B’s Tun identifiziert wird. Worin die zwei Beispiele sich jedoch unterscheiden, ist die syntaktische Realisierung der jeweiligen Fokus-Konstituenten und deren jeweilige Hintergrund-Gegenstücke. In (5b) ist die Fokus-Konstituente als Subjekt-Argument realisiert, die zusammen mit der darauf bezogenen, zum Hintergrund gehörenden Prädikation einen propositional vollständigen (und damit wahrheitswertfähigen) Satz bildet. In (6) ist der zum Fokus-Bereich gehörende Kausalsatz schon für sich propositional vollständig (und somit wahrheitswertfähig) und stellt des Weiteren kein Argument zur syntaktischen Vervollständigung des Matrixsatzes dar - da dieser selbst schon syntaktisch (und auch propositional) vollständig ist. 90 Die Eigenschaft des Kausalsatzes, propositional vollständig zu sein, würde darum auch die folgende Antwort-Variante erlauben: (6a) A: Warum hast du das getan? B: Du bist mein Freund! Bezüglich der Frage, welchem Gliederungstyp die Antwort-Variante in (6a) zuzuordnen ist, scheint zunächst nur der Satzfokus-Typ in Frage zu kommen, denn weder kann hier gelten, dass der Referent der Subjekt-NP als ‚center of current 90 Es ist allerdings eine Antwort-Variante denkbar, die in syntaktischer Hinsicht der Antwort in (5b) entsprechen würde: A: Warum hast du das getan? B: Dass du mein Freund bist, ist der Grund (für mein Tun). Hier leistet der (propositional vollständige) dass -Satz in seiner Funktion als grammatisches Subjekt-Argument die syntaktische Vervollständigung des Matrix-Satzes und in seiner Funktion als Fokus-Konstituente die ‚Füllung‘ der Leerstelle innerhalb der präsupponierten ‚offenen‘ Proposition ‚X ist der Grund für B’s Tun‘. <?page no="95"?> 4.2 Fokus/ Hintergrund und die presupposition/ assertion-Unterscheidung 95 interest‘ in Aboutness-Relation zur Prädikation steht - er ist weder vorerwähnt, noch ist seine Nennung hörerseitig vorhersehbar -, noch ist es hier der Fall, dass die auf die Subjekt-NP bezogene Prädikation mit einer präsupponierten offenen Proposition assoziiert ist, deren Leerstelle durch das Subjekt-Argument gefüllt wird. 91 Insofern trifft auf die Antwortäußerung in (6a) das für den Satzfokus-Typ geforderte Merkmal zu, dass die Proposition keine Fokus/ Hintergrund-Gliederung aufweist (vgl. Lambrecht 2000, 612). Insgesamt soll für Satzfokus jedoch gelten, dass „neither the occurrence of the argument nor that of the predicate in the proposition is in any way predictable or contextually presupposed“ (ebd., 614). Der erste Punkt - die hörerseitige Nicht-Vorhersehbarkeit - trifft auf die Antwort in (6a) aus den eben genannten Gründen noch zu, der zweite - aufgrund der vorausgesetzten hörerseitigen Kenntnis des ausgedrückten Sachverhalts - jedoch nicht. Aus diesem Grund fehlt der Antwort-Variante in (6a) ein Merkmal, das die Antwort in (5c) aufweist, nämlich der für Satzfokus-Fälle charakteristische „all new“-Charakter bezüglich des propositionalen Gehalts: SF constructions serve either to introduce a discourse new referent or to introduce an event which involves a referent which is discourse new or contextually construed as such. (Lambrecht 2000, 623) Letzteres trifft sicherlich noch auf die Antwort in (5c) zu ( Warum ist Claudia nicht zur Arbeit gekommen? Ihr Ehemann ist krank .), jedoch in keiner Weise auf die Antwort in (6a): Zwar drückt die Proposition in (5c) kein Geschehen, sondern einen Sachverhalt aus, jedoch wird dieser neu eingeführt und ist daher nicht - wie in (6a) - präsupponiert. Weil sich der Fokusbereich in (6a) aber letztlich doch auf den gesamten Satz erstreckt, kommt es so zu einer gewissen Unschärfe bezüglich der Zuordnung: Aufgrund der fehlenden Fokus/ Hintergrund-Gliederung ist der Satz dem Satzfokus-Typ zugehörig, aufgrund seiner diskursiven Einbettung weist er aber auch Eigenschaften auf, die eher dem Argumentfokus-Typ ähnlich sind. Das Beispiel (6a) zeigt somit Folgendes: Das mit dem Antwortsatz assoziierte Verhältnis von Präsupposition und Assertion spiegelt sich nicht vollständig in der ihm zugesprochenen Fokus/ Hintergrund-Struktur wider. Dieser Befund birgt insofern ein Dilemma in sich, als Lambrechts Gliederungstypen ja nicht nur durch ihre jeweils spezifischen Fokus/ Hintergrund-Strukturen definiert 91 Denn um das Subjekt-Argument als Fokus und die darauf bezogene Prädikation als Hintergrund interpretieren zu können, müsste die Antwortäußerung von B in einen Fragekontext wie etwa dem folgenden eingebunden sein: A: Wer ist dein Freund? B: Du bist mein Freund. B’s Antwort würde sich hier des Weiteren auch darin von der Variante in (6a) unterscheiden, dass die im Fokus stehende Subjekt-Konstituente intonatorisch hervorgehoben ist. <?page no="96"?> 96 4 Topik und Präsupposition sind, sondern auch durch das damit in Zusammenhang gebrachte Verhältnis von Präsupposition und Assertion, das die jeweilige Fokus/ Hintergrund-Struktur motivieren soll. 92 Darum wäre es ebenso wenig zufriedenstellend, den jeweiligen Gliederungstyp allein über dessen Fokus/ Hintergrund-Struktur zu bestimmen, denn dann müsste man Satzfokus-Typen unter bestimmten diskursiven Bedingungen - wie etwa denen in (6a) - Eigenschaften zusprechen, die eher für den Argumentfokus-Typ gelten, womit dann eine Satzfokus-Explikation wie etwa die oben angeführte aus Lambrecht (2000, 623) nicht mehr gelten dürfte. Lambrecht ist aber offensichtlich der Überzeugung, dass sich seine drei Gliederungstypen durchgehend über ihre Fokus-Eigenschaften bestimmen lassen. Dies kommt schon in den Bezeichnungen für die drei Typen zum Ausdruck: Für den Satzfokus-Typ soll gelten, dass der ganze Satz im Fokus steht; für den Argumentfokus-Typ soll gelten, dass eine Argument-Konstituente im Fokus steht; und für den Prädikatfokus-Typ - Lambrechts Alternativ-Bezeichnung für den Topik/ Kommentar-Typ - soll gelten, dass die Prädikation im Fokus steht. (vgl. Lambrecht 1994, 226 sowie Lambrecht 2000, 615). In Bezug auf den Prädikatfokus-Typ ergibt sich aus diesen Festlegungen eine weitere, nicht unbedeutende Konsequenz: Dass die gesamte Prädikation zum Fokus-Bereich gehören muss, ist eine durchaus stark einschränkende Bedingung für das Vorliegen einer Topik/ Kommentar-Gliederung. So wäre etwa die Antwortäußerung im folgenden Beispiel nach dieser Definition eindeutig keine Topik/ Kommentar-Gliederung, da dort lediglich die Objekt-Konstituente im Fokus steht: (8) A: Was hat Arno bestellt? B: Er hat ein Bier bestellt. Somit müsste für die Antwort-Äußerung in (8) also der Argumentfokus-Typ angenommen werden. 93 Dies ist sicherlich insofern schlüssig, als es völlig unproblematisch ist, anzunehmen, dass die Antwortäußerung aufgrund der vorausgesetzten Frage mit einer präsupponierten offenen Proposition assoziiert ist, nämlich dass Arno (irgend-)etwas bestellt hat. Eine Konsequenz dieser Ent- 92 Vgl. etwa die Analysen in Lambrecht (1994, 226 ff.), in denen die Fokus/ Hintergrund-Struktur der jeweiligen Gliederungstyp-Beispiele explizit mit bestimmten presupposition/ assertion-Verhältnissen korreliert werden. 93 Alle Argumentfokus-Beispiele, die in Lambrecht (1994), (2000) und (2001) angeführt werden, sind Fälle, in denen die Subjekt-Konstituente fokussiert ist, was zunächst den Eindruck erweckt, dass der Argumentfokus-Typ auf derartige Fälle beschränkt bleiben soll. Es findet sich tatsächlich nur ein Beispiel (in Lambrecht/ Michaelis 1998, 509), das der Fokus-Struktur des Antwortsatzes in (8) entspricht und das explizit dem Argumentfokus-Typ zugeordnet wird: A: What did mom buy? B: Mom bought a JACKET. <?page no="97"?> 4.2 Fokus/ Hintergrund und die presupposition/ assertion-Unterscheidung 97 scheidung ist dann jedoch, dass die mit der Antwortäußerung assoziierte offene Proposition als diskursiv ‚relevanter‘ einzuschätzen wäre als etwa der ebenfalls naheliegende Status Arnos als ‚center of current interest‘. 94 Aber auch für eine solche Deutung sprächen eine Reihe von Indizien, die sonst in der Regel als starke Indikatoren für Topikalität gelten: etwa dass Arno als einziger Referent im Antwortsatz ‚familiar‘ im Sinne Gundels ist, dass er als einziger Referent im Antwortsatz wiederaufgenommen wird sowie, dass die Wiederaufnahme durch einen Pronominalausdruck und in Subjektposition erfolgt. Zusammengenommen sind dies alles Merkmale, die Arno für die Rolle als „referential entry“ und ‚Ablageort‘ der neu eingegangenen Information im Sinne Reinharts (vgl. Kap. 3.2) geradezu prädestinieren. Wie man auch zu Lambrechts Festlegung bezüglich der Fokus-Struktur von Topik/ Kommentar-Gliederungen stehen mag und unabhängig davon, welche Deutung man für (8) letztlich favorisiert, beide Deutungen - die Argumentfokus-Deutung ebenso wie die Topik/ Kommentar-Deutung - sind motiviert durch die klaren diskursiven Bedingungen, die sich aus dem (konstruierten) Fragkontext ergeben. 95 Dies sind jedoch Bedingungen, die es in authentischen 94 Dies soll hier grob folgendermaßen verstanden werden: Die vom Sprecher eingeschätzte Hörer-Relevanz der Antwort-Äußerung besteht primär in der Klärung der Frage, was Arno bestellt hat - und weniger darin, ihn in Bezug auf Arno darüber zu informieren, dass er Bier bestellt hat. Ein Indiz dafür ist etwa, dass eine elliptische Variante hier möglich ist, vgl.: A: Was hat Arno bestellt? B: Ein Bier. Die elliptische Variante ginge jedoch nicht, wenn der Antwort die Frage danach vorausgegangen wäre, was Arno getan hat; vgl.: A: Was hat Arno getan? B: * Ein Bier. 95 Irritierenderweise findet sich in Lambrecht/ Michaelis (1998, 495) ein Beispiel, in dem der Fragekontext den Argumentfokus-Typ nahelegt, aber dem Referenten der pronominalen Objekt-Konstituente dennoch Topikstatus zuerkannt wird: A: Who saw the PLAY? B: MOE saw it. Begründet wird der Topikstatus des Objektargument-Referenten damit, dass er durch den Fragekontext als „topic of current interest“ ausgewiesen sei, was sich ausdrucksseitig darin niederschlage, dass nicht das Objekt, sondern die im Fokus stehende Subjekt-Konstituente intonatorisch hervorgehoben ist (vgl. ebd., 495). Sicherlich ist es nicht unplausibel, die Ergänzungsfrage als Frage über das Theaterstück aufzufassen - und die Antwort dann entsprechend als Äußerung über das Theaterstück zu deuten, nämlich insofern, als über das Theaterstück ausgesagt wird, wer es gesehen hat. Darum changiert auch dieses Beispiel, ganz ähnlich wie in (8), zwischen Topik/ Kommentar- und Argumentfokus-Lesart. Was das obige Beispiel jedoch in syntaktischer Hinsicht von den anderen Argumentfokus-Beispielen Lambrechts unterscheidet, ist, dass der Hintergrund-Bereich hier das Prädikat und ein direktes Objekt umfasst, während die Hintergrund-Bereiche in den anderen Argumentfokus-Beispielen (bis auf die eine Ausnahme in Lambrecht/ Michaelis 1998, 509) entweder allein aus einer Prädikat-Konstituente (vgl. etwa das Beispiel in Lambrecht 2000, 614) oder aus einem Prädikat und einer Direktiv-Ergänzung bestehen (vgl. Lambrecht 1994, 121: A: Who went to school? B: THE CHILDREN went to school. ). Wird dem Referenten des Pronomens in MOE saw it also etwa darum Topikstatus zuerkannt, weil er im Satz durch ein direktes Objekt-Argument repräsentiert ist? Ist die Schule in <?page no="98"?> 98 4 Topik und Präsupposition Texten praktisch nicht gibt, denn erstens weisen Satzabfolgen innerhalb von Texten in der Regel gar keine Antwortfunktion auf und zweitens lässt sich ihnen diese Funktion auch nicht nachträglich - etwa durch die Formulierung einer Testfrage zur Identifizierung des Topiks- zuweisen. Wie wir später noch sehen werden, ist dies ein wesentlicher Grund für die häufigen Probleme, Satztopiks in authentischen Texten eindeutig und zweifelsfrei zu identifizieren. 96 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition Die im vorangegangen Abschnitt diskutierten Präsuppositionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf Sachverhalte, Zustände, Situationen oder Geschehnisse bezogen sind. Diese Aspekte sprecherseitig präsupponierten (Hörer-)Wissens sind bei Lambrecht unter dem Oberbegriff ‚knowledge presupposition‘ zusammengefasst. 97 Darüber hinaus nimmt Lambrecht noch weitere Präsuppositionstypen an, die nicht auf propositional repräsentierte Sachverhalte, Situationen etc. abzielen, sondern auf die damit assoziierten Diskursreferenten. So kann der Sprecher in Bezug auf den Referenten eines (von ihm verwendeten) Referenzausdrucks präsupponieren, dass der Hörer ihn identifizieren kann. Des Weiteren kann er präsupponieren, dass der Referent aktuell im Bewusstsein des Hörers „aktiviert“ ist. Und schließlich kann der Sprecher bzgl. des Referenten Topikstatus präsupponieren - sofern gilt, dass für ihn auch hörerseitige Identifizierbarkeit und „Aktiviertheit“ vorausgesetzt ist. Die drei Referenten-Präsuppositionen stehen also in einer implikationalen Relation zueinander: Aus dem Umstand, dass ein (Referenz-)Gegenstand aktuell im Bewusstsein des Hörers aktiviert ist, folgt, dass der Hörer den Gegenstand THE CHILDREN went to school darum kein Topik-Kandidat, weil der die Schule repräsentierende Ausdruck Bestandteil einer Direktiv-Ergänzung ist? Vor dem Hintergrund der dazugehörigen Frage ( Who went to school? ) - ebenso eine Ergänzungsfrage wie im obigen Beispiel! - ist es aber auch nicht abwegig, die Schule - analog zu Lambrecht/ Michaelis’ Beispiel - als „topic of current interest“ aufzufassen. Leider gehen die Autoren an keiner Stelle auf derartige Fragen ein. Letztlich aber gilt für Lambrecht/ Michaelis’ Beispiel, dass das Verb aufgrund der vorangegangen Frage ( Who saw the play? ) nicht zum Fokusbereich gehört, sodass der Prädikatfokus-Typ zumindest nach Lambrechts eigenen Maßstäben ausgeschlossen werden müsste. 96 Wie in Kap. 6.2 noch ausführlich gezeigt wird, sind aus Satzabfolgen keine eindeutigen Fragekontexte ableitbar, durch die sich das Topik (oder der Gliederungstyp) des jeweiligen Satzes bestimmen ließe. 97 Vgl. Lambrecht (2000, 613): „A proposition is knowledge-presupposed if the speaker assumes the hearer already knows or believes it or is ready to take it for granted at the time the sentence is uttered.“ <?page no="99"?> 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition 99 identifizieren kann. Aus dem Umstand, dass ein (Referenz-)Gegenstand Topik im Sinne eines ‚center of current interest‘ ist, folgt, dass er aktuell im Bewusstsein des Hörers aktiviert ist (und folglich auch identifizierbar ist). Umgekehrt gilt dann: Aus dem Umstand der hörerseitigen Identifizierbarkeit eines (Referenz-)Gegenstands folgt nicht notwendig, dass er aktuell im Bewusstsein des Hörers aktiviert ist; und aus dem Umstand, dass ein (Referenz-)Gegenstand aktuell im Bewusstsein des Hörers aktiviert ist, folgt nicht notwendig, dass er beim Hörer (und Sprecher) aktuell Topikstatus hat. Zunächst jedoch zur Identifizierbarkeitspräsupposition. Hier soll Folgendes gelten: [A]n entity is presupposed to be identifiable, if the speaker assumes that a representation of it is already stored in the hearer’s long-term memory at the time of an utterance. (Lambrecht 2001, 474) Identifizierbarkeit ist hier allerdings nicht so zu verstehen, dass der Hörer den Gegenstand äußerungsunabhängig - also gewissermaßen im Sinne eines Wiedererkennens - identifizieren kann; gemeint ist vielmehr, dass er in der Lage ist, den Referenten eines aktuell verwendeten Referenzausdrucks identifizieren zu können: [A]n identifiable referent is one for which a shared representation already exists in the speaker’s and the hearer’s mind at the time of utterance. (Lambrecht 1994, 77 f.) Der Sprecher präsupponiert also nicht: „Du kannst den in Rede stehenden Gegenstand identifizieren“, sondern vielmehr: „Du kannst den Referenten des aktuell verwendeten Referenzausdrucks identifizieren, weil auch du über eine mentale Repräsentation dieses (Referenz-)Gegenstands verfügst.“ Die Präsupposition, dass der Hörer den Referenten identifizieren kann, wird „lexikogrammatisch“, d. h. durch den Ausdruckstyp „evoziert“ (vgl. 1994, 52). Damit ist gemeint, dass der verwendete Ausdruckstyp indiziert, dass der Hörer den intendierten Referenten unter denjenigen Gegenständen finden kann, von denen er weiß, dass für sie schon eine „shared representation“ besteht. Vor diesem Hintergrund lässt sich die definiten Kennzeichnungen häufig zugeschriebene Funktion, hörerseitige Identifizierbarkeit zu indizieren, 98 also als eine Art Suchhinweis verstehen. Wenn ein Sprecher etwa die Äußerung in (9) macht: (9) Das Haus ist verkauft worden. 98 Siehe etwa Heims (1983) Familiarity Theory of Definiteness . Auch Lambrecht (1994, 55 f.) sieht hierin die Funktion des definiten Artikels. Zur Kritik familiarity-basierter Funktionsbestimmungen definiter Referenzausdruckstypen siehe Poesio/ Viera (1998). <?page no="100"?> 100 4 Topik und Präsupposition dann ist die verwendete definite NP das Haus für den Hörer ein Indiz dafür, dass der vom Sprecher intendierte Referent unter denjenigen Häusern zu finden ist, die sowohl ihm als auch dem Sprecher bekannt sind. 99 Etwas verkürzt ist darum vielleicht die Redeweise „establishment of identifiability“. 100 Genaugenommen wird nicht Identifizierbarkeit etabliert, sondern die Identifizierbarkeits präsupposition : Was etabliert wird, ist das Wissen (auf Seiten des Hörers), dass der Sprecher präsupponiert, dass auch der Hörer den Diskursgegenstand kennt - was dem Hörer dann dabei behilflich ist, den vom Sprecher intendierten Referenten des verwendeten Ausdrucks zu identifizieren. Nun zum zweiten auf Diskursreferenten bezogenen Präsuppositionstyp, der sogenannten Bewusstseinspräsupposition. Dieser Typ bezieht sich auf die hörerseitige ‚Aktiviertheit‘ eines Diskursreferenten. Für aktivierte Diskursreferenten muss nach Lambrecht gelten, dass sie zum aktuellen Äußerungszeitpunkt Bestandteil des Kurzzeitgedächtnisses des Hörers sind: [A]n entity […] is consciousness-presupposed if the speaker assumes its mental representation is activated in the hearer’s short-term memory at the time of utterance. (Lambrecht 2000, 613) Ein aktivierter Diskursgegenstand zeichnet sich dadurch aus, dass er aktuell im „Bewusstseinsfokus“ des Sprechers bzw. Hörers steht: „An item ist active if it is ‘currently lit up’ in our consciousness“ (Lambrecht 1994, 94). Die in Zusammenhang mit Bewusstseinszuständen immer wieder gerne in Anspruch genommene Licht-Metapher übernimmt Lambrecht - zusammen mit dem Begriff der Aktivierung - von Chafe (1987). 101 Unter Aktivierung versteht Chafe die Erzeugung einer mentalen Repräsentation eines Diskursgegenstands im Kurzzeitgedächtnis des Hörers durch die Verwendung eines Referenzausdrucks. Aus der Diskursperspektive ist Aktivierung somit die Einführung eines neuen, 99 Der Sprecher kann sich bzgl. der hörerseitigen Identifizierbarkeit durchaus verkalkulieren. Wenn die Äußerung wie in (9) unvermittelt, d. h. ohne unmittelbar vorangegangene Aktivierung des intendierten Referenten, vollzogen wird, so ist der vom Sprecher intendierte Referent ohne Angabe eines Possessors u. U. schwer zu identifizieren. Der Referenzausdruck selbst liefert nur den Hinweis, dass bezüglich des in Rede stehenden Hauses eine „shared representation“ besteht, was möglicherweise auf mehrere der Häuser zutreffen könnte, von denen der Hörer über eine Repräsentation verfügt. Dennoch kann die Identifizierung hier beispielsweise dadurch gelingen, dass der Hörer aufgrund der ausgedrückten Proposition den Umfang der in Frage kommenden Referenten auf dasjenige Haus einschränken kann, von dem er weiß, dass er und der Sprecher wissen, dass es zum Verkauf anstand. 100 Vgl. die Teilkapitelüberschrift in Lambrecht (1994, 87): „The establishment of identifiability in discourse“. 101 Vgl. Chafe (1987, 25): „An active concept is one that is currently lit up, a concept in a person’s focus of consciousness.“ <?page no="101"?> 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition 101 bisher nicht erwähnten oder die Wiedereinführung eines schon länger nicht mehr erwähnten Diskursgegenstands (vgl. Chafe 1987, 28 f.). 102 Aktiviert ist ein Diskursgegenstand folglich dann, wenn gilt, dass auf ihn aktuell mit einem wiederaufnehmenden Referenzausdruck referiert wird oder dass er im aktuellen Diskursabschnitt schon mehrmals durch entsprechende Referenzausdrücke wiederaufgenommen wurde. 103 Ein Referenzausdruck, der die Bewusstseinspräsupposition evoziert, indiziert also, dass der Sprecher präsupponiert, dass der Hörer über eine Repräsentation des intendierten Referenten in seinem Kurzzeitgedächtnis verfügt. Insofern wird auch durch die Evozierung der Bewusstseinspräsupposition eine Art Suchhinweis bereitgestellt: Durch den verwendeten Ausdruckstyp erhält der Hörer den Hinweis, dass er den intendierten Referenten identifizieren kann, weil der Referent aktuell in seinem Kurzzeitgedächtnis aktiviert ist. Ein Beispiel für die Evozierung einer Bewusstseinspräsupposition ist der Gebrauch pronominaler Referenzausdrücke zur Herstellung anaphorischer Bezüge. Wird die Äußerung in (9) etwa mit einem Anschlusssatz wie in (9’) fortgesetzt: (9’) Das Haus ist verkauft worden. Es hat aber keinen guten Preis erzielt. so ist die Verwendung des Pronomens im Folgesatz für den Hörer ein Hinweis darauf, dass der intendierte Referent des Pronomens derjenige Gegenstand ist, der kurz zuvor - im vorangegangenen Satz - aktiviert wurde. Da es aktuell keinen weiteren Diskursreferenten gibt, der im Kurzzeitgedächtnis des Hörers aktiviert ist, ist dies ein Indiz dafür, dass das Pronomen mit der definiten Nominalphrase koreferent ist - und der intendierte Referent somit das soeben in den Diskurs eingeführte Haus sein muss. Natürlich gibt dieses Beispiel nur ein recht grobes Bild davon, wie die Auflösung anaphorischer Referenz funktioniert. Neben grammatischen Indikatoren (bspw. Genus-Kongruenz, identische syntaktische Position der koreferenten Ausdrücke) kann auch konzeptuelles Wissen bei der Auflösung anaphorischer Bezüge eine bedeutende Rolle spielen, insbesondere dann, wenn für mehr als 102 Wobei der Hörer, so wie in Beispiel (9) vorausgesetzt, zum Zeitpunkt der Aktivierung schon über eine Repräsentation des Gegenstands im Langzeitgedächtnis verfügen kann. Die Aktivierung bzw. Ersterwähnung eines Gegenstands ist somit unabhängig davon, ob der Hörer bzgl. des Gegenstands schon über eine Repräsentation im Langzeitgedächtnis verfügt. Für einen solchen Fall hat Prince (1981) den Terminus ‚unused‘ vorgeschlagen. 103 Man beachte das Zustandspassiv in Lambrechts Definition: „[A]n entity […] is consciousness-presupposed if the speaker assumes its mental representation is activated in the hearer’s short-term memory at the time of utterance.“ Der Zustand des Aktiviert-Seins setzt somit den Vorgang der Aktivierung (durch den Sprecher) voraus. <?page no="102"?> 102 4 Topik und Präsupposition nur einen Referenten gilt, dass er aktuell im Kurzzeitgedächtnis aktiviert ist. 104 Bewusstseinsbzw. Identifizierbarkeitspräsuppositionen liefern hierfür sicherlich nur einen geringen Beitrag. Des Weiteren sollte auch das Ausmaß der Korrelation zwischen Ausdruckstyp und Präsuppositionstyp nicht überschätzt werden. 105 Dies gilt in besonderem Maße für die Bewusstseinspräsupposition. So können etwa vorerwähnte - und somit aktivierte - Referenten sowohl durch pronominale als auch durch definite Referenzausdrücke wiederaufgenommen werden. 106 Ebenso ist es möglich, mittels eines Pronomens auf einen Referenzgegenstand - z. B. eine Person - zu referieren, ohne dass vorausgesetzt sein muss, dass bzgl. der Person schon eine Repräsentation im Kurz- oder Langzeitgedächtnis des Hörers besteht: (10) Schau dir den an! Weder muss der Sprecher den Referenten des Demonstrativpronomens in einem vorangegangenen Diskursabschnitt aktiviert haben, noch muss er voraussetzen, dass der Hörer bzgl. des Referenten schon über eine Repräsentation im Langzeitgedächtnis verfügt. Dass der Hörer den intendierten Referenten im deiktischen Umfeld der Äußerungssituation identifizieren kann - eventuell unterstützt durch eine Zeigegeste des Sprechers -, reicht für seine Aktivierung aus. Demgegenüber trifft auf das Personalpronomen ( dir ) natürlich trivialerweise 104 Vgl. etwa das folgende Beispiel: Klaus hat Arno Geld geliehen. Er ist völlig pleite. Hier sind beide Referenten (Klaus und Arno) im ersten Satz durch die Eigennamen aktiviert worden und können darum im zweiten Satz als potenzielle Referenten des die Bewusstseinspräsupposition evozierenden Pronomens in Frage kommen. Die Deutung Arnos als den vom Sprecher intendierten Referenten beruht hier darauf, dass der Hörer auf konzeptuelles Wissen bzgl. Geldverleih und Geldmangel zurückgreift, auf dessen Basis er dann denjenigen, dem das Geld geliehen wurde, als Referenten des Pronomens identifiziert. (Diese Referenzauflösung gilt natürlich nicht mit Notwendigkeit. Es könnte ja auch sein, dass Klaus pleite ist - als Folge des Umstands, dass er Arno Geld geliehen hat.) 105 Diese Tendenz ist besonders ausgeprägt in Gundel/ Hedberg/ Zacharskis (1993) „Givenness Hierarchy“, in der sprecherseitig vorausgesetzte Grade hörerseitiger Zugänglichkeit mit jeweils spezifischen Ausdruckstypen korreliert werden. In Gundel/ Hedberg/ Zacharski (2001, 275) wird sogar explizit die Auffassung vertreten, dass der sprecherseitig vorausgesetzte ‚Givenness‘-Status Teil der konventionellen Bedeutung des jeweiligen Ausdruckstyps sei: „Each status is overtly signaled by a different form (or forms) that has that status as part of its conventional meaning.“ 106 Vgl. etwa die verschiedenen wiederaufnehmenden Referenzausdrücke im folgenden Beispiel: Unser neuer Mitarbeiter hat mich schwer enttäuscht. Er / Der Idiot will uns nicht im Projekt unterstützen. Die Variante mit der definiten Kennzeichnung im Folgesatz zeigt, dass bei der Wahl des Ausdruckstyps auch andere Faktoren eine Rolle spielen können, hier etwa die Intention des Sprechers, über die Semantik des Referenzausdrucks ein Werturteil über den neuen Kollegen mitzukommunizieren. <?page no="103"?> 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition 103 zu, dass der Hörer bzgl. des intendierten Referenten über eine Repräsentation in seinem Langzeitgedächtnis verfügt. Dies zeigt aber nur, dass die Indizierung der hörerseitigen Verfügbarkeit der Repräsentation im Langzeitgedächtnis (von deren Bestehen natürlich auch der Sprecher ausgeht) für die Identifizierung praktisch keine Rolle spielt, da die Referenzauflösung schon durch die deiktische Origo (und die grammatische Form des Pronomens) sichergestellt ist. 107 Zwei weitere Punkte bezüglich des Verhältnisses zwischen Bewusstseinspräsupposition und Identifizierbarkeitspräsupposition sind noch zu nennen. Der erste Punkt betrifft das zu Beginn dieses Abschnitts angesprochene implikationale Verhältnis. Auch wenn die oben angeführten Definitionen dies vielleicht zunächst suggerieren ( identifiability presupposition : der Hörer verfügt über eine Repräsentation im Langzeitgedächtnis; consciousness presupposition : der Hörer verfügt über eine Repräsentation im Kurzzeitgedächtnis), verhalten sich die zwei Präsuppositionstypen nicht disjunktiv zueinander. So besteht die Präsupposition, dass ein bestimmter Gegenstand im Langzeitgedächtnis des Hörers repräsentiert ist, natürlich auch dann noch, wenn er im Bewusstsein aktiviert ist. Schließlich wäre es recht merkwürdig, anzunehmen, dass ein Diskursgegenstand entweder im Langzeitgedächtnis oder im Kurzzeitgedächtnis repräsentiert ist und seine Repräsentation aus dem Langzeitgedächtnis verschwindet, solange der Gegenstand im Kurzzeitgedächtnis aktiviert ist. Umgekehrt gilt aber nicht - und dies ist der zweite Punkt -, dass für einen (durch den Sprecher) aktivierten Diskursgegenstand vorausgesetzt sein muss, dass der Hörer bzgl. des Gegenstands schon äußerungsunabhängig über eine Repräsentation im Langzeitgedächtnis verfügt. Vgl. das folgende Beispiel: (11) Ich kenne ein gutes Restaurant in der Innenstadt. Allerdings ist das immer so voll. (als Antwort auf die vorangegangene Frage des Adressaten, wo man heute Abend essen gehen könnte) Hier wird der Referent der indefiniten Nominalphrase im ersten Satz hörerseitig aktiviert und kann aufgrund seines jetzt bestehenden Aktiviertheitsstatus im Folgesatz pronominal wiederaufgenommen werden. Die indefinite NP indiziert, dass der Sprecher zum Zeitpunkt der Äußerung des ersten Satzes davon 107 Und dies gilt ebenso für die Auflösung der Referenz von Personalpronomen der ersten Person - wofür es sogar weder der Fall sein muss, dass der Hörer bzgl. des Referenten über eine Repräsentation im Langzeitgedächtnis verfügt, noch, dass der Sprecher voraussetzt, das er eine solche hat. Man denke etwa an die Verwendung des Personalpronomens der ersten Person in einem Erpresserbrief ( Wir haben Ihre Frau entführt. ), wo es bzgl. der Referenzauflösung völlig ausreicht, dass der Adressat die Verfasser des Briefs - wer auch immer dies sein mag - als intendierte Referenten des Pronomens wir identifiziert. <?page no="104"?> 104 4 Topik und Präsupposition ausgeht, dass der Hörer das Restaurant nicht kennt (bzw. dass der Hörer über keine Repräsentation des Restaurants in seinem Langzeitgedächtnis verfügt). Im Folgesatz präsupponiert der Sprecher zwar, dass der Hörer den Referenten des Pronomens aufgrund der unmittelbar vorangegangenen Aktivierung identifizieren kann, allerdings nur dahingehend, dass er ihn als den Referenten der unmittelbar vorangegangenen indefiniten Nominalphrase identifiziert - und nicht als einen Gegenstand, in Bezug auf den er schon über eine Repräsentation im Langzeitgedächtnis verfügt. Insofern lässt sich zwar sagen, dass aus dem Vorliegen der Bewusstseinspräsupposition „logisch folgt“ (Lambrecht 2000, 613), dass auch die Identifizierbarkeitspräsupposition vorliegt: „[T]o be conscious of something one must have a representation of it in one’s mind“ (ebd.). Aber es ist ein Unterschied, ob der Hörer den intendierten Referenten eines Referenzausdrucks identifiziert, indem er innerhalb der Klasse der Repräsentationen von Gegenständen in seinem Langzeitgedächtnis, auf die mit dem Ausdruck aufgrund seiner Semantik referiert werden kann, denjenigen heraussucht, von dem er denkt, dass der Sprecher voraussetzen kann, dass auch er als Hörer über eine Repräsentation dieses Gegenstands verfügt, oder ob er ihn identifiziert, indem er erschließt, mit welchem vorangegangenen Ausdruck der aktuell verwendete, die Bewusstseinspräsupposition evozierende Ausdruck koreferent ist. Kurz: im ersten Fall identifiziert der Hörer den Referenten, weil er unabhängig von der aktuellen Diskurs-Situation über eine Repräsentation von ihm verfügt; im zweiten Fall identifiziert er den Referenten, weil er über eine Repräsentation von ihm als aktuellem Diskursgegenstand verfügt - wofür dann unerheblich ist, ob bzgl. des Referenten zum Zeitpunkt seiner Aktivierung schon Bekanntheit im Sinne einer äußerungsunabhängigen Repräsentation im Langzeitgedächtnis vorausgesetzt wurde - so wie z. B. in (9’) - oder nicht - wie in (11). Somit zielen die zwei Präsuppositionstypen letztlich auf Ebenen ab, die nur zum Teil mit ihren gedächtnispsychologisch inspirierten Explikationsbegriffen deckungsgleich sind: Die Bewusstseinspräsupposition zielt primär auf die Diskursebene ab, denn für Referenten, die bewusstseinspräsupponiert sind, muss gelten, dass sie diskursiv aktiviert sind (bzw. wurden). Entsprechend muss für bewusstseinspräsupponierende Ausdrücke gelten, dass sie Wiederaufnahme-Ausdrücke sind. (Es sei denn, ihre Referenten sind durch das deiktische Umfeld zugänglich.) Die Identifizierbarkeitspräsupposition zielt demgegenüber recht allgemein auf das Vermögen des Hörers ab, den Referenten eines Referenzausdrucks identifizieren zu können. Aus diesem Grund abstrahiert Lambrechts Begriff der Identifizierbarkeitspräsupposition von möglichen Unterschieden bzgl. des Charakters der mentalen Repräsentation des intendierten Referenten - etwa ob es von dem in Rede <?page no="105"?> 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition 105 stehenden Gegenstand unabhängig von aktuellen referentiellen Bezugnahmen schon eine Repräsentation im Langzeitgedächtnis des Hörers gibt oder ob der Hörer lediglich über eine Repräsentation von ihm als aktuellem Diskursgegenstand verfügt, der gerade erst im unmittelbar vorangegangenen Äußerungsabschnitt neu eingeführt wurde. Darum bleibt die Auskunft, dass der Sprecher bezüglich des Referenten eines Referenzausdrucks Identifizierbarkeit präsupponiert, im Hinblick auf die Art und Qualität der Repräsentation seitens des Hörers unbestimmt: Entweder es handelt sich - so wie etwa in (9’) - um die Repräsentation eines Gegenstands, der dem Hörer schon vertraut ist und von dem er eventuell umfangreiche Detailkenntnisse hat. Oder es handelt sich - wie in (11) - um die Repräsentation eines Gegenstands, von dem er bisher nichts wusste und der erst unmittelbar zuvor als Diskursgegenstand aktiviert wurde, sodass dessen Repräsentation über die Rolle als soeben aktivierter Diskursgegenstand (und mögliche Adresse weiterer Prädikationen) aktuell nicht hinausgeht. Insofern das Konzept der sprecherseitig vorausgesetzten Identifizierbarkeit darüber hinaus auch davon abstrahiert, ob der in Rede stehende Referent diskursiv aktiviert ist oder nicht, kommt es Strawsons recht weit gefasstem Konzept des Identifizierungswissens recht nahe. 108 Während aber Strawson noch eher allgemein von der Präsupposition hörerseitigen Identifizierungswissens ( presumption of knowledge ) als Voraussetzung für den Topikstatus von Diskursreferenten ausgeht, macht Lambrecht spezifischere Angaben zum Verhältnis von Topikalität und Präsupposition. Dies betrifft zunächst den Status der Topikalität selbst, dem Lambrecht, wie schon erwähnt, präsuppositionalen Charakter zuerkennt. Hiermit sind wir beim dritten Typ referentenbezogener Präsuppositionen angelangt, der sogenannten Topik-Präsupposition: An entity or proposition is topicality-presupposed […] if at utterance time the speaker assumes that the hearer considers it a center of current interest and hence a potential locus of predication. (Lambrecht 2001, 476) 109 108 Vgl. die schon im letzten Kapitel angeführte Explikation des Identifizierungswissens in Strawson (1971a, 87). Auch wenn Strawson Fragen der Aktivierung bzw. Aktiviertheit nicht anspricht, so legt sein recht weit gefasster Begriff des Identifizierungswissens nahe, dass die sprecherseitige „presumption“ hörerseitigen Identifizierungswissens nicht impliziert, dass der Referent vorerwähnt sein muss. 109 Dass nach Lambrecht nicht nur Gegenstände (entities), sondern auch Propositionen „Topikalitäts-präsupponiert“ sein können, wird damit begründet, dass auch propositional repräsentierte Sachverhalte, Geschehnisse etc. mögliche ‚Loci‘ der Prädikation sein können (vgl. ebd.), so wie etwa in dem folgenden Beispiel, in dem der propositional repräsentierte Sachverhalt im Subjektsatz ‚Ort‘, bzw. Gegenstand der Prädikation ist: Dass Arno so hilfsbereit war, hat mich überrascht. Allerdings führt die Redeweise, dass sowohl Gegenstände als auch Propositionen „locus of predication“ sein können, zu einer gewissen Inkongruenz <?page no="106"?> 106 4 Topik und Präsupposition Bemerkenswert an dieser Definition ist, dass in ihr auch eine Explikation des ‚center of current interest‘ enthalten ist: Für einen Diskursgegenstand, im Hinblick auf den der Sprecher präsupponiert, dass (auch) der Hörer ihn als ‚center of current interest‘ auffasst, gilt ebenfalls, dass er „potentieller Ort der Prädikation“ ist. An anderer Stelle heißt es: We can say that the proposition ‘X is under discussion’ or ‘X is to be predicated something of’ is a relevance presupposition of a sentence containing x as a topic. (Lambrecht 1994, 150) So wie auch die anderen Typen pragmatischer Präsuppositionen in Form von propositionalen Gehalten reformulierbar sind, so lassen sich auch Topik-Präsuppositionen (hier - wohl in Anlehnung an Strawsons ‚principle of relevance‘ - Relevanz-Präsupposition genannt) in Form propositionaler Gehalte reformulieren: Der Sprecher präsupponiert, dass ein bestimmter Gegenstand (auch) für den Hörer aktueller ‚Gegenstand‘ der Diskussion bzw. Gegenstand der aktuellen Prädikation (wie auch möglicher weiterer Prädikationen) ist. Was im Rahmen der Topik-Präsupposition präsupponiert wird, ist also nicht allein, welcher Gegenstand aktuell Topikstatus hat, sondern auch, dass der Gegenstand aktuell die Rolle innehat, so wie sie in den verschiedenen propositionalen Reformulierungen expliziert wird: im Hinblick darauf, auf welcher Ebene die ‚Loci‘ jeweils angesiedelt sind: Während ‚Entitäten‘ nur äußerungsextern, d. h. als außersprachliche Referenten eines Referenzausdrucks aufgefasst werden können, sind Propositionen als sprachlich verfasste Repräsentationen von außersprachlichen Sachverhalten, Situationen, Geschehnissen etc. nur äußerungsintern auffassbar. Im Beispiel ist aber genau genommen nicht die Proposition, sondern der propositional repräsentierte Sachverhalt ‚Ort‘ der Prädikation: Über den Sachverhalt, dass Arno so hilfsbereit war, prädiziert der Sprecher, dass es ihn überrascht hat. (Wir wollen hier die Frage offen lassen, ob Subjektsätze ‚gute‘ Topik-Ausdrücke sind. Zumindest im grammatischen Sinne ist die Subjekt-Konstituente ‚Gegenstand‘ der Prädikation.) Dass der Sachverhalt im Beispiel trotz seiner propositional verfassten Repräsentation überhaupt Gegenstand einer Prädikation sein kann, liegt daran, dass er durch seine Realisierung als Subjekt-Argument quasi referentiellen Charakter erhält. Für die sprachliche Bezugnahme auf Sachverhalte ist es darüber hinaus auch gar nicht notwendig, dass sie propositional repräsentiert werden. Ebenso gut kann auf sie mittels Referenzausdrücken referiert werden: Arnos Hilfsbereitschaft hat mich überrascht. Insofern spiegelt sich die ontologische Unterscheidung zwischen Entitäten einerseits und Sachverhalten, Geschehnissen, Situationen etc. andererseits auf der Ebene ihrer sprachlichen Realisierung nicht notwendig wider: Entitäten wie auch Sachverhalte, Situation usw. können auf der sprachlichen Ebene als Diskursgegenstände realisiert sein und sind aufgrund der ihnen dadurch zukommenden Referentialität potentieller Gegenstand der Prädikation und somit auch potentielles ‚center of current interest‘. <?page no="107"?> 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition 107 What is presupposed in a topic-comment relation is […] the fact that the topic referent can be expected to play a role in a given proposition, due to its status as a center of interest or matter of concern in the conversation. (ebd., 151) Damit ein Diskursgegenstand diese Rolle innehaben kann, müssen jedoch bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Während diese bei Gundel unter dem Stichwort der ‚Topic-Familiarity Condition‘ noch recht allgemein in der Tradition des Givenness-Konzepts formuliert sind - für einen Diskurs-Gegenstand mit Topikstatus muss gelten: „both speaker and addressee have previous knowledge of or familiarity with [it]“ (Gundel 1988a, 212) -, klingen bei Lambrecht/ Michaelis (1998) auch diskursive Aspekte an: „A topical referent is one which, due to its salience in the discourse, represents a predictable or expectable argument of a predication for the hearer“ (1998, 495). Lambrecht/ Michaelis sprechen in Zusammenhang mit dem predictability-Kriterium auch von „ratified topics“: A referent whose topic role in a predication is considered predictable to the point of being taken for granted by the hearer at utterance time will be called a ratified topic. A ratified topic necessarily has an active referent. (Lambrecht/ Michaelis 1998, 495) 110 Enger lässt sich die ‚Familiarity Condition‘ nicht fassen: Ein Diskursreferent kann nur dann als „ratifiziertes“ Topik in Frage kommen, wenn er (im Sinne der Bewusstseinspräsupposition) aktiviert ist. Identifizierbarkeit (im Sinne der Identifizierbarkeitspräsupposition) reicht allein nicht aus. Da für aktivierte Diskursreferenten notwendig gelten muss, dass sie vorerwähnt sind, muss somit auch für Diskursreferenten mit Topikstatus gelten, dass sie vorerwähnt sind. Und schließlich soll für sie gelten, dass die Wiederaufnahme als „Argument der Prädikation“ aufgrund ihrer Salienz hörerseitig vorhersehbar bzw. erwartbar ist (Topik-Präsupposition). Umgekehrt gilt jedoch nicht, dass aktivierte Diskursreferenten notwendig Topikstatus haben: „[A]n active referent does not necessarily function as a ratified topic“ (Lambrecht/ Michaelis 1998, 495). 111 110 Die Autoren legen durch ihre Formulierung nahe, dass dies gewissermaßen ein Spezialfall ist: Ein Topik ist nur dann ratifiziertes Topik, wenn der Referent bzgl. seiner Topik-Rolle seitens des Hörers als „predictable to the point of being taken for granted“ aufgefasst wird. Dies legt den Gedanken nahe, dass es auch ‚nicht-ratifizierte‘ Topiks geben könnte. Die Idee gradueller Topikalität erinnert an Lambrechts „Topic Acceptability Scale“ (vgl. Lambrecht 1994, 165 ff.), die allerdings eher auf Fragen der pragmatischen Wohlgeformtheit abzielt. Der graduelle Charakter der Topikalität ist aber wohl weniger auf unterschiedliche „Akzeptabilitätsgrade“, sondern eher auf Aspekte wie Identifizierbarkeit oder Salienz zurückzuführen (vgl. Kap. 6.4). 111 Somit verstehen die Autoren unter Salienz offenbar (ohne dies allerdings explizit so zu sagen), dassbzgl.eines(u. U.schonmehrfach)wiederaufgenommenenDiskursreferentenhörerseitigdie Erwartung besteht, dass dieser im unmittelbar anschließenden Diskursabschnittnicht nur wiederaufgenommen wird, sondern des Weiteren auch, dass die wiederholte Wiederaufnahme des <?page no="108"?> 108 4 Topik und Präsupposition Wie ist der von Lambrecht/ Michaelis angedeutete Zusammenhang zwischen hörerseitiger „Erwartung“ der Wiederaufnahme eines aktuell aktiven Diskursreferenten und seiner Deutbarkeit als „ratifiziertes“ Topik und „Argument der Prädikation“ einzuschätzen? Aktivierte Referenten, für die hörer- und sprecherseitig kein Topikstatus vorausgesetzt wird, finden sich typischerweise in Antworten auf disjunktive Fragen. Vgl. etwa das folgende Beispiel, das sich an Gundel/ Fretheim (2004, 177) orientiert: (12) A: Hast du das Bier oder den Wein bestellt? B: Ich habe das Bier bestellt. Hier hat die Wiederaufnahme des Referenten der Nominalphrase das Bier die Funktion, die ‚Leerstelle‘ der durch den Fragekontext aufgeworfenen und präsupponierten ‚offenen‘ Proposition „ B hat X bestellt “ zu ‚füllen‘. (In der Terminologie Gundels handelt es sich hier bzgl. des Referenten der NP somit um ‚relationale newness‘ bei ‚referentieller givenness‘.) Obwohl der Hörer einigermaßen sicher vorhersehen kann, dass einer der zwei Referenten in der Antwortäußerung wiederaufgenommen wird, da die Bandbreite der möglichen Füllungen aufgrund des disjunktiven Fragekontexts stark eingeschränkt ist, unterbindet die Funktion der NP, die Leerstelle der offenen Proposition zu füllen, die Möglichkeit, dass der Referent als Gegenstand der Prädikation im Rahmen einer Topik/ Kommentar-Gliederung fungieren kann: Weil die NP diejenige Konstituente ist, die den Satz informativ macht und somit auch diejenige Konstituente, die in Fokus-Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition steht, fällt sie für die Rolle als Topik-Ausdruck aus. 112 Referententendenziellauchmitder Rolle als Topikund „Argumentder Prädikation“ einhergeht. Das Kriterium der hörerseitigen Erwartbarkeit der Wiederaufnahmen eines Referenten als „Argument der Prädikation“ ist für seine Charakterisierung als salienter Referent insofern relevant, als sich Salienz ohne dieses Kriterium gar nicht von Aktiviertheit unterscheiden ließe. Denn wenn gelten soll, so wie es die Autoren nahelegen wollen, dass der Topikstatus eines Diskursreferenten (auch) auf dessen Salienz im Diskurs zurückzuführen ist, muss Salienz mehr beinhalten als Aktiviertheit - schon allein darum, weil ebenfalls gelten soll, dass aktivierte Diskursreferenten nicht notwendig Topikstatus haben. Mehr zum Kriterium der Salienz im nächsten Kapitel. 112 Es sei hier noch einmal daran erinnert, dass Topikalität und Fokussiertheit auf unterschiedliche Ebenen abzielen. Ein Referent, der Topikstatus hat, kann zwar durchaus durch einen mit dem Topik-Ausdruck koreferenten Fokus-Ausdruck wiederaufgenommen werden, aber dies macht den wiederaufnehmenden Ausdruck nicht zu einem Topik-Ausdruck! Vgl. das im vorangegangenen Kapitel ausführlich diskutierte Beispiel aus Reinhart (1981): A: Who did Felix praise? B: Felix praised himself. Reinhart wollte mit diesem Beispiel allerdings zeigen, dass aufgrund der Koreferenz von Felix und himself davon abgesehen werden sollte, Topikalität auf Diskursreferenten zu beziehen. Gundels <?page no="109"?> 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition 109 Die Antwort-Äußerung enthält noch einen weiteren wiederaufnehmenden Ausdruck: das Personalpronomen der ersten Person im Subjektposition, das mit dem Personalpronomen der zweiten Person in der Frage-Äußerung referenzidentisch ist. Auch diese Wiederaufnahme ist aus der Sicht des Hörers sicherlich einigermaßen vorhersehbar. 113 Und trotz der syntaktisch prominenten (und intonatorisch nicht hervorgehobenen) Position als Subjekt-Argument im Vorfeld ( Ich habe das Bier bestellt. ) lässt sich der Referent des Pronomens nicht als ‚center of current interest‘ deuten. Auch dies lässt sich auf den disjunktiven Fragekontext zurückführen: Da die Frage auf die Füllung der präsupponierten ‚offenen‘ Proposition abzielt - und nicht auf Informationen über B, lässt sich damit auch die Antwort nicht als Information über B deuten. 114 Das Beispiel zeigt, dass trotz der hörerseitigen Erwartbarkeit ihrer Wiederaufnahme keiner der Referenten in der Antwort-Äußerung die Topik-Rolle innehat. Welche Kriterien sind für den Topikstatus von Diskursreferenten (und die Geltung der Topik-Präsupposition) also letztlich ausschlaggebend? Lambrecht/ Michaelis’ Position hinsichtlich dieser Frage ist nicht ganz eindeutig. So wird zunächst die Auffassung nahegelegt, dass die hörerseitige Deutung eines Refereferentiell/ relational-Unterscheidung hat, wie gezeigt wurde, den Nachtteil, dass bei ihr auch Fokussiertheit referentenbezogen ist: Der Referent von himself ist relational ‚new‘ und referentiell ‚given‘; der Referent von Felix ist relational und referentiell ‚given‘. Da die Ausdrücke himself und Felix jedoch koreferent sind, kommt Gundels Unterscheidung mit dem Beispiel nicht zurecht. Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, findet sich die Lösung für dieses Problem in Lambrechts Ansatz, der Topik und Fokus nicht als Komplementärkategorien konzeptualisiert, sondern als Kategorien, die ebenenunabhängig voneinander in Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition stehen (auch wenn diese Unabhängigkeit nicht so weit geht, dass Topik und Fokus zusammenfallen können). 113 Sofern man einmal davon absieht, dass hier auch eine elliptische Antwortvariante möglich wäre: A: Hast du das Bier oder den Wein bestellt? B: Das Bier. 114 Anders ist es etwa in Beispiel (8) (A: Was hat Arno bestellt? B: Er hat ein Bier bestellt. ), in dem sich die Ergänzungsfrage auch als Frage über Arno deuten lässt - und der Antwortsatz entsprechend als Information über Arno (auch wenn das Prädikat dort zum Hintergrund gehört und somit die Zuordnung zum Prädikatfokus-Typ nach Lambrechts Maßstäben strenggenommen ausgeschlossen ist). In (12) ist die Topik/ Kommentar-Deutung jedoch in einem wesentlich stärkerem Maße ausgeschlossen: Der disjunktive Fragekontext lenkt die hörerseitige Relevanz der Antwort dort vollständig auf die Füllung der durch die Frage aufgeworfenen Leerstelle. Dass dies in (8) nicht in demselben Maße der Fall ist, hängt vielleicht damit zusammen, dass in Antworten auf disjunktive Fragen prädikative Teile prinzipiell vom Fokusbereich ausgeschlossen sind, während Ergänzungsfragen die Zugehörigkeit des Prädikats zu Fokusbereich grundsätzlich zulassen. (Vgl. etwa Lambrechts Schulbeispiel für den Prädikatfokus-Typ: A: Was haben die Kinder getan? B: Die Kinder sind in die Schule gegangen. ). Darum bleibt die Aboutness-Deutbarkeit dort auch dann noch intakt, wenn, so wie in (8), nur eine Argument-Konstituente zum Fokus-Bereich gehört. <?page no="110"?> 110 4 Topik und Präsupposition renten als „Argument der Prädikation“ auf dessen „Salienz im Diskurs“ zurückzuführen ist: „A topical referent is one which, due to its salience in the discourse, represents a predictable or expectable argument of a predication for the hearer“ (Lambrecht/ Michaelis 1998, 495). Insofern also die Salienz des Referenten als ursächlich dafür angesehen wird, dass er als „predictable or expectable argument of a predication“ fungiert, könnte man sagen, dass seine Salienz die Topik-Präsupposition evoziert. Gleich im anschließenden Satz heißt es aber: „[The] topic role in a predication is considered predictable to the point of being taken for granted by the hearer […]“ (ebd.). Der Unterschied mag minimal erscheinen, jedoch wird die Topik-Präsupposition nach dieser Deutung strenggenommen nicht evoziert, sondern der Topikstatus eines bestimmten Referenten im aktuellen Äußerungsabschnitt ist für den Hörer (und ebenso für den Sprecher) schon von vornherein unstrittig, wird also als „selbstverständlich“ ( taken for granted ) vorausgesetzt. Die Frage ist dann jedoch, aufgrund welcher sonstigen Bedingungen für Hörer und Sprecher feststeht (bzw. unstrittig ist), dass ein bestimmter Diskursreferent aktuell Topikstatus hat. Vor dem Hintergrund des oben diskutierten Beispiels (12) lässt sich diese Frage noch relativ leicht beantworten: Es ist der Fragekontext, der in Bezug auf den wiederaufgenommenen Referenten festlegt, ob er als Topik in Frage kommt oder nicht: Schließt der Fragekontext - so wie in (12) - prinzipiell aus, dass der Fokus-Bereich über die Argument-Konstituente hinausgehen kann, und besteht die Hörer-Relevanz der Antwort-Äußerung damit allein in der Füllung der durch die Frage aufgeworfenen Leerstelle, so setzt weder der Hörer (der ja die Frage gestellt hat und somit auch die Hörer-Relevanz der Antwort-Äußerung festlegt) noch der Sprecher (sofern er sich in seiner Antwort auf diese Festlegung eingelassen hat) stillschweigend voraus, dass irgendeiner der involvierten Diskursreferenten die Rolle eines ‚center of current interest‘ innehat. Was Sprecher und Hörer vielmehr stillschweigend voraussetzen, ist, dass die Antwort-Äußerung die Funktion hat, die Leerstelle der mit dem Fragekontext assoziierten und präsupponierten offenen Proposition zu füllen. Anders verhält es sich bei Ergänzungsfragen-Kontexten. Ergänzungsfragen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Auskünfte über Personen, Dinge, Umstände oder Geschehnisse einfordern, die in der jeweiligen Frage-Äußerung durch einen Referenzausdruck repräsentiert sind. 115 Entsprechend lassen sich auch die dazugehörigen Antworten als Antworten über die Personen, Dinge, Umstände usw. auffassen - auch wenn ihre Hörer-Relevanz primär in der ‚Füllung‘ der hörerseitigen Wissenslücke besteht, durch die die Frage motiviert war. Typisch für 115 Oder im Fall von Umständen, Geschehnissen etc. eventuell auch durch einen Nebensatz in Argumentfunktion. <?page no="111"?> 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition 111 Ergänzungsfragen-Kontexte ist, dass die ‚Füllung‘ der hörerseitigen Wissenslücke durch die Antwort in der Regel durch Argument-Konstituenten geleistet wird, so dass sich die Antworten - so wie etwa in (8) - ebenfalls im Rahmen des Argumentfokus-Typs analysieren lassen: 116 (8) A: Was hat Arno bestellt? B: Er hat ein Bier bestellt. Obwohl sich die Frage auch als Bitte um eine bestimmte Information über Arno deuten lässt - und die Antwort somit entsprechend als Auskunft über Arno, lässt sich hier darum auch dafür argumentieren, dass die vom Sprecher der Antwort-Äußerung eingeschätzte Hörer-Relevanz primär darin besteht, Auskunft darüber zu geben, was Arno bestellt hat - und eher nicht darin, den Hörer in Bezug auf Arno darüber zu informieren, dass er Bier bestellt hat. Wie aber weiter oben schon erwähnt wurde, lassen sich in Bezug auf Arno noch weitere Anhaltspunkte angeben, die in anderen Ergänzungsfrage-Kontexten durchaus als starke Indizien für den Status Arnos als ‚center of current interest‘ sprechen würden: etwa, dass Arno als einziger Referent hörerseitig identifizierbar ist, dass er als einziger Referent diskursiv aktiviert ist, sowie, dass er als einziger Referent wiederaufgenommen wird, und schließlich - als ausdrucksseitige Indizien -, dass die Wiederaufnahme durch einen Pronominalausdruck und in Subjektposition erfolgt. Zwar bleibt die Argumentfokus-Deutung trotz dieser Anhaltspunkte immer noch intakt. Aber sie unterbindet dennoch nicht, dass die Wiederaufnahme Arnos in der Antwort-Äußerung als „Argument der Prädikation“ aus der Perspektive des Hörers durchaus erwartbar ist, zumal diese Rolle in Ermangelung anderer aktivierter Diskursreferenten auch alternativlos bleibt - im Grunde sogar dann, wenn im Fall einer elliptischen Antwort (A: Was hat Arno bestellt? B: Ein Bier. ) das Subjekt-Argument und das Prädikat lediglich ‚mitgedacht‘ werden. Aus diesem Grund bleibt hier letztlich offen, ob im Hinblick auf Arno eine Topik-Präsupposition im Sinne eines „ratifizierten“ Topiks besteht oder ob die Antwort-Äußerung eher auf die Füllung der mit dem Fragekontext assoziierten (und präsupponierten) offenen Proposition abzielt, die die Ursache dafür ist, dass der prädikative Teil der Antwort-Äußerung zum Hintergrund und nicht zum Fokus-Bereich gehört. 116 Dass in Antworten auf Ergänzungsfragen lediglich Argument-Konstituenten fokussiert sind, mag vielleicht der Standardfall sein. Dennoch kann in Ergänzungsfrage-Kontexten auch das Prädikat zum Fokusbereich gehören, siehe etwa den Prädikatfokus-Fall in Beispiel (13). <?page no="112"?> 112 4 Topik und Präsupposition Während der Topikstatus Arnos in (8) unklar bleibt, lässt sich diese Rolle im folgenden Beispiel eindeutig auf Arno beziehen: (13) A: Was hat Arno getan? B: Er hat einen Kollegen beleidigt. Hier genügt die Antwort-Äußerung B’s klar den Anforderungen Lambrechts bezüglich der Zuordnung zum Topik/ Kommentar-Typ: Da die Frage darauf abzielt, in Erfahrung zu bringen, was Arno getan hat, gehören in der Antwort auch die Prädikat-Elemente zum Fokusbereich. Wir haben hier also den Idealfall, dass der Hintergrundbereich auf genau eine Argument-Konstituente beschränkt bleibt. Der Status Arnos als Topik geht aber nicht damit einher, dass dessen Rolle als „predictable or expectable argument of a predication“ hier etwa ausgeprägter als in (8) ist; in Bezug auf dieses Kriterium sind (8) und (13) sogar vollkommen identisch. Die Eindeutigkeit des Topikstatus Arnos ist hier allein durch dem Fragekontext bedingt, der bewirkt, dass der Fokusbereich in der Antwort-Äußerung über die NP einen Kollegen hinausgeht, weswegen die Argumentfokus-Deutung von vornherein ausfällt und die Topik/ Kommentar-Deutung alternativlos ist. Aus welchem Grund kann also der Topikstatus eines bestimmten Diskursreferenten (im Sinne einer Topik-Präsupposition) hörer- und sprecherseitig unstrittig sein, d. h. als selbstverständlich vorausgesetzt werden? Wie die Beispiele (8), (12) und (13) gezeigt haben, ist dies offensichtlich nicht allein auf die „predictability“ der involvierten Diskursreferenten zurückzuführen, sondern auch auf die diskursive Einbettung der jeweiligen Antwort-Äußerungen: 117 In (13) ist es die vorangegangene Frage, die keine andere Wahl zulässt als die Deutung Arnos als „Argument der Prädikation“ und Topik im Sinne der Aboutness-Relation. Ebenso unstrittig wie der Topikstatus Arnos in (13) ist in (12), dass keiner der diskursiv aktivierten Diskursreferenten Topik im Sinne der Aboutness-Relation sein kann. Auch dies lässt sich auf den dort vorausgesetzten Fragekontext zurückzuführen, dessen disjunktiver Charakter allein die Argumentfokus-Deutung zulässt. Demgegenüber bleibt (8) in Bezug auf den Topikstatus Arnos in gewisser Weise unscharf, weil die Antwort-Äußerung den Anforderungen Lambrechts an die Fokus/ Hintergrund-Struktur des Topik/ Kommentar-Typs dort zwar noch nicht genügt, aber der Status Arnos als erwartetes und vorhersehbares „Argument der Prädikation“ durch den Fragekontext nicht unterbunden wird. Trotz dieser Topik-Unschärfe verfügt aber auch der Antwortsatz in (8) 117 Aufgrund der Verschränkung dieser zwei Aspekte werde ich in Kap. 5.2 den Begriff der diskursiven Salienz vorschlagen. <?page no="113"?> 4.3 Identifizierbarkeitspräsupposition, Bewusstseinspräsupposition, Topik-Präsupposition 113 über klare Fokus/ Hintergrund-Verhältnisse, da der (konstruierte) Fragekontext bewirkt, dass der Fokusbereich auf das Objekt-Argument beschränkt bleibt. Wie aber schon in vorangegangenen Abschnitten angesprochen wurde, lassen sich für Sätze in authentischen Texten gar keine eindeutigen Frage/ Antwort-Kontexte konstruieren, auf deren Basis sich die Fokus/ Hintergrund-Struktur der jeweiligen Sätze so klar ermitteln ließe, wie dies in den oben diskutierten Beispielen der Fall ist. Dies ist, wie in Kap. 6.2 noch genauer gezeigt wird, darauf zurückzuführen, dass Sätze innerhalb von Satzabfolgen in der Regel keine Antwort-Funktion haben und ihnen diese Funktion darum auch nicht nachträglich (etwa durch einen Fragetest zur Ermittlung des aktuellen Satztopiks) zugewiesen werden kann. Wenn aber Frage/ Antwort-Kontexte wegfallen, stellt sich somit auch die Frage nach den Identifizierungskriterien für Topiks in den Satzabfolgen authentischer Texte noch einmal neu. Die Kriterien, die hierfür in Frage kommen können, sowie die Eigenschaften, über die Referenten verfügen müssen, um die Topik-Rolle übernehmen zu können, sollen in den folgenden Kapiteln genauer herausgearbeitet werden. <?page no="115"?> 5 Topik-Eigenschaften Bevor ich mich der Frage nach möglichen Indikatoren (oder vielleicht besser: Indizien) für die Identifizierung von Topiks in Satzabfolgen zuwende, sollen in diesem Kapitel die Eigenschaften von Topiks (bzw. genauer: die Eigenschaften von Diskursreferenten mit Topikstatus) formuliert werden. Den Ausgangs- und Bezugspunkt bildet hierbei die Position, dass Topik-Referenten hörerseitig vorhersehbare ( predictable ) bzw. erwartbare ( expectable ) „Argumente der Prädikation“ sind (Lambrecht/ Michaelis 1998, 495). Letzteres, nämlich die Position, dass Topiks als „Argumente der Prädikation“ aufzufassen sind, findet sich auch in Ansätzen, die, wie ich im ersten Abschnitt dieses Kapitels (Kap. 5.1) zeigen möchte, einen ‚weiten‘ Topik-Begriff zugrunde legen (u. a. Jacobs 2001, Erteschik-Shir 2007). Das zentrale Konzept ‚weiter‘ Topik-Ansätze ist der Adressen -Begriff (siehe etwa Jacobs 2001, 650 f.). Topiks stellen nach dieser Auffassung die sogenannte Adresse der Prädikation dar, d. h. das Topik ist derjenige ‚Gegenstand‘, auf den die Prädikation abzielt und in Hinblick auf den der durch den Satz ausgedrückte propositionale Gehalt hinsichtlich seines Wahrheitswerts „überprüft“ ( assessed ) wird (Erteschik-Shir 2007, 25). Auch Reinharts „referential entry“-Konzept (Reinhart 1981), das in Kap. 3.2 vorgestellt wurde, lässt sich als Adressierungskonzept begreifen - weswegen auch Reinhart zu den Vertretern eines ‚weiten‘ Topik-Begriffs gezählt werden kann. Wie ich in Kap 5.1 zeigen werde, unterscheiden sich Adressierungsansätze von ‚engen‘ Topik-Ansätzen (Gundel, Lambrecht) insbesondere darin, dass sie auf das Kriterium der vorausgesetzten Hörerfamiliarity (Gundels ‚Topic-Familiarity Condition‘) weitgehend verzichten und das Spezifizitätskriterium für die Eignung eines Ausdrucks als Topik-Ausdruck für ausreichend halten (siehe etwa Erteschik-Shir 2007, 8 f. und 51 f.). Wie ich zeigen möchte, ergeben sich aus der Beschränkung auf die Adressierungsfunktion jedoch gewisse Konsequenzen für das Verständnis von Topikalität als Relation der Aboutness, dem auch ‚weite‘ Topik-Ansätze nach wie vor verhaftet bleiben. Eine Konsequenz ist zunächst, dass mit der Beschränkung der Aboutness-Relation auf die, wie ich es nennen werde, semantische Ebene der Prädikation die Unterscheidung der drei Lambrecht’schen Gliederungstypen (Topik/ Kommentar, Argumentfokus, Satzfokus) aufgegeben werden müsste, da nicht nur der Topik/ Kommentar-Typ, sondern auch die zwei anderen Gliederungstypen Prädikationsadressen enthalten (können). <?page no="116"?> 116 5 Topik-Eigenschaften Wie ich in Kap 5.2 zeigen möchte, besteht die wesentliche Konsequenz einer Gleichsetzung von Topikalität und Adressierung darin, dass es so nicht gelingt, die Topik- (bzw. Aboutness-)Relation auf der Basis der pragmatischen Unterscheidung von Präsupposition und Assertion zu explizieren. So können Prädikationsadressen auch zur Assertion gehören, was in bestimmten Argumentfokus-Kontexten der Fall ist. Würde man aber einen solchen Zusammenfall von Topik und Fokus zulassen, so müsste in der Konsequenz auch die Herleitung der Aboutness-Relation aus der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion (und ebenso ihr Verständnis als Spezialfall dieser Unterscheidung) aufgegeben werden. Topikalität möchte ich darum als ‚Gleichlauf‘ zwischen semantischer und pragmatischer Ebene der Prädikation charakterisieren. Darum möchte ich das Adressenkonzept für die Charakterisierung von Topiks zwar übernehmen, jedoch mit der Einschränkung versehen, dass Topiks zwar immer die Adresse der Prädikation bilden, aber Prädikationsadressen nicht notwendig Topikstatus haben müssen. Den Status von Topiks als Adressen und ‚centers of current interest‘ möchte ich über den Begriff der diskursiven Salienz fassen. In einem längeren Exkurs (Kap. 5.3) sollen darum zunächst die Kategorien Salienz, Zugänglichkeit ( accessibility ) und familiarity unterschieden werden. Während Zugänglichkeit zunächst allgemein auf den Aspekt der Identifizierbarkeit eines Gegenstands als intendierter Referent eines Referenzausdrucks abzielt, sind Salienz und familiarity auf die kognitiven Domänen der Aufmerksamkeit (Salienz) und des Langzeitgedächtnisses ( familiarity ) bezogen. Entscheidend hierbei ist, dass für die Zugänglichkeit, wie auch für die Salienz eines Referenten nicht vorausgesetzt sein muss, dass der Adressat schon über eine Repräsentation des Referenten in seinem Langzeitgedächtnis verfügt. In Kap. 5.4 möchte ich anhand eines Beispiels zeigen, auf welche Faktoren die Salienz eines Referenten zurückgeführt werden kann. Diese Faktoren sind nicht nur auf die adressatenseitige Zugänglichkeit des Referenten, sondern ebenfalls auf bestimmte diskursive Aspekte zu beziehen. In Kap. 5.5 möchte ich abschließend auf einige Konsequenzen eingehen, die sich aus der hier zugrunde gelegten Position ergeben, dass Topikalität eine Status-Eigenschaft von Diskurs referenten ist. 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff Von allen bisher vorgestellten Topik-Explikationen ist Lambrecht/ Michaelis’ „ratifiziertes“ Topik die bedingungsreichste Version: Für „ratifizierte“ Topik-Referenten muss nicht nur gelten, dass sie hörerseitig identifizierbar, unmittelbar vorerwähnt und damit aktiviert im Sinne der Bewusstseinspräsupposition sind, <?page no="117"?> 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff 117 sondern auch, dass ihre Wiederaufnahme als „Argument der Prädikation“ für den Hörer vorhersehbar bzw. erwartbar ist - dass also ihr Status als gemeinsames ‚center of current interest‘ als sprecher- und hörerseitig unstrittig ( taken for granted ) vorausgesetzt wird. Dieser letztere Punkt wird von den Autoren unter dem Stichwort der Topik-Präsupposition formuliert. Demgegenüber ist für andere Autoren nicht einmal das Kriterium der Aktiviertheit notwendig. Ein solches, aus dieser Perspektive ‚weiteres‘ Topik-Verständnis liegt z. B. dem Ansatz von Reinhart (1981) zugrunde, der schon im dritten Kapitel diskutiert wurde. Reinharts Deutung der Aboutness-Relation als kognitives Strukturierungsprinzip kommt ohne die Bedingung der Vorerwähntheit aus. Reinhart deutet Topiks im Rahmen ihrer Schlagwortkatalog-Metapher als „referentielle Einträge“ ( referential entries ), im Hinblick auf die neu eingehende Information bezüglich ihres Wahrheitswerts „überprüft“ und im Anschluss unter diesem Eintrag „abgespeichert“ wird. 118 Ob aber ein Referenzausdruck den jeweiligen „Eintrag“ wiederaufnimmt oder ihn erst eröffnet, ist für seinen Status als Topik-Ausdruck Reinhart zufolge nicht entscheidend (vgl. Reinhart 1981, 82). Voraussetzung für die Eignung als Topik - bzw. „referential entry“ - ist nach Reinhart lediglich, dass der entsprechende auf den Eintrag bezogene Referent hörerseitig „etabliert“ ist (ebd.) - wofür es ihrer Meinung nach genügt, dass der Referent aus dem „general discourse topic“ ableitbar ( inferrable ) ist (Reinhart 1981, 88 f.). Reinharts ‚referential entry‘-Konzept ist im Großen und Ganzen identisch mit Jacobs’ (2001) Charakterisierung der Aboutness-Relation als „Adressierung“ und Vallduvis „file card“-Metapher (vgl. Vallduvi 1992, 54 ff. sowie Vallduvi/ Engdahl 1996, 469 f.). Mit Bezugnahme auf Reinhart und Vallduvi - der „file cards“ ebenfalls als ‚Adressen‘ bezeichnet (vgl. Vallduvi 1992, 55) - bestimmt Jacobs Adressierung folgendermaßen: An address is a constituent that - via its reference […] - identifies one of these mental files: it refers to the entity that is the subject of the file. The complementary part of the sentence corresponds to a proposition that has to be entered into the file identified by the address. ( Jacobs 2001, 651) Abgesehen davon, dass die ‚Adresse‘ bei Jacobs offensichtlich der Referenzausdruck selbst ist, der - über seinen Referenten (! ) - die jeweilige „mental file“ repräsentiert, ist Jacobs’ Verständnis der Adressenfunktion mit Reinharts ‚referential entry‘-Konzept praktisch identisch: Die durch den jeweiligen Satz 118 Reinhart formuliert dieses Strukturierungsprinzip unter den Stichworten „assess“ und „store“: „Assess by what you already know about the topic, store under an entry corresponding to this topic“ (Reinhart 1981, 80). <?page no="118"?> 118 5 Topik-Eigenschaften repräsentierte Proposition wird genau derjenigen „file“ zugewiesen, die für den entsprechenden Topik-Referenten angelegt worden ist, wodurch die eingehende propositionale Information auf der Basis der angelegten „files“ strukturiert und geordnet wird. Wie schon erwähnt reicht es laut Reinhart aus, dass der mit der jeweiligen „entry“ assoziierte Referent „etabliert“ ist, um als Adresse für die eingehende propositionale Information fungieren zu können. Bzgl. der Frage, unter welchen Bedingungen ein Referent als etabliert gelten kann, bleiben Reinharts Auskünfte allerdings recht vage (siehe meine Ausführungen hierzu in Kap. 3.2). So genüge es, wenn der mit dem Eintrag assoziierte Referent aus dem „general discourse topic“ ableitbar sei oder in Relation dazu stehe (Reinhart 1981, 88 f.). Zwar führt Reinhart nicht genauer aus, was sie unter einem „general discourse topic“ verstehen möchte, aber ihr Hinweis lässt sich wohl so verstehen, dass ersterwähnte Referenten dann als etabliert gelten können, wenn sie eine gewisse begriffliche oder inhaltliche ‚Nähe‘ zu schon eingeführten bzw. vorerwähnten Referenten aufweisen. 119 Insofern entspricht Reinharts Verständnis von ‚Etabliertheit‘ in etwa der ‚inferrable‘-Kategorie in Princes (1981) Taxonomie sprecherseitig vorausgesetzter (Hörer-)Zugänglichkeit ( assumed familiarity ) von Diskursreferenten: A discourse entity is inferrable if the speaker assumes the hearer can infer it, via logical - or, more commonly, plausible - reasoning, from discourse entities already evoked or from other inferrables. (Prince 1981, 236) 120 In Princes ‚assumed familiarity‘-Taxonomie nehmen „erschließbare“ Referenten die Mittelposition zwischen „situativ“ oder „textuell evozierten“ ( evoked ) und „neuen“ ( new ) Referenten ein. Textuell evozierte Referenten sind (unmittelbar) vorerwähnt, situativ evozierte Referenten sind über den unmittelbaren Situationskontext identifizierbar (vgl. Prince 1981, 236). „Neu“ sind Referenten, wenn für sie gilt, dass sie nicht vorerwähnt, erschließbar oder situativ identifizierbar sind. 121 119 Diesen Hinweis gibt Reinhart in Zusammenhang mit dem von ihr diskutierten „tenant“-Beispiel (Reinhart 1981, 76). Siehe Kap. 3.2, wo das Beispiel in Zusammenhang mit Reinharts Verständnis von ‚alter‘ Information diskutiert wurde, dort wiedergegeben als Beispiel (3). 120 Vgl. das folgende Beispiel in Prince (1981, 237): I went to the post office and the stupid clerk couldn’t find a stamp. Die Verwendung der definiten NP the stupid clerk ist hier durch die konzeptuelle Kontiguität von ‚post office‘ und ‚clerk‘ lizensiert. Insofern entspricht Princes ‚inferrable‘-Kategorie dem Begriff der indirekten Anaphorik von Schwarz (2000). 121 Den ‚new‘-Status unterteilt Prince in drei Unterkategorien: ‚brand new‘, ‚brand new anchored‘ und ‚unused‘. ‚Brand new‘ heißt, der Hörer verfügt (noch) nicht über eine Repräsentation des intendierten Referenten ( ein Freund ), der Referent kann somit auch noch <?page no="119"?> 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff 119 Ob für Reinhart eine „NP-Interpretation“ 122 auch dann als Schlagwort-Eintrag in Frage kommen kann, wenn der auf die NP bezogene Referent nicht vorerwähnt oder mit einem vorerwähnten Referenten inhaltlich assoziiert ist, er jedoch hörerseitig ‚familiar‘ - bzw. nach Princes Taxonomie ‚unused‘ ist, geht aus ihren Ausführungen nicht hervor. Zumindest Vallduvi schließt einen solchen Fall explizit nicht aus: Since the hearer’s knowledge is not null at the start of an interaction, […] the knowledge store contains addresses denoting hearer-old discourse-new (‘unused’) entities. (Vallduvi 1992, 55) Mindestvoraussetzung für Adressierungen ist für Vallduvi somit das Kriterium der hörerseitigen Identifizierbarkeit: Um als Adresse für eingehende Information in Frage kommen zu können, muss gewährleistet sein, dass der mit der entsprechenden Adresse assoziierte Referent zum „knowledge store“ des Hörers gehört, d. h. bekannt ist für denjenigen, der den „Eintrag“ vornimmt. 123 Anders als Vallduvi bindet Jacobs Adressierbarkeit nicht primär an Kategorien der Hörer-Familiarity, sondern an das Kriterium der Spezifizität: I assume that the possible speaker-hearer knowledge at a given moment in the discourse cannot contain a file - that is, a block of thematically related propositions - that pertains to a nonspecific entity, or every entity, or no entity of a certain kind. ( Jacobs 2001, 652) nicht vorerwähnt sein; ‚brand new anchored‘ heißt, die referierende Konstituente enthält einen (Teil-)Ausdruck, bzgl. dessen Referenten hörerseitig ‚familiarity‘ besteht (z. B. ein Freund von mir ); ‚unused‘ heißt, der Referent ist hörerseitig ‚familiar‘, aber nicht vorerwähnt, vgl. Prince (1981, 235): „The hearer [is] assumed to have a corresponding entity in his/ her own model and simply has to place it in (or copy it into) the discourse-model […].“ Auch der ‚unused‘-Status lizensiert definite Referenzausdrücke. 122 Die „NP-Interpretation“ ist dasjenige Konzept, das den mit dem Ausdruck assoziierten Referenten repräsentiert (vgl. Reinhart 1981, 80). Siehe meine Erläuterungen hierzu in Kap. 3.2. 123 Trotz großer Ähnlichkeiten ist die „file card“-Metapher gegenüber Reinharts „referential entry“-Konzept vielleicht insofern vorteilhafter, als dort Verwirrungen bezüglich des Verständnisses des Ausdrucks ‚Eintrag‘ vermieden werden können. Reinhart versteht unter „Eintrag“, dass die entsprechende „NP-Interpretation“ (d. h. das den intendierten Referenten repräsentierende Konzept) in den Schlagwortkatalog aufgenommen, oder mit anderen Worten: ‚eingetragen‘ worden ist. Die Metapher lässt sich aber auch so auslegen, dass man sagt, die eingehende propositionale Information wird auf der „file card“ eingetragen , die für den entsprechenden (Diskurs-)Gegenstand ‚angelegt‘ worden ist. Dieses Verständnis legt Vallduvi zugrunde: „Each address denotes an entity and under each address there are a number of entries [! ] specifying attributes and relations pertaining to that entity“ (Vallduvi 1992, 55). <?page no="120"?> 120 5 Topik-Eigenschaften Spezifizität ist für Jacobs darum ein Indikator dafür, ob ein Referenzausdruck als Adresse für propositionale Einträge in Frage kommen kann oder nicht: Consequently we expect that syntactic constituents meaning ‘a nonspecific x’, ‘every x’ or ‘no x’ cannot be addresses in the sense of our definition. And this gives us a test of whether a given grammatical construction is conventionally associated with addressation. (ebd.) Adressierbarkeit setzt somit offensichtlich Spezifizität voraus - und da Spezifizität in bestimmten Ansätzen zum Definitheitsbegriff unter Rückgriff auf das Konzept der Familiarity expliziert wird (vgl. Heim 1983), 124 lassen sich aus der Identifizierbarkeitsbedingung und der Adressierungsfunktion offenbar auch Beschränkungen bezüglich des Ausdruckstyps ableiten. Für Adressierungen ungeeignet sind nach Jacobs daher indefinite NPs (in nicht-spezifischer Lesart) sowie NPs, die quantifizierende Ausdrücke wie alle , jede / jeder oder kein / keine enthalten. 125 Die von Jacobs hervorgehobenen Beschränkungen zeigen sich beispielsweise in den sogenannten Linksversetzungen, denen allgemein eine Topik-indizierende Funktion zugeschrieben wird: 126 (1) *Kein Buch von Joachim Lottmann / / Das Buch von Joachim Lottmann, das habe ich gelesen. Die mit dem quantifizierenden Ausdruck versehene Konstituente ( kein Buch von Joachim Lottmann ) scheidet daher als Adresse aus. Ihr fehlt das eingeforderte Merkmal der Spezifizität, d. h. die Eigenschaft, auf einen bestimmten Gegenstand zu referieren, was bei der definiten NP ( das Buch von Joachim Lottmann ) der Fall ist und dort darüber hinaus auch mit dem Familiarity-Kriterium einher- 124 Vgl. Heim (1983): „File Change Semantics and the Familiarity Theory of Definiteness“. Wie schon der Titel zeigt, beruht der Rückgriff informationsstruktureller Ansätze auf die „file“-Metapher vor allem auf Heims Familiarity-Ansatz. 125 Vgl. Jacobs’ Beispiel in (2001, 652): Could you please help me? I’m having problems finding the entry on {*an unspecified German author of the 19th century, ??every German author of the 19th century, *no German author of the 19th century}. Der erste in der Liste genannte Ausdruck ( an unspecified German author ) erhält seine nicht-spezifische Lesart durch das Attribut unspecified . Es ist darum nicht ganz klar, ob Jacobs die Adressenfähigkeit von Referenzausdrücken an Ausdruckstyp-Kriterien bindet oder eher vom (semantischen) Kriterium der Spezifizität abhängig macht. Jacobs macht keine Aussage darüber, ob er indefinite Referenzausdrücke für adressenfähig hält, sofern sie eine spezifische Lesart haben. 126 So etwa von Altmann (1981), Frey (2005) und Endriss (2009). Siehe jedoch Scheutz (1997, 42 f.), der sich kritisch hierzu äußert. Zur Linksversetzung im Deutschen siehe auch Selting (1993). <?page no="121"?> 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff 121 geht. Bei Ausdrücken mit indefinitem Artikel ist die Sachlage allerdings weniger übersichtlich: Da indefinite NPs zwar generell adressatenseitige ‚Unfamiliarity‘ indizieren, 127 aber unter bestimmten Bedingungen eine spezifische Lesart haben können, 128 sind sie in Linksversetzungen offensichtlich nicht ausgeschlossen, wie das folgende Beispiel zeigt: 129 (2) Ein Buch von Joachim Lottmann, das habe ich gelesen. Lässt sich die indefinite, linksversetzte Konstituente in (2) aber auch noch als Adresse und damit als Topik-Ausdruck auffassen? Für Jacobs zumindest steht fest, dass linksversetzte Konstituenten prinzipiell als Adressen fungieren ( Jacobs 2001, 662) - was sich für ihn insbesondere daran zeigt, dass linksversetzte Konstituenten mit nicht-spezifischer Lesart grammatisch unakzeptabel sind. 130 Demnach sind Linksversetzungen für Jacobs notwendig spezifisch und ihre Spezifizität stellt zugleich ihre Eignung als Adresse sicher. Darum kann Jacobs wohl so verstanden werden, dass er Adressierbarkeit allein über die Eigenschaft der Spezifizität definiert. Die Möglichkeit, zwischen Spezifizität/ Familiarity und Spezifizität/ Unfamiliarity zu unterscheiden, zieht er offenbar nicht in Betracht. Diese Unterscheidung ist für die Analyse von (2) aber durchaus relevant. Bezüglich der Unterscheidbarkeit von Spezifizität und Familiarity verhält es sich in (2) folgendermaßen: Der Sprecher unterstellt hier zwar, dass der Hörer nicht weiß, welches Buch von Lottmann der Sprecher gelesen hat (der Hörer verfügt also über keine Repräsentation bzgl. des intendierten Referenten der indefiniten NP), aber der Sprecher hat dennoch ein bestimmtes Buch ‚im Sinn‘, was in der 127 So etwa auch in Princes ‚asssumed familiarity‘-Taxonomie. Vgl. ihren ‚brand new‘-Status, der für Referenten indefiniter NPs besteht: Im ‚brand new‘-Fall verfügt der Adressat noch über keine Repräsentation des intendierten Referenten (Prince 1981, 235 f.). 128 Zu beachten ist, dass Princes ‚brand new‘-Status aufgrund der Hörer-Perspektivierung ihrer Taxonomie bezüglich der spezifisch/ unspezifisch-Unterscheidung unbestimmt bleibt. Anders ist dies jedoch in ‚brand new anchored‘-Fällen (z. B. bei ein Freund von mir ), wo aus der Spezifizität (und der vorausgesetzten ‚familiarity‘) des Possessor-Referenten auch die Spezifizität der gesamten Konstituente folgt. Vgl. die Beispiele in Prince (1981, 236 f.). 129 Authentische Belege für indefinite Linksversetzungen führt Selting (1993, 295) an. Siehe auch die Beispiele in Endriss (2009, 39 sowie 187 f.), die allerdings, so wie (2), nicht authentisch sind. 130 Vgl. das Beispiel (34) in Jacobs (2001, 662): {??Irgendein, *Jeder, *Kein Freund} von Peter, der kommt. Die Version mit Indefinitpronomen ( irgendein Freund ) glossiert Jacobs als nicht-spezifisch. (Die Auszeichnung mit Fragezeichen deutet an, dass er diese Variante offenbar für weniger unakzeptabel als die zwei anderen Varianten hält.) Wie schon erwähnt diskutiert Jacobs keine Beispiele, in denen die linksversetzte Konstituente, so wie in (2), indefinit ist, aber eine spezifische Lesart hat. <?page no="122"?> 122 5 Topik-Eigenschaften quantifizierenden Version in (1): kein Buch von Joachim Lottmann ausgeschlossen ist. Zum Zeitpunkt der Äußerung in (2) gilt also, dass der Sprecher über eine Repräsentation des intendierten Referenten verfügt, der Hörer jedoch nicht. 131 Macht die spezifische Lesart den indefiniten Referenzausdruck in (2) also zu einer geeigneten Adresse, d. h. zu einem geeigneten ‚Ablageort‘ für die durch den Satz ausgedrückte Proposition? Bei Jacobs verhält es sich offenbar so, dass er Spezifizitäts- und Identifizierbarkeitskriterien vermengt, wenn er recht allgemein davon spricht, dass „the possible speaker-hearer knowledge at a given moment in the discourse cannot contain a file […] that pertains to a nonspecific entity […]“. (2001, 652). Dass bezüglich des Identifizierungswissens zwischen Sprecher und Hörer unterschieden werden kann, ist für ihn offensichtlich nicht relevant. Legt man Jacobs’ Auskunft strikt aus, so dürfte der indefinite Referenzausdruck in (2) nicht als Adresse in Frage kommen, da zumindest für den Hörer gilt, dass er den Ausdruck keinem ‚bestimmten‘ Referenten zuordnen kann. Für Selting (1993) - die sich allerdings in keiner Weise der kognitivistischen Metaphorik bedient, so wie man sie bei Jacobs, Reinhart oder Vallduvi findet - besteht die Funktion der Linksversetzung darin, ein bisheriges, schon etabliertes „Gesprächsthema“ weiterzuführen und lokal daran anzuknüpfen: Durch die Linksversetzung wird „eine an den unmittelbaren Vorgängerkontext lokal kohärent anknüpfende und weiterführende Konstituente topikalisiert“ (1993, 307): 131 In Bezug auf die Kategorie der Familiarity (bzw. Unfamiliarity) ist allerdings Folgendes zu beachten: Es könnte durchaus sein, dass der Hörer schon über eine Repräsentation des Buches (und seines Inhalts) verfügt - etwa, weil er es auch schon gelesen hat. Aber dass der Hörer das Buch schon kennt, bedeutet noch nicht, dass er damit auch in der Lage ist, es als den vom Sprecher aktuell intendierten Referenten zu identifizieren. Aus diesem Grund sollte zwischen Familiarity und Zugänglichkeit ( accessibilty ) unterschieden werden: Zugänglichkeit benennt den Umstand, dass der Adressat in der Lage ist, einen Gegenstand als den intendierten Referenten des aktuell verwendeten Referenzausdrucks identifizieren zu können. Familiarity benennt hingegen den Umstand, dass ein Gegenstand dem Adressaten, unabhängig von (aktuellen) referierenden Bezugnahmen, bekannt oder vertraut ist. In (2) liegt also bzgl. des Lottmann-Buches nicht notwendig Unfamiliarity, sondern ‚inaccessibility‘ vor: Der Hörer verfügt über kein Identifizierungswissen in Bezug auf den vom Sprecher aktuell intendierten Referenten. Ob aber der intendierte Referent für den Hörer darüber hinaus auch ‚unfamiliar‘ ist, darüber ist an diesem Punkt noch nichts gesagt. Dieser Unterschied wird i. d. R. völlig übersehen. Auch Prince spricht zwar von assumed familiarity, versteht darunter jedoch assumed accessibility. Dass aber ein aktuell intendierter Referent für den Hörer zugänglich ist, kann ein Sprecher aus verschiedenen Gründen annehmen. Und einer der Gründe für seine Annahme könnte sein, dass er in Bezug auf den Referenten von hörerseitiger Familiarity ausgeht. In der Diskussion des aktuellen Abschnitts wird diese Unterscheidung noch keine Rolle spielen, weswegen hier noch nicht strikt zwischen Familiarity und Zugänglichkeit unterschieden wird. In Kap 5.3 werde ich auf diesen Punkt zurückkommen und zwischen Familiarity, Zugänglichkeit und Salienz unterscheiden. <?page no="123"?> 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff 123 Mit der Linksversetzung wird ein zuvor vom Sprecher selbst oder vom Rezipienten etabliertes Gesprächsthema direkt weitergeführt. Es wird ein weiterer Sachverhalt, ein weiteres (Beleg-)Beispiel, ein weiterer Aspekt für das bisherige und weitergeführte Gesprächsthema topikalisiert, bevor hierzu weitere Ausführungen gemacht werden. (ebd.) Auch wenn Selting den Begriff der ‚Topikalisierung‘ primär satztopologisch versteht, macht sie in ihren Ausführungen doch deutlich, dass sie die Strategie der lokalen Anknüpfung durch Linksversetzung im Sinne der Topik/ Kommentar-Unterscheidung verstehen möchte (vgl. Selting 1993, 304). Wie ihre Beispiele zeigen, versteht Selting unter „Gesprächsthema“ allerdings weniger einen aktuell im Zentrum des Interesses stehenden Referenzgegenstand, sondern vielmehr einen bestimmten, aktuell diskutierten, u. U. zuvor propositional repräsentierten Gesprächs gegenstand. 132 Wie durch die linksversetzte Konstituente lokal an ein schon etabliertes Gesprächsthema angeknüpft und dieses über den topikalisierten Referenzausdruck weiter ausgeführt wird, zeigt das folgende authentische Beispiel aus Selting (1993, 319): (3) Nämlich, ne Freundin von mir, die ist auf einem Ohr taub und da wusste sie auch nicht woher das kommt. Etabliertes Gesprächsthema sind hier verstopfte Ohren. Die mit der indefiniten NP eingeführte Freundin der Sprecherin fungiert als (weiter ausgeführtes) Beispiel für jemanden, der auch schon einmal an verstopften Ohren gelitten hat und bildet einen Anknüpfungspunkt dahingehend, dass aufgezeigt wird, welche Folgen sich daraus ergeben können. Sehr schön zeigt dieses Beispiel auch, wie die Freundin, nachdem sie durch die linksversetzte Konstituente eingeführt (! ) wurde, nicht nur im Matrix-Satz, sondern auch noch im durch die Konjunktion angeschlossenen Satz ‚Gegenstand‘ der Prädikation ist. 133 Nach Princes ‚asssumed familiarity‘-Taxonomie handelt es sich hier um einen ‚brand new anchored‘-Fall: Der Referent wird als adressatenseitig ‚unfamiliar‘ eingeschätzt, ist aber durch das in der Konstituente enthaltene Possessor-Attribut (für dessen Referenten die Sprecherin adressatenseitige Familiarity voraus- 132 Auf ähnliche Weise ließe sich so auch ein Verwendungskontext für das (nicht authentische) Beispiel in (2) konstruieren: (2’) Ich bin in den Ferien zu fast gar nichts gekommen, aber ein Buch von Joachim Lottmann, das habe ich gelesen. ‚Etabliertes Gesprächsthema‘ wäre hier etwa, was man in den Ferien geschafft oder nicht geschafft hat, und das in Rede stehende Buch ist dann ein weiterführendes Beispiel dafür, wozu man (doch noch) gekommen ist, nämlich es zu lesen. 133 Siehe etwa Scheutz (1997), der den Beitrag von Linksversesetzungen zur „Referenzkonstitution“ herausstellt. <?page no="124"?> 124 5 Topik-Eigenschaften setzen kann) notwendig spezifisch. Allerdings sind indefinite Linksherausstellungen nicht auf ‚brand new anchored‘-Fälle beschränkt. Bei Selting findet sich noch ein weiteres indefinites Beispiel, das über kein Possessor-Attribut verfügt (Selting 1993, 306): (4) […] n besonders gutes Beispiel, das warn mal unsere Nachbarn […]. Das übergeordnete Thema, an das die linksversetzte Konstituente hier anschließt, ist die von den Gesprächsteilnehmern diskutierte hohe Scheidungsrate von Paaren „in der 40er-Generation“. Bemerkenswert ist dieses Beispiel vor allem darum, weil die ‚Referenzauflösung‘ für die linksversetzte NP erst im prädikativen Teil des Matrixsatzes erfolgt, d. h. der Adressat weiß bis zur Auflösung im Matrixsatz noch nicht, was (oder genauer: wer ) ein gutes Beispiel (für die hohe Scheidungsrate der 40er-Generation) ist. Im Rahmen der ‚assumed familiarity‘-Taxonomie nach Prince scheint hier somit zunächst der ‚brand-new‘-Status nahezuliegen, und damit wäre für die Konstituente bezüglich des Referenten, der ihr nach der Auflösung im Matrixsatz ‚zugewiesen‘ wird, der geringste Grad hörerseitiger Familiarity - oder andersherum: der höchste Grad hörerseitiger Unfamiliarity- anzusetzen, den Princes Taxonomie zu vergeben hat - aber dass der topikalisierten Konstituente eine referierende Funktion zukommt, kann durchaus bezweifelt werden, denn tatsächlich handelt es sich hierbei um ein Element der Prädikation, nämlich um das (im Nominativ stehende) Prädikatsnomen: 134 Über die Nachbarn wird prädiziert, dass sie ein besonders gutes Beispiel (für die hohe Scheidungsrate der 40er-Generation) darstellen. Die Ergänzung in der Klammer deutet an, dass die Konstituente über einen ‚mitzudenkenden‘ Anker verfügt, nämlich das als etabliert vorausgesetzte Gesprächsthema selbst. Dieser ‚mitzudenkende‘ Anker stellt sicher, dass die Konstituente hier überhaupt als topikalisierter „Anknüpfungspunkt“ im Sinne Seltings fungieren kann: 134 Vor allem indefiniten NPs (oder auch nominalen Ausdrücken ohne Artikel) in der Rolle des Prädikatsnomens ( Arno ist ein interessanter Typ. Er ist Finanzbeamter ) kommt in rein prädizierender Funktion keine referierende Funktion zu. Hierin unterscheiden sie sich von Prädikatsnomen in sogenannten Identitätsaussagen, wie etwa in dem klassischen Beispiel Freges: Der Morgenstern ist der Abendstern. Princes ‚assumed familiarity‘-Taxonomie ist jedoch eine Status-Taxonomie für Referenten von Referenzausdrücken, weswegen für Status-Zuweisungen im Rahmen der Familiarity-Taxonomie vorausgesetzt sein muss, dass dem entsprechenden Ausdruck überhaupt eine referierende Funktion zukommt. Darum ist die Anwendung der Prince’schen Familiarity-Kategorien auf Konstituenten ohne Referenzfunktion, so wie im Fall der linksversetzten Konstituente in (4), m. E. unangemessen. <?page no="125"?> 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff 125 (4’) […] n besonders gutes Beispiel [für die hohe Scheidungsrate in der 40er-Generation], das warn mal unsere Nachbarn […]. Aus dem Umstand, dass die topikalisierte Konstituente als „Anknüpfungspunkt“ fungiert, folgt allerdings noch nicht, dass sie auch als Adresse für die eingehende propositionale Information geeignet ist. Dies lässt sich sogar durch den einschlägigen Fragetest bestätigen: (5) *Was gibt es über ein besonders gutes Beispiel zu erzählen? ? Ein besonders gutes Beispiel, das warn mal unsere Nachbarn. Diese Fragetest-Variante orientiert sich an einem von Götze et al. (2007) vorgeschlagenen Test zur Identifizierung von ‚Aboutness-Topik‘-Konstituenten. Der Test funktioniert so, dass man die zu testende Konstituente in die Testfrage einsetzt ( Was gibt es über X zu erzählen? ) und dann überprüft, ob der Satz, der die mutmaßliche Topik-Konstituente enthält, ein ‚natürlicher‘ Folgebzw. Antwortsatz ist (vgl. Götze et al. 2007, 165). Wenn dies der Fall ist, gilt der Topikstatus der getesteten Konstituente als bestätigt. 135 Wie der Test zeigt, ist schon die vorangestellte Testfrage keine (grammatisch) akzeptable Äußerung, womit sich dann auch ein Urteil darüber erübrigt, ob der getestete Satz ein ‚guter‘ Antwortsatz auf die Testfrage wäre. Die Unakzeptabilität beruht auf dem Umstand, der oben schon angesprochen wurde, und der hier durch die Testfrage zutage tritt: Bei der getesteten Konstituente handelt es sich um ein Element, dem gar keine referierende Funktion zukommt - und aus diesem Grund kann schon die Frage nicht einlösen, was die Grundvoraussetzung für Adressierungen ist, nämlich einen ‚Gegenstand‘ bereitzustellen, der als ‚Ablageort‘ für anschließende, neu eingehende Prädikationen fungieren kann. 136 Was also durch den Fragetest zum 135 Götze et al. schlagen noch zwei weitere Identifizierungstests vor (vgl. Götze et al. 2007, 165). Für eine ausführliche Diskussion dieses und der anderen Identifizierungstests siehe Kap. 6.1. 136 Man könnte hier einwenden, dass es doch prinzipiell möglich ist, die Testfrage so zu formulieren, dass (4) eine ‚gute‘ Antwort darauf wäre: (5’): Wer ist ein besonders gutes Beispiel für die hohe Scheidungsrate der 40er-Generation? Ein besonders gutes Beispiel, das warn mal unsere Nachbarn. Aber auch hier lässt sich die linksversetzte Konstituente nicht als Adresse für die im Satz ausdrückte Proposition oder als ‚Gegenstand‘ der darin enthaltenen Prädikation deuten. Vielmehr entspricht die Antwort in (5’) dem im letzten Kapitel diskutierten Argumentfokus-Typ: Die vorangestellte Frage ist mit einer ‚offenen‘ Proposition assoziiert (X ist ein besonders gutes Beispiel für die hohe Scheidungsrate der 40er-Generation), deren ‚Leerstelle‘ durch die Antwort gefüllt wird. Bedingt durch die Frage und aufgrund der damit assoziierten offenen Proposition gehört die linksversetzte Konstituente zwar zum Hintergrund-Bereich, aber dies macht sie noch nicht zur Adresse. Adresse der Prädikation sind hier vielmehr die Nachbarn. (Wie ich weiter unten zeigen <?page no="126"?> 126 5 Topik-Eigenschaften Vorschein kommt, ist, dass die topikalisierte Konstituente keinen ‚Gegenstand‘ der Prädikation repräsentiert, sondern selbst Bestandteil der Prädikation ist. In Bezug auf Linksversetzungen können wir also festhalten: Weder trifft zu, dass linksversetzte Konstituenten prinzipiell Adressierungsfunktion haben - so wie Jacobs vermutet -, noch kann man sagen, dass sie aufgrund ihrer Funktion, an „etablierte Gesprächsthemen lokal anzuknüpfen“, immer auch im Sinne einer Aboutness-Relation deutbar sind, so wie es Selting nahelegt (vgl. Selting 1993, 304). Würde man Selting in diesem Punkt folgen, müsste man Topiks nicht nur die von Jacobs, Vallduvi und Reinhart hervorgehobene Adressen-Funktion absprechen. Auch das Kriterium der Identifizierbarkeit, das Vallduvi (und implizit auch Reinhart) als Mindestvoraussetzung für Adressierbarkeit einfordert, würde damit als allgemeines Charakteristikum für Topikalität wegfallen müssen. 137 Wie (4) zeigt, trifft auch das von Jacobs behauptete Merkmal der Spezifizität für Linksversetzungen zumindest nicht generell zu: 138 Denn da sich nur in Bezug auf referierende Ausdrücke angeben lässt, ob sie eine spezifische Lesart haben oder nicht, kommt diese Charakterisierung für die nicht-referierende Konstituente in (4) strenggenommen nicht in Frage. 139 Auch wenn mit (4) gezeigt werden konnte, dass linksversetzte Konstituenten im Deutschen nicht generell adressenfähig sind, so ist doch zumindest (3) ein Indiz dafür, dass Spezifizität offensichtlich hinreichend für Adressierbarkeit werde, kann Argumentfokus-Konstituenten unter bestimmten Bedingungen durchaus Adressenstatus zugesprochen werden.) 137 Was ebenfalls aufgegeben werden müsste, wenn man (4) dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen würde, ist der in Bezug auf Topiks schon an verschiedenen Stellen angesprochene Charakter der Referentialität, so wie er etwa in Lambrechts Topik-Explikation als Relation zwischen Diskursreferent und Proposition zum Ausdruck kommt. In Bezug auf den die Propositionen repräsentierenden Satz folgt daraus, dass der Ausdruck, durch den der entsprechende Referent im Satz repräsentiert ist, ein Referenzausdruck sein muss. Würde man also auch nicht-referierenden Konstituenten prinzipiell die Fähigkeit zugestehen, Topik-Ausdruck sein zu können, müsste man in der Konsequenz auch Lambrechts Explikation der Aboutness-Relation aufgeben. 138 Inwiefern (und ob) das Spezifizitätskriterium für Selting eine Rolle spielt, diskutiert sie nicht, und ebenso wenig den Umstand, dass sich überhaupt indefinite Fälle in ihrem Beispiel-Korpus finden lassen. Da aber alle anderen Beispiele, die sie diskutiert, definite Fälle sind, lässt sich zumindest vermuten, dass Spezifizität für Linksversetzungen der Standardfall zu sein scheint. 139 Man könnte hier vielleicht einwenden, dass die Sprecherin der Äußerung in (4) doch schon einen bestimmten Referenten als Beispiel ‚im Sinn‘ hat: nämlich die im Matrixsatz erwähnten Nachbarn. In dieser Hinsicht ist (4) dem Fall in (3) sicherlich nicht unähnlich. Aber anders als in (3) zeichnet sich die linksversetzte Konstituente in (4) gerade dadurch aus, dass sie nicht Gegenstand der Prädikation ist. <?page no="127"?> 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff 127 ist. 140 Die Intuition, dass die linksversetzte Konstituente in (3) - trotz ihrer Indefinitheit - Adresse des durch den Satz ausgedrückten propositionalen Gehalts ist, lässt sich durch den folgenden Test durchaus bestätigen: (3’) Ich erzähle dir mal was über ne Freundin von mir. Ne Freundin von mir, die ist auf einem Ohr taub und da wusste sie auch nicht woher das kommt. Auch dieser Test orientiert sich an einen der von Götze et al. (2007) vorgeschlagenen Topik-Identifizierungstests. In dieser Variante wird der vermutete Topik-Ausdruck in einen ‚Ankündigungssatz‘ ( Ich erzähle dir mal was über X. ) eingefügt, und ebenso wie in dem für (4) durchgeführten Test wird dann überprüft, ob der getestete Satz ein ‚guter‘ Anschluss-Satz ist. Trifft dies zu, ist der Topikstatus des eingesetzten Ausdrucks bestätigt. 141 Der vorangestellte Ankündigungssatz bewirkt, dass die linksversetzte Konstituente explizit als ‚Gegenstand‘ der Prädikation ausgewiesen wird, womit ihr dann auch die Funktion zukommt, Adresse der durch den Satz ausgedrückten Proposition zu sein. Hier kommt ein wesentlicher Aspekt des Adressierungskonzepts zum Vorschein: Beispiel (3) zeigt, dass Adressierbarkeit nicht auf das Familiarity-Kriterium angewiesen ist. Das heißt, die Adressenfähigkeit des topikalisierten Referenzausdrucks hängt überhaupt nicht davon ab, dass der Hörer schon über eine Repräsentation des intendierten Referenten verfügt. 142 140 Damit ist nicht gemeint, dass Referenzausdrücke mit spezifischer Lesart notwendig Adressenfunktion haben, sondern lediglich, dass sie prinzipiell adressen fähig sind. 141 Nicht ganz unproblematisch ist hier sicherlich der Umstand, dass die linksversetzte indefinite NP durch die Aktivierung ihres Referenten im Ankündigungssatz zum Wiederaufnahme-Ausdruck wird, wodurch sie im Anschluss-Satz unnatürlich wirkt. Dies ist auf die diskursiv eher unmotiviert und künstlich wirkenden Frage- und Ankündigungskontexte zurückzuführen, die durch die vorangestellten Testformeln ( Was gibt es über X zu erzählen? / / Ich erzähle dir mal was über X .) erzeugt werden. Dass die von Götze et al. vorgeschlagenen Identifizierungstests diskursive Aspekte praktisch vollständig ignorieren, ist ein Problem, das diesen Tests grundsätzlich anhaftet. Mehr hierzu in Kap. 6.1. 142 Man könnte hier einwenden, dass die Hörer-Familiarity doch durch den Ankündigungssatz erzeugt worden ist. Dies trifft zwar zu, ist aber nur durch den konstruierten Ankündigungssatz des Testverfahrens bedingt. In der authentischen Äußerungssituation von (3) (vgl. Selting 1993, 306) ist die Deutung der topikalisierten Konstituente als ‚Gegenstand‘ der Prädikation ebenso zweifelsfrei wie in der Testversion und dennoch gilt dort, dass der Referent nicht aktiviert und hörerseitig unfamiliar ist (auch wenn er durch das im Referenzausdruck enthaltene, hörerseitige Identifizierbarkeit voraussetzende Possessor-Attribut zumindest ‚brand-new anchored‘-Status hat). Wie die von Selting diskutierten Beispiele zeigen, ist die Nicht-Aktiviertheit des Referenten sogar Voraussetzung dafür, dass sich der darauf bezogene Referenzausdruck auf diese Weise topikalisieren lässt. Dies geht schon aus Seltings Funktionsbestimmung hervor: Linksversetzung ist eine „lokale Anknüpfung“ an ein „etabliertes Gesprächsthema“ durch ein „weiteres (Beleg-)Beispiel“, <?page no="128"?> 128 5 Topik-Eigenschaften Für Topik-Explikationen, die auf dem Adressierungskonzept beruhen, bedeutet dies, dass sie auf Givenness-Bedingungen im Sinne der Familiarity-Ansätze von Lambrecht oder Gundel, die auf Strawsons ‚presumption of knowledge‘ rekurrieren, verzichten können. 143 Was aufgrund der Spezifizitätsbedingung bleibt, ist lediglich, dass der Sprecher zwar einen bestimmten Gegenstand ‚im Sinn hat‘, auf den die Prädikation abzielt, dass mit diesem Gegenstand aber keinerlei ‚Common Ground‘-Annahmen verbunden sein müssen. Ein solches von der Hörer-Perspektive abstrahierendes Givenness-Konzept ist wohl der Grund dafür, dass innerhalb ‚weiter‘ ‚Aboutness-Topik‘-Konzepte der Topikstatus indefiniter Referenzausdrücke unter bestimmten Bedingungen für möglich gehalten wird. So sind für Erteschik-Shir (2007, 8 f. und 51 f.) indefinite NPs als Topik-Ausdrücke nicht ausgeschlossen, sofern sie eine spezifische Lesart haben. Eines ihrer Belegbeispiele ist der folgende dänische Satz, in dem eine indefinite NP topikalisiert ist: (6) En pige som jeg mødte i går gav jeg en god bog. (Einem Mädchen, das ich gestern traf, gab ich ein gutes Buch.) Den Topikstatus der topikalisierten indefiniten NP begründet Erteschik-Shir damit, dass „in Danish, topicalization is motivated by the need to overtly mark a topic“ (2007, 8). 144 Die topikalisierte NP in (6) hat zwar eine spezifische Lesart, ihre Indefinitheit zeigt aber klar, dass Hörer-Familiarity für den Topikausdruck-Status der Konstituente für Erteschik-Shir nicht erforderlich ist. Indikator für den Topikausdruck-Status der indefiniten NP in (6) ist nach Erteschik-Shir also zunächst die Topikalisierung selbst, welche wiederum durch die Spezifizität und die dadurch gewährleistete Adressenfähigkeit des topikalisierten Ausdrucks lizensiert ist. Die Spezifizitätsbedingung lässt sich ihrer Meinung nach einen „weiteren Aspekt“ etc. (Selting 1993, 307). Die ‚höchsten‘ Grade adressatenseitiger Familiarity, die für Referenten von linksversetzten Konstituenten (in dieser Funktion) möglich sind, sind somit ‚unused‘ oder ‚inferrable‘. 143 Zumindest Vallduvi möchte nicht auf das Familiarity-Kriterium verzichten: „Since the hearer’s knowledge is not null at the start of an interaction, […] the knowledge store contains addresses denoting hearer-old discourse-new (‘unused’) entities“ (Vallduvi 1992, 55). 144 Inwieweit dies eine zutreffende Charakterisierung des Dänischen ist, kann hier natürlich ebenso wenig beurteilt werden wie die Topikstatus-Zuschreibung selbst. Angaben zur kontextuellen Einbettung dieses Satzes macht Erteshik-Shir nicht. Ohne diese Angaben lässt sich aber in keiner Weise einschätzen, ob ihre Analyse aus diskursiver Perspektive plausibel wäre. Wie aber schon die Diskussion der Linksversetzung in Beispiel (4) gezeigt hat, ist bei generalisierenden Aussagen zur Funktion von Topikalisierungen zumindest in Bezug auf das Deutsche Vorsicht geboten. <?page no="129"?> 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff 129 auch damit belegen, dass Topikalisierungen indefiniter NPs mit nicht -spezifischer Lesart ungrammatisch sind (Erteschik-Shir 2007, 8). Als weiteren Beleg für indefinite Topik-NPs führt Erteschik-Shir Verwendungen an, in denen dem entsprechenden indefiniten Referenzausdruck eine ‚generische‘ Lesart zukommt. Das heißt, mit dem indefiniten (oder im Deutschen auch dem definiten) Referenzausdruck wird nicht auf irgendein Einzelexemplar, sondern auf die gesamte Klasse oder Gattung referiert, sodass die durch den Satz ausgedrückte Prädikation ebenfalls auf die gesamte Klasse oder Gattung bezogen ist (vgl. etwa das Beispiel in Erteschik-Shir 2007, 52: A dog is intelligent, a cat is not. ). Ein analoges Beispiel für das Deutsche ist (7): (7) Ein Ferrari ist teuer, ein Fiat (ist es) nicht. Da es hier (ebenso wie in Erteschik-Shirs Beispiel) außer den Subjekt-Konstituenten im Vorfeld gar keine weiteren Argument-Stellen gibt, stehen auch nur diese als Kandidaten für die Adressen-Rolle zu Verfügung. Aufgrund welcher Eigenschaften man Konstituenten mit generischer Lesart Adressenfähigkeit zusprechen kann, ist allerdings nicht ganz leicht zu fassen. Erteschik-Shir charakterisiert Generizität über das Familiarity-Kriterium: „Generics can be topics because species and names of species may be given“ (2007, 21 f.). Helbig/ Buscha (2001, 334 f.) sprechen im Zusammenhang mit Generizität von „Identifizierung durch Generalisierung“. Damit ist gemeint, dass der mit dem generisch verwendeten Ausdruck assoziierte ‚Referent‘ „stellvertretend für die gesamte Klasse steht“ (ebd.). 145 Was die ‚Referenten‘ generisch interpretierter Referenzausdrücke „identifizierbar“ macht, ist also der Umstand, dass diese Ausdrücke auf Klassen oder Gattungen referieren, für die hörerseitige Vertrautheit vorausgesetzt werden kann. 146 Beispiele wie (7) weisen auf einen weiteren Aspekt des Adressierungskonzepts hin: Die Deutung eines bestimmten Argument-Ausdrucks als Adresse beruht allein auf den semantischen und/ oder syntaktischen Prädikationsverhältnissen innerhalb des jeweiligen Satzes - und nicht etwa auf Bedingungen des diskursiven Kontexts, in den der Satz eingebettet ist: 147 Alleiniges Kriterium für 145 Generizität in diesem Sinne lässt sich im Deutschen definit ( Das Auto ist ein Verkehrsmittel. ) und indefinit im Singular oder Plural ( Ein Auto ist ein Verkehrsmittel. / Autos sind Verkehrsmittel. ) ausdrücken (Beispiele aus Helbig/ Buscha 2001, 335). 146 Auch Stoffbezeichnungen sind darum prinzipiell adressenfähig: Wasser ist flüssig, Sand nicht. Aufgrund der Nichtzählbarkeit fällt hier zwar die Möglichkeit „stellvertretender“ Referenz von vornherein aus, die hörerseitige Vertrautheit (Familiarity) mit der jeweiligen Substanzklasse kann aber vorausgesetzt werden. 147 Besonders symptomatisch für die Ausblendung diskursiver Aspekte ist das in (6) wiedergegebene Beispiel von Erteschik-Shir. Auch bei Jacobs zeigt sich die Tendenz, isolierte <?page no="130"?> 130 5 Topik-Eigenschaften die Deutung der Subjekt-NPs in (7) als Topik-Ausdrücke ist ihre Fähigkeit, die Adressenfunktion zu übernehmen (hier basierend auf ihrer Generizität), sowie der Umstand, dass in Ermangelung weiterer Argument-Konstituenten nur diese als Adressen zur Verfügung stehen. Die Folge dieser Strategie ist jedoch, dass die semantisch/ syntaktische Ebene der Prädikation mit der pragmatischen Ebene der Topik/ Kommentar-Struktur gleichgesetzt wird - womit dann aber auch die Unterscheidbarkeit dieser Ebenen aufgehoben ist. 148 Dies hat wiederum zur Konsequenz, dass sich der Topik/ Kommentar-Gliederungstyp nicht mehr von den zwei anderen von Lambrecht vorgeschlagenen Gliederungstypen abgrenzen lässt, denn die Möglichkeit, eine Konstituente im Rahmen der Lambrecht’schen Gliederungstypen als Argumentfokus zu deuten, schließt überhaupt nicht aus, sie zugleich auch als Gegenstand der Prädikation im semantischen Sinne aufzufassen. So ist es etwa für Erteschik-Shirs Beispielsatz vollkommen unproblematisch, einen Fragekontext zu konstruieren, der Lambrechts Argumentfokus-Typ nahelegt: (8) Welches Tier ist intelligent, welches nicht? Ein Hund ist intelligent, eine Katze (ist es) nicht. Hier füllt der Satz die Leerstelle der mit der Frage assoziierten (und präsupponierten) offenen Proposition ( Irgendeine Tierart ist intelligent, irgendeine ist es nicht. ). Dennoch sind die zwei Subjekt-Argumente zweifelsfrei Gegenstand der Prädikation, zumal hier - wie in (7) - ohnehin kein weiteres Argument zur Verfügung steht, das diese Funktion übernehmen könnte. Selbst das von Reinhart herausgestellte kognitive Strukturierungsprinzip: dass nämlich Adressen - bzw. im Rahmen ihrer Terminologie: „referential entries“ - die Funktion haben, „Ablageort“ für die eingegangene und „überprüfte“ propositionale Information zu sein, wird durch den Argumentfokus-Status der beiden Subjekt-Konstituenten nicht aufgehoben. Denn trotz der vorangegangen Frage steht es dem Hörer nach wie vor frei, ob er der vom Sprecher vorgebrachten Einschätzung der Intelligenz von Hunden bzw. Katzen (auf der Basis seines Wissens über Hunde und Katzen) zustimmt oder nicht. Sätze zu analysieren. Was diese Vorgehensweise motiviert, ist wohl die Überzeugung, dass die informationsstrukturelle Deutung eines Satzes (ebenso wie der Äußerungskontext, in dem er verwendet werden kann) vollständig durch seine semantischen und syntaktischen Eigenschaften determiniert ist. 148 Dass zwischen der semantisch/ syntaktischen Ebene der Prädikation und der Ebene der pragmatischen Gliederungsstruktur zu unterscheiden ist, stellt auch Lambrecht heraus (vgl. Lambrecht 1994, 231 ff.). <?page no="131"?> 5.1 Adressierbarkeit: Weiter vs. enger Topik-Begriff 131 Auch Erteschik-Shir stellt die Bedeutung von Topiks als „pivot for truth value assignments“ (2007, 25) heraus. Aber anders als bei Reinhart scheint die Hörerperspektive für sie hierbei keine Rolle zu spielen. 149 Denn dass für die in (6) ausgedrückte Proposition hörerseitig ein auf die topikalisierte NP bezogenes „truth value assignment“ durchgeführt werden kann, ist ebenso wenig möglich wie in ihrem folgenden Beispiel (Erteschik-Shir 2007, 21), in dem der indefiniten Subjekt-NP ebenfalls Topikstatus zuerkannt wird, ohne dass dort Hörer-Familiarity vorliegen kann: 150 (9) A Student I know is intelligent. Die Deutung des Subjekt-Arguments in (9) als „pivot“ für „truth value assignments“ beruht dann allerdings nur noch recht allgemein auf dessen Rolle als semantischer Gegenstand der Prädikation, und nicht mehr darauf, dass das mit dem Ausdruck assoziierte ‚Konzept‘ darüber hinaus auch als ‚Ablageort‘ für das hörerseitige „assessment“ der durch den Satz ausgedrückten Proposition fungiert. Beispiel (9) zeigt somit noch einmal deutlich: Nach Erteschik-Shir ist Spezifizität (und damit Adressenfähigkeit) die einzige Voraussetzung, die erfüllt sein muss, damit ein Referenzausdruck Topikstatus haben kann. Entsprechend gering sind darum die Anforderungen an die hörerseitige Zugänglichkeit des Referenten: Im Rahmen der ‚assumed familiarity‘-Taxonomie nach Prince hat die Subjekt-Konstituente in Erteschik-Shirs Beispiel ‚brand new anchored‘-Status. Auch für den Satzfokus-Typ gilt, dass dort die Adressierung von Prädikationen im semantischen Sinne nicht aufgehoben ist. Dies ist etwa der Fall in Topikalisierungskonstruktionen wie den oben diskutierten Linksversetzungen. Dass es durchaus nicht abwegig ist, Linksversetzungen dem Satzfokus-Typ zuzuordnen, zeigt auch das oben diskutierte Beispiel (3) ( […] ne Freundin von mir, 149 Reinhart formuliert ihr Strukturierungsprinzip klar adressatenorientiert, vgl. Reinhart (1981, 80): „Assess by what you already know about the topic, store under an entry corresponding to this topic.“ 150 Auskünfte darüber, welche diskursiven Bedingungen den Topikausdruck-Status der Subjekt-Konstituente in diesem Beispiel plausibel machen könnten, gibt Erteschik-Shir auch hier nicht. Sie führt diesen Satz lediglich als ‚Beleg‘ dafür an, dass Spezifizität für Topik-Fähigkeit hinreicht und kontrastiert ihn mit einem Satz mit nicht-spezifischer NP, dem sie Nicht-Wohlgeformtheit attestiert (* A Frenchman is intelligent. ) und den sie als Beleg dafür heranzieht, dass nicht-spezifische NPs als Topik-Ausdrücke ausgeschlossen sind (2007, 22). Eine generische Lesart (so wie es im Deutschen möglich wäre) schießt sie offenbar aus. Dass diese Lesart für „ A Frenchman is intelligent. “ ausgeschlossen ist, in „ A dog is intelligent, a cat is not. “ aber nicht, führt sie darauf zurück, dass die indefiniten NPs dort in einem „kontrastiven“ Kontext verwendet werden, durch den dann offenbar die generische Lesart ausgelöst wird (vgl. ebd.). <?page no="132"?> 132 5 Topik-Eigenschaften die ist auf einem Ohr taub […] ), denn auf die in (3) ausgedrückte Proposition trifft zu, was laut Lambrecht für den Satzfokus-Typ gelten soll, nämlich dass „neither the occurrence of the argument nor that of the predicate in the proposition is in any way predictable or contextually presupposed“ (Lambrecht 2000, 614). 151 Das von Selting herausgestellte Merkmal, dass der Referent der linksversetzten NP - trotz ihrer lokalen Anknüpfungsfunktion - ersterwähnt ist, 152 sowie ihre Beobachtung, dass die topikalisierten Referenten „in der Regel […] noch weiterhin thematisch [bleiben]“ (1993, 307), legt es des Weiteren nahe, Linksversetzungen zu den sogenannten „präsentativen“ Konstruktionen zu zählen. Für Lambrecht besteht die Funktion „präsentativer“ Sätze darin, „to introduce a referent into a discourse, often […] with the purpose of making it available for predication in subsequent discourse“ (1994, 177). Diese Funktionsbestimmung lässt sich durchaus auch auf die Beispiele in (3) und (4) übertragen, ohne dadurch mit Seltings Charakterisierung der Funktion von Linksversetzungen in Konflikt zu geraten. Dennoch gilt auch hier, dass die neu eingeführten Referenten als Adressen für „truth value assignments“ fungieren, und zwar dadurch, dass sie diese Adresse für die „Prädikation im nachfolgenden Diskurs“ eröffnen. 153 151 Dies gilt im Übrigen auch für (4). Auch (4) lässt sich dem Satzfokus-Typ zuordnen, allerdings mit dem Unterschied, dass dort nicht die topikalisierte Konstituente, sondern der im grammatischen Prädikat des Matrixsatzes enthaltene Referenzausdruck Adresse der semantischen Prädikation ist: […] ‘n besonders gutes Beispiel, das warn mal unsere Nachbarn. Das Beispiel zeigt des Weiteren, dass auch zwischen der semantischen und der syntaktischen Ebene unterschieden werden kann. Semantisch ist die Konstituente unsere Nachbarn Gegenstand der Prädikation; das heißt, in Bezug auf die Nachbarn lässt sich die Frage stellen (oder diskutieren), ob es zutrifft, dass sie ein gutes Beispiel (für die hohe Scheidungsrate der 40er-Generation) sind. Aber syntaktisch bildet die Konstituente das Prädikativum innerhalb des grammatischen Prädikats im Matrixsatz. 152 Vgl. Selting (1993, 307): „Es wird ein weiterer Sachverhalt, ein weiteres (Beleg-)Beispiel, ein weiterer Aspekt für das bisherige und weitergeführte Gesprächsthema topikalisiert, bevor hierzu weitere Ausführungen gemacht werden.“ 153 Einen Unterschied zu den „presentational constructions“ im Sinne Lambrechts gibt es allerdings: Lambrecht stellt den diskursinitialen Charakter präsentativer Konstruktionen heraus, so wie es etwa der Fall in Einleitungsformeln von Märchentexten ist, vgl. das folgende Beispiel, das Lambrecht (1994, 177) hierfür anführt: Once there was a wizard. He was very wise, rich and was married to a beautiful witch. Was den Einleitungssatz des Weiteren auszeichnet, ist, dass sich der präsentative Charakter dort auch syntaktisch niederschlägt: Da there hier eher expletiven Charakter hat und darum kein Referenzausdruck ist (vgl. etwa das ebenfalls nicht referierende expletive es in der deutschen ‚ es war einmal ‘-Konstruktion), lässt sich das Prädikat nicht als Prädikation über die there -Konstituente deuten. Anders als (3) oder (4) verfügt der Satz somit nicht über einen Gegenstand der Prädikation im semantischen Sinne. Selting stellt in Bezug auf Linksversetzungen fest, dass sie „häufig mitten im Turn“ verwendet werden (1993, 307). Für Lambrecht besteht die Funktion von Linksversetzungen (left detachments) darin „to promote the representation of a referent from non-active to <?page no="133"?> 5.2 Adressierung und Assertion: Semantische vs. pragmatische Ebene der Prädikation 133 5.2 Adressierung und Assertion: Semantische vs. pragmatische Ebene der Prädikation Zusammenfassend lässt sich bis hierhin festhalten: Was ‚weite‘ Topik-Konzepte (wie etwa die von Erteschik-Shir und Reinhart) im Kern von ‚engen‘ Topik-Konzepten (Lambrecht, Gundel) unterscheidet, ist, dass die Funktion von Topikalität dort zuallererst darin gesehen wird, Prädikationen über (Diskurs-)Gegenstände Wahrheitswerte zuzuweisen ( truth value assignments ). Diese Funktionsbestimmung kommt wohl am deutlichsten in Reinharts These zum Ausdruck, dass die Funktion von Topiks darin besteht, ‚Ablageort‘ und Adresse für das ‚Assessment‘ neu eingehender propositionaler Information zu sein. ‚Enge‘ Topik-Konzepte stellen demgegenüber primär die diskursive Funktion von Topikalität heraus. Prototypisch für dieses Topik-Verständnis ist Lambrechts Bestimmung der Topik-Relation als „expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of [a] referent“ (Lambrecht 1994, 131). Aus diesen unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen ergeben sich unterschiedliche Ansprüche an die hörerseitige Zugänglichkeit (bzw. Familiarity) von Topik-Referenten. Während diskursorientierte Topik-Bestimmungen einen hohen Familiarity-Grad voraussetzen, da der Status von Diskursreferenten als ‚center of current interest‘ Vorerwähnung und damit Aktiviertheit voraussetzen, können ‚assignment‘-orientierte Bestimmungen in dieser Hinsicht moderater sein, weil dort Adressen-‚Eröffnung‘ und „truth value assignment“ zusammenfallen können (Reinhart, Vallduvi) oder weil die Adressierbarkeit durch das Spezifizitätskriterium als sichergestellt gilt (Erteschik-Shir, Jacobs). Aber trotz ihrer unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen können sich beide Ansätze auf Strawson berufen: Das Adressierungskonzept findet sich in Strawsons Position wieder, dass Wahrheitswertbeurteilungen von (Äußerungen von) Sätzen Topik-orientiert sind: „[A] statement is assessed as putative information about its topic“ (1971a, 97). Und Lambrechts oder Gundels Hörer-Familiarity voraussetzendes Topik-Konzept kann auf Strawsons Hinweis auf die diskursive Verankerung von Äußerungs-Assessments verweisen: „[Speakers] do not […] direct isolated and unconnected pieces of information at each other, but […] active state in the addressee’s mind and thus to allow a speaker to code the referent as a preferred topic expression“ (1994, 181). Somit deutet auch Lambrecht Linksversetzungen als Topik-indizierende Konstruktionen. Voraussetzung für die „topic promotion“ sei aber, dass der Referent der linksversetzten Konstituente zumindest „cognitively accessible“ ist (1994, 183). Wie aber schon (3) zeigt, gilt diese ‚accessiblity‘-Bedingung nicht für das Deutsche und wie (4) zeigt, lassen sich linksversetzte Konstituenten im Deutschen nicht durchgehend im Sinne einer „topic promotion“ deuten. <?page no="134"?> 134 5 Topik-Eigenschaften intend […] to give or add information about what is a matter of standing or current interest or concern“ (ebd.). Mit den Beispielen (8) und (3) konnten allerdings einige Konsequenzen aufgezeigt werden, die sich daraus ergeben, wenn Topikalität (allein) über das Adressierungskonzept expliziert wird: Ein Charakteristikum des Adressierungskonzepts ist zunächst, dass für die Adressenfähigkeit eines Referenzausdrucks das Spezifizitätskriterium hinreichend ist. Da Spezifizität aber ohne das Merkmal der Hörer-Familiarity auskommt - siehe auch Beispiel (2) - wird die Bedingung der hörerseitigen Identifizierbarkeit (Lambrechts Identifizierbarkeitspräsupposition) im Rahmen des Adressierungskonzepts verzichtbar. Dies ist nicht nur der Grund dafür, dass Adressierungskonzepte in der Regel einen ‚weiten‘ Topik-Begriff implizieren, sondern hat auch zur Folge, dass diskursive oder Hörer-orientierte Aspekte weitgehend aus dem Blick geraten. 154 Das in (6) wiedergegebene Beispiel aus Erteschik-Shir (2007) ist symptomatisch für diese Tendenz. Als weiteres Merkmal des Adressierungskonzepts ist herausgestellt worden, dass dort die Tendenz besteht, die semantische Prädikationsstruktur eines Satzes im Sinne der Topik/ Kommentar-Unterscheidung zu deuten. 155 Der gravierende Nachteil dieser Vorgehensweise ist jedoch, dass auf diese Weise auch die Verortung der Aboutness-Relation auf der pragmatischen Ebene aufgegeben wird. Dies hat, wie gezeigt wurde, die nicht unwesentliche Konsequenz, dass damit nicht nur die Unterscheidbarkeit von Satzfokus- und Topik/ Kommentar-Kontexten verschwimmt - vgl. Beispiel (3) -, sondern auch, dass Referenten von Fokus-Konstituenten unter bestimmten Bedingungen Topikstatus zugeschrieben werden kann - vgl. die Argumentfokus-Konstituenten in (8), denen auch die Adressenfunktion zukommt. Man könnte in Bezug auf diesen Punkt einwenden, dass dies nicht weiter gravierend sei und etwa dafür argumentieren, dass die Topik/ Kommentar-Struktur ohnehin unabhängig von der Fokus/ Hintergrund-Ebene operiere, sodass Fälle wie (3) ( ‘ne Freundin von mir, die ist auf einem Ohr taub. ) oder (9) ( A student 154 Die trifft sicherlich auf Erteschik-Shir und Jacobs zu, wobei Jacobs offenbar der Auffassung ist, den Hörer-Aspekt über das Spezifizitätskriterium erfasst zu haben (vgl. etwa Jacobs 2001, 652). Bei Reinhart ist der Hörer-Aspekt zumindest implizit in ihrem ‚assess and store‘-Prinzip enthalten. Lediglich Vallduvi koppelt Adressierung explizit an Hörer-Familiarity. 155 Diese Tendenz ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Adressierungskonzepte zunächst jedem Satz, der über eine syntaktisch und/ oder semantisch prädikationsfähige Argument-Konstituente verfügt, eine Topik/ Kommentar-Struktur zuschreiben möchten. Die Strategie Lambrechts, auf der Basis unterschiedlicher Fokus/ Hintergrundbzw. Präsuppositions/ Assertions-Strukturen verschiedene pragmatische Gliederungstypen zu unterscheiden, von denen die Topik/ Kommentar-Struktur nur ein Typ unter anderen ist, wird dort nicht verfolgt. <?page no="135"?> 5.2 Adressierung und Assertion: Semantische vs. pragmatische Ebene der Prädikation 135 I know is intelligent. ) zwar über keine Hintergrund-Elemente verfügen, aber dies nicht zur Folge hätte, den satzinitialen Konstituenten in (3) und (9) den Topikausdruck-Status absprechen zu müssen. 156 Im Rahmen einer solchen Ebenen-Unterscheidung wäre es also unproblematisch, einer Konstituente auch dann noch Topikausdruck-Status zuzusprechen, wenn der Referent der Argument-Konstituente kein hörerseitig erwarteter oder vorhersehbarer Gegenstand der Prädikation im Sinne Lambrechts ist. Topiks käme im Rahmen eines solchen Ebenen-Modells somit lediglich die Rolle zu, als Adresse für „truth value assignments“ zu fungieren (semantische Ebene), welche prinzipiell unabhängig von der ‚presupposition/ assertion‘-Unterscheidung operiert (pragmatische Ebene). Auf der Basis einer solchen Funktionsbestimmung wäre es dann prinzipiell möglich, dass Topiks zum assertiven Teil eines (geäußerten) Satzes gehören können, d. h. es wäre möglich, dass Topik und Fokus zusammenfallen. 157 Die Verortung der Topik-Relation auf der semantischen Ebene der Prädikation führt allerdings zu einem Problem bezüglich des Verhältnisses von Topikalität und Assertion. Ein wesentliches Charakteristikum pragmatischer Topik-Explikationen ist es nämlich, dass Topiks dort nicht zum assertierten Teil des geäußerten Satzes gehören können. Dass der Zusammenfall von Topik und Assertion ausgeschossen ist, beruht auf der kommunikativen Rolle, die der Aboutness-Relation laut Lambrecht und Gundel zukommt: Die Funktion von Äußerungen, in denen ein Referenzgegenstand in Topikbzw. Aboutness-Relation zu der durch die Äußerung ausgedrückten Proposition steht, besteht nämlich darin, in Bezug auf den in Rede stehenden Gegenstand relevante Informationen zu übermitteln, die das adressatenseitige Wissen über ihn erhöhen (Lambrecht 1994, 131; Gundel 1988a, 210). Aus dieser Funktionsbestimmung folgt dann bezüglich der Prädikation, dass sie nicht kontextuell präsupponiert sein kann; und bezüglich des Gegenstands der Prädikation geht damit einher, dass der Referent des Adressen-Ausdrucks hörerseitig zugänglich ist (Gundels ‚Topic-Familiarity Condition‘) sowie, dass die Rolle des Referenten als „potential locus of predication“ hörerseitig präsupponiert ist (Lambrechts Topicality Presupposition). Bezüglich des Verhältnisses der zwei Ebenen ergibt sich so im Idealfall ein ‚Gleichlauf‘: Die semantisch/ syntaktische Ebene der Prädikationsstruktur spiegelt sich auf der pragmatischen Ebene der Präsupposition und Assertion wider. Es ist dieser Ebenen-Gleichlauf, 156 Dies ist eine Position, die etwa Molnár (1993) im Rahmen ihres Mehr-Ebenen-Modells vertritt. Siehe Kap. 2.5, in dem Molnárs Unterscheidung von Topik/ Kommentar und Fokus/ Hintergrund (sowie Thema/ Rhema als dritte Ebene) vorgestellt wurde. 157 Die Auffassung, das Topik und Fokus zusammenfallen können, vertritt etwa Molnár (1993). Auch Hallidays Zwei-Ebenen-Unterscheidung ‚theme/ rheme‘ vs. ‚given/ new‘ (vgl. Kap. 2.4) lässt die Fokussierung „thematischer“ Elemente prinzipiell zu. <?page no="136"?> 136 5 Topik-Eigenschaften der bewirkt, dass sich eine Äußerung eindeutig dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen lässt. Dies ist etwa der Fall in der Antwort von B in (10): (10) A: Was ist Arno passiert? B: Arno ist ausgerutscht. Hier ist, bedingt durch die vorangegangene Frage, der Referent des Subjekt-Arguments sowohl Topik als auch Gegenstand der Prädikation im semantischen und syntaktischen Sinne; entsprechend fungiert das (grammatische) Prädikat als (semantische) Prädikation über das Subjekt-Argument - und bildet zugleich, ebenfalls bedingt durch die vorangestellte Frage, den assertiven Teil der Antwort-Äußerung, d. h. das Prädikat ist diejenige Konstituente, die die Äußerung im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion informativ macht. 158 Ein solcher Gleichlauf zwischen Topik und Gegenstand der Prädikation einerseits sowie Prädikation und Assertion andererseits besteht nicht im Argumentfokus-Fall: (10’) A: Wer ist ausgerutscht? B: Arno ist ausgerutscht. In dieser Variante ist das Subjekt-Argument dasjenige Element, das die Äußerung, bedingt durch die vorangegangene Frage, informativ macht. Präsupponiert ist die mit der Antwort assoziierte offene Proposition, dass jemand ausgerutscht ist, deren ‚Leerstelle‘ durch das Subjekt-Argument ‚gefüllt‘ wird. Anders als in (10) sind die Ebene der Prädikationsstruktur und die Ebene der Präsupposition und Assertion in (10’) somit nicht gleichläufig: Präsupponiert ist die Prädikation - bzw. genauer: die offene Proposition, die ausdrucksseitig durch den prädikativen Teil der Äußerung repräsentiert ist: Irgendjemand ist ausgerutscht. Assertiert wird, dass Arno dies ist, d. h. der Subjektausdruck (bzw. 158 Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der Gleichlauf der semantischen und pragmatischen Ebene der Prädikation auch syntaktisch zeigen muss: A: Was ist dir passiert? B: Mir ist das Auto verreckt. Hier ist, bedingt durch die vorausgesetzte Frage, der Referent des Dativ-Arguments zwar Topik und auch Gegenstand der Prädikation im semantischen Sinne. Syntaktisch ist jedoch das Subjekt-Argument Gegenstand der Prädikation. Diese Analyse entspräche der traditionellen Unterscheidung zwischen psychologischem und grammatischem Subjekt bzw. Prädikat. Der Begriff des psychologischen Subjekts, der häufig mit dem Topik-Begriff gleichgesetzt wird, operiert allerdings noch auf der semantischen Ebene der Prädikation. Im Beispiel fällt das ‚psychologische Subjekt‘ aufgrund der vorausgesetzten Frage zwar mit dem Topik zusammen, jedoch nicht, wenn ihm aufgrund der vorausgesetzten Frage Argumentfokus-Status zugeschrieben werden kann: A: Wem ist das Auto verreckt? B: Mir ist das Auto verreckt. <?page no="137"?> 5.2 Adressierung und Assertion: Semantische vs. pragmatische Ebene der Prädikation 137 sein denotativer Gehalt) ist es, der die Äußerung im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion informativ macht. Darum kann der intendierte Referent des Subjekt-Ausdrucks - trotz seiner Rolle als Adresse des auf diesen Satz bezogenen „truth value assignments“ - nicht Topik, d. h. Gegenstand der Assertion sein: Da die mit dem Satz assoziierte offene Proposition schon zum Wissensbestand des Hörers gehört, kann die Prädikat-Konstituente nicht die Rolle spielen, die ihr im Rahmen der pragmatischen Aboutness-Relation zukäme, nämlich das Wissen des Hörers über den Referenten des Ausdrucks, an den die Prädikation ‚adressiert‘ ist, zu erweitern. Die Folge ist, dass damit auch die Rolle Arnos als Topik des geäußerten Satzes aufgehoben ist. Da die semantische Prädikation nicht assertiert wird, lässt sich dann nicht mehr sagen, dass über Arno assertiert wird, dass er ausgerutscht ist. Aus diesem Grund können Topik und Fokus im Rahmen eines pragmatischen Topik-Verständnisses nicht zusammenfallen. Würde man dies zulassen, müsste auch die Herleitung der Aboutness-Relation aus der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion (sowie ihr Verständnis als Spezialfall dieser Unterscheidung) aufgegeben werden. Das Adressierungskonzept wirft noch eine weitere Frage auf, die in den oben diskutierten Ansätzen m. E. nur unzureichend behandelt wird. So wird dort zwar auf die Funktion von Adressierungen eingegangen (Reinhart: ‚assessment‘ und ‚storage‘ neu eingehender propositionaler Information) und es werden die Voraussetzungen für die Adressenfähigkeit von Referenzausdrücken benannt ( Jacobs’ und Erteschik-Shirs Spezifizitätskriterum; Vallduvis Kriterium der Hörer-Familiarity); unbefriedigend bleiben aber die Auskünfte darüber, aufgrund welcher Kriterien die Adressierung selbst - d. h. die Zuweisung der eingehenden Information an die entsprechende Adresse - erfolgen soll. Somit beinhaltet das Adressierungskonzept genaugenommen dreierlei: erstens, dass ein Referenzausdruck - bzw. das mit dem Ausdruck assoziierte Konzept (Reinharts „referential entry“) - die Adressen-Rolle innehat; zweitens, dass das mit dem Referenzausdruck assoziierte Konzept die Eigenschaften aufweist, die es (bzw. nach Jacobs: den Ausdruck) adressen fähig machen; und drittens schließlich die Adressierung selbst: die Zuweisung der eingehenden Information an die entsprechende Adresse. In der Regel sind die von den Autoren diskutierten Beispiele jedoch so konstruiert, dass sich die Frage, welcher Referenzausdruck aktuell die Adressen-Rolle innehat, schon über das Kriterium der Adressen fähigkeit klärt: Adresse (und damit Topik) der durch den Satz ausgedrückten Proposition ist derjenige Ausdruck, der die angegebenen Voraussetzungen erfüllt. Aber welche Kriterien bzgl. der Adressierung, d. h. der Adressen zuweisung greifen, wenn der Satz über <?page no="138"?> 138 5 Topik-Eigenschaften mehr als nur eine potentielle Adresse verfügt? Dies ist etwa der Fall in dem folgenden Beispiel: 159 (11) A: Hat Arno die Wohnung gekauft? B: Nein. Er hat sie gemietet. Wie schon die Referenzausdruckstypen (Eigenname und definite NP) in der Entscheidungsfrage indizieren, geht der Sprecher hier davon aus, dass der Hörer die jeweiligen intendierten Referenten identifizieren kann. Sie gelten zum Zeitpunkt der Antwort-Äußerung somit nicht nur als ‚familiar‘, sondern sind durch ihre Nennung in der Frage-Äußerung auch aktiviert bzw. vorerwähnt (u. U. sind sie dies auch schon zum Zeitpunkt der Frage-Äußerung). Sie erfüllen daher beide in vollem Umfang (und im Rahmen des Adressierungskonzepts sogar mehr als notwendig) die Voraussetzungen dafür, Adresse der durch den Satz ausgedrückten Proposition sein zu können - sodass damit auch für beide Referenten eine „file-card“ (bzw. „referential entry“) als potentielle Adresse für die durch den Satz ausgedrückte Proposition bereitsteht. 160 Aber welcher „file- 159 Die Unterstreichungen zeigen an, welche Ausdrücke intonatorisch hervorgehoben sind. Ohnehin passt der Antwortsatz hier nur unter der Voraussetzung, dass die Partizipien betont sind. (Vgl. etwa die folgenden Frage-Varianten und die entsprechenden, hinsichtlich ihrer Fokus-Struktur dazu passenden Antworten: A: Hat Arno die Wohnung gekauft? B: Nein. Franz hat sie gekauft. / / A: Hat Arno die Wohnung gekauft? B: Nein. Er hat das Haus gekauft. ) 160 An diesem Punkt kommt noch ein weiteres Problem zum Vorschein, das im Rahmen des Adressierungskonzepts vollkommen ignoriert wird: Wenn man davon ausgeht, dass für beide Referenten eine „file-card“ bereitsteht, müsste die eingehende Information dann nicht auch auf beide „file-cards“ eingetragen werden? Dies ist jedenfalls Heims (1983) Auffassung, die das ‚file‘-Konzept im Rahmen ihrer „familiarity theory of definiteness“ maßgeblich geprägt hat: Für sie gilt, dass die durch den Satz ausgedrückte Proposition auf jeder mit dem Satz assoziierten „file-card“ einzutragen ist (vgl. Heim 1983, 167 ff.). Angewendet auf den Antwortsatz in (11) heißt dies also: Die auf Arno bezogene „file-card“ erhält den Eintrag, dass er die Wohnung gemietet hat, und die auf die Wohnung bezogene „file-card“ erhält den Eintrag, dass Arno sie gemietet hat. Heim zielt mit der ‚file‘-Metapher nicht auf das Adressierungskonzept ab, sondern möchte damit den Unterschied zwischen definiter und indefiniter Referenz erfassen. Indefinite Referenzausdrücke indizieren hörerseitige ‚Non-Familiarity‘, definite Referenzausdrücke indizieren ihrer Meinung nach immer Familiarity (siehe jedoch Poesio/ Vieira 1998, 187 f. für Gegenbeispiele). Die Höreranweisung lautet darum entsprechend: „For every indefinite, start a new card. For every definite, update an old card“ (1983, 168). Aus diesem Grund berührt Heims Konzept des „file keeping“ und „file updating“ überhaupt nicht die Frage, welche „file“ Adresse für die durch den Satz ausgedrückte Proposition im Sinne von Topikalität ist. „Files“ (im Sinne von Heim) sind darum nicht unmittelbar gleichzusetzten mit Adressen (bzw. Topiks). „Files“ sind zwar prinzipiell adressenfähig, aber ob eine „file“ Adresse ist, hängt davon ab, ob dem mit ihr assoziierten Referenzausdruck (bzw. Referenten) auch die <?page no="139"?> 5.2 Adressierung und Assertion: Semantische vs. pragmatische Ebene der Prädikation 139 card“ soll die durch den Satz ausgedrückte Proposition zugewiesen werden? Ist das ‚Ziel‘ der Adressierung der Eintrag für Arno oder der Eintrag für die Wohnung? Welche Kriterien können hier für den Topikstatus Arnos (oder der Wohnung) herangezogen werden? Sicher ist in Bezug auf (11) zunächst nur, dass für den Antwortsatz allein die Zuordnung zum Topik/ Kommentar-Typ in Frage kommen kann, denn die Strategie, der Topikstatus-Zuweisung etwa dadurch aus dem Weg zu gehen, indem man den Satz einem anderen der Lambrecht’schen Gliederungstypen zuzuordnen versucht, geht hier nicht auf: Die Zuordnung zum Argumentfokus-Typ ist nicht möglich, weil hier weder der Subjektnoch der Objekt-Konstituente die Funktion zugeschrieben werden kann, die ‚Leerstelle‘ einer mit der Frage assoziierten ‚offenen‘ Proposition zu füllen. Der Grund ist, dass die vorangehende Entscheidungsfrage keine Assoziierung mit einer offenen Proposition zulässt: Die Frage zielt nicht darauf ab, eine durch eine W -Argumentstelle repräsentierbare Wissenslücke zu füllen (zum Beispiel: Wer hat die Wohnung gekauft? / Was hat Arno gekauft? ), sondern dient der Bestätigung (oder ggf. Korrektur) des sprecherseitig vermuteten und in der Frage propositional vollständig repräsentierten Sachverhalts. Darum ist es ebenso wenig möglich, den Antwortsatz dem Satzfokus-Typ zuzuordnen, da die vorangegangene Entscheidungsfrage bewirkt, dass die im Satz enthaltenen Elemente, die ihn für den Adressaten informativ machen, von vornherein nicht über das grammatische Prädikat hinausgehen können. Kriterien, die auf den isolierten Satz bezogen sind, fallen hier ebenfalls aus: Weder gibt es Ausdruckstyp-bezogene Hinweise, da die pronominalen Referenzausdrücke keinen Unterschied bzgl. der adressatenseitigen Familiarity ihrer Referenten indizieren; noch weist der Satz vermeintliche syntaktische Topik-indizierende Merkmale auf. Auch die Strategie, im Fall identischer Familiarity Subjekt-Konstituenten quasi per default Topikausdruck-Status zuzuschreiben (vgl. Erteschik-Shir 1997, 48) ist keine zufriedenstellende Lösung. Denn unabhängig von der Subjekt-Realisierung Arnos und der Objekt-Realisierung der Wohnung ist es möglich, dass sowohl Arno als auch die Wohnung als Topik und ‚center of current interest‘ ausgewiesen sind: Rolle zugesprochen werden kann (bzw. soll), Gegenstand der Prädikation zu sein. Zwar hält auch Heim fest: „A file can be evaluated as to whether it corresponds to the actual facts or misrepresents them“ (1983, 170). Aber die Möglichkeit der Evaluierung ist zunächst unabhängig von der Frage der Adressierung: Potenziell ist zunächst jeder Eintrag, der in den mit dem Satz assoziierten „files“ aktuell vorgenommen wird, evaluierbar im Hinblick auf den durch den Satz propositional repräsentierten Sachverhalt. Und darüber hinaus hat auch die Frage, welche „file“ für die Evaluierung gewählt wird, keinerlei Belang für das Ergebnis der Evaluierung: nämlich ob der propositionale Gehalt den Tatsachen entspricht oder nicht. <?page no="140"?> 140 5 Topik-Eigenschaften (11a) A: Was ist mit der Wohnung? Hat Arno sie gekauft? B: Nein. Er hat sie gemietet. (11b) A: Was ist mit Arno? Hat er die Wohnung gekauft? B: Nein. Er hat sie gemietet. Ebenso wenig zufriedenstellend ist darum Vallduvis Position, dass Konstituenten in Adressenfunktion prinzipiell satzinitial sind (Vallduvi 1992, 47 f.). 161 Denn obwohl die vorangestellten ‚Einleitungsfragen‘ den Interessenschwerpunkt das eine Mal auf die Wohnung und das andere Mal auf Arno lenken, ändert dies nichts daran, dass die auf Arno referierende Konstituente im Antwortsatz (und ebenso in der Entscheidungsfrage) nicht verschiebbar ist - was zeigt, dass Topikalität hier keinen Einfluss darauf hat, welcher Referent in Erstposition realisiert wird. 162 Beispiele wie (11) weisen darauf hin, dass diskursive Faktoren für die Plausibilität von Topikstatus-Zuschreibungen (zumindest im Deutschen) eine entscheidende Rolle spielen können. Das Familiarity-Kriterium, Ausdruckstyp-bezogene oder gar vermeintliche syntaktische Indikatoren helfen hierbei offenbar nicht weiter. 163 Ich möchte im Folgenden dafür plädieren, den Topikstatus der Wohnung in (11a) bzw. Arnos in (11b) über den Begriff der diskursiven Salienz zu fassen. Wie ich weiter unten (Kap. 5.4) noch genauer zeigen werde, beinhaltet die Charakterisierung Arnos bzw. der Wohnung als diskursiv salient zweierlei: nicht nur, dass die Referenten aufgrund ihrer voraussetzbaren adressatenseitigen Identi- 161 Satzinitialen Konstituenten spricht Vallduvi eine sogenannte ‚link‘-Funktion zu: „A link is an address pointer in the sense that it directs the hearer to a given address (or file card in Reinhart’s (1982) or Heim’s (1983) terms) in the hearer’s knowledge-store, under which the information carried by the sentence is entered. […] By starting a sentence with a link speakers indicate to hearers that the focus must be entered under the address denoted by that link, i.e. that hearers must go to that address (or pull out that file card), and enter the information under its label.“ Die Satzinitialität von ‚links‘ begründet Vallduvi so: „Links […] must be sentence-initial […] since an address must be pointed to before the information to be entered under it is spelled out“ (1992, 48). Sicherlich nicht nur in Bezug auf das Deutsche ist dieser strikt topologisch orientierte Topik-Begriff fragwürdig. Vgl. etwa den Antwortsatz im folgenden Beispiel, in dem die Subjekt-Konstituente in keiner Weise die Voraussetzungen erfüllt, um als ‚link‘ und „address pointer“ im Sinne Vallduvis fungieren zu können: A: Wer hat die Wohnung gekauft? B: Jemand aus München hat sie gekauft. Ähnliche Beispiele finden sich in Vallduvi/ Engdahl (1996, 473), weswegen die Autoren dort von der These der Satzinitialität abrücken. Die Frage nach den Kriterien für die Topik-Zuweisung in (11) ist damit allerdings auch wieder offen. 162 So führt der Versuch, den Topikstatus der Wohnung in (11a) durch Voranstellung zu indizieren, zu einem (pragmatisch) nicht wohlgeformten Antwortsatz: A: Was ist mit der Wohnung? Hat Arno sie gekauft? B: * Nein, sie hat er gemietet. 163 Das Familiarity-Kriterium sowie Ausdruckstyp-bezogene Merkmale wie etwa Definitheit oder Pronominalität sind natürlich insofern relevante Faktoren, als sie etwas über die aktuelle Topik fähigkeit eines Referenten verraten können. <?page no="141"?> 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity 141 fizierbarkeit und Aktiviertheit aktuell als topik fähig gelten können, sondern auch, dass ihnen der Status als aktuelles ‚center of interest‘ und (hörerseitig erwartetes) Argument der Prädikation aufgrund diskursiver Faktoren zugesprochen werden kann. Ein diskursiver Faktor in (11a) und (11b) ist zunächst, dass durch die jeweils vorgeschalteten ‚Einleitungsfragen‘ genau ein Referent explizit als ‚center of interest‘ ausgewiesen wird. Und ein weiterer diskursiver Faktor in (11a) und (11b) ist, dass durch die unmittelbar vorangehenden Entscheidungsfragen eine Argumentfokus-Lesart blockiert ist. 164 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity Wie schon in Zusammenhang mit der Diskussion der sogenannten Topik-Präsupposition (Kap. 4.3) angesprochen wurde, bringen auch Lambrecht/ Michaelis den Topikstatus eines Diskursreferenten mit dem Faktor der diskursiven Salienz in Verbindung (Lambrecht/ Michaelis 1998, 495). Bei salienten Diskursreferenten, so die Autoren, besteht die hörerseitige Erwartung, dass sie die Rolle des Gegenstands der Prädikation innehaben: „A topical referent is one which, due to its salience in the discourse, represents a predictable or expectable argument of a predication for the hearer“ (Lambrecht/ Michaelis 1998, ebd.). Bei oberflächlicher Lektüre könnte man vielleicht den Eindruck haben, dass Salienz mit adressatenseitiger Aktiviertheit im Großen und Ganzen identisch ist - denn um hörerseitig erwartetes Argument der Prädikation sein zu können, muss der entsprechende Referent aktuell im Bewusstsein des Hörers aktiviert sein. Die erwähnten Merkmale „expectability“ und „predictability“ deuten aber darauf hin, dass die Autoren Salienz nicht auf Aktiviertheit reduzieren wollen. Denn wenn gelten soll, dass Salienz, so wie es oben nahegelegt wird, ausschlaggebend für den Topikstatus eines Referenten ist, dann sollte Salienz mehr beinhalten als Aktiviertheit - zumal ebenfalls gelten soll, dass aktivierte Diskursreferenten nicht notwendig Topikstatus haben (Lambrecht/ Michaelis 1998, 495). Das Merkmal, „erwartetes Argument der Prädikation“ zu sein, ist für die Charakterisierung eines Diskursreferenten als salient somit insofern 164 Natürlich können diskursive Faktoren auch bewirken, dass die Deutung eines aktivierten Referenten als Topik und ‚center of interest‘ blockiert ist, siehe etwa das im vorangegangenen Kapitel diskutierte Beispiel (12): A: Hast du das Bier oder den Wein bestellt? B: Ich habe das Bier bestellt. Dort hat die Nominalphrase das Bier die Funktion, die ‚Leerstelle‘ der durch den Fragekontext aufgeworfenen und präsupponierten ‚offenen‘ Proposition „ B hat X bestellt “ zu füllen, weswegen der Referent der NP nicht die Rolle eines aktuellen ‚center of interest‘ innehaben kann. <?page no="142"?> 142 5 Topik-Eigenschaften relevant, als sich Salienz ohne dieses Merkmal praktisch nicht von Aktiviertheit unterscheiden ließe. Demgegenüber möchte Prince (1981) Salienz lediglich als eine spezifische Form der Givenness verstehen und - mit Bezug auf Chafe (1976, 31) - allein über das Kriterium der sprecherseitig vorausgesetzten Aktiviertheit im Bewusstsein des Hörers explizieren: „Givenness in the sense of saliency may be roughly described as follows: […] The speaker assumes that the hearer has or could appropriately have some particular thing/ entity/ … in his/ her consciousness at the time of hearing the utterance“ (Prince 1981, 228). 165 Princes Salienz-Verständnis erinnert nicht nur an Lambrechts Konzept der Bewusstseinspräsupposition (Lambrecht 2000, 613), sondern ist ebenfalls vergleichbar mit dem activated -Status in Gundel/ Hedberg/ Zacharskis „Givenness Hierarchy“. 166 Für aktivierte Referenten gilt: The referent is represented in current short-term memory. Activated representations may have been retrieved from long-term memory, or they may arise from the immediate linguistic or extralinguistic context. (1993, 278) Activated ist allerdings noch nicht der höchste Grad adressatenseitiger Givenness. Referenten, die im „aktuellen Kurzzeit-Gedächtnis“ repräsentiert sind, können darüber hinaus auch „im Fokus“ stehen. Für in focus -Referenten soll gelten: „The referent is not only in short-term memory, but is also at the current 165 Ähnlich bspw. auch Sgall/ Hajičová/ Panevová (1986, 55): Salienz ist „relative activation (in the sense of being immediately ‘given’, i.e. accessible in memory“. Zum Verständnis von (höherer oder niedrigerer) Salienz im Sinne von (höherer oder niedrigerer) Givenness siehe auch Hajičová/ Hoskovec/ Sgall (1995). 166 Gundel/ Hedberg/ Zacharski gehen von folgenden Givenness-Kategorien aus: in fokus > activated > familiar > uniquely identifiable > referential > type identifiable . Die Kategorien sind jeweils mit bestimmten Ausdruckstypen assoziiert, die den jeweiligen Givenness-Status indizieren (1993, 275). Ein zentrales Charakteristikum der Givenness-Hierarchie ist, dass es sich um eine implikationale Hierarchie handelt. Das heißt, das Vorliegen einer bestimmten Status-Kategorie impliziert, dass ebenfalls alle rechts davon liegenden Status-Kategorien vorliegen. Wenn also ein bestimmter Referenzausdruck indiziert, dass sein Referent activated -Status hat, dann gilt ebenfalls, dass der Referent familiar , uniquely identifiable usw. ist. Und umgekehrt gilt: Wenn ein Referent lediglich familiar ist, dann ist er nicht activated und in focus . Bezüglich der jeweiligen Givenness-Grade bedeutet dies: Referenten, die familiar sind, weisen einen niedrigeren Givenness-Grad als in focus - oder activated -Referenten auf und in in focus - oder activated -Referenten weisen einen entsprechend höheren Givenness-Grad auf. Die Givenness-Kategorien und die mit ihnen jeweils assoziierten Ausdruckstypen werden im Verlauf der Diskussionen vorgestellt bzw. genannt. Für die aktuelle Diskussion sind insbesondere die Status-Kategorien in focus , activated und familiar relevant. Zur Definition dieser und der anderen Givenness-Kategorien siehe Gundel/ Hedberg/ Zacharski (1993, 276 ff.) sowie Gundel (2010, 150 ff.). <?page no="143"?> 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity 143 center of attention“ (1993, 279). Zentral für den in focus -Status ist somit das Kriterium der Aufmerksamkeit, das Gundel an anderer Stelle explizit mit dem Begriff der Salienz in Verbindung bringt: An entity is in (psychological) focus if the attention of both speech participants can be assumend to be focused on it because of its salience at a given point in the discourse. (Gundel 1999, 294) Während Gundel/ Hedberg/ Zacharskis in focus -Status primär als Kategorie der Aufmerksamkeit im Diskurs konzeptualisiert ist, weist Lewis (1979) darauf hin, dass Salienz nicht ausschließlich Resultat (wiederholter) referentieller Akte sein muss: „There are various ways for something to gain salience. Some have to do with the course of conversation, others do not“ (Lewis 1979, 348). Ersteres ist u. a. der Fall bei wiederholt durch koreferente Ausdrücke wiederaufgenommenen Diskursgegenständen; zu Letzterem gehören etwa Fälle, in denen ein Gegenstand gewissermaßen ‚von selbst‘ in den Aufmerksamkeitsbereich des Rezipienten gerät (vgl. Lewis’ Beispiel, ebd.). Auch (12) ist ein Beispiel für einen solchen Fall: (12) A lässt versehentlich eine Vase fallen und äußert daraufhin zu B (der auch anwesend ist): Die ist jetzt hinüber. Nach Lewis lässt sich die Auflösung der Referenz von Referenzausdrücken auf der Basis von Salienz-Rankings erklären. So ist etwa der intendierte Referent eines definiten Referenzausdrucks Lewis zufolge derjenige Referent, der im aktuellen Diskursabschnitt als der salienteste gilt: „‘the F’ denotes x if and only if x is the most salient in the domain of discourse, according to some contextually determined salience ranking“ (ebd.). 167 Zwar ist der Referent in (12) nicht durch eine definite Kennzeichnung, sondern pronominal repräsentiert, 168 aber auch 167 Die durch den Ausdruckstyp indizierte Höreranweisung lautet also: Suche genau denjenigen Referenten, der aktuell der salienteste ist. Das heißt, der Referent ist für den Hörer identifizierbar, weil er salient ist. Dies ist ein wichtiger Punkt, der es erlaubt, zwischen Identifizierbarkeit/ Zugänglichkeit, Familiarity und Salienz zu unterscheiden. Hierzu gleich mehr. 168 Ob Lewis’ Charakterisierung den Gebrauch definiter Referenz-Ausdrücke adäquat zu beschreiben vermag, soll hier nicht diskutiert werden. Auch finden sich bei Lewis keine Angaben darüber, ob pronominale Referenz und Referenz durch definite Kennzeichnungen unterschiedliche Salienz-‚Grade‘ implizieren. Lewis’ Ausführungen sind aber wohl nicht so zu verstehen, dass die Verwendung einer definiten Kennzeichnung generell höchste Salienz indiziert. Vielmehr legen seine Beispiele nahe, dass das Salienz-Ranking für einen aktuell realisierten Referenten immer nur im Vergleich zu anderen aktuell realisierten Referenten erfolgen kann (vgl. die Beispiele in Lewis 1979, 348). <?page no="144"?> 144 5 Topik-Eigenschaften in Bezug auf (12) lässt sich sagen: Die Vase, die durch das Fallenlassen und das dadurch verursachte Zerbrechen in den Aufmerksamkeitsbereich des Hörers gelangt ist, hat auf diese Weise hinreichend Salienz erlangt ( gained salience ), um die pronominale Referenz auf sie rechtfertigen zu können. Das Beispiel in (12) liefert einen ersten Hinweis darauf, dass es sich bei Salienz nicht einfach nur um eine (weitere) terminologische Variante zur Bezeichnung adressatenseitiger Givenness handelt, die im Großen und Ganzen bedeutungsgleich mit verwandten Givenness-Konzepten wie familiarity (Prince, Gundel) oder accessibility (Ariel) ist (siehe Ariel 1988, 1991; als Überblick siehe Ariel 2001). Salienz steht mit diesen Konzepten zwar in enger Beziehung, fällt mit ihnen jedoch nicht zusammen. Zunächst zum Verhältnis von Salienz und Zugänglichkeit ( accessibility ) - eine Kategorie, die in den vorangegangen Abschnitten noch nicht klar von Familiarity abgegrenzt wurde. 169 Dass zwischen Salienz und Zugänglichkeit unterschieden werden kann, wird deutlich, wenn man Lewis’ Hinweis mit in den Blick nimmt, dass Salienz nicht notwendig Resultat referentieller Akte sein muss. Das heißt: Dass sich ein Gegenstand aktuell in unserem Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsbereich befindet und somit ein für uns salienter Gegenstand ist, bedeutet nicht notwendig, dass er zugleich auch Referent eines aktuell verwendeten Referenzausdrucks ist. In Bezug auf die Unterscheidbarkeit von Salienz und Zugänglichkeit bedeutet dies zunächst Folgendes: Salienz ist eine allein auf den Gegenstand bezogene Charakterisierung. Salient ist ein Gegenstand genau dann, wenn er sich im aktuellen Aufmerksamkeitsbereich des Rezipienten befindet, unabhängig davon, ob der Gegenstand durch referentielle Akte oder aus sonstigen Gründen in den Aufmerksamkeitsbereich des Rezipienten gelangt ist. Demgegenüber ist Zugänglichkeit eine Charakterisierung des Gegenstands als intendierter Referent eines Referenzausdrucks . (Eben dies macht ihn zu einem Diskurs gegenstand). Anders als Salienz (und - wie ich weiter unten zeigen möchte: Familiarity) setzt Zugänglichkeit nicht nur voraus, dass auf den Gegenstand mittels eines Referenzausdrucks (aktuell) referiert wird, sondern zielt auch auf etwas anderes ab, nämlich auf das (vom Sprecher vorausgesetzte) Vermögen des Adressaten/ Hörers, den Gegenstand als den intendierten Referenten des aktuell verwen- 169 Auch die einschlägigen Ansätze von Prince, Ariel und Gundel/ Hedberg/ Zacharski machen keine systematische Unterscheidung zwischen Zugänglichkeit und Familiarity. Trotz aller ihrer terminologischen und konzeptionellen Unterschiede zielen diese Ansätze aber im Kern immer auf dasselbe ab: die Frage nach der vorausgesetzten adressatenseitigen Zugänglichkeit (bzw. Identifizierbarkeit) des intendierten Referenten eines aktuell verwendeten Referenzausdrucks - wobei von der Grundannahme ausgegangen wird, dass der aktuell vorausgesetzte Grad der Zugänglichkeit des intendierten Referenten durch den Typ des verwendeten Ausdrucks indiziert wird. <?page no="145"?> 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity 145 deten Referenzausdrucks (auf der Basis geringeren oder höheren inferentiellen Aufwands) identifizieren zu können. Dass dieser Unterschied durchaus relevant ist, zeigt sich, wenn man die Frage stellt, aus welchen Gründen ein Sprecher davon ausgehen kann, dass der intendierte Referent eines von ihm aktuell verwendeten Referenzausdrucks - etwa eines Pronomens - für den Hörer zugänglich ist. Die Antwort kann dann (unter bestimmten Bedingungen) lauten: Der intendierte Referent ist für den Hörer zugänglich, weil er ein für ihn aktuell salienter (Diskurs-)Gegenstand ist. Eben dies ist in (12) der Fall: Weil sich die Vase aktuell im Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsbereich des Hörers befindet und somit ein für ihn salienter Gegenstand ist, kann der Sprecher davon ausgehen, dass sie als Referent des von ihm verwendeten Pronomens zugänglich ist. Die adressatenseitige Zugänglichkeit der Vase als intendierter Referent eines Referenzausdrucks ist hier also weniger durch den Ausdruckstyp vermittelt, 170 sondern basiert auf ihrer aktuellen Salienz - denn zum einen hätte der Sprecher auch eine volle und durch attributive Elemente angereicherte NP ( das hässliche alte Ding ) verwenden können und zum anderen sollte aus dem Umstand, dass die aktuelle Salienz der Vase die pronominale Referenz auf sie rechtfertigt, nicht der Schluss gezogen werden, dass für die Verwendung eines pronominalen Referenzausdrucks vorausgesetzt sein muss (und damit indiziert wird), dass sein Referent salient ist. Hiervon gehen Gundel/ Hedberg/ Zacharski jedoch offenbar aus, wenn sie in Bezug auf den in focus -Status festhalten: „This status is necessary for appropriate use of zero and unstressed pronominals“ (1993, 279). 171 Aber weder muss es notwendig der Fall sein, dass der Referent eines (unbetonten) Personalpronomens zuvor schon hörerseitig aktiviert worden ist, noch ist es prinzipiell erforderlich, dass ein Pronomen nur unter der Bedingung verwendet werden kann, dass für seinen Referenten adressatenseitige Familiarity be- 170 Dies ist eine Position, die etwa Ariel im Rahmen ihrer accessibility theory vertritt. Ihrer Auffassung nach wird die Suche nach dem Referenten eines Referenzausdrucks vornehmlich über den Ausdruckstyp selbst gesteuert: „Each referring expression codes a specific (and different) degree of mental accessibility“ (Ariel 2001, 31). Die verschiedenen Referenzausdruckstypen sind in dieser Hinsicht „accessibility markers“, die dem Adressaten Hinweise geben, „on how to retrieve the appropriate mental representation in terms of degree of mental accessibility“ (ebd.). Sie lassen sich somit entsprechend auf einer Skala höherer bzw. niedrigerer Zugänglichkeitsgrade (accessibility marking scale) anordnen, wobei pronominale Ausdrücke prinzipiell höhere adressatenseitige Zugänglichkeit indizieren und definite Kennzeichnungen (short definite descpitions), mit attributiven Elementen versehene definite Kennzeichnungen (long definite descriptions) sowie Eigennamen prinzipiell geringere Zugänglichkeit indizieren (2001, 31). 171 Und auch noch für den activated -Status gilt laut Gundel/ Hedberg/ Zacharski: „Activation is necessary for appropriate use of all [! ] pronominal forms, and it is sufficient for the demonstrative pronoun that as well as for stressed personal pronouns“ (1993, 278). <?page no="146"?> 146 5 Topik-Eigenschaften steht - was aufgrund des implikationalen Charakters der Givenness-Hierarchie ebenfalls gefordert werden muss. 172 Beide Aspekte: Aktiviertheit und Familiarity treffen beispielsweise nicht zu auf den Referenten des Personalpronomens wir in dem schon im letzten Kapitel erwähnten Erpresserbrief-Beispiel, das hier noch einmal in (13) wiedergegeben ist: (13) Wir haben Ihre Frau entführt. Wenn wir in (13) von dem (Standard-)Fall ausgehen, dass dem Adressaten nicht bekannt ist, wer der Verfasser des Erpresserbriefs ist, und wenn wir des Weiteren voraussetzen, dass es sich bei (13) um den ersten Satz des Briefs handelt, sodass der Referent von wir noch nicht aktiviert worden ist, dann gilt dort nicht, was laut Gundel/ Hedberg/ Zacharski für die Verwendung eines Personalpronomens notwendig vorausgesetzt sein muss, nämlich dass der Adressat in der Lage ist, den intendierten Referenten entweder auf der Basis einer Repräsentation im seinem Langzeitgedächtnis zu identifizieren (was bedeuten würde, dass er die Entführer kennt) - oder zumindest auf der Basis einer Repräsentation in seinem Kurzzeitgedächtnis (etwa wenn der Referent unmittelbar zuvor eingeführt worden wäre, was für (13) jedoch ausgeschlossen wurde). Was die Verwendung von wir in (13) - trotz fehlender adressatenseitiger Familiarity - dennoch rechtfertigt, ist, dass die ‚genaue‘ Identifizierung des (bzw. der) intendierten Referenten dort überhaupt nicht von Belang ist, da es für die aktuelle Rezeptionssituation völlig ausreicht, wenn der Adressat angeben kann, dass es sich bei dem (bzw. den) intendierten Referenten um den (oder die) Verfasser des Erpresserbriefs (bzw. die Entführer seiner Frau) handelt - wer auch immer dies sein mag. Dass es sich um die Verfasser handelt, erschließt er aus seinem Wissen über die Verwendungsregeln des Personalpronomens der ersten Person (der Referent des Personalpronomens der ersten Person ist mit dem Produzenten der Äußerung, in der das Pronomen verwendet wurde, identisch). 173 172 Vgl. Gundel/ Hedberg/ Zacharskis Definition des familiarity -Status sowie ihre Aussagen zu den für diesen Givenness-Status ihrer Meinung nach geltenden Ausdruckstyp-Beschränkungen: „The addressee is able to uniquely identify the intended referent because he already has a representation of it in memory (in long-term memory if it has not been recently mentioned or perceived, or in short-term memory if it has). This status is necessary for all personal pronouns and definite demonstratives […]“ (Gundel/ Hedberg/ Zacharski 1993, 278). 173 Dies gilt so natürlich nur für die erste Person Singular. Allerdings dürfte für den Adressaten auch die Klärung der Frage, ob es sich um einen oder mehrere Verfasser handelt, nicht sonderlich relevant sein. Hinzu kommt lediglich, dass der Kontext die inklusive Lesart blockiert, da durch die vorausgesetzte adressatenseitige ‚Unfamiliarity‘ ausgeschlossen ist, dass auch der Adressat mit zur Referenz von wir gehört. <?page no="147"?> 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity 147 Und dass diese auch die Entführer seiner Frau sind, entnimmt er nicht dem Referenzausdruck, sondern der darauf bezogenen Prädikation. Beispiel (13) zeigt somit auch, dass die Wahl des Ausdruckstyps nicht immer und in gleichem Maße dadurch motiviert sein muss, die Identifizierung des Referenten auf möglichst erschöpfende Weise - d. h. im Sinne einer token -Repräsentation - sicherzustellen. Von dieser Prämisse gehen Gundel/ Hedberg/ Zacharski aber offenbar aus. Die Wahl des aktuell angemessenen Referenzausdrucks ist ihrer Meinung immer geleitet von der Frage: „[…] what do hearers/ readers know that enables them to identify correctly the intended referent of a particular form? “ (1993, 274). 174 Tatsächlich ist es aber so, dass die Ansprüche an einen Referenzausdruck, die Identifizierbarkeit seines Referenten sicherzustellen, mit bestimmten Anforderungen interagieren, die sich aus den jeweils spezifischen diskursiven und situativen Bedingungen ergeben, in denen der Ausdruck verwendet wird. 175 Sind diese Anforderungen, so wie im Fall von wir in (13), relativ gering - was die Verwendung des Pronomens dort (noch) rechtfertigt -, so sind sie beispielsweise wesentlich höher, wenn etwa in einem Folgesatz die exakte Identifizierung des Abfallbehälters, in dem das Lösegeld deponiert werden soll, sicherzustellen ist. 176 Dort hätte der Referenzausdruck (durch entsprechende 174 Auch Ariel zielt auf token -Repräsentationen ab, wenn sie festhält: „The basic idea [of accessibility theory] is that referring expressions instruct the addressee to retrieve a certain piece of given information from his memory by indicating to him how accessible this piece of information is to him at the current stage of the discourse“ (2001, 30). 175 Hinzu kommt, dass sich die Frage nach dem intendierten Referenten im Fall ‚abstrakter‘ Lesarten von Nominalausdrücken (zunächst) gar nicht stellt: A: Die Schule geht mir auf die Nerven. Tatsächlich ist die Sachlage in solchen Fällen aber komplizierter, denn die Schule kann ja pronominal wiederaufgenommen werden: B: Warum geht sie dir denn auf die Nerven? Und an diesem Punkt lässt sich dann auch wieder die Frage nach der adressatenseitigen Zugänglichkeit des intendierten Referenten des pronominalen Ausdrucks stellen. Dies ist m. E. ein Indiz dafür, dass abstrakten Konzepten als Diskursgegenstand durchaus token -Charakter zukommen kann: d. h. die Ausdrücke die Schule und sie sind koreferent mit dem aktuellen Diskurs token ‚Schule (als Institution)‘. 176 Ein Referenzausdruck, der dies einigermaßen sicher gewährleisten würde, könnte beispielsweise so aussehen: der Abfallbehälter links neben dem Kriegerdenkmal im Hofgarten . Die token -Identifizierung des Abfallbehälters würde hier seitens des Sprechers (bzw. Schreibers) als sichergestellt angesehen werden können, wenn er davon ausgeht, dass der Adressat weiß, welches Kriegerdenkmal gemeint ist - was wiederum auf seiner Annahme basiert, dass der Adressat ebenfalls weiß, auf welchen Ort der Eigenname Hofgarten zu beziehen ist (sowie, dass es dort nur ein Kriegerdenkmal gibt). In Gundel/ Hedberg/ Zacharskis Givenness-Hierarchie entspräche dies dem referential -Status: „The speaker intends to refer to a particular object or objects. To understand such an expression, the addressee not only needs to access an appropriate type-representation, he must either retrieve an existing representation of the speaker’s intended referent or construct a new representation by the time the sentence has been processed.“ (276). Die type -Repräsentation wird zunächst über den Ausdruck Abfallbehälter her- <?page no="148"?> 148 5 Topik-Eigenschaften attributive Erweiterungen) zu leisten, was bei der Verwendung von wir in (13) nicht relevant ist: die Identifizierbarkeit des intendierten Referenten auf der Basis einer Repräsentation im Langzeitgedächtnis des Adressaten zu gewährleisten - und was die Verwendung eines pronominalen Ausdrucks in diesem Fall nicht rechtfertigen würde. 177 Während also pronominale Referenz in (13) gerechtfertigt ist, weil dort die Ansprüche an den Ausdruck, das mit ihm assoziierte Referenz token zugänglich zu machen, eher gering sind, ist pronominale Referenz in (12) gerechtfertigt, weil die voraussetzbare adressatenseitige Salienz die Zugänglichkeit des intendierten Referenz tokens sicherstellen kann. Somit muss die Frage, warum pronominale Referenz in (12) und (13) jeweils möglich ist, auch über die Frage nach den diskursiven Anforderungen bzgl. der adressatenseitigen Zugänglichkeit der jeweiligen Referenz tokens (kurz: token -Zugänglichkeit) 178 beantwortet gestellt und die anschließende token -Identifizierung wird dann auf der Basis der schon bestehenden token -Repräsentation des Kriegerdenkmals im Hofgarten geleistet, sodass das Abfallbehältertoken zugänglich ( accessible ) im Sinne Ariels wird. Insofern lässt sich zwar sagen, dass der Umfang des Referenzausdrucks die niedrige Accessibility des tokens ‚indiziert‘. Aber nicht die Indizierung der niedrigen Accessiblity „instruiert“ (Ariel) den Adressaten bei seiner Suche nach dem intendierten token , sondern vielmehr die sonstigen im Ausdruck enthaltenen lexikalischen Elemente, für deren Referenten der Sprecher adressatenseitige Familiarity voraussetzt. 177 Zwar wird durch die Definitheit der Referenzausdrücke in beiden Fällen indiziert, dass der Sprecher einen bestimmten Referenten im Sinn hat (vgl. Gundel/ Hedberg/ Zacharski: „The speaker intends to refer to a particular object.“), aber bei wir ist die Erzeugung einer Repräsentation genau dieses Referenten für den Adressaten von vornherein nicht leistbar (allerdings, wie gesagt, auch nicht zwingend erforderlich). Zwar bleibt die Erzeugung der Repräsentation dort auch nicht auf der - wenn man es so nennen will - type -Ebene stehen (zu sagen, dass die Referenz eines Personalpronomens der ersten Person immer mit dem Produzenten der Satz-Äußerung, in der das Pronomen verwendet wurde, zusammenfällt - bzw. im Plural-Fall: mit einschließt -, ist natürlich keine ontologische type -Charakterisierung so wie im Fall von Abfallbehälter ). Aber selbst das beim Adressaten durch die Prädikation erlangte Wissen, dass der Produzent der Satz-Äußerung der (bzw. einer der) Entführer seiner Frau ist, erzeugt noch keine Repräsentation des Referenten in dem Sinne, dass die adressatenseitige Repräsentation der produzentenseitigen Repräsentation des Referenten entspräche. Dies macht es jedoch unmöglich, dem Referenten von wir in (13) einen Platz innerhalb der Givenness-Hierarchie zuzuweisen, da die auf die familiarity -Kategorie folgenden Status-Kategorien ( uniquely identifiable > referential > type identifiable ) allesamt so definiert sind, dass die adressatenseitige Identifizierbarkeit des tokens (bzw. im type identifiability -Fall: des Typs ) über die lexikalisch/ semantischen Gehalte der jeweiligen Referenzausdrücke hergestellt wird (vgl. Gundel/ Hedberg/ Zacharski 1993, 276 ff.). 178 Ausgehend von der type / token -Unterscheidung könnte man so auf die Idee kommen, das Zugänglichkeitskonzept auch auf Gundel/ Hedberg/ Zacharskis type identifiability zu übertragen: Type -Zugänglichkeit liegt vor, wenn der Adressat in der Lage ist, eine „representation of the type of the object described by the expression“ zu generieren (vgl. <?page no="149"?> 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity 149 werden: In (13) ist pronominale Referenz möglich, weil token -Zugänglichkeit nicht relevant ist, in (12) ist sie relevant, wird dort aber durch die Salienz des Referenten gewährleistet. Was (12) und (13) somit zunächst zeigen, ist, dass pronominale Referenzausdrücke die adressatenseitige Zugänglichkeit ihrer jeweils intendierten Referenz tokens nicht notwendig voraussetzen - und insofern auch nicht generell indizieren. Was die Beispiele (12) und (13) des Weiteren zeigen, ist, dass die Zugänglichkeit der dort repräsentierten Referenz tokens durch verschiedene Quellen gewährleistet sein kann: Sie kann zunächst dadurch gewährleistet sein, dass der Adressat in der Lage ist, auf der Basis des Referenzausdrucks und seiner grammatischen und semantischen Eigenschaften - so wie bspw. Ihre Frau in (13) - eine Repräsentation seines Langzeitgedächtnisses zu aktivieren. Sie kann des Weiteren dadurch gewährleistet sein, dass der intendierte Referent - so wie die Vase in (12) - schon im situativen Umfeld der Äußerungssituation salient ist. Und schließlich kann sie dadurch gewährleistet sein, dass der intendierte Referent im unmittelbar vorangegangenen Diskursabschnitt aktiviert wurde, d. h. intendierter Referent eines anaphorischen, wiederaufnehmenden Referenzausdrucks ist. Dies ist etwa der Fall im Beispiel (11) des vorangegangenen Kapitels, das hier noch einmal in (14) wiedergegeben ist: (14) Ich kenne ein gutes Restaurant in der Innenstadt. Allerdings ist das immer so voll. (als Antwort auf die Frage, wohin man essen gehen könnte) Gundel/ Hedberg/ Zacharski 1993, 276). Der entsprechende Ausdruckstyp hierfür wäre dann ein (spezifischer oder nicht-spezifischer) indefiniter Referenzausdruck, dessen Verwendung somit adressatenseitige token -‚Unzugänglichkeit‘ indizieren würde. Dies ist allerdings insofern problematisch, als sich die Unterscheidung ‚zugänglich vs. nicht zugänglich‘ - genauso wie die Unterscheidung ‚ identifiable vs. unidentifiable ‘ - kaum sinnvoll auf die type -Ebene anwenden lässt: Einen Referenzausdruck, der die Funktion hat, type-unidentifiability zu indizieren (so wie ein Pronomen laut Gundel/ Hedberg/ Zacharski die Funktion hat, activation zu indizieren), kann es ebenso wenig geben wie einen Ausdruck, der type-inaccessiblity indiziert. Denn wenn der Referent eines Ausdrucks für den Hörer im type -Sinne nicht identifizierbar wäre, kann dies praktisch nur bedeuten, dass der Hörer den Ausdruck nicht kennt (oder ihn nicht versteht). Dies zeigt, dass Konzepte wie Zugänglichkeit oder Identifizierbarkeit nur in Bezug auf die token -Ebene Sinn ergeben - was vielleicht der Grund dafür ist, dass indefinite Referenzausdrücke in Ariels accessibility -Skala nicht berücksichtigt sind (siehe z. B. die Ausdruckstypen-Skala in Ariel 2001, 31). Anders als bei Gundel/ Hedberg/ Zacharski ( type identifiable ) und Prince ( brand-new / brand-new anchored ) bildet token -Unzugänglichkeit dort nicht den ‚Endpunkt‘ adressatenseitiger Zugänglichkeit, sondern befindet sich gewissermaßen jenseits davon - m. E. ein deutliches Indiz dafür, dass auch Ariel accessibility im Sinne von token-accessibility versteht. <?page no="150"?> 150 5 Topik-Eigenschaften Dass auf das Restaurant im zweiten Satz pronominal referiert werden kann, lässt sich damit rechtfertigen, dass seine adressatenseitige Zugänglichkeit durch die unmittelbar vorangegangene Aktivierung gewährleistet ist. Wie der indefinite Referenzausdruck indiziert, zielt der Sprecher dort jedoch nicht auf die Aktivierung eines Restauranttokens aus dem Langzeitgedächtnis des Hörers ab. Hörerseitig zugänglich ist das Restaurant daher lediglich als kurz zuvor eingeführter Diskurs gegenstand - und nicht als Gegenstand, in Bezug auf den der Sprecher davon ausgeht, dass der Hörer schon äußerungsunabhängig über eine Repräsentation dieses Gegenstands in seinem Langzeitgedächtnis verfügt. Die Frage nach dem intendierten Referenten des Pronomens könnte der Hörer also nicht dahingehend beantworten, indem er sagt: „Der Sprecher hatte hier genau das-und-das Restaurant in der-und-der Straße in der Innenstadt im Sinn“ - obwohl der Sprecher natürlich ein bestimmtes Restaurant im Sinn hatte. Der Hörer könnte allenfalls die Auskunft geben: „Der Sprecher hatte hier das Restaurant im Sinn, das er kurz zuvor schon erwähnt hatte.“ D.h. nur in Bezug auf die Koreferenz des Pronomens mit der indefiniten NP lässt sich sagen, dass dessen Referent für den Hörer zugänglich ist. Und dennoch ist es - trotz der auf den Aspekt der Koreferenz beschränkten Zugänglichkeit des Referenten - vollkommen unproblematisch, das Restaurant im aktuellen Diskursabschnitt als salienten Diskursgegenstand aufzufassen, in Bezug auf den es adressatenseitig durchaus „erwartbar“ sein kann, dass er u. U. auch in daran anschließenden Diskursabschnitten ‚current center of attention‘ und ‚Gegenstand‘ der Erörterung (bzw. der Prädikation) ist, 179 wodurch sich dann, auf der Basis dieser weitergehenden Erörterungen, eine Repräsentation des Restaurants im Langzeitgedächtnis des Adressaten herausbilden würde. Dass der Referent eines aktuell verwendeten Referenzausdrucks für den Adressaten zugänglich ist, kann somit zweierlei bedeuten: zum einen, dass in Bezug auf ihn schon äußerungsunabhängig Bekanntheit oder Vertrautheit (Familiarity) besteht, und zum anderen, dass er lediglich in seiner Rolle als aktueller Diskursgegenstand zugänglich ist. Das heißt: Zugänglichkeit (verstanden als das Vermögen des Adressaten, den intendierten Referenten eines Referenzausdrucks angeben zu können) setzt nicht notwendig voraus, dass der Referent ‚familiar‘ ist in dem Sinne, dass der Adressat bzgl. des Referenten schon über eine Repräsentation in seinem Langzeitgedächtnis verfügt. Darum sind genaugenommen zwei Ebenen der Zugänglichkeit zu unterscheiden: zum einen Zugänglichkeit auf der Basis vorausgesetzter adressatenseitiger Familiarity und 179 Auch Gundel/ Hedberg/ Zacharski gehen von einem Zusammenhang zwischen Salienz, erwartbarer Wiederaufnahme und Topikalität aus: „The entities in focus at a given point in the discourse will be that partially-ordered subset of activated entities which are likely to be continued as topics of subsequent utterances“ (1993, 279). <?page no="151"?> 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity 151 zum anderen Zugänglichkeit in der Art, wie sie in (14) vorliegt, d. h. Zugänglichkeit als aktuell aktivierter und salienter Diskurs gegenstand. Das bedeutet: auch wenn Aktiviertheit, Salienz und Familiarity häufig zusammenfallen mögen, so gilt doch, dass aus der Zugänglichkeit eines Referenten als Diskursgegenstand nicht notwendig auch seine Familiarity folgt. 180 So könnte der Adressat der Äußerung in (14) beispielsweise auch noch im Anschluss an die pronominale Wiederaufnahme des Restaurants eine Frage stellen, die auf die Identifizierung des Restauranttokens abzielt: 181 (14’) A: Ich kenne ein gutes Restaurant in der Innenstadt. Allerdings ist das immer so voll. B: Welches Restaurant meinst du? Dass aufgrund solcher Fälle zwischen Zugänglichkeit und Familiarity zu unterscheiden ist, wird in den oben diskutierten Ansätzen jedoch vollkommen ignoriert. Zugänglichkeit wird dort ausschließlich aus der Perspektive adressatenseitiger Familiarity betrachtet - mit der Konsequenz, dass nicht nur angenommen wird, für die Aktiviertheit oder Salienz eines Diskursreferenten müsse Familiarity notwendig vorausgesetzt sein, sondern auch, dass Aktiviertheit und Salienz prinzipiell höhere Grade adressatenseitiger Zugänglichkeit implizieren. Zunächst zum ersten Punkt: So weist etwa Prince (1992) im Rahmen ihrer Unterscheidung hearer-new / old vs. discourse-new / old darauf hin, dass ‚discourse-new entities‘ ‚hearer-old‘ sein können (in welchem Fall der Referent 180 Ebenso wie Lambrechts Identifizierbarkeitspräsupposition (vgl. Kap. 4.3) abstrahiert darum letztlich auch das Konzept der Zugänglichkeit davon, in welcher Weise der intendierte Referent für den Adressaten zugänglich ist: entweder, so wie im Fall von Ihre Frau in (13), als ‚Gegenstands token ‘ oder, so wie in (14), lediglich als ‚Diskurs token ‘, in Bezug auf das sprecherseitig (noch) keine Gegenstands token -Zugänglichkeit vorausgesetzt wird. Die verbreitete Auffassung, dass die (diskursive) Salienz eines Referenten dessen adressatenseitige Zugänglichkeit notwendig voraussetzt, gilt also nur in Bezug auf seine Zugänglichkeit als ‚Diskurs token ‘. Die Unterscheidung ‚Gegenstands token vs. Diskurs token ‘ ist terminologisch sicherlich nicht ganz optimal. Mir ist allerdings kein Ansatz bekannt, der diese Zugänglichkeitsebenen benennt und unterscheidet. (Siehe jedoch Lyons 1977, 189, der darauf hinweist, dass ein Referent u. U. nur im Rahmen der aktuellen Diskurs-Situation identifizierbar sein kann. Genau dies ist für den Hörer in Bezug auf den Referenten des Pronomens in (14) der Fall.) Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass diese Unterscheidung nicht disjunktiv zu verstehen ist! Ein Referent, der als Gegenstands token zugänglich ist, ist es natürlich ebenso als Diskurs token . Des Weiteren sind beide Ebenen extensional zu verstehen: Die Frage, ob ein Referent als Gegenstand der ‚diskursexternen‘ Welt oder lediglich als Gegenstand der aktuellen ‚Diskurswelt‘ zugänglich ist, ist von der Frage der Intension (d. h. der Bedeutung) des damit assoziierten Referenzausdrucks unabhängig. 181 Es ist sogar möglich, dass das Restaurant auch in der Frage noch einmal pronominal wiederaufgenommen wird: Welches Restaurant ist das? <?page no="152"?> 152 5 Topik-Eigenschaften unused ist, vgl. Prince 1981, 235 f.). Darum kann sie zwar sagen: „Discourse newness tells us nothing about an entity’s hearer-status“ (1992, 303) - was sicherlich richtig ist, aber den Umstand verdunkelt, dass ‚discourse-old‘ nicht notwendig Familiar bedeuten muss. Denn weder ist es der Fall - siehe (14) -, dass der Hörer den aktivierten Referenten eines Referenzausdrucks immer schon an irgendeiner vorangegangenen Stelle im Diskurs aus seinem eigenen ‚Welt-Modell‘ in das aktuelle ‚Diskurs-Modell‘ „hineinkopiert“ haben muss, 182 noch ist es grundsätzlich so, dass Referenzausdrücke immer auf Gegenstände der ‚diskursexternen‘ Welt referieren - was aber die Voraussetzung dafür ist, dass ein Referent überhaupt unused -Status haben kann. 183 Auch der zweite Punkt: die Auffassung, dass Aktiviertheit und Salienz prinzipiell höhere Zugänglichkeits grade implizieren, kommt in Princes Familiarity-Taxonomie zum Ausdruck. So ist die unused -Kategorie dort explizit der Oberkategorie new zugeordnet (1981, 237). Bei genauerer Betrachtung ist dies jedoch unplausibel, da es in der Konsequenz darauf hinausläuft, dem Referenten von das in (14) eine höhere adressatenseitige Zugänglichkeit als dem Referenten von Ihre Frau in (13) zusprechen zu müssen. Tatsächlich ist es aber so, dass der Adressat für die Identifizierung der jeweils intendierten Referenten auf unterschiedliche Quellen rekurriert. In (13) rekurriert er (auf der Basis der semantischen und grammatischen Eigenschaften des Possessivpronomens und des nominalen Ausdrucks) auf eine Repräsentation in seinem Langzeitgedächtnis - in Bezug auf die der Sprecher voraussetzt, dass er über sie verfügt. In (14) rekurriert der Adressat auf die Repräsentation eines Gegenstands, der aktuell in seinem Aufmerksamkeitsfokus steht - und in Bezug auf den der Sprecher voraussetzt, dass er für den Adressaten aufgrund dessen hinreichend zugänglich ist - zwar nicht als ihm schon vertrauter oder bekannter Gegenstand der ‚diskursexternen‘ Welt, aber doch zumindest als Gegenstand des aktuellen Diskurses -, sodass die pronominale Referenz auf ihn gerechtfertigt ist. Kurz: nicht hinsichtlich höherer oder niedrigerer Zugänglichkeit unterscheiden sich die zwei Referenten. Worin sie sich unterscheiden, ist vielmehr, worauf ihre Zugänglichkeit jeweils beruht: In (13) beruht die Zugänglichkeit des Referenten auf Familiarity, in (14) beruht sie auf Salienz. 184 Da aber der Referent in 182 Siehe noch einmal Princes (1981, 235) Charakterisierung von unused -Referenten, in der ihr auf die Familiarity-Perspektive ausgerichtetes Verständnis von Zugänglichkeit sehr klar zum Ausdruck kommt: „The hearer [is] assumed to have a corresponding entity in his/ her own model and simply has to place it in (or copy it into) the discourse model.“ 183 Unused -unfähig in diesem Sinne können bspw. bestimmte propositionale Gehalte sein, die im Folgesatz durch einen Referenzausdruck ‚wiederaufgenommen‘ werden: A: Es wird schon alles gutgehen. B: Diese Prognose finde ich ein bisschen zu optimistisch. 184 Hinsichtlich des für die Referenzauflösung jeweils nötigen inferentiellen Aufwands sind die zwei Fälle wohl im Großen und Ganzen als gleichwertig einzuschätzen. (Das bedeutet <?page no="153"?> 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity 153 (14) salient ist, ohne schon im Langzeitgedächtnis des Adressaten repräsentiert zu sein, ist Gundel/ Hedberg/ Zacharskis Auffassung, dass Aktiviertheit, Salienz und Familiarity in einem implikationalen Verhältnis zueinander stehen, durchaus problematisch, 185 denn durch die Annahme einer implikationalen Hierarchie werden Aktiviertheit und Salienz in der Konsequenz zu einem Spezialfall von Familiarity. 186 Tatsächlich aber zielen Aktiviertheit und Salienz einerseits und Familiarity andererseits auf jeweils spezifische kognitive Domänen ab, die sich zwar durchaus überschneiden können, aber nicht zueinander in einer Relation des Enthaltenseins stehen. So ist es zwar ein vollkommen unproblematischer Fall, wenn ein aktuell salienter Diskursgegenstand schon im Langzeitgedächtnis repräsentiert ist, aber völlig unplausibel wäre es, anzunehmen, dass nur Gegenstände, die schon im Langzeitgedächtnis repräsentiert sind, aktuell aktiviert bzw. salient sein können, denn dies würde bedeuten, dass alles, was Bestandteil des Kurzzeitgedächtnisses ist, auch (schon) Bestandteil des Langzeitgedächtnisses sein müsste. 187 Familiarity (verstanden als Bekanntheit oder Vertrautheit) zielt auf die Domäne des Langzeitgedächtnisses ab. Die Frage nach der Familiarity eines (Referenz-)Gegenstands ist dementsprechend die Frage danach, ob der Gegenstand natürlich nicht, dass darum auch die Art und Weise der Referenzauflösung gleich ausfallen muss.) Was die Frage betrifft, woran sich höhere oder niedrigere Grade adressatenseitiger Zugänglichkeit bemessen lassen, so ist der Aspekt des inferentiellen Aufwands m. E. das entscheidende Kriterium. Hinsichtlich dieses Kriteriums ist das oben diskutierte Abfallbehälter-Beispiel sicherlich ein klarer Kandidat für einen Referenzausdruck, dessen Referent einen niedrigen adressatenseitigen Zugänglichkeitsgrad aufweist. Wer etwa die Anweisung bekommt: Deponieren Sie das Lösegeld in dem Abfallbehälter links neben dem Kriegerdenkmal im Hofgarten , identifiziert das intendierte Abfallbehältertoken auf der Basis der (sprecherseitig vorausgesetzten) token -Zugänglichkeit des Kriegerdenkmals im Hofgarten. Das heißt, in dem (sehr wahrscheinlichen) Fall, dass der Adressat noch nicht über eine Repräsentation genau dieses Abfallbehälters verfügt, kann er die token -Auflösung erst im Nachhinein, d. h. beim Deponieren des Lösegelds vollenden. Innerhalb der assumed familiarity -Taxonomie ließe sich dieser Fall definiter Referenz darum der brandnew anchored -Kategorie zuordnen - trotz der für diese Kategorie von Prince vermuteten Beschränkung auf indefinite Referenzausdrücke (vgl. Prince 1981, 237). 185 Siehe hierzu auch Gundel (2010), wo die Implikationalität der Givenness-Status-Kategorien noch einmal explizit als das Alleinstellungsmerkmal der Givenness-Hierarchie herausgestellt wird. 186 Vgl. etwa die Definitionen von activated und familiar in Gundel (2010, 152): activated : „associate representation in working memory“; familiar : „associate representation in memory“. 187 Dies würden wohl auch Gundel/ Hedberg/ Zacharski nicht behaupten. Zwar bleibt die Implikationalität der Status-Kategorien durch die weniger spezifische Fassung der familiar -Kategorie gewahrt (s.o.: memory vs. working memory ), aber so geht die Möglichkeit verloren, Langzeitgedächtnis-Repräsentationen innerhalb der Givenness-Hierarchie eindeutig einer Kategorie zuordnen zu können. <?page no="154"?> 154 5 Topik-Eigenschaften dem Hörer schon bekannt oder vertraut ist - und diese Frage-Perspektive ist zunächst unabhängig davon, ob der Gegenstand aktuell auch intendierter Referent eines Referenzausdrucks ist. Salienz und Aktiviertheit sind demgegenüber Konzepte, die sich der Domäne der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zuordnen lassen. 188 Fragen nach der Aktiviertheit oder Salienz eines (Referenz-) Gegenstands sind demnach Fragen danach, ob er im aktuellen Wahrnehmungs- oder Aufmerksamkeitsfokus des Adressaten steht. 189 Auch die Frage nach der Aktiviertheit oder Salienz eines Gegenstands ist zunächst unabhängig davon, ob er aktuell auch intendierter Referent eines Referenzausdrucks ist. So ist bspw. die Vase in (12) schon adressatenseitig salient, bevor sie Referent des pronominalen Referenzausdrucks ist. 190 Für Referenten, in Bezug auf die adressatenseitige Familiarity vorausgesetzt wird, gilt also, dass sie (schon) Bestandteil des Langzeitgedächtnisses des Adressaten sind. Und für saliente (bzw. aktivierte) Referenten gilt, dass sie aktuell im Aufmerksamkeitsbzw. Wahrnehmungsbereich des Adressaten stehen. Wie schon erwähnt folgt hieraus nicht, dass sich Familiarity und Salienz ausschließen! Referenten, die familiar sind, können salient sein - und umgekehrt. Was aus der Zuordnung zu den jeweiligen Domänen lediglich folgt, ist, dass sich aus dem Umstand, dass ein Referent für den Adressaten aktuell salient ist, nicht 188 Zwar wird in zeitgenössischen Gedächtnis-Modellen auch die Verarbeitung aktueller Wahrnehmungsinhalte im Kurzzeitbzw. Arbeitsgedächtnis dem Gesamtkomplex ‚Gedächtnis‘ zugeordnet (vgl. Baddeley 1997, 29 ff.), aber im Sinne eines implikationalen Verhältnisses fallen die zwei Domänen nicht zusammen (vgl. ebd., 38 ff..: „Evidence against a unitary view of memory“). 189 Auch Gundel/ Hedberg/ Zacharskis in focus -Kategorie ist zum Teil auf der Basis aufmerksamkeitspsychologischer Begrifflichkeit definiert: „The referent is not only in short-term memory, but is also at the current center of attention“ (1993, 279). 190 Es sei hier noch einmal an Lewis’ (1979, 348) Diktum erinnert: „There are various ways for something to gain salience. Some have to do with the course of conversation, others do not.“ So basiert die Salienz der Vase in (12) darauf, dass sie durch das Fallenlassen in den Aufmerksamkeitsfokus des Adressaten gelangt ist, während die Salienz des Restaurants in (14) darauf basiert, dass es als intendierter Referent wiederholt Gegenstand der Prädikation ist und somit als Diskurs gegenstand im Aufmerksamkeitsfokus des Adressaten steht. Ob die Vase in (12) erst durch den pronominalen Referenzausdruck aktiviert wird oder schon durch das Fallenlassen, ist m. E. eine terminologische Frage. So ist Aktivierung zwar in der Regel im Sinne einer Erst-Erwähnung im aktuellen Diskurs definiert, was von der Frage der adressatenseitigen Bekanntheit prinzipiell unabhängig ist (vgl. Princes (1992) Unterscheidung discourse-new / old vs. hearer-new / old ). Aber Princes Unterscheidung textually vs. situationally evoked legt zumindest nahe, dass die Aktivierung bzw. ‚Evozierung‘ von (Diskurs-)Gegenständen nicht zwingend durch Referenzausdrücke erfolgt sein muss. <?page no="155"?> 5.3 Exkurs: Salienz, Zugänglichkeit, Familiarity 155 ableiten lässt, dass dieser auch schon Bestandteil seines Langzeitgedächtnisses ist. 191 Anders als Familiarity und Salienz zielt Zugänglichkeit auf den Aspekt der Identifizierbarkeit des Gegenstands als intendierter Referent ab. Die Frage nach der Zugänglichkeit eines Referenten lautet dementsprechend: Wodurch bzw. durch welche Quellen wird (bzw. ist) gewährleistet, dass der intendierte Referent für den Adressaten - entweder als Gegenstands token oder, wie in (14), lediglich als Diskurs token - identifizierbar ist? Der wesentliche Unterschied zu den anderen der hier diskutierten Givenness-Ansätze besteht somit darin, Familiarity und Salienz nicht als Kategorien geringerer oder höherer Zugänglichkeit ( accessibility ) aufzufassen, sondern als Bezeichnungen für spezifische kognitive Domänen, die die Identifizierbarkeit der Referenten von Referenzausdrücken gewährleisten (können) - so dass sich sagen lässt: „Der intendierte Referent ist für den Adressaten zugänglich, weil er ihm bekannt oder vertraut (familiar) ist“ - oder: „Der intendierte Referent ist für den Adressaten zugänglich, weil er aktuell salient ist, d. h. in seinem Aufmerksamkeitsfokus steht.“ 192 191 Anders als das hier vorgeschlagene Familiarity-Verständnis ist Gundel/ Hedberg/ Zacharskis familiar -Kategorie nicht auf die Domäne des Langzeitgedächtnisses beschränkt. Vgl. ihre Definition der familiar -Kategorie: „The addressee is able to uniquely identify the intended referent because he already has a representation of it in memory (in long-term memory if it has not been recently mentioned or perceived, or in short-term memory if it has)“ (1993, 278). Des Weiteren sind Langzeitgedächtnis-Repräsentationen nicht nur der familiar -Kategorie, sondern auch der daran anschließenden uniquely identifiable -Kategorie zugeordnet. „Unique identifiability“ liegt laut Gundel/ Hedberg/ Zacharski vor, wenn „the addressee can identify the speaker’s intended referent on the basis of the nominal alone“ (1993, 277), was u. a. dann der Fall sein soll, wenn die adressatenseitige Identifizierbarkeit auf einer „already existing representation in the addressee’s memory“ basiert (ebd.). Aber worin genau sich Referenten, die familiar sind und deren Identifizierbarkeit auf einer „representation in long-term memory“ beruht, bzgl. ihrer vorausgesetzten Givenness von Referenten unterscheiden, die uniquely identifiable sind und deren Identifizierbarkeit auf einer „already existing representation in the addressee’s memory“ beruht, bleibt ein Geheimnis der Autoren. Die den Status-Kategorien zugeordneten Ausdruckstypen können jedenfalls kein Unterscheidungskriterium sein, da ja die Wahl des Ausdruckstyps durch den jeweils vorausgesetzten Givenness-Status motiviert sein soll (1993, 275). Der Umstand, dass Langzeitgedächtnis-Repräsentationen keiner der Givenness-Kategorien klar zugeordnet sind, hat noch einen weiteren Nachteil, denn so lässt sich innerhalb der Givenness-Hierarchie nicht abbilden, was sich etwa in Princes familiarity -Taxonomie problemlos benennen lässt: nämlich auf der Basis welcher kognitiven Domäne der intendierte Referent eines Referenzausdrucks identifiziert werden kann: auf der Basis einer Repräsentation im Langzeitgedächtnis ( unused ) oder auf der Basis einer Repräsentation im Kurzzeitbzw. Arbeitsgedächtnis ( textually / situationally evoked ). 192 Natürlich soll hiermit der Beitrag des Referenzausdrucks, den intendierten Referenten zugänglich zu machen, nicht in Abrede gestellt werden. So lässt sich zwar sagen, <?page no="156"?> 156 5 Topik-Eigenschaften Wie anhand der Beispiele (13) und (14) gezeigt wurde, hat diese Verständnisweise zwei wesentliche Konsequenzen: Die erste Konsequenz ist, dass Salienz nicht notwendig Familiarity (in der hier vorgeschlagenen Verständnisweise) impliziert. Das heißt, saliente Referenten sind zwar prinzipiell zugänglich, aber ihre Zugänglichkeit kann, so wie der Referent des Pronomens in (14), lediglich auf ihre Rolle als soeben neu eingeführter Diskurs gegenstand beschränkt sein. Die zweite Konsequenz ist, dass Zugänglichkeit auf der Basis von Salienz nicht notwendig einen höheren Zugänglichkeitsgrad impliziert als Zugänglichkeit auf der Basis von Familiarity - siehe die hinsichtlich ihres Zugänglichkeitsgrads praktisch gleichwertigen Referenten von Ihre Frau in (13) und das in (14). 193 Hieraus ergibt sich des Weiteren, dass Zugänglichkeit einerseits und Salienz bzw. Familiarity andererseits jeweils spezifische Perspektiven auf einen (Diskurs-)Gegenstand implizieren: Während Salienz und Familiarity auf die jeweiligen Repräsentationsdomänen des Gegenstands abzielen - der Gegenstand ist familiar, wenn er im Langzeitgedächtnis repräsentiert ist; er ist salient, wenn er aktuell (auch) im Aufmerksamkeitsfokus steht -, zielt Zugänglichkeit auf die Identifizierbarkeit des Gegenstands als intendierter Referent eines aktuell verwendeten Referenzausdrucks ab. dass token -Identifizierbarkeit im Fall niedrigerer adressatenseitiger Zugänglichkeit durch entsprechend höhere lexikalisch/ semantische Gehalte sicherzustellen ist (siehe das Abfallbehälter-Beispiel), wohingegen dies im Fall hoher Zugänglichkeit, etwa wenn sich der intendierte Referent im unmittelbaren Wahrnehmungsumfeld des Adressaten befindet, auch durch Ausdrücke mit wenig bis gar keinem semantisch deskriptiven Gehalt (etwa Pronomen) gewährleistet sein kann (vgl. Gundel 2010, 160). Zwei Faktoren sind es jedoch, die der von Gundel/ Hedberg/ Zacharski (und auch Ariel) behaupteten ausdrucksseitigen Indizierung vorausgesetzter adressatenseitiger Zugänglichkeit entgegenwirken können: Zum einen ist token -Identifizierbarkeit kein absoluter Anspruch, den Referenzausdrücke immer und in vollem Umfang einzulösen haben, sondern ist abhängig von Faktoren diskursiver Relevanz. So hat (13) gezeigt, dass pronominale Referenz nicht in allen Fällen voraussetzt - und somit auch nicht immer indiziert -, dass das intendierte Referenz token adressatenseitig identifizierbar ist. Und zum anderen kann die Funktion der lexikalisch/ semantischen Gehalte von Referenzausdrücken nicht darauf reduziert werden, die Identifizierbarkeit ihrer Referenten sicherzustellen. So kommt etwa wiederaufnehmenden Nominalphrasen häufig auch die Rolle zu, mittels ihres lexikalisch/ semantischen Gehalts etwas über ihre Referenten implizit zu prädizieren (vgl.: unser neuer Mitarbeiter > der Idiot ). Siehe hierzu etwa von Polenz’ Begriff des „prädizierenden Bezugnehmens“ (von Polenz 1985, 125 f.). 193 Und des Weiteren gilt: Aus dem Umstand, dass in Bezug auf einen Gegenstand adressatenseitig Familiarity besteht, folgt hinsichtlich (des Grades) seiner adressatenseitigen Zugänglichkeit als intendierter Referent eines aktuell verwendeten Referenzausdrucks zunächst überhaupt nichts. Denn egal, ob der Hörer einen Gegenstand kennt oder nicht - als sprecherseitig intendierter Referent eines indefiniten Referenzausdrucks (wofür natürlich eine spezifische Lesart dieses Ausdrucks vorausgesetzt sein muss) ist er für ihn in jedem Fall als nicht identifizierbar ausgewiesen. <?page no="157"?> 5.4 Topikalität und diskursive Salienz 157 5.4 Topikalität und diskursive Salienz In Bezug auf Topikalität hat die im letzten Abschnitt vorgeschlagene ‚Sprachregelung‘ zunächst den Vorteil, dass sich auf diese Weise das Verhältnis von Topikalität, Zugänglichkeit und Familiarity präziser fassen lässt. So ist Gundels Topic-Familiarity Condition in Wahrheit eine Topic-Accessibility Condition : Nicht Vertrautheit oder Bekanntheit muss vorausgesetzt sein, sondern lediglich, dass der mit dem Topik-Ausdruck intendierte Referent für den Adressaten zugänglich ist. Und hierfür genügt schon, dass der Referent als aktueller Diskurs gegenstand aktiviert ist - wofür nicht vorausgesetzt sein muss, dass der Adressat schon über eine Repräsentation des Referenten in seinem Langzeitgedächtnis verfügt. So ist der Referent von das in (14) (das Restaurant) lediglich als unmittelbar zuvor aktivierter Diskursgegenstand zugänglich, und erst auf der Basis seiner Rolle als Topik und aktuelles ‚center of attention‘ bw. ‚center of interest‘ bildet sich u. U. auch eine Repräsentation im Langzeitgedächtnis des Adressaten heraus. 194 Die Verortung von Salienz innerhalb der Domäne der Aufmerksamkeit ebnet des Weiteren den Weg für die Möglichkeit, Salienz klarer von Aktiviertheit abgrenzen zu können. Hierfür können Gundel/ Hedberg/ Zacharskis Givenness-Kategorien activated und in focus einen brauchbaren Hinweis liefern: activated wird allein über den Begriff des Kurzzeitgedächtnisses expliziert: „The referent is represented in current short-term memory“ (1993, 278); in focus darüber hinaus auch über den Begriff der Aufmerksamkeit: „The referent is not only in short-term memory, but is also at the current center of attention“ (1993, 279). 195 In der Tat ist es plausibel, zumindest in Bezug auf Salienz und Aktiviertheit von einem implikationalen Verhältnis auszugehen: So gilt zwar, dass für Referenten, die aktuell im Aufmerksamkeitsfokus stehen, vorausgesetzt sein muss, dass sie im Kurzzeitbzw. Arbeitsgedächtnis aktiviert sind, aber umgekehrt gilt nicht, dass Referenten, die aus dem aktuellen Aufmerksamkeitsfokus heraustreten, damit auch unmittelbar aus dem Arbeitsgedächtnis herausfallen. 196 Bezüglich 194 Darum hebt die hier vorgeschlagene Sprachregelung auch das Verständnis von Topiks als Diskurs gegenstände hervor. Wie ich im letzten Abschnitt dieses Kapitels (Kap. 5.5) zeigen möchte, lässt sich auf diese Weise auch die Topiks zugeschriebene Eigenschaft der Referentialität klarer fassen. 195 Siehe jedoch Gundel (2010, 152), wo der Status allein über den Begriff der Aufmerksamkeit definiert ist: in focus : „associate representation in focus of attention“. 196 Vgl. etwa Baddeleys (2003) Modell des „episodischen Puffers” ( episodic buffer ). Der episodische Puffer ist ein kapazitär begrenzter Speicher des Arbeitsgedächtnisses, der eingehende visuelle oder auditive Information in ‚episodische‘ chunks bündelt (Baddeley 2003, 835 f.). Referenten, die im Sinne Gundel/ Hedberg/ Zacharkis activated -Status haben, sind nach diesem Modell somit zwar im „episodischen Puffer” enthalten, stehen damit jedoch nicht notwendig auch im aktuellen Fokus der Aufmerksamkeit. <?page no="158"?> 158 5 Topik-Eigenschaften der Frage, unter welchen Bedingungen für einen Referenten in focus - oder lediglich activated -Status angenommen werden kann, nennt Gundel (2010) die folgenden Anhaltspunkte: A referent can be assumed to be in focus if: (a) the addressee is intently looking at it, (b) it was introduced in a syntactically prominent position in the immediately preceding sentence. A referent can be assumed to be at least activated if: (a) it is present in the immediate extralinguistic context, (b) it is mentioned in the immediately preceding sentence. (Gundel 2010, 154) Während also die in focus -Kategorie auf Aspekte wie Aufmerksamkeitszuwendung bzw. Aufmerksamkeitslenkung abzielt, bleibt Aktiviertheit auf das Kriterium der Anwesenheit ( presence ) im unmittelbaren sprachlichen oder außersprachlichen Kontext beschränkt. Gundels Hinweis auf die Möglichkeit sprachlich bzw. diskursiv induzierter Aufmerksamkeitsfokussierung lässt sich durchaus auch auf die oben diskutierten Beispiele (11a) und (11b) beziehen - obwohl die von ihr angedeuteten syntaktischen Indikatoren dort keine Rolle spielen: 197 (11a) A: Was ist mit der Wohnung? Hat Arno sie gekauft? B: Nein. Er hat sie gemietet. (11b) A: Was ist mit Arno? Hat er die Wohnung gekauft? B: Nein. Er hat sie gemietet. 197 Mit ihrem Hinweis auf die Einführung eines Diskursgegenstands in „syntaktisch prominenter Position“ hat Gundel wohl Linksversetzungen im Sinn, vgl. etwa Gundel (1988b, 55): „The function of the left dislocated noun phrase is to state the theme of the following predicative sentenc“. Aus dieser Perspektive ließe sich dann die Hervorhebung eines Referenten durch die syntaktisch ‚markierte‘ Linksversetzung als sprachliches Mittel der Aufmerksamkeitslenkung deuten: Der syntaktisch hervorgehobene Referent steht, indem er auf diese Weise explizit zum Gegenstand der Prädikation ‚erhoben‘ wird, von dort an im Aufmerksamkeitsfokus des Adressaten. Wie aber Beispiel (4) in Kap. 5.1 gezeigt hat, können linksversetzte Konstituenten im Deutschen auch zur Prädikation gehören: […] n besonders gutes Beispiel, das warn mal unsere Nachbarn […] . Aus diesem Grund kann ihnen im Deutschen auch nicht generell die Funktion zugeschrieben werden, den Aufmerksamkeitsfokus des Adressaten auf einen bestimmten Referenten zu lenken, indem man ihn „in syntaktisch prominenter Position“ als „theme of the following predicative sentence“ ausweist - zumindest solange man davon ausgeht, dass die „syntaktisch prominente Position“, in der der hervorgehobene Referent repräsentiert ist, die linksversetzte Konstituente selbst ist. Genauso diskutierenswert (und natürlich ebenso spekulativ) wäre daher die Frage, ob die Linksversetzung in (4) nicht vielmehr bewirkt, dass die Nachbarn in den Aufmerksamkeitsfokus gelangen sollen, nämlich dadurch, dass sie durch die nach links versetzten prädikativen Elemente in die für Satzgegenstände nicht kanonische Position nach rechts rücken. <?page no="159"?> 5.4 Topikalität und diskursive Salienz 159 Obwohl die Antwort-Äußerungen in den zwei Varianten ausdrucksseitig vollkommen identisch sind, steht in (11a) die Wohnung und in (11b) Arno im (gemeinsamen) Aufmerksamkeitsfokus. Die Faktoren, die die ‚Aufmerksamkeitsfokussierung‘ auf die Wohnung bzw. Arno bewirken, sind hier ausschließlich diskursiver Natur: Das Aktiviertheitskriterium reicht als Salienz-Indikator nicht hin, da sich die zwei Referenten in dieser Hinsicht nicht unterscheiden. 198 Ebenso gibt es keine (vermeintlichen) syntaktischen Indizien, da die Antwort-Äußerungen in den zwei Varianten auch hinsichtlich der Abfolge ihrer Argument-Konstituenten vollkommen identisch sind. Und selbst auf die Intonation hat die jeweilige ‚Fokussierung‘ keinerlei Auswirkungen. Was die Referenten jeweils in den Aufmerksamkeitsfokus lenkt, ist allein A’s Einleitungsfrage ( Was ist mit der Wohnung? / Was ist mit Arno? ), durch die sie jeweils explizit als ‚center of interest‘ ausgewiesen werden, sodass sie diesen Status ab dem Zeitpunkt der Entscheidungsfrage einnehmen und somit auch noch zum Zeitpunkt der Antwort von B als „ratifiziertes“ Topik und adressatenseitig „erwarteter“ Gegenstand der Prädikation gelten können. 199 Dies ist natürlich zunächst kein sonderlich spektakulärer Befund. Aber die Beispiele werfen m. E. doch einiges Licht auf die Faktoren, die die Deutung eines Referenten als aktuelles ‚center of interest‘ plausibel machen können. Zwei Perspektiven sind hierbei zu berücksichtigen: zum einen die Perspektive auf den Referenten; zum anderen die Perspektive auf die diskursive Einbettung des Satzes, in dem der Referent aktuell repräsentiert ist. Als referentenbezogener Faktor ist zunächst Gundels Topic-Familiarity Condition zu nennen (die jedoch in Wahrheit eine Accessibility Condition ist): Referenten, deren Rolle als „predictable or expectable argument of a predication“ (Lambrecht/ Michaelis 1998, 495) für Sprecher und Hörer unstrittig ist, müssen 198 Dass in (11a) die Wohnung und in (11b) Arno zweimal pronominal repräsentiert sind, ist lediglich der Nachvollziehbarkeit der koreferentiellen Bezüge geschuldet und darum kein Indikator für ihre jeweilige Salienz. In einer realen Äußerungssituation hätten die Referenten ebenso gut auch schon vor ihrer Ausweisung als ‚center of interest‘ aktiviert worden sein können; vgl. etwa die folgende, auf (11a) beruhende Variante: B: Arno ist in die neue Wohnung gezogen. A: Und? Was ist jetzt damit? Hat er sie gekauft? B: Nein. Er hat sie gemietet. 199 Darum trifft auf die jeweils im Aufmerksamkeitsfokus stehenden Referenten in besonderem Maße zu, was ratifizierte Topiks laut Lambrecht/ Michaelis (1998, 495) auszeichnet: dass nämlich ihr Topikstatus seitens des Sprechers als hörerseitig unstrittig vorausgesetzt werden kann: „[The] topic role in a predication is considered predictable to the point of being taken for granted by the hearer […].“ Denn was den Topikstatus Arnos bzw. der Wohnung für den Adressaten der Antwort-Äußerung so unstrittig und vorhersehbar macht, ist der Umstand, dass der Adressat hier auch derjenige ist, der die jeweiligen Referenten unmittelbar zuvor als ‚center of interest‘ ausgewiesen hat. <?page no="160"?> 160 5 Topik-Eigenschaften vorerwähnt und aktiviert sein - und sind somit auch hörerseitig zugänglich. 200 Als diskursiver Faktor kommt hinzu, ob - oder auch: wie gut - sich der Satz dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen lässt. Diskursiv ist dieser Faktor insofern, als die Zuordnung durch bestimmte diskursive Bedingungen naheliegen - oder sogar erzwungen sein kann. Letzteres ist, wie schon weiter oben ausgeführt wurde, in (11) der Fall, da dort durch die Entscheidungsfrage die Zuordnung der Antwortäußerung zum Satzfokus-, wie auch zum Argumentfokus-Typ blockiert ist: Die Satzfokus-Deutung ist blockiert, weil die Entscheidungsfrage bewirkt, dass die im Antwortsatz enthaltenen Elemente, die das Kriterium adressatenseitiger „unpredictability“ 201 erfüllen, nicht über den prädikativen Teil hinausgehen können. Und die Zuordnung zum Argumentfokus-Typ ist blockiert, weil die Entscheidungsfrage die Deutung sowohl des Subjektals auch des Objekt-Arguments als Fokus-Konstituente unterbindet - womit beide Argument-Stellen als potentielle Prädikationsadressen ausgewiesen sind. Doch obwohl die Gliederungstyp-Zuordnung (zumindest in diesem Fall) schon durch den Entscheidungsfrage-Kontext klar entschieden werden kann, 202 ist die Identifizierung des Topik-Referenten erst durch die der Entscheidungsfrage jeweils vorangehenden ‚Einleitungsfrage‘ möglich. Die diskursive Salienz der Wohnung in (11a) bzw. Arnos in (11b) lässt sich somit auf das Zusammenwirken dieser drei Faktoren zurückführen. Worauf ihre Salienz jeweils beruht, ist (i), dass sie aktiviert (und damit zugänglich) sind, sowie (ii), dass sie sich durch die eindeutige Zuordnung zum Topik/ Kommentar-Typ als jeweiliger Gegenstand der Prädikation im pragmatischen Sinne deuten lassen, und schließlich (iii), dass sie durch die Einleitungsfragen jeweils ex- 200 Insofern ist Zugänglichkeit weniger eine Topik-Bedingung, sondern eher ein ‚Begleiteffekt‘ ihrer Aktiviertheit (und natürlich auch ihrer Salienz): Dadurch, dass sie aktiviert sind, können sie auch als intendierte Referenten des auf sie aktuell bezogenen Referenzausdrucks als adressatenseitig zugänglich gelten. 201 Vgl. Lambrecht (2000, 614): „[…] neither the occurrence of the argument nor that of the predicate in the proposition is in any way predictable or contextually presupposed. The proposition is in some sense ‘all-new’“. 202 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Entscheidungsfrage den Topik/ Kommentar-Typ im strikten Sinne determiniert. Denn zum einen hätte es B in seiner Antwort bei einem schlichten „nein“ belassen können und zum anderen hätte er daran auch mit einer Äußerung anschließen können, die die von Lambrecht für Satzfokus-Fälle geforderte „unpredictability“ aller im Satz enthaltenen Elemente durchaus erfüllen kann: A: Was ist mit der Wohnung? Hat Arno sie gekauft? B: Nein. Die Bank hat die Finanzierung abgelehnt. Mit der Redeweise, dass die Entscheidungsfrage ‚bewirkt‘, dass die Zuordnung zum Satzfokus- und zum Argumentfokus-Typ blockiert ist, ist lediglich gemeint, dass die Antwortäußerung, so wie sie von B vollzogen worden ist , keine andere Zuordnung zulässt. In dieser Hinsicht verhält es sich in diesem Beispiel also nicht anders als in Beispiel (5) in Kap. 4.2, wo sich gezeigt hat, dass auch W -Fragen im Prinzip alle drei Gliederungstypen im Antwortteil zulassen. <?page no="161"?> 5.4 Topikalität und diskursive Salienz 161 plizit als ‚center of interest‘ ausgewiesen sind. Während der erste (referentielle) Faktor zunächst die Voraussetzungen für die Topik- und ‚center of interest‘- Fähigkeit des jeweiligen Referenten schafft, bewirkt der zweite, auf den Gliederungstyp bezogene Faktor, dass prinzipiell beide Referenten als ‚Gegenstand‘ der Prädikation im pragmatischen Sinne (d. h. im Sinne der Aboutness-Relation als „expressing information which increases the addressee’s knowledge of this referent“) deutbar sind. Und der dritte Faktor ermöglicht es, diese Prädikationsrelation in eindeutiger Weise herzustellen. Topik-Referenten wie in (11a) und (11b) können daher folgende Eigenschaften zugeschrieben werden: Sie sind (i) als „erwartetes“ und sprecher-/ hörerseitig unstrittiges Argument der Prädikation aktiviert und diskursiv salient. Sie haben als Argument der Prädikation somit (ii) auch die Adressenrolle inne. 203 Und sie sind aufgrund ihrer Aktiviertheit (iii) als intendierte Referenten des aktuell verwendeten Referenzausdrucks adressatenseitig zugänglich. Es ist wichtig, diese Eigenschaften ( diskursive Salienz und Aktiviertheit , Adresse , hörerseitige Zugänglichkeit ) nicht als Auflistung von Merkmalen, die einem Referenten u. U. auch einzeln zugesprochen werden könnten, misszuverstehen. Auf die Eigenschaft der diskursiven Salienz trifft dies jedenfalls nicht zu: So folgt aus dem Umstand, dass ein Referent diskursiv salient ist, sowohl, dass er aktuell die Adressenrolle innehat, als auch, dass er (aufgrund seiner Aktiviertheit) adressatenseitig zugänglich ist. Aber ebenso wenig lässt sich die Auflistung dieser Eigenschaften als implikationale Hierarchie deuten. Der Grund ist, dass sich die Adressenrolle an keiner Stelle in eine solche Hierarchie einfügen ließe. Denn zum einen ist hörerseitige Zugänglichkeit - ebenso wie Aktiviertheit - für die Adressenfähigkeit eines Referenten nicht erforderlich. Wie Beispiel (3) ( ne Freundin von mir, die ist auf einem Ohr taub ) gezeigt hat, reicht die Spezifizität 203 Dies geht implizit auch aus Lambrecht/ Michaelis’ Topik-Definition hervor (siehe oben). Ich ignoriere hier, dass die Adressierung in den einschlägigen Ansätzen i. d. R. nicht (oder zumindest nicht explizit) auf den Referenten bezogen wird. Siehe etwa Reinhart (1981, 72 f.), die im Rahmen ihres ‚referential entry‘-Konzepts den Bezug auf den Referenten sogar kategorisch ablehnt (siehe Reinharts Diktum: „Topichood cannot be defined on referents“, ebd., 72). Es ist aus meiner Sicht jedoch vollkommen unproblematisch, genauso wie Topikalität auch die Adressenrolle auf Diskursreferenten zu beziehen. Die prinzipiellen Bedenken, die Reinhart gegen die Bezugnahme auf Referenten vorbringt, formuliert sie vor allem vor dem Hintergrund vermeintlich problematischer Beispiele wie etwa „Felix praised himself“, in denen Topik- und Fokus-Ausdruck koreferent sind, sodass sie argumentiert, dass dem mit den koreferenten Ausdrücken assoziierten Referenten (Felix) dann nicht nur Topiksondern auch Fokus-Status zugeschrieben werden müsste. Wie ich in Kap. 3.3 ausgeführt habe, beruht der vermeintliche Widerspruch, der hier zutage tritt, auf einer Unklarheit darüber, auf welche Ebene die Fokus-Kategorie zu beziehen ist. In Kap. 3.4 habe ich gezeigt, wie sich die Probleme, die derartige Fälle bereiten, mit Lambrechts Ansatz lösen lassen. <?page no="162"?> 162 5 Topik-Eigenschaften des Referenzausdrucks hierfür schon aus. 204 Und zum anderen sind Topiks zwar immer Adressen, aber Adressen sind nicht notwendig Topiks. So können Adressen-Ausdrücke Argumentfokus-Status haben - siehe Beispiel (8): Ein Hund ist intelligent, eine Katze (ist es) nicht - oder sie können - siehe wiederum Beispiel (3) - Argument der Prädikation in Sätzen sein, deren diskursive Einbettung den Satzfokus-Typ nahelegt. 205 Es ist wichtig, noch einmal herauszustellen, dass die oben aufgelisteten Eigenschaften allesamt als Eigenschaften von Diskursreferenten zu verstehen sind. Dies gilt nicht nur in Bezug auf Aktiviertheit, Zugänglichkeit und die Adressenfunktion, 206 sondern natürlich auch für die Eigenschaft der diskursiven Salienz. 207 Die Salienz eines Referenten kann nun allerdings höher oder niedriger ausfallen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich bei Salienz letztlich doch nur um eine Kategorie höherer oder niedrigerer adressatenseitiger Referenten-Zugänglichkeit handelt. Und es bedeutet ebenso wenig, dass geringere diskursive Salienz geringere adressatenseitige Zugänglichkeit impliziert. Dass dies nicht so 204 Und wie u. a. Reinharts Beispiel (A: Who did Felix praise? B: Felix praised himself. ) zeigt, lässt sich auch aus der Zugänglichkeit oder Aktiviertheit eines Referenten weder ableiten, dass er Adressen- oder Topikstatus hat, noch ist dadurch ausgeschlossen, dass der auf ihn bezogene Ausdruck zum Fokusbereich gehört. 205 Der Eindruck, dass Topiks fokussiert sein können (vgl. Molnár 1993) rührt somit daher, dass der Topikstatus eines Referenten (bzw. der Topikausdruck-Status eines Referenzausdrucks) mit seinem Status als Prädikationsadresse gleichgesetzt wird. Was also zusammenfallen kann, sind nicht Topik und Fokus, sondern Adresse und Fokus. 206 Es wäre in der Tat recht merkwürdig, etwa in Bezug auf Bedeutungen oder ‚Lesarten‘ von Zugänglichkeit oder Nicht-Zugänglichkeit zu sprechen - es sein denn, es ist etwas völlig anderes damit gemeint, so wie etwa bei Giora (1997), die in Bezug auf das Äußerungsverstehen von einer „accessibility of meanings“ spricht (ebd., 183). Im Rahmen der Ansätze von Prince, Gundel/ Hedberg/ Zacharski oder Ariel sind Fragen nach der adressatenseitigen Zugänglichkeit oder Aktiviertheit jedoch nur auf Diskursreferenten beziehbar. Auch Reinharts Verständnis von Topiks, bzw. Adressen als „referential entries“ für „NP-interpretations“ (vgl. Reinhart 1981, 80) ergibt letztlich nur Sinn, wenn die sogenannten ‚NP-Interpretation‘ im Sinne einer Bezugnahme auf einen aktuell intendierten Referenten verstanden wird - und nicht etwa im Sinne einer Disambiguierung verschiedener Bedeutungsvarianten bzw. Lesarten, die einem polysemen NP-Ausdruck zukommen können. Insofern entkommt auch Reinhart nicht der referentenbezogenen Perspektive - wie im Grunde schon ihr Terminus ‚referential entry‘ verrät und trotz ihrer diesbezüglich vorgebrachten prinzipiellen Bedenken (siehe hierzu auch meine Ausführungen in Kap. 3.2). 207 Darum unterscheidet sich auch das hier zugrunde gelegte Verständnis von Salienz dezidiert von Ansätzen, die den Salienz-Begriff auf das Äußerungsverstehen beziehen wollen und in diesem Zusammenhang von sogenannten „salient meanings“ sprechen. Vgl. etwa Giora (1997, 183): „Figurative and literal language use [is] governed by a general principle of salience: Salient meanings (e.g., conventional frequent, familiar, enhanced by prior context) are processed first. Thus, for example, when the most salient meaning is intended (as in, e.g., the figurative meaning of conventional Idioms), it is accessed directly, without having to process the less salient (literal) meaning first.“ <?page no="163"?> 5.4 Topikalität und diskursive Salienz 163 ist, hängt mit dem oben identifizierten zweiten, diskursiven Salienz-Faktor zusammen, der auf den Gliederungstyp bezogen ist. Dieser Faktor ist insofern von Bedeutung, als die Deutbarkeit eines Referenten als Topik und ‚center of current interest‘ wesentlich davon abhängt, wie klar sich der aktuelle Satz (bzw. die aktuelle Äußerung) dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen lässt. So lassen sich die Antwortsätze in (11a) und (11b) zwar zweifelsfrei dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen (auch wenn dort für die Zuweisung der Adressenrolle - und somit für die Identifizierung des Topiks - noch weitere Anhaltspunkte mit herangezogen werden müssen), aber in anderen diskursiven Kontexten kann die Gliederungstyp-Zuordnung durchaus weniger klar ausfallen. Dies ist etwa der Fall in dem in Kap. 4.2 diskutierten Beispiel (8), das hier noch einmal in (15) wiedergegeben ist: (15) A: Was hat Arno bestellt? B: Er hat ein Bier bestellt. Legt man bzgl. der Gliederungstyp-Zuordnung Lambrechts Maßstäbe zugrunde, so ist der Antwortsatz dem Argumentfokus-Typ zuzuordnen: erstens, weil der Satz aufgrund des Fragekontextes mit einer präsupponierten offenen Proposition assoziiert ist (Arno hat X bestellt) und zweitens, weil dadurch die im Satz enthaltenen Prädikat-Elemente ( hat bestellt ) nicht zum Fokus-, sondern zum Hintergrundbereich gehören, sodass B’s Antwort nicht die nach Lambrecht nötige Prädikatfokus-Struktur aufweist, um sie dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen zu können (vgl. Lambrecht 1994, 226 sowie Lambrecht 2000, 615). Wie aber schon in Kap. 4.2 ausgeführt wurde, gibt es in B’s Antwortsatz auch einige Indizien, die die Deutung Arnos als Topik nahelegen: Hierzu zählt etwa, dass Arno als einziger Referent Gundels Familiarity- (bzw. genauer: Accessibility- ) Condition erfüllt, des Weiteren, dass er als einziger Referent im Antwortsatz wiederaufgenommen wird, und schließlich, als ausdrucksseitiges Indiz, dass die Wiederaufnahme durch ein unbetontes Pronomen erfolgt, das sogar als Subjektausdruck im Vorfeld realisiert wird. Mittlerweile können wir noch ein weiteres Indiz hinzufügen: Hinzu kommt nämlich noch, dass zumindest der Adressenstatus Arnos unstrittig ist, da der andere im Satz repräsentierte Referenzausdruck ( ein Bier ) die für Adressierungen notwendige Spezifizitätsbedingung nicht erfüllt. Und dadurch, dass Arno ja schon durch die vorangegangene Ergänzungsfrage ( Was hat Arno bestellt? ) auf seine Adressen-Rolle festgelegt wurde, ist er im Antwortsatz darüber hinaus <?page no="164"?> 164 5 Topik-Eigenschaften auch hörerseitig „vorhersehbares“ und „erwartetes“ Argument der Prädikation (Lambrecht/ Michaelis 1998, 495). 208 Es ist jedoch der Zusammenfall zweier Aspekte, der bewirkt, dass B’s Antwortäußerung zwischen Argumentfokus- und Topik/ Kommentar-Lesart changiert: erstens, dass Arno Adresse und ‚Gegenstand‘ der durch den Satz ausgedrückten Prädikation ist, und zweitens, dass der ihn repräsentierende Ausdruck ( er ) zusammen mit den im Satz enthaltenen prädikativen Ausdrücken ( hat bestellt ) zu den Hintergrund-Elementen zählt. Insofern ist die Wiederaufnahme Arnos als Adresse und ‚Gegenstand‘ der Prädikation (bedingt durch die Frage und unterstützt durch seine hörerseitige Zugänglichkeit und Aktiviertheit) zwar „vorhersehbar“ bzw. „erwartbar“; aber was den Status Arnos als ‚center of current interest‘ abschwächt, ist der Umstand, dass die Relevanz der Antwortäußerung für den Hörer (ebenfalls bedingt durch den Fragekontext) primär darin besteht, zu klären, was Arno bestellt hat, und eher nicht darin, ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass er Bier bestellt hat . 209 Aber dennoch können sich die Topik/ Kommentar- und die Argumentfokus-Lesart in B’s Antwort durchaus die Waage halten. So ist B’s Antwort zwar eindeutig mit der präsupponierten offenen Proposition assoziiert - was die Argumentfokus-Lesart nahelegt, aber ebenso eindeutig ist das Pronomen, das Arno repräsentiert, nicht zur Assertion gehörig. Das Pronomen ist also ein nichtfokussierter Adressen-Ausdruck, dessen Referent darüber hinaus auch noch aktiviert und dementsprechend maximal zugänglich ist. Vor dem Hintergrund 208 Und diesen Status hat Arno unabhängig davon, ob die Antwortäußerung, so wie in (15), syntaktisch vollständig oder nur elliptisch ausfällt: A: Was hat Arno bestellt? B: Ein Bier. 209 Es mag dieser Aspekt sein, der Lambrecht dazu verlasst hat, für den Topik/ Kommentar-Typ die Zugehörigkeit der Prädikat-Elemente zum Fokusbereich einzufordern, weswegen nach Lambrecht auch Fälle wie in (15) dem Argumentfokus-Typ zuzuordnen sind. Siehe etwa das in Kap. 4.2 erwähnte Beispiel von Lambrecht/ Michaelis (1998, 509), in dem der Antwortsatz den Autoren zufolge dem Argumentfokus-Typ zuzuordnen ist: A: What did Mom buy? B: Mom bought a jacket. Wie schon in Kap. 4.2 erwähnt, ist dies allerdings das einzige Argumentfokus-Beispiel Lambrechts, das den Fokus-Verhältnissen in (15) entspricht, d. h. wo der Adressen-Ausdruck nicht auch Fokus-Ausdruck ist, so wie in dem Großteil der anderen Argumentfokus-Beispiele. Es verwundert darum umso mehr, dass Lambrecht/ Michaelis (1998, 495) in dem folgenden, ebenfalls schon in Kap. 4.2 erwähnten Beispiel dem Objekt-Pronomen des Antwortsatzes Topikausdruck-Status zuerkennen wollen: A: Who saw the play? B: Moe saw it. (siehe meine Ausführungen dazu ebd.). Verwunderlich ist dies aus zwei Gründen: erstens, weil es sich hierbei nach Lambrechts eigenen Maßstäben um einen klaren Argumentfokus-Fall handelt, und zweitens, weil sich hier darüber hinaus auch die Frage der Adressenrolle weitaus schwieriger beantworten lässt als bspw. in (15) oder in „ Mom bought a jacket “, da beide Referenzausdrücke im Antwortsatz ( Moe ; it ) die Voraussetzungen für die Übernahme der Adressenrolle erfüllen und somit auch der Adressenstatus als Indiz für die Topik-Identifizierung weitgehend ausfällt. <?page no="165"?> 5.4 Topikalität und diskursive Salienz 165 dieser Bedingungen ist Arno also zunächst ein durchaus passabler Kandidat für den Topikstatus, zumal sich diese Bedingungen in keiner Weise von denen unterscheiden, die in Bezug auf Arno in dem weiter oben diskutierten Beispiel (10) herrschen, wo der Topikstatus Arnos aufgrund der dort vorliegenden ‚Prädikatfokus‘-Struktur nach Lambrechts Maßstäben unstrittig ist: (10) A: Was ist Arno passiert? B: Arno ist ausgerutscht. Dass Arno in (15) - genauso wie in (10) - durch einen nicht fokussierten Adressen-Ausdruck repräsentiert wird, unterscheidet die Argumentfokus-Lesart in (15) jedoch von Argumentfokus-Fällen, in denen der Adressen-Ausdruck auch Fokus-Ausdruck ist. Das weiter oben diskutierte Beispiel (10’) kann für einen solchen Fall angeführt werden: (10’) A: Wer ist ausgerutscht? B: Arno ist ausgerutscht. So ist Arno zwar auch in (10’) Adresse und Gegenstand der durch den Satz ausgedrückten Prädikation - schon allein dadurch, dass der Antwortsatz dort gar keine weitere Argumentstelle enthält, die die Rolle als Adressen-Ausdruck übernehmen könnte. Aber anders als in (15) und (10) ist der Subjekt-Ausdruck dort fokussierter Adressen-Ausdruck und somit zur Assertion gehörig. Trotz seines Adressenstatus ist Arno in (10’) somit kein hörerseitig „vorhersehbares“ oder „erwartbares“ Argument der Prädikation (Lambrecht) - wodurch er für die Rolle als Topik und ‚center of current interest‘ von vornherein disqualifiziert ist. Der Argument-Ausdruck dient dort allein der Füllung der Leerstelle der durch die Frage evozierten (und präsupponierten) offenen Proposition. Während also die ‚Hörer-Relevanz‘ der Antwort in (10) darauf perspektiviert ist, „das Wissen des Hörers über Arno zu erhöhen“, 210 ist sie in (10’) auf die Füllung der ‚Leerstelle‘ der durch den Fragekontext induzierten offenen Proposition perspektiviert. Insofern interagiert die (diskursive) Salienz eines Diskursgegenstands als ‚center of current interest‘ also nicht (oder vielleicht besser: nicht nur allein) mit seiner adressatenseitigen Zugänglichkeit als sprecherseitig aktuell intendierter Referent, sondern mit der diskursiv bedingten Hörer-Relevanz des Satzes, in dem er repräsentiert ist: Im ‚idealtypischen‘ Topik/ Kommentar-Fall - so wie in 210 Vgl. noch einmal Lambrecht (1994, 131): „A referent is interpreted as topic of a proposition if in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i.e. as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent.“ <?page no="166"?> 166 5 Topik-Eigenschaften (10) - besteht die Relevanz des Satzes für den Hörer darin, sein Wissen über den Referenten zu erhöhen - weswegen dessen Rolle als aktuelles ‚center of interest‘ unstrittig ist. Und im ‚idealtypischen‘ Argumentfokus-Fall - so wie in (10’) - besteht die Relevanz des Satzes für den Hörer darin, die Leerstelle der durch die Frage evozierten offenen Proposition zu füllen - zumal sich dort die Frage nach einem aktuellen ‚center of interest‘ aufgrund des Fehlens eines dafür geeigneten Referenten von vorherein nicht stellt. In (15) hingegen halten sich diese Perspektivierungen die Waage, was die Salienz Arnos als aktuelles ‚center of interest‘ zwar mindert, aber nicht völlig aufhebt, da seine Deutbarkeit als Adresse und hörerseitig „erwartetes“ Argument der Prädikation nach wie vor intakt ist. 211 Hervorzuheben ist an dieser Stelle noch einmal, dass alle diese Perspektivierungen durch die jeweils vorausgesetzten Fragen induziert sind, die die hörerseitigen „Erwartungen“ in Bezug auf den Antwortteil ja schon dadurch steuern, dass der Hörer hier auch derjenige ist, der die jeweiligen Fragen gestellt hat. Es sind also die (konstruierten) Dialogkontexte selbst, die die Analysen in (10), (10’) und (15) - ebenso wie die Topik-Zuschreibungen in (11a) und (11b) - plausibilisieren konnten. 212 Derartig kontrollierte, sozusagen ‚klinische‘ Bedingungen können für authentische Dialogsituationen natürlich nicht unbedingt vorausgesetzt werden. Dies gilt umso mehr, wenn Dialogkontexte vollständig fehlen, so wie es in Satzabfolgen innerhalb von Texten der Fall ist - weswegen es dort 211 Wir wollen hier zunächst die Frage beiseitelassen, ob und unter welchen Bedingungen es auch zwischen dem Topik/ Kommentar- und dem Satzfokus-Typ zu Zuordnungsproblemen kommen kann. (Bezüglich der Frage, ob es u. U. auch zwischen dem Argumentfokus- und dem Satzfokus-Typ zu Zuordnungsproblemen kommen kann, sei hier noch einmal auf meine Diskussion des Beispiels (6a) in Kap. 4.2 hingewiesen.) 212 Der hier der Gliederungstyp-Zuordnung zugrunde gelegte Aspekt der ‚Hörer-Relevanz‘ sollte jedoch nicht mit dem konversationsanalytischen Begriff der ‚konditionellen Relevanz‘ (siehe als Überblick Schegloff 2007, 19 ff.) gleichgesetzt werden. Zunächst ist es so, dass die Frage/ Antwort-Sequenzen in den Beispielen ja schon in sehr grundsätzlicher Weise den Anforderungen konditioneller Relevanz entsprechen - einfach dadurch, dass auf die Frage des Hörers die von ihm präferierte Reaktion folgt, nämlich die Antwort. Darüber hinaus hat schon Beispiel (5) in Kap. 4.2 gezeigt, dass zumindest Ergänzungsfragen im Prinzip alle drei Gliederungstypen im Antwortteil zulassen - was darauf hindeutet, dass Lambrechts Gliederungstypen nicht Bestandteil der Präferenzorganisation innerhalb von Frage/ Antwort-Paaren zu sein scheinen. Hinzu kommt - und dies ist vielleicht der wichtigste Punkt -, dass sich Fragen nach dem Gliederungstyp (bzw. nach dem Topik eines Satzes) auch unabhängig von Dialogkontexten stellen lassen sollten. Das Konzept der konditionellen Relevanz setzt Dialogizität notwendig voraus. Für adressatenorientierte Perspektivierungen auf ein aktuelles ‚center of interest‘ gilt diese Einschränkung nicht. <?page no="167"?> 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität 167 auch entsprechend schwieriger ist, das aktuelle Topik zu identifizieren oder eine möglichst plausible Gliederungstyp-Zuordnung vorzunehmen. 213 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität Bevor ich im nächsten Kapitel versuchen werde, mögliche Identifizierungsindikatoren für Topiks in Satzabfolgen näher einzugrenzen, möchte ich zum Abschluss dieses Kapitels noch einmal genauer auf die hier zugrunde gelegte Position eingehen, dass Topikalität eine Status-Eigenschaft von Diskursreferenten ist. Während der Blick hierbei bisher aber vor allem auf den zweiten Teil dieses Kompositums gerichtet war: dass Topikalität eine Status-Eigenschaft von Diskurs referenten ist, soll im Folgenden auch der im ersten Teil ausgedrückte Aspekt mit in die Betrachtung hineingenommen werden: dass nämlich Topikalität eine Status-Eigenschaft von Diskurs referenten ist. Zunächst noch einmal grundsätzlich zum Aspekt der Referentialität: Trotz der Ansätze von Halliday (1985) oder Molnár (1993), die Topikalität (bzw. Thematizität; vgl. Kap. 2) auf der Konstituenten-Ebene verorten, und trotz Reinhart, die die Bezugnahme auf Referenten dezidiert ablehnt (1981, 73 f.), ist das Verständnis von Topikalität als Status-Eigenschaft von Diskursreferenten eine durchaus einschlägige Position. Sie wird explizit vertreten von Lambrecht (siehe Kap. 3), der die Aboutness-Relation als Relation zwischen Referent und Proposition formuliert: „A referent is interpreted as topic of a proposition if in a given situation the proposition is construed as being about this referent […]“ (1994, 131). Gundel (siehe ebenfalls Kap. 3) stellt in ihrer Topik-Definition ebenfalls eindeutig auf den Referenten ab, indem sie die Aboutness-Relation als Relation zwischen Referent ( entity ) und Satz expliziert: „An entity, E, is the topic of a sentence, S, iff in using S the speaker intends to increase the addressee’s knowledge about, request information about, or otherwise get the addressee to act with respect to E“ (Gundel 1988, 210). Und auch in den oben diskutierten semantisch/ syntaktisch orientierten Ansätzen ( Jacobs, Vallduvi, Erteschik-Shir) ist der Referentenbezug zumindest implizit mitgedacht: So hält Jacobs fest, dass die Assoziierung eines Adressen-Aus- 213 Siehe jedoch bspw. van Kuppevelt (1995) oder von Stutterheim (1997), die der Auffassung sind, dass Sätze auch innerhalb von Satzabfolgen als Antwort-Sätze analysierbar sind, und zwar insofern, als sie sich als Antworten auf Fragen auffassen lassen, die sich aus dem jeweils vorangegangenen Satz implizit ergeben (vgl. van Kuppelt 1995, 113 sowie von Stutterheim 1997, 35 f.). Wie ich in Kap. 6.2 zeigen möchte, ist eine solche Betrachtungsweise jedoch problematisch - weswegen auch Fragetest-Verfahren zur Identifizierung von Satztopiks wie etwa das von Götze et al. (2007) nicht unproblematisch sind. <?page no="168"?> 168 5 Topik-Eigenschaften drucks mit seiner entsprechenden „mental file“ über dessen Referenz erfolgt: „An address is a constituent that - via its reference - identifies one of these mental files: it refers to the entity that is the subject of the file“ ( Jacobs 2001, 651). Auch Vallduvi hebt den Referentenbezug hervor, wenn er die Auskunft gibt, dass die im „knowledge store“ enthaltenen Adressen „entities“ denotieren (Vallduvi 1992, 55). Und ebenso bleibt Erteschik-Shir der referentiellen Perspektive verhaftet, wenn sie die Topik-, bzw. Adressenfähigkeit eines Ausdrucks an das Kriterium der Spezifizität bindet (Erteschik-Shir 2007, 8) und der Ausdruck hierdurch in seiner Verwendung darauf festgelegt ist, mit einem sprecherseitig intendierten Referenten (bzw. im Plural: mit sprecherseitig intendierten Referenten) assoziiert zu sein. Das Gleiche lässt sich, wie schon mehrfach angemerkt wurde, über Reinharts Konzept der ‚referential entry‘ sagen. Letzten Endes bleibt der Referentenbezug auch dann noch bestehen, wenn Topikalität mittels des ‚referential entry‘-Konzepts auf der Ebene der ‚Repräsentation‘ verortet wird. Denn sobald die sogenannte „NP-Interpretation“ (Reinhart 1981, 80) im Sinne einer Bezugnahme auf einen aktuell intendierten Referenten verstanden wird, hat man die Ebene konzeptueller Bedeutungs repräsentationen verlassen. 214 Lambrecht (1994) stellt neben dem referentiellen Aspekt darüber hinaus auch den Status von Topik-Referenten als Diskurs referenten heraus: Da für Topik-Referenten gelten soll, dass sie aktiviert sind und aktuell im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, muss für sie ebenfalls gelten, dass sie Bestandteil der aktuellen ‚Diskurswelt‘ ( universe of discourse ) von Sprecher und Hörer sind (1994, 155). Darum hält Lambrecht fest: „A topic expression must not only be referential; it must designate a discourse referent“ (ebd.). Dies setzt nach Lambrecht zweierlei voraus: erstens, dass es einen Gegenstand gibt, den der Sprecher aktuell als Referent dieses Ausdrucks intendiert (die sogenannte Präsupposition der Existenz) sowie zweitens, dass es möglich ist, diesen Referenten im Anschluss an seine „Etablierung“ als Diskursreferent anaphorisch wiederaufzunehmen (ebd.). 215 214 Dies gilt ebenfalls, wenn Topikalität auf der Ausdrucksebene verortet wird: Solange vorausgesetzt ist, dass die Ausdrücke, denen man Topikstatus zuschreiben möchte, Referenzausdrücke mit spezifischer Lesart sind (und dies ist in allen in diesem Kapitel diskutierten Ansätzen der Fall), solange bleibt auch der referentielle Charakter der Topikalität intakt. Erst wenn die Beschränkung auf Referenzausdrücke wegfällt, ist auch der Referentenbezug aufgehoben - mit dem Nebeneffekt, dass damit auch die die Möglichkeit entfällt, die Topik-Relation als Relation der Aboutness zu deuten. Dies ist der Fall in den Ansätzen von Firbas und Halliday, die ihren Begriff der ‚Thematizität‘ auch auf nicht referierende Konstituenten anwenden (vgl. Kap. 2.3 und 2.4). 215 Diesen letzten Punkt hebt Lambrecht mit dem Verweis auf ein Beispielpaar aus Karttunen (1976, 366) hervor: (i) Bill has a car. It is black. vs. (ii) Bill doesn’t have a car. *It is black. Da in (ii) abgestritten wird, dass Bill ein Auto hat, ist eine anaphorische Wiederaufnahme dort im Anschluss-Satz nicht möglich. Auch Karttunen hält fest: „[T]he appearance of an indefinite noun phrase establishes a ‘discourse referent’ just in case it justifies the occur- <?page no="169"?> 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität 169 Zunächst zum ersten Punkt: Um Topik-Ausdruck sein zu können, so Lambrecht, muss der Ausdruck einen Diskursreferenten bezeichnen (s. o.). 216 Diese Bedingung fußt auf der schon von Strawson formulierten Intuition, dass die ‚Existenz‘ von Topik-Referenten (sprecherseitig) präsupponiert sein muss. Entsprechend sind dann Ausdrücke, mit denen kein Diskursreferent intendiert sein kann, nicht als Topik-Ausdrücke geeignet. Dies ist seiner Meinung nach in dem folgenden Telefondialog der Fall, in dem sich der Anrufer (A) verwählt hat (1994, 159): (16) A: Is Alice there? B: There’s no Alice here. Laut Lambrecht bezeichnet der Eigenname Alice in B’s Antwort keinen Diskursreferenten, da es einen solchen im „Diskursuniversum“ des Sprechers B nicht gebe (1994, 159). 217 Dies sei der Grund dafür, dass der Ausdruck hier nicht in einer Position stehen kann, die eine Deutung als Topik-Ausdruck nahelegt. Als Indiz hierfür führt Lambrecht die folgende Antwortvariante an, die unter den vorausgesetzten Bedingungen für den Adressaten irreführend wäre: (16’) A: Is Alice there? B: Alice isn’t here. Diese Antwortvariante ist für den Anrufer natürlich insofern irreführend, als sie den Eindruck erweckt, dass B wüsste, um welche Alice es hier geht, was aber vor dem Hintergrund des vorausgesetzten Äußerungsszenarios unwahrscheinrence of a coreferential pronoun or a definite noun phrase later in the text“ (Karttunen 1976, 366). 216 Zur Vorsicht sei hier noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass dies lediglich eine notwendige Bedingung ist: Wie schon anhand vieler Beispiele gezeigt wurde, gibt es natürlich auch aktuell etablierte (und anaphorisch wiederaufgenommene) Diskursreferenten, die keinen Topikstatus haben. 217 Vgl. Lambrecht (1994, 159): „Even though the noun Alice is a referring expression [! ], […] it does not designate a discourse referent in the speaker’s universe of discourse.“ Wie aber Karttunens Beispiele zeigen, sind die Bedingungen, unter denen Diskursreferenten etablierbar bzw. nicht etablierbar sind, weitaus schwerer zu fassen, als das von Lambrecht angeführte Beispiel ( Bill doesn’t have a car. *It is black. ) vermuten lässt. So ist etwa Koreferenz mit indefiniten NPs, die im Skopus der Negation stehen, unter bestimmten Bedingungen durchaus möglich, siehe etwa das folgende Beispiel (Karttunen 1976, 378): Bill didn’t find a misprint. Did you find it? Voraussetzung ist hier laut Karttunen, dass die indefinite NP spezifisch zu verstehen ist, dass der Sprecher also schon einen bestimmten Druckfehler ‚im Sinn‘ hat, den der Hörer identifizieren soll. <?page no="170"?> 170 5 Topik-Eigenschaften lich ist. 218 Der Umstand, dass der Referent des Eigennamens nicht in B’s „Diskursuniversum“ enthalten ist, unterbindet daher, so Lambrecht, die Möglichkeit, Alice zum Gegenstand der Prädikation zu machen, so wie es in der Antwortvariante in (16’) der Fall ist. Im Deutschen ist aber zumindest eine Topikalisierung möglich, 219 sodass B’s Antwort dort auch folgendermaßen aussehen könnte: 220 (17) A: Ist Alice da? B: Eine Alice gibt’s hier nicht. Durch die indefinite NP indiziert B, dass er keine Person in seinem Langzeitgedächtnis aktivieren kann, die bei ihm wohnt und die so heißt. 221 Und genau dies macht das Beispiel in der Tat zu einem besonderen Fall: B indiziert sprecherseitige inaccessibilty (und ebenfalls unfamiliarity ) in Bezug auf einen schon diskursiv etablierten Referenten, für den hörerseitig (also seitens des Sprechers A) Familiarity besteht - und in Bezug auf den Sprecher A irrtümlich adressatenseitige (also auf den Sprecher B bezogene) Familiarity (und damit auch accessibility ) voraussetzt. (Und dass A dies irrtümlich voraussetzt, darüber ist sich natürlich auch B im Klaren.) Aber folgt hieraus, dass der Ausdruck nicht 218 Darüber hinaus würde diese Antwortvariante u. U. auch bewirken, dass A zunächst gar nicht bemerkt, dass er sich verwählt hat. Aber genau darauf will B ihn mit seiner Antwort in (16) hinweisen - wobei B’s Gewissheit, dass A sich verwählt hat, allein auf dem Umstand beruht, dass A eine Alice sprechen möchte (was für B darum ein Indiz ist, weil er weiß, dass eine solche Person bei ihm nicht wohnt). 219 Dass dies im Englischen so nicht geht, liegt sicherlich weniger daran, dass der Referent des Eigennamens nicht zu B’s „Diskursuniversum“ gehört, sondern beruht vermutlich darauf, dass der Artikel (sowohl der indefinite als auch der definite) dort vor Eigenamen nicht stehen kann (wenn man von Fällen, die referentielle Unikalität implizieren, wie z. B. bei the Tower of London oder the British Museum , einmal absieht). Als ‚Ausweich‘-Konstruktion bleibt dann nur noch die Kombination des Eigennamens mit einem quantifizieren Ausdruck innerhalb des Prädikats, das in Ermangelung einer weiteren Argumentstelle an das expletive there -Argument angehängt ist - wodurch sich der Satz dann nicht mehr als syntaktische Prädikation über einen Gegenstand deuten lässt. 220 Ob sich die topikalisierte Konstituente darüber hinaus auch als Gegenstand der Prädikation auffassen lässt, ist nicht ganz leicht zu beantworten. Syntaktisch handelt es sich zwar um ein Objekt-Argument, aber das klitisch an das Verb angehängte Expletivum kommt als Prädikationsgegenstand wohl kaum in Betracht. Dass dem Antwortsatz in (17) aber durchaus eine Prädikationsstruktur zugesprochen werden kann, beruht m. E. auf dem Diskursgegenstandscharakter des topikalisierten Objekt-Arguments. Hierzu gleich mehr. 221 Ganz anders sähe es daher aus, wenn es dort zufälligerweise tatsächlich eine Alice geben würde, in welchem Fall B gar nicht mit „Eine Alice gibt’s hier nicht“ antworten könnte und vermutlich zunächst überhaupt nicht bemerken würde, dass der Anrufer sich verwählt hat. <?page no="171"?> 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität 171 mit einem Diskursgegenstand assoziiert sein kann? Aus der Perspektive von B ließe sich die Antwort auch folgendermaßen reformulieren: (18) A: Ist Alice da? B: Eine Person, die so heißt, gibt es hier nicht. (Und darum kann ich mit Gewissheit sagen, dass es die Alice, die Sie meinen, wer auch immer das sein mag, hier nicht gibt.) Dass es die von ihm gemeinte Person dort, wo er anruft, nicht gibt, erschließt A aus dem von B verwendeten Ausdruckstyp, der sprecherseitige inaccessibilty indiziert, 222 sodass er auf der Basis des von B Gesagten darüber hinaus auch schlussfolgern kann, dass er sich wohl verwählt hat. Insofern lässt sich aus B’s Verwendung der indefiniten NP zwar ableiten, dass er aktuell keine Person aktivieren kann, die Alice heißt und die bei ihm wohnt. Aber weder ist es für einen Diskursgegenstand erforderlich, dass er für den Sprecher diskursunabhängig familiar ist, 223 noch folgt aus dem Umstand, dass ein Gegenstand im „Diskursuniversum“ des Sprechers nicht ‚existiert‘, dass ihm damit auch das Potential, Diskursgegenstand zu sein, abhandenkommt. 224 Lambrechts Redeweise, dass 222 Meine Redeweise, dass der Ausdruck sprecherseitige inaccessibility indiziert, sollte jedoch nicht missverstanden werden. Natürlich ist es nicht so, dass die Verwendung indefiniter NPs prinzipiell sprecherseitige inaccessibility indiziert. Wäre dies der Fall, dann dürfte es für indefinite NPs keine spezifischen Lesarten geben. Dass der Referent für B nicht zugänglich ist, ist vielmehr die Lesart, die für A die nächstliegende ist, da sich hier weder die (für Aussagesätze) ‚gängige‘ spezifische Lesart indefiniter NPs anbietet: der Referent ist sprecherseitig accessible , aber hörerseitig inaccessible , noch die ‚gängige‘ nichtspezifische Lesart: der Referent ist für Sprecher und Hörer inaccessible . Denn für beide dieser Lesarten müsste vorausgesetzt sein, dass noch keine Person diskursiv etabliert worden ist, die Alice heißt. Aber eben dies ist durch A’s Frage schon geschehen. Es wäre in der Tat recht merkwürdig, wenn A im Anschluss an B’s Erwiderung davon ausgehen würde, dass B denkt, der Referent, um den es hier geht, wäre für A ebenfalls nicht zugänglich. Und über alles dies ist sich natürlich auch B im Klaren. Schließlich wäre es ein recht eigenartiger Anruf-Anlass, wenn A lediglich wissen will, ob es dort, wo er anruft, zufälligerweise jemanden gibt, der Alice heißt. Denn selbst dann, wenn A die Frage tentativ formuliert hätte ( Wohnt bei Ihnen vielleicht eine Alice? ) würde B davon ausgehen, dass A eine bestimmte Alice im Sinn hat. 223 Siehe noch einmal Beispiel (14’), in dem Sprecher B mit seiner Frage Angaben zur Identifizierung des Restauranttokens einfordert, obwohl das Restaurant zuvor schon als Diskursgegenstand etabliert worden ist: A: Ich kenne ein gutes Restaurant in der Innenstadt. Allerdings ist das immer so voll. B: Welches Restaurant meinst du? 224 Selbst wenn der Sprecher die Existenz eines Gegenstands explizit und kategorisch abstreitet, ist dessen Status als Diskursgegenstand nicht aufgehoben: A: Morgen kommt der Weihnachtsmann. B: Den Weihnachtsmann gibt es nicht. A: Doch, den gibt es! Das Beispiel zeigt, dass ein Gegenstand gerade dadurch, dass seine Existenz bestritten wird, Gegenstand des aktuellen Diskurses sein kann - und in dieser Rolle als Diskursgegenstand und aktuelles ‚center of interest‘ ist der Gegenstand dann auch intendierter Referent des <?page no="172"?> 172 5 Topik-Eigenschaften der Eigenname Alice keinen Referenten im Diskursuniversum des Sprechers bezeichnet (1994, 159) ist m. E. missverständlich und gibt B’s Meinensintention kaum adäquat wieder. Was B meint , ist, dass eine Person namens Alice bei ihm nicht wohnt - und eine solche Auskunft kann er nur dann diskursiv sinnvoll geben, wenn zuvor jemand nach einer Alice gefragt hat (und u. U. davon ausgeht, dass dort eine solche Person wohnt). Dass die indefinite NP in B’s Antwort einen Diskursgegenstand bezeichnet, zeigt sich des Weiteren auch daran, dass eine Wiederaufnahme hier durchaus möglich ist. So könnte B seiner Antwort bspw. den folgenden Nachsatz hinzufügen: (17’) A: Ist Alice da? B: Eine Alice gibt’s hier nicht, die wäre mir bekannt. Es wäre sicherlich kaum nachvollziehbar, wenn man hier eine Koreferenz des Pronomens ( die ) mit der indefiniten NP abstreiten würde. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme durch den pronominalen Ausdruck ist somit ein deutliches Indiz dafür, dass beide Ausdrücke mit einem Referenten assoziiert sind. Natürlich enthält B’s Nachsatz keinerlei Informationen, die für A noch von Relevanz sein könnten. Aber dies ist nicht der Punkt. Entscheidend ist, dass der pronominalen Wiederaufnahme hier zumindest im Prinzip nichts im Wege steht. 225 Auch der Einwand, dass der hinzugefügte Nachsatz vielleicht ein bisschen konstruiert wirkt, greift m. E. nicht. Siehe beispielsweise den folgenden, authentischen Satz: (19) Wenn Verhandlungen liefen, dann müsste es eine Due Diligence geben, und die wäre mir bekannt. In einigen Punkten ist (19) 226 durchaus mit den Bedingungen in (17’) vergleichbar. So ist auch hier mit der indefiniten NP kein für den Sprecher diskursunabjeweils verwendeten Referenzausdrucks (weswegen Diskursgegenstände immer auch als Diskurs referenten begriffen werden können). 225 Natürlich ist die „lifespan“ (vgl. Karttunen 1976, 374 f.) eines solchen Diskursreferenten eher gering. Aber zum einen kann Referenzausdrücken auch im Fall von Einmal-Nennungen wohl kaum abgesprochen werden, dass sie einen Referenten haben und zum anderen lässt sich die „lifespan“ eines Diskursreferenten immer auch ‚künstlich‘ verlängern, sofern Wiederaufnahme prinzipiell möglich ist - und unabhängig davon, ob dem Referenten diskurs extern Existenz zukommt oder nicht (vgl. die Beispiele in Karttunen 1976, 374 f.). 226 Der Satz ist die wörtliche Äußerung eines Firmengeschäftsführers, die in einem Artikel der Financial Times Deutschland vom 23.03.2004 wiedergegeben ist. Der vollständige Abschnitt lautet folgendermaßen: Nach dem Scheitern der Verkaufsverhandlungen mit <?page no="173"?> 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität 173 hängig existierender (oder bekannter) Gegenstand intendiert und ähnlich wie in (17’) indiziert der Sprecher durch den indefiniten Artikel, dass er kein mit dem Referenzausdruck assoziierbares ‚Eventtoken ‘ (d. h. irgendeine von einem Kaufinteressenten tatsächlich durchgeführte ‚Due Diligence‘-Prüfung) 227 in seinem Langzeitgedächtnis aktivieren kann (womit er zum Ausdruck bringen möchte, dass es aktuell keine Verkaufsverhandlungen oder Kaufinteressenten für das Unternehmen gibt). Dennoch ist die pronominale Wiederaufnahme unproblematisch, da der Sprecher voraussetzen kann, dass der mit dem Pronomen intendierte Referent als unmittelbar zuvor etablierter Diskurs gegenstand adressatenseitig zugänglich ist. Kurz: Die auf Diskursgegenstände bezogene Präsupposition der Existenz muss nur diskurs intern gelten. D.h. es genügt, wenn dem Referenten lediglich als aktuell etablierter Diskurs gegenstand ‚Existenz‘ zukommt. Ob ihm darüber hinaus auch diskurs extern Existenz zugesprochen wird (oder nicht), ist für seinen Status als Diskursgegenstand nicht relevant. Und auch für den Aspekt der Zugänglichkeit gilt: Um von adressatenseitiger Zugänglichkeit sprechen zu können, genügt es, wenn für den intendierten Referenten diskurs intern Zugänglichkeit vorausgesetzt werden kann. Dass der Referent darüber hinaus auch diskurs extern identifizierbar ist, muss für seine diskurs interne Zugänglichkeit nicht vorausgesetzt sein. Während es sich aber in (14) noch so verhält, dass sich die adressatenseitige Zugänglichkeit in Bezug auf das wiederaufnehmende Pronomen ( Ich kenne ein gutes Restaurant in der Innenstadt. Allerdings ist das immer so voll. ) nachträglich auch noch für die diskursexterne Ebene herstellen ließe (siehe (14’): Welches Restaurant meinst du? ), kann eine solche Frage in (19) von vornherein nicht aufkommen. In dieser Hinsicht ist der Fall in (19) bestimmten Fällen nicht unähnlich, die traditionell als „attributive“ Verwendungen von Referenzausdrücken bezeichnet werden (vgl. Donnellan 1966) und denen i. d. R. eine referierende zwei Finanzinvestoren spricht der Bayer-Konzern mit keinen weiteren Interessenten für die Tochter RheinChemie Rheinau. „Wenn Verhandlungen liefen, dann müsste es eine Due Diligence geben, und die wäre mir bekannt“, sagte Geschäftsführer Anno Borkowsky nach einer Pressekonferenz in Mannheim. (Eine ‚Due Diligence‘-Prüfung ist eine Überprüfung und Bewertung der Kapitalverhältnisse eines Unternehmens, die bspw. von einem Kaufinteressenten durchgeführt wird.) 227 Diskursextern kommt einem ‚Event‘ natürlich nichts Gegenstandhaftes zu. Ausschlaggebend ist hier allein die sprachliche Realisierung des ‚Event‘-Konzepts durch einen Referenz ausdruck ( eine Due Diligence ), durch den es als Diskursgegenstand etabliert wird und somit spätestens zum Zeitpunkt seiner pronominalen Wiederaufnahme auch als Gegenstand der Prädikationen ausgewiesen ist. <?page no="174"?> 174 5 Topik-Eigenschaften Funktion abgesprochen wird. 228 Attributiv im Sinne Donnellans ist bspw. die Verwendung der indefiniten NP in (20) - sofern für sie eine nicht-spezifische Lesart zugrunde gelegt ist: (20) Maybrit möchte einen Politiker interviewen. Der kann sich auf kritische Fragen gefasst machen. Attributiv ist die Verwendung des indefiniten Referenzausdrucks 229 dann, wenn der Sprecher nicht angeben könnte, welchen Politiker Maybrit interviewen möchte, etwa, wenn sie sich noch gar nicht für einen bestimmten Politiker entschieden hat. 230 Das heißt, im Fall der attributiven Verwendung intendiert der Sprecher von vornherein keinen bestimmten außersprachlichen Referenten - entweder weil ein solcher zum Zeitpunkt der Äußerung (noch) nicht bestimmt oder angebbar ist oder weil es einen solchen zum Äußerungszeitpunkt noch gar nicht gibt (bspw. wenn der Sprecher vor dem Wahljahr sagt: Der Kanzlerkandidat der SPD wird im Wahljahr bestimmt. ). In diesen Fällen wird der Ausdruck laut Donnellan nicht referentiell, sondern attributiv verwendet. Nur dann, wenn mit dem Ausdruck ein bestimmter außersprachlicher Referent intendiert ist, so Donnellan, lässt sich sagen, dass der Sprecher mit dem Ausdruck referiert: „A speaker who uses a definite description referentially in an assertion […] uses the description to enable his audience to pick out whom or what he is talking about and states something about that person or thing“ (1966, 285). Im attributiven Fall hingegen habe der Ausdruck keinen Referenten und das, was er repräsentiert, sei lediglich sein „denotativer“, d. h. sein semantisch/ deskriptiver Gehalt (ebd., 281). 228 Siehe jedoch Searle (1982), der die Unterscheidung zwischen referentiellen und attributiven Verwendungen prinzipiell in Frage stellt. 229 Mit dem Beispiel soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die sogenannten attributiven Verwendungen auf indefinite NPs mit nicht-spezifischer Lesart beschränkt seien. Im Gegenteil handelt es sich bei den einschlägigen Standardbeispielen für attributive Verwendungen in der Regel um definite Referenzausdrücke; vgl. etwa Beispiele wie die folgenden: Der Kanzlerkandidat der SPD wird im Wahljahr bestimmt. / Der Sieger des Turniers erhält ein hohes Preisgeld. Die Einschränkung auf nicht-spezifische Lesarten im Fall indefiniter Ausdrücke beruht darauf, dass für deren spezifische Lesarten vorausgesetzt ist, dass der Sprecher auch unabhängig vom aktuellen Diskurs einen Gegenstand angeben könnte, den er mit dem indefiniten Ausdruck aktuell intendiert; etwa wenn er, nachdem er sich für den Kauf eines bestimmten Hauses entschieden hat, die Äußerung macht: Wir haben uns für ein Haus entschieden. (Aus diesem Grund ist auch ein gutes Restaurant in der Innenstadt in (14) nicht attributiv im Sinne der Unterscheidung Donnellans.) 230 Der Einfachheit halber soll hier eine Lesart im Sinne des generischen Maskulinums ausgeschlossen sein. Das heißt, es steht zumindest fest, dass die Person männlich ist (was auch der Sprecher weiß). <?page no="175"?> 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität 175 Wie aber (20) zeigt, ist es auch im Fall sogenannter attributiver Verwendungen vollkommen unproblematisch, den ‚Referenten‘ des attributiv gebrauchten Ausdrucks anaphorisch wiederaufzunehmen. Man muss also auch für den Fall in (20) zugestehen, dass der Ausdruck der in gewisser Weise mit der indefiniten NP einen Politiker ‚koreferent‘ ist - und eine solche Koreferenz lässt sich sogar auch dann noch herstellen, wenn der wiederaufnehmende Ausdruck nicht bloß pronominal ist, sondern über einen eigenen semantisch/ deskriptiven Gehalt verfügt, der in keiner Weise dem des damit koreferenten Ausdrucks entspricht; siehe (21): (21) Maybrit möchte einen Politiker interviewen. Der arme Kerl kann sich auf kritische Fragen gefasst machen. Die Frage, die in Bezug auf die Variante in (21) aufkommt, ist somit: Worauf ist die Koreferenz der Ausdrücke einen Politiker und der arme Kerl bezogen, wenn sich ihre Koreferenz gar nicht an dem denotativen Gehalt der beiden Referenzausdrücke festmachen lässt? Die Antwort auf diese Frage muss m. E. lauten: Die zwei Ausdrücke sind koreferent mit dem Diskurs gegenstand, der durch die indefinite NP etabliert und im Anschluss mit der definiten NP anaphorisch wiederaufgenommen wurde. Beispiele wie (21) sind m. E. ein deutliches Indiz dafür, dass die Ebene der im aktuellen Diskursabschnitt repräsentierten Diskursgegenstände auch dann nicht mit der Ebene des ‚denotativen‘ Gehalts der sie repräsentierenden Ausdrücke zusammenfällt, wenn für sie diskurs extern kein Referent vorausgesetzt wird. 231 Denn wenn die sprachliche Bezugnahme auf den in Rede stehenden Diskursgegenstand lediglich auf die Ebene des semantisch/ deskriptiven Gehalts, d. h. der Bedeutung der darauf bezogenen Ausdrücke beschränkt wäre, dann bliebe vollkommen rätselhaft, wie derselbe Gehalt zunächst durch einen 231 Zwar ist es in (21) noch so, dass es den in Rede stehenden Politiker (wer auch immer es am Ende sein mag) zumindest schon ‚gibt‘ - und Maybrit nur noch nicht entschieden hat, wer derjenige sein soll, der in den Genuss ihrer kritischen Fragen kommt. Aber das Beispiel ließe sich auch ohne Weiteres auf Situationen übertragen, in denen es zum Sprechzeitpunkt tatsächlich noch keinen Referenten gibt, der mit dem verwendeten Referenzausdruck bezeichnet werden könnte: Maybrit möchte unbedingt auch den SPD-Kanzlerkandidaten (der allerdings erst im Wahljahr bestimmt wird) interviewen. Der arme Kerl kann sich auf kritische Fragen gefasst machen. (Wir wollen hier der Einfachheit halber außer Acht lassen, dass es u. U. auch schon vor dem Wahljahr einigermaßen vorhersehr sein kann, wer Kanzlerkandidat der SPD werden wird, sodass Sprecher und Hörer mit dem Ausdruck möglicherweise eine bestimmte Person assoziieren können - und somit einigermaßen sicher ausschließen könnten, dass es eine Kandidatin wird. Aber zumindest im strengen Sinne gibt es einen SPD-Kanzlerkandidaten vor seiner Nominierung noch nicht.) <?page no="176"?> 176 5 Topik-Eigenschaften Politiker und im Anschluss durch der arme Kerl repräsentiert werden kann, d. h. durch zwei Ausdrücke, aus deren jeweiliger Semantik sich sicherlich kaum eine referentielle (oder wenigstens konzeptuelle) Identität ableiten ließe. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Fälle wie in (21) m. E. nicht im Geringsten von Fällen, in denen den Referenten auch diskursextern Existenz zukommt: Das Verhältnis zwischen Diskursgegenstand und Referenzausdruck ist in den sogenannten attributiven Verwendungen ebenso ‚extensional‘ wie in Fällen, in denen der entsprechende Ausdruck auch aus der Perspektive der referentiell/ attributiv-Unterscheidung unstrittig referentiell verwendet wird. Darüber hinaus lässt sich auch die Motivation des Sprechers, den kurz zuvor etablierten Diskursreferenten in (21) nicht pronominal, sondern durch eine definite NP wiederaufzunehmen, die mit ihrem koreferenten Bezugsausdruck (bis auf das Personen- und das Genus-Merkmal) keinerlei Bedeutungsmerkmale teilt, ebenso gut wie in den unstrittig referentiellen Verwendungen mit von Polenz’ Begriff des „prädizierenden Bezugnehmens“ (von Polenz 1985, 125 f.) charakterisieren: Was der Sprecher über den Politiker (wer auch immer es am Ende sein wird) ‚implizit‘, d. h. nicht mittels einer (grammatischen) Prädikation, sondern durch den auf ihn referierenden Ausdruck, „prädiziert“, ist, dass es sich bei ihm (aus seiner Sicht) um einen armen Kerl handelt. 232 Und dass er dies mittels eines Referenzausdrucks tun kann, setzt wiederum voraus, dass er darauf setzen kann, dass der Referent für den Hörer als aktuell etablierter Diskursgegenstand hinreichend zugänglich ist, sodass er dessen Identifizierbarkeit nicht (mehr) durch die Semantik des Referenzausdrucks sicherstellen muss. Darum unterscheiden sich die Fälle in (20) und (21) auch bzgl. der sprecherseitig vorausgesetzten adressatenseitigen Zugänglichkeit der intendierten Referenten der wiederaufnehmenden Ausdrücke nicht von Fällen, in denen den intendierten Diskursreferenten auch diskursunabhängig Existenz zukommt. Ebenso wie dort setzt der Sprecher auch in (20) und (21) voraus, dass der Hörer den kurz zuvor etablierten Diskursgegenstand als den von ihm intendierten Referenten identifizieren kann. Doch auch wenn sich in (20), (21) und (19) die Frage nach der diskursexternen Zugänglichkeit der jeweils intendierten Diskursreferenten - anders als im Fall des hörerseitig nicht zugänglichen Restaurants in (14) - von vornherein nicht stellt, da es sich dort nicht um diskursiv instantiierte Personenbzw. Eventto- 232 In eine ähnliche Richtung zielt m. E. Searle, wenn er im Rahmen seiner Kritik an Donnellans referentiell/ attributiv-Unterscheidung darauf hinweist, dass sprachliche Bezugnahme mittels (definiten oder indefiniten) Kennzeichnungen immer beinhaltet, dass der Referent, auf den Bezug genommen wird, unter einem bestimmten Aspekt repräsentiert ist (vgl. Searle 1982, 165 ff.). In (21) ist der wiederaufgenommene Referent also unter dem Aspekt repräsentiert, (aus der Sicht des Sprechers) ein armer Kerl zu sein. <?page no="177"?> 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität 177 kens handelt, sondern um diskursiv instantiierte types , so bleibt der token -Charakter diskurs intern dennoch intakt. Der Umstand, dass types im Fall ihrer Instantiierung als Diskursgegenstände durchaus token -Charakter zukommt, lässt sich vielleicht am besten mit Hilfe der oben diskutierten ‚file-card‘-Metapher veranschaulichen: files stellen im Rahmen dieser Metapher die Diskursgegenstände dar, die in den jeweiligen Sätzen durch Referenzausdrücke repräsentiert sind, durch die sie im aktuellen Diskursabschnitt instantiiert und (im Anschluss) anaphorisch wiederaufgenommen werden. Das heißt, für den Verlauf ihrer ‚Etabliertheit‘ im aktuellen Diskurs sind sie als Diskurs tokens individuierbar, die über eine gewisse „lifespan“ verfügen 233 und auf die die durch die jeweiligen Sätze ausgedrückten propositionalen Gehalte abzielen. 234 Als individuierbare Diskursgegenstände sind sie somit auch die Referenten der auf sie bezogenen Referenzausdrücke, die miteinander koreferent sind - unabhängig davon, welche Semantik die auf sie bezogenen Ausdrücke jeweils haben und unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um ‚allgemeine‘ types oder um Einzeldinge (eine bestimmte Person, ein bestimmtes Restaurant etc.), Events etc. handelt. Was bedeutet dies alles nun für die hier zugrunde gelegte Position, dass Topikalität eine Status-Eigenschaft von Diskursreferenten ist? Zunächst bedeutet es, dass die sogenannte Präsupposition der Existenz auch in Bezug auf Topik-Referenten nur diskursintern gelten muss. Das heißt, es wird lediglich präsupponiert, dass der Referent aktuell als Diskurs gegenstand existiert - oder mit 233 Diese Individuierbarkeit zeigt u. a. auch daran, dass Referenten von indefiniten NPs mit nicht-spezifischer Lesart (deren diskursexterne Zugänglichkeit somit auch sprecherseitig (noch) nicht gegeben oder u. U. aktuell nicht relevant ist) ab dem Moment ihrer Wiederaufnahme durch definite und somit Spezifizität indizierende Ausdrücke repräsentiert werden können, obwohl sich bzgl. ihrer diskursexternen Nicht-Zugänglichkeit nichts geändert hat: Hast du einen Bleistift für mich? Er sollte aber nicht zu hart sein. Individuierbar (und diskursintern zugänglich) ist der Bleistift also in seiner Rolle als aktuell etablierter Diskursgegenstand (bzw. aktuell etabliertes Diskurs token ). Individuierbarkeit im Sinne diskursexterner Zugänglichkeit (oder gar Existenz) ist hierfür nicht erforderlich. 234 Übertragen auf das file -Konzept heißt das: Diskurs tokens sind die jeweiligen ‚file-cards‘, auf die die in dem jeweiligen Satz enthaltene neue propositionale Information „eingetragen“ wird (vgl. Heim 1983, 167 f.). Es sei an dieser Stelle aber noch einmal darauf hingewiesen, dass aus der Eigenschaft, Diskurs gegenstand zu sein, selbstverständlich nicht folgt, damit auch ‚Gegenstand‘ der Prädikation zu sein. Natürlich können Diskursgegenstände (durch Erstnennung aktuell etablierte ebenso wie wiederaufgenommene) auch innerhalb des prädikativen Teils eines Satzes realisiert sein. Wie ich schon in einer (längeren) Fußnote in Kap 5.2 ausgeführt habe, sind files (im Sinne von Heim) nicht gleichzusetzten mit Prädikationsadressen im Sinne von Vallduvi (1992) oder Jacobs (2001). So lässt sich zwar sagen, dass Adressen files sind, aber umgekehrt gilt nicht, dass jede file Adresse ist. Der Umstand, dass Heims Konzept des „file-keeping“ und „file-updating“ (1983, 168) keine Prädikationsrelation impliziert, wird in den Adressierungsansätzen jedoch vollkommen ignoriert. <?page no="178"?> 178 5 Topik-Eigenschaften anderen Worten: es wird präsupponiert, dass der Referent ein aktuell etablierter Diskursgegenstand ist. 235 Aus dem Umstand, dass Topiks etablierte Diskursgegenstände sind, folgt des Weiteren, dass sie als intendierte Referenten aktuell verwendeter Referenzausdrücke adressatenseitig zugänglich sind. Aber auch die vorausgesetzte adressatenseitige Zugänglichkeit muss lediglich diskursintern gewährleistet sein, sodass Referenten auch dann als etablierte Diskursgegenstände und u. U. sogar ‚centers of interest‘ gelten können, wenn ihre Identifizierbarkeit aus diskurs externer Perspektive noch aussteht und explizit eingefordert wird, so wie im Fall des diskursextern nicht zugänglichen Restaurants in (14) und (14’). Darum ist Strawsons Begriff des Identifizierungswissens (Strawson 1971a, 87; siehe Kap 3.1) ohne Probleme auf das wiederaufnehmende Pronomen in (19) und (20) und ebenso auf die wiederaufnehmende definite NP in (21) anwendbar: Auch dort kann sprecherseitig vorausgesetzt werden, dass in Bezug auf die jeweils intendierten Referenten der verwendeten Referenzausdrücke adressatenseitig Identifizierungswissen besteht. Der wichtigste Punkt ist m. E. jedoch der folgende: Für Diskursgegenstände ist überhaupt nicht relevant, ob ihnen der Gegenstandcharakter auch ontologisch, d. h. im außersprachlichen Sinne zukommt. Dies zeigt sich zunächst daran, dass nicht nur konkreten (Einzel-)Dingen Diskursgegenstand-Status zukommen kann, sondern auch Tatsachen, Sachverhalten, Zuständen, Events, Prognosen, Vermutungen u. a. mehr. Was Tatsachen, Sachverhalte, Zustände, Events usw. zu Diskurs gegenständen macht, ist, dass sie durch Referenzausdrücke repräsentiert sind - womit sie dann auch als die mit diesen Ausdrücken sprecherseitig intendierten Diskurs referenten ausgewiesen sind. 236 Und auch diskursexterne Individuierbarkeit (eine bestimmte Person, ein bestimmtes Event etc.) muss für Diskursgegenstände nicht vorausgesetzt sein. Dies ist der Fall in (19), (20) und (21), wo nicht irgendwelche diskursunabhängig existierende Eventbzw. Personentokens als Diskursgegenstand etabliert sind, sondern damit assoziierbare konzeptuelle types , deren Individuierbarkeit als Diskursgegenstand (bzw. -referent) erst diskursintern, über ihre sprachliche Realisierung durch (koreferente) Referenzausdrücke hergestellt wird. Dementsprechend gilt auch für konzeptuelle types , dass sie Topik-Referenten sein können - sofern sie als Diskursgegenstand etabliert sind und über die in Kap. 5.4 aufgelisteten 235 Anders wäre auch gar nicht vorstellbar, wie Diskursreferenten gerade dadurch Topikstatus erlangen können, dass ihre Existenz strittig ist. Vgl. noch einmal das schon weiter oben angeführte Beispiel: A: Morgen kommt der Weihnachtsmann. B: Den Weihnachtsmann gibt es nicht. A: Doch, den gibt es! 236 Alternativ können Diskursgegenstände auch durch Subjekt- oder Objektsätze repräsentiert sein, sofern diese durch (pronominale) Referenzausdrücke substituierbar sind und/ oder mit wiederaufnehmenden Ausdrücken koreferent sein können. <?page no="179"?> 5.5 Topikalität und Diskursreferentialität 179 Eigenschaften ( Adresse der Prädikation , hörerseitige Zugänglichkeit , diskursive Salienz und Aktiviertheit ) verfügen. <?page no="181"?> 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit 181 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Fassen wir die Ergebnisse des letzten Kapitels noch einmal zusammen. Diskursreferenten, die Topikstatus haben, können die folgenden Eigenschaften zugesprochen werden: Sie sind (i) als „erwartetes“ und sprecher-/ hörerseitig unstrittiges Argument der Prädikation aktiviert und diskursiv salient. Sie haben als Argument der Prädikation somit (ii) auch die Adressenrolle inne. Und sie sind aufgrund ihrer Aktiviertheit (iii) als intendierte Referenten des aktuell verwendeten Referenzausdrucks hörerseitig zugänglich. Wie in Kap. 5.4 herausgestellt wurde, lassen sich diese Eigenschaften (diskursive Salienz, Aktiviertheit, hörerseitige Zugänglichkeit, Adresse) nicht als Auflistung von Merkmalen, die einem Diskursreferenten u. U. auch einzeln zukommen können, verstehen. Zwar kann es sein, dass für Diskursreferenten lediglich hörerseitige Zugänglichkeit vorausgesetzt wird (vgl. Princes unused -Kategorie), aber Salienz und Aktiviertheit können nicht isoliert auf Diskursreferenten bezogen werden: So folgt aus dem Umstand, dass ein Referent diskursiv salient ist, notwendig, dass er aktiviert ist - und aus seiner Aktiviertheit folgt wiederum notwendig, dass er hörerseitig zugänglich ist. Wie sich jedoch gezeigt hat, folgt aus der Zugänglichkeit eines Referenten nicht notwendig, dass diese für den Hörer auch diskursunabhängig besteht. Wie anhand von Beispiel (14) in Kap. 5.3 gezeigt wurde, sind Referenten, für die zum Zeitpunkt ihrer Aktivierung keine hörerseitige Zugänglichkeit vorausgesetzt wird, zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen (u. U. pronominalen) Wiederaufnahme lediglich diskursintern, d. h. als unmittelbar zuvor instantiierte Diskurs gegenstände zugänglich. Ich habe darum vorgeschlagen, zwischen Zugänglichkeit (Accessibility) und Bekanntheit bzw. Vertrautheit (Familiarity) zu unterscheiden. Ein Vorteil dieser Unterscheidung ist zunächst, dass sich so angeben lässt, warum Sprecher u. U. auch schon zum Zeitpunkt der Aktivierung eines Referenten von hörerseitiger Zugänglichkeit ausgehen: Sie setzen voraus, dass der Referent für den Hörer ‚familiar‘ ist (vgl. etwa die definite NP Ihre Frau in Beispiel (13) in Kap. 5.3, deren intendierter Referent unused im Sinne von Prince ist). Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die Eigenschaft der Zugänglichkeit so präziser fassen lässt: Für den Status eines Diskursreferenten als Topik genügt es, dass er diskurs intern zugänglich ist. Zugänglichkeit im Sinne einer diskursunabhängigen Identifizierbarkeit - d. h. auf der Basis hörerseitiger Vertrautheit oder Bekanntheit (Familiarity) - muss hierfür nicht vorgesetzt werden. Da für Topiks des Weiteren gelten soll, dass sie diskursiv salient und aktiviert sind, <?page no="182"?> 182 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit gilt somit ebenfalls, dass auch Salienz und Aktiviertheit nicht auf das Familiarity-Kriterium angewiesen sind. Darum kann es sich durchaus auch andersherum verhalten: Gerade dadurch, dass ein Diskursgegenstand wiederholtes Argument der Prädikation und ‚center of interest‘ ist, kann er hörerseitig Familiarity erlangen. 237 Hinzu kommt, dass sich das Konzept der hörerseitigen Zugänglichkeit insgesamt gesehen nur diskurs intern als sinnvoll erweist. Zwar impliziert das Zugänglichkeitskonzept prinzipiell eine Referenz token -Perspektive, weil Zugänglichkeit immer auf den intendierten Referenten eines aktuell verwendeten Referenzausdrucks bezogen ist; aber da sich in vielen Fällen die Frage nach der Zugänglichkeit eines aktuell intendierten Referenz tokens im diskurs externen Sinne von vornherein nicht stellt - etwa wenn es sich um types oder ‚abstrakte‘ Konzepte handelt - bleibt die Frage der hörerseitigen Zugänglichkeit des intendierten Referenten dort allein auf die Ebene seiner Realisierung als Diskurs gegenstand im aktuellen Diskursabschnitt bezogen, etwa dann, wenn in Bezug auf den Referenten koreferentielle Bezüge hergestellt werden müssen. 238 Die Perspektive auf die Realisierung als Diskursgegenstand ist insofern von Bedeutung, als es auf diese Weise gelingt, Topikalität auch dann als Status-Eigenschaft von Diskurs referenten zu konzeptualisieren, wenn es sich um ‚abstrakte‘ Konzepte handelt (so wie im Fall der Institutions-Lesart der referierenden NP die Schule ) 237 Und dies gilt nicht nur in Bezug auf diskursunabhängig ‚existierende‘ Gegenstands- oder Eventtokens (eine bestimmte Person, ein bestimmtes Restaurant, ein bestimmtes Ereignis etc.), sondern auch für Sachverhalte, Prognosen etc., die natürlich in einem sehr viel weiteren als dem hier zugrunde gelegten Sinne ‚Gegenstände des Diskurses‘ sein können. So kann bspw. eine im aktuellen gesellschaftlichen oder politischem ‚Diskurs‘ diskutierte Prognose wie etwa die, dass die Studierendenzahlen in Zukunft wieder zurückgehen werden, für einen Adressaten ‚familiar‘ oder ‚unfamiliar‘ sein - unabhängig davon, ob sie durch einen Sprecher aktuell als Diskursgegenstand instantiiert wurde (entweder propositional oder durch einen Referenzausdruck), etwa, um den Adressaten darüber zu informieren, sie als plausibel herauszustellen, sie in Zweifel zu ziehen oder anderes mehr. Die Entscheidung, die Termini ‚Diskurs‘ und ‚Diskursgegenstand‘ hier in einem sehr viel engeren Sinne als es vielleicht üblich ist zu verwenden, ist vor allem dem terminologisch etablierten Begriff des Diskursreferenten ( discourse referent ) geschuldet. ‚Diskursgegenstand‘ soll hier also lediglich heißen: intendierter Referent eines aktuell verwendeten Referenzausdrucks. 238 Vgl. etwa das folgende, in Kap. 5.3 kurz diskutierte Beispiel: A: Die Schule geht mir auf die Nerven. B: Warum geht sie dir denn auf die Nerven? Setzt man voraus, dass die Nominalphrase die Schule eine Institutions-Lesart hat, so stellt sich dort auch nicht die Frage nach der Zugänglichkeit des Referenten im Sinne eines bestimmten ‚außersprachlichen‘ Schuletokens . Diskurs intern bleibt der Zugänglichkeitsaspekt aber insofern relevant, als für das Pronomen sie die Koreferenz mit der NP die Schule hergestellt werden muss, da beide Referenzausdrücke den aktuellen Diskursgegenstand (bzw. das aktuelle Diskurstoken ) ‚Schule (als Institution)‘ bezeichnen. <?page no="183"?> 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit 183 oder wenn nicht auf ‚außersprachliche‘ tokens , sondern auf types referiert wird (so wie in den Beispielen (19), (20), und (21) in Kap. 5.5). In Kap. 5.5 habe ich darum dafür argumentiert, dass durch die Realisierung als Diskursgegenstand auch abstrakten oder type -Konzepten token -Charakter zukommt. Was sie als Referenz tokens individuierbar macht, ist der Umstand, dass sie im aktuellen Diskursabschnitt durch Referenzausdrücke repräsentiert sind, die zueinander in einer Koreferenz-Relation stehen, durch welche sie über eine gewisse „lifespan“ (Karttunen) als aktueller Diskursgegenstand verfügen und innerhalb der sie als Topiks aktiviert, zugänglich und diskursiv salient sein können. Wie des Weiteren herausgestellt wurde, lässt sich die Auflistung der Topik-Eigenschaften (diskursive Salienz, Aktiviertheit, hörerseitige Zugänglichkeit, Adresse) nicht im Sinne einer implikationalen Hierarchie deuten. Der Grund ist, dass die Adressenrolle vollständig aus dieser Hierarchie herausfällt. So hat u. a. schon Beispiel (3) in Kap. 5.1 ( ne Freundin von mir ) gezeigt, dass es für die Adressenfähigkeit eines Referenten schon ausreicht, wenn der mit dem Referenten assoziierte Referenzausdruck eine spezifische Lesart hat, sodass für Referenten, die die Adressenrolle innehaben, weder Aktiviertheit noch Zugänglichkeit vorausgesetzt sein muss. Und auch umgekehrt gilt, dass sich weder aus der Zugänglichkeit, noch aus der Aktiviertheit eines Diskursreferenten ableiten lässt, dass ihm die Adressenrolle zukommt (vgl. u. a. das schon in Kap. 3.2 diskutierte Beispiel aus Reinhart (1981): A: Who did Felix praise? B: Felix praised himself. ). Wie des Weiteren gezeigt werden konnte, sind Topiks zwar immer Adressen, aber Adressen sind nicht notwendig Topiks. So können Adressen-Ausdrücke Argumentfokus-Status haben - siehe Beispiel (8) in Kap. 5.1 - oder sie können - siehe wiederum Beispiel (3) in Kap. 5.1 - Argument der Prädikation in Sätzen sein, deren diskursive Einbettung eher den Satzfokus-Typ nahelegt. Was Adressen zu Topiks macht, ist, dass sie nicht nur Gegenstand der Prädikation im semantischen Sinne sind, sondern darüber hinaus auch Gegenstand der Prädikation im pragmatischen Sinne - mit anderen Worten: dass sie der Gegenstand sind, über den etwas im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion assertiert wird. Diesen Zusammenfall von semantischer und pragmatischer Ebene der Prädikation habe ich in Kap. 5.2 als Ebenen- Gleichlauf charakterisiert. Der wesentliche Nachteil einer Gleichsetzung von Topikalität und Adressenrolle (‚weiter‘ Topik-Begriff) besteht darin, dass damit nicht nur die Herleitung der Topik-Relation aus der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion hinfällig wird, sondern auch ihr Verständnis als Spezialfall dieser Unterscheidung (siehe Lambrechts Abgrenzung des Topik/ Kommentar-Typs von den Gliederungstypen ‚Argumentfokus‘ und ‚Satzfokus‘). Der Grund hierfür ist, dass Adressen-Ausdrücke, die Argumentfokus-Status haben (siehe Beispiel (8) in Kap. 5.1 sowie Beispiel (10’) in Kap. 5.2) zur Assertion gehören, <?page no="184"?> 184 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit sodass die semantische Ebene der Prädikation dort keine Entsprechung auf der pragmatischen Ebene hat. In Bezug auf den Aspekt der diskursiven Salienz von Topik-Referenten habe ich in Kap 5.4 auf zwei Perspektiven hingewiesen: zunächst die Perspektive auf den Referenten, für den gelten muss, dass er als aktueller Diskursgegenstand aktiviert und somit adressatenseitig zugänglich ist. Da diese auf die klassische accessibility -Bedingung abzielende Perspektive jedoch nicht hinreicht, weil Referenten, die aktiviert sind, nicht notwendig Topikstatus haben, 239 habe ich auf eine zweite Salienz-Perspektive verwiesen, die auf die diskursive Einbettung des Satzes, in dem der Referent aktuell repräsentiert ist, abzielt und von der wesentlich abhängt, ob sich der Satz dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen lässt. Bzgl. der diskursiven Einbettungen wurde hierbei durchweg auf (konstruierte) Frage/ Antwort-Kontexte zurückgegriffen, so wie etwa in (10) und (10’), in denen der (Antwort-)Satz auf der Basis der jeweils vorausgesetzten Frage entweder dem Topik/ Kommentar- oder dem Argumentfokus-Typ zugeordnet werden konnte. Wie sich aber gezeigt hat, kann es auch innerhalb von Frage/ Antwort-Kontexten zu Zuordnungsproblemen kommen. So konnte durch den Vergleich der Beispiele (10’) und (15) gezeigt werden, dass sich in Bezug auf den Argumentfokus-Typ zwei Fälle unterscheiden lassen: zum einen den Fall, in dem der Adressen-Ausdruck - so wie in (10’) - Argumentfokus ist und dementsprechend zur Assertion gehört, und zum anderen den Fall, in dem der Adressen-Ausdruck - so wie in (15) - nicht Fokus-Konstituente ist und somit zum Hintergrundbereich gehört bzw. zu der mit dem Satz assoziierten und präsupponierten ‚offenen‘ Proposition. Dennoch konnte gezeigt werden, dass in Fällen wie in (15) der mit dem Adressen-Ausdruck assoziierte Referent über eine Reihe von Eigenschaften verfügt, die auch Referenten von Adressen-Ausdrücken in zweifelsfreien Topik/ Kommentar-Fällen aufweisen. Und wie die Beispiele (11a) und (11b) gezeigt haben, kann die Identifizierung des aktuellen Topiks selbst dann noch Probleme bereiten, wenn die Zuordnung zum Topik/ Kommentar-Typ alternativlos ist. Was aber allen diesen (konstruierten) Beispielen gemeinsam ist, ist der Umstand, dass es sich bei den Sätzen, deren jeweiliges Topik zu identifizieren war, um Antwort sätze handelt, sodass sich aufgrund der dort vorausgesetzten Fragekontexte zumindest die für die Sätze jeweils geltenden Fokus/ Hintergrund-Strukturen klar angeben ließen. Die Gliederungstyp-Zuordnungen bzw. Topik-Identifizierungen beruhen dort somit zu einem wesentlichen Teil auf den durch die Fragekontexte gewährleisteten klaren Fokus/ Hintergrund-Struk- 239 Hierauf beruht Gundels Vorschlag, zwischen referentieller und relationaler Givenness bzw. Newness zu unterscheiden, siehe meine Diskussion dieser Unterscheidung in Kap. 3.3. <?page no="185"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 185 turen. Aber worauf kann für die Identifizierung zurückgegriffen werden, wenn diese Kontext-Bedingungen fehlen? Auch für Texte wird vorgeschlagen, die darin enthaltenen Sätze als Antworten auf implizit vorausgesetzte Fragen zu analysieren. Dies ist u. a. der Fall im sogenannten Quaestio-Ansatz (Klein/ von Stutterheim 1992; von Stutterheim 1997), wird aber auch in Ansätzen vorausgesetzt, die davon ausgehen, dass Topiks durch sogenannte Fragetests identifiziert werden können (Götze et al. 2007). Wie ich in den folgenden zwei Abschnitten (Kap. 6.1 und 6.2) zeigen möchte, ist die Auffassung, dass assertierende Sätze prinzipiell als Antwortsätze analysiert werden können, durchaus problematisch. Die Vermutung, die solchen Tests zugrunde liegt, ist offenbar, dass sich Topikalität (auch) syntaktisch niederschlägt. Hiervon geht (eingeschränkt) auch Frey (2000, 2004) aus, der für das Mittelfeld eine feste Topik-Position annimmt. Dass dies m. E. nicht der Fall ist, möchte ich in Kap 6.3 zeigen. In Kap. 6.4 möchte ich diskutieren, auf der Basis welcher Indizien Referenten in Satzabfolgen Topikstatus zugesprochen kann - wenn es weder syntaktische Indizien gibt, noch Frage/ Antwort-Kontexte, auf die dort rekurriert werden könnte. Die Frage wird dort sein, wie erfolgreich sich die in Kap. 5.4 formulierten Topik-Eigenschaften auch für Text referenten nachweisen lassen. Anhand einiger authentischer Text-Beispiele möchte ich zeigen, dass dies - wenn auch mit gewissen Abstrichen - durchaus möglich ist. Auf der Basis der in Kap. 5 ermittelten Bedingungen und Eigenschaften werde ich drei Parameter ( Zugänglichkeit , Adressenstatus sowie Gliederungstyp-Zuordnung ) formulieren, die in Kombination miteinander Kriterien für die Topikstatus-Zuschreibung liefern können. 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest Die Idee, dass sich Aussagesätze (auch) als Antworten auf (implizit) vorausgesetzte Ergänzungsfragen auffassen lassen, hat eine lange Tradition. Sie wurde in Bezug auf das Deutsche m.W. erstmalig von Hermann Paul vorgebracht (vgl. Paul, 10 1995, 283). Paul zielte hierbei jedoch nicht auf einen Ermittlungstest zur Identifizierung des Topiks (bzw. in seiner Terminologie: des ‚psychologischen Subjekts‘) ab, sondern wollte demonstrieren, dass sich im Prinzip jede (satzgliedwertige) Konstituente eines Satzes als ‚psychologisches Prädikat‘ deuten lässt - je nachdem, welche Information durch die vorangestellte W -Frage jeweils einfordert wird (vgl. Kap. 2.1, wo ein Beispiel Pauls in (6) wiedergegeben ist). Pauls ‚Fragetests‘ ermitteln also nicht das Topik, sondern zeigen vielmehr, dass ein Satz bei gleichbleibender Konstituentenabfolge je nach vorausgesetzter <?page no="186"?> 186 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Ergänzungsfrage unterschiedliche Fokus/ Hintergrund-Verhältnisse aufweisen kann, die sich im Äußerungsfall lediglich intonatorisch auswirken. 240 In eine ähnliche Richtung zielt sehr viel später Daneš (1970), wenn er festhält, „dass zu einer jeden Aussage eine Ergänzungsfrage existiert, die (mit ihrem Fragewort) gerade nach dem Rhema der Aussage fragt. Es ist gerade das Rhema, was die ‚Ergänzung‘ der betreffenden Frage bildet“ (Daneš 1970, 73). 241 Daneš weist jedoch auch darauf hin, dass sich auf diese Weise auch die „komplementären“ thematischen Elemente erfassen lassen, da es sich bei ihnen dann um diejenigen Elemente handeln muss, die nicht rhematisch sind, vgl. das Beispiel von Daneš (1970, 73), das in (1) wiedergegeben ist: (1) A: Von wem bekam er das Buch? B: Er bekam das Buch von eine Kollegen. Vieles an dieser Analyse ist problematisch. Abgesehen davon, dass die Thema/ Rhema-Dichotomie, noch ganz in der Tradition der Funktionalen Satzperspektive stehend, klar auf die Konstituenten perspektiviert ist, ignoriert diese Analyse des Weiteren auch die Notwendigkeit, zwischen Topikalität und Hintergrund zu unterscheiden. So wird die Thema/ Rhema-Dichotomie einerseits im Sinne der Unterscheidung von Fokus und Hintergrund aufgefasst: „Die Ergänzung von einem Kollegen bildet das Rhema und der Rest der Aussage stellt das Thema dar“ (Daneš 1970, 73). Aber andererseits wird sie auch explizit als Relation der Aboutness bestimmt: Das Thema und Rhema stellen zwei komplementäre Mitteilungsfunktionen von verschiedenen semantischen Bestandteilen einer Aussage dar: In fast jeder Aussage unterscheidet man das, worüber etwas mitgeteilt wird (das Thema), und das was darüber ausgesagt wird (das Rhema, die Aussage im eigenen, engeren Sinne). (Daneš 1970, 73) Vollkommen ignoriert wird in der Analyse des Beispiels also das Problem, wie und in welcher Hinsicht der von dem Fragesteller vorausgesetzte Sachverhalt, 240 Pauls Beispielsatz lautet: Karl fährt morgen nach Berlin , mit dem er demonstriert, dass der Satz (mit den entsprechenden intonatorischen Anpassungen) als Antwort auf u. a. folgende Fragen fungieren kann: Wohin fährt Karl morgen? Wann fährt Karl nach Berlin? Wer fährt morgen nach Berlin? Der Satz lässt auch eine Frage zu, die einen ‚all new‘-, d. h. Satzfokus-Kontext erzeugt: A: Was gibt’s Neues? B: Karl fährt morgen nach Berlin. Für Höhle (1982) zeigt sich hieran, wann der Satz eine „stilistisch normale“, d. h. unmarkierte Konstituentenabfolge aufweist. Unmarkiert ist laut Höhle genau die Abfolge, die (bei gleichbleibender Intonation) in den meisten (Frage-)Kontexten funktioniert (vgl. Höhle 1982, 141). 241 Siehe auch Vennemann (1973), der für die Zuweisung von Satzkonstituenten zum Fokusbzw. Hintergrundbereich ebenfalls auf vorausgesetzte Ergänzungsfragen rekurriert. <?page no="187"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 187 dass die in Rede stehende Person das Buch bekommen hat, in Aboutness-Relation zu der eingeforderten Auskunft stehen soll, von wem sie das Buch bekommen hat. Angemessener ist m. E. die folgende Analyse: (1) ist ein weiteres Beispiel für einen Fall, der zwischen Topik/ Kommentar- und Argumentfokus-Lesart changiert: Durch die vorausgesetzte Frage ist der Satz mit einer ‚offenen‘ Proposition assoziiert (‚er bekam das Buch von X‘), deren ‚Füllung‘ durch die rhematische Konstituente von einem Kollegen erfolgt. Der Antwortsatz verfügt somit über zwei nichtfokussierte, d. h. zum Hintergrundbereich gehörige Referenzausdrücke, die adressenfähige, aktivierte und adressatenseitig zugängliche Referenten repräsentieren - womit diese zwei Referenten schon über eine Reihe von Eigenschaften verfügen ( nicht fokussiert, aktiviert, zugänglich), über die auch Topik-Referenten in ‚eindeutigen‘ Topik/ Kommentar-Fällen verfügen müssen. Durch die vorausgesetzte Frage ist der Referent der Objekt-Konstituente (das Buch) zwar als Favorit für die Adressen-Rolle ausgewiesen, 242 seine diskursive Salienz als aktuelles ‚center of interest‘ ist jedoch gemindert, weil auch die prädikativen Elemente im Antwortsatz zum Hintergrund gehören - wodurch die ‚Hörer-Relevanz‘ der Antwort mehr auf die Füllung der ‚Leerstelle‘ der durch den Fragekontext induzierten offenen Proposition perspektiviert ist und weniger darauf, das Wissen des Hörers über das Buch zu erhöhen (vgl. meine Analyse des Beispiels (15) in Kap. 5.4). Problematisch ist dieses Ermittlungsverfahren aber vor allem aus dem folgenden Grund: Welchem der zwei Referenten die Adressen-Rolle zugesprochen werden kann, ist primär durch die gewählte Testfrage festgelegt. So lässt der Antwortsatz in (1) verschiedene Ergänzungsfrage-Varianten zu, die bestimmte Intonationsmuster determinieren, vgl. die Frage-Varianten in (2a), (2b) und (2c): (2a) A: Von wem bekam er das Buch? B: Er bekam das Buch von einem Kollegen. (2b) A: Was bekam er von einem Kollegen? B: Er bekam das Buch von einem Kollegen (2c) A: Wer bekam das Buch von einem Kollegen? B: Er bekam das Buch von einem Kollegen. 242 Eine Frage, die explizit den Rezipienten als Adresse und Gegenstand der Prädikation ausweist, wäre die folgende Variante: Was bekam er von einem Kollegen? Abgesehen von dem anderen Intonationsmuster wäre die Antwort auch hier noch so wie in (1) möglich: Er bekam das Buch von einem Kollegen. Dass das Objekt-Argument in dieser Variante seinen Status als potentieller Adressen-Ausdruck verliert, ist jedoch nicht ursächlich auf dessen Argumentfokus-Status zurückzuführen (Adressen können fokussiert sein! ), sondern auf die vorangegangene Frage, durch die der Rezipient als Gegenstand der Prädikation ausgewiesen ist und die Objekt-NP die Rolle des ‚Füllers‘ der durch die Frage induzierten ‚offenen‘ Proposition übernimmt. (Auch in dieser Variante bleibt also der Sachverhalt bestehen, dass der Antwortsatz zwischen Argumentfokus- und Topik/ Kommentar-Lesart changiert.) <?page no="188"?> 188 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Was diese Varianten zeigen, ist aber lediglich, welche Frage zu welchem für den Satz jeweils vorausgesetzten Intonationsmuster passt. Das heißt, getestet wird letztlich gar nicht der Antwortsatz (und das für ihn jeweils vorausgesetzte Intonationsmuster), sondern die dem Antwortsatz jeweils vorangestellte Frage. Zwar sind die Fragekontexte allesamt so konstruiert, dass sich nur jeweils ein Referent plausibel als Adresse deuten lässt, aber das methodische Grundproblem bleibt dennoch bestehen: Durch die Frage-Varianten lassen sich lediglich Intonationsmuster von Antwortsätzen innerhalb spezifischer Frage/ Antwort-Kontexte ermitteln. Und damit ist schon von vornherein vorausgesetzt, dass es sich bei dem zu analysierenden Satz um einen Antwort satz handelt - und nicht um einen (dialogkontextfreien) Aussagesatz, dem eine Testfrage zur Identifizierung seiner Topik-Konstituente vorangestellt ist. Hierauf beruht im Wesentlichen der eher stipulative Charakter, der derartigen Tests anhaftet: Durch die Wahl der Testfrage hat man sich schon auf das Ergebnis festgelegt, das durch den Test eigentlich erst ermittelt werden sollte. In seiner ‚traditionellen‘ Form basiert der Fragetest auf vorangestellten W -Fragesätzen - durch die sich in der Regel aber nur Argumentfokus-Kontexte erzeugen lassen, so wie es auch in (2a), (2b) und (2c) der Fall ist. Demgegenüber schlagen Götze et al. (2007) drei Test-Varianten vor, deren Zweck es explizit ist, das Topik des zu analysieren Satzes zu identifizieren (Götze et al. 2007, 165). Nach Götze et al. ist der Topikausdruck-Status einer Konstituente innerhalb eines Satzes S bestätigt, wenn gilt: • dass S ein guter Folgesatz im Anschluss an diesen Satz wäre: Ich erzähle dir etwas über X. • dass S eine gute Antwort auf die folgende Frage wäre: Was gibt es über X zu erzählen? • dass S sich gut in den folgenden Satz umformen lässt: Was X betrifft, S’ (wobei X in S’ durch einen passenden anaphorischen Ausdruck (Pronomen) ersetzt wird. 243 Wie man sieht, handelt es sich nur in der zweiten Variante um eine Frage. Bei der ersten Variante handelt es sich um eine Art ‚Ankündigungsformel‘ und die dritte Variante ist ein Umformungstest. Und auch die Fragetest-Variante hat mit 243 Die hier wiedergegebenen Test-Varianten wurden von mir in Deutsche übertragen. Die englischen Versionen lauten folgendermaßen: „An NP X is the aboutness topic of a sentence S containing X if: (i) S would be a natural continuation to the announcement Let me tell you something about X , (ii) S would be a good answer to the question What about X? , (iii) S could be naturally transformed into the sentence Concerning X, S’ (where S’ differs from S only insofar as X has been replaced by a suitable pronoun).“ <?page no="189"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 189 dem ‚klassischen‘ Ergänzungsfragentest nicht mehr viel gemein, denn das in der Testfrage enthaltene W -Element fordert zur ‚Füllung‘ der durch die Frage indizierten Informationslücke nicht bloß eine Argument- oder Angaben-Konstituente im Antwort-Satz ein, sondern den gesamten im Satz enthaltenen propositionalen Gehalt. 244 Zunächst sind diese Tests gegenüber den traditionellen Versionen insofern ein Fortschritt, als sie darauf abzielen, den Topikstatus einer bestimmten Konstituente direkt zu überprüfen, anstatt dies lediglich indirekt herzuleiten, so wie es etwa noch bei Daneš (1970) der Fall ist. Alle Varianten funktionieren so, dass die zu testende Konstituente in die Test-Formel eingesetzt wird, um dann zu überprüfen, ob der Satz, der die getestete Konstituente enthält, ein ‚guter‘ Folgesatz („a natural continuation“) wäre (Götze et al. 2007, 165). Ist dies der Fall, gilt der Topikstatus der getesteten Konstituente als bestätigt. Wie die Test-Varianten zeigen, setzen die Testformeln in Bezug auf den getesteten Ausdruck allesamt Spezifizität voraus. Insofern handelt es sich durchweg um Wohlgeformtheitstests. Darüber hinaus wird offenbar auch vorausgesetzt, dass es für Topik-Ausdrücke im Satz eine präferierte syntaktische Position geben muss, denn sonst liefe es darauf hinaus, dass mit den Tests lediglich ermittelt worden ist, ob der getestete Ausdruck eine spezifische Lesart hat. 245 Wie wir aber gleich sehen werden, erfüllt sich insbesondere diese Voraussetzung nicht. Bezüglich des Typs und der Semantik der getesteten Konstituente geben die Autoren zunächst eine Reihe von Beschränkungen an (2007, 163). Nur die folgenden Konstituenten können laut Götze et al. Topikausdruck-Status haben: (i) referierende NPs (d. h. definite Kennzeichnungen oder Eigennamen), 246 (ii) indefinite NPs (im Singular? ) mit spezifischer oder generischer Lesart, 247 244 Was diese Frage-Variante des Weiteren bewirkt, ist, dass die zum Prädikat gehörigen Elemente im (Antwort-)Satz nicht schon durch die Testfrage präsupponiert sind. Anders als die ‚klassischen‘ Fragetest-Varianten erzeugt diese Testfrage also keine Argumentfokus-Kontexte. 245 Eine weitere Konsequenz wäre, dass die Tests bei der Ermittlung des Topiks notwendig scheitern müssen, wenn im Satz mehr als nur eine Argument-Konstituente mit spezifischer Lesart enthalten sind. Wie sich zeigen wird, beruhen insbesondere hierauf die Probleme, die diesen Tests anhaften. 246 Man darf wohl davon ausgehen, dass Götze et al. auch Pronomen für prinzipiell topikausdruckfähig halten. Explizit aufgelistet wird dieser Ausdruckstyp jedoch nicht. Des Weiteren machen die Autoren auch keine Angaben darüber, ob sie nur definiten Kennzeichnungen und Eigennamen eine referierende Funktion zusprechen wollen. 247 Dass auch diese Ausdruckstypen prinzipiell als topikausdruckfähig gelten, deutet auf ein ‚weites‘ Topik-Verständnis der Autoren hin. Unreflektiert bleibt hierbei allerdings die Frage, wie sich diese Ausdruckstypen in den jeweiligen Testformeln verhalten. Unproblematisch ist offenbar der Ankündigungstest: Ich erzähle dir mal etwas über einen <?page no="190"?> 190 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit (iii) artikellose NPs im Plural („bare plurals“) mit generischer Lesart, 248 (iv) satzwertige Konstituenten („finite clauses“), die Sachverhalte („concrete facts“) „denotieren“, über welche die nachfolgende satzwertige Konstituente („the subsequent clause“) etwas prädiziert. 249 Ausgeschlossen werden demnach also offenbar indefinite NPs mit nicht-spezifischer Lesart sowie NPs, die quantifizierende Ausdrücke enthalten - sodass sich aus dieser Liste ableiten lässt, dass Spezifizität (bzw. Generizität) für die Topikausdruck- Fähigkeit einer Konstituente offenbar als hinreichend aufgefasst wird. 250 Wie bewähren sich diese Identifizierungstests nun, wenn man sie auf ein authentisches Beispiel anwendet? Schauen wir uns das folgende Beispiel an, bei dem es sich um eine der Süddeutschen Zeitung entnommene Kurzmeldung handelt, die lediglich aus zwei Sätzen besteht und die keine Überschrift hat: (3) Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Die US-Börsenaufsicht SEC beschuldigt den Banker, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. (Süddeutsche Zeitung vom 21.02.2009) Indianer / über Indianer. Im Fall des Fragetests ergeben sich hier m. E. nichtwohlgeformte Textformeln bzw. Frage/ Antwort-Paare. (? Was gibt es über einen Indianer zu erzählen? ) Auch der Umformungstest erzeugt nichtwohlgeformte Sätze, wenn es sich um eine indefinite Singularform handelt - m. E. auch dann, wenn der Ausdruck eine generische Lesart hat. Vgl. etwa das folgende Beispiel mit generischer Lesart: ? Was einen Indianer betrifft, der kennt keinen Schmerz. Anders sieht es jedoch im Plural aus: Was Indianer betrifft, die kennen keinen Schmerz. 248 Irritierend ist, dass Massenomen in der Liste fehlen. Dass Massenomen fehlen, bedeutet des Weiteren, dass in (ii) nur indefinite NPs im Singular gemeint sein können, denn sonst hätte der in (iii) genannte Ausdruckstyp (bare plurals), bei dem es sich im Deutschen ja um eine indefinite NP im Plural handelt, auch unter (ii) aufgelistet werden können. 249 Unklar ist, welche Konstruktionen Götze et al. hier im Sinn haben. Sind eingebettete satzwertige Konstituenten, z. B. dass -Sätze in Subjekt- oder Objektargument-Funktion gemeint? Ein Beispiel wird leider nicht angegeben. 250 Die Frage, wie es sich bei Ausdrücken verhält, die Masse-Konzepte repräsentieren, bleibt wie schon erwähnt unberücksichtigt. Da Masse-Konzepte im Deutschen in der Regel artikellos repräsentiert werden, hätte man Massenomen als Ausdruckstyp ( bare singulars ) aber durchaus in die Liste aufnehmen können, zumal Masse-Konzepte adressenfähig sind und somit Gegenstand der Prädikation sein können ( Wasser ist lebensnotwendig. ), und sie des Weiteren auch wiederaufnahmefähig sind, d. h. auch wiederholt Gegenstand der Prädikation sein können - womit sie nicht nur diskursgegenstandfähig, sondern auch topikfähig sind. <?page no="191"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 191 Gemäß dem oben angegebenen Testverfahren ist nun also so vorzugehen, dass die jeweiligen im Satz enthaltenen Referenzausdrücke in die Testformel einzusetzen sind, 251 um dann zu prüfen, ob der Satz ein ‚guter‘ Anschlusssatz („a natural continuation“) ist - bzw. im Fall des Umformungstests: ob der umgeformte Satz ein grammatisch wohlgeformter Satz ist. Der erste Satz in (3) enthält zwei (unterschiedlich) komplexe definite Nominalphrasen, die zunächst als Topik-Ausdrücke in Frage kommen könnten: die auf die US-Bundespolizei referierende Subjekt-NP und die auf den Milliardenbetrüger referierende Akkusativobjekt-NP. 252 Beginnen wir mit der Ankündigungsformel und testen zunächst die Subjekt-NP: (4a) Ich erzähle dir etwas über die US-Bundespolizei FBI. Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Wie man sieht, ist der erste Satz ein einigermaßen „natürlicher“ Anschlusssatz an die Ankündigungsformel. Gewisse Abstriche bereitet lediglich der Umstand, dass es in einer authentischen Abfolge „natürlicher“ wäre, die US-Bundespolizei pronominal wiederaufzunehmen. Es ist m. E. ein Manko dieses Tests (und ebenso der von Götze et al. vorgeschlagenen Fragetest-Variante), dass der Wiederaufnahme-Aspekt für die Beurteilung der „Natürlichkeit“ der Abfolge offensichtlich überhaupt keine Rolle spielt. Schauen wir uns nun an, wie es sich mit der anderen definiten Nominalphase verhält. Auch diese setzen wir in die Ankündigungsformel ein: 251 Dies ist nicht ganz korrekt, denn natürlich muss der Ausdruck in der Testformel noch hinsichtlich Kasus angepasst werden, sofern es sich nicht um eine Akkusativform handelt. Da aber die feminine Form des Akkusativs im Singular mit der des Nominativs zusammenfällt, ändert sich der getestete Ausdruck in der Ankündigungsformel in (4a) formseitig nicht. 252 Die indefinite NP eine Zivilklage fällt aufgrund ihrer nichtspezifischen Lesart als Topikausdruck aus. Setzt man den Ausdruck in die Ankündigungsformel ein, erhält er eine spezifische Lesart und harmoniert dadurch nicht mehr mit seiner nicht-spezifischen Lesart im Folgesatz: Ich erzähle dir etwas über eine Zivilklage. ?? Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Für die Ermittlung der Topikausdruck-Unfähigkeit aufgrund von Nicht-Spezifizität ist der Test also offensichtlich brauchbar. Im ersten Satz sind noch zwei weitere referierende Ausdrücke enthalten, die zu testen wären: den in der lokalen Angabe enthaltenen Eigennamen ( Virginia ) sowie das direkt im Anschluss an der Konjunktion stehende Dativ-Pronomen ( ihm ), das den Milliardenbetrüger wiederaufnimmt. Trotz ihrer prinzipiellen Topikausdruck-Fähigkeit sind diese zwei Referenzausdrücke hier keine Favoriten für den Topikausdruck-Status. Dies hat verschiedene Gründe, auf die ich gleich eingehen werde. <?page no="192"?> 192 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit (4b) Ich erzähle dir etwas über den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford. Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Wie sich zeigt, ist die Akkusativobjekt-NP im getesteten Satz vollkommen unnatürlich, wenn sie als Wiederaufnahme-Ausdruck so beibehalten wird, wie sie in der Ankündigungsformel steht. Die auf den Banker referierende definite Kennzeichnung ist zu umfangreich, um als Wiederaufnahme-Ausdruck in Frage kommen zu können: Die dem Eigennamen vorangestellten Attribuierungen deuten darauf hin, dass die NP die Funktion hat, den Banker als neuen Diskursgegenstand, der dem Adressaten vielleicht noch nicht bekannt ist, 253 einzuführen und ihn für anschließende Wiederaufnahmen identifizierbar zu machen. Dies aber disqualifiziert die NP für die Rolle als Wiederaufnahme-Ausdruck, wenn sie mit der in der Ankündigungsformel enthaltenen koreferenten NP ausdrucksseitig vollkommen identisch ist, da die Notwendigkeit der Identifizierbarmachung eines nicht-aktivierten Referenten an dieser Stelle schon nicht mehr besteht. 254 Ist dies vielleicht der Beleg dafür, dass der Test die US-Bundespolizei als Topik identifiziert hat - sofern man von den oben angesprochenen kleineren Abstrichen einmal absieht? Dies wäre m. E. eine voreilige Schlussfolgerung. Ein Grund ist zunächst dies: Da der Test lediglich auf den isolierten Satz abzielt, ist es gar nicht möglich, den diskursiven Status des getesteten Referenzausdrucks (bzw. genauer: seines intendierten Referenten) zu erfassen. Der Test lässt nämlich vollkommen unberücksichtigt, ob die US-Bundespolizei im Anschluss noch einmal wiederaufgenommen wird. Aber wie der Gesamt-Text in (3) zeigt, verhält es sich dort so, dass die US-Bundespolizei im Folgesatz (der ja darüber hinaus 253 Genauso gut könnte es aber auch sein, dass der Rezipient schon einmal von Allen Stanford gehört hat (und vielleicht geht auch der Autor oder die Autorin der Kurzmeldung von dieser Möglichkeit aus). Aber ob für den Referenten im Sinne von Prince unused - oder brand-new -Status vorausgesetzt wird, lässt sich auf der Basis des Ausdruckstyps allein nicht entscheiden, denn auch im brand-new -Fall (selbst wenn der Autor oder die Autorin dies voraussetzen würde) wäre die definite Form aufgrund der appositiven Erweiterung durch den Eigennamen (der Spezifizität und referentielle Unikalität impliziert) unumgänglich. 254 Prinzipiell ist es natürlich immer möglich, einen Referenten mit einem Ausdruck wiederaufzunehmen, der semantisch ebenso komplex wie der Antezedens-Ausdruck ist. Aber wenn die NP die gleichen attributiven Elemente enthält wie die Antezedens-NP, wird die darin enthaltene semantische Information redundant. Und dieser Redundanz-Effekt tritt besonders deutlich dort zutage, wo dem Antezedens-Ausdruck die Funktion zukommt, einen Referenten einzuführen und dessen rezipientenseitige Identifizierbarkeit sicherzustellen. <?page no="193"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 193 auch schon der letzte Satz der Kurzmeldung ist) gar nicht mehr genannt wird. 255 Wie aber mittlerweile deutlich geworden sein sollte, kommen Referenten, die nur ein einziges Mal genannt werden, kaum als gute Kandidaten für den Status als Topik und ‚center of current interest‘ in Betracht. Hinzu kommt noch, dass der Ankündigungstest wesentlich an Aussagekraft verliert, wenn man ihn so modifiziert, dass er das oben angesprochene Manko, die Nichtberücksichtigung des Wiederaufnahme-Aspekts für die Beurteilung der Natürlichkeit der Abfolge, nicht mehr aufweist. Denn wenn man die entsprechenden Konstituenten durch einen ‚natürlicheren‘ Wiederaufnahme-Ausdruck (etwa ein Pronomen) ersetzt, so stellt sich heraus, dass sich beide Referenten als gleich gute Topik-Kandidaten erweisen, vgl. (4c) und (4d): (4c) Ich erzähle dir etwas über die US-Bundespolizei FBI. Sie hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. (4d) Ich erzähle dir etwas über den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford. Die US-Bundespolizei FBI hat ihn in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Dass die Ankündigungsformel in diesem Fall mit der Objekt-Konstituente genauso gut funktioniert wie mit der Subjekt-Konstituente, zeigt, dass es für das jeweilige mutmaßliche Topik offenbar keine syntaktische Positionspräferenz gibt. Dies ist ein Indiz dafür, dass die vermeintliche Präferenz der US-Bundespolizei in (4a) gegenüber dem Milliardenbetrüger in (4b) nicht syntaktisch induziert ist, sondern allein auf den ausdruckseitigen Eigenschaften der getesteten Referenzausdrücke beruht: Nur dadurch, dass sich die Objekt-NP aufgrund ihrer umfangreichen attributiven Elemente nicht als Wiederaufnahme-Ausdruck im Anschluss an die Ankündigungsformel eignet, erscheint die Subjekt-NP ‚natürlicher‘. Dass die US-Bundespolizei aber dennoch kein ‚gutes‘ Topik und ‚center of interest‘ ist, lässt sich nur durch den Rekurs auf Indizien im Gesamt text 255 Genaugenommen taucht die US-Bundespolizei im Anschluss an die Konjunktion und noch ein zweites Mal auf, und zwar als getilgtes Subjekt-Argument im zweiten Teilsatz. Da sich der zweite Teilsatz mit dem ersten aber nicht nur das Subjekt-Argument, sondern auch das Perfekt-Auxiliar hat teilt, sodass die mit hat eröffnete Satzklammer strenggenommen bis zum satzabschließenden Partizip übergeben reicht und sie damit in gewisser Weise auch den zweiten Teilsatz in das von ihr umschlossene Mittelfeld integriert, ließe sich der vom hat bis übergeben reichende Block auch insgesamt als die auf das Subjekt im Vorfeld bezogene Prädikation deuten. <?page no="194"?> 194 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit plausibilisieren: Die US-Bundespolizei wird im Folgesatz nicht mehr erwähnt, wohingegen dies beim Referenten der getesteten Objekt-Konstituente noch zweimal der Fall ist. 256 Dies lässt sich aber nicht dem Satz, der die getesteten Ausdrücke enthält, entnehmen, sondern nur dem Gesamttext und kann durch den Test somit gar nicht erfasst werden. Es sind für den ersten Satz noch zwei weitere Referenzausdrücke zu testen, die als Ausdrucks typen zumindest potentiell topikausdruckfähig sind: den in der lokalen Angabe enthaltenen Eigennamen ( Virginia ) und das direkt nach der Konjunktion stehende Dativ-Pronomen ( ihm ), das den Milliardenbetrüger wiederaufnimmt. Testen wir zunächst den Eigennamen: (4e) Ich erzähle dir etwas über Virginia. Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Dass diese Abfolge weniger „natürlich“ wirkt als etwa (4a), lässt sich sicherlich am besten damit erklären, dass der Umstand, dass die Zivilklage in Virginia übergeben worden ist, keine Information ist, die in einem nachvollziehbaren Relevanzverhältnis zum Bundesstaat Virginia stehen könnte. Mit anderen Worten: die ‚Nicht-Natürlichkeit‘ der Abfolge in (4e) beruht vor allem darauf, dass die Übergabe der Zivilklage nichts darstellt, das gerade im Hinblick auf Virginia wissens- oder erzählenswert wäre. Anders verhält es sich diesbezüglich mit der US-Bundespolizei - und erst recht mit dem Milliardenbetrüger Allen Stanford. Doch obwohl Stanford derjenige ist, in Bezug auf den es - aus der Perspektive des Gesamttextes - sicherlich am ‚erzählenswertesten‘ wäre, dass ihm eine Zivilklage übergeben wurde, lässt sich dies durch den Test in (4b) nicht bestätigen. Auch dies lässt sich darauf zurückführen, dass der Test nicht in der Lage ist, den auf den Gesamttext bezogenen Stellenwert dieses Referenten zu erfassen, der sich vor allem daraus ergibt, dass er der einzige der drei im ersten Satz spezifisch repräsentierten Referenten (die Bundespolizei, Stanford, Virginia) ist, der im Text mehr als einmal genannt wird, sodass es sicherlich nicht abwegig ist, die Kurzmeldung als Meldung über Stanford zu charakterisieren - und nicht etwa 256 Der Milliardenbetrüger wird insgesamt dreimal mittels referierender Ausdrücke erwähnt: zuerst als direktes Objekt durch die mit Attributen angereicherte definite Kennzeichnung ( den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford ), dann als Dativobjekt mittels eines Personalpronomens ( ihm ), und schließlich, im zweiten Satz, wieder durch eine definite Kennzeichnung in der Funktion des direkten Objekts ( den Banker ). <?page no="195"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 195 als Meldung über die Bundespolizei oder über Virginia. 257 Natürlich ist mit einer solchen Charakterisierung noch nichts darüber gesagt, ob diese ‚Worüber‘-Relation, die für Stanford in Bezug auf den Gesamt text plausibel erscheint, auch in Bezug auf den ersten Satz plausibel ist - bzw. ob es überhaupt plausibel ist, für den ersten Satz den Topik/ Kommentar-Typ anzunehmen. 258 Dass der Identifizierungstest nur auf isolierte (Haupt-)Sätze bezogen ist, führt noch zu einem weiteren Problem, das zum Vorschein kommt, wenn man das im ersten Satz enthaltene Pronomen, das den Milliardenbetrüger wiederaufnimmt, in die Ankündigungsformel einsetzt: (4 f) Ich erzähle dir etwas über ihn. Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Zunächst fällt auf, dass die Ankündigungsformel bewirkt, dass die Wiederaufnahmerelation zwischen dem Objekt-Argument im ersten Teilsatz und dem Dativ-Pronomen im zweiten Teilsatz verschwindet. Dies lässt sich damit erklären, dass die pronominale Repräsentation des Objekt-Referenten in der Ankündigungsformel auf Aktiviertheit und adressatenseitige Zugänglichkeit schließen lässt, 259 was dann nicht mehr mit der Form der wiederaufnehmenden Objekt-Konstituente im ersten Teilsatz harmoniert, die dies ausschließt. Die Strategie, diese ‚Disharmonie‘ dadurch zu ‚reparieren‘, indem man die Koreferenz mit der wiederaufnehmenden Objekt-NP im ersten Teilsatz aufhebt und nur die Koreferenz mit dem Dativ-Pronomen im zweiten Teilsatz annimmt, führt jedoch zu einer erschwerten Lesbarkeit des Gesamtsatzes, da die Koreferenz der Objekt-NP mit dem Dativ-Pronomen im zweiten Teilsatz nach wie vor die plausibelste Deutung der koreferentiellen Bezüge innerhalb des Gesamtsatzes ist. Man könnte dies nun als Beleg für die ‚Nicht-Natürlichkeit‘ der Satzabfolge in (4 f) werten und daraus den Schluss ziehen, dass der getestete Ausdruck eben 257 In Kap. 6.4 werde ich darum dafür plädieren, dass die wiederholte Wiederaufnahme eines Diskursreferenten durchaus ein Indiz für dessen Topikstatus im aktuellen Textabschnitt sein kann, sofern nicht andere Aspekte (etwa die Fokussiertheit des ihn repräsentierenden Referenzausdrucks) klar dagegen sprechen. 258 Ich werde auf diesen Punkt in Kap. 6.2 zurückkommen. 259 Diese Schlussfolgerung beruht allerdings weniger auf dem Ausdruckstyp selbst, sondern eher auf den diskursiven Bedingungen, unter denen er in (4 f) verwendet wird. Siehe meine Diskussion des Beispiels (13) in Kap. 5.3, das gezeigt hat, dass für den Gebrauch einer pronominalen Form nicht notwendig Aktiviertheit und (adressatenseitige) Zugänglichkeit vorausgesetzt sein muss. <?page no="196"?> 196 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit kein Topik-Ausdruck ist. Dies mag in Anbetracht des Befunds, dass sich der getestete Ausdruck in (4a): die US-Bundespolizei FBI bisher ohnehin als der ‚beste‘ erwiesen hat, ein zufriedenstellendes Ergebnis sein und den Favoriten-Status dieses Ausdrucks noch einmal bestätigen, verdeckt aber einen weiteren problematischen Punkt dieses Testverfahrens. Denn strenggenommen wird nicht der Topikstatus von Referenten getestet, sondern der Topikstatus von Ausdrücken . Dies wird aber dann zu einem Problem, wenn es sich, so wie im ersten Satz unseres Beispiels, um eine Struktur von koordinierten Sätzen mit z.T. getilgten Elementen handelt, bei der es darüber hinaus auch koreferentielle Bezüge zwischen dem ersten und zweiten Teil der Koordination gibt ( den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford > ihm ). Für derartige Fälle empfiehlt der Test jedoch keine Vorgehensweise. Da im ersten Satz somit zwei propositionale Gehalte repräsentiert sind, 260 sollte man dann nicht für den zweiten Teilsatz einen gesonderten Test durchführen? Vgl. (4 g) (die getilgten Elemente stehen in eckigen Klammern): (4 g) Ich erzähle dir etwas über ihn. [Die US-Bundespolizei FBI] [hat] […] ihm eine Zivilklage übergeben. Da das Subjekt-Argument getilgt ist, enthält der Teilsatz dementsprechend auch keinen Subjekt-Ausdruck, den man testen könnte. Es bleibt also nur das Pronomen (das sich in der Ankündigungsformel darüber hinaus auch als koreferent mit der Akkusativobjekt-NP im ersten Teilsatz deuten lässt). Was zunächst gegen diese Vorgehensweise spricht, ist, dass der Test Ausdrücke in einem Satz testet, der in dieser Form gar nicht im Originaltext enthalten ist. Des Weiteren spricht dagegen, dass der Test das Pronomen zwar als Favoriten zu bestätigen scheint (die indefinite NP eine Zivilklage fällt aufgrund ihrer nicht-spezifischen Lesart hierfür aus), sich dieses Ergebnis aber nicht mit den Prädikationsverhältnissen im zweiten Teilsatz in Einklang bringen lässt, durch die nicht der Referent des Pronomens als favorisierte Adresse der Prädikation ausgewiesen ist, sondern der ‚Referent‘ des getilgten Subjekt-Arguments. Dies ergibt sich aus der Koordinierungsstruktur des Gesamtsatzes, die sich, wie schon oben erwähnt wurde, dadurch auszeichnet, dass sich der zweite Teilsatz mit dem ersten nicht nur das Subjekt-Argument, sondern auch das Perfekt-Auxiliar ( hat ) teilt, wodurch die durch hat eröffnete Satzklammer bis zum satzabschließenden Perfekt-Partizip ( übergeben ) des zweiten Teilsatzes reicht, sodass sich dieser 260 Der erste Teilsatz repräsentiert den Sachverhalt, dass die US-Bundespolizei Stanford in Virginia aufgespürt hat, der zweite Teilsatz repräsentiert den Sachverhalt, dass sie ihm eine Zivilklage übergeben hat. <?page no="197"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 197 gesamte Block als Prädikation über die US-Bundespolizei deuten lässt, die als Subjekt-Argument im Vorfeld des ersten Teilsatzes realisiert ist. Auch wenn der Test in (4 f) den Topikausdruck-Status des Pronomens offenbar ausschließen kann, ist m. E. alles andere als klar, wie der Test mit Ausdrücken in komplexeren Koordinierungsstrukturen verfahren soll. Vorausgesetzt wird offenbar, dass die Sätze, deren Topik identifiziert werden soll, bzgl. ihrer Propositions- und Prädikationsstruktur so strukturiert sind, dass sie genau einen propositionalen Gehalt repräsentieren und über einen Satzgegenstand verfügen, auf den genau eine Prädikation bezogen ist. 261 Kommen wir nun zur Fragetest-Version. Hier verhalten sich die getesteten Ausdrücke nicht anders als bei der Ankündigungsformel-Version: (5a) Was gibt es über die US-Bundespolizei FBI zu erzählen? Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Wie man sieht, erzeugt die vorangestellte Frage mit dem auf die US-Bundespolizei referierenden Ausdruck ein akzeptables Frage/ Antwort-Paar. Der getestete Ausdruck funktioniert genauso gut wie in (4a). Die Abstriche in puncto ‚Natürlichkeit‘ beruhen hier ebenso wie in (4a) darauf, dass der Subjekt-Ausdruck im Antwortsatz kein Pronomen ist. Auch die Akkusativobjekt-NP verhält sich in Fragetest-Version genauso wie in der Ankündigungsformel: (5b) Was gibt es über den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford zu erzählen? Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Somit favorisiert auch der Fragetest die Subjekt-NP als Topik-Ausdruck. Aber auch diese Favorisierung löst sich auf, wenn man die getesteten Ausdrücke durch Ausdruckstypen ersetzt, die den Wiederaufnahme-Verhältnissen in den Frage/ Antwort-Paaren eher gerecht werden: 261 Götze et al. haben offenbar nur den Test von Argument-Konstituenten auf der obersten Hierarchie-Ebene der Satzstruktur im Blick. Dies lässt sich indirekt daraus ableiten, dass auch satzwertige Konstituenten in Argumentfunktion für testbar gehalten werden (vgl. Götze et al. 2007, 163). <?page no="198"?> 198 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit (5c) Was gibt es über die US-Bundespolizei FBI zu erzählen? Sie hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. (5d) Was gibt es über den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford zu erzählen? Die US-Bundespolizei FBI hat ihn in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Dies lässt sich auch durch den Umformungstest bestätigen, der bezüglich der zwei getesteten Ausdrücke gar keinen Favoriten ermitteln kann: (6a) Was die US-Bundespolizei FBI betrifft, sie hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. (6b) Was den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford betrifft, die US-Bundespolizei FBI hat ihn in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Da der Umformungstest einfordert, den getesteten Ausdruck als Wiederaufnahme-Ausdruck entsprechend anzupassen, sind hier beide Sätze gleich wohlgeformt. Dies zeigt jedoch nur, dass diese Test-Variante nicht das Geringste zur Identifizierung des Topiks im ersten Satz beizutragen vermag. 262 Anders sieht dies u. U. aus, wenn es sich bei dem getesteten Ausdruck um eine indefinite NP handelt. Da sich indefinite Singular-NPs nicht in die ‚Was X betrifft‘-Formel einsetzen lassen, würde man hiermit nichtwohlgeformte Konstruktionen generieren, sodass der Test den entsprechenden Ausdruck aussortiert. 263 Dies ist darauf zurückzuführen, dass für die Verwendung der ‚Was X betrifft‘-Konstruktion adressatenseitige Zugänglichkeit (bzw. Familiarity) in Bezug auf den (bzw. die) Referenten des darin enthaltenen Referenzausdrucks vorausgesetzt sein muss, was in Bezug auf die NP eine Zivilklage nicht der Fall 262 Dass ein solcher Test dies leisten können soll, liegt wohl zum Teil auch an der wahrscheinlich im Hintergrund mitschwingenden Vermutung, dass sich durch die Tests Präferenzen bzgl. der syntaktischen Position des Topik-Ausdrucks aufdecken lassen. Dass sich dies aber auch auf der Basis der Ankündigungstest- und der Fragetest-Variante nicht bestätigen lässt, wird gleich noch deutlicher werden, wenn wir die Tests auf die im zweiten Satz enthaltenen Referenzausdrücke anwenden. 263 Anders verhält es sich jedoch bei indefiniten Plural-NPs, die eine generische Lesart haben: Was Fledermäuse betrifft, die sind nur schwer in Gefangenschaft zu halten. <?page no="199"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 199 ist. 264 Als Zwischenergebnis können wir bis hierhin also festhalten: Der Ankündigungstest und der Fragetest favorisieren offenbar die US-Bundespolizei. Der Umformungstest erzeugt keinen Favoriten. Schauen wir uns nun den zweiten Satz an. Auch hier kommen die Subjekt- und die Akkusativobjekt-NP in die engere Wahl. 265 Da sich die Ausdrücke im Frage- und im Ankündigungstest auch hier gleich verhalten, sind diese zwei Tests im Folgenden zusammengefasst. Testen wir zunächst die Subjekt-NP: (7a) Ich erzähle dir etwas über die US-Börsenaufsicht SEC. / / Was gibt es über die US-Börsenaufsicht SEC zu erzählen? Die US-Börsenaufsicht SEC beschuldigt den Banker, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. (7a) zeigt, dass sich mit dem Subjekt-Ausdruck ‚gute‘ Abfolgebzw. Frage/ Antwort-Paare bilden lassen. Die definite NP ist als Wiederaufnahme-Ausdruck akzeptabel, auch wenn ein Pronomen vielleicht ‚natürlicher‘ wäre. Wie aber (7b) zeigt, können die Tests für den zweiten Satz keinen Favoriten ermitteln, denn die Objekt-NP funktioniert in dem Abfolgebzw. Frage/ Antwort-Paar weder schlechter noch besser: (7b) Ich erzähle dir etwas über den Banker. / / Was gibt es über den Banker zu erzählen? Die US-Börsenaufsicht SEC beschuldigt den Banker, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. Wie (8a) und (8b) zeigen, lässt sich auch mit dem Umformungstest kein Favorit ermitteln: (8a) Was die US-Börsenaufsicht SEC betrifft, sie beschuldigt den Banker, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. 264 Vgl. die folgende ungrammatische Variante: * Was eine Zivilklage betrifft, die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und sie ihm übergeben. Vgl. demgegenüber die Variante mit Virginia , die zwar wohlgeformt, aber aus der Relevanzperspektive sehr viel voraussetzungsreicher als die Varianten in (6a) und (6b) ist: Was Virginia betrifft, die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford dort aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. 265 Der Satz enthält noch zwei weitere, indefinite Referenzausdrücke ( Anleger ; acht Milliarden Dollar ), die aber (i) nicht-spezifisch und (ii) Bestandteil des eingebetteten Infinitivsatzes sind. <?page no="200"?> 200 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit (8b) Was den Banker betrifft, die US-Börsenaufsicht SEC beschuldigt ihn, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. Wie sind diese Ergebnisse nun zu bewerten? Zunächst kommt hier wieder das Defizit zum Vorschein, dass die Tests nicht in der Lage sind, den diskursiven, d. h. den auf den Gesamt text bezogenen Status der getesteten Ausdrücke zu erfassen, da ihre Perspektive auf den Satz, der den aktuell getesteten Ausdruck enthält, beschränkt bleibt. In Bezug auf den Subjekt-Ausdruck hat dies zur Folge, dass die Tests dem Referenten dieses Ausdrucks, die US-Börsenaufsicht, ein Gewicht verleihen, das ihm aus der Perspektive des Gesamttextes nicht zukommen kann. So legt der Ankündigungstest nahe, dass die Börsenaufsicht von nun an im Zentrum des Interesses steht, doch im Anschluss wird sie nicht mehr erwähnt. (Schließlich ist es schon der letzte Satz.) Und in Bezug auf den Fragetest lässt sich festhalten, dass sich für diese Frage kein Anlass rekonstruieren lässt, durch den sich die Motivation plausibilisieren ließe, etwas Neues über die Börsenaufsicht in Erfahrung zu bringen, da sie zuvor noch nicht erwähnt wurde. Mit anderen Worten: Im vorangegangenen Satz ist kein Diskursgegenstand enthalten, der eine Frage wie in (7a) - Was gibt es über die US-Börsenaufsicht SEC zu erzählen? - aus diskursiver Perspektive als sinnvoll erscheinen lässt. Dies sieht in Bezug auf den Banker anders aus, der im ersten Satz ja schon aktiviert wurde. Das heißt, anders als bei der Börsenaufsicht bestünde in Bezug auf den Banker durchaus ein Anlass, mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Aber da die Tests die Einbettung der Einzelsätze (und der darin repräsentierten Diskursreferenten) in den Gesamttext nicht erfassen können, bleibt dieser Aspekt für die Topik-Identifizierung unberücksichtigt. Und auch wenn man sich auf den Standpunkt zurückzöge, dass diese Tests lediglich auf den Aspekt der Wohlgeformtheit abzielen und keinerlei diskursive Implikationen damit verbunden seien, so müsste man dennoch zugestehen, dass sie zumindest in Bezug auf den zweiten Satz scheitern und nicht dazu in der Lage sind, das Topik dieses Satzes zu identifizieren. Bezüglich ihrer Anwendung auf das Beispiel in (3) fällt die Bilanz für die von Götze et al. vorgeschlagenen Tests also eher ernüchternd aus. Für den ersten Satz konnten zwei Test-Varianten, der Ankündigungs- und der Fragetest, einen Favoriten ermitteln (die Subjekt-NP die US-Bundespolizei ), für den zweiten Satz gelang dies keinem der Tests. Zwar war es möglich, den Topikausdruck-Status für eine Reihe von Ausdrücken auszuschließen, aber dies betraf nur Ausdrücke, die aufgrund ihrer nicht-spezifischen Lesart ohnehin nicht dafür in Frage kommen. Was mit den Tests also offensichtlich einigermaßen zuverlässig ermittelt werden kann, ist, ob sich dem getesteten Ausdruck eine spezifische Lesart zuweisen lässt. <?page no="201"?> 6.1 Identifizierungstests: Fragetest, Ankündigungstest, Umformungstest 201 Probleme bereiten den Tests aber offenbar Sätze, die über mehr als einen topikausdruckfähigen Ausdruck verfügen, und eben dies ist im zweiten Satz der Fall. Insbesondere dort zeigt sich der stipulative Charakter, der diesen Tests anhaftet: Die Testformeln selbst sind es nämlich, die bewirken, dass der Referent des getesteten Ausdrucks als Adresse und Topik der durch den Satz ausgedrückten Proposition ausgewiesen ist, wodurch sie aber genau das erzeugen, was sie eigentlich ermitteln sollten. Denn dass die US-Bundespolizei in (4a) und (5a), die US-Börsenaufsicht in (7a) und der Banker in (7b) als aktiviert und diskursiv salient erscheinen, ist nur ein Effekt der vorgeschalteten Testformeln. Tatsächlich besteht der Aktiviertheitsstatus aber nur für einen dieser Referenten, nämlich den Banker (Stanford), der nach dem ersten (Teil-)Satz noch zweimal wiederaufgenommen wird. 266 Auf den Gesamttext bezogen erfüllt also nur der Banker die Voraussetzungen, diskursiv salient sein zu können - und dies auch erst im zweiten (und letzten) Satz. Dass die zwei anderen Referenten, die US-Bundespolizei und die US-Börsenaufsicht, über ihren unused -Status gar nicht hinauskommen - trotz ihrer Realisierung als Subjektargument und in Erstposition -, kann durch die Tests ebenfalls nicht erfasst werden. 267 Dass es den Tests gelingt, Ausdrücke mit nicht-spezifischer Lesart auszuschließen, ist schlicht darauf zurückzuführen, dass die Tests allesamt voraussetzen, dass der getestete Ausdruck eine spezifische (oder generische) Lesart hat. Auf diese Weise können indefinite Ausdrücke mit nicht-spezifischer Lesart durch den Umformungstest und den Fragetest aussortiert werden: Der Umformungstest lässt, wie schon erwähnt, keine indefiniten NPs mit nicht-spezifischer Lesart zu, weil für die Verwendung der ‚Was X betrifft‘-Konstruktion adressatenseitige Zugänglichkeit (bzw. Familiarity) in Bezug auf den 266 Bezogen auf die Diskursgegenstände selbst sind natürlich zunächst alle drei: die Bundespolizei, der Banker und die Börsenaufsicht ab dem Zeitpunkt ihre Erstnennung im Kurzzeitgedächtnis ‚aktiviert‘ - unabhängig davon, ob sie danach noch einmal wiederaufgenommen werden. (Tritt dies nicht ein, erlischt ihre ‚Aktiviertheit‘ schon bald wieder). Aber da Statuskategorien wie activated (Gundel, Chafe) oder evoked (Prince) auf Diskursgegenstände als Referenten von Referenzausdrücken bezogen sind, kann der Status der Aktiviertheit nicht schon ab dem Zeitpunkt ihrer Aktivierung bzw. Evozierung, sondern erst an dem Punkt ihrer ersten Wiederaufnahme durch einen weiteren Referenzausdruck gelten. Andernfalls wäre es gar nicht möglich, zwischen unused (oder auch brand-new ) und evoked / activated zu unterscheiden. 267 Und auch den unused -Status haben sie nur im günstigsten Fall! Zwar ist dies für die US-Bundespolizei sicherlich wahrscheinlicher als für die US-Börsenaufsicht, aber auch hier ist es so, dass die definite Form (und die Spezifizität) der auf sie bezogenen Ausdrücke schon aufgrund der appositiven Erweiterungen ( die US-Bundespolizei FBI ; die US-Börsenaufsicht SEC ) unumgänglich ist. Die Frage ‚ unused oder brand-new ? ‘ lässt sich also auch in Bezug auf diese zwei Referenten nicht auf der Basis des gewählten Ausdruckstyps beantworten. <?page no="202"?> 202 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Referenten des darin enthaltenen Referenzausdrucks vorausgesetzt sein muss und indefinite Formen adressatenseitige Nicht-Zugänglichkeit implizieren. 268 Die Frageformel („Was gibt es über X zu erzählen? “) ist mit einer indefiniten NP (im Singular) kein wohlgeformter Satz, weil die sinnvolle Äußerung einer solchen Frage adressatenseitige (und auch sprecherseitige) Zugänglichkeit in Bezug auf den Referenten des darin enthaltenen Referenzausdrucks voraussetzt, aber die Verwendung einer indefiniten NP, wie gesagt, adressatenseitige Nicht-Zugänglichkeit impliziert, unabhängig davon, ob die NP eine spezifische oder nicht-spezifische Lesart hat. 269 Die Ankündigungsformel ist mit einer indefiniten NP zwar möglich, weil adressatenseitige Zugänglichkeit hier nicht vorausgesetzt sein muss, aber da der Referent der NP durch die Ankündigungsformel als Diskursgegenstand aktiviert wird, ist er zum Zeitpunkt seiner Wiederaufnahme in dem Satz, der den getesteten Ausdruck enthält, schon zugänglich (und impliziert somit Spezifizität) - wodurch die Ankündigungsformel mit Folgesätzen inkompatibel wird, in denen der getestete Ausdruck eine nicht-spezifische Lesart hat. Aus diesem Grund konnte die im ersten Satz enthaltene indefinite NP eine Zivilklage durch die Ankündigungsformel ausgeschlossen werden, da ihre nicht-spezifische Lesart nicht mit der spezifischen Lesart harmoniert, die der Ausdruck erhält, wenn er in die Ankündigungsformel eingesetzt wird. 270 Dass der Ankündigungstest auch die Objekt-NP im ersten Satz ( den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford ) ausschließt, obwohl sie spezifisch ist, beruht darauf, dass der Test einfordert, die Form des getesteten Ausdrucks in dem Satz, in dem er enthalten ist, beizubehalten. 271 Da sich aber die NP aufgrund der vielen in ihr enthaltenen attributiven Elemente - die auf 268 Dies ist wohl der Grund, warum indefinite Plural-NPs mit generischer Lesart in der ‚Was X betrifft‘-Konstruktion funktionieren (vgl.: Was Fledermäuse betrifft, die sind nur schwer in Gefangenschaft zu halten. ). Da generische Aussagen Prädikationen über die gesamte Gattung sind, für die adressatenseitige Zugänglichkeit (auf der Basis von Familiarity) vorausgesetzt werden kann, stellt sich dort auch nicht das Problem der adressatenseitigen Zugänglichkeit eines aktuell intendierten Referenz tokens (d. h. eines bestimmten, aktuell gemeinten Einzelexemplars, das dieser Gattung angehört). 269 Aus denselben Gründen wie im Fall der ‚Was X betrifft‘-Konstruktion gehen hier aber indefinite Plural-NPs mit generischer Lesart: Was gibt es über Fledermäuse zu erzählen? Fledermäuse sind nur schwer in Gefangenschaft zu halten. 270 Vgl. noch einmal den Ankündigungstest für diesen Ausdruck: Ich erzähle dir etwas über eine Zivilklage. ?? Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbe-trüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. 271 Wie (4c) und (4d) gezeigt haben, konnte der Test auch für den ersten Satz keinen Favoriten mehr ermitteln, wenn man diese Bedingung lockert und die getesteten Ausdrücke durch Ausdruckstypen ersetzt, die den Wiederaufnahme-Verhältnissen in den durch den Test erzeugten Satzabfolge-Paaren gerechter werden. <?page no="203"?> 6.2 Quaestio und Topikalität 203 die textproduzentenseitige Annahme geringer adressatenseitiger Zugänglichkeit schließen lassen - nicht als Wiederaufnahme-Ausdruck eignet, wenn man sie in ihrer Form so beibehält, wie sie in der Ankündigungsformel steht, führt dies wie schon erwähnt dazu, dass die Ankündigungsformel mit dem ersten Satz keine ‚natürliche‘ Abfolge bilden kann. Aus ganz ähnlichen Gründen erzeugt auch der Fragetest ein pragmatisch nichtwohlgeformtes Frage/ Antwort-Paar, wenn die Objekt-NP im Antwortsatz nicht den Wiederaufnahme-Verhältnissen angepasst wird: Da sich die Frage nur dann sinnvoll stellen lässt, wenn in Bezug auf den Referenten der Objekt-NP (Stanford) seitens des Fragenden schon Identifizierungswissen besteht, muss dessen Identifizierbarkeit auch nicht mehr sichergestellt werden, wenn der Referent in der Antwort wiederaufgenommen wird. Zwar ermitteln die Tests aus diesen Gründen den Referenten der Subjekt-NP (die US-Bundespolizei) als Topik-Favoriten des ersten Satzes, aber da die US-Bundespolizei zuvor noch nicht aktiviert wurde und somit (günstigstenfalls) unused ist, reicht dies für ihren Topik-Staus nicht hin. 272 Im zweiten Satz ist Stanford der einzige schon aktivierte Referent, aber weder ist es möglich, diesen Status mithilfe der Tests zu ermitteln, noch sind die Tests überhaupt dazu in der Lage, für den zweiten Satz einen Topik-Favoriten zu identifizieren. Dies ist vor allem insofern kein zufriedenstellendes Ergebnis, als die Tests gerade dort ein Topik zu identifizieren scheinen, wo es gar keinen Referenten gibt, der die Voraussetzungen für diskursive Salienz erfüllen kann, wohingegen sie bei einem Satz scheitern, der einen Referenten enthält, der diese Voraussetzungen erfüllt. 6.2 Quaestio und Topikalität Dass die Topik-Identifizierung in anderen Fällen so viel leichter zu sein scheint als in den zwei Sätzen der Kurzmeldung in (3), lässt sich, wie schon in Kap. 5.4 herausgestellt wurde, auf die kontextuellen Bedingungen zurückführen, in die diese Sätze (bzw. genauer: die Äußerungen dieser Sätze) eingebettet sind. In der Regel handelt es sich hierbei um bestimmte (konstruierte) Ergänzungs- 272 Wie schon erwähnt ist der Status des Referenten der Objekt-NP (Stanford), in Bezug auf Princes ‚assumed familiarity‘ ( unused oder brand-new ? ) an diesem Punkt sogar noch unklarer. Dies mag es vielleicht auch begünstigen, die US-Bundespolizei (zunächst) als Adresse und Gegenstand der Prädikation zu deuten, da sie diesen Status eventuell auch noch im Folgesatz innehaben wird - was jedoch nicht der Fall ist, weil sie im Anschluss nicht mehr erwähnt wird. Dies wirft wiederum die Frage auf, welchem Gliederungstyp der erste Satz am plausibelsten zugeordnet werden kann. Ich werde auf diese Frage im nächsten Abschnitt zurückkommen. <?page no="204"?> 204 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit fragen-Kontexte, in denen Sprecher A eine bestimmte Information über einen Referenten einfordert, welche dann durch Sprecher B in der anschließenden Antwort in der Form einer Prädikation über diesen Referenten mitgeteilt wird. Wie aber schon die Beispiele (2a), (2b) und (2c) in Kap. 6.1 gezeigt haben, erzeugen Ergänzungsfragen im Antwort-Teil meist Argumentfokus-Lesarten, da die durch das W -Element eingeforderte Information in der Regel auf eine Argumentstelle im Antwortteil beschränkt bleibt. Um also die (laut Lambrecht nötige) Bedingung, dass im Topik/ Kommentar-Fall auch die prädikativen Elemente zum Fokusbereich gehören müssen, 273 erfüllen zu können, müsste die Ergänzungsfrage so formuliert werden, dass sie die im Antwort-Teil enthaltenen prädikativen Elemente nicht schon präsuppositional vorwegnehmen kann. Das heißt, um ‚zweifelsfreie‘ Topik/ Kommentar-Lesarten (im Sinne Lambrechts) erzeugen zu können, muss die Ergänzungsfrage im prädikativen Teil ‚allgemeiner‘ gehalten sein, so wie z. B. in der folgenden Frage, auf die im Antwort-Teil wieder der erste Satz unserer Kurzmeldung folgt: (9a) Was hat die US-Bundespolizei FBI getan? Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Wir haben hier also durch die Wahl eines semantisch relativ unspezifischen Verbs bewirkt, dass der erste Satz den Lambrecht’schen Bedingungen für den Topik/ Kommentar-Typ genügen kann (und die US-Bundespolizei als Topik dieses Satzes ausgewiesen ist). Die Ergänzungsfrage lässt sich aber auch so modifizieren, dass der ‚Antwort‘-Satz sogar den Bedingungen für die Satzfokus-Lesart genügen kann: (9b) Was ist passiert? Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. 273 Siehe noch einmal das in Kap. 5.4 diskutierte Beispiel (10): A: Was ist Arno passiert? B: Arno ist ausgerutscht. Dass die Topik-Identifizierung dort so leicht fällt, ist darauf zurückzuführen, dass die Ergänzungsfrage so formuliert ist, dass die in der Antwort enthaltenen prädikativen Elemente nicht zum Hintergrund gehören können, womit der Argumentfokus-Typ klar ausgeschlossen werden kann und der Antwortsatz somit Lambrechts Bedingungen für das Vorliegen des Topik/ Kommentar-Typs (Lambrecht 1994, 226 f.) voll und ganz erfüllt. <?page no="205"?> 6.2 Quaestio und Topikalität 205 Die Fragen erzeugen also die für die jeweiligen Gliederungstyp-Lesarten nötigen „Diskurs-Kontexte“ (Lambrecht, 1994, 121). 274 Da es sich hier um eine texteröffnende Sequenz handelt, ist die Frage in (9b) sicherlich der ‚angemessenere‘ Diskurs-Kontext für die ersten Satz. Aber welche Angemessenheitskriterien sollen in Bezug auf Sätze in Satzabfolgen (d. h. Texten) gelten? Laut Klein/ von Stutterheim (1992, 90) gilt generell: „Jeder kohärente Text kann als eine Antwort auf eine leitende Frage, die Quaestio, aufgefasst werden“. 275 Die Funktion einer solchen ‚globalen‘ Quaestio, die sich vornehmlich am jeweils zugrundeliegenden Textzweck orientiert - etwa eine Wegbeschreibung, ein richterliche Urteilsbegründung etc. (vgl. ebd., 73 ff.) - soll sich jedoch nicht „grundlegend von der Funktion [unterscheiden], die einer einfachen Frage in Bezug auf einen einfachen Antwortsatz zukommt“ (ebd., 75). Klein/ von Stutterheim verweisen in diesem Zusammenhang auf Hermann Paul, für den sich die „psychologische Struktur“ eines Satzes ebenfalls auf die Frage zurückführen lässt, auf die er eine Antwort sein soll (ebd.). Die Autoren rekurrieren also auf Pauls Einsicht, dass sich im Prinzip jede (satzgliedwertige) Konstituente eines Satzes als ‚psychologisches Prädikat‘ deuten lässt, je nachdem, welche Information durch die vorangestellte W -Frage jeweils eingefordert wird. Was die „Quaestio“ einer Einzeläußerung von der eines Textes unterscheidet, ist nach Klein/ von Stutterheim das Folgende: Der Unterschied besteht darin, dass im ersten Fall lediglich ein Referent (z. B. eine Ortsangabe, Zeitangabe, Personenangabe) zu spezifizieren ist, während im Fall einer 274 Siehe noch einmal die für Lambrechts Beispielsatz The children went to school (1994, 121) jeweils vorausgesetzten Fragekontexte für die Topik/ Kommentar- und die Satzfokus-Lesart: (i) What did the children do next? The children went to school. (ii) What happened? The children went to school. Damit sich die Fragen in (9a) und (9b) aber überhaupt auf diese Weise stellen lassen, muss vorausgesetzt sein, dass die im ‚Antwort‘-Satz enthaltenen Verben eine Semantik haben, die ein Tun, eine (deliberative) Handlung oder, bezogen auf (9b), ein Geschehen denotieren, denn sonst ließe sich nicht allgemein fragen „Was hat X getan? “ bzw. „Was ist passiert? “. Diese Voraussetzung ist für die Verben im ersten Satz ( aufspüren , übergeben ) erfüllt, nicht jedoch für die Lesart von beschuldigen im zweiten Satz. Der Satz gibt nämlich keinen (von der Börsenaufsicht vollzogenen) performativen Akt des Beschuldigens wieder, sondern rekurriert lediglich auf den Sachverhalt , dass die Börsenaufsicht den Banker für schuldig hält. Da sich aus diesem Grund keine Frage stellen lässt, die ‚allgemein‘ darauf abzielt, was jemand getan hat, lässt sich für den zweiten Satz nicht so ohne Weiteres eine Frage formulieren, die eine ‚zweifelsfreie‘ Topik/ Kommentar-Lesart, so wie in (9a), erzeugen kann. Ich werde auf diesen Punkt weiter unten noch einmal zurückkommen. 275 Siehe ebenfalls Klein/ von Stutterheim (1987, 163): „[E]in Text in seiner Gesamtheit [dient] dazu […], eine - explizite oder implizite - Frage zu beantworten - die Quaestio des Textes“. <?page no="206"?> 206 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Textfrage eine referentielle Struktur erfragt ist, die über mehrere Äußerungen hinweg zu entwickeln ist. (Klein/ von Stutterheim 1992, 77) Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass die Autoren ein recht weites Verständnis von Referenz zugrunde legen. Die in einem Text spezifizierbaren ‚Referenten‘ können nicht nur durch Referenzausdrücke (für Personen, Objekte etc.) repräsentiert sein, sondern auch Angaben für Orte, Zeitpunkte oder Zeiträume umfassen (wobei sich Orts- und Zeitangaben ja durchaus noch ein bezugnehmender Charakter zusprechen lässt). Klein/ von Stutterheim gehen von insgesamt sechs „Referenzbereichen“ aus, zu denen neben den schon erwähnten noch zwei weitere adverbiale Aspekte (Modalität, Umstände) sowie Prädikate hinzukommen (1992, 86). Dies scheint zumindest insofern sinnvoll zu sein, als alle diese „Referenzbereiche“ sich ja durchaus als „Spezifizierung“ dessen verstehen lassen, was durch die jeweilige Frage aktuell eingefordert wird. Was sich also durch die dem Text zugrundliegende Quaestio „über mehrere Äußerungen hinweg […] entwickel[t]“, ist die „referentielle Struktur“ des Gesamttextes, d. h. seine referentiellen „Verknüpfungen“ und „Bewegungen“ - wobei die Autoren von der Auffassung ausgehen, dass diese referentielle Struktur bestimmten „Beschränkungen“ unterliegt, die durch die zugrunde gelegte Quaestio festgelegt sind. Diese Beschränkungen erzeugen nun die aus der Quaestio resultierenden „Topikbedingungen“ (TB) und „Fokusbedingungen“ (FB). Die Topik- und Fokusbedingungen „beziehen sich zum einen auf die Komponenten, die als Topik für den Antworttext etabliert sind und zum anderen auf diejenigen, die als Fokus zu spezifizieren sind“ (1992, 77). Dieser Auskunft lässt sich schon entnehmen, was die Autoren unter Topik und Fokus verstehen möchten. Topikalität ist nicht im Sinne der Aboutness-Relation zu verstehen, gemeint ist vielmehr die Fokus/ Hintergrund-Unterscheidung. 276 Klein/ von Stutterheims Aussagen zu der Art der durch eine bestimmte Quaestio festgelegten Topikbzw. Fokusbedingungen bleiben allerdings recht vage. So soll etwa in Bezug auf Erzähltexte Folgendes gelten (1992, 77): Fokusbedingung (FB): Jede Äußerung spezifiziert ein singuläres Ereignis, das ein bestimmtes Zeitintervall t i auf der Zeitachse besetzt. Topikbedingung (TB): Das Zeitintervall, zu dem das erste Ereignis stattfindet, wird explizit angegebenen (bzw. ist kontextuell eingeführt); alle weiteren Ereignisse folgen chronologisch […]. Die „wesentliche Beschränkung“ in Bezug auf Erzähltexte betrifft somit die zeitliche Struktur, die sich dann auf der Basis der Quaestio als eine Abfolge von Fragen darstellen lässt, die sich auf die in den jeweiligen (Satz-)Äußerungs- 276 Vgl. von Stutterheim (1997, 20), wo diese Verständnisweise explizit bestätigt wird. <?page no="207"?> 6.2 Quaestio und Topikalität 207 abschnitten spezifizierten Ereignisse beziehen lassen: „Was passierte (dir) zum Zeitintervall t i ? “; „Was passierte (dir) zum Zeitintervall t i+1 ? “ usw. usf. (1992, 77). Zwar ist es möglich, gegen diese Beschränkungen zu „verstoßen“; die ‚Verstöße‘ erzeugen dann jedoch sogenannte „Nebenstrukturen“. Hierzu zählen laut Klein/ von Stutterheim u. a. etwa „Zustandsangaben“, da Information dieser Art nicht von der zugrundeliegenden Quaestio eingefordert werden, die ja auf die Angabe von Ereignissen abzielt, die bestimmten Zeitintervallen zugeordnet sind (vgl. 1992, 78). Ich möchte die Darstellung dieses Ansatzes an dieser Stelle abbrechen und zu unserem Beispiel zurückkommen. Ausgehend von Klein/ von Stutterheims zentraler These, dass es für jeden Text eine ihm zugrunde liegende Quaestio gibt, wäre zunächst die Frage zu stellen, wie die Quaestio für unser Beispiel lauten könnte. Dies ist allerdings gar nicht so leicht zu beantworten. Zwar wird im ersten Satz ein „singuläres Ereignis“ genannt: dass nämlich der Banker (vom FBI) in Virginia aufgespürt und ihm eine Klageschrift übergeben wurde, aber eine Anschluss-Frage in der Art von „Was passierte dann? “ lässt sich in Bezug auf den zweiten Satz nicht stellen. Vielmehr ist es so, dass der zweite Satz den Grund dafür nennt, dass Stanford die Klageschrift übergeben wurde: Der Grund ist, dass die US-Börsenaufsicht ihn beschuldigt (bzw. genauer: für schuldig hält), Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. Der Text erzählt also keine Geschichte, sondern seine Funktion besteht vielmehr darin, den Leser über etwas zu informieren - womit die wesentliche Funktion eines Nachrichtentextes wie unserer Kurzmeldung benannt wäre. 277 Aber worüber wird der Leser dieses Textes informiert? In Bezug auf den ersten Satz etwa darüber, dass die US-Bundespolizei FBI den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben hat ? Und in Bezug auf den zweiten Satz darüber, dass die US-Börsenaufsicht SEC den Banker beschuldigt, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben ? Dies kann es natürlich nicht sein, denn so läuft es darauf hinaus, dass diese zwei Sätze genau darüber informieren, was in ihnen propositional repräsentiert ist. Hier zeigt sich, dass ein solcher, ‚globaler‘ Zugriff auf den Textgehalt durchaus auf den Holzweg führen kann. Die ‚globale‘ Quaestio „Worüber informiert dieser Text? “ lautet genaugenommen so: „Worum geht es in diesem Text? “ Aber 277 Vgl. etwa die sogenannte „Informationsfunktion“ von Nachrichtentexten in Brinkers Klassifizierung textueller Grundfunktionen (Brinker 1983), die sehr eng an die Searle’sche Sprechaktklassifikation (Searle 1982) angelehnt ist. Aber weder in Klein/ von Stutterheim (1992), (1987) noch in von Stutterheims umfangreicher Monographie (von Stutterheim 1997) finden sich Bemerkungen zu dieser Textsorte oder Aussagen darüber, welche Topikbzw. Fokusbedingungen für Nachrichtentexte gelten sollen oder welche ‚allgemeine‘ Quaestio ihnen zugrunde liegen könnte. <?page no="208"?> 208 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit eine solche Frage zielt lediglich in recht allgemeiner Weise auf den Inhalt des Textes ab - womit bzgl. der Frage, wer (oder was) Topik (oder Hintergrund) des jeweiligen Satzes ist, nicht das Geringste gewonnen ist. Die Frage in Bezug auf den Gesamttext müsste daher eigentlich lauten: „Über welchen Gegenstand liefert der Text Informationen? “ 278 Eine solche Frage-Perspektive wäre durchaus vergleichbar mit dem von Götze et al. vorgeschlagenen Fragetest und könnte bspw. so aussehen: (10) Welche Informationen gibt uns der Text über die US-Bundespolizei FBI / den mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford / die US-Börsenaufsicht SEC? Da Stanford unter den in (10) aufgelisteten Diskursgegenständen der einzige ist, der im Text mehr als einmal genannt wird, ist es vor dem Hintergrund des Kriteriums der Rekurrenz sicherlich am plausibelsten zu sagen, dass der Text Informationen über Stanford liefert - von dem der Leser u. U. schon weiß, dass er seit einiger Zeit des Anlagebetrugs verdächtigt wird. Aber auch wenn man Stanford auf der Basis des Rekurrenz-Kriteriums global als Interessenschwerpunkt bestimmt und ihm damit Topikstatus im Sinne eines ‚Text-Topiks‘ 279 zuschreibt, bleibt die Frage bestehen, ob man diesen Status auch für den jeweiligen Satz gelten lassen kann. Hat der Banker also schon im ersten Satz Topikstatus? Gegen diese Deutung spricht vor allem, dass es an diesem Punkt noch gar nichts gibt, auf dessen Basis sich der Banker als (schon etablierter) Interessenschwerpunkt ausweisen ließe, denn über eine Überschrift, die vielleicht dazu geeignet wäre, einen solchen zu etablieren, verfügt die Kurzmeldung nicht. Zu diesem Resultat sind im Prinzip auch schon die Identifizierungstests von Götze et al. gelangt (vgl. Kap. 6.1): Form und semantischer Umfang der auf den Banker referierenden definiten Kennzeichnung legen eher einen Diskurs-Kontext nahe, in dem der Banker noch keinen Interessenschwerpunkt darstellt. Die Funktion der dem Eigennamen vorangestellten Attribute besteht daher sehr viel wahrscheinlicher darin, über seinen Referenten das nötige Identifizierungswissen bereitzustellen, sodass er 278 Die Redeweise „Im Text geht es um X.“ ist darum mehrdeutig. Zum einen kann damit gemeint sein: „Der Text hat den Sachverhalt X zum Inhalt.“ Zum anderen kann gemeint sein: „Der Text macht (eine Reihe von) Aussagen über einen Gegenstand X.“ Aber nur die letztere Variante lässt sich als Bezugnahme auf einen Textbzw. Diskursgegenstand in der Rolles eines ‚center of current interest‘ verstehen. 279 Dies entspricht im Großen und Ganzen einer Verständnisweise von Textbzw. ‚Diskurs‘-Topiks, die Stede (2004) - neben anderen möglichen Verständnisweisen - vorschlägt: „DT [Discourse topic]: An entity (a discourse referent) talked about in the discourse, which plays a particularly prominent role - the discourse can be said to be ‘about’ this entity“ (Stede 2004, 242). <?page no="209"?> 6.2 Quaestio und Topikalität 209 im anschließenden Textverlauf als potentieller Gegenstand weiterer Informationen zur Verfügung stehen kann. Darum ist es vielleicht sinnvoller, die Funktion des ersten Satzes primär darin zu sehen, den Banker als ‚Gegenstand‘ der Kurzmeldung einzuführen, sodass er für den weiteren Textverlauf als etablierter Interessenschwerpunkt zur Verfügung steht. Dies ist eine Funktion, die oft sogenannten ‚präsentativen‘ Konstruktionen zugesprochen wird. Wie schon erwähnt (vgl. Kap. 5.1) wird die Funktion präsentativer Konstruktionen vornehmlich darin gesehen, „to introduce a referent into a discourse, often […] with the purpose of making it available for predication in subsequent discourse“ (Lambrecht 1994, 177). Einschlägig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf Einleitungsformeln in Märchentexten, so wie etwa die ‚ es war einmal ‘-Formel. Was derartige Konstruktionen auszeichnet, ist, dass sie über keinen syntaktischen Prädikationsgegenstand verfügen. 280 Aber auch wenn der erste Satz unseres Beispiels keinerlei derartige Merkmale aufweist, ist es vielleicht nicht ganz abwegig, ihm diese Funktion zuzusprechen. Untermauern lässt sich dies m. E. mit dem schon herausgestellten Befund, dass die US-Bundespolizei, obwohl sie semantisch und syntaktisch Prädikationsgegenstand dieses Satzes ist, ebenso wenig wie der Banker als Topik des ersten Satzes in Frage kommt: erstens, weil sie nicht aktiviert ist und zweitens, weil sie nach dem ersten Satz nicht mehr erwähnt wird. Vor diesem Hintergrund sprechen also eine ganze Reihe von Indizien für den Satzfokus-Typ - womit sich die in (9b) gestellte Frage Was ist passiert? als die für den ersten Satz angemessenere Frage herausstellt. 281 Auch für van Kuppevelt (1995) gilt, dass Satzabfolgen durch implizite Fragen strukturiert sind. Van Kuppevelt deutet implizite Fragen als textproduzentenseitige Antizipationen über adressatenseitige Informationsbedürfnisse, die sich aus der Verarbeitung vorangegangener Diskurs-Abschnitte ergeben: 280 Vgl. noch einmal das von Lambrecht (1994, 177) selbst angeführte Beispiel, das ebenfalls dem Märchentext-Bereich entstammt: Once there was a wizard. He was very wise, rich and was married to a beautiful witch. Da there in diesem Fall kein Referenzausdruck ist und eher expletiven Charakter hat, lässt sich das Prädikat ( was a wizard ) nicht als Prädikation über die there -Konstituente deuten. Zu den präsentativen Konstruktionen werden im Deutschen darum auch Sätze mit expletivem es gezählt, in denen die Nominativ-NP hinter dem finiten Verb steht und das es im Vorfeld als ‚Platzhalter‘ für das hinter das Verb gerückte, ‚eigentliche‘ Subjekt fungiert, so wie etwa in: Es zieht ein Gewitter auf (vgl. Frey 2000, 143). 281 Vgl. noch einmal die Satzfokus-Definition in Lambrecht (2000, 614): „[In SF sentences] neither the occurrence of the argument nor that of the predicate in the proposition is in any way predictable or contextually presupposed. The proposition is in some sense ‘allnew’.“ <?page no="210"?> 210 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit An implicit question is a question which the speaker anticipates will arise in the listener’s mind on interpreting preceding utterances […]. The speaker assumes the listener needs an answer to this question for a fully integrated comprehension and interpretation of the ongoing discourse. The speaker makes his assumptions on the basis of what he knows or expects with respect to the knowledge of background and situation […]. (van Kuppevelt 1995, 117) Initiiert werden diese Fragen jedoch nicht durch eine ‚allgemeine‘, dem Text zugrunde liegende Quaestio, sondern durch einen sogenannten ‚Feeder‘ (van Kuppevelt 1995, 119). Innerhalb von Texten kommt diese Feeder-Funktion der texteröffnenden Sequenz zu. Dies lässt sich durchaus mit dem Diskurs-Kontext vergleichen, den Lambrecht für den Satzfokus-Typ zugrunde legt: Assuming that […] discourse starts with an ‘empty’ context, the opening sentence F 1 functions as a feeder. It gives rise to the contextual induction of the […] question Q 1 . Given this assumption, F 1 itself is topicless because it doesn’t constitute an answer to a topic-forming question. (van Kuppevelt 1995, 119) Die Frage, die durch den ‚Feeder‘ aufgeworfen wird, konstituiert nun, so van Kuppevelt, das Topik des Folgesatzes. Die durch den Feeder-Satz aufgeworfene Frage ist also die „topic-forming question“ für den Folgesatz, und der Folgesatz generiert wiederum eine „topic-forming question“, welche dann das Topik des daran anschließenden Satzes konstituiert usw. usf. (vgl. die (konstruierten) Beispiele in van Kuppevelt 1995, 119 ff.). Diesem Prozess liegen laut van Kuppevelt zwei Prinzipien zugrunde: zum einen das sogenannte „Principle of Recency“, das im Kern besagt, dass jede Topik-konstituierende Frage das Resultat eines vorangegangenen Textbzw. Äußerungsabschnitts ist, der eine unvollständige Antwort auf die ihm vorangegangene Frage darstellt (1995, 129 f.); und zum anderen das „Principle of Topic Termination“, das beinhaltet, dass die Abfolge impliziter Fragen erst dann ihr Ende findet, wenn die Fragen in Bezug auf ein Topik hinreichend „zufriedenstellend“ beantwortet sind (1995, 131). Bezüglich der Kriterien für das Vorliegen einer „satisfactory answer to a question“ (ebd.) gibt van Kuppevelt die folgende Auskunft: „[S]atisfactory answers imply unique determination of that which is asked for by the question, as a consequence of which the contextual induction of (further) subquestions is blocked“ (1995, 132). Ob derartige Kriterien aber überhaupt operationalisierbar sind, kann durchaus bezweifelt werden, denn dass ein Satz eine implizite Frage „zufriedenstellend“, d. h. vollständig und erschöpfend, beantwortet, ist ja lediglich eine Einschätzung des Textproduzenten, die auf seiner Prognose („anticipation“) des adressatenseitigen Wissensbedarfs beruht. <?page no="211"?> 6.2 Quaestio und Topikalität 211 Ich möchte auf van Kuppevelts erstes Prinzip, das sogenannte „Principle of Recency“, zurückkommen. Diesem Prinzip liegt seine zentrale These zugrunde, dass „the topic of a sentence is determined by the question it answers“ (1995, 114). Die weitere, damit zusammenhängende Annahme ist, dass die „topic-forming question“ durch den Satz determiniert ist, der sie generiert: „[T]opic constitution is determined by the contextual induction of explicit or implicit questions“ (1995, 115). 282 Dies ist eine durchaus starke Annahme, denn innerhalb einer Satzabfolge ist die „topic-forming question“ ja keine von einem Sprecher explizit geäußerte Frage, die seitens des Antwortenden einen gewissen konversational bedingten Relevanzdruck erzeugt, sondern sie ist lediglich aus dem vorangegangen Satz abgeleitet. Welche „topic-forming question“ könnte man nun aus dem ersten Satz unserer Kurzmeldung ableiten? Wenn van Kuppevelts These zutrifft, dass die „topic-forming question“ durch den vorangegangenen Satz determiniert ist, dann bedeutet dies, dass es nur eine Frage geben kann, auf die der Folgesatz eine Antwort ist, und auf diese Weise ließe sich dann, basierend auf der abgeleiteten Frage, das Topik des Folgesatzes bestimmen. Wir hätten also ein Testverfahren zur Verfügung, mit dem sich das Topik des zweiten Satzes unserer Kurzmeldung ermitteln ließe. Probieren wir als erstes eine Frage aus, die den Referenten des Subjekt-Ausdrucks (die Börsenaufsicht) testet (der Übersicht halber ist der Frage der erste Satz der Kurzmeldung vorangestellt): (11) Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Wessen beschuldigt die US-Börsenaufsicht den Banker? Die US-Börsenaufsicht SEC beschuldigt den Banker, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. Die dem zweiten Satz vorangestellte Frage lässt sich zunächst damit rechtfertigen, dass es inhaltlich plausibel erscheint, danach zu fragen, wessen der Banker beschuldigt wird, wenn ihm eine Klageschrift übergeben wurde. Der zweite Satz lässt sich dann entsprechend als Antwort auf diese Frage auffassen. Die Argumentstruktur des Verbs beschuldigen bringt es nun mit sich, dass insgesamt drei Argumentstellen besetzt sein können (sofern keine Passiv-Form gewählt wird): erstens das Agens des vom Verb repräsentierten Verbal-‚Geschehens‘: 283 den 282 Dass hier auch von „expliziten“ Fragen die Rede ist, hängt wohl damit zusammen, dass van Kuppevelt implizite Fragen in Satzabfolgen und ‚echte‘ Fragen in Frage/ Antwort-Dialogen offenbar im Prinzip für gleichwertig hält (vgl. seine Beispiele ebd., 119 f.). 283 Wie schon weiter oben angemerkt wurde, ist dies keine ganz korrekte Charakterisierung der Lesart, die das Verb hier hat. Die hier realisierte Verbbedeutung ist nicht zu lesen im <?page no="212"?> 212 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Beschuldiger, zweitens das Patiens, d. h. hier: den Beschuldigten, und drittens schließlich den durch den Infinitivsatz angegebenen ‚Gegenstand‘ der Beschuldigung - also dasjenige, worauf die Ergänzungsfrage letztlich abzielt. 284 Alle drei Argumentstellen sind im zweiten Satz, der ja auch dieses Verb enthält, besetzt - und da es sich um einen Aktiv-Satz mit einem transitiven Verb handelt, ist das Agens-Argument als Subjekt und das Patiens-Argument als Objekt realisiert. Wie sich sofort zeigt, ist die Frage in (11) keine Frage, die sich aus dem ersten Satz sinnvoll ableiten ließe. Zwar wäre der zweite Satz isoliert betrachtet eine vollkommen akzeptable Antwort auf diese Frage, aber da die Börsenaufsicht im ersten Satz noch nicht erwähnt wurde, kann sie auch nicht in der Frage realisiert sein - denn laut van Kuppevelt soll ja gelten, dass die Frage durch den ersten Satz (den Feeder) „kontextuell induziert“ sein muss (s. o., van Kuppevelt 1995, 119). Die Börsenaufsicht hätte also schon im vorangegangen Satz eingeführt worden sein müssen, um die Frage vor dem Hintergrund des Gesamttextes legitimieren zu können. Durch dieses kontextuelle Kriterium können wir die Börsenaufsicht also als Topik des zweiten Satzes ausschließen - und dieser Befund deckt sich durchaus mit der Intuition, dass die Börsenaufsicht kein gutes ‚center of interest‘ sein kann, wenn sie im gesamten Text nur einmal erwähnt wird. Anders verhält es sich diesbezüglich mit dem Banker, der im ersten Satz ja schon aktiviert wurde, weswegen sich eine Frage danach, wessen er beschuldigt wird, problemlos aus dem ersten Satz ergibt: (12) Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Wessen wird der Banker beschuldigt? Die US-Börsenaufsicht SEC beschuldigt den Banker, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. Da die Börsenaufsicht im ersten Satz noch nicht aktiviert wurde und sie dementsprechend auch nicht in der Frage realisiert sein darf, muss die Frage so formuliert sein, dass die Börsenaufsicht als Agens des Verbal-‚Geschehens‘ getilgt ist. Dies lässt sich erreichen, indem man die Frage als Passiv-Satz realisiert, Sinne eines (von der Börsenaufsicht vollzogenen) performativen Akts des Beschuldigens, sondern rekurriert vielmehr auf den Sachverhalt, dass die Börsenaufsicht den Banker des Anlagebetrugs für schuldig hält (woraus sich ihre Motivation, eine Zivilklage zu erheben, ableiten lässt). 284 Hierdurch ist das Prädikat im ‚Antwortsatz‘ ( beschuldigt ) allerdings schon durch die Frage präsuppositional vorweggenommen, sodass man nach Lambrechts Maßstäben eigentlich vom Argumentfokus-Typ ausgehen müsste. (Das Gleiche ist auch in den Varianten (12), (13) und (14) der Fall.) Dies soll uns an dieser Stelle aber noch nicht beschäftigen. Ich werde gleich noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen. <?page no="213"?> 6.2 Quaestio und Topikalität 213 wodurch zugleich erreicht wird, dass der Banker als derjenige Diskursgegenstand ausgewiesen ist, über den etwas erfragt wird, sodass sich der zweite Satz als Antwort deuten lässt, die die eingeforderte Informationen über den Banker liefert. Nun steht der Banker allerdings nicht, so wie es im Anschluss an ‚präsentative‘ Sätze (sofern wir diese Funktion hier zugrunde legen wollen) eigentlich zu erwarten wäre, als Subjekt-Argument in Erstposition, sondern das Agens des transitiven Verbs (die US-Börsenaufsicht) bildet das Subjekt-Argument im Vorfeld, während der Banker noch ein weiteres Mal als Objekt-Argument realisiert wird. Das heißt, die Argument-Abfolge im zweiten Satz reflektiert überhaupt nicht den Umstand, dass der Banker durch die „kontextuell induzierte“ Frage als präferierter Gegenstand der Prädikationen und Topik dieses Satzes ausgewiesen ist. Vielmehr folgt sie der allgemeinen Tendenz im Deutschen, dass im Aktiv-Satz das Agens als Subjekt-Argument vor dem Patiens (d. h. dem Objekt-Argument) realisiert ist (vgl. Primus 1999, 155 f.; siehe auch Siewierska 1993, 840 f.). Folgendes kommt noch hinzu: Zwar ist der Satz als Antwort auf die vorangestellte Frage vielleicht noch akzeptabel, allerdings liefert er mehr Informationen als die Frage eigentlich einforderte: nämlich auch, wer den Banker beschuldigt, Anleger betrogen zu haben. Und auch die folgende Passiv-Variante, die den Banker in die Subjektposition rückt, und die durch die syntaktische Parallelisierung vielleicht besser mit der vorangestellten Frage harmoniert, teilt mit der Originalversion genauso die Eigenschaft, mehr Informationen als eingefordert zu liefern: (13) Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Wessen wird der Banker beschuldigt? Der Banker wird von der US-Börsenaufsicht SEC beschuldigt, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. Für beide Varianten gilt somit dasselbe: Es lässt sich offensichtlich keine Frage formulieren, die perfekt zum zweiten Satz passt. In Bezug auf die Frage-Variante in (11) können wir also festhalten, dass der zweite Satz, solange man das Frage/ Antwort-Paar in Isolation betrachtet, zwar mit der Frage harmoniert und die Börsenaufsicht auf diese Weise als ‚gutes‘ Topik erscheint, dass sich aber aus diesem Befund nichts ableiten lässt, da die Frage durch den diskursiven Kontext von vornherein nicht legitimiert ist. Und in Bezug auf die Frage-Variante in (12), die vor dem Hintergrund der vorangegangenen Textsequenz plausibel ist, können wir feststellen, dass der zweite Satz mehr Information liefert, als durch die Frage eingefordert wurde. Das macht <?page no="214"?> 214 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit den Satz als Antwort auf die Frage zwar nicht inakzeptabel (auch wenn die Passiv-Variante in (13) in puncto Akzeptabilität vielleicht besser abschneidet), zeigt aber, dass es nicht gelingt, die Frage so zu formulieren, dass sie nicht nur durch die vorangegangene Sequenz legitimiert ist, sondern zugleich auch mit dem Folgesatz ein ‚harmonierendes‘ Frage/ Antwort-Paar bildet. Dies hängt damit zusammen, dass Antworten auf Ergänzungsfragen die durch die Frage kommunizierte ‚Wissenslücke‘ in der Regel durch eine Argumentstelle füllen können, nämlich durch genau dasjenige Argument, das dem Fragewort im Vorfeld der dazugehörigen Ergänzungsfrage entspricht. 285 Natürlich ist es prinzipiell nicht ausgeschlossen, Satzabfolgen so zu gestalten, dass sich für die jeweilige Sätze perfekte Frage/ Antwort-Paare bilden lassen. Vgl. etwa die folgende Variante, in der der (Antwort-)Satz vollständig mit der vorgeschalteten Frage harmoniert, indem er strikt auf die Lieferung der von der Frage eingeforderten Information beschränkt bleibt: (14) Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Wessen wird der Banker beschuldigt? Der Banker wird beschuldigt, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. Da hier das Agens-Argument wegfällt, bleibt für die Besetzung der Subjektstelle nur der Banker übrig, wodurch das Passiv unumgänglich wird. Als Anschluss-Satz an den ersten Satz unserer Kurzmeldung wäre diese Variante natürlich genauso akzeptabel wie der Anschluss-Satz der Originalversion. Dies zeigt aber nur, dass der Umfang der ‚informativen Elemente‘ im zweiten Satz - bzw. in der Redeweise Lambrechts: der Umfang der „semantischen Komponenten der pragmatisch strukturierten Proposition, durch die sich die Assertion von der Präsupposition unterscheidet“ (1994, 213) - überhaupt nicht durch den vorangegangenen Satz determiniert ist. In diesem Punkt unterscheiden sich Satzabfolgen in Texten fundamental von Frage/ Antwort-Konstellationen: Während Frage/ Antwort-Paare insofern miteinander in Beziehung stehen, als die jeweilige Antwort (im Idealfall) genau die Information liefert, die vom Fragesteller eingefordert wurde, stehen Sätze innerhalb authentischer Texte lediglich in einer 285 Wie aber die Frage in (9a) zeigt ( Was hat die US-Bundespolizei FBI getan? ), können unter bestimmten Bedingungen, wenn die Ergänzungsfrage ein semantisch relativ unspezifisches Verb ( tun ; machen ) enthält, auch die Prädikat-Elemente zum informativen Gehalt des Antwortsatzes gehören. Und wie die Ergänzungsfrage in (9b) zeigt ( Was ist passiert? ), kann die Füllung der mit der Frage assoziierten ‚Wissenslücke‘ sogar die gesamte im Antwortsatz enthaltene Proposition umfassen. <?page no="215"?> 6.2 Quaestio und Topikalität 215 ‚Plausibilitätsbeziehung‘ zueinander. Das heißt, der jeweilige Satz innerhalb eines (kohärenten) Textes ist zwar ein ‚sinnvoller‘ Folgesatz, aber es sind prinzipiell immer auch andere ‚sinnvolle‘ Folgesätze möglich. Aus diesem Grund kann auch die Formulierung der Frage, auf die der jeweilige Satz eine Antwort sein soll, immer nur ex post erfolgen, denn dass im zweiten Satz der Grund dafür genannt wird, warum dem Banker eine Klageschrift übergeben wurde (weil er beschuldigt wird, Anleger um Geld geprellt zu haben), wird durch den ersten Satz genauso wenig festgelegt wie die Angabe, wer ihn beschuldigt (die US-Börsenaufsicht). 286 Und selbst für den Banker gilt, dass seine Wiederaufnahme im zweiten Satz in keiner Weise zwingend ist. Aus diesem Grund hat auch der Aspekt der „kontextuellen Induzierung“ weitaus weniger determinierenden Charakter als es zunächst den Anschein hat - und zwar sowohl in Bezug auf die Frage selbst als auch in Bezug auf die „topic-formation“. Vgl. etwa die Frage-Variante in (15): (15) Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und ihm eine Zivilklage übergeben. Warum hat sie ihm die Zivilklage übergeben? Der Banker wird beschuldigt, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. Diese Frage lässt sich sicherlich genauso plausibel aus dem vorangegangen Satz ableiten wie die Frage in (12); sie führt aber dazu, dass sich die Fokus/ Hintergrund-Struktur des zweiten Satzes wesentlich von der in (12) unterscheidet: Dadurch, dass die Frage auf den Grund für die Übergabe der Zivilklage abzielt, wird die gesamte durch den Satz ausgedrückte Proposition (im Sinne der Unterscheidung von Assertion und Präsupposition) assertiert. 287 Vor dem Hintergrund dieser Frage müssten wir den zweiten Satz also dem Satzfokus-Typ zuordnen - womit sich dann auch die Suche nach dem Topik dieses Satzes erübrigen würde. Da sich aber ganz offensichtlich kein inhaltlich motivierbares Kriterium dafür angeben lässt, welche dieser zwei Fragen - die Frage in (15) oder die Frage in (12) - in stärkerem Maße „kontextuell induziert“ ist, sind wir bezüglich der Suche nach dem Topik im zweiten Satz wieder auf das Indiz zurückverwiesen, dass der Banker dort der einzige aktivierte Referent ist. Und genau dies ist der 286 In gleichem Maße ex post (und im Grunde erst recht ‚künstlich‘) wäre darum das Manöver, für den zweiten Satz eine Mehrfachfrage zu formulieren: Wessen wird der Banker von wem beschuldigt? Die US-Börsenaufsicht SEC beschuldigt den Banker, weltweit Anleger um acht Milliarden Dollar geprellt zu haben. 287 Vgl.: Warum hat sie ihm die Zivilklage übergeben? Sie hat ihm die Zivilklage übergeben, weil X (wobei X den propositionalen Gehalt des zweiten Satzes enthält). <?page no="216"?> 216 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Grund dafür, dass die Frage-Variante in (12) - Wessen wird der Banker beschuldigt? - vordergründig so zwingend erscheint. Dementsprechend wenig können „implizite“ Fragen zur Identifizierung des Topiks eines Satzes beitragen - selbst wenn diese „kontextuell induziert“ zu sein scheinen: Denn dass die Frage in (12) den Topikstatus des Bankers zu bestätigen scheint, ist nicht darauf zurückzuführen, dass der erste Satz genau diese „topic-forming question“ generiert hat, sondern darauf, dass sie aufgrund der Wiederaufnahme des Bankers plausibel erscheint - womit der Banker durch diese Frage dann auch als Topik des zweiten Satzes ausgewiesen ist. Die Deutung des Bankers als Topik wird m. E. auch nicht durch den Umstand geschmälert, dass das Frage/ Antwort-Paar in (12) - ebenso wie die Varianten in (13) und (14) - nicht Lambrechts Ansprüchen für das Vorliegen des Topik/ Kommentar-Typs genügt. Da die prädikativen Elemente der ‚Antwortsatz‘-Varianten durch die Frage schon präsuppositional vorweggenommen sind, müssten sie eigentlich dem Argumentfokus-Typ zugeordnet werden: Was durch die Frage ‚eingefordert‘ wird, ist lediglich die im Infinitivsatz-Argument enthaltene Information. Auch dass der ‚Antwortsatz‘ der Originalversion in (12) noch eine weitere Argumentstelle enthält, die von der Frage nicht eingefordert wird, ändert nichts daran, dass das Prädikat durch die Frage präsuppositional vorweggenommen ist. Aber da die Fragen in (12), (13) und (14) - ebenso wie die Frage in (15), die für den zweiten Satz die Satzfokus-Lesart ‚generiert‘ - allesamt nur ex post erfolgen, liegen die dadurch erzeugten „Diskurs-Kontexte“ (Lambrecht, 1994, 121) in realiter gar nicht vor. Das heißt: da es ‚in Wirklichkeit‘ gar keine Frage gibt, auf die der zweite Satz eine Antwort wäre, gibt es auch nichts, wodurch das im zweiten Satz enthaltene Prädikat ( beschuldigt ) präsuppositional vorweggenommen sein könnte. Was die Deutung des Bankers als Topik des zweiten Satzes zunächst so kontra-intuitiv erscheinen lässt, ist sicherlich der Umstand, dass sich dieser Status syntaktisch überhaupt nicht niederschlägt. Dies ist vielleicht auch insofern kontra-intuitiv, als doch gerade in einem so kurzen Text wie dem vorliegenden eine Entsprechung zwischen (grammatischem) Satzgegenstand und (Text-) Topik zu erwarten sein sollte, insbesondere darum, weil dort kaum Raum für weitere Interessenschwerpunkte besteht. 288 Stattdessen zeichnen sich die zwei Sätze aber gerade dadurch aus, dass in ihren jeweiligen Subjekt-Argumenten im Vorfeld Referenten repräsentiert sind (die US-Bundepolizei; die US-Börsenaufsicht), die über eine Einmal-Nennung nicht hinauskommen. In diesem Punkt 288 Vgl. noch einmal die schon oben angeführte, referentenorientierte Verständnisweise von Textbzw. ‚Diskurs‘-Topiks nach Stede (2004): „DT [Discourse topic]: An entity (a discourse referent) talked about in the discourse, which plays a particularly prominent role - the discourse can be said to be ‘about’ this entity“ (Stede 2004, 242). <?page no="217"?> 6.2 Quaestio und Topikalität 217 entspricht das Beispiel also nicht der für das Deutsche vermuteten Tendenz, dass der „Protagonist des Geschehens“ als Topik in der „syntaktischen Rolle des Subjektes kodiert wird“ (vgl. von Stutterheim/ Carroll 2005, 14). Dies mag hier darauf zurückzuführen sein, dass der ‚Protagonist‘ der Kurzmeldung (der Banker) nicht auch die Agens-Rolle innehat. 289 Aber zumindest im zweiten Satz hätte der Banker problemlos als Subjekt-Argument (und im Vorfeld) realisiert werden können, wenn eine Passiv-Konstruktion gewählt worden wäre. 290 Insofern sind wir bei der Frage nach den Kriterien für die Bestimmung des Topiks im zweiten Satz gewissermaßen mit einem Dilemma konfrontiert: Entweder wir versuchen, den Topik-Referenten global, auf der Basis diskursiver Kriterien wie etwa Salienz oder Rekurrenz zu bestimmen und sehen dabei von satzstrukturellen Indikatoren ab. Oder wir entscheiden lokal auf der Basis satzstruktureller Kriterien (Subjektrealisierung, Vorfeldbesetzung) und ignorieren hierbei weitgehend die Einbettung des jeweiligen Satzes in den Gesamttext. Letzteres ist aber sicherlich keine empfehlenswerte Strategie, denn so würden wir die diskursive Fundierung der Aboutness-Relation vollkommen aus dem Blick verlieren. 289 Vgl. von Stutterheim/ Carroll (2005, 14): „Ist die zentrale Entität ein Agens, so kann dessen intentionale Ausrichtung den roten Faden für Informationsselektion und -verkettung liefern. Eben dies wird als Kohärenzstrategie von den Sprechern des Deutschen gewählt. Sie wählen den Protagonisten des Geschehens als globale Topikkategorie, die dann in der syntaktischen Rolle des Subjektes kodiert wird. Damit sind in Bezug auf die […] Subjektkodierung die folgenden Setzungen vollzogen: Die typische referentielle Besetzung durch den Protagonisten und damit die formalen Voraussetzungen für pronominale oder Nullanaphern auf Grund des Referenzerhaltes.“ 290 Und dies ist sehr wahrscheinlich der eigentliche Grund dafür, warum der Banker auch im zweiten Satz wieder als Objekt-Argument realisiert wird: Für journalistische Texte gilt nämlich die Norm, dass das Passiv zu vermeiden ist (für Belege siehe Perrin/ Perrin 1995). So urteilt etwa der Journalist Wolf Schneider in einem Schreibratgeber: „[Das Passiv ist] eine späte, künstliche, entmenschlichte Form des Verbs, in Dialekten selten oder unbekannt, Kindern spät zugänglich und bei jedem Verständlichkeitstest im Hintertreffen“ (Schneider 1992, 50). Deutlich differenzierter ist demgegenüber die Empfehlung, die ein Leitfaden zum Verfassen von Wikipedia-Artikeln gibt: „Das Passiv dient vor allem dazu, den Gegenstand der Handlung gegenüber einem weniger wichtigen oder unbekannten Handelnden hervorzuheben. […] Wo hingegen keine solche Hervorhebung beabsichtigt ist, empfiehlt sich meist der Gebrauch des Aktivs.“ (https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Wie_schreibe_ich_gute_Artikel; zuletzt abgerufen am 08.02.2016). Für diese Gewichtung hat sich offenbar auch der Autor oder die Autorin der Kurzmeldung entschieden: Da sich auch für den zweiten Satz ein Agens angeben lässt, steht der Formulierung im Aktiv nichts im Wege, sodass die Börsenaufsicht, und nicht der Banker, als Subjekt-Argument realisiert wurde. <?page no="218"?> 218 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit 6.3 Feste Topik-Position im Mittelfeld? Wie sich gezeigt hat, spiegelt sich die „pragmatische Gliederung“ der zwei Sätze, aus der sich die Kurzmeldung zusammensetzt, in keiner Weise in ihrer syntaktischen Struktur wider. Trotz ihrer relativ einfachen Satzgefüge-Struktur und trotz ihrer parallelen und ‚kanonischen‘ Konstituentenabfolge - Subjekt, Prädikat, Objekt(e) - lassen sich die zwei Sätze unterschiedlichen Gliederungstypen zuordnen: der erste Satz dem Satzfokus-Typ und der zweite Satz dem Topik/ Kommentar-Typ. Hinzu kommt, dass der plausibelste Kandidat für den Topikstatus im zweiten Satz nicht nur nicht als Subjekt-Argument, sondern auch nicht im Vorfeld realisiert ist. In dieser Hinsicht entspricht der zweite Satz also weder der vermuteten Tendenz, dass Topiks im Deutschen präferiert als Subjekt-Argumente realisiert werden (von Stutterheim/ Carroll 2005, 14), noch lässt sich durch den zweiten Satz die These bestätigen, dass Topiks im Deutschen prinzipiell satzinitial sind. Diese Auffassung vertritt etwa Molnár (1993), die in Bezug auf die syntaktische Positionierung von Topiks festhält: „Das wesentliche topikrelevante formale Merkmal [ist] die Satzinitialität“ (1993, 178). Anders als etwa bei Vallduvi (1992), für den die Erstposition sogar exklusiv für Topiks reserviert ist (vgl. Vallduvi 1992, 48), stellt Satzinitialität für Molnár aber lediglich „eine notwendige und keinesfalls hinreichende Bedingung“ für Topikalität dar (Molnár 1993, 178). Das heißt, nach Molnár sind Topik-Ausdrücke zwar immer satzinitial, aber nicht jede satzinitiale Konstituente muss notwendig Topik-Ausdruck sein. 291 Auch für Frey (2000; 2004) ist das Vorfeld im Deutschen nicht exklusiv für Topiks reserviert. Frey (2004, 156) listet eine Reihe von Fällen auf, in denen die Vorfeld-Konstituente kein Topik-Ausdruck ist: (i) wenn die Position im Vorfeld durch einen „informativen“, d. h. fokussierten Ausdruck besetzt ist, (ii) wenn der Fokus-Ausdruck im Vorfeld über den gesamten Satz „projiziert“ und (iii), wenn im Vorfeld ein nicht-referierender oder quantifizierender Ausdruck steht. 292 Anders verhält es sich nach Frey im Mittelfeld, wo seiner Meinung nach eine feste 291 Dies ist der Fall, wenn in Bezug auf den Referenten einer „minimalen“, intonatorisch hervorgehobenen satzinitialen Fokus-Konstituente keine Worüber-Frage möglich ist, vgl. ihr Beispiel, das sie Gundel entnommen hat (Molnár 1993, 168): A: What about Archie? B: * Archie rejected the proposal. Wenn also nach Molnár Topiks notwendig satzinitial sind, folgt hieraus, dass der Antwortsatz über kein Topik verfügen kann. In dieser Hinsicht entspricht ihre Analyse also durchaus Lambrechts Argumentfokus-Typ. (Siehe hierzu auch meine Ausführungen in Kap. 2.5.) 292 Vgl. die Beispiele in Frey (2004, 156) (intonatorisch hervorgehobene Bereiche indiziert Frey durch Großbuchstaben): (i) entspricht dem Argumentfokus-Typ Lambrechts: A: Wer geht in die Oper? B: PAUL geht in die Oper. (ii) entspricht den Diskurs-Kontexten von ‚all new‘-Äußerungen: Die PoliZEI kommt. Und (iii) liegt vor, wenn das Vorfeld durch ein <?page no="219"?> 6.3 Feste Topik-Position im Mittelfeld? 219 und exklusive Topik-Position auszumachen ist: „Direkt den Satzadverbialen vorangehend gibt es im Mittelfeld des deutschen Satzes einen ausgezeichneten Bereich für Topiks: Alle topikalen Phrasen des Mittelfelds und nur diese werden in diesem Bereich positioniert“ (Frey 2000, 140). Belegen lässt sich dies nach Frey durch Beispiele, in denen der Topikausdruck-Status einer Mittelfeld-Konstituente durch eine vorangestellte Ankündigungsformel festgelegt ist. Vgl. das folgende Beispiel aus Frey (2004, 158): (16) Ich erzähle dir etwas über Maria. (a) Nächstes Jahr wird Maria wahrscheinlich nach London gehen. (b) *Nächstes Jahr wird wahrscheinlich Maria nach London gehen. Durch die Ankündigungsformel ist Maria als Topik des Folgesatzes ausgewiesen. Wie die Variante in (b) zeigt, passt die Konstituentenabfolge nicht zur Ankündigungsformel, wenn das Subjekt-Argument dem Satzadverbial nachfolgt. Die Position vor dem Satzadverbial gilt nach Frey auch für Objekt-Argumente mit Topikstatus, vgl. das Beispiel in (17), das an Frey (2004, 158) angelehnt ist: 293 (17) Ich erzähle dir etwas über Paul. (a) Bald wird den Paul wahrscheinlich eine Kollegin heiraten. (b) *Bald wird wahrscheinlich den Paul eine Kollegin heiraten. Mit der Annahme einer festen Topik-Position im Mittelfeld lassen sich laut Frey bestimmte Effekte bei der Herstellung koreferentieller Bezüge erklären (Frey 2007, 336 f.). Dies ist etwa in (18a) und (18b) der Fall (siehe Frey, ebd.), wo das kataphorisch verwendete Pronomen im ersten Satz offensichtlich nur dann als koreferent mit der Subjekt-NP im Folgesatz interpretierbar ist, wenn die NP - so wie in (18a) - vor dem Satzadverbial steht. Steht sie danach - siehe die Variante in (18b) - ist die Koreferenz aufgehoben: (18a) Er 1 war zufrieden. Heute wurde Koch 1 erwartungsgemäß nominiert. (18b) Er 1 war zufrieden. *Heute wurde erwartungsgemäß Koch 1 nominiert. Satzadverb oder einen quantifizierenden Ausdruck (bzw. durch eine Konstituente, die einen solchen Ausdruck enthält) besetzt ist: Keiner wollte Otto GELD leihen. 293 Frey weist darauf hin, dass der Topikstatus Marias in (16) bzw. Pauls in (17) nicht auf die Definitheit der sie repräsentierenden Referenzausdrücke zurückzuführen ist. So zeige das folgende Beispiel (Frey 2004, 159), dass die definite Subjekt-NP keinen Topikstatus hat, wenn sie nicht an der für Topiks vorgesehenen Stelle positioniert ist: ( Ich erzähle dir etwas über Ronaldo. ) * Heute wird wahrscheinlich Ronaldo von Anfang an spielen. <?page no="220"?> 220 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Die Realisierung der Subjekt-NP in der Topik-Position hat also offenbar den „Effekt“ (Frey), die Koreferenz mit dem Pronomen im vorangegangenen Satz herzustellen. Aber genaugenommen ist es andersherum: Es ist das Pronomen, durch das die Koreferenz mit der Subjekt-NP im Folgesatz hergestellt wird - was laut Frey auf dessen Kataphorizität zurückzuführen ist: „A cataphoric pronoun has to relate to a sentence topic“ (Frey 2007, 336). Wie sich leicht zeigen lässt, ist die Koreferenz im nicht-kataphorischen Fall aufgehoben, vgl. die Variante in (18c): (18c) Arno 1 hatte die Wette gewonnen. Er 1 war zufrieden. Heute wurde Koch erwartungsgemäß nominiert. Nach Freys Festlegungen muss die Mittelfeld-NP aber auch in diesem Fall Topikausdruck-Status haben. Vor dem Hintergrund der in Kap. 5 entwickelten Topik-Eigenschaften ist der Topikstatus des Referenten der Mittelfeld-NP hier allerdings deutlich unklarer als in (18a) oder in den Beispielen Freys, die in (16) und (17) wiedergegeben sind. Für Frey ist Topikfähigkeit aber schon dann gegeben, wenn der Ausdruck spezifisch ist, vgl. das Beispiel aus Frey (2007, 333), das zeigt, dass auch indefinite NPs die Position vor dem Satzadverb einnehmen können - sofern sie eine spezifische Lesart haben: (19) Weil er müde war, hat ein Student leider geschlafen. Siehe auch die in (20) wiedergegebene Variante aus Frey (2007, ebd.), die zeigt, dass die indefinite NP auch dann noch vor dem Satzadverb positioniert werden kann, wenn der Adverbialsatz mit dem kataphorischen Pronomen fehlt. Wie man sieht, ist es mit einer entsprechenden Frage sogar möglich, für diesen Satz einen Diskurs-Kontext zu erzeugen, der Lambrechts Satzfokus-Typ nahelegt: (20) A: Was ist heute passiert? B: Heute hat ein Student leider während der Vorlesung geschlafen. Die Beispiele in (19) und (20) zeigen deutlich, dass Frey ein ‚weites‘ Topik-Verständnis zugrunde legt. So hält er in Bezug auf die in (19) und (20) wiedergegebenen Beispielsätze dezidiert fest: „Familiarity is not a necessary condition for topichood“. Vor diesem Hintergrund lässt sich Frey wohl so verstehen, dass er Topikalität als Aboutness im Sinne des Adressierungskonzepts deutet. 294 Aber 294 Siehe Frey (2007, 329), wo er u. a. mit Verweis auf Reinhart (1981) in Bezug auf Topiks Folgendes festhält: „The speaker designates a topic to indicate that the sentence it appears in is related in a special way to the topic, be it that the topic gives the address under which <?page no="221"?> 6.3 Feste Topik-Position im Mittelfeld? 221 abgesehen von der Frage nach den Voraussetzungen für Topikalität - ist die Position vor dem Satzadverbial wirklich so exklusiv für Topik-Ausdrücke reserviert wie Frey vermutet? Schauen wir uns noch einmal das Beispiel (11) aus Kap. 5.2 an, das in modifizierter Form in (21) wiedergegeben ist: (21a) A: Was ist mit der Wohnung? Hat Arno sie gekauft? B: Nein. Wie ich gehört habe, hat er sie offenbar nur gemietet. (21b) A: Was ist mit Arno? Hat er die Wohnung gekauft? B: Nein. Wie ich gehört habe, hat er sie offenbar nur gemietet. (21) unterscheidet sich von der Variante in Kap. 5.2 darin, dass B’s Antwort hier über ein Satzadverb und über einen Nebensatz im Vorfeld verfügt, sodass das Mittelfeld hier beide Verb-Argumente enthält. Wie man sieht, ist der Topikstatus Arnos in (21b) in keiner Weise dadurch gemindert, dass der Subjekt-Ausdruck, durch den er im Antwortsatz repräsentiert wird, nicht unmittelbar vor dem Satzadverb steht. Und wie (21b) und (21a) insgesamt zeigen, ist es ohnehin vollkommen unproblematisch, wenn im Mittelfeld mehr als nur ein Argument vor dem Satzadverb realisiert sind. Dieser Sachlage ist sich auch Frey bewusst, vgl. das folgende Beispiel aus Frey (2004, 168): (22) Da sie ihn mag, wird Maria Hans wahrscheinlich helfen. Frey zieht hieraus nun allerdings den überraschenden Schluss, dass der Satz über mehr als ein Topik verfügt: „Since only a topic can be coreferential with a cataphoric pronoun, it follows that the main clause […] contains two topics“ (Frey 2004, 168). Dies deckt sich durchaus mit seinen Aussagen zur Topik-Position im Mittelfeld, wo es explizit heißt, dass „alle [! ] topikalen Phrasen des Mittelfelds und nur diese“ in dem Bereich vor dem Satzadverbial positioniert werden (Frey 2000, 140). Freys Formulierung zeigt, dass er die Annahme von mehr als einem Topik-Argument im Satz offensichtlich für unproblematisch hält. Gegen eine solche Annahme spricht m. E. aber schon der Umstand, dass es auch für einen Fall wie in (22) überhaupt kein Problem ist, einen der zwei Referenten explizit als Interessenschwerpunkt auszuweisen. Vgl. die zwei Varianten in (23a) und (23b): (23a) Was Maria betrifft, da sie Hans mag, wird sie ihm wahrscheinlich helfen. (23b) Was Hans betrifft, da Maria ihn mag, wird sie ihm wahrscheinlich helfen. the proposition denoted by the sentence is to be stored […] or that the mental representation of the topic’s referent is to be activated for the processing of the sentence […].“ <?page no="222"?> 222 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Zwar verlieren die Pronomen in diesen Varianten (dort, wo sie beibehalten wurden) ihren kataphorischen Charakter, da sie durch die ‚Was X betrifft‘-Formel als Wiederaufnahme-Ausdrücke ausgewiesen sind, aber dies ändert nichts daran, dass sie mit den (hier pronominalen) Referenzausdrücken im Hauptsatz koreferent sind. Freys Aussagen zur Topik-Position im Mittelfeld lassen sich auch nicht dahingehend modifizieren, dass man sagt, alle Hintergrund -Phrasen des Mittelfelds, und nur diese, sind im Bereich vor dem Satzadverbial positioniert. Dies ist in den Beispielen in (21), (22) und (23) zwar der Fall, aber ein Gegenbeispiel ist der in (20) wiedergegebene Satz aus Frey (2007, 333). Es ist sogar möglich, nicht-fokussierte Nominalphrasen im Mittelfeld nach dem Satzadverb zu positionieren. Vgl. das folgende Beispiel, das an ein bekanntes Beispiel aus Lenerz (1977, 43) angelehnt ist (die intonatorisch hervorgehobenen Argumente sind unterstrichen): (24) (Was ist mit dem Geld? ) Wem hat er das Geld gegeben? (a) Er hat es / das Geld wahrscheinlich dem Kassierer gegeben. (b) Er hat wahrscheinlich dem Kassierer *es / das Geld gegeben. (24) funktioniert m. E. analog zu Lenerz’ Originalversion, die in (25) wiedergegeben ist und die zeigt, dass die fokussierte Dativ-NP und die nicht-fokussierte Akkusativ-NP ihre Position tauschen können: (25) Wem hast du das Geld gegeben? (a) Ich habe das Geld dem Kassierer gegeben. (b) Ich habe dem Kassierer das Geld gegeben. Wie die Variante (b) in (24) zeigt, ist es für die Antwort auch noch akzeptabel, wenn die Akkusativobjekt-Konstituente, deren Referent durch den Fragekontext als das ‚Worüber‘ des Frage/ Antwort-Dialogs ausgewiesen ist, nach dem Satzadverbial positioniert wird. Voraussetzung ist zwar, dass es sich nicht um ein Pronomen handelt, 295 aber der entscheidende Punkt ist zunächst, dass die To- 295 Vgl. Lenerz (1977, 68): „Wenn […] eines der Objekte [im Mittelfeld] ein Personalpronomen ist, so steht es immer vor dem nicht-pronominalen Objekt.“ Lenerz führt dies auf Behagels Gesetz der wachsenden Glieder zurück (ebd., 70). Diese Abfolge gilt, wie auch Lenerz festhält, nur für Objekte, vgl. das folgende Beispiel, wo das pronominale Objekt dem substantivischen Agens-Subjekt nach folgt: Peter machte einen Vorschlag. Allerdings hat Arno ihn verworfen. Reis (1987, 158 f.) merkt daher an, dass in solchen Fällen andere Faktoren greifen müssen. Dies ist sicher richtig, aber im Fall umfangreicherer (oder indefiniter) Subjekt-NPs wäre die Abfolge sicherlich andersherum. <?page no="223"?> 6.3 Feste Topik-Position im Mittelfeld? 223 pik-Position vor dem Satzadverb offenbar nicht so zwingend ist, wie es zunächst den Anschein hat und u. U. auch mit anderen Faktoren in Wechselwirkung steht. In dem als Beleg hierfür angeführten Beispiel in (24) verhält es sich nun so, dass es sich um einen ditransitiven Satz handelt, in dem beide Objekt-Argumente im Mittelfeld stehen, wobei das (direkte) Akkusativobjekt-Argument durch den Fragekontext als Topik-Ausdruck ausgewiesen ist und das (indirekte) Dativobjekt-Argument zum Fokus-Bereich gehört. 296 Bezüglich der Abfolge-Regularitäten von direktem und indirektem Objekt im Mittelfeld hält Lenerz fest: „Wenn […] das IO [das indirekte Objekt] das Rhema [d. h. das Fokus-Argument] ist, sind beide Abfolgen der Objekte [indirektes > direktes Objekt ebenso wie direktes > indirektes Objekt] gleichermaßen möglich“ (Lenerz 1977, 43). Anders sieht es aus, wenn das direkte Objekt als Fokus-Argument ausgewiesen ist: (26) Was hat er dem Kassierer gegeben? (a) Er hat dem Kassierer wahrscheinlich das Geld gegeben. (b) *Er hat wahrscheinlich das Geld dem Kassierer gegeben. Vgl. die (m. E. analoge) Originalversion von Lenerz: (27) Was hast du dem Kassierer gegeben? (a) Ich habe dem Kassierer das Geld gegeben. (b) *Ich habe das Geld dem Kassierer gegeben. Laut Lenerz gilt daher: „Die Abfolge DO IO [direktes Objekt > indirektes Objekt] scheidet […] aus, wenn DO das Rhema ist“ (Lenerz 1977, ebd.). Des Weiteren zeigt sich: Ist das indirekt Objekt explizit als Topik-Ausdruck ausgewiesen, scheint sich die von Frey vermutete feste Topik-Position wiederum zu bestätigen, vgl. (c): (26) Was ist mit dem Kassierer? Was hat er ihm gegeben? (c) ? Er hat wahrscheinlich dem Kassierer das Geld gegeben. In Lenerz’ Originalversion - vgl. Variante (a) in (27) - kommt dies nicht zum Vorschein, da dort im Mittelfeld kein Satzadverb steht. Wiederum anders verhält es sich, wenn im Mittelfeld (Agens-)Subjekt und direktes Objekt positioniert 296 Neben dem Topik-Ausdruck selbst gehören auch das außerhalb des Mittelfelds stehende Subjekt-Argument und die verbalen Elemente zum Hintergrund-Bereich. Daher handelt es sich hier strenggenommen um einen Argumentfokus-Fall. Aber zumindest gilt, dass die Fokus-Konstituente nicht als Adresse ausgewiesen ist. Aus diesem Grund wollen wir diesen Punkt hier vernachlässigen. <?page no="224"?> 224 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit sind. Ist das direkte Objekt als Topik ausgewiesen, kann es dem Satzadverb (und dem Subjekt) sowohl nachfolgen als auch ihm vorangehen, vgl. die Varianten (a) und (b) in (28): (28) Wer hat den Porsche gestern gefahren? (a) Gestern hat wahrscheinlich der Chef den Porsche / ihn gefahren. (b) Gestern hat ihn / den Porsche wahrscheinlich der Chef gefahren. (c) *Gestern hat wahrscheinlich ihn / den Porsche der Chef gefahren. Was ganz offensichtlich nicht geht, ist die Abfolge in (c), wo - wie in (a) - beide Argumente dem Satzadverb folgen, aber das (direkte) Patiens-Objekt dem Agens-Subjekt vorangeht. 297 Variante (a) ist ein klarer Beleg dafür, dass es im Deutschen keine feste Topik-Position im Mittelfeld gibt. Offenbar scheinen hier andere Faktoren zu wirken. Ausschlaggebend ist hier wohl die schon erwähnte Tendenz, dass im Aktiv-Satz das Subjekt in der Agens-Rolle dem Objekt (d. h. dem Patiens-Argument) vorangeht (Primus 1999; Siewierska 1993). Wie (b) zeigt, kann der Topikausdruck-Status des Patiens-Arguments zwar als ‚Gegenfaktor‘ wirken, sodass es im Mittelfeld auch weiter links, vor dem Satzadverb, stehen kann, aber zwingend ist diese Position eben nicht. 298 Ist hingegen der Subjekt-Referent als Topik ausgewiesen - vgl. (29) -, verhält es sich offenbar wieder so, wie von Frey vermutet: (29) Welchen Wagen hat der Chef gestern gefahren? (a) Gestern hat er / der Chef wahrscheinlich den Porsche gefahren. (b) *Gestern hat wahrscheinlich er / der Chef den Porsche gefahren. (c) *Gestern hat wahrscheinlich den Porsche er / der Chef gefahren. Woran das liegt, darüber lässt sich nur spekulieren. Die Erklärung ist vielleicht, dass dies etwas mit dem informationellen Status des Satzadverbs zu tun hat. Zwar lässt sich das Satzadverb nicht wie die Verb-Argumente erfragen, es gehört aber dennoch zum assertierten Teil (und somit zum Fokus-Bereich) des Antwortsatzes. Musan (2002, 217) vermutet, dass es im Mittelfeld „eine Tendenz 297 Die Argument-Abfolge würde allerdings gehen, wenn das Satzadverb fehlt. Vgl. die Beispiele in Fußnote 298. 298 Dies sieht offensichtlich auch Lenerz so, wenn er festhält, dass „eine Umstellung zu OBJ SU nur dann möglich ist, wenn das OBJ als Mitteilungszentrum angesehen werden kann“ (1977, 119). Allerdings fährt er mit der Behauptung fort: „Das ist jedoch immer dann nicht möglich, wenn das SU deutlich als Agens bestimmt ist“ (ebd.). Variante (b) in (28) ist m. E. ein Hinweis darauf, dass dies nicht zutrifft. Vgl. etwa die Variante ohne Satzadverb: A: Wer hat den Porsche gestern gefahren? B: Gestern hat ihn / den Porsche der Chef gefahren. <?page no="225"?> 6.3 Feste Topik-Position im Mittelfeld? 225 gibt, informationsstrukturelle Domänen nach Möglichkeit als Einheiten zu erhalten“. Würde man also die als Topikausdruck ausgewiesene Subjekt-Konstituente dem Satzadverb nachfolgen lassen - vgl. Variante (b) -, so hätte man die zur Assertion gehörigen Elemente auseinandergerissen. Dies wäre dann auch die Erklärung dafür, warum Variante (c) in (28) nicht wohlgeformt ist. 299 Auch dort steht die Topikausdruck-Konstituente (das Akkusativ-Objekt) zwischen Satzadverb und erfragtem Verb-Argument. Auf diese Weise ließe sich auch erklären, warum diese Variante ohne Satzadverb funktioniert: 300 Fällt das Satzadverb weg, verfügt der Fokus-Bereich nicht mehr über zwei satzgliedwertige Konstituenten, weswegen dann auch kein Bedarf mehr besteht, diesen Bereich als „Einheit zu erhalten“. (Allerdings lässt sich so nicht erklären, warum Variante (c) in (29) nicht geht, denn dort werden die zwei zur Assertion gehörigen Satzglied-Konstituenten ja nicht auseinandergerissen.) Natürlich ergibt sich aus den oben diskutierten Beispielen noch kein vollständiges Bild bezüglich der Abfolge-Regularitäten im Mittelfeld (sowie der Faktoren, die Einfluss darauf haben). Wichtig ist hier, wie schon erwähnt, zunächst nur der Befund, dass es eine exklusiv für Topiks ausgewiesene Position im Mittelfeld nicht gibt (bzw. genauer: dass Topiks im Mittelfeld nicht zwingend und immer vor dem Satzadverb stehen müssen). Allenfalls lässt sich vielleicht sagen, dass es eine Tendenz gibt, die Topik-Konstituente (und eventuell weitere Hintergrund-Konstituenten) im linken Mittelfeld-Bereich zu positionieren, denn in allen Fällen ist es ja so, dass ihre Positionierung in diesem Bereich problemlos möglich ist. Reis (1987, 150) fasst die von Lenerz ermittelten Abfolge-Faktoren folgendermaßen zusammen (Reis spricht allerdings von Abfolge-„Bedingungen“, siehe auch Lenerz 1977, 63): (i) Die Thema/ Rhema-Bedingung: Die Abfolge kann dadurch eingeschränkt sein, dass bestimmte rhematische Konstituenten nicht vor thematischen Konstituenten stehen können (bzw. in anderer Terminologie: dass bestimmte Fokus-Konstituenten nicht vor Hintergrund-Konstituenten stehen können). 301 299 Und ebenso Variante (c) in (26). 300 Vgl. noch einmal (28) (c) ohne Satzadverb: A: Wer hat den Porsche gestern gefahren? B: Gestern hat ihn / den Porsche der Chef gefahren. 301 Vgl. die in (27) (b) wiedergegebene Variante, in der das Akkusativ-Objekt laut Lenerz nicht vor dem Dativ-Objekt stehen kann, weil es durch die Frage als „rhematisch“ ausgewiesen ist: A: Was hast du dem Kassierer gegeben? B: *Ich habe das Geld dem Kassierer gegeben. <?page no="226"?> 226 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit (ii) Die Definitheitsbedingung: Die Abfolge kann dadurch eingeschränkt sein, dass indefinite NPs (unter bestimmten Bedingungen) nicht vor definiten NPs stehen können. 302 (iii) Die Subjekt/ Agensbedingung: Die ‚Objekt > Subjekt‘-Abfolge ist nur dann möglich, wenn das Objekt als „Mitteilungszentrum“ angesehen werden kann, allerdings „immer dann nicht, wenn das SU deutlich als Agens bestimmt ist“ (Lenerz 1977, 119). 303 Schließlich werden noch zwei „stilistische Tendenzen“ angeführt; (i) das sogenannte ‚Gesetz der wachsenden Glieder‘: Die Abfolge ist dadurch gekennzeichnet, dass das „gewichtigste Satzglied an zweiter Stelle steht“; 304 sowie (ii) die sogenannte ‚Satzklammerbedingung‘. Hiermit ist gemeint, dass die „stilistische Tendenz“ besteht, Sätze ohne Realisierung der rechten Satzklammer „möglichst nicht auf ein ‚gewichtsloses‘ Satzglied enden zu lassen“ (Lenerz 1977, 63). 305 Offen muss hier die Frage bleiben, wie diese Faktoren miteinander in Beziehung stehen. 306 Auch in (29) (a) ist m. E. nicht ausgemacht, ob die Position des Subjekt-Arguments vor dem Satzadverb auf dessen Topikausdruck-Status zurückzuführen ist oder auf die von Musan vermutete Tendenz, informationsstrukturelle Domänen als Einheiten zu erhalten - oder ob ein Zusammenwirken dieser (und noch weiterer) Faktoren der Grund ist. 302 Vgl. das Beispiel aus Lenerz (1977, 54): A: Wem hast du ein Buch geschenkt? B: *Ich habe ein Buch dem Schüler geschenkt. Hier ist die bei einem solchen Fragekontext sonst freie Objekt-Abfolge im Mittelfeld dadurch eingeschränkt, dass das Akkusativ-Objekt indefinit ist. Dass diese Abfolge nicht geht, ist hier nicht auf ein vorangestelltes „rhematisches“ Akkusativ-Objekt zurückzuführen, da die von der Frage eingeforderte Information nicht durch das Akkusativ-Objekt, sondern durch das Dativ-Objekt realisiert wird. In der einzig möglichen Mittelfeld-Abfolge muss es daher intonatorisch hervorgehoben werden: Ich habe dem Schüler ein Buch geschenkt. 303 Wie schon erwähnt ist Variante (b) in (28) m. E. ein Gegenbeispiel für diese Beschränkung. 304 Diese Tendenz ist offenbar nicht so stark bei substantivischen (Agens-)Subjekten. Siehe etwa die Beispiele in Reis (1987, 159). Aber wie schon erwähnt macht auch Lenerz diese Tendenz nur bei Objekt-Konstituenten aus. Zum Faktor der Gewichtung siehe auch Primus (1994). 305 Siehe das folgende Beispiel aus Lenerz (1977, 158): Ich widme den vielen überaus hilfreichen Kollegen dieses Buch. Vgl. demgegenüber die stilistisch ‚akzeptablere‘ Variante mit realisierter rechter Satzklammer: Ich habe den vielen überaus hilfreichen Kollegen dieses Buch gewidmet. 306 Auch noch für Pafel (2009) ist das Mittelfeld ein „Kampfplatz vieler Faktoren“. Aber „welche Faktoren dies sind und wie sie zusammenwirken, darüber besteht immer noch viel Klärungsbedarf“ (2009, 64). <?page no="227"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 227 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks Wenn es im Deutschen also offensichtlich weder im Vorfeld noch im Mittelfeld eine eindeutig ausgewiesene syntaktische Topik-Position gibt - und wenn sich des Weiteren auch die in Kap. 6.1 und 6.2 diskutierten Ermittlungstests als wenig brauchbar erwiesen haben - welche Anhaltspunkte können für die Identifizierung von Satztopiks dann noch ausgemacht werden? M.E. sind es die Eigenschaften der Topik-Referenten selbst, die als Anhaltspunkte geltend gemacht können. In Kap. 5.4 habe ich versucht, diese Eigenschaften auf der Basis konstruierter Frage/ Antwort-Kontexte zu bestimmen. Diskursreferenten mit Topikstatus wurden dort durch die folgenden Eigenschaften charakterisiert: Sie sind (i) als adressatenseitig „erwartetes“ sowie sprecher- und adressatenseitig unstrittiges Argument der Prädikation aktiviert und diskursiv salient. Sie haben als Argument der Prädikation (ii) die Adressenrolle inne. Und sie sind aufgrund ihrer Aktiviertheit (iii) als sprecherseitig intendierter Referent des aktuell verwendeten Referenzausdrucks adressatenseitig zugänglich. In etwas verdichteter Form lässt sich dies so reformulieren: Topiks sind Referenten, deren Rolle als Adresse und ‚Worüber‘ der Prädikation adressatenseitig erwartbar ist - woraus sich dann notwendig ergibt, dass diese Referenten (diskursiv) aktiviert sind und somit auch als adressatenseitig zugänglich gelten können. Wie sich anhand einer ganzen Reihe von Beispielen gezeigt hat, stellen (konstruierte) Frage/ Antwort-Paare „Diskurs-Kontexte“ dar, in denen sich besonders leicht angeben lässt, ob einem Referenten die oben genannten Eigenschaften zugesprochen werden können oder nicht. Der Grund hierfür ist, dass Frage/ Antwort-Kontexte in Bezug auf einen ganz bestimmten Punkt über eine vergleichsweise hohe diskursive ‚Transparenz‘ verfügen: Durch die (vorausgesetzte) Frage ist nämlich nicht nur festgelegt, welcher Referent (bzw. welche Referenten) als aktiviert und adressatenseitig zugänglich (und somit als prinzipiell topik fähig ) gelten kann (bzw. können); es ist darüber hinaus auch in hohem Maße durchsichtig, welche Elemente im Antwortsatz (im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion) zur Assertion gehören. Auch Lambrechts Gliederungstyp-Unterscheidung (vgl. Kap. 4.2) fußt zu einem wesentlichen Teil auf diesem Aspekt. Wie sich schon an ihrer Benennung: Satzfokus, Argumentfokus und Prädikatfokus (Lambrechts Alternativterminus für den Topik/ Kommentar-Typ) erkennen lässt, sind alle drei Gliederungstypen über ihre Fokus-Eigenschaften definiert, die sich laut Lambrecht immer klar aus den jeweils für sie geltenden presupposition / assertion -Bedingungen ableiten <?page no="228"?> 228 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit lassen. 307 Der Topik/ Kommentar-Typ (bzw. Prädikatfokus-Typ) liegt vor, wenn nicht nur Argumente des Prädikats (oder adverbiale Angaben) zum Fokus-Bereich gehören, sondern auch die zum Prädikat gehörenden Elemente selbst. Wie schon weiter oben herausgestellt wurde, ist dies jedoch nur dann gewährleistet, wenn die vorangestellte Frage so formuliert ist, dass sie die im Antwort-Teil enthaltenen prädikativen Elemente nicht schon präsuppositional vorwegnimmt. Was im Topik/ Kommentar- (bzw. Prädikatfokus-)Fall also gegeben sein muss, ist ein semantisch relativ unspezifisches Verb im Frage-Teil ( Was hat X getan? Was ist X passiert? ). Der ‚Normalfall‘ ist jedoch, dass durch die Ergänzungsfrage lediglich ein Verb-Argument (oder ein Adverbial) erfragt wird, sodass es sich dann im Antwort-Teil strenggenommen um den Argumentfokus-Typ handelt. Wie jedoch in Kap. 5.4 herausgestellt wurde, liegen diesem Typ zwei Fälle zugrunde, die sich in einem wesentlichen Punkt unterscheiden: nämlich ob die von der Frage eingeforderte Information in der Antwort durch einen Adressen-Ausdruck realisiert wird (Wer hat ein Bier bestellt? Arno hat ein Bier bestellt. ) oder nicht (Was hat Arno bestellt? Arno hat ein Bier bestellt. ). Während der Antwortsatz im ersteren Fall mit dem Topik/ Kommentar-Typ nichts gemein hat, da der Adressen-Ausdruck Fokus -Ausdruck ist, ist der Antwortsatz im letzteren Fall dem Topik/ Kommentar-Typ sehr ähnlich, da sich das Frage/ Antwort-Paar - trotz gewisser Abstriche - noch als Frage und Antwort über Arno deuten lässt. 308 Voraussetzung hierfür ist, dass der Adressen-Ausdruck nicht Fokus-Ausdruck ist, also zum Hintergrund-Bereich gehört. Was der Adressen-Ausdruck im letzteren Fall ebenfalls mit Adressen im Topik/ Kommentar-Typ gemeinsam hat, ist der Umstand, dass dessen Wiederaufnahme im Antwort-Teil ebenso erwartbar ist wie im Topik/ Kommentar-Fall, 309 wohingegen sich der Adressen-Ausdruck im ersteren Argumentfokus-Fall gerade dadurch auszeichnet, dass er erfragt wird und sein informativer Gehalt adressatenseitig daher auch nicht (in dem 307 Wie aber die in Kap. 4.2 diskutierten Beispiele (6) und (6a) gezeigt haben, kann es durchaus sein, dass sich das mit einem (Antwort-)Satz assoziierte Verhältnis von Präsupposition und Assertion nicht immer vollständig in seiner Fokus/ Hintergrund-Struktur widerspiegelt. Es muss daher nicht immer ein so klares Entsprechungsverhältnis zwischen Präsupposition/ Assertion und Fokus/ Hintergrund-Struktur bestehen wie in den Beispielen Lambrechts, die seine Gliederungstypen veranschaulichen sollen (vgl. etwa Lambrecht 2000, 614; siehe auch die Beispiele (5a-c) in Kap. 4.2, die sich an Lambrechts Beispielen orientieren). 308 In Kap. 5.4 habe ich diese Abstriche auf die niedrigere diskursive Salienz des mit dem Adressen-Ausdruck assoziierten Referenten zurückgeführt, die darauf beruht, dass die adressatenseitige Relevanz der Antwort primär auf die Füllung der ‚Leerstelle‘ der durch den Fragekontext induzierten offenen Proposition perspektiviert ist und weniger darauf, das adressatenseitige Wissen über den Referenten des Adressen-Ausdrucks zu erhöhen. 309 Sofern man von elliptischen Antwort-Varianten einmal absieht, die in ‚reinen‘ Topik/ Kommentar-Kontexten nicht möglich sind. <?page no="229"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 229 hier gemeinten Sinne) erwartbar bzw. vorhersehbar sein kann. 310 Der Aspekt der Nicht-Vorhersehbarkeit ist auch für Frage/ Antwort-Paare charakteristisch, die im Antwort-Teil den Satzfokus-Typ nahelegen, d. h. die durch den Frage-Teil „Diskurs-Kontexte“ erzeugen, die den entsprechenden Antwortteil als adressatenseitig ‚all-new‘ ausweisen. Auf der Basis dieser aus den Frage/ Antwort-Kontexten abgeleiteten ‚Ideal‘-Konstellationen lassen sich drei Parameter formulieren, durch die sich Kriterien für gute, weniger gute oder u. U. sogar schlechte Topiks gewinnen lassen. Diese Topik-Parameter möchte ich nun zunächst erläutern, z.T. mehr oder weniger allgemein, z.T. aber auch wieder mit Bezugnahme auf die in Kap 6.1 und 6.2 diskutierte Kurzmeldung. Dabei wird es auch um die Frage gehen, wie (und wie erfolgreich) sich diese Parameter auf Satzabfolgen anwenden lassen (für die sich ja erwiesen hat, dass die Bedingungen von Frage/ Antwort-Kontexten gar nicht auf sie übertragbar sind). Dies ist, wie ich abschließend anhand einiger weiterer (authentischer) Text-Beispiele zeigen möchte, durchaus möglich, allerdings auch mit gewissen Abstrichen verbunden. Zwei dieser Parameter sind - entsprechend der hier zugrunde gelegten Position, dass Topikalität eine Status-Eigenschaft von Diskursreferenten ist - auf Referenten von Referenzausdrücken bezogen. Der erste Parameter betrifft die adressatenseitige Zugänglichkeit eines Referenten, der zweite Parameter betrifft den Adressenstatus eines Referenten. Der dritte Parameter ist auf den Gliederungstyp bezogen. Er betrifft die Frage der Gliederungstyp-Zuordnung , d. h. die Frage, wie gut sich ein geäußerter Satz oder ein Satz innerhalb einer Satzabfolge einem bestimmten Gliederungstyp zuordnen lässt. Alle diese Parameter haben (in Kombination miteinander) Einfluss auf die Topikstatus-Zuschreibbarkeit, entweder dahingehend, dass sich der Topikstatus für einen Referenten kategorisch ausschließen lässt oder dahingehend, dass er sich als gutes, weniger gutes oder lediglich schlechtes Topik erweist. Insofern wird hier also für ein graduelles Topik-Konzept optiert. Dieser graduelle Charakter zeigt sich etwa schon darin, dass Referenten nicht-fokussierter Adressen-Ausdrücke im Argumentfokus-Fall (s. o., Kap. 5.4) eine Reihe von Eigenschaften aufweisen, die auch Topik-Referenten im Topik/ Kommentar-Fall zukommen. Wie ich weiter unten zeigen möchte, zeigt sich der graduelle Charakter von Topikalität auch darin, dass sich Gliederungstyp-Zuordnungen in Satzabfolgen als unschärfer 310 Natürlich kann auch die durch einen Antwortsatz gelieferte Information für den Fragesteller mehr oder weniger vorhersehbar oder erwartbar sein. Die Redeweise ‚erwartbar‘ bzw. ‚vorhersehbar‘ zielt in diesem Zusammenhang aber darauf ab, dass Ergänzungsfragen zumindest im ‚Standard‘-Fall auf die ‚Füllung‘ einer Informationslücke abzielen - was mit einer gewissen Nicht-Vorhersehbarkeit in Bezug darauf einhergeht, durch welchen ‚Gehalt‘ diese Lücke gefüllt wird. <?page no="230"?> 230 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit erweisen, weil es dort die für eine eindeutige Zuordnung nötigen Frage/ Antwort-Kontexte nicht gibt. Zunächst zum Topik-Parameter Zugänglichkeit. Dieser Parameter ist auf das Vorliegen eines zentralen Kriteriums für den Topikstatus eines Referenten bezogen: Aktiviertheit ist, wie sich herausgestellt hat, ein zentrales Merkmal ‚guter‘ Topiks (siehe Gundels ‚Topic-Familiarity Condition‘). Aktivierte Referenten sind zwar notwendig zugänglich, aber der Komplementär-Terminus zu Aktiviertheit: Nicht -Aktiviertheit ist in Bezug auf Zugänglichkeit unbestimmt: nicht-aktivierte Referenten können adressatenseitig zugänglich (Princes unused -Kategorie) oder nicht-zugänglich sein (Princes brand-new -Kategorie). Während brand-new ein klares Ausschlusskriterium ist (der Referent ist definitiv kein Topik), wäre aber zu diskutieren, ob sich Referenten mit unused -Status unter bestimmten Bedingungen vielleicht noch als ‚weniger gute‘ oder ‚schlechte‘ Topiks auffassen lassen, etwa dann, wenn sie im aktuellen Satz Adressenstatus haben und wenn andere im Satz repräsentierte Referenten durch Ausdrücke realisiert werden, die klar dem Bereich der Prädikation zuzurechnen sind. 311 Auf der Basis des Zugänglichkeitsparameters allein lässt sich allerdings noch nichts über den Topikstatus eines Referenten sagen, da Ausdrücke, die aktivierte Referenten repräsentieren, auch Fokusausdruck-Status haben können. Wie in Kap. 3.3 dargelegt wurde, ist dies die Hauptmotivation für Gundels Unterscheidung zwischen referentieller und relationaler Newness. Adressen habe ich in Kap. 5.2 als Gegenstand der Prädikation im semantischen Sinne definiert. Adressen können, wie gesagt, (im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion) assertiert sein, wohingegen dies für Topiks ausgeschlossen ist. Dies ist der Grund dafür, dass Referenten mit Adressenstatus in allen drei Gliederungstypen realisierbar sind - solange gewährleistet ist, dass sich dem Ausdruck, durch den sie repräsentiert werden, die für diesen Status notwendige spezifische Lesart zuweisen lässt. 312 So haben nicht nur Topik-Referenten innerhalb zweifelsfreier Topik/ Kommentar-Fälle Adressenstatus (vgl. B’s Antwort in Beispiel (10), Kap. 5: A: Was ist Arno passiert? B: Arno ist ausgerutscht. ), sondern auch Referenten von Fokus-Ausdrücken in Argumentfokus-Fällen wie in der Antwort in Beispiel (10’), Kap. 5 (A: Wer ist ausgerutscht? 311 Wie ich weiter unten anhand von Text-Beispielen zeigen möchte, ist die Zuordnung solcher Fälle zum Satzfokus-Typ nicht immer die beste Wahl, insbesondere dann, wenn der entsprechende Satz nicht der erste Satz der Satzabfolge ist. 312 Siehe etwa Beispiel (3) in Kap. 5.1 ( Nämlich, ne Freundin von mir, die ist auf einem Ohr taub […]. ), das gezeigt hat, dass es für die Adressenfähigkeit eines Referenten schon ausreicht, wenn der mit dem Referenten assoziierte Referenzausdruck eine spezifische Lesart hat, sodass für Referenten, die die Adressenrolle innehaben, weder Aktiviertheit noch adressatenseitige Zugänglichkeit vorausgesetzt sein muss. <?page no="231"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 231 B: Arno ist ausgerutscht. ), und ebenso Referenten von indefiniten (aber spezifischen) Referenzausdrücken wie in Beispiel (3), Kap. 5 ( Nämlich, ne Freundin von mir, die ist auf einem Ohr taub […]. ), für das ich die Zuordnung zum Satzfokus-Typ vorgeschlagen habe. 313 Wie sich aber auch gezeigt hat, sind innerhalb des Satzfokus-Typs auch Fälle möglich, in denen der Referent des Adressen-Ausdrucks nicht brand-new (bzw. wie im obigen Fall: brand-new anchored ) ist, sondern unused -Status hat. Ein Beispiel hierfür ist der Referent des Subjekt-Ausdrucks im ersten Satz der in Kap. 6.1 und 6.2 ausführlich diskutierten Kurzmeldung: die US-Bundespolizei, 314 die sich aufgrund der definiten Form und der spezifischen Lesart des mit ihr assoziierten Referenzausdrucks ebenfalls plausibel als Adresse deuten lässt. 315 Darum weist die US-Bundespolizei dort zwar den für Topikalität notwendigen Adressenstatus auf, aber weder sie noch irgendein anderer im ersten Satz realisierter Referent weist das für ‚gute‘ Topiks ebenfalls nötige Merkmal der Aktiviertheit auf. Wir haben mit dem ersten Satz der Kurzmeldung also einen Fall, der aus satzstruktureller Perspektive zwar eine recht klare Prädikationsstruktur aufweist, 316 aber bei dem aus diskursiver Perspektive vieles für den Satzfokus-Typ spricht. 317 313 Siehe meine Diskussion dieses Beispiels in Kap. 5.1. 314 Wie in Kap. 6.1 angemerkt wurde, ist es zwar durchaus plausibel, für die US-Bundespolizei Zugänglichkeit (aufgrund voraussetzbarer Familiarity) anzunehmen - was in Bezug auf den Referenten der Objekt-NP (den Milliardenbetrüger Allen Stanford) sehr viel weniger klar ist. Aber aus der definiten Form des auf die Bundespolizei bezogenen Ausdrucks lässt sich der unused -Status strenggenommen nicht ableiten, da die Definitheit durch die appositive Erweiterung ( die US-Bundespolizei FBI ) unumgänglich ist. Dies gilt ebenso für den Referenten der Objekt-NP (Stanford), in Bezug auf dessen eingeschätzte (adressatenseitige) Zugänglichkeit keine Aussage möglich ist, die auf dem gewählten Ausdruckstyp basiert. Denn auch dann, wenn der Textproduzent von adressatenseitiger ‚unfamiliarity‘ (und damit Nicht-Zugänglichkeit) ausgeht, ist die definite Form aufgrund der appositiven Erweiterung durch den Eigenamen dort ebenso zwingend wie bei dem Subjektausdruck. 315 Wie schon in Kap. 6.1 angemerkt wurde, trägt auch die Koordinierungsstruktur des ersten Satzes zu dieser Deutung bei. Durch die Subjekt-Realisierung hat die US-Bundespolizei nicht nur im ersten Teilsatz die Rolle des grammatischen Satzgegenstands inne: über die getilgten Elemente im zweiten Teilsatz ist sie auch als Gegenstand der dort enthaltenen prädizierenden Elemente ausgewiesen: Die US-Bundespolizei FBI hat den untergetauchten mutmaßlichen Milliardenbetrüger Allen Stanford in Virginia aufgespürt und [sie hat] ihm eine Zivilklage übergeben. 316 Und genau diese satzstrukturell bedingte Prädikationsstruktur bewirkt, dass die US-Bundespolizei von zwei der von Götze et al. vorgeschlagenen Tests (dem Ankündigungs- und dem Fragetest) als Topik-Favorit identifiziert wird. 317 Klare Prädikationsstrukturen sind für den Satzfokus-Typ zwar zunächst nichts Ungewöhnliches (vgl. etwa das Satzfokus-Beispiel in Lambrecht (1994, 121): ( What happened? ) The children went to school. ); aber zum Satzfokus-Typ gehören auch die sogenannten prä- <?page no="232"?> 232 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Hiermit sind wir beim dritten Parameter angelangt, der Gliederungstyp-Zuordnung. Dass sich der erste Satz der Kurzmeldung am besten dem Satzfokus-Typ zuordnen lässt, habe ich im Kern damit begründet, dass der Satz über keinen aktivierten Referenten verfügt (vgl. Kap. 6.2). Die Zuordnung des zweiten Satzes zum Topik/ Kommentar-Typ habe ich damit begründet, dass dieser Satz über einen aktivierten Referenten verfügt (den Banker), der darüber hinaus auch auf den gesamten Text bezogen der einzige Referent ist, der (an dem Punkt seiner Realisierung als Objekt-Argument dieses Satzes) die für diskursive Salienz nötigen Voraussetzungen erfüllen kann (siehe ebenfalls Kap. 6.2). Deutet man den Banker aufgrund dieser Eigenschaften (Aktiviertheit, Zugänglichkeit) als besten Kandidaten für den Topikstatus in diesem Satz, so folgt hieraus auch, dass er der beste Kandidat für den Adressenstatus ist, da gilt, dass Topiks notwendig Adressenstatus haben. Wie in Kap. 6.1 gezeigt wurde, konnte keiner der Identifizierungstests den Banker im zweiten Satz als Topik-Favoriten ausweisen, da sich der Banker und der Referent der Subjekt-NP (die US-Börsenaufsicht) als gleich gut erwiesen. Dies ließ sich im Kern darauf zurückführen, dass die Tests nicht dazu in der Lage sind, die Aktiviertheit eines Referenten zu ermitteln, da sie nur auf den Satz bezogen sind, der den jeweils getesteten Ausdruck enthält. Was sie ermitteln können, ist daher lediglich, ob der getestete Ausdruck die für den Adressenstatus nötige spezifische Lesart zulässt - was im zweiten Satz aber nicht nur auf die Objekt-NP ( den Banker ) zutrifft, sondern auch auf die Subjekt-NP ( die US-Börsenaufsicht SEC ). Fasst man für diesen Fall also zusammen, aufgrund welcher Kriterien der Satz dem Topik/ Kommentar-Typ zugeordnet wurde, so lässt sich hierfür nur der Umstand anführen, dass der Referent der definiten Objekt-NP der einzige an diesem Punkt schon aktivierte Referent ist. Alle anderen (bis zu diesem Punkt) realisierten Referenten kommen über eine Einmal-Nennung nicht hinaus - unabhängig davon, ob für sie (im günstigen Fall) adressatenseitige Zugänglichkeit vorausgesetzt werden kann (die US-Bundespolizei; u. U. auch die Börsenaufsicht) oder nicht (wie bei der durch einen nicht-spezifischen Ausdruck realisierten Zivilklage). 318 Weitere Anhaltspunkte lassen sich nicht anführen: Der Versuch, für den zweiten Satz eine „topic-forming question“ (van Kuppevelt) zu generieren, die durch den ersten Satz „kontextuell induziert“ ist, hat sich als Irrweg erwiesen (vgl. Kap. 6.2), da Sätze innerhalb von Satzabfolgen weder in Bezug auf ihren sentativen Konstruktionen, zu denen auch Sätze mit expletivem es gezählt werden (vgl. Frey 2000, 143): Es zog ein Gewitter auf. Derartige Sätze weisen (zumindest im grammatischen Sinne) keinen ‚Gegenstand‘ der Prädikation auf. 318 Und auch für den Banker gilt, dass er adressatenseitig u. U. lediglich als aktuell etabliertes Diskurs token zugänglich ist, was für seinen Status als aktuelles Topik jedoch genügt (vgl. meine Diskussion des Beispiels (14) in Kap. 5.3). <?page no="233"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 233 propositionalen Gehalt, noch in Bezug auf ihre Wiederaufnahme-Relationen durch den jeweils vorangegangen Satz determiniert sind. Der Umstand, dass der Banker im zweiten Satz der einzige aktivierte Referent ist, liefert darüber hinaus auch den einzigen Hinweis darauf, wie die Fokus/ Hintergrund-Struktur dieses Satzes zu beurteilen ist: Da sich, wie gesagt, kein eindeutiger Fragekontext aus dem ersten Satz ableiten lässt (siehe wiederum Kap. 6.2), der das mit dem zweiten Satz assoziierte Präsuppositions/ Assertions-Verhältnis hinreichend transparent machen könnte, 319 kann für die Identifizierung der Hintergrundbzw. Fokus-Elemente dieses Satzes allein auf die dort bestehenden Wiederaufnahme-Verhältnisse rekurriert werden. Und da die Objekt-NP der einzige Wiederaufnahme-Ausdruck ist, lässt sich auch nur für diesen Ausdruck plausibel annehmen, dass er zum Hintergrund-Bereich gehört. Der Einwand, dass sich aus dem Kriterium der Aktiviertheit allein noch nicht ableiten lässt, dass der entsprechende Ausdruck tatsächlich Hintergrund-Ausdruck ist (da Wiederaufnahme-Ausdrücke Fokus-Ausdrücke sein können), greift hier m. E. nicht, da es eben keinen durch den ersten Satz eindeutig „induzierten“ Fragekontext gibt, durch den die Zugehörigkeit der Objekt-NP zum Hintergrund-Bereich explizit ausgeschlossen ist. 320 Darum wäre auch die Entscheidung, anstelle des Bankers den Referenten der Subjekt-NP (die Börsenaufsicht) zum Topik (und zur Adresse) dieses Satzes zu ‚erklären‘ (weil sie durch die Subjekt-NP realisiert wird, weil die Subjekt-NP spezifisch ist, im Vorfeld steht und Agens-Argument ist), pure Stipulation, die sich kontextuell durch nichts stützen ließe, da die Börsenaufsicht (i) nicht vorerwähnt ist und da sie (ii) auch im Anschluss nicht mehr wiederaufgenommen wird - wobei Letzteres schlicht darauf beruht, dass die Kurzmeldung mit dem zweiten Satz auch schon endet. Hiervon ist nun aber nicht nur der Referent der Subjekt-NP: die Börsenaufsicht betroffen, sondern auch der als Topik gedeutete Referent der Objekt-NP (der Banker), der über die Realisierung im zweiten Satz ebenfalls nicht hinauskommen kann. Darum lässt sich vielleicht auch schon in Bezug auf den Banker sagen, dass er ein ‚weniger gutes‘ Topik ist. Denn was seinen Status als Adresse und Topik im zweiten Satz so unauffällig macht, ist der Umstand, dass dieser gerade erlangte Status in einem nachfolgenden Satz nicht noch einmal bestätigt wird. Das heißt, wäre dem zweiten Satz noch ein dritter nachgefolgt, in dem der 319 Wie sich in Kap. 6.2 gezeigt hat, lässt sich aus dem ersten Satz auch eine Frage ableiten - vgl. die Frage-Variante in (15) -, die bewirkt, dass die gesamte durch den zweiten Satz ausgedrückte Proposition assertiert ist, womit der zweite Satz dann dem Satzfokus-Typ zugeordnet werden müsste. 320 Vgl. die Frage-Varianten (12) und (15) in Kap. 6.2, die sich beide gleich gut aus dem ersten Satz ableiten lassen, die aber für den zweiten Satz unterschiedliche Fokus/ Hintergrund-Strukturen erzeugen. <?page no="234"?> 234 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit Banker ebenfalls als Adresse der Prädikation deutbar gewesen wäre, so hätte dessen Topikstatus auch schon im zweiten Satz - zumindest ex post - deutlicher hervorgestochen. Was also Referenten innerhalb von Satzabfolgen diskursiv salient machen kann, ist ihre wiederholte Wiederaufnahme. Die wiederholte Wiederaufnahme bewirkt, dass ein Referent aus der Perspektive des gesamten Textes (oder Textabschnitts) als aktuelles (oder lokales) Topik und ‚center of interest‘ ausgewiesen ist. Und dieser Status lässt sich einem Referenten umso plausibler zuschreiben, je häufiger der Referent durch einen Argument-Ausdruck wiederaufgenommen wird und je weniger andere Referenten es im (aktuellen) Text(-Abschnitt) gibt, die mit ihm in diesen Punkt konkurrieren könnten. 321 Dies ist bspw. der Fall in der in (30) wiedergegebenen Kurzmeldung, in der die durchgehende Wiederaufnahme eines Referenten durch Subjekt-Ausdrücke bewirkt, dass die Kriterien für dessen Topikstatus in den jeweiligen Sätzen auf geradezu klischeehafte Weise erfüllt sind: (30) Chris Brown, 24, Sänger, steht abermals wegen einer Prügelei in Washington vor Gericht. Nach US-Medienberichten lehnte der Musiker ein Schuldeingeständnis ab. Brown soll sich im vergangenen Oktober mit einem Mann vor einem Hotel in Washington geprügelt haben. Der Sänger ist für seine Wutausbrüche bekannt und muss derzeit für frühere Bewährungsstrafen Sozialstunden ableisten. 2009 hatte er seine damalige Freundin, die Sängerin Rihanna, verprügelt. (Süddeutsche Zeitung vom 10.01.2014) Diese Kurzmeldung ist der vornehmlich auf Boulevard-Themen abzielenden Rubrik „Leute“ entnommen und hat ebenfalls keine Überschrift. Wie der Titel schon andeutet, zeichnet sich diese Rubrik dadurch aus, dass dort jeweils auf eine (mehr oder weniger) bekannte Person des öffentlichen Lebens bezuggenommen wird, über die es etwas Kurioses oder Mitteilenswertes zu berichten gibt. Die Texte dieser Rubrik zeichnen sich primär dadurch aus, dass sie auf eine eingeschränkte Anzahl von (Personen-)Referenten bezugnehmen, von denen 321 Kriterial ist also nicht die wiederholte Wiederaufnahme allein, sondern auch, dass der wiederaufgenommene Referent durch einen zum Verb gehörigen Argument-Ausdruck realisiert wird. Insofern sind Subjekt- und (direkte) Objekt-Ergänzungen prädestinierte Topik-Ausdrücke. Ausgeschlossen sind darum wiederaufgenommene Referenten, die innerhalb satzwertiger Argument-Konstituenten ( dass -Sätze, Infinitiv-Sätze etc.) realisiert werden. Der Grund ist, dass es praktisch unmöglich ist, für diese Referenten innerhalb des Satzes eine Adressierungsrelation zu etablieren. (Es sei denn, der wiederaufnehmende Ausdruck ist koreferent mit dem Adressen-Ausdruck im Matrixsatz, vgl.: Arno glaubt, dass er unschlagbar ist. Aber daraus, dass das Pronomen im dass -Satz mit dem Eigennamen koreferent ist, folgt natürlich nicht, dass es damit auch Adressen-Ausdruck ist.) <?page no="235"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 235 eine Person als zentrales ‚Text‘-Topik 322 prominent in den ‚Aufmerksamkeitsfokus‘ 323 des Text-Rezipienten gestellt wird. In (30) ist dies der im ersten Satz durch eine (mit nachgestellten Attributen erweiterte) Subjekt-NP ( Chris Brown, 24, Sänger ) aktivierte Referent, der auch in den nachfolgenden Sätzen durchgehend durch Subjekt-Ausdrücke wiederaufgenommen wird ( der Musiker > Brown > der Sänger > er ), die in drei der insgesamt fünf Sätze in Erstposition realisiert sind und in zwei Fällen (im zweiten und im letzten Satz) im Mittelfeld dem finiten Verb direkt nachfolgen. Kein anderer der im Text realisierten Referenten kann dem Referenten der Subjekt-Ausdrücke in puncto Aktiviertheit gleichkommen: Bis auf eine unwesentliche Ausnahme (die zweimalige lokale Angabe der Stadt Washington) wird kein Referent noch ein weiteres Mal wiederaufgegriffen. Es gibt insgesamt drei direkte Objekt-Argumente, von denen zwei indefinit ( ein Schuldeingeständnis , Sozialstunden ) und lediglich eines, die komplexe Objekt-NP im letzten Satz ( seine damalige Freundin, die Sängerin Rihanna ), definit ist. Und auch die in den anderen (adverbialen) Ergänzungen oder freien Angaben enthaltenen Referenzausdrücke sind bis auf wenige Ausnahmen indefinit. Vor diesem Hintergrund fällt es daher leicht, den Sänger ab dem zweiten Satz durchgehend als Topik zu identifizieren: Erstens ist er von dort an in allen Sätzen aktiviert (Topik-Parameter Zugänglichkeit). Zweitens ist er in allen Sätzen als Adresse der Prädikation ausgewiesen (Topik-Parameter Adressenstatus), zunächst durch die Subjekt-Realisierung selbst, die ihn syntaktisch als Gegenstand der Prädikation ausweist - was semantisch dadurch bestätigt wird, dass so gut wie alle direkten Objektargument-Ausdrücke die für den Adressenstatus notwendige spezifische Lesart nicht aufweisen. Zwar ist die Akkusativobjekt-NP im letzten Satz spezifisch, aber da der Topikstatus des Sängers an diesem Punkt schon unstrittig ist (er ist an diesem Punkt nach wie vor der einzige aktivierte Referent), ergibt sich hieraus notwendig auch sein Adressenstatus (was durch die erneute Realisierung durch einen Subjekt-Ausdruck noch einmal gewissenmaßen ‚bestätigt‘ wird). Die durchgehende Wiederaufnahme des Sängers bewirkt darüber hinaus auch, dass die jeweiligen Sätze über eine für Satzabfolgen vergleichsweise hohe Durchsichtigkeit bzgl. ihrer Fokus/ Hintergrund-Verhältnisse verfügen: Dass die Subjekt-Ausdrücke durch ihren Status als pro Satz jeweils einziger Wiederaufnahme-Ausdruck klar als Hintergrund-Ausdrücke ausgewiesen sind, hat den Komplementär-Effekt, dass alle anderen Satzglied-Konstituenten der pragmatischen Assertion, d. h. dem Fokus-Bereich zu- 322 Siehe noch einmal die Definition von ‚Text‘bzw. ‚Diskurs‘-Topiks in Stede (2004, 242): „DT [Discourse topic]: An entity (a discourse referent) talked about in the discourse, which plays a particularly prominent role - the discourse can be said to be ‘about’ this entity.“ 323 Siehe Gundels Definition von „focus of attention“ in Gundel (1999, 249). <?page no="236"?> 236 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit gerechnet werden können. Die Fokus/ Hintergrund-Verhältnisse der jeweiligen Einzelsätze entsprechen darum (zumindest ab dem zweiten Satz) sehr gut den Bedingungen, die für die Zuordnung zum Topik/ Kommentar-Typ (Topik-Parameter Gliederungstyp-Zuordnung) gelten sollen: Prädikat-Elemente, Objekte und/ oder sonstige Angaben können dem Fokus-Bereich zugesprochen werden (vgl. Lambrechts Prädikatfokus-Bedingung). So klare Verhältnisse wie in (30) lassen sich in Satzabfolgen allerdings eher selten ausmachen. Dies beginnt schon damit, dass die Realisierung von Referenten, die aus der Perspektive des Gesamt-Textes (oder Textabschnitts) über mehr als zwei Sätze als (lokales) Topik und ‚center of interest‘ ausgewiesen sind, nicht notwendig durch Subjekt-Konstituenten realisiert sein müssen. Dies ist der Fall in dem folgenden in (31) wiedergegebene Beispiel, das ebenfalls der Rubrik „Leute“ entnommen ist: (31) Silvio Berlusconi, 77, früherer italienischer Regierungschef, lässt sich in dieser Woche Medienberichten zufolge in einer Schönheitsfarm am Gardasee fit machen. Fotos in der Mailänder Zeitung Corriere della Sera vom Donnerstag zeigen den Medienzar und Milliardär winkend auf dem Balkon der Wellness-Oase. Obwohl rechtskräftig verurteilt und aus dem Senat geworfen, ist Berlusconi weiter in der Tagespolitik aktiv, mit den Europawahlen am 25. Mai im Blick. (Süddeutsche Zeitung vom 24.01.2014) Auch dieses Beispiel zeichnet sich dadurch aus, dass der Referent der im ersten Satz in Erstposition realisierten Subjekt-Konstituente - die auch hier durch nachgestellte attributive Elemente erweitert ist ( Silvio Berlusconi, 77, früherer italienischer Regierungschef ) - in den zwei nachfolgenden Sätzen wiederaufgenommen wird, dort zwar nicht mehr in Erstposition, aber immer noch durch eine an das jeweilige Hauptsatz-Verb angebundene Argument-Konstituente ( den Medienzar und Milliardär > Berlusconi ). 324 In Bezug auf den ersten Topik-Parameter (Zugänglichkeit) erfüllt der Referent (Berlusconi) somit alle Bedingungen für ‚gute‘ Topiks: Er ist (ab dem zweiten Satz) aktivierter Diskursreferent - und was für seine Auszeichnung als ‚gutes‘ Topik sogar noch entscheidender ist: im zweiten und auch im dritten Satz ist er der einzige Referent, der Aktiviertheitsstatus hat und durch einen Argument-Ausdruck (d. h. durch einen Subjektbzw. einen Objekt-Ausdruck) realisiert wird. 325 Der Status Berlusconis 324 Implizit, nämlich durch eine getilgte Subjekt-Konstituente, ist der Referent auch noch in dem im Vorfeld des dritten Satzes positionierten Adverbialsatz enthalten. Ich werde gleich noch einmal darauf zurückkommen. 325 Es gibt im Text noch einen weiteren Referenten, der (allerdings nur einmal) wiederaufgenommen wird: die in der lokalen Angabe des ersten Satzes realisierte Schönheitsfarm ( in <?page no="237"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 237 als ‚gutes‘ Topik wird auch nicht dadurch gemindert, dass seine erste Wiederaufnahme durch ein direktes Objekt-Argument ( den Medienzar und Milliardär ) erfolgt. Begründen lässt sich dies damit, dass der Referent die Bedingungen für die Auszeichnung als ‚gutes‘ Topik auch in Bezug auf den zweiten Parameter (Adressenstatus) erfüllen kann: Da die indefinite und durch adverbiale Attribute angereicherte Subjekt-NP ( Fotos in der Mailänder Zeitung Corriere della Sera vom Donnerstag ) 326 aufgrund ihrer Nicht-Spezifizität als Adressen-Ausdruck ausfällt, 327 bleibt hierfür nur die Objekt-Konstituente übrig, deren Spezifizität ja schon dadurch gesichert ist, dass der Referent im vorangegangenen Satz aktiviert wurde. 328 In Bezug auf den dritten Parameter (Gliederungstyp-Zuordnung) sind die Verhältnisse im zweiten Satz zunächst recht klar: Der Adressenstatus Berlusconis sowie seine an dieser Stelle bestehende Aktiviertheit bewirken, dass sich alle anderen durch den Satz ausgedrückten Gehalte dem Bereich der pragmatischen Assertion zuordnen und als Prädikation über Berlusconi deuten lassen, 329 womit der Satz dem Topik/ Kommentar-Typ zugeordnet werden kann. Für den dritten Satz sind die Verhältnisse in Bezug auf die Gliederungstyp-Zuordnung allerdings nicht so klar. Dies liegt daran, dass der Satz über einen konzessiven Adverbialsatz im Vorfeld verfügt, der sich zunächst nur schwer in eine Prädikationsrelation zum Subjekt des Matrixsatzes bringen lässt ( Obwohl rechtskräftig verurteilt und aus dem Senat geworfen, ist Berlusconi […] ). Zwar ist die Subjekt-Konstitueneiner Schönheitsfarm am Gardasee ), die im zweiten Satz noch einmal als Attribut innerhalb der lokalen Angabe auftaucht ( auf dem Balkon der Wellness-Oase ). 326 Ob die der indefiniten Plural-NP nachfolgende Präpositionalgruppe tatsächlich Attributstatus hat und somit zum Subjekt gehört, ist hier vielleicht nicht ganz eindeutig. Für diese Deutung spricht m. E. aber, dass sie zusammen mit dem Nomen als gesamter Block erfragbar ist: Frage: Wer oder was zeigt den Medienzar und Milliardär winkend auf dem Balkon der Wellness-Oase? Antwort: Fotos in der Mailänder Zeitung Corriere della Sera vom Donnerstag . 327 Dass die Deutung dieser Konstituente als Adressen-Ausdruck blockiert ist, ließe sich auch durch die in Kap. 6.1 diskutierten Identifizierungstests bestätigen. 328 Es sei hier zur Vorsicht noch einmal auf den Unterschied zwischen Aktivierung und Aktiviertheit hingewiesen. Da Aktiviertheit eine Status-Kategorie für Referenten von Referenzausdrücken ist, kann dieser Status erst ab dem Punkt gelten, an dem der Referent das erste Mal wiederaufgenommen wird (es sei denn, der Referent ist situationally evoked im Sinne von Prince (1981) - was aber auf textuelle Referenten-Realisierungen nicht zutreffen kann). Aktivierungen können demgegenüber durch Referenzausdrücke vollzogen werden, die unused - oder brand-new -Status haben. (M.E. ist auch die Realisierung von Referenten mit inferrable -Status (Prince 1981, 236 f.; siehe auch Schwarz’ (2000) Konzept der „indirekten Anapher“) strenggenommen ein Fall von Aktivierung. 329 Diese Prädikationsrelation lässt sich in etwa so paraphrasieren: Über den Medienzar und Milliardär (Berlusconi) wird prädiziert, dass ihn Fotos in der Mailänder Zeitung Corriere della Sera […] winkend auf dem Balkon der Wellness-Oase zeigen. <?page no="238"?> 238 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit te im Adverbialsatz (zusammen mit seinen auxiliaren Elementen) getilgt, seine Satzwertigkeit bewirkt aber dennoch, dass er strenggenommen über eine eigene Prädikationsrelation verfügt. Die Tilgung der Subjekt-Konstituente ist nun aber gerade dadurch legitimiert, dass die getilgte Stelle gewissermaßen ‚koreferent‘ mit dem Subjekt-Ausdruck des Matrixsatzes ist. Trotz seiner Abhängigkeit vom Matrixsatz ist der Adverbialsatz darum Koordinationsstrukturen mit getilgten Konstituenten 330 nicht unähnlich. Genau dies bewirkt aber, dass der Referent des Subjekt-Ausdrucks im Matrixsatz (Berlusconi) über die dort enthaltenen Prädikationen hinaus 331 auch als Adresse der Prädikationen des Adverbialsatzes ( [ist] rechtskräftig verurteilt und [wurde] aus dem Senat geworfen ) fungiert. Aus dieser Perspektive lassen sich also sämtliche im dritten Satz enthaltenen Prädikationen auf einen Referenten (Berlusconi) beziehen - was dessen Status als Topik und ‚center of interest‘ auch für diesen Satz noch einmal bestätigt. Also auch wenn der dritte Satz alles andere als eine klare syntaktische Prädikationsstruktur aufweist (insbesondere wenn man ihn mit den Sätzen in (30) vergleicht), so lässt er sich m. E. doch dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen. Auch die folgende Kurzmeldung stellt eine einzelne Person als zentralen Textgegenstand heraus. Diese Kurzmeldung ist der Rubrik „Wochenchronik“ entnommen und verfügt, anders als die vorangegangen Beispiele, über eine Überschrift: (32) Hoeneß im Gefängnis Der ehemalige FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß hat am 2. Juni seine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech angetreten. Hoeneß muss dort eine dreieinhalbjährige Haftstrafe absitzen. Das Münchner Landgericht hat den 62-Jährigen am 13. März der Steuerhinterziehung schuldig gesprochen. Der Fußball-Manager hatte dem Fiskus 28,5 Millionen Euro Steuern vorenthalten. (Süddeutsche Zeitung vom 07.06.2014) Diese Kurzmeldung zeichnet sich wieder durch eine (im Vergleich zu dem in (31) wiedergegebenen Beispiel) deutlich einfachere syntaktische Prädikationsstruktur aus und ist vor allem darum interessant, weil sie eine Parallele zu dem in Kap. 6.1 und 6.2 diskutierten Milliardenbetrüger-Beispiel aufweist. Die Parallele besteht darin, dass der Subjekt-Referent des ersten und zweiten Satzes (Hoeneß) im dritten Satz durch ein direktes Objekt-Argument realisiert wird, das ihn 330 Vgl. etwa den ersten Satz unseres Milliardenbetrüger-Beispiels. 331 Die am Ende des Satzes locker angeschlossene Präpositionalgruppe ( mit den Europawahlen am 25. Mai im Blick ) möchte ich hier ebenfalls als Prädikation über Berlusconi deuten: […], ist […] weiter in der Tagespolitik aktiv [und hat die] Europawahlen am 25. Mai im Blick. <?page no="239"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 239 als Patiens dieses Satzes ausweist. Anders als im Milliardenbetrüger-Beispiel verhält es sich hier aber so, dass der Status Hoeneß’ als zentraler Textgegenstand sehr viel deutlicher hervorsticht. Dies liegt daran, dass Hoeneß vor seiner Wiederaufnahme durch das Objekt-Argument ( den 62-Jährigen ) schon zweimal durch Subjekt-Argumente realisiert wurde ( der ehemalige FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß > Hoeneß ). Nimmt man die Überschrift hinzu, ist es an diesem Punkt sogar schon die dritte Wiederaufnahme. Hinzu kommt noch, dass er auch danach noch einmal durch eine Argument-NP realisiert wird. Somit hat Hoeneß in der Satzabfolge insgesamt viermal Aktiviertheitsstatus, wohingegen es der Milliardenbetrüger Stanford in Beispiel (3) über den ersten Satz hinaus auf lediglich eine Wiederaufnahme bringt. Alles dies weist Hoeneß für jeden Satz der Kurzmeldung als ‚gutes‘ Topik aus. In Bezug auf den Zugänglichkeitsparameter gilt: Da die Aktivierung schon durch die Überschrift erfolgt, ist Hoeneß ist in allen vier Sätzen aktiviert. Da er darüber hinaus im gesamten Text der einzige Referent ist, der Aktiviertheitsstatus hat - den er, wie gesagt, durch die Aktivierung in der Überschrift auch schon im ersten Satz hat 332 - zeichnet sich die Satzabfolge auch durch klare Fokus/ Hintergrund-Strukturen aus: Die auf Hoeneß referierenden Ausdrücke sind die jeweils einzigen Hintergrund-Elemente, womit sich alle Sätze klar dem Topik/ Kommentar-Typ zuordnen lassen. Wir haben hier also, ganz ähnlich wie in (30), den Fall einer Satzabfolge, in der die wiederholte Wiederaufnahme eines Referenten dessen diskursive Salienz bewirkt, wodurch dieser Referent aus der Perspektive der gesamten Abfolge als Topik und ‚center of interest‘ ausgewiesen ist. Da sich aus dem Topikstatus eines Referenten auch sein Adressenstatus ableiten lässt, ist der Referent somit auch notwendig als Adresse ausgewiesen. Unabhängig davon ist der Adressenstatus aber auch schon in der syntaktischen und semantischen Prädikationsstruktur des ersten und zweiten Satzes reflektiert: Abgesehen davon, dass der Subjekt-Referent im ersten Satz der einzige aktivierte Referent ist, kommt dort noch hinzu, dass das direkte Objekt-Argument ( seine Haftstrafe ) zusammen mit dem Verb ( antreten ) eine Verbalphrase bildet, die einen gewissen kollokationalen Charakter aufweist. 333 Hierdurch ist das Objekt-Argument eher dem Verbal- 332 Man könnte hier vielleicht einwenden, dass die Satzabfolge doch im Grunde schon mit der Überschrift beginnt. Unabhängig von der Frage, ob Überschriften wie die in (32) Satzwertigkeit zugesprochen werden sollte (vgl. hierzu grundlegend Sandig 1971, 36 ff.), möchte ich aber schon aus Gründen der klareren Bezugnahme zwischen Überschrift und erstem Satz unterscheiden. 333 Natürlich ist eine Haftstrafe antreten noch weit von festen ‚Verb-Nomen‘-Gefügen wie etwa eine Entscheidung treffen , einen Beruf ergreifen etc. entfernt. Zwar ist das Objekt noch erfragbar, aber die Bandbreite der Nominalausdrücke, die die Objekt-Stelle von antreten (in dieser Bedeutung) besetzen können, ist recht eingeschränkt: den Dienst / das <?page no="240"?> 240 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit geschehen zuzurechnen und bildet so mit diesem zusammen die Prädikation. Im zweiten Satz verhält es sich so, dass das indefinite Objekt ( eine dreieinhalbjährige Haftstrafe ) als Adressen-Ausdruck ausfällt, sodass das definite und spezifische Subjekt ( Hoeneß ) als einziger adressenfähiger Ausdruck übrigbleibt. Vor diesem Hintergrund ist es dann plausibel, Hoeneß auch an dem Punkt seiner Wiederaufnahme durch das Objekt-Argument im dritten Satz ( den 62-Jährigen ) als Adresse zu deuten, obwohl der Referent der Subjekt-NP ( das Münchner Landgericht ) ebenfalls adressenfähig ist. Die Adressen-Zuweisung beruht hier also auf dem Kriterium der (durch die wiederholte Wiederaufnahme induzierten) Salienz des Objekt-Referenten. Auf demselben Kriterium beruht auch die Deutung der Subjekt-NP im letzten Satz ( der Fußball-Manager ) als Adressen-Ausdruck, da der Referent der (definiten und spezifischen) Dativobjekt-NP ( dem Fiskus ) in puncto Salienz in keiner Weise mit dem Subjekt-Referenten konkurrieren kann. Kommen wir nun zu Beispielen, in denen sich die Topikstatus-Zuschreibbarkeit für die in ihnen realisierten Referenten als deutlich unschärfer erweist. Zunächst wieder ein Beispiel aus der „Leute“-Rubrik: (33) Kelly Osbourne, 29, Sängerin, hat ihre Verlobung mit Matthew Mosshart aufgelöst. Das Paar habe sich „freundschaftlich“ getrennt, teilte Osbournes Sprecherin der US-Zeitschrift People mit. Die Sängerin und Tochter von Skandalrocker Ozzy Osbourne hatte Mosshart 2011 auf der Hochzeit von Kate Moss und Jamie Hince kennengelernt. Im vergangenen Sommer machte der Promi-Koch der Sängerin beim gemeinsamen Karibik-Urlaub den Antrag. (Süddeutsche Zeitung vom 10.01.2014) Diese Satzabfolge, die keine Überschrift hat, zeichnet sich dadurch aus, dass die ‚Fokussierung‘ auf einen zentralen (Personen-)Referenten hier nicht in demselben Maße vorliegt wie in den zuvor besprochenen Beispielen. Stattdessen gibt es hier zwei zentrale (Personen-)Referenten: Osbourne und Mosshart. Osbourne wird insgesamt dreimal durch Argument-Konstituenten realisiert - davon zweimal durch Subjekt-Konstituenten ( Kelly Osbourne, 29, Sängerin > die Sängerin und Tochter von Skandalrocker Ozzy Osbourne ) und einmal durch ein Dativ-Objekt ( der Sängerin ). Mosshart wird im ersten Satz zunächst nur durch ein zum Objekt gehörendes adverbiales Attribut aktiviert ( ihre Verlobung mit Matthew Mosshart ), danach wird er jedoch noch zweimal durch Argument-Ausdrücke wiederaufgenommen, im dritten Satz durch den Eigenamen-Ausdruck in der Funktion des (direkten) Objekts ( Mosshart ), dann noch einmal im vierten (und Amt / die Heimreise etc. antreten . Aus diesem Grund ist die Konstruktion inchoativen Funktionsverbgefügen vielleicht nicht unähnlich. <?page no="241"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 241 letzten) Satz durch eine Subjekt-NP ( der Promi-Koch ). Im zweiten Satz werden die Referenten zunächst durch eine Subjekt-NP ( das Paar ) wiederaufgenommen, die auf beide Personen bezogen ist. 334 Nach ihrer Aktivierung im ersten Satz werden die zwei Referenten darum erst wieder im dritten Satz direkt wiederaufgenommen - und danach noch einmal im vierten (und letzten) Satz. Insgesamt lässt sich also festhalten: Auch wenn Osbourne insgesamt dreimal durch Argument-Konstituenten realisiert wird, während ihr Ex-Verlobter lediglich auf zwei Argument-Realisierungen kommt, so lässt sich doch sagen, dass die zwei Referenten hinsichtlich ihrer Wiederaufnahme-Häufigkeit im Großen und Ganzen gleichauf liegen. Bezüglich ihrer (Wiederaufnahme-induzierten) Salienz zeigt sich in der Satzabfolge also keine Präferenz für den einen oder den anderen der zwei Referenten. Auch hinsichtlich ihres Adressenstatus sticht in der Satzabfolge keiner der beiden Referenten deutlich hervor. Dies zeigt sich zunächst daran, dass keiner der zwei Referenten an irgendeiner Stelle durch den Ausdruckstyp selbst als Adresse ausgeschossen ist, da beide durchgehend durch Ausdrücke mit spezifischer Lesart realisiert werden. Eine Ausnahme bildet lediglich der erste Satz, in dem Mosshart für den Adressenstatus ausfällt, weil er durch einen Ausdruck in Attributfunktion realisiert wird. Im zweiten Satz ist es so, dass sich die zwei Referenten den Adressenstatus sogar teilen, da sie dort durch eine NP ( das Paar ) realisiert werden, die auf sie beide bezogen ist. 335 Im dritten und vierten Satz verhält es sich wiederum so, dass beide Refe- 334 Darum handelt es sich hier gewissermaßen um den ‚umgekehrten‘ Fall eines „abgeleiteten Themas“ im Sinne der von Daneš (1970) formulierten Typen „thematischer Progression“. Anders als bei Daneš’ repräsentiert der wiederaufnehmende Ausdruck hier nicht ein ‚Teil-Konzept‘ eines zuvor realisierten „Hyperthemas“ (1970, 76 f.), sondern zwei zuvor gesondert aktivierte Referenten werden durch einen Ausdruck gemeinsam wiederaufgenommen. Dies macht die Einordnung dieses sonst recht harmlosen ‚Wiederaufnahme‘-Falls allerdings nicht ganz leicht. Die zwei durch den Subjekt-Ausdruck bezeichneten Referenz token (Osbourne; Mosshart) können zwar als aktiviert gelten; der Fall unterscheidet sich aber insofern von den ‚Standard‘-Fällen „direkter anaphorischer Wiederaufnahme“ (vgl. die Beispiele in Schwarz 2000, 55 ff.), als sich die Wiederaufnahme der zwei Referenten nicht auf der Konstituenten-Ebene widerspiegelt, da sie im vorangegangenen Satz durch zwei verschiedene Argument-Konstituenten realisiert wurden. In dieser Hinsicht geht dieser Fall noch über das folgende Beispiel hinaus (vgl. Schwarz 2000, 60), bei dem es sich (trotz der dort schon nicht mehr bestehenden Numerus-Kongruenz) Schwarz zufolge um eine direkte anaphorische Wiederaufnahme handelt: [Ein alter Mann und eine sehr junge Frau] 1 kommen… [Das Paar] 1 erregt Aufsehen… . 335 Der zweite Satz zeichnet sich noch durch ein weiteres Merkmal aus. Die Subjekt-NP das Paar ist nicht Argument des Matrixsatz-Verbs, sondern lediglich Teil der untergeordneten satzwertigen Argument-Konstituente, die im Vorfeld steht und die die Funktion des direkten Objekts innehat: [Das Paar habe sich „freundschaftlich“ getrennt] Obj , teilte Osbournes Sprecherin der US-Zeitschrift People mit. Dennoch spricht einiges dafür, dass der Objektsatz über eine gewisse informationsstrukturelle ‚Autonomie‘ verfügt. Diese <?page no="242"?> 242 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit renten direkt wiederaufgenommen werden, und zwar jeweils abwechselnd als Subjektbzw. Objekt-Referent: Im dritten Satz ist Osbourne zunächst Referent der Subjekt-NP und Mosshart wird durch das Akkusativ-Objekt realisiert. ( Die Sängerin und Tochter von Skandalrocker Ozzy Osbourne hatte Mosshart 2011 auf der Hochzeit von Kate Moss und Jamie Hince kennengelernt. ) Im vierten Satz ist es umgekehrt: Mosshart ist (Agens-)Referent der Subjekt-NP und Osbourne wird als Rezipient des im Prädikat ausgedrückten Handlungsgeschehens durch das Dativ-Objekt realisiert. 336 ( Im vergangenen Sommer machte der Promi-Koch der Sängerin beim gemeinsamen Karibik-Urlaub den Antrag. ) Welcher Referent ist in den jeweiligen Sätzen Adresse? Den Subjekt-Referenten den Adressenstatus hier einfach per default zuzuschreiben, wäre m. E. pure Stipulation, ebenso wie das Manöver, den Adressenstatus für die Objekt-Referenten auszuschließen, weil die entsprechenden Subjekt-NPs hier spezifisch sind. Ersteres liefe darauf hinaus, den Adressenstatus fest an die Subjekt-Realisierung zu koppeln - wodurch man aber sogar noch hinter die Einsichten zurückfallen würde, die das Konzept des psychologischen Subjekts motiviert haben. 337 Und mit Letzterem würde man den Umstand ignorieren, dass aus der Spezifizität (und damit prinzipiellen Adressenfähigkeit) einer Subjekt-NP nicht notwendig folgt, dass der damit assoziierte Referent Adressen- (oder Topik-) Status hat. 338 Das Problem ist also: Auf welche Kriterien kann man zurückgreiberuht darauf, dass dem Satz quasi ‚Hauptsatz-Status‘ zugestanden werden kann. Ausdrucksseitig zeigt sich dies zunächst daran, dass es sich um einen Satz mit Verbzweitstellung handelt, dem ein Matrixsatz mit verbum dicendi nachfolgt. In solchen Fällen ist die Verbzweitstellung durchaus der Normalfall, im Fall der direkten Rede wäre dies sogar unumgänglich. Auer (2002) spricht in Zusammenhang mit derartigen Strukturen (die bei ihm allerdings allein Beispielen der gesprochenen Sprache entnommen sind), von sogenannten „abhängigen Hauptsätzen“. Des Weiteren kommt dem Satz auch in Bezug auf seine Verflechtung mit dem vorangegangenen und den noch folgenden Sätzen mehr Gewicht als dem Matrixsatz zu: Keiner der im Matrixsatz realisierten Referenten (Osbournes Sprecherin, die US-Zeitschrift People) ist aktiviert oder wird in den zwei noch folgenden Sätzen noch ein weiteres Mal wiederaufgegriffen. 336 Die im vierten Satz enthaltene Akkusativ-NP ( den Antrag ) möchte ich nicht als Argument-Ausdruck deuten, sondern als nominales Element eines ‚Verb-Nomen‘-Gefüges, das ein Handlungsgeschehen repräsentiert: (jemandem) einen (Verlobungs-)Antrag machen . Das Indiz hierfür ist, dass eine Erfragung des nominalen Elements hier schon merkwürdig wirkt: (? ) Was machte der Promi-Koch der Sängerin beim gemeinsamen Karibik-Urlaub? 337 Vgl. etwa Beispiele wie mir ist kalt ; mich friert’s etc. 338 Ein Beispiel für den Adressen- (und Topik-)Status eine Objekt-Referenten in einem Satz mit spezifischer Subjekt-NP ist der dritte Satz in (32): Das Münchner Landgericht hat den 62-Jährigen am 13. März der Steuerhinterziehung schuldig gesprochen. Hier beruht der Adressenstatus des Objekt-Referenten darauf, dass er Topikstatus hat. Und der Topikstatus des Referenten beruht wiederum darauf, dass er der an diesem Punkt nach wie vor einzige aktivierte Argumentausdruck-Referent ist. <?page no="243"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 243 fen, wenn beide Argument-Ausdrücke spezifisch sind und kein Referent durch (Wiederaufnahme-induzierte) Salienz hervorsticht? Dass Osbourne im dritten Satz aber wohl doch als Adresse zu deuten ist, hat mit dem in diesem Satz enthaltenen Mittelverb ( kennenlernen ) zu tun, das eine Passiv-Transformation nicht zulässt. Anders als bei Objekten von ‚echten‘ transitiven Verben geht es in solchen Fällen offenbar nicht so gut, den Objekt-Referenten durch eine entsprechende Einleitungsformel (wie etwa die Ankündigungsformel von Götze et al.) als Topik (und Adresse) auszuweisen: (34) Ich erzähle dir etwas über Matthew Mosshart. (? ) Die Sängerin und Tochter von Skandalrocker Ozzy Osbourne hat Mosshart 2011 auf der Hochzeit von Kate Moss und Jamie Hince kennengelernt. Vgl. demgegenüber die folgende Variante des vierten Satzes, wo dies für den Referenten des Dativ-Objekts (Osbourne) durchaus möglich ist: 339 (35) Ich erzähle dir etwas über Kelly Osbourne. Im vergangenen Sommer machte der Promi-Koch Matthew Mosshart der Sängerin beim gemeinsamen Karibik-Urlaub einen Verlobungsantrag. Während wir also für den dritten Satz den Adressenstatus wohl doch dem Referenten der Subjekt-Konstituente zusprechen müssen, ist die Adressen-Zuweisung im vierten Satz wieder offen. 340 Wollen wir Osbourne dort ebenfalls den Adressenstatus zugestehen, etwa weil sie ihn ja offensichtlich auch schon im dritten Satz innehatte? Das Kriterium (Wiederaufnahme-induzierter) Salienz kann zur Unterstützung dieser Deutung, wie schon gesagt, nicht herangezogen werden, da Osbourne in dieser Hinsicht nicht deutlich hervorsticht. Darum ist m. E. zumindest für den letzten Satz offen, welcher Referent Adresse (oder sogar Topik) ist. 339 Und natürlich wäre dies auch für den Subjekt-Referenten genauso wenig ein Problem: Ich erzähle dir etwas über Matthew Mosshart. Im vergangenen Sommer machte der Promi-Koch der Sängerin beim gemeinsamen Karibik-Urlaub einen Verlobungsantrag. Die einschlägigen Identifizierungstests können hier also (wieder einmal) nicht weiterhelfen. 340 Der Satz ist mit der in (33) wiedergegebenen Originalversion nicht ganz identisch. Wie schon in Kap. 6.1 angesprochen wurde, lassen sich derartige Tests oft nur schwer mit den Wiederaufnahme-Verhältnissen innerhalb der Satzabfolgen in Einklang bringen, denen die getesteten Referenzausdrücke entnommen sind. Was der Test jedoch zeigen kann, ist, dass der Adressenstatus jedenfalls nicht prinzipiell für Objekt-Referenten, die die Rezipienten-Rolle innehaben, ausgeschlossen ist. Für Referenten von Objekten ‚pseudo‘-transitiver Verben sieht dies aber offenbar anders aus. <?page no="244"?> 244 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit In (33) liegt also der Sachverhalt vor, dass die gesamte Satzabfolge auf der Basis der für die jeweiligen Sätze geltenden Fokus/ Hintergrund-Verhältnisse nur wenig zur Identifizierung eines plausiblen ‚center of interest‘ beitragen können: Keiner der beiden Referenten sticht in puncto diskursiver Salienz gegenüber dem anderen deutlich hervor. Dies ist der Grund dafür, dass die Topik-Identifizierung dort mehr Probleme bereitet als in den vorangegangenen Beispielen. Vor dem Hintergrund des ‚all new‘-Charakters texteröffnender Sequenzen ist es zunächst sicherlich am plausibelsten, den ersten Satz dem Satzfokus-Typ zuzuordnen. Ab dem zweiten Satz wird es jedoch schwieriger: Akzeptiert man für diesen Satz die Deutung, dass dem Objekt-Satz im Vorfeld ( Das Paar habe sich „freundschaftlich“ getrennt, […] ) quasi Hauptsatz-Status zukommt, so ist die Subjekt-NP dort der einzige plausible Adressen-Ausdruck. 341 Weniger klar ist jedoch, ob der Referent - bzw. genauer: die Referenten von das Paar auch Topikstatus haben. Dafür spricht zunächst, dass sie als Diskurs token an diesem Punkt aktiviert und zugänglich sind. Dagegen spricht jedoch, dass ihr aktuell gemeinsamer Adressenstatus zuvor nicht bestand, da einer der zwei Referenten im vorangegangenen Satz durch einen Ausdruck aktiviert wurde, der lediglich Attribut innerhalb eines komplexen Argumentausdrucks ist ( ihre Verlobung mit Matthew Mosshart ). Darum ist es m. E. strittig, ob die Subjekt-NP ein direkt wiederaufnehmender Referenzausdruck ist. Stimmt man dem Befund zu, dass hier kein ‚reiner‘ Fall von Koreferenz vorliegt, so fehlt dem Adressen-Ausdruck ein Merkmal, das Ausdrücke, die ‚gute‘ Topiks repräsentieren, auszeichnet: nämlich dass es sich um einen klaren Fall direkter Wiederaufnahme handelt. Hinzu kommt, dass der gemeinsame Adressenstatus für die noch folgenden zwei Sätze nicht mehr besteht, und dass die Frage der Adressen- Zuweisung in diesen zwei Fällen ohnehin schwierig ist, da Anhaltspunkte wie Aktiviertheit vs. Nicht-Aktiviertheit oder Spezifizität vs. Nicht-Spezifizität, auf die man sonst u. U. rekurrieren könnte, an diesem Punkt nicht verfügbar sind: Zunächst ist es so, dass die zwei Referenten jeweils abwechselnd durch definite (und spezifische) Subjektbzw. Objekt-Argumente realisiert werden, d. h. durch Ausdruckstypen, die den Adressenstatus nicht explizit ausschließen, 342 was hier schlicht darauf beruht, dass an diesem Punkt schon beide Referenten aktiviert sind. Und da darüber hinaus auch keiner der zwei Referenten als ‚zentraler‘ Textgegen- 341 Der Rest des (Objekt-)Satzes gehört eindeutig zur Prädikation. Aufgrund der Reflexivkonstruktion ( sich trennen ) lässt sich auch das mit der Subjekt-NP notwendig koreferente Reflexivpronomen zum grammatischen Prädikat zählen. 342 So wie es etwa für die indefinite und nicht-spezifische Subjekt-Konstituente im zweiten Satz in Beispiel (31) der Fall ist: Fotos in der Mailänder Zeitung Corriere della Sera vom Donnerstag zeigen den Medienzar und Milliardär winkend auf dem Balkon der Wellness-Oase. <?page no="245"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 245 stand ausgewiesen ist, fällt auch dies als Anhaltspunkt weg - ein Kriterium, auf dessen Basis sich etwa der Referent der Objekt-NP im dritten Satz in (32) als Adresse (und Topik) deutet lässt. 343 Wie sich gezeigt hat, finden sich zwar Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass im dritten Satz der durch die Subjekt-Konstituente realisierte Referent (die Sängerin) Adressenstatus hat, da das dort enthaltene‚pseudo‘-transitive Verb ( kennenlernen ) die Adressen-Deutung für den Objekt-Referenten (Mosshart) blockiert. Aber dennoch stellt sich die Frage, ob sich die Sängerin für diesen Satz darüber hinaus auch als ‚gutes‘ Topik erweist, da sie (i) den Adressenstatus im vorangegangen (dem zweiten) Satz nicht exklusiv innehat und sie (ii) im Satz davor (dem ersten Satz) zwar Adresse ist, aber an diesem Punkt erst aktiviert wird. Und dass sich der Adressenstatus der Sängerin im vierten Satz nicht noch ein weiteres Mal explizit bestätigen lässt - weil dieser Status für den anderen Referenten (der aktiviert ist und als Agens-Subjekt realisiert wird) eben nicht definitiv ausgeschlossen werden kann - führt ebenfalls zu Abstrichen für die Deutung als ‚gutes‘ Topik. Ist damit aber auch die Zuordnung der zwei Sätze zum Topik/ Kommentar-Typ hinfällig? Dagegen spricht vor allem, dass die anderen zwei Gliederungstypen hier kaum in Frage kommen können: Der Satzfokus-Typ kommt nicht in Frage, weil den zwei Sätzen durch die an diesem Punkt schon bestehende Aktiviertheit zweier Argument-Referenten kein ‚all new‘-Charakter mehr zukommt - was sich vor allem darin zeigt, dass keiner der zwei Sätze als texteröffnende Sequenz funktionieren würde. Ebenso wenig kommt der Argumentfokus-Typ in Frage, weil für die Zuordnung zu diesem Typ Diskurs-Kontexte nötig sind, durch die sich die durch die zwei Sätze ausgedrückten Gehalte mit vorausgesetzten offenen Propositionen assoziieren lassen. Dies ist aber nur dann plausibel, wenn die ausgedrückten Gehalte mit Ergänzungsfragen korreliert sind, durch die bestimmte Argument- oder Angaben-Stellen als ‚Füllungen‘ für die durch die Fragen aufgeworfenen ‚Leerstellen‘ ausgewiesen sind. Der Argumentfokus-Typ setzt also in viel stärkerem Maße als die zwei anderen Gliederungstypen Frage/ Antwort-Kontexte voraus - d. h. Kontext-Bedingungen, die es in Abfolgen assertierender Sätze nicht gibt. Aus diesem Grund beruht die Topik-‚Unschärfe‘ in (33) nicht auf einer Gliederungstyp-‚Unschärfe‘ - so wie etwa in den Fällen, die zwischen Argumentfokus- und Topik/ Kommentar-Typ changieren (vgl. Beispiel (15) in Kap. 5.4) - sondern darauf, dass es dort nicht einen, sondern zwei ‚zen- 343 Vgl. noch einmal den dritten Satz in (32), in dem der Objekt-Referent der an diesem Punkt einzige aktivierte Referent ist: Das Münchner Landgericht hat den 62-Jährigen am 13. März der Steuerhinterziehung schuldig gesprochen. <?page no="246"?> 246 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit trale‘ Referenten gibt, von denen keiner exklusiv und durchgehend als Adresse ausgewiesen ist. Wiederum anders verhält es sich in dem folgenden Beispiel, in dem sich überhaupt kein Referent ausmachen lässt, dem in puncto Wiederaufnahme eine „particularly prominent role“ (Stede 2004, 242) zugesprochen werden könnte: (36) Obama stärkt Klimaschutz Die USA wollen mehr für den Klimaschutz tun. Die Regierung in Washington präsentierte am 2. Juni neue Vorschriften, die den Ausstoß von Kohlendioxid aus amerikanischen Kraftwerken bis 2030 im Vergleich zu 2005 um beinahe ein Drittel senken würden. Präsident Barack Obama muss aber mit massivem Widerstand der Republikaner und der Kohle-Industrie rechnen. (Süddeutsche Zeitung vom 07.06.2014) Dieses Beispiel, das der Rubrik „Wochenchronik“ entnommen ist, verfügt wieder über eine Überschrift, durch die (wie auch schon in dem in (32) wiedergegebenen Beispiel) ein Personen-Referent aktiviert wird. Anders als in (32) wird dieser Referent aber erst am Ende der Abfolge, durch die Subjekt-Konstituente im dritten Satz wiederaufgenommen - wobei er sich nicht nur dadurch auszeichnet, dass er es lediglich auf eine Wiederaufnahme bringt, sondern auch, dass er in der gesamten Abfolge der einzige durch einen Argument-Ausdruck wiederaufgenommene Referent ist. 344 In diesem Punkt unterscheidet sich dieses Beispiel also nicht nur klar von dem vorangegangen Beispiel, sondern von allen bisher diskutierten Satzabfolge-Beispielen. Darüber hinaus zeichnet sich das Beispiel dadurch aus, dass sämtliche in der Satzabfolge selbst (d. h. mit Ausnahme der Überschrift) realisierten Subjektargument-Referenten (die USA; die Regierung in Washington; Präsident Barack Obama) zueinander in einer Kontiguitätsrelation stehen. 345 Vor diesem Hintergrund lassen sich die Subjektausdrücke im zweiten und dritten Satz vielleicht als indirekte Anaphern (vgl. Schwarz 2000, 48 ff.) auffassen und ihre Referenten hätten inferrable -Status (Prince 1981, 236 f.). 346 Allerdings ist die definite Form der Referenzausdrücke, die sonst oft durch indirekte Anaphorik 344 Eine Ausnahme bildet lediglich das Referenz-Konzept ‚Klimaschutz‘, das nach der Objektargument-Realisierung in der Überschrift noch einmal durch eine definite NP realisiert wird, die in der präpositionalen Benefaktiv-Ergänzung ( für den Klimaschutz ) enthalten ist. 345 Die Kontiguitätsrelation lässt sich etwa so formulieren: Die USA haben eine Regierung und dieser Regierung steht Präsident Barack Obama vor. 346 Wobei auch die Deutung möglich ist, dass die USA und die Regierung in Washington in einer ‚totum pro parte‘-Relation stehen, in welchem Fall es sich im zweiten Satz um eine direkte Wiederaufnahme handeln würde. <?page no="247"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 247 induziert ist, 347 hier schon durch den unikalen Charakter der mit ihnen assoziierten Diskursreferenten determiniert - und was die Frage der (adressatenseitigen) Zugänglichkeit der Referenten betrifft, so kann wohl für alle diese Referenten (referentielle oder zumindest konzeptuelle) Familiarity vorausgesetzt werden, sodass sich die Fälle trotz der vorhandenen Kontiguitätsrelationen auch als Aktivierungen von (aufgrund ihrer Familiarity) zugänglichen Diskursreferenten betrachten lassen und daher besser der unused -Kategorie zugordnet werden sollten (natürlich bis auf den Subjekt-Referenten des letzten Satzes, der ja schon durch die Überschrift aktiviert wurde). Wir haben also für den ersten und zweiten Satz den Fall, dass dort jeweils ein Subjektargument-Referent aktiviert wird (sofern wir keine metonymische Interpretation zugrunde legen). Nur im letzten Satz haben wir den Fall, dass der Subjektargument-Referent schon aktiviert ist - allerdings nicht durch einen Ausdruck in einem der zwei vorangegangenen Sätze, sondern schon durch die Überschrift. Alle Subjekt-Referenten lassen sich darüber hinaus durchgehend als Adressen deuten. Im zweiten Satz fällt die direkte Objekt-Konstituente, die aus einer indefiniten NP mit einem darauf bezogenen, umfangreichen Attributsatz besteht, aufgrund ihrer Komplexität als Adressen-Ausdruck aus ( neue Vorschriften, die den Ausstoß von Kohlendioxid aus amerikanischen Kraftwerken bis 2030 im Vergleich zu 2005 um beinahe ein Drittel senken würden ). Und die im ersten und dritten Satz außerhalb der jeweiligen Subjektargumente realisierten Referenten stehen innerhalb präpositionaler Ergänzungen ( für den Klimaschutz ; mit massivem Widerstand der Republikaner und der Kohle-Industrie ), die als Konstituenten selbst nicht Diskursreferenten repräsentieren. 348 Somit haben wir hier den Fall, dass sich für die jeweiligen Sätze zwar Adressen angeben lassen (Topik-Parameter Adressenstatus), aber dass die jeweiligen Referenten - trotz ihres klar ausgewiesenen Adressenstatus - in Bezug auf den ersten Topik-Parameter (Zugänglichkeit) nur mäßig abschneiden: Zwar sind sie (aufgrund ihrer voraussetzbaren Familiarity) zugänglich, aber es fehlt ihnen die Eigenschaft, die sie über ihren Adressenstatus hinaus erst zu ‚guten‘ Topiks 347 Vgl. etwa die Beispiele in Schwarz (2000, 66). 348 Zumindest theoretisch ließe sich das in der Präpositional-Ergänzung des ersten Satzes realisierte Referenz-Konzept (‚Klimaschutz‘) durch eine Ankündigungsformel als Topik und Adresse ausweisen: Ich erzähle dir mal was über den Klimaschutz. Die USA wollen mehr für ihn tun. Dies zeigt, dass innerhalb von Präpositionalgruppen realisierte Referenten im Prinzip adressenfähig sind. Präpositionalgruppen (Ergänzungen, Angaben oder Präpositionalobjekte) können aber auch unabhängig von derartigen Ankündigungsformeln Diskursreferenten aktivieren, die, wenn sie etwa in Folgesätzen wiederholt durch Argument-Ausdrücke wiederaufgenommen werden, durchaus Topikstatus erlangen können. Da das Klimaschutz-Konzept im Anschluss aber nicht wiederaufgegriffen wird, wäre die Adressen-Deutung für diesen Referenten außerordentlich unplausibel. <?page no="248"?> 248 6 Topik-Identifizierung und Topik-Identifizierbarkeit machen würde: Bis auf den Referenten des letzten Satzes hat kein Referent Aktiviertheitsstatus; und selbst dieser Referent verfügt nicht über den nötigen Grad an (Wiederaufnahme-induzierter) diskursiver Salienz, die ‚gute‘ Topiks wie diejenigen in (30), (31) und (32) aufweisen. Aus dieser Perspektive verhält es sich in (36) also andersherum als in (33): Während die Topik-‚Unschärfe‘ im vorangegangen Beispiel darauf beruht, dass zwei Referenten in puncto Wiederaufnahme-Häufigkeit miteinander konkurrieren und ihr jeweiliger Adressenstatus zum Teil diffus ist, verhält es sich im aktuellen Beispiel so, dass die Verhältnisse in Bezug auf den Adressenstatus der jeweiligen Referenten transparent sind, es aber keinen als ‚zentralen‘ Textgegenstand (center of interest) ausgewiesenen Referenten gibt. Dies aber macht alle in den jeweiligen Sätzen als Adressen ausgewiesene Referenten zu ‚schlechten‘ Topiks. Dass in (36) kein Referent als ‚zentraler‘ Textgegenstand ausgewiesen ist, bewirkt des Weiteren, dass die jeweiligen Sätze dort zwischen Satzfokus- und Topik/ Kommentar-Typ changieren: Was sie dem Satzfokus-Typ ähnlich macht, ist zunächst der unused -Status ihrer jeweiligen Adressen-Referenten. Hierin unterscheiden sie sich nicht von den texteröffnenden Sequenzen in den vorangegangenen Beispielen, in denen die gleichen Bedingungen herrschen. 349 Des Weiteren zeigt sich der Satzfokus-Charakter auch daran, dass es keine Abstriche bzgl. der Kohärenz der Abfolge gäbe, wenn sie erst mit dem zweiten Satz ansetzen würde, vgl. die folgende Variante, in der der erste Satz (sowie die Überschrift) fehlt: (36’) […] Die Regierung in Washington präsentierte am 2. Juni neue Vorschriften, die den Ausstoß von Kohlendioxid aus amerikanischen Kraftwerken bis 2030 im Vergleich zu 2005 um beinahe ein Drittel senken würden. Präsident Barack Obama muss aber mit massivem Widerstand der Republikaner und der Kohle-Industrie rechnen. Ein weiteres Indiz ist, dass eine texteröffnungsinduzierende Frage wie ‚Was gibt es zu berichten? ‘ nicht nur für den ersten, sondern auch noch für den zweiten 349 Vgl. noch einmal die texteröffnenden Sätze in (30)-(33), deren Texteröffnungscharakter sich auch darin zeigt, dass sie allesamt als Antworten auf eine Frage wie ‚Was gibt es zu berichten? ‘ funktionieren: (Was gibt es zu berichten? ) (30) Chris Brown, 24, Sänger, steht abermals wegen einer Prügelei in Washington vor Gericht. (31) Silvio Berlusconi, 77, früherer italienischer Regierungschef, lässt sich in dieser Woche Medienberichten zufolge in einer Schönheitsfarm am Gardasee fit machen. (32) Der ehemalige FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß hat am 2. Juni seine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech angetreten. (33) Kelly Osbourne, 29, Sängerin, hat ihre Verlobung mit Matthew Mosshart aufgelöst. <?page no="249"?> 6.4 Gute Topiks - schlechte Topiks 249 Satz problemlos funktioniert (sofern man die texteröffnende Überschrift weglässt): 350 (37) Was gibt es zu berichten? Die Regierung in Washington präsentierte am 2. Juni neue Vorschriften, die den Ausstoß von Kohlendioxid aus amerikanischen Kraftwerken bis 2030 im Vergleich zu 2005 um beinahe ein Drittel senken würden. Dies ist ein Merkmal, das den zweiten Sätzen der anderen Beispiele fehlt. Keiner dieser Sätze würde als texteröffnende Sequenz funktionieren. 351 Was die Sätze wiederum dem Topik/ Kommentar-Typ ähnlich macht, ist nicht nur ihre Eigenschaft, dass sie über klar ausgewiesene Adressen verfügen, sondern auch, dass ihre jeweiligen Adressen-Referenten in einer Kontiguitätsrelation zueinander stehen, durch die sie in einem gewissen, wenn auch nur indirekten, Wiederaufnahme-Verhältnis zueinander stehen. Die ‚Unschärfe‘ in Bezug auf ihren Topikstatus beruht in diesem Fall also auf einer ‚Unschärfe‘ bzgl. der Gliederungstyp-Zuordnung - die sich aus dem Fehlen eines ‚zentralen‘ Textgegenstands bei zugleich hoher Durchsichtigkeit der in der Satzabfolge bestehenden Prädikationsstruktur ergibt. 350 Bedingt durch das einschränkende aber funktioniert die Frage für den dritten Satz jedoch nicht: Was gibt es zu berichten? (? ) Präsident Barack Obama muss aber mit massivem Widerstand der Republikaner und der Kohle-Industrie rechnen. Dies ist ein Indiz dafür, dass der dritte Satz dem Topik/ Kommentar-Typ nähersteht als der zweite und erste - obwohl der Referent seines Adressen-Ausdrucks (Obama) weder unmittelbar vorerwähnt noch als zentraler Textgegenstand ausgewiesen ist. 351 Dies lässt sich dadurch belegen, dass die texteröffnungsinduzierende Frage dort nirgendwo funktionieren würde, da die jeweiligen Adressen-Konstituenten die textuelle Evoziertheit (Prince) ihrer Referenten implizieren. Dies gilt auch für den zweiten Satz in (33), obwohl die Wiederaufnahme-Verhältnisse in Bezug auf den Referenzausdruck das Paar dort eher diffus sind: Was gibt es zu berichten? (? ) Das Paar habe sich „freundschaftlich“ getrennt, teilte Osbournes Sprecherin der US-Zeitschrift People mit. <?page no="251"?> 7 Resümee 251 7 Resümee Referenten mit Topikstatus habe ich in Kap 5.2 als Gegenstand der Prädikation im pragmatischen Sinne definiert. Topik in diesem Sinne ist derjenige Referent, der nicht nur Gegenstand der Prädikation im semantischen Sinne (Adresse) ist, sondern darüber hinaus derjenige Gegenstand, über den etwas im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion assertiert wird. Dass zwischen Adressen-Ebene und Topik-Ebene zu unterscheiden ist, habe ich damit begründet, dass Referenten mit Adressenstatus unter bestimmten Fragekontext-Bedingungen außerhalb der pragmatischen Präsupposition stehen können, wodurch sie sich nicht als ‚Worüber‘ einer (Frage-induzierten) pragmatischen Prädikation deuten lassen ( Wer ist ausgerutscht? Arno ist ausgerutscht. ), wohingegen dies in Fragekontexten, die auf Informationen über einen Gegenstand abzielen, möglich ist ( Was ist Arno passiert? Arno ist ausgerutscht. ). Auf der Basis dieser Ebenen-Unterscheidung lässt sich dann sagen, dass Topiks zwar immer Adressen, aber Adressen unter bestimmten (Frage-)Bedingungen keine Topiks sind. Der Nachteil einer Gleichsetzung von Topik- und Adressen-Ebene (vgl. Kap. 5.1: ‚weiter‘ Topik-Begriff) besteht darin, dass auf diese Weise nicht nur die Herleitbarkeit der Topik-Relation (Aboutness) aus der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion hinfällig wird, sondern auch ihr Verständnis als Spezialfall dieser Unterscheidung - womit in der Konsequenz auch die Unterscheidbarkeit der drei Lambrecht’schen Gliederungstypen hinfällig wäre (vgl. Kap. 5.2). In Kap. 5.4 habe ich Diskursreferenten mit Topikstatus durch die folgenden Eigenschaften charakterisiert: Sie sind (i) als adressatenseitig „erwartetes“ bzw. sprecher-/ adressatenseitig unstrittiges Argument der Prädikation aktiviert und diskursiv salient. Sie haben als Argument der Prädikation (ii) die Adressenrolle inne. Und sie sind aufgrund ihrer Aktiviertheit (iii) als sprecherseitig intendierte Referenten des aktuell verwendeten Referenzausdrucks adressatenseitig zugänglich. In etwas komprimierterer Form habe ich dies weiter oben so reformuliert: Topiks sind Referenten, deren Rolle als Adresse und ‚Worüber‘ der Prädikation adressatenseitig erwartbar ist - woraus sich dann ergibt, dass diese Referenten (diskursiv) aktiviert sind und somit auch als adressatenseitig zugänglich gelten können (siehe Gundels Topic-Familiarity Condition ). Wie sich in den vorangegangen Kapiteln gezeigt hat, sind es vor allem Frage/ Antwort-Kontexte, in denen sich verhältnismäßig leicht angeben lässt, ob einem Referenten die oben genannten Eigenschaften zugesprochen werden können <?page no="252"?> 252 7 Resümee oder nicht. Als Grund hierfür habe ich angegeben, dass Frage/ Antwort-Kontexte in einem ganz bestimmten Punkt über eine vergleichsweise hohe diskursive ‚Transparenz‘ verfügen: Durch die (vorausgesetzte) Frage ist nicht nur festgelegt, welcher Referent (bzw. welche Referenten) als aktiviert und adressatenseitig zugänglich gelten kann (bzw. können), es ist darüber hinaus auch in hohem Maße durchsichtig, welche Elemente im Antwortsatz zur Assertion (im Sinne der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion) gehören. Wie sich in den in Kap. 6 diskutierten Satzabfolge-Beispielen gezeigt hat, ist es insbesondere der letztere Aspekt, der die Topik-Identifizierung in Satzabfolgen schwieriger machen kann. Zunächst ist es so, dass das Moment der „Erwartbarkeit“ der Rolle eines Referenten als Argument der Prädikation dort insofern schwächer ist, als diese Rolle nicht durch einen Fragekontext ( Was ist Arno passiert? Arno ist ausgerutscht. ) induziert sein kann. Hinzu kommt, dass durch das Fehlen von Fragekontexten u. U. unklar bleibt, welchem von zwei (aufgrund von Aktiviertheit) potentiell adressenfähigen Referenten die Rolle des Arguments der Prädikation im pragmatischen Sinne zukommt. 352 Auf der Basis der in Kap. 5.4 bestimmten Topik-Eigenschaften habe ich in Kap. 6.4 drei Parameter formuliert (Zugänglichkeit, Adressenstatus, Gliederungstyp-Zuordnung), durch die sich Kriterien dafür angeben lassen, ob sich ein Diskursreferent als ‚gutes‘, ‚weniger gutes‘ oder u. U. ‚schlechtes‘ Topik erweist. ‚Gute‘ Topiks zeichnen sich zunächst allgemein dadurch aus, dass sie Adressen sind (Topik-Parameter Adressenstatus), dass sie aktiviert sind (Topik-Parameter Zugänglichkeit) und dass sie sich kontextbedingt als ‚Worüber‘ der Prädikation im pragmatischen Sinne deuten lassen (Topik-Parameter Gliederungstyp-Zuordnung). Fehlen, so wie in den oben diskutierten Satzabfolgen, Fragekontexte, durch die die Gliederungstyp-Zuordnung determiniert ist, 353 so haben sich vor allem Aktiviertheit und Adressenstatus als zentrale Anhaltspunkte für die Zuordnung erwiesen. Wie sich in den Beispielen (30), (31) und (32) gezeigt hat, ist die Deutung eines Diskursreferenten als Topik insbesondere dann plausibel, wenn er den Adressenstatus wiederholt innehat und wenn es im (aktuellen) Text(-Abschnitt) keinen anderen Referenten gibt, der mit ihm in diesen Punkten (Adressenstatus und Aktiviertheit) konkurrieren kann. Der 352 Vgl. noch einmal die in Kap. 5.4 diskutierten Beispiele (11a) und (11b), wo durch den jeweiligen Fragekontext bewirkt wird, dass einer der zwei potentiell adressenfähigen Referenten als Topik (und somit auch als Adresse) ausgewiesen ist: (11a): A: Was ist mit der Wohnung? Hat Arno sie gekauft? B: Nein. Er hat sie gemietet. (11b): A: Was ist mit Arno? Hat er die Wohnung gekauft? B: Nein. Er hat sie gemietet. 353 Vgl. noch einmal die durch den jeweiligen Fragekontext induzierten ‚Ideal‘-Konstellationen: Satzfokus: Was ist passiert? Arno ist ausgerutscht. Argumentfokus: Wer ist ausgerutscht? Arno ist ausgerutscht. Topik/ Kommentar (bzw. Prädikatfokus): Was ist Arno passiert? Arno ist ausgerutscht. <?page no="253"?> 7 Resümee 253 ‚Effekt‘ der wiederholten Wiederaufnahme eines Referenten mit Adressenstatus ist dann, dass der Referent aus der Perspektive des Textes (oder Textabschnitts) als aktuell ‚zentraler‘ und salienter Textgegenstand erscheint, sodass ihm dieser Status auch für den jeweiligen Satz zugesprochen werden kann. Wie sich gezeigt hat, ist es für die Topik-Deutbarkeit eines solchen Referenten weder abträglich, wenn er weiter rechts im Satz positioniert ist, noch, wenn er durch ein Objekt-Argument in der Patiens-Rolle realisiert wird. Beides ist der Fall für die jeweiligen Topik-Referenten im zweiten Satz in (31) und im dritten Satz in (32). Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass es im Deutschen keine eindeutig ausgewiesene syntaktische Topik-Position gibt - und ebenfalls ein Indiz dafür, das die Topik-Deutbarkeit eines Referenten auch nicht durch Agens-, Patiens- oder Rezipienten-Rollen, die dem Referenten durch die Argument-Realisierung zugewiesen werden, eingeschränkt oder gesteuert ist. 354 Abträglich für die Topik-Deutbarkeit eines Referenten ist vielmehr, wenn es im (aktuellen) Text(-Abschnitt) mehr als einen aktivierten Referenten gibt - so wie in (33) - oder wenn es im (aktuellen) Text(-Abschnitt) keinen Referenten gibt, der sich durch Aktiviertheit und Salienz auszeichnet - was in (36) der Fall ist. Abträglich für die Topik-Deutbarkeit eines Referenten ist es auch - siehe den vierten Satz in (33) -, wenn sich der Adressenstatus für zwei potentiell adressenfähige und aktivierte Referenten als nicht eindeutig zuweisbar herausstellt. Abhilfe könnten hier nur Fragekontexte schaffen, die einen Referenten explizit als Topik (und Adresse) ausweisen - die es in Abfolgen assertierender Sätze aber nicht gibt, und die sich, wie in Kap. 6.2 gezeigt wurde, auch nicht ex post rekonstruieren lassen. Die Unbestimmtheit in Bezug auf den Adressenstatus im vierten Satz in (33) führt daher dazu, dass sich für diesen Satz letztlich kein Topik identifizieren lässt. In Zusammenhang mit den oben diskutierten Beispielen (33) und (36) konnten des Weiteren zwei ‚Unschärfe-Typen‘ bzgl. der Topikstatus-Zuschreibbarkeit ausgemacht werden. Die Satzabfolge in (33) legt (ab dem zweiten Satz) zwar den Topik/ Kommentar-Typ nahe - die Sätze zeichnen sich weder durch einen ‚all new‘-Charakter aus (Satzfokus), noch ist ihr propositionaler Gehalt als (durch einen Fragekontext induzierte) offene Proposition deutbar (Argumentfokus) - aber obwohl die Zuordnung zum Topik/ Kommentar-Typ offensichtlich alternativlos ist (Topik-Parameter Gliederungstyp-Zuordnung) und die in Frage 354 Ob dies für sämtliche semantischen Rollen so gilt, soll hier nicht behauptet werden. Ein Hinweis darauf, dass es gewisse Beschränkungen geben könnte, ist der Umstand, dass sich Referenten von Objekten ‚pseudo‘-transitiver Verben offenbar weniger gut als Adressen deuten lassen (womit eine zentrale Bedingung für die Topikstatus-Zuschreibbarkeit schon nicht mehr erfüllt ist). Vgl. den in (34) wiedergegebenen Ankündigungstest für den dritten Satz aus dem Beispiel in (33). <?page no="254"?> 254 7 Resümee kommenden Kandidaten aktiviert sind (Topik-Parameter Zugänglichkeit) gibt es Abstriche aufgrund ihrer z.T. unklaren Adressen-Deutbarkeit (Topik-Parameter Adressenstatus). Wir haben in (33) also den Fall, dass Sätze dem Topik/ Kommentar-Typ zugeordnet werden müssen, obwohl sie ‚weniger gute‘ Topiks enthalten und der Topikstatus in einem Fall sogar offen bleibt. Anders sieht dies in Beispiel (36) aus, das sich dadurch auszeichnet, dass der Adressenstatus der jeweiligen Referenten dort transparent ist (Topik-Parameter Adressenstatus), es aber keinen als zentralen Textgegenstand und ‚center of interest‘ ausgewiesenen Referenten gibt. Dies macht die in den jeweiligen Sätzen als Adresse ausgewiesenen Referenten zu ‚schlechten‘ Topiks, da sie (bis auf eine Ausnahme) keine aktivierten Referenten sind (Topik-Parameter Zugänglichkeit). Hierdurch werden die Sätze texteröffnenden Sequenzen z.T. nicht unähnlich; andererseits stehen die als Adressen ausgewiesenen Referenten aber auch in einer Kontiguitätsrelation zueinander, wodurch sie in einem gewissen, wenn auch nur indirekten, Wiederaufnahme-Verhältnis zueinander stehen. Die ‚Unschärfe‘ in Bezug auf den Topikstatus der jeweiligen Adressen-Referenten beruht in diesem Fall also auf einer ‚Unschärfe‘ in Bezug auf den Gliederungstyp (Topik-Parameter Gliederungstyp-Zuordnung), die sich aus dem Fehlen eines ‚zentralen‘ Textgegenstands bei zugleich hoher Durchsichtigkeit der in der Satzabfolge bestehenden Prädikationsstruktur ergibt. Das Identifizierungsproblem für Topiks in Satzabfolgen hat seine wesentliche Ursache somit darin, dass für die Zuweisbarkeit eines Satzes zum Topik/ Kommentar-Typ in seiner ‚Ideal‘-Form Diskurskontext-Bedingungen vorausgesetzt sein müssen, die auf Texte nur eingeschränkt übertragbar sind. <?page no="255"?> Literatur 255 Literatur Ammann, H. 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Tübingen. <?page no="261"?> Sonja Müller Die Syntax-Pragmatik-Schnittstelle Ein Studienbuch narr STUDIENBÜCHER 2019, 239 Seiten €[D] 26,99 ISBN 978-3-8233-8080-1 eISBN 978-3-8233-9080-0 Gegenstand dieses Buches sind Phänomene an der Syntax- Pragmatik-Schnittstelle, z.B. die Vorfeldbesetzung, Versetzungsstrukturen an den Satzrändern, die Verbstellung, zentrale vs. periphere Nebensätze. Das Ziel ist es, anhand der betrachteten Strukturen aufzuzeigen, inwiefern bestimmte (syntaktisch auffällige) Strukturen mit bestimmten Diskursfunktionen/ informationsstrukturellen Status einhergehen. Das Buch ist keine reine Einführung in die Pragmatik/ Informationsstruktur oder Syntax, sondern zeigt auf, an welchen Stellen die ansonsten meist in Isolation behandelten Konzepte interagieren. Aufgaben zu den verschiedenen Kapiteln erleichtern das Verständnis. PD Dr. Sonja Müller lehrt germanistische Sprachwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal mit einem Schwerpunkt in der Semantik, Pragmatik und Informationsstruktur sowie spezielleren Themen dieser Bereiche. SPRACHWISSENSCHAFT \ GERMANISTIK Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="262"?> ISBN 978-3-8233-8260-7 Auch neuere pragmatisch orientierte Ansätze zur Informationsstruktur greifen für die Explikation der Satztopik- Kategorie auf die traditionelle Unterscheidung von Satzgegenstand und Satzaussage zurück und deuten das Satztopik - unter Rückgriff auf bestimmte kognitive und kommunikative Strukturierungsprinzipien - als Bestandteil der sogenannten Aboutness-Relation: Prädizierende Sätze lassen sich aufgliedern in dasjenige, worüber etwas ausgesagt wird, und dasjenige, was darüber ausgesagt wird. Ausgehend von der These, dass es im Deutschen keine explizit ausgewiesene syntaktische Position für Satztopiks gibt, geht dieser Band der Frage nach, welche diskursiven Bedingungen für die Aboutness-Relation vorausgesetzt sein müssen und über welche Eigenschaften Diskursreferenten mit Topikstatus verfügen. www.narr.de
