Lexikalisches Lernen im Englischunterricht ermöglichen
Fallstudien zur Unterrichtswahrnehmung angehender Lehrkräfte
0924
2018
978-3-8233-9263-7
978-3-8233-8263-8
Gunter Narr Verlag
Ralf Gießler
Lexikalisches Lernen im Englischunterricht zu ermöglichen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, auf die angehende Lehrkräfte in der universitären Phase der Lehrerausbildung vorbereitet werden sollten. In der Studie werden Profile der fachbezogenen professionellen Unterrichtswahrnehmung für den Bereich der Wortschatzdidaktik anhand von schriftlichen Analysen von Unterrichtsvideos herausgearbeitet. Die Ergebnisse sprechen dafür, die Vermittlung fachdidaktischer Konzepte in der universitären Lehre mit der Analyse von Unterrichtsvideos zur Schulung der professionellen Unterrichtswahrnehmung zu verknüpfen.
<?page no="1"?> Lexikalisches Lernen im Englischunterricht ermöglichen <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Ralf Gießler Lexikalisches Lernen im Englischunterricht ermöglichen Fallstudien zur Unterrichtswahrnehmung angehender Lehrkräfte <?page no="4"?> Dissertationsschrift zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie des Fachbereichs 05 „Sprache, Literatur, Kultur“ der JLU Gießen. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8263-8 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 15 1 17 1.1 17 1.2 18 1.3 21 2 26 2.1 28 2.1.1 29 2.1.2 30 2.1.3 32 2.1.4 38 2.2 42 2.2.1 43 2.2.2 49 2.2.3 52 2.2.4 53 2.2.5 54 2.3 56 2.3.1 57 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung und Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsfragen und Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Grundlagen für die Erfassung und Förderung der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Professionelle Wahrnehmung in der Expertiseforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Professionelle Unterrichtswahrnehmung als Teil von Lehrerprofessionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modellierungsansätze der professionellen Unterrichtswahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungsbedingungen für die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung . . . . . . . . . . Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln . . Zur Rolle von Schemata und Konzepten bei der Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Theorie verhaltenssteuernder Antizipationen nach Hoffmann (1993) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Zur Wahrnehmung von Situationen in der verstehenden Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuropsychologische Befunde zum Verhältnis von Wahrnehmung und Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Verhältnis von Begriffen und Wahrnehmung . . . . . . . . . Begriff und Wahrnehmung in der verstehenden Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 2.3.2 59 2.3.3 60 2.3.4 62 2.4 64 2.4.1 65 2.4.2 74 2.4.3 79 2.4.4 87 2.4.5 91 2.4.6 93 2.5 95 2.5.1 98 2.5.2 99 2.5.3 101 2.5.4 105 3 107 3.1 108 3.1.1 108 3.1.2 109 3.1.3 110 3.2 111 Zur Rolle von Fachbegriffen in der Berufssprache: Die Studie zur professional vision von Englischlehrkräften von Wipperfürth (2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Funktion von Begriffen aus Sicht der Fachsprachenlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte für die wissensbasierte Verarbeitung von Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Ansätze zum lexikalischen Lernen in der Fremdsprachendidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziel- und Stoffkultur lexikalischen Lernens . . . . . . . . . Die Lern- und Verstehenskultur lexikalischen Lernens Die Kommunikations- und Unterstützungskultur lexikalischen Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Von der Vermittlung fachdidaktischer Konzepte zur Verbalisierung des Wahrgenommenen . . Formen und Ziele des Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktionsbezogene Zugänge in der videobasierten Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktionsbezogene Zugänge in der videobasierten Englischlehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reflexionsbezogene Ansätze in der videobasierten Lehrerbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsfelder für den Einsatz von Unterrichtsvideos in der Lehrerausbildung . . . . . . . . . . Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung für das Fallstudiendesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallstudie: Phänomene im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen der Einzelfallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung für das Mehrfachfallstudiendesign . . . . . . Begründung für die Wahl des Designexperiments als Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 3.3 113 3.4 115 3.4.1 116 3.4.2 116 3.4.3 119 3.4.4 120 3.4.5 123 3.4.6 123 3.4.7 126 3.5 127 3.5.1 127 3.5.2 132 3.5.3 136 3.5.4 138 3.5.5 144 3.5.6 159 3.5.7 160 3.6 162 3.6.1 163 3.6.2 168 3.6.3 173 3.6.4 180 4 185 4.1 189 4.1.1 189 4.1.2 190 4.1.3 205 4.1.4 215 Zusammenfassende Darstellung des Forschungs- und Untersuchungsdesigns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voruntersuchung zur Pilotierung der Untersuchungs- und Auswertungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmendaten der Pilotierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzept der Lehrveranstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterrichtsvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtungsprompts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfadengestützte Reflexionsgespräche (video clubs) . Erprobung eines holistischen Verfahrens zur Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Probandengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Struktur des Seminars in der Hauptstudie . Sampling der Unterrichtsvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expertenrating der Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Videos und Experteneinschätzung . . Design eines Prä-Post-Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . Design der Reflexionsgespräche (video clubs) . . . . . . . . Datenerhebung und Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlegende Entscheidungen zur Durchführung einer qualitativen Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablauf und Kategorienbildung bei der evaluativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2012) . . . . . . . . . . . . . . . . Kodierleitfaden für die evaluative Inhaltsanalyse . . . . . Qualitätssicherung des Auswertungsverfahrens . . . . . . Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane . Kurzbeschreibung des Falls Jane . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Jane: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) . . . . . . . . . . Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Jane . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Jane . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt <?page no="8"?> 4.2 218 4.2.1 218 4.2.2 218 4.2.3 232 4.2.4 240 4.3 242 4.3.1 242 4.3.2 243 4.3.3 263 4.3.4 276 4.3.5 280 4.4 284 4.4.1 284 4.4.2 284 4.4.3 304 4.4.4 314 4.4.5 315 4.5 317 4.5.1 317 4.5.2 318 4.5.3 329 4.5.4 338 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda Kurzbeschreibung des Falls Linda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Linda: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) . . . . . . . . . . Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Linda . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Linda . Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin Kurzbeschreibung des Falls Kerstin . . . . . . . . . . . . . . . . Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Kerstin: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) . . . . . . Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Kerstin . . . . . . . . . . . . . Analyse der Bewertungen von Kerstin . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Kerstin Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna Kurzbeschreibung des Falls Anna . . . . . . . . . . . . . . . . . Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Anna: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) . . . . . . . . . . Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Anna . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Bewertungen von Anna . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Anna . . . . . . . . . . . . . . . Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate . Kurzbeschreibung des Falls Kate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Kate: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) . . . . . . . . . Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Kate . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Kate . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 4.6 340 4.6.1 340 4.6.2 341 4.6.3 358 4.6.4 368 4.6.5 369 4.7 371 4.7.1 371 4.7.2 372 4.7.3 380 4.7.4 384 4.8 386 5 392 5.1 392 5.1.1 397 5.2 399 5.3 403 5.3.1 405 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha Kurzbeschreibung des Falls Martha . . . . . . . . . . . . . . . . Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Martha: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) . . . . . . Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Martha . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Bewertungen von Martha . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Martha Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej Kurzbeschreibung des Falls Sergej . . . . . . . . . . . . . . . . . Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Sergej: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-ISA Post) . Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Sergej . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Sergej . Synopse der professionellen Unterrichtswahrnehmung aller Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beantwortung der Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was nehmen angehende Lehrpersonen wahr, wenn sie Unterrichtsvideos mit unterschiedlichen Situationen lexikalischen Lernens betrachten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exemplarische Vergleiche der Alternativen von Studierenden und Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inwieweit nutzen angehende Lehrpersonen fachdidaktisches Wissen zur Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie entwickelt sich professionelle Unterrichtswahrnehmung, wenn Studierende wiederholt und unter Anleitung Unterrichtsvideos analysieren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exemplarische Analyse eines Reflexionsgesprächs (video club) im Anschluss an ISA IV . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Inhalt <?page no="10"?> 6 417 6.1 418 6.2 423 6.3 425 7 431 7.1 431 7.1.1 433 7.1.2 434 7.1.3 435 7.2 438 7.2.1 438 7.2.2 442 7.3 444 7.4 447 451 471 471 474 474 Fallübergreifende Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiede in der Unterrichtswahrnehmung von Schlüsselszenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfluss des Videos auf die Anzahl und die Qualität der Klassifizierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hypothesen zu den Zusammenhängen zwischen Fachkonzept, Klassifizierung und Unterrichtsvideo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion der Ergebnisse sowie Perspektiven für weitere Forschung . . Zur wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht in der fachbezogenen, professionellen Unterrichtswahrnehmung . . Zur Relationalität und Abstraktheit von professionellem Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Stellenwert der Fachsprache in der fachdidaktischen Lehrerausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikalisches Lernen ermöglichen - Zur Rekonzeptualisierung der Wortschatzdidaktik . . . . . . . Zur Entwicklung der PUW in Abhängigkeit von den methodischen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelingensbedingungen und Settings für die Entwicklung der PUW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Förderung prädiktiver Prozesse mit Hilfe von Unterrichtsvideos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einordnung der Befunde in die fremdsprachendidaktische Professionsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Das Theorie-Praxis-integrierende Potenzial der professionellen Unterrichtswahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Appendix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Appendix A: Fragebogen zur Erhebung der Subjektperspektive . . . . Appendix B: Dokumentation des Expertenratings . . . . . . . . . . . . . . . . Ablauf des Expertenratings (Anschreiben) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenstellung aller Aussagen aus den individuellen schriftlichen Analysen aller sechs Experten für die Validierung 10 Inhalt <?page no="11"?> 476 480 482 483 485 490 der Einschätzungen zu den Videos „Jobs“ und „Money“ (Vorlage für das Validierungstreffen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Validierung des Videos „Practicing new words“ auf dem Validierungstreffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse des Expertenratings des Videos „Drive me crazy“ auf dem Validierungstreffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse des Expertenratings des Videos “Misunderstandings” auf dem Validierungstreffen . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Inhalt <?page no="13"?> Für Wally Anschauungen ohne Begriffe sind blind. (Immanuel Kant) <?page no="15"?> Vorwort Die erneute Beschäftigung mit fachdidaktischer Theorie nach einer mehrjäh‐ rigen Unterrichtstätigkeit führte bei meiner Rückkehr an die Universität zu der Frage, wie es in der universitären Lehrerausbildung gelingen kann, fachdidak‐ tische Theorie auf die unterrichtliche Praxis zu beziehen. Auf der Suche nach hochschuldidaktischen Lösungen für das Theorie-Praxis-Problem begann ich in fachdidaktischen Lehrveranstaltungen mit Unterrichtsvideos zu experimen‐ tieren und lernte bald darauf das Konzept der professionellen Unterrichtswahr‐ nehmung kennen. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie das Konzept der professionellen Unterrichtswahrnehmung für die Integration von Theorie und Praxis in der englischdidaktischen Lehrerausbildung genutzt werden kann. Zu Konzeption, Durchführung und Abschluss eines solchen Projekts tragen immer mehrere Menschen bei, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Zu‐ allererst bedanke ich mich bei Prof. Dr. Jürgen Kurtz, der sich auf das „Aben‐ teuer“ einer fachdidaktischen Konkretisierung eines bislang weitgehend von den Bildungswissenschaften bearbeiteten Forschungsfeldes eingelassen hat und das Projekt in allen Phasen stets mit der richtigen Mischung aus kritisch-kon‐ struktiver Distanz und akribischem Einlassen auf Wort und Gedanken begleitet hat. Mein Dank gilt meinem Zweitgutachter, Prof. em. Dr. Michael Legutke, für seine Impulse und Rückfragen zu professionstheoretischen Aspekten der Arbeit sowie für die Möglichkeit in einem Beitrag für einen Sammelband erste Ergeb‐ nisse der Studie zu veröffentlichen. Prof. Dr. Olaf Jäkel verdanke ich den früh‐ zeitigen Impuls in Gestalt des Flensburg English Classroom Corpus (FLECC), wel‐ cher mich für die Potenziale der Arbeit mit Unterrichtsaufzeichnungen sensibilisiert hat. Ihm bin ich in besonderer Weise zu Dank verpflichtet für sein detailliertes Feedback zu einer Vorfassung des Manuskripts sowie für die Gele‐ genheit das Projekt an der Europa Universität Flensburg zur Diskussion zu stellen. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Bärbel Diehr, die mir die Durchführung der Untersuchung im Rahmen meiner Beschäftigung an der Bergischen Uni‐ versität Wuppertal ermöglicht hat. Den Teilnehmern des Wortschatzseminars vom Sommersemester 2013 an der Bergischen Universität Wuppertal danke ich für ihr Engagement und ihre Dis‐ kussionsbereitschaft. Bedanken möchte ich mich ferner bei der Expertengruppe aus erfahrenen Englischlehrern und Fachleitern, die sich die Zeit genommen haben die Unterrichtsvideos einzuschätzen und für ein Expertenrating an die <?page no="16"?> Hochschule zu kommen. Den Teilnehmern des Gießener GCSC Research Collo‐ quiums an der Justus-Liebig-Universität Gießen bin ich dankbar für hilfreiche Impulse und die freundliche Aufnahme in die Runde. Ich danke auch den Teil‐ nehmern der AG „Qualitative Methoden“ an der Bergischen Universität Wup‐ pertal für den intensiven Austausch, die ermutigenden Worte und das Ein‐ denken in die methodischen Fragestellungen meiner Untersuchung. Meiner Familie danke ich für ihre Unterstützung in vielerlei Hinsicht und beharrliches Nachfragen zum aktuellen Stand der Arbeit. Meiner lieben Frau danke ich für ihre stetige Ermutigung sowie für ihr kritisches Nachfragen zum Timing von vorgezogenen Belohnungen. Der Nordicsport Arena in Winterberg danke ich für ein hervorragendes Loipennetz, welches mir den notwendigen körperlichen Ausgleich im Winterhalbjahr verschaffte. 16 Vorwort <?page no="17"?> 1 Einleitung 1.1 Problemstellung und Ziele der Arbeit Lexikalisches Lernen zu ermöglichen, kann als eine zentrale Aufgabe von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern und als Bestandteil ihrer fremdspra‐ chendidaktischen Expertise angesehen werden. In dieser Dissertation geht es um die Frage, wie angehende Englischlehrkräfte im Kontext der universitären Englischlehrerausbildung angemessen auf diese anspruchsvolle Aufgabe vor‐ bereitet werden können. Die professionelle Wahrnehmung von Unterricht gilt generell als ein Teil der Expertise von Lehrpersonen (Sherin 2004; van Es & Sherin 2008; Stürmer 2011). Professionelle Unterrichtswahrnehmung ist so ge‐ sehen auch „ein Indikator dafür, inwieweit Lehramtsstudierende ihr Wissen um effektives Lehren und Lernen auf tatsächliche Unterrichtssituationen anwenden und somit eine Vorstufe für professionelle Handlungskompetenz“ (Stürmer, Seidel, Prenzel 2014: 4). In der vorliegenden Arbeit soll der Versuch unternommen werden, den fremdsprachendidaktischen Diskurs an das Forschungsfeld der professionellen Unterrichtswahrnehmung (als ein relativ neuer Ansatz der Professionsfor‐ schung) anzuschließen. In der bildungswissenschaftlichen Forschung sind es zumeist pädago‐ gisch-psychologische Wissensbestände, anhand derer angehende Lehrpersonen die Zielklarheit von Unterricht (Stürmer 2011; Blömeke 2008; Seidel & Prenzel 2007) oder die Klassenführung (Holodynski et al. 2016; Barth 2017) einschätzen sollen. Fachdidaktische Wissensbestände spielen auch in der einzig bekannten Studie zur professionellen Unterrichtswahrnehmung von Englischlehrpersonen ( Janik, Minarikova & Najvar 2013) keine Rolle. Zur fachbezogenen, auf spezielle Bereiche fremdsprachlichen Lernens ausgerichteten Unterrichtswahrnehmung gibt es bislang noch keine Untersuchungen. Diese Dissertation geht der Frage nach, wie sich die Unterrichtswahrneh‐ mung von angehenden Englischlehrpersonen in Bezug auf den zentralen Be‐ reich lexikalischen Lernens erfassen und fördern lässt. Ziel dieser Untersuchung ist es, für einen fachdidaktisch hochrelevanten Bereich, den des lexikalischen Lernens, ein hochschuldidaktisches Setting mit Unterrichtsvideos zur Förde‐ rung der Unterrichtswahrnehmung von angehenden Englischlehrkräften zu entwickeln und zu explorieren. Innerhalb eines englischdidaktischen Seminars <?page no="18"?> 1. fertigen Studierende über einen Zeitraum von sechs Wochen individuelle schriftliche Analysen zu fünf verschiedenen Unterrichtsvideos an. Die Texte der Studierenden werden inhaltsanalytisch ausgewertet mit dem Ziel, das Ausmaß der Nutzung fachdidaktischer Konzepte für die Erklärung von Situationen le‐ xikalischen Lernens zu ermitteln. Im Anschluss an jede schriftliche Analyse wird das Unterrichtsvideo in sogenannten Reflexionsgesprächen diskutiert. Sofern Studierende Zusammenhänge zwischen Lehrerhandlungen und Lernergeb‐ nissen thematisieren oder gar auf der Grundlage zuvor erkannter fachdidakti‐ scher Notwendigkeiten alternative Vorgehensweisen für spezifische Unter‐ richtssituationen vorschlagen, wird dies als eine Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung gedeutet. Indikatoren für eine Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung sind: • die Identifizierung und Fokussierung von Situationen lexikalischen Lernens im Englischunterricht, • die Nutzung fachdidaktischer Wissensbestände für die Einschätzung von Unterrichtssituationen, • die Fähigkeit, fachdidaktische Notwendigkeiten zu erkennen und Alter‐ nativen zu entwickeln, • die Fähigkeit Lernergebnisse zu antizipieren. Da individuelle „Unterschiede in der Qualität und Vernetztheit der zugrunde liegenden Wissensstrukturen“ (Stürmer, Seidel, Prenzel 2014: 6) auch für die fachbezogen-englischdidaktische Unterrichtswahrnehmung angenommen werden, ist der Vergleich von mehreren Einzelfällen geboten. Ziel dieser Mehr‐ fachfallstudie ist es, Profile der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung in Abhängigkeit von individuellen Vorerfahrungen, der begrifflich strukturierten, fachdidaktischen Wissensbasis und den Eigenschaften der eingesetzten Unter‐ richtsvideos herauszuarbeiten. 1.2 Forschungsfragen und Prämissen Aufgrund der Forschungslücke im Bereich der auf lexikalische Lehr-Lernpro‐ zesse bezogenen Unterrichtswahrnehmung hat die erste Forschungsfrage ex‐ plorativen Charakter: Was nehmen angehende Lehrpersonen wahr, wenn sie Unterrichtsvideos betrachten, die unterschiedliche Situationen lexikalischen Lernens zeigen? 18 1 Einleitung <?page no="19"?> 2. 3. Konkretere Fragen in diesem Zusammenhang sind: Werden implizite und ex‐ plizite Situationen lexikalischen Lernens gleichermaßen von den Studierenden wahrgenommen? Auf welche Facetten des Unterrichtsgeschehens (Lehrerver‐ halten, Lernaufgaben, Lernorganisation) richten sie ihre Aufmerksamkeit? Die zweite Forschungsfrage hebt auf den Zusammenhang von Wissen und Wahr‐ nehmung bei der wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht ab: Inwieweit nutzen angehende Lehrpersonen fachdidaktisches Wissen zur Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens aus dem Englischun‐ terricht? In der vorliegenden Untersuchung wird angenommen, dass fachdidaktisches Wissen eine Voraussetzung für ein vertieftes Verstehen von Unterrichtssituati‐ onen ist. Fachdidaktisches Wissen umfasst dabei „Wissen über Lehrmethoden des Faches (einschließlich Wissen um fachliche Darstellung und Erklärungen) und Wissen über das Lernen und Verständnis von Schülerinnen und Schülern, einschließlich der Antizipation von Lernschwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern im betreffenden Fach“ (König et al. 2017: 6). Es wird ferner ange‐ nommen, dass a) die Verfügbarkeit von fachdidaktischen Konzepten und b) die Kenntnis ihrer Merkmale das Wahrnehmen der lernrelevanten Merkmale von Unterrichtssituationen fördert. Statt zu konstatieren, dass die Lernenden ein Wort „gelernt“ haben, sollten angehende Englischlehrpersonen in der Lage sein, differenziertere Aussagen über die Ergebnisse lexikalischen Lernens zu treffen, wie z. B. : „Die Lernenden haben gelernt, in welchen grammatischen Zusam‐ menhängen ein Wort verwendet werden kann.“ Ein untergeordneter Aspekt dieser Fragestellung betrifft das Verhältnis von erfahrungsbasierter Berufs‐ sprache (vgl. Wipperfürth 2015) und Fachsprache: Inwiefern ist eine begriffliche Systematisierung fachdidaktischer Konzepte eine Voraussetzung für eine För‐ derung der professionellen Unterrichtswahrnehmung in einem fachdidakti‐ schen Seminar? Die dritte Forschungsfrage zielt auf die Entwicklung der Un‐ terrichtswahrnehmung im Kontext einer fachdidaktischen Lehrveranstaltung mit einem strukturierten Einsatz von Unterrichtsvideos. Im Hinblick auf die als Designexperiment angelegte Studie wird auch nach den Wechselwirkungen zwischen Maßnahme und Kontext (Cobb et al. 2003: 10) gefragt: Wie entwickelt sich professionelle Unterrichtswahrnehmung, wenn Stu‐ dierende wiederholt und unter Anleitung Unterrichtsvideos analysieren? Der hochschuldidaktische Kontext in Form des fachdidaktischen Seminars als universitäre Organisationseinheit wie auch die hochschuldidaktischen Ent‐ scheidungen bei der Gestaltung des Seminars stellen Rahmenbedingungen für 19 1.2 Forschungsfragen und Prämissen <?page no="20"?> die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung dar, die als Teil des Untersuchungsdesign beschrieben und deren Einfluss auf die Ergebnisse berücksichtigt werden soll. Ein Ziel dieser Dissertation ist es daher auch am Ende Aussagen hinsichtlich der Bedingungen, unter denen sich die professio‐ nelle Unterrichtswahrnehmung entwickelt, treffen zu können. Oser, Heinzer & Salzmann (2010) nehmen an, dass „die professionelle Sensibilität von Lehrper‐ sonen indirekt über die Beurteilung authentischen Lehrerhandelns mit Film‐ vignetten“ aus Unterrichtsvideos gefördert werden kann (Oser, Heinzer und Salzmann 2010: 5). Die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung durch den strukturierten Einsatz von Unterrichtsvideos im Kontext eines hoch‐ schuldidaktischen Designexperiments wird in dieser Dissertation als eine mög‐ liche Antwort auf das Theorie-Praxis Problem in der universitären Ausbildung von Englischlehrkräften verstanden. „Im Zusammenspiel von Ausbildungsva‐ riablen und -effekten kommt es weniger auf die Systemebene, die Strukturen, an als vielmehr auf die curriculare und hochschuldidaktische Ebene. Nur sub‐ stanzielle curriculare und hochschuldidaktische Veränderungen haben einen Effekt auf die Ausbildungsqualität“ (Czerwenka & Nölle 2011: 365). Es wird an‐ genommen, • dass die individuelle und angeleitete Analyse von Unterrichtsvideos als universitäre Lerngelegenheit angehende Englischlehrkräfte (Studierende in einem Master-of-Education-Studiengang) darin unterstützt, theoreti‐ sches Wissen aus dem Studium auf konkrete Situationen des Berufsfeldes zu beziehen, • dass angehende Englischlehrkräfte mit Hilfe von Unterrichtsvideos ihre Sensibilität für fachdidaktische Notwendigkeiten in konkreten Unter‐ richtssituationen im Sinne einer Professionalisierung der Unterrichts‐ wahrnehmung entwickeln können und • dass die schriftliche Analyse von Unterrichtsvideos und sich anschlie‐ ßende Reflexionsgespräche in der Seminargruppe die „kooperative, mul‐ tiperspektivische Ko-Konstruktion berufsrelevanten Wissens“ und das gemeinsame, angeleitete Nachdenken über „alternative Handlungsmög‐ lichkeiten“ (Schramm & Aguado 2010: 209) auf der Basis des im Video dargestellten Unterrichts fördern. 20 1 Einleitung <?page no="21"?> 1.3 Aufbau der Arbeit Im Theorieteil befasst sich diese Dissertation mit dem Forschungsgegenstand ‚professionelle Unterrichtswahrnehmung‘, dem ausgewählten fremdsprachen‐ didaktischen Bereich des lexikalischen Lernens und mit den Potenzialen von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung. Kapitel 2.1 entfaltet die Frage, was genau unter professioneller Unterrichtswahrnehmung zu verstehen ist, mit Bezug auf das Konzept der professional vision (Goodwin 1994). Die professionelle Unterrichtswahrnehmung ist dadurch gekennzeichnet, dass die „Wahrnehmung und die Interpretation von Ereignissen gemäß des disziplininhärenten Wissens sowie des disziplingeleiteten Erkenntnisinteresses“ (Barth 2017: 18) stattfindet. „Konsens ist, dass professionelle Wahrnehmung als wissensbasierter Prozess verstanden wird“ (Lindmeier 2013: 8-9), was impliziert, dass eine professionelle Unterrichtswahrnehmung Wissen über Merkmale eines lernwirksamen Unter‐ richts voraussetzt. In der bildungswissenschaftlichen, quantitativ ausgerich‐ teten Forschung konnte die Validität der Dimensionen der professionellen Un‐ terrichtswahrnehmung empirisch belegt werden (Seidel, Blomberg, Stürmer 2010; b et al. 2011; Jahn et al. 2014; Stürmer, Seidel 2015). Allerdings werden in diesen Studien die Prozesse des psychologischen Zusammenspiels von Wissen und Wahrnehmung weitgehend ausgeklammert. In Kapitel 2.2 wird daher das Zusammenspiel von Aufmerksamkeitsprozessen (noticing) und wissensbasierten Interpretations- und Verarbeitungsprozessen (knowledge-based reasoning) thematisiert. Ansätze der Expertiseforschung, der Lern- und Gedächtnispsychologie und der verstehenden Soziologie werden als Bezugsdisziplinen der Fremdsprachendidaktik zu diesen Zusammenhängen be‐ fragt. Dabei werden prädiktive Prozesse als zentral für eine visuelle Expertise angesehen (vgl. Palmeri & Cottrel 2010; Palmeri & Wong 2014). Innerhalb der verstehenden Soziologie argumentiert Blumer in Anlehnung an Kant, dass Wahrnehmung ohne Begriffe blind ist und Begriffe ohne Anschauung hohl bleiben (Blumer 1969: 168). In Kapitel 2.3 wird der Stellenwert einer fremdsprachendidaktischen Fach‐ sprache im Kontext der wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht disku‐ tiert. Befunde der Fachsprachenlinguistik, welche die Bedeutung einer begriff‐ lich organisierten Wissensbasis betont, werden mit den Ergebnisse einer Studie zur Berufssprache von Englischlehrkräften (Wipperfürth 2015) in Beziehung gesetzt. Es ist ein Ziel dieser Studie, die Entwicklung professioneller Unterrichts‐ wahrnehmung im Kontext universitärer Wissensaneignung für einen ausge‐ wählten Bereich der Fachdidaktik des Englischen zu beschreiben. In Kapitel 2.4 21 1.3 Aufbau der Arbeit <?page no="22"?> wird auf der Grundlage vorliegender Ansätze der fremdsprachlichen Wort‐ schatzdidaktik eine terminologisch strukturierte Beschreibungsmatrix für den Bereich des lexikalischen Lernens entworfen. Die Beschreibungsmatrix struk‐ turiert den Vermittlungskontext des fachdidaktischen Seminars und dient ebenso als unterrichtsnahe Heuristik, mit der sich vielfältige Erscheinungs‐ formen lexikalischen Lernens „in den Griff bekommen“ lassen. Unterrichtsvideos bieten sich zur Schulung der professionellen Unterrichts‐ wahrnehmung im Kontext der universitären Lehrerausbildung an, weil sie der „Komplexität der Praxis nahekommen und eine geeignete Ausgangslage bilden, um Wissen über die Bedingungen von Lernprozessen mit Situationen des be‐ ruflichen Handelns zu verbinden“ (Krammer et al. 2016: 358). Der Schwerpunkt des Forschungsüberblicks in Kapitel 2.5 liegt auf den „reflexionsbezogenen An‐ sätzen einer videobasierten Lehrerbildung“ (Lindmeier 2013: 56). Reflexionsbe‐ zogene Ansätze in der videobasierten Lehrerbildung zielen auf die Weiterent‐ wicklung des professionellen Sehens und Wissens und damit auf die Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung. Ziel ist es, aus den ver‐ schiedenen Projekten und Studien zur videobasierten Lehrerbildung Impulse für die Gestaltung eines eigenen hochschuldidaktischen Settings für die Förderung der Unterrichtswahrnehmung zu gewinnen und solche Interventionselemente zu finden, die sich als relevante Faktoren für die Förderung der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung erweisen könnten. In Kapitel 3 werden die methodischen Überlegungen zum Forschungs- und Untersuchungsdesign dargelegt. Da die fachbezogene Unterrichtswahrneh‐ mung von angehenden Englischlehrpersonen in dem ganzheitlichen Kontext einer fachdidaktischen Lehrveranstaltung mit hoher ökologischer Validität un‐ tersucht werden soll, bietet sich ein Fallstudiendesign an. Eine Fallstudie als Forschungsdesign ist eine empirische Untersuchungsform, die ein kontempo‐ räres Phänomen in der Tiefe und mit Bezug zu seinem real life context untersucht (Yin 2009: 4). Die Fallstudie spielt ihr Potenzial als Forschungsdesign aus, wenn Phänomen und Kontext nah bei einander liegen (Yin 2009: 18). Der Forschungsgegenstand dieser Mehrfachfallstudie sind die einzelnen Pro‐ banden und ihre individuelle Unterrichtswahrnehmung. Es wird angenommen, dass identische wie auch kontrastierende Ergebnisse möglich sind (Yin 2009: 55) und sich Einzelfälle hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur fachbezogenen, professio‐ nellen Unterrichtswahrnehmung unterscheiden werden. Daher soll im Detail nachgezeichnet werden, wie einzelne Probanden konkrete Situationen lexika‐ lischen Lernens aus unterschiedlichen Unterrichtsvideos wahrnehmen und ggf. wissensbasiert verarbeiten. 22 1 Einleitung <?page no="23"?> Während das Forschungsdesign theoretische Annahmen über den For‐ schungsgegenstand beinhaltet, umfasst das Untersuchungsdesign alle Schritte der Erkenntnisgewinnung inklusive der Datensammlung und nachfolgenden Datenanalyse (Yin 2009: 36). In Kapitel 3.2 wird das Untersuchungsdesign der Hauptsowie der Pilotierungsstudie vorgestellt. Designexperimente bieten sich für Untersuchungen an, welche sowohl eine interventionistische als auch eine evaluatorische Zielsetzung haben. Im Designexperiment ist der Akt der Gestal‐ tung und Entwicklung von Maßnahmen Bestandteil des wissenschaftlichen Er‐ kenntnisprozesses. Die Maßnahme besteht hier aus einer fachdidaktischen Lehrveranstaltung zum lexikalischen Lernen, die im Hinblick auf die Förderung der fachbezogenen, domänenspezifischen Unterrichtswahrnehmung zielge‐ richtet durchgeführt wird und anhand der individuellen schriftlichen Analysen der Studierenden evaluiert wird. Zentrale Entscheidungsfelder (wie z. B. die Auswahl von Unterrichtsvideos) wurden in einer Pilotstudie erprobt. Die Pilo‐ tierung des Untersuchungsdesigns wird in ihren Grundzügen in Kapitel 3.4 nachgezeichnet, bevor in Kapitel 3.5 das Untersuchungsdesign der Hauptstudie sowie alle Datenquellen der Untersuchung (Prä-Fragebogen, schriftliche Ana‐ lysen von Unterrichtsvideos, Transkript eines leitfadengestützten Reflexions‐ gesprächs, Expertenratings der Videos) im Hinblick auf ihre Funktion für die Beantwortung der Forschungsfragen beschrieben werden. In Kapitel 3.6 werden die Entscheidungen bezüglich der Auswertung der schriftlichen Verbaldaten, die Richtung der Analyse sowie die hier ausgewählte Technik der evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz 2012) erläutert. Die individuelle, fachbezogene Unterrichtswahrnehmung spiegelt sich in den schriftlichen Analysen der Studierenden wider und soll mit Hilfe inhaltsanaly‐ tischer Techniken herausgearbeitet werden. Ein Ziel qualitativer Analysen ist es, mit Hilfe von detaillierten Analysen Ordnung in verbales Datenmaterial zu bringen. Hierzu werden deduktive Kategorien auf der Grundlage der Dimensi‐ onen der Unterrichtswahrnehmung gebildet. Die Richtung der Analyse wird durch die Forschungsfragen und den Forschungsgegenstand bestimmt. Mit Hilfe einer evaluativen, qualitativen Inhaltsanalyse sollen am Ende Aussagen ge‐ troffen werden über • die Unterrichtswahrnehmung angehender Lehrpersonen in Bezug auf Si‐ tuationen lexikalischen Lehrens und Lernens, • die Fähigkeit der Probanden, Unterricht bzw. lexikalische Lehr-Lernsitu‐ ationen professionell wahrzunehmen, • die wissensbasierte Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsvideo. 23 1.3 Aufbau der Arbeit <?page no="24"?> Die Ergebnisse dieser textbasierten Rekonstruktion (vgl. Wernet 2006: 54) der professionellen Unterrichtswahrnehmung werden in Kapitel 4 entlang der Ka‐ tegorienvergabe einzelfallbezogen dargestellt. Auf der Grundlage der individu‐ ellen schriftlichen Analysen (ISA) werden für alle sieben Einzelfälle jeweils alle fünf analysierten Unterrichtsvideos (ISA Prä-Post, ISA I-IV) besprochen und Entwicklungen der professionellen Unterrichtswahrnehmung anhand der Di‐ mensionen der Unterrichtswahrnehmung aufgezeigt. Eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Kategorienvergabe wird über die Herstellung diskur‐ siver Plausibilität angestrebt. Bei jeder Darstellung eines Einzelfalls (Kapitel 4.1 bis 4.7) wird die verbal-in‐ terpretative Darstellung durch Diagramme ergänzt, welche die Häufigkeiten und Ausprägungen der Dimensionen für jeden einzelnen Probanden veran‐ schaulichen und insofern die qualitative Perspektive um eine quantitative er‐ gänzen. Am Ende der Darstellung eines Einzelfalls werden alle qualitativen Analysen so verdichtet, dass quer über alle Einzelfälle hinweg Unterschiede in der individuellen professionellen Unterrichtswahrnehmung eines Probanden sichtbar gemacht werden können. Eine Synopse aller sieben Einzelfälle (Kapitel 4.8) zeigt im Tableau das erreichte Ausmaß der professionellen Unterrichts‐ wahrnehmung der Probandengruppe und ermöglicht den Vergleich der Pro‐ banden und ihrer spezifischen Fähigkeit zur professionellen Unterrichtswahr‐ nehmung in einem spezifischen fremdsprachendidaktischen Bereich. In Kapitel 5 werden die Antworten auf die drei Forschungsfragen (vgl. 1.2) dieser Mehrfachfallstudie zusammengefasst. Es wird bilanziert, in welchem Umfang die Probanden dieser Mehrfachfallstudie überwiegend Situationen mit Bezug zu lexikalischem Lernen ausgewählt und fachdidaktische Wissensbe‐ stände für die Einschätzung der Situationen aus den verschiedenen Unterrichts‐ videos genutzt haben. Im Hinblick auf die dritte Forschungsfrage nach der Ent‐ wicklung der PUW wird resümiert, inwieweit das im Designexperiment erprobte Setting mit schriftlichen Analysen von Unterrichtsvideos und nach‐ folgenden Reflexionsgesprächen die Professionalisierung der Unterrichtswahr‐ nehmung und die wissensbasierte Auseinandersetzung gefördert hat. Da die Frage nach der Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung eng mit den Rahmenbedingungen des fachdidaktischen Seminars verknüpft ist, werden der Verlauf, die Interaktionen und die Themen eines Reflexionsge‐ sprächs mit herangezogen (vgl. 5.3.1). Die vollständige Transkription und dis‐ kursanalytische Aufarbeitung aller vier video club-Sitzungen übersteigt die Möglichkeiten dieser als Einzelvorhaben durchgeführten Qualifikationsarbeit. In Ergänzung zu den detaillierten Einzelfallstudien werden in Kapitel 6 fall‐ übergreifende Fragestellungen und querschnittliche Aspekte behandelt. So wird 24 1 Einleitung <?page no="25"?> in diesem Kapitel der Frage nachgegangen, in welchem Ausmaß die wissensba‐ sierte Verarbeitung von der Art des Unterrichtsvideos abhängt und in welchen Videos der Anteil zutreffend klassifizierter Situationen am größten ist. Es wird außerdem gefragt, für welche Unterrichtsvideos verstärkt Fehleinschätzungen von Situationen lexikalischen Lernens getroffen wurden und in welchen Un‐ terrichtsvideos die Klassifizierung von Lerngegenständen, Zielen oder Lern‐ prozessen mit dem passenden Fachkonzept gelungen ist. Unterschiede in der Unterrichtswahrnehmung werden jedoch nicht allein auf der Ebene der Dimen‐ sionen der Unterrichtswahrnehmung beschrieben. In Kapitel 6.2 wird die Ana‐ lyse von Schlüsselszenen aus den Unterrichtsvideos verglichen, um auf diese Weise zu fachdidaktisch gehaltvollen Aussagen über die Unterrichtswahrneh‐ mung einzelner Probanden zu gelangen. Eine Schlüsselszene wird definiert als eine Situation, in der lexikalisches Lernen anhand konkreter Wörter beobach‐ tbar ist (z. B. durch eine Schülerfrage oder eine Erläuterung des Lehrers). Sofern Probanden für einzelne Schlüsselszenen Alternativen vorschlagen, werden diese mit den Alternativen der Experten verglichen. In der Zusammenschau von Zielen, Ergebnissen und methodischer Vorge‐ hensweise zeigt Kapitel 7 die Grenzen der vorliegenden Studie und Perspektiven für künftige Forschung im Forschungsfeld der professionellen Unterrichtswahr‐ nehmung auf. Die Befunde der Mehrfachfallstudie werden auf der Folie der er‐ mittelten Zusammenhänge zwischen Wissen, Wahrnehmung und Begriffen und vor dem Hintergrund der methodischen Entscheidungen reflektiert. Diese Ar‐ beit soll einen Beitrag zur Professionsforschung in einem zentralen Bereich der Englischlehrerbildung leisten. Sowohl für die fremdsprachendidaktische Pro‐ fessionsforschung als auch für den fachdidaktisch relevanten Bereich des lexi‐ kalischen Lernens werden Perspektiven für weitere Untersuchungen aufgezeigt. Die vorgenommene fachdidaktische Konkretisierung des Paradigmas der pro‐ fessionellen Unterrichtswahrnehmung wird am Ende in ihrer Bedeutung für das Verhältnis von Theorie und Praxis in der universitären Lehrerausbildung re‐ flektiert. 25 1.3 Aufbau der Arbeit <?page no="26"?> 2 Theoretische Grundlagen für die Erfassung und Förderung der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung Im Vorfeld dieser qualitativ-explorativen Untersuchung zur fachbezogenen pro‐ fessionellen Unterrichtswahrnehmung im Bereich des lexikalischen Lernens sind theoretische Klärungen in mehrfacher Hinsicht notwendig: Was genau ist eigentlich unter „professioneller Unterrichtswahrnehmung“ (PUW) zu ver‐ stehen? Welche Dimensionen umfasst sie? Welche Relevanz hat das Konstrukt der professionellen Unterrichtswahrnehmung für die Lehrerprofessionalität? Welche wortschatzdidaktischen Ansätze könnten eine Grundlage liefern für eine professionelle Unterrichtswahrnehmung im Bereich des lexikalischen Lernens? Professionelle Wahrnehmung ist durch die Art und Weise gekennzeichnet, wie Personen „vor dem Hintergrund ihrer Profession Situationen und Ereignisse beobachten und interpretieren“ (Stürmer 2011: 8). Die zugrunde liegende Pro‐ fession „beeinflusst die Wahrnehmung und die Interpretation von Ereignissen gemäß des disziplininhärenten Wissens sowie des disziplingeleiteten Erkennt‐ nisinteresses“ (Barth 2017: 18). Unter professioneller Unterrichtswahrnehmung wird das „Erkennen und wissensbasierte Interpretieren von lernrelevanten Si‐ tuationen im Unterricht“ (Krammer et al. 2016: 358) verstanden. Professionelle Unterrichtswahrnehmung setzt Wissen über Merkmale eines lernwirksamen Unterrichts voraus. Fachunabhängige Merkmale wie Zielklar‐ heit, Lernbegleitung und Lernatmosphäre werden in den bildungswissenschaft‐ lichen Untersuchungen der Gruppe um Tina Seidel aus der pädagogischen Psy‐ chologie gewonnen (Seidel et al. 2011; Seidel & Stürmer 2014; Stürmer, Seidel, Kunina-Habenicht 2015; Seidel, Blomberg, Stürmer 2010; Stürmer & Seidel 2015; Stürmer, Seidel, Schäfer 2013; Stürmer, Könings, Seidel 2012; Stürmer 2011). Un‐ tersuchungen zur professionellen Unterrichtswahrnehmung auf der Grundlage fachdidaktischer Merkmale für lernwirksamen Fremdsprachenunterricht sind bislang nicht existent. Auch wenn vereinzelt auf die Beobachtungsforschung rekurriert wird (z. B. Schwindt 2008), wird in der bildungswissenschaftlichen Forschung zur profes‐ sionellen Unterrichtswahrnehmung nicht im Detail ausgeführt, wie Wissen, Wahrnehmung und Begriffe zusammenwirken: „Konsens ist, dass professionelle <?page no="27"?> Wahrnehmung als wissensbasierter Prozess verstanden wird. Offen bleibt dabei allerdings, ob und inwieweit die Wahrnehmung Fähigkeiten erfordert, die über professionelles Wissen hinausgehen und wie diese beschrieben werden können“ (Lindmeier 2013: 8-9). Zwar ist die Rede von der Einordnung von Situationen in übergeordnete Konzepte; wie aber Wahrnehmung (Perzeption) und Wissen (Kognition) zusammenwirken, wird auch in neueren Studien zur professionellen Unterrichtswahrnehmung (Holodynski et al. 2016) nicht weiter ausgeführt. Das Zusammenspiel von Aufmerksamkeitsprozessen (noticing) und fachbezogenen, wissensbasierten Interpretations- und Verarbeitungsprozessen (know‐ ledge-based reasoning) bei der Identifikation von lehr-lernrelevanten Situationen sollte also stärker als bisher untersucht werden: „Analyzing pre-service tea‐ chers’ professional vision in the interrelation of noticing and reasoning as a proximal indicator for their elaboration processes in the context of specific tea‐ ching and learning components should be targeted“ (Schäfer 2014: 95). Daher wird in der vorliegenden Untersuchung der Versuch gemacht, das Verhältnis von Wahrnehmung, Wissen und Fachbegriffen aus der Sicht der Lern- und Ge‐ dächtnispsychologie, der Fachsprachenforschung und auf der Basis neuerer Be‐ funde zur visuellen Expertise zu erhellen. Wenn die professionelle Unterrichtswahrnehmung nun erstmalig für einen zentralen Bereich der Fremdsprachendidaktik untersucht wird, dann muss im Vorfeld die fachdidaktische Wissensbasis beschrieben werden. Die fachdidakti‐ schen Konzepte für den Bereich des lexikalischen Lernens werden aus der in‐ ternationalen zweitsprachlichen Vokabelerwerbsforschung (Nation 2001; Na‐ tion 2007; Nation & Chung 2011; Schmitt 2008; Schmitt 2010; Milton 2009) gewonnen. Vorliegende Konzepte zum lexikalischen Lernen werden be‐ schrieben und auf der Grundlage eines allgemeindidaktischen Modells in einer Beschreibungsmatrix funktional strukturiert und zusammengefasst. Ein Ziel dieser Studie ist es auch, die Entwicklung professioneller Unter‐ richtswahrnehmung im Kontext universitärer Wissensvermittlung für einen ausgewählten Bereich der Fachdidaktik des Englischen zu beschreiben und ein hochschuldidaktisches Setting für die Förderung der fachbezogenen professio‐ nellen Unterrichtswahrnehmung zu entwickeln. Unterrichtsvideos bieten sich für diesen Zweck an, weil sie der „Komplexität der Praxis nahekommen und eine geeignete Ausgangslage bilden, um Wissen über die Bedingungen von Lern‐ prozessen mit Situationen des beruflichen Handelns zu verbinden“ (Krammer et al. 2016: 358). Wie genau muss jedoch ein Setting mit Unterrichtsvideos be‐ schaffen sein, damit sich die Unterrichtswahrnehmung von angehenden Lehr‐ personen professionalisieren kann? Projekte zum Einsatz von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung werden mit der Intention gesichtet, solche Aspekte des 27 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="28"?> Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung herauszuarbeiten, die sich als Interventionselemente in einem videobasierten Lehrerausbildungssetting als förderlich für die Entwicklung der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung erweisen könnten. 2.1 Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung Zielrichtung dieser fachdidaktischen Untersuchung ist eine Exploration der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung von angehenden Englischlehrper‐ sonen in einem spezifischen fachdidaktischen Bereich. In diesem Teilkapitel wird zunächst professionelle Wahrnehmung als Teil von Expertise thematisiert. Dabei zeigt sich, dass die Expertiseforschung (z. B. Ericsson & Smith 1991; Ericsson, Krampe & Tesch-Römer 1993) schon früh die Zusammenhänge zwi‐ schen Expertise und Wahrnehmung herausgestellt hat. Anschließend wird die Bedeutung der professionellen Unterrichtswahrnehmung für die Lehrerprofes‐ sionalität herausgestellt. Für die Frage nach der Erfassung der professionellen Unterrichtswahrnehmung ist es von Belang, deren zentrale Dimensionen zu kennen. Diese können aus der vorliegenden bildungswissenschaftlichen For‐ schung zur professionellen Unterrichtswahrnehmung gewonnen werden, wobei deren Schwerpunkt im Bereich der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fä‐ cher liegt. Auf eine detaillierte Nachzeichnung der Studien mit Mathematik‐ lehrkräften, die im Kontext des OBSERVERS (z. B. Seidel, Blomberg, Stürmer 2010) wie auch im Kontext der US-amerikanischen Lehrerbildung (z. B. van Es & Sherin 2008) entstanden sind, kann im Rahmen der Ziele dieser Studie ver‐ zichtet werden, weil es in all diesen Studien um pädagogisch-psychologische und nicht um fachdidaktische Wissensbestände geht. Auch wenn in jüngerer Zeit Studien mit Studierenden anderer Fächer durchgeführt werden (vgl. Blom‐ berg, Stürmer & Seidel 2011; Jahn, Stürmer, Seidel & Prenzel 2014), sind Studien zur fachbezogenen professionellen Unterrichtswahrnehmung mit fremdspra‐ chendidaktischen Wissensbeständen ein Forschungsdesiderat: However, little is known about professional vision in different domains or about the extent to which the subject in question impacts professional vision. It remains thus unclear how generic and subject-specific aspects of knowledge impact teachers’ pro‐ fessional vision. (Blomberg, Stürmer & Seidel 2011: 1131) 28 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="29"?> 2.1.1 Professionelle Wahrnehmung in der Expertiseforschung Professionelle Wahrnehmung ist ein fach- und domänenübergreifendes Kenn‐ zeichen von Professionalität, welches den Experten vom Novizen unterscheidet. Innerhalb der Profession unterscheidet sich der Laie vom Experten durch seine Art der Wahrnehmung. Dies ist ein Befund der Expertiseforschung, der durch kontrastive Vergleiche von Experten und Novizen gewonnen worden ist (Voss et al. 1986). Unterschiede zwischen Experten und Novizen werden von Chase und Simon (1973) durch die sogenannte pattern-recognition-Theorie erklärt: Da‐ nach nehmen Experten eine „Reizkonfiguration“ (z. B. eine Stellung von Figuren beim Schachspiel) nicht als Ansammlung einzelner Figuren wahr, sondern sie erkennen Muster für potentielle eigene Schachzüge und antizipieren mögliche Züge des Spielgegners. Nach Kolodner (1983) verfügen Experten über gute epi‐ sodische Definitionen, die sie im Umgang mit Episoden und Fällen erwerben, was zu einer Reorganisation vorhandenen Wissens führt. „Episodische Defini‐ tionen enthalten sowohl die generelle Information von Episoden, also in ver‐ schiedenen Episoden wiederkehrende Muster […], als auch spezifische Abwei‐ chungen der Einzelfälle“ (Gruber 2004: 10). Das episodische, fallbasierte Wissen vermag den Vorteil des Experten gegenüber dem Novizen zu erklären (Kolodner et al. 2003). „Fallwissen wird aktiv enkodiert; dies macht die Gedächtnisinhalte leichter zugänglich, und sie werden bereits in verschiedene Kontexte gestellt“ (Gruber 2004: 11). Den Stellenwert der Wahrnehmung für die Professionalität von Lehrern be‐ tont auch Bromme (1992) in seinem bis heute zentralen Werk zur Psychologie des Lehrerwissens und bezieht sich dabei auf die Untersuchungen von Berliner (1991), der die kognitive Verarbeitung von Unterrichtssituationen mit Hilfe von Photographien und schriftlichen Informationen über Schüler untersucht und qualitative Unterschiede in der kategorialen Wahrnehmung der Unterrichts‐ ereignisse, welche die kognitive Gliederung von Sachverhalten betreffen, nach‐ weisen kann. „Expert teachers perceive more meaningful patterns in the domain in which they are experienced” (Berliner 2001: 472). Experten verfügen über die Fähigkeit, „lösungsdienliche Strukturen und funktionale Zusammenhänge in Situationen neu zu sehen, die für den Nicht-Experten wenig strukturiert oder unübersichtlich erscheinen“ (Bromme 1992: 54). Der Unterschied zwischen Ex‐ perten und Novizen besteht also nicht in einem ‚Mehr‘ von Wissen. Vielmehr verfügt der Experte über die Fähigkeit, Sachverhalte in Zusammenhänge ein‐ zuordnen und zu bewerten. Situationen, die für den Nicht-Experten wenig strukturiert oder unübersichtlich erscheinen, werden vom Experten anders auf‐ gefasst. Problemdefinition und -lösung basieren auf dem Wissen und den Er‐ fahrungen des Experten, werden von ihm aber „als in der Situation liegend in‐ 29 2.1 Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung <?page no="30"?> terpretiert“ (Bromme 1992: 135). Im Unterschied zu Novizen nehmen Experten daher weniger Details einer Unterrichtssituation wahr. Bestimmte Elemente geraten in den Blickpunkt, andere werden vernachlässigt. Bromme (1992) ver‐ weist in diesem Zusammenhang auf Fleck (1980), der das gerichtete Wahr‐ nehmen mit entsprechendem gedanklichem und sachlichem Verarbeiten des Wahrgenommenen als „Denkstil“ bezeichnet (Fleck 1980: 135, zit. n. Bromme 1992: 135). Bromme (1992) folgt begrifflich Harnad (1987), der den Begriff der „kategorialen Wahrnehmung“ vorschlägt, „um die Anwendung von Wissen zu kennzeichnen, die von Experten als Intuition erlebt wird“ (Bromme 1992: 42). „Kategoriale Wahrnehmung“ bedeutet demnach • die Anwendung von Wissen im Prozess der Wahrnehmung der Problem‐ situation, • die kognitive Unterteilung eines Ereignisstroms oder von gegebenen Sachverhalten in Einheiten (kategoriale Schnitte) und • die Strukturierung gegebener Situationen für den Handelnden durch ver‐ fügbare Begriffe (Bromme 1992: 42). 2.1.2 Professionelle Unterrichtswahrnehmung als Teil von Lehrerprofessionalität In der US-amerikanischen Lehrerbildungsforschung haben Sherin und ihre Kol‐ legin van Es das Konzept der professional vision bereits vor einigen Jahren auf den Lehrerberuf übertragen und herausgearbeitet, dass eine professionelle Wahrnehmung von Unterricht Teil der Expertise von Lehrpersonen ist (Sherin 2004; van Es & Sherin 2008; Sherin & van Es 2005; Stürmer, Seidel & Schäfer 2013; Sherin & Russ 2015; Seidel & Stürmer 2014; Stürmer & Seidel 2015). Dabei beziehen sie sich auf das Konzept der professional vision von Goodwin (1994), der im Einzelnen das professionelle Handeln von Archäologen und Staatsan‐ wälten untersucht hat. Die Analyse der professionellen Handlungen des Ar‐ chäologen bei Goodwin (1994) zeigt zum einen, in welchem Ausmaß berufsty‐ pische Handlungen und Wahrnehmungsprozesse zusammenhängen. Die Identifikation von relevanten Phänomenen (z. B. Verfärbungen im Erdschich‐ tenprofil) wird wesentlich durch fachspezifisches, disziplininhärentes Wissen gesteuert. Die professional vision von Lehrkräften besteht im Wahrnehmen lernrele‐ vanter Unterrichtsmerkmale und in der Interpretation von Unterrichtsereig‐ nissen im Hinblick auf die Einleitung nachfolgender Handlungen und Interven‐ tionen (Sherin, 2001; van Es & Sherin, 2006). „For teachers, professional vision involves the ability to make sense of what is happening in their classroom“ 30 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="31"?> (Sherin 2007: 384, zit. n. Barth 2017: 18). Die professionelle Unterrichtswahr‐ nehmung stellt selbst „einen bedeutsamen Indikator für die professionelle Hand‐ lungskompetenz der Lehrpersonen dar“ (Stürmer 2011: 6). Unterrichtssituati‐ onen bestehen aus komplexen Handlungsabfolgen oder auch Inszenierungsmustern, die interpretiert werden müssen. Wer Unterricht pro‐ fessionell wahrnimmt, überlässt sich nicht einfach dem Ereignisstrom und greift Ereignisse oder Interaktionen nach dem Zufallsprinzip heraus, sondern richtet seine Aufmerksamkeit zielgerichtet, d. h. mit einem bestimmten Erkenntnisin‐ teresse, auf qualitativ relevante Merkmale von Unterricht, die „nicht an der Oberfläche des Verstehens, sondern nur auf einer tiefer liegenden Ebene er‐ kennbar“ (Schwindt 2008: 53) sind. Die Interpretationen und daraus folgenden Entscheidungen der Lehrpersonen bestimmen maßgeblich, ob am Ende eine lernförderliche Unterrichtsgestaltung steht, die bei den Lernprozessen der Schü‐ lerinnen und Schüler ansetzt und deren Lernen unterstützt. Insofern hat die Wahrnehmung von Unterricht eine Relevanz für das Handeln von Lehrper‐ sonen. Den Entscheidungen der Lehrperson „liegt ihre Fähigkeit zugrunde, Un‐ terricht professionell wahrzunehmen, indem die für Lernen relevanten Unter‐ richtssituationen in komplexen Handlungsabfolgen beobachtet und interpretiert werden müssen“ (Stürmer 2011: 6). Da schon in der Phase der Wahrnehmung die Vorbereitung auf die professionelle Handlung (was auch die Unterlassung eines Impulses, einer Teilaufgabe etc. bedeuten kann) beginnt, kann die professionelle Unterrichtswahrnehmung zu Recht als ein wichtiger Bestandteil von Lehrerexpertise angesehen werden (Sherin 2002; Sherin 2008; Seidel & Prenzel 2007; Stürmer & Seidel 2015; Stürmer, Seidel & Kunina-Habe‐ nicht 2015). Ob sich eine Lehrperson im Bereich des lexikalischen Lernens z. B. für Vorentlastungen oder für die Erläuterung von Wortbildungsregularitäten (vgl. Bahns 2000; Detering 2000a) entscheidet, hängt von der Wahrnehmung und der Interpretation des konkreten Lehr-Lerngeschehens und der Lernaufgaben ab. Da Barth (2017) diese Übertragung der professionellen Wahrnehmung auf die Lehrerbildung ausführlich nachzeichnet, wird an dieser Stelle darauf verzichtet, die amerikanische Forschung zu professional vision ausführlich zu referieren, zumal die amerikanische Forschung überwiegend die professional vision von Mathematiklehrkräften zum Gegenstand hat und danach fragt, wie Lehrper‐ sonen die mathematischen Denkprozesse von Schülerinnen und Schülern wahr‐ nehmen und interpretieren (Santagata 2009; van Es & Sherin 2008). Einer sol‐ chen domänenspezifischen Perspektive liegen fachliche und fachdidaktische Wissensbestände der Lehrpersonen zugrunde. In Analogie zur US-amerikani‐ schen Forschung wird in dieser Arbeit auch eine domänenspezifische Perspek‐ 31 2.1 Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung <?page no="32"?> tive eingenommen, indem das fachdidaktische Wissen in einem zentralen Be‐ reich von Englischunterricht in den Blick genommen wird (siehe Kapitel 2.4). 2.1.3 Modellierungsansätze der professionellen Unterrichtswahrnehmung Zuvor sollen im folgenden Abschnitt Modellierungsansätze der professionellen Unterrichtswahrnehmung vorgestellt werden, um aus den vorliegenden An‐ sätzen Dimensionen zu ermitteln, mit denen sich professionelle Unterrichts‐ wahrnehmung in einem spezifischen Bereich von Englischunterricht, dem des lexikalischen Lernens, erfassen lässt. Da sich die vorliegenden Modellierungsansätze aus den Bildungswissen‐ schaften (Stürmer 2011; Schäfer 2014; Barth 2017; Stürmer & Seidel 2015; Schäfer & Seidel 2015) fast durchgängig auf Goodwin (1994) beziehen, soll dessen Ansatz an den Anfang dieses Abschnitts gestellt werden. Am Beispiel des Berufs des Archäologen und des Staatsanwalts arbeitet Goodwin heraus, was die professi‐ onal vision dieser Berufsgruppen ausmacht. Eine erste Dimension für eine pro‐ fessionelle Wahrnehmung stellt das sogenannte Highlighting dar, das Abgrenzen und Herauslösen bestimmter Phänomene aus dem Wahrnehmungsfeld. Bei einem Erdschichtprofil mit unterschiedlichen Braun- und Grautönen muss sich die Wahrnehmung des Archäologen auf einzelne Schichten fokussieren. An‐ schließend werden beim Kodieren (Coding) die beobachteten Phänomene in vorhandene, disziplinspezifische Wissensstrukturen eingebettet. Der Archäo‐ loge nutzt Codiersysteme, wie z. B. Farbskalen von Erdschichtenprofilen, um einzelne Erdschichten zu klassifizieren und sie anschließend miteinander ver‐ gleichen zu können. Auch hierbei helfen die Methoden des jeweiligen Fachs. An dritter Stelle erfolgt die Darstellung und Erläuterung relevanter Phänomene (Producing and articulating material representations). Komplexe Sachverhalte werden versprachlicht und mit Hilfe von Illustrationen beschrieben. Dieser letzte Schritt geht über die Repräsentation einer Sinneswahrnehmung hinaus. Im Gegensatz zum eher flüchtigen Sinneseindruck bei der Objekt- oder Ge‐ sichtserkennung ist die professionelle Wahrnehmung durch die Analyse, Klas‐ sifizierung und die Versprachlichung des Wahrgenommenen gekennzeichnet (Goodwin 1994: 614-615). This sequence brings together an important range of cognitive phenomena relevant to the organization of human action, including interaction with both other human beings and the world itself, talk as a form of social action, writing practices, and the construction of cognitive artefacts. (Goodwin 1994: 615) 32 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="33"?> Anhand der Analyse eines Gesprächs zwischen einer erfahrenen Archäologin und ihrer Auszubildenden Sue arbeitet Goodwin (1994) die sozio-kognitive Natur professioneller Wahrnehmung heraus. Die Analyse zeigt auch, wie Wahr‐ nehmung und Wissen miteinander verzahnt ist. Die Auszubildende Sue lernt mehr als nur Begriffe; sie wird eingeführt in die Wahrnehmungsgewohnheiten und Methoden der Profession: “What Sue is being taught is not something that falls within the scope of language as an isolated system [...] but a mode of prac‐ tice, how to code a relevant perceptual field in terms of categories that are con‐ sequential for her work” (ebd. 615). Die Studie zur professional vision von Goodwin (1994) verdeutlicht, wie nah Wahrnehmungsprozesse und Wissen beieinander liegen. Professional vision wird in der amerikanischen Lehrerbildungsforschung von Borko (2004), Sherin (2007), van Es & Sherin (2007) und Sherin & van Es (2009) auf die Wahrnehmung von Unterricht übertragen. Die Autoren unterscheiden die wissensbasierte Ver‐ arbeitung von der Identifikation oder Selektion von Situationen (noticing): • Noticing umfasst die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf lernrelevante Unterrichtskomponenten zu lenken. Es geht um die „Identifikation von Situationen und Ereignissen im Unterricht, die aus einer professionellen Sicht entscheidend für den Erfolg von Unterrichtshandlungen sind“ (Seidel et al. 2010: 297) und zugleich zur Aktivierung des professionellen Wissens führen (Seidel & Stürmer 2014: 742). Noticing bedeutet zu iden‐ tifizieren, was wichtig ist in einer Stunde, und darüber hinaus Verknüp‐ fungen zwischen einem spezifischen Ereignis und allgemeineren Prinzi‐ pien des Lehrens und Lernens herzustellen. Noticing bedeutet, dass Wissen eingesetzt wird, um die Situation zu interpretieren und zu ver‐ stehen, wie Lernende einen Gegenstand verstehen oder sich diesem nä‐ hern (Sherin & van Es 2002: 574 f.). Die definitorischen Merkmale, welche Sherin und van Es (2002: 574) nennen, rücken das noticing jedoch schon in die Nähe der wissensbasierten Verarbeitung - ein Umstand, der auf die Problematik einer klaren Trennung der Begriffe verweist. • Knowledge-based reasoning umfasst die Fähigkeit, Wissen über Lehren und Lernen zu nutzen, um die beobachtete Situation zu erklären (Sherin & van Es 2012). Die Fähigkeit von Lehrpersonen, Unterrichtssituationen zu verarbeiten (reasoning) und zu interpretieren, basiert auf ihrem pro‐ fessionellen Wissen. In den Studien von Seidel und Kolleginnen ist das pädagogisch-psychologische Wissen die Grundlage für die wissensba‐ sierte Verarbeitung des in den Videovignetten gezeigten Unterrichts. Wann immer das Unterrichtsgeschehen gemäß professioneller Wissens‐ strukturen klassifiziert wird, wird angenommen, dass die Kompetenzen 33 2.1 Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung <?page no="34"?> Erklären und Vorhersagen eine stärkere Vernetzung von Wissensstruk‐ turen und damit eine größere Expertise erfordern ( Jahn et al. 2014; Seidel & Stürmer, 2014). Bei der wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht unterscheiden u. a. Ber‐ liner (2001), Sherin & van Es (2009) und van Es (2009) die Dimensionen Be‐ schreiben (Description), Erklären (Explanation) und Vorhersagen (Prediction). Die Stabilität dieser Dimensionen weisen Stürmer (2011) sowie Seidel & Stürmer (2014) in einer Skalierungsstudie für die Erfassung der professionellen Unter‐ richtswahrnehmung über Fächer, Studienstandorte und Abschlussarten hinweg nach. In Studien mit insgesamt mehr als 1.000 teilnehmenden Studierenden mit unterschiedlicher Studienerfahrung, unterschiedlichen Fächerkombinationen, Studienstandorten und Abschlussarten konnte die Struktur professioneller Un‐ terrichtswahrnehmung mit den drei Teildimensionen Beschreiben, Erklären und Vorhersagen empirisch mit Hilfe des standardisierten Instruments OBSERVER nachgewiesen werden ( Jahn, Stürmer, Seidel & Prenzel 2014; Seidel & Stürmer 2014; Stürmer, Könings & Seidel 2014). Der OBSERVER enthält sechs video‐ graphierte Unterrichtssituationen aus unterschiedlichen Fachrichtungen zu den ausgewählten Unterrichtsbedingungen Zielorientierung, Lernbegleitung und Lernatmosphäre. Zu den gezeigten Videoausschnitten müssen Rating-Items be‐ arbeitet werden, die auf die Fähigkeit abzielen, die Unterrichtssituation zu be‐ schreiben, zu erklären oder Konsequenzen für das Schülerlernen vorherzusagen. Ein Teil der Validierung des Instruments befasst sich mit der Frage, inwieweit das Instrument bei Studierenden unterschiedlicher Lehramtsstudiengänge ein‐ gesetzt werden kann. In den vorliegenden Studien mit dem OBSERVER konnte der „konkrete Erwerb konzeptuellen Wissens über lernwirksame Unterrichts‐ komponenten als wichtiger Faktor für den Aufbau professioneller Unterrichts‐ wahrnehmung herausgestellt“ werden (Stürmer, Seidel, Kunina-Habenicht 2015: 350; vgl. auch Stürmer et al. 2013). Im Ergebnis lässt sich professionelle Unterrichtswahrnehmung als eine Ge‐ samtfähigkeit mit den drei Dimensionen Beschreiben, Erklären und Vorher‐ sagen modellieren, wobei „ein dreidimensionales Modell die Daten am besten abbildet“ ( Jahn et al. 2014: 19 f.). In der Skalierungsstudie zeigte sich jedoch bereits, dass die Kompetenzstruktur mit dem Instrument auch bei Studierenden unterschiedlicher Fachsemester (M = 4.64, SD = 3.89) erfasst wird ( Jahn et al. 2014: 19 f.). Schwindt (2008: 54) modelliert eine „kompetente Unterrichtswahrnehmung“ im Rückgriff auf die Beobachtungsforschung auf andere Weise. Aus den Anfor‐ derungen an eine systematische Beobachtung leitet sie Kriterien für eine pro‐ fessionelle Unterrichtswahrnehmung ab (Schwindt 2008: 60). Die menschlichen 34 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="35"?> Wahrnehmungsmöglichkeiten werden dabei in den Dienst der Beobachtung gestellt. Beobachtungen im engeren Sinne fasst Laatz (1993: 169, zit. n. Bortz & Döring 2006: 262) als „das Sammeln von Erfahrungen in einem nichtkommuni‐ kativen Prozess“ auf. Die Beobachtung ist eine spezifische Art der visuellen Wahrnehmung, bei der „aus einem Ablauf von Ereignissen etwas aktiv, also nicht beiläufig, zum Objekt der eigenen Aufmerksamkeit gemacht wird“ (Bortz & Döring 2006: 263). In Tabelle 1 werden die dargestellten Modellierungsansätze in einer synop‐ tischen Übersicht zusammengefasst. Barth (2017) arbeitet in ihrer Synopse ver‐ schiedene Modellierungsansätze der PUW heraus, welche die Dimensionen „re‐ konstruktives Denken“ (Beschreiben) und „prognostisches Denken“ (Vorhersagen) beinhalten. „Prediction describes the ability to predict the con‐ sequences of observed events for student learning processes by drawing on broader pedagogical knowledge and transferring this to classroom practice” (Stürmer, Könings, Seidel 2012: 3). Eine systematische Beobachtung umfasst nach Bortz & Döring (2006: 265) die Schritte Selektion, Abstraktion und Klassi‐ fikation. Unter Selektion wird die „Auswahl bestimmter Beobachtungsgegen‐ stände bzw. das Herauslösen bestimmter Reize aus der Vielzahl der gleichzeitig wahrnehmbaren Reize verstanden“. Beim Abstrahieren wird ein Ereignis „aus seinem konkreten Umfeld herausgelöst und auf seine wesentliche Bedeutung reduziert“ (ebd.). So wird beispielsweise von einer Lehreräußerung auf die Ziel‐ richtung des Lehrerimpulses abstrahiert (z. B. checking for understanding). Nachdem durch Selektion und Abstraktion die beobachtete Situation auf we‐ sentliche Merkmale reduziert worden ist, wird das Ereignis oder die Situation im nächsten Schritt einer bestimmten Ereignis- oder Merkmalsklasse zuge‐ ordnet (vgl. Coding bei Goodwin (1994)). In Anlehnung an Schwindt (2008: 54) werden in dieser Studie „Merkmale, die für die Durchführung einer Beobach‐ tung als wichtig erachtet werden, auch als Bestandteile“ der professionellen Unterrichtswahrnehmung eingestuft. Selektion und Abstraktion sind vor allem im Zusammenhang mit der Dimension der Beschreibung wichtige Teilprozesse. 35 2.1 Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung <?page no="36"?> Professional vision (u. a. van Es & Sherin 2002; Sherin & van Es 2012) Professionelle Unterrichts‐ wahrnehmung (u. a. Stürmer 2011; Stürmer, Seidel, Ku‐ nina-Habenicht 2015) Beobachtungs‐ forschung (Bortz & Döring 2006: 263-265) Kriterien für die kompetente Unterrichts‐ wahrnehmung (Schwindt 2008) Noticing Beschreiben Selektion Fokussiertheits‐ grad der Analyse (unfokussiert - Beantwortung gezielter Fragen) Know‐ ledge-based rea‐ soning Erklären Abstraktion Analyseprozess (Erklärung, Be‐ wertung, Be‐ schreibung) Klassifikation Umfang und Art der Klassifikation (Integration in Fachkonzepte, Alltagskonzepte, Einzelereignisse) Vorhersagen Tabelle 1: Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung im Überblick Eine Dimension für konstruktives Denken findet sich - in Ergänzung zu den drei hier vorgestellten Ansätzen - außerdem im Lesson Analysis Framework von Santagata & Angelici (2010). Zwar beziehen sich die Autoren nicht auf das Kon‐ strukt der professionellen Unterrichtswahrnehmung und sprechen stattdessen von „videobasierter Reflexion“; die Begründung für die Frage nach Alternativen ist jedoch für diese Studie relevant, weil die Autoren in ihrem Ansatz die expli‐ zite Frage nach Alternativen als bedeutsam für die Ziele einer angeleiteten Re‐ flexion von Unterrichtsvideos ansehen: The reasoning is that, to generate alternatives, observers need to attend carefully to student learning and reason about specific teaching strategies that may have hindered learning. This promotes the generation of hypotheses about possible alternatives. (Santagata & Angelici 2010: 345) 36 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="37"?> Das Entwickeln von alternativen Vorgehensweisen für bestimmte Situationen des Unterrichts kann insofern als Indikator für eine tiefergehende Verarbeitung des Un‐ terrichtsgeschehens angesehen werden. Das alleinige Nachdenken über den Unter‐ richt und seine Qualitätsmerkmale führt nicht zwangsläufig zu einer Reflexion da‐ rüber, ob und welche Veränderungen notwendig sind (vgl. Oser et al. 2007). Entscheidend für eine zunehmende Professionalisierung der Unterrichtswahrneh‐ mung ist also, ob alternative Vorgehensweisen tatsächlich vorgeschlagen und be‐ gründet werden. Merely reflecting on teaching does not lead to improvement unless the product of the reflection includes a decision about features of a lesson that should be maintained and features that it might be worthwhile trying to change. (Santagata & Angelici 2010: 345) Zwischenfazit Die Darstellung der verschiedenen Modellierungsansätze verdeutlicht die Komplexität des Konstrukts der PUW, verweist aber auch auf bestehende Gemeinsamkeiten zwi‐ schen den Ansätzen. Tabelle 2 fasst zusammen, welche Dimensionen der professio‐ nellen Unterrichtswahrnehmung für die vorliegende Untersuchung zugrunde gelegt und auf die fachbezogene Unterrichtswahrnehmung übertragen werden. In Ergänzung zum standardisierten Ansatz zur Erfassung und Modellierung der professionellen Un‐ terrichtswahrnehmung der Gruppe um Tina Seidel wird mit Bezug auf Santagata & Angelici (2010) in der vorliegenden Untersuchung eine Dimension für „konstruktives Denken“ (Barth 2017), das Vorschlagen von Alternativen, mitberücksichtigt. Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung Beschreibung: Die Fähigkeit der Lehrperson relevante Situationen zu identi‐ fizieren und Unterrichtssituationen präzise zu beschreiben. Klassifizierung: Die Fähigkeit der Lehrperson, die beobachtete Situation wis‐ sensbasiert zu klassifizieren und theoretisches Wissen um lernwirksame Un‐ terrichtskomponenten mit der Unterrichtspraxis zu verknüpfen. Vorhersagen: Die Fähigkeit der Lehrperson, Wirkungen einer bestimmten Unterrichtssituation auf die Lernprozesse und Lernergebnisse der Schüler zu antizipieren. Alternativen: Die Fähigkeit der Lehrperson, alternative Vorgehensweisen (Aufgaben, Lehrerhandlungen) für eine konkrete Unterrichtssituation zu ent‐ wickeln, die das Potenzial haben, das Lehr-Lerngeschehen zu optimieren. Tabelle 2: Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung (um die konstruk‐ tive Dimension erweitert) 37 2.1 Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung <?page no="38"?> Eine Modellierung der PUW sollte die Komplexität der Prozesse möglichst voll‐ ständig abbilden. Barth (2017: 30) plädiert daher dafür, „sowohl das rekonstruk‐ tive Denken (in Form des Verstehens und Erklärens), das prognostische Denken (in Form des Antizipierens) als auch das konstruktive Denken (in Form des Al‐ ternativen Generierens)“ zu berücksichtigen. Das Einfordern von Alternativen für konkrete Unterrichtssituationen ergibt vor dem Hintergrund der Bedeutung der professionellen Unterrichtswahrnehmung für die Lehrerprofessionalität un‐ bedingt Sinn (vgl. 2.1.2 sowie Oser 2007). Das Verschriftlichen von Beobachtungen und das Verfassen von Beschrei‐ bungen hilft, die dem jeweiligen Fach eigene Sicht auf die Dinge einzunehmen (Barth 2017: 17-18) und die Fachsprache der scientific community zu erlernen. Auch Goodwin (1994: 626) misst der Versprachlichung des Wahrgenommenen einen hohen Stellenwert für die Entwicklung der professional vision bei - ein Aspekt, der bei der Ausgestaltung eines Untersuchungsdesigns Berücksichti‐ gung finden muss. 2.1.4 Entwicklungsbedingungen für die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung Das Konstrukt der professionellen Unterrichtswahrnehmung stellt im Zusam‐ menhang mit der Frage nach einer effizienten Wissensvermittlung in der uni‐ versitären Lehrerausbildung einen „vielversprechenden Ansatz“ dar, um den „Erwerb integrierter Wissensstrukturen“ (Stürmer, Seidel, Kunina-Habenicht 2015: 346) für die Nutzung in variierenden und komplexen Handlungskontexten zu fördern. Im Rahmen der universitären Lehrausbildung wird das Konzept ge‐ nutzt, „um die Aneignung theorie-praxisintegrierter Wissensbestände bei Stu‐ dierenden zu beschreiben“ (ebd.). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach förderlichen Bedingungen für die Entwicklung einer professionellen Un‐ terrichtswahrnehmung. In einer explorativen Untersuchung zu Lehrer-Schüler-Interaktionen im ma‐ thematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht versuchen Sherin & van Es (2002) Bedingungen zu ermitteln, unter denen Lehrpersonen relevante Aspekte des Lehr-Lerngeschehens zu identifizieren in der Lage sind. In einem Zeitraum von 11 Monaten finden 2 Sitzungen mit einem Video Analysis Tool (VAST) statt. Für einen Prä-Post-Vergleich betrachten die Teilnehmer eine Stunde und ver‐ fassen eine Analyse zu ihrem eigenen Unterricht. Das gleiche Verfahren durch‐ laufen sie im Anschluss an ein dreimonatiges Praktikum und nach den drei Sitzungen mit dem VAST. Das VAST strukturiert den Analyseprozess durch Be‐ obachtungsprompts. In einem ersten Schritt sollen die Probanden sagen, was 38 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="39"?> ihnen auffällt (sogenannte call outs). Der Begriff des call out geht auf Frederiksen (1992) zurück, der immer dann von einem call out spricht, wenn Lehrpersonen etwas Bemerkenswertes sehen und benennen (Sherin & van Es 2002: 575). In einem zweiten Schritt sollen die Lehrpersonen Belege aus dem Unterrichtsvideo anführen. Der direkte Bezug zum Unterrichtsvideo fördert das vertiefte Ver‐ stehen des Schülerdenkens, der Diskurse und der Lehrerrolle in spezifischen Phasen des im Video gezeigten Unterrichts. Für die Auswertung der schriftlichen Analysen bilden Sherin & van Es (2002) komplexe Kategorien, die mehrere Dimensionen bündeln. Die Inter-Coder-Re‐ liabilität liegt bei 85 %. Um Entwicklungen aufzuzeigen, werden vier Niveaus gebildet: • Level 1: beschreiben und evaluieren • Level 2: Mischung aus Beschreibungen und Evaluationen; komplette ana‐ lytische chunks oder unvollständige analytische chunks • Level 3: vollständige analytische chunks und Evaluationen • Level 4: komplette analytische chunks; Verknüpfungen zwischen Ereig‐ nissen und Belegen; Identifikation von pädagogischen Lösungen Im Ergebnis zeigt sich, dass alle Lehrpersonen, die auf Level 1 begonnen haben, sich in ihren Analysen weiterentwickeln und in zunehmendem Maße Analysen auf dem Niveau 2 liefern. Alle 6 Lehrer in der Experimentgruppe verbessern sich in ihren Analysen von Niveau 3 auf Niveau 4. In der Kontrollgruppe sind es hingegen nur 2 Lehrpersonen, die eine Entwicklung in ihren Analysen von Ni‐ veau 3 auf Niveau 4 erkennen lassen. Die Autoren resümieren, dass das VAST trotz der Kürze der Intervention den Analyseprozess unterstützt hat. Für die eigene Untersuchung lassen sich folgende Schlussfolgerungen aus dieser qua‐ litativen Studie ziehen: • Unterrichtsvideos, die mit Hilfe von Beobachtungsprompts für den Zeit‐ raum einer Lehrveranstaltung analysiert werden, fördern die professio‐ nelle Unterrichtswahrnehmung. • Entwicklungen der professionellen Unterrichtswahrnehmung lassen sich auf der Grundlage von schriftlichen Verbaldaten mit komplexen Katego‐ rien erfassen. • Die wissensbasierte Verarbeitung bildet sich neben der Verwendung von Fachkonzepten auch in argumentativer Stringenz und der Dichte eines Textes ab. Die argumentative Schlüssigkeit einer Analyse kann ein Indi‐ kator für die wissensbasierte Verarbeitung sein. 39 2.1 Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung <?page no="40"?> In einer quantitativen Untersuchung mit 53 Lehramtsstudierenden gehen Stürmer, Könings & Seidel (2012) der Frage nach, wie institutionell organisierter Wissenser‐ werb und PUW zusammenhängen und wie sich bestimmte Kurskomponenten auf die Entwicklung der PUW auswirken. Zu diesem Zweck wird der Wissenszuwachs der Teilnehmer aus drei verschiedenen Kursen erhoben und anschließend über ANOVAs mit Zugewinnen bei der PUW korreliert. In dem videobasierten Kurs betrachten Teil‐ nehmer Videoclips, die Komponenten eines lernwirksamen Unterrichts zeigen (Ziel‐ klarheit, Lehrerunterstützung und Lernklima). Die Situationen sollen beschrieben und im Hinblick auf die Lerneffektivität des dargestellten Unterrichtsgeschehens erklärt werden. Ein zweiter Kurs verfolgt eher einen theoretisch-reflexiven Zugang. Die Teilnehmer werden dazu aufgefordert, theoretische Konzepte und die Lerneffekti‐ vität von bestimmten Unterrichtssituationen zu reflektieren. Ein drittes Kursdesign setzt auf problembasiertes Lernen und nimmt konkrete schulpädagogische Aufga‐ benstellungen (z. B. Bewertung von Klassenarbeiten, Hausaufgabenpraxis) als Aus‐ gangspunkt der theoretischen, literaturbezogenen Entfaltung im Kurs. Das deklara‐ tive Wissen der Teilnehmer wird mit einem Multiple Choice Test erfasst, dessen Items sich auf die Effekte von Zielklarheit, Lehrerunterstützung und Lernklima in be‐ stimmten Lernsituationen beziehen. Die professionelle Unterrichtswahrnehmung wird mit Hilfe standardisierter Rating-Items aus dem webbasierten Tool OBSERVER erfasst (Seidel, Blomberg & Stürmer 2010, Stürmer & Seidel 2015, Jahn et al. 2011). Im Ergebnis zeigen sich eine Zunahme der korrekten Antworten im Wis‐ senstest (prä: 52%; post: 73%) und Zugewinne bei der professionellen Unter‐ richtswahrnehmung: Der Anteil der korrekt, d. h. gemäß der Expertennorm, eingeschätzten Items steigt von 25 % (prä) auf 40% (post). Die stärksten Zuge‐ winne (+18%) zeigen sich bei den Vorhersagen. Allerdings deutet die Effektstärke von d=.28 nur auf einen geringen Zusammenhang zwischen dem Kurstyp und Zugewinnen bei der PUW hin. Die Kurselemente werden von den Autoren nicht im Detail beschrieben. Aufschlussreich ist jedenfalls der Befund, dass der Wis‐ senszuwachs in dem videobasierten Kurs am höchsten ausgefallen ist: Detailed analysis of the outcomes of the three courses indicate that the contextual reasoning approach taken in the video-based course was particularly valuable for teaching this transfer of pedagogical concepts in authentic classroom situations (i.e. prediction ability). (Stürmer, Könings & Seidel 2012: 12) Dabei heben die Autoren hervor, dass Trainingseffekte durch die wiederholte Nutzung des Tools OBSERVER ausgeschlossen werden können. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass aus den Ergebnissen wertvolle Schlussfolge‐ rungen für die universitäre Lehrerausbildung abgeleitet werden können, da es sich um eine Untersuchung mit hoher ökologischer Validität in real vorfind‐ 40 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="41"?> baren universitären Lehrsettings handelt. Vor allem das Setting mit videoba‐ sierter Kontextualisierung ermöglicht einen signifikanten praktischen Bezug zum Unterricht: „Especially the video-based approach seems to bring students closer to classroom practice by visualizing real teaching settings“ (ebd. 12). Krammer et al. (2016) gehen der Frage nach, „ob die professionelle Unter‐ richtswahrnehmung von Studierenden im ersten Ausbildungsjahr durch struk‐ turierte Videoanalyse gefördert wird“ (362). In der Interventionsstudie mit drei unterschiedlichen Seminargruppen und insgesamt 163 Studierenden werden folgende Parameter unterschieden: • eigene vs. fremde Videos • schriftliche Lehr-Lernmaterialien vs. Unterrichtsvideos Am Ende der Intervention werden Studierende und Dozenten zur Akzeptanz der Interventionselemente befragt. Im Ergebnis entwickelt sich die professio‐ nelle Unterrichtswahrnehmung bei denjenigen Studierenden signifikant positiv, die im Seminar Videos analysiert haben (Krammer et al. 2016: 365). Dass die Analyse von Unterrichtsbeispielen nur [in den Videogruppen, RG] einen signifikanten Effekt auf die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrneh‐ mung hatte, kann als Beleg für die medienspezifische Eignung von Unterrichtsvideos zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung gedeutet werden. (Krammer et al. 2016: 367) Dabei zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen denjenigen Stu‐ dierenden, die mit fremden bzw. eigenen Unterrichtsaufzeichnungen gearbeitet haben (ebd. 366). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sich die Analyse von eigenen und fremden Videos gleichermaßen zur Förderung der professio‐ nellen Unterrichtswahrnehmung eignet (ebd. 368). Bemerkenswert ist auch, dass „Studierendenmerkmale wie Interesse am Lehren und Lernen, Wissen über Unterrichtsqualitätsmerkmale keinen bedeutsamen Einfluss“ (ebd. 368) auf die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung haben. Im Gegensatz hierzu steht der Befund einer kontrollierten Studie mit dem OBSERVER, in der sich das Interesse durchaus als ein Prädiktor dafür erweist, ob Studierende in der Lage sind, Unterrichtssituationen zu erklären und Lernen vorherzusagen (Stürmer, Seidel, Kunina-Habenicht 2015: 349; mit Verweis auf Stürmer et al. 2014). Interessenbasiertes Lernen ist für den spezifischen Wis‐ sensaufbau förderlich, weil tiefenverarbeitende Lernstrategien (vgl. Wigfield & Cambria 2010) zu einer längerfristigen, intensiveren Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand führen können (vgl. Schiefele & Jacob-Ebbinghaus 2006). 41 2.1 Von der professional vision zur professionellen Unterrichtswahrnehmung <?page no="42"?> Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Studien, welche die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung mit dem Erwerb von unterrichtsre‐ levantem Wissen im Kontext universitärer Lehrveranstaltungen untersuchen, auch im Bereich der Bildungswissenschaften erst im Entstehen sind (Krammer et al. 2016). Die „entwicklungsstützenden Bedingungsfaktoren“ (Krammer), wie z. B. konkrete Nachweise über die vermittelten Wissensbestände und das hoch‐ schuldidaktische Lehrkonzept, werden erstaunlich knapp behandelt. Insofern ist es derzeit kaum möglich, „Interventionselemente“ (Krammer) mit empirisch nachgewiesenen Effekten zu benennen. Gleichwohl können die Voraussetzungen für die empirische Erforschung der fachbezogenen professionellen Unterrichtswahrnehmung in spezifischen Ver‐ mittlungskontexten als gegeben angesehen werden, weil die überfachlichen Di‐ mensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung von der empirischen Bildungsforschung validiert worden sind (vgl. 2.1.2 sowie Jahn et al. 2011; Jahn et al. 2014). „Die theoretisch angenommene Struktur professioneller Unterrichts‐ wahrnehmung konnte somit erstmals bestätigt werden“ (Stürmer 2011: 18). Für die Fachdidaktik des Englischen sind Untersuchungen, welche „die Ef‐ fekte curricular verankerter Wissensvermittlung“ (Stürmer 2011: 22) auf die Fä‐ higkeit zur professionellen Wahrnehmung von Unterricht bei angehenden Eng‐ lischlehrpersonen untersuchen, bislang nicht existent und stellen insofern ein Desiderat dar. In der vorliegenden Untersuchung soll daher ein hochschuldi‐ daktisches Designexperiment durchgeführt werden, welches die Vermittlung einer fachdidaktischen Wissensbasis mit dem Ziel einer Förderung der fachbe‐ zogenen professionellen Unterrichtswahrnehmung verknüpft. Wenn Wissens‐ erwerb und professionsbezogene Wahrnehmungsprozesse im Sinne eines kon‐ textualisierten und situierten Lernens in der universitären Lehrerausbildung hochschuldidaktisch sinnvoll integriert werden sollen, um die wissensbasierte Verarbeitung von berufsfeldbezogenen Situationen zu stimulieren, dann sind zunächst die psychologischen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung und Wissen weiter zu erhellen. 2.2 Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln Für eine wissensbasierte Verarbeitung von Unterricht, wie sie als zentrale Di‐ mension der professionellen Unterrichtswahrnehmung aufgefasst wird, ist die Art und Weise des Zusammenwirkens von Wahrnehmung, Wissen und Be‐ griffen von zentraler Bedeutung. Dieser Zusammenhang wird in der bildungs‐ 42 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="43"?> wissenschaftlichen Literatur zwar vorausgesetzt, aber nicht weiter durch Rekurs auf Erkenntnisse der relevanten Bezugsdisziplinen vertieft. Aus diesem Grund werden ausgewählte Positionen und einzelne Befunde aus der Lern- und Ge‐ dächtnispsychologie, der verstehenden Soziologie und der Neuropsychologie mit dem Ziel zusammengetragen, zu einer psychologischen und wissenssozio‐ logischen Fundierung der Dimensionen der professionellen Unterrichtswahr‐ nehmung zu gelangen. Wenn eine professionelle Unterrichtswahrnehmung tat‐ sächlich eine „Vorstufe für professionelle Handlungskompetenz“ (Stürmer, Seidel, Prenzel 2014: 4) darstellt, ist außerdem die Frage nach dem Zusammen‐ wirken von Wahrnehmen und Handeln zu stellen. 2.2.1 Zur Rolle von Schemata und Konzepten bei der Wahrnehmung Für die Beschreibung des professionellen Wissens von Lehrpersonen hält Bromme (1992: 150) den Schemabegriff für besonders geeignet. Der Schemabe‐ griff hilft, die erste grundlegende Dimension einer professionellen Unterrichts‐ wahrnehmung (Noticing) besser zu verstehen. Er bietet sich an, um zu erklären, wie professionelle Lehrpersonen den Strom von Ereignissen im laufenden Un‐ terrichtsgeschehen filtern und bestimmten Ereignissen mehr Bedeutung bei‐ messen als anderen, um anschließend gemäß der Deutung der Situation zu han‐ deln. Da Schemata eine aufmerksamkeitssteuernde Funktion zugewiesen wird, hat der Schemabegriff Relevanz für den Gegenstand der vorliegenden Arbeit. In der Expertiseforschung wird der Schemabegriff verwendet, um Ordnungen bzw. Strukturen von Wissen zu beschreiben, die es dem Experten ermöglichen, in einer Problemsituation eine bestimmte Ordnung zu erkennen und zu kon‐ struieren (z. B. den Unterrichtsverlauf zu gestalten). Die Fähigkeit, seine Auf‐ merksamkeit auf lernrelevante Merkmale der Unterrichtssituation zu lenken (und andere, weniger lernrelevante zu ignorieren), hängt demnach nicht allge‐ mein vom Umfang des Wissens ab. Entscheidend ist auch, wie dieses Wissen strukturiert ist. Diese Konfigurationen von Bedeutungen erlauben die Unter‐ scheidung von Wichtigem und Unwichtigem, jeweils relativ zu den Zielset‐ zungen und Bedingungen der Anforderung (Bromme 1992: 151). Voraussetzung für das Erkennen von Bedeutungsstrukturen im konkreten Fall ist die Wissensrepräsentation in allgemeiner, abstrakter Form. Mit dem Schemabegriff kann diese allgemeine Strukturiertheit bzw. Organisation des Wissens beschrieben werden. Der Schemabegriff ist hinreichend abstrakt, um nicht nur exakt gleiche Situationen zu erfassen, sondern auch „neue Informati‐ onen als Instanzen eines bestimmten Typs oder einer Klasse von Informationen 43 2.2 Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln <?page no="44"?> zu erkennen und zu inkorporieren“ (Bromme 1992: 151). Fachdidaktische Kon‐ zepte müssen demzufolge hinreichend abstrakt sein, damit sie für die Identifi‐ kation von spezifischen Situationen genutzt werden können. Waldmann (2008: 397) verweist auf Studien, die gezeigt haben, dass durch die Aktivierung von Vorwissen Lernende eine kohärente Kategorie sehen, die sie ohne dieses Wissen nicht wahrgenommen hätten. Vorwissen führte in einem Fall dazu, dass „zunächst unverbunden erscheinende Merkmale einen gemein‐ samen thematischen oder funktionalen Bezug erhielten“ (ebd.). Mit Hilfe von Konzepten „abstrahieren [wir] aus dem Strom von Sinneseindrücken das Inva‐ riante, Häufige und/ oder Typische“ (Hoffmann & Engelkamp 2013: 103). Inso‐ fern lassen sich Konzepte als „kategoriale Zusammenfassung von Erschei‐ nungen“ (ebd.) fassen. In der Wissenspsychologie (Mandl & Spada 1988) wird die Frage nach der Rolle des Wissens in der Wahrnehmung innerhalb von zwei Theoriesträngen diskutiert. Die kognitive, „indirekte Theorie“ der Wahrnehmung spricht den eingehenden sensorischen Reizen die Fähigkeit ab, ein Perzept, d. h. eine Re‐ präsentation des Wahrgenommenen, zu erzeugen. Die wahrgenommenen Reize enthalten prinzipiell ein Ausmaß an Unbestimmtheit, die nicht ohne weiteres reduzierbar ist. Wahrnehmung ist indirekt, weil „Erfahrungen, Wissen und Er‐ wartungen […] die externe Stimulation re-interpretieren“ (Mandl & Spada 1988: 223). Der indirekte Ansatz misst den Konzepten also eine zentrale Bedeutung für die Steuerung der Wahrnehmung bei. Grundsätzlich werden in der kognitiven Psychologie drei Modi unterschieden, wie Konzepte gebildet werden: der klas‐ sische Ansatz, der mittlerweile als widerlegt gelten kann (vgl. Wentura & Frings 2013: 127), der Prototypenansatz und der exemplarbasierte Ansatz. Diese beiden Ansätze sollen kurz skizziert werden, da die wissensbasierte Verarbeitung (knowledge-based reasoning) als eine zentrale Dimension der Unterrichtswahr‐ nehmung angenommen wird (vgl. 2.1.3). Gemäß der Prototypensicht werden Konzepte über die charakteristischen Merkmale von Erscheinungen gebildet (Waldmann 2008: 382). Am Beispiel des grippalen Infekts zeigt Waldmann auf, dass es bestimmte Symptome gibt, unter denen manche Patienten leiden und andere nicht. Es ist also fast unmöglich, eine vollständige Liste von Merkmalen zu bestimmen, die auf alle Erscheinungs‐ formen des grippalen Effekts zutrifft. Es gibt aber bestimmte Merkmale, die sich bei allen Personen finden, die unter einem grippalen Effekt leiden. Dies sind die typischen Merkmale. Im Prototypenansatz werden Konzepte „als Bündel von Merkmalen repräsentiert, die typisch oder charakteristisch [für ein Phänomen, RG] sind“ (Waldmann 2008: 381). In Anlehnung an Rosch & Lloyd (1978) spricht 44 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="45"?> Kurtz (1989) von einer „Tendenz zur Prototypikalität“, wann immer „sich die weniger typischen Objekte der gleichen konzeptuellen Extension in mehr oder minder großem Abstand" um die prototypische Mitte gruppieren (Kurtz 1989: 44). Für eine vertiefende Diskussion der Prototypensicht und ihrer Probleme sei an dieser Stelle auf Waldmann (2008: 383ff.) verwiesen. Während der Prototypenansatz versucht, Kategorien über ein „bestes“ Exemplar mit einer Zusammenstellung der charakteristischen Merkmale zu re‐ präsentieren, basiert der Exemplaransatz auf dem Gedanken, dass „sehr viele Einzelexemplare abgespeichert sind und Kategorisierung ein Ähnlichkeitsab‐ gleich mit einzelnen oder mehreren Exemplaren ist“ (Wentura & Frings 2013: 132). Der exemplarbasierte Ansatz geht davon aus, dass beim Lernen die ein‐ zelnen Exemplare im Gedächtnis gespeichert werden. Kategorisierung erfolgt auf der Basis von Ähnlichkeitsvergleichen mit den einzelnen Exemplaren. Die Annahme, dass „unzählbar viele Objekte, die wir als Exemplare tausender Kon‐ zepte erleben, individuell gespeichert sein sollen“ (Hoffmann & Engelkamp 2013: 89), wird mit Rückgriff auf das episodische Gedächtnis begründet, welches „Erinnerungen an unzählige Erlebnisse vermutlich ein ganzes Leben lang be‐ wahrt“ (ebd.). Neben allen Detailproblemen der ähnlichkeitsbasierten Ansätze zur Kategorienbildung ist es dennoch deren bleibendes Verdienst, aufgezeigt zu haben, „dass eine Organisation des Gedächtnisses vorstellbar ist, die - je nach Abrufschlüssel - sowohl den Abruf von Einzelexemplaren als auch den von Abstraktionen erlaubt“ (Wentura & Frings 2013: 133). Die Probleme ähnlich‐ keitsbasierter Theorien haben eine Reihe von Kognitions- und auch kognitiven Entwicklungspsychologen zu der Annahme geführt, dass Konzepte nicht als Bündel definitorischer oder charakteristischer Merkmale gespeichert werden, sondern als strukturierte Gebilde, die auch funktionale und kausale Relationen zwischen Merkmalen enthalten (Waldmann 2008: 418). In Analogie zur Wis‐ senschaft werden Kategorien als Daten (Lernexemplare) und Theorien (Kate‐ gorien) konzeptualisiert. Im Gegensatz zur indirekten Theorie der Wahrnehmung schließt die direkte Theorie der Wahrnehmung vermittelnde, kognitive Prozesse aus und betont stattdessen, dass die Sinne keine „passive[n] Kanäle“, sondern „Instrumente für die gezielte Suche nach wesentlichen (lebensdienlichen) Daten“ (Aschersleben 2008: 780) sind und die im optischen Reiz bereits vorliegende Information le‐ diglich extrahiert werden muss. Der Organismus fokussiert den Informations‐ gehalt des sinnlich wahrnehmbaren Angebots und unterzieht die Umweltinfor‐ mationen einer genauen Analyse (Prinz & Müsseler 2008: 45). Gibson (1982) ist mit seinem ökologischen Ansatz ein prominenter Vertreter der direkten Theorie. Umweltinformationen bzw. die Bedeutung, die die Umwelt 45 2.2 Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln <?page no="46"?> für eine Person haben kann, bezeichnet Gibson als Angebote (affordances). In Abgrenzung zu ähnlichkeitsbasierten Ansätzen, gemäß denen „wir Objekte in dem Maße wahrnehmen, wie wir ihre Eigenschaften und Qualitäten unter‐ scheiden“ können (Gibson 1982: 145), ist Gibson der Überzeugung, „dass das, was wir beim Anschauen von Objekten wahrnehmen, nicht deren Qualitäten, sondern deren Angebote sind […]. Um wahrnehmen zu können, was die Dinge anbieten, muss man sie nicht zuvor klassifizieren und etikettieren“ (ebd.). Es besteht keine Notwendigkeit, alle Merkmale eines Objekts zu unterscheiden; „die Wahrnehmung geht ökonomisch vor“ (Gibson 1982: 146). Unsere Wahr‐ nehmung richtet sich also auf die funktionellen Eigenschaften von Objekten. Auf welche Objekteigenschaften eine Person ihre Aufmerksamkeit richtet, ent‐ scheidet sich an den Intentionen der Person (Aschersleben 2008: 781). Zur Illustration wird das auch von Gibson erwähnte Beispiel der Wahrneh‐ mung von Sitzgelegenheiten herangezogen. Oberflächen, die horizontal, eben, ausgedehnt und starr sind, bieten Unterstützung an: Man kann auf ihnen laufen oder sitzen, man sinkt nicht in sie ein. Damit aus der Wahrnehmung der Ober‐ fläche ein Angebot wird, sich darauf zu setzen, muss sich die Oberfläche mit den genannten Merkmalen außerdem noch kniehoch über dem Boden befinden (Gibson 1982: 138). Das „Angebot“ eines Objekts, Sitzfläche zu sein, erfolgt also „relativ zur Körpergröße des Individuums“ (ebd.): „Werden die Oberflächenei‐ genschaften relativ zu den Körperoberflächen, also zum Ich, gesehen, dann haben sie eine Bedeutung und legen eine Sitzgelegenheit fest“ (Gibson 1982: 138). Auf der Suche nach einer Sitzmöglichkeit im Wald für ein Picknick wird man nach Objekten Ausschau halten, die bestimmte Eigenschaften eines Sitzmöbels haben (z. B. ein großer, liegender, trockener Baumstamm). Für die Auswahl eines Baumstammes als Sitzgelegenheit im Wald wäre es unerheblich, ob es sich um eine Eiche oder eine Buche handelt. Gleichwohl kann es bei der Generierung eines Angebots eine Rolle spielen, ob es sich um einen Nadelbaum oder einen Laubbaum handelt (aufgrund des klebrigen Harzes). Inzwischen geht man von einem Kontinuum zwischen Wissen und Wahr‐ nehmung aus, wobei die Wahrnehmungsforschung eine Integration des di‐ rekten, ökologischen Ansatzes von Gibson und des beschriebenen indirekten Ansatzes anstrebt (Prinz & Müsseler 2008: 47). Dass Wissen unterschiedlicher Quantität und Qualität in unterschiedlichen Wahrnehmungssituationen eine Rolle spielt, gilt mittlerweile als unstrittig. Die Rolle von Wissensbeständen bei der Wahrnehmung variiert, weshalb man versucht, den „graduellen Anteil des Wissens“ in unterschiedlichen Wahrnehmungsprozessen (z. B. Objekterken‐ nung, Gesichtserkennung) zu beschreiben. Ein Zwischenschritt im Sinne eines 46 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="47"?> Mechanismus‘ der kognitiven Verarbeitung ist damit nicht vollkommen ver‐ zichtbar (Prinz & Müsseler 2008: 47). Auch im Perceptual Expertise Network herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass perzeptuelle und kognitive Prozesse miteinander interagieren, so dass die Debatte zwischen einer perzeptuellen und einer kognitiven Perspektive als ge‐ löst gelten kann. Nach Wong & Wong (2014) sind unterschiedliche Gehirnre‐ gionen und aufmerksamkeitsrelevante Prozesse bei Wahrnehmungsprozessen gleichsam aktiv. Auch wenn Trainingsstudien zur lebensweltlichen Expertise zeigen, dass Aufmerksamkeitsprozesse, Aufgabenmerkmale und die Multimo‐ dalität des Inputs nicht zu unterschlagende Faktoren bei der Bestimmung des Verhältnisses von Perzeption und Kognition sind, wird die Interaktion zwischen Perzeption und Kognition in diesem Zusammenhang immer wieder betont: Training studies also show clearly the engagement of a widespread neural network of areas for expert object processing [...]. The interaction between perceptual and cognitive processing has been well accommodated in perceptual expertise research. (Wong & Wong 2014: 308) Eine interaktive Perspektive wird auch von Forschenden im Proactive Brain Framework (Cheung & Bar 2012) eingenommen. Die Autoren nehmen prädiktive Prozesse (predictive processes) für zahlreiche mentale Operationen an der Schnittstelle zwischen Kognition und Perzeption an. Beim Eintreffen des Inputs kommt es zu einer Vorentscheidung darüber, welche Fälle in einem bestimmten Kontext von Bedeutung sind (Cheung & Bar 2012: 157). Die Vorauswahl kommt einer Vorhersage darüber gleich, mit welchen verfügbaren Konzepten sich ein eingehender visueller Reiz assoziieren lässt. Ein schlichtes Beispiel mag dies illustrieren: Das blinkende Rotlicht, welches Fußgängerampeln in manchen eu‐ ropäischen Ländern kennen, wird mit dem dauerhaft leuchtenden Rot der Fuß‐ gängerampel verglichen. Die Beobachtung, dass manche Passanten die Straße noch queren, während andere bereits warten, lässt den Analogieschluss zu, dass es sich bei der rot blinkenden Fußgängerampel in Analogie zur Ampel für Fahr‐ zeuge um eine Art „Gelb für Fußgänger“ handeln muss. Die Bildung von perzeptuellen Kategorien erfolgt über eine assoziative Ver‐ arbeitung des Inputs und Analogiebildungen. So wird man beim Anblick eines Sofas an ähnliche Repräsentationen des Möbelstücks erinnert, die man bei‐ spielsweise in einem Schloss gesehen hat und mit denen man bestimmte Erin‐ nerungen verbindet. Die Ko-Aktivierung von assoziierten Repräsentationen er‐ möglicht recht präzise Vorhersagen darüber, welche Elemente des visuellen Inputs von besonderer Relevanz sind. Ein Sofa in der Hotel-Lobby wird man eher als Ort für ein Treffen von Geschäftspartnern wahrnehmen als ein Bieder‐ 47 2.2 Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln <?page no="48"?> meier-Sofa in einem historischen Schlossgebäude oder als das heimische Sofa vor dem Fernsehgerät, welches wiederum ganz spezifischen Zwecken dient. Ergebnisse zahlreicher Studien, die von Cheung & Bar (2012: 158) zusam‐ mengefasst werden, deuten darauf hin, dass Experten eingehende Stimuli schneller und genauer assoziativ verarbeiten: „Experts elicit stronger associative processing due to enhanced visual and nonvisual knowledge and are faster and more accurate in making use of analogies and generating predictions about their specific domains of expertise“ (ebd.). Kontextinformationen werden mit verar‐ beitet und führen zur Aktivierung entsprechender Assoziationen. Die schneller ablaufende Verarbeitung von visuellen Informationen und nicht-visuellen, as‐ soziativ organisierten Wissensbeständen impliziert - sicherlich noch mit einem empirischen Fragezeichen versehen - eine Interaktion zwischen dem kon‐ text-assoziativen Netzwerk und dem perzeptuellen System: It is likely that these interactive processes are not only found with face or person perception but with perceptual expertise for other object categories. However, further empirical work is necessary to understand how exactly these interactions operate. (Cheung & Bar 2012: 161) Daraus abzuleiten, dass sich visuelle Expertise (vgl. Gauthier, Tarr & Bub 2010) gewohnheitsmäßig durch visuelle Stimuli und die nachfolgende Aktivierung bestimmter Gehirnareale entwickelt, wäre eine unzulässige Verkürzung. Nicht-perzeptuellen Verarbeitungsprozessen wird gerade in jüngerer Zeit wieder eine höhere Bedeutung beigemessen (Wong & Wong 2014: 308). Trai‐ ningsstudien und Studien zur Expertise in alltäglichen Lebensbereichen zeigen, dass Aufmerksamkeitsprozesse, Aufgabenmerkmale und die Multimodalität des Inputs nicht zu unterschätzende Faktoren bei Wahrnehmungsaufgaben sind, die oberflächlich betrachtet aus der vermeintlich erfolgreichen Kombination von visueller Verarbeitung und Einschätzung bestehen. Es stellt sich die Frage, in welchem Maße die Modelle und Forschungsbefunde zur visuellen Expertise auf die Analyse von Unterrichtsvideos übertragen werden können. Die Beobachtung von Unterricht wird wahrscheinlich auch ein breites Spektrum an Assoziationen hervorrufen und unterschiedliche prädiktive Prozesse auslösen. Von Interesse ist es herauszufinden, welche Assoziationen und prädiktiven Prozesse bei der Betrachtung bestimmter Unterrichtssituati‐ onen ausgelöst werden. Aus der fremdsprachendidaktischen Ausbildungs- und Professionalisierungsperspektive ist die Aktivierung von Assoziationen erstre‐ benswert, wenn sie auf zentrale Dimensionen des Lerngeschehens wie z. B. Sprechanteile, Verständlichkeit von Worterklärungen, Ausmaß des engagement (Schmitt 2008: 338) mit Wortschatz usw. zielen. Von Interesse ist auch, ob Pro‐ 48 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="49"?> banden mit mehr Unterrichtserfahrung (z. B. durch Nachhilfetätigkeiten) mehr Assoziationen bilden können und ob sie aus dem Strom von Assoziationen ge‐ zielter solche auswählen können, die für die Planung und Ausführung nach‐ folgender Handlungen strategischen Nutzen, d. h. Lerneffekte entfalten. 2.2.2 Die Theorie verhaltenssteuernder Antizipationen nach Hoffmann (1993) Die Theorie des Erwerbs antizipativer Verhaltenskontrolle (Anticipative Beha‐ vioral Control, ABC-Theorie, Hoffmann & Engelkamp 2013: 59) begreift Kon‐ zeptbildung als Folge von Verhaltenserfahrung. Hoffmann (1993) stellt heraus, dass man kognitive Leistungen erst dann verstehen kann, wenn man „ihren Beitrag für die Effektivierung der Verhaltenssteigerung“ herausarbeitet, da „kognitive Prozesse stets an die Verhaltenssteuerung gebunden“ sind und auch „nur in diesem Zusammenhang verstanden werden“ können (Hoffmann 1993: 22). Als Vorläufer dieses Ansatzes ist Gibsons ökologischer Ansatz zu nennen. Dieser bezieht sich auf die Gestaltpsychologen, wenn er seinen Begriff der af‐ fordances von Koffkas demand character und Lewins invitation character ableitet (Gibson 1977: 149). Entscheidend ist, dass „sich das Angebot von etwas nicht ändert, wenn sich das Bedürfnis des Beobachters ändert“ (ebd. 150). Ob ein Ob‐ jekt wahrgenommen wird, entscheidet darüber, ob seine Handlungsmöglich‐ keiten vom Individuum genutzt werden. „Was ein Objekt anbietet, bietet es an, weil es das ist, was es ist“ (ebd. 150). Objekte und Erscheinungen, die zu ver‐ gleichbaren Erfahrungen und Effekten führen, werden zu einer Kategorie zu‐ sammengefasst. „Die Bildung von Konzepten nach funktionaler Äquivalenz führt dazu, dass sich konzeptuelle Repräsentationen in den jeweiligen Hand‐ lungskontexten ausbilden, in denen die Äquivalenz erfahren wird“ (Hoffmann & Engelkamp 2013: 80). Konzepte sind demnach Klassifizierungen von Objekten nach ihrer funktionalen Äquivalenz. „Unterschiedliche Objekte, mit denen man in gleicher Weise agieren kann, werden kategorial zusammengefasst“ (ebd. 80). Hoffmann (1993) wählt hierfür den Begriff der „verhaltenssteuernden Antizi‐ pationen“. Diese bestehen aus mehr oder weniger anschaulichen Vorstellungen über die zu erwartenden Reizwirkungen. Die Identifikation von Objekten durch selektive Aufmerksamkeit und die nachfolgende Begriffsbildung erfolgt immer in Zusammenhang mit relevanten Verhaltensbezügen. „Verhaltenssteuernde Antizipationen sind Vorstellungen über die Transformierbarkeit von Ausgangsin Zielsituationen“ (Hoffmann 1993: 50). Die Bandbreite menschlichen Verhal‐ tens lässt sich durch die unendliche Zahl von Vorstellungen bzw. angestrebten 49 2.2 Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln <?page no="50"?> Effekten erklären. Jeder unterscheidbare Effekt wird damit zu einem möglichen Verhaltensziel (Hoffmann & Engelkamp 2013: 62). Die Grundannahme der ABC-Theorie, dass „willkürliches Verhalten [...] auf das Erreichen aktuell konkreter Ziele“ (ebd. 62) gerichtet ist, lässt sich auf das berufliche Handeln und Planen von Lehrpersonen übertragen. Unterrichtspla‐ nung kann demnach als eine Antizipation von Effekten aufgefasst werden. Es sind Vorstellungen und Antizipationen von zu erreichenden Zuständen (Lern‐ effekten), die ein bestimmtes Lehrerverhalten (Impulse, Aufgabenstellungen, Erklärungen etc.) in Gang setzen. Wie steht es jedoch um die Erklärbarkeit von Lehrerhandlungen, die nicht planbar und stattdessen spontan und adaptiv im laufenden Unterrichtsprozess vollzogen werden (z. B. Würdigung herausragender Schülerbeiträge, Reaktion auf Unterrichtsstörungen, nicht geplante Wiederholungen)? Um den Erfolg willkürlichen Verhaltens und seiner antizipierten Effekte zu überprüfen, werden im fortlaufenden Unterricht die tatsächlich eintretenden mit den antizipierten Effekten verglichen. Die Lehrperson kontrolliert, ob die Lernenden die gestellte Lernaufgabe bewältigen können und ob das zu beobachtende Ergebnis mit dem antizipierten Effekt übereinstimmt (z. B. fehlerfreies und flüssiges Vortragen eines Dialogs nach mehrmaliger Präsentation und Einübung). Im Zuge des Ver‐ gleichs von antizipierten und realen Effekten werden „Repräsentationen, die der Verhaltensausführung zugrunde gelegen haben, mit Repräsentationen von Ver‐ haltenseffekten verbunden“ (Hoffmann & Engelkamp 2013: 60). Dies führt dazu, dass das bloße Verhalten die Vorstellung (Repräsentation) des Effekts aktiviert. Wenn eine Lehrperson Wörter an der Tafel in einer Mindmap-Struktur sammelt, dann geschieht dies mit der Erwartung, dass Lernende verstehen, welche Ver‐ bindungen Wörter miteinander haben (z. B. Synonymie, Meronymie). Verhal‐ tens-Effekt-Beziehungen können sich aber auch durch die Wahrnehmung von Effekten des Verhaltens bilden. Voraussetzung für solche „sekundären Kontex‐ tualisierungen von Verhaltens-Effekt-Verbindungen“ (ebd. 60) ist allerdings, dass sich hinreichend Gelegenheiten für eine wiederholte Beobachtung bieten. Entscheidend für den Aufbau von „Situations-Verhaltens-Effekt-Tripeln“ (ebd. 61) ist, dass Merkmale der Situation und die Effekte, welche die Verhal‐ tensausführung begleiten, mit abgespeichert werden. Allerdings nehmen Hoff‐ mann & Engelkamp (2013: 61) die detaillierte Beachtung situativer Merkmale nur dann als entscheidend an, „wenn situative Bedingungen mit angestrebten Effekten verglichen werden“ (ebd.). Wenn sich Effekte oder Situationsbedin‐ gungen laufend ändern, führt dies nicht zu einer dauerhaften Speicherung des entsprechenden Tripels bzw. gar nicht erst zu dessen Aufbau. Dies erklärt im Übrigen auch, warum selbst routinierte Lehrpersonen sich in bestimmten pä‐ 50 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="51"?> dagogischen Situationen überfordert fühlen können und Bedenkzeit für eine Entscheidung benötigen. Wenn sich reale Verhaltenseffekte in relativer zeitli‐ cher Nähe zum durchgeführten Verhaltensakt einstellen, ist der Aufbau einer Repräsentation wahrscheinlicher. Dies lässt sich mit der Kontingenz, dem relativ zeitnahen Auftreten von Verhaltenseffekten, erklären (ebd. 61). Auch wenn Merkmale von Situationen variieren, können reduzierte Reprä‐ sentationen erzeugt werden, die „von den variierenden Effekten und variier‐ enden Situationsbedingungen abstrahieren und nur die Beziehungen speichern, die hinreichend oft bzw. hinreichend verlässlich eintreten“ (Hoffmann & En‐ gelkamp 2013: 61). Dies lässt sich mit dem Beispiel von Semantisierungsstrate‐ gien veranschaulichen. Es gibt keine klare Zuordnung von Wörtern und Se‐ mantisierungsstrategien. Wörter mit Referenten (z. B. potato) lassen sich durch Vorzeigen des konkreten Objekts semantisieren, oder es lässt sich durch eine funktionale Definition anzeigen, was man mit dem jeweiligen Objekt tun kann (to peel a potato). Eine reduzierte Repräsentation lautet wie folgt: Wenn ich einen Gegenstand zur Semantisierung nutze (absichtsvolles Verhalten) und das ziel‐ sprachliche Wort dabei nenne, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Lern‐ enden die Bedeutung des Wortes erfassen. Was sind die Implikationen dieser Lerntheorie für die Förderung der profes‐ sionellen Unterrichtswahrnehmung von angehenden Lehrpersonen? Zunächst kann man festhalten, dass die bereits referierten Befunde aus der Expertisefor‐ schung, dass Experten über die Fähigkeit verfügen, „lösungsdienliche Struk‐ turen und funktionale Zusammenhänge in Situationen neu zu sehen, die für den Nicht-Experten wenig strukturiert oder unübersichtlich erscheinen“ (Bromme 1992: 54), eine psychologische Untermauerung erhalten. Unterschiede zwischen Novizen und Experten beruhen gemäß der ABC-Theorie auf der Fähigkeit, be‐ stimmte Effekte von Lehrerwie Schülerverhalten in Standardsituationen zu antizipieren. Der Experte hat „Erfahrungen darüber gespeichert […], welches Verhalten für das Erreichen welcher Ziele unter welchen Bedingungen erfolg‐ versprechender ist“ (Hoffmann & Engelkamp 2013: 61). Auf diese Weise ent‐ stehen „Verknüpfungen zwischen neuronalen Repräsentationen, die der Ver‐ haltensausführung zugrunde liegen, und neuronalen Repräsentationen der das Verhalten begleitenden sensorischen Wirkungen“ (ebd.). Die beschriebenen Mechanismen des Abgleichs von antizipierten und realen Effekten liefern also eine gedächtnispsychologische Grundlage für die Struktu‐ rierung von Wahrnehmungsprozessen und die verhaltensnahe Konzeptbildung (ebd. 60 f.). „Es entstehen Repräsentationen, in denen gespeichert ist, welche Effekte mit welchem Verhalten in welchen Situationen erreicht werden können“ (ebd. 70). Repräsentationen sind demnach dynamisch, weil in der Umwelt (z. B. 51 2.2 Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln <?page no="52"?> im Klassenzimmer) „Verhaltens-Effekt-Beziehungen gelernt [werden], die an Situationen zurückgebunden sind; der Erfolg des Verhaltens ist häufig situati‐ onsabhängig oder ein bestimmtes Verhalten wird immer in derselben Situation ausgeführt“ (ebd. 71). 2.2.3 Exkurs: Zur Wahrnehmung von Situationen in der verstehenden Soziologie Auch wenn die Soziologie als Disziplin generell an Erklärungen für das kollek‐ tive Verhalten interessiert ist, setzt die verstehende Soziologie mit ihrer Suche nach Erklärungen auf der individuellen Ebene an (Esser 1999: 14). Ausgangs‐ punkt ist die Frage, warum sich Menschen nicht gemäß ihrer Einstellungen und Werthaltungen verhalten. Mehr als die verinnerlichten Werte, Haltungen und Einstellungen bestimmen offenbar die Situation und ihre spezifischen Merkmale das menschliche Verhalten maßgeblich mit (ebd. 61). Der Situationsbegriff findet sich bei einem Wegbereiter für die verstehende Soziologie, William Isaac Thomas (1863-1947). Das Thomas-Theorem konzeptualisiert das Handeln als Folge einer subjektiven Definition einer Situation. Thomas stellt die Wahrneh‐ mung als zentral für den Prozess der Bedeutungsverleihung heraus. Menschen handeln aufgrund der Art und Weise, wie sie Situationen wahrnehmen. Die Logik der Situation gibt bestimmte Handlungsoptionen vor und schließt andere aus (z. B. das Verlassen einer Tischgesellschaft, wenn das gemeinsame Essen noch nicht beendet ist). Wissen über die Situation und die Werte, die mit be‐ stimmten Folgen des Handelns verbunden sind, bilden zusammen die elemen‐ tare Logik der Situation für die Akteure (Esser 1999: 45). Das Individuum ist also im alltäglichen Leben handlungsfähig, weil es bestimmte Situationsdefinitionen abrufen kann und die Erfordernisse dieser Situationen kennt. Entsprechend der Definition der Situation wird gehandelt: „Menschen handeln der Situation ge‐ genüber aufgrund der Definition, die sie ihr geben“ (Richter 2002: 73). Der Handschlag markiert beispielsweise den Abschluss eines Geschäfts oder zu‐ mindest die gegenseitige Akzeptanz der zuvor ausgehandelten Bedingungen (Preis, Kaufgegenstand etc.). Vor dem Handeln definiert das Subjekt die Situation. Diese Definition kommt einer selektiven und systematisierenden Interpretation der Situation gleich, in der „der Akteur einstweilen gefangen ist“ (Esser 1999: 61) und die zur „unref‐ lektierten und unverzüglichen Anwendung habitualisierter Muster des unter dem betreffenden Rahmen üblichen und gewohnten Tuns“ führt (ebd. 62). Die subjektive Definition der Situation kommt einer Rahmung einer sozialen Situ‐ ation gleich, die auf diese Weise einen Sinn erhält. Damit wird auch die kom‐ 52 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="53"?> plexitätsreduzierende Funktion deutlich, zu der die Definition einer Situation führt (vgl. Schemabegriff). Auf dieser „Vereinfachungsfiktion“ der Rahmung der sozialen Situation „beruht die relative Reibungslosigkeit der zahlreichen Koor‐ dinaten des Alltagshandelns“ (ebd. 63). Das Handeln des Menschen - auch das von Lehrpersonen im Unterricht - ist der Versuch, drängende Probleme zu lösen, und zwar nach den Vorgaben der Situation und gemäß der zur Verfügung ste‐ henden Ressourcen (ebd. 36). 2.2.4 Neuropsychologische Befunde zum Verhältnis von Wahrnehmung und Handeln Wenn Wahrnehmen und Handeln im menschlichen Dasein derart dicht ver‐ woben sind, legt dies aus neuropsychologischer Sicht die Frage nahe, ob Wahr‐ nehmungen und Handlungen in größerer Nähe zueinander repräsentiert sind. Klassische lineare Modelle der menschlichen Informationsverarbeitung trennen zwischen Wahrnehmung und Handeln und müssen infolgedessen einen eigenen Übersetzungsmechanismus annehmen, „der zwischen dem Format, in dem je‐ weils die Wahrnehmungsinhalte und die Handlungen repräsentiert sind, ver‐ mittelt“ (Aschersleben 2008: 782). Frühe Modellierungen der funktionalen Un‐ terschiede nahmen einen Was-Pfad (Objekterkennung) und einen Wobzw. Wie-Pfad an und unterschieden zwei Modi der Inputverarbeitung. Nach Unger‐ leider & Mishkin (1982) haben spezifische Eigenschaften des visuellen Inputs zur Entwicklung von zwei unterschiedlichen neuronalen Funktionen geführt: die der Wahrnehmung von Objekten und die der Wahrnehmung der räumlichen Beziehungen zwischen Objekten oder Fixpunkten. Milner & Goodale (1996) un‐ terscheiden neurophysiologisch einen ventralen und einen dorsalen Pfad. Diese beiden kortikalen, d. h. zur Hirnrinde gehörigen Pfade üben Funktionen aus, die sowohl mit perzeptueller Repräsentation als auch mit visuomotorischer Kon‐ trolle zu tun haben. Die Transformationen visuellen Inputs im ventralen Pfad ermöglichen den Aufbau perzeptueller und kognitiver Repräsentationen, die die Eigenschaften und die Bedeutung von Objekten beinhalten. Der dorsale Pfad vermittelt hingegen zwischen Wahrnehmung und Handlungen und erlaubt dem Organismus die Kontrolle zielgerichteten Verhaltens (Milner & Goodale 1996: 66). Der ventrale Pfad ist stärker mit Wissens- und Gedächtnisstrukturen ver‐ knüpft, wie sie z. B. von Schematheoretikern angenommen werden (vgl. 2.2.1). Der Ansatz des common coding geht hingegen davon aus, dass Wahrnehmung und Handeln mit Hilfe des common code repräsentiert werden. Das visuelle System ist demnach sowohl mit der Handlungsführung als auch mit der per‐ zeptuellen Repräsentation befasst (Milner & Goodale 2006). Das visuelle System 53 2.2 Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln <?page no="54"?> vollbringt zwei Leistungen: Handeln in der Welt und Repräsentieren von Infor‐ mationen. Der Organismus nutzt beide Ströme für die Handlungsausführung, auch wenn die visuelle Wahrnehmung und die visuelle Kontrolle von Hand‐ lungen von funktional und neuronal eigenständigen Systemen ausgeführt werden. Mit Hilfe der Transformationen im ventralen Pfad können wir sicher‐ stellen, dass wir einen Schraubenzieher am richtigen Ende fassen, um eine Schraube anzuziehen, weil wir uns die Funktion des Schraubendrehers gemerkt haben oder wir beim letzten Schrankaufbau Erfolg damit hatten, so dass wir das Werkzeug so gebrauchen können, dass es seine spezifische Funktion erfüllt. „Perception is not an end in itself, in biological terms, but rather a means to an end. It is worth reiterating once more that ultimately both visual streams exist to serve action“ (Milner & Goodale 1996: 221). Die Entstehung des Konzepts „Feuerstein“ ist nur durch die Wahrnehmung des Steins in Kombination mit der Handlung des Aufeinanderschlagens von Steinen denkbar. Erst mit dem Fun‐ kenschlag wurden bestimmte Arten von Steinen gemäß ihre Handlungspoten‐ zials und entsprechend ihrer Funktion als „Feuersteine“ kategorisiert und mental repräsentiert. Aschersleben resümiert die Befunde dahingehend, dass es eine „deutliche Evidenz für die Existenz von Neuronenpopulationen […] gibt, die sowohl Wahr‐ nehmungsals auch motorische Funktion haben“ (Aschersleben 2008: 782). Die Neuropsychologie stützt die Grundidee einer gemeinsamen Repräsentation von Wahrnehmung und Handlungen. So konnten identische Neuronenaktivitäten für Handlungen und die Beobachtung derselben Handlung nachgewiesen werden (sog. Spiegelneuronen). 2.2.5 Zwischenfazit Ziel dieses Teilkapitels ist es gewesen, die psychologischen Grundlagen einer wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht als einer Dimension der profes‐ sionellen Unterrichtswahrnehmung näher zu ergründen. Professionstheore‐ tisch und ausbildungstechnisch stellt sich die Frage, ob es einen Weg vom Wahrnehmen zum Handeln gibt. Ist eine professionelle Wahrnehmung von Un‐ terricht bereits eine Vorstufe zum Handeln? Bereitet die Schulung der Fähigkeit zur Unterrichtswahrnehmung auf das Handeln vor? Neuropsychologische Be‐ funde verweisen auf die gemeinsame Repräsentation von Handlungen und Wahrnehmungen, legitimieren für sich genommen jedoch noch keine Kausali‐ täten hinsichtlich der Fähigkeit zur professionellen Unterrichtswahrnehmung und Handlungskompetenzen im Lehrerberuf. Die psychologischen Befunde zur Bedeutung der Wahrnehmung für das Handeln unterstützen die Annahme, dass 54 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="55"?> die Identifikation von handlungsleitenden Merkmalen einer Situation im Un‐ terrichtsvideo möglicherweise auch im Klassenzimmer funktioniert: The process of identifying and extracting key information from classroom video pa‐ rallels what is demanded in teaching. Moment-by-moment teachers are required to recognize and consider real data while immersed in the act of teaching within cluttered and distracting environments. Engaging teachers in this process with video provides a mediated experience simulating what is demanded of them in real time analysis in their classrooms. (Seago 2004: 274) Die Befunde aus der Psychologie und Soziologie legen zumindest den Schluss nahe, dass Lehrerhandeln maßgeblich von der Art und Weise bestimmt ist, wie Unterrichtssituationen wahrgenommen werden. Während die Definition von sozialen Situationen im Alltagshandeln meist reibungslos funktioniert, stellt die Definition von Unterrichtssituationen für angehende Lehrpersonen eine ver‐ gleichsweise komplexe Aufgabe dar, weil sie noch über wenig habitualisierte Muster (Schemata) für die Einordnung des Geschehens verfügen. Professio‐ nelles Handeln im Unterricht ergibt sich infolge der Wahrnehmung und Defi‐ nition von Situationen. Die Logik der Situation (z. B. Lernende verwenden ein englisches Wort in einem nicht passenden Kontext) gibt bestimmte Handlungs‐ optionen (z. B. Korrektur und Erläuterung) vor und schließt andere aus. Mit Bezug auf die Modellierungsansätze der PUW wird deutlich, dass die Dimensionen Beschreiben, Klassifizieren und Vorhersagen nicht ohne konkrete Situationen gedacht werden können. Für die Erfassung der fachbezogenen PUW bedeutet dies, dass die Selektion von Situationen lexikalischen Lernens für sich genommen ein erster Indikator für eine professionelle Wahrnehmung von Un‐ terricht ist (vgl. Kapitel 1.2, Forschungsfrage 1). Allgemeine, pädagogische Fa‐ cetten des Unterrichtsgeschehens werden ignoriert, die Aufmerksamkeit ist auf fachbezogene, lehr-lernrelevante Merkmale des Unterrichts in einer spezifi‐ schen Situation gerichtet. Inwieweit eine Klassifizierung mit einem Fachkonzept oder eine Vorhersage von Lernergebnissen gelingt, hängt im Wesentlichen von der Art und Weise ab, wie die Situation definiert wird. Handelt es sich beispiels‐ weise um eine Phase des Unterrichts, in der durch verschiedene Aktivitäten die Flüssigkeit des mündlichen Ausdrucks gefördert werden soll, wird man als Lernergebnis nicht einen fehlerfreien Sprachgebrauch erwarten können. Entwickeln Studierende Vorstellungen von Zielzuständen, wenn sie be‐ stimmte fachdidaktische Konzepte in Lehrveranstaltungen und der entsprech‐ enden Literatur vermittelt bekommen? Das Problem der universitären Lehrer‐ ausbildung besteht darin, dass Konzepte eben nicht als Folge von Verhaltenserfahrung gebildet werden. Nicht die allgemeine Beobachtung oder 55 2.2 Zum Verhältnis von Wissen, Wahrnehmung und Handeln <?page no="56"?> Reflexion von Unterricht, sondern die spezifische Wahrnehmung von Unter‐ richtssituationen und die Antizipation von Lerneffekten sowie die Benennung von fachdidaktischen Notwendigkeiten im Sinne der affordances führt zu einer Bildung von Konzepten, zu einer organisierten Wissensbasis, die dann auch für spätere Handlungen zur Verfügung steht. Dies ist ein entscheidendes Moment einer professionellen Wahrnehmung von Unterricht. Hochschuldidaktisch stellt sich die Frage, wie eine Ausbildungssituation ge‐ staltet sein muss, die den Abgleich von realen und antizipierten Effekten in konkreten Unterrichtssituationen gewissermaßen einfordert. Das Eintreten oder Ausbleiben von antizipierten Effekten müsste anhand von konkreten Si‐ tuationen analysiert werden. Die Antizipation von Lerneffekten in bestimmten Situationen auf der Grundlage von fachdidaktischen Konzepten wäre ein zent‐ rales Ziel der Schulung der Unterrichtswahrnehmung und im Fall des Gelingens ein Indikator für eine Professionalisierung derselben. Diese Situationen müssen entsprechend ausgewählt werden und situationsspezifische Notwendigkeiten oder Handlungsaufforderungen enthalten. Solche Situationen ließen sich medial vermittelt über Unterrichtsvideos zugänglich machen. 2.3 Zum Verhältnis von Begriffen und Wahrnehmung Mit der Frage nach dem Verhältnis von Begriffen und Wahrnehmung hat sich schon früh Herbert Blumer, Hauptvertreter des symbolischen Interaktionismus innerhalb der verstehenden Soziologie und des amerikanischen Pragmatismus, beschäftigt. Im Anschluss werden Ergebnisse der bislang einzigen fachdidakti‐ schen Studie zur Berufssprache von Englischlehrpersonen (Wipperfürth 2015) vorgestellt und vor dem Hintergrund der Ziele dieser Untersuchung diskutiert. Fachbegriffe erhöhen nach Einschätzung der von Wipperfürth befragten Leh‐ rerinnen und Lehrer die „Eindeutigkeit und Effizienz […] in praxisorientierten Diskussionen“ (ebd. 279). Insgesamt liegen bisher „kaum Ergebnisse dazu vor, welche Rolle Fachbegriffe in der Verbalisierung von Lehrerwissen spielen“ (ebd.). Mit Verweis auf die Fachsprachenlinguistik werden die Potenziale der Fachsprache im Hinblick auf die Förderung der wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht als einer Dimension der professionellen Unterrichtswahrneh‐ mung erörtert. 56 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="57"?> 2.3.1 Begriff und Wahrnehmung in der verstehenden Soziologie Der symbolische Interaktionismus betont, dass Bedeutung in der Auseinander‐ setzung mit den Dingen entsteht: „Bedeutung ist nicht ein individuelles psychi‐ sches Konstrukt der Person, sondern ein soziales Konstrukt“ (Richter 2002: 78). Im symbolischen Interaktionismus entsteht Bedeutung in einem sozialen Inter‐ aktionsprozess, bei dem „die Handelnden dem Ding ein Etikett zuschreiben“ (ebd. 78). Eine nicht-symbolische Interaktion als eine „Konversation von Gesten“ kommt ohne Interpretation aus (z. B. mit dem Zeigefinger auf Gegenstände zeigen). In der symbolischen Interaktion interpretiert der Mensch eine Geste und identifiziert sie als signifikantes Symbol, welches für die Mitglieder einer Kultur eine bestimmte Bedeutung hat. Das Zeigen von Objekten oder Bildern im Englischunterricht steht für die Vermittlung von Wortbedeutungen durch eine bestimmte Geste, die im sozialen Kontext des Unterrichtens von den Teil‐ nehmern einer Interaktion entsprechend interpretiert würde. In normalen Ge‐ sprächssituationen würde man es hingegen als unangemessen empfinden, wenn einer der Gesprächspartner plötzlich Bildkarten hochhalten würde. Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Stellenwert von Begriffen für eine wissensbasierte Verarbeitung von Unterricht, ist die Position George Her‐ bert Blumers zur Funktion von Begriffen relevant. In seinem Aufsatz „Science without Concepts“ führt Blumer aus, welche Funktion Begriffe (bei Blumer con‐ cepts) übernehmen: As I see it, the concept more specifically considered serves three functions: (1) it int‐ roduces a new orientation or point of view; (2) it serves as a tool, or as a means of transacting business with one’s environment; (3) it makes possible deductive reaso‐ ning and so the anticipation of new experience. (Blumer 1969: 163) Begriffe sind Werkzeuge, mit deren Hilfe man in seiner Umwelt umgehen und diese auch gestalten kann. Begriffe ermöglichen eine Orientierung oder einen neuen Standpunkt und haben insofern eine sensibilisierende Funktion: „the role of the concept in sensitizing perception and so in changing the perceptual world“ (Blumer 1969: 163). Der Begriff kann die Wahrnehmungsfähigkeit sensibili‐ sieren und zu einem veränderten Handeln in der Welt führen. Ein neuer Begriff eröffnet eine neue Zugangsweise zur erfahrbaren Welt. Während ein definite concept eindeutige, durch seine Definition bestimmte Grenzen aufweist und klar bezeichnet, welche Merkmale eine Gruppe von Gegenständen gemeinsam hat, geben sensitizing concepts dem „Verwender des Begriffs eher eine Richtschnur für den Zugang zu den empirischen Einzelfällen“ (Helle 2001: 108). Sie liefern eine allgemeine Vorstellung eines empirisch vorgefundenen Phänomens, dessen genaue Eigenart weiter geklärt und präzisiert werden kann bis hin zu einem 57 2.3 Zum Verhältnis von Begriffen und Wahrnehmung <?page no="58"?> definite concept, welches dann eine „präzise Perspektive auf Wirklichkeit und eine konsistente Theoriekonstruktion ermöglicht“ (ebd. 107). Als weitere Funktion betont Blumer die diskursive Funktion von Begriffen. Begriffe ermöglichen den Austausch und die Kommunikation und den Wis‐ sensaustausch in der scientific community. Der Erwerb eines neuen Begriffs kann zu neuen Einsichten führen, weil Wahrnehmungslücken geschlossen werden: By reason of its verbal or symbolic character, the concept may become an item of social discourse and so permit the conception that it embodies to become common property. A concept always arises as an individual experience, to bridge a gap or insufficiency in perception. (Blumer 1969: 160) Der Begriff ermöglicht also nicht nur ein neues „Wahrnehmungshandeln“ (Mead), sondern kann auch Anlass für ein Handeln sein, das auf „eine Verän‐ derung der empirischen Gegebenheiten abzielt“ (Helle 2001: 107). Der Begriff übernimmt eine überbrückende, kompensatorische Funktion, wenn das Han‐ deln blockiert oder frustriert ist: „Begriffsbildung dient der Kompensation block‐ ierter Aktivität“ (ebd. 109). Blumer fordert, dass Begriffe (concepts) stets an die Erfahrung und wahr‐ nehmbare Umwelt zurückgebunden sein sollten. Blumer nimmt Bezug auf Kant und stellt fest, dass Wahrnehmung ohne Begriffe (concepts) blind ist und Begriffe ohne Anschauung hohl bleiben (Blumer 1969: 168). Erst wenn Begriffe mit Be‐ zugnahme auf die Perzeption (bei Kant die Anschauung) gebildet werden, sind sie brauchbar. The function of the concept is to bridge perplexed perception and to release and guide behaviour inside of this perceptual field. […] it must tie back into the activity […] its character tested by these and other facts, and its significance gauged in terms of its instrumental possibilities with reference to these facts. (Blumer 1969: 168) Begriffe, die nicht in der Erfahrung gegründet sind, führen zu Fehlentwick‐ lungen, die u. a. dann entstehen, „wenn Konzepte wie Archetypen behandelt werden und wenn sie nicht unter Bezugnahme auf die Wirklichkeit einen Plan für zukünftiges Handeln in ihrem Kern schon enthalten“ (Helle 2001: 111). As I see it, most of the improper usage of the concept in science comes when the concept is set apart from the world of experience, when it is divorced from the per‐ ception from which it has arisen and in which it ordinarily ties. (Blumer 1969: 168) Die Frage zum Verhältnis von Wahrnehmung und Wissen weist auf das grund‐ sätzliche Dilemma der universitären Lehrerausbildung hin, welches Budin in pointierter Form wie folgt formuliert: „Wie kann ein Student wissenschaftliche 58 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="59"?> Begriffe in seine eigene kognitive Struktur aufnehmen, ohne dabei den referen‐ zierten Gegenstand je selbst zu sehen? “ (Budin 1996: 45). 2.3.2 Zur Rolle von Fachbegriffen in der Berufssprache: Die Studie zur professional vision von Englischlehrkräften von Wipperfürth (2015) Mit der Berufssprache von Englischlehrpersonen beschäftigt sich die jüngere Untersuchung von Wipperfürth (2015). Die Berufssprache umfasst eine „Verba‐ lisierung und Vermittlung von berufsspezifischem Wissen, in diesem Fall von Erfahrungswissen von LehrerInnen [sic]“ (ebd. 311). Im Vordergrund steht der „Austausch von Wissen über das berufliche Handlungsfeld sowie die Aushand‐ lung und Vermittlung dieses Wissens mit anderen Berufsangehörigen“ (ebd. 22). Die Beschäftigung mit der Berufssprache von Lehrpersonen ist nach Wipper‐ fürth (2015: 24) ein Desiderat, weil sich die Linguistik bis dato kaum mit der Berufssprache von Lehrerinnen und Lehrern und vorrangig mit Varietäten aus den Bereichen Produktion, Technik und Verwaltung beschäftigt hat. Der in der Pädagogik gebräuchliche Begriff der Berufssprache wird jedoch „in der Lingu‐ istik als Fachterminus kaum verwendet“ (ebd. 23). Die Studie von Wipperfürth wird an dieser Stelle ausführlicher behandelt, weil die Ergebnisse auf den Stel‐ lenwert von Fachbegriffen als Bestandteil einer Berufssprache von Englischlehr‐ kräften hindeuten. Wipperfürth (2015) lässt Novizen und erfahrene Englischlehrpersonen auf der Basis von Unterrichtsmitschnitten in sogenannten Netzwerktreffen mitei‐ nander ins Gespräch kommen (ebd. 114). Mit Hilfe eines Vorbereitungsmanuals und einer DVD mit Unterrichtsmitschnitten bereiten sich die Lehrkräfte auf das Netzwerktreffen vor. Bezugspunkt dieser Gespräche sind Aufzeichnungen ei‐ genen Unterrichts, welche die Probanden im Vorfeld der Gespräche unter be‐ stimmten Fragenstellungen betrachten sollten. Ein gemeinsames Betrachten von ausgewählten Unterrichtsvideos findet während der Treffen jedoch nicht statt. Die Unterrichtsaufzeichnungen selbst werden während der Netzwerk‐ treffen nicht thematisiert. Auf der Grundlage einer inhaltlichen Analyse der videographierten und transkribierten Gespräche gelangt Wipperfürth zu Ein‐ sichten in die Zusammenhänge zwischen Beobachtung und Sprache: • Sprachliche Differenzierungen und Beschreibungen machen neue Be‐ obachtungen möglich. • Neue Beobachtungen fördern die Artikulation neuer Überlegungen. • In sprachlichen Aushandlungsprozessen in der Gruppe differenzieren die Lehrerinnen ihre ursprünglichen Interpretationen aus (ebd. 287 f.). 59 2.3 Zum Verhältnis von Begriffen und Wahrnehmung <?page no="60"?> Dass sich in den Gesprächen kaum Beispiele für das Zusammenwirken oder gemeinsame Auftreten von Fachbegriffen und Erfahrungswissen finden, ist dem Umstand geschuldet, dass „die Lehrerinnen untereinander über ihren Unterricht ohne Beurteilung und Moderation durch eine Fachdidaktikerin sprechen“ (ebd. 278). Die Autorin identifiziert Bereiche, „zu denen die sprachlichen Beschrei‐ bungen auf eine geringe theoretische Differenzierung in den Reflexionsmög‐ lichkeiten der Lehrerinnen hinweisen“ (ebd. 312). Obwohl die „Gestaltung der sprachlichen Arbeit“ (ebd. 209) als problematisch wahrgenommen wird, wird sie in den Netzwerkgesprächen nur am Rande thematisiert (ebd. 209). Für den Bereich der Wortschatzarbeit ist kaum eine Verwendung von Fachbegriffen feststellbar. In den Beiträgen der Lehrerinnen und Lehrer werden einzelne Fach‐ termini wie Kollokationen oder idiomatische Ausdrücke zwar genannt; insge‐ samt überwiegen jedoch Begriffe, „die praktische Erfahrungen adäquat be‐ schreiben, [die] aber in der wissenschaftlichen Literatur bisher weniger etabliert sind“ (ebd. 209). Es handelt sich um Begriffe wie „aktive Verwendung“, „indirekte Wortschatzarbeit“ oder „vor- und nachsemantisieren“. Insgesamt scheinen sich fachdidaktische Überlegungen mit allgemeinpädagogischen Prinzipien zu ver‐ mischen (ebd. 250). Der Bereich Grammatikunterricht wird „ganz ohne Ver‐ wendung relevanter Fachtermini“ (ebd. 208) von den Teilnehmerinnen und Teil‐ nehmern der Netzwerkgespräche besprochen. Der „Fachsprachlichkeit einer solchen Berufssprache“ stehen die Teilnehmerinnen eher ablehnend gegenüber (ebd. 312). Am Ende stellt die Autorin in Aussicht, dass „eine Verwendung von diffe‐ renzierten Fachbegriffen auch eine stärkere Differenzierung in der Wahrneh‐ mung und Beurteilung bringen könnte“ (ebd. 208-209). In Ergänzung zu dem gewählten Bottom-up-Ansatz der Studie von Wipperfürth ließen sich mit einem Top-down-Ansatz „Anknüpfungspunkte für die Bereicherung der Diskussionen unter Lehrpersonen mit fremdsprachendidaktischem Wissen“ (ebd. 312) auf‐ zeigen. Damit gesteht die Autorin zu, dass Fachbegriffe zu einer genaueren Be‐ schreibung, zu einer echten Fachkommunikation (vgl. Budin 1996) und mögli‐ cherweise auch zu einer vertieften Interpretation und Verarbeitung des Unterrichts der Teilnehmerinnen führen können. 2.3.3 Zur Funktion von Begriffen aus Sicht der Fachsprachenlinguistik Aus Sicht der Fachsprachenforschung ermöglichen und stützen Begriffe die Or‐ ganisation von Wissen, Informationen und Kommunikation (Budin 1996). Jede fachliche Wissensbasis ist terminologisch strukturiert. Nach Budin (1996: 18) 60 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="61"?> sind Begriffe erkenntnisfördernde Instrumente im Sinne der Wissensorganisa‐ tion. Wissen lässt sich mit Hilfe von Begriffen strukturieren und ordnen. Die Weitergabe und Vermittlung fachlicher Informationen wird auf diese Weise erst möglich. Fachbegriffe lassen sich ordnen und übersichtlich strukturieren (z. B. in Handbuchartikeln oder Glossaren), so dass Dritte an diesem Wissen teilhaben können. Es ist eine Prämisse dieser Arbeit, dass eine wissensbasierte Verarbeitung von Unterricht ohne Fachbegriffe nicht denkbar ist. Budins Definition von Termi‐ nologie (1996: 16) soll im Folgenden als Ausgangspunkt dienen, um die Funktion von Begriffen in der Fachkommunikation aufzuschlüsseln. Nach Budin (ebd. 14) bedeutet „Terminologie = strukturierte Gesamtheit der Begriffe und der diesen zugeordneten Repräsentationen eines Fachgebietes“. Die „Gesamtheit“ be‐ zeichnet nicht nur eine Menge von einzelnen Fachbegriffen, sondern meint ein Begriffssystem, welches durch das jeweilige Fachgebiet bestimmt und struktu‐ riert ist. Jedes Fachgebiet hat eine bestimmte Begriffssystematik. In der fach‐ wissenschaftlichen Kommunikation sind Begriffe meist in Form von termino‐ logischen Systemen oder Netzwerken zu finden. Ihre Organisation ist abhängig vom jeweiligen Fachgebiet. Die Begriffssysteme sind nach begriffslogischen Kriterien aufgebaut (z. B. Unter- und Oberbegriffe). Zwischen den einzelnen Elementen existieren Beziehungen unterschiedlicher Art. Für den Bereich des lexikalischen Lernens werden die Beziehungen zwischen den Fachbegriffen in Kapitel 2.4 beschrieben. Begriffe reduzieren Komplexität von wahrnehmbaren komplexen Phänomenen. Die Bildung wissenschaftlicher Begriffe stellt eine Reduktion von Komplexität für das Gesamtsystem im Sinne der Informationsökonomie dar. Die erhöhte Komplexität des Fachbegriffs erklärt sich durch die Informationsverdichtung, die ein Kennzeichen seiner internen Struktur ist. „Dem Schema der Begriffsformen entsprechend finden also Transformationen in beide Richtungen (empirisch-theoretisch) statt, wobei die Zunahme an Informationsdichte auch eine Zunahme an interner Komplexität mit sich zieht“ (Budin 1996: 45). Die Verdichtung von Realität im Begriff spiegelt sich in der mehr oder weniger umfangreichen Begriffsdefinition wider und zeigt, dass die Kom‐ plexität in den Begriff übergegangen ist. Die Komplexität von Begriffen durch die Verdichtung von Realität hat didaktische Implikationen für die universitäre Lehrer‐ ausbildung, die am Ende dieser Studie reflektiert werden (vgl. 7.1.2). Der Einzelbefund von Wipperfürth (2015) zur professional vision von Englischlehrpersonen unter‐ streicht die Bedeutung der Fachsprache für die Wahrnehmung von und die Kommu‐ nikation über Unterricht. Fachbegriffe führen zu neuen Einsichten, weil sie Wahr‐ nehmungslücken überbrücken. Fachbegriffe ermöglichen Fachkommunikation und sind Anstoß und Gegenstand fachlicher Diskurse. 61 2.3 Zum Verhältnis von Begriffen und Wahrnehmung <?page no="62"?> 2.3.4 Zwischenfazit Dass Wahrnehmung und Wissen im Zuge der wissensbasierten Verarbeitung (als Dimension der professionellen Unterrichtswahrnehmung) zusammen‐ wirken, ist eine Basisannahme zahlreicher Studien zur professionellen Unter‐ richtswahrnehmung (Stürmer, Könings & Seidel 2012; Stürmer, Seidel & Schäfer 2013; Stürmer & Seidel 2015; Stürmer, Seidel, Kunina-Habenicht 2015). Ein Zu‐ sammenhang von Wissen und Wahrnehmung wird zwar unterstellt, die psy‐ chologischen Mechanismen werden jedoch von den Autorinnen nicht weiter erläutert. Aus diesem Grunde wurden in den vorhergehenden Teilkapiteln Be‐ funde der Bezugsdisziplinen der Fremdsprachendidaktik (Psychologie, Lingu‐ istik, Soziologie) zur Frage nach dem Zusammenwirken von Wahrnehmung, Wissen und Begriffen zusammengetragen. Auch wenn in diesem Kapitel einige Befunde und Modelle aus der Psychologie zur Konzeptbildung erörtert worden sind, verfolgt diese Untersuchung nicht das Ziel, Hypothesen über die Reprä‐ sentation von fachdidaktischen Konzepten in den Köpfen angehender Engli‐ schlehrpersonen aufzustellen. Dies würde ein experimentelles Untersuchungs‐ design erfordern, welches überdies das Problem einer Vielzahl von schwer kontrollierbaren Variablen hätte. Im Vordergrund dieser Studie steht dagegen die Frage, in welchem Maße Fachkonzepte für die „kategoriale Wahrnehmung“ (Bromme) genutzt werden können, wenn sie zuvor in einer begrifflichen Sys‐ tematik vermittelt werden. Ohne Konzepte und Begriffe kann es keine Wahrnehmung im Sinne eines Wiedererkennens und tiefen Verstehens geben. „Wahrnehmung ist in diesem Sinne immer auch Wiedererkennen. Und indem wir die Dinge wiedererkennen, erschließt sich uns das in der Vergangenheit akkumulierte Wissen über sie“ (Hoffmann & Engelkamp 2013: 103). Schemata übernehmen eine zentrale Funk‐ tion in Wahrnehmungsprozessen. Der Schemabegriff kann gewissermaßen als Gelenkstelle zwischen Aufmerksamkeitssteuerung und Wissensverwendung betrachtet werden. Die Fachsprachenlinguistik und die verstehende Soziologie betonen die Funktion von Begriffen, Komplexität zu reduzieren. Die Komple‐ xität des Phänomens verschwindet jedoch nicht einfach, sondern wird im Begriff konzeptuell verdichtet. Eine weitere Einsicht ist die Zentralität der Situation im Zusammenhang mit der Anbahnung von Handlungen. Dem Verstehen von Situationen kommt eine zentrale Bedeutung für das Handeln zu. Menschen handeln meistens gemäß der Logik der Situation. Auch Lehrerhandeln folgt der Logik von konkreten Unter‐ richtssituationen, deren größter gemeinsamer Nenner in dem Ziel besteht, Lernen zu ermöglichen. Daraus folgt, dass die Fokussierung auf konkrete Un‐ 62 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="63"?> terrichtssituationen die Ausgangsbasis und ein erster Indikator für eine profes‐ sionelle Unterrichtswahrnehmung ist (vgl. 2.1.3). Die älteren Überlegungen der verstehenden Soziologie zur Situationslogik („das Thomas Theorem“) erfahren durch die ABC-Theorie posthum eine psy‐ chologische Fundierung. Die ABC-Theorie konzeptualisiert den Wissenserwerb als den Aufbau von Verhaltens-Effekt-Beziehungen. Die sogenannten „Verhal‐ tens-Effekt-Tripel“ (Hoffmann) enthalten Merkmale der Situation, Merkmale des zielgerichteten Handelns und mögliche Effekte des Handelns (Hoffmann & Engelkamp 2013: 103). Ein Experte verfügt insofern nicht einfach über mehr Wissen; er ist in der Lage, Situationen zu bewerten und gemäß der Erfordernisse der Situation Entscheidungen zu treffen. Professionalisierung kann insofern als Aufbau eines Repertoires von „Verhaltens-Effekt-Tripeln“ verstanden werden, die sich durch die tägliche Immersion in unterschiedlichen sozialen Prozessen und Interaktionen ausdifferenzieren. Dank eines breiten Repertoires an „Ver‐ haltens-Effekt-Tripeln“ hat der erfahrene Fremdsprachenlehrer gelernt, welches Verhalten in bestimmten Situationen zum Erfolg führt und wie in unterschied‐ lichen fremdsprachendidaktischen Kontexten Verstehen, Sprachproduktion oder Bewusstmachung von sprachlichen Phänomenen realisiert werden können. Die fachsprachlich gesättigte Auseinandersetzung mit Unterrichtsvideos ist nicht voraussetzungslos und ereignet sich offenbar nicht von selbst, wenn er‐ fahrene Lehrpersonen mit Novizen über Unterricht reden (vgl. Wipperfürth 2015). Die Verfügbarkeit entsprechender Fachbegriffe stellt eine Voraussetzung für eine fokussierte Wahrnehmung und die nachfolgende wissensbasierte Ver‐ arbeitung von Unterricht dar, an deren Ende ein vertieftes Verständnis von Lehr-Lernprozessen in zentralen Bereichen des Englischunterrichts steht. Aus der Untersuchung und den Ergebnissen der Studie Wipperfürths zur Be‐ rufssprache von Englischlehrpersonen lässt sich folgende Anforderung an das Untersuchungsdesign der vorliegenden Studie zur Englischlehrerausbildung ableiten: Fachdidaktische Konzepte müssen im Vorfeld einer Analyse von vide‐ ographiertem Unterricht verfügbar sein, damit diese aktiv in Gespräche über videographierten Unterricht eingebracht werden können. Begriffe übernehmen bei der Wahrnehmung eine wichtige Funktion: Sie lösen die Mehrdeutigkeit des wahrgenommenen Phänomens bzw. der wahrgenommenen Situation auf oder schränken die Mehrdeutigkeit der Situation ein. Wahrgenommenes liefert einen vieldeutigen Zugang zu konzeptuellen Repräsentationen. „Worte haben dagegen einen meist eindeutigen Zugang zu den Konzepten, die sie im gegebenen Kon‐ text bezeichnen“ (Hoffmann & Engelkamp 2013: 103). Die „referenziellen Be‐ ziehungen zwischen nicht-sprachlichen Konzepten“ und Wortmarken stellen 63 2.3 Zum Verhältnis von Begriffen und Wahrnehmung <?page no="64"?> sicher, dass wir die eigenen konzeptuellen Repräsentationen kommunizieren können (ebd. 104). Die verwendeten Begrifflichkeiten des explizierten Erfahrungswissens der Lehrkräfte in der Untersuchung von Wipperfürth verdichten den wahrgenom‐ menen Unterricht nicht in dem Maße, dass diese Begriffe eine komplexitätsre‐ duzierende Wirkung hätten entfalten können (vgl. Wipperfürth 2015: 303-304, Abb. 35-37). Diese abstrahierende bzw. realitätsverdichtende Funktion von Fachbegriffen ist jedoch entscheidend für eine tiefergehende Deutung des Lehr-Lerngeschehens, bei der Zusammenhänge zwischen Einzelereignissen und fachdidaktischen Prinzipien erkannt, Vorhersagen zu Lernergebnissen getroffen und Alternativen für spezifische Situationen entwickelt werden. Es bleibt zu sehen, ob die Fachterminologie für den Bereich des lexikalischen Lernens ihr Potenzial für eine wissensbasierte Verarbeitung von Unterrichtssi‐ tuationen entfalten kann. Inwieweit unterstützt eine fachdidaktische Begriffs‐ systematik Studierende darin, sich der Komplexität von Unterricht analytisch zu nähern und die Interdependenz von Lehren, Lernen und Kommunikation „in den Griff “ zu bekommen? Bevor Antworten auf diese Fragen gefunden werden können, werden im folgenden Abschnitt zunächst die relevanten Konzepte für den Bereich des lexikalischen Lernens eingeführt. 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte für die wissensbasierte Verarbeitung von Unterricht Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die professionelle Unterrichtswahr‐ nehmung bezogen auf einen spezifischen Bereich fremdsprachlichen Lernens zu untersuchen. Im vorherigen Abschnitt sind im Rückgriff auf wichtige Be‐ zugsdisziplinen der Fachdidaktik allgemeine Grundlagen für eine wissensba‐ sierte Verarbeitung von Unterricht gelegt und der Stellenwert von Begriffen und Begriffssystemen für die Wahrnehmung herausgearbeitet worden. Als nächster Schritt soll nun die terminologisch strukturierte Wissensbasis für den Bereich des lexikalischen Lernens genau beschrieben werden. Im Folgenden werden Fachkonzepte lexikalischen Lernens präsentiert, von denen angenommen wird, dass sie - gemäß dem Zusammenwirken von Wahrnehmung, Wissen und Be‐ griffen - eine Voraussetzung für die Selektion und wissensbasierte Verarbeitung von Situationen lexikalischen Lernens im Englischunterricht darstellen. Nach der Sichtung vorliegender Systematisierungsversuche in der Wort‐ schatzdidaktik soll auf der Grundlage eines allgemein-didaktischen Modells eine 64 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="65"?> Beschreibungsmatrix entwickelt werden, die es als Heuristik erlaubt, vielfältige Erscheinungsformen lexikalischen Lernens im Unterricht in den Blick zu nehmen und „in den Griff zu bekommen“. Zu diesem Zweck wird eine allge‐ meindidaktische Denkfigur eingeführt und im Hinblick auf das lexikalische Lernen fachdidaktisch konkretisiert. Die Gliederung des nachfolgenden Kapitels orientiert sich an den Komponenten der Denkfigur des didaktischen Dreiecks, wie es in jüngerer Zeit von Reusser (2008) neu konzeptualisiert worden ist. 2.4.1 Theoretische Ansätze zum lexikalischen Lernen in der Fremdsprachendidaktik Der Begriff „lexikalisches Lernen“ geht in der deutschsprachigen Fremdspra‐ chendidaktik auf Scherfer (1985: 412 f.) zurück, der die folgenden drei Perspek‐ tiven auf das Wortschatzlernen unterscheidet: • die gegenstandsbezogene Perspektive: Auswahl des Wortschatzes, Um‐ fang der lexikalischen Einheiten, Häufigkeit, Reichweite von Wortschatz, • die vermittlungsbezogene Perspektive: z. B. Auswahl von relevantem Wort‐ schatz, Semantisierungsstrategien, Bestimmung der Lernschwierigkeit, • die lernprozessbezogene Perspektive: z. B. Verbesserung der Behaltens‐ leistung, Abrufen fremdsprachlicher Wörter sowie Lern- und Merkhilfen (ebd. 413 f.). Dieser frühe Versuch einer Theoriebildung mit begrifflicher Systematik (Scherfer 1985; Scherfer 1994) hat sich in der deutschsprachigen Fremdspra‐ chendidaktik jedoch nicht durchsetzen können. Seit den Neunziger Jahren sind zahlreiche empirische, konzeptionelle wie auch unterrichtspraktische Beiträge zur Thematik entstanden (z. B. Kieweg 1995; Scherfer 1984, 1994; Rampillon & Reisener 1995; Bausch 1995; Gnutzmann 1995; Stork 2003, 2010; Neveling 2004; Haudeck 2008, Kersten 2010), die unterschiedliche Begriffe nutzen, wenngleich der Begriff der „Wortschatzarbeit“ die weiteste Verbreitung gefunden hat. 2.4.1.1 Modi der Wortschatzaneignung (Stork 2003, 2010) Die Bandbreite an Begrifflichkeiten in der deutschsprachigen Englischdidaktik hat Stork in ihrer Dissertation aufgelistet und versucht in eine Systematik zu bringen. Dabei unterscheidet sie drei Modi der Wortschatzaneignung (Stork 2003: 14) und differenziert die Perspektive der Lehrenden von der Perspektive der Lernenden (vgl. Tabelle 3). 65 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="66"?> Modi der Wortschatzaneignung ungesteuert, inzidentell (Wortschatzerwerb) fremdgesteuert (Wortschatzarbeit) Aus der Sicht der Lehrenden Darbietung Übung Integrierung Aus der Sicht der Lernenden Aufnahme (Bedeutungserschließung, weitere Aspekte des Wortschatzwis‐ sens) Übung Integrierung selbstgesteuert (Vokabellernen) Tabelle 3: Modi der Wortschatzaneignung nach Stork (2003: 14; 2010) Inzidenteller Wortschatzerwerb findet beiläufig statt, während die Aufmerk‐ samkeit des Lerners primär auf dem Inhalt liegt, also ohne speziellen Fokus auf das Vokabular. Entscheidende Faktoren für beiläufigen Wortschatzerwerb durch das Lesen eines Buches oder das Anschauen eines Filmes sind die Bekanntheit des übrigen Wortschatzes (Schmitt 2010: 32) sowie die Fähigkeit, Wörter im Kontext zu erschließen (vgl. Bensoussan & Laufer 1984). Die Effekte des inzi‐ dentellen Wortschatzerwerbs werden überschätzt, wenn man der Vorstellung erliegt, dass sich „ohne jede Anstrengung […] neue Wörter im mentalen Lexikon des Lerners [verankern]“ (Thaler 2012: 225). Die Forschungen im anglophonen Raum zu der Frage, wie viele Wörter durch extensives Lesen erworben werden können, zeigen, dass der Erwerb eines breiten Wortschatzes auf diesem Wege schwer bis unmöglich ist (Schmitt 2008: 347; Schmitt 2010: 29-31). Auch hin‐ sichtlich der Qualität des Lernens, also der Bedeutungsermittlung durch lexical inferencing, sind Zweifel an der Effektivität inzidentellen Lernens angebracht. Schmitt (2010: 33) referiert Studien, die bei fortgeschrittenen Lernern eine Er‐ folgsquote von ca. 50 % errechnet haben. Für weniger fortgeschrittene Lerner wird die Wahrscheinlichkeit für erfolgreiches guessing from context bei ca. 25 % angesetzt (Schmitt 2010: 33). Als fremdgesteuerter Modus der Wortschatzaneignung ist der Begriff der Wortschatzarbeit in der fachdidaktischen Diskussion in einem breiten Spektrum an Publikationen fest etabliert. Unter dem Begriff Wortschatzarbeit wird die Gesamtheit der Aktivitäten verstanden, die das lexikalische Lernen im Fremd‐ sprachenunterricht betreffen (Haudeck 2008: 67). Dazu zählen Aktivitäten der 66 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="67"?> Bedeutungsvermittlung und -erschließung sowie Phasen der Wortschatzwie‐ derholung und -umwälzung. Kersten (2010) demonstriert, wie die Behaltens‐ leistung durch kognitiv anspruchsvolle Prozeduren und Aufgabentypen im Englischunterricht an Grundschulen verbessert werden kann. Trotz variierender Terminologie und unterschiedlicher Phasierungen (vgl. Stork 2003: 14) lassen sich die Phasen der Wortschatzarbeit auf die von Doyé (1975) vorgeschlagene Phasierung aus Darbietung, Übung und Integrierung zu‐ rückführen. Der Wortschatzarbeit bzw. dem expliziten Wortschatzlernen (in‐ tentional vocabulary learning) wird dabei eine hohe Effektivität vor allem in Bezug auf die Förderung der Behaltensleistung zugeschrieben. However, the main reason for an explicit focus on vocabulary is that it is effective: […] intentional vocabulary learning (i.e. when the specific goal is to learn vocabulary, usually with an explicit focus) almost always leads to greater and faster gains, with a better chance of retention and of reaching productive levels of mastery. (Schmitt 2008: 341). Nation (2011: 536) warnt jedoch vor einer Überbewertung der positiven Ergeb‐ nisse zum expliziten Wortschatzlernen durch direkte Instruktion, weil solche lehrergesteuerten Instruktionsphasen die lexikalischen Lernprozesse der Lern‐ enden nicht hinreichend berücksichtigen: „However, applying the research on deliberate learning is misguided if it is done largely through teaching rather than learning“ (Nation 2011: 536). Die dritte Form der Wortschatzaneignung ist der lernergesteuerte Wort‐ schatzerwerb bzw. das Vokabellernen, was das häusliche Vokabellernen und da‐ rauf bezogene Vokabellernstrategien und Mnemotechniken mit einschließt. Jüngere Arbeiten in der deutschen Fremdsprachendidaktik haben sich mit dem Nutzen von verschiedenen Vokabellernstrategien auf die Behaltensleistung be‐ fasst (Stork 2003; Neveling 2004). Haudeck (2008) liefert in ihrer vergleichenden Fallstudie differenzierte Einblicke in die Lernprozesse beim häuslichen lerner‐ gesteuerten Vokabellernen. Mit Hilfe einer Analyse von Audio-Tagebüchern ar‐ beitet sie heraus, welche Lerntechniken und -strategien Schülerinnen und Schüler beim Vokabellernen einsetzen. Für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist diese Form der Wortschatzaneignung von geringer Relevanz, da sie sich nicht im konkreten Unterricht beobachten lässt und infolgedessen auch nicht Gegenstand von Unterrichtsvideos ist. Die Frage, wer das lexikalische Lernen im Unterricht in welchem Ausmaß steuert, stellt bei Storks (2010) Modi der Wortschatzaneignung ein zentrales Kriterium der Unterscheidung dar. Alle drei Formen der Wortschatzaneignung sind komplementär; aufgrund ihrer „unterschiedlichen Stärken und Schwächen [ist] das Zusammenspiel der Ansätze“ (Stork 2010: 106) notwendig. Ungeklärt 67 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="68"?> bleibt jedoch, wie die „Prozesse so organisiert“ werden können, dass „die Po‐ tenziale [jedes Ansatzes] maximal genutzt werden können“ (Stork 2010: 106). Dennoch stellen die drei Modi der Wortschatzaneignung eine Systematik dar, der sich empirische Arbeiten und wortschatzdidaktische Konzepte zuordnen lassen. 2.4.1.2 Lexikalisches Lernen als sozio-kognitiver Prozess (Tomasello) Tomasello stellt heraus, dass der soziale und interaktive Kontext von Situationen der Sprachverwendung („usage events“) eine zentrale Rolle beim Wortschatz- und Spracherwerb spielen. Aus einer Fülle von experimentellen Einzelstudien zum Interaktionsverhalten von Kleinkindern hat Tomasello (2003) sozio-kogni‐ tive Prozesse herausgearbeitet, die den Erstspracherwerb aufklären sollen. Ihre Übertragbarkeit auf fremdsprachliches Lernen scheint gerechtfertigt (vgl. Mit‐ chell, Myles & Marsden 2013: 103, 109), da sie Teil der menschlichen kognitiven Ausstattung sind und davon auszugehen ist, dass sie auch in späteren Lebens‐ phasen für den Erwerb weiterer Sprachen zur Verfügung stehen. In Tabelle 4 werden diese sozio-kognitiven Prozesse präsentiert und mit einzelnen Bei‐ spielen illustriert. Dieser Ansatz stellt die Prozesshaftigkeit lexikalischen Lernens in den Mittelpunkt, wobei auch hier eine Parallelität der Prozesse an‐ genommen wird. Das Segmentieren des Lautstroms und die Ermittlung der kommunikativen Intentionen werden die beiden Prozesse sein, die in den aller‐ meisten natürlichen, aber auch unterrichtlichen Sprachverwendungssituati‐ onen zum Tragen kommen. Einsichten zur kulturellen Gebundenheit von Wör‐ tern und idiomatischen Wendungen werden sich im Unterricht hingegen eher selten von selbst einstellen und vermutlich erst durch entsprechende Interven‐ tionen der Lehrkraft ermöglicht. 68 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="69"?> Prozesse lexikalischen Lernens nach Tomasello (2003: 58) Segmentieren des Lautstromes mit Hilfe von phonologischen und graphemi‐ schen Schemata (Kurzformen, Klangmuster: z. B. Verlängerung des Vokals nach ‚w‘, z. B. cow, new) In Aufmerksamkeitsrahmen (attentional frames) die kommunikativen Inten‐ tionen von Sprechern und die Funktionen der von ihnen verwendeten sprach‐ lichen Formen herauslesen (intention reading) Konzeptualisierung von Referenten: cows, pigs and chickens are farm ani‐ mals; a living-room is a room in which people socialize, talk, watch TV etc. Vergleichen unterschiedlicher Konzepte in der L1 und L2: das Konzept für „Leitung“ im Sinne von „die Marketing-Abteilung leiten“ wird im Englischen stärker differenziert (run, head, manage the marketing department) Erschließen der kulturellen Gebundenheit von Wörtern und idiomatischen Wendungen: he feels blue, blue collar worker, blue bag (for the barrister’s robe), blue movie Aktives Verarbeiten lexikalischer Kontraste: lend - borrow, sure - safe, in trouble (in = containment, harder to escape) vs. on a road to nowhere (easier to escape) Erkennen häufiger patterns, in denen das Wort pet z. B. erscheint: Have you got a pet? What is your favourite pet? Can your pet fly, crawl, swim etc.? Does your pet have a tail? Tabelle 4: Lexikalische Lernprozesse auf der Basis sozio-kognitiver Prozesse (nach To‐ masello 2003: 58) 2.4.1.3 Lexical Approach Im internationalen Kontext hat Michael Lewis mit seinem Lexical Approach die Wichtigkeit von Kollokationen hervorgehoben. Auch wenn Lewis konkrete Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung und zur Förderung des Kollokationenler‐ nens entwickelt hat (Lewis 1993, 1997, 2001), konnte sich - bei einer grundsätz‐ lichen Bejahung, die Anstrengungen in diesem Bereich zu intensivieren - die geforderte „Lexikalisierung des Fremdsprachenlernens“ (Gnutzmann 1995: 79) nicht durchsetzen. Statt eine „Wortschatzwende“ (Gnutzmann 1995) im Sinne von Lewis’ Lexical Approach einzuleiten, plädiert Gnutzmann für eine ganz‐ heitliche, die verschiedenen Komponenten fremdsprachlichen Lernens integ‐ rierende Perspektive. 69 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="70"?> 2.4.1.4 Lexikalische Kompetenz (Targonska & Stork 2013) Im Rückgriff auf den Kompetenzbegriff modellieren Targonska & Stork (2013: 86f.) lexikalische Kompetenz als Bündel von Subkompetenzen. Lexikalische Kompetenz umfasst nach Targonska & Stork (2013: 87) • phraseologische Kompetenz, • Kollokationskompetenz, • formulaic competence (Kompetenz der formelhaften Sprache), • Wortbildungskompetenz. Quer zu diesen Subkomponenten liegen lexikalische Strategien (Strategien zum Erschließen, Lernen und Behalten von Wortschatz), „die in alle Subkompetenzen zu integrieren sind“ (Targonska & Stork 2013: 98). Als weitere, überlappende Teilkompetenz nennen die Autoren die „reflexive Kompetenz […] über die le‐ xikalischen Phänomene, seine Wortschatzaneignungsprozesse, seine lexikali‐ sche Kompetenz sowie die eigenen lexikalischen Strategien nachzudenken und daraus Einsichten zu gewinnen“ (ebd. 99). Die Problematik, dass die einzelnen Subkompetenzen „nicht klar voneinander abgegrenzt sind und […] sich mehr oder minder stark überlappen, miteinander interagieren bzw. sich gegenseitig beeinflussen“ (Targonska & Stork 2013: 102), können die Autoren dabei nicht auflösen. Eine Heuristik, welche das Wechselspiel zwischen den Subkompe‐ tenzen klärt oder gar auflöst und über die gegenstandsbezogene Perspektive (vgl. Scherfer 1985: 413) hinausgeht, kann dieser kompetenzorientierte Ansatz nicht liefern. Die Entwicklung von „validen Kompetenzmodellen wird sich“ - wie dieses Beispiel zeigt - als ein wahrhaft „langwieriger Forschungsprozess gestalten“ (Wendt & Bos 2011: 28), sofern man „Kompetenzmodellarbeit“ über‐ haupt als „Begegnungspunkt für Fachdidaktik und Bildungsforschung“ (ebd.) versteht. 2.4.1.5 The four strands of language teaching (Nation) Nation (2001: 390; 2007) hat mit seinen four strands of language teaching eine Systematik für die Beschreibung lexikalischer Lerngelegenheiten im Fremd‐ sprachenunterricht vorgeschlagen. Gemäß der Logik der Metapher müssen die einzelnen Stränge miteinander verknüpft sein, damit ein belastbares Seil (= der kontinuierliche Lernprozess) entsteht. Die Idee für ein ausgewogenes lexikali‐ sches Curriculum begründet Nation wie folgt: The opportunities for learning language can be usefully divided into four strands: mea‐ ning-focused input, meaning-focused output, language-focused learning and fluency de‐ velopment. These are called strands because they can be seen as long continuous sets of learning conditions that run through the whole language course. (Nation 2007: 1) 70 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="71"?> Nation (2007: 5) macht auch Aussagen zum quantitativen Verhältnis der Stränge: Sie sollten jeweils in etwa ein Viertel des Curriculums ausmachen. Der Strang lang‐ uage-focused learning entspricht dabei der konventionellen Wortschatzarbeit: Most of these language-focused learning activities can have a positive effect on lear‐ ning and language use, but it is important that they are only a small part of the course and do not become the whole course. In total, the language-focused learning strand should not make up more than one-quarter of the time spent on the whole course. (Nation 2007: 5) Meaning-focused input Beiläufiges Lernen von neuem Wortschatz; zusätzliches Wissen über be‐ kanntes Wortgut wird durch Lese- und Hör-/ Sehverstehensaktivitäten er‐ worben. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt auf dem Verstehen („enjoying the material“) Language-focused learning Semantisierung, Wortschatzarbeit im engeren Sinne; Instruktion zu Aspekten der Form, der Bedeutung oder des Gebrauchs („rich instruction“); bewusstma‐ chende Verfahren, Thematisierung von Vokabellernstrategien Meaning-focused output Lernende festigen und erweitern ihre lexikalischen Kenntnisse durch Sprech- und Schreibaktivitäten; Schwerpunkt: „conveying a message“; Lernende stoßen an Grenzen ihres lexikalischen Wissens und ihrer Ausdrucksmöglich‐ keiten („push toward output“) Fluency development Lernende entwickeln Geläufigkeit beim Gebrauch von bereits bekanntem Wortschatz in „message-focused activities“; sie integrieren alle vier Fertig‐ keiten mit dem Ziel, die Performanz dieser Fertigkeiten (z. B. Hörverstehen, speed reading) zu verbessern. Aktivitäten werden häufig mit einer Zeitbe‐ grenzung durchgeführt oder Lernende müssen unter Zeitdruck agieren. Tabelle 5: Four Strands of Language Teaching (Nation 2007) Nation (2007) begründet sein Konzept mit dem time-on-task principle, das besagt, dass man besser wird in Dingen, mit denen man sich über längere Zeit beschäf‐ tigt. Bezogen auf lexikalisches Lernen heißt dies zum Beispiel, dass Lernende, die viel lesen, auch ihre Strategien zum Erschließen von Wortbedeutungen aus dem Kontext trainieren und diese Fähigkeit weiterentwickeln. Die einzelnen strands beschreiben unterschiedliche Lerngelegenheiten mit jeweils spezifi‐ 71 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="72"?> schen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein bestimmter strand als realisiert gelten kann. Folgende Bedingungen müssen nach Nation (2007) erfüllt sein, damit der jeweilige strand als realisiert gelten kann: • Meaning-focused input: Die Lernenden sollten ein inhaltliches Interesse haben, einen längeren Hör- oder Lesetext verstehen zu wollen. Damit dies gelingt, muss die überwiegende Zahl (95-98%) der Wörter im Text den Lernenden bekannt sein. Unbekannte Wörter sollten durch context clues und mit Hilfe des Weltwissens der Lernenden erschlossen werden können. • Language-focused learning: Lernende richten ihre Aufmerksamkeit be‐ wusst auf sprachliche Elemente („giving deliberate attention to language features“). Die Auswahl der zu fokussierenden Elemente orientiert sich am Vorwissen und am Lernstand der Lernenden. Sie erhalten die Mög‐ lichkeit, die sprachlichen Phänomene (Lexeme, Wortbestandteile, As‐ pekte des Wortschatzwissens) in der Tiefe und auf kognitiv anregende Weise zu verarbeiten und sich wiederholt und mit zeitlichem Abstand den gleichen Wörtern und Wendungen zu zuwenden. Die Lernenden sollten den gleichen sprachlichen Elementen auch in den anderen strands be‐ gegnen. • Meaning-focused output: Die Lernenden erhalten umfassend Gelegenheit, über vertraute Themen zu sprechen oder zu schreiben. Der überwiegende Anteil der benötigten lexikalischen Mittel (thematischer Wortschatz) ist den Lernenden vertraut. Nur ein kleiner Anteil der benötigten lexikali‐ schen Mittel ist den Lernenden unbekannt und erfordert, dass die Lern‐ enden Kommunikationsstrategien verwenden und Wörterbücher oder andere zusätzliche Hilfen nutzen, um Lücken in ihrem lexikalischen Wissen auszugleichen. • Fluency development: Diesen strand begründet Nation (2001) vor dem Hintergrund eines ausgewogenen Englischunterrichts wie folgt: „If a course does not have a strong fluency element, then the learning done in the other three strands will not be readily available for normal use“ (Na‐ tion 2001: 3). Ein Kriterium für Lerngelegenheiten zur fluency develop‐ ment ist, dass die lexikalischen Elemente den Lernenden überwiegend vertraut sind. Flüssigkeit bezieht sich auf die Kommunikation und den Diskurs in spezifischen Sprachverwendungssituationen und schließt ein zügiges Abrufen (recall) bei der Produktion wie auch ein automatisiertes Wiedererkennen von Wörtern bei der Rezeption mit ein. Bei der Produk‐ tion meint fluency ferner die flüssige Artikulation und die flüssige Be‐ herrschung graphologischer Fähigkeiten. Der Fokus der Lernenden ist 72 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="73"?> stets auf den Inhalt und nicht auf die sprachliche Form gerichtet. Es gibt einen durch die Aufgabenstellung oder das Setting induzierten „Druck“ (z. B. durch Wettbewerb oder zeitliche Vorgaben), schneller als gewöhn‐ lich zu sprechen, zu schreiben oder zu lesen (vgl. Blitzlesemethode). Sam‐ banis (2007) macht zahlreiche Vorschläge zu erprobten Aktivitäten zur Förderung der mündlichen Artikulationsfähigkeiten im Englischunter‐ richt der Grundschule, die sich diesem „Standbein“ zuordnen lassen. Zur sprachlichen Übertragung der Metaphorik der „strands“ ins Deutsche Die Metaphorik des sich aus mehreren Strängen (strands) zusammensetzenden Seils führt nicht auf Anhieb zu der Idee eines ausgewogenen Curriculums lexi‐ kalischen Lernens; vielmehr betont „das Seil“ durch seine Länge die Kontinuität des Lernprozesses. Für hochschuldidaktische Zwecke und zur Optimierung der Lesbarkeit dieser Arbeit soll die Strang-Metaphorik ersetzt werden durch die Metaphorik eines „Stuhls mit vier Standbeinen“. Die Metapher eines Stuhls scheint besser geeignet, um die Idee auszudrücken, dass lexikalisches Lernen im Fremdsprachenunterricht „auf vier Standbeinen“ stehen sollte. In wissentlicher Abweichung von der wörtlichen Übersetzung von strand wird in dieser Arbeit von „Standbeinen“ gesprochen, wann immer auf Nations (2007) four strands of language teaching Bezug genommen wird. 2.4.1.6 Zwischenfazit Die in den vorhergehenden Abschnitten vorgestellten theoretischen Ansätze der Wortschatzdidaktik unterscheiden sich hinsichtlich der Kriterien für eine Systematisierung der Wortschatzdidaktik durch • das Ausmaß der Steuerung im Unterricht (Stork 2003, 2010), • die Nicht-Linearität von sozio-kognitiven Prozessen, die bereits für den L1-Erwerb genutzt worden sind (Tomasello 2003), • die Orientierung am Kompetenzbegriff (Targonska & Stork 2013), • die durchgängige Förderung (inzidentell und explizit) des lexikalischen Lernens in allen Phasen eines kommunikativen Fremdsprachenunter‐ richts (Nation 2007), • die Strukturierung des Gegenstandsbereichs als ein Lexik-Grammatik Kontinuum von Einzelwörtern hin zu Konstruktionen. Welcher dieser hier vorgestellten theoretischen Ansätze der Wortschatzdidaktik stellt nun eine geeignete Konzeption für die Beschreibung der Wissensbasis im Bereich des lexikalischen Lernens dar? In der Zusammenschau erweisen sich die Konzeption der four strands (Nation 2007) und die des lexikalischen Lernens 73 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="74"?> nach Scherfer (1985: 412 f.) als ganzheitliche Perspektiven auf das Wortschatz‐ lernen. Scherfers Konzeption des lexikalischen Lernens umfasst sowohl eine gegenstandsbezogene als auch eine vermittlungsbezogene und eine lernpro‐ zessbezogene Perspektive auf das Wortschatzlernen. Damit ist ein breites Spektrum an möglichen Unterrichtssituationen und Aktivitäten abgedeckt, die in unterschiedlicher Ausprägung im Englischunterricht quer über alle Kön‐ nensstufen beobachtbar sind. 2.4.2 Die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ Der folgende Abschnitt widmet sich der Beschreibung einer terminologisch or‐ ganisierten Wissensbasis für den Bereich des lexikalischen Lernens. Eine solche Beschreibungsmatrix sollte hinreichend konkret und unterrichtsnah sein, damit sie sich für die Unterrichtsanalyse nutzen lässt. Dies ist eine Voraussetzung, um die wissensbasierte Verarbeitung von angehenden Englischlehrpersonen in diesem Bereich weiter zu untersuchen. Wenn professionelle Unterrichtswahr‐ nehmung im Kern die wissensbasierte Verarbeitung (knowledge-based reaso‐ ning) ausmacht, dann stellt sich die Frage, welche Fachkonzepte für die Ein‐ schätzung von Situationen lexikalischen Lernens genutzt werden können und sollen. Wie muss eine Beschreibungsmatrix strukturiert sein, welche die Nut‐ zung dieser Begriffe für die Analyse und Einschätzung von konkreten Unter‐ richtssituationen ermöglicht? In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, eine Beschreibungsmatrix für den Bereich des lexikalischen Lernens von der Allgemeinen Didaktik abzuleiten (vgl. Abbildung 1). 74 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="75"?> 44 sierte Verarbeitung von angehenden Englischlehrpersonen in diesem Bereich weiter zu untersuchen. Wenn professionelle Unterrichtswahrnehmung im Kern die wissensbasierte Verarbeitung (knowledge-based reasoning) ausmacht, dann stellt sich die Frage, welche Fachkonzepte für die Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens genutzt werden können und sollen. Wie muss eine Beschreibungsmatrix strukturiert sein, welche die Nutzung dieser Begriffe für die Analyse und Einschätzung von konkreten Unterrichtssituationen ermöglicht? In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, eine Beschreibungsmatrix für den Bereich des lexikalischen Lernens von der Allgemeinen Didaktik abzuleiten (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1: Das didaktische Dreieck nach Reusser (2008) Reusser (2008) betrachtet die von ihm wiederbelebte Denkfigur des didaktischen Dreiecks als „einen geeigneten Ausgangspunkt zur Deutung der Dynamik der zentralen operativen Aufgaben von Lehrpersonen“ (ebd. 224). Es ist ein „Modell für den operativen Kern der berufsbezogenen Aufgaben von Lehrpersonen“ (ebd. 229), welches zwischen der Ziel- und Stoffkultur, d. h. der Auswahl und Reflexion des Bildungsgehalts der Unterrichtsgegenstände, der Lern- und Verstehenskultur und der Kommunikations-, Lernunterstützungs- und Beziehungskultur unterscheidet. Angesichts der Dominanz der empirischen Lehr-Lern- und Bildungsforschung bezweifelt Reusser (2008: 222), ob es Sinn ergibt, „große Mengen an Forschungswissen“ an angehende Lehrpersonen zu vermitteln, da dieses „Erklärungswissen der Wissenschaft“ nicht mit der „Wissensqualität handelnder Subjekte, d. h. mit Ziel- und Stoffkultur Lern- und Verstehenskultur Kommunikations- und Unterstützungskultur Lerngegenstand Lehrende/ r Lernende Abbildung 1: Das didaktische Dreieck nach Reusser (2008) Reusser (2008) betrachtet die von ihm wiederbelebte Denkfigur des didaktischen Dreiecks als „einen geeigneten Ausgangspunkt zur Deutung der Dynamik der zentralen operativen Aufgaben von Lehrpersonen“ (ebd. 224). Es ist ein „Modell für den operativen Kern der berufsbezogenen Aufgaben von Lehrpersonen“ (ebd. 229), welches zwischen der Ziel- und Stoffkultur, d. h. der Auswahl und Reflexion des Bildungsgehalts der Unterrichtsgegenstände, der Lern- und Ver‐ stehenskultur und der Kommunikations-, Lernunterstützungs- und Beziehungs‐ kultur unterscheidet. Angesichts der Dominanz der empirischen Lehr-Lern- und Bildungsforschung bezweifelt Reusser (2008: 222), ob es Sinn ergibt, „große Mengen an Forschungswissen“ an angehende Lehrpersonen zu vermitteln, da dieses „Erklärungswissen der Wissenschaft“ nicht mit der „Wissensqualität han‐ delnder Subjekte, d. h. mit ihrem Professionswissen identisch“ ist und sich „wis‐ senschaftliches Wissen von hoher Qualität […] im Zuge seiner kognitiven An‐ eignung nicht von selbst in Professionswissen“ verwandelt (ebd. 222). Die Lehrerbildung benötigt daher auch künftig einen „normativ verankerten, fach‐ übergreifenden schulpädagogischen und didaktischen Referenzrahmen zur Re‐ flexion und Deutung der pädagogischen Handlungsaufgaben“ (ebd. 223). Bezogen auf den übergreifenden schulpädagogischen Zusammenhang repräsentieren die drei pädagogisch-didaktischen Teilkulturen somit einerseits die Basisdimensionen der gestaltbaren Berufsrealität von Lehrkräften, andererseits erlauben sie das Ordnen 75 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="76"?> eines breiten Feldes von Konzepten und Ergebnissen der empirischen Lehr- und Lern‐ forschung. (Reusser 2008: 230) Die „epistemisch zu verstehende, deskriptive Denkfigur“ (ebd. 224) macht die Wechselwirkungen zwischen Lerngegenstand, Lernenden (als Individuen und als Gruppe) und Lehrenden beschreibbar und erlaubt auch das Ordnen eines breiten Feldes von fachdidaktischen Konzepten. Als Heuristik für die Analyse von Fachunterricht ist das didaktische Dreieck geeignet, „die strukturelle Grundsituation didaktischen Handelns und damit die Kernaufgabe institutionell gerahmten Lernens aus der Perspektive der zentralen Elemente und Akteure zu bestimmen“ (ebd. 224). Im Vergleich zu dem Ansatz von Scherfer (1985) hebt Reusser die „Qualität der personalen Kommunikations- und Lernhilfeaufgaben von Lehrerinnen und Lehrern“ hervor. „Eine pädagogisch förderliche Interak‐ tion, Lernunterstützung und Beziehungsgestaltung“ (ebd. 228) ist auch für den Bereich des lexikalischen Lernens bedeutsam. Als Denkfigur der Allgemeinen Didaktik erlaubt das Modell auch spezifisch fachdidaktische Füllungen. In Abbildung 2 wird es erstmals fachdidaktisch für den Bereich des lexikalischen Lernens konkretisiert. Die drei Teilkulturen des Unterrichts werden mit Erschließungsfragen im Hinblick auf den Bereich des lexikalischen Lernens konkretisiert. Die drei Kulturen bzw. Achsen des didak‐ tischen Dreiecks stecken das Entscheidungs- und Gestaltungsfeld lexikalischen Lernens im Englischunterricht ab. Um lexikalisches Lernen zu ermöglichen, sind Überlegungen und Entscheidungen auf allen drei Achsen notwendig. • Ziel- und Stoffkultur: Welche Aspekte der Form, der Bedeutung oder des Gebrauchs werden thematisiert? Welche Wörter, Kollokationen oder idi‐ omatischen Wendungen werden eingeführt? Welche Wörter müssen für Sprech- oder Schreibaktivitäten vorentlastet werden? • Lern- und Verstehenskultur: Inwieweit erfordern die Lernaufgaben der Stunde das Abrufen oder Wiedererkennen von Wortschatz? Können die Lernenden Wörter in neuen Kontexten verwenden? Haben die Lernenden die Kernbedeutung verinnerlicht? Haben die Lernenden Bedeutungs‐ reichweiten von Wörtern erkannt (tiny, little)? • Kommunikations- und Unterstützungskultur: Wie lässt sich das Wort se‐ mantisieren? Welche sprachlichen Einhilfen für Produktionsaufgaben gibt es? Wie hat die Wortdefinition zum Verständnis der Wortbedeutung beigetragen? Insofern erfasst das allgemeindidaktische Modell die unterrichtliche Dynamik umfassend und hilft in der fachdidaktischen Konkretisierung, die Fachkonzepte lexikalischen Lernens nah an der Unterrichtswirklichkeit zu verorten, was für 76 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="77"?> die Erfassung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Bedeutung ist. Die vermittlungsbezogene Perspektive im Konzept des lexikalischen Lernens nach Scherfer (1985) wird erweitert um alle lernförderlichen, interaktiven Pro‐ zesse der Kommunikations- und Unterstützungskultur. Die gegenstandsbezo‐ gene Perspektive, die mit der Auswahl und Begründung des Lerngegenstands befasst ist, und die vermittlungsbezogene Perspektive (z. B. Semantisierungsst‐ rategien, Bestimmung der Lernschwierigkeit; vgl. Scherfer 1985: 412 f.) gehen in der Ziel- und Stoffkultur auf. Die lernprozessbezogene Perspektive, die sich z. B. mit der Verbesserung der Behaltensleistung, dem Abrufen fremdsprachli‐ cher Wörter sowie mit Lern- und Merkhilfen befasst (ebd. 413 f.), geht in der Lern- und Verstehenskultur auf (vgl. Abbildung 2). Der Begriff der Lern- und Verstehenskultur drückt aus, dass es nicht um einzelne Lehrer-Schüler-Inter‐ aktionen geht, in denen z. B. das Verstehen englischer Wörter angestrebt wird. Vielmehr geht es um die Gesamtheit der Lernaufgaben, Lehrerimpulse, Verste‐ henshilfen, Semantisierungen etc., die Lernen ermöglichen. Die Begrifflichkeit „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ drückt diese ganzheitliche Perspektive auf das Wortschatzlernen im Fremdsprachenunterricht aus. Eine professionelle Unterrichtswahrnehmung würde sich dadurch aus‐ zeichnen, dass Lehrpersonen alle Kulturen des Unterrichts (vgl. Abbildung 2) in den Blick nehmen und unterscheiden können. Eine Lehrperson muss mögliche Lernhürden bei der Erlernbarkeit von konkreten lexikalischen Einheiten anti‐ zipieren, um angemessen auf auftretende Verstehensschwierigkeiten reagieren zu können. Sie muss aber auch Lernhilfedialoge (z. B. negotiation of meaning) initiieren, um das Verständnis etwa von Bedeutungsreichweiten zu sichern. 77 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="78"?> 46 Eine professionelle Unterrichtswahrnehmung würde sich dadurch auszeichnen, dass Lehrpersonen alle Kulturen des Unterrichts (vgl. Abbildung 2) in den Blick nehmen und unterscheiden können. Eine Lehrperson muss mögliche Lernhürden bei der Erlernbarkeit von konkreten lexikalischen Einheiten antizipieren, um angemessen auf auftretende Verstehensschwierigkeiten reagieren zu können. Sie muss aber auch Lernhilfedialoge (z. B. negotiation of meaning) initiieren, um das Verständnis etwa von Bedeutungsreichweiten zu sichern. Abbildung 2: Die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ (in Anlehnung an Reusser 2008) Das fachdidaktisch konkretisierte didaktische Dreieck nach Reusser (2008) liefert die Heuristik für die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“. Die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ leistet zweierlei: Zum einen bildet sie lexikalisches Lernen in seiner gegenstands-, vermittlungs- und prozessbezogenen Dimension ab. Zum anderen stellt sie eine fachsprachliche Systematik im Sinne der Wissens- und Terminologieorganisation (vgl. 2.3.3) bereit, welche für die Fachkommunikation, den systematischen Wissensaufbau bei Novizen und die wissensbasierte Verarbeitung von Unterricht im Zusammenhang mit der professionellen Unterrichtswahrnehmung nutzbar ist. Die nachfolgende, detaillierte Darstellung von vorliegenden Fachkonzepten der Wortschatzdidaktik orientiert sich an den drei Kulturen des didaktischen Dreiecks. 2.4.3 Ziel- und Stoffkultur lexikalischen Lernens Lexis-Grammatik-Kontinuum Die Forderung, dass Wortschatz „grundsätzlich in Einheiten oberhalb der Wortebene gelehrt werden" sollte (Siepmann 2006: 70), ist in der Fremdsprachendidaktik weitgehend akzeptiert. Der gemeinsame Europäische Referenzrahmen für das Lehren und Lernen von Sprachen geht von einem Lexis-Grammatik-Kontinuum aus und stellt heraus, dass der Wortschatz einer Sprache aus „lexikalischen und grammatischen Elementen besteht“ (Eu- Ziel- und Stoffkultur : four strands of language teaching (Nation 2007) aspects of word knowledge (Nation 2001) lexis-grammar continuum (Schmitt 2010) semantische Relationen & Felder (McCarthy 1990) Lern- und Verstehenskultur: noticing, retrieval, generative use (Nation 2001) depth of processing Craik & Lockhart (1972) engagement (Schmitt 2008) lexical awareness (Nation 2008) Kommunikations- und Unterstützungskultur: ways of communicating word meaning (Nation 2001) rich instruction (Nation 2001) negotiation of meaning (Long 1981) Abbildung 2: Die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ (in Anleh‐ nung an Reusser 2008) Das fachdidaktisch konkretisierte didaktische Dreieck nach Reusser (2008) lie‐ fert die Heuristik für die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermögli‐ chen“. Die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ leistet zweierlei: Zum einen bildet sie lexikalisches Lernen in seiner gegenstands-, ver‐ mittlungs- und prozessbezogenen Dimension ab. Zum anderen stellt sie eine fachsprachliche Systematik im Sinne der Wissens- und Terminologieorganisa‐ tion (vgl. 2.3.3) bereit, welche für die Fachkommunikation, den systematischen Wissensaufbau bei Novizen und die wissensbasierte Verarbeitung von Unter‐ richt im Zusammenhang mit der professionellen Unterrichtswahrnehmung nutzbar ist. Die nachfolgende, detaillierte Darstellung von vorliegenden Fach‐ konzepten der Wortschatzdidaktik orientiert sich an den drei Kulturen des di‐ daktischen Dreiecks. 78 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="79"?> 2.4.3 Ziel- und Stoffkultur lexikalischen Lernens Lexis-Grammatik-Kontinuum Die Forderung, dass Wortschatz „grundsätzlich in Einheiten oberhalb der Wortebene gelehrt werden" sollte (Siepmann 2006: 70), ist in der Fremdsprachendidaktik weitge‐ hend akzeptiert. Der gemeinsame Europäische Referenzrahmen für das Lehren und Lernen von Sprachen geht von einem Lexis-Grammatik-Kontinuum aus und stellt heraus, dass der Wortschatz einer Sprache aus „lexikalischen und grammatischen Elementen besteht“ (Europarat 2001: 111). Der Forderung nach einer Neubestimmung des Verhältnisses von Wortschatz- und Grammatikarbeit im Fremdsprachenunter‐ richt haben außerdem Siepmann (2007) und Segermann (2006) Ausdruck verliehen. Die didaktische Abkehr von der Orientierung an Einzelwörtern (vgl. z. B. O’Dell & McCarthy 2008; Siepmann 2007: 70; Nation 2010: 9) ist durch korpuslinguistische und phraseologische Untersuchungen des Englischen gut begründet. Überdies stellt Wray (2008) die Metapher des mentalen Lexikons als einer „box filled with words“ in Frage: „The mental lexicon contains not only morphemes and words but also many multi‐ word strings, including some that are partly lexicalized frames with slots for variable material, treated as if they were single morphemes“ (Wray 2008: 12). Dennoch ist bei Unterrichtspraktikern und Lernenden noch häufig ein Verständnis von vocabulary anzutreffen, welches auf eine Einzelwortorientierung hindeutet: “Individual words are convenient units to teach and incorporate into materials. [... ]It is therefore no wonder that most teachers and students tend to think of vocabulary in terms of individual words” (Nation 2010: 9). Bei Lernenden ist der Begriff „Vokabel“ meist negativ konnotiert. Zu diesem Ergebnis gelangt Neveling (2004: 349f.) auf der Grundlage eines Assoziations‐ tests mit Französischlernenden. Der Begriff der „Wörter“ wird hingegen als das umfassendere Konzept wahrgenommen (ebd.). Scrivener (2005: 227) plädiert dafür, den Begriff lexis zu verwenden. Lexis umfasst neben Einzelwörtern auch Kollokationen, präfabrizierte Wendungen (chunks), häufig verwendete Satz‐ muster (sentence frames) und idiomatische Wendungen (Nattinger & DeCarrico 1992: 37). Die traditionellen Grenzziehungen zwischen Syntax, Semantik und Prag‐ matik werden von der kognitiven Linguistik in Frage gestellt. Geeraerts (2010) stellt vor allem die kontextabhängige Flexibilität von Wortbedeutungen heraus: „A belief in the contextual, pragmatic flexibility of meaning, the conviction that meaning is a cognitive phenomenon that exceeds the boundaries of the word, and the principle that meaning involves perspectivization“ (Geeraerts 2010: 182). Verspoor (2008) kritisiert die nachgeordnete Position der Semantik und die Do‐ minanz einer syntaxorientierten Grammatik. Das Argument für eine Aufhebung 79 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="80"?> der starren Trennung von Lexik und Grammatik kann mit Hilfe der Analyse eines Beispielsatzes untermauert werden. In dem Satz John baked Mary a cake aus Evans (2009: 38) sieht man, dass das Verb bake einen bestimmten „semantic frame“ mit Leerstellen (slots) für verschiedene Rollen wie z. B. einen Geber und einen Empfänger enthält. Diese ditransitive Konstruktion (bestehend aus agent, recipient und object of transfer (Evans 2009: 38, Abb. 2.3) ist bereits in dem Verb to bake angelegt. Je nach Kontext und Aussageabsicht wird diese Rolle bzw. dieser slot von Sprachbenutzern aktiviert und erlaubt so die Enkodierung einer bestimmten Szene: John erscheint mit einem Kuchen in der Hand vor Marys Wohnung. Das Prinzip der semantischen Kohärenz (Semantic Coherence Prin‐ ciple) sagt aus, dass eine weitere Rolle semantisch möglich und lebensweltlich vorstellbar ist und - im konkreten Beispiel - eine dritte Rolle, das Objekt des Backens, ergänzt wird. Das Beispiel veranschaulicht die Spannweite des Kon‐ zepts Lexis, welches sowohl Einzelwörter wie auch Konstruktionen mit ein‐ schließt. Für die professionelle Unterrichtswahrnehmung im Bereich des lexikalischen Lernens lässt sich aus dem bisher Gesagten ein weiteres Kriterium ableiten: Situationen lexikalischen Lernens sollten differenziert im Hinblick auf die Lern‐ gegenstände wahrgenommen werden. Differenzierte Aussagen zu den lexikali‐ schen Lerngegenständen einer Stunde, z. B. mit einem Fokus auf Mehrwortein‐ heiten (multi-word units), könnten als Indikator für eine professionelle Unterrichtswahrnehmung gelten, die über die Feststellung, dass in der Stunde „Wörter gelernt werden“, hinausgeht. Semantic Relations Die grundsätzliche Erkenntnis, dass „die Geltung eines Wortes [...] erst erkannt wird, wenn man sie gegen die Geltung der benachbarten und opponierenden Worte abgrenzt" (Trier 1931: 6, zit. nach Neveling 2004: 40), hat wortschatzdi‐ daktische Relevanz für das lexikalische Lernen. Beim Lernen eines neuen Wortes müssen „die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen neuen und alten Wörtern“ verarbeitet werden (Scherfer 1994: 141). Alle lexikalischen Einheiten sind im mentalen Lexikon in geordneter Form gespeichert und „in verschie‐ denen Netzen systematisch verbunden" (Thaler 2012: 224). Neveling hat Wörternetze als Strategie „mit dem Ziel des behaltenseffizienten Wörtererwerbs“ (Neveling 2004: 88) in einer eigenen Untersuchung erprobt. Hierzu arbeitet sie u. a. auf der Basis älterer linguistischer Studien (Trier 1931) lexikalisch-semantische Relationen heraus und gelangt so zu einer Unterschei‐ dung von „sieben Typen kognitiver Teilnetze" (Neveling 2004: 41), die durch die folgenden lexikalisch-semantischen Relationen gekennzeichnet sind: Hierar‐ 80 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="81"?> chie, Similarität, Kontrast, Kontiguität, Affektivität, Linearität. Haß (2006: 117) unterscheidet insgesamt 15 verschiedene Ordnungskriterien für semantische Relationen, differenziert dabei jedoch nicht zwischen paradigmatischen und syntagmatischen Beziehungen. Murphy (2003: 8) definiert semantische Relati‐ onen als "paradigmatic semantic relations among words". Die Wortschatzdidaktik scheint der lexikalischen Semantik gefolgt zu sein, die sich auch auf einige wenige Relationen konzentriert (Cruse 1986: 86). „The relations which most language teachers encounter with the greatest frequency in day-to-day teaching are synonymy, antonymy and hyponymy“ (McCarthy 1990: 16). In seinem Standardwerk zum fremdsprachlichen Vokabellernen un‐ terscheidet Schmitt (2000: 26) außerdem ungraded antonymy (dead - alive) von graded antonymy (big - little) sowie meronymy (Ganzes-Teil-Relationen), wie z. B. in bicycle - wheel, handle, seat. Schon die Vermittlung sollte die Verbindung zwischen Wörtern deutlich werden lassen oder diese sogar explizit themati‐ sieren: „Die Verwendung von bedeutungsähnlichen, in der speziellen Situation ihres Gebrauchs hic et nunc aber durchaus bedeutungsgleichen Wörtern ist ein legitimes Verfahren der Darbietung” (Doyé 1975: 47). Englischlehrlehrkräfte sollten sich der grundlegenden semantischen Relationen, die zwischen Wörtern bestehen können, bewusst sein und diese Verbindungen für die Semantisierung nutzen: „Understanding the notions of semantic features and sense relations is important to teachers because they are typical means of defining new words“ (Schmitt 2000: 29). Semantic fields Semantische Felder sind entlang eines konzeptuellen Feldes strukturiert, dem wiederum bestimmte Wörter zugeordnet werden können: „A conceptual field such as colour, kinship or cooking terms is covered by a number of listemes in a language, each denoting a part of the field“ (Allan 2016: 53). Semantische Felder repräsentieren Ausschnitte der Realität. Sie enthalten bestimmte Wörter, um diesen Realitätsausschnitt zu versprachlichen. Semantische Felder verändern sich im Laufe der Zeit. Das semantische Feld „Kommunikation“ beispielsweise beinhaltet heute Formen der Kommunikation, die vor 10 Jahren noch unbekannt waren. „Semantic fields are divisions within the general 'semantic space’ that is available to languages to express reality. [...] The related words and multi-word units in any given lexical field show us how that language has divided up the semantic space" (McCarthy 1990: 21). Wie die praktische Arbeit mit semantischen Feldern im Unterricht aussehen kann, hat Doyé (1975: 82) anhand von Beispielen anschaulich demonstriert. Er schlägt vor, den Lernenden, nachdem sie einzelne oder mehrere Wörter des je‐ 81 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="82"?> weiligen Feldes gelernt haben, die Zugehörigkeit eines Wortes zum Wortfeld vorzuführen. Die Position beispielsweise von large im semantischen Feld ‚Grö‐ ßenangaben‘ oder die Position von einzelnen Bewegungsverben wie stride, march oder saunter im semantischen Feld der Fortbewegung unterstützt Lern‐ ende beim Verstehen der Bedeutung des einzelnen Wortes und bei der Integra‐ tion des Wortes in seinem Feld, was wiederum dem späteren Abrufen und der langfristigen Speicherung zuträglich ist. Zwar ist die Beherrschung des ge‐ samten Feldes nicht Voraussetzung für seine Beherrschung, aber „je besser ich das Feld kenne, umso besser erfasse ich die Bedeutung seiner Bestandteile“ (Doyé 1975: 86). „Die für die Didaktik wichtigste These der Feldtheorie ist, dass die Genauigkeit des Verstehens eines einzelnen Wortes abhängig ist von der Kenntnis seiner Position im semantischen Feld“ (ebd.). Aspekte des Wortschatzwissens Die Beherrschung eines Wortes umfasst Wissen zu den Aspekten form, meaning und use (Nation 1990, 2001). Damit Lernende ein Wort in der Kommunikation rezeptiv oder produktiv beherrschen, benötigen sie nicht nur Wissen über die Bedeutung, sondern auch Wissen über die Form und den Gebrauch des Wortes. Die verschiedenen Aspekte des Wortschatzwissens lassen sich für jedes Wort beschreiben. Schmitt (2010: 224 f.) hat die Vorteile eines Dimensionenansatzes für die Beschreibung des Wortschatzerwerbs herausgestellt, weist aber auch auf die Problematik der separaten Erfassung von bestimmten Aspekten des Wort‐ schatzwissens hin. „The dimensions approach can also have a simplifying effect of breaking complex behaviour (vocabulary acquisition) into its more manage‐ able components for analysis“ (ebd. 224). Die verschiedenen Aspekte des Wortwissens können jedoch nicht alle gleich bei der Erstbegegnung vermittelt und aufgenommen werden. Lexikalisches Lernen ist inkrementell: am Anfang wird die Verknüpfung der fremdsprachli‐ chen Form mit einer Bedeutung gelernt (form-meaning link). Durch nachfol‐ gende Begegnungen mit dem Wort und zusätzliche lehrerseitige Erläuterungen (rich instruction, vgl. Nation 2001: 94) reichert der Lerner sein Wortwissen um weitere Aspekte an (vgl. auch McKeown et al. 2012). Die learning burden eines Wortes definiert Nation (2001: 23) wie folgt: „the amount of effort required to learn it“. Lernhürden können entweder im Bereich der Form, der Bedeutung oder des Gebrauchs liegen. Um die Aspekte des Wort‐ schatzwissens zu illustrieren, werden jeweils drei Beispiele analysiert: appetite, to volunteer und window dresser (siehe rechte Spalte von Tabelle 6). Die Beispiele sollen verdeutlichen, dass bestimmte Aspekte des Wortwissens für jedes Wort zwar beschreibbar sind, sie jedoch nicht bei jedem Wort eine Lernhürde (learning 82 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="83"?> burden) darstellen (Nation 2001: 23-24). Die gesprochene Form des Verbs to volunteer und des gleichlautenden Nomens ist identisch. Dass die Betonung des Verbs to volunteer und des Nomens jeweils auf der zweiten Silbe / ˌvɒlənʹtɪə/ liegt, könnte eine learning burden in der Dimension spoken form sein, da das Adjektiv / ʹvɒləntəri / auf der ersten Silbe betont wird. Aspekt des Wort‐ wissens Beispiele appetite / to volunteer / window dresser Form Gesprochene Form appetite: Die letzte Silbe wird / taɪt/ ge‐ sprochen. Geschriebene Form Das Kompositum window dresser wird im Englischen getrennt geschrieben. Wortbestandteile window dresser, zoo keeper, employer Bedeutung Wortbedeutung physical desire for food or pleasure / to volunteer: give or offer one’s help wil‐ lingly without being paid / s.o. who ar‐ ranges goods attractively in shop windows Konzepte oder Re‐ ferenten Appetit / sich ehrenamtlich engagieren / Schaufensterdekorateur Assoziationen Hunger / OXFAM, Red Cross / fashion designer Gebrauch Grammatische Funktion und grammatical pat‐ terns Nomen (she has a good ~) / he volunteered to clean the board; she volunteered for OXFAM / Nomen (he works as a ~) Kollokationen Have, spoil, lose one’s appetite / to volun‐ teer for relief work, he volunteered ad‐ vice / work as a ~ Einschränkungen des Gebrauchs (Re‐ gister) *Good appetite! vs. Enjoy your meal! / jdn. „zwangsverpflichten“: My mum volun‐ teered me to do the dishes. / derogativer Gebrauch: The company’s promise to support customers is just window-dres‐ sing. Tabelle 6: Exemplarische Analyse der learning burden anhand der Wortwissensaspekte 83 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="84"?> Hinsichtlich der Wortbedeutung unterscheiden sich die drei Wörter in der Mög‐ lichkeit, ein direktes deutsches Äquivalent für sie zu finden. Dies kann als Hinweis auf eine Lernschwierigkeit interpretiert werden, die mit dem hinter der Bedeutung des Wortes liegenden Konzept zu tun hat. So lässt sich für das Verb to volunteer kein direktes Übersetzungsäquivalent finden. Das Englische bildet hier ein Verb, das man im Deutschen jedoch nicht mit „sich verfreiwilligen“ wiedergeben könnte. Zur Di‐ mension meaning zählen aber auch Assoziationen, die bei der Begegnung mit dem Wort unmittelbar aufgerufen werden. Beim ehrenamtlichen Engagement hat man bestimmte Organisationen vor Augen, während man beim Schaufensterdekorateur an andere kreative Berufe denkt. Wortbestandteile wie z. B. derivierende Suffixe sowie Bestandteile von Kompo‐ sita stellen nur dann eine Lernschwierigkeit dar, wenn das Suffix nicht semantisch transparent ist (z. B. cooker). Im Bereich des produktiven Wortschatzwissens kann es sogar irreführend sein, das Suffix -er als wortbildend anzunehmen (to volunteer a *volunteerer). Beim Kompositum window dresser ist die Bedeutung „Schaufenster‐ dekorateur“ nicht transparent, weil window innerhalb des Kompositums nicht als direktes Objekt zu dem Verb to dress („Fenster bekleiden“) interpretiert werden kann. Allerdings kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass auch Fenster so „eingekleidet“ werden können, dass sie Passanten zum Verweilen und Be‐ trachten der ausgestellten Waren einladen - eine Assoziation, die dem Verstehen und dem Behalten mitunter zuträglich ist. Bei den grammatischen Funktionen bzw. grammatical patterns treten Unter‐ schiede im Gebrauch - je nach L1 - zu Tage: Der Anschluss mit einer Präposi‐ tionalphrase ist im Deutschen möglich (z. B. Er engagiert sich ehrenamtlich für den Tierschutz.). Für Lerner mit Deutsch als Muttersprache muss die Kolloka‐ tion he volunteered advice ungewöhnlich erscheinen, die statt mit „sich ehren‐ amtlich engagieren“ eher mit „bereitwillig einen Rat geben“ übersetzt wird und somit im Deutschen ein anderes Verb (geben) erfordert. Jedes Wort hat Einschränkungen im Gebrauch und in der Reichweite seiner Bedeutung (constraints on use). Die Formel Guten Appetit ist im Englischen un‐ üblich, um den ritualisierten Beginn einer gemeinsamen Mahlzeit zu markieren. Sie würde von englischen Muttersprachlern eher deskriptiv und damit mögli‐ cherweise als grenzüberschreitend verstanden („Du hast aber einen guten Ap‐ petit! “). Mit to volunteer lässt sich ein unfreiwilliges In-die-Pflicht-Nehmen für unliebsame Tätigkeiten ausdrücken (z. B. My mum volunteered me to do the di‐ shes.). Im übertragenen Sinn kann window dressing eine negative Bedeutung des Verschleierns oder Schönfärbens erhalten. Zusätzlich ist zwischen rezeptivem und produktivem Wissen sowie der re‐ flexiven Ebene zu unterscheiden. Diese Unterscheidung wird in Tabelle 7 aus‐ 84 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="85"?> geführt. Targonska & Stork (2013: 99) verstehen die reflexive Teilkompetenz bezogen auf die lexikalische Kompetenz als die „Fähigkeit des Lernenden, über die lexikalischen Phänomene, seine Wortschatzaneignungsprozesse, seine lexi‐ kalische Kompetenz sowie die eigenen lexikalischen Strategien nachzudenken und daraus Einsichten zu gewinnen“. Alle lexikalischen Phänomene, d. h. alle Aspekte des Wortschatzwissens, sind für eine analytische Betrachtung zugäng‐ lich. Es überzeugt daher nicht, wenn die Autoren eine reflexive Teilkompetenz lediglich auf zwei Aspekte des Wortschatzwissens beschränken wollen (Wort‐ bildungs- und Kollokationskompetenz). Sprachbewusstheit umfasst sowohl Strategienutzung als auch Wissen und Reflexion über den eigenen lexikalischen Kenntnisstand. Vorstellbar sind Situationen lexikalischen Lernens, in denen eine fachdidaktische Notwendigkeit für sprachbezogene Reflexion besteht, um ein vertieftes Verständnis von spezifischen Aspekten des Wortwissens zu erreichen. Rezeptiv (Wieder‐ erkennen) Produktiv (aktives Erinnern und Auf‐ rufen) Reflexiv (Lexikali‐ sche Bewusstheit) Gespro‐ chene Form Lernende erkennen die gesprochene Form eines Wortes Lernende sprechen das Wort korrekt aus oder lesen es laut vor Lernende erkennen typische Klang- und Betonungsmuster und vergleichen diese mit ihrer Mutter‐ sprache Lernende reflek‐ tieren, inwieweit sich Klang- und Beto‐ nungsmuster auf un‐ bekannte Wörter übertragen lassen Ge‐ schrie‐ bene Form Lernende ordnen die geschriebene Form des Wortes Bildern zu Lernende schreiben Wörter nach Diktat oder aus dem Ge‐ dächtnis Lernende gewinnen Einsicht in die Bezie‐ hung zwischen Lauten und Buch‐ staben Wortbe‐ stand‐ teile und Wort‐ bildung Lernende zerlegen Wörter in einzelne Bestandteile Lernende bilden neue Wörter aus Nomen Lernende bilden neue Wörter mit Hilfe von einzelnen Prä- oder Suffixen (ex-, un-, -ee) Lernende erkennen Grenzen einzelner Wortbildungsregeln (z. B. -ty, -able) Lernende reflektieren die Bedeutung von Komposita 85 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="86"?> Bedeu‐ tung Lernende zeigen auf Bilder, wenn sie die Wortform hören/ lesen Lernende wählen ein passendes Wort aus mehreren vorge‐ gebenen Wörtern aus Lernende rufen das passende Wort auf, um eine Bedeutung in der L2 zu reali‐ sieren Lernende setzen Wörter in Lücken ein Lernende organi‐ sieren Wörter in The‐ menfeldern Lernende vergleichen sinnverwandte Wörter und Wen‐ dungen Kon‐ zept Lernende erkennen das Wort in seiner Kernbedeutung Lernende erkennen die Zugehörigkeit eines Wortes zu einer bestimmten Kategorie (green = colour) Lernende erkennen Beziehungen zwi‐ schen Wörtern: Ober-/ Unterbe‐ griffe, Teil-Ganzes-Relati‐ onen, Ablaufbezie‐ hungen, Gegenteile, sinnverwandte Wörter Lernende erkennen das Wort in ver‐ wandten, übertra‐ genen Kontexten wieder Lernende gebrau‐ chen das Wort in seiner Kernbedeu‐ tung Lernende können Wörter als Vertreter bestimmter Katego‐ rien benennen Lernende gebrau‐ chen Wörter assozi‐ ativ (Ober-/ Unterbe‐ griffe, Teil-Ganzes-Relati‐ onen, Ablaufbezie‐ hungen, Gegenteile, sinnverwandte Wörter) Lernende benennen semantische Eigen‐ schaften des Wortes Lernende können se‐ mantische Eigen‐ schaften von Wörtern benennen („a cow is not a pet because it cannot live in a home“) Lernende können Be‐ ziehungen zwischen Wörtern benennen: Ober-/ Unterbegriffe, Teil-Ganzes-Relati‐ onen, Ablaufbezie‐ hungen, Gegenteile, sinnverwandte Wörter Tabelle 7: Aspekte des Wortschatzwissens (in Anlehnung an Nation 1990; 2001; vgl. Elsner & Gießler 2011: 120) Zusammenfassend kann man feststellen, dass dem Konzept der learning burden auf der gegenstandsbezogenen Achse des didaktischen Dreiecks eine wichtige Position zukommt, welche für die Identifikation konkreter Lerngegenstände unmittelbare Relevanz haben kann. Die Lernschwierigkeit nach Nation (2001: 23) beschreibt die antizipierte Schwierigkeit bzw. Lernbarkeit („effort required to learn it“) eines Wortes bezogen auf die Dimensionen des Wortwissens. Eine Schwierigkeitsanalyse einzelner Wörter bei der Planung des Unterrichts kann dafür sensibilisieren, welche Wörter und welche Aspekte des Wortwissens Auf‐ 86 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="87"?> merksamkeit benötigen und entweder explizit vermittelt oder zum Gegenstand gemeinsamer Reflexion mit den Lernenden gemacht werden sollten. „Teachers can help to reduce the learning burden or words by drawing attention to sys‐ tematic patterns and analogies within the second language, and by pointing out connections between the second language and the first“ (Nation 2001: 24). Die Antizipation von Lernschwierigkeiten spezifischer Wörter kann demnach als Kriterium für eine professionelle Unterrichtswahrnehmung gelten. Als Ergebnis einer wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht im Bereich des lexikalischen Lernens sollten differenziertere Aussagen stehen als die, dass die Lernenden bestimmte „Vokabeln können“ oder dass sie bestimmte Wörter „gelernt“ haben. Zwar steht am Anfang des lexikalischen Lernprozesses die Kenntnis der Bedeutung und der geschriebenen oder gesprochenen Form. Na‐ tion (2001: 70) bezeichnet dies als die Form-Bedeutungs-Verknüpfung, die ohne Frage ein erster, wichtiger Schritt hin zur Beherrschung der Lexik darstellt. Mit Hilfe der Dimensionen des Wortwissens lassen sich Lernergebnisse präzise bi‐ lanzieren und Zielrichtungen von Übungen und Lernaktivitäten präzise be‐ schreiben. 2.4.4 Die Lern- und Verstehenskultur lexikalischen Lernens Die Fachkonzepte der Lern- und Verstehenskultur haben allesamt die Funktion, Lern- und Verstehensprozesse beschreibbar zu machen. Tabelle 8 listet Fach‐ konzepte für lexikalische Lernprozesse auf, die nachfolgend erläutert werden. Lernprozesse Noticing (negotiation, decontextualization) Retrieval (receptive, productive) Generative use (degrees of generation) Depth of processing (Craik & Lockhart 1972; Lockhart & Craik 1990) Lexical awareness (Nation 2008) (der Prozess der analytischen Beschäftigung mit Wörtern und ihren Bedeutungen, Formen oder Gebrauchsweisen) Engagement (Schmitt 2008) Tabelle 8: Übersicht Fachkonzepte der Verstehens- und Lernkultur 87 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="88"?> Levels of processing & engagement Der lernerseitige Umgang mit fremdsprachlichem Wortgut ist ein wesentlicher Faktor für nachhaltiges lexikalisches Lernen. „It is a commonsense notion that the more a learner engages with a new word, the more likely they are to learn it” (Schmitt 2008: 339). Im Gegensatz zu den Mehrspeichermodellen, welche die Behaltensleistung vom Durchlaufen eines Items durch verschiedene Speicher abhängig machen (vgl. zusammenfassend Hoffmann & Engelkamp 2013: 136), argumentieren Craik & Lockhart (1972), dass generelle, tiefergehende kognitive Aktivitäten wie die konzeptuelle Analyse eines Wortes (z. B. Zu welcher Kate‐ gorie gehört hot chocolate? ) entscheidend sind für das Erinnern. Auch wenn das Konzept der Verarbeitungstiefe im weiteren Verlauf auf Grund der fehlenden empirischen Nachweise heftig kritisiert worden ist (Lockhart & Craik 1990: 90ff.), besteht Übereinstimmung hinsichtlich des Befundes, dass sich die eigen‐ ständige Analyse von Bedeutungen und Kategoriezugehörigkeiten positiv auf die Behaltensleistung auswirkt: „In the domain of semantic processing, there is general agreement that further analysis of stimulus is associated with higher re‐ tention“ (Lockhart & Craik 1990: 96). Wenn „maximizing sustained engagement with the lexical items which need to be learned” (Schmitt 2008: 353) das Ziel ist, dann sind kognitiv anspruchsvolle Umwälzungsaufgaben wie z. B. das Sortieren von Wörtern nach Oberbegriffen oder Ganzes-Teil-Beziehungen sinnvolle Lern‐ aktivitäten, welche die Nachhaltigkeit lexikalischen Lernens fördern (vgl. Thaler 2012: 231). Lexical Awareness Lexical Awareness zielt darauf, dass Lernende ein Interesse am analytischen Umgang mit Wortschatz entwickeln und sie Aspekte des Wortwissens und des Wortgebrauchs reflektieren: „[…] developing an enduring interest in the analysis of the vocabulary of different languages and of vocabulary use, and increasing their understanding of the ways in which vocabulary is used for a whole variety of purposes” (Nation 2008: 167). Die kognitive Linguistik und vor allem die kognitive Semantik hat Konzepte der linguistischen Beschreibung entwickelt, die gleichsam zu Werkzeugen werden können, um scheinbar arbiträre lexikalische Phänomene (zumindest ansatzweise) logisch entschlüsseln zu können (vgl. Littlemore 2009; Geeraerts 2006; Hudson 2008). Einige dieser analytischen Zugänge sind bereits fremd‐ sprachendidaktisch aufbereitet (vgl. Holme 2009) und in einem fachdidaktischen Seminar mit Studierenden der Anglistik erprobt worden (vgl. Gießler 2012). Wann immer möglich, sollten Lernenden vertiefte Einblicke in die Welt der 88 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="89"?> Wörter einer Sprache vermittelt werden, um deutlich zu machen, dass be‐ stimmten Wörtern auch eine bestimmte Weltsicht auf die Dinge innewohnt. Making learners aware of these differences between languages has the educational benefits of seeing that there is more than one way of viewing the world, and that words are labels that can shape the way we view things. One way of doing this is to start with understanding the constituents of meaning of first or second language words. (Nation 2008: 173) Noticing, retrieval, generative use Ein Prozess, der gewissermaßen eine Voraussetzung für die Aneignung eines Wortes darstellt, ist das noticing. Mit Bezug auf Schmidts (1990) Noticing Hypo‐ thesis kann noticing als Ausgangspunkt für Spracherwerb im natürlichen Kon‐ text gelten. Noticing ist für Nation der Anfang lexikalischen Lernens (Nation 2001: 63). Dem Lernenden fällt ein Lexem zum Beispiel aufgrund seiner kom‐ munikativen Relevanz oder bestimmter Form- oder Gebrauchseigenschaften auf. Ob ein Wort tatsächlich bemerkt wird, hängt auch davon ab, ob es aus seinem Kontext heraussticht oder (von der Lehrkraft) aus diesem herausgelöst wird. Dies kann geschehen durch eine Dekontextualisierung (die Lehrkraft schreibt das Wort an die Tafel), das Aushandeln und Klären von Wortbedeu‐ tungen im Unterrichtsgespräch oder durch Definitionsversuche der Lernenden (Nation 2001: 83 ff.). Die Bewusstmachung ist dabei nicht auf die Wortbildung (vgl. Targonska & Stork 2013) beschränkt, sondern schließt alle Aspekte lexi‐ kalischen Wissens wie Form und Gebrauch, einschließlich grammatischer Ei‐ genschaften des Wortes, mit ein. Im konkreten Unterrichtsverlauf gibt es nach Nation (2001: 64) zwei Indika‐ toren für eine Dekontextualisierung: Immer dann, wenn Einzelwörter definiert werden oder deren Bedeutung „ausgehandelt“ wird, sind die Bedingungen für eine Dekontextualisierung gegeben. Diese Dekontextualisierung kann auf zwei Arten realisiert werden (Nation 2001: 64): • Aushandeln von Wortbedeutungen in einem gegebenen Inputmaterial, indem z. B. die Bedeutung in einer interaktiven Sequenz geklärt und wechselseitiges Verstehen angestrebt wird. • Definition eines Wort durch eine klassische analytische Definition wie in „an armchair is a piece of furniture that is mostly found in living rooms and that allows comfortable seating“. Ein weiterer, zentraler Lernprozess ist das Aufrufen des Wortes oder der ent‐ sprechenden Wortform aus der Erinnerung heraus (retrieval). Nation (2001) un‐ terscheidet weiter zwischen receptive retrieval und productive retrieval: 89 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="90"?> Receptive retrieval involves perceiving the form and having to receive its meaning when the word is met in listening or reading […] Productive retrieval involves wishing to communicate the meaning of the word and having to retrieve its spoken or written form as in speaking or writing. (Nation 2001: 67) Jedes Aufrufen, sei es ausgelöst durch eine Lehrerfrage, eine Aufgabe oder bei der Textproduktion, stärkt die Form-Bedeutungs-Verknüpfung, erleichtert das nächste Abrufen und fördert so die Behaltensleistung. Erst wenn die Form-Be‐ deutungs-Verknüpfung gesichert ist, steht das Wort für den Gebrauch in kom‐ munikativen Situationen zur Verfügung. Laufer & Goldstein (2004: 406) halten diese Unterscheidung für zu ungenau und unterscheiden weiter recall von re‐ cognition: das aktive Erinnern (recall) wird dabei als qualitativ höherwertig an‐ gesehen als die Fähigkeit, die Form oder Bedeutung aus einer Reihe von Opti‐ onen auszuwählen (recognition). Der dritte Lernprozess, generative use, kommt der kommunikativen Verwen‐ dung nahe und beinhaltet die Generierung von Aussagen, die bislang noch nicht mit dem betreffenden Wort realisiert worden sind. In der neuen Verwendungs‐ situation trägt das entsprechende Wort eine andere Bedeutung, die sich von der Kernbedeutung des Wortes unterscheidet. „Previously met words are met or used in ways that differ from the previous meeting“ (Nation 2001: 68). Die Ab‐ weichung des Kontextes von demjenigen aus der ersten Begegnung mit dem Wort muss man sich dabei als ein Kontinuum vorstellen. Generative use ist ein relatives Konzept, weil sich Rekonzeptualisierung auf allen Ebenen des Wort‐ wissens (form, meaning, use) abspielen kann. Entscheidend ist, dass der Lernende durch den neuen Kontext sein Wissen über das Wort (d. h. dessen Formeigen‐ schaften, Bestandteile des Konzeptes oder Kollokationen) rekonzeptualisiert oder erweitert. Folgende Beispiele mögen den Grad von generative use illust‐ rieren: • conceptual: to drive s.o. crazy: ‘causing an emotional state’ • orthographic (plural of scarf = scarves) • grammatical (she volunteered me to do the dishes) Lernende kennen z. B. die Kollokation to drive a car. Wenn sie nun der idioma‐ tischen Wendung to drive s.o. crazy begegnen, kommt es zu einer Erweiterung bzw. Umstrukturierung ihres Wissens über die Bedeutung von to drive. Lern‐ ende, die wissen, dass Nomen den Plural mit dem Suffix -s bilden, rekonzeptu‐ alisieren ihr Wissen dahingehend, dass es offenbar Nomen wie scarf gibt, bei denen sich durch die Pluralbildung auch der finale Konsonant ändert. Die Kon‐ struktion she volunteered me to do the dishes weist ein hohes Maß an generative 90 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="91"?> use auf, weil das grammatische pattern sich von der häufiger anzutreffenden Konstruktion mit to-Infinitiv deutlich unterscheidet. 2.4.5 Die Kommunikations- und Unterstützungskultur lexikalischen Lernens Im Hinblick auf die Förderung lexikalischen Lernens durch vermittlungs- und instruktionsbezogene Strategien werden drei Konzepte als relevant angesehen und im Folgenden weiter erläutert: • ways of communicating word meaning (Nation 2001: 81 f.) • rich instruction (Nation 2001: 94) • negotiation of meaning (Nation 2001: 65) Die direkte Kommunikation von Wortbedeutungen durch Übersetzung, Defini‐ tion in der Zielsprache oder durch non-verbale Techniken (vgl. Thaler 2012: 227- 228) ist ein erster Schritt in einem als inkrementell zu charakterisierenden Pro‐ zess lexikalischen Lernens. „A word is not fully learned through one meeting with it, even if this meeting involves substantial deliberate teaching” (Nation 2001: 81). Neben der Bedeutung müssen zahlreiche weitere Aspekte des Wortwissens gelernt werden (vgl. Tabelle 7). All diese Aspekte bei der Erstbegegnung direkt zu vermitteln, würde jedoch den Lerner überfordern. Nach der Erstsemantisierung folgen in der Regel weitere Begegnungen mit dem Wort oder Anlässe, das Wort zu gebrauchen (vgl. meaning-focused output strand). Nachfolgende Begegnungen mit dem Wort können auch zu Episoden expliziten Lernens durch „reichhaltige Instruktion“ ausgebaut werden. Unter rich instruction versteht Nation (2001: 95) Erläuterungen, die der Lehrer für hochfrequente Wörter in der Regel immer dann einbringt, wenn sich im lau‐ fenden Unterrichtsprozess Verstehens- oder Produktionsprobleme ergeben. Die folgende Übersicht veranschaulicht, wie sich reichhaltige Instruktion und Se‐ mantisierungsstrategien voneinander unterscheiden. Zur Frage nach der Effi‐ zienz von Definitionen und Worterklärungen listet Nation (2001: 82f.) For‐ schungsbefunde, die er in der Empfehlung „not too much, not too little, but just right“ bündelt (Nation 2001: 83). 91 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="92"?> Semantisierungsstrategien (com‐ municating word meaning) Rich instruction (Nation 2001: 95) Erstsemantisierung eines unbe‐ kannten Wortes Anreicherung des Wortwissens bei einer nachfolgenden Begegnung mit dem Wort Etablieren der Form-Bedeutungs-Ver‐ knüpfung Vermittlung von Informationen zu weiteren Aspekten des Wortwissens (Gebrauch, Form) Auch nonverbale Optionen möglich Erläuterungen und Erklärungen vor‐ wiegend in der L2 Auch L1-bezogene Optionen möglich Tabelle 9: Semantisierungsstrategien und reichhaltige Instruktion im Vergleich Das Konzept negotiation of meaning wird von Michael Long geprägt, der he‐ rausgefunden hat, dass Muttersprachler Modifikationen vornehmen, wenn sie mit Nicht-Muttersprachlern sprechen (Long 1981). Nachfolgende Arbeiten (Va‐ ronis & Gass 1985) untersuchen die spezifischen Strategien, die Sprecher ein‐ setzen, um Kommunikationsprobleme zu verhindern oder zu lösen. Zu diesen Teilstrategien zählen nach Ellis (2003: 71) • Comprehension checks • Clarification requests • Confirmation checks • Recasts Gelingensbedingung für eine erfolgreiche negotiation of meaning ist, ob am Ende wechselseitiges Verstehen und die Aufklärung von etwaigen Missverständ‐ nissen steht. Insofern handelt es sich bei dem Konzept negotiation of meaning um eine Form der lernunterstützenden und verstehensfördernden Interaktion, die sich der Kommunikations- und Unterstützungskultur im Unterricht (vgl. Reusser 2008) zuordnen lässt. Hervorzuheben ist, dass mit dem Aushandeln von Bedeutungen die Aufmerksamkeit der Lernenden auf einzelne Lexeme gelenkt werden kann: „This indicates that it is not the negotiation itself which is im‐ portant but the learning condition of noticing and gaining information that ne‐ gotiation sets up“ (Nation 2001: 65). Wenn Lernende dem Aushandeln von Be‐ deutungen passiv „beiwohnen“, scheint dies annähernd so effektiv zu sein, als wenn sie selbst an der Interaktion aktiv beteiligt wären. Im unterrichtlichen Kontext kann sich das Aushandeln von Bedeutungen in folgenden Situationen ereignen: 92 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="93"?> • Der Lehrer semantisiert ein Wort mit Hilfe einer L2-Definition, ein Schüler nennt ein nicht passendes Synonym; der Lehrer erklärt mit Hilfe von Beispielen, wie sich das Zielwort und das Synonym zueinander ver‐ halten, welche Bedeutungsreichweiten sie jeweils haben etc. • Während einer kommunikativen Phase gebraucht ein Schüler ein Wort, das seine Äußerung missverständlich macht; der Lehrer fragt nach, was genau der Schüler ausdrücken wollte. Dabei wird klar, dass das verwen‐ dete Wort nur bedingt geeignet ist, um die intendierte Aussage zu reali‐ sieren. • Der Lerner greift ein Wort aus einem Text auf und gebraucht es in einer eigenen Äußerung. Der Lehrer macht in einer kommunikativen Phase durch weitere Beispiele die Bedeutungs- und Verwendungsreichweiten (constraints on use) deutlich. 2.4.6 Zwischenfazit: Von der Vermittlung fachdidaktischer Konzepte zur Verbalisierung des Wahrgenommenen Dieses Teilkapitel stellt einenVersuch dar, die fachdidaktischen Konzepte für den Bereich des lexikalischen Lernens strukturiert in einer Beschreibungsmatrix darzustellen. Dabei wird nicht der Anspruch erhoben, dass die hier entwickelte Beschreibungsmatrix lexikalisches Lernen in allen Facetten abbildet (vgl. 2.4.1). Die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ ordnet ausge‐ wählte Konzepte aus der angewandten Linguistik, der Zweitsprachenerwerbs‐ forschung und der Lernpsychologie den drei Kulturen des (fach-)didaktischen Dreiecks zu und stellt in sich eine hochschuldidaktische Reduktion dar. Die be‐ griffssystematische Darstellung der Fachkonzepte in einem organisierten Zu‐ sammenhang (vgl. Tabelle 10) orientiert sich an den Anforderungen für eine Fachsprache. Die Zuordnung einzelner Konzepte (z. B. negotiation of meaning) zu den Achsen des didaktischen Dreiecks weist den Fachkonzepten eine didak‐ tische Funktion für eine Facette des Unterrichts zu (z. B. „Kommunikations- und Unterstützungskultur“; vgl. Reusser 2008: 228). Ziel- und Stoffkultur • four strands of language teaching (Nation 2007) • aspects of word knowledge (Nation 2001) • lexis-grammar continuum (u. a. Schmitt 2010) • semantic relations & semantic fields • (u. a. McCarthy 1990) Lern- und Verste‐ henskultur • noticing, retrieval, generative use (Nation 2001) 93 2.4 Lexikalisches Lernen ermöglichen - Darstellung der fachdidaktischen Konzepte <?page no="94"?> • depth of processing (Craik & Lockhart 1972; Lockhart & Craik 1990) • engagement (Schmitt 2008) • lexical awareness (Nation 2008) Kommunikations- und Unterstützungs‐ kultur • ways of communicating word meaning (Nation 2001) • rich instruction (Nation 2001) • negotiation of meaning (Long 1981) Tabelle 10: Übersicht über die Fachkonzepte lexikalischen Lernens Grundlage einer fachsprachlichen Verbalisierung ist die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“. Als terminologisch strukturierte Wissens‐ basis stellt sie in dieser Studie eine Grundlage bereit, um die wissensbasierte Verarbeitung von Unterrichtssituationen und die Verbalisierung des Wahrge‐ nommenen zu untersuchen. Anhand der Verbalisierung des Wahrgenommenen kann die professionelle Unterrichtswahrnehmung rekonstruiert werden. Abbildung 3: Funktionale Einordnung der theoretischen Grundlagen der Untersuchung Abbildung 3 veranschaulicht den Weg, der in der vorliegenden Untersuchung beschritten werden soll: von der Vermittlung theoretischer fachdidaktischer Konzepte zur Situierung dieser Konzepte mit Hilfe von Unterrichtsvideos und weiter zur Verbalisierung des Wahrgenommenen. Es wird angenommen, dass die Begriffssystematik die wissensbasierte Verarbeitung von und die Kommunikation über Unterricht fördern kann, wenn die Funktion (oder der Nutzen) der einzelnen Konzepte (z. B. für die Beschreibung von Lernzielen oder die Vorhersage von Lernergebnissen) verstanden ist. Eine fachsprachliche Begriffssystematik ist eine Voraussetzung für die begrifflich exakte Klassifizierung von Prozessen und Zielen lexikalischen Lernens; sie dient der Verständigung und Wissenskommunikation innerhalb der „professional community“ wie auch innerhalb der Ausbildungsgemeinschaft von Studierenden und Lehrenden in der universitären Lehrerausbildung. Die Beschreibung der Wissensbasis für den Bereich des lexikalischen Lernens und die Definition zentraler Fachkonzepte ist eine Voraussetzung dafür, dass sich nicht nur ein erfahrungsbasierter, „praktisch-pädagogischer“, sondern auch ein „wissenschaftlich-reflexiver Habitus“ (Schrittesser & Hofer 2012: 149) herausbilden kann. In der vorliegenden Vermittlung theoretischer fachdidaktischer Konzepte •Beschreibungsmatrix "Lexikalisches Lernen ermöglichen" (auf der Grundlage des didaktischen Dreiecks) •Fachsprachliche Systematik Situierung der Konzepte mit Situationen aus Unterrichtsvideos •Konzepttypen und Konzeptbildung, affordances, prädiktive Prozesse, visual expertise, Kategoriale Wahrnehmung Verbalisierung des Wahrgenommenen •Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung •Beschreibungen, Klassifizierungen, Vorhersagen, Alternativen entwickeln Abbildung 3: Funktionale Einordnung der theoretischen Grundlagen der Untersuchung Abbildung 3 veranschaulicht den Weg, der in der vorliegenden Untersuchung beschritten werden soll: von der Vermittlung theoretischer fachdidaktischer Konzepte zur Situierung dieser Konzepte mit Hilfe von Unterrichtsvideos und weiter zur Verbalisierung des Wahrgenommenen. Es wird angenommen, dass 94 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="95"?> die Begriffssystematik die wissensbasierte Verarbeitung von und die Kommu‐ nikation über Unterricht fördern kann, wenn die Funktion (oder der Nutzen) der einzelnen Konzepte (z. B. für die Beschreibung von Lernzielen oder die Vor‐ hersage von Lernergebnissen) verstanden ist. Eine fachsprachliche Begriffssys‐ tematik ist eine Voraussetzung für die begrifflich exakte Klassifizierung von Prozessen und Zielen lexikalischen Lernens; sie dient der Verständigung und Wissenskommunikation innerhalb der „professional community“ wie auch in‐ nerhalb der Ausbildungsgemeinschaft von Studierenden und Lehrenden in der universitären Lehrerausbildung. Die Beschreibung der Wissensbasis für den Bereich des lexikalischen Lernens und die Definition zentraler Fachkonzepte ist eine Voraussetzung dafür, dass sich nicht nur ein erfahrungsbasierter, „prak‐ tisch-pädagogischer“, sondern auch ein „wissenschaftlich-reflexiver Habitus“ (Schrittesser & Hofer 2012: 149) herausbilden kann. In der vorliegenden Unter‐ suchung soll ein videogestütztes Setting für die Ausbildung eines solchen „wis‐ senschaftlich-reflexiven Habitus“ über das Konstrukt der professionellen Un‐ terrichtswahrnehmung entwickelt werden. Das nachfolgende Kapitel behandelt vorliegende Konzepte und Befunde zum Einsatz von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung. 2.5 Formen und Ziele des Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung In der vorliegenden Untersuchung interessiert vor allem die Art und Weise des Einsatzes von Unterrichtsvideos im Zusammenhang mit der Förderung und Er‐ fassung der professionellen Unterrichtswahrnehmung. Die erziehungswissen‐ schaftliche Videographie (vgl. Pauli & Reusser 2006; Dinkelaker 2009; Corsten, Krug & Moritz 2010) sowie die videobasierte Unterrichtsforschung im Bereich der Fremdsprachendidaktik (vgl. Schramm 2010: 188; 203; Kurtz 2016) werden daher in diesem Überblickskapitel ausgespart. Mit Hilfe von Unterrichtsvideos lässt sich - quasi wie in einem Reagenzglas - studieren, welche Effekte ein spezifisches fachdidaktisches Verhalten im Englischunterricht hat. Das Video erlaubt die Analyse der realen Effekte sowie einen Vergleich von antizipierten und realen Effekten. Wenn antizipierte und reale Effekte verglichen werden und Studierende über die Effekte einer Worterklärung oder einer Aufgabenstellung ins Gespräch kommen, wären dies ausbildungsdidaktisch betrachtet - wün‐ schenswerte Lernvorgänge, die zur Professionalisierung von angehenden Eng‐ lischlehrpersonen beitragen. 95 2.5 Formen und Ziele des Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung <?page no="96"?> Unterrichtsvideos werden zunehmend zur Professionalisierung von Lehr‐ kräften eingesetzt (Trautmann & Sacher 2010: 14). Janik, Minarikova & Najvar (2013: 67) unterscheiden mit Petko & Reusser (2005) folgende Formen der Arbeit mit Videos in der Lehrerbildung: • Illustrative und modellhafte Unterrichtsvideos sollen gute Praxis de‐ monstrieren und ein Lernen am Modell (vgl. Tochon 1999) initiieren. • Prototypische und problemorientierte Videobeispiele sollen bei den be‐ trachtenden Lehrpersonen Reflexionsprozesse im Hinblick auf die Lö‐ sung eines Problems (oder Falls) auslösen. • Die videogestützte Intervention zielt auf die Verbesserung konkreter As‐ pekte des Lehrerhandelns (vgl. Dorlöchter et al. 2005). Da der Schwer‐ punkt auf der Reflexion des eigenen Handelns liegt, werden in diesem Set‐ ting meist Eigenvideos eingesetzt (Janik, Minarikova & Najvar 2013: 65). Das Vorzeigen von modellhafter Unterrichtspraxis mit dem Ziel der Nachah‐ mung birgt die Gefahr, dass die Lernenden schematisch Handlungsmodelle übernehmen, ohne sich über die Tiefenstruktur der Lehr-Lernprozesse bewusst zu werden. Eine solche behavioristische Sichtweise auf das Lernen brachte das sogenannte microteaching hervor, bei dem die Reduzierung der Komplexität der Lehr-Lernprozesse auf isolierbare Einzelfertigkeiten im Vordergrund steht (To‐ chon 1999). Die nach der kognitiven Wende sich verbreitende kognitionspsy‐ chologische Sichtweise rückt die Reflexion fachdidaktisch wirksamen Unter‐ richts und ein vertieftes Verständnis von Lehr-Lernprozessen sowie den Aufbau produktiver didaktischer Kompetenzen in den Vordergrund. Es liegen einige Forschungsüberblicke mit Vorschlägen zur Systematisierung des Einsatzes von Unterrichtsvideos und der damit verbundenen Zielkonstrukte in der Lehrerbildung vor (Lindmeier 2013; Janik, Minarikova & Najvar 2013; Krammer & Reusser 2005; Krammer & Reusser 2004). Die folgende Darstellung von Konzepten und Projekten mit Unterrichtsvideos folgt der Unterscheidung von aktionsbezogenen und reflexionsbezogenen Zugängen nach Lindmeier (2013: 56). Reflexionsbezogene Zugänge in der videobasierten Lehrerbildung Aktionsbezogene Zu‐ gänge in der videoba‐ sierten Lehrerbildung Illustration Intervention in professionelles Sehen Intervention in professionelles Wissen Intervention in pro‐ fessionelles Handeln Tabelle 11: Zugänge in der videobasierten Lehrerbildung 96 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="97"?> Zu den aktionsbezogenen Zugängen in der videobasierten Lehrerbildung zählen Projekte, die als Ziel die Weiterentwicklung von Unterricht (vgl. Gärtner 2007) oder die Fortbildung von Lehrkräften haben. Aktionsbezogenes, videobasiertes Lernen ist dadurch gekennzeichnet, dass • reflexives Lernen in Lehrpraktika und in Fortbildungen situationsge‐ bunden, datengestützt und im Selbstbezug erfolgt, • didaktisches Handlungswissen in authentischen Praxiskontexten er‐ worben wird, • selbstgesteuertes, auch kooperatives Lernen in größtmöglicher Berufs‐ nähe erfolgt (Oelkers & Reusser 2008: 424). Reflexionsbezogene Zugänge in der videobasierten Lehrerbildung zielen auf die Weiterentwicklung des professionellen Sehens und Wissens. Das Video erlaubt es, Situationen aus multiplen Perspektiven zu betrachten, und unterstützt eine problemorientierte Bearbeitung von Fällen in Form von konkreten Unterrichts‐ situationen (Oelkers & Reusser 2008: 424). Das Konstrukt der PUW mit seinem Zusammenspiel aus Aufmerksamkeits- und Informationsverarbeitungsprozessen lässt sich insofern den reflexionsbezogenen Zugängen zuordnen (vgl. Tabelle 11). Studien, welche die professionelle Unterrichtswahrnehmung mit Bezug auf universitäre Kontexte der Wissensaneignung untersuchen, sind noch rar (vgl. 2.1.3). Auch wenn sich für die professionelle Unterrichtswahrnehmung von Studierenden feststellen läßt, dass sie durch bildungswissenschaftliche Lehr‐ veranstaltungen positiv beeinflusst werden kann (Stürmer, Könings et al. 2013; Stürmer et al. 2014), steht dieser Nachweis für fachdidaktische Lehrveranstal‐ tungen samt den dazugehörigen fachdidaktischen Konzepten noch aus. Lind‐ meier (2013: 56) weist auf das Desiderat von Studien hin, die das Verhältnis zwischen fachdidaktischen und allgemeindidaktischen Wahrnehmungs- und Kompetenzstrukturen thematisieren. Ziel ist es, hochschuldidaktische Para‐ meter für die Gestaltung videobasierter Lehrerbildung zu identifizieren, die sich für die Förderung der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung als förderlich erweisen könnten. Der Schwerpunkt des Forschungsüberblicks liegt auf den reflexionsbezogenen Zugängen, weil diese dem Forschungsgegenstand der pro‐ fessionellen Unterrichtswahrnehmung am nächsten stehen. Da Wahrnehmung und Handeln eng zusammenhängen (vgl. 2.2.3), werden auch einige Projekte erwähnt, die zu den aktionsbezogenen Zugängen (Lind‐ meier 2013) in der videobasierten Lehrerbildung gerechnet werden können. Ziel dieses Abschnitts ist es, in den verschiedenen Projekten und Studien zur vide‐ obasierten Lehrerbildung Interventionselemente zu finden, von denen ange‐ nommen werden kann, dass sie vor dem Hintergrund der beschriebenen Wech‐ 97 2.5 Formen und Ziele des Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung <?page no="98"?> selwirkungen zwischen Wahrnehmung, Wissen und Handeln (vgl. 2.2) einen positiven Effekt auf die Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung in videobasierten Lernumgebungen haben. 2.5.1 Aktionsbezogene Zugänge in der videobasierten Lehrerbildung Trautmann und Sacher (2010) haben an der Universität Bielefeld ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt zur videobasierten Unterrichtsentwicklung konzi‐ piert. Das Projekt zielt auf die „Veränderung von Wahrnehmungsmustern und die Auseinandersetzung mit subjektiven Theorien von gutem Unterricht“ (Trautmann & Sacher 2010: 33). Lehrpersonen wählen zunächst Lerngruppen aus, die gefilmt werden sollen, und entscheiden dann in einem zweiten Schritt, welche Ausschnitte sie in einem kollaborativen Setting, das angelehnt ist an die kollegiale Fallberatung, mit der Gruppe gemeinsam besprechen und analysieren wollen. Dieses Projekt ist durch ein hohes Maß an Entscheidungsautonomie bei den Teilnehmern gekennzeichnet, die selbst bestimmen können, welches Thema oder welches Problem aus dem Unterricht zum Gegenstand des videogestützten Feedbacks wird. Es überrascht jedoch, dass die Autoren keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Denken und Handeln der Lehrer erwarten und als These formulieren, Videofeedback trage eher „indirekt zur Qualitätsentwicklung“ bei (Trautmann & Sacher 2010: . 33). Im Resümee raten die Autoren von einer Ver‐ knüpfung des Videofeedbacks mit harten Qualitätsstandards von Unterricht ab, da „die Zusammenführung dieser Ziele im Rahmen einer kollegiumsinternen Fortbildungsstrategie die Videographie überfordern würde“ (Trautmann & Sa‐ cher 2010: 190). Diese Studie wirft die Frage nach der theoretischen Rückbindung oder Ob‐ jektivierung des Wahrgenommenen auf: Der Nutzen videogestützter Feedback‐ gespräche für die Unterrichtsentwicklung ist beschränkt, wenn konkrete Ziele und darauf bezogene Maßnahmen für die fachbezogene Unterrichtsentwicklung nicht formuliert werden. Wenn Aussagen zur Verbesserung von Unterricht am Ende stehen sollen, dann müssen theoretische oder erfahrungsbasierte Refe‐ renzpunkte (z. B. durch Expertenratings) definiert werden. Ein anderes aktionsbezogenes Projekt mit dem Titel „Förderung der Kompe‐ tenzentwicklung von Lehrenden mit Hilfe eines Online-Fall-Laboratoriums“ richtet sich an Lehrkräfte, Trainer und Berater in der Erwachsenen- und Wei‐ terbildung. Das Ziel der Arbeit mit Videofällen sehen die Autoren in der Ent‐ wicklung der Fähigkeit, 98 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="99"?> pädagogische Situationen differenziert zu beschreiben, sie aus verschiedenen Perspek‐ tiven der handelnden Akteure zu betrachten und mit Hilfe allgemein-pädagogischer, fachdidaktischer oder pädagogisch-psychologischer Konzepte zu analysieren sowie da‐ raus Erkenntnisse für den Fall und eine Falldiagnose zu gewinnen, die die wesentlichen Aspekte des Lehr-Lerngeschehens erfasst (Digel, Goeze, Schrader 2012: 13). In der Evaluation zeigt sich, dass die Unterrichtsvideos maßgeblich zur profes‐ sionellen Wahrnehmung von pädagogischen Situationen beitragen. Die Autoren weisen nach, dass die mediengestützte Fallarbeit das „Verständnis für die Tie‐ fenstrukturen von Lehr-Lernsituationen zu erweitern vermag“ (ebd. 5). Zhang, Koehler & Lundeberg (2015) setzen publiziertes Videomaterial, Fremd- und Eigenvideos ein, um das problembasierte Lernen von Lehrpersonen naturwissenschaftlicher Fächer zu fördern. Die ausgewählten Situationen re‐ präsentieren Themen des naturwissenschaftlichen Unterrichts, die sich in der Durchführung im Klassenraum häufig als problematisch erweisen (z. B. Schließen des Stromkreislaufs). Der problembasierte Ansatz mit fachdidakti‐ schem Fokus wird von den Lehrkräften gut angenommen und hat den betei‐ ligten Lehrpersonen neue methodische Herangehensweisen für spezifische fachdidaktische Fragestellungen eröffnet (ebd. 160). Durch einen problemba‐ sierten Ansatz ist es auch gelungen, den fachlichen Diskurs sowie das fachdi‐ daktische Argumentieren und Problemlösen zu fördern (ebd. 162). 2.5.2 Aktionsbezogene Zugänge in der videobasierten Englischlehrerbildung Untersuchungen zur videobasierten Englischlehrerbildung sind insgesamt rar (vgl. Trautmann & Sacher 2010; Krammer & Reusser 2005; Helmke 2013). Die Übersicht von Helmke (2013) in Kapitel 5 des Buches „Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität: Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unter‐ richts“, wird ab der 4. Auflage online jährlich aktualisiert. Helmke (2013) listet insgesamt 14 Quellen bzw. Projekte mit Unterrichtsvideos auf. Nur eines dieser 14 Projekte zielt auf den Englischunterricht und die Fortbildung von Engli‐ schlehrern und -lehrerinnen. In Helmke (2017) finden sich mindestens fünf Res‐ sourcen mit Mitschnitten von Englischunterricht. In dem Projekt MELT (Mediengestütztes Englischlehrer-Training) von Butz‐ kamm, Klippel und Siebold werden Unterrichtsvideos als Diskussionsgrundlage für Seminare und zur methodischen Weiterbildung von Englischlehrpersonen eingesetzt. Die in Siebold (2004) veröffentlichten Unterrichtsmitschnitte illust‐ rieren 18 Lehrtechniken und kommunikative Übungen zur Förderung des ge‐ bundenen und freien Sprechens. Dieses Material enthält einige Prüflisten für 99 2.5 Formen und Ziele des Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung <?page no="100"?> kommunikativen Unterricht (Siebold 2004: 23) und theoretische Klärungen zum Konzept der „Lehrtechnik“ (ebd. 26). Angestrebt wird eine Erweiterung des me‐ thodischen Repertoires von Englischlehrkräften zur Förderung des gebundenen und freien Sprechens. Schramm & Aguado (2010: 206 f.) listen für den Bereich der videobasierten Lehrerbildung drei Studien mit fremdsprachendidaktisch relevanten Bereichen auf: Gregersen (2007) lässt insgesamt 31 Lehramtsstudierende Aufnahmen von Französischlernenden einschätzen, die unter Sprechangst (language use an‐ xiety) leiden. Die angehenden Lehrpersonen haben gelernt, eine bestimmte Do‐ mäne im Bereich der Fremdsprachendidaktik zu beurteilen, und werden auch in ihrer späteren Unterrichtstätigkeit für Sprechangst sensibilisiert sein. Mackey, Polio & McDonough (2004) lassen erfahrene und angehende Lehrpersonen Un‐ terrichtspläne mit verschiedenen Arten von focus on form durchführen und vi‐ deographieren diese Stunden. Die auf Basis der Videoaufnahmen erstellten Transkripte werden nach verschiedenen Typen des focus on form kodiert. Al‐ lerdings kann das Unterrichtsvideo in dieser Studie keinen Effekt auf die Refle‐ xivität der angehenden Lehrpersonen entfalten, weil die Videographie nach der Analyse der Unterrichtsplanungen eingesetzt wird. Osam & Balbay (2004) un‐ tersuchen Abweichungen vom Unterrichtsplan bei Englischlehrern in der Türkei und nutzen Videoaufnahmen des Englischunterrichts für retrospektive Interviews, um mehr über die Gründe für Abweichungen in der Unterrichts‐ führung und im Gesprächsverhalten zu erfahren. Die Frage nach dem zeitlichen Abstand zwischen videobasierter Analyse und dem eigenen Unterricht ist relevant im Zusammenhang mit der Verbesserung von Handlungskompetenzen und dem Fokussiertheitsgrad der sich ergebenden Gespräche (vgl. Wipperfürth 2015). Huppertz, Massler & Ploetzner (2005) er‐ proben hierzu in einer Feldstudie den Einsatz einer webbasierten, kollaborativen Plattform, in der angehende Lehrpersonen Aufzeichnungen ihres eigenen Un‐ terrichts kommentieren und analysieren. Die Autoren setzen auf asynchrone Kommunikation, die technisch über eine „clipboard“-Funktion realisiert wird. Studierende lernen dabei voneinander, wenn sie durch die Kommentare von Mitstudierenden unterschiedliche Perspektiven auf Situationen des Unterrichts erhalten. Das in dieser Studie erprobte Setting verweist auf die Wichtigkeit, das Wahrgenommene zu verbalisieren und sich darüber auszutauschen - eine Fa‐ cette der professional vision, die bereits in der Studie von Goodwin (1994) zum Tragen kommt, der u. a. die Gespräche zwischen einer Archäologin und einer Auszubildenden analysiert (vgl. 2.1.3). In einem komparativen Design gehen Henning, Massler & Ploetzner (2007) der Frage nach, wie sich eine webbasierte, videogestützte kooperative Unterrichts‐ 100 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="101"?> nachbesprechung mit asynchroner Kommunikation von einer herkömmlichen Nachbesprechung ohne Video unterscheidet. Hierzu werden die abgegebenen, schriftlichen Kommentare (n= 116) von 30 angehenden Lehrpersonen anhand der Dimensionen „Beschreiben“, „Erklären“, „Bewerten“ und „Alternativen be‐ nennen“ kodiert. Auch wenn sich zwischen den beiden Testgruppen keine signi‐ fikanten Unterschiede hinsichtlich der Dimensionen ergeben, sind die Kommen‐ tare der Videogruppe spezifischer und auf das konkrete Unterrichtsgeschehen bezogen. Die Probanden der Videogruppe geben auch häufiger unterrichtsbezo‐ gene Begründungen für Bewertungen ab. Die erwarteten Unterschiede bei der Benennung von Alternativen haben sich jedoch nicht eingestellt. Die Kontroll‐ gruppe schnitt in diesem Bereich etwas besser ab und entwickelte mehr Alterna‐ tiven als die Videogruppe. Allerdings gab es hierzu keine spezielle Aufforderung, was durchaus darüber entscheidet, ob am Ende Alternativen für spezifische Situ‐ ationen entwickelt werden (Santagata & Angelici 2010: 345). Die individuelle schriftliche Analyse von Unterrichtsvideos führt offenbar dazu, dass die Analyse von Unterricht konziser und der Bezug auf den Unter‐ richt konkreter ist, als dies ohne Video der Fall wäre: „Findings show that student teachers’ analyses and reflections were more focused if they could use the video in v-share“ (Henning, Massler & Ploetzner 2007: 287). In der webbasierten Umge‐ bung haben die Studierenden außerdem die Möglichkeit, Situationen auszu‐ wählen und zu markieren und sich diese wiederholt anzuschauen. Für eine indi‐ viduelle schriftliche Analyse spricht also die selbstgesteuerte, in eigenem Tempo und Zuschnitt durchführbare Analyse, während in der dozentengeleiteten, münd‐ lichen Videoanalyse die Flüchtigkeit des visuellen Eindrucks von Nachteil ist. 2.5.3 Reflexionsbezogene Ansätze in der videobasierten Lehrerbildung Sherin & van Es (2002) zeigen, dass die zeitlich kontingente Bereitstellung von Unterrichtsvideos mit Hilfe von webbasierten Werkzeugen die professionelle Unterrichtswahrnehmung zu fördern vermag. Das Anführen von Belegen aus dem Unterrichtsvideo stützt die Entwicklung einer Fachsprache, der fachbezo‐ genen Argumentationsfähigkeit im Sinne eines professionellen Denkstils und verhindert die bloße Wiedergabe fachdidaktischer oder pädagogischer Allge‐ meinplätze. Gespräche über das Gesehene fördern das noticing und tragen zu einem vertieften Verständnis des Lehr-Lerngeschehens bei. Oser, Heinzer und Salzmann (2010: 5) nehmen an, dass „die professionelle Sensibilität von Lehrpersonen indirekt über die Beurteilung authentischen Leh‐ rerhandelns mit Filmvignetten“ aus Unterrichtsvideos gefördert werden kann. 101 2.5 Formen und Ziele des Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung <?page no="102"?> Ursprünglich wurde dieser Ansatz mit Fremdvideos für die Erfassung von Leh‐ rerkompetenzen als Alternative zu Verfahren der Selbsteinschätzung entwickelt (Oser 2007). Im Zentrum des sogenannten „advokatorischen Ansatzes“ stehen pädagogische Situationen, die „dadurch gekennzeichnet [sind], dass sie einen ganz bestimmten Aufforderungsgehalt manifestieren“ (ebd. 109). Diesen Auf‐ forderungsgehalt bezeichnet Oser (2007: 111) als „pädagogische Notwendigkeit“. Pädagogische Notwendigkeiten unterscheiden sich durch stoffliche Erforder‐ nisse, die Notwendigkeit der Lernunterstützung oder fachlichen Explikation oder sind durch interaktive Notwendigkeiten bestimmt (ebd.). Jeder Typ der Notwendigkeit hat eine andere Dringlichkeit, „und nur wer dieses Dringlichkeit erkennt [wahrnimmt, RG], handelt bzw. setzt sein Kompetenzprofil performativ (optimal) ein“ (ebd. 111). Die Lehreraufgabe, lexikalisches Lernen zu ermögli‐ chen, lässt sich in Abgrenzung zu allgemeinen, eher berufsunspezifischen De‐ finitionen von Lehrerkompetenz (vgl. Baumert & Kunter 2006: 278; Frey 2006; Frey, Jäger & Renold 2005) und in Anlehnung an Oser (2007) als ein Kompe‐ tenzprofil im Sinne Osers auffassen. Handlungen, die lexikalisches Lernen er‐ möglichen (z. B. Vermittlung von Vokabellernstrategien, Semantisierungen) sind in der Regel abgrenzbar und erscheinen dann als gerechtfertigt, wenn sie das Verstehen oder die fremdsprachliche Produktion der Lernenden befördern. Das in dieser Untersuchung zu realisierende hochschuldidaktische Setting zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung mit Hilfe von Unter‐ richtsvideos orientiert sich an dem „advokatorischen Ansatz“ von Oser, Heinzer & Salzmann (2010). Auch wenn die Settings der Studien variieren, steht die Identifikation und Analyse von lehr-lernrelevanten Situationen in Unterrichtsvideos bei den meisten Studien im Vordergrund, welche in dem Sammelband von Calendra & Rich (2015) mit dem Titel „Digital Video for Teacher Education“ enthalten sind. Sherin & Russ (2015) setzen vier unterschiedliche Videos ein, die sie im Interview von 15 Mathematiklehrkräften einschätzen lassen. Die Verbaldaten geben Ein‐ blick, wie die Lehrpersonen über Unterricht denken, und zeigen insofern nicht nur ein Abbild des beobachteten Unterrichtsgeschehens (Sherin & Russ 2015: 9). Den Autoren gelingt es, in den Interviews insgesamt 13 verschiedene Orientie‐ rungsrahmen (interpretative frames) zu identifizieren. „Through an iterative process again involving both etic and emic codes, we identified a stable set of 13 strategies - or interpretative frames - that the teachers used during the no‐ ticing interviews” (Sherin & Russ 2015: 8). Die am häufigsten gefundenen Ori‐ entierungsrahmen sind affektive, evaluative und generalisierende interpretative frames. Für die eigene Untersuchung wird daher bei der Erfassung der profes‐ sionellen Unterrichtswahrnehmung zu prüfen sein, ob es zusätzlich zu den ge‐ 102 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="103"?> nannten Dimensionen noch eine evaluative bzw. bewertende Dimension gibt, bei der Probanden wertende Urteile über den Unterricht im Video fällen. Ein zentrales Interventionslement in Studien zur videobasierten Lehrerbil‐ dung ist die Steuerung der Wahrnehmung durch Beobachtungshilfen. Brouwer & Robijns (2013) erproben in ihrer Studie zur fokussierten Auswertung von Vi‐ deoaufzeichnungen in der Lehrerausbildung verschiedene Formen von Be‐ obachtungshilfen für die Analyse von kurzen Videoclips. In ihrer Vergleichs‐ studie untersuchen sie die Auswirkungen von drei unterschiedlichen Bedingungen: • A: keine Beobachtungshilfe, keine Zwischentitel in dem Clip • B: globale Beobachtungshilfe, keine Zwischentitel • C: strukturierte Beobachtungshilfe und Zwischentitel im Video Im Ergebnis (Brouwer & Robijns 2013: 311f.) zeigt sich bei der Gesamtzahl der Aus‐ sagen (call outs) kein signifikanter Unterschied zwischen den Bedingungen. Unter Bedingung C lassen sich mehr interpretierenden Aussagen feststellen. Die Pro‐ banden bewerten ein geringeres Ausmaß an Vorstrukturierung insgesamt posi‐ tiver (A=20 % und B=23 %) als die strukturierte Beobachtungshilfe C (4%). Die quantitativen Befunde der Studie unterstreichen den positiven Einfluss von strukturierten Beobachtungshilfen auf die Wahrnehmungsfähigkeit und die Verarbeitung der Situationen aus dem Unterrichtsvideo: „Je strukturierter die Beobachtungshilfe war, desto mehr Aussagen machten die Studierenden und desto eher befassten sie sich mit der Deutung der angeschauten Situation“ (Brouwer & Robijns 2013: 315). Die Autoren empfehlen, dass Lehrerausbilder Beobachtungshilfen entwickeln, welche die Aufmerksamkeit auf das Lehrer‐ verhalten lenken, „denn das Lehrerverhalten fördert [...] das Lernen von Schü‐ lern“ (ebd. 316). Die Beobachtungshilfen sollten außerdem theoriegestützt und nach Möglichkeit empirisch untermauert sein. Diese Ergebnisse sind beden‐ kenswert im Hinblick auf die Gestaltung des Untersuchungsdesigns für die vor‐ liegende Untersuchung. Beim Design der vorliegenden Studie werden unter‐ schiedliche Beobachtungshilfen in einer Pilotierung erprobt und die Ergebnisse für die Entwicklung der Beobachtungsprompts genutzt (vgl. 3.4.4). Die jüngere fachdidaktische Untersuchung von Manuela Wipperfürth (2015), von der weiter oben schon die Rede war (vgl. 2.3.2), befasst sich mit der „nach‐ trägliche[n] Wahrnehmung und Beurteilung von Unterricht in Verbindung mit den diskursiven Praktiken zur gemeinsamen Nachbesprechung von Unterricht“ (ebd. 110). In sogenannten „Netzwerkgesprächen“ sollen erfahrene Lehrper‐ sonen und Novizen „anhand von videographierten Unterrichtsausschnitten konkrete wie allgemeine“ Aspekte des Unterrichts diskutieren (ebd. 20). Die 103 2.5 Formen und Ziele des Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung <?page no="104"?> Einschätzungen und Wahrnehmungen von eigenen Unterrichtsmitschnitten sind der Ausgangspunkt für die Gespräche. Allerdings werden die Situationen aus den videographierten Studien während der Treffen nicht analysiert (ebd. 112). Der professionelle Blick kommt bei der „Wahrnehmung und Beurteilung von Unterricht“ eher im Nachhinein zum Tragen (Wipperfürth 2015: 111). Die Verfasserin erwartet, dass „die Unterrichtsbilder umfassende Erinnerungshilfen für eigene Erfahrungen und das eigene Lehrerwissen sind“ (ebd. 103). Die Auswertung der Gespräche zeigt, dass sich die Gespräche weitgehend von dem gefilmten Unterricht und den ausgewählten Sequenzen entfernen. „Die Gespräche zeichnen sich durch häufige Themenwechsel und diskontinuierliche Diskussionen aus“ (ebd. 189). So „diskutieren die Teilnehmerinnen über Wort‐ schatzeinführung und die Möglichkeiten, Wörter vorab zu entlasten (‘vorse‐ mantisieren’)“ (ebd. 209) ohne einen erkennbaren Rückbezug auf Situationen aus dem eigenen, videographierten Unterricht. Der zeitliche Abstand zwischen dem Betrachten des Unterrichtsvideos und der Analyse im Gruppengespräch ist relativ groß und nicht kontrolliert. Dass der gefilmte Unterricht selbst nicht zum Gegenstand der wissenschaft‐ lichen Analyse wird, begründet die Autorin mit dem Ziel der „Schaffung einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre“, welche ohne das „Gefühl einer Be‐ wertung durch die fachdidaktische Forscherin“ auskommen sollte (Wipperfürth 2015: 120). Um den Preis der „Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre“ rückt der „Fokus der Untersuchung auf die Netzwerkgespräche und damit weg vom konkreten Unterricht der Lehrerinnen und Lehrer“ (ebd.). Konkrete Un‐ terrichtssituationen aus den von den Teilnehmenden ausgewählten Sequenzen ihres Unterrichts kommen aufgrund dieser forschungsethischen Entscheidung nicht zur Sprache. Im Gegensatz zu top-down-orientierten Ansätzen, die ein Technologiedefizit bei Lehrpersonen annehmen und daher versuchen, wissenschaftliches Wissen bei angehenden Lehrpersonen zu identifizieren und zu erfassen (ebd. 74-75), setzt Wipperfürth auf einen bottom-up-Ansatz, bei dem die teilnehmenden Lehre‐ rinnen und Lehrer selbst Situationen aus den videographierten Unterrichts‐ stunden auswählen. In Abgrenzung zu den vorherrschenden Konzeptionen zur professional vision, die pädagogisch-psychologische Wissensbestände als Voraus‐ setzung für eine wissensbasierte Verarbeitung von Unterricht sehen, sieht die Verfasserin Lehrerwissen „vor allem durch konkrete Unterrichtserfahrungen, Lehrerpersönlichkeit und theoriegeleitete Reflexion“ und weniger „durch wis‐ senschaftliches Wissen“ geprägt (ebd. 76). Die Beobachtung der Unterrichtsvi‐ deos bei Wipperfürth dient als Stimulus für die „Aktivierung handlungsleitenden Lehrerwissens“ (ebd. 308) und „Erfahrungswissens“ (Appel 2000). 104 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="105"?> Wipperfürth gelangt zu einer kritischen Einschätzung der standardisierten Untersuchungen über die professionelle Unterrichtswahrnehmung (z. B. Stürmer 2011), da deren forschungsmethodologische Ausrichtung die Handlungsanforde‐ rungen der Praxis und den situativen Kontext des Unterrichts weitgehend unbe‐ rücksichtigt lässt (Wipperfürth 2015: 80). Im Gegensatz zu den standardisierten Rating Items des Tools OBSERVER wählen die Lehrkräfte „lehrergesteuerte Un‐ terrichtsgespräche mit wechselndem Anteil an Schülerbeteiligung“ (ebd. 190) oder mitteilungsbezogene Phasen aus, in denen die Flüssigkeit des Ausdrucks und möglichst lange Schüleräußerungen im Vordergrund stehen und eine Korrektur von Schülerfehlern kaum oder gar nicht stattfindet (ebd. 191). Die Rückbindung an konkrete Unterrichtssituationen und eine relativ geringe zeitliche Distanz zwischen Wahrnehmung (noticing) und gesprächsgestützter wissensbasierter Verarbeitung scheint vor dem Hintergrund der Ergebnisse von Wipperfürth (2015) ein wichtiges Moment für eine Förderung der professio‐ nellen Wahrnehmung von Unterricht zu sein. Erst wenn die Analyse von Un‐ terrichtsvideos zum Bewährungsfall für die Nutzbarmachung fachdidaktischer und wissenschaftlicher Wissensbestände wird, kann sich neben einem erfah‐ rungsbasierten, „praktisch-pädagogischen“ auch ein „wissenschaftlich-refle‐ xiver Habitus“ (Schrittesser & Hofer 2012: 149) entwickeln. In Abgrenzung zu Wipperfürth (2015) wird in dieser Studie angenommen, dass fachdidaktische Konzepte durchaus Bestandteil der Berufssprache von Englisch‐ lehrpersonen sein können und sollten. Die Darlegung der Fachkonzepte lexikali‐ schen Lernens (vgl. 2.4.2) hat gezeigt, dass manche der wortschatzdidaktischen Konzepte den Handlungsanforderungen der Praxis nicht enthoben sind (vgl. rich instruction, communicating word meaning), sondern geeignet sind, prädiktive Pro‐ zesse in Form von Antizipationen von Lerneffekten (z. B. retrieval) anzustoßen (vgl. 2.2.3) und fachdidaktische Notwendigkeiten benennen zu helfen. 2.5.4 Entscheidungsfelder für den Einsatz von Unterrichtsvideos in der Lehrerausbildung Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine Lerngelegenheit mit Unterrichtsvideos so zu gestalten, dass angehende Lehrpersonen die Möglichkeit haben, fachdi‐ daktische Wissensbestände zu nutzen, um die didaktisch-psychologische Tie‐ fenstruktur des Lehr-Lerngeschehens in einer spezifischen Domäne des Eng‐ lischunterrichts - der des lexikalischen Lernens - zu analysieren. Wie können Unterrichtsvideos die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrneh‐ mung stützen, so dass Lehrpersonen Zusammenhänge zwischen Einzelereig‐ nissen und theoretischen Konzepten erkennen und zu einem vertieften Ver‐ 105 2.5 Formen und Ziele des Einsatzes von Unterrichtsvideos in der Lehrerbildung <?page no="106"?> ständnis von fremdsprachlichen Lehr-Lernprozessen gelangen? Wie müssen Reflexionsgespräche moderiert und fokussiert werden, so dass fachdidaktische Konzepte aktiv in das Gespräch über konkrete Situationen aus Unterrichtsvi‐ deos eingebracht werden können? Aus den verschiedenen Projekten zur videobasierten Lehrerbildung lassen sich folgende Interventionselemente identifizieren, die für die Gestaltung einer fachdidaktischen Lehrveranstaltung mit integriertem Einsatz von Unterrichts‐ videos zentrale Entscheidungsfelder darstellen: • Eigen- oder Fremdvideos (Digel, Goeze & Schrader 2012: 27; Seidel et al. 2011), • Zeitlicher Abstand zwischen Darbietung und Analyse (Wipperfürth 2015; Massler et al. 2005), • Grad der Moderation und Strukturierung der Gespräche über Unter‐ richtsvideos (Wipperfürth 2015; Trautmann & Sacher 2010), • Kollaboratives Gruppensetting (Wipperfürth 2012; Massler et al. 2009; Henning, Massler & Ploetzner 2007) oder individuelle Analyse von Un‐ terrichtsvideos, • Thematiken oder Situationen vorgeben (Zhang, Koehler & Lundeberg 2015) oder autonom von Teilnehmern wählen lassen, • Vergleich des Unterrichtsvideos mit fachdidaktischen oder bildungswis‐ senschaftlichen Qualitätsstandards oder einer Expertennorm (Stürmer 2011; Jahn et al. 2014), • Entwickeln von Alternativen als Antwort auf im Video erkannte fachdi‐ daktische Notwendigkeiten (Oser, Heinzer, Salzmann 2010), • Auswahl der Videos nach fachdidaktischen Themen oder Problemstel‐ lungen (Siebold 2004), • Webbasierte, individuell gesteuerte Darbietung (Huppertz et al. 2005; Sherin & van Es 2002) oder gemeinsames Betrachten der Unterrichtsvi‐ deos im Seminarsetting, • Strukturierung des Analyseprozesses durch Beobachtungshilfen unter‐ schiedlicher Abstraktheit (Brouwer & Robijns 2015: 64). Alle diese Entscheidungsfelder sind relevant für das Design einer videogestützten Lernumgebung im Kontext der universitären, fachdidaktischen Lehrerausbildung. Die konkreten Entscheidungen, die innerhalb der vorliegenden Untersuchung ge‐ troffen wurden, werden im nachfolgenden Kapitel ausführlich dargestellt. 106 2 Theoretische Grundlagen der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung <?page no="107"?> 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign In der vorliegenden Untersuchung wird das Forschungsvom Untersuchungsdesign unterschieden. Das gesamte Forschungsdesign verkörpert eine Theorie bzw. theore‐ tische Annahmen über den Forschungsgegenstand und den Prozess der Erkenntnis‐ gewinnung und die Entscheidungen bezüglich der Datensammlung und Datenana‐ lyse (Yin 2009: 36). Das Untersuchungsdesign hingegen umfasst die Vorgehensweise bei der Datengewinnung. In welchem Kontext werden Daten von wem und mit wel‐ chem Ziel erhoben? Um den Forschungsgegenstand, die fachbezogene Unterrichts‐ wahrnehmung von angehenden Englischlehrpersonen, in einem ganzheitlichen Kon‐ text (ebd. 4) mit hoher ökologischer Validität zu untersuchen, wird als Forschungsdesign ein Fallstudiendesign gewählt. Eine wichtige Entscheidung bei der Konzeption eines Fallstudiendesigns ist die Frage, was genau der „Fall“ in der betreff‐ enden Untersuchung ist. Yin (2009: 29) führt aus, dass üblicherweise von individu‐ ellen Personen als Fall ausgegangen wird. Allerdings sind auch andere „Füllungen“ des Fallkonzepts möglich: Entscheidungen, Programme, Implementationsprozesse oder Entwicklungen einer Organisation (z. B. Fusionen von Unternehmen) können Gegenstand von Fallstudien und zu Einheiten der Analyse werden. Ein Fallstudien‐ design zieht mehrere Quellen der Evidenz heran und trianguliert Daten unterschied‐ licher Provenienz. Ein Fallstudiendesign setzt daher voraus, dass auf theoretische Modelle (hier: Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung) zurück‐ gegriffen werden kann, welche die Entscheidungen hinsichtlich der Datensammlung und Datenanalyse steuern oder zumindest anleiten (ebd. 18). Das Untersuchungsdesign der vorliegenden Studie ist ein Designexperiment. Im Designexperiment ist der Akt der Gestaltung und Entwicklung von Maß‐ nahmen auch ein Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Das Desig‐ nexperiment hat interventionistischen und evaluatorischen Charakter, weil Maßnahmen (hier: eine fachdidaktische Lehrveranstaltung) zielgerichtet durch‐ geführt (Förderung der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung) und an‐ schließend evaluiert (Auswertung der Texte der Studierenden entlang der Di‐ mensionen der PUW) werden. Nachdem definiert worden ist, was in dieser Studie unter einem „Fall“ zu ver‐ stehen ist, wird die Entscheidung für ein Mehrfachfallstudiendesign begründet. Die Pilotierung des Untersuchungsdesigns wird anschließend in ihren Grundzügen nachgezeichnet, bevor in Kapitel 3.4 das Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="108"?> • • • vorgestellt wird. Im letzten Abschnitt werden die Verfahren zur Datenauswertung erläutert. Auf der Grundlage des Kodierleitfadens (3.6.3) werden die individuellen schriftlichen Analysen der Unterrichtsvideos inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Ergebnisse werden in Kapitel 4 einzelfallbezogen ausführlich dargestellt. 3.1 Begründung für das Fallstudiendesign 3.1.1 Fallstudie: Phänomene im Kontext Eine Fallstudie als Forschungsdesign ist eine empirische Untersuchungsform, die ein kontemporäres Phänomen in der Tiefe und mit Bezug zu seinem real life context untersucht. Die Fallstudie spielt besonders dann ihr Potenzial als For‐ schungsstrategie aus, wenn die Grenzen zwischen Phänomen und Kontext nicht klar konturiert sind und verschwimmen (Yin 2009: 18). Die Frage, wie angehende Lehrpersonen Situationen lexikalischen Lernens aus dem Englischunterricht einschätzen, ist eng mit dem Kontext „Englischunterricht“ verbunden. Die Unterrichtsvideos stellen (1) Situationen aus dem Kontext „Eng‐ lischunterricht“ bereit. Unterrichtsvideos erlauben es, die Qualität der Lehr-Lern‐ prozesse, die Zielgerichtetheit des Lehrerverhaltens, die Qualität der Semantisierung oder der Aushandlungsprozesse zu beobachten. Das fachdidaktische Seminar (2) in seiner didaktisch-methodischen und inhaltlichen Gestaltung liefert die fachdidak‐ tischen Konzepte, deren Erwerb und Nutzung bei der Analyse der Unterrichtsvi‐ deos detailliert untersucht werden sollen. Das fachdidaktische Seminar als Organi‐ sationseinheit (3) steht im übergeordneten Kontext der universitären Lehrerausbildung, die seit jeher mit der Integration von Theorie und Praxis ringt (vgl. Neuweg 2001; 2007; 2011). Durch die Berücksichtigung der Kontexte (2) und (3), in welche die einzelnen Fälle eingebettet sind, sind am Ende Antworten auf die Frage möglich, unter welchen Bedingungen (Seminarstruktur, Gesprächssituati‐ onen, Beobachtungsprompts) sich PUW entwickeln kann. Die Unterrichtsvideos (1) • Englischunterricht aus verschiedenen Jahrgangsstufen mit unterschied‐ lichen Realisierungen von lexikalischem Lernen (vgl. 3.4.3 & 3.5.4) • Das Konzepte der fachdidaktischen Lehrveranstaltung (2) wortschatzdidaktische Konzepte (vgl. 2.4) • die Beobachtungsprompts für die Videoanalyse (vgl. 3.4.4) • die Struktur der Reflexionsgespräche (vgl. 3.5.7) Die Organisationseinheit „fachdidaktisches Seminar in der universitären Lehrerausbildung“ und die Teilnehmer (vgl. 3.5.1) (3) 108 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="109"?> 3.1.2 Grenzen der Einzelfallstudie Eine weitere wichtige Entscheidung bei der Ausgestaltung des Forschungsde‐ signs einer Fallstudie betrifft die Frage, ob ein Einzelfall oder mehrere Fälle un‐ tersucht werden sollen. Diese Frage soll im Hinblick auf die Fragestellungen dieser Untersuchung erörtert werden. Einsatzgebiete für Einzelfallstudien liegen nach Yin (2009: 47 f.) vor, • wenn der Einzelfall repräsentativ oder typisch ist für eine Gruppe oder ein soziales Phänomen, • wenn der Einzelfall Einblicke in ein Phänomen erlaubt, das bisher für die Erforschung nicht zugänglich war, oder • wenn der Einzelfall über einen längeren Zeitraum betrachtet werden kann. Eine Einzelfallstudie macht dann Sinn, wenn die dahinterliegende Theorie mit Hilfe eines einzigen Falls getestet werden kann und von dem Einzelfall ein sig‐ nifikanter Beitrag zum Wissen über das Phänomen und zur Theoriebildung über das Phänomen erwartet werden kann. Aus den bisher vorliegenden Studien zur professionellen Unterrichtswahrnehmung ist bekannt, dass die individuellen Unterschiede zwischen Probanden und Probandengruppen recht groß sind (vgl. Stürmer, Seidel, Schäfer 2013; Stürmer, Seidel, Kunina-Habenicht 2015). Dieser Umstand spricht gegen eine Einzelfallstudie, weil Ausprägungsunterschiede mit Faktoren wie Sozialisation im Fach, Interesse, praktische Vorerfahrungen sowie Werte, Haltungen und Einstellungen in einem Zusammenhang stehen. Ein zweiter Grund, einen Einzelfall zu studieren, liegt vor, wenn dieser Fall einzigartig und neu ist oder extreme Ausprägungen hat. Sofern es Fälle gibt, die eine außerordentlich stark oder niedrig ausgeprägte professionelle Unterrichts‐ wahrnehmung aufweisen, könnten diese im Detail untersucht werden, um Ri‐ sikofaktoren für die Ausbildung dieser Teilkompetenz zu finden. Die vorlie‐ gende Studie ist die erste fachdidaktische Studie im Bereich der Englischlehrerbildung, die sich mit der Unterrichtswahrnehmung in Bezug auf lexikalisches Lernen befasst. Vor allem in bislang wenig erforschten Domänen ist die Gefahr groß, dass der ausgewählte Fall in seiner Originalität und seinem Offenbarungscharakter sich als wenig repräsentativ erweist. A potential vulnerability of the single-case design is that a case may later turn out not to be the case it was thought to be at the outset. Single case designs therefore require careful investigation of the potential case to minimize the chances of misrepresentation and to maximize the access needed to collect the case study evidence. (Yin 2009: 50) 109 3.1 Begründung für das Fallstudiendesign <?page no="110"?> Nur dann, wenn der Einzelfall in all seinen Facetten „vollständig strukturell determiniert“ (Kelle & Kluge 2010: 11) ist, kann der Forschende sicher sein, dass „alle am Einzelfall entdeckten Merkmale und Phänomene theoretisch auch re‐ levant sind“ (ebd.). 3.1.3 Begründung für das Mehrfachfallstudiendesign Während bei der Einzelfallstudie aus der detaillierten Analyse eines Falls weitere Hypothesen über das Phänomen abgeleitet werden, stellt die Mehrfachfallstudie in Rechnung, dass je nach Fall sowohl identische wie auch kontrastierende Er‐ gebnisse möglich sind (Yin 2009: 55). Im Fall der fachbezogenen, professionellen Unterrichtswahrnehmung ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Teilnehmer an dem Seminar in ihrer PUW stark unterscheiden. Für eine Mehrfachfallstudie spricht auch, dass die Seminargruppe sich nach dem Zufallsprinzip gebildet hat (individuelles Wahlverhalten der Studierenden) und daher von einer Normal‐ verteilung von allgemeinen Leistungsdispositionen (z. B. fremdsprachliche Fä‐ higkeit) auszugehen ist. „Bei den in qualitativen Forschungen notwendigerweise beschränkten Fallzahlen kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass bspw. Handlungsorientierungen und Deutungsmuster einzelner Akteure als reprä‐ sentativ für die von ihnen vertretene Gruppen gelten können“ (Kelle & Kluge 2010: 55). Ein systematisches Vergleichen von Einzelfällen ist sinnvoll, wenn das Ziel der Forschungsbemühungen in der Beschreibung, Analyse und Erklärung von Phänomenen liegt (ebd. 11). Das Ziel einer Mehrfachfallstudie ist daher nicht, ein „repräsentatives, d. h. maßstabsgetreu verkleinertes Abbild einer Grundgesamtheit herzustellen“ (ebd.). Bei qualitativen Untersuchungen ist das Ziel der Stichprobenziehung „nicht statistische Repräsentativität, wohl aber die Abbildung der Varianz bzw. Heterogenität im Untersuchungsfeld“ (Kelle & Kluge 2010: 52). Das Entdecken unbekannter Phänomene (z. B. neuer, eigener Begriffsbildungen), die Entwicklung neuer Kategorien anhand des verbalen Da‐ tenmaterials und erste, tentative Versuche einer empirisch gehaltvollen Typen‐ bildung sind die vorrangigen Ziele dieser Mehrfachfallstudie mit explorativem Charakter. „Theoretisch bedeutsame Merkmalskombinationen“ ergeben sich aus den Dimensionen der PUW (Klassifizierungen, Vorhersagen und Alterna‐ tiven). Während einzelne Studierende die Fähigkeit entwickeln, auf der Basis einer Situation aus einem Unterrichtsvideo begründete Optimierungsvor‐ schläge (Alternativen) für die Entwicklung lexikalischen Lernens zu entwickeln, verharren andere Studierende auch am Ende des Seminars überwiegend bei Be‐ schreibungen von Situationen. 110 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="111"?> 3.2 Begründung für die Wahl des Designexperiments als Untersuchungsdesign Das Untersuchungsdesign der vorliegenden Studie orientiert sich an der De‐ sign-Based Research-(DBR) Methodologie. Während in Fallstudien Phänomene in ihrem natürlichen Umfeld untersucht werden, wird in Designexperimenten eine Maßnahme in der Absicht gestaltet, Wechselwirkungen zwischen Kontext und Maßnahme zu erfassen (Cobb et al. 2003: 10). Der Begriff „Design" bringt zum Ausdruck, dass der Akt der Gestaltung und Entwicklung von Maßnahmen auch ein Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses ist. Beide Ansätze in‐ tegrieren Theorie. Im Fallstudiendesign leitet die Theorie die Datengewinnung und -analyse (Yin 2009: 18). In Designexperimenten orientiert sich die Ausge‐ staltung des Experiments an der Theorie. Designprinzipien werden aus der the‐ oretischen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand gewonnen (Grüne‐ wald et al. 2014: 240). In diesem „theoriegeleiteten Entwicklungsprozess [wird] der wissenschaftliche Forschungsstand in Theorie und Empirie aktiv [sowohl] in den Prozess der Gestaltung von Unterrichtsdesigns als auch in die fachdi‐ daktische Theoriebildung aufgenommen“ (Grünewald et al. 2014: 240, mit Ver‐ weis auf Kurtz 2001: 81 und Hußmann et al. 2013: 25). In der vorliegenden Un‐ tersuchung ist das Designexperiment hochschuldidaktischer Natur; der Lerngegenstand besteht aus der professionellen Unterrichtswahrnehmung und das „Unterrichtsdesign“ ist die universitäre, fachdidaktische Lehrveranstaltung. DBR zielt darauf, „die Grenzen zwischen fachdidaktischer Forschung und un‐ terrichtlicher Praxis aufzuweichen“ (Grünewald et al. 2014: 238) und den Transfer von bildungswissenschaftlicher Forschung bereits in der „Designphase“ mitzu‐ denken. An der Universität Bremen wurde DBR in die romanistischen Studien‐ gänge integriert mit dem Ziel, Studierende in einem frühen Stadium an For‐ schungsprozesse heranzuführen. Begründet wird die Implementation von DBR mit der Notwendigkeit der Anpassung des Fachunterrichts an Veränderungen der Bildungslandschaft (z. B. Kompetenzorientierung, zentrale Prüfungen, Inklusion) in immer kürzeren Zyklen. „Voraussetzung dafür ist u. a. die Fähigkeit, Probleme im Unterrichtsalltag wahrzunehmen und aus einer sowohl fachdidaktischen als auch fachwissenschaftlichen Perspektive konkrete Lehr-Lernarrangements mit den dazugehörigen Unterrichtsmaterialien zu entwickeln und einer stetigen Re‐ vision zu unterziehen" (Grünewald et al. 2014: 238). Auch wenn die Implementie‐ rung von DBR an der Universität Bremen eine bemerkenswerte hochschuldidak‐ tische Innovation darstellt, die in ihrer Konsequenz derzeit (noch) Alleinstellungsstatus hat, gibt es in den Fremdsprachendidaktiken Vorläufer des DBR-Ansatzes, die Grünewald et al. (ebd. 239-241) konzise beschreiben. Kurtz 111 3.2 Begründung für die Wahl des Designexperiments als Untersuchungsdesign <?page no="112"?> (2001: 68) spricht von „Betrachtungen zweiter Ordnung“, welche die theoriege‐ leitete, empirische Untersuchung von beobachtbaren Phänomenen im Unterricht um die „konkrete Innenperspektive der unterrichtlichen Praxis“ (Grünewald et al. 2014: 240) erweitern. Ähnlich argumentiert als weitere Vorläuferin des DBR-Ansatzes Sambanis (2007: 98 f.), die durch eine „spiralförmige Rückkopp‐ lung“ beider Systeme die Kluft zwischen Theorie und Praxis überbrückt sehen möchte (ebd., zit. n. Grünewald et al. 2014: 240). Die Unterschiedlichkeit beider „Reflexionsmodi“ (Grünewald) ist dabei durchaus anzuerkennen; jedoch ist das Verhältnis von Theorie und Praxis mehr komplementär als konträr zu betrachten (vgl. Kurtz 2001: 70). In Design-Based Research werden Erkenntnisse auf der Basis bestehender the‐ oretischer Modelle und empirischer Erkenntnisse erzielt. Dabei nutzt DBR einen Methoden-Mix, um das Ergebnis einer Maßnahme zu analysieren und zu opti‐ mieren. Die Frage nach den Entwicklungsbedingungen für die professionelle Unterrichtswahrnehmung (vgl. Forschungsfrage 3) basiert auf der Ananahme, dass Kontext und Maßnahme zusammenwirken und für beobachtbare Ergeb‐ nisse verantwortlich sind. Der Kontext der Maßnahme (hier: das fachdidaktische Seminar im Rahmen der universitären Ausbildung von Englischlehrpersonen) muss daher stets mit in den Blick genommen werden. „On the prospective side, designs are implemented with a hypothesized learning process and the means of supporting it in mind in order to expose the details of that process to scrutiny” (Cobb et al. 2003: 10). Mit Hilfe von Designexperimenten (DE) im Bereich der Bildungs- und Unterrichtsforschung können Theorien zu fach- und domänen‐ bezogenen Lernprozessen entwickelt werden, welche die jeweiligen Kontext‐ bedingungen für erfolgreiches Lernen in den Blick nehmen. „A theory of this type would specify successive patterns in students’ reasoning together with the substantiated means by which the emergence of those successive patterns can be supported” (Cobb et al. 2003: 9). Für diese Untersuchung hat die systematische Aufarbeitung der zweitsprachli‐ chen Vokabelerwerbsforschung (u. a. Nation 2001, Schmitt 2008) zu einer Rekon‐ zeptualisierung dessen geführt, was traditionell als „Wortschatzarbeit“ bezeichnet wird. Die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ stellt die theo‐ retische Basis für das fachdidaktische Seminar dar (vgl. 2.4.2). Die entstehenden schriftlichen Analysen der Unterrichtsvideos tragen als „Betrachtungen zweiter Ordnung“ (Kurtz) zur Weiterentwicklung der fachdidaktischen Theorie wie auch der Theorie einer fachbezogenen professionellen Unterrichtswahrnehmung bei, deren allgemeine Dimensionen (vgl. 2.1.3) fachbezogen und domänenspezifisch ausdifferenziert werden (vgl. 3.6.2). Die folgende Tabelle fasst zusammen, an wel‐ chen Prinzipien von DBR sich die vorliegende Untersuchung orientiert. 112 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="113"?> Merkmale von Designexperi‐ menten Realisierung in dieser Untersuchung Theorieentwicklung für eine professi‐ onal community Fachbezogene, domänenspezifische Unterrichtswahrnehmung von an‐ gehenden Englischlehrpersonen im Masterstudiengang (vgl. Forschungs‐ frage 1) Interventionistische Natur von DBR als test bed for innovation: Ausloten von Möglichkeiten für die Optimie‐ rung von Lehr-Lernprozessen Erprobung eines hochschuldidakti‐ schen Konzepts zur Integration von Unterrichtsvideos in die fachdidakti‐ sche Lehre mit dem Ziel der Förde‐ rung der professionellen Unterrichts‐ wahrnehmung und der Nutzbarmachung von fachdidakti‐ schen Konzepten Theoretische Annahmen fließen in das Design des Experiments ein. Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“; Dimensionen der professionellen Unterrichtswahr‐ nehmung; Zusammenhang zwischen Wissen, Wahrnehmung und Begriff Theoretische Annahmen werden re‐ flektiert und mit den Ergebnissen ver‐ glichen Probanden nutzen fachdidaktische Konzepte, um Situationen wissensba‐ siert zu verarbeiten, in unterschied‐ lichem Maße (vgl. Forschungsfrage 2). Fachkonzepte werden in unterschied‐ lichem Maße (passend zur Situation, Begründung, Bezug auf definitorische Merkmale) auf Situationen aus dem Unterrichtsvideo bezogen. Tabelle 12: Merkmale von Designexperimenten und ihre Realisierung 3.3 Zusammenfassende Darstellung des Forschungs- und Untersuchungsdesigns In der vorliegenden Studie besteht „der Fall“ aus der Unterrichtswahrnehmung eines einzelnen Probanden. Aus dieser Definition des Falls lassen sich weitere Analyseeinheiten ableiten (vgl. Abbildung 4): • fachdidaktische Konzepte zum lexikalischen Lernen aus dem Seminar (vgl. Forschungsfrage 2), 113 3.3 Zusammenfassende Darstellung des Forschungs- und Untersuchungsdesigns <?page no="114"?> • die Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung als Kategorien für eine inhaltsanalytische Auswertung von schriftlichen Verbaldaten, • die einzelfallbezogene Verarbeitung des im Unterrichtsvideo gezeigten Unterrichts. 68 zug auf definitorische Merkmale) auf Situationen aus dem Unterrichtsvideo bezogen. 3.3 Zusammenfassende Darstellung des Forschungs- und Untersuchungsdesigns In der vorliegenden Studie besteht „der Fall“ aus der Unterrichtswahrnehmung eines einzelnen Probanden. Aus dieser Definition des Falls lassen sich weitere Analyseeinheiten ableiten (vgl. Abbildung 4): • fachdidaktische Konzepte zum lexikalischen Lernen aus dem Seminar (vgl. Forschungsfrage 2), • die Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung als Kategorien für eine inhaltsanalytische Auswertung von schriftlichen Verbaldaten, • die einzelfallbezogene Verarbeitung des im Unterrichtsvideo gezeigten Unterrichts. Abbildung 4: Design der Mehrfachfallstudie mit eingebetteten Einheiten der Analyse (nach Yin 2009: 46) Eine Fallstudie benötigt einen theoretischen Rahmen, der die Bedingungen beschreibt, unter denen sich ein bestimmtes Phänomen einstellt. „ The case study inquiry benefits from the prior development of theoretical propositions to guide data collection and analysis “ (Yin 2009: 18). Die theoretische Rahmung erhält die Untersuchung durch • den Kontext des fachdidaktischen Seminars und der schriftlichen Videoanalyse (vgl. 3.5.2), • die Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung und ihre Ausprägungen (vgl. 2.1.2) sowie • die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ (vgl. 2.4.2). Kontext: Universitäre Lehrerausbildung - Fachdidaktik Englisch Seminar Supporting Lexical Learning a) Theorievermittlung b) schriftliche Videoanalysen c) Reflexionsgespräche Einzelfallstudien: Fachbezogene, domänenspezifische professionelle Unterrichtswahrnehmung von ... Jane, Anna, Kate, ... (siehe Kap. 4) Unterrichtsvideo I-V Individuelle schriftliche Analysen - Beschreibungen - Klassifizierungen - Vorhersagen - Alternativen & Bewertungen Abbildung 4: Design der Mehrfachfallstudie mit eingebetteten Einheiten der Analyse (nach Yin 2009: 46) Eine Fallstudie benötigt einen theoretischen Rahmen, der die Bedingungen be‐ schreibt, unter denen sich ein bestimmtes Phänomen einstellt. „The case study inquiry benefits from the prior development of theoretical propositions to guide data collection and analysis“ (Yin 2009: 18). Die theoretische Rahmung erhält die Untersuchung durch • den Kontext des fachdidaktischen Seminars und der schriftlichen Video‐ analyse (vgl. 3.5.2), • die Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung und ihre Ausprägungen (vgl. 2.1.2) sowie • die Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ (vgl. 2.4.2). Die Theorie im Forschungsdesign steuert die Datenerhebung und Auswertung (Yin 2009: 36). In die vorliegende Untersuchung und die konkrete Ausgestaltung des Designexperiments sind unterschiedliche Theoriekonzepte aus verschie‐ denen Disziplinen eingegangen (vgl. Kapitel 2.1-2.5). Gleichzeitig besteht Grund zu der Erwartung, dass sich vorliegende Theorien (z. B. Dimensionen der pro‐ 114 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="115"?> fessionellen Unterrichtswahrnehmung) auf der Basis empirischer Daten (hier: schriftliche Analyse von Unterrichtsvideos) ausdifferenzieren. Die „Entwick‐ lung neuer Konzepte anhand empirischen Datenmaterials“ lässt sich als „eine Art Zangengriff “ begreifen, „bei dem der Forscher oder die Forscherin sowohl von dem vorhandenen theoretischen Vorwissen als auch von empirischem Da‐ tenmaterial ausgeht“ (Kelle & Kluge 2010: 23). Das Untersuchungsdesign wird im Wesentlichen von der fachdidaktischen Lehr‐ veranstaltung mit dem Titel Supporting Lexical Learning geprägt. Hier findet die Theorievermittlung auf der Basis der Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ statt (vgl. 2.4.2). Unterrichtsvideos werden eingesetzt, um die profes‐ sionelle Unterrichtswahrnehmung zu fördern. Verbaldaten werden erhoben, um die wissensbasierte Verarbeitung von Situationen lexikalischen Lernens aus den Un‐ terrichtsvideos zu erfassen. Eine Moderation der Gespräche über Unterrichtsvideos scheint auf Grund der Forschungslage und der Erfahrungen aus Projekten zur vi‐ deobasierten Lehrerausbildung sinnvoll zu sein (vgl. 2.5.2). 3.4 Voruntersuchung zur Pilotierung der Untersuchungs- und Auswertungsinstrumente Mit der Entscheidung, die professionelle Unterrichtswahrnehmung mit Hilfe von Unterrichtsvideos zu untersuchen, begann ein Prozess der Sichtung, Ana‐ lyse und Erprobung von geeigneten Unterrichtsvideos. Folgende Fragen sind im Vorfeld der Hauptuntersuchung zu beantworten: • Welche Unterrichtsvideos sind verfügbar? Nach welchen Kriterien werden sie ausgewählt? • Wie lauten die Beobachtungsprompts für die Probanden? Wie struktu‐ riert oder offen sollen die Beobachtungsprompts formuliert werden? • Welches inhaltsanalytische Verfahren ist für die Analyse der Texte der Studierenden geeignet, um Antworten auf die Forschungsfragen zu finden (vgl. 3.6.1)? • Wie muss das Vermittlungskonzept der Veranstaltung angepasst werden? Gibt es Hinweise auf Fachkonzepte, die schwerer vermittelbar sind als andere? • Wie lassen sich schriftliche Verbaldaten der Studierenden zeit- und res‐ sourcenschonend erheben? • Mit welchen Verfahren sollen die Daten ausgewertet werden? Ein weiteres Ziel ist es, Erfahrungen mit dem Veranstaltungskonzept, der Da‐ tenerhebung und möglichen Auswertungsverfahren zu sammeln. Die Vorge‐ 115 3.4 Voruntersuchung zur Pilotierung der Untersuchungs- und Auswertungsinstrumente <?page no="116"?> hensweise lässt sich als iterativ beschreiben, weil in dieser Pilotierungsphase das Veranstaltungskonzept, die Verfahren der Datenerhebung und -auswertung, im Zentrum des Forschungsprozesses stehen (vgl. Grünewald et al. 2014: 241). Im folgenden Abschnitt sollen die Erfahrungen und die aus der Pilotierung gezogenen Schlussfolgerungen in strukturierter und komprimierter Form dar‐ gestellt werden. Die Schlussfolgerungen, die aus der Pilotierung gezogen wurden, werden für jeden Teilbereich der Untersuchung in separaten Teilkapi‐ teln beschrieben. Im Anschluss werden die einzelnen Bestandteile des Untersu‐ chungsdesigns und die Entscheidungen, welche für die Hauptstudie getroffen wurden, dargestellt. 3.4.1 Rahmendaten der Pilotierung Die Pilotierungsstudie wurde im Wintersemester 2012/ 13 in einem Seminar mit dem Titel Supporting Lexical Learning durchgeführt. Es fanden insgesamt 13 Sitz‐ ungen statt. Der Kurs wird von 18 Studierenden mit einer durchschnittlichen Fachsemesterzahl von 9 Semestern besucht. Sieben Studierende sind in einem Master of Education-Studiengang eingeschrieben, der für ein Lehramt für die Schulformen Gymnasium und Gesamtschule qualifiziert. Zwei Studierende streben das Grundschullehramt an. Die übrigen Studierenden sind höhere Se‐ mester in BA-Studiengängen, die jedoch vor Abschluss des Bachelors Veranstal‐ tungen im Master belegen können. Die Studierenden haben überwiegend Zweit‐ fächer im geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich (Deutsch, Sozialwissenschaften und Theologie). Lediglich ein Studierender hat eine Natur‐ wissenschaft als Zweitfach. Drei Studierende haben das Fach Sport als zweites Fach. Ein fremdsprachliches Zweitfach (Spanisch) studieren zwei Studierende. 3.4.2 Konzept der Lehrveranstaltung Das Seminar besteht aus drei Elementen. In einem ersten, eher theoretisch aus‐ gerichteten Teil werden Kernthemen und zentrale fachdidaktische Konzepte der Wortschatzdidaktik behandelt. Im zweiten Teil fertigen die Studierenden in häuslicher Vorbereitung schriftliche Analysen von Ausschnitten aus insgesamt vier Unterrichtsvideos an. Zu Beginn und am Ende des Seminars wird die pro‐ fessionelle Unterrichtswahrnehmung mit einem identischen Unterrichtsvideo erfasst. Der dritte Bestandteil des Lehrveranstaltungskonzepts sind sogenannte video clubs, Seminarsitzungen, in denen das Video erneut betrachtet und in der Gruppe diskutiert wird. 116 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="117"?> 70 werden Kernthemen und zentrale fachdidaktische Konzepte der Wortschatzdidaktik behandelt. Im zweiten Teil fertigen die Studierenden in häuslicher Vorbereitung schriftliche Analysen von Ausschnitten aus insgesamt vier Unterrichtsvideos an. Zu Beginn und am Ende des Seminars wird die professionelle Unterrichtswahrnehmung mit einem identischen Unterrichtsvideo erfasst. Der dritte Bestandteil des Lehrveranstaltungskonzepts sind sogenannte video clubs , Seminarsitzungen, in denen das Video erneut betrachtet und in der Gruppe diskutiert wird. Abbildung 5: Grobstruktur des fachdidaktischen Seminars „Supporting Lexical Learning“ Die nachfolgende Tabelle listet die Themen des Seminars auf. Die einzelnen Themen werden an dieser Stelle nicht n och einmal erläutert, da sie bereits in Kapitel 2.4 ausführlich dargelegt wurden. Tabelle 13: Themenfelder des Seminars Supporting Lexical Learning in der Pilotierung Key issues of vocabulary teaching in the light of a video lesson • Auf der Basis eines Buchkapitels aus Schmitt (2010) werden zentrale Befunde und Konzepte der zweitsprachlichen Vokabelerwerbsforschung erarbeitet. Goals of vocabulary activities • Grundlegende Lernprozesse und hierauf bezogene Aktivitäten (Nation 2001) Wortschatzvermittlung I: Darbietung • Verbale und nonverbale Techniken der Wortschatzvermittlung (Thaler 2012) Communicating word meaning by defining in the L2 • Typen von Definitionen und ihre Erprobung anhand konkreter Beispiele aus einer Lehrwerkseinheit (Nation 2001: 86-93) Decision grounds for rich instruction - analyzing the learning burden of words • Planung lexikalischen Lernens durch eine vorhergehende Analyse der Lernschwierigkeit auf Vermittlung fachdidaktischer Konzepte; videogestützte Illustration der Konzepte Individuelle schriftliche Analysen von Unterrichtsvideos (fragegeleitet, seminarbegleitend, selbstständig) Video Clubs: Diskussion und Analyse von Schlüsselszenen aus Unterrichtsvideos im Seminar Abbildung 5: Grobstruktur des fachdidaktischen Seminars Supporting Lexical Learning Die nachfolgende Tabelle listet die Themen des Seminars auf. Die einzelnen Themen werden an dieser Stelle nicht noch einmal erläutert, da sie bereits in Kapitel 2.4 ausführlich dargelegt wurden. Key issues of vocabulary teaching in the light of a video lesson • Auf der Basis eines Buchkapitels aus Schmitt (2010) werden zentrale Befunde und Konzepte der zweitsprachlichen Vokabelerwerbsfor‐ schung erarbeitet. Goals of vocabulary activities • Grundlegende Lernprozesse und hierauf bezogene Aktivitäten (Nation 2001) Wortschatzvermittlung I: Darbietung • Verbale und nonverbale Techniken der Wortschatzvermittlung (Thaler 2012) Communicating word meaning by defining in the L2 • Typen von Definitionen und ihre Erprobung anhand konkreter Bei‐ spiele aus einer Lehrwerkseinheit (Nation 2001: 86-93) Decision grounds for rich instruction - analyzing the learning burden of words • Planung lexikalischen Lernens durch eine vorhergehende Analyse der Lernschwierigkeit auf der Basis der aspects of word knowledge 117 3.4 Voruntersuchung zur Pilotierung der Untersuchungs- und Auswertungsinstrumente <?page no="118"?> To test or not to test vocabulary? And if so, what to test? • Diskussion eines Textes, der sich gegen Wortschatzüberprüfungen im Unterricht ausspricht (Herten 2012) Wortschatzvermittlung II: Integrierung • Möglichkeiten der Wortschatzumwälzung und Integrierung • Konzeptualisierungen von L2: Bedeutungen durchschauen und lexika‐ lische Bewusstheit der Lernenden für Polysemie fördern Video club-Sessions - Konzepte lexikalischen Lernens in der Praxis • Individuelle schriftliche Analysen (ISA) von Sequenzen aus ausge‐ wählten Unterrichtsvideos • Diskussion der Sequenzen in der Gruppe im Anschluss an die jeweilige ISA Tabelle 13: Themenfelder des Seminars Supporting Lexical Learning in der Pilotierung Die ganzheitliche Perspektive auf Wortschatzlernen, die Lern-, Vermittlungs- und Interaktionsprozesse in den Blick nimmt, soll mit dem Begriff „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ gefasst werden (vgl. 2.4.2). Die Struktur des Seminars wird konsequent an den Achsen des didaktischen Dreiecks ausgerichtet, so dass die Studierenden von Beginn diese ganzheitliche Perspektive auf die Gestaltung des lexikalischen Lernens einnehmen. In der Planungsphase ging eine Überlegung auch dahin, die Theorie- und Video-Club-Sitzungen zu alternieren. Damit hätten jedoch nur wenige Fachkon‐ zepte, die zuvor vermittelt worden waren, zum Zeitpunkt der Analyse zur Verfü‐ gung gestanden. Ein Ziel ist jedoch auch, zu überprüfen, ob Studierende für die wissensbasierte Verarbeitung von Unterrichtsvideos aus einem breiten Fundus an Fachkonzepten für lexikalisches Lernen schöpfen können. Entsprechend fiel die Entscheidung, den Theorieteil und die Video-Club-Sitzungen zu trennen und erst am Ende des Seminars Unterrichtsvideos einzusetzen (vgl. Tabelle 13). Aller‐ dings zeigt das Pilotseminar auch, dass einige Fachkonzepte wie noticing, ret‐ rieval und generative use oder auch die strands von Nation (2007) allein aus der Theorie heraus für Studierende schwer verständlich sind und einer Illustration bedürfen, damit der Nutzen des Fachkonzepts deutlich wird und es nachfolgend für die Klassifizierung von Situationen genutzt werden kann. Die Videoclips für die Illustration von Fachkonzepten als Beispiele werden aus frei verfügbaren Un‐ terrichtsvideos (YouTube) gezogen, die nicht für die ISAs genutzt werden. 118 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="119"?> 3.4.3 Unterrichtsvideos Die ausgewählten Unterrichtsvideos (vgl. Tabelle 14), die Englischunterricht zeigen, sind DVD-Beigaben zu Publikationen oder stammen aus frei zugängli‐ chen oder passwortgeschützten Videodatenbanken. Name des Videos Jahrgangsstufe Fundort Money 7 www.unterrichtsvideo.ch Practicing new words 2 www.msw.nrw.de Perfect Job 9 www.unterrichtsdidag‐ nostik.info Drive me crazy 6 Siebold (2004), LT 8 Misunderstandings 12 Thaler (2012), Video zu Interkul‐ tureller Kompetenz Tabelle 14: Übersicht der ausgewählten Unterrichtsvideos für die Pilotierung Folgende Kriterien sind bei der Auswahl von Unterrichtsvideos berücksichtigt worden: • Anknüpfungspunkte für die Klassifikation von Situationen mit fachdi‐ daktischen Konzepten • Repräsentation eines strands of language teaching (Nation 2007) • Länge des Ausschnitts (max. 15 Minuten) Für Auswahlkriterium (1) wurden in einem ersten Schritt alle in Betracht komm‐ enden Videos mit einer Kodierung für die erkennbaren fachdidaktischen Kon‐ zepte versehen. Diese Kodierung enthält auch eine numerische Angabe zur Deutlichkeit des Konzepts. Für die Zusammenstellung des Tableaus sollte ein möglichst breites Spektrum an Fachkonzepten abgedeckt sein. Um dem ganz‐ heitlichen Verständnis von Wortschatzdidaktik Rechnung zu tragen (vgl. 2.4.1.6), sollten außerdem alle vier „Standbeine“ lexikalischen Lernens vertreten sein (2). Die Länge des Ausschnitts (3) sollte 15 Minuten nicht übersteigen, damit in den 90-minütigen Seminarsitzungen noch hinreichend Zeit für die Detail‐ analyse und die Reflexionsgespräche bleibt. In der Pilotierung sollte geprüft werden, ob die in den Videos identifizierten Fachkonzepte auch von den Studierenden erkannt werden. Im Ergebnis zeigte die Pilotierung, dass die Videos geeignet waren, um ein breites Spektrum an Fachkonzepten aufzurufen. Auch die Qualität des Unterrichts führte während 119 3.4 Voruntersuchung zur Pilotierung der Untersuchungs- und Auswertungsinstrumente <?page no="120"?> des Seminars häufig zu Diskussionen. Studierende wollten z. B. auch wissen, wie der Lehrende die Qualität des Unterrichts einschätze. Dies deutet auf ein weiteres Kriterium für die Auswahl hin: • Soll der Unterricht Best practice-Charakter haben oder kommen auch Stunden von Berufsanfängern (wie z. B. im Video „Perfect Job“) in die engere Auswahl? Unabhängig von der Schwierigkeit, Unterricht nach objektiven Gesichts‐ punkten als best practice zu kategorisieren, ist die Entscheidung für die Auswahl von Videos durch die Pilotierung in der Art und Weise gefestigt worden, dass nach Möglichkeit Medium practice-Beispiele gefunden werden sollten, weil diese genügend „Reibungsflächen“ bieten und auch hinsichtlich der Klassifizierung von Situationen mit Fachkonzepten genügend Spielräume für Diskussionen lie‐ fern. „In sum, both kinds of video material - best-practice and typical practice - seem to have potential for fostering learning and for attaining certain learning goals“ (Blomberg et al. 2013: 102). 3.4.4 Beobachtungsprompts Eine wichtige Frage beim Einsatz von Unterrichtsvideos in der Lehrerausbildung betrifft die Beobachtungsprompts und deren Fokussiertheitsgrad: Wie müssen Beobachtungsprompts formuliert sein, damit sie einerseits die Richtung der Ana‐ lyse hinreichend deutlich machen und andererseits nicht die Denkbewegungen der Probanden zu stark vorgeben? Ferner ist im Hinblick auf die Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung zu entscheiden, ob die Beobachtungsprompts die Art der wissensbasierten Verarbeitung (z. B. Vorhersagen) explizit einfordern. Beim ersten Durchgang werden die Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung (z. B. Sherin 2007) in die Beobachtungsprompts hineinformuliert (vgl. Tabelle 15). 120 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="121"?> Beobachtungsprompts für die Pilotierung 1. Describe • the teacher’s moves (questions, actions, etc.) • the learners’ actions and responses 2. Explain • the teacher’s moves (Why did he do the things the way he did? ) 3. Predict • whether learners will have learned something in this sequence 4. Evaluate • learning outcomes in this lesson with respect to lexical learning • the lesson: Which changes would you suggest? Tabelle 15: Erster Versuch mit Beobachtungsprompts nach der Pilotierung Die Sichtung und Reflexion der Ergebnisse sowie die Diskussion der Beobach‐ tungsimpulse mit Fachkollegen hat gezeigt, dass • der Begriff move missverstanden werden kann, • es für Studierende schwierig ist, Beschreiben, Vorhersagen und Evalu‐ ieren zu trennen, • die Fragen insgesamt zu umfangreich und komplex formuliert sind, • die Verwendung der Operatoren describe, explain, predict und evalulate die wissensbasierte Verarbeitung des Wahrgenommenen zu stark steuert und präjudiziert. Beobachtungsprompts, welche die Dimensionen der professionellen Unterrichts‐ wahrnehmung abbilden, können auch die Kategorienbildung erschweren, weil die Nähe zwischen Frage und Auswertungskategorie zu groß ist, was wiederum die Gefahr von Artefakten erhöht. Ein Erkenntnisinteresse im Zusammenhang mit der Erfassung der fachbezogenen professionellen Unterrichtswahrnehmung be‐ steht darin, herauszufinden, wie Probanden bestimmte Situationen verarbeiten, also ob sie diese beschreiben, klassifizieren etc. Von vorrangigem Interesse ist die Nutzung fachdidaktischer Konzepte für die Analyse bzw. wissensbasierte Verar‐ beitung des Lehr-Lerngeschehens im Unterrichtsvideo. Der Beobachtungsimpuls sollte insofern die Art und Weise der wissensbasierten Verarbeitung offenlassen, so dass der Proband auf den Prompt sowohl beschreibend als auch erklärend oder stärker evaluierend reagieren kann. 121 3.4 Voruntersuchung zur Pilotierung der Untersuchungs- und Auswertungsinstrumente <?page no="122"?> Das Lesson Analysis Framework (LAF) (Santagata & Guarino 2011: 134) hat das Design der Beobachtungsprompts theoretisch beeinflusst. Das LAF stellt einen geeigneten Rahmen dar, der sich fachspezifisch füllen lässt. Das LAF wurde außerdem mit Mathematiklehrkräften empirisch überprüft: Studierende, die sich anhand dieser Fragen zielgerichtet mit Unterrichtsvideos auseinander‐ setzen, erzielen ein vertieftes Verständnis der lernwirksamen Unterrichtsbedin‐ gungen (Santagata, Zannoni, & Stigler 2007; Santagata & Angelici 2010). Lesson Analysis Framework (Santagata, Zannoni & Stigler 2007; San‐ tagata & Angelici 2010; Santagata & Guarino 2011) Identify lesson learning goals • four strands • incidental/ intentional learning Analyse student thinking and learning • noticing, retrieval, generative use • Construct hypotheses about the effects of teaching on students’ lear‐ ning How did communication and interaction patterns in this lesson contribute to students’ progress? • learning: understanding, use, memory • Use analysis to propose improvements in teaching Tabelle 16: Lesson Analysis Framework mit englischdidaktischer Konkretisierung Für die Hauptstudie wurden diese Prompts sprachlich vereinfacht, indem statt einer Doppelfrage eine Einzelfrage gestellt wird. Die Beobachtungsimpulse wurden so verändert, dass sie sich an den didaktischen Perspektiven orientieren (vgl. Abbil‐ dung 2). Die vierte Frage nach alternativen Vorgehensweisen wird — in Ergänzung zum standardisierten Ansatz zur Erfassung der professionellen Unterrichtswahr‐ nehmung der Gruppe um Tina Seidel — mit Bezug auf Santagata & Angelici (2010) sowie Oser, Heinzer & Salzmann (2010) ergänzt. Auf diese Weise ist die für profes‐ sionelles Handeln so wichtige Dimension des „konstruktiven Denkens“ (Barth 2017: 30; vgl. 2.1.3) in den Beobachtungsprompts mit abgebildet. 122 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="123"?> 1. What are the aims of the teacher with respect to lexical learning? What does the teacher teach about lexis? 2. What do learners learn about lexis? Do they understand, memorize or use words? 3. How is lexical learning supported through communication and interaction in the lesson? 4. If you were to teach this lesson, what would you do differently? Tabelle 17: Angepasste Fassung der Beobachtungsprompts nach der Pilotierung 3.4.5 Datenerhebung Nach dem theoretischen Teil des Seminars fertigen die Studierenden im wö‐ chentlichen Rhythmus über drei Wochen insgesamt drei schriftliche Analysen von Ausschnitten aus Unterrichtsvideos an. Die Videos werden über die Lern‐ plattform MOODLE bereitgestellt. Die schriftlichen Analysen werden anschlie‐ ßend von den Studierenden auf die Lernplattform hochgeladen. Dieses Vor‐ gehen hat den Vorteil, dass die Texte sämtlicher Kursteilnehmer in digitaler Form vorliegen. 3.4.6 Leitfadengestützte Reflexionsgespräche (video clubs) In der amerikanischen Lehrerbildungsforschung wird häufig herausgestellt, dass es notwendig ist, die Aufmerksamkeit von angehenden Lehrpersonen ge‐ zielt auf bestimmte lehr-lernrelevante Aspekte eines Unterrichtsvideos zu lenken (Santagata & Guarino 2011: 144). Mit Hilfe von Video-Reflexionszirkeln (video clubs) konnte in verschiedenen Untersuchungen eine Verbesserung der Reflexionsfähigkeit von Lehrpersonen ermittelt werden, sofern diese Gespräche im Sinnes eines facilitation to notice strukturiert und moderiert werden (Brophy 2004; Seago 2004; Sherin & Han 2004; Sherin 2007; Sherin, van Es 2005). Auf der Basis ihrer Erfahrungen schlägt van Es (2010) ein Rahmenkonzept vor, welches produktive Diskussionen von Unterrichtsvideos fördern soll. Unterstützende Gesprächszüge (facilitating moves) haben dabei gesprächseröffnenden Cha‐ rakter. Wichtiger noch sind solche Gesprächszüge, die Beiträge von Teilneh‐ mern aufnehmen und anhand des Unterrichtsvideos weiterführen sowie Be‐ gründungen einfordern (van Es 2010: 11). Die Forschungen der Gruppe um Miriam Sherin zur Evaluation der sogenannten video clubs haben dieser Studie einen starken Impuls verliehen, weil sie die Bedeutung von Gesprächen über das Unterrichtsvideo heraustellen. „Research on professional development sug‐ gests that teachers rarely engage in discourse that pushes their thinking and 123 3.4 Voruntersuchung zur Pilotierung der Untersuchungs- und Auswertungsinstrumente <?page no="124"?> challenges assumptions they have about teaching” (van Es 2010: 9). Bewährt haben sich in der Pilotierung zwei Herangehensweisen zur Strukturierung der Gespräche, die im Folgenden präsentiert werden sollen. Identifikation von Kernkonzepten im Unterrichtsvideo entlang einer Powerpoint-Präsentation Die Fachkonzepte lexikalischen Lernens stellen bei dieser Vorgehensweise den Ausgangspunkt der Diskussion dar. Je nachdem, welches Fachkonzept von den Studierenden ins Gespräch gebracht wird, werden dessen definitorische Merk‐ male erneut aufgerufen. Diskussionen entzünden sich dann, wenn Studierende versuchen, Konzepte voneinander abzugrenzen, und sich entscheiden müssen, ob z. B. in einer bestimmten Stunde eher die Zielperspektive meaning-focused input oder language-focused development verfolgt wird. Diese Diskussionen zeigen, dass in einer Unterrichtseinheit häufig mehrere strands erkennbar sind, wenngleich jede Stunde meist ein „Hauptstandbein“ aufweist. Sehr produktiv war es, danach anhand des Unterrichtsvideos genau nachzuvollziehen, welche Lehrerinterventionen oder Aufgabenstellungen eine andere Zielperspektive le‐ xikalischen Lernens einleitete. Immer dann, wenn in Diskussionen Abgren‐ zungsfragen zwischen den einzelnen strands in abstrakter Weise diskutiert werden, versucht der Lehrende die Diskussion auf konkrete Details aus dem Video zu lenken und bei Bedarf bestimmte Sequenzen erneut zu zeigen. Die Studierenden melden am Ende zurück, dass ihnen die Video-Club-Sitzungen geholfen haben, die fachdidaktischen Konzepte tiefer zu verstehen. Gerade im Hinblick auf ein vertieftes Verständnis von Unterrichtszielen im Englischbzw. Fremdsprachenunterricht erweist sich diese Vorgehensweise als fruchtbar. Strukturierung der Reflexionsgespräche durch ausgewählte Aussagen von Teilnehmern Eine zweite Herangehensweise für die Strukturierung der Reflexionsgespräche besteht in der Generierung von Aussagen aus den Analysen der Studierenden mit nachfolgender Bewertung und Detailanalyse der entsprechenden Szenen aus dem Unterrichtsvideo. Hierzu werden aus den Analysen der Studierenden nach den folgenden Kriterien Sätze extrahiert: • häufig vorkommende Aussagen und Einschätzungen über den im Video gezeigten Unterricht, • Fehldeutungen, die entweder auf einem fehlerhaften Verständnis eines Kernkonzepts basieren oder auf das unzureichende Verständnis einer Episode aus dem Video hindeuten, • inhaltlich völlig zutreffende bewertende oder beschreibende Aussagen. 124 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="125"?> An die Aussagen wird jeweils eine vierstufige Likert-Skala angefügt. Die Stu‐ dierenden geben zunächst in Einzelarbeit den Grad ihrer Zustimmung zu den Aussagen an, bevor sie dann in Kleingruppen ihre Einschätzungen abgleichen. Die nachfolgende Plenumsdiskussion führt zur Klärung unterschiedlicher Ein‐ schätzungen und zu einer erneuten Analyse des Unterrichtsvideos. Auch dieses Verfahren hat sich in der Pilotierung bewährt und wird in der Hauptstudie fort‐ geführt. Am Ende der Pilotierung hat sich das Verständnis der Funktionen der sich an jede schriftliche Analyse anschließenden Reflexionsgespräche geklärt: • Sicherung des Verständnisses der fachdidaktischen Konzepte • Diskussion und Abgleich unterschiedlicher Wahrnehmungen bezogen auf Ziele und Lernergebnisse der Stunde • Förderung der wissensbasierten Auseinandersetzung und Analyse von Situationen lexikalischen Lernens durch Abgleich der Merkmale der the‐ oretischen Konzepte mit den Merkmalen der Situation • Feedback zu ausgewählten Passagen aus einzelnen Analysen • fokussierte Detailanalyse von Schlüsselszenen aus dem Video • Entwickeln und Begründen alternativer Handlungsweisen Die Gespräche im Anschluss an die individuellen schriftlichen Analysen (ISA) haben das Ziel, die Klassifizierung von Situationen lexikalischen Lernens mit fachdidaktischen Konzepten in konkretem Unterricht abzusichern. Im Gespräch sollen lernrelevante Merkmale der Situation herausgestellt und Wechselwir‐ kungen zwischen Lehren und Lernen anhand der konkreten Situation aus dem Unterrichtsvideo herausgearbeitet werden (vgl. van Es 2010: 11). Zusammen‐ gefasst werden mit den video clubs in der vorliegenden Studie drei Ziele verfolgt: • Scaffolding der Identifikation lehr-lernrelevanter Merkmale von Eng‐ lischunterricht im Bereich lexikalischen Lernens (die Metapher des Scaf‐ folding umschreibt im pädagogisch-psychologischen Kontext die Unter‐ stützung eines Lernprozesses durch die Bereitstellung von Orientierungshilfen in Form von Anleitungen, Denkanstößen und In‐ struktionen; vgl. Thürmann 2010) • Förderung von situiertem, fallbezogenem Lernen und Vermeidung trägen Wissens durch Herstellung konkreter Bezüge zwischen Fachkonzepten und Unterrichtssituationen • Scaffolding der Identifikation von fachdidaktischen Notwendigkeiten bzw. problematische Gelenkstellen des Unterrichts 125 3.4 Voruntersuchung zur Pilotierung der Untersuchungs- und Auswertungsinstrumente <?page no="126"?> 3.4.7 Erprobung eines holistischen Verfahrens zur Datenauswertung Die schriftlichen Videoanalysen aus der Pilotierung werden daraufhin unter‐ sucht, ob sich die Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung (vgl. Tabelle 1) face-valid nachweisen und an die Studierenden zurückmelden lassen. Für diesen Zweck wird ein Erfassungs- und Bewertungsraster entwickelt (vgl. Tabelle 18). Da die Studienordnung für die Kurse im Master Noten vorsieht, werden die einzelnen Kriterien mit Punktwerten versehen und mit Hilfe eines Punkte-Noten-Schemas in Noten umgerechnet. The analysis addresses the criterion with high quality = 4 The analysis addresses the criterion with some aspects of high quality = 3 The analysis addresses the criterion sufficiently, but with some errors or mis‐ conceptions = 2 The analysis addresses the criterion insufficiently or with poor quality = 1 The analysis does not address the criterion at all = 0 [Probandin 2] Criterion Score Student teachers can ... • distinguish between the perspective of teaching, learning & support of learning through interaction by giving distinct ans‐ wers to the guiding questions 3 • use key concepts of lexical learning to describe teaching goals 3 • use key concepts of lexical learning to describe learning proc‐ esses 3 • analyse how specific teacher prompts (questions, tasks) support lexical learning in the lesson 3 • discuss reasons why teaching goals have or have not been achieved 0 • evaluate learning outcomes by giving specific evidence from the lesson 1 • make suggestions for alternative teacher moves (prompts, qu‐ estions, tasks) or changes of the lesson design to increase lexical learning 0 Overall score 13 126 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="127"?> Grade 25-23 1 2,7 22-21 1,3 20-19 1,7 18-17 2 16-15 2,3 14-13 2,7 Tabelle 18: Beispiel für einen Rückmeldebogen für die finale Videoanalyse (Pilotierung) 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie 3.5.1 Beschreibung der Probandengruppe Die Hauptstudie wurde im Zeitraum von April bis Juli 2013 an der Bergischen Universität Wuppertal durchgeführt. Die Zusammenstellung der Probanden‐ gruppe (vgl. Tabelle 19) für die Teilnahme an dieser Mehrfachfallstudie erfolgt nach dem Zufallsprinzip. Die Studierenden melden sich über ein hochschulin‐ ternes, webbasiertes Tool für die Seminare an. Von neun angemeldeten Studie‐ renden haben sieben Teilnehmer den Kurs samt der dazugehörigen Videoana‐ lysen (ISA-Prä, ISA-Post, ISA I-IV) abgeschlossen. Da die individuellen schriftlichen Analysen der Teilnehmer Tim und Miriam aus unterschiedlichen Gründen nicht vollständig am Ende des Seminars vorlagen, wurden sie nicht in die Mehrfachfallstudie einbezogen. An den Reflexionsgesprächen beteiligen sich jedoch beide Teilnehmer (vgl. 5.3.1). Die Namen aller Probanden wurden mit Beginn der Datenanalyse pseudonymisiert: Name Fachsemester, Zweitfach, angestrebtes Lehramt Anna 6. Semester; Anglistik, Sozialwissenschaften; LA Gymnasium/ Gesamtschule Jane 8. Semester; Anglistik, Mathematik, Deutsch; LA Primarstufe Kate 8. Semester; Anglistik, Biologie; LA Haupt-, Real-, Gesamtschule Kerstin 6. Semester, Anglistik, katholische Religion, LA Haupt-, Real-, Gesamtschule 127 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="128"?> Linda 8. Semester; Anglistik, Naturwissenschaft/ Technik; LA Haupt-, Real-, Gesamtschule Martha 8. Semester; Anglistik, Mathematik, Deutsch; LA Primarstufe Sergej 17. Semester; Anglistik, Sportwissenschaft; LA Gymnasium/ Gesamtschule Tabelle 19: Kurzbeschreibung der Probanden Zu Beginn des Seminars werden mit Hilfe eines Fragebogens Studiendauer, Zweitfach und die Zahl der besuchten fachdidaktischen und bildungswissen‐ schaftlichen Veranstaltungen erfasst. Außerdem sollen die Probanden in ein bis zwei Sätzen die aus ihrer Sicht entscheidenden Faktoren für erfolgreiches Fremdsprachenlernen schildern (Frage 7 in Tabelle 20). Drei weitere Fragen zielen auf das lexikalische Lernen: • Frage 8: Was kann der Fremdsprachenunterricht dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler umfangreiche und differenzierte Wortschatz‐ kenntnisse erlangen? • Frage 9: Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung beim Fremd‐ sprachenlernen? • Frage 10: Was sollte eine Lehrperson tun, um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern? Die Fragen orientieren sich an der Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ und greifen theoretische Annahmen zum zweitsprachlichen Wortschatzlernen auf (vgl. 2.4). So zielt Frage 8 auf die Spannung zwischen im‐ plizitem und explizitem Wortschatzlernen. Frage 9 zielt auf die inkrementelle Natur des Wortschatzlernens und Aspekte des Wortschatzwissens sowie auf die Herausforderung, dass Lernende einen möglichst umfassenden Wortschatz be‐ nötigen, um in der Fremdsprache angemessen handeln zu können (vgl. Milton 2009). Die dritte Frage zielt auf die Kommunikations- und Unterstützungskultur aus dem didaktischen Dreieck (vgl. 2.4.5). Tabelle 20 fasst die Ergebnisse dieser Befragung für die gesamte Kohorte zusammen. 128 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="129"?> Frage Antworten 1. Welches Lehramt streben Sie an? • 4 x HRGe (Sek. I) • 3 x Gym/ Ges (Sek. I/ II) • 2 x Primarstufe 2. Was ist Ihr Zweitfach (ggf. Drittfach)? • Sprachliche Grundbildung & Bildungs‐ wissenschaften, Mathematische Grundbildung • Sportwissenschaften (2x) • Sozialwissenschaften • Naturwissenschaft & Technik (Bio‐ logie, Chemie, Physik) • Mathematik & Deutsch für die Grund‐ schule • Biologie • Geschichte • Katholische Religion 3. Wie viele fachdidaktische Lehrveranstaltungen haben Sie bislang insgesamt besucht (BA und Master of Education zu‐ sammen, Bergische Universität Wuppertal sowie andere Hoch‐ schulen)? • 2-9 (Mittelwert: 5,25) 4. Haben Sie bildungswissen‐ schaftliche Lehrveranstal‐ tungen besucht, in denen es um das Thema Unterrichtsbeo‐ bachtung ging? • Ja: 2 (22,2 %) • Nein: 7 (77,8 %) 4a) Wenn ja, skizzieren Sie bitte Umfang und Art Ihrer Beschäf‐ tigung mit dem Thema Unter‐ richtsbeobachtung. • Vorlesung zur pädagogischen Diag‐ nostik • Vorbereitungsseminar für ein Prak‐ tikum 5. Was ist Ihr individueller Inte‐ ressenschwerpunkt innerhalb Ihres Anglistikstudiums? • Sprachwissenschaft: 1 • Literaturwissenschaft: 4 • Fachdidaktik: 5 6. Haben Sie bereits praktische Unterrichtserfahrungen (z. B. Vertretungsstelle an der Schule, Praktika, Nachhilfe) sammeln können? • Ja: 9 • Nein: 0 6a) Wenn ja, beschreiben Sie bitte kurz Dauer und Art Ihrer • 2 Arten von praktischer Unterrichtser‐ fahrung: 129 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="130"?> praktischen Unterrichtserfah‐ rung. • Praktika: • 8 Studierende haben mindestens ein 4-wöchiges Praktikum absolviert, ei‐ nige haben bereits mehrere Praktika hinter sich gebracht. Die Praktika haben bei allen Studenten mindestens 4 Wochen am Stück gedauert. • Nachhilfe: • Einige Studenten haben bereits Erfah‐ rungen im Bereich der Nachhilfe ge‐ sammelt, meist im privaten Bereich. Es gibt aber auch Studenten, die bei Nach‐ hilfeinstituten arbeiten. Bitte versuchen Sie, in einem Satz zu formulieren, wie man aus Ihrer Sicht am besten eine Fremdsprache erlernt. • Viel Sprachgebrauch in authentischen Situationen • Begleitete und zielgerichtete Konfron‐ tation mit der Fremdsprache • Im Land der Fremdsprache • Sich mit der Fremdsprache umgeben (Ausland, Bücher, Musik etc.) • Interesse an der Fremdsprache und Kultur • In lebensbezogenen Situationen • Eigenes Interesse an der Fremdsprache • Interaktion in der Zielsprache • Communication Was kann der Fremdsprachen‐ unterricht dazu beitragen, dass Schüler umfangreiche und dif‐ ferenzierte Wortschatzkennt‐ nisse aufbauen? • Häufig gebrauchte Vokabeln oft auf‐ greifen • Konfrontation mit vielen neuen Wör‐ tern, Entwicklung von Möglichkeiten und Strategien zum Verstehen/ Behalten der neuen Wörter • Beschäftigung mit verschiedenen, rea‐ litätsnahen Themen • Lektüren, authentische Materialien • Raum für Fragen, Sprechen und Inter‐ aktion • Motivieren/ Animieren, Kenntnisse au‐ thentisch einsetzen (z. B. Ausflüge, Austauschprogramme) • Verschiedene Lernstrategien aufzeigen • Lernen im Kontext Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen? • Relevanz der Wörter einschätzen • Nachhaltiges Lernen von neuem Voka‐ bular 130 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="131"?> • Neu gelernte Wörter im Gedächtnis zu behalten • Das „Erinnern“ an das Wort, die „An‐ wendung“ • Verschiedene Bedeutungen einzelner Wörter • Regelmäßige Wiederholung = lang‐ weilig • Ambiguität • Junge Lerner sind auf Hilfe (z. B. Eltern) angewiesen, schwierig bei manchen Schulformen (Bsp.: Hauptschulen) • Nutzen der Vokabeln im Kontext Was sollte eine Lehrperson tun, um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern? • Wiederholungen, Zusammenhänge er‐ klären • Strategien zum Vokabellernen vermit‐ teln • Benutzung neuer Wörter durch den Lehrer • Nur geringe Mengen an neuen Wör‐ tern auf einmal lehren, Interesse der Schüler wecken • Schüler ermutigen, Fragen zu stellen • Verdeutlichung von Können und Zielen • Gestaltung einer Vielzahl von kommu‐ nikativen Situationen • Lerner über möglichst viele Kanäle an‐ sprechen, das Lernen unterstützen • Individuell auf die Schüler eingehen, Entwickeln von individuellen Lern‐ strategien • Kontext geben, um Wort im Zusam‐ menhang zu lernen Raum für Bemerkungen oder weitere Gedanken: • Defizite einiger Englischlehrer, vor allem in Aussprache und Grammatik Tabelle 20: Synopse der Ergebnisse der Befragung zu Vorerfahrungen und zur Subjekt‐ perspektive auf lexikalisches Lernen Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass diese Untersuchung nicht primär das Ziel verfolgt, die subjektiven Theorien von angehenden Englischlehrpersonen zum lexikalischen Lernen zu explorieren. Die wissensbasierte Verarbeitung, wie sie als Teil der PUW angenommen wird, hat nur schwache Berührungspunkte mit dem Paradigma der „subjektiven Theorien“ (Groeben et al. 1988). Die subjek‐ 131 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="132"?> tiven, theorieartigen Wissensbestände gemäß des Programms der subjektiven Theorien (Roters & Trautmann 2014: 53) sind innerhalb des Paradigmas der PUW von untergeordnetem Interesse. Hingegen sind Aussagen zur Nutzung quasi objektiver, aus der Fachliteratur gewonnener Fachkonzepte (vgl. 2.4.2) für die Analyse von Unterricht ein wesentliches Erkenntnisinteresse dieser Arbeit. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass subjektive Überzeugungen zum fremd‐ sprachlichen Wortschatzlernen sowie praktische Erfahrungen der Studierenden sich auf aufmerksamkeitsbasierte und wissensbasierte Prozesse der Verarbei‐ tung von Situationen aus den Unterrichtsvideos auswirken werden. Die Sub‐ jektperspektive, in dieser Arbeit verstanden als ein Gemenge von Wissen, Glau‐ benssätzen und Annahmen (vgl. Woods 1996), wurde daher am Anfang des Seminars erhoben. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse der Analysen einzelfall‐ bezogen mit der Subjektperspektive und den individuellen Vorerfahrungen ver‐ glichen. 3.5.2 Inhalt und Struktur des Seminars in der Hauptstudie Die Analyse der Unterrichtsvideos ist in ein fachdidaktisches Seminar einge‐ bunden, dessen Struktur im folgenden Abschnitt beschrieben wird. Das Seminar enthält vier Bestandteile, wie in Abbildung 6 ersichtlich: 80 Frage Antworten Raum für Bemerkungen oder weitere Gedanken: - Defizite einiger Englischlehrer, vor allem in Aussprache und Grammatik Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass diese Untersuchung nicht primär das Ziel verfolgt, die subjektiven Theorien von angehenden Englischlehrpersonen zum lexikalischen Lernen zu explorieren. Die wissensbasierte Verarbeitung, wie sie als Teil der PUW angenommen wird, hat nur schwache Berührungspunkte mit dem Paradigma der „subjektiven Theorien“ (Groeben et al. 1988). Die subjektiven, theorieartigen Wissensbestände gemäß des Programms der subjektiven Theorien (Roters & Trautmann 2014: 53) sind innerhalb des Paradigmas der PUW von untergeordnetem Interesse. Hingegen sind Aussagen zur Nutzung quasi objektiver, aus der Fachliteratur gewonnener Fachkonzepte (vgl. 2.4.2) für die Analyse von Unterricht ein wesentliches Erkenntnisinteresse dieser Arbeit. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass subjektive Überzeugungen zum fremdsprachlichen Wortschatzlernen sowie praktische Erfahrungen der Studierenden sich auf aufmerksamkeitsbasierte und wissensbasierte Prozesse der Verarbeitung von Situationen aus den Unterrichtsvideos auswirken werden. Die Subjektperspektive, in dieser Arbeit verstanden als ein Gemenge von Wissen, Glaubenssätzen und Annahmen (vgl. Woods 1996), wurde daher am Anfang des Seminars erhoben. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse der Analysen einzelfallbezogen mit der Subjektperspektive und den individuellen Vorerfahrungen verglichen. 3.5.2 Inhalt und Struktur des Seminars in der Hauptstudie Die Analyse der Unterrichtsvideos ist in ein fachdidaktisches Seminar eingebunden, dessen Struktur im folgenden Abschnitt beschrieben wird. Das Seminar enthält vier Bestandteile, wie in Abbildung 6 ersichtlich: Abbildung 6: Struktur des Seminars mit dem Titel „Supporting Lexical Learning“ Um die individuelle Ausgangslage der Probanden zu erfassen, analysieren die Studierenden zu Beginn des Seminars im diagnostischen Modul I ein Unterrichtsvideo. Das gleiche Video wird auch in der letzten Videoanalyse (diagnostic module II) eingesetzt. Auf diese Weise wird ein unmittelbarer Vergleich der Videoanalysen vor und am Ende des Seminars möglich, was Zugewinne bei der Verwendung fachdidaktischer Konzepte wie auch bei der wissensbasierten Verarbeitung des Unterrichts sichtbar machen sollte. Das Seminar ist grundsätzlich Diagnostic module I • Individual written video analysis Exploring key concepts • Teaching Lexis • Learning Lexis • Communicating & supporting lexical learning in class Video clubs • Key concepts in action: 4 individual written video analyses • Collaborative re-analysis & discussion of lesson videos in class Diagnostic module II • Final written video analysis Abbildung 6: Struktur des Seminars Supporting Lexical Learning 132 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="133"?> Um die individuelle Ausgangslage der Probanden zu erfassen, analysieren die Studierenden zu Beginn des Seminars im diagnostischen Modul I ein Unter‐ richtsvideo. Das gleiche Video wird auch in der letzten Videoanalyse (diagnostic module II) eingesetzt. Auf diese Weise wird ein unmittelbarer Vergleich der Vi‐ deoanalysen vor und am Ende des Seminars möglich, was Zugewinne bei der Verwendung fachdidaktischer Konzepte wie auch bei der wissensbasierten Ver‐ arbeitung des Unterrichts sichtbar machen sollte. Das Seminar ist grundsätzlich zweigeteilt (vgl. Tabelle 21). In einem ersten, eher theoretisch ausgerichteten Teil werden Kernthemen und zentrale fachdidaktische Konzepte der Wort‐ schatzdidaktik behandelt. Session Topic of Session Reading / *Pre-Tasks 1st Course organization & introduction *First written video ana‐ lysis 2nd Teaching Lexis I: Communicating word meaning Thaler 2012 (extracts) 3rd Supporting Lexical Learning I: Ana‐ lysing the learning burden of words Schmitt 2007 (extracts) 4th Teaching Lexis II: Goals in lexical le‐ arning four strands of language tea‐ ching, incidental vs. intentional lear‐ ning Nation 2007 Schmitt 2008 (extracts) 5th Learning Lexis I: noticing, retrieval, generative use Nation 2001 (extracts) 6th Learning Lexis II: Recycling, engage‐ ment, deep processing, lexical awa‐ reness Nation 2001 (extracts) Doyé 1975 (extracts) 7th Supporting Lexical Learning II: Rich instruction and negotiation of meaning Nation 2001 (extracts) 8th Wrap up: Current state of the art of vocabulary teaching and learning Schmitt 2007 9th Video club: video-based lesson ana‐ lysis & discussion *individual written video analysis (Moodle upload) 10th Video club: video-based lesson ana‐ lysis & discussion *individual written video analysis (Moodle upload) 133 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="134"?> 11th Video club: video-based lesson ana‐ lysis & discussion *individual written video analysis (Moodle upload) 12th Video club: video-based lesson ana‐ lysis & discussion *individual written video analysis (Moodle upload) 13th Final assessment: Written video ana‐ lysis in class 14th Feedback talks Tabelle 21: Zeitplan Seminar Supporting Lexical Learning (Hauptstudie) Im Theorieteil des Seminars (Exploring key concepts) werden zentrale Konzepte der zweitsprachlichen Vokabelerwerbsforschung (Second Language Vocabulary Acquisition Research, Coady & Huckin 1997: 1) eingeführt. Techniken zur Se‐ mantisierung werden mit Hilfe von Ausschnitten aus Unterrichtsvideos und anhand von Unterrichtsmaterialien veranschaulicht. Der hochschuldidaktische Ansatz ist induktiv: Episoden lexikalischen Lernens aus einem Unterrichtsvideo werden zum Ausgangspunkt genommen, um ein Vermittlungsproblem oder ein Lernergebnis zu analysieren. Erst wenn die Situation aus dem Video hinreichend besprochen ist, wird der entsprechende Begriff für das Fachkonzept eingeführt und definiert. Anschließend vertiefen die Studierenden ihr theoretisches Ver‐ ständnis des Konzepts durch eigenständige Lektüre der einschlägigen Fachtexte (z. B. Nation 2001, 2007; Schmitt 2008). Die Strukturierung des theoretischen Teils des Seminars folgt den Achsen des didaktischen Dreiecks (vgl. 2.4.2). Die ersten beiden Sitzungen zielen auf die Lehr- und Vermittlungsperspektive bezogen auf Lexis, die nachfolgenden Sitz‐ ungen befassen sich mit dem Lernen und Verstehen von Lexis. Im dritten Ab‐ schnitt werden Fachkonzepte der Kommunikations- und Unterstützungskultur eingeführt, welche lexikalisches Lernen im Englischunterricht ermöglichen. Ziel- und Stoffkultur (Lehr- und Vermittlungsperspektive) Analysieren der Lernschwierigkeit von Wörtern als ein wichtiges Element der Un‐ terrichtsvorbereitung Aspects of word knowledge (Na‐ tion 1990; 2001) Entscheidungen zur Orientierung lexikali‐ schen Lernens im Unterricht: intentionales oder beiläufiges Lernen Incidental vs. intentional learning (Schmitt 2008) 134 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="135"?> Grundsätzliche Orientierung lexikalischen Lernens im Unterricht: „Standbeine“ des Fremdsprachenunterrichts Strands of Language Teaching (Nation 2007) Lern- und Verstehenskultur Noticing als lernpsychologische Vorausset‐ zung für lexikalisches Lernen und die Rea‐ lisierung durch Dekontextualisierung Noticing: decontextualization (Nation 2001: 63-65) Aushandeln von Bedeutungen und Defi‐ nieren als Voraussetzung für noticing Noticing: negotiation, defining (Nation 2001: 63-65) Behaltensprozesse und Aufrufen von Wör‐ tern Retrieval (Nation 2001: 66) Erweiterung lexikalischer Kompetenzen durch kreativen Wortgebrauch und eigene Konstruktionen Generative use (Nation 2001: 68) Strategien zur Steigerung der Behaltens‐ leistung durch Umwälzung und einen ana‐ lytischen Umgang mit Wortschatz Engagement (Schmitt 2008); deep processing (Laufer & Hulstijn 2001); lexical awareness (Nation 2008); semantic relations Kommunikations- und Unterstützungskultur Techniken der Semantisierung von Wör‐ tern Communicating word meaning (Thaler 2012: 227-228; Nation 2001: 81-94) Entscheidungen treffen für reichhaltige In‐ struktion bezogen auf Aspekte der Form, der Bedeutung oder des Gebrauchs von Wörtern Rich instruction (Nation 2001) Das Aushandeln von Bedeutungen als Stra‐ tegie, um Verwendungs- und Bedeutungs‐ reichweiten bewusst zu machen Negotiation of meaning (Nation 2001: 64-65; Long 1981) Tabelle 22: Inhalte und Struktur des Seminars Supporting Lexical Learning Die Reflexionsgespräche (video clubs) sind ein weiteres Merkmal des Seminars. Die Bezeichnung video club bezeichnet bei Sherin & van Es (2009) die regelmäßig stattfindenden Treffen mit Lehrern, in denen Unterrichtsvideos analysiert werden. Auch wenn die video clubs in diesem Projekt statt mit Eigenmit Fremdvideos und angehenden Lehrpersonen gestaltet werden, spiegelt die Be‐ zeichnung video club den interaktiven Charakter der Reflexionsgespräche wider, 135 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="136"?> weshalb die Bezeichnung übernommen wird. Wie Abbildung 7 zeigt, finden die video clubs immer im Anschluss an die in häuslicher Arbeit angefertigten Video‐ analysen statt. 82 struktion bezogen auf Aspekte der Form, der Bedeutung oder des Gebrauchs von Wörtern Das Aushandeln von Bedeutungen als Strategie, um Verwendungs- und Bedeutungsreichweiten bewusst zu machen Negotiation of meaning (Nation 2001: 64-65; Long 1981) Die Reflexionsgespräche (video clubs) sind ein weiteres Merkmal des Seminars. Die Bezeichnung video club bezeichnet bei Sherin & van Es (2009) die regelmäßig stattfindenden Treffen mit Lehrern, in denen die Unterrichtsvideos analysiert werden. Auch wenn die video clubs in diesem Projekt statt mit Eigenmit Fremdvideos und angehenden Lehrpersonen gestaltet werden, spiegelt die Bezeichnung video club den interaktiven Charakter der Reflexionsgespräche wider, weshalb die Bezeichnung übernommen wird. Wie Abbildung 7 zeigt, finden die video clubs immer im Anschluss an die in häuslicher Arbeit angefertigten Videoanalysen statt. Abbildung 7: Wechsel von individuellen schriftlichen Analysen im Seminar und nachfolgenden Reflexionsgesprächen (video clubs) Video Club ISA I Video Club ISA II Video Club ISA III Video Club ISA IV Abbildung 7: Wechsel von individuellen schriftlichen Analysen im Seminar und nach‐ folgenden Reflexionsgesprächen (video clubs) Nach dem theoretischen Teil des Seminars fertigen die Studierenden im wö‐ chentlichen Rhythmus insgesamt vier schriftliche Analysen von Ausschnitten aus Unterrichtsvideos an. Die schriftlichen Analysen werden von den Studie‐ renden auf die Lernplattform MOODLE hochgeladen. 3.5.3 Sampling der Unterrichtsvideos Da die Probandengruppe das ganze Spektrum an Lehrämtern abbildet, sollten auch die Unterrichtsvideos Englischunterricht aus allen Schulstufen zeigen. Die in der Pilotierung angewandten Kriterien für die Auswahl von Unterrichtsvi‐ deos haben sich bewährt (vgl. 3.4.3), so dass die in der Pilotierung erprobten Unterrichtsvideos für die Hauptstudie eingesetzt werden. Außerdem hat die Pi‐ lotierung ergeben, dass die Unterrichtsvideos hinreichend Potenzial haben, die wissensbasierte Verarbeitung, d. h. das Abrufen fachdidaktischer Konzepte zur Klassifizierung von Situationen, zu stimulieren. Videovignette (ISA) Jahrgangsstufe, Schulform Quelle Money (ISA Prä/ Post) Klasse 7, Gymnasium www.unterrichtsvideo.ch (Eliciting Vocabulary (Topic: Money) - Working with Course‐ book NEF Elementary U2) Misunderstandings (ISA I) Klasse 12, Gymnasium Thaler (2012) (Video zu C13) Practicing new words Klasse 2, Grundschule https: / / www.schulentwick‐ lung.nrw.de/ cms/ angebote/ egs/ 136 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="137"?> (ISA II) unterrichtsvideos/ filmse‐ quenzen-film-1/ film-1-sequenz-4-practi‐ sing-new-words.html Drive me crazy (ISA III) Klasse 7, Realschule Siebold (2004) Perfect Job (ISA IV) Klasse 9, Realschule http: / / www.unterrichtsdiagnosti k.de/ video/ (Sequenz 1 und 2) Tabelle 23: Quelle und Klassenstufe der eingesetzten Unterrichtsvideos in der Hauptstudie Als Länge für eine Videovignette bietet sich ein Ausschnitt von rund 15 Minuten an, weil sich in einem Ausschnitt dieser Länge eine hinreichende Anzahl von Lehr- und Lernsituationen findet. Außerdem wird das Stundenziel so eher erkennbar als in kurzen Vignetten von 3 Minuten. Längere Clips oder gar komplette Stunden‐ mittschnitte könnten dem Ziel, eine möglichst detaillierte Beschreibung und Inter‐ pretation von konkreten Lehr-Lernsituationen zu erhalten, zuwiderlaufen, weil die Probanden sich unter Druck fühlen, den im Video gezeigten Unterricht möglichst umfassend zu beschreiben, so dass die für eine professionelle Unterrichtswahrneh‐ mung notwendige Fokussierung eingebüßt würde. In Anlehnung an Digel, Goeze & Schrader (2012) werden bewusst keine How to do-Videos ausgewählt, die im Sinne eines Lehrstücks Best practice darstellen und an denen man beobachten kann, wie z. B. eine Semantisierung mit einer L2-Definition idealiter ablaufen kann. Digel, Goeze & Schrader (2012) weisen auf die Gefahren solcher „Nachahmungsvideos“ hin, die darin besteht, dass die „Vielfalt andersartiger gelingender pädagogischer Vorgehensweisen reduziert“ und dass Lernwege der angehenden Lehrpersonen eher eingeengt werden können (ebd. 26). Alle fünf Unterrichtsvideos sind entweder im Netz zugänglich oder als DVD-Beigabe zu einem Buch veröffentlicht (Thaler 2012; Siebold 2004; vgl. Ta‐ belle 23). Alle Unterrichtseinheiten bis auf den Unterricht in ISA IV werden von erfahrenen Englischlehrern unterrichtet. Der Lehrer im Video „Perfect Job“ scheint ein Student oder Praktikant zu sein. Die Tatsache, dass alle Unterrichts‐ videos veröffentlicht sind, deutet also darauf hin, dass es sich zumindest um Good practice-Beispiele handeln sollte, die grundlegende, fachdidaktische Qua‐ litätsmerkmale von Englischunterricht erfüllen. 137 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="138"?> 3.5.3.1 Ein Video für jedes „Standbein“ Ein weiteres Kriterium für die Auswahl der Videovignetten sind die strands of language teaching (Nation 2007). Um ein möglichst breites Spektrum von Situ‐ ationen lexikalisches Lernen abzudecken, wurden die Videos so ausgewählt, dass alle strands repräsentiert sind. Unterrichtsvideo ISA Strand of language teaching Money ISA Prä/ Post Language focused learning Meaning-focused output Misunderstandings ISA I Meaning-focused input Language-focused learning Practicing new words ISA II Language-focused learning Drive me crazy ISA III Fluency development Perfect Job ISA IV Meaning-focused output Tabelle 24: Zuordnung der ausgewählten Unterrichtsvideos zu den strands of language teaching (Nation 2007) 3.5.4 Expertenrating der Videos Um die eigene Perspektive auf die Unterrichtsvideos um eine Außenperspektive zu ergänzen und um die eigene Einschätzung zu validieren, wurden die Videos fünf Experten aus der Schul- und Unterrichtspraxis vorgelegt. Die Gruppe der Experten besteht aus • einer international bekannten Fortbildnerin, Autorin und Englischlehrerin, • einer Grundschullehrerin mit rund fünf Jahren Berufspraxis, • einer Fachleiterin für Englisch an Gymnasien und Gesamtschulen mit mehr als zehn Jahren Berufspraxis, • einem Fachleiter für Englisch am Berufskolleg mit rund 20 Jahren Be‐ rufspraxis und • einer Lehrerin, die Englisch an einer Gesamtschule unterrichtet und au‐ ßerdem als Fachberaterin die Bezirksregierung berät. Jeder Experte hat den Auftrag, die drei im Netz zugänglichen Videos des Tab‐ leaus (vgl. Tabelle 23) anhand der in Tabelle 25 aufgeführten Fragen schriftlich zu analysieren. Es handelt sich um dieselben Fragen, welche auch von den Stu‐ dierenden für die ISAs zu bearbeiten sind. 138 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="139"?> 1) What are the aims of the teacher with respect to lexical learning? What does the teacher teach about lexis? 2) What do learners learn about lexis? Do they understand, memorize or use words? 3) How is lexical learning supported through communication and interaction in the lesson? 4) If you were to teach this lesso, what would you do differently? Tabelle 25: Beobachtungsprompts für die Hauptstudie und das Expertenrating Die beiden anderen auf DVD verfügbaren Videos werden auf einem Validie‐ rungstreffen in der Gruppe analysiert. Zur Vorbereitung werden die zuvor per E-Mail eingereichten, individuellen schriftlichen Analysen der Experten zu‐ sammengefasst und zu Aussagen verdichtet. Dabei zeigt sich für das Video „Practicing new words“ eine hohe Übereinstimmung zwischen den Experten. Bei den Analysen von „Money“ und „Perfect Job“ zeigen sich jedoch größere Ab‐ weichungen in der Expertengruppe. Das Validierungstreffen an der Bergischen Universität Wuppertal hat folglich zwei Ziele: • Validierung der Analysen zu den Videos „Money“ und „Perfect Job“ • Analyse und Diskussion der Videos „Drive me crazy“ und „Misunderstandings“. Zur Vorbereitung der Validierung der Analysen von „Money“ und „Perfect Job“ werden Aussagen gebildet und mit einer dichotomen Skala (Zustimmung/ Nicht-Zustimmung) versehen (vgl. Tabelle 26 sowie Appendix B). Beim Vali‐ dierungstreffen werden den Experten die Aussagen der Tabelle zur Einschät‐ zung vorgelegt. Eine dichotome Skala wird verwendet, um eine eindeutige Po‐ sitionierung der Experten zu den Aussagen anderer Experten zu erreichen. Jeder Experte erhält die Aussagen von Tabelle 26 als Folie und den Auftrag, seine/ ihre Zustimmung während des erneuten Betrachtens einzutragen. Anschließend werden alle Folien übereinander gelegt, so dass Abweichungen direkt sichtbar werden und diskutiert werden können. Ziel ist es, zu eindeutigen Aussagen und konsensualen Einschätzungen zu gelangen. Die Quintessenz aus den schriftli‐ chen Analysen der Experten und die Validierung dieser Aussagen ist in der je‐ weiligen Spalte von Tabelle 26 mit „X“ gekennzeichnet. Aussagen, für die sich nach kontroverser Diskussion kein Konsens erzielen ließ, werden gestrichen (siehe Kommentare in Tabelle 26). Der überwiegenden Zahl der Aussagen aus den schriftlichen Einzelanalysen der anderen, beim Validierungstreffen nicht anwesenden Experten stimmt die Gruppe der anwesenden Experten jedoch zu. 139 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="140"?> Expertenrating zum Video „Perfect Job“ Fully agree Don’t agree Kommentar/ Ergebnis der kom‐ munikativen Vali‐ dierung Aims (Perfect Job) Teacher does not teach any new lexis X Repeat known words & brush up know‐ ledge about job terms X Re-activate words and phrases by means of pictures X Test pre-knowledge about jobs X In der Einstiegs‐ phase der Stunde To learn some words for jobs (but teacher did not teach any lexis) X The teacher tries to use pictures in the students´ book as impulses for their mental lexicons. X The teacher separates phonetic features of the lexical items completely from their spellings to focus the learners’ attention. Für diese Aussage konnte beim Exper‐ tenrating kein Kon‐ sens erzielt werden. Learning (Perfect Job) Students use words while describing pic‐ tures X Pupils do not understand much lexis X Pupils did not use the new words in mea‐ ningful context X The output in terms of learning can be rated as rather low as there is very little interaction in and usage of the foreign language. A use of words can be stated insofar as job names are activated by trig‐ gering the concept involved. X 140 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="141"?> The students try to describe what they see the persons doing (without the tea‐ cher offering them this kind of help). X Support of lexical learning (Perfect Job) No support through communication X No communication among students X In the double circle they did not practice or use any of the words they had chosen before. Für diese Aussage konnte beim Exper‐ tenrating kein Kon‐ sens erzielt werden. Communication is initiated by the tea‐ cher himself only; there is no interaction. The teacher is acting as a model of pro‐ nunciation; his share of speaking is do‐ minating. X Lehrer ist ein schlechte Modell; Betonung: es gibt keinerlei Interaktion Alternatives (Perfect Job) Drop the pantomime at the beginning of the lesson which is not adequate for year 9 learners. (undecided) X X Für diese Aussagen konnte beim Exper‐ tenrating kein Kon‐ sens erzielt werden. Asking learners to write down jobs they know, then pair, share and rank. (unde‐ cided) X X More pictures in combination with a lis‐ tening comprehension task in the 2nd se‐ quence. Für diese Aussage konnte beim Exper‐ tenrating kein Kon‐ sens erzielt werden. Start the lesson with a brainstorming/ cluster (jobs) X Add other categories (e.g. working hours, activities) in order to elicit more vocabu‐ lary and as a preparation for describing the pictures in pair work X Scaffolding for guessing jobs from pic‐ tures (I think she might/ could be a … be‐ cause…) X Time limit for skimming task. X 141 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="142"?> The concepts activated and the related word realizations have to be stressed by repetition and usage in a meaningful con‐ text to be enforced and consolidated right from the start for advanced learners. X Offer students help if they cannot name the job presented at once such as: “Maybe you can start just describing what you see the person doing or wearing …” to in‐ duce paraphrasing for definition or using meaningful relative clauses. X Visualization of the identified words on the board is absolutely necessary. X Job names can be provided by snippets to choose from for each pair). X The text in the book could possibly be used as source of information to learn more about the jobs under discussion. X Für diese Aussagen konnte beim Exper‐ tenrating keine kommunikative Va‐ lidierung (Konsens) erzielt werden. The teacher could also point at rules of word-formation or word families respec‐ tively (e. g. keep - keeper). X Expertenrating zum Video „Money“ Aims (Money) No explicit teaching of vocabulary X Ausnahme: broke Teach new vocabulary that appears in the course book X Reactivating knowledge of learners about the word field money X Consolidate the spoken and written form of words X Collect previous lexical knowledge about money and expand this with a text X Relating words to each other; Categori‐ zing vocabulary X Give an overview about lexis related to money X 142 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="143"?> Enlarge/ expand students’ vocabulary concerning the topic “money” by making the students associate and think about si‐ tuations X Recall words they have already learned; they should memorize them better [sic] X Learning (Money) Memorizing lexis X No evidence for long term lexical lear‐ ning (fill-in-the-gap activity is not a sign of understanding or active use) X Understanding lexis X Using lexis X Re-activate/ refresh known words X Understand, memorize and use new words and phrases in various contexts X X Für diese Aussage konnte beim Exper‐ tenrating keine kommunikative Va‐ lidierung (Konsens) erzielt werden. Recall words they have already learned X Support of lexical learning (Money) Lexical learning is supported by correc‐ tive feedback. X Lexical learning is supported by an enri‐ ching language bath in an authentic com‐ municative situation. X Mostly T-St, St-T interaction, little op‐ portunity for students to interact X Lexical learning is not really supported in this lesson; mnemonic techniques are missing. X Fehlende Aktivie‐ rung & Mnemotech‐ niken; lexikalisches Lernen wird nur teil‐ weise unterstützt (z. B. Semantisie‐ rungen) 143 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="144"?> Alternatives (Money) Play a different song that students know. X More exercises in pair work/ group work - more student involvement X Tabelle 26: Aussagen zur Einschätzung der Videos beim Validierungstreffen Im zweiten Teil des Validierungstreffens betrachtete die Gruppe zwei weitere Videos (Misunderstandings; Practicing new words). Dabei fertigte jeder Experte Notizen zu den Beobachtungsprompts (vgl. Tabelle 17) an. Die einzelnen Ant‐ worten wurden anschließend in einem Validierungsgespräch sondiert und zu einer gemeinsam geteilten Gruppeneinschätzung in einem Dokument als Ge‐ sprächsprotokoll zusammengefasst (siehe Appendix B). Der Text wurde der Gruppe zum Ende des Gesprächs noch einmal vorgelesen, um ein abschlie‐ ßendes Gruppenurteil über die Einschätzung der Videos herzustellen. Die auf diese Weise ermittelten Einschätzungen der Experten werden werden im fol‐ genden Kapitel der eigenen Einschätzung des Videos gegenübergestellt. 3.5.5 Beschreibung der Videos und Experteneinschätzung Im folgenden Teilkapitel werden die in dieser Untersuchung eingesetzten Unter‐ richtsvideos ausführlich beschrieben. Die Transkripte aller ausgewählten Unter‐ richtsvideos sind unter www.meta.narr.de/ 9783823382638/ Transkripte.pdf online verfügbar. Die Darstellung orientiert sich in der Struktur an den Beobachtungs‐ prompts (vgl. Tabelle 17). Die eigene Einschätzung steckt den Erwartungshorizont für die individuellen schriftlichen Analysen der Studierenden ab. Sie wird ergänzt um die Einschätzung einer Expertengruppe aus Fachleitern und aktiven Lehrper‐ sonen mit mehrjähriger Unterrichtserfahrung (vgl. 3.5.4). Die Beschreibung der Vi‐ deos durch die Experten dient dem Zweck, die eigene Einschätzung des im Video gezeigten Unterrichts um eine Experteneinschätzung zu ergänzen und damit abzu‐ sichern. Ein systematischer Experten-Novizen-Vergleich, wie er häufig in der Ex‐ pertiseforschung durchgeführt wird (vgl. 2.1.1), wird jedoch nicht angestrebt und entspricht auch nicht den Fragestellungen und den bis zu diesem Punkt getrof‐ fenen methodischen Entscheidungen dieser explorativen Untersuchung. Gleich‐ wohl werden in Kapitel 5.1.1 exemplarisch einzelne Alternativen der Experten zur Verbesserung des Unterrichts mit denjenigen der Studierenden verglichen. 144 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="145"?> 3.5.5.1 Video „Money“ (ISA Prä/ Post) In dieser Stunde elizitiert der Lehrer Wortschatz aus dem Wortfeld money. Da‐ nach sollen die Schüler sich in einer Partnergesprächsphase über Situationen austauschen, die mit Geld zu tun haben. Anschließend führt der Lehrer einige neue Wörter aus dem Wortfeld ein, welche die Schüler in einer nachfolgenden Hörverstehensübung in einen Lückentext einsetzen sollen. 1. Ziele des Lehrers in der Stunde Eigene Einschätzung Ziel des Lehrers in der Stunde ist es zum einen, Wortschatz aus dem Wort‐ feld money zu wiederholen (1: 10-3: 38), und zum anderen, einige neue Wörter einzuführen (10: 32-14: 05). Außerdem will der Lehrer erreichen, dass die Schüler sich in größeren Zusammenhängen zum Thema äußern. So fragt er nach „expressions“ (2: 57), Assoziationen (3: 56) und - nachdem er bemerkt, dass die Schüler auf seinen Impuls nicht reagieren - wenig später nach Situationen, die den Schülern einfallen, wenn sie an Geld denken. Die Stunde lässt sich daher den strands language-focused learning und meaning-focused output zuordnen. Einschätzung der Experten • Teach new vocabulary that appears in the coursebook • Reactivating knowledge of learners about the word field “money” • Collect previous lexical knowledge about “money” and expand this with a text • Relating words to each other; categorizing vocabulary • Give an overview about lexis related to money • Enlarge/ expand students’ vocabulary concerning the topic “money” by making the students associate and think about situations • Recall words they already learned and should memorize them better 145 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="146"?> 2. Was lernen die Schüler in dieser Stunde? Eigene Einschätzung Die Schüler festigen die Form-Bedeutung-Verknüpfung von bekanntem Wortschatz; sie müssen Einzelwörter aktiv erinnern und aufrufen (recall). Die Schüler erweitern ihr Wissen um passende Assoziationen im Wortfeld money. Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. 9: 48) bilden die Schüler in dieser Stunde Einwortsätze. Sie lernen die Bedeutung der folgenden Wörter kennen (receptive knowledge): afford (10: 38-11: 19), blow (11: 28), broke (11: 57), greedy (12: 13-12: 48), loan (12: 52-13: 20) sowie mall und mortgage (13: 23-14: 05). Anhand einer kurzen Erläuterung durch den Lehrer lernen sie außerdem den Unterschied zwischen loan und mortgage kennen (13: 42). Einschätzung der Experten • No evidence for long term lexical learning (gap fill activity is not a sign of understanding or active use) • Recall words they already learned • Using lexis • Re-activate/ refresh known words • Memorizing lexis (partly) • Partly understand, memorize and use new words and phrases in various contexts 3. Interaktion und Kommunikation in der Stunde Eigene Einschätzung Das Kommunikationsverhalten des Lehrers ist geprägt durch den Einsatz von Semantisierungsstrategien, kommunikativen prompts sowie dem Aushan‐ deln von Bedeutungen. Die Strategien zur Semantisierung der neuen Wörter in der zweiten Phase der Stunde greifen und lassen erkennen, dass die Lern‐ enden die Wortbedeutung verstanden haben. Weniger effektiv sind die Leh‐ rerimpulse, die zum zusammenhängenden, freien Sprechen anregen sollen. Weder die Impulse („Does anybody know any expressions again with money? “ (2: 57); „What sort of things do you associate with money? ” (3: 53)) noch das Partnergespräch, in dem sich die Schüler Situationen überlegen sollen, die mit Geld zu tun haben, führen zu Mehrwortäußerungen höherer Komple‐ xität. Daneben enthält die Stunde aber eine Reihe von gelungenen Beispielen für das Aushandeln von Bedeutungen. Schülerfehler sind Ausgangspunkte für negotiation of meaning (shoot themselves (9: 48), become money (13: 02)), wobei der Lehrer das Gespräch durch seine Erklärungen dominiert. Der Lehrer setzt in dieser Stunde ein breites Repertoire an Strategien zur Semantisierung ein (strategies for communicating word meaning): L2-De‐ finitionen, Gestik, Antonyme, Kontexthinweise. Jedoch führen nicht alle 146 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="147"?> Semantisierungen auf Anhieb zum Erfolg: Auf die Frage, ob er sich ein Haus leisten (afford) könne, weiß der Schüler keine Antwort. Erst im Zu‐ sammenhang mit einer kurzen Definition und einem weiteren Beispiel wird den Schülern die Bedeutung von to afford deutlich. Der Lehrer ver‐ sucht, seine Schüler in seine Worterläuterungen einzubinden („Let’s see whether you understand them“) und sie durch wiederholte Fragen zu ak‐ tivieren (10: 46; 12: 56, 13: 35, 12: 16). Allerdings sind die Schüler meist nicht in der Lage, auf die Frage in angemessener Weise zu antworten. Der Lehrer vergewissert sich nur in wenigen Fällen - und dann auch nur bei einzelnen Schülern -, ob das Wort verstanden wurde: Bei der Semantisierung von greedy fordert er Schüler auf, eine entsprechende Handbewegung auszu‐ führen: „Show me, show me, ja, that’s good“ (12: 19). Für das Wort mortgage liefert ein Schüler unaufgefordert eine Übersetzung ins Deutsche, die der Lehrer zulässt und positiv registriert (14: 03). Einzelne spontane Assoziationen des Lehrers tragen jedoch wenig zum le‐ xikalischen Lernen bei. Die klangliche Assoziation des Wortes mortgage mit dem deutschen „Mord“ kommentiert der Lehrer mit den Worten: „Mortgage, sounds a bit deadly“ (13: 35). Ebenso scheint der Hinweis auf den Film „Seven“ und die sieben Todsünden eher eine spontane, persönliche Assoziation des Lehrers zu sein als ein für diese Altersgruppe angemes‐ senes Beispiel, zumal die Schüler signalisieren, dass dieser Film für ihr Alter noch nicht freigegeben sei. Einschätzung der Experten • Lexical learning is supported by corrective feedback. • Lexical learning is supported by an enriching language bath in an authentic communicative situation. • Mostly T-St, St-T interaction, little opportunity for students to interact • Lexical Learning is not really supported in this lesson; mnemonic techniques are missing 4. Alternativen Eigene Einschätzung Optimierungen sind im Bereich der Worterklärungen möglich. Die Se‐ mantisierung von to afford benötigt zwei Anläufe und ist entsprechend zeitintensiv. Eine stärker auf die Schüler abgestimmte Beispielgebung und kürzere Erläuterungen würden das Erfassen der Bedeutung erleichtern. Mehr schülerseitigen Output hätte der Lehrer vermutlich erzielen können, wenn er die Schüler aufgefordert hätte, die Wörter von der Tafel zu nutzen und sich über Fragen wie „Have you ever lost/ won/ wasted money? “ aus‐ zutauschen. Bei der Einführung der neuen Wörter hätte der Lehrer stärker auf Besonderheiten (learning burden of words) der Form (Aussprache von mortgage - stummes „t“), des Gebrauchs (afford + to) und auf Wortbe‐ standteile eingehen können (greed - greedy). 147 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="148"?> Einschätzung der Experten • Play a different song that students know (1 expert out of 3). • More exercises in pair work/ group work - more student involvement • Urteil über die Stunde: 3 plus, ausbaufähig; aber keine Best prac‐ tice-Stunde; Kritik entzündete sich am stark steuernden Verhalten des Lehrers in der Stunde. 3.5.5.2 Video „Misunderstandings“ ISA I In dieser Stunde präsentiert der Lehrer einen Text über eine Begegnung zwi‐ schen Amerikanern und Deutschen, die von zahlreichen Missverständnissen überschattet ist. Die Aufgabe der Schüler ist es, die Ursache für diese Missver‐ ständnisse und den unbeabsichtigt entstehenden Humor herauszuarbeiten. Im zweiten Teil der Stunde präsentiert der Lehrer zwei Hörtexte, die ein Gespräch zwischen einer Deutschen und einem Amerikaner und ein Gespräch zwischen einem Deutschen und einer Amerikanerin enthalten. Die Schüler sollen heraus‐ finden, wie die Gesprächspartner Aussagen über die eigene Kultur und Ein‐ schätzungen der fremden Kultur sprachlich so einkleiden, dass kritische Be‐ merkungen abgemildert sind. 1. Ziele des Lehrers in der Stunde Eigene Einschätzung Inhaltlich zielt die Stunde auf die Entwicklung interkultureller Kompe‐ tenzen (vgl. Thaler 2012: 271 ff.). Die Lernenden sollen die Ursache von häufigen Missverständnissen zwischen Muttersprachlern und Nicht-Mut‐ tersprachlern erklären. Die Stunde lässt sich dem strand meaning-focused input zuordnen, weil die Schüler die Hörtexte wegen des Inhalts hören und verstehen. Die zweite Phase der Stunde ist dagegen dem strand lang‐ uage focused learning zuzuordnen, weil es hier um die Analyse des kon‐ kreten Sprachgebrauchs (register) geht. Die Schüler sollen erkennen, welche Wörter und Redewendungen in den Gesprächen zu Missverständ‐ nissen geführt haben. Sie sollen außerdem den Sprachgebrauch analy‐ sieren und in einem Text Beispiele dafür finden, wie man in Begegnungs‐ situationen seine Meinung höflich formuliert. Einschätzung der Experten • Create an awareness of connotations of language • Becoming aware of differences between cultures • Learners are to pick up phrases for being polite and not offensive. 148 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="149"?> 2. Was lernen die Schüler in dieser Stunde? Eigene Einschätzung Die Schüler lernen in dieser Stunde, dass bestimmte Wörter und Redewen‐ dungen, wenn man sie direkt aus dem Deutschen überträgt, zu Missvers‐ tändnissen führen können. Sie lernen Möglichkeiten kennen, wie sie in einer Begegnungssituation höflichen Sprachgebrauch realisieren können (z. B. would (13: 14); „I often heard“ (12,15)). Sie lernen etwas über den kom‐ munikativen Gebrauch von Wörtern (register). Insgesamt hebt der Lehrer in dieser Stunde am Beispiel von Höflichkeitskonventionen die lexikalische Bewusstheit. Hierzu tragen die Aufgabenstellungen und die Art seiner Nachfragen (Kommunikations- und Unterstützungskultur) wesentlich bei. Einschätzung der Experten • Learners collect & apply adequate expressions (not in the sense of transferring them to a new situation, but they shared/ exchanged their results). • Deeper awareness of language: socio-cultural differences • literal translations do not work out, but you need adequate expressions • Thinking about how to say things; becoming more aware of utter‐ ances & their use in different situations • Fluency is improved by having students their own way of thinking [sic] • acceptance of student’s opinions • Awareness of sociolinguistic differences 3. Kommunikation und Interaktion Eigene Einschätzung Das Kommunikationsverhalten des Lehrers ist für das lexikalische Lernen förderlich. Er handelt Bedeutungen mit den Lernenden aus (flirting - pay s.o. a compliment) und korrigiert fehlerhafte Kollokationen (*to give s.o. a compli‐ ment (9: 14-9: 43)). Er erklärt die Bedeutung von Mehrworteinheiten wie good appetite, so dass Schüler die Ursache für Humor und Missverständnisse ver‐ stehen (3: 19). Korrekturen werden als recasts zeitnah und in der gebotenen Kürze realisiert, so dass sie das inhaltsbezogene Unterrichtsgespräch nicht stören (9: 46; 8: 44). An einer Stelle ergänzt der Lehrer eine explizite Korrektur mit einem metalinguistischem Kommentar: „No plural of information“ (12: 49). Einschätzung der Experten • Giving feedback to students is beneficial: The teacher makes sure that he got the message right (recasts). • acceptance of student’s opinions by the teacher • Student answers were important and appreciated. 149 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="150"?> 4. Alternativen Eigene Einschätzung Notwendigkeiten für Verbesserungen der Stunde bestehen im Bereich der Aufgabenstellungen für die Hör- und Lesetexte. Der Impuls „What comes to mind when you read this? ” (2: 28) erweist sich als zu allgemein, da an‐ fänglich kein Schüler aufzeigt. Obwohl der Lehrer die englische Entspre‐ chung für „jemandem ein Kompliment machen” dekontextualisiert, ist es aufgrund der Kürze der Episode unwahrscheinlich, dass die anderen Schüler diesen Input verarbeiten. Die Dekontextualisierung müsste z. B. durch weitere Beispiele und ein schülerseitiges Verwenden der Phrase ausgeweitet werden, damit sich Behaltenseffekte einstellen. Eine weitere Verbesserung könnte an den false friends aus dem ersten Dialog ansetzen: Diese werden nur mündlich besprochen, und an den Gesichtern der Schüler sieht man, dass zahlreiche Schülerinnen und Schüler die (unfrei‐ willige) Komik, die manche Äußerungen auslösen, nicht verstehen (3: 53). Hier könnte z. B. ein Tafelanschrieb dazu beitragen, das Behalten von gängigen Redewendungen zu erhöhen. Einschätzung der Experten • Two dialogues may be too much - too long: separate talk about dialogue 1 and 2 (aims for reading were not clear at the beginning) • Differentiating and helping weaker students to participate 3.5.5.3 Video „Practicing new words“ (ISA II) (Klasse 2) Im ersten Teil der Stunde soll die Form-Bedeutung-Verknüpfung zuvor einge‐ führter Wörter des Wortfeldes „Essen und Trinken“ gefestigt werden. Die Leh‐ rerin setzt zu diesem Zweck Bild- und Wortkarten ein. Im zweiten Teil fragen sich die Kinder mit Hilfe der Kugellagermethode ein weiteres Mal ab. 1. Ziele der Lehrerin in dieser Stunde Eigene Einschätzung Ein Ziel dieser Stunde ist das Training der korrekten Aussprache von Wörtern aus dem Wortfeld food durch chorisches Nachsprechen. Die Plu‐ ralbildung von Nomen wird beiläufig und eher implizit thematisiert. Ein weiteres Ziel der Stunde ist die Verbesserung der Erkennung des Schrift‐ bildes von Wörtern. Hierzu lässt die Lehrerin die Schriftform der Wörter nur für den Bruchteil einer Sekunde aufblitzen (sogenanntes flash rea‐ ding). Die Schüler sind gefordert, das Wort ganzheitlich zu erkennen und diese Worterkennung schneller als üblich durchzuführen, was der Flüs‐ 150 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="151"?> sigkeit bzw. Automatisierung von Fähigkeiten in diesem Bereich zugute‐ kommt. Die Stunde lässt sich damit den strands language-focused learning und fluency development zuordnen. In jedem Fall steht das intentionale Lernen (memory, aspect of word knowledge: spoken form) im Vordergrund. Einschätzung der Experten • Repeating single words and their pronounciation: Consolidate known words by speaking them several times: Her strategy for inc‐ reasing the learning effect is to make the whole class echo the new word as many times as (they suggest) she says and indicates. • Repeating isolated sentences • Reactivate word/ students‘ knowledge with the help of pictures/ cue cards • Lesson is based on non-verbal semantic correlations: She basically teaches that every object has a particular name with a particular pronounciation. • The teacher does not teach anything new about the words. • Orthographic patterns are realized by identifying chunks, which enhances reading competence. • Students practice the words by interacting with each other in the double circle • Consolidate the vocabulary that has been learnt by using the double circle • Practicing a large amount of words • To make as many learners speak the new words as possible within a short period of time offering as much variation and therefore fun as appropriate by making use of the double circle • She makes the children connect picture and word sound repeatedly to fix both in the mental lexicon. 2. Was lernen die Schüler in dieser Stunde? Eigene Einschätzung Die Schüler erhöhen ihre Merkfähigkeit (memory) von Einzelwörtern aus dem Wortfeld „Essen und Trinken“. Sie müssen die Form der Wörter honey, jam, egg, roll, hot chocolate aktiv erinnern (recall). Außerdem bemerken (noticing) sie durch eine Kontextualisierung der Lehrerin, wie die Mehrzahl von roll gebildet wird. Die Schüler reflektieren implizit die Lernschwierigkeit von Wörtern, wenn die Lehrerin sie fragt, wie oft ein bestimmtes Wort geübt werden müsse. Beim Üben steht das Üben der korrekten Aussprache im Vordergrund. Einschätzung der Experten • Learning lexis has something to do with repetition. • Pronouncing the words: Gaining confidence in pronouncing the words by choral repetition 151 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="152"?> • Understand and memorize the words they have learnt before • Becoming familiar with the spelling of the word via speed reading. They have a clue [sic] of the written pattern perceiving the expres‐ sion presented as chunks. • By showing pictures learners understand the meaning of the word. • Notice grammatical aspects of the words • Learners connect a visual impulse with the phonetic pattern of the related word. They memorize by repeated articulation. 3. Kommunikation und Interaktion Eigene Einschätzung Die Lehrerin unterstützt das lexikalische Lernen ihrer Schüler in dieser Unterrichtsstunde, indem sie den Lernprozess unter Beteiligung der Schüler organisiert und den Übergang von der einen zur anderen Phasen transparent macht („Who can move the birdie? “). Sie gibt kurze Erläute‐ rungen zur Wortform (hot chocolate) und weist auf mögliche Interferenzen zum Deutschen hin (Kakaogetränk ~ hot chocolate). Sie beteiligt die Lern‐ enden am Übungsgeschehen, indem sie für jedes zu übende Wort fragt, wie oft es aus Sicht der Schüler geübt, d. h. nachgesprochen werden sollte. Einschätzung der Experten • Repeating in the group • Fixed structure of communication: teacher prompts, rituals for in‐ dicating what’s next in the lesson • Lexical learning profits from trained rituals and interactive routines: children are used to responding as chorus and engage in it. So me‐ thod meets the addressees´ interest and motivation. • Picture cards, cue cards, instructions • Lexical learning is supported by the teacher asking questions like „How many times do we need to practice“ and asking for singular & plural forms. • monolingual teaching (immersion) • The teacher offers a certain amount of participation when she is asking “How many times do we need to practice? ” each time a new picture and sound pattern are presented. • The teacher draws attention to longer expressions like “hot choco‐ late” by activating the mental lexicon regarding antonyms (“Re‐ member, it’s not cold chocolate, but … (1: 29)”. • She accompanies the identification of written chunks with an acoustic signal she produces with her tongue (2: 24ff.), which un‐ derlines the very short time of presentation and fixes attention. 152 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="153"?> 4. Alternativen Eigene Einschätzung Eine stärkere Verknüpfung der Wörter aus dem Wortfeld und eine stärker kommunikativ ausgerichtete Umwälzung (z. B. I like … , but I don’t like …) würde zu einer verbesserten Verfügbarkeit des Wortschatzes in kommuni‐ kativen Situationen führen und dem Aspekt use Rechnung tragen. Die lexi‐ kalische Bewusstheit der Schüler ließe sich dadurch erhöhen, dass die Leh‐ rerin in Einzelfällen bei den Schülern nachfragt, warum sie glauben, dass ein bestimmtes Wort häufiger wiederholt werden sollte als ein anderes Wort. Einschätzung der Experten • Asking every pupil how often a word should be repeated • Hang up word cards next to picture cards • Speak words in sentences such as “I see … / It’s a …” • Creating word families in order to show semantic relations and connections between words in the word field • Have students find personal definitions of words • Create opportunities for communication among learners. 3.5.5.4 Video „Drive me crazy“ (ISA III) 1. Ziele der Stunde Eigene Einschätzung Die Schüler üben einen kurzen Dialog ein, in dem sich ein Schüler für sein Zuspätkommen im Englischunterricht entschuldigt. Der Lehrer überprüft das Verstehen durch Übersetzungen in die Muttersprache und durch Richtig-/ Falsch-Aussagen. Die Stunde lässt sich dem strand fluency deve‐ lopment zuordnen, weil die Schüler den Dialog am Ende der Stunde flüssig und möglichst frei vortragen sollen. Die erste Phase der Stunde zielt auf das Verstehen des Dialogs (enjoying the material) durch die Schüler. An einer Stelle in der Stunde findet sich eine Episode von rich instruction, und zwar als der Lehrer die Aufmerksamkeit der Schüler auf die Wendung to drive s.o. crazy lenkt (decontextualisation). Einschätzung der Experten • Try to get learners to speak (first individually, then in pairs) get them to memorize the dialogue • The lesson is about oral fluency: focus on correct intonation and pronunciation and stress 153 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="154"?> • Teaching collocations and chunks • Wants to put familiar words in an authentic context (situational learning) • Teach the meaning of complete sentences 2. Was lernen die Schüler in dieser Stunde? Eigene Einschätzung Die Schüler arbeiten in dieser Stunde an ihrem mündlichen Sprachge‐ brauch und lernen, häufig gebrauchte Wendungen flüssig und fehlerfrei zu artikulieren. Wenn der Lehrer einzelne Wörter aus Sätzen des Dialogs vorgibt oder Sätze aus dem Dialog mit den Lippen formt, müssen die Lernenden zusammenhängende Wörter und Wendungen (chunks) aus dem Gedächtnis abrufen. Das lexis-grammar continuum spielt im Unter‐ richtsvideo eine zentrale Rolle. Im Video „Drive me crazy“ (ISA III) ver‐ sucht der Lehrer, die Bedeutung von drive in dem Satz This boy is driving me crazy zu erklären. Das Verb to drive nimmt hier die Bedeutung to goad or force into a specified attitude or state (Collins DEL 1991: 476) an. Die Kernbedeutung von to drive, die, wie der Lehrer erläutert, nah an dem deutschen Wort „treiben“ liegt, kommt in dieser Verwendung deutlicher zum Tragen als in der prototypischen Verwendung to drive a car. Der Junge löst in einer anderen Person (recipient) einen emotionalen Zustand aus (result: state of being crazy). In Anlehnung an Goldberg (zit. n. Evans 2009: 39) lässt sich die Konstruktion wie folgt beschreiben: X causes Y to become Z. Danach steht X für das Verhalten des Jungen, welches den Lehrer (Y) „in den Wahnsinn treibt“ (Z). Einschätzung der Experten • Understand meanings of chunks and sentences in a meaningful context • Learning chunks by heart, no long-term memory effects, just short-term memory • Learning a good deal about pronunciation [sic] • Learners will not be able to use the words and chunks in another situation (2 experts) vs. memorization of the dialogue can be the starting point for further transfer (1 expert) 154 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="155"?> 3. Kommunikation und Interaktion Eigene Einschätzung Der Lehrer unterstützt die Schüler darin, den Dialog abschnittsweise aus‐ wendig zu lernen und einzelne Dialogteile richtig wiederzugeben. Hierzu lässt der Lehrer die Schüler die Sätze still nachsprechen (zur Rolle der Imitation beim Nachsprechen vgl. Sambanis 2007: 186 f.), er bildet Richtig-/ Falsch-Aussagen, fragt sie nach ihrem Lieblingssatz und dem schwersten Satz. Er fordert die Schüler auf, den Rest des Satzes auf ein Stichwort hin zu sagen. Anschließend haben die Schüler Gelegenheit, den Dialog drei Minuten lang mit einem Partner einzuüben. Der häufig auf‐ tretende Fehler *I’m overslept, der vermutlich auf eine Übergeneralisie‐ rung zurückzuführen ist, wird erst in der Präsentationsphase und nur bei einem offenbar lernschwachen Schüler vor der versammelten Klasse kor‐ rigiert. Der Lehrer fordert die Klasse auf, diesen Satz mehrere Male nach‐ zusprechen, verzichtet aber auf metasprachliche Erläuterungen. Einschätzung der Experten • Use of the L1 is a means of supporting learners’ understanding of the dialogue. • No benefits, “language learning and teaching like in the last cen‐ tury” • Cartoon does not reach the mind of the pupils. 4. Alternativen Eigene Einschätzung Die Stunde ist im Hinblick auf die Realisierung des „Standbeins“ fluency development (vgl. Nation 2007) kohärent aufgebaut. Alternativen zur Ver‐ besserung lexikalischer Lernprozesse sind denkbar für die Situation, in der der Lehrer in einem Kurzvortrag versucht, den Unterschied zwischen drive me crazy und drive a car deutlich zu machen, und dabei außerdem auf die lautliche und sprachgeschichtliche Nähe zwischen dem deutschen „treiben“ und dem englischen to drive einzugehen versucht. Es ist fraglich, ob die Schüler diese übertragene Bedeutung von drive verstanden haben. Um die lexikalische Bewusstheit bei den Schülern zu erhöhen, wäre in dieser Phase eine stärkere Einbeziehung der Schüler in die Analyse er‐ forderlich. Einschätzung der Experten • Drive me crazy: T didn’t focus on this collocation; here a focus on lexis could be enhanced. • Whispering or speaking the sentences in a lower voice (Sprachbad) 155 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="156"?> • Focus on the pronunciation of individual words (interesting) and contrasting pronunciation with German (although not a major aim of the lesson) • Step-by-step procedure without differentiation and addressing dif‐ ferent learning styles • Use the cartoon to write a personalized dialogue in a lesson to come. • More praise for pupils • Give learners the dialogue in a written form 3.5.5.5 Video “Perfect Job” (ISA IV) Zu Beginn der Stunde sollen Einzelwörter aus dem Wortfeld jobs pantomimisch dargestellt werden. Anschließend sollen die Schüler die Berufe von verschie‐ denen Personen, die auf einer Lehrwerksseite abgebildet sind, erraten bzw. be‐ schreiben. Im weiteren Verlauf der Stunde lesen die Schüler die dazugehörigen Texte und finden die neuen Wörter teilweise heraus. 1. Ziele der Stunde Eigene Einschätzung Der Lehrer ermutigt die Schüler in dieser Stunde sehr stark, Bilder zu be‐ schreiben und dabei an die Grenzen ihrer sprachlichen Möglichkeiten zu gehen (pushed output), so dass sich die Stunde in ihrer Zielrichtung dem „Standbein“ meaning-focused output zuordnen lässt. Obwohl es für explizite Wortschatzvermittlung Anlässe gäbe (7: 49), verschiebt der Lehrer die Seman‐ tisierung (zoo keeper) oder Erläuterung von Wörtern (window dresser) in spä‐ tere Phasen des Unterrichts. Einschätzung der Experten • Teacher does not teach any new lexis. • Repeat known words and brush up knowledge about job terms • Re-activate words and phrases by means of pictures • Test pre-knowledge about jobs in the introductory phase • To learn some words for jobs (but teacher did not teach any lexis) • The teacher tries to use pictures in the textbook as impulses for their mental lexicons [sic]. • He separates phonetic features of the lexical items completely from their spellings to focus the learners’ attention. 156 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="157"?> 2. Was lernen die Schüler in dieser Stunde? Eigene Einschätzung Um die pantomimisch dargestellten Berufe und die Berufe auf den Fotos im Lehrwerk zu erraten, müssten die Schüler Wörter aus dem Wortfeld jobs abrufen (productive retrieval, recall). Diejenigen Schüler, die den Beruf pan‐ tomimisch darstellen, müssen die Bedeutung des Wortes auf der Karte (z. B. bank clerk) wiedererkennen (receptive retrieval). Die Schüler rufen be‐ kannten Wortschatz auf, um die Bilder zu beschreiben. Sie können teil‐ weise Berufe mit eigenen Worten beschreiben und hierzu verwandte Be‐ rufe (z. B. fashion designer) heranziehen. Der Lernertrag im Hinblick auf die Erweiterung des Wortschatzes ist gering, weil der Lehrer trotz der Nach‐ frage eines Schülers und der offensichtlichen Unkenntis einzelner Wörter die Semantisierung unbekannter Wörter für eine spätere Phase des Unter‐ richts in Aussicht stellt. Einschätzung der Experten • Students use words while describing pictures. • Pupils do not understand much lexis. • Pupils did not use the new words in meaningful contexts. • The output in terms of learning can be rated as quite low as there is very little interaction in and usage of the foreign language. • A use of words can be stated insofar as job names are activated by trig‐ gering the concept involved. • The students try to describe what they see the persons doing (without the teacher offering them this kind of help). 3. Kommunikation Eigene Einschätzung Vor allem in der zweiten Phase der Stunde wirkt das kommunikative Ver‐ halten des Lehrers unschlüssig und wenig förderlich für lexikalisches Lernen. Worterklärungen, Korrekturen oder Einhilfen werden nicht ge‐ geben, obwohl sie von einzelnen Lernenden explizit eingefordert werden (7: 39). Das Unterrichtsgespräch ist überwiegend inhaltsbezogen (9: 24); sprachliche Aspekte werden kaum thematisiert (z. B. Wortbildungsregu‐ laritäten robot - robotics, semantische Unterschiede zwischen chef und cook). Die Korrektur der Aussprachefehler / vɔˈlɔnʧɪə/ und / klɜrk/ unter‐ bleibt. Obwohl die Schüler verwandte Berufe einbringen (shop assistant, fashion designer), nutzt der Lehrer diese Beiträge weder dazu, das neue Wort window dresser zu semantisieren noch Ähnlichkeiten und Diffe‐ renzen zwischen den Berufen durch negotiation of meaning herauszuar‐ beiten. 157 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="158"?> Einschätzung der Experten • No support through communication • No communication among students • Communication is initiated by the teacher himself only; there is no in‐ teraction. • The teacher is acting as a model of pronunciation; his share of speaking is dominating. 4. Alternativen Eigene Einschätzung Veränderungen in der Stunde zur Optimierung des lexikalischen Lernens sollten vor allem beim Aushandeln von Bedeutungen und der expliziten Se‐ mantisierung von neuem Wortschatz ansetzen. Bei der Antwort „she cooks“ wäre eine Nachfrage nach dem Beruf als Nomen erforderlich. Auch eine Er‐ läuterung des Unterschieds von chef und cook wäre hier zu thematisieren. Die Schüler liefern mehrere Antworten, um das Bild mit der Schaufensterdeko‐ rateurin zu beschreiben. Der Lehrer könnte die Antworten aufgreifen und z. B. bei fashion designer nachfragen, was die Tätigkeit in diesem Beruf umfasst. Überhaupt eignet sich der Beruf window dresser gut, um in einem kurzen kommunikativen Intermezzo die morphologische Struktur des Kompositums zu besprechen. Für die Bildbetrachtung sollte der Lehrer weniger Zeit geben, um zu verhindern, dass die Lernenden beginnen, den Text zu lesen. Einschätzung der Experten • Drop the pantomime at the beginning of the lesson, which is not ade‐ quate for year 9 learners. • Asking learners to write down jobs they know, then pair, share and rank. • More pictures in combination with a listening comprehension task in the 2nd sequence. • Start the lesson with a brainstorming/ cluster (jobs) • Add other categories (e.g. working hours, activities) in order to elicit more vocabulary and as a preparation for describing the pictures in pair work. • Scaffolding for guessing jobs from pictures (I think she might/ could be a … because …) • Time limit for skimming task • The concepts activated and the related word realizations have to be stressed by repetition and usage in a meaningful context to be enforced and consolidated right from the start for advanced learners. • Offer students help if they cannot name the job presented at once such as: “Maybe you can start by just describing what you see the person doing or wearing …” to induce paraphrasing for definition or using mea‐ ningful relative clauses. 158 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="159"?> • Visualization of the identified words on the board is absolutely necessary. • Job names can be provided by snippets to choose from for each pair. • The text in the book could possibly be used as source of information to learn more about the jobs under discussion. • The teacher could also point at rules of word-formation or word families respectively (e. g. keep - keeper). Zwischenfazit Die für ISA I, II und III verwendeten Unterrichtsvideos können als Good prac‐ tice-Beispiele gelten. Der im Video „Perfect Job“ gezeigte Unterricht (Basis für ISA IV) hat sowohl in der Unterrichtsführung als auch bei den gestellten Lern‐ aufgaben Verbesserungspotenzial. Die Expertengruppe hat für dieses Video die höchste Zahl an Verbesserungsvorschlägen entwickelt. Da von einer Entwick‐ lung der Fähigkeit zur professionellen Unterrichtswahrnehmung bei den Teil‐ nehmern im Laufe des Seminars ausgegangen wird, wird dieses Unterrichts‐ video an das Ende des Seminars gestellt. Im Ergebnis zeigt das Expertenrating, dass die Qualität des Unterrichts im Video „Money“ (ISA Prä-Post) allenfalls auf einem mittleren Niveau liegt. Die aktiv tätigen Fachleiter gaben der Stunde die Note „befriedigend plus“: Die Stunde habe Potenzial, sei jedoch kein Best prac‐ tice-Unterricht. Kritik entzündete sich am Verhalten des Lehrers, der das Un‐ terrichtsgeschehen dominiere und in der Stunde zu stark steuernd aktiv sei. Meine eigene Kritik an der Stunde, dass der an der Tafel gesammelte Wortschatz nicht als Redeanlass genutzt wird, wurde von der Expertengruppe nicht geteilt. Man erkennt jedoch an den Äußerungen der Lerner, dass sie sich schwer damit tun, weitere Assoziationen und Situationen zu versprachlichen. Das Unter‐ richtsvideo „Money“ wurde für den Prä-Post-Vergleich in der Erwartung ausge‐ wählt, dass am Ende des Seminars mehr Optionen für die Verbesserung des Unterrichts von den Studierenden aufgezeigt werden als in der Prä-Analyse. 3.5.6 Design eines Prä-Post-Vergleichs Um die dritte Forschungsfrage (vgl. 1.2) nach der Entwicklung der professio‐ nellen Unterrichtswahrnehmung im Kontext des Seminars zu beantworten, fer‐ tigen die Studierenden jeweils zu Beginn und am Ende des Seminars eine indi‐ viduelle, schriftliche Analyse zu dem gleichen Video an (ISA Prä/ Post, vgl. Tabelle 23). Auf diese Weise ist es möglich zu vergleichen, wie Probanden ein‐ zelne Situationen aus einem spezifischen Unterrichtsvideo zu Beginn und am Ende des Seminars wahrnehmen. Denkbar ist, dass eine bestimmte Situation (z. B. die Semantisierung von to afford) in der Prä-Erhebung unbeachtet bleibt, 159 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="160"?> während sie in der Post-Erhebung selektiert wird. Wenn identische Situationen im Prä-Post-Vergleich ausgewählt werden, kann die Art der wissensbasierten Verarbeitung (vgl. Tabelle 30) in der Prä-Erhebung mit derjenigen in der Post-Er‐ hebung verglichen werden. Erinnerungseffekte können weitgehend ausge‐ schlossen werden, da zwischen der Prä- und der Post-Erhebung 11 Wochen liegen. Zwischen der ersten Sitzung und dem Beginn der Videoanalysen liegen sechs Wochen für die Theorievermittlung. Die Phase der Videoanalysen er‐ streckt sich über weitere fünf Wochen. Die Prä-Erhebung findet in der ersten Sitzung statt (vgl. 3.5.2), also zu einem Zeitpunkt, an dem die Studierenden noch keine Kenntnis der fachdidaktischen Konzepte zum lexikalischen Lernen haben. Die Subjektperspektive auf lexikali‐ sches Lernen wird mit Hilfe eines Fragebogens vorab erhoben (vgl. Appendix A und Tabelle 20), so dass die Entwicklung der Unterrichtswahrnehmung und die subjek‐ tive Perspektive auf lexikalisches Lernen miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Die Post-Erhebung findet in der letzten Sitzung des Seminars unter kon‐ trollierten Bedingungen statt. Alle Probanden erstellen ihre schriftliche Analyse des Unterrichtsvideos in einem Computerraum in einem Zeitrahmen von 90 Minuten. Unterlagen aus dem Seminar dürfen nicht benutzt werden. 3.5.7 Design der Reflexionsgespräche (video clubs) Nachdem die Studierenden die schriftlichen Analysen zu den jeweiligen Unter‐ richtsvideos in häuslicher Vorbereitung angefertigt haben, wird das gleiche Un‐ terrichtsvideo in der folgenden Seminarsitzung besprochen und einzelne Situ‐ ationen und darauf bezogene Einschätzungen in der Gruppe analysiert (vgl. Abbildung 7). Die Reflexionsgespräche sind daher auch eine Gelegenheit für Studierende, ihr Verständnis fachdidaktischer Konzepte zu überprüfen und Feedback zu erhalten. In Anlehnung an die video clubs der US-amerikanischen Lehrerbildungsfor‐ schung haben die Reflexionsgespräche die Funktion, Lehrpersonen zu helfen, ihre Aufmerksamkeit auf Schlüsselszenen des Unterrichts zu richten und diese im Hinblick auf Lehr-Lerneffekte zu interpretieren (van Es & Sherin 2009: 2). Um „diskontinuierliche Diskussionen“ (Wipperfürth 2015: 189) zu vermeiden und eine strategische Aufmerksamkeitslenkung mit nachfolgender wissensbasierter Inter‐ pretation zu fördern, erscheint es geboten, die Reflexionsgespräche zu struktu‐ rieren. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Santagata & Guarino (2011) sinnvoll, die zu dem Schluss gelangen, dass vor allem ange‐ hende Lehrpersonen auf ein Scaffolding bei der Unterrichtsanalyse angewiesen sind (Santagata & Guarino 2011: 144). Das in mehreren Studien evaluierte Lesson 160 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="161"?> Analysis Framework (Santagata, Zannoni & Stigler 2007; Santagata & Angelici 2010) stellt einen Rahmen bereit, der sich für die Strukturierung von Beobach‐ tungsgesprächen als brauchbar erwiesen hat. Angehende Mathematiklehrper‐ sonen haben sich in vier verschiedenen Dimensionen erheblich verbessert: Fokus auf das Lernen, fachspezifische Kommentare, Entwicklung von Alternativen und das Maß an Elaboriertheit der Analysen (Santagata & Guarino 2011: 136). Specifically, the Lesson Analysis Framework was found to assist PSTs [pre-service teachers, RG] in learning to reflect on teaching in more productive ways. Their com‐ ments became more integrated and they learned to use evidence from the video to support their evaluations of teaching. […] In addition, Lesson Analysis Framework participants’ reflections on teaching tended to prompt them to consider more alter‐ native instructional strategies. (Santagata & Guarino 2011: 135) Auf der Basis dieser Befunde und der eigenen positiven Erfahrungen mit video‐ gestützten Reflexionsgesprächen aus der Pilotierung ergeben sich aus den ein‐ zelnen Designelementen die folgenden Zielsetzungen für die Strukturierung der Reflexionsgespräche: Designelemente Ziel Gemeinsames Anschauen des Unter‐ richtsvideos Auffrischen der Erinnerung an das Unterrichtsgeschehen Auswahl von bedeutsamen Situati‐ onen aus dem Video durch die Pro‐ banden nach dem erneuten Betrachten des Unterrichtsvideos Studierendengesteuerte Selektion von bedeutsamen Situationen; ggf. Rückfragen zu den Gründen Erneutes Betrachten von Aus‐ schnitten; Detailanalyse und Diskus‐ sion dieser Situationen im Plenum Spiegelung von Situation an fremd‐ sprachendidaktischen oder pädago‐ gischen Prinzipien; Abgleich unter‐ schiedlicher Sichtweisen Aufrufen und Klären von Fachkon‐ zepten für die Einordnung des Unter‐ richts und der Lehr-Lernprozesse Einfordern von Begründungen und Rekurs auf theoretische Definitionen der Fachkonzepte (Stärkung und Si‐ cherung des konzeptuellen Verständ‐ nisses fachdidaktischer Konzepte) Aufforderung zum Entwickeln von Al‐ ternativen und zur Identifikation fach‐ didaktischer Notwendigkeiten in kon‐ kreten Situationen Diskussion der Alternativen und Analyse der fachdidaktischen Not‐ wendigkeiten; holistische Einschät‐ zungen zur Qualität des Unterrichts Tabelle 27: Struktur und Funktion der video clubs in der eigenen Untersuchung 161 3.5 Zum Untersuchungsdesign der Hauptstudie <?page no="162"?> 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung In der vorliegenden Untersuchung werden die folgenden Erhebungsformen miteinander kombiniert: • Halb-offener Fragenbogen zur Erhebung der Subjektperspektive (vgl. 3.5.1) • Individuelle schriftliche Analysen (ISAs) von Unterrichtsvideos (vgl. 3.5.2) • Exemplarische Auswertung eines leitfadengestützten Reflexionsge‐ sprächs (vgl. 5.3.1) Im folgenden Kapitel werden die methodischen Entscheidungen bezüglich der Datenauswertung für die individuellen schriftlichen Analysen erläutert. Die methodischen Entscheidungen zur Datenauswertung sind von den Forschungs‐ fragen motiviert. Ziel ist es, anhand des empirischen Datenmaterials zu Aus‐ sagen über die fachbezogene Unterrichtswahrnehmung zu gelangen: Was nehmen die Studierenden wahr? Wie verarbeiten sie bestimmte Szenen aus den Unterrichtsvideos? Wie entwickelt sich Unterrichtswahrnehmung im Laufe des Seminars? Die individuellen schriftlichen Analysen - ein durch die Beobach‐ tungsprompts (vgl. Tabelle 17) gering strukturiertes, schriftlich vorliegendes Datenmaterial - müssen so reduziert, geordnet und verdichtet werden, dass am Ende Aussagen über die Struktur und die Inhalte einer fachbezogenen, domä‐ nenspezifischen Unterrichtswahrnehmung gemacht werden können. Vor dem Hintergrund der Forschungsfragen (vgl. 1.2) und der Entschei‐ dungen bezüglich des Forschungsdesigns (vgl. 3.1) ist die Wahl der Auswer‐ tungsmethode insgesamt einem qualitativ-explorativen Forschungsansatz ver‐ pflichtet. Zu den Merkmalen qualitativer Forschung gehören nach Flick et al. (2002: 24) die Kombination von mehreren Methoden sowie die Reflexivität des Forschers. Qualitative Forschungsmethoden greifen „auf eine überschaubare Anzahl von Untersuchungseinheiten zurück, die sehr detailliert erfasst und be‐ schrieben werden. An die Stelle der quantitativen Darstellung der erhobenen Fälle tritt im qualitativen Ansatz eine verbalisierte Betrachtung der Beobach‐ tungen“ (Ebster & Stalzer 2013: 141). Klassifizierungen der Analyse von einzelnen Situationen aus dem Unter‐ richtsvideo hinsichtlich der fachlichen Durchdringung, der Nutzung von Fach‐ konzepten und der argumentativen Stringenz sind erklärte Ziele der Untersu‐ chung. Die vorgenommenen Klassifizierungen der Probanden werden in den Texten der Studierenden identifiziert und in ihrer Schlüssigkeit und Rückbin‐ dung an konkrete Situationen aus dem Unterrichtsvideo eingeschätzt. Zu diesem Zweck werden Einschätzdimensionen formuliert. Weitere Kategorien für die Strukturierung des Datenmaterials werden aus den vorliegenden bildungswis‐ 162 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="163"?> senschaftlichen Untersuchungen (vgl. 2.1.1) und den dort verwendeten Dimen‐ sionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung gewonnen. 3.6.1 Grundlegende Entscheidungen zur Durchführung einer qualitativen Inhaltsanalyse Bevor die Entscheidung für eine qualitative Inhaltsanalyse für die Datenaus‐ wertung der vorliegenden Untersuchung begründet und anschließend die kon‐ krete Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Kategoriensystems erläutert wird, soll im folgenden Abschnitt zunächst allgemein das Anwendungs‐ spektrum von qualitativen Inhaltsanalysen umrissen werden. Die qualitative Inhaltsanalyse (QIA) nach Mayring (2010: 22 ff.) ist ein streng regel- und theo‐ riegeleitetes Verfahren. Die forschungsmethodologische Stärke der Inhaltsana‐ lyse liegt darin, „dass die Analyse in einzelne Interpretationsschritte zerlegt wird, die vorher festgelegt werden“ (Mayring 2010: 59). Die Inhaltsanalyse wird durch klar definierte Ablaufpläne (vgl. Kuckartz 2012: 99) methodisch kontrol‐ liert und damit intersubjektiv nachvollziehbar. Ein Ziel qualitativer Analysen ist es, mit Hilfe von detaillierten Analysen Ordnung in das Datenmaterial zu bringen. Die Entscheidung für eine bestimmte Technik qualitativer Inhaltsana‐ lyse ist im Wesentlichen durch die Richtung der Analyse und die Forschungs‐ fragen bestimmt. Die vorliegenden Texte sollen „nach bestimmten, empirisch und theoretisch sinnvoll erscheinenden Ordnungsgesichtspunkten“ strukturiert werden, so dass am Ende eine „strukturierte Beschreibung des erhobenen Ma‐ terials“ steht (Mayring 2010: 24). Die Strukturierung kann nach inhaltlichen (z. B. Semantisierungstechniken) oder nach formalen Kriterien erfolgen (z. B. Klas‐ sifizieren, Vorhersagen). In beiden Fällen können die über die kleinflächigen Kategorien gewonnen Teilergebnissen in Richtung der Forschungsfragen inter‐ pretiert und weiter analysiert werden. In dieser Mehrfachfallstudie ist die individuelle Unterrichtswahrnehmung spezifischer Situationen lexikalischen Lernens einzelner Probanden von Inte‐ resse. Ein Aufgabenfeld von qualitativen Analysen sind sogenannte Klein-N-Studien oder Einzelfallstudien (Mayring 2010: 23). Mit Hilfe der In‐ haltsanalyse sollen die „für den jeweiligen Gegenstand relevanten Einzelfak‐ toren“ und „mögliche Zusammenhänge dieser Faktoren“ aufgedeckt werden (Mayring 2010: 22). Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, im Detail nach‐ zuzeichnen, wie konkrete Situationen lexikalischen Lernens aus den Unter‐ richtsvideos verarbeitet werden. Die Fähigkeit zur professionellen Unterrichts‐ wahrnehmung spiegelt sich in den schriftlichen Analysen der Studierenden wider und soll mit Hilfe inhaltsanalytischer Techniken herausgearbeitet 163 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="164"?> werden. Hierzu werden die allgemeinen Dimensionen der Unterrichtswahrneh‐ mung genutzt (vgl. 2.1.3). Es wird sich zeigen, ob diese allgemeinen Dimensionen auch im Kontext der fachbezogenen Unterrichtswahrnehmung nachweisbar sind und ob weitere Dimensionen induktiv hinzugenommen werden müssen. 3.6.1.1 Richtung der Analyse Bei der qualitativen Inhaltsanalyse sind die Entstehungssituation und die Kom‐ munikationssituation der zu analysierenden Texte zu berücksichtigen (Mayring 2010: 48). Die fragegeleitete Analyse eines Unterrichtsvideos führt zu einem durch vier Fragen gegliederten Text, der primär an den Lehrenden des Kurses adressiert ist. Der Adressat ist zwar in Kenntnis des Videos, wird den Text jedoch rezipieren, ohne das Video zeitgleich zu betrachten. Aus diesem Grund könnten sich Unterschiede in der Detailliertheit des Rückbezugs zum Video ergeben, wenn Probanden davon ausgehen, dass der Empfänger des Textes das Video kennt, und sie daher darauf verzichten, konkrete Situationen aus dem Video im Detail zu beschreiben. Die Entstehungssituation der individuellen schriftlichen Analysen (ISA) ist außerdem dadurch gekennzeichnet, dass die Probanden un‐ terschiedlich viel Zeit auf die Erstellung der ISAs verwenden, was zu unter‐ schiedlichen Textlängen führt. Lediglich in der Prä- und der Post-Erhebung wird die Bearbeitungszeit kontrolliert: Es stehen jeweils 90 Minuten zur Verfügung. Das sprachliche Material lässt sich - je nach Fragestellung und theoretischem Hintergrund des Forschers - in ganz unterschiedliche Richtungen untersuchen. Eine grundsätzliche Entscheidung für die konkrete Wahl der Technik und die Kategorienbildung betrifft die Richtung der Analyse (Mayring 2010: 58f.). Diese wird durch die Forschungsfragen und den Forschungsgegenstand bestimmt: Worüber soll etwas ausgesagt werden? In der vorliegenden Studie sollen mit Hilfe der QIA Aussagen getroffen werden über: • Die Unterrichtswahrnehmung angehender Lehrpersonen in Bezug auf Situationen lexikalischen Lehrens und Lernens: Wie ist sie strukturiert? Welche Muster sind erkennbar? Wie unterscheiden sich diese Muster über die verschiedenen Videos hinweg? • Die Fähigkeit der Probanden, Unterricht bzw. lexikalische Lehr-Lernsi‐ tuationen professionell wahrzunehmen: Was ist typisch an der Wahr‐ nehmung dieser Situation durch diese Person? Lassen sich wiederkeh‐ rende Muster erkennen? Wie gut ist die Person in der Lage, fachdidaktisches Wissen zur Anwendung zu bringen? • Die wissensbasierte Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsvideo: In‐ wieweit werden Situationen beschrieben, erklärt oder bewertet? 164 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="165"?> 3.6.1.2 Einheiten der Analyse Nachdem die Richtung der Analyse geklärt ist, müssen in einem nächsten Schritt die Einheiten der Analyse festgelegt werden. Vor dem Hintergrund der Entste‐ hungssituation der Daten und der Richtung der Analyse ergeben sich Einheiten der Analyse mit unterschiedlicher Größe und Funktionalität. Die folgende Ta‐ belle gibt einen Überblick über die Einheiten der Analyse und ihre Realisierung in der vorliegenden Untersuchung. Einheit der Analyse Definition Konkretisierung in der eigenen Untersuchung Kontexteinheit Größte Einheit, die hin‐ zugezogen werden darf, um eine Kodiereinheit richtig zu kategorisieren Das Unterrichtsvideo; die eigene Einschätzung und die Experten‐ einschätzung des Unterrichtsvi‐ deos Auswahleinheit (sampling unit) Grundeinheiten einer In‐ haltsanalyse: Was ist ein‐ geschlossen in die Unter‐ suchung? Alle vollständig vorliegenden, in‐ dividuellen schriftlichen Analysen (ISA) eines Probanden zu allen Un‐ terrichtsvideos (ISA Prä, ISA I-IV, ISA Post) Analyseeinheit Was wird in die inhalts‐ analytische Auswertung eingeschlossen? Alle Antworten auf die Beobach‐ tungsprompts innerhalb einer ISA eines Kandidaten Kodiereinheit Textstelle, die mit einer Kategorie verbunden ist; Fundstelle, die unter eine Kategorie fällt und die Codevergabe auslöst Abgrenzbare Situationen aus dem Unterrichtsvideo (z. B. Lehrer-Schüler-Interaktionen; Übungen; Schülerpräsentationen oder -beiträge in Reaktion auf eine Aufgabe oder einen Impuls) Tabelle 28: Einheiten der Analyse nach Kuckartz (2012: 46-48) 3.6.1.3 Techniken qualitativer Inhaltsanalyse Mit Mayring (2010: 65) lassen sich drei Grundformen des Interpretierens von Verbaldaten unterscheiden, welche für die qualitative Inhaltsanalyse typisch sind: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung. In der Gegenüber‐ stellung in Tabelle 29 erkennt man, dass die vier Subtypen einer strukturier‐ enden Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) bei Kuckartz (2012) in drei Techniken zusammengefasst werden. Um die Entscheidungen auf dem eigenen forschungs‐ methodologischen Weg hin zur evaluativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2012) 165 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="166"?> nachvollziehbar zu machen, werden im folgenden Abschnitt die verschiedenen Arten der strukturierenden Analyse nach Mayring (2010) erläutert, bevor dann im weiteren Verlauf die Entscheidung für die in dieser Untersuchung verwen‐ dete Begrifflichkeit von Kuckartz (2012) begründet wird. Mayring (2010) Kuckartz (2012) Zusammenfassung und induktive Kategorienbildung Explikation (Kontextanalyse) Strukturierung Inhaltlich strukturierende Inhaltsana‐ lyse • Formal • Inhaltlich • Typisierend Typenbildende Inhaltsanalyse • Skalierend Evaluative Inhaltsanalyse Tabelle 29: Techniken der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) und Kuckartz (2012) Wenn man mit Verbaldaten arbeitet, dann ist das vordringliche Ziel, das vorhan‐ dene Textmaterial zu reduzieren. Dies kann durch eine Zusammenfassung mit Hilfe induktiv gebildeter Kategorien erfolgen (s. o.). Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Zusammenfassung der schriftlichen Analysen kompatibel ist mit den Fra‐ genstellungen der Untersuchung, wenn bei einer Reduktion des Textes zwangs‐ läufig bestimmte Details ausgelassen werden. Die Frage, wie allgemein oder de‐ tailreich die Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgeschehen im jeweiligen Unterrichtsvideo ist, liegt jedoch im Zentrum der Fragestellungen dieser Unter‐ suchung (vgl. Forschungsfrage 1 in Kap. 1.2), weil die professionelle Unterrichts‐ wahrnehmung die Fähigkeit zur Selektion im Sinne des noticing beinhaltet. In dieser Untersuchung werden die Techniken der Explikation und Struktu‐ rierung angewandt. Eine Explikation von Textstellen mit Hilfe des Unterrichts‐ videos ist bei denjenigen Textstellen erforderlich, die sich nicht eindeutig auf konkrete Situationen aus dem Unterrichtsvideo beziehen lassen und deren Ko‐ dierung einen Rückbezug auf das Video erfordert (siehe unten 3.6.4.1). Bei der strukturierenden Inhaltsanalyse soll hingegen unter vorher festgelegten Ord‐ nungskriterien ein Querschnitt durch das Material gelegt werden und das Ma‐ 166 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="167"?> terial aufgrund bestimmter Kriterien eingeschätzt werden (Mayring 2010: 65). Eine inhaltliche Strukturierung zielt darauf ab, bestimmte Themen und Inhalte aus dem Material herauszufiltern. Die Entscheidung darüber, nach welchen Themen strukturiert werden soll, ist abhängig vom jeweiligen theoretischen Vorverständnis. Im konkreten Fall könnten fachdidaktische Konzepte aus der Beschreibungsmatrix „Lexikalisches Lernen ermöglichen“ für eine Strukturie‐ rung des Materials unter inhaltlichen Gesichtspunkten genutzt werden. Mit dieser Technik ließe sich das Ausmaß der Nutzung von Fachkonzepten quanti‐ tativ bestimmen. Für die Frage nach der Entwicklung der professionellen Un‐ terrichtswahrnehmung (vgl. Forschungsfrage 3) ist ein solcher quantitativer Zugriff sinnvoll. Eine formale Strukturierung des Materials nach den Dimensionen der Unter‐ richtswahrnehmung würde der zweiten Forschungsfrage jedoch einen quantita‐ tiven Fokus verleihen: Wie häufig werden bestimmte Fachkonzepte in den Ana‐ lysen genannt? Ein quantitativer Fokus alleine würde lediglich die Selektion von Situationen lexikalischen Lernens und die Nennung von Fachkonzepten er‐ fassen. Der erste Durchgang durch das Material macht deutlich, dass neben der quantitiatven Erfassung von Fachkonzepten eine Ergänzung um eine qualitative Perspektive erforderlich ist. Van Es & Sherin (2009: 8) vergeben einzelne Codes für die Aspekte stance (Beschreiben, Erklären, Vorhersagen), specificity (Detailbezug) und evidence (argumentativer Rückbezug auf das Video). Auch diese Kodierung käme einem kleinteiligen Analyseverfahren gleich und würde die Texte der Stu‐ dierenden stark zergliedern. Um zu kohärenten Aussagen zur Entwicklung der Unterrichtswahrnehmung zu gelangen, müssten diese Codes wieder in einen „Merkmalsraum“ (Kuckartz 2012: 118) zusammengeführt werden. Am Ende der initiierenden Textarbeit zeigt sich, dass die Probanden manche Konzepte (z. B. strands of language teaching) fälschlich zur jeweiligen Stunde zu‐ ordnen oder die Klassifizierung einer Situation mit einem Fachkonzept nur sehr allgemein oder überhaupt nicht begründen. Eine formale Strukturierung mit re‐ lativ „kleinflächigen“ Kategorien vermag diese Phänomene nicht zu erfassen. „Vom Standpunkt hermeneutischer Interpretation her lässt es sich kaum recht‐ fertigen, als Kontext nicht den gesamten Text, sondern nur Äußerungen in der Nähe der zu bewertenden Textstelle zu berücksichtigen“ (Kuckartz 2012: 114). Wie müssten „großflächigere“ Kategorien beschaffen sein, welche die wis‐ sensbasierte Verarbeitung von Unterricht als zentrale Dimension der Unter‐ richtwahrnehmung erfassen können? Mit welcher Technik qualitativer Inhalts‐ analysen lässt sich erfassen, inwiefern die Probanden konkrete Situationen des Unterrichtsvideos auf Fachkonzepte beziehen und argumentativ mit den Fach‐ konzepten umgehen? 167 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="168"?> In der vorliegenden Untersuchung wird die Entscheidung gegen ein klein‐ teiliges, inhaltlich strukturierendes Kodieren und für eine großflächigere, eva‐ luative bzw. skalierende Inhaltsanalyse getroffen. Großflächige Kategorien bieten sich auch an, wenn man theoriebasiert arbeitet und wenn ein profundes, theoretisches Wissen über das zu untersuchende Problem verfügbar ist. Durch „großflächige“ Kategorien bleibt der Kommunikationszusammenhang der er‐ hobenen Verbaldaten (Kommunikation über eine selektierte Situation aus dem Unterrichtsvideo) erhalten. Die evaluative Inhaltsanalyse geht im Vergleich zur inhaltlich-strukturierenden In‐ haltsanalyse stärker hermeneutisch-interpretativ vor. Sie nimmt Bewertungen auf der Ebene des Falls (der Analyseeinheit) vor, d. h. sie ist eher ganzheitlich orientiert, weil hier nicht einzelne Textstellen bewertet werden, sondern in der Regel die Gesamtheit eines Falls. (Kuckartz 2012: 23) Der Rückbezug auf die Unterrichtssituation und die Dimension der Unterrichts‐ wahrnehmung lassen sich in die Kategoriendefinition über Ankerbeispiele und Abgrenzungsregeln einarbeiten (vgl. 3.6.3). Der erste Durchgang durch das Ma‐ terial ergab ferner, dass einzelne Probanden in den individuellen schriftlichen Analysen auch Wertungen vornehmen, welche durch die Beobachtungsprompts zwar nicht eingefordert, aber auch nicht ausgeschlossen sind. So fanden sich positive wie negative, fachdidaktisch und pädagogisch orientierte Bewertungen in den Texten einzelner Probanden. Aus diesem Grund wird das Kategorien‐ system um die induktiv gebildetete Kategorie „Bewertungen“ ergänzt (vgl. 3.6.3). Eine Zusammenfassung und Verdichtung von Textpassagen mit Hilfe von in‐ duktiv gebildeten Kategorien wird also für alle diejenigen Textpassagen vorge‐ nommen, die Bewertungen enthalten. Auf diese Weise sind Aussagen zu den individuellen Orientierungsrahmen der Probanden im Sinne eines breiten Ver‐ ständnisses einer Subjektperspektive möglich, die sich aus Glaubenssätzen, Überzeugungen und Annahmen zusammensetzt (vgl. Woods 1996). 3.6.2 Ablauf und Kategorienbildung bei der evaluativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2012) Ausgangspunkt für die Kategorienbildung der vorliegenden fachdidaktischen Untersuchung sind die in mehreren bildungswissenschaftlichen Studien vali‐ dierten Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung (Stürmer 2011; Jahn et al. 2014; Stürmer & Seidel 2015) als Ausgangspunkt für die Kate‐ gorienbildung. Die Entscheidung für deduktiv gebildete Kategorien ist au‐ ßerdem kompatibel mit der Theorieaffinität des Designexperiments und des 168 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="169"?> Fallstudiendesigns im Allgemeinen (vgl. 3.1). Eine überschaubare Zahl von Hauptkategorien (Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung), die von der PUW als Bezugstheorie abgeleitet sind (Berliner, 1991; Seidel & Prenzel, 2007; Sherin & van Es 2009; van Es 2009; Blomberg, Stürmer & Seidel 2011: 1134; Stürmer, Könings, Seidel 2012: 3; Stürmer, Seidel & Schäfer 2013), bildet den Ausgangspunkt der Kategorienbildung für die nachfolgende Inhaltsanalyse. Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung Beschreibung: Die Fähigkeit der Lehrperson, Unterrichtssituationen präzise zu beschreiben, zeigt an, wie sie in der Lage ist, relevante Situationen zu iden‐ tifizieren und von anderen Situationen zu differenzieren. Klassifizierung: Die Unterrichtssituation zu klassifizieren, verweist auf die Fähigkeit der Lehrperson, die beobachtete Situation wissensbasiert zu klassi‐ fizieren, und somit auf theoretisches Wissen, um lernwirksame Unterrichts‐ komponenten mit der Unterrichtspraxis zu verknüpfen. Vorhersagen: Die Fähigkeit der Lehrperson, Wirkungen einer bestimmten Unterrichtssituation auf die Lernprozesse und Lernergebnisse der Schüler zu antizipieren. Alternativen: Die Fähigkeit der Lehrperson, alternative Vorgehensweisen (Aufgaben, Lehrerhandlungen) für eine konkrete Unterrichtssituation zu ent‐ wickeln, die das Potenzial haben, das Lehr-Lerngeschehen zu optimieren. Tabelle 30: Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung Die Kategorie „abstrakte Beschreibung“ lässt sich von der wissensbasierten Klas‐ sifizierung mit einem Fachkonzept unterscheiden. Die abstrakte Beschreibung bündelt als Interpretation erster Ordnung Ereignisse und subsumiert sie unter Zielen. Die Zweckrationalität von Handlungen ist im Text häufig an der Verwen‐ dung von Konstruktionen mit in order to erkennbar. Für die Prä-Erhebung, welche vor dem Beginn der eigentlichen Intervention, dem fachdidaktischen Seminar, liegt, wird angenommen, dass sich in diesen Analysen überwiegend Beschrei‐ bungen finden und noch keine Fachkonzepte für eine Klassifizierung lexikali‐ scher Lern- und Vermittlungsprozesse verfügbar sind. Für die späteren Video‐ analysen (ISA I-IV) wird angenommen, dass die Zahl der Klassifizierungen mit Fachkonzepten aus dem Seminar ansteigt und diese mit zunehmender Präzision auf konkrete Situationen aus den Unterrichtsvideos bezogen werden. Während Mayring (2010: 83) die Notwendigkeit einer Entscheidung entweder für eine ausschließlich induktive oder ausschließlich deduktive Kategorienbil‐ dung betont, betrachtet Kuckartz (2012: 69) je nach Forschungsfrage und Projekt 169 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="170"?> eine deduktiv-induktive Kategorienbildung durchaus als akzeptable Mischform. Die deduktiven Kategorien „Klassifizieren“, „Beschreiben“, „Vorhersagen“ und „Alternativen“ (vgl. Tabelle 30) werden induktiv, am Datenmaterial, ausdiffe‐ renziert. Das heißt, es werden Einschätzdimensionen bzw. Niveaus für jede Di‐ mension der professionellen Unterrichtswahrnehmung definiert. Dieser Schritt ist für die Entwicklung einer Theorie zur professionellen Unterrichtswahrneh‐ mung in einer bislang nicht erforschten Domäne, dem lexikalischen Lernen, wichtig, weil „qualitativ entwickelte Konzepte und Typologien gleichermaßen empirisch begründet und theoretisch informiert sein müssen“ (Kelle & Kluge 2010: 23). Die Dimensionen der PUW als „abstrakte und empirisch wenig ge‐ haltvolle Konzepte“ sind „sensibilisierende Konzepte bzw. positive Heuristiken“, auf deren Grundlage sich „empirisch gehaltvolle, bereichsspezifische Aussagen“ (ebd.) treffen lassen. Die Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung fungieren dabei als „Achse der Kategorienbildung bzw. als theoretisches Skelett, zu dem das ‚Fleisch‘ empirisch gehaltvoller Beobachtungen hinzugefügt wird“ (ebd. 37). Die Datenauswertung lässt sich mit einem „Zangengriff “ (Kelle-& Kluge) ver‐ gleichen, „bei dem der Forscher oder die Forscherin sowohl von dem vorhan‐ denen theoretischen Vorwissen als auch von empirischem Datenmaterial aus‐ geht“ (ebd. 2010: 23). Ziel ist es, mit Hilfe des ausdifferenzierten evaluativen Kategoriensystems Entwicklungen der domänenspezifischen Unterrichtswahr‐ nehmung auf der Ebene des Einzelfalls aufzuzeigen. Wichtig bei einer solchen theoriegeleiteten Kodierung und Strukturierung des Mate‐ rials ist es also, dass theoretische Konzepte nicht zu großen empirischen Gehalt be‐ sitzen, das heißt dem Material nicht ‚aufgezwungen‘ werden, sondern zu den Daten passen, indem sie die dort enthaltenen Informationen auf eine theoretisch-konzeptu‐ elle Ebene heben. (Kelle & Kluge 2010: 71) Die deduktiv gebildeten Hauptkategorien (Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung) sind weder Fakten-Kategorien (vermeintlich objek‐ tive Gegebenheiten wie z. B. Situationen aus dem Unterrichtsvideo) noch in‐ haltliche Kategorien (z. B. Themen, Argumente). Die aus den Dimensionen der PUW deduktiv gewonnenen formalen Kategorien fungieren als eine Art „Such‐ raster“ für die Identitikation der entsprechenden Dimensionen in den Texten. „Im zweiten Schritt erfolgt dann induktiv die Bildung von Subkategorien, wobei nur das der jeweiligen Hauptkategorie zugeordnete Material herangezogen wird“ (Kuckartz 2012: 69). Aus den Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung werden evaluative Kategorien mit drei Ausprägungen gebildet. Diese Subka‐ tegorien werden induktiv anhand des Materials gebildet, welches den Haupt‐ 170 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="171"?> (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) • kategorien zugeordnet ist. Für die Bildung von Ausprägungen (im weiteren Verlauf wird hierfür der Begriff „Einschätzdimensionen“ benutzt) wird die folgende Schrittfolge einer evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse durch‐ laufen (Kuckartz 2012: 99): Initiierende Textarbeit mit 3 Fällen (Probanden) Festlegen der Bewertungskategorien Identifizieren und Codieren der für die Bewertungskategorie relevanten Textstellen Fundstellen der Bewertungskategorie fallbezogen zusammenstellen Ausprägungen der Bewertungskategorie formulieren und Fundstellen zu‐ ordnen, ggf. Veränderungen der Definitionen und Zahl der Ausprägungen Bewerten und Codieren des gesamten Materials Analyse und Ergebnisdarstellung I: Kategorienbasierte Auswertung Analyse und Ergebnisdarstellung II: Quantifizierende Übersichten und vertiefende Fallinterpretationen Bei der initiierenden Textarbeit (1) geht es um die intensive Befassung mit den Inhalten und dem sprachlichen Material des Textes. Welche Situationen aus dem Unterrichtsvideo werden selektiert? Wie werden die selektierten Situationen beschrieben, interpretiert oder bewertet? Welche Fachkonzepte werden für die Interpretation und Klassifizierung des Lerngeschehens genutzt? In diesem Schritt wird der Text zunächst tabellarisch untergliedert: Textabschnitte, die sich auf eine Situation aus dem Video beziehen, werden als Analyseeinheiten in einer Tabellenzelle optisch voneinander abgegrenzt. Schritt (3) wird mit drei Fällen durchgeführt. Im Zug dieses Kodierprozesses werden die Einschätzdimensionen formuliert und die Trennschärfe kontrolliert. Es werden passende Ankerbei‐ spiele aus den Fundstellen zusammengestellt, welche die Kategoriendefinition hinreichend deutlich illustrieren. Im Zuge der Entscheidungsfindung für eine Technik der Inhaltsanalyse und für die Kategorienbildung werden die For‐ schungsfragen weiter ausdifferenziert: Forschungsfrage 1: Was nehmen die Studierenden wahr? • Wie wurde die Situation aus dem Video von den Studierenden verarbeitet? Wurde sie beschrieben oder wissensbasiert klassifiziert und erklärt? • Welche Situationen aus dem Unterrichtsvideo wurden selektiert? • Inwieweit können die Probanden ihre Aufmerksamkeit auf Aspekte der Lehr-, Lern- oder Interaktionskultur der Stunde richten? • Wie wurde die Situation aus dem Video von den Studierenden verarbeitet? Wurde sie beschrieben oder wissensbasiert klassifiziert und erklärt? 171 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="172"?> • Forschungsfrage 2: • Wie viele fachdidaktische Kernkonzepte werden von Studierenden in eine Analyse eingebracht? • Wie ist das Verhältnis von korrekt angewendeten und falsch verwen‐ deten Fachkonzepten? • Für welche Situationen des Videos werden viele, für welche gar keine Fachkonzepte genutzt? Die Durcharbeitung des Materials führte zu der Einsicht, dass bestimmte Rich‐ tungen der Analyse aus anderen Untersuchungen nicht auf das eigene Daten‐ material und die eigenen Fragestellungen übertragbar sind. Bei Schwindt ist der „Fokus der Analyse“ eine Richtung der Auswertung. Der Fokussiertheitsgrad der Analyse umfasst also die Teilkompetenz, „Ereignisse im Hinblick auf gezielte Fragen aus dem Geschehen herauszufiltern und sie zu einer Beantwortung der Frage zusammenzuführen“ (Schwindt 2008: 113). Mit anderen Worten: Ist der Proband in der Lage, adäquate Antworten auf Fragen, d. h. die Beobachtungs‐ prompts, zu geben? Um aus dem komplexen Unterrichtsgeschehen relevante Ereignisse auswählen zu können, „ist eine zielgerichtete und fokussierte Wahr‐ nehmung der Unterrichtssituationen notwendig. Gezielten Fragen, vor deren Hintergrund das Geschehen betrachtet werden kann, kommt in diesem Zusam‐ menhang eine wichtige Rolle für die vertiefende Analyse zu“ (Schwindt 2008: 113). Schwindt kommt zu dem Ergebnis, dass 96,3 % aller Probanden „auf rele‐ vante Ergebnisse fokussieren und diese zu einer treffenden Beantwortung der Fragen zusammenführen“ (ebd. 152) können. F1: Der Text liefert eine zutreffende Antwort auf die Frage nach den Zielen der Stunde und des Lehrers mit konkretem Bezug auf eine oder mehrere Si‐ tuationen des Unterrichts, die ausführlich geschildert werden. F2: Der Text liefert eine teilweise zutreffende Antwort auf die Frage nach den Zielen der Stunde und des Lehrers. Der Bezug zur konkreten Situation ist gegeben, bleibt aber allgemein bzw. abstrakt. F3: Der Text lässt die Frage nach den Zielen der Stunde unbeantwortet. Tabelle 31: Kategorie „Fokussiertheit der Analyse“ (vgl. Schwindt 2008) Eine separate Kategorie „Fokussiertheit der Analyse“ würde zu Überlappungen zwischen den Kategorien führt. Die Lösung, die in der vorliegenden Untersu‐ chung gefunden wird, sieht folgendermaßen aus: Indem die Unterrichtssituation als Kodiereinheit definiert wird (vgl. Tabelle 28), wird der Fokussiertheitsgrad 172 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="173"?> bei der Codevergabe für jede Kategorie erfasst. Jede Beschreibung, Erklärung und Vorhersage soll sich auf konkret beobachtbare Situationen aus dem Unter‐ richtsvideo beziehen. Die anfänglich entwickelte und pilotierte Kategorie „Didaktische Perspek‐ tiven“ wurde aufgegeben, weil die didaktischen Perspektiven u. a. in der Kate‐ gorie „Vorhersagen“ stecken. Ziele werden entweder klassifiziert oder abstrakt beschrieben. Lernen wird vorhergesagt und die Kommunikation und Interaktion in der jeweiligen Stunde wird in ihren Wirkungen auf Lernen erklärt und klas‐ sifiziert. Die Fähigkeit, didaktische Perspektiven zu differenzieren, spiegelt sich in den Vorhersagen wider, wenn Bezüge zwischen Lehrerhandlungen, Aufga‐ benmerkmalen und Lernprozessen hergestellt werden. 3.6.3 Kodierleitfaden für die evaluative Inhaltsanalyse Kurzdefinition der Kategorie Ankerbeispiel Kodierregel/ Abgren‐ zungsregel Beschreibung B3 Abstrakte Be‐ schreibung (In‐ terpretation) einer Situation le‐ xikalischen Lernens Learners have the chance to become aware of meaning dif‐ ferences and can com‐ pare German and Bri‐ tish words in a certain context, for example the expression “good appetite“ or the word “card“ instead of “menu“. (Martha ISA I, 3) Abstraktion vom kon‐ kreten Unterrichtsge‐ schehen; Interpretation erster Ordnung; Reduk‐ tion eines Ereignisses auf seine wesentliche Bedeu‐ tung: zweckrationales Handeln (L tut x, um y zu erreichen); Bündelung von Einzelereignissen (Lehrer‐ handlungen, Aufgaben‐ merkmale); keine Begrün‐ dung oder Argumentation; kein Bezug auf fachdidakti‐ sches Wissen oder theore‐ tische Konzepte. B2 Konkrete Be‐ schreibung einer Situation lexikali‐ schen Lernens (Einzelereignis; wer macht was? ) The next term is “to blow”, and the teacher adds that “the wind blows” but “what has blowing got to do with money? ” a student tells that it means “to Wiedergabe eines direkt beobachtbaren Ereignisses (Lehrererklärung, Schü‐ leräußerung oder eine In‐ teraktionssequenz) mit Zeitangaben, wörtlichem Zitat oder Angabe des 173 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="174"?> spend loads of money”. (Sergej ISA Post, 10) konkreten lexikalischen Items. B1 Beschreibungen anderer Aspekte des Unterrichts‐ geschehens The learners can then activate pre-know‐ ledge and therefore this lesson start could be de‐ fined as a top-down process, which simply means that the learner forms hypotheses of what the lesson might look like and what to expect. In the course of the lesson the learners can then either support their hypotheses or re‐ vise them. (Kerstin ISA I, 3) Aussagen zu anderen Be‐ reichen des Fremdspra‐ chenunterrichts (z. B. Grammatik, interkultu‐ relles Lernen) oder allge‐ mein-pädagogischen As‐ pekten der Stunde (zum Beispiel Lehrerverhalten, Motivation, Medien). Die Beschreibung lässt keinen Bezug zum lexikalischen Lernen erkennen. BO Unzutreffende Beschreibung des Unterrichts Therefore, the teacher introduces multiword units by connecting new words to already learned ones (“to waste money” and “to throw out of the window”). (Linda ISA Prä, 6) Eine Situation aus dem Video wird nicht richtig wiedergegeben. Die Be‐ schreibung stimmt nicht mit der Situation aus dem Video überein. Kurzdefinition der Kategorie Ankerbeispiel Kodierregel/ Abgren‐ zungsregel Klassifizierung K3 Schlüssige Klassi‐ fizierung: Eine konkrete Situa‐ tion lexikalischen Lernens wird be‐ züglich der Ziele, der Maßnahmen der Lernunter‐ stützung oder der Lerngegenstände mit einem pas‐ senden Fachkon‐ zept, welches im Seminar vermit‐ The aims of the tea‐ cher follow the strands “language-fo‐ cused learning” and “fluency develop‐ ment”. He wants the learners to think about words they already know and associate with money, so that they become more fluent in recalling those words (produc‐ tive retrieval). There are many opportuni‐ Definitorische Merkmale des fachdidaktischen Kon‐ zepts werden mit kon‐ kreten Ereignissen des Vi‐ deos verknüpft (wissensbasierte Klassifi‐ zierung). Feststellen lässt sich ein Bezug Video - Situation Argumentativer Bezug Identifizierbares Wissen um lernwirksame Kompo‐ nenten Die Situation des Videos und Merkmale des Kon‐ 174 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="175"?> telt wurde, klassi‐ fiziert. ties offered for produc‐ tive retrieval and the words they talk about are almost all familiar to the learners. (Linda ISA Post, 1) zepts werden argumen‐ tativ aufeinander bezogen, so dass nachvollziehbar ist, warum eine konkrete Situation aus dem Video mit einem bestimmten fachdidaktischen Konzept klassifiziert werden kann. Die Textstelle belegt, dass Wissen um lernwirksame Unterrichtskomponenten verfügbar ist. K2 Teilweise schlüs‐ sige Klassifizie‐ rung einer Situa‐ tion lexikalischen Lernens oder eines Lernge‐ genstands mit einem passenden Fachkonzept aus dem Seminar. In addition, they can reconceptualise word knowledge or reflect on the learning burden of words [e.g. the acti‐ vity where he asks the learners for the most difficult sentence]. All these techniques, stra‐ tegies and activities lead to lexical aware‐ ness and increase the learners’ involvement with the lexical items. (Kerstin ISA III, 22) Das Fachkonzept passt zur Situation, aber der Bezug zwischen Situation und Konzept bleibt allgemein. Eine Verknüpfung zwi‐ schen Situation und defi‐ nitorischen Merkmalen des Konzepts fehlt. Ein argumentativer Bezug zwischen Situation und den definitorischen Merk‐ malen des Konzepts fehlt, oder es werden mehrere Fachkonzepte einge‐ bracht, die einander ge‐ genüberstehen oder sich widersprechen. K1 Die Klassifizie‐ rung von Lern‐ zielen, Lernge‐ genständen oder Maßnahmen der Lernunterstüt‐ zung ist nicht zu‐ treffend. The underlying strands of this lesson are on the one hand fluency development and on the other hand (intentional) lang‐ uage-focused lear‐ ning. The teacher int‐ roduces new words within the context of a picture story, with which he works again and again throughout the lesson; thus, oppor‐ tunities do exist for re‐ peated attention to features, and with that for developing lear‐ Die Klassifizierung einer Situation aus dem Video ist nicht zutreffend, weil das gesamte Fachkonzept oder einige seiner Merk‐ male nicht zur konkreten Situation passen. Ein neues Fachkonzept wird erfunden, oder die Klassi‐ fizierungen sind wider‐ sprüchlich. 175 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="176"?> ners’ fluency. (Linda ISA III, 1) Kurzdefinition der Kategorie Ankerbeispiel Kodierregel/ Abgren‐ zungsregel Vorhersage V3 Begründete und differenzierte Vorhersage von Wirkungen einer konkreten Unter‐ richtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern The students’ learning processes throughout the lesson refer to two basic aspects: First, they retrieve the le‐ xical items to be gu‐ essed during the pan‐ tomime game. In doing this, they try to make sense of the ac‐ tivities performed, re‐ late them to a concept that fits a job and then find the correct form of the respective lexical item. All this relates to productive retrieval. ( Jane ISA IV,6) Lernrelevante Merkmale einer Aufgabe, eines Leh‐ rerim-pulses oder einer Schüleräußerung und Ele‐ mente des Fachkonzeptes werden argumentativ mit‐ einander verknüpft (ein bestimmter Lehrerprompt führt z. B. zum Ver‐ ständnis, Behalten etc.). Konkrete Merkmale der Situation (Aufgaben, Schüler-Lehrer-Interak‐ tion) werden als Belege für Lernprozesse in die Argu‐ mentation eingeführt. Die Nutzung von Fach‐ konzepten zur Beschrei‐ bung von Lernprozessen oder -ergebnissen deutet auf einen differenzierten Lernbegriff hin. V2 Nur teilweise nachvollziehbare und eher allge‐ meine Vorher‐ sage von Wir‐ kungen einer konkreten Unter‐ richtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern With regard to this phase, it can be said that the student’s me‐ mory of these words is strengthened by repe‐ tition. This strengthe‐ ning of memory is combined with a repe‐ tition of form aspects of word knowledge since the lexical items are pronounced and written on the black‐ board (spoken/ written form). ( Jane ISA Post, 8) Lernrelevante Merkmale der Situation und Lernpro‐ zesse werden eher allge‐ mein beschrieben. Wenn Fachkonzepte genutzt werden, beziehen sie sich nur allgemein, aber nicht konkret auf bestimmte Merkmale einer Situation. 176 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="177"?> V1 Die vorherge‐ sagten Wir‐ kungen einer konkreten Unter‐ richtssituation auf lexikalische Lernprozesse sind nicht nach‐ vollziehbar. Pupils learned to use their language elabo‐ rately, while discus‐ sing relevant matters with the teacher. They also learned how to use different forms of po‐ liteness in communi‐ cation in order to not be rude or arrogant with interlocutors from other countries. (Anna ISA I, 9) Lernrelevante Merkmale der Unterrichtssituation werden nicht identifiziert. Fachkonzepte zur Be‐ schreibung von Lernpro‐ zessen oder -ergebnissen werden falsch oder gar nicht genutzt. Lernergeb‐ nisse widersprechen sich oder bleiben unbelegt. Kurzdefinition der Kategorie Ankerbeispiel Kodierregel/ Abgren‐ zungsregel Bewertungen (induktive Kategorie) W-k Eine konkrete Si‐ tuation aus dem Unterrichtsvideo wird positiv oder negativ und mit Verweis auf allge‐ meindidaktische, fachdidaktische oder lernpsycho‐ logische Prinzi‐ pien bewertet (in‐ duktiv, mit Themenangabe). What I liked very much about this acti‐ vity is the way the TEACHER motivates his students. He says: “It’s unbelie‐ vable, you all know this” [see 0: 48 - 0: 50 of the second video clip]. This motivates the le‐ arners and shows that they do a really good job and that the TEACHER recognizes it. English is not their mother tongue, so they sometimes feel at a loss, because every‐ thing is new to them. I like the idea of giving feedback to the lear‐ ners so they can gain self-confidence. (Kerstin ISA III, 15) Die Bewertung ist auf Ereignisse und Äuße‐ rungen aus der jeweiligen Stunde bezogen. Diese Ka‐ tegorie wird vergeben, wenn zusätzlich zu der Be‐ schreibung einer Situation aus dem Unterrichtsvideo ein Werturteil gefällt wird. Im Fall eines negativen Werturteils werden jedoch keine Alternativen be‐ nannt. Wenn eine Vorhersage mit einer Wertung verknüpft wird, dann wird diese Si‐ tuation als Vorhersage ge‐ wertet und nicht als Be‐ wertung. (z. B. Anna ISA III, 72) W-a Allgemeine Be‐ wertung (z. B. be‐ zogen auf Lehrer‐ verhalten). I liked this lesson very much. It was quite a professional lesson where all the strands were actively used, Das Werturteil ist pau‐ schal auf den Unterricht, auf allgemeine Aspekte der Unterrichtsführung oder des Lehrerverhaltens, 177 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="178"?> and there was a ba‐ lance between them. Therefore, I would not criticize the teacher because he really sup‐ ported lexical lear‐ ning. Through associ‐ ation tasks, synonyms, communication, rich instructions the lear‐ ners had a very good opportunity to memo‐ rize, use and integrate new vocabulary. (Anna ISA Post, 15) aber nicht auf eine kon‐ krete Situation bezogen. Kurzdefinition der Kategorie Ankerbeispiel Kodierregel/ Abgren‐ zungsregel Alternativen A3 Beschreibung einer konkreten Alternative für eine Unterrichts‐ situation mit Be‐ gründung der fachdidaktischen Notwendigkeit und einer An‐ gabe, wie lexika‐ lisches Lernen optimiert werden könnte. Finally, I would try to find a more precise lis‐ tening task. When they listened to the conver‐ sations on CD for the first time, he simply tells them to “focus on what [they] want” (Video “Misunderstan‐ dings” I, 4: 54-5: 00), which doesn’t help the learners to notice any‐ thing special while they are listening to a dialogue. (Linda ISA I, 18). Eine alternative Vorge‐ hensweise wird für eine konkrete Unterrichtssitu‐ ation (Lehrerprompt, Auf‐ gabe) oder die Zielorien‐ tierung der Stunde entwickelt und begründet. Die Alternative würde zu einer Optimierung der Vermittlungs-, Lern- und Verstehenskultur oder der Interaktions- und Kom‐ munikationskultur im Hinblick auf lexikalisches Lernen führen. A2 Beschreibung einer Alternative, deren Potenzial für die Verbesse‐ rung von lexikali‐ schen Lernpro‐ zessen nur ansatzweise deut‐ lich wird. It is important to use the words with the ar‐ ticles from the very be‐ ginning of learning English. At least the teacher should de‐ monstrate that there are articles in English. It would be better for her to say “an egg” in‐ stead of “egg”. Besides, Die Alternative wird eher allgemein beschrieben; der Bezug zu konkreten Un‐ terrichtssituationen fehlt oder bleibt unspezifisch. 178 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="179"?> it would be also useful to encourage the pu‐ pils to speak some simple sentences. For example, “This is a roll.” instead of “roll”. (Kate ISA II, 4) A1 Alternative ohne Potenzial für die Verbesserung le‐ xikalischen Lernens There is another part in the lesson where the children have to say whether a sentence the teacher says is right or wrong (3: 53). The stu‐ dents just say “wrong” and repeat the correct sentence. But they could say a whole sen‐ tence like “This sen‐ tence is wrong! ” and not just the word “wrong”. (Martha ISA III, 11) Es wird eine Alternative für eine konkrete Situation vorgeschlagen, jedoch bleibt deren Potenzial für die Optimierung lexikali‐ schen Lernens unklar. A0 Alternative für andere Aspekte des Unterrichts --- Die vorgeschlagene Alter‐ native würde zu Optimie‐ rungen des Unterrichts in anderen Bereichen führen (z. B. Klassenführung, Mo‐ tivation, Materialnut‐ zung). Die Alternative wird mit lernpsychologi‐ schen oder allgemeindi‐ daktischen Prinzipien be‐ gründet. Kurzdefinition der Kategorie Ankerbeispiel Kodierregel/ Abgren‐ zungsregel K Explikation mit Kontextanalyse (Video) (vgl. 3.6.4.1) Unklare oder mehrdeu‐ tige Textstelle, deren Bezug zum Video der Aufklärung bedarf. Die Schilderung einer Situation bleibt unklar oder mehrdeutig, so dass der Eindruck einer Fehlinter‐ pretation entsteht. Die Textstelle wird mit Hilfe des Unterrichtstranskripts expliziert, um eine eindeu‐ tige Zuweisung zu einer Kategorie zu erzielen. Tabelle 32: Kodierleitfaden für die evaluative Inhaltsanalyse mit Einschätzdimensionen, Ankerbeispielen und Kodierregel 179 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="180"?> 3.6.4 Qualitätssicherung des Auswertungsverfahrens 3.6.4.1 Explikation unklarer Textstellen Nach dem ersten Durchgang durch die Texte zeigt sich, dass sich einzelne Pas‐ sagen aus den inviduellen schriftlichen Analysen nicht eindeutig kodieren lassen. In der Mehrzahl der betreffenden Textstellen ist der Bezug zum Unter‐ richtsvideo unklar, allgemein oder er fehlt völlig. Um die Kodierung solcher Textstellen abzusichern, wird das Video als Kontexteinheit für die Explikation der Textstelle herangezogen (Mayring 2010: 92). Durch die kontrollierte Einbe‐ ziehung zusätzlichen Materials (hier: Situationen des Unterrichtsvideos) soll das Verständnis der Textpassage erweitert werden, um dann im zweiten Schritt zu einer sicheren Codezuweisung zu gelangen. Ein vertieftes Verstehen der Text‐ stelle in Kombination mit dem im Unterrichtsvideo beobachtbaren Unterrichts‐ geschehen erlaubt Rückschlüsse auf die Wahrnehmungs- und Verarbeitungs‐ prozesse. Das Hinzuziehen der Kontexteinheit „Unterrichtsvideo“ sichert den Kodiervorgang ab (vgl. 3.6.1), führt zu einer Entschleunigung des Kodierpro‐ zesses und trägt so zur Qualitätssicherung des Verfahrens bei, weil Zweifel bei der Codezuweisung in einem separaten Kodierschritt mit Hilfe einer Kontext‐ analyse bearbeitet und nach Möglichkeit ausgeräumt werden. Die Vorgehens‐ weise lässt sich wie folgt beschreiben: • Entscheidung für eine Kontextanalyse: Was ist die zu explizierende Text‐ stelle? Kann eine Kontextanalyse zusätzliche und vertiefte Einblicke in die Verarbeitung des Unterrichts liefern? • Lexikalisch-grammatikalische Analyse der Textstelle: Was ist die Unbe‐ stimmtheitsstelle? Was ist zulässiges Explikationsmaterial? • Weite Kontextanalyse: Videotranskript • Enge Kontextanalyse: Textumfeld • Paraphrasierung und Vergleich mit dem Transkript • Kategorisierung der Textstelle mit einem entsprechenden Code gemäß Kodierleitfaden (vgl. 3.6.3). 180 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="181"?> 112 • Lexikalisch-grammatikalische Analyse der Textstelle: Was ist die Unbestimmtheitsstelle? Was ist zulässiges Explikationsmaterial? • Weite Kontextanalyse: Videotranskript • Enge Kontextanalyse: Textumfeld • Paraphrasierung und Vergleich mit dem Transkript • Kategorisierung der Textstelle mit einem entsprechenden Code gemäß Kodierleitfaden (vgl. 3.6.3). Diagramm 1: Anteil der Textstellen, die eine Kontextanalyse erfordern, an den ISAs der Probandengruppe Insgesamt werden 20 von 407 kodierten Textstellen mit Hilfe einer Kontextanalyse expliziert und im zweiten Schritt sicher mit dem Code kategorisiert. Die Notwendigkeit einer Kontextanalyse hängt vom Einzelfall ab, wie man in Diagramm 1 sehen kann. So ist der Anteil an Textpassagen, die eine zusätzliche Kontextanalyse erfordern, bei Kerstin und Linda am höchsten. Bei der Verteilung auf die unterschiedlichen Unterrichtsvideos fällt auf (vgl. Abbildung 8), dass im Video „Money“ (ISA Prä und ISA Post) die meisten Explikationen mit Kontextanalyse notwendig sind. An zweiter Stelle liegt das Video „Perfect Job“ (ISA IV). Eine Erklärung für den hohen Anteil an Kontextanalysen mag die Qualität des Unterrichts im Video „Perfect Job“ sein (vgl. 3.5.5.5). Dass sich in der Prä-Erhebung relativ gesehen der größte Anteil an Kontextanalysen findet, überrascht nicht, da dies die erste Videoanalyse für die Studierenden gewesen ist. 0 1 2 3 4 5 6 7 Kerstin Linda Anna Martha Jane Kate Kontextanalyse, gesamte Kohorte Diagramm 1: Anteil der Textstellen, die eine Kontextanalyse erfordern, an den ISAs der Probandengruppe Insgesamt werden 20 von 407 kodierten Textstellen mit Hilfe einer Kontextana‐ lyse expliziert und im zweiten Schritt sicher mit dem Code kategorisiert. Die Not‐ wendigkeit einer Kontextanalyse hängt vom Einzelfall ab, wie man in Diagramm 1 sehen kann. So ist der Anteil an Textpassagen, die eine zusätzliche Kontextana‐ lyse erfordern, bei Kerstin und Linda am höchsten. Bei der Verteilung auf die unterschiedlichen Unterrichtsvideos fällt auf (vgl. Abbildung 8), dass im Video „Money“ (ISA Prä und ISA Post) die meisten Explikationen mit Kontextanalyse notwendig sind. An zweiter Stelle liegt das Video „Perfect Job“ (ISA IV). Eine Er‐ klärung für den hohen Anteil an Kontextanalysen mag die Qualität des Unter‐ richts im Video „Perfect Job“ sein (vgl. 3.5.5.5). Dass sich in der Prä-Erhebung re‐ lativ gesehen der größte Anteil an Kontextanalysen findet, überrascht nicht, da dies die erste Videoanalyse für die Studierenden gewesen ist. 181 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="182"?> 113 Abbildung 8: Anteil der Kontextanalysen mit Explikation in den ISAs 3.6.4.2 Reliabilitätsprüfung der Codevergabe Für die Auswertung der Verbaldaten aus den individuellen schriftlichen Analysen wird die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2012) genutzt. Eine zusätzliche Reliabilitätsprüfung erscheint auch deshalb geboten, weil die hier gewählte Technik einer evaluativen, qualitativen Inhaltsanalyse „stärker hermeneutischinterpretativ“ ausgerichtet ist (Kuckartz 2012: 23). Die deduktiv gebildeten Kategorien werden anhand des Materials zu evaluativen Kategorien mit drei Einschätzdimensionen ausdifferenziert. Es stellt sich nun die Frage, ob das Kategoriensystem reliabel ist, d. h., ob es zu den gleichen Ergebnissen (Code-Zuweisungen) führt, wenn es in zeitlichem Abstand und unter den gleichen Bedingungen auf die Daten angewendet wird. Daher wird in Analogie zu einem Test-Retest-Verfahren für die Hälfte der deduktiven Kategorien eine Rekodierung durchgeführt. Eine Reliabilitätsprüfung sichert „die invariante Anwendung der Methode auf das ganze Untersuchungsmaterial“ (Früh 1998: 165). Mit Hilfe einer Reliabilitätsprüfung lassen sich Aussagen darüber treffen, wie verlässlich die Regeln für die Vergabe von Codes arbeiten und wie zuverlässig die Kodierung erfolgt ist. In die Reliabilitätsprüfung einer evaluativen Inhaltsanalyse werden sowohl die drei Einschätzdimensionen (Niveaus) wie auch die Hauptkategorien (vgl. 3.6.3) einbezogen, um auf diese Weise auch die Abgrenzungsregeln einer Prüfung zu unterziehen: Greifen die Kodierregeln für die Einschätzdimensionen, so dass auch mit zeitlichem Abstand unterschiedliche Qualitäten der wissensbasierten Verarbeitung (z. B. schlüssige, teilweise nachvollziehbare, nicht zutreffende Klassifizierung) reliabel erfasst werden? Die Reliabilitätsprüfung der Codevergabe kann im Rahmen einer Qualifikationsarbeit nur als Intra-Coder- Test durchgeführt werden. Mit zeitlichem Abstand zu dem sechsten Verfahrensschritt (Bewerten und Kodieren des gesamten Materials; vgl. Kuckartz 2012: 99) wird eine Stichprobe von ca. 30 Codevergaben pro Kategorie gebildet. Bezogen auf die Gesamtzahl der vergebenen Codes werden mehr als 50 % der Kodierungen mit einem zeitlichen Abstand von 3 Monaten rekodiert. In Anlehnung an Früh (1998: 167) wird das folgende Maß für die Intra-Coder-Reliabilität gebildet: ICR = Ü/ C Dabei bedeuten ICR = Intra-Coder-Reliabilität; Ü=Anzahl der übereinstimmenden Codierungen zum Zeitpunkt 2, und C = Anzahl der Codierungen zum Zeitpunkt 1. Für jeden evaluativen Code inklusive seiner Einschätzdimensionen lässt sich auf diesem Wege ein eigener Koeffizient errechnen. Tabelle 33: Übersicht der Intra-Coder-Reliabilitätsprüfung Kategorie Anzahl überprüfter Kodavon ungeändert ICR ISA Prä 36% ISAPost 14% ISA I 14% ISA III 9% ISA IV 27% Verteilung der Kontextanalysen über alle I SAs Abbildung 8: Anteil der Kontextanalysen mit Explikation in den ISAs 3.6.4.2 Reliabilitätsprüfung der Codevergabe Für die Auswertung der Verbaldaten aus den individuellen schriftlichen Ana‐ lysen wird die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2012) genutzt. Eine zusätzliche Reliabilitätsprüfung erscheint geboten, weil die hier gewählte Technik einer evaluativen, qualitativen Inhaltsanalyse „stärker her‐ meneutisch-interpretativ“ ausgerichtet ist (Kuckartz 2012: 23). Die deduktiv ge‐ bildeten Kategorien werden anhand des Materials zu evaluativen Kategorien mit drei Einschätzdimensionen ausdifferenziert. Es stellt sich nun die Frage, ob das Kategoriensystem reliabel ist, d. h., ob es zu den gleichen Ergebnissen (Code-Zu‐ weisungen) führt, wenn es in zeitlichem Abstand und unter den gleichen Be‐ dingungen auf die Daten angewendet wird. Daher wird in Analogie zu einem Test-Retest-Verfahren für die Hälfte der deduktiven Kategorien eine Rekodierung durchgeführt. Eine Reliabilitätsprüfung sichert „die invariante Anwendung der Methode auf das ganze Untersuchungsmaterial“ (Früh 1998: 165). Mit Hilfe einer Reliabili‐ tätsprüfung lassen sich Aussagen darüber treffen, wie verlässlich die Regeln für die Vergabe von Codes arbeiten und wie zuverlässig die Kodierung erfolgt ist. In die Reliabilitätsprüfung einer evaluativen Inhaltsanalyse werden sowohl die drei Einschätzdimensionen (Niveaus) wie auch die Hauptkategorien (vgl. 3.6.3) einbezogen, um auf diese Weise auch die Abgrenzungsregeln einer Prüfung zu unterziehen: Greifen die Kodierregeln für die Einschätzdimensionen, so dass auch mit zeitlichem Abstand unterschiedliche Qualitäten der wissensbasierten 182 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="183"?> Verarbeitung (z. B. schlüssige, teilweise nachvollziehbare, nicht zutreffende Klassifizierung) reliabel erfasst werden? Die Reliabilitätsprüfung der Codevergabe kann im Rahmen einer Qualifika‐ tionsarbeit nur als Intra-Coder-Test durchgeführt werden. Mit zeitlichem Ab‐ stand zu dem sechsten Verfahrensschritt (Bewerten und Kodieren des gesamten Materials; vgl. Kuckartz 2012: 99) wird eine Stichprobe von ca. 30 Codevergaben pro Kategorie gebildet. Bezogen auf die Gesamtzahl der vergebenen Codes werden mehr als 50 % der Kodierungen mit einem zeitlichen Abstand von 3 Monaten rekodiert. In Anlehnung an Früh (1998: 167) wird das folgende Maß für die Intra-Coder-Reliabilität gebildet: ICR = Ü/ C Dabei bedeuten ICR = Intra-Coder-Reliabilität; Ü=Anzahl der übereinstimm‐ enden Codierungen zum Zeitpunkt 2, und C=Anzahl der Codierungen zum Zeitpunkt 1. Für jeden evaluativen Code inklusive seiner Einschätzdimensionen lässt sich auf diesem Wege ein eigener Koeffizient errechnen. Kategorie Anzahl über‐ prüfter Ko‐ dierungen davon un‐ geändert ICR konkrete Beschreibung 30 26 0,87 abstrakte Beschreibung 32 28 0,88 Klassifizierung allgemein 35 27 0,77 Klassifizierung zutreffend 31 25 0,81 Vorhersage allgemein 37 28 0,76 Vorhersage schlüssig 31 26 0,84 Alternative ohne Potenzial 11 8 0,73 Alternative allgemein 15 12 0,80 Alternative mit Potenzial 31 29 0,94 Gesamt 253 209 Æ 0,82 Tabelle 33: Übersicht der Intra-Coder-Reliabilitätsprüfung Im Ergebnis zeigt sich, dass 82 % der Kodierungen unverändert geblieben sind (vgl. Tabelle 33). Als Richtgröße für eine zufriedenstellende Intra-Coder-Relia‐ bilitätsprüfung gilt ein Reliabilitätskoeffizient mit einem Wert zwischen CR=.75 183 3.6 Datenerhebung und Datenauswertung <?page no="184"?> und CR=.85. Ein Wert, der in diesem Bereich liegt, gilt als Indikator für einen guten bis sehr guten Qualitätsstandard bei der Codevergabe (Früh 1998: 170). Im Resümee erweisen sich das Kategoriensystem sowie die im Kodierleitfaden formulierten Kategoriendefinitionen und Abgrenzungsregeln als robust, weil mit einem zeitlichem Abstand von drei Monaten mehr als 80 % der vergebenen Codes beibehalten werden konnten. 184 3 Die methodische Anlage der Untersuchung: Forschungs- und Untersuchungsdesign <?page no="185"?> 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswer‐ tung einzelfallbezogen und für jedes eingesetzte Unterrichtsvideo ausführlich dargestellt. Die individuellen schriftlichen Analysen sind das Ergebnis einer fragegelenkten, mediatisierten Unterrichtsbeobachtung. Verfasser und Adressat der Analyse haben eine gemeinsame Bezugsebene: das Unterrichtsgeschehen im Video. Gleichwohl waren weder Verfasser noch Adressat in der konkreten Stunde anwesend. Insofern repräsentiert der Text die individuelle Rezeption und Interpretation von in der Vergangenheit abgehaltenem Unterricht. Die ausführliche Darstellung der inhaltsanalytischen Auswertung ist moti‐ viert durch das Programm der „dichten Beschreibung“, bei dem Clifford Geertz „Abstand von einem interpretatorisch enthaltsamen deskriptiven Vorgehen [nimmt]“ (Wernet 2006: 55). In einer dichten Beschreibung werden Beschreiben und Verstehen, Deskription und Rekonstruktion „in einem Akt vollzogen“(ebd.). Die Rekonstruktion der Unterrichtswahrnehmung aus den schriftlichen Ana‐ lysen der Studierenden entlang der evaluativen Kategorien soll zeigen, „was auf welche Art und Weise mit welchen Argumenten gesagt wird“ (Kuckartz 2012: 109). Wann immer notwendig, wird der zur Textstelle gehörige Kontext aus dem Unterrichtsvideo hinzugezogen, um die Codevergabe nachvollziehbar zu ma‐ chen. Dieses Vorgehen trägt dem hermeneutischen Charakter der evaluativen Inhaltsanalyse Rechnung (Kuckartz 2012: 114). Die Hermeneutik „besteht in nichts anderem als in der gedanklichen Nachbildung der konkret gegebenen Konstellierung von Allgemeinem und Besonderem: einer Nachkonstruktion oder Rekonstruktion“ (Wernet 2006: 54). Um die Orientierung in den Teilkapiteln zu erleichtern, wird in Tabelle 34 nochmals aufgelistet, welche Unterrichtsvideos bei welchen ISAs zum Einsatz kamen. Eine detaillierte Beschreibung aller Un‐ terrichtsvideos findet sich in Kapitel 3.5.5. Die vollständigen Transkripte aller eingesetzten Unterrictsvideos können online unter www.meta.narr.de/ 97838233 82638/ Transkripte.pdf eingesehen werden. <?page no="186"?> Unterrichtsvideo Individuelle schriftliche Analyse (ISA) Money ISA Prä-Post Misunderstandings ISA I Practicing new words ISA II Drive me crazy ISA III Perfect Job ISA IV Tabelle 34: Übersicht der Unterrichtsvideos und ISAs Die nachfolgenden Teilkapitel dokumentieren den Prozess der Kategorienver‐ gabe mit dem Ziel, die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Kategorienver‐ gabe über diskursive Plausibilität sicherzustellen. Die vorgenommene Kom‐ mentierung nimmt Bezug auf das konkrete Unterrichtsgeschehen wie auch auf die Kodierregeln (vgl. 3.6.3). Unterstreichungen dienen der Hervorhebung von kommentierten Passagen und sollen das Auffinden relevanter Textsegmente er‐ leichtern. Unterstrichen werden auch alle Fachkonzepte, die von den Probanden in ihren Analysen genutzt werden. Abgesehen von Rechtschreibfehlern werden sprachliche Verstöße in den Texten der Studierenden nicht korrigiert; gravie‐ rende sprachliche Verstöße werden mit sic entsprechend markiert. Ergänzt wird die verbal-interpretative Darstellung durch Diagramme, welche die Häufig‐ keiten der Dimensionen und ihrer Ausprägungen für jeden einzelnen Probanden illustrieren. Tabelle 35 enthält eine Kurzfassung der Kategorienbeschreibungen, um auf diese Weise die Nachvollziehbarkeit der Einzelfallanalysen und die Les‐ barkeit der Diagramme in den nachfolgenden Teilkapiteln zu erleichtern. Kürzel Kurzbeschreibung Kategorie B3 (abstrakt) Abstrakte Beschreibung (Interpretation) einer Situation le‐ xikalischen Lernens B2 (konkret) Konkrete Beschreibung einer Situation lexikalischen Lernens (Einzelereignis; Wer macht was? ) B1 Beschreibungen anderer Aspekte des Unterrichtsgesche‐ hens BO Unzutreffende Beschreibung des Unterrichts K3 Schlüssige Klassifizierung: Eine konkrete Situation lexika‐ lischen Lernens wird bezüglich der Ziele, der Maßnahmen 186 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="187"?> der Lernunterstützung oder der Lerngegenstände mit einem passenden Fachkonzept, welches im Seminar ver‐ mittelt wurde, klassifiziert. K2 Teilweise schlüssige Klassifizierung einer Situation lexi‐ kalischen Lernens oder eines Lerngegenstands mit einem passenden Fachkonzept aus dem Seminar K1 Die Klassifizierung von Lernzielen, Lerngegenständen oder Maßnahmen der Lernunterstützung ist nicht zutref‐ fend. V3 Begründete und differenzierte Vorhersage von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern V2 Nur teilweise nachvollziehbare und eher allgemeine Vor‐ hersage von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssitu‐ ation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern V1 Die vorhergesagten Wirkungen einer konkreten Unter‐ richtssituation auf lexikalische Lernprozesse sind nicht nachvollziehbar. A3 Beschreibung einer konkreten Alternative für eine Unter‐ richtssituation mit Begründung der fachdidaktischen Not‐ wendigkeit und einer Angabe, wie lexikalisches Lernen optimiert würde A2 Beschreibung einer Alternative, deren Potenzial für die Verbesserung von lexikalischen Lernprozessen nur ansatz‐ weise deutlich wird A1 Alternative ohne Potenzial für die Verbesserung lexikali‐ schen Lernens Bewertung Eine Situation aus dem Unterrichtsvideo wird positiv oder negativ und mit Verweis auf allgemeindidaktische, fachdi‐ daktische oder lernpsychologische Prinzipien bewertet. Tabelle 35: Kurzbeschreibung der Kategorien (vgl. 3.6.3) Jede Einzelfalldarstellung (mit Ausnahme der von Sergej) ist nach dem gleichen Schema aufgebaut und beginnt mit einer Charakterisierung des Falls auf der Grundlage des Fragebogens zur Erhebung der Subjektperspektive und Vorer‐ fahrungen (vgl. z. B. 4.4.1). (Die Darstellung des Falls Sergej folgt einer anderen Struktur, weil die Zahl der selektierten Situationen deutlich geringer ausfällt 187 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="188"?> (n=46). Außerdem überwiegen in Sergejs Analysen die abstrakten und kon‐ kreten Beschreibungen.) Die Darstellung der Einzelfälle folgt sodann den indi‐ viuellen schriftlichen Analysen, wie sie von den Teilnehmern im Seminar an‐ gefertigt worden sind (ISA I-ISA IV) und dokumentiert jeweils auf einer eigenen Gliederungsebene die Kategorienvergabe für die ersten vier ISAs. Das zweite gliedernde Element sind die Forschungsfragen, welche für jeden Einzelfall be‐ antwortet werden. Für die zweite Forschungsfrage wird in dem entsprechenden Teilkapitel eine statistisch-tabellarische Darstelllungsform gewählt. Es wird nur der Anteil der klassifizierten Situationen in allen Unterrichtsvideos kommen‐ tiert. Konkrete Beispiele für Klassifizierungen kann der Leser den vorhergeh‐ enden, nach ISAs gegliederten Teilkapiteln entnehmen. Um die Frage nach der Entwicklung der Unterrichtswahrnehmung über den Zeitraum des Seminars zu beantworten, werden die Ergebnisse der Prä- und Post-Erhebung miteinander verglichen, weil für diese beiden ISAs das identische Video zum Einsatz kommt. Für einen qualitativen Vorher-nachher-Vergleich werden außerdem Schlüssel‐ szenen aus dem Video „Money“ untersucht. Dabei sind die folgenden Fragestel‐ lungen von Interesse: • Werden in der Post-Erhebung mehr Situationen lexikalischen Lernens selektiert? • Wie werden einzelne Schlüsselszenen verarbeitet? • Werden sie in der Post-Erhebung z. B. eher klassifiziert, oder werden in der Post-Erhebung für die gleiche Situation Alternativen entwickelt? Für die Beantwortung der dritten Forschungsfrage werden in jeder Einzelfall‐ darstellung die Analysen zu Beginn und am Ende des Seminars (ISA Prä & ISA Post) analysiert. Um qualitative Entwicklungen der professionellen Unterrichts‐ wahrnehmung aufzuzeigen, werden Analysen von einzelnen Schlüsselszenen aus dem Video „Money“ in der direkten Gegenüberstellung von Prä- und Post-Analyse miteinander verglichen. Eine Schlüsselszene wird definiert als eine Situation, in der lexikalisches Lernen ermöglicht wird (z. B. durch die Se‐ mantisierung konkreter Wörter) und die beobachtbar ist (z. B. die lernerseitige Verwendung eines zuvor eingeführten Wortes). Als Schlüsselszenen werden aber auch solche Situation begriffen, in denen lexikalisches Lernen hätte statt‐ finden können, wenn z. B. eine Semantisierung oder Bewusstmachung erfolgt wäre. Wenn Schlüsselszenen sowohl in der Präwie auch in der Post-Analyse selektiert worden sind, werden die Analysen dieser Schlüsselszenen mitei‐ nander verglichen, um so Entwicklungen in der Unterrichtswahrnehmung und in der Art und Weise der Verarbeitung des Unterrichtsgeschehens bei einzelnen Probanden zu verdeutlichen. 188 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="189"?> Die Bewertungen nehmen eine Sonderstellung ein, weil sie als induktive Ka‐ tegorie Aussagen über den subjektiven Orientierungsrahmen der Probanden ermöglichen. Sie werden jeweils in separaten Teilkapiteln analysiert, sofern sich in den schriftlichen Analysen des jeweiligen Probanden eine auffallend große Zahl an Bewertungen findet. Probanden wie Martha und Kerstin bewerten Si‐ tuationen häufiger als Jane oder Linda. Am Ende jeder Einzelfalldarstellung findet sich eine Zusammenfassung zur Ausprägung der professionellen Unter‐ richtswahrnehmung bei dem jeweiligen Probanden. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Fällen werden am Ende von Kapitel 4 in einer synoptischen Dar‐ stellung zusammengefasst und erleichtern so den Vergleich der Probanden und ihrer Fähigkeit zur professionellen Unterrichtswahrnehmung (vgl. 4.8). Die ein‐ zelfallbezogene Auswertung wird in Kapitel 6 ergänzt durch fallübergreifende und fallvergleichende Analysen zu ausgewählten Fragestellungen, die beispiels‐ weise der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Unterrichtsvideo und Zahl der Klassifizierungen nachgehen. 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane 4.1.1 Kurzbeschreibung des Falls Jane Jane studiert im achten Semester Anglistik, Germanistik sowie Mathematik für das Lehramt der Primarstufe. In ihrem Studium mit dem Schwerpunkt Fachdi‐ daktik hat sie bislang neun fachdidaktische Lehrveranstaltungen besucht. Sie hat an zwei bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen teilgenommen, in denen es auch um das Thema Unterrichtsbeobachtung ging. Im ersten Fall han‐ delt es sich um eine Veranstaltung zur pädagogischen Diagnostik, im zweiten Fall um ein praktikumsvorbereitendes Seminar. Jane hat unterrichtspraktische Erfahrungen durch eigenen Unterricht im Rahmen von Praktika gesammelt. Insgesamt hat sie 17 Stunden selbstständig un‐ terrichtet, davon drei im Fach Englisch. Eine Fremdsprache erlernt man aus ihrer Sicht am besten, „wenn man möglichst viel Zeit und Gelegenheit bekommt, die Sprache in authentischen Situationen und alltäglichen Anlässen zu gebrauchen“. Für den Aufbau eines differenzierten und umfangreichen Wortschatzes ist es wichtig, „relevante, häufig gebrauchte Vokabeln zu behandeln und diese Wörter immer wieder aufzugreifen“. Die größte Herausforderung beim Wortschatz‐ lernen besteht darin, „einschätzen zu können, welche Wörter relevant sind“. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson Möglich‐ 189 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="190"?> keiten der Wiederholung in sinnvollen Zusammenhängen schaffen. Außerdem sollte sie Lernende an der Erschließung von Wörtern aktiv beteiligen. 4.1.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Jane: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.1.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) In der individuellen schriftlichen Analyse (ISA) dieses Unterrichtsvideos lässt sich größtenteils eine wissensbasierte und konzeptgeleitete Verarbeitung des Unterrichts nachweisen, da Jane die Hälfte aller selektierten Situationen zutref‐ fend klassifiziert. Außerdem stellt sie nachvollziehbare Vorhersagen zu Lern‐ prozessen auf. Insgesamt liegt die Zahl der selektierten Situationen in diesem Video unter dem Durchschnittwert von 10 für dieses Video. 0 1 2 3 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Jane ISA I, n=8 4.1.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Jane: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.1.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) In der individuellen schriftlichen Analyse (ISA) dieses Unterrichtsvideos lässt sich größtenteils eine wissensbasierte und konzeptgeleitete Verarbeitung des Unterrichts nachweisen, da Jane die Hälfte aller selektierten Situationen zutreffend klassifiziert. Außerdem stellt sie nachvollziehbare Vorhersagen zu Lernprozessen auf. Insgesamt liegt die Zahl der selektierten Situationen in diesem Video unter dem Durchschnittwert von 10 für dieses Video. Diagramm 2: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I (Jane) Beschreibungen Jane fasst die Ziele der Stunde mit Bezug auf konkrete Situationen lexikalischen Lernens treffend zusammen: „the overall aim of the teacher is to elaborate on cross-cultural misunderstandings” (Jane ISA I, 2). Sie stellt heraus, dass die sprachlichen Mittel einen wesentlichen Beitrag für eine gelingende interkulturelle Kommunikation darstellen. Later on, the teacher also encourages the students to think of how certain formulations can contribute to a positive intercultural communication by de-escalating the conversation (2, 2.27), thereby encouraging the students to elaborate on communication strategies and the vocabulary required for it. (Jane ISA I, 2) Klassifizierungen Die Klassifizierungen von Lerngegenständen und der Ziele der Stunde sind überwiegend zutreffend. Im Seminar vermittelte Konzepte stehen zu einem frühen Zeitpunkt im Seminar zur Verfügung. Jane weist der Stunde das Standbein language focused learning zu. Im Zentrum der Stunde steht jedoch nicht das bewusste Erlernen von lexikalischen Mitteln, sondern das Verstehen sowie die Analyse der Funktion bestimmter sprachlicher Mittel in einem Hörtext. Der Schwerpunt der Stunde wäre daher mit dem Standbein meaning-focused input treffend beschrieben. Hence, the teacher gives the students opportunities to deal with language features deliberately and process them in thoughtful ways. They can learn more about the vocabulary known to them, with a particular emphasis on the meaning and appropriate use of those lexical items. Since emphasis is put on deliberate learning Diagramm 2: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I ( Jane) Beschreibungen Jane fasst die Ziele der Stunde mit Bezug auf konkrete Situationen lexikalischen Lernens treffend zusammen: „the overall aim of the teacher is to elaborate on cross-cultural misunderstandings” ( Jane ISA I, 2). Sie stellt heraus, dass die sprachlichen Mittel einen wesentlichen Beitrag für eine gelingende interkultu‐ relle Kommunikation darstellen. Later on, the teacher also encourages the students to think of how certain formulations can contribute to a positive intercultural communication by de-escalating the con‐ 190 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="191"?> versation (2, 2.27), thereby encouraging the students to elaborate on communication strategies and the vocabulary required for it. ( Jane ISA I, 2) Klassifizierungen Die Klassifizierungen von Lerngegenständen und der Ziele der Stunde sind überwiegend zutreffend. Im Seminar vermittelte Konzepte stehen zu einem frühen Zeitpunkt im Seminar zur Verfügung. Jane weist der Stunde das „Stand‐ bein“ language focused learning zu. Im Zentrum der Stunde steht jedoch nicht das bewusste Erlernen von lexikalischen Mitteln, sondern das Verstehen sowie die Analyse der Funktion bestimmter sprachlicher Mittel in einem Hörtext. Der Schwerpunt der Stunde wäre daher mit dem „Standbein“ meaning-focused input treffend beschrieben. Hence, the teacher gives the students opportunities to deal with language features deliberately and process them in thoughtful ways. They can learn more about the vocabulary known to them, with a particular emphasis on the meaning and appro‐ priate use of those lexical items. Since emphasis is put on deliberate learning about lexical items and the meaning they convey, the main focus of the teacher seems to be language focused learning. ( Jane ISA I, 3) In der folgenden Passage ordnet Jane die beiden Fachkonzepte noticing und „negotiation“ zwar treffend der Situationen zu. Allerdings verwechselt sie dabei Ursache und Wirkung: Die Dekontextualsierung ist eine Voraussetzung für no‐ ticing und die nachfolgende Beschäftigung mit dem Wort (vgl. 2.4.4). Die De‐ kontextualisierung (z. B. durch einen Lehrerimpuls oder Tafelanschrieb) schafft die Voraussetzung für noticing. This noticing and the negotiation or definition of meaning leads to a decontextuali‐ sation of language items. ( Jane ISA I, 9) Jane erkennt jedoch die Notwendigkeit einer Dekontextualisierung, damit die im Gespräch des ersten Hörtextes auftretenden Missverständnisse aufgeklärt werden können: They [language items] are discussed as language items that have a huge impact on how a conversation develops. ( Jane ISA I, 9) Jane ist auch in der Lage, ein sensitizing concept (Blumer 1969: 163; vgl. 2.2.3) wie language awareness auf eine konkrete Situation aus der Stunde zu beziehen und dabei definitorische Merkmale des Konzepts language awareness für ihre Argumentation zu verwenden: 191 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="192"?> In different situations the teacher asks the students what certain expressions mean and how they can help a conversation develop positively: “would, could, might” (2, 5.37) are used to express uncertainty and “That’s a good point” expresses a different opinion without being too harsh (2, 7.23). The students become aware of meaning differences, they look at language analytically and reflect upon the relation between vocabulary and what it actually expresses. Hence, the teacher - at least to a certain extent - promotes engagement and language awareness. ( Jane ISA I, 10) Vorhersagen Jane stellt in dieser Analyse unter Beweis, dass sie Zusammenhänge zwischen Lernsituationen und Lernergebnissen erkennt. Sie nimmt wahr, dass es bei dem Hörverstehensauftrag darum geht, herauszufinden, welche Effekte eine be‐ stimmte, z. T. unpassende Wortwahl auf den Fortgang des Gesprächs zwischen dem Deutschen und der Amerikanerin hat: After having listened to the two conversations between a German and an American, the students process the meanings certain word units convey and the effects that those meanings can have in a conversation. ( Jane ISA I, 6) Allerdings bleibt in dieser Analyse unklar, wie es auf Seiten der Lernenden zu einem differenzierten Verständnis der Bedeutung kommt. Die Antizipation des Lernprozesses („process the meanings“) bleibt relativ vage. In einer nachfol‐ genden Textpassage zeigt sich aber, dass Jane durchaus in der Lage ist, Indizien für einen erfolgreichen Verstehensprozess auszumachen. Schülerreaktionen, wie z. B. das einsetzende Lachen der Schüler nach erfolgter Erläuterung durch die Lehrkraft, interpretiert Jane als Indiz für einen erfolgreichen Verstehens‐ prozess. Das durch eine Interferenz ausgelöste Missverstehen wird vom Lehrer in ein korrektes Verständnis der Äußerung überführt. Die Unterrichtswahrneh‐ mung von Jane ist fokussiert zu nennen, weil Jane exakt den Punkt wahrnimmt, an welchem dem Schüler „ein Licht aufgeht“. In the first part of the lesson, the students basically learn to understand the meaning that is conveyed by certain lexical items and to differentiate between this correct mea‐ ning and the interfered meaning from German. In the case of “good appetite” (1, 3.03), for instance, the student first assumes that this word unit contains the same meaning as the German “Guten Appetit”. Only after he understands the correct meaning, he is able to understand the whole context and is able to laugh. This implies that he under‐ stood the difference between the interfered and the correct meaning. (Jane ISA I, 5) Lernergebnisse werden im Zusammenhang mit der Fehlerkorrektur durch den Lehrer antizipiert. Die Vorhersage ist nachvollziehbar, weil Jane konkret auf 192 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="193"?> Lerneräußerungen aus dem Unterrichtsvideo Bezug nimmt. Jane verwendet einen differenzierten Lernbegriff, da sie auf Aspekte des Wortschatzwissens re‐ kurriert. Sie geht außerdem recht selbstständig mit den Fachkonzepten um und wandelt das Fachkonzept negotiation of meaning zu elaboration of meaning ab. There are also some situations, in which the students learn aspects of vocabulary use. This happens when the teacher comments on some students’ statements, as in “He paid her compliments; he complimented her” instead of “He gave her a compliment” (2, 1.28) and in “she doesn’t” instead of “she don’t” and “no plural of information” (2, 4.36). The overall focus of learning, however, seems to be the elaboration of meaning. (Jane ISA I, 7) Alternativen Jane entwickelt eine Alternative für eine konkrete Situation aus dem Unter‐ richtsvideo (Erschließung der Bedeutung von good appetite) und weitet ihren Vorschlag für eine Alternative in eine generelle Empfehlung zur Vertiefung und Verbesserung lexikalischen Lernens mit Hilfe eines Strategietrainings aus: If I were to teach this lesson, I would spend more time on negotiating meaning in the first part of the lesson instead of defining it as in the case of “good appetite”. In my opinion, the meaning of this item could be guessed from the context in a discussion in class and this guessing meaning from context, in turn, is an important strategy to be learnt. [Generelle Empfehlung: ] I think the teacher could have spent more time on supporting the learning of this strategy - also with regard to the other examples referring to interference mistakes. Instead of defining a meaning quickly, stu‐ dent-to-student conversation could be encouraged and the students could thus be given the chance to process words more deeply and to improve their strategies of learning words on their own. ( Jane ISA I, 12) Für die Beschreibung des alternativen Vorgehens nutzt Jane das Fachkonzept negotiation of meaning. Sie ist in der Lage zu antizipieren, welche Lerneffekte (Strategieerwerb) von der Alternativhandlung (Aushandeln von Bedeutungen gemeinsam mit Lernenden) ausgehen können. Jane nutzt dabei die Fachkonzepte negotiation of meaning und guessing from context differenziert, wenngleich diese beiden Konzepte didaktisch betrachtet nah beieinander liegen (Kommunikations- und Unterstützungskultur). Um Bedeutungen aushandeln zu können, müssen sprachliche und lebensweltliche Informationen aus dem Kontext mit herange‐ zogen werden. Die Bedeutung von good appetite wird erst im Kontext der Ant‐ wort der Sprecherin im Dialog erfahrbar: „Oh, it’s just a salad“ (vgl. 3.5.5.2). 193 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="194"?> 4.1.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Die wissensbasierte Verarbeitung von Jane ist auch in diesem Video recht ausge‐ prägt. Diese individuelle schriftliche Analyse von Jane enthält Vorhersagen und Klassifizierungen für die überwiegende Zahl der Situationen. Jane entwickelt eine Alternative, die Potenzial besitzt, das lexikalische Lernen zu verbessern. 120 Alternativen Jane entwickelt eine Alternative für eine konkrete Situation aus dem Unterrichtsvideo (Erschließung der Bedeutung von good appetite) und weitet ihren Vorschlag für eine Alternative in eine generelle Empfehlung zur Vertiefung und Verbesserung lexikalischen Lernens mit Hilfe eines Strategietrainings aus: If I were to teach this lesson, I would spend more time on negotiating meaning in the first part of the lesson instead of defining it as in the case of “good appetite”. In my opinion, the meaning of this item could be guessed from the context in a discussion in class and this guessing meaning from context, in turn, is an important strategy to be learnt. [Generelle Empfehlung: ] I think the teacher could have spent more time on supporting the learning of this strategy - also with regard to the other examples referring to interference mistakes. Instead of defining a meaning quickly, student-to-student conversation could be encouraged and the students could thus be given the chance to process words more deeply and to improve their strategies of learning words on their own. (Jane ISA I, 12) Für die Beschreibung des alternativen Vorgehens Jane das Fachkonzept negotiation of meaning. Sie ist in der Lage, zu anti pieren, welche Lerneffekte (Strategieerwerb) von der Alternativhandlung (Aushandeln von Bedeutungen ge meinsam mit Lernenden) ausgehen können. Jane nutzt dabei die Fachkonzepte negotiation of meaning und sing from context differenziert, wenngleich diese beiden Konzepte didaktisch betrachtet nah beieinander liegen (Kommunikations- und Unterstützungskultur). Um Bedeutungen aushandeln zu können, müssen sprachliche und lebensweltliche Informationen aus dem Kontext mit herangezogen werden. Die Bedeutung von good appetite wird erst im Kontext der Antwort der Sprecherin im Dialog erfahrbar: „Oh, it’s just a salad“ (vgl. 3.5.5.2 4.1.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Die wissensbasierte Verarbeitung von Jane ist auch in diesem Video recht ausgeprägt. Diese individuelle schriftliche Analyse (ISA) von Jane enthält Vorhersagen und Klassifizierungen für die überwiegende Zahl der Situationen. Jane entwickelt eine Alternative, die Potenzial besitzt, das lexikalische Lernen zu verbessern. 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Jane ISA II, n=7 Diagramm 3: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA II ( Jane) Klassifizierungen Die Verwendung der Fachsprache (referents, retrieval) in Verbindung mit einer konzisen Erfassung des Lehr-Lerngeschehens und einem knappen Ausblick auf das Ziel der Aktivität belegen das hoch ausgeprägte Maß an wissensbasierter Verarbeitung bei Jane, welches sich in einem hohen Maß an konzeptioneller Durchdringung der Ereignisse aus dem Video niederschlägt. Für die Klassifi‐ zierung von Situationen aus dem Video „Practicing new words“ verwendet Jane die Konzepte aspects of word knowledge und retrieval. The learners are not provided with additional lexical information. As can be seen from the number of hands being raised when the teacher asks for a word, the spoken and written form of the words are already familiar, as well as the referents with regard to meaning. Accordingly, this part of the lesson basically realizes retrieval. In the very first part of the lesson, the students retrieve words productively after seeing the referents on the blackboard: They wish to communicate the meaning of a word and have to recall 194 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="195"?> the appropriate spoken form. On the whole, the children thus strengthen their own memory. (Jane ISA II, 5) Jane ist auch in der Lage, die Ziele der Stunde aus dem konkreten Geschehen herauszulesen und sie mit Hilfe des entsprechenden Fachkonzepts zu klassifi‐ zieren. Die Blitzlesemethode ordnet Jane richtig dem „Standbein“ fluency deve‐ lopment zu, weil durch das kurze Aufblitzen der Wortkarten die Worterkennung unter Zeitdruck geschult wird. Moreover, in the sequence from 2.23-3.11 (1), the teacher quickly turns word cards around and allows no more than a little glimpse at the written words. The limited time encourages children to perform the reading task more quickly than usual, there’s a certain pressure. Another aim thus seems to be the development of reading fluency as part of the fluency development strand. ( Jane ISA II, 3) Vorhersagen Jane ist in der Lage, für die Situationen dieses Unterrichtsvideos begründete und differenzierte Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssitua‐ tion auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern zu treffen. Sie erkennt Zusammenhänge zwischen Lehrerhandeln und Lernerergebnis: The teacher prompt at the very beginning of the lesson encourages productive re‐ trieval and thus strengthens the mental connection between the referent on the picture card and its form. ( Jane ISA II, 7) Dass Jane über einen differenzierten Lernbegriff verfügt, lässt sich daran ablesen, dass sie Teillernleistungen (Aussprache) von methodischen Maßnahmen der Lehr‐ kraft (Modulation der Stimme und chorisches Nachsprechen) ableiten kann: Dealing with the spoken form/ pronunciation of the lexical items is supported when the learners repeat the words several times and in 1.20 (1), when the teacher plays with her voice. The double circle activity from 1.11-1.58 (2) also trains pronunciation since the learners hear and pronounce each word individually. ( Jane ISA II, 8) Jane stellt die Verbesserung der Behaltensleistung nicht nur pauschal heraus, sondern differenziert das Lernergebnis bezogen auf die Kenntnis der Wortbe‐ standteile und der geschriebenen Form des Wortes: The word cards strengthen memorization by practising the written form of the words as an additional support. In the case of “hot chocolate” (1, 1.30), the teacher makes clear that there are two word parts, thus also strengthening form knowledge aspects and making the word more likely to be remembered. In doing this, she additionally points out a relation to the antonym “cold”. ( Jane ISA II, 9) 195 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="196"?> Alternativen Die von Jane vorgeschlagene Alternative zielt auf die Erhöhung der Verarbei‐ tungstiefe ab und beinhaltet konkrete Vorschläge für eine kognitiv stimulie‐ rende und altersangemessene Umwälzung des Wortfelds food and drinks. Die vorgeschlagene Alternative trägt zur Optimierung lexikalischen Lernens bei, weil lexikalisches Wissen strukturiert und ins mentale Lexikon integriert wird. Der Orientierungsrahmen für diese Alternative ist die Variation des Übungsge‐ schehens und das Fachkonzept depth of processing. I think that a certain depth of processing can help memorizing at least as good as ‘simple’ repetition. An activity involving sorting or ranking items might be useful. For instance, the students could rank the food and drinks known to them according to how much they like it. Probably, they would even want to ask for additional lexical items they are interested in and which they could mentally connect to familiar words. What could also have made sense would be using headwords like food or drinks, sweet and savoury (hyponymy) in order to help the learners organise lexical information with regard to semantic relations when the teacher puts the picture cards on the blackboard. ( Jane ISA II, 11) Jane entwickelt eine weitreichende Alternative bezogen auf das Stundenziel der Wiederholung von Wortschatz und nicht nur bezogen auf eine einzelne Situa‐ tion. Die vorgeschlagene Alternative rahmt sie in das vorhergehende Übungs‐ geschehen ein, wobei sie einräumt, dass im Falle einer vorhergehenden, ver‐ tieften Beschäftigung mit dem Wortschatz das Übungsgeschehen ausreichend ist und keinerlei Variationen bedarf. In order to answer this question it would be interesting to know when the learners have dealt with these lexical items for the last time and how the items have been dealt with. If they have already been processed more deeply, this lesson can be an appro‐ priate and varied way of repeating the words. ( Jane ISA II, 11) 4.1.2.3 Video „Drive me crazy“ (Jgst. 6) In dem Video „Drive me crazy“ übt der Lehrer mit den Lernenden einen Dialog ein, den die Schüler am Ende der Stunde mit einem Partner vorspielen. In diesem Video hat Jane 10 Situationen selektiert und analysiert. Für drei Situationen werden Lernergebnisse vorhergesagt, wobei die Vorhersage in einem Fall nur teilweise nachvollziehbar ist. Die wissensbasierte Verarbeitung des im Video gezeigten Unterrichts ist hier (wie schon in den vorherigen Analysen) hoch ausgeprägt, da Jane die Hälfte der selektierten Situationen mit einem Fachkon‐ zept klassifiziert. Nur in einem Fall ist die Klassifizierung von Lernzielen oder 196 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="197"?> Maßnahmen der Lernunterstützung nicht zutreffend. Außerdem entwickelt Jane eine Alternative, welche zu einer nachvollziehbaren Optimierung lexika‐ lischen Lernens führen würde. 123 Diagramm 4: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA III (Jane) Klassifizierungen Jane ist in der Lage, fachdidaktische Konzepte für die Erklärung von Lehr-Lernsituationen aus dem Video einzubringen und Situationen aus dem Unterrichtsvideo sowie Stundenziele (ISA III, 2 & 3) und Lerngegenstände („formulaic expressions“ (ISA III, 12)) in zutreffender und nachvollziehbarer Weise zu klassifizieren. Jane bündelt mehrere Einzelereignisse, um die Zielrichtung der Stunde im Rückgriff auf die „strands“ zu bestimmen: Since each of the sentences is deliberately explained by translation and the meaning of the idiom “driving me crazy” is deliberately decontextualized and defined by addressing particular aspects of its meaning, languagefocused learning is realized as a strand here. (Jane ISA III, 2) Das Einüben des Dialogs und die dazugehörigen Teilübungen interpretiert Jane als eine Form von incidental learning, welches der Automatisierung der Dialogteile dient. Jane bringt in dieser Analyse verschiedene Fachkonzepte zusammen und verknüpft sie miteinander: In the following parts of the lesson, the teacher basically aims at strengthening the memorization of the expressions that the learners have been familiarized with in the preceding part of the lesson. He lets the learners repeat the lexical items dialogically, thus laying the focus on the retrieval of the form and meaning of those items. This support of fluency in retrieval is realized as a part of the fluency development strand. While the very first part of the lesson rather focuses on intentional learning, the following activities aim at incidental learning. (Jane ISA III, 3) Jane versteht, dass es dem Lehrer auf die Verbesserung der Behaltensleistung bei der gesprochenen Form von Wörtern ankommt, wenn er die Schüler einzelne Teile des Dialogs lautlos nachsprechen lässt oder sie auffordert, von seinen Lippen zu lesen. Jane verknüpft grundsätzliche Zielorientierungen lexikalischen Lernens (memory/ retention) mit Dimensionen des Wortschatzwissens: In the activity from 3.24-3.43 (1), the teacher encourages linking all aspects of form by letting the students listen, read and silently pronounce the expressions, thus strengthening the memorization of form aspects of word knowledge. (Jane ISA III, 9) Vorhersagen Jane ist in der Lage, differenzierte und am Video begründete Vorhersagen über die Lernergebnisse und - prozesse des Unterrichts zu treffen. Dabei verknüpft sie verschiedene Fachkonzepte. Eine zentrale Situation des Videos ist die Erläuterung der Wendung drive me crazy. Jane erkennt, dass die Dekontextualisierung eine Voraussetzung für die Reorganisation des Wortschatzwissens bei den Lernenden ist und insofern ein Fall von receptive generative use vorliegt, da die Lernenden dem Verb drive in einem anderen Kontext begegnen: 0 1 2 3 4 5 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Jane ISA III, n=10 Diagramm 4: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA III ( Jane) Klassifizierungen Jane ist in der Lage, fachdidaktische Konzepte für die Erklärung von Lehr-Lern‐ situationen aus dem Video einzubringen und Situationen aus dem Unterrichts‐ video sowie Stundenziele (ISA III, 2 & 3) und Lerngegenstände („formulaic ex‐ pressions“ (ISA III, 12)) in zutreffender und nachvollziehbarer Weise zu klassifizieren. Jane bündelt mehrere Einzelereignisse, um die Zielrichtung der Stunde im Rückgriff auf die strands zu bestimmen: Since each of the sentences is deliberately explained by translation and the meaning of the idiom “driving me crazy” is deliberately decontextualized and defined by add‐ ressing particular aspects of its meaning, language-focused learning is realized as a strand here. ( Jane ISA III, 2) Das Einüben des Dialogs und die dazugehörigen Teilübungen interpretiert Jane als eine Form von incidental learning, welches der Automatisierung der Dialog‐ teile dient. Jane bringt in dieser Analyse verschiedene Fachkonzepte zusammen und verknüpft sie miteinander: In the following parts of the lesson, the teacher basically aims at strengthening the memorization of the expressions that the learners have been familiarized with in the preceding part of the lesson. He lets the learners repeat the lexical items dialogically, thus laying the focus on the retrieval of the form and meaning of those items. This 197 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="198"?> support of fluency in retrieval is realized as a part of the fluency development strand. While the very first part of the lesson rather focuses on intentional learning, the following activities aim at incidental learning. ( Jane ISA III, 3) Jane versteht, dass es dem Lehrer auf die Verbesserung der Behaltensleistung bei der gesprochenen Form von Wörtern ankommt, wenn er die Schüler einzelne Teile des Dialogs lautlos nachsprechen lässt oder sie auffordert, von seinen Lippen zu lesen. Jane verknüpft grundsätzliche Zielorientierungen lexikalischen Lernens (memory/ retention) mit Dimensionen des Wortschatzwissens: In the activity from 3.24-3.43 (1), the teacher encourages linking all aspects of form by letting the students listen, read and silently pronounce the expressions, thus strengthening the memorization of form aspects of word knowledge. ( Jane ISA III, 9) Vorhersagen Jane ist in der Lage, differenzierte und am Video begründete Vorhersagen über die Lernergebnisse und -prozesse des Unterrichts zu treffen. Dabei verknüpft sie verschiedene Fachkonzepte. Eine zentrale Situation des Videos ist die Erläu‐ terung der Wendung drive me crazy. Jane erkennt, dass die Dekontextualisierung eine Voraussetzung für die Reorganisation des Wortschatzwissens bei den Ler‐ nenden ist und insofern ein Fall von receptive generative use vorliegt, da die Ler‐ nenden dem Verb drive in einem anderen Kontext begegnen: In the sequence from 1.58-2.30 (1), the idiom “driving me crazy” is decontextualized by the teacher. The learners first notice this expression and then deal with its receptive generative use: Apparently, they have met the lexical item “drive” before and now find it in a different context. The students learn to understand this idiom and have to reconceptualise their word knowledge with regard to its meaning. The degree of generative use is high in this case. All the expressions in question are met in written and spoken form: the students read the written form; they perceive and produce the spoken form repeatedly. ( Jane ISA III, 4) Jane bündelt eine Reihe von Einzelmaßnahmen und begreift sie als das Behalten steigernde Maßnahmen. Sie nimmt auch wahr, dass der Lehrer sukzessive Hilfen zurücknimmt, damit sich die Schüler in zunehmendem Maße auf ihr Gedächtnis verlassen. The subsequent activities up to 1.54 (2) further encourage memorization by making the learners recall, hear, and pronounce the form of the expressions in the story again in different ways. Practising the dialogue in pairs then strengthens the form-meaning link again. Here, the students can use the OHP as a support. In the subsequent role play, they are finally encouraged to recall the whole dialogue without any help. The 198 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="199"?> teacher thus gradually reduces supportive aids and makes the students rely on their memory. ( Jane ISA III, 10) Alternativen Eine Verbesserung der lexikalischen Lernprozesse sieht Jane in einer stärkeren Einbeziehung der Lernenden in Prozesse der Bedeutungsaushandlung und des Erschließens von Wortbedeutungen. Jane fasst eine Situation als gelungene Lernsituation auf, wenn die Lernenden am Aushandeln von Bedeutungen be‐ teiligt werden und wenn es Möglichkeiten für die Lernenden gibt, Wortschatz tiefer zu verarbeiten (vgl. auch Alternativen bei ISA I). Der oben bereits er‐ wähnte Orientierungsrahmen „Erhöhung der Verarbeitungstiefe“ ist auch in dieser Passage erkennbar. On a general level, I would prefer to involve the students more in the negotiation of the meanings and giving them more chances to communicate. I was quite surprised how quickly the teacher gave the meaning of the sentences away without asking the students about it at all and I found it striking that he used the L1 to do so. In my view, the pictures combined with the story title “Sleepy Joe” would have made an effective context to really discuss the meanings of the expressions and a chance for the learners to process lexis more deeply. An activity I would find useful in the context of this lesson would be to create an own comic, for instance, in which the idiom “drive so‐ mebody crazy” and probably even more formulaic language items can be applied by the learners. ( Jane ISA III, 12) 4.1.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) In dem Video „Perfect Job” selektiert Jane insgesamt 12 Situationen. Die Hälfte dieser Situationen klassifiziert sie mit einem Fachkonzept, Lernprozesse werden für ein Viertel aller Situationen antizipiert (jeweils Niveau 3; vgl. 3.6.3). In je‐ weils einem Fall ist die Vorhersage bzw. die Klassifizierung nicht oder nur teil‐ weise nachvollziehbar. Jane bewertet zwei Situationen und zeigt Alternativen für zwei Situationen auf. Dies ist die einzige Analyse, in der Jane eine Situation bewertet. In ISA I-III finden sich bei Jane ansonsten keine Bewertungen. 199 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="200"?> Diagramm 5: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA IV (Jane) Klassifizierungen Drei Viertel aller Klassifizierungen von Situationen mit Fachkonzepten sind zutreffend und nachvollziehbar. In einem Fall bringt Jane das Konzept fluency development ein. Allerdings gibt es im Unterricht keine Indizien dafür, dass das pantomimische Beruferaten unter zeitlichen Beschränkungen stattfindet und zur Förderung der Flüssigkeit des Sprechens oder Abrufens von lexikalischen Mitteln beitragen würde. Es wird von den Lernenden nicht verlangt, das Zielwort schneller und unter Zeitdruck abzurufen. Ob das pantomimische Beruferaten daher auf ein flüssigeres Abrufen von Wörtern zielt, wie Jane meint, erscheint fraglich. Im Vordergrund steht eindeutig das Erraten eines Berufes anhand von wenig spezifischen Gesten (in Manier eines bekannten Gesellschaftsspiels). Since it can be assumed that no new lexical information is presented here, it can be argued that part of the fluency development strand is addressed by the teacher with regard to fluency in retrieval. The idea of the game actually is to guess the job in question as fast as one can - thus, it can be assumed that the teacher also aims at creating a certain pressure to perform faster when recalling the respective words performed. (Jane ISA IV, 3) Jane zeigt in der Analyse, dass sie in der Lage ist, die Perspektiven zu wechseln und die Lernprozesse der ratenden Mitschüler und der pantomimisch agierenden Schüler jeweils separat in den Blick zu nehmen. Grenzen und Erträge des pantomimischen Beruferatens aus der Einstiegsphase der Stunde erkennt Jane richtiggehend und differenziert diese im Hinblick auf die ratenden Mitschüler und die ausführenden Pantomimen. Wenn sich der vorspielende Schüler zunächst Gedanken machen muss, welche Gesten zu dem darzustellenden Beruf passen, dann lässt sich dies als tieferes Verarbeiten im Sinne eines vertieften Nachdenkens fassen; allerdings bleiben die Verarbeitung und das Abrufen sprachlicher Informationen außen vor. Wenn Jane in dieser Passage recht selbstständig mit dem Fachkonzept depth of processing umgeht und es in einen Kontext platziert, in dem es zumindest für das lexikalische Lernen fragwürdig erscheint, ob in dieser konkreten Aktivität durch deep processing Lerneffekte erzielt werden, wirft dies auch ein Licht auf das Konzept selbst. Since the teacher decides to let the students perform a pantomime game, it can be assumed that he picked only those words the students already know: they have to be familiar with the lexical items in order to perform the activity properly. The overall aim here thus seems to be word retrieval with regard to those students who guess on the one hand and deeper processing of (presumably) previously met lexical items when the students perform the respective job in question on the other. (Jane ISA IV, 2) Lerngegenstandsbezogene Kategorisierungen verknüpft Jane mit der Aktivität und ordnet beide einem übergeordneten Konzept zu (incidental learning). Jane erkennt, dass es um die Frage geht, was in dem Konzept des 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Jane ISA IV, n=12 Diagramm 5: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA IV ( Jane) Klassifizierungen Drei Viertel aller Klassifizierungen von Situationen mit Fachkonzepten sind zu‐ treffend und nachvollziehbar. In einem Fall bringt Jane das Konzept fluency de‐ velopment ein. Allerdings gibt es im Unterricht keine Indizien dafür, dass das pantomimische Beruferaten unter zeitlichen Beschränkungen stattfindet und zur Förderung der Flüssigkeit des Sprechens oder Abrufens von lexikalischen Mitteln beitragen würde. Es wird von den Lernenden nicht verlangt, das Zielwort schneller und unter Zeitdruck abzurufen. Ob das pantomimische Beruferaten daher auf ein flüssigeres Abrufen von Wörtern zielt, wie Jane meint, erscheint fraglich. Im Vordergrund steht eindeutig das Erraten eines Berufes anhand von wenig spezifischen Gesten (in der Manier eines bekannten Gesellschaftsspiels). Since it can be assumed that no new lexical information is presented here, it can be argued that part of the fluency development strand is addressed by the teacher with regard to fluency in retrieval. The idea of the game actually is to guess the job in question as fast as one can - thus, it can be assumed that the teacher also aims at creating a certain pressure to perform faster when recalling the respective words per‐ formed. ( Jane ISA IV, 3) Jane zeigt in der Analyse, dass sie in der Lage ist, die Perspektiven zu wechseln und die Lernprozesse der ratenden Mitschüler und der pantomimisch agier‐ enden Schüler jeweils separat in den Blick zu nehmen. Grenzen und Erträge des pantomimischen Beruferatens aus der Einstiegsphase der Stunde erkennt Jane richtig und differenziert diese im Hinblick auf die ratenden Mitschüler und die 200 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="201"?> ausführenden Pantomimen. Wenn sich der vorspielende Schüler zunächst Ge‐ danken machen muss, welche Gesten zu dem darzustellenden Beruf passen, dann lässt sich dies als tieferes Verarbeiten im Sinne eines vertieften Nachden‐ kens fassen; allerdings bleiben die Verarbeitung und das Abrufen sprachlicher Informationen außen vor. Wenn Jane in dieser Passage recht selbstständig mit dem Fachkonzept depth of processing umgeht und es in einen Kontext platziert, in dem es zumindest für das lexikalische Lernen fragwürdig erscheint, ob in dieser konkreten Aktivität durch deep processing Lerneffekte erzielt werden, wirft dies auch ein Licht auf das Konzept selbst. Since the teacher decides to let the students perform a pantomime game, it can be assumed that he picked only those words the students already know: they have to be familiar with the lexical items in order to perform the activity properly. The overall aim here thus seems to be word retrieval with regard to those students who guess on the one hand and deeper processing of (presumably) previously met lexical items when the students perform the respective job in question on the other. ( Jane ISA IV, 2) Lerngegenstandsbezogene Kategorisierungen verknüpft Jane mit der Aktivität und ordnet beide einem übergeordneten Konzept zu (incidental learning). Jane erkennt, dass es um die Frage geht, was in dem Konzept des Wortes (z. B. zoo keeper) alles enthalten ist. Dieser Aspekt des Wortwissens wird jedoch vom Lehrer nicht explizit thematisiert oder gar erläutert. Lexikalisches Lernen bleibt in dieser Situation beiläufig, da der Fokus auf der Bedeutung liegt und die Be‐ schreibung des Bildes und das Erraten des Berufes im Vordergrund stehen. With regard to the second activity, the teacher’s basic aim seems to be a development of the concepts referring to the respective lexical items/ jobs shown in the picture. Thus, the focus is clearly on teaching meaning aspects of the lexical items in question. In general, the teacher thus rather aims at incidental learning. ( Jane ISA IV, 4) In einer anderen Passage klassifiziert Jane Lehrerprompts und die Zielrichtung von Aufgabenstellungen in nachvollziehbarer Weise und mit konkretem Rück‐ bezug auf das Video. Ebenso ist eine präzise Benennung des Lerngegenstands erkennbar (form-meaning link), welche Jane mit einem Fachkonzept zur Be‐ schreibung des Lernvorgangs verknüpft, um die Zielrichtung der Aktivität zu beschreiben. In different situations, the teacher tries to encourage the students to name the re‐ spective jobs, and then decides to ask for descriptions instead: “What could be the job here? Try to describe the picture”. By doing this, he encourages the link between concept and lexical item/ form of the word. By choosing the two activities and the 201 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="202"?> ways they are carried out, he does address and support retrieval and learning about aspects of meaning. ( Jane ISA IV, 11) Vorhersagen Für ein Drittel der selektierten Situationen im Video „Perfect Job“ antizipiert Jane mögliche Lerneffekte, die aus Lehrerimpulsen oder Aufgaben resultieren. Von ins‐ gesamt vier Vorhersagen sind drei nachvollziehbar und plausibel begründet (vgl. Diagramm 5). Das mögliche Lernergebnis wird von Jane präzise mit einem Fach‐ konzept (aspects of word knowledge) erfasst, was insgesamt auf einen sich ausdiffe‐ renzierenden Lernbegriff bei Jane hindeutet. Die Vorhersage des Lernergebnisses wird auch hier erneut mit der Lernaktivität zusammen in den Blick genommen. Allerdings ist Jane etwas zu optimistisch, was die Erträge aus dieser Unterrichts‐ phase betrifft, wenn sie meint, dass die Schüler lernen, was genau in dem Konzept inkludiert ist. (Sie wird später in ihrer Analyse allerdings für genau diese Situation eine Alternative vorschlagen.) Das Lehrerverhalten bleibt zu unbestimmt, wenn der Lehrer die abschließende Klärung der Wortbedeutung vertagt und die Lernenden auf eine Auflösung zu einem späteren Zeitpunkt „vertröstet“. L Could be. Another job here, perhaps. Dominic. 10: 10 S Maybe she's a window dresser. 10: 12 L All right, we will see if it, this, if this is the case. Something else? 10: 17 S Or a shop assistant. 10: 18 L Or this, exactly. 10: 20 L So you see we have different jobs (! ) descriptions here. Now we go into detail. 10: 25 Tabelle 36: Auszug aus dem Video „Money“ Insofern scheint es fraglich, ob die Lernenden eindeutige Rückmeldungen da‐ rüber bekommen, welche der von ihnen genannten Inhaltsaspekte nun tatsäch‐ lich in dem Konzept des jeweiligen Berufes vorkommen, wie Jane glaubt: The second aspect refers to the second activity in which the students basically learn about meaning aspects of the lexical items referring to jobs. In more detail, they learn about 202 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="203"?> what exactly is included in the concept of the “job” items and what the referents are by taking a look at the pictures and describing them with reference to jobs. (Jane ISA IV, 9) Eine sehr feingliedrige Beschreibung des Lernertrages, gefolgt von einer Diffe‐ renzierung der Lernprozesse, die jeweils bei den vorspielenden und bei den ra‐ tenden Lernenden angenommen werden können, fällt in dieser Passage auf: The students’ learning processes throughout the lesson refer to two basic aspects: First, they retrieve the lexical items to be guessed during the pantomime game. In doing this, they try to make sense of the activities performed, relate them to a concept that fits a job and then find the correct form of the respective lexical item. All this relates to productive retrieval. ( Jane ISA IV, 6) Diese Analyse lässt sich in eine schematische Struktur bringen (Diagramm 6) und verdeutlicht die Kohärenz des fachdidaktischen Wissens, über das Jane verfügt. Am konkreten Fall kann sie präzise darlegen, wie der Prozess des ak‐ tiven Erinnerns in einer spezifischen Phase des Unterrichts verläuft. Eine sehr feingliedrige Beschreibung des Lernertrages, gefolgt von einer Differenzierung der Lernprozesse, die jeweils bei den vorspielenden und bei den ratenden Lernenden angenommen werden können, fällt in dieser Passage auf: The students’ learning processes throughout the lesson refer to two basic aspects: First, they retrieve the lexical items to be guessed during the pantomime game. In doing this, they try to make sense of the activities performed, relate them to a concept that fits a job and then find the correct form of the respective lexical item. All this relates to productive retrieval. (Jane ISA IV,6) Diese Analyse lässt sich in eine schematische Struktur bringen (Diagramm 6) und verdeutlicht die Kohärenz des fachdidaktischen Wissens, über das Jane verfügt. Am konkreten Fall kann sie präzise darlegen, wie der Prozess des aktiven Erinnerns in einer spezifischen Phase des Unterrichts verläuft. Diagramm 6: Schematische Darstellung der Verknüpfung von Aufgabe, Lernprozess und antizipiertem Lernergebnis (Jane ISA IV, 6) Ähnlich überzeugend ist die Darlegung des Lernertrags für diejenigen Schüler, welche die Pantomime ausführen. Jane blendet Nebensächlichkeiten aus der Stunde aus, so dass ihr die Differenzierung zwischen beobachtbaren Schülerhandlungen und mentalen Vorgängen gelingt: The students performing the activities, on the other hand, have to find the right concepts for the words they read and “translate” them into activities that are performable. Here, receptive retrieval can be found. (Jane ISA IV,7) Jane vermutet Lernerträge im Bereich der Behaltensleistung, weil die Lernenden sich klar werden müssen über die Aufgaben eines „bank clerk“, wenn sie diese in Bewegungen umsetzen müssen. Dieser in Janes Analyse nur angedeutete Gedankengang kann als Indiz für einen recht eigenständigen und sensiblen Umgang mit Fachkonzepten gewertet werden. Furthermore, those students process words more deeply by trying to find the very core meaning of the respective word that is performable. It may be that this activity helps students to memorize the lexical items in question. (Jane ISA IV,8) Die Eigenständigkeit kommt in der Organisation und Vernetzung zum Ausdruck und lässt sich auf die folgende Weise schematisch darstellen: making sense of performance linking gestures to a suitable concept select the correct lexical item retrieval finding the (performable) core meaning deep processing (spending time on word) improves memorization Diagramm 6: Schematische Darstellung der Verknüpfung von Aufgabe, Lernprozess und antizipiertem Lernergebnis ( Jane ISA IV, 6) Ähnlich überzeugend ist die Darlegung des Lernertrags für diejenigen Schüler, welche die Pantomime ausführen. Jane blendet Nebensächlichkeiten aus der Stunde aus, so dass ihr die Differenzierung zwischen beobachtbaren Schüler‐ handlungen und mentalen Vorgängen gelingt: The students performing the activities, on the other hand, have to find the right con‐ cepts for the words they read and “translate” them into activities that are performable. Here, receptive retrieval can be found. ( Jane ISA IV, 7) Jane vermutet Lernerträge im Bereich der Behaltensleistung, weil die Lernenden sich klar werden müssen über die Aufgaben eines bank clerk, wenn sie diese in Bewegungen umsetzen müssen. Dieser in Janes Analyse nur angedeutete Ge‐ dankengang kann als Indiz für einen recht eigenständigen und sensiblen Um‐ gang mit Fachkonzepten gewertet werden. 203 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="204"?> Furthermore, those students process words more deeply by trying to find the very core meaning of the respective word that is performable. It may be that this activity helps students to memorize the lexical items in question. ( Jane ISA IV, 8) Die Eigenständigkeit kommt in der Organisation und Vernetzung zum Ausdruck und lässt sich auf die folgende Weise schematisch darstellen: 127 The students performing the activities, on the other hand, have to find the right concepts for the words they read and “translate” them into activities that are performable. Here, receptive retrieval can be found. (Jane ISA IV,7) Jane vermutet Lernerträge im Bereich der Behaltensleistung, weil die Lernenden sich klar werden müssen über die Aufgaben eines „bank clerk“, wenn sie diese in Bewegungen umsetzen müssen. Dieser in Janes Analyse nur angedeutete Gedankengang kann als Indiz für einen recht eigenständigen und sensiblen Umgang mit Fachkonzepten gewertet werden. Furthermore, those students process words more deeply by trying to find the very core meaning of the respective word that is performable. It may be that this activity helps students to memorize the lexical items in question. (Jane ISA IV,8) Die Eigenständigkeit kommt in der Organisation und Vernetzung zum Ausdruck und lässt sich auf die folgende Weise schematisch darstellen: Diagramm 7: Schematische Darstellung der Verknüpfung von Aufgabe, Lernprozess und antizipiertem Lernergebnis (Jane ISA IV) finding the (performable) core meaning deep processing (spending time on word) improves memorization Diagramm 7: Schematische Darstellung der Verknüpfung von Aufgabe, Lernprozess und antizipiertem Lernergebnis ( Jane ISA IV) Alternativen Für den Unterricht im Video „Perfect Job“ entwickelt Jane zwei Alternativen für zentrale Situationen des Unterrichts, welche zu einer Optimierung lexikalischen Lernens in der Stunde führen würden. Statt der Pantomime würde eine münd‐ liche Beschreibung der zu erratenen Berufe zu einer Erhöhung des Sprachum‐ satzes führen und somit das „Standbein“ meaning focused output gestärkt. If I were to teach this lesson, I would probably not choose a pantomime game for the retrieval part of the lesson. I think it could make more sense to let the students describe the respective job by trying to find the key concepts behind it - a bit in the way it is done in the game “Tabu”. Thus, the students would also have the chance to really use the language and produce meaning-focused output (and the difficulty of “translating” concepts into activities could be avoided). ( Jane ISA IV, 14) Jane nimmt wahr, dass die Verknüpfung zwischen der Form und der Bedeutung (form-meaning link) durch das hier gezeigte Lehrerverhalten nicht erreicht wird, weil die Semantisierung der zu lernenden Zielwörter verschoben wird. Jane spricht sich klar für eine zeitnahe Absicherung der Form-Bedeutungs-Verknüp‐ fung aus und sieht die aufgeschobene Semantisierung kritisch. Moreover, I think it would have been better if the teacher hadn’t postponed naming the lexical items in the second activity. I think this would be more useful to establish a link between the concepts which have been discussed and the respective new word. ( Jane ISA IV, 15) 204 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="205"?> 4.1.3 Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Jane In diesem Kapitel wird untersucht, wie sich einzelne Dimensionen der Unter‐ richtswahrnehmung bei Jane entwickelt haben. Hierzu werden ISA Prä und ISA Post miteinander verglichen. Neben einer quantitativen Perspektive auf die ein‐ zelnen Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse werden die Analysen von Schlüsselszenen in der Prä- und der Post-Analyse miteinander verglichen. Das Frageinteresesse zielt darauf, Unterschiede in der Verarbeitung von einzelnen Schlüsselszenen herauszuarbeiten. Ein Indiz für eine Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung wäre beispielsweise der Befund, dass eine Situation in der Post-Analyse klassifiziert wird, die in der Prä-Analyse noch beschrieben worden ist. Diagramm 8: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, Jane, alle ISAs, se‐ lektierte Situationen, n=67 In der Gesamtschau zeigt sich, dass Jane kontinuierlich, d. h. bereits ab ISA I, Fachkonzepte für die Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens nutzt. In allen ISAs zeigt sie die Fähigkeit, Verknüpfungen zwischen Lehrerhandeln und Lernprozessen herzustellen. Alternative Handlungsmöglichkeiten, die das 205 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="206"?> Potenzial haben, lexikalisches Lernen zu verbessern, entwickelt Jane für den Unterricht in jedem Video. Dies lässt sich möglicherweise auf Praxiserfahrungen und eigene Unterrichtsversuche zurückführen. 4.1.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Von der Präzur Post-Analyse erhöht sich die Anzahl der selektierten Situati‐ onen aus dem Unterrichtsvideo „Money“ um 8 Situationen von 11 auf 19. Der Anteil der abstrakten Beschreibungen ist von der Präzur Post-Analyse deutlich zurückgegangen (ISA Prä = 5, ISA Post = 1). Stattdessen klassifiziert Jane in der Post-Analyse mehr als die Hälfte aller Situationen mit einem Fachkonzept, wobei diese Klassifizierungen in der Mehrzahl der Fälle durch Verweise auf das Unterrichtsvideo konkret belegt und nachvollziehbar sind (Niveau 3). Der Anteil der Situationen, für die Jane Lernprozesse vorhersagt, ist annähernd gleich ge‐ blieben. In der Post-Analyse schlägt Jane zwei gut begründete Alternativen vor, die nachvollziehbare Optimierungen lexikalischen Lernens zur Folge haben. 128 lexikalisches Lernen zu verbessern, entwickelt Jane für den Unterricht in jedem Video. Dies lässt sich möglicherweise auf Praxiserfahrungen und eigene Unterrichtsversuche zurückführen. 4.1.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Von der Präzur Post-Analyse erhöht sich die Anzahl der selektierten Situationen aus dem Unterrichtsvideo „Money“ um 8 Situationen von 11 auf 19. Der Anteil der abstrakten Beschreibungen ist von der Präzur Post- Analyse deutlich zurückgegangen (ISA Prä = 5, ISA Post = 1). Stattdessen klassifiziert Jane in der Post-Analyse mehr als die Hälfte aller Situationen mit einem Fachkonzept, wobei diese Klassifizierungen in der Mehrzahl der Fälle durch Verweise auf das Unterrichtsvideo konkret belegt und nachvollziehbar sind (Niveau 3). Der Anteil der Situationen, für die Jane Lernprozesse vorhersagt, ist annähernd gleich geblieben. In der Post-Analyse schlägt Jane zwei gut begründete Alternativen vor, die nachvollziehbare Optimierungen lexikalischen Lernens zur Folge haben. Diagramm 9: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Jane) Eine Aggregation der Kategorien führt die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Jane noch deutlicher vor Augen. Hierzu werden die Einschätzdimensionen mit einem Faktor versehen und alle Kodierungen für z. B. „Vorhersagen 3“ mit dem Faktor 3 multipliziert, so dass sich ein aggregierter Wert für jede Dimension der Unterrichtswahrnehmung ergibt. Während sich bei der ersten Videoanalyse ausschließlich abstrakte Beschreibungen und einzelne Vorhersagen finden, ist die Analyse des gleichen Videos am Ende des Seminars in hohem Maße durch Klassifizierungen, Vorhersagen und das Benennen von Alternativen geprägt (vgl. Diagramm 10). 0 1 2 3 4 5 6 7 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Jane Prä-Post-Vergleich, n prä =11, n post =19 Jane_ISA_prä Jane_ISA_post Diagramm 9: Prä-Post-Analyse im Vergleich, alle Dimensionen ( Jane) Eine Aggregation der Kategorien führt die Entwicklung der professionellen Un‐ terrichtswahrnehmung bei Jane noch deutlicher vor Augen. Hierzu werden die Einschätzdimensionen mit einem Faktor versehen und alle Kodierungen für z. B. „Vorhersagen 3“ mit dem Faktor 3 multipliziert, sodass sich ein aggregierter Wert für jede Dimension der Unterrichtswahrnehmung ergibt. Während sich bei der 206 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="207"?> ersten Videoanalyse ausschließlich abstrakte Beschreibungen und einzelne Vor‐ hersagen finden, ist die Analyse des gleichen Videos am Ende des Seminars in hohem Maße durch Klassifizierungen, Vorhersagen und das Benennen von Al‐ ternativen geprägt (vgl. Diagramm 10). Der starke Ausschlag nach rechts (= hoher Wert bei den Klassifizierungen) spiegelt das hohe Maß an argumentativer Strin‐ genz mit Rückbezug auf das Unterrichsvideo in Janes Klassifizierungen wider. 130 Diagramm 9: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Jane) Eine Aggregation der Kategorien führt die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Jane noch deutlicher vor Augen. Hierzu werden die Einschätzdimensionen mit einem Faktor versehen und alle Kodierungen für z. B. „Vorhersagen 3“ mit dem Faktor 3 multipliziert, so dass sich ein aggregierter Wert für jede Dimension der Unterrichtswahrnehmung ergibt. Während sich bei der ersten Videoanalyse ausschli Diagramm 10: Prä-Post-Analyse im Vergleich, aggregiert (Jane) Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung 0 5 10 15 20 25 30Beschr Klass Vorhers Altern Prä Post Diagramm 10: Prä-Post-Analyse im Vergleich, aggregiert ( Jane) 4.1.3.2 Analyse ausgewählter Situationen aus dem des Video „Money“ (ISA Post) In der Post-Analyse finden sich bei Jane keine Beschreibungen von Situationen mehr. Die wissensbasierte Verarbeitung des Unterrichts überwiegt. Zum Ende des Seminars klassifiziert Jane in der Post-Analyse des Videos „Money” mehr als die Hälfte aller Situationen mit einem passenden Fachkonzept und trifft Vor‐ hersagen für rund ein Viertel aller ausgewählten Situationen. 207 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="208"?> 131 Analyse ausgewählter Situationen aus dem des Video „Money“ (ISA Post) In der Post-Analyse finden sich bei Jane keine Beschreibungen von Situationen mehr. Die wissensbasierte Verarbeitung des Unterrichts überwiegt. Zum Ende des Seminars klassifiziert Jane in der Post-Analyse des Videos „Money” mehr als die Hälfte aller Situationen mit einem passenden Fachkonzept und trifft Vorhersagen für rund Diagramm 11: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA post (Jane) Klassifizierungen Vier Klassifizierungen in der Post-Analyse bleiben allgemein und ohne argumentativen Bezug zwischen Situationen aus dem Unterricht und Merkmalen des Konzepts, auch wenn die Passung zwischen Konzept und Situation gegeben ist (Niveau 2). Jane erkennt, dass es in der Stunde darum geht, dass die Lernenden Gelegenheiten zum bedeutungsvollen und kontextualisierten Gebrauch von Wörtern erhalten; das explizite (intentionale) Wortschatzüben durch das Benennen bereits bekannter Wörter aus dem Wortfeld „money“ ist jedoch gleichermaßen von Bedeutung, was sie durch den Bezug zum „Standbein“ language focused learning zum Ausdruck bringt. Thus, it can generally be said that Perino’s aim is to connect language-focused learning with meaningfocused output, and that he mainly aims at meaning aspect in the later part of the lesson. The first part, however lays a focus on retrieval and addresses form aspects of already familiar words (words are pronounced and written on the blackboard). (Jane ISA Post, 5) Jane nutzt weitere Konzepte (defining, negotiation of meaning) um die Zielorientierung unterrichtlicher Handlungen präzse zu beschreiben und Lehreraktivitäten zu klassifizieren. Jane verknüpft mehrere Fachkonzepte miteinander, was die Abstraktheit des Textes erhöht. In this phase, there is a deliberate focus on new lexical items through definition and negotiation of meaning: The teacher seems to focus on language-focused learning as a strand here. (Jane ISA Post, 4) Jane interpretiert das Abrufen von bekannten Wörtern aus dem Wortfeld money als eine Maßnahme zur Erhöhung der Abrufgeschwindigkeit (fluency development). Je öfter Wörter abgerufen werden, desto mehr festigt sich die Form-Bedeutungsverknüpfung, so dass das Erinnern bzw. Abrufen der Wörter zu späteren Gelegenheiten schneller erfolgt. By making the students retrieve lexical items, the teacher may aim at a memorization of those items by repetition, which - to a certain extent - relates to the fluency development strand (fluency in retrieval). (Jane ISA Post, 2) 01234567 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Jane ISA Post - Überblick, n=20 Diagramm 11: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Post ( Jane) Klassifizierungen Vier Klassifizierungen in der Post-Analyse bleiben allgemein und ohne argu‐ mentativen Bezug zwischen Situationen aus dem Unterricht und Merkmalen des Konzepts, auch wenn die Passung zwischen Konzept und Situation gegeben ist (Niveau 2). Jane erkennt, dass es in der Stunde darum geht, dass die Lernenden Gelegenheiten zum bedeutungsvollen und kontextualisierten Gebrauch von Wörtern erhalten; das explizite (intentionale) Wortschatzüben durch das Be‐ nennen bereits bekannter Wörter aus dem Wortfeld money ist jedoch gleicher‐ maßen von Bedeutung, was sie durch den Bezug zum „Standbein“ language fo‐ cused learning zum Ausdruck bringt. Thus, it can generally be said that Perino’s aim is to connect language-focused learning with meaning-focused output, and that he mainly aims at meaning aspect in the later part of the lesson. The first part, however, lays a focus on retrieval and addresses form aspects of already familiar words (words are pronounced and written on the black‐ board). ( Jane ISA Post, 5) Jane nutzt weitere Konzepte (defining, negotiation of meaning) um die Zielori‐ entierung unterrichtlicher Handlungen präzse zu beschreiben und Lehrerakti‐ vitäten zu klassifizieren. Jane verknüpft mehrere Fachkonzepte miteinander, was die Abstraktheit des Textes erhöht. In this phase, there is a deliberate focus on new lexical items through definition and negotiation of meaning: The teacher seems to focus on language-focused learning as a strand here. ( Jane ISA Post, 4) 208 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="209"?> Jane interpretiert das Abrufen von bekannten Wörtern aus dem Wortfeld money als eine Maßnahme zur Erhöhung der Abrufgeschwindigkeit (fluency develop‐ ment). Je öfter Wörter abgerufen werden, desto mehr festigt sich die Form-Be‐ deutungsverknüpfung, sodass das Erinnern bzw. Abrufen der Wörter zu spä‐ teren Gelegenheiten schneller erfolgt. By making the students retrieve lexical items, the teacher may aim at a memorization of those items by repetition, which - to a certain extent - relates to the fluency de‐ velopment strand (fluency in retrieval). ( Jane ISA Post, 2) Dass der Lehrer außerdem lexikalische Lernziele bezogen auf bestimmte Wort‐ wissensaspekte (Bedeutung und Gebrauch) verfolgt, ist zwar zutreffend, wird von Jane jedoch nicht weiter mit Bezug auf das Video erläutert. In the third phase of the lesson, new lexical items from the book are discussed. In this activity, the teacher’s main aim refers to aspects of meaning. He wants the students to get an idea what is involved in the concept of the new words. ( Jane ISA Post, 4) Jane ist in der Lage, die Ziele von zeitlich klar umrissenen Unterrichtsphasen aus dem Video einschließlich der evozierten Lernprozesse zu klassifizieren (Ni‐ veau 3). Das Abrufen bekannter Wörter stellt sie als Ziel dieser Phase der Stunde heraus. In the first part of the lesson until 3.55, the students collect lexical items which they associate with money while the teacher writes them on the board. Thus, it can be as‐ sumed that the teacher’s main goal here is to make the students retrieve words that are already known to them. No new lexical information is provided. (Jane ISA Post, 1) In der Post-Analyse nimmt Jane die Vorgänge um die Semantisierung von Wör‐ tern präziser wahr als in der Prä-Analyse. Während sie dort noch formuliert, dass der Gebrauch von Gesten die Bedeutung liefert („provide the meaning of words“), stellt sie in der Post-Analyse heraus, dass Gesten das Verstehen eines Konzepts erleichtern können. He also uses gestures and sound to provide the meaning of words, as in 12.16 (“greedy”) or in 9.55 (“themselves” vs. “each other”). ( Jane ISA Prä, 10) Perino facilitates understanding the concept of new words by gesturing (eg. 3.16: throw it out the window, later example of “greed”,…). ( Jane ISA Post, 13) In der Post-Analyse nimmt Jane auch wahr, dass Perino bewusst lexikalische Kontraste einsetzt, um Bedeutungen zu vermitteln und Wortbedeutungen von‐ einander abzugrenzen. 209 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="210"?> He furthermore draws on differences between lexical items to support the understand‐ ing of meaning aspects. This happens in 9.52 with regard to the difference be‐ tween “themselves” and “each other” and in 11.55 with regard to “broke” and broken”. ( Jane ISA Post, 14) Jane erfasst das breite Spektrum an Semantisierungstechniken, welche Perino flexibel einsetzt, um sowohl Wörter und Wendungen zu semantisieren. Insge‐ samt bedient sich Jane über weite Strecken einer Fachsprache mit einem hohen Sättigungsgrad an Fachbegriffen. He also makes synonyms/ identical concepts clear. This is the case in 3.16, for example, when he establishes a meaning link between the idiom and what is written on the board (waste money). Perino also makes use of different forms of definitions - syno‐ nyms, brief and to-the-point explanations, and concrete examples (e.g. “afford” and ice cream/ pocket money). ( Jane ISA Post, 15) Die Klassifizierung der Stunde mit einem der „Standbeine“ entwickelt Jane in‐ duktiv aus der Stunde heraus und verknüpft definitorische Merkmale des Fach‐ konzepts meaning-focused output geschickt mit Aktivitäten der Stunde und Maßnahmen des Lehrers und Bemühungen der Schüler: In 8.14, when a student tries to explain what “Wall Street” is, it can clearly be seen that the student is put to the boundaries of his word knowledge while trying to convey his message - as a result of his need for a new lexical item (trade with shares) in order to fill this gap in his knowledge, his vocabulary knowledge is enriched. This is clearly a case of meaning-focused output realized as a strand here. Since the teacher repea‐ tedly gives opportunities to convey messages during the lesson, it can be said that meaning-focused output is one of his aims here. ( Jane ISA Post, 3) Jane vermutet, dass die Strukturierung des Tafelbildes den Lernenden hilft, Re‐ lationen zwischen Wörtern zu erkennen, was nachfolgend dazu führen kann, dass Wörter besser vernetzt und langfristig besser behalten werden. Der Schluss von Lehrerhandlungen auf Lernergebnisse ist bei Jane insofern differenziert, als dass sie explizit erwähnt, dass der Lehrer selbst die semantischen Beziehungen zwischen den Wörtern herstellt. Dem Fehlschluss, dass die Mindmap an der Tafel bei den Lernenden die Fähigkeit entstehen lässt, Wortfelder selbstständig zu strukturieren, erliegt Linda nicht. Perino cleverly categorizes the lexical items given by the students on the blackboard. He himself establishes relations: antonyms (e.g. win-lose) and groups the words ac‐ cording to actions/ verbs and nouns. Thus, he further helps the students draw relations, find associations and finally memorize words better. ( Jane ISA Post, 12) 210 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="211"?> Vorhersagen Von insgesamt fünf Vorhersagen in der Post-Analyse sind zwei allgemeiner Natur und lassen den konkreten Bezug auf einzelne Wörter aus dem Unter‐ richtsvideo vermissen. Der Lernbegriff von Jane ist dennoch differenziert, weil sie Aspekte des Wortwissens unterscheidet und herausstellt, dass das Behalten der gesprochenen und der geschriebenen Form des Wortes durch das An‐ schreiben an der Tafel gefördert wird. With regard to this phase, it can be said that the student’s memory of these words is strengthened by repetition. This strengthening of memory is combined with a repe‐ tition of form aspects of word knowledge since the lexical items are pronounced and written on the blackboard (spoken/ written form). ( Jane ISA Post, 8) Die Vorhersage von Lernergebnissen für die zweite Phase der Stunde bleibt ebenfalls allgemein, wenn Jane herausstellt, dass Verstehen nicht beiläufig, son‐ dern intentional durch Techniken der Semantisierung erzielt wird. Ein Abgleich zwischen den antizipierten und realen Effekten erfolgt nicht. In the last phase of the lesson (working with the book), the students basically under‐ stand the meanings of the new lexical items in question. Here, deliberate learning about new lexical items can be found (intentional learning). ( Jane ISA Post, 10) Wie explizit diese Phase des Unterrichts im Hinblick auf lexikalisches Lernen ist, verdeutlicht der Auszug aus dem Unterrichtsvideo: Lehrer: There are a few words that are not on the board now. 10: 27 Lehrer: Ja, there are a few words that are not on the board now. 10: 32 Lehrer: Let’s see whether you understand them. 10: 36 Lehrer: The first one for example, ‘afford‘. 10: 38 Lehrer: I can make an example. 10: 41 Tabelle 37: Auszug aus dem Video „Money“ Von der Aufgabenstellung des Lehrers, Assoziationen zum Thema Geld zu finden, leitet Jane folgerichtig ab, dass Wörter aktiv erinnert werden müssen. Gleichermaßen führt das Lesen der anderen Wörter zum Wiedererkennen (re‐ 211 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="212"?> ceptive retrieval). Bei der Vorhersage von Lernergebnissen bezieht Jane sich sehr konkret auf das Video und benutzt durchgängig Fachkonzepte, um die Lerner‐ gebnisse präzise zu beschreiben. Die Kollokation throw s.th. out of the window als idiomatische Wendung zu betrachten, ist nicht ganz zutreffend; vielmehr handelt es sich um eine übertragene Bedeutung. What students learn is quite in line with the teacher’s aims here. In the first part of the lesson, they basically retrieve words that they associate with “money”. There is productive retrieval (recall) since the students try to think of meanings that relate to money and then find the appropriate word form to pronounce the words. ( Jane ISA Post, 6) There is also receptive retrieval when they hear the words suggested by other students and see them written on the blackboard and then have to make up the meaning of these words. In his phase, they recall words as well as an idiom (“throw it out the window” 3.09). ( Jane ISA Post, 7) Jane erkennt Lernfortschritte, die sich im laufenden Unterrichtsprozess ergeben: Ein Schüler ist imstande, eine Wendung, die Perino einführt („trade with shares“) aufzugreifen und später selbstständig zu verwenden, nachdem er zuvor versucht hat, sich mit einer eigenen Wortschöpfung („hand auctic“) zu behelfen: The students also learn new vocabulary when they are put to the boundaries of their word knowledge (8.32: financial crisis instead of financing crisis, 8.14: trade with shares instead of “hand auctic” - interestingly, these words are correctly applied by the students a bit later). ( Jane ISA Post, 9) Alternativen Grundsätzlich scheint Jane der Stunde positiv gegenüberzustehen, was sich an der einleitenden Bemerkung „I actually wouldn’t change a lot about this lesson“ ( Jane ISA Post, 16) ablesen lässt. Dennoch schlägt Jane drei Alternativen vor, von denen zwei das Potenzial haben, lexikalisches Lernen in dieser Stunde zu optimieren. Jane mahnt das selbstständige Lernen und die Erweiterung der me‐ thodischen Kompetenzen der Lernenden im Bereich des Erschließens von Wort‐ bedeutungen an. Dies würde allerdings eine Kontextualisierung der Wörter er‐ fordern, die über die gestellt Aufgabe, Wörter in einen Lückentext einzusetzen, hinausgehen müsste. A point of improvement, however, may be that the words in the last phase while working with the book may be integrated into a short story for instance. Thus, the students would also have the opportunity of guessing the meaning of the words from context, thereby le‐ arning strategies of individual and “independent” lexical learning. (Jane ISA Post, 16) 212 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="213"?> Mit den beiden anderen Alternativen strebt Jane Verbesserungen der Verarbei‐ tungstiefe und der Behaltensleistung durch eine Verknüpfung von Aspekten des Wortschatzwissens an. Das Verfassen einer eigenen Geschichte mit einem Handlungsgeländer rund um das Thema Geld würde ein erneutes Aufrufen er‐ fordern und damit die Behaltensleistung steigern. Another opportunity would be to encourage them to create an own story involving these words to process them and their meaning more deeply. By doing this, the words would also be retrieved and hence memory strengthened. ( Jane ISA Post, 17) Janes schlägt außerdem vor, dass Perino die Kategorisierung mit den Lernenden im Gespräch reflektiert und sie z. B. weitere Überschriften oder Kategorienmit‐ glieder finden lässt. Diese Alternative basiert auf der von Jane wahrgenom‐ menen Problematik, dass die Strukturierung des Wortfeldes an der Tafel vom Lehrer, aber nicht von den Schülern geleistet wird - eine Kritik, die auch von den Experten geäußert worden ist (vgl. 3.5.4). Damit die Lernenden Antonyme wie lose money und win money auch als solche speichern, ist es erforderlich, dass sie an der Erstellung eines Mindmap-ähnlichen Tafelbildes aktiv beteiligt sind. Another possible point of improvement may be to deliberately talk about how Perino categorized/ structured the words on the blackboard - What particular associations can be found? Can the students think of semantic relations and a headline? Thus, meaning aspects with regard to associations could be strengthened. (Jane ISA Post, 18) Den Verweis auf „Seven“, einen Film, der auch nach Auffassung von Perino für Schüler dieser Altersgruppe nicht geeignet ist, missbilligt Jane aus Zeitgründen. Assoziationen wie diese können Schüler aufgrund von fehlendem Weltwissen nicht verarbeiten, sodass sie keine zusätzliche Lernhilfe, sondern eher eine Ab‐ lenkung darstellen. A little criticism: I would leave out speaking about the film “Seven” and the seven deadly sins due to reasons of time available. ( Jane ISA Post, 19) 4.1.3.3 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Analyse Unterrichtspraktische Erfahrungen, ein fachdidaktischer Schwerpunkt im Stu‐ dium sowie eine belegte Lehrveranstaltung zur pädagogischen Diagnostik sind möglicherweise Faktoren, die erklären, warum Jane bereits in der Prä-Analyse recht präzise Vorhersagen zu lexikalischen Lernergebnissen mit Verweis auf konkrete Situationen aus dem Unterrichtsvideo belegt: 213 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="214"?> Observable learning can be found in 8.45 when a student carefully uses the word “fi‐ nancial crisis” which has been called “financing crise” by a different student some seconds before. ( Jane ISA Prä, 5) Throughout the lesson, the students basically learn words which are semantically related to “money”. They are encouraged to recall items already known to them and develop relations to other words of the field. It is likely that the mind map activity from 1.25 to 3.35 makes students mentally organize their lexical knowledge and de‐ velop relations in the form of a semantic network which may be enriched by new words. ( Jane ISA Prä, 5) After the teacher has given the correct form “trade with shares”, the word “share” is used by another student a few seconds later to describe what Dow Jones is. In 9.12 finally the student who initially didn’t know the word in 8.04 uses the word “share” himself. It is difficult in general to tell what exactly the students have learnt and what happened in their minds, but examples like these imply that a certain amount of learning from a model and a general expansion of the students’ word pool took place. (Jane ISA Prä, 6) Gleichwohl lassen sich im Vergleich der Prämit der Post-Analyse am Ende des Seminars einige Unterschiede hinsichtlich der Themen und spezifischen As‐ pekte des Lehr-Lerngeschehens feststellen, die Jane nun auffallen (noticing). Im direkten Vergleich von Situationen, die sowohl in der Präwie auch in der Post-Analyse selektiert wurden, fällt auf, dass Jane nun Situationen klassifiziert, welche sie in der Prä-Analyse nur beschrieben hatte. Abstrakte Beschreibung Klassifizierung Furthermore, they can read new words on the blackboard. Thereby, Perino addresses different skills to give the stu‐ dents a full picture of the words. He also uses gestures and sound to provide the meaning of words, as in 12.16 (“greedy”) or in 9.55 (“them‐ selves” vs. “each other”) ( Jane ISA-Prä, 10) Perino facilitates understanding the concept of new words by gesturing (e.g. 3.16: throw it out the window, later example of “greed”). ( Jane ISA Post, 13) He furthermore draws differences between lexical items to support the understanding of meaning aspects. This happens in 9.52 with regard to the difference between “themselves” and “each other” and in 11.55 with regard to “broke” and “broken”. ( Jane ISA Post, 14) Tabelle 38: Gegenüberstellung ausgewählter Passagen aus der Prä- und der Post-Analyse Während Jane in der Prä-Analyse schreibt, dass Perino verschiedene Techniken verwendet, um den Lernenden die vollständige Bedeutung des Wortes zu vermit‐ teln, rücken in der Post-Analyse verstärkt der Lehrer und seine Handlungen in den 214 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="215"?> Blick. Im Fokus steht der antizipierte Effekt von Lehrerhandlungen auf das Lernen der Schüler (facilitate understanding; support the understanding of meaning aspects). Jane hat offenbar verstanden, dass sich Lehrerinterventionen (wie z. B. rich instru‐ ction) auf einzelne zu klärende Aspekte des Wortschatzwissens beziehen sollten. Insofern verfügt sie über einen differenzierten Lernbegriff. Während sie in der Prä-Analyse noch allgemein von „meaning“ (Jane, ISA Prä, 10) spricht, ist sie sich in der Post-Analyse über die unterschiedlichen Aspekte des Wortwissens (vgl. 2.4.3) im Bereich meaning im Klaren. Mit ihren Vorschlägen für Alternativen dringt Jane zu den strategischen Ge‐ lenkstellen der Unterrichtsstunde vor. Ihre in der Post-Analyse vorgeschlagenen Alternativen stehen im Einklang mit ihrer subjektiven Perspektive auf das Wortschatzlernen (vgl. 4.1.1). Konsequenterweise mahnt sie die Intensivierung der lernerseitigen Sprachproduktion, die Darbietung von neuem Wortschatz im Kontext, Strategietraining zur Worterschließung und eine explizite Thematisie‐ rung der Struktur der Mindmap aus der Anfangsphase an ( Jane ISA Post, 16, 17). Janes detaillierte Vorschläge zur Optimierung der Stunde gehen sowohl in der Passung wie auch in der Antizipation möglicher Lerneffekte über die Vor‐ schläge der Experten hinaus (vgl. 3.5.4; 5.1.1) und zeugen von einem vertieften Verständnis lexikalischer Lehr-Lernprozesse im schulischen Kontext. 4.1.4 Zusammenfassung: Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Jane und Vergleich mit der Subjektperspektive Über alle Videos hinweg liegen Klassifizierungen mit einem Fachkonzept für mehr als ein Drittel aller selektierten Situationen vor (Diagramm 12). 25% aller selektierten Situationen werden mit einem Fachkonzept zutreffend und in nach‐ vollziehbarer Weise klassifiziert (Niveau 3) und in übergeordnete Wissenszu‐ sammenhänge eingeordnet. Jane ist in der Lage, verschiedene Fachkonzepte für die Beschreibung von Lernprozessen (retrieval) mit Konzepten zur Beschreibung von Lerngegenständen zu verknüpfen (aspects of word knowledge: use, register). Fachkonzepte stehen auch für die Vorhersage von Lernprozessen zur Verfügung. Für 24% aller selektierten Situationen trifft Jane begründete Vorhersagen zum Lernen und zu Lernergebnissen. In der Tendenz wirken Janes Analysen durch eine breite Verwendung von Fachtermini abstrakter. In der Post-Analyse ver‐ knüpft sie häufig mehrere Fachkonzepte miteinander, um unterrichtliche Hand‐ lungen und Zielorientierungen aufeinander zu beziehen. Der Bezug zum Video bleibt dabei stets erkennbar (vgl. Alternativen, Niveau 3 in Diagramm 8). 215 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="216"?> Fachkonzepte nutzt Jane auch, um Alternativen zu skizzieren (z. B. Jane ISA IV, 14, 15, vgl. 4.1.2.4). In allen Alternativen aus ISA I-IV spiegeln sich Janes Überzeugungen zur effektiven Förderung des Wortschatzlernens sowie ihre all‐ gemeinen Überzeugungen zum Fremdsprachenlernen wider (vgl. Tabelle 39). 136 ten Situationen vor (Diagramm 12). 25% aller selektierten Situationen werden mit einem Fachkonzept zutreffend und in nachvollziehbarer Weise klassifiziert (Niveau 3) und in übergeordnete Wissenszusammenhänge eingeordnet. Jane ist in der Lage, verschiedene Fachkonzepte für die Beschreibung von Lernprozessen (retrieval) mit Konzepten zur Beschreibung von Lerngegenständen zu verknüpfen (aspects of word knowledge: use, register). Fachkonzepte stehen auch für die Vorhersage von Lernprozessen zur Verfügung. Für 24% aller selektierten Situationen trifft Jane begründete Vorhersagen zum Lernen und zu Lernergebnissen. In der Tendenz wirken Janes Analysen durch eine breite Verwendung von Fachtermini abstrakter: in der Post-Analyse verknüpft sie häufig mehrere Fachkonzepte miteinander, um unterrichtliche Handlungen und Zielorientierungen aufeinander zu beziehen. Der Bezug zum Video bleibt dabei stets erkennbar (vgl. Alternativen, Niveau 3 in Diagramm 8). Fachkonzepte nutzt Jane auch, um Alternativen zu skizzieren (z. B. Jane ISA IV, 14, 15, vgl. 4.1.2.4). In allen Alternativen aus ISA I-IV spiegeln sich Janes Überzeugungen zur effektiven Förderung des Wortschatzlernens sowie ihre allgemeinen Überzeugungen zum Fremdsprachenlernen wider (vgl. Tabelle 39). Diagramm 12: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA I-IV (Jane) Janes Subjektperspektive (Kontakt mit der Sprache und ausgiebige Gelegenheiten zum Gebrauch; Wiederholung und explizites Wiederaufgreifen von Wortschatz durch Aushandeln von Bedeutungen) drückt sich in hohem Maße in ihren Analysen aus. Jane fasst eine Situation als gelungene Lernsituation auf, wenn die Lernenden am Aushandeln von Bedeutungen beteiligt werden und wenn es Möglichkeiten für sie gibt, Wortschatz auf einer tieferen Ebene zu verarbeiten. 6% 0% 0% 0% 12% 3% 9% 25% 0% 9% 24% 1% 0% 10% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% Anteil der selektierten Situationen Jane - Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs Diagramm 12: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA I-IV ( Jane) Janes Subjektperspektive (Kontakt mit der Sprache und ausgiebige Gelegenheiten zum Gebrauch; Wiederholung und explizites Wiederaufgreifen von Wortschatz durch Aushandeln von Bedeutungen) drückt sich in hohem Maße in ihren Ana‐ lysen aus. Jane fasst eine Situation als gelungene Lernsituation auf, wenn die Lernenden am Aushandeln von Bedeutungen beteiligt werden und wenn es Mög‐ lichkeiten für sie gibt, Wortschatz auf einer tieferen Ebene zu verarbeiten. 216 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="217"?> Jane - Subjektperspektive Alternativen (ISA I-IV) Fremdsprachenlernen: „mög‐ lichst [viele] Gelegenheiten, die Sprache in authentischen Situationen und alltäglichen Anlässen zu gebrauchen“. ISA I selbstständiges Erschließen von Wortbedeu‐ tungen ISA II Wiederholung und Übung; mit dem Ziel, dass Lernende nachhaltige Verknüpfungen auf‐ bauen (organisierte lexikalische Information) Eine Verbesserung der lexikalischen Lernpro‐ zesse sieht Jane in einer stärkeren Einbezie‐ hung der Lernenden in Prozesse der Bedeu‐ tungsaushandlung und des Erschließens von Wortbedeutungen am konkreten Material. ISA III Stärkere Beteiligung der Lernenden am Aus‐ handeln von Bedeutungen, Erhöhung der Ver‐ arbeitungstiefe von Wortschatz (vgl. auch Al‐ ternativen bei ISA I). ISA IV Mehr Gelegenheit geben für Lerneräuße‐ rungen (Output) Wortschatzentwicklung: „re‐ levante, häufig gebrauchte Vokabeln zu behandeln und diese Wörter immer wieder aufzugreifen“. Förderung lexikalischen Lernens: Wiederholung in sinnvollen Zusammenhängen bieten; Lernenden helfen; De‐ finitionen von Wörtern ein‐ zuschätzen und Schüler bei der Erschließung von Wör‐ tern aktiv beteiligen. Tabelle 39: Gegenüberstellung von Janes Subjektperspektive mit Alternativen in ISA I-IV Jane verfügt über die Fähigkeit, Einzelereignisse aus dem Unterrichtsvideo zu selektieren und sie zu einer Gesamtklassifizierung der Stunde mit einem der „Standbeine“ zu verdichten. Jane ist in der Lage, Lernprozesse mit den ent‐ sprechenden Fachkonzepten zu klassifizieren. Die Nutzung von Fachbegriffen zur konzisen Erfassung des Lehr-Lerngeschehens, gekoppelt mit einem knappen Ausblick auf das Ziel der Aktivität, belegen das hoch ausgeprägte Maß an wis‐ sensbasierter Verarbeitung und konzeptueller Durchdringung der Ereignisse aus dem Unterrichtsvideo. An den Texten von Jane lässt sich mehrfach eine argumentative Verknüpfung von Fachkonzepten nachweisen, was auf einen sehr eigenständigen Umgang mit Fachkonzepten schließen lässt. Bei Verknüp‐ fungen von Aufgabe bzw. Lehrerprompt, Lernprozess und Lerngegenstand ar‐ gumentiert Jane durchgängig schlüssig. Janes Alternativen sind präzise und lassen - bedingt durch die Verwendung von Fachkonzepten - die Effekte der veränderten Vorgehensweise klar erkennen. 217 4.1 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Jane <?page no="218"?> 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda 4.2.1 Kurzbeschreibung des Falls Linda Linda studiert im achten Semester Anglistik und Naturwissenschaften/ Technik für das Lehramt an Haupt-, Real- und Gesamtschulen (Sekundarstufe I). In ihrem Studium mit den Schwerpunkten Literaturwissenschaften und Fachdidaktik hat sie bislang drei fachdidaktische Lehrveranstaltungen besucht. Eine bildungs‐ wissenschaftliche Lehrveranstaltung zum Thema Unterrichtsbeobachtung hat sie nicht besucht. Linda hat unterrichtspraktische Erfahrungen durch Nachhil‐ feunterricht gesammelt, den sie seit 8 Jahren in den Fächern Englisch, Deutsch und Mathematik erteilt. Eine Fremdsprache erlernt man aus ihrer Sicht am besten durch ein „Sprachbad“, das „Umgebensein“ von der Sprache durch Medienkonsum und bei Auslandsaufenthalten. Für den Aufbau eines differenzierten und umfangreichen Wortschatzes sind authentische Materialien und Lektüren entscheidend. Die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen besteht darin, sich in einer konkreten Situation spontan an das passende Wort zu erinnern, dessen Bedeu‐ tung man rezeptiv sehr wohl kennt: „Die Anwendung ist also schwieriger als das Verstehen“. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson nur geringe Mengen neuer Wörter auf einmal lehren, diese dafür aber umso öfter wiederholen. Außerdem sollte sie das Leseinteresse wecken und die Bereitschaft, sich mit Wörtern auseinanderzusetzen. 4.2.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Linda: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.2.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) Die wissensbasierte Verarbeitung von Linda ist in dieser ersten Analyse stark ausgeprägt, da die Hälfte aller selektierten Situationen mit einem Fachkonzept klassifiziert wird, wohingegen nur zwei Situationen beschrieben werden. Vor‐ hersagen von Lerneffekten sind durchgängig zutreffend, und die vorgeschla‐ genen Alternativen stellen sinnvolle Optimierungen des Lehr-Lernprozesses dar und führen in einem Fall zu einer Verbesserung lexikalischen Lernens. 218 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="219"?> 138 4.2.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) Die wissensbasierte Verarbeitung von Linda ist in dieser ersten Analyse stark ausgeprägt, da die Hälfte aller selektierten Situationen mit einem Fachkonzept klassifiziert wird, wohingegen nur zwei Situationen beschrieben werden. Vorhersagen von Lerneffekten sind durchgängig zutreffend und die vorgeschlagenen Alternativen stellen sinnvolle Optimierungen des Lehr-Lernprozesses dar und führen in einem Fall zu einer Verbesserung lexikalischen Lernens. Diagramm 13: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I (Linda) Beschreibungen Linda schildert einen konkreten Fall von Fehlerkorrektur aus der Stunde. Sie rahmt diese Beobachtung in eine generelle Einschätzung zum Korrekturverhalten des unterrichtenden Lehrers ein: In general, the teacher corrects his pupils right away when they make any mistake (e.g. II, 0: 08-0: 27, “the boy didn’t say something bad about the country of the woman” - “didn’t say anything bad…”). (Linda ISA I, 15) In einer abstrakten Beschreibung bündelt Linda Einzelaspekte und versieht sie mit einer Erklärung zur Auswahl der lexikalischen Items, die zum Lerngegenstand in der Stunde werden: There are just a few utterances of the conversations integrated into the classroom debate (they just concentrate on positive and negative remarks of the conversations), which is why those few items appear more often in class and can be dealt with in a more detailed way. (Linda ISA I, 8) Klassifizierungen Die im Seminar vermittelten Konzepte (incidental learning, negotiation of meaning, generative use, retrieval) stehen für die wissensbasierte Interpretation von Lernprozessen und Zielorientierungen bereits in der ersten Analyse in hohem Maße zur Verfügung. Linda formuliert sehr treffende Klassifizierungen der Lerngegenstände und Ziele der Stunde. Linda arbeitet Unterschiede zwischen rezeptivem und produktivem Lernen heraus und kann 01234567 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Linda ISA I, n=14 Diagramm 13: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I (Linda) Beschreibungen Linda schildert einen konkreten Fall von Fehlerkorrektur aus der Stunde. Sie rahmt diese Beobachtung in eine generelle Einschätzung zum Korrekturver‐ halten des unterrichtenden Lehrers ein: In general, the teacher corrects his pupils right away when they make any mistake (e.g. II, 0: 08-0: 27, “the boy didn’t say something bad about the country of the woman” - “didn’t say anything bad…”). (Linda ISA I, 15) In einer abstrakten Beschreibung bündelt Linda Einzelaspekte und versieht sie mit einer Erklärung zur Auswahl der lexikalischen Items, die zum Lerngegen‐ stand in der Stunde werden: There are just a few utterances of the conversations integrated into the classroom debate (they just concentrate on positive and negative remarks of the conversations), which is why those few items appear more often in class and can be dealt with in a more detailed way. (Linda ISA I, 8) Klassifizierungen Die im Seminar vermittelten Konzepte (incidental learning, negotiation of mean‐ ing, generative use, retrieval) stehen für die wissensbasierte Interpretation von Lernprozessen und Zielorientierungen bereits in der ersten Analyse in hohem Maße zur Verfügung. Linda formuliert sehr treffende Klassifizierungen der Lerngegenstände und Ziele der Stunde. Sie arbeitet Unterschiede zwischen re‐ zeptivem und produktivem Lernen heraus und kann zentrale semantische Kon‐ 219 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="220"?> zepte wie core meaning und semantic relations für die Analyse von konkreten Unterrichtssituationen nutzen. The video extract shows that two different strands of language teaching are predo‐ minant in this lesson. These are on the one hand meaning-focused input, because the pupils enrich previously met vocabulary through listening to two conversations, and on the other hand language-focused learning. The stress is more on language-focused learning though because the lesson is not about learning new words or enjoying the input in the first place, but rather to get the meaning of familiar words and phrases and to explicitly elaborate their meaning. (Linda ISA I, 2) Linda klassifiziert die Unterrichtsstunde mit zwei der strands, stellt den Schwer‐ punkt der Stunde aber noch genauer heraus: The teacher focuses on the understanding of phrases in the conversations that have a certain tone. The pupils do not only have to understand the overall meaning of the input, but also have to decide whether an utterance is critical or positive. Analysing their semantic implications whether a remark is polite and friendly or critical and accusing he teaches about lexis, that a lexical item can have different meanings or rather can be interpreted differently in a conversation, depending on the context in which it is used. (Linda ISA I, 2) In dem Video „Misunderstandings“ kommt es an verschiedenen Stellen zum Aushandeln von Bedeutungen. Linda interpretiert diese Situationen als beiläu‐ figes (incidental) lexikalisches Lernen, weil diese Interaktionen auf den Inhalt des Hörtextes bezogen sind, den die Lernenden zu Beginn der Stunde gehört haben. Linda verwendet das Fachkonzept nicht starr, sondern wendet es dyna‐ misch auf die Lernsituationen an, indem sie den Grad an Dekontextualisierung differenziert. Dekontextualisierung kann dabei durchaus bedeuten, dass im Un‐ terrichtsgespräch auf einzelne Wörter oder Ausdrücke eingegangen wird, ohne dass der thematische Rahmen, in welchem die Äußerungen getätigt werden, aus dem Blick gerät. In general, lexical learning is mostly supported incidentally here; there is a focus on certain phrases, but they talk about it in the context of cultural awareness rather than explicitly talking about lexical items. Also, the integrated items are only kind of de‐ contextualized; they do negotiate about some expressions (II, 0: 48-1: 32, “they were flirting” - “put it a little more neutrally” - “he gave her a compliment […]” - “he paid her compliments, or he complimented her”), but the negotiation takes place within the context of the previously heard conversation. (Linda ISA I, 11) 220 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="221"?> Linda nutzt außerdem das Konzept core meaning. Für die Situation, in welcher der Lehrer mit dem Schüler den durch Interferenzfehler ausgelösten Humor in der Konversation bespricht, stellt Linda heraus, dass Unterschiede in der Kern‐ bedeutung von Appetit/ appetite das Missverständnis und den Humor der Situ‐ ation aufklären können. In ihrer Kernbedeutung stimmen die beiden Lexeme jedoch überein: desire for food = Bedürfnis/ Verlangen, etwas zu essen. Das At‐ tribut „Guten“ „entfernt“ das „Verlangen nach Nahrung“ aus der Kernbedeutung und verwandelt die Kollokation in eine höfliche Formel, die im Deutschen in der Regel den gemeinsamen Beginn einer Mahlzeit markiert. They discover that the core meaning of “appetite” is different in German and English, thus is used in different situations: “appetite” is related to words like hunger, need, urge, desire, ravenousness, … - although they don’t utter those words, they have to think about related connotations in order to get the meaning in English/ German (I, 2: 25-4: 04). (Linda ISA I, 10) Vorhersagen Die gleiche Situation wird auch unter der Fragestellung, was Lernende in dieser Stunde lernen, analysiert. Allerdings ist es problematisch, das Konzept der Kernbedeutung (basic sense) auf eine Phrase auszuweiten. Korpuslinguistische Forschungen zeigen, dass übertragene Bedeutungen häufig mit einer komple‐ xeren Phraseologie einhergehen (vgl. zusammenfassend Littlemore 2009: 45f.). Dieses Prinzip ist auch auf das vorliegende Beispiel übertragbar: Während sich im Deutschen die Kernbedeutung von „Appetit“ abschwächt, sobald man „Guten Appetit“ sagt, bleibt sie im Englischen erhalten und führt zu der deskriptiven Aussage, dass jemand offenbar recht hungrig zu sein scheint. With the text at the beginning of the lesson, the learners are offered an opportunity to notice mistakes that were made by a German boy in a restaurant. By that, they learn that the core meaning of a lexical item in their mother tongue can differ from the core meaning of the same item in another language. For instance, “Guten Appetit! ” would have the core meaning “Enjoy your meal! ” in German, but the literally trans‐ lated “Good appetite! ” would mean “You seem to be very hungry! ” (Linda ISA I, 3). Linda ist in der Lage, verschiedene Fachkonzepte für die Beschreibung von Lernprozessen (retrieval) mit Konzepten zur Beschreibung von Lerngegen‐ ständen zu verknüpfen (aspects of word knowledge: use, register): They have to retrieve the input in a receptive way in order to understand the con‐ versation during the listening and reading task at all (e.g. “Gute Fahrt” is funny in English), but also in a productive way so that they are able to talk about the items and 221 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="222"?> in order to arrange them and come up with own ideas (positive/ negative tone of phrases). So at first they need to understand the input and have to use those items later on. Even though the words are familiar to them, the context in which they arise here could be different from their first encounter with those words. However, they learn more about the use of those words in order to give their utterance a certain tone (extract II, 4: 51-5: 40, “there are certain things I don’t like”; “there would be some things”). (Linda ISA I, 6). Alternativen Linda entwickelt im Video „Misunderstandings“ drei Alternativen für den Un‐ terricht, von denen sich zwei nur indirekt auf Aspekte des lexikalischen Lernens in der Stunde beziehen. Zum Ersten schlägt Linda eine Ausweitung der Part‐ nerarbeit vor, damit sich der Sprachumsatz (output) des einzelnen Schülers er‐ höht und die Lernenden das Gehörte durch eigene Versprachlichungen tiefer verarbeiten (Linda ISA I, 17). Linda kritisiert, dass der Hörverstehensauftrag zu allgemein formuliert ist („he simply tells them to ‘focus on what [they] want’“) und schlägt eine Präzisie‐ rung des Hörverstehensauftrages vor. In der Tat vergehen mehr als 15 Sekunden, bis einzelne Lerner beginnen, auf den Impuls zu reagieren. Eine ähnliche Un‐ genauigkeit findet sich auch in der Anfangsphase der Stunde, in welcher der Lehrer auch einen eher globalen Verstehensimpuls setzt („What comes to mind when you read this? - Or when you hear about this, when you listen to this? “ (Video „Misunderstandings“ 2,28-2,44)). Finally, I would try to find a more precise listening task. When they listened to the conversations on CD for the first time, he simply tells them to “focus on what [they] want” (Video “Misunderstandings” I, 4: 54-5: 00), which doesn’t help the learners to notice anything special while they are listening to a dialogue. (Linda ISA I, 18). In einer dritten Alternative plädiert Linda für eine Ausweitung der kontrastiven Analyse von Ausdrücken, die ein hohes Potenzial für Missverständnisse haben. Sie schlägt eine stärkere Bewusstmachung von Kollokationen vor, wodurch die Nachhaltigkeit lexikalischen Lernens in der betreffenden Stunde verbessert würde. If I were to teach this lesson and wanted to focus on enriching the semantic knowledge of lexical items, I would concentrate more on differences between German and English or on misunderstandings rather than talking about the tone of the conversation, be‐ cause the way he did it seems to be more like cultural skills rather than Lexis. Thus, I would teach new collocations in a slightly more explicit way. I think it’s helpful and interesting to build up a context like that, especially in year 12, but I’d say that de‐ 222 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="223"?> contextualizing the lexical items is as important. This could include having a deeper look at the semantic fields of some of the most frequently used expressions of both the text and the conversations. (Linda ISA 1, 16) Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Im Video „Practicing new words“ selektiert Linda deutlich weniger Situationen (N=7) als im Durchschnitt in den anderen Unterrichtsvideos (M=13). Eine Er‐ klärung für die kürzere Analyse könnte der Primarstufenkontext des Videos sein, durch den sich Linda als angehende Sekundarstufe-I-Englischlehrerin nicht angesprochen fühlt (vgl. 4.2.1). Abstrakte Beschreibungen finden sich für drei Situationen; drei weitere Situationen werden auf zutreffende Art und Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert (vgl. Diagramm 14). 138 the first time, he simply tells them to “focus on what [they] want” (Video “Misunderstandings”I, 4: 54-5: 00), which doesn’t help the learners to notice anything special while they are listening to a dialogue. (Linda ISA I, 18). In einer dritten Alternative plädiert Linda für eine Ausweitung der kontrastiven Analyse von Ausdrücken, die ein hohes Potenzial für Missverständnisse haben. Sie schlägt eine stärkere Bewusstmachung von Kollokationen vor, wodurch die Nachhaltigkeit lexikalischen Lernens in der betreffenden Stunde verbessert würde. If I were to teach this lesson and wanted to focus on enriching the semantic knowledge of lexical items, I would concentrate more on differences between German and English or on misunderstandings rather than talking about the tone of the conversation, because the way he did it seems to be more like cultural skills rather than Lexis. Thus, I would teach new collocations in a slightly more explicit way. I think it’s helpful and interesting to build up a context like that, especially in year 12, but I’d say that decontextualizing the lexical items is as important. This could include having a deeper look at the semantic fields of some of the most frequently used expressions of both the text and the conversations. (Linda ISA 1, 16) 4.2.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Im Video „Practicing new words“ selektiert Linda deutlich weniger Situationen (N=7) als im Durchschnitt in den anderen Unterrichtsvideos (M=13). Eine Erklärung für die kürzere Analyse könnte der Primarstufenkontext des Videos sein, durch den sich Linda als angehende Sekundarstufe I Englischlehrerin nicht angesprochen fühlt (vgl. 4.2.1). Abstrakte Beschreibungen finden sich für drei Situationen und drei weitere Situationen werden auf zutreffende Art und Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert (vgl. Diagramm 13). Diagramm 14: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA II (Linda) Beschreibungen Die Beschreibungen von Linda gehen über die Wiedergabe des konkreten Unterrichtsgeschehens hinaus und liefern Interpretationen auf einer mittleren Abstraktionsebene mit fachlichen Bezügen. Dabei beschreibt sie Zielorientierungen und Lerngegenstände des Unterrichts, die Sinnhaftigkeit und Auswahl von Wiederholungsstrategien und thematisiert die diagnostische Funktion von Aufgabenstellungen im Hinblick auf lexikalisches Wissen. Linda formuliert abstrakte Beschreibungen zu drei Situationen aus dem Video. Hierbei abstrahiert sie auf die Lernprogression und schlussfolgert aus der Aussage der Lehrerin, dass das Wortfeld schon besprochen ist, nur 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Linda ISA II, n=7 Diagramm 14: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA II (Linda) Beschreibungen Die Beschreibungen von Linda gehen über die Wiedergabe des konkreten Un‐ terrichtsgeschehens hinaus und liefern Interpretationen auf einer mittleren Ab‐ straktionsebene mit fachlichen Bezügen. Dabei beschreibt sie Zielorientie‐ rungen und Lerngegenstände des Unterrichts, die Sinnhaftigkeit und Auswahl von Wiederholungsstrategien und thematisiert die diagnostische Funktion von Aufgabenstellungen im Hinblick auf lexikalisches Wissen. Linda formuliert abstrakte Beschreibungen zu drei Situationen aus dem Video. Hierbei abstrahiert sie auf die Lernprogression und schlussfolgert aus der Aussage der Lehrerin, dass das Wortfeld schon besprochen ist, dass nur die schwierigen Wörter eingeübt werden müssen: „they already talked about the 223 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="224"?> word field a lot, otherwise the teacher wouldn’t call words within the field “easy” for the learners“ (Linda ISA II, 2). Die beiden anderen Beschreibungen sind vertiefte Interpretationen des Lehr-Lerngeschehens, die verdeutlichen, dass Linda in der Lage ist, von dem konkreten Unterrichtsgeschehen auf Ziele zu schließen: Compared to the last video excerpt, here, it is easier to detect what the teacher teaches about lexis, namely that new and difficult words have to be repeated over and over again in order to become more proficient in their mastery (e.g. I, 0.30-1.42).(Linda ISA II, 3) Linda interpretiert den Einsatz der Blitzlesemethode im Hinblick darauf, welche diagnostischen Informationen über den Automatisierungsgrad der Worterken‐ nung die Lehrkraft erhält. Wenn die Lehrerin die Wortkarten nur kurz aufblitzen lässt und die Schüler dann auffordert, das Wort zu nennen, fördert dies die au‐ tomatisierte Worterkennung. Ob das Verfahren der Lehrkraft Hinweise auf den Wissensstand der Lernenden im Hinblick auf bestimmte Wortwissensaspekte (aspects of word knowledge) liefert, erscheint indes fraglich. This very fast language production also gives the teacher a feedback about the lear‐ ners’ state of knowledge so that she can focus on knowledge gaps where necessary. (Linda ISA II, 8) Klassifizierungen Für die Klassifizierung von Situationen aus dem Video „Practicing new words“ verwendet Linda die Konzepte form meaning-link und generative use. Die Elizi‐ tierung eines Zielwortes mit Bildkarten zielt auf die Stärkung der Form-Bedeu‐ tungsverknüpfung (Linda ISA II, 5). Auch der classroom discourse selbst wird von Linda als lernförderlich eingeschätzt. Durch die häufige Wiederholung von chunks wie „Who can move the birdy? Anna, please move the birdy! - Thank you, Anna! “ - „You’re welcome“ internalisieren die Lerner diese Phrasen („and might be able to reuse them later on as well in their own, creative language production“( Linda ISA II, 9)). Linda erfasst auch den Kenntnisstand der Lern‐ gruppe und erkennt anhand des Engagements der Schüler, dass die Wörter nicht zum ersten Mal wiederholt werden: The fact that the learners are able to productively retrieve the form of a word shows that they are on an intermediate level of word knowledge (within the word field they currently deal with). (Linda ISA II, 5) Linda nimmt die Grenzen der Aktivität wahr: Den produktiven Gebrauch der Wörter werden die Lernenden durch diese Aktivität alleine nicht erlernen. Dies 224 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="225"?> liegt aus Lindas Sicht jedoch weniger an der Lernaktivität als am Lernstand: „They aren’t advanced learners yet though because they don’t cope with the use of the words.“ (Linda ISA II, 5) Linda lässt ein vertieftes Verständnis des Fachkonzepts generative use er‐ kennen, da sie sehr differenziert argumentiert und die Klassifizierung mit Bezug auf eine konkrete Situation aus dem Video belegt. Im Fall der eingeschobenen Erklärung des Kompositums hot chocolate - chocolate wird in hot chocolate durch das Adjektiv hot modifiziert - sieht Linda dies als einen Hinweis an, der den Lernenden hilft, Interferenzfehler wie *cold chocolate zu vermeiden. The teacher refers to the learners’ previous knowledge of the opposite “hot and cold” so that they can come up with the chunk “hot chocolate” instead of just “chocolate”. This transfer can be seen as a very low degree of generative use as the pupil is able to connect the word “chocolate” with one of its attributes (“hot”). (Linda ISA II, 6) Video „Drive me crazy“ (Jgst. 6) Diagramm 15: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA III (Linda) In dem Video „Drive me crazy“ übt der Lehrer mit den Lernenden einen Dialog ein, den die Schüler am Ende der Stunde mit einem Partner vorspielen. In diesem Video hat Linda mit 18 Situationen die meisten Situationen im Vergleich mit den übrigen ISAs selektiert und analysiert. Die wissensbasierte Auseinandersetzung mit dem Video und die Analyse einzelner Situationen aus dem Unterrichtsvideo sind im Hinblick auf die im Seminar vermittelten Fachkonzepte in ISA III am stärksten ausgeprägt. Für 8 Situationen werden Lernergebnisse vorhergesagt, wobei die Vorhersagen in fünf Fällen durchweg nachvollziehbar sind - das ist der höchste Wert bei der Vergabe dieser Kategorie, den Linda über das gesamte Seminar und über alle ISAs hinweg erreicht hat. Beschreibungen Es gibt eine abstrakte Beschreibung, in der Linda mehrere Lehrerhandlungen bündelt und in ihrer Zweckrationalität interpretiert. Mimik und Gestik werden von dem Lehrer zur Semantisierung benutzt und stellen für die Schüler Erinnerungshilfen dar, wenn sie den Dialog selber vorspielen müssen. The teacher supports the learners also by presenting them a gesture to some phrases (e.g. I, 2.30-2.55; “Good God, this boy is driving me crazy” plus throwing the hand up in horror). Even in later activities, the learners connect the sentence to the gesticulation and repeat it every time the sentence reoccurs (e.g. during the role play). (Linda ISA III, 11) 0 1 2 3 4 5 6 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Linda ISA III, n=18 Diagramm 15: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA III (Linda) In dem Video „Drive me crazy“ übt der Lehrer mit den Lernenden einen Dialog ein, den die Schüler am Ende der Stunde mit einem Partner vorspielen. In diesem Video hat Linda mit 18 Situationen die meisten Situationen im Vergleich mit den übrigen ISAs selektiert und analysiert. Die wissensbasierte Auseinandersetzung mit dem Video und die Analyse einzelner Situationen aus dem Unterrichtsvideo sind im Hinblick auf die im Seminar vermittelten Fachkonzepte in ISA III am stärksten ausgeprägt. Für 8 Situationen werden Lernergebnisse vorhergesagt, wobei die Vorhersagen in fünf Fällen durchweg nachvollziehbar sind - das ist 225 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="226"?> der höchste Wert bei der Vergabe dieser Kategorie, den Linda über das gesamte Seminar und über alle ISAs hinweg erreicht hat. Beschreibungen Es gibt eine abstrakte Beschreibung, in der Linda mehrere Lehrerhandlungen bündelt und in ihrer Zweckrationalität interpretiert. Mimik und Gestik werden von dem Lehrer zur Semantisierung benutzt und stellen für die Schüler Erinne‐ rungshilfen dar, wenn sie den Dialog selber vorspielen müssen. The teacher supports the learners also by presenting them a gesture to some phrases (e.g. I, 2.30-2.55; “Good God, this boy is driving me crazy” plus throwing the hand up in horror). Even in later activities, the learners connect the sentence to the gesticula‐ tion and repeat it every time the sentence reoccurs (e.g. during the role play). (Linda ISA III, 11) Klassifizierungen Linda ist in der Lage, fachdidaktische Konzepte für die Erklärung von Lehr-Lern‐ situationen aus dem Video einzubringen und Situationen aus dem Unterrichts‐ video in zutreffender und nachvollziehbarer Weise zu klassifizieren. Sie stellt Bezüge zwischen den Aufgabenstellungen und Lehrerprompts einerseits und den Lernprozessen andererseits her: The teacher decontextualizes the item “to drive sb. crazy” to some extent and explains the already mentioned connection to the familiar item “to drive a car” (I, 2-2.30). Here, he explicitly explains the generative use of the already met “to drive a car” in order to help the learners reconceptualising their knowledge about that item after this “sec‐ ond” encounter. (Linda ISA III, 12) Another task that proves this is the one in which the learners have to come up with the right sentence by only being given one word out of that sentence (II, 0.20-1.05). This can be considered some kind of productive retrieval as well, as they have to recall the whole sentence by only being given very small input data. (Linda ISA III, 14) Linda nimmt die Bedingungen wahr, die lexikalisches Lernen fördern oder es eher erschweren. In der konkreten Situation entscheidet die räumliche Nähe zum Overheadprojektor darüber, ob die Schüler entweder nur ablesen oder ein Lexem aus der Erinnerung abrufen müssen. When they have to repeat the dialogue in pairs (II, 1.54-2.14), they’re not always able to do so by heart. Those of them who see the OHP can simply read out the sentences; however, those students sitting with their back to the OHP only have a short look at 226 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="227"?> the written form, turn around to their interlocutor and recall the sentence without seeing the written form anymore. (Linda ISA III, 16) Bei der Klassifizierung der Stunde mit einem der strands gelangt Linda zu einer Fehleinschätzung, da in der Stunde keine neuen Wörter eingeführt werden und insofern der strand language-focused learning nicht realisiert ist. Den Schülern begegnet vielmehr bekannter Wortschatz in weniger vertrauten syntaktischen Kontexten (z. B. Inversion). Sie sollen bekannten Wortschatz einüben, indem sie lernen, einen Dialog flüssig vorzutragen. The underlying strands of this lesson are on the one hand fluency development and on the other hand (intentional) language focused learning. The teacher introduces new words within the context of a picture story, with which he works again and again throughout the lesson; thus, opportunities do exist for repeated attention to features, and with that for developing learners’ fluency. (Linda ISA III, 1) Vorhersagen Linda ist in der Lage, differenzierte und am Video begründete Vorhersagen über die Lernergebnisse und -prozesse des Unterrichts zu machen. Die Analyse de‐ monstriert, dass sie über einen differenzierten Lernbegriff verfügt, wenn sie Aspekte des Wortwissens, die Behaltensleistung sowie rezeptiven und produk‐ tiven Wortschatz unterscheidet. In this lesson, learners are familiarized with multi-word units and phrases occurring in the picture story. They are exposed to their written (picture story) and spoken form (teacher’s reading, translation and explanations) and also have to apply their spoken form when they repeat what the teacher says (I, 0.42-1.30), when they work in pairs, and when they have to role play the just learned dialogue. Thus, they enhance both their receptive and productive word knowledge with regard to aspects like spoken form and grammatical functions. Due to the repeated use of the introduced phrases, learners memorize them and become more fluent with their production. (Linda ISA III, 4) Von einer konkreten Situation aus (Lehrer formt die Sätze aus dem Dialog mit den Lippen und Lernende müssen den Satz erraten) kann Linda Bezüge zu fach‐ didaktischen Aspekten herstellen (aspects of word knowledge: spoken form) und dabei auf einen mentalen Lernprozess schließen: When the learners have to lip-read what the teacher “tells” them, they focus on pro‐ nunciation aspects (II, 1.05-1.54) as they have to guess the sentence after only having seen how the words would be pronounced if they actually were. Here, the learners 227 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="228"?> have to be able to think about how they themselves would form the word they see. (Linda ISA III, 15) Alternativen In einer Alternative mahnt Linda den fehlenden kreativen und eigenständigen Sprachgebrauch an und plädiert für eine Variation des Dialogs, was dem eigen‐ ständigen Wortgebrauch der Lernenden zugute kommen würde: I would also alter the sentences from time to time so that they have to modify the new words. My aim wouldn’t be to have them know the sentences by heart, or rather become fluent with a fixed sentence structure, but I would want them to be able to use the words in a more creative way. (Linda ISA III, 19) Lindas Orientierungsrahmen ist der kreative und freie Sprachgebrauch - eine Position, die Linda in der Erhebung der Subjektperspektive bereits vertreten hat. In der Vorerhebung hat Linda die aktive Auseinandersetzung mit Wortschatz als eine wesentliche lernförderliche Bedingung für erfolgreiches lexikalisches Lernen genannt. Dieser fachliche Orientierungsrahmen spiegelt sich auch in der zweiten Alternative wider, in der Linda kritisiert, dass durch die Rücküberset‐ zung des Dialogs ins Deutsche den Lernenden die Möglichkeit genommen wird, sich neue Wortbedeutungen selbstständig zu erschließen. Am Beispiel der Kol‐ lokation drive me crazy begründet Linda, dass Schüler die Bedeutung der für den Dialog zentralen Kollokation drive me crazy selbstständig erschließen können müssten: Thus, I wouldn’t translate the sentences for them but let them have an educated guess from context (due to the picture story, they could come up with a meaning for “I overslept” e.g.) or explain the words with already familiar ones (for instance, when they know the meaning of “drive” and “crazy”, they might know what “drive sb. crazy” could mean). (Linda ISA III, 18) Video „Perfect Job” (Jgst. 9) Linda selektiert in dem Video „Perfect Job” insgesamt 12 Situationen. Annähernd die Hälfte dieser Situationen versucht sie mit einem Fachkonzept zu klassifi‐ zieren. Jedoch passt nur eine von sechs Klassifizierungen zu der selektierten Situation. Vorhersagen bezogen auf die Lernergebnisse und -prozesse trifft Linda für drei Situationen in diesem Video. Die Vorhersagen bleiben als allge‐ meine Vorhersage von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf le‐ xikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern überwiegend allgemein. In zwei Fällen sind die vorhergesagten Wirkungen einer konkreten Unterrichts‐ 228 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="229"?> situation auf lexikalische Lernprozesse nicht zutreffend. Es stellt sich die Frage, warum diese vierte individuelle schriftliche Analyse eine vergleichsweise hohe Zahl von Fehleinschätzungen aufweist (vgl. 6.2). Ein Grund hierfür mag in der Qualität des Videos liegen: Wie bereits in der Beschreibung des Samplings der Unterrichtsvideos beschrieben, zeigt dieses Unterrichtsvideo einen Englischun‐ terricht, der im Hinblick auf die Gestaltung lexikalischen Lernens an zahlreichen Stellen hinterfragt und optimiert werden kann. 142 schließen können müssten: Thus, I wouldn’t translate the sentences for them but let them have an educated guess from context (due to the picture story, they could come up with a meaning for “I overslept” e.g.) or explain the words with already familiar ones (for instance, when they know the meaning of “drive” and “crazy”, they might know what “drive sb. crazy” could mean). (Linda ISA III, 18) 4.2.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) Linda selektiert in dem Video „Perfect Job” insgesamt 12 Situationen. Annähernd die Hälfte dieser Situationen versucht sie mit einem Fachkonzept zu klassifizieren. Jedoch passt nur eine von sechs Klassifizierungen zu der selektierten Situation. Vorhersagen bezogen auf die Lernergebnisse und -prozesse trifft Linda für drei Situationen in diesem Video. Die Vorhersagen bleiben als allgemeine Vorhersage von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern überwiegend allgemein. In zwei Fällen sind die vorhergesagten Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse nicht zutreffend. Es stellt sich die Frage, warum diese vierte individuelle schriftliche Analyse eine vergleichsweise hohe Zahl von Fehleinschätzungen aufweist (vgl. 6.2). Ein Grund hierfür mag in der Qualität des Videos liegen: Wie bereits in der Beschreibung des Samplings der Unterrichtsvideos beschrieben, zeigt dieses Unterrichtsvideo einen Englischunterricht, der im Hinblick auf die Gestaltung lexikalischen Lernens an zahlreichen Stellen hinterfragt und optimiert werden kann. Diagramm 16: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA IV (Linda) Klassifizierungen Die Analyse des Videos „Perfect Job“ demonstriert, dass Linda versucht, verschiedene fachdidaktische Konzepte an die Stunde heranzutragen, dabei aber auch zu Fehlschlüssen kommt, wie das folgende Beispiel zeigt: The learners enrich and establish their knowledge of vocabulary through speaking by communicating a single word’s meaning when they describe and paraphrase it. They improve their word knowledge by focusing on 0 1 2 3 4 5 6 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Linda ISA IV, n=12 Diagramm 16: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA IV (Linda) Klassifizierungen Die Analyse des Videos „Perfect Job“ demonstriert, dass Linda versucht, ver‐ schiedene fachdidaktische Konzepte an die Stunde heranzutragen, dabei aber auch zu Fehlschlüssen kommt, wie das folgende Beispiel zeigt: The learners enrich and establish their knowledge of vocabulary through speaking by communicating a single word’s meaning when they describe and paraphrase it. They improve their word knowledge by focusing on the meaning of new words. It is ne‐ cessary that they think about associations they have in mind (“What other words could we use instead of this one”) in order to paraphrase a word they don’t know (zookeeper, etc.). (Linda ISA IV, 5) Die Lernenden paraphrasieren zwar die Bedeutung von Zielwörtern mit Hilfe der Bilder aus dem Englischbuch. Die Schüler benennen diverse Tätigkeiten des Tierpflegers („work in a zoo“, „work with elephants/ lions“, „clean cages“, „give 229 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="230"?> them food“). Die Paraphrasierung ist aber nicht Teil einer kommunikativen Aufgabenstellung, wie Linda meint. Die Paraphrasierungen sind als Kommuni‐ kationsstrategien quasi aus der Not geboren, weil die Schüler das englische Wort für „Tierpfleger“ nicht kennen und auf Nachfrage vom Lehrer zunächst keine Antwort erhalten. Obwohl ein Schüler signalisiert, dass er hier eine Wissens‐ lücke hat, kündigt der Lehrer die Semantisierung für einen späteren Zeitpunkt an. (Die Einführung des Lexems zoo keeper findet im gesamten Rest der Stunde nicht statt; die Schüler raten weiter und greifen Wörter von der Textoberfläche ab (vgl. Video „Perfect Job“, 21: 09ff.). Die Voraussetzung für eine Festigung des Wortes durch Anreicherung mit weiteren Assoziationen, wie Linda sie be‐ schreibt, ist jedoch nicht gegeben, weil das Zielwort zoo keeper überhaupt nicht eingeführt wurde. Ihr lexikalisches Wissen würden die Schüler erst in dem Mo‐ ment anreichern, wenn sie zu dem Zielwort weitere Assoziationen oder ver‐ wandte Berufe (z. B. zoo director, vet) nennen müssten oder geliefert bekämen. Dieses grundsätzliche Problem in der Unterrichtsdurchführung (die Verweige‐ rung von Wörtern aus gut gemeinten pädagogischen Gründen) durchschaut Linda nicht und irrt daher, wenn sie wahrnimmt, dass neue Wörter dekontex‐ tualisiert werden (Linda ISA IV, 9) oder dass Lernende die Bedeutungsreich‐ weiten von sinnverwandten Wörtern diskutieren (Linda ISA IV, 10). Fehleinschätzungen ergeben sich auch bei der Zuordnung der Stunde zu einem der vier „Standbeine“ (strands) des Englischunterrichts. Linda verweist auf die „Standbeine“ fluency development und meaning-focused output. Der Im‐ puls zur Bildbeschreibung ergibt für die Lernenden eine Gelegenheit zum Spre‐ chen in bedeutungsvollen Kontexten. Ein Fokus auf Flüssigkeit und das „Stand‐ bein“ fluency development ist jedoch nicht erkennbar, weil es keinen Anreiz für eine schnellere Performanz durch einen Impuls des Lehrers gibt („Try to describe the picture, what can you see? “ (Video „Perfect Job“, 7: 39)). The aims of the teacher in this lesson follow the strands “meaning-focused output” and “fluency development”. He mainly wants the learners to produce meaningful output, even though in this lesson, it comprises only single words. There are many opportunities to speak and the learners can use already familiar communication stra‐ tegies (paraphrasing). (Linda ISA IV, 2) Vorhersagen Lindas Vorhersagen gehen über das, was im Video direkt beobachtbar ist, hinaus. Die Tatsache, dass die Lernenden paraphrasieren, um die ihnen bekannte Bedeu‐ tung zu umschreiben, bedeutet noch nicht, dass sie über das Paraphrasieren als Lernstrategie reflektieren, wie Linda es als Lernergebnis vorhersagt (vgl. 4.2.2.4.1): 230 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="231"?> Due to the fact that the learners have to think about ways to communicate a word’s mea‐ ning without knowing its form, they reflect on learning strategies. They practice para‐ phrasing a word in order to convey the message they have in mind. (Linda ISA IV, 11) An anderer Stelle antizipiert Linda, dass die Auseinandersetzung mit semantischen Feldern und Beziehungen das Verstehen der Wortbedeutung unterstützt (Linda ISA IV, 12) - eine Vorhersage, die jedoch unbelegt bleibt. Linda klassifiziert die Stunde mit einem Fachkonzept, welches sich in der Unterrichtsdurchführung nicht nach‐ weisen lässt. Dies wird deutlich, wenn die Schüler in der Stunde das Bild be‐ schreiben, das einen Schaufensterdekorateur zeigt. Die Berufe, welche die Schüler nennen („fashion designer“, „window dresser“, „shop assistant“) sind semantisch verwandt. Der Lehrer nutzt diese Ähnlichkeiten zwischen den Berufen nicht, um den Kern des Berufs „window dresser“ herauszuarbeiten. Dies wäre gut möglich, indem er z. B. gesagt hätte: „What does a window dresser design? Where does a window dresser work? “ Erst auf diesem (oder anderen) Weg(en) wäre eine Akti‐ vierung der Schüler bezogen auf den Wortschatz zustande gekommen, die sich mit Schmitt (2008: 338) als engagement beschreiben lässt. Alternativen Die Darstellung der drei Alternativen, welche Linda für den Unterricht im Video „Perfect Job“ entwickelt, soll unter der Perspektive der fachdidaktischen Not‐ wendigkeiten und der Subjektperspektive erfolgen. Linda erkennt richtig, dass die Reaktion des Lehrers auf die Schülerbeiträge zu unbestimmt ausfällt. Der Vorschlag, dass der Lehrer die Unterschiede zwischen Berufen mit den Schülern bespricht, ist sinnvoll und würde die Verarbeitung der Bedeutungsunterschiede verbessern; ferner würde sich ein weiterer Kommunikationsanlass ergeben, der mehr als nur Einwortsätze als Schülerantwort erfordert. Eine Lösung für die grundlegenden Problemen der Stunde (vgl. 3.5.4) sind die Alternativen von Linda deshalb nicht, weil ihr entgeht, dass der Lehrer - selbst auf Anfrage ein‐ zelner Schüler - neue Wörter nicht oder zu undeutlich semantisiert. I would also concentrate more on correctly mentioned words. In the second part of the lesson, there were some right answers but the teacher simply affirms the answer and doesn’t further talk about it. If the learners know the word one could go on and talk about its semantic field, like working out related words. (Linda ISA IV, 15) Zwar sind die beiden anderen Alternativen für sich genommen sinnvoll, etwa wenn Linda vorschlägt, dass „pilot“ auch als Verb („to pilot through“) im Sinne des generative use thematisiert werden sollte (Linda ISA IV, 16). Auch dem Vor‐ schlag, dass der Lehrer in der ersten Phase der Stunde mehr Hilfen bei der Pan‐ tomime hätte geben sollen, ist sicherlich zuzustimmen; die vorgeschlagenen Al‐ 231 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="232"?> ternativen berühren nur peripher die genannten Schwächen der Stunde und sind insofern keine Antwort auf real bestehende fachdidaktische Notwendigkeiten. 4.2.3 Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Linda Dieses Kapitel fasst zusammen, wie sich die Zahl der selektierten Situationen in den jeweiligen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung entwickelt hat. Au‐ ßerdem werden die Analysen von Schlüsselszenen in der Prä- und der Post-Ana‐ lyse miteinander verglichen. Welche Unterschiede zeigen sich in der Verarbei‐ tung von einzelnen Schlüsselszenen? Werden sie in der Post-Analyse z. B. eher klassifiziert, oder werden Alternativen für Situationen genannt, die in der Prä-Analyse abstrakt beschrieben wurden? Diagramm 17 veranschaulicht die Entwicklung der Unterrichtswahrneh‐ mung über den gesamten Zeitraum des Seminars hinweg. Auffällig ist, dass der beschreibende Umgang mit dem Unterrichtsgeschehen, der noch in ISA Prä do‐ minierte, durch eine wissensbasierte Verarbeitung weitgehend abgelöst worden ist. Bereits ab ISA I ist der Anteil von zutreffenden Klassifizierungen recht hoch. Linda lässt in allen vier Analysen sehr treffende Klassifizierungen von Lernge‐ genständen und Zielen der jeweiligen Englischstunde aus den Unterrichtsvideos erkennen. Auch für die Klassifizierung der lernunterstützenden Kommunika‐ tion nutzt Linda wiederholt Fachkonzepte. Das Ausmaß an wissensbasierter Argumentation ist sehr hoch und bezieht sich auf alle Achsen des didaktischen Dreiecks (vgl. Abbildung 1 sowie Kapitel 2.4.2). In allen ISAs (mit Ausnahme von ISA IV) finden sich begründete und differen‐ zierte Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf le‐ xikalische Lernprozesse und -ergebnisse. Größere Abweichungen in der Qualität und Quantität der wissensbasierten Verarbeitung lassen sich zwischen ISA III und ISA IV festmachen (vgl. Querschnittsanalysen in 6.2). Besonders in ISA IV gibt es eine Reihe von nicht zutreffenden Klassifizierungen und nicht plausiblen Vorher‐ sagen. Bewertungen finden sich nur in ISA III für das Video „Drive me crazy“. 232 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="233"?> Diagramm 17: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs, selek‐ tierte Situationen, n=77 (Linda) 4.2.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Von der Präzur Post-Analyse bleibt die Anzahl der selektierten Situationen mit 14 selektierten Situationen gleich. Der Anteil der abstrakten Beschreibungen ist von der Präzur Post-Analyse deutlich zurückgegangen (ISA Prä=7, ISA Post=1). Stattdessen klassifiziert Linda in der Post-Analyse mehr als doppelt so viele Si‐ tuationen mit einem Fachkonzept, wobei diese Klassifizierungen in der Mehr‐ zahl der Fälle konkret belegt und nachvollziehbar sind (Niveau 3). Während Kerstin in der Prä-Analyse Fragen noch überwiegend allgemein beantwortet hat, beschreibt sie vor allem in der Post-Analyse ausführlich Situationen, in denen der Lehrer - meist in Reaktion auf einen Schülerfehler - den Gebrauch von Wörtern thematisiert. Ebenso hat sich der Anteil der Situationen, für die Linda Lernprozesse in überzeugender Weise vorhersagt, in der Post-Analyse verdop‐ pelt. In der Post-Analyse ist Linda in der Lage, solche Alternativen zu entwickeln und zu begründen, die zu einer Optimierung lexikalischen Lernens in der kon‐ kreten Situation führen würden. In der Post-Analyse entwickelt Linda auch zwei nachvollziehbare Alternativen, welche das Potenzial haben, lexikalisches Lernen in der Stunde zu verbessern. 233 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="234"?> 148 aktion auf einen Schülerfehler - den Gebrauch von Wörtern thematisiert. Ebenso hat sich der Anteil der Situationen, für die Linda Lernprozesse in überzeugender Weise vorhersagt, in der Post-Analyse verdoppelt. In der Post-Analyse ist Linda in der Lage, solche Alternativen zu entwickeln und zu begründen, die zu einer Optimierung lexikalischen Lernens in der konkreten Situation führen würden. In der Post-Analyse entwickelt Linda auch zwei nachvollziehbare Alternativen, welche das Potenzial haben, lexikalisches Lernen in der Stunde zu verbessern. Diagramm 18: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Linda) Eine Aggregation der Kategorien veranschaulicht die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Linda. Hierzu werden die Einschätzdimensionen mit einem Faktor versehen und alle Kodierungen für z. B. „Vorhersagen 3“ mit dem Faktor 3 multipliziert, so dass sich ein aggregierter Wert für jede Dimension der Unterrichtswahrnehmung ergibt (vgl. Diagramm 19). Diagramm 19: ISA Prä-Post, aggregiert (Linda) 0 5 10 15 Beschreibung Klassifizierung Vorhersage Alternative Linda_Prä Linda_Post 012345678 Linda Prä-Post im Vergleich, n prä =14, n post =14 ISA_prä ISA_post Diagramm 18: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Linda) Eine Aggregation der Kategorien veranschaulicht die Entwicklung der profes‐ sionellen Unterrichtswahrnehmung bei Linda. Hierzu werden die Einschätzdi‐ mensionen mit einem Faktor versehen und alle Kodierungen für z. B. „Vorher‐ sagen 3“ mit dem Faktor 3 multipliziert, sodass sich ein aggregierter Wert für jede Dimension der Unterrichtswahrnehmung ergibt (vgl. Diagramm 19). 148 Post-Analyse ist Linda in der Lage, solche Alternativen zu entwickeln und zu begründen, die zu einer Optimierung lexikalischen Lernens in der konkreten Situation führen würden. In der Post-Analyse entwickelt Linda zwei nachvollziehbare Alternativen, welche das Potenzial haben, lexikalisches Lernen in der Stunde zu verbessern. Diagramm 18: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Linda) Eine Aggregation der Kategorien veranschaulicht die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Linda. Hierzu werden die Einschätzdimensionen mit einem Faktor versehen und alle Kodierungen für z. B. „Vorhersagen 3“ mit dem Faktor 3 multipliziert, so dass sich ein aggregierter Wert für jede Dimension der Diagramm 19: ISA Prä-Post, aggregiert (Linda) 0 5 10 15 Beschreibung Klassifizierung Vorhersage Alternative Linda_Prä Linda_Post 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Linda Prä-Post im Vergleich, n prä =14, n post =14 ISA_prä ISA_post Diagramm 19: ISA Prä-Post, aggregiert (Linda) 234 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="235"?> 4.2.3.2 Analyse ausgewählter Situationen aus dem Video „Money“ (ISA Post) In der Post-Analyse hat Linda 29% aller selektierten Situationen im Video „Money“ in zutreffender und nachvollziehbarer Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert. Für 36% der Situationen hat sie Zusammenhänge zwischen Lehr-Lernprozessen ermittelt (Vorhersagen, Niveau 3). Für zwei Situationen hat sie schlüssige Alternativen entwickelt, die zu einer Verbesserung lexikalischen Lernens führen würden. 149 4.2.3.2 Analyse ausgewählter Situationen aus dem des Video „Money“ (ISA Post) Diagramm 20: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA post (Linda) Klassifizierungen Video „Money“ Linda klassifiziert die Zielorientierung des Unterrichts im Rückgriff auf die „Standbeine“ language-focused learning und fluency development, wobei sie nur für das Standbein fluency development eine Begründung mit allgemeinem Bezug zum Unterrichtsvideo formuliert (Niveau 2). Allerdings handelt es sich hier um den einleitenden Satz ihrer schriftlichen Analyse, der sie weitere konkrete Belege aus dem Unterrichtsvideo folgen lässt. The aims of the teacher follow the strands “language-focused learning” and “fluency development”. He wants the learners to think about words they already know and associate with money, so that they become more fluent in recalling those words (productive retrieval). There are many opportunities offered for productive retrieval and the words they talk about are almost all familiar to the learners. (Linda ISA Post, 1) Linda nimmt in dem Unterrichtsverlauf eine Progression vom Abrufen der Wörter zum Aushandeln von Bedeutungen wahr. Allerdings bleibt Linda konkrete Beispiele für das Aushandeln von Bedeutungen hier schuldig. Sie nutzt Fachkonzepte für die Beschreibung von Lernprozessen in kleinteiligen Situationen des Unterrichts wie auch in Bezug auf längere Unterrichtsabschnitte. In the first part of the lesson, he wanted the learners to recall associations they have in mind in order to be able to negotiate the words’ meaning afterwards (0.00 -10.15). (Linda ISA Post, 3) Die folgende Passage zeigt, dass Linda in der Lage ist, den Lerngegenstand differenziert zu beschreiben. Sie führt dabei Aspekte des Wortschatzwissens mit definitorischen Merkmalen des Konzepts generative use zusammen. 0 1 2 3 4 5 6 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Linda ISA post - Überblick, n=14 Diagramm 20: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Post (Linda) Klassifizierungen Video „Money“ Linda klassifiziert die Zielorientierung des Unterrichts im Rückgriff auf die „Standbeine“ language-focused learning und fluency development, wobei sie nur für das „Standbein“ fluency development eine Begründung mit allgemeinem Bezug zum Unterrichtsvideo formuliert (Niveau 2). Allerdings handelt es sich hier um den einleitenden Satz ihrer schriftlichen Analyse, der sie weitere kon‐ krete Belege aus dem Unterrichtsvideo folgen lässt. The aims of the teacher follow the strands “language-focused learning” and “fluency development”. He wants the learners to think about words they already know and associate with money, so that they become more fluent in recalling those words (pro‐ ductive retrieval). There are many opportunities offered for productive retrieval and the words they talk about are almost all familiar to the learners. (Linda ISA Post, 1) 235 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="236"?> Linda nimmt in dem Unterrichtsverlauf eine Progression vom Abrufen der Wörter zum Aushandeln von Bedeutungen wahr. Allerdings bleibt Linda kon‐ krete Beispiele für das Aushandeln von Bedeutungen hier schuldig. Sie nutzt Fachkonzepte für die Beschreibung von Lernprozessen in kleinteiligen Situati‐ onen des Unterrichts wie auch in Bezug auf längere Unterrichtsabschnitte. In the first part of the lesson, he wanted the learners to recall associations they have in mind in order to be able to negotiate the words’ meaning afterwards (0.00 -10.15). (Linda ISA Post, 3) Die folgende Passage zeigt, dass Linda in der Lage ist, den Lerngegenstand dif‐ ferenziert zu beschreiben. Sie führt dabei Aspekte des Wortschatzwissens mit definitorischen Merkmalen des Konzepts generative use zusammen. He also deliberately looks at certain words, their form and generative use (“There is a difference between “broke” and “broken”, 11.52). Hence, he discusses both the mea‐ ning and form of those new words (10.15-14.21). (Linda ISA Post, 5) Linda stellt das Aushandeln von Bedeutungen und die Hinweise auf variierende Kontexte (generative use) in den Zusammenhang einer lernunterstützenden Kommunikation. Dabei nennt sie konkrete Zielwörter und bezieht sich auf kon‐ krete Phasen des Unterrichts. Der Lehrer demonstriert, in welchen Kontexten z. B. blow verwendet werden kann. Linda interpretiert die Gesten des Lehrers auch als Form lernunterstützender Kommunikation. The learners are supported through interaction in many different ways. The teacher offers examples for generative use (“the wind blows” and “blow money”), explains the meaning of new words by definition and negotiation with the help of gestures (“[at war], they shoot themselves” - “themselves? ”; 12.20-12.55 “can you make a movement with your hands to show me what “greedy” is? ”; etc). (Linda ISA Post, 11) Linda ist in der Lage, zwischen den Aspekten des Wortwissens zu unterscheiden. Sie erkennt, wenn Perino beispielsweise das L2-Wort mit einem gleichklin‐ genden Wort der L1 vergleicht. They do not only work with associations, but also engage with the words’ meaning by finding out similarities between the L1 and L2 (12.55 onwards: ““loan” mea‐ ning “Lohn”? ”). (Linda ISA Post, 12) Vorhersagen Video „Money“ Linda demonstriert in ihrer Analyse des Videos „Money“ am Ende des Seminars, dass sie in der Lage ist, lernrelevante Merkmale einer Situation zu identifizieren und mögliche sowie reale Lernergebnisse zu antizipieren oder nachzuweisen. 236 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="237"?> Linda erkennt, dass die Struktur des Tafelbildes als ein Stimulus bewirkt, dass Lernende semantische Relationen zwischen Wörtern herstellen bzw. erkennen. Die Schlussfolgerung, dass sich der zweite Lerner über die Wortart (Verb) klar geworden ist, wird von Linda konkret belegt und deutet auf ein umfassendes Verständnis des Unterrichts und eine tiefergehende, wissensbasierte Verarbei‐ tung des Unterrichtsgeschehens hin. Sie schließt von beobachtbaren Hand‐ lungen auf kognitive Prozesse bei den Lernenden, wenn sie meint, dass die De‐ monstration eines strukturierten Tafelanschriebs die Lernenden gleichermaßen die Sinnhaftigkeit des Gruppierens von Wörtern erkennen lässt. Learners understood that it makes sense to group words. For instance, a pupil said “lose money”, the teacher wrote it down next to other verbs and another pupil said “win money” (2.17-2.35). Hence, the second learner got the point that they were talking about verbs at that time. (Linda ISA Post, 6) Linda belegt anhand von mehreren Beispielen, dass die Impulse des Lehrers das Einüben von Kommunikationsstrategien unterstützen. The learners practice strategies to find out the meaning of an unknown word when they have to paraphrase the form of the word they don’t know (6.15-6.30: “try to describe it - what you do, where it is, what it looks like”; 13.25-13.30 “mall” - “can you give me another word for that? ”). (Linda ISA Post, 7) Linda nimmt wahr, dass Übersetzungen ins Deutsche als Semantisierungsstra‐ tegie vom Lehrer differenziert eingesetzt werden, damit sich die Lernenden vor allem der Bedeutung von abstrakten Wörtern (hier: mortgage) abschließend vergewissern können. Another strategy they apply is translating words into their L1 (13.30-14.15: “mortgage” - the teacher at first explains the word’s meaning by giving a definition for it, a pupil gives the word’s translation afterwards). However, they only translate it when the word’s meaning is very abstract. (Linda ISA Post, 8) Linda bemerkt, dass code switching einen Interferenzfehler produziert, der nach‐ folgend durch den Lehrer korrigiert wird. Der antizipierte Effekt, der uptake des Wortes, ist im Video direkt beobachtbar und von Linda auch erkannt worden. Linda verweist als Beleg auf den real beobachtbaren Effekt: die Lernenden haben die neue Form verstanden, und ein Lernender kann sie sogar direkt gebrauchen. When a pupil comes up with the Wall Street (8.00-8.30), he tries to give a definition for the word, making interference mistakes though when saying “they han… Aktien”. He wanted to say “handle” because it reminded him of the L1 word, although he realized his mistake in the middle of his speech (he didn’t complete the word). This was cor‐ 237 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="238"?> rected by the teacher directly after the pupil made the mistake so that he was able to get a right version of his utterance (“they trade with shares”). (Linda ISA Post, 9) Linda schließt wie schon in den oben erwähnten Beispielen vom selbstständigen Gebrauch der Wörter auf eine Steigerung der Behaltensleistung bei denjenigen Wörtern, welche die Lernenden aktiv gebrauchen. Die Form-Bedeutungsverknüp‐ fung (form-meaning link) ist der Ausgangspunkt für das Behalten des Wortes. Shortly afterwards, a boy tries to paraphrase “Dow Jones” and already uses the word “share” in his own creative language production. It is likely that the learners will memorize those words which they met the most often because they connect the word’s form and meaning. (Linda ISA Post, 10) 4.2.3.3 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Analyse Bei Linda fällt auf, dass sie eine ausgeprägte Wahrnehmung für Situationen hat, in denen Lernende voneinander lernen. Hierfür gibt es sowohl in der Präwie auch in der Post-Analyse Beispiele (vgl. Linda ISA Prä, 14; ISA Post, 6). Auffällig ist, dass die Prä-Analyse bereits sehr differenziert ausfällt. Auch wenn die Lern‐ enden an die Grenzen ihrer Ausdrucksmöglichkeiten stoßen, ergeben sich aus solchen Situationen Lerngelegenheiten, wenn die Lernenden auf diese Weise für die Aufnahme von neuem Wortgut vorbereitet sind. Im konkreten Fall greift ein Schüler die zuvor eingeführt Kollokation trade with shares auf. Learners understood that it makes sense to group words. For instance, a pupil said “lose money”, the teacher wrote it down next to other verbs and another pupil said “win money” (2.17-2.35). Hence, the second learner got the point that they were talking about verbs at that time. (Linda ISA Post, 6) Even when pupils come up with difficult topics like the stock exchange or capitalism, he tries to let them explain their point themselves instead of just giving them the translation. Apparently, this not only forces the speaker to face up to the new word, but equally pays off for the other students. During the Wall Street debate (8,00 - 9,17), one boy explains the Dow Jones and in doing so gets to know that “shares are traded”. The next pupil picks up the recently learned word and uses it in his own utterance. (Linda ISA Prä, 14) Am Ende des Seminars ist Linda in der Lage, Unterrichtsgegenstände zu klas‐ sifizieren, und selektiert eine Situation, die sie in der Prä-Analyse nicht wahr‐ genommen hat. Den Bedeutungsunterschied zwischen broke und broken fasst sie als generative use auf, d. h. den Lernenden begegnet ein ihnen bekanntes Wort in leicht veränderter Form und in einem anderen syntaktischen Kontext 238 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="239"?> (I am broke versus The vase is broken.). Der semantische und morphologische Unterschied zwischen broke und broken erfordern eine Diskussion dieser Un‐ terschiede im Unterricht. Das Wissen über die Aspekte des Wortschatzwissens hilft Linda, die Notwendigkeit und das Ziel einer solchen Instruktion genauer zu fassen. Sie erkennt, dass eine fachdidaktische Notwendigkeit besteht, zu‐ sätzlich zwischen der Form und der Bedeutung des Wortes zu differenzieren. Dies kann als ein Indikator für einen ausdifferenzierten Lernbegriff gelten. He also deliberately looks at certain words, their form and generative use (“There is a difference between “broke” and “broken”, 11.52). Hence, he discusses both the mea‐ ning and form of those new words (10.15-14.21). (Linda ISA Post, 5) Bei den Alternativen zeigen sich Unterschiede zwischen der Prä- und Post-Ana‐ lyse dahingehend, dass Linda in der Prä-Analyse Alternativen für das konkrete Lehrerverhalten entwickelt: In Reaktion auf Schülerbeiträge (hier: expensive) hätte der Lehrer direkt das entsprechende Antonym einbringen sollen. Am Ende des Seminars entwickelt Linda Alternativen, die auf die Verbesserung der Nach‐ haltigkeit des Lernens durch Aufgabenstellungen zielen, bei denen die Ler‐ nenden die neuen und wiederholten Wörter aktiv verwenden: When one pupil tosses in the word “expensive” he could just offer the opposite of it right away; however, he does not and hence gives them time to think without distur‐ bances. (Linda ISA Prä, 10) If I were to teach this lesson, I would try to find more activating tasks for the learners. They should discuss the mind maps with a partner or in groups instead of only talking to the teacher, so that they have the possibility to use the words in an authentic dis‐ cussion. The more often they meet a new word, the better the form-meaning link will be strengthened. (Linda ISA Post, 13) In der Zusammenschau ergibt sich eine Nähe der Alternativen, welche Linda in der Post-Analyse vorschlägt, zu ihren geäußerten Überzeugungen zum Wort‐ schatzlernen. Die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen bestehe darin sich in einer konkreten Situation spontan an das passende Wort zu erinnern, dessen Bedeutung man rezeptiv sehr wohl kennt: „Die Anwendung ist also schwieriger als das Verstehen“. Auch der Vorschlag, alle neuen Wörter in einem Text zu kontextualisieren, zielt auf die Nachhaltigkeit lexikalischen Lernens. Gleichwohl wird diese Alternative zum Teil in der Stunde realisiert. Denn nachdem Perino einzelne Wörter semantisiert hat, erhalten die Schüler einen entsprechenden Text mit Lücken. 239 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="240"?> I think it would be better to offer a text at the end of the lesson which includes all the newly learned words so that they have the words embedded within a larger context as well. (Linda ISA Post, 14) Im direkten Vergleich von Situationen aus der Prä- und der Post-Analyse fällt auf, dass Linda in der Post-Analyse Situationen präziser „zu fassen“ bekommt und sie z. B. den Umgang mit Fehlern oder konkrete Lerneräußerungen dezidiert analysiert. Während Linda in der Prä-Analyse noch die Zurückhaltung des Leh‐ rers beim Einhilfen-Geben herausstellt („he tries to let them explain their point themselves instead of just giving them the translation“), hebt sie in der Post-Ana‐ lyse die zeitnahe Korrektur durch den Lehrer hervor, was für den uptake durch die Lerner ein wichtiger Faktor ist. Even when pupils come up with dif‐ ficult topics like the stock exchange or capitalism, he tries to let them ex‐ plain their point themselves instead of just giving them the translation. Apparently, this not only forces the speaker to face up to the new word, but equally pays off for the other stu‐ dents. During the Wall Street debate (8,00-9,17), one boy explains the Dow Jones and in doing so gets to know that “shares are traded”. The next pupil picks up the recently learned word and uses it in his own utterance. (Linda ISA Prä, 14) When a pupil comes up with the Wall Street (8.00-8.30), he tries to give a de‐ finition for the word, making interfe‐ rence mistakes though when saying “they han… Aktien”. He wanted to say “handle” because it reminded him of the L1 word, although he rea‐ lized his mistake in the middle of his speech (he didn’t complete the word). This was corrected by the teacher di‐ rectly after the pupil made the mistake so that he was able to get a right ver‐ sion of his utterance (“they trade with shares”). (Linda ISA Post, 9) 4.2.4 Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Linda Linda verfügt über langjährige unterrichtspraktische Erfahrungen als Nachhil‐ felehrerin. Natürliche Kontexte, authentische Materialien und exposure sieht sie als wesentliche Faktoren für gelingenden Spracherwerb an. Die spontane „An‐ wendung“ bzw. das Abrufen von Wortschatz sieht sie als größte Herausforde‐ rung. Deshalb sollte eine Lehrkraft Wortschatz häufig wiederholen und das Le‐ seinteresse bei Schülern wecken sowie deren Bereitschaft, sich mit Wörtern aktiv auseinanderzusetzen. Obwohl kooperatives Lernen nicht von ihr als we‐ sentliche Gelingensbedingung für Fremdsprachenunterricht genannt wird, nimmt Linda zahlreiche Situationen wahr, in denen Lernende im Unterricht voneinander lernen (z. B. Video „Money“). 240 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="241"?> Bezogen auf die selektierten Situationen in allen 6 Analysen (n=77) wird ein Fünftel aller Situationen zutreffend mit einem Fachkonzept klassifiziert (vgl. Diagramm 21), wobei die Situation aus dem Video und Merkmale des Konzepts argumentativ so aufeinander bezogen werden, dass nachvollziehbar ist, warum eine konkrete Situation aus dem Video mit einem bestimmten fachdidaktischen Konzept klassifiziert werden kann. Insgesamt nutzt Linda in einem hohen Maß fachdidaktisches Wissen für die Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens, da auch die differenzierten Vorhersagen (Niveau 3) laut Kodierleitfaden (vgl. 3.6.3) die Nutzung von Fachkonzepten einschließen. des Konzepts argumentativ so aufeinander bezogen werden, dass nachvollziehbar ist, warum eine konkrete Situation aus dem Video mit einem bestimmten fachdidaktischen Konzept klassifiziert werden kann. Insgesamt nutzt Linda in einem hohen Maß fachdidaktisches Wissen für die Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens, da auch die differenzierten Vorhersagen (Niveau 3) laut Kodierleitfaden (vgl. 3.6.3) die Nutzung von Fachkonzepten einschließen. Diagramm 21: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (Linda) Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass sich Lindas Verständnis dessen, was lexikalisches Lernen heißt, ausdifferenziert hat (differenzierter Lernbegriff). Linda nutzt die „Standbeine“, um die Zielrichtung lexikalischen Lernens in den unterschiedlichen Stunden zu erklären. Dies gelingt auch für implizite Phasen lexikalischen Lernens. Linda arbeitet Unterschiede zwischen rezeptivem und produktivem Lernen heraus und kann Konzepte wie core meaning und semantic relations für die Klassifizierung der Lerngegenstände in verschiedenen Unterrichtsvideos nutzen. Linda kann lernrelevante Merkmale und Lernergebnisse in einer konkreten Situation (z. B. in ISA III) differenziert erfassen (aspects of word knowledge: spoken form). In ihren Vorhersagen ist eine Ausdifferenzierung des Lernbegriffs erkennbar. Linda ist in der Lage, lexikalische Lernergebnisse auf mehreren Ebenen zu erfassen (Aspekte des Wortwissens, Behaltensleistung). Lindas Vorhersagen sind nicht durchgängig konkret belegt, d. an reale, direkt im Video beobachtbare Effekte rückgebunden. Die Tatsache, dass die Lernenden paraphrasieren um die ihnen bekannte Bedeutung zu umschreiben, bedeutet noch nicht, dass sie über das Paraphrasieren als Lernstrategie reflektieren, wie Linda es als Lernergebnis vorhersagt: Allerdings ist auffällig, dass Linda bereits in der Prä-Analyse differenzierte Vorhersagen trifft (vgl. 4.2.3.3). Lindas Alternativen stimmen überwiegend mit ihren Überzeugungen zum Wortschatzlernen, überein (spontanes Abrufen = größte Herausforderung beim Wortschatzlernen; aktive Auseinandersetzung mit Wortschatz = eine wesentliche lernförderliche Bedingung). Allerdings werden Alternativen nur ansatzweise auf der Grundlage 2,5% 3,8% 0,0% 1,3% 12,5% 7,5% 6,3% 20,0% 5,0% 6,3% 17,5% 0,0% 7,5% 6,3% 0% 5% 10% 15% 20% 25% Linda, alle ISAs Diagramm 21: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (Linda) Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass sich Lindas Verständnis dessen, was lexikali‐ sches Lernen heißt, ausdifferenziert hat (differenzierter Lernbegriff). Linda nutzt die „Standbeine“, um die Zielrichtung lexikalischen Lernens in den unterschiedlichen Stunden zu erklären. Dies gelingt auch für implizite Phasen lexikalischen Lernens. Linda arbeitet Unterschiede zwischen rezeptivem und produktivem Lernen heraus und kann Konzepte wie core meaning und semantic relations für die Klassifizierung der Lerngegenstände in verschiedenen Unterrichtsvideos nutzen. Linda kann lernrelevante Merkmale und Lernergebnisse in einer konkreten Situa‐ tion (z. B. in ISA III) differenziert erfassen (aspects of word knowledge: spoken form). In ihren Vorhersagen ist eine Ausdifferenzierung des Lernbegriffs erkennbar. Linda ist in der Lage, lexikalische Lernergebnisse auf mehreren Ebenen zu erfassen (Aspekte 241 4.2 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Linda <?page no="242"?> des Wortwissens, Behaltensleistung). Lindas Vorhersagen sind nicht durchgängig konkret belegt, d. h. an reale, direkt im Video beobachtbare Effekte rückgebunden. Die Tatsache, dass die Lernenden paraphrasieren, um die ihnen bekannte Bedeutung zu umschreiben, bedeutet noch nicht, dass sie über das Paraphrasieren als Lernstra‐ tegie reflektieren, wie Linda es als Lernergebnis vorhersagt. Allerdings ist auffällig, dass Linda bereits in der Prä-Analyse differenzierte Vorhersagen trifft (vgl. 4.2.3.3). Lindas Alternativen stimmen überwiegend mit ihren Überzeugungen zum Wortschatzlernen überein (spontanes Abrufen = größte Herausforderung beim Wortschatzlernen; aktive Auseinandersetzung mit Wortschatz = eine wesent‐ liche lernförderliche Bedingung). Allerdings werden Alternativen nur ansatz‐ weise auf der Grundlage wahrgenommener Probleme oder fachdidaktischer Notwendigkeiten entwickelt. 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin 4.3.1 Kurzbeschreibung des Falls Kerstin Kerstin studiert im sechsten Semester Anglistik und katholische Religion für das Lehramt an Haupt-, Real- und Gesamtschulen (Sekundarstufe I). Den Schwer‐ punkt ihres Studiums sieht sie im Bereich Sprachwissenschaft. In ihrem Studium hat sie bis dato 6-8 fachdidaktische Lehrveranstaltungen und eine bildungswis‐ senschaftliche Lehrveranstaltung zum Thema Unterrichtsbeobachtung belegt. Kerstin hat unterrichtspraktische Erfahrungen über eine Vertretungsstelle an einer Grundschule und durch Nachhilfeunterricht gesammelt, den sie seit 5 Jahren sowohl als Gruppenwie auch als Einzelunterricht erteilt. Eine Fremdsprache er‐ lernt man aus ihrer Sicht am besten durch „learning by doing“, d. h. indem man kommuniziert. Für den Aufbau eines differenzierten und umfangreichen Wort‐ schatzes ist das Lernen aus kommunikativ essentiellen Kontexten entscheidend: „Was müssen sie wirklich lernen, um erfolgreich mit Muttersprachlern kommuni‐ zieren zu können? “ Die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen besteht darin, dass Wortschatz zu häufig noch „isoliert getestet“ wird, ohne dass Lernende erkennen, in welchen Kontexten und mit welcher Grammatik sie das Wort nutzen können. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson „mehr Kontext geben“, sodass das Wort nicht isoliert, sondern im Zusammenhang gelernt wird. Kerstin kritisiert aus ihrer Erfahrung als Vertretungslehrerin, dass viele Grundschullehrkräfte nur einen Wochenendkurs gemacht haben und selbst noch erhebliche Defizite in der Aussprache oder Grammatik haben. 242 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="243"?> 4.3.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Kerstin: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.3.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) Insgesamt selektiert Kerstin 20 unterschiedliche Situationen aus diesem Unter‐ richtsvideo - der höchste Wert für dieses Video im Vergleich zu den anderen Probanden. Auffällig ist der hohe Anteil (20%) von zutreffenden Vorhersagen. Ansätze einer wissensbasierten Klassifizierung sind in diesem Video bereits er‐ kennbar, wenngleich auch nur eine Situation treffend und mit Rückbezug auf den konkreten Unterricht mit einem Fachkonzept klassifiziert wird. Ein Fünftel aller Situationen wird von Kerstin bewertet. Bei der Reliabilitätsprüfung (vgl. 3.6.4.2) sind bei den Klassifizierungen dieser Analyse in drei Fällen Rekodie‐ rungen erfolgt (drei Klassifizierungen von Niveau 2 auf 1). Eine mögliche Er‐ klärung hierfür ist möglicherweise ein weit ausholender bis umständlicher Schreibstil von Kerstin, bei dem eigene Wertungen, erläuternde Kommentaren und allgemeine Prinzipien vielfach miteinander verwoben sind, wie das fol‐ gende Beispiel zeigt: This seems to be very important to the teacher. I can totally understand that. The learners are quite advanced and you can expect them to use the language in a more proficient way than the younger ones could. A language should generally be taught in a way that learners can communicate with others in the L2 and convey their mes‐ sages. (Kerstin ISA I, 4) Diagramm 22: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I (Kerstin) Beschreibungen Kerstin beginnt ihre Analyse mit einer Beschreibung der Ziele der Stunde: „I would like to start my analysis by looking at the aims of the teacher in more detail and how he achieves his goals. One of the learning goals of the lesson is gaining cultural knowledge“ (Kerstin ISA I, 3). Die Einstiegsphase der Stunde interpretiert Kerstin als Aktivierung von Vorwissensbeständen: The learners can then activate pre-knowledge and therefore this lesson start could be defined as a top-down process which simply means that the learner forms hypotheses of how the lesson might look like and what to expect. In the course of the lesson the learners can then either support their hypotheses or revise them. (Kers- 0 1 2 3 4 5 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kerstin ISA I, n=20 Diagramm 22: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I (Kerstin) 243 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="244"?> Beschreibungen Kerstin beginnt ihre Analyse mit einer Beschreibung der Ziele der Stunde: „I would like to start my analysis by looking at the aims of the teacher in more detail and how he achieves his goals. One of the learning goals of the lesson is gaining cultural knowledge“ (Kerstin ISA I, 3). Die Einstiegsphase der Stunde interpretiert Kerstin als Aktivierung von Vorwissensbeständen: The learners can then activate pre-knowledge and therefore this lesson start could be defined as a top-down process which simply means that the learner forms hypotheses of how the lesson might look like and what to expect. In the course of the lesson the learners can then either support their hypotheses or revise them. (Kerstin ISA I, 3) Kerstin versucht ein Fachkonzept aus dem Kontext der rezeptiven Sprachver‐ arbeitung anzubringen. Vergleicht man diese Aussage jedoch mit dem Unter‐ richtstranskript, so wird schnell deutlich, dass konzeptgeleitete Verarbeitungs‐ prozesse in der Einstiegsphase deshalb kaum stimuliert werden, weil der Lehrer die Stunde mit den Worten eröffnet: „Today, we are going to talk about different countries, and I brought you something that we want to take a look at“ (Video „Misunderstandings“, 0: 31). Eine Phase, in welcher die Lernenden eine Möglich‐ keit hätten, Vermutungen über das Stundenthema anzustellen, fehlt also völlig. Die Experten sehen, dass in der Stunde das Bewusstsein für sozio-kulturelle Unterschiede geschärft werden soll. Die Missverständnisse aus dem ersten Hör‐ text sind Indikatoren für kulturell gebundene Konventionen (z. B. die kommu‐ nikative Markierung des Beginns einer gemeinsamen Mahlzeit). Erst wenn Ver‐ haltensregeln und kulturell übliche Floskeln bei Tisch thematisiert werden, kann man von einem Wissenserwerb zu dieser Thematik ausgehen. Möglicherweise will Kerstin in ihrem Text die Ziele der Stunde allgemein fassen, denn an anderer Stelle stellt sie trefflich heraus, dass die Lernenden etwas über Höflichkeitskonventionen lernen sollen. I would now like to continue with the question what learners learn about lexis in this particular lesson. As I pointed out above the learners get to know what politeness is and also what might go wrong in everyday communication. They should understand the concept of politeness and work out patterns which are useful. The focus here is not really [on] form. They use the words but the teacher does not correct pronunci‐ ation mistakes. The focus of this lesson is meaning. (Kerstin ISA I, 10) Kerstin ist in der Lage, weitere Zielbereiche der Stunde herauszuarbeiten. Im Bereich lexikalisches Lernen sollen die Schüler ihr Spektrum erweitern, wie man im Englischen eine Meinung ausdrückt, ohne dabei unhöflich zu wirken. Kerstin 244 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="245"?> nimmt Vorkenntnisse der Schüler an und begründet dies mit einem allgemeinen Hinweis auf die Lernaktivitäten der Stunde. To sum it all up the teacher does not really teach new lexical items. He makes his students find out about ways of expressing opinions. They have probably come across those items/ patterns before and now recreate/ revise them. (Kerstin ISA I, 8) Klassifizierungen Kerstin charakterisiert die Stunde richtig als kommunikativen Unterricht, weil die Lernenden ausreichend Gelegenheit zur Kommunikation bekommen. Aller‐ dings verkennt sie, dass die in der Sequenz gezeigte Aufgabe sprachanalytischer Natur ist und keinen meaningful output erfordert. Die Aufgabenstellung lautet: „Good, now please talk to your partners about that, and try to find some useful phrases that de-escalate the conversation” (Video „Misunderstandings“, 10: 45). Another goal of the lesson is to actively use the target language. […] In this particular lesson the learners communicate a lot. Either they talk to the teacher or to a partner. The teacher instructs them to only use the target language English in their commu‐ nication. This instruction can be related to the strand of “meaning focused output”. The students use language productively and if they came across knowledge gaps, they could always ask their teacher for help (he even walks around during the exercise) or look items up in a dictionary for example. In the video you could see that dictionaries were distributed around the classroom. (Kerstin ISA I, 4) Kerstin klassifiziert die Stunde mit dem „Standbein“ meaning-focused input und begründet dies mit dem beiläufigen Lernen von Wortschatz (incidental lear‐ ning) bei der Textrezeption. Dass im Zuge der Rezeption von Hör- oder Lese‐ texten sich Wortschatzwissen durch noticing erweitern kann, ist Kerstin durchaus bewusst. Sie klassifiziert außerdem den Lerngegenstand als Mehr‐ worteinheiten („These expressions can be defined as multi-word units, because they normally consist of more than one single lexical item”) (Kerstin ISA I, 5) This fits into the learning strand “meaning focused input”, because it gives the learners the opportunity to meet multi-word units in context and that is actually what happens in this case. They listen to the conversations (and read them) and meet/ notice those units. (Kerstin ISA I, 5) Kerstin ist zu einem frühen Zeitpunkt des Seminars in der Lage, die Konzepte lexical awareness und engagement in einer Situation wiederzuerkennen: Kerstin arbeitet heraus, dass die Aufgabe (Heraussuchen von deeskalierenden Ausdrü‐ cken) das Potenzial hat, die lexikalische Bewusstheit zu erhöhen und Lernende 245 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="246"?> für die spezifische Funktion und Verwendungsweise von ihnen bereits be‐ kannten Ausdrücken zu sensibilisieren. To sum it up it can be said that the students understand the meaning of words. They get to know what can go wrong and how to use lexical items in a correct way. This might lead to lexical awareness. The learners develop an interest in analyzing vocabulary of different languages and they increase their understanding of ways in which vocabulary is used for a variety of purposes. In the course of the lesson the learners get exercises in which they should use the lexical items and phrases. This promotes engagement which is very important for vocabulary learning. The fact that this is all very close to real life makes it even easier to remember those lexical items. (Kerstin ISA I, 13) Bei der zweiten zutreffenden Klassifizierung erklärt Kerstin die ablaufenden Lern‐ prozesse (noticing durch Dekontextualisierung) mit den passenden Fachkonzepten: Related to this you could also point out that the pupils in the video use paraphrasing a lot. They pick up an item and paraphrase it with their own words. This strategy can be defined as “Noticing”. The students notice a word/ an expression and negotiate the meaning with each other in the group/ pair work activity but also with the teacher. (Kerstin ISA I, 16) Vorhersagen Kerstin zeigt in der Analyse dieses Videos, dass sie in der Lage ist, lernrelevante Merkmale von Aufgabenstellungen mit Lernergebnissen in Beziehung zu setzen. Sie kann Lerneffekte antizipieren und mögliche Diskrepanzen zwischen dem antizipierten Effekt und realen, beobachtbaren Effekten herausarbeiten. Die Lernergebnisse in der ersten Phase der Stunde, in welcher die Schüler die Miss‐ verständnisse klären bzw. den Humor verstehen sollen, werden von Kerstin im Rückgriff auf konkrete Situationen aus dem Video vorhergesagt. Dass die Mehrheit der Lernenden erst verspätet (teilweise auch gar nicht, wie am Gesichtsausdruck einer Schülerin abzulesen ist) den durch false friends ausgelösten Humor in der Konversation zwischen Amerikanern und Deutschen versteht, ent‐ geht Kerstin. Sie hat offenbar nicht registriert, dass letztlich nur eines der zahlrei‐ chen Missverständnisse von den Schülern selbstständig aufgeklärt wird. Another point is that the students learn something about the so called “false friends”. [Erklärung “false friends”] In our case the students point out different false friends which have led to misunderstanding. One student points out that the English expres‐ sion for the German word Speisekarte is not card but rather menu [3: 36]. As a result of using a wrong word the waiter in the restaurant does not immediately know what the customer wants. (Kerstin ISA I, 12) 246 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="247"?> Kerstin analysiert trefflich, wie die Verwendung eines „falschen Freundes“ un‐ freiwillig zu einer peinlichen Situation führt. Dass die Erklärung des Lehrers allerdings zur Folge hat, dass nur wenige Schüler (möglicherweise diejenigen mit Auslanderfahrung), den unfreiwilligen Humor verstehen, entgeht ihr dabei. Insofern bleibt die Vorhersage des Lernergebnisses „learn something about false friends“ (Kerstin ISA I, 12) gemessen an der Situation aus dem Unterricht zu allgemein und wird nicht hinreichend belegt. Another example is the improper use of the German word Fahrt and the English word fart [see 3: 50]. These two words are pronounced exactly the same way [fa: t] but they obviously have a complete different meaning which leads to misunderstanding. (Kerstin ISA I, 12) In einem anderen Fall erfolgt ein Abgleich zwischen Lehrerverhalten und realen und antizipierten Effekten. Kerstin erkennt, dass die Aufgabe (Kommentieren der humorvollen Passagen und Verstehen des Humors) nicht bzw. nur mit Ein‐ hilfen der Lehrperson funktioniert; der antizipierte Effekt stellt sich nicht ein, was Kerstin auf die folgende Weise zum Ausdruck bringt: „the problem now is“ (Kerstin ISA I, 13). Durch das Lehrerverhalten (zusätzliche Erläuterung eines Wortes durch Definition) tritt nun ein realer Lerneffekt ein: Schüler verstehen, dass die Phrase „good appetite“ im Englischen bei Tisch unüblich ist, um den Beginn des gemeinschaftlichen Essens zu markieren. One example shows that giving definitions (What does it actually mean? ) of a word is a good way to improve the understanding of lexical items. After reading out the conversations the learners should choose one interesting aspect and comment on it. Jacob, one of the students, comments on the German expression Guten Appetit. The problem now is that Jacob does not really know why this expression was misunder‐ stood by the English interlocutor. The teacher jumps in and explains this to the class [see 3: 18 first video]. The learners are now able to get it and laugh about it. By defining what those phrases and words mean they can find out what the topic of the lesson is. So they work and think a lot and dealing with the language in such a deep way helps to develop proficiency in the L2. (Kerstin ISA I, 15) Für eine Vorhersage zur Verarbeitungstiefe von Wörtern bezieht sich Kerstin konkret auf Situationen aus dem Video und begründet den antizipierten Zu‐ wachs der Behaltensleistung im Rückgriff auf das Unterrichtsgeschehen. Another point is that the teacher encourages his students to think deeper about lexical items on their own. He asks his students what a particular phrase means and how it can be understood by others [see 3: 50 second video]. This leads to a deeper processing 247 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="248"?> of new information. The chance that those items/ phrases are remembered over a longer period of time is higher. (Kerstin ISA I, 13) In einem Fall bleibt die Vorhersage von Effekten lexikalischen Lernens jedoch allgemein, weil die Zielrichtung des Feedbacks pauschalisierend bilanziert wird. The teacher always gives feedback to his students when they come up with a new expression, he writes them down on the board and he explains the concepts behind words like would, could or might. The learners can get the meaning, identify the pattern and use it afterwards in the exercises to follow. (Kerstin ISA I, 6) Auch wenn Kerstins Analyse auf die Produktionsaufgabe am Ende des Unter‐ richts grundsätzlich zutrifft, wird ein Zusammenhang zwischen den drei Lern‐ ergebnissen („get meaning, identify pattern and use it“) und dem spezifischen Lehrerfeedback in der Sammelphase des Unterrichts nur angedeutet. Den kon‐ kreten Lerneffekt des Feedbacks bekommt Kerstin an dieser Stelle noch nicht zu fassen. Die abschwächende Funktion (probability) von would bei der Mei‐ nungsäußerung hätte hier thematisiert werden können. Für eine andere Situation setzt Kerstin lernrelevante Merkmale der Aufgabe in Beziehung zum möglichen Ergebnis: Gelegenheiten zum Gebrauch stärken das Behalten, zumal wenn die Anwendung bedeutungsvoll ist. Der Impuls für die Produktionsaufgabe am Ende der Stunde lautet: „I want you to find, or to write down three critical remarks about any country you want, and three posi‐ tive remarks about any country“ (Video „Misunderstandings“, 16: 14). One last aspect is that the exercise at the end of the lesson makes it possible to work with the relevant phrases in a meaningful way. They should write down three negative and three positive remarks about any country. This gives his students the opportunity to use those worked out items and this again helps memorizing them better. (Kerstin ISA I, 17) Alternativen Kerstin stellt sich die Fortsetzung der Stunde so vor, dass in einer nachfolgenden Sequenz Stereotypen thematisiert werden. Hierzu schlägt sie ein ihr bekanntes Ar‐ beitsblatt vor, dessen Einsatz sie im Rückgriff auf eigene Unterrichtserfahrungen und das Richtziel der interkulturellen kommunikativen Kompetenz begründet. I also don’t know what might happen after that lesson but it would be a good starting point to talk about stereotypes. That is always a great topic because everyone has some prejudices about people from other countries and you could do a lot with it. They could write their own conversations, discuss stereotypes or even do some posters on which they present their ideas about people from England for example. Gaining 248 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="249"?> intercultural communicative competence is very important especially in such a glo‐ balised world. (Kerstin ISA I, 19-20) So konkret die Vorstellungen von Kerstin über den Fortgang des Unterrichts auch sein mögen, so wenig hat ihre Alternative das Potenzial lexikalisches Lernen zu fördern. Allerdings zeigt dieser mit eigenen Erfahrungen hinterlegte Vorschlag, dass Kerstin auf umfangreiche Unterrichtserfahrungen zurückgreifen kann und beim Betrachten des Unterrichtsvideos neben der Perspektive „Lexikalisches Lernen“ weitere Zielperspektiven auf Unterricht aktiviert worden sind. Some years ago I was in Malta in a language school and we also dealt with the topic “stereotypes”. I included the work sheets we dealt with at the end of this paper. These exercises would give the students the opportunity to talk even more and also learn some more lexical items and improve their language proficiency. You would have different kind of exercises like reading, talking and writing. Especially the “Language” part offers lexical learning. They notice items, negotiate about their meanings and use it afterwards. (Kerstin ISA 1, 19-20) 4.3.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Kerstin fertigt auch für dieses Video eine detailreiche Analyse mit 16 selektierten Situationen an. Alle Vorhersagen und Klassifizierungen sind nachvollziehbar und an das konkrete Unterrichtsgeschehen zurückgebunden (Niveau 3). Typisch für Kerstin ist, dass sie die Hälfte aller selektierten Situationen bewertet. Alle Bewertungen werden in Kapitel 4.3.4 im Detail auf einen möglichen Orientie‐ rungsrahmen untersucht. Diagramm 23: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA II (Kerstin) Beschreibungen Die Beschreibungen von Kerstin gehen über die Wiedergabe des konkreten Unterrichtsgeschehens hinaus und liefern Interpretationen auf einer mittleren Abstraktionsebene mit erkennbaren Bezügen zur Unterrichtssituation. Die folgende Passage ist ein Beispiel für eine abstrakte Beschreibung, die ohne Fachkonzepte auskommt. Kerstin thematisiert die Methoden zur Wiederholung des Wortschatzes und nimmt wahr, dass ein Lehrerimpuls eine diagnostische Funktion im Hinblick auf die Einschätzung der Schwierigkeit von Wörtern hat. 012345678 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kerstin ISA II, n=16 Diagramm 23: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA II (Kerstin) 249 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="250"?> Beschreibungen Die Beschreibungen von Kerstin gehen über die Wiedergabe des konkreten Un‐ terrichtsgeschehens hinaus und liefern Interpretationen auf einer mittleren Ab‐ straktionsebene mit erkennbaren Bezügen zur Unterrichtssituation. Die fol‐ gende Passage ist ein Beispiel für eine abstrakte Beschreibung, die ohne Fachkonzepte auskommt. Kerstin thematisiert die Methoden zur Wiederholung des Wortschatzes und nimmt wahr, dass ein Lehrerimpuls eine diagnostische Funktion im Hinblick auf die Einschätzung der Schwierigkeit von Wörtern hat. After giving the right vocabulary item the teacher asks “What do you think: how many times do we need to practice? ” The pupil gives a number and then the whole class practices the pronunciation of the lexical item. This procedure helps the teacher to identify how difficult the word is in the eyes of the pupils. If they want to practice a word three times it can be regarded as not so difficult. On the other hand, if an item is practiced ten times, it can be said that it seems to be quite challenging for the pupils. The teacher can react to that by picking up that lexical item again after some time to improve the understanding and recognition. (Kerstin ISA II, 8) In einer weiteren Beschreibung erläutert sie die Kugellagermethode als einen Weg, Wortschatz zu wiederholen. Die Beschreibung des Lernprozesses bleibt hier jedoch vage („orally review the understanding“) und hätte mit dem ent‐ sprechenden Konzept (retrieval) präziser erfasst werden können. Now the second part of the video begins. Another kind of activity starts. The class is divided into two circles, the inner one and the outer one. Every pupil gets a word card and then the outer circle has to move around the inner circle. This kind of activity can be called Inner-Outer-Circle-Activity and allows the pupils to orally review the un‐ derstanding of a word and how a word is pronounced. (Kerstin ISA II, 14) Klassifizierungen Für die Klassifizierung von Situationen aus dem Video „Practicing new words“ verwendet Kerstin die Konzepte recycling, retrieval, learning burden und aspects of word knowledge. Alle vier Klassifizierungen sind schlüssig und nachvoll‐ ziehbar, weil Merkmale des Konzepts auf eine konkrete Situation im Video be‐ zogen werden (vgl. Diagramm 23). Another argument for that is that the teacher asks “Who remembers? ” [see 0: 31]. This also shows that the items have already been introduced in one of the previous lessons and that the focus here is on recycling the items and checking whether the pupils can retrieve them. (Kerstin ISA II, 4) 250 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="251"?> Kerstin nutzt das Konzept aspects of word knowledge, um den Lerngegenstand der ersten Übungsphase zu klassifizieren, in der es um Form- und Bedeutungs‐ aspekte geht. Auch das Ziel der Aktivität wird mit dem passenden Konzept klassifiziert (recall). Kerstin erkennt anhand des Engagements der Schüler und des Titels der Stunde, dass die Wörter bereits eingeführt worden sein müssen. The goal of the female teacher in the video is that the pupils should link lexical items to picture cards and practice the pronunciation of those words. The focus is therefore mainly on form but also on meaning. In order to know a word the form has to be understood by the learner. So form is an important part when it comes to learning new lexical items. I would say that the vocabulary items used in this lesson had already been introduced before. The topic of the lesson is practicing new words - so the introduction must have taken place in a previous lesson. (Kerstin ISA II, 3) Kerstin ist in der Lage, die Frage der Lehrerin „How many times do we need to prac‐ tice? “ mit dem Konzept learning burden in Verbindung zu bringen. Auf der Basis einer fokussierten Wahrnehmung des Unterrichtsgeschehens kommt sie zu dem Schluss, dass das Wort hot chocolate offensichtlich von den Schülern als schwieriger emp‐ funden wird, da sie eine 10-fache „Übung“ des Wortes vorschlagen. The teacher continues with another picture card. She now wants to focus on the item hot chocolate. This is actually a multi-word unit and therefore the learning burden is a little bit higher. The teacher is aware of this fact and gives a hint to her pupils by saying “It’s actually two words.” [see 1: 27]. The pupils do not get that hint right from the beginning. One of the students just says “chocolate” so the teacher needs to give another hint to the solution. In our case she works with an antonym. She says: “Re‐ member, it is not cold chocolate.” [see 1: 30 - 1: 35]. Now the pupils get it and are able to give the right expression. After that they practice it ten times. This demonstrates again that some words have a higher learning burden than others. The lexical item hot chocolate seems to be a rather difficult one so even the pupils feel the need to practice it more intensively. (Kerstin ISA II, 10) Kerstin nimmt wahr, dass der zweite Teil der Übung so angelegt ist, dass auch die geschriebene Form des Wortes in den Fokus rückt und damit die Lernakti‐ vität eine fachdidaktische Zielrichtung erhält. After that lexical item the activity is over and the teacher starts with another one. Now she focuses on the written form of the vocabulary items and wants her pupils to recognize the words on the word cards. It seems to me like some kind of game which helps to keep the pupils interested. (Kerstin ISA II, 12) 251 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="252"?> Vorhersagen Kerstin analysiert in schlüssiger und gut nachvollziehbarer Weise die Zielrich‐ tung der Aktivität und antizipiert, dass die Lernenden die gesprochene Form des Wortes aktiv erinnern müssen (retrieval) - eine exakte Vorhersage des Lern‐ prozesses mit Hilfe eines Fachkonzeptes und sehr präzisem Bezug zum Video: At the beginning of this learning process you need to focus on the form of the words. Pupils need to know how a word is pronounced and how it is written. They need to link the meaning of a word to its spoken and written form. This is what happens in the video. The teacher uses picture cards and then asks one of the pupils to say what he or she can actually see on these cards. The first card shows a jar of honey and she asks “Who remembers? What’s that? ” [see 00: 31]. Almost all pupils raise their fingers so you could say that almost everyone in the classroom knows the right expression and answer to the question. In this phase of the lesson retrieval takes place. The pupils look at the picture and retrieve the spoken form of the vocabulary item (productive retrieval/ recall). They can match a word to its picture. (Kerstin ISA II, 7) Eine weitere, dezidiert am Video begründete Vorhersage von Lerneffekten be‐ zieht sich auf das Ziel der kommunikativen Kompetenz, welches Kerstin durch die breite Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am classroom discourse realisiert sieht. Kerstin geht hier über eine Beschreibung dieses (für die Lern‐ gruppe angemessenen) Rituals hinaus und weist ihm eine Bedeutung für das Erlernen von alltäglichen Wendungen wie you’re welcome zu. In addition I want to say that the pupils also learn something about everyday com‐ munication in a broader sense. From time to time the teacher asks one of the students to “move the birdie (? )” which means that he or she comes to the board and moves some kind of magnet in order to illustrate what activity comes next. The pupils always repeat the invitation of the teacher and they give thanks to that particular pupil after he/ she has done it. This pupil in turn replies with a “You’re welcome”. By doing that the pupils learn also something about politeness in conversations and they practice important sentences of everyday communication. (Kerstin ISA II, 18) 252 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="253"?> 4.3.2.3 Video „Drive me crazy“ (Jgst. 6) 161 In addition I want to say that the pupils also learn something about everyday communication in a broader sense. From time to time the teacher asks one of the students to “move the birdie (? )” which means that he or she comes to the board and moves some kind of magnet in order to illustrate what activity comes next. The pupils always repeat the invitation of the teacher and they give thanks to that particular pupil after he/ she has done it. This pupil in turn replies with a “You’re welcome”. By doing that the pupils learn also something about politeness in conversations and they practice important sentences of everyday communication. (Kerstin ISA II, 18) 4.3.2.3 Video „Drive me crazy“ (Jgst. 6) Diagramm 24: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA III (Kerstin) In dem Video „Drive me crazy“ hat Kerstin 20 Situationen selektiert. Die wissensbasierte Auseinandersetzung mit dem Video ist im Hinblick auf die im Seminar vermittelten Fachkonzepte in ISA III gut ausgeprägt. Ein Viertel aller Situationen wird mit einem passenden Fachkonzept klassifiziert. Ein weiteres Viertel aller selektierten Situationen bewertet Kerstin. Für zwei Situationen sagt Kerstin Lernergebnisse in plausibler Weise voraus. Die Zahl der beschriebenen Situationen ist in dieser Analyse im Vergleich zu ISA I und II rückläufig. Klassifizierungen Kerstin nutzt fachdidaktische Konzepte für die Erklärung von Lehr-Lernsituationen und kann Situationen aus dem Unterrichtsvideo in zutreffender und nachvollziehbarer Weise klassifizieren. Allerdings gibt es auch einzelne Klassifizierungen, die Widersprüche enthalten oder bei denen die Passung zwischen Konzept und Situation nicht gegeben ist. Eine Klassifizierung bleibt zu allgemein und kann nur ansatzweise nachvollzogen werden. Zur Einbettung der folgenden Analyse sei kurz der Stundenkontext, auf den sie sich bezieht, skizziert. Der Lehrer verwendet verschiedene Techniken, um die Schüler an ein flüssiges und fehlerfreies Vortragen des Dialogs heranzuführen (z. B. chorisches Nachsprechen, Lippenlesen, lautloses Nachsprechen). Kerstin subsumiert all diese Techniken unter der Kategorie intentional learning. Dass der Lehrer explizit Wortwissensaspekte vermittelt, lässt sich in der Stunde kaum erkennen. Kerstin nimmt wahr, dass bestimmte sprachliche Features mehr durch häufigen Gebrauch als durch explizite Instruktion gelernt werden (s.u. Kerstin ISA II, 8). Das Konzept learning burden verwendet sie mit einer eigenen Nuance: Statt in der Planungsphase die Lernschwierigkeiten von Wörtern zu analysieren und die Unterrichtsplanung hierauf entsprechend abzustellen, kann der Lehrer durch das chorische Nachsprechen diagnostizieren, bei welchen Wörtern den Schülern die Aussprache schwer fällt. Kerstin sieht darin eine Strategie zur lernbegleitenden Diagnostik im Bereich der Aussprache, räumt aber ein, dass es für den Erfolg dieser Diagnostik in der Unterrichtsstunde keinen Nachweis gibt. Dennoch erfolgt die Auswahl der Sätze für das Nachsprechen nicht beliebig, sondern deutet auf eine Vorentscheidung des Lehrers bezüglich möglicher Lern- und Ausspracheschwierigkeiten bei bestimmten Sätzen hin. Auch wenn 0123456 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kerstin ISA III, n=20 Diagramm 24: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA III (Kerstin) In dem Video „Drive me crazy“ hat Kerstin 20 Situationen selektiert. Die wis‐ sensbasierte Auseinandersetzung mit dem Video ist im Hinblick auf die im Se‐ minar vermittelten Fachkonzepte in ISA III gut ausgeprägt. Ein Viertel aller Si‐ tuationen wird mit einem passenden Fachkonzept klassifiziert. Ein weiteres Viertel aller selektierten Situationen bewertet Kerstin. Für zwei Situationen sagt Kerstin Lernergebnisse in plausibler Weise voraus. Die Zahl der beschriebenen Situationen ist in dieser Analyse im Vergleich zu ISA I und II rückläufig. Klassifizierungen Kerstin nutzt fachdidaktische Konzepte für die Erklärung von Lehr-Lernsitua‐ tionen und kann Situationen aus dem Unterrichtsvideo in zutreffender und nachvollziehbarer Weise klassifizieren. Allerdings gibt es auch einzelne Klassi‐ fizierungen, die Widersprüche enthalten oder bei denen die Passung zwischen Konzept und Situation nicht gegeben ist. Eine Klassifizierung bleibt zu allgemein und kann nur ansatzweise nachvollzogen werden. Zur Einbettung der folgenden Analyse sei kurz der Stundenkontext, auf den sie sich bezieht, skizziert. Der Lehrer verwendet verschiedene Techniken, um die Schüler an ein flüssiges und fehlerfreies Vortragen des Dialogs heranzuführen (z. B. chorisches Nachsprechen, Lippenlesen, lautloses Nachsprechen). Kerstin subsu‐ miert all diese Techniken unter der Kategorie intentional learning. Dass der Lehrer explizit Wortwissensaspekte vermittelt, lässt sich in der Stunde kaum erkennen. Kerstin nimmt wahr, dass bestimmte sprachliche Features mehr durch häufigen Gebrauch als durch explizite Instruktion gelernt werden (s. u. Kerstin ISA II, 8). 253 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="254"?> Das Konzept learning burden verwendet sie mit einer eigenen Nuance: Statt in der Planungsphase die Lernschwierigkeiten von Wörtern zu analysieren und die Unterrichtsplanung hierauf entsprechend abzustellen, kann der Lehrer durch das chorische Nachsprechen diagnostizieren, bei welchen Wörtern den Schülern die Aussprache schwer fällt. Kerstin sieht darin eine Strategie zur lernbegleitenden Di‐ agnostik im Bereich der Aussprache, räumt aber ein, dass es für den Erfolg dieser Diagnostik in der Unterrichtsstunde keinen Nachweis gibt. Dennoch erfolgt die Auswahl der Sätze für das Nachsprechen nicht beliebig, sondern deutet auf eine Vorentscheidung des Lehrers bezüglich möglicher Lern- und Ausspracheschwie‐ rigkeiten bei bestimmten Sätzen hin. Auch wenn Kerstins Analyse nicht ganz frei von Widersprüchen ist (Fehleinschätzung hinsichtlich der Vermittlung von Wort‐ wissen), kann diese Passage dennoch als Beleg dafür gelten, dass sie selbstständig und flexibel mit dem Fachkonzept learning burden umgehen kann. Another focus of this activity is the pronunciation of the words. The TEACHER reads them out and afterwards some of the pupils and sometimes even all of them repeat the sen‐ tences. By doing this the TEACHER is able to see whether some of the items are difficult to pronounce which might be a possible learning burden. Although there is no proof in the video itself you could argue, that the sentences which all pupils have to repeat, seems to be more difficult than the others or the TEACHER finds them important. The whole procedure of presenting word knowledge here can be defined as intentional learning; it is motivated with intention and is directed to a goal. Language features are learned by using them instead of focusing on them explicitly. (Kerstin ISA III, 8) Eine weitere Fehleinschätzung liegt bezüglich der Zielorientierung der Stunde vor. Kerstin listet zwar die definitorischen Merkmale des „Standbeins“ mea‐ ning-focused output auf, übersieht jedoch, dass die Lernenden abseits des ein‐ zuübenden Dialogs kaum Möglichkeiten haben, eigene Aussageabsichten zu re‐ alisieren oder bedeutungsvoll miteinander zu kommunizieren. The use of those sentences is also part of the last activity that was presented in the video clip. The TEACHER asks every learner to work with a partner and practice the dialogue. They enrich and establish their knowledge of vocabulary through speak‐ ing. They use the vocabulary talk about things that are largely familiar to them. They convey their message to the other part. Therefore this activity represents the strand of meaning-focused output. The learners seem to enjoy this activity and the TEACHER praises the learners for presenting their dialogues to the class. This is again highly motivating. (Kerstin ISA III, 18) Kerstin irrt, wenn sie meint, dass die Lehrerfrage nach dem schwierigsten Satz zu lexikalischer Bewusstheit und zu einer Rekonzeptualisierung des Wort‐ 254 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="255"?> schatzwissens bezüglich der Verwendungsweise einzelner Wörter führt. Die Lernenden werden in dieser Stunde kaum zu einem analytisch-reflexiven Um‐ gang mit Wortschatz angehalten, sodass nicht einmal ansatzweise von einem Zugewinn bei der lexikalischen Bewusstheit ausgegangen werden kann. In addition they can reconceptualise word knowledge or reflect on the learning burden of words [e.g. the activity where he asks the learners for the most difficult sentence]. All these techniques, strategies and activities lead to lexical awareness and increase the learners’ involvement with the lexical items. (Kerstin ISA III, 22) Kerstin klassifiziert außerdem den Lernprozess, der durch das lautlose Nach‐ sprechen initiiert wird. Wenn parallel zum Vorlesen des Lehrers die Schüler ihre Lippen mitbewegen sollen, hat dies nur ansatzweise die Qualität des aktiven Erinnerns (retrieval), wie Kerstin meint. Der Impuls für das Aufrufen der Form müsste eher bedeutungsvoll (meaning-focused) sein; der Impuls des Lehrers ist hingegen eher eine stimmlose, artikulatorische Handlung. Then another activity starts. The TEACHER offers his pupils the chance to retrieve the new lexical items [see 2: 56 - 3: 42 of the first video clip]. He wants them to speak the sentences quietly while he reads out the whole dialogue aloud. (Kerstin ISA III, 11) Betrachten wir nun die vier schlüssigen Klassifizierungen für dieses Unter‐ richtsvideo. Kerstin erkennt verschiedene, im Seminar behandelte Semantisie‐ rungstechniken wieder. Außerdem klassifiziert sie die ablaufenden Lernpro‐ zesse und ordnet die Einstiegsphase der Stunde treffend einem der strands zu. Insbesondere die Einstiegsphase klassifiziert Kerstin schlüssig mit dem „Stand‐ bein“ meaning-focused input, weil es zunächst um das Verstehen und den Spaß beim Zuhören bzw. Lesen geht. After presenting the topic and showing the picture-story to his pupils, the TEACHER reads out the dialogue. You could say that the overall goal of the lesson is integrating new vocabulary items in the mental lexicon of the pupils. The TEACHER presents new items and whole sentences to his pupils. He does not only read them out but also gives a translation in the L1 [see 0: 42 - 2: 10 of the first video clip]. This activity can be seen as meaning-focused input. The pupils probably learn some new vocabulary but also enrich previously met vocabulary items through listening to the TEACHER and through reading the dialogue on the transparency. The focus here is on under‐ standing and also enjoying the material. (Kerstin ISA III, 6) Kerstin erkennt in einer kurzen Sequenz eine non-verbale Semantisierungs‐ technik wieder, deren zielgerichteten Einsatz durch den Lehrer sie in ihrer Ana‐ lyse minutiös nachzeichnet. 255 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="256"?> The TEACHER does not simply give the German expressions; he also includes some funny/ colloquial translations in order to make it more interesting for his pupils [see for example the translation boy = “Typ”, 2: 00-2: 08]. Furthermore he uses non-verbal communication in order to convey the meaning of the sentence. When he focuses on the last sentence for example (“Good god, the boy is driving me crazy.”), he shakes his head in order to illustrate that the teacher is on edge. With this whole activity he wants to make sure that the pupils get the meaning of the lexical items and are able to understand the whole dialogue. The pupils probably know some of the words that are used but some of them are unfamiliar. The teacher knows that and helps his pupils to get the right meaning. (Kerstin ISA III, 7) Im zweiten Fall fokussiert Kerstin den Gebrauch der L1 und diskutiert die Frage nach dem Nutzen der L1 im Englischunterricht unter Berücksichtigung des konkreten Lerngegenstandes. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass der Rück‐ griff auf die L1 insbesondere bei einem idiomatischen Ausdruck zielführend ist. The TEACHER supports the understanding of the word by giving the translations in the L1. Some people might argue that translations are indirect and take away time from the target language. This is true but translating lexical items or multi-word units like in our case [to drive so. crazy and to drive a car] is quick, simple and can be understood easily by the pupils. (Kerstin ISA III, 10) Eine Schlüsselszene des Videos, in der der Lehrer die Bedeutung von to drive s. o. crazy erläutert (vgl. auch 6.1), wird von Kerstin unter Rückgriff auf das Kon‐ zept generative use und dessen Ausprägung (degree of generation) in nachvoll‐ ziehbarer Weise klassifiziert, indem sie definitorische Merkmale des Konzepts generative use mit heranzieht: I would now like to take a closer look at the last sentence of the dialogue which is an important one and the TEACHER focuses on that in more detail [see 1: 58-2: 55 of the first video clip]. The sentence is “Good god, this boy is driving me crazy”. The idiomatic expression that is relevant here is “to drive someone crazy”. The learning process that becomes important here is receptive generative use. The pupils know the expres‐ sion “to drive a car” and now they face a new meaning of the verb “to drive”. A pre‐ viously met word (to drive a car) is now met and used in a way that differs from the previous meeting (to drive someone crazy). The degree of generation can be defined as high, because the word is used in a substantially different way. In this process of generative use the learners have to reconceptualise their knowledge about the concept that underlies the meaning of the lexical item. (Kerstin ISA III, 9) 256 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="257"?> Vorhersagen Kerstin ist in der Lage, differenzierte und am Unterrichtsgeschehen begründete Vorhersagen von Lernergebnissen zu treffen. Zwei von vier Vorhersagen sind allerdings nur teilweise nachvollziehbar, weil lernrelevante Merkmale der Situ‐ ation und Lernprozesse zu allgemein beschrieben werden. Für den Unterricht im Video „Drive me crazy“ versucht Kerstin Lernergebnisse zu bilanzieren (re‐ zeptives Wissen in Bezug auf einzelne Wortwissensaspekte). Lernzuwächse im Bereich der Wortbedeutung und des Gebrauchs beschreibt Kerstin jedoch, ohne auf konkrete Wörter einzugehen („the words“). Die Zweifel an der Verfügbarkeit produktiven Wortschatzwissens zu den grammatical patterns, in denen be‐ stimmte Wörter gebraucht werden können, sind berechtigt, da die Lernenden in dieser Stunde keine Gelegenheit erhalten, bestimmte patterns für die Reali‐ sierung eigener Sprechabsichten außerhalb des Dialogs zu gebrauchen. All in all, the lesson was well organized and had a lot of different activities in it. As a last point I now want to sum up what the learners have learned in the lesson. Regar‐ ding form they know how the words sound like and how they are pronounced. Fur‐ thermore they also know how the words look like. I am not quite sure whether they also have the productive knowledge of the written forms and are able to write them correctly. Regarding meaning the pupils have learned something about underlying concepts and referents. They know what the words mean and how they can be trans‐ lated into L1. Regarding use you can argue that they get to know something about the grammatical functions of the words. They have met patterns in which the words occur and they have also learned something about the constraints on use. They know where and when these words might be used and when they could expect to meet these words. (Kerstin ISA III, 23) Eine weitere, allgemeine Vorhersage bezieht sich auf die Wirkung der verschie‐ denen Techniken (z. B. Lippenlesen), die aus Kerstins Sicht primär unterschied‐ liche Lernertypen ansprechen und Schüler unterschiedlicher Leistungsniveaus beim Verstehen und Auswendiglernen des Dialogs unterstützen. In addition to that you have to mention that there are different types of learners. The whole lesson appeals to different learning types. It might help some of the pupils to actually see the pictures and think about them while others need to read the relevant sentences on the transparency or listen to how they are pronounced. The use of va‐ rious methods aims to enhance the understanding of the dialogue and to remember the new lexical items. I will comment on some of the used methods in the course of my analysis. (Kerstin ISA III, 4) 257 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="258"?> Kerstin antizipiert, dass die Artikulationsübung (lautloses Nachsprechen) die Geläufigkeit in der Aussprache schult. With this activity the learners are able to repeat the newly learned sentences and to strengthen and deepen the understanding of the lexical items met in the dialogue. Fur‐ thermore they can practice pronunciation even in a quiet way. They form the single phonemes with their tongue, mouth and lips and therefore it can be argued that this activity is helpful for gaining proficiency in articulating the words. (Kerstin ISA III, 12) Kerstin ist in der Lage, die Zielrichtung der verschiedenen Techniken zu anti‐ zipieren und einen Lerneffekt vorherzusagen. Alle vom Lehrer eingesetzten Techniken unterstützen das nachhaltige Erinnern, was sich durch die Präsen‐ tationsphase am Ende der Stunde, in der die Schüler den Dialog meist flüssig vorspielen, nachweisen lässt. You could really say that the TEACHER uses many different strategies to improve the understanding of the dialogue and to practice pronunciation skills. The next activity is designed to recognize the pronunciation of words without hearing it. The TEACH‐ ER “says” the words quietly and the learners have to lip-read. They recognize the words and are able to give the right sentence. This was quite admirable for me. They are re‐ ally good in guessing the right words and sentences. I really liked that. All the diffe‐ rent activities help the learners to remember the sentences and store them in their long-term memory. They have various possibilities to retrieve the target sentences and to practice them. They know what they mean and how to use them. (Kerstin ISA III, 17) Alternativen Die erste der beiden von Kerstin in diesem Video vorgeschlagenen Alternativen zielt auf eine Erhöhung des Sprechanteils der Schüler durch Nutzung der Bil‐ derfolge als Sprechimpuls ab. Sie reflektiert den Schwierigkeitsgrad der von ihr vorgeschlagenen Alternative vor dem Hintergrund der Lerngruppenangemes‐ senheit. Offen bleibt, inwieweit durch diese Alternative lexikalisches Lernen gefördert würde, da die vorgeschlagene Alternative im Wesentlichen auf die Förderung des freien Sprechens zielt. In general, I want to point out that you could have used the pictures to ask the pupils about their expectations. You could have asked what they see in the pictures or what the teacher and Joe might say. By doing this the pupils could improve their speaking skills. When they have problems finding out about the real topic you might help them by referring to the title of the dialogue again. Maybe that helps. I would have asked them something, because I think it is good to let them think on their own before presenting everything to them right away. On the other hand you could now argue 258 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="259"?> that this kind of tasks might be too difficult for sixth graders, but at least you could try. You could ask them whether the teacher is happy or not, how the pupil looks like, where they are, what might be the problem and so on. By asking simple questions the pupils could formulate simple answers. Moreover pupils have English lessons from the first year onwards, so one could argue that they can understand and speak a lot. (Kerstin ISA III, 5-6) Anlass für eine weitere, konkrete Alternative ist der an mehreren Stellen vor‐ kommende Aussprachefehler bei dem Wort interesting. Kerstin sieht die fach‐ didaktische Notwendigkeit für eine Korrektur und intensiviertes Üben als ge‐ geben an, weil das Wort in den zahlreichen Wiederholungen und Übungen, welche die Schüler bis zum Vorspielen des Dialogs durchlaufen, immer wieder vorkommt. Häufigkeit und kommunikative Valenz des Wortes interesting recht‐ fertigen eine explizite Korrektur des Wortes mit nachfolgender Aussprache‐ schulung im Sinne von rich instruction - ein Konzept, welches Kerstin an dieser Stelle jedoch nicht einbringt. Another mistake refers to the pronunciation of words. The word “interesting” was pronounced in a wrong way [see 3: 36 of the second video clip]. You could argue that it is not such an important mistake but I think that it is. They have practiced the word for quite some time and it was still not pronounced correctly. The TEACHER could have repeated it in order to improve its pronunciation. (Kerstin ISA III, 20) 4.3.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) formulate simple answers. Moreover pupils have English lessons from the first year onwards, so one could argue that they can understand and speak a lot. (Kerstin ISA III, 5-6) Anlass für eine weitere, konkrete Alternative ist der an mehreren Stellen vorkommende Aussprachefehler bei dem Wort interesting. Kerstin sieht die fachdidaktische Notwendigkeit für eine Korrektur und intensiviertes Üben als gegeben an, weil das Wort in den zahlreichen Wiederholungen und Übungen, welche die Schüler bis zum Vorspielen des Dialogs durchlaufen, immer wieder vorkommt. Häufigkeit und kommunikative Valenz des Wortes interesting rechtfertigen eine explizite Korrektur des Wortes mit nachfolgender Ausspracheschulung im Sinne von rich instruction - ein Konzept, welches Kerstin an dieser Stelle jedoch nicht einbringt. Another mistake refers to the pronunciation of words. The word “interesting” was pronounced in a wrong way [see 3: 36 of the second video clip]. You could argue that it is not such an important mistake but I think that it is. They have practiced the word for quite some time and it was still not pronounced correctly. The TEACHER could have repeated it in order to improve its pronunciation.(Kerstin ISA III, 20) 4.3.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) Diagramm 25: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA IV (Kerstin) Kerstin selektiert in dem Video „Perfect Job” insgesamt 17 Situationen. Fast die Hälfte aller Situationen wird von Kerstin bewertet. Zutreffende, aber allgemeine Klassifizierungen liegen nur für zwei Situationen vor, eine Situation wird mit einem unpassenden Konzept klassifiziert. Für zwei Situationen werden allgemeine Wirkungen auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern vorausgesagt. Vorschläge zur Verbesserung des Unterrichts in diesem Video macht Kerstin nicht. Beschreibungen 012345678 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kerstin ISA IV, n=17 Diagramm 25: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA IV (Kerstin) 259 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="260"?> Kerstin selektiert in dem Video „Perfect Job“ insgesamt 17 Situationen. Fast die Hälfte aller Situationen wird von Kerstin bewertet. Zutreffende, aber allgemeine Klassifizierungen liegen nur für zwei Situationen vor, eine Situation wird mit einem unpassenden Konzept klassifiziert. Für zwei Situationen werden allgemeine Wir‐ kungen auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern vorausgesagt. Vorschläge zur Verbesserung des Unterrichts in diesem Video macht Kerstin nicht. Beschreibungen Kerstin ist in der Lage, von einem konkreten Lehrerverhalten (ausbleibende Fehlerkorrektur) auf die Zielorientierung einer Unterrichtsphase zu schließen und insofern zweckrationales Handeln zu ermitteln. Das Ausbleiben einer mündlichen Fehlerkorrektur zeigt, dass der Lehrer nach dem Prinzip fluency before accuracy handelt und es ihm vorrangig auf die Förderung des Vertrauens in die eigene Sprechfertigkeit auf Seiten der Schüler ankommt. I am convinced that the goal of the teacher is here to improve the speaking skills of the pupils. The first one makes a mistake; he says “the people which works in the zoo” [see 1: 56 - 1: 59]. Another student says: “he wash them and give their food” [see 2: 13 - 2: 16]. The teacher does not correct these mistakes here. The focus here seems to be on communicating meaning. The students should gain confidence whenever they use the target language. Everyone makes mistakes but if you as a teacher interrupt pupils all the time in order to correct their mistakes they will probably lose confidence and won’t enjoy English lessons a lot. (Kerstin ISA IV, 13) In einer weiteren Beschreibung (Kerstin ISA IV, 18) stellt Kerstin das kreative Potenzial der Aufgabenstellungen heraus, was auf die Prinzipien Kreativität bzw. Schülerorientierung als Teil ihres subjektiven Orientierungsrahmens hin‐ deutet. Kerstin kann die Ziele des pantomimischen Beruferatens in allgemeiner Form beschreiben und geht damit über eine konkret-faktische Beschreibung des Unterrichts hinaus. Sie ordnet diese Aktivität grundsätzlich als Gelegenheit ein für das Sprechen und das Verstandenwerden. Very good is the task of the teacher. The pupils should describe what they see. They should not only guess the right job expression. The pupils should use the English language to convey a message to another person. They want to be understood by others and they also have to practise it. (Kerstin ISA IV, 9) Klassifizierungen Keine der Klassifizierungen mit einem Fachkonzept, die Kerstin in dieser Vide‐ oanalyse vornimmt, verknüpft definitorische Merkmale eines Konzepts so mit einer Situation, dass nachvollziehbar ist, warum eine konkrete Situation aus dem 260 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="261"?> Video mit dem Konzept klassifiziert wird. Die Passung zwischen Situation und Fachkonzept ist zwar bei den anderen drei Klassifizierungen grundsätzlich ge‐ geben, die Begründungen bleiben jedoch eher allgemein (Niveau 2). Als Fehl‐ einschätzung ist zu verbuchen, dass Kerstin die Bildbeschreibung dem „Stand‐ bein“ language-focused learning zuordnet. In dieser Situation ist eine explizite Wortschatzvermittlung nicht gegeben - auch nicht dann, wenn Lernende offen signalisieren, dass sie den englischen Begriff nicht kennen. This activity could somehow be regarded as language-focused learning. The learners learn more about vocabulary and about particular aspects of the meaning, form and use of words. (Kerstin ISA IV, 14) Die Klassifizierung der Stunde mit dem „Standbein“ meaning-focused output kann zwar als zutreffend betrachtet werden, weil es häufig darum geht, dass die Schüler miteinander kommunizieren. Dass den Schülern die meisten Wörter bekannt sind, wird durch die Phase, in der die Schüler die Berufe anhand der Bilder aus dem Lehrwerk benennen sollen, widerlegt. Die Schwierigkeiten der Lernenden und die ausbleibende Semantisierung lässt Kerstin unerwähnt. In addition I would regard this activity as meaning-focused output. The learners talk about things that are largely familiar to them and the main goal is to convey a message. Most of the vocabulary is already known. (Kerstin ISA IV, 15) Kerstin versucht das Konzept der aspects of word knowledge einzubringen, wenn sie die Sprachverwendung der Lernenden bei der Bildbeschreibung klassifiziert. Auffällig ist in dieser Passage eine Häufung von Zielen und Ergebnissen lexi‐ kalischen Lernens, die aneinandergereiht wirken. I know that they do not really listen or read something but they should enjoy the material, understand the meaning of the words and enrich the knowledge about this word for example with definitions, what people actually do in this job. Furthermore they should be able to pronounce the words correctly. The focus here is on form (spoken form) and meaning. (Kerstin ISA IV, 11) Aufschlussreich ist, wie Kerstin mit dem Konzept learning burden umgeht. Die Antizipation von Lernschwierigkeiten von bestimmten Wortwissensaspekten bei der Vorbereitung auf eine Stunde ist der Fokus, der im Seminar gewählt wurde. Kerstin interpretiert das pantomimische Beruferaten am Anfang der Stunde als diagnostisches Instrument, welches dem Lehrer Hinweise auf die Wortschwierigkeit liefert. Kerstins Interpretation, dass der Lehrer sieht, ob ein Wort schwierig oder leicht ist, wird jedoch nicht durch das Video belegt: Die Gründe, warum einzelne Wörter nicht von der Gruppe erraten werden, werden 261 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="262"?> nicht weiter thematisiert und zu einer Lerngelegenheit über das Konzept des Wortes und seine Bestandteile gemacht (z. B. Bank clerk: What does he do? Give out money, talk to customers). The activity also helps the teacher to measure the learning burden of the vocabulary items. Whenever a word is easy to figure or to guess, the teacher can see that it is not so difficult. He could then focus on the more difficult ones [e.g. “pilot” was easy to show and it was recognized after only a few moments see 2.40-2.47 of the first video clip]. (Kerstin ISA IV, 8) Vorhersagen Kerstin stellt einen Zusammenhang her zwischen einem Lehrerprompt und dem möglichen Lernergebnis. Allerdings ist eine Paraphrasierung oder Definition des Berufes nicht erkennbar (vgl. Tabelle 40). Insofern ist die Vorhersage, dass die Lernenden ihre Fähigkeit zum Paraphrasieren entwickeln, kaum durch das Unterrichtsgeschehen belegt. What I also found interesting was the scene in which one of the pupils makes a guess [see 2: 16-2: 33]. The pupils does [sic] not actually come up with the job but with a defi‐ nition of that job. The teacher takes that up and asks explicitly for the job. That is very good, because the pupils do not only get the vocabulary item, but also a definition. That helps them to memorize the item but also helps to improve the skill of paraphrasing. They might remember that expression and whenever they do not remember the job they can still describe it and be understood by others. (Kerstin ISA IV, 12) S To work in a band... bank? 02: 22 02: 25 L Correct, yes / / 02: 25 02: 26 S / / Yes. / / 02: 26 02: 27 L / / Yes. And the job here is a bank...? 02: 27 02: 29 S Clerk. 02: 29 02: 31 L Yes, exactly. 02: 31 02: 32 Tabelle 40: Auszug aus dem Video „Perfect Job“ Eine weitere, nicht belegbare Vorhersage eines Lernergebnisses nimmt Kerstin für die Phase des Unterrichts an, in der die Lernenden die Bilder betrachten und die Berufe der Personen auf den Bildern erraten sollen. Auch wenn Bilder den visuellen Lerntypen entgegenkommen, ist eine unmittelbare Auswirkung des 262 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="263"?> Betrachtens auf die Behaltensleistung auch deshalb in Zweifel zu ziehen, weil der Lehrer die Semantisierung der betreffenden Wörter auf die nachfolgende Phase (Lektüre des Textes) verschiebt. I would now like to come to the second video clip. The pupils have to open their books on page 42 and look at the pictures. They should describe what they see on those pictures [see 0: 30-0: 42]. The use of pictures again takes into consideration that there are different kind of learning types. You have visual learners and looking at pictures might help them to remember vocabulary items. (Kerstin ISA IV, 13) Kerstin entwickelt eine Vorhersage zu den Effekten, die das aus ihrer Sicht gut ge‐ staltete Lehrwerk auf das fremdsprachliche Lernen der Schüler haben könnte. Diese Vorhersage bleibt jedoch zu allgemein und lässt den Bezug auf eine konkrete Situ‐ ation aus dem Unterricht vermissen. Letztlich können alle genannten Aktivitäten der Lernenden („they read/ repeat/ practice“) mit Hilfe eines Lehrwerks realisiert werden. Welche Wirkungen allerdings die konkreten Aktivitäten aus dem Lehr‐ werk in dieser Stunde auf das Lernen der Schüler entfalten, lässt Kerstin offen. As a last point I want to say something about the course material which was used in this section/ lesson. I liked the way it is designed and pupils can do a lot with it. They describe a picture, they read, they repeat newly met vocabulary items, they can practice their speaking and writing skills and the topic is relevant for their later life. (Kerstin ISA IV, 17) 4.3.3 Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Kerstin Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Entwicklung der Unterrichtswahrneh‐ mung bei Kerstin über das gesamte Seminar hinweg. Hierzu weden ISA Prä und ISA Post miteinander verglichen. Passagen aus der Post-Analyse, die für die Beschreibung der Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung besonders aufschluss‐ reich sind, werden in einem Teilkapitel kommentiert. Außerdem wird dargestellt, wie sich die Zahl der selektierten Situationen von der Präzur Post-Analyse und wie sich die Unterrichtswahrnehmung von Kerstin entlang der Dimensionen der Unterrichts‐ wahrnehmung weiterentwickelt hat. Neben dieser quantitativen Perspektive wird außerdem analysiert, welche Unterschiede sich in der Verarbeitung von einzelnen Schlüsselsituationen zeigen und ob einzelne Situationen, die in der Prä-Analyse be‐ schrieben wurden, in der Post-Analyse mit Fachkonzepten klassifiziert werden. In der Gesamtschau veranschaulicht Diagramm 26, dass sich die Unterrichts‐ wahrnehmung im Sinne der wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht (mit der Ausnahme von ISA IV) weiterentwickelt hat. Auffällig ist jedoch der durch‐ gängig hohe Anteil von Bewertungen (vgl. 4.3.4). 263 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="264"?> Diagramm 26: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs, selek‐ tierte Situationen, n=110 (Kerstin) 4.3.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse 4.3.3 Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Kerstin Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Entwicklung der Unterrichtswahrnehmung bei Kerstin über das gesamte Seminar hinweg. Hierzu weden ISA-Prä und ISA-Post miteinander verglichen. Passagen aus der Post- Analyse, die für die Beschreibung der Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung besonders aufschlussreich sind, werden in einem Teilkapitel kommentiert. Außerdem wird dargestellt, wie sich die Zahl der selektierten Situationen von der Präzur Post-Analyse und wie sich die Unterrichtswahrnehmung von Kerstin entlang der Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung weiterentwickelt hat. Neben dieser quantitativen Perspektive wird außerdem analysiert, welche Unterschiede sich in der Verarbeitung von einzelnen Schlüsselssituationen zeigen und ob einzelne Situationen, die in der Prä-Analyse beschrieben wurden, in der Post-Analyse mit Fachkonzepten klassifiziert werden. In der Gesamtschau veranschaulicht Diagramm 26, dass sich die Unterrichtswahrnehmung im Sinne der wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht (mit der Ausnahme von ISA IV) weiterentwickelt hat. Auffällig ist jedoch der durchgängig hohe Anteil von Bewertungen (vgl. 4.3.4). Diagramm 26: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, Kerstin, alle ISAs, selektierte Situationen n=110 4.3.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Diagramm 27: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Kerstin) Die Anzahl der selektierten Situationen aus dem Unterrichtsvideo „Money“ hat sich von der Präzur Post- Analyse nahezu verdoppelt. Die Unterrichtswahrnehmung von Kerstin ist insofern fokussierter geworden. Der Anteil der mit einem Fachkonzept klassifizierten Situationen ist von der Präzur Post-Analyse deutlich angestiegen und demonstriert, dass Kerstin am Ende des Seminars Fachkonzepte schlüssig nutzen kann, um Ziele, Lerngegenstände und Lernprozesse zu klassifizieren. Es finden sich einzelne Vorhersagen, wobei es sowohl in der Präwie auch der Post-Analyse eine Situation gibt, in welcher der vermutete Zusammenhang zwischen Lehrerverhalten und Lerneffekten nicht zutrifft. Im Vergleich zur Prä Analyse hat der Anteil der bewerteten Situationen in der Post Analyse 0 5 10 15 20 25 30 0123456789 10 Kerstin Prä-Post im Vergleich, n prä =13, n post =25 ISA_Prä\Kerstin_ISA_prä ISA_Post\Kerstin_ISA_post Diagramm 27: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Kerstin) 264 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="265"?> Die Anzahl der selektierten Situationen aus dem Unterrichtsvideo „Money“ hat sich von der Präzur Post-Analyse nahezu verdoppelt. Die Unterrichtswahr‐ nehmung von Kerstin ist insofern fokussierter geworden. Der Anteil der mit einem Fachkonzept klassifizierten Situationen ist von der Präzur Post-Analyse deutlich angestiegen und demonstriert, dass Kerstin am Ende des Seminars Fachkonzepte schlüssig nutzen kann, um Ziele, Lerngegenstände und Lernpro‐ zesse zu klassifizieren. Es finden sich einzelne Vorhersagen, wobei es sowohl in der Präwie auch der Post-Analyse eine Situation gibt, in welcher der vermutete Zusammenhang zwischen Lehrerverhalten und Lerneffekten nicht zutrifft. Im Vergleich zur Prä-Analyse hat der Anteil der bewerteten Situationen in der Post-Analyse zugenommen. Die Themen und die Richtung der Bewertungen werden in Kapitel 4.3.4 ausführlich analysiert. Eine Aggregation der Kategorien illustriert die Entwicklung der professio‐ nellen Unterrichtswahrnehmung von Kerstin (vgl. Diagramm 28). Hierzu werden die Einschätzdimensionen mit einem Faktor versehen und alle Kodie‐ rungen für z. B. „Vorhersagen 3“ mit dem Faktor 3 multipliziert, sodass sich ein aggregierter Wert für jede Dimension der Unterrichtswahrnehmung ergibt. Diagramm 28: Vergleich ISA Prä-Post, aggregiert (Kerstin) Vor allem die hohe Zahl zutreffender Klassifizierungen (Niveau 3 wird mit Faktor 3 multipliziert) ergibt einen hohen Ausschlag auf der Achse „Klassifizierungen“. Bei den Alternativen und Vorhersagen gibt es keine nennenswerten Entwicklungen. Ein Grund für die geringe Zahl von Alternativen für alle Videos ist ein Hinweis auf einen hohen Grad an Zustimmung hin, der sich in einem hohen Anteil von positiven Bewertungen niederschlagen müsste (vgl. 4.3.4.1). 4.3.3.2 Analyse ausgewählter Situationen aus dem Video „Money“ (ISA Post) 0 5 10 15 20 25 Beschreibung Klassifizierung Vorhersage Alternative Kerstin_ISA_prä Kerstin_ISA_post 89 Anzahl der selektierten Situationen Kerstin ISA post - Überblick, n=20 Diagramm 28: Vergleich ISA Prä-Post, aggregiert (Kerstin) Vor allem die hohe Zahl zutreffender Klassifizierungen (Niveau 3 wird mit Faktor 3 multipliziert) ergibt einen hohen Ausschlag auf der Achse „Klassifizie‐ rungen“. Bei den Alternativen und Vorhersagen gibt es keine nennenswerten Entwicklungen. Ein Grund für die geringe Zahl von Alternativen für alle Videos 265 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="266"?> ist ein Hinweis auf einen hohen Grad an Zustimmung, der sich in einem hohen Anteil von positiven Bewertungen niederschlagen müsste (vgl. 4.3.4.1). 4.3.3.2 Analyse ausgewählter Situationen aus dem Video „Money“ (ISA Post) 169 Diagramm 28: Vergleich ISA Prä-Post, aggregiert (Kerstin) Vor allem die hohe Zahl zutreffender Klassifizierungen (Niveau 3 wird mit Faktor 3 multipliziert) ergibt einen hohen Ausschlag auf der Achse „Klassifizierungen“. Bei den Alternativen und Vorhersagen gibt es keine nennenswerten Entwicklungen. Ein Grund für die geringe Zahl von Alternativen für alle Videos ist ein Hinweis auf einen hohen Grad an Zustimmung hin, der sich in einem hohen Anteil von positiven Bewertungen niederschlagen müsste (vgl. 4.3.4.1). 4.3.3.2 Analyse ausgewählter Situationen aus dem Video „Money“ (ISA Post) Diagramm 29: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA post (Kerstin) Mehr als ein Viertel (28%) aller selektierten Situationen klassifiziert Kerstin mit einem Fachkonzept in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise. Allerdings gelingt auch am Ende des Seminars die Klassifizierung von Situationen mit Fachkonzepten nicht sicher: in vier Fällen passt das Fachkonzept nicht zur konkreten Situation. Zum 0123456789 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kerstin ISA post - Überblick, n=20 Diagramm 29: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Post (Kerstin) Mehr als ein Viertel (28%) aller selektierten Situationen klassifiziert Kerstin mit einem Fachkonzept in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise. Allerdings ge‐ lingt auch am Ende des Seminars die Klassifizierung von Situationen mit Fach‐ konzepten nicht sicher: In vier Fällen passt das Fachkonzept nicht zur konkreten Situation. Zum Teil verwendet Kerstin mehrere Fachkonzepte gleichzeitig, was zu Widersprüchlichkeiten führt. 36% aller ausgewählten Situationen (9 von 20) werden bewertet. Beschreibungen Eine Situationsbeschreibung stimmt nicht mit dem Hergang des Unterrichts im Video überein. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Zahl der neu einge‐ führten Wörter im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Lerngruppe ange‐ messen ist, überschätzt Kerstin die Zahl der neu eingeführten Wörter, die deut‐ lich unter der Zahl von 30 liegt (vgl. Video „Money“, 10: 14-14: 21). 266 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="267"?> I also know that it is important to introduce items before you can use them but it was really a lot in this lesson. They learnt about 30 words. Some of the words were known to them but some of them were new and quite challenging. The class seemed to be quite advanced or at least you could say that they are quite good in English because they came up with expressions that were quite demanding (e.g. capitalism). (Kerstin ISA Post, 27) Klassifizierungen Es werden zunächst die vier unzutreffenden Klassifizierungen (Niveau 1) ana‐ lysiert. Kerstin bezieht Merkmale des „Standbeins“ meaning-focused input auf die Stunde und meint, dass die Lernenden ihr Wortschatzwissen um weitere Aspekte anreichern. Kerstin sieht also Indizien für inzidentelles Wortschatz‐ lernen, was jedoch im Gegensatz zu dem expliziten Ansatz der Stunde steht. Kerstin misslingt die Verknüpfung von Merkmalen des Konzepts mit Merkmalen der Situation. Für die Merkmale des „Standbeins“ meaning-focused input, welche Kerstin aufruft, gibt es in der Stunde keine Belege, weil es schlichtweg kein Input-Material gibt. The main focus of the teacher is on the strand meaning-focused input. The learners learn new vocabulary items and they also enrich previously met vocabulary. The focus is on understanding the material and on enjoying it. The teacher wants to make sure that the students know all the vocabulary items dealt with in the lesson and that they are able to use them in a suitable context. (Kerstin ISA Post, 1) Auch der zweite Versuch, die Stunde mit einem „Standbein“ zu klassifizieren, verliert sich in einer widersprüchlichen Argumentation. Die Aufgabenstellung erfordert kein schnelleres Reagieren seitens der Schüler (keine Zeitvorgabe), was für die Klassifizierung der Stunde mit dem „Standbein“ fluency development erforderlich wäre. Das Transkript (Tabelle 41) belegt, dass die Lernenden bis zu 15 Sekunden Zeit haben nachzudenken. In the video you can see that the students come up with a lot of different words which are also quite difficult sometimes (e.g. capitalism). I would argue that this activity of retrieving the words is fluency development because they do not have much time to think about it first. They rather have to do it right away and that forces them to perform at a faster level than normally. When they do homework they always have the possibility to look words up in dictionaries, for example, but here it is different. (Kerstin ISA Post, 4) 267 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="268"?> L O.k. I would like you to tell me every word or expression that you know to do with money. We‘ve got money. 1: 10 - 1: 20 C Money wird an die Tafel geschrieben. 1: 20 L Tell me more words with... 1: 21 - 1: 22 C Kreide bricht ab und fällt auf den Boden. 1: 22 L ...That always happens, ja... 1: 23 - 1: 26 C L nimmt SuS nun nacheinander dran und schreibt die Schülerantworten an die Tafel. 1: 26 Tabelle 41: Auszug aus dem Video „Money“ Die Reaktivierung von als bekannt vorauszusetzendem Wortschatz wird als we‐ sentliches Ziel der Stunde angesehen (vgl. 3.5.4). Die Experten führen den Ein‐ druck eines hohen Tempos der Stunde auf einen hektisch wirkenden Lehrer und seine spontanen Impulse zurück (vgl. 3.5.5.1). Allerdings rechtfertigt dieser Ein‐ druck noch nicht die Klassifizierung mit dem „Standbein“ fluency development, weil eine Zeitbegrenzung weder durch den Lehrer noch durch die Aufgaben‐ stellung vorgegeben wird. The first activity can also be seen as a fluency development task. The learners should spontaneously come up with expressions related to money. That encourages them to think faster and retrieve words they already know. (Kerstin ISA Post, 2) In sieben weiteren Klassifizierungen (Niveau 3) stellt Kerstin unter Beweis, dass sie in der Lage ist, Situationen lexikalischen Lernens mit unterschiedlichen Fachkonzepten aus dem Seminar treffend zu klassifizieren. Bei ihrer Begrün‐ dung für die Zuweisung des „Standbeins“ language-focused learning bezieht Kerstin weitere Fachkonzepte ein (learning burden, aspects of word knowledge). Another focus here is on language focused learning. There are several scenes in the video in which the teacher takes up several expressions uttered by the pupils and concentrates on them in more detail. By doing so the teacher refers to the learning burden of words. This takes place mainly in the last activity when they talk about the 268 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="269"?> words mentioned in the book and which are rather unfamiliar to the students. He gives input and refers to different aspects of word knowledge. (Kerstin ISA Post, 5) Kerstin hat in ihrer letzten Analyse versucht, alle „Standbeine“ zu berücksich‐ tigen, was zu den oben bereits diskutierten Fehlzuweisungen geführt hat. Mög‐ licherweise spielen Erwünschtheitseffekte hier eine Rolle. In jedem Fall hat sie am Ende die beiden passenden „Standbeine“ identifiziert. Allerdings zeigt der Versuch, alle vier „Standbeine“ einzubringen, auch, dass sich Kerstin der Reich‐ weite des Fachkonzepts der strands of language teaching (vgl. 2.4.1.5) nicht be‐ wusst ist. Alle strands sollten in einem Kurs oder einer Unterrichtsreihe ver‐ wirklicht werden; einzelne Stunden lassen sich dabei einzelnen strands zuordnen und haben die Funktion, die grobe Zielrichtung einer Stunde zu be‐ schreiben. Last but not least you can also find examples of meaning-focused output in the lesson. In the second activity the students should discuss with a partner. They should do it in English and so they make use of the target language to convey a message to their partners. Later on they present their ideas to the teacher as well. (Kerstin ISA Post, 7) Die übrigen Klassifizierungen zielen auf Lernprozesse, Lerngegenstände und die Kommunikations- und Unterstützungskultur in der Stunde. Kerstin kann vom Stundengeschehen auf mental ablaufende Prozesse, wie das aktive Erinnern, schließen: They have to come up with words and think about how they are pronounced. You could therefore say that productive retrieval takes place here. The students have to link the spoken form of a word to its meaning and afterwards articulate it. (Kerstin ISA Post, 3) First of all the learners should memorize previously met vocabulary items in the be‐ ginning of the lesson. They should come up with expressions related to money and they have to retrieve words [see 1: 13-3: 38]. It is productive retrieval here because they need to link the form of vocabulary items to their meaning. (Kerstin ISA Post, 9) Sie erkennt, wenn der Lehrer non-verbale und verbale Semantisierungstech‐ niken miteinander verknüpft, um das Verstehen komplexer Wörter oder Wen‐ dungen zu gewährleisten. Kerstin lässt jedoch offen, worin die „Kompliziertheit des Wortes“ letztlich besteht. Eine Analyse des Konzepts hinter dem Wort to afford hätte die Komplexität der Bedeutung deutlich gemacht. The teacher uses several strategies to make sure that the students learn something. Whenever a word seems to be misunderstood or a little bit more complicated the teacher takes them up to look at them in more detail. He defines words [e.g. to afford], 269 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="270"?> uses nonverbal techniques to improve the understanding and show what items mean [see 3: 11-3: 18 throw money out of the window]. In addition he brings them to para‐ phrase and describe. That is also very good because that is a very important skill. (Kerstin ISA Post, 18) Kerstin nimmt den Ausschnitt wahr, der als prototypisch für das Aushandeln von Bedeutungen gelten kann. Die Klassifizierung ist jedoch knapp gehalten und enthält keinen argumentativen Bezug zwischen Video und Merkmalen des Konzepts. Furthermore some items are decontextualized and the teacher and the learners nego‐ tiate the meaning [e.g. to afford something 10: 42-11: 20]. That helps to understand the meaning. (Kerstin ISA Post, 20) Das Prinzip, dass lexikalisches Lernen nicht nur Einzelwörter, sondern auch idiomatische Wendungen, Mehrworteinheiten und Kollokationen umfasst, zieht Kerstin für die Klassifizierung von Lerngegenständen heran. The teacher does not only teach single vocabulary items like greed or capitalism, he also focuses on idioms like “throwing money out of the window”. (Kerstin ISA Post, 13) Bewertungen Insgesamt sieht Kerstin die Stunde in einem positiven Licht. Sieben von acht Situationen bewertet sie positiv. Grundsätzlich scheint ihr die Struktur der Stunde und die Art und Weise, wie Perino mit den Schülern kommuniziert, zu gefallen. Last but not least I want to comment on the lesson in general. I liked the way the teacher talks to his students and I also liked the way he structured his lesson. It would have been interesting to know what comes next, because until now the pupils have not produced so much on their own. (Kerstin ISA Post, 25) Kerstin bewertet das Lehrerverhalten in der Stunde durchweg positiv und sieht es als motivationsfördernd an, da es dem Lehrer gelingt, eine positive Lernat‐ mosphäre zu schaffen. In general, the teacher is very motivating. He is friendly and makes jokes sometimes. That creates a very good learning atmosphere. (Kerstin ISA Post, 21) Den Stundeneinstieg empfindet Kerstin als gelungen und wertet diesen aus Schülersicht. Ob es sich hierbei um ein guessing from context handelt, wie Kerstin meint, ist zweifelhaft, weil die Schüler lediglich den Liedanfang mit dem Lied „Money“ von der Popgruppe ABBA in Verbindung bringen müssen. 270 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="271"?> The beginning of the lesson was also very interesting. He did not only say the topic but let the pupils get it from a song. They should guess from that context and it is a funny way to start a lesson. (Kerstin ISA Post, 24) Kerstin erkennt das zentrale Problem der Stunde, welches darin besteht, dass es Perino nur in Ansätzen gelingt, die Schüler zum Sprechen zu bewegen. Die meisten Äußerungen der Schüler sind Ein- oder Zweiwortsätze. Kerstin findet die Sprechanlässe nicht sehr herausfordernd für die Lernenden, weil ein au‐ thentischer, kommunikativer Kontext fehlt, der den Lernenden längere Äuße‐ rungen oder die Teilnahme an einer Diskussion darüber, was aus ihrer Sicht Geldverschwendung ist, abverlangen würde. They also use words, but not in a very productive way. They talk about items and they sometimes define them, too, but it is not really challenging. They do not have to write a text or dialogue and make use of the language in a real communication situation. (Kerstin ISA Post, 11) Ein Thema, welches sich allerdings durch die Bewertungen von Kerstin hin‐ durchzieht, ist das Thema lernunterstützende Kommunikation. Perino sichert das Verstehen von Wörtern durch Erklärungen ab und gibt vertiefende Erläu‐ terungen (rich instruction) samt Beispielen. In der Post-Analyse von Kerstin finden sich fünf positive Bewertungen des Kommunikationsverhaltens von Pe‐ rino. Whenever he thinks an item or expression is or might be difficult for his learners he takes it/ them up and gives more input. That is a very good way to make sure that the learners have really understood the meaning of a word. (Kerstin ISA Post, 6) Diese lernunterstützende und verständnissichernde Unterrichtskommunika‐ tion beschränkt sich nicht nur auf Einzelwörter in der Stunde. Kerstin erkennt, dass Perino häufig Redewendungen mit einbezieht und sie thematisiert. Deren Potenzial besteht aber vor allem darin, dass sie Lernenden helfen, authentisch zu kommunizieren. Kerstin geht es also hier nicht um das Prinzip per se (lexis grammar continuum, vgl. Willis 2003). Wenn ihr auffällt, dass Lernende Beispiele für idiomatischen Sprachgebrauch erhalten, hält sie das für bedeutsam im Hin‐ blick auf die Entwicklung von kommunikativen Kompetenzen. English is a very idiomatic language and therefore it is good that the learners get examples of idiomatic use in this lesson. That helps them to communicate in an au‐ thentic way. (Kerstin ISA Post, 14) Kerstin bewertet den teilweise strukturierten Tafelanschrieb in Form einer Mind Map positiv und sieht darin eine Form der Lernunterstützung im Hinblick auf 271 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="272"?> das Verstehen und Behalten. Im Gegensatz zu Kate sieht Kerstin in dieser Situ‐ ation allerdings keine Ausbildung lexikalischer Bewusstheit (vgl. 4.5.3.2). I get the impression that he wants to make sure that every students gets the most out of his lesson. The way he notes down the words at the board is also helping the pupils to understand. He groups words (e.g. verbs) and with this it is much easier for the pupils to remember words and come up with additional ones. (Kerstin ISA Post, 22) Die lernunterstützende Kommunikation bewertet Kerstin auch positiv im Hin‐ blick auf die Klärung von Bedeutungsunterschieden und intra-lingualen Inter‐ ferenzen. Kerstin selektiert konkrete Lerngegenstände des Unterrichts und the‐ matisiert den Umgang des Lehrers mit diesen im Stundenzusammenhang. Gleichwohl erkennt sie an, dass man nicht erkennen kann, ob die Lernenden tatsächlich den Unterschied zwischen broke und broken sowie zwischen each other und themselves verstanden haben. When a word is wrong or used in wrong context or with a wrong grammatical pattern the teacher addresses it and corrects the mistakes (e.g. broke - broken, themselves - each other). That is very good, although you cannot say whether the pupils really got it. (Kerstin ISA Post, 23) Alternativen Kerstins einziger Vorschlag für eine Erweiterung des Unterrichtsgeschehens steht im Einklang mit ihrem Verständnis von gutem Fremdsprachenunterricht, der möglichst viele Gelegenheiten zum kontextualisierten, kommunikativen Gebrauch von Wortschatz bieten soll. Sie schlägt zwei Aufgaben für das the‐ mengebundene Schreiben vor, bei denen die Wörter des Wortfeldes gebraucht werden müssten. I would let them write a dialogue in a bank for example, between a bank clerk and his client or a dialogue between a pupil and his mother in which he wants to get more pocket-money - just something in which the pupils create something with the words they have met. I guess it happens in one of the next lessons. (Kerstin ISA Post, 26) 4.3.3.3 Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen in der Prä- und Post-Analyse (Video „Money“) Im Vergleich zur Prä-Analyse hat Kerstin in der Post-Analyse mehr Schlüssel‐ szenen lexikalischen Lernens ausgewählt (vgl. Diagramm 30). Schlüsselszenen lexikalischen Lernens im Unterrichtsvideo „Money“ sind Situationen, in denen neue Wörter semantisiert oder im Hinblick auf bestimmte Aspekte des Wort‐ wissens erläutert werden. Diagramm 30 zeigt, dass Kerstin in der Prä-Analyse 272 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="273"?> nur zwei Situationen (become (Video „Money“, 13: 03) und associations (Video „Money“, 4: 06)) ausgewählt hat, während sie in der Post-Analyse (hintere Kurve) insgesamt sieben Szenen selektiert hat, in denen Wortbedeutungen erläutert oder ausgehandelt werden. Diagramm 30: Selektierte Schlüsselszenen im Prä-Post Vergleich (Kerstin) Die Situation, in der Perino den Fehler „become money“ (Video „Money“, 13: 02) korrigiert, ist in beiden Analysen selektiert worden. Dies erlaubt daher einen direkten Vergleich der beiden Analysen im Hinblick auf Dimensionen der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Kerstin (vgl. Tabelle 42). Der Vergleich dieser Situation in der Prä- und Post-Analyse macht deutlich, wie sich Kerstins Wahrnehmung der Situation verändert hat: Während in der Prä-Analyse der Fokus auf dem pädagogischen Umgang mit dem Fehler liegt („in a respectful way and not embarrassing the student"), stellt Kerstin in der Post-Analyse zum Ende des Seminars heraus, dass der Lehrer, wenn er Wörter herausgreift, auf den Gebrauch des Wortes („use“) als ein Aspekt des Wortwissens abhebt. Tabelle 42: Vergleich von Schlüsselszenen, Kerstin ISA Prä-Post I now want to point out another important extract of the video. One of the students uses a wrong expression (“I become money” - see 13: 02) and although the teacher somehow makes fun of it, it is still in a respectful way and not embarrassing for the student. (Kerstin ISA Prä, 6) They definitely get to know something about the meaning. The teacher wants to make sure that the pupils have understood each vocabulary item and they are able to link the form to the meaning. Some strategies help to achieve that and I will comment on them in the next task. Sometimes items are removed from the meaning and the teacher more focuses on aspects of word knowledge. That is necessary sometimes because some of the pupils make mistakes. The teacher takes them up and focuses mainly about the use. The pupils should know how to use items in a correct context and with correct grammar [e.g. themselves vs. each other; become vs. get]. (Kerstin ISA Post, 16) Dieser Fokus auf den Gebrauch und das kontextualisierte Wortschatzlernen findet sich bei Kerstin in drei weiteren Analysen von Schlüsselszenen im Video „Money“: Tabelle 43: Zusammenfassung von ausgewählten Analysen aus ISA Post zur Illustration von Aspekten der Subjektperspektive ISA Prä ISA Post ISA Prä ISA Post Diagramm 30: Selektierte Schlüsselszenen im Prä-Post-Vergleich (Kerstin) Die Situation, in der Perino den Fehler „become money“ (Video „Money“, 13: 02) korrigiert, ist in beiden Analysen selektiert worden. Dies erlaubt daher einen di‐ rekten Vergleich der beiden Analysen im Hinblick auf Dimensionen der profes‐ sionellen Unterrichtswahrnehmung bei Kerstin (vgl. Tabelle 42). Der Vergleich dieser Situation in der Prä- und Post-Analyse macht deutlich, wie sich Kerstins Wahrnehmung der Situation verändert hat: Während in der Prä-Analyse der Fokus auf dem pädagogischen Umgang mit dem Fehler liegt („in a respectful way and not embarrassing the student“), stellt Kerstin in der Post-Analyse zum Ende des Seminars heraus, dass der Lehrer, wenn er Wörter herausgreift, auf den Ge‐ brauch des Wortes (use) als ein Aspekt des Wortwissens abhebt. 273 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="274"?> I now want to point out another im‐ portant extract of the video. One of the students uses a wrong expression (“I become money” - see 13: 02) and although the teacher somehow makes fun of it, it is still in a respectful way and not embarrassing for the student. (Kerstin ISA Prä, 6) They definitely get to know some‐ thing about the meaning. The teacher wants to make sure that the pupils have understood each vocabulary item and they are able to link the form to the meaning. Some strategies help to achieve that and I will comment on them in the next task. Sometimes items are removed from the meaning and the teacher more focuses on as‐ pects of word knowledge. That is ne‐ cessary sometimes because some of the pupils make mistakes. The teacher takes them up and focuses mainly about the use. The pupils should know how to use items in a correct context and with correct grammar [e.g. them‐ selves vs. each other; become vs. get]. (Kerstin ISA Post, 16) Tabelle 42: Vergleich von Schlüsselszenen, ISA Prä-Post (Kerstin) Dieser Fokus auf den Gebrauch und das kontextualisierte Wortschatzlernen findet sich bei Kerstin in drei weiteren Analysen von Schlüsselszenen im Video „Money“: When a word is wrong or used in wrong context or with a wrong gram‐ matical pattern the teacher addresses it and corrects the mistakes (e.g. broke - broken, themselves - each other). That is very good, although you cannot say whether the pupils really got it. (Kerstin ISA Post, 23) Gebrauch eines Wortes im falschen Kontext zieht sinnvollerweise eine Lehrerintervention nach sich Sometimes items are removed from the meaning and the teacher more focuses on aspects of word knowledge. That is necessary sometimes because some of the pupils make mistakes. The teacher takes them up and focuses mainly on the use. The pupils should know how to use items in a correct context and with correct grammar [e.g. themselves vs. each other; become vs. get]. (Kerstin ISA Post, 16) Fokus auf den Gebrauch von Wörtern, aber Skepsis, ob die Schüler das gram‐ matische pattern durchschaut haben, in dem das Wort gebraucht wird. 274 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="275"?> The focus here is on understanding and knowing when you could use the items. The teacher does not only teach single vocabulary items like greed or capitalism, he also focuses on idioms like “throwing money out of the window”. (Kerstin ISA Post, 12-13) Betonung, dass der Lehrer nicht nur Einzelwörter, sondern auch idiomati‐ sche Wendungen thematisieren solle. Tabelle 43: Zusammenfassung von ausgewählten Analysen aus ISA Post zur Illustration von Aspekten der Subjektperspektive Zwischenfazit Kerstin hat in der Post-Analyse deutlich mehr Schlüsselszenen selektiert, in denen der Lehrer - meist in Reaktion auf einen Schülerfehler - den Gebrauch von Wör‐ tern thematisiert. Insgesamt lässt dieser Befund die Schlussfolgerung zu, dass Kers‐ tins Unterrichtswahrnehmung in der Domäne „lexikalisches Lernen“ fokussierter geworden ist und sie nun vermehrt Situationen lexikalischen Lernens im Sinne des noticing selektiert. Das Wortschatzlernen im Kontext war Kerstin zu Beginn des Seminars aufgrund ihrer Unterrichtserfahrung schon wichtig. Zahlreiche Situati‐ onen aus dem Video aktivieren offenbar Kerstins subjektive Perspektive auf Wort‐ schatzlernen, wonach die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen darin besteht, dass Wortschatz zu häufig noch isoliert getestet wird, ohne dass Lernende erkennen, in welchen Kontexten und mit welcher Grammatik sie das Wort nutzen können. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson „mehr Kontext geben“, sodass das Wort nicht isoliert, sondern im Zusammenhang gelernt wird. Es kann daher vermutet werden, dass die im Seminar vermittelten Konzepte und die Subjektperspektive („kontextualisiertes Wortschatzlernen ist wichtig“) nun zusammen die Fokussierung auf solche Situationen verstärken, in denen es Gelegenheiten zum Gebrauch von Wörtern gibt oder in denen der As‐ pekt use thematisiert wird. Die Subjektperspektive für sich genommen, also die Überzeugung, dass kontextualisiertes Wortschatzlernen wichtig ist, hat in der Prä -Analyse noch nicht zur Selektion der entsprechenden Situationen aus dem Unter‐ richtsvideo geführt. In der Prä-Analyse hat Kerstin eher allgemein auf Fragen ge‐ antwortet und die erwähnten Schlüsselszenen nicht ausgewählt. Dieser Befund legt weitere Forschung zum Zusammenwirken von Subjektper‐ spektiven und fachdidaktischen Konzepten nahe, die z. B. folgenden Fragen nach‐ gehen könnte: Inwieweit lässt sich eine Veränderung der Subjektperspektiven durch das Seminar nachweisen? Wie haben sich fachdidaktische Konzepte angelagert? Gibt es bestimmte Fachkonzepte, die eine Nähe zu den Subjektperspektiven haben, die in höherem Maße für die wissensbasierte Verarbeitung zur Verfügung stehen? 275 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="276"?> 4.3.4 Analyse der Bewertungen von Kerstin Im Vergleich zu allen anderen Probanden ist der Anteil der Bewertungen in Kerstins Analysen am größten. Die Kategorie Bewertung wird vergeben, wenn eine konkrete Situation aus dem Unterricht positiv oder negativ bewertet, d. h. mit einem Werturteil versehen wird. Die Bewertung kann dabei auf allgemein‐ didaktischen, pädagogischen oder fachdidaktischen Prinzipien basieren. Wie man Diagramm 31 entnehmen kann, ist der Anteil von bewerteten Situationen in allen Analysen relativ hoch. In ISA Prä und ISA I sind die Bewertungen aus‐ schließlich positiv. Insgesamt wird jede dritte Situation mit einem Werturteil versehen (vgl. Diagramm 34). Im folgenden Kapitel sollen die Bewertungen an‐ hand der folgenden Fragen ausgewertet werden: • Wie ist das Verhältnis von positiven zu negativen Bewertungen? • Wie ist das Verhältnis von fachdidaktischen zu allgemein-didaktischen bzw. pädagogischen Bewertungen? • Was ist der fachdidaktische Fokus bei den negativen Bewertungen? bewertet, d. h. mit einem Werturteil versehen wird. Die Bewertung kann dabei auf allgemeindidaktischen, pädagogischen oder fachdidaktischen Prinzipien basieren. Wie man Diagramm 31 entnehmen kann, ist der Anteil von bewerteten Situationen in allen Analysen relativ hoch. In ISA Prä und ISA I sind die Bewertungen ausschließlich positiv. Insgesamt wird jede dritte Situation mit einem Werturteil versehen (vgl. Diagramm 34). Im folgenden Kapitel sollen die Bewertungen anhand der folgenden Fragen ausgewertet werden: Wie ist das Verhältnis von positiven zu negativen Bewertungen? Wie ist das Verhältnis von fachdidaktischen zu allgemein-didaktischen bzw. pädagogischen Bewertungen? Was ist der fachdidaktische Fokus bei den negativen Bewertungen? Diagramm 31: Übersicht Bewertungen alle ISAs, Kerstin Viel Zustimmung erhält der Unterricht in ISA II von Kerstin. Im Video „Practicing new words“ ist der Anteil der Bewertungen mit einem Fokus auf lexikalisches Lernen am größten: • Auswahl des Wortschatzes: Relevanter Wortschatz für die Bewältigung alltäglicher und lebensweltbezogener Kommunikation, • Auswahl des Wortschatzes: Der explizite Hinweis, dass nur schwierige Wörter geübt werden, stärkt das Selbstvertrauen der Lernenden, weil sie spüren, dass die Lehrerin ihren Lernfortschritt im Blick hat und sie ihren Schülern etwas zutraut. • Umgang mit Pluralformen von Wörtern („rolls“), • Vorteile der Kugellagermethode: Jeder Schüler muss das Wort aussprechen, erhöhter Sprachumsatz, • Vorsprechen der Wörter durch die Lehrerin hilft den Lernenden, Wörter korrekt auszusprechen. Die fehlende Variation des Übungsgeschehens wird von Kerstin negativ bewertet. Die Übungsformate zielen nur auf die Aussprache, vernachlässigen jedoch andere Formen des Wortwissens. Weitere Übungsformen, wie z. B. 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 ISA Prä ISA I ISA II ISA III ISA IV ISA Post Übersicht Bewertungen Kerstin, alle ISAs ∑ Bewertungen positive B. negative B. LexLern Päd_AllgDid Diagramm 31: Übersicht Bewertungen alle ISAs (Kerstin) Viel Zustimmung erhält der Unterricht in ISA II von Kerstin. Im Video „Practi‐ cing new words“ ist der Anteil der Bewertungen mit einem Fokus auf lexikali‐ sches Lernen am größten: 276 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="277"?> • Auswahl des Wortschatzes: Relevanter Wortschatz für die Bewältigung alltäglicher und lebensweltbezogener Kommunikation, • Auswahl des Wortschatzes: Der explizite Hinweis, dass nur schwierige Wörter geübt werden, stärkt das Selbstvertrauen der Lernenden, weil sie spüren, dass die Lehrerin ihren Lernfortschritt im Blick hat und sie ihren Schülern etwas zutraut. • Umgang mit Pluralformen von Wörtern (rolls), • Vorteile der Kugellagermethode: Jeder Schüler muss das Wort ausspre‐ chen, erhöhter Sprachumsatz. • Vorsprechen der Wörter durch die Lehrerin hilft den Lernenden, Wörter korrekt auszusprechen. Die fehlende Variation des Übungsgeschehens wird von Kerstin negativ be‐ wertet. Die Übungsformate zielen nur auf die Aussprache, vernachlässigen je‐ doch andere Formen des Wortwissens. Weitere Übungsformen, wie z. B. Dialoge und Rollenspiele, würden auch den Gebrauch der Wörter fördern. Unter einer allgemeindidaktischen und pädagogischen Perspektive betont Kerstin, wie wichtig Methodenvielfalt und -variation besonders im Umgang mit jüngeren Lernenden sind. Die spielerischen Elemente des Übungsgeschehens sieht sie aber als geeignet an, um das Schülerinteresse zu halten. In ISA IV (Video „Perfect Job“) fällt auf, dass der Anteil der Bewertungen mit allgemein-didaktischen und pädagogischen Prinzipien überwiegt (6 von 7 Bewertungen). • Positiv: Hinweis des Lehrers auf die Bekanntheit der folgenden Aktivität spart Zeit. • Positiv: Der Lehrer erklärt die Aufgabe (pantomimisches Beruferaten) durch ein Beispiel, das motivierend und schüleraktivierend ist; die Pan‐ tomime ist außerdem nicht nur eine rein kognitive Aktivität. I also liked the fact that he gave an example so the pupils knew what was expected from them. It is also a good way to involve the learners in an active way. Normally English lessons seem to be very cognitive. Learners meet new words all the time, they need to learn and remember them and that might lead to a loss of motivation quite fast. The English teacher should therefore always try to create a very motivating lesson and to offer something special to the pupils. (Kerstin ISA IV, 4) • Positiv: Die Pantomime spricht verschiedene Lernertypen an. • Positiv: Lehrer gibt Hilfestellung, wenn Schüler sich unsicher sind über das darzustellende Wort. • Positiv: Pantomimisches Beruferaten bringt Abwechslung durch Metho‐ denvariation in den Englischunterricht und positive Emotionen. 277 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="278"?> • Negativ: Auswahl der Wörter für das Beruferaten: zu wenige, zu schwierig; gleichzeitig werden Argumente für die Entscheidung geliefert (schüchterne Schüler). You could critizise that he has used only a few jobs but it might be that some of the jobs were just too difficult to act out. In addition the teacher might know that some of his pupils do not like to come in front of the class and act something out. This might be another reason for picking just a few vocabulary items. You could argue that this activity can be seen as meaning-focused input. (Kerstin ISA IV, 10) • Negativ: Akzent des Lehrers, der zu Unverständlichkeiten führt; ein ame‐ rikanischer oder britischer Akzent wäre vorteilhafter. To sum it all up I really enjoyed the lesson, but there is one little thing that I would like to critizise. Sometimes it was hard to understand the teacher. At the beginning I did not really got the topic “jobs”. On the other hand the teacher had a very strong German accent, which is understandable and totally fine, because he actually is a German inha‐ bitant but sometimes I think it would be nicer if the teacher had a more British or American accent. That would be more realistic and interesting. (Kerstin ISA IV, 16) 4.3.4.1 Verhältnis von Positivzu Negativ-Bewertungen (alle ISAs) Insgesamt steht Kerstin dem Unterricht der eingesetzten Unterrichtsvideos po‐ sitiv gegenüber (vgl. Diagramm 32 & Tabelle 45). Die Akzeptanz der Lehrer in den verschiedenen Unterrichtsvideos scheint gegeben zu sein. 4.3.4.1 Verhältnis von Positivzu Negativ-Bewertungen (alle ISAs) Insgesamt steht Kerstin dem Unterricht der eingesetzten Unterrichtsvideos positiv gegenüber (vgl. Diagramm 32 & Tabelle 45). Die Akzeptanz der Lehrer in den verschiedenen Unterrichtsvideos scheint gegeben zu sein. Diagramm 32: Übersicht positive/ negative Bewertungen, alle ISAs (Kerstin) Insgesamt überwiegen die positiven Bewertungen in den vorliegenden schriftlichen Analysen von Kerstin. Man kann die große Zahl von positiven Bewertungen in Kerstins Fall auch als Bestätigung der eigenen Unterrichtspraxis interpretieren: Kerstin erkennt in den Videos ihren eigenen Unterricht, d. h. ihre mehrjährige Unterrichtspraxis als Nachhilfe- und Vertretungslehrerin wieder. Hierzu passt auch, dass der Anteil der Alternativen über alle ISAs hinweg sehr gering ist. Weitere Untersuchungen zum Zusammenhang von eigener Unterrichtspraxis und der Bewertung von Fremdvideos müssten diesen vermuteten Zusammenhang noch bestätigen. 0 1 2 3 4 5 6 7 8 ISA Prä ISA I ISA II ISA III ISA IV ISA Post Übersicht Bewertungen Kerstin, positiv/ negativ, alle ISAs positive B. negative B. Diagramm 32: Übersicht positive/ negative Bewertungen, alle ISAs (Kerstin) 278 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="279"?> Insgesamt überwiegen die positiven Bewertungen in den vorliegenden schrift‐ lichen Analysen von Kerstin. Man kann die große Zahl von positiven Bewer‐ tungen in Kerstins Fall auch als Bestätigung der eigenen Unterrichtspraxis in‐ terpretieren: Kerstin erkennt in den Videos ihren eigenen Unterricht, d. h. ihre mehrjährige Unterrichtspraxis als Nachhilfe- und Vertretungslehrerin wieder. Hierzu passt auch, dass der Anteil der Alternativen über alle ISAs hinweg sehr gering ist. Weitere Untersuchungen zum Zusammenhang von eigener Unter‐ richtspraxis und der Bewertung von Fremdvideos müssten diesen vermuteten Zusammenhang noch bestätigen. positive Bewertungen negative Bewertungen ISA Prä 6 0 ISA I 4 0 ISA II 5 2 ISA III 4 1 ISA IV 5 2 ISA Post 7 1 Summe 31 6 Anteil in % 84% 16% Tabelle 44: Verhältnis positive/ negative Bewertungen, alle ISAs (Kerstin) 4.3.4.2 Verhältnis der Themen in den Bewertungen Kerstin bewertet etwas mehr als die Hälfte der von ihr selektierten Situationen auf der Basis von fachdidaktischen Prinzipien. Der Anteil von Bewertungen mit fach‐ didaktischem Fokus ist in ISA II und ISA Post höher als in den anderen Analysen. 279 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="280"?> 179 Diagramm 33: Verhältnis von gegenstandsbezogenen und allgemein-didaktisch, pädagogischen Bewertungen (Kerstin ISA I-ISA Post) 4.3.5 Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Kerstin Insgesamt stehen die im Seminar vermittelten Konzepte in hohem Maße zur Beschreibung und Analyse von Lernprozessen, Zielorientierungen und Interaktionen zur Verfügung (vgl. Diagramm 34). Ein Anteil von 15% der selektierten Szenen wird mit einem Fachkonzept zutreffend und in nachvollziehbarer Weise klassifiziert und in übergeordnete Wissenszusammenhänge eingeordnet (Niveau 3). Kerstin ist in der Lage, verschiedene Fachkonzepte für die Beschreibung von Lernprozessen (retrieval) mit Konzepten zur Beschreibung von Lerngegenständen zu verknüpfen (aspects of word knowledge: use, register). Kerstin argumentiert häufig recht differenziert, wenn es darum geht, die Passung eines Konzepts zur Situation aus dem Video darzulegen. Fachkonzepte stehen auch für die Beschreibung bzw. Vorhersage von Lernprozessen zur Verfügung. Für 17,5% aller selektierten Situationen trifft Kerstin begründete Vorhersagen zum Lernen und zu Lernergebnissen. Auffällig ist, dass mehr als jede dritte Situation von Kerstin bewertet wird. Dies ist der höchste Anteil von Bewertungen in der gesamten Probandengruppe. Die Kategorie „Bewertung“ wird vergeben, wenn eine konkrete Situation aus dem Unterricht positiv oder negativ bewertet, d. h. mit einem Werturteil versehen wird. Die Bewertung kann dabei auf allgemeindidaktischen, pädagogischen oder fachdidaktischen Prinzipien basieren (vgl. 4.3.4). 49% 51% Verhältnis von lexisbezogenen und pädagogischen Bewertungen LexLern Päd_AllgDid Diagramm 33: Verhältnis von gegenstandsbezogenen und allgemein-didaktisch, päda‐ gogischen Bewertungen, ISA I-ISA Post (Kerstin) 4.3.5 Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Kerstin Insgesamt stehen die im Seminar vermittelten Konzepte in hohem Maße zur Be‐ schreibung und Analyse von Lernprozessen, Zielorientierungen und Interakti‐ onen zur Verfügung (vgl. Diagramm 34). Ein Anteil von 15% der selektierten Szenen wird mit einem Fachkonzept zutreffend und in nachvollziehbarer Weise klassifiziert und in übergeordnete Wissenszusammenhänge eingeordnet (Niveau 3). Kerstin ist in der Lage, verschiedene Fachkonzepte für die Beschreibung von Lernprozessen (retrieval) mit Konzepten zur Beschreibung von Lerngegenständen zu verknüpfen (aspects of word knowledge: use, register). Kerstin argumentiert häufig recht differenziert, wenn es darum geht, die Passung eines Konzepts zur Situation aus dem Video darzulegen. Fachkonzepte stehen auch für die Beschrei‐ bung bzw. Vorhersage von Lernprozessen zur Verfügung. Für 17,5% aller selek‐ tierten Situationen trifft Kerstin begründete Vorhersagen zum Lernen und zu Lernergebnissen. Auffällig ist, dass mehr als jede dritte Situation von Kerstin be‐ wertet wird. Dies ist der höchste Anteil von Bewertungen in der gesamten Pro‐ bandengruppe. Die Kategorie Bewertung wird vergeben, wenn eine konkrete Si‐ tuation aus dem Unterricht positiv oder negativ bewertet, d. h. mit einem Werturteil versehen wird. Die Bewertung kann dabei auf allgemeindidaktischen, pädagogischen oder fachdidaktischen Prinzipien basieren (vgl. 4.3.4). 280 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="281"?> 180 Diagramm 34: Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, Kerstin, alle ISAs, (N=110) Bezogen auf die selektierten Situationen in allen 6 Analysen (N=110) wird mehr als jede dritte Situation bewertet. Plausible und nachvollziehbare Klassifizierungen liegen für 15% aller Situationen und in allen Analysen vor (vgl. Diagramm 26). Für 8% der selektierten Situationen trifft Kerstin begründete und differenzierte Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse. Auffällig ist, dass im Video „Perfect Job“ keine nachvollziehbaren Vorhersagen über Lerneffekte gemacht werden. Klassifizierungen Mehr als ein Viertel (28%) aller selektierten Situationen klassifiziert Kerstin mit einem Fachkonzept in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise („Klassifizierungen 2“ & 3; „Vorhersagen 3“). Allerdings ist auch am Ende des Seminars die Klassifizierung von Situationen mit Fachkonzepten nicht sicher, da im letzten Unterrichtsvideo in vier Fällen das Fachkonzept oder einige seiner Merkmale nicht zur konkreten Situation passt. Allerdings scheint der Anteil der zutreffenden Klassifizierungen bei Kerstin durchaus mit dem konkreten Unterrichtsvideo in einem Zusammenhang zu stehen. So ist der Anteil von nicht zutreffenden Klassifizierungen im Video „Perfect Job" deutlich größer als in den anderen ISAs (vgl. 4.3.2.1.2; 4.3.2.2.2; 4.3.2.3.1). Insgesamt fällt auf, dass Kerstin Schwierigkeiten im Umgang mit theorie- und regelhaltigen Fachkonzepten hat. Wissenslücken bestehen hinsichtlich der definitorischen Bestandteile von Konzepten wie der stands of language teaching. Dies führt zu Fehlklassifizierungen. Insgesamt ist aber eine Intensivierung der wissensbasierten Argumentation feststellbar (25% aller Situationen in ISA III werden klassifiziert); gleichzeitig ist die Zahl der beschriebenen Situationen rückläufig. Keine der Klassifizierungen mit einem Fachkonzept, die Kerstin im Video „Perfect Job“ vornimmt, verknüpft definitorische Merkmale eines Konzepts so mit einer Situation, dass nachvollziehbar ist, warum eine konkrete Situation aus dem Video mit dem Konzept klassifiziert wird. Kerstin hat einen selbstständigen, aber nicht immer ganz widerspruchsfreien Umgang mit Fachkonzepten entwickelt (z. B. learning burden) und einzelne Fachkonzepte um eigene Facetten erweitert (vgl. ISA II, Einschätzung der learning burden als Strategie zur lernbegleitenden Diagnostik im Bereich der Aussprache). Kerstin neigt dazu, mehrere Fachkonzepte gleichzeitig zu verwenden. Die Aneinanderreihung von mehreren, teils sich widersprechenden Konzepten ohne konkrete Belege deutet auf Effekte der sozialen Erwünschtheit hin (je mehr Fachkonzepte, desto besser) und zeigt auch, dass sich Kerstin der Reichweite von bestimmten Fachkonzepten nicht hinreichend bewusst ist. Dennoch demonstriert der von der Präzur Post-Analyse feststellbare Anstieg der Klassifizierungen, dass Kerstin am Ende des Seminars Fachkonzepte schlüssig nutzen kann, um Ziele, Lerngegenstände oder Lernprozesse zu klassifizieren. 35% 3% 2% 2% 9% 8% 5% 15% 3% 5% 8% 3% 1% 2% Kerstin, Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (n=110) Diagramm 34: Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs, N=110 (Kerstin) Bezogen auf die selektierten Situationen in allen 6 Analysen (N=110) wird mehr als jede dritte Situation bewertet. Plausible und nachvollziehbare Klassifizie‐ rungen liegen für 15% aller Situationen und in allen Analysen vor (vgl. Dia‐ gramm 26). Für 8% der selektierten Situationen trifft Kerstin begründete und dif‐ ferenzierte Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse. Auffällig ist, dass im Video „Perfect Job“ keine nachvollziehbaren Vorhersagen über Lerneffekte gemacht werden. Klassifizierungen Mehr als ein Viertel (28%) aller selektierten Situationen klassifiziert Kerstin mit einem Fachkonzept in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise (Klassifizie‐ rungen 2 & 3; Vorhersagen 3). Allerdings ist auch am Ende des Seminars die Klassifizierung von Situationen mit Fachkonzepten nicht sicher, da im letzten Unterrichtsvideo in vier Fällen das Fachkonzept oder einige seiner Merkmale nicht zur konkreten Situation passt. Allerdings scheint der Anteil der zutreff‐ enden Klassifizierungen bei Kerstin durchaus mit dem konkreten Unterrichts‐ video in einem Zusammenhang zu stehen. So ist der Anteil von nicht zutreff‐ enden Klassifizierungen im Video „Perfect Job" deutlich größer als in den anderen ISAs (vgl. 4.3.2.1.2; 4.3.2.2.2; 4.3.2.3.1). Insgesamt fällt auf, dass Kerstin Schwierigkeiten im Umgang mit theorie- und regelhaltigen Fachkonzepten hat. Wissenslücken bestehen hinsichtlich der de‐ finitorischen Bestandteile von Konzepten wie der stands of language teaching. Dies führt zu Fehlklassifizierungen. Insgesamt ist aber eine Intensivierung der 281 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="282"?> wissensbasierten Argumentation feststellbar (25% aller Situationen in ISA III werden klassifiziert); gleichzeitig ist die Zahl der beschriebenen Situationen rückläufig. Keine der Klassifizierungen mit einem Fachkonzept, die Kerstin im Video „Perfect Job“ vornimmt, verknüpft definitorische Merkmale eines Kon‐ zepts so mit einer Situation, dass nachvollziehbar ist, warum eine konkrete Si‐ tuation aus dem Video mit dem Konzept klassifiziert wird. Kerstin hat einen selbstständigen, aber nicht immer ganz widerspruchsfreien Umgang mit Fachkonzepten entwickelt (z. B. learning burden) und einzelne Fach‐ konzepte um eigene Facetten erweitert (vgl. ISA II, Einschätzung der learning burden als Strategie zur lernbegleitenden Diagnostik im Bereich der Aussprache). Kerstin neigt dazu, mehrere Fachkonzepte gleichzeitig zu verwenden. Die Aneinanderreihung von mehreren, teils sich widersprechenden Konzepten ohne konkrete Belege deutet auf Effekte der sozialen Erwünschtheit hin (je mehr Fachkonzepte, desto besser) und zeigt auch, dass sich Kerstin der Reichweite von bestimmten Fachkonzepten nicht hinreichend bewusst ist. Dennoch de‐ monstriert der von der Präzur Post-Analyse feststellbare Anstieg der Klassifi‐ zierungen, dass Kerstin am Ende des Seminars Fachkonzepte schlüssig nutzen kann, um Ziele, Lerngegenstände oder Lernprozesse zu klassifizieren. Vorhersagen Kerstin zeigt bereits ab ISA I, dass sie in der Lage ist, lernrelevante Merkmale der Stunde (z. B. Aufgabenstellungen) mit Lernergebnissen in Beziehung zu setzen. Sie kann Lerneffekte antizipieren und differenziert bilanzieren. Dabei diagnostiziert sie auch Diskrepanzen zwischen dem antizipierten und dem re‐ alen Effekt. Einzelne Situationen zeichnet sie mitunter minutiös nach (z. B. Ge‐ brauch einer non-verbalen Semantisierungsstrategie). Kerstin ist in der Lage, Lernprozesse (generative use) und das Maß ihrer Ausprägung (degree of genera‐ tion) ausführlich und in nachvollziehbarer Weise anhand der definitorischen Merkmale des Konzepts herauszuarbeiten und Rückschlüsse auf Vorkenntnisse der Schüler zu ziehen. Sie nimmt Lernschwierigkeiten von Schülern wahr oder inferiert diese, falls sie nicht direkt beobachtbar sind. Alternativen Alternativen liefern Hinweise auf Kerstins Verständnis von gutem Fremdspra‐ chenunterricht: Dieser sollte möglichst viele Gelegenheiten zum kontextuali‐ sierten, kommunikativen Gebrauch von Wortschatz bieten. Dieser Fokus auf den Gebrauch und das kontextualisierte Wortschatzlernen findet sich in meh‐ reren Passagen, die für die Domäne Lexikalisches Lernen Schlüsselszenen dar‐ stellen. Insgesamt hat sie recht konkrete Vorstellungen über den Fortgang des 282 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="283"?> Unterrichts (basierend auf eigenen, umfangreichen praktischen Unterrichtser‐ fahrungen), aber nur wenige Alternativen haben das Potenzial, lexikalisches Lernen zu optimieren. Themen der Bewertungen und Subjektperspektive Ein großes Thema in Kerstins Analysen ist die lernunterstützende Kommuni‐ kation. Die fünf Bewertungen im Hinblick auf Perinos Lehrer- und Kommuni‐ kationsverhalten fallen positiv aus. Lernunterstützende und verständnissi‐ chernde Unterrichtskommunikation hebt Kerstin an zahlreichen Stellen hervor (besonders in ISA Post). Vertiefende Erläuterungen und strukturierte Tafelan‐ schriebe interpretiert Kerstin gleichermaßen als eine realistische Form der Lern‐ unterstützung im Hinblick auf das Verstehen und Behalten von Wortschatz. Sie vermeidet es jedoch, diese Situationen überzuinterpretieren und die Ausbildung lexikalischer Bewusstheit anzunehmen. Kerstins subjektive Perspektive auf Wortschatzlernen, dass isoliertes und kon‐ textunabhängiges Wortschatzlernen die größte Herausforderung beim Wortschatz‐ lernen darstellt, spiegelt sich stark in ihren Analysen wider. Kerstin identifiziert häufig idiomatische Wendungen, Mehrworteinheiten und Kollokationen als Lern‐ gegenstände. Kerstin hält das lexis grammar continuum als Prinzip für bedeutsam im Hinblick auf die Entwicklung kommunikativer Kompetenz. Sie hebt z. B. in der Post-Analyse hervor, dass Perino häufig Redewendungen thematisiert und Lern‐ ende so in die Lage versetzt, authentisch zu kommunizieren. Fachkonzepte aus dem Seminar und die Subjektperspektive („kontextuali‐ siertes Wortschatzlernen ist wichtig“) zusammengenommen haben nun dazu geführt, dass Kerstin genau solche Szenen fokussiert, in denen es um Ge‐ brauchsaspekte (aspects of word knowledge: use) geht. Die Subjektperspektive alleine, also die Überzeugung, dass kontextualisiertes Wortschatzlernen wichtig ist, hat zumindest nicht zu einer Selektion von entsprechenden Situationen in der Prä-Analyse geführt. 283 4.3 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kerstin <?page no="284"?> 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna 4.4.1 Kurzbeschreibung des Falls Anna Anna studiert im sechsten Semester Anglistik und Sozialwissenschaft für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen (Sekundarstufe I und II). In ihrem Studium mit dem Schwerpunkt Literaturwissenschaften hat sie bislang drei fach‐ didaktische Lehrveranstaltungen besucht. Eine bildungswissenschaftliche Lehr‐ veranstaltung zum Thema Unterrichtsbeobachtung hat sie nicht besucht. Anna hat unterrichtspraktische Erfahrungen in zwei sechswöchigen Praktika gesam‐ melt: Im ersten Praktikum sammelte sie Erfahrungen als Englischlehrerin, im zweiten als Deutsch- und Literaturlehrerin. Eine Fremdsprache erlernt man aus ihrer Sicht am besten „in der direkten Umgebung, in der diese Sprache gespro‐ chen wird“. Für den Aufbau eines differenzierten und umfangreichen Wort‐ schatzes ist es wichtig, dass der Lehrer „sich mit verschiedenen Themen beschäf‐ tigt, die sich auf die Realität beziehen“. Die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen besteht darin, einmal gelernte Wörter zu behalten und sie nicht nach einiger Zeit wieder zu vergessen. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson die neuen Wörter in der Kommunikation mit den Schülern nutzen, sodass „neuer Wortschatz im Gespräch immer auftaucht“. 4.4.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Anna: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.4.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) In dieser ersten Analyse von Anna sind Ansätze einer wissensbasierten Verarbei‐ tung des Unterrichts erkennbar. Anna klassifiziert nahezu die Hälfte aller selek‐ tierten Situationen mit einem Fachkonzept; allerdings ist die Klassifizierung nur in zwei Fällen zutreffend und hinreichend durch den Bezug zum Video belegt. Die Vorhersagen von Lerneffekten sind nicht nachvollziehbar, weil lernrelevante Merkmale der Unterrichtssituation nicht identifiziert werden. Eine Alternative hat das Potenzial, lexikalisches Lernen zu fördern, bleibt aber zu allgemein. 284 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="285"?> 182 4.4.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) In dieser ersten Analyse von Anna sind Ansätze einer wissensbasierten Verarbeitung des Unterrichts erkennbar. Anna klassifiziert nahezu die Hälfte aller selektierten Situationen mit einem Fachkonzept; allerdings ist die Klassifizierung nur in zwei Fällen zutreffend und hinreichend durch den Bezug zum Video belegt. Die Vorhersagen von Lerneffekten sind nicht nachvollziehbar, weil lernrelevante Merkmale der Unterrichtssituation nicht identifiziert werden. Eine Alternative hat das Potenzial, lexikalisches Lernen zu fördern, bleibt aber zu allgemein. Diagramm 35: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I (Anna) 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Anna ISA I, n=15 Diagramm 35: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA I (Anna) Beschreibungen Anna abstrahiert vom Unterrichtsgeschehen und erkennt eine allgemeine Ziel‐ orientierung in der Stunde, die sie aber losgelöst vom Thema betrachtet. The teacher's main goal was to teach pupils to use their second language both recep‐ tively and productively. Pupils were engaged in deep thinking about matters which were relevant to the topic of the lesson, through teacher's challenging questions du‐ ring communication. (Anna ISA I, 4) Anna interpretiert das vom Lehrer gelenkte Unterrichtsgespräch als Kommu‐ nikation. Die Zielrichtung und den Verlauf des Unterrichtsgesprächs zeichnet Anna jedoch nicht im Detail nach. The emphasis was put on listening and speaking activities in this lesson. The pupils were mostly encouraged to use lexical phrases productively while communicating, on the basis of the listening task. The topic of the lesson was “Misunderstandings between people of different countries”. (Anna ISA I, 6) In einer weiteren, konkreten Beschreibung einer Situation gibt Anna den Ar‐ beitsauftrag des zweiten Teils der Stunde wieder. They were asked to focus on critical remarks about a country and positive remarks about their own country, which were mentioned in dialogues for listening. (Anna ISA I, 10) 285 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="286"?> Klassifizierungen Anna greift zwar auf Fachkonzepte zurück, allerdings sind die Klassifizierungen nur in zwei Fällen schlüssig und an eine konkrete Situation zurückgebunden. Be‐ trachten wir zunächst etwas genauer die Klassifizierungen auf Stufe 1 und 2. Anna bezieht das Konzept retrieval auf die Situation, in der der Lehrer die Funktion von would erklärt. Ein aktives Erinnern von grammatischen Kontexten, in denen would gebraucht werden kann, ist im Unterricht jedoch nicht nachweisbar. Pupils also had to retrieve in what grammatical contexts (conditional mood) they could use this word. The teacher reminded this for learners and explained that such words as “would, could, might“ express a certain doubt about an action. (Anna ISA I, 14) Anna nutzt das Fachkonzept der strands zur Beschreibung der Zielorientierung der Stunde. Sie sieht alle vier „Standbeine“ in der Stunde verwirklicht. Die Ge‐ wichtung, dass es nur sehr wenige Elemente von explizitem lexikalischem Lernen gibt, ist jedoch durch den Unterricht im Video nicht gedeckt. In der Zusammen‐ schau ist der Unterricht in dem Video „Misunderstandings“ eher dem „Standbein“ language-focused learning als meaning-focused output zuzuordnen (vgl. 3.5.5.2). In this lesson the teacher often used the meaning-focused input and the meaning-fo‐ cused output strands for lexical learning. There are also some cases of fluency develop‐ ment in the process of communication between the teacher and his pupils, and bet‐ ween pupils themselves. There are only few examples of language focused learning. (Anna ISA I, 2) Anna nimmt weiter eine Gelegenheit zur Förderung der lexikalischen Bewusst‐ heit in der Stunde wahr. Dies geschieht in der Phase, in welcher der Lehrer die Bedeutung der Phrase good appetite erläutert. Das Artikulieren der eigenen Meinung durch kreativen Gebrauch des Sprachmaterials sieht man in der Phase, auf die sich Anna bezieht, jedoch nicht. Der lernerseitige Umgang mit den Wen‐ dungen aus dem ersten Dialog, die zu Missverständnissen geführt haben, ist rezeptiv bzw. analytisch. Konkrete Gelegenheiten für den Gebrauch der Wen‐ dungen aus dem Dialog sind in dem für die Videovignette gewählten Ausschnitt des Unterrichts nicht erkennbar. The teacher also supported his pupils in such learning processes as receptive and productive retrieval. He encouraged generative usage of the second language as well, by forcing children to express opinions in their own way. In this lesson creative usage of lexical items also implied using some phrases in different contexts and with differ‐ ent meanings. For example, a phrase “to have a good appetite“, which was introduced in the reading task, meant not only “to have a good meal“ but also “to be able to eat 286 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="287"?> in big portions“. Sometimes the teacher focused pupils' attention on their lexical awa‐ reness by means of explanation of relevant lexical phrases. (Anna ISA I, 5) Anna klassifiziert die in der Gruppenarbeit vermutlich ablaufenden Prozesse im Rückgriff auf die Lernprozesse nach Nation (2001: 63ff.). Grundsätzlich trifft die Beschreibung der im Zuge einer Konversation ablaufenden Prozesse zu. Aller‐ dings bleibt sie konkrete Belege und Beispiele aus der Stunde schuldig. Learners were encouraged to work in groups and to participate actively in classroom negotiations. Through such mutual conversations, the pupils were challenged to use their lexical knowledge generatively, to recall lexical items and their meanings. (Anna ISA I, 11) In einer anderen Passage ist ein selbstständiger Umgang mit Fachkonzepten erkennbar. Anna interpretiert das Aushandeln von Bedeutungen als Kommuni‐ kation über semantische Relationen. Als Beleg führt sie die Situation an, in der die Schüler den Dialog zwischen dem Deutschen und der Amerikanerin als Flirt charakterisieren. Auf die Frage des Lehrers, wie man das Gespräch etwas neu‐ traler beschreiben könnte, nennt eine Schülerin die Kollokation to give s.o. a compliment, die der Lehrer daraufhin korrigiert („to pay s.o. a compliment“). Die semantische Beziehung der beiden Wendungen to pay s.o. a compliment und flirting ist jedoch mehr durch Synomymie als durch semantische Verknüp‐ fungen gekennzeichnet. Den Lehrerprompt, mit dem der Lehrer auf einen neu‐ traleren Ausdruck abzielt („And if we say that a little more, eh put that a little more neutrally, we don't talk about flirting, what else could we say? ” (Video „Misunderstandings”, 9: 25), gibt Anna jedoch ungenau wieder. Pupils' lexical learning was also encouraged on the basis of communicating semantic relations between words and phrases. That is learners were motivated to think about associations while explaining a word meaning. For example, a learner was asked to explain how she understood that a boy and a girl in a dialogue were “flirting“. What words were associated with the process of “flirting“ in the dialogue. The pupil recalled that a boy made a compliment to a girl. The teacher agreed and explained that making compliments, that is making someone feel good, belonged to “flirting“. (Anna ISA I, 16) Anna hat richtig erfasst, dass es in der Stunde weniger um Einzelwörter geht, sondern dass ein breites Spektrum von lexikalischen Mitteln Unterrichtsgegen‐ stand ist. Dass es keine Dekontextualisierung gibt, wie Anna meint, ist jedoch eine Einschätzung, die durch das Unterrichtstranskript nicht gestützt werden kann. Die Funktion von einzelnen Wörtern und Wendungen wird innerhalb und außerhalb des gegebenen Kontextes thematisiert. 287 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="288"?> L Which phrases did you find? 00: 11: 49 L Let's start with the critical remarks. 00: 11: 52 L Jasmin. 00: 11: 53 S Eh, she says things like 'there may be', or 'I often heard' or, eh, 'I don't understand'. 00: 11: 59 C L schreibt diese Phrasen an die Tafel in die Spalte 'critical remarks...'. 00: 12: 02 Tabelle 45: Auszug aus dem Video „Misunderstandings“ Nevertheless, they were mostly focused on lexis-grammar continuum of lexical learn‐ ing that is on using lexical phrases and language collocations, but not on single aspects of word knowledge, and not on isolated words. Therefore, the learning process of decontextualization, which includes paying attention on single lexical items, is rare‐ ly involved in this lesson. (Anna ISA I, 8) Insgesamt stehen die im Seminar vermittelten Konzepte (incidental learning, negotiation of meaning, generative use, retrieval) zur Beschreibung von Lern‐ prozessen und Zielorientierungen in hohem Maße (vgl. Diagramm 35) zur Ver‐ fügung, um Situationen aus diesem Video wissensbasiert zu interpretieren. Al‐ lerdings reiht Anna häufig Fachkonzepte aneinander und nutzt sie quasi „in einem Atemzug“. Hierunter leidet die Passung zwischen den Fachkonzepten, ihren Merkmalen und dem konkreten Unterrichtsgeschehen. Dass Anna bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Seminars Fachkonzepte in großer Anzahl in ihre Analyse einbringt, ist jedoch im Hinblick auf die Frage nach der Verfügbarkeit von Fachkonzepten positiv zu verbuchen. Es bleibt zu sehen, ob sich bei Anna eine Entwicklung hin zu einem präziseren Gebrauch von Fachkonzepten ein‐ stellt (vgl. 4.4.3). Vorhersagen Zwei von drei Vorhersagen sind nicht nachvollziehbar, weil der Bezug zum Un‐ terrichtsvideo fehlt bzw. nicht zutreffend ist. So gibt es keinen Beleg dafür, dass die Lernenden diejenigen Redemittel, die sie durch Analyse der beiden Ge‐ spräche herausgearbeitet haben, auch im Gespräch nutzen können. Der Ge‐ brauch eines themenbezogenen Wortschatzes und der aktive Gebrauch von Re‐ demitteln zur Meinungsäußerung stehen eher im Hintergrund der Stunde. 288 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="289"?> Pupils learned how to use lexical phrases appropriately which must be related to the topic. They understood information which was involved in listening, and were able to use it in their speech. Learners also memorized some words while speaking in order to express their opinions better. (Anna ISA I, 7) Anna meint, dass unterschiedliche Formen höflichen Sprachgebrauchs nun für die Sprachproduktion verfügbar sind. Zwar enthält das Unterrichtsvideo einen Ausblick auf die nachfolgende Aufgabe, in der die Schüler drei Sätze über ein anderes Land schreiben sollen, ohne unhöflich oder arrogant zu wirken. In den ersten beiden Phasen des Unterrichts liegt der Schwerpunkt jedoch überwiegend auf dem analytisch-rezeptiven Umgang und der Bewusstseinsschärfung für be‐ stimmte Registervarianten. Pupils learned to use their language elaborately, while discussing relevant matters with the teacher. They also learned how to use different forms of politeness in com‐ munication in order to be not rude or arrogant with interlocutors from other countries. (Anna ISA I, 9) Anna erkennt, dass in dem Unterricht das Aushandeln von Bedeutungen und das Abrufen lexikalischer Mittel eine Rolle spielen; einen konkreten Beleg dafür, inwieweit durch die beiden Prozesse das Behalten von konkreten Wörtern ge‐ fördert worden ist, bleibt sie jedoch schuldig. Insgesamt liegt der Fokus in dieser Stunde jedoch nicht auf der Steigerung der Behaltensleistung. Negotiation and retrieval strengthened their memory of lexical knowledge. (Anna ISA I, 16) Alternativen Anna sieht in der Stunde überwiegend beiläufiges Wortschatzlernen realisiert und würde den Anteil expliziten Wortschatzlernens erhöhen und einzelne Wörter und Wendungen thematisieren. If I were to teach this lesson, I would pay more attention on intentional learning and on using a language focused strand. I think the teacher was mostly concentrated on incidental learning of lexical items. (Anna ISA I, 17) Anna kritisiert, dass der Lehrer Wörter aus den Hörtexten nicht vor der Textprä‐ sentation einführt. In ihrer Alternative bleibt sie allgemein und vermeidet es, konkrete Wörter für die Vorentlastung oder die Nachbesprechung zu nennen. Eine Vorentlastung über einen Tafelanschrieb ist jedoch keine fachdidaktische Notwendigkeit, weil diejenigen Wörter, die zu den Missverständnissen führen, den Schülern überwiegend bekannt sind (card, appetite) und im Falle von to fart 289 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="290"?> den Humor vorwegnehmen würden. Für einzelne Wörter wie z. B. disappro‐ vingly und fart würde eine Vorentlastung Sinn machen, weil gerade diese Wörter den Schlüssel für die Peinlichkeit am Ende der Szene liefern („Finally as you leave, you say 'Gute Fahrt', as we say in Germany. One of the party laughs loudly and is given disapproving looks by the others“ (Video „Misunderstandings”, 2: 26)). The teacher encouraged productive usage of the second language by means of com‐ munication and speaking tasks, but he didn't put emphasis on exact words and phrases. The teacher was more focused on usage of whole sentences. He also didn't introduce some possible troublesome words, which were in listening and reading tasks, in the beginning. He simply involved pupils in doing their tasks immediately, without paying deliberate attention on words and phrases which were relevant to the topic of the lesson. I would introduce and write these words on the blackboard before reading and listening activities. I think lexical learning was more general and not precise enough in this lesson. (Anna ISA I, 17) 4.4.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Im Vergleich zu ISA I (N=15) selektiert Anna in diesem Video deutlich weniger Situationen (N=7). Eine Erklärung für die kürzere Analyse könnte darin liegen, dass Anna Gymnasiallehrerin werden will und sie sich für den Englischunter‐ richt der zweiten Klasse nicht „zuständig“ fühlt. 4.4.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Im Vergleich zu ISA I (N=15) selektiert Anna in diesem Video deutlich weniger Situationen (N=7). Eine Erklärung für die kürzere Analyse könnte darin liegen, dass Anna Gymnasiallehrerin werden will und sie sich für den Englischunterricht der zweiten Klasse nicht „zuständig“ fühlt. Diagramm 36: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA II (Anna) Beschreibungen Anna charakterisiert die Lehrer-Schüler-Interaktion als zielführend für die Förderung lexikalischen Lernens. Sie stellt außerdem heraus, dass alle Lernenden in dieser Stunde aktiv sind, und verweist auf das allgemeine Qualitätsmerkmal der Schüleraktivierung. In the beginning learners practised new words with the teacher. There was a direct teacher-learner communication which encouraged lexical learning. The teacher engaged all children to be active in the lesson. (Anna ISA II, 22-24) 0 1 2 3 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Anna ISA II, n=7 Diagramm 36: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA II (Anna) 290 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="291"?> Beschreibungen Anna charakterisiert die Lehrer-Schüler-Interaktion als zielführend für die För‐ derung lexikalischen Lernens. Sie stellt außerdem heraus, dass alle Lernenden in dieser Stunde aktiv sind, und verweist auf das allgemeine Qualitätsmerkmal der Schüleraktivierung. In the beginning learners practised new words with the teacher. There was a direct teacher-learner communication which encouraged lexical learning. The teacher en‐ gaged all children to be active in the lesson. (Anna ISA II, 22-24) Klassifizierungen Anna weist der Stunde richtig das „Standbein“ language-focused learning zu und führt als Beleg konkrete Aktivitäten aus der Stunde an. Für die Klassifizierung der Stunde mit dem „Standbein“ fluency development bleibt sie allerdings einen konkreten Beleg schuldig. Das Blitzlesen in der zweiten Phase soll das automa‐ tische Erkennen von Wörtern am Schriftbild fördern. Insofern gibt es Indika‐ toren für beide „Standbeine“ in der Stunde. The aim of the teacher in this lesson was practising of new words in order to strength‐ en her pupils' memory and knowledge of these words. I think the most frequently used strands are: the language focused strand and the fluency development. The teach‐ er put emphasis on repetition of new lexical items, and communicated the meaning of this lexis with the help of cards with pictures. She paid main attention on teaching isolated, separate words. Therefore, she was focused on deliberate instruction of lex‐ ical items. (Anna ISA II, 2-7) Vorhersagen Eine Vorhersage von Lerneffekten gelingt nur im Ansatz. Dies liegt daran, dass Anna zum einen nicht hinreichend zwischen den Zielen der Phasen Blitzlesen und Kugellager differenziert und sie zum anderen Fachkonzepte neu kombiniert (re‐ ceptive recall). Sie verfügt zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht sicher über das Fachkonzept retrieval. Die Unterscheidung von aktivem Erinnern und dem Wie‐ dererkennen von Wörtern ist jedoch zentral, um die Ziele lexikalischen Lernens der jeweiligen Phase exakt beschreiben zu können. Das Aussprechen der Wörter, was eigentlich ein lautes Vorlesen ist, wird von ihr als produktives Wiederholen aufgefasst („repeat it productively“), was auf die Situation nicht zutrifft. In this lesson pupils understood, memorized and used new words very well. In the next half of the lesson they were engaged in receptive and productive retrieval of lexis with the help of the following task. The teacher asked learners to look at the cards and read words which were written on them. Nevertheless, she showed a word card 291 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="292"?> only for a short time and then challenged pupils to recognize the word and guess it quickly. Therefore, learners were engaged in receptive recall of new lexis while per‐ ceiving it quickly, they were also motivated to repeat it productively while speaking and answering. (Anna ISA II, 13-18) Anna schreibt der Kugellagermethode eine die Behaltensleistung fördernde Wirkung zu. Die spezifischen, lernwirksamen Elemente der Situation werden jedoch nicht näher beschrieben, so dass die Vorhersage des Lerneffekts allgem‐ einer Natur und nur teilweise nachvollziehbar ist. Words were subsequently retrieved during the task which contributed to strengthe‐ ning their lexical memory. Pupils learned the core meanings of new words. They also learned how to pronounce them correctly while repeating them after the teacher. (Anna ISA II, 19-20) Die Situation, in der die Lehrerin die Lernenden fragt, wie oft ein Wort geübt werden solle, ist eine Schlüsselszene der Stunde. Das Potenzial dieser Übung liegt darin, dass die Lernenden am Ende Wörter flüssig in der Alltagssprache gebrauchen können. Die Frage zielt auf die Einschätzung der Lernschwierigkeit eines Wortes (learning burden). Anna erkennt auch richtig, dass diese Phase eine Dekontextualisierung von Wörtern voraussetzt. Diese Vorhersage darf ange‐ zweifelt werden, weil es für den flüssigen Gebrauch in alltäglichen Kommuni‐ kationssituationen weiterer Übungsanlässe bedarf. Solche Übungskontexte sollten die Wörter des Wortfeldes „Essen und Trinken“ in realitätsnahe Kontexte (z. B. „For breakfeast I always have …“) einbetten und nicht allein das aktive Erinnern der einzelnen Lexeme trainieren. Die Klassifizierung (Dekontextuali‐ sierung, Reflexion der Lernschwierigkeit) und die Zielorientierung der Situation stehen in Annas Analyse in einem Widerspruch. Anna verkennt außerdem, dass es in dieser Phase nicht um das Vermitteln neuen Wortschatzes geht. After introducing each word with a card, she asked her pupils: “How many times do we need to practise this word? “ This task addresses the learning burden of given items, i.e. the more difficult a word is, the more times learners need to repeat this word in order to learn and remember it better. Pupils repeated some words only 3 times, some of them 5 times and other even 10 times, according to their own estimation of a lexical difficulty. This repetition task also encourages learners to be fluent in using lexical items productively, i.e. in everyday speech. Therefore, the teacher was mostly concentrated on decontextualization and repetition while teaching new words. (Anna ISA II, 8-12) 292 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="293"?> Alternativen Die einzige Alternative, welche Anna für den im Video gezeigten Unterricht entwickelt, basiert auf der Beobachtung, dass die Lehrerin keine Übungsmög‐ lichkeit für die geschriebene Form des Wortes anbietet. Schreibaktivitäten auf Wortebene und darüber hinaus sind jedoch fester Bestandteil des Grundschu‐ lenglischunterrichts und daher eine sinnvolle und notwendige Ergänzung (vgl. Rymarczyk 2008, 2010). Auch die Einbettung der Wörter in Schreibaufgaben ist eine sinnvolle Erweiterung, die zur Optimierung lexikalischen Lernens in dieser Situation beiträgt. If I were to teach this lesson, I would definitely pay more attention on writing tasks. The teacher provided no activities in order to facilitate learners' knowledge of how to write these words correctly, and gave no learning strategies with respect to proper writing. I would encourage pupils to write lexical items several times on the black‐ board, or provide a word dictation in order to see whether their writing is correct. To know a core meaning and pronunciation of a word is not enough for lexical learning. I would also provide some tasks which would support using these words in sentences, dialogues or different contexts. (Anna ISA II, 32-38) 4.4.2.3 Video „Drive me crazy“ (Jgst. 6) In dem Video „Drive me crazy“ übt der Lehrer mit den Lernenden einen Dialog ein, den die Schüler am Ende der Stunde mit einem Partner vorspielen. In diesem Video hat Anna mit insgesamt 25 Situationen die meisten Situationen selektiert und analysiert. Vierzehn Situationen, also mehr als die Hälfte aller Situationen, werden mit einem Fachkonzept klassifiziert. Allerdings sind von allen Klassifi‐ zierungen, die Anna in diesem Video vornimmt, nur zwei zutreffend und voll‐ ständig nachvollziehbar. Lernergebnisse werden für fünf Situationen (20%) vor‐ hergesagt, die Vorhersagen sind aber nur in einem Fall plausibel und nachvollziehbar. Ein Fünftel aller Situationen wird beschrieben, wobei die ab‐ strakten Beschreibungen mit einer Interpretation des Unterrichtsgeschehens auf die Ziele hin überwiegen. 293 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="294"?> 188 Situationen selektiert und analysiert. Vierzehn Situationen, also mehr als die Hälfte aller Situationen, werden mit einem Fachkonzept klassifiziert. Allerdings sind von allen Klassifizierungen, die Anna in diesem Video vornimmt, nur zwei zutreffend und vollständig nachvollziehbar. Lernergebnisse werden für fünf Situationen (20%) vorhergesagt, die Vorhersagen sind aber nur in einem Fall plausibel und nachvollziehbar. Ein Fünftel aller Situationen wird beschrieben, wobei die abstraken Beschreibungen mit einer Interpretation des Unterrichtsgeschehens auf die Ziele hin überwiegen. Diagramm 37: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA III (Anna) Beschreibungen Eine Beschreibung von Anna deckt sich nur ansatzweise mit dem im Video gezeigten Unterricht. Dass der Lehrer den kreativen Gebrauch von Wörtern lehrt, trifft allenfalls auf die Situation zu, in der er erklärt, dass die Wendung drive s.o. crazy von to drive a car abgeleitet werden kann. Unklar ist, ob sich diese Aussage auf eine konkrete Situation bezieht. Die Verwendung der Pluralform („lexical items“) deutet darauf hin, dass Anna diese Aussage auf die Ausrichtung der gesamten Stunde bezieht. The teacher taught how to use lexical items generatively and creatively. (Anna ISA III, 16) Die Situation, in welcher der Lehrer fragt: „Which sentence do you like best? “ wird von Anna nacherzählt. Eine Reflexion darüber, warum die Lernenden den Satz „This boy is driving me crazy“ als ihren Lieblingssatz gewählt haben, ist nicht erkennbar (Anna ISA III, 62). Wie schon in ISA II spiegelt sich in dieser Interpretation das Prinzip „Schüleraktivierung“ wider, welches sich in Annas Analysen wiederholt als Orientierungsrahmen findet. Insgesamt scheint die Stunde bei Anna den Eindruck zu hinterlassen, dass jeder Lerner im Lehr-Lernprozess involviert ist. Diese Beobachtung stützt Anna mit Verweis auf die hohe Präsenz des Lehrers und auf die zahlreichen Gelegenheiten zum Nach- oder Mitsprechen, ohne dabei konkreter auf Situationen einzugehen. Each learner was involved in this learning process because the teacher motivated every child to be active, and after that encouraged the whole class to repeat relevant sentences together. (Anna ISA III, 14-15) 0123456789 Anazhl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Anna ISA III, n=25 Diagramm 37: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA III (Anna) Beschreibungen Eine Beschreibung von Anna deckt sich nur ansatzweise mit dem im Video ge‐ zeigten Unterricht. Dass der Lehrer den kreativen Gebrauch von Wörtern lehrt, trifft allenfalls auf die Situation zu, in der er erklärt, dass die Wendung drive s.o. crazy von drive a car abgeleitet werden kann. Unklar ist, ob sich diese Aussage auf eine konkrete Situation bezieht. Die Verwendung der Pluralform („lexical items“) deutet darauf hin, dass Anna diese Aussage auf die Ausrichtung der gesamten Stunde bezieht. The teacher taught how to use lexical items generatively and creatively. (Anna ISA III, 16) Die Situation, in welcher der Lehrer fragt: „Which sentence do you like best? “ wird von Anna nacherzählt. Eine Reflexion darüber, warum die Lernenden den Satz „This boy is driving me crazy“ als ihren Lieblingssatz gewählt haben, ist nicht erkennbar (Anna ISA III, 62). Wie schon in ISA II spiegelt sich in dieser Interpretation das Prinzip Schü‐ leraktivierung wider, welches sich in Annas Analysen wiederholt als Orientie‐ rungsrahmen findet. Insgesamt scheint die Stunde bei Anna den Eindruck zu hinterlassen, dass jeder Lerner im Lehr-Lernprozess involviert ist. Diese Be‐ obachtung stützt Anna mit Verweis auf die hohe Präsenz des Lehrers und auf die zahlreichen Gelegenheiten zum Nach- oder Mitsprechen, ohne dabei kon‐ kreter auf Situationen einzugehen. 294 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="295"?> Each learner was involved in this learning process because the teacher motivated every child to be active, and after that encouraged the whole class to repeat relevant sentences together. (Anna ISA III, 14-15) Klassifizierungen Auffällig ist in dieser Analyse, dass Anna zwar häufig Fachkonzepte gebraucht; die Klassifizierung von Lerngegenständen oder Maßnahmen der Lernunterstüt‐ zung ist jedoch nur in drei von acht Situationen zutreffend, weil das Fachkonzept oder einige seiner Merkmale nicht zur konkreten Situation passen. In einem Fall erfindet Anna ein neues Fachkonzept. Wenn Anna die Stunde mit dem „Standbein“ meaning-focused output klassi‐ fiziert und sie Gelegenheiten für Kommunikation und Interaktion in dieser Stunde reichlich gegeben sieht, kommt man nicht umhin, dies als eine Fehlin‐ terpretation zu werten (vgl. 3.5.5.4). Much attention was paid on communication and interaction in the class, which is included in the meaning-focused output strand. (Anna ISA III, 5-6) Communication and interaction were main activities in this lesson. (Anna ISA III, 65) Anna meint, dass die Integration von Wortschatz ein zentrales Ziel des Lehrers in dieser Stunde sei. Unklar bleibt, was Anna genau damit meint: Geht es um die Integration neuer Wörter in das mentale Lexikon? Oder geht es eher um die Steigerung der Behaltensleistung? Da sie herausstellt, dass die Lernenden häufig mit denselben Wörtern umgehen, könnte das Letztgenannte gemeint sein. Das Ziel der Stunde erschöpft sich jedoch nicht in der Übung einzelner Wörter. The lexical integration, as the teacher's goal, was also supported through constant engagement activities. The learners were often exposed to the same lexical items and the whole time of the lesson was spent on practising them. (Anna ISA III, 29-32) Anna sieht alle „Standbeine“ in dieser Stunde in ausgewogener Form verwirk‐ licht, was als ein Indiz dafür gelten kann, dass Anna glaubt, dass alle strands in ein und derselben Stunde verwirklicht sein müssen. Dies spiegelt sich auch in der Begründung für die positive Bewertung der Stunde wider. In my opinion, this is quite a good lesson because, as I said, there was almost complete balance between all of four strands. (Anna ISA III, 75-76) Auch wenn Anna die Zielorientierung der Stunde treffend mit den entspre‐ chenden strands klassifiziert hat, bleibt sie eine nähere Begründung dieser Klas‐ sifizierung oder Verweise auf das konkrete Unterrichtsgeschehen schuldig. In einer anderen Textstelle drückt sie ihre Auffassung aus, dass innerhalb einer 295 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="296"?> Stunde alle „Standbeine“ verwirklicht sein müssen. Ein anderes Thema ist das Fehlen von schriftlichen Aufgaben und Schreibaktivitäten, welches Anna in dieser Stunde anmahnt. There is a good balance between four strands of language teaching. The only activity which is missed is writing. Emphasis was put on the meaning-focused input and fluency development strands. Language focused learning was also significant in this lesson. (Anna ISA III, 2-5) Fragwürdig erscheint die Klassifizierung der Richtig-falsch-Hörverstehens‐ übung. Diese Übung zielt einzig auf die Überprüfung des Detailverstehens und hat wenig Potenzial, das intentionale Wortschatzlernen zu fördern oder gar die lexikalische Bewusstheit zu fördern, wie Anna meint. [A]nother task when the teacher said “tell me what is right and what is wrong“ ad‐ dressed intentional learning. That is this task involved language focused learning and raised lexical awareness whether words and sentences were used correctly and com‐ pletely or not. (Anna ISA III, 55-57) Anna meint, dass die Frage nach dem schwierigsten Satz im Dialog die Ler‐ nenden dazu anregt, die Lernschwierigkeit einzelner Wörter zu reflektieren. Der Lehrer fragt jedoch nicht weiter nach, warum die Lernenden einen bestimmten Satz für besonders schwierig halten. Insofern bleibt offen, worin die Ursache für die von den Lernenden empfundene Schwierigkeit liegt. Dies mag an einzelnen Wörtern liegen, wie Anna meint, kann aber auch mit prosodischen oder struk‐ turellen Merkmalen des Satzes (Inversion) zu tun haben. The teacher's question “What is the most difficult sentence here“ forced learners to reflect on the learning burden of words. For one of the pupils the most difficult sentence was “Sleeping isn't that what you do in class? “. The correct formulation and usage of “yes“ or “no“ questions may serve as a possible difficulty for learners. (Anna ISA III, 58-61) Anna hat zwar das passende „Standbein“ für die Klassifizierung der Zielorien‐ tierung der Stunde gewählt, bleibt in ihrer Begründung jedoch allgemein. Die Erwartung, dass sich durch das Einüben des Dialogs gleichzeitig Diskurs- und Kommunikationsfähigkeiten entwickeln, muss jedoch bezweifelt werden. Al‐ lenfalls wird durch die Aktivität der kontextualisierte Gebrauch von sprachli‐ chen Mitteln vorbereitet, da die lexikalischen Einheiten in den Kontext eines Rollenspiels eingebettet sind. 296 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="297"?> The fluency development strand is represented in this activity. The learners repeated the same lexical items again and improved their fluency in discourse and communi‐ cation. (Anna ISA III, 70-71) Anna interpretiert fluency in einem weiteren Sinne und verknüpft das „Stand‐ bein“ mit dem Lernprozess des aktiven Aufrufens (retrieval). Die verschiedenen Maßnahmen dienen dem Ziel, das Abrufen zu automatisieren. Another teacher's aim was to make pupils fluent in using lexical items in sentences. This aim was demonstrated in another part of the lesson which was stated as “Festi‐ gung“. It was realized with the following task: the teacher read the dialogue for the children again. The learners were supposed to repeat the text after the teacher silently and to speak it for themselves. In such a way fluency in productive retrieval and fluency in articulation of words were encouraged. (Anna ISA III, 33-37) Annas Klassifizierung der Stunde mit dem strand fluency development zeugt von einem eigenständigen Umgang mit dem Konzept. Anna wird sich darüber klar, dass fluency auch das Wiedererkennen von Wörtern betreffen kann, was in der Aktivität des Lippenlesens zum Ausdruck kommt. Anna argumentiert an dieser Stelle mit Bezug auf den konkreten Lehrerimpuls. Another task in support for fluency development was, in my opinion, the following. The teacher said: “I speak a sentence to you without saying, just like this“ (and he showed it with voiceless movements of his mouth). Pupils were supposed to recognize these lexical items while observing the movements of teacher's mouth. This task en‐ couraged fluency in receptive retrieval, i.e. in word recognition. (Anna ISA III, 38-41) Die folgende Passage ist insofern interessant, weil Anna hier ein eigenes Konzept bildet: Sie stellt heraus, dass durch das Einüben des Dialogs „kommunikative lexi‐ kalische Fertigkeiten“ entwickelt werden. Dass es sich hierbei um eine willkürliche Verknüpfung von zwei Konzepten handelt, wird am Ende der Passage deutlich: Die Arbeit am Dialog ist das kommunikative Element, während die Übung der Aus‐ sprache von einzelnen Wörtern auf die lexikalischen Fertigkeiten abzielen. The topic of the lesson was called “Arbeiten mit Dialogen“. A general goal of the lesson was claimed to be “Phonetisierung und Semantisierung“. One of the main aims of the teacher is to develop communicative lexical skills of his pupils, with the help of working with a dialogue, and to practise learners' pronunciation of lexical items. (Anna ISA III, 7-10) An anderer Stelle stellt Anna sehr detailliert dar, wie lexikalische Bewusstheit durch die Erläuterung des Unterschieds zwischen drive a car und drive me crazy gefördert wird. Zwar ist der Einsatz der Gestik zielgerichtet und unterstützt das 297 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="298"?> Verstehen. Beim Aushandeln der Bedeutung sind die Lernenden nicht aktiv be‐ teiligt, sodass es bei einer vom Lehrer initiierten Phase von rich instruction bleibt. The teacher taught how to use lexical items generatively and creatively. He negotiated and explained the meaning of a word which was used in a different context. This goal could be seen in the following: the teacher communicated the meaning of the sen‐ tence: “This boy is driving me crazy“. He provided learners with German translations like “jemanden in den Wahnsinn treiben“ in order to explain the meaning of the lexical phrase “to drive somebody crazy“. The teacher also supported his explanation with the help of expressive gestures and encouraged pupils to repeat this sentence showing these gestures as well. This instruction was also enriched by teacher's comparison with another meaning of the word “to drive“ which is realized in other context, like “to drive a car“. (Anna ISA III, 16-29) Vorhersagen Insgesamt sind die Vorhersagen von Lerneffekten allgemeiner Natur (Niveau 2) und lassen einen Rückbezug auf das Video vermissen. Rezeptives und produk‐ tives Lernen werden in dieser Passage nebeneinandergestellt, obwohl die kon‐ kreten Aufgabenstellungen in der Vorbereitung hin auf das Vorspielen des Di‐ alogs durchaus unterschiedliche Effekte haben. Children were engaged in listening to the teacher and repeating after him sentences and phrases from the dialogue. Thus this task encouraged pupils' receptive and pro‐ ductive retrieval of lexis. (Anna ISA III, 11-13) Anna konstruiert ein neues Fachkonzept (generative meaning), indem sie zwei Fachkonzepte aus dem Seminar verbindet. Eine Definition dessen, was sie genau unter generative meaning versteht, vermisst man indes, was auf eine Unsicher‐ heit im Umgang mit der Fachterminologie schließen lässt. It means that they memorized and understood its meaning because they were eager to use it. Pictures of the dialogue supported good understanding of this generative meaning as well. (Anna ISA III, 63-64) Anna trifft eine Vorhersage von Lernergebnissen mit Bezug auf das Fachkonzept aspects of word knowledge. Sie antizipiert, dass die Lernenden zu allen drei As‐ pekten des Wortschatzwissens hinzulernen. Die Situation, die sie als Beleg an‐ führt, zielt jedoch nur auf den Gebrauch (use) des Wortes overslept ab. Durch die Korrektur des Lehrers ist es möglich, dass die Lernenden verstehen, in welchem grammatischen pattern das Wort gebraucht werden kann. Eine explizite Erläu‐ terung der Fehlerursache, wie Anna sie zu sehen meint, findet jedoch im Un‐ terricht auch dann nicht statt, nachdem dieser Fehler zum wiederholten Male 298 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="299"?> aufgetreten ist (z. B. in der Form, dass to oversleep ein Vollverb ist und daher keine Form von to be benötigt wird). Welchen Effekt die mehrfache Wiederho‐ lung der korrekten Form hat, problematisiert Anna nicht weiter. Insofern bleibt die Vorhersage des Lernergebnisses undifferenziert. With the help of the above mentioned tasks, the pupils learned such aspects of word knowledge as form (spoken), meaning and use in appropriate context and in correct grammatical functions. This proper grammatical usage of lexical items was encour‐ aged by the teacher's correction and instruction. For example, the teacher drew learn‐ ers' attention to a lexical mistake that was made by one of the pupils who was acting the dialogue “Sleeping Joe“. While acting a dialogue, this pupil said: “I'm overslept“, which was not grammatically correct. The teacher corrected him and explained that it should be said: “I overslept“. Finally, he encouraged children to repeat this correct version all together. (Anna ISA III, 42-49) Anna prognostiziert, dass das Vorspielen des Dialogs das lexikalische Wissen der Lernenden festigt und grundsätzlich motivierend ist. Der wesentliche Übungseffekt wird jedoch im Bereich der flüssigen Artikulation und weniger im Bereich des Wortschatzwissens liegen. The last task was a role play and acting of the roles from the dialogue. This interactive acting strengthened learners' lexical knowledge and their fluency again, and made the lesson interesting and motivating. (Anna ISA III, 72-74) Eine nachvollziehbare Vorhersage von Lernprozessen findet sich in der Situa‐ tion, in welcher der Lehrer die Verwendung von to drive erläutert. Die Vorher‐ sage, dass die lehrerseitige Erläuterung der Redewendung drive someone crazy zu einer Rekonzeptualisierung lexikalischen Wissens und zur Förderung lexikali‐ scher Bewusstheit bei den Lernenden führt, ist nicht als konkretes Ergebnis aus dem Stundenablauf belegbar. Die Antizipation eines Lerneffektes läuft hier ge‐ wissermaßen ins Leere. Ob die Lernenden ihr Wissen über das Wort to drive um‐ strukturiert oder durch die Hinzunahme übertragener Bedeutungen erweitert haben, bleibt ungewiss. Wären die Lernenden stärker einbezogen worden, dann wäre eine Integration der neuen Bedeutung von to drive sicherlich wahrscheinli‐ cher. Eine Rückvergewisserung der Lernenden (oder die Einforderung einer sol‐ chen durch den Lehrer), ob sie richtig verstanden haben, dass das Verb drive in der Redewendung drive me crazy eine andere Bedeutung annimmt und nicht wörtlich übersetzt werden kann, findet nicht statt, sodass die aktive Aneignung durch die Steuerung des Lehrers vereitelt wird. Anzunehmen, wie Anna es tut, dass die Lehrererläuterung die lexikalische Bewusstheit der Lernenden gefördert 299 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="300"?> hat, erscheint zwar plausibel; ein Abgleich zwischen antizipierten und beobacht‐ baren Effekten wird von Anna hier jedoch nicht vorgenommen. This expressive explanation strengthened learners' understanding and memorizing of the meaning of the word which was used in another context. Therefore, pupils were forced to reconceptualise their lexical knowledge of “to drive a car“ vs. “to drive some‐ body crazy“. Children were also involved in the process of integration of these lexical units. With the help of such an explanation, their lexical awareness strengthened be‐ cause the learners became aware of meaning differences. (Anna ISA III, 22-29) Alternativen In der einzigen Alternative für den Unterricht im Video „Drive me crazy“ mahnt Anna zusätzliche Gelegenheiten zum Schreiben an. Wenngleich es sich nicht um gänzlich unbekannte Wörter handelt, bezweifelt Anna, ob die Lernenden nach dieser Stunde in der Lage sein werden, die Wörter aus dem Dialog korrekt zu schreiben. Sie verkennt, dass die Förderung des Schreibens nicht das Ziel der Stunde ist. Es geht dem Lehrer vielmehr um die Förderung des flüssigen Spre‐ chens. Zusätzliche Schreibaktivitäten sind grundsätzlich sinnvoll, sie würden aber in der konkreten Stunde zu einer Überfrachtung der Stunde führen und dem ei‐ gentlichen Ziel durch die Verlangsamung des Lernprozesses entgegenlaufen. If I were to teach this lesson, I would only pay more attention on writing tasks. This lesson again provided hardly any writing activities as the previous one. There is still no guarantee that after all of the above mentioned tasks the learners will be able to write all of these sentences and lexical items correctly. (Anna ISA III, 77-79) Dieses Beispiel zeigt, dass fachdidaktisch sinnvolle Alternativen auf vielen Ebenen des Unterrichts vorstellbar sind. Im Fall von Anna handelt es sich dabei aber um Erweiterungen, die über die erkennbaren Stundenziele hinausweisen. Die Qualität der vorgeschlagenen Alternative bemisst sich insofern an ihrer si‐ tuativen Passung und fachdidaktischen Notwendigkeit. 4.4.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) Anna selektiert in dem Video „Perfect Job“ insgesamt elf Situationen. Mehr als die Hälfte dieser Situationen sind mit einem Fachkonzept klassifiziert. Jedoch bleiben die Klassifizierungen allgemein und in der Mehrzahl ohne konkreten Bezug auf das Video. Die Vorhersagen von Lernergebnissen sind nur ansatz‐ weise nachvollziehbar und bleiben in ihrer Vorhersagekraft von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernergebnisse von Schülern eher allgemein. 300 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="301"?> 192 4.4.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) Anna selektiert in dem Video “Perfect Job” insgesamt 11 Situationen. Mehr als die Hälfte dieser Situationen sind mit einem Fachkonzept klassifiziert. Jedoch bleiben die Klassifizierungen allgemein und in der Mehrzahl ohne konkreten Bezug auf das Video. Die Vorhersagen von Lernergebnissen sind nur ansatzweise nachvollziehbar und bleiben in ihrer Vorhersagekraft von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernergebnisse von Schülern eher allgemein. Diagramm 38: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA IV (Anna) 0123456 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Anna ISA IV (n=11) Diagramm 38: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA IV (Anna) Klassifizierungen Die Klassifizierungen von Situationen in diesem Video sind überwiegend nur teilweise nachvollziehbar (Niveau 2), da ein argumentativer Bezug zwischen dem Fachkonzept und der Situation aus dem Video fehlt. Wie schon in vorhe‐ rigen Analysen (Anna ISA III, 7-10; 63-64) zeigt Anna auch in dieser Analyse, dass sie kreativ mit den Fachkonzepten aus dem Seminar umgehen kann. Anna fasst das pantomimische Beruferaten als eine non-verbale Semantisie‐ rungsstrategie auf, die in diesem Fall von den Lernenden gebraucht wird. Wie genau lexikalisches Lernen durch das pantomimische Beruferaten unterstützt wird, ar‐ beitet Anna nicht anhand des konkreten Unterrichtsgeschehens heraus. Im Unter‐ richtsvideo treten die Schwierigkeiten der Lernenden, Verrichtungen eines Berufes durch eindeutige Gesten darzustellen bzw. diese mit Hilfe derselben zu erraten (z. B. bank clerk, shop assistant), offen zu Tage. Eine Unterstützung lexikalischen Lernens, die Anna hier zu sehen glaubt, hätte dann stattgefunden, wenn der Lehrer die Mehrdeutigkeit von Gesten als Kommunikationsstrategie problematisiert hätte. Lexical learning was supported through the pantomime game, that is a role-play, and through teacher-learner communication. Non-verbal techniques were used as a way of communicating word meaning. (Anna ISA IV, 9) Anna bringt mehrere Konzepte ein (negotiation of meaning, meaning boundaries), begründet die Klassifizierung der Einstiegsphase der Stunde (pantomimisches Berufsraten) jedoch nicht weiter. Stattdessen versucht Anna, einen argumenta‐ tiven Bezug („therefore“) durch Hinzuziehen eines weiteren Fachkonzepts (se‐ mantic fields) herzustellen. Das semantische Feld jobs spielt ohne Frage eine Rolle 301 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="302"?> in der Stunde. Die Stunde krankt aber genau daran, dass Bedeutungen in unzu‐ reichender Weise ausgehandelt und abschließend geklärt werden. Das nachfol‐ gende Üben von Wörtern in semantischen Feldern ergibt durchaus Sinn, wenn‐ gleich ein solcher Zusammenhang im Stundenverlauf nicht auszumachen ist. Negotiation of meanings and meaning boundaries were also present in the pantomime game and in the learners' descriptions. Therefore, semantic fields were significant and were practiced in this lesson. The teacher also gave pupils an opportunity to explain lexical meanings in different ways, i.e. to use synonyms or to express themselves differently. In such a way their lexical learning was supported through interaction in the class. (Anna ISA IV, 10) Anna bleibt in der nächsten Passage zu allgemein, sodass unklar ist, auf welche Situation aus dem Unterrichtsvideo sie sich bezieht. Eine Aufgabe, die per se Erläu‐ terungen der Bedeutung nach sich zieht, ist nicht auszumachen. Allenfalls die Auf‐ gabe, die Berufsbezeichnungen aus den Begleittexten neben den Bildern herauszu‐ finden, weist in die Richtung des Lernprozesses. Die Aufgabe aus dem Unterricht liefert hierfür jedoch keine Anhaltspunkte, dass retrieval stattgefunden hat. However, there was a task in the teacher's material from the course book which pro‐ vided meaning explanations. There were such learning processes present as: noticing and retrieval. (Anna ISA IV, 7) Wie schon in der vorherigen Analyse erkennbar (vgl. Anna ISA III), geht Anna davon aus, dass möglichst viele der „Standbeine“ in einer Stunde verwirklicht sein müssen. Sie nennt mehrere Fachkonzepte, gleicht diese aber nur in sehr allgemeiner Weise mit dem Unterrichtsgeschehen ab, sodass häufig nicht deut‐ lich wird, welche der „Standbeine“ in der Stunde realisiert sind und welche eher nicht (z. B. fluency development). Die Überzeugung, dass Schreiben das lexika‐ lische Lernen unterstützt, findet sich auch in dieser Analyse. There are mainly two strands which are present in this lesson such as: meaning-fo‐ cused output and fluency development. The meaning-focused input strand was pres‐ ent in the teacher's material later. The language-focused strand was absent in this part of the lesson. Writing tasks which encourage lexical learning are also not used in this lesson. The fluency development strand was only partially developed here because there was no pressure to perform faster, and most of words were unfamiliar to the learners. (Anna ISA IV, 1) Anna sieht den Schwerpunkt der Stunde auf dem beiläufigen (incidental) lexika‐ lischen Lernen. Diese Klassifizierung trifft ansatzweise zu, weil in der ersten Phase der Stunde die englischen Berufsbezeichnungen herausgefunden werden 302 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="303"?> sollen. Die Entscheidung des Lehrers, zoo keeper nicht explizit zu semantisieren und darauf zu setzen, dass die Lernenden das passende Lexem für Tierpfleger aus dem Text erschließen, kann durchaus als inzidentelles Lernen aufgefasst werden. The emphasis was put on incidental lexical learning because there were no rich in‐ structions from the teacher. (Anna ISA IV, 2) Annas Einschätzung, dass die Lernenden an den Rand ihrer Ausdrucksmöglich‐ keiten gelangen und sie Wörter aktiv erinnern müssen (recall), als sie die in den Bildern dargestellten Berufe beschreiben sollen, ist sicherlich zuzustimmen. Aller‐ dings erscheint es fragwürdig, diese Aktivität als Brainstorming zu charakteri‐ sieren. Die Denkrichtung der Lernenden ist eher konvergent, auf das Ermitteln eines Berufes gerichtet, als divergent und assoziativ wie bei einem Brainstorming. One more goal was to push the learners to use their vocabulary at the boundaries of their knowledge. Pupils were engaged in a brain-storming task - they were motivated and forced to recall words and synonyms and to use them in their descriptions of the jobs. (Anna ISA IV, 5) Die Einschätzung, dass es das vorrangige Ziel des Lehrers sei, den Lernenden eine Gelegenheit zu geben, bekannte Wörter aufzurufen, trifft nur teilweise zu, weil in der Umsetzung des Beruferatens deutlich wird, dass einzelne Wörter den Schülern offenbar nicht vertraut sind. The main goal of the teacher was to make the pupils fluent in productive retrieval of words which they already knew. During a pantomime game children were supposed to recall simple names of the jobs. (Anna ISA IV, 3) Vorhersagen Die beiden Vorhersagen im Video „Perfect Job“ (vgl. Diagramm 38) sind nur teilweise nachvollziehbar oder im Rückgriff auf konkrete Situationen aus dem Video begründet. Die Beschreibung des Lernergebnisses im ersten Fall ist un‐ vollständig, weil Anna die von den Lernenden verwendeten lexikalischen Mittel nicht nennt. Die Vorhersage ist außerdem widersprüchlich, wenn Anna an‐ nimmt, dass trotz fehlender rich instruction die Lernenden etwas über Kolloka‐ tionen und bestimmte Wendungen lernen. The teacher gave no rich instructions with respect to lexical meanings. The pupils learned more about lexis-grammar continuum and about collocations, while descri‐ bing the Perfect Job and using full sentences. (Anna ISA IV, 6) Dass die Lernenden etwas über Definitionen lernen, wie Anna meint, impliziert, dass Definitionen auf der Metaebene thematisiert werden. Auch das Abrufen 303 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="304"?> der Wörter während der Pantomime kann man nur schwerlich als einen wirk‐ lichen Kommunikationsprozess bezeichnen. Generative use of lexical items was absent in this part of the lesson. Nevertheless, they learned about definitions of words with the help of the pantomime game and their descriptions. The learners used non-verbal techniques in order to explain lexical meanings. They also retrieved lexical items productively in a process of communica‐ tion. (Anna ISA IV, 8) Anna ist zwar in der Lage, mögliche Lerneffekte zu antizipieren, und klassifiziert diese Effekte auch mit passenden Fachkonzepten; ein Abgleich zwischen den antizipierten und beobachtbaren Effekten ist jedoch nicht feststellbar. Ingesamt fällt es Anna schwer, Zusammenhänge zwischen Lehren und Lernen, d. h. zum Beispiel zwischen Aufgabenmerkmalen oder Lehrerprompts und Lernpro‐ zessen, zu erkennen. Alternativen Anna hat zweifelsohne den wesentlichen Schwachpunkt der Stunde erkannt: ein pädagogisch begründbares, aber fachdidaktisch zu unbestimmtes Verhalten der Lehrperson (ausbleibende bzw. verspätete Semantisierung). Insofern ist Annas Vorschlag für mehr Instruktion und explizites lexikalisches Lernen (intentional learning) sowohl im Hinblick auf die gesamte Stunde wie auch im Hinblick auf konkrete Unterrichtssituationen plausibel. Würde der Lehrer die Schülerfrage di‐ rekt beantworten (eigentlich eine genuine Lehreraufgabe), würde dies im kon‐ kreten Fall zu einer Optimierung lexikalischen Lernens führen, weil der Lerner die Form-Bedeutungs-Verknüpfung unmittelbar herstellen kann. If I were a teacher of this lesson, I would definitely pay more attention to rich instruc‐ tion, and language-focused strand. Intentional learning was almost absent in this lesson. While describing a job, one of the pupils said: “But I don't know the name of this job“. Therefore, the teacher did not introduce new lexical items in the beginning and only wanted the learners to guess the meaning from the pictures. (Anna ISA IV, 11) 4.4.3 Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Anna Dieses Kapitel fasst zusammen, wie sich die Zahl der selektierten Situationen bei Anna entwickelt hat und bei welchen Dimensionen der Unterrichtswahr‐ nehmung sich im Laufe des Seminars Entwicklungen festmachen lassen. Neben einer quantitativen Perspektive auf die einzelnen Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse werden die Analysen von Schlüsselszenen in der Prä- 304 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="305"?> und der Post-Analyse miteinander verglichen. Das Frageinteresesse zielt darauf, Unterschiede in der Verarbeitung von einzelnen Schlüsselszenen herauszuar‐ beiten. Welche Unterschiede zeigen sich in der Verarbeitung von einzelnen Schlüsselszenen? Werden sie in der Post-Analyse z. B. eher klassifiziert, oder werden Alternativen für Situationen genannt, die in der Prä-Analyse abstrakt beschrieben wurden? Ein Indiz für eine Professionalisierung der Unterrichts‐ wahrnehmung wäre beispielsweise der Befund, dass eine Situation aus der Post-Analyse klassifiziert wird, die in der Prä-Analyse noch beschrieben worden ist. Eine Entwicklung der Fähigkeit zur professionellen Unterrichtswahrneh‐ mung bei Anna ist dahingehend zu erkennen (vgl. Diagramm 39), dass der Anteil der Beschreibungen rückläufig ist und der Anteil von Klassifizierungen (mit Ausnahme von ISA II) stetig zunimmt. Die Anzahl der selektierten Situationen scheint abhängig zu sein vom jeweiligen Video. Diagramm 39: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, Anna, alle ISAs, selektierte Situationen, n=89 4.4.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Die Gesamtzahl der selektierten Situationen aus dem Unterrichtsvideo „Money“ erhöht sich nur geringfügig (+2) in der Post-Analyse (vgl. Diagramm 40). Der Anteil der abstrakten Beschreibungen ist von der Präzur Post-Analyse deutlich 305 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="306"?> zurückgegangen; Situationen, die in der Prä-Analyse noch beschrieben wurden, werden jetzt mit einem Fachkonzept klassifiziert. Auch wenn Anna in der Post-Analyse mehr als zwei Drittel aller Situationen mit einem Fachkonzept klassifiziert, enthält nur ein Drittel dieser Klassifizierungen einen Rückbezug auf das Video. Vorhersagen von Lernprozessen bleiben überwiegend allgemein und sind nur ansatzweise nachvollziehbar. Alternative Vorgehensweisen schlägt Anna für dieses Video nicht vor, was ein Indiz dafür sein könnte, dass Anna mit dem Unterricht grundsätzlich übereinstimmt, was sich durch Bewertungen aus der Post-Analyse belegen lässt (vgl. 4.4.4). 196 4.4.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Die Gesamtzahl der selektierten Situationen aus dem Unterrichtsvideo „Money“ erhöht sich nur geringfügig (+2) in der Post-Analyse (vgl. Diagramm 40). Der Anteil der abstrakten Beschreibungen ist von der Präzur Post- Analyse deutlich zurückgegangen; Situationen, die in der Prä-Analyse noch beschrieben wurden, werden jetzt mit einem Fachkonzept klassifiziert. Auch wenn Anna in der Post-Analyse mehr als zwei Drittel aller Situationen mit einem Fachkonzept klassifiziert, enthält nur ein Drittel dieser Klassifizierungen einen Rückbezug auf das Video. Vorhersagen von Lernprozessen bleiben überwiegend allgemein und sind nur ansatzweise nachvollziehbar. Alternative Vorgehensweisen schlägt Anna für dieses Video nicht vor, was ein Indiz dafür sein könnte, dass Anna mit dem Unterricht grundsätzlich übereinstimmt, was sich durch Bewertungen aus der Post-Analyse belegen lässt (vgl. 4.4.4). Diagramm 40: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Anna) Eine Aggregation der Kategorien macht die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Anna sichtbar. Hierzu werden die Einschätzdimensionen mit einem Faktor versehen und die Anzahl der Kodierungen des Niveaus 3 mit dem Faktor 3, Niveau 2 mit dem Faktor 2 und Niveau 1 mit dem Faktor 1 multipliziert. Die auf diese Weise gewonnenen Werte können Entwicklungen der professionellen Unterrichtswahrnehmung in den verschiedenen Dimensionen sichtbar machen (vgl. Diagramm 41). 0 1 2 3 4 5 6 7 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Anna Prä-Post im Vergleich, n prä =14, n post =16 Anna_ISA_Prä Anna_ISA_post Diagramm 40: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Anna) Eine Aggregation der Kategorien macht die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Anna sichtbar. Hierzu werden die Einschätzdi‐ mensionen mit einem Faktor versehen und die Anzahl der Kodierungen des Niveaus 3 mit dem Faktor 3, Niveau 2 mit dem Faktor 2 und Niveau 1 mit dem Faktor 1 multipliziert. Die auf diese Weise gewonnenen Werte können Entwick‐ lungen der professionellen Unterrichtswahrnehmung in den verschiedenen Di‐ mensionen sichtbar machen (vgl. Diagramm 41). 306 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="307"?> 197 Diagramm 41: ISA Prä-Post, aggregiert (Anna) In der Bilanz kann man feststellen, dass Anna im Laufe des Seminars fachdidaktische Konzepte erworben hat und sie diese für die Klassifizierung von Situationen aus dem Unterrichtsvideo nutzen kann. Der Anteil von Beschreibungen ist rückläufig. Die Fähigkeit, Vorhersagen zu treffen und Zusammenhänge zwischen Lehr- und Lernprozessen herzustellen, ist nur gering ausgeprägt. 4.4.3.2 Analyse ausgewählter Situationen aus dem Video „Money“ (ISA Post) In der Post-Analyse hat Anna die Hälfte aller Situationen aus dem Unterrichtsvideo mit einem Fachkonzept klassifiziert (vgl. Diagramm 42). Von diesen Klassifizierungen ist die Hälfte nachvollziehbar (Niveau 2), weil ein konkreter Bezug zwischen Video und Fachkonzept hergestellt wird. Beschreibungen und Alternativen fehlen. Bei den Bewertungen ist zu überprüfen, inwieweit diese Anhaltspunkte dafür liefern, dass Anna den Unterricht von Perino grundsätzlich positiv und nachahmenswert findet. Anna findet offensichtlich Gefallen an der Stunde („I liked this lesson very much“). Anna sieht von Kritik am Lehrer ab, weil er aus ihrer Sicht lexikalisches Lernen in vielfältiger Weise ermöglicht: Sie findet den Unterricht auch professionell („quite a professional lesson”), weil die „Standbeine“ in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen („all the strands were actively used and there was a balance between them“). I liked this lesson very much. It was quite a professional lesson where all the strands were actively used and there was a balance between them. Therefore, I would not criticize the teacher because he really supported lexical learning. Through association tasks, synonyms, communication, rich instructions the learners had a very good opportunity to memorize, use and integrate new vocabulary. (Anna ISA Post, 15) Die relativ große Passung zwischen der Subjektperspektive und den Merkmalen des Unterrichtsvideos „Money“ wird im direkten Vergleich der Aussagen aus dem Fragebogen deutlich. Damit Lernende einen differenzierten und umfangreichen Wortschatz entwickeln, sollten sich die Themen „auf die Realität beziehen“ (Anna, Subjektperspektive; vgl. 4.4.1). Diesen Realitätsbezug stellt Perino durch das Thema „Geld“ und die Art seiner Nachfragen („Which situations come to mind when you think about money? “) her. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson die neuen Wörter in der Kommunikation mit den Schülern nutzen, so dass „neuer Wortschatz im Gespräch immer auftaucht“ (Anna, Subjektperspektive). Auch dieses Prinzip ist in Perinos Stunde erkennbar: die kommunikative Umwälzung von Wortschatz. Insofern überrascht es nicht, wenn Anna an dieser Stunde nichts zu kritisieren hat und sie auch keinerlei Alternativen vorschlägt. Dass es Perino in der Stunde de jedoch nur in geringem Ausmaß gelingt, längere Äußerungen zu elizitieren oder die Schüler miteinander ins Gespräch zu bringen (vgl. Experteneinschätzung des Videos; Kap. 3.5.5.1), nimmt Anna nicht wahr. Anna meint, dass die Lernenden umfassend Gelegenheiten zum Sprechen hatten, weil es eine „konstante Kommunika- 0 5 10 15 20 25 Beschreibung Klassifizierung Vorhersage Alternative Anna, ISA Prä Anna, ISA Post Diagramm 41: ISA Prä-Post, aggregiert (Anna) In der Bilanz kann man feststellen, dass Anna im Laufe des Seminars fachdidak‐ tische Konzepte erworben hat und sie diese für die Klassifizierung von Situati‐ onen aus dem Unterrichtsvideo nutzen kann. Der Anteil von Beschreibungen ist rückläufig. Die Fähigkeit, Vorhersagen zu treffen und Zusammenhänge zwischen Lehr- und Lernprozessen herzustellen, ist nur gering ausgeprägt. 4.4.3.2 Analyse ausgewählter Situationen aus dem Video „Money“ (ISA Post) In der Post-Analyse hat Anna die Hälfte aller Situationen aus dem Unterrichts‐ video mit einem Fachkonzept klassifiziert (vgl. Diagramm 42). Von diesen Klas‐ sifizierungen ist die Hälfte nachvollziehbar (Niveau 2), weil ein konkreter Bezug zwischen Video und Fachkonzept hergestellt wird. Beschreibungen und Alter‐ nativen fehlen. Bei den Bewertungen ist zu überprüfen, inwieweit diese An‐ haltspunkte dafür liefern, dass Anna den Unterricht von Perino grundsätzlich positiv und nachahmenswert findet. Anna findet offensichtlich Gefallen an der Stunde („I liked this lesson very much“). Anna sieht von Kritik am Lehrer ab, weil er aus ihrer Sicht lexikalisches Lernen in vielfältiger Weise ermöglicht: Sie findet den Unterricht auch profes‐ sionell („quite a professional lesson”), weil die „Standbeine“ in einem ausgewo‐ genen Verhältnis zueinander stehen („all the strands were actively used and there was a balance between them“). I liked this lesson very much. It was quite a professional lesson where all the strands were actively used and there was a balance between them. Therefore, I would not criticize the teacher because he really supported lexical learning. Through association 307 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="308"?> tasks, synonyms, communication, rich instructions the learners had a very good op‐ portunity to memorize, use and integrate new vocabulary. (Anna ISA Post, 15) Die relativ große Passung zwischen der Subjektperspektive und den Merkmalen des Unterrichtsvideos „Money“ wird im direkten Vergleich der Aussagen aus dem Fragebogen deutlich. Damit Lernende einen differenzierten und umfangreichen Wortschatz entwickeln, sollten sich die Themen „auf die Realität beziehen“ (Anna, Subjektperspektive; vgl. 4.4.1). Diesen Realitätsbezug stellt Perino durch das Thema Geld und die Art seiner Nachfragen („Which situations come to mind when you think about money? “) her. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson die neuen Wörter in der Kommunikation mit den Schülern nutzen, sodass „neuer Wortschatz im Gespräch immer auftaucht“ (Anna, Subjektperspektive). Auch dieses Prinzip ist in Perinos Stunde erkennbar: die kommunikative Umwälzung von Wortschatz. Insofern überrascht es nicht, wenn Anna an dieser Stunde nichts zu kritisieren hat und sie auch keinerlei Al‐ ternativen vorschlägt. Dass es Perino in der Stunde jedoch nur in geringem Ausmaß gelingt, längere Äußerungen zu elizitieren oder die Schüler miteinander ins Gespräch zu bringen (vgl. Experteneinschätzung des Videos; Kap. 3.5.5.1), nimmt Anna nicht wahr. Anna meint, dass die Lernenden umfassend Gelegen‐ heiten zum Sprechen hatten, weil es eine „konstante Kommunikation“ zwischen Lehrer und Schülern gibt, die sich jedoch eher als lehrergelenktes Unterrichtsge‐ spräch denn als kommunikative Sprechaktität begreifen lässt. Speaking activities were also richly present because there was a constant communica‐ tion between the teacher and the learners and also during a group work between pu‐ pils themselves. Writing task was present at the end of the lesson. (Anna ISA Post, 2) Zwar gibt es fortwährende Interaktionen, die Perino auch zu echten Kommu‐ nikationsanlässen auszubauen versucht, indem er z. B. fragt: „Which situations come to mind when you think of money? “ Die Schüleräußerungen bewegen sich jedoch meist im Rahmen von Einbis Zweiwortsätzen. 308 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="309"?> 198 Speaking activities were also richly present because there was a constant communication between the teacher and the learners and also during a group work between pupils themselves. Writing task was present at the end of the lesson. (Anna ISA Post, 2) Zwar gibt es fortwährende Interaktionen, die Perino auch zu echten Kommunikationsanlässen auszubauen versucht, indem er z. B. fragt: „Which situations come to mind when you think of money? “ Die Schüleräußerungen bewegen sich jedoch meist im Rahmen von Einbis Zweiwortsätzen. Diagramm 42: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA post (Anna) Anna ist in der Lage, Fachkonzepte der Lern- und Verstehenskultur (vgl. 2.4.4) (noticing, retrieval, generative use) und der Kommunikations- und Unterstützungskultur (vgl. 2.4.5) (techniques for communicating word meaning) zu nutzen, um Situationen zu klassifizieren. Sie erkennt, dass die Erläuterungen von Perino auf bestimmte Aspekte des Wortschatzwissens zielen, und dass er indirekt Assoziationen als Teil des lexikalischen Wissens thematisiert. The aim of the teacher was also to pay attention to different aspects of word knowledge such as meaning, form and use. For example, he pronounced distinctly the difference between such word forms as broken and broke. He also explained the difference of meaning between “wind blows” and “to blow money”. He encouraged the learners to think about associations and to think about which words and expressions they can use with money. (Anna ISA Post, 5) Anna listet die Lernprozesse noticing und retrieval auf, führt aber nicht weiter aus, welcher Prozess auf der Lernerseite bei der Semantisierung von to afford zum Tragen kommt. Der Weg von der Dekontextualisierung zur Definition hin zum noticing wird von Anna nicht nachgezeichnet. The learners were engaged in such learning processes as noticing, productive and receptive retrieval. Decontextualization and definition of new vocabulary was present here because the teacher explained the meaning of separate words and gave clear definitions. For example, he negotiated the meaning of the word “to afford” and explained that it meant to have money that is “not too high for your budget”. (Anna ISA Post, 8) 0 1 2 3 4 5 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Anna ISA post, n=16 Diagramm 42: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Post (Anna) Anna ist in der Lage, Fachkonzepte der Lern- und Verstehenskultur (vgl. 2.4.4) (noticing, retrieval, generative use) und der Kommunikations- und Unterstüt‐ zungskultur (techniques for communicating word meaning); (vgl. 2.4.5) zu nutzen, um Situationen zu klassifizieren. Sie erkennt, dass die Erläuterungen von Perino auf bestimmte Aspekte des Wortschatzwissens zielen und dass er indirekt As‐ soziationen als Teil des lexikalischen Wissens thematisiert. The aim of the teacher was also to pay attention to different aspects of word knowledge such as meaning, form and use. For example, he pronounced distinctly the difference between such word forms as broken and broke. He also explained the difference of meaning between “wind blows” and “to blow money”. He encouraged the learners to think about associations and to think about which words and expressions they can use with money. (Anna ISA Post, 5) Anna listet die Lernprozesse noticing und retrieval auf, führt aber nicht weiter aus, welcher Prozess auf der Lernerseite bei der Semantisierung von to afford zum Tragen kommt. Der Weg von der Dekontextualisierung zur Definition hin zum noticing wird von Anna nicht nachgezeichnet. The learners were engaged in such learning processes as noticing, productive and recep‐ tive retrieval. Decontextualization and definition of new vocabulary was present here because the teacher explained the meaning of separate words and gave clear definitions. For example, he negotiated the meaning of the word “to afford” and explained that it meant to have money that is “not too high for your budget”. (Anna ISA Post, 8) 309 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="310"?> Eine andere Passage verdeutlicht, dass Anna durchaus über die Fähigkeit ver‐ fügt, Lernprozesse mit Bezug auf konkrete Situationen und lexikalische Items zu klassifizieren. Merkmale des Konzepts generative use werden in dieser Pas‐ sage in die Argumentation integriert: Generative use was also present in this lesson because the pupils were supposed to understand the difference between the meanings of the words such as “to blow money” means to spend huge amount of money and “wind blows” implies obviously quite a different context. (Anna ISA Post, 10) Annas Wahrnehmung des Unterrichts ist am Ende des Seminars deutlich fo‐ kussierter. Dies lässt sich am Beispiel der Semantisierungstechniken zeigen. Während Anna in der Prä-Analyse ein breites Spektrum von Semantisierungs‐ techniken bemerkt („explained every single word in another way“) und die Funktion der Gestik beschreibt, ordnet sie in der Post-Analyse den Einsatz von Gestik den non-verbalen Semantisierungstechniken zu. Dabei bezieht sie sich außerdem auf ein konkretes Wort aus dem Unterrichtsvideo (broke). The teacher also used both verbal and non-verbal techniques of communicating a word meaning. For example, he used gestures to explain the words better showing empty po‐ ckets which indicate on the meaning of the word “broke”, or showing the movements of hands to explain the word “greedy”. He also negotiated the meaning of the words. For example, he explained the meaning of the word “afford” starting with an explanatory question: “Can you afford to buy an ice cream? ” and so on. (Anna ISA Post, 14) He gave not only a list of new words from the book for their homework but explained every single word in another way, so that learners could have a practical understand‐ ing of meanings and could use it in their spoken language better. […] The teacher explained new vocabulary expressively with the help of gestures. (Anna ISA Prä, 12) Die Zuordnung des „Standbeins“ language focused learning ist zwar zutreffend, kommt jedoch ohne konkrete Belege aus dem Unterrichtsvideo aus. A language focused strand is also represented here because the teacher paid deliberate attention to words and explained the meaning. (Anna ISA Post, 3) Vier weitere der insgesamt elf klassifizierten Situationen sind zutreffend, bleiben aber in der Begründung und in Bezug auf das Unterrichtsvideo eher allgemein. Das breite Spektrum von Fachkonzepten, welches Anna in der Post-Analyse einbringt, ist im Hinblick auf die zweite Forschungsfrage positiv zu werten. Anna klassifiziert zwar Lerngegenstände, differenziert jedoch nicht zwischen Wortfeldern und semantischen Relationen. Nicht auszuschließen ist, dass im Theorieteil des Seminars die Unterschiede zwischen semantischen Feldern und 310 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="311"?> Relationen nicht deutlich genug herausgestellt und durch Beispiele illustriert worden sind. Therefore, the teacher engaged the pupils in working with semantic fields and semantic relations, because associations and synonyms belong to these relations. (Anna ISA Post, 6) Obwohl die klassifizierte Situation sich auf eine konkrete Situation aus dem Unterrichtsvideo bezieht (Video „Money“, 3: 53), kommt Annas Analyse ohne konkrete Beispiele aus. Typisch für Annas Umgang mit den Fachkonzepten scheint deren Verwendung als short hand zu sein. Mit anderen Worten: Mit der Nennung des Konzepts scheint alles über die Situation gesagt und der Anfor‐ derung des Seminars Genüge getan. Betrachten wir nun die nicht zutreffenden Klassifizierungen aus der Post-Analyse. Anna reiht häufig mehrere Fachkonzepte aneinander, was zu Un‐ genauigkeiten oder gar Widersprüchen führt. Im untenstehenden Beispiel ist die Klassifizierung mit dem „Standbein“ meaning-focused input nicht zutreffend. Sie wird zwar im Rückgriff auf das Video begründet, aber weder die Leseakti‐ vitäten noch der Input sind umfangreich genug, um die Stunde mit dem „Stand‐ bein“ meaning-focused input zu klassifizieren. Anna ist erneut der Überzeugung (vgl. 4.4.2.3), dass alle „Standbeine“ in einer Stunde realisiert sein müssen, was weder in der Theorie so gedacht ist (vgl. Nation 2007) noch in der Praxis einer Unterrichtsstunde praktikabel erscheint. In this lesson there are four strands which are used by the teacher. The meaning-fo‐ cused input strand is represented by a listening task where the learners were supposed to listen to the music and guess the topic of the lesson. There were also reading activ‐ ities where the pupils read the words from the blackboard and where they had to read a song from a coursebook and to fulfill appropriate words, which were discussed in the lesson. (Anna ISA Post, 1) In einer anderen Passage vermischt Anna das Konzept rich instruction mit den Semantisierungstechniken. Mit einer „reichhaltigen Instruktion“ will der Lehrer gezielt auf Aspekte des Wortwissens hinweisen, nachdem die Form-Bedeu‐ tungsverknüpfung hergestellt ist. Reichhaltige Instruktion wäre zum Beispiel im Hinblick auf die gesprochene Form notwendig oder wünschenswert ge‐ wesen, um den Lernenden deutlich zu machen, dass das „t“ in mortgage nicht gesprochen wird. (Stattdessen sagt Perino „‘Mortgage‘ sounds a bit deadly, but, eh, what is it? ” und erweckt mit diesem Kommentar den Eindruck, dass das englische Wort mortgage ähnlich wie „Mord“ klingt.) 311 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="312"?> Lexical learning was very good supported through communication and interaction in this lesson. The teacher used rich instructions in order to explain the lexical meanings. For example, he explained very well the meaning of the word “mortgage” and he said that this is “a kind of loan for a specific purpose, etc”. (Anna ISA Post, 12) Anna trifft Vorhersagen über Lernprozesse und differenziert zwischen den Lerngegenständen. So erkennt sie, dass es dem Lehrer nicht nur um Einzelwörter geht, sondern er durch die Impulse Kommunikation anregen will. Einzelne Schülerantworten deuten darauf hin, dass dies Perino gelungen ist; längere, zu‐ sammenhängende Situationsbeschreibungen rund um das Thema Geld sind je‐ doch nicht zu beobachten (vgl. Video „Money“, 6: 40-8: 00). Die Vorhersage, dass die Lernenden ihr Wortschatzwissen erweitern („learn about separate aspects of word knowledge“), wird von Anna nicht belegt. The learners learned both about separate aspects of word knowledge and about lexis-continuum as well. Lexis-continuum lexical learning was represented by com‐ munication tasks. For example, the teacher asked “what can you do with Money” and the pupil answered that you can use Money “when you want to buy a house”. (Anna ISA Post, 11) Für die Wirkung der Wortfeldarbeit auf die Behaltensleistung bleibt Anna einen konkreten Beleg aus dem Unterricht schuldig. Inwieweit engagement auf die Situation zutrifft, darf bezweifelt werden, weil die Lernenden nicht selber aufgefordert werden, semantische Beziehungen zwischen den Wörtern an der Tafel herzustellen. Für Anna scheinen semantische Relationen (z. B. Hypo‐ nomie, Hyperonomie) und semantische Felder das Gleiche zu sein, wenn sie diese auf eine Stufe stellt. The teacher constantly negotiated the meanings of the words with pupils. He also asked to give him another word for explaining a lexical meaning. That is the learners were engaged in working with semantic relations and fields. In such a way their mem‐ orization was strengthened. (Anna ISA Post, 13) Die Kontextanalyse unter Zuhilfenahme des Unterrichtsvideos (vgl. 3.6.4.1) zeigt, dass der Lehrer mit dem Wortfeld money im engeren Sinne „arbeitet“, während die Schüler in der Stunde kaum Gelegenheiten haben, den Wortschatz selbstständig paradigmatisch zu ordnen. Allenfalls syntagmatische Assoziati‐ onen („Which situations come to mind ...? “) werden von den Lernenden selbst‐ ständig hergestellt. 312 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="313"?> L What situations come to mind, to your mind, when you think about money? 4: 18 L Do you understand the task? 4: 22 L Okay? 4: 23 L Okay. Talk to your neighbour, in English, for a minute 4: 27 C Die SuS tauschen sich mit Ihren Banknachbarn aus und überlegen sich zusammen ‘associations‘ zum Thema ‘money‘. 4: 28 - 5: 48 Tabelle 46: Auszug aus dem Video „Money“ 4.4.3.3 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Erhebung 4.4.3.3 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Erhebung Diagramm 43: Selektierte Schlüsselszenen im Prä-Post Vergleich (Anna) Die Prä- und die Post-Analyse werden daraufhin untersucht, ob Schlüsselszenen aus dem Video „Money“, in denen bestimmte Wörter semantisiert oder vom Lehrer erläutert werden, von der Probandin genannt werden. Diagramm 43 veranschaulicht, dass Anna in der Post-Analyse mehr Schlüsselszenen ausgewählt hat, in denen der Lehrer explizit lexikalische Mittel einführt oder erläutert. Anders formuliert: Die „kategorialen Schnitte“ (Bromme 1992) durch das Material sind kleinräumiger geworden: Anna richtet ihre Aufmerksamkeit nun stärker auf Situationen lexikalischen Lernens, in denen es um ganz konkrete Lexeme geht. Die folgende Passage aus der Prä-Analyse enthält eine recht allgemeine Umschreibung der Lernziele: The main aim of the teacher in this lesson is to give pupils basic lexical knowledge about the topic “money“. Children should be able to memorize new words and expressions which are associated with money. They are supposed to acquire not only separate meanings of these words but also to relate them to particular situations in life and to be apt to use the expressions about money in their active and daily English language. (Anna ISA Prä, 1) In der Post-Analyse ist die Beschreibung der Ziele der Stunde präziser: Anna differenziert zwischen verschiedenen Aspekten des Wortschatzwissens und belegt dies mit konkreten Beispielen aus dem Unterricht. Der letzte Satz illustriert den Gebrauch der Fachsprache durch Anna. Sie verwendet die Fachkonzepte engagement, semantic fields, semantic relations, associations und synonyms. Allerdings betrachtet Anna semantische Relationen und semantische Felder als identisch und differenziert nicht zwischen beiden Konzepten. Anna_ISA_Prä Anna_ISA_post Diagramm 43: Selektierte Schlüsselszenen im Prä-Post-Vergleich (Anna) Die Prä- und die Post-Analyse werden daraufhin untersucht, ob Schlüsselszenen aus dem Video „Money“, in denen bestimmte Wörter semantisiert oder vom Lehrer erläutert werden, von der Probandin genannt werden. Diagramm 43 veranschaulicht, dass Anna in der Post-Analyse mehr Schlüsselszenen ausge‐ wählt hat, in denen der Lehrer explizit lexikalische Mittel einführt oder erläutert. Anders formuliert: Die „kategorialen Schnitte“ (Bromme 1992) durch das Mate‐ rial sind kleinräumiger geworden. Anna richtet ihre Aufmerksamkeit nun stärker auf Situationen lexikalischen Lernens, in denen es um ganz konkrete 313 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="314"?> Lexeme geht. Die folgende Passage aus der Prä-Analyse enthält eine recht all‐ gemeine Umschreibung der Lernziele: The main aim of the teacher in this lesson is to give pupils basic lexical knowledge about the topic “money“. Children should be able to memorize new words and ex‐ pressions which are associated with money. They are supposed to acquire not only separate meanings of these words but also to relate them to particular situations in life and to be apt to use the expressions about money in their active and daily English language. (Anna ISA Prä, 1) In der Post-Analyse ist die Beschreibung der Ziele der Stunde präziser. Anna differenziert zwischen verschiedenen Aspekten des Wortschatzwissens und be‐ legt dies mit konkreten Beispielen aus dem Unterricht. Der letzte Satz illustriert den Gebrauch der Fachsprache durch Anna. Sie verwendet die Fachkonzepte engagement, semantic fields, semantic relations, associations und synonyms. Al‐ lerdings betrachtet Anna semantische Relationen und semantische Felder als identisch und differenziert nicht zwischen beiden Konzepten. The aim of the teacher was also to pay attention to different aspects of word knowledge such as meaning, form and use. For example, he pronounced distinctly the difference between such word forms as “broken” and “broke”. He also explained the difference of meaning between “wind blows” and “to blow money”. He encouraged the learners to think about associations and to think about which words and expressions they can use with money. Therefore, the teacher engaged the pupils in working with semantic fields and semantic relations, because associations and synonyms belong to these re‐ lations. (Anna ISA Post, 5-6) Wie bereits in vorherigen Analysen zeigt sich Annas Überzeugung, dass eine Balance zwischen allen „Standbeinen“ in einer Stunde erreicht sein muss, auch in der Post-Analyse. Sie sieht in dieser Stunde alle „Standbeine“ verwirklicht. I liked this lesson very much. It was quite a professional lesson where all the strands were actively used and there was a balance between them. Therefore, I would not criticize the teacher because he really supported lexical learning. Through association tasks, synonyms, communication, rich instructions the learners had a very good op‐ portunity to memorize, use and integrate new vocabulary. (Anna ISA Post, 15) 4.4.4 Analyse der Bewertungen von Anna Bewertungen von Unterrichtssituationen finden sich bei Anna für 12,5% aller selektierten Situationen. Annas Bewertungen sind überwiegend positiv (vgl. Diagramm 44). Hier sind es Aspekte wie gelungene Worterklärungen, ein gutes 314 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="315"?> classroom management und die bereits erwähnte Balance der „Standbeine“, die Anna positiv würdigt. Kritisch sieht sie den fehlenden Fokus auf Schriftlichkeit. 202 there was a balance between them. Therefore, I would not criticize the teacher because he really supported lexical learning. Through association tasks, synonyms, communication, rich instructions the learners had a very good opportunity to memorize, use and integrate new vocabulary. (Anna ISA Post, 15) 4.4.4 Analyse der Bewertungen von Anna Bewertungen von Unterrichtssituationen finden sich bei Anna für 12,5% aller selektierten Situationen. Annas Bewertungen sind überwiegend positiv (vgl. Diagramm 44). Hier sind es Aspekte wie gelungene Worterklärungen, ein gutes classroom management und die bereits erwähnte Balance der „Standbeine“, die Anna positiv würdigt. Kritisch sieht sie den fehlenden Fokus auf Schriftlichkeit. Diagramm 44: Themen der Bewertungen von Anna positive Lernatmosphäre 8% gelungene Worterklärung 17% zu wenig Fokus auf Schreiben 25% Ausgewogenheit der Fertigkeiten 8% Balance zwischen den Standbeinen 17% Schüleraktivierung 8% gutes classroom management 17% Bewertungen Anna (alle ISAs), n=12 Diagramm 44: Themen der Bewertungen von Anna 4.4.5 Zusammenfassung: Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Anna Insgesamt stehen die im Seminar vermittelten Fachkonzepte in hohem Maße zur Verfügung. Mehr als 40% aller selektierten Situationen hat Anna mit einem Fachkonzept zu klassifizieren versucht. Allerdings sind nur rund 10% aller Klas‐ sifizierungen schlüssig (Niveau 3), d. h. in diesen Fällen passt das Fachkonzept zur gewählten Situation, und ein argumentativer Bezug zwischen Situation und Merkmalen des Konzepts wird hergestellt. Rund 18% der Klassifizierungen (Ni‐ veau 2) sind zwar zutreffend; der Bezug zwischen Fachkonzept und Video bleibt jedoch eher allgemein. 315 4.4 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Anna <?page no="316"?> 203 Insgesamt stehen die im Seminar vermittelten Fachkonzepte in hohem Maße zur Verfügung. Mehr als 40% aller selektierten Situationen hat Anna mit einem Fachkonzept zu klassifizieren versucht. Allerdings sind nur rund 10% aller Klassifizierungen schlüssig (Niveau 3), d. h. in diesen Fällen passt das Fachkonzept zur gewählten Situation, und ein argumentativer Bezug zwischen Situation und Merkmalen des Konzepts wird hergestellt. Rund 18% der Klassifizierungen (Niveau 2) sind zwar zutreffend; der Bezug zwischen Fachkonzept und Video bleibt jedoch eher allgemein. Diagramm 45: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (Anna) Bezogen auf alle selektierten Situationen (n=88) in allen sechs ISAs wird ein Fünftel aller Situationen zutreffend mit einem Fachkonzept klassifiziert (Niveau 2 und 3). Allerdings ist nur in 10% aller Situationen nachvollziehbar, warum eine konkrete Situation aus dem Video mit dem betreffenden fachdidaktischen Konzept klassifiziert werden kann. Allerdings gibt es mit 16% einen hohen Anteil von Situationen, bei denen das Fachkonzept und die Situation nicht zusammen passen. Neben der häufig zu beobachtenden Aneinanderreihung von Fachkonzepten in Annas Analysen (vgl. 4.4.2.1-4.4.2.4) geht Anna überdies kreativ mit Fachkonzepten um und generiert neue Begrifflichkeiten. Die Passung zwischen Situation und Fachkonzept wird nur für 10% aller selektierten Situationen in nachvollziehbarer Weise begründet; bei 18% bleibt der Bezug zwischen der Situation und dem Fachkonzept allgemein. Dies betrifft vor allem ISA III (vgl. Diagramm 39). Durch Annas Klassifizierungen zieht sich die irrige Annahme, dass alle strands in einer Stunde realisiert sein müssen. Neben der zu beobachtenden Aneinanderreihung von Fachkonzepten geht Anna aber auch zum Teil kreativ mit Fachkonzepten um und generiert neue Begrifflichkeiten. Lernergebnisse werden von Anna nur in wenigen Fällen korrekt antizipiert. Bezüge zwischen Lehrerimpulsen oder Aufgabenmerkmalen und Lernprozessen oder -ergebnissen sind in keiner der ISAs nachweisbar. Insgesamt bleiben Vorhersagen und Klassifizierungen allgemein. Begründete und differenzierte Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse sind nicht nachweisbar. Hingegen hat Anna für knapp 10% aller Situationen Vorhersagen getroffen, die im Hinblick auf die konkrete Unterrichtssituation nicht zutreffend sind. 12,5% 3,4% 0,0% 4,5% 13,6% 15,9% 18,2% 10,2% 9,1% 8,0% 0,0% 0,0% 2,3% 2,3% 0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% Anna - Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (n=88) Diagramm 45: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (Anna) Bezogen auf alle selektierten Situationen (n=88) in allen sechs ISAs wird ein Fünftel aller Situationen zutreffend mit einem Fachkonzept klassifiziert (Niveau 2 und 3). Allerdings ist nur in 10% aller Situationen nachvollziehbar, warum eine konkrete Situation aus dem Video mit dem betreffenden fachdidaktischen Kon‐ zept klassifiziert werden kann. Ebenso gibt es mit 16% einen hohen Anteil von Situationen, bei denen das Fachkonzept und die Situation nicht zusammen‐ passen. Neben der häufig zu beobachtenden Aneinanderreihung von Fachkon‐ zepten in Annas Analysen (vgl. 4.4.2.1-4.4.2.4) geht Anna überdies kreativ mit Fachkonzepten um und generiert neue Begrifflichkeiten. Die Passung zwischen Situation und Fachkonzept wird nur für 10% aller selektierten Situationen in nachvollziehbarer Weise begründet; bei 18% bleibt der Bezug zwischen der Si‐ tuation und dem Fachkonzept allgemein. Dies betrifft vor allem ISA III (vgl. Diagramm 39). Durch Annas Klassifizierungen zieht sich die irrige Annahme, dass alle strands in einer Stunde realisiert sein müssen. Neben der zu beobach‐ tenden Aneinanderreihung von Fachkonzepten geht Anna aber auch zum Teil kreativ mit Fachkonzepten um und generiert neue Begrifflichkeiten. Lernergebnisse werden von Anna nur in wenigen Fällen korrekt antizipiert. Bezüge zwischen Lehrerimpulsen oder Aufgabenmerkmalen und Lernprozessen oder -ergebnissen sind in keiner der ISAs nachweisbar. Insgesamt bleiben Vor‐ hersagen und Klassifizierungen allgemein. Begründete und differenzierte Vor‐ hersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische 316 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="317"?> Lernprozesse und -ergebnisse sind nicht nachweisbar. Hingegen hat Anna für knapp 10% aller Situationen Vorhersagen getroffen, die im Hinblick auf die kon‐ krete Unterrichtssituation nicht zutreffend sind. Bei den Vorhersagen ist Anna selten in der Lage, lernwirksame Merkmale einer Situation zu identifizieren. Abgleiche von antizipierten und realen Ef‐ fekten bleiben aus. Das Potenzial von Situationen für die Förderung des aktiven Gebrauchs von Wortschatz und des aktiven Erinnerns von Wortschatz wird häufig überschätzt. Anna steht dem Unterricht in den gezeigten Unterrichtsvideos überwiegend positiv gegenüber. Gut jede achte Situation wird von Anna bewertet (vgl. Dia‐ gramm 45), wobei sowohl fachdidaktische wie auch pädagogische Aspekte ge‐ nannt werden. Vermutlich ist das hohe Maß an Übereinstimmung mit dem im Video gezeigten Unterricht, wie es sich in den Bewertungen widerspiegelt, eine Erklärung dafür, dass insgesamt nur wenige Alternativen entwickelt werden (2,3%; vgl. auch Diagramm 39). Ein wiederkehrendes Thema innerhalb der Al‐ ternativen ist, den Fokus stärker auf die geschriebene Form des Wortes auszu‐ richten und Schreibaktivitäten zu integrieren. Die wenigen von Anna entwi‐ ckelten Alternativen haben ein geringes Potenzial für die Verbesserung lexikalischen Lernens und bleiben zu allgemein oder stehen gar im Konflikt zu Zielorientierungen der jeweiligen Stunde. 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate 4.5.1 Kurzbeschreibung des Falls Kate Kate studiert im achten Semester Anglistik und Biologie für das Lehramt Se‐ kundarstufe I. In ihrem Studium mit einem literaturwissenschaftlichen Schwer‐ punkt hat sie bislang zwei fachdidaktische Lehrveranstaltungen besucht. Sie hat keine bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen zum Thema Unter‐ richtsbeobachtung besucht. Kate hat im Rahmen eines Praktikums jeweils drei Stunden in einer 7. und in einer 9. Klasse unterrichtet. Sie erteilt außerdem Nachhilfe im Fach Englisch (Klasse 3-5). Eine Fremdsprache erlernt man aus ihrer Sicht am besten in le‐ bensnahen Situationen, möglichst „nah dran am Leben“. Die größte Herausfor‐ derung beim Wortschatzlernen besteht darin, Vokabeln regelmäßig zu wieder‐ holen, was jedoch schnell eintönig werden kann. Um das Wortschatzlernen ihrer 317 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="318"?> Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson „möglichst viele kommunikative Si‐ tuationen verschiedener Art gestalten“. 4.5.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Kate: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.5.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) Kate hat für dieses Video drei Alternativen vorgeschlagen und eine Bewertung vorgenommen. Allerdings ist bei den Alternativen unklar, wie sie zu einer Op‐ timierung lexikalischen Lernens beitragen. Es gibt nur zwei Situationen, die Kate mit einem passenden Fachkonzept klassifiziert. Insgesamt liegt die Zahl der se‐ lektierten Situationen in diesem Video etwas unter der von allen Probanden durchschnittlichen Anzahl selektierter Situationen (n=10). 205 4.5.1 Kurzbeschreibung des Falls Kate Kate studiert im achten Semester Anglistik und Biologie für das Lehramt Sekundarstufe I. In ihrem Studium mit einem literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt hat sie bislang zwei fachdidaktische Lehrveranstaltungen besucht. Sie hat keine bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen zum Thema Unterrichtsbeobachtung besucht. Kate hat im Rahmen eines Praktikums jeweils drei Stunden in einer 7. und in einer 9. Klasse unterrichtet. Sie erteilt außerdem Nachhilfe im Fach Englisch (Klasse 3-5). Eine Fremdsprache erlernt man aus ihrer Sicht am besten in lebensnahen Situationen, möglichst „nah dran am Leben“. Die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen besteht darin, Vokabeln regelmäßig zu wiederholen, was jedoch schnell eintönig werden kann. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson „möglichst viele kommunikative Situationen verschiedener Art gestalten“. 4.5.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Kate: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.5.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) Kate hat für dieses Video drei Alternativen vorgeschlagen und eine Bewertung vorgenommen. Allerdings ist bei den Alternativen unklar, wie sie zu einer Optimierung lexikalischen Lernens beitragen. Es gibt nur zwei Situationen, die Kate mit einem passenden Fachkonzept klassifiziert. Insgesamt liegt die Zahl der selektierten Situationen in diesem Video etwas unter der von allen Probanden durchschnittlichen Anzahl selektierter Situationen (n=10). Diagramm 46: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I (Kate) 0 1 2 3 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kate ISA 1, n=9 Diagramm 46: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA I (Kate) Beschreibungen Kate beschreibt die Ziele der Stunde und die Maßnahmen der Lernunterstüt‐ zung. Die Ziele der Stunde werden auf einem abstrakten Niveau beschrieben, wobei der konkrete thematische Rahmen (Missverständnisse zwischen Mutter‐ 318 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="319"?> sprachlern und Nicht-Muttersprachlern) sowie die sprachlichen Mittel zur Mei‐ nungsäußerung unerwähnt bleiben. The aims of the teacher are to encourage the pupils to express orally their opinion, to develop pupils’ cross-cultural competence, understanding and tolerance to other na‐ tions. (Kate ISA I, 1) Die zweite Beschreibung bleibt auch eher allgemein. Warum das Tafelbild die Diskussion transparenter macht oder schwächeren Lernenden hilft, wird von Kate nicht weiter begründet. Die Wahrnehmung der Unterrichtssituation wirkt oberflächlich, weil Kate die Tabelle an der Tafel fälschlicherweise für ein Mindmap hält, dem sie lernunterstützende Wirkung zuschreibt. The teacher also supports the learners with a mind map and makes clear conclusions. Such combination makes the discussion clear and understandable especially for the weaker pupils. (Kate ISA I, 7) Klassifizierungen Von den beiden Klassifizierungen von Situationen in diesem Video ist die erste nur teilweise schlüssig, weil der Bezug zwischen der Situation im Video und dem Konzept unstimmig ist. Kate fasst die Situation nicht als Fehlerkorrektur auf, obwohl es sich hier um einen Kollokationsfehler handelt („he gave her a compliment“). Der Lehrer korrigiert den Fehler selbst und bringt zwei Kolloka‐ tionen ein, mit denen man im Englischen die Bedeutung ‚jemandem ein Kom‐ pliment machen‘ realisieren kann. Die beiden möglichen Kollokationen (to pay s.o. a compliment und to compliment s.o.) sind in der Tat Synonyme. Vor dem Hintergrund der von der Situation bestimmten fachdidaktischen Notwendigkeit einer Fehlerkorrektur erscheint es fraglich, ob es das vorrangige Ziel des Lehrers ist, das Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern, wie Kate meint. Obwohl ein Kollokationsfehler Anlass für die Lehrerintervention ist, fasst Jane die Situation als Unterweisung im Gebrauch von Synonymen auf. The usage of synonyms, for example, “… he pays her a compliment - he compliments her …” supports the learners. Synonyms enrich the pupils’ vocabulary, their grammar skills (in this case the teacher demonstrates that it is possible to express the same opinion with different grammar means). (Kate ISA I, 4) Die zweite Klassifizierung zeigt, dass Kate in der Lage ist, die Zielrichtung der Stunde mit Hilfe der „Standbeine“ des Englischunterrichts zu beschreiben. Al‐ lerdings begründet sie nur das „Standbein“ meaning-focused output mit Bezug auf das Unterrichtsgeschehen aus dem Video. 319 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="320"?> The meaning-focused input and meaning focused output are represented on the video. To my mind, the last prevails. The pupils don’t just demonstrate the understanding of the dialogues, but are required to use their active vocabulary and to express their opinion to the topic. For this reason they have to compare different situations from the dialogues and evaluate the words used there. (Kate ISA I, 2) Vorhersagen Kate ist in der Lage, Rückschlüsse von Lehrerimpulsen auf Lernprozesse zu ziehen. Sie bemerkt, dass es nicht alleine um die Aufnahme von textlichem Input geht, sondern dass Besonderheiten des Gebrauchs von would eingeschätzt werden müssen. Jane zeichnet hier recht präzse den Unterrichtsdiskurs nach, um auf dieser Grundlage auf einen sprachverarbeitenden Prozess zu schließen. When the teacher asks “What is the difference between there are some things and there would be …” he demands his pupils to grade the expressions, evaluate them. The expressions, like the rest of the words in the lesson, are processed with a sufficient involvement of the pupils. They just do not get specific meanings of some words (for example, “good appetite”). The pupils are encouraged to think over the meanings because they are important for understanding the jokes. (Kate ISA I, 5) Alternativen Kate nennt drei Alternativen für die Optimierung lexikalischer Lernprozesse. Die erste Alternative (Niveau 1) basiert auf dem allgemein-didaktischen Prinzip der Methodenvielfalt. Inwieweit mehr Variation bei den Lernaktivitäten zu einer Verbesserung des Lernens führt, lässt Kate offen. It would be better in any case to change the types of activity more often. (Kate ISA I, 9) Vor dem Hintergrund der Probleme der Lernenden beim Hörverstehen schlägt Kate vor, dass jedes einzelne Missverständnis aus den Hörtexten separat be‐ sprochen und einzelne Schlüsselwörter des Hörtextes fokussiert werden sollten. Außerdem schlägt Kate vor, dass das Spektrum von Fertigkeiten, welches in der Stunde zum Tragen kommt, erweitert werden sollte. To my mind, it would be better to listen to every joke separately and discuss the “key words” at once after every joke. (Kate ISA I, 6) The teacher should try to combine all kinds of language activity in the lesson, not just listening and speaking. Only the extract from the lesson was shown, so we cannot say for sure, if writing and reading were really neglected. (Kate ISA I, 8) Allerdings wird nur ansatzweise deutlich, wie es durch Veränderungen der Stunde im beschriebenen Sinne zu einer Optimierung lexikalischen Lernens 320 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="321"?> kommen kann. Eine Portionierung der Hörtexte und kleinteiligere Impulse, die sich auf konkrete Wörter beziehen, würden die Lernenden entlasten. Eine Ver‐ knüpfung von mehreren Fertigkeiten ist zwar grundsätzlich wünschenswert, würde im konkreten Fall den Zielen und Schwerpunktsetzungen des Lehrers für diese Stunde zuwiderlaufen. 4.5.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Eine wissensbasierte Verarbeitung ist in der Analyse dieses Unterrichtsvideos nicht erkennbar. Kate entwickelt Bewertungen und schlüssige Alternativen für die überwiegende Zahl der selektierten Situationen. 207 Vor dem Hintergrund der Probleme der Lernenden beim Hörverstehen schlägt Kate vor, dass jedes einzelne Missverständnis aus den Hörtexten separat besprochen und einzelne Schlüsselwörter des Hörtextes fokussiert werden sollten. Außerdem schlägt Kate vor, dass das Spektrum von Fertigkeiten, welches in der Stunde zum Tragen kommt, erweitert werden sollte. To my mind, it would be better to listen to every joke separately and discuss the “key words” at once after every joke. (Kate ISA I, 6) The teacher should try to combine all kinds of language activity in the lesson, not just listening and speaking. Only the extract from the lesson was shown, so we cannot say for sure, if writing and reading were really neglected. (Kate ISA I, 8) Allerdings wird nur ansatzweise deutlich, wie es durch Veränderungen der Stunde im beschriebenen Sinne zu einer Optimierung lexikalischen Lernens kommen kann. Eine Portionierung der Hörtexte und kleinteiligere Impulse, die sich auf konkrete Wörter beziehen, würden die Lernenden entlasten. Eine Verknüpfung von mehreren Fertigkeiten ist zwar grundsätzlich wünschenswert, würde im konkreten Fall den Zielen und Schwerpunktsetzungen des Lehrers für diese Stunde zuwider laufen. 4.5.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Eine wissensbasierte Verarbeitung ist in der Analyse dieses Unterrichtsvideos nicht erkennbar. Kate entwickelt Bewertungen und schlüssige Alternativen für die überwiegende Zahl der selektierten Situationen. Diagramm 47: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA II (Kate) Beschreibungen In einer Beschreibung wird zwar die Zweckrationalität des Handelns der Lehrperson deutlich. Allerdings werden die Aspekte ‚intensive Ausspracheschulung‘ und das Ziel ‚Behaltenssteigerung‘ nicht differenziert betrachtet, obgleich es sich dabei um unterschiedliche Ziele handelt. Für Kate dient das imitative Üben der Wörter („How many times do we need to practice? “) auch dem Ziel der Behaltenssteigerung. The aim of the teacher is to practice the words on the topic “Food”, to make the pupils memorize them. That is why the teacher encourages pupils to pronounce the words aloud as often as possible. (Kate ISA II, 1) 0 1 2 3 4 Anahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kate ISA II, n=7 Diagramm 47: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA II (Kate) Beschreibungen In einer Beschreibung wird zwar die Zweckrationalität des Handelns der Lehrperson deutlich. Allerdings werden der Aspekt intensive Ausspracheschulung und das Ziel Behaltenssteigerung nicht differenziert betrachtet, obgleich es sich dabei um unter‐ schiedliche Ziele handelt. Für Kate dient das imitative Üben der Wörter („How many times do we need to practice? “) auch dem Ziel der Behaltenssteigerung. The aim of the teacher is to practice the words on the topic “Food”, to make the pupils memorize them. That is why the teacher encourages pupils to pronounce the words aloud as often as possible. (Kate ISA II, 1) Bewertungen Kate nimmt die Bilder und Gesten als lernunterstützende Maßnahmen wahr und bewertet die Lernatmosphäre positiv, da diese sich positiv auf die Motivation der Lernenden auswirkt. 321 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="322"?> She creates a positive friendly atmosphere of a play, which is extremely motivating for such young learners. (Kate ISA II, 2) The teacher provides a sufficient support in form of pictures, which she sticks on the blackboard. Her gestures are also very supportive. She conducts the process of repeat‐ ing the words every time, moving her hands rhythmically. (Kate ISA II, 3) Eine negative Bewertung erfährt das Korrekturverhalten und das classroom management der Lehrerin in der zweiten Übungsphase. Kate kritisiert, dass Aussprachefehler in dieser Phase nicht korrigiert werden. Dies ist jedoch bei dieser schülerorientierten, auf selbstständiges Lernen angelegten Übungsform (Kugellagermethode) kaum möglich. Wenn Kate einen Mangel an Kontrolle sei‐ tens der Lehrkraft kritisiert, so kann dies als Hinweis auf ein von ihr favorisiertes Lehrerbild interpretiert werden. There are relative many children in the class. The teacher fails to control the pronun‐ ciation of single learners. They always repeat the words in chorus. Perhaps it would be helpful to ask single children to pronounce the words aloud. There always can be weaker learners, who only open their mouths without any sound. The lack of control is also obvious during the “two circle task”. In our opinion, this kind of activity is very helpful especially in large groups. But this is the teacher who should say “Move! ” and so manage the whole process. In this case the teacher fails to do that, and so the groups move somewhat chaotically. One can hear German in the background and see some children, who are standing puzzled without a partner. (Kate ISA II, 6) Alternativen Kate entwickelt drei Alternativen, welche allesamt das Potenzial haben, lexikali‐ sches Lernen zu optimieren (Niveau 3). Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Steigerung der Behaltensleistung der Form-Bedeutungs-Verknüpfung durch zusätzliche Wortkarten (Kate ISA II, 5) • Optimierung des Sprachmodells der Lehrerin durch konsequente Ver‐ wendung des Artikels und von deiktischen Aussagesätzen (Kate ISA II, 4) • Kommunikative Ausgestaltung der Kugellager-Methode (Kate ISA II, 13) Kate macht einen Vorschlag, wie die Form-Bedeutungs-Verknüpfung gesichert werden kann. Sie schlägt eine Erweiterung der Aktivität vor und antizipiert einen einen möglichen Lerneffekt („quicker links between ...“): With the task “who can read this word? ” it would be better not to hide the words at once, but to stick them under the pictures on the board. So the pupils could quicker make links between the meaning, the pronunciation and the spelling of the words. (Kate ISA II, 5) 322 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="323"?> Orientierungsrahmen für die zweite Alternative ist der Lehrer, der als Sprach‐ vorbild Wörter stets im Satzzusammenhang gebrauchen und einführen sollte. It is important to use the words with the articles from the very beginning of learning English. At least the teacher should demonstrate that there are articles in English. It would be better for her to say “an egg” instead of “egg”. Besides it would be also useful to encourage the pupils to speak some simple sentences. For example, “This is a roll.” instead of “roll”. (Kate ISA II, 4) Die Ausweitung der lernersprachlichen Produktion durch die Verwendung von Adjektiven und Kurzfragen sowie die Verwendung von Mehrwortsätzen steckt den Orientierungsrahmen für die dritte Alternative ab. In dieser Alternative spiegelt sich die Subjektperspektive wider: Fremdsprachenlernen durch Kommunikation. To support the lexical learning through communication, it would be better to create some communicative task for two circles. For example, Circle-One children could guess what products Circle-Two learners have. The pupils surely know some simple adjectives. Their dialogues could be like the following one: C1: Is it red? C2: No. It is white. C1: Is it big? C2: No. It is little. C1: It is an egg. C2: Yes, it is. (Kate, ISA II, 7-13) Die Alternativen von Kate spiegeln ihre Subjektperspektive auf lexikalisches Lernen wider, wenn sie eine kommunikative Variation des Übungsgeschehens, eine syntaktische Ausweitung des Inputs und die Schaffung von Sprachver‐ wendungsmöglichkeiten im Unterricht anregt. 4.5.2.3 Video „Drive me crazy“ (Jgst. 6) In dem Video „Drive me crazy“ hat Kate fünf Situationen selektiert. Wie be‐ reits in den vorhergehenden Analysen fällt auch in dieser Analyse auf, dass Kate mehr Alternativen vorschlägt, als Situationen mit einem Fachkonzept zu klassifizieren (vgl. 4.5.2.2). 323 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="324"?> 209 Sprachverwendungsmöglichkeiten im Unterricht anregt. 4.5.2.3 Video „Drive me crazy“ (Jgst. 6) In dem Video „Drive me crazy“ hat Kate fünf Situationen selektiert. Wie bereits in den vorhergehenden Analysen fällt auch in dieser Analyse auf, dass Kate mehr Alternativen vorschlägt, als Situationen mit einem Fachkonzept zu klassifizieren (vgl. Diagramm 48: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA III (Kate) Beschreibungen Kate beschreibt die gewählte Semantisierungstrategie (Übersetzung ins Deutsche) für to drive somebody crazy mit dem Hinweis auf die Unbekanntheit des Ausdrucks als zielgerichtetes Handeln der Lehrperson. “To be driving crazy” is a new expression for the children; that is why the teacher explains it by translating into German. He also mentions “to drive a car” for children to understand that “driving crazy” derives from the verb which they already know. (Kate ISA III, 2) Klassifizierungen Kate ist zwar in der Lage, fachdidaktische Konzepte für die Erklärung von Lehr-Lernsituationen aufzurufen, jedoch sind die Bezüge zwischen dem Unterrichtsvideo und den definitorischen Merkmalen des Fachkonzepts teilweise unzutreffend. Im Vordergrund steht das flüssige, freie Vorspielen des Dialogs, welches in der Vorbereitung ohne ein Ablesen und Einstudieren des schriftlich vorliegenden Dialogtextes auskommt. Kate benutzt also das passende Fachkonzept, für ihre Begründung zieht sie jedoch keine Merkmale des Fachkonzeptes hinzu. Hinweise auf eine explizite Leseförderung, wie Kate meint, sind in der Stunde nicht auszumachen. 0 1 2 3 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kate ISA III, n=5 Diagramm 48: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA III (Kate) Beschreibungen Kate beschreibt die gewählte Semantisierungstrategie (Übersetzung ins Deut‐ sche) für to drive somebody crazy mit dem Hinweis auf die Unbekanntheit des Ausdrucks als zielgerichtetes Handeln der Lehrperson. “To be driving crazy” is a new expression for the children; that is why the teacher explains it by translating into German. He also mentions “to drive a car” for children to understand that “driving crazy” derives from the verb which they already know. (Kate ISA III, 2) Klassifizierungen Kate ist zwar in der Lage, fachdidaktische Konzepte für die Erklärung von Lehr-Lernsituationen aufzurufen, jedoch sind die Bezüge zwischen dem Unter‐ richtsvideo und den definitorischen Merkmalen des Fachkonzepts teilweise un‐ zutreffend. Im Vordergrund steht das flüssige, freie Vorspielen des Dialogs, wel‐ ches in der Vorbereitung ohne ein Ablesen und Einstudieren des schriftlich vorliegenden Dialogtextes auskommt. Kate benutzt also das passende Fachkon‐ zept, für ihre Begründung zieht sie jedoch keine Merkmale des Fachkonzeptes hinzu. Hinweise auf eine explizite Leseförderung, wie Kate meint, sind in der Stunde nicht auszumachen. The aim of the teacher is to develop the speaking fluency of the learners. First he makes sure that all children understand the dialogue. For this reason he reads it aloud and translates each sentence into German. The learners can follow him and so connect the written form with the pronunciation. Maybe their reading skills are not well de‐ veloped and the teacher’s purpose is to train them as well. Otherwise the children could read the dialogue themselves. (Kate ISA III, 1) 324 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="325"?> Bewertung Kate bewertet zwar die Lehrerfrage nach den schwierigsten Sätzen aus dem Dialog positiv, kritisiert jedoch, dass der Lehrer die Phrase „Isn’t that what you do in class? “ nicht thematisiert, was die lexical awareness der Lernenden fördern würde. Unklar bleibt, warum Kate der Meinung ist, dass die Phrase unbedingt im Unterricht besprochen werden sollte. Kate bewertet das Handeln der Lehr‐ person, welche in diesem Fall das Lernpotenzial hinter der Frage nach dem schwierigsten Satz verschenkt. In the second part of the lesson the teacher offers to choose the most interesting and the most difficult expression from the dialogue. It is a good attempt to develop the learners’ ability to assess lexical expressions and grammar constructions. It is pity that the teacher doesn’t take into the consideration the expression “Isn’t that what you do in the class? ”, which is claimed to be the most challenging. He ignores it and con‐ centrates on the “driving crazy” again. (Kate ISA III, 4) Alternativen Kates Analyse enthält recht ausführliche Schilderungen von alternativen Vor‐ gehensweisen im Unterricht. Eine Verbesserung der lexikalischen Lernprozesse sieht Kate in einer Ausweitung des Angebots kommunikativer Kontexte, sodass die Lernenden neue Ausdrücke in verschiedenen Kontexten gebrauchen lernen. Diese Alternative steht im Einklang mit ihrer Subjektperspektive (vgl. 4.5.1). It would be helpful to give a couple of situations as examples, where it is appropriate to use “driving somebody crazy”. So the learners could use the new expression in future. (Kate ISA III, 3) Die zweite Alternative zielt auf die freie Verwendung der sprachlichen Mittel aus dem Dialog in neuen Kontexten. Ihren Vorschlag für eine sehr konkrete Lernaufgabe rahmt Kate in eine Bewertung der rollenspielähnlichen Präsenta‐ tion des Dialogs vor der Klasse ein. At the end some children present the dialogue learned by heart as a role play. Arrang‐ ing a kind of a “theatre competition” is a good way to control the results of the lesson. But it is impossible to do it by every child individually the children will get bored quickly. It would be helpful to create a couple of communicative situations similar to that one described in the dialogue. So the learners could use the constructions in their own role plays, not just reproduce what they have learned by heart. A possible example for such a task could be: Create a dialogue between mother and son, a boss and his worker, two neighbors etc. Use some of the following expressions: to happen, to oversleep, to be driving crazy, to be interesting. (Kate ISA III, 5-10) 325 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="326"?> Als Orientierungsrahmen lässt sich bei Kate häufiger die Gestaltung kommu‐ nikativer Sprachverwendungssituationen identifizieren, was sich bereits in dem Fragebogen zur Erhebung der Subjektperspektive zeigte (vgl. 4.5.1). 4.5.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) Kate wählt in dem Video „Perfect Job” sieben Situationen aus. Für knapp die Hälfte dieser Situationen formuliert sie alternative Vorgehensweisen, die durchweg das Potenzial haben, das lexikalische Lernen der Lernenden in dieser Stunde zu verbessern. Zwei Situationen klassifiziert sie mit einem Fachkonzept, wobei der Bezug zwischen Video und Fachkonzept eher allgemein bleibt. Die Verteilung der Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung ähnelt dem Profil von ISA II und III (vgl. Diagramm 46 und Diagramm 47) Diagramm 49: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA IV (Kate) Klassifizierungen ISA IV (Video „Perfect Job“) Die Klassifizierungen der Stunde mit den Standbein meaning-focused output und der Lernprozesse mit dem Fachkonzept productive retrieval sind zutreffend. Kate bleibt jedoch Belege aus dem Unterrichtsvideo schuldig, so dass die Klassifizierungen nur ansatzweise nachvollziehbar sind. The aims of the teacher are to train the productive retrieval of the students and to develop their meaning focused output. (Kate ISA IV, 1) Kate klassifiziert die lexikalischen Lernprozesse in dieser Stunde richtig als inzidentelles Lernen, ohne jedoch Belege aus der Stunde zu nennen. Die ausgebliebene Verständnissicherung und das Nicht-Korrigieren von Aussprachefehlern sind für sich allein genommen nur ein schwaches Indiz für beiläufiges Wortschatzlernen. The teacher does not concentrate on the pronunciation of the words and does not control the understanding of the group in this part of the lesson. So we tend to favor the idea the activities of this part of the lesson have an incidental-learning character. (Kate ISA IV, 4) 0 1 2 3 4 Anzahl selektierter Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kate, ISA IV, n=8 Diagramm 49: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA IV (Kate) Klassifizierungen ISA IV (Video „Perfect Job“) Die Klassifizierungen der Stunde mit den „Standbein“ meaning-focused output und der Lernprozesse mit dem Fachkonzept productive retrieval sind zutreffend. Kate bleibt jedoch Belege aus dem Unterrichtsvideo schuldig, sodass die Klas‐ sifizierungen nur ansatzweise nachvollziehbar sind. The aims of the teacher are to train the productive retrieval of the students and to develop their meaning-focused output. (Kate ISA IV, 1) 326 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="327"?> Kate klassifiziert die lexikalischen Lernprozesse in dieser Stunde richtig als inzidentelles Lernen, ohne jedoch Belege aus der Stunde zu nennen. Die aus‐ gebliebene Verständnissicherung und das Nicht-Korrigieren von Aussprache‐ fehlern sind für sich allein genommen nur ein schwaches Indiz für beiläu‐ figes Wortschatzlernen. The teacher does not concentrate on the pronunciation of the words and does not control the understanding of the group in this part of the lesson. So we tend to favor the idea the activities of this part of the lesson have an incidental-learning character. (Kate ISA IV, 4) Bewertungen Als Orientierungsrahmen dient Kate das allgemeindidaktische Prinzip der Schü‐ leraktivierung. Auch wenn Kate von Effekten spricht, löst dies hier nicht die Kodierung mit der Kategorie Vorhersagen aus, da die vermuteten positiven Ef‐ fekte pädagogischer Natur sind („extremely motivating“). Worin dieser motiva‐ tionale Effekt genau besteht oder welche Indizien aus dem Video diese Ein‐ schätzung untermauern, lässt Kate jedoch offen. Die Aktivierung, die Kate zu sehen glaubt, trifft für eine kleine Gruppe von Lernenden, aber nicht für die gesamte Lerngruppe zu. Einige Experten sehen die Aufgabe indes als nicht an‐ gemessen für diese Alterststufe an (vgl. 3.5.5.5). The teacher starts the lesson with the pantomime game, which is extremely motivating for the learners. He explains the rules clearly and shows one example himself. This has a positive effect on the pupils and they become active. (Kate ISA IV, 2) Der Gegenstand der folgenden Bewertung ist eine konkrete Lernaufgabe: eine pre-reading task. Die Richtung der Bewertung scheint ambivalent zu sein. Eins‐ erseits sieht Kate in der Aufgabe ein Potenzial, das Leseverstehen zu erleichtern. Die Frage „why do they need so long to look through the pictures? “ offenbart Kates Zweifel an der Umsetzung, eine Einschätzung, die auch von den Experten geteilt wird. Den Lernenden wird zu viel Zeit für die Bildbetrachtung einge‐ räumt, weshalb sie schon in dieser Phase beginnen, den Text zu lesen. The second part of the video is about working with the text. There is only shown the first stage of the text work. The students should look through the pictures and name the professions without reading the text. Such kind of task is helpful to increase the learners’ understanding of the text later. But why do they need so long to look through the pictures? (Kate ISA IV, 5) 327 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="328"?> Alternativen Kate entwickelt für drei konkrete Situationen lexikalischen Lernens Alterna‐ tiven, deren Umsetzung zu einer Optimierung lexikalischen Lernens führen würde. Die erste Alternative zielt auf die Nachhaltigkeit des Lernens durch schriftliches Fixieren von Berufsbezeichnungen und einer nachfolgenden kom‐ munikativen ranking task. Kate nutzt die Fachkonzepte generative use und re‐ trieval, um die von ihr antizipierten Effekte der Aufgabe zu beschreiben. During the game the names of professions should be highlighted. Although the words are not new for the pupils, it would be helpful for them to write them down and then to do a little task connected with them, like: Make a ranking of mentioned the pro‐ fessions from the most attractive to the less attractive. Be ready to explain your ran‐ king. The task could be different but it is important for the students to use the words as often as possible in various contexts. It would stimulate the generative use of the words, which is the next step after retrieval. (Kate ISA IV, 3) In ähnlicher Weise zielt die zweite Alternative auf die Verbesserung der Nach‐ haltigkeit des Lernens durch mehr Schriftlichkeit und einen strukturierten Ta‐ felanschrieb. Eine Wirkung auf Aspekte des Wortschatzwissens stellt Kate vor allem für schwächere Lerner heraus: Sie könnten die geschriebene und gespro‐ chene Form des Wortes abgleichen. When the students tell their ideas, it would be better for the teacher to note the answers on the blackboard in form of a mind map. The mind map could be a kind of support for weaker learners. It would also connect different aspects of the word knowledge, for example, pronunciation and spelling. (Kate ISA IV, 6) Kate schlägt zusätzliche Fragen zur Bildbeschreibung vor, da diese den Sprach‐ umsatz der Lernenden erhöhen würden. Diese Alternative, welche Kate mit Bezug auf die strands prägnant beschreibt, steht im Einklang mit der Meinung der Experten, welche die fehlende Unterstützung der Lernenden durch interak‐ tive Lerndidaloge in dieser Phase anmahnen. Sie schlagen Scaffolding durch häufig gebrauchte chunks vor (vgl. 3.5.5.5). It would be also good for the meaning-focused output development to ask the students more additional questions about the pictures. (Kate ISA IV, 7) Die vierte Alternative entwickelt Kate auf der Basis einer sehr genauen Beobach‐ tung einer Situation, an deren Anfang ein Aussprachefehler steht. Man kann den Anlass zu dieser Alternative als intern erfolgten Abgleich zwischen dem realen Effekt (Schüler spricht das Wort scientist falsch aus) und dem antizipierten Effekt (Schüler kann Wort aus dem Text korrekt aussprechen) interpretieren. Aus dem 328 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="329"?> Abgleich und dem Einbezug der situativen Bedingungen schlussfolgert Kate, dass der Lehrer dem Wort nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt, obwohl es eine offensichtliche learning burden im Bereich Aussprache hat. Insofern haben die von Kate vorgeschlagenen Maßnahmen Dekontextualisierung und chorisches Nach‐ sprechen das Potenzial, lexikalisches Lernen bezogen auf einen Aspekt des Wort‐ schatzwissens (gesprochene Form) zu verbessern. When the teacher corrects the pronunciation of the word “scientist”, he should get sure, that the student can pronounce it in the correct way. He highlights the word not well enough. It would be useful to ask the student to pronounce the word one more time. The pronunciation of “scientist” is tricky, and it is obvious that more learners can have problems with it. So maybe the teacher should decontextualize the word and ask the whole group to pronounce it several times. (Kate ISA IV, 7) 4.5.3 Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Kate Dieses Kapitel fasst zusammen, in welchen Dimensionen sich Entwicklungen feststellen lassen, die auf eine Professionalisierung der Unterrichtswahrneh‐ mung hindeuten. Hierzu werden ISA Prä und ISA Post miteinander verglichen. Neben einer quantitativen Perspektive auf die Dimensionen der PUW wird au‐ ßerdem untersucht, wie Kate bestimmte Schlüsselszenen in der Prä- und in der Post-Analyse analysiert. Welche Unterschiede zeigen sich in der Verarbeitung von einzelnen Schlüsselszenen? Werden Situationen, die in der Prä-Analyse be‐ schrieben wurden, in der Post-Analyse mit Fachkonzepten klassifiziert? 329 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="330"?> Diagramm 50: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs, selek‐ tierte Situationen, n=50 (Kate) Der Anteil abstrakter Beschreibungen ist in der Tendenz von ISA I zu ISA Post rückläufig (vgl. Diagramm 50). Anfänglich verkennt Kate fachdidaktische Not‐ wendigkeiten von Situationen und kommt aufgrund dieser Fehleinschätzungen zu irrigen Annahmen über die Ziele des Lehrers in einer bestimmten Situation (ISA 1). Kate geht kreativ mit den Fachbegriffen um und kreiert durch Blending neue Fachkonzepte (language-focused output & input). Zutreffende Klassifizie‐ rungen finden sich vor allem in der Post-Analyse, während sie sich in den in‐ termediären ISAs (z. B. ISA I, ISA IV) nur vereinzelt ausmachen lassen. Im di‐ rekten Prä-Post-Vergleich verwendet Kate zum Ende des Seminars hin Fachkonzepte sowohl für die Klassifizierung von Situationen wie auch für die Benennung von Alternativen. In der Gesamtschau zeigt sich, dass Kate in wach‐ sender Zahl Fachkonzepte nutzt. Verknüpfungen zwischen Lehrerhandeln und Lernprozessen sind nur in ISA I und in ISA Post nachweisbar. Wenn Kate von Lehrerhandlungen auf mentale Zustände und Lernergebnisse schließt, neigt sie zur Übergeneralisierung von Lehrererläuterungen und deren Effekten auf die entstehende Lernersprachenbewusstheit. 330 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="331"?> 4.5.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse 214 4.5.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Diagramm 51: Kate Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen Die Anzahl der im Unterrichtsvideo „Money“ selektierten Situationen steigt von 9 in der Prä-Analyse auf 13 in der Post-Analyes an. Der Anteil der abstrakten Beschreibungen ist von der Präzur Post-Analyse deutlich zurückgegangen. Stattdessen klassifiziert Kate in der Post-Analyse rund ein Drittel aller Situationen mit einem Fachkonzept. Die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen Lehrerverhalten und Lerneffekten zu erkennen, hat sich bei Kate nur im Ansatz entwickelt, so dass sie in der Post-Analyse nur für eine Situation eine begründete und differenzierte Vorhersage von lexikalischen Lernergebnissen macht. In der Post-Analyse gibt es Zugewinne bei begründeten und konkreten Alternativen, die zu nachvollziehbaren Optimierungen lexikalischen Lernens in konkreten Situationen des Unterrichts führen. Die aggregierten Kategorien veranschaulichen die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Kate (Diagramm 52). Kate ist am Ende des Seminars in der Lage, Situationen mit Fachkonzepten zu klassifizieren, während zu Beginn Beschreibungen von Situationen aus dem Unterricht überwiegen. Auch bei der Vorhersage von Lerneffekten sind leichte Zugewinne erkennbar. 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kate_ISA_prä Kate_ISA_post Diagramm 51: Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Kate) Die Anzahl der im Unterrichtsvideo „Money“ selektierten Situationen steigt von 9 in der Prä-Analyse auf 13 in der Post-Analyse an. Der Anteil der abstrakten Beschreibungen ist von der Präzur Post-Analyse deutlich zurückgegangen. Stattdessen klassifiziert Kate in der Post-Analyse rund ein Drittel aller Situati‐ onen mit einem Fachkonzept. Die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen Leh‐ rerverhalten und Lerneffekten zu erkennen, hat sich bei Kate nur im Ansatz entwickelt, sodass sie in der Post-Analyse nur für eine Situation eine begründete und differenzierte Vorhersage von lexikalischen Lernergebnissen macht. In der Post-Analyse gibt es Zugewinne bei begründeten und konkreten Alternativen, die zu nachvollziehbaren Optimierungen lexikalischen Lernens in konkreten Situationen des Unterrichts führen. Die aggregierten Kategorien veranschaulichen die Entwicklung der professio‐ nellen Unterrichtswahrnehmung bei Kate (Diagramm 52). Kate ist am Ende des Seminars in der Lage, Situationen mit Fachkonzepten zu klassifizieren, während zu Beginn Beschreibungen von Situationen aus dem Unterricht überwiegen. Auch bei der Vorhersage von Lerneffekten sind leichte Zugewinne erkennbar. 331 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="332"?> 215 Diagramm 52: Kate Prä-Post Vergleich, aggregiert 4.5.3.2 Ausgewählte Analysen von Kate aus der Post-Analyse (Video „Money“) Kate klassifiziert insgesamt vier Situationen in zutreffender Weise mit einem Fachkonzept (Diagramm 53). Für zwei Situationen entwickelt sie jeweils eine Alternative, welche das Potenzial haben, lexikalisches Lernen zu optimieren. Annähernd jede vierte Situation wird von Kate bewertet. Da es sich um die letzte Analyse (ISA- Post) am Ende des Seminars handelt, werden im Folgenden die Klassifizierungen, Bewertungen und Alternativen aus der Post-Analyse (Video „Money“) im Detail dargestellt. Diagramm 53: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA post (Kate), Video „Money“ Kate beschreibt zunächst die Stundenstruktur allgemein und stellt das Lehrerverhalten als lernunterstützend heraus. In general, the lesson produces a good impression. It is well-structured. The teacher supports the learners with the motivating beginning, the mind-map, additional questions, his gestures and mimics. The tasks are clear and belong to different types, so the children stay interested during the whole time. (Kate ISA Post, 15) 02468 10 Beschr Klass Vorhers Altern Kate Prä-Post, aggregiert Prä Post 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kate ISA Post, n=13 Diagramm 52: Prä-Post im Vergleich, aggregiert (Kate) 4.5.3.2 Ausgewählte Analysen von Kate aus der Post-Analyse (Video „Money“) Kate klassifiziert insgesamt vier Situationen in zutreffender Weise mit einem Fachkonzept (Diagramm 53). Für zwei Situationen entwickelt sie jeweils eine Alternative, welche das Potenzial haben, lexikalisches Lernen zu optimieren. Annähernd jede vierte Situation wird von Kate bewertet. Da es sich um die letzte Analyse (ISA Post) am Ende des Seminars handelt, werden im Folgenden die Klassifizierungen, Bewertungen und Alternativen aus der Post-Analyse (Video „Money“) im Detail dargestellt. 332 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="333"?> 215 Diagramm 53: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA post (Kate), Video „Money“ Kate beschreibt zunächst die Stundenstruktur allgemein und stellt das Lehrerverhalten als lernunterstützend heraus. In general, the lesson produces a good impression. It is well-structured. The teacher supports the learners with the motivating beginning, the mind-map, additional questions, his gestures and mimics. The tasks are clear and belong to different types, so the children stay interested during the whole time. (Kate ISA Post, 15) 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Kate ISA Post, n=13 Diagramm 53: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Post (Kate), Video „Money“ Kate beschreibt zunächst die Stundenstruktur allgemein und stellt das Lehrer‐ verhalten als lernunterstützend heraus. In general, the lesson produces a good impression. It is well-structured. The teacher supports the learners with the motivating beginning, the mind-map, additional ques‐ tions, his gestures and mimics. The tasks are clear and belong to different types, so the children stay interested during the whole time. (Kate ISA Post, 15) Die Zielrichtung der Stunde wird von Kate richtig mit dem „Standbein“ language focused learning klassifiziert. In ihrer Begründung bezieht Kate auch Merkmale des „Standbeins“ meaning-focused output mit ein. Allerdings gerät die Argu‐ mentationslinie so in eine Schieflage und ist sachlich nicht mehr zutreffend. Mit dem von ihr erfundenen Konzept language-focused input will Kate offenbar die sprachlichen Erläuterungen des Lehrers erfassen. Das Konzept rich instruction wäre hingegen das passende Fachkonzept. The goals of the teacher are: To revise the active vocabulary on the topic “Money”; To introduce some new words on the topic. The language strand is mostly language fo‐ cused output. The pupils have to recall the words to express their ideas and to use them in their sentences (like in the task: ”Describe Down Jones”). Some parts of the lesson can be seen as language focused input (when the teacher explains the new words). (Kate ISA Post, 1-4) 333 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="334"?> Kate schließt von Lehrerhandlungen auf mentale Zustände der Lernenden, bleibt aber einen Beleg aus dem Unterricht schuldig. Sie lobt die strukturierte Sammlung der Wörter aus dem Wortfeld money an der Tafel, weil dies schwä‐ cheren oder passiven Lernern eine Wiederholungsoption bietet. Dass sich Lernende der semantischen Relationen (Antonyme) bewusst werden, ist nicht sicher, wenn auch nicht ausgeschlossen. Aufgabenstellungen, die eine An‐ ordnung von Wörtern in der gleichen Weise erfordern oder eine Frage an die Schüler, mit der die Struktur des Tafelbildes explizit gemacht und reflektiert wird, finden sich jedoch nicht. Arranging the words in the mind map is a good idea. This supports the lexical learning. The weaker students have an opportunity to revise the words even if they cannot do productive retrieval. The words are arranged on the board in a good way. For example, the teacher writes expensive and cheap; lose money and win money together because they are antonyms. This leads to the lexical awareness of the learners. (Kate ISA Post, 6) Kate klassifiziert zwei Situationen in allgemeiner Weise, wobei die Bezüge zwi‐ schen der Situation und dem Konzept allgemein bleiben. Kate kreiert erneut ein eigenes Fachkonzept und kombiniert zwei der beiden „Standbeine“ zu lang‐ uage-focused output. Der Eindruck, dass die Lernenden unter Zeitdruck Assozia‐ tionen finden sollen, mag daher rühren, dass Perino als Lehrer etwas hektisch wirkt und durch seine Art der Unterrichtsführung schnelle Reaktionen der Lerner einfordert. De facto gibt es eine Zeitbegrenzung für die Aufgabe (siehe Tabelle 47); diese dürfte aber keine Auswirkung auf die Förderung der Flüssigkeit beim Abrufen haben, weil die Lernenden mit dem Partner zusammenarbeiten. Die Be‐ deutung des Konzepts der fluency hat Kate nur oberflächlich erfasst. L Okay. Talk to your neighbour, in English, for a minute 4: 27 C Die SuS tauschen sich mit ihren Banknachbarn aus und überlegen sich zusammen associations zum Thema money. 4: 28-5: 48 Tabelle 47: Auszug aus dem Video „Money“ The dialogue task is a language-focused output task. We tend to favor the idea it can be a fluency development task for some learners. There is a time limit, the words are written on the board, and some associations have already been called. (Kate ISA Post, 9) 334 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="335"?> Kate verwendet eine Reihe von Fachkonzepten in dieser Passage, darunter das Konzept decontextualization, eine Voraussetzung für noticing. Eine Dekontex‐ tualisierung, wie Kate sie zu sehen meint, findet jedoch nicht statt, weil Perino die Schüleraussage in ihrem Kontext belässt (vgl. Video „Money“, 9: 51). Be‐ trachtet man die Situation unter Hinzunahme des Transkripts (Kontextanalyse, vgl. 3.6.4.1), so wird deutlich, dass es sich eher um ein Beispiel für negotiation of meaning (9: 52-53) handelt. L That’s interesting. How do you associate war with money? 9: 42 S Ja, eh, people need money and shoot themselves down. 9: 48 L Shoot themselves? 9: 51 C L gestikuliert, dass er sich selbst erschießt. 9: 52 C Gelächter unter den SuS 9: 53 L What’s the other word? Didn’t we look at this? 9: 56 S Each other. 9: 58 L Each other, exactly, ja, that’s the, not the same. 10: 00 Noticing the mistake in the student’s expression “they kill themselves”, the teacher decontextualizes the word, but he doesn’t say the right variant, he just says “didn’t we have it? ” In that way he wants the learners to correct it. This fact is very positive - the learners have to activate their knowledge. They have to recall the right variant (productive retrieval again) and correct the expression. This leads also to their lexical awareness. (Kate ISA Post, 11) Wenn die Korrektur durch die Schüler geleistet wird, erfordert dies das ak‐ tive Erinnern. In welche Richtung und bezogen auf welche Wörter oder Wen‐ dungen sich bei den Lernenden lexikalische Bewusstheit einstellt, bleibt in Kates Analyse offen. 335 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="336"?> 4.5.3.3 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Analyse Um Entwicklungen der professionellen Unterrichtswahrnehmung auch quali‐ tativ zu erfassen, sollen Analysen von einzelnen Schlüsselszenen aus dem Video „Money“ im direkten Prä-Post-Vergleich erörtert werden. In beiden Analysen zeigt Kate eine Alternative für den Lehrerimpuls auf, der in der Stunde kaum zu längeren Äußerungen seitens der Schüler geführt hat. Die Begründung bleibt in beiden Fällen vage. Ein Partnergespräch ergibt nicht notwendigerweise Sinn, wenn die Schüler bereits in zwei vorhergehenden Phasen in einem Brainstor‐ ming ihre Gedanken bzw. Assoziationen zum Thema ausgetauscht haben. Ob die Lernenden den kommunikativen Wert eines solchen Dialogs wertschätzen, wie Kate meint, erscheint fragwürdig. Kate, ISA Prä, 6 Kate, ISA Post, 9 It would be better for the teacher to end up the dialogue phase with a question like “What does your neighbor associate with money? ” in‐ stead of his “What do you associate with money? ” So children could see the importance of the dialogues. But it is not very effective to ask after the dialogues again: “What do you associate with money? ” It would be better to ask: “What does your neighbor think about money? ” So the children would esteem the communi‐ cative point of the dialogues. Tabelle 48: Vergleich einer Schlüsselszene, ISA Prä-Post (Kate) Eine weitere Schlüsselszene aus dem Video verdeutlicht die Entwicklung von Kates Fähigkeit zur professionellen Unterrichtswahrnehmung. In der Prä-Ana‐ lyse bewertet Kate den Impuls des Lehrers als unklare Worterklärung und belegt dies mit den offensichtlichen Schwierigkeiten der Schüler, die Frage des Lehrers zu beantworten. In der Post-Analyse kritisiert Kate den gleichen Impuls noch deutlicher („explained in a wrong way“) und begründet nun, warum die ge‐ wählte Semantisierungsstrategie von Perino wenig effektiv ist („explain a word with a question“). Kate hat also das grundsätzliche Problem in dieser Phase des Unterrichts erkannt: Die Schüler können deshalb nicht auf die Nachfragen des Lehrers antworten, weil sie das unbekannte Wort afford bis dahin noch nicht entschlüsselt haben (guessing from context). Statt der Paraphrasierung führt die nachfolgend vom Lehrer eingesetzte Strategie in Form eines schülernahen Bei‐ spiels (definition by exemplification) letztlich zum Ziel. 336 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="337"?> Bewertung (unzureichende Leh‐ rererklärung) Alternative Only the word “afford” is explained not clearly at the beginning. The teacher tries to explain the word as‐ king a question “Could you afford to buy a house just like this? ” Seeing that the pupils cannot answer and understanding his mistake he changes the question for “Do you have enough money? Could you af‐ ford it? ” (Kate, ISA Prä, 8) The word afford is explained in a wrong way. It is not effective to ex‐ plain a word with a question. That’s why when he asks “Can you afford to buy a house? ” the student doesn’t know what to say. Noticing his mistake the teacher paraphrases his question: “Could you afford it? Do you have enough money? ” But there is no answer again. There is an im‐ pression the student doesn’t know the word enough as well. It would be more effective to say: if I have 3 $ I cannot afford to buy a house. It is not enough. (Kate, ISA Post, 14) Tabelle 49: Vergleich von Schlüsselszenen ISA Prä-Post (Kate) Im Umgang mit Fachkonzepten fällt auf, dass Kate vom Prozess auf das Produkt und von der Lehrererläuterung auf sich einstellendes Sprachbewusstsein bei den Lernern schließt. Die Tatsache, dass die Lehrperson aus einem Adjektiv (greedy) ein passendes Nomen (greed) ableitet, bedeutet allerdings noch nicht, dass die Lernenden diese Wortbildungsregularität durchschaut haben und sie Adjektiv und Nomen selbstständig gebrauchen können. One more moment, where lexical awareness is present is explanation of the word greedy. The teacher uses the word greed, when he says; “Greed is one of the deadly sins.” So, the learners get immediately not just an adjective but also the noun, from which it is derived. (Kate ISA Post, 7) Auch das nächste Beispiel aus der Post-Analyse zeigt, dass Kate die Entwicklung lexikalischer Bewusstheit bei den Lernenden etwas überschätzt, wenn diese le‐ diglich eine fehlerhafte Äußerung im Rückgriff auf zuvor gelernte grammati‐ kalische Regelhaftigkeiten korrigieren. Es stimmt, dass die Lernenden die pas‐ sende Form (each other) aus der Erinnerung abrufen müssen; allerdings erscheint es fraglich, dass dieser Lernprozess schon die lexikalische Bewusstheit im Sinne eines reflexiven Umgangs mit Wörtern fördert (vgl. Tabelle 7, rechte Spalte). Einen analytischen Umgang mit Lexis, den Nation (2008: 172) als zentral für das Konzept lexical awareness ansieht, kann man in dieser Unterrichtssituation nur schwerlich erkennen. 337 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="338"?> Noticing the mistake in the student’s expression “they kill themselves”, the teacher decontextualizes the word, but he doesn’t say the right variant, he just says “didn’t we have it? ” In that way he wants the learners to correct it. This fact is very positive - the learners have to activate their knowledge. They have to recall the right variant (productive retrieval again) and correct the expression. This leads also to their lexical awareness. (Kate ISA Post, 11) 4.5.4 Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Kate Fast ein Viertel (24%) aller Situationen aus den Unterrichtsvideos wird von Kate bewertet. Der Anteil von Situationen, für die Kate Alternativen entwickelt, ist mit 20% recht hoch. Für jede fünfte Situation wird eine Alternative vorge‐ schlagen, deren Umsetzung eine Optimierung lexikalischen Lernens bedeuten würde. Für 16% aller selektierten Situationen nutzt Kate Fachkonzepte zur Klas‐ sifizierung. 10% der klassifizierten Situationen lassen einen argumentativen Bezug zwischen Merkmalen des Fachkonzepts und der konkreten Situation ver‐ missen. Allerdings nutzt Kate bei den Alternativen in ISA IV (vgl. 4.5.2.4.3) sowie bei einigen Vorhersagen (Niveau 3) Fachkonzepte. Diagramm 54: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (Kate) Kate schlägt alternative Handlungsmöglichkeiten in allen Analysen vor. Dies hängt möglicherweise mit ihren umfangreichen Praxiserfahrungen als Nachhilfelehrerin zusammen (vgl. 4.5.1). In Kates Alternativen nimmt die Gestaltung und Herbeiführung von kommunikativen Situationen und Anlässen im Englischunterricht einen großen Raum ein. Dies passt zu ihrer Vorstellung vom gelingenden Sprachenlernen, welches möglichst authentische Kontexte und viele kommunikative Situationen und Anlässe erfordert. Kate trifft regelmäßig wertende Aussagen zu dem im Video gezeigten Unterricht. Ein pädagogischer Orientierungsrahmen oder ein wiederkehrendes Thema lässt sich in den Bewertungen aller vorliegenden schriftlichen 24% 0% 4% 0% 12% 2% 10% 6% 8% 0% 4% 2% 8% 20% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% Anteil der selektierten Situationen Dimensionen der Untrrichtswahrnehmung Kate alle ISAs, n=50 Diagramm 54: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (Kate) 338 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="339"?> Kate schlägt alternative Handlungsmöglichkeiten in allen Analysen vor. Dies hängt möglicherweise mit ihren umfangreichen Praxiserfahrungen als Nach‐ hilfelehrerin zusammen (vgl. 4.5.1). In Kates Alternativen nimmt die Gestaltung und Herbeiführung von kommunikativen Situationen und Anlässen im Eng‐ lischunterricht einen großen Raum ein. Dies passt zu ihrer Vorstellung vom gelingenden Sprachenlernen, welches möglichst authentische Kontexte und viele kommunikative Situationen und Anlässe erfordert. Kate trifft regelmäßig wertende Aussagen zu dem im Video gezeigten Unter‐ richt. Ein pädagogischer Orientierungsrahmen oder ein wiederkehrendes Thema lässt sich in den Bewertungen aller vorliegenden schriftlichen Analysen nicht iden‐ tifizieren. Allerdings zeigt sich eine leichte Häufung von Bewertungen, die sich auf konkretes Lehrerverhalten und auf unklare oder unzureichende Worterklärungen beziehen (vgl. Tabelle 50). Über alle ISAs hinweg sind die Bewertungen ausge‐ wogen, was den fachdidaktischen bzw. pädaogischen Fokus betrifft. Thema der Bewertung An‐ zahl Positiv/ negativ Fachdidak‐ tisch/ pädagogisch Unzureichende/ unklare Worterklärung 3 negativ FD Positive Lernatmosphäre 1 positiv P Förderung des Sprechens 1 positiv FD Mind Map fördert Behalten 1 positiv FD Schüleraktivierende Methoden 1 positiv P Effektivität von Aktivitäten 1 negativ FD Lehrerverhalten allgemein 1 neutral P Lehrerverhalten konkret 2 neutral FD Struktur der Stunde 1 positiv P Tabelle 50: Themen und Fokus der Bewertungen bei Kate (alle ISAs) Wiederkehrende Themen als Orientierungsrahmen ihrer professionellen Un‐ terrichtswahrnehmung finden sich bei Kate weniger in den Bewertungen als vielmehr in den Alternativen. Orientierungsrahmen für die von Kate vorge‐ schlagenen Alternativen liegen in der kommunikativen Variation des Übungs‐ geschehens, der syntaktische Ausweitung des Inputs und Erweiterung der Sprachverwendungsmöglichkeiten. Die Ausweitung der lernersprachlichen 339 4.5 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Kate <?page no="340"?> Produktion sowie die Verwendung von Mehrwort-Sätzen ist ein weiterer Ori‐ entierungsrahmen für Alternativen. Das Potenzial der Alternativen zur Opti‐ mierung lexikalischen Lernens im besagten Sinne wird deutlich. Die Überprü‐ fung von Lernergebnissen durch den Lehrer als kontrollierende Instanz sind wiederkehrende Themen in verschiedenen ISAs. 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha 4.6.1 Kurzbeschreibung des Falls Martha Martha studiert im achten Semester Englisch, Mathematik und Deutsch für das Lehramt Primarstufe. In ihrem Studium mit einem fachdidaktischen Schwer‐ punkt hat sie bislang sechs fachdidaktische Lehrveranstaltungen besucht. Sie hat keine bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen besucht, in denen es um das Thema Unterrichtsbeobachtung ging. Martha hat im Rahmen von zwei vierwöchigen Praktika Unterricht unter der Perspektive der Gestaltung und Planung von Englischunterricht beobachtet. Sie erteilt außerdem Nachhilfe im Fach Englisch (Klasse 3-5). Eine Fremdsprache erlernt man aus ihrer Sicht am besten, wenn man an Sprache und Kultur des Landes interessiert ist und immer wieder Gelegenheiten bekommt, die Sprache „weiterzuentwickeln und zu üben“. Damit Schüler im Fremdsprachenunterricht umfangreiche und differenzierte Wortschatzkenntnisse aufbauen, sollte man ihnen im Unterricht „Raum für Fragen, das Sprechen der Sprache und die In‐ teraktion mit anderen Schülern in der Fremdsprache“ bieten. Die größte He‐ rausforderung beim Wortschatzlernen besteht darin, sich „die verschiedenen Bedeutungen von einzelnen Wörtern zu merken“. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson „die Schüler dazu ermutigen, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstanden haben“ und das extensive Lesen anregen. Außerdem sollte sie den Schülern vor Augen führen, was sie mit einer Fremdsprache alles tun und welche Ziele sie damit erreichen können. 340 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="341"?> 4.6.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Martha: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.6.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) Martha hat im Vergleich zu den anderen Probanden überdurchschnittlich viele Situationen in diesem Video selektiert (Durchschnitt für ISA I=10,5). Die wis‐ sensbasierte Verarbeitung des Unterrichts ist in dieser ersten Analyse gering ausgeprägt; nur eine Situation wird in nachvollziehbarer und zutreffender Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert. Fünf von 13 (38%) selektierten Situationen werden beschrieben und rund 23% der selektierten Situationen werden bewertet. Martha schlägt zwar zwei Alternativen vor, diese haben jedoch nicht das Po‐ tenzial, lexikalisches Lernen in den betreffenden Situationen zu optimieren. 221 Planung von Englischunterricht beobachtet. Sie erteilt außerdem Nachhilfe im Fach Englisch (Klasse 3-5). Eine Fremdsprache erlernt man aus ihrer Sicht am besten, wenn man an Sprache und Kultur des Landes interessiert ist und immer wieder Gelegenheiten bekommt, die Sprache „weiterzuentwickeln und zu üben“. Damit Schüler im Fremdsprachenunterricht umfangreiche und differenzierte Wortschatzkenntnisse aufbauen, sollte man ihnen im Unterricht „Raum für Fragen, das Sprechen der Sprache und die Interaktion mit anderen Schülern in der Fremdsprache“ bieten. Die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen besteht darin, sich „die verschiedenen Bedeutungen von einzelnen Wörtern zu merken“. Um das Wortschatzlernen ihrer Schüler zu fördern, sollte eine Lehrperson „die Schüler dazu ermutigen, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstanden haben“ und das extensive Lesen anregen. Außerdem sollte sie den Schülern vor Augen führen, was sie mit einer Fremdsprache alles tun und welche Ziele sie damit erreichen können. 4.6.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Martha: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-IV) 4.6.2.1 Video „Misunderstandings“ (Jgst. 12) Martha hat im Vergleich zu den anderen Probanden überdurchschnittlich viele Situationen in diesem Video selektiert (Durchschnitt für ISA I = 10,5). Die wissensbasierte Verarbeitung des Unterrichts ist in dieser ersten Analyse gering ausgeprägt; nur eine Situation wird in nachvollziehbarer und zutreffender Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert. Fünf von 13 (38%) selektierten Situationen werden beschrieben und rund 23% der selektierten Situationen werden bewertet. Martha schlägt zwar zwei Alternativen vor, diese haben jedoch nicht das Potenzial, lexikalisches Lernen in den betreffenden Situationen zu optimieren. Diagramm 55: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA I (Martha) 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Martha ISA I, n=13 Diagramm 55: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA I (Martha) Beschreibungen Martha fokussiert in der Analyse des Videos die Einstiegsphase und beschreibt einzelne Phasen mit den dazugehörigen Schüleraktivitäten recht konkret, ohne dabei einen besonderen Fokus auf lexikalisches Lernen zu legen. The English lesson starts with a reading task. The teacher does not tell the class what the lesson will be about or its topic but denotes that the students will talk about dif‐ ferent countries. He first wants the learners to read a text quietly. (Martha ISA I, 1) In einer zweiten konkreten Beschreibung arbeitet Martha im Detail heraus, wie die Lerngruppe zur eigenständigen Formulierung des Stundenthemas gelangt: 341 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="342"?> They also get to know the differences between British and German habits and that using words in another, wrong or inappropriate way may lead to misunderstandings. Being sure that the text´s message has become clear to the learners the teacher lets them think about the possible topic of the lesson. In conclusion one of them formulates the lesson´s topic, which is talking about misunderstandings between different cul‐ tures. (Martha, ISA I,4) In den abstrakten Beschreibungen erkennt Martha die Zielrichtung einzelner Lehrerhandlungen. Indem der Lehrer Passagen aus dem Dialog, welche zu Miss‐ verständen geführt haben bzw. Humor auslösen, herausgreift und gezielt danach fragt, will er sicherstellen, dass die Lernenden den Text verstanden haben. To be really sure that all pupils understand the text and its message the teacher wants them to retell the story in their own words and maybe detect what is funny or strange about it as well as to guess or even to formulate the lesson´s topic. At the same time learners practice the oral reproduction of certain information. While doing this the teacher recognizes that the learners do not really get the message of the text and so tries to pick all the situations described in the text which are the most important ones and which let them know what the story is all about. (Martha ISA I, 3) Martha sieht das Potenzial dieser Unterrichtsphase darin, dass die Lernenden sich der Bedeutungsunterschiede von bekannten Wörtern wie z. B. appetite, be‐ wusst werden. Learners have the chance to become aware of meaning differences and can compare German and British words in a certain context, for example the expression “good appetite“ or the word “card“ instead of “menu“. (Martha ISA I, 3) Martha ist in der Lage, vom konkreten Unterrichtsgeschehen zu abstrahieren und Zielorientierungen von Unterrichtsphasen im Hinblick auf lexikalisches Lernen herauszuarbeiten. All in all one can conclude that the teacher wants the learners to recognize that mis‐ understandings happen when someone uses a word in a wrong way or within a wrong, inappropriate context and shows them typical misundertandings between German and English speaking persons in a restaurant. (Martha ISA I, 6) Auch in dieser abstrakten Beschreibung steht die Zweckrationalität der Lehrer‐ entscheidung im Vordergrund. Lautes Vorlesen soll dem Ziel der Verständnis‐ sicherung dienen. He also wants them to read the text aloud and to retell the story using their own words to really be sure that everyone get the main messages of the text. (Martha ISA I, 13) 342 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="343"?> Klassifizierungen Martha klassifiziert das Ziel der Stunde mit dem „Standbein“ meaning-focused input in zutreffender und nachvollziehbarer Weise. Dabei nimmt sie auch Bezug auf den Bekanntheitsgrad der Wörter in den Texten - eine Bedingung, die für den strand meaning-focused input von Belang ist (vgl. Nation 2007: 2). The learners also listen to two different conversations between a German and an English speaking person and focus on content, words and their meaning. I think mean‐ ing-focused input is an important aim within this lesson, because the learners read and listen to words they already know but which can be used differently in certain contexts. (Martha ISA I, 5) Die Frage nach der lernunterstützenden Kommunikation beantwortet Martha eher konkret. Sie versteht darunter ausschließlich Partner- und Unterrichtsge‐ spräche. Unberücksichtigt bleibt in ihrer Analyse, dass sich aus den Interakti‐ onen Lerneffekte (z. B. Verstehen, Sprachgebrauch, Behalten) ergeben sollen, so z. B., wenn der Lehrer mit den Lernenden im Gespräch einzelne amüsante Miss‐ verständnisse aus dem Text zu entschlüsseln und zu klären versucht. In my opinion there is not much communication or interaction during the first ten minutes of the lesson. The teacher asks the learners some questions and they have to read the text, but they do not really talk to each other or start a conversation. Further‐ more they have to listen to two different conversations and focus on content, words and meaning and therefore do not really have possibilities to talk. (Martha ISA I, 10) Die Sprechanteile der Lernenden wird man in der Stunde durchaus als höher ansetzen, als Martha dies in ihrer Analyse tut (vgl. Beschreibung und Experten‐ einschätzung des Videos in 3.5.5.2). Vorhersagen Martha stellt meist allgemeine Zusammenhänge zwischen Lehren und Lernen fest. Ein von ihr antizipiertes Lernergebnis ist, dass die Lernenden verstehen, dass Wörter je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen annehmen können. Eine Argumentation mit konkreten Belegen aus dem Unterrichtsvideo dafür, dass die Lernenden tatsächliche diese Einsicht im Laufe des Unterrichts ge‐ wonnen haben, ist in Marthas Analyse jedoch nicht erkennbar. Learners get to know that words can have different meanings depending on the con‐ text as well as that German and English words do not mean the same just because they are written alike or even similar. Moreover one can say that learners do not really get to know many new, foreign words but the idea of using English words in a different 343 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="344"?> way depending on what they want to say and within which situation they try to convey a message. (Martha ISA I, 8) Martha bündelt Lernsituationen und formuliert für diese Situationen einen all‐ gemeinen Lerneffekt, ohne dabei auf konkrete Ereignisse oder Lehrerprompts aus dem Unterricht zu verweisen: While doing all these things the learners get to know that words they have already learned or they compare with German words which are written similar or alike can have different or even completely other meanings in English and can be used differ‐ ently within certain contexts. In addition to that it becomes clear that the teacher wants them to participate in the lesson and to listen to their ideas. (Martha ISA I, 4) Ein Thema, welches sich auch in den folgenden Analysen von Martha wieder‐ findet, deutet sich hier bereits an: die Beteiligung der Lernenden und die aktiv zuhörende Haltung der Lehrperson. Alternativen Martha entwickelt zwei Alternativen, von denen eine das Potenzial hat, lexika‐ lisches Lernen in der Stunde zu optimieren. Die erste Alternative bezieht sich auf einen eher allgemeindidaktischen Aspekt von Unterricht: die Wartezeit des Lehrers nach einem Impuls. Unklar bleibt, welchen Effekt es haben würde, wenn der Lehrer den Lernenden mehr Zeit zum Nachdenken einräumt. Eine stärkere Umwälzung des sprachlichen Inputs aus den Hörtexten durch ein Unterrichts‐ gespräch ist zwar sinnvoll. Welchen Effekt eine Partner- oder Gruppenarbeits‐ phase konkret auf das lexikalische Lernen hätte, lässt Martha jedoch offen. While asking the learners about their thoughts and ideas concerning the topic of the lesson the teacher does not really wait until at least some students rise their hands. Maybe he had better give them more time or some minutes to talk in groups about the text and the topic. (Martha ISA I, 15) Die zweite Alternative in ISA I zielt auf die Präsentation des Lernmaterials (hier: der Hörtexte) und die Phasierung der Stunde. Martha weist darauf hin, dass die eingesetzten Hörtexte zu umfangreich sind und aufgrund der Informations‐ dichte zu einer Überlastung der Lernenden führen. Ähnlich urteilt auch die Ex‐ pertengruppe: Die Hörtexte seien zu lang und der Hörverstehensauftrag sei nicht klar formuliert (vgl. 3.5.5.2). Die fachdidaktische Notwendigkeit, die Pha‐ sierung der Stunde und die Präsentation des Lernmaterials (der Hörtexte) zu verändern, besteht also. Marthas Einschätzung wirkt am Ende widersprüchlich. Einerseits glaubt sie, dass die Lernenden die Konversationen aus den Hörtexten weitgehend ver‐ 344 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="345"?> standen haben, weil sie über den Humor lachen; andererseits schlägt sie vor, die beiden Hörtexte auf zwei separate Stunden zu verteilen, damit die Lernenden einzelnen Wörtern mehr Aufmerksamkeit schenken. Weder für die von Anna wahrgenommene Gefahr der Informationsflut („flowed by so much informa‐ tion“) noch die der Langeweile („bored“) gibt es Anhaltspunke aus dem Unter‐ richtsverlauf. In Marthas Analyse fehlt der Vergleich zwischen den antizipierten und realen Effekten. Wenn man die Situation gemäß der ABC-Theorie auf‐ schlüsselt, ergibt sich folgendes Bild: • Zielgerichtetes (Lehrer-)Verhalten: Präsentation von zwei Dialogen nach‐ einander mit dem Ziel des Globalverstehens • Antizipierter Effekt: Lernende haben ein Globalverständnis der Texte entwi‐ ckelt, um in einem zweiten Schritt die beiden Gespräche zu vergleichen. • Realer Effekt: Nur wenige Lernende können die Frage beantworten, warum die zweite Unterhaltung günstiger als die erste verlaufen ist, weil sie in ein Rendezvous mündet. There are also two listening activities which present two different situations concern‐ ing speaking a foreign language. One of the conversations goes well, the other one not. The learners seem to almost understand the conversations and also laugh some‐ times. But the two conversations take really long listening times and I am not sure whether the learners are bored or flowed by so much information in series. The teacher had better chosen just one conversation for a lesson so that the students have the chance to really concentrate on words, misunderstandings as well as the whole con‐ tent. They could compare them after two lessons or after having talked in detail about each conversation. (Martha ISA I, 16) Vergleicht man diese Analyse mit den weiteren Ereignissen in der Stunde, so wird deutlich, dass Martha einige zentrale Aspekte des Unterrichtsgeschehens nicht richtig wahrgenommen hat: • Es gibt zwei Gelegenheiten zum Hören der Dialoge. • Die Präsentation der beiden unterschiedlichen Dialoge nacheinander lässt den Kontrast im Sprachgebrauch deutlich werden. • Die Präsentation der Dialoge nacheinander baut einen inhaltlichen Kon‐ trast auf, der für Lernende dieser Altersstufe motivierend ist. • Die nachfolgende Aufgabe („Identify positive and critical remarks about a country“) würde nicht funktionieren, wenn nur einer der beiden Hör‐ texte präsentiert würde. Martha argumentiert zwar mit der Länge der Hörverstehenstexte, ist sich jedoch auch nicht sicher, ob die Länge tatsächlich ein Problem darstellt. Die Alternative, 345 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="346"?> die sie vorschlägt (Konzentration auf je einen Dialog pro Stunde), steht im Ein‐ klang mit den Zielen der Stunde in dieser Unterrichtsphase. Das Ziel, dass die Lernenden sich auf einzelne Wörter und Missverständnisse innerhalb des Dia‐ logs konzentrieren, würde eher erreicht, wenn die Lernenden sich in der Stunde mit nur einem der beiden Dialoge auseinandersetzten. 4.6.2.2 Video „Practicing new words“ (Jgst. 2) Für mehr als ein Drittel aller Situationen aus dem Video ist Martha in der Lage, von der konkreten Ebene auf die Zielorientierung der Stunde hin zu abstra‐ hieren. Abstrakte Beschreibungen und Bewertungen sind für Martha typische Verarbeitungsweisen für den im Unterrichtsvideo wahrgenommenen Unterricht - ein Muster, das sich auch in den folgenden Analysen von Martha wieder zeigen wird. 20% aller Situationen werden von ihr bewertet. Fachkonzepte stehen zwar zur Verfügung, jedoch gelingt die treffende Klassifi‐ zierung von Situationen nur in einem Fall (vgl. Diagramm 56). In zwei Fällen bleibt der Bezug zwischen Konzept und Situation eher allgemein; in zwei Fällen stimmen die Fachkonzepte nicht mit der selektierten Situation überein, weil einzelne defini‐ torische Merkmale des Fachkonzepts nicht auf die Situation zutreffen. Diagramm 56: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA II (Martha) Beschreibungen Die Beschreibungen von Martha gehen über die Wiedergabe des konkreten Unterrichtsgeschehens hinaus und sind Interpretationen auf einer mittleren Abstraktionsebene mit einzelnen fachlichen Bezügen. Wenn Zielorientierungen von Lehrerhandlungen beschrieben werden, beziehen sich diese Beschreibungen auf Organisationsformen des Lernens. Partnerarbeitsphasen und die im zweiten Teil der Stunde praktizierte Kugellagermethode nimmt Martha in ihrer Funktion wahr, die Lernenden zu aktivieren (Martha ISA I, 12). Sie erkennt ferner, dass die Methode auch dem Erreichen von Zielen lexikalischen Lernens dient, wie die Verbesserungen der Behaltensleistung und die Schulung der Aussprache: After all these steps the learners get the chance to work with a partner. They get some picture cards and have to tell each other the proper words. Again the teacher wants them to remember the words and to learn them by heart as well as to practice their pronunciation. Everyone is involved in the lesson and the activities and so can participate actively. (Martha ISA II, 3) Klassifizierungen 0 1 2 3 4 5 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Martha ISA II, n=15 Diagramm 56: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA II (Martha) Beschreibungen Die Beschreibungen von Martha gehen über die Wiedergabe des konkreten Un‐ terrichtsgeschehens hinaus und stellen Interpretationen auf einer mittleren Ab‐ straktionsebene mit einzelnen fachlichen Bezügen dar. Wenn Zielorientierungen von Lehrerhandlungen beschrieben werden, beziehen sich diese Beschreibungen 346 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="347"?> auf Organisationsformen des Lernens. Partnerarbeitsphasen und die im zweiten Teil der Stunde praktizierte Kugellagermethode nimmt Martha in ihrer Funktion wahr, die Lernenden zu aktivieren (Martha ISA I, 12). Sie erkennt ferner, dass die Methode auch dem Erreichen von Zielen lexikalischen Lernens dient, wie die Verbesserungen der Behaltensleistung und die Schulung der Aussprache: After all these steps the learners get the chance to work with a partner. They get some picture cards and have to tell each other the proper words. Again the teacher wants them to remember the words and to learn them by heart as well as to practice their pronunciation. Everyone is involved in the lesson and the activities and so can partic‐ ipate actively. (Martha ISA II, 3) Klassifizierungen Für die Klassifizierung von Situationen aus dem Video „Practicing new words“ nutzt Martha das Konzept aspects of word knowledge und das „Standbein“ mean‐ ing-focused input. Allerdings bleibt die argumentative Verknüpfung zwischen dem konkreten Lehrerimpuls, den situativen Bedingungen und der Zielorien‐ tierung allgemein und ist nur teilweise nachvollziehbar. Dies liegt auch an der undifferenzierten Verwendung der Begriffe learn und repeat. So gibt es zum Zeitpunkt der zweiten Analyse noch keine Anhaltspunkte für einen sich aus‐ differenzierenden Lernbegriff bei Martha. All in all one can conclude that the teacher wants the children to learn or to repeat some words, to remember the spoken and written form and therefore asks certain questions like “Who knows the word? “ and “Who can read the word? “ (Martha ISA II, 6) An anderer Stelle hat Martha jedoch das passende „Standbein“ für die Klassifi‐ zierung der Stunde gewählt. Allerdings bleibt der Bezug zur Situation aus dem Unterricht eher allgemein, was sich an der nur schwach ausgeprägten Argu‐ mentationslinie erkennen lässt: I think the main focus is on language-focused learning and on learning the correct form of a word. Aspects like vocabulary, pronunciation and spelling are involved, too. The learners repeat words they already know or they are familiar to them. (Martha ISA II, 7) Martha meint, in der Stunde Merkmale des „Standbeins“ meaning-focused input wiederzuerkennen. Dass die Wörter in der Stunde den Lernenden bekannt sein müssen, ergibt sich aus dem Übungsziel und passt auch zu dem „Standbein“ meaning-focused input; allerdings lässt sich die Stunde nicht mit diesem „Stand‐ bein“ charakterisieren, weil längere zusammenhängende Hör- oder Lesemate‐ rialien in der Stunde nicht vorkommen. Input versteht Martha fälschlich als 347 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="348"?> Einzelwörter („The children are interested in the input and understand nearly all words”). Der Satz verdeutlicht, dass Martha einzelne definitorische Merkmale des Konzepts nicht erfasst hat. There are also some aspects of meaning-focused input. The children are interested in the input and understand nearly all words. Most of what they hear or see is already familiar to them. The teacher retrieves the words, she wants the learners to recognize them with the help of the picture cards. (Martha ISA I, 8) Auch im Umgang mit dem Fachkonzept retrieval zeigt Martha Lücken im kon‐ zeptuellen Verständnis des Fachkonzepts. Wenn die Lehrerin den Schülern eine Bildkarte zeigt, müssen die Lernenden das Wort aktiv aufrufen. Ein Wiederer‐ kennen ist mangels Wortform nicht möglich. Sie verwechselt in dieser Passage Wiedererkennen (recognition) und aktives Erinnern (recall). Am Ende einer län‐ geren beschreibenden Passage kommt es doch zur Klassifizierung einer Übungs‐ phase, die auf die Ausspracheschulung abzielt, was Martha mit dem entspre‐ chenden Aspekt des Wortschatzwissens in Verbindung bringt. The lesson´s topic is about practicing new, difficult words. The teacher shows some picture cards to the children and wants them to say the correct word or term. She also asks them how often they want to repeat the word and say it aloud together in class in order to learn it by heart as well as to practice pronunciation. The teacher shows them word cards, too. The children have to look at them just for some seconds so that they recognize the certain words. One can say that the teacher focuses on the spoken and written form of the words. What does the word sound like? What does the word look like? (Martha ISA II, 2) Vorhersagen Marthas Vorhersagen von Lerneffekten in ISA II sind nur teilweise nachvoll‐ ziehbar und lassen als allgemeine Vorhersagen von Lerneffekten eine Identifi‐ kation von konkreten lernrelevanten Merkmalen einer Situation vermissen. Auch wenn Martha einen wertenden Satzrahmen verwendet, um die Selektion einer neuen Situation anzukündigen, drückt die Passage eine Vorhersage eines Lernergebnisses aus („the children remember“) und wird daher nicht als Be‐ wertung kategorisiert. Den antizipierten Lerneffekt setzt Martha jedoch zu hoch an, wenn sie meint, dass die Lernenden nun das Kompositum hot chocolate abgespeichert haben und nun wissen, dass die Entsprechung im Englischen für den in Deutschland beliebten kalten Kakao nicht *cold chocolate sein kann. 348 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="349"?> There are two situations that I really like. Hot Chocolate: The teacher does not tell the learners that it is HOT chocolate but stresses that it is not COLD chocolate. The children remember the word hot and then know that it is HOT CHOCOLATE. (Martha ISA II, 4) 4.6.2.3 Video „Drive me crazy“ (Jgst. 6) In dem Video „Drive me crazy“ ist die wissensbasierte Auseinandersetzung mit dem Video und die Analyse einzelner Situationen mit Hilfe der im Seminar ver‐ mittelten Fachkonzepte eher schwach ausgeprägt. Ein Viertel der selektierten Situationen wird von Martha bewertet. Zwei Situationen werden zwar treffend, aber ohne konkrete Rückbezüge auf das Video oder definitorische Merkmale des Fachkonzepts klassifiziert (vgl. Diagramm 57). Es werden insgesamt fünf Alter‐ nativen genannt, von denen drei allerdings kein Potenzial haben, lexikalisches Lernen in konkreten Situationen des Unterrichts zu optimieren. Diagramm 57: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA III (Martha) Beschreibungen Martha beschreibt die Einführung des Dialogs mit der Bilderfolge am OHP recht genau und arbeitet dabei auch die Zielorientierungen dieser Phase bzw. der Stunde heraus („learn expressions by heart“). Übersetzungen einzelner Wörter ins Deutsche nimmt Martha als Maßnahmen zur Verstehenssicherung war. The English lesson starts with a presentation of some pictures the students have to look at. While doing this the teacher tells them what they are going to talk about in that lesson. The topic deals with dialogues. He also tells certain sentences which belong to the situations mentioned in the pictures. He wants some pupils to repeat these sentences in order to help them remember or even learn expressions by heart. The teacher also stresses some expressions in a certain way to illustrate emotions as well as the meaning of the sentences (1: 00). Moreover he translates the words and phrases into German so that he can be sure that everyone really got the meaning of them. (Martha ISA III, 1) Martha verknüpft drei einzelne Lehreraktionen (Lehrervortrag, Nachsprechen der Sätze, lautloses Sprechen) mit 0 1 2 3 4 5 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Martha ISA III, n=16 Diagramm 57: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA III (Martha) Beschreibungen Martha beschreibt die Einführung des Dialogs mit der Bilderfolge am OHP recht genau und arbeitet dabei auch die Zielorientierungen dieser Phase bzw. der Stunde heraus („learn expressions by heart“). Übersetzungen einzelner Wörter ins Deutsche nimmt Martha als Maßnahmen zur Verstehenssicherung war. 349 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="350"?> The English lesson starts with a presentation of some pictures the students have to look at. While doing this the teacher tells them what they are going to talk about in that lesson. The topic deals with dialogues. He also tells certain sentences which be‐ long to the situations mentioned in the pictures. He wants some pupils to repeat these sentences in order to help them remember or even learn expressions by heart. The teacher also stresses some expressions in a certain way to illustrate emotions as well as the meaning of the sentences (1: 00). Moreover he translates the words and phrases into German so that he can be sure that everyone really got the meaning of them. (Martha ISA III, 1) Martha verknüpft drei einzelne Lehreraktionen (Lehrervortrag, Nachsprechen der Sätze, lautloses Sprechen) mit dem globalen Lernziel „Steigerung der Be‐ haltensleistung“. Dass diese Aktionen für sich genommen unterschiedlichen Zielen dienen, wird nicht weiter von ihr reflektiert. The students shall memorize the words and expressions and therefore the teacher wants them to listen to him, to repeat the sentences as well as to just move their lips and say them quietly. (Martha ISA III, 5) Martha nimmt die Funktion einer Partnerarbeitsphase wahr, ohne jedoch auf konkrete Beispiele oder lexikalische Mittel einzugehen. The learners get some time to work with a partner in order to repeat the sentences and the whole dialogue. (Martha ISA III, 6) Klassifizierungen Insgesamt klassifiziert Martha im Video „Drive me crazy“ vier Situationen, von denen allerdings nur eine in zutreffender und nachvollziehbarer Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert wird. Martha nutzt eines der „Standbeine“, um eine klar umgrenzte Situation (Erläuterung der Wendung drive me crazy) zu klassifizieren. Dabei stellt sie heraus, dass der Lehrer an vorhandenes Wissen der Schüler anknüpft und dass eine fachdidaktische Notwendigkeit besteht, auf die veränderte Bedeutung des Verbs in der Wendung drive s.o. crazy hinzu‐ weisen. I think language-focused learning plays an important part within this lesson because the children learn more about vocabulary they already know. There is for example the verb “to drive” which can be used in expressions like “to drive a car” but also in phrases like “to drive someone crazy”. It is important to explain the difference between these two meanings of “drive” as well as to make learners remember or even learn these fixed expressions by heart. They learn more about the particular aspects of the mean‐ ing of the verb and that it can occur within two different expressions or situations. 350 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="351"?> The teacher also points out that the students already know the word “driving” and tries to explain the meaning of “driving me crazy” by using the phrase “drive a car” (2: 10). In this case he uses German explanations, too, in order to let the learners know what the expressions mean. (Martha ISA III, 2) In einer anderen Passage beschreibt Martha die Zielorientierung der Stunde durchaus treffend, nutzt jedoch nicht das passende Konzept hierfür (fluency de‐ velopment). Stattdessen vermischt sie Merkmale der „Standbeine“ language-fo‐ cused learning und meaning-focused input. Im Kern geht es in dieser Stunde nicht um inzidentelles Wortschatzlernen während einer Hörverstehens-aufgabe, son‐ dern um die Vorbereitung auf das selbstständige Vorspielen des Dialogs. Martha nimmt wahr, dass die Verständnissicherung einzelner Sätze eine Voraussetzung für ein motiviertes Vorspielen des Dialogs ist („enjoying the acting“). Another important aim of the teacher is to get the learners more proficient at using vocabulary that they already know. While acting in front of the class the students get more fluent as well as much more confident in using the sentences correctly. In my opinion there are also some elements of language-focused input the teacher focuses on. Learners get the possibility to enrich previously met vocabulary through listening to certain expressions as well as through repeating them. The main focus here is on understanding the dialog and enjoying the acting. The teacher also wants his learners to pronounce the words correctly as well as to memorize the words and fixed expres‐ sions. (Martha ISA III, 3) Martha nutzt das Konzept aspects of word knowledge, um eine allgemeine Klas‐ sifizierungen von Lerngegenständen vorzunehmen. Die einzelnen Techniken zur Festigung des Dialogs und zur Förderung der Flüssigkeit werden in ihrer Funktion, spezifische Wortwissensaspekte (spoken form) zu festigen, dabei von Martha jedoch nicht im Detail erörtert. Dennoch zeigt diese Passage, dass sich der Lernbegriff von Martha ausdifferenziert hat, da sie bei der Beschreibung des spezifischen Fokus von Lehrerimpulsen zwischen der gesprochenen Form und der Bedeutung eines Wortes unterscheidet. All in all one can conclude that the teacher focuses on the spoken form and on the meaning of whole sentences and phrases. He wants to make the students learn new expressions like “drive someone crazy” by heart and also to use some new sentences. Therefore they have to repeat what the teacher says, act in front of the class and talk to each other. (Martha ISA III, 4) 351 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="352"?> Alternativen Auch wenn drei der fünf vorgeschlagenen Alternativen für sich genommen mögliche Veränderungen im Unterrichtsablauf darstellen, würde deren Umset‐ zung keine Verbesserung lexikalischen Lernens bedeuten (Niveau 1). Marthas Alternativen basieren nur zum Teil auf wahrgenommenen fachdidaktischen Notwendigkeiten. Die Präsentation der Bilderfolge hat den Effekt, dass die Lernenden dem Lehrer zuhören, wie er die Geschichte vorliest. Martha vermisst einen Impuls bei der Präsentation der zum Dialog zugehörigen Bilder und vermutet, dass durch einen gezielten Impuls zur Bildbeschreibung die Schüler stärker aktiviert und zur ei‐ genen Sprachproduktion angeregt würden. Durch einen konkreteren Impuls zur Bildergeschichte (Intervention) würde es den Lernenden leichter fallen, in voll‐ ständigen Sätzen zu der Bilderfolge zu sprechen (antizipierter Effekt). At the beginning of the class the learners look at some pictures. The teacher does not ask anything about them but says certain sentences which belong to the situations shown in the pictures. He could ask the students to describe what they see in order to make them participate in class as well as to let them speak and form own sentences. (Martha ISA III, 7) In eine ähnliche Richtung deutet die zweite Alternative. Das Einfordern von vollständigen Sätzen mag das Prinzip des kommunikativen Fremdsprachenun‐ terrichts realisieren, würde jedoch bei der konkreten Übungsform kaum einen Mehrwert im Hinblick auf die Förderung lexikalischen Lernens entfalten: There is another part in the lesson where the children have to say whether a sentence the teacher says is right or wrong (3: 53). The students just say “wrong” and repeat the correct sentence. But they could say a whole sentence like “This sentence is wrong! ” and not just the word “wrong”. (Martha ISA III, 11) In einer weiteren Alternative thematisiert Martha den Modus der Textpräsen‐ tation. Auch die Experten haben hierzu Vorschläge gemacht und schlagen an‐ stelle der Folie eine Tischvorlage für jeden Schüler vor, anhand derer die Lern‐ enden z. B. in einer nachfolgenden Stunde einen personalisierten und adaptierten Dialog aufschreiben könnten. Die „Lernerleichterung“ sieht Martha ganz praktisch darin, dass die Lernenden nicht immer nach vorne blicken müssten. While doing partner work and trying to recall the expressions it would be easier for the learners to look at a copy with the certain pictures rather than to look at the front again and again. (Martha ISA III, 13) 352 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="353"?> Eine Alternative, die das Potenzial hat, lexikalisches Lernen zu fördern, fokus‐ siert die Praxis und Reichweite der Fehlerkorrektur durch den Lehrer in der Stunde. Martha bemerkt richtig, dass nicht nur der offensichtlich lernschwache Schüler einen Fehler bei dem Satz „I overslept“ begeht, sondern zahlreiche Schüler diesen Fehler machen. Eine konsequente Korrektur dieses Fehlers bei allen vortragenden Schülern würde das weitere Einschleifen (Fossilisierung) dieses Fehlers verhindern helfen und stellt somit eine fachdidaktische Notwen‐ digkeit dar. Martha schränkt jedoch die Forderung nach uneingeschränkter Fehlerkorrektur ein („if necessary“). Statt die konkret bestehende fachdidakti‐ sche Notwendigkeit einer Fehlerkorrektur für diese Situation herauszuarbeiten, verläuft sich ihre Alternative eher in einem pädagogischen Prinzip („pay atten‐ tion to every child“). Der antizipierte Effekt einer konsequenten Fehlerkorrektur wird von Martha pauschalisierend auf die Behaltensleistung eingegrenzt. I like the part when the students have to act in front of the class and try to remember as well as to recall the words and sentences. But there is a mistake within the first presentation. The girl says “I´m overslept” instead of “I overslept” (2: 58). The same mistake happens to the boy who presents the dialog afterwards (3: 27). The teacher does not correct both but just the boy. I think it is important to pay attention to every child and if necessary to correct them so that they remember the correct word or expression. (Martha ISA III, 13) Eine andere Alternative leitet Martha aus dem Prinzip der Lerneraktivierung ab. Bevor der Lehrer eine Worterklärung in der Muttersprache gibt, sollten die Schüler einbezogen werden und unbekannte Wörter erschließen oder ihr Vor‐ verständnis artikulieren. Erschließungstechniken (guessing from context) und non-verbalen Techniken (gestures) räumt Martha selbst dann Vorrang vor einer Erklärung in der Muttersprache ein, wenn Lernende unpräzise Vorstellungen über die Bedeutung eines Wortes haben. Auch in diesem Fall sollen sie die Be‐ deutung zuerst durch guessing from context oder non-verbale Signale erraten. Es sind jedoch Zweifel an dieser Argumentation angezeigt: Gerade dann, wenn Bedeutungen bei einsprachigen Semantisierungstechniken (z. B. Definitionen in der L2) weiter unklar bleiben, hilft die Übersetzung ins Deutsche, Unklar‐ heiten zu beseitigen und sicherzustellen, dass die Lernenden eine Form-Bedeu‐ tungs-Verknüpfung aufbauen. Another aspect I want to mention is the translation of the phrases into German. In my opinion it would be better to first ask the students whether they understand the sentences as well as to let them explain words or let the learners translate expressions into German. If they do not know exactly what a word means they could guess maybe from the context, from certain gestures or emphases. (Martha ISA III, 8) 353 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="354"?> 4.6.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) Martha selektiert in dem Video „Perfect Job” insgesamt 14 Situationen (vgl. Di‐ agramm 58). Für mehr als ein Drittel der selektierten Situationen (35%) formu‐ liert sie Alternativen, von denen 80% das Potenzial haben, lexikalisches Lernen zu fördern. Für zwei Situationen trifft sie Vorhersagen bezogen auf die Lerner‐ gebnisse und -prozesse. Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unter‐ richtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse sind in einem Fall teilweise nachvollziehbar, bleiben aber eher allgemein (Niveau 2). Klassifizie‐ rungen sind sowohl nachvollziehbar und zutreffend wie auch in je einem Fall zu allgemein und nicht zutreffend. 4.6.2.4 Video „Perfect Job” (Jgst. 9) Martha selektiert in dem Video „Perfect Job” insgesamt 14 Situationen (vgl. Diagramm 58). Für die mehr als ein Drittel von selektierten Situationen (35%) formuliert sie Alternativen, von denen 80% das Potenzial haben, lexikalisches Lernen zu fördern. Für zwei Situationen trifft sie Vorhersagen bezogen auf die Lernergebnisse und - prozesse. Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse und - ergebnisse sind in einem Fall teilweise nachvollziehbar, bleiben aber eher allgemein (Niveau 2). Klassifizierungen sind sowohl nachvollziehbar und zutreffend wie auch in je einem Fall zu allgemein und nicht zutreffend. Diagramm 58: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung in ISA IV (Martha) Beschreibungen Im Video „Perfect Job“ abstrahiert Martha vom konkreten Unterrichtsgeschehen und löst sich dabei vom Unterrichtsgeschehen. Wenn Martha meint, dass es keine „freie Diskussion“ gibt, dann entspricht diese mehr einer Erwartung an den Englischunterricht als einer Beschreibung einer konkreten Situation. Die Erwartung, dass eine Diskussionsmöglichkeit bestehen sollte, wird von Martha weder im Rückgriff auf fachdidaktische Prinzipien noch im Rückgriff auf das Video begründet. The students also create sentences where they have to use certain vocabulary. But there is not some kind of great discussion or conversation where the learners speak fluently to each other or build more than one sentence. (Martha ISA IV, 8) Ziele des Lehrerhandelns werden ex negativo beschreiben, indem Martha ihre Beschreibung damit einleitet, was in der Stunde fehlt (keine Erklärungen; nicht viel Kommunikation und Interaktion zwischen Lernenden). Es bleibt unklar, woran Martha es festmacht, dass die Lernenden die zuvor gelernten Wörter nun in neuen Verwendungskontexten kennenlernen. The teacher does not give any descriptions or explanations of words but rather pays attention on making learners remember and “recognize” words by pantomime. It becomes clear that previously met words are met or used in a way that differs from previous meetings. The teacher emphasizes on [sic] the particular word. Descriptions are just some kind of support (2: 27, “...the job here is? ”). (Martha ISA IV, 3) Martha beantwortet die Frage nach der lernunterstützenden Wirkung von Kommunikation und Interaktion mit dem Hinweis auf Partner- und Unterrichtsgespräche. Die dritte Beobachtungsfrage nach der Wirkung von Kommunikation und Interaktion versteht Martha (wie schon in den vorhergehenden Videos) im engeren Sinne als Partnergespräche oder im Unterricht stattfindende Diskussionen. 0 1 2 3 4 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Martha ISA IV, n=14 Diagramm 58: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA IV (Martha) Beschreibungen Im Video „Perfect Job“ abstrahiert Martha vom konkreten Unterrichtsgeschehen und löst sich dabei vom Unterrichtsgeschehen. Wenn Martha meint, dass es keine „freie Diskussion“ gibt, dann entspricht diese mehr einer Erwartung an den Englischunterricht als einer Beschreibung einer konkreten Situation. Die Erwartung, dass eine Diskussionsmöglichkeit bestehen sollte, wird von Martha weder im Rückgriff auf fachdidaktische Prinzipien noch im Rückgriff auf das Video begründet. The students also create sentences where they have to use certain vocabulary. But there is not some kind of great discussion or conversation where the learners speak fluently to each other or build more than one sentence. (Martha ISA IV, 8) 354 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="355"?> Ziele des Lehrerhandelns werden ex negativo beschreiben, indem Martha ihre Beschreibung damit einleitet, was in der Stunde fehlt (keine Erklärungen; nicht viel Kommunikation und Interaktion zwischen Lernenden). Es bleibt unklar, woran Martha es festmacht, dass die Lernenden die zuvor gelernten Wörter nun in neuen Verwendungskontexten kennenlernen. The teacher does not give any descriptions or explanations of words but rather pays attention on making learners remember and “recognize” words by pantomime. It be‐ comes clear that previously met words are met or used in a way that differs from previous meetings. The teacher emphasizes on [sic] the particular word. Descriptions are just some kind of support (2: 27, “... the job here is? ”). (Martha ISA IV, 3) Martha beantwortet die Frage nach der lernunterstützenden Wirkung von Kom‐ munikation und Interaktion mit dem Hinweis auf Partner- und Unterrichtsge‐ spräche. Die dritte Beobachtungsfrage nach der Wirkung von Kommunikation und Interaktion versteht Martha (wie schon in den vorhergehenden Videos) im engeren Sinne als Partnergespräche oder im Unterricht stattfindende Diskussionen. The lesson does not include many aspects of communication or interaction. There is the pantomime activity which the students seem to enjoy but which appears to be not as easy. The second part of the video also shows a silent moment when the learners have to look at the pictures and think about possible jobs. But they do not talk to each other or start a conversation. While talking to the teacher they say a sentence or even just the correct word. (Martha ISA IV, 10) Klassifizierungen Martha nutzt in ihrer Analyse des Videos „Jobs“ Fachkonzepte zur Klassifizie‐ rung der Lehrziele des Lehrers, bleibt in ihrem Bezug zu konkreten Situationen des Unterrichts jedoch allgemein oder stellt Fachkonzepte, die sich widerspre‐ chen, ohne konkrete Belege einander gegenüber. Das Aufrufen von Wörtern ist z. B. in der einführenden Pantomime wie auch bei der Bildbeschreibung erfor‐ derlich. Martha bringt ein zweites Fachkonzept (fluency) ein, welches jedoch nicht geeignet ist, um die Zielorientierung der Stunde zu beschreiben. I think the teacher wants the learners to become more fluent as well as to become more proficient in using the certain words. Recalling or remembering them is some kind of support to keep the words better in mind as well as to use the expressions directly when necessary. (Martha ISA IV, 5) Fachkonzepte, die mit eher allgemeinem Rückbezug auf das Video aneinander‐ gereiht werden, finden sich an anderer Stelle noch einmal in Marthas Analyse. Zwar deutet Martha einen argumentativen Bezug („that is why“) zur Aktivität 355 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="356"?> der Bildbeschreibung an (Video „Perfect Job“, 7: 18 ff.); welche Merkmale der Aktivität die beiden Ziele Abrufen von Wörtern und becoming more fluent er‐ reichen helfen, führt Martha jedoch nicht aus. I think the teacher´s main focus is on recalling already known vocabulary as well as becoming more fluent or proficient in using the words. That is why they have to say what they see on the pictures and what kinds of job are presented. (Martha ISA IV, 12) Martha verwendet das Fachkonzept productive retrieval in zutreffender und nachvollziehbarer Weise. Die Schilderung der Situation und der Aufgabenstel‐ lung mündet in eine resümierende und begründete Klassifizierung der Einzel‐ aktionen mit dem Fachkonzept. There is also another activity within the second part of the lesson, whereat the stu‐ dents have to look at some pictures in order to guess what kind of job is represented. Again they have to recall the words while looking at pictures and thinking about different jobs. The teacher stresses that they shall guess the correct expressions by just considering the pictures and not by reading the texts and descriptions. It is pro‐ ductive retrieval because the students do not see written words but have to remember vocabulary through picture representations. (Martha ISA IV, 4) Vorhersagen Martha macht zwei Vorhersagen von Lernergebnissen, wobei die erste nicht belegt ist. Dass die Lernenden in dieser Stunde neue Wörter verstehen und be‐ halten, steht zu bezweifeln (vgl. Einschätzung der Experten in 3.5.5.5). Martha verkennt die Phasierung der Stunde, in der es keine Wiederholung (geschweige denn eine Sicherung) von neu eingeführtem Wortschatz gibt. Es fällt schwer, die genaue Situation zu lokalisieren, auf die Martha sich in ihrer Aussage bezieht. Die kategorialen Schnitte durch das Material orientieren sich wenig an für le‐ xikalisches Lernen relevanten Situationen des Unterrichts. The learners understand and also memorize the words they already learned. They have the chance to repeat them while looking at the pictures as well as by pantomime. (Martha ISA IV, 7) Auch Marthas zweite Vorhersage bleibt unscharf, weil sie eine Rückbindung an eine konkrete Situation aus dem Unterricht vermissen lässt. Dies wird an dem Attribut certain deutlich, welches Unbestimmtheit ausdrückt. Ein Fachkonzept wird genannt, um den Lernprozess zu beschreiben; Merkmale des Konzepts retrieval werden allerdings nicht genutzt, um Situationsmerkmale genauer zu spezifizieren. Martha setzt überdies die Arbeit an einem Wortfeld mit dem The‐ matisieren von semantischen Relationen gleich. 356 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="357"?> The teacher focuses on certain vocabulary the learners already know. They repeat words which present jobs, like for example “nurse” or “police man”. The words belong to a certain word field and so the teacher is working with semantic relations. I think the expressions are almost familiar to all students and with the help of pantomime they have the chance to recall these words as well as to enjoy the lesson and keep the words in mind. It is productive retrieval that plays an important part within this lesson. (Martha ISA IV, 2) Alternativen Marthas allgemeiner Vorschlag zur Verbesserung der Stunde, über mehr Part‐ nergespräche eine Optimierung lexikalischen Lernens zu erzielen, entspricht auch exakt der Subjektperspektive von Martha auf fremdsprachliches Lernen: Gelegenheiten für Interaktion mit anderen Schülern betrachtet Martha als einen wesentlichen Beitrag des Fremdsprachenunterrichts für den Aufbau umfang‐ reicher Wortschatzkenntnisse (vgl. 4.6.1). Die Alternative basiert nicht auf einer wahrgenommenen fachdidaktischen Notwendigkeit. All in all I like the lesson and the activities. But I think there should be more time for interaction and talking between the learners in order to use language and the certain vocabulary. (Martha ISA IV, 17) Eine andere Alternative formuliert Martha deutlich konkreter und bezieht sich dabei auf eine Unterrichtsphase, in der die Schüler in Einzelarbeit die Bilder aus dem Lehrwerk betrachten. Der Vorschlag, statt Einzelarbeit ein Partnergespräch führen zu lassen, würde den Sprechanteil erhöhen und die Umwälzung des Wortschatzes fördern. Dieser mögliche Zugewinn, eine Antizipation des Lern‐ effekts, wird jedoch von Martha nicht skizziert. Sie argumentiert alleine vor dem Hintergrund des Prinzips Schüleraktivierung, das sich in einer ausreichenden Zahl von Gelegenheiten für Interaktion materialisieren sollte. While looking at the pictures I would let the students talk to each other about what they see as well as about their assumptions with regard to certain jobs presented through these pictures. (Martha ISA IV, 15) Zwei Alternativen zielen auf die Nachhaltigkeit lexikalischen Lernens und den erforderlichen Erwerb der Schreibweise von Wörtern ab. Hier schlägt Martha auf der Grundlage der realen Ausgangsbedingungen eine Optimierung über einen Tafelanschrieb vor. Bei entsprechender Realisierung antizipiert sie posi‐ tive Effekte auf die Behaltensleistung (Erinnern des Schriftbildes). If I were to teach this lesson, I would collect the certain words on the black board and create some kind of mind map with the topic “jobs”. The learners could write the words 357 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="358"?> on the boards so that they do not only pronounce them but also recall their written form. Such a collection or mind map could help students to remember vocabulary as well as the word fields they belong to. (Martha ISA IV, 14) Die Maßnahme Tafelanschrieb führt Martha auch für die Anfangsphase des Unterrichts als mögliche Alternative an. Der Effekt, den ein als Mindmap struk‐ turiertes Tafelbild auf das Behalten der schriftlichen Form des Wortes hätte, ist jedoch begrenzt. Da die Lernenden die Wortform lediglich wiedererkennen, aber nicht abrufen bzw. aufschreiben müssen, ist das engagement mit dem Wort ge‐ ring einzustufen. Der Effekt dieser alternativen Vorgehensweise wird von Martha daher überschätzt. I also like the pantomime activity but the teacher could create some kind of mind map or collection of the vocabulary in order to make the students also remember the written form. (Martha ISA IV, 18) Martha erkennt Merkmale der Anfangssituation und macht konkrete Verbes‐ serungsvorschläge, damit die Aufgabe (pantomimisches Darstellen eines Be‐ rufes) besser von den jeweiligen Schülern bewältigt werden kann. Das Problem besteht darin, dass ein Schüler das Wort nicht oder nicht genau kennt und in‐ folgedessen Schwierigkeiten hat, den Beruf pantomimisch darzustellen. Daher wäre eine Nachfrage beim Schüler durchaus angebracht und würde sicher‐ stellen, dass die Aktivität funktioniert. The learner does not know how to present a certain job. But maybe he does not know the word and its meaning. The teacher could ask him silently whether the word and its meaning are familiar to him. He could also give some advice how to present this job. (Martha ISA IV, 16) Diese Alternative stimmt erneut mit ihrer Subjektperspektive überein, in der Martha der Beantwortung von Schülerfragen einen hohen Stellenwert für die Förderung des lexikalischen Lernens einräumt. Situationen mit fachdidakti‐ schen Notwendigkeiten, die kompatibel sind mit dem subjektiven fachdidakti‐ schen und pädagogischen Orientierungsrahmen, sind bei Martha offenbar ein Auslöser für das Entwickeln von eigenen Alternativen. 4.6.3 Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Martha In diesem Kapitel wird untersucht, wie sich einzelne Dimensionen der Unter‐ richtswahrnehmung bei Martha entwickelt haben. Hierzu werden die Prä- und die Post-Analyse des Videos „Money“ herangezogen. Neben einer quantitativen 358 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="359"?> Perspektive auf die einzelnen Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse werden die Analysen von Schlüsselszenen in der Prä- und der Post-Analyse miteinander verglichen. Das Frageinteresesse zielt darauf, Unterschiede in der Verarbeitung von einzelnen Schlüsselszenen herauszuarbeiten. Ein Indiz für eine Professio‐ nalisierung der Unterrichtswahrnehmung wäre beispielsweise der Befund, dass eine Situation aus der Post-Analyse klassifiziert wird, die in der Prä-Analyse noch beschrieben worden ist. Zum Ende des Seminars zeigen sich zwar leichte Zugewinne bei der wissens‐ basierten Verarbeitung (Vorhersagen, Klassifizierungen): Begründete und diffe‐ renzierte Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse und -ergebnisse von Schülern finden sich jedoch nur in ISA II und ISA Post (vgl. Diagramm 59). Die Bewertung von Situationen lexikali‐ schen Lernens bleibt die am stärksten ausgeprägte Form der Verarbeitung des wahrgenommenen Unterrichtsgeschehens (ausführlich 4.6.4). Vom konkreten Unterrichtsgeschehen abstrahierende Beschreibungen (z. B. Bündelung von Ein‐ zelsituationen sowie Erkennen der Zielorientierung von Situationen) formuliert Martha in jeder Analyse. Die meisten Alternativen, die zu einer Optimierung le‐ xikalischen Lernens führen würden, entwickelt sie für das Video „Perfect Job“. Diagramm 59: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs, selek‐ tierte Situationen, n=88 (Martha) 359 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="360"?> 4.6.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Die Anzahl der selektierten Situationen aus dem Unterrichtsvideo „Money“ hat sich von der Präzur Post-Analyse mehr als verdreifacht (vgl. Diagramm 60). Marthas Unterrichtswahrnehmung hat sich dahingehend entwickelt, dass ihr mehr Situationen lexikalischen Lernens auffallen. 234 4.6.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Die Anzahl der selektierten Situationen aus dem Unterrichtsvideo „Money“ hat sich von der Präzur Post- Analyse mehr als verdreifacht (vgl. Diagramm 60). Marthas Unterrichtswahrnehmung hat sich dahingehend entwickelt, dass ihr mehr Situationen lexikalischen Lernens auffallen. Diagramm 60: Martha ISA-Prä/ -Post im Vergleich, alle Dimensionen Der Anteil der mit einem Fachkonzept klassifizierten Situationen hat sich von der Präzur Post-Analyse erhöht und demonstriert, dass Martha Lernprozesse in allgemeiner Weise vorhersagen kann, wobei es drei Situationen gibt, in denen der vermutete Zusammenhang zwischen Lehrerverhalten und Lerneffekten nicht zutreffend ist. In der Post-Analyse macht Martha kaum Vorschläge für Alternativen. Dies steht im Gegensatz zu der großen Zahl von Alternativen in ISA III und IV. Im Vergleich zur Prä-Analyse hat der Anteil der bewerteten Situationen in der Post-Analyse nochmals zugenommen. Die Orientierungsrahmen und die genauen Themen der Bewertungen werden mit Hilfe der induktiv gebildeten Kategorien erfasst und weiter unten analysiert (vgl. 4.6.4). Eine aggegrierte Darstellung der Dimensionen mit einer Faktorierung der Niveaus illustiert das Ausmaß, in dem sich die professionelle Unterrichtswahrnehmung von Martha weiterentwickelt hat, wobei auch am Ende des Seminars noch viele Situationen beschrieben werden. Dennoch kann man erkennen, dass sich Marthas Fähigkeit, Situationen mit fachdidaktischen Konzepten zu klassifizieren, im Vergleich zur Prä-Analyse weiterentwickelt hat (vgl. Diagramm 61). Gleiches gilt für die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen Lehren und Lernen herzustellen (Vorhersagen). Auffällig ist, dass Martha nur in sehr geringem Ausmaß Alternativen vorschlägt, die das Potenzial haben, lexikalische Lern- und Vermittlungsprozesse zu optimieren. 0123456789 Martha, Prä-Post-Vergleich ISA Prä ISA Post Diagramm 60: ISA-Prä-Post im Vergleich, alle Dimensionen (Martha) Der Anteil der mit einem Fachkonzept klassifizierten Situationen hat sich von der Präzur Post-Analyse erhöht und demonstriert, dass Martha Lernprozesse in allgemeiner Weise vorhersagen kann, wobei es drei Situationen gibt, in denen der vermutete Zusammenhang zwischen Lehrerverhalten und Lerneffekten nicht zutreffend ist. In der Post-Analyse macht Martha kaum Vorschläge für Alternativen. Dies steht im Gegensatz zu der großen Zahl von Alternativen in ISA III und IV. Im Vergleich zur Prä-Analyse hat der Anteil der bewerteten Si‐ tuationen in der Post-Analyse nochmals zugenommen. Die Orientierungs‐ rahmen und die genauen Themen der Bewertungen werden mit Hilfe der in‐ duktiv gebildeten Kategorien erfasst und weiter unten analysiert (vgl. 4.6.4). Eine aggegrierte Darstellung der Dimensionen mit einer Faktorierung der Niveaus illustiert das Ausmaß, in dem sich die professionelle Unterrichtswahr‐ nehmung von Martha weiterentwickelt hat, wobei auch am Ende des Seminars noch viele Situationen beschrieben werden. Dennoch kann man erkennen, dass sich Marthas Fähigkeit, Situationen mit fachdidaktischen Konzepten zu klassi‐ fizieren, im Vergleich zur Prä-Analyse weiterentwickelt hat (vgl. Diagramm 61). Gleiches gilt für die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen Lehren und Lernen herzustellen (Vorhersagen). Auffällig ist, dass Martha nur in sehr geringem 360 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="361"?> Ausmaß Alternativen vorschlägt, die das Potenzial haben, lexikalische Lern- und Vermittlungsprozesse zu optimieren. 235 Diagramm 61: Prä-Post, aggregiert (Martha) 4.6.3.2 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Analyse In der Post-Analyse selektiert Martha im Vergleich zur Prä-Analyse mehr Situationen lexikalischen Lernens, in denen neue Wörter semantisiert oder erläutert werden. In Diagramm 62 erkennt man, dass Martha in der Prä- Analyse nur zwei Situationen („afford“ & „greedy“) selektiert hat, während sie in der Post-Analyse (hintere Kurve) insgesamt sechs Szenen selektiert hat, in denen Wörter erläutert oder deren Bedeutung ausgehandelt werden (siehe Detailanalyse weiter unten). Insgesamt lässt dieser Befund die Schlussfolgerung zu, dass Marthas Unterrichtswahrnehmung für den Bereich ‚lexikalisches Lernen‘ fokussierter geworden ist und sie nun vermehrt Situationen lexikalischen Lernens im Sinne des noticing selektiert. Diagramm 62: Selektierte Schlüsselszenen im Video „Money“; Martha ISA Prä/ ISA-Post 0 2 4 6 8 10 Beschreibung Klassifizierung Vorhersage Alternative Martha_ISA_prä Martha_ISA_post Martha_ISA_prä Martha_ISA_post Martha_ISA_prä Martha_ISA_post Diagramm 61: Prä-Post, aggregiert (Martha) 4.6.3.2 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Analyse In der Post-Analyse selektiert Martha im Vergleich zur Prä-Analyse mehr Situ‐ ationen lexikalischen Lernens, in denen neue Wörter semantisiert oder erläutert werden. In Diagramm 62 erkennt man, dass Martha in der Prä-Analyse nur zwei Situationen (afford und greedy) selektiert hat, während sie in der Post-Analyse (hintere Kurve) insgesamt sechs Szenen selektiert hat, in denen Wörter erläutert oder deren Bedeutung ausgehandelt werden (siehe Detailanalyse weiter unten). Insgesamt lässt dieser Befund die Schlussfolgerung zu, dass Marthas Unter‐ richtswahrnehmung für den Bereich lexikalisches Lernen fokussierter ge‐ worden ist und sie nun vermehrt Situationen lexikalischen Lernens im Sinne des noticing selektiert. 361 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="362"?> 235 In der Post-Analyse selektiert Martha im Vergleich zur Prä-Analyse mehr Situationen lexikalischen Lernens, in denen neue Wörter semantisiert oder erläutert werden. In Diagramm 62 erkennt man, dass Martha in der Prä- Analyse nur zwei Situationen („afford“ & „greedy“) selektiert hat, während sie in der Post-Analyse (hintere Kurve) insgesamt sechs Szenen selektiert hat, in denen Wörter erläutert oder deren Bedeutung ausgehandelt werden (siehe Detailanalyse weiter unten). Insgesamt lässt dieser Befund die Schlussfolgerung zu, dass Marthas Unterrichtswahrnehmung für den Bereich ‚lexikalisches Lernen‘ fokussierter geworden ist und sie nun vermehrt Situationen lexikalischen Lernens im Sinne des noticing selektiert. Diagramm 62: Selektierte Schlüsselszenen im Video „Money“; Martha ISA Prä/ ISA-Post Martha_ISA_prä Martha_ISA_post Martha_ISA_prä Martha_ISA_post Diagramm 62: Selektierte Schlüsselszenen im Video „Money“, ISA Prä/ Post (Martha) Die Semantisierung des Verbs to afford - eine zentrale Situation des im Video gezeigten Unterrichts - ist in beiden Analysen selektiert worden. Dies erlaubt daher einen direkten Vergleich der beiden Analysen im Hinblick auf die Ent‐ wicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Martha. In der Prä-Analyse formuliert Martha eine abstrakte Beschreibung der Situ‐ ation und gibt die konkreten Maßnahmen, die der Lehrer zur Semantisierung ergriffen hat, detailliert wieder. Subsequently the teacher works with the coursebook and shows the pupils other voca‐ bulary mentioned in the list. […] There is for example the verb “to afford“ which the pupils do not know. He creates some sentences in order to show the meaning of this word and to illustrate how it is used correctly. To be sure that everyone understands the mea‐ ning of this verb the teacher describes what it means, using words the learners already know. So, “to afford“ means “to easily pay for something“. There are also other words in the vocabulary list the teacher explains to the learners either with the help of example sentences, descriptions or by translating them into the first language. (Martha ISA Prä, 4) In der Post-Analyse nimmt Martha eine fachdidaktische Notwendigkeit wahr: Ein unbekanntes Wort muss semantisiert werden. Nachdem sie die Notwendig‐ keit begründet hat, beschreibt sie die erste Maßnahme: zielsprachliche Defini‐ tion durch Beispiel mit Verwendung des Zielwortes. Sie vergleicht nun den re‐ alen mit dem antizipierten Effekt („but recognizes that this example does not really help to clarify the meaning of the verb”), was einen weiteren Versuch zur Semantisierung durch eine einfache Definition nach sich zieht. Martha bemerkt, dass der antizipierte Effekt (Schüler verstehen Beispiel) ausgeblieben ist und Perino veranlasst, ein weiteres Beispiel zu verwenden, um die Bedeutung von 362 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="363"?> to afford zu verdeutlichen. Diese Intervention bewertet Martha positiv, da ihr das Lehrerverhalten plausibel erscheint. The teacher wants the learners to use English words and vocabulary in order to explain certain expressions and there is a nice one he wants to make clear to his student: “to afford” (10: 40) That word seems to be really unknown and therefore has to be ex‐ plained. He makes an example (! ) “Can you afford to buy a hose? ”(10: 48) but recognizes that this example does not really help to clarify the meaning of the verb. The teacher uses than another example (can you afford to buy an ice cream 11: 00) and gives a certain explanation: “You can easily pay for it” 11: 13) In this case I think that the teacher really does a good job. (Martha ISA Post, 12) In der Bewertung dieser Situation spiegelt sich Marthas Subjektperspektive auf lexikalisches Lernen wider. Ein zentraler Aspekt ihres subjektiven Orien‐ tierungsrahmens liegt in der Lehrerfunktion Erklären und der expliziten Wortschatzvermittlung. 4.6.3.3 Analyse ausgewählter Situationen aus dem des Video „Money“ (ISA Post) In der Post-Analyse bewertet Martha mehr als ein Drittel aller Situationen (vgl. Diagramm 63). Fachkonzepte (meaning-focused output und productive retrieval) stehen am Ende für die Klassifizierung eines geringen Anteils (12%) von Situa‐ tionen zur Verfügung. Im Folgenden sollen ausgewählte Situationen aus der Post-Analyse untersucht werden, wobei ein Schwerpunkt auf die Bewertungen gelegt werden soll, um herauszufinden, ob diese den subjektiven Orientierungs‐ rahmen zum lexikalischen Lernen widerspiegeln. 363 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="364"?> 237 Diagramm 63: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Post (Martha) Klassifizierungen Martha kann am Ende des Seminars allgemeine Stundenziele klar beschreiben und dazugehörige Lernprozesse lexikalischen Lernens klassifizieren. The teacher seems to focus on certain vocabulary concerning the lesson´s main topic “money” and therefore wants the learners to recall all possible words or expressions which could be associated to money. Productive retrieval seems to be one of the main aims of the teacher at the beginning of the lesson. (Martha ISA Post, 1) Martha benutzt das Fachkonzept meaning-focused output und bezieht Merkmale des Fachkonzepts auf die Unterrichtssituation (Gelegenheiten zum Gebrauch, überwiegend bekannter Wortschatz). The learners also get some time to think about possible situations which can be connected to money as well as have the chance to speak to each other. It is meaning-focused output that plays an important part within this lesson. There are not many new vocabulary. The learners get enough time to talk as well as to listen to each other and at the end of the class they also have to fill in the words within a text. In other words, they can listen to the spoken form of words as well they can see or use the written form. (Martha ISA Post, 9) Martha resümiert die Ziele und Prozesse der Stunde mit Hilfe von Fachkonzepten: As a conclusion one can say that meaning focused output (remember certain vocabulary), productive retrieval as well as fluency development (talk to your partner, say words quickly) with regard productive retrieval (recall the word) play an important part within this lesson. (Martha Isa Post, 11) Es fällt auf, dass Martha Fachkonzepte aneinanderreiht, ohne auf Unterschiede zwischen verwandten Konzepten einzugehen. Das Verhältnis von Aufrufen (recall) und Gebrauch (use) wird nicht weiter thematisiert, wenngleich Letzteres eine kontextualisierte und meist kommunikative Verwendung impliziert, die das aktive Erinnern als mentalen Prozess voraussetzt. The teacher also wants his learners to explain words or expressions in their own words and in English (2: 26: “What is Wall Street? ”; 8: 04: “Can you describe…? ” 8: 58; How can you associate it with money? (9: 41) He wants them to speak, to become much more fluent and proficient in recalling and using certain words. (Martha Isa Post, 8) 0123456789 Anzahl der selekteirten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Martha ISA Post Überblick, n=25 Diagramm 63: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Post (Martha) Klassifizierungen Martha kann am Ende des Seminars allgemeine Stundenziele klar beschreiben und dazugehörige Lernprozesse lexikalischen Lernens klassifizieren. The teacher seems to focus on certain vocabulary concerning the lesson´s main topic “money” and therefore wants the learners to recall all possible words or expres‐ sions which could be associated to money. Productive retrieval seems to be one of the main aims of the teacher at the beginning of the lesson. (Martha ISA Post, 1) Martha benutzt das Fachkonzept meaning-focused output und bezieht Merkmale des Fachkonzepts auf die Unterrichtssituation (Gelegenheiten zum Gebrauch, überwiegend bekannter Wortschatz). The learners also get some time to think about possible situations which can be connected to money as well as have the chance to speak to each other. It is meaning-focused output that plays an important part within this lesson. There are not many new vocabulary. The learners get enough time to talk as well as to listen to each other and at the end of the class they also have to fill in the words within a text. In other words, they can listen to the spoken form of words as well they can see or use the written form. (Martha ISA Post, 9) Martha resümiert die Ziele und Prozesse der Stunde mit Hilfe von Fachkonzepten: As a conclusion one can say that meaning focused output (remember certain vocab‐ ulary), productive retrieval as well as fluency development (talk to your partner, say 364 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="365"?> words quickly) with regard productive retrieval (recall the word) play an important part within this lesson. (Martha ISA Post, 11) Es fällt auf, dass Martha Fachkonzepte aneinanderreiht, ohne auf Unterschiede zwischen verwandten Konzepten einzugehen. Das Verhältnis von Aufrufen (recall) und Gebrauch (use) wird nicht weiter thematisiert, wenngleich Letzteres eine kontextualisierte und meist kommunikative Verwendung impliziert, die das aktive Erinnern als mentalen Prozess voraussetzt. The teacher also wants his learners to explain words or expressions in their own words and in English (2: 26: “What is Wall Street? ”; 8: 04: “Can you describe…? ” 8: 58; How can you associate it with money? (9: 41) He wants them to speak, to become much more fluent and proficient in recalling and using certain words. (Martha ISA Post, 8) Vorhersagen Martha kann das Lernpotenzial eines Tafelanschriebs einschätzen und im Hin‐ blick auf das rezeptive und produktive Wortschatzwissen mögliche Effekte anti‐ zipieren. Eine Verknüpfung von Situation und antizipiertem Effekt ist er‐ kennbar. Die Vorhersagen bleiben jedoch allgemein und lassen den konkreten Bezug und Belege aus dem Unterrichtsgeschehen vermissen. Es sind allenfalls einzelne Schüler, welche die Fähigkeit entwickelt haben, Zielwörter zu definieren und selbstständig Synonyme zu finden. Das antizipierte Lernergebnis hat inso‐ fern wenig Absicherung durch konkrete Faktoren des Unterrichtsgeschehens. The teacher keeps them active all the time and makes them think about other vocab‐ ulary they already know. (1: 16) He creates some kind of mind map or collection of all the words the students say and so they do not only listen to words and their pronun‐ ciation but they also have the chance to remember or to receive their written form (aspects of word knowledge: written and spoken form). (Martha ISA Post, 3) Learners learn how to associate words to another main word as well as how to explain or define words, for example by giving another word (synonym) or by description. (Martha ISA Post, 13) Martha übergeneralisiert von direkt beobachtbarem Lehrerhandeln auf mentale Lernprozesse und -ergebnisse. Sie nimmt das Entwickeln von Assoziationen als ein Lernergebnis an, das Lernende strategisch einzusetzen in der Lage sind, um ihre Behaltensleistung zu steigern oder Wörter in ihr mentales Lexikon zu in‐ tegrieren. Um solch ein - durchaus wünschenswertes - Lernergebnis zu er‐ zielen, hätte der Lehrer auf die Meta-Ebene gehen müssen und den Sinn und Nutzen des freien Assoziierens mit den Lernenden reflektieren müssen. 365 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="366"?> I think one of the main messages here is that one can associate words to each other in order to demonstrate similarities or even to remember them better. At the end of the class the learners have the chance to use the words in written form while they have to fill them in. (Martha ISA Post, 18) Bewertungen Martha bewertet die Stunde durchgehend positiv. Lediglich die Situation, bei der die Lernenden ein zweites Mal aufgefordert werden, sich Ausdrücke und Wen‐ dungen zum Thema Geld zu überlegen, sieht Martha etwas kritisch, weil diese Aufgabe von einigen Studierenden als schwierig empfunden wird. Die Proble‐ matik des von Perino intendierten kommunikativen Zwischenspiels und die Gründe für die schleppende Beteiligung der Lernenden werden von Martha je‐ doch nicht weiter reflektiert, weil sie grundsätzlich der Überzeugung ist, dass es genügend Sprechgelegenheiten in der Stunde gibt. Marthas Bewertung steht im Gegensatz zu der Bewertung der Experten, die kritisieren, dass das Unter‐ richtsgespräch überwiegend über den Lehrer läuft und die Lernenden kaum Gelegenheit zur Beteiligung und Interaktion haben (vgl. 3.5.5). Learners get enough time to speak to each other as well to use known vocabulary. But for some students it seems to be a difficult task to talk and think again about the topic “money” and other possible words or expressions (12: 17). (Martha ISA Post, 19) Weitere Gegenstände der Bewertung sind der Stundeneinstieg („I think it is a nice introduction of the lesson’s topic”, Martha ISA Post, 2) und das lernunter‐ stützende Gesprächsverhalten des Lehrers. So nimmt Martha wahr, dass Perino sich auf unterschiedliche Weise vergewissert, ob die Lernenden tatsächlich ein Wort verstanden haben. Konkrete Belege aus dem Unterrichtsvideo bleibt sie jedoch schuldig. Die Experten hingegen sehen eine Lernunterstützung allenfalls in der häufig stattfindenden Fehlerkorrektur (vgl. 3.5.5.1). In general one can say that the teacher always ask whether the students really un‐ derstand what he says or the certain vocabulary which seems to be very good. (Martha ISA Post, 7) Martha stellt die Praxis der Fehlerkorrektur in der Stunde als positiv heraus, wenn‐ gleich ihre Erwartungen an den Effekt der Fehlerkorrektur überhöht sind, wenn sie meint, dass Bedeutung und Funktion bestimmter Wörter hierdurch langfristig be‐ halten werden. Deutlich kritischer äußern sich zu diesem Punkt die Experten: Sie sehen keine Basis für eine nachhaltige Förderung lexikalischen Lernens, weil Mne‐ motechniken und Lernstrategien in der Stunde quasi ganz fehlen. 366 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="367"?> Grammatical mistakes learners make are repeated and stressed by the teacher in a certain way, like for example “… shoot themselves down” (9: 52) or “… you become money” (13: 04). It seems to be a good way to correct students like he does and to make them remember the meaning and function of certain words. (Martha ISA Post, 10) Ein weiterer Gegenstand positiver Bewertung ist die Semantisierung von Wör‐ tern (das Beispiel von to afford wurde bereits weiter oben analysiert, vgl. 4.6.3.2). Hierzu finden sich insgesamt drei Bewertungen: I really like the lesson and the ideas of the teacher to explain words to the learners. (Martha ISA Post, 21) But all in all the teacher does a really good job, tries to keep the learners active as well as shows them that many words can be explained in English with the help of vocab‐ ulary the learners already know. (Martha ISA Post, 25) A lesson can include many different aspects of lexical learning or even a combination of some of them and I think the teacher shows that in a very clear, interesting and nice way. (Martha ISA Post, 26) Sehr konkret wird Martha hier jedoch nicht, wenn es darum geht, die verschie‐ denen Aspekte lexikalischen Lernens zu beschreiben, die in der Stunde zum Tragen kommen. Marthas positiver Gesamteindruck von der Stunde ist über‐ wiegend vom Verhalten des Lehrers geprägt („clear, interesting and nice way“). Alternativen In der einzigen Alternative für dieses Unterrichtsvideo bemängelt Martha, dass den Lernenden nicht genügend Bedenkzeit eingeräumt wird, um Assoziationen zu ent‐ wickeln. Damit widerspricht sie jedoch einer zuvor getroffenen Einschätzung (vgl. Martha ISA Post, 19). Die Impulse „Does anybody know any expressions again with money? “ (2: 57) und „What sort of things do you associate with money? “ (3: 53) wie auch das Partnergespräch, in dem die Schüler Situationen überlegen sollen, die mit Geld zu tun haben, erhöhen weder die Länge noch die sprachliche Komplexität des lernerseitigen Outputs. Martha registriert, dass einige Lernende ratlos wirken und die Beteiligung der Lernenden durch diesen Impuls des Lehrers nicht wesentlich ansteigt: Perino schreitet die Sitzreihen ab, um bei den Lernenden abzufragen, welche Situationen ihnen eingefallen sind (vgl. Video „Money“, 4: 27-5: 52). But maybe the teacher could give the students some time to talk and interact before he writes the words on the board and creates a mind map. It seems that some pupils do not know what to talk about or which words they could associate with “money” that are not written down on the board. (Martha ISA Post, 23) 367 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="368"?> 4.6.4 Analyse der Bewertungen von Martha Eine Durchsicht aller Bewertungen zeigt, dass Martha in ihren Bewertungen ein breites Themenspektrum abdeckt (vgl. Tabelle 51). Zwar finden sich Bewer‐ tungen von einsprachigen Worterklärungen, zur Effektivität von Aktivitäten und zur Schüleraktivierung sowie zur Förderung des Sprechens häufiger. Das Thema Förderung des Sprechens findet sich auch in der Subjektperspektive von Martha: Die Lehrperson sollte häufig Gelegenheiten für Interaktionen sowie Sprechanlässe schaffen, um das Fremdsprachenlernen zu fördern. Insgesamt lässt sich in den Bewertungen jedoch kein dominantes Thema erkennen. Gegenstand der Bewertung Häufigkeit (alle ISAs) Fokus Semantisierungstechnik 1 Lexikalisches Lernen Verständnissicherung 1 Lexikalisches Lernen Einsprachige Worterklärung 2 Lexikalisches Lernen ausgewählte Wörter 1 Lexikalisches Lernen unzureichende Worterklärung 1 Lexikalisches Lernen Rituale 1 Pädagogisch Effektivität der Aktivität 2 Pädagogisch Präsentation von Wortschatz+ 1 Lexikalisches Lernen Einsprachige Unterrichtsführung 1 Fachdidaktisch Förderung des freien Sprechens 2 Fachdidaktisch Stundeneinstieg und Aufmerksamkeit 1 Allgemeindidak‐ tisch Bedeutungsreichweiten 1 Lexikalisches Lernen Kombination von Formen lexikalischen Lernens 1 Lexikalisches Lernen 368 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="369"?> Schüleraktivierung und Methodenein‐ satz 3 Allgemeindidak‐ tisch Struktur der Stunde 1 Allgemeindidak‐ tisch Korrekturverhalten 1 Fachdidaktisch Summe: 22 Tabelle 51: Themen der Bewertungen von Martha (alle ISAs) Marthas Bewertungen beziehen sich überwiegend auf Aspekte lexikalischen Lernens. Bewertungen mit fachdidaktischem Fokus sind dabei zahlreicher als solche mit allgemeindidaktisch-pädagogischen Bezügen. Die Post-Analyse zeigt, dass die Bewertungen mehrheitlich sprachliche und lexikalische Phäno‐ mene zum Gegenstand haben, was sich auch als eine Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung deuten lässt. 4.6.5 Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Martha Insgesamt stehen die im Seminar vermittelten Konzepte in sehr geringem Maße für die Klassifizierung von Lernzielen und -gegenständen oder die Vorhersage von Lernergebnissen zur Verfügung (vgl. Diagramm 64). 6% der selektierten Si‐ tuationen werden mit einem Fachkonzept zutreffend und in nachvollziehbarer Weise klassifiziert. Für weitere 6% der Situationen ist zwar die Passung zwischen Situation und Fachkonzept gegeben, die Begründung bleibt jedoch zu allgemein (Niveau 2). Für die Vorhersage von Lernprozessen stehen keine Fachkonzepte zur Verfügung. Hingegen bewertet Martha mehr als ein Viertel aller Situationen. Der Anteil der Situationen, die konkret oder abstrakt beschrieben werden, ist mit 25% vergleichsweise hoch. 369 4.6 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Martha <?page no="370"?> 240 Lernzielen und -gegenständen oder die Vorhersage von Lernergebnissen zur Verfügung (vgl. Diagramm 64). 6% der selektierten Situationen werden mit einem Fachkonzept zutreffend und in nachvollziehbarer Weise klassifiziert. Für weitere 6% der Situationen ist zwar die Passung zwischen Situation und Fachkonzept gegeben, die Begründung bleibt jedoch zu allgemein (Niveau 2). Für die Vorhersage von Lernprozessen stehen keine Fachkonzepte zur Verfügung. Hingegen bewertet Martha mehr als ein Viertel aller Situationen. Der Anteil der Situationen, die konkret oder abstrakt beschrieben werden, ist mit 25% vergleichsweise hoch. Diagramm 64: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (Martha) Abstrakte Beschreibungen in Form von Interpretationen auf einer mittleren Abstraktionsebene, zum Beispiel zu Zielorientierungen von Lehrerhandlungen, zur Organisation des Lernens sowie Bewertungen sind für Martha typische Verarbeitungsweisen für den im Unterrichtsvideo wahrgenommenen Unterricht. Abstrakte Beschreibungen werden häufig mit Kontrastierungen oder Wertungen gerahmt. Solche rahmenden Aussagen abstrahieren pauschal vom Unterricht und sind daher nicht an das konkrete Unterrichtsgeschehen zurückgebunden. Die kate- 26% 2% 0% 8% 17% 6% 6% 6% 8% 8% 0% 5% 5% 5% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% Anteil der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Diagramm 64: Verteilung Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (Martha) Abstrakte Beschreibungen in Form von Interpretationen auf einer mittleren Abstraktionsebene, zum Beispiel zu Zielorientierungen von Lehrerhandlungen, zur Organisation des Lernens sowie Bewertungen, sind für Martha typische Verarbeitungsweisen für den im Unterrichtsvideo wahrgenommenen Unter‐ richt. Abstrakte Beschreibungen werden häufig mit Kontrastierungen oder Wertungen gerahmt. Solche rahmenden Aussagen abstrahieren pauschal vom Unterricht und sind daher nicht an das konkrete Unterrichtsgeschehen zurück‐ gebunden. Die kategorialen Schnitte durch das Material sind bei Martha größer: Sie selektiert großflächiger (z. B. komplette Unterrichtsphasen wie Einstieg, Er‐ arbeitung, Ergebnissicherung). Bei der Datenauswertung erwies es sich manchmal als schwierig, aus der allgemeinen Beschreibung die Situationen im Unterrichtsvideo zu lokalisieren (vgl. 3.6.4.1). Unter lernunterstützender Kommunikation (dritte Leitfrage) versteht Martha überwiegend Partnerarbeitsphasen und Unterrichtsgespräche. Lerndialoge, die z. B. das Verstehen, Erläuterungen zum Sprachgebrauch oder die Bewusstmachung von Bedeutungsreichweiten zum Ziel haben, thematisiert sie erst gegen Ende des Seminars (vgl. Martha ISA Post). Vorhersagen von Lernergebnissen (Behaltens‐ leistung) werden nicht durch Bezug auf den Unterricht aus dem Video belegt. In Marthas Vorhersagen fehlt der Abgleich zwischen den antizipierten und realen Effekten einer Situation. Wichtige Aspekte des Unterrichtsgeschehens oder Fak‐ toren, die das Lehr-Lerngeschehen beeinflussen, bleiben unbemerkt. Die Fähigkeit, Situationen mit fachdidaktischen Konzepten zu klassifizieren, hat Martha ansatzweise entwickelt. Auch am Ende des Seminars stehen Fachkonzepte nur in geringem Ausmaß zur Verfügung (siehe unten 4.6.3.3). Bezogen auf die se‐ lektierten Situationen in allen 6 Analysen (n=88) werden rund 6% aller Situationen 370 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="371"?> zutreffend mit einem Fachkonzept klassifiziert. Der Umgang mit den „Stand‐ beinen“ wirkt unsicher und führt manchmal zu Widersprüchen. Einzelne Konzepte zur Klassifizierung von Lernprozessen (retrieval) werden ab ISA IV genutzt. Es sind Lücken im konzeptuellen Verständnis des Fachkonzepts, die eine wissensbasierte Auseinandersetzung mit Situationen lexikalischen Lernens erschweren und nur schwach ausgeprägt erscheinen lassen. Argumentationslinien sind wenig ausge‐ schärft, sodass nachvollziehbare und schlüssige Analysen einzelner Situationen mit Hilfe der im Seminar vermittelten Fachkonzepte selten gelingen. Teilweise stimmen Alternativen mit der Subjektperspektive überein (Beantwor‐ tung von Schülerfragen als essentielle Strategie zur Förderung lexikalischen Lernens). Situationen, die fachdidaktische oder pädagogische Notwendigkeiten enthalten, die im Einklang stehen mit dem subjektiven, fachdidaktischen und pä‐ dagogischen Orientierungsrahmen, sind Auslöser für die Formulierung eigener Al‐ ternativen. Zentrale Faktoren für gelingenden Fremdsprachenerwerb sind für Martha das Üben und im Unterricht „Raum für Fragen, das Sprechen der Sprache und die Interaktion mit anderen Schülern in der Fremdsprache“ zu schaffen. Die Lehrperson sollte Schüler zum Nachfragen und extensiven Lesen anregen sowie ihnen Nutzen und Wirksamkeit von Fremdsprachenkenntnissen vor Augen führen. Das Behalten bleibt ein nachhaltiges Problem beim Wortschatzlernen. Potentiale zur Optimierung lexikalischen Lernens in spezifischen Unter‐ richtssituationen werden von Martha selten aufgezeigt. Meist leitet sie Alter‐ nativen von allgemeinen fachdidaktischen oder pädagogischen Prinzipien ab (kommunikativer Fremdsprachenunterricht, Schüleraktivierung, Fehlerkor‐ rektur). Auch die Effekte der vorgeschlagenen Alternativen beschreibt Martha eher allgemein. Sie neigt dazu, die Effekte der vorgeschlagenen Alternativen zu überschätzen. Bei Martha ist auffällig, dass die Schnitte durch das Material größer und die selektierten Situationen großflächiger sind. 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej 4.7.1 Kurzbeschreibung des Falls Sergej Sergej studiert im 17. Semester Englisch und Sportwissenschaft für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen (Sek. I und II). Er hat bislang ca. 8 fachdidak‐ tische Lehrveranstaltungen besucht und betrachtet die Fachdidaktik als seinen Interessensschwerpunkt im Studium. Bildungswissenschaftliche Veranstaltungen zum Thema Unterrichtsbeobachtung hat er nicht belegt. Sergej verfügt nicht über 371 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej <?page no="372"?> aktive Unterrichtserfahrungen. In Praxisphasen hat er insgesamt 10 Wochen an unterschiedlichen Schulformen hospitiert. Eine „omnipräsente Sprache“ wie Eng‐ lisch erlernt man seiner Meinung nach am besten „aus eigenem Antrieb und In‐ teresse“. Das Lernen „in authentischen Kontexten“ hat eine hohe Priorität. Der Lehrer ist für ihn nur eine motivationale Komponente unter vielen anderen. Sergej hat ein eher implizites Lernverständnis im Hinblick auf lexikalisches Lernen. Damit Schüler umfangreiche und differenzierte Wortschatzkenntnisse aufbauen, sollte der Unterricht „motivieren“ und „den Lernenden die Möglich‐ keit bieten, ihre Kenntnisse authentisch einzusetzen, z. B. Ausflüge, Austausch‐ programme“. Die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen sieht Sergej in der Polysemie von Wörtern. Daher sollten den Schülern „Vokabeln in allen Bedeutungen näher“ gebracht werden und dabei „Ambiguitäten sowie Grenzen vor Augen“ geführt werden. Um das Wortschatzlernen zu fördern, sollte die Lehrperson „möglichst viele Kanäle ansprechen, um das Lernen zu unter‐ stützen“ sowie „die eigene Begeisterung an Schüler weitergeben“. Die Darstellung des Falls Sergej folgt einer anderen Struktur, weil die Zahl der selektierten Situationen deutlich geringer ausfällt (N=46). Außerdem über‐ wiegen in Sergejs Analysen die abstrakten und konkreten Beschreibungen. Um Wiederholungen und eine erneute Beschreibung des Unterrichts (vgl. 3.5.5) zu vermeiden, wird auf eine Detailwiedergabe aller konkreten und abstrakten Be‐ schreibungen aus den jeweiligen ISAs von Sergej verzichtet. Durch das geringe Ausmaß der wissensbasierten Verarbeitung macht eine Strukturierung des Ka‐ pitels entlang der einzelnen ISAs wenig Sinn; stattdessen folgt die Darstellung den einzelnen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, für die jeweils Text‐ stellen aus den verschiedenen ISAs kommentiert werden. Das Kapitel orientiert sich im Aufbau jedoch weiterhin an der zweiten und dritten Forschungsfrage, die auf das Ausmaß der Nutzung von Fachkonzepten sowie der Entwicklung der Unterrichtswahrnehmung gerichtet sind. 4.7.2 Die wissensbasierte Verarbeitung der Unterrichtsvideos bei Sergej: Detaillierte Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung (ISA I-ISA Post) 4.7.2.1 Beschreibungen Für das Video „Misunderstandings“ finden sich überwiegend Beschreibungen des Unterrichtsgeschehens, in denen die Ziele der Stunde und einzelner Aktivitäten dargestellt werden. In den konkreten Beschreibungen vom Video „Practicing new words“ gibt Sergej spezifische Unterrichtsabläufe wieder: 372 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="373"?> After this round of showing pictures the teacher shows cards with words on it for a very short time and the pupils have to read and recognize it and tell it. Once again the whole class has to repeat the word aloud, but just one time. (Sergej ISA II, 4) Im überwiegenden Teil der Beschreibungen nimmt Sergej das Lehrerverhalten in konkreten Situationen in den Blick. So ergab eine Stichwortsuche 13 Fund‐ stellen für das Wort teacher in den Codings für Beschreibungen. In den ab‐ strakten Beschreibungen nimmt Sergej die Zielrichtung von Lehrerhandlungen in den Blick und abstrahiert vom konkreten Unterrichtsgeschehen, indem er die Zweckrationalität des Lehrerhandelns herausstellt. The teacher explains the meaning of "to drive someone crazy" and highlights the difference between "to drive s.o. crazy" and "to drive (a car)" in order to guarantee that they understand that. (Sergej ISA III, 8) Die konkreten Beschreibungen überwiegen in Sergejs Analysen der Post-Analyse. Sergej orientiert sich am classroom discourse und erzählt diesen häufig einfach nach: The next term is “to blow” and the teacher adds that “the wind blows” but “what has blowing got to do with money? ” a student tells that it means “to spend loads of money”. (Sergej ISA Post, 10) In der Post-Analyse orientiert sich die Beschreibung der Stundenziele an den sprachlichen Mitteln, die in der Stunde verwendet und besprochen werden. Al‐ lerdings differenziert Sergej nur ungenau zwischen den Zielen im Bereich Hör‐ verstehen und den Zielen lexikalischen Lernens. Sergej nimmt eine den Ge‐ sprächsverlauf stützende Funktion der Modalverben could, would und might an, wobei er ihre Funktion als downtoner unterschlägt. Later on they listen to two conversations and try to find out what went wrong respec‐ tively why the conversation lead to a success. This is more the core topic of this lesson concerning lexical learning. The students should get aware of how to criticize without being rude as well as praising without being arrogant. In that specific case they talk about expressing doubts by "would", "could" and "might" in order to keep a conversa‐ tion going on and some other "de-escalating" expressions. (Sergej ISA Post, 4) Auffällig ist, dass die Zahl der konkreten Beschreibung in der Post-Analyse deutlich angestiegen ist. Man kann sagen, dass Sergej mehr Situationen wahr‐ nimmt und diese konkret fokussiert, was mit einer Schärfung der Wahrnehmung im Sinne einer verbesserten Selektion gleichgesetzt werden kann. 373 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej <?page no="374"?> 4.7.2.2 Bewertungen Die Kategorie Bewertung wird vergeben, wenn eine konkrete Situation aus dem Unterrichtsvideo positiv oder negativ im Rückgriff auf explizite allgemeindidak‐ tische, fachdidaktische oder lernpsychologische Prinzipien bewertet wird. Für die fallbezogene Auswertung wird auch nach den für den einzelnen Probanden typi‐ schen Bewertungsrahmen gefragt. Sergej hat in 10 von 46 Situationen die Effek‐ tivität von Aktivitäten oder von konkretem Lehrerverhalten bewertet: • Effektivität oder Zweifel an der Effektivität einer Lernaktivität (3) • Nutzung der Tafel (2) • Pädagogisch-psychologisches Wissen: Rituale (1), Lernkanäle (1) • Zweifel an der Effektivität einer Aktivität (1) • Lehrerpersönlichkeit und pädagogisches Verhalten der Lehrkraft (2) Der Orientierungsrahmen von Sergej für die Bewertungen ist pädagogisch, aber kaum fachlich geprägt. Lediglich in ISA II (Video „Practicing new words“) findet sich eine Bewertung mit einem fachlichen Bezug. Die Lehrerin fragt die Schüler dieses zweiten Lernjahres, wie oft denn bestimmte Wörter (honey, jam, hot choc‐ oloate) geübt, d. h. nachgesprochen werden sollen. Es werden die folgenden Wörter durch chorisches Nachsprechen wiederholt: • honey (4-mal) • jam (5-mal) • hot chocolate (10-mal) Die Entscheidung, die Schüler über die Übungintensität entscheiden zu lassen, sieht Sergej kritisch. Seine Zweifel an der Nützlichkeit dieser Entscheidung be‐ gründet er schulpädagogisch: But I don't really think that this question of repetition is that helpful for I doubt that some students make fun of it and just want to waste time for it is not such a complex word that should be really repeated so many times. (Sergej ISA II, 3) Die Antworten der Schüler legen indes nahe, dass für sie die Länge eines Wortes ein hinreichender Grund ist für eine höhere Zahl von Wiederholungen. Die Schüler schlagen für „easy words“ wie honey und jam weniger Wiederholungen vor als für das Wort hot chocolate (10). Insofern ist Sergejs Kritik, dass die Schüler die Frage der Lehrerin ausnutzen, um im Unterricht „auf Zeit zu spielen“, nicht anhand des Unterrichts aus dem Video belegbar. Allerdings wäre es sinnvoll, dass die Lehrerin auf die explizite Ebene geht und die Schüler nach den Gründen für ihre Einschätzung befragt. Auf diese Weise ließe sich mehr über die von Seiten der Lernenden empfundene Lern‐ 374 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="375"?> schwierigkeit herausfinden und die lexikalische Bewusstheit für die Andersar‐ tigkeit des phonetischen Inventars des Englischen erhöhen. Solche weitergeh‐ enden Überlegungen finden sich jedoch nicht in den Analysen von Sergej. Eine positive Würdigung erfahren die Erklärungen der Lehrerin bezogen auf die Bildung der Pluralformen am Beispiel von roll und der Hinweis auf die kul‐ turell bedingte lexikalische Leerstelle bei Kakao als Kaltgetränk („Remember, it’s not cold chocolate …“). Nevertheless I like the teacher's explanations concerning "hot chocolate" ("remember, it is not 'cold chocolate' but? ") and "rolls" ("one roll and two rolls"). (Sergej ISA II, 7) Offen bleibt allerdings, warum Sergej diese Erklärungen der Lehrerin gefallen. Er kann sie offensichtlich nicht mit fachdidaktischem Wissen verknüpfen, um zu einer vertieften Einschätzung oder gar Vorhersage der Lern- und Verste‐ hensleistung der Lernenden zu gelangen. Im Video „Perfect Job“ (ISA IV) bewertet Sergej Lernergebnisse und die aus‐ gebliebene Lernunterstützung kritisch und erkennt damit ein Kernproblem dieses Unterrichts: Obwohl ein Schüler signalisiert, dass er das Wort für „Tier‐ pfleger“ nicht kennt, erhält er vom Lehrer keine Antwort auf seine Frage, son‐ dern wird auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet („We will find this out“). Sergej nimmt auch wahr, dass es ein und derselbe Schüler ist, dem zwei Mal Lernun‐ terstützung von Seiten des Lehrers verweigert wird. Einen Vorschlag für eine Verbesserung der Situation macht Sergej jedoch nicht. As I already said, the students partly use the new vocabulary, but ignoring the fact that the lesson has not ended yet, so far I doubt that all students have really learned a lot about these words. The teacher doesn’t seem to support them, he collects sug‐ gestions but does not solve the solutions [sic]; in 0: 45-0: 58 he even ignores a student’s question before their task and it is just that student that wasn’t able to perform a job in pantomime! (Sergej ISA IV, 5) Zweifel an der Effektivität einer Worterklärung in einer Schlüsselszene im Video „Money“ drückt Sergej aus, indem er die konkreten Lehrererklärungen zwar detailliert und recht präzise beschreibt, es jedoch unterlässt, Verknüpfungen zwischen dem Lehrverhalten und den möglichen Lernergebnissen herzustellen. Obwohl sich das Gelingen des zweiten Definitionsversuchs an der Reaktion der Schüler ablesen lässt, ist Sergej am Ende unschlüssig, ob die Schüler die Bedeu‐ tung von to afford letztlich verstanden haben. In order to explain “to afford something” he wants them to guess it from the context by asking questions such as “have you got enough money to buy a house? You don’t know what you have got in your bank account? ” or “can you afford to buy an ice cream with 375 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej <?page no="376"?> your pocket money? How much is an ice cream? You can easily pay for it” and finally giving the explanation “you can afford it then it is not too high for your budget”. But I don’t know whether all students really understood that. (Sergej ISA Post, 9) 4.7.2.3 Klassifizierungen Fachdidaktisches Wissen und im Seminar vermittelte Konzepte wendet Sergej nur in einem sehr geringen Maße an, um Situationen zu klassifizieren (vgl. Diagramm 65). Von insgesamt 46 selektierten Situationen hat Sergej sechs Situationen mit einem Fachkonzept klassifiziert. Davon wird nur eine Situation in schlüssiger Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert, während die anderen Klassifizie‐ rungen durch fehlenden Bezug zum Video nur teilweise nachvollziehbar sind. In ISA I und II ist keine Nutzung von Fachkonzepten erkennbar. Zwei Drittel der Klassifizierungen lassen sich überhaupt erst in der Post-Analyse nachweisen. Sie sollen im Folgenden ausführlicher analysiert werden, um die spezifische Unter‐ richtswahrnehmung von Sergej und seinen Umgang mit den Fachkonzepten besser zu verstehen. Folgende Fachkonzepte werden von Sergej genutzt: • negotiation of meaning (1) • aspects of word knowledge (2) • four strands: language focused learning; fluency development (2) • semantic fields, meaning boundaries (1) • aspects of word knowledge (2) • four strands: language focused learning; fluency development (2) • semantic fields, meaning boundaries (1) Diagramm 65: Klassifizierungen, alle ISAs (Sergej) Bei der Klassifizierung des Unterrichts im Video „Perfect Job“ kombiniert Sergej mehrere der four strands of language teaching. Das „Standbein“ language-focused learning ist allenfalls in kurzen Episoden nachweisbar, ansonsten findet in dieser Stunde überwiegend implizites lexikalisches Lernen statt, so zum Beispiel, wenn die Schüler Wörter aus dem Text erschließen sollen. Für das zweite von ihm aufgerufene Standbein meaning focused input verfügt Sergej nicht über eine hinreichende Kenntnis seiner definitorischen Merkmale des „Stand- 0 1 2 3 ISA_Prä ISA_II ISA_III ISA_IV ISA_Post Anzahl der selektierten Situationen Klass_1 Klass_2 Klass_3 Diagramm 65: Klassifizierungen, alle ISAs (Sergej) 376 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="377"?> Bei der Klassifizierung des Unterrichts im Video „Perfect Job“ kombiniert Sergej mehrere der four strands of language teaching. Das „Standbein“ language-focused learning ist allenfalls in kurzen Episoden nachweisbar, ansonsten findet in dieser Stunde überwiegend implizites lexikalisches Lernen statt, so zum Beispiel, wenn die Schüler Wörter aus dem Text erschließen sollen. Für das zweite von ihm aufgerufene „Standbein“ meaning-focused input verfügt Sergej nicht über eine hinreichende Kenntnis seiner definitorischen Merkmale des „Standbeins“, um zu einer nachvollziehbaren Klassifizierung zu gelangen. The aim of the teacher concerning lexical learning is in my opinion language-focused; for they have to guess from the context, but also meaning-focused input, because they deal with new vocabulary (about jobs, some of the vocabulary could be know as the last students suggest some of these new terms, such as "window dresser" or "fashion designer") as well as meaning-focused output for they have to talk and present their ideas. (Sergej ISA IV, 3) Dass es bei meaning-focused input primär um das Verstehen von Lese- oder Hörtexten geht, verkennt Sergej. Ihm sind also definitorische Merkmale des Konzepts auch zum Ende des Seminars nicht vollständig geläufig, wenn er die Wahl dieses Konzepts mit dem Hinweis auf den Umgang mit neuem Wortschatz begründet. Auch wenn die Schüler in der Stunde sprechen und z. B. Bildbe‐ schreibungen liefern, sind es nur wenige Situationen, die eine Klassifizierung mit dem „Standbein“ meaning-focused output rechtfertigen. Auch für diese Klas‐ sifizierung bleibt Sergej konkrete Belege aus dem Video schuldig. In der Post-Analyse (Video „Money“) nimmt Sergej wahr, wie der Lehrer mit den Lernenden Bedeutungen aushandelt und auf diese Weise Gebrauchsein‐ schränkungen (constraints on use) von Wörtern (each other - themselves) ver‐ deutlicht. Indem der Lehrer dem Schüler spiegelt, welche Bedeutung der Satz „they shoot themselves down“ hat, erhält der Schüler die Möglichkeit, seinen Satz in Übereinstimmung mit seiner Aussageabsicht zu bringen. In the following sequence, Mr. Perino is negotiating the meaning of different vocabulary and giving different kinds of help such as explanations and translations for some words. A stu‐ dent said “they shoot themselves down” although he obviously meant “each other”. The teacher asks “what is the other word? ” and by performing “shooting themselves down” the pupil immediately recognized the mistake and gave the correct answer. (Sergej ISA Post, 8) Im gleichen Video selektiert Sergej eine Situation, in welcher der Lehrer die von den Schülern eingebrachten Wörter an der Tafel sammelt und dabei semantische Relationen (z. B. Antonyme) zwischen den Wörtern aufzeigt. Statt Bedeutungs‐ reichweiten von Wörtern zu thematisieren, wie Sergej meint, werden in dieser Situation allenfalls semantische Relationen zwischen Wörtern thematisiert. 377 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej <?page no="378"?> During this period the teacher also creates some semantic fields and makes connec‐ tions to words such as “to lose money you can also earn, spend, and pay”. These links should show the students what the meaning boundaries and which similarities there are. (Sergej ISA Post, 4) 4.7.2.4 Vorhersagen Vorhersagen von Lernergebnissen in spezifischen Situationen trifft Sergej insgesamt nur für zwei Situationen. Allerdings bleiben die Vorhersagen eher allgemein. Ziel des Unterrichts im Video „Drive me crazy“ ist, dass die Schüler einen Dialog einüben und am Ende frei vorspielen. Hierbei steht zwar das Behalten der Sätze aus dem Dialog im Vordergrund. Aus Sergejs Sicht soll jedoch der „Inhalt der Stunde“ das Langzeitge‐ dächtnis der Schüler erreichen. Sergej differenziert nicht hinreichend zwischen dem Lernmaterial selbst (dem Dialog), den Aufgaben und den verschiedenen reproduk‐ tiven Übungen. Belege für das erfolgreiche Auswendiglernen, für das es in der Phase, in der die Schüler den Dialog vorspielen, durchaus Evidenz gibt, liefert Sergej nicht. The content of the lesson should access to the student`s long term memory and be learned by heart. (Sergej ISA III, 10) Auch eine zweite Aussage zur Vorhersage von Lernergebnissen im Video „Money“ bleibt allgemein, auch wenn er in diesem Fall versucht, Aspekte des Wortschatzwissens als zusätzliche Konzepte einzubringen. Das antizipierte Lernergebnis in Form eines dif‐ ferenzierten Wissens zur gesprochenen und geschriebenen Form wird von Sergej nicht durch Rückgriff auf konkrete Übungsphasen oder Lehrerprompts belegt, sodass der Zusammenhang zwischen Lehr- und Lerngeschehen letztlich unklar bleibt. But I think the learning outcome is not that high and the level of demand is quite low in class nine. They have to deal with spoken and receptive written word form and meaning. (Sergej ISA IV, 4) 4.7.2.5 Alternativen Sergej entwickelt alternative Herangehensweisen für vier Situationen (von 46 selektierten Situationen über alle ISAs hinweg, vgl. Diagramm 69). Sergej ver‐ fügt nur in geringem Maße über Gestaltungswissen für die Verbesserung lexi‐ kalischer Lernprozesse. Als Maßnahmen zur Sicherung von Lernergebnissen nennt er bevorzugt Tafelanschriebe und Handouts. Zwei der vorgeschlagenen Alternativen haben das Potenzial, lexikalisches Lernen zu verbessern. Eine Alternative zu einer Situation aus dem Video „Misunderstandings“ zielt auf die Verbesserung der Nachhaltigkeit des Lernens ab. Sergej nimmt wahr, dass die Schüler die durch falsche Wortwahl entstandenen Missverständnisse im ersten Hörverste‐ 378 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="379"?> henstext aus dem Video „Misunderstandings“ nicht auflösen können und sie infolge‐ dessen den Humor nicht verstehen. Sergej schlägt nun vor, dass der Lehrer frühzei‐ tiger nachfragen solle, warum die Schüler nicht lachen. Inwiefern eine frühere Nachfrage nach Gründen für das ausgebliebene Lachen die Situation optimieren und zu einer Verbesserung der Verstehensleistung führen würde, lässt Sergej offen. But as none of the students laughs or even smiles the teacher should have realized that they did not get the jokes about it and he might have asked earlier why they did not react. After that they begin to analyze the situation. (Sergej ISA I, 3) Für die gleiche Situation entwickelt Sergej eine Alternative, die das Potenzial hat, das lexikalische Lernen zu verbessern. Da nur ein kleiner Teil der Lerngruppe - offen‐ sichtlich eine Schülerin mit Auslandserfahrung - in der Lage zu sein scheint, die Missverständnisse in dem Gespräch aufzulösen, benötigen vor allem schwächere Lerner an dieser Stelle mehr Unterstützung. Die klärende Zusammenfassung der Missverständnisse auf einem Handout würde die Ergebnisse in dieser Phase absi‐ chern, aber auch der Spontaneität und dem Fokus auf Mündlichkeit Abbruch tun. If I were to teach this lesson I might have summed up the jokes and misunderstandings in a handout and would have given some further examples that display problems concerning the translation of German expressions into English. (Sergej ISA I, 5) Für den Unterricht im Video „Practicing new words“ (ISA II) entwickelt Sergej eine Alternative, in der er eine stärkere Berücksichtigung der Aussprache von be‐ stimmten Wörtern in der Stunde befürwortet, ohne dies jedoch aus einer fachdi‐ daktischen Notwendigkeit (z. B. Aussprachefehler) heraus zu begründen. Sergej schlägt vor, dass die Lehrerin der Aussprache einzelner Laute mehr Aufmerksam‐ keit widmen sollte. Er übersieht jedoch, dass das Wort egg hinreichend Aufmerk‐ samkeit in der Stunde erhält, weil die Lehrerin dieses Wort insgesamt 9-mal in un‐ terschiedlichen Stimmlagen nachsprechen lässt (vgl. Video „Practicing new words“, 1: 14-1: 22). Einen kommunikativen Anlass für den Gebrauch der Pluralform von egg im Stundenverlauf gibt es nicht. Eine fachdidaktische Notwendigkeit, die Pluralbil‐ dung von egg zu thematisieren, sieht Sergej darin, dass Lernende mit Deutsch als Muttersprache dazu neigen, den Auslaut zu verhärten (/ eks/ ), was vor allem bei der Pluralform eggs zu Missverständnissen führen könnte. But I think she could pay more attention to the pronounciation of the words such as "eggs" sound like "ex" or the pronounciation of the "l" in "rolls". This is what I would have done differently. (Sergej ISA II, 8) Für den Unterricht im Video „Drive me crazy“ entwickelt Sergej einen Verbesse‐ rungsvorschlag auf der Basis einer wahrgenommenen fachdidaktischen Notwen‐ 379 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej <?page no="380"?> digkeit. Trotz zahlreicher Wiederholungen von „I overslept“ und trotz der expli‐ ziten Korrektur am Ende der Präsentationsphase übergeneralisieren zahlreiche Schüler weiterhin die Form I’m und sagen *I’m overslept. Sergejs Vorschlag eines Tafelanschriebs mit zusätzlichen Erläuterungen seitens des Lehrers könnte hier Klarheit herstellen und nachfolgend für weniger fehlerhafte Äußerungen sorgen. Though I really like the lesson, I would have written down some notes on the black‐ board in order to make sure that they really understand for example the difference between "drive a car" and "drive someone crazy" or "I overslept" instead of "I’m over‐ slept" as one student in the last role play said. (Sergej ISA III, 3) 4.7.3 Zur Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Sergej Von einer Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung lässt sich bei Sergej allenfalls im Sinne des noticing sprechen, da sich die Zahl der konkreten Beschreibungen deutlich erhöht hat (vgl. Diagramm 66). Sergejs Unterrichts‐ wahrnehmung ist im Laufe des Seminars deutlich fokussierter geworden - er nimmt mehr Situationen lexikalischen Lernens wahr. Diagramm 66: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs, selek‐ tierte Situationen, n=46 (Sergej) 380 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="381"?> Zuwächse bei der wissensbasierten Verarbeitung auf der Grundlage fachdidak‐ tischer Konzepte sind jedoch quasi nicht feststellbar: Die wissensbasierte Ver‐ arbeitung von Situationen (Klassifizierungen) aus den Unterrichtsvideos ist sehr gering ausgeprägt (4.7.2.3). Auch wenn Sergej einzelne „Standbeine“ für die Klassifizierung von Unterrichtszielen nutzt, stehen ihm ihre definitorischen Merkmale nicht in einem Ausmaß zur Verfügung, welches zu nachvollziehbaren und plausiblen Klassifizierungen führt. In der Post-Analyse finden sich nur ein‐ zelne, wenige Situationen, die mit einem Fachkonzept klassifiziert werden. Diese werden in den folgenden Abschnitten ausführlich dargestellt. 4.7.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse 248 Diagramm 66: Überblick Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, Sergej, alle ISAs, selektierte Situationen n=46 Zuwächse bei der wissensbasierten Verarbeitung auf der Grundlage fachdidaktischer Konzepte sind jedoch quasi nicht feststellbar: Die wissensbasierte Verarbeitung von Situationen ( Klassifizierungen ) aus den Unterrichtsvideos ist sehr gering ausgeprägt (4.7.2.3). Auch wenn er einzelne „Standbeine“ für die Klassifizierung von Unterrichtszielen nutzt, stehen ihm ihre definitorischen Merkmale nicht in einem Ausmaß zur Verfügung, welches zu nachvollziehbaren und plausiblen Klassifizierungen führt. In der Post-Analyse finden sich nur einzelne, wenige Situationen, die mit einem Fachkonzept klassifiziert werden. Diese werden in den folgenden Abschnitte ausführlich dargestellt. 4.7.3.1 Verteilung der Dimensionen in der Prä- und Post-Analyse Diagramm 67: Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Prä-Post, Sergej 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 ISA Prä Altern_1 Altern_2 Altern_3 02468 10 12 Beschreibung Klassifizierung Vorhersage Alternative Bewertung Sergej_Prä Sergej_Post Diagramm 67: Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, ISA Prä-Post (Sergej) >Die Anzahl der selektierten Situationen nimmt von der Präzur Post-Analyse bei Sergej zu. Im Vergleich zur Prä-Analyse hat sich die Zahl der selektierten Situationen in der Post-Analyse verdreifacht. Von einer Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung bei Sergej kann man allenfalls in der Form ausgehen, dass ihm mehr Situationen im Sinne des noticing auffallen. Aggregiert man die Daten der Kategorien der professionellen Unterrichtswahrnehmung, ist die Ent‐ wicklung im Bereich der Selektion, d. h. der Beschreibung von konkreten Situ‐ ationen, klar ersichtlich (vgl. Diagramm 68). Bei der wissensbasierten Verarbei‐ tung sind jedoch nur marginale Zuwächse in Sergejs Analysen erkennbar. In der 381 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej <?page no="382"?> Post-Analyse finden sich einzelne Situationen, die in teilweise zutreffender Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert werden. Auffällig ist, dass Sergej in der Post-Analyse weder Alternativen vorschlägt noch Vorhersagen über Lern‐ ergebnisse trifft. 249 Die Anzahl der selektierten Situationen nimmt von der Präzur Post-Analyse bei Sergej zu. Im Vergleich zur Prä-Analyse hat sich die Zahl der selektierten Situationen in der Post-Analyse verdreifacht. Von einer Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung bei Sergej kann man allenfalls in der Form ausgehen, dass ihm mehr Situationen im Sinne des noticing auffallen. Aggregiert man die Daten der Kategorien der professionellen Unterrichtswahrnehmung, ist die Entwicklung im Bereich der Selektion, d. h. der Beschreibung von konkreten Situationen, klar ersichtlich (vgl. Diagramm 68). Bei der wissensbasierten Verarbeitung sind jedoch nur marginale Zuwächse in Sergejs Analysen erkennbar. In der Post-Analyse finden sich einzelne Situationen, die in teilweise zutreffender Weise mit einem Fachkonzept klassifiziert werden. Auffällig ist, dass Sergej in der Post-Analyse weder Alternativen vorschlägt noch Vorhersagen über Lernergebnisse trifft. Diagramm 68: Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung (Prä-Post-Vergleich) (Sergej) 4.7.3.2 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Analyse Auffällig ist, dass Sergej in der Post-Analyse die zehn zentralen Schlüsselszenen der Unterrichtsstunde selektiert und konkret beschreibt, während in der Prä-Analyse abstrakte Beschreibungen überwiegen. Hier finden sich keinerlei Schlüsselszenen, die von Sergej beschrieben oder weitergehend interpretiert werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Sergejs Unterrichtswahrnehmung im Laufe des Seminars deutlich fokussierter geworden ist, die wissensbasierte Verarbeitung auf der Grundlage fachdidaktischer Konzepte jedoch so gut wie gar nicht stattfindet. Sergej gibt in seinen Beschreibungen häufig den genauen Wortlaut der Lehrer- oder Schüleräußerungen wieder. The next term is “to blow” and the teacher adds that “the wind blows” but “what hat blowing to do with money? ” a student tells that it means “to spend loads of money”. (Sergej ISA Post, 10) Es gibt eine Situation, die Sergej mit dem Konzept negotiation klassifiziert. In dieser Situation verdeutlicht der Lehrer durch Gestik den Rückbezug von „themselves“, so dass der Schüler merkt, dass diese Bedeutung des Satzes nicht mit seiner Mitteilungsabsicht übereinstimmt. 0123456789 Anzahl der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Sergej Prä-Post im Vergleich, n prä =5, n post =16 ISA prä ISA post Diagramm 68: Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung (Prä-Post-Ver‐ gleich) (Sergej) 4.7.3.2 Qualitative Perspektiven: Vergleich der Analyse von Schlüsselszenen im Video „Money“ in der Prä- und Post-Analyse Auffällig ist, dass Sergej in der Post-Analyse die zehn zentralen Schlüsselszenen der Unterrichtsstunde selektiert und konkret beschreibt, während in der Prä-Analyse abstrakte Beschreibungen überwiegen. Hier finden sich keinerlei Schlüsselszenen, die von Sergej beschrieben oder weitergehend interpretiert werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Sergejs Unterrichtswahrnehmung im Laufe des Seminars deutlich fokussierter geworden ist, die wissensbasierte Verarbeitung auf der Grundlage fachdidaktischer Konzepte jedoch so gut wie gar nicht stattfindet. Sergej gibt in seinen Beschreibungen häufig den genauen Wortlaut der Lehrer- oder Schüleräußerungen wieder. The next term is “to blow” and the teacher adds that “the wind blows” but “what hat blowing to do with money? ” a student tells that it means “to spend loads of money”. (Sergej ISA Post, 10) 382 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="383"?> Es gibt eine Situation, die Sergej mit dem Konzept negotiation klassifiziert. In dieser Situation verdeutlicht der Lehrer durch Gestik den Rückbezug von „them‐ selves“, sodass der Schüler merkt, dass diese Bedeutung des Satzes nicht mit seiner Mitteilungsabsicht übereinstimmt. In the following sequences Mr. Perino is negotiating the meaning of different vocab‐ ulary and giving different kinds of help such as explanations and translations for some words. A student said “they shoot themselves down” although he obviously meant “each other”. The teacher asks “what is the other word? ” and by perform‐ ing “shooting themselves down” the pupil immediately recognized the mistake and gave the correct answer. (Sergej ISA Post, 8) Sergej beschreibt das Handeln der Lerner, liefert aber keine theoriebasierte Klassifizierung der Situation oder eine Vorhersage eines Lerneffekts. Dass ihm auffällt, dass der Schüler ein Wort gebraucht, welches zuvor eingeführt wurde, deutet indes auf eine fokussierte Unterrichtswahrnehmung hin. As the term “Wall Street” is mentioned they begin a short chain of associations. First they shall explain what the Wall Street is and what is done there and collects more terms such as “Dow Jones” including another description and explanation. The student that explains that already uses the new word “shares”. (Sergej ISA Post, 7) In einer anderen Passage zeichnet Sergej die Lehrer-Schüler-Interaktion sehr detailliert nach, ohne die Sitation jedoch mit einem Fachkonzept (z. B. negotia‐ tion of meaning) zu klassifizieren. The next term is “to blow” and the teacher adds that “the wind blows” but “what has blowing to do with money? ” a student tells [sic] that it means “to spend loads of money”. (Sergej ISA Post, 10) Eine Einordnung in übergeordnete fachdidaktische Konzepte lässt sich weder für die Lehr- und Vermittlungsperspektive (z. B. Zielrichtung des Lehrer‐ prompts) noch für die Lern- und Verstehensperspektive (Was weiß ich als Lehrer über den Lernerfolg des Schülers? ) feststellen. Die Beschreibungen beziehen sich überwiegend auf die beobachtbare Oberfläche des Unterrichts, wie z. B. konkrete Schüler- und Lehreräußerungen. Sergej bewertet den schülerzuge‐ wandten, freundlichen Lehrer, der seinen Schülern beim Lernen hilft, abschlie‐ ßend positiv - eine Bewertung, die sich jedoch nicht in Sergejs Subjektperspek‐ tive widerspiegelt. I still really like Mr. Perino’s lesson because of his appearance in the classroom, he is self-confident, is often smiling and friendly and tries to help his student with their learning. (Sergej ISA Post, 15). 383 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej <?page no="384"?> 4.7.4 Zusammenfassung: Die Ausprägung der professionellen Unterrichtswahrnehmung bei Sergej Sergej beschreibt und bewertet überwiegend den Unterricht aus den Unterrichts‐ videos (vgl. Diagramm 69). Mehr als die Hälfte der selektierten 46 Situationen werden beschrieben, wobei der Anteil von konkreten Beschreibungen mit 37% am höchsten in der gesamten Kohorte ist. Der Anteil der Situationen, die mit einem Fachkonzept schlüssig und nachvollziehbar klassifiziert werden, ist mit unter 5% sehr gering. Mehr als jede fünfte Situation bewertet Sergej; Alternativen werden nur für einige, wenige Situationen entwickelt. Sergej entwickelt einzelne Vorhersagen, wobei die vorhergesagten Wirkungen von Lernsituationen nicht nachvollziehbar sind oder durch Rückbezug auf das Video begründet werden. Diagramm 69: Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs (selektierte Situationen n=46) (Sergej) In seinen Beschreibungen bezieht Sergej sich häufig auf konkrete lexikalische Items als Lerngegenstände und das Lehrerverhalten. Im Vergleich mit seiner Aussage, dass der Lehrer nur eine motivationale Komponente von vielen im Unterricht ist, fokussiert er den Lehrer in seiner Vermittlungsrolle recht häufig in seinen Analysen. Der Lehrer ist aus Sergejs Sicht wichtig, um Ziele des Unterrichts zu erreichen und um Lernunterstützung zu geben. Hierzu passt, dass Sergej für das Video „Money“ keinerlei Alternativen formuliert. Diese Stunde wird von den Experten als zu lehrerzentriert kritisiert (vgl. 3.5.5.1). Die Perspektive auf Lernprozesse ist hingegen in Sergejs Analysen kaum erkennbar. Wann immer Sergej einen schülerzugewandten, freundlichen Lehrer erkennt, der seinen Schülern beim Lernen hilft, stellt er dies in den zahlreichen bewerteten Situationen heraus. Umgekehrt bemerkt er auch Situationen, in denen eine lernunterstützende Lehrerintervention erforderlich gewesen wäre (ISA IV). Das Thema Polysemie, welches Sergej in der Vorerhebung als Herausforderung benennt, taucht in den Analysen später nicht auf. Als ein „träges“ Fachkonzept fördert es nicht die Selektion von Situationen. Sergejs Orientierungsrahmen für Bewertungen ist überwiegend pädagogisch und nicht fachdidaktisch geprägt, wenn er z. B. berechtigte Zweifel an der Effektivität von Aktivitäten und Lehrerhandlungen äußert. Authentische Lerngelegenheiten und die Förderung mehrkanaligen Lernens sind für Sergej wesentliche Bedingungen für erfolgreiches Wortschatzlernen. Sergej hat ein eher implizites Lernverständnis im Hinblick auf lexikalisches Lernen. Ideen zur Optimierung des lexikalischen Lernens beschränken sich auf die Sicherung von Lernergebnissen durch Tafelanschrieb und Handouts. In der Vorerhebung hat Sergej die Polysemie von Wörtern als die größte Herausforderung beim Wortschatzlernen beschrieben, weshalb den Schülern „Vokabeln in allen Bedeutungen 21,7% 2,2% 37,0% 15,2% 2,2% 8,7% 2,2% 6,5% 0,0% 0,0% 0,0% 2,2% 2,2% 0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% 25,0% 30,0% 35,0% 40,0% Anteil der selektierten Situationen Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung Diagramm 69: Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung, alle ISAs, selektierte Situa‐ tionen, n=46 (Sergej) In seinen Beschreibungen bezieht Sergej sich häufig auf konkrete lexikalische Items als Lerngegenstände und das Lehrerverhalten. Im Vergleich mit seiner Aussage, dass der Lehrer nur eine motivationale Komponente von vielen im Unterricht ist, fokussiert er den Lehrer in seiner Vermittlungsrolle recht häufig in seinen Analysen. Der Lehrer ist aus Sergejs Sicht wichtig, um Ziele des Un‐ terrichts zu erreichen und um Lernunterstützung zu geben. Hierzu passt, dass Sergej für das Video „Money“ keinerlei Alternativen formuliert. Diese Stunde wird von den Experten als zu lehrerzentriert kritisiert (vgl. 3.5.5.1). Die Per‐ spektive auf Lernprozesse ist hingegen in Sergejs Analysen kaum erkennbar. 384 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="385"?> Wann immer Sergej einen schülerzugewandten, freundlichen Lehrer erkennt, der seinen Schülern beim Lernen hilft, stellt er dies in den zahlreichen bewer‐ teten Situationen heraus. Umgekehrt bemerkt er auch Situationen, in denen eine lernunterstützende Lehrerintervention erforderlich gewesen wäre (ISA IV). Ser‐ gejs Orientierungsrahmen für Bewertungen ist überwiegend pädagogisch und nicht fachdidaktisch geprägt, wenn er z. B. berechtigte Zweifel an der Effekti‐ vität von Aktivitäten und Lehrerhandlungen äußert. Authentische Lerngele‐ genheiten und die Förderung mehrkanaligen Lernens sind für Sergej wesent‐ liche Bedingungen für erfolgreiches Wortschatzlernen. Sergej hat ein eher implizites Lernverständnis im Hinblick auf lexikalisches Lernen. Ideen zur Optimierung des lexikalischen Lernens beschränken sich auf die Sicherung von Lernergebnissen durch Tafelanschrieb und Handouts. In der Vorerhebung hat Sergej die Polysemie von Wörtern als die größte Herausfor‐ derung beim Wortschatzlernen beschrieben, weshalb den Schülern „Vokabeln in allen Bedeutungen näher“ gebracht und „Ambiguitäten sowie Grenzen vor Augen“ geführt werden sollten. Die Polysemie von Wörtern sieht er als größte Herausforderung beim lexikalischen Lernen - ein Thema, das sich weder in den wenigen Alternativen noch in den Bewertungen widerspiegelt (vgl. 4.7.2.2). Ob‐ wohl es in den Unterrichtsvideos Beispiele für Polysemie von Wörtern gibt, spielt das Thema in den Analysen von Sergej keine Rolle. Bezüge zwischen der Subjektperspektive, d. h. Sergejs Perspektive auf Wortschatzlernen, und seine Alternativen sind nicht vorhanden. Die im Seminar vermittelten fachdidaktischen Konzepte stehen so gut wie gar nicht für die wissensbasierte Verarbeitung oder Einordnung von Lehr-Lernsituati‐ onen in größere Zusammenhänge zur Verfügung. Sergejs Orientierungsrahmen für die Bewertung von Englischunterricht ist überwiegend pädagogisch geprägt. An‐ gesichts der hohen Semesterzahl und der Zahl von acht besuchten fachdidakti‐ schen Veranstaltungen überrascht der relativ geringe uptake von Konzepten. Gleichwohl hat Sergej im Laufe des Seminars gelernt, genauer hinzuschauen. 385 4.7 Fallbezogene Darstellung der empirischen Ergebnisse: Sergej <?page no="386"?> 4.8 Synopse der professionellen Unterrichtswahrnehmung aller Einzelfälle Dimension/ Fall Kerstin Kate Jane Anna Praxiserfah‐ rungen und erste eigene Unterrichts‐ versuche umfangreich vorhanden umfangreich vorhanden Gelingensbe‐ dingung für lexikalisches Lernen (Sub‐ jektperspek‐ tive) Möglichst viele Gele‐ genheiten zum kommu‐ nikativen Ge‐ brauch von Wortschatz im Kontext Möglichst viele kommu‐ nikative und varianten‐ reiche Sprachver‐ wendungs‐ möglich‐ keiten und ein syntak‐ tisch kom‐ plexes Input‐ angebot Wenn Lern‐ ende am Aus‐ handeln von Bedeutungen beteiligt werden; Ge‐ legenheiten schaffen für eine tiefere Verarbeitung von Wort‐ schatz Gelegenheit für die Um‐ wälzung von Wortschatz in kommunika‐ tiven, au‐ thentischen Situationen Abstraktion von Einzel‐ ereignissen & Beschreibung von Zielori‐ entierungen Rückschlüsse auf Vor‐ kenntnisse und Lern‐ schwierig‐ keiten der Lernenden Zielrich‐ tungen von Unterricht werden mit Hilfe der „Standbeine“ erfasst Häufig Ver‐ dichtung von mehreren Einzelereig‐ nissen selten Verfügbar‐ keit von Fachkon‐ zepten für die Klassifizie‐ rung von Si‐ tuationen (%-Wert aller zutreffend klassifi‐ zierten Situa‐ tionen (Ni‐ veau 2 und 3)) Mäßige Ver‐ fügbarkeit von Fachkon‐ zepten (20%), um Ziele, Lerngegen‐ stände oder Lernprozesse zu klassifi‐ zieren Mäßige Ver‐ fügbarkeit von Fachkon‐ zepten (16% aller Situati‐ onen) Hohe Verfüg‐ barkeit von Fachkon‐ zepten (34%); Hohe Verfüg‐ barkeit von Fachkon‐ zepten (29%) 386 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="387"?> Umgang mit Fachkon‐ zepten Eigenstän‐ diger, aber nicht wider‐ spruchsfreier Umgang mit Fachkon‐ zepten; Einschrän‐ kungen bei der Passung von Situation und Fachkon‐ zept; Aneinander‐ reihung von mehreren, teils sich wi‐ derspre‐ chenden Konzepten ohne kon‐ krete Belege Eigenkreati‐ onen von Fachkon‐ zepten (eine Art blending) wie z. B. language-fo‐ cused output und input; geringes Maß an wissens‐ basierter Ar‐ gumentation Lehrerhand‐ lungen und Zielorientie‐ rungen werden au‐ feinander zu bezogen; Verknüpfung von Lern‐ prozessen mit Konzepten zur Beschrei‐ bung von Lerngegen‐ ständen; hoch ausge‐ prägtes Maß an wissens‐ basierter Ver‐ arbeitung und konzep‐ tueller Durchdrin‐ gung des Un‐ terrichts nur in ge‐ ringem Ausmaß schlüssige Argumentati‐ onslinien mit konkretem Rückbezug auf das Video; Aneinander‐ reihung von Fachkon‐ zepten; krea‐ tiver Um‐ gang; Passung zwi‐ schen Situa‐ tion und Fachkonzept: gering ausge‐ prägt; Bezug zwischen Video und Fachkonzept allgemein Verknüp‐ fungen zwi‐ schen der Vermitt‐ lungs-, Lern- und Kommu‐ nikationskultur Identifikation lernwirk‐ samer Merk‐ male einer Si‐ tuation Einzelne Be‐ züge zwi‐ schen lernre‐ levanten Merkmalen der Stunde und Lerner‐ gebnissen; Antizipation von Lernef‐ fekten und differenzierte Bilanzierung mit Abgleich zwischen dem antizi‐ pierten und dem realen Effekt Verknüp‐ fungen zwi‐ schen Lehrer‐ handlungen und mentalen Zuständen bei den Ler‐ nenden mit leichter Ten‐ denz zur Übergenera‐ lisierung (Lernerspra‐ chenbe‐ wusstheit) Durchweg schlüssige und präzise Vorhersagen von lexikali‐ schem Lernen mit klaren Argu‐ mentationsli‐ nien; Antizipation von Lernef‐ fekten und differenzierte Bilanzie‐ rungen von lexikalischen Lerneffekten Selten; keine Ab‐ gleiche zwi‐ schen antizi‐ pierten und realen Ef‐ fekten Potenzial der Alternativen zur Verbesse‐ Wenig Poten‐ zial für die Verbesserung Zunehmend sprachspezi‐ fische Alter‐ Hohes Poten‐ zial für die Verbesserung Wenig Poten‐ zial für die Verbesserung 387 4.8 Synopse der professionellen Unterrichtswahrnehmung aller Einzelfälle <?page no="388"?> rung lexikali‐ schen Lernens lexikalischen Lernens in konkreten Si‐ tuationen; eher prinzipi‐ engeleitete Vorstel‐ lungen nativen mit einem nach‐ vollziehbaren Effekt auf die Behaltens‐ leistung oder die Ausdiffe‐ renzierung lexikalischen Wissens lexikalischen Lernens; Ef‐ fekt der vor‐ geschlagenen Alternativen werden prä‐ zise mit Fach‐ konzepten beschrieben lexikalischen Lernens; Fehleinschät‐ zungen; Fokus auf Schriftlich‐ keit Übereinstim‐ mung subjek‐ tive Perspek‐ tive - Alternativen: Hoch: Lern‐ unterstüt‐ zende und verständnis‐ sichernde Unterrichts‐ kommunika‐ tion; Fokus auf den Ge‐ brauch und das kontextu‐ alisierte Wortschatz‐ lernen: aus‐ geprägt Hoch: Ge‐ stalten von kommunika‐ tiven Sprach‐ verwen‐ dungssituationen Hoch: Gele‐ genheiten für eine tiefere und reflektie‐ rende Verar‐ beitung von Wortschatz im S. v. Lex‐ ical Aware‐ ness Indirekt ge‐ geben: keine Alternativen im Video „Money“ = Übereinstim‐ mung Bewertung von Situati‐ onen Zahlreich (35%), überwiegend positiv; aus‐ geglichenes Verhältnis zwischen pä‐ dagogischen und fachdi‐ daktischen Orientie‐ rungen; Erweiterter Gegenstands‐ bereich als Prinzip (lexis grammar con‐ tinuum); Lernunter‐ stützung durch struk‐ turierte und Zahlreich (24%); Fokus auf konkretes Lehrerver‐ halten (Wort‐ erklärungen); Kritik an nicht korri‐ gierten Aus‐ sprachefeh‐ lern; Forderung nach mehr Kontrolle sei‐ tens der Lehr‐ kraft Kaum vor‐ handen Kaum vor‐ handen 388 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="389"?> vertiefende Erläute‐ rungen Dimension/ Fall Linda Martha Sergej Praxiserfah‐ rungen und erste eigene Unter‐ richtsversuche Umfangreich In geringem Um‐ fang als Nachhil‐ felehrerin im Fach Englisch (Klasse 3-5); Hos‐ pitation von Eng‐ lischunterricht Keine prakti‐ schen Unter‐ richtserfah‐ rungen Gelingensbedin‐ gung für lexikali‐ sches Lernen (Subjektperspek‐ tive) Aktive Auseinan‐ dersetzung mit Wortschatz Üben und die In‐ teraktion ermög‐ lichen; Schülerfragen und extensives Lesen anregen; Nutzen und Wirksamkeit von Fremdsprachen‐ kenntnissen de‐ monstrieren Authentische Lerngelegen‐ heiten und die Förderung mehr‐ kanaligen Lernens; der schülerzuge‐ wandte, freund‐ liche Lehrer, der seinen Schülern beim Lernen hilft Abstraktion von Einzelereignissen & Beschreibung von Zielorientie‐ rungen Nicht feststellbar Interpretationen auf einer mitt‐ leren Abstrakti‐ onsebene zu Ziel‐ orientierungen von Lehrerhand‐ lungen und zur Organisation des Lernens überwiegend konkrete Be‐ schreibungen von Lehrerver‐ halten und Lern‐ gegenständen Verfügbarkeit von Fachkon‐ zepten für die Klassifizierung von Situationen (% Wert aller klas‐ sifizierten Situa‐ tionen) Mäßige Verfüg‐ barkeit (20%) Geringe Verfüg‐ barkeit (12%) Fachkonzepte stehen nur in ge‐ ringem Maße zur Verfügung; definitorische Merkmale der „Standbeine“ stehen nicht oder nur ansatzweise zur Verfügung 389 4.8 Synopse der professionellen Unterrichtswahrnehmung aller Einzelfälle <?page no="390"?> Umgang mit Fachkonzepten (Verknüpfungen) Wissensbasierte Argumentation stark ausgeprägt Wissensbasierte Argumentation schwach ausge‐ prägt; Lücken im kon‐ zeptuellen Ver‐ ständnis des Fachkonzepts er‐ schweren die wis‐ sensbasierte Aus‐ einandersetzung mit Situationen lexikalischen Lernens Nur einzelne zu‐ treffende Klassifi‐ zierungen von Si‐ tuationen am Ende des Semi‐ nars Verknüpfungen zwischen Ver‐ mittlungs-, Lern- und Kommunika‐ tionskultur/ Identifikation lernwirksamer Merkmale einer Situation Erfassung von Lernergebnissen auf mehreren Ebenen (aspects of word knowledge, generative use) sowohl in impli‐ ziten wie expli‐ ziten Kontexten Zentrale lernrele‐ vante Aspekte des Unterrichts‐ geschehens bleiben unbe‐ merkt; Vermu‐ tungen über Stei‐ gerungen der Behaltensleis‐ tung bleiben un‐ belegt; fehlender Ab‐ gleich zwischen den antizipierten und realen Ef‐ fekten einer Situ‐ ation Nicht feststellbar Potenzial der Al‐ ternativen zur Verbesserung le‐ xikalischen Lernens Vorhanden; Vorschläge werden jedoch nicht auf der Basis von fachdi‐ daktischen Not‐ wendigkeiten entwickelt Selten; Effekte der Alter‐ native werden eher allgemein beschrieben; Tendenz, Effekte der vorgeschla‐ genen Alterna‐ tive zu über‐ schätzen sehr gering; Notwendigkeit lernunterstütz‐ ender Lehrerin‐ terventionen in einem Fall er‐ kannt (ISA IV); Sicherung von Lernergebnissen durch Tafelan‐ schrieb und Handouts als wie‐ derkehrende Ideen 390 4 Die Ergebnisse der Mehrfachfallstudie <?page no="391"?> Übereinstim‐ mung subjektive Perspektive - Al‐ ternativen Hoch; Überzeu‐ gungen zum Wortschatz‐ lernen prägen Al‐ ternativen (spon‐ tanes Abrufen größte Heraus‐ forderung beim Wortschatz‐ lernen, aktive Auseinanderset‐ zung mit Wort‐ schatz als eine wesentliche lern‐ förderliche Be‐ dingung) Hoch; Überein‐ stimmung mit der Subjektperspek‐ tive (Beantwor‐ tung von Schüler‐ fragen als essentielle Stra‐ tegie zur Förde‐ rung lexikali‐ schen Lernens); Ableitung von Alternativen aus allgemeinen fach‐ didaktischen oder pädagogischen Prinzipien (z. B. kommunikativer Fremdsprachen‐ unterricht) fachdidaktische oder pädagogi‐ sche Notwendig‐ keiten sind Aus‐ löser für die Formulierung ei‐ gener Alterna‐ tiven. Gering; Keine Be‐ züge zwischen der Subjektper‐ spektive und den Alternativen (z. B. fehlender Bezug auf Poly‐ semie als Problem) Bewertungen von Situationen wenige (<3 Situa‐ tionen) Zahlreich (26%); Kontrastierungen und Wertungen abstrahieren pau‐ schal vom Unter‐ richt Zahlreich (22%); Orientierungs‐ rahmen ist über‐ wiegend pädago‐ gisch und nicht fachdidaktisch geprägt Tabelle 52: Synoptische Zusammenfassung der Ausprägung der Unterrichtswahrneh‐ mung der Einzelfälle 391 4.8 Synopse der professionellen Unterrichtswahrnehmung aller Einzelfälle <?page no="392"?> 5 Beantwortung der Forschungsfragen In diesem Kapitel werden die Forschungsfragen (vgl. 1.2) auf der Basis der Ergeb‐ nisse der Einzelfallanalysen in resümierender Form beantwortet. Mit Hilfe einer evaluativen Inhaltsanalyse und der Dimension „Klassifizierung“ ist die wissensba‐ sierte Verarbeitung von Englischunterricht aus den Texten der Studierenden (indi‐ viduelle schriftliche Analysen) rekonstruiert worden. Fachdidaktische Wissensbe‐ stände stehen - wenngleich in unterschiedlicher Quantität und Qualität - für die Einschätzung von fachbezogenen Lehr-Lernsituationen zur Verfügung. Die Dimen‐ sion „Beschreibung“ ist differenziert worden in abstrakte und konkrete Beschrei‐ bungen. Auf diese Weise kann die bloße Wiedergabe des Unterrichtsgeschehens von einer ersten Abstraktion unterschieden werden (vgl. 3.6.2). Im Hinblick auf die Entwicklungsbedingungen für die Professionalisierung der Unterrichtswahrnehmung im Kontext einer fachdidaktischen Lehrveran‐ staltung ist für diese als Designexperiment angelegte Studie auch nach den Wechselwirkungen zwischen Kontext und Maßnahme (Cobb et al. 2003: 10) zu fragen. Im Rahmen eines Designexperiments ist ein Setting mit schriftlichen Analysen von Unterrichtsvideos und nachfolgenden Reflexionsgesprächen (video clubs, vgl. 3.4.2) erprobt worden. Um exemplarisch einen Einblick in die video club-Sitzungen im Seminar zu vermitteln, werden ausgewählte Passagen aus einem Reflexionsgespräch analysiert (5.3.1). Die vollständige Transkription und diskursanalytische Aufarbeitung aller vier video club-Sitzungen übersteigt die Möglichkeiten dieser als Einzelvorhaben angelegten Qualifikationsarbeit. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden jedoch zu vorliegenden Befunden (z. B. Sherin und Han 2004) zur Wirkung von video clubs und Beobachtungshilfen in Beziehung gesetzt. 5.1 Was nehmen angehende Lehrpersonen wahr, wenn sie Unterrichtsvideos mit unterschiedlichen Situationen lexikalischen Lernens betrachten? Aus der Fülle der gleichzeitig wahrnehmbaren Reize (Bortz & Döring 2006: 265), welche die Unterrichtsvideos enthalten, haben die Probanden dieser Studie überwiegend Situationen lexikalischen Lernens ausgewählt (vgl. Diagramm 70). Nur 1 % der beschriebenen Situationen hat einen pädagogischen Fokus („Be‐ <?page no="393"?> schreibung 1“); weitere 2 % der Beschreibungen stimmen nicht mit den Ereig‐ nissen im Video überein. Die Studierenden sind in der Lage, Situationen lexikalischen Lernens aus dem Unterrichtsvideo herauszulösen (noticing) und die jeweilige Situation auf ihre we‐ sentliche Bedeutung hinsichtlich Lerngegenstand, Lernprozessen oder dem Kom‐ munikations- und Unterstützungsverhalten (vgl. 2.4.5) zu reduzieren. Insgesamt fällt auf, dass sich zu zahlreichen Situationen in jedem Unterrichtsvideo bewer‐ tende Aussagen finden. Dies betrifft jedoch im Wesentlichen die Unterrichtswahr‐ nehmung von zwei Probanden, deren Analysen einen hohen Anteil an Bewer‐ tungen aufweisen. Mehr als die Hälfte aller Bewertungen von Kerstin haben einen allgemeindidaktisch-pädagogischen Fokus, bei Martha betrifft dies knapp die Hälfte aller Bewertungen. Der Anteil der Bewertungen mit allgemeindidaktisch-pädago‐ gischem Fokus liegt bei Kerstin und Martha in etwa auf dem gleichen Niveau wie der Anteil der Bewertungen mit lexikalischem Fokus (vgl. 4.3.4; 4.6.4). Diagramm 70: Die Entwicklung der PUW in der gesamten Kohorte Neben der konkreten Beschreibung von Einzelsituationen und der abstrahie‐ renden Beschreibung von Zielorientierungen lassen sich in den schriftlichen Analysen der Studierenden in zunehmendem Maße Verknüpfungen zwischen Lehr- und Lernprozessen feststellen; diese sind mit der Kategorie „Vorhersagen“ 393 5.1 Was nehmen angehende Englischlehrpersonen in Unterrichtsvideos wahr? <?page no="394"?> erfasst worden. Die Entscheidung, diese Kategorie aufzunehmen, wird durch theoretische Befunde aus den Bezugsdisziplinen der Fachdidaktik und durch die bildungswissenschaftliche Forschung zur professionellen Unterrichtswahrneh‐ mung gestützt (z. B. Seidel & Stürmer 2014; Schäfer 2014). Prädiktive Prozesse spielen bei der Konzeptbildung (Cheung & Bar 2012) eine bedeutende Rolle (vgl. 2.2.2); sie sind ein Bestandteil visueller Expertise, die Experten bei der Objekt‐ erkennung und der Verarbeitung multimodalen Inputs (wie z. B. im Unterrichts‐ video) nutzen (Wong & Wong 2014). Prädiktive Prozesse können vermittels der Kategorie „Vorhersagen“ in be‐ sonderem Ausmaß in den ISAs von Linda, Kerstin, Kate und Jane nachgewiesen werden. Diese Probanden sind in der Lage, Bezüge zwischen einzelnen Ele‐ menten der Ziel- und Stoffkultur oder der Lern- und Verstehenskultur aufzu‐ zeigen (vgl. 4.1.2; 4.2.2; 4.3.2). Dies ist insofern bemerkenswert, als die Beobach‐ tungsprompts das Aufzeigen solcher Zusammenhänge nicht explizit einfordern (vgl. Tabelle 17). Die Frage nach den Lernergebnissen kann rein deskriptiv oder stärker argumentativ beantwortet werden, was bei der inhaltsanalytischen Aus‐ wertung zur entsprechenden Codevergabe führt (vgl. 3.6.3). Zusammenhänge zwischen Lehr- und Lernprozessen konnten in den Einzelfallanalysen in ver‐ schiedenen Unterrichtsvideos nachgewiesen werden. Die nachstehende Tabelle listet Beispiele für solche Zusammenhänge auf und konzeptualisiert sie als Be‐ züge zwischen den Achsen des didaktischen Dreiecks, welches als Heuristik für die Gestaltung des Seminars und die Systematisierung der Fachkonzepte genutzt worden ist (vgl. 2.4.2). 394 5 Beantwortung der Forschungsfragen <?page no="395"?> Ziel- und Stoffkultur: Lerngegenstände, Instruktionen, Impulse, Aufgaben • Die Frage nach der Anzahl der Wiederholungen zielt auf das Üben der Aussprache (ISA II) • Lerngegenstände: idiomatische Wendungen („drive me crazy“, ISA III), Wortfelder („food and drink“, ISA II) • Zielorientierungen: flüssiges Sprechen Lern- und Verstehenskultur: Prozesse und Ergebnisse • Lernfortschritte: Ein Schüler greift die Semantisierung des Lehrers auf und gebraucht die Wendung trade with shares wenig später im Unter‐ richt ( Jane, ISA Post) Kommunikations- und Unterstützungskultur • Die Beteiligung von Lernenden am Aushandeln von Bedeutungen (ISA I), z. B. good appetite • Semantisierungen, z. B. to afford (Video „Money“) • Wiederholung und Übung, z. B. Kugellagermethode (Video „Practicing new words“) Tabelle 53: Beispiele für Zusammenhänge zwischen den Achsen des didaktischen Drei‐ ecks aus den Unterrichtsvideos Linda ist in der Lage, verschiedene Fachkonzepte für die Beschreibung von Lernprozessen (retrieval) mit Konzepten zur Beschreibung von Lerngegen‐ ständen zu verknüpfen (aspects of word knowledge: use, register). Auch wenn Linda in der Analyse des Videos „Perfect Job“ nicht zwischen der Lernerhand‐ lung (hier: Paraphrasieren) und dem Reflektieren über die Lernerhandlung als Lernstrategie differenziert (vgl. 4.2.2.4), demonstriert sie zum Ende des Semi‐ nars, dass sie in der Lage ist, lernrelevante Merkmale einer Situation aus dem Unterrichtsvideo zu identifizieren und Zusammenhänge zwischen der Situation und beobachtbaren Indikatoren für Lernergebnisse herzustellen. So interpretiert sie die Struktur des Tafelbildes als Stimulus, der es den Lernenden ermöglicht, semantische Relationen zwischen Wörtern zu erkennen und im weiteren Verlauf solche selbstständig herzustellen. Kerstin zeigt in ihrer Analyse des Videos „Misunderstandings“ (vgl. 4.3.2.1), dass sie in der Lage ist, lernrelevante Merkmale von Aufgabenstellungen mit Lerner‐ gebnissen in Beziehung zu setzen. Sie kann Lerneffekte antizipieren und auch mögliche Diskrepanzen zwischen dem antizipierten Effekt und realen, beobach‐ tbaren Effekten herausarbeiten. Kerstin sagt z. B. eine höhere Verarbeitungstiefe von Wörtern im Zusammenhang mit bestimmten Impulsen oder Aufgaben vo‐ raus. Im Video „Drive me crazy“ schätzt sie die Zielrichtung der verschiedenen 395 5.1 Was nehmen angehende Englischlehrpersonen in Unterrichtsvideos wahr? <?page no="396"?> Techniken ein und antizipiert deren Potenzial, das nachhaltige Erinnern zu för‐ dern, was am Ende der Stunde in der Präsentationsphase sichtbar wird. Auffällig ist, dass im Video „Perfect Job“ keine der Vorhersagen von Kerstin nachvoll‐ ziehbar ist, da der Rückbezug auf konkrete Situationen aus dem Video fehlt. Jane entwickelt begründete und differenzierte Vorhersagen von Wirkungen einer konkreten Unterrichtssituation auf lexikalische Lernprozesse. Zusam‐ menhänge zwischen Lehrerhandeln und Lernergebnis erkennt Jane z. B. im Video „Practicing new words“, wenn sie Teillernleistungen (korrekte Aussprache) von eingesetzten Techniken der Lehrkraft ableitet (Modulation der Stimme und chorisches Nachsprechen). Die Verbesserung der Behaltensleistung, die Jane annimmt, differenziert sie in Bezug auf die Kenntnis von Wortbestandteilen und der geschriebenen Form des Wortes aus ( Jane ISA II, 9). Im Video „Drive me crazy“ verknüpft sie verschiedene Fachkonzepte: Die Dekontextualisierung des Wortes durch den Lehrer als eine Voraussetzung für die Reorganisation des Wortschatzwissens bei den Lernenden wird von Jane mit dem Konzept receptive generative use klassifiziert. Auch wenn sich bei Jane in der Post-Analyse Argu‐ mentationen ohne Bezug auf konkrete Wörter aus dem Unterricht finden und ihr Text zur Abstraktion neigt (vgl. 4.1.3.2), hat sich ihr Verständnis von lexika‐ lischem Lernen in umfassender Weise ausdifferenziert. Jane unterscheidet Lern‐ ergebnisse im Hinblick auf bestimmte Aspekte des Wortwissens und vergleicht das Lernergebnis (z. B. das Behalten der gesprochenen und der geschriebenen Form des Wortes) mit der direkt beobachtbaren Maßnahme (z. B. Lehrerimpuls). Die inhaltsanalytische Auswertung der individuellen schriftlichen Analysen belegt, dass Jane am Ende des Seminars in der Lage ist, differenzierte und durch das Video begründete Vorhersagen über lexikalische Lernergebnisse und -pro‐ zesse zu treffen. Kate gelingt es hingegen nur vereinzelt von Lehrerimpulsen auf Lernprozesse zu schlussfolgern. Im Video „Misunderstandings“ bemerkt sie, dass das dezidierte Nachfragen zur Funktion einzelner Wörter (would) zu einer tieferen Verarbeitung des sprachlichen Inputs führt (Kate ISA I, 5). Im Vergleich der vier Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung kann der Dimension „Vorhersagen“ eine hohe Relevanz für die Bewältigung von Hand‐ lungssituationen zugesprochen werden. Dies ist eine Erkenntnis, die sich aus der Zusammenschau aller im Detail analysierten Unterrichtsanalysen speist. Die Bewältigung der Unterrichtssituation erfordert laufend den Abgleich zwischen antizipierten und realen Effekten - die Lehrperson passt ihr Unterrichtsver‐ halten an die Lerngruppe an, wenn sie merkt, dass bestimmte Effekte nicht oder schneller als erwartet eintreten. Ob Probanden, die im Designexperiment hohe Ausschläge bei den Vorhersagen erkennen lassen, dann auch in der realen Un‐ terrichtssituation eher in der Lage sind, ihren Unterrichtsverlauf zu adaptieren 396 5 Beantwortung der Forschungsfragen <?page no="397"?> (vgl. Beck et al. 2008), müsste durch weitere empirische Forschung, z. B. mit Lehramtsanwärtern, geklärt werden. Gemäß der ABC-Theorie (Hoffmann 1993) kann vermutet werden, dass auch durch den medial vermittelten Abgleich von antizipierten und realen Effekten in Unterrichtsvideos „Repräsentationen, die der Verhaltensausführung zu‐ grunde gelegen haben, mit Repräsentationen von Verhaltenseffekten ver‐ bunden“ werden (Hoffmann & Engelkamp 2013: 60). Wenn es auf Grund der neuronalen Ausstattung des Menschen (Aschersleben 2008: 782) möglich ist, dass das bloße Verhalten die Vorstellung (Repräsentation) des Effekts aktiviert, dann ist nicht auszuschließen, dass Repräsentationen von Verhaltens-Effekt-Be‐ ziehungen auch reziprok durch die Wahrnehmung von Effekten des Verhaltens Dritter (z. B. in Unterrichtsvideos) gebildet werden können. Solche „sekundären Kontextualisierungen von Verhaltens-Effekt-Verbindungen“ (Hoffmann & En‐ gelkamp 2013: 60) entstehen unter der Voraussetzung, dass eine hinreichende Zahl von Gelegenheiten für solche „in vitro“-Beobachtungen gegeben ist. 5.1.1 Exemplarische Vergleiche der Alternativen von Studierenden und Experten Auch wenn ein systematischer Novizen-Experten-Vergleich weder intendiert noch im Untersuchungsdesign dieser Studie angelegt ist (vgl. 3.5.4), ist es den‐ noch möglich, Unterschiede in der Wahrnehmung von Studierenden und der Gruppe der Experten (vgl. 3.5.4) anhand von einzelnen Schlüsselszenen zu be‐ schreiben. Im Video „Drive me crazy“ ist die Unterrichtswahrnehmung der Ex‐ perten auf eine Schlüsselszene im Unterrichtsverlauf gerichtet: Die Experten merken an, dass die Phraseologismen, wie z. B. drive me crazy, nicht hinreichend vom Lehrer aufgegriffen worden seien. Alternativ sollte das explizite lexikali‐ sche Lernen intensiviert werden, damit die Lernenden die abweichende Bedeu‐ tung von drive in dieser idiomatischen Redewendung verstehen. Eine solche fachdidaktische Notwendigkeit deuten nur Sergej und Martha in ihren Alter‐ nativen an (vgl. 4.6.2.3; 4.7.2.5). Alle anderen Probanden halten die Erläuterung seitens des Lehrers und seinen Einsatz von Gesten für ausreichend, um die Be‐ deutung der idiomatischen Wendung to drive s.o. crazy zu klären. Im Unterrichtsvideo „Money“ kritisieren die Experten beim Expertenrating das geringe Maß an Schülerbeteiligung und die Dominanz lehrergesteuerter In‐ teraktion. Aufgrund der stark steuernden Funktion des Lehrers beurteilen sie die Stunde mit der Note „befriedigend plus“ (vgl. 3.5.5). Die Stunde sei grund‐ sätzlich „ausbaufähig“; an welchen Stellen Optimierungen vorgenommen werden könnten oder sogar müssten, lassen die Experten jedoch offen. In Dia‐ 397 5.1 Was nehmen angehende Englischlehrpersonen in Unterrichtsvideos wahr? <?page no="398"?> gramm 71 wird der Versuch unternommen, die inhaltliche Nähe der Alterna‐ tiven von Studierenden und Experten zu visualisieren. An den Ecken des Sechs‐ ecks stehen jeweils die Alternativen der Studierenden. Der Grad an Übereinstimmung wird mit Hilfe eines Codesystems wie folgt erfasst: • 3= volle Übereinstimmung • 2= überwiegende Übereinstimmung • 1= ansatzweise Übereinstimmung • 0= keine Übereinstimmung Diagramm 71: Inhaltliche Nähe zwischen den Alternativen der Experten und der Probanden (Video „Money“, ISA Post) Auf diese Weise erkennt man, dass lediglich die Alternative „more student involvement“ mit zwei der von den Studierenden vorgeschlagenen Alternativen kompatibel ist. Die von dem ersten Experten (E1) vorgeschlagene Alternative „more activities in pair/ group work“ hat eine Passung mit der Alternative „activating learners instead of asking another time“, die von den Studierenden vorgeschlagen worden ist. Der Aspekt der Liedauswahl bzw. der Aktualität und Schülerangemessenheit des verwendeten Unterrichtsmaterials wird von den Studierenden nicht genannt. Es fällt auf, dass die Alternativen der Studierenden konkreter auf lexikalisches Lernen bezogen sind und insgesamt ein breiteres Spektrum an konkreten Vorschlägen zur Optimierung des Lehr-Lerngeschehens umfassen. 5.2 Inwieweit nutzen angehende Lehrpersonen fachdidaktisches Wissen zur Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens? Die im Theorieteil des wortschatzdidaktischen Seminars systematisch vermittelten Fachkonzepte lexikalischen Lernens (vgl. Tabelle 54 sowie 3.5.2) stehen den Studierenden für die Klassifizierung von Situationen lexikalischen Lernens zur Verfügung. Die aus den Texten rekonstruierten Klassifizierungen und Vorhersagen können als ein Indiz für „stärker vernetzte Wissensstrukturen mit Bezug zu wichtigen Konzepten des Lehrens und Lernens“ gelten, die „mit einem höheren Maß an Expertise einhergehen (Berliner 2001; Seidel & Prenzel 2007)“ (Stürmer, Seidel & Kunina-Habenicht 2015: 3). Tabelle 54: Übersicht über die Fachkonzepte lexikalischen Lernens Ziel- und Stoffkultur • four strands of language teaching (Nation 2007) • aspects of word knowledge (Nation 2001) 0,00 1,00 2,00 3,00 more opportunities for using words (2x) activating learners instead of asking another time… address pronunciation of "mortgage" change explanation of "to afford" demonstrate how words are used in context introduce words in context E1: more activities in pair work/ group work E3: more student involvement Diagramm 71: Inhaltliche Nähe zwischen den Alternativen der Experten und der Pro‐ banden (Video „Money“, ISA Post) Auf diese Weise erkennt man, dass lediglich die Alternative „more student in‐ volvement“ mit zwei der von den Studierenden vorgeschlagenen Alternativen kom‐ patibel ist. Die von dem ersten Experten (E1) vorgeschlagene Alternative „more activities in pair/ group work“ hat eine Passung mit der Alternative „activating learners instead of asking another time“, die von den Studierenden vorgeschlagen worden ist. Der Aspekt der Liedauswahl bzw. der Aktualität und Schülerangemes‐ senheit des verwendeten Unterrichtsmaterials wird von den Studierenden nicht genannt. Es fällt auf, dass die Alternativen der Studierenden konkreter auf lexika‐ lisches Lernen bezogen sind und insgesamt ein breiteres Spektrum an konkreten Vorschlägen zur Optimierung des Lehr-Lerngeschehens umfassen. 398 5 Beantwortung der Forschungsfragen <?page no="399"?> 5.2 Inwieweit nutzen angehende Lehrpersonen fachdidaktisches Wissen zur Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens? Die im Theorieteil des wortschatzdidaktischen Seminars systematisch vermit‐ telten Fachkonzepte lexikalischen Lernens (vgl. Tabelle 54 sowie 3.5.2) stehen den Studierenden für die Klassifizierung von Situationen lexikalischen Lernens zur Verfügung. Die aus den Texten rekonstruierten Klassifizierungen und Vor‐ hersagen können als ein Indiz für „stärker vernetzte Wissensstrukturen mit Bezug zu wichtigen Konzepten des Lehrens und Lernens“ gelten, die „mit einem höheren Maß an Expertise einhergehen (Berliner 2001; Seidel & Prenzel 2007)“ (Stürmer, Seidel & Kunina-Habenicht 2015: 3). Ziel- und Stoffkultur • four strands of language teaching (Nation 2007) • aspects of word knowledge (Nation 2001) • lexis-grammar continuum (u. a. Schmitt 2010) • semantic relations & semantic fields (u. a. McCarthy 1990) Lern- und Verstehens‐ kultur • noticing, retrieval, generative use (Nation 2001) • depth of processing (Craik & Lockhart 1972; Lockhart & Craik 1990) • engagement (Schmitt 2008) • lexical awareness (Nation 2008) Kommunikations- und Unterstützungskultur • ways of communicating word meaning (Nation 2001) • rich instruction (Nation 2001) • negotiation of meaning (Long 1981) Tabelle 54: Übersicht über die Fachkonzepte lexikalischen Lernens Mit Hilfe der evaluativen Inhaltsanalyse und den drei Ausprägungen für Klas‐ sifizierungen sind anhand der individuellen schriftlichen Analysen Unter‐ schiede der wissensbasierten Verarbeitung von Unterricht beschrieben worden. Die Probanden dieser Untersuchung nutzen fachdidaktisches Wissen in Form von Konzepten lexikalischen Lernens in individuell variierendem Ausmaß für die Einschätzung von Situationen lexikalischen Lernens aus Unterrichtsvideos. Probanden unterscheiden sich darin, wie sie konkrete Merkmale der Unter‐ richtssituation und definitorische Merkmale des Fachkonzepts zueinander in 399 5.2 Nutzung fachdidaktischen Wissens <?page no="400"?> Beziehung setzen. Mit einer Ausnahme (Sergej) sind bei allen Probanden Fort‐ schritte bei der Klassifizierung von Situationen mit Fachkonzepten feststellbar. Unterschiede im Ausmaß der wissensbasierten Argumentation sind mit Hilfe der induktiv aus dem Datenmaterial gewonnenen Einschätzdimensionen quan‐ tifizierbar (vgl. 3.6.3; siehe weiter unten 6.3). Tabelle 55 fasst für jeden Einzelfall die Charakteristik der Nutzung von Fachkonzepten zusammen. Im Vergleich der Einzelfälle weist Jane den eigenständigsten und souveränsten Umgang mit Fachkonzepten auf (vgl. 4.1.4). Sie argumentiert sowohl mit Bezug auf das Un‐ terrichtsvideo als auch mit Rückgriff auf Merkmale des Fachkonzeptes. Darüber hinaus verknüpft sie mehrere Fachkonzepte und kommt so vor allem zum Ende des Seminars zu konzisen und gleichermaßen präzisen Analysen des Unter‐ richtsgeschehens, die auf ein vertieftes Verständnis der lernwirksamen Facetten von Situationen lexikalischen Lernens hindeuten. Linda steht ein breites Spektrum an Fachkonzepten zur Beschreibung von Lernprozessen und Zielorientierungen zur Verfügung. Das Ausmaß der wis‐ sensbasierten Verarbeitung ist wie bei Jane sehr hoch (vgl. 4.2.4). Linda de‐ monstriert vor allem zum Ende des Seminars, dass sie Fachkonzepte schlüssig für die Erklärung von Situationen aus den Unterrichtsvideos nutzen kann (vgl. 4.3.3.3). Fehldeutungen gibt es in erster Linie bei der Nutzung des Konzepts der strands of language teaching (Nation 2007). Auflistungen von Fachkonzepten in einzelnen ISAs deuten auf soziale Erwünschtheitseffekte hin. Neuschöpfungen von Fachkonzepten durch blending finden sich bei Kate (vgl. 4.5.4). Während Kate ein neues „Standbein“ kreiert, um eine bestimmte Facette des Unterrichts zu klassifizieren, sind Neuschöpfungen bei Anna eher auf un‐ vollständige Kenntnis der definitorischen Merkmale einzelner strands (vgl. 2.4.1.5) zurückzuführen. Bei Anna finden sich häufig Analysen mit mangelnder Übereinstimmung zwischen Situation und Fachkonzept. Ähnlich wie Kerstin glaubt auch sie, dass alle „Standbeine“ in einer Stunde realisiert sein müssen. Auch wenn sie an ei‐ nigen Stellen zu Aneinanderreihungen von Fachkonzepten neigt, gehört Anna zu den Probanden, die sehr früh im Seminar, also ab ISA I, bereits Fachkonzepte einzubringen versuchen (vgl. 4.4.5). Bei Martha hat sich die Fähigkeit, Situationen mit fachdidaktischen Kon‐ zepten zu klassifizieren, nur in Ansätzen entwickelt. Lücken im konzeptuellen Verständnis der Fachkonzepte und Unkenntnis zentraler definitorischer Merk‐ male (z. B. der „Standbeine“) führen an mehreren Stellen zu Fehleinschätzungen (vgl. 4.6.5). Die wissensbasierte Auseinandersetzung mit Situationen lexikali‐ schen Lernens im Englischunterricht ist bei Martha insgesamt schwach ausge‐ prägt. Die Argumentationslinien sind häufig unscharf oder fehlen völlig. 400 5 Beantwortung der Forschungsfragen <?page no="401"?> Noch geringer ist die wissensbasierte Verarbeitung von Situationen nur bei Sergej ausgeprägt. Sergej verfügt auch am Ende des Seminars nur in geringem Ausmaß über die im Seminar vermittelten Fachkonzepte lexikalischen Lernens (vgl. Tabelle 22). Die Post-Analyse des Videos „Money“ ist